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German Pages 333 Year 2008
Sebastian Sieglerschmidt Werbung im thematisch passenden Medienkontext
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Sebastian Sieglerschmidt
Werbung im thematisch passenden Medienkontext Theoretische Grundlagen und empirische Befunde am Beispiel von Fernsehwerbung
Mit Geleitworten von Prof. Dr. Detlev Liepmann und Prof. Dr. Thorsten Teichert
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Anita Wilke Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1231-2
Geleitwort
Monographien, die den Schnittpunkt Theorie und Praxis miteinander verknüpfen und dies auf einer breiten empirischen Basis realisieren, stehen im Gegenstandsbereich der Werbewirkungsforschung nur bedingt zur Verfügung. Eine methodenkritische Reflexion, die sich mit dem spezifischen Bereich der Werbe-Kontext-Kongruenz auseinandersetzt, vermisst man darüber hinaus seit längerer Zeit. Die Lücke wird durch die vorliegende Arbeit von Herrn Sieglerschmidt äußerst seriös, d.h. vor einem aktuellen theoretischen Hintergrund und auf einer validen empirischen Grundlage, geschlossen. Dass sich nicht nur die angewandte Forschung, vornehmlich die Markt-, Werbe- und Medienpsychologie, Synergienotwendigkeiten gegenüber offen zeigen muss, wird in dieser Schrift in überzeugender Weise deutlich gemacht. Das methodische Verständnis in diesem Forschungsfeld verdeutlicht die Ansprüche, die an eine systematische Aufarbeitung der empirischen Befunde gestellt werden und die vom Autor in überzeugender Weise nachvollzogen und innovativ in eigenen Studien eingebracht worden sind. Die Schnittstelle zwischen Facetten der allgemeinen Psychologie und Notwendigkeiten einer empirischen Werbewirkungsforschung sowie die Frage nach entsprechenden Verwertungszusammenhängen werden außerordentlich überzeugend aufgearbeitet. Drei grundsätzliche Themenkomplexe kennzeichnen dabei die Konzeptualisierung: a. Auf welche Arten kann Werbung auf den editorialen Medienkontext abgestimmt werden? b. Nehmen Rezipienten eine thematische Abstimmung von Werbung und editorialem Kontext wahr und wie lässt sich diese Wahrnehmung messen? c. Welchen Einfluss auf die Wirksamkeit von Werbung hat eine thematische Abstimmung und welche psychologischen Grundlagen bieten sich als Erklärung dieser Einflüsse an? Die vorliegende Monographie sollte wegweisend für alle empirisch Arbeitenden im Bereich der Werbewirkungsforschung sein. Nicht nur Studierende der Wirtschaftswissenschaft, Psychologie und Kommunikationswissenschaft finden hier einen validen Leitfaden zur empirischen Realisierung entsprechender Fragestellungen, sondern auch der Praktiker sollte sich mit den skizzierten Notwendigkeiten auseinandersetzen, die diese Schrift hervorragend akzentuiert.
Prof. Dr. Detlev Liepmann
Geleitwort
Auswirkungen von thematischer Kongruenz zwischen Werbegestaltung sowie -inhalten mit dem Medienkontext sind bislang nur gering erforscht. Die vorliegende Arbeit erbringt hier wesentliche wissenschaftliche Beiträge sowohl aus konzeptioneller als auch empirischer Sicht. Somit kombiniert die Arbeit grundlegendes wissenschaftliches Erkenntnisinteresse mit konkreten Ergebnisinterpretationen für praktische Anwendungen. Aus praktischer Sicht greift der Autor eine Fragestellung auf, welche in der etablierten Werbewirkungsforschung nur in Ansätzen thematisiert wurde, dies vermutlich aufgrund ihrer höheren Komplexität sowie einer geringeren vermuteten Effektstärke im Vergleich zu originären Gestaltungsparametern der Werbung. Zum heutigen Zeitpunkt ist diese Frage jedoch nicht nur von latenter, sondern zugleich von aktueller Relevanz, da zunehmend technische Möglichkeiten zur Individualisierung sowie selektiven Ansprache von werblicher Kommunikation nicht nur in den neuen, sondern zugleich auch in den etablierten Medien geschaffen werden. Hieraus lässt sich absehen, dass Werbungstreibende in Zukunft stärker auf eine bestmögliche Platzierung ihrer Werbebotschaft im redaktionellen Umfeld werden achten können. Die Arbeit besticht durch den zweistufigen Aufbau großzahliger experimenteller Befragungen und den selbstkritischen, konzeptionell untermauerten Diskurs. Basierend auf einer breit angelegten Diskussion von konzeptionellen Modellen der Werbewirkung werden in einem ersten Schritt die Grundlagen geschaffen. Sodann erfolgt eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Passung zwischen Werbekontext und Werbung. Dem explorativen Charakter der Themenstellung entsprechend münden die theoretisch-konzeptionellen Darlegungen in verschiedene, teils konträre Forschungsannahmen. Die Erhebungen selbst sind ebenfalls zweistufig gestaltet und kombinieren Labor- und Felderhebungen im für die bundesdeutsche Bevölkerung repräsentativen Rahmen. Die großzahligen empirischen Befunde bilden die Grundlage für eine empirische Überprüfung der vorab (als Forschungsannahmen) gestellten Hypothesen. Eine ergänzende Betrachtung ausgewählter Kovariaten liefert darüber hinaus Rückschlüsse auf wesentliche Kontingenzeffekte. Hierbei geht der Verfasser sowohl methodisch als auch inhaltlich umsichtig wie kritisch vor und kommt zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse.
VIII
Geleitwort
Für Wissenschaftler wie auch für Manager bietet die vorliegende Arbeit eine spannende, erkenntnisreiche Lektüre. Sie liefert einerseits eine Reihe nützlicher Handlungsempfehlungen, andererseits wertvolle Anregungen für weitere Forschungsarbeiten. Den Ergebnissen wünsche ich daher eine möglichst große Verbreitung in Theorie und Praxis.
Prof. Dr. Thorsten Teichert
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als externer Doktorand am Arbeitsbereich Wirtschafts- und Sozialpychologie der Freien Universität Berlin sowie zuvor am Arbeitsbereich Marketing und Innovation der Universität Hamburg. Mein besonderer Dank gilt daher zunächst meinen akademischen Betreuern, Herrn Prof. Dr. Detlev Liepmann und Herrn Prof. Dr. Thorsten Teichert. Die Erstellung dieser Arbeit wäre ohne ihren fachlichen Rat und ihre motivierenden Worte nicht möglich gewesen. Zu besonderem Dank bin ich auch IP Deutschland für die äußerst großzügige Unterstützung meiner wissenschaftlichen Forschung und das mir entgegengebrachte Vertrauen verpflichtet. Nur dadurch konnten die umfangreichen empirischen Untersuchungen der vorliegenden Arbeit realisiert werden. Namentlich hervorzuheben sind Herr Jan Isenbart, Frau Maren Boecker, Frau Claudia Casu, Herr Robert Schäffner und Frau Sandra Schümann. Insbesondere Frau Boecker möchte ich für ihre Zeit und intensive Auseinandersetzung mit meinem Projekt danken. Weiterhin danke ich Herrn Matthias Wenisch von VDT Psychologie- und Medizinvertrieb für sein Entgegenkommen bei der Nutzung der biometrischen Messgeräte. Herrn Dr. Florian Schaefer, Mitarbeiter am Lehrstuhl für physiologische Psychologie der Universität Wuppertal, danke ich für die Bereitstellung der EDA-Auswertungssoftware. Herrn Dr. Thomas Gey danke ich für das gewissenhafte Lektorat und seine konstruktiven Ratschläge hinsichtlich des stilistischen „Feinschliffs“. Unterstüzung beim Schreiben dieser Arbeit habe ich auch durch etliche Kollegen und Freunde erfahren. Ein herzliches Dankeschön geht vor allem an Jochen Heemann und Alexander Thau für ihren moralischen Beistand und für viele hilfreiche fachliche Hinweise. Besondere Dankbarkeit empfinde ich gegenüber meinen Eltern. Sie haben mir beigebracht, welch hohes Gut Bildung ist. Weil sie mich seit frühester Kindheit gefördert, meine Interessen unterstützt und mir eine hervorragende Ausbildung ermöglicht haben, gaben sie mir alles Notwendige mit auf den Weg, um meine beruflichen und privaten Ziele zu verwirklichen. Am Schluss möchte ich den größten Dank meiner Frau Kathrin dafür aussprechen, dass sie mich mit Geduld und Liebe durch alle Hochs und Tiefs bei der Anfertigung meiner Dissertation begleitet hat und mir stets als kluge Ratgeberin zur Seite stand. Ihr widme ich diese Arbeit. Sebastian Sieglerschmidt
Inhaltsverzeichnis 1.
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ............................................ 1 1.1 Einleitung und Forschungsgegenstand .................................................................. 1 1.2 Passende oder kongruente Werbung im Sinne dieser Arbeit ................................ 2 1.2.1 Kongruenz im engeren und im weiteren Sinne ........................................ 3 1.2.2 Kongruenz, Inkongruenz und Kontrast .................................................... 4 1.2.3 Abgrenzung vom Kongruenzbegriff nach Kamins, Marks und Skinner ..................................................................................................... 4 1.2.4 Objektive und subjektive Reizmerkmale ................................................. 6 1.2.5 Bezugspunkte von Werbe-Kontext-Kongruenz ....................................... 6 1.2.6 Zusammenfassung und Einordnung des Forschungsgegenstandes .......... 8 1.3 Überblick über bisherige Beiträge......................................................................... 9 1.4 Zielsetzung der Arbeit ......................................................................................... 13 1.4.1 Theoretischer Beitrag ............................................................................. 14 1.4.2 Management-Relevanz........................................................................... 17 1.5 Aufbau der Arbeit................................................................................................ 20
2.
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen............ 23 2.1 Abgrenzung wesentlicher Begriffe der Werbewirkungsforschung ..................... 23 2.1.1 Werbung ................................................................................................. 23 2.1.2 Werbetreibende und Werbeobjekte........................................................ 25 2.1.3 Produkt, Produktkategorie und Marke ................................................... 26 2.1.4 Werbewirkung, Werbeerfolg und Werbewirksamkeit ........................... 27 2.1.5 Kognition, Affekt, Motivation, Einstellung und Bewertung.................. 27 2.2 Grundmodell der Werbewirkung......................................................................... 28 2.2.1 Werbereize ............................................................................................. 30 2.2.2 Personenmerkmale ................................................................................. 32 2.2.3 Rezeptionskontext .................................................................................. 40 2.3 Zusammenfassung und Implikationen für diese Untersuchung .......................... 47
3.
Modellierung von Werbewirkungen............................................................................... 49 3.1 Grundlagen .......................................................................................................... 49 3.1.1 Historische Entwicklung der Werbewirkungsforschung........................ 49 3.1.2 Klassifikation von Werbewirkungsmodellen ........................................ 51 3.2 Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung.................. 54 3.2.1 Marktreaktionsmodelle und Single-Source-Forschung.......................... 55 3.2.2 Modelle kognitiver Informationsverarbeitung ....................................... 57 3.2.3 Modelle affektiver Reaktionen............................................................... 59 3.2.4 „Klassische“ Stufenmodelle................................................................... 60 3.2.5 Relationale Stufenmodelle ..................................................................... 61
XII
Inhaltsverzeichnis
3.3
3.4
3.5
3.2.6 Low-involvement-Stufenmodelle........................................................... 69 3.2.7 Integrative Modelle ................................................................................ 70 Kritische Würdigung etablierter Theoriemodelle................................................ 73 3.3.1 Die verkannte Rolle affektiver Reaktionen............................................ 73 3.3.2 Neuere Erkenntnisse aus experimenteller Psychologie und Neurowissenschaften.............................................................................. 74 3.3.3 Beobachtungen aus der Werbepraxis ..................................................... 75 3.3.4 Kognitiver Bias in der Messung von Werbewirkungen ......................... 76 Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung............................................ 77 3.4.1 Der E-A-C-Raum von Vakratsas und Ambler ....................................... 78 3.4.2 Das M-A-C-Modell von Ambler und Burne .......................................... 80 3.4.3 Das P-E-M-Modell von Hall .................................................................. 82 3.4.4 Messtheoretische Überlegungen im Lichte hierarchieloser Modelle ..... 84 3.4.5 Kritische Würdigung von M-A-C- und P-E-M-Modell ......................... 85 M-A-C-Modell als theoretische Basis für die Untersuchung .............................. 87
4.
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz........................................................ 91 4.1 Werbe-Kontext-Kongruenz im M-A-C-Modell .................................................. 91 4.2 Thematische Kongruenz und positiver Affekt .................................................... 92 4.2.1 Bedürfnis nach abgeschlossener Kommunikation (drive for closure) ... 92 4.2.2 Kongruenz- und konsistenztheoretische Konzepte ................................ 93 4.2.3 Exkurs: Affektives Priming.................................................................... 95 4.2.4 Zusammenführung der verschiedenen Theorien und Fazit .................... 97 4.3 Thematische Kongruenz und Aktivierung........................................................... 98 4.3.1 Aktivierungstheorien.............................................................................. 98 4.3.2 Aktivierende Wirkung thematischer Kongruenz.................................. 100 4.4 Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung............. 102 4.4.1 Construct-Accessibility-Theorie und kognitives Priming.................... 103 4.4.2 Interferenztheorien ............................................................................... 106 4.4.3 Zusammenführung der verschiedenen Theorien und Fazit .................. 108 4.4.4 Exkurs: Social-Judgment-Theorie und Priming................................... 109 4.5 Moderierende Einflüsse..................................................................................... 111 4.5.1 Zeitliche Relation von Werbung und Kontext ..................................... 111 4.5.2 Art der thematischen Kongruenz.......................................................... 113 4.6 Zusammenfassung und Untersuchungsmodell .................................................. 113
5.
Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie ........................................................ 117 5.1 Einordnung in den Aufbau der empirischen Untersuchung .............................. 117 5.2 Untersuchungsanlage und Erhebungsmethode.................................................. 118 5.2.1 Mögliche Fehlerquellen bei Web-Befragungen ................................... 119 5.2.2 Implikationen für die Vorstudie ........................................................... 120
Inhaltsverzeichnis 5.3
5.4
5.5
5.6 5.7
XIII
Stichprobe und Auswahl der Probanden ........................................................... 121 5.3.1 Filterung nach Sendungsbekanntheit ................................................... 122 5.3.2 Demografische Merkmale der Stichprobe............................................ 123 Auswahl des Stimulusmaterials......................................................................... 126 5.4.1 Sendungen ............................................................................................ 126 5.4.2 Werbespots ........................................................................................... 127 5.4.3 Paarung von Testspots und Testsendungen.......................................... 127 Entwicklung des Messinstrumentes .................................................................. 130 5.5.1 Kongruenz als abhängige Variable ...................................................... 130 5.5.2 Auswahl von Kontrollvariablen und ihre Operationalisierung ............ 133 Durchführung der Befragung ............................................................................ 136 Aufbereitung der Daten ..................................................................................... 139 5.7.1 Gebundene Stichprobe ......................................................................... 139 5.7.2 Faktorenextraktion ............................................................................... 140
6.
Ergebnisse der Online-Vorstudie.................................................................................. 143 6.1 Überprüfung der Kongruenzwahrnehmung....................................................... 143 6.2 Einflussfaktoren der Kongruenzwahrnehmung................................................. 145 6.2.1 Typen von Kongruenz .......................................................................... 146 6.2.2 Intervenierende Einflüsse..................................................................... 149 6.3 Zusammenfassung und Implikationen für die Laborexperimente..................... 150
7.
Methodisches Vorgehen in den Laborexperimenten .................................................... 153 7.1 Untersuchungsanlage......................................................................................... 153 7.2 Stichprobe und Auswahl der Probanden ........................................................... 154 7.3 Experimentalplan und Auswahl des Stimulusmaterials .................................... 156 7.4 Erhebungsmethoden und Entwicklung des Fragebogens .................................. 159 7.4.1 Kongruenz als unabhängige Variable .................................................. 160 7.4.2 Spotaufdringlichkeit und Produktbeurteilung ...................................... 161 7.4.3 Botschaftsspeicherung im Langzeitgedächtnis .................................... 163 7.4.4 Kontrollvariablen ................................................................................. 168 7.5 Biometrische Messung phasischer Aktivierung ................................................ 171 7.5.1 Auswahl eines geeigneten Messverfahrens.......................................... 173 7.5.2 Biophysiologische Grundlagen von EDA ............................................ 174 7.5.3 Auswahl eines geeigneten Indikators für Aktivierung......................... 177 7.5.4 Vorgehen bei der Messung................................................................... 178 7.6 Durchführung der Experimente......................................................................... 179 7.6.1 Sicherung der Datenqualität ................................................................. 179 7.6.2 Ablauf................................................................................................... 182 7.7 Aufbereitung der Daten ..................................................................................... 183 7.7.1 Codierung ............................................................................................. 183
XIV
Inhaltsverzeichnis 7.7.2 7.7.3 7.7.4 7.7.5
Berechnung der EDR-Parameter .......................................................... 184 Aufbereitung der gebundenen Stichprobe............................................ 185 Faktorenextraktion ............................................................................... 185 Filterung nach Spot- und Produktbekanntheit...................................... 187
8.
Ergebnisse der Laborexperimente ................................................................................ 189 8.1 Vergleichbarkeit der Zellen............................................................................... 189 8.2 Überprüfung der Kongruenzwahrnehmung....................................................... 191 8.3 Überprüfung der Forschungsannahmen ............................................................ 192 8.3.1 Kongruenz und Spotaufdringlichkeit ................................................... 192 8.3.2 Spotaufdringlichkeit und Produktbeurteilung ...................................... 195 8.3.3 Kongruenz und phasische Aktivierung ................................................ 196 8.3.4 Phasische Aktivierung und Werbeeffektivität...................................... 199 8.3.5 Direkter Einfluss von Kongruenz auf die Botschaftsspeicherung ....... 202 8.3.6 Kongruenz und Konstruktzugänglichkeit (Priming) ............................ 205 8.3.7 Zusammenfassung des Einflusses von Spotposition und KongruenzTyp ....................................................................................................... 209 8.4 Intervenierende Einflüsse .................................................................................. 210 8.4.1 Kongruenz und Spotaufdringlichkeit ................................................... 210 8.4.2 Kongruenz und phasische Aktivierung ................................................ 211 8.4.3 Kongruenz und Erinnerungen .............................................................. 213 8.4.4 Zusammenfassung................................................................................ 214 8.5 Integration in einem Strukturgleichungsmodell ................................................ 214 8.5.1 Herleitung des Modells ........................................................................ 214 8.5.2 Beurteilung von Messmodell und Gesamtstruktur............................... 216 8.5.3 Wirkungsbeziehungen im Strukturmodell ........................................... 218 8.5.4 Gruppenvergleiche zur Analyse von Moderatoreffekten ..................... 220 8.5.5 Zusammenfassung und Interpretation der Strukturgleichungsanalyse. 223
9.
Diskussion der Ergebnisse und Ausblick...................................................................... 225 9.1 Zusammenfassung ............................................................................................. 225 9.2 Interpretation vor dem theoretischen Hintergrund ............................................ 226 9.3 Implikationen für die Praxis .............................................................................. 227 9.4 Einschränkungen der Ergebnisse und Ansätze für künftige Forschung............ 229
Anhänge ................................................................................................................................. 233 Literatur.................................................................................................................................. 295
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1:
Stimmungs-Kongruenz-Effekt nach Kamins et al. ............................................... 5
Tabelle 2:
Konsistenz-Effekt nach Kamins et al.................................................................... 5
Tabelle 3:
Beispiele für Werbe-Kontext-Kongruenz ............................................................. 9
Tabelle 4:
Studien zur Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz......................... 10
Tabelle 5:
Untersuchungen zu allgemeinen Kontexteffekten .............................................. 44
Tabelle 6:
Vergleich der Eignung von M-A-C- und P-E-M-Modell als Grundlage der vorliegenden Untersuchung .......................................................................... 88
Tabelle 7:
Filterlogik für Sendungsbekanntheit................................................................. 123
Tabelle 8:
Testspots in der Vorstudie................................................................................. 128
Tabelle 9:
Testsendungen in der Vorstudie........................................................................ 129
Tabelle 10: Operationalisierung von allgemeiner Einstellung gegenüber Fernsehwerbung 135 Tabelle 11: Aufbau des Fragebogens für die Laborexperimente ......................................... 136 Tabelle 12: Hauptkomponentenanalyse allgemeine Einstellung gegenüber Fernsehwerbung Online-Vorstudie .................................................................. 140 Tabelle 13: Korrelationsanalyse Kongruenz-Indikatoren .................................................... 147 Tabelle 14: Unterschiede in der Kongruenzbewertung von Produkt und Gestaltung ......................................................................................................... 149 Tabelle 15: Stimulus-Material für die Laborexperimente.................................................... 157 Tabelle 16: Experimentell variierte Faktoren ...................................................................... 158 Tabelle 17: Operationalisierung von Produktkategorie-Involvement................................. 169 Tabelle 18: Messung der elektrodermalen Aktivität - Methoden, Maße und Abkürzungen 175 Tabelle 19: Aufbau des Fragebogens für die Laborexperimente ......................................... 180 Tabelle 20: Hauptkomponentenanalyse Produktkategorie-Involvement ............................. 186 Tabelle 21: Hauptkomponentenanalyse allgemeine Einstellung gegenüber Fernsehwerbung ............................................................................................... 187 Tabelle 22: Stichprobengröße je Zelle ................................................................................. 188 Tabelle 23: Verteilung Geschlecht je Zelle......................................................................... 189 Tabelle 24: Verteilung Altersgruppen je Zelle .................................................................... 190 Tabelle 25: Verteilung Bildungsstand je Zelle ................................................................... 190
XVI
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 26: Regressionsanalyse Produktbeurteilung ........................................................... 195 Tabelle 27: Partielle Korrelation zwischen Spotaufdringlichkeit und Produktbeurteilung . 196 Tabelle 28: EDR und Produktbeurteilung (erster Spot im Block, Kongruenz zum Programm) ........................................................................................................ 200 Tabelle 29: EDR und Erinnerung an die beworbene Marke (erster Spot im Block, Kongruenz zum Programm) ............................................................................. 201 Tabelle 30: Gruppenvergleich für geringes und hohes Störempfinden .............................. 221 Tabelle 31: Gruppenvergleich für geringe und hohe persönliche Relevanz ........................ 222
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1:
Mögliche Ausprägungen der wahrgenommenen Beziehung zwischen Werbe- und Kontexteigenschaften .............................................................. 4
Abbildung 2:
Bezugspunkte von Werbe-Kontext-Kongruenz ........................................... 8
Abbildung 3:
Konsolidierung auf dem deutschen Werbemarkt ....................................... 18
Abbildung 4:
Schema der Werbepreisberechnung .......................................................... 19
Abbildung 5:
Komponenten der Werbewirkung ............................................................. 29
Abbildung 6:
Personenmerkmale als mögliche Moderatoren der Werbewirkung.............. 32
Abbildung 7:
Das Elaboration-Likelihood-Modell nach Petty und Cacioppo ................... 63
Abbildung 8:
Das Integrated-Attitude-Formation-Modell .............................................. 65
Abbildung 9:
Das Modell der Wirkungspfade von Kroeber-Riel und Weinberg .............. 66
Abbildung 10: Kommunikationsmodell in Anlehnung an Holbrook und Batra ................. 67 Abbildung 11: Integrated-Information-Response-Modell von Smith und Swinyard .......... 70 Abbildung 12: FCB-Matrix von Vaughn ......................................................................... 72 Abbildung 13: E-A-C-Raum von Vakratsas und Ambler .................................................. 78 Abbildung 14: Das M-A-C-Modell von Ambler und Burne .............................................. 81 Abbildung 15: Das P-E-M-Modell von Hall .................................................................... 84 Abbildung 16: Informationsverarbeitungsprozess im Drei-Speicher-Modell .................... 102 Abbildung 17: Untersuchungsmodell ............................................................................ 115 Abbildung 18: Verteilung des Geschlechts der Vorstudienteilnehmer und Vergleich mit Gesamt-, Online-, und Fernsehbevölkerung ...................................... 124 Abbildung 19: Alter der Teilnehmer an der Vorstudie .................................................... 124 Abbildung 20: Verteilung des Alters der Vorstudienteilnehmer und Vergleich mit Gesamt-, Online-, und Fernsehbevölkerung ............................................ 125 Abbildung 21: Höchster Bildungsabschluss der Teilnehmer an der Vorstudie ................. 125 Abbildung 22: Verteilung der höchsten Bildungsabschlüsse der Vorstudienteilnehmer und Vergleich mit Gesamt- und Online-Bevölkerung .............................. 126 Abbildung 23: Schieberegler (Beispiel) bei der Online-Befragung .................................. 133 Abbildung 24: Begrüßungsseite der Online-Befragung .................................................. 137
XVIII
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 25: Spotpräsentation in der Online-Befragung .............................................. 139 Abbildung 26: Verteilung der Gesamtbewertung Kongruenz .......................................... 144 Abbildung 27: Vergleich der Gesamtbewertungen von Kongruenz in Abhängigkeit von der Sendung ................................................................................... 145 Abbildung 28: Antwortverhalten nach Kongruenz-Indikatoren ....................................... 146 Abbildung 29: Soziodemografische Zusammensetzung der Stichprobe in den Laborexperimenten................................................................................ 155 Abbildung 30: Versuchsplan ........................................................................................ 159 Abbildung 31: Abfrage von Wiedererkennung .............................................................. 168 Abbildung 32: Verlauf einer elektrodermalen Reaktion ................................................. 176 Abbildung 33: Wahrnehmung von Kongruenz ............................................................... 192 Abbildung 34: Profildiagramme Spotaufdringlichkeit .................................................... 194 Abbildung 35: Profildiagramme EDR ........................................................................... 198 Abbildung 36: Streudiagramme EDR und Produktbeurteilung ........................................ 199 Abbildung 37: Profildiagramme freie Erinnerung an beworbene Marke .......................... 203 Abbildung 38: Profildiagramme markengestützte Werbeerinnerung ............................... 204 Abbildung 39: Profildiagramme freie Erinnerung an beworbene Produktkategorie .......... 206 Abbildung 40: Profildiagramme produktkategoriegestützte Werbeerinnerung ................. 207 Abbildung 41: Profildiagramme Wiedererkennung ........................................................ 208 Abbildung 42: Strukturgleichungsmodell zur Kongruenzwirkung ................................... 215 Abbildung 43: Ergebnisse der ML-Schätzung für das Strukturmodell ............................. 218 Abbildung 44: Modifikation des Pfadmodells zur Berücksichtigung der Haupteffekte von Spot und Sendung ........................................................................... 220
Verzeichnis verwendeter Abkürzungen AGF
Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung
AGFI
Adjusted-Goodness-of-Fit-Index
AGOF
Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung
ALM
Allgemeines lineares Modell
AMA
American Marketing Association
AMOS
Analysis of Moment Structures
amp.
Amplitude
ANOVA
Analysis of Variance
ARF
American Research Foundation
CFI
Comparative Fit Index
CR
Critical Ratio
df
Freiheitsgrade
EACA
European Association of Communication Agencies
ed.
Edition
E-A-C
Experience-Affect-Cognition
EDA
Elektrodermale Aktivität
EDL
Elektrodermales Level
EDR
Elektrodermale Reaktion
et al.
et alii, et alia, et alteri
FA
Forschungsannahme
freq.
Frequenz
GFI
Goodness-of-Fit-Index
GLM
General Linear Model
k.A.
keine Angabe
Kap.
Kapitel
M
Mittelwert
M-A-C
Memory-Affect-Cognition
XX
Verzeichnis verwendeter Abkürzungen
ML
Maximum Likelihood
n.d.
nicht datiert
NFI
Normed Fit Index
P-E-M
Perception-Experience-Memory
PC
Personalcomputer
RMSEA
Root Mean Square Error of Approximation
SC
Skin Conductance
SD
Standardabweichung
SE
Standardfehler
SEM
Strukturgleichungsmodell
ZAW
Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft
1.
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit „Das Wissen beruht auf der Kenntnis des zu Unterscheidenden, die Wissenschaft auf der Anerkennung des nicht zu Unterscheidenden. Das Wissen wird durch das Gewahrwerden seiner Lücken, durch das Gefühl seiner Mängel zur Wissenschaft geführt, welche vor, mit und nach allem Wissen besteht.“ Johann Wolfgang von Goethe1
1.1
Einleitung und Forschungsgegenstand
Jeden Tag konkurriert eine Fülle von Werbereizen um die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Um die eigene Marke aus der Masse beworbener Marken hervorzuheben, bauen Werbetreibende vor allem auf eine kreative Werbegestaltung. Wachsende Bedeutung haben aber auch innovative Werbeformen, die eine Alleinstellung gegenüber anderen Werbungen bieten sollen (z.B. Split-Screen-Werbung im Fernsehen). Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen zur Effektivität von Werbung beschäftigen sich vornehmlich mit Wirkungen der Werbegestaltung (Moorman, S. 14). Nach einhelliger Forscher-Meinung hat aber auch das Umfeld werblicher Kommunikation einen Einfluss auf deren Wirkung (Meyers-Levy & Tybout, 1997; Moorman, S. 14ff; Chang, 2006, S. 757f). In der Praxis wird diese Erkenntnis vermehrt umgesetzt, indem Werbung gezielt in einem thematisch passenden editorialen Umfeld platziert wird (IP Deutschland, 2005a). Diese thematische Übereinstimmung von Werbung und Kontext wird im Folgenden auch als Kongruenz bezeichnet. Ein Beispiel ist die Schaltung einer Fernsehwerbung für Kräuterbutter unmittelbar nach einer Filmszene, in der gegrillt wurde. Hierbei geht es nicht um Auswahl eines Medienkontextes, der einen möglichst großen Anteil der Zielgruppe des beworbenen Produktes erreicht (z.B. Schaltung einer Bier-Werbung während einer Fußballübertragung). Vielmehr soll die Wirkung einer solchen Abstimmung unabhängig von den Eigenschaften der Rezipienten sein (Moorman, Neijens & Smit, 2002, S. 37). Einer solchen Wirkung können verschiedene Mechanismen zugrunde liegen. Beispielsweise könnte sich eine Werbung oder ein Teil davon besser einprägen, weil inhaltliche Elemente der Werbung zunächst im Medienkontext auftauchen und dann durch die Werbung selbst wiederholt werden. Weil Werbung meist eine Unterbrechung des Medienkonsums darstellt, könnte sich die Effektivität thematisch passender Werbung auch dadurch erhöhen, dass diese als we-
1
Aus: Goethe, J. W. von (1981). Werke, Kommentare und Register, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 12: Kunst und Literatur, München: C. H. Beck.
2
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
niger störend empfunden wird. Allerdings ist bis heute unklar, ob eine thematische Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext tatsächlich die Wirksamkeit der Werbung verbessert. Ziel dieser Arbeit ist es, die Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz auf verschiedene Aspekte der Werbeeffektivität zu modellieren. Dafür sollen zunächst mögliche Wirkungsmechanismen beschrieben und empirische Befunde zu diesen Wirkungsmechanismen vorgestellt werden. Anschließend werden die aus diesen Darstellungen gewonnenen Erkenntnisse in einem Untersuchungsmodell zusammengeführt. Daraus abgeleitete Forschungsannahmen werden dann einer empirischen Überprüfung unterzogen. So soll einerseits weiterer Forschungsbedarf zum Thema Werbe-Kontext-Kongruenz aufgezeigt und eine möglichst umfassende Grundlage für künftige empirische Untersuchungen aufgestellt werden. Andererseits können die Ergebnisse dieser Untersuchung der Werbepraxis möglicherweise auch als Basis bei einer Entwicklung innovativer Werbeformen in diesem Bereich dienen. Der dargelegte Untersuchungsgegenstand lässt sich zusammengefasst in folgende Forschungsfragen übersetzen: • Welche Arten der Kongruenz zwischen Merkmalen von Werbung und editorialem Kontext gibt es und wie grenzen sich diese voneinander ab? • Hat eine thematische Kongruenz zwischen Werbung und editorialem Kontext eine Auswirkung auf die Wahrnehmung der Werbung durch den Zuschauer? • In welcher Form und welchem Ausmaß kann Werbewirksamkeit (gemessen anhand verschiedener geeigneter Wirksamkeitsmaße) durch Werbe-Kontext-Kongruenz verbessert werden? 1.2
Passende oder kongruente Werbung im Sinne dieser Arbeit
Werbung, die zum Kontext passt, wird in dieser Arbeit auch als kongruente Werbung bezeichnet. Moorman (2003) listet in einer Literaturübersicht zu Kontexteffekten 20 Studien auf, die sich mit einer Werbe-Kontext-Kongruenz beschäftigen. Bei genauerer Betrachtung der bisherigen Literatur zu diesem Thema fällt allerdings auf, dass sich der Begriff „Kongruenz“ auf teilweise recht verschiedene Sachverhalte bezieht. Umgekehrt wird in verschiedenen Arbeiten ein und derselbe Sachverhalt mit unterschiedlichen Bezeichnungen versehen. Begriffe wie Übereinstimmung (fit, match) oder Ähnlichkeit (similarity) tauchen als Synonym zum Begriff Kongruenz (congruence, congruity) auf. An dieser Stelle soll ein definitorischer Rahmen geschaffen werden, in den sich vergangene wie künftige Studien einordnen lassen. Der Duden erläutert Kongruenz als „Übereinstimmung; Math. Deckungsgleichheit“ (2006). Folgt man dieser Bedeutungserklärung, so ist der Begriff Werbe-Kontext-Kongruenz zu quali-
Passende oder kongruente Werbung im Sinne dieser Arbeit
3
fizieren: Gemeint ist nicht eine Übereinstimmung von Werbung und Kontext, sondern eine Übereinstimmung von Ausprägungen einzelner Merkmale. Demnach gibt es viele verschiedene Arten, eine Kongruenz von Werbung und Kontext herzustellen, je nachdem welche Eigenschaften hierfür herangezogen werden. Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich in bisherigen wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit einer Kongruenz von Werbung und Medienkontext beschäftigen, keine explizite Definition des Kongruenz-Begriffes findet. Stattdessen wird durch Beschreibung des untersuchten Sachverhaltes erläutert, was in der jeweiligen Arbeit unter Kongruenz verstanden wird. 1.2.1
Kongruenz im engeren und im weiteren Sinne
Bisherige Beiträge zur Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz interpretieren Kongruenz meist im Sinne der oben angeführten Bedeutungserklärung des Duden als Übereinstimmung einzelner Merkmale von Werbung und Kontext (vgl. z.B. die Beiträge von Furnham, Bergland & Gunter, 2002; Furnham, Gunter et al., 2002; Moore, R. S., Stammerjohan & Coulter, 2005). In diesen Fällen ist das Vorliegen von Kongruenz eindeutig bestimmbar. Einige Arbeiten dagegen beinhalten einen weiter gefassten Kongruenzbegriff. Dabei wird keine eindeutige Übereinstimmung von Ausprägungen bestimmter Werbe- und Kontexteigenschaften gefordert, sondern lediglich eine Ähnlichkeit oder ein gemeinsamer Bezugspunkt. Somit ist Interpretationsspielraum hinsichtlich des Vorliegens von Kongruenz gegeben. Als Beispiel sei die Studie von Moorman, Neijens und Smit (2002) genannt, in der es um die Wirkung eines thematischen Bezugs eines beworbenen Produktes zum Thema einer Zeitschrift geht. Kongruenz soll dabei beispielsweise vorliegen, wenn ein Shampoo in einem Lifestyle-Magazin beworben wird. Vorteil eines in dieser Form weiter gefassten Kongruenz-Begriffes ist vor allem ein größerer Spielraum bei der Übertragung auf praktische Anwendungen: Zwar wird sich für die meisten Produkte oder andere Werbeobjekte ein thematisch passender Kontext finden lassen. In vielen Fällen dürfte eine Suche nach thematischer Kongruenz im engeren Sinne die Möglichkeiten der Werbeplatzierung aber stark einschränken. Beispielsweise wäre es vermutlich kaum praktikabel, Werbung für eine Zahnbürste lediglich in Zeitungsartikeln oder Fernsehsendungen zum Thema Zahnpflege unterzubringen. Nachteil eines weiter gefassten Kongruenz-Begriffes ist dagegen seine Subjektivität aus Sicht der Rezipienten. Dies schränkt die Möglichkeit zur Verallgemeinerung in empirischen Untersuchungen gewonnener Erkenntnisse ein. Durch den zur Bewertung des Grades an Kongruenz notwendigen Rating-Prozess wird außerdem die praktische Umsetzung kontext-kongruenter Werbung erschwert, denn ein solcher Prozess bindet mehr Ressourcen als eine Kategorisierung anhand objektiver Kriterien. Der Nachteil mag bei relativ eindeutigen thematischen Zu-
4
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
sammenhängen nicht so schwerwiegend erscheinen, tritt aber bei der Betrachtung von Grenzfällen deutlich hervor: Passt eine Waschmaschinen-Werbung thematisch zu einem Einrichtungs-Magazin oder nicht? 1.2.2
Kongruenz, Inkongruenz und Kontrast
Den bisherigen Ausführungen lag die implizite Annahme zugrunde, Werbung könne entweder Kongruenz zum Kontext aufweisen oder nicht. In Beiträgen, die sich mit der Frage nach der Wirkung kongruenter Werbung beschäftigen, werden diese beiden Zustände meist als Kongruenz und Inkongruenz bezeichnet (vgl. z.B. Furnham et al., 1998; Gunter et al., 2002; Moore, R. S. et al., 2005). Inkongruenz im Sinne dieser Arbeit ist allerdings nicht bedeutungsgleich mit Kontrast. Inkongruenz bezeichnet eine Art neutralen Zustand, in dem für Werbung und Kontext keine thematische Übereinstimmung vorliegt. Kontrast dagegen meint eine wahrgenommene Unstimmigkeit (vgl. z.B. Kasprik, 1992). Angesichts dieser Überlegungen wird vorgeschlagen, eine Beziehung zwischen Werbe- und Kontexteigenschaften wie in Abbildung 1 auf einer stetigen, bipolaren Skala darzustellen. Abstufungen von Kongruenz werden mit Ähnlichkeit, Abstufungen von Kontrast mit Unterschiedlichkeit bezeichnet. Ähnlichkeit bzw. Unterschiedlichkeit können nur wirken, wenn sie stark genug ausgeprägt sind, um (bewusst oder unbewusst) wahrgenommen zu werden.
Kongruenz
Keine wahrgenommene Relation (hier: Inkongruenz)
(Bewusst oder unbewusst) wahrgenommene Ähnlichkeit
Kontrast
(Bewusst oder unbewusst) wahrgenommene Unterschiedlichkeit
Abbildung 1: Mögliche Ausprägungen der wahrgenommenen Beziehung zwischen Werbe- und Kontexteigenschaften
1.2.3
Abgrenzung vom Kongruenzbegriff nach Kamins, Marks und Skinner
Bei Kamins, Marks und Skinner (1991) findet sich eine Umschreibung des KongruenzBegriffes, die von der eben dargelegten Sichtweise abweicht. In ihrem Beitrag untersuchen Kamins et al. eine Interaktion von Werbung und Kontext im Bezug auf hervorgerufene Stimmungen. Dabei wird von einem Stimmungs-Kongruenz-Effekt (mood congruency effect) gesprochen. Dieser liegt vor, wenn ein Stimmungszustand, der durch eine Kommunikation hervorgerufen wird, später auch mit den im Rahmen der Kommunikation vermittelten Infor-
Passende oder kongruente Werbung im Sinne dieser Arbeit
5
mationen assoziiert wird. Im Werbezusammenhang äußert sich ein solcher Effekt folglich darin, dass eine vom Kontext hervorgerufene positive Stimmung auch positive Assoziationen im Zusammenhang mit der Werbung nach sich zieht – unabhängig von der durch die Werbung hervorgerufenen Stimmung. Zusammengefasst lässt sich der Effekt wie folgt darstellen: Tabelle 1: Stimmungs-Kongruenz-Effekt nach Kamins et al. (in Anlehnung an Jenzowsky & Friedrichsen, 1999, S. 273)
Kontextinduzierte Stimmung
Werbeinduzierte Stimmung
positiv
negativ
positiv
positive Werbebewertung
negative Werbebewertung
negativ
positive Werbebewertung
negative Werbebewertung
Kongruenz meint demnach nicht einen möglichen Auslöser von Werbe-Kontext-Interaktion, sondern beschreibt deren Ergebnis. Diese Verwendung des Kongruenzbegriffes steht dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Begriffsverständnis entgegen und sollte nicht zu Verwechslungen führen. Bei Kamins et al. (1991) wird im Weiteren der Begriff der Konsistenz eingeführt. Mit dem Konsistenzeffekt (consistency effect) ist ein Interaktionseffekt gemeint, der für positivere Werbebewertung sorgt, wenn eine Übereinstimmung von durch Kontext und Werbung hervorgerufenen Stimmungen vorliegt. Zusammengefasst sieht das wie folgt aus: Tabelle 2: Konsistenz-Effekt nach Kamins et al. (in Anlehnung an Jenzowsky & Friedrichsen, 1999, S. 273)
Kontextinduzierte Stimmung
Werbeinduzierte Stimmung
positiv
negativ
positiv
positive Werbebewertung
negative Werbebewertung
negativ
negative Werbebewertung
positive Werbebewertung
Konsistenz bezieht sich in diesem Fall auf den Auslöser der Interaktion, auf die Übereinstimmung der Stimmungen. Damit kommt der Konsistenzbegriff von Kamins et al. (ebd.) in etwa dem in dieser Arbeit verwendeten Kongruenzbegriff gleich.
6 1.2.4
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Objektive und subjektive Reizmerkmale
Grundsätzlich kann nahezu jedes Merkmal von Werbung und editorialem Kontext in Kongruenz gebracht werden. Moore, Stammerjohan und Coulter (2005) beispielsweise untersuchen, wie eine Übereinstimmung von Produkt-Fokus, Farbgebung und Farb-Text-Kontrast zwischen Inhalten einer Webseite und darin eingebetteten Werbebannern die Werbeffektivität beeinflusst. Es handelt sich dabei um Merkmale, deren Ausprägung objektiv bestimmbar ist. Thema und Stil einer Werbung gehören daher zu den objektiven Reizmerkmalen. Neben Beiträgen zu einer Kongruenz von objektiven Merkmalen findet sich eine Reihe von Untersuchungen zur Übereinstimmung von subjektiven Werbe- und Kontextmerkmalen, z.B. hervorgerufener Stimmungen oder Emotionen (vgl. z.B. Kamins et al., 1991; Perry et al., 1997; Furnham et al., 1998). Die Einteilung in objektive und subjektive Eigenschaften sollte nicht über eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen beiden Bereichen hinwegtäuschen: Belustigung ist beispielsweise Resultat eines bestimmten Kommunikationsstils, Erregung wird durch erotische Inhalte hervorgerufen. Kurz: Subjektive Werbe- und Kontexteigenschaften ergeben sich aus speziellen Kombinationen von Inhalt und Stil. 1.2.5
Bezugspunkte von Werbe-Kontext-Kongruenz
Wenn zwei Objekte zueinander passen, so begründet sich dies auf eine Übereinstimmung bestimmter Merkmale dieser Objekte. Das gilt auch für Werbung, die zum Medienkontext passt. Nachfolgend sollen verschiedene Merkmale von Werbung und Kontext besprochen werden, die für eine Begründung von Kongruenz in Frage kommen. Werbegestaltung und Werbeobjekt Kongruenz kann sich auf Eigenschaften des Werbeobjektes, also z.B. eines beworbenen Produktes oder einer beworbenen Marke, oder auf die Gestaltung der eigentlichen Werbung beziehen. Eine Werbung während einer Reisesendung im Fernsehen könnte beispielsweise zum Kontext thematisch passend sein, wenn ein Reiseveranstalter (Werbeobjekt) beworben wird oder wenn die Werbung – unabhängig vom Werbeobjekt – eine Karibikinsel mit weißem Strand und Palmen als Handlungsort (Werbegestaltung) zeigt. Ziel der meisten Werbetreibenden ist es, Einstellungen von Konsumenten gegenüber dem eigenen Produkt oder der eigenen Marke zu beeinflussen (Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 45). In einer Reihe von Studien wurde gezeigt, dass für diese Einstellungen werbeseitig nicht nur Marken- und Produkt-Wahrnehmungen, sondern auch Wahrnehmungen der Werbegestaltung verantwortlich sind (vgl. die Ausführungen zu Werbewirksamkeitsmodellen in Abschnitt 3.2). Eine Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz kann daher sowohl von einem zum Kontextthema passenden Produkt als auch von einer passenden Werbegestaltung ausgehen.
Passende oder kongruente Werbung im Sinne dieser Arbeit
7
Direkter editorialer, indirekter editorialer und kommerzieller Medienkontext Auch seitens des Medienkontextes ist genauer zu differenzieren, auf welche Elemente sich eine mögliche Kongruenz beziehen soll. Einerseits kann sich Medienkontext auf das editoriale Umfeld beziehen, das eine Werbung unmittelbar umgibt. Ein Beispiel für einen solchen unmittelbaren Kontext ist die Filmszene, welche direkt vor oder nach einer Werbeunterbrechung liegt. Nachfolgend soll dieser Bezugspunkt als direkter editorialer Medienkontext oder direktes editoriales Medienumfeld bezeichnet werden (vgl. Walstra & Nelissen, 1992, S. 282). Unter indirektem editorialem Medienkontext oder -umfeld werden dagegen die Teile des editorialen Kontextes verstanden, die vom Rezipienten auf einer globaleren Ebene wahrgenommen werden. Im Gegensatz zu einer einzelnen Filmszene ist damit z.B. die ganze Sendung gemeint. Neben einer Kongruenz mit dem editorialen Kontext ist auch eine Interaktion verschiedener Werbungen untereinander möglich (kommerzieller Kontext). Denkbar wäre hier vor allem ein Effekt durch zwei Werbungen für die gleiche Produktkategorie innerhalb eines Werbeblocks (Moorman, 2003, S. 14). Die Frage, ob sich eine solche Ähnlichkeit von Werbungen untereinander negativ oder positiv auf die Effektivität der einzelnen Werbung auswirkt, dürfte für Werbetreibende von Interesse sein und wurde bereits häufiger in wissenschaftlichen Untersuchungen thematisiert (vgl. für einen aktuellen Überblick Poncin, Pieters & Ambaye, 2006). Darüber hinaus scheint die Praxisbedeutung einer gezielten Herstellung von Kongruenz oder Kontrast mit Merkmalen anderer Werbungen allerdings begrenzt: Die genaue Zusammensetzung der Werbung in einer konkreten Publikation (z.B. die Zusammenstellung von Spots in einem bestimmten Werbeblock) ist durch eine Vielzahl kurzfristiger Entscheidungen der Werbetreibenden, Mediaagenturen und Werbevermarktern geprägt. Beispielsweise wird die Platzierung eines Fernsehwerbespots im Durchschnitt zehn bis zwölf Mal geändert, bevor es zur Ausstrahlung in einer spezifischen Werbeinsel kommt (IP Deutschland, 2005b, S. 21). Aufgrund dieser – abgesehen von oben erwähnter Ausnahme – eher geringen praktischen Relevanz von Interaktionseffekten zwischen verschiedenen Werbungen wird in den folgenden Ausführungen nicht näher darauf eingegangen. Die folgende Abbildung fasst die verschiedenen Bezugspunkte einer Werbe-KontextKongruenz zusammen.
8
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Mögliche Kongruenz mit editorialem Kontext Mögliche Kongruenz mit anderer Werbung
Indirekter editorialer Kontext (z. B. Fernsehsendung, Zeitschrift, …)
Direkter editorialer Kontext vor der Werbung (z. B. Szene, Artikel, …)
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbegestaltung
Werbegestaltung
Werbung A
Direkter editorialer Kontext nach der Werbung (z. B. Szene, Artikel, …)
Werbung B
Abbildung 2: Bezugspunkte von Werbe-Kontext-Kongruenz
1.2.6
Zusammenfassung und Einordnung des Forschungsgegenstandes
Offensichtlich existieren mannigfaltige Möglichkeiten, Werbung passend zum Medienkontext zu gestalten. Tabelle 3 fasst die bis hierhin erläuterten Möglichkeiten zusammen, indem sie die verschiedenen Bezugspunkte kombiniert. Die Tabelle beschränkt sich auf den editorialen Kontext und lässt andere Werbungen als Bezugspunkt von Kongruenz unbetrachtet. Weiterhin wird auf eine Differenzierung zwischen direktem Medienkontext vor und nach einer Werbung verzichtet. Um die verschiedenen Möglichkeiten von Werbe-Kontext-Kongruenz zu illustrieren, enthält die Tabelle Beispiele für den Werbeträger Fernsehen. Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit, eine thematische Kongruenz von Werbeobjekt und Werbegestaltung mit dem direkten und indirekten Medienkontext, ist durch eine Schattierung gekennzeichnet.
Überblick über bisherige Beiträge
9
Tabelle 3: Beispiele für Werbe-Kontext-Kongruenz
Kongruenz von…
Objektive Merkmale
und…
Thema
Stil
Subjektive Merkmale (z.B. induzierte Stimmung, Involvement, …)
1.3
indirektem Medienkontext
direktem Medienkontext
Werbeobjekt
Werbegestaltung
Werbeobjekt
Werbegestaltung
Möbelwerbung während Reportage über Möbelherstellung
Autowerbung am Strand während Reisebericht über Karibik
Möbelwerbung während Umzugsszene in Spielfilm
Autowerbung am Strand während Strandszene in Spielfilm
"Sinnliche Marke" während Liebesfilm
Werbung in Zeichentrick während ZeichentrickFilm
"Sinnliche Marke" während erotischer Szene
Werbung mit Gewaltdarstellung während Gewaltszene
Werbung für Sportwagen in Lifestylesendung
Gruselige Werbung in Horrorfilm
Werbung für Männermagazin während erotischer Szene
Lustige Werbung während lustiger Szene
Überblick über bisherige Beiträge
Wie eingangs erläutert existieren bereits mehrere Untersuchungen, die sich mit Wirkungen einer thematischen Kongruenz von Werbung und Kontext beschäftigen. Sie sind in nachfolgendem Überblick zusammengefasst. Dabei werden bestehende Arbeiten im Sinne der vorangegangenen Ausführungen kategorisiert und empirische Befunde in einer zusammengefassten Form dargestellt.
Print
Internet
TV
TV
Print
Finlay, Marmurek und Morton (2005)
Moore, Stammerjohan und Coulter (2005)
Jun, Putrevu, Hyun und Gentry (2003)
Furnham, Gunter und Richardson (2002)
Moorman, Neijens und Smit (2002)
Feldstudie
Experiment
Experiment
Experiment
Experiment
Feldstudie
Typ
263
123
104
195
179
400
n
Leser
Jugendliche
Studenten
Studenten
Studenten
Leser
Stichprobe
3
Aad: Einstellung gegenüber der Werbung (attitude towards ad) Ab: Einstellung gegenüber dem Werbeobjekt, hier: der Marke (attitude towards brand) 4 Moderator: Bewusstheit der Wahrnehmung
2
Print
Walstra und Nelissen (1992)
Studie
Medium
Tabelle 4: Studien zur Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbegestaltung
Werbegestaltung
Bezugspunkt der Kongruenz
Indirekt
Indirekt
Indirekt
Indirekt
Direkt
Indirekt
Art des Kontextes
+
-
-
-
+
Erinnerungen
n.s.
+
+
Aad2
+/n.s.4
Ab3
10 Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
6
5
Internet
Print
Print
Print
TV
TV
Print
Print
Studie
Shamdasani, Stanaland und Tan (2001)
Chook (1985) [1]
Chook (1985) [2]
Chook (1985) [3]
Horn und McEwen (1977)
Furnham, Bergland und Gunter (2002)
Howard und Barry (1994) [1]
Howard und Barry (1994) [2]
Experiment
Experiment
Experiment
Experiment
Feldstudie
Feldstudie
Feldstudie
Experiment
Typ
Moderator: Zeitliche Relation zwischen Werbung und Programm Moderator: Kontext-induzierte Stimmung
Medium
179
272
79
279
506
608
480
400
n
Studenten
Studenten
Studenten
Studenten
Leser
Leser
Leser
InternetNutzer
Stichprobe
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Bezugspunkt der Kongruenz
Direkt
Direkt
Direkt
Indirekt
Indirekt
Indirekt
Indirekt
Indirekt
Art des Kontextes
+/n.s.5
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
Erinnerungen +
Aad
+/n.s.
4
+/n.s.6
n.s.
+
Ab
Überblick über bisherige Beiträge 11
7
Print
Print
Print
TV
Print
Yi (1990a)
Shen und Chen (2007) [1]
Shen und Chen (2007) [2]
Brosius und Fahr (1996)
Yi (1990b)
Modeartor: Produkt(kategorie)wissen
Print
Yi (1993)
Studie
Medium
Experiment
Experiment
Experiment
Experiment
Experiment
Experiment
Typ
44
179
117
152
72
120
n
Studenten
Studenten
Studenten
Studenten
Studenten
Studenten
Stichprobe
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Werbeobjekt
Bezugspunkt der Kongruenz
Andere Werbung
Andere Werbung
Andere Werbung
Andere Werbung
Direkt
Direkt
Art des Kontextes
+/-
Erinnerungen
+
+
Aad
+
+
+
+
+/n.s.7
Ab
12 Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Zielsetzung der Arbeit
13
Die Übersicht bisheriger Studien zeigt zum einen die widersprüchlichen empirischen Befunde. Zum anderen wird klar: Nahezu alle Studien untersuchen eine thematische Kongruenz von Werbeobjekt und Kontext. Die Wirkung von Werbung, deren Gestaltung thematisch zur Sendung passt, wurde bisher erst zweimal und auch nur für das Werbemedium "Print" untersucht (vgl. Walstra & Nelissen, 1992; Finlay et al., 2005). Weiterhin untersuchen die aufgeführten Beiträge stets nur eine Art von thematischer Kongruenz. Weil die Beiträge aufgrund verschiedener Operationalisierungen und Studiendesigns nicht vergleichbar sind, können keine Schlüsse darüber gezogen werden, wie unterschiedliche Arten thematischer Kongruenz in Relation zueinander wirken. Die vorliegende Arbeit soll an diesen Punkten ansetzen, um das Wissen über die Wirkung thematisch zum Kontext passender Werbung zu erweitern. Im folgenden Abschnitt werden die wissenschaftlichen und praktischen Beiträge dieser Arbeit weiter detailliert. 1.4
Zielsetzung der Arbeit
Der wissenschaftlichen Werbewirkungsforschung in Deutschland wird nicht selten ein beklagenswerter Zustand attestiert. Kritisiert wird einerseits die mangelnde Vorhersagekraft bestehender Theoriemodelle, andererseits deren fehlende Fundierung in der Werbepsychologie. Bongard (2002) schreibt, der Werbewirkungsforschung sei „relativ wenig theoretisches Wissen und damit ein vergleichsweise geringer Grad an wissenschaftlicher Reife zu konstatieren“ (S. 103). Meyer und Illmann (2000) meinen weiter: „In der Bundesrepublik kommt für die wissenschaftliche Grundlagenforschung noch die Tatsache hinzu, dass von der Seite der dafür in erster Linie Betracht kommenden Fachdisziplin, nämlich der Psychologie, im Allgemeinen außerordentlich wenig Interesse an psychologischen Fragen der Werbung und Problemen der Werbewirkungsforschung gezeigt wird.“ (S. 675) Als Konsequenz mangelnder Ergründung von psychologischen Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Lernprozessen halten sich in der Werbewirkungsforschung bis heute Theorieansätze, deren Kernaussagen bereits seit Jahrzehnten empirisch widerlegt sind (Meyers-Levy & Malaviya, 1999; Vakratsas & Ambler, 1999). Ein Beispiel ist die Vorstellung, Werbung müsse, um zu wirken, Aufmerksamkeit erregen und überzeugende Argumente bieten, während affektive Reaktionen lediglich eine untergeordnete Rolle spielten. Diese heute als weitgehend unzutreffend erkannte Vorstellung ist nach wie vor Grundlage vieler theoretischer Beiträge und empirischer Untersuchungen (Vakratsas & Ambler, 1999). Der aktuelle wissenschaftliche Diskurs im Bereich der Werbewirkungsforschung hat die dargelegten Forschungsdefizite weitgehend erkannt. Insbesondere die Arbeiten
14
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
von Vakratsas und Ambler (1999), Ambler und Burne (1999), Hall (2002) sowie Poels und Dewitte (2006) liefern viel versprechende Ansätze für künftige theoriegeleitete Forschung zur Wirkung werblicher Kommunikation.8 Diese sollen in der vorliegenden Untersuchung aufgegriffen werden, um einen Beitrag zu deren weiterer Detaillierung sowie empirischer Validierung zu leisten. 1.4.1
Theoretischer Beitrag
Der theoretische Beitrag dieser Arbeit betrifft im Wesentlichen vier Bereiche: (1.) Der aktuelle wissenschaftliche Diskurs zur Modellierung von Werbewirkungen wird aufgegriffen und fließt in die Entwicklung eines eigenen Untersuchungsmodells zur Wirkung von WerbeKontext-Kongruenz ein. (2.) Erstmals erfolgt eine Abgrenzung verschiedener Arten von Kongruenz, um einen Bezugsrahmen für bisherige und künftige Studien zu bieten; die Wirkungen verschiedener Arten von Kongruenz werden in der empirischen Untersuchung verglichen, um daraus Rückschlüsse auf die Wirkung einzelner Aspekte von Kongruenz zu ziehen. (3.) Die Anlehnung des Untersuchungsmodells an aktuelle Erkenntnisse der Werbewirkungsforschung erfordert die Nutzung spezieller Messmethoden. Auf Basis einer biometrischen Erfassung von affektiven Reaktionen liefert diese Arbeit neue Erkenntnisse über die psychologischen Wirkungen von Werbung und Kontext. (4.) Die empirischen Untersuchungen nutzen Stichproben, die als repräsentativ für die Fernsehbevölkerung angesehen werden können. Soweit ersichtlich kann diesen Anspruch keine bisherige Laborstudie zur Wirkung thematischer Werbe-KontextKongruenz erfüllen. Im Folgenden soll nun der theoretische Beitrag in den vier genannten Bereichen näher erläutert werden. Wirkungsmodell werblicher Kommunikation In der Werbewirkungsforschung der vergangenen Jahrzehnte dominierte der Gedanke hierarchisch geordneter Wirkungsstufen (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 32). Werbewirkungen wurden als eine Art „Automatismus“ modelliert. Die Wahrnehmung einer Werbung und ihrer einzelnen Bestandteile fungiert dabei als erste Stufe im Wirkungsprozess. Für die empirische Forschung hieß das: Konnte die Wahrnehmung einer Werbung nachgewiesen werden, so wurde die Werbung als wirksam angesehen. Affektive Reaktionen spielten in den meisten Modellansätzen eine untergeordnete Rolle. Diese theoretische Vorstellung des Werbewirkungsprozesses hat sich bis heute in der wissenschaftlichen und kommerziellen Forschung gehalten, was sich unter anderem an der Dominanz von Erinnerungen als Maß von Werbe-
8
Siehe auch Abschnitt 3.4.
Zielsetzung der Arbeit
15
wirksamkeit zeigt (Heath, R., Brandt & Nairn, 2006; Mehta & Purvis, 2006; Parker, E. & Furnham, 2007). Neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaften zeigen allerdings eine deutlich größere und von Kognitionen unabhängigere Bedeutung von Emotionen, als in bisherigen Wirkungsmodellen reflektiert (Poels & Dewitte, 2006, S. 18). Erste empirische Studien deuten ebenfalls darauf hin, dass bisher vorherrschende theoretische Vorstellungen von den Wirkungsmechanismen werblicher Kommunikation unzutreffend sind (Heath, R. et al., 2006). Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zur Theorieentwicklung in diesem Bereich leisten, indem neuere Modellierungsansätze für die Wirkung werblicher Kommunikation zusammengetragen, diskutiert und schließlich im Rahmen von Laborexperimenten einer empirischen Überprüfung unterzogen werden. Wirkung thematischer Kongruenz Mit dieser Arbeit soll die Frage beantwortet werden, ob sich durch eine thematische Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext die Wirksamkeit von Werbung verbessern lässt. Bisherige Untersuchungen zum Einfluss jeglicher Art von Werbekontext auf die Werbeeffektivität zeichnen sich durch sehr unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Ergebnisse aus (Moorman, 2003, S. 14). Das gilt sowohl für Haupteffekte des Werbekontextes als auch für Interaktionen zwischen Werbestimulus und Kontext, beispielsweise eine Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz. Ein möglicher Grund für die divergierenden Befunde könnte in der teilweise sehr unterschiedlichen Konzeptualisierung und Operationalisierung der untersuchten Sachverhalte liegen. Bei der Untersuchung von Werbe-Kontext-Kongruenz fällt auf, dass vergangene Studien sich jeweils nur mit einer Art der Kongruenz beschäftigen. Da aber die verschiedenen Untersuchungen zumeist auch unterschiedlich aufgebaut sind, können praktisch keine Vergleiche zwischen den jeweiligen Untersuchungsergebnissen vorgenommen werden. Eine meta-analytische Betrachtung, die Aufschluss über die Wirkung unterschiedlicher Konzeptualisierungen und Operationalisierungen von Kongruenz geben könnte, ist daher kaum möglich. Ein weiterer Erkenntnisforschritt dieser Arbeit besteht daher in einer genauen Systematisierung und Definition verschiedener Arten von Kongruenz. Vor dem Hintergrund dieser Systematisierung wird die Wirkung verschiedener Arten thematischer Kongruenz empirisch untersucht und verglichen. Durch einen solchen Vergleich werden neue Erkenntnisse über die Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz gewonnen und es wird die Basis für eine Verallgemeinerung dieser Erkenntnisse gelegt. Messmethode Die Messung von Werbewirkungen unterliegt in vielen Studien einem so genannten kognitiven Bias (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 37). Häufig wird sie gänzlich auf die Messung von Erinnerungen oder Wiedererkennung reduziert. Aber auch die Messung von Einstellungen,
16
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
die affektive Elemente enthalten sollen, wird meist in Form von Befragungen durchgeführt. Emotionen durchlaufen demnach bei der Messung einen „kognitiven Filter“, wodurch die Validität der Messung beeinträchtigt wird (Batra & Ray, 1986; Wilson, Dunn, Kraft & Lisle, 1989; Wilson, Kraft & Dunn, 1989). Zur nicht-disruptiven Messung emotionaler Aspekte von Werbewirkungen stehen eine Reihe biometrischer Messverfahren zur Verfügung. Beispielhaft seien Okulografie, Messung der elektrodermalen Aktivität oder Elektroenzephalografie genannt. Biometrische Messverfahren haben sich in der Werbewirkungsforschung bis heute nicht vollständig durchsetzen können. Technologische Verbesserungen der verschiedenen Messapparaturen und eine parallele Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen bieten aber Anlass, diese Position zu überdenken (Poels & Dewitte, 2006, S. 18ff). Emotionale Reaktionen wurden daher in der durchgeführten empirischen Studie nicht nur bei der Abfrage von Bewertungen und Einstellungen, sondern auch in Form phasischer Aktivierung durch die Messung von elektrodermalen Reaktionen berücksichtigt. Dies geschieht soweit erkennbar zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Untersuchung von inhaltlichen Einflüssen des editorialen Kontextes auf die Wirksamkeit von Werbung. Stichprobe Der überwiegende Teil bisheriger empirischer Studien zur Interaktion von Werbung und editorialem Kontext wurde in Form von Laborexperimenten durchgeführt. Bei der Stichprobe handelte es sich zumeist um Studenten der Wirtschaftswissenschaften.9 Die Diskussion über den Einfluss eines Studenten-Samples auf die externe Validität empirischer Untersuchungen wird bereits seit vielen Jahren kontrovers geführt (Khera & Benson, 1970; Enis, Cox & Stanford, 1972; Park, C. Whan & Lessig, 1977). Ein Überblick über die Forschungsergebnisse zu dieser Frage lässt an der Eignung von Studenten als Testpersonen zweifeln, wenn es darum geht, die Ergebnisse auf die breite Bevölkerung zu verallgemeinern (James & Sonner, 2001). Auch wenn Studenten eine interessante Zielgruppe für Werbetreibende darstellen mögen, soll für diese Studie die externe Validität der Ergebnisse bei Übertragung auf alle relevanten Zielgruppen von Werbung gewährleistet sein. Aus diesem Grund soll die empirische Untersuchung erstmals mit einer Stichprobe durchgeführt werden, die möglichst repräsentativ für die Fernsehbevölkerung ist.
9
McQuarrie (1998, S. 21) stellt fest, dass sich mehr als zwei Drittel aller in einschlägigen Journals publizierten empirischen Studien zur Wirkung werblicher Kommunikation College-Studenten als Probanden bedienen.
Zielsetzung der Arbeit 1.4.2
17
Management-Relevanz
Der Werbemarkt befindet sich in einer Phase des strategischen Umbruchs. Neue Technologien, allen voran das Internet, eröffnen neue Arten von Kommunikation und Interaktion. Dabei geht es nicht nur um den Bedeutungsgewinn einzelner neuer Medien wie des World Wide Web, sondern auch um ein neues Zusammenspiel zwischen Werbung und Medium, zwischen Werbetreibenden und Rezipienten. Während Werbung in klassischen Medien von vielen als aufdringlich oder störend empfunden wird (Li, Edwards & Lee, 2002), entwickelt sich im Lichte neuer Technologien ein neues Verständnis von Werbung, das als „Permission Marketing“ bezeichnet wird: Rezipienten können stärker Einfluss darauf nehmen, welche Werbung sie wann und wo erhalten möchten (Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft [ZAW]2007, S. 203f). Klassische Medien werden auch künftig eine zentrale Rolle als Werbeträger spielen (Jolly, 2005; Zenith Optimedia, 2006). Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung sehen sie sich aber einem steigenden Innovationsdruck ausgesetzt. Interaktion, Kreativität und Informationsgehalt der Werbeangebote müssen verbessert werden, um mit den sich ändernden Marktgegebenheiten Schritt zu halten (Woltman Elpers, Wedel & Pieters, 2003, S. 437; Jolly, 2005, S. 104). Auch die wachsende Reizüberflutung der Konsumenten10 verlangt nach neuen Arten der Botschaftsvermittlung. Erkenntnisbedarf aus Sicht von Werbetreibenden Im beschriebenen Marktumfeld sind gesicherte Erkenntnisse über Wirkungen werblicher Kommunikation besonders wichtig. Zur Gestaltung von Werbung, auch Kreation genannt, liegt bereits eine große Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen und eine Reihe mehr oder weniger gesicherter Erkenntnisse vor. Um aber weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Werbewirksamkeit entdecken zu können, müssen auch andere, möglicherweise weniger starke Einflussfaktoren von Werbewirkungen erforscht werden. Hier ist bereits seit einiger Zeit das Werbeumfeld in den Fokus von Werbetreibenden und Werbevermarktern gelangt (SevenOne Media, 2001; Mediagruppe München, n.d.). Ein Blick in die Praxis zeigt, dass Werbetreibende ihre Werbebotschaft nur selten ohne Berücksichtigung des Werbeumfeldes platzieren. Mediaplaner suchen vielmehr gezielt nach einem Werbeumfeld, das zu Werbung oder Produkt passt (Mattenklott, 1998, S. 175). Dabei wird allerdings auf formale und inhaltliche Aspekte des Kontextes abgestellt, denn „harte“ Daten über Reaktionen von Rezipienten auf einzelne Inhalte liegen in der Regel nicht vor; das gilt insbesondere für neue Formate und einmalige
10 Beispielsweise stieg die Anzahl Werbeminuten im Fernsehen zwischen 2000 und 2006 um über 30% (ZAW,
2007, S. 300).
18
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Beiträge wie Nachrichten oder Live-Übertragungen im Fernsehen (Mattenklott, 1998, S. 175; Furnham, Bergland et al., 2002, S. 525). Erkenntnisbedarf aus Sicht von Werbevermarktern Auch Werbevermarkter müssen sich die Frage stellen, wie sie den Wertbeitrag der eigenen Vermarktungsleistung steigern können. Sie stehen nicht nur der Substitutionsgefahr durch neue Werbeformen und Interaktionsmodelle, sondern auch steigendem Preisdruck gegenüber: Sowohl seitens der Nachfrager (Werbetreibenden) als auch seitens der Mittler (Mediaagenturen) findet eine spürbare Marktkonzentration statt (ZAW, 2007; Jakob, 2002; Deutscher Fachverlag, 2007). Abbildung 3 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Konzentration der Werbetreibenden
Konzentration der Mediaagenturen
Anteil an Gesamtwerbeausgaben in Prozent
Anteil an Gesamt-Billings in Prozent
30 2006 2004 2002 1998
25
20
Übrige Agenturen
14
Top 10 Agenturen
86
8
100%
1995
15
10
92
5
0 5
10
15
20
25
30
2002
2006
Anzahl Werbetreibende
Abbildung 3: Konsolidierung auf dem deutschen Werbemarkt (eigene Darstellung; Datenquellen: ZAW, 2007; Jakob, 2002; Deutscher Fachverlag, 2007)
Wie bereits eingangs erwähnt, wird Werbung, die thematisch zum Kontext passt, im Fernsehen bereits ausgestrahlt. In der Preisgestaltung von Werbevermarktern spiegelt sich ein möglicher Mehrwert einer solchen Werbe-Kontext-Kongruenz allerdings bisher nicht wider.11
11 Die beiden größten deutschen Werbevermarkter für das Privatfernsehen, IP Deutschland (RTL Gruppe) und
SevenOne Media (ProSiebenSat.1 Media), haben zwar beide Studien zur Kontextwirkung durchgeführt; diese werden aber bisher lediglich als "Argumentationshilfe" gegenüber Kunden genutzt (IP Deutschland, 2005a; Mediagruppe München, n.d.).
Zielsetzung der Arbeit
19
Abbildung 4 zeigt schematisch die Berechnung von Werbepreisen für klassische Spotwerbung im Fernsehen. Auszug aus dem Programm- und Werbeinselschema n-tv
Auszug aus der Ratecard n-tv mit Preisen je Tarifart (TA) und Preisgruppe (PG) Standardpreise 2005 je 30-Sekunden-Spot in Euro
Abbildung 4: Schema der Werbepreisberechnung (IP Deutschland, 2006)
Die Preise ergeben sich vornehmlich aus der Position der Werbeunterbrechung, in der ein Werbespot erscheint. Weitere Faktoren können Zu- oder Abschläge vom Listenpreis nach sich ziehen, z.B. Buchung einer Spotposition zu Beginn einer Werbeunterbrechung (IP Deutschland, 2006; Kloss, 2007, S. 291ff). Zusätzlich gibt es Rabatte auf den Listenpreis, die von Volumen und Verhandlungsgeschick der Werbekunden abhängen. Abgesehen von diesen Kriterien findet eine Preisdiskriminierung kaum statt. Grundsätzlich gilt: „Ein Preis für alle Kunden“ – auch wenn ein Werbeplatz für verschiedene Werbekunden unterschiedlich großen Mehrwert in Form von Werbewirkung bringen könnte. Gerade hier liegen aber möglicherweise ertragsträchtige Umsatzpotenziale für Werbevermarkter: Sie könnten eine mögliche Erhöhung der Werbewirksamkeit durch gezieltes Ausnutzen von Kontexteffekten in einen Mehrwert für ihre werbetreibende Kundschaft übersetzen und so höhere Zahlungsbereitschaft abschöpfen. Hierfür sind gesicherte Forschungsergebnisse über die Wirkung solcher WerbeKontext-Kongruenz notwendig, denn nur durch sie kann der Mehrwert entsprechender Vermarktungsangebote den Werbetreibenden gegenüber belegt werden.
20 1.5
Forschungsgegenstand, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Aufbau der Arbeit
Abschnitt 1 erläutert zunächst den groben Hintergrund der Forschungsfrage, indem diese in Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen am Werbemarkt gebracht wird. Außerdem werden Zielsetzung und beabsichtigter Erkenntnisgewinn der Arbeit sowie der Gang der Untersuchung dargelegt. In den folgenden drei Teilen, Abschnitte 2 bis 4, werden theoretische Überlegungen zur Untersuchung der Forschungsfrage angestellt. In den Abschnitten 5 bis 9 werden Vorgehen und Ergebnisse der empirischen Untersuchung vorgestellt und diskutiert. Im Einzelnen: Abschnitt 2 enthält theoretische Überlegungen zur generellen Wirkung von werblicher Kommunikation. Anhand eines „Grundmodells der Werbewirkung“ soll ein Überblick über alle möglichen Einflussfaktoren der Wirkung werblicher Kommunikation gegeben werden. Dieser dient einerseits dazu, grundlegende Konzepte der Werbewirkungsforschung zu erläutern. Andererseits liefert er die Basis für spätere Überlegungen, welche Kontrollvariablen in die empirische Untersuchung einzubeziehen sind. Nach einem kurzen Abriss über die historische Entwicklung der Werbewirkungsforschung sollen in Abschnitt 3 die wichtigsten Theoriemodelle vorgestellt und ihre Eignung zur Erklärung von Werbewirkungen bewertet werden. Ziel ist es dabei, einen geeigneten Modellierungsansatz für die Beantwortung der Forschungsfrage zu identifizieren. In Abschnitt 4 werden theoretische Konzepte diskutiert, die sich mit dem Einfluss von WerbeKontext-Kongruenz auf die Werbewirkung beschäftigen. Durch Zusammenführung dieser Konzepte mit dem ausgewählten allgemeinen Werbewirkungsmodell gilt es, ein spezifisches Untersuchungsmodell zur Bearbeitung der Forschungsfrage zu entwickeln. Anhand dieses Modells sollen dann entsprechende Forschungsannahmen abgeleitet werden. Abschnitt 5 legt die Methodik in der empirischen Untersuchung dar. Die Untersuchung gliedert sich in eine Vor-Untersuchung in Form einer Online-Befragung und eine HauptUntersuchung in Form von Laborexperimenten. Dieser Aufbau der Untersuchung und die Auswahl von Instrumenten werden näher erläutert: Zunächst wird die Operationalisierung der zu untersuchenden Modellvariablen diskutiert. Dann führen messtheoretische Überlegungen zu den entsprechenden Untersuchungsinstrumenten. Anschließend werden für Vor- und Hauptuntersuchung genaues Vorgehen, Untersuchungsdesign sowie Auswahl der Stichprobe dargelegt. Die Online-Befragung beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, ob thematische Kongruenz von Werbung und Kontext überhaupt wahrgenommen wird. Die Ergebnisse der Befragung sind in Abschnitt 6 dargestellt. In den Laborexperimenten wird untersucht, ob und wie thema-
Aufbau der Arbeit
21
tische Werbe-Kontext-Kongruenz die Wirksamkeit von Werbung beeinflusst. Vorgehen und Ergebnisse der Laborexperimente werden in Abschnitt 7 und Abschnitt 8 beschrieben. Abschnitt 8 enthält außerdem eine kritische Würdigung des Untersuchungsmodells, seiner Leistungsfähigkeit und seiner Grenzen. In Abschnitt 9 werden die Ergebnisse der empirischen Studien zusammengefasst und erörtert. Es werden Implikationen für die Werbepraxis abgeleitet. Außerdem werden Defizite der vorliegenden Untersuchung diskutiert, Anregungen für die Weiterentwicklung relevanter Theorien gegeben und der künftige Forschungsbedarf aufgezeigt.
2.
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen „Some kinds of communication on some kinds of issues, brought to the attentionn of some kinds of people under some kinds of conditions have some kinds of effects.” Bernhard B. Berelson12
2.1
Abgrenzung wesentlicher Begriffe der Werbewirkungsforschung
In dieser Arbeit wird eine Reihe von Begrifflichkeiten verwendet, deren Bestimmung nicht immer eindeutig ist und die in der bestehenden Literatur teilweise sehr unterschiedlich definiert werden. Um Unklarheiten und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, bedarf es der Klärung zumindest einiger wesentlicher Grundbegriffe. Nur so kann Eindeutigkeit gewährleistet werden. 2.1.1
Werbung
Für den Begriff der Werbung existiert eine große Zahl von Definitionen. Frühere Definitionsansätze zeichnen sich durch ihren normativen Charakter aus. Sie legen sich auf einen Werbebegriff fest, der bestimmte – möglicherweise nicht wünschenswerte – Sachverhalte ausschließt, ohne dafür eine Begründung zu liefern (Kroeber-Riel, 2003, S. 606; vgl. hierzu auch die Diskussion bei Behrens, 1996, S. 1ff). Anzuführen sind hier vor allem die Begriffsbestimmung von Behrens (1963; zitiert nach Kästing, 1974, S. 2242) und Seyffert (1966; zitiert nach Kästing, 1974, S. 2242): „Werbung ist eine absichtliche und zwangfreie Form der Beeinflussung, welche die Menschen zur Erfüllung der Werbeziele veranlassen soll“ und „Werbung ist eine Form der seelischen Beeinflussung, die durch bewussten Verfahrenseinsatz zum freiwilligen Aufnehmen, Selbsterfüllen und Weiterpflanzen des von ihr dargebotenen Zweckes veranlassen will“. Das Problematische an solchen normativen Definitionsansätzen wird schnell klar, wenn man sich fragt, was „Zwang“ oder „freier Wille“ ist und wie er untersucht werden kann. Das Untersuchungsfeld der Werbeforschung wird auf diese Weise eingegrenzt, beispielsweise um sich auf „moralisch einwandfreie“ Sachverhalte zu beschränken. Werbeeffekte wie unbewusste Beeinflussung werden ausgeklammert; in der Praxis durchaus relevante Fragen, z.B. wann 12 Aus: Berelson, B. B. (1948). Communications and Public Opinion. In W. Schramm (Hrsg.), Communications
in Modern Society, S. 172. Urbana (III): University of Illinois Press.
24
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
eine Beeinflussungswirkung von Werbung zu weit gehen könnte, werden nicht thematisiert (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 606). Nach der hier vertretenen wissenschaftstheoretischen Ansicht sollte die Wirklichkeit aber den Ausgangspunkt der empirischen Wirtschaftsund Sozialforschung bilden, ohne dass a priori Einschränkungen vorgenommen werden. Es soll daher auf eine Definition zurückgegriffen werden, die Werbung nicht von vorneherein als normativen Begriff versteht. Moderne Begriffsbestimmungen beschränken sich auf eine Beschreibung des Werbevorgangs. Demnach ist Werbung „jede Art der nicht-persönlichen Vorstellung und Förderung von Ideen, Waren oder Dienstleistungen eines eindeutig identifizierten Auftraggebers durch den Einsatz bezahlter Medien“ (Kotler, Keller & Bliemel, 2007, S. 700). Häufig werden zusätzlich zur Definition von Werbung als Kommunikationsvorgang konkrete Werbeziele benannt. Eine prägnante Formel findet Broadbent (2001): “Advertising is paid-for communication to more than one person, intended to inform or to change behaviour.” (S. 494) Kroeber-Riel und Weinberg (2003) liefern eine ähnliche, wenn auch leicht erweiterte Definition: „Werbung wird definiert als versuchte Einstellungs- und Verhaltensbeeinflussung mittels besonderer Kommunikationsmittel“ (S. 605). Kroeber-Riel (1995) führt außerdem an, dass Werbung „mittels bezahlter Kommunikationsmittel erfolgt, von einem erkennbaren Sender ausgeht und sich an ein breites Publikum richtet“ (S. 2691). Bei Löbler (2004) findet sich eine vergleichbare Auffassung des Werbebegriffs. Demnach ist Werbung „das Informationsangebot an eine Zielgruppe, um bei ihr gewünschte Wahrnehmungs- und/oder Verhaltensänderungen anzustoßen“ (S. 891). Nieschlag, Dichtl und Hörschgen (2002) beschränken den Werbebegriff auf Kommunikation mit absatzwirtschaftlichen Zielen; sie sehen Werbung als einen „bewussten Versuch, Menschen durch den Einsatz spezifischer Kommunikationsmittel zu einem bestimmten, absatzwirtschaftlichen Zwecken dienenden Verhalten zu bewegen“ (S. 1322). Auch wenn die verschiedenen Definitionsansätze unterschiedliche Aspekte des Werbebegriffs mehr oder weniger stark beleuchten, können zwei zentrale Merkmale identifiziert werden: Erstens ist Werbung ein Kommunikationsvorgang. Zweitens zielt Werbung auf eine Veränderung von Erleben oder Verhalten oder beidem ab (Mayer & Illmann, 2000, S. 374). Einige Definitionen beschränken sich auf den Bereich der Wirtschaftswerbung, indem sie als Werbeobjekte lediglich Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen sowie deren Marken einbeziehen oder für Werbung allein unternehmensbezogene (ökonomische) Ziele formulieren. Werbung kann aber auch von anderen Einrichtungen, beispielsweise Parteien, Behörden, gemeinnützigen Organisationen oder Privatpersonen, betrieben werden. Sie muss auch nicht notwendigerweise ökonomische Ziele verfolgen, beispielsweise wenn es um Werbung im Rahmen von Sozialmarketing geht (Erbslöh, 1987, S. 89). In dieser Arbeit sollen mögliche positive Auswirkungen einer thematischen Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext
Abgrenzung wesentlicher Begriffe der Werbewirkungsforschung
25
untersucht werden. Die Herstellung von Kongruenz ist nicht auf Wirtschaftswerbung beschränkt. Daher reduziert sich das grundsätzliche Verständnis des Werbebegriffs im Folgenden nicht auf Wirtschaftswerbung. Die Definition von Werbung in dieser Arbeit lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Werbung ist der bewusste Einsatz bezahlter Kommunikationsmittel mit der Absicht, bei einem breiten Publikum ein bestimmtes Erleben oder Verhalten oder beides zu erzielen.13 Die entwickelte Definition von Werbung nimmt den Blickwinkel des Absenders von Werbung ein, der eine bestimmte Verhaltensänderung beim Rezipienten erzielen möchte. Diese Betrachtungsweise ist Grundlage der vorliegenden Arbeit, weil konkrete Anhaltspunkte für eine effizientere werbliche Kommunikation aus Sicht des Absenders entwickelt werden sollen. Dennoch soll an dieser Stelle kurz auf die Funktion von Werbung für deren Empfänger eingegangen werden. Aus Sicht eines Rezipienten erfüllt Werbung vor allem vier Funktionen. Sie lassen sich in zwei Bereiche einteilen. Zu einen dient Werbung aus Konsumentensicht zur Unterstützung von Kauf- bzw. Konsumentscheidungen. Hierfür liefert sie spezifische Informationen, stellt aber auch Normen und Verhaltensmodelle zur Verfügung, an denen sich ein Konsument ausrichten kann (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 608). Zum anderen wird Werbung durch ein Kommunikationsmedium transportiert und vermittelt so ein Medienerlebnis. Werbung kann also Zeitvertreib und ein emotionales Erlebnis bieten. Letzteres gilt vor allem für Werbung mit einem hohen Anteil an Bildern (ebd.). 2.1.2
Werbetreibende und Werbeobjekte
Als Werbetreibender wird im Folgenden der Absender einer Werbebotschaft verstanden. Obwohl unter den Begriff Werbung nach dem grundsätzlichen Verständnis dieser Arbeit nicht nur Wirtschaftswerbung fallen soll, stellen Wirtschaftsunternehmen die größte Gruppe der Werbetreibenden dar (ZAW, 2007, S. 18). Um die Lesbarkeit dieser Arbeit zu verbessern, werden die Begriffe Unternehmen und Werbetreibender bisweilen synonym verwendet. Ebensolches gilt für die Verwendung des Begriffes Werbeobjekt. Damit sind diejenigen Objekte gemeint, über die Werbung informiert oder auf die sich eine erwünschte Verhaltensänderung bezieht. Weil nicht nur Wirtschaftsunternehmen Absender werblicher Kommunikation sind, kann Werbung auch auf soziale Verhaltensweisen wie Wahl-, Spenden-, Beitritts- oder Um-
13 Vgl. die Definitionen von Löbler (2004, S. 891), Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 605), Broadbent
(2001) sowie Kroeber-Riel (1995).
26
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
weltverhalten abzielen (Mayer & Illmann, 2000, S. 375). Ebenfalls aus Gründen besserer Lesbarkeit tauchen in dieser Arbeit statt des Begriffes Werbeobjekt die Begriffe Produkt oder Marke auf. Diese stehen dann stellvertretend für die Gesamtheit möglicher Werbeobjekte. 2.1.3
Produkt, Produktkategorie und Marke
Weil die Begriffe Produkt und Marke als Stellvertreter für die Gesamtheit möglicher Werbeobjekte verwendet werden, sollen sie an dieser Stelle definiert werden. In Anbetracht der großen Fülle unterschiedlicher Definitionsansätze sei gleichzeitig auf die einschlägige Literatur zu diesem Thema verwiesen (Keller, 1993; Meffert, 2000; Keller, 2007; Kotler et al., 2007). Unter einem Produkt wird im Sinne von Kotler et al. (2007) alles verstanden, „was [in] einem Markt angeboten werden kann, um es zu betrachten und zu beachten, zu erwerben, zu gebrauchen oder zu verbrauchen und somit einen Wunsch oder ein Bedürfnis zu erfüllen“ (S. 492). Der hier verwendete Produktbegriff umfasst demnach sowohl materielle Sachleistungen als auch immaterielle Dienstleistungen (Meffert, 2000, S. 335; Kotler et al., 2007, S. 12). Wird im Folgenden von Werbung für ein Produkt gesprochen, so ist damit stets ein spezifisch ausgestaltetes Produkt gemeint. In der Literatur wird hierfür bisweilen der Begriff „Artikel“ verwendet (Kotler et al., 2007, S. 495). Um eine Differenzierung vom generischen Produktbegriff vornehmen zu können, soll der Begriff der Produktkategorie verwendet werden. Produktkategorie bezeichnet folglich den Oberbegriff, welcher die Gesamtheit mehrerer spezifischer Produkte umfasst, die ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen (ebd.). Während es sich bei einem Produkt um ein spezifisches Gut oder eine Leistung handelt, bezeichnet der Begriff Marke das Bild, das sich Individuen von diesem Gut machen. Kotler et al. (2007) definieren Marke als „Name, Begriff, Zeichen, Symbol, (…) Gestaltungsform oder (…) Kombination aus diesen Bestandteilen zum Zwecke der Kennzeichnung der Produkte oder Dienstleistungen eines Anbieters oder einer Anbietergruppe und der Differenzierung gegenüber Konkurrenzangeboten“ (S. 509).14 Der Begriff bezieht sich hier allein auf die physische Präsenz einer Marke. Diese physische Präsenz einer Marke entwickelt sich in der Psyche eines Individuums zu einem Vorstellungsbild, das mehr als nur Gestaltungsmerkmale eines Markenzeichens umfasst. Dieses Vorstellungsbild wird häufig als Markenimage bezeichnet. Das Markenimage umfasst tangible und intangible Attribute. Sie beziehen sich auf das markierte Objekt, meist ein Produkt, eine Leistung oder ein Unternehmen, sowie Erfahrungen, die damit gemacht werden (Keller, 1993, S. 3; Kotler et al., 2007, S. 509ff). Werbung soll das 14 Dieses Begriffsverständnis deckt sich mit dem der American Marketing Association (2007).
Abgrenzung wesentlicher Begriffe der Werbewirkungsforschung
27
Markenimage beeinflussen (Mayer & Illmann, 2000, S. 388). Aus diesem Grund bezeichnet Marke im Sinne dieser Arbeit nicht nur ein physisches Erscheinungsbild, sondern auch das dazugehörige Vorstellungsbild in der Psyche eines Individuums (Meffert, 2000, S. 847). 2.1.4
Werbewirkung, Werbeerfolg und Werbewirksamkeit15
Nach dem Verständnis in dieser Arbeit ist eine Werbung dann wirksam, wenn sie die vom Werbetreibenden erwünschte Wirkung erzielt. Wirkung meint in der Regel eine finale Verhaltensänderung, beispielsweise den Kauf eines beworbenen Produktes oder das Spenden an eine wohltätige Organisation. Wirksame Werbung ist also Werbung, die in der erwünschten Form Einfluss auf Erleben oder Verhalten oder beides nimmt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 26). Werbewirksamkeit wird in dieser Arbeit synonym mit Werbeeffektivität verwendet. Einige Autoren subsumieren unter dem Begriff Werbewirkung zusätzlich eine Reihe weiterer Konstrukte, wie beispielsweise Informationsspeicherung, Botschaftsakzeptanz oder Verhaltensabsichten. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei aber lediglich um Teilwirkungen auf dem Weg zu möglichen Verhaltensänderungen (Mayer & Illmann, 2000, S. 390ff mit weiteren Nachweisen). Weiterhin wird der Begriff Werbewirkung von einigen Autoren vom Werbeerfolg abgegrenzt. Unter Werbeerfolg wird der ökonomische Effekt werblicher Kommunikation, z.B. Absatzsteigerungen, verstanden (Barg, 1981, S. 927). Weil sich solche ökonomischen Größen üblicherweise proportional zu Verhaltensänderungen verhalten, handelt es sich prinzipiell um eine indirekte Art, Verhaltensänderungen zu messen; direkte Messung von Verhaltensänderungen erfolgt durch Befragung oder Beobachtung (Mayer & Illmann, 2000, S. 395f). 2.1.5
Kognition, Affekt, Motivation, Einstellung und Bewertung
Ein Werbereiz löst in einem Individuum verschiedene Arten von Verarbeitungsprozessen aus. In der Werbewirkungsforschung werden diese mentalen Reaktionen üblicherweise in die Kategorien Kognition und Affekt eingeteilt. Kognition bezeichnet dabei “the ‘thinking’ dimension of a person’s response, and affect the ‘feeling’ dimension” (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 26). Kognitive Reaktionen sind also Denkprozesse, die zu Entscheidungen auf der Basis wahrgenommener Fakten führen; affektive Reaktionen dagegen sind solche mentalen Prozesse, bei denen Gefühle und Emotionen das Handeln beeinflussen (Ambler & Burne, 1999, S.
15 In dieser Arbeit wird der Begriff Werbewirksamkeit bewusst von dem Begriff Werbewirkung unterschieden.
Werbewirkung bezieht sich auf – wie auch immer gerichtete – Effekte von Werbung auf Rezipienten, während Werbewirksamkeit eine Erreichung der von einem Werbetreibenden gesteckten Ziele impliziert.
28
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
25f). Auch wenn Uneinigkeit über die genaue Begriffsdefinition herrscht, soll Affekt im Folgenden als Oberbegriff für Gefühle und Emotionen, die Verhalten beeinflussen, verwendet werden (Gardner, 1985; Batra & Ray, 1986; Ambler & Burne, 1999; Gierl, 2002). Damit gehört Affekt zu den aktivierenden Prozessen (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 49ff). Kroeber-Riel und Weinberg (2003) zählen außerdem Motivation und Einstellung zu den aktivierenden Prozessen. Während sie Motivation aus Kombination aus Affekt16 und (kognitiver) Zielorientierung begreifen, definieren sie Einstellung als Summe aus Motivation und (kognitiver) Beurteilung eines Objektes. Diesen Begriffsbestimmungen wird in dieser Arbeit gefolgt. Wie in der englischsprachigen Werbewirkungsliteratur üblich wird Einstellung (attitude) nachfolgend mit A abgekürzt. Aad bezeichnet dann Einstellungen gegenüber einer Werbung (attitude towards ad), Ab bezeichnet Einstellungen gegenüber einem Werbeobjekt, üblicherweise gegenüber einem Produkt oder einer Marke (attitude towards brand). Einstellungen gehen auf bereits „verfestigte (gespeicherte) Ansichten“ (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 169) zurück. Kommt ein Rezipient erstmalig mit einer Werbung oder einem Produkt in Kontakt, so ist davon auszugehen, dass sich auch nach einem solchen Erstkontakt noch keine „verfestigten“ Einstellungen bilden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird in dieser Arbeit auch von Beurteilung einer Werbung oder eines Werbeobjektes gesprochen. Damit sind affektiv oder kognitiv geprägte Urteile über ein Objekt gemeint, zu dem noch keine Einstellungen aufgrund bisheriger Erfahrungen vorliegen. Der Begriff Beurteilung soll demnach einen möglicherweise flüchtigen Charakter erstmalig gebildeter Einstellungen betonen (vgl. hierzu auch Abschnitt 7.4.2). Weil sich in empirischen Untersuchungen unter Umständen keine Unterschiede in der Messung von Bewertungen und Einstellungen ergeben, werden beide Begriffe in einem messtheoretischen Kontext auch synonym verwendet. 2.2
Grundmodell der Werbewirkung
Ziel dieses Abschnittes ist es, einen Überblick über mögliche Wirkungskomponenten werblicher Kommunikation zu geben. Die entsprechenden Ausführungen sollen mit Hilfe eines „Grundmodells“ der Werbewirkung strukturiert werden. Das Modell ist in Abbildung 5 dargestellt. Es ist nicht als quantifizierbares Modell zu verstehen, sondern dient lediglich der Gruppierung von Einflussgrößen (Steffenhagen, 2000, S. 13).
16 Bei Kroeber-Riel und Weinberg (2003) als Emotion bezeichnet.
Grundmodell der Werbewirkung
29
Im Sinne der einleitenden Bemerkungen über die Modellierung von Werbewirkungen bilden finale Verhaltensänderungen die Ebene der endogenen Variablen. Art und Stärke dieser Verhaltensänderungen werden von der Ausgestaltung eines Werbereizes beeinflusst. Allerdings verursacht ein bestimmter Werbereiz nicht immer eine bestimmte Werbewirkung. Merkmale von Empfänger und Kontaktsituation wirken sich auf die Beziehung zwischen Werbereiz und -wirkung aus (Steffenhagen, 2000, S. 13ff). Sie werden deshalb auch als Moderatoren von Werbewirkung bezeichnet (vgl. z.B. MacInnis & Jaworski, 1989, S. 6). Bei einigen Autoren werden Empfängermerkmale als „Filter“ bei der Wahrnehmung des ursprünglichen Werbereizes bezeichnet; sie werden daher nicht als Moderator-, sondern als Mediatorvariablen dargestellt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 26f, in deren Rahmenwerk die Kontaktsituation keine Berücksichtigung findet). Hier sollte allerdings eine klare Unterscheidung zwischen tatsächlich intervenierenden Variablen, z.B. Aufmerksamkeit gegenüber einer bestimmten Werbung, und moderierenden Variablen „außerhalb“ der Wirkung eines bestimmten Werbereizes, z.B. allgemeine Einstellung gegenüber Werbung, unterschieden werden (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 30).
= beeinflusst Art und Stärke von… Empfängermerkmale
Finale Verhaltensänderung
Werbereiz
Merkmale der Kontaktsituation
Abbildung 5: Komponenten der Werbewirkung (in Anlehnung an Steffenhagen, 2000, S. 13)
In den folgenden Abschnitten soll auf die einzelnen Bestandteile der in Abbildung 5 enthaltenen Wirkungskomponenten näher eingegangen werden.
30 2.2.1
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen Werbereize
Werbereize werden in Wirkungsmodellen im Wesentlichen durch drei Parameter beschrieben (Mayer & Illmann, 2000, S. 380; Steffenhagen, 2000, S. 13ff): • Absender • Botschaft • Medium Absender einer Werbebotschaft ist in der Regel eine Institution, in den meisten Fällen ein Unternehmen. Unterschiede zwischen verschiedenen Absendern, die sich auf den Werbeerfolg auswirken, liegen vor allem bei der Glaubwürdigkeit und der wahrgenommenen Beeinflussungsabsicht eines Absenders. Liegt die durch einen Rezipienten wahrgenommene Beeinflussungsabsicht des Botschaftsabsenders beispielsweise hoch, so kommt es nachweislich zu Reaktanzphänomenen, also einer „Sperrung“ gegen eine Verarbeitung der Botschaft (Mayer & Illmann, 2000, S. 380). Die Gestaltung einer Werbebotschaft setzt sich aus inhaltlichen und stilistischen Aspekten zusammen. Auf beiden Seiten eröffnet sich eine Vielzahl gestalterischer Möglichkeiten. Sie können Unterschiede in der verbalen, visuellen, akustischen, haptischen oder auch olfaktorischen Wahrnehmung einer Botschaft begründen (Mayer & Illmann, 2000, S. 380). In mehreren empirischen Studien wurde eine Dominanz der Botschaftsgestaltung als Determinante von Art und Stärke der erzielten Verhaltensänderungen nachgewiesen (vgl. z.B. Furnham et al., 1998; SevenOne Media, 2001). Diese Dominanz spiegelt sich auch in der Werbepraxis wider: Geht es um die Konzeption einer Werbekampagne, so entfällt der überwiegende Teil der eingesetzten Ressourcen auf die Gestaltung der Werbebotschaft; diese wird meist durch Werbeund Kreativagenturen übernommen, deren Dienstleistungen in der Regel einen erheblichen Teil eines Werbebudgets ausmachen (Rogge, 2004, S. 90ff). Die Wahl des Übertragungsmediums beeinflusst ebenfalls den Wirkungsverlauf (z.B. Jones, Pentecost & Requena, 2005; Bronner & Neijens, 2006). Man denke beispielsweise an eine unterschiedliche Wirkung eines Werbespots in Abhängigkeit davon, ob er im Fernsehen oder im Kino ausgestrahlt wird (Phillips & Noble, 2007). Zu den wichtigsten Werbemedien gehören Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehen, Radio, Kino, Außenwerbung (Plakate, Werbetafeln) sowie Internet (Zenith Optimedia, 2006). Werbetreibende sind gleichzeitig ständig auf der Suche nach kreativen, alleinstellenden Werbemedien. Dahlén (2005) beispielsweise schlägt Werbung auf Bananen- und Eierschalen vor.
Grundmodell der Werbewirkung
31
Die Erforschung des Medieneinflusses gestaltet sich allerdings nicht einfach. Es ist sicherzustellen, dass gemessene Wirkungsunterschiede zwischen verschiedenen Werbemedien tatsächlich auf deren Eigenschaften und nicht auf eine unterschiedliche Gestaltung der betrachteten Werbung oder auf den Werbekontext zurückzuführen ist. Denn in den vielen Fällen wird man eine Werbung nicht in genau derselben Form in verschiedenen Medien einsetzen (Mayer & Illmann, 2000, S. 496). Um dieser Problematik zu begegnen, beschränken sich vergleichende Studien meist auf ein oder zwei Merkmale, von denen ein Einfluss auf die Werbewirksamkeit vermutet wird. Die meisten Studien nehmen einen Vergleich verschiedener Werbemedien auf Produktebene vor (Jones et al., 2005 mit weiteren Nachweisen). Dabei wird eine Konfundierung verschiedener Ursachen für Wirkungsunterschiede bewusst in Kauf genommen. So kann nicht unterschieden werden, ob sich ein Medium für bestimmte Produkte besser eignet oder eine bestimmte Botschaftsgestaltung in einem Medium besser zur Geltung kommt als in einem anderen (Mayer & Illmann, 2000, S. 497). Eine aktuelle Studie von Bronner und Neijens (2006) vergleicht acht verschiedene Medien hinsichtlich einer Reihe von Merkmalen. Ziel ist es, mehr über den Einfluss der Medienwahrnehmung (media experience) auf die Werbewahrnehmung (advertising experience) zu erfahren. Bronner und Neijens benennen neun Faktoren, mit denen sich Medien- und Werbewahrnehmung beschreiben lassen: Information (neu, nützlich), Transformation (angenehm, entspannend), negative Emotion oder Irritation (störend, traurig), Zeitvertreib, Stimulation (faszinierend, Neugier weckend), Identifikation (kann das Wahrgenommene nachempfinden), soziale Interaktion (ist Gesprächsthema) und praktischer Nutzen (gibt hilfreiche Hinweise oder Ideen). Im Ergebnis zeigt sich ein deutlicher Einfluss der Medienwahrnehmung auf die Werbewahrnehmung vor allem bei nicht-linearen Medien wie Postwurfsendungen, Zeitungen oder Zeitschriften. Vermutlich üben die Medieneigenschaften gerade aufgrund der Nicht-Linearität einen stärkeren Einfluss auf die Wahrnehmung von Werbung aus (a.a.O., S. 97). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass aufgrund der schwierigen Messbarkeit bisher nur wenige eindeutige Erkenntnisse über den Einfluss des Werbemediums auf die Werbewirkung vorliegen. Aufgrund theoretischer Überlegungen und gestützt durch Beobachtungen in der Werbepraxis ist ein solcher Einfluss aber anzunehmen. Die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Botschaftsgestaltung haben eine große Zahl empirischer Untersuchungen hervorgebracht. Auf wichtige Erkenntnisse zur Wirkung verschiedener Ausgestaltungen von Werbereizen soll in Abschnitt 3 eingegangen werden, nachdem verschiedene Ansätze zur theoretischen Modellierung solcher Wirkungen vorgestellt werden konnten.
32
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
2.2.2
Personenmerkmale
Interpersonelle Unterschiede bei der Wirkung von Werbereizen auf das Verhalten sind fester Bestandteil wissenschaftlicher Forschung. Eine große Zahl von Personenmerkmalen wurde bisher als Moderatoren von Werbewirkungen identifiziert (Steffenhagen, 2000, S. 17ff). Abbildung 6 zeigt eine mögliche Systematisierung der zahlreichen personenspezifischen Faktoren, die für eine Beeinflussung von Werbewirkungen in Frage kommen. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Stand der Forschung zum Einfluss ausgewählter Personenmerkmale auf die Werbewirkung. Ziel ist es, den Erkenntnisstand über Art und Stärke deren Einflusses überblickartig darzustellen, um daran später die Auswahl von Kontrollvariablen für das aufgestellte Theoriemodell und dessen empirische Validierung diskutieren zu können. Beispiele Demografische Merkmale Sozioökonomische Merkmale
Psychografische Merkmale
Verhaltensmerkmale
• • • •
Einkommen Bildung Soziale Schicht …
• GesundheitsPhysiologische, zustand konstitutionelle • Gewicht Merkmale • …
Zustandsmerkmale
Personenmerkmale
• Alter • Geschlecht • …
Persönlichkeitsmerkmale
• • • •
Intelligenz Risikobereitschaft Selbstvertrauen …
Motivationale Merkmale
• • • •
Involvement Bedürfnisse/Motive Einstellungen …
Generelle Verhaltensmerkmale Situationsspezifisches Verhalten
• Konsumverhalten • Informations• • • •
verhalten … Zu Hause Unterwegs …
Abbildung 6: Personenmerkmale als mögliche Moderatoren der Werbewirkung (in Anlehnung an Mayer & Illmann, 2000, S. 611)
Demografische Merkmale Das Alter stellt nach weit verbreiteter Auffassung eine wichtige Determinante von Werbewirkungen dar (Felser, 2001, S. 350ff; Williams & Drolet, 2005, S. 343). Es sollte aber unterschieden werden zwischen dem Einfluss des biologischen Alters, z.B. aufgrund nachlassender Gedächtnisleistung, und Effekten, die auf das psychologische Alter zurückgehen, z.B. veränderte Bedürfnisse oder verändertes Produktkategorie-Involvement (Steffenhagen, 2000, S.
Grundmodell der Werbewirkung
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18f). Im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs sind Unterschiede in der Informationsverarbeitung in Abhängigkeit vom psychologischen oder gefühlten Alter in den Vordergrund gerückt; beispielsweise bemühen sich ältere Menschen stärker um Vermeidung negativer Emotionen, weil sie ihre noch verbleibende Lebenszeit stärker im Blick haben als jüngere Menschen (Williams & Drolet, 2005, S. 343f). Neben Unterschieden in der Informationsverarbeitung können auch altersbedingte generelle Einstellungen zu Werbung deren Wirksamkeit beeinflussen; junge Menschen stehen Werbung und den Praktiken von Werbetreibenden allgemein skeptischer gegenüber als ältere (Boush, Friestad & Rose, 1994). Das Geschlecht hat sich für einige Arten der Botschaftsgestaltung, insbesondere erotische Werbung oder soziale Rollen und Orientierungen betreffende Werbung, als relevanter Moderator erwiesen (Mayer & Illmann, 2000, S. 612). Zur Erklärung geschlechtsspezifischer Werbewirkungen werden einerseits Unterschiede in der Informationsverarbeitung (z.B. ausführlich gegenüber heuristisch oder objekt-spezifisch gegenüber relational), andererseits Unterschiede in grundlegenden Denkmustern und Verhaltensweisen (fördernd versus kompetitiv) hervorgebracht (Meyers-Levy, 1989a; Meyers-Levy & Maheswaran, 1991; MeyersLevy & Sternthal, 1991; Darley & Smith, 1995; Putrevu, 2001; Brunel & Nelson, 2003; Fisher & Dubé, 2005; Kempf, Laczniak & Smith, 2006; Chang, 2007). Mittelbare Einflüsse von Geschlecht wurden bei der Untersuchung unterschiedlicher Mediennutzung (v.a. Internet) nachgewiesen (van Eimeren & Oehmichen, 1999, S. 201). Frühere Studien, nach denen Männer bessere Wiedererkennungswerte für beworbene Produkte als Frauen aufweisen (z.B. Wise et al., 1975), haben sich in späteren Studien nicht bestätigt (z.B. Feltham & Arnold, 1994, S. 74). Der ethnische Hintergrund von Rezipienten spielt besonders in der US-amerikanischen Werbewirkungsforschung eine Rolle. Es zeigt sich beispielsweise ein deutlicher Interaktionseffekt zwischen ethnischem Hintergrund von Rezipienten und ethnischem Hintergrund von Darstellern in einer Werbung: Werbung wirkt besser, wenn eine Übereinstimmung vorliegt, sich Rezipienten also mit den Darstellern in einer Werbung „identifizieren“ können (z.B. Bush, Gwinner & Solomon, 1974; Whittler, 1991; Whittler & Dimeo, 1991; Whittler & Spira, 2002; Mastro & Stern, 2003; Martin, B. A. S., Kwai-Choi Lee & Feng, 2004; Grier, Brumbaugh & Thornton, 2006). Der Effekt geht nicht nur von den Darstellern aus, sondern auch von der Gestaltung der Werbung. Werbung, die beispielsweise einen bestimmten kulturellen Hintergrund portraitiert, wirkt besser, wenn sich dieser bei den Rezipienten widerspiegelt (Martin, B. A. S. et al., 2004). Diese Erkenntnisse sind für global agierende Unternehmen wichtig, die Möglichkeiten zur Vereinheitlichung ihrer Werbekampagnen prüfen.
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
Sozioökonomische Merkmale Ein Einfluss sozioökonomischer Merkmale auf die Effekte werblicher Kommunikation wurden bislang nur selten wissenschaftlich untersucht (Mayer & Illmann, 2000, S. 616). Zu den unter Umständen relevanten Variablen gehören verfügbares Einkommen, Bildungsstand und Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht (Mayer & Illmann, 2000, S. 611ff). Allerdings besteht eine hohe Korrelation dieser Variablen untereinander, so dass ein eindeutiger Einfluss einzelner Faktoren nur schwer nachzuweisen ist (Steffenhagen, 2000, S. 19). Ein relativ gesicherter Zusammenhang besteht zwischen verfügbarem Einkommen und Mediennutzung, welche wiederum die Wirksamkeit von Werbung beeinflusst: Je geringer das verfügbare Einkommen, desto intensiver der TV-Konsum (vgl. z.B. Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung [AGF], 2002). Hierbei handelt es sich aber nicht um einen Faktor, der Unterschiede in der Wirkung einer einzelnen Werbung bedingt, sondern die Menge empfangener Werbebotschaften insgesamt beeinflusst. Dagegen wirken sich schichtspezifische Unterschiede in der Suche nach Informationen auch auf die Wirkung einer einzelnen Werbung aus; die Suche nach Produktinformationen erfolgt in höheren sozialen Schichten intensiver (Mayer & Illmann, 2000, S. 617). Unterschiede zwischen Einkommensklassen bestehen außerdem bei werbevermeidendem Verhalten: Individuen mit höherem Einkommen haben ein größeres Bestreben, Werbung zu vermeiden (Speck & Elliott, 1997, S. 64). Physiologische und konstitutionelle Merkmale Physiologische und konstitutionelle Merkmale wie Gesundheitszustand oder Gewicht kommen ebenfalls als Moderatoren von Werbewirkungen in Frage. Es handelt sich vermutlich um die bisher am wenigsten untersuchte Gruppe von Personenmerkmalen.17 Üblicherweise wird ein Werbetreibender in den Massenmedien keine genaueren Erkenntnisse über die Physiognomie seiner Empfänger haben und sie auch nicht beeinflussen können. Die praktische Relevanz dieses Themas ist folglich gering. Eine Ausnahme bilden Werbungen, in deren inhaltlichem oder gestalterischem Mittelpunkt Körpermaße stehen. Man denke beispielsweise an einen großen Teil von Anzeigen in „Hochglanzmagazinen“, in denen besonders schlanke Modelle auftauchen. Die Interaktion zwischen der Darstellung besonders schlanker Menschen in den Medien und dem Gewicht bzw. der Wahrnehmung der eigenen Attraktivität von Rezipienten wurde bereits mehrfach nachgewiesen (z.B. Posavac, Posavac & Posavac, 1998; Gurari, Hetts & Strube, 2006). Eine Reihe ähnlicher Fälle sind denkbar, in denen physiognomische Merkmale von Rezipienten mit bestimmten Werbeinhalten oder -objekten
17 Unter Physiognomie wird hier das gesamte äußere Erscheinungsbild, nicht nur die Gesichtszüge, verstanden.
Grundmodell der Werbewirkung
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interagieren: Beispielsweise könnte die Haarfarbe eines Rezipienten beeinflussen, wie unterschiedliche Haarfarben von Darstellern in einer Werbung wirken. Persönlichkeitsmerkmale Intelligenz, Risikobereitschaft, Offenheit für Außenreize (Introversion/Extraversion) oder Selbstvertrauen sind Beispiele für Persönlichkeitsmerkmale, die als Determinanten der Beeinflussbarkeit eines Individuums gelten (Steffenhagen, 2000, S. 19). Insbesondere der Zusammenhang zwischen Selbstvertrauen und Beeinflussbarkeit wurde in den 1960er- und 1970erJahren mehrfach untersucht. Menschen mit geringerem Selbstvertrauen, so die Erkenntnis, sind in höherem Maße durch werbliche Kommunikation beeinflussbar (Cox & Bauer, 1964; Barach, 1969; Bither & Wright, 1973). Ein besonderer Fokus wird bis heute auf die Untersuchung von Unterschieden in Gefühlssensibilität (affect intensity) und Bedürfnis nach kognitiver Informationsverarbeitung (need for cognition; Cohen, Stotland und Wolfe, 1955, zitiert nach Cacioppo & Petty, 1982) gelegt. Werbung, die vorrangig emotionale Reaktionen hervorrufen soll, erzielt diesen Effekt eher bei Menschen mit hoher Gefühlssensibilität (Moore, D. J., Harris & Chen, 1995; Ruiz & Sicilia, 2004; Chang, 2006). Dieser Zusammenhang scheint nicht für alle Arten der Emotion zu gelten (Geuens & De Pelsmacker, 1999). Bei Individuen mit einem hohen Bedürfnis nach kognitiver Informationsverarbeitung ergeben sich bessere Markenbewertungen und Kaufabsichten, wenn eine Werbung eher implizite („soft selling“) als explizite („hard selling“) Schlussfolgerungen zum Werbeobjekt trifft (Martin, B. A. S., Lang & Wong, 2003). Sie reagieren außerdem positiver auf Expertenaussagen in einer Werbung (Zhang & Buda, 1999) und werden weniger effektiv durch Emotionen hervorrufende Werbung angesprochen (Batra & Stayman, 1990). Chang (2006) zeigt einen moderierenden Effekt von Offenheit für Außenreize auf: Eher introvertierte Menschen verarbeiten einen Werbereiz, der negative Emotionen provoziert, intensiver und bewerten den Werbereiz anschließend besser als eher extravertierte Menschen. Mayer und Illmann (2000, S. 626) listen eine Reihe weiterer Persönlichkeitsmerkmale auf, deren Einfluss auf Werbewirkungen untersucht wurde, darunter Risikobereitschaft, Selbstkonzept oder soziale Charakterzüge. Sie weisen ebenso wie Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 206) auf die mangelnde Konsistenz bei den Ergebnissen zum Einfluss von Persönlichkeit auf das Konsumentenverhalten hin; dadurch und durch die schwierige Bestimmbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen in den Zielgruppen von Werbetreibenden blieb die praktische Relevanz dieses Forschungsfeldes bisher gering. Motivationale Merkmale Motivationale Merkmale sind Komponenten, „die Handlungen mit Energie versorgen und ihnen die Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel vermitteln“ (Mayer & Illmann, 2000, S. 617). Eine besonders wichtige Rolle unter den motivationalen Merkmalen spielt das InvolvementKonstrukt (Teichert & Rost, 2003, S. 623; Trommsdorff, 2004, S. 47). In der sozialpsycholo-
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
gischen sowie verhaltens- und kommunikationswissenschaftlichen Literatur existiert eine große Zahl verschiedener Definitionen, die sich dazu auf teilweise völlig unterschiedliche Sachverhalte beziehen (Zaichkowsky, 1985, S. 341; Bongard, 2002, S. 296). Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Konzeptualisierungen des Involvement-Konstruktes und der entsprechend großen Zahl unterschiedlicher empirischer Befunde würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die folgenden Ausführungen sind als zusammenfassender Überblick zu verstehen. Steffenhagen (2000, S. 28ff) weist darauf hin, dass einige Autoren den Begriff Involvement als „neue“ Bezeichnung für Konstrukte verwenden, die in der Verhaltens- und Werbewirkungsforschung schon lange unter anderem Namen bekannt sind. Hier sei zunächst das Medien-Involvement genannt. Es soll die Intensität der Nutzung eines bestimmten Mediums beschreiben. Tatsächlich ist aber die Aufmerksamkeit gemeint, die ein Rezipient einem Medium im Vergleich zu einem anderen entgegenbringt. Aufmerksamkeit wiederum spiegelt sich in unterschiedlichen Graden tonischer Aktivierung wider (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 58ff). Fernsehen beispielsweise wurde in der Vergangenheit teilweise als Low-involvementMedium bezeichnet, weil Rezipienten diesem Medium häufig nur geteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen (Krugman, H. E., 1967, S. 584). Es gibt diesen Ausführungen zufolge keinen Bedarf an einem eigenständigen Konstrukt Medien- oder Werbeträger-Involvement zusätzlich zu den bereits etablierten Konstrukten Aktivierung und Aufmerksamkeit (Steffenhagen, 2000, S. 29). Eine noch heute verbreitete Sichtweise auf das Involvement-Konstrukt definiert es im Sinne persönlicher Relevanz. Diese Sichtweise geht auf H. E. Krugman (1967) zurück. Er definierte Involvement als “number of ‘connections’, conscious bridging experiences or personal references per minute that the subject makes between the persuasive stimulus and his own life” (S. 584). Nach dieser Sicht umfasst Involvement Aspekte von Motivation, Aktivierung und Interesse und wirkt sich auf Informationsverarbeitung, Such- und Entscheidungsverhalten aus (Rothschild, 1984, S. 217; Laurent & Kapferer, 1985, S. 42). Bezieht sich das Involvement im Sinne persönlicher Relevanz auf die Verarbeitung eines Werbestimulus, so kann nicht von Involvement als moderierender Variable gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um einen Mediator von Werbewirkungen, denn es geht um „Ausmaß bzw. Tiefe der Informationsverarbeitung beim Werbekontakt“ (Steffenhagen, 2000, S. 30). Bei Involvement im Sinne persönlicher Relevanz kann es sich aber auch um ein Personenmerkmal handeln, das nicht von einem spezifischen Kontakt mit einem Werbemittel abhängt. Gemeint ist in diesem Fall Involvement mit einem spezifischen Produkt oder einer spezifischen Marke sowie Involvement mit einer Produktkategorie. Eine Konzeptualisierung von Involvement mit einem spezifischen Produkt wird von Steffenhagen (2000) als überflüssig
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bezeichnet, weil eine Unterscheidung von den Konstrukten Markenbindung und Interesse an einer Marke kaum möglich scheint. Produktkategorie-Involvement als persönliche Relevanz einer gesamten Produktklasse dagegen spielt als motivationales Merkmal und Moderator von Werbewirkungen eine wichtige Rolle in der Forschung (Steffenhagen, 2000, S. 31f). Es beeinflusst unter anderem den Wunsch nach Informationen über eine bestimmte Produktkategorie, die Bedeutung der Signalfunktion von Marken sowie das Ausmaß von Kaufentscheidungsprozessen (Mayer & Illmann, 2000, S. 618). Bedürfnisse und Motive gehören ebenfalls zu den motivationalen Variablen, die nach aktuellem Forschungsstand moderierend auf die Beziehung von Werbereiz und Verhalten wirken. Sie werden in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur üblicherweise als unmittelbar voneinander abhängig dargestellt: Motive stellen zielgerichtete Antriebe des Konsumentenverhaltens dar (Trommsdorff, 2004, S. 118) und werden durch Bedürfnisse ausgelöst. Bedürfnisse sind empfundene Mangelzustände (Deprivation), die zunächst noch nicht auf ein Ziel gerichtet sind; befriedigte Bedürfnisse stiften Nutzen (Steffenhagen, 2000, S. 24; Trommsdorff, 2004, S. 118). Bisweilen wird zwischen den Begriffen Motiv und Motivation unterschieden. Motiv meint dann eine über einen längeren Zeitraum vorhandene Disposition zu einem bestimmten Handeln. Mit Motivation ist dagegen ein zum Betrachtungszeitpunkt vorhandenes Streben nach einer Bedürfnisbefriedigung mit direkter Verhaltensrelevanz gemeint (KroeberRiel & Weinberg, 2003, S. 57f). Die Begriffe Motiv, Motivation und Bedürfnis werden in der Literatur häufig synonym verwendet. Das ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen und folgenden Ausführungen nicht ganz zutreffend. Allerdings haben die Konstrukte unmittelbaren Einfluss aufeinander; für die Untersuchung ihres moderierenden Einflusses auf Werbewirkungen scheint eine Unterscheidung zwischen Motiv, Motivation und Bedürfnis daher nicht sinnvoll. Motive können unterschiedlich stark sein. Ihre Stärke hängt davon ab, bis zu welchem Grad ein bestimmtes Bedürfnis bereits befriedigt ist: Bedürfnisse, die weit von einer vollständigen Befriedigung entfernt sind, begründen stärkere Motive als solche, die bereits zu einem gewissen Grad befriedigt sind. Anders ausgedrückt: Je höher das bereits Erreichte in Relation zum angestrebten Nutzenniveau, desto schwächer ein Motiv (Steffenhagen, 2000, S. 24). Die empirische Forschung zur Bedeutung von (Kauf-)Motiven geht in erster Linie der Frage nach, „welches diejenigen Motive seien, an welche sich Werbebotschaften anzulehnen hätten, um ‚wirksam’ zu sein“ (Steffenhagen, 2000, S. 26f). Um ihren moderierenden Einfluss auf Werbewirkungen untersuchen zu können, werden Motive meist kategorisiert. Vorherrschend ist eine Unterteilung in zwei Gruppen von Motiven: Negative Motive beziehen sich auf das Bedürfnis, Probleme zu vermeiden oder Lösungen für bestehende Probleme zu finden; sie
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
werden auch als informationale oder utilitaristische Motive bezeichnet (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 2; Rossiter, Percy & Donovan, 1991, S. 16). Positive Motive, auch transformationale, expressive oder hedonistische Motive genannt, basieren auf Bedürfnissen, deren Befriedigung sozialen oder ästhetischen Nutzen bringt (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 2; Rossiter et al., 1991, S. 16). Teilweise wird Handeln aufgrund positiver Motive als emotionales Verhalten, Handeln aufgrund negativer Motive als rationales Verhalten dargestellt. Steffenhagen (2000) weist darauf hin, dass eine solche Gleichsetzung zweifelhaft ist: Um zu beurteilen, ob ein Verhalten rational ist, stellt sich die Frage, ob relevante Entscheidungskriterien (wie z.B. Motive) argumentativ nachvollziehbar dargestellt werden können. Welche Art von Kriterien das sind, spielt dabei keine Rolle. Außerdem stehen auch negative Motive in Verbindung mit Emotionen: Vermeiden wir ein Problem, so möchten wir Trauer, Enttäuschung, Wut usw. aus dem Weg gehen (a.a.O., S. 26f; vgl. auch Rossiter et al., 1991, S. 16). Der Einfluss positiver und negativer Motive auf das Verhalten variiert. Je nachdem welche Motive in einer bestimmten Situation vorherrschen, kann Werbung unterschiedliche Wirkungen nach sich ziehen. Anders ausgedrückt: Werbung kann z.B. über das beworbene Produkt oder die Werbebotschaft bestimmte Motive ansprechen und sie dadurch als Einflussfaktoren des Rezipientenverhaltens „aktivieren“ (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 3). Diese Überlegungen finden sich insbesondere im integrativen Werbewirkungsmodell von Vaughn (1980) sowie in dessen Weiterentwicklung durch Rossiter, Percy und Donovan (1991) wieder. Auf beide Modelle wird in Abschnitt 3.2.7 näher eingegangen. Das Grundprinzip dieser Modelle lautet: Werbung ist immer dann besonders wirksam, wenn sie die Bedürfnisse befriedigt, die sie im Zusammenhang mit dem beworbenen Produkt aktiviert. Im Fall negativer Motive sollte Werbung beispielsweise Informationen darüber liefern, wie das Produkt ein Problem vermeidet oder eine Lösung anbietet; umgekehrt solle Werbung im Fall positiver Motive beispielsweise Gefühle sensorischer Befriedigung oder sozialer Anerkennung vermitteln (Coulter, R. H. & Sewall, 1994, S. 277). Empirische Ergebnisse belegen die Wechselwirkung zwischen von in einer Werbung adressierten Motiven und einer entsprechenden Werbegestaltung (Vaughn, 1980; Smith & Swinyard, 1982, 1983; Deighton, 1984, 1986; Vaughn, 1986; Martin, J. H., 1991; Coulter, R. H. & Sewall, 1994). Einstellungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für die Frage, wie Werbung wirkt. Besondere Beachtung finden Einstellungen als Mediatorvariablen bei der Wirkung werblicher Kommunikation auf das Verhalten, namentlich in Form von Einstellungen zur Werbung und Einstellungen zum Werbeobjekt (Mayer & Illmann, 2000, S. 621). Für eine ausführlichere Diskussion von Einstellungen als Mediatoren in Werbewirkungsprozessen sei auf Abschnitt 3 verwiesen. An dieser Stelle soll auf moderierende Wirkungen von Einstellungen eingegangen werden. Besondere Beachtung als Moderatorvariable findet allgemeine Einstellung gegenüber
Grundmodell der Werbewirkung
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Werbung. Hiermit ist die „produktunabhängige Wertschätzung jeglicher Werbung“ (Steffenhagen, 2000, S. 20) gemeint. Es besteht ein genereller Konsens, dass sich die allgemeine Einstellung gegenüber Werbung in Reaktionen auf spezifische Werbungen niederschlägt. Sie äußert sich beispielsweise in negativeren Bewertungen einzelner Werbungen (Lutz, MacKenzie & Belch, 1983, S. 538; Lutz, 1985, S. 50; MacKenzie & Lutz, 1989, S. 53; Alwitt & Prabhaker, 1992, S. 40ff; Mehta, 2000, S. 69ff). Auch Erinnerungen können beeinflusst werden, z.B. aufgrund von Werbevermeidungsverhalten (Mehta, 2000, S. 69ff; Smit & Neijens, 2000, S. 41). Die Einstellung gegenüber Werbung wird durch eine Reihe demografischer und psychografischer Faktoren, insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheits- und Umweltbewusstsein, Konservativismus sowie Innovativität beeinflusst (Dutta-Bergman, 2006). Smit und Neijens (2000) schlagen auf Basis entsprechender Erkenntnisse eine Segmentierung nach allgemeiner Einstellung gegenüber Werbung (bei ihnen als affinity for advertising bezeichnet) vor, um je nach Zielsegment effektivere Werbungen konzipieren zu können. Einige Autoren unterscheiden zwischen medienunabhängiger Einstellung zu Werbung und Einstellung gegenüber Werbung in einem spezifischen Medium (z.B. Alwitt & Prabhaker, 1992). Insbesondere Fernsehwerbung wird von Konsumenten auf breiter Basis abgelehnt (Shavitt, Vargas & Lowrey, 2004, S. 1021), während allgemeine Einstellungen zu Kinowerbung eher positiv sind (Phillips & Noble, 2007, S. 91ff). Steffenhagen (2000, S. 23) deutet an, die Vorab-Vertrautheit eines Rezipienten mit einem Werbemedium (media literacy) oder einem Werbeobjekt (brand or product familiarity) könne einen moderierenden Einfluss auf Werbewirkungen haben. Allerdings dürfte ein solcher Einfluss eher gering sein im Vergleich zur Wirkung, die Vorab-Vertrautheit mit Medium oder Werbeobjekt direkt auf Konstrukte wie Aufmerksamkeit oder Ab ausüben. Verhaltensmerkmale Bei den bis hierhin genannten Personenmerkmalen handelt es sich um Zustandsmerkmale. Neben diesen stehen Verhaltensmerkmale im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Meyer und Illmann unterscheiden zwischen generellen und situationsspezifischen Verhaltensmerkmalen: Mit generellen Verhaltensmerkmalen sind laut Mayer und Illmann (2000) „relativ zeitstabile Verhaltensweisen wie das Produktnutzungs-, das Kauf- und Innovationsverhalten oder das Informationsverhalten“ (S. 526) gemeint. Produktnutzungs- und Kaufverhalten sind Indikatoren für die Erfahrungen, die mit einem beworbenen Produkt bereits gemacht wurden. Vorab-Erfahrungen und -Wissen über ein Werbeobjekt haben sich als zentrale Einflussfaktoren für die Wirkung von Werbung erwiesen (Smith & Swinyard, 1982, 1983; Hoch & Ha, 1986; Smith & Swinyard, 1988; Wright, A. A. & Lynch Jr, 1995; Campbell & Keller, 2003; Chang, 2004). Auch das Innovationsverhalten konnte – wenn auch nur indirekt – als moderierender Einfluss der Werbewirkung identifiziert werden: Weil Innovatoren eher Spartenmedien
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
(z.B. Fachzeitschriften) konsumieren, besteht eine höhere Chance, Innovatoren über solche Medien anzusprechen (King, C. W. & Summers, 1971; Summers & King, 1971; Lambert, Z. V.). Unter situationsspezifischen Verhaltensmerkmalen verstehen Mayer und Illmann (2000) „jene Bedingungen (…), unter denen die Zielperson Botschaften empfängt, etwa bei der Tätigkeit als Haufrau, des Autofahrens und ähnlichen Ablenkungen“ (S. 626f). Es ist anzunehmen, dass sie ebenfalls Einfluss auf den Werbewirkungsprozess nehmen. Bisher sind zu solchen Sachverhalten allerdings keine Studien bekannt (a.a.O., S. 626f). Ohnehin stellt sich die Frage, wie ein möglicher Einfluss situationsspezifischer Verhaltensmerkmale auf die Werbewirksamkeit von einem Einfluss des Rezeptionskontextes (vgl. folgender Abschnitt) konzeptionell zu trennen ist. Autofahren beispielsweise ist ein Verhalten mit bestimmten Merkmalen wie Konzentration auf den Straßenverkehr, das Auto ist aber gleichzeitig ein physisches Umfeld mit Merkmalen wie Lärm oder anderen Ablenkungsreizen. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Abgrenzung von Verhalten und Umfeld in einer bestimmten Situation soll hier nicht weiter erörtert werden, da diese Diskussion für die vorliegende Arbeit keine Bedeutung hat. Der Frage nach dem Einfluss der Rezeptionssituation wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. 2.2.3
Rezeptionskontext
In der Literatur wird der Begriff Rezeptionskontext verschieden aufgefasst. Im Wesentlichen handelt es sich um die folgenden Gegebenheiten, die unter Rezeptionskontext subsumiert werden (Coulter, K. S. & Punj, 1999, S. 48; Moorman, 2003, S. 15): • Empfängerkontext zum Zeitpunkt der Kommunikation; dazu gehören - Physisches Umfeld - Soziales Umfeld - Situationsinduzierter emotionaler Zustand • Medienkontext; dazu gehören - Editoriales Umfeld - Kommerzielles Umfeld (advertising clutter) Wie bereits Personenmerkmale werden die aufgeführten Bereiche des Rezeptionskontextes hier als moderierende Einflüsse von Werbewirkungen behandelt, „da diese nicht den primär betrachteten Kausalfaktor für Werbewirkung, die Art der Werbereize, repräsentieren, sondern als Begleitumstände der Wirkungsentfaltung anzusehen sind“ (Steffenhagen, 2000, S. 15).
Grundmodell der Werbewirkung
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Empfängerkontext Das physische Umfeld eines Rezipienten beeinflusst maßgeblich die Aufnahmebereitschaft eines Rezipienten (Krugman, D. M., Cameron & White, 1995; Moorman et al., 2007). Es bietet eine Vielzahl von Gelegenheiten der Ablenkung, und nicht allzu häufig wird ein Individuum in einer realen Rezeptionssituation ungeteilte Aufmerksamkeit auf Werbung richten. Abernethy (1991) fand beispielsweise heraus, dass Radiowerbung im Auto schlechter wahrgenommen wird als zu Hause. Einerseits sind Autofahrer durch den Straßenverkehr häufiger abgelenkt, andererseits wird während Werbepausen der Sender häufiger gewechselt. Es ist zu vermuten, dass alle möglichen Arten physischer Umfeldreize wie Lärm, Helligkeit oder Temperatur Einfluss auf den Werbewirkungsprozess nehmen. Allerdings sind empirische Studien zum Einfluss des physischen Umfeldes rar. Das gilt auch für Untersuchungen über die moderierende Wirkung des sozialen Umfelds. Damit ist die Veränderung von Werbewirkungen durch die Anwesenheit anderer Individuen während des Empfangs einer Werbebotschaft gemeint. Zum einen beeinflusst das soziale ebenso wie das physische Umfeld die Aufnahmebereitschaft für Werbung (Moorman et al., 2007), zum anderen ist aber nicht nur eine Beeinflussung der Aufnahme, sondern auch eine Beeinflussung der Verarbeitung eines Werbereizes denkbar. Psychologische Studien haben den Einfluss des sozialen Umfeldes auf die Verarbeitung von Reizen, die nicht von der sozialen Interaktion selbst ausgehen, bereits mehrfach nachgewiesen (Levine & Resnick, 1993, S. 588ff; Huguet, Galvaing, Monteil & Dumas, 1999). Eine der wenigen Untersuchungen zum Einfluss des sozialen Umfeldes auf Werbewirkungen stammt von D. Henderson-King, E. Henderson-King und Hoffmann (2001). In der Studie hat Werbung mit attraktiven weiblichen Modellen einen negativen Effekt auf die Selbstwahrnehmung von Frauen, wenn ein Mann anwesend ist. Umgekehrt bewerten Männer Werbung mit Darstellungen von Männlichkeits-Stereotypen schlechter, wenn die Werbung in Gegenwart eines männlichen Bekannten anstatt alleine rezipiert wird (Fisher & Dubé, 2005, S. 856f). Puntoni und Tavassoli (2007) weisen einen Einfluss der Gegenwart anderer Menschen auf das semantische Gedächtnis nach: Probanden erinnerten Wörter und Werbespots, die sich mit sozial erwünschten Themen (z.B. Schönheit, Klugheit) beschäftigen, besser, wenn diese in physischer oder imaginärer Gegenwart anderer rezipiert wurden. Lutz (1983; 1985) unterscheidet zwischen drei grundlegenden Rezeptionssituationen: Pretest, Alltag und Kaufentscheidung, die jeweils Einfluss auf die grundlegende Aufnahmebereitschaft für Werbung nehmen sollen. Solche Unterschiede in der Aufnahmebereitschaft für Werbung haben besonders für die Frage nach der externen Validität von Laborexperimenten im Vergleich zu Feldstudien Bedeutung (Moorman et al., 2007). Empirische Untersuchungen zeigen unterschiedliche Wirkungsmuster für Werbung je nachdem, ob eine Werbung in einer
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
klassischen Laborsituation oder im realen Umfeld getestet wird (Lloyd & Clancy, 1991b; Krugman, D. M. et al., 1995; Norris, Colman & Aleixo, 2003; D'Alessio & Allen, 2007; Moorman et al., 2007). Lloyd und Clancy (1991b) beispielsweise zeigen, dass Probanden in einer üblichen Laborumgebung Werbung aufmerksamer beachten als in einer simulierten häuslichen Umgebung. Das könnte zum einen daran liegen, dass Rezipienten in einer realen Umgebung stärker von Umgebungsreizen beeinflusst oder abgelenkt werden (Moorman et al., 2007, S. 125). Zum anderen besteht in einer realen Umgebung ein stärkerer Anreiz, die Aufmerksamkeit aktiv auf andere Dinge als die Werbung zu lenken, z.B. durch Wechsel des Fernsehprogramms oder Beginn einer Konversation (Krugman, D. M. et al., 1995). Diese Möglichkeit, zwischen Werbekonsum und anderen Beschäftigungen zu wählen, wird als selektive Aufnahme (selective exposure) von Werbung bezeichnet. Um ein realistisches Bild von der Wirkung einer bestimmten Werbung zu bekommen, müssen Unterschiede in der selektiven Aufnahme der Werbung zwischen den Testpersonen entweder minimiert oder gemessen werden (Schumann & Thorson, 1990; Norris et al., 2003). Wissenschaftler beschäftigen sich seit langer Zeit intensiv mit der Frage, wie sich die Stimmung eines Rezipienten im Moment des Werbekonsums auf die Wirksamkeit der Werbung auswirkt. In den meisten Fällen jedoch werden dabei Stimmungen untersucht, die vom Medienkontext, also beispielsweise dem Thema eines Zeitschriftenartikels oder einer Fernsehsendung, ausgehen (Goldberg & Gorn, 1987; Batra & Stayman, 1990; Srull, 1990; Mathur & Chattopadhyay, 1991; Chang, 2006). Die Stimmung eines Rezipienten von Werbung kann aber nicht nur vom Medienkontext, sondern auch vom sonstigen Werbeumfeld herrühren (Moorman, 2003, S. 15). Wer beispielsweise nach einem Streit wütend zur Zeitung greift, dürfte anders auf die darin enthaltenen Anzeigen reagieren als jemand, der sich in einer neutralen oder positiven Stimmung befindet. Werbetreibende haben allerdings wenig Einfluss darauf, in welcher vom sonstigen Werbeumfeld beeinflussten Stimmung sie die Empfänger ihrer Werbung antreffen. Eine Unterscheidung zwischen durch Medienkontext und durch das sonstige Umfeld induzierten Stimmungen erscheint daher überflüssig. Die Wirkung verschiedener Stimmungen auf die Verarbeitung von Werbung soll stattdessen im folgenden Abschnitt über den Einfluss des Medienkontextes diskutiert werden. Medienkontext Das editoriale Umfeld von Werbung steht im Mittelpunkt dieser Arbeit. In den Abschnitten 3 und 4 werden umfassende Überlegungen angestellt, welchen Einfluss eine thematische Kongruenz von Werbung und editorialem Umfeld auf den Werbewirkungsprozess haben kann. Das editoriale Umfeld kann aber nicht nur durch Kongruenz mit Werbung deren Wirkung beeinflussen. In vorliegendem Abschnitt soll insbesondere auf solche Umfeldeinflüsse eingegangen werden, die nicht auf eine Kongruenz von Werbung und Kontext zurückgehen.
Grundmodell der Werbewirkung
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Obwohl zu dieser Fragestellung eine große Zahl wissenschaftlicher Arbeiten existiert18, ist der Erforschung von Einflüssen des editorialen Umfeldes ein ausgesprochenes Theoriedefizit zu attestieren. Dem Großteil bisheriger Arbeiten fehlt eine klare theoretische Basis, anhand derer sich Hypothesen ableiten und Varianzen in der Werbewirksamkeit erklären ließen. Das gilt insbesondere für Beiträge zum Einfluss objektiver Kontexteigenschaften (Moorman, 2003, S. 20). Aus diesem Grund und weil allgemeine Umfeldeffekte nicht das Thema der vorliegenden Arbeit sind, unterbleibt hier eine ausführlichere Theoriediskussion. Es sei aber auf die grundsätzlichen Überlegungen der Gestalttheorie hingewiesen, nach denen der Kontext, in dem ein Reiz erscheint, die Interpretation dieses Reizes beeinflusst (Park, C. W. & McClung, 1986, S. 544; Yi, 1991, S. 423). Tabelle 5 gibt einen Überblick über bestehende empirische Untersuchungen zur Wirkung des editorialen Umfeldes. Dabei wird zwischen objektiven und subjektiven Kontexteigenschaften unterschieden. Zu den objektiven Kontexteigenschaften zählt Moorman (2003) stilistische und thematische Gestaltungsmerkmale des editorialen Kontextes. Unter subjektiven Kontexteigenschaften werden dagegen psychologische Reaktionen von Individuen bei Rezeption des Kontextes verstanden. Sie werden weiter unterteilt in Variablen, bei denen es um die Intensität einer Reaktion geht, und solche Variablen, bei denen es um die Valenz einer Reaktion geht.
18 Bei Moorman (2003) findet sich eine umfassende Literaturübersicht und –analyse zum Einfluss des editoria-
len Umfeldes auf den Werbewirkungsprozess. Sie identifiziert auf Basis einer umfangreichen Literatursuche 72 veröffentlichte Studien im Zeitraum von 1963 – 2002. 20 dieser Studien beschäftigen sich mit Kongruenz, die übrigen 52 mit sonstigen Einflüssen des editorialen Kontext.
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Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
Tabelle 5: Untersuchungen zu allgemeinen Kontexteffekten (in Anlehnung an Moorman, 2003; Gunter et al., 2005)
Subjektive Kontextvariablen, Intensität
Objektive Kontextvariablen
Kontextvariable
Studien (Auswahl)
Genre allgemein
Schwerin, 1958; Aaker, David A. & Brown, 1972; Wise et al., 1975; Appel, 1987; Kaid et al., 1992; Gunter et al., 1994; Munzinger, 1996; Gunter et al., 1997; Appel, 2000; Jun et al., 2003
Prestige-Level
Freiden, 1982
Humor
Murphy et al., 1979; Cantor & Venus, 1980; Weinberger & Gulas, 1992; Perry et al., 1997; Furnham et al., 1998; Furnham & Mori, 2003
Gewalt
Prasad & Smith, 1994; Bushman, 1998; Gunter et al., 2001; Bushman & Bonacci, 2002; Droulers & Roullet, 2004; Gunter et al., 2005
Erotik
Bello et al., 1983; Bushman & Bonacci, 2002; Parker, E. & Furnham, 2007
Zeichentrick (TV)
Gunter et al., 2002
Involvement/ Ich-Beteiligung
Bryant & Comisky, 1978; Soldow & Principe, 1981; Park, C. W. & McClung, 1986; Thorson & Reeves, 1986; Lord & Burnkrant, 1988; Lloyd & Clancy, 1991a, 1991b; Anand, Punam & Sternthal, 1992; Norris & Colman, 1992; Lord & Burnkrant, 1993; Norris & Colman, 1993; Byfield & Read, 1994; Feltham & Arnold, 1994; Gunter et al., 1994; Lord et al., 1994; Coulter, Keith S. & Sewall, 1995; Starr & Lowe, 1995; Tavassoli et al., 1995; Lord & Putrevu, 1996; Norris & Colman, 1996; Gunter et al., 1997; Furnham et al., 1998; Newell et al., 2001; Furnham, Gunter et al., 2002; Gunter et al., 2002; Furnham & Mori, 2003; Cunningham et al., 2006; Zhang & Zinkhan, 2006; Moorman et al., 2007
Erregung (arousal)
Bryant & Comisky, 1978; Mattes & Cantor, 1982; Singh & Churchill, 1987; Pavelchak et al., 1988; Mundorf et al., 1991; Broach et al., 1995; Newell et al., 2001; Shapiro et al., 2002
Aufregung (excitement)
Singh & Hitch, 1989
Verstörung (emotional disturbance)
Mundorf et al., 1991
Spannung (suspense) Kennedy, 1971
Subjektive Kontextvariablen, Valenz
Grundmodell der Werbewirkung
45
Kontextvariable
Studien (Auswahl)
Stimmung, Emotion (ungerichtet, positiv oder negativ)
Batra & Holbrook, 1990; Mathur & Chattopadhyay, 1991; France & Shah, 1994; France & Park, 1997; Aylesworth & MacKenzie, 1998; Mattenklott, 1998; Silberer, 1999; Lord et al., 2001; Gierl, 2002; Shapiro et al., 2002
Gefühle (gerichtet)
Axelrod, 1963; Goldberg & Gorn, 1987; Yi, 1990a ; Kamins et al., 1991; Murry Jr. et al., 1992; Lord et al., 1994
Einstellungen, (Wohl-) Gefallen, (attitude, liking, enjoyment, pleasure)
Clancy & Kweskin, 1971; Twyman, 1974; Priemer, 1983; Schumann, 1986; Thorson & Reeves, 1986; Schumann & Thorson, 1990; Murry Jr. et al., 1992; Norris & Colman, 1994; Coulter, K. S., 1998
Die empirischen Befunde der verschiedenen Beiträge sind sehr uneinheitlich und teilweise widersprüchlich (Norris et al., 2003, S. 593). Folgende Erkenntnisse zum Einfluss objektiver Kontextvariablen konnten wiederholt bestätigt werden und lassen sich somit als relativ gesichert festhalten: • Werbung in Spartenmedien verbessert Ab gegenüber Werbung in allgemeinen Medien, weil Spartenmedien eine größere Glaubwürdigkeit attestiert wird (Aaker, David A. & Brown, 1972; Jun et al., 2003). • Ein humorvolles Umfeld verschlechtert Werbeerinnerung (Perry et al., 1997; Furnham et al., 1998). • Gewaltdarstellungen im Umfeld verschlechtern Werbeerinnerung (Prasad & Smith, 1994; Bushman, 1998; Bushman & Bonacci, 2002; Droulers & Roullet, 2004). • Kontrovers-sexuelle Inhalte im Umfeld verschlechtern Werbeerinnerung, Ab und Kaufabsicht (Bello et al., 1983; Bushman & Bonacci, 2002; Parker, E. & Furnham, 2007). Zum Einfluss subjektiver Kontextvariablen geben bisherige empirische Studien ebenfalls kein klares Bild ab, auch wenn die Beiträge zu diesem Themenfeld im Gegensatz zu Untersuchungen zu objektiven Kontexteigenschaften stärker theoretisch fundiert sind. Im Mittelpunkt der Studien zur Intensität subjektiver Reaktionen auf die Gestaltung des Kontextes steht das Involvement-Konstrukt (siehe auch Abschnitt 2.2.2). Hier existieren gegensätzliche Theorien (vgl. für eine ausführliche Theoriediskussion und Literaturübersicht zum KontextInvolvement Moorman et al., 2007). Nach der „klassischen“ Vorstellung begrenzt starkes Involvement gegenüber dem Kontext die kognitiven Ressourcen, die für die Verarbeitung von Werbereizen zur Verfügung stehen. Werbeaufmerksamkeit und damit Erinnerungen an eine Werbung verschlechtern sich (Bryant & Comisky, 1978; Lord & Burnkrant, 1988; Pavelchak et al., 1988; Norris & Colman, 1993; Feltham & Arnold, 1994). Im Widerspruch dazu steht
46
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
die so genannte Carry-Over-Hypothese. Nach dieser soll sich ein hohes Kontext-Involvement auf den Werbekonsum übertragen, so dass Werbung in stark involvierendem Kontext besser erinnert wird (Krugman, H. E., 1983; Lloyd & Clancy, 1991a; Lord & Putrevu, 1996; Moorman et al., 2007). Tavassoli, Shultz und Fitzsimons (1995) schlagen eine Möglichkeit zur Konsolidierung der widersprüchlichen Theorien vor, indem sie den Einfluss von KontextInvolvement in Form eines umgekehrten „U“ modellieren: Moderates Involvement führt nach ihrer Meinung zu den höchsten Erinnerungswerten. Moorman, Neijens und Smit (2007) weisen auf die großen methodischen Differenzen zwischen den verschiedenen Untersuchungen hin. Insbesondere Laborexperimente, in denen die Aufmerksamkeit für Werbung unnatürlich hoch ist, scheinen ungeeignet, mehr über den tatsächlichen Einfluss von Kontext-Involvement zu erfahren. Ein großer Teil bisheriger Untersuchungen konnte einen signifikanten Einfluss von Kontext-Involvement nachweisen; das deutet auf die Bedeutung dieser Variable für den Werbewirkungsprozess hin. Allerdings sind Beiträge, die bisherige Studien replizieren, notwendig, um eindeutigere Aussagen zur Richtung des Einflusses treffen zu können (a.a.O., S. 135). Ein Einfluss kontextinduzierter Stimmungen und positiver Gefühle auf die Einstellung gegenüber einer Werbung (Aad) und dem Werbeobjekte (Ab) wurde dagegen mehrfach nachgewiesen. Nach dem Stimmungs-Kongruenz-Modell von Kamins et al. (1991) wird ein Stimmungszustand, der durch eine Kommunikation hervorgerufen wird, später auch mit den im Rahmen der Kommunikation vermittelten Informationen assoziiert. Eine vom Kontext hervorgerufene positive Stimmung zieht folglich positive Assoziationen im Zusammenhang mit eingebetteter Werbung nach sich – unabhängig von der durch die Werbung hervorgerufenen Stimmung. Empirische Studien belegen diesen Zusammenhang. Kontextinduzierte positive Stimmungen und Gefühle verbessern Aad und Ab (Mathur & Chattopadhyay, 1991; Murry Jr. et al., 1992; Norris & Colman, 1996; Aylesworth & MacKenzie, 1998; Coulter, K. S., 1998; De Pelsmacker, Geuens & Anckaert, 2002). Ein Einfluss auf Werbeerinnerungen konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden (Moorman, 2003). Die wenigen gesicherten und ansonsten meist widersprüchlichen Ergebnisse zum Einfluss des editorialen Kontextes dürften zum einen auf eine große Zahl relevanter Einflussvariablen, zum anderen auf deren teilweise sehr unterschiedliche Operationalisierung zurückzuführen sein. Auch Unterschiede in den Untersuchungsdesigns und eine schwankende Intensität der experimentellen Variation dürften widersprüchliche Aussagen begründen (Gierl, 2002, S. 171; Moorman et al., 2002, S. 28). In jedem Fall drängt sich der Verdacht auf, das editoriale Umfeld könnte nur einen relativ geringen Einfluss auf die Werbewirkung nehmen, so dass eine bestimmte Reizstärke notwendig ist, um einen messbaren Effekt zu erzielen (vgl. auch die Studie der Mediagruppe München, n.d.).
Zusammenfassung und Implikationen für diese Untersuchung
47
Nicht nur der editoriale Kontext, sondern auch andere Werbungen (advertising clutter) können die Wirkung einer betrachteten Werbung beeinflussen. Ein solcher Einfluss des kommerziellen Umfeldes soll im Folgenden überblickartig diskutiert werden. Für eine umfassende Darstellung zur Wechselwirkung mehrerer Werbungen sei auf die Ausführungen bei Steffenhagen (2000, S. 177ff) verwiesen. Zum Einfluss des kommerziellen Umfeldes auf die Werbewirkung existieren konkurrierende Theorieansätze. Aus interferenztheoretischen Konzepten wird ein negativer Einfluss von Konkurrenzwerbung auf die Gedächtnisleistung für eine bestimmte Werbung abgeleitet. Dies ist als Kompensationseffekt bekannt. Umgekehrt wird von einem Partizipationseffekt gesprochen, wenn eine Werbung positiv auf Konkurrenzprodukte „abfärbt“. Dieser Effekt lässt sich durch einschlägige Gedächtnis- und Informationsverarbeitungstheorien erklären. Unter anderem spiegelt er Erkenntnisse zum beiläufigen Lernen wider. Wird aus einer Werbung für Coca-Cola beispielsweise nur das Wort „Cola“ wahrgenommen, so könnte ein Rezipient fälschlicherweise meinen, es handele sich um eine Werbung für Pepsi-Cola (Steffenhagen, 2000, S. 177ff). Empirische Untersuchungen bestätigen die Koexistenz von Kompensations- und Partizipationseffekt: Je stärker eine Werbung mit anderen gehäuft auftritt, desto schlechter wird sie erinnert und bewertet; der Effekt verstärkt sich, wenn es sich um eine Häufung von Werbungen für die gleiche Produktkategorie handelt (Burke, R. R. & Srull, 1988; Keller, 1991; Kent, 1993, 1995; Zhao, 1997). Dieser Effekt kann so stark werden, dass er den Einfluss einzelner Elemente des Werbereizes, beispielsweise Gestaltung, Länge oder Anzahl an Wiederholungen, übersteigt (Zhao, 1997, S. 57). Er kann vermieden werden, indem eine Werbung über den Lauf einer Kampagne in unterschiedlichen Ausführungen präsentiert wird (Unnava & Sirdeshmukh, 1994, S. 410). Andererseits konnte gezeigt werden, dass bei unvollständiger Verarbeitung einer Werbebotschaft auch andere Marken profitieren können, sofern sie über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen (Brosius & Fahr, 1996). 2.3
Zusammenfassung und Implikationen für diese Untersuchung
In den Anfängen der modernen Werbewirkungsforschung bemühte man sich noch darum, eine geschlossene Gruppe von Wirkungskomponenten zu identifizieren und mit deren Hilfe feste Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Werbereiz und Werbewirkung zu definieren (vgl. Abschnitt 3.1). Diese Modellansätze konnten einer empirischen Überprüfung nicht standhalten (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 612). Die Komplexität menschlicher Kommunikation macht eine abschließende Auflistung aller Einflussfaktoren einer Kommunikationswirkung nahezu unmöglich; gleiches gilt für die eindeutige Zuordnung und Abgrenzung von Ursachen und Wirkungen bei der Aufstellung eines Werbewirksamkeitsmodells
48
Grundbegriffe und Einflussgrößen in der Untersuchung von Werbewirkungen
(Niepmann, 1999, S. 5f). Die moderne Werbewirkungsforschung begegnet diesem Problem, indem Theoriemodelle bewusst nur einen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum werblicher Kommunikation beleuchten (Niepmann, 1999, S. 5f). Untersuchungsgegenstand sind Teilwirkungen zwischen Werbereiz und Werbewirkung, an denen in Abhängigkeit der jeweils untersuchten Situation eine abgrenzbare Gruppe von Wirkungskomponenten beteiligt ist. Dennoch ist für eine empirische Validierung solcher Teilwirkungen stets die Gesamtheit aller Wirkungskomponenten relevant: Wirkungskomponenten, die an einer untersuchten UrsacheWirkungs-Beziehung nicht explizit beteiligt sind, müssen entweder kontrolliert werden oder ihr Einfluss muss – zumindest in der Theorie – klar ausgeschlossen sein. Es wurden nun relevante Wirkungskomponenten dargelegt und theoretische Überlegungen zu deren möglicher Rolle im Werbewirkungsprozess angestellt. Im Folgenden sollen Modellansätze diskutiert werden, mit deren Hilfe Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den verschiedenen Wirkungskomponenten dargestellt werden können.
3.
Modellierung von Werbewirkungen „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“ Albert Einstein19
3.1
Grundlagen
Unabhängig von der zugrunde liegenden Theoriesicht ist es stets das Ziel der Werbewirkungsforschung gewesen, der Werbepraxis entscheidungsrelevante Erkenntnisse zu liefern (Cramphorn, 2004). Bei einem Vergleich zwischen State-of-the-Art in Wissenschaft und Praxis fällt jedoch eine nicht unerhebliche Diskrepanz auf. Viele Sichtweisen, die von der Wissenschaft bereits seit langem als überholt angesehen werden, haben sich in der Praxis erhalten oder sogar noch an Bedeutung gewonnen. Die Auffassung beispielsweise, die Rezeption einer Werbung („Kontakt“) sei für sich genommen bereits ein valider Indikator ihrer Wirksamkeit, ist bei heutigen Werbetreibenden nach wie vor weit verbreitet. Davon zeugt unter anderem der Stellenwert, der Rezeptionsmaßen wie Reichweite oder Sehbeteiligung bis heute bei der Werbeerfolgskontrolle zukommt; immer noch richten Werbevermarkter ihre Preise für Werbeplatz hauptsächlich nach dessen angenommener Reichweite, also der Anzahl Individuen, die eine Werbung potenziell sehen (IP Deutschland, 2006). Auch seitens der Mediaplaner in Unternehmen spielt bis heute die Qualität eines Werbekontaktes eine eher untergeordnete Rolle (Kloss, 2007, S. 25). Durch die nachfolgende Aufarbeitung und Diskussion verschiedener Modellansätze soll Wissenschaftlern, aber auch kommerziellen Werbeforschern ein Überblick über den Stand der Wirkungsforschung ermöglicht werden. Es soll außerdem ein Beitrag zur weiteren Verbreitung und Akzeptanz aktueller Erkenntnisse in künftigen Forschungsarbeiten geliefert werden. Nicht zuletzt soll eine geeignete theoretische Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfrage geschaffen werden. 3.1.1
Historische Entwicklung der Werbewirkungsforschung
Vermutlich haben sich Werbetreibende seit der Zeit, in der das erste Mal für ein Produkt oder eine Dienstleistung geworben wurde, darum bemüht, den Erfolg ihrer Werbemaßnahmen
19 Zitiert nach Kast, B. (2006). Ich fühle, also bin ich. Die Zeit Wissen, 02/2006, Hamburg: Zeitverlag Gerd
Bucerius, S. 4.
50
Modellierung von Werbewirkungen
nachzuweisen. Die Anfänge der heutigen wissenschaftlich begründeten Werbewirkungsforschung werden allerdings gemeinhin zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesehen (vgl. für einen Überblick über die Geschichte der Werbewirkungsforschung auch Vakratsas & Ambler, 1999, S. 26ff; Bongard, 2002, S. 11ff). In ihren frühen Jahren war die Wirkungsforschung vorrangig von einem deterministisch geprägten Werbebegriff dominiert: Die Rezeption werblicher Kommunikation wurde nicht selten mit deren Wirkung gleichgesetzt. Die Wissenschaft konzentrierte sich folglich auf den Nachweis, ob eine Rezeption stattgefunden hat. Eine Untersuchung von Wirkungen dieser Rezeption im heutigen Sinne, zum Beispiel eines Einflusses auf das Kaufverhalten, fand zumeist nicht statt. Zeugnis dieser Forschung ist unter anderem die Entwicklung der bekannten Starch-Scores (Starch, 1926), mit deren Hilfe ermittelt werden soll, wie viele Konsumenten eine Werbebotschaft rezipiert haben (Bongard, 2002, S. 12). Das Paradigma „Rezeption gleich Wirkung“ konnte sich in wissenschaftlichen Abhandlungen zur Wirkung werblicher Kommunikation nicht lange halten. Schnell setzte sich die Überzeugung durch, eine mehr oder weniger große Zahl von Faktoren wirke quasi als Filter für die Entfaltung der Werbewirkung (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 27). Die Grundlage hierfür war bereits 1898 mit der Formulierung des so genannten AIDA-Modells gelegt worden.20 Das Modell bemüht sich um eine Erklärung der mentalen Vorgänge zwischen Rezeption einer Botschaft und Kaufakt. Es stellt den Ursprung einer Modellfamilie dar, die allgemein unter dem Begriff „Hierarchiemodelle“ zusammengefasst werden kann. Diesen Modellen ist ein hierarchisch strukturierter Wirkungsprozess gemein, der in Kaufabsicht oder Kaufakt endet. Die erste Generation dieser Prozessmodelle ging davon aus, Werbung bewege allein durch die in ihr enthaltenen Informationen zu einem bestimmten Verhalten. Emotionen oder Gefühle als Reaktion auf Werbung spielten nur eine untergeordnete Rolle. Auch bereits vorhandene Erfahrungen mit der Nutzung des beworbenen Produktes wurden in den Modellen nicht berücksichtigt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 28). Nachdem erkannt worden war, dass nicht die Botschaft allein, sondern auch die persönliche Prädisposition des Rezipienten einen wichtigen Einfluss auf die Werbewirkung ausüben, kam es zu einer Erweiterung der Modelle mit nur einem Wirkungspfad. Den Grundstein legte dabei das Elaboration-Likelihood-Modell (ELM)
20 AIDA steht für „attention“, „interest“, „desire“ und „action“. Die Worte beschreiben die vier Bewusstseins-
zustände, die ein Individuum nach der modellinhärenten Annahme durchlaufen muss, bevor es zu einem Kauf kommt (Strong, 1925, S. 76). Obwohl sich das Modell ursprünglich auf den Ablauf von Verkaufsgesprächen bezog (Strong, 1925, S. 75ff), wird es heute üblicherweise zu den Werbewirkungsmodellen gezählt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 26; Bongard, 2002, S. 211; Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 612).
Grundlagen
51
mit seinen zwei parallelen Wirkungspfaden (Petty, Cacioppo & Schumann, 1983; Petty & Cacioppo, 1986). Eine Werbebotschaft kann nach der Erkenntnis des ELM explizit oder peripher verarbeitet werden. Je nach Verarbeitungsroute rücken bestimmte Elemente der Botschaft in den Vordergrund. Eine wichtige Rolle bei der „Wahl“ der Route spielt das Involvement des Rezipienten. Mit ihrer Grundidee, die Werbewirkung über das Involvement-Konstrukt in Relation zum Rezipienten zu setzen (Bongard, 2002, S. 293), bilden das ELM und verwandte Ansätze bis heute die theoretische Grundlage für viele wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Werbewirksamkeit (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 33). Hierfür dürfte nicht zuletzt die vielfältige empirische Evidenz für die Existenz der in den Modellen beschriebenen alternativen Verarbeitungsrouten liegen (ebd.). Empirische Befunde jedoch hatten bereits in den 1970er und 80er Jahren gezeigt, dass Emotionen und Gefühle mitunter völlig unabhängig und sogar stärker auf den Kaufakt wirken können als kognitive Reaktionen (Winter, 1973; Olson & Dover, 1979; Smith & Swinyard, 1983; Marks & Kamins, 1988; Smith & Swinyard, 1988; Tellis, 1988; Smith, 1993; Deighton, Henderson & Neslin). Dies zog zunächst eine Reihe neuer Prozessmodelle nach sich, in denen einerseits die bisherige Abfolge KognitionÆAffekt umgekehrt wurde und andererseits der Faktor Produkterfahrung einbezogen wurde. Neurobiologische Erkenntnisse über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns brachten eine neue Sichtweise hervor. Sie hält Modellierungsansätze, die von hierarchischen Prozessen ausgehen, für unzutreffend. Werbung ist nach dieser Sichtweise ein Baustein in einer ganzheitlichen Wahrnehmung eines Werbeobjektes, z.B. einer Marke; kognitive und affektive Verarbeitungsprozesse laufen gleichzeitig und in gegenseitiger Interaktion ab, ohne dass ein Prozess dem anderen hierarchisch übergeordnet wäre (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 35). Die Komplexität in der Modellierung, die aus dieser Sichtweise hervorgeht, führt zwangsweise zu Problemen in der empirischen Validierung. Empirische Evidenz in diesem Bereich ist bisher weitgehend erfahrungsbasiert (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 34f). Dennoch scheint diese Sichtweise am ehesten der komplexen Funktionsweise menschlicher Hirnaktivitäten Rechnung zu tragen (vgl. Abschnitte 3.3 und 3.4). 3.1.2
Klassifikation von Werbewirkungsmodellen
Die Komplexität der Wirkungsmechanismen werblicher Kommunikation hat zu einer großen Zahl unterschiedlicher Modellierungsansätze geführt. Während einige Ansätze eine Ergänzung oder Weiterentwicklung ihrer Vorgänger darstellen, existieren andere parallel zueinander und sind das Ergebnis unterschiedlicher Blickwinkel oder Grundannahmen. Immer wieder haben sich wissenschaftliche Autoren daher bemüht, das „Dickicht“ verschiedener Modellierungsansätze zu durchforsten und zu ordnen.
52
Modellierung von Werbewirkungen
Als Ordnungskriterium für die Entwicklung einer Klassifikation von Werbewirkungsmodellen lässt sich beispielsweise der Komplexitätsgrad des jeweiligen Modells heranziehen. In diesem Sinne unterscheidet Prochazka (1987) wie folgt: • Klassische Stufenmodelle: AIDA-Modell und dessen Weiterentwicklungen • Erweiterte Stufenmodelle: Hierarchische Modelle, die sich durch Einbindung von Erkenntnissen der Informationsverarbeitungstheorie auszeichnen • Modelle höheren Komplexitätsgrades: Modelle, die neben Werbung weitere Faktoren zur Erklärung des Kaufverhaltens einbinden Aus einer solchen Einteilung lässt sich nichts über inhaltliche Relationen innerhalb einzelner Modellgruppen ablesen. Die Beurteilung der Komplexität eines Modells erscheint außerdem subjektiv, solange sie nicht den jeweiligen forschungsgeschichtlichen Hintergrund (vgl. Abschnitt 3.1) berücksichtigt. Behrens (1976) unternimmt aus diesem Grund eine Klassifizierung anhand von Forschungstraditionen: • Behavioristische und neobehavioristische Ansätze: Modelle, die von dem Reiz- Reaktionoder vom Reiz-Organismus-Reaktion-Gedanken geprägt sind • Kognitive Ansätze: Modelle, die sich mit der Verarbeitung und Speicherung von Informationen im menschlichen Gehirn beschäftigen und üblicherweise in der Tradition von Lern, Wahrnehmungs- und Gedächtnisforschung stehen • Kommunikationstheoretische Ansätze: Modelle, die möglichst umfassend die ursächlichen Faktoren der verhaltensbeeinflussenden Wirkung von Werbung einzubeziehen versuchen; dabei integrieren diese Ansätze die beiden vorhergehenden Sichtweisen Eine forschungshistorisch motivierte Klassifikation findet sich auch bei Bongard (2002, S. 160ff), der folgende Einteilung vornimmt: • Stimulus-Response-Modelle: (Behavioristische) Modelle, die von dem Reiz-ReaktionGedanken geprägt sind • Stufenmodelle: (Neobehavioristische) Modelle, die dem Reiz-Organismus-ReaktionAnsatz entsprechen • Relationale Ansätze: Modelle, bei denen der Verlauf der Kommunikationswirkung durch externen Kontext (Kommunikationsumfeld) und internen Kontext (Prädisposition des Rezipienten gegenüber der Werbung) bestimmt wird
Grundlagen
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• Komplexe Kaufverhaltensmodelle: Modelle, die neben Werbung auch sozialen Kontext sowie weitere das Kaufverhalten beeinflussende Faktoren berücksichtigen Eine Klassifikation von Modellen durch Zuordnung zu ihren jeweiligen Forschungsrichtungen erscheint grundsätzlich sinnvoll. Allerdings lässt sie ebenso wie eine Ordnung nach dem Komplexitätsgrad keine direkten Rückschlüsse über inhaltliche Verwandtschaft von Modellen zu. Dadurch wird es nicht möglich, in ihren grundsätzlichen Sichtweisen ähnliche Ansätze unterschiedlicher Forschungsrichtungen zu erkennen und zusammenzuführen. Relationale Ansätze wie das Elaboration-Likelihood-Modell, die bei Bongard eine eigene Kategorie darstellen, unterscheiden sich in ihrer inhaltlichen Sichtweise nur wenig von Stufenmodellen; in beiden Fällen werden Werbewirkungen anhand hierarchisch aufgebauter Prozessketten modelliert, wobei eine kognitive Verarbeitung von Werbereizen den Ausgangspunkt bildet. Um die Aussagekraft ihrer Taxonomie zu erhöhen, kombinieren Vakratsas und Ambler (1999) forschungshistorische Aspekte mit einer weiteren Unterteilung anhand inhaltlicher Zusammenhänge: • Marktreaktionsmodelle: Diese Kategorie entspricht den in anderen Klassifikationen als behavioristische oder Reiz-Reaktion-Modelle bezeichneten Ansätzen • Modelle kognitiver Informationsverarbeitung (cognitive information models): Modelle, in denen die Wirkung einer Werbung allein von deren kognitiver Verarbeitung bestimmt wird • Modelle affektiver Reaktionen (pure affect models): Modelle, in denen die Wirkung einer Werbung allein von affektiven Reaktionen beeinflusst wird • Stufenmodelle (persuasive hierarchy): Modelle, in denen Werbewirkung von deren Fähigkeit zur Informationsvermittlung und anschließenden affektiven Reaktionen abhängt • Low-involvement-Stufenmodelle: Modelle, in denen Werbewirkung vornehmlich von Vorab-Erfahrungen mit dem Werbeobjekt abhängen und Informationsvermittlung sowie affektive Reaktionen eine untergeordnete Rolle spielen • Integrative Modelle: Modelle, die Stufenmodelle und Low-involvement-Stufenmodelle zu integrieren suchen, indem sie die Dominanz des einen oder anderen Ansatzes von weiteren Einflussfaktoren abhängig machen • Hierarchiefreie Modelle: Modelle ohne feste Wirkungshierarchien, in denen Kognition und Affekt auch gleichzeitig und unabhängig voneinander wirken können
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Modellierung von Werbewirkungen
In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob thematisch zum Medienkontext kongruente Werbung wirksamer ist als nicht kongruente. Um ein entsprechendes Wirkungsmodell aufstellen zu können, soll zunächst ein Überblick über den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs zur Modellierung von Werbewirkungen geboten werden. Hierfür werden im Folgenden bestehende Modelle vorgestellt sowie anhand von Erkenntnissen aus der empirischen Forschung diskutiert und verglichen. Die Systematisierung von Vakratsas und Ambler anhand inhaltlicher Kriterien erscheint hierfür besonders praktikabel. Sie bildet daher die Grundlage der folgenden Ausführungen. 3.2
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
Es fällt nicht schwer, die Wirkung einzelner Werbungen auf ausgewählte Wirkungsmaße nachzuweisen. Als problematisch erweist sich jedoch regelmäßig die Verallgemeinerung der gewonnenen Erkenntnisse. Ein Werbereiz kann theoretisch durch eine nahezu unendliche Zahl von Parametern beschrieben werden, die nur durch die gestalterischen Möglichkeiten begrenzt wird. Werbewirkungsmodelle versuchen, die Vielzahl möglicher Parameter handhabbar zu machen. Niepmann (1999) schreibt hierzu: „(…) Den Schluß zu ziehen, dass jegliche Theoriediskussion über Werbung überflüssig sei und man sich damit bescheiden möge, sie als Kunsthandwerk (‚craft’) zu sehen, ist ein Kurzschluß. Wir sollten uns davor hüten, vor der Komplexität der Wirkungsbedingungen von Werbung in den heutigen Märkten die Augen zu verschließen und stattdessen uns die Welt einfach und überschaubar zurechtzuwünschen. Angesichts der immer komplizierter werdenden Wettbewerbssituation in vielen Märkten erwarten Kunden von ihren Agenturen, daß sie die Wirkungsmöglichkeiten der klassischen Kommunikationsmittel ständig kritisch prüfen und sie mit einer Vielfalt alternativer Kommunikationsmöglichkeiten zu neuen integrierten Strategien bündeln. (…) Es besteht immer noch eine weit verbreitete Haltung in Agenturen und Marketingabteilungen, die sich angesichts der neuen Herausforderungen der Märkte schnell als inhaltslose Rhetorik erweisen. Denn: Wie will man den Anforderungen der Markenführung mit Hilfe von integrierter Kommunikation nachkommen, wenn man auf die Einsicht verzichtet, wie und unter welchen Bedingungen die klassische Werbung funktioniert?“ (S. 5f) Seit über hundert Jahren bemüht sich die Wissenschaft, ein theoretisches Verständnis von Wirkungen werblicher Kommunikation zu entwickeln. Diese Bemühungen werden in den folgenden Ausführungen nachgezeichnet, um schließlich zu einem für die vorliegende Fragestellung passenden Theorieverständnis zu gelangen.
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung 3.2.1
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Marktreaktionsmodelle und Single-Source-Forschung
Marktreaktionsmodelle stehen in der Tradition des Behaviorismus. Sie beschränken sich auf eine Untersuchung der Beziehung zwischen Werbereizen und externen, beobachtbaren Maßen des Werbeerfolges wie beispielsweise Absatz, Markenbekanntheit oder Image. Psychologische Konstrukte und Prozesse, die zwischen Reiz und Reaktion liegen könnten, werden ausgeklammert (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 28f; Bongard, 2002, S. 171ff). Grundlage dieser Betrachtungsweise ist der Reiz-Reaktion-Ansatz, der mit Erkenntnissen der elementaren empirischen Lerntheorien verbunden ist (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 334). Es wird von einer direkten Beziehung zwischen einem Reiz und der dazugehörigen Verhaltensreaktion ausgegangen. Betrachtet man zwei oder mehr zeitlich aufeinander folgende Reiz-Reaktions-Kombinationen, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten: Gleiche Reize können jeweils unterschiedliche oder gleiche Reaktionen provozieren. Ebenso können unterschiedliche Reize jeweils gleiche oder unterschiedliche Reaktionen provozieren. Jede Konstellation tritt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein. Die Lerntheorie geht von einem probabilistischen Zusammenhang aus: Durch Lernen wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass auf einen bestimmten Reiz stets die gleiche Reaktion folgt (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 327). Lernen führt außerdem zu Generalisierung, der Übertragung gelernter ReizReaktions-Kombinationen auf ähnliche Situationen. Es kann zur Stimulusgeneralisierung kommen, bei der ähnliche Reize gleiche Reaktionen herbeiführen. Bei der Reaktionsgeneralisierung führen gleich Reize zu ähnlichen Reaktionen, weil z.B. die gelernte spezifische Reaktion ad hoc nicht möglich ist (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 327ff). Der Reiz-Reaktion-Ansatz wurde bereits frühzeitig auf die Werbewirkungsforschung übertragen. Werbung gilt dabei als Mittel, um beim Konsumenten Lerneffekte hinsichtlich seines Kaufverhaltens zu erzielen. Findet ein Kontakt des Konsumenten mit der Werbebotschaft in ausreichendem Umfang statt, so erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass er auf eine bestimmte Art und Weise, nämlich mit einem Kauf, reagiert. Das zentrale Ziel von Marktreaktionsmodellen ist die Aufstellung einer Reaktionsfunktion, mit deren Hilfe sich Werbeerfolg vorhersagen lässt (Hanssens, Dominique M., Leeflang & Wittink, 2005). Im Mittelpunkt steht die Ermittlung der Werbeelastizität, also des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen quantifizierten Werbemaßnahmen und Werbeerfolg, gemessen beispielsweise anhand von Absatz- oder Umsatzsteigerungen. Bisherige Studien haben eine Werbeelastizität zwischen 0 % und 20 % ermittelt (z.B. Lodish et al., 1995). Elastizitäten hängen beispielsweise von Branche, Art der Werbung, Status im Produktlebenszyklus u. ä. ab (Leone & Schultz, 1980; Assmus, Farley & Lehmann, 1984; Givon & Horsky, 1990; Sethuraman & Tellis, 1991; Lodish et al., 1995; Parker, P. M. & Gatignon, 1996; Narayanan, Man-
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Modellierung von Werbewirkungen
chanda & Chintagunta, 2005). Anhand von Marktreaktionsmodellen konnte außerdem gezeigt werden, dass Gewohnheit und Loyalität die Kaufentscheidung sehr viel stärker beeinflussen als Werbung und dass 90 % des Einflusses einer Werbung nach drei bis fünfzehn Monaten nicht mehr nachweisbar ist (Clarke, 1976; Assmus et al., 1984; Givon & Horsky, 1990; Leone, 1995). Außerdem sinkt die Effektivität mit jedem wiederholten Werbekontakt. Der erste Kontakt wirkt am stärksten; nach dem dritten Kontakt sollten sich Werbetreibende auf Neukontakte konzentrieren (McDonald, 1971; Tellis, 1988; Pedrick & Zufryden, 1991; Deighton et al., 1994). Anhand eines Marktreaktionsmodells zeigen Iyer, Soberman und Villas-Boas (2005): Je genauer Werbung die jeweilige Zielgruppe erreicht, desto stärker der umsatzsteigernde Effekt der Werbung. Eine besondere methodische Ausprägung fanden behavioristisch motivierte Modellierungsansätze der Werbewirkung in der so genannten Single-Source-Forschung. Sie geht auf die experimentellen Untersuchungen von MacDonald (1969) zurück. Kern der Single-SourceForschung ist eine haushaltsindividuelle Erfassung von empfangener Werbung und getätigten Käufen. Empfangene Werbung ist die Art und Menge an Werbung, der ein Haushalt potenziell ausgesetzt war. Sie wird erfasst, indem das Fernsehverhalten eines Haushaltes z.B. anhand von Quotenmetern aufgezeichnet und mit einer Aufstellung der gesendeten Werbung je Uhrzeit und Sender zusammengeführt wird. Getätigte Käufe werden durch Auswertung von Scannerdaten des Handels z.B. über Kundenkarten, Kassenbons oder manuell geführte Listen erfasst (McDonald, 1969, 1995). Single-Source-Studien konzentrieren sich auf die Mediaplanung als Einflussfaktor von Werbeerfolg. Sie versuchen Absatz- oder Umsatzsteigerungen auf bestimmte Konstellationen von Reichweite sowie Anzahl und Frequenz von Kontakten zurückzuführen (Eskin, 1985; Pedrick & Zufryden, 1991; Fitzgerald, 2004). Auch Uhrzeit und Ort wurden in Marktreaktionsmodelle einbezogen und mit der Single-Source-Methodik untersucht (Abe, 1997; Tellis, Chandy & Thaivanich, 2000). Ergebnis dieser Untersuchungen sind Vorhersagemodelle und quantifizierte Elastizitäten. Mit Hilfe mathematischer Optimierung können daraus effiziente Mediapläne für geplante Werbekampagnen erarbeitet werden. Allerdings sind der Single-SourceForschung enge Grenzen gesetzt, denn ihnen liegt die Annahme von Monokausalität der jeweils einbezogenen Faktorengruppe zugrunde. Sie lässt sich auch nur für schnelllebige Konsumgüter anwenden, weil bei langfristigeren Entscheidungsprozessen der direkte Bezug zwischen Werbung und kommerziellem Erfolg kaum mehr hergestellt werden kann (Bongard, 2002, S. 207). Am Beispiel der Single-Source-Methodik wird außerdem ein bedeutender Kritikpunkt an den behavioristischen Modellierungsansätzen klar: Durch mangelnde Betrachtung psychologischer Variablen ist der Erklärungsgehalt der Modelle beschränkt, denn es werden lediglich
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
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Aussagen darüber getroffen, dass eine bestimmte Art oder Menge an Werbung auf eine gewisse Weise wirkt, nicht aber warum. Den Modellierungsansätzen liegt ein „Black-BoxDenken“ (Bongard, 2002, S. 176) zugrunde, das keinerlei Wert auf die Erforschung von intrapersonellen Differenzen bei Wahrnehmung und Interpretation von Werbebotschaften legt. Der Komplexität von Kommunikation und ihren Wirkungen werden diese Ansätze nicht gerecht. Die entwickelten Modelle können jeweils nur einen kleinen Ausschnitt beleuchten oder stellen Einflussfaktoren auf einem Aggregationsniveau dar, welches management-relevante Aussagen nur begrenzt zulässt.21 Trotz dieser Kritikpunkte dominieren behavioristisch motivierte Ansätze bis heute die Werbewirkungsforschung (Hanssens, D. M., Parsons & Schultz, 2001; Fok, Franses & Paap, 2007). Bongard (2002, S. 181) begründet diesen Erfolg mit forschungsstrategischen Vorteilen, beispielsweise der Messbarkeit von Werbedruck und Absatzsteigerungen anhand metrischer Skalen. Die Aussicht, Werbewirkungen in Abhängigkeit des Werbeaufwandes direkt in monetärer Form vorhersagen zu können, dürfte eine wichtige Rolle für den Erfolg dieser Modellansätze in der kommerziellen Werbewirkungsforschung haben. Die eingeschränkte Abstrahierbarkeit ermittelter Wirkungsmodelle wird dabei häufig übersehen. Indirekt jedoch scheint auch die Werbepraxis den mangelnden Erklärungsgehalt von Marktreaktionsmodellen verinnerlicht zu haben. Wie sonst ließen sich steigende Werbeausgaben erklären, wenn doch – wie die in mehreren Untersuchungen ermittelten Werbeelastizitäten zwischen 0 % und 20 % suggerieren – von jedem eingesetzten Werbe-Euro nur maximal 20 Cent in die Kasse des Werbetreibenden zurückfließen? 3.2.2
Modelle kognitiver Informationsverarbeitung
Modellen kognitiver Informationsverarbeitung liegt die Vorstellung zugrunde, kommunikative Beeinflussung sei eine Funktion der kognitiven Reaktionen (cognitive responses) und Abwägungen, die ein Rezipient hinsichtlich des Inhalts einer Botschaft vornehme (Wright, P., 1980; Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 47; Vakratsas & Ambler, 1999, S. 29). Unter kognitiven Reaktionen werden dabei jegliche Gedanken verstanden, die entstehen, wenn Rezipienten den spezifischen Inhalt einer Botschaft mit anderen Teilen der Botschaft, mit bereits abgespeichertem eigenem Wissen oder mit eigenen Ansichten in Relation setzen (MeyersLevy & Malaviya, 1999, S. 47). Im Gegensatz zu den im vorherigen Abschnitt vorgestellten
21 Als Beispiel sei die Studie von Tellis, Chandy und Taivanich (2000) genannt. Untersuchungsgegenstand ist
Werbung für gebührenfreie Service-Hotlines. Ein Anspruch auf Verallgemeinerung besteht lediglich hinsichtlich methodischer Aspekte.
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Modellierung von Werbewirkungen
lernbasierten Ansätzen spielt im Cognitive-Response-Modell das Wie der Botschaftsverarbeitung eine zentrale Rolle. Entsprechend unterschiedlich sind die Konsequenzen, welche für die effektive Gestaltung einer Botschaft gezogen werden müssen. Während bei lernbasierten Ansätzen der Fokus auf möglichst eingängigen Inhalten liegt, stellt die Ausgestaltung einer Botschaft nach dem Cognitive-Response-Modell auch auf die Einflussfaktoren der Botschaftsbewertung (d.h. weitere Inhalte der Botschaft, Wissen und Ansichten des Rezipienten) ab. Das Black-Box-Denken der behavioristisch motivierten Werbewirkungsforschung wird durch Einbeziehung psychologischer Werbewirkungen aufgelöst. Eine zentrale Annahme von Modellen kognitiver Informationsverarbeitung liegt in der Rationalität von Konsumentenentscheidungen; Werbung, so eine weitere Annahme, habe keinen Einfluss auf die grundsätzlichen Konsumentenpräferenzen (Vakratsas & Ambler, 1999). Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich Modelle kognitiver Informationsverarbeitung auf Werbewirkungen, die aus der Bereitstellung von Informationen für den Kaufprozess entstehen (a.a.O., S. 29). Wichtiges Anwendungsfeld dieser Modellierungsansätze ist die Untersuchung des Einflusses von Werbung auf Produktkategorien mit unterschiedlich hohen Suchkosten (Bharadwaj, Varadarajan & Fahy, 1993, S. 90f). Wird Werbung als reiner Informationslieferant betrachtet, müsste sie bei Produkten mit hohen Suchkosten effektiver als bei Produkten mit geringen Suchkosten sein. Einige empirische Untersuchungen geben Hinweise auf einen solchen Zusammenhang: Werbung für Erfahrungsgüter, die erst konsumiert werden müssen, um Informationen über die Produktqualität zu erhalten, ist wirksamer als Werbung für Güter, deren Qualität bereits vor dem Kauf getestet werden kann (Verma, 1980; Hoch & Ha, 1986). Wird Werbung allein als Lieferant sachlicher Informationen betrachtet, so führt dies zu weiteren Implikationen. Folgende Zusammenhänge konnten empirisch nachgewiesen werden: Wenn die Kosten für die Herstellung hochqualitativer Produkte gering sind, wird die Qualität viel beworbener Produkte höher als die tatsächliche Qualität eingeschätzt (Tellis & Fornell, 1988). Ebenso kann Werbung Einfluss auf die Preissensitivität von Konsumenten nehmen. Sie nimmt beispielsweise zu, wenn gezielt niedrigere Preise beworben werden (Kaul & Wittink, 1995; Mitra & Lynch Jr, 1995; Iyer et al., 2005). Trotz der zahlreichen empirischen Evidenzen für die Gültigkeit von Modellen kognitiver Informationsverarbeitung vermag diese Gruppe von Theoriemodellen eine Reihe beobachtbarer Sachverhalte nicht zu klären. Beispielsweise hält sie keine Erklärung dafür bereit, warum Menschen durch eine Botschaft beeinflusst werden, obwohl sie deren Inhalt nachweislich nicht bewusst verarbeitet haben (Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 47). Auch über Einflüsse des Botschaftsumfeldes trifft die Theorie keine Aussagen, da die Überzeugungswirkung lediglich von der Vermittlung kaufrelevanter Sachinformationen ausgeht. Als Grundlage für die Untersuchung von Kontexteffekten ist sie daher nicht unmittelbar geeignet.
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung 3.2.3
59
Modelle affektiver Reaktionen
Die Gruppe der Modelle affektiver Reaktionen bildet eine Art Gegenpol zu den Modellen kognitiver Informationsverarbeitung. Sie suchen Erklärungen für den Bereich menschlichen Handels, der nicht von Rationalität und ökonomischem Handeln geprägt ist. In diesen Modellen wirkt Werbung auf das Konsumentenverhalten in erster Linie über affektive Reaktionen (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 29). Wie bereits in Abschnitt 2.1.5 erläutert, werden unter affektiven Reaktionen verhaltensbeeinflussende Emotionen oder Gefühle verstanden. Ein wichtiges Forschungsfeld, dessen Grundlage Modelle affektiver Reaktionen bilden, ist die Untersuchung von Werbewirkungen, die ohne bewusste Verarbeitung einer Werbebotschaft auftreten. Nach dem Mere-Exposure-Effekt, der auf Zajonc (1968) zurückgeht, beeinflusst Werbung das Konsumentenverhalten auch ohne bewusste Verarbeitung ihrer Inhalte. Allein der Kontakt mit einem Werbereiz reicht demnach aus, um Einstellungen gegenüber einem Werbeobjekt zu verbessern. Die Inhalte der Werbebotschaft spielen dabei keine Rolle (Janiszewski, 1993, S. 376f). Begleitet wird diese Theorie von empirisch beobachteten Situationen, in denen eine Beeinflussungswirkung von Kommunikation nachgewiesen wurde, obwohl kognitive Ressourcen nicht oder nur in geringem Maße zur Verfügung standen (z.B. wenn ein Rezipient abgelenkt ist oder nur sehr kurz Gelegenheit zu einer bewussten Verarbeitung hat; Strack, 1992). Ein theoretischer Erklärungsansatz für dieses empirisch mehrfach beobachtete Phänomen lautet wie folgt: Die Wahrnehmung, dass ein Werbeobjekt (z.B. eine Marke) beworben wurde, kann im weiteren Verlauf des Kaufprozesses zu einem Gefühl der Vertrautheit führen. Gegenüber vertrauten Produkten empfinden Konsumenten ein geringeres Kaufrisiko, so dass daraus eine positivere Einstellung gegenüber dem Werbeobjekt resultieren kann (Jacoby, Kelley, Brown & Jasechko, 1989; Anand, P. & Holbrook, 1990; Heath, T. B., 1990; Lee, A. Y., 1994; Grimes & Kitchen, 2007). Der Mere-Exposure-Effekt schlägt sich in einer Steigerung der Werbeeffektivität durch wiederholten Kontakt mit der Werbung nieder („Wear-in-Effekt“; Blair, 1987; Blair & Rabuck, 1998; Blair, 2000; Weaver, Garcia, Schwarz & Miller, 2007). Belegt wurde auch eine Verbesserung von Einstellungen gegenüber einer Marke durch Werbung, obwohl diese keine Informationen über die Marke enthielt (Batra & Ray, 1986). Neben der Wirkung von Vertrautheit gehen einige Modelle von einer alternativen oder ergänzenden Wirkung von Emotionen aus, die durch das bloße Vorhandensein einer Werbung oder als Reaktion auf deren Gestaltung entstehen (Krugman, H. E., 1977; Resnik & Stern, 1977; Rossiter & Percy, 1978; Zajonc, R. B., 1980; Aaker, David A. & Norris, 1982; Gorn, 1982; Zajonc, Robert B. & Markus, 1982; Healey & Kassarjian, 1983; Stern & Resnik, 1991). Affektive Reaktionen auf eine Werbung sollen demgemäß direkt mit Einstellungen gegenüber dem Werbeobjekt zusammenhängen (Batra & Ray, 1986; Burke, M. C. & Edell, 1989; Der-
60
Modellierung von Werbewirkungen
baix, 1995; Brown, S. P., Homer & Inman, 1998; Homer, 2006). Rothschild und Hyund (1990) zeigen auch einen Einfluss auf Erinnerungen: Mit Hilfe von Messungen der Hirnaktivität weisen sie nach, dass Werbung, bei der die linke Gehirnhälfte stärker angesprochen wird, besser erinnert wird. Affektive Reaktionen könnten außerdem auf Einstellungen gegenüber einer Werbung wirken und dadurch die Einstellungen gegenüber dem Werbeobjekt beeinflussen (Brown, S. P. & Stayman, 1992; Brown, S. P. et al., 1998). Unter anderem konnten Biel (1990) sowie Haley und Baldinger (1991; 2000) einen signifikanten Einfluss von Einstellungen gegenüber einer Werbung auf Markenpräferenzen nachweisen. Modelle affektiver Reaktionen im Sinne der hier verwendeten Taxonomie gehen von einer selbständigen – also von kognitiver Verarbeitung einer Werbung unabhängigen – Wirkung von Emotionen, Gefühlen, Stimmungen etc. aus. Für sich genommen scheint dieser Theorieansatz zu kurz zu greifen. Ansonsten müsste Werbung nur noch Emotionen ansprechen, ohne die Vorzüge eines Werbeobjektes argumentativ zu belegen. Als Ergänzung zu weiter gefassten Ansätzen verschaffen uns Modelle affektiver Reaktionen aber wichtige Einblicke in die Bedeutung von Emotionen in der Werbung, auf die in späteren Abschnitten noch genauer eingegangen werden soll. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Modellierungsansätze stammen bereits aus den 1980er Jahren (Zajonc, R. B., 1980). Allerdings bereitete ihre empirische Validierung lange Zeit erhebliche Schwierigkeiten, denn mit „klassischen“ Messmethoden wie Befragung ist eine Trennung affektiver Reaktionen von kognitiver Informationsverarbeitung nicht möglich: In dem Moment, in dem ein Proband nach seinen Gefühlen befragt wird, findet kognitive Verarbeitung statt, die zu einem kognitiven Bias führt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 32). Erst die Einbeziehung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und die Entwicklung entsprechender Messverfahren in den letzten Jahren hat eine von kognitiver Verarbeitung zumindest teilweise unabhängige Untersuchung affektiver Reaktionen möglich gemacht. Die Validität dieser neuen Messverfahren wie Elektroenzephalographie oder Hautleitfähigkeitserfassung wird bis heute kritisch hinterfragt (Poels & Dewitte, 2006). Dennoch hat die verstärkte neurowissenschaftliche Fundierung die Bedeutung, die affektiven Werbereaktionen in ihrer Beeinflussung des Konsumentenverhaltens zukommt, weiter vergrößert (a.a.O., S. 18). Letztendlich bilden Modelle affektiver Reaktionen somit die Grundlage moderner Werbewirkungsmodelle, auf die in einem späteren Abschnitt eingegangen wird. 3.2.4
„Klassische“ Stufenmodelle
Stufenmodelle basieren auf dem Gedanken, Wirkungen werblicher Kommunikation spielten sich in Form eines mehrstufigen Prozesses mit eindeutig aufeinander folgenden Schritten ab. Mit dem bereits erwähnten AIDA-Modell als „Urvater“ stellen sie eine bedeutende Modell-
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
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gruppe dar, die lange Zeit die Werbewirkungsforschung dominierte. Auch wenn die Anzahl und genaue Ausgestaltung der Schritte von Modell zu Modell variieren mag, ist allen dieser Kategorie zugeordneten Modellen die Abfolge KognitionÆAffektÆVerhalten gemein: Die Modelle gehen davon aus, dass affektive Reaktionen stets als Reaktion auf die kognitive Verarbeitung eines Werbereizes entstehen (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 32). Klassische Stufenmodelle haben in der Werbewirkungsforschung eine große Verbreitung gefunden. Anhang A enthält eine Übersicht über die umfangreiche Zahl von Modellen, die sich in der Literatur findet. Insgesamt enthält die Aufstellung 36 Modellansätze. Die Attraktivität von solchen streng hierarchisch aufgebauten Wirkungsmodellen liegt in ihrer einfachen Handhabbarkeit. Sie reduzieren die Zahl der involvierten Wirkungskomponenten auf ein Minimum und bieten eine Art Universalmodell. Diese Einfachheit ist allerdings trügerisch, denn sie entspricht nicht den empirischen Beobachtungen zur Wirkung werblicher Kommunikation. In ihrer klassischen Form stellen Stufenmodelle keine Relation zu individuellen Reaktionen auf Werbung her. Der streng lineare Ablauf der Reaktionskette vernachlässigt beispielsweise einen möglichen Einfluss von Werbe-Involvement oder Einstellung zu Werbung. In einer umfangreichen kritischen Würdigung hierarchisch geprägter Modellierungsansätze nennt Weilbacher (2001) weitere Defizite: Insbesondere fehlt in den Modellen ein Ansatzpunkt zur Erklärung von Wirkungen multipler Werbereize. In Stufenmodellen steht ein einzelner Reiz immer einem spezifischen Verhalten – üblicherweise dem Kaufakt – gegenüber. Die Möglichkeit von Interaktionen mehrerer Werbereize, z.B. Rezeption mehrerer Werbungen für eine Marke vor dem Kauf, ist nicht vorgesehen (a.a.O., S. 21). Gleiches gilt für Interaktionseffekte beispielsweise bei Rezeption von Werbung für mehrere Marken innerhalb einer Produktkategorie. Interaktionen mit dem Rezeptionskontext spielen ebenfalls keine Rolle (a.a.O., S. 22). Schließlich entspricht der einlineare Aufbau der Stufenmodelle nicht dem heutigen, von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen geprägten Wissen über Reizverarbeitung im menschlichen Gehirn (Poels & Dewitte, 2006, S. 18). Die Kritik an der behavioristischen Denkweise hierarchischer Theoriemodelle wurde von zahlreichen Wissenschaftler aufgegriffen; sie diente als Grundlage von Weiterentwicklungen der Stufenmodelle, zu denen die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Ansätze zählen (vgl. zur heutigen Bedeutung von Stufenmodellen auch Barry, 2002). 3.2.5
Relationale Stufenmodelle
Relationale Stufenmodelle adressieren einige der Defizite klassischer Stufenmodelle, indem sie einen Werbereiz zu rezipienten-spezifischen Konstrukten in Relation setzen. In Abhängigkeit vom „internen“ Kontext des Rezipienten kann die Verarbeitung von Werbereizen auf unterschiedlichen „Routen“ erfolgen, wobei die verschiedenen Routen der Reizverarbeitung unter Umständen auch parallel aktiv sein können.
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Modellierung von Werbewirkungen
Eine Reihe relationaler Stufenmodelle geht von genau zwei unterschiedlichen Routen auf dem Weg vom Werbereiz zu einer Verhaltensänderung aus. Sie sind hier unter dem Stichwort Dual-Process-Theorien zusammengefasst. Grundlage dieser Theorien ist die Annahme, kommunikative Beeinflussung entstehe über eine zentrale/systematische Route oder alternativ über eine periphere/heuristische Route (Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 47). Eine Botschaft, die über die zentrale Route wirkt, zeichnet sich insbesondere durch bewusste, umfangreiche und kritische Verarbeitung der vermittelten Argumente aus. Resultat sind Bewertungen, die längerfristig gespeichert und abrufbereit bleiben. Wirkt eine Botschaft dagegen über die periphere Route, so wird sie in schwächerem Maße verarbeitet. Die Wirkung der Botschaft geht vor allem von „peripheren Reizen“ aus. Dabei handelt es sich um Anhaltspunkte, zu denen zum Zeitpunkt der Botschaftsaufnahme bereits fertig verarbeitete Ergebnisse in Form von Einordnungen, Beurteilungen oder Meinungen vorliegen und die intuitive Schlussfolgerungen zulassen. Zu den peripheren Reizen zählen beispielsweise die Glaubwürdigkeit der Quelle oder die Menge dargebotener Argumente. Peripher verarbeitete Kommunikation hat deutlich flüchtigere Effekte (a.a.O., S. 47). Bei der Bestimmung, welche Verarbeitungsroute aktiv ist, steht in den meisten relationalen Theoriemodellen das Involvement-Konstrukt im Mittelpunkt (Bongard, 2002, S. 293). Dennoch unterscheiden sich die verschiedenen Dual-Prozess-Theoriemodelle in der genauen Ausgestaltung der Faktoren, die die Routenwahl beeinflussen. Das wohl bekannteste unter ihnen ist das Elaboration-Likelihood-Modell (ELM) nach Petty und Cacioppo (1983). Auf eine ausführliche Diskussion des ELM soll an dieser Stelle verzichtet werden.22 Eine zusammenfassende Darstellung der Postulate des ELM findet sich in Abbildung 7. Diese sei im Folgenden kurz erläutert: Nach dem ELM hängt die Wahl der Route – und somit der Einfluss von Affekt bzw. Intuition auf die Verarbeitung von Informationen – zunächst von der Motivation zur Verarbeitung der dargebotenen Reize ab. Nur bei hoher Motivation findet eine zentrale Reizverarbeitung statt. Motivation wird unter anderem von der persönlichen Relevanz eines Reizes und dem Bedürfnis nach Kognition (vgl. Abschnitt 2.2.2) beeinflusst. Auch das Verantwortungsgefühl gegenüber anderen kann die Motivation zur Verarbeitung einer Botschaft beeinflussen (Petty & Cacioppo, 1986, S. 4, 93f). Bisweilen werden die Faktoren, die Verarbeitungsmotivation beeinflussen, auch unter dem Begriff Verarbeitungs-Involvement subsumiert. Die Verarbei-
22 Es sei verwiesen auf die Darstellungen bei Bongard (2002, S. 326ff); Gierl (2005, S. 256ff) sowie Petty und
Cacioppo (1986, S. 4ff).
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
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tungsroute hängt weiterhin von der Verarbeitungsfähigkeit ab. Voraussetzung für eine zentrale Botschaftsverarbeitung ist hohe Verarbeitungsfähigkeit. Als deren Einflussfaktoren werden unter anderem Art und Stärke ablenkender Reize, Anzahl von Wiederholungen des Werbereizes, Vorwissen zum Verständnis der Argumente sowie Verständlichkeit der Argumente genannt (a.a.O., S. 4; vgl. zusammenfassend auch Gierl & Reich, 2005, S. 257f).
Werbereiz Persönliche Relevanz Bedürfnis nach Kognition Verantwortungsgefühl … Ablenkungen
Verarbeitungsmotivation hoch
Reiz-Wiederholungen Vorab-Wissen
gering
Verarbeitungsfähigkeit
gering
Verständlichkeit … Bisherige Einstellungen Qualität der Argumente …
hoch Art der kognitiven Verarbeitung
neutrale Gedanken dominieren
positive oder negative Gedanken dominieren Unterschiede z. bisherigen kognitiven Struktur groß „Zentrale“ Einstellungsänderung • Dauerhaft • Beständig • Verhaltensrelevant
Positive/negative Affekte Glaubwürdige Quelle klein
Präsenz peripherer Reize ja „Periphere“ Einstellungsänderung • Temporär • Beeinflussbar • Wenig verhaltensrelevant
Mehrere Argumente … nein Keine Einstellungsänderung
Abbildung 7: Das Elaboration-Likelihood-Modell nach Petty und Cacioppo (1986, S. 4)
Laut ELM findet bei ausreichend hoher Verarbeitungsmotivation und -fähigkeit eine ausführliche („zentrale“) Auseinandersetzung mit der Werbebotschaft statt. Damit diese aber zu einer dauerhaften Einstellungsänderung führen kann, muss die kognitive Verarbeitung positive oder negative Gedanken hervorbringen, die eine Veränderung zu bisherigen Einstellungen darstellen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor oder kam es aufgrund zu geringer Verarbeitungsmotivation oder -fähigkeit gar nicht erst zu einer zentralen Verarbeitung, dominiert periphere Reizverarbeitung. Eine Reihe von empirischen Studien konnte belegen, dass affektive Reaktionen in Situationen mit geringem Verarbeitungs-Involvement größeren Einfluss auf das Verhalten ausüben als in Situationen mit hohem Verarbeitungs-Involvement (z.B. Biel & Bridgwater, 1990; Haley & Baldinger, 1991).
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Modellierung von Werbewirkungen
In ihrem Integrated-Attitude-Formation-Modell haben es sich D. J. MacInnis und Jaworski (1989) zum Ziel gemacht, das ELM konzeptionell zu erweitern. Das Modell ist in Abbildung 8 dargestellt. Es integriert das Modell zur Markenverarbeitung von Gardner, Mitchell und Russo (1978) sowie Mitchell (1980) mit den vier verschiedenen Stufen des RezipientenInvolvement von Greenwald und Leavitt (1984). Die Aufnahme eines Werbereizes wird durch die Motivation zur Verarbeitung von Informationen über ein Werbeobjekt moderiert. Dabei spielen die Fähigkeit und die Gelegenheit zur Verarbeitung eine entscheidende Rolle. Die Fähigkeit zur Verarbeitung von Werbereizen wird durch Personenmerkmale wie Intelligenz oder Bildung sowie durch inhaltliche Gestaltungsmerkmale der Werbung wie Verständlichkeit beeinflusst (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 7). Die Gelegenheit zur Verarbeitung hängt laut Modell von der Rezeptionssituation, beispielsweise vom Vorhandensein ablenkender Reize, und von formalen Gestaltungsmerkmalen der Werbung, beispielsweise der Präsentationsgeschwindigkeit, ab (a.a.O., S. 7). Werbereize und die Motivation zu deren Verarbeitung führen im Integrated-AttitudeFormation-Modell zu verschiedenen Niveaus von Aufmerksamkeit und mentaler Verarbeitungskapazität. Dadurch kommt es zu unterschiedlicher Verarbeitungstiefe, die D. J. MacInnis und Jaworski (1989) in sechs verschieden Stufen einteilen. Auf der untersten Stufe, feature analysis genannt, werden Aufmerksamkeit und Kapazität in so geringem Maße auf den Werbereiz gelenkt, dass man nicht von bewusster Verarbeitung sprechen kann; affektive Elemente beeinflussen die Wahrnehmung des Werbeobjektes. Findet Verarbeitung auf der zweiten Stufe, basic categorization, statt, so werden Werbeobjekt und einzelne Merkmale bewusst wahrgenommen. Durch eine nach wie vor geringe Verarbeitungstiefe übertragen sich aber vornehmlich affektive Reaktionen im Zusammenhang mit der Werbegestaltung auf die Einstellungen zur Marke. Erst auf der dritten Stufe, meaning analysis, werden auch kognitive Reaktionen wirkungsrelevant. Allerdings bildet sich der Rezipient aufgrund bekannter Schemata und Heuristiken sein Urteil und setzt sich nicht dezidiert mit den in der Werbung vermittelten Informationen auseinander. Dies geschieht auf der vierten Stufe, information integration, bei der eine „rational fundierte Analyse“ (Bongard, 2002, S. 376) der Werbung stattfindet. Die fünfte Stufe, role-taking, zeichnet sich durch empathiebasierte Überzeugung aus, bei der der Rezipient die Werbebotschaften mit seiner persönlichen Situation in Verbindung bringt. Affektive Reaktionen spielen auf dieser Stufe wieder eine größere Rolle als auf der vorangegangenen (Bongard, 2002, S. 377). Diese Art der eigenständigen Weiterentwicklung der Werbebotschaft steigert sich auf Stufe sechs, constructive processes, noch weiter. Hier setzt sich der Rezipient so intensiv mit einer Werbebotschaft auseinander, dass er eigenständig neue Vorstellungen zu Produktattributen, Nutzen oder Anwendungsmöglichkeiten entwickelt, die in der Werbung noch nicht enthalten waren (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 6).
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
Fähigkeit zur Verarbeitung Bedürfnisse
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Werbereiz
Motivation zur Verarbeitung Gelegenheit zur Verarbeitung
Aufmerksamkeit
Verarbeitungskapazität
Verarbeitungstiefe und -abläufe
Kognitive Reaktionen
Affektive Reaktionen
Bildung von Einstellung zur Marke
Einstellung zur Marke
Abbildung 8: Das Integrated-Attitude-Formation-Modell (MacInnis & Jaworski, 1989, S. 3)
Ein wesentlicher Unterschied des Integrated-Attitude-Formation-Modells im Vergleich zum ELM liegt in der Berücksichtigung von emotionalen Bedürfnissen des Konsumenten. Durch Einbeziehen dieses Rezipientenmerkmals kann das Modell unterschiedliche Konsumstile widerspiegeln. Emotionale Bedürfnisse sind außerdem der Auslöser einer besonders intensiven Informationsverarbeitung, die über die vermittelten Inhalte hinausgeht (Bongard, 2002, S. 377f). Dem Anspruch von MacInnis und Jaworski, werbliche Kommunikation anders als beim ELM in einem einheitlichen Prozess darzustellen, kann das Modell allerdings nicht gerecht werden: Die sechs Wirkungsstufen sind in sich abgeschlossen und beschreiben einen diskreten Verlauf der Verarbeitungsqualität. Jede für sich genommen stellt einen hierarchisch aufgebauten Wirkungspfad dar. Hier ist das ELM sogar „einen Schritt voraus“, denn es formuliert einen heuristischen Ansatz, in dem beide Verarbeitungsrouten auch parallel aktiv sein können (a.a.O., S. 379f). In einem späteren Beitrag beschäftigen sich MacInnis, Moorman und Jaworski (1991) mit der Frage, wodurch Motivation, Gelegenheit und Fähigkeit zur Verarbeitung werblicher Kommunikation beeinflusst werden. Sie beweisen außerdem empirisch die Hypothese, Verarbeitungsmotivation, -gelegenheit und -fähigkeit nähmen Einfluss auf die Werbeffektivität. Dabei zeigen sie einen Einfluss sowohl auf Werbeerinnerungen als auch auf die Effektivität der Einstellungsänderung (ebd.).
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Modellierung von Werbewirkungen
Vor allem im deutschsprachigen Raum hat das relationale Stufenmodell von Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 614) Bedeutung erlangt. Es ähnelt dem ELM, unterscheidet bei den Wirkungsdeterminanten aber nicht nur zwischen hohem und geringem ProduktkategorieInvolvement, sondern auch zwischen emotionaler und informativer Werbung. Hohes Involvement zieht aufmerksamkeitsstarke, geringes Involvement aufmerksamkeitsschwache Werbung nach sich. Informative Werbung wirkt vor allem über kognitive, emotionale Werbung über emotionale Vorgänge auf Einstellungen, Kaufabsicht und Kaufverhalten ein. Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 9 dargestellt; sie enthält nicht das Grundmodell, sondern eine Übersicht über die vier verschiedenen Wirkungsverläufe in Abhängigkeit von Produktkategorie-Involvement und Werbegestaltung. Werbegestaltung
Hoch
ProduktkategorieInvolvement
Gering
Informativ
Emotional
Werbekontakt
Werbekontakt
schwache Aufmerksamkeit
starke Aufmerksamkeit
schwache Aufmerksamkeit
starke Aufmerksamkeit
kognitive Vorgänge
emotionale Vorgänge
kognitive Vorgänge
emotionale Vorgänge
Einstellung
Einstellung
Kaufabsicht
Kaufabsicht
Verhalten
Verhalten
Werbekontakt
Werbekontakt
schwache Aufmerksamkeit
starke Aufmerksamkeit
schwache Aufmerksamkeit
starke Aufmerksamkeit
kognitive Vorgänge
emotionale Vorgänge
kognitive Vorgänge
emotionale Vorgänge
Einstellung
Einstellung
Kaufabsicht
Kaufabsicht
Verhalten
Verhalten
Abbildung 9: Das Modell der Wirkungspfade von Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 614ff)
Bisher vorgestellte relationale Stufenmodelle gehen davon aus, Einstellungen gegenüber einer Marke seien stets utilitaristischer Natur. Auch das bis heute weit verbreitete Kaufverhaltensmodell von Fishbein und Ajzen (1975) spiegelt diese Vorstellung wider, indem es die Kaufentscheidung als Resultat von Einschätzungen zu tatsächlichen Produktattributen darstellt
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
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(Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 47; Vakratsas & Ambler, 1999, S. 33). Batra und Ray berufen sich auf Erkenntnisse, nach denen Emotionen gegenüber einer Marke parallel zur Beurteilung von Produktattributen auf das Konsumentenverhalten wirken. Es mag also vorkommen, dass Konsumenten ein Produkt nur bevorzugen, weil es „gefällt“, ohne eine genaue Vorstellung von dessen tatsächlichen Eigenschaften zu haben (Bagozzi & Burnkrant, 1979; Bagozzi, Tybout, Craig & Sternthal, 1979). Batra und Ray (1985) schlussfolgern, die Verschiedenheit von Werbewirkungen sei nicht das Ergebnis unterschiedlicher Elaborationstiefe, sondern Resultat einer unterschiedlichen Bildung von Einstellungen (basierend auf Attributen oder auf Gefühlen). Damit sind sie Wegbereiter einer von Kognitionen unabhängiger Berücksichtigung von Emotionen – auch wenn ihr Modellansatz nach wie vor eine Hierarchie „Kognition Æ Affekt“ vorsieht. Holbrook und Batra (1987) greifen diese Diskussion auf. Ihre Untersuchung konzentriert sich zwar auf die Wirkung von Emotionen auf Aad. Daher postulieren sie wie in anderen Stufenmodellen “a forward flow of effects through various intervening variables to brand attitude” (S. 406). Für das von ihnen vorgeschlagene einfache Kommunikationsmodell, das in Abbildung 10 dargestellt ist, lassen sie aber explizit offen, “whether ad content and emotional responses exert additional direct effects above and beyond their indirect effects via the intervening mediators” (S. 406). Das Modell bricht also die starre Wirkungshierarchie „Kognition Æ Affekt“ seiner Vorgänger auf. Es kann somit als Wegbereiter hierarchieloser Modellierungsansätze betrachtet werden, die in Abschnitt 3.4 näher erläutert werden.
Werbereiz
Emotionale Reaktionen
Einstellung zur Werbung
Einstellung zur Marke
Abbildung 10: Kommunikationsmodell in Anlehnung an Holbrook und Batra (1987, S. 406)
Relationale Stufenmodelle, allen voran das ELM, stellen die bedeutendste Modellgruppe in der Werbewirkungsforschung dar. Die Kernaussage, Werbung könne auf einer zentralen oder einer peripheren Route Überzeugungsarbeit leisten, hat sich zur Grundlage einer großen Zahl von Untersuchungen entwickelt (vgl. z.B. Meyers-Levy, 1991; Meyers-Levy & Sternthal, 1991; Shamdasani et al., 2001; Whittler & Spira, 2002; Coulter, K. S. & Punj, 2004; Darke,
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Modellierung von Werbewirkungen
Chattopadhyay & Ashworth, 2006; Rucker & Petty, 2006). Fähigkeit, Motivation und nicht zuletzt Gelegenheit zur Reizverarbeitung haben sich als wichtige Einflussfaktoren der Verarbeitungsqualität etabliert (vgl. z.B. 1996, S. 373). Dennoch weist auch dieser Theoriekomplex eine Reihe von Defiziten auf. Zunächst sei die hierarchische Abfolge von Kognition und Affekt genannt, die relationalen Stufenmodellen ebenso wie ihren „klassischen“ Vorgängern zugrunde liegt. Rezipienten müssen also erst über eine Werbebotschaft nachdenken, bevor sie dem Werbeobjekt gegenüber Emotionen bilden. Für diesen theoretischen Zusammenhang gibt es nur eine sehr schwache empirische Evidenz (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 34). Phänomene wie das positiven Aufladen eines Werbeobjektes durch das bloße Vorhandensein von Werbung (vgl. Abschnitt 3.2.3) können die Ansätze nicht erklären. Auch aktuelle neurowissenschaftliche Erkenntnisse deuten auf eine von kognitiver Botschaftsverarbeitung unabhängige Rolle von Gefühlen beim Kaufverhalten hin (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 34f). Auf diese Problematik soll im weiteren Verlauf der Modelldiskussion näher eingegangen werden. Im ELM wie auch in verwandten Ansätzen fehlt zudem eine ausreichende Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen. Diese stellen nachweislich einen sehr starken Einflussfaktor des Verhaltens dar (Hirschman & Holbrook, 1982; Holbrook & Hirschman, 1982; Hall, 2002, S. 25). Ein weiterer Kritikpunkt ist die Annahme, die Wirkung eines Werbereizes hänge ausschließlich vom Angebot kognitiver Ressourcen bei der Verarbeitung ab. Die Frage, welche Ressourcen eine gewisse Werbebotschaft zur Verarbeitung überhaupt benötigt, wird nicht berücksichtigt (Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 47). Eine solche Gegenüberstellung von Angebot und Bedarf an kognitiven Ressourcen wird durch die Resource-Matching-Theorie vorgenommen (Anand, Punam & Sternthal, 1989). Sie geht davon aus, die kommunikative Beeinflussung hänge von der Relation zwischen Bedarf und Verfügbarkeit kognitiver Ressourcen ab. Größtmögliche Beeinflussungswirkung wird der Theorie zufolge vor allem dann erzielt, wenn das Level von Nachfrage und Angebot etwa gleich hoch ist (Meyers-Levy & Malaviya, 1999, S. 48). Entwickelt hat sich die Theorie aus folgenden Überlegungen: Ziel kommerzieller Kommunikation ist die Beeinflussung des Botschaftsempfängers mit Hilfe überzeugender Argumente. Die Wirkung der Argumente kann demnach nur in vollem Umfang eintreten, wenn die Argumente vollständig und im Sinne des Absenders verarbeitet werden. Wenn freie kognitive Ressourcen in geringerem Maße zur Verfügung stehen, als es die Verarbeitung einer Botschaft erfordert, so wirken die enthaltenen Argumente wahrscheinlich nur unvollständig und die gewünschte Überzeugungswirkung tritt nicht ein. Stehen kognitive Ressourcen im Vergleich zum Bedarf im Übermaß zur Verfügung, so kommt es laut ResourceMatching-Theorie zu fehlgerichteten Überlegungen, in denen die Argumente einer Botschaft in Frage gestellt oder durch überflüssige Gedanken zumindest „verwässert“ werden. Auch wenn die Resource-Matching-Theorie ursprünglich nicht mit Dual-Process-Theorien ver-
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
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knüpft wurde, so kann sie als Ergänzung dieser Theorien angesehen werden. Sie erweitert die Erkenntnisse über Informationsverarbeitung auf der zentralen Route, wo die Frage nach Angebot und Bedarf an kognitiven Ressourcen eine Rolle spielt (a.a.O., S. 48). Bisweilen wird auch die mangelnde empirische Überprüfbarkeit relationaler Stufenmodelle kritisiert. In der Theorie beeinflusst die Art der Verarbeitungsroute die Kommunikationswirkung. Die Routenwahl kann aber nicht als exogene Variable operationalisiert werden. Stattdessen müssen die dahinter vermuteten Merkmale von Medium und Rezipient ex ante spezifiziert werden. In empirischen Studien wird also eine lineare Wirkungssequenz statt einer Interdependenz der Komponenten zugrunde gelegt (Halff, 1998, S. 220f; Bongard, 2002, S. 357). 3.2.6
Low-involvement-Stufenmodelle
Das Kaufverhalten von Konsumenten wird, so eine Reihe empirischer Studien, in den meisten Fällen deutlich stärker durch Produkterfahrungen als durch Werbung beeinflusst (z.B. Alba, Hutchinson & Lynch Jr, 1991; Smith, 1993; Deighton et al., 1994). Diese Erkenntnis geht mit der Formulierung von Low-involvement-Stufenmodellen einher. Sie modellieren Werbewirkungen für Situationen, in denen der Konsument einem Werbereiz nur geringes Verarbeitungs-Involvement entgegenbringt. Trotz einer möglicherweise nur schwach bewussten oder auch unbewussten Aufnahme eines Werbereizes kann dieser das Kaufverhalten beeinflussen. Zu affektiven Reaktionen kommt es allerdings erst durch die Produkterfahrung nach dem Kauf (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 33 mit weiteren Nachweisen). Der grundlegende Modellierungsansatz von Low-involvement-Stufenmodellen stammt von Krugman (1965): Demzufolge gibt es eine Reihe von Situationen, in denen sich ein Konsument nicht bewusst mit Werbebotschaften auseinandersetzt. Ein (einmaliger) Werbekontakt führt in diesen Fällen nicht zu einer „diskreten“ Einstellungsänderung; diese kann daher zunächst auch nicht bewusst geäußert werden. Das Konsumentenverhalten wird durch graduelle Einstellungsänderungen beeinflusst, für die eine größere Zahl von Werbekontakten notwendig ist (Mayer & Illmann, 2000, S. 420). Der Kaufakt wirkt wie ein „Katalysator“, der zu einer bewussten Änderung der Einstellungen zum erworbenen Produkt führt. Wie bereits in Abschnitt 2.2.2 angedeutet, nutzte Krugman diesen Wirkungspfad ursprünglich, um unterschiedliche Überzeugungsmechanismen verschiedener Medien zu erklären. Fernsehen bezeichnete er im Gegensatz zu Printmedien als Low-involvement-Medium, welches passive Rezipienten unterschwellig beeinflusse (Krugman, H. E., 1965, S. 350). Eine solche Kategorisierung erscheint allerdings wenig zweckmäßig: Botschaften über ein und dasselbe Medium werden in Abhängigkeit kommunizierter Inhalte oder Kontext mit unterschiedlichem Involvement rezipiert; auch beim Fernsehen sind Rezeptionssituationen mit hohem Involvement denkbar (Steffenhagen, 2000, S. 29). Wichtiger für die Bestimmung der Gültigkeit von Low-
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Modellierung von Werbewirkungen
involvement-Stufenmodellen erscheint die Einteilung in Produktkategorien verschiedener Involvement-Level (vgl. auch Abschnitt 2.2.2). Bei Produktkategorien mit geringem Involvement, beispielsweise Alltagsprodukte wie Zahnpasta oder Waschmittel, liegt kein Interesse an bewusster Auseinandersetzung mit Werbebotschaften vor. Aus diesem Grund sind auch die „Verteidigungsmechanismen“ gegen unterschwellige Beeinflussung geringer ausgeprägt, wodurch die durch das Low-involvement-Modell beschriebene graduelle Änderung kognitiver Strukturen durch Werbung möglich wird (Mayer & Illmann, 2000, S. 420). 3.2.7
Integrative Modelle
Verschiedene Stufenmodelle schließen sich gegenseitig meist nicht aus. Sie beschreiben verschiedene Wirkungsmuster von Werbung. Damit sind unterschiedliche Wirkungspfade zwischen einzelnen Modellvariablen gemeint, die in Abhängigkeit von diversen Wirkungsdeterminanten, z.B. Produktkategorie-Involvement, aktiv sein können (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 613). Integrative Modelle versuchen, einheitliche Kriterien aufzustellen, anhand derer bestimmt werden kann, in welcher Situation welches Wirkungsmuster aktiv wird. Streng genommen handelt es sich also nicht um eigenständige Theoriemodelle, sondern vielmehr um Rahmenwerke, in die bisherige Modellierungsansätze „einsortiert“ werden. Krugman hatte Stufenmodelle mit dem Wirkungsverlauf KognitionÆAffektÆHandlung als unzureichend dargestellt und sie durch seine eigene Wirkungshierarchie KognitionÆVersuchÆAffektÆLoyalität ergänzt. Vor diesem Hintergrund lag die Integration beider Ansätze nahe. In ihrem Integrated-Information-Response-Modell nehmen Smith und Swinyard (1982) eine Zusammenführung vor, indem sie zwischen einem Wirkungspfad geringerer und einem Wirkungspfad höherer Ordnung unterscheiden. Das Modell ist in Abbildung 11 dargestellt. Informationsquelle
Akzeptanz der Information
Werbung
Geringe Akzeptanz
Überzeugungen geringerer Ordnung
Direkte Erfahrung
Hohe Akzeptanz
Überzeugungen höherer Ordnung
Kognition
Affekt
+
Handlung
Affekte geringerer Ordnung
Versuch
Affekte höherer Ordnung
Loyalität
Abbildung 11: Integrated-Information-Response-Modell von Smith und Swinyard (1982, S. 85)
Der Wirkungspfad geringerer Ordnung zeichnet sich durch geringe Informationsakzeptanz aus. Werbung soll grundsätzlich nur über diesen Wirkungspfad wirken, da die Glaubwürdig-
Vorstellung und Diskussion etablierter Modelle der Werbewirkung
71
keit des Absenders und somit die Informationsakzeptanz seitens der Rezipienten gering ist. Als Konsequenz werden Überzeugungen und affektive Reaktionen geringerer Ordnung geformt. Diese betreffen nicht die Eigenschaften eines Werbeobjektes, sondern allein dessen Bekanntheit oder die wahrgenommene Unsicherheit bei einem möglichen Kauf (Smith & Swinyard, 1982, S. 85). Anders gesagt: Werbung kann Konsumenten nicht direkt überzeugen, dass das Produkt einer spezifischen Marke bessere Eigenschaften hat als ein anderes; sie kann lediglich dafür sorgen, dass eine Marke oder eine ganze Produktkategorie bekannt wird. Außerdem kann sie auf Schlüsseleigenschaften einer Produktkategorie hinweisen, von denen bei der Kaufentscheidung Unsicherheit ausgeht. Dies ist insbesondere bei Verbrauchsgütern, bei denen ein Testkauf leicht und ohne größere Investitionen getätigt werden kann, von Interesse, da Werbung in diesem Fall zu einem Testkauf animieren kann. Die Erfahrungen aus erster Hand, die durch mehrere Testkäufe gemacht werden, führen direkt zum Wirkungspfad höherer Ordnung. Durch die hohe Informationsakzeptanz direkter Erfahrungen entstehen Überzeugungen und affektive Reaktionen höherer Ordnung, die Loyalität oder Ablehnung gegenüber einer Marke nach sich ziehen. Bei Produkten, für die Unsicherheit aufgrund zu hoher zeitlicher oder monetärer Investitionen nicht durch Testkäufe reduziert werden kann, können andere Quellen, beispielsweise Empfehlungen, Testberichte o. ä., als Informationsquellen zur Bildung von Überzeugungen höherer Ordnung genutzt werden (Smith & Swinyard, 1982, S. 85f).23 Finn führt aus, dass unter bestimmten Umständen auch Werbung direkt zur Bildung von Überzeugungen höherer Ordnung beitragen kann. Zu diesen Umständen gehören Situationen, in denen (a) ein Konsument bewusst nach Informationen über ein bestimmtes Produkt in den Medien sucht und (b) Werbung objektive Fakten über hervorstechende Eigenschaften eines Produktes enthält (Finn, D. W., 1984, S. 30). Deighton (1984; 1986) entwickelt ein nahezu identisches Modell: Auch hier ist die Glaubwürdigkeit der Informationsquelle der wichtigste Einflussfaktor für die Art der Informationsverarbeitung. Werbung kann als „zweifelhafte“ Informationsquelle lediglich schwache Erwartungen hinsichtlich einer Marke schüren. Erst objektivere Informationsquellen wie Erfahrungen aus erster Hand oder eigene Beobachtungen können in einem weiteren Schritt diese Erwartungen bestätigen. Beide Schritte interagieren fortlaufend: Werden eigene Erfahrungen mit einem Produkt gemacht, so können vorangegangene Werbebotschaften beeinflussen, welche Produkteigenschaften besonders beachtet werden und wie Erfahrungen mit diesen Pro-
23 Vgl. zusammenfassend auch Mayer und Illmann (2000, S. 420f) sowie Vakratsas und Ambler (1999, S. 34).
72
Modellierung von Werbewirkungen
dukteigenschaften interpretiert werden – und umgekehrt. Ebenso wie bei Smith und Swinyard (1982, S. 85) werden aus Werbebotschaften also erst dann Überzeugungen, wenn zu ihnen objektivere Informationen, insbesondere direkte Erfahrungen, hinzutreten (Deighton, 1986). Eine ebensolche Interaktion zwischen Erwartungen, die durch werbliche Kommunikation geschürt werden, und Produkterfahrung weist Deighton (ebd.) in einem Experiment nach. Vaughn (1980; 1986) integriert in seiner FCB-Matrix nicht nur zwei, sondern vier Wirkungshierarchien. Die Matrix ist in der folgenden Abbildung gezeigt. Welche Hierarchie jeweils relevant ist, wird laut Vaughn neben Produktkategorie-Involvement (gering versus hoch) auch durch den dominanten Motivator beim Kaufakt (Ratio versus Emotion) bestimmt. In einer groß angelegten empirischen Studie zeigt Vaughn eine Verbindung zwischen den vier Feldern der Matrix und verschiedenen Produktkategorien auf. Mit der Matrix sollen konkrete Management-Empfehlungen ermöglicht werden. Je nach Wirkungsmuster werden Angaben zur idealen Medienwahl, Werbegestaltung und Methode der Erfolgsmessung gemacht. Rossiter, Percy und Donovan (1991, S. 12) entwickeln den integrativen Ansatz von Vaughn weiter, indem sie Markenbekanntheit in das Modell einbeziehen, die sie als notwendige Vorstufe zur Bildung von Einstellungen sehen.
Dominanter Motivator beim Kaufakt
Emotion
Kognition
Affekt
Affekt
Kognition
Erfahrung
Hoch
• • • •
ProduktkategorieInvolvement
Ratio
„Informative Werbung“ Produkte z.B. Autos, Möbel,… „Reflektive“ Werbeformen Fokus auf Produktvorteile Messung: Erinnerungen
Erfahrung
• • • •
„Emotionale Werbung“ Produkte z.B. Schmuck, Mode, … „Emotionsstarke“ Werbeformen Fokus auf emotionale Erfahrungen Messung: Einstellungen, Erregung
Erfahrung
Erfahrung
Kognition
Affekt
Affekt
Kognition
Gering
• • • •
„Erinnernde Werbung“ Produkte z.B. Nahrungsmittel, ,… „Kleine“ Werbeplätze (z.B. Radio) Fokus auf Nutzungs-Erinnerung Messung: Absatz
Abbildung 12: FCB-Matrix von Vaughn (1980, S. 30f)
• • • •
„Bestärkende Werbung“ Produkte z.B. Alkohol, Süßwaren,.. „Omnipräsente“ Medien (z.B. POS) Fokus auf soziale Erwünschtheit Messung: Absatz
Kritische Würdigung etablierter Theoriemodelle
73
Integrative Modelle brechen die starre Hierarchie der Stufenmodelle auf, indem sie alternative Wirkungsverläufe von Involvement und ähnlichen Faktoren abhängig machen. Dabei lösen sie sich jedoch nicht von der generellen Annahme, die Verarbeitung von Reizen erfolge in linearer Form. Dies stellt einen klaren Vorteil bei der Ableitung von ManagementImplikationen dar. Die verschiedenen linearen Wirkungsverläufe in Verbindung mit eindeutigen Entscheidungsregeln für deren jeweilige Gültigkeit lassen die Aufstellung von klaren Handlungsempfehlungen zu. Integrative Ansätze stellen somit ein wichtiges Werkzeug bei der Vorhersage von Konsumentenreaktionen auf bestimmte Werbereize dar. Ein wichtiger Kritikpunkt liegt in der konzeptionellen Darstellung von Produktkategorie-Involvement. Insbesondere bei Vaughn (1980; 1986) sowie Rossiter et al. (1991, S. 12) wird das Involvement direkt mit bestimmten Produktkategorien verbunden. Tatsächlich jedoch sind interpersonelle Unterschiede beim Produktkategorie-Involvement zu erwarten (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 34). Weiterhin deckt sich keiner der Ansätze mit unserer heutigen Vorstellung von Reizverarbeitung, denn das Vorliegen hierarchisch geprägter Wirkungsabläufe bei der Verarbeitung werblicher Kommunikation konnte bis heute nicht empirisch belegt werden. Auf diese Tatsache reagieren so genannte hierarchielose Modellansätze, auf die im folgenden Abschnitt besonders eingegangen werden soll. 3.3
Kritische Würdigung etablierter Theoriemodelle
Die bis hierhin vorgestellten Wirkungskonzepte und Theoriemodelle dominierten in der Vergangenheit wie heute die wissenschaftliche Werbewirkungsforschung. Allerdings konnte sich – abgesehen von einer geringfügigen Dominanz des ELM – kein Theoriemodell eindeutig gegenüber den anderen durchsetzen. Welche Theorien der Wirkung werblicher Kommunikation zugrunde gelegt werden und welche Wirkungsmodelle aus diesen Theoriegrundlagen abgeleitet werden, ist bis heute eine subjektive Ermessensfrage des jeweiligen Wissenschaftlers (Mayer & Illmann, 2000, S. 424f). Verschiedene empirische Studienergebnisse können daher kaum verglichen und nur selten verallgemeinert werden. Möglicherweise mangelt es an einem allgemein anerkannten Theoriemodell, weil alle bis hierhin vorgestellten konzeptionellen Ansätze unzutreffend sind. Über 100 Jahre empirischer Werbewirkungsforschung hat jedenfalls bisher keine eindeutige Evidenz für einen der bestehenden Ansätze geliefert. 3.3.1
Die verkannte Rolle affektiver Reaktionen
Nur eine einzige Gruppe der in den vorangegangenen Abschnitten vorgestellten Modelle räumt affektiven Reaktionen eine von Kognition unabhängige Rolle ein. Sie werden daher als Modelle affektiver Reaktionen bezeichnet (vgl. Abschnitt 3.2.3). Allerdings betrachten sie nur einen Ausschnitt möglicher Werbewirkungen, denn sie ignorieren den Einfluss von Kognition vollkommen (Hall, 2002, S. 26). Dagegen beschreiben alle anderen Modelle Kognition als
74
Modellierung von Werbewirkungen
beherrschend für die Wirkung werblicher Kommunikation. Aus heutiger Sicht ist diese Konzeptualisierung von Werbewirkungen unzutreffend. 1980 argumentierte Zajonc (1980), Emotionen beherrschten Kognition und wirkten unabhängig von kognitiven Prozessen. Unter dem Einfluss dieser Arbeit änderte sich der Stellenwert von Emotionen bei der Erforschung von Konsumentenverhalten. Moderne Erkenntnisse aus Psychologie und Neurowissenschaften zeigen uns affektive Reaktionen als wichtigsten Einflussfaktor unseres Entscheidungsverhaltens (Ambler & Burne, 1999; Hall, 2002; Cramphorn, 2004; Penn, 2006). Ihnen kommt eine eigenständige und essentielle Bedeutung für rationales Denken und Verhalten zu (Damasio, 1994, S. 191ff). Poels (2006) bezeichnet sie daher als “gatekeeper for further cognitive and behavioral reactions” (S. 18). 3.3.2
Neuere Erkenntnisse aus experimenteller Psychologie und Neurowissenschaften
Bereits 1964 konnte im Rahmen von Experimenten gezeigt werden, dass positive Gefühle gegenüber einer Biermarke den wahrgenommenen Geschmack des Bieres positiv beeinflussen (Allison & Uhl, 1964). Werbung, die positive Gefühle gegenüber einer Marke zu erzeugen vermag, wirkt sich also auf die Wahrnehmung von Produktattributen aus, auch wenn diese in der Werbung gar nicht kommuniziert werden. Braun fand 35 Jahre später heraus, dass die Beeinflussung von Gefühlen auch Erinnerungen an vorangegangene Wahrnehmungen verändert. Probanden, denen nach der Verkostung von gesäuertem Orangensaft durch Werbung ein besonders süßer Geschmack der verkosteten Marke suggeriert wurde, beurteilten anschließend den Geschmack deutlich besser als Probanden, die keine Werbung gesehen hatten (Braun, 1999). Werbung beeinflusst also nicht nur Einstellungen, sondern auch die sensorische Wahrnehmung eines Produktes, selbst wenn diese bereits vor dem Werbekontakt stattgefunden hat. Diese Ergebnisse sind konsistent mit der Informations-Integrations-Theorie von Anderson (1991). Demnach werden Erinnerungen abhängig von neu hinzukommenden Wahrnehmungen rückwirkend neu organisiert. Diese Wirkung von Werbung wird durch keines der bisher vorgestellten Theoriemodelle vorhergesagt. Sie alle modellieren Werbewirkungen als Modifikation von Einstellungen durch die Vermittlung von Eigenschaften der beworbenen Marke. Zwar gibt es auch Studien auf Basis des ELM, die eine direkte Wirkung von Aad auf die Wahrnehmung eines Produktes aufzeigen. Diese Wirkung wird als direkter Affekt-Transfer bezeichnet (Gierl & Reich, 2005, S. 278). Allerdings handelt es sich dabei um eine Wirkung auf dem peripheren Pfad des ELM, die somit nicht von Dauer und wenig verhaltensrelevant ist. Das entspricht nicht der Bedeutung, die wir Emotionen heute für den Kaufprozess beimessen (Penn, 2006; Poels & Dewitte, 2006). In ähnlicher Weise wie die moderne experimentelle Psychologie haben auch die Neurowissenschaften unsere Sichtweise auf den Einfluss von Emotionen auf das Konsumentenverhalten verändert. Hier ist unter anderem die einflussreiche Arbeit von Damasio (1994) zu
Kritische Würdigung etablierter Theoriemodelle
75
nennen. Er lehnt die Auffassung vom rational kalkulierenden Geist ab und argumentiert für eine unabhängige, interagierende Rolle von Ratio und Emotion. Nicht nur das Speichern, sondern auch das Abrufen von Informationen ist ein dynamischer Prozess, der von dieser Interaktion beeinflusst wird. Diese Argumentation stützt Damasio (ebd.) auf eine Analyse bekannt gewordener Fälle, in denen Individuen Hirnschäden erlitten, die Ratio, Emotion oder beides mehr oder weniger vollständig außer Kraft setzten. Übertragen auf die Untersuchung von Werbewirkungen bedeutet das: Werbung vermittelt nicht nur Argumente, warum sich Konsumenten für das beworbene Produkt entscheiden sollten, Werbung trägt vielmehr zum Gesamtbild einer Marke bei (Hall, 2002, S. 26). Moderne bildgebende Verfahren der Neurowissenschaften erweitern permanent unseren Kenntnisstand über die Aufgaben, die verschiedene Bereiche des Hirns wahrnehmen. Auch über das Zusammenspiel dieser Bereiche können Aussagen getroffen werden. Für die Werbewirkungsforschung ist unter anderem das Konzept des „Interpretierers“ (Hall, 2002, S. 27) von Bedeutung. Es handelt sich um eine Hirnfunktion, die aktuelle Sinneswahrnehmungen und vergangene Erfahrungen in Einklang bringt. Es ist eine Art Anpassungsmechanismus des Gehirns, um Widersprüche „auszuräumen“ und kohärente Geschichten zu konstruieren (Gazzaniga, 1998). Diese Erkenntnis ist bei der Entwicklung von Theoriemodellen ebenso wie bei messtheoretischen Überlegungen von Bedeutung. Wissenschaftliche und kommerzielle Werbewirkungsforschung versuchen bis heute überwiegend die Wirksamkeit einer Werbung vorherzusagen, indem Rezipienten nach ihren Erinnerungen an diese Werbung befragt wurden. Bereits diese stellen aber ein Ergebnis der Interpretationsfunktion dar. Ein noch größeres Problem entsteht, wenn aus den wiedergegebenen Erinnerungen an eine Werbung deren Wirkung auf die Wahrnehmung des beworbenen Produktes oder gar das Kaufverhalten projiziert werden soll. Denn auch hier unterliegen die Informationen der Interpretation. Das Ergebnis dieses Prozesses ist völlig unklar (Hall, 2002, S. 27). Ein Beispiel: Wird in einer Autowerbung ein sportliches Image des beworbenen Autos vermittelt, so ist es nur von untergeordneter Bedeutung, ob die Werbeinhalte erinnert werden. Viel wichtiger ist die Frage, wie die Inhalte interpretiert werden und so das Markenbild formen. Wenn die Fahrzeuge des werbenden Herstellers durch ihre bisherige Positionierung oder ihr Design nicht im Einklang mit dem Attribut „sportlich“ stehen, wird das Gehirn die in der Werbung enthaltene Botschaft entsprechend uminterpretieren, um ein konsistentes Bild zu wahren. Die Uminterpretation kann zu verschiedenen Zeitpunkten, nicht nur bei Rezeption der Werbung vonstatten gehen. 3.3.3
Beobachtungen aus der Werbepraxis
Bis hierhin wurde anhand verschiedener Beispiele aufgezeigt, dass die neuen Erkenntnisse aus Psychologie und Neurowissenschaften die Gültigkeit der heute vorherrschenden Theoriemodelle in Frage stellen. Über diese wissenschaftlich begründeten Zweifel an den bisherigen
76
Modellierung von Werbewirkungen
Theoriemodellen hinaus sprechen auch Beobachtungen aus der Werbepraxis gegen die Gültigkeit bestehender Wirkungstheorien. Lodish et al. (1995) untersuchten 389 Werbespots, deren Wirksamkeit vorab durch das Ermitteln von Erinnerungswerten getestet worden war. Ihrer Erkenntnis nach ist es „unlikely that there is a strong relationship between standard measures of T.V. commercial recall and persuasion of established brands and the sales impact of the copy” (S. 138). Nach wie vor investieren Werbetreibende einen Großteil der Werbebudgets in klassische Medien wie Fernsehen, Radio oder Zeitungen und Zeitschriften. Die meisten dort beworbenen Marken und Produkte sind bereits seit längerer Zeit auf dem Markt und gehören häufig zu den führenden Marken in ihrer jeweiligen Kategorie. Folgt man der Logik hierarchischer Wirkungsmodelle, so wäre ein Großteil dieser Werbung überflüssig: Die Marken und ihre Eigenschaften sind bereits in den Köpfen der Konsumenten etabliert. Es wäre lediglich eine Mindestmenge an Werbung notwendig, um die Erinnerungen aufzufrischen (Hall, 2002, S. 27). Hierarchiemodelle suggerieren, dass Werbung mit den richtigen Argumenten den Empfänger von einem Produkt überzeugen könne. In Anbetracht der großen Menge Werbung für etablierte Marken und Produkte hieße das: Wenn eine etablierte, bisher viel beworbene Marke nicht mehr beworben wird, so geht deren Umsatz zurück, weil Konsumenten die Argumente aus der Werbung vergessen oder sich gar nicht mehr an die Marke erinnern und im Geschäft nicht mehr aktiv danach suchen (ebd.). Das erscheint wenig plausibel. Werbung für etablierte Marken zielt vielmehr darauf ab, das Markenbild während des Abrufens von bisherigen Produkterfahrungen aktiv zu beeinflussen. Hall (2002) führt hierzu aus: “Without ongoing advertising, the consumer’s experience begins to match the actual product experience. This will fall below the recalled level of competitive products that continue to advertise, and sales will fall” (S. 27). 3.3.4
Kognitiver Bias in der Messung von Werbewirkungen
In der bisherigen Theorielandschaft wurde die Rolle von Affekt für die Wirkung werblicher Kommunikation auf breiter Front verkannt. Die Suche nach Alternativen zu den vorherrschenden Theoriemodellen läuft erst seit wenigen Jahren und steckt noch in den Kinderschuhen. Ein Grund dafür, dass sich die Vorstellung einer dominanten Rolle von Kognition so lange Zeit halten konnte, dürfte in der mangelnden Verfügbarkeit adäquater Messmethoden für affektive Reaktionen liegen. Bisherige Versuche, Theorien der Werbewirkung empirisch zu validieren, zeichnen sich häufig durch einen kognitiven Bias aus (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 37). Erfolgt eine Messung von Gefühlen durch Befragung, so mangelt es an einer Abgrenzung von Kognition und Affekt: Zwischen dem, was Probanden fühlen und der verbalen Formulierung dieser Gefühle besteht nachweislich eine Diskrepanz (Poels & Dewitte, 2006, S. 23). Die Aussagekraft von Ergebnissen empirischer Untersuchungen, in denen das
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
77
Verhältnis von Kognition und Affekt mit entsprechenden Messverfahren untersucht wird, ist daher sehr beschränkt. Die Möglichkeiten, affektive Reaktionen zu erfassen, sind mit der Weiterentwicklung biometrischer Messverfahren gestiegen (Klebba, 1985; Poels & Dewitte, 2006, S. 24f). Durch die direkte Messung physiologischer Reaktionen vermeiden biometrische Verfahren kognitiven Bias. Dennoch setzen sie sich in der Werbewirkungsforschung nur langsam durch. Die meisten Verfahren sind teuer und aufwendig in der Durchführung. Außerdem bestehen bis heute Bedenken hinsichtlich der Validität der Messungen. Das liegt einerseits an der Störanfälligkeit der Messungen. Andererseits liegen nur wenige Erkenntnisse über die VorhersageValidität vor. Hier könnten Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen biometrisch erfassten affektiven Reaktionen und Verhaltensabsichten oder tatsächlichem Verhalten Aufschluss bringen (Poels & Dewitte, 2006, S. 33). 3.4
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
Abgesehen von Marktreaktionsmodellen liegt allen bisher vorgestellten Modellansätzen die Annahme eines hierarchischen Ablaufes von Werbewirkungen zugrunde. Wie bereits in den vorherigen Abschnitten dargelegt, konnten Wirkungshierarchien bis heute empirisch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Neurowissenschaftliche Erkenntnisse der letzten ein bis zwei Jahrzehnte deuten auf eine parallele, nicht sequenzielle Reizverarbeitung im menschlichen Gehirn hin (Martin, J. H., 1991; Rose, 1992; Sutherland & Sylvester, 2000, S. 6ff). Ein Werbeobjekt, z.B. eine Marke, stellt dabei ein Wahrnehmungskonstrukt dar, das verschiedene physische und kognitive Dimensionen integriert (McClure et al., 2004, S. 379). Die Ausprägung der Dimensionen entscheidet über Präferenzen und Verhalten. Das Erfrischungsgetränk Coca-Cola beispielsweise schneidet in Blindverkostungen regelmäßig deutlich schlechter ab als bei Verkostungen, bei denen die Marke bekannt ist. Es geht also offensichtlich nicht nur darum, ob das Getränk schmeckt, sondern ob die Marke gefällt (McClure et al., 2004). Vakratsas und Ambler sprechen in diesem Zusammenhang von der „Anthropomorphisierung“ der Marke (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 34). Auf Basis entsprechender Erkenntnisse findet seit einiger Zeit eine Abkehr von hierarchisch gestuften Modellansätzen statt (Mayer & Illmann, 2000, S. 424). Stattdessen werden hierarchielose Ansätze vorgeschlagen, in denen werbliche Kommunikation über die “gleichberechtigten” Faktoren Kognition, Affekt und Erfahrung Einfluss auf das Verhalten von Rezipienten nimmt (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 37; Hall, 2002, S. 24). Erste Arbeiten zu diesem Thema stammen von King (1975), Lannon (1986; 1994) sowie Lannon und Cooper (1983). Sie geben Anstöße für eine hierarchielose Sichtweise, ohne aber konkrete Theoriemodelle zu entwickeln, die empirisch überprüft werden könnten. In ihrer umfangreichen Literatursichtung
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Modellierung von Werbewirkungen
kommen Vakratsas und Ambler (1999) ebenfalls zu dem Schluss, die Werbewirkungsforschung müsse sich von hierarchisch strukturierten Modellen verabschieden. Sie entwickeln den so genannten Experience-Affect-Cognition-(E-A-C-)Raum, einen konzeptionellen Ansatz, der im folgenden Abschnitt näher erläutert werden soll. 3.4.1
Der E-A-C-Raum von Vakratsas und Ambler
Nach Ansicht von Vakratsas und Ambler (1999) lässt sich jede Werbewirkung durch eine Art „Fingerabdruck“ beschreiben, der sich durch eine bestimmte Positionierung in einem Koordinatensystem aus Erfahrung, Affekt und Kognition (E-A-C-Raum) darstellen lässt. Eine Werbung ist laut Vakratsas und Ambler am effektivsten, wenn sie genau ihre Ziel-Positionierung im E-A-C-Raum erreicht. Eine Kleinanzeige für ein gebrauchtes Fahrrad erfordert zum Beispiel keine vorherige Probefahrt (Erfahrung) oder Emotionen weckende Inhalte, dafür aber umfangreiche sachbezogene Angaben wie Modell, Alter, Zustand oder Preis. Umgekehrt sollte ein Fernsehspot für Waschmittel in geringerem Maße Fakten vermitteln, dafür umso mehr die Emotionen ansprechen und Wiederkauf betonen (a.a.O., S. 36).
Affekt
Ko gn iti on
Fernsehspot für Waschmittel
Kleinanzeige für gebrauchtes Fahrrad
Erfahrung
Abbildung 13: E-A-C-Raum von Vakratsas und Ambler (1999, S. 37)
Die Zielpositionierung einer Werbung im E-A-C-Raum wird durch fünf Faktoren bestimmt: Werbeziel, Produktkategorie, Wettbewerberaktivitäten, Positionierung des Produktes im Lebenszyklus und Zielgruppe. Während ein Werbetreibender Marktanteile ausbauen möchte, geht es einem anderen darum, ein hochpreisiges Nischenprodukt bekannt zu machen. Dieser Unterschied in den Werbezielen ist in der Kommunikation zu berücksichtigen. Ebenso nimmt die Produktkategorie Einfluss auf die optimale Kommunikationsstrategie. Werbung für Erfahrungsgüter und Dienstleistungen beispielsweise sollte laut Vakratsas und Ambler (1999, S. 37) eher auf Kreativität und Emotionen, Werbung für Industrie- und Suchgüter eher auf In-
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
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formationen und Argumente bauen. Wettbewerberaktivitäten spielen eine Rolle, weil nicht alle Marken in einer Produktkategorie den gleichen Kommunikationsansatz erfolgreich vertreten können. Neue Produkte müssen erst ein Image etablieren, während bei Produkten, die seit längerem auf dem Markt sind, die bisherige Positionierung berücksichtigt werden muss. Die Werbestrategie einer Marke muss auch an die Zielgruppe angepasst sein. Süßwarenwerbung für Kinder beispielsweise sollte eher emotional und Kaufgewohnheiten bestärkend gestaltet sein, wenn sie sich an Kinder richtet, während Produktinformationen („…enthält das Beste aus einem viertel Liter Milch…“) für die Eltern als Käufer wichtiger sind. Neben den fünf Faktoren wirkt sich auch das Medium auf die ideale Positionierung einer Werbung im E-A-CRaum aus (vgl. das obige Beispiel Kleinanzeige versus Fernsehwerbung). Um die Zielpositionierung in Abhängigkeit dieser Faktoren genauer zu bestimmen, schlagen Vakratsas und Ambler die Auswertung bestehender Datenbanken effektiver Werbekampagnen vor. In Frage käme beispielsweise die Gewinnerliste der Effie-Awards, eines Preises für besonders wirkungsvolle Produktkommunikation (European Association of Communications Agencies 2007). Durch eine solche Datenanalyse können auch Aussagen darüber getroffen werden, wie Gestaltung und Positionierung einer Werbung im E-A-C-Raum zusammenhängen. Der E-A-C-Raum von Vakratsas und Ambler (1999, S. 37) ist eher als konzeptioneller Ansatz, weniger als fertiges Theoriemodell zu sehen. Unter anderem lässt er folgende Fragen offen: • Gibt es für jede Werbung nur genau eine ideale Zielpositionierung? • Wie verläuft die verhaltensbeeinflussende Wirkung einer Werbung, wenn sie sich von der Zielpositionierung im E-A-C-Raum entfernt? • Ist Zielgruppe der einzige Faktor, der für Wirkungsunterschiede einer bestimmten Werbegestaltung verantwortlich ist? Welche Rolle spielen beispielsweise Anzahl und Abstand von Wiederholungen oder Rezeptionskontext? Die Autoren des E-A-C-Ansatzes appellieren an die Werbewirkungsforschung, sich von der Wirkungshierarchie KognitionÆAffekt zu verabschieden. In entsprechenden messtheoretischen Überlegungen fordern sie darüber hinaus, den bisher meist vorherrschenden kognitiven Bias in der Messung von Affekt zu vermeiden. Hierfür solle sich die Forschung auf moderne Möglichkeiten zur Messung von affektiven Reaktionen stützen oder neue Möglichkeiten entwickeln (Vakratsas & Ambler, 1999, S. 37f). Im Gegensatz zu bisher dominanten Forschungsansätzen kommt affektiven Reaktionen somit eine eigenständige, von Kognition unabhängige Bedeutung zu.
80 3.4.2
Modellierung von Werbewirkungen Das M-A-C-Modell von Ambler und Burne
Auch Ambler und Burne (1999) stellen die Hypothese auf, Gefühle und Emotionen dominierten menschliche Entscheidungen. Kognition biete vor allem eine nachträgliche Ratio für Entscheidungen, die bereits auf Basis von Affekt im Geiste getroffen wurden. Im Modell von Ambler und Burne wird das Konsumentenverhalten in erster Linie durch Erinnerungen (memory) an vergangene Erfahrungen, Gewohnheiten und Marken- oder Produkteigenschaften beeinflusst. Der starke Einfluss dieser Erinnerungen verglichen mit dem Einfluss werblicher Kommunikation begründet sich unter anderem auf den zeitlichen Abstand zwischen Werbung und Kauf. Erinnerungen interagieren mit affektiven Reaktionen, die beispielsweise durch Werbung hervorgerufen werden. Mit anderen Worten: Gefühle und Emotionen können Erinnerungen an vergangene Produkterfahrungen, Gewohnheiten und Marken- oder Produkteigenschaften modifizieren, wenn sie stark genug sind. So können sie das Kaufverhalten beeinflussen. Kognition spielt laut Ambler und Burne nur eine Rolle, wenn affektive Reaktionen nicht in einer eindeutigen Richtung wirken. Abbildung 14 gibt einen Überblick über das Memory-Affect-Cognition- (M-A-C-) Modell. Findet werbliche Kommunikation statt, so beschränken Wahrnehmungsfilter zunächst deren Rezeption, sofern sie nicht einen bestimmten Schwellenwert der Aufmerksamkeitserregung überschreitet (Dubow, 1994, S. 102f). Ist diese Schranke überwunden, gibt es drei Möglichkeiten, wie Werbung auf das Verhalten Einfluss nehmen kann: Einige Werbereize wecken lediglich Erinnerungen an ein bisher gespeichertes Marken- und Produktbild (memory only). Diese Art der Werbung kann kaufrelevant werden, indem sie unsere Gewohnheiten aktiviert. Ein weiterer Teil werblicher Kommunikation spricht sowohl unser bisher erinnertes Markenund Produktbild als auch unsere Gefühle und Emotionen an (memory plus affect). Diese neuen affektiven Reaktionen können das bisher Abgespeicherte modifizieren und darüber die Kaufentscheidung beeinflussen. Ein dritter Teil von Werbung aktiviert nicht nur Erinnerungen und affektive Reaktionen, sondern sorgt auch dafür, dass wir über Marke oder Produkt und deren Attribute nachdenken (memory plus affect plus cognition). Diese kognitive Verarbeitung von Informationen kann ebenso wie Affekt unser vergangenes Bild von Marke und Produkt modifizieren, sofern sie nicht von affektiven Reaktionen überlagert wird (Ambler, 2000). Die Trennung in die drei Einflussfaktoren im M-A-C-Modell ist nicht sequentiell zu verstehen. Erinnerungen, Affekt und Kognition wirken gleichzeitig oder nahezu gleichzeitig. Ambler (2000) weist darauf hin, dass ein Zusammenwirken nur von Erinnerungen und Kognition in dem Modell nicht vorgesehen ist, obwohl es in der Realität, beispielsweise bei Kleinanzeigen für Gebrauchtwaren, beobachtet werden kann. Diese Beschränkung auf einen begrenzten – sicherlich den größten – Teil werblicher Massenkommunikation wird bewusst in
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
81
Kauf genommen, um die Aussagekraft des Modells nicht durch eine übermäßige Ausdehnung auf weitere mögliche Sachverhalte zu verringern (a.a.O., S. 310).
Gedächtnis Werbereize
Konkurrenten um Aufmerksamkeit
Filter der Wahrnehmung
Affekt Kognition
Langzeitgedächtnis Gedächtnis Kaufanreize
Neue Informationen
Filter der Wahrnehmung
Affekt Kognition Verhalten
Abbildung 14: Das M-A-C-Modell von Ambler und Burne (1999)
Der zweite Teil des M-A-C-Modells, dargestellt in der unteren Hälfte von Abbildung 14, betrifft den Prozess der Kaufentscheidung. Dieser erfolgt üblicherweise zu einem späteren Zeitpunkt als die Rezeption des entsprechenden Werbereizes. Ein Konsument wird heute mit einer großen Zahl von Kaufanreizen konfrontiert, von denen ähnlich wie bei Werbereizen nur ein kleiner Teil die Wahrnehmungsfilter passiert. Ebenso erhält ein Konsument in der Zeit vor einer Kaufentscheidung aus diversen anderen Quellen neue Informationen. Bei der eigentlichen Kaufentscheidung findet ein ähnliches Zusammenspiel von Erinnerungen an vergangene Erfahrungen und Meinungen, Affekt und Kognition statt wie bei der Verarbeitung von Werbereizen. Einen Teil der Kaufentscheidung treffen Konsumenten aus Gewohnheit. Sie werden also allein durch unser bisher gespeichertes Bild von Marke und Produkt verursacht. Ambler und Burne (1999) nehmen an, dass die meisten der von Konsumenten getroffenen Entscheidungen in diese Kategorie fallen. Viele Auswahlentscheidungen werden aber nicht nur durch Erinnerungen an ein bisher gespeichertes Marken- und Produktbild, sondern auch durch Gefühle und Emotionen in der Entscheidungssituation beeinflusst. Schließlich gibt es auch eine dritte Gruppe von Entscheidungen, bei denen rationales Denken Einfluss ausübt – sei es bei der Abwägung verschiedener Fakten und Argumente oder bei der nachträglichen Plausibilisierung affektiver Reaktionen oder beides (a.a.O., S. 311f). Ambler und Burne (1999) orientieren sich bei der Aufstellung ihres Modells stark an unseren heutigen – zugegebenermaßen noch recht groben – Vorstellungen von der Funktionsweise
82
Modellierung von Werbewirkungen
unseres Gehirns. Nach diesen Vorstellungen übernehmen verschiedene Hirnregionen unterschiedliche Aufgaben (Ambler, Braeutigam, Stins, Rose & Swithenby, 2004). An der Wahrnehmung von Gefühlen und Emotionen scheinen vor allem die medioorbitale Region des linken Frontallappens sowie die Amygdala beteiligt zu sein (Damasio, 1994; Ioannides et al., 2000). Beide Regionen zeigen bei der gedanklichen Vorbereitung von Kaufentscheidungen besondere Aktivität (Braeutigam, 2005, S. 357). Diese Dominanz von Gefühlen und Emotionen beim Zustandekommen von Kaufentscheidungen wird im M-A-C-Modell reflektiert. Allerdings funktionieren die verschiedenen Hirnareale nicht separat voneinander, sondern sind stark vernetzt. So aktiviert das Treffen von Kaufentscheidungen nicht nur die medioorbitale Region des linken Frontallappens, sondern beispielsweise auch den präfrontalen Cortex, also das Arbeitsgedächtnis (Ambler, 2000, S. 308). Diese parallele und vernetzte Funktionsweise findet sich auch im M-A-C-Modell wieder: Werbung und Kaufentscheidungen können entweder nur gespeicherte Bilder aktivieren oder parallel Gefühle und Emotionen hervorrufen oder parallel rationale Erwägungen auslösen. Die drei Vorgänge interagieren miteinander, um ein neues Bild von Marke oder Produkt abzuspeichern. 3.4.3
Das P-E-M-Modell von Hall
Die Vorstellung, Kognition dominiere Affekt, gilt heute in der Werbewirksamkeitsforschung als überholt. Mit dem E-A-C-Raum beschreiben Vakratsas und Ambler (1999) eine Möglichkeit, Kognition und Affekt unabhängig voneinander zu betrachten. Diese unabhängige Betrachtung ist aber nur der erste Schritt hin zu einer Darstellung von Affekt als zentralem Antrieb des Kaufverhaltens. Mit dem P-E-M-Modell entwickelt Hall (2002) ein neues, hierarchieloses Wirkungsmodell, welches affektiven Reaktionen nicht nur eine unabhängige, sondern auch dominante Rolle bei der Wirkung werblicher Kommunikation einräumt. Gleichzeitig berücksichtigt es auch die zentrale Bedeutung von Produkterfahrungen. Das Modell ist in Abbildung 15 dargestellt. Es unterscheidet zwischen drei verschiedenen Funktionen, die Werbung erfüllt: Formung der Wahrnehmung (framing perception), Anreicherung von Erfahrungen (enhancing experience) und Strukturierung von Erinnerungen (organizing memory). Welche der drei Funktionen Werbung erfüllt, hängt dabei davon ab, ob bereits Produkterfahrungen vorhanden sind oder nicht. Wird ein Produkt beworben, mit dem der Rezipient noch keine Erfahrungen hat, so formt die Werbung die Wahrnehmung des Produktes: Zunächst wird die Existenz des Produktes zur Kenntnis genommen. Als nächstes werden Produkterfahrungen antizipiert. Das bedeutet, der Rezipient macht sich eine Vorstellung davon, wie ein möglicherweise folgender Kontakt mit dem Produkt aussehen könnte. Wird beispielsweise ein Fertiggericht im Fernsehen beworben, so lässt einem die optisch ansprechende Abbildung der zubereiteten Mahlzeit „das Wasser im Munde zusammenlaufen“. In einem dritten Schritt kann Werbung passende Erklärungen für
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
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erwartete Produkterfahrungen liefern. Eine zentrale Rolle spielt dabei laut Hall (2002) die Interpretationsfunktion des menschlichen Gehirns, auf die bereits in Abschnitt 3.3.2 eingegangen wurde. Demnach konstruieren wir im Geiste ein plausibles Bild von künftigen Erfahrungen mit einem Produkt, das noch nicht ausprobiert wurde. Das bedeutet, wir machen uns eine Vorstellung davon, wie eine erste Begegnung möglicherweise aussehen wird und suchen nach überzeugenden Gründen für die Ausgestaltung dieser Vorstellungen. Werbung kann auf diesen Vorgang Einfluss nehmen, indem sie eben solche Begründungen bietet (a.a.O., S. 24ff). Eine zweite Funktion von Werbung ist die Anreicherung von Erfahrungen. Diese Funktion nimmt Werbung sowohl bei Produkten wahr, mit denen noch keine Erfahrungen gemacht wurden, als auch bei bereits ausprobierten Produkten. Einerseits beeinflusst Werbung die sensorische Wahrnehmung eines Produktes. Dies wird an den Untersuchungen von Allison (1964) sowie Braun (1999) deutlich: Werbung kann den wahrgenommenen Geschmack von Lebensmitteln verändern. Das gilt sowohl für Lebensmittel, die im Anschluss an die Werbung konsumiert werden, als auch rückwirkend für bereits vor der Werbung konsumierte Lebensmittel. Andererseits wirkt sich Werbung in bestimmten Fällen auch auf die Wahrnehmung sozialer Aspekte eines Werbeobjektes aus. Hier stehen Attribute wie Glaubwürdigkeit und Vertrauen im Mittelpunkt. Je stärker folglich die Glaubwürdigkeit des Absenders werblicher Kommunikation, desto größer die Chance, dass ein Rezipient Werbetreibenden und Produkt als vertrauenswürdig ansieht. Als drittes dient Werbung laut Hall (2002) der Strukturierung von Erinnerungen an gesammelte Produkterfahrungen. Diese Funktion wird also bei Produkten ausgeübt, die der Rezipient bereits ausprobiert hat. Die Strukturierung von Erinnerungen hat drei Elemente: Werbung etabliert Hinweisreize, beispielsweise einen Werbeslogan oder eine Melodie („Jingle“). Diese können später gezielt zum Abruf der gespeicherten Informationen genutzt werden. Weiterhin trägt Werbung zur Etikettierung gesammelter Produkterfahrungen bei, indem sie diese Erfahrungen fest mit einer Marke verbindet. So werden Erinnerungen an Produkterfahrungen leichter zugänglich. Der Vorgang ähnelt der Etablierung von Hinweisreizen, wird von Hall (ebd.) aber aufgrund seiner zentralen Bedeutung für die Funktionsweise von Werbung separat dargestellt. Schließlich beeinflusst Werbung auch die Interpretation von Erinnerungen an Produkterfahrungen. Wie im ganzen Modell spiegelt sich an dieser Stelle die Vorstellung dynamischer Speicher- und Abrufprozesse im Gehirn wider: Auch Erinnerungen an bereits in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen werden jederzeit modifiziert und neu ausgelegt, um ein stimmiges Bild zu wahren. Werbung kann diese Interpretationsvorgänge beeinflussen, indem sie plausible Begründungen für erinnerte Bilder liefert (ebd.).
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Modellierung von Werbewirkungen
Phase
Werbung vor Produkterfahrung
Formung der Wahrnehmung
Funktion
Wirkung
1.
Kenntnisnahme der Existenz
2.
Antizipation der Produkterfahrung
3. Beeinflussung der Interpretation
Werbung nach Produkterfahrung
Anreicherung von Erfahrungen
Anreicherung 1. sensorischer Wahrnehmung Anreicherung 2. sozialer Wahrnehmung
Strukturierung von Erinnerungen
1.
Etablierung von Hinweisreizen
2.
Etikettierung (Branding)
3. Beeinflussung der Interpretation
Abbildung 15: Das P-E-M-Modell von Hall (2002; 2004)
Hall (2002) weist bei seiner Beschreibung des P-E-M-Modells auf die fließende Grenze zwischen Werbung vor und nach Produkterfahrungen hin. Werbung vor Produkterfahrungen erfolgt beispielsweise, wenn neue Produkte beworben werden oder ein Rezipient ein Produkt noch nicht kennt und ausprobiert hat. In vielen Fällen werden Rezipienten von Werbung aber bereits Erfahrungen mit dem Werbeobjekt gesammelt haben. Je nach Kaufverhalten und Wiederkaufzyklus kann Werbung in diesen Fällen Erinnerungen an vergangene Erfahrungen strukturieren. Andererseits kann sie auch zur Formung der Wahrnehmung des nächsten Kontaktes mit dem Werbeobjekt dienen. 3.4.4
Messtheoretische Überlegungen im Lichte hierarchieloser Modelle
Vergangene Untersuchungen konnten immer wieder belegen, dass Produkterfahrungen das Konsumentenverhalten deutlich stärker beeinflussen als werbliche Kommunikation (Smith & Swinyard, 1983; Hoch & Ha, 1986; Marks & Kamins, 1988; Smith & Swinyard, 1988; Tellis, 1988; Smith, 1993; Wright, A. A. & Lynch Jr, 1995). Im Gegensatz zu bisher vorherrschenden Werbewirkungstheorien wie dem ELM berücksichtigen M-A-C- und P-E-M-Modell explizit die wichtige Rolle von Produkterfahrungen. Sie stellen somit einen „ganzheitlichen“ Ansatz dar, indem sie das Bild, das sich ein Rezipient von einem Werbeobjekt macht, in den Mittelpunkt rücken. Affekt, Erfahrungen und Kognition formen dieses Bild gemeinsam, allerdings nicht in einer festen Reihenfolge. Im Kaufprozess kann Werbung zu jeder Zeit auf spe-
Neuere, hierarchielose Modelle der Werbewirkung
85
zifische Art und Weise in die Wahrnehmungsprozesse eines Individuums eingreifen (Hall, 2002, S. 29). Werbung wirkt, indem sie Wahrnehmungen einer Marke formt, Erfahrungen mit dem entsprechenden Produkt anreichert und Erinnerungen an diese Produkterfahrungen organisiert. Die Werbewirksamkeit definiert sich folglich darüber, was ein Werberezipient über Marke und Produkt denkt und fühlt. Bewusste Verarbeitung einer Werbung und ihres Inhaltes ist demgemäß von nachrangiger Bedeutung (Le Doux, 1996, 2002). In der wissenschaftlichen und kommerziellen Werbewirkungsforschung dominieren bis heute Werbeerinnerungen als Wirkungsmaß, um bewusste Verarbeitung einer Werbung nachzuweisen. Das erscheint vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen wenig zweckmäßig. Stattdessen sollte die Erfassung von Gefühlen und Emotionen gegenüber der beworbenen Marke als wichtigster Schritt zur Beurteilung von Werbewirkungen in den Vordergrund rücken (Cramphorn, 2006; Penn, 2006). Hall (2002; 2004) schlägt hierfür Messverfahren vor, die sich möglichst stark an der realen Kaufsituation orientieren. Für Laborexperimente bedeutete dies beispielsweise eine Simulation der Entscheidungssituation oder – z.B. wenn es um die Beurteilung von Werbung für Dienstleistungen geht – eine möglichst realitätsnahe Umschreibung der Kaufentscheidung. Eine weitere messtheoretische Überlegung betrifft die Rolle von Emotionen und Gefühlen als zentrale Bausteine von Werbewirkungen. Herkömmliche Messverfahren wie Interviews oder Fragebögen unterliegen einem kognitiven Bias. Aus diesem Grund bedarf es des Einsatzes neuer Verfahren zur direkten Messung affektiver Reaktionen. In Frage kommen vor allem verschiedene Arten biometrischer Erfassung affektiver Reaktionen wie die Messung von Hautleitfähigkeit oder Hirnaktivität (Poels & Dewitte, 2006). 3.4.5
Kritische Würdigung von M-A-C- und P-E-M-Modell
M-A-C- und P-E-M-Modell lösen das bisherige Postulat einer hierarchisch strukturierten Wirkungskette auf. Weiterhin berücksichtigen sie im Gegensatz zu den meisten Hierarchiemodellen die wichtige Bedeutung von einem bereits vor Werberezeption vorhandenen Bild einer Marke oder eines Produktes. Dieses Bild setzt sich aus bisherigen Erfahrungen, Gewohnheiten sowie erinnerten Marken- und Produkteigenschaften zusammen. Klassische Hierarchiemodelle blenden den Einfluss bisheriger Erfahrungen zumeist aus, indem sie nur Einstellungsänderungen durch Werbung modellieren. Dabei verkennen sie, dass nicht nur Werbung, sondern auch die Interaktion zwischen bisherigen Einstellungen und Werbung Einstellungsänderungen bewirken können (Damasio, 1994). Neben bisherigen Erfahrungen mit Marke und Produkt sind affektive Reaktionen, also Gefühle und Emotionen, in M-A-C- und P-E-M-Modell zentrale Einflussfaktoren einer Kaufentscheidung. Dies entspricht modernen Erkenntnissen aus Psychologie und Neurowissenschaften, die unser Verhalten zum Großteil
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Modellierung von Werbewirkungen
auf „Bauchentscheidungen“ zurückführen. Auch wenn einige Entscheidungen durch Abwägung rationaler Argumente entstehen, dient Kognition nicht selten nur der nachträglichen Erklärung bereits aus dem Affekt heraus getroffener Entscheidungen. Sowohl Ambler und Burne (1999) als auch Hall (2002; 2004) schlussfolgern, dass künftige empirische Werbewirkungsforschung nicht mehr untersuchen soll, ob und wie eine Werbung wahrgenommen wird. Denn Werbung, so der zugrunde liegende Gedanke, könne auch wirken, ohne bewusst wahrgenommen zu werden. Untersuchungsobjekte sollten stattdessen in erster Linie Gefühle, Emotionen und Kognition gegenüber dem beworbenen Produkt sowie das daraus resultierende Entscheidungsverhalten sein. Ob und wie werbeverursachte Gefühle, Emotionen und Kognition gegenüber einem Produkt das Entscheidungsverhalten beeinflussen, darüber macht keines der Modelle genauere Aussagen. Hier sind entsprechende empirische Studien nötig, um die Verhaltensrelevanz nachzuweisen. Das gilt insbesondere für die acht Wirkungskonzeptionen, die sich bei Hall finden. Cramphorn (2006) nutzt Strukturgleichungsanalysen, um verschiedene Wirkungsmodelle zu vergleichen. Stellvertretend für verschiedene Stufenmodelle werden AIDA-Modell sowie eine Abwandlung davon mit dem MA-C-Modell von Ambler und Burne gegenübergestellt. Zwar beinhaltet die Untersuchung keine Messung des Konsumentenverhaltens, aber zumindest wird Kaufabsicht als Antezedent des Verhaltens (Kalwani & Silk, 1982; Armstrong, Morwitz & Kumar, 2000) erfasst. Ein hierarchischer Ablauf von Werbewirkungen wie im AIDA-Modell erklärt nur einen geringen Teil der Varianz der Kaufabsicht. Mehr als zwei Drittel der Varianz aber werden durch ein von Cramphorn (2006) in Anlehnung an das M-A-C-Modell aufgestelltes integratives Modell erklärt. Bisherige Produkterfahrungen, affektive Reaktionen und Kognition wirken alle auf Kaufabsichten, ohne dass sie hierarchisch verbunden wären. Dies entspricht den grundlegenden Zusammenhängen, die im M-A-C- und auch E-A-C-Modell formuliert werden. Im Gegensatz zu dem von Ambler und Burne ebenso wie von Hall postulierten besonders starken Einfluss von Erfahrungen und Gewohnheiten wirken diese laut der Untersuchung von Cramphorn zwar signifikant, aber deutlich schwächer als Gefühle gegenüber der beworbenen Marke. Die Untersuchung von Hall basiert auf Sekundärdaten, welche über mehrere Jahre im Rahmen praktischer Werbewirkungsforschung zusammengetragen wurde. Die Messung von affektiven Reaktionen unterliegt dabei dem bereits erläuterten kognitiven Bias, denn Gefühle wurden per Fragebogenmethode erfasst. Cramphorn liefert Hinweise auf die Gültigkeit eines hierarchielosen Ansatzes wie von Ambler und Burne sowie Hall formuliert; dennoch sind weitere Untersuchungen zum Nachweis der Verbindung zwischen Erfahrung, Affekt und Kognition mit dem Konsumentenverhalten notwendig.
M-A-C-Modell als theoretische Basis für die Untersuchung 3.5
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M-A-C-Modell als theoretische Basis für die Untersuchung
In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob thematische Kongruenz mit dem umgebenden editorialen Kontext dazu beiträgt, die Effektivität von Werbung zu erhöhen. Unter Effektivität wird dabei die Erzielung erwünschter Verhaltensänderungen verstanden. Auf den vorangegangenen Seiten wurde erläutert, wie sich Wirkungen von Werbereizen auf das Verhalten theoretisch modellieren lassen. Nach heutigem Wissensstand beschreiben M-A-C- und E-AC-Modelle die Wirkungsmechanismen werblicher Kommunikation zutreffender als bisher vorherrschende Modelle mit hierarchisch aufgebauten Wirkungsketten. Daher sollen sie als konzeptionelle Grundlage der folgenden empirischen Untersuchung dienen. Um den hierfür geeigneteren der beiden Ansätze auswählen zu können, wird nachfolgend ein Vergleich der Modelle vorgenommen. In Anlehnung an den wissenschaftstheoretischen Kriterienkatalog zur Bewertung von Theorieansätzen von Whetten (1989, S. 490f) sollen hierfür vier Bewertungsdimensionen herangezogen werden: • Umfang (comprehensiveness): Beinhaltet das Modell alle Faktoren, um den zu untersuchenden Sachverhalt zu erklären? • Effizienz (parsimony): Beinhaltet das Modell Faktoren, die für die Erklärung des zu untersuchenden Sachverhaltes überflüssig sind und daher getrichen werden könnten? • Kausalität (causality): In welchem Umfang enthält das Modell Kausalzusammenhänge zwischen den beteiligten Faktoren? • Schlüssigkeit (underlying logic): Wie stringent ist die Argumentation und wie plausibel sind die Annahmen, die zur Aufstellung des Modells geführt hat bzw. haben? Für jede der vier Kategorien sind als erstes die Anforderungen festzulegen, die sich aus dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand an ein Werbewirkungsmodell ergeben. Anschließend können beide Modelle danach bewertet werden, ob sie diese Anforderungen erfüllen. Die folgende Übersicht (Tabelle 6) enthält das Ergebnis dieses Vorgehens.
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Modellierung von Werbewirkungen
Tabelle 6: Vergleich der Eignung von M-A-C- und P-E-M-Modell als Grundlage der vorliegenden Untersuchung
Kriterium
Anforderungen an ein Werbewirkungsmodell als konzeptionelle Grundlage der vorliegenden Untersuchung
Erfüllung der Anforderungen M-A-C-Modell
P-E-M-Modell
Umfang
Das Modell sucht Erklärungen für eine Einflussnahme von Werbung auf Kenntnisstand und Verhalten; es beinhaltet alle hierfür relevanten Faktoren im Zusammenhang mit • Werbereiz • Empfänger • Kontaktsituation ("Umfeld")
erfüllt
teilweise erfüllt (keine differenzierte Betrachtung exogener Faktoren)
Effizienz
Das Modell enthält keine Faktoren, welche nicht zur Erklärung der Einflussnahme von Werbung auf Kenntnisstand und Verhalten notwendig sind
erfüllt
erfüllt
Kausalität
Das Modell enthält eindeutig interpretierbare Wirkungsbeziehungen zwischen exogenen Faktoren und der Beeinflussung von Kenntnisstand und Verhalten durch Werbung
erfüllt
teilweise erfüllt (keine differenzierten Zusammenhänge zwischen exogenen Faktoren und Vorhandensein sowie Stärke der im Modell enthaltenen acht Arten von Werbewirkung)
Schlüssigkeit
Die Annahmen und Argumentationen bei der Herleitung des Modells sind nachvollziehbar und logisch
erfüllt
erfüllt
Wie aus dem Vergleich der beiden Modelle deutlich hervorgeht, erfüllt das M-A-C-Modell die Anforderungen an eine konzeptionelle Grundlage der vorliegenden Untersuchung in größerem Umfang als das P-E-M-Modell. Es liefert theoretische Erklärungen für die Vorgänge, die ein Werbereiz (Stimulus) innerhalb eines Individuums (Organismus) auslöst, um das Verhalten (Response) zu beeinflussen. Da es sich weniger um ein abgeschlossenes Wirkungsmodell, sondern eher um eine grundsätzliche Konzeption von Werbewirkungen handelt, bietet es die notwendige Flexibilität, um auch Kontexteffekte zu erklären. Gleichzeitig hat es durch die Studie von Cramphorn (2006) bereits erste empirische Bestätigung erfahren.
M-A-C-Modell als theoretische Basis für die Untersuchung
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Die Anwendung des M-A-C-Modells bedeutet eine konsequente Abkehr vom Gedanken hierarchisch verlaufender Werbewirkungen. Das Verhalten wird einerseits vom bestehenden Bild eines Produktes beeinflusst, sofern ein solches Bild existiert. Andererseits beeinflusst Werbung das Verhalten, indem sie affektive und kognitive Reaktionen hervorruft. Es stellt sich daher nun die Frage, wie sich eine thematische Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext auf affektive und kognitive Reaktionen auswirkt. Hierzu gibt es eine Reihe von Theorien. Sie werden im folgenden Abschnitt vorgestellt und diskutiert, bevor anschließend ein Modell der Kongruenzwirkung aufgestellt werden soll, um daraus Forschungsannahmen für eine empirische Untersuchung abzuleiten.
4.
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz „Da merkt man kaum, dass die Sendung nicht weitergeht, und da schaltet man auch nicht um.“ Teilnehmer einer kommerziellen Studie zur Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz24
4.1
Werbe-Kontext-Kongruenz im M-A-C-Modell
Das M-A-C-Modell soll als konzeptionelle Grundlage für die Modellierung von Werbewirkungen dienen. Es betont die Bedeutung von affektiven Reaktionen für den Einfluss von Werbung auf das Verhalten. Im nächsten Schritt sollen Überlegungen angestellt werden, wie sich eine thematische Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext auf die Wirkung von Werbung auswirkt. Die Diskussion beschränkt sich dabei – wie bereits bei der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes spezifiziert – auf psychologische Kongruenzwirkungen. Zielgruppeneffekte werden folglich nicht betrachtet. Es ergeben sich im Wesentlichen drei Ansatzpunkte einer thematischen Werbe-Kontext-Kongruenz: Werbung konkurriert mit anderen Reizen um Aufmerksamkeit. Fernsehzuschauer beispielsweise schalten um oder wenden sich anderen Beschäftigungen zu, Zeitschriftenleser blättern weiter. Thematisch kongruente Werbung könnte mehr Aufmerksamkeit erregen als inkongruente Werbung. Ein Einfluss affektiver Reaktionen auf Einstellungen gegenüber einem Werbeobjekt wurde bereits mehrfach nachgewiesen (Batra & Ray, 1985; Batra & Ray, 1986; Derbaix, 1995). Affektive Reaktionen auf eine Werbung dürften folglich auch unser Verhalten beeinflussen. Thematische Kongruenz von Werbung und Kontext könnte positivere affektive Reaktionen nach sich ziehen als Inkongruenz. Zwischen Werbung und (Kauf-)Verhalten liegt mitunter ein langer Zeitraum. Ob eine Werbung im Gedächtnis bleibt, spielt daher eine wichtige Rolle. Ein weiterer Ansatzpunkt thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz könnte in einer effektiveren Speicherung von Botschaftsinhalten im Langzeitgedächtnis liegen. Auf den folgenden Seiten werden diese Ansatzpunkte einer Wirksamkeitssteigerung durch Werbe-Kontext-Kongruenz näher beleuchtet. Anhand von theoretischen Überlegungen und 24 Zitiert nach IP Deutschland (2005a, S. 30).
92
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
bisherigen empirischen Erkenntnisse werden Forschungsannahmen abgeleitet. Diese bilden die Grundlage der anschließenden empirischen Untersuchung. 4.2
Thematische Kongruenz und positiver Affekt
Nach dem M-A-C-Modell stellen affektive Reaktionen die zentrale Wirkungskomponente werblicher Kommunikation dar: Über Emotionen und Gefühle beeinflusst werbliche Kommunikation das Bild, das sich Rezipienten von einem Werbeobjekt machen. Beiträge, die sich mit affektiven Reaktionen auf Werbung allgemein beschäftigen, haben deren Wirkung auf Aad oder Ab bereits mehrfach belegt (Batra & Ray, 1986; Burke, M. C. & Edell, 1989; Brown, S. P. & Stayman, 1992; Brown, S. P. et al., 1998). Zumindest für Ab konnte auch ein Einfluss auf Verhaltensintentionen und dadurch auch auf das Verhalten gezeigt werden (z.B. Kalwani & Silk, 1982; Berger & Mitchell, 1989; Fazio, Power & Williams, 1989; Brown, S. P. & Stayman, 1992; Spears & Singh, 2004; Chandon, Morwitz & Reinartz, 2005). Verschiedene Theorien beschäftigen sich mit der Frage, in welcher Form thematisch kongruente Werbung positive emotionale Reaktionen auslösen kann. Sie sollen nachfolgend vorgestellt und diskutiert werden. Dabei werden auch empirische Evidenzen für ihre Gültigkeit angeführt. Studien, in denen affektive Reaktionen auf kongruente und nicht kongruente Werbungen direkt gemessen werden, sind dem Verfasser allerdings nicht bekannt. Da bisherige Beiträge meist auf relationalen Stufenmodellen basieren, konzentrieren sie sich auf die Wirkung von Kongruenz auf Einstellungen. Diese beinhalten nicht nur affektive Komponenten, sondern auch kognitive Gegenstandsbeurteilungen (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 56f). Sollen affektive Haltungen gegenüber einem Werbeobjekt direkt beobachtet werden, stellt sich ein Messproblem, das in einem späteren Abschnitt näher diskutiert wird. Kroeber-Riel und Weinberg merken an: „Erst durch Operationalisierung und Messung werden die Begriffe Emotion, Motivation und Einstellung klar unterscheidbar“ (S. 57). Bei den nachfolgenden theoretischen Überlegungen steht in Anlehnung an die bisher vorherrschende Forschungspraxis die Beeinflussung von Einstellungen (Aad, Ab) im Mittelpunkt. Allerdings werden selbst relativ klar abgegrenzte Konstrukte wie Aad und Ab teilweise höchst unterschiedlich operationalisiert. Daher bedient sich die theoretische Diskussion auch der Ergebnisse empirischer Forschung zur Wirkung von Kongruenz auf Einstellungen. 4.2.1
Bedürfnis nach abgeschlossener Kommunikation (drive for closure)
Ein möglicher Erklärungsansatz zu einer Wirkung von Kongruenz zwischen Werbegestaltung und Kontext auf affektive Reaktionen ist das Bedürfnis nach abgeschlossener Kommunikation (drive for closure) bei Rezipienten. Kennedy (1971) beobachtete einen solchen Kontexteffekt; er soll sich darin begründen, dass Zuschauer den Wunsch haben, unterbrochene Handlungen oder Bildfolgen zu einem sinnvollen Abschluss zu bringen. Eine Werbung wird folglich umso
Thematische Kongruenz und positiver Affekt
93
positiver wahrgenommen, je weniger sie als Unterbrechung des Medienkontextes empfunden wird. Kennedy vermutet, eine thematische Kongruenz verringere die wahrgenommene Störung durch Werbung, was sich positiv auf Aad und Ab auswirke. Dieser Einfluss soll vor allem bei Medien bestehen, die längere Handlungsstränge aufbauen, vor allem also Fernsehen und in eingeschränktem Maße auch Radio. Schwache Hinweise auf das Vorliegen eines Bedürfnisses nach abgeschlossener Kommunikation finden sich bei Bello, Pitts und Etzel (1983): In einer Untersuchung von thematisch mit dem Kontext kongruenter Fernsehwerbung (sexuellkontrovers versus nicht sexuell-kontrovers) lag Ab höher, wenn die Werbung das Thema der vorangegangenen Sendung aufgriff. Trotz dieser Ergebnisse besteht zum Bedürfnis nach abgeschlossener Kommunikation weiterer Forschungsbedarf. 4.2.2
Kongruenz- und konsistenztheoretische Konzepte
Mandler (1982) argumentiert ähnlich wie Kennedy. Allerdings führt er positivere affektive Reaktionen auf kongruente gegenüber inkongruenten Informationen auf eine Irritation zurück, die durch höheren Verarbeitungsaufwand für unvereinbare Informationen entstehe. Eine Inkongruenz von Werbung zum vorangegangenen Kontext „störe“ quasi das Gesamtbild des Medienkonsums. Grundlage dieser Vorstellung bilden kongruenztheoretische Überlegungen (Moore, R. S. et al., 2005, S. 72). Einige Autoren nehmen in diesem Zusammenhang auch auf die Gestalttheorie bzw. ihre Ableger Bezug. Eine Kernaussage der Gestalttheorie besagt, dass Menschen ihre Umwelt in größeren zusammenhängenden „Gebilden“ wahrnehmen, die mehr als die Summe ihrer Einzelteile darstellen.25 Folglich werden ein Stimulus und der Kontext, in dem er präsentiert wird, nicht getrennt, sondern abhängig von deren Relation zueinander beurteilt. Eine Reihe von Weiterentwicklungen und Ablegern der Gestalttheorie beschäftigen sich mit verschiedenen strukturell-dynamischen Aspekten der Umweltwahrnehmung (vgl. für eine Übersicht Simon & Holyoak, 2002). Im Rahmen dieser Weiterentwicklungen entstanden unter anderem die unter dem Begriff Konsistenztheorien zusammengefassten Konzepte (Horn & McEwen, 1977, S. 24). Nach ihnen verursachen Reize, die im Einklang miteinander stehen, stabilere kognitive Prozesse und werden daher von Rezipienten bevorzugt (Simon & Holyoak, 2002). Es handelt sich somit um einen alternativen, wenn auch ähnlichen Erklärungsansatz für die aus kongruenztheoretischen Überlegungen abgeleiteten Wirkungen einer Werbe-KontextKongruenz.
25 Vgl. für eine Darstellung der Gestalttheorie z.B. King, Wertheimer, Keller und Crochetiere (1994).
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
Eine den Postulaten von Kongruenz- und Konsistenztheorien folgende Kongruenzwirkung konnte Russel (2002) für Produktplatzierungen (product placement) im Fernsehen nachweisen, wo unpassend platzierte Produkte schlechter bewertet wurden. Auch für weitere Werbeformen konnte ein solcher Zusammenhang in zahlreichen empirischen Studien nachgewiesen werden: • In der bereits erwähnten Studie von Walstra und Nelissen (1992) ergibt sich aus einer thematischen Kongruenz von Werbegestaltung und Kontext (neben einer Verbesserung der Erinnerungswerte) eine Steigerung der gemessenen Aad-Werte. • Bei Bello et al. (1983) steigen Aad und Ab im Fall thematischer Kongruenz von Werbegestaltung und Kontext. Der Einfluss auf Ab wird allerdings durch das Geschlecht beeinflusst – vermutlich weil eine Kongruenz anhand von sexuell-kontroversem und -nichtkontroversem Material getestet wurde. • Aaker und Brown (1972) fanden – wenn auch ohne explizit darauf einzugehen – ebenfalls Hinweise auf die Gültigkeit kongruenztheoretischer Überlegungen. Obwohl für Aad kein signifikanter Effekt aus stilistischer Ähnlichkeit von Zeitschriften-Anzeige und Magazingestaltung beobachtet wurde, ergab sich eine Steigerung von Ab. Aktuelle Beiträge beschäftigen sich mit dem Kongruenz-Effekt bei Bannerwerbung im Internet. Hier wurde ein besonders starker Effekt nachgewiesen – verursacht durch eine besonders ausgeprägte „holistische“ Perspektive des Rezipienten: Webseiten werden demnach stärker als andere Medien als eine Einheit von Werbung und Kontext wahrgenommen. Eine Inkongruenz wird als störend empfunden, weswegen die Bewertung der Werbung und des beworbenen Produktes negativ beeinflusst wird. Nachfolgend sollen die entsprechenden Studien kurz skizziert werden: • Bei R. S. Moore et al. (2005) surften 195 College-Studenten auf einer Test-Webseite mit Angeboten für Miet-Wohnungen. Eine Gruppe sah eine Bannerwerbung für einen Makler (thematisch kongruent), während einer Kontrollgruppe eine Bannerwerbung für eine Tierklinik (thematisch inkongruent) gezeigt wurde. Im Ergebnis wurde Aad durch Kongruenz verbessert (während sich Erinnerungen verschlechterten; vgl. Abschnitt 4.4.3). • In einer vorangegangenen Untersuchung von Shamdasani, Stanaland und Tan (2001) zeigten sich in einem Feldexperiment gleiche Ergebnisse wie bei Moore et al.: Aad und Ab konnten durch eine Kongruenz erhöht werden. Zum Einsatz kamen zwei Test-Webseiten (zu den Themen Sport und Autos) und zwei Bannerwerbungen (für ein Sportgetränk und für ein Auto).
Thematische Kongruenz und positiver Affekt
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In zwei Studien konnte kein signifikanter Einfluss von Werbe-Kontext-Kongruenz auf Aad oder Ab festgestellt werden. Sie untersuchen allerdings keine Internet- sondern Fernseh- und Printwerbung: • Horn und McEwen (1977) untersuchten neben Erinnerungen auch Aad als abhängige Variable. Weder für thematische Kongruenz von Produkt und Fernsehsendung noch für stilistische Kongruenz von Werbespot und Fernsehsendung konnte allerdings eine Steigerung der Spotbewertung nachgewiesen werden. • In der bereits erwähnten Feldstudie von Moorman et al. (2002) für das Medium Print ergab sich bei Kontrolle von Zielgruppeneffekten (in Form des Faktors „Produktinteresse“) kein signifikanter Effekt auf Aad. Kongruenztheoretische Konzepte gelangen zu der Annahme, passende Werbung führe zu positiveren affektiven Reaktionen. Beiträge, die eine solche Annahme zu validieren suchten, konnten aber zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen. Divergierende Ergebnisse könnten auf Spezifika des jeweils untersuchten Werbemediums zurückzuführen sein. Denkbar wäre auch eine zu geringe experimentelle Variation in den erwähnten Studien, so dass eine Kongruenzwahrnehmung gar nicht erst zustande kommt. Shamdasani et al. (2001, S. 9) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine verbesserte Bewertung bei Werbe-KontextKongruenz auch durch einen Zielgruppeneffekt bewirkt werden könnte. In diesem Fall kämen bessere Werbe- und Produktbewertungen zustande, weil die Informationen aus der Werbung eine höhere Relevanz für die Zielgruppe des Mediums haben. Hier bietet sich ein Ansatzpunkt für künftige Forschung. 4.2.3
Exkurs: Affektives Priming
Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung einer möglichen Steigerung der Werbeeffektivität durch thematisch zum Kontext passende Werbung. Bereits bei der Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes wurde auf die Möglichkeit einer Kongruenz von kontext- und werbeseitig induzierten Stimmungen eingegangen. Arbeiten zu diesem Thema nehmen in der Theoriediskussion häufig auf Priming-Effekte Bezug. Während sich „klassische“ PrimingForschung üblicherweise mit einer Vorab-Aktivierung von semantischen Konstrukten (semantic priming) beschäftigt, vermuten einige Wissenschaftler einen ähnlichen Effekt auch für Stimmungen (affective priming; vgl. z.B. Goldberg & Gorn, 1987; Yi, 1990a; Kamins et al., 1991; France & Park, 1997). Jeder Stimmung soll demnach ein bestimmter Ort im Gehirn zugeordnet sein, der bei Auftreten der Stimmung aktiv wird. Eine aktivierte Stimmung wirkt als Priming-Stimulus bei der Rezeption nachfolgender Informationen – unbeeinflusst von Stimmungen, die durch nachfolgende Stimuli selbst hervorgerufen werden. Im StimmungsKongruenz-Modell (mood congruency model) von Kamins et al. (1991) wird ein solcher Ef-
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
fekt auf die Interaktion von Werbung und Kontext übertragen. Eine Wirkung von kontextinduzierter Stimmung, so die Hypothese, sei unabhängig von der Stimmung, die durch eine Werbung hervorgerufen wird. Es wird also kein signifikanter Interaktionseffekt vermutet. Als Beispiel nennen die Autoren eine positive Stimmung, die durch ein Programm induziert wird. Ist die Stimmung aktiviert, soll sie nach dem Stimmungs-Kongruenz-Modell positive Gefühle bei Verarbeitung einer folgenden Werbung und somit eine positivere Bewertung derselben provozieren – auch wenn die Werbung selbst negative Reaktionen (z.B. Langeweile) hervorruft. Die Gegenhypothese zum beschriebenen Zusammenhang stützt sich auf das KonsistenzEffekt-Modell (consistency effects model). Eine wichtige Erkenntnis dieses Modells ist die Aussage, negative Stimmungen können unter bestimmten Voraussetzungen auch positive Auswirkungen auf die Verarbeitung eines nachfolgenden Stimulus haben Kamins et al. (1991). Hierfür werden verschiedene Mechanismen in Betracht gezogen: Einerseits wird angenommen, negative Stimmungen könnten einen Drang nach altruistischem oder zumindest empathischem Verhalten auslösen. Dadurch sollen Rezipienten, die durch den Medienkontext in eine negative (z.B. traurige) Stimmung versetzt wurden, eine stimmungskongruente Werbung besser bewerten (a.a.O., S. 3). Ursache dafür sei der Drang von Rezipienten, in schlechter Stimmung Empathie zu zeigen (z.B. mit einem Darsteller, dem in einer Werbung etwas Tragisches widerfährt). Eine umgekehrte Kongruenz-Wirkung (bessere Bewertung von positiver Werbung in positivem Kontext) stützen Kamins et al. auf frühere Untersuchungen mit entsprechenden Erkenntnissen (insbesondere Blaney, 1986; Isen, 1989) – auch wenn in diesen Untersuchungen stets ein asymmetrischer Kongruenz-Effekt (nur für positive Stimmungen) postuliert wurde. Eine umfangreiche Untersuchung zur Ähnlichkeit induzierter Stimmungen stammt von De Pelsmacker, Geuens und Anckaert. (2002). Die Autoren zeigen für Printmedien und Fernsehen, dass die Beziehung zwischen Stimmungs-Kongruenz und Aad durch ProduktkategorieInvolvement moderiert wird: Bei geringem Involvement wurde Aad durch Kongruenz verbessert, bei hohem Involvement durch Inkongruenz. Hierfür wurden mehrere Werbungen und Medienumfelder mit verschiedenen affektiven Färbungen (warmherzig, humorvoll, rational) miteinander kombiniert. Offensichtlich wirkt für Individuen mit geringem Involvement der passende Kontext als Erreger (cue) beiläufiger Informationsverarbeitung. Bei hohem Involvement überwiegt dagegen ein Kontrasteffekt, weil, so die Vermutung, durch Widerspruch von Erwartungen Aufmerksamkeit erregt wird. Allerdings scheint eine durch Kontrast hervorgerufene erhöhte Aufmerksamkeit nur eine positivere Bewertung (Aad), aber keine verbesserte Speicherung von Werbung zu bewirken.
Thematische Kongruenz und positiver Affekt
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Durch das Aufzeigen des moderierenden Einflusses von Produktkategorie-Involvement lösen De Pelsmacker et al. (2002) Widersprüche in den empirischen Befunden früherer Studien auf. Bei Perry, Jenzowsky, King und Yi (1997) zeigten sich keine signifikanten Wirkungen stimmungskongruenter Werbung auf Aad. In den Ergebnissen von Kamins et al. (1991) dagegen zeigt sich eine deutliche Kongruenz-Wirkung nach dem Konsistenz-Effekt-Modell: Traurige Werbung wird in einem traurigen Kontext besser bewertet als fröhliche Werbung, während fröhliche Werbung in einem fröhlichen Kontext besser bewertet wird als in einem traurigen Kontext. Als alternative Erklärung für diese Ergebnisse führen die Autoren das SelectionProcessing-Modell (Schumann & Thorson, 1990) an. Demnach erkläre sich ein KongruenzEffekt aus der Abneigung von Rezipienten gegenüber Unterbrechungen eines Medienkonsums. Eine fröhliche Werbung würde z.B. als störender empfunden, wenn sie ein trauriges Programm unterbricht und umgekehrt. Grundsätzlich ist eine Übereinstimmung induzierter Stimmungen auch als Folge thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz denkbar. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Sonderfall, der daher nicht Inhalt dieser Untersuchung sein soll. Priming von Stimmungen wird daher in den zusammenfassenden Betrachtungen des folgenden Abschnittes unberücksichtigt bleiben. 4.2.4
Zusammenführung der verschiedenen Theorien und Fazit
In heutigen Diskussionen über Werbeeffektivität taucht fast immer die Frage auf, wie die störende Wirkung von Werbung verringert werden kann. Sie betrifft alle wichtigen Werbeträger und gilt sowohl für lineare Medien wie Fernsehen, Radio oder Kino, als auch für nicht-lineare Medien wie Zeitungen, Zeitschriften oder das Internet. In einer Untersuchung von Reifenrath (1996, S. 102) antworteten 96 % der Befragten, sie fühlten sich durch Fernsehwerbung gestört. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen (vgl. z.B. Ridder & Hofsümmer, 2001). Es liegt demzufolge nahe, sich mit den Konsequenzen dieser empfundenen Störung zu beschäftigen. Bedürfnis nach abgeschlossener Kommunikation im Sinne Kennedys (1971) sowie kongruenz- und konsistenztheoretischer Überlegungen beschreiben verschiedene Arten, wie Rezipienten das Medienerlebnis organisieren. Daraus leiten sie unterschiedliche Wirkungsmechanismen einer Werbe-Kontext-Kongruenz ab. Kennedy (1971) konzentriert sich auf die Linearität des Medienerlebnisses. Unterbrechung der Linearität führt zu negativen Emotionen. Im Sinne kongruenztheoretischer Konzepte erfordert thematisch passende Werbung geringere Verarbeitungskapazitäten, was positive affektive Reaktionen auslöst. Eine ähnliche Erklärung bieten die unter dem Begriff Konsistenztheorien zusammengefassten Konzepte: Demnach führt thematische Kongruenz zu stabileren Verarbeitungsprozessen, worauf der Organismus mit positivem Affekt reagiert. Eine Reihe empirischer Untersuchungen weisen auf die Gültigkeit dieser theoretischen Überlegungen hin: Daher sollen folgende Forschungsannahmen getroffen werden.
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
Forschungsannahme 1: Thematisch zum Kontext kongruente Werbung wird als weniger störend wahrgenommen als thematisch inkongruente Werbung. Forschungsannahme 2: Je weniger eine Werbung als störend wahrgenommen wird, desto besser wird das Werbeobjekt beurteilt. 4.3
Thematische Kongruenz und Aktivierung
Im vorangegangenen Abschnitt wurde vermutet, thematische Kongruenz könnte die Valenz affektiver Reaktionen auf einen Werbereiz beeinflussen. Diese Überlegungen führen zu der Frage, ob sich ein solcher Einfluss auch in der Intensität affektiver Reizverarbeitung niederschlägt. Die Psychophysiologie hat für die Intensität affektiver Reizverarbeitung verschiedene Bezeichnungen entwickelt. In der englischsprachigen Literatur taucht überwiegend der Begriff arousal auf. Teilweise wird er synonym zum deutschen Begriff Aktivierung verwendet (vgl. z.B. Gröppel-Klein, Domke & Bartmann, 2006). In anderen Fällen bezeichnet arousal lediglich den phasischen Teil von Aktivierungsreaktionen (Bösel, 1986, S. 1, 37). Diesem Begriffsverständnis wird auch in der vorliegenden Arbeit gefolgt. Phasische Aktivierung spielt eine wichtige Rolle in der Werbewirkungsforschung, denn sie gilt als Ausdruck emotionaler und motivationaler Reizverarbeitung (Felser, 2001, S. 124ff ; Gröppel-Klein et al., 2006, S. 165). Aktivierungstheorien beschäftigen sich mit der Frage, wodurch das Aktivierungsniveau eines Organismus beeinflusst wird (vgl. für einen Überblick z.B. Thayer, 1989; Gray, 1990; Christianson, 1992; Kroeber-Riel & Weinberg, 2003). Sie versuchen dabei, die physiopsychologischen Abläufe von Aktivierungsreaktionen zu ergründen. Damit dienen sie als Grundlage für einen möglichen Einfluss von thematischer Kongruenz auf die Aktivierung von Werberezipienten. 4.3.1
Aktivierungstheorien
Aktivierungsreaktionen spielen sich im gesamten Organismus ab. Besondere Bedeutung wird dabei einem bestimmten Bereich des Gehirns, der Formatio Reticularis, beigemessen. Dieser Bereich wird gemeinhin als das Zentrum von Aktivierungsreaktionen im Organismus angesehen. Zusammen mit den Nervenimpulsen sowie den kortikalen, hypothalamischen und thalamischen Bereichen des Gehirns bildet die Formatio Reticularis das retikulare Aktivierungssystem (RAS; vgl. z.B. Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 59; Gröppel-Klein, 2005, S. 429). Aktivierungsreaktionen können sich zum einen in Änderungen des gesamten Aktivierungsniveaus (tonische Aktivierung), zum anderen im kurzfristigen Verlauf der Aktivierung (phasische Aktivierung) niederschlagen (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 60). Eine ausführliche Darstellung bestehender Erkenntnisse zur physiopsychologischen Funktionsweise des retikularen Aktivierungssystems ginge weit über das Thema dieser Arbeit hinaus.
Thematische Kongruenz und Aktivierung
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Es sei auf den grundlegenden Beitrag von Hassler (1971) sowie auf die das Konsumentenverhalten betreffenden Ausführungen von Kroeber-Riel und Weinberg (2003, S. 60) verwiesen. Frühe Aktivierungstheorien der fünfziger und sechziger Jahre zeichnen ein eindimensionales Bild aktivierender Vorgänge: Aktivierung ist in der Vorstellung dieser Theorien eine unspezifische Reaktion auf jegliche Reizung des sensorischen oder motorischen Nervensystems (Lindsley, 1951; Duffy, 1962). Über die Formatio Reticularis wirken solche Reizungen auf das zentrale Nervensystem, was sich in einer breiten Palette physiologischer Reaktionen äußert. Dazu gehören beispielsweise Ansteigen von Herzschlag, Blutdruck, Hirnaktivität oder Schweißproduktion (Gröppel-Klein, 2005, S. 429). Mit der Verfeinerung der Verfahren zur Messung physiologischer Aktivierungsreaktionen erwies sich die Vorstellung uniformer Aktivierungsreaktionen als unzutreffend. Neuere, neurophysiologisch geprägte Aktivierungstheorien liefern ein mehrdimensionales Bild des Aktivierungssystems. Sie führen neben der bereits beschriebenen unspezifischen Aktivierung spezifische Aktivierungsreaktionen ein, die nur bestimmte Funktionen des Organismus stimulieren. Entsprechende Beiträge stammen insbesondere von Boucsein (1988; 1997 mit weiteren Nachweisen), Le Doux (1996), Eysenk (1982), Sokolov (1975) und Gray (1973; 1982). In diesen Beiträgen werden aktivierende Mechanismen verschiedenen Subsystemen zugeordnet. Stellvertretend sei die häufig zitierte Konzeption von Boucsein (1997) genannt, der drei aktivierende Systeme unterscheidet: Das erste System, das allgemeine Aktivierungssystem, umfasst die auch in früheren Theorien postulierte unspezifische Aktivierung des zentralen Nervensystems durch sensorische oder motorische Reize. Demzufolge ist dieses System für die Regulierung von allgemeinem Wach- oder Schlafzustand verantwortlich (Gröppel-Klein, 2004, S. 45). Das zweite System umfasst vor allem emotionale Erregungszustände. Es wird daher auch als Affect-Arousal-System bezeichnet. Ziel des Organismus ist es, durch erhöhte Aufmerksamkeit und damit verbundene Orientierungsreaktionen einen Bereitschaftszustand für schnelles Defensivverhalten („Vorsicht“) herzustellen. Auslösende Reize wirken vornehmlich über die Amygdala und wirken sich gezielt auf Wachsamkeit, Reaktionsvermögen und Verhalten aus, was sich in phasischem Anstieg des Herzschlages und einem insgesamt höheren Niveau der Schweißdrüsenaktivität niederschlägt. „Auf der Verhaltens- und Erlebnisebene führt dieses System beispielsweise zur Reizabwehr und zur Bewusstwerdung negativer Emotionen“ (Gröppel-Klein, 2004, S. 45). Das dritte System beschreibt motivationale Aspekte von Aktivierung und wird daher auch Preparatory-Activation-System genannt. Erwartungen werden in erhöhte Reaktions- und Handlungsbereitschaft umgesetzt (Gröppel-Klein, 2004, S. 45). Der Organismus reagiert bei-
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
spielsweise mit tonischem Anstieg des Herzschlages oder phasischem Anstieg der Schweißproduktion. Diese Art der Aktivierung interagiert vor allem mit positiven Emotionen sowie motorischen und prämotorischen Hirnfunktionen. (vgl. zusammenfassend auch GröppelKlein, 2005, S. 429). Für die Frage nach der Effektivität werblicher Kommunikation spielen insbesondere AffectArousal- und Preparatory-Activation-System eine Rolle. Sie weisen im Vergleich zu allgemeiner Aktivierung einen konkreteren Verhaltensbezug aus, da sie eine Steigerung des Aufmerksamkeitsniveaus und entsprechende Orientierungsreaktionen nach sich ziehen (GröppelKlein & Baun, 2001; Gröppel-Klein, 2004, 2005). Allerdings existieren nur wenige Studien, die eine tatsächliche Relevanz von Aktivierungsniveau und -reaktionen für das Verhalten zu belegen suchen (Mayer & Illmann, 2000, S. 659). Eine frühe Untersuchung stammt von Eckstrand und Gilliland (1948), bei denen sich phasische Aktivierungsreaktionen auf Printanzeigen positiv auf das Kaufverhalten auswirken. Neuere Arbeiten stammen beispielsweise von Gröppel-Klein und Baun (2001) sowie Gröppel-Klein (2005). Auch hier ergibt sich ein positiver Zusammenhang zwischen Aktivierungsreaktionen und Kaufverhalten. Auch wenn weiterer Forschungsbedarf in diesem Bereich besteht, liegt damit doch eine Reihe von Hinweisen auf eine Verhaltensrelevanz von Aktivierungsreaktionen vor. Im Folgenden soll daher ein möglicher Einfluss thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz auf Aktivierungsreaktionen bei Rezipienten näher beleuchtet werden. 4.3.2
Aktivierende Wirkung thematischer Kongruenz
Änderungen der Aktiviertheit können durch eine große Zahl von Reizeigenschaften ausgelöst werden.26 Soweit ersichtlich wurde ein Einfluss von thematischer Kongruenz auf Aktivierung bisher noch nicht untersucht. Es existieren jedoch empirische Untersuchungen, die eine aufmerksamkeitssteigernde Wirkung unstimmiger Bilder nachweisen (z.B. Heckler & Childers, 1992; Kasprik, 1992; Lee, Y. H. & Mason, 1999). Jenzowsky und Friedrichsen (1999, S. 274) stellen Überlegungen zur Wirkung eines wahrgenommenen Kontrastes zwischen Werbung und Kontext an: Eine im Kontrast zum Medienkontext stehende Werbung, so die Vermutung, ist effektiver als kongruente Werbung oder Werbung ohne Relation zum Kontext; als Grund
26 Berlyne (1960) unterscheidet zwischen psychophysikalischen, assoziativen und kollativen Reizeigenschaften,
die das Aktivierungsniveau beeinflussen. Zu den psychophysikalischen Eigenschaften zählen beispielsweise Lautstärke oder Helligkeit. Assoziative Eigenschaften stellen eine Assoziation zu körperlich bedeutsamen, angenehmen oder unangenehmen Ereignissen (z.B. Essen, Schmerz) her. Kollative Eigenschaften, beispielsweise Neuartigkeit oder Überraschung, ziehen einen Vergleich des Reizes mit anderen nach sich (vgl. auch Kasprik, 1992).
Thematische Kongruenz und Aktivierung
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dafür nennen die Autoren ein gesteigertes Aufmerksamkeitsniveau und somit eine erhöhte Aktivierungsleistung, die durch eine Inkonsistenz von in Werbung und Kontext übermittelten Informationen entstünden (vgl. auch Heckler & Childers, 1992). Eine solche Wirkung wird von Jenzowsky und Friedrichsen (ebd.) als Kontrasteffekt bezeichnet. Gunter, Baluch, Duffy und Furnheim (2002) führen einen solchen Kontrasteffekt auf den Isolations-Effekt nach von Restorff zurück (vgl. auch Hunt, 1995). Heckler und Childers (1992) zeigen, dass Kontrast vor allem durch irrelevante oder unerwartete Bilder in einer Werbung entstehen. Eine Reihe von Studien belegt das Vorliegen eines Kontrasteffektes, sofern der Kontrast eine bestimmte Schwelle der Wahrnehmbarkeit überschreitet (Murphy et al., 1979; Gunter et al., 2002; Moore, R. S. et al., 2005). Der aufmerksamkeitssteigernde Effekt kontrastierender Reize ist immer dann besonders stark, wenn das Ausgangsniveau der Aufmerksamkeit gering ist (Mandler, 1982; Russel, 2002). In Analogie zum beschriebenen Kontrasteffekt könnte thematische Kongruenz die Intensität phasischer Aktivierung steigern, weil eine kongruente Werbung als neuartig oder überraschend empfunden wird. Ein solcher Effekt ist allerdings eher unwahrscheinlich: Er bedingt bewusste Wahrnehmung der Kongruenz ebenso wie eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Elaboration über deren Neuigkeits- oder Überraschungswert. Positive Emotionen, die durch eine thematische Kongruenz ausgelöst werden, kommen ebenfalls als Auslöser einer stärkeren Aktivierung in Frage (vgl. Abschnitt 4.2). Rezipienten könnten beispielsweise positiv auf eine weniger starke Störung des Medienkonsums durch kongruente Werbung reagieren. Studien zur Wirkung kontrastierender Reize messen phasische Aktivierung nur selten direkt. Stattdessen werden häufig Erinnerungen abgefragt. Das erscheint auf den ersten Blick sinnvoll, denn hohe Aktivierung gegenüber einem Reiz gilt als Auslöser einer besseren Erinnerung des Reizes (Eysenck, 1982, S. 66). Allerdings weist uns das Drei-Speicher-Modell von Broadbent (1958; vgl. Abbildung 16) darauf hin, dass Informationsaufnahme nicht gleich Informationsspeicherung ist.
102
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
Informationsangebot
Informationsaufnahme
Sensorischer Speicher
Reaktion
Informationsverarbeitung
Kurzzeitspeicher
Informationsspeicherung
Langzeitspeicher
Abbildung 16: Informationsverarbeitungsprozess im Drei-Speicher-Modell (in Anlehnung an Trommsdorff, 2004, S. 39)
Eine entsprechende Unterscheidung zwischen Informationsaufnahme und -speicherung soll auch in dieser Arbeit erfolgen, um die psychischen Abläufe einer möglichen Kongruenzwirkung genauer zu verstehen. Aus den vorangegangenen aktivierungstheoretischen Überlegungen werden daher folgende Forschungsannahmen abgeleitet: Forschungsannahme 3: Thematische Kongruenz zwischen Werbung und editorialem Kontext führt zu einer stärkeren phasischen Aktivierung gegenüber Werbung als thematische Inkongruenz. Forschungsannahme 4: Je stärker eine Werbung phasisch aktiviert, desto positiver wird das Werbeobjekt beurteilt. Forschungsannahme 5: Je stärker eine Werbung phasisch aktiviert, desto besser wird sie insgesamt erinnert. 4.4
Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung
In den meisten Beiträgen zur Werbewirkungsforschung wird durch Messung von Erinnerungen (recall) und Wiedererkennung (recognition) überprüft, ob eine Werbung oder einzelne Elemente einer Werbung im Gedächtnis abgespeichert wurden. Bisweilen wird zwischen einer expliziten und impliziten Erinnerung unterschieden. Während erstere durch direktes Abfragen gemessen werden kann, muss die zweite durch indirekte Messinstrumente (z.B. Vervollständigung von Wortfragmenten, Abfrage von Preisschätzungen, o. ä.) erfasst werden (Finlay et al., 2005, S. 443). Auch wenn die Rolle von Erinnerungen und Wiedererkennung in der Werbewirkungsforschung umstritten ist (vgl. z.B. Lodish et al., 1995, S. 138), dient deren Messung nach weit verbreiteter Meinung als Indikator dafür, dass eine Informationsverarbeitung und -speicherung überhaupt stattgefunden hat (Du Plessis, 1994). Gedächtnisleistung kann außerdem als Indikator für Aufmerksamkeit dienen; dies ist allerdings in Laborsituatio-
Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung
103
nen, in denen eine künstlich erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber den untersuchten Stimuli anzunehmen ist, in geringerem Maße der Fall (Schmid, 2006, S. 56). Mit Theorien der Konstruktzugänglichkeit und Theorien kognitiver Interferenz existieren widersprüchliche Erklärungsansätze für einen Einfluss von Werbe-Kontext-Kongruenz auf die Gedächtnisleistung. Empirisch konnten bis jetzt keine eindeutigen Hinweise für die Gültigkeit eines der beiden Konzepte gefunden werden. 4.4.1
Construct-Accessibility-Theorie und kognitives Priming
Eine Reihe von Beiträgen zur Wirkung von Werbe-Kontext-Kongruenz geht von der Hypothese aus, dass eine Ähnlichkeit von Werbeobjekt und Programm die Erinnerung bzw. Wiedererkennung erhöhe, weil das Werbeobjekt bei Rezeption bereits im Kopf „aktiv“ ist. Theoretische Grundlage für diese Vermutung sind die Construct-Accessibility-Theorie, die auf Überlegungen von Bruner (1957) zurückgeht, und ihre Ableger. Ihr Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Im Gedächtnis gespeicherte Konstrukte27 unterscheiden sich in der Wahrscheinlichkeit, mit der sie für die Interpretation eines Ereignisses herangezogen werden (Bruner, 1957). Wenn ein Individuum mehrere zur Interpretation eines Ereignisses relevante Konstrukte gespeichert hat, so wird primär dasjenige Konstrukt herangezogen, welches zum Zeitpunkt des Ereignisses am leichtesten zugänglich ist (Sanbonmatsu & Fazio, 1991, S. 45; Furnham, Bergland et al., 2002, S. 526f; Furnham, Gunter et al., 2002, S. 125f). Die Zugänglichkeit eines Konstruktes wird durch folgende Faktoren bestimmt (Sanbonmatsu & Fazio, 1991, S. 47f): • Zeitlicher Abstand der letzten Aktivierung: Wird ein Konstrukt durch ein Ereignis aktiviert, so erhöht sich dadurch dessen Zugänglichkeit. Die erhöhte Zugänglichkeit eines kürzlich aktivierten Konstruktes nimmt allerdings im Zeitverlauf ab, so dass sie auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt ist. • Häufigkeit der Aktivierung: Je häufiger ein Konstrukt aktiviert wird, desto größer ist seine Zugänglichkeit. Hier liegt ein zentraler Ansatzpunkt von thematischer Werbe-KontextKongruenz: Wenn Werbung Inhalte des medialen Kontextes „aufgreift“, werden diese Teile durch die wiederholte Aktivierung zugänglicher. 27 Ein Konstrukt kann als ein abgespeicherter Satz zusammenhängender Informationen zu einer Entität verstan-
den werden (z.B. zu einem Individuum, einem Objekt oder einem Prozess). Ist ein Konstrukt zugänglich, so kann es schnell und ohne größeren kognitiven Aufwand für die Verarbeitung anderer Informationen herangezogen werden (vgl. hierzu ausführlich Sanbonmatsu & Fazio, 1991, S. 47).
104
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
• Aktivierung eines verwandten Konstruktes: Die Zugänglichkeit eines Konstruktes wird nicht nur durch (kurzfristiges und/oder häufiges) Aktivieren des Konstruktes selbst, sondern auch durch Aktivieren ähnlicher Konstrukte erhöht. Diese Ähnlichkeit kann sich auf verschiedene Dimensionen beziehen. Es kann sich z.B. um semantische, phonetische oder optische Ähnlichkeit handeln. Beispielsweise kann das Konstrukt „Hund“ leichter zugänglich werden, indem das Konstrukt „Pudel“ kurz zuvor aktiviert wird. Auch dieser Mechanismus könnte bei thematisch kongruenter Werbung eine Rolle spielen. • Übereinstimmung zwischen Motivation, Emotion oder Stimmung bei Kodierung des Konstruktes und bei Zugriff darauf: Herrscht während Reizverarbeitung und Speicherung entsprechender Konstrukte ein bestimmter motivationaler oder affektiver Zustand vor, so kann das Konstrukt später leichter abgerufen werden, wenn dieser Zustand auch bei Abruf vorliegt. Dies bildet die Grundlage des Primings von Stimmungen, das in Abschnitt 4.2.3 bereits diskutiert wurde. Unter Priming wird die Erhöhung der Zugänglichkeit bestimmter Konstrukte durch wiederholte Erregung der mit diesem Konstrukt assoziierten Nervenbahnen verstanden (Herr, 1989, S. 67; Sanbonmatsu & Fazio, 1991, S. 47; Felser, 2001, S. 179f). Daher wird Priming auch als assoziative Bahnung bezeichnet. So werden bestimmte, im Gedächtnis gespeicherte Informationen einfacher oder schneller abgerufen, weil diese oder mit ihnen assoziierte Informationen zuvor „zugänglicher“ gemacht worden sind (Herr, 1989; Meyers-Levy, 1989b; Meyers-Levy & Tybout, 1997). Es existieren alternative Erklärungsansätze für Priming-Phänomene, auf die an dieser Stelle allerdings nicht im Detail eingegangen werden soll. Beispielhaft seien die Beiträge von Ratcliff und McKoon (1988) sowie Lamberg (1980) genannt. Nach Ratcliff und McKoon (1988) sollen Priming- und Ziel-Stimulus im Gedächtnis zu einem gemeinsamen Konstrukt verschmelzen. Bei Abruf des einen Konstruktes wird das andere ebenfalls aktiviert. Lambert (1980) liefert einen ähnlichen Erklärungsansatz. Er geht davon aus, durch Ähnlichkeit zum Kontext werde ein beworbenes Objekt mit einer größeren Gruppe von klassifizierenden Attributen verbunden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die eingangs erwähnte Werbung für Kräuterbutter während einer Grillszene: Die Erinnerung an die Kräuterbutter-Marke wird gestützt, weil sie – im Vergleich zu anderen Marken – zusätzlich als „Kräuterbutter fürs Grillen“ klassifiziert ist. Bei Priming handelt es sich um die Etablierung von Hinweisreizen: Ein Konstrukt wird mit einem anderen verbunden. Bei Abruf des einen Konstruktes wird das andere ebenfalls aktiviert. Werbetreibende können die etablierten Hinweisreize nutzen, um Konsumenten beim Einkauf an ihre Marken zu erinnern. Eine solche Etablierung von Hinweisreizen soll aber nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Denn Hinweisreize müssen bei Abruf gespeicherter Informationen präsent sein, um wirken zu können. In dieser Arbeit geht es aber
Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung
105
um Wirkungen thematischer Kongruenz, die unabhängig von den Bedingungen beim Abruf von Werbebotschaften sind. In Frage kommt, wie bereits erläutert, eine höhere Konstruktzugänglichkeit durch Wiederholung von Inhalten, die bereits im Kontext auftauchten. Drei Studien deuten auf eine effektivere Speicherung einer Werbebotschaft bei thematischer Kongruenz von Werbung und editorialem Kontext hin. Eine Studie beschäftigt sich mit Produkten, die zum Thema einer Zeitschrift passen, die anderen beiden beschäftigen sich mit zum Zeitschriftenthema passender Werbegestaltung: • Moorman, Neijens und Smit (2002) weisen in einer Feldstudie mit 263 ZeitschriftenAbonnenten von Spartenmagazinen (Lifestyle-, Wohndesign- und Gesundheitsmagazin; indirekter Kontext) für eine thematische Kongruenz des beworbenen Produktes eine Verbesserung der Wiedererkennung nach; es wurden drei Anzeigen (Shampoo, Kleidung, Designer-Haushaltswaren) getestet, die in ihrer Kongruenz je nach Magazin variierten (Shampoo passend zu Lifestyle und Gesundheit, Kleidung passend zu Lifestyle und Designerhaushaltsgeräte passend zu Wohndesign). Zielgruppeneffekte, also ein spezielles Interesse der Leserschaft eines Spartenmagazins an thematisch passenden Produkten, wurden kontrolliert. • In einer kommerziellen Studie von Walstra und Nelissen (1992) zeigen sich in einem von zwei Feldexperimenten höhere Erinnerungswerte bei thematischer Kongruenz von Werbegestaltung und Magazin-Thema (indirekter Kontext). Durchgeführt wurde das Experiment mit jeweils einer Ausgabe eines Wochenmagazins (Nachrichten- und Fußball-Magazin) und mit je zwei Test-Anzeigen, die in zum Magazin-Thema passender und nicht passender Gestaltung vorlagen. In dieser Untersuchung zeigt sich auch ein möglicher Einfluss der wahrgenommenen Intensität einer Werbe-Kontext-Kongruenz: Erhöhte Erinnerungswerte traten nur beim Fußball-Magazin, nicht aber beim Nachrichten-Magazin auf. • Bei Cannon (1982) ergeben sich in einem Vergleich von 16 realen Zeitschriften-Anzeigen in einem Sport-Magazin (indirekter Kontext) erhöhte Starch-Scores (standardisierte Messung von Gedächtnisleistungen) im Falle einer Übereinstimmung gesellschaftlicher Werte, die durch Programm- und Werbeinhalt zum Ausdruck gebracht werden (thematische Kongruenz). Kommunizierte Werte wurden anhand einer von Rokeach (1968; 1973) entwickelten Skala gemessen. Eine Kontrolle möglicher alternativer Einflussfaktoren, die zu einer verbesserten Erinnerung kongruenter Werbung geführt haben könnte, unterbleibt allerdings. Insbesondere die Studie von Moorman et al. (2002) gibt einen deutlichen Hinweis auf eine höhere Konstruktzugänglichkeit bei thematischer Kongruenz. Eine Reihe möglicher Störef-
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
fekte, beispielsweise ein spezielles Produktinteresse bei Lesern von Spartenmagazinen, wurde kontrolliert. Dennoch bleiben bei der Analyse von Daten aus dem Feld zwangsweise Fragen hinsichtlich der externen Validität offen. Hier ist weitere empirische Forschung notwendig, um mögliche Priming-Effekte thematischer Kongruenz nachzuweisen. Außerdem fand bisherige Forschung nur für Printmedien statt. Werbung in Zeitschriften ist stärker in den Kontext eingebettet. In linearen Medien wie Fernsehen oder Radio dagegen liegt zwischen Rezeption von Kontext und Werbung stets ein gewisser zeitlicher Abstand. Dieser könnte eine Erhöhung der Konstruktzugänglichkeit erschweren (vgl. Abschnitt 4.5). 4.4.2
Interferenztheorien
Eine Ähnlichkeit von Werbung und Medienkontext muss die Gedächtnisleistung nicht unbedingt positiv beeinflussen, sondern kann sich auch negativ auf diese auswirken. Diese Gegenhypothese zu den vorangegangenen Ausführungen fußt auf interferenztheoretischen Überlegungen. „Nach dieser Theorie wird die spätere Wiedergabe einer gelernten Information deswegen gehemmt, weil die Information von vorher und nachher gespeicherten Informationen überlagert wird“ (Kroeber-Riel & Weinberg, 2003, S. 360). Ähnliche Elemente einer Botschaft können folglich bei der Rezeption zu einem Element „verschmelzen“ (meltdown). Teilweise wird dieser Effekt auch als Inhibition bezeichnet (Stewart, 1989, S. 56), ein Begriff, der seinen Ursprung in der Lerntheorie hat (Jenzowsky & Friedrichsen, 1999, S. 264). Es wird zwischen proaktiver Interferenz durch einen vorangegangen Stimulus und retroaktiver Interferenz durch einen nachfolgenden Stimulus unterschieden. Je größer die Ähnlichkeit einzelner Elemente, desto eher wird die Erinnerung an die ursprünglichen Einzelelemente erschwert (Furnham, Bergland et al., 2002, S. 526f; Furnham, Gunter et al., 2002, S. 128f). Gunter, Clifford und Berry (1980) sowie Gunter, Berry und Clifford (1981) konnten diesen Zusammenhang für taxonomisch und visuell ähnliche Nachrichtenmeldungen nachweisen. Zwei weitere Studien, die thematische Kongruenz untersuchen, geben einen Hinweis auf das Vorliegen von Interferenzeffekten; sie ergaben einen negativen Zusammenhang von Ähnlichkeit zwischen Werbung und Kontext mit Erinnerungen: • Jun, Putrevu, Hyun und Gentry (2003) testeten die Interferenz-Hypothese mit einer Autowerbung in einem Automobil-Magazin und einem allgemeinen Magazin ohne speziellen Bezug zu Autos (indirekter Kontext). In einem Laborexperiment wurden 104 CollegeStudenten im Anschluss an den Werbekonsum nach den beworbenen Produkteigenschaften befragt. Sie zählten häufiger allgemeine Produkteigenschaften zu den beworbenen, wenn sie zuvor die Werbung in einem thematisch passenden Spartenmagazin gesehen hatten. Offensichtlich führte die produktnahe Berichterstattung im Magazin-Kontext zu einer „Vermischung“ mit den Werbeinhalten.
Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung
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• Bei Furnham, Gunter und Richardson (2002) sahen 123 Jugendliche in einem Laborexperiment entweder eine Sendung über Autos oder Kochen (indirekter Kontext), die durch je eine Gruppe von Testspots für Nahrungsmittel oder Autos unterbrochen wurde. Waren Produkt und Sendung thematisch kongruent (Nahrungsmittelwerbung in Kochsendung, Autowerbung in Autosendung), lag ungestützte Erinnerung niedriger als bei Inkongruenz; dies könnte einen Hinweis auf ein Vorliegen proaktiver Interferenz liefern. Eine alternative Erklärung für die besseren Erinnerungswerte liegt in einer höheren Aufmerksamkeit gegenüber unpassender Werbung. Diese könnte – wie bereits weiter oben beschrieben – durch einen merklichen Kontrast zwischen Werbung und Programm verursacht worden sein. Eine solche Erklärung ist nicht unwahrscheinlich, denn die gezeigten Sendungen wurden durch einen Werbeblock mit jeweils sechs aufeinander folgenden Werbungen für die zu testende Produktkategorie unterbrochen. Eine Kochsendung, die durch sechs Werbungen für verschieden Automarken unterbrochen wird, dürfte von den Probanden als höchst ungewöhnlich wahrgenommen werden. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall der Unterbrechung einer Autosendung durch sechs Lebensmittelwerbungen. • In einer kommerziellen Studie von Chook (1985) lagen für drei Spartenmagazine je drei bezüglich des Produktes passende Anzeigen (für ein Stereoanlagen-Magazin z.B. Werbung für Kassettenrecorder, Plattenspieler und Verstärker) und drei allgemeine Anzeigen ohne Produktbezug zum Magazin vor; insgesamt 1594 Abonnenten nahmen an dem Feldexperiment teil. Auch wenn in dem Beitrag von Chook Aussagen über statistische Signifikanz der Ergebnisse fehlen, liefert die Untersuchung Hinweise auf einen Interferenzeffekt: Anzeigen mit zum Magazin-Thema passenden Produkten werden schlechter erinnert. In qualitativen Interviews zeigte sich, dass kongruente Werbung häufiger mit dem MagazinInhalt verwechselt wird als Werbung für themenfremde Produkte. Bei zwei Beiträgen, die auf einen Interferenzeffekt hinweisen, handelt es sich um Laborexperimente mit Jugendlichen oder College-Studenten. Auf Probleme mit der Validität solcher Stichproben wurde bereits hingewiesen (vgl. Abschnitt 1.4.1). Die Studie von Chook (1985) ähnelt in ihrem Aufbau den Untersuchungen von Moorman et al. (2002) sowie Cannon (1982), die beide zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen. Der Beitrag von Chook kann allerdings wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen, da Angaben über Verteilung und statistische Signifikanz der Ergebnisse fehlen. Furnham et al. (2002) befassen sich mit Fernsehen als Werbemedium. Auf die Problematik bei ihrem Studiendesign, welches eine Unterscheidung von Interferenz- und Kontrasteffekt nicht zulässt, wurde aber bereits hingewiesen. Um einen Interferenzeffekt belegen zu können, ist demzufolge ebenfalls weitere Forschung notwendig.
108 4.4.3
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz Zusammenführung der verschiedenen Theorien und Fazit
Vorliegende empirische Befunde lassen keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Gültigkeit der einen oder anderen Theorie im Zusammenhang mit Werbe-Kontext-Kongruenz zu. Drei der vorgestellten Studien zu Werbe-Kontext-Kongruenz zeigen verbesserte Erinnerungen, bei zwei weiteren Studien wurde kongruente Werbung schlechter erinnert. In einigen Studien, die sich mit Wirkungen einer Werbe-Kontext-Kongruenz auf Werbeerinnerungen beschäftigen, konnte kein statistisch signifikanter Effekt nachgewiesen werden: • In einer Studie jüngeren Datums kombinieren Parker und Furnham (2007) Fernsehprogramm und Werbespots mit sexuellen und nicht-sexuellen Inhalten. Es handelt sich folglich um eine Untersuchung stilistischer Werbe- und Kontextmerkmale. Die Erinnerungen an Spots, die diesbezüglich kongruent zum Programm waren, unterschieden sich nicht signifikant von den Erinnerungen an nicht kongruente Spots. • In einem Beitrag von Horn und McEwen (1977) werden thematische Kongruenz von Produkt und Kontext sowie stilistische Kongruenz von Werbegestaltung und Kontext untersucht. Ein entsprechendes Laborexperiment am Beispiel TV weist keinen signifikanten Effekt von Kongruenz oder Kontrast auf Erinnerungen nach. Allerdings ist die Operationalisierung thematischer Kongruenz in dieser Studie ein wenig „eigenwillig“: Allergiepillen und Waschmittel sollen zu einer Quizsendung passen, Bier und Rasiercreme zu einer Militärserie. • Bereits 1972 untersuchten Aaker und Brown Absendereffekte bei Platzierung von Werbung in einem „kompatiblen“ Umfeld. In ihrer Studie geht es um eine Ähnlichkeit stilistischer Merkmale (bild- versus textlastige Kommunikation) einer Print-Anzeige mit dem Magazin, in dem sie erscheint (Hochglanz-Magazin versus Fachzeitschrift). In dem Laborexperiment mit 64 Hausfrauen stellte sich der postulierte Interaktionseffekt allerdings nicht ein. Teilweise werden die widersprüchlichen Ergebnisse bisheriger Studien mit Unterschieden im Untersuchungsdesign erklärt (Moorman et al., 2002, S. 28). Insbesondere die unterschiedlichen Operationalisierungen von Kongruenz könnten Ursache für eine mangelnde Ergebniskonsistenz sein, da diese Unterschiede für Schwankungen in der Interaktionsstärke verantwortlich sein dürften. Es liegt nahe, dass bei zu geringer Ausprägung der untersuchten Werbe-Kontext-Relation ein signifikanter Effekt auf Erinnerungen ausbleibt. Bei genauerer Betrachtung der Studien, in denen kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden konnte, fällt auf: Parker und Furnham (2007) sowie Horn und McEwen (1977) untersuchen stilistische Kongruenz. Bei Horn und McEwen (1977) geht es zwar um thematische Produkt-KontextKongruenz; auf deren ungewöhnliche Operationalisierung wurde aber bereits hingewiesen.
Wirkung thematischer Kongruenz auf die Speicherung von Werbung
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Zusammenfassend bleibt zu vermuten, dass thematische Kongruenz zwischen Werbung und Medienkontext Einfluss auf die Speicherung von Werbeinhalten nimmt. Es gibt allerdings gegensätzliche Theorien, in welche Richtung sich dieser Einfluss auswirkt. Aus der Construct-Accessibility-Theorie nach Bruner (1957) und deren Weiterentwicklungen lässt sich ableiten: Greift Werbung Themen, die durch den Kontext bereits aktiviert wurden, wieder auf, so wirkt sich das positiv auf die Zugänglichkeit dieser Inhalte im Gedächtnis aus. Auf Basis interferenztheoretischer Überlegungen lässt sich dagegen ein Meltdown-Effekt postulieren: Werbeinhalte verschwimmen mit den Inhalten des Kontextes und werden so schlechter abrufbar. Trotz dieser konzeptionellen Überlegungen haben empirische Studien bis heute keinen Aufschluss darüber gebracht, welche Theorie zutrifft oder wie die beiden Effekte möglicherweise zusammenwirken könnten. Aus diesem Grund werden für die Frage, wie thematische Kongruenz sich direkt auf Speicherung und Abruf von Werbebotschaften auswirkt, gegensätzliche Forschungsannahmen aufgestellt: Forschungsannahme 6a: Elemente einer Werbung, die thematisch zum Kontext kongruent sind, werden besser erinnert. Forschungsannahme 6b: Elemente einer Werbung, die thematische Kongruenz zum Kontext kongruent sind, werden schlechter erinnert. Die Forschungsannahmen differenzieren bewusst zwischen kongruenten und nicht kongruenten Elementen einer Werbung. Denn wenn tatsächlich ein Priming- oder Interferenzeffekt vorliegen sollte, beträfe er allein die Speicherung kongruenter Elemente. Im Unterschied dazu wird in Forschungsannahmen 5 und 6 von einer effektiveren Aufnahme der Werbebotschaft ausgegangen, wodurch potenziell deren gesamter Inhalt besser erinnert würde. 4.4.4
Exkurs: Social-Judgment-Theorie und Priming
Nach der Social-Judgment-Theorie interpretieren Individuen neue Stimuli so, dass sie zu bereits vorhandenen Vorstellungen passen; diese vorhandenen Vorstellungen dienen quasi als „Ankerpunkte“ für die Interpretation neuer Informationen (Wyer & Srull, 1986, S. 351). Einige Autoren sprechen vor dem Hintergrund der Social-Judgment-Theorie von Priming, wenn ein Stimulus dazu genutzt wird, einen solchen Ankerpunkt zu setzen, damit ein nachfolgender Stimulus entsprechend interpretiert wird (Herr, Sherman & Fazio, 1983, S. 325). Besonders effektiv ist diese Strategie, wenn es sich um Botschaftsinhalte handelt, zu denen beim Empfänger noch kein festes Urteil vorliegt. Mehrere Studien weisen einen solchen Assimilations-Effekt nach, bei dem Informationen im Sinne eines zuvor als Ankerpunkt präsentierten Priming-Stimulus interpretiert werden (z.B. Higgins, 1977; Srull & Wyer, 1979; Srull
110
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
& Wyer, 1980). Eine solche Interaktion ist auch für Werbung und den vorab rezipierten Medienkontext denkbar. Auch Merkmale eines Produktes können ambivalent sein, also je nach Individuum oder Situation unterschiedlich interpretiert werden (Ha & Hoch, 1989, S. 354). Ein Beispiel: Betont eine Werbung das geringe Gewicht eines Koffers, so könnte dies vom Rezipienten entweder als Zeichen leichter Handhabung oder aber als Zeichen mangelnder Stabilität interpretiert werden (Yi, 1990b, S. 215). Aus dem Priming-Paradigma in Verbindung mit der Social-Judgement-Theorie ergibt sich die Hypothese, Einstellungen gegenüber einem beworbenen Produkt (Ab) würden verbessert, indem im Medienkontext ein Priming von positiven Aspekten solch ambivalenter Produktmerkmale erfolgt, also ein „positiver Ankerpunkt“ geschaffen wird (Yi, 1990b, 1990a, 1991, 1993). Es geht folglich um eine thematische Kongruenz zwischen einer impliziten oder expliziten Werbebotschaft und dem Medienkontext. Eine Reihe empirischer Studien konnte die Gültigkeit der Hypothese relativ eindeutig nachweisen. Ein erster Beitrag stammt von Yi (1990b; 1991). In einem Laborexperiment zum beschriebenen Zusammenhang weist er eine Steigerung von Ab bei Priming positiver ProduktAttribute anhand von Printwerbung deutlich nach. Genutzt wurde eine Anzeige für einen Personalcomputer mit großem Funktionsumfang, der als Zeichen einer vielseitigen Verwendbarkeit oder als Zeichen komplizierter Bedienung interpretiert werden kann. Als PrimingStimulus diente eine Anzeige für einen anderen Personalcomputer, die in einer Version den großen Funktionsumfang, in der anderen die einfache Bedienung des Computers betonte. In der Gruppe, die vor Betrachtung der Testanzeige mit dem Aspekt der Vielseitigkeit konfrontiert worden war, lag Ab signifikant höher als in der Gruppe, bei denen als Priming-Stimulus das Attribut leichter Benutzbarkeit gezeigt worden war. Yi (1990a) bestätigte den beobachteten Zusammenhang in einem zweiten Experiment. Zusätzlich wurden in dieser Studie Priming-Effekte bei inhaltlichen Elementen, die affektiv verarbeitet werden, untersucht. Hierbei wurde Produktbewertung positiv beeinflusst, wenn eine Werbung in einem Kontext platziert wurde, der positive affektive Reaktionen hervorruft – und umgekehrt. Streng genommen handelt es sich in diesem Fall aber nicht um einen Interaktionseffekt und somit nicht um eine Untersuchung von Werbe-Kontext-Kongruenz. In einem dritten Laborexperiment nutzt Yi (1993) eine Replikation des Studiendesigns; dabei weist Yi einen moderierenden Einfluss von bestehendem Produktkategorie-Wissen nach. Schmitt (1994) zeigt, dass sich Priming nicht nur auf verbal formulierte Produktattribute beziehen muss. Auch die Interpretation visueller Elemente einer Werbung kann durch Priming entsprechender Attribute beeinflusst werden. In einer aktuellen Studie replizieren Finlay, Marmurek und Morton (2005) die Ergebnisse von Yi im Wesentlichen. Die Wirkung des Priming auf die Erinnerung einzelner Produktattribute wurde dabei durch die Verarbeitungsintensität (bewusst versus unbewusst) moderiert. Dahlén (2005) zeigt, dass auch durch die Medienwahl selbst positive Produktmerkmale vorab akti-
Moderierende Einflüsse
111
viert werden können. In einem Laborexperiment wurden Werbungen für eine Versicherung und einen Energy-Drink getestet. Die Versicherungswerbung wurde auf einer Eierschale (Assoziation: „Schutzhülle für leicht Zerbrechliches“), die Energy-Drink-Werbung auf einer Fahrstuhlwand (Assoziation: „verrichtet kraftvoll anstrengende Arbeit“) platziert. Zum Vergleich mit der Wirkung eines klassischen Mediums wurden die Werbungen jeweils als Zeitungsanzeige präsentiert. Im Ergebnis waren Aad und Ab am höchsten, wenn Werbung in einem kreativen Werbemedium präsentiert wurde, welches Assoziationen mit positiven Produktmerkmalen hervorrief. Streng genommen handelt es sich beim Priming von Werbebotschaften nicht um thematische Kongruenz im Sinne dieser Arbeit. Untersuchungsgegenstand ist Werbung, deren Werbeobjekt oder deren Gestaltung thematisch zum Thema passt. Die aufgeführten Beiträge, die sich mit einem Priming positiver Produktattribute beschäftigen, werden bei Moorman (2003, S. 24) allerdings als Untersuchungen einer thematischen Werbe-Kontext-Kongruenz bezeichnet. Aus diesem Grund und der Vollständigkeit halber wurden die Beiträge und deren theoretische Grundlagen hier diskutiert. 4.5
Moderierende Einflüsse
Diese Arbeit soll dazu beitragen, verallgemeinerbare Erkenntnisse über thematische WerbeKontext-Kongruenz zu gewinnen. Bisherige Studien kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen über Kongruenzwirkungen. Moorman (2003, S. 26) weist hierbei auf die unterschiedliche Operationalisierung von Werbe-Kontext-Kongruenz hin. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass bislang ein oder mehrere Faktoren übersehen wurden, die eine mögliche Kausalbeziehung zwischen Kongruenz und Werbewirksamkeit moderieren. Um mehr über mögliche Moderatoreffekte in Erfahrung zu bringen, wird in der folgenden empirischen Studie die Wirkung verschiedener Operationalisierungen von Kongruenz verglichen. Damit werden vor allem explorative Ziele verfolgt. Dennoch sollen nachfolgend einige theoretische Überlegungen zusammengefasst werden, um Annahmen zur Wirkung verschiedener Arten von Kongruenz treffen zu können. Entsprechende theoretische Diskussionen in der bisherigen Werbewirkungsliteratur sind nicht bekannt. 4.5.1
Zeitliche Relation von Werbung und Kontext
Den Widerspruch zwischen den Hypothesen aus Theorien der Konstruktzugänglichkeit und Theorien kognitiver Interferenz sowie den entsprechenden empirischen Befunden suchen Furnham, Bergland und Gunter (2002) für das Medium Fernsehen aufzulösen, indem sie zeitliche Relation zwischen Werbung und Kontext als Moderatorvariable einführen. In einem Laborexperiment mit 79 College-Studenten wurde eine Bier-Werbung in einem Werbeblock vor, während oder nach einer Filmszene (direkter Kontext) gezeigt, in der Bier getrunken wird. In
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Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
einer Vergleichsgruppe unterbrach die Werbung eine Szene ohne Bierkonsum. Wurde der Bier-Spot an erster Stelle im Block gezeigt, so ergaben sich deutlich bessere Erinnerungswerte, wenn die Szene mit dem Bier-Konsum nach statt vor der Werbepause gezeigt wurde. Diesen Effekt führen die Autoren auf einen rückwirkenden Priming-Effekt (retroactive priming) zurück. Wurde die Werbung nach einer Szene mit Bier-Konsum gezeigt, so ließ sich eine (geringe) Verbesserung gegenüber der Szene ohne Bier-Konsum nur für freie Markenerinnerung nachweisen, während die anderen Erinnerungs- und Wiedererkennungswerte nicht signifikant voneinander abwichen. Dies deuten Furnham et al. als – wenn auch nicht eindeutig interpretierbaren – Hinweis auf Vorliegen proaktiver Interferenz. Für bestimmte Konstellationen ergaben sich keine signifikanten Effekte. Positionseffekte könnten auch auf Primacy- oder Recency-Effekte zurückzuführen sein.28 Bei der Frage nach Priming-Effekten ist der zeitliche Abstand von Prime und Zielreiz ein wichtiger Faktor (Domke, Shah & Wackman, 1998; Brunel & Nelson, 2003). Insbesondere für Priming von Fernsehwerbung durch den Medienkontext dürften Primacy- oder Recency-Effekte relevant sein. Es ist anzunehmen, dass ein Priming- oder auch ein Interferenzeffekt der Sendung schwächer wird, je weiter Sendung und Werbespot zeitlich voneinander entfernt sind. Demnach müssten die stärksten Effekte für Werbung zu Beginn oder am Ende des Werbeblocks gemessen werden. Für die vorliegende Untersuchung soll gelten: Forschungsannahme 7: Ein Einfluss von thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz im Sinne von Forschungsannahmen 1-6 ist am stärksten, je näher die Rezeption von Werbung und Kontext zeitlich zusammenliegen. Der aufgezeigte moderierende Einfluss von zeitlicher Spot-Programm-Relation bietet einen alternativen Ansatz, um die scheinbar widersprüchlichen Forschungsannahmen aus Theorien der Konstruktzugänglichkeit und Theorien kognitiver Interferenz sowie die entsprechenden empirischen Befunde zu vereinbaren. Beide Effekte könnten demnach unabhängig voneinander wirken. Vermutlich sind weitere moderierende Einflüsse bislang noch unentdeckt geblieben. Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für künftige Forschung.
28 Primacy-Effekt bezieht sich auf den Umstand, dass der erste Punkt einer Aufzählung besser erinnert wird,
während Recency-Effekt die bessere Erinnerung des letzten Punktes meint (Ebbinghaus, 1911; vgl. für eine Übersicht im Zusammenhang mit Werbung Felser, 2001, S. 167f).
Zusammenfassung und Untersuchungsmodell 4.5.2
113
Art der thematischen Kongruenz
In den vorangegangenen Abschnitten wurden mögliche Wirkungsmechanismen von WerbeKontext-Kongruenz erläutert und diskutiert. Diese Ausführungen erfolgten vor dem Hintergrund gestalt-theoretischer Grundsätze. Gestalttheorie und ihre Ableger liefern uns einen Erklärungsrahmen für den Einfluss des Werbeumfeldes auf die Wirksamkeit eines Werbereizes. Allerdings weisen sie einen wesentlichen Nachteil auf: Sie beschreiben eine Zusammenfügung wahrgenommener Reize zu „ganzheitlichen Gebilden“, erklären aber nicht, warum eine solche Organisation stattfindet (Karakas & Basar, 2006, S. 189). Übertragen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand bedeutet das: Gestalttheorie und ihre Ableger geben uns einen Hinweis darauf, dass Rezipienten Werbung und editorialen Medienkontext in ihrer Wahrnehmung als Einheit organisieren; für diese Organisation spielen Parameter wie Konsistenz, Ausgewogenheit, Abgrenzung usw. eine Rolle. Wie verschiedene Arten von WerbeKontext-Kongruenz die Wahrnehmung von Werbereizen beeinflussen, kann daraus allerdings nicht abgeleitet werden. Möglicherweise differieren verschiedene Arten von Kongruenz in ihrer Wirkung, weil sie unterschiedlich intensiv wahrgenommen werden. Einschlägige Aktivierungstheorien weisen uns auf die Bedeutung der Stärke eines Stimulus für dessen Wirkung hin (vgl. Felser, 2001, S. 385f). Betrachtet man Kongruenz als Stimulus, so hieße das: Je deutlicher eine Kongruenz in den Augen eines Rezipienten zu Tage tritt, desto stärker ihr potentieller Einfluss auf die Verarbeitung von Werbeinhalten. Gunter et al. (2002) stellen entsprechende Überlegungen an. Sie vermuten, dass eine stilistische Kongruenz von Werbung und Kontext für sich genommen unzureichend sein könne, um einen Interferenzeffekt hervorzurufen. Es bedürfe zusätzlich “other distinctive informational similarities between them that would have led one to expect memory interference to occur” (a.a.O., S. 188). Ähnliche Ausführungen finden sich bei Russel (2002) im Zusammenhang mit kongruentem Product Placement; in einer Theoriediskussion zu Kongruenz- und Kontrastwirkungen postuliert Russel „that higher levels of plot connection (…) trigger more elaboration“ (a.a.O., S. 309). In diesem Sinne werden folgende Forschungsannahmen getroffen: Forschungsannahme 8: Je intensiver eine Werbung thematisch zum Kontext passt, desto stärker wirkt die Kongruenz im Sinne von Forschungsannahmen 1-6. 4.6
Zusammenfassung und Untersuchungsmodell
In einer nahezu unübersehbaren Zahl empirischer Studien beschäftigen sich Wissenschaft und Praxis mit der Frage, wie Werbung wirkt. In Anbetracht dieser Tatsache ist die Menge an Erkenntnissen, die mit gutem Gewissen als gesichert bezeichnet werden kann, erstaunlich gering. Das gilt ganz besonders für die Frage, ob und wie Werbung mit dem Werbeumfeld
114
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
interagiert. Für diesen Mangel an Einsichten in die Wirkung von Werbung dürften unter anderem Defizite in der theoretischen Fundierung verantwortlich sein. Den meisten Studien liegt die Auffassung zugrunde, Werbung beeinflusse das Verhalten in erster Line durch Argumente, seien sie nun rationaler oder emotionaler Art. Empfänger von Werbung sollten sich idealerweise gezielt und bewusst mit diesen Argumenten auseinandersetzen. Eine beiläufige Verarbeitung von Werbeinhalten, so die Vorstellung, habe keine bleibenden Effekte. Aus diesem Grund konzentrieren sich bisherige Werbewirksamkeitsstudien darauf, bewusste Verarbeitung von Werbeinhalten nachzuweisen. Das gilt ebenso, wenn es um eine Interaktion von Werbung und editorialem Medienumfeld geht: Es wird überprüft, ob der „richtige“ Medienkontext eine bewusste, kognitive Verarbeitung von Werbeinhalten verbessert. Dieser Nachweis konnte bis jetzt allerdings noch nicht eindeutig geführt werden. Heute hat sich das Bild von der Wirkungsweise werblicher Kommunikation gewandelt. Moderne neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass unser Verhalten nicht durch eine Sequenz aus Kognition und darauf folgenden affektiven Reaktionen beeinflusst wird. Rationale und emotionale Prozesse wirken gleichzeitig und interagieren. Nicht selten treffen wir „Bauchentscheidungen“, die wir anschließend zu rationalisieren suchen. Betrachten wir das Kaufverhalten, den wichtigsten Anwendungsbereich werblicher Kommunikation, wird deutlich: Meist entscheiden wir uns für eine bestimmte Marke aufgrund eines Gesamtbildes, das im Moment der Kaufentscheidung von dieser Marke im Vergleich zu alternativen Marken vorherrscht. In der folgenden empirischen Untersuchung soll die Frage beantwortet werden, ob Werbung, die thematisch zum editorialen Medienkontext passt, das Gesamtbild eines Werbeobjektes anders beeinflusst als Werbung ohne eine solche Kongruenz. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung in diesem Bereich geht es nicht nur um kognitive, sondern vorrangig um affektive Reaktionen. Vor dem Hintergrund gestalt-theoretischer Überlegungen werden positive affektive Reaktionen auf kongruente Werbung vermutet. Denn Werbung hat aus Sicht der Rezipienten nicht selten eine unterbrechende oder gar störende Wirkung. Kongruenz könnte die unterbrechende Wirkung verringern und sich so positiv auf das Bild des Werbeobjektes auswirken. Positive affektive Reaktionen sollten sich auch in der Intensität zentralnervöser Erregung widerspiegeln; als Erklärung hierfür werden Aktivierungstheorien herangezogen. Auch eine Beeinflussung der Informationsspeicherung ist gemäß den vorangegangenen theoretischen Diskussionen denkbar. Erinnerungen an Werbung und ihre Inhalte könnten leichter abrufbar sein, weil die Wiederholung thematischer Elemente sich besser einprägt. Diese Vorstellung basiert auf Theorien der Konstruktzugänglichkeit und entsprechenden Überlegungen darüber, wie mentale Konstrukte im Langzeitgedächtnis gespeichert und miteinander verbunden (Priming, Bahnung) werden. Interferenztheorien kommen zum gegenteiligen Schluss:
Zusammenfassung und Untersuchungsmodell
115
Demnach führen thematische Übereinstimmungen zwischen Werbung und Kontext zu Vermischung der verarbeiteten Informationen bei deren Speicherung oder späteren Abruf. Die folgende Abbildung liefert einen Überblick über die diskutierten Zusammenhänge zwischen Werbe-Kontext-Kongruenz und Werbewirkungen. Die Verhaltensbeeinflussung, die hier als Ziel werblicher Kommunikation angenommen wurde, ist nicht dargestellt. Da es sich aber bei den abhängigen Variablen um Konstrukte im Sinne des M-A-C-Modells handelt, könnte das Untersuchungsmodell leicht ergänzt werden. Verhaltensintentionen und Verhalten als abhängige Variable in der empirischen Untersuchung zu berücksichtigen, sprengte den Rahmen dieser Arbeit. Außerdem konnte in einer Reihe von Studien die verhaltensrelevante Wirkung von Bewertungen eines beworbenen Objektes bereits nachgewiesen werden (z.B. Kalwani & Silk, 1982; Berger & Mitchell, 1989; Fazio et al., 1989; Brown, S. P. & Stayman, 1992; Spears & Singh, 2004; Chandon et al., 2005).
Zeitlicher Abstand FA7: +
FA2: -
Kongruenz
FA8: + Intensität der Kongruenz
FA 4:
1: FA FA3: +
Produktbeurteilung
+
Störung
Phasische Aktivierung
FA6a :
+/F A6b:
FA5: +
-
Speicherung der gesamten Botschaft
Speicherung kongruenter Elemente
Abbildung 17: Untersuchungsmodell
Die Zusammenhänge und die aufgestellten Forschungsannahmen sollen im Rahmen einer empirischen Untersuchung überprüft werden. Hierfür wird im kommenden Abschnitt zunächst erörtert, wie die im Modell enthaltenen Variablen operationalisiert und gemessen werden sollen. Darüber hinaus werden im Sinne der Ausführungen von Abschnitt 2 relevante
116
Wirkung thematischer Werbe-Kontext-Kongruenz
Kontrollvariablen identifiziert, die bei der empirischen Validierung berücksichtigt werden müssen. Schließlich bietet der kommende Abschnitt einen Überblick über das Vorgehen bei der Untersuchung.
5.
Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie „Siehst du einen Riesen, so prüfe den Stand der Sonne und gib Acht, ob es nicht der Schatten eines Zwerges ist.“ Novalis29
5.1
Einordnung in den Aufbau der empirischen Untersuchung
Den Kern der empirischen Untersuchungen bilden Experimente. Grundgedanke eines Experimentes ist die bewusste Manipulation ausgewählter unabhängiger Variablen bei gleichzeitiger oder darauf folgender Messung relevanter abhängiger Variablen (Kuß, 2004, S. 123). Im vorliegenden Fall ist Kongruenz als unabhängige Variable allerdings das Ergebnis einer Interaktion von Werbespot und Programm. Bevor daher der Einfluss von Kongruenz auf die Werbewirksamkeit gemessen werden kann, muss zunächst genauer untersucht werden, für welche Konstellationen von Werbung und Programm Kongruenz vorliegt. Voraussetzung für die Durchführung der Laborexperimente ist demnach die Identifikation von kongruenten und nicht-kongruenten Spot-Programm-Kombinationen. In der empirischen Sozialforschung wird das Vorliegen der experimentellen Variation üblicherweise im Rahmen einer Vorstudie (Pretest) überprüft. Das Ergebnis der Überprüfung basiert in den meisten Fällen auf einer kleinen Zahl voneinander unabhängiger Beurteilungen. Allerdings begründen einige Autoren die Divergenz bisheriger empirischer Befunde zu Werbe-Kontext-Kongruenz mit der Schwierigkeit, im Rahmen von solchen Vorstudien eindeutig kongruentes Stimulusmaterial zu identifizieren (vgl. z.B. Parker, E. & Furnham, 2007, S. 10). Meist werden mehr oder weniger willkürlich Werbe-Kontext-Kombinationen ausgewählt, für die anschließend das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen von Kongruenz „bestätigt“ wird. Wie deutlich die Kongruenz von Rezipienten tatsächlich wahrgenommen wird, bleibt außer Acht. In dieser Arbeit wird unterstellt, verschiedene Typen und Konstellationen von Kongruenz wirkten unterschiedlich. Aus diesem Grund wurde für die empirische Untersuchung nicht nur ein einfacher Pretest durchgeführt: Im Rahmen einer großzahligen Vorstudie bewerteten Probanden mehrere Spot-Programm-Kombinationen dahingehend, ob die Werbung thematisch zum Programm passt. So konnte eine größere Zahl von Spot-Programm-Kombinationen hinsichtlich der Intensität ihrer Kongruenz überprüft werden. Für die anschließenden Laborexpe-
29 Zugeschrieben; zitiert nach http://de.wikiquote.org/wiki/Novalis.
118
Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie
rimente bestand dadurch die Möglichkeit, aus einer größeren Zahl von Spots und Programmen dasjenige Stimulusmaterial auszuwählen, das möglichst eindeutig Kongruenz bzw. keine Kongruenz aufweist. Neben der Überprüfung der experimentellen Variation erfüllt die Vorstudie auch explorative Zwecke. Mit ihrer Hilfe kann ein genaueres Verständnis darüber erlangt werden, welche Dimensionen der Spotgestaltung mit der Wahrnehmung thematischer Kongruenz zusammenhängen. Weil die Vorstudie damit über den Rahmen eines üblichen Pretest hinausgeht, werden Methodik und Ergebnisse im Folgenden ausführlich dargestellt. Als Kooperationspartner für die Durchführung von Vorstudie und Laborexperimenten konnte der Werbevermarkter der RTL-Sendergruppe IP Deutschland gewonnen werden. Der Kooperationspartner übernahm die Kosten für Produktion und Schnitt des Stimulusmaterials, für die Programmierung von Webseiten für die im Internet durchgeführte Vorstudie, für die Nutzung der Befragungssoftware sowie für Probandenrekrutierung und notwendiges Personal zur Unterstützung der Laborexperimente. Ein Einfluss des Kooperationspartners auf die Bestimmung von Untersuchungsgegenstand, Zusammenstellung konzeptioneller Grundlagen, Studiendesign sowie Auswahl von Stimulusmaterial und Probanden bestand zu keinem Zeitpunkt. 5.2
Untersuchungsanlage und Erhebungsmethode
Für die Vorstudie wurde eine großzahlige Querschnittsuntersuchung durchgeführt. Nur eine solche Untersuchungsanlage schien geeignet, systematische Fehler bei der Bewertung von Kongruenz so weit wie möglich auszuschließen (vgl. Kuß, 2004, S. 41). Die Daten wurden durch eine Befragung erhoben. Die Befragten sollten einschätzen, ob und wie stark verschiedene Kombinationen von Werbespots und Fernsehprogrammen thematisch zueinander passen. Die Befragung erfolgte über das World Wide Web (kurz: Web) mit einem Fragebogen im HTML-Format, der mit Hilfe gängiger Webbrowser-Software angezeigt werden konnte. Es handelt sich folglich um eine Form der computerunterstützten, selbstadministrierten Befragung. Diese Befragungstechnik wurde aus verschiedenen Gründen ausgewählt (vgl. für eine Übersicht der Vor- und Nachteile webbasierter Befragungen auch Batinic & Bosnjak, 2000, S. 93). Durch die Befragung am Computer bestand die Möglichkeit, den Probanden auf dem Bildschirm Videosequenzen, in diesem Fall Werbespots, vorzuführen. Außerdem konnte für die Messung von Kongruenz eine Schieberegler-Skala umgesetzt werden, mit deren Hilfe eine intuitive Bewertung ermöglicht werden sollte (vgl. Abschnitt 5.5.1). Schließlich wurden durch computergestützte Befragung Fehler bei der Übertragung handschriftlicher Fragebögen in den Computer vermieden. Im Gegensatz zu einer von einem Interviewer administrierten computerunterstützten Befragung konnte durch die Nutzung einer selbstadministrierten WebBefragung sehr effizient ein großer und für die Fernsehbevölkerung nahezu repräsentativer
Untersuchungsanlage und Erhebungsmethode
119
Stichprobenumfang erzielt werden. Allerdings ergibt sich bei solchen Befragungen eine Reihe von Bedenken hinsichtlich der Ergebnisqualität, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. 5.2.1
Mögliche Fehlerquellen bei Web-Befragungen
Die Besonderheiten einer Befragung im Internet sind Gegenstand einer großen Zahl von Beiträgen (vgl. für eine Übersicht z.B. Tuten, Urban & Bosnjak, 2002). Die Beiträge zählen eine Reihe möglicher Beeinträchtigungen der Datenqualität bei Web-Befragungen auf. Sie lassen sich im Wesentlichen vier verschiedenen Fehlerquellen zuordnen (in Anlehnung an Bošnjak, 2002): Abdeckungsfehler (coverage error), Stichprobenfehler (sampling error), systematische Messfehler (measurement error) und systematische Antwortausfälle (nonresponse error). Verzerrungen aufgrund dieser Fehlerquellen sollten minimiert werden, um Schlüssigkeit, Veridikalität und Generalisierbarkeit der aus einer Zufallsstichprobe gewonnenen Daten zu gewährleisten (a.a.O., S. 17). Abdeckungsfehler (coverage errror) Ein Abdeckungsfehler kommt zustande, wenn Auswahlgesamtheit und Zielpopulation ungleich sind. Bei Web-Befragungen entsteht er vor allem, weil nicht die gesamte Bevölkerung Zugang zum Internet hat.30 Als Grundgesamtheit steht stets nur die Online-Bevölkerung zur Verfügung. Studienergebnissen mangelt es daher unter Umständen an externer Validität, und sie können nicht oder nur eingeschränkt verallgemeinert werden. Empirischen Studien zufolge haben Internet-Nutzer31 im Durchschnitt einen höheren Bildungsstand, höheres Einkommen und eine liberalere Grundeinstellung als die allgemeine Bevölkerung (AGOF, 2007). Wenn für diese Merkmale ein Einfluss auf die endogenen Variablen vermutet wird, kann eine Online-Befragung zu verzerrten Ergebnissen führen. Stichprobenfehler (sampling error) Ein Stichprobenfehler liegt vor, wenn ein oder mehrere Stichprobenkennwerte nicht mit den entsprechenden Parametern in der Auswahlgesamtheit übereinstimmen. Er führt – analog zu einem Abdeckungsfehler – unter Umständen zu einer Beeinträchtigung der Generalisierbarkeit (oder externer Validität) der Ergebnisse. Die Entstehung eines solchen Fehlers hängt vor
30 In Deutschland nutzen 61% der Wohnbevölkerung regelmäßig das Internet (Arbeitsgemeinschaft Online-
Forschung (AGOF), 2007, S. 5). 31 Wenn hier und im Folgenden von Nutzern, Besuchern, Teilnehmern etc. die Rede ist, sind stets auch Nutze-
rinnen, Besucherinnen, Teilnehmerinnen usw. gemeint. Die Beschränkung auf die männliche Form erfolgt ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit.
120
Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie
allem von der Art der Teilnehmerrekrutierung für eine webbasierte Befragung ab. Beispielsweise ist bei freiwilliger Teilnahme an einer Befragung im Gegensatz zu einem vorrekrutierten Panel mit Verzerrungen durch die Selbstrekrutierung der Teilnehmer zu rechnen: Nimmt ein Internet-Nutzer an einer freiwilligen Befragung teil, so lässt das eine Tendenz zu Extraversion, Altruismus, mehr verfügbare Freizeit usw. vermuten (Brenner, 2002). Auch die Ansprache von Besuchern einer bestimmten Webseite kann zu einem Stichprobenfehler führen. Denn verschiedene Webseiten unterscheiden sich zum Teil erheblich in den Personenmerkmalen ihrer Besucher (a.a.O., S. 101). Systematische Messfehler (measurement error) Systematische Messfehler können aufgrund des Erscheinungsbildes und Kontextes des Befragungsinstrumentes auftreten. Ursächlich hierfür können Unterschiede in der Darstellungsform eines Fragebogens sein, die auf verschiedene Hard- oder Software-Konfigurationen der Teilnehmer zurückzuführen sind (Bošnjak, 2002, S. 19f). Beispielsweise stellen verschiedene Software-Varianten für die Betrachtung von Webseiten (Webbrowser) denselben Quelltext mitunter höchst unterschiedlich dar. So kann es u.a. zu Verzerrungen bei der Abbildung von Antwortskalen oder der unerwünschten Hervorhebung einzelner Antwortoptionen kommen. Die Auswirkungen verschiedener Arten von Darstellungsfehlern sind bis heute erst in Ansätzen erforscht (ebd.). Um dem Problem zu begegnen, sind eine sorgfältige technische Umsetzung des Fragebogens und ein Pretest unter Berücksichtigung verschiedener Hard- und Software-Konfigurationen angeraten. Systematische Antwortausfälle (nonresponse error) Ein weiteres Problem webbasierter Erhebung liegt in systematischen Antwortausfällen. Diese liegen vor, wenn sich die Gruppe der Teilnehmer, für die vollständige Angaben vorliegen, in bestimmten Merkmalen systematisch von der Gruppe der Teilnehmer, für die unvollständige Angaben vorliegen, unterscheidet (Bošnjak, 2002). Teilnehmer von webbasierten Befragungen lassen sich leichter von anderen Webinhalten ablenken und unterliegen einer höheren Versuchung, die Befragung „nebenbei“ zu beantworten (Reips, 2002). Hier könnte eine Ursache für systematische Unterschiede in den Personenmerkmalen von „Antwortenden“ und „Nicht-Antwortenden“ liegen. Mit Hilfe geeigneter Statistiksoftware kann das Vorliegen einer solchen Verzerrung nachgewiesen und das Datenmaterial entsprechend angepasst werden. In Frage kommt hier beispielsweise ein Vergleich fehlender und nichtfehlender Fälle durch eine Analyse univariater Statistiken sowie Kovarianz- und Korrelationsmatrix. 5.2.2
Implikationen für die Vorstudie
Die speziellen Gegebenheiten einer webbasierten Befragung können die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse beeinträchtigen. Denn möglicherweise wird über das Internet nicht die
Stichprobe und Auswahl der Probanden
121
zu untersuchende Zielpopulation angesprochen (Abdeckungs- und Stichprobenfehler). Diese Problematik erscheint in der vorliegenden Studie aber aus drei Gründen weniger relevant: Erstens wird für die Personenmerkmale, in denen sich Online- und allgemeine Bevölkerung unterscheiden, grundsätzlich kein oder nur geringer Einfluss auf die Wahrnehmung von Kongruenz vermutet. Zweitens wurden eine Reihe von Personenmerkmalen, insbesondere demografische Eckdaten wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand, kontrolliert. Drittens handelt es sich um eine Vorstudie, bei der geringere Anforderungen an die Datenqualität gesetzt werden. Durch die Nutzung des Webs als Befragungsinstrument kann es zu systematischen Messfehlern kommen, z.B. wenn Darstellung und Handhabung des Fragebogens nicht den ursprünglichen Spezifikationen entsprechen. Diesem Problem wurde durch die Nutzung einer professionellen Software für webbasierte Befragungen (Umfragecenter des Anbieters Globalpark) begegnet. Sie stellt eine hohe Kompatibilität mit verschiedenen Hard- und Softwarekonfigurationen sicher. Weiterhin dürften der große Stichprobenumfang (n=2951) und eine zufällige Zuweisung von Probanden zu den Testgruppen dafür sorgen, dass entsprechende Verzerrungen geringer ins Gewicht fallen. Antwortausfälle verzerren die Untersuchungsergebnisse, wenn es systematische Unterschiede zwischen der Gruppe mit vollständigen und der Gruppe mit unvollständigen Angaben gibt. Auch hier gilt: Der große Stichprobenumfang und die vorgenommene Randomisierung lassen einen geringen Einfluss systematischer Antwortausfälle annehmen. 5.3
Stichprobe und Auswahl der Probanden
Die Befragung fand im Zeitraum vom 27. Oktober bis 10. November 2006 statt. In dieser Zeit wurden Besucher der Webseite RTL.de per Zufallsgenerator ausgewählt. In einem separaten Fenster ihres Webbrowsers (Pop-up-Fenster) wurden Sie gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen. Insgesamt 48033 Webseiten-Besucher sahen das Pop-up-Fenster32. Neben der Bitte um Teilnahme enthielt das Fenster einen Link zur Webseite mit der eigentlichen Befragung. 6340 Webseiten-Besucher folgten diesem Link, von denen 2951 die Befragung auch beendet haben. Bezogen auf die Gesamtzahl ausgelieferter Fragebögen ergeben sich eine Ausschöpfungsquote von 13,2 % und eine Beendigungsquote von 6,1 %. Wenn ein Teilnehmer mit der
32 Eine individuelle Identifikation der Besucher fand an diesem Punkt der Umfrage noch nicht statt, so dass
einer Person das Pop-up-Fenster mehrfach zugestellt werden konnte, solange sie dem weiterführenden Link zur Umfrage noch nicht gefolgt war.
122
Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie
Befragung begonnen hatte, wurde auf seinem Computer die Teilnahme durch Speicherung einer speziellen Datei (Cookie) markiert. Mit der Nutzung eines Cookies sollte vermieden werden, dass ein Proband mehrfach an der Befragung teilnahm. Ein vollkommener Schutz gegen mehrfaches Ausfüllen des Fragebogens bietet die Nutzung von Cookies nicht; theoretisch bestand die Möglichkeit, dass ein Webseiten-Besucher durch Löschen der gespeicherten Cookies oder durch den Seitenaufruf an zwei verschiedenen Computern (z.B. am Arbeitsplatz und am Heimcomputer) mehrfach teilnehmen konnte. In Anbetracht des großen Stichprobenumfangs und der Rolle der Online-Befragung als Vorstudie wird diese Problematik hier aber als wenig relevant angesehen. 5.3.1
Filterung nach Sendungsbekanntheit
Ziel der Untersuchung war es, die Teilnehmer verschiedene Kombinationen aus Werbespot und Fernsehsendung hinsichtlich ihrer thematischen Kongruenz bewerten zu lassen. Die Werbespots wurden den Probanden während der Befragung als kurze Videoclips gezeigt (vgl. auch die nachfolgenden Abschnitte zur Auswahl des Stimulusmaterials und Ablauf der Befragung). Aus Zeitgründen konnten die zu testenden Sendungen den Probanden nicht als Videoclips gezeigt werden. Stattdessen wurde zu Beginn der Befragung eine Filterfrage gestellt, mit der herausgefunden werden sollte, welche Fernsehprogramme die Probanden regelmäßig sehen. So wurde sichergestellt, dass die Probanden mit den zu testenden Sendungen vertraut waren. Für die Filterung nach Vertrautheit mussten die Probanden auf einer Vier-Punkte-Skala angeben, wie häufig sie die jeweilige Sendung sehen. Zum Hauptteil der Befragung kamen nur diejenigen Probanden, die angaben, mindestens eine der Testsendungen regelmäßig zu sehen. Die Beschriftung der Skalenwerte und die Definition von regelmäßigem Sehen hingen dabei vom Ausstrahlungsintervall der Sendung ab. Die abgefragten Sendungen wurden hierfür in drei Gruppen eingeteilt: tägliche Ausstrahlung, wöchentliche Ausstrahlung sowie wöchentliche Ausstrahlung, aber zurzeit nicht im Programm. Bei Serien, die zum Zeitpunkt der Befragung täglich ausgestrahlt wurden, mussten die Probanden beispielsweise auf einer VierPunkte-Skala von sehe ich seltener als 1 Mal pro Woche bis sehe ich Mo-Fr (fast täglich) angeben, wie häufig sie die Sendung durchschnittlich sehen. Nur diejenigen Probanden nahmen an der weiteren Befragung teil, die sehe ich Mo-Fr (fast täglich) oder sehe ich mehrmals pro Woche ausgewählt hatten. Die Definitionen von regelmäßigem Sehen für die drei Gruppen von Sendungen sind in Tabelle 7 zusammengefasst.
Stichprobe und Auswahl der Probanden
123
Tabelle 7: Filterlogik für Sendungsbekanntheit
Gruppe von Sendungen
Skalenwerte, für die regelmäßiges Sehen angenommen wird
Serien, die zum Zeitpunkt der Befragung täglich ausgestrahlt wurden
sehe ich mehrmals pro Woche oder sehe ich Mo-Fr (fast täglich)
Serien, die zum Zeitpunkt der Befragung wöchentlich ausgestrahlt wurden
sehe ich mehrmals im Monat oder sehe ich fast jede Woche
Serien, die zum Zeitpunkt der Befragung nicht mehr, aber innerhalb der vorangegangenen zwölf Monate mehrere Wochen lang wöchentlich ausgestrahlt wurden
habe ich fast jede Woche gesehen
Von den 2951 ursprünglichen Teilnehmern passierten 1277 den Filter und wurden zur Hauptbefragung weitergeleitet. Wird im Folgenden von Teilnehmern oder Probanden gesprochen, so bezieht sich das auf die Zahl von 1277 Probanden, die den Filter für die Sendungsbekanntheit passiert haben. 5.3.2
Demografische Merkmale der Stichprobe
Weil die Online-Befragung den Charakter einer Vorstudie hat, wird die demografische Zusammensetzung der Stichprobe grundsätzlich als unkritisch für die Auswertung angesehen. Dennoch soll nachfolgend kurz auf die Demografie der 1277 Teilnehmer eingegangen werden. Eine Dominanz einzelner demografischer Merkmale in der Stichprobe, die eine Verzerrung der Ergebnisse erwarten ließe, soll damit ausgeschlossen werden. Aufgrund der Besucherstruktur der RTL-Webseite war ein Großteil der Teilnehmer (78 %) weiblich. Abbildung 18 zeigt die Geschlechterverteilung und einen Vergleich mit der Verteilung in der Gesamtbevölkerung, der Online-Bevölkerung und der Fernsehbevölkerung. Sofern sich das Geschlecht auf die Bewertung von Kongruenz auswirkt, könnte hier eine Verzerrung der Ergebnisse vorliegen. Dies ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen.
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Methodisches Vorgehen in der Online-Vorstudie 100% Männlich
Weiblich
22% 49%
56%
48%
51%
44%
52%
Gesamtbevölkerung
OnlineBevölkerung
Fernsehbevölkerung
78%
Teilnehmer Vorstudie
Abbildung 18: Verteilung des Geschlechts der Vorstudienteilnehmer und Vergleich mit Gesamt-, Online-, und Fernsehbevölkerung (Quellen der Vergleichsdaten: AGOF, 2007; Media Control, 2007; Statistisches Bundesamt Deutschland, 2007a)
Mehr als 80 % der Vorstudienteilnehmer lagen in der Altersgruppe 14 – 49 Jahre. Die folgende Abbildung zeigt das Alter der Studienteilnehmer nach Altersgruppen. Die Gruppierung orientiert sich an der üblichen Zielgruppendefinition der Werbepraxis.
343 260
250
177 112
54 7-13 Jahre
43 14-19 Jahre
20-29 Jahre
30-39 Jahre
40-49 Jahre
50-59 Jahre
60-76 Jahre
6 keine Angabe
Abbildung 19: Alter der Teilnehmer an der Vorstudie
Die Verteilung der Altersgruppen entspricht in etwa der Altersverteilung in der OnlineBevölkerung, wobei 14-29-jährige überrepräsentiert und Über-50-jährige unterrepräsentiert sind (vgl. Abbildung 20).
Stichprobe und Auswahl der Probanden
3-13 Jahre 14-29 Jahre
4%
42%
11% 19% 31%
30-49 Jahre
41%
50+ Jahre
13%
39% Teilnehmer Vorstudie
Gesamtbevölkerung
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