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German Pages 331 Year 2008
Fabian York Urban Emotionen und Führung
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Fabian York Urban
Emotionen und Führung Theoretische Grundlagen, empirische Befunde und praktische Konsequenzen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Bernd Schauenberg
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2007
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Viktoria Steiner Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0944-8
Marco „Wenckman“ Wenck * 15.7.1976 † 31.10.2003 Freunde für die Ewigkeit
Geleitwort Seit DANIEL GOLEMAN 1995 ausgehend von einigen Vorarbeiten aus der Psychologie seinen ersten Weltbestseller über emotionale Intelligenz publizierte, scheint das Interesse an den damit verbunden Fragen ungebrochen. Auf den ersten Blick könnte man auf eine weitere Managementmode schließen. Viele der üblichen Bausteine einer solchen Mode sind in der Diskussion um die emotionale Intelligenz zu beobachten. Der Begriff selbst ist Aufmerksamkeit heischend. Zudem ist er etwas unscharf, für einige Diskutanten sogar widersprüchlich. Ein bisschen geheimnisvoll klingt er auch. Das könnte der Stoff sein, aus dem Managementmoden gemacht sind. Auf den zweiten Blick aber muss man ins Grübeln darüber kommen, ob die Dinge denn wirklich so einfach sind. Ein Blick in die Texte von DANIEL GOLEMAN zeigt, dass er auf eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur verweisen kann. Empirische und experimentelle Evidenz für viele seiner Thesen ist reichlich vorhanden. Das ist sicherlich kein Befund, der die Diagnose einer Mode unterstützt. Inzwischen kann man sogar auch auf ökonomische Beiträge aus diesem Themenkreis verweisen. Vor allem die experimentellen Ökonomen haben das Thema aufgegriffen. Es gibt auch schon erste Versuche, die Konsequenzen von Emotionen in Interaktionsprozessen zu modellieren. Die vorliegende Arbeit von Fabian Y. Urban geht von dieser Lage aus. Sie fragt danach, welche Konsequenzen sich aus den empirischen und experimentellen Befunden zu Emotionen für die Führung in Unternehmen und insbesondere für die Führungskräfteentwicklung ergeben. Die Führungskräfteentwicklung war früher vornehmlich an sachlichen Fragen und Themen orientiert. Das hat sich sicherlich schon seit geraumer Zeit verändert. Heute stehen „weiche Faktoren“ im Vordergrund. Vor allem soziale Kompetenzen sollen gefördert werden. Die Fähigkeit zum Umgang mit Emotionen könnte zu diesen Kompetenzen gehören. Dann aber ist zu fragen, ob solche Kompetenzen überhaupt gefördert werden können und ob in den Unternehmen entsprechende Versuche realisiert werden. Fabian Y. Urban zeigt auf ganz unterschiedlichen Wegen, dass die Konsequenzen aus den empirischen und experimentellen Befunden zu Emotionen folgenreich und für die Führungskräfteentwicklung durchaus fundamental sein können. Er präsentiert zunächst einen Überblick über die Rolle von Emotionen in organisatorischen Prozessen. Dann geht er auf die neuen Herausforderungen für Führungsprozesse ein. Es folgt eine Diskussion alternativer Führungsmodelle. Im Zuge der Diskussion werden die Ergebnisse einer Auswertung von zehn
VIII
Geleitwort
Kompetenzmodellen führender deutscher Unternehmen präsentiert. Weitere Informationen über die Situation in deutschen Unternehmen hat er in Interviews mit 20 Experten erhalten. Die Ergebnisse dieser Interviews erlauben einen guten Blick auf den Stand der Diskussion um die Rolle von Emotionen in deutschen Unternehmen. Zum Schluss wird der Versuch unternommen, die Konsequenzen aus der Diskussion um Emotionen für fundamentale organisatorische Prozesse zu ziehen. Fabian Y. Urban untersucht Fragen, deren Relevanz für Theorie und Praxis unabweisbar sind. Die theoretischen Grundlagen werden überzeugend dargestellt. Die eigenen empirischen Ergebnisse sind mehr als bemerkenswert. Die Konsequenzen für die Praxis, vor allem für die Praxis der Führungskräfteentwicklung, werden sehr klar aufgezeigt. Ich wünsche der Arbeit eine gute Aufnahme in Theorie und Praxis. Sie hat es verdient. Bernd Schauenberg
Vorwort Emotionen sind ein essentieller Bestandteil der menschlichen Entwicklungsgeschichte und bilden seit jeher die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen. In unterschiedlichen Bereichen der Verhaltenswissenschaften und der Psychologie wurde das Emotionsphänomen daher sehr differenziert erforscht und auch innerhalb interdisziplinär ausgerichteter Zweige stellen emotionale Mechanismen und Effekte bereits eine zentrale Untersuchungsvariable dar. In der Führungsforschung jedoch finden sich erstaunlicherweise, von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, bis dato bemerkenswert wenige Bemühungen, emotionales Erleben als erklärende Variable in Forschungsdirektiven zu integrieren. Gerade die deutschsprachige Literatur war in Führungsfragen lange Zeit sehr mechanistisch und technokratisch geprägt und eher an eindeutig skalierbaren und quantifizierbaren Themen orientiert. Seit einiger Zeit aber ist nun eine gewisse Reorientierung der Führungsforschung zu beobachten, deren Impulse hauptsächlich dem angloamerikanischen Sprachraum zuzuordnen sind und langsam auch in Europa auf einer wissenschaftlich fundierten Ebene Fuß fassen. Diese Neuausrichtung hat u.a. zur Folge, dass die einzubeziehenden Parameter, die im Führungsprozess von erfolgskritischer Relevanz sind, z.B. um solche erweitert werden, die sich mit der Wahrnehmung und dem Management von emotionalen Prozessen beschäftigen. In diesem Zusammenhang bin ich sehr dankbar für den Umstand, dass mir im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Möglichkeit gegeben wurde, an einer Forschungsströmung zu partizipieren, die insbesondere in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Auch wenn andere aktive und ehemalige Doktoranden jetzt ungläubig mit dem Kopf schütteln werden, kann ich sagen, dass die Zeit der Doktorarbeit und die Erstellung eben dieser mich ungemein ausgefüllt haben und ich sie eher als Geschenk denn als Last empfunden habe. Auch wenn ich dann und wann in Form von Freude, Wut, Furcht und Euphorie diverse Wechselbäder der Gefühle durchlaufen habe, waren es doch eben jene Gefühle und Emotionen, die nicht nur die Grundfesten des Lebens bilden und wahrscheinlich dessen zentrale Motivationsvariable darstellen, sondern auch innerhalb von Führungsprozessen von elementarer Bedeutung sind. Die Zeit als Doktorand hat für mich eine erhebliche persönliche Weiterentwicklung bedeutet und ich kann sagen, dass ich während der gut zweieinhalb Jahre immer das positive Grundgefühl hatte, Teil einer besonderen Sache sein zu dürfen.
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Vorwort
Im Folgenden möchte ich mich nun bei all denjenigen Personen, Organisationen und Einrichtungen bedanken, die durch ihre Unterstützung zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt hierbei meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Bernd Schauenberg, der mir durch sein entgegengebrachtes Vertrauen überhaupt erst die Arbeit ermöglicht hat. Er war auch derjenige, der mir neben zahlreichen fachlichen Anregungen die entscheidenden inhaltlichen Hinweise gab und mir vor allen Dingen, entgegen aller Zweifel von meiner Seite, das notwendige Maß an Gelassenheit und Zuversicht vermittelte. Ich danke ihm nicht zuletzt für die Ermöglichung eines nahtlosen Einstiegs in das Berufsleben, da ich gefühlsmäßig die von ihm korrigierte Fassung meiner 1. Version wieder in den Händen hielt, bevor ich sie überhaupt abgegeben hatte, was den finalen Abgabeprozess erheblich beschleunigte. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Franz Schober für die Übernahme des Zweitgutachtens und die an sehr unterschiedlichen Stellen entgegengebrachte Unterstützung. Ein Gefühl von tiefer Verbundenheit gilt meiner Freundin Ariane Liberatore, der ich so unendlich dankbar bin, dass ich an ihrer Seite sein darf. Ihre Liebe und Hingabe, ihre Güte, Geduld und Empathie, ihr Scharfsinn und ihre intellektuelle Kapazität sind nur einige ihrer besonderen Gaben, die mich während der Arbeit so über alle Maße ausfüllten und mir stets das Gefühl von Stabilität, Geborgenheit und Vertrauen vermittelten. Danke für die wundervolle Zeit. Meinen Eltern Wolfram und Monika Urban und meiner Schwester Constanze gilt besonderer Dank. Durch ihre fürsorgliche Unterstützung und ihre bedingungslose Großherzigkeit haben sich mich schon während meines Studiums und auch in der Zeit der Doktorarbeit in meinem Vorwärtsdrang auf jede nur erdenkliche Weise unterstützt. Auch wenn ich das, was ich durch sie erfahren habe, kaum zurückgeben kann, dann soll zumindest diese Arbeit einen kleinen Teil dazu beitragen. Ich danke Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hilke als Vorsitzenden der Hermann-Dietrich-Stiftung, der mir ein Stipendium ermöglicht hat und auch der Landes Graduierten Förderung BadenWürttemberg, die mich in der Endphase meiner Doktorarbeit unterstützt hat. Rund 20 Experten aus unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen haben mich bei meiner qualitativen Erhebung durch persönliche Interviews unterstützt. Die bislang wenig im Organisationskontext verankerte Thematik ließ eine quantitative Erhebung nicht zu, so dass ich den Experten für ihre Bereitschaft und den durch sie bereitgestellten Erklärungsgehalt sehr
Vorwort
XI
dankbar bin. Weiterhin möchte ich jene DAX-Unternehmen nennen, die mir freundlicherweise ihre Führungs- und Kompetenzmodelle zur Auswertung zur Verfügung gestellt haben. Ich danke Daniel Edelhoff, Ekkehard Köhler und Florian Kienzler für ihren so nachhaltigen Humor und die ungezählten Mensabesuche voller Unbeschwertheit, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Wolfgang Walther möchte ich danken für die Hochgeschwindigkeitskorrektur meiner Rohfassung, seine hilfreichen Anmerkungen und die Tatsache, dass es wohl kaum ein Themengebiet gibt, mit dem ich mich nicht an ihn hätte wenden können. Lajos Elsner möchte ich Danke sagen für die wenigen und dennoch intensiven gemeinsamen Unternehmungen, die mehr als nur eine willkommene Abwechslung waren. Riccardo Wagner und Martin Bersem gilt mein Dank für die von ihnen ausgestrahlte Lässigkeit und ihr positives Denken, wovon ich mir ein paar Stücke anzunehmen versucht habe. Alle oben genannten Personen und Einrichtungen haben auf sehr unterschiedliche Art und Weise dazu beigetragen, dass ich die Arbeit mit einem nicht versiegen wollenden Enthusiasmus zu Ende gebracht habe. Ein zu Beginn von vielen Leuten hinsichtlich der Thematik belächeltes Promotionsvorhaben, welches für einen Volkswirt zugegebener Maßen zunächst sehr ungewöhnlich erscheint, entpuppte sich während der Ausarbeitung als eine wahre persönliche Bereicherung. Hierbei habe ich mich recht unvoreingenommen einer neuen, recht unbekannten Sache geöffnet. Seinen Weg im Leben zu gehen, bedeutet manchmal, alte Konventionen und Ansichten über Bord zu werfen, vermeintlichen Erwartungshaltungen und Sichtweisen zu widersprechen und einfach seinem Gefühl zu folgen, wenn man spürt, sein Feld gefunden zu haben. Mein bester Freund und Wegbegleiter Marco Wenck hat mir diesbezüglich sicherlich eine nicht unerhebliche Menge vorgelebt. Ihm möchte ich daher diese Arbeit widmen. Es ist so schade, dass Du nicht mehr da bist, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Danke für die schönen Dinge, die wir erleben durften. Wir sehn’ uns oben – Freunde für die Ewigkeit! Fabian York Urban
Inhaltsverzeichnis Geleitwort.............................................................................................................................. VII Vorwort ...................................................................................................................................IX Inhaltsverzeichnis................................................................................................................XIII Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... XVII Tabellenverzeichnis............................................................................................................. XIX 1
Einleitung ........................................................................................................................... 1
2
Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess ........................... 11 2.1
2.2
Emotionspsychologische Grundlagen................................................................... 13 2.1.1
Definitionen und Abgrenzungen.................................................................. 13
2.1.2
Emotionsauslöser ......................................................................................... 17
2.1.3
Ablauf einer Emotion................................................................................... 20
2.1.4
Klassifikation und Dimensionierung von Emotionen.................................. 21
2.1.5
Induktion von Emotionen ............................................................................ 24
2.1.6
Erfassung und Messung von Emotionen...................................................... 26
2.1.7
Funktionale Betrachtung.............................................................................. 32
2.1.8
Arbeits- und führungsbezogene Synthese.................................................... 40
Emotionen im Arbeits- und Führungskontext .................................................... 42 2.2.1
Wirkungstheoretische Grundlagen............................................................... 43
2.2.2
Die Affective-Events-Theory ........................................................................ 47
2.2.3
2.2.2.1
Theorie ........................................................................................ 47
2.2.2.2
Empirie........................................................................................ 50
Emotionen als Einflussvariable im Arbeitsprozess: Ausgewählte Effekte.................................................................................... 55
2.2.4 2.3
2.2.3.1
Positive Effekte........................................................................... 57
2.2.3.2
Negative Effekte ......................................................................... 60
Konsequenzen für die Tätigkeit von Führungskräften................................. 63
Zusammenfassung.................................................................................................. 65
XIV 3
Inhaltsverzeichnis
Führung im Wandel ........................................................................................................ 67 3.1
Führungsgrundlagen.............................................................................................. 68
3.2
Führungserfolg ....................................................................................................... 73
3.3
Aufgaben von Führungskräften............................................................................ 79
3.4
Anforderungen an Führungskräfte ...................................................................... 80 3.4.1 3.4.2
3.4.3
3.5 4
Intrapersonale vs. extrapersonale Anforderungen ....................................... 81 Extrapersonale Anforderungen im Wandel ................................................. 83 3.4.2.1
Entwicklungen im Unternehmensumfeld ................................... 83
3.4.2.2
Auswirkungen auf die Unternehmen .......................................... 88
3.4.2.3
Auswirkungen auf die Tätigkeit von Führungskräften ............... 93
3.4.2.4
Fazit............................................................................................. 96
Intrapersonale Anforderungen im Wandel................................................... 98 3.4.3.1
Theorie ........................................................................................ 98
3.4.3.2
Empirie...................................................................................... 101
Zusammenfassung................................................................................................ 106
Führungs- und Kompetenzmodelle in der Arbeit und Entwicklung von Führungskräften............................................................................................................ 109 4.1
Führungs- und Kompetenzmodelle: Grundlagen ............................................. 109
4.2
Theoretische Führungsmodelle........................................................................... 113
4.3
4.4
4.2.1
Eigenschaftsansatz ..................................................................................... 113
4.2.2
Verhaltensansatz ........................................................................................ 115
4.2.3
Situationsansatz.......................................................................................... 119
4.2.4
Transformationsansatz ............................................................................... 122
4.2.5
Kritische Würdigung.................................................................................. 125
Empirische Kompetenzmodelle .......................................................................... 126 4.3.1
Modelle aus der Unternehmenspraxis........................................................ 126
4.3.2
Kritische Würdigung.................................................................................. 134
Zusammenfassung................................................................................................ 137
Inhaltsverzeichnis 5
Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis: eine qualitative Expertenbefragung............................................................................. 139 5.1
Fragestellung, Zielsetzung und Repräsentativität............................................. 141
5.2
Vorgehensweisen .................................................................................................. 143
5.3
Interviewkonzeption ............................................................................................ 146
5.4
Interviewdesign .................................................................................................... 147 5.4.1
Qualitative vs. quantitative Vorgehensweise............................................. 147
5.4.2
Gütekriterien .............................................................................................. 150
5.4.3
Stichprobenspezifikation: Auswahl der Experten...................................... 156
5.4.4
Erhebungsmethode: Experteninterview ..................................................... 160
5.4.5
Interviewdurchführung .............................................................................. 162
5.4.6
Aufbereitungsverfahren ............................................................................. 165
5.4.7
Auswertungsverfahren ............................................................................... 165
5.5
Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews ..................................... 170
5.6
Typenbildungen.................................................................................................... 199
5.7 6
XV
5.6.1
Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen und Merkmalsräume....... 199
5.6.2
Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeiten......... 207
5.6.3
Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und Typenbildung ........... 208
5.6.4
Charakterisierung der gebildeten Typen.................................................... 214
Fazit ....................................................................................................................... 217
Emotionsmanagement im Arbeits- und Führungsprozess: theoretische Konzeptionalisierungsversuche .............................................................. 221 6.1
6.2
Das Konzept der Emotionalen Intelligenz .......................................................... 222 6.1.1
Grundlagen und Historie............................................................................ 222
6.1.2
Modellkonstruktionen ................................................................................ 227
6.1.3
Meßmethoden und -probleme .................................................................... 231
6.1.4
Konzeptgüte ............................................................................................... 236
6.1.5
Konzeptkritik ............................................................................................. 239
Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess................................ 243 6.2.1
Theorie ....................................................................................................... 243
6.2.2
Empirische Befunde................................................................................... 248
6.2.3
Kritische Würdigung.................................................................................. 259
XVI
7
Inhaltsverzeichnis
6.3
Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften............................... 263
6.4
Zusammenfassung................................................................................................ 270
Schlussbetrachtung........................................................................................................ 273
Anhang .................................................................................................................................. 281 Literaturverzeichnis............................................................................................................. 283
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Zusammenhang Motivation und emotionales Erregungslevel ....................... 36
Abbildung 2:
Emotionen als Ergebnis- und Steuerungsgröße ............................................. 44
Abbildung 3:
Verhaltensvariabilität in Bezug auf emotionale Reize................................... 45
Abbildung 4:
S-O-R-Modell (Stimulus/Organismus/Reaktion)........................................... 46
Abbildung 5:
Emotionaler Wirkmechanismus ..................................................................... 47
Abbildung 6:
Affective-Events-Theory: Macro Structure ..................................................... 48
Abbildung 7:
Sachbezogene vs. personenbezogene Führung .............................................. 70
Abbildung 8:
Führungserfolg ............................................................................................... 75
Abbildung 9:
Definition von Führungserfolg....................................................................... 76
Abbildung 10: Zusammenhang von extra- und intrapersonalen Anforderungen................... 82 Abbildung 11: Ohio State Leadership Quadranten .............................................................. 117 Abbildung 12: Managerial Grid ........................................................................................... 118 Abbildung 13: Kontinuum der situativen Günstigkeit ......................................................... 120 Abbildung 14: Kontingenzmodell der Führung von Fiedler ................................................ 121 Abbildung 15: Kombination der Expertenmerkmale ........................................................... 213 Abbildung 16: Klassifikation der Experten.......................................................................... 216
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Komponentenmodell einer Emotion .................................................................. 15
Tabelle 2:
Merkmale von Führung...................................................................................... 69
Tabelle 3:
Intrapersonale Anforderungen an Führungskräfte ........................................... 102
Tabelle 4:
Spezifikation der untersuchten Kompetenzmodelle......................................... 129
Tabelle 5:
Kompetenzmodelle: emotionsbezogene Analyse (Teil I) ................................ 130
Tabelle 6:
Kompetenzmodelle: emotionsbezogene Analyse (Teil II)............................... 131
Tabelle 7:
Kompetenzmodelle: emotionsbezogene Analyse (Teil III) ............................. 132
Tabelle 8:
Kompetenzmodelle: emotionsbezogene Analyse (Teil IV) ............................. 133
Tabelle 9:
Übersicht Merkmalsräume und Merkmalsausprägungen................................. 206
Tabelle 10: Merkmalskombinationen der Interviews.......................................................... 209 Tabelle 11: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil I) ......................................................... 228 Tabelle 12: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil II)........................................................ 229 Tabelle 13: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil III)....................................................... 230 Tabelle 14: Ability-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz......................................... 233 Tabelle 15: Trait-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz (Teil I) ............................... 234 Tabelle 16: Trait-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz (Teil II).............................. 235 Tabelle 17: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Gruppe und Teamperformance (Bewertung durch Manager) .............................................. 257 Tabelle 18: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Teamleiter und Teamperformance (Bewertung durch Manager) .............................................. 257 Tabelle 19: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Teamleiter und Teamperformance (Bewertung durch Teammitglieder)................................... 257 Tabelle 20: Emotionale Intelligenz als Einflussvariable: empirische Studien (Teil I)........ 260 Tabelle 21: Emotionale Intelligenz als Einflussvariable: empirische Studien (Teil II) ...... 261
1 Einleitung Die Umwelt von Unternehmen ist heutzutage kennzeichenbar durch eine große Anzahl stetiger Veränderungs- und Wandelprozesse, die zumeist im technischen Bereich liegen und die Aktivität und Tätigkeit von Unternehmen auf sehr vielfältige Art und Weise positiv beeinflussen. So haben z.B. der technologische Fortschritt und die gestiegene Informationsgeschwindigkeit in der Vergangenheit dazu geführt, dass im Vergleich zu früher viele Abläufe (etwa im Produktionsprozess) deutlich schneller und effizienter geworden sind, was gleichzeitig die Produktivität vieler Unternehmen erhöht hat. Trotz dieser Veränderungen und Fortschritte wird die wichtigste Ressource eines Unternehmens jedoch nach wie vor von dessen Mitarbeitern gebildet. Diese bestimmen den Unternehmenserfolg in erheblichem Ausmaß dadurch mit, dass sie auf Grundlage ihrer Fähigkeiten und ihrer Motivation Entscheidungen treffen und Handlungen durchführen. Hierbei werden sie im Rahmen der Personal- und Unternehmensführung von ihnen überstellten Führungskräften geleitet, die ihrerseits bestrebt sind, dass vorhandene Potential der geführten Mitarbeiter möglichst effizient zu nutzen und zu fördern.1 Korndörfer (1999) weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung hin, die Führungskräften hierbei zukommt: „Erfolg oder Misserfolg der unternehmerischen Tätigkeit hängen heute mehr denn je von der Qualität der im Unternehmen wirkenden Führungskräfte ab.“2 Langfristig wird die erfolgreiche Aktivität und Entwicklung eines Unternehmens also maßgeblich davon mitbestimmt, in welcher Weise Führungskräfte den Führungsprozess gestalten und im Rahmen dessen Mitarbeiter ergebnisorientiert zu steuern versuchen. Aus diesem Grund ist die Führungsforschung seit jeher bemüht, exakte Anforderungs- und Qualifikationsprofile mit normativem Charakter für Führungskräfte zu formulieren. Diese bilden die Grundlage für etwaige operative Maßnahmen im Prozess der Führungskräfteentwicklung, mittels derer bestehende Kompetenzdefizite bei Führungskräften auszugleichen versucht werden. Das übergeordnete Ziel besteht hierbei in der Isolation von Fähigkeiten, Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen, welche positiv mit dem Führungserfolg korrelieren, also sowohl im Hinblick auf die Mitarbeiter- als auch auf die Unternehmensentwicklung positive Effekte induzieren. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Arbeit von Führungskräften einen dynamischen Prozess darstellt, welcher durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren mitbestimmt wird. 1 2
Vgl. Linke (1996), S. 2. Korndörfer (1999), S. 271.
2
1 Einleitung
In diesem Zusammenhang sind, neben der bereits genannten fortschreitenden Technologisierung und Globalisierung, insbesondere der demografische Wandel und die Veränderung gesellschaftlicher Werte zu nennen. Diese haben bedeutenden Einfluss auf den Prozess der Mitarbeiterführung, da es durch sie zu einer signifikanten Verschiebung der Arbeitsschwerpunkte von Führungskräften kommt in Folge dessen sich deren Anforderungsprofile gleichermaßen mit verändern. Eine Vermutung in diesem Zusammenhang ist, dass durch die Wandelprozesse neben technisch-methodischen künftig verstärkt solche Fähigkeiten von Bedeutung sein werden, die das Lösen sozial geprägter Probleme ermöglichen. Diese entstehen z.B. bei der Motivation heterogener Belegschaften, bei der Rekrutierung von Mitarbeitern vor dem Hintergrund eines sich verknappenden Arbeitsangebotes oder bei der Integration unterschiedlicher Interessen, Werte und Bedürfnisse von Unternehmen, Führungskräften und Mitarbeitern. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit Unternehmen im Rahmen ihrer strategischen Kompetenzentwicklung auf diese neuen Herausforderungen bereits vorbereitet sind und entsprechende Kompetenzen in ihre Kompetenzmodelle mit aufgenommen haben. Anfang der 90er Jahre wurde in diesem Zusammenhang von Salovey/Mayer (1990) das Konzept der Emotionalen Intelligenz veröffentlicht, welches das emotionale Erleben von Individuen und den Umgang damit zum Gegenstand hat. Die Autoren formulieren hierbei in Anlehnung an die klassische Intelligenz eine neue Kompetenzform, die es Individuen auf Basis der Fähigkeit zur Emotionswahrnehmung bei sich und anderen unter Zuhilfenahme von emotionsbezogenem Wissen ermöglicht, Emotionen gezielt zu regulieren. Dies bildet den Ausgangspunkt für das hierauf aufbauende Vermögen, emotionsbasierte Handlungs- und Entscheidungsprozesse aktiv steuern zu können, was nach Ansicht der Autoren insbesondere im Rahmen von sozialer Interaktion von elementarer Bedeutung ist. Grundlage ist hierbei die Erkenntnis, dass Emotionen die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen bilden und im Hinblick auf Handlungsprozesse sowohl Ergebnis- als auch Steuerungsgröße sind.3 Emotionales Erleben beeinflusst neben spezifischen Haltungen und Sichtweisen auch die Fähigkeit zur Bewältigung von Aufgaben, da es elementare Auswirkungen auf Prozesse des Wahrnehmens, Urteilens, Erinnerns, Problemlösens usw. hat.4 Es kann somit als ein wichtiges strukturierendes Moment angesehen werden, dessen Einbeziehung bei der Betrachtung von sozialer Interaktion einen hohen zusätzlichen Erklärungsgehalt liefert, etwa welche Gründe in Bezug auf gezeigtes Verhalten vorliegen. 3
4
Dies bedeutet, dass Emotionen als Reaktion auf bestimmte Ereignisse denkbar sind (Ergebnisgröße), gleichzeitig aber auch die Grundlage für bestimmte Handlungen darstellen (Steuerungsgröße). Vgl. Kiefer (2002), S. 50. Vgl. u.a. Wegge (2004), S. 681 ff.
1 Einleitung
3
Im Zeitablauf wurde dieses Konzept insbesondere von Goleman (1998b, 2000b) im Rahmen unterschiedlicher, populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen auf die Führungsforschung zu übertragen versucht.5 Hierin propagiert der Autor, dass der Umgang mit Emotionen eine elementare Führungsvariable darstellt. Das emotionale Erleben von Individuen habe im Arbeits- und Führungskontext einen signifikanten Einfluss auf ihr Handeln, so dass insbesondere für Führungskräfte die Notwendigkeit bestehe, das emotionale Erleben ihrer Mitarbeiter als wichtige Informationsquelle für die eigene Führungsaktivität zu nutzen. Zudem gelte es den Umgang mit Emotionen im Hinblick auf die intendierten Ziele entsprechend zu systematisieren. Hiermit ist gemeint, dass bei der Führung von Mitarbeitern emotionale Wirkmechanismen berücksichtigt werden müssen, um diese systematisch und vor allem zielgerichtet lenken, binden und motivieren zu können. Die zugrunde liegende Idee kann hierbei folgendermaßen skizziert werden: Da der Erfolg eines Unternehmens zu einem großen Teil durch die Leistung der im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter bestimmt wird und diese durch ihr emotionales Erleben grundlegend gesteuert werden, ist die Einbeziehung von Emotionen durch die Führungskräfte essentiell. Die Mitarbeiter treffen im Rahmen ihrer Kompetenzen, Fähigkeiten sowie ihrer Motivation Entscheidungen und führen Handlungen durch, die in der Regel mehr oder weniger stark von bewusstem aber auch unbewusstem Emotionserleben beeinflusst werden. Wenn man zudem berücksichtigt, dass das emotionale Erleben neben Handlungsabsichten, Verhaltensweisen und Einstellungen auch unterschiedliche Performancemaße der Mitarbeiter determiniert, sind Führungskräfte nur über die Wahrnehmung und Adaption emotionaler Wirkmechanismen in der Lage, den Führungsprozess effizient zu gestalten, so dass auf diese Weise positive Effekte der individuellen Arbeitsleistung herbeigeführt werden können.6 Insbesondere für Führungskräfte erscheint es daher zwingend, die häufig als Emotionale Intelligenz beschriebene Kompetenz im Umgang mit Emotionen zu entwickeln. Die von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) lancierte Thematik, die beginnend mit den ersten Veröffentlichungen insbesondere im gesellschaftlichen Umfeld großes Interesse ausgelöst hat, ist innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde sowohl in Bezug auf das Ausmaß der induzierten Reaktionen als auch in Bezug auf deren Wirkungsradius recht differenziert charakterisierbar.7 Die durch sie ausgelöste Resonanz sowie entsprechende Adaptionsversuche im Rahmen der Führungsforschung und der Psychologie fallen dabei sehr unterschiedlich aus. 5
6
7
Bereits Mitte der 90er Jahre hat Goleman (1995) aufbauend auf den Arbeiten von Salovey/Meyer (1990) ein populärwissenschaftliches Buch zu dieser Thematik veröffentlicht, welches sich jedoch nicht speziell auf den Arbeits- und Führungskontext bezog. Eine Übersicht über die durch emotionales Erleben beeinflussten Performancemaße findet sich u.a. bei Barsade/Gibson (2007), S. 42 ff. Das Buch Emotionale Intelligenz von Goleman (1995) ist bereits in der 18. Auflage verfügbar.
4
1 Einleitung
Vereinfacht ausgedrückt haben sich im Zeitablauf zwei Gruppierungen gebildet, die folgendermaßen beschrieben werden können: Auf der einen Seite findet sich die recht kleine Gruppe der Befürworter, die zumeist den interdisziplinär geprägten Teilen der Führungsforschung und der Psychologie angehören. Diese haben die Thematik sehr schnell aufgegriffen und weiterzuentwickeln versucht, was sich anhand vieler erweiternder Forschungsbemühungen zeigen lässt.8 Insbesondere an der verhaltensorientierten Schnittstelle zwischen der Betriebswirtschaftslehre und der Psychologie (wie z.B. im Forschungszweig des Organizational Behavior) ist sie in Teilen zeitnah implementiert worden.9 In diesen Bereichen können die Veröffentlichungen von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) retrospektiv betrachtet als Grund dafür gesehen werden, dass es zu einer gewissen Reorientierung in Bezug auf das Führungsverständnis gekommen ist. Auf der anderen Seite steht die zahlenmäßig recht große Gruppe der Kritiker. Die Anhänger dieser gehören zumeist traditionell geprägten Forschungszweigen wie der klassischen Führungsforschung aber auch der noch recht jungen Arbeits- und Organisationspsychologie an und haben die von Golemans Arbeiten ausgehenden Impulse bis heute kaum aufgenommen.10 Hierbei ist zu vermuten, dass die präsentierten Erkenntnisse von ihnen entweder für so trivial gehalten werden, dass sie keiner weiteren Erwähnung bedürfen oder aber, dass die Autoren sie für wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert halten. Letztere Vermutung kann dadurch bestätigt werden, dass gerade das Konstrukt der Emotionalen Intelligenz von den angesprochenen Forschungszweigen, aufgrund der anfänglich zugegebenermaßen sehr populärwissenschaftlichen Behauptungen und empirisch nicht validierten Thesen, häufig nur als bloße Managementmode bezeichnet wurde und noch heute wird. Nach Meinung der Kritiker hat das Konstrukt rein substantiell betrachtet keine inkrementellen Erkenntnisse generiert. Die Verfechter haben sich ihrer Ansicht nach lediglich darauf beschränkt, bestehende Kenntnisse unter einem neuen Label öffentlichkeitswirksam zu vermarkten.11 So wird argumentiert und insbesondere kritisiert, dass Goleman (1995) bei der Konstruktion der Emotionalen Intelligenz und den dazugehörigen Kompetenzen auf in der psychologischen Forschung längst unter 8 9 10
11
Vgl. hierzu u.a. Schulze/Freund/Roberts (2006). Vgl. hierzu u.a. Härtel/Zerbe/Ashkanasy (2005). Vgl. hierzu u.a. Bass (1990), Yukl (1998), Neuberger (2002), Schuler (2004), Rosenstiel/Molt/Rüttinger (2005), Wunderer (2006). Vgl. Sieben (2001), Schuler (2002a, 2002b). In der Tat hat Goleman (2003) im Rahmen seiner Veröffentlichungen allzu populärwissenschaftliche Thesen mit wissenschaftlichem Anspruch aufgestellt, die einer fundierten Vorgehensweise entgegenstehen: „Für herausragende Leistungen in allen Berufen und in jedem Bereich ist emotionale Kompetenz doppelt so wichtig wie rein kognitive Fähigkeiten. Erfolg auf den höchsten Ebenen, in Führungspositionen, lässt sich praktisch zu hundert Prozent mit emotionaler Kompetenz erklären.“ Goleman (2003), S. 47.
1 Einleitung
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anderen Bezeichnungen vorliegende Konzepte wie das der klassischen Intelligenz oder Persönlichkeitsmodelle zurückgegriffen hat und diese in unzulässiger Weise vermengt und augenscheinlich valide zu einer neuen Kompetenzform zusammengeführt hat. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gruppe der Kritiker in ihren Veröffentlichungen nicht nur die von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) postulierte Thematik im Hinblick auf die Systematisierung im Umgang mit Emotionen ablehnt, was in Anbetracht der anfänglichen Validerungsschwächen noch nachvollziehbar erscheint. Vielmehr blenden diese die grundlegende Bedeutung von Emotionen im Arbeits- und Führungskontext fast vollständig aus, womit sie sich noch zusätzlich von den Befürwortern abgrenzen, weil sie nicht nur deren Konzepte kritisieren, sondern auch die zugrunde liegende Thematik für nicht weiter erwähnenswert halten. So wird dem Umgang mit Emotionen als erfolgskritisches Führungsinstrument bezogen auf große Teile der Psychologie und der wirtschaftswissenschaftlichen Führungsforschung nach wie vor nicht nur wenig, sondern vom Prinzip her fast überhaupt keine Aufmerksamkeit entgegengebracht. Und dies obwohl sich bereits in der psychologischen Grundlagenforschung fundierte Hinweise auf emotionale Wirkmechanismen und die Bedeutung von Emotionen als erklärende Verhaltensvariable finden lassen.12 Vor dem Hintergrund, dass sich Emotionen in fast jeder Facette des Handelns von Individuen innerhalb von Organisationen und Leistungsgemeinschaften und damit auch innerhalb von Führungsprozessen thematisieren lassen, erscheint dieses Ignorieren kaum nachvollziehbar.13 Gleichwohl muss aber in Anlehnung an Loewenstein (2000) konstatiert werden, dass die psychologische Führungsforschung nicht der einzige Forschungszweig ist, innerhalb dessen Emotionen als Erklärungsparameter eher randständig behandelt werden. Große Teile der Ökonomie sind trotz weitläufiger Forschungsbemühungen nach wie vor noch durch ähnliche Reaktanzen charakterisierbar.14
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Vgl. hierzu u.a. Schmidt-Atzert (1996), Otto/Euler/Mandl (2000), Ulich/Mayring (2003), Merten (2003). Vgl. Schanz (2003), S. 178. In der Arbeit werden die Begriffe Organisations-, Arbeits- und Führungskontext bzw. Arbeits- und Führungsprozess z.T. synonym verwendet. Es geht im Rahmen dieser Arbeit um die Betrachtung von Leistungsgemeinschaften, die meist durch die Konstellation von Führungskräften und geführten Mitarbeitern kennzeichenbar sind und häufig innerhalb von Organisationen lokalisierbar sind. Organisationen werden hierbei nach Bea/Göbel (2006) verstanden als „ein von Unternehmen geschaffenes Regelsystem, das zielorientiert als Führungsinstrument eingestzt wird.“ Bea/Göbel (2006), S. 6. Da innerhalb von Organisationen die Leistungsgemeinschaften produktiv tätig sind und hierbei gleichzeitig bestimmten Führungsstrukturen unterliegen, wird auch von Arbeits- und Führungskontext gesprochen, da die Übergänge fließend sind. Dies gilt ebenso für den eigentlichen Prozess des Arbeitens- und Führens, der ebenfalls nicht eindeutig definierbar erscheint. Wenn diese Abgrenzung jedoch möglich ist, wird sie im Verlauf dieser Arbeit vollzogen. Vgl. Loewenstein (2003). In der ökonomischen Literatur finden sich bisher nur wenige Veröffentlichungen, die sich konkret mit der Emotionsthematik beschäftigen. Vgl. hierzu u.a. MacLeod (1996), Elster (1996), Elster (1998), Cohen (2005).
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Festzuhalten bleibt, dass es sowohl in der klassischen als auch in der psychologisch ausgerichteten Führungsforschung in Bezug auf die Erzielung von Führungserfolg bisher kaum gelungen ist, empirische Gesetzmäßigkeiten sowie generalisierbare Erkenntnisse über Wechselwirkungen zwischen dem Führungsverhalten von Führungskräften und dem hieraus resultierenden Leistungsverhalten der Geführten zu gewinnen. Emotionales Erleben als erklärende Verhaltensvariable wurde hierbei jedoch zumeist auch nicht als eigenständige Variable mit einbezogen, da bis zu den Veröffentlichungen von Salovey/Mayer (1990) gar keine entsprechenden Ansätze existierten. Der von Goleman auf Grundlage der Arbeiten von Salovey/Mayer (1990) initiierte Perspektivwechsel erscheint somit entgegen weitläufiger Meinungen in der Psychologie und klassischen Führungsforschung weder überflüssig und unnötig noch bereits existent: Mitarbeiter werden durch ihr emotionales Erleben sowohl bewusst als auch unbewusst in ihrem Handeln gesteuert. Hieraus lässt sich ableiten, dass emotionales Erleben im Führungskontext grundsätzlich als eine eigenständige Variable zu berücksichtigen ist. Ein Ignorieren dieser Variablen bedeutet, dass man sowohl im Hinblick auf die Ausgestaltung der Führungsbeziehung als auch auf das Verhalten der Geführten sowie auf den erzielten bzw. angestrebten Führungserfolg einen wichtigen Erklärungsparameter außer Acht lässt. Denkbar ist, dass die Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen erheblichen Erklärungsgehalt in Bezug auf die bestehenden Unzulänglichkeiten aktueller Untersuchungen bietet. In der Psychologie sind die Wirkmechanismen von Emotionen sowie die durch sie induzierten Effekte zwar bereits umfassend erforscht, dennoch finden sich diese Erkenntnisse gerade in der klassischen Führungsforschung kaum wieder und auch der Emotionalen Intelligenz ähnliche Konzepte und Ansätze wurden hier bisher nicht entwickelt. Somit kann die initiierte Bewegung zur Systematisierung im Umgang mit Emotionen für die Tätigkeit von Führungskräften als zulässig bezeichnet werden. Es ist zu vermuten, dass von Seiten der Führungskräfte der systematische Umgang mit Emotionen sowohl grundlegende Auswirkungen auf die Qualität ihrer Führungsbeziehungen hat, als auch das hieraus hervorgehende Ausmaß des Führungserfolgs mitbestimmt. Der Vorwurf, dass es sich in diesem Zusammenhang lediglich um eine Managementmode handle, ist daher also nicht korrekt: Der kompetente Umgang mit Emotionen stellt einen signifikanten und in keiner Weise zu vernachlässigenden Faktor in der Führung von Mitarbeitern dar. Er ist nicht nur temporär von Bedeutung, sondern repräsentiert eine im Zeitablauf robuste Fähigkeit, die unabhängig von allen technologischen Veränderungen und Fortschritten im Führungskontext von Bedeutung ist. Mittlerweile existieren sehr differenzierte Forschungsbemühungen, die sich sowohl mit emotionalen Wirkmechanismen und emotionalem Erleben allgemein als auch
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mit deren Anwendung auf den Arbeits- und Führungskontext speziell beschäftigen.15 Weiterhin besteht eine recht große Anzahl an Ansätzen und Konzepten, die den Umgang mit Emotionen entsprechend systematisieren und ihn im Rahmen der Tätigkeit von Führungskräften als eigenständige Kompetenzform ausweisen.16 Sowohl den Forschungsbemühungen als auch den aus diesen hervorgegangenen Ansätzen und Konzepten fehlt es jedoch bisher an breiter wissenschaftlicher Akzeptanz. Dies zeigt sich in der nach wie vor bestehenden und klar definierbaren Dualität von Verfechtern und Kritikern, die zudem zahlenmäßig sehr ungleich verteilt sind und sich auch hinsichtlich ihrer meinungsbildenden Wirkungen stark unterscheiden. Bestehende Diskrepanzen beider Gruppierungen hinsichtlich nicht geteilter Auffassungen und Sichtweisen konnten im Zeitablauf auch nicht durch den Tatbestand angeglichen werden, dass die insbesondere zu Anfang rein auf Hypothesen und weniger auf vorhandenen empirischen Nachweisen basierenden Veröffentlichungen von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) mittlerweile durch zahlreiche Studien validiert werden konnten (vgl. hierzu Kapitel 6). Vor dem skizzierten Hintergrund besteht das primäre Ziel dieser Arbeit darin, insbesondere Folgendes zu zeigen: 1. Das von Goleman auf den Arbeits- und Führungskontext übertragene Konzept der Emotionalen Intelligenz ist, rückführbar auf unterschiedliche emotions- und arbeitspsychologische Tatbestände, von grundlegender Bedeutung für die Tätigkeit von Führungskräften. (Kapitel 2) 2. Das Konzept gewinnt aufgrund zahlreicher Wandelprozesse in der Unternehmensumwelt künftig noch zusätzlich an Bedeutung. (Kapitel 3) 3. Es handelt sich dabei um eine in Theorie und Praxis bisher noch nicht existierende bzw. noch nicht ausreichend beachtete und eher spärlich angewendete Kompetenzform. (Kapitel 4/5) 4. Diese Kompetenzform stellt im Führungskontext eine erfolgskritische Einflussvariable auf signifikantem Niveau dar. (Kapitel 6) Zu diesem Zwecke ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut. In Kapitel 2 sollen zunächst emotionspsychologische Grundlagen dargelegt werden. Nach einer für den weiteren Verlauf notwendigen thematischen Synthese werden emotionale Wirkmechanismen im Arbeits- und Führungskontext untersucht. Neben ausgewählten, durch eben diese Mechanismen induzier15 16
Vgl. hierzu u.a. Fineman (2000), Payne/Cooper (2001), Lord/Klimoski/Kanfer (2002). Diverse Überblicksartikel finden sich bei Schulze/Freund/Roberts (2006).
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ten, Effekten von Emotionen wird insbesondere die Affective-Events-Theory vorgestellt und mit empirischen Daten unterlegt. Sie beschreibt die Struktur von Kausalbeziehungen durch das Erleben von Emotionen am Arbeitsplatz und verdeutlicht die Notwendigkeit eines systematischen Umgangs mit Emotionen für Führungskräfte nachhaltig. Dies bildet die Grundlage für die Ableitung entsprechender Konsequenzen für die Tätigkeit von Führungskräften. Auffällig bei der Berücksichtigung emotionsbasierter Wirkmechanismen in den angesprochenen Bereichen der Führungsforschung ist die Tatsache, dass insbesondere in Teilen der interdisziplinären Führungsforschung sehr starke Resonanzen auf die propagierten Theorien feststellbar sind. Diese zeigen sich u.a. in einer entsprechenden, wenngleich von den traditionellen Forschungszweigen wenig beachteten, Vielzahl von Konzeptionalisierungsversuchen der Emotionalen Intelligenz und vielfältigen Reaktionen hierauf.17 Sie erscheinen zwar vor dem oben skizzierten Hintergrund längst überfällig und logisch konsequent, doch überrascht insbesondere die Intensität des Interesses, welches dem Thema hierbei entgegengebracht wurde und noch immer wird. In Anbetracht der Tatsache nämlich, dass die Konzeptionalisierungsversuche im Umgang mit Emotionen zwar missachtete aber vom Prinzip her lediglich altbekannte Erkenntnisse der Emotionspsychologie umfassen, lässt sich insbesondere die hohe Resonanz auf die Thematik aus den Darstellungen des Kapitels 2 heraus allein kaum erklären. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass der Einfluss unterschiedlicher exogener Faktoren hierbei das Interesse zusätzlich verstärkt hat. Da das Konzept in erster Linie im Führungskontext von wissenschaftlicher Bedeutung ist, kann vermutet werden, dass auch hier die entsprechenden Faktoren zu suchen sind, die die Resonanz erklärbar machen. Daher wird in Kapitel 3 die Führung von Mitarbeitern unter Berücksichtigung verschiedener Wandelprozesse betrachtet. Ziel ist hierbei die Darstellung von relevanten Veränderungen der Unternehmensumwelt sowie von Veränderungen innerhalb der Unternehmen selbst, entsprechenden Verschiebungen in den Arbeitschwerpunkten der Führungskräfte sowie den durch sie induzierten Auswirkungen auf die normativen Anforderungsprofile. Es soll gezeigt werden, inwieweit diese grundlegenden und gleichermaßen führungsrelevanten Wandelprozesse die Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen im Zeitablauf in zunehmendem Maße notwendig erscheinen lassen. Im Anschluss hieran werden in den Kapiteln 4 und 5 die im Verlauf der bisherigen Kapitel zusammengetragenen Erkenntnisse empirisch zu evaluieren versucht. In Kapitel 4 wird zunächst untersucht, in welcher Form die sich ändernden Anforderungen an Führungskräfte und 17
Vgl. Schulze/Freund/Roberts (2006).
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das hiermit in Zusammenhang zu bringende Management von Emotionen innerhalb der Führungs- und Kompetenztheorie Berücksichtigung finden. Hierzu werden theoretische Führungsmodelle aus der klassischen Führungsforschung hinsichtlich ihrer Abbildung emotionaler Kompetenzen beschrieben, bevor im Anschluss empirische Kompetenzmodelle von DAX 30 Unternehmen in die Betrachtung mit einbezogen werden. In Kapitel 5 wird der Schwerpunkt der Untersuchung von der Theorie auf die Praxis verlagert, indem eine qualitative Expertenbefragung durchgeführt wird. Hierzu werden Ergebnisse von insgesamt 20 Experteninterviews aus dem Bereich Human Resources ausgewertet. Bei den Experten handelt es sich um Individuen, die aufgrund ihrer Arbeit eine hohe Affinität zu der Führungsthematik haben. Gleichzeitig verfügen sie entweder über einen entsprechenden Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Konzeption von Entwicklungsmaßnahmen sowie die Auswahl und Entwicklung von Führungskräften oder aber sie besitzen fundierte Kenntnisse im Hinblick auf die Validierung von anwendungsorientierten Führungstheorien und -konzepten, so dass ihnen Expertenstatus zugesprochen werden kann. Das Ziel besteht in der Sammlung von Experteneinschätzungen, welche Relevanz das Emotionskonstrukt für die Führungspraxis hat, welche Gründe für die zwiegespaltene Adaption in Teilen der Wissenschaft bestehen, wie die starke Resonanz insbesondere im gesellschaftlichen Umfeld erklärbar ist und welche Einschätzungen in Bezug auf die Arbeiten von Goleman vor diesem Hintergrund vorgenommen werden können. In Kapitel 6 werden dann bereits existierende Ansätze zum Thema Emotionsmanagement dargelegt, die in erster Linie unter dem Begriff Emotionale Intelligenz firmieren. Hierbei soll das Forschungsfeld, bestehend aus unterschiedlichen Modellansätzen, Konstrukten und Meßmethoden, näher beschrieben und in Teilen analysiert werden. Weiterhin werden Studien präsentiert, die sich mit dem empirischen Nachweis des Umgangs mit Emotionen als ein erfolgskritisches Führungsinstrument beschäftigen. Kapitel 7 führt die gewonnen Ergebnisse thesenförmig zusammen. Ziel ist die abschließende Beurteilung von emotionsbezogenen Kompetenzen im Rahmen der Mitarbeiterführung. Diese werden hierzu unter Einbeziehung unterschiedlicher Aspekte abschließend diskutiert.
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess Emotionen stellen im Hinblick auf die menschliche Entwicklungsgeschichte einen essentiellen Bestandteil dar. „We may be affected in an emotional way by almost any aspect of the physical environment […].“18 Emotionen bilden dabei nicht nur die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen, sondern liefern gleichzeitig auch wichtige Erklärungsansätze in Bezug auf die Struktur und Ausgestaltung entsprechenden Verhaltens. Dies bedeutet, dass sowohl individuelle Handlungsprozesse als auch spezifische Einstellungen, Haltungen und Sichtweisen von Individuen durch ihr emotionales Erleben determiniert bzw. mit beeinflusst werden. Hieraus kann abgleitet werden, dass Emotionen gerade innerhalb sozialer Interaktion eine wichtige strukturierende Variable darstellen. Berücksichtigt man zudem, dass Emotionen nicht nur Verhalten strukturieren, sondern auch gleichermaßen limitieren, indem sie etwa bestimmte Parameter individuellen Verhaltens wie die Problemlösefähigkeit, die Kreativität, das Denkvermögen etc. beeinflussen, dann wird deutlich, welche Bedeutung ihnen gerade in der Arbeitswelt sowie innerhalb von Führungsprozessen zukommt. Emotionen sind auch im beruflichen Alltag allgegenwärtig und steuern in Abhängigkeit verschiedener Faktoren wie z.B. ihrer Reizintensität und der Fähigkeit der Individuen zur Emotionsregulation die Motivations- und Handlungsgrundlage und nachgelagerte Verhaltensprozesse. Hierbei haben die Spezifikationen des Arbeitsplatzes und der Arbeitsplatzumgebung erheblichen Einfluss auf das Erleben von Emotionen in der täglichen Arbeit, was sich in unterschiedlichen Parametern wie z.B. der Leistungsfähigkeit manifestieren kann: „The influence of emotional reactions to organizational events […] may seriously weaken personal commitment to organizationally desired goals and, in turn, job performance.“19 Aber auch andere Variablen wie Arbeitszufriedenheit, Gruppenkohäsion etc. werden beeinflusst. Das Management von Emotionen in Form von Wahrnehmung, Regulation und Steuerung stellt somit im Hinblick auf die Tätigkeit von Führungskräften, die meist durch ein hohes Maß an Interaktivität gekennzeichnet werden kann, eine grundlegende Führungsvariable dar. Deren Berücksichtigung kann die Steuerung von Führungsprozessen im Hinblick auf eine Vielzahl von Parametern unterstützen. Auf die Bedeutung von Emotionen im Organisationskontext ist, wie bereits angesprochen, nicht zuletzt durch die populärwissenschaftlichen Arbeiten von Goleman (1995, 1998b, 18 19
Russel/Snodgras (1987), S. 259. Vgl. Lord/Kanfer (2002), S. 11.
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2000b, 2003) aufmerksam gemacht worden. Dieser betonte, bezogen auf den Arbeits- und Führungskontext, dass insbesondere für Führungskräfte die Notwendigkeit besteht, das emotionale Erleben ihrer Mitarbeiter als wichtige Informationsquelle für die eigene Führungsaktivität zu nutzen. Im Hinblick auf die intendierten Ziele müssen Führungskräfte hiernach den Umgang mit Emotionen systematisieren, um ihre Mitarbeiter dieser Ziele entsprechend effizient leiten und lenken zu können. Da insbesondere die klassische Führungsforschung diese Impulse, trotz weitläufiger Resonanz im Bereich ihrer interdisziplinär ausgerichteten Zweige, bisher jedoch nicht aufgenommen hat, muss es neben dem im Emotionsphänomen steckenden Erklärungsgehalt in Bezug auf organisationales Verhalten gleichermaßen Gründe für eine weitgehende Nichtnutzung geben. Diese liegen möglicherweise in der Komplexität des Emotionskonstruktes begründet und gehen mit der Systematisierung im Umgang mit Emotionen einher. Ziel dieses Kapitels ist es daher u.a. zu zeigen, welcher Erklärungsgehalt durch die Betrachtung emotionaler Prozesse und Wirkmechanismen im Kontext einer Organisation auch hinsichtlich der Erklärung von sozialer Interaktion generiert werden kann. Weiterhin soll dargestellt werden, welche Gründe möglicherweise vorliegen, dass dieser Tatbestand im Rahmen der klassischen Arbeits- und Führungsforschung weitestgehend ungenutzt bleibt und in konzeptionalisierter Form bisher nur sehr spärlich weiterentwickelt wurde. Hierzu werden zunächst emotionspsychologische Grundlagen beschrieben, die u.a. die Entstehung, den Ablauf, die Erfassung und Messung sowie die Funktion von Emotionen umfassen. Neben einer arbeits- und führungsbezogenen Zusammenführung wird im Rahmen der einzelnen Abschnitte jeweils auch auf mögliche Problemfelder hingewiesen, die im Hinblick auf einen systematischen Umgang mit Emotionen existieren oder entstehen können. Gerade in Bezug auf das Management von Emotionen ist für Führungskräfte fundiertes Basiswissen der Emotionspsychologie notwendig, um Emotionen gezielt wahrnehmen, interpretieren, regulieren und steuern zu können und dabei gleichzeitig limitierende Faktoren zu berücksichtigen, was die Komplexität dieser Fähigkeit verdeutlicht. Im Anschluss werden wirkungstheoretische Grundlagen von Emotionen im Organisationskontext beschrieben. Anhand der Affective-Events-Theory werden emotionsbasierte Kausalzusammenhänge sowohl theoretisch als auch anhand empirischer Daten dargelegt. Abschließend wird aus der Beschreibung von durch emotionales Erleben induzierten, messbaren positiven wie negativen, Effekten abzuleiten versucht, welche Konsequenzen sich aus den emotionalen Wirkmechanismen heraus für die Tätigkeit von Führungskräften ableiten lassen.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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2.1 Emotionspsychologische Grundlagen 2.1.1 Definitionen und Abgrenzungen Emotionen sind ein essentieller Bestandteil der menschlichen Existenz und stellen einen facettenreichen Anpassungsmechanismus als Reaktion auf Einflüsse der Umgebung von Individuen dar. Eine eindeutige Beschreibung ist hierbei jedoch nicht möglich, da jede Emotion gleichzeitig charakteristische wie differenzierende Eigenschaften besitzt: „Everyone knows what an emotion is, untill asked to give a definition.“20 Emotionen sind nämlich, wie im Weiteren noch genauer beschrieben wird, hochkomplexe Phänomene, die umfangreiche Prozesse innerhalb eines Individuums induzieren und sich nicht im Rahmen einer eindeutigen und vor allen Dingen allgemeingültigen Definition zusammenfassen lassen.21 Das obige Zitat resümiert somit eine zentrale Problematik im Bereich der Emotionsforschung: die Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Ansätze zur Erfassung des Emotionsphänomens. Zimbardo/Gerrig (2004) etwa sehen in Emotionen „ein komplexes Muster von Veränderungen; es umfasst physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Verhaltensreaktionen als Antwort auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wird.“22 Weinert (2004) umschreibt sie dagegen recht knapp als „Art und Weise […] wie eine Person mit ihrer Umwelt interagiert. Es sind auch Reaktionen auf z.B. Rückschläge oder Erfolg.“23 Becker-Carus (2004) sieht in ihnen einen stark motivationalen Zustand, der „gewöhnlich von erhöhter Reizbarkeit und verstärktem Zuwendungs- und Rückzugsverhalten begleitet wird und der eine erhöhte, weit reichende Aktivität des autonomen und zentralen Nervensystems umfasst.“24 Im Hinblick auf die exemplarisch angedeutete Vielzahl verschiedener Ansätze und Definitionen weist Scherer (1990) darauf hin, es sei „müßig, oder vermessen, eine Integration dieser Vorschläge zu versuchen um eine verbindliche Emotionsdefinition vorlegen zu wollen.“25 Ekman (1994) erläutert diesbezüglich die Definitionsproblematik wie folgt: „There may be some characteristics that are very important for one emotion and of little significance for another. It may never be possible to have an adequate comprehensive theory of emotion.“26 Grundsätzlich formuliert rufen Emotionen nach Kleinginna/Kleinginna (1981) bei Individuen spezifische Gefühle hervor, die sich z.B. in bestimmten Befindlichkeiten (Freude, Erregung 20 21 22 23 24 25 26
Fehr /Russel (1984), S. 464. Vgl. Zimbardo/Gerrig (2004), S. 552-554. Zimbardo/Gerrig (2004), S. 547. Weinert (2004), S. 145. Becker-Carus (2004), S. 487. Scherer (1990), S. 3. Ekman (1994), S. 19.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
etc.) zeigen. Sie haben dabei Einfluss auf kognitive Prozesse (wie ein Individuum ein Ereignis, Subjekt oder Objekt wahrnimmt und beurteilt), führen durch physiologische Anpassungsprozesse zu körperlichen Veränderungen (Anstieg der Pulsfrequenz, Hormonausschüttung etc.) und determinieren somit die Handlungsgrundlage sowie die individuelle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.27 Sie spielen insbesondere in verhaltensorientierten Forschungsfeldern seit jeher eine große Rolle. So gibt es „wohl keinen umfassenden theoretischen Erklärungsversuch für menschliches […] Verhalten, der sich nicht auch um eine Deutung der Emotionen als Reaktionen auf Umweltreize und Faktoren der Verhaltenssteuerung bemüht hätte.“28 An dieser Stelle wird das Emotionsphänomen mit dem Ziel der besseren Verständlichkeit durch das Komponentenmodell von Scherer (1990) präzisiert, der eine Emotion durch die Definition von fünf Emotionskomponenten beschreibt. Diese Komponenten können als Zustandsformen von fünf entsprechenden organismischen Subsystemen von Individuen angesehen werden, wobei ein Emotionsprozess bzw. ein Ablauf einer Emotion durch eine enge Verknüpfung von Veränderungen dieser fünf Subsysteme angesehen werden kann. Diese beeinflussen auf unterschiedliche Art die Adaption und das Verhalten des Individuums und sorgen somit für eine Gesamtmobilisierung des Organismus.29 Die organismischen Subsysteme lassen sich in Beziehung setzen zu Funktionen und Komponenten von Emotionen und können – wie in Tabelle 1 zu sehen – dargestellt werden.30 Aufgrund der Komplexität des Emotionsphänomens wird für den weiteren Verlauf dieser Arbeit in Anlehnung an das Komponentenmodell eine ebenfalls von Scherer (1990) stammende Arbeitsdefiniton verwendet: „Emotionen bestehen aus Abfolgen von aufeinander bezogenen, synchronisierten Veränderungen in den Zuständen aller fünf organismischen Subsysteme. Diese Veränderungen werden ausgelöst durch die Bewertung eines externen oder internen
27 28 29 30
Vgl. Kleinginna/Kleinginna (1981), S. 355. Vgl. Scherer (1990), S. 1. Vgl. Scherer (1990), S. 3-5. Das Informationsverarbeitungssystem bewertet interne und externe Reize und entscheidet, ob für den Organismus eine wichtige Veränderung eingetreten ist. Das Versorgungssystem stellt die physiologisch notwendigen Vorrausetzungen für instrumentelle Handlungen zur Verfügung (z. B. hormonelle Regulation). Das Steuerungssystem entscheidet hinsichtlich der instrumentellen Handlungen über nähere Spezifikationen (Vorbereitung, Handlungsrichtung usw.) und determiniert somit die Plan- und Zielstruktur. Das Aktionssystem hat in erster Linie die Aufgabe, Reaktion und Intention zu kommunizieren. Außerdem ist es für die Ausführung willentlicher Handlungen verantwortlich. Das fünfte System (Monitorsystem) reflektiert und integriert den gegenwärtigen Zustand aller anderen Systeme und lenkt die Aufmerksamkeit des Individuums auf Bedingungen innerhalb der Umwelt bzw. eigenen Person, die von Relevanz für das Individuum sind. Das letzte Subsystem äußert sich vorwiegend in einem Gefühl. Vgl. Scherer (1990), S. 5.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
15
Subsystem
Funktionen
Komponenten
Informationsverarbeitungssystem
Reizbewertung
Kognitive Komponente
Versorgungssystem
Systemregulation
Neurophysiologische Komponente
Steuerungssystem
Handlungsvorbereitung
Motivationale Komponente
Aktionssystem
Kommunikation von Reaktion und Intention
Ausdruckskomponente
Reflexion und Kontrolle
Gefühlskomponente
Monitorsystem
Tabelle 1: Komponentenmodell einer Emotion Quelle: Scherer (1990), S. 3
Reizes als bedeutsam für die zentralen Bedürfnisse und Ziele des Organismus.“31 Zusammenfassend kann also folgendes festgehalten werden: Das Phänomen Emotion ist ein Oberbegriff und beschreibt ein System von Komponenten, welches eine instrumentelle Funktion32 hat, wobei die subjektive Einschätzung zentral ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Emotionsforschung durch unterschiedliche Auffassungen gekennzeichnet werden kann, welche Komponenten als hinreichend bzw. notwendig in Bezug auf eine Emotion angesehen werden.33 Im alltäglichen Sprachgebrauch werden häufig eine Vielzahl von Begriffen wie Stimmung und Empathie, Affekt, Trieb und Instinkt im gleichen Zusammenhang wie der Emotionsbegriff verwendet, obwohl diese klar voneinander abzugrenzen sind. Der Begriff Gefühl etwa reduziert eine Emotion auf die Komponente der rein subjektiven Wahrnehmung und lässt z.B. physiologische und kognitive Prozesse nach dem Modell von Scherer (1990) völlig außer Acht.34 Während der Emotionsbegriff übergreifend alle Veränderungen umfasst, ist das Gefühl nach Damasio (2003) nur ein subtiler Bestandteil einer Emotion, der den Vorgang beschreibt, wenn das Gehirn den Veränderungsprozess analysiert hat.35 Gerade diese Unterscheidung wird aber im weiteren Verlauf der Arbeit nicht beibehalten, da sie zwar 31
32 33
34 35
Scherer (1990), S. 6. Die Zustandsveränderungen werden durch diskrete Reize bzw. Ereignisse ausgelöst, wobei diese real existent sein können oder nur in der Vorstellung des Individuums existieren. Das Adjektiv bedeutsam weist darauf hin, dass Emotionen nur durch für das Individuum als wichtig angenommene Reize ausgelöst werden und beschreibt die hohe Ich-Involvierung. Von Emotionen spricht man nur dann, wenn alle Subsysteme beteiligt sind. Diese müssen bei Induktion einer Emotion synchronisiert reagieren, um die jeweiligen Auslenkungen wieder auf einen Gleichgewichtszustand zurückzuführen und damit eine Anpassung des Organismus zu vollziehen. Dieses Gleichgewicht kann durchaus für alle Subsysteme auf verschiedenen Niveaus liegen. Eine Emotion ist somit genau dann vollzogen, wenn die einzelnen Subsysteme wieder ihr jeweiliges Normalniveau erreicht haben. Vgl. Scherer (1990), S. 6-7. Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.1.7 Funktionale Betrachtung. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 52. Die von Scherer (1990) angesprochene Synchronisation aller 5 Subsysteme stellt für Merten (2003) z.B. nur einen Sonderfall dar, da Emotionen auch dann ablaufen können, wenn nur einzelne Systeme beteiligt sind. So ist z.B. denkbar, dass die Ausdruckskomponente sichtbar ist, ohne dass das Individuum ein entsprechendes subjektives Gefühl hat. Oder es kann bei vorhandener neurophysiologischer Aktivierung kein Gefühl oder Ausdruck gemessen werden. Vgl. Merten (2003), S. 34. Vgl. Merten (2003), S. 10-11. Vgl. Damasio (2003),S. 203.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
wissenschaftlich exakt und dennoch für das weitere Verständnis von Emotionen im Führungskontext durchaus zu vernachlässigen ist. Die Begriffe Emotion und Gefühl werden also synonym verwendet.36 Viel wichtiger erscheint die Abgrenzung der Termina Emotion und Stimmung. Stimmungen beschreiben eine eher mittel- und langfristige Veränderung, was jedoch als Abgrenzungskriterium nicht ausreicht. Stimmungen sind konkreter dadurch zu klassifizieren, dass sie nicht als Reaktion auf unmittelbare, spezifische Reize angesehen werden können. Die Stimmungsveränderung lässt sich einem oder mehreren Ereignissen zuordnen, nur werden diese nicht mehr als der unmittelbare Auslöser für den akuten emotionalen Zustand erkannt.37 Emotionen haben im Gegensatz zu Stimmungen immer einen klaren subjektiven oder objektiven Bezug: man ist wütend auf eine Person, freut sich über ein Ereignis, hat Angst vor einer Sache etc. Dies ist bei Stimmungen nicht der Fall. Neben den häufig nicht mehr erkennbaren Entstehungsmomenten erzeugen Stimmungen auch keine spezifischen Verhaltenweisen. Weiterhin stehen sie nicht in Verbindung zu sozialen Ereignissen oder Situationen und gelten außerdem als schwächer und weniger variabel. Emotionen zeichnen sich also durch motivationale Spezifität aus, während Stimmungen motivational unspezifisch sind.38 Kritik an dieser Abgrenzung von Stimmung und Emotion äußern Meyer/Schützwohl/Reisenzein (1993): manche Emotionen werden auch nur schwach erlebt, dauern lange an (z.B. Trauer) und sind manchmal nicht eindeutig auf auslösende Reize zurückzuführen (z.B. Angst). Aus diesem Grund ist die Unterscheidung kritisierbar, wenngleich sie insgesamt dennoch sinnvoll erscheint.39 In Abschnitt 2.2.2 wird anhand der Affective-Events-Theory bezogen auf die Thematik dieser Arbeit gezeigt, wie sowohl Stimmungen als auch Emotionen bzw. Gefühle einen signifikanten Einfluss auf den Arbeits- und Führungsprozess haben können, wobei es hier nicht immer möglich ist, klar zwischen beiden Phänomenen zu differenzieren, da die Übergänge, wie gerade gezeigt, teilweise unscharf und fließend sind.
36
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Ulich/Mayring (2003) sind der Auffassung, dass mehr Gewicht auf die subjektive Komponente einer Emotion, das Gefühl, gelegt werden muss, da nur mit dieser gearbeitetet werden kann. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 57-61. Dies ist möglicherweise auch der Grund, warum die Begriffe Emotion und Gefühl häufig synonym verwendet werden. An dieser Stelle ergibt sich ein Definitionsproblem: wann spricht man von kurz-, mittel- und langfristig? Vgl. Merten (2003), S. 11. Vgl. Zillmann (2004), S. 102-103. Schlechte Stimmung kann induziert werden durch viele kleine Ereignisse oder ein weit zurückliegendes, bedeutendes Ereignis. In beiden Fällen ist das Individuum nicht in der Lage, dem Stimmungswandel eine konkrete emotionale Ursache zuzuordnen. Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 24-25. Vgl. Meyer/Schützwohl/Reisenzein (1993), S. 34.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
17
Ein weiterer abzugrenzender Begriff ist der der Empathie: Ausgehend vom Emotionsbegriff fokussiert dieser insbesondere dessen soziale Komponente. Empathie beschreibt das Ausmaß der Fähigkeit eines Menschen, sich in die emotionale Gefühlswelt einer anderen Person hineinzuversetzen.40 So wie jedes Individuum Emotionen erlebt, verfügt auch jedes Individuum über Empathie. Lediglich das Ausmaß der Fähigkeit stellt ein differenzierendes Kriterium dar, so dass Empathie eher als stetige denn als diskrete Variable aufzufassen ist. Gerade im Zusammenhang mit den Konzepten der Emotionalen Intelligenz und der Emotionalen Kompetenz spielt dieser Begriff eine tragende Rolle. Wichtig erscheint an dieser Stelle noch die Klärung des Begriffes Affekt. Dieser wird besonders in der englischen Sprache als affect synonym für verschiedene Phänomene wie Emotion, Gefühl und differenzierte Gefühlsqualitäten benutzt, was sich in dieser Arbeit aufgrund der verwendeten Literatur ebenfalls nicht vermeiden lässt. Neben den eben genannten Begriffen grenzt Merten (2003) noch weitere Phänomene wie Reflex, Instinkt, Trieb und Primäraffekt ab. Da dies für das weitere Verständnis nicht notwendig ist, wird hierauf nicht weiter eingegangen.41
2.1.2 Emotionsauslöser Eine für die Emotionsforschung grundlegende Frage ist die nach den Auslösern von Emotionen: „Gibt es vielleicht Gesetzmäßigkeiten, die man nutzen könnte, um in einer bestimmten Situation, z.B. innerhalb des Arbeitsprozesses, das Auftreten spezifischer Emotionen hervorzulocken oder zu verhindern?“42 Zusammenhänge zwischen auslösenden Situationen und erlebten Emotionen sind auf verschiedene Weisen ermittelbar: Beobachtung, Experiment, retrospektive Befragung, Tagebuchstudium, Echtzeiterfassung von Emotionen u.ä. sind nur einige denkbare Vorgehensweisen. Die bestehende Methodenvielfalt im Bereich der aktuellen Forschung zu Emotionsauslösern ist dabei sehr differenziert und orientiert sich am jeweiligen Forschungsziel.43 So werden erlebte Intensität und Häufigkeit von Emotionen sowie deren grundlegende Auslöser gestützt oder ungestützt, durch offene oder geschlossene Fragen erhoben, um qualitative oder quantitative Zusammenhänge (Besteht ein Zusammenhang zwi-
40 41 42 43
Vgl. Merten (2003), S. 11-12. Vgl. Merten (2003), S. 16-17. Wegge (2004), S. 687. Vgl. hierzu u.a. Kanner et al. (1981), Brandstätter (1991), Csikzentmihalyi/Wong (1991).
18
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
schen einem Ereignis und einer Emotion? vs. Wie hängen die Ereignishäufigkeit und die dabei erlebten Emotionen zusammen?) abzuleiten und Korrelationen zu erheben.44 Im Zeitablauf haben sich im Hinblick auf die Gewinnung generalisierbarer Erkenntnisse über Ursache-Wirkungszusammenhänge und Auslösemomente hauptsächlich zwei Methoden etabliert. Einerseits wird über Befragungstechniken versucht, Auslöser zu identifizieren, andererseits werden unter künstl. Laborbedingungen kontrollierte und emotionsinduzierende Situationen erzeugt, die Aufschluss über den Auslöseprozess geben sollen.45 Diese Methoden sind jedoch nicht frei von Kritik: Schmidt-Atzert (1996) moniert z.B. hinsichtlich der Befragungsmethode, dass es dem Befragten retrospektiv u.U. gar nicht mehr möglich ist, Ursache und entsprechende Reaktion, ähnlich wie bei der Entstehung von Stimmungen, in Zusammenhang zu bringen. Weiterhin existiert ein generelles Problem der Erinnerung bei zeitlich sehr weit zurückliegenden Ereignissen.46 Bei der Labormethode hingegen besteht das Problem, dass systematische Erkenntnisse nur unter großem Aufwand erzeugt werden können. Hier können u.U. bereits sehr kleine und unbemerkte Abweichungen im Hinblick auf situative Spezifika zu erheblichen Abweichungen in der emotionalen Reaktion der Probanden führen, was die daraus gezogenen Schlussfolgerungen möglicherweise verzerrt. Allgemein gilt es zu berücksichtigen, dass aufgrund des in Abschnitt 2.1.1 dargelegten hohen Komplexitätsgrades von Emotionen eine Vielzahl von Einflussfaktoren bei der Untersuchung von Emotionsauslösern berücksichtigt werden müssen, um zu erfassen, wann genau eine Emotion überhaupt ausgelöst wurde. Zudem stellt sich das Problem, dass ein und dieselbe Emotion bei Betrachtung von zwei Untersuchungssubjekten durch völlig unterschiedliche Ereignisse hervorgerufen werden kann bzw. ein und dasselbe Ereignis bei diesen möglicherweise sehr unterschiedliche Emotionen induziert. Dies ist meist auf interindividuelle Unterschiede zurückführbar. So haben Calvo/Miguel-Tobal (1998) bei ihrer Untersuchung von Prüfungssituationen von Schülern und Studenten festgestellt, dass in identischen Situationen verschiedene Reaktionen beobachtet werden konnten.47 Dies ist ein Indiz dafür, dass diese Situationen (z.B. Prüfungssituationen) von Individuen in variierender Art und Weise als bedrohlich bzw. ernst angesehen werden. Es existieren bei Individuen also unterschiedliche Barrieren und Wahrnehmungsschwellen, die die oben angedeuteten Unterschiede in der 44 45
46 47
Vgl. Schmidz-Atzert (1996), S. 32 Hierbei unterscheidet man die Form der Erfassung im Alltag in Echtzeit oder aber die retrospektive Erfassung. Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 31. Genauer wird dieser Bereich im weiteren Verlauf im Abschnitt 2.1.5 Induktion von Emotionen diskutiert. Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 33. Vgl. Calvo/Miguel-Tobal (1998), S. 224-228.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
19
Auslösung und Verarbeitung erklären können.48 Dieser Tatbestand erschwert den Versuch einer Verknüpfung von spezifischen Ereignissen und entsprechendem Emotionserleben jedoch erheblich, worin der Grund zu sehen ist, dass diesbezüglich bestehende Korrelationen auch eher schwach ausgeprägt sind.49 Die Unterschiede in der Reaktion auf bestimmte Ereignisse sind dabei häufig nicht näher spezifizierbar, meist in der Person liegend begründbar und somit nur über komplexe Persönlichkeitstests zu bestimmen. Hinzu kommt, dass auch die Ausgestaltung der Situation selbst ebenfalls in die Betrachtung mit einbezogen werden muss. Für die Bestimmung bzw. Vorhersage von emotionalem Erleben sind also neben interindividuellen Unterschieden auch Charakteristika der jeweiligen Situationen zu beachten, um Ergebnisse nicht zu verzerren. Dies ist besonders wichtig bei dem Versuch der Rückwärtsinduktion: In Anlehnung an das Modell von Scherer (1990) sind physiologische Veränderungen allein (steigender Puls und Blutdruck) z.B. nicht eindeutig auf bestimmte Emotionen zurückführbar und auch die spezifische Ausgestaltung einer Situation kann nicht abschließend mit einem konkreten Emotionserleben in Verbindung gebracht werden.50 Bei der Untersuchung von Emotionserleben ist für Forscher von übergeordnetem Interesse, Erkenntnisse in Bezug auf die Auslösung von Emotionen zu erhalten, also Situationen zu identifizieren, die unabhängig von der Spezifität der Emotionen generell eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Induktion von Emotionen mit sich bringen.51 Nach Auswertung verschiedener Studien zeigt sich, dass in besonderem Maße soziale Interaktionsprozesse die Hauptquelle für Emotionsinduktionen sind, was einen wichtigen Tatbestand für den weiteren Verlauf dieser Arbeit darstellt.52 Auch Wegge (2004) spricht in Bezug auf Emotionsauslöser sozialen Ereignissen eine besondere Stellung zu, weil „viele Emotionen eher im Kontakt mit anderen Menschen […] erlebt werden […].“53 Aufgrund des in Kapitel 3 dargestellten Wandels der Arbeit von Führungskräften werden diese im Zeitablauf immer stärker mit Aufgaben konfrontiert sein, deren Schwerpunkt im zwischenmenschlichen Bereich liegt, so dass diese Erkenntnis elementar erscheint.54 48
49 50
51
52 53 54
Vgl. Lazarus-Mainka (1993). Dies bedeutet jedoch, dass neben dem Prozess der Auslösung weiterhin zu untersuchen ist, inwieweit auch die hieran anschließende Verarbeitung und Wirkung abhängig von interindividuellen Unterschieden ist, da sie das tatsächliche Emotionserleben mit beeinflusst. Vgl. Wegge (2004), S. 687. Dieses Problem ist ein weiteres Indiz für den problematischen Umgang mit Emotionen in angewandter Form, da generalisierbare Erkenntnisse nur unter einem erheblichen Aufwand produziert werden können. Bei Shaver et al. (1987) finden sich in Bezug auf die Emotionen Angst, Traurigkeit, Wut, Freude und Liebe unterschiedliche Entstehungsgründe, die im Rahmen zweier empirischer Studien, bei den Studenten befragt wurden, ermittelt wurden. Vgl. Shaver et al. (1987), S. 1074-1075. Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 32. Wegge (2004), S. 687. Eine Übersicht zu ausgewählten Erkenntnissen zur Auslösung von Emotionen findet sich bei Wegge (2004), S. 688.
20
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Wenngleich primär der soziale Kontext als ein zentrales Entstehungsmoment für das Erleben von Emotionen eingegrenzt werden kann, sind nach der Auffassung von Schmidt-Atzert (1996) bei der Isolierung emotionsauslösender Momente, gerade auch im Hinblick auf den thematischen Kontext dieser Arbeit, stets zusätzlich folgende Fragen zu überprüfen: Läuft ein Ereignis (bzw. der damit in Zusammenhang zu bringende emotionale Prozess) ohne das Einwirken des Individuums ab (z.B. Ankündigung einer Stellenstreichung), geschieht ein Ereignis durch das Mitwirken vom Individuum selbst (z.B. Teilnahme an einem erfolgreichen Projekt) oder wird ein Ereignis bewusst vom Individuum herbeigeführt (z.B. Abmahnung wegen Veruntreuung)?55 Die Beantwortung dieser Fragen ist gerade im Hinblick auf die Regulation und Steuerung von Emotionen von Seiten der Führungskraft von großer Wichtigkeit. Es ist nämlich essentiell, ob z.B. das negative Befinden eines Mitarbeiters und die daraus resultierende Leistungsminderung am Arbeitsplatz auf ein negatives exogenes Ereignis zurückzuführen ist (z.B. Fehlverhalten des Vorgesetzten) oder aber endogen herbeigeführt wurde (z.B. Stress und Unzufriedenheit aufgrund von schlechtem Zeitmanagement). Beide Ereignisse ziehen vollkommen unterschiedliche Maßnahmen zur Regulation nach sich: während im ersten Fall die Führungskraft ihr eigenes Verhalten reflektieren muss, muss sie im zweiten Fall an die Selbstverantwortung des Mitarbeiters appellieren.
2.1.3 Ablauf einer Emotion Nach dem Komponentenmodell von Scherer (1990) gehen Emotionen häufig mit einer physiologischen Erregung einher, die sich in durch das sympathische Nervensystem ausgelösten Veränderungen zeigen kann (z.B. Erhöhung Herzschlag, Anstieg des Blutdrucks, Erweiterung der Pupillen etc.). Legt sich die emotionale Erregung wieder, wird der Körper über das parasympathische System in den Normalzustand zurückgeführt.56 Da emotionale Prozesse sehr stark durch die Interaktion verschiedener Gehirnareale gekennzeichnet sind, müssten für die vollständige Erfassung die Gehirnstrukturen und deren Funktionen dargelegt werden. So ist an emotionalen Vorgängen insbesondere das limbische System beteiligt.57 Hierzu wäre aber eine sehr differenzierte Darstellung von neurobiologischen und neuroanatomischen Aspekten notwendig, die an dieser Stelle unterbleibt, da sie für das weitere Verständnis vernachlässigbar erscheint.58 Auch auf die Darstellung der Physiologie und Anatomie einer Emotion wir an 55 56 57 58
Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 37-38. Vgl. Becker-Carus (2004), S. 490. Vgl. Zilles/Rehkämper (1998), S. 302-309. Eine ausführliche Darstellung im personalwirtschaftlichen Kontext findet sich bei Schanz (2000). Vgl. Schanz (2000), S. 59-104.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
21
dieser Stelle verzichtet.59 Ursächlich bestimmt werden Emotionen durch spezifische Vorgänge im zentralen Nervensystem. Dies können z.B. unbewusste Verarbeitungsprozesse in bestimmten Hirnarealen sein oder auch hormonelle Aktivitäten wie etwa die Ausschüttung von Neurotransmittern, wobei hinzugefügt werden muss, dass das Wissen über spezifische Mechanismen im Gehirn bis dato noch recht ungenau ist.60 Dies gilt insbesondere für die neuronalen Netzwerke im Gehirn: „Obwohl mit Hilfe von Bildgebungsverfahren spezifische Hirnareale identifiziert wurden, die bei der Wahrnehmung oder Erregung von Emotionen aktiviert sind, bleibt die Rolle, die viele dieser neuronalen Verbindungen bei emotionalen Erlebnissen spielen, unbekannt.“61 Mesquita/Frijda (1992) beschreiben den Ablauf einer Emotion anhand von 7 Komponenten: Am Anfang steht ein Ereignis, ein Gedanke, eine Erinnerung o. ä. (1), welches vom Individuum kategorisiert wird (2). Die subjektive Einschätzung (3) führt letztlich zu physiologischen Reaktionsmustern (4), welche eine Veränderung der Handlungsbereitschaft (5) nach sich zieht. Der Ausdruck in Form von Gestik, Mimik, Körperhaltung etc. (6) wirkt hierbei als Katalysator und beschleunigt die emotionale Regulation (7).62 Ulich/Mayring (2003) vertreten die Auffassung, dass es nicht immer zu einer Regulation kommen muss. Daher modifizieren sie die Aufstellung und bezeichnen die Komponenten 1-6 als konstitutiv und die Komponente 7 mit drei weiteren als fakultativ. Diese Komponenten sind: physiologische Reaktionsmuster (8), Ausdruck (9) und Handlungsmotivation (10). 63 Unklarheit herrscht über die Frage, ob eine Emotion immer eine Reaktion auf einen Reiz darstellt. Während einige Forscher ex definitionem eine Emotion als Reaktion auf einen externen Reiz sehen, ist es nach Schmidt-Atzert (1996) auch bei konstanten Situationsspezifika möglich, dass z.B. durch einen kognitiven Impuls (Imagination einer bestimmten Situation) Emotionen ausgelöst werden.64
2.1.4 Klassifikation und Dimensionierung von Emotionen Um den Zusammenhang zwischen einzelnen Emotionen genauer untersuchen zu können und ein besseres Verständnis für ihre Ausprägungen und Wirkungsweisen zu erlangen, wird häu-
59 60 61 62 63 64
Vgl. Adolphs (2006), S. 535-544. Vgl. LeDoux (2000), S. 157-159. Schultz/Izard/Abe (2006), S. 64. Vgl. Mesquita/Frijda (1992), S.180. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 49-50. Vgl. Schidt-Atzert (1996), S. 20.
22
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
fig versucht, Emotionen zu ordnen und zu klassifizieren, wobei häufig drei verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen:65 1.
Suche nach Basisemotionen
2.
Dimensionierung von Emotionen (Einordnung in ein Koordinatensystem)
3.
Erstellung von Emotionsklassen
Suche nach Basisemotionen Basisemotionen sind jene Emotionen, die durch eindeutig abgrenzbare Kriterien voneinander zu unterscheiden sind und sich zuverlässig identifizieren lassen.66 Ekman (1992) definiert Basisemotionen in diesem Zusammenhang u.a. durch einen kulturübergreifend mimischen Ausdruck, als Ergebnis evolutionärer Entwicklungsprozesse und als Emotionen, bei denen keine dimensionale Erfassung möglich ist.67 Izard (1991) sieht Basisemotionen als Bestandteil der von ihm entwickelten differential emotions theory, nach der sich das Motivationssystem des Menschen aus 10 diskreten Emotionen zusammensetzt.68 Das Besondere ist der im Zusammenhang mit der jeweiligen Emotion zu registrierende, spezifische Gesichtsausdruck.69 Diese von Ekman/Friesen (1971) im Rahmen der so genannten Fore Studien als Universalitätshypothese postulierte Tatsache konnte kulturübergreifend nachgewiesen werden.70 Nach Lang et al. (1993) wird jedoch der Gesichtsausdruck durch kulturelle Konventionen, Geschlecht und Selbstdarstellungsabsicht beeinflusst. Er ist also, wie Ekman/Friesen (1971) gezeigt haben, kulturübergreifend identisch und dennoch individuell modifizierbar. Die Einbeziehung unterschiedlicher Facetten bei der Betrachtung von Basisemotionen variiert jedoch stark. Anders als z.B. Izard (1991) verknüpft Arnold (1960) mit ihnen nicht den Gesichtsausdruck, sondern nur die spezifische Handlungstendenz.71 Um Basisemotionen klar von anderen Emotionen abgrenzen zu können, hat Ekman (1992) einen Kriterienkatalog mit 9
65 66 67 68
69 70 71
Vgl. Schmidt-Atzert (2000). Vgl. Zillmann (2004), S. 104. Vgl. Ekman (1992), S. 175 ff. Nach der Theorie gelten hinsichtlich der Basisemotionen 5 Hauptannahmen: 1. Es existieren 10 Basisemotionen. 2. Jede dieser Emotionen hat einzigartige motivationale Eigenschaften. 3. Die Emotionen führen jeweils zu unterschiedlichen Erlebnissen bei den Individuen und zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. 4. Es existieren Interaktionsprozesse: Emotionen lösen sich gegenseitig aus, verstärken sich oder schwächen sich ab. 5. Emotionsprozesse interagieren u.a. mit perzeptiven, kognitiven und motorischen Prozessen und üben Einfluss auf diese aus. Vgl. Izard (1994), S. 63. Zu den Basisemotionen gehören: Interesse/Erregung, Freude, Überraschung, Kummer/Schmerz, Zorn/Wut, Ekel, Geringschätzung/Verachtung, Furcht/Entsetzen/Angst Scham, Schuld. Vgl. Izard (1994), S. 106-115. Vgl. Izard (1991), S. 40-41. Vgl. Ekman/Friesen (1971). Vgl. Arnold (1960).
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
23
spezifischen Charakteristika erstellt.72 Ortony/Turner (1990) geben einen Überblick über die verschiedenen Konzepte von Basisemotionen und fassen die Sichtweise vieler anderer Autoren dahingehend zusammen, dass keine Übereinstimmung besteht „about how many emotions are basic, which emotions are basic and why they are basic.“73 Die Diskussion um die die Existenz von Basisemotionen ist bis zum heutigen Zeitpunkt uneinheitlich. Während einige Forscher wie Averill (1994) die Existenz von Basisemotionen gänzlich ablehnen, streiten andere Forscher, wie gezeigt, nur um deren Anzahl.74
Dimensionierung von Emotionen Dimensionale Ansätze gehen davon aus, dass man Emotionen innerhalb eines dimensionalen Raumes abbilden kann. In diesem Fall ließe sich ein Koordinatensystem aufstellen, in welches die konkreten Emotionen eingeordnet werden könnten.75 Ausgangspunkte für die Emotionsdimensionierung sind Emotionslisten, die Worte enthalten, die von Individuen als Emotionen empfunden werden. Dies kann z.B. mittels einer Befragung passieren, an deren Ende dann als Grundgesamtheit eine Auflistung von Emotionen steht, die durch statistische Methoden weiter dimensioniert oder klassifiziert werden kann. Fehr/Russel (1984) erhalten im Rahmen einer Studentenbefragung auf diese Weise 383 verschiedene Worte, die nach Ansicht der Befragten eine Emotion repräsentieren.76 Da es jedoch keine wirklich objektivierbaren Kriterien gibt, wo die Grenze zwischen Emotion und Nichtemotion zu ziehen ist, kann das Problem nicht rein empirisch gelöst werden.77 Die Qualität der Dimensionierung bzw. Klassifizierung hängt entscheidend davon ab, wie gut die Grundgesamtheit erhoben und bereinigt wurde. Daher empfiehlt sich durch eine Einstufung von Ähnlichkeiten, diese zu verkleinern. Feldmann/Barret/Russel (1998) weisen im Rahmen eines bipolaren Dimensionierungsversuchs z.B. nach, dass Lust und Unlust zwei entgegengesetzte Pole einer Skala sind, was bedeutet, dass, wenn Unlust nicht vorhanden ist, der Proband sich entweder neutral fühlen
72 73 74
75 76 77
Vgl. Ekman (1992), S. 175. Ortony/Turner (1990), S. 315. Averill (1994) sieht ein Problem in den Kriterien anhand derer eine Emotion als Basisemotion klassifiziert werden soll, so dass er zu dem Schluss kommt: „Fortunately, from a theoretical point of view, there appears to be no compelling reason to postulate basic emotions, regardless of the criteria used.“ Averill, J. (1994), S. 14. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 145 ff. Vgl. Fehr/Russel (1984), S. 468. Es ist durchaus denkbar, dass auch bei Nichtemotionen Auslenkungen aller fünf Subsysteme beobachtbar sind.
24
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
oder aber Lust empfinden muss.78 Weitere uni- und multidimensionale Ansätze sowie entsprechende Kritik finden sich bei Zentner/Scherer (2000).79
Erstellung von Emotionsklassen Bei dem Versuch der Klassifikation wird versucht, Emotionsbegriffe inhaltlich zu gruppieren, was z.B. über eine Cluster- oder Faktorenanalyse geschehen kann. Hierbei besteht das Problem der Existenz von kultur-, gesellschafts- und sozialspezifischen Emotionswörtern, was oben bereits angedeutet wurde. So existieren für einige Individuen bestimmte Emotionswörter nicht, weil sie beispielsweise für sie keine Emotion darstellen (z.B. existiert das Wort Schadenfreude im Englischen nicht).80 Hinzu kommt die in diesem Zusammenhang existierende Zahl von mittlerweile über 400 Emotionsbegriffen.81 Sie ermöglicht keine klare Clusterbildung, so dass es auch keine eindeutige Anzahl gibt.82
Abschließend kann man festhalten, dass es sowohl hinsichtlich der Anzahl von Basisemotionen als auch der von Dimensionen und Kategorien bzw. Klassen eine Vielzahl von Ansätzen gibt, die in ihrer Form weder eindeutig verifizierbar noch falsifizierbar sind.
2.1.5 Induktion von Emotionen Neben der Untersuchung von natürlichem Emotionsempfinden im Alltag lassen sich Emotionen im Hinblick auf die Erhebung und Analyse korrelativer Zusammenhänge auch künstlich induzieren, wenn es z.B. darum geht, den Einfluss von emotionalem Erleben als unabhängige Variable auf abhängige Parameter wie Produktivität, Zufriedenheit u.ä. zu untersuchen. Die Induktion von Emotionen kann als ein Mittel im Organisationskontext angesehen werden, das emotionale Erleben der Mitarbeiter zu steuern, wenngleich, wie im Folgenden gezeigt wird, die Methoden hierbei nur eingeschränkt praktikabel erscheinen. Dennoch stellt das künstliche Induzieren eine aktive Möglichkeit dar, eine Form von Emotions- bzw. Stimmungsmanagement zu betreiben.
78 79 80 81 82
Vgl. Feldmann Barret/Russel (1998), S.968-971. Vgl. Zentner/Scherer (2000). Vgl. Russel (1991), S. 426. Vgl. Hamm (2003), S. 527. So kommen Schmidt-Atzert/Ströhm (1983) zu 14 Emotionsklassen, Schmidt-Atzert (1996) zu 10, Ulich/ Mayring (2003) zu 18 und Mees (1985) zu 13. Vgl. Schmidt-Atzert/Stroehm (1983), S. 132 ff., SchmidtAtzert (1996), S. 92, Ulich/Mayring (2003), S. 151-152 und Mees (1985), S. 10.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
25
Merten (2003) unterscheidet in diesem Zusammenhang vier Ebenen, auf denen eine Emotionsinduktion möglich ist:83 1. neuronal 2. sensumotorisch 3. motivational 4. kognitiv Im arbeitswissenschaftlichen Kontext scheiden die Ebenen 1 und 3 aus: da auf Ebene 1 durch die Beeinflussung von Transmittern und/oder Rezeptoren eine Emotionsinduktion herbeigeführt werden muss, erweist sich diese Methode als ebenso wenig durchführbar wie eine Induktion auf Ebene 3. Hier würde die Setzung eines diskreten Reizes (Geschmack, Geruch etc.) eine Emotion generieren, was sich in diesem Zusammenhang ebenfalls schlecht umsetzen lässt. Für die Induktion auf kognitiver Ebene gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten: SchmidtAtzert (1996) führt Dias, Bilder, Filme, Musik und imaginäre Situationen an, um ein Emotionserleben bei Individuen zu induzieren. Möglichkeiten einer Integration dieser Vorgehensweise (in Bezug auf die Induktion positiver Emotionen) nennen Clouse/Spurgeon (1995). Diese berichten von Aktivitäten unterschiedlicher Firmen, die quasi über eine Form der Institutionalisierung positive Emotionen bei den Mitarbeitern zu erzeugen versuchen, um deren Stimmung, Kreativität und Performance zu verbessern.84 Hierzu haben diese z.B. einen fun friday oder einen humor room etabliert, an dem bzw. in dem die Mitarbeiter sich durch unterschiedliche Medien in einen intendiert positiven Gemütszustand versetzen können und sollen.85 Da diese Variante aber die Führungskraft nicht aktiv in den Prozess des Stimmungsmanagements einbindet, wird sie an dieser Stelle nicht weiter verfolgt.86 Eine Möglichkeit zur selbstgesteuerten und angeleiteten Emotionsregulation hat Velten (1968) entwickelt. Im Rahmen einer aktiven Mitarbeit müssen Probanden 60 Karten mit verschiedenen Aussagen lesen
83
84
85 86
Vgl. Merten (2003), S. 28.Der Autor nimmt hierbei Bezug auf Izard (1990), der von unterschiedlichen Mechanismen der Emotionsinduktion berichtet. Vgl. Izard (1990), S. 495-496. Hierbei geht man von der Annahme aus, dass Humor eine Möglichkeit darstellt, die individuelle Leistungsfähigkeit zu steigern. Vgl. hierzu Clouse/Spurgeon (1995), S. 13-14. Eine Darstellung zur Emotionsinduktion durch visuelle Reize findet sich u.a. bei Hamm/Vaitl (1993).
26
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
und sich in die mit den Karten suggerierten Stimmungen versetzen.87 Auch diese Möglichkeit erscheint wenig praktikabel. Eine Möglichkeit der Emotionsinduktion, die in den sensumotorischen Bereich fällt, ist die der sukzessiven Herstellung von emotionalen Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen.88 Die dieser Möglichkeit zugrunde liegende Theorie ist die so genannte Facial- FeedbackHypothese, die davon ausgeht, dass allein über bestimmte Gesichts- und Körperbewegungen bestimmte Emotionen induziert werden können.89 Ein Beispiel für eine solche Methode findet sich u.a. bei Strack/Martin/Stepper (1988).90 Wenngleich die Effektivität obiger Methoden für sich genommen durchaus nachweisbar ist, erscheinen sie für das Emotionsmanagement im Organisationskontext und konkret innerhalb von Arbeits- und Führungsprozessen nur sehr bedingt geeignet.91
2.1.6 Erfassung und Messung von Emotionen Wenn es um die Erfassung und Messung von Emotionen geht, ist im Hinblick auf die dargelegte Komplexität zunächst zu prüfen, durch welche Komponenten die zu untersuchende Emotion am besten repräsentiert wird und welche Spezifika hinsichtlich der Emotion überhaupt erfasst werden sollen.92 Häufig wird bei der Erfassung und Messung von Emotionen die rein subjektive Gefühlskomponente fokussiert. Zwar ist diese gerade im Organisationskontext substantiell, da es primär um das subjektive Emotionserleben von Individuen geht, dennoch sind für eine vollständige Erfassung und Messung von Emotionen in Anlehnung an das Komponentenmodell von Scherer (1990) alle fünf Komponenten mit einzubeziehen. Dies ist 87
88 89
90
91
92
Vgl. Velten (1968). Mecklenbräuker/Hager (1986) präsentieren eine deutschsprachige Version der VeltenTechnik. Vgl. hierzu Mecklenbräuker/Hager (1986), S. 78-83. Eine metaanalytische Untersuchung findet sich bei Kenealy (1986), welcher 40 Studien analysiert hat, die mit der Velten-Technik gearbeitet haben. Vgl. Kenealy (1986). Vgl. Merten (2003), S. 28. Eine Metaanalyse, die sich mit dem Nachweis der Facial-Feedback-Hypothese beschäftigt findet sich u.a. bei Laird (1984). Die Autoren lassen in einem Experiment Probanden mit einem Stift im Mund unterschiedliche Aufgaben erfüllen, indem diese z.B. zwei auf einem Blatt Papier eingezeichnete Punkte durch eine Linie verbinden müssen. Während die eine Gruppe den Stift zwischen die Zähne klemmen muss und somit äußerlich eine Form des (künstlichen) Lächelns erzeugt, muss die andere ihn nur mit den Lippen fixieren. Es zeigt sich, dass die Probanden mit dem Stift zwischen den Zähnen, die quasi ein Lächeln simuliert haben, in Bezug auf später präsentierte und zu bewertende Cartoons, diese als signifikant witziger einschätzen als die andere Gruppe. Dies ist nach Ansicht der Autoren ein Nachweis dafür, dass allein durch bestimmte Körperbewegungen (hier: Gesicht) emotionale Tendenzen erzeugt werden können. Vgl. Strack/Martin/Stepper (1988). Ein allgemeiner Überblick über die Effektivität von Emotionsinduktionen findet sich bei Westermann et al. (1996). Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 98. Ulich/Mayring (2003) unterscheiden in diesem Zusammenhang die Gegenstandsbestimmung (Wie liegt die zu messende Emotion vor?) und die Zielbestimmung (Welche Spezifika sollen hinsichtlich der Emotion erfasst werden?). Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 30.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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deshalb der Fall, weil z.B. auch die Ausdruckskomponente durch ihren Informationscharakter oder die Motivationskomponente, welche nachgelagerte Handlungsprozesse determiniert, von elementarer Bedeutung sind. Bei der konkreten Vorgehensweise existieren unterschiedliche Methoden, die im Weiteren genauer beschrieben werden und sich an folgenden Emotionskomponenten orientieren: 1. Gefühl 2. Kognition 3. Ausdruck 4. Physiologie 5. Motivation Gefühl Bei dieser Komponente werden häufig offene oder geschlossene Fragebögen als strukturierte Verfahren zur Erfassung des Emotionserlebens eingesetzt. Das subjektive Emotionserleben wird in diesem Fall über den betrachteten Zeitraum der Untersuchung (meist retrospektiv) abgefragt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich ein akkumuliertes Gesamturteil herausbildet, welches insgesamt keine valide Aussage mehr darstellt, da eventuell verschiedene Einzelemotionen abgelaufen sind, die retrospektiv von den befragten Individuen nicht mehr klar getrennt werden können. Weiterhin sind Antworttendenzen im Sinne einer sozialen Erwünschtheit zu erwarten. Dies bedeutet, das z.B. im Rahmen des overreporting bzw. underreporting negative Emotionen wie Angst, Hass, Ekel usw. unterproportional und positive wie Freude, Stolz, Zufriedenheit etc. dafür überproportional berichtet werden.93 Auch ist bei der Konstruktion eines Fragebogens stets zu beachten, dass sprachlich ungenaue Definitionen und Erklärungen möglicherweise zu Ergebnisverzerrungen führen, so dass der Fragebogen das Gütekriterium der Validität nicht mehr erfüllt. Eine weitere Vorgehensweise ist der Einsatz von so genannten Emotionswörterlisten. Hierbei werden Probanden Wörterlisten vorgelegt, mit denen sie ihre aktuelle oder zurückliegende Befindlichkeit beschreiben sollen.94 Problematisch hierbei ist, dass Wortfelderhebungen mehr als 400 Emotionsworte zu Tage gefördert haben.95 Die Aussagefähigkeit von Untersuchungen zur Erfassung von Emotionen mithilfe dieser Methode hängt daher ganz entscheidend von der Qualität der eingesetzten Listen ab, die die Ausgangsgrundgesamtheit abbilden. 93 94 95
Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 35. Solche Listen finden sich u.a. bei Janke/Debus (1984) und Becker (1988). Vgl. Hamm (2006), S. 527.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Weiterhin ist bei der Erfassung der Gefühlskomponente der Einsatz von qualitativen Interviews denkbar. Für die Erzielung valider Ergebnisse ist es jedoch notwendig, grundlegenden Kriterien zu folgen. Insbesondere bei der Interpretation und der inhaltlichen Analyse ist ein objektiviertes Vorgehen notwendig, um interindividuelle Unterschiede der einzelnen Probanden erfassen zu können (vgl. hierzu auch Abschnitt 5.4.1 und 5.4.2).96
Kognition Ähnlich wie bei der Erfassung der Gefühlskomponente besteht auch bei der Kognitionskomponente die Möglichkeit, über Probandenbeschreibungen valide Informationen zu erhalten. Hierbei muss jedoch vorausgesetzt werden, dass die Probanden sich in ihrer Beschreibung auf den eigentlichen Prozess des Emotionserlebens beziehen und nicht etwa individuell wünschenswerte Vorstellungen zu Protokoll geben.97 Um diesem Problemfeld vorzubeugen und weitere verzerrende Effekte zu eliminieren,98 wurden im Zeitablauf zahlreiche Tests entwickelt, die auf die kognitiven Fähigkeiten der zu untersuchenden Probanden abstellen und diese in Abhängigkeit des individuellen Emotionserlebens untersuchen. Hierbei ergibt sich aber im Hinblick auf die Testkonstruktion eine grundlegende Schwierigkeit. Neben den recht unproblematisch ermittelbaren kognitiven Fähigkeiten der Probanden geht es um die zeitgleiche Induktion eines intendierten emotionalen Zustandes, damit entsprechende korrelative Zusammenhänge ermittelt werden können. Ob ein Proband während eines Tests aber überhaupt eine (beabsichtigte) Emotion erlebt, kann u.U. nur über zusätzliche Selbstberichte oder physiologische Parameter des Probanden gemessen werden. Seidlitz/Diener (1993) untersuchen, welchen Einfluss das emotionale Erleben auf die Erinnerungsfähigkeit hat. Hierzu erfassen sie die aktuelle Stimmung von Probanden mittels eines Selbstberichts und bitten diese im Anschluss, möglichst viele positive und negative Ereignisse aus ihrem Leben (positive and negative life events) niederzuschreiben. Die Autoren weisen hierbei nach, dass die Probanden in positiver Stimmung im Verhältnis gesehen signifikant mehr positive als negative Erlebnisse angeben als Probanden in negativer Stimmung.99 Hieraus lässt sich ableiten, dass das aktuelle emotionale Erleben messbaren Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten hat, abbildbar z.B. durch die Fähigkeit zur Erinnerung. 96
97 98
99
Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 39. Für eine qualitative Vorgehensweise als Methode der Emotionsforschung vgl. auch Schmitt/Mayring (2000). Vgl. Merten (2003), S. 30. Problematisch ist z.B. auch, dass Probanden häufig rückblickend nicht mehr objektiv einschätzen können, inwieweit individuelles Emotionserleben die kognitiven Fähigkeiten beeinflusst hat oder aktuell immer noch beeinflusst. Vgl. Seidlitz/Diener (1993).
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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Niedenthal/Setterlund (1994) verwenden bei ihrem Test Buchstabenfolgen (string of letters). Die Testpersonen müssen entscheiden, ob sich hinter diesen vorgegebenen Buchstabenkombinationen jeweils ein Emotionswort verbirgt, ein Neutralwort oder aber, ob sich kein Wort daraus bilden lässt. Auch dieser Test soll die kognitive Komponente einer Emotion erheben und zeigt im Ergebnis, dass Probanden in positiver Stimmung positive Emotionsworte signifikant schneller erkennen können als Probanden in negativer Stimmung.100
Ausdruck Bei der Erfassung des Ausdrucks muss nach Merten (2003) zwischen unterschiedlichen Kanälen differenziert werden, über die eine Emotion zum Ausdruck gebracht werden kann. Diese sind der Gesichtausdruck, die Stimmqualität sowie die Gestik und die Körperhaltung.101 Der Gesichtausdruck gilt hierbei als der am besten untersuchte Aspekt des Emotionsausdrucks.102 Problematisch sind jedoch die in vielen Studien verwendeten Kodiersysteme von mangelhafter Güte. Bänninger-Huber/Rauber-Kaiser (1989) weisen z.B. auf die Vielzahl existierender Formen des Lächelns und die hiermit in Zusammenhang zu bringenden Schwierigkeiten der Dekodierung hin.103 Ekman/Friesen (1978) haben mit dem Facial Action Coding System (FACS) ein sehr differenziertes Kodiersystem entwickelt, welches zuverlässige Rückschlüsse von einem Gesichtsausdruck auf eine spezifische Emotion erlaubt.104 Dieses ist für den weiteren Verlauf insofern von Bedeutung, als dass die Ausdruckskomponente Gesicht bei richtiger Deutung sehr schnell Rückschlüsse auf den emotionalen Zustand einer Person erlaubt.105 Das System von Ekman/Friesen (1978) basiert auf 44 zu beschreibenden so genannten action units, die im Ergebnis in kodierter Form angeben, welche mimischen Veränderungen bei einer Person registriert worden sind (z.B. Augenbrauen angehoben, Lippen verengt) und welche Emotion durch die spezifische Kombination dieser Veränderungen beschrieben wird.106 Das System wurde später noch weiterentwickelt und wird heutzutage auch als Emo-
100
101 102 103 104 105
106
Die Probanden wurden hierbei durch Beschallung mit trauriger bzw. freudiger Musik in einen positiven bzw. negativen Gefühlszustand zu versetzen versucht. Dieser wurde zusätzlich über eine Form des Selbstberichts erfasst. Vgl. Niedenthal/Setterlund (1994), S. 407-408. Vgl. Merten (2003), S. 30-31. Vgl. hierzu auch Russel/Bachorowski/Fernández-Dols (2003), S. 336 ff. Vgl. Bänninger-Huber/Rauber-Kaiser (1989). Vgl. Ekman/Friesen (1978). Studien, die einen Rückschluss vom Gesichtsausdruck auf das Emotionserleben von Individuen zulassen finden sich bei Gross/John (1997) sowie im Rahmen einer Metaanalyse bei Ambady/Rosenthal (1992). Vgl. Ekman (1988).
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tional Facial Action Coding System (EMFACS) bezeichnet, dessen Spezifikationen an dieser Stelle jedoch nicht weiter erläutert werden.107 Der Zusammenhang von Gesichtsausdruck und Emotion muss nach Wegge (2004) in seiner Stärke jedoch eingeschränkt werden. Insbesondere die bereits angesprochenen interindividuellen Unterschiede (z.B. bei der Art der Reaktion auf emotionsauslösende Reize) führen, gestützt durch soziokulturell variierende Darstellungsregeln, auch in Bezug auf die Visualisierung von Emotionen in Form von Verstärkung, Hemmung oder Maskierung usw. dazu, dass individuelles Emotionserleben im sozialen Kontext uneinheitlich nach außen hin dargestellt wird.108 Auch kann man beobachten, dass Gesichtsausdrücke in Abhängigkeit bestimmter Situationsspezifika innerhalb sozialer Interaktionsprozesse so modifiziert werden, dass sich ein intendierter Effekt einstellt.109 Allgemein lassen sich nicht nur über die Gesichtsausdrücke, sondern auch über die Analyse von Körperhaltungen und Bewegungen (z.B. Haltung Kopf/Schulter/Arme/Hände, Gang, Selbstberührungen usw.) Rückschlüsse auf das emotionale Erleben von Individuen ziehen.110 Möglich ist abschließend noch eine Erfassung emotionsrelevanter akustischer Parameter, die jedoch weitaus problembehafteter ist als die eben genannten.111
Physiologie Hinsichtlich der Emotionserfassung auf physiologischer Ebene gibt es eine Reihe von Verfahren, die das Emotionserleben von Individuen anhand konkreter Veränderungen messen 107 108
109
110
111
Vgl. Fridlund/Ekman/Oster (1987). Der Ausdruck einer Emotion wird in besonderem Maße dadurch mitbestimmt, ob sich ein Individuum zum Zeitpunkt des Emotionserlebens im sozialen Kontext befindet oder nicht. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom so genannten Publikumseffekt, welcher beschreibt, inwieweit Emotionen etwa bewusst übermäßig gezeigt oder aber in Anlehnung an so genannte Darstellungsregeln unterdrückt werden. Vgl. Wegge (2004), S. 677. Heckhausen/Roelofsen (1962) z.B. fanden bei einer Untersuchung von Kindern heraus, dass wenn sich bei einer im Rahmen von sozialer Interaktion durchzuführenden Handlung ein Misserfolg einstellt, von Seiten der betroffenen Person ein Lächeln gezeigt wird. Schneider (1996) schließt daraus, dass damit das Missgeschick quasi entschuldigt werden und die Situation nicht abrupt beendet werden soll. Vgl. hierzu Heckhausen/Roelofsen (1962) und Schneider (1996). Auch kann man bei Ärzten beobachten, dass diese ein Lächeln aufsetzen, um Patienten z.B. eine schmerzvolle Diagnose zu übermitteln. Vgl. Francis/Monahan/ Berger (1999). Diese Situation wäre im Kontext dieser Arbeit vergleichbar mit einem Kündigungs-, Abmahnungs- oder Versetzungsgespräch. Auf die Erkennung von Emotionen anhand bestimmter mittels Körpersprache übermittelter Signale wird an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen. Vgl. hierzu u.a. Walk/Homan (1984), Rimé (1985) und Walbott (1998). Eine Übersicht über Akustikparameter und entsprechende Zusammenhangsvermutungen findet sich bei Scherer/Wallbott (1990), wenngleich bisher kaum konsistente Befunde zu Tage gefördert werden konnten, so dass die Autoren zu dem Schluss kommen, „dass zuverlässige Schlussfolgerungen über konkrete akustische Muster für den Ausdruck von Emotionen bislang nicht gezogen werden können.“ Scherer/Wallbott (1990), S. 375.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
31
können. Dies sind z.B. die Herzfrequenz, der Blutdruck, die Hautleitfähigkeit oder die periphere Durchblutung. Alle Verfahren ermöglichen eine recht exakte Veränderungsmessung. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich bis auf sehr wenige Ausnahmen keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen physiologischen Veränderungen und spezifischem, subjektivem Emotionserleben feststellen lassen.112 So weist Boucsein (1991) z.B. darauf hin, dass viele der im Rahmen der Emotionsforschung ermittelten Veränderungen nicht emotionsspezifisch sind, sondern auch bei mentalen oder körperlichen Beanspruchungen zu beobachten sind.113 Auch Stemmler (1998) betont den mangelhaften Nachweis emotionsspezifischer physiologischer Muster, der keine konsistenten Ergebnisse im Hinblick auf einen Zusammenhang von erlebten Emotionen und entsprechenden physiologischen Veränderungen ergibt.114
Motivation Die motivationale Komponente kann anders als die anderen Komponenten nur experimentell in der Weise erhoben werden, dass nach einer Emotionsinduktion direktes bzw. indirektes Verhalten beobachtbar ist. So wird überprüft, ob die durch eine künstliche Induktion möglicherweise generierte Handlungstendenz auch wirklich umgesetzt wird.115 Auch hier bestünde im Falle einer Befragung die Gefahr, dass die untersuchten Probanden übermäßig sozial wünschenswert antworten: Insbesondere durch die Induktion stark negativer Emotionen wie Neid, Hass, Verachtung etc. werden durch realitätsnahe Induktionsversuche in Kombination mit Verhaltensbeobachtung deutlich validere Ergebnisse erzielt als etwa durch einen Selbstbericht.116
Die Erfassung des Emotionserlebens unter Einbeziehung aller fünf Komponenten des Emotionsmodells von Scherer (1990) stellt in Anbetracht der angedeuteten Problemfelder ein sehr komplexes Unterfangen dar, da eine synchrone Erfassung nur unter erheblichem Aufwand möglich ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die oben beschriebenen Vorgehensweisen z.T. erheblichen Einfluss auf die Ergebnisgüte haben. Bei retrospektiven Befragungen treten u.U. selektive Wahrnehmungen zu Tage, was bedeutet, dass erlebte Emotionen in ihrer Existenz ex post ausgeblendet oder aber überbetont werden. Eine Echtzeiterfassung im Alltag 112 113 114
115 116
Vgl. Schmidt-Atzert (1996), S. 103. Vgl. Boucsein (1991), S. 130 ff. Hierbei bezieht er sich jedoch nur auf Studien, die die physiologischen Reaktionsmuster der Emotionen Angst und Ärger untersuchen. Vgl. Stemmler (1998), S. 128-142. Vgl. Merten (2003), S. 32. Denkbar ist z.B., dass Individuen durch die genannten Emotionen in besonderem Maße antisoziale Verhaltensoptionen wählen würden, die sie im Rahmen eines Selbstberichts in dieser Form aber nicht darlegen würden.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
hingegen kann dazu führen, dass Probanden sich zu sehr auf das emotionale Empfinden fokussieren und auf diese Weise falsches oder übermäßiges Emotionserleben zu Protokoll geben. Auch bei einer experimentellen Herbeiführung kann es dazu kommen, dass das auf diese Weise induzierte Emotionserleben sich nicht mit dem üblichen Alltagsempfinden der untersuchten Probanden deckt.117 Im Hinblick auf den Umgang mit Emotionen im Organisationskontext durch Führungskräfte bleibt festzuhalten, dass in erster Linie die Ausdrucks- und die Motivationskomponente eine Möglichkeit darstellen, Emotionserleben bei geführten Mitarbeitern zu erkennen, jedenfalls ohne deren Bereitschaft zur Offenlegung. Eingeschränkt können auch über die Interpretation kognitiver Leistungen (z.B. bei Leistungsabfall, Konzeption sehr kreativer Konzepte usw.) entsprechende Rückschlüsse gezogen werden. Die Komponente Gefühl scheidet aufgrund der notwendigen Offenlegung ebenso wie die Komponente Physiologie aus, welche insbesondere durch ihren hohen Erhebungsaufwand im Hinblick auf eine Implementierbarkeit im Führungskontext unbrauchbar erscheint.118 Während die Komponente Ausdruck über mimisch-emotionale Signale unter Berücksichtigung verzerrender Interpretationsfehler noch während des eigentlichen Emotionserlebens registriert werden kann, muss man sich bei den Komponenten Motivation und Kognition allerdings der Deutung von Mitarbeiterverhalten bedienen: ein von Mitarbeitern gezeigtes Verhalten (z.B. Rückzug, Offenheit, Kreativität, Einfallslosigkeit usw.) lässt sich ex post auf ein mögliches emotionales Erleben zurückführen. Der in Bezug auf obige Erkenntnisse von Ulich/Mayring (2003) geäußerte Hinweis, dass besonders die subjektive Erlebenskomponente im Umgang mit Emotionen primär ist, muss also um die Aussage ergänzt werden, dass diese sich in erster Linie über den eben beschriebenen Ausdruckskanal bzw. über Formen der Verhaltungsdeutung erheben lassen.
2.1.7 Funktionale Betrachtung Eine grundlegende Funktion von Emotionen besteht darin, bei Individuen Reaktionen auf wichtige Ereignisse und Situationen vorzubereiten, auszulösen und zu unterstützen. Dies geschieht u.a. über „die Bereitstellung von motivationaler und physiologischer Energie, die 117
118
Künstlich simulierte Situationen führen u.U. Emotionen herbei, die sich nicht mit realitätsnahem Empfinden decken. Es kann zwar über offensichtliches Herzrasen oder Schweißausbrüche auf den emotionalen Zustand einer Person geschlossen werden, doch trifft dies wahrscheinlich eher nur auf extreme Zustände zu.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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emotionsbedingte Fokussierung von Aufmerksamkeit, die Erleichterung bestimmter Gedächtnisprozesse, die Induktion von jeweils spezifischen kognitiven Problemlösestilen etc.“119 Emotionen haben dabei die Aufgabe, das Individuum auf Begebenheiten aufmerksam zu machen, die von erheblicher Relevanz für dessen Existenz sind (z.B. Begegnung mit einem Bären in freier Wildbahn) und stellen somit die motivationale Grundlage für den Umgang mit eben diesen Begebenheiten dar.120 Sie sind gleichzeitig als eine Art Handlungsdisposition zu betrachten, die in diesem Zusammenhang bestimmten Handlungen (z.B. Flucht oder Kampf) Priorität einräumt und diesbezüglich das Verhalten oder andere mentale Prozesse des Organismus fördert oder unterbindet (z.B. Anstieg der Puls- und Atemfrequenz, Ausschüttung von Adrenalin etc.).121 Frijda (1986) setzt das emotionale Erleben von Individuen in Beziehung zu Handlungstendenzen und Zielzuständen und leitet hieraus die eigentliche Funktion von Emotionen ab: die Emotion Angst im Rahmen der eben beschriebenen Situation z.B. bedeutet, dass Individuen in Bezug auf die Handlungstendenz eine Sache vermeiden wollen (hier: Kontakt mit dem Bären). Der vom Individuum angestrebte Zielzustand ist Unerreichbarkeit. Die ableitbare Funktion ist somit der durch Kampf oder Flucht induzierte Schutz vor einem als Bedrohung empfundenen Subjekt, Objekt oder einem Ereignis (hier: Kontakt mit dem Bären).122 Aus Sicht der Evolution sehen Tooby/Cosmides (1990) Emotionen daher bei Eintritt spezifischer Ereignisse quasi als Handlungsanweisung im Hinblick auf eine optimale Reaktion an: „Thus, each emotion state- fear of predators, guilt, sexual jealousy, rage, grief, and so onwill correspond to an integrated mode of operation that functions as a solution designed to take advantage of the particular structure of the recurrent situation these emotions correspond to.“123 Hierzu aktivieren und organisieren Emotionen in Anlehnung an das Modell von Scherer (1990) mittels neuraler, kognitiver und motorischer Prozesse die Wahrnehmung, das Denken und die Handlungsneigung und beeinflussen alle nachfolgenden Informations- und Aktionsprozesse.124 Reaktionen auf erlebte Emotionen (z.B. erhöhte Pulsfrequenz und Hormonausschüttung) sollen den Körper und Geist für eine entsprechende Handlung mobilisieren, um mit der Ursache der Emotion besser umgehen zu können.125 Levenson (1994) formuliert daher übergeordnet: „The essential function of emotion is organization.“126 Nach Schneider (1992) lassen sich Emotionen jedoch nicht auf eine bestimmte Handlungsphase 119 120 121 122 123 124 125 126
Pekrun/Hofman (1999), S. 256. Vgl. Frijda (1994), S. 121. Vgl. Lang (1995), S. 373. Vgl. Frijda (1986), S. 88. Tooby/Cosmides (1990), S. 410. Vgl. Izard (1991), S. 24. Vgl. Zimbardo/Gerrig (2004), S. 552. Levenson (1994), S. 123.
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beschränken. So treten sie am Beispiel der Emotion Überraschung vor der Handlung auf und stellen ein Signal der Dringlichkeit für eine z.B. noch nicht durchgeführte Handlung dar. Die Emotion Freude tritt während eines Handlungsprozesses auf und richtet die Informationsverarbeitung auf das Handlungsziel aus. Stolz zeigt sich hingegen eher am Ende und ist ein Signal für die Zielerreichung und unterstützt somit den Lernprozess.127 Evolutionsbiologisch betrachtet gehen viele Forscher davon aus, dass „Entstehung und Funktionen von Emotionen nur unter Rückgriff auf die stammesgeschichtliche Entwicklung von Lebewesen verstanden werden können. Emotionen müssen einen Selektionsvorteil mit sich bringen, hierin wird ihr ultimater Nutzen gesehen.“128 So und nur so kann innerhalb einer lebensbedrohlichen Situation (z.B. Angriff eines Bären) gewährleistet werden, dass das Individuum in Form von Kampf, Flucht oder Bewegungsstarre flexibel auf Situationsspezifika reagiert, überlebt und somit den Fortbestand der Art sichert, denn: „Das ultimate Lebensziel ist nicht individuelles Überleben, sondern die Weitergabe von Allelkombinationen.“129 Während Emotionen im Verlauf der Evolution primär dem Zweck dienten, den individuellen und kollektiven Fortbestand von Individuen zu sichern, muss ihre Funktion heutzutage in einer etwas modifizierten Form gesehen werden. Gleichwohl Emotionen, aufgrund des nur noch äußerst seltenen Auftretens lebensbedrohlicher Gefahren, nicht mehr primär das Überleben gewährleisten müssen, haben sie für das Individuum aber nach wie vor eine zentrale Informationsfunktion, besonders im Rahmen sozialer Interaktion. Für Zentner/Scherer (2000) ist das Konstrukt Emotion ein Prozess, der eine Vielzahl von Komponenten umfasst und sich in erster Linie dadurch beschreiben lässt, dass er eine Anpassungsreaktion auf Ereignisse oder Objekte darstellt, die vom Individuum als wichtig für sein Wohlbefinden eingeschätzt werden.130 Das emotionale Erleben unterstützt bei Individuen also allgemein deren adaptive Anpassung an die (soziale) Umwelt, wenn es etwa um die konsequente Verfolgung und Verwirklichung individueller Ziele geht:131 Angst, Neid, Wut, Ekel, Freude usw. stellen als erlebte Emotionen, z.B. im Rahmen sozialer Interaktion, für ein Individuum substantiell wichtige Informationen bereit, die es ihm ermöglichen, diese Interaktion zu bewerten und im Hinblick auf das intendierte Ziel Verhaltensmuster zu modifizieren.132 Ohne genau zwischen Gefühlen und Emotionen zu differenzieren bezeichnen Hug/Spisak (1999) Gefühle daher auch „als 127 128 129 130 131 132
Vgl. Schneider (1992), S. 410. Merten (2003), S. 38. Euler (2000), S. 51. Vgl. Zentner/Scherer (2000), S. 151. Vgl. Merten (2003), S. 13. Vgl. Ulich/Mayring (2003), S. 52.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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wesentlich für die Entstehung, Steuerung und Gestaltung von allen menschlichen Beziehungen. Sie sind wichtige Motoren unseres sozialen Lebens[…].“133 Hieraus lässt sich ableiten, dass Emotionen auch heute noch eine instrumentelle Funktion für die Existenz von Individuen erfüllen und somit keinesfalls dysfunktional sind. Vielmehr stellen sie auch im Hinblick auf die Untersuchung von Führungsprozessen eine wichtige Erklärungsvariable dar. Eine Emotion wird hervorgerufen, wodurch eine entsprechende zugehörige Handlungsbereitschaft des Individuums Priorität erhält. Diese Handlungsbereitschaft beeinflusst zum einen das Individuum selbst und zum anderen hat sie Einfluss auf die sozialen Interaktionen zu anderen Personen.134 Im Rahmen eines Emotionserlebens wird ein Ereignis als bedeutsam angenommen. Kern der Emotion ist hierbei, wie oben bereits erwähnt, die Handlungsbereitschaft bzw. die Bereitstellung von Handlungsplänen: eine bestimmte Handlung wird bevorzugt, wobei alternative Handlungen und mentale Prozesse unterbunden werden. Hinsichtlich der Funktionalität von Emotionen existiert eine Vielzahl von Ansätzen, die das Konstrukt aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten versuchen, wobei diese sich teilweise überlappen. Nach Auffassung von Zimbardo/Gerrig (2004) fungieren Emotionen z.B. grundsätzlich entweder motivational, kognitiv oder sozial:135 Zum einen bilden sie die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen, da sie deren Verhalten in Richtung eines bestimmten Zieles fokussieren und diesen Fokus aufrechterhalten.136 Hierbei spielt jedoch die Intensität der erlebten Emotionen als Basis für das Erregungsausmaß des Individuums eine entscheidende Rolle. Es existiert für die Induktion einer auf die Emotion angepassten Reaktion quasi ein optimaler Erregungslevel. Wird dieser unterschritten, reagiert das Individuum nicht, weil aufgrund der Intensität dem zugrunde liegenden Ereignis nur eine geringe Bedeutung zugesprochen wird.137 Wird er überschritten, so kann das Individuum keine sinnvolle Reaktion mehr vollführen, weil die bereitgestellten Anpassungsmuster (z.B. Hormonausschüttung) die individuelle Kapazitätsgrenze überschreiten.138 Die
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138
Hug/Spisak (1999), S. 92. Vgl. Merten (2003), S. 15. Vgl. Zimbardo/Gerrig (2004), S. 557-561. Vgl. Zimbardo/Gerrig (2004), S. 558. Ein Beispiel hierfür ist, wenn man in der Öffentlichkeit angerempelt wird. Die hierdurch induzierte Erregungsintensität reicht meist nicht aus, damit man sich veranlasst sieht, der Ursache auf den Grund zu gehen. Dies lässt sich am Beispiel der Panik verdeutlichen. Gerät ein Individuum aufgrund eines extremen Erregungszustandes (z.B. Flugzeug gerät in schwere Turbulenzen und droht abzustürzen) in Panik, dann können keine sinnvollen Entscheidungen mehr getroffen werden, weil es aufgrund der Hormonausschüttung praktisch paralysiert ist.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
optimales Erregungsniveau
Motivation
geringe Motivation (Unterforderung bzw. Langeweile)
überhöhte Motivation (Überforderung, Panik)
Stresslevel/Erregungslevel Abbildung 1: Zusammenhang Motivation und emotionales Erregungslevel Quelle: Fineman (2004), S. 140
durch das Emotionserleben generierte Motivation lässt sich in Abhängigkeit vom Erregungsausmaß darstellen (s. Abb. 1).139 Zum zweiten haben Emotionen eine soziale Funktion, indem sie zwischenmenschliche Interaktionsprozesse steuern und regulieren.140 So determiniert das emotionale Erleben von Interaktionspartnern ganz erheblich deren Verhalten und Haltung zueinander.141 Nach Baron (1987) z.B. hat im Rahmen eines Einstellungsgespräches die Stimmung des Interviewers, induziert durch unterschiedliche Prozesse emotionalen Erlebens, einen signifikanten Einfluss auf das letztlich getroffene Urteil über den Bewerber.142 Auch weist Forgas (1999) nach, dass das emotionale Erleben eines Individuums einen signifikanten Einfluss auf dessen soziales Auftreten hat. Im Rahmen einer Untersuchung stellt er u.a. fest, dass eine negative Stimmung (z.B. in Form von Traurigkeit) bei Individuen dazu führt, dass diese im Rahmen von sozialer Interaktion wesentlich höflicher vorgehen als Individuen in positiver Stimmung.143 Carlson/ Charlin/Miller (1998) hingegen kommen zu dem Ergebnis, dass eine positive Emotionsinduktion im Sinne eines positiv erlebten Gefühlszustandes in einem Individuum prosoziale Aktivi-
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142 143
Vgl. Fineman (2004), S. 140. Vgl. hierzu u.a. Parkinson (1996). Für einen Überblick über den Einfluss von emotionalem Erleben auf das Urteilsvermögen und das Verhalten von Individuen in Organisationen vgl. auch Forgas/George (2001). Vgl. Baron (1993). Individuen mussten sich im Rahmen der Untersuchung zu Beginn entweder mit einer positiven oder einer negativen persönlichen Lebenserfahrung auseinandersetzen, um diese in einen intendierten emotionalen Zustand zu versetzen (positiv oder negativ). Anschließend wurden den Probanden verschiedene soziale Situationen präsentiert, in denen es darum ging, andere Individuen um etwas zu bitten (z.B. ein Freund soll gebeten werden, endlich seine Schulden zu begleichen). Verschiedene mehr oder weniger höfliche Verhaltensoptionen standen hierbei jeweils zu Wahl. Vgl. Forgas (1999).
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
37
täten erzeugt. Die Auswertung mehrerer diesbezüglich durchgeführter Studien zeigt bei diesen Probanden eine signifikant höhere Hilfsbereitschaft gegenüber anderen.144 Als dritte Funktion beeinflussen Emotionen die Kognition. Sie determinieren die Wahrnehmung, die Erinnerungsfähigkeit, die Informationsverarbeitung und bilden somit u.a. die Grundlage für motivationale Veränderungen und nachgelagerte Handlungsprozesse von Individuen, limitieren diese in Abhängigkeit des induzierten Erregungslevels aber auch gleichzeitig, wie aus dem obigen Modell von Fineman (2004) hervorgeht.145 Emotionen wirken sich auf kognitive Prozesse ganz erheblich aus: Forgas/Bower (1988) weisen z.B. Zusammenhänge zwischen dem Emotionserleben und Urteilsvermögen bei Individuen nach. Nach dem Konsum eines emotional beängstigenden Films werden Risiken deutlich überschätzt.146 Dieses Ergebnis geht einher mit den Erkenntnissen von Johnson/Tversky (1983), die bei Studenten das empfundene Risiko in Bezug auf bestimmte Todesursachen erhoben haben, nachdem diese durch fiktive Zeitungsartikel über tragische Ereignisse zu beeinflussen versucht wurden. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass „mood induced by brief reports has a large and pervasive impact on estimates of the frequency of risks and other undesirable events.“147 Dabei werden nach Schwarz (2000) Entscheidungsprozesse durch Emotionen nicht etwa behindert, sondern sie stellen vielmehr unterschiedliche Heuristiken bereit. Das kann z.B. heißen, dass man sich im Rahmen positiver Emotionen auf allgemeines Wissen verlässt, während man durch negative Emotionen veranlasst wird, die Entscheidungs- und Problemsituation genauer zu analysieren.148 Folgt man einer anderen Sichtweise, dann schränken sowohl übermäßig positive wie übermäßig negative Emotionen bei Entscheidungsprozessen den Raum einzubeziehender Alternativen gleichermaßen deutlich ein: durch positive Emotionen haben Individuen keine Veranlassung, eine bereits ausgewählte Handlungsalternative erneut zu überdenken. Negatives Emotionserleben hingegen führt dazu, dass Individuen den Alternativenraum bedingt durch ihre negative Stimmung als zu klein definieren. Sie sind nicht mehr in der Lage, die tatsächliche Anzahl an existierenden Handlungsalternativen zu erkennen. Nach Abraham (2006) führen in diesem Zusammenhang Schwankungen im Bezug auf das Emotionserleben dazu, dass Individuen existierende Routinen durchbrechen und andere
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146 147 148
Vgl. Carlson/Charlin/Miller (1988). Da es hierbei konkret um Emotionen als Einflussfaktoren geht, wird dieser Teil später in Abschnitt 2.2 erneut aufgegriffen, indem differenziert dargestellt wird, welche Bedeutung Emotionen als Einflussfaktoren im arbeitswissenschaftlichen Kontext zukommt. Vgl. Forgas/Bower (1988), S. 195 ff. Johnson/Tversky (1983), S. 29. Vgl. Schwarz (2000), S. 434.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Denkmuster und Problemlösestile anwenden, wodurch sich insgesamt die Auswahl alternativer Lösungsoptionen erhöht.149 Während Zimbardo/Gerrig (2004) hinsichtlich der Funktion von Emotionen auf die motivationale, soziale und kognitive Komponente fokussieren, betont Clore (1994) die doppelte Informationsfunktion, die Emotionen haben: durch einen emotionsinduzierten spezifischen Gesichtsausdruck, eine bestimmte Stimmlage oder auch eine Körperhaltung übermittelt im Rahmen sozialer Interaktion ein Individuum dem Interaktionspartner Informationen hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens, welche das Individuum selbst wiederum durch die erlebten Gedanken und Gefühle aufgenommen hat.150 Levenson (1994) greift diese Sichtweise auf und differenziert zwischen intra- und interpersonellen Funktionen. Zu den intrapersonellen Funktionen von Emotionen gehört die oben bereits beschriebene Herstellung eines optimalen, physiologischen Milieus, um Verhaltensweisen zu unterstützen, die von Emotionen hervorgerufen werden.151 Als interpersonale Funktion ist neben der genannten Signalfunktion besonders die Unterstützung im Hinblick auf individuelle Positionierungsprozesse zu sehen, nämlich hin zu Objekten, Subjekten und Handlungen oder weg davon, was mit der von Zimbardo/Gerrig (2004) angesprochenen sozialen Funktion gleichzusetzen ist.152 Die Funktionalität von Emotionen umfasst wie gezeigt eine Vielzahl von Facetten, von denen die wesentlichen darzustellen versucht wurden.153 Zusammenfassend können für den weiteren Verlauf dieser Arbeit in Anlehnung an Schultz/Izard/Abe (2006) folgende, für den Arbeitsund Führungskontext relevante Punkte, festgehalten werden:154 1. Emotionen fokussieren die Aufmerksamkeit von Individuen auf die für sie relevante Aspekte (man freut sich über eine anstehende Beförderung/ man hat Angst vor einem Vortrag, weil dieser vor fachkundigem Publikum stattfindet/ man schämt sich, weil einem ein schwerwiegender und gleichzeitig leicht zu vermeidender Fehler unterlaufen
149 150 151
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154
Vgl. Abraham (2006), S. 259. Vgl. Clore (1994), S. 103. Levenson (1994) weist darauf hin, dass die durch das emotionale Erleben aktivierten Verhaltensweisen dabei in der Verhaltenshierarchie eines Individuums u.U. weit unten angeordnet sind und somit innerhalb des Verhaltensrepertoires normalerweise nicht genutzt werden. In Abhängigkeit von der induzierten Erregung sind diese aber möglicherweise für die Bewältigung einer konkreten Situation notwendig, so dass sie quasi durch das emotionale Erleben getriggert werden. Beispielhaft könnte man auch formulieren, dass durch eine potenzierte Form von Wut der Pazifist zum Kämpfer wird. Vgl. Levenson (1994), S. 123-125. Vgl. Levenson (1994), S. 123-125. Wegge (2004) gibt einen Überblick über die Wirkungen von Emotionen aus dem sich allgemeine Funktionen ableiten lassen. Vgl. Wegge (2004), S. 686. Vgl. Schultz/Izard/Abe (2006), S. 62.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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ist/ man ist wütend, weil der Arbeitsdirektor Stellenstreichung angekündigt hat und fühlt dementsprechend Verachtung). 2. Emotionen liefern Hinweise im Hinblick auf den gegenwärtigen bzw. zukünftigen Zustand eines Individuums in Bezug auf dessen Umwelt (man wurde beleidigt, gelobt, bedroht etc.) und ermöglichen eine Auswahl entsprechender Handlungs- und Verhaltensalternativen. 3. Emotionen bereiten Teile des Organismus auf solche individuellen Reaktionen vor (die Emotion Wut unterstützt die Adrenalinausschüttung für eine fokussierte Aufmerksamkeit/die Emotion Ekel unterstützt Rückzugstendenzen/ die Emotion Trauer unterstützt die Verarbeitung einschneidender Verlusterlebnisse etc.). Gleichzeitig beeinflussen Emotionen sowohl die Intensität als auch die Dauer der entsprechenden Verhaltensweisen. 4. Emotionen erzeugen nonverbale Signale in Form von Gesichtausdrücken, Stimmlagen und Körperhaltungen, die sowohl für das Individuum selbst als auch für Außenstehende bzw. Interaktionspartner eine wichtige Informationsquelle bilden (ein Lächeln im Gesicht visualisiert Freude/hängende Schultern und Gesichtszüge symbolisieren u.U. Angst oder Kummer etc.). 5. Emotionen haben insbesondere im Rahmen sozialer Interaktion eine elementare Funktion für die beteiligten Individuen.155 Bei aller funktionaler Betrachtung ist jedoch zu berücksichtigen, dass „… many emotion occurences appear to have no function within the context in which they arise.“156 Emotionen sind also nicht immer funktional in dem Sinne, dass sie das Individuum auf eine wichtige Situation vorbereiten und präparieren. Beispiele sind bestimmte Formen von irrationaler Angst wie Phobien und Panik oder aber auch Depressionen. Sie sind deshalb dysfunktional, weil sie keine konkrete Funktion haben und keine intrapersonale Reaktion zu einer Emotionsregulation führt. Gerade im arbeitswissenschaftlichen Kontext sind etwa Ängste häufig als hochgradig irrationale Emotionen zu nennen, da ihr Bezugspunkt keine Form von Ängstlichkeit begründen kann. Frijda (1994) schließt aus der offensichtlichen Dysfunktionalität, dass Emotionen nicht in all ihren Manifestationen brauchbar sind.157
155 156 157
Vgl. hierzu auch Parkinson (1996). Frijda (1994), S. 117. Vgl. Frijda (1994).
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Für den weiteren Verlauf dieses Kapitels, besonders für den Abschnitt 2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess, ist daher festzuhalten, dass gerade im Hinblick auf diesen Tatbestand die Existenz von Emotionen im Organisationskontext nicht ignoriert werden kann. In Abschnitt 2.2.3, wo es um ausgewählte Effekte von Emotionen geht, wird deutlich, dass das emotionale Erleben von Individuen einen massiven Einfluss auf unterschiedliche Parameter hat, die wiederum größtenteils Bestandteil von Arbeits- und Führungsprozessen sind. Funktionales wie dysfunktionales Emotionserleben von Mitarbeitern und Führungskräften selbst erfordert daher gleichermaßen eine Systematisierung im Umgang hiermit, um die positiven Effekte funktionaler Emotionen im Hinblick auf den Führungserfolg zu nutzen und zudem die negativen Effekte dysfunktionaler Emotionen zu erkennen und entsprechend zu eliminieren.
2.1.8 Arbeits- und führungsbezogene Synthese Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt werden konnte, bestehen im Hinblick auf einzelne Bereiche der Emotionsforschung, bedingt durch die Komplexität des Emotionsphänomens, stark variierende Ansichten und Auffassungen. Insbesondere folgende Tatbestände sind für den weiteren Verlauf der Arbeit von Bedeutung: 1. Es existiert keine allgemeingültige und abschließende Definition des Emotionsphänomens. 2. Klassifikations- und Dimensionierungsversuche bringen uneinheitliche und z.T. gegenläufige Erkenntnisse zu Tage. 3. Für die praktische Arbeit mit Emotionen im Arbeits- und Führungskontext muss das Emotionsphänomen erheblich vereinfacht werden, da es mit seinen fünf Komponenten zu komplex ist. 4. Die Abgrenzung von Emotionen und emotionsähnlichen Phänomenen (wie z.B. Stimmungen) vollzieht sich anhand recht unspezifischer Kriterien. 5. Die Funktion von Emotionen kann zwar in erster Linie evolutionsbiologisch erklärt werden, muss jedoch heutzutage, gerade auch im Organisationskontext, modifiziert werden. Emotionen stellen nicht mehr in erster Linie das Überleben sicher, sondern bilden vielmehr eine Anpassungsreaktion auf Ereignisse, Subjekte und Objekte, deren Existenz, Verhalten und Ausgestaltung als wichtig für das individuelle Wohlbefinden eingeschätzt werden. Emotionales Erleben steuert diesbezüglich Handlungen, Haltungen, Sichtweisen und Einstellungen.
2.1 Emotionspsychologische Grundlagen
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6. In Bezug auf das Emotionserleben existieren bei Individuen unterschiedliche Wahrnehmungsschwellen und Auslösebarrieren. Gleichzeitig werden identische Emotionen durch völlig unterschiedliche Ereignisse und Stimuli ausgelöst, wobei der Kontext und die Spezifika der Situation wichtige Variablen darstellen. 7. Der Versuch von Induktion, Erfassung und Messung von Emotionen stellt immer einen Eingriff dar, der nicht losgelöst von u.U. erheblichen Tendenzen zur Ergebnisverzerrung gesehen werden kann. 8. Der Ablauf einer Emotion bei einem Individuum kann von einem Außenstehenden hauptsächlich anhand der Ausdrucks- und Kognitionskomponenten registriert werden, wenngleich hier das Problem der verzerrten Wahrnehmung bzw. Fehlinterpretation besteht. Die Komponente Motivation hingegen lässt sich lediglich durch eine retrospektive Verhaltensdeutung erheben. 9. Während in Bezug auf den Führungskontext bei der Wahrnehmung der Ausdruckskomponente eine durch die Emotion determinierte, nachgelagerte Handlung des Individuums durch eine Transformation des Gefühlszustandes noch modifiziert werden kann, besteht diese Möglichkeit bei der Komponente Motivation nicht, da die durch das Emotionserleben induzierte Handlung bereits abgelaufen ist. Dies trifft in Teilen auch auf die Komponente Kognition zu.158 10. Hinsichtlich der Induktion von Emotionen z.B. im Rahmen von Emotionsmanagement durch die Führungskraft bestehen nachweislich effiziente Methoden, die jedoch nur eingeschränkt praktikabel erscheinen. In Anlehnung an Scherer (1990) kann in der Vielzahl der Konzeptionalisierungsversuche der Emotionsphänomene möglicherweise ein Grund dafür gesehen werden, dass die Betrachtung von Emotionen im klassischen Arbeits- und Führungskontext bisher wenig ausgeprägt ist.159 Diese findet sich in der Heterogenität von Definitionen, Ansätzen und Entstehungstheorien wieder und pflanzt sich vermutlich in angewandten Forschungszweigen fort. Für eine praxisrelevante Erforschung emotionsrelevanter Wirkungszusammenhänge wäre es durch die Schwierigkeit bei der Erhebung objektivierbarer Kriterien in Bezug auf Emotionen notwendig, bestehende Annahmen zu vereinfachen bzw. zu verallgemeinern, um auf diese Weise eine arbeitsfähige Grundlage zu generieren. Dies käme jedoch einer Missachtung bestehender,
158 159
Eine bereits abgearbeitete Aufgabe kann meist nicht erneut aufgegriffen werden. Vgl. Scherer (1990), S. 2 ff.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
dargelegter Erkenntnisse gleich und stünde somit im Widerspruch zu etablierten Forschungstraditionen. Ein weiterer Grund für die sehr variierenden Ansichten kann in der Tatsache begründet liegen, dass die Untersuchungsfelder von Emotionen in vielen Zweigen der Psychologie liegen und ihnen somit implizit eine andere Sichtweise zukommt. Sie werden u.a. im Rahmen der Sozialpsychologie, der Arbeits- und Organisationspsychologie, der differentiellen und Persönlichkeitspsychologie, der klinischen Psychologie und der Entwicklungspsychologie bei Betrachtung verschiedenartigster Aspekte untersucht (so z.B. physiologisch, kognitiv, soziologisch usw.).160 Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit bleibt festzuhalten, dass Emotionen besonders im sozialen Kontext eine wichtige Erklärungsvariable bilden. Unabhängig von obigen Problemfeldern werden im weiteren Verlauf sowohl durch Emotionen induzierte Effekte aufgezeigt als auch durch emotionales Erleben beeinflusste Wirkmechanismen im Arbeits- und Führungskontext beschrieben, die zeigen, dass ein Ignorieren dieser Tatbestände gleichzeitig elementare Erklärungsgründe für individuelles Verhalten missachtet, wenn es um die Betrachtung von Verhaltensoptionen innerhalb von Führungsbeziehungen geht.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext Nach den Darstellungen aus den vorangegangenen Abschnitten kann davon ausgegangen werden, dass das Emotionserleben bei Individuen vielseitige Veränderungsprozesse auf den Ebenen der Motorik, der Physiologie und der Kognition herbeiführt, deren Zusammenwirken nicht nur Einfluss auf ihre Motivations- und Handlungsgrundlage hat. Gleichzeitig werden unterschiedliche Verhaltensparameter beeinflusst, so dass emotionale Wirkmechanismen auch im Arbeits- und Führungskontext von Bedeutung sind.161 Insbesondere der Tatbestand, dass Emotionen in erster Linie eine wichtige strukturierende Variable innerhalb sozialer Interaktion sind, stützt diese Vermutung, da Führung in erster Linie ein sozial geprägter Prozess ist. Das Ziel der nachfolgenden Abschnitte besteht daher in der Darstellung von Emotionen, ihrer Wirkmechanismen innerhalb von Arbeits- und Führungsprozessen sowie der durch emotionales Erleben ausgelösten Effekte. Auf diese Weise soll gezeigt werden, welche Bedeutung
160 161
Vgl. Becker-Carus (2004), S. 487. Vgl. Becker-Carus (2004), S. 488.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
43
Emotionen im Organisationskontext allgemein zugesprochen werden kann und welche Rückschlüsse sich hieraus speziell für die Tätigkeit von Führungskräften ableiten lassen. Emotionen als Einflussvariable sind Gegenstand einer Vielzahl von sowohl theoretischen als auch empirischen Untersuchungen und auch im Arbeits- und Führungskontext umfassend erforscht.162 Daher liegt der Schwerpunkt im Folgenden weniger auf der differenzierten Darstellung einzelner Effekte, die in Abschnitt 2.2.3 nur kurz dargestellt werden. Vielmehr soll der Nachweis des gewichtigen Ausmaßes, der Einflussstärke und des umfassenden Geltungsbereichs emotionaler Wirkmechanismen erbracht werden, um entsprechende Konsequenzen für die Führungskräftetätigkeit abzuleiten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine differenzierte Betrachtung sowohl im Hinblick auf den Arbeits- als auch auf den Führungsprozess durchzuführen versucht wird, eine klare Trennung jedoch nicht immer möglich ist, da beide Prozesse sich in Teilen überschneiden. Unter Zuhilfenahme theoretischer Modelle sollen zunächst grundlegende Wirkungstheorien und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge beschrieben werden, die den Einfluss von emotionalem Erleben im Arbeits- und Führungskontext abbilden. Die sich anschließende AffectiveEvents-Theory stellt hierbei die bislang einzige Modellkonstruktion dar, die einerseits das emotionale Erleben als das durch die Spezifikationen des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumwelt determinierte Ergebnis beschreibt und gleichzeitig hierdurch induzierte emotionsbasierte Verhaltens- und Einstellungsoptionen aufzeigt. Empirische Befunde sollen hierbei die dargelegten Kausalzusammenhänge belegen. Im weiteren Verlauf sollen dann neben konkret messbaren positiven und negativen Effekten spezifischer Emotionen im Arbeitsprozess auch theoretische und empirische Erkenntnisse zusammengetragen werden, die das Emotionserleben als Einflussvariable im Führungskontext zum Gegenstand haben und die Herleitung von Konsequenzen für die Tätigkeit von Führungskräften ermöglichen.
2.2.1 Wirkungstheoretische Grundlagen Emotionen können in Anlehnung an Kiefer (2002) im Organisationskontext aus zwei Perspektiven heraus betrachtet werden. Zum einen sind sie im Arbeitsprozess als Reaktion auf konkrete Ereignisse zu sehen (Emotionen als Ergebnisgröße). Dies bedeutet, dass entweder durch ein bestimmtes Ereignis eine spezifische Emotion ausgelöst wird (direkte Reaktion)
162
Vgl. hierzu u.a. Fineman (2000), Payne/Cooper (2001), Lord/Klimoski/Kanfer (2002), Fineman (2004), Härtel/Zerbe/Ashkanasy (2005) u.a.
44
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
zieht nach sich
Ereignis
führt zu
Handlung mögl. Grundlage für
Emotion mögl. Grundlage für
löst aus
Abbildung 2: Emotionen als Ergebnis- und Steuerungsgröße Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Kiefer (2002), S. 50
oder aber ein Ereignis die Grundlage für eine Handlung darstellt, welche dann eine Emotion induziert (indirekte Reaktion). Zum anderen können Emotionen aber auch als strukturierendes Moment betrachtet werden (Emotionen als Steuerungsgröße): in diesem Fall stellt das Emotionserleben die Grundlage für eine spezifische Handlung dar, die dann u.U. ein bestimmtes Ereignis nach sich zieht.163 Dieser Zusammenhang kann veranschaulicht werden, wobei sich Emotionen als Ergebnisgröße von links nach rechts und Emotionen als Steuerungsgröße von rechts nach links ergeben (s. Abb. 2).164 In der beruflichen Praxis kann man also davon ausgehen, dass Emotionen in ihrer Rolle als Ergebnis- und Steuerungsgröße quasi das Bindeglied zwischen der Arbeitsumwelt und dem Verhalten der Individuen darstellen: Emotionen werden u.a. durch Einflüsse des Arbeitsumfeldes induziert und führen dazu, dass das Individuum, in Abhängigkeit noch zu beschreibender Parameter, eine bestimmte Verhaltensoption wählt. Die Elemente dieser Reiz-Reaktions-Kette sind jedoch voneinander entkoppelt: in Abhängigkeit von der Reizintensität, der Fähigkeit des Individuums zur Verhaltensfokussierung bzw. Emotionsregulation sowie dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster kann dieses auf einen aufgenommenen Reiz durch unterschiedliche Verhaltensvarianten sehr flexibel reagieren. Diese Variabilität wird ermöglicht durch die sequentielle Akkumulation von Informationen, die den Raum möglicher Handlungsalternativen u.U. erweitert und sich abbilden lässt durch einen mehr oder weniger breiten Verhaltenskorridor. Hierdurch ergibt sich zwar in Bezug auf die Vorhersagbarkeit einer Verhaltensreaktionen auf einen spezifischen emotionalen Stimulus eine zusätzliche Schwierigkeit, verdeutlicht aber gleichzeitig die Verhaltensvariabilität, die unabhängig vom gesetzten
163 164
Vgl. Kiefer (2002), S. 50. Eine ähnliche Darstellung findet sich auch bei Küpers/Weibler (2005), die einen rekursiven Wirkungszusammenhang zwischen Emotionen und Organisationen beschreiben. Vgl. Küpers/Weibler (2005), S. 77.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
hoch
Intensität
niedrig
Verhaltensvariabilität
Stimulus
schnell
45
Zeit
langsam
Abbildung 3: Verhaltensvariabilität in Bezug auf emotionale Reize Quelle: Lord/Kanfer (2002), S. 9.
Reiz möglich ist.165 Lord/Kanfer (2002) stellen diese Verhaltensvariabilität graphisch dar (s. Abb. 3). Nach der Auffassung von Larsen (2000) erscheint es bei der Betrachtung emotionaler Wirkmechanismen jedoch wenig exakt, wenn man direkt von emotionalen Stimuli auf bestimmte Verhaltensvarianten schließt. Welche Verhaltensoption vom Individuum letztlich gezeigt wird, hängt nämlich zunächst einmal davon ab, wie der Stimulus überhaupt intrapersonal verarbeitet wird. Die von Lord/Kanfer (2002) dargelegte Kausalkette: Stimulus Æ Verhaltensreaktion muss also weiter spezifiziert werden. Die emotionale Reaktion, die die Verhaltenswahl determiniert hängt u.a. davon ab, wie sensibel ein Individuum überhaupt auf einen Reiz reagiert und welche Fähigkeiten es besitzt, diesen im Hinblick auf eine emotionale Reaktion zu regulieren. Die Studie von Calvo/Miguel-Tobal (1998) aus Abschnitt 2.1.2 hat gezeigt, dass in einer Prüfungssituation z.B. die emotionalen Reaktionen und damit auch die gewählten Verhaltensvarianten der Individuen sehr unterschiedlich waren. Die Kausalkette muss somit entsprechend modifiziert werden: Stimulus Æ Aufnahme Æ Verarbeitung Æ emotionale Reaktion Æ Verhaltensreaktion Wie die Verhaltensreaktion am Ende ausfällt hängt neben der grundlegenden Sensitivität des Individuums für emotionale Reize also auch von der Fähigkeit zur Regulation von Emotionen ab. Ein entsprechendes Modell, welches auch als S(timulus)-O(rganismus)-R(eaktion)-Modell bezeichnet wird, kann in Anlehnung an Larsen (2000) und Larsen/Diener/Lucas (2002) vereinfacht dargestellt werden (s. Abb. 4).
165
Vgl. Scherer (1994).
46
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess Verarbeitung/ Regulation
Stimulusaufnahme
Stimulus
Organismus beeinflusst
Reaktion (emotional)
beeinflusst
Sensitivität
Fähigkeit zur Regulation
(abbildbar durch Determinanten der Persönlichkeit)
(abhängig von Persönlichkeitsprozessen, Spezifika der Situation usw.)
Abbildung 4: S-O-R-Modell (Stimulus/Organismus/Reaktion) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Larsen (2000), S. 139 und Larsen/Diener/Lucas (2002), S. 74.
Führt man das Modell der Verhaltenvariabilität und das S-O-R-Modell zusammen, dann hängt ein vom Individuum gezeigtes Verhalten also neben der Stimulusstärke und der Zeitvariablen entscheidend davon ab, wie der Stimulus überhaupt aufgenommen und verarbeitet wird. Es kommen jedoch noch weitere Einflussfaktoren hinzu, die das letztlich gezeigte Verhalten eines Individuums beeinflussen: hierzu gehören etwa die Spezifika des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumwelt, die beschreiben, welcher Tätigkeit ein Individuum nachgeht, wie das Arbeitsumfeld ausgestaltet ist und welche kognitiven und emotionalen Belastungen hiermit verbunden sind. Diese wiederum werden zu einem großen Teil durch soziale Faktoren wie das Verhalten von Vorgesetzten, Kunden und Kollegen determiniert, welche die Art der auf das Individuum eingehenden emotionalen Reize beeinflussen (vgl. hierzu auch die AffectiveEvents-Theory im nachfolgenden Abschnitt). Die Tendenz zu einer emotionalen Reaktion hängt hierbei von Faktoren ab, die einerseits innerhalb der Person liegen (wie z.B. die Fähigkeit zur Emotionsverarbeitung), aber auch solchen, die außerhalb von ihr liegen (z.B. Stärke des Stimulus). Sowohl die intra- als auch die extrapersonalen Faktoren haben Auswirkungen auf die vom Individuum erlebte Emotionsreaktion, welche wiederum durch emotionsunabhängige Parameter (wie z.B. der Möglichkeit zur Informationsakkumulation) die hieraufhin gewählte Verhaltensvariante beschreibt. Diese Zusammenhänge sollen an einem vereinfachten Beispiel verdeutlicht werden: Eine Flugbegleiterin etwa ist aufgrund ihres sehr engen Arbeitsplatzumfeldes und ihrer ständigen Nähe zu Kunden starken kognitiven wie emotionalen Belastungssituationen ausgesetzt, da sie für einen reibungslosen Flug unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse zu sorgen hat. Die emotionalen Stimuli sind also erheblich, da ständig kleinere Probleme zu lösen sind. Tritt ein solcher Stimulus auf (z.B. Fluggast beschwert sich lautstark über den mangelnden Service), dann können Tendenzen in der emotionalen Reaktion
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
47
Spezifika von Arbeitsplatz- und Arbeitsumwelt
Emotionale Stimuli
Tendenzen zur Emotionsreaktion
Emotionale Reaktion
Soziale Faktoren
Intrapersonale Einflussfaktoren
Extrapersonale Einflussfaktoren
z.B. Verhalten der Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden
Spezifika der Persönlichkeit Geschlecht Kompetenzprofil
Stärke der Stimuli Zeitfenster Darstellungsregeln
Wahl einer Verhaltensoption
Emotionsunabhängige Parameter z.B. Akkumulation von Informationen
Abbildung 5: Emotionaler Wirkmechanismus Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pugh (2002), S. 149.
(z.B. Wut) durch die Fähigkeit zur Regulation entsprechend abgemildert werden bzw. müssen dies aufgrund bestimmter Darstellungsregeln von Seiten der Fluggesellschaft sogar (Motto: „Der Kunde ist König“). Die emotionale Reaktion äußert sich somit u.U. in dem Kunden gegenüber bestimmter Gelassenheit. Unter Akkumulierung zusätzlicher Informationen (War die Beschwerde eventuell gerechtfertigt?) kann dann eine entsprechende Verhaltensoption gewählt werden. In theoretischer Modellform ergeben sich dem Beispiel entsprechend Zusammenhänge, wie sie in Abbildung 5 dargestellt sind.
2.2.2 Die Affective-Events-Theory 2.2.2.1 Theorie Überträgt man den von Kiefer (2002) postulierten Zusammenhang, dass Emotionen im Organisationskontext sowohl als Ergebnis- als auch als Steuerungsgröße aufzufassen sind, also einerseits das Ergebnis bestimmter Handlungen oder Ereignisse sind (Ergebnisgröße) und andererseits entsprechendes Verhalten (Steuerungsgröße) beeinflussen, dann kann man Folgendes schlussfolgern: Unterschiedliche Ereignisse am Arbeitsplatz rufen bei Individuen unterschiedliche Emotionen hervor. In Abhängigkeit von der Fähigkeit zur individuellen Emotionsregulation determinieren diese ein entsprechendes Verhalten ähnlich wie es unter Be-
48
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Work Environment
Judgment Driven Behavior
• Nature of the job • Requirements for emotional labor
• Quitting
• Anti- or pro-social behavior • Productive work
Work Events • Daily hassles • Daily uplifts
Experienced Emotions
Work attitudes
• Positice Emotions
• Job satisfaction • Loyality • Commitment
• Negative Emotions
Personal Dispositions • Trait effect
• Emotional intelligence
Affect driven Behaviors • Impulsive acts
• Spontaneous helping • Transient effort
Abbildung 6: Affective-Events-Theory: Macro Structure Quelle: Ashkanasy/Daus (2002), S. 77
rücksichtigung unterschiedlicher Parameter bereits in den Abbildungen 3-5 dargestellt wurde.166 Weiss/Cropanzano (1996) haben mit der nachstehenden Affective-Events-Theory ein eigenständiges Modell zu entwickeln versucht, welches die Struktur von solchen Kausalbeziehungen in Bezug auf das Erleben von Emotionen am Arbeitsplatz sowie den daraus konkret ableitbaren Effekten in Form unterschiedlicher Verhaltensoptionen systematisch darstellt (s. Abb. 6). Das Modell beschreibt auf einem stark abstrahierten Niveau theoretisch denkbare und logisch erscheinende Zusammenhänge. Im Hinblick auf eine empirische Überprüfung muss aber bereits an dieser Stelle angemerkt werden, dass es aufgrund der Komplexität des Modells und der Vielzahl der Variablen zu methodischen Problemen kommt, da, wenn überhaupt, nur einzelne Modellsequenzen erfasst und evaluiert werden können (vgl. hierzu auch 2.2.2.2 Empirie).167 Grundlage und Ausgangspunkt des Modells bildet die Arbeitsumwelt und die Spezifikationen des Arbeitsplatzes eines Individuums (work environment). Aus dem Arbeitsplatzprofil heraus etwa lässt sich ableiten, inwieweit ein Individuum körperlichen oder geistigen Tätigkeiten nachgehen muss, hierbei eigenverantwortlich oder fremd gesteuert ist (z.B. bei Fließbandarbeit), wechselnde oder gleich bleibende Aufgabenfelder hat, in starkem Kontakt zu Men166 167
Vgl. Kiefer (2002), S. 50. Vgl. Weiss/Cropanzano (1996), S. 10-13.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
49
schen steht oder eher autonom arbeitet etc. Neben der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes (Großraumbüro, Montagehalle etc.) fällt nach Ansicht der Autoren unter diesen Punkt auch, inwieweit der Mitarbeiter gefordert ist, im Rahmen seiner Tätigkeit konkret Emotionen zu regulieren (requirements for emotional labor). Hiermit ist gemeint, inwieweit er z.B. positive Emotionen bei sich und anderen induzieren muss (z.B. Verkäufer, Flugbegleiter) oder aber negative bei sich und anderen regulieren muss (z.B. Call-Center Mitarbeiter, Krankenpfleger, Polizist) und aufgrund dieser konkreten Jobspezifikation per se häufig mit emotionalem Erleben konfrontiert ist. Durch die Jobspezifikationen und die Arbeitsumwelt (work environment) wird nun quasi festgelegt, welche positiven und negativen Ereignisse am Arbeitsplatz (work events) täglich stattfinden, welche wiederum die Grundlage für emotionales Erleben bilden. Hiermit sind weniger konkrete Einzelereignisse gemeint, sondern vielmehr übergeordnete Gruppen. Z.B. ist ein Pfleger im Krankenhaus täglich starken psychischen Belastungen ausgesetzt, was, bezogen auf das Arbeitsplatzprofil, auf einen Sachbearbeiter in einer Bank vermutlich weniger zutrifft, dessen Arbeit vielleicht eher durch soziale Abgeschiedenheit und wenig inspirierende Aufgaben gekennzeichnet werden kann. Auch kann man bei einem Fließbandarbeiter wahrscheinlich eher von monotoner und wenig abwechslungsreicher Arbeit sprechen als bei einem Texter oder Grafiker. Es geht bei den work events also darum, inwieweit durch die Spezifikation und Umwelt des Arbeitsplatzes Tätigkeiten nachgegangen werden muss oder kann, die eine Quelle für die Induktion unterschiedlicher Emotionen darstellen (Freude, Langeweile, Stolz, Überforderung, Interesse usw.). Diese, zum größten Teil auf die Spezifikation des Arbeitsplatzes rückführbaren, erlebten Emotionen (experienced emotions) haben hierbei sowohl Auswirkungen auf kurzfristige Verhaltensweisen (affect driven behavior), als auch auf unterschiedliche Parameter der Einstellung zur Arbeit (work attitude). Das Emotionserleben führt also einerseits zu impulsiven Handlungen am Arbeitsplatz, die je nach Art, Ausgestaltung und Intensität der erlebten Emotion ablaufen. Denkbar sind hierbei neben positiv geprägten Handlungen wie Hilfsbereitschaft, Interesse und Empathie auch negativ geprägte wie die Zurückhaltung von Arbeitsleistung, Sabotage o.ä. Andererseits hat das Emotionserleben konkrete Auswirkungen auf die Einstellung des Individuums zu seiner Arbeit (work attitude), welche kennzeichenbar ist durch Arbeitszufriedenheit, Identifikation mit dem Arbeitsplatz und Arbeitgeber u.ä. Die Art und Weise des Erlebens von Emotionen wird hierbei ganz erheblich durch spezifische Persönlichkeitseigenschaften des Individuums (personal traits) sowie dessen Fähigkeit deter-
50
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
miniert, mit Emotionen kompetent umgehen zu können (siehe auch Abbildung 5). Beide Parameter beeinflussen, in welcher Form Emotionen wahrgenommen, kategorisiert und reguliert werden und bestimmen somit letztlich mit, inwiefern sich emotionales Erleben auf entsprechende Verhaltensweisen (affect driven behavior) und Einstellungen (work attitude) auswirkt. Anders als beim emotionsbasierten, kurzfristigen Verhalten (affect driven behavior), wird durch die Einstellung zur Arbeit (work attitude) zunächst kein konkretes Verhalten sichtbar. Auf lange Sicht jedoch können auch emotionsbasierte Einstellungen dadurch bedingt, dass sie ein Individuum in sehr massiver Weise prägen, zu einer entsprechenden (überzeugungsbasierten) Verhaltensinduktion beitragen. Dieser Vorgang kann verglichen werden mit der Entstehung von Stimmungen: Aus sich mittel- und langfristig u.U. permanent wiederholenden Situationen bzw. emotionalem Erleben heraus ergibt sich, ohne dass sich dieser Prozess rückblickend noch rekonstruieren lässt, überzeugungsbasiertes Verhalten. Eine langfristige Auswirkung auf eine andauernde und emotionsbasierte Einstellung ist z.B. die Kündigung des Arbeitsplatzes, die dauerhafte Zurückhaltung von Arbeitsleistung zur Minimierung des Arbeitsleids, Dienst nach Vorschrift, die pro- oder antisozial geprägte Wahl von Handlungsalternativen (judgement driven behavior) usw.168 Es muss jedoch angemerkt werden, dass sowohl die Arbeitseinstellung (work attitude) als auch das überzeugungsbasierte Verhalten (judgement driven behavior) durch die Spezifikationen des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumwelt mitbestimmt werden. Denkbar ist hier z.B. das Kollegen- oder Vorgesetztenverhalten oder die unmotivierende Ausgestaltung und Perspektive des Arbeitsplatzes an sich, welche ebenso zu bestimmten Einstellungen und entsprechenden Verhaltensweisen führen können.
2.2.2.2 Empirie Die Validität der Affective-Events-Theory kann mittlerweile durch eine Vielzahl von Studien gestützt werden, die neben der Struktur des obigen Modells auch die Ausgestaltung einzelner Parameter zum Gegenstand haben. Da das Modell jedoch zu komplex ist, um es vollständig empirisch zu erfassen, beziehen die Untersuchungen jeweils nur einzelne Modellelemente mit ein. Im Folgenden wird anhand von fünf voneinander unabhängigen Studien versucht, die gesamte kausale Struktur des Modells empirisch zu belegen und mögliche qualitative Zusam168
Nach Wegge (2004) basieren die affektiven Verhaltensweisen (affect driven behavior) hierbei rein auf Prozessen der Emotionsbewältigung, während die kognitiv basierten Verhaltensweisen (judgement driven behavior) das Ergebnis von Entscheidungen sind, bei denen z.B. Arbeitszufriedenheitsurteile berücksichtigt wurden. Vgl. Wegge (2004), S. 699.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
51
menhänge aufzuzeigen. Die Studien untersuchen schwerpunktmäßig, bezogen auf die Begriffsverwendung des Modells von Weiss/Cropanzano (1996), den Zusammenhang der so genannten work events und experienced emotions (Basch/Fischer 2000), den Zusammenhang von experienced emotions und work attitude (Quarstein/McAffee/Glassman 1991, Kiefer 2002), die nachweisbare Existenz von experienced emotions und deren Entstehungsgründe und Konsequenzen in Bezug auf die work attitude (TowersPerrin 2004) sowie die work attitude und das daraus resultierende judgement driven behavior (Gallup 2004). Der Schwerpunkt der Studie von Basch/Fischer (2000) liegt auf der Frage, welche Ereignisse am Arbeitsplatz (work events) zu einer Induktion von Emotionen bei den Mitarbeitern führen, wobei es den Autoren konkret um die Frage nach der Erzeugung spezifischer Emotionen wie Angst, Stolz, Freude etc. geht.169 Dies ist für eine Führungskraft insofern von Bedeutung, als das sie ihr Führungsverhalten sehr konkret an diesem Wissen ausrichten kann. Nach einer Befragung von Hotelangestellten zehn internationaler Hotels in Australien und Asien erhalten die Autoren als Ergebnis 736 Ereignisse von denen 332 zu positiven und 404 zu negativen Emotionen führen.170 Die von ihnen als Ergebnis postulierte events-emotions-matrix enthält folgende Implikationen für die Führung von Mitarbeitern: 1. Positive Emotionen werden zu 20% durch die Aufmerksamkeit von Führungskräften gegenüber ihren Geführten erzeugt. 2. Die Gründe für die Erzeugung negativer Emotionen liegen zu 59% im zwischenmenschlichen Bereich. Der Hauptgrund für das Erzeugen negativer Emotionen ist mit 37% (22%) das Verhalten von Kollegen (Führungskräften). Damit ist die soziale Interaktion weitaus häufiger ein Grund für Missstimmung als z.B. Probleme mit Gästen oder Arbeitsdruck. Diese Ereignisse stellen mit 7% bzw. 1% deutlich seltener einen Grund für die Induktion negativer Emotionen dar. Hieraus lässt sich ableiten: „The dominance of negative emotions generated by Acts of Colleagues and Acts of Management indicate that employees and managers alike may not under-
169
170
Die Autoren bilden für die Auswertung 14 Kategorien für positive Ereignisse und 13 Kategorien für negative (z.B. acts of management, receiving recognition usw.). Vgl. Basch/Fischer (2000), S. 44-45. Vgl. Basch/Fischer (2000), S. 36-39. Die Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen wurden gebeten Ereignisse und Erlebnisse am Arbeitsplatz zu beschreiben und die dabei erlebten Emotionen in ein vorgegebenes Schema von insgesamt 20 Emotionen einzuordnen. Das Schema besteht aus acht positiven Emotionen (pleasure, happiness, pride, enthusiasm, relief, optimism, affection, power) und 12 negativen (frustration, worry, disappointment, annoyance, anger, unhappiness, embarassment, sadness, disgust, hurt, fear, bitterness). Vgl. Basch/Fischer (2000), S. 44-45.
52
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
stand how their actions affect those around them.”171 Als Fazit fassen die Autoren daher auch zusammen, dass gerade die Anerkennung und Einbeziehung der Mitarbeiter von Seiten der Führungskräfte zur Induktion positiver Emotionen beitragen kann. Vor dem Hintergrund des postulierten Zusammenhangs zwischen Emotionserleben (experienced emotions) und Arbeitshaltung sowie einstellungsbasiertem Verhalten z.B. in Form von shirking (judgement driven behavior) ist diese Erkenntnis elementar für die Führungskräftearbeit, wenngleich branchenspezifische Einschränkungen vorgenommen werden müssen.172 Die Erkenntnis aus der Studie von Basch/Fischer (2000) gewinnt insbesondere im Rahmen von Kapitel 3 noch an Bedeutung. Hier wird gezeigt, dass durch Veränderungsprozesse in der Unternehmensumwelt induzierte Verschiebungen in den Arbeitsschwerpunkten von Führungskräften dazu führen, dass diese in erster Linie mit der Lösung komplexer und vor allen Dingen sozial geprägter Probleme konfrontiert sein werden. Dies bedeutet, dass die soziale Interaktion als potentielle Quelle von negativem Emotionserleben für Führungskräfte in zunehmendem Maße ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit werden wird. Bereits zu Beginn der 90er haben Quarstein/McAffee/Glassmann (1992) den Zusammenhang zwischen situativen Charakteristika (Bezahlung, Arbeitsumfeld etc.), situativen Ereignissen (Verhalten der Vorgesetzten, Kollegen etc.) und der daraus resultierenden Arbeitszufriedenheit untersucht. Sie weisen nach, dass beide positiv mit der Variable Arbeitszufriedenheit korrelieren, der Einfluss von situativen Charakteristika aber einen stärkeren Einfluss hat.173 Diese Untersuchung zeigt, dass u.a. das Verhalten der Führungskraft einen konkret messbaren Einfluss auf die emotionsbasierte Einstellung der Mitarbeiter (work attitude) in Form von Arbeitszufriedenheit hat. Von einer Studie mit ähnlichem Schwerpunkt berichtet Kiefer (2002). Im Rahmen dieser wurde das Engagement für die Arbeit und das Unternehmen sowie die Einstellung zum Unternehmen als Resultat des emotionalen Erlebens am Arbeitsplatz bei 397 Angestellten der chemischen Industrie untersucht.174 Das emotionale Erleben wurde hierbei kategorisiert durch die Unterscheidung von Ereignissen in Verbindung mit der Arbeitstätigkeit, der persönlichen Situation, dem Team und der Führung sowie dem Unternehmen. Die Autoren der Studie kom171 172 173
174
Basch/Fischer (2000), S. 47. Vgl. Basch/Fischer (2000), S. 44-47. Der Wert für den Zusammenhang von situativen Charakteristika und Arbeitszufriedenheit beträgt r = 0,39; der entsprechende Wert für situative Ereignisse r = 0,54. Die Einbeziehung beider Variablen im Rahmen eines Regressionsmodells ergibt einen Wert von R = 0,68. Vgl. Quarstein/McAffee/Glassmann (1992), S. 866 ff. Ziel war hierbei besonders die Beantwortung folgender Fragen: Welche Emotionen prägen meinen Arbeitsalltag? Worum geht es bei den Gefühlen und was steckt dahinter? Welche Folgen hat das für mein Verhalten? Vgl. Kiefer (2002), S. 53.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
53
men nach der Auswertung zu dem Schluss, dass negative Emotionen wie Frust, Enttäuschung, Wut, Misstrauen und Angst hauptsächlich das Ergebnis von mangelhaftem Management von Veränderungsprozessen seitens der Organisation sowie desolatem Verhalten des Topmanagements sind.175 Positive Emotionen hingegen finden sich im Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit (Freude), neuen beruflichen Herausforderungen (Stolz) und Kollegen (Dankbarkeit, Zuneigung).176 Die Bindungsintensität zum Unternehmen ist also u.a. abhängig vom Verhalten des Topmanagements und der von ihm angewandten Unternehmenspolitik, abbildbar durch die Konfiguration des Arbeitsplatzprofils und die Gestaltung von Veränderungsprozessen. Die Beratungsgesellschaft TowersPerrin (2004) hat die erlebten Emotionen (experienced emotions) von Mitarbeitern untersucht und bei ihrer Untersuchung den Fokus auf das Verhältnis von positiv zu negativ erlebten Emotionen in der Unternehmenspraxis gelegt.177 Die Studie zeigt, dass über 50% der von den befragten Arbeitnehmern am Arbeitsplatz erlebten Emotionen negativ sind. 30% dieser sind sogar besonders negativ und nur 23% der erlebten Emotionen lassen sich der Kategorie positiv zuzuordnen. Ein wesentlicher Entstehungsgrund hierbei ist, ähnlich wie bei der Studie von Basch/Fischer (2000), im Verhalten der Vorgesetzten zu sehen. Insgesamt rund 10% der Entstehungsmomente sind diesem Feld zuzuordnen, wobei der Anteil negativer Emotionen deutlich höher ausfällt als der positiver (Verhältnis 9:1) und damit erneut die Bedeutung des Vorgesetztenverhaltens unterstreicht.178 Wie sich dieses Emotionserleben in Bezug auf die Affective-Events-Theory auf das affektiv basierte und überzeugungsbasierte Verhalten auswirkt zeigen TowersPerrin (2004), indem sie eine Kategorisierung der befragten Mitarbeiter vornehmen. Hierbei unterscheiden sie folgendermaßen zwischen den Mitarbeitern, wobei der Klammerwert den jeweiligen Anteil angibt: 1. Die Engagierten (The committed) erleben bei der Arbeit häufig starke positive aber keine starken negativen Emotionen (31%). 2. Die Missmutigen (The disconted) erleben bei der Arbeit starke negative aber keine starken positiven Emotionen (26%).
175
176 177
178
Hierunter fällt z.B. Ärger und Abneigung gegenüber der Firmenstrategie sowie Misstrauen gegenüber dem Topmanagement wegen Egoismus, mangelnder Wertschätzung usw. Vgl. Kiefer (2002), S. 54. Das soziale Umfeld wird als sicherer Ort bei Aufkommen von Turbulenzen angesehen. In die Befragung wurden insgesamt 1.100 zufällig ausgewählte Mitarbeiter von mittleren und großen Unternehmen aus ganz Nordamerika mit einbezogen. Diese wurden gebeten, die von ihnen erlebten Emotionen in Bezug auf aktuelle Arbeitsereignisse zu beschreiben. Vgl. TowersPerrin (2004), S. 1. Vgl. TowersPerrin (2004), S. 2-3.
54
2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess 3. Die Unabhängigen (The nonpartisans) erleben milde oder aber gemischte Emotionen (43%).
Betrachtet man nun das überzeugungsbasierte Verhalten abgebildet durch die Absicht des Mitarbeiters beim Unternehmen zu bleiben oder aber zu einem anderen zu wechseln genauer, dann zeigt sich insbesondere bei den Engagierten im Verhältnis zu den Missmutigen ein signifikanter Unterschied. Während bei den Missmutigen 28% planen, das Unternehmen zu verlassen, sind es bei den Engagierten nur 6%. Umgekehrt wollen 61% der Engagierten bei ihrem Unternehmen bleiben, bei den Missmutigen sind es nur 25%. Das maßgeblich durch das Verhalten der Vorgesetzten begründbare negative Emotionserleben kann also als ein Erklärungsgrund für die geringere Bindungsintensität angesehen werden.179 Das durch das überzeugungsbasierte Verhalten dargestellte und durch Formen der Bindungsintensität von Mitarbeitern abbildbare Ende der Kausalkette der Affective-Events-Theory ist auch Gegenstand mehrerer Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts Gallup, welches in regelmäßigen Abständen die emotionale Bindung von Arbeitnehmern zu ihren Unternehmen misst.180 Hierbei werden zufällig ausgewählte Probanden mit Hilfe eines so genannten Q12-Index befragt. Dieser umfasst unterschiedliche Aussagen (z.B.: „Ich weiß, was bei der Arbeit von mir erwartet wird.“), die von den Probanden bewertet werden müssen und die Grundlage für die Einschätzung der Bindungsintensität darstellen.181 Bei der Auswertung wird zwischen drei Gruppen von Mitarbeitern unterschieden: Mitarbeiter mit hoher, niedriger oder keiner emotionaler Bindung.182 Ein Mitarbeiter mit geringer emotionaler Bindung ist etwa dadurch kennzeichenbar, dass er nach eigener Aussage nur Dienst nach Vorschrift macht und insgesamt ein eher ambivalentes Verhältnis zu seinem Arbeitsplatz hat, während Mitarbeiter mit hoher emotionaler Bindung zu Spitzenleistungen gewillt sind. Ziel der Erhebungen von Gallup ist quasi die Visualisierung der durch obige Theorie dargestellten Zusammenhänge, indem sie insbesondere auf die so genannten work attitudes und das judgement driven behavior fokussieren. Die von ihnen im Rahmen des Jahres 2004 in Deutschland erhobenen Daten bringen zum Vorschein, dass der Anteil der Mitarbeiter, die keine oder nur eine geringe emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen empfinden bei 87% liegt. Bei 69% der Befragten konnte eine geringe, bei 18% sogar gar keine und bei nur 13% eine hohe emotionale Bindung 179 180
181 182
Vgl. TowersPerrin (2004), S. 7. In der für diese Arbeit verwendeten Studie aus dem Jahr 2004 wurden mittels computergestützter Zufallsauswahl 1.822 Probanden befragt. Vgl. Gallup (2004), S. 4. Vgl. hierzu Coffman/Gonzalez-Molina (2003), S. 80 ff. Näheres zur Vorgehensweise bei der Klassifikation findet sich bei Coffman/Gonzalez-Molina (2003), S. 120ff.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
55
festgestellt werden.183 Dies bedeutet in Bezug auf die Arbeitsleistung, dass der überwiegende Teil der Befragten nur sehr bedingt bereit ist, sich für ihr Unternehmen einzusetzen oder bereits innerlich gekündigt hat. Auch sind die Befragten mit keiner oder niedriger emotionaler Bindung u.a. dadurch kennzeichenbar, dass sie:184 1. höhere Absentismusquoten aufweisen, 2. eine höhere Bereitschaft haben, das Unternehmen zu verlassen, 3. ein niedrigeres Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Firma haben und 4. insgesamt eine niedrigere Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber aufweisen. Welche Bedeutung die in diesem Abschnitt dargestellten Zusammenhänge für Führungskräfte haben kann, soll an folgendem, in Kapitel 3 noch genauer dargestelltem, Tatbestand verdeutlicht werden: aufgrund demographischer Entwicklungen wird sich das Arbeitsangebot in den nächsten Jahren zunehmend verknappen. Unternehmen sind daher verstärkt gezwungen, Humanressourcen längerfristig zu binden, da eine Rekrutierung im Sinne einer Abschöpfung von auf dem Markt übermäßig vorhandenen Ressourcen nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Das Ausmaß der Bindungsintensität hängt aber in entscheidendem Maße von dem Verhalten der Führungskräfte und dem dadurch determinierten Emotionserleben der zu bindenden Mitarbeiter ab. Neben der Validität der Kausalstruktur der obigen Affective-Events-Theory konnte durch die empirischen Studien dieses Abschnitts gezeigt werden, dass das negative Emotionserleben von Mitarbeitern maßgeblich durch das Verhalten der Vorgesetzten begründet werden kann, so dass diesem im Rahmen des Führungsprozesses eine besondere Bedeutung zugesprochen werden muss.
2.2.3 Emotionen als Einflussvariable im Arbeitsprozess: Ausgewählte Effekte In den vorangegangenen Abschnitten wurden unterschiedliche emotionale Wirkmechanismen dargestellt, die neben den Entstehungsgründen emotionaler Prozesse u.a. auch die daraus möglicherweise resultierenden Verhaltensalternativen von Individuen aufgezeigt haben. Die im Rahmen der Affective-Events-Theory dargestellten Elemente work attitude und judgement driven behavior sind als solche zu bezeichnen und umfassen neben den bereits genannten
183 184
Vgl. Gallup (2004), S. 4-5. Vgl. Gallup (2004), S. 9-11.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Arbeitszufriedenheitsurteilen noch weitere, wie z.B. das Stresserleben am Arbeitsplatz (durch permanente emotionale Überforderung), pro- oder antisoziales Mitarbeiterverhalten, Absentismus, aber auch gruppendynamische Phänomene. Ein gruppendynamisches Phänomen ist z.B. die emotionale Synchronisation von Individuen innerhalb von Leistungsgemeinschaften.185 Es ist beobachtbar bei individuellem Emotionserleben im Rahmen sozialer Interaktion und bezeichnet „the tendency to automatically mimic and synchronize movements, expressions, postures, and vocalizations with those of another person and, consequently, to converge emotionally.“186 Neben den eher längerfristigen Effekten, die wie Arbeitszufriedenheit, Absentismus usw. mehr zum Ende des eigentlichen Arbeitsprozesses hin als Ergebnis entstehen, gibt es aber auch solche, die den Arbeitsprozess kurzfristig beeinflussen. Sie können in Anlehnung an die Affective-Events-Theory direkt aus dem Emotionserleben abgeleitet werden und haben Auswirkungen auf die Arbeitsleistung. In Übereinstimmung mit dem Modell von Scherer (1990) sind in diesem Zusammenhang die messbaren Auswirkungen auf das Denkvermögen, die Wahrnehmung und kognitive Leistungsfähigkeit, die Kreativität usw. zu nennen. Beide Effektgruppen sind sehr eng miteinander verzahnt, wobei eine klare Trennung nicht immer möglich ist: So beeinflussen die Kreativität und die kognitive Leistungsfähigkeit z.B. die Arbeitszufriedenheit und umgekehrt. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts werden insbesondere einige der kurzfristigen Effekte beschrieben, die im Kontext der Organisation in Zusammenhang mit dem emotionalen Erleben zu bringen sind.187 Neben positiven Effekten, die meist mit dem Erleben positiver Emotionen in Verbindung stehen, werden ebenso negati-
185
186 187
Die emotionale Synchronisation wird auch als emotional contagion bezeichnet. Vgl. hierzu u.a. Hatfield/ Cacioppo/Rapson (1994). Totterdell et al. (1998) weisen nach, dass es innerhalb von Leistungsgemeinschaften zu einer Art Synchronisation der Stimmungen kommen kann. In einer Studie mit verschiedenen Teams von Krankenschwestern zeigte sich, dass die Stimmungen der jeweiligen Gruppenmitglieder signifikant positiv mit der Stimmung vom Rest des jeweiligen Teams korrelierten. Dieses Ergebnis ist insofern für eine Führungskraft von Bedeutung, da Teamstimmung, Individualstimmung und Individualperformance in einem direkten Zusammenhang stehen. Zu diesem Ergebnis kommt Totterdell (1999) nach einer Untersuchung an professionellen Kricketspielern. Die Resultate zeigen, dass sowohl zwischen den objektiven als auch den subjektiven Leistungen der Spieler und Variablen wie Freude, Enthusiasmus etc. ein signifikanter Zusammenhang besteht. Hatfield/Cacioppo/Rapson (1992), S. 153-154. Übersichtsdarstellungen von Emotionserleben auf leistungsrelevante Parameter und andere im Arbeitskontext wichtige Einflussgrößen finden sich u.a. bei Brief/Weiss (2002), S. 292 ff., Wegge (2004), S. 693 ff. und Barsade/Gibson (2007), S.42 ff. In Bezug auf obige Effekte vgl. u.a. auch Zapf et al. (1999) für den Zusammenhang zwischen Emotionen und Stress, Temme/Tränkle (1996), Fisher (2000) und Weiss (2002) für den Zusammenhang zwischen Emotionen und Arbeitszufriedenheit, George/Zhou (2002) und James/ Brodersen/Eisenberg (2004) für den Einfluss von Emotionen auf Kreativität, Bless/Fiedler (1999) für die Auswirkungen von Emotionen auf kognitive Leistungen u.a.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
57
ve Effekte präsentiert, die häufig eine Folge von negativem Emotionserleben darstellen.188 Diese sollen aufzeigen, in welcher Form bzw. in welchem Ausmaß Emotionen im Arbeitskontext eine Rolle spielen und somit indirekt auch für Führungskräfte von Bedeutung sind. Aufgrund der Vielfältigkeit der existierenden kurz-, mittel- und langfristigen Effekte wird aber auf eine ausführliche Darstellung im Rahmen dieser Arbeit verzichtet, zumal z.B. die Arbeitszufriedenheitsforschung seit langem ein eigenständiges Forschungsfeld repräsentiert. Es wird noch einmal darauf verwiesen, dass das Ziel dieses Kapitels weniger in dem konkreten Nachweis von Effekten einzelner Emotionen besteht, sondern mehr in der Ableitung von für die Führungskräftetätigkeit relevanten Implikationen.
2.2.3.1 Positive Effekte Isen (1999) berichtet von unterschiedlichen Studien, die den Einfluss von Emotionen im Rahmen von Problemlösungsprozessen analysieren. Diese zeigen u.a., dass positive Emotionen die Fähigkeit zur Ideenfindung erheblich verbessern und somit das Lösen von Problemen erleichtern.189 Die Ergebnisse von 25 Studien einbeziehend kommt die Autorin zu dem Schluss, dass das Erleben positiver Emotionen bei Individuen „improves their ability to see more aspects of concepts or stimuli and to adopt multiple cognitive perspectives.“190 Ähnliche Erkenntnisse erbringen verschiedene Untersuchungen der Autorin, die sich mit dem Zusammenhang positiver Emotionen und komplexen Entscheidungsprozessen beschäftigen. Isen (1993) weist nach, dass sich Individuen in positiver Stimmung bei der Wahl von Entscheidungsalternativen eines Problems signifikant schneller für die richtige Alternative entscheiden als die Mitglieder einer Kontrollgruppe. Dies ist u.U. darauf zurückzuführen, dass die Probanden zur Verfügung stehende Informationen wesentlich besser kognitiv erfassen und nutzen und zudem wesentlich strukturierter bei der Suche nach der richtigen Entscheidungsalternative vorgehen, also in ihrer Vorgehensweise sowohl effizienter als auch gründlicher sind. Vergleichbar mit den Ergebnissen zu Problemlösungsprozessen werden wahrscheinlich auch hier durch die positive Stimmung kognitive Ressourcen zur Informationsverarbeitung besser genutzt, so dass man ableiten kann, dass sowohl die Qualität als auch die Konsistenz von
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189 190
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Darstellung der Effekte auf der Annahme fußt, dass positive Emotionen positive Effekte induzieren und negative Emotionen negative Effekte. Es lassen sich jedoch eine Vielzahl von Situationen konstruieren, innerhalb derer negative Emotionen eine positive Wirkung haben, weil z.B. Entscheidungen erneut überdacht werden. Vgl. Isen (1999), S. 3. Vgl. hierzu außerdem Isen/Daubman/Nowicki (1987). Isen (1999), S. 7.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
getroffenen Entscheidungen durch die Induktion positiver Emotionen deutlich verbessert werden kann.191 Auch Fredrickson (1998) fokussiert auf die Bedeutung positiver Emotionen wie Freude, Interesse, Zufriedenheit u.ä. Auf der Grundlage theoretischer und empirischer Grundlagenforschung anderer Autoren beschreibt sie die positiven Auswirkungen, deren Bedeutung sich auf den Organisationskontext übertragen lässt. Freude z.B. erweitert die kognitiven Kapazitäten von Individuen, was, wie bereits oben gezeigt, insbesondere bei der Lösung komplexer Probleme hilfreich ist. Gleichzeitig unterstützt Freude aber auch die physische Leistungsfähigkeit sowie die Bereitschaft und das Vermögen, mit anderen Individuen sozial zu interagieren. Ähnliche Auswirkungen lassen sich der Emotion Interesse zusprechen. Diese, begründet durch die Tendenz Neues entdecken und ausprobieren zu wollen, führt dazu, dass Individuen im Zeitablauf einen wesentlich höheren Erfahrungsschatz akkumulieren, der ihnen im Rahmen unterschiedlicher Aktivitäten und Handlungen (Problemlösen, Ideenfindung, Teamarbeit, Verhandlungen etc.) dauerhaft zur Verfügung steht. Auch die auf den ersten Blick wenig bedeutsam und in erster Linie passiv erscheinende Emotion Zufriedenheit ist von elementarer Bedeutung. Sie führt dazu, dass Individuen bewusst Erlebtes rückblickend genießen und die mit dem Erlebnis in Zusammenhang zu bringenden Facetten in Form neuer Einstellungen, Ansichten und Haltungen in ihr Relevanzsystem und ihre Nutzenfunktion integrieren. Fredrickson (1998) leitet aus diesen Erkenntnissen das so genannte Broaden-andBuild Model positiver Emotionen ab, welches aussagt, dass positive Emotionen, wie oben beschrieben, Bereiche der Wahrnehmung, der Kognition und des Handelns erweitern und gleichzeitig zu einem Aufbau physischer, intellektueller und sozialer Ressourcen führen.192 Der Aufbau sozialer Ressourcen im Zusammenhang mit positiven Emotionen ist so zu verstehen, dass Individuen, die positiv erlebte Emotionen nach außen kommunizieren, über eine höhere interpersonale Attraktivität und einen höheren sozialen Einfluss verfügen. Sie können im Rahmen sozialer Interaktion andere Individuen leichter überzeugen und zeigen in verstärktem Maße pro-soziale Verhaltensweisen wie z.B. Altruismus, Bereitschaft zur Kooperation usw.193 Staw et al. (1998) weisen in einer 18-monatigen Studie mit 272 Angestellten nach, dass innerhalb von Leistungsgemeinschaften positive Emotionen bei Individuen dazu führen,
191 192 193
Vgl. Isen (1993), S. 271 ff. Vgl. Fredrickson (1998), S. 304 ff. und Fredrickson (2006). Vgl. Staw/Sutton/Pelled (1994).
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
59
dass diese durch ihre Kollegen und Vorgesetzten signifikant mehr Unterstützung erfahren.194 Positive Emotionen fördern also gleichermaßen die soziale Akzeptanz sowie das pro-sozial ausgeprägte Verhalten von Individuen. Neben den recht gängigen Emotionen wie Freude, Zufriedenheit, Interesse usw. umfasst das Spektrum positiver Emotionen weitere, die ebenso von Bedeutung im Organisationskontext sind, jedoch eher selten Gegenstand theoretischer oder empirischer Untersuchungen. Zu diesen Emotionen gehört z.B. Mut, dessen Funktion von Worline/Wrzesniewski/Rafaeli (2002) genauer beschrieben wird. Diese Emotion kommt im Organisationskontext dann zum Vorschein, wenn Individuen konkrete Handlungen (z.B. eigenständige Verbesserung von Prozessabläufen, Vorschläge zur Qualitätsverbesserung etc.) durchführen, die aber u.U. über die ihnen zugeschriebene Kompetenz hinausgehen. Die Emotion Mut befähigt sie dazu, Dinge zu tun, die nicht ihrem gewöhnlichen Verhaltensschema entsprechen. Wird dieses emotionsinduzierte Verhalten von anderen Individuen wahrgenommen, dann führt dies nach Auffassung der Autoren u.U. dazu, dass organisationsweit positive Performanceimpulse registrierbar sind, weil Mitarbeiter ihre Rolle im Unternehmen, ihr Selbstverständnis und auch ihre Potential und ihre Fähigkeiten neu überdenken und ihre Verhalten entsprechend modifizieren. Sie sind quasi ermutigt, manifestierte Verhaltensroutinen zu durchbrechen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Leistungsfähigkeit von Unternehmen heutzutage nicht nur von den einzelnen, im Unternehmen tätigen, Mitarbeitern beeinflusst wird, sondern auch in erheblichem Maße von der Ausgestaltung und Funktionsfähigkeit von Arbeitsgruppen und Teams abhängt. Diese Formen der sozialen Interaktion werden aber durch den Mut der Interaktionspartner erheblich verbessert, wenn es darum geht, Fehler einzugestehen, Missverständnisse aufzuklären, interpersonale Probleme anzusprechen usw. Durch die Emotion Mut werden nach Ansicht der Autoren daher vielfältige Prozesse beeinflusst: „Broadened possibility, expanded agency, higher-quality connections, and a vital sense of the organizational whole are possible when courage is an accepted part of the organizational landscape.“195 Lea/Webley (1997) beschreiben mit der Emotion Stolz eine weitere, ebenfalls recht unerforschte, Emotion und deren Auswirkungen im Organisationskontext. Da die von Individuen geleistete Arbeit und die daraus resultierende Qualität zu einem gewissen Anteil von deren Arbeitsbemühungen abhängt, ist diese Emotion in Abhängigkeit der Ausgestaltung des 194
195
Vgl. Staw/Sutton/Pelled (1994), S. 57 ff. Die Variable Unterstützung wird von den Autoren als supervisor support bzw. coworker support bezeichnet und umschreibt „the extent to which an employee receives emotional and tangible assistance from the members of his or her work group/his or her immediate supervisor.“ Staw/Sutton/Pelled (1994), S. 60. Worline/Wrzesniewski/Rafaeli (2002), S. 321.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Arbeitsplatzes ein immanenter Bestandteil im Arbeitskontext. Stolz (z.B. auf die geleistete Arbeit) ist nach Ansicht der Autoren ein wichtiger Verhaltenstreiber für ein Individuum, der als Teil der individuellen Nutzenfunktion angesehen werden kann und somit aus Sicht des Unternehmens in Bezug auf die Arbeitsmotivation des Individuums und die gefühlte Bindung zum Unternehmen eine wichtige Variable darstellt.196 Stolz ist auch ein Mechanismus, der Individuen bei Prozessen der Entscheidungsfindung unterstützt, indem Individuen aus ihrem Erfahrungsschatz ähnlich erlebte Situation analysieren. Das retrospektive Empfinden von Stolz in Bezug auf eine Handlung legitimiert quasi die Konsistenz des Entscheidungsprozesses, der die eigentliche Handlung zur Folge hatte und führt im Ergebnis dazu, dass ein Individuum sich erneut für eine identische oder vergleichbare Handlung entscheidet.197 Eine in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennende Emotion ist Vertrauen. Da die Schaffung von Vertrauen aufgrund zahlreicher Wandlungsprozesse in der Unternehmensumwelt eine für Führungskräfte in Zukunft wichtiger werdende Führungsvariable darstellt, wird sie erst im Rahmen von Kapitel 3 genauer beschrieben, so dass eine Darstellung an dieser Stelle unterbleibt.198
2.2.3.2 Negative Effekte Neben den im vorangegangenen Abschnitt ausschließlich auf Grundlage positiver Emotionen beschriebenen positiven Effekten existiert auch eine Vielzahl negativer Effekte, die im Organisationskontext durch emotionales Erleben induziert werden. Obiger Vorgehensweise entsprechend werden in diesem Abschnitt ebenfalls nur die aus negativen Emotionen resultierenden negativen Effekte aufgezeigt. Bedeian (1995) betont die Bedeutung der negativen Emotion Neid. Dieser entsteht, wenn Individuen ihre persönliche wie berufliche Situation permanent mit der anderer Mitarbeiter und Kollegen vergleichen und zu dem Ergebnis kommen, dass sie die Situation dieser der eigenen vorziehen würden. Hierunter fallen z.B. Erfolge, Belobigungen, Fähigkeiten u.a. Dinge, die neidende Individuen den anderen missgönnen. Die Auswirkungen auf das Organisationsverhalten sind nach Auffassung von Bedeian (1995) hierbei massiv, da die neidenden Individuen, auch unbewusst, geneigt sein können, die soziale Interaktion im Arbeitsprozess so 196
197 198
Wenn ein Individuum rückblickend z.B. Stolz in Bezug auf ein abgeschlossenes Projekt empfindet, dann stellt die Möglichkeit Stolz, bedingt durch die Spezifikationen des Arbeitsplatzes, überhaupt empfinden zu können, vermutlich ein effektiveres Instrument zur Mitarbeiterbindung dar als z.B. monetäre Annreize. Vgl. Lea/Webley (1997), S. 329 ff. Vgl. hierzu Krystek (1995) und Schweer/Thies (2003).
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
61
zu manipulieren, dass es zu einer Statusangleichung beider Parteien kommt. Dies bedeutet, dass neidende Individuen durch das erniedrigende Gefühl der Unterlegenheit u.U. bestrebt sind, negativen Einfluss auf die Erfolge der anderen zu nehmen, indem sie die Leistungen dieser verzerrt darstellen oder sogar manipulieren oder aber die eigenen Erfolge übermäßig positiv darstellen.199 Nach Weinert (2004) wird eine Emotion wie Neid in der beruflichen Praxis häufig unfreiwillig induziert. Ein möglicher Grund kann in intransparenten Einstellungsund Beförderungspraktiken gesehen werden, durch die Individuen nach nicht nachvollziehbaren Kriterien in (ungerechter) Weise behandelt werden. Auch durch die Schaffung von Wettbewerb in der Form, dass z.B. mehrere Teams mit dem Ziel der Ergebnisverbesserung bei gleicher Zielsetzung bewusst gegeneinander arbeiten, kann neben Wut und Ärger insbesondere auch Neid hervorrufen.200 Dieser aber führt nach Kunze (1990) häufig zu übermäßigem Ehrgeiz, wodurch eigentlich gesunder Wettbewerb zu kontraproduktiver Rivalität wird, womit genau das Gegenteil des intendierten Ziels erreicht ist.201 Wie bereits angedeutet, gehen mit der Emotion Neid häufig auch Wut und Ärger einher. Gerade Ärger ist nach Auffassung von Immenroth/Joest (2005) eine Emotion, die durch eine Vielzahl von Ereignissen ausgelöst werden kann und im Alltag häufig auftritt. Aufgrund von erlebten Enttäuschungen und Frustrationen etwa, aber auch aufgrund von physischen und psychischen Belastungen, die in Zusammenhang mit der eigentlichen Tätigkeit zu bringen sind (wie z.B. bei Polizisten, Fahrkartenkontrolleuren u.ä.) und von den Individuen entsprechend bewertet werden, kommt es zu einem entsprechenden Emotionserleben.202 Dies kann im Rahmen von sozialer Interaktion erheblichen Einfluss auf das Kommunikations- und Kooperationsverhalten von Arbeitsgruppen und Teams haben, insbesondere dann, wenn sich durch die Unfähigkeit zur Emotionsregulation diese qualitativ zu Aggression steigert oder aber quantitativ sehr häufig auftritt. Eine Emotion, die entgegen früherer Forschungsbemühungen im aktuellen Organisationskontext kaum Gegenstand systematischer Untersuchungen ist, ist Langeweile, insbesondere was die von ihr ausgehenden Effekte angeht.203 Dies ist insofern erstaunlich, als das Langeweile als ein fast alltägliches, wenn auch in den meisten Fällen nicht lange andauerndes, emotionales Erleben angesehen werden kann. Bezogen auf den Arbeitskontext ist Langeweile 199 200 201 202 203
Vgl. Bedeian (1995), S. 54. Vgl. Weinert (2004), S. 145. Vgl. Kunze (1990). Vgl. Immenroth/Joest (2005), S. 70-71. Zwei empirische Analysen von Faktoren, die Langeweile am Arbeitsplatz beeinflussen finden sich bei Fisher (1998).
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
nach Gemmil/Oakley (1992) dadurch kennzeichenbar, dass Individuen in der Verrichtung ihrer Arbeit keinerlei Sinn und Bedeutung sehen.204 Als Gründe können wenig abwechslungsreiche und herausfordernde Tätigkeiten in Verbindung mit individueller Unterforderung, kognitive und emotionale Impulse von sowohl quantitativ als qualitativ sehr geringem Ausmaß, Spezifikationen der Arbeit und des Arbeitsplatzumgebung, individuelle Unterschiede der Person u.a. Faktoren angesehen werden.205 Fisher (1993) berichtet von verschiedenen Untersuchungen, die als Folge von Langeweile erhebliche Konzentrationsschwierigkeiten nennen, die Unfähigkeit zur Aufnahme neuer Informationen und das Unvermögen, Fehler im Arbeitsprozess schnell zu korrigieren.206 Hierbei ist anzumerken, dass die landläufige Meinung, insbesondere monoton gestaltete Tätigkeiten wie Fließbandarbeit seien eine Hauptquelle von Langeweile, nicht bestätigt werden kann. Nach Naughton (1988) kann sie ebenso bei anspruchsvoller Arbeit auftreten, wenn diese unklaren Grundprinzipien folgt oder aber sehr unstrukturiert verläuft.207 Dieser Punkt verdeutlicht, inwiefern diese Emotion und die durch sie induzierten Effekte auch im Rahmen von anspruchsvollen und wenig monoton anmutenden Tätigkeiten von Bedeutung sein können. Ähnlich wie Neid und Langeweile ist auch die Emotion Angst im Arbeitskontext eher spärlich erforscht. Zwar gibt es gerade im Bereich der Grundlagenforschung eine Vielzahl von systematischen Untersuchungen, die die Bedeutung und die Auswirkungen unterschiedlicher Angstformen zum Gegenstand haben, doch finden sich nur wenige Publikationen, die diese Erkenntnisse auf die Arbeitswelt übertragen.208 Angst kann innerhalb von Arbeitsprozessen in sehr unterschiedlichen Ausprägungen zum Vorschein kommen und lässt sich kategorisieren als Emotion in Bezug auf Personen (z.B. Angst vor Vorgesetzten, Kollegen etc.), als Emotion in Bezug auf Ereignisse (z.B. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Versetzung) und als Emotion in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten (z.B. Angst vor Menschen zu präsentieren).209 Nach Pekrun/Hofman (1999) hat Angst zur Folge, dass z.B. in Prüfungssituationen aufgabenirrelevante Denkprozesse hervorgerufen werden, die das aufgabenbezogene Denken behindern bzw. vollständig unterbinden.210 Hieraus kann abgleitet werden, dass Angst möglicher-
204 205 206 207
208 209 210
Vgl. Gemmil/Oakley (1992), S. 358. Vgl. Fisher (1993), S. 397ff. und Fisher (1998), S. 504. Vgl. Fisher (1993), S. 395-396. Vgl. Naughton (1988). Denkbar in diesem Zusammenhang ist z.B., dass im Rahmen eines komplexen Projektes von den Teilnehmern weder das von der Projektleitung angestrebte (aber u.U. nicht ausreichend kommunizierte) Ziel erkannt werden kann und auch die Vorgehensweise zur Zielerreichung größtenteils nicht nachvollziehbar ist. Eine tiefenpsychologische Studie zur Emotion Angst findet sich u.a. Riemann (2006). Vgl. hierzu u.a. Panse/Stegman (1998), S. 37ff. Vgl. Pekrun/Hofmann (1999), S. 260.
2.2 Emotionen im Arbeits- und Führungskontext
63
weise auch in vergleichbaren Situationen wie Arbeitsprozessen, wo es auch um die Erbringung einer Leistung und ihrer Beurteilung geht, Auswirkungen auf kognitive Ressourcen wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Beurteilung etc. hat.211 Aus emotionspsychologischer Sicht hat Angsterleben generell Rückzugsverhalten und die Anwendung von Vermeidungsstrategien zur Folge, so dass davon auszugehen ist, dass es neben der Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten bei Individuen auch zu antisozialem Verhalten kommt, was bezogen auf die soziale Interak-tion im Arbeitsprozess eine weitere negative Folge darstellt.
2.2.4 Konsequenzen für die Tätigkeit von Führungskräften Das Entstehen und Erleben von Emotionen sowie die hierdurch induzierten Folgen in Bezug auf das Verhalten von Individuen sind nach Kiefer (2002) im Arbeits- und Führungsprozess als ein alltäglicher Prozess aufzufassen und lassen sich nicht unterbinden.212 Die Ausgestaltung des Emotionserlebens und die hiervon abhängigen Folgen hingegen sind jedoch sehr wohl modifizierbar. Dabei lassen sich die im Rahmen der vorangegangenen Kapitel gewonnenen Erkenntnisse, also sowohl das Emotionserleben von Individuen im Arbeitsprozess selbst, als auch die damit zusammenhängenden Folgen direkt mit der Tätigkeit von Führungskräften in Verbindung bringen. Sowohl das Emotionserleben als auch die dargestellten Effekte können nämlich größtenteils als immanenter Bestandteil des Führungsprozesses angesehen werden. Dies kann dadurch begründet werden, dass Führungskräfte zum einen maßgeblichen Einfluss auf die Struktur und die Ausgestaltung des Arbeitsprozesses haben und somit direkt die Entstehungsgründe von emotionalem Erleben mitbestimmen. Sie sind also beispielsweise dafür verantwortlich wie Arbeitsplatzprofile konfiguriert, wie Arbeitsplatzumgebungen ausgestaltet und wie Arbeitsprozesse strukturiert sind. Damit verfügen sie über einen erheblichen Gestaltungsspielraum in Bezug auf potentielle Quellen emotionalen Erlebens. Zum anderen sind Führungskräfte, wie im Rahmen der Affective-Events-Theory und den hierzu verfügbaren empirischen Belegen dargestellt wurde, durch ihr Verhalten häufig selbst als ein Hauptgrund für die Induktion von positiven und negativen Emotionen anzusehen, was die Führungskräften zuordenbare Rolle im Hinblick auf das Emotionserleben der geführten Mitarbeiter zusätzlich unterstreicht.
211
212
Näheres zu der Beziehung von Angst und Leistung im Arbeitskontext findet sich u.a. auch bei Panse/Stegmann (1998), die auf Grundlage von 1.200 Interviews mit Wirtschaftspraktikern zahlreiche Erkenntnisse über die Angstproblematik zusammengetragen haben. Vgl. Panse/Stegmann (1998), S. 71 ff. Kiefer (2002), S. 34.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
Die dementsprechende Ableitung, dass die Hauptaufgabe von Führungskräften darin besteht, ihrer intendierten Zielsetzung gemäßes Emotionsmanagement bei den Mitarbeitern zu betreiben, stellt vermutlich eine übermäßige Betonung obiger Erkenntnisse dar. Gleichwohl erscheint eine zentrale Anforderung jedoch darin zu liegen, über die Anwendung von emotionsbezogenem Wissen (z.B. wie Emotionen wirken) emotionale Wirkmechanismen innerhalb des Führungsprozesses zu berücksichtigen. Für eine Führungskraft ist es u.a. von Bedeutung zu wissen, welche Ereignisse und Tatbestände in Anlehnung an die Affective-Events-Theory tendenziell zu welchen Emotionen führen und welche Konsequenzen dies nach sich zieht, woraus sich dann entsprechende Verhaltensweisen ableiten lassen. Häufig wird bei der theoretischen und empirischen Untersuchung emotionsbasierter Kausalzusammenhänge, also dem Nachweis von Emotionserleben und den entsprechenden Auswirkungen auf leistungsrelevante Parameter, lediglich das Individuum und weniger die Gruppe als Kollektiv fokussiert. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass individuelles Erleben von Emotionen durch Synchronisationsprozesse auch Auswirkungen auf das Emotionserleben der Gruppe hat sowie entsprechende Leistungsparameter determiniert, betont jedoch Pescolido (2002), für den sich aus diesem Tatbestand eine zusätzliche Rolle für Führungskräfte ergibt. Nach seiner Auffassung sind Führungskräfte als eine Art emotionaler Regulator zu sehen, indem sie innerhalb des Arbeitsprozesses so genannte emotionale Reaktionsstandards auf Erlebnisse im Arbeitsprozess vorgeben. Hiermit ist gemeint, dass geführte Mitarbeiter in ihrer Reaktion häufig unentschlossen sind, was bestimmte Ereignisse am Arbeitsplatz angeht.213 Fällt z.B. in einem Produktionsbetrieb eine wichtige Maschine für lange Zeit aus, ist häufig die emotionale Reaktion des Vorgesetzten ausschlaggebend dafür, wie dieses Ereignis auch von den Mitarbeitern emotional empfunden wird (z.B. unproblematisch, Arbeitsplatz bedrohend etc.). In Anlehnung an Humphrey (2002) können Führungskräfte an dieser Stelle die bewusste Wahl emotionaler Reaktionen als Steuerungsinstrument für das Leistungsverhalten der Geführten nutzen.214 Hierbei ist jedoch von deren Seite zu berücksichtigen, wie die von ihnen gezeigten emotionalen Reaktionen von den Geführten in Bezug auf die wahrgenommene Führungseffizienz aufgenommen werden.215 Der Zusammenhang zwischen dem von Führungskräften kommunizierten Emotionserleben und dem Verhalten der Geführten ist Gegenstand einer Untersuchung von George/Betten213 214 215
Vgl. Pescosolido (2002), S. 586. Vgl. Humphrey (2002), S. 500-501. Entsprechende Untersuchungen, die sich mit dem Zusammenhang der von Führungskräften gezeigten Emotionen und den von den geführten Mitarbeitern wahrgenommenen Führungseffizienz beschäftigt findet sich bei u.a. Lewis (2000) und Kellett/Humphrey/Sleeth (2002).
2.3 Zusammenfassung
65
hausen (1990). Diese vermuten, dass der von Führungskräften gegenüber geführten Mitarbeitern visualisierte und verbalisierte emotionale Zustand Auswirkungen auf das Emotionserleben der geführten Mitarbeiter als Gruppe bzw. entsprechende Verhaltensweisen hat. Hierzu testen sie die Hypothese, dass das Führungsverhalten eines Vorgesetzten in Form von positiver Stimmung in einem positiven Zusammenhang mit dem von der Gruppe gezeigten prosozialen Verhalten steht, also direkten Einfluss auf das Verhalten der geführten Mitarbeiter hat. Der für die Auswertung herangezogene Datensatz bezieht sich auf 33 Filialen einer amerikanischen Handelsfirma und zeigt im Ergebnis, dass die beiden Variablen positiv miteinander korrelieren.216 Hierzu ergänzend zeigt George (1995) weiterhin, dass das Verhalten der Führungskraft nicht nur das Verhalten der Gruppe beeinflusst, sondern auch einen signifikanten Einfluss auf die Leistung der Gruppe hat. Zu diesem Schluss kommt sie nach einer Untersuchung von 53 Sales Managern und ihren Teams.217 Die Funktion, die Führungskräften innerhalb des Führungsprozesses zukommt, kann also nicht losgelöst von emotionalen Wirkmechanismen gesehen werden, da diese eine Vielzahl positiver und negativer Effekte induzieren und zudem in mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit ihrem Handeln zu bringen sind.
2.3 Zusammenfassung Emotionen stellen facettenreiche Muster von Veränderungen dar, die eine Vielzahl von Prozessen im menschlichen Körper auf recht unterschiedlichen Ebenen herbeiführen. Konnte im Verlauf der menschlichen Entwicklungsgeschichte ihre Funktion primär in der Sicherung des individuellen und kollektiven Überlebens gesehen werden, muss diese heute etwas modifiziert betrachtet werden. Besonders bezogen auf den Arbeitskontext stellen Emotionen für Individuen wichtige handlungsleitende Informationen bereit. Sie haben dabei sowohl kurz- als auch langfristige Auswirkungen. Kurzfristig beeinflussen sie leistungsrelevante physische und psychische Parameter wie die Wahrnehmungsfähigkeit, das Urteilsvermögen etc. Langfristig determinieren sie übererzeugungsbasierte Verhaltensweisen, Sichtweisen, Einstellungen und Haltungen. Zudem bilden sie insbesondere innerhalb sozialer Interaktion eine wichtige strukturierende Variable, da emotionales Erleben determiniert, wie Individuen sich hier
216 217
r = 0,43; p 0,1. Vgl. George/Bettenhausen (1990), S. 705. Vgl. George (1995), S. 778-794. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass die Gruppenleistung mittels des Kundenserviceverhaltens der jeweiligen Gruppe operationalisiert wird. Da dieses zudem noch von einzelnen Branchenmanagern bewertet wird, kann angezweifelt werden, dass die Untersuchung die Gütekriterien Validität und Objektivität erfüllt. Vgl. George (1995), S. 785-789.
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2 Emotionen und ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess
verhalten. Dies bedeutet, dass sowohl die Wahl einer Verhaltensoption als auch deren Ausgestaltung durch das emotionale Erleben beeinflusst wird. Für Führungskräfte erscheint somit im Rahmen des Führungsprozesses die Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen elementar, zumal diese durch ihr Verhalten selbst häufig eine Quelle für Emotionserleben darstellen. Die Fähigkeit zum Management von Emotionen stellt jedoch in Anbetracht grundlegender emotionspsychologischer Erkenntnisse eine komplexe Anforderung dar, da z. B. Auslösemechanismen, Abläufe und Visualisierungsformen von Emotionen von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. Auch sind die Interventionsstrategien bei dem Management von Emotionen sehr vielfältig: so muss Misstrauen von Mitarbeitern gegenüber Tätigkeiten der ersten Führungsebene vollkommen anders begegnet werden als etwa Ärger geführter Mitarbeiter aufgrund desolater Arbeitsbedingungen.218 Zudem lassen sich Emotionen bei Individuen nicht ohne weiteres induzieren, sondern sind vielmehr über die Schaffung von Strukturen, das Zeigen von bestimmten Verhaltensweisen oder die Initiierung bestimmter Ereignisse auf eher indirektem Wege zu erzeugen. Auf der Grundlage von emotionsbezogenem Wissen219 sind Führungskräfte in der Lage, den Führungsprozess so zu modifizieren, dass z.B. positive Emotionen gefördert und negative reduziert werden, was direkten Einfluss auf spezifische Leistungsparameter der geführten Individuen hat (z.B. Denkvermögen, Urteilsfähigkeit usw.).220 Das auf diese Weise betriebene Management von Emotionen wird in Anlehnung an Goleman (1995) häufig auch als Emotionale Intelligenz oder auch Emotionale Kompetenz bezeichnet. Diese Kompetenzform wird insbesondere im Rahmen des Kapitels 6 näher präzisiert. Vorher soll jedoch in Kapitel 3 dargestellt werden, welche Bedeutung emotionale Wirkmechanismen vor dem Hintergrund sich wandelnder Umfeldbedingungen von Unternehmen haben. In Kapitel 4 und 5 wird dann untersucht, welchen Stellenwert und welche Berücksichtigung die bis dato generierten Erkenntnisse innerhalb von theoretischen und praktischen Führungs- und Kompetenzmodellen haben und wie Experten die Notwendigkeit der Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen innerhalb der Führungspraxis einschätzen.
218 219
220
Vgl. Kiefer (2002), S. 54. Emotionsbezogenes Wissen bedeutet z.B., dass eine Person Kenntnis darüber hat, wann Emotionen unter welchen Bedingungen entstehen und welche Folgen dies nach sich zieht. Vgl. Lord/Kanfer (2002), S. 7.
3 Führung im Wandel Das von Daniel Goleman (1995, 1998b, 200b, 2003) propagierte Konzept der Emotionalen Intelligenz basiert in erster Linie auf der Erkenntnis, dass emotionales Erleben und emotionale Wirkmechanismen das Handeln und Entscheiden von Individuen grundlegend mitbestimmen. Die entsprechende Ableitung, dass ein kompetenter Umgang mit Emotionen für Führungskräfte einen wichtigen Führungsparameter darstellt, erscheint daher, gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Kapitel 2, allgemein zulässig. In Anbetracht der Tatsache aber, dass Goleman (1995,1998b, 2000b, 2003) mit seinen Arbeiten lediglich auf Tatbestände hingewiesen hat, die sich im Prinzip aus dem logischen Menschenverstand ergeben und im Bereich der Emotionspsychologie schon altbekannt sind, erscheint insbesondere die Resonanz, die seine Arbeiten in vielen Teilen der interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaft ausgelöst haben, kaum erklärbar. Diese lässt sich also vermutlich weniger fundamental aus dem in Kapitel 2 dargestellten Emotionsphänomen und mit diesem in Zusammenhang zu bringenden Effekten heraus begründen, welche in vielen Zweigen der Psychologie bereits sehr differenziert erforscht wurden, sondern muss vielmehr vor dem Hintergrund exogener Einflussfaktoren gesehen werden. Da insbesondere im Rahmen der angewandten Führungsforschung eine Vielzahl von erweiternden Studien vorliegt, kann hier möglicherweise der Grund gesehen werden, der zu einer Art Reorientierung dieser beigetragen hat. Denkbar ist in diesem Zusammenhang etwa, dass es in der Arbeit von Führungskräften in den letzten Jahren drastische Veränderungen gegeben hat bzw. in den nächsten Jahren noch geben wird. Aus diesen lässt sich u.U. ableiten, dass Führungskräfte verstärkt mit Problemen konfrontiert sein werden, die eine Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen innerhalb des Führungsprozesses in Form von Emotionsmanagement notwendig erscheinen lassen. Im Rahmen dieses Kapitels soll daher nun dargestellt werden, wie sich die Anforderungen an Führungskräfte vor dem Hintergrund permanenter Umfeldentwicklungen und Wandelprozesse stetig verändern und welche Konsequenzen dies für ihre Tätigkeit nach sich zieht. Die gewonnen Erkenntnisse bilden die Argumentationsgrundlage für die Frage, inwieweit Emotionen und der kompetente Umgang mit ihnen, beeinflusst durch eine denkbare zeitliche Instabilität von Anforderungs- und Tätigkeitsprofilen, eine erfolgskritische Einflussvariable darstellen und insofern ein zentrales Element im Rahmen der Arbeit sowie der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften sind. Hierzu erscheint es zunächst sinnvoll, das Konstrukt
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3 Führung im Wandel
Führung aufgrund seiner Komplexität bedarfsorientiert zu präzisieren und die für die vorliegende Arbeit notwendigen Begriffsabgrenzungen vorzunehmen.
3.1 Führungsgrundlagen Führung ist ein Phänomen, welches in der Ökonomie seit dem Beginn der Industrialisierung zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wenngleich es im Rahmen der menschlichen Entwicklungsgeschichte in unterschiedlichen Formen schon sehr viel länger existiert (z.B. militärische Führung in der Antike). Insbesondere seit in Gemeinschaften Aufgaben nach dem Prinzip der differenzierten Arbeitsteilung erfüllt werden, müssen diese unter der Führung Einzelner auch zusammengebracht und integriert werden. Versucht man hiervon ausgehend eine für die Führungsforschung allgemeingültige und arbeitsfähige Formulierung zu erstellen oder exakte Definitionsmerkmale zu isolieren, die das Phänomen Führung präzise charakterisieren, so muss man konstatieren, dass keine allgemeingültige Definition existiert.221 „Führung wird allgemein als zeitlich übergreifendes, in allen Kulturen existierendes und interdisziplinäres Konstrukt betrachtet. Dabei sind die Definitionen von Führung als kulturgebundene Konstrukte aufzufassen, die je nach Perspektive von Wissenschaftlern und Praktikern unterschiedlich ausgestaltet werden.“222 Eine eindeutige Beschreibung existiert also nicht, wie auch Neuberger (2002) durch eine in diesem Zusammenhang willkürlich zusammengestellte Auswahl von völlig unterschiedlichen Definitionen zeigt.223 Diese Vielfalt liegt in der Tatsache begründet, dass der Begriff in der Literatur sehr uneinheitlich verwendet wird, da völlig verschiedene Konzepte unter ihm subsumiert werden. Grundlage sind unterschiedliche Auffassungen und Perspektiven, aus denen heraus das Konstrukt betrachtet wird. Gemein ist den meisten Ansätzen, dass es im Rahmen von Führung um eine wie auch immer geartete Form der Beeinflussung geht. So versteht Wunderer (2003) hierunter etwa „ziel- und ergebnisorientierte, aktivierende und wechselseitige, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierenden Arbeitssituation.“224 Nach der Auffassung von Hentze et al. (2005) ist Führung ein multidimensionales Konstrukt, welches aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. So werden etwa bestimmte Tätigkeiten als Elemente des Führungsprozesses genauso unter dem Führungsbegriff sub-
221 222 223 224
Vgl. Hentze et al. (2005), S. 21. Hentze et al. (2005), S. 18 Vgl. Neuberger (2002), S. 11-15. Wunderer (2006), S. 4.
3.1 Führungsgrundlagen Bass (1990) Ziel-, Ergebnis- und Aufgabenorientierung Gruppenprozesse Rollendifferenzierung Einfluss- und Machtprozesse Soziale Interaktion Wert- und Normenbildung Persönlichkeitseigenschaften Fähigkeiten und Fertigkeiten Konfliktprozesse Informations- und Kommunikationsprozesse Entwicklungsprozesse
69 Wunderer/Grunwald (1980) Führung als Mittelpunkt des Gruppenprozesses Führung als Persönlichkeit des Führers Führung als Fähigkeit/Kunst bei anderen Einverständnis zu erreichen Führung als Ausübung von Einfluss Führung als Handlung oder Verhalten Führung als eine Form der Überredung bzw. Überzeugung Führung als Machtbeziehung Führung als Instrument der Zielerreichung Führung als Ergebnis der Interaktion Führung als Rollendifferenzierung Führung als Initiierung von Strukturen
Tabelle 2: Merkmale von Führung Quelle: Bass (1990), S. 11-18; Wunderer/Grunwald (1980), S. 57-61.
sumiert wie etwa die hieraus entstehenden Konsequenzen in Form von Führungserfolg (siehe auch Abschnitt 3.2).225 Wunderer/Grunwald (1980) haben zur besseren Durchdringung 11 Merkmale extrahiert, die das Phänomen angemessen beschreiben sollen. Diese Anzahl wird von Bass (1990) in Form von ebenfalls 11 Definitionsmerkmalen bestätigt (s. Tabelle 2). Im Hinblick auf das Ziel dieser Arbeit erscheint diese Vorgehensweise jedoch nur bedingt hilfreich, da noch nicht hinreichend geklärt ist, welche Elemente oder Faktoren der Führung im Kontext dieser Arbeit überhaupt relevant sind: Ziel ist die Beantwortung der Frage, welches die Aufgabenfelder von Führungskräften sind und welche Auswirkungen Wandelprozesse auf die Tätigkeit und die Entwicklung dieser Führungskräfte haben. Hierzu erscheint es sinnvoll, einige genauere begriffliche und prozesstheoretische Abgrenzungen zum Konstrukt Führung vorzunehmen, um die Tätigkeitsfelder von Führungskräften transparenter zu machen. Wenn es um die begriffliche Präzisierung bzw. um übergeordnete Tätigkeitsprofile von Führungskräften geht, hat sich in der Führungsforschung eine gängige Unterteilung herausgebildet, die zwischen sachbezogener und personenbezogener Führung unterscheidet. Während die sachbezogene Führung Führungstechniken wie Planung, Organisation, Kontrolle etc. umfasst, beschreibt die personenbezogene Führung die zielorientierte Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiter.226 Diese Unterscheidung geht einher mit der u.a. von Kotter (1990) ge-
225 226
Vgl. Hentze et al. (2005), S. 19-20. Vgl. Korndörfer (1999), S. 240-248.
70
3 Führung im Wandel
Führung
Sachbezogene Führung
Personenbezogene Führung
(Unternehmensführung/ Management)
(Menschenführung)
Interdependenzen
Indirekt (strukturellsystemisch)
direkt (personal-interaktiv)
Abbildung 7: Sachbezogene vs. personenbezogene Führung Quelle: eigene Darstellung
prägten Begriffsdualität Führung vs. Management, wobei Führung hierbei häufig auch mit Leadership übersetzt wird.227 In der Literatur werden diese Begriffe zuweilen gleichbedeutend verwendet, gleichwohl sie es de facto nicht sind.228 Neuberger (2002) bringt die zwei Begrifflichkeiten folgendermaßen zusammen: „Führung steht […] in der Regel für eine personale und interaktionale Akzentsetzung (’Menschenführung’), während Management den strukturellen und institutionellen Aspekt hervorhebt (’Unternehmensführung’).“229 Die personenbezogene Führung oder auch Personalführung wiederum wird nach Wunderer (2006) in zwei Dimensionen aufgeteilt (s. Abb. 7): strukturell-systemisch (indirekt) und personal-interaktiv (direkt).230 Die Führung von Mitarbeitern im eigentlichen Wortsinn kann also durch die Schaffung von Strukturen erfolgen (z.B. Anreizsysteme, Führungsgrundsätze) oder aber durch eine interaktive Einflussnahme (z.B. kommunikative Ansprache).231 Im Hinblick auf Tabelle 3 ist Folgendes zu berücksichtigen: Zwischen der sachbezogenen Führung in Form des Managements und der indirekten personenbezogenen Führung bestehen Interdependenzen. Außerdem existiert sowohl zwischen sach- und personenbezogener Führung als auch zwischen direkter und indirekter Führung ein trade- off. Die dargestellten Elemente sind aber gleichermaßen als Bestandteil der Führungstätigkeit zu sehen, wobei eine Führungskraft je nach Bedarf zwischen ihnen flexibel wechseln können muss. Orientiert man sich an der Begriffsdualität Leadership vs. Management bedeutet dies, dass eine Führungs227
228 229 230 231
Unter dem Begriff Management fasst der Autor Tätigkeiten wie planning and budgeting, organizing and staffing sowie controlling and problem solving zusammen. Leadership hingegen umfasst establishing direction, aligning people und motivating and inspiring. Vgl.Kotter (1990), S. 4-5. Vgl. Wunderer/Grunwald (1980), S. 63. Neuberger (2002), S. 48. Wunderer (2006), S. 5-12. Vgl. Rosentiel (2003a), S. 4-6.
3.1 Führungsgrundlagen
71
kraft neben der interpersonalen Auseinandersetzung mit den Geführten auch für eine Schaffung bzw. Optimierung entsprechender Strukturen sorgen muss, die die Auseinandersetzung überhaupt erst ermöglichen. Die Arbeit von Führungskräften umfasst also neben der interaktiven Führung auch strukturelle und indirekte, nicht-interaktive Aspekte. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen personen- und sachbezogenen Anteilen im Rahmen der Führungskräftetätigkeit ist jedoch nicht möglich: ein „personenbezogener Trennstrich – hier ’Manager’, da ’Leader’ – ist […] wenig realistisch, da Führungskräfte beide Vorgehensweisen miteinander kombinieren.“232 Vielmehr erfordert das breite Tätigkeitsspektrum von Führungskräften durch die sehr unterschiedlichen und z.T. auch voneinander unabhängigen Aufgaben ein hohes Maß an Adaptionsvermögen.233 Eine präzisere Gewichtung der beiden Elemente kann nur unter Einbeziehung der Unternehmenssituation, der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und anderer Faktoren vorgenommen werden und muss stets in Abhängigkeit davon gesehen werden, welchem primären Zweck Führung innerhalb einer Organisation dienen soll. Auch die Frage, wie die Elemente im Tagesgeschäft hinsichtlich ihrer quantitativen Bedeutung hierbei verteilt sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. „Es gibt kein allgemeines Maß des objektiv richtigen Verhältnisses von strukturaler und personaler Führung.“234 Kotter (1990) moniert allerdings, dass viele Unternehmen overmanaged und underled sind. Hiermit will er zum Ausdruck bringen, dass das Schaffen und Verbessern organisationsinterner Strukturen in vielen Unternehmen von Seiten der Führungskräfte überbetont wird, während das damit angestrebte Ziel, die Optimierung der personal-interaktiven Führung, vernachlässigt wird.235 Gerade das personenbezogene Handeln der Führungskräfte, also die Interaktivität, spielt aber nach Smith et al. (1984) eine entscheidende Rolle, da hierdurch unterschiedliche organisationale Erfolgsgrößen beeinflusst werden.236 Bass (1990) schließt sich 232 233 234 235 236
Hentze et al. (2005), S. 16. Vgl. Regnet (2003), S. 52. Becker (2005), S. 207. Kotter (1990), S. 10-11. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren nach einer Untersuchung von insgesamt 50 Ministern der Northeast Ohio Conference der United Methodist Church, die mindestens 10 Jahre in einer Kirche als Pastoren tätig waren. Nach Auswertung unterschiedlicher von Smith/Carson/Alexander (1984) definierter organisationaler Erfolgsgrößen wie Anzahl der jeweiligen Gemeindemitglieder am Jahresende, Marktwert der Vermögensgegenstände (wie z.B. Grundstücke, Immobilien) der jeweiligen Gemeinden, Gesamtspendensumme usw. folgern die Autoren, dass sich effektive Führungskräfte signifikant von den anderen unterscheiden: effektive Führungskräfte sind nach Ansicht der Autoren diejenigen, die ein signifikant höheres Gehalt bekommen, welches von den jeweiligen Gemeinden eigenverantwortlich festgelegt wird. Im Ergebnis halten Smith/Carson/Alexander (1984) fest, dass die Tätigkeit von Führungskräften einen messbaren Einfluss auf die beschriebenen organisationalen Größen hat. Vgl. Smith/Carson/Alexander (1984), S. 767774. Eine weitere Untersuchung des Einflusses einer Führungskraft auf den Organisationserfolg findet sich auch bei Thomas (1988).
72
3 Führung im Wandel
dieser Ansicht an: nach seiner Auffassung ist die Art und Weise der direkten und personenbezogenen Führung im organisationalen Kontext von besonderer Bedeutung, da sie es ist, die das Verhalten und die Leistungsfähigkeit der geführten Mitarbeiter zu großen Teilen determiniert.237 Im Rahmen von organisationalen Führungsprozessen geht es in erster Linie darum, dass eine Führungskraft durch die Verwendung verschiedener Führungselemente238 die geführten Mitarbeiter zu einer Erhöhung der individuellen und kollektiven Wertschöpfungsbeiträge anregt.239 Bezieht man auch den Mitarbeiter mit seinen individuellen Absichten und Zielen ein, dann geht es im Führungsprozess um die Integration und Optimierung von Unternehmensund Mitarbeiterzielen.240 Funktional betrachtet besteht die Aufgabe von Führungskräften darin, „Kenntnisse, Fähigkeiten und Bereitschaft des Personals sowie dessen Umgebungsbedingungen mit Blick auf die Organisationsziele durch die Einwirkungsmöglichkeiten der Personalführung bestmöglich zur Geltung zu bringen.“241 In diesem Zusammenhang ergibt sich durch die Reduktion der Führungsfunktion auf zwei Komponenten nach Cartwright/Zander (1968) vereinfacht ausgedrückt die folgende Dualität: im Rahmen der Lokomotionsfunktion wird versucht, durch bewusste Einflussnahme auf die Mitarbeiter ein bestimmtes (Unternehmens-) Ziel zu erreichen. In den Bereich der Kohäsionsfunktion fallen Maßnahmen, die die Interaktion und den inneren Gruppenzusammenhalt zwischen den einzelnen Mitarbeitern unterstützen.242 Ein entscheidender und gleichermaßen zentraler Faktor in diesem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, dass die Tätigkeit von Führungskräften und die an sie gestellten Anforderungen in erheblichem Maße von Wandelprozessen und Umfeldentwicklungen beeinflusst werden. Dies sind etwa die demographische Entwicklung, der Wertewandel, die Öffnung und Deregulierung der Märkte u.ä., die zwar zum größten Teil außerhalb der eigentlichen Unternehmensaktivität liegen bzw. unabhängig von dieser ablaufen, aber gleichzeitig eine Vielzahl von Folgeprozessen innerhalb der Unternehmen herbeiführen. So kommt es beispielsweise zu einer zunehmenden Heterogenisierung der Belegschaften, einer Änderung in den Verhältnissen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, einem Wandel der Organisationsstrukturen 237 238
239
240 241 242
Bass (1990), S. 110 ff. Dies können beispielsweise unterschiedliche Führungsinstrumente sein, aber auch ganz spezifische Führungsstile. Der Wertschöpfungsbeitrag ist hierbei nicht nur auf monetäre und materielle Faktoren wie z.B. Umsatz und Gewinn bezogen, sondern umfasst auch immaterielle Größen wie Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit. Vgl. Wunderer (2006), S. 4. Vgl. Scholz (2000), S. 775. Weibler (2001), S. 84. Vgl. Cartwright/Zander (1968), S. 306-309.
3.2 Führungserfolg
73
usw. Die Entwicklungsprozesse im Unternehmensumfeld stellen demnach Faktoren dar, die eine Verlagerung der Arbeits- und Tätigkeitsschwerpunkte zur Folge haben und somit gleichermaßen Veränderungen der Anforderungsprofile nach sich ziehen.243 Betrachtet man diesbezüglich die im Rahmen von Führungsprozessen generierten Anforderungsprofile und die in diesem Zusammenhang u.U. notwendige Integration von emotionalen Wirkmechanismen, so erscheint es wenig sinnvoll, diese aus konkreten Aufgabenprofilen und Tätigkeitsfeldern heraus ableiten zu wollen, da sie aufgrund der oben angedeuteten hohen Veränderungsdynamik zu instabil sind und ableitbare Prognosen folglich im Zeitablauf nicht robust wären. Vielmehr kann in den Wandelprozessen selbst die Grundlage für eine exakte Bestimmung der Anforderungen an Führungskräfte gesehen werden. Auf diese Weise lässt sich ableiten, inwieweit Führungskräfte durch die Verschiebung ihrer Arbeitsschwerpunkte eher sachbezogen bzw. struktural arbeiten müssen und in welchem Ausmaß sie personenbezogen-interaktiv tätig sein müssen. Die Darstellung dieser Prozesse sowie die durch sie bestimmbaren Folgen für die Tätigkeiten von Führungskräften sind daher auch das zentrale Ziel dieses Kapitels. Es soll gezeigt werden, welche Tätigkeitselemente für Führungskräfte in ihrer Bedeutung zu- bzw. abnehmen und welche Konsequenzen dies bei der Formulierung von Anforderungsprofilen hat. Auf diese Weise soll im weiteren Verlauf der Arbeit geklärt werden, warum der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte, auch unter dem Aspekt der Veränderungsdynamik, wichtiger geworden ist, und welche Konsequenzen sich hieraus für die Arbeit von Führungskräften ableiten lassen.
3.2 Führungserfolg Untersucht man organisationale Führungsprozesse, so ergibt sich die zentrale und theoretisch bedeutsame Frage, inwieweit erfolgreiche von erfolgloser Führung unterscheidbar ist, inwieweit also eine Führungskraft in der Lage ist, den Führungsprozess mehr oder weniger effizient zu gestalten. Aus diesem Grund versucht die Führungsforschung seit jeher, generalisierbare Erkenntnisse über das Resultat der Führung, den Führungserfolg, zu gewinnen.244 Dieser bestimmt, inwieweit die Führungsprozesse innerhalb eines Unternehmens positiv bzw. negativ wirksam sind und ist insofern von elementarer Bedeutung, als dass es insbesondere die im
243 244
Vgl. Hofman (2000), S. 6. Vgl. hierzu u.a. Neuberger (2002) und Wunderer (2006) u.a.
74
3 Führung im Wandel
Unternehmen tätigen Mitarbeiter sind, die den Unternehmens- und Organisationserfolg hervorbringen.245 Im Hinblick auf die Ermittlung von Führungserfolg ist es zuallererst notwendig, diesen zu definieren und Möglichkeiten der Operationalisierung zu bestimmen. Auf diese Weise lassen sich dann Messergebnisse ermitteln, anhand derer man unterschiedliche Führungsleistungen von Führungskräften zueinander ins Verhältnis setzen bzw. miteinander vergleichen kann. Dies wiederum ist notwendig, um Faktoren bei Führungskräften, ihrem Verhalten und ihrer Umgebung zu lokalisieren (Persönlichkeitseigenschaften, Verhaltensweisen, Situationsspezifika etc.), die eine positive bzw. negative Führungsleistung determinieren. Dies stellt die Argumentationsgrundlage für die Ableitung von Konsequenzen für die Tätigkeit von Führungskräften sowie deren Auswahl und Entwicklung dar. Hierbei nimmt man an, dass der Führungserfolg in direktem Zusammenhang mit dem Gesamterfolg einer Organisation steht.246 Das übergeordnete Ziel von Messungen von Führungserfolg besteht darin, auf der Grundlage empirisch ermittelter Daten, Aussagen über die Qualifikations- und Anforderungsprofile sowie die entsprechende Konzeption und Spezifikation von Prozessen und Programmen zur Führungskräfteauswahl und -entwicklung zu ermöglichen, die in einem Unternehmen langfristig positiven Führungserfolg generieren. Diese Zusammenhänge können idealtypisch graphisch so dargestellt werden, wie in Abbildung 8 gezeigt wird. Die Bestimmung von Führungserfolg stellt also einen mehrstufigen Prozess dar, welcher im Kern aus den drei Hauptelementen Definition/Operationalisierung, Messung sowie Input/ Outputanalyse besteht und sich problemorientiert folgendermaßen beschreiben lässt: Die erste Stufe wird gebildet durch eine grundlegende Definition und Operationalisierung von Führungserfolg. Nach Weibler (2001) ergibt sich bereits an dieser Stelle ein für die gesamte Führungsforschung zentrales Problem, da nach wie vor unklar ist, worin „Führungserfolg überhaupt besteht und anhand welcher Faktoren er bestimmt werden kann […].“247
245 246 247
Vgl. Weibler (2003), S. 83. Vgl. Hentze et al. (2005), S. 44-45. Weibler (2001), S. 86.
3.2 Führungserfolg
75
Führungserfolg Definition
Operationalisierung
Was ist Führungserfolg und welche Variablen beeinflussen ihn?
Anhand welcher Faktoren lässt er sich messen?
Messung Input/Output Analyse Welche Inputfaktoren führen zu welchem Ergebnis?
Führungskräftetraining
Induktion
Formulierung von Elementen für den Prozess der Führungskräfteentwicklung
Faktoren, die langfristig positiven Führungserfolg generieren
Führungskräfteauswahl Formulierung von Anforderungs- und Qualifikationsprofilen
Abbildung 8: Führungserfolg Quelle: eigene Darstellung
Wunderer (2006) definiert Führungserfolg als Funktion der Qualifikation der Mitarbeiter, der Motivation der Mitarbeiter und der Ausgestaltung der Arbeitssituation (s. Abb. 9). Diese drei Faktoren beeinflussen die Leistung, das Verhalten und die Zufriedenheit der Mitarbeiter und beschreiben damit den Führungserfolg, welcher wiederum aus zwei Komponenten besteht:248 1. Ökonomische Effizienz (Produktivität, Rentabilität, etc.) 2. Soziale Effizienz (z.B. Mitarbeiterzufriedenheit, Gruppenkohäsion etc.) Anzumerken ist, dass für die Erzielung von Führungserfolg beide Komponenten gleichermaßen zu berücksichtigen sind: Ein hoher sozialer Erfolg mit niedrigem wirtschaftlichem Erfolg erscheint aus betriebswirtschaftlicher Sicht wenig sinnvoll. Andererseits ist die Erzielung von ökonomischem Erfolg u.U. nur über die Erzielung von sozialem Erfolg möglich.
248
Zu beachten ist, dass zwischen den Faktoren Interdependenzen bestehen: z.B. beeinflusst die Ausgestaltung der Arbeitssituation nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch den sozialen. Vgl. Wunderer (2006), S. 13. Eine Übersicht über die Effizienzvariablen der Führung findet sich u.a. bei Link (1995), S. 23.
76
3 Führung im Wandel
Führungserfolg = f (Mitarbeiterqualifikation, Mitarbeitermotivation, Arbeitssituation)
Abbildung 9: Definition von Führungserfolg Quelle: Wunderer (2006), S. 13.
Wenngleich das Konstrukt Führungserfolg auf diese Weise etwas genauer charakterisiert werden kann, ist auf der zweiten Stufe (Messung) der Nachweis über einen Zusammenhang von Führung und Führungserfolg in Form konkreter Messungen aber nur schwer zu erbringen. Einerseits wird Führungserfolg, betrachtet man ihn als das Endprodukt von Führungsprozessen, neben den von der Führungskraft selber beeinflussbaren Faktoren auch durch eine Vielzahl von Faktoren249 bestimmt, die außerhalb deren Wirkmächtigkeit liegen.250 So kann es trotz effizienter Ausgestaltungen von Führungsbeziehungen durch das Einwirken dieser Parameter dazu kommen, dass negativer Führungserfolg generiert wird. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich beim Vorgang des Messens von Führungserfolg z.T. erhebliche methodische Probleme ergeben können. Der Grund hierfür liegt in der Tatsache begründet, dass die zu berücksichtigende Anzahl und Vielfalt von Variablen sehr groß ist und deren Skalierungen (ordinal vs. kardinal, diskret vs. stetig) u.U. ebenfalls sehr unterschiedlich ausfallen. Während sich bezogen auf Wunderer (2006) die wirtschaftliche Komponente anhand quantifizierbarer Größen noch relativ leicht errechnen lässt (z.B. Gewinn, Produktivität etc.), ist die Ermittlung des sozialen Erfolges umso schwieriger. Die Frage ist also, wie gerade diese Komponente exakt operationalisiert werden kann: Die Grundgesamtheit der Faktoren, die sozialen Erfolg umfassend bestimmen, ist dabei nicht bekannt. Zusätzlich ergibt sich nach Neuberger (2002) ein schwerwiegendes Kriterienproblem: Zuerst müssen die häufig qualitativen Daten (z.B. bzgl. Mitarbeiterzufriedenheit) auf eine metrische Skala transformiert werden. Dies erscheint besonders bei Faktoren wie z.B. Gruppenkohäsion äußerst schwierig. So erfordert die Durchführung insgesamt ein hohes Maß an Sorgfalt, um zu gewährleisten, dass die Ergebnisse den Gütekriterien Validität, Reliabilität und Objektivität genügen. Die angesprochenen Problemfelder bei der Messung von Führungserfolg sind ein Grund dafür, weshalb in der Führungsforschung häufig inkonsistente Maße verwendet werden, die elementar wichtige Eigenschaften nicht erfüllen.251 Während Lehner (1995) in Bezug auf den
249 250 251
Dies können z.B. konjunkturelle Schwankungen, Markträumungsprozesse und ähnliches sein. Vgl. Berthel/Becker (2003), S. 64. Wichtig ist, dass Erfolgsmaße u.a. objektiv, zuverlässig, relevant und vollständig (alle wichtigen Aspekte erfassend) sind. Vgl. Neuberger (2002), S. 434-436.
3.2 Führungserfolg
77
sozialen Erfolg noch recht nahe liegende Maße wie Krankenstand, Mitarbeiterfluktuation, Anzahl der Beförderungen oder aber die Mitarbeiterzufriedenheit anführt252, greift Fiedler (1967) in seinen Forschungsarbeiten völlig willkürlich auf unterschiedlichste heterogene Maße zurück wie z. B. bei Basketballteams den Tabellenstand, bei Panzerbesatzungen die Treffergenauigkeit usw., was unabhängig von der Nichterfüllung der Gütekriterien wissenschaftlich wenig fundiert erscheint.253 Diese Art der Verwendung von einzelnen und dazu auch noch inkonsistenten Kriterien führt zu Informationsverlusten und Ergebnisverzerrungen, die u.U. falsche Schlussfolgerungen für die Bestimmung von Tätigkeitsfeldern von Führungskräften nahe legen. Aufgrund der Komplexität der Erfolgsindikatoren muss die für die Messung von Führungserfolg grundlegende Operationalisierung also sehr exakt vorgenommen werden. Nur dann können im Rahmen der dritten Stufe (Input/Output-Analyse) exakte Anforderungs- und Qualifikationsprofile von Führungskräften formuliert werden. Gerade wenn es um die Ermittlung von Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen geht, die dauerhaft positiv mit Führungserfolg korrelieren, muss jedoch konstatiert werden, dass eindeutige empirische Nachweise bisher nicht existieren. Der Beweis, dass es einen solchen signifikanten Zusammenhang überhaupt gibt, konnte noch nicht erbracht werden.254 Dies ist möglicherweise auch auf bisher nicht in ausreichendem Maße betrachtete Parameter bzw. deren Kombination innerhalb des komplexen Führungsprozesses zurückführbar. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Versuch einer aussagefähigen Führungserfolgsmessung nur durch die Einbeziehung einer Vielzahl von Variablen möglich ist. Gerade im Rahmen von bestehenden Input-/Outputanalysen ist es daher auch noch nicht gelungen, zeitlich robuste Anforderungs- und Kompetenzprofile von Führungskräften zu extrahieren. Besonders die schon im Rahmen von Abschnitt 3.1 erwähnten Umfeldentwicklungen von Unternehmen haben hierbei erhebliche Auswirkungen auf Führungsprozesse und die hieraus resultierenden Führungserfolge: nicht nur die Aufgabenfelder von Führungskräften selbst sind also vom Wandel betroffen, sondern auch die hierfür notwendigen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Führungskräften. Bestehende Kompetenzprofile sind also u.U. nur noch eingeschränkt dazu geeignet, die durch die Veränderungen induzierten, künftigen Herausforderungen zu bewältigen.
252 253 254
Vgl. Lehner (1995), S. 553-555. Vgl. Fiedler (1967), S. 133 ff.. Vgl. Hummel (2005), S. 43.
78
3 Führung im Wandel
Im Rahmen dieser Kapitels soll daher nachgewiesen werden, dass Emotionen und der Umgang mit ihnen für Führungskräfte eine erfolgskritische Variable darstellen, weil sich eine Verlagerung der Arbeit von Führungskräften dahingehend abzeichnet, dass verstärkt die interpersonale Arbeit an Bedeutung gewinnen wird, innerhalb derer das emotionale Erleben von Individuen ein zentrales strukturierendes Moment bildet. Da der Versuch konkreter Messungen von Führungserfolg in Anbetracht der geäußerten Problematiken wenig viel versprechend erscheint, muss im Folgenden gezeigt werden, dass künftig jene Tätigkeitsfelder von Führungskräften wichtiger werden, innerhalb derer Emotionen einen zentralen Einflussfaktor darstellen. Emotionen und der Umgang mit ihnen haben nämlich genau dann einen signifikanten Einfluss auf den Erfolg einer Führungskraft, wenn sie einen (integralen) Bestandteil ihres Aufgabenspektrums bilden. Da sich dieses Spektrum im Zeitablauf in besonderem Maße durch eine Vielzahl von Veränderungen wandelt, müssen die hierfür ursächlichen Prozesse und die für die Tätigkeit von Führungskräften hieraus theoretisch und empirisch prognostizierbaren Konsequenzen dargestellt werden. Das Ziel besteht darin, durch die Betrachtung bisher nur unzureichend untersuchter Zusammenhänge und die Stützung mit empirischen Daten nachzuweisen, dass der Umgang mit Emotionen von Seiten der Führungskraft innerhalb von Führungsprozessen zukünftig, neben anderen, eine elementare Variable im Hinblick auf positiven Führungserfolg bilden wird. Aufgrund der Tatsache, dass, wie in Kapitel 2 bereits umfassend gezeigt wurde, Emotionen die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen bilden, ist der Umgang mit ihnen auch unabhängig von den angesprochenen Wandelprozessen von elementarer Bedeutung für den Führungsprozess. Diese Wandelprozesse führen jedoch dazu, dass die personenbezogene Arbeit von Führungskräften für deren Erfolg im Zeitablauf zunehmend wichtiger wird. Somit erlangen emotionale Wirkmechanismen auch im Rahmen der Führungsarbeit ebenfalls eine höhere Bedeutung, da Führung zu großen Teilen einen sozialen Prozess bildet, der durch die Interaktion von Individuen kennzeichenbar ist. Deren Verhalten wird aber wiederum durch emotionales Erleben gesteuert. Dies kann als Grund dafür angesehen werden, warum die Thematik Systematisierung im Umgang mit Emotionen zusätzlich an Bedeutung gewonnen hat und noch weiter gewinnen wird.
3.3 Aufgaben von Führungskräften
79
3.3 Aufgaben von Führungskräften Die Präzisierung von Führungskräfteaufgaben ist aufgrund der oben angedeuteten Problematik nur schwer möglich. Deutlich wird dies durch die Skizzierung des beruflichen Alltags, welcher geprägt ist durch hohe verbale und nonverbale Kommunikationsanteile, kurze Arbeitszyklen mit schnell wechselnden Tätigkeiten und der nur eingeschränkten Möglichkeit einer detaillierten Ablaufplanung.255 Führungskräfte „werden im allgemeinen stärker vom Tagesgeschäft beherrscht, als daß sie das Tagesgeschäft beherrschen.“256 Dies zeigt sich durch die Ergebnisse einer Studie von Hunziger/Bäumer (2003).257 Die Befragung von 330 Managern aus 10 Ländern, die zu 75% der ersten und zweiten Führungsebene angehören, zeigt, dass nur 6% der Befragten ihren Tageszeitplan konsequent einhalten können. 63% gelingt immerhin eine weitestgehende Einhaltung, bei 31% dagegen gerät er oft durcheinander.258 Nach Kübel (1994) lassen sich sehr allgemein formuliert die Aufgaben einer Führungskraft folgendermaßen umschreiben: Sie muss die von außen auf das Unternehmen einwirkenden Impulse verarbeiten und adäquat in die Unternehmung implementieren (z.B. Veränderung von Marktgegebenheiten). Sie hat für die Funktionsfähigkeit der einzelnen Teilsysteme innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu sorgen (Teams, Abteilungen etc.) und den effizienten Ablauf von Prozessen sicherzustellen. Zuletzt muss sie die Vernetzung der Teilsysteme untereinander gestalten, damit diese effizient miteinander kommunizieren und agieren können.259 Diese Vernetzung in Form von interner Kommunikation ist auch im Rahmen der von Hunziger/Bäumer (2003) durchgeführten Studie eine der Aufgaben mit der höchsten Priorität im Tagesgeschäft.260 Grunwald (1995) beschreibt die Aufgaben in Form klassischer Managementfunktionen von Führungskräften wesentlich differenzierter als Kübel (1994), dennoch erscheint es aufgrund der durch Entwicklungsprozesse begründeten zeitlichen Instabilität von
255 256 257
258 259 260
Vgl. Regnet (2003), S. 52. Grunwald (1995), S. 197. Bei der Studie handelt es sich um eine schriftliche Befragung der Top-Manager der 500 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland sowie ausgewählter mittelständischer Unternehmen und Mitgliedsunternehmen der Auslandshandelskammern in Ländern wie Frankreich, Schweiz, Niederlande, Tschechien, Bulgarien usw. zu der Thematik Worklife-Balance mit den Einflussbereichen Arbeit, Freizeit, Familie und Gesundheit. Die Befragung wurde im Zeitraum September bis Dezember 2002 durchgeführt. 380 Führungskräfte beteiligten sich an der Studie, insgesamt wurden 330 Fragbögen mit in die Auswertung aufgenommen. Vgl. Hunziger/Bäumer (2003), S. 5-8. Vgl. Hunziger/Bäumer (2003), S. 11. Vgl. Kübel (1994), S. 32-33. Die häufigsten Nennungen bei den Befragten in Deutschland sind Interne Kommunikation (75%), Konzeptionelle Arbeiten (63%) und Personalmanagement (62%). Bei den Befragten im Ausland ergibt sich folgende Rangreihe: Kundenkontakt/-bindung (66%), Interne Kommunikation (65%), Strategieentwicklung (63%), Personalmanagement (56%), Vertrieb/Akquisition (44%). Vgl. Hunziger/Bäumer (2003), S. 11.
80
3 Führung im Wandel
Aufgabenprofilen insgesamt zweckmäßiger, jene übergeordneten Anforderungen zu lokalisieren, mit denen sich eine Führungskraft im Zeitablauf konfrontiert sieht.261 Unabhängig von Branche und Strategie des Unternehmens sowie Hierarchieebene der betrachteten Führungskräfte sollen daher im Folgenden auf übergeordneter Ebene gleichsam geltende Anforderungen herausgearbeitet werden, die das Tätigkeitsfeld von Führungskräften bilden und gestalten. Hierbei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass etwa die von Grunwald (1995) angesprochenen klassischen Managementfunktionen dabei nicht zwangsläufig ihre Gültigkeit verlieren. Durch die Wandelprozesse kommt es jedoch zu insgesamt geänderten Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass sich die Bedeutungsgewichte einzelner Funktionen verschieben.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte 3.4.1 Intrapersonale vs. extrapersonale Anforderungen Bei der Formulierung von Anforderungen an Führungskräfte erscheint es sinnvoll, als Ausgangspunkt die ursächlichen Entwicklungen und Veränderungen in der Umwelt von Unternehmen aufzuzeigen, welche sowohl das Handeln und die Geschäftstätigkeit von Unternehmen (z.B. in Hinblick auf Strategie, Struktur usw.) als auch die Tätigkeit von Führungskräften beeinflussen. Hofman (2000) unterscheidet in diesem Zusammenhang mit extrapersonalen und intrapersonalen Anforderungen von Führungskräften zwei eigenständige Felder:262 Die Umfeldentwicklungen bzw. die durch sie induzierten Veränderungen stellen Anforderungen für Unternehmen dar, die die Tätigkeit von Führungskräften indirekt betreffen, in erster Linie aber außerhalb ihrer Person liegen. Sie betreffen eher die Aktivität des Unternehmens und werden daher als extrapersonal bezeichnet. So stellt beispielsweise der technologische Wandel in erster Linie eine Herausforderung für das Unternehmen dar. Dieses muss durch die Einführung neuer Informations- und Kommunikationssysteme die Adaption der Veränderungen sicherstellen. Zum anderen haben diese Entwicklungen und die hieraus notwendig werdenden Veränderungen innerhalb der Unternehmen aber konkrete Auswirkungen auf die Tätigkeit von Führungskräften und ihre Kompetenz- und Qualifikationsprofile. Diese sind im Rahmen ihrer Führungsaufgabe dafür verantwortlich, die sich sehr schnell wandelnden extrapersonalen Anfor261
262
Die klassischen Managementfunktionen sind z.B. Probleme erkennen und analysieren, Zielfindung/Zielsetzung, Planung von Lösungsalternativen usw. Vgl. Grunwald (1995), S. 195-197. Vgl. Hofman (2000), S. 13-14.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
81
derungen zu adaptieren, entsprechende Veränderungsprozesse im Unternehmen einzuleiten und ihr Führungsverhalten ggf. zu modifizieren. So lässt sich aus den extrapersonalen Anforderungen ein konkretes Anforderungsprofil ableiten, welches für Führungskräfte normativen Charakter hat. Dies ist kennzeichenbar durch eine Vielzahl von Qualifikationen, Kompetenzen, Eigenschaften und Fähigkeiten und umfasst ebenso spezifische Merkmale der Persönlichkeit. Die extrapersonalen Veränderungen generieren also in Bezug auf die Führungskraft Anforderungen, die innerhalb der Person liegen und werden als intrapersonal bezeichnet. Der Zusammenhang zwischen den extra- und intrapersonalen Anforderungen sei an einem Beispiel, welches in den folgenden Abschnitten noch detaillierter dargestellt wird, verdeutlicht: Die demographische Entwicklung als ein Veränderungsprozess in der Unternehmensumwelt (steigender Altersdurchschnitt der Belegschaften bei insgesamt sinkender Bevölkerungszahl) führt für Unternehmen auf mittlere Sicht durch den Rückgang des Bevölkerungswachstums u.U. zu Engpässen bei den zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen. Somit kann das Arbeitsangebot durch geburtenschwache Jahrgänge nicht mehr vollständig abgedeckt werden (Entwicklung im Unternehmensumfeld). Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit müssen Unternehmen daher alternative Strategien der Mitarbeitergewinnung bzw. -bindung mit einbeziehen (Auswirkung auf das Unternehmen). Sie sind u.a. gezwungen, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen, den Zuzug von Ausländern zu ermöglichen und die Lebensarbeitszeit von älteren Mitarbeitern zu verlängern. Im Ergebnis kommt es zu einer zunehmenden Heterogenisierung der Belegschaften in Form hoher Varianzen bei bestehenden Leistungsprofilen (Auswirkung auf das Unternehmen). Diese Tatbestände bilden zusammengenommen extrapersonale Anforderungen an die Unternehmen und stellen gleichzeitig eine konkrete Herausforderung für die im Unternehmen tätigen Führungskräfte dar, die in ihrem Führungsverhalten vor dem Hintergrund heterogener Belegschaften zunehmend individualisiert führen und über ein sehr hohes Adaptionsvermögen verfügen müssen, um langfristig Führungserfolg generieren zu können (Auswirkung auf die Tätigkeit von Führungskräften). Die vereinfachte Grafik in Abbildung 10 verdeutlicht diesen Zusammenhang zwischen extraund intrapersonalen Anforderungen beispielhaft.
82
3 Führung im Wandel
erfordert
Demografische Entwicklung führt zur Verknappung des zur Verfügung stehenden Erwerbspotentials Entwicklungen im Unternehmensumfeld
führen zu
erfordert
Neue Strategien bei der Gewinnung und Rekrutierung von Mitarbeitern
Heterogenisierung der Belegschaften in Form unterschiedlicher Leistungsprofile
Extrapersonale Anforderung
Auswirkungen auf das Unternehmen
Hohes Adaptionsvermögen und Fähigkeit zu individualisierter Führung Intrapersonale Anforderung
Abbildung 10: Zusammenhang von extra- und intrapersonalen Anforderungen Quelle: eigene Darstellung
Als zentrale Entwicklungen im Umfeld der Unternehmen, die elementare Auswirkungen auf deren Geschäftstätigkeit haben, kennzeichnet Hofman (2000) folgende:263 1. Demographische Situation 2. Ökonomische Trends 3. Politische, juristische und ökologische Veränderungen 4. Technologischer Wandel 5. Wandel der gesellschaftlichen Werte Diese fünf Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Tätigkeit von Unternehmen und Führungskräften werden im Abschnitt 3.4.2 Extrapersonale Anforderungen im Wandel präzisiert. Punkt 3, die politischen, juristischen und ökologischen Faktoren, sind jedoch hinsichtlich ihrer Bedeutung als untergeordnet einzuschätzen. Zwar sind die Entwicklungen in diesem Bereich massiv, doch stellen sie nicht wirklich neue bzw. geänderte Anforderungen für die Personalführung dar. Einzig die fortschreitende Ausdehnung der Europäischen Union führt insgesamt zu einer zunehmenden Internationalisierung der Arbeitnehmer, die aufgrund der Verschiebung der Altersruhestandsgrenze, zumindest in Deutschland, immer älter werden.264 Dieser Punkt wird aber in besonderem Maße im Rahmen der demographischen Situation behandelt. Auch werden aufgrund hoher Interdependenzen der Punkte 2 und 4 diese im Folgenden zu einem Punkt zusammengefasst. Nach der Darstellung der Entwicklungen in der Unternehmensumwelt als extrapersonale Anforderung in Abschnitt 3.4.2 werden im Anschluss in Abschnitt 3.4.3 die hieraus ableitbaren 263 264
Vgl. Hofmann (2000), S. 68. Vgl. Hofmann (2000), S. 49.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
83
Anforderungen an Führungskräfte auf intrapersonaler Ebene diskutiert, sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Perspektive. Nach Schuler/Funke (1995) enthält das intrapersonale Führungskraftprofil vier Anforderungsfelder:265 1. Eigenschaftsanforderungen 2. Qualifikationsanforderungen 3. Verhaltensanforderungen 4. Ergebnisanforderungen Hierbei ist zu bedenken, dass Verhaltens- und Ergebnisanforderungen auf bestimmte Eigenschaften und Qualifikationen einer Führungskraft zurückzuführen sind, so dass viele Autoren dazu übergehen, Führungskräfte anhand der Merkmale Eigenschaften und Qualifikationen einzustufen.266 Nach Grunwald (1995) lassen sich Qualifikationen wiederum einteilen in Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse, wohingegen Hungenberg (1990) unter dem Begriff Qualifikation das Wissen, die Fähigkeiten und die Einstellung einer Führungskraft zusammenfasst und diese als Determinanten menschlichen Leistungsverhaltens ansieht.267 Obwohl die Notwendigkeit einer definitorischen Abgrenzung der Begriffe Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Kompetenzen, Qualifikationen etc. in der psychologischen Literatur stark betont wird, werden diese Begrifflichkeiten aus forschungsökonomischen Zwecken und in Anlehnung an entsprechende Vorgehensweisen in empirischen Studien (Abschnitt 3.4.3.2), in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.
3.4.2 Extrapersonale Anforderungen im Wandel 3.4.2.1 Entwicklungen im Unternehmensumfeld In diesem Abschnitt werden die relevanten Entwicklungen im Umfeld der Unternehmen und die mit ihnen in Zusammenhang zu bringenden Erklärungsgründe und Konsequenzen dargestellt, bevor in den Abschnitten 3.4.2.2 und 3.4.2.3 die hieraus ableitbaren Auswirkungen für Unternehmen und Führungskräfte betrachtet werden. Bei den Entwicklungen handelt es sich um:
265 266 267
Vgl. Schuler/Funke (1995), S. 237. Vgl. Hofmann (2000), S. 16. Vgl. Grunwald (1995), S. 195 und Hungenberg (1990), S. 14-15.
84
3 Führung im Wandel 1. die demographische Entwicklung, 2. die ökonomischen Trends und den technologischen Wandel sowie 3. den Wertewandel.
Demographische Entwicklung Die demographische Entwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2050 ist kennzeichenbar durch einen zunehmenden Altersdurchschnitt der Bevölkerung bei insgesamt negativem Bevölkerungswachstum: die prognostizierte Zahl der Bevölkerung sinkt von 82,6 Mio. im Jahr 2001 auf 75,1 Mio. im Jahr 2050. Gleichzeitig steigt der Anteil der über 60jährigen von 24,1% auf 36,7% und der Anteil der 20-60jährigen sinkt von 55% auf 47,2%.268 Diese, durch einen Geburtenrückgang induzierte, und damit praktisch irreversible Entwicklung führt dazu, dass die Bevölkerung in Deutschland zunächst altert und dann schrumpft.269 Als Folge wird in mittelund längerfristiger Sicht das Arbeitsangebot, welches zurzeit noch oberhalb des Beschäftigungspotentials liegt, zurückgehen. Insgesamt kann es bereits ab 2008 zu einem Arbeitskräftemangel kommen, weil das Arbeitsangebot zu diesem Zeitpunkt rein rechnerisch deutlich über dem zur Verfügung stehenden Erwerbspotential liegen wird.270 Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, müssen Unternehmen künftig ihre Humanressourcen auf bisher nur unzureichend genutzten Wegen rekrutieren. Dies kann u.a. durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Erhöhung des Erwerbspotentials durch Zuzug von Ausländern oder die verbesserte Nutzung des vorhandenen Beschäftigungspotentials durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit geschehen.271 Das größte Potential bei der langfristigen Deckung des Arbeitsangebots besteht hierbei in der fortdauernden Beschäftigung älterer Mitarbeiter, wenngleich bei den Unternehmen bisher nur eine sehr geringe Präferenz besteht, ältere Mitarbeiter einzustellen bzw. länger zu beschäftigen.272 So zeigt das repräsentative Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für das Jahr 2002, dass etwa in Deutschland in 41% der Unternehmen keine Arbeitnehmer über 50 Jahre mehr beschäftigt werden.273 Gensel (2005) berichtet von einer Umfrage des IAB im Jahre 2000, die ergeben hat, dass nur rund 4% der befragten Unter-
268
269 270 271 272 273
Hierbei werden ein jährlicher Wanderungssaldo von 200.000 Personen und eine mittlere, durchschnittliche Lebenserwartung von 81 Jahren bei Männern und 87 Jahren bei Frauen zugrunde gelegt. Vgl. Statistisches Bundesamt (2003), S. 26-36. Vgl. Reinberg/Hummerl (2003), S. 40. Vgl. Engelbrech (2002), S. 51-52. Vgl. Engelbrech (2002), S. 51-52 und Reinberg/Hummerl (2003), S. 48-49. Vgl. Eckardstein (2004), S. 131. Vgl. Böhme et al. (2003), S. 101.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
85
nehmen in der Altersentwicklung der Belegschaft überhaupt ein Problem sehen.274 Eckardstein (2004) sieht einen möglichen Grund hierfür in Produktivitätsüberlegungen, weil im hohen Alter des Arbeitsnehmers der gezahlte Lohn u.U. sein Grenzprodukt überschreitet. Auch vertreten viele Unternehmen die Ansicht, dass jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zu älteren über ein höheres Maß an Flexibilität und Qualifikation verfügen. Gerade die Adaption und Implementierung von technologischen Veränderungen wird von Jüngeren schneller vollzogen. Die Präferenz für Jüngere lässt sich auch aus der Amortisationsdauer von Personalentwicklungsmaßnahmen ableiten: während jüngere Arbeitnehmer nach Ablauf der Amortisationsdauer meist noch im Unternehmen verweilen, sind ältere bereits in den Ruhestand übergetreten.275 Da Unternehmen bei Beibehaltung bisheriger Rekrutierungs- und Beschäftigungsstrategien mittelfristig aber vor einem Ressourcenproblem stehen, muss diese Präferenzstruktur entsprechend modifiziert werden.
Ökonomische Trends und technologischer Wandel Hinsichtlich der ökonomischen Trends ist die Globalisierung die bedeutsamste Entwicklung in diesem Bereich, also die Bildung und Erweiterung globaler Handels- und Wirtschaftssysteme.276 Durch den stetigen Abbau von Handelsbarrieren, die Verbesserung von Marktzutrittschancen und die hierdurch induzierte weltumspannende Ausweitung der Märkte kommt es zu einer Intensivierung des Wettbewerbs, welche durch die Technologisierung zusätzlich an Dynamik gewinnt.277 Die Zunahme des Wettbewerbs sowie die Internationalisierung des Geschäfts sind nach einer Befragung von 110 Führungskräften der deutschen Wirtschaft aus den alten Bundesländern die wesentlichen Umfeldherausforderungen für Unternehmen.278 So führen neue Produktions- und Kommunikationstechnologien sowie verkürzte Innovationszyklen zu Rationalisierungen und Produktivitätsverbesserungen. Gleichzeitig steigt die Komplexität der Aufgaben und geht mit einer sinkenden Halbwertzeit des Wissens einher.279 Diese Prozesse laufen dabei nicht nur auf internationaler, sondern ebenso auf nationaler Ebene, was sich durch die Privatisierungs- und Deregulierungsaktivitäten sowie die Öffnung der Energie-, Kommu274 275 276 277 278 279
Vgl. Gensel (2005), S. 38. Vgl. Eckardstein (2004), S. 130-131. Vgl. Sattelberger (1999), S. 8-10. Vgl. Krüger (1999), S. 19. Vgl. Hofman (2000), S. 213. Vgl. Hofmann (2000), S. 53-60.
86
3 Führung im Wandel
nikations- und Verkehrsmärkte zeigt.280 Nach Steger/Kummer (2002) kann die Globalisierung und Internationalisierung durch sechs Faktoren gekennzeichnet werden, von denen vier von Relevanz für die Tätigkeit von Unternehmen und Führungskräften sind:281 1. Entgrenzung 2. Heterarchie 3. Faktormobilität 4. Legitimitätserosion Entgrenzung meint, dass es im Zeitablauf zu einer vollständigen Aufweichung von Grenzen zwischen Unternehmen, Industrien und Staaten kommen wird (blurring boundaries). Hierzu kann man nach Oechsler (2000) auch beobachtbare Veränderungen bei den Beschäftigungsformen zählen, welche sich u.a. in der Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten, Entgeltformen und Eigentumsverhältnissen zeigen.282 Heterarchie bedeutet, dass klassische Hierarchien durch Netzwerkformen ergänzt werden und traditionelle Strukturen partnerschaftlichen Formen der Zusammenarbeit weichen. Als Folge der Entgrenzungsprozesse kommt es im Rahmen der sich international integrierenden Arbeitsmärkte zu einer Erhöhung der Faktormobilität. Insbesondere die Faktoren Arbeit und Wissen, die im Rahmen der Wertschöpfungsketten eine essentielle Rolle einnehmen, haben vor dem Hintergrund in Deutschland knapper werdender Humanressourcen und einer Angleichung von Erwartungen und Standards in Zukunft eine verstärkte Verhandlungsposition, da Unternehmen quasi weltweit den Renditeansprüchen der Arbeitnehmer genüge tragen müssen. Ein weiteres Problem stellt die so genannte Legitimitätserosion dar: Ursache-Wirkungsketten brechen aufgrund der hohen Marktkomplexität hinsichtlich ihrer Rekonstruierbarkeit zusammen. Verursacher von spezifischen Ereignissen bzw. deren Folgen sind nur noch bedingt ermittelund Verantwortung damit nur noch schwer zuordenbar. Die Globalisierung des Wettbewerbs hat insgesamt zur Folge, dass es zu einer starken Angleichung von Produkten und Dienstleistungen bei gleichzeitig spürbaren Tendenzen zur Marktsättigung kommt: „Produktinnovationen, die den Kundennutzen erkennbar fördern könnten, sind die Ausnahme, marginale Produktentwicklungen die Regel.“283 Die Unternehmen sind 280 281
282 283
Vgl. Krüger (1999), S. 19-20. Die Autoren nennen noch Vergangenheits-Zukunfts-Asymmetrie und Vielfalt der Optionen. Vgl. Steger/ Kummer (2002), S. 183-185. Vgl. Oechsler (2000), S. 42-44. Heinrich/Richter (2002), S. 253.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
87
daher auf Differenzierungsstrategien angewiesen, die den Fortbestand im Markt sicherstellen müssen.
Wertewandel Innerhalb der Unternehmensumwelt vollzieht sich ein Wandel der gesellschaftlichen Werte. Nach Drumm (2001) werden Werte wie Pflichtgefühl, Ein- und Unterordnung, Hierarchieakzeptanz u.ä. abgelöst durch Individualität, Egoismus, Opportunismus und Hedonismus.284 Gerade in der Personalführung bedeutet das, dass sich die Mitarbeiter mit ihrer Beschäftigung im Sinne einer motivierenden und sinnerfüllten Tätigkeit identifizieren wollen, was sich u.a. in verstärkten Partizipationswünschen und dem zunehmendem Drang nach Individualisierung äußert.285 Nach Gensicke (1996) ist in Bezug auf Westdeutschland eine generelle Individualisierung der Lebensweise und Mentalität erkennbar. So vollzieht sich ein langsamer Übergang hinsichtlich der Lebenseinstellung von produktiv-investiv zu stärker konsumtiv-genießerisch. Dies hat Folge, dass die Bürger und Mitarbeiter von Unternehmen zunehmend als kritischhinterfragend und weniger als untertänig-konform charakterisierbar sind.286 Giger (2005) kommt nach einer nicht repräsentativen Befragung von 152 Individuen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu dem Schluss, dass Werte innerhalb der Gesellschaft allgemein eine hohe Bedeutung haben. 66% der Befragten stimmten der Aussage zu: „Ich denke oft darüber nach, welche Werte mein Leben bestimmen und bestimmen sollen.“ Dabei hat die Bedeutung von Werten in den letzten 10 Jahren signifikant zugenommen und auch für die Zukunft kann eine Fortsetzung dieses Trends prognostiziert werden.287 Ester/Braun/Vinkert (2006) haben in diesem Zusammenhang im Rahmen einer empirischen Studie untersucht, inwieweit sich im Zeitablauf die Werte der Bürger hinsichtlich der Arbeitswelt verändert haben.288 Hierbei unterscheiden sie zwischen extrinsischen und intrinsischen
284 285 286 287 288
Vgl. Drumm (2001), S. 65. Vgl. Regnet (2003), S. 56. Vgl. Gensicke (1996), S. 29. Vgl. Giger (2005), S. 30-31. Die Studie bezieht sich auf 13 Länder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Westdeutschland, Großbritannien, Nordirland, Island, Irland, Italien, Niederland, Spanien, Schweden, USA. Als Grundlage benutzten die Autoren drei Sekundärdatensätze aus den Jahren 1981, 1990 und 1999/2000 der European Values Study innerhalb derer über 52.000 Befragte unterschiedlicher Generationen hinsichtlich ihrer Werte befragt wurden. Vgl. Ester/Braun/Vinken (2006), S. 94-95. Die Autoren räumen hierbei selbst ein, dass die Datensätze und die methodisch vorgenommene, nicht einwandfreie, Operationalisierung problembehaftet sind. So lassen sich z.B. Aussagen wie good pay nicht eindeutig interpretieren. „Particularly the fact that neither ratings nor systematic rankings were used is a negative case in point.“ Ester/Braun/Vinken (2006), S. 94. Unabhängig von statistischen und methodischen Insuffizienzen muss jedoch hervorgehoben werden, dass die Anzahl der befragten Personen und einbezogenen Länder, die Häufigkeit der Durchführung (1981, 1990, 2000/2001) sowie der betrachtete Zeitraum insgesamt eine robuste Kernaussage hinsichtlich des
88
3 Führung im Wandel
Werten. Extrinsische Werte werden dabei abgebildet durch items wie good pay, not too much pressure, good job security etc., während intrinsische Werte sich eher auf die Tätigkeit an sich beziehen: an opportunity to use initiative, a job in which you can feel you can achieve something, a responsible job usw. In Bezug auf die für die Studie berücksichtigten Länder einzeln sowie zusammenfassend für alle Länder zusammen wurde erhoben, wie hoch der prozentuale Anteil der Befragten ist, für die die jeweiligen Werte auf aggregierter Ebene (extrinsisch/intrinsisch) von Bedeutung sind. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass über alle Länder hinweg sowohl intrinsische Werte als auch extrinsische in ihrer Bedeutung zugenommen haben, wobei sowohl das absolute Niveau als auch der prozentuale Anstieg bei den intrinsischen höher ist.289 Der Wandel intrinsischer Werte wird dabei in Bezug auf Europa erwartungsgemäß insbesondere von der jüngeren Generation getragen, wobei die Autoren hierbei keine konkreten Altersangaben machen: „they are the ones strongly emphasizing intrinsic work values.“290
3.4.2.2 Auswirkungen auf die Unternehmen Die skizzierten Umfeldentwicklungen determinieren eine Vielzahl von Auswirkungen in Bezug auf die Aktivität von Unternehmen und die Tätigkeit von Führungskräften. Nach Hofman (2000) müssen diese, übergreifend formuliert, die Veränderungen in Bezug auf die Struktur, die Strategie und die Ziele des Unternehmens sowie deren Kultur und Führungsverständnis aufgreifen und erfolgskritisch implementieren.291 In Anlehnung an die drei Hauptentwicklungen in der Unternehmensumwelt lassen sich folgende Auswirkungen konkretisieren:
Demografische Entwicklung Aufgrund der demografischen Entwicklung müssen Unternehmen ihre überwiegende Präferenz für junge Mitarbeiter aufgeben. Auch müssen die Zuzugsmöglichkeiten von qualifizierten Arbeitnehmern aus dem Ausland z.B. über die Vergabe von green cards verbessert werden, um den zusätzlichen Bedarf, der durch die demographische Entwicklung entsteht, zu decken. Des Weiteren sind Unternehmen gefordert, das brachliegende Potential an qualifizierten Frauen, die nicht am Arbeitsmarkt partizipieren, zu nutzen. Hierfür müssen entsprechende
289
290 291
Wertewandels ermöglichen, was das primäre Ziel der Autoren war und deren Vorgehensweise ex post somit legitimiert. Der Anteile der Befragten, für die die extrinsischen (intrinsischen) Werte jeweils von Bedeutung sind, sind für die Jahre 1980,1990 und 1999/2000 folgende: 45% (48%), 46% (52%) und 51% (57%). Vgl. Ester/ Braun/Vinken (2006), S. 98-102. Ester/Braun/Vinken (2006), S. 110. Vgl. Hofmann (2000), S. 69.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
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Modelle entwickelt werden, die die Einstiegsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der worklife-balance und der Integration von Beruf und Familie verbessern. Unternehmen stehen also sowohl in Bezug auf die Mitarbeiterbindung als auch auf die Mitarbeiterbeiterrekrutierung vor neuen Herausforderungen, wenn es darum geht, die Versorgung mit Humanressourcen langfristig sicherzustellen.292 Ungeachtet dessen ist auf lange Sicht ein großer Teil des zur Verfügung stehenden Erwerbspotentials durch ein sehr hohes Durchschnittsalter kennzeichenbar. Die demografische Entwicklung und die entsprechenden Maßnahmen der Ressourcensicherung (Zuzug von Ausländern, Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen, Verlängerung der Lebensarbeitszeit) führen demnach dazu, dass die in Bezug auf ihrer Struktur bisher recht homogenen Belegschaften heterogener werden, da sich das Verhältnis von alten und jungen, ausländischen und inländischen sowie weiblichen und männlichen Mitarbeitern ändert und eine weitgehende Durchmischung stattfindet, wenngleich der Anteil der älteren Arbeitnehmer deutlich überwiegt. Im Ergebnis liegen dann innerhalb der Unternehmen sehr unterschiedliche Leistungsund Kompetenzprofile vor, die von den Führungskräften im Rahmen des Arbeits- und Führungsprozesses in ihrer Struktur berücksichtigt werden müssen.293
Ökonomische Trends und technologischer Wandel Die Folgen der Globalisierung in Form gestiegener Wettbewerbsintensität bedeuten für Unternehmen, dass diese verstärkt Synergie- und Effizienzvorteile erkennen und entsprechend nutzen müssen.294 Vor dem Hintergrund sich integrierender und hinsichtlich ihrer Produkte und Dienstleistungen angleichender Märkte sind Unternehmen zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit gezwungen, ihre Geschäfts- und Kompetenzfelder gezielt weiterzuentwickeln bzw. neu zu bestimmen.295 Aufgrund neuer durch den technologischen Wandel begünstigter Wettbewerbsmodelle werden hierzu verstärkt alternative Organisationsformen notwendig.296 Da die Komplexität der nachgefragten bzw. anzubietenden Leistungen in erheblichem Maße steigt, müssen Unternehmen u.U. verstärkt neue Formen der kooperativen Zusammenarbeit wie z.B. Joint Ventures, strategische Partnerschaften, Fusionen usw. in Betracht ziehen, um 292
293 294 295 296
Bullinger/Buck (2007) formulieren insbesondere die Rekrutierung und Integration qualifizierter Arbeitskräfte, ihre langfristige Bindung an das Unternehmen sowie eine eventuell erforderliche Neupositionierung (bedingt durch strukturelle Veränderungen etwa) als zentrale Herausforderungen der Personalpolitik, mit denen Unternehmen im Zuge des demographischen Wandels konfrontiert sein werden. Vgl. Bullinger/Buck (2007), S. 71. Vgl. Eckardstein (2004), S. 132. Vgl. Welge (1999), S. 118. Vgl. Krüger (1999), S. 24-32. Vgl. Steger/Kummer (2002), S. 183-184.
90
3 Führung im Wandel
Verbundeffekte (economies of scope) nutzen zu können, die eine klare Positionierung gegenüber den Kunden und eine klare Differenzierung von den Konkurrenten ermöglichen.297 Die von Unternehmen zu ergreifenden Maßnahmen sind daher nach den Ergebnissen einer empirischen Studie, bei der 249 Führungskräfte aus dem europäischen Raum befragt wurden, auch die Umgestaltung der Organisation, verstärkte Kundenorientierung sowie die Flexibilisierung der Arbeitszeit.298 So „werden sich schon sehr bald die Unternehmen nicht mehr als deutsch oder europäisch, sondern als Weltunternehmen verstehen. Das gilt auch für viele Mittelständler.“299 Die Fähigkeit von Unternehmen, im Markt agieren zu können, hängt dabei sehr stark davon ab, wie die innerhalb der Unternehmen zur Verfügung stehende Wissensbasis genutzt werden kann.300 Der Faktor Wissen und der Umgang mit ihm stellt eine entscheidende Erfolgsdeterminante im Wettbewerb dar: „Wettbewerbsvorteile lassen sich zunehmend aus dem Faktor ‚Wissen’ schöpfen. […] Die optimale Nutzung des weltweiten Wissenspoten-tials für die eigenen Wertschöpfungsprozesse ist daher von größter Wichtigkeit.“301 Da durch den technischen Fortschritt die Informationsgeschwindigkeit (Erwerb, Verbreitung und Veralterung von Informationen) in erheblichem Maße angestiegen ist, besteht für Sprenger (2000) in diesem Zusammenhang die zentrale Herausforderung für Unternehmen jedoch weniger in dem Versuch, in der Unternehmung latent vorhandenes Wissen zu generieren und zu bündeln, sondern vielmehr darin, basierend auf einer ausgereiften Urteilsfähigkeit der Führungskräfte, die Informationsfülle bedarfsorientiert reduzieren zu können: nicht ein Mangel an Wissen- und Informationen ist das Problem, sondern vielmehr deren Überschuss.302 Aufgrund der zunehmend flexibler werdenden Verteilung von Rollen und Funktionen, der Dezentralisierung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen sowie der wachsenden Tendenz zur Selbstorganisation müssen Unternehmen den Fluss von Informationen und Wissen sowie deren Reduktion sicherstellen.303 Auch die Zunahme von Projektarbeiten, die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort, die Entkopplung von Raum und Zeit sowie der Abbau von Hierarchieebenen machen dies notwendig.304 Nur so können Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erzielen, der nach Grant (1991) dahingehend charakterisiert werden kann, dass 297 298 299 300 301 302 303 304
Vgl. Krüger (1999), S. 23. Vgl. Hofman (2000), S. 224. Sprenger (2000), S. 18. Vgl. Krüger (1999), S. 33. Mirow (2002), S. 118. Vgl. Sprenger (2000), S. 24. Vgl. Welge/Böttcher/Paul (1998), S.24. Vgl. Hofmann (2000), S. 74-79.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
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Unternehmen in der Lage sind, die vorhandenen (Human-) Ressourcen rententrächtig zu bündeln und zu koordinieren.305 Woriescheck/Deller (1994) sehen Veränderungen hin zu immer komplexer werdenden Prozessen, welche aus der Verknüpfung obiger Tatbestände entstehen. Diese Komplexität kann nur durch eine zunehmende, interne und externe Vernetzung der Unternehmen bewältigt werden.306 Hierfür ist nach Welge (1999) eine effizientes Netzwerkmanagement innerhalb und außerhalb von Unternehmen und Organisationen notwendig: Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Bildung, Aufrechterhaltung und Nutzung von Netzwerken beschränkt sich hierbei aber nicht nur auf die intraorganisationale Ebene, sondern lässt sich auch auf die interorganisationale übertragen, wenn es also um die Verbindung zu Kooperationspartnern, Lieferanten oder Kunden geht.307 Eine vor dem Hintergrund der Thematik dieser Arbeit zentrale Herausforderung von Unternehmen im Rahmen der Globalisierung ist der Umgang mit Miss- bzw. Vertrauen. Im Rahmen des Netzwerkmanagements von Unternehmen muss die Kommunikation sowie die Kooperation und das Problemlösen in Gruppen optimiert werden. Dies sind entscheidende Faktoren, wenn die effiziente Funktionsfähigkeit von Netzwerken sichergestellt werden soll. Aufgrund der angesprochenen Legitimitätserosion kommt es aber im Zuge sich integrierender Märkte zu grundlegenden Vertrauensproblemen in Organisationen: durch dezentrale Strukturen über fremde Kulturen, Wirtschaftssysteme und/oder Kooperationspartner hinweg entstehen u.U. Misstrauensprobleme (agency Problematik), die zu Ineffizienzen innerhalb der Wertschöpfungsketten der Unternehmen führen können.308 Spezifische Nichtvorhersagbarkeiten und Unsicherheiten im Entscheidungs- und Handlungsprozess generieren Misstrauen, welches sich innerhalb der Belegschaften vor allen Dingen in negativen Emotionen wie Angst äußern kann, was aus Effizienzgesichtspunkten negative Auswirkungen auf die individuelle und kollektive Leistungsfähigkeit haben kann. Misstrauen bedeutet „eine Zuspitzung der Erwartungen ins Negative gegenüber Personen, Sachen und Systemen sowie gegenüber Informationen.“309 Auf den ersten Blick erscheint auf Misstrauen basierende Führung auf inter- und intraorganisationaler Ebene durchaus sinnvoll, da Fehler und Risiken genauso vermieden werden können
305 306 307 308 309
Vgl. Grant (1991), S. 122-123. Vgl. Woriescheck/Deller (1994), S. 150. Vgl. Welge (1999), S. 120. Vgl. Krystek (2002), S. 826-828. Krystek (2002), S. 823.
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3 Führung im Wandel
wie etwa Betrug oder Enttäuschung. Dennoch erfordern die skizzierten, sich permanent ändernden, Rahmenbedingungen nach Krystek (1995) sowohl von den Führungskräften als auch von den geführten Mitarbeitern ein höheres Maß an Vertrauen, da insbesondere die zunehmende Komplexität ohne dieses nicht mehr zu bewältigen erscheint.310 Im Rahmen der Globalisierung und der damit notwendig werdenden Kooperationsformen erscheinen auf Misstrauen beruhende Interaktionsprozesse nicht nur wenig Erfolg versprechend, sondern schlichtweg nicht marktgerecht. So betont Sprenger (2000) vor dem Hintergrund sich wandelnder Organisationsformen: „Wenn der Augenschein nicht mehr zählt, wenn die Kontrollfunktion nicht mehr physisch ausgeübt werden kann, dann muss Führung vertrauen. [Und zwar nicht], weil das moralisch wünschenswert wäre, sondern weil es ökonomisch zwingend ist.“311 Wenngleich auf Vertrauen basierende Strukturen immer problembehaftet sind, stellen sie doch für Unternehmen die Basis da, wenn es künftig um die nationale und internationale Erweiterung der geschäftlichen Aktivitäten geht. So führt auf Vertrauen ausgerichtete Führung neben der Reduktion von Komplexität auch zu einer Verbesserung der Kooperation unter den Geführten selbst.312 Mirow (2002) spricht in diesem Zusammenhang auch von der Schaffung einer entsprechenden Unternehmenskultur, die das globale Denken und Handeln fördert.313 So hat nach Krüger (1999) diesbezüglich die technologisch gestützte Globalisierung zur Folge, dass insbesondere Kooperations-, Netzwerk, und Dialogfähigkeit als nach außen gerichtete und die entsprechenden Wandlungsfähigkeiten, die entsprechende vertrauensbasierte Führungsprozesse implizieren, als nach innen gerichtete Fähigkeiten für Unternehmen wichtig werden.314
Wertewandel Im Rahmen des sich vollziehenden Wertewandels, wollen Mitarbeiter verstärkt in die Unternehmung integriert werden. Hierzu gehört neben der Identifikation mit der Philosophie und Kultur des Unternehmens eine offene Kommunikation. Führung muss also neben der Funktion der Mitarbeiterintegration zunehmend auch die der Sinngebung und -vermittlung hinsichtlich der Tätigkeit von Mitarbeitern übernehmen.315 Es ist festzustellen, dass sich der
310 311 312 313 314 315
Vgl. Krystek (1995), S. 482-485. Sprenger (2000), S. 24. Weitere Folgen und auch Wirkungsweisen von Vertrauen finden sich bei Krystek (1995), S. 474-475. Vgl. Mirow (2002), S. 118. Vgl. Krüger (1999), S. 34. Vgl. Hofmann (2000), S. 80-82.
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psychologische Vertrag zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verändert. Dies erkennt man an der rückläufigen Loyalität von Arbeitnehmern gegenüber ihrem Unternehmen: die Fluktuationsbereitschaft steigt, was besonders vor dem Hintergrund der skizzierten Arbeitsmarktentwicklungen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gefährden kann.316 In diesem Zusammenhang haben Unternehmen die für sie aus dem Wertewandel resultierenden Notwendigkeiten bereits erkannt, wenn es nämlich um die Schaffung von Werten zur Mitarbeiterbindung und -rekrutierung geht. Eine von Booz Allen Hamilton (2003) durchgeführte Untersuchung, bei der 150 führende Unternehmen im deutschsprachigen Raum befragt wurden, stützt diese Vermutung: 95% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Werte für ein Unternehmen einen wirtschaftlichen Nutzen generieren. Immerhin 76% vertreten hierbei die Meinung, dass auch in Zukunft die Vermittlung von Werten für ihr Unternehmen von Bedeutung sein wird. 73% sehen in Werten einen Vorteil, weil der Nutzen in der Förderung interner Kooperation besteht und 70 % sehen in Werten gar eine Möglichkeit zur Imageverbesserung und Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität.317 Nach Dearlove/Coomber (2001) können Werte als ein mögliches Instrument angesehen werden, welches Unternehmen im Rahmen unterschiedlicher Aktivitäten und Ziele einsetzen können, um z.B. bestimmte Strategien zu kommunizieren, Mitarbeiterbindung zu erzeugen, Veränderungsprozesse zu unterstützen usw.318 Aufgrund der in den vorangegangenen Abschnitten angesprochenen Folgen der Globalisierung stellen Werte und deren Kommunikation auch eine Art implizite Verhaltensanweisung dar, wenn z.B. eine direkte Führung nicht möglich ist. Kotter/Heskett (1992) belegen die hieraus ableitbare ökonomische Bedeutung von Werten innerhalb von Organisationen: Unternehmen mit einer auf Werten aufbauenden Unternehmenskultur haben ein viermal höheres Umsatz- und ein achtmal höheres Beschäftigungswachstum.319
3.4.2.3 Auswirkungen auf die Tätigkeit von Führungskräften Die im Unternehmensfeld ablaufenden Veränderungen und deren aufgezeigte Folgen für Unternehmen wirken sich in der letzten Stufe auf die Tätigkeit von Führungskräften aus:
316 317 318 319
Vgl. Drumm (2001), S. 65. Vgl. Booz Allen Hamilton (2003), S. 5-7. Vgl. Dearlove/Coomber (2001), S. 208. Im untersuchten Zeitraum über 11 Jahre wuchs der Umsatz dieser Unternehmen um 682 % (Vergleichsgruppe 166%) und die Anzahl der Beschäftigten um 282% (Vergleichsgruppe 36%). Vgl. Kotter/Heskett (1992), S. 11.
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3 Führung im Wandel
Demographische Entwicklung Die zunehmend heterogenen Belegschaften und der steigende Anteil älterer Arbeitnehmer in den Unternehmen erfordern eine gewisse Individualisierung der Führung. Führungskräfte müssen für eine Aufrechterhaltung und Steigerung des Leistungsvermögens der Arbeitnehmer in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Tätigkeitsanforderungen sorgen, was in Anbetracht der Heterogenität des Arbeitnehmerpools eine eigenständige Herausforderung darstellt. Vor dem Hintergrund knapper Ressourcen müssen die Fluktuationen von Arbeitnehmern vermindert und vor allen Dingen vorzeitiges Ausscheiden von älteren Arbeitnehmern verhindert werden. Auch aus organisationsökonomischer Sicht müssen Führungskräfte bestrebt sein, durch die Bindung von allgemeinem, aber besonders von spezifischem Humankapital, die Entstehung von sunk costs zu verhindern, um somit eine langfristige Abschöpfung von Renten zu ermöglichen. Hierzu bedarf es einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit der Führungskräfte, wenn es darum geht, Mitarbeiter auf Grundlage ihrer Bedürfnisse langfristig zu binden. Insgesamt erscheint die Vermutung, dass Führungskräfte künftig mehr durch personen- und weniger durch sachbezogene Führung dafür sorgen müssen, dass Mitarbeiter langfristig im Unternehmen verbleiben, plausibel. Durch die Integration der Arbeitsmärkte und die internationale Angleichung von Erwartungsstandards besteht in Anbetracht knapper Humanressourcen eine höhere Bereitschaft von Seiten der Arbeitnehmer zum Wechsel des Arbeitgebers.320 Bei vergleichbarer Ausgestaltung der monetären Anreizsysteme werden vermutlich eher personenbezogene Führungskräftetätigkeiten Einfluss auf die Fluktuation haben.
Ökonomische Trends und technologischer Wandel Aufgrund der Globalisierung, aber auch aufgrund der demographischen Entwicklung, unterscheiden sich Menschenbilder, Normen, Werte und Verhaltensmuster innerhalb jeglicher organisationaler Kooperationsformen. Dies führt dazu, dass Führungskräfte im Arbeits- und Führungsprozess in zunehmendem Maße mit der Heterogenität der Mitarbeiter konfrontiert sind. Diese benötigen ein hohes Adaptionsvermögen, um sich auf die Vielfältigkeit der geführten Subjekte und die durch sie induzierte Heterogenität und die daraus ableitbaren Veränderungen einstellen zu können. Nach Krüger (1999) muss eine Unternehmung bzw. die dort tätigen Führungskräfte in Bezug auf Führungserfolg in besonderem Maße „Anspruchsmanagement betreiben, um diesen verschiedenen Stakeholdern Rechnung zu tragen.“321 Auch 320
321
Dies kann jedoch auch auf die steigende Relevanz von allgemeinen und die fallende Relevanz von speziellen Humankapitalinvestitionen zurückgeführt werden. Krüger (1999), S. 21.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
95
wenn es um die Generierung, Bündelung und Integration von dezentralem unternehmensinternem und -externem Wissen und Kompetenzen geht, müssen Führungskräfte eine Vielzahl von Aktivitäten ausführen (Kommunikation, Delegation usw.), die ihre Wurzeln im zwischenmenschlichen Bereich haben.322 Mirow (2002) bezeichnet dies als Netzwerkmanagement zur „Nutzung des weltweiten Wissens- und Talentpools.“323 Aufgrund der beobachtbaren Tatsache, dass erfolgreiche Turnarounds von Unternehmen möglich sind, obwohl außer dem Topmanagement keine Ressource getauscht wurde, schließt Kutschker (1999), dass die „Kapazität und Qualifikation des Management die Fähigkeiten zur Ressourcenverwertung und -entwicklung beschränken.“324 Gerade im Rahmen der durch die Globalisierung normativen Zunahme von kooperativen Aktivitäten und Projektarbeiten wird die Fähigkeit zu erfolgreichem Beziehungsmanagement bedeutend wichtiger werden. Welge (1999) sieht in globalem Netzwerkmanagement daher auch eine zentrale Aufgabe von Führungskräften.325 Dabei werden in besonderem Maße entsprechende zwischenmenschliche Führungsqualitäten unabdingbar, da gerade in hierarchiearmen Netzwerken nur in sehr begrenztem Ausmaß Positionsautoritäten existieren.326
Wertewandel Auch die durch den Wertewandel hervorgerufenen Veränderungen stellen für Führungskräfte eine neue Herausforderung dar. Besonders der skizzierte Wandel individueller und kollektiver Werte muss von Führungskräften im Rahmen ihrer Führungsaufgabe berücksichtigt werden.327 Das Ziel von Führungskräften besteht u.a. darin, die unternehmensinterne Verfügbarkeit von Humanressourcen durch Formen der Mitarbeiterbindung bzw. -rekrutierung langfristig sicherzustellen. Wenn es in diesem Zusammenhang um die Konzeption, Modifikation und Vermittlung von unternehmensspezifischen Werten geht, ist das Potential sachbezogener Führung schnell ausgeschöpft. Und auch wenn die Passung von Unternehmenswerten und Wertvorstellungen der Mitarbeiter inkongruent ist und optimiert werden soll, ist insbesondere zwischenmenschliche Kommunikationskompetenz notwendig: Führungskräfte müssen in solchen Fällen in zunehmendem Maße Wert schaffenden Tätigkeiten nachgehen und durch die
322 323 324 325 326 327
Vgl. Krüger (1999), S. 36-37. Mirow (2002), S. 118. Kutschker (1999), S. 60. Vgl. Welge (1999), S. 118. Vgl. Sprenger (2000), S. 22. Vgl. Simon (2000), S.50.
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3 Führung im Wandel
„Auswahl von werte- und verhaltenskonformen Konzepten hierauf reagieren und versuchen, die Werte zu verändern.“328
3.4.2.4 Fazit Dulewicz/Higgs (2003) sehen vor dem Hintergrund obiger Erkenntnisse als zentrale Herausforderungen, denen sich Organisationen und deren Führungskräfte ausgesetzt sehen, die Gewinnung und Bindung von Spitzenkräften im Kampf um knappe Humanressourcen (war for talents), die erfolgreiche Adaption von Veränderungen und deren Implementierung in Veränderungsprozessen sowie das erweiterte Beziehungsmanagement in Form der Berücksichtigung von allen Stakeholderinteressen.329 Auch Pietschmann/Niclas (2003) vertreten die Ansicht, dass Führungskräfte zukünftig in hohem Maße mit Individualisierungsanforderungen konfrontiert sein werden.330 Eine verstärkte Personenorientierung und Abkehr von überwiegend sachorientierter Führung ist als Folge der dargestellten Umfeldentwicklungen somit die logische Konsequenz: Nach Ansicht von Sarges (1994) wird die Einbeziehung und Berücksichtigung der Person als Persönlichkeit innerhalb des Führungsprozesses für Führungskräfte unumgänglich.331 Auch Levison (1988) betont die zunehmend notwendig werdende Fokussierung auf die Ressource Mensch: „Managers and executives will necessarily have to be more closely involved with their subordinates over the longer period of time required to establish and maintain commitment.“332 Hintergrund hierbei ist die durch die angesprochene Legitimitätserosion forcierte PrinzipalAgenten Problematik innerhalb von Organisationen: aufgrund schwer zuordnungsbarer Verantwortlichkeiten und Lokalisierung von Verursachern bei bestimmten Ereignissen und Prozessen besitzen Agenten einen diskretionären Handlungsspielraum. Aufgrund der fortschreitenden Heterarchie wird dieser nicht verkleinert, sondern eher vergrößert. Konkret bedeutet dies, dass die Agenten (Mitarbeiter) von den Vorgaben und Arbeitsanweisungen der Prinzipale (Führungskräfte) abweichen können, indem sie diese z.B. anders ausführen oder langsamer ausführen oder u.U. auch gar nicht ausführen, ohne dass es den Prinzipalen retrospektiv betrachtet möglich ist, dies eindeutig nachzuvollziehen. Diese müssen daher durch vertrauensbildende Maßnahmen, individualisierte Führung u.ä. dafür Sorge tragen, dass der psychologi-
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Drumm (2001), S. 65. Vgl. Dulewicz/Higgs (2003), S. 194-195. Vgl. Pietschmann/Niclas (2003), S. 20. Vgl. Sarges (1994), S. 382. Levinson (1988), S. 121.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
97
sche und durch Loyalität geprägte Vertrag zwischen Führungskräften und Mitarbeitern gefestigt wird und letztere daher auf die opportunistische und defektionäre Ausnutzung ihres diskretionären Handlungsspielraums verzichten. In Anlehnung an die dargestellten Umfeldentwicklungen und deren Auswirkungen auf die Tätigkeit von Unternehmen nennen Allred/Snow/Miles (1996) zusammenfassende Kernpunkte für die zukünftige Arbeit von Führungskräften, die sich folgendermaßen darstellen lassen:333 1. Umgang mit Technologien In der Zukunft wird der Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien ein wichtiger Bestandteil der täglichen Arbeit sein. Nur die Führungskraft, die in der Lage ist, das Potential dieser Möglichkeiten zu nutzen, wird erfolgreich sein. 2. Interdisziplinarität Neben der rein fachlichen Kompetenz wird verstärkt die Entwicklung interdisziplinärer Kompetenzen den Erfolg von Führungskräften determinieren. So ist mit fortschreitender Globalisierung und zunehmender Internationalisierung der Märkte auch kulturelle Flexibilität und grenz- und fachübergreifende Erfahrung äußerst wichtig. 3. Integrierende Personalführung Hierzu gehört das erfolgreiche Beziehungsmanagement eines Unternehmens durch wechselseitige Kommunikation und Motivation. Gerade die stetig zunehmende Arbeit im Rahmen von Projektteams erfordert von Führungskräften die permanente Integration von Gruppen und Teams, die in ihrer Zusammensetzung ständig wechseln. 4. Entwicklung von Persönlichkeitseigenschaften Für Führungskräfte wird die Entwicklung persönlichkeitsbestimmender Eigenschaften immer bedeutender. Hierzu gehört neben der Fähigkeit zum Selbstmanagement (Selbstwahrnehmung in Verbindung mit Selbstregulation) auch die Sicherstellung der eigenen Marktfähigkeit (employability), die einen Prozess des permanenten Lernens nach sich zieht.
333
Vgl. Allred/Snow/Miles (1996), S. 24-25.
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3 Führung im Wandel
3.4.3 Intrapersonale Anforderungen im Wandel Nach den dargestellten Wandelprozessen und ihren Auswirkungen für die Tätigkeit von Unternehmen und Führungskräften soll in diesem Abschnitt gezeigt werden, in welcher Weise innerhalb theoretischer Ansätze die Anforderungen an Führungskräfte auf intrapersonaler Ebene abgebildet werden. Weiterhin werden die Ergebnisse bestehender empirischer Studien präsentiert, die die Anforderungen an Führungskräften im Rahmen von Expertenbefragungen erhoben haben.
3.4.3.1 Theorie Konzepte, die in ihrer Herangehensweise strukturiert das komplexe intrapersonale Anforderungsprofil von Führungskräften zu erfassen versuchen, existieren bisher nur sehr vereinzelt. Ein von Katz (1955) bereits in den 50er Jahren entwickelter Ansatz zur Beschreibung von Anforderungs- und Qualifikationsprofilen bei Führungskräften geht davon aus, dass deren Tätigkeit nicht darauf beruht, was Führungskräfte aufgrund ihrer Eigenschaften und charakteristischen Merkmale sind, sondern wie sie, begründet durch ihre Fähigkeiten und Qualifikationen, handeln. Hierbei wird diese Art der Handlungsfähigkeit als erlernbar und nicht als angeboren angesehen. Führungskräfte müssen im Rahmen von Führungsprozessen drei elementare und entwickelbare Fähigkeiten einsetzen und in der Lage sein, sie unter variierenden Bedingungen zu modifizieren: 1. Technische Fähigkeiten 2. Humane Fähigkeiten 3. Konzeptionelle Fähigkeiten Technische Fähigkeiten ermöglichen den erfolgreichen Umgang mit physischen Objekten und Prozessen, während sich humane Fähigkeiten auf das Verstehen und Motivieren von Gruppen und Individuen beziehen. Katz (1955) fasst hierunter Dinge wie Selbstwahrnehmung, soziale Wahrnehmung sowie Beziehungsmanagement zusammen. Konzeptionelle Fähigkeiten ermöglichen einer Führungskraft das Unternehmen als Einheit zu sehen und zu erkennen, inwieweit die Modifikation funktionaler Zusammenhänge Auswirkungen auf das Gesamtsystem hat. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung politischer und sozialer Aspekte.334 Dieser Ansatz berücksichtigt zwar schon implizit die Dynamik der Führungskräftearbeit, ist aber sowohl
334
Vgl. Katz (1955), S. 33-36.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
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hinsichtlich der exakten Formulierung als auch hinsichtlich der Bedeutungsgewichtung der einzelnen Kompetenzen wenig exakt. Auch der Ansatz von Sonntag/Schaper (1999), die zwischen Fach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz unterscheiden, bringt an dieser Stelle keinen signifikanten Fortschritt im Hinblick auf den Erklärungsgehalt.335 Korndörfer (1992) führt dies auf den Umstand zurück, dass eindeutige Analysen, die sich mit den tatsächlichen Kompetenzkriterien beschäftigen, bisher nur sehr vereinzelt zu finden sind. Er formuliert daher ebenfalls sehr allgemeine Anforderungen, indem er, ähnlich wie Katz (1955), den Begriff der handlungsorientierten Führungskraft einführt. Diese Führungskraft verfügt über fachliche, methodische und soziale Kompetenz. Während fachliche Kompetenz fachspezifische Kenntnisse hinsichtlich aller Prozesse, die das Unternehmen betrifft, umfasst, gehört zur methodischen Kompetenz das methodische Vorgehen innerhalb dieser Prozesse.336 So umfasst diese Kompetenz als Kriterien u.a. das analytische und strukturierte Vorgehen bei neuen Problemen sowie die Anwendung kreativer Lösungstechniken. Als soziale Kompetenz bezeichnet Korndörfer (1992) die erfolgreiche Interaktionsfähigkeit, gruppenintegratives Verhalten, Selbstkontrolle und soziale Sensibilität.337 Auch Rürup/Dornbach (1993) teilen das Anforderungsprofil von Führungskräften in fachliche, soziale/kommunikative und organisatorische/methodische Kompetenz ein. Hinsichtlich der fachlichen Kompetenz erachten sie neben führungstheoretischem Grundwissen das Fachwissen einer Ingenieursdisziplin als notwendig. Im Bereich der sozialen/kommunikativen Kompetenz weisen sie auf die zunehmend grenzübergreifenden Interaktionen und den Umgang mit anderen Kulturen hin (kulturelle Kompetenz). Nach Auffassung der Autoren hängt das Anforderungsprofil zu einem großen Teil von dem Einsatzgebiet der Führungskraft ab, wenngleich für die Zukunft eher der Generalist mit breitem, interdisziplinärem Wissen gebraucht wird, als der reine Spezialist.338 Als Grund kann hier die Tatsache gesehen werden, dass Führungskräfte künftig mit zunehmend komplexeren Projekten konfrontiert sein werden. Im Rahmen dieser müssen sie Mitarbeiter unterschiedlicher Disziplinen führen, die ihnen fachlich teilweise deutlich überlegen sind, so dass es zu einem Kippen der Kompetenzpyramide kommt: Führungskräfte haben in diesem Zusammenhang daher in erster Linie weniger eine fachliche Funktion, sondern müssen vielmehr in der Lage sein, unterschiedliche Pro-
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Vgl. Sonntag/Schaper (1999), S. 213. Zu diesen Prozessen gehört z.B. der Leistungserstellungs- und Leistungsverwertungsprozess. Vgl. Korndörfer (1992), S. 273. Vgl. Korndörfer (1992), S. 273-274. Vgl. Rürup/Dornbach (1993), S. 158-173.
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3 Führung im Wandel
jektfaktoren und Mitarbeiter möglichst effizient zusammenzubringen, wobei ein breites interdisziplinäres Wissen von Vorteil ist. Für Jetter (2000) besteht die Kernkompetenz von Führungskräften aus den Komponenten der dialogorientierten Interaktionskompetenz und der Motivationskompetenz. Die erste Komponente beschreibt die Art und Weise, wie eine Führungskraft innerhalb einer Führungsbeziehung verschiedene Rollen annimmt und ausgestaltet. So sieht er eine Führungskraft je nach Situation als Koordinator, Integrator, Coach, Vorbild usw. Im Rahmen dieser interaktiven Rollen hat die Führungskraft die Möglichkeit, die Beziehung durch Reflektionsprozesse und wechselseitige Kommunikation dialogorientiert zu gestalten. Die zweite Komponente wird durch die Motivationskompetenz gebildet. Eine Führungskraft muss in der Lage sein, Mitarbeiter zu motivieren.339 Nach Auffassung des Autors handelt es sich bei diesen beiden Komponenten um essentielle Kompetenzen einer Führungskraft, wenngleich angemerkt werden muss, dass die Formulierungen, wie schon in den Fällen zuvor, wenig detailliert sind.340 Wesentlich spezifischer in seinen Aussagen ist Grunwald (1995), der von sechs Schlüsselqualifikationen von Führungskräften spricht: 341 1. Fachliche Qualifikation 2. Konzeptionelle Qualifikation 3. Methodische Qualifikation 4. Kommunikative Qualifikation 5. Soziale Verantwortung 6. Persönlichkeitsmerkmale/-struktur Hierbei geht er hinsichtlich der einzelnen Qualifikationen sehr differenziert auf einzelne Bestandteile ein. So gehören z.B. zur Kommunikativen Qualifikation die Kategorien Innere Grundhaltung, Auseinandersetzung mit der eigenen Person und Zwischenmenschliche Beziehungen, die ihrerseits wieder durch zahlreiche Kriterien wie Fähigkeit zur Selbstkritik, Wirkungswahrnehmung des eigenen Verhaltens auf andere usw. beschrieben werden. Der Punkt Persönlichkeitsmerkmale/ -struktur wird von Grunwald (1995) jedoch kritisch gesehen, da eine eindeutige Form der Wünschbarkeit nicht formuliert werden kann. Nach seiner Auffas-
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Nach Jetter (2000) ist dies auf 4 Wegen möglich: Formulierung von Visionen, Festlegung von Zielvereinbarungen, Lob und Anerkennung und Partizipation der Mitarbeiter. Vgl. Jetter (2000), S. 69-70. Vgl. Jetter (2000), S. 64-75. Vgl. Grunwald (1995), S. 197-201.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
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sung sind viele Führungskräfte nämlich erfolgreich, „weil (und nicht obwohl) sie gegen sozialethische Führungsprinzipien verstoßen […].“342 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass alle Ansätze zur Beschreibung intrapersonaler Anforderungen sehr allgemein gehalten sind und besonders eine Gewichtung der einzelnen Felder außen vor bleibt.
3.4.3.2 Empirie Anforderungen, die an Führungskräfte innerhalb von Unternehmen gestellt werden, sind nach Müller (2004a) bisher kaum Gegenstand systematischer, empirischer Untersuchungen.343 Hinzu kommt, dass neben der recht überschaubaren Anzahl sowohl die methodischen Vorgehensweisen als auch die hierbei zugrunde liegenden, begrifflichen Abgrenzungen sehr stark differieren. Im Allgemeinen handelt es sich bei den bestehenden Untersuchungen um mündliche oder schriftliche, gestützte oder ungestützte Befragungen von Führungskräften, Personalverantwortlichen, Managern u.ä., die eine Einschätzung der aktuellen bzw. zukünftigen Bedeutung spezifischer Eigenschaften, Verhaltensweisen, Anforderungen, Fähigkeiten und Qualifikationen in Bezug auf die Tätigkeit von Führungskräften abgegeben haben, wobei häufig keine gesonderte Abgrenzung dieser Begrifflichkeiten vorgenommen wird. Im Folgenden werden in einer tabellarischen Übersicht ältere und neuere empirische Studien aus dem deutschsprachigen Raum, sowie deren zentrale Spezifikationsmerkmale, Kernfragen und Kernaussagen präsentiert. Die Studien untersuchen teilweise mehrere Aspekte, die mit der Arbeit und den Anforderungen von Führungskräften in Verbindung zu bringen sind. Mit dem Ziel einer besseren Vergleichbarkeit werden jedoch nur diejenigen Ergebnisse dargestellt, die übergreifend für alle Studien ähnlich und somit annähernd miteinander in Zusammenhang zu bringen sind. In den Fußnoten findet sich jeweils eine kurze Beschreibung der Studien. Bei den in der letzten Spalte angegebenen Kernaussagen handelt es sich jeweils um die von den Autoren statistisch bewerteten Antworten der Befragten in Bezug auf die Kernfragen. In Abhängigkeit der relativen Häufigkeit der Nennungen bzw. der arithmetischen Mittelwerte der Bewertungen wurden in den Studien Rangreihen erstellt. Die auf diese Weise ermittelten Hauptitems werden in Tabelle 3 als Kernaussage dokumentiert.
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Grunwald (1995), S. 201. Vgl. Müller (2004a), S. 5.
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Die Erhebung wurde als persönlichen Interviews mit einem vorstrukturierten Leitfadens durchgeführt. Die Befragung erbrachte ein Repertoire von 15 Qualifikationen, die in eine Rangreihe gebracht wurden. Die Häufigkeit der Nennungen bzw. die Anzahl der jeweils nennenden Führungskräfte legt der Autor hierbei jedoch nicht offen. Die am wenigsten genannten Qualifikationen sind Organisationsfähigkeit, technologisches Vorausdenken und Methodenwissen. Vgl. Berthel (1992a), S. 210-211. Die 15 Qualifikationen stellen dabei die verdichtete Form von ursprünglich 151 Items dar. Diese wurden entsprechend codiert und zu übergeordneten Qualifikationen und Unterkategorien zusammengefasst. Vgl. Berthel (1992b). Die Autoren führen eine gestützte, schriftliche Befragung des Topmanagements durch. Hierfür bilden sie als Grundlage vier Kompetenzfelder: Fachliche Kenntnisse, Soziale Kompetenzen, konzeptionelle Kompetenzen und Sonstige Qualifikationen. Die Felder enthalten jeweils drei bzw. das vierte Feld vier Items, die von den Befragten auf einer 5er Skala ihrer angenommenen Bedeutung nach entsprechend gewichtet wurden (1: sehr wichtig, 5: gar nicht wichtig). Das Kompetenzfeld Soziale Kompetenz wird von den Befragten als am wichtigsten erachtet. Alle drei Items erzielen die häufigsten Nennungen (z.B. Führungsverhalten, Teamfähigkeit). Hiernach folgt das Feld Konzeptionelle Kompetenzen (z.B. Zeitmanagement) gefolgt von Fachlichen Kenntnissen (fundierte theoretische Ausbildung). Vgl. Meffert/Wagner (1992), S. 360. Exakte Zahlenwerte nennen die Autoren nicht. Vgl. Meffert/Wagner (1992). Die Befragten wurden von den Experten gebeten, ein Ranking zukünftig wichtiger Eigenschaften für (Nachwuchs-) Führungskräfte in Handel und Dienstleistung aufzustellen. Grundlage war hierbei die Vorgabe von 11 Items. 80% der Befragten sehen als Kernkompetenz der Zukunft die Motivation und Führung von Mitarbeitern, jeweils 67% entfallen auf die Items Kommunikationsbereitschaft und –fähigkeit sowie Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Die wenigsten Nennungen sind den Items interdisziplinäres Handeln und Denken, technische Verständnis sowie organisatorische Fähigkeiten zuzuordnen, wenngleich die Autoren hier keine exakten Zahlenwerte liefern. Vgl. Mühlenmeyer/Malcher (1997), S. 344. Auffällig ist, dass nur 15% der Befragten Führungskräfte zukünftig noch als fachliche Ansprechpartner sehen. Vgl. Mühlenmeyer/Malcher (1997). Hofman (2000) führt eine gestützte Befragung durch, bei der 28 Experten vorgegebene Items (Auswahlkriterien und Persönlichkeitseigenschaften) auf einer 6er Skala gewichten müssen. Um die Datengüte der gestützten Befragung zu erhöhen, führt die Autorin vor der eigentlichen Hauptbefragung einen Pretest mit einem offen gestalteten Fragebogen durch. Vgl. Hofman (2000), S. 176-192. Kienbaum (2002) verwendet bei der gestützten Befragung hinsichtlich des Merkmals Qualifikationen 11 vorgegebene Items, hinsichtlich des Merkmals Eigenschaften 19 Items. Die Qualifikationen werden auf einer 3er Skala bewertet (1: Qualifikation wird eine geringe Bedeutung haben, 3: Qualifikation wird eine hohe Bedeutung haben), die Eigenschaften auf einer 5er Skala (1: Eigenschaft ist egal, 5: Eigenschaft ist unabdingbar). Vgl. Kienbaum (2002), S. 14-18. Die von Kienbaum (2004) durchgeführte Studie stellt eine Folgestudie der 2002er Untersuchung dar. Das Merkmal Qualifikation aus dem Jahr 2002 heißt jetzt jedoch Kriterium und wird durch nunmehr 13 und nicht 11 Items abgebildet. Auch wird eine 5er Skala bei der Bewertung verwendet (1: Kriterium wird von sehr großer Bedeutung sein, 5: Kriterium wird von sehr geringer Bedeutung sein). Das Merkmal Eigenschaft wird nach wie vor durch 19 Items abgebildet, einzig die der Bewertung zugrunde liegende 5er Skala hat sich hinsichtlich ihrer Polaritäten gedreht (1: Eigenschaft wird unabdingbar, 5: Eigenschaft wird unwichtig). Vgl. Kienbaum (2004), S. 26-28. Bei der von Matiaske/Holtmann/Weller (2002) durchgeführten Befragung handelt es sich um die Folgeuntersuchung einer von Bronner/Matiaske/Stein (1991) im Jahre 1990 durchgeführten Delphi-Befragung zu den Anforderungen an Spitzenführungskräfte. In der Untersuchung wurden die Experten im Hinblick auf zu vier Variablenbündeln (Führungsverhalten, Führungsperson, Führungssituation und Führungsaufgabe) befragt. Mit dem Ziel einer besseren Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen der anderen Studien werden in dieser Arbeit nur die Bündel Führungsperson und Führungsverhalten dargestellt. Verwendet wird von den Autoren jeweils eine neunstufige Skala mit den Endpunkten -4 (Item wird weniger wichtig) und + 4 (Item wird wichtiger). Vgl. Matiaske/Holtmann/Weller (2002). Bei den Anforderungen an die Führungsperson liegen Flexibilität, Teamfähigkeit und Lernfähigkeit nach den Einschätzungen vorn, während Soziale Verantwortung, Berechenbarkeit und Systematik eher weniger wichtig eingeschätzt werden. Das Führungsverhalten wird nach Ansicht der Experten eher durch Zielorientierung, Ergebnisorientierung und Motivierung und weniger durch Autorität und Manipulation charakterisierbar sein. Vgl. Matiaske/Holtmann/Weller (2002), S. 9-10. Die von Bischoff (2005) durchgeführte Befragung ist die vierte Befragung seit 1986, bei der jeweils Angehörige des mittleren Managements der deutschen Wirtschaft zu verschiedenen Determinanten ihrer beruflichen Tätigkeit befragt werden (Arbeitssituation, Aufstiegschancen, Einstellungen usw.). Da den einzelnen Items eine Vielzahl von konkreten Verhaltens-, Eigenschafts- und Tätigkeitsbeschreibungen zugeordnet ist, kann geschlossen werden, dass die Befragungen jeweils ungestützt durchgeführt werden. Vgl. Bischoff (2005), S. 54.
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3 Führung im Wandel
Wie bereits angedeutet untersuchen die Studien sehr unterschiedliche Aspekte in Bezug auf die Bedeutung und den Bedeutungswandel von Determinanten der Führungskräftearbeit, was eine vergleichende Betrachtungsweise erschwert. So geht es bei den Befragungen u.a. um die Einschätzung von Qualifikationen (Berthel 1992a, Berthel 1992b, Kienbaum 2002), Anforderungen und Kompetenzen (Meffert/Wagner 1992, Matiaske/Holtmann/ Weller 2002), Eigenschaften der Führungsperson (Mühlenmayer/Malcher 1997, Kienbaum 2002/2004, Matiaske/ Holtmann/Weller 2002), Kriterien bei der Auswahl (Kienbaum 2004) und Führungsverhalten allgemein (Matiaske/Holtmann/Weller 2002, Bischoff 2005). Eine eindeutige Abgrenzung ist hierbei nicht möglich, da sich einige Studien mehrfach zuordnen lassen. So untersuchen Matiaske/Holtmann/Weller (2002) die Anforderungen an die Führungsperson, was sich einerseits als Anforderung und andererseits als Eigenschaft kategorisieren lassen würde. Kienbaum (2004) benutzen in ihrer Studie nicht mehr wie 2002 noch das Item Qualifikation, sondern sprechen sehr allgemein von Kriterium, bei vermutlich gleicher Intention hinsichtlich der Begriffswahl. Die schon in Abschnitt 3.4.1 aufgehobene Trennung der Begrifflichkeiten erweist sich retrospektiv also als nützlich im Hinblick auf eine aussagefähige Auswertung. Dennoch bleibt anzumerken, dass in einigen Fällen die erhobenen Begriffe nicht eindeutig operationalisiert werden. So ist z.B. nicht klar was bei Matiaske/Holtmann/Weller (2002) mit dem Item Flexibilität genau gemeint ist. Auch erschließt sich dem Leser bei Meffert/Wagner (1992) das Kriterium Führungsverhalten nicht, da es nicht näher spezifiziert wird. Von Interesse ist hier außerdem weniger, ob das Führungsverhalten in Zukunft wichtiger wird, sondern vielmehr, wie genau es ausgestaltet sein muss. Auch Kienbaum (2002/2004) spezifizieren ihr Item Soziale Kompetenz nicht näher, so dass offen bleibt, was unter diesem Begriff subsumiert wird. Hinsichtlich der Befragungsmethodik und -auswertung sind ebenfalls deutliche Insuffizienzen feststellbar. Einige Studien schränken durch die Verwendung gestützter Fragebögen die generierten Daten in erheblichem Maße ein. Vorgegebene Items werden nur neu gewichtet. Es besteht daher keinerlei Gewissheit, alle relevanten Antwortmöglichkeiten in die Befragung mit aufgenommen zu haben, weil die Grundgesamtheit nicht durch die Befragung erhoben, sondern von den Autoren vorgegeben wurde. Einzig Hofmann (2000) hat durch die Kombination von ungestütztem Pretest, Auswertung von Sekundäranalysen und gestütztem Primärtest die Datengüte erheblich erhöht.353 Bei anderen Studien mit ungestützten Fragebögen erscheint hingegen die Strukturierung und Auswertung nicht nachvollziehbar. Besonders in der Be353
Vgl. Hofman (2000), S. 176-192.
3.4 Anforderungen an Führungskräfte
105
fragung von Bischoff (2005) erfolgt die Clusterung der Antworten zu übergeordneten Items vermutlich weniger auf faktoranalytischer Grundlage als mehr auf augenscheinlich valider Einschätzung. Ungeachtet der angedeuteten Kritik sollen jedoch im Folgenden die Hauptergebnisse der Studien übergreifend dargestellt werden. Sehr auffällig ist, dass nach Einschätzung des überwiegenden Teils der befragten Experten schon jetzt bzw. in naher Zukunft schwerpunktmäßig diejenigen Elemente der Führungsarbeit wichtiger werden, welche sich dem Cluster Interpersonale Kompetenz zuordnen lassen. Dieses wird im Rahmen der Studien abgebildet durch Anforderungen, Qualifikationen, Auswahlkriterien u.ä. wie Menschenführung/Interaktion (Berthel 1992a,b), Teamfähigkeit, Führungsverhalten, Durchsetzungsfähigkeit (Meffert/Wagner 1992), Motivation und Führung von Mitarbeitern/Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft (Mühlenmeyer/Malcher 1997), Fähigkeit andere zu motivieren/Kommunikationsfähigkeit/Teamfähigkeit (Hofman 2000), Kommunikationsstärke, Teamfähigkeit (Kienbaum 2002/2004), Motiavtion/Teamfähigkeit (Matiaske/Holtmann/Weller 2002) und Sichtbare Führung/Mitarbeiterorientierung (Bischoff 2005). Die diesbezüglich ermittelten Sichtweisen der Experten decken sich nahezu vollständig mit einer von Becker (2002) durchgeführten empirischen Befragung von insgesamt 1.280 Unternehmen zu Fragen der Unternehmensführung sowie der Personal- und Führungskräfteentwicklung.354 Nach der Einschätzung der Befragten haben sich insbesondere die sozialen Anforderungen (91,4 %) und die Anforderungen im Bereich der Mitarbeiterführung (90,9 %) erhöht.355 Die Befragten geben diesbezüglich an, dass die Schulung von Sozialer Kompetenz sowie die Vermittlung von Methoden und Techniken zur Mitarbeiterführung die wichtigsten Bestandteile von Entwicklungsmaßnahmen sind, die Schulung von fachlicher Kompetenz hingegen eher eine untergeordnete Rolle spielt.356 Ähnliche Ergebnisse ergeben sich in einer von Neuland & Partner (2003) durchgeführten Befragung von 400 Nachwuchsführungskräften im Alter zwischen 25 und 41 Jahren. 92, 4% aller Befragten geben hierbei an, dass die Motivation von Mitarbeitern eine der zentralen Herausforderungen der Arbeit als Führungskraft darstellt.357
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Hierbei handelte es sich um Unternehmen aller Branchen und Größen, von denen schließlich 232 in die Auswertung mit einbezogen wurden. Vgl. Becker (2002), S. 9-22. Die Befragten antworteten jeweils mit „trifft überwiegend zu“ oder „trifft vollständig zu“. Vgl. Becker (2002), S. 229. Anforderungen an Führungskräfte sind in dieser Untersuchung abhängig von der Branchenzugehörigkeit. Gerade in den Branchen Bauwirtschaft/Handel/Dienstleistungen werden fachliche Anforderungen als steigend betrachtet. Vgl. Becker (2002), S. 235. Vgl. Becker (2002), S. 236-239. Vgl. Neuland, (2003), S. 3-7.
106
3 Führung im Wandel
Verwunderlich ist, dass fachliche Kompetenzen und Anforderungen überhaupt nur in zwei Fällen genannt werden. Zwar werden sie mit Konzeptionelle Gesamtsicht (Berthel 1992 a, b) und Analytische Fähigkeiten (Kienbaum 2002, 2004) im Rahmen der Studien auch erhoben, doch sind diese im Vergleich zu Items aus dem Cluster Interpersonale Kompetenzen klar unterrepräsentiert. Auch das Merkmal Interdisziplinarität wird nur in einer Studie (Berthel 1992 a,b) von den Experten als wichtig eingeschätzt und somit weitaus weniger als durch die dargestellten Entwicklungen prognostiziert wurde. Der Grund hierfür liegt aber möglicherweise in der gestützten Vorgehensweise bei den jeweiligen Befragungen, deren Problematik bereits angesprochen wurde. Denkbar ist, dass die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten die Grundgesamtheit nur unzureichend abbilden. Anzumerken ist weiterhin, dass die von den Experten am wenigsten wichtig eingeschätzten Eigenschaften, Verhaltensweisen etc. teilweise auch dem Cluster Interpersonale Kompetenz zugeordnet werden können (z.B. Matiaske/ Holtmann/Weller 2002: Soziale Verantwortung), was aufgrund der geringen empirischen Häufigkeit über alle Studien hinweg jedoch nicht als bedeutsame Einschätzung gewertet werden kann. 3.5 Zusammenfassung Aus der Darstellung der Wandelprozesse innerhalb der Unternehmensumwelt und den diesbezüglich prognostizierbaren Auswirkungen auf die Tätigkeit von Führungskräften wurde abgeleitet, dass in besonderem Maße interpersonale Kompetenzen wie Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit, Motivation von Mitarbeitern usw. künftig an Bedeutung gewinnen werden. Empirische Untersuchungen zu Anforderungen an Führungskräfte konnten diese Vermutung bestätigen. Dies geht einher mit der Sichtweise von Mumford et al. (2000), die vermuten, dass eine zentrale Anforderung an Führungskräfte in der Zukunft in zunehmendem Maße die Lösung komplexer sozialer Probleme sein wird, die in Organisationen verstärkt zum Vorschein kommen werden.358 Prati et al. (2003a) leiten hieraus ab, dass insbesondere die soziale Effizienz von Führungskräften entscheidend für deren Führungserfolg sein wird.359 Häufig wird soziale Effizienz als interpersonale Kompetenz im Rahmen des Katzschen Trialogs jedoch lediglich unter der Komponente Soziale Kompetenz subsumiert. Hierbei gilt es aber zu berücksichtigen, dass Soziale Kompetenz für sich genommen kein allein stehendes
358 359
Vgl. Mumford et al. (2000), S. 14-15. Vgl. Prati et al. (2003a), S. 21-22.
3.5 Zusammenfassung
107
Konzept ist, sondern ebenfalls aus einer Vielzahl von Komponenten besteht.360 Sozialkompetenz umfasst u.a. kommunikative und kooperative Verhaltensweisen oder Fähigkeiten, die im Rahmen von sozialer Interaktionssituationen notwendig sind, wenn es z.B. um die Erreichung von Zielen geht. Berücksichtigt man, dass das emotionale Erleben von Individuen in diesem Zusammenhang einen elementaren strukturierenden Parameter darstellt (Kapitel 2), dann wird deutlich, welche essentielle Rolle Emotionen und der Umgang mit ihnen im sozialen Kontext spielen. Auch die Schaffung von Vertrauen als notwendige Maßnahme zur Reduktion der Komplexität impliziert für Führungskräfte, emotionales Erleben als Variable in ihr Führungsverhalten mit einzubinden, da Vertrauen nach Eberl (2003) als emotionales Konstrukt auszuweisen ist.361 Emotionen bilden hierbei quasi den Grundbaustein für die Entwicklung von Vertrauen: „Ohne die emotionale Bindung zwischen den Interaktionspartnern kann kein Vertrauen entstehen.“362 Das emotionale Erleben bildet über dies, wie in Kapitel 2 gezeigt, nicht nur die Erklärungsgrundlage für unterschiedliche Handlungsprozesse und spezifische Einstellungen von Individuen, sondern induziert auch zahlreiche positive und negative Effekte im Kontext der Organisation und damit auch innerhalb von Arbeits- und Führungsprozessen. Wenn nun, wie gezeigt werden konnte, die Bedeutung von interpersonalen, also sozialen Kompetenzen im Arbeitsprozess zunimmt, dann folgt hieraus zwangsläufig die Notwendigkeit zur Berücksichtigung und Integration emotionaler Prozesse. Rozell/Pettijohn/Parker (2002) bringen die soziale Interaktion von Führungskräften und geführten Mitarbeitern mit dem emotionalen Erleben beider Parteien sowie dem daraus resultierenden Führungserfolg folgendermaßen zusammen: „A potential manager’s understanding of management techniques dealing with interpersonal interaction and interpersonal emotions may have a fundamental place in the overall success of that individual in the workplace.“363 Ähnlich stellen Wong/Law (2002) eine Verbindung zwischen der Tätigkeit von Führungskräften und dem Umgang mit Emotionen her: „Leadership concerns the interaction of leaders with other individuals. Once social interactions are involved, emotional awareness and emotional regulation become important factors affecting the quality of the interactions.“364 Auch Sarges (1994) sieht in Emotionen von Mitarbeitern bzw. genauer gesagt in deren Wahrnehmung und daraus abgeleiteter Verhaltensmodifikation 360
361 362 363 364
Kanning (2003) fasst unter dem Begriff Soziale Kompetenz die Elemente Emotionale Intelligenz, Interpersonale Kompetenz, Soziale Intelligenz und Soziale Fertigkeiten zusammen, die sich teilweise jedoch recht stark überlappen. Vgl. hierzu Kanning (2003), S. 25. Vgl. Eberl (2003), S. 206. Eberl (2003), S. 279. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 287. Wong/Law (2002), S. 244.
108
3 Führung im Wandel
eine elementare Führungsvariable, insbesondere deswegen, weil nur die Anerkennung des emotionalen Erlebens der Mitarbeiter es Führungskräften ermöglicht, effizient mit diesen zu kommunizieren, diese zu motivieren, zu überzeugen usw.365 Die insbesondere in Teilen der interdisziplinären Führungsforschung registrierbare Resonanz auf die Veröffentlichungen von Goleman (1995) kann wie in Kapitel 2 dargestellt also einerseits auf die grundlegende Bedeutung emotionaler Wirkmechanismen zurückgeführt werden, die per se schon eine grundlegende Systematisierung im Umgang mit Emotionen erfordern. Hinzu kommen die in diesem Kapitel beschriebenen Veränderungsprozesse in der Führungskräftearbeit, durch die interaktions- und damit auch emotionsbasierte Tätigkeiten für Führungskräfte wichtiger werden. Dieser Tatbestand stellt einen weiteren wichtigen Faktor dar, der die Thematik in ihrer Popularität und Bedeutung gestützt hat.
365
Vgl. Sarges (1994), S. 382.
4 Führungs- und Kompetenzmodelle in der Arbeit und Entwicklung von Führungskräften 4.1 Führungs- und Kompetenzmodelle: Grundlagen Die Aufgabe von Führungskräften besteht allgemein formuliert darin, die ihnen zuordenbaren Unternehmen zu erhalten und erfolgreich weiterzuentwickeln.366 Wie in Kapitel 3 gezeigt wurde, unterliegt ihre Arbeit hierbei elementaren Veränderungen: Die demographische Entwicklung, technologische Veränderungen sowie der Wandel von Werten führen dazu, dass Führungskräfte sich zukünftig verstärkt mit der Lösung komplexer sozialer Probleme konfrontiert sehen, wenn es etwa um die Gewinnung, Führung, Entwicklung und Bindung knapper und vor allen Dingen heterogener werdender Belegschaften geht, deren Verhandlungsposition sich außerdem in zunehmendem Maße verstärkt. Aus Kapitel 2 lässt sich ableiten, dass Emotionen die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen bilden, signifikante positive und negative Effekte innerhalb des Organisationskontextes induzieren und auch im Rahmen von Arbeits- und Führungsprozessen eine elementare strukturierende Einflussvariable darstellen. Zieht man diese Erkenntnisse hinzu dann wird deutlich, dass die sich ändernden Rahmenbedingungen in Kombination mit der grundlegenden Bedeutung emotionaler Wirkmechanismen in letzter Konsequenz dazu führen, dass sich die Anforderungsprofile von Führungskräften ebenfalls drastisch wandeln: Um weiterhin Mitarbeiter zielorientiert lenken und leiten zu können, müssen Führungskräfte verstärkt über soziale Fähigkeiten verfügen, im Rahmen derer insbesondere das Management von Emotionen in Form von Wahrnehmung, Regulation und Steuerung von Bedeutung ist. Die fachliche Ausbildung von Führungskräften, z.B. in Form eines akademischen Abschlusses, deckt sich jedoch mit den für Führungskräfte notwendigen Anforderungen meist nur bedingt. Daher sind Unternehmen auf die Anwendung spezifischer Führungsmodelle sowie die Konzeption und Durchführung kompetenzmodellbasierter Entwicklungsprogramme angewiesen, um bestehende Kompetenzdefizite bei Führungskräften ausgleichen zu können. Nach Rosenstiel (2003b) ist nämlich gerade der nach Kapitel 3 wichtiger werdende Umgang mit Menschen im Rahmen von Führungsbeziehungen häufig nicht Gegenstand universitärer Ausbildungsformen. Dies verdeutlicht zum einen die Notwendigkeit von Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte nachhaltig und determiniert zum anderen gleichzeitig deren inhaltli366
Woriescheck/Deller (1994), S. 135-136.
110
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
chen Schwerpunkt.367 Dieser liegt nach den bisherigen Erkenntnissen dieser Arbeit in erster Linie auf der Verbesserung des Umgangs mit Emotionen, der interpersonalen Fähigkeiten und der motivationalen Kompetenzen. Allgemein formuliert sind Unternehmen im Hinblick auf das ihnen zur Verfügung stehende Führungskräftepotential stets bestrebt, dieses gemäß den sich ändernden Marktgegebenheiten zu entwickeln. Mit Blick auf die Zukunftssicherung des Unternehmens sowie angestrebte Wachstumsraten wollen sie über bedarfsorientiert qualifizierte Human- und Führungsressourcen verfügen.368 Die Entwicklung von Führungskräften verfolgt hierbei das Ziel, Eignungsfähigkeiten bei zukünftigen Trägern von Führungsaufgaben zu erzeugen und langfristig zu erhalten. Grundlage für die Beurteilung und Entwicklung von Führungskräften sind u.a. Management Audits bzw. Appraisals, Potentialanalysen oder Assessment Center, die eine Informationsgrundlage im Hinblick auf das aktuelle Leistungsvermögen und das Potential von etablierten bzw. angehenden Führungskräften darstellen und dabei gleichzeitig entsprechende Defizite aufzeigen.369 Diese wiederum basieren meist auf Kompetenzmodellen, welche die Anforderungen, Eigenschaften, Verhaltensweisen, Qualifikationen u.ä. im Hinblick auf die sich ändernden Marktbedingungen im Arbeits- und Führungsprozess normativ darstellen.370 Führungsmodelle hingegen sind, anders als Kompetenzmodelle, weniger als konkreter Baustein von Assessment Centern o.ä. Verfahren zu sehen, sondern bilden vielmehr den Führungsprozess unter Berücksichtigung notwendiger Eigenschaften, Verhaltensweisen oder anderer Parameter auf einem optimierten Niveau ab. Über solche theoretischen Modelle wird versucht zu erklären, „wie Vorgesetzte in einer bestimmten Situation ihre Mitarbeiter beeinflussen müssen, damit diese ein als Ziel definiertes Leistungs- oder Verhaltensniveau erreichen oder überschreiten.“371 Kompetenz- und Führungsmodelle sind sehr eng miteinander verwoben, so dass ihre Übergänge fließend sind und keine eindeutige Abgrenzung vorgenommen werden kann. Mit Hilfe von Führungsmodellen, die ein idealtypisches Abbild in Bezug auf die Struktur und Ausgestaltung von Führungsprozessen darstellen, wird versucht, unterschiedliche Komponenten der Personalführung zu verbinden, um erklärende Aussagen über das Verhältnis von Führungskräften und Geführten zu gewinnen und etwa konkrete Kompetenzen für die Tätigkeit 367 368 369
370 371
Vgl. Rosenstiel (2003b), S. 69-70. Linke (1996), S. 4. Vgl. hierzu u.a. Lang-von Wins/Rosenstiel (2000), Kleinmann (2000), Sarges (2001), Lambsdorff/Tanneberger (2002), Jochmann (2002), Kleinmann (2003), Gerhardt/Ritter (2004). Vgl. hierzu u.a. Wottawa (2005), S. 209-213. Drumm (2005), S 493.
4.1 Führungs- und Kompetenzmodelle: Grundlagen
111
von Führungskräften ableiten zu können. Ziel ist hierbei die Systematisierung von Führungserfolg, indem verschiedene Faktoren wie z.B. Verhaltensweisen und Eigenschaften der Führungsperson oder auch Situationsvariablen in die Betrachtung mit einbezogen werden. Kompetenzmodelle hingegen, die sich teilweise aus theoretischen Führungsmodellen extrahieren lassen, umschreiben Fähigkeiten, Kenntnisse, Qualifikation u.ä., die für die Bewältigung weiter gefasster Führungsaufgaben notwendig sind.372 Anders als z.B. bei der Erstellung von Anforderungsprofilen aus der in der Praxis verbreiteten Form der Arbeitsanalyse heraus, können bei der Konzeption von Kompetenzmodellen auch übergreifende und organisationsweite Kompetenzen berücksichtigt werden. Somit können diese, gerade im Hinblick auf die sich sehr schnell wandelnden Anforderungen, als eher geeignet angesehen werden, Anforderungsprofile von Führungskräften innerhalb eines dynamischen Umfeldes abzubilden als z.B. starre Arbeitsplatzprofile oder theoretische Führungsmodelle.373 Nach Sonntag/Rathjens (2004) sind Kompetenzmodelle hierbei integrativ zu betrachten. Sie berücksichtigen also neben führungsrelevanten und fachlich funktionalen Aspekten auch diejenigen, die menschliches Handeln determinieren, also soziale, motivationale und im Kontext dieser Arbeit auch emotionale.374 Im Hinblick auf eine effiziente Arbeit und Entwicklung von Führungskräften ist es elementar notwendig, dass die sich rasch und massiv ändernden Rahmenbedingungen aus Kapitel 3 innerhalb der Theorien und Modelle berücksichtigt werden: nur wenn, wie im vorliegenden Fall, die Systematisierung im Umgang mit Emotionen (impliziter) Bestandteil dieser ist, erscheint eine theoriegeleitete Arbeit bzw. modellbasierte Entwicklung von Führungskräften durch die Adaption der Marktveränderungen sinnvoll. Führungsmodelle gehen zurück auf die so genannten Iowa-Studien in den 30er Jahren, die die Auswirkungen von unterschiedlichem Führungsverhalten auf Individuen und Gruppen zum Gegenstand hatten.375 Diesen Studien folgten weitere, auf die im Folgenden teilweise noch näher eingegangen wird. Hieraus haben sich im Zeitablauf eine Vielzahl von theoretischen Führungskonstrukten entwickelt, wobei anzumerken ist, dass eine exakte begriffliche 372
373
374 375
Eine Darstellung zur Entwicklung eines integrierten Kompetenzmodells, welches management- und führungsbezogene Kompetenzen gleichermaßen umfasst, findet sich u.a. bei Boyatzis (1982). Vgl. hierzu Boyatzis (1982), S. 191-204. An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich Kompetenzmodelle anders als Führungstheorien nicht nur auf Führungskräfte beziehen, sondern prinzipiell auf jeder Hierarchiestufe Anwendung finden können. Für eine grundlegende Diskussion über den Nutzen von Kompetenzmodellen vgl. auch Hollenbeck/McCall/Silzer (2006). Für einen Vergleich der Methoden der Arbeitsanalyse und der Kompetenzmodellierung zur Erfassung von Anforderungsprofilen vgl. u.a. Shippmann et al. (2000). Vgl. Sonntag/Rathjens (2004), S. 19. Vgl. hierzu Lewin/Lippit/White (1939).
112
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
Abgrenzung nicht vorgenommen werden kann: so werden die Begriffe Führungstheorie, -modell, -konzept und -ansatz in der Literatur recht uneinheitlich und oft synonym verwendet und auch die hierbei eingenommenen Perspektiven und einbezogenen Parameter variieren in Abhängigkeit der jeweiligen Autoren recht stark. Neben situations-, eigenschafts-, und verhaltensorientierten Ansätzen finden sich z.B. auch interaktions- und austauschbasierte.376 Die Diskussion um die Systematisierung von Kompetenzen in Form von Modellen kann auf McClelland (1972) zurückgeführt werden, der im Rahmen einer Studie zu dem Ergebnis kam, dass in Bezug auf die Bewältigung von Aufgaben neben kognitiv basierten Fähigkeiten auch Persönlichkeitsmerkmale und unterschiedliche Kompetenzen eine signifikante Rolle spielen.377 Prahalad/Hamel (1990) leiten aus dieser Feststellung ab, dass für Unternehmen bzw. deren Führungskräfte so genannte unternehmensspezifische Kernkompetenzen existieren, die meist sehr komplex sind und sich aus einer Vielzahl von Einzelkompetenzen zusammensetzen.378 Nach Auffassung der Autoren ist deren systematische Nutzung ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg der jeweiligen Unternehmen.379 Kernkompetenzen sind häufig Bestandteil sehr umfangreicher Kompetenzmodelle von Unternehmen, die nach Paschen (2004) zumeist eigenschaftsbasiert oder aufgabenorientiert sind.380 Nach Briscoe/ Hall (1999) kann die Konzeption der Modelle hierbei entweder wissenschaftsbasiert, strategiebasiert oder auch wertebasiert sein.381 Im Folgenden werden nun klassische Modelle aus dem Bereich der Führungstheorie sowie empirische Kompetenzmodelle aus der Unternehmenspraxis von Dax-30 Unternehmen skizziert.382 Es soll überprüft bzw. gezeigt werden, inwieweit die Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3 in den der theoriegeleiteten Arbeit und modellbasierten Entwicklung von 376
377 378
379
380 381
382
Vgl. hierzu u.a. Staehle (1999), S. 347-389; Hofmann (2000), S. 84-104; Berthel/Becker (2003), S. 76-107; Becker (2005), S. 216-244; Drumm (2005), S. 493-564. Vgl. McClelland (1972). Eine nähere Beschreibung der Konzeption von Kompetenzmodellen auf Grundlage unternehmerischer Erfolgsfaktoren findet sich u.a. bei Jochmann (2007). Hierunter fällt z.B. die Fähigkeit Marktveränderungen, die Auswirkungen auf das operative Geschäft haben, zu erkennen und entsprechend zu adaptieren. Vgl. Prahalad/Hamel (1990), S. 81ff. Vgl. Paschen (2004), S. 55. Während beim ersten Verfahren wissenschaftliche Erkenntnisse über die Faktoren erfolgreicher Führungskräfte verwendet werden, antizipiert das zweite Verfahren zukünftige Entwicklungen und leitet hieraus notwendige Kompetenzen ab. Das dritte Verfahren basiert rein auf den Werten des Unternehmens. Vgl. Briscoe/Hall (1999), S. 41. Es existieren auch unterschiedliche praktische Führungsmodelle, die sehr anwendungsorientiert konzipiert sind und in besonderem Maße Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigen. Vgl. Hentze et al. (2005), S. 563. Da diese aber, anders als die dargestellten Führungstheorien und Kompetenzmodelle, weder aus theoretischer noch aus empirischer Sicht von Bedeutung sind, werden sie an dieser Stelle nicht näher betrachtet. Zu den praktischen Führungsmodellen zählen u.a der Zürcher Ansatz (vgl. hierzu Rühli 1992), das St. Gallener Managementmodell (vgl. hierzu Ulrich/Krieg 1974 und Rüegg-Stürm 2002) sowie das 7-S-Modell (vgl. hierzu Pascale/Athos 1981).
4.2 Theoretische Führungsmodelle
113
Führungskräften meist zugrunde liegenden Ansätzen adaptiert werden.383 Anders als bei den empirischen Kompetenzmodellen aus der Unternehmenspraxis, zu denen bisher keine aussagefähigen Untersuchungen existieren, werden im Rahmen der Betrachtung der theoretischen Führungsmodelle auch Ergebnisse zu Validierungsversuchen skizziert. Diese bilden die Grundlage für die Einschätzung, welches der dargestellten Führungsmodelle als am ehesten geeignet erscheint, die Führungskräftearbeit unter Berücksichtung obiger Erkenntnisse auf idealtypischem Niveau abzubilden.
4.2 Theoretische Führungsmodelle Hinsichtlich der Einteilung von Führungsmodellen existieren in Anbetracht der Tatsache, dass viele Autoren nach recht eigenwilligen Kriterien begriffliche Abgrenzungen vornehmen, eine Vielzahl von Kategorisierungsmöglichkeiten. Im Folgenden werden nun sowohl ältere als auch neuere Theorieansätze gleichermaßen berücksichtigt. Diese stellen dabei für sich genommen sehr weitläufige Felder dar, innerhalb derer eine Vielzahl von Konstrukten existiert. Aus Platzgründen wird auf diese jeweils nur exemplarisch eingegangen. Das Ziel besteht darin zu zeigen, inwieweit die Theorien den durch unterschiedliche Wandelprozesse notwendig werdenden hohen Mitarbeiterbezug und den hieraus ableitbaren Umgang mit Emotionen im Rahmen von Führungsprozessen als notwendige Vorraussetzung für Führungserfolg abbilden oder berücksichtigen.
4.2.1 Eigenschaftsansatz Der eigentliche Führungsprozess kann, gerade in Bezug auf die Variable Führungserfolg, durch eine Vielzahl von Parametern beeinflusst werden, was die Betrachtungsweise erheblich erschwert. Im Rahmen des Eigenschaftsansatzes werden durch eine radikale Reduktion sämtliche Einflussgrößen ausgeblendet, um den Faktor Führungskraft losgelöst von allen anderen zu betrachten.384 Hierbei wird unterstellt, dass ausschließlich die Eigenschaften einer Führungskraft die vorzunehmenden Führungshandlungen beeinflussen und daher auch indirekt für den Führungserfolg verantwortlich sind.385 Eigenschaften werden als zeitlich und übersituativ stabile Persönlichkeitsmerkmale aufgefasst, die für jeden Menschen bzw. jede
383
384 385
Hierbei geht es jedoch nicht darum, die dargestellten Modelle zu evaluieren, da ein solcher Versuch ein eigenständiges Forschungsfeld bildet. Vgl. Neuberger (2002), S. 223. Vgl. Delhees (1995), S. 897-898.
114
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
Führungskraft universell ausgeprägt sind.386 Kritiker bezweifeln die Gültigkeit der dem Ansatz zugrunde liegenden Theorie, da unzulässigerweise von den Eigenschaften einer Führungskraft auf deren gezeigtes Verhalten im Rahmen des Führungsprozesses geschlossen wird. Zu berücksichtigen ist nämlich bei der Betrachtung von Führung und Führungserfolg immer auch der Einfluss anderer Faktoren wie z.B. der der Situations- und Geführtencharakteristika usw.387 Bei dem Versuch der Eigenschaftscharakterisierung von Führungskräften greifen Autoren auf verschiedene individuelle, physische und psychische Merkmale zurück, die sich häufig an dem 5-Faktoren-Modell der Persönlichkeit orientieren. Dieses Modell stellt die Persönlichkeit eines Individuums durch fünf Hauptdimensionen dar, welche auch als Big Five bezeichnet werden.388 Anhand von Kriterien aus dem Model wird versucht, Führungskräfte eindeutig zu beschreiben. Die Fähigkeit zum Management von Emotionen wird hierbei über die Facette Emotionalität des 5-Faktoren-Modells berücksichtigt, kann aber, im Hinblick auf das Gesamtkonstrukt Eigenschaftsansatz, als eher implizit eingestuft werden. Dem Ansatz liegt nämlich zu Grunde, ausschließlich die Eigenschaften der Führungsperson zu berücksichtigen, nicht aber deren konkret gezeigtes Verhalten im Führungsprozess. Neuberger (2002) kommt nach der Auswertung diverser Analysen von eigenschaftstheoretischen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass zwar sowohl Zusammenhänge zwischen Führungskräfteeigenschaften und Führungserfolg als auch Unterschiede zwischen Führungskräften und Geführten existieren, doch die Zusammenhänge eher schwach und die Unterschiede eher gering ausgeprägt sind. Bei vielen Eigenschaften ist eine Überlappung der betrachteten Gruppen beobachtbar. Die Ursache für diese Ergebnisse liegt nach Neuberger (2002) in den uneinheitlichen Mess- und Erhebungsmethoden, der Verwendung nicht vergleichbarer Populationen sowie der Nichtberücksichtigung relevanter Faktoren.389 Auch Gebert/Rosenstiel (2002) bestätigen die uneinheitlichen Korrelationen von Eigenschaften und Führungserfolg und weisen darauf hin, dass in der Betrachtung Situationscharakteristika berücksichtigt
386 387 388
389
Vgl. Neuberger (2002), S. 226. Vgl. Delhees (1995), S. 897-898. Das Modell hat fünf Dimensionen, wobei jede Dimension durch eine Vielzahl von Persönlichkeitsmerkmalen beschrieben wird. Die fünf Dimensionen und beispielhafte Eigenschaften sind: Extraversion (z.B. gesellig, gesprächig, aktiv), Emotionale Stabilität (z.B. beherrscht, gefasst, gelassen), Verträglichkeit (z.B. freundlich, höflich, flexibel), Gewissenhaftigkeit (z.B. verlässlich, sorgfältig, ausdauernd), Offenheit für Erfahrungen (z.B. einfallsreich, kultiviert, intellektuell). Vgl. Schuler (1998), S. 28. Vgl. Neuberger (2002), S. 231-235.
4.2 Theoretische Führungsmodelle
115
werden müssen.390 Nach Hentze et al. (2005) haben diese u.U. sogar einen stärkeren Einfluss auf den Führungserfolg als die Persönlichkeitsmerkmale.391 Zusammenfassend kann nach Delhees (1995) festgehalten werden, dass Eigenschaften sich wenig für die Vorhersage von spezifischem Führungsverhalten eignen.392 Die Eigenschaftstheorie versagt beim Einsatz als Generalindikator, wenngleich der Umkehrschluss, dass Eigenschaften gar keinen Einfluss auf den Führungserfolg haben, auch nicht zutreffend ist.393 Führungserfolg ist aber auch von dem gezeigten Führungsverhalten und Situationscharakteristika abhängig. Gerade der Umgang mit Emotionen sowie der hohe Mitarbeiterbezug gehen aus diesem Ansatz nicht hervor.
4.2.2 Verhaltensansatz Aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisse der Eigenschaftstheorie wird häufig versucht, Führungserfolg aus dem von einer Führungskraft gezeigten Verhalten heraus zu erklären: „While trait theories largely fail to prove that leaders are effective because of who they are, behavioral theorists have attempted to show that leaders are effective because of what they do.“394 Der Ursprung dieser Betrachtungsweise liegt in den so genannten Ohio-Studien.395 Im Rahmen dieser Studien wurden Mitarbeiter mittels Fragebögen zu dem Verhalten ihrer Vorgesetzten befragt. Hierbei existierten bei der Datenerhebung und Datenauswertung unterschiedliche Vorgehensweisen. Fleishman (1953) z.B. verwendete anfänglich einen 150 Items umfassenden Fragebogen, der das Verhalten in neun Dimensionen beschrieb (z.B. Organisation, Kommunikation usw.). Er stellte jedoch Multikollinearitäten396 zwischen diesen Dimensionen fest und unterzog daher das im Fragebogen verwendete Iteminventar einer Faktorenanalyse.397 Auf diese Weise reduzierte er die Dimensionen und Items in zwei Schritten und
390 391 392 393 394 395
396
397
Vgl. Gebert/Rosenstiel (2002), S. 186-191. Vgl. Hentze et al. (2005). Vgl. Delhees (1995), S. 904. Vgl. Rosenstiel (2003a), S. 10. Feyerhem/Rice (2002), S. 347. Etwa zeitgleich wurden die unter dem Namen Michigan-Studien bekannt gewordenen Untersuchungen durchgeführt, die sich inhaltlich mit der gleichen Thematik beschäftigten. Nachdem die Erkenntnisse aus diesen Studien erst gegenläufig zu den Ohio-Studien waren, näherten sich ihre Sichtweisen im Zeitablauf größtenteils an, wenngleich Vertreter der so genannten Michigan-Schule Teilaspekte weiterentwickelten. Vgl. hierzu u.a. Staehle (1999), S. 344-346 und Hentze et al. (2005), S. 209-219. Multikollinearität liegt dann vor, wenn eine lineare Beziehung zwischen den erklärenden Variablen besteht. Hierdurch wird die Aussagekraft des Modells eingeschränkt, wenngleich die Effizienz weiterhin gegeben ist. In der Ökonometrie unterscheidet man zwischen perfekter und imperfekter Multikollinearität. Vgl. Auer (2003), S. 461-486. Mit der Faktorenanalyse will man die Anzahl der Erklärungsvariablen reduzieren, weil diese sich möglicherweise gegenseitig bedingen. Ziel ist die Bestimmung voneinander unabhängiger Variablen, die dann
116
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
erhielt als Ergebnis ein 2-Faktoren-Konzept. Dieses erfasst das Verhalten einer Führungskraft durch zwei statistisch voneinander unabhängige Faktoren mittels eines 48 Items umfassenden Fragebogens:398 1. Der Faktor Consideration beschreibt, in welchem Maße ein Vorgesetzter auf seine Mitarbeiter und ihre persönlichen Bedürfnisse eingeht und ihre Vorstellungen berücksichtigt und wird durch den Begriff Mitarbeiterorientierung bezeichnet. 2. Der Faktor Initiating Structure hingegen beschreibt Verhaltensweisen der Führungskraft, die der Erreichung von Unternehmenszielen dienen und wird daher als Aufgabenorientierung bezeichnet. Die Besonderheit der Studien liegt in der Zweidimensionalität.399 Verdeutlicht werden kann dies anhand der so genannten Ohio State Leadership Quadranten (s. Abb. 11). Die Ohio-Schule stellt die Hypothese auf, dass sich eine erfolgreiche Führungskraft zweidimensional orientiert. Sie verhalte sich sowohl stark mitarbeiterorientiert als auch stark aufgabenorientiert, was dem Quadranten rechts oben entspricht. Der geforderte hohe Mitarbeiterbezug ist im Rahmen dieses Ansatzes gegeben und wird durch eine eigenständige Dimension abzubilden versucht. Hierbei wird implizit auch dem Umgang mit Emotionen Rechnung getragen, da eine Führungskraft beim Umgang mit den Geführten auch deren, meist emotionsbasierte, Bedürfnisse und Vorstellungen berücksichtigen muss. Nach Auffassung der Vertreter der Ohio-Schule korreliert nur der rechte obere Quadrant des Modells positiv mit Führungserfolg. Diese Auffassung konnte sich im Zeitablauf jedoch nicht bestätigen, was Korman (1966) und Kerr/Schriesheim (1974) u.a. auf folgende Gründe zurückführen:400 1. Es werden keine situativen Charakteristika mit einbezogen. 2. Zwischen dem Führungsverhalten und Führungserfolg bestehen keine signifikanten Korrelationen. 3. Es werden keine Aussagen über Kausalitäten getroffen. 4. Die Orthogonalität kann nicht eindeutig nachgewiesen werden.
398 399 400
der weiteren Analyse zugrunde gelegt werden. Durch diese Form der Faktorenreduktion verhindert man unbefriedigende Erklärungswerte. Vgl. Backhaus et al. (2000), S. 252-327. Vgl. Fleishman (1953), S. 1-5. Vgl. Staehle (1999), S. 342-343. Vgl. Korman (1966), S. 354-360 und Kerr/Schriesheim (1974), S. 557-564.
117
hoch niedrig
MITARBEITERORIENTIERUNG
4.2 Theoretische Führungsmodelle Mitarbeiterorientierung hoch
Mitarbeiterorientierung hoch
Aufgabenorientierung niedrig
Aufgabenorientierung hoch
Mitarbeiterorientierung: niedrig
Mitarbeiterorientierung niedrig
Aufgabenorientierung niedrig
Aufgabenorientierung hoch
AUFGABENORIENTIERUNG niedrig
hoch
Abbildung 11: Ohio State Leadership Quadranten Quelle: Hersey/Blanchard (1969), S. 66.
Trotz dieser begründeten Kritik stellen die Ohio-Studien den Grundstock für viele weiterführende Ansätze dar. Ein in der Praxis sehr verbreitetes Konzept ist das von Blake/Mouton (1960) entwickelte Verhaltensgitter, welches auch als Managerial Grid bezeichnet wird. Es orientiert sich nahezu vollständig an den Ergebnissen der Ohio-Schule und beinhaltet ebenfalls die Dimensionen Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung. Auf der Basis der Ohio State Leadership Quadranten haben Blake/Mouton (1968) ein zweidimensionales Verhaltensgitter abgeleitet. Ihrer Meinung nach dürfen die beiden Dimensionen nicht losgelöst voneinander betrachtet, sondern müssen integrativ gesehen werden. Das Verhaltensgitter beschreibt auf der waagerechten Achse anhand einer neunstufigen Skala die Betonung der Produktion und auf der senkrechten Achse ebenfalls auf einer neunstufigen Skala die Betonung des Menschen. Hierbei sei angemerkt, dass die Skalierung von Seiten der Autoren nicht weiter begründet wird und daher in gewisser Weise willkürlich erscheint.401 Die insgesamt 81 Kombinationsmöglichkeiten des Verhaltensgitters reduzieren die Autoren auf fünf typische Formen, mit denen ihrer Meinung nach das gesamte Spektrum an Führungsverhalten abgedeckt werden soll.402 Das auf diese Weise entstehende Gitter kann wie in Abbildung 12 dargestellt werden. Führungserfolg wird nach Ansicht von Blake/Mouton (1968) einzig durch die Kombination 9,9 erreicht, was dem Modell einen stark normativen Charakter verleiht. Die Bevorzugung dieser Variante widerspricht jedoch ihrer eigenen Sichtweise, da sie selbst darauf hinweisen,
401 402
Blake/Mouton (1968), S. 33. Blake/Mouton (1968), S. 29-180.
118
9
9,9
1,9
8 7 6 5
5,5
4 3 niedrig
Betonung des Menschen
hoch
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
2 1
9,1
1,1
1
2
3
4
5
6
7
niedrig
8
9 hoch
Betonung der Produktion 1,1:
geringstmögliche Einwirkung auf Arbeitsleistung und auf die Menschen
1,9:
sorgfältige Beachtung der zwischenmenschlichen Beziehungen führt zu bequemer und freundlicher Arbeitsatmosphäre und zu entsprechendem Arbeitstempo
9,1:
wirksame Arbeitsleistung wird erzielt, ohne dass viel Rücksicht auf zwischenmenschliche Beziehungen genommen wird
5,5:
genügende Arbeitsleistung durch Ausbalancieren der Notwendigkeit zur Arbeitsleistung und zur Aufrechterhaltung der zu erfüllenden Arbeitsleistung hohe Arbeitsleistung von begeisterten Mitarbeitern. Verfolgung des gemeinsamen Zieles führt zu gutem Verhalten
Abbildung 12: Managerial Grid Quelle: Blake/Mouton (1968), S.33.
wie wichtig der Einfluss verschiedener anderer Variablen403 auf die Wahl des Führungsverhaltens ist.404 Obwohl sie hinsichtlich des Verhaltens einer Führungsperson anmerken, „daß selbst die Feststellung eines dominierenden Stiles, eines einzigen Bündels von Annahmen nicht ausreicht, um die volle Reichweite seines Führungsstils zu erfassen“405, erklären sie den 9,9-Stil als allgemeingültig effizient. Neuberger (2002) kritisiert an diesem Konzept die mangelhafte Operationalisierung und die geringe methodische Sorgfalt: „Der Ansatz ist so offen und unbestimmt, dass er nicht widerlegt, aber jederzeit durch Variationen und Erweiterungen scheinbar aktualisiert werden kann.“406 Auch diesem Ansatz fehlt, wie schon der Eigenschaftstheorie, die Einbeziehung weiterer relevanter Faktoren, wenngleich er, anders als der Eigenschaftsansatz, in besonderem
403
404 405 406
Die von den Autoren genannten Variablen sind: Organisation, Situation, Wertvorstellungen, Gelegenheit. Vgl. Blake/Mouton (1968), S. 26-27. Vgl. Blake/Mouton (1968), S. 25-27. Blake/Mouton (1968), S. 25. Neuberger (2002), S. 513.
4.2 Theoretische Führungsmodelle
119
Maße herausstellt, dass die (emotionsbasierten) Bedürfnisse des Mitarbeiters von Seiten der Führungskraft im Hinblick auf den angestrebten Führungserfolg zu berücksichtigen sind.
4.2.3 Situationsansatz Nach Betrachtung der eigenschafts- und verhaltenstheoretischen Ansätze kann vermutet werden, dass es weder optimale Eigenschaften einer Führungskraft gibt, noch optimales von ihr gezeigtes Verhalten, wenn man nicht auch gleichzeitig situative Charakteristika mit in die Betrachtung einbezieht. Dann und nur dann zeigt sich wahrscheinlich auch der durch den Mitarbeiterbezug und das Emotionsmanagement zusätzlich generierte Erklärungsgehalt eines Führungsmodells. Ein viel beachteter Ansatz in diesem Zusammenhang ist die Kontingenztheorie von Fiedler (1967). Dieser geht in seinem Modell davon aus, dass der Führungserfolg einer Führungskraft zum einen vom Führungsverhalten und zum anderen von der Führungssituation abhängt.407 Als Indikator für das Führungsverhalten führt der Autor ein Wahrnehmungsmaß ein, den so genannten LPC-Score. „Der LPC-Score entspricht der Wertschätzung, die eine Führungskraft demjenigen Mitarbeiter entgegenbringt, mit dem sie am wenigsten gern zusammenarbeitet (‚least preferred co-worker’).“408 Ermittelt wird der LPC-Score mit Hilfe einer 18 bipolare Adjektive umfassenden Skala (z.B. angenehm-unangenehm, freundlich-unfreundlich). Führungskräfte, die die am wenigsten geschätzten Mitarbeiter in sehr negativer Weise betrachten, kommen zu einem niedrigen LPC-Score und werden von Fiedler (1967) als aufgabenorientiert bezeichnet. Jenen, die diese Mitarbeiter (least preferred co-worker) dennoch in positiver Weise beschreiben, wird ein personenorientiertes Verhalten zugesprochen. In Abhängigkeit vom LPC-Score unterscheidet Fiedler (1967) daher in die Führungsstile aufgabenorientiert und personenorientiert. Die zweite, den Führungserfolg determinierende Variable, ist die Führungssituation, welche mittels dreier bipolarer Dimensionen charakterisiert wird: Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung, Aufgabenstruktur, Positionsmacht.409 1. Die Führungskraft-Mitarbeiter-Beziehung beschreibt die Unterstützung der Führungskraft durch die Gruppe (gut/schlecht).
407 408 409
Vgl. Fiedler/Mai-Dalton (1995), S. 940-941. Scholz (2000), S. 924. Vgl. Fiedler (1967), S. 185.
120
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
1
Führungsbeziehung
+
+
+
+
-
-
-
-
2
Aufgabenstruktur
+
+
-
-
+
+
-
-
3
Positionsmacht
+
-
+
-
+
-
+
-
2
3
4
5
6
7
8
Situative Günstigkeit
1
sehr günstig
mittelmäßig
sehr schlecht
Abbildung 13: Kontinuum der situativen Günstigkeit Quelle: Neuberger (2002), S. 498.
2. Die Aufgabenstruktur bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die zu realisierende Tätigkeit klar strukturiert ist. Dies umfasst neben der Zielverdeutlichung auch den Weg zur Zielerreichung (strukturiert/unstrukturiert). 3. Die Positionsmacht entsteht durch legale Befugnisse hinsichtlich positiver und negativer Sanktionsmaßnahmen der Geführten (stark/schwach). Während die Dimensionen zwei und drei größtenteils durch das Unternehmen festgelegt werden, ist die Gestaltung der ersten Dimension weitestgehend von der Persönlichkeit der Führungskraft und ihren Eigenschaften abhängig.410 Durch Kombination der einzelnen Dimensionen ergeben sich 23 = 8 Führungssituationen (Oktanten). Laut Kontingenztheorie ist die Führungssituation umso günstiger, je besser ausgeprägt die drei Dimensionen sind.411 Dies lässt sich visuell am Kontinuum der situativen Günstigkeit verdeutlichen (s. Abb. 13). Ursprünglich wollte Fiedler (1967) einen positiven Zusammenhang zwischen LPC-Score und der Gruppenleistung nachweisen. Da er jedoch in Abhängigkeit vom Kontinuum der situativen Günstigkeit sowohl positive als auch negative Korrelationen ermittelte, folgerte er, dass unterschiedliche Situationen unterschiedliche Führungsstile erfordern (s. Abb. 14). Fiedler (1967) sagt mit seiner Theorie voraus, dass in mittelmäßigen Situationen (siehe Kontinuum der situativen Günstigkeit) Führungskräfte mit hohem LPC-Score sehr erfolgreich sind und in sehr günstigen bzw. sehr schlechten Situationen Führungskräfte mit sehr niedrigem LPC-Score.412 Für das Erreichen von Führungserfolg schlägt er nun einen ungewöhnlichen
410 411 412
Vgl. Fiedler/Mai-Dalton (1995), S. 941-944. Vgl. Neuberger (2002), S. 498-499. Vgl. Neuberger (2002), S. 498-499.
4.2 Theoretische Führungsmodelle
121
Abbildung 14: Kontingenzmodell der Führung von Fiedler Quelle: Weibler (2001), S. 331.
Weg vor. Er sieht nicht den Führungsstil, sondern die Führungssituation als variable Größe an. Unternehmen und Führungskräfte müssen durch Modifikation der Situationsdimensionen diese an den Führungsstil der Führungskraft anpassen bzw. die Charakteristika der typischen Situationen am Arbeitsplatz ermitteln und hiernach die passende Führungskraft aufgrund entsprechender Werte des LPC-Score auswählen: „Effektive Führung verlangt deshalb, dass Führer in jener spezifischen Zone situativer Günstigkeit verbleiben, die am besten ihrem Führungsstil entsprechen. Da es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, die Persönlichkeit zu ändern und es relativ leicht ist, bestimmte Aspekte der Situation zu ändern, laufen die Empfehlungen zur Verbesserung des Führungserfolges darauf hinaus, letztere wenn notwendig anzupassen.“413 Hiermit wird deutlich, dass der geforderte Mitarbeiterbezug und das Management von Emotionen also nicht unabdingbare Teile dieses Ansatzes sind. Vielmehr kann es sogar sein, dass Führungskräfte durch die propagierte Variation der Führungssituation geradezu eine Legitimation erhalten, eben nicht entsprechend der Vorgabe mitarbeiterorientiert zu führen, kennzeichenbar durch einen niedrigen LPC-Score. Obwohl Fiedler (1967) mit der Einbeziehung situativer Charakteristika die Forderungen aus der Unvollkommenheit der vorangegangenen Ansätze erfüllt hat, konnte sein Modell empirisch nicht bestätigt werden und wurde in diesem Zusammenhang heftig diskutiert. So sieht Staehle (1999) in den drei Situationsdimensionen eine unvollständige Methode der Erfassung,
413
Fiedler/Mai-Dalton (1995), S. 947.
122
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
was durch die starke Vereinfachung in Form der Dichotomisierung noch verschärft wird. Auch die Eindimensionalität des LPC-Score kann als ungenau deklariert werden, da die Verhaltensdimensionen (personenorientiert, aufgabenorientiert) nicht unabhängig voneinander gesehen werden können.414 Weiterhin werden von vielen Autoren die dem Modell zugrunde liegende Theorie sowie deutliche Schwächen in der Operationalisierung und der gesamten methodischen Vorgehensweise kritisiert.415 Ungeachtet der Kritik kann als Fazit folgende Erkenntnis festgehalten werden: Führungserfolg wird neben den Charakteristika der Führungsperson und den daraus resultierenden Verhaltensweisen auch von Situationsvariablen beeinflusst. Ähnlich wie beim Eigenschaftsansatz werden jedoch die Facetten Mitarbeiterbezug und Emotionsmanagement auch im Rahmen dieses Modells nicht berücksichtigt und in Bezug auf das Modell von Fiedler (1967) sogar teilweise explizit ausgeklammert.416
4.2.4 Transformationsansatz Die in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Ansätze sind auf eine einfache Austauschidee zurückzuführen: Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskraft verfolgen innerhalb der Führungsbeziehung bestimmte Individual- und Unternehmensziele. Es kommt zu einer Art Transaktion, da die Führungskraft Mitarbeiter dahingehend zu beeinflussen versucht, die von ihr vorgegeben Ziele zu verfolgen. Die Mitarbeiter selbst erkennen, dass diese Zielverfolgung auch ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt. In den 80er Jahren entwickelte sich ein Ansatz, der nicht auf einer transaktionalen, sondern auf einer transformationalen Basis beruht. Dieser kann als am ehesten geeignet betrachtet werden, emotionale Wirkmechanismen und einen hohen Mitarbeiterbezug zu berücksichtigen. Die aus dem Ansatz ableitbaren Führungskonzepte lassen sich wie folgt charakterisieren:417 1. Grundlage der transaktionalen Führung sind Austauschprozesse: Innerhalb der Führungsbeziehung verfolgen Mitarbeiter vorgegebene Ziele und erhalten im Austausch eine Belohnung. Das Eigeninteresse des geführten Individuums steht im Vordergrund. 2. Im Rahmen der transformationalen Führung werden die Geführten durch die Persönlichkeit der Führungskraft angeregt, sich auf höhere Ebenen der Motivation und 414 415 416
417
Vgl. Stahle (1999), S. 352. Vgl. hierzu Neuberger (2002), S. 499-501 und Rosenstiel (2003a), S. 16-17. Gemeint sind hiermit die Situationen, in den ein niedriger LPC-Score führungserfolgsrelevant ist, in denen die Führungskraft also gerade nicht mitarbeiterorientiert führt. Vgl. Burns (1978), S. 18-20.
4.2 Theoretische Führungsmodelle
123
Zielsetzung zu begeben, was bedeutet, dass Individuen dann auch übergeordnete Ziele verfolgen, also solche, die auch den Nutzen Anderer maximieren. Während bei der transaktionalen Führung der Schwerpunkt auf der Zielerfüllung (Aufgabenorientierung) und Anreizproblematik (Mitarbeiterorientierung) liegt, steht bei der transformationalen Führung der Versuch der Änderung von (z.B. emotionsbasierten) Wertpräferenzen im Vordergrund.418 Ziele und Ansprüche sollen modifiziert werden, was durch Änderungen in der Bedürfnisstruktur zu erreichen versucht wird. Das Eigeninteresse soll in eine sozial wünschenswerte Richtung im Hinblick auf das Kollektiv umgewandelt werden.419 Mit dem MLQ (Multifactor Leadership Questionnaire) wurde ein standardisierter Fragebogen entwickelt, der eine empirische Erhebung dieser Führungsformen ermöglichen soll. Der mehrfach überarbeitete Bogen besteht in seiner Endfassung aus sieben Faktoren, von den vier transformationales und drei transaktionales Verhalten erfassen. Ziel ist die Abbildung des gesamten Führungsspektrums.420 Transformationale Führung wird repräsentiert durch die Faktoren Charisma, Inspiration, geistige Anregung und individuelle Bedachtnahme.421 Die Faktoren geistige Anregung und individuelle Bedachtnahme werden von Scholz (2000) als fordernde bzw. fördernde Führung bezeichnet. Fordernde Führung beschreibt das Maß der intellektuellen Stimulation, die sich z.B. in Form des Intrapeneurship umsetzen lässt. Fördernde Führung ist gekennzeichnet durch eine fachliche und sozio-emotionale Unterstützung der Mitarbeiter durch die Führungskraft.422 Hoher Mitarbeiterbezug und der Umgang mit Emotionen bei der sozio-emotionalen Unterstützung lassen sich im Rahmen des Ansatzes insbesondere an dieser Stelle einordnen. Transaktionale Führung wird repräsentiert durch die Faktoren bedingte Verstärkung, Management by Exception und laissez-faire Führung. Die bedingte Verstärkung gibt an, in welchem Maße innerhalb der Führungsbeziehung klar ist, was tätigkeitstechnisch für eine Belohnung zu tun ist und was eine Erfüllung der Anforderungen für Konsequenzen hat (z.B. Lob, Prämie etc.). Management by Exception zeigt an, inwieweit die Führungskraft in den Arbeitsprozess eingreift bzw. inwieweit der Geführte selbstständig handeln kann. Der Faktor laissez-faire Führung misst die Aufmerksamkeit und Einflussnahme der Führungskraft auf Arbeitsabläufe
418 419 420 421 422
Vgl. Hentze et al. (2005), S. 341. Vgl. Bass/Steyrer (1995), S. 2054. Vgl. Bass (1985) und Bass/Avolio (1990). Vgl. Bass/Steyrer (1995), S. 2054-2056. Vgl. Scholz (2000), S. 960-965.
124
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
und -ergebnisse. Bis auf Inspiration bestehen alle sechs Faktoren aus jeweils zehn Items, die auf einer fünfstufigen Skala bewertet werden (trifft überhaupt nicht zu/trifft fast immer zu).423 Bass/Steyrer (1995) kommen zu dem Ergebnis, dass transformationale Führung mit Führungserfolg stärker korreliert als transaktionale Führung. Daher wird im weiteren Verlauf dieses Abschnitts untersucht, inwieweit die Form der transformationalen Führung Einfluss auf subjektive und objektive Erfolgsindikatoren hat.424 Nach Auswertung von über 20 empirischen Studien halten die Autoren folgendes fest: alle vier Faktoren korrelieren regelmäßig signifikant positiv mit subjektiven Erfolgsindikatoren, wobei Charisma die Variable mit dem größten Einfluss ist.425 Hieran änderte sich auch dann nichts, als in einer Studie von Hater/ Bass (1988) die Messung bzw. Bewertung der subjektiven Leistungsindikatoren nicht mehr von den Geführten, sondern von den Vorgesetzten der Führungskräfte durchgeführt wurde.426 Zwar sanken die Koeffizienten in ihren Werten deutlich, dennoch konnte nach wie vor ein signifikant positiver Zusammenhang nachgewiesen werden.427 Der Einfluss transformationaler Führung auf objektive Leistungsindikatoren wurde ebenfalls empirisch untersucht. So zeigen Howell/Avolio (1993) in einer Untersuchung von 78 Managern eines kanadischen Finanzkonzerns eine signifikant positive Korrelation zwischen objektiven Kennziffern wie z.B. Produktivitätsverbesserung der geführten Mitarbeiter und den Faktoren individuelle Bedachtnahme (0,12), geistige Anregung (0,28) und Charisma (0,19) in Bezug auf die Führungskraft.428 Hiermit belegen sie die von ihnen aufgestellte Hypothese: „Charismatic leadership, leadership based on intellctual stimulation, and leadership based on individualized consideration will each positively predict unit performance over a 1-year period.“429 Transformationale Führung korreliert in der überwiegenden Anzahl von Studien positiv mit verschiedenen Kriterien der Führungseffizienz. Dennoch muss an dieser Stelle auf einige
423 424
425
426
427
428 429
Vgl. Bass/Steyrer (1995), S. 2055-2056. Subjektive Indikatoren sind nach Bass/Steyrer (1995) z.B. die Einschätzung von Effektivität, Zufriedenheit und Extra-Leistung. Vgl. Bass/Steyrer (1995), S. 2057. Die Korrelationskoeffizienten schwanken in ihren Werten z.T. deutlich, wenngleich ihre Tendenzen stets positiv sind. So liegen die Werte für die Korrelation von Charisma und Effektivität je nach Studie zwischen 0,19 und 0,88. Vgl. Bass/Steyrer (1995), S. 2057. Die Vorgesetzten bewerteten hierbei die Führungskräfte anhand ihrer Individualperformance sowie der Performance der von der Führungskraft geführten Gruppe. Vgl. Hater/Bass (1988), S. 698. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Autoren die Grundgesamtheit der untersuchten Manager anhand bestimmter Werte in zwei Gruppen aufteilten: Topführungskräfte und Normalführungskräfte. Die Ergebnisse beider Gruppen sind zwar signifikant voneinander verschieden, in ihrer Aussage aber identisch: alle vier Faktoren korrelieren positiv mit den Erfolgsindikatoren. Vgl. Hater/Bass (1988), S. 696. Vgl. Howell/Avolio (1993), S. 894-898. Howell/Avolio (1993), S. 893.
4.2 Theoretische Führungsmodelle
125
Schwachpunkte hingewiesen werden. So kommt häufig eine Ergebnisverzerrung dadurch zustande, dass bei der Ermittlung subjektiver Leistungsindikatoren die Geführten selbst diese beurteilen. Neben vielen methodischen Ungenauigkeiten liegt die größte Schwäche des Ansatzes wohl aber in seinem Unvermögen, konkrete Gestaltungsempfehlungen für die Entwicklung von Führungskräften zu geben. So räumen zwei Hauptvertreter des Transformationsansatzes selbst ein, dass „much more work remains to be done regarding the conceptuallization and measurement of our constructs.“430 Ungeachtet dessen stellt der transformationale Ansatz, ähnlich wie der Verhaltensansatz, in Bezug auf Führungserfolg in den Vordergrund, dass die durch emotionales Erleben strukturierten Relevanzsysteme der Geführten von essentieller Bedeutung für die Erzielung von Führungserfolg sind. Insbesondere das Management von Emotionen stellt im Hinblick auf die Facetten Inspiration und individuelle Bedachtnahme usw. einen entscheidenden Parameter dar.
4.2.5 Kritische Würdigung Führungsmodelle versuchen, Führungserfolg anhand verschiedener Einflussfaktoren zu erklären. Der Führungsprozess wird hierbei unter Berücksichtung unterschiedlicher, teilweise isolierter Parameter (wie etwa beim Eigenschaftsansatz), auf einem idealtypischen Niveau zu modellieren versucht. Bislang konnte jedoch keines der dargestellten Modelle umfassend validiert werden. Ein möglicher Grund liegt vermutlich darin, dass die Modelle den komplexen Führungsprozess durch die Ausblendung verschiedener Variablen zu vereinfachen versuchen, so dass möglicherweise auch relevante Parameter mit ausgeschlossen werden. Unabhängig davon kann festgehalten werde, dass der in den Kapiteln 2 und 3 gezeigte notwendiger werdende Mitarbeiterbezug und das Management von Emotionen insbesondere im Rahmen des Eigenschafts- und des Situationsansatzes keine Beachtung finden. Hingegen wird diesen Punkten im Rahmen des Verhaltens- und des Transformationsansatzes am ehesten Rechnung getragen. Beiden Ansätzen gemein ist, dass vor allem die (emotionsbasierten) Relevanzsysteme der Geführten von signifikanter Bedeutung für die Erzielung von Führungserfolg sind. Damit sind sowohl der Mitarbeiterbezug als auch das Emotionsmanagement als fixer Bestandteil zu sehen, wenngleich letzteres im Rahmen der Ansätze nicht näher spezifiziert wird, sondern eher einen integralen Bestandteil bildet. Als Grundlage für eine theoriegeleitete Arbeit eignen sich die Modelle aufgrund der unzureichenden Validierung jedoch nur eingeschränkt. Unter Umständen müssen die Modellbestandteile weiter konkretisiert und 430
Bass/Avolio (1993), S. 76.
126
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
umfassender betrachtet werden, um die Güte der Modelle zu erhöhen, wenn auch angemerkt werden muss, dass die Reduktion der Einflussparameter gerade mit dem Ziel durchgeführt wurde, die Modelle überhaupt operationalisieren und damit testen zu können. Insbesondere das Management von Emotionen erlaubt jedoch in Anbetracht der integralen Betrachtungsweise einer weiteren Präzisierung.
4.3 Empirische Kompetenzmodelle 4.3.1 Modelle aus der Unternehmenspraxis Nach der Darstellung der Führungstheorien geht es in diesem Abschnitt um die Betrachtung realer Kompetenzmodelle aus der Unternehmenspraxis, die in der Arbeit und Entwicklung von Führungskräften in Großunternehmen Anwendung finden. Hierzu wurden im Zeitraum Oktober bis Dezember 2006 die bei DAX-notierten Unternehmen im Rahmen der Personalund Führungskräfteentwicklung verwendeten Modelle angefragt, um diese in anonymisierter Form auswerten zu können.10 der 30 angefragten Unternehmen erklärten sich bereit, ihr Modell zur Verfügung zu stellen, wobei in Bezug auf die Bereitstellung oder Ablehnung der Modelle keine Systematik z.B. im Hinblick auf die Branchenzugehörigkeit der jeweiligen Unternehmen erkennbar ist.431 Im Gegensatz zu Kapitel 5, wo im Rahmen einer qualitativen Expertenbefragung konkret erfasst werden soll, welche Rolle Emotionen und der Umgang mit ihnen im Organisationskontext für Führungskräfte spielen, welche Gründe für eine Systematisierung der Thematik nach Ansicht von Experten vorliegen und wie die initiierenden Arbeiten von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) in diesem Zusammenhang zu bewerten sind, geht es in diesem Abschnitt darum, zu prüfen, inwieweit sich im Rahmen von Kompetenzmodellen eine grundlegende Berücksichtigung obiger Erkenntnisse wiederfindet. Zu untersuchen ist, ob die Notwendigkeit zum systematischen Umgang mit Emotionen im Rahmen bestehender Modelle bereits abgebildet wird, sich aus komplexeren Kompetenzen (wie z.B. Konfliktfähigkeit) ableiten lässt oder aber keine Berücksichtigung findet.
431
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass viele Unternehmen auf den Tatbestand hinwiesen, dass es sich bei den Modellen um übergeordnete und allgemeingültige Modelle handelt, die unabhängig von der Hierarchieebene gleichermaßen Geltung haben. So finden sich sehr unterschiedliche Bezeichnungen wie Kompetenzmodell, Potentialkriterien, Leadership Competencies u.ä. Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass die oben skizzierte, durch Marktveränderungen induzierte und notwendig werdende, systematische Entwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften nicht von allen Unternehmen gleichermaßen adaptiert wird. Eine im Rahmen allgemeiner Kompetenzmodelle verwendete „one size fits all“ Lösung über alle Hierarchieebenen hinweg vermag nämlich keinesfalls die unterschiedlichen Anforderungsprofile abzubilden.
4.3 Empirische Kompetenzmodelle
127
Die Modelle sind dabei meist folgendermaßen strukturiert: es existieren übergeordnete Kompetenzfelder (z.B. Führungskompetenz, Managementkompetenz, Handlungskompetenz usw.), welche durch konkrete Einzelkompetenzen (z.B. Belastbarkeit, Integrität, Konfliktfähigkeit usw.) gebildet werden. Diese werden zur Vereinfachung der Erfassung teilweise noch mittels entsprechender Subkriterien (Kritikfähigkeit, Gradlinigkeit, Engagement usw.) sowie zusätzlicher Verhaltensanker und Indikatoren in Form verbaler Beschreibungen (z.B. „sieht Veränderungen als Chance“, „erkennt Konflikte frühzeitig“ etc.) spezifiziert. Da die Modelle teilweise sehr umfangreich sind und außerdem nur ein kleiner Teil dieser von Interesse für das Forschungsziel ist, wird auf eine umfassende Darstellung an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen wird in der folgenden Tabelle angegeben, wie die Anzahl an Kompetenzfeldern, Einzelkompetenzen, Subkriterien, und Verhaltensankern jeweils verteilt ist, um einen ersten Überblick zu erhalten, wie umfangreich die Modelle in Bezug auf Kompetenzbreite und -tiefe sind. In den weiteren Tabellen wird dargelegt, bei welchen Unternehmen welche Kompetenzfelder, Einzelkompetenzen, Subkriterien und Verhaltensanker auf eine Berücksichtigung obiger Erkenntnisse innerhalb der verwendeten Modelle schließen lassen. Folgende Anmerkungen erscheinen für ein besseres Verständnis der nachfolgenden Tabellen 4-8 hierbei noch sinnvoll: 1. Die Verhaltensanker beziehen sich je nach Modell auf die Subkriterien (Unternehmen 1 und 3), auf die Einzelkompetenzen (Unternehmen 2, 4, 5, 6, 9, 10) oder auf die Kompetenzfelder (Unternehmen 8).432 2. Teilweise existieren entweder keine Kompetenzfelder, Einzelkompetenzen oder Subkriterien. Zudem wird eine Unterscheidung in den Modellen manchmal nicht kenntlich gemacht, sondern lässt sich nur aus Fließtextbeschreibungen entnehmen. In diesem Zusammenhang wurde in den Tabellen der Versuch einer Segmentierung vorgenommen, um die Modelle überhaupt vergleichen zu können. Entsprechende Anmerkungen finden sich in den jeweiligen Tabellen.433 3. Untersucht werden soll, inwieweit der Umgang mit Emotionen in Bezug auf geführte Mitarbeiter abgebildet wird (Emotionsverständnis, -wahrnehmung, -regulation, -steuerung). Hierfür ist es essentiell, gerade auch im Hinblick auf das Konzept der Emotionalen Intelligenz, dass Führungskräfte auch das eigene Emotionserleben wahrnehmen, 432
433
Einzig Unternehmen 8 lässt sich hier nicht zuordnen, da weder Subkriterien noch Verhaltensanker verwendet werden. Bei Unternehmen 3 z.B. werden neben Kompetenzfeldern, Einzelkompetenzen und verbalen Umschreibungen noch zusätzliche Kriterien genannt, die unter der Facette Subktriterium abgelegt wurden.
128
4 Führungs- und Kompetenzmodelle regulieren und steuern können. Daher werden ausschließlich Kompetenzfelder wie Selbstkompetenz, Führungskompetenz, Soziale Kompetenz etc. in die Betrachtung mit einbezogen, auch wenn sich der Umgang mit Emotionen ebenfalls im Rahmen anderer Felder (wie z.B. strategische Kompetenz) wieder finden ließe.
4. Bei den Modellen handelt es sich um die Vorgaben der jeweiligen Unternehmen. Diese wurden ausführlich über das Promotionsvorhaben informiert und um eine Bereitstellung entsprechender Modelle gebeten. Bei einigen Unternehmen muss jedoch in Anbetracht der Kürze und sehr schlechten Spezifikationen der Modelle vermutet werden, dass noch speziellere und ausdifferenziertere (wie etwa bei Unternehmen 1) existieren.434 Da dies jedoch nur eine Vermutung ist, werden die Modelle als Grundlage genommen, um in Bezug auf die entsprechenden Unternehmen die implementierte Systematik im Hinblick auf den Umgang mit Emotionen aufzuzeigen. 5. Die Auswahl der Kompetenzfelder, Einzelkompetenzen und Subkriterien erfolgt augenscheinlich valide. Es sollen diejenigen Punkte ausgewählt werden, die sich am ehesten mit der Thematik Umgang mit Emotionen in Verbindung bringen lassen. Gerade bei sehr umfangreichen Modellen wie bei Unternehmen 1 wurden lediglich die Facetten ausgewählt, die einen thematisch hohen Bezug haben, auch wenn die Auflistung entsprechend hätte erweitert werden können. Es geht also nicht um eine empirisch vollständige Erhebung, sondern vielmehr um den Nachweis der grundlegenden Berücksichtigung der Thematik und deren Ausmaß und Differenziertheit, belegt durch exemplarische Beispiele. 6. Die Spalte verbale Umschreibung, Verhaltensanker, Indikatoren der Tabellen 5-8 enthält wörtliche aus den Modellen entnommene Beschreibungen. Daher ist der verbale Stil dieser nicht einheitlich.
434
Unternehmen 7 formuliert als Kompetenzfeld z.B. Drive, ohne dieses in irgendeiner Weise näher zu spezifizieren.
4.3 Empirische Kompetenzmodelle
129
130
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
4.3 Empirische Kompetenzmodelle
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132
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
4.3 Empirische Kompetenzmodelle
133
134
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
4.3.2 Kritische Würdigung Betrachtet man Tabelle 4, innerhalb derer der Umfang und die Struktur der einzelnen Modelle dargestellt wurde, dann fällt auf, dass diese in Bezug auf die Anzahl der einzelnen Facetten sehr stark variieren: Je nach Modell existieren 3 bis 7 Kompetenzfelder sowie 8 bis 70 Einzelkompetenzen, welche wiederum mit bis zu 103 Subkriterien unterlegt sind. Weiterhin liegt die von den Unternehmen verwendete Anzahl von Verhaltensankern zur Erfassung der Kompetenzen zwischen 0 und 142. Die nahe liegende Vermutung, dass die explizite Abbildung der Emotionsthematik innerhalb der Modelle mit deren Gesamtumfang korreliert, kann insofern bestätigt werden, als das ausschließlich im Rahmen des umfangreichsten Modells (Unternehmen 1) eine konkrete Berücksichtung stattfindet (Einzelkompetenz Emotionale Balance). Abgebildet wird hier insbesondere der kompetente Umgang mit Emotionen und Stimmungen in Bezug auf die eigene Person. Dieser umfasst auch die Fähigkeit zur Selbstregulation von Führungskräften dahingehend, dass das von ihnen gezeigte Verhalten nach außen hin durch eine kalkulierbare (negative) Emotionalität gekennzeichnet werden kann und damit für die Mitarbeiter berechenbar ist. Einzig beim Modell von Unternehmen 4 findet sich noch die Fähigkeit zur (psychischen) Selbstregulation, die jedoch nicht im konkreten Kontext der Emotionsthematik verwendet wird. Emotionen als führungsrelevanter Steuerungsparameter werden hingegen von keinem der Modelle aufgegriffen. Alle anderen Modelle systematisieren den Umgang mit Emotionen nicht explizit, sondern bilden ihn, wenn überhaupt, nur implizit durch zahlreiche Einzelkompetenzen und Subkriterien im Rahmen unterschiedlicher Führungstätigkeiten ab. Diese Tätigkeiten sind dadurch kennzeichenbar, dass sie einen hohen Emotionsbezug aufweisen, sei es, dass die Tätigkeit den konkreten Umgang mit vorhandenen Emotionen erfordert (wie z.B. bei der Lösung von Konflikten) oder aber spezifische Emotionen erst erzeugt werden sollen, um bestimmte Verhaltensweisen (z.B. bei der Motivierung von Mitarbeitern) oder Einstellungen und Sichtweisen (z.B. beim Management von Beziehungen) zu induzieren. In erster Linie zählen hierzu, wie angedeutet, folgende Tätigkeiten: 1. Beziehungsmanagement: Dieses wird von allen Unternehmen abgebildet und bezeichnet die Fähigkeit von Führungskräften, z.B. durch vertrauensbildende Maßnahmen, Beziehungen zu Mitarbeitern aufbauen, entwickeln und pflegen zu können. Hierzu gehört „respektvoller Um-
4.3 Empirische Kompetenzmodelle
135
gang mit Mitarbeitern und Anerkennung deren Leistung“, um eben diese integrieren und an das Unternehmen binden zu können. Es geht darum, auf Grundlage von Einfühlungsvermögen und einer hohen sozialen Adaptionsfähigkeit, unterschiedliche (emotionsbasierte) Interessen und Ansichten erkennen, nachvollziehen und zusammenführen zu können. 2. Motivierung : Diese Facette beschreibt die Fähigkeit einer Führungskraft, geführte Mitarbeiter unter Berücksichtigung ihres Leistungsvermögens und ihrer individuellen Bedürfnisse motivieren und von Zielen und Vorhaben überzeugen zu können: Neben einer grundlegenden Inspirations- und Begeisterungsfähigkeit umfasst das Motivieren vor allen Dingen die Fähigkeit zum Erkennen individueller Triggerpunkte bei den Mitarbeitern. Die Modelle der Unternehmen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 9 bilden diese Kompetenz ab. 3. Konfliktfähigkeit: Unter dieser Fähigkeit wird im Rahmen der Modelle die Bereitschaft und Fähigkeit verstanden, soziale Auseinandersetzungen rechtzeitig erkennen und diese unter Einbeziehung unterschiedlicher Aspekte und Sichtweisen integrierend lösen zu können und hierbei deeskalierend und konstruktiv vorzugehen. Diese Kompetenz findet sich in den Modellen der Unternehmen 1, 2, 4, 6, 9 und 10. Es wird deutlich, dass die Unternehmen die Thematik Umgang mit Emotionen also in erster Linie in impliziter Form mit einbringen. Aufgrund des teilweise sehr geringen Umfangs der Modelle in Kombination mit einer hierzu recht ungenauen Spezifikation (z.B. bei Unternehmen 7 und 8) ergeben sich jedoch ungenaue und vor allen Dingen unvollständige Kompetenzbeschreibungen, die eine Vielzahl von Parametern außer Acht lassen. Der kompetente Umgang mit Emotionen im Arbeits- und Führungskontext zeichnet sich dadurch aus, dass auf Grundlage der Selbstwahrnehmungs- und Selbstregulationsfähigkeit durch Fremdwahrnehmung und Fremdregulation auf den Mitarbeiter eingewirkt werden kann.435 Auch wenn bei den eben genannten Kompetenzen Beziehungsmanagement, Motivierung und Konfliktfähigkeit der Bezug zu den Mitarbeitern und deren Bedürfnissen von Seiten der Führungskräfte sicherlich unterstellt und gewünscht wird, muss angemerkt werden, dass dieser aus den Modellen selbst nicht ersichtlich wird. So wird lediglich in den Modellen 9 und 10 auf die 435
Gerade im Rahmen der Konfliktlösung müssen Führungskräfte das (nonverbal) geäußerte Emotionserleben und dessen Gründe wahrnehmen und erkennen, um hieraus integrative Maßnahmen ableiten zu können und zu einer Lösung zusammenzuführen.
136
4 Führungs- und Kompetenzmodelle
Notwendigkeit eines hohen Mitarbeiterbezugs hingewiesen, indem die Wichtigkeit der Berücksichtigung von Bedürfnissen, Fähigkeiten und Wertesystemen bei der Führungskräftetätigkeit herausgestellt wird. An folgenden Punkten wird exemplarisch und in unsystematischer Reihenfolge auf die diesbezüglich existierenden Modellschwächen hingewiesen: Bei Unternehmen 8 findet sich im Rahmen der Einzelkompetenz Mitarbeiterentwicklung die Aussage, dass Führungskräfte interessiert und motiviert sind, Mitarbeiter zu entwickeln. Die eigentliche Fähigkeit hierzu wird jedoch nicht beschrieben, was aber ex definitionem Aufgabe eines Kompetenzmodells ist. Im Modell von Unternehmen 10 wird von der Kompetenz gesprochen, ein inspirierendes, innovatives und motivierendes Arbeitsumfeld schaffen zu können. Was damit gemeint ist, wird ebenfalls nicht näher beschrieben. Ähnlich wird bei Unternehmen 5 von der Kompetenz gesprochen, Bedingungen und Prozesse schaffen zu können, die für eine optimale Leistungserbringung notwendig sind, ohne dass diese dargelegt werden. Auch wird der denkbare Fall, dass eine solche Schaffung allein die intendierte Leistungserbringung nicht nach sich zieht, nicht berücksichtigt. Weiterhin umfasst das Modell von Unternehmen 5, wie auch das von Unternehmen 8, die Fähigkeit, tragende Beziehungen bzw. effektive Teams aufbauen zu können, ohne dass z.B. der erwähnte Mitarbeiterbezug thematisiert oder die Termina tragende Beziehung oder effektives Team näher beschrieben werden. Bei Unternehmen 4 findet sich die Kompetenz, lange und schwerwiegende Konflikte ansprechen und lösen zu können. Die Frage der Umsetzung bleibt hier genauso offen wie die der Bildung von Beziehungen und der Motivierung von Mitarbeitern bei Unternehmen 7. Abschließend kann festgehalten werden, dass die Thematik Umgang mit Emotionen im Rahmen bestehender Kompetenzmodelle von Dax Unternehmen zumeist gar nicht oder nur unzureichend abgebildet wird, was häufig mit einer ungenauen Spezifikation der Modelle einhergeht. Weiterhin ist ein allgemein niedriger Mitarbeiterbezug feststellbar, der jedoch für ein kompetentes Emotionsmanagement im Arbeits- und Führungskontext elementar wichtig ist (vgl. hierzu Kapitel 6).
4.4 Zusammenfassung
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4.4 Zusammenfassung Im Rahmen dieses Kapitels wurde gezeigt, in welcher Form innerhalb bestehender theoretischer Führungsmodelle aus der Führungsforschung und empirischer Kompetenzmodelle aus der Unternehmenspraxis die gewonnen Erkenntnisse zu den sich wandelenden Anforderungen an Führungskräfte Berücksichtigung finden. Im Rahmen der Darstellung theoretischer Führungsmodelle konnte gezeigt werden, dass insbesondere der Verhaltens- und der Transformationsansatz auf die notwendige Berücksichtigung der Relevanzsysteme der geführten Mitarbeiter hinweisen und hiermit die Erkenntnisse der Kapitel 2 und 3 am ehesten aufgreifen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Umgang mit Emotionen sich bei beiden Modellen eher aus Tätigkeiten ableiten lässt, die eine mitarbeiterorientierte Führung überhaupt erst erlauben, wenn es z.B. um die Inspiration oder die individuelle Bedachtnahme im Rahmen des Transformationsansatzes geht. Anders als in Kapitel 6, wo systematische emotionsbasierte (Führungs-) Ansätze vorgestellt werden, wird hier das Management von Emotionen quasi als notwendige Vorraussetzung bzw. als impliziter Bestandteil für das Modell angesehen, weniger jedoch als von der Führungskraft zu variierender Steuerungsparameter. In Anbetracht der Tatsache, dass beide Modellansätze außerdem bislang nicht umfassend validiert werden konnten, erscheinen diese daher nur bedingt für die theoriegeleitete Arbeit von Führungskräften geeignet. Die Kompetenzmodelle der Praxis werfen ein ähnliches Bild auf wie die theoretischen Führungsmodelle. Auch bei diesen wird der Umgang mit Emotionen in erster Linie durch die Formulierungen von Tätigkeiten abzubilden versucht, die dadurch kennzeichenbar sind, dass sie einen hohen Emotionsbezug aufweisen, indem etwa bei der Lösung von Konflikten mit vorhandenen Emotionen umgegangen werden muss oder aber im Rahmen des Beziehungsmanagements oder der Mitarbeitermotivierung spezifische Emotionen erzeugt werden sollen. Lediglich zwei Unternehmen (1 und 4) thematisieren den Umgang mit Emotionen konkret, wenn auch nur in Bezug auf die Führungsperson selbst. Emotionsmanagement als Führungsvariable findet sich also auch im Rahmen dieser Ansätze nicht wieder. Hinzu kommt, dass viele Modelle sehr unpräzise und unvollständig spezifiziert sind, da auch auf den wichtiger werdenden Mitarbeiterbezug, der letztlich ein Haupttreiber für die wachsende Bedeutung emotionsbasierter Führung ist, von den insgesamt nur zwei Unternehmen (9 und 10) hingewiesen wird. Alle anderen verwenden in Bezug auf die Formulierung von Anforderungen an Führungskräfte vorwiegend unpräzise und sehr weit gefasste Begrifflichkeiten, ohne dabei auf die für einen erfolgreichen Führungsprozess notwendige Berücksichtung der Relevanzsysteme der Geführten zu verweisen.
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4 Führungs- und Kompetenzmodelle
Zusammenfassend kann festgehalten werde, dass sich die Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3 im Rahmen theoretischer Führungs- und praktischer Kompetenzmodelle kaum wieder finden. Meist wird über die Formulierung emotionsrelevanter Tätigkeiten die Thematik zu implementieren versucht, was jedoch als nicht ausreichend erscheint, um die sich wandelnden Anforderungsprofile von Führungskräfte zu erfassen und abzubilden.
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis: eine qualitative Expertenbefragung In den vorangegangenen Kapiteln wurde gezeigt, dass die Arbeit von Führungskräften im Zeitablauf elementaren Veränderungen unterliegt. Zahlreiche Wandelprozesse in der Unternehmensumwelt führen dazu, dass Führungskräfte künftig in verstärktem Maße mit der Lösung komplexer sozialer Probleme konfrontiert sein werden. Hieraus lässt sich ableiten, dass im Rahmen von Führungsprozessen in erster Linie interpersonale und emotionale Kompetenzen an Bedeutung gewinnen werden. Diese Erkenntnis lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass das emotionale Erleben von Individuen deren Motivations- und Handlungsgrundlage bildet. Somit können emotionale Wirkmechanismen als ein zentrales strukturierendes Moment im Hinblick auf die soziale Interaktion bei der Führung von Mitarbeitern angesehen werden. Das Management von Emotionen bildet in diesem Zusammenhang eine wichtige Steuerungsgröße im Führungsprozess und determiniert gleichzeitig das Anforderungsprofil künftiger Führungskräfte. Wie in Kapitel 4 gezeigt wurde kann jedoch eine Berücksichtigung dieser Erkenntnisse innerhalb theoretischer Führungs- und praktischer Kompetenzmodelle gleichermaßen nicht festgestellt werden, da der Umgang mit Emotionen, wenn überhaupt, nur als impliziter Bestandteil der Führungskräftearbeit gesehen wird. Solche Modelle sind jedoch nicht zwangsläufig von Relevanz für die Praxis, so dass es durchaus denkbar ist, dass die Bedeutung von Emotionen und der systematische Umgang mit ihnen hier, entgegen der Modellspezifikationen, einen anderen Stellenwert haben. Im Rahmen dieses Kapitels soll daher überprüft werden, ob sich die bisherigen Erkenntnisse mit der praktischen Arbeit von Führungskräften in Einklang bringen lassen, ob also die dargestellten Veränderungsprozesse (Kapitel 3) in Verbindung mit der Bedeutung emotionaler Wirkmechanismen (Kapitel 2) auch im praktischen Führungskontext von Relevanz sind oder, wie bei Betrachtung der Führungs- und Kompetenzmodelle, eher implizit Berücksichtigung finden (Kapitel 4). Von Interesse ist hierbei insbesondere, inwieweit der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte in der täglichen Praxis überhaupt zu berücksichtigen ist. Auch soll erhoben werden, welche Gründe existieren, dass die Thematik, induziert durch die Diskussion um das Konzept der Emotionalen Intelligenz, besonders in der angewandeten Führungsforschung eine große Anzahl erweiternder Forschungsbemühungen angestoßen hat, in der klassischen Führungsforschung hingegen jedoch nach wie vor kaum Beachtung findet. In diesem Zusammenhang ist weiterhin von Interesse wie eine Systematisierung im Umgang mit Emotionen (z.B. in Form von Emotionaler Intelligenz) in Bezug auf die Arbeit von Führungs-
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
kräften beurteilt wird.436 Für dieses Vorhaben wurden im Rahmen von 20 Experteninterviews Individuen aus der Praxis befragt, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit eine hohe Affinität zu der Thematik dieser Arbeit haben (siehe auch Abschnitt 5.4.3 Stichprobenspezifikation: Auswahl der Experten) also Professoren, HR-Manager, Unternehmensberater, Headhunter, Trainer usw. Hierbei war sowohl das innerhalb ihres Arbeitsumfeldes erworbene Expertenwissen hinsichtlich der untersuchten Thematik von Bedeutung für das Interview, als auch die Tatsache, dass es den Experten im beruflichen Alltag möglich ist, ihre Auffassungen, Einstellungen und Sichtweisen innerhalb ihrer Wirkungskreise in gewisser Weise durchzusetzen bzw. darzulegen, sei es im Rahmen der operativen Arbeit, der wissenschaftlichen Forschung o.ä. 437 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde bei der Beantwortung der Forschungsfragen eine qualitative Expertenbefragung gewählt. Experteninterviews „zielen ab auf die Rekonstruktion von besonderen Wissensbeständen bzw. von besonders exklusivem, detailliertem oder umfassendem Wissen über besondere Wissensbestände und Praktiken, kurz: auf die Rekonstruktion von Expertenwissen.“438 Aus noch näher zu beschreibenden Gründen kann bei dieser Erhebungsform in sehr fokussierter und gleichzeitig flexibler Weise vorgegangen werden (siehe auch Abschnitt 5.4.1 Qualitative vs. quantitative Vorgehensweise), was z.B. bei standardisierten Befragungen mittels Fragebogen nicht der Fall ist. Der Begriff Interview bezeichnet im Rahmen dieser Arbeit in Anlehnung an König (1967) „alle Vorgehensweisen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei denen man die Untersuchungspersonen durch eine Reihe gezielter Fragen zu [verbalen] Angaben veranlassen will.“439 Vorteil eines Interviews ist der, „dass die Informationen in statu nascendi aufgezeichnet werden können, unverzerrt-authentisch sind, intersubjektiv nachvollzogen und beliebig reproduziert werden können“.440 Auch ist hervorzuheben, dass Interviews durch die bei der Befragung entstehende Eigendynamik hinsichtlich ihrer Ergebnisgüte in besonderem Maße positiv beeinflusst werden.441 So lässt sich eine wesentlich größere Anzahl an Informationen generieren als es z.B. im Rahmen standardi-
436
437 438 439 440 441
Hierbei wird vom Autor dieser Arbeit davon ausgegangen, dass insbesondere das praxisorientierte Konzept von Goleman (1995, 2003) aufgrund seines sehr hohen Popularisierungsgrades von Bedeutung ist und von Praktikern am ehesten mit der Thematik Systematischer Umgang mit Emotionen im Arbeits- und Führungskontext in Verbindung gebracht wird. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 46. Pfadenhauer (2005), S. 113. König (1967), S. 206. Lamnek (2005), S. 329. Mit Eigendynamik ist gemeint, inwieweit zugelassen wird, dass das Interview in eine Richtung steuert, die im Vorwege nicht vermutet wurde, die aber im Rahmen der Erkenntnisgewinnung von enormer Bedeutung ist. Dies heißt, dass der Befragte auch Sachverhalte oder Meinungen äußert, die sich nicht nur an der Kernfragestellung oder am Interviewleitfaden orientieren oder erwartet wurden.
5.1 Fragestellung, Zielsetzung und Repräsentativität
141
sierter Befragungen möglich ist. Ein Hauptmerkmal qualitativer Befragungen ist daher auch, dass der Interviewer dem Befragten ein spezifisches Maß an Freiheitsgraden zuweist und ihm somit ermöglicht, bei der Beantwortung der Fragestellungen sowohl offen und unstandardisiert vorzugehen als auch interdisziplinäre Elemente mit einzubeziehen.
5.1 Fragestellung, Zielsetzung und Repräsentativität Im Kern der Interviews geht es um die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte im Arbeits- und Führungsprozess hat. Weiterhin ist zu prüfen, ob die vornehmlich von Daniel Goleman (1995, 2003) in diesem Zusammenhang initiierte Bewegung zur systematischen Integration von Emotionen aus der praktischen Perspektive eine langfristige und vor allen Dingen begründbare Daseinsberechtigung hat. Hierzu wurde die Thematik Umgang mit Emotionen für Führungskräfte vor dem Hintergrund der hohen Popularität aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten versucht. Um hierbei den Experten den Zugang zu der Thematik zu erleichtern bzw. überhaupt zu ermöglichen, wurden im Rahmen eines Interviewleitfadens neben der eigentlichen Kernfrage in Anlehnung an Kapitel 3 auch Teilfragen zu den Themenbereichen Anforderungen an Führungskräfte, Wandelprozesse in deren Arbeit sowie Determinanten der Führungskräfteentwicklung aufgeführt. Dies stellt eine Form der Expertensensibilisierung dar.442 Hieraus wurde dann abzuleiten versucht, wie die Bedeutung von Emotionen und der konzeptionalisierte und u.U. implizite Umgang mit diesen im Arbeits- und Führungsprozess von Experten empfunden, beurteilt und erklärt sowie letztlich auch im Rahmen ihrer Arbeit umgesetzt wird.443 Weiterhin wurde verglichen, in welcher Form sich dies mit Erkenntnissen aus der Theorie der Kapitel 2 bis 4 deckt oder diesen widerspricht und inwieweit sich hieraus systematische Erkenntnisse für die Tätigkeit und Entwicklung von Führungskräften ableiten lassen. Die geführten Interviews zielen darauf ab, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick auf die angeführten Erklärungsgründe bei der Beantwortung der Kernfragen zu erschließen sowie Strukturverläufe der jeweiligen Argumentationen aufzuzeigen. So war bei der Inter442
443
Die Beantwortung der Fragestellung erfolgte also teilweise indirekt. Im Rahmen von Pretests kam zum Vorschein, dass insbesondere Experten aus der Praxis (HR- Manager, Berater etc.) das Thema Emotionen eher unbewusst wahrnehmen, auf Nachfrage aber sehr konkret Position beziehen können. Erst das Aufzeigen von möglichen Themenfeldern als Einstieg bzw. die Initiierung einer Diskussion um Anforderungen an Führungskräfte und Determinanten der Führungskräfteentwicklung ermöglichte eine Annäherung an das Thema. Die Umsetzung ist abhängig von den Arbeitsschwerpunkten. Im operativen Geschäft tätige HR-Manager haben ein wesentlich höheres Maß an Handlungskompetenz in der Praxis als z.B. wissenschaftlich arbeitende Professoren, die in erster Linie forschen und veröffentlichen.
142
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
viewdurchführung für den Interviewer entscheidend, dass er „eine klare Vorstellung über seine Fragestellung entwickelt und dabei aber noch offen bleibt für neue und im besten Fall überraschende Erkenntnisse.“444 In die Befragung wurden u.a. die Themengebiete Arbeitsund Führungsforschung, Gestaltung und Konzeption der Führungskräfteentwicklung sowie Emotions- und Organisationspsychologie aus den Kapiteln 2 bis 5 neben der eigentlichen Kernfragestellung mit aufgenommen. Aufgrund der theoretischen Vorarbeiten erschien es denkbar und wahrscheinlich, dass die angesprochenen Bereiche in irgendeiner Weise miteinander verzahnt sind und dass durch die Aufdeckung existierender Zusammenhänge die Diskussion um das Thema Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess erklärbar wird.445 Aufgrund dieser Tatsache kam ein Interviewleitfaden zum Einsatz, der den Befragten die Möglichkeit geben sollte, die Thematik aus den in den Kapiteln 2 bis 4 dargelegten Perspektiven446 zu beantworten (siehe Abschnitt 5.2 Vorgehensweise). Die gezielte Auswahl und Befragung von Experten hat den Nachteil, dass durch die gewisse Form von selektiver Willkür immer auch ein bestimmtes Maß an Ergebnisverzerrung zu Tage tritt. Generalisierende oder gar repräsentative Aussagen als Forschungsziel sind daher nur sehr bedingt möglich und nicht primäres Ziel, da zwar generalistische Existenzaussagen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Argumentations- und Erklärungsstrukturen erfasst und dargelegt werden können, aber keine Aussagen über Verteilung und Häufigkeiten in Bezug auf die Grundgesamtheit möglich sind.447 Aus diesem Grund muss nach der Auffassung von Merkens (1997) auch bei qualitativen Untersuchungen generell der Anspruch auf Repräsentativität abgelöst werden und durch eine Form von inhaltlicher Repräsentation ersetzt werden.448 Dies bedeutet, dass die gefundenen und u.U. repräsentativen Ergebnisse in keinem Fall generalisiert werden dürfen, auch wenn sie zuverlässig wären:449 Ziel ist Repräsentanz, keine Repräsentativität. Diese ist dann erreicht, wenn sowohl der Kern des Untersuchungsfeldes als 444 445
446
447
448 449
Flick (2005), S. 77. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass ein Experte hierzu nicht in der Lage ist, weil er das Emotionskonzept im Rahmen von Arbeits- und Führungsprozessen vielleicht ablehnt, für vernachlässigbar hält oder aber keinerlei Kenntnisse über die Rolle von Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess besitzt. In diesem Fall aber erscheint es umso wichtiger, Gründe hierfür zu finden. Möglich ist auch, dass die Experten von sich aus Perspektiven darlegen, die der Autor dieser Arbeit nicht berücksichtigt hat. Vgl. Lamnek (2005), S. 266. Die Grundgesamtheit des Forschungsfeldes wird gebildet durch die Summe aller Institutionen und deren Vertreter, die einen aktiven und passiven Einfluss auf die Gestaltung von Arbeits- und Führungsprozessen haben und sich insbesondere mit der Tätigkeit und Entwicklung von Führungskräften beschäftigen. Deren Kenntnis kann im Vorwege jedoch nicht ermittelt werden und ergibt sich somit, wenn auch nie vollständig, erst im Verlauf des Forschungsprozesses. Nach Merkens (2000) lässt sich daher die Grundgesamtheit im Rahmen qualitativer Untersuchungen erst im Anschluss an die Untersuchung beschreiben. Vgl. Merkens (2000), S. 291. Vgl. Merkens (1997), S. 100. Vgl. Volmerg (1983), S. 126.
5.2 Vorgehensweisen
143
auch die Vertreter des erweiternden Umfeldes im Rahmen der Stichprobe berücksichtigt worden sind.450 Im Ergebnis sollen bei der Interviewauswertung Erkenntnisse in Bezug auf Ansichten und Auffassungen, Relevanzstrukturen sowie Interpretationen und Deutungsmuster herausgearbeitet werden, was in Ergänzung zu den theoretisch erarbeiteten Konzepten der Kapitel 2 bis 4 Grundlage für eine Typenbildung der befragten Experten sein soll.451 Es geht also weniger um eine einzelfallorientierte Auswertung als mehr um die Herausstellung thematischer Einheiten und genauer um diesbezügliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie um die Analyse von Strukturen und Strukturzusammenhängen.452 Durch eine Typenbildung, welche im Rahmen der qualitativen Forschungspraxis eine gebräuchliche Auswertungsmethode darstellt, können auf dieser Grundlage den einzelnen Sampleelementen spezifische Merkmalskombination zugewiesen werden.453 Weiterhin ermöglicht sie durch Informationsreduktion die strukturierte Beschreibung des untersuchten Forschungsfeldes: der Untersuchungsbereich wird in überschaubarer Form dargestellt.454 Die Typenbildung soll dabei mit dem Ziel angelegt werden, möglicherweise Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 bis 5 zu bestätigen aber auch Neues zu entdecken und Annahmen des Forschers in Frage zu stellen bzw. einzuschränken und zu modifizieren.455
5.2 Vorgehensweisen In die Befragung wurden ausschließlich Experten einbezogen. Sie wurden u.a. deswegen befragt, weil ihr Wissen und ihre Einschätzungen das Handlungsfeld von Führungskräften maßgeblich mitstrukturieren und somit von hoher sozialer Relevanz sind. Expertenstatus wurde daher Institutionen bzw. ihren Vertretern zugesprochen, welche einerseits durch die Art und den Gegenstand ihrer Arbeit und andererseits durch ihren Wirkungskreis einen signifikanten Einfluss auf Determinanten und Elemente der Führungskräftetätigkeit und -entwicklung haben oder aber sich mit Veränderungsprozessen innerhalb dieser wissenschaftlich beschäftigen.456 Auf diese Weise können zwei Dinge gewährleistet werden:
450 451 452 453 454 455 456
Vgl. Merkens (1997), S. 100. Vgl. Meuser/Nagel (1991), S. 452 Vgl. Meuser/Nagel (1991), S. 447. Vgl. Lamnek (2005), S. 241. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 9. Vgl. Steinke (2000), S. 328. Die Samplemitglieder tragen also aus völlig unterschiedlichen Perspektiven Erklärungen zur Forschungsfrage bei. Während HR-Manager im operativen Geschäft direkt Einfluss auf Elemente der Führungskräfte-
144
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis 1. Es wurden nur Personen in den Forschungsprozess mit einbezogen, die aufgrund ihrer Funktion Experten auf dem zu erforschenden Gebiet sind.457 2. Die ausgewiesenen Experten haben aufgrund ihrer Position direkt oder indirekt einen signifikanten Einfluss auf Gestaltungs- und Veränderungsprozesse im Rahmen der Auswahl, Entwicklung und Arbeit von Führungskräften oder können diesbezüglich Veränderungsprozesse aufzeigen und erklären.458
Nach Auffassung des Autors wurde mit dieser Vorgehensweise ein gleichermaßen effektiver wie effizienter Weg gewählt, die theoretischen Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln praktisch zu evaluieren.459 Aufgrund der angesprochenen Komplexität des Themas erschien es im Hinblick auf ein strukturiertes Vorgehen sinnvoll, die Interviews durch folgendes Splitting der Fragestellung zu kennzeichnen:
1. Teil: Hauptfragen Im ersten Teil wurden die Experten allgemein zu Gründen und Determinanten der hauptsächlich von Goleman (1995, 2003) ausgelösten Entwicklung befragt. Ziel war hierbei, ihre Sichtweise und ihre Experteneinschätzung zu dokumentieren: Wie lässt sich die in der Vergangenheit beobachtbare Zunahme emotionsbezogener Führungsansätze begründen? Handelt es sich hierbei um eine temporäre (Management-) Mode oder einen substanzvollen (Mega-) Trend? Warum ist eine emotionsbezogene Sichtweise im Rahmen der Mitarbeiterführung auch zurzeit noch sehr populär? Welche endogenen und exogenen Faktoren begünstigen das Thema? Welche Rolle spielt hierbei konkret die Arbeit von Goleman?
2. Teil: Detailierungsfragen In einem zweiten Teil wurde der Zugang zu dem Thema konkretisiert, indem die Fragen spezifischer wurden. Ziel war es, die im ersten Teil gewonnene Sichtweise transparent und be-
457
458 459
arbeit und -entwicklung nehmen können, konzipieren Wissenschaftler diese eher auf einem theoretisch fundierten Niveau. Es sollen ausschließlich Personen befragt werden, die mit der Materie durch ihre berufliche Praxis in besonderem Maße vertraut sind. Meuser/Nagel (1994) bezeichnen diese auch als so genannte „Funktionselite“. Vgl. Meuser/Nagel (1994), S. 181. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 45. Effektiv ist der Weg, weil nur Leute mit hoher Themenaffinität und signifikantem Einfluss befragt werden: es werden quasi die „richtigen“ Leute befragt. Effizient ist die Befragung, weil durch die qualitative Art der Befragung ein Optimum an Informationen generiert werden kann, anders als das bei quantitativer Vorgehensweise der Fall ist.
5.2 Vorgehensweisen
145
gründbar zu machen. So wurden die Themen aus den Kapiteln 2 bis 4 in die Befragung mit aufgenommen: Arbeit und Aufgaben von Führungskräften im Wandel, Training und Entwicklung von Führungskräften, Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess. So galt es u.a. folgende Fragen zu beantworten: Welches sind in der näheren Zukunft (nächsten 10-15 Jahre) die zentralen Veränderungsprozesse innerhalb der Unternehmensumwelt und innerhalb der Unternehmen und welche Auswirkungen hat dies auf das künftige Profil von Führungskräften? Wie müssen Unternehmen dies im Rahmen der Managemententwicklung adaptieren? Was sind diesbezüglich im Rahmen der Management- und Führungskräfteentwicklung die zentralen Herausforderungen für Unternehmen? Welche Auswirkungen hat der oben beschriebene Wandel auf die Rekrutierung und Entwicklung von Führungskräften? Was bildet die Grundlage für den Prozess der Führungskräfteentwicklung? Welche Probleme können im Rahmen des Führungskräftetrainings und der Führungskräfteentwicklung thematisiert werden? Welche Rolle spielen Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess? Inwieweit sind solche Erkenntnisse in den Prozess der Führungskräfteauswahl und -entwicklung zu integrieren?460 Auf diese Weise ist es möglich, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufzuzeigen: die in Teil 1 dargelegte Sichtweise kann durch spezifisches Fach- und Erfahrungswissen aus der Praxis u.U. fundiert begründet werden. Die in Form des Leitfadens zusammengestellten Fragen bildeten hierbei aber nur einen Orientierungsrahmen. Auch wurde nicht erwartet, dass die Experten gleichermaßen auf alle genannten Fragen eingehen. Vielmehr stellte die differenzierte Aufstellung verschiedener, mit der Kernthematik in Zusammenhang zu bringender Felder, eine Form der Sensibilisierung dar.461 Daher erfolgten auch keine festen Fragenreihenfolgen, sondern die von den Befragten aufgebrachten Themen wurden von Seiten des Interviewers investigativ vertieft und immer wieder mit der übergeordneten Thematik in Zusammenhang zu bringen versucht.462 Ein häufig unvermeidbarer Zielkonflikt im Rahmen von Experteninterviews sollte im Rahmen dieser Arbeit umgangen werden: die Abwägung zwischen zu generierender Informations460 461
462
Der verwendete Fragenkatalog bzw. Interviewleitfaden findet sich im Anhang. Es bleibt folgendes anzumerken: Viele der in den Interviewleitfaden aufgenommenen Fragen erwiesen sich retrospektiv betrachtet als zu speziell. So gingen viele Experten nicht auf die vorgelegten Fragen ein. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 63.
146
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
breite und Informationstiefe. Wenn die Anzahl der Teilnehmer sehr klein ist, wird durch die Fokussierung auf bestimmte Themengebiete versucht, dass Untersuchungsfeld in seiner Struktur exakter zu erheben.463 Dies führt jedoch unweigerlich dazu, dass die Informationsbreite vernachlässigt wird. Um jedoch in Hinblick auf beide Parameter einen signifikanten Ausschnitt aus der Praxis zu erzeugen, wurde das Instrument so genannter Kompetenzcluster verwendet (siehe 5.4.3: Stichprobenspezifikation: Auswahl der Experten): Durch die offene Befragung völlig unterschiedlicher Experten wurde versucht, das Spektrum der Institutionen, die Einfluss auf die Arbeit von Führungskräften und den Prozess der Führungskräfteentwicklung haben oder diesen in seinem Wandel wissenschaftlich untersuchen, in einem Ausschnitt nahezu vollständig abzubilden.464 Dabei ging es darum, die Ergebnisse im Vorwege in einem möglichst geringen Maße zu prädeterminieren. Dies geschieht sehr leicht durch die theoretische Vorarbeit, so dass die Gefahr besteht, dass der Forscher nur genau das an Erkenntnissen findet, was er finden wollte, weil er bei der Auswertung die erhobenen Daten nur aus seiner Perspektive bewertet hat. Unabhängig von der Gefahr dieser Prädetermination ist ein hohes Maß an theoretischem Vorwissen nach Kelle/Kluge (1999) aber notwendig, um relevante Aspekte im Rahmen der Befragung überhaupt erkennen zu können.465
5.3 Interviewkonzeption Die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Interviews wurden folgendermaßen gestaltet: Ein auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 bis 4 konzipierter Interviewleitfaden wurde im Rahmen von Pretests auf seine Tauglichkeit hin überprüft und entsprechend modifiziert. Die Durchführung der Interviews erstreckte sich insgesamt über einen Zeitraum von drei Monaten und fand im Zeitraum Mai bis Juli 2006 statt. Die Interviews wurden jeweils wörtlich transkribiert. Mit dem Ziel der Informationsreduktion und zur Erhöhung der Übersichtlichkeit wurden für die einzelnen Interviews analytische Kurzzusammenfassungen erstellt, die jeweils die zentralen Erkenntnisse und einige Zitate der Interviews enthalten. Diese finden sich in Abschnitt 5.5 wieder.
463 464
465
Vgl. Flick (2005), S.112. Durch die Erstellung von so genannten Kompetenzclustern wurden unterschiedlichste Experten berücksichtigt, was durch die so erzeugte Heterogenität zu einem sehr differenzierten Befragungsergebnis führen soll. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 25
5.4 Interviewdesign
147
Auf Grundlage der vollständigen Transkription und der analytischen Kurzzusammenfassungen wird in Abschnitt 5.6 die eigentliche Auswertung vorgenommen, deren Abschluss durch die Bildung von Typen gekennzeichnet werden kann. Dies bedeutet, dass die einzelnen Befragten aufgrund typischer Merkmale und Merkmalskombinationen, welche sich aus den Interviews ableiten lassen, einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden. Sie werden typisiert.
5.4 Interviewdesign 5.4.1 Qualitative vs. quantitative Vorgehensweise Zu Beginn des Forschungsprozesses ist die Entscheidung zu treffen, ob die Forschungsfrage auf qualitativem oder quantitativem Wege zu beantworten versucht werden soll. Als qualitative Forschung kann man jene Methoden charakterisieren, bei denen keine statistischen Verfahren zum Einsatz kommen, weil zum einen keine systematische Stichprobenziehung erfolgt und zum anderen nur wenige Subjekte im Rahmen der Untersuchung berücksichtigt werden. Die qualitativen Ansätzen zugrunde liegende Zielsetzung unterscheidet sich signifikant von denen quantitativer Art: Während bei quantitativen Ansätzen das primäre Interesse darin besteht, zahlenmäßige Verteilungen bestimmter Merkmale zu erheben, sollen bei qualitativen Ansätzen in erster Linie wesentliche und typische Zusammenhänge anhand weniger Fälle dargestellt werden.466 In diesem Zusammenhang ist jedoch festzuhalten, „dass das herrschende Paradigma nach wie vor das auf Quantifizierbarkeit und Daten ausgerichtete, statistische Verarbeitung erstrebende und mit dem Mittel der Hypothesenprüfung arbeitende Verfahren ist, eine Vorgehensweise, die vielfach mit ‚sozialwissenschaftlicher Forschung’ schlechthin gleichgesetzt wird.“467 Die Verwendung quantitativer Verfahren muss aber gerade beim vorliegenden Untersuchungsziel kritisch hinterfragt werden. Grund hierfür ist der, dass bei dieser Vorgehensweise der Interviewte häufig nur in ein festes Fragenkorsett gezwängt wird. Gerade Entwicklungen im Antwortverhalten werden ignoriert und nicht in den Fortgang des Interviews mit eingefügt, weil damit die Standardisierung aufgehoben werden würde und somit die Interviewvergleichbarkeit sowie deren Auswertung ungleich schwerer würden.468 So wird durch die Verwendung standardisierter Fragebögen und Beobachtungsschemata das Untersuchungs-
466 467 468
Vgl. Lamnek (2005), S. 183. Heinze (2001), S. 16. Vgl. Lamnek (2005), S. 335.
148
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
feld in seiner Vielfalt sehr stark eingeschränkt, es werden nur Ausschnitte davon betrachtet und komplexe soziale Strukturen zu sehr vereinfacht und zu reduziert erfasst.469 Weiterhin kann bemängelt werden, dass in Bezug auf das quantitative Paradigma ein Ungleichgewicht zwischen dem Überprüfen von Hypothesen und dem für den Forschungsprozess relevanten Prozess des Entdeckens von Konzepten und Hypothesen besteht, wobei letzteres meist vollständig vernachlässigt wird. Außerdem werden lediglich diejenigen Tatbestände auch tatsächlich einer empirischen Überprüfung unterzogen, die vorab durch definitorische Abgrenzungen erfasst wurden.470 Lamnek (1980) formuliert dieses Problem wie folgt: „Bei der standardisierten Befragung wird ein detailliert ausgearbeiteter Fragebogen verwendet, in dem sowohl die Formulierung der einzelnen Fragen, wie auch die Reihenfolge der Fragen fixiert ist. Jedes Abweichen davon ist unzulässig und würde die Reizstandardisierung und damit die Akkumulierung der Daten und die Generalisierung der Dateninterpretation problematisch machen.“471 Hoffman-Riem (1980) ist aber davon überzeugt, dass der Zugang zu bedeutungsstrukturierten Daten ausschließlich über eine Kommunikationsbeziehung mit dem Forschungssubjekt erreicht werden kann, innerhalb derer dessen kommunikatives Regelsystem beachtet wird.472 Nach Bogumil/Immerfall (1985) wird jedoch durch die quantitative Vorgehensweise „die Struktur des Gegenstandes […] der eigenen Methodologie zuliebe verleugnet.“473 Bei der Verwendung quantitativ auswertbarer Befragungen ergeben sich daher erhebliche Effizienzlücken: A priori liegen nur bedingt Kenntnisse vor, in welcher Richtung Informationen des zu Befragenden in Bezug auf die Forschungsfrage zu erwarten sind. Diese aber sind im Hinblick auf die optimale Konstruktion eines quantitativen Fragebogens essentiell. Wenn nämlich bei der Konstruktion des Fragebogens einzig die Relevanzsysteme des Interviewers, nicht aber die des Interviewten mit einbezogen werden, erlangen die im Rahmen standardisierter, quantitativer Verfahren erhobenen Daten u.U. einen Stellenwert, den sie realiter nicht haben.474
469 470 471 472 473 474
Vgl. Lamnek (2005), S. 4. Vgl. Lamnek (2005), S. 101 und 124. Lamnek (1980), S. 134. Vgl. Hoffman-Riem (1980), S. 346- 347. Bogumil/Immerfall (1985), S. 81. Die Antwortmöglichkeiten erfassen u.U. nicht die vom Interviewten beabsichtigte Antwort. Zusätzliche Informationen vom Befragten, die nicht vom Interviewer berücksichtigt werden bzw. nicht berücksichtigt werden können, gehen somit verloren. Dies führt insgesamt dazu, dass die Befragung dem Befragten nicht gerecht wird, weil die theoretischen Vorarbeiten bei der Interviewkonzeption bestimmte Antwortmuster nicht vorgesehen haben. Insgesamt ist die Gültigkeit der Interviewaussage dann aber anzuzweifeln. Vgl. Lamnek (2005), S. 336-338. Nach Heinze (1995) ist dies ein Indiz dafür, dass quantitativ gewonnene Daten in erheblichem Maße als reduzierter anzusehen sind als etwa qualitative. Vgl. Heinze (1995), S. 13.
5.4 Interviewdesign
149
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich viele Fragestellungen durch die Eigendynamik von Interviews erst im Verlauf der Befragung entwickeln lassen und nicht schon im Vorwege festlegbar sind. Außerdem werden nach Girtler (1992) mittels konventioneller quantitativer Verfahren zwar empirische Daten in großer Menge erhoben, dafür bleibt aber völlig außen vor, wie der Mensch wirklich handelt und wie seine Interpretationen des Handelns aussehen.475 Cicourel (1974) formuliert dieses wie folgt: Wenn „es richtig ist anzunehmen, dass Personen im Alltagsleben ihre Umwelt ordnen, Objekten Bedeutungen oder Relevanzen zuweisen, […], dann kann man sich nicht in Feldforschung einlassen […], ohne das Prinzip subjektiver Interpretation in Betracht zu ziehen.“476 Gerade hierum geht es aber im vorliegenden Kapitel: Wie begründen Experten ihre Sichtweise und Einstellung und damit ihre Motivations- und Handlungsgrundlage in der beruflichen Praxis? Hier bietet sich nur die qualitative Expertenbefragung an, da die Wahrscheinlichkeit über unerwartete Aussagen der Befragten neue Erkenntnisse zu generieren deutlich höher ist, als wenn die Befragten lediglich eine geringe Anzahl vorgegebener Antwortalternativen zur Auswahl haben.477 Diesen positiven Effekt qualitativer Verfahren bezeichnet Trinczek (2005) auch als höhere „Kontextsensitivität“.478 Vorteil eines qualitativen Interviews ist nun also der, dass die Befragten nicht so stark durch einen Fragenkatalog gelenkt werden, sondern wesentlich individueller und bedarfsorientierter angesteuert werden können: es wird eher „rezeptiv-stimulierend als suggestiv-determinierend“ vorgegangen.479 Der Einsatz quantitativer Methoden soll jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht generell abgelehnt werden. So besteht nach Kelle/Erzberger (2000) durchaus die Möglichkeit, dass die Methoden in Kombination miteinander konvergieren oder sich komplementär verhalten.480 Die Ausgangssituation der vorliegenden Arbeit ist in diesem Zusammenhang aber folgende: A priori besteht kein „Zugang zu den typischen Deutungsmustern und Handlungsorientierungen im untersuchten Gegenstandsbereich“.481 So müssen durch eine qualitative Vorgehensweise innerhalb des Untersuchungsfeldes erst einmal Aussagen, Sichtweisen und Einstellungen in Form spezieller Merkmalskombinationen erfasst werden, was auf quantitative Art nicht möglich ist.482 Quantitative Methoden wären allenfalls in der Lage, überindividuelle Struktur475 476 477 478 479 480 481 482
Vgl. Girtler (1992), S. 27. Cicourel (1974), S. 93. Vgl. Becker/Geer (1979), S. 140. Trinczek (2005), S. 211. Lamnek (2005), S. 260. Vgl. Kelle/Erzberger (2000), S. 304. Kelle/Erzberger (2000), S. 307. Vgl. Kelle/Erzberger (2000), S. 301.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
zusammenhänge zu beschreiben, nicht aber gehaltvolle Erklärungen als Basis für eine Typenbildung zu liefern.483 Die Erfahrungsrealität der Experten soll erfasst werden. Hierzu macht es keinen Sinn, diese numerisch zählen zu wollen, sondern es ist viel eher notwendig, die erfahrbare Realität erst einmal in verbales Bedeutungsschema zu transformieren.484 Jedoch ergibt sich bei qualitativer Forschung, wie oben bereits angesprochen, kein Anspruch auf Verallgemeinerung. Auch bei korrekt ermittelten Ergebnissen ist ein generalisierender Zirkelschluss nicht ohne weiteres auf die Grundgesamtheit übertragbar. So versucht das qualitative Paradigma eher Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb des Samples herauszuarbeiten. Die Vorgehensweise unterscheidet sich dabei, wie beschrieben, deutlich von der bei quantitativen Verfahren. Die qualitative Variante ist dabei keineswegs weniger exakt als die quantitative, da sich durch die Vergleichsmöglichkeit von Text und entsprechender Interpretation Kontrollmöglichkeiten auf hohem methodischem Niveau ergeben.485 Auch wenn Bergmann (1985) in Interviews ein Erhebungsinstrument sieht, welches „rekonstruktiv überformte und damit nur sehr begrenzt analysefähige Daten produziert“486, werden sie ungeachtet dieser Kritik, gerade wenn es um die Explikation implizit vorhanden Wissens geht, als Königsweg in Bezug auf die Vorgehensweise angesehen.487 Außerdem wird den methodisch berechtigten Kritikpunkten durch eine im Rahmen dieses Kapitels sehr ausführliche Darstellung der Vorgehensweise Rechnung getragen.
5.4.2 Gütekriterien Um die Ergebnisqualität eines Forschungsprogramms abschließend beurteilen zu können, bedient man sich in der empirischen und quantitativ ausgerichteten Sozialforschung in aller Regel der drei klassischen Gütekriterien Validität, Reliabilität und Objektivität. Nach Steinke (2000) sind diese Kriterien für die Bewertung qualitativer Forschung jedoch nicht geeignet, da sie für völlig andere Methoden entwickelt wurden. Gerade aufgrund der geringen Standardisierbarkeit der methodischen Vorgehensweisen sind sie im Rahmen des qualitativen Paradigmas jeweils in Abhängigkeit bestimmter Parameter zu sehen.488 So werden keine standar483 484
485 486 487 488
Vgl. Kelle/Erzberger (2000), S. 305-306. Vgl. Bortz/Döring (2002), S. 295-299. Die qualitative Forschung ist „im Kern ein Entdeckungsverfahren, die in unbekannten sozialen Realitäten Verbindungen und Bezüge eröffnet. Sie tut dies weit unvoreingenommener und gründlicher als quantitative Forschung, da diese nur Daten innerhalb eines vorgegebenen Kategorienschemas liefern kann, aber nicht das Kategorienschema selbst.“ Kübler (1984), S. 63. Vgl. Lamnek (2005), S. 329. Bergmann (1985), S. 307. Vgl. Pfadenhauer (2005), S. 114. Vgl. Steinke (2000), S. 322-323.
151
5.4 Interviewdesign
disierten Befragungen durchgeführt, keine quantifizierbaren Antworten ermittelt und keine statistischen Kennwerte erzeugt, mit deren Hilfe man etwa über die objektive Annahme oder Ablehnung von Hypothesen entscheiden kann. Die Thematik Emotionen im Führungskontext ist noch relativ neu und im Rahmen der Personal- und Führungskräfteentwicklung vieler Unternehmen vermutlich noch nicht fest verankert. Bereits bei der Kompetenzmodellauswertung in Kapitel 4 konnte dies gezeigt werden. Eine zusätzliche quantitative Erhebung würde daher an dieser Stelle vermutlich (noch) keine robusten Daten erbringen und erscheint somit wenig geeignet. Qualitative Interviews mit Experten hingegen stellen eine sinnvolle Alternative dar: Die Befragten können aufgrund ihrer Praxisnähe bereits Einschätzungen über mögliche Adaptionsversuche oder angestrebte Entwicklungen innerhalb der entsprechenden Unternehmen und Institutionen vornehmen, die sich jedoch eher indirekt qualitativ als direkt quantitativ erheben lassen. Diese Vorgehensweise führt im Endeffekt aber dazu, dass die klassischen Gütekriterien quantitativer Forschung zwar nicht unbrauchbar sind, für ihre Anwendung jedoch modifiziert werden müssen, damit sie in ihrer Gültigkeit nach wie vor Bestand haben. Das Kriterium Validität beschreibt „das Ausmaß, in dem das Messinstrument tatsächlich das misst, was es messen sollte.“489 Auch wenn Dinge wie Konstrukt- oder Kriteriumsvalidität nicht angewendet werden können, kann qualitativen Ergebnissen ein hohes – und meist sogar höheres – Maß an Validität zugesprochen werden. Lamnek (2005) nennt hierfür verschiedene Gründe: So entstehen die Daten meist näher am sozialen Feld als bei quantitativer Vorgehensweise, die Ergebnisse sind nicht durch bestimmte Raster vordeterminiert, die Relevanzsysteme der Befragten werden mit einbezogen und es existiert ein kommunikativer Austausch zwischen Untersuchendem und Befragtem.490 Als Reliabilität „kann das Ausmaß bezeichnet werden, in dem wiederholte Messungen eines Objektes mit einem Messinstrument die gleichen Werte liefern.“
491
Sie bezeichnet also im
Rahmen dieser Arbeit die Zuverlässigkeit der Expertenbefragung. Im qualitativen Paradigma ist die klassische Form der Reliabilität, die z.B. mit Testwiederholungen oder Paralleltests gemessen werden kann, jedoch nicht herzustellen, da die Vorgehensweise nämlich nicht unabhängig vom Forscher ist. So ist dessen interaktive und kommunikative Verbindung zum Befragten dafür verantwortlich, dass Reliabilität in ihrer Ursprungsform nicht vorliegen kann
489 490 491
Schnell/Hill/Esser (1992), S. 162. Vgl. Lamnek (2005), S. 166. Schnell/Hill/Esser (1992), S. 158.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
und das gewonnene Ergebnis stets in situativer Kontextgebundenheit zu sehen ist und somit nicht duplizierbar ist.492 So gibt Lienert (1969) zu bedenken, dass etwa das Kriterium der ReTest-Reliabilität schon deshalb nur schwer erfüllbar scheint, weil sich das Untersuchungssubjekt allein durch den Eingriff des Forschers verändert und außerdem das gesamte Forschungsfeld als sozialer Komplex einem kontinuierlichen Wandel unterliegt, der u.a. permanente Lernprozesse beinhaltet, so dass keine Ergebniskonstanz vorliegen kann.493 Reliabilität ist daher im qualitativen Sinne ein nur sehr schwer zu greifendes Kriterium. McCall (1979) versucht als Lösung das Kriterium über eine so genannte Datenqualitätskontrolle zu sichern. Nach diesem sollen etwa Störeinflüsse494 jeglicher Art dokumentiert und im Rahmen der Ergebnisinterpretation berücksichtigt werden, um zu gewährleisten, dass nur unverzerrte Elemente der Untersuchung dargestellt werden.495 Diese Vorgehensweise wird in der Bewertung der Befragungsergebnisse implizit angewendet. Doch auch dann sind nach Bogner/Menz (2005a) reliable Ergebnisse aufgrund der fehlenden interpersonalen Konstanz nicht zu erwarten.496 So ist zu bedenken, dass im Rahmen der Befragung getätigte Äußerungen nicht von der sozialen Komponente getrennt gesehen werden können. Sie sind vielmehr als Ergebnis einer konkreten Interaktionssituation zu sehen, die von den Befragten reflektiert und durch ihre Reaktionen auch mitstrukturiert wird.497 Der Begriff der Objektivität bezeichnet in seiner Ursprungsform interpersonalen Konsens, d.h. „unterschiedliche Forscher müssen bei der Untersuchung desselben Sachverhalts mit denselben Methoden zu vergleichbaren Resultaten kommen können."498 Sie bezieht sich also auf die intersubjektive Nachprüfbarkeit der Ergebnisse bzw. die Unabhängigkeit der Ergebnisse vom Forschenden. Es werden verschiedene Formen unterschieden wie z.B. Auswertungsobjektivität, Durchführungsobjektivität, Interpretationsobjektivität u.a.499 Der Begriff Objektivität wird mittlerweile jedoch verstärkt durch den Begriff der interindividuellen Zuverlässigkeit ersetzt. Grund ist der, dass Objektivität fälschlicherweise etwas vorgibt, was in realiter nicht zu leisten ist. So wird diese häufig etwa mit reiner Wahrheit gleichgesetzt. Dies kann zwar angestrebt, jedoch keineswegs erreicht werden.500 Das Kriterium der Objektivität
492 493 494
495 496 497 498 499 500
Vgl. Lamnek (2005), S. 168-169. Vgl. Lienert/Raatz (1998), S. 214. Dies können emotionale Einflüsse, reaktive Effekte, Spontanitätsbarrieren oder ähnliches sein. Vgl. McCall (1979), S. 147-149. Vgl. McCall (1979); S. 150-155. Vgl. Bogner/Menz (2005a), S. 18. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 48. Bortz/Döring (2002), S. 326. Vgl. Bortz/Döring (2002), S. 327. Vgl. Lamnek (1980), S. 104.
5.4 Interviewdesign
153
steht im qualitativen Ansatz diametral zu dem aus dem quantitativen, da der qualitative Forscher keine Standardisierung auf unterschiedlichen Ebenen vorzunehmen versucht, sondern vielmehr die jeweiligen Situationsspezifika explizit in die Ergebnisbetrachtung mit einbezieht.501 Quantitative Methoden sehen in diesem Einfluss des Forschers auf das Forschungssubjekt häufig eine signifikante Störgröße. Nach Hecker (2003) liegt jedoch „in dieser Interaktionsbeziehung tatsächlich geradezu die Vorraussetzung, um einen Zugang zu den erforschenden Objekten überhaupt zu bekommen.“502 Außerdem ist festzuhalten, dass es eine Form von objektiver Realität in diesem Zusammenhang nicht gibt: es handelt sich bei ihr immer um interpretierte und gedeutete Muster und somit um eine Form von subjektiver Realität, unabhängig davon, dass diese von den Subjekten selbst als objektiv angesehen wird.503 Die Bewertung qualitativ sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse ist also in Anlehnung an die eben skizzierten Gütekriterien weitaus komplexer als bei rein quantitativ erhobenen. Dies führt dazu, dass die Gütekriterien z.T. erst während der eigentlichen Forschungstätigkeit entwickelt werden: Sie kommen in modifizierter Weise zum Einsatz, gerade auch deswegen, weil es bei qualitativen Ansätzen mehr um die Feinanalyse als um die Bestimmung von Gesamtverteilungen geht.504 Ungeachtet der oben beschriebenen Problemfelder muss sich jedoch auch bzw. gerade die qualitative Forschung an Gütekriterien messen lassen, um einem wissenschaftlichen Anspruch genügen zu können und nicht dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zu erliegen.505 Mayring (2002) formuliert sechs allgemeine Gütekriterien qualitativer Sozialforschung mit denen der Forschungsprozess transparenter, zuverlässiger und exakter gestaltet werden soll. Ziel ist die wissenschaftliche Akzeptanz von qualitativ erhobenen Daten zu erhöhen.506 Hierbei geht es nach Steinke (2000) weniger um die Formulierung einzelner Kriterien als mehr um ein System von Kriterien, welches nach Möglichkeit viele Aspekte des qualitativen Forschungsprozesses abdeckt.507
501 502 503 504 505 506 507
Vgl. Lamnek (2005), S. 174. Hecker (2003), S. 7. Vgl. Lamnek (2005), S. 255. Vgl. Küchler (1981), S. V. Vgl. Steinke (2000), S. 321-322. Vgl. Mayring (2002), S. 144-148. Vgl. Steinke (2000), S. 322-323.
154
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
1. Verfahrensdokumentation Dies Kriterium beschreibt die Dokumentation, Darlegung und Erläuterung aller Elemente des Forschungsprozesses. Im Rahmen dieser Arbeit sind das das Ziel des Interviews, die Methodenwahl, die Auswertung, die Stichprobenspezifikation etc. Mit dem Ziel der besseren Nachvollziehbarkeit soll der Leser nicht an eine vom Verfasser vorgegebene Struktur gebunden werden, sondern „die Studie im Licht der eigenen Kriterien beurteilen können.“508 2. Argumentative Interpretationsabsicherung Interpretationen lassen sich nicht quantitativ beweisen, sondern müssen argumentativ begründet werden. Hierbei ist es wichtig, dass die Interpretation in sich konsistent ist und Alternativbegründungen gesucht und überprüft werden. Dies ist ein zentrales Kriterium in der qualitativen Forschung, da gerade hier Verzerrungsgefahren in Bezug auf die Gültigkeit der Interpretation bestehen.509 3. Regelgeleitetheit Um ein unsystematisches Vorgehen zu verhindern und um den Forschungsprozess transparent zu machen, muss mit einer gewissen Systematik und Regelgeleitetheit vorangegangen werden. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, den Prozess, wie in dieser Arbeit vorgenommen, im Sinne einer systematischen Vorgehensweise in möglichst differenzierten Schritten zu vollziehen.510 4. Nähe zum Gegenstand Hiermit ist gemeint, dass der Forschungsprozess möglichst nahe an der Alltagswelt der beforschten Subjekte anknüpfen soll und somit weniger durch Labor- als mehr durch Feldarbeit kennzeichenbar ist. Das Kriterium bezieht sich weiterhin auf das offene, gleichberechtigte Verhältnis zwischen Forscher und Interviewtem, welches das Ergebnis ganz erheblich beeinflusst.511 5. Kommunikative Validierung512 Die Gültigkeit der Ergebnisse wird dadurch überprüft, indem man sie dem Interviewten erneut vorlegt und u.U. diskutiert. So werden im Diskursverlauf bzw. nach 508 509 510 511 512
Steinke (2000), S. 324. Vgl. Volmerg (1983), S. 124. Der Abschnitt 5.4 Interviewdesign dient der Systematisierung der Vorgehensweise. Hierzu vgl. auch den Abschnitt 5.4.5 Interviewdurchführung . Lamnek (2005) führt neben der kommunikativen noch weitere Formen der Validierung an, die in diesem Zusammenhang nicht weiter behandelt werden: ökologische Validierung, argumentative Validierung, kumulative Validierung, prozedurale Validierung. Vgl. Lamnek (2005), S. 165-166.
5.4 Interviewdesign
155
Abschluss der jeweiligen Interviews Zwischenergebnisse direkt zurückgespiegelt, um sie in ihrer Gültigkeit zu bestätigen oder Alternativen für sie zu suchen. Dieses Kriterium muss jedoch in Abhängigkeit der Erhebungsergebnisse gesehen werden: „Unangemessen ist kommunikative Validierung, wenn die generierte Theorie jenseits der Zustimmungsfähigkeit der untersuchten Person liegt.“513 6. Triangulation Triangulation meint, dass durch den Einsatz komplementärer Methoden, Daten, Forscher o.ä. versucht wird, Verzerrungen und einseitige Betrachtungen einzuschränken und zu minimieren. So werden z.B. im Fall der vorliegenden Arbeit sequentiell unterschiedliche Forschungssubjekte befragt, damit Schwachpunkte, die etwa einem Befragten anhaften, kompensiert werden können.514 Hierbei geht es nach Kelle/Erzberger (2000) weniger um die höhere Validierung der Ergebnisse als mehr um die Ergänzung weiterer Perspektiven.515
Hopf (1978) führt mit Reichweite, Spezifität, Tiefe und personalem Kontext weitere Gütekriterien an, die sich größtenteils inhaltlich mit denen von Mayring (2002) decken und daher an dieser Stelle nicht explizit behandelt werden.516 Die obigen Kriterien sind, wie zum Teil bereits angesprochen, jedoch nicht frei von berechtigter Kritik, so dass sie in ihrer Konstruktion angreifbar erscheinen. Es wird deutlich, dass auch Gütekriterien die subjektive Verzerrung, die im Rahmen qualitativer Forschung zwangsläufig vorliegt, nicht vollständig eliminieren können.517 Kommunikation zwischen Individuen ist kein standardisierbarer Vorgang, so dass man sich auch bei aller wissenschaftlichen Exaktheit stets bewusst sein muss, dass gerade in der sozialwissenschaftlichen Forschung die einem Interview immanent anhaftende Systemdynamik eine essentielle Rolle spielt. So bezweifelt Köckeis-Stangl (1980), „daß es überhaupt eine Forschungsmethode gibt, die es gestattet, völlig eindeutige, längerfristig gültige, unwiderlegbare, zweifelsfrei wahre Aussagen über Elemente und Relationen der sozialen Realität zu machen.“518 Eine idealförmige Interviewdurchführung, die eine übergreifende und fallunabhängige Gültigkeit besitzt, existiert nicht. Bei der 513 514
515 516 517 518
Steinke (2000), S. 329. Vgl. Steinke (2000), S. 320. Denzin (1970) unterscheidet vier verschiedene Formen der Triangulation: Datentriangulation, Forschertriangulation, Theorietriangulation, Methodentriangulation. Vgl. Denzin (1970), S. 291-307. Vgl. Kelle/Erzberger (2000), S. 304. Vgl. Hopf (1978), S. 99-100. Vgl. Hecker (2003), S. 8. Köckeis-Stangl (1980), S. 363.
156
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Beurteilung der Interviewgüte muss immer auch berücksichtigt werden, dass bestimmte Äußerungen in Abhängigkeit der Kommunikationsstruktur zwischen Befragtem und Interviewer zu sehen sind: Je nachdem, welches Erkenntnisinteresse in einer konkreten Situation vorliegt, determiniert die nicht standardisierte Vorgehensweise in der kommunikativen Ansprache somit auch das Ergebnis.519 Für das weitere Vorgehen orientiert sich diese Arbeit dennoch an obigen Kriterien.
5.4.3 Stichprobenspezifikation: Auswahl der Experten Anders als bei quantitativen Forschungsmethoden, innerhalb derer man Stichproben mit relativ geringem Aufwand beliebig erweitern kann, erhöht sich derselbige bei qualitativem Vorgehen erheblich. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass nicht einfach Fragebögen dupliziert bzw. Kennwerte in die statistische Auswertung mit aufgenommen werden können. Stattdessen müssen zusätzliche Interviews geführt, transkribiert und ausgewertet werden und weiterhin mit den Ergebnissen der anderen Interviews zusammengeführt und in Beziehung gesetzt werden. Es sind inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie thematische Verläufe herauszuarbeiten, was mit steigender Anzahl einen enormen und nur sehr schwer zu bewältigenden Aufwand darstellt.520 Daher ist die der Arbeit zu Grunde liegende Stichprobe per se deutlich kleiner als z.B. bei einer Befragung mittels Fragebogen und umfasst im vorliegenden Fall 20 Befragte. Dies wiederum führt u.U. zu Informationsineffizienzen, da von der Größe der Stichprobe abhängt, in welchem Ausmaß Informationen generiert werden können. So besteht gerade bei Experteninterviews im Rahmen qualitativer Untersuchungen immer die Möglichkeit, dass die Gültigkeit der Expertenaussagen trotz methodischer Exaktheit angezweifelt werden muss: Die Anzahl der ausgewählten Experten ist eventuell zu gering und/oder sie sind nicht bedarfsorientiert ausgewählt worden, was z. B. heißen kann, dass sie zu der untersuchten Problematik nicht adäquat Stellung beziehen können.521 Um nun die Gültigkeit der Aussagen in Bezug auf das Sample zu erhöhen, wurde sich in der vorliegenden Arbeit der bereits angesprochenen Kompetenzcluster bedient: Bei der Stichprobenziehung wurden in Bezug auf die Struktur ihres Arbeits- und Forschungsfeldes völlig heterogene Experten berücksichtigt. In diesem Zu519 520
521
Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 49. Ab einer unspezifischen Grenze ist der zu handhabende Informationsgehalt so hoch, dass der Versuch der qualitativen Erhebung nur noch quantitativ auszuwerten ist, was aber nicht mehr der ursprünglichen Intention entspricht. Dieses Problem tritt dann auf, wenn den Befragten aufgrund ihrer Position fälschlicherweise Expertenstatus zugesprochen wurde, sie in Wirklichkeit aber gar keine Experten sind. Vgl. Meuser/Nagel (1991), S. 449.
5.4 Interviewdesign
157
sammenhang hat sich der Autor u.a. an Subjekte gewandt, „die sich zum einschlägigen Thema in der Fachliteratur einen Namen gemacht haben, die in entsprechenden Verbänden und Organisationen arbeiten und mit prestigeträchtigen Positionen und Titeln dekoriert sind, weil damit eine gewisse Gewähr verbunden ist, dass es diese Experten sind, die ‚wirklich’ einen forschungsrelevanten Wissensbestand aufweisen.“522 Im Rahmen der Befragung wurden also Mitglieder von Institutionen befragt, die die Arbeit von Führungskräften und den Prozess der Führungskräfteentwicklung maßgeblich mitbestimmen oder diesbezüglich existierende Wandelprozesse wissenschaftlich untersuchen, da:
ihnen Expertenstatus zugeschrieben werden kann.523
ihre Arbeit einen signifikanten Wirkungskreis aufweist.524
Es geht also nicht nur um den exklusiven Wissensbestand, sondern auch darum, qua ihrer Position Handlungskompetenz im Hinblick auf spezifische Problemfelder zu besitzen.525 Experten sind also als eine Art Schaltstelle zu betrachten, durch deren Wirken das Handlungsfeld (hier: Führungskräftearbeit und -entwicklung) mitbestimmt und beeinflusst wird und bei denen aufgrund ihrer Arbeitsschwerpunkte allgemein auf ein hohes Informationsniveau geschlossen werden kann.526 An dieser Stelle ist nun zu klären, wie die Stichprobenziehung zur Zielerreichung vollzogen wurde. In der quantitativen Forschung spielt die Art, Größe und Zusammensetzung der Stichproben in Bezug auf die zu erhebenden Daten meist eine wichtige Rolle.527 Außerdem werden diese a priori festgelegt und im Zeitablauf nicht mehr modifiziert. Dies ist im qualitativen Ansatz grundlegend anders, was bedeutet, dass die Stichprobe im Zeitablauf durch die Erfassung
522 523
524
525 526 527
Bogner/Menz (2005b), S. 41. Experte ist nach Meuser/Nagel (1991) derjenige, der über „einen privilegierten Zugang zu Informationen“ verfügt oder wer „Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung.“ Meuser/Nagel (1991), S. 443. Diese beiden Eigenschaften sind nach Ansicht des Autors nicht zwangsläufig miteinander verbunden: so gibt es auch wissenschaftlich arbeitende Experten ohne unmittelbaren Einfluss, denen deshalb der Expertenstatus aber nicht abgesprochen werden kann. Der Wirkungskreis der Arbeit wird festgemacht an Determinanten wie z.B. Anzahl und Auflage publizierter Bücher, Artikel etc. bei Professoren, Marktanteil und Bekanntheitsgrad bei Unternehmensberatungen, Größe des Unternehmens bzw. Anzahl der Mitarbeiter bei HR-Managern. Vgl. Pfadenhauer (2005), S. 116. Vgl. Köhler (1992), S. 320. Vgl. Lamnek (2005), S. 265.
158
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
neuer Aspekte kontinuierlich erweitert wird.528 Welche Interviewpartner letztlich bedeutsam sind, ergibt sich somit erst im Zeitablauf der einzelnen Interviews.529 Die Ziehung der Experten erfolgte im Rahmen dieser Arbeit in Anlehnung an Kelle/Kluge (1999) aus einer Kombination von theoretischem Sampling und selektivem Sampling.530 So bestanden vor der Erhebung bereits spezifische Auswahlmerkmale und Indikatoren wie Beruf, Alter, Firmenzugehörigkeit, Position usw., die im Rahmen der theoretischen Vorarbeit als bedeutsam festgelegt wurden.531 Es wurde vorausgesetzt, dass durch die theoretische Vorarbeit ausreichende Kenntnisse darüber existieren, auf welche Merkmale die Aufmerksamkeit zu richten ist und wonach die ersten Experten auszuwählen sind. Dabei ging es nicht darum, die Repräsentativität der Stichprobe durch eine Zufallsauswahl ihrer Mitglieder zu gewährleisten.532 Vielmehr wurden die Experten aufgrund ihres Vermögens, neue Impulse für die zu entwickelnde Typenbildung zu liefern, mit einbezogen.533 Auf diese Weise sollte erreicht werden, dass das Forschungsfeld durch eine Vielzahl unterschiedlicher und hypothetisch relevanter Vertreter dargestellt wird und typisierbare Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Form von Typenkonstruktionen systematisch erfasst werden können.534 Nach Kelle/Kluge (1999) ist hierbei ein wichtiges Ziel die Abbildung der Varianz und Heterogenität im Forschungsfeld.535 Trotz aller theoretischen Vorarbeiten hatte der Autor vor Beginn der Befragung aber nur eine vage Kenntnis über Experten, die optimalerweise in das Sample aufzunehmen waren, welche einerseits maßgeblich durch das Vorwissen und andererseits durch die Zugänglichkeit der Experten bestimmt wurde.536 So konnte der Stichprobenplan hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich der Auswahlkriterien im Vorwege nicht abschließend definiert werden, sondern
528 529
530
531 532
533 534 535 536
Vgl. Hoffmann-Riem (1980), S.346. Zwar existiert auf Basis der theoretischen Vorarbeiten ein gewisses Raster, welches Kriterien enthält anhand derer die zu befragenden Subjekte ausgewählt werden, doch muss dieses Raster im Zeitablauf immer wieder dem aktuellen Kenntnisstand angepasst werden. Vgl. Merkens (2000), S. 291-292. Das selektive Sampling orientiert sich am theoretischen Sampling und ist im Vergleich zum statistischen Sampling dadurch kennzeichenbar, dass z.B. der Umfang der Grundgesamtheit im Vorwege unbekannt ist, die Stichprobengröße im Vorwege nicht definiert ist und ein mehrmaliges Ziehen von Stichprobenelementen nach jeweils neu definierten Kriterien erfolgt. Vgl. Wiedemann (1995), S. 441. Bei Flick (2004) findet sich eine Übersicht über die verschiedenen Samplingstrategien in der qualitativen Sozialforschung. Vgl. Flick (2004), S. 111. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 46. Repräsentativ oder verallgemeinerbar sind die Aussagen, wie oben schon angesprochen, in keinem Fall. Es ist nämlich durchaus denkbar, dass die nicht zum Sample gehörenden Subjekte in ihrer Summe ein vollkommen anderes Bild bei der Befragung liefern würden. Um dieses Problem zu umgehen, müsste sehr aufwendig die für die Arbeit relevante Grundgesamtheit bestimmt werden. Hieraus wäre dann für die Interviews eine repräsentative Stichprobe zu ziehen. Vgl. Flick (2005), S. 102. Vgl. Merkens (1997), S. 100. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 48-49. Vgl. Merkens (2000), S. 289-290.
5.4 Interviewdesign
159
musste in Abhängigkeit sich ergebender Kategorien und Konzepte sukzessive erweitert werden, was eine Form des selektiven Samplings darstellt.537 Die weitere Auswahl von Experten erfolgte somit im Zeitablauf iterativ: die fortlaufende Durchführung von Interviews sowie die fortschreitende Forschungsarbeit erhöhten die Kenntnis über weiter sinnvoll erscheinende Experten.538 Außerdem nannten die Experten u.U. weiter in Frage kommende Experten, so dass sich das Sample nach einer Art Schneeballsystem erweiterte. Hierdurch wurden auch Experten einbezogen, die man vorher nicht direkt der Forschungsfrage hätte zuordnen können.539 Der Autor ist bei der Festlegung der Stichprobenstruktur wie folgt vorgegangen: Nach Vorgesprächen mit Experten konnten Institutionen und deren Vertreter lokalisiert werden, die einen direkten oder indirekten Bezug zu der Forschungsthematik haben. Auf diese Weise wurden folgende Experten in das Sample mit aufgenommen:540
Professoren und Dozenten, die in den Bereichen Führung und Organisation sowie Arbeits- und Organisationspsychologie lehren und wissenschaftlich tätig sind.
Bereichsleiter aus Unternehmensberatungen, die sich auf die Bereiche Executive Search, Diagnostik sowie Management Development spezialisiert haben bzw. diese Themenfelder im Rahmen ihres Portfolios abdecken.541
(HR-) Manager in Dax und M-Dax notierten Unternehmen, die den Entwicklungsprozess von Führungskräften konzipieren und strukturieren, indem sie etwa Maßnahmen zur Entwicklung auswählen.
Trainer, Coaches sowie Führungskräfteentwickler, die in ihrer täglichen Arbeit ausschließlich mit der Entwicklung von Führungskräften beschäftigt sind.
Das Sample wurde bei seiner Zusammenstellung laufend erweitert. Dies geschah in Anlehnung an Kelle/Kluge (1999) so lange, bis keine neuen Informationen mehr generiert wurden,
537 538 539
540
541
Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 46-50. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 46-47. Vgl. Köhler (1992), S. 320. Merkens (2000) weist in diesem Zusammenhang jedoch auf das Phänomen geklumpter Stichproben hin, da hier meist ausschließlich Nennungen innerhalb des Bekanntenkreises erfolgen. Vgl. Merkens (2000), S. 293. Ein limitierender Faktor bei der Auswahl der Interviewpartner war das Problem der Zugänglichkeit: so lehnten einige für die Untersuchung der Forschungsfrage sehr wichtige Experten ein Interview ab. Vgl. Merkens (2000), S. 288. Hier sind zum einen Unternehmen gemeint, die sich ausschließlich auf den Bereich der Auswahl und Vermittlung von Führungskräften spezialisiert haben, zum zweiten Unternehmen, die in den Bereich der Personalberatung fallen und alle Themenfelder abdecken, die sich mit Personal- und Führungskräfteentwicklung beschäftigen und zum dritten Unternehmen, die als klassische Strategieberatungen im Rahmen von Change-Projekten, Skill-Buildung-Projekten o.ä. auch Elemente der Führungskräfteentwicklung implementieren.
160
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
bis also der Punkt der theoretischen Sättigung erreicht war.542 Auf diese Weise wurde das Untersuchungsfeld durch die Berücksichtigung theoretisch bedeutsamer Merkmalskombinationen möglichst umfassend darzustellen versucht.543
5.4.4 Erhebungsmethode: Experteninterview Im Rahmen der qualitativen Sozialforschung existieren eine solche Vielzahl von einzelnen Befragungsformen sowie Modifikationen, die zum Teil so eng miteinander verzahnt sind, dass es kaum möglich ist, im Rahmen einer Untersuchung durchgängig bei einer Form zu bleiben ohne nicht auch Elemente von anderen mit einzubeziehen.544 So kommt Mayring (2002) in Anbetracht dieser Tatsache zu folgendem Schluss: „Für eine konkrete Fragestellung können, ja sollen [die Befragungsformen] modifiziert, an die jeweiligen Bedingungen und Bedürfnisse angepasst werden.“ Denn: „Das ist ja gerade eine der Stärken qualitativer Forschung, dass durch diese Flexibilität die Ergebnisse gegenstandsadäquater werden.“545 Zur Beantwortung der vorliegenden Forschungsfrage erschien es sinnvoll, eine Befragung von Experten vorzunehmen.546 So ermöglicht das Experteninterview nach Bogner/Menz (2005a) „eine konkurrenzlos dichte Datengewinnung gegenüber der in der Organisation von Feldzugang und Durchführung zeitlich und ökonomisch weit aufwendigeren teilnehmenden Beobachtung, Feldstudie, einer systematischen quantitativen Untersuchung usw.“547 Dies ist auch der Grund dafür, dass das Experteninterview allgemein als Erhebungsform in seiner Anwendung sehr häufig ist, wenngleich Meuser/Nagel (1997) konstatieren, dass es sich, unabhängig davon, aus rein methodologischer Sicht eher um ein „randständiges Verfahren“ handelt.548 Dies liegt darin begründet, dass die Interviewform zwar häufig angewendet wird, aber kaum Versuche zur systematischen Begründung existieren.549 Eine exakte Definition etwa liegt in der Literatur bisher nicht vor: Das Experteninterview wird in der empirischen Forschung sehr flexibel eingesetzt, ist dabei in Abhängigkeit des Untersuchungsziels mehr oder 542 543 544
545 546
547 548 549
Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 46. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 53. Vgl. Lamnek (2005), S. 330-332. Bortz/Döring (2002) unterscheiden 18 verschiedene Formen von Einzelbefragungen. Vgl. Bortz/Döring (2002), S. 314. Lamnek (2005) gibt eine Übersicht über die Arten von Befragungen im quantitativen und qualitativen Paradigma, indem er als Einteilungsaspekt nach mehreren Dimensionen differenziert z.B. Intention des Interviews, Form der Standardisierung, Struktur der zu Befragenden usw. Vgl. Lamnek (2005), S. 331. Mayring (2002), S. 65. Im Rahmen der Befragung wurden aber auch u.a. Elemente aus dem problemzentrierten Interview, dem narrativen Interview usw. verwendet. Bogner/Menz (2005a), S. 7. Meuser/Nagel (1997), S. 481. Vgl. Bogner/Menz (2005a), S. 20.
5.4 Interviewdesign
161
weniger strukturiert und offen geführt und wird schließlich durch eine Kombination unterschiedlicher Methoden ausgewertet und interpretiert. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei Experteninterviews genau genommen um keine besondere Erhebungsform handelt, da diese lediglich durch den Status des Interviewpartners spezifiziert werden, die aber auf jeweils unterschiedliche Weise befragt werden können.550 Damit erscheint das Gebiet des Experteninterviews geradezu „prädestiniert für einen Wildwuchs der Verfahrensweisen.“551 So ist es zu erklären, dass in der Praxis sehr heterogene Anwendungsformen und zum Teil diametrale Auffassungen in Verbindung mit Expertenbefragungen zu finden sind. Während sich nach Deeke (1995) Experteninterviews weniger durch die spezifische Form als mehr durch die Tatsache auszeichnen, dass Experten Gegenstand der Befragung sind552, was ja wie eben erwähnt nicht als Kriterium ausreicht, sieht Hopf (1995) die Besonderheit vor allem in dem zugrunde liegenden Erkenntnisinteresse und der hieraus resultierenden Art der Gesprächsführung – also der spezifischen Form.553 Hinzu kommt, dass das Experteninterview nach wie vor selbst in Lehrbüchern zu qualitativer Sozialforschung kaum Beachtung findet.554 Im Ergebnis existiert ein starkes Ungleichgewicht zwischen der forschungspraktischen Bedeutung auf der einen Seite und der methodischen Fundierung auf der anderen. Gerade die Reflektion der Erhebungsmethode selbst findet bei Experteninterviews kaum statt.555 Im Folgenden soll nun der Versuch einer kurzen methodologischen Skizzierung unternommen werden, um die weitere Vorgehensweise transparent und vor allen Dingen wissenschaftlich fundiert zu machen. Das Experteninterview wird hierbei als eigenständige Methode im Rahmen einer Untersuchung aufgefasst. 556 Meuser/Nagel (1991) kennzeichnen es dadurch, dass weniger die Gesamtperson (wie z.B. im narrativen Interview) mit all ihren Eigenschaften, Einstellungen u.ä. von Interesse für die Be550 551 552 553 554
555
556
Vgl. Trinczek (2005), S. 209-210. Bogner/Menz (2005b), S. 34. Vgl. Deeke (1995), S. 7. Vgl. Hopf (1995), S. 181-182. Vielleicht ist aber auch gerade die dargelegte Vielschichtigkeit ein Grund für die bisher unzureichende Betrachtung. Bogner/Menz (2005a), S. 19-21. „Experteninterviews sind ein anschauliches Beispiel dafür, dass die Alltagspraxis empirischer Sozialforschung und deren methodische Reflexion nicht immer parallel verlaufen. Manchmal ist die Anwendung bestimmter Methoden ihrer theoretischen Durchdringung voraus. Oder mit anderen Worten: Experteninterviews werden oft gemacht, aber selten durchdacht.“ Bogner/Menz (2005a), S. 33. Kassner/Wassermann (2005) sehen unabhängig von einem Definitionsversuch in Experteninterviews kein methodisch fundiertes Instrument, sondern lediglich ein kontextspezifisches Instrument im Rahmen konkreter Forschungsanliegen, dem nur dann die Eigenschaft als eigenständige Methode zugesprochen werden kann, wenn es über dieses hinaus einsetzbar ist. Vgl. Kassner/Wassermann (2005), S. 95.
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fragung ist. Vielmehr geht es um die Person als Wissen- und Funktionsträger im Kontext der Forschungsfrage, die Auskunft geben soll über ihr Erfahrungs- und Handlungsfeld.557 Spezifische Merkmale des täglichen Arbeitsfeldes stellen also den Kern der Befragung dar, wobei es zu bedenken gilt, dass der Experte immer auch als eigenständige Person am Interview teilnimmt und somit nicht ohne weiteres von der Person als Ganzes im Rahmen der Befragung getrennt werden kann. In der vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt des Interviews auf der systematischen Informationsgewinnung.558 Die Experten sollten unter Verwendung eines offenen Leitfadens dem Interviewer nicht allgemein zugängliches Wissen vermitteln. Hierbei können dann die aus einem thematischen Vergleich der einzelnen Interviews gewonnenen Daten dazu genutzt werden, eine Typenbildung zu generieren. Im Interview selbst wurde versucht, die fokussierte Ansprache des Experten und sein narratives Erzählen im Gleichgewicht zu halten. So wurde den Experten Freiraum zur Darlegung der eignen Positionen eingeräumt, gleichzeitig aber wurden sie auch mit möglichen Gegenpositionen konfrontiert. Dies sollte weniger dazu dienen, die Experten in ihrer Meinung zu lenken als vielmehr dazu, einen effizienten Diskurs zu erzeugen, indem die Experten nicht nur ihre Relevanzstrukturen darlegten, sondern auch die Begründung hierfür lieferten.559
5.4.5 Interviewdurchführung Damit Experten ihre subjektiven Relevanzstrukturen bestmöglich darlegen können, ist nach Trinczek (2005) ein optimales Interviewsetting von besonderer Wichtigkeit. Dies bedeutet, dass die Befragung nicht zu sehr im beruflichen Alltag (Stressfaktoren zu hoch), aber auch nicht zu weit weg davon (thematische Distanz zu hoch) stattfinden sollen.560 Bei der Interviewdurchführung soll der Interviewer von den Experten als Co-Experte angesehen werden, wobei er in bestimmten thematischen Bereichen (in Abhängigkeit vom Experten) als Vertreter einer anderen wissenschaftlichen Disziplin auftritt. Dies wird mit dem Zweck verfolgt neben der reinen Beantwortung von Fragen auch inhaltliche Debatten und fachliche Diskussionen zu
557 558
559 560
Meuser/Nagel (1991), S. 442. Bogner/Menz (2005b) unterscheiden bei Experteninterviews zwischen explorativen, systematisierenden und theoriegenerierenden Interviews. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 37-39. Vgl. Trinczek (2005), S. 218. Vgl. Trinczek (2005), S. 210. So wurde als Ort der Durchführung in den meisten Fällen jeweils das Arbeitsumfeld der Experten gewählt, wobei diese während des Interviews bis auf sehr wenige Ausnahmen völlig frei von exogenen Störeinflüssen (Telefon, Assistenz etc.) waren. Aufgrund der Position der Experten (u.a. mittleres und oberes Management, Professoren) wurde für das Interview eine halbe Stunde eingeplant, da diese aufgrund zeitlicher Restriktionen nur bedingt verfügbar waren.
5.4 Interviewdesign
163
ermöglichen, die ein Vielfaches mehr an Informationen generieren als ein reines Interview.561 Hierbei ist es besonders wichtig, dass der Interviewer sich einerseits in sehr starkem Maße selbst einbringt und andererseits - und dies gilt besonders bei Führungskräften und Managern im Expertensample - ständig seine Kompetenz zeigt, da nach Kaufmann (1999) hiervon abhängt, inwieweit der Experte sein Wissen teilt.562 So ist Trinczek (2005) der Auffassung, dass gerade kompetente Einschätzungen und das Einfließen von Gegenargumenten dazu führen, dass die Experten ihre Positionen offen legen.563 Da sich die Informationen im Interviewverlauf nicht von alleine generieren, soll während der Befragung bewusst die oben bereits angesprochene Eigendynamik induziert werden: der Interviewer kann auf das Gesagte eingehen und so in Abhängigkeit von seinem Erkenntnisinteresse weitere Fragen entwickeln, die das Interview in eine vorher nicht zu bestimmende Richtung lenken. Anders als im standardisierten Interview kann auf diese Weise die asymmetrische Kommunikationssituation effizient genutzt werden.564 Entstehende Interaktionseffekte werden weniger als Störung, sondern mehr als produktives Element eines Interviews aufgefasst und implementiert.565 Weitestgehend sollen offene Fragen formuliert werden, da geschlossene Fragen nur die Herangehensweise des Forschers abbilden und weniger die durch den Befragten dargestellte Realität berücksichtigen. Außerdem führt ihre Verwendung dazu, dass die Ergebnisse ähnlich wie bei standardisierten Fragebögen in gewisser Weise prädeterminiert sind.566 Es erscheint weiterhin empfehlenswert, dass der Forscher im Rahmen der Befragung offen und flexibel vorgeht und sich unvoreingenommen von den Befragten informieren lässt. Die theoretischen Vorkenntnisse und Erwartungen sollen hierbei nur Orientierungscharakter haben und eine Form der Sensibilisierung für die zu untersuchenden Phänomene bilden.567 Sie dienen also nicht dazu, Hypothesen für den Forschungsprozess zu formulieren, sondern sie sollen den Forscher vielmehr für theoretisch relevante Aspekte des Datenmaterials sensibilisieren.568 Bei aller Betonung der Offenheit wird manchmal jedoch vergessen, dass es nicht ausschließlich die Nichtintervention des Interviewers ist, die dazu führt, dass subjektive Relevanzstrukturen offen gelegt werden, sondern vielmehr umgekehrt das strukturierte Vorgehen, etwa un561
562 563 564 565 566 567 568
Bogner/Menz (2005b) beschreiben neben der Rolle als Co-Experte fünf andere Rollen, in denen der Interviewer von Seiten der Experten wahrgenommen werden kann und die einen entscheidenden Einfluss auf den Interviewverlauf haben. Diese werden an dieser Stelle jedoch nicht weiter aufgeführt. Vgl. hierzu Bogner/Menz (2005b), S. 62-63. Vgl. Kaufmann (1999), S. 77-78. Vgl. Trinczek (2005), S. 219. Vgl. Lamnek (2005), S. 335. Vgl. Bogner/Menz (2005b), S. 67. Vgl. Lamnek (2005), S. 345. Vgl. Glaser/Strauss (1979), S. 100-102. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 12.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
ter Zuhilfenahme des Leitfadens.569 Flick (2005) sieht einen Leitfaden als eine Form des strukturierten Vorgehens an, welches er als Trialog aus offenen Fragen, hypothesengerichteten Fragen und Konfrontationsfragen definiert.570 Auf diese Weise werden zum einen narrative Elemente unterstützt, gleichzeitig besteht aber auch immer wieder die Möglichkeit des Hinterfragens von Aussagen bzw. der kommunikativen Validierung. Die Anwendung eines Leitfadens ist also in keiner Weise zu vergleichen mit der Verwendung im Vorhinein festgelegter geschlossener Fragen mit fest definierten Antworträumen. „Auch wenn dies paradox klingen mag, es ist gerade der Leitfaden, der die Offenheit des Interviewverlaufs gewährleistet.“571 So ermöglicht er die Generierung eines Informationsoptimums, der beiden Seiten gerecht wird und bringt weiterhin folgende Vorteile mit sich:572
Das thematisch eingeschränkte Interesse in Bezug auf die Forschungsfrage wird offen gelegt.
Es wird verhindert, dass Themenbereiche angesprochen werden, die nicht zur erweiterten Kernfrage gehören.
Der Experte weiß, womit er im Rahmen des Interviews konfrontiert wird und ob die Befragung überhaupt in seinen Kompetenzbereich fällt.573
Dem Experten wird die Kompetenz des Interviewers durch die Leitfadenkonzeption signalisiert.
Durch die über alle Interviews hinweg stattfindende Anwendung entsteht eine für die abschließend vorzunehmende Typisierung der Experten gewisse Form der Vergleichbarkeit, da so alle Experten auf die gleichen untersuchungsrelevanten Themen eingehen.574
Der Leitfaden stellt jedoch keine zwingende Vorgehensweise dar. Vielmehr geht es darum, sowohl beim Befragten (durch die weitgehende Offenheit in der Beantwortung) als auch beim Interviewer (in der Verwendung von Fragen außerhalb des Leitfadens) eine möglichst hohe 569 570
571 572 573
574
Vgl. Trinczek (2005), S.212. Offene Fragen ermöglichen hierbei den Zugang zu unmittelbar verfügbarem Wissen. Hypothesengerichtete Fragen dienen dazu, dass in impliziter Form vorliegende Wissen zu explizieren. Konfrontationsfragen dienen dazu, die vom Befragten geäußerten Theorien und Zusammenhänge in Bezug auf konkurrierende Alternativen noch einmal kritisch zu hinterfragen. Vgl. Flick (2005), S. 128-129. Meuser/Nagel (1991), S. 449. Vgl. auch Meuser/Nagel (1991), S. 448-449. Ein Scheitern des Interviews kann auf diesem Wege schon im Vorhinein abgewendet werden. Vgl. Meuser/ Nagel (1991), S. 448-451. Vgl. Köhler (1992) S. 321.
5.4 Interviewdesign
165
Anzahl an Freiheitsgeraden zu erzeugen, wobei es aufgrund der Komplexität der Thematik und der Heterogenität des Expertensamples durchaus angemessen erscheint, unterschiedliche Erschließungszugänge auszuwählen und diese bedarfsorientiert wechselweise einzusetzen.
5.4.6 Aufbereitungsverfahren Ebenso wie bei der Wahl der Erhebungsmethode und der Art der Durchführung gibt es auch bei der Aufbereitung der Interviewergebnisse, der Transkription, unterschiedliche Verfahren. Meuser/Nagel (1991) halten aufwendige Notationssysteme bei der Transkription von Experteninterviews für wenig sinnvoll, da es um die Erforschung thematischer Zusammenhänge geht und nicht um eine tiefenpsychologische Konversationsanalyse. So sei es denn auch nicht unbedingt notwendig, die Gespräche vollständig zu transkribieren, sondern sogar ratsam, sich einzig auf die sachdienlichen Äußerungen zu beziehen.575 Nach Mayring (2002) bietet sich in diesem Fall auch ein zusammenfassendes Protokoll an, wenn weniger der sprachliche Kontext als mehr der thematische Inhalt von Interesse für den Forscher ist.576 Dennoch findet sich neben der Kurzzusammenfassung aller Interviews in Abschnitt 5.5 im verdeckten Anhang dieser Arbeit eine vollständige Transkription mit dem Ziel der intersubjektiven Nachprüfbarkeit der Ergebnisse. Auf diese Weise kann die Argumentationsstruktur des Autors bei der Auswertung transparent nachvollzogen werden, was insgesamt zur Erhöhung der Güte beitragen soll. So wird besonders einem Problem vorgebeugt, denn „die häufigsten Sünden [im Rahmen von Interviewauswertungen] sind, Inhalte durch voreiliges Klassifizieren zu verzerren und Informationen durch eiliges Themenraffen zu verschenken.“577 Dieses Problem kann zwar durch die Transkription nicht vollständig verhindert werden, aber es wird auf diese Weise für den Leser nachvollziehbar.
5.4.7 Auswertungsverfahren Bei der Auswertung von empirischen Untersuchungen orientiert man sich an der meist im Vorwege durchgeführten Operationalisierung. Hierbei muss der Forscher zur Erkenntnisgewinnung die zu untersuchenden Merkmale der Interviewten so definieren, dass sie im For-
575 576 577
Vgl. Meuser/Nagel (1991), S. 455. Vgl. Mayring (2002), S. 97. Meuser/Nagel (1991), S. 457.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
schungsprozess durch bestimmte Indikatoren aufgezeigt werden können. Diese werden hierzu meist im Voraus festgelegt, um dann im Auswertungsprozess Rückschlüsse zu ermöglichen. Merkmale sind in der vorliegenden Arbeit z.B. Meinungen, Sichtweisen und Einstellungen der Experten, welche im Rahmen der Interviewauswertung durch interpretierte Aussagen belegt werden, die eine Art Indikator darstellen.578 Die Bestimmung der Indikatoren erfolgt zum einen aufgrund des theoretischen Vorwissens und zum anderen aufgrund akkumulierter Erkenntnisse aus dem Forschungsprozess.579 Die durch Indikatoren belegten Merkmale der einzelnen Interviews bilden die Grundlage für die später durchgeführte Typenbildung, bei der zwischen Merkmalsräumen und spezifischen Merkmalsausprägungen weiter differenziert wird. Im Rahmen einer Globalauswertung können letztere übergeordneten Merkmalsräumen zugewiesen werden und dimensionieren diese quasi (siehe hierzu Abschnitt 5.6 Typenbildung). Im quantitativen Paradigma wird häufig schon vor Erhebung der Daten eine Operationalisierung theoretischer Begriffe vorgenommen, also vor dem eigentlichen Forschungsbeginn. Hierbei ist jedoch zu kritisieren, dass diese sich erst im Auswertungsprozess selbst durchführen lässt, da der unvoreingenommene Forscher die zu erforschenden Phänomene und damit auch ihre Indikatoren im Vorwege noch gar nicht oder nur zum Teil kennt. Hinzu kommt, dass sich im Auswertungsprozess viele Phänomene nicht direkt, sondern nur indirekt aufdecken lassen, die vorliegende Operationalisierung also modifiziert werden müsste. Hier liegt der entscheidende Vorteil der qualitativen Vorgehensweise: Die zu operationalisierenden Merkmale und die ihnen zugrunde liegenden Indikatoren werden nicht im Vorwege, sondern vielmehr im Zeitablauf der Auswertung selbst bestimmt. Erst die Akkumulation, Bündelung und ggf. auch Modifikation von Indikatoren zur Begründung von Merkmalen ermöglicht es nämlich, ein aussagefähiges Bild in Bezug auf die Forschungsfrage zu konstruieren.580 Auf diese Weise wird die Gültigkeit der Operationalisierung erhöht, da jedem Phänomen eine differenzierte und vor allen Dingen adaptierte Anzahl von Indikatoren zu-
578
579
580
Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Forscher nie vollständig unvoreingenommen handeln kann, da er durch die bereits getätigte Vorarbeit in gewisser Weise prädeteminiert ist. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 19. Eine bestimmte Merkmalsausprägung wird durch die Verbindung verschiedener, ähnlicher Aussagen begründet. Die hierbei als Indikatoren fungierenden Aussagen können aber nicht a priori festgelegt werden, sondern bildeten sich erst ex post heraus. Siehe hierzu auch Abschnitt 6.6.1: Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen und Merkmalsräume.
5.4 Interviewdesign
167
grunde liegt. In der qualitativen Forschung werden somit Operationalisierung und Indikatorisierung von den Untersuchten quasi selbst vorgenommen.581 Ein qualitativen Verfahren anhaftendes Auswertungsproblem ist jedoch, dass der Forscher nur unzureichend davor geschützt ist, ungenaue, falsche oder ungültige Schlussfolgerungen aus der durchgeführten Untersuchung zu ziehen, da er anders als bei quantitativen Verfahren keine eindeutigen Auswertungsverfahren einsetzen kann.582 Diese lassen sich in aller Regel sowohl auf die mangelnde Gültigkeit des erhobenen Materials selbst zurückführen als auch auf die verwendeten Auswertungsverfahren. So ist zu bedenken, dass der Interviewer nicht sicher sein kann, dass der Experte wirklich seine Relevanzstrukturen offen legt und nicht nur im Kontext sozialer Wünschbarkeit antwortet. Daher ist es notwendig, durch Quervergleiche vorgenommene Verallgemeinerrungen u.U. wieder einzuschränken. Weiterhin können durch die kommunikative Validierung immer wieder Inkonsistenzen im Interviewverlauf bzw. in der Auswertung aufgedeckt werden, was das Problem weiter minimiert. Meuser/Nagel (1991) sehen außerdem allein in der Tatsache, dass mehrere Experten befragt werden, einen „immanenten Zwang zur Wahrheit.“583 Um die Argumentationsstrukturen des Autors für den Leser nachvollziehbar zu machen, wird an dieser Stelle die Struktur des Auswertungsprozesses dargestellt: 1. Vollständige Transkription aller Interviews Alle Interviews wurden zur Erhöhung der Transparenz transkribiert. Auf diese Weise sind alle Argumentationsschritte überprüfbar. Anzumerken ist, dass die Interviewaussagen im Rahmen der Transkription geglättet wurden. Das bedeutet, dass das Interview um Aussagebestandteile bereinigt wurde, die keinen Einfluss auf den Gehalt haben. Hierbei handelt es sich um Füllwörter und Satzbestandteile, die per se keine inhaltliche Aussage darstellen. Auch wurden teilweise unvollständige Sätze vervollständigt oder aber doppelt geäußerte Wörter entfernt. 2. Kurzzusammenfassung aller Interviews Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Informationsreduktion wurden die Transkripte zusammengefasst und inhaltlich analysiert. So entsteht für den Leser ein strukturierter
581 582 583
Vgl. Lamnek (2005), S. 129-134. Vgl. Miles (1983), S. 118. Meuser/Nagel (1991), S. 466.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis Überblick hinsichtlich der thematischen Verläufe der Interviews.584 Zur exakten Begründung der gewonnenen Erkenntnisse wurden die Äußerungen der Experten in den Analyse- und Argumentationsprozess fortlaufend eingebunden, denn die „beispielhafte Zitation von Interviewpassagen […], die der Autor für besonders eindrücklich oder typisch hält, [ist] ein wichtiges und meist auch gleich das einzige Mittel zur Dokumentation seiner Aussagen.“585 Bei der Analyse und Auswertung selbst wird dabei weniger Wert auf die exakte und vollständige Interpretation einzelner Sätze gelegt, stattdessen geht es mehr darum, Antwortmuster zu kategorisieren, die sich den Fragen des Interviewleitfadens zuordnen lassen oder diesen erweitern.
3. Typenbildung Über den Prozess der Typenbildung sollen die Experten in ihren Aussagen kategorisiert werden. Es wird versucht, die einzelnen Interviewäußerungen bestimmten Kategorien zuzuordnen und diese dann übergreifend zu analysieren. Auf diese Weise lässt sich eine Einstellung, Sichtweise etc. sehr differenziert aufgrund einer spezifischen Kombination der Aussagenkategorien begründen. Nun ist es aber so, dass Typen „keine Klassen mit klar definierten Merkmal(sausprägung)en und festen Grenzen sind, sondern sich die Elemente, die zu einem Typus zusammengefasst werden, nur mehr oder weniger stark ähneln (…), [daher] muss expliziert werden, wie die vorgelegten Typen konstruiert worden sind.“586 Der Prozess der Typenbildung orientiert sich in dieser Arbeit an der Vorgehensweise von Kluge (1999) und lässt sich in vier Stufen unterteilen:587 1. Stufe: Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen und Merkmalsräume588 Die Experten sollen auf einer möglichst objektiven Grundlage miteinander vergleichen werden.589 Eine solche Grundlage können z.B. dimensionierte Merkmalsräume sein. Um diese zu erzeugen, ist eine Systematisierung und Strukturierung des Materials aufgrund von Themenbereichen oder allgemeinen theoretischen Konzepten notwendig. Erste Elemente der Merkmalsräume entstehen 584
585 586 587 588 589
Dieser Vorgang ist gleichzeitig ein erster Schritt um die für die Typenbildung notwendigen thematischen Kategorien zu präzisieren. Bühler-Niederberger (1985), S. 475. Kluge (1999), S. 23. Vgl. Kluge (1999), S. 260-283. Vgl. Kluge (1999), S. 264-270. Die Formulierung soll so vorgenommen werden, dass die Elemente eines Typus möglichst homogen sind und die Elemente verschiedener Typen möglichst heterogen (interne Homogenität vs. externe Heterogenität).
5.4 Interviewdesign
169
aus dem theoretischen Vorwissen heraus, lassen sich aus der zentralen Forschungsfrage ableiten oder bilden sich bei der Konstruktion der Interviewleitfäden. Weitere lassen sich im Rahmen der eigentlichen Interviewführung sowie der analytischen Kurzzusammenfassung formulieren.590 So werden vom Autor bei der Konzepterstellung nicht bedachte Elemente ergänzt. Gleichzeitig wird durch die Einführung von Merkmalsausprägungen versucht, das durch die Merkmalsräume erzeugte Spektrum thematisch zu konkretisieren. Auf diese Weise kann der Merkmalsraum sehr exakt dargestellt und beschrieben werden. 2. Stufe: Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeiten591 Nach der Erstellung der Merkmalsräume und -ausprägungen werden die Expertenaussagen diesen zugeordnet. Anschließend werden dann empirische Regelmäßigkeiten analysiert. Dies bedeutet, dass untersucht wird, welche Felder häufig und welche u.U. gar nicht besetzt wurden, die dann aufgrund des nur theoretischen Vorkommens zu streichen sind. Die Merkmalsräume werden u.U. modifiziert und die Merkmalsräume bzw. -ausprägungen werden reduziert, um die Anzahl der zu bildenden Typen möglichst gering zu halten.592 Dieser Vorgang stellt einen ersten Schritt für die dritte Stufe dar, wo es um die Kombination der Feldbelegungen geht und die dahinter stehende Frage, welche Kombinationen sehr häufig vorkommen und welche gar nicht. 3. Stufe: Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und Typenbildung593 Betrachtet man nun das Zusammentreffen bestimmter Merkmale in Kombination, so geht man in der qualitativen Forschung davon aus, dass dies nicht zufällig ist, „sondern daß sich hinter diesen ‚äußeren’ Korrelationen ‚innere’ Sinnzusammenhänge verbergen, mit deren Hilfe die einzelnen Typen […] verstanden und erklärt werden [können].“594 Auf Grundlage der charakterisierten und gruppierten Fälle wird versucht, Faktoren zu bestimmen, die es ermöglichen, Sinnzusammenhänge zwischen den zentralen Untersuchungskategorien zu erklären. Auf diese Weise geht die Gruppierung in eine Typenbildung über:
590
591 592 593 594
Um das erhobene Material zu systematisieren, bedient man sich in der qualitativen Forschung häufig der Kodierung. Dies bedeutet, dass Texteinheiten des Transkripts definierten Kategorien zugeordnet werden. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 56. Vgl. Kluge (1999), S. 270-277. Vgl. Kluge (1999), S. 27. Vgl. Kluge (1999), S. 277-279. Kluge (1999), S. 277.
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis Typen werden auf Grundlage spezifischer und u.U. reduzierter Merkmalskombinationen bestimmt, wobei zwischen diesen Merkmalen inhaltliche Sinnzusammenhänge bestehen. 595 4. Stufe: Charakterisierung der gebildeten Typen596 Der Prozess der Typenbildung wird abgeschlossen, indem die gebildeten Typen möglichst präzise hinsichtlich ihrer Merkmale und der inhaltlichen Sinnzusammenhänge beschrieben werden. Hieraus lässt sich dann eine Kurzbezeichnung der jeweiligen Typen ableiten.
4. Fazit Abschließend sollen die Erkenntnisse dieses Kapitels zusammengefasst und mit denen aus den Kapiteln 2 bis 4 verglichen werden.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews In diesem Abschnitt werden die mit den Experten geführten Interviews in Form einer analytischen Kurzusammenfassung dargestellt. Hierbei ist folgendes zu beachten: 1. Die Zusammenfassungen spiegeln ausschließlich die Sichtweise der Experten wieder. Neben den mit Anführungszeichen kenntlich gemachten Zitaten lassen sich also auch alle anderen nicht extra kenntlich gemachten Anmerkungen auf die jeweiligen Experten zurückführen. 2. Die Aussagen der Experten werden nicht kommentiert. Das Ziel besteht in einer wertungsfreien Erhebung von Sichtweisen und Meinungen, auch wenn die an verschiedenen Stellen genannten Äußerungen der Experten z.T. wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegenstehen. 3. Die verwendeten Zitate wurden aus dem wörtlichen Transkript im originalen Wortlaut übernommen.
595
596
Zu beachten ist, dass die vorgenommene Typisierung nicht zu einer Typologie ausgebaut werden kann. Das bedeutet, dass die Typen nicht nach identischen, sondern nach unterschiedlichen Merkmalen charakterisiert werden. Dies geschieht aufgrund der Tatsache, dass die Experten einfach zu heterogen sind, als das sie hinsichtlich völlig identischer Merkmale verglichen werden können. Die gebildeten Typen sind untereinander also nur bedingt systematisch miteinander verbunden und können auch nur teilweise zueinander in Bezug gesetzt werden. Vgl. Kluge (1999), S. 25-30. Vgl. Kluge (1999), S. 280.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews Interview 1 Institution: Management Akademie Experte: Produkt Managerin Datum: 29.5.2006
171
Ort: Süddeutschland Bereich:Führung Uhrzeit: 11:35–12:10
Die Expertin betrachtet die Gründe für die Zunahme emotionsbezogener Ansätze im Arbeitsund Führungskontext sehr differenziert und begründet die Zunahme dabei aus unterschiedlichen Perspektiven. Allgemein führt sie die Veränderung der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau an (Frauen gelangen verstärkt in Führungspositionen, männliche Führungskräfte schenken Emotionen z.B. in den Medien mehr Beachtung als noch vor 10 Jahren), die ökonomische Sättigung (gesellschaftliches Streben nach Wohlstand wird abgelöst durch Suche nach Faktoren wie Lebenszufriedenheit etc.) sowie die Veränderungen im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Verhältnismäßigkeit im Umgang miteinander ändert sich, persönliche Themen werden verstärkt in die Arbeitswelt mitgebracht und müssen gemanagt werden). Für Unternehmen spielt die Thematik aus mehreren Gründen eine Rolle. Sie müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. Dies bedeutet, dass sie allgemeines und spezifisches Humankapital bilden und binden müssen, weil der Arbeitsmarkt selbst dieses nicht ohne weiteres bereitstellt. Weiterhin müssen sie die Heterogenität des Arbeitnehmerpools bedingt durch Globalisierung, Internationalisierung etc. bewältigen. Unternehmen müssen ihre Attraktivität als Arbeitgeber sicherstellen (war for talents im Rahmen der demographischen Entwicklung, langfristige Mitarbeiterbindung zur Vermeidung von sunk costs bei der Humankapitalbildung etc.: „Das ist ja auch noch in den Kinderschuhen in diesem Land!“). Gleichzeitig ist die Bedeutung von emotionalen und sozialen Kompetenzen längst erkannt, da sie positive Auswirkungen auf Zufriedenheit, Produktivität, Kundenverhalten etc. haben. Die gezielte Suche nach entsprechenden Arbeitnehmern in diesem Zusammenhang verstärkt den Einfluss auf Universitäten und Fachhochschulen, die mit entsprechenden Bildungsangeboten reagieren. Auf der anderen Seite sind die Arbeitnehmer: diese sind häufig gut ausgebildet und stellen aufgrund ihres Profils gewisse Anforderungen: „Natürlich, die werden sich aussuchen für wen sie arbeiten und ich glaube, da geht es nicht initial um den Scheck am Ende des Monats, sondern um Entwicklungsmöglichkeiten, […], Atmosphäre z.B., wahrgenommen werden als Individuum.“ „Wir werden wieder irgendwann 40, 50, 60 Stunden am Arbeitsplatz sein. Und das besser mit Freude!“ Die von Goleman initiierte Thematik wird nach Ansicht der Expertin andauern: „Ich glaube, dass es bleiben wird […].“ Es ist ein substanzvoller Trend, der wieder etwas abebben wird,
172
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
aber sich integrieren wird und neben fachlicher und methodischer Kompetenz fester Bestandteil in der Entwicklung von Führungskräften werden wird. Gerade wenn es um die Entwicklung von Personen selbst geht, dann bilden Trainings im emotionalen Bereich die beste Möglichkeit, eine Veränderung zu erreichen. Außerdem bilden solche Trainingsformen einen optimalen Zugang zu der Heterogenität des Arbeitnehmerpools. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Unternehmen den Wunsch nach einer gewissen Vereinheitlichung haben, was z.B. die Haltung gegenüber Kunden angeht oder gegenüber der Firmenkultur.
Interview 2 Institution: Unternehmensberatung Experte: Cheftrainer Datum: 7.6.2006
Ort: Westdeutschland Bereich: Managemententwicklung Uhrzeit: 14:05–14:25
Nach Ansicht des Experten hat die Thematik zum Zeitpunkt es Erscheinens einen solchen Auftrieb erfahren, weil sie insbesondere in der Zeit nach dem Krieg lange brach gelegen hat und von der aus dieser Zeit hervorgegangenen Generation kaum aufgegriffen wurde: „Dort waren solche Tugenden wie Emotionalität zulassen usw. nicht das, was auf der Agenda stand.“ Diese Tatsache findet sich auch in unserem Bildungssystem wieder, wo eine Integration der Thematik z.B. an Universitäten, anders als in Ländern wie z.B. Skandinavien, noch nicht stattgefunden hat. Dabei ist der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte nach Auffassung des Experten von elementarer Bedeutung: nach einer Studie von Gallup haben bereits 18% der befragten Arbeitnehmer in Deutschland trotz fünf Mio. Arbeitslosen innerlich bereits gekündigt.597 Die Frage der Resignation stellt sich Arbeitnehmern dabei trotz des Risikos des Arbeitsplatzverlustes in besonders hohem Maße: „Ich werde nicht irgendwas machen, wenn ich nicht persönliche Wertschätzung und Motivation erfahre.“ Diese Faktoren kann die Führungskraft aber bei ihren Mitarbeitern nur durch eigenes, reflektiertes Handeln erzeugen, weniger durch harte Fakten. Dabei besteht der Trialog aus Kompetenzen nach wie vor und softe sowie harte Faktoren bestimmen den Führungsalltag gleichermaßen. Dennoch merkt der Experte an: „Ich sage nicht, dass das eine besser ist als das andere [harte vs. weiche Faktoren in Führungspositionen] […], aber grundsätzlich glaube ich, dass die soften Faktoren, also alles das, was
597
Hat ein Mitarbeiter innerlich gekündigt, so hat er keinerlei emotionale Bindung mehr zu seinem Unternehmen, macht nur noch Dienst nach Vorschrift und setzt sich nur noch sehr bedingt für die Interessen des Unternehmens ein.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews
173
man unter Emotionaler Kompetenz598 möglicherweise verstehen mag, wie Einfühlungsvermögen, Kooperationsfähigkeit, […], andere mitreißen können usw., das die immer noch viel zu gering ausgeprägt sind!“ Dabei lässt sich durchaus erkennen, dass weiche Kompetenzen in der Führungskräfteentwicklung bereits Einzug gehalten haben. Betrachtet man den MBTI599 mit seinen 16 Faktoren als Grundlage bei der Führungskräfteauswahl, dann war es früher eher so, dass vorwiegend Personen in Führungspositionen gelangten, denen dem Modell nach harte Führungseigenschaften zugesprochen wurden. Heute kann man bei der Verteilung eine Zunahme weicher Faktoren registrieren. Insgesamt kann man also weniger von einer Mode als mehr von einem Trend sprechen, welcher sowohl von den Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern vorangetrieben wird. Erstere begünstigen das Thema implizit: sie bringen deshalb maximale Leistung in einem Betrieb, „weil sie in einem positiven Umfeld arbeiten, in einem Umfeld, in dem ihnen Wertschätzung, Respekt entgegengebracht wird, in dem sie Motivation erfahren für ihre Ideen, in dem sie kurzum ein positives, auf persönlicher Wertschätzung beruhendes Umfeld haben.“ Aber auch letztere haben erkannt, dass Emotionale Kompetenz ein Ansatz ist, auch langfristig noch motiviert zu bleiben, sowohl als Arbeitgeber als auch als Arbeitnehmer. Eine generelle Aufgeschlossenheit dem Thema gegenüber und eine Bereitschaft zur Veränderung zeigt sich in der Zunahme von Einzelcoachings, wo es nicht „um hart verdrahtete, fachliche Themen [geht], sondern um das Thema Persönlichkeit, Verhalten…“ Diese Tatsache findet sich erstaunlicherweise schon in Kompetenzmodellen vieler Firmen wieder, wo nach einer aktuellen, hausinternen Benchmarkanalyse600 entgegen der Erwartung an erster Stelle mit Kooperations- und Teamfähigkeit nicht etwa ein harter, sondern vielmehr ein weicher Faktor steht. Emotionale Kompetenz zählt also heute in der beruflichen Praxis schon zu den Schlüsselindikatoren und ist ein fester Bestandteil, gerade im Rahmen von Programmen zur integrierten Unternehmensentwicklung, wenn es darum geht, bei Führungskräften das Selbst- und Fremdverständnis im Umgang mit Mitarbeitern zu verbessern.
598
599 600
Die Begriffe Emotionale Intelligenz und Emotionale Kompetenz werden im Rahmen der Interviews weitgehend synonym verwendet, da viele Experten keine Unterscheidung vornehmen und beide Begriffe gleichermaßen benutzen. Der MBTI (Myers-Briggs Type Indicator) ist ein Instrument zur Persönlichkeitsmessung. 64 bestehende Kompetenzmodelle verschiedener Unternehmen wurden dahingehend ausgewertet, welche Kompetenzen innerhalb der Modelle am häufigsten genannt wurden und von den Unternehmen die höchste Priorität zugesprochen bekamen.
174
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Die in der Diskussion um weiche Kompetenzen aufgebrachten Begrifflichkeiten (z.B. der Terminus Emotionale Intelligenz) sind nach Ansicht des Experten aber eher ungünstig gewählt, weil sie mit Bereichen der Intelligenzforschung korrelieren. Dies ändert jedoch per se nichts an der immanenten Bedeutung der Thematik.
Interview 3 Institution: Unternehmensberatung Experte: Mitglied der Geschäftsleitung Datum: 7.6.2006
Ort: Westdeutschland Bereich: Diagnostik Uhrzeit: 16:15–16:35
Emotionale Intelligenz ist nach Ansicht des Experten ein Konzept unter vielen, dessen Bedeutung stets in Abhängigkeit unterschiedlicher Determinanten zu sehen ist (Funktion und Position der Führungskraft, Branche, Unternehmen): „Der Sanierer braucht weniger oder vielleicht eine andere Emotionale Kompetenz als derjenige, der in konsolidierten Märkten in seiner ganzen Breite seine Geschäfte managen muss.“ Dennoch liegt eigentlich auf der Hand, dass Führungskräfte mit einem breiten Verhaltensrepertoire erfolgreicher sind und sein werden als diejenigen, die nur sehr einseitig und sachorientiert führen: „Also die Vielfalt der Kompetenzen macht es, die Breite der Kompetenzen macht es!“ Bei dem Konzept selbst handelt es sich also um kein wirkliches Novum: Es wird immer mal wieder erkannt, dass es „neben den fachlichen auch überfachliche Kompetenzen gibt und das wird dann häufig synonym mittlerweile schon gesetzt mit sozialen und eingeschränkt auch Emotionalen Kompetenzen und das finde ich falsch!“ Denn das innerhalb der Sozialen Kompetenz neben harten Facetten wie Durchsetzungsvermögen und Offensivität auch Sensibilität und Sensitivität notwendig sein können ist altbekannt. Mit dem Konzept von Goleman ist es nach Ansicht des Experten also gelungen, „alten Wein in neuen Schläuchen publicityträchtig zu vermarkten!“ In der Etablierung von Emotionaler Kompetenz hingegen sieht der Experte eine Form von Innovation. Immer mal wieder beobachtet man, „dass bestimmte, auch altbekannte Themen plötzlich wieder eine hohe Attraktivität haben.“ Grund hierfür liegt im vorliegenden Fall in der Tatsache begründet, „dass tatsächlich die reine Fokussierung und Auseinandersetzung mit der fachlichen Kompetenz offensichtlich nicht so Erfolg versprechend ist wie eine Erweiterung um zusätzliche Perspektiven.“ Dies ermöglicht etwas Altbekanntem (weiche Kompetenz) in einem neuen Kontext (Wandelprozesse wie Wertewandel, Demografie etc.) plötzlich ein hohes Maß an Akzeptanz, weil das mit Mängeln behaftete Existierende (Überbetonung harter Kompetenz) um eine, unter Umständen ebenfalls schon existierende, ergänzende Pers-
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews
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pektive (weiche Kompetenz) erweitert wird und auf diese Weise z. B. ein neues Kompetenzmodell generiert werden kann. Unabhängig von der häufig stattfinden Überbetonung als alleingültiges Konzept, existiert eine elementare Notwendigkeit, das Thema weiter systematisch zu verfolgen. So spielt der Umgang mit weichen Themen eine immer größere Rolle: Arbeitnehmer werden in Zukunft aufgrund des war for talents immer mehr Wahlmöglichkeiten haben: „…und damit bekommt die Qualität, also die Führungsqualität, eine ganz hohe Bedeutsamkeit, […], macht also Sinn, sich damit zu beschäftigen!“ Dieser Tatbestand wird verstärkt durch Prozesse des Wertewandels: Nicht mehr Geld, Status, Karriere sind die Wahlkriterien bei der Jobsuche, sondern Beziehung, Klima, Atmosphäre. Zudem ist auch bei Gründen der Fluktuation zu beobachten, dass diese ganz oft im Zusammenhang mit dem Vorgesetzten stehen. Dies bedeutet wiederum für Führungskräfte, dass Dinge wie Bandbreite, Verhaltensvarianz und Adaptionsvermögen von permanent großer Bedeutung sein werden: „Wie gut können die sensibel und sensitiv auf Mitarbeiter zugehen, eingehen…? Wie gehen Sie mit Feedback um …?“ Der Experte sieht weiche Kompetenzen, also Dinge wie Einfühlungsvermögen, Kooperationsbereitschaft usw., als einen wesentlichen Teil „eigentlich jeden Anforderungsprofils.“ Das Problem der weitgehenden Ablehnung in großen Teilen der Wissenschaft liegt nach Ansicht des Experten im Vorgehen Golemans begründet: „Ich glaube, der Goleman war viel zu populär.“ Seine Theorieentwicklung entspricht nicht der gewohnten wissenschaftlichen Vorgehensweise: „…es ist aber mühsam für jemanden wie mich, dahinter die klare Definition und die klar abgegrenzte, formulierte Theorie mit den ganzen […] wissenschaftlichen Belegen zu erkennen!“ Die grundlegende Substanz kann aber nicht in Abrede gestellt werden, eher schon die häufig stattfindende unsachliche Überbetonung.
Interview 4 Institution: Finanzdienstleister Experte: Direktor Datum: 8.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Regionalleitung Uhrzeit: 9:35–10:05
Die Tatsache, dass Emotionen in der Arbeits- und Geschäftswelt immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, hat nach Auffassung des Experten, bezogen auf sein Tätigkeitsfeld, mehrere Gründe. Einerseits ähneln sich Produkte und Güter unterschiedlicher Hersteller immer schneller immer mehr, weil sie dem Konsumenten einen ähnlichen Nutzen stiften. Dies führt dazu, dass eine Differenzierung nur noch auf emotionaler Ebene vollzogen werden kann. Andererseits trifft der Kunde 90% seiner (Kauf-)Entscheidungen aus dem Bauch heraus, ist also
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primär von seinen Emotionen geleitet. Beide Punkte verdeutlichen, dass für eine gezielte Kundenansprache vor allem dessen emotionale und nicht rationale Relevanzsysteme von Bedeutung sind. Die Einbeziehung der Variable Emotion erscheint somit essentiell. „Sachlich muss dazu kommen“, aber in erster Linie müssen die Emotionen der Menschen bedient werden.“ Ein dritter Punkt liegt in dem Einsetzen der fortschreitenden Technologisierung in den 90er Jahren, welche dazu geführt hat, dass viele menschliche Interaktionsprozesse gerade im Dienstleistungsbereich entbehrlich wurden und von Computern übernommen wurden. Dies hat aber auf der anderen Seite implizit zu einem verstärkten Verlangen der Kunden nach emotionaler Befriedigung geführt: „weil der Computer nicht das ‚Menscheln’ […] ersetzt.“ Gerade die durch Emotionen strukturierten Interaktionsprozesse spielen aber nicht nur in der Beziehung zu Kunden, sondern auch zu geführten Mitarbeitern ein entscheidende Rolle: „Beziehungsaspekte bestimmen Leistungsaspekte, dazu stehe ich!“ Die Art und Weise, wie nun eine Führungskraft durch ihr Verhalten in der Lage ist, ein emotional angenehmes Klima (z.B. in Form von Anerkennung, Respekt, Möglichkeiten zur Mitbestimmung etc.) zu schaffen, determiniert in besonderem Maße die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Hiervon hängt dann auch ab, inwieweit z.B. Innovationsprozesse von der Führungskraft initiiert werden müssen oder aber „intrinsisch aus sich heraus“ ablaufen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass emotionale Inkompetenz bei Führungskräften weit reichende Folgen haben kann. Gerade in Krisensituationen verfehlt Intervention auf rationaler Ebene meist sein Ziel: „Und wenn er [der Mitarbeiter] es nicht schafft, die Hebel umzulegen, dann fliegt er weg.“ Hinzu kommt, dass damit das eigentliche Problem nach wie vor nicht gelöst ist und sich der Negativdruck des Mitarbeiters durch Synchronisationsprozesse u.U. auch auf andere Mitarbeiter überträgt: „Au, hoffentlich passiert mir das nicht.“ In diesem Zusammenhang ist für Führungskräfte das Thema Persönlichkeit ganz entscheidend: „Wie bist du als Person unterwegs? Wie wirkst Du als Person? …“ Dies wird im Rahmen der Führungskräfteentwicklung auch abgebildet, so dass der fachliche Anteil von Entwicklungsmaßnahmen bei nur etwa 10 % liegt und meist on the job stattfindet. Führungskräfte müssen zu 80% führen und nur zu 20% managen. Die Entwicklung muss sich also in erster Linie auf den zwischenmenschlichen, den persönlichen Bereich beziehen, der Emotionale Kompetenz letztlich ermöglicht: „Die wahre Kraft nachher liegt eigentlich darin, wie erkenne ich mich und wie erkenn’ ich auch meine Mitarbeiter und wie finde ich einen Schlüssel zu jedem meiner Mitarbeiter, der bei jedem Mitarbeiter anders sein wird?“
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews Interview 5 Institution: Finanzdienstleister Expertin: Bereichsleiterin Datum: 8.6.2006
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Ort: Norddeutschland Bereich: Managemententwicklung Uhrzeit: 17:45–18:15
Nach Auffassung der Expertin existieren drei wesentliche Schlüsselqualifikationen für Führungskräfte: Vertrauen im Sinne von Vertrauen schaffen, Begeisterung erzeugen und Integrität zeigen: „Wenn ich Menschen bewegen will, und das müssen Führungskräfte, muss ich diese drei Fähigkeiten haben.“ Den Grund für die zunehmende Priorisierung des Themas sieht die Expertin in unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen begründet (Frauen drängen verstärkt in Führungspositionen, Befehl und Gehorsam wird abgelöst durch Form der Selbstbestimmung, Wertewandel in Bezug auf Arbeitszufriedenheit). Gerade die Mitarbeiter haben gegenüber der Führungskraft unterschiedliche Möglichkeiten, ihre Arbeitsleistung zurück zu halten, „indem sie einfach Dinge anders machen oder gar nicht machen oder langsam machen.“ An dieser Stelle, wenn es also darum geht, Mitarbeiter zu bewegen, dann „komm’ ich mit fachlichen Qualifikationen schnell an meine Grenzen.“ Auch im Hinblick auf eine gewisse Form der Arbeitnehmerproduktivität erscheint eine Schulung von Emotionalen Kompetenzen bei Führungskräften durchaus sinnvoll: „Ich arbeite nicht für irgendeine Sache, sondern ich arbeite für Menschen. Und zwar wesentlich mehr arbeite ich für jemanden, den ich mag, als für jemanden, den ich nicht mag.“ Gerade wenn es darum geht, geführte Mitarbeiter für eine Sache zu begeistern oder auch intrinsisch zu selbstinduzierten Aktivitäten zu bewegen, dann spielt die Vorbildfunktion der Führungskraft und das dadurch aufgebaute Vertrauen von Seiten der Mitarbeiter eine tragende Rolle. Letzteres wird gleichzeitig gestützt von dem Maß an Selbstverantwortung, welches eine Führungskraft ihren Mitarbeitern zubilligt bzw. zubilligen muss, da aufgrund der Komplexität der täglichen Praxis viele Arbeitsprozesse abgegeben werden müssen. Der überwiegende Teil der Führungskräfte hat dies auch schon erkannt. Im Unternehmen selbst wird die (soziale) Kompetenz im Rahmen unterschiedlicher Trainings und eines speziell entwickelten Managemententwicklungsprogramms vermittelt. Letzteres ist für Personen gedacht, die künftig in Leitungspositionen arbeiten werden und wird bereits seit 12 Jahren mit großem Erfolg eingesetzt. Insgesamt haben Trainings im sozialen Bereich einen überdurchschnittlichen Anteil. Einzig bei der Konzeption von Trainings- und Entwicklungsmaßnahmen gilt nach wie vor: nomen est omen. Das Wort Emotion ist sehr negativ (im Sinne von zu weich, zu wenig maskulin, zu wenig managerlike) belegt, so dass Seminare entsprechend umdeklariert werden
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müssen, „dass es sich sexy anhört und dass wir dann aber trotzdem drüber sprechen.“ Die thematische Implementierung läuft also quasi über ein „trojanisches Pferd“: „Und dann, wenn ich so zu sagen denen ein attraktives Thema gesetzt habe und dann Unterthemen habe, die sich auch um Softskills ranken, dann krieg’ ich sie auch ran.“ Insgesamt wird nach Aussage der Expertin das Thema aufgrund oben angedeuteter Entwicklungsprozesse weiter an Bedeutung zu nehmen.
Interview 6 Institution: Verbrauchsgüterhersteller Experte: Bereichsleiter Datum: 9.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Führungskräfteentwicklung Uhrzeit: 12:12–12:45
Das von Goleman popagierte Konzept ist nach Ansicht des Experten die logische Folge aus der Tatsache, dass man sich überhaupt mit dem Thema Führung beschäftigt: „Ich führ’ ja nicht eine Sache, sondern Menschen, und da Menschen nicht aus reiner Ratio bestehen, sondern auch aus ganz, ganz vielen Emotionen, ist das nur logisch.“ Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass die zeitweilige Überbetonung des Themas wieder auf ein Normalmaß zurückgeführt werden muss: „Also natürlich funktioniert Führung nicht nur über Emotionen und über Emotionale Intelligenz, sondern auch über Sachlogik und Analytik.“ Gründe für die aufstrebende Popularität der Thematik sieht der Experte in verschiedenen Veränderungsprozessen innerhalb der Gesellschaft und der Unternehmen. Die im Zeitablauf stetige Zunahme der Mündigkeit des Bürgers hat u.a. dazu geführt, dass unternehmensinterne, durch Befehl und Gehorsam geprägte, Strukturen immer weiter abgebaut und aufgeweicht wurden. Die hierdurch erzeugten, neuen Hierarchieformen aber haben zur Folge, dass der Mitarbeiter auch anders wahrgenommen werden muss: „Wenn ein Hierarchiedenken sich zunehmend abbaut, dann muss ich den Mensch als gesamte Person begreifen und auch an seine Emotionen heran kommen.“ Aber auch folgende Entwicklung zeigt die Bedeutung, welche dem Umgang mit Emotionen in der beruflichen Praxis zukommt: Die Anforderungen an Arbeitnehmer in Bezug auf Komplexität und Spezialisierung steigen stetig an. Folglich „ist ein Austausch von Arbeitskräften nicht mehr leicht zu realisieren.“ Zur Vermeidung von sunk costs besteht daher das primäre Ziel des Arbeitgebers darin, das im Unternehmen gebundene, spezielle Humankapital möglichst zu erhalten. „Und da muss ich ihn [den Arbeitnehmer] anders betrachten als das vielleicht noch vor zwei Generationen der Fall war.“ Grundlegend neu ist diese Form der Führungskompetenz aber nicht („Grundanforderung an Führungskräfte“), nur ist durch obige
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews
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Prozesse der Druck von außen größer geworden, diese Kompetenz als Führungskraft mitzubringen. Nach Auffassung des Experten hat die Thematik sehr viel mit dem Menschenbild an sich zu tun, was gerade im Rahmen der Führungskräfteentwicklung ein Problem generiert: „… für mich ist ein Menschenbild an einen erwachsenen Menschen schwer vermittelbar!“ Daher liegt der unternehmensinterne Schwerpunkt der Ausbildung in erster Linie auf Fachlichkeit und Methodik. Weiche Kompetenzen haben aber dennoch einen sehr hohen Stellenwert in der täglichen Praxis, nur werden diese weniger über den eigentlichen Entwicklungsprozess (Anteil der Trainings im sozialen Bereich: „mindestens 25%“) zu implementieren versucht, sondern schon viel früher im Rekrutierungsprozess. So wird schon im Rahmen der Führungskräfteauswahl darauf geachtet, dass bei diesen ein positives Menschenbild bereits vorhanden ist „und dass ein gewisses Maß an Zugewandtheit und Kooperationsfähigkeit in dieser Person schon steckt. Dann kann man auch damit arbeiten …, aber grundsätzlich hervorbringen aus einer Person kann ich sie nicht.“ Hierauf aufbauend werden vorhandene Kompetenzen im Rahmen von Ausbildungsprogrammen dann gezielt gefördert und optimiert. Eine elementare Fähigkeit, die Führungskräfte mitbringen müssen, ist nach Expertenmeinung ein gewisses Adaptionsvermögen, also die Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Mitarbeitertypologien einstellen zu können und in der Lage zu sein, deren Bedürfnisse zu erkennen. Zentrale Veränderungen in Bezug auf die Anforderungen von Führungskräften liegen nach Ansicht des Experten besonders im interkulturellen Bereich, sind aber nur für international aufgestellte Unternehmen von Bedeutung.
Interview 7 Institution: Unternehmensberatung Experte: Global Head Datum: 9.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Diagnostik Uhrzeit: 12:30–12:50
Der Experte nennt als Hauptgrund für die starke Popularität der Thematik die fortschreitende „Demokratisierung der Unternehmen“. Die Verbreitung des Internets hat dazu geführt, dass der Faktor Information eine völlig neue Bedeutung erlangt hat: Im Prinzip stehen allen Menschen sämtliche Informationen zur Verfügung, so dass man davon ausgehen muss, „dass eigentlich alle alles wissen könnten…“ Daher „können Sie Informationen nicht mehr als Machtbasis nutzen…“ Dann wiederum braucht man aber ganz „andere Überzeugungsmechanismen, die eben ganz andere Verhaltensformen notwendig machen als früher in order und command Strukturen.“ Hinzu kommt, dass sich bei vielen Arbeitnehmern im Rahmen eines
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Wertewandels neue Motivatoren entwickelt haben, die losgelöst sind von monetären Faktoren (z.B. „Wie werden meine Bedürfnisse nach professioneller Entwicklung befriedigt und angesprochen?“ etc.). Auch befand man sich zum Zeitpunkt, als die Thematik langsam Fuß fasste, in einer Art Managementvakuum: „Keiner wusste mehr, was eigentlich erfolgreiche von unerfolgreichen […] Managern unterscheidet, abgesehen von der Performance.“ Hinsichtlich des Verhaltens und der Tätigkeit einer Führungskraft gab es also im Zeitablauf zentrale Entwicklungen, auf die Antworten gefunden werden mussten. Das Thema Umgang mit Emotionen setzt hierbei auf breiter Ebene an. Nach Ansicht des Experten spielt die Emotionale Intelligenz in der Entwicklung und Rekrutierung von Führungskräften eine zentrale Rolle: er, der Emotionale Intelligenzquotient (EQ), „ist letztlich der unter allen für unser Kompetenzmodell definierten Kompetenzen […] liegende Faktor“. Anders ist die Sachlage z.B. beim IQ, der bei Führungskräften per se ein hohes Niveau (ca. 113) hat, dessen Einbeziehung aber in Bezug auf zukünftiges Verhalten keine aussagefähige Differenzierung ermöglicht. Erfahrungen aus der Praxis bestätigen dies, da Führungskräfte überwiegend aufgrund mangelnder Kompetenzen im sozial-emotionalen, und nicht im fachlichmethodischen Bereich in Positionen und Ämtern scheitern: „Hired on experience, fired on personality.“ Fachlichkeit spielt also eine immer kleinere Rolle, besonders in den oberen Hierarchieebenen. Als zentrale Anforderungen an Führungskräfte kann man nach Ansicht des Experten folgende Kompetenzen formulieren: Strategie (langfristiges Denken), Change (das Erkannte in Wandel umzusetzen) und Ergebnisorientierung (Dinge auch zu Ende zu bringen). Wichtig ist, dass der Umgang mit Emotionen hierbei nicht für sich als Selbstzweck steht und somit keine losgelöste Kompetenz ist. Vielmehr geht es darum, Emotionale Kompetenz zu integrieren, da über sie andere Kompetenzen aufgebaut und entwickelt werden können: „Es fließt eben in fast alles mit hinein.“ Diese Notwendigkeit der Thematik haben besonders jüngere Führungskräfte bereits erkannt, die diesbezüglich, anders als z.B. ältere Führungskräfte, in hohem Maße positiv im Rahmen ihrer eigenen Sozialisation geprägt wurden. Dies ist ganz entscheidend für das spätere Wirken als Führungskraft. Der Experte fügt hinzu, dass es bei der Auswahl und Beurteilung von Führungskräften ganz zentral ist, inwieweit diese in der Lage sind, sich selber wahrzunehmen, „weil man nur dann auch wirklich sich mit anderen sinnvoll auseinandersetzen kann.“ Die Thematik wird in ihrer Bedeutung weiter zunehmen, „weil man Menschen heute für die Erfüllung ihrer Aufgaben wirklich gewinnen muss.“ Einzig die bisher noch sehr schwer zu fassende Wirksamkeit („Al-
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so dieser ganze Impact ist schwer zu messen. Das ist ein schwieriges Thema, die Ökonomisierung von […] Emotionaler Intelligenz.“) dämpft die Ausbreitung innerhalb der Unternehmen ein wenig.
Interview 8 Institution: Unternehmensberatung Experte: Inhaber/Professor Datum: 10.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Diagnostik Uhrzeit: 20:00–21:00
Nach Ansicht des Experten hat Goleman mit seinem Konzept berechtigter Weise auf ein in Deutschland seit langer Zeit bestehendes Defizit aufmerksam gemacht. Gerade das Thema Emotionen wurde innerhalb der Führungskräftekultur zugunsten der Rationalität und kognitiv geprägten Ansätzen lange Zeit in seiner Bedeutung ausgeblendet. Dies erklärt auch das hohe Maß an Popularität: „Da war eine Lücke.“ Dabei ist gerade aus der klinischen Psychologie hinlänglich bekannt, „dass der Mensch eben nicht nur aus Rationalität besteht, sondern im Gegenteil mehr aus Emotionalität als aus Rationalität.“ Die Betriebswirtschaft ist aber immer noch sehr sachbezogen geprägt, wenn es etwa um die Motivation und Führung von Mitarbeitern geht, also sehr weit auf der rationalen Ebene zu verorten: „Da war ja überhaupt nicht drin, dass der Mensch sozial kompetent sein muss als Führungskraft…“ „D.h. diese ganze Emotionalität, […]wie sie Leute führen oder motivieren, die ist in der BWL nicht drin.“ Eine Führungskraft verfolgt in erster Linie das Ziel, Menschen dazu zu bewegen, „dass sie etwas tun, was sie ohne weiteres nicht täten.“ Und hier spielt es eine essentielle Rolle, wie sie hierbei in Bezug auf die Geführten vorgeht: „…ich muss sie erreichen, ich muss sie motivieren können, ich muss Umstände schaffen, […], wo die Leute funktionieren und insofern ist dieser Teil sehr lange vernachlässigt worden.“ Dabei vertritt der Experte die Auffassung, dass der entscheidende Faktor „für Erfolg […] im Beruf im weitesten Sinne die Emotionalität, wenn Sie so wollen die Persönlichkeit ist.“ Das Thema ist Teil einer Wellenbewegung. So kommen Themen mit durchaus altbekannter Substanz in bestimmten Zeitabständen immer mal wieder an die Oberfläche, weil man permanent auf der Suche nach neuen und besseren Lösungen für bestehende Probleme ist. Die Tatsache, dass diese Erkenntnis bis heute trotz aller wissenschaftlichen Beweise nur unzureichend beachtet worden ist, liegt u.U. darin begründet, dass Psychologen früher über nur wenig meinungsbildende Macht verfügt haben in der Wirtschaft. Gleichzeitig waren die Insti-
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tutionen und Organisationen lange Zeit sehr stark strukturiert und bürokratisiert, so dass das Thema weitestgehend per Definition nicht vorgesehen war. Um die quantitative Bedeutung von Emotionaler Kompetenz für Führungskräfte besser bemessen zu können, muss man nach Auffassung des Experten deren Tätigkeit differenzieren. So erscheint es in Anlehnung an Kotter (1990) sinnvoll zu unterscheiden, inwieweit die Aufgaben einer Führungskraft eher im Bereich Management oder eher im Bereich Leadership liegen, wenngleich die meisten Funktionen eine Mischung aus beiden sind. „Management ist im Amerikanischen eher die Funktion, also dass du bestehende, gut laufende Systeme weiterlaufen lässt. Das ist Management.“ Leadership hingegen umfasst Tätigkeiten, wenn es darum geht, Wandelprozesse zu initiieren und zu vollziehen. Gerade in diesem Zusammenhang, wenn es also darum geht, einen Mitarbeiter bei angestrebten Veränderungen zu steuern, „dann muss ich ihn dort abholen, wo er ist.“ Verstärkt wird diese Notwendigkeit durch die Tatsache, dass die Märkte immer dynamischer und unvorhersehbarer werden. Um hier die Mitarbeiter erfolgreich führen zu können, muss man in der Lage sein zu erkennen, wo diese individuell „triggerbar“ sind. Hierzu reichen fachliche Führungsinstrumente aber nicht aus, vielmehr bedarf es einem hohen Maß an zwischenmenschlicher Kompetenz, wo der Faktor Emotion wiederum zentral ist. Nach Ansicht des Experten ist es folglich so, dass Leadership und die Notwendigkeit Emotionaler Kompetenz positiv miteinander korrelieren: „Also Leadership ohne Emotionale Kompetenz ist schier undenkbar.“ Ein zentrales Problem bei der systematischen Integration in die Führungskräfteentwicklung sieht der Experte in der Tatsache, dass gerade die BWL immer noch zu instrumentell orientiert ist, wo es darum geht, „Tricks und Kniffe“ bei der Mitarbeiterführung zu etablieren, fern ab einer hohen „Ich-Involvierung“ von Seiten der Führungskraft. Gleichzeitig werden auch innerhalb der Psychologie die oben angesprochenen Erkenntnisse von den Hardlinern der Methodenlehre aufgrund ihrer noch unzureichenden Validierung abgelehnt. Dennoch sieht der Experte die Thematik im Aufwind, gerade vor dem Hintergrund, dass es für Führungskräfte immer bedeutender wird, sich im Rahmen der Führungsprozesse ein gewisses Maß an Authentizität anzueignen, wo die Thematik in besonderem Maße mit hineinspielt.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews Interview 9 Institution: Versorger Experte: Advisor Datum: 12.6.2006
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Ort: Norddeutschland Bereich: Human Resources Uhrzeit: 11:30–12:05
Das von Goleman propagierte Konzept hat nach Ansicht des Experten durchaus seine Daseinsberechtigung. So ist es von ganz erheblicher Bedeutung für ein Führungskraft: „Kann ich mit meinen eigenen Emotionen umgehen, aber gerade auch kann ich mit den Mitarbeitern umgehen …?“ Gleichzeitig räumt der Experte ein, dass diese Kompetenz, der Umgang mit Emotionen, „sicherlich ein Punkt ist, den man betrachtet, aber auf der anderen Seite auch nicht der Hauptpunkt.“ Führungskräfte müssen in Anlehnung an einen Kompetenzrahmen eine Vielzahl von Eigenschaften, Qualifikationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten haben. Dieser Rahmen stellt das Grundpotential dar, um überhaupt in eine Führungslaufbahn gelangen zu können. An dieser Stelle wird dann versucht, das vorhandene Potential durch spezifische Trainingsmaßnahmen noch auszubauen. Tatsache ist jedoch, dass das Hauptaugenmerk auf der fachlich methodischen Ausrichtung der Führungskräfte liegt und interpersonelle Kompetenz als Komponente sozialer Kompetenz „zwar ein wichtiger Bestandteil [ist], aber im Vergleich, also in diesem Trialog, sicherlich am schwächsten.“ Dies lässt sich darauf zurückführen, dass das Unternehmen nach sehr strikten Leitlinien geführt wird (Kosten und Headcount) und „Kosten und Headcount sind nicht so die emotionalen Themen.“ So ist es auch erklärbar, dass der hierarchische Aufstieg in besonderem Maße davon abhängt, wie gut man in diesen Bereichen abschneidet. Führungskräfte, die hier eher unterdurchschnittlich sind, „aber sehr stark in interpersonal skills, die werden eher nicht so weit kommen.“ Nach wie vor gilt: Bei der Auswahl von Führungskräften „ist die Priorisierung doch eher auf der fachlichen Seite zu sehen.“ Auch im Hinblick auf die langfristige Bindung der im Unternehmen befindlichen Mitarbeiter setzt man nach Aussage des Experten eher auf sachliche Anreize in Form von traditionellen Anreizsystemen, die vorwiegend im monetären bzw. geldwerten Bereich zu verorten sind (Gehalt, Pensionsplan, Sparplan, Kantine, Parkplatz etc.). Der Umgang mit Emotionen und die Schaffung eines spezifischen emotionalen Klimas wird innerhalb des Unternehmens aus folgendem Grund nicht thematisiert: tief greifende Umstrukturierungsmaßnahmen und Rationalisierungsprozesse in der Vergangenheit haben besonders bei den Mitarbeitern zu einer Situation geführt, dass eine latente Angst besteht, den Job zu verlieren. Eine Systematisierung der Thematik erscheint unter diesen Bedingungen eher schwierig bzw. wird nicht als notwendig erachtet.
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Das Problem der Mitarbeitermotivation, die ja in direkter Verbindung mit der Thematik steht, ist aber durchaus erkannt: über Rotationssysteme, bei der Mitarbeiter niedriger Hierarchiestufen nach einigen Jahren eine vollständig neues Aufgabengebiet zugewiesen bekommen, soll die Motivation langfristig gesichert werden. Auch soll die Tatsache, dass Führungskräfte innerhalb des Unternehmens entwickelt und nicht extern eingekauft werden, dazu führen, dass durch Seminare bei Mitarbeitern initiierte Entwicklungsprozesse besser kanalisiert werden können, da den Führungskräften die Thematik durch die eigene, interne Entwicklung ebenfalls bekannt ist. Insgesamt aber kann die untersuchte Thematik als ein Feld angesehen werden, „wo wir durchaus Potential hätten, uns weiter zu entwickeln.“
Interview 10 Institution: Konsumgüterhersteller Experte: Manager Datum: 13.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Human Resources Uhrzeit: 11:00 – 11:30
Nach Ansicht des Experten handelt es sich bei Emotionaler Kompetenz um eine lange vernachlässigte Komponente in der Führungskräftearbeit. „Also meine Erfahrung mit Managern ist, dass sie eher weniger Emotionale Kompetenz aufweisen als man sich das wünschen würde.“ Grund hierfür ist die Tatsache, dass in den letzten 20 Jahren der Fokus von Unternehmen in erster Linie auf Dingen wie Bilanzfragen, Kostenstrukturen, Wertigkeit des Unternehmens usw. und der Optimierung dieser Parameter lag. „Und trotz all dieser Bemühungen ist es nicht gelungen, die Führung eines Unternehmens so in Bahnen zu lenken, dass man wirklich auch überzeugt war, man geht den richtigen Weg.“ Gleichzeitig war man aber lange Zeit nicht in der Lage, diesen Mangel genauer zu spezifizieren. Erst durch die Arbeiten von Goleman erlangte das Konstrukt Emotionen in der Führung seine Existenzberechtigung: „… und das hat dann richtig den Nerv getroffen in dem Moment, weil es eine lange Entwicklung quasi aufnahm und irgendwie fokussierte…“ Leider hat die Psychologie als Wissenschaft sich im Zeitablauf so weit von der betrieblichen Praxis entfernt, dass sie nicht in der Lage war, das Thema konstruktiv aufzugreifen, was sich in der anhaltenden Kritik und der äußerst randständigen Behandlung des Themas in der psychologischen Literatur zeigt. Die Bedeutung ist dabei von Seiten der Unternehmen längst erkannt. So ist man sich durchaus bewusst, dass etwa Dinge wie Identifikation und Engagement der Mitarbeiter keine Sache sind, die man mit dem Arbeitsvertrag kaufen kann, „sondern man braucht hier einfach eine Emotionalität in der Führung….“ Hierbei ist jedoch nach Hierarchieebenen zu differenzieren: auf oberen Ebenen sieht man in der Thematisierung eher ein „logisches Kümmern, nicht so
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sehr ein Kümmern aus der Empathie für Mitarbeiterbelange heraus.“ Es hat also eher betriebswirtschaftliche Gründe. Auf mittleren und unteren Ebenen jedoch hat nach Ansicht des Experten das Thema eine wesentlich stärkere Bedeutung für Führungskräfte, weil in der direkten Konfrontation mit Mitarbeitern deren Einsatzbereitschaft durchaus mit den emotionalen Fähigkeiten der Führungskraft korreliert. Besonders im Rahmen von Veränderungsprozessen müssen Emotionen als Variable und der Umgang mit ihnen berücksichtigt werden, „weil Veränderungen immer Emotionen auslösen…“ Auch wenn es um das Thema empowerment (Befähigen und Begeistern von Mitarbeitern) und die Entwicklung ganzheitlich qualifizierter Mitarbeiter geht, ist festzuhalten: „…das geht ohne Emotionen gar nicht.“ Der Experte sieht Emotionale Kompetenz also als einen Faktor, der innerhalb vieler Prozesse eine zentrale Rolle spielt, wobei die Kompetenz für sich genommen keinen Selbstzweck erfüllt, sondern eher integrativ zu betrachten ist. Als problematisch ist der Bereich der Vermittlung dieser Kompetenz anzusehen. Zwar kann man durch Instrumentarien der Organisationsentwicklung bestimmte Veränderungen initiieren, aber grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass die Kompetenz „aus dem persönlichen Wachstum heraus entsteht…“ Der Entwicklungsprozess setzt also schon viel früher an: „Man kann nicht warten, bis die Leute 30 sind und dann kommen sie in ein Unternehmen und sind emotionale Zwerge und sollen im Unternehmen dann emotionale Riesen werden.“ Im Rahmen einer effizienten Entwicklung müssen außerdem auch die Mitarbeiter mit einbezogen werden: „Denn es hat ja überhaupt keinen Zweck, einen Vorgesetzten darin zu schulen, emotional perfekt zu sein […], wenn die Mitarbeiter überhaupt nicht wissen, was emotional mit ihnen passiert.“ Dies würde außerdem das Prinzip der Selbstverantwortung u.U. völlig außer Kraft setzen, weil Mitarbeiter die persönliche, emotionale Verantwortung möglicherweise an ihre Vorgesetzten abzugeben versuchen würden (Schaffung eines Abhängigkeitszyklusses). Dennoch werden im Unternehmen für Führungskräfte entsprechende Trainings angeboten. Insgesamt handelt es sich also nicht um eine Mode, die vorübergeht, sondern eher um einen Trend, der substantiell bleiben wird. Was fehlt ist eine systematische Konzeptionalisierung der Thematik, z.B. eine Optimierung der Verfahren und Methoden hinsichtlich der Vermittlung.
186 Interview 11 Institution: Konsumgüterhersteller Experte: Bereichsleiterin Datum: 14.6.2006
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Ort: Norddeutschland Bereich: HR Development Uhrzeit: 9:00–9:30
Die Expertin sieht in Emotionaler Kompetenz eine Schlüsselqualifikation, wenngleich es eine neben vielen ist, so dass die Thematik eher „implizit in unseren Managementprogrammen auftaucht.“ Der Grund für die hohe Popularität liegt in der Tatsache begründet, dass bei jedermann intuitiv vorhandenes Wissen durch Golemans Arbeiten in klare Worte gefasst wurde. Bei der von Goleman aufgebrachten Thematik handelt es sich um einen Trend, der aufgrund der hohen Marktdynamiken substanziell bleiben wird. Der kompetente Umgang mit Emotionen stellt gerade in Bezug auf die durch die Dynamik hervorgerufenen Veränderungsprozesse einen wichtigen Faktor dar, „um überhaupt diesen Veränderungsschub managen zu können.“ Daher wird auch gerade in den oberen Hierarchieebenen primär eine Entwicklung im methodisch-sozialen Bereich betrieben. Instrumente sind hierbei insbesondere das individuelle und fallbezogene Coaching, wobei Führungskräfte zur Kompetenzentwicklung selber gecoacht werden und dies im Sinne von Führungskraft als Coach auch in der Führungsbeziehung anwenden sollen. Ziel ist es, die leadership capability der Führungskräfte zu erhöhen zu denen etwa Themen wie Ziel- und Ergebnisorientierung gehören. Das Fachliche soll, gerade bei Beförderungsprozessen, eigentlich eine zunehmend geringere Rolle spielen. Bei näherer Betrachtung liegt der Schwerpunkt dann aber nicht etwa auf Sozialen Kompetenzen, sondern „dann sind es auch viele andere Komponenten, die eine Rolle spielen. Also das ist ein Wunsch, sich dahin zu entwickeln und da sind wir auf dem Weg.“ So findet die konkrete Implementierung von Emotionen in Entwicklungsprozesse bisher auch nicht statt: „Das ist hier nicht, noch nicht, Kultur, und wenn, dann müsste ich das implizit verkaufen.“ Die Thematik Mitarbeiterbindung wird von dem Experten auch völlig losgelöst von der Führungskraft gesehen: „Nein, ich würde meinen Grad der emotionalen Bindung nicht von der Führungskraft abhängig machen…“ Sie stellt zwar für sich genommen einen wichtigen Faktor dar, muss aber vorwiegend über andere, z.B. materielle Anreize (Dachterrasse, Kantine) oder integrative Maßnahmen (Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls) erzeugt werden. An dieser Stelle greift das Prinzip der Selbstverantwortung: „Da ist hier mehr Eigeninitiative gefordert, sich die Motivation zu schaffen und das wird hier auch gelebt.“ Hierzu werden in besonderem Maße auch die Mitarbeiter in entsprechende, methodische und soziale Entwicklungsmaßnahmen eingebunden.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews
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Um durch Marktveränderungen hervorgerufene Entwicklungsdefizite auszugleichen, wird sehr bedarfsorientiert gearbeitet: „…wenn da was kommt, finden wir ganz schnell individuelle Lösungen.“ Die dauerhafte Implementierung langfristiger Marktveränderungen wird aber zeitlich nur äußerst verzögert adaptiert. Allgemein wird die Thematik Emotionen im Rahmen der Führungsbeziehungen immer nur sehr verdeckt aufgegriffen, indem z. B. ein strukturiertes Feedback System entwickelt und implementiert wird, denn „dass die Emotion da ist, egal wo ich mich befinde, die ist noch nicht ganz angekommen.“
Interview 12 Institution: Universität Experte: Professor Datum: 14.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Managemententwicklung Uhrzeit: 11:00–11:30
Der Experte schließt sich aufgrund vorliegender wissenschaftlicher Daten der Meinung von Goleman nicht an: Das Thema Emotionale Führung kann zwar ein Schlüssel zum Erfolg sein, „aber ich sehe nicht diese zentrale Rolle.“ Nach seiner Auffassung ist die Thematik „Kind seiner Zeit“, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens als Reaktion auf damals vorherrschende Zustände (viele Unternehmensübernahmen, viele kalte Zahlen etc.) auf ein großes Interesse bei den Leuten gestoßen ist, da sie bestehende Defizite u.a. in der Arbeitswelt sehr prägnant aufgezeigt hat. Eine gewisse Daseinsberechtigung kann man der Sache auch nicht absprechen, weil man als Führungskraft gerade in der Arbeitswelt, „wo vor allem Zahlen das Geschäft treiben und wo Zielvereinbarungen vor allem auch über Zahlen laufen man merkt, dass Menschen auch auf andere Aspekte reagieren, nämlich auf Zuwendung, auf Hinwendung, auf Solidarität […] und das hat dann auch viel mit Emotionen zu tun.“ Nichtsdestotrotz ist das Konzept seine Validierung bisher schuldig geblieben. Zwar konnten bestehende Varianzen z.T. schon aufgeklärt werden, aber insgesamt ist zu berücksichtigen, dass „bisher kaum gezeigt werden konnte, welchen zusätzlichen Nutzen dieses Thema bringt, auch auf der materiellen Seite.“ Tatsache ist, dass inkrementelle Validitäten nicht in dem Maße vorliegen, wie es die Literatur teilweise propagiert. Zentral ist hierbei die Frage nach brauchbaren Messinstrumenten und Kriterien: „Von der messtechnischen Seite muss ich eben diese Konstrukte auch in einer Form operationalisieren können, die sie messbar machen in hochqualitativer Weise.“ Zu berücksichtigen ist auch, dass das Thema in der Praxis für viele Führungskräfte hinsichtlich ihres Führungserfolgs nach wie vor keine wirklich bedeutende Rolle spielt: „Da geht es eher darum, wie kann ich mich durchsetzen und in welchen Netzwerken kann ich mich weiterentwickeln?“ Die im Rahmen der Führungsbeziehung gegenüber
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den Geführten gezeigte Emotionale Kompetenz ist eher sekundär, „solange die Arbeit von der Mannschaft noch gemacht wird.“ Vielen Führungskräften geht es aus Karrieresicht eher vielmehr darum, in Bezug auf die Vorgesetzten und Kollegen „eine relevante Erscheinung zu machen.“ Dennoch spricht sich der Experte hinsichtlich des Konzepts aufgrund möglicher Folgen für eine gewisse Offenheit aus: „…wenn wir nicht offen sind für neue Ideen, dann verpassen wir auch die Weiterentwicklung oder die Zukunft der jeweiligen Disziplin!“ Die Führungsforschung hat aber hier, anders als andere Disziplinen, eine etwas andere Forschungskultur, innerhalb derer sich das Wissen erst einmal schaffen muss. So findet das Thema deshalb in Standardwerken der entsprechenden Disziplinen kaum Aufmerksamkeit, weil gerade neue und noch nicht ausreichend validierte Aspekte immer an den gültigen Maßstäben gemessen werden und sie diesen zur Zeit (noch nicht) Stand halten können. Die Daseinsberechtigung hat das Konzept in den Augen vieler Experten also noch nicht erreicht. Für die Zukunft kann aber insgesamt eine positive Entwicklung prognostiziert werden, die nicht zuletzt durch den Wertewandel bei den Nachwuchsführungskräften begründet wird, die sich verstärkt nur solchen Organisationen zuordnen lassen werden, „die ihre Werte weitgehend teilen.“ Hier gibt der Experte aber zu bedenken, dass sich gewisse Werte durch die Interaktion innerhalb der Organisation u.U. wieder von der angesprochenen Thematik weg entwickeln werden: Durch reines Karrieredenken rücken zwischenmenschliche Themen möglicherweise wieder in den Hintergrund. Als Möglichkeit der Implementierung spricht nach Expertenmeinung alles für einen integrierten Ansatz und kombinierte Trainings, wo die Thematik im Rahmen alltäglicher Situationen immer wieder implementiert wird, indem aufgezeigt und trainiert wird, in welchem Maße Emotionen Prozesse steuern und wie hiermit umgegangen werden kann.
Interview 13 Institution: Unternehmensberatung Experte: Principal Datum: 16.6.2006
Ort: Norddeutschland Bereich: Strategie Uhrzeit: 11:00–11:30
Der Experte differenziert bei der Beurteilung des Konzepts nach den einzelnen Hierarchieebenen: gerade als Führungskraft der oberen Ebene, wo es in erster Linie um die Auswahl, Motivation und Entwicklung anderer Führungskräfte geht, spielt die Thematik eine große Rolle. Fachkompetenz hingegen wird immer weniger wichtig. Dabei kommt es immer auf die Art der Führung an, die im Kontext verlangt wird. So ist nach Ansicht des Experten die Emo-
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tionale Kompetenz der Führungskraft etwa bei der Führung einer Fließbandarbeiterschaft eher zu vernachlässigen. Aber allgemein, gerade auch in der Beratungswelt, ist zu erkennen, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Menschen in der beruflichen Praxis in ihrer Bedeutung zunimmt. Die hohe Popularität hat die Thematik aufgrund der Tatsache erreicht, dass der „neue Produktionsfaktor Wissen, der wiederum an Menschen gebunden ist, immer wichtiger wird.“ Gerade wenn es in diesem Zusammenhang darum geht, Menschen zu motivieren, die „nicht so klar messbare Arbeit machen oder […] wissensbasierte Arbeit, dann wird der Faktor Mensch wichtiger und dadurch eben auch diese Emotionale Intelligenz.“ In der Praxis haben viele Unternehmen die Wichtigkeit des Themas längst erkannt: So sind Dinge wie Mitarbeiterbefragungen und Feedbackgespräche, innerhalb derer auch den emotionalen Bedürfnissen und Anliegen der Mitarbeiter Raum gegeben wird, bei vielen Unternehmen längst Standard. Dabei stellt der Umgang mit Emotionen keinen Selbstzweck dar, sondern ermöglicht dem Unternehmen vielmehr, bestimmte Ziele zu erreichen. Gerade wenn es z.B. um die Etablierung einer Performance- und Leistungskultur geht, spielt der Faktor Motivation und auch Emotion eine tragende Rolle. Emotionen werden aus Sicht der Unternehmen also häufig mit einem Hintergedanken betrachtet, „weil ich meinen Mitarbeiter unbedingt binden will, […], weil mein Mitarbeiter mehr leisten soll, […], damit meine Mitarbeiter mehr kundenorientiert sind.“ In erster Linie soll also über die Emotionen ein spezifisches Ziel erreicht werden. Da aber auf vielen Hierarchieebenen das Thema immer noch als zu weich, zu wenig managerlike angesehen wird, „was man […] nicht so richtig anpacken mag“, muss es auf indirektem Weg implementiert werden: „Ich glaube, es kommt zum Thema Kultur um die Ecke.“ Probleme sieht der Experte bei der systematischen Einbindung der Thematik: „das ist aber sehr schwer, weil die Frage […] ist, wie kriegen sie das hin?“ Die Bedeutung ist zwar erkannt, doch fehlt es zum einen noch an Erfahrung und zum anderen ist die Sache sehr zeitaufwendig. „Ich glaub’, es ist ein bisschen die Frage, wie machen wir es jetzt konkret?“ So lange wird die Thematik auch als Trend im Raum stehen, bis sie zur Normalität geworden ist und das Interesse an ihr somit wieder abebbt.
190 Interview 14 Institution: Universität Experte: Professor Datum: 19.6.2006
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Ort: Westdeutschland Bereich: Diagnostik Uhrzeit: 14:00–14:30
Das von Goleman propagierte Konzept ist für den Experten in seiner Substanz trivial und in keiner Weise neu. „Das ist ganz einfach ein Thema: ‚Wie geht man mit anderen um und wie steuert man andere?’ Das wird immer wieder die Menschen faszinieren und immer wieder ein Thema sein.“ Wenn sich Führung nur auf die Sachebene beziehen würde, dann hätte man ein Problem, weil man Mitarbeiter nicht nur sachlich motivieren kann. „…wenn ein Unternehmen auf die affektiven Komponenten der Führung verzichtet, dann wird es für das Unternehmen teuer.“ Nach Auffassung des Experten hat „eine Führungskraft die genuine Aufgabe, mit der Emotion der Mitarbeiter zu spielen. Anders kann sie sie nicht motivieren, nicht steuern.“ Der Grund für die starke Popularisierung der Thematik liegt in der Tatsache begründet, dass sie aus Marketinggesichtspunkten sehr geschickt platziert wurde. Gerade im Bereich des Managements haftet Emotionen immer etwas negatives, zu weiches an. Durch die Aufwertung zu einer Kompetenz aber, also das bewusste „Einsetzen von Emotionen“, erhielt das Thema eine breite Akzeptanz. Hinzu kommt die Tatsache, dass auch Laien in der Lage waren, das Thema aufzugreifen, weil jeder im beruflichen und privaten Umfeld davon betroffen ist. „D.h. die Konsequenz ist, dass dieses Konzept eine viele größere Breite erreichen kann.“ Gerade im Management ist diese Breite noch dadurch begründbar, dass es durch das Thema gelungen ist, bestehende Änderungsresistenzen bei Führungskräften zu durchbrechen. Diese nehmen neue Themen in ihr Verhaltensrepertoire eher selten auf, weil dies ihr in der Vergangenheit gezeigtes Verhalten angreifbar machen würde. Die Thematik hat sich nach Expertenmeinung nicht ungewöhnlich lange gehalten und ist substantiell längst integriert. So geht es z. B. bei der Einstellung von Mitarbeitern primär um die Faktoren „Wissen, Wollen, Können“, in denen das Thema implizit mitschwingt. Und auch im Training findet man neben kognitiven und instrumentellen stets auch affektive Lernziele, wobei diese von besonderer Bedeutung sind. Anders als die erstgenannten werden die affektiven Lernziele jedoch nicht offen angesprochen, um Reaktanzen im Rahmen der Entwicklung zu vermeiden. Diese Reaktanzen treten gerade dann auf, wenn Veränderungen initiiert werden sollen, bei den es um persönlichkeitsbildende Faktoren geht: „Die wichtigsten Beiträge, die Führungskräftetrainings leisten für die reale Welt, sind Veränderungen der Affekte und damit auch der Emotionen der Führungskräfte, aber man wird es nie hinschreiben!“ Im Ergebnis ist
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es „wunderschön, wenn es [eine positive Veränderung] stattfindet, aber das muss er [die Führungskraft] selber erreichen.“ Nach Aussage des Experten rückt die Thematik langsam wieder in den Hintergrund und die Auswertung bestehender Kompetenzmodelle ist hierbei kein adäquates Mittel, da in diesen nur außerfachliche Qualifikationen abgebildet werden. Deswegen „entsteht leicht dieser Eindruck, dass sich das so auf die Softbereiche konzentriert.“ Die weichen Faktoren lassen sich zudem wesentlich weiter differenzieren als etwa kognitive, was das Ungleichgewicht innerhalb bestehender Modelle verstärkt. Der Experte sieht die Notwendigkeit der Thematik besonders in den Bereichen, „wo sie Angst haben müssen, dass ihnen die Mitarbeiter davonlaufen“. Es ist also eine Differenzierung vorzunehmen: Gerade im Bereich von qualifizierten und schlecht ersetzbaren Mitarbeitern, zu denen man im direkten emotionalen Kontakt steht, spielt das Thema eine zunehmend wichtigere Rolle. Aber auch innerhalb des Dienstleistungsbereiches, anders als z.B. in der Produktion, ist der Umgang mit den Emotionen der Mitarbeiter möglicherweise wichtig für die Sicherung der Existenz: „Aber behandeln sie mal einen Menschen schlecht, der verkauft oder Kunden berät, […] das kann man viel schwerer kontrollieren […], dann haben sie enorme Geschäftsschäden.“ Allgemein kennzeichnet der Experte flache Hierarchien als Faktoren, die dazu beitragen können, „dass Emotionen wichtiger werden“, weil einfach ein unmittelbarer Kontakt zu den Mitarbeitern besteht. Den Grund für nur sehr schwache interdisziplinäre Fortschritte sieht der Experte in den ursprünglichen Forschungstraditionen von verschiedenen Einzeldisziplinen begründet. Betriebswirtschaftslehre ist seiner Meinung nach keine Disziplin, „die sich besonders mit Emotionen beschäftigt.“ Es geht darum: „wie funktionieren Betriebe und nicht, wie funktionieren einzelne Menschen.“ So liegen die Schwerpunkte der Wirtschaftswissenschaften auf der einen Seite und die der Verhaltenswissenschaften auf der anderen. „Man muss die in der Praxis zusammenbringen, nicht unbedingt in der Forschung.“
Interview 15 Institution: Managementakademie Experte: Produkt Managerin Datum: 27.6.2006
Ort: Süddeutschland Bereich: Kompetenzentwicklung Uhrzeit: 15:00–15:30
Für die Expertin stellt das Konzept einen zentralen Ansatz dar. Gerade im Arbeitsleben, „wenn sie Verantwortung tragen, mit Menschen zusammen arbeiten, komplexe Systeme ma-
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nagen müssen“, dann muss man häufig erkennen, dass man mit klassischem Fachwissen und rationaler Herangehensweise häufig an die Grenzen stößt. Das Thema Emotionen ist organisationsimmanent und so müssen Menschen innerhalb von Organisationen auch hinsichtlich dieser Determinante wahrgenommen werden. Das Konzept Golemans sieht die Expertin als eine Antwort auf der Suche nach „vermehrter Kompetenz, nach erweiterter Kompetenz“, die im Rahmen der angesprochenen Komplexität und Dynamik des Arbeitslebens zur Bewältigung einfach notwendig ist, „um […] diesen permanenten Veränderungen auch gerecht zu werden, auf menschlicher Ebene.“ Gerade wenn es darum geht, Mitarbeiter langfristig zu binden und zu motivieren, spielt die Art der Interaktion auf Beziehungsebene, wo Emotionen zentrale Faktoren sind, eine tragende Rolle. Dabei wurde die Thematik Emotionen gerade von Managern lange falsch verstanden und wird es auch heute noch: So geht es weniger darum, durch die Förderung von Emotionaler Kompetenz einen „Schmusekurs“ zu etablieren, als vielmehr darum, die Allgegenwärtigkeit von Emotionen sowie deren Wirkmechanismen als betriebswirtschaftliche Variable anzuerkennen und dies bei der Verfolgung der Unternehmensziele zu berücksichtigen. Denn die Existenz von Emotionen und ihre Folgen für die Praxis können nicht ausgeblendet werden, da diese „nicht vor der Firmentür halt“ machen. Ganz im Gegenteil: „Wenn man sie unter den Teppich kehrt, kommen sie an einer andere Stelle umso heftiger raus…“. Auch wurde das Konzept immer unter dem Aspekt der Alleingültigkeit gesehen, dabei geht es vielmehr um „eine Bereicherung und eine Ergänzung“. Fachliche Kompetenzen fallen also nicht weg, sondern müssen in ihrer Anwendung aufgrund der zunehmenden Dynamik und Komplexität der Märkte vielmehr durch weiche Kompetenzen gestützt werden. Nach Erfahrungen in der Praxis besteht aber mittlerweile ein hohes Maß an Offenheit gegenüber der Thematik. Dies ist nach Meinung der Expertin auf die Erkenntnis zurückzuführen: „Wenn Menschen das nicht haben, auch bei hoher Fachkompetenz, dann scheitern sie einfach im Berufsleben“ und erzeugen Demotivation unter den Mitarbeitern, wenngleich das hierarchieund branchenabhängig eingeschränkt werden muss. Bis die Thematik vor 15 Jahren hoch kam, hat man, gerade auch in der schulischen Entwicklung, ein besonderes Augenmerk auf die rationale Entwicklung gelegt. Dank der Gehirnforschung ist aber nun seit längerem bekannt, dass „ein Mensch nur ganzheitlich auf Dauer leistungsfähig sein kann, wenn er wirklich beide Gehirnhälften entwickelt und auch beide zusammenspielen.“ Dass die Behandlung in der Fachliteratur, gerade was die Interdisziplinarität angeht, noch eher unsystematisch er-
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folgt, schreibt die Expertin dem Persönlichkeitsbild vieler Forscher zu, die einfach (noch) kein tief greifendes Bewusstsein für die Thematik entwickelt haben. Grundsätzlich wird der Stellenwert von Emotionaler Kompetenz gerade im Zusammenspiel mit fachlichen Kompetenzen aber weiter ansteigen, denn die bevorstehenden Veränderungen und die durch sie ausgelösten emotionalen Prozesse bedürfen einer komplexeren Herangehensweise als es bisher notwendig war.
Interview 16/17601 Institution: Managementakademie Experte 1: Leiter Experte 2: Trainer/Coach/Consultant Datum: 27.6.2006
Ort: Süddeutschland Bereich: Inhouse Consulting Bereich: Inhouse Consulting Uhrzeit: 15:00–15:30
Nach Ansicht der Experten handelt es sich bei Emotionaler Kompetenz um einen elementaren Baustein der Führungskräfteentwicklung. Je weiter ein Manager in der Hierarchie aufsteigt, desto weniger „braucht er in dem Sinne die fachliche Kompetenz. Er braucht sehr stark persönliche, soziale Kompetenz. Er braucht Managementfähigkeiten und er muss es schaffen, Prozesse in Gang zu bringen und zu definieren.“ Als zentrale Fähigkeiten sehen sie denn auch „Selbstreflektion auf einer sehr tiefen Ebene, Wahrnehmungsgespür, Gespür für Wechselwirkungen der Emotionen usw.“ Diese sind von essentieller Wichtigkeit, um Mitarbeiter in Phasen der Veränderung erfolgreich zu führen. Dann sind fachliche Kompetenzen begrenzt wirksam, denn es geht vielmehr darum, die Mitarbeiter emotional zu unterstützen und ihnen Sicherheit zu geben. In Deutschland wurde aber lange Zeit ein zu starkes Gewicht auf die Fachkompetenz gelegt, was man daran sieht, dass Manager früher immer nach ihren fachlichen Fähigkeiten befördert wurden. Führen mit reiner Fachkompetenz resultiert aber schnell in der Ausschöpfung des Führungspotentials und bringt eine Führungskraft entsprechend an ihre Grenzen. Dabei sind fachliche Fähigkeiten in Bezug auf Führung aber nicht zu vernachlässigen, nur ist ihre Wirkmächtigkeit für sich genommen relativ klein. Emotionale Kompetenz wirkt in diesem Zusammenhang als eine Art Multiplikator: Durch sie werden die methodischen und fachlichen Kompetenzen in ihrer Wirksamkeit erhöht. Gerade in Führungsprozessen, wo es darum geht, die Mitarbeiter zu einem Leistungsoptimum zu bewegen, haben Führungskräfte die Aufgabe
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Bei diesem Interview handelte es sich aufgrund zeitlicher Restriktionen um ein Doppelinterview. Da die Experten sich in keinem Punkt widersprochen haben, wird in der Zusammenfassung nicht nach den einzelnen Gesprächsanteilen der beiden Experten differenziert.
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zu erkennen, was die Geführten motiviert, was ihnen Angst oder Freude macht etc. und dies entsprechend zu regulieren. Emotionen sind Bestandteil einer jeden Biografie und sie beeinflussen die individuelle Entwicklung mehr oder weniger. Gerade bei Führungskräften geht es in einem ersten Schritt darum, ihnen die Wirkmächtigkeit von Emotionen bewusst zu machen. Diese Fähigkeit ist vielen abhanden gekommen, obwohl alle über sie verfügen. Grund ist die Zeit nach dem Krieg und die aus ihr hervorgegangene Art und Weise mit der Thematik umzugehen: „Keine Zeit, kein Platz für Emotionen!“ Die Nachwuchsgeneration, eine „Generation der Selbstverwirklichung“, hat eine Art von emotionaler Revolution eingeleitet. Dies zeichnet sich sehr gut an der Zunahme des Bedarfs an Coaching ab, wo es hintergründig darum geht, das man Hilfe braucht, also direkt am Thema Emotionen dran ist. Über diesen Weg haben Emotionen die Erlaubnis bekommen zu existieren. Nach Einschätzung der Experten wird die Thematik in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen, gerade vor dem Hintergrund von Prozessen des Wertewandels und der Demografie. „Da ist ein Zwang, dass die Unternehmen sich mit diesen Themen auseinandersetzen.“, besonders wenn es um die Bindung und Rekrutierung von Nachwuchs geht. Die noch sehr mangelhafte Akzeptanz innerhalb der Wissenschaft führen die Experten auf die Tatsache zurück, dass gerade die Dinge, die nicht an Hand konkreter Fakten beweisbar sind, immer länger brauchen, bis sie sich etabliert haben. Aus der Erfahrung können die Experten bestätigen, dass die Nachfrage nach Themen, die im direkten oder indirekten Zusammenhang zu Emotionaler Kompetenz stehen, gestiegen ist (z.B. Persönliche Kompetenz, Soziale Kompetenz, Rolle als Führungskraft, Erfolgsfaktor Führungspersönlichkeit).
Interview 18 Institution: Automobilhersteller Experte: Bereichsleiter Datum: 11.7.2006
Ort: Süddeutschland Bereich: Weiterbildung Uhrzeit: 13:00–13:30
Der Experte sieht in dem Konzept von Goleman den „Kern der Führungsarbeit“ abgebildet. Goleman hat über den Terminus Emotionale Intelligenz das Thema managementfähig gemacht, welcher in Bezug auf die Erfahrungswirklichkeit von Managern „hoch anschlussfähig“ ist. Das ist auch ein Grund für die hohe Resonanz. Dabei haben nach Ansicht des Experten Führungskräfte unterschiedlicher Generationen das Thema verschiedenartig aufge-
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griffen. Während die älteren Führungskräfte in dem Konzept eher eine Legitimation und Validierung für ihr häufig inkompetentes Verhalten gesehen haben: „Jetzt darf ich endlich offiziell so sein, wie ich bin als Manager!“ haben jüngere Führungskräfte eine Form der Selbstverständlichkeit gegenüber der Thematik entwickelt, weil „die im Grunde her schon mit so einer Emotionalisierung aufgewachsen sind“. Gerade bei dieser Generation ist die Thematik (Zulässigkeit von Gefühlen) schon viel stärker im common sense verankert als noch bei der davor. Der Experte sieht in der Thematik eine zentrale Herausforderung für Führungskräfte gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass es in absehbarer Zeit aufgrund diverser Entgrenzungsprozesse (Auflösung eindeutiger Klarheiten z. B. in Bezug auf Nation, Profession, Organisation) zu einer völligen Drehung der Kompetenzpyramide kommen wird, was heißt, dass vielfach Mitarbeiter geführt und gesteuert werden müssen, die fachlich u.U. wesentlich kompetenter sind. Hinzu kommt, dass keine stabilen Führungsbeziehungen mehr bestehen werden, weil etwa Organisationen sich permanent wandeln werden und Personal ständig auf-, ab- und umgebaut wird. In diesem Kontext können sich Führungskräfte nur noch „ein Stück weit über Methoden und […] Fachfragen verankern, aber das zentrale Führungsinstrument ist die Beziehungsqualität.“ Und gerade in der Steuerung von Beziehungen, aber auch in der Selbststeuerung, spielen Emotionen als Einflussvariablen eine große Rolle: Emotionen sind allgegenwärtig und steuern individuelles Verhalten. Nun besteht immer die Möglichkeit, diesem Tatbestand kompetent oder inkompetent zu begegnen. In Organisationen treten z.B. häufig Konflikte auf, die per Definition nicht zu lösen sind. Entgegen der klassischen Organisationslogik sind sie für Unternehmen aber überlebenswichtig, da durch sie neue Prozesse initiiert und verbessert werden können. Hier kommt dem Umgang mit Emotionen wieder ein besonderer Stellenwert zu, da es nicht darum geht, den Konflikt per se zu lösen, sondern vielmehr die in ihm liegende Substanz für das Unternehmen nutzbar zu machen. Gründe für die in der interdisziplinären Forschung noch sehr geringe Akzeptanz sieht der Experte in der nach wie vor noch immer vorherrschenden klassischen, rationalen Logik und der sehr kognitiven Aufstellung der Unternehmen, innerhalb derer Emotionen einfach eine Störvariable darstellen (z.B. rational choice theory). So heißt es nicht „ich fühle, also bin ich“, sondern „ich denke, also bin ich“. Gerade die Neurowissenschaften haben aber gezeigt, dass Emotionen an allen wichtigen Prozessen menschlichen Handelns beteiligt sind, und zwar kommen sie nicht erst am Schluss dazu, sondern stehen meist ganz am Anfang dieser. Dabei
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geht es schlussendlich nicht um rational oder emotional, sondern eher um die Integration beider Komponenten. Das Thema findet in der Praxis in unterschiedlichsten Formen immer wieder Einfluss, was auch notwendig ist: „Mittelfristig werden Organisationen, die dieses Thema nicht konstruktiv und produktiv aufgreifen, vom Markt verschwinden, weil sie einfach nicht die Adaptivität zum Markt hin entwickeln können, wenn sie nicht Emotionen als wichtige Informationen wahrnehmen.“ Eine Implementierung läuft meist über implizite Vorgehensweisen, wo also z.B. im Rahmen von Antistress-Programmen sehr viel an den Faktoren Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung gearbeitet wird und in diesem Kontext das Thema systematisch aufgegriffen wird.
Interview 19 Institution: Automobilhersteller Experte: Bereichsleiterin Datum: 11.7.2006
Ort: Süddeutschland Bereich: Managemententwicklung Uhrzeit:14:30–15:00
Die Expertin betrachtet das Konzept von Goleman kritisch. Es handelt sich dabei bestenfalls um eine ergänzende Kompetenz, die zum einen nicht wirklich neu ist und zum anderen in einem eher gleichberechtigten Verhältnis zu fachlich methodischen Fähigkeiten steht, weil nach Expertenansicht „Führung jetzt nicht nur auf die Interaktion zwischen Menschen fokussiert…“ Zwar sind fachliche Kompetenzen in ihrer Bedeutung stets in Abhängigkeit der Hierarchieebene zu betrachten („…es ist funktional sehr unterschiedlich, wie viel von Fach- oder Expertenwissen brauche ich noch“), doch spielen sie gerade als Rüstzeug für Führungskräfte eine essentielle Rolle. Diese Ausgewogenheit der Kompetenzen wird unternehmensintern durch die festgeschriebenen Leadership-Kriterien und deren Entwicklung bei den jeweiligen Führungskräften abgebildet. Insgesamt werden Handlungsspielräume von Führungskräften aber überschätzt. Zwar ist es eine zentrale Herausforderung von Führungskräften, in Zukunft in kürzeren Zyklen mit weniger Ressourcen noch mehr zu leisten, doch sind die Interventionsmöglichkeiten hier nur sehr gering. Gerade was die Motivation und Bindung von Mitarbeitern angeht, sind Führungskräfte nach Ansicht der Expertin nur bedingt in der Lage, Mitarbeiter zu motivieren („Die Frage ist ja sowieso, inwieweit kann ich als Führungskraft überhaupt die Motivation meiner Mitarbeiter direkt beeinflussen. Und da ist meine Haltung eher: die Möglichkeiten derer sind relativ gering.“) und zu binden („Also ich finde es schwierig: an wen fühlt sich ein Mitarbeiter loyal gebunden?“). Viel eher greift da das Prinzip der Selbstverantwortung der Mitarbeiter.
5.5 Analytische Kurzzusammenfassungen der Interviews
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Populär ist das Konzept deshalb geworden, weil der thematisierte Aspekt lange Zeit vollständig ausgeblendet wurde und durch die Arbeiten von Goleman salonfähig wurde. Das Ausmaß der Popularität ist Anzeichen dafür, dass bestimmte Themen zu bestimmten Zeiten immer mal wieder präsenter sind als zu anderen Zeiten. Momentan etwa liegt der Schwerpunkt ganz klar auf betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten, so dass für „exotische Themen“ wie Emotionale Kompetenz kein Raum ist: „Ich denke nur, dass wir nicht mehr in der Lage sein werden, dies tatsächlich als gesamtes Thema anzubieten.“ Die momentane Ausrichtung liegt ganz klar auf der wirtschaftlichen Seite. Zudem stellt die Thematik nicht etwas wirklich Neues dar. Dies erkennt man daran, dass die Teilnehmer auf entsprechende, vom Unternehmen angebotene, Entwicklungsmaßnahmen eher im Sinne von: „Ach ja, das ist das!“ reagieren.
Interview 20 Institution: Finanzdienstleister Experte: Managing Director Datum: 18.7.2007
Ort: Süddeutschland Bereich: Führungskräfteentwicklung Uhrzeit: 13:00–13:30
Der Experte sieht in dem von Goleman veröffentlichten Konzept einen elementaren Baustein für Führungsfähigkeit und Führungserfolg, wenngleich man das in Abhängigkeit der Hierarchieebene betrachten muss: „The more senior the more it makes a difference.“ Hier wird der Erfolg einer Führungskraft sehr stark dadurch determiniert, inwieweit sie in der Lage ist, „Stimmungen zu lesen und aufzugreifen und zu artikulieren, rechtzeitig zu reagieren, eine Vielfalt von Rollenwechseln annehmen zu können…“ Gerade durch zunehmende Prozesse der Veränderungsdynamik und Globalisierung und die mit ihr verbundenen Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten von Entwicklungen müssen Führungskräfte, damit sie erfolgreich zu führen in der Lage sind, über Kompetenzen verfügen, die nicht im fachlichen Bereich liegen: „Das sind Fähigkeiten, die stärker in die emotionale Intelligenzdimension spielen als in die reine analytische Kompetenz.“ Die Auseinandersetzung mit der Thematik und der eigenen Persönlichkeit bei Führungskräften hat daher nach Auffassung des Experten einen sehr hohen Nutzen für die berufliche Praxis. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Entwicklungen in der Führungskräfteetätigkeit, durch die das Thema Emotionale/Soziale Kompetenz wichtiger wird. Diese sind dadurch kennzeichenbar, dass sie nicht direkt, sondern eher indirekt wirken. Hierzu zählt der Umstand, dass Führungskräfte heterogene Mitarbeitergruppen führen müssen, innerhalb derer sie u.U. nicht mehr der beste Experte sind und gleichzeitig Entgrenzungsprozesse ablaufen, durch die z.B. Konkurrenten plötzlich zu Partnern werden. Hierdurch wird deutlich, dass das Beziehungs-
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management, im Rahmen dessen sozio-emotionale Kompetenzen ein wichtiger Einflussfaktor sind, immer wichtiger wird. Das Ausmaß indes ist abhängig vom Konjunkturzyklus und vom Kontext der Arbeitsinhalte: „In Zeiten, in denen die Ökonomie schlecht steht und die Wechselmöglichkeiten geringer sind, […], wird die Toleranz für schlechtere oder geringere Soziale Kompetenz wieder größer…“. Und in Bereichen, wo nur ein unterdurchschnittliches Maß an Qualifikation notwendig ist, spielt die Kompetenz auch eher eine untergeordnete Rolle: „Der Führungsstil in dem Umfeld, wo einer wenig employability hat, der mag sehr altmodisch […] sein, und Führungskräfte würden daran nicht scheitern.“ Emotionale Kompetenz ist für Führungskräfte also eher im Bereich von wissensbasierten Unternehmen von elementarer Wichtigkeit. Liegt die Kompetenz nicht vor, scheitert die Führungskraft oder muss den Mangel durch andere Kompetenzen überkompensieren. Das Konzept wird innerhalb des Unternehmens im Rahmen verschiedener Entwicklungsprogramme abgebildet, um die Effizienz der Führungskräfte zu erhöhen: „Das sehen wir als einen sehr sinnvollen Weg im Wachstum und in der Entwicklung von Mitarbeitern, das Thema Emotionen zu systematisieren und nicht zu sagen: „Der eine hat’s, der andere nicht.“ Gerade vor dem Hintergrund knapper Ressourcen müssen diese gezielt gefördert und entwickelt werden. Die Tatsache, dass das Thema in Deutschland noch nicht ausreichend integriert ist, hängt zum einen mit der Tatsache zusammen, dass das Oberthema Leadership in Deutschland sowohl von der Psychologie als auch BWL, wenn überhaupt, nur sehr technokratisch, mathematisch und modellhaft aufgegriffen wird. Zum anderen ist die althergebrachte Tradition der Disziplinentrennung in der Wissenschaft heutzutage nicht mehr in der Lage, interdisziplinäre Probleme zu lösen. Für die Zukunft plädiert der Experte für mehr konstruktive Interdisziplinarität.
Die obigen Kurzusammenfassungen der Interviews werden in den folgenden Abschnitten gemäß der dargelegten Vorgehensweise ausgewertet. Um die Aussagen der Interviewer übergreifend zusammenführen zu können, soll eine Typenbildung der Experten vorgenommen werden, die einen Vergleich dieser auf Grundlage einer reduzierten Anzahl von Merkmalen ermöglicht.
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5.6 Typenbildungen Die in Abschnitt 5.4.7 bereits beschriebene Vorgehensweise der Typenbildung verläuft hierbei vier Schritten. In Schritt 1 werden anhand der einzelnen Interviews relevante Merkmalsräume und -ausprägungen zur Vergleichbarkeit systematisch erarbeitet, bevor in Schritt 2 empirische Regelmäßigkeiten erhoben werden. Nach einer Reduktion und Gruppierung der verwendeten Merkmalsräume bzw. deren Ausprägungen werden in Schritt 3 inhaltliche Sinnzusammenhänge anhand spezifischer Merkmalskombinationen zu erklären versucht, was einer Typenbildung gleich kommt. Schritt 4 stellt dann eine abschließende Charakterisierung der gebildeten Expertentypen dar.
5.6.1 Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen und Merkmalsräume Bereits bei der Durchführung der Interviews wurde deutlich, dass ein großer Teil der Experten auf eine Vielzahl der im Fragenkatalog angesprochenen Fragestellungen nicht einging. Dies wurde von Seiten der Experten z.T. in Vorgesprächen bereits avisiert, da diese sich bei einigen Fragestellungen aufgrund der Komplexität zu einer Beantwortung nicht in der Lage sahen. In anderen Interviews konnte durch das Antwortverhalten rück- geschlossen werden, dass sich die Fragestellung aus dem Erfahrungswissen des Experten heraus nicht beantworten ließ. So generierte in diesen Fällen auch erneutes Nachfragen an spezifischen Punkten keine weiteren Informationen. Im Ergebnis liegen nun sehr heterogene Antwortstrukturen vor, so dass hinsichtlich einer Vergleichbarkeit eine Vielzahl von Merkmalsräumen und Merkmalsausprägungen existiert. Vor dem Hintergrund der Typenbildung wurden mit dem Ziel der Systematisierung des Antwortmaterials und der Verbesserung der Übersicht diese noch vor dem ersten Schritt reduziert. Dies bedeutet, dass besonders die nur theoretisch vorkommenden Merkmalsräume und -ausprägungen aus dem Fragenkatalog nicht weiter aufgeführt werden, sondern sich lediglich an dem empirisch erhobenen und gleichzeitig für die Auswertung bedeutsamen Material orientiert wird. Im Folgenden werden als Oberpunkte die Merkmalsräume sowie als Unterpunkte deren Ausprägungen aufgeführt, die in die Auswertung mit aufgenommen wurden. Hierbei wurden ähnliche Interviewäußerungen auf einem aggregierten Niveau einer Merkmalsausprägung zuzuordnen versucht. Daher findet sich bei diesen zusätzlich eine kurze Beschreibung, so dass nachvollziehbar wird, welche Äußerungen der einzelnen Interviews letztlich unter welcher Merkmalsausprägung zusammengefasst wurden. Diese Vorgehensweise soll an einem Bei-
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spiel verdeutlicht werden: ein Experte spricht im Rahmen des Interviews unterschiedliche Gründe für die Popularität der Thematik an. Dies stellt dann einen Merkmalsraum dar. Die geäußerten Gründe selbst bilden die Merkmalsausprägungen, wobei z.B. der Ausprägung Defizitbeseitigung bestehender Führungspraktiken unterschiedliche Äußerungen zugeordnet werden, die einander sehr ähnlich sind und daher zusammengefasst werden können. Im Verlauf der Interviews ging es einerseits sehr allgemein um die Thematik Bedeutung von Emotionen für Führungskräfte und andererseits speziell um das von Goleman (1995, 2003) in diesem Zusammenhang veröffentlichte Konzept der Emotionalen Intelligenz. Bei der Auswertung wurde versucht, diesen Tatbestand so weit wie möglich zu berücksichtigen. So werden im Folgenden die Passagen, wo es eindeutig nur um das Übergeordnete geht, mit Thematik bezeichnet (Punkte 1, 2). An dieser Stelle geht es losgelöst vom Konzept der Emotionalen Intelligenz also nur um Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess. Diejenigen Passagen hingegen, wo es konkret um die Systematisierung dieser Erkenntnisse im Rahmen des Konzepts der Emotionalen Intelligenz geht sowie um die Bewertung und Einschätzung dieses, wird mit Konzept gekennzeichnet (Punkt 3). Die übrigen Punkte 4, 5, 6, 7, 8 und 9 umfassen beide Aspekte und werden daher nicht extra kenntlich gemacht. Folgende Merkmalsräume und -ausprägungen können festgehalten werden: 1. Gründe für die Zunahme der Popularität der Thematik Umgang mit Emotionen im Arbeits- und Führungskontext a. Defizitbeseitigung bestehender Führungspraktiken Die Wirkmächtigkeit sachorientierter Führung ist sehr begrenzt. Führungskräfte benötigen ein breites Führungsrepertoire, was auch den Umgang mit Emotionen einschließt. Außerdem erfordern unterschiedliche Wandelprozesse eine Erhöhung und Modifikation der Führungskompetenz. Die Führungsforschung war lange Zeit auf der Suche nach erweiternden Kompetenzen, die die durch überwiegend sachorientierte Führung entstandenen Defizite auszugleichen im Stande war. b. Emotionen erhalten als Thema insgesamt mehr Bedeutung Emotionen wurden lange Zeit, gerade im Rahmen von Führung, bewusst auszublenden versucht. Fortschritte in der Gehirnforschung und die Allgegenwärtigkeit der Thematik in verschiedenen Gesellschaftsbereichen, wie z.B. den Medien, stützen sie hierbei.
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c. Vollzug eines Wertewandels im Rahmen ökonomischer Sättigung Die Nachkriegsgeneration scheidet langsam aus der aktiven Arbeitnehmerkohorte aus. Dies führt dazu, dass das primäre Streben nach ökonomischer Sicherheit und Wohlstand abgelöst wird durch Faktoren wie z.B. Selbstverwirklichung, Partizipation etc. Emotionale Themen gelangen in diesem Zusammenhang, auch in der Arbeitswelt und im Kontext der Organisation, mehr und mehr an die Oberfläche. d. Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber ändert sich Es vollzieht sich eine stetige Demokratisierung der Unternehmen. Durch Befehl und Gehorsam geprägte Strukturen werden abgelöst, Hierarchieebenen flachen ab, wobei der Arbeitnehmer innerhalb der Unternehmung zunehmend mündiger wird. Die Bedeutung der work life balance verstärkt sich für beide Seiten. Die Ressource Mensch wird für ein Unternehmen zunehmend wichtiger. Das Thema Emotionen und der Umgang mit ihnen spielen hier implizit mit hinein. e. Rolle Mann/Frau ändert sich Frauen gelangen verstärkt in Führungspositionen. f. Emotionale Kompetenz als Karrierefaktor Führungskräfte mit hohem Maß an weichen Kompetenzen sind beruflich erfolgreicher. g. Einsichtigkeit des Konzepts Die Notwendigkeit des kompetenten Umgangs mit Emotionen und das diesbezüglich entwickelte Konzept der Emotionalen Intelligenz sind für jedermann nachvollziehbar. Das hohe Maß an Popularität ergibt sich aus der individuellen Anwendbarkeit. h. Marketingstrategie Die Popularität der Thematik ist auf den gezielten Einsatz unterschiedlicher Marketinginstrumente zurückführbar. 2. Gründe für die Bedeutung der Thematik Umgang mit Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess a. Umgang mit Emotionen ist ein wichtiges Führungsinstrument Der Umgang mit den Emotionen der Mitarbeiter bildet den Kern der Führungsarbeit ab, da Emotionen eine organisationsimmanente Variable darstellen, die es zu regulieren gilt. Gerade wenn es um die Lenkung und Steuerung von Mitarbeitern geht, sind von Seiten der Führungskraft elementare Fähigkeiten zum Umgang mit Emotionen not-
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5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis wendig. Emotionale Intelligenz/Kompetenz ist also ein key performance indicator, der z.B. eine zentrale Voraussetzung für das Management von Veränderungen darstellt. b. Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen Unternehmen müssen die in Form von allgemeinem und spezifischem Humankapital gebundenen Ressourcen langfristig an sich binden, um zu vermeiden, dass Humankapitalinvestitionen verloren gehen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Der Umgang mit Emotionen als allgemeine Managementfähigkeit bildet hierbei die Voraussetzung für ein erfolgreiches Beziehungsmanagement. c. Heterogenität des Arbeitnehmerpools erfordert spezielle Kompetenzen Durch die demographische Entwicklung und verschiedene Prozesse wie zunehmende Internationalisierung und Globalisierung werden die zu führenden Mitarbeiterarbeitergruppen in ihrer Struktur immer heterogener. Hinzu kommt, dass die Kompetenzpyramide kippt: Der Vorgesetzte ist also seinen Mitarbeitern nicht mehr automatisch fachlich überlegen. Weiche Kompetenzen und der Umgang mit Emotionen bilden hier einen zentralen Zugang zu den heterogenen Belegschaften.
d. Sicherstellung der Arbeitgeberattraktivität Vor dem Hintergrund des war for talents müssen Unternehmen ihre Attraktivität für potentiellen Nachwuchs sichern. Dieser hat zukünftig, was die Wahl des Arbeitsplatzes angeht, aufgrund der demographischen Entwicklung einen gewissen Entscheidungsspielraum. Gerade das durch den Umgang mit Emotionen geprägte Organisationsklima stellt ein entscheidendes Selektionskriterium bei der Arbeitsplatzwahl dar. e. Verbesserung der Arbeitnehmerproduktivität Durch beziehungsorientierte Führung kann die Produktivität der Arbeitnehmer entscheidend verbessert werden. Gleichzeitig können z.B. organisationsökonomische Defizite wie Arbeitszurückhaltung (shirking) verhindert werden. Hierfür müssen aber emotionale Wirkmechanismen, die spezifische Verhaltensweisen determinieren, berücksichtigt werden. 3. Bewertung des Konzepts: Umgang mit Emotionen für Führungskräfte a. Elementarkonzept Vor dem Hintergrund, dass Emotionen die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen bilden, stellen der kompetente Umgang mit Emotionen und das von Gole-
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man veröffentlichte Konzept keinen Selbstzweck dar, sondern bildet vielmehr die Grundlage für darauf aufbauende Konzepte, die im Rahmen von Mitarbeiterführung elementar sind (diverse soziale Führungsfähigkeiten). Auch fließt der Umgang mit Emotionen in fachlich methodische Konzepte mit hinein, indem er sie in ihrer Wirkung unterstützt. b. Zusatzkonzept Der Umgang mit Emotionen und Golemans Konzept sind lediglich Zusatzkonzepte, welche in ihrer Bedeutung stets in Abhängigkeit der anderen gesehen werden müssen. c. Alter Wein in neuen Schläuchen Das Konzept (kompetenter Umgang mit Emotionen) stellt kein wirkliches Novum dar, sondern enthält durchweg altbekannte Tatsachen, die vor dem Hintergrund höherer Marktdynamiken wieder wichtig geworden sind. 4. Prognose der zukünftigen Entwicklung a. positiv Die Thematik entwickelt sich wellenförmig: dies bedeutet, dass sie zu bestimmten Zeitpunkten überbetont und zu anderen wiederum unterbetont ist. Insgesamt bildet das Konzept aber die Grundlage für einen substanzvollen Trend und wird in Zukunft fester Bestandteil der Führungskräfteentwicklung sein. b. neutral Die Thematik ist längst integriert. Es handelt sich also weder um einen Trend noch um eine Managementmode. c. negativ Die Thematik ist als Managementmode zu bezeichnen und muss daher wieder auf ein Normalmass zurückgeführt werden. Die dem Konzept entgegengebrachte Aufmerksamkeit ist nicht gerechtfertigt. 5. Harte vs. weiche Kompetenz in der beruflichen Praxis einer Führungskraft a. harte Kompetenzen überwiegen Die harten Kompetenzen wie Fach- und Methodenwissen überwiegen im Führungsalltag.
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b. Das Verhältnis ist ausgeglichen Das Verhältnis ist ausgeglichen. Beide Kompetenzen haben also den gleichen Stellenwert in der Führungspraxis. c. weiche Kompetenzen überwiegen bzw. unterstützen die harten elementar Weiche Kompetenzen überwiegen. Dies bedeutet nicht, dass fachliche an Bedeutung verlieren, nur kommen die harten erst durch die Stützung mit weichen voll zum Tragen. 6. Bewertung der interdisziplinären Entwicklung a. ineffiziente Forschungstraditionen Durch überwiegende Disziplinentrennung als Besonderheit deutscher Forschungskultur wird das Thema nur unzureichend weiter entwickelt. Auch die starke Diskrepanz zwischen theoretischen Forschungsergebnissen und praktischer Relevanz dämpft diesen Prozess zusätzlich, da keine praxisorientierte Forschung stattfindet. b. Persönlichkeitsbild der Forscher Die Weiterentwicklung der Thematik ist mangelhaft und zu einem großen Teil auf die Persönlichkeitsbilder vieler Forscher zurückzuführen. Diese stehen der Thematik sehr skeptisch gegenüber oder lehnen sie vollends ab bzw. halten sie für vernachlässigbar und treiben ihre Entwicklung daher nachhaltig nicht voran. c. geringe Akzeptanz wegen mangelhafter Validierung Aufgrund bisher nur mangelhafter bzw. widersprüchlicher Validierungsversuche hat das Konzept von Goleman nur ein geringes Maß an Anerkennung erlangt und wird somit auch nur sehr zögerlich weiterentwickelt. d. undifferenzierte Aufmachung/unkluge Begriffswahl Durch eine undifferenzierte und allzu populäre Aufmachung der Thematik und eine unkluge Begriffswahl (Verwendung des Intelligenzbegriffs) hat Goleman starke Reaktanzen in der wissenschaftlichen Gemeinde hervorgerufen und somit die Entwicklung des Themas bereits im Keim erstickt.
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7. Kritik a. Validierung mit quantitativen Daten fehlt Es fehlen Ansätze, die sich mit der systematischen Quantifizierung der Bedeutung des Themas beschäftigen und auf signifikantem Niveau nachweisen, dass Emotionen einen zentralen Einflussfaktor darstellen. b. Ansätze zur Implementierung fehlen Zwar gibt es bezüglich des Konzepts von Goleman durchaus schon Ansätze auf konzeptioneller Ebene. Dieser hat sich jedoch hauptsächlich um die Frage des ob (ob das Thema wichtig ist) gekümmert und weniger um die Frage des wie (wie es implementiert und angewendet werden kann). Diesbezüglich fehlen also noch entsprechende Ansätze. c. nicht nur Führungskräfte, auch Mitarbeiter sind zu integrieren Die Thematik ist nicht nur für Führungskräfte von Bedeutung. Auch die Mitarbeiter selbst müssen einbezogen werden. d. Thematik wurde lange Zeit missverstanden Die Thematik Kompetenter Umgang mit Emotionen wurde lange Zeit missverstanden und häufig mit einer Aufweichung der Führungsbeziehung gleichgesetzt, wo Emotionen zum alleinigen und unkontrollierten Handlungstreiber werden. Das Gegenteil ist der Fall: Emotionen müssen als betriebswirtschaftliche Variable erkannt und genutzt werden. 8. Bedeutung für unterschiedliche Hierarchieebenen a. eher obere Hierarchieebene Die Thematik betrifft eher die oberen Führungsebenen. b. eher untere Hierarchieebene Die Thematik betrifft eher die unteren Führungsebenen. c. beide Hierarchieebenen Alle Führungsebenen sind von der Thematik gleichermaßen betroffen.
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9. Formen der Implementierung a. implizit Eine Implementierung findet am geeignetsten im Rahmen von impliziten Maßnahmen statt. So wird das Thema z.B. im Rahmen von Verhandlungstrainings oder Seminaren zur Stressbewältigung eingebunden. b. explizit Das Thema wird konkret als eigenständige Maßnahme implementiert. Zusammenfassend werden mit dem Ziel der besseren Übersichtlichkeit tabellarisch alle Merkmalsräume sowie deren Ausprägungen dargestellt (s. Tabelle 9). Merkmalsräume
Gründe für die Zunahme der Popularität der Thematik Umgang mit Emotionen im Arbeitsund Führungskontext
Gründe für die Bedeutung der Thematik Umgang mit Emotionen im Arbeits- und Führungskontext Bewertung des Konzepts: Umgang mit Emotionen für Führungskräfte Prognose der zukünftigen Entwicklung
Harte vs. weiche Kompetenzen in der beruflichen Praxis einer Führungskraft
Bewertung der interdisziplinären Entwicklung
Kritik
Bedeutung für unterschiedliche Hierarchieebnen Formen der Implementierung
Merkmalsausprägungen Defizitbeseitigung bestehender Führungstechniken Emotionen erhalten als Thema insgesamt mehr Bedeutung Verhältnismäßigkeit Arbeitnehmer/Arbeitgeber ändert sich Rolle Mann/Frau ändert sich Emotionale Kompetenz als Karrierefaktor Einsichtigkeit des Konzepts Marketingstrategie Umgang mit Emotionen ist ein wichtiges Führungsinstrument Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen Heterogenität des Arbeitnehmerpools erfordert spezielle Kompetenzen Sicherung der Arbeitgeberattraktivität Verbesserung der Arbeitnehmerproduktivität Elementarkonzept Zusatzkonzept alter Wein in neuen Schläuchen Positiv Neutral Negativ harte Kompetenzen überwiegen Verhältnis ist ausgeglichen weiche Kompetenzen überwiegen bzw. unterstützen die harten elementar ineffiziente Forschungstraditionen Persönlichkeitsbild der Forscher geringe Akzeptanz wegen mangelhafter Validierung undifferenzierte Aufmachung/unkluge Begriffswahl Validierung mit quantitativen Daten fehlt Ansätze zur Implementierung fehlen nicht nur Führungskräfte, auch Mitarbeiter sind zu integrieren Thematik wurde lange Zeit missverstanden eher obere Hierarchieebene eher untere Hierarchieebene beide Hierarchieebenen Implizit Explizit
Tabelle 9: Übersicht Merkmalsräume und Merkmalsausprägungen Quelle: eigene Darstellung
5.6 Typenbildungen
207
5.6.2 Gruppierung der Fälle und Analyse der empirischen Regelmäßigkeiten Nach der Erstellung der Merkmalsräume und Darlegung der Merkmalsausprägungen sollen die Aussagen der Experten diesen nun zugeordnet werden, wobei dies implizit schon in Stufe 1 passiert ist. Die generierten Informationen werden auch auf dieser Stufe weiterhin systematisch reduziert. Die Gruppierung der Fälle und die Analyse empirischer Regelmäßigkeiten laufen daher wie folgt ab: in der nachfolgenden Übersicht sind sowohl die Merkmalsräume als auch die jeweiligen Merkmalsausprägungen dargestellt, wobei der Klammerwert die jeweilige relative Häufigkeit der Merkmalsausprägung in Bezug auf die Interviews angibt (Defizitbeseitigung bestehender Führungspraktiken wurde von 15 Experten als Grund für die Zunahme der Popularität der Thematik genannt). Die nur sehr selten vorkommenden Ausprägungen (kursiv gedruckt) werden hierbei eliminiert, es sei denn, es handelt sich bei ihnen um ein differenzierendes Kriterium (Beispiel Punkt 4: Prognose der zukünftigen Entwicklung; negative Einschätzung wird von nur drei Experten genannt, stellt aber ein differenzierendes Kriterium dar). Diese reduzierte Anzahl an Merkmalsausprägungen bildet dann die Grundlage für die Stufe 3, wo in Tabellenform die einzelnen Ausprägungen den jeweiligen Interviews zugeordnet werden und die Kombinationen der Feldbelegungen analysiert werden. 1. Gründe für die Zunahme der Popularität der Thematik a. Defizitbeseitigung bestehender Führungspraktiken (15) b. Emotionen erhalten als Thema allgemein mehr Bedeutung (14) c. Vollzug eines Wertewandels im Rahmen ökonomischer Sättigung (11) d. Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber ändert sich (13) e. Rolle Mann/Frau ändert sich (2) f. Emotionale Kompetenz als Karrierefaktor (3) g. Einsichtigkeit des Konzepts (3) h. Marketingstrategie (3) 2. Gründe für die Bedeutung der Thematik im Arbeits- und Führungsprozess a. Umgang mit Emotionen ist ein wichtiges Führungsinstrument (19) b. Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (14) c. Heterogenität des Arbeitnehmerpools erfordert spezielle Kompetenzen (3) d. Sicherstellung der Arbeitgeberattraktivität (6) e. Verbesserung der Arbeitnehmerproduktivität (12)
208
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
3. Bewertung des Konzepts a. Elementarkonzept (14) b. Zusatzkonzept (6) c. alter Wein in neuen Schläuchen (5) 4. Prognose der zukünftigen Entwicklung a. positiv (16) b. neutral (1) c. negativ (2) 5. Harte vs. weiche Kompetenz in der beruflichen Praxis einer Führungskraft a. harte Kompetenzen überwiegen (1) b. Verhältnis ist ausgeglichen (5) c. weiche Kompetenzen überwiegen bzw. unterstützen die harten (14) 6. Bewertung der interdisziplinären Entwicklung a. ineffiziente Forschungstraditionen (6) b. Persönlichkeitsbild der Forscher (1) c. Akzeptanz gering wegen mangelhafter Validierung (7) d. undifferenzierte Aufmachung/unkluge Begriffswahl (2) 7. Kritik a. Validierung mit quantitativen Daten fehlt (3) b. Ansätze zur Implementierung fehlen (5) c. nicht nur Führungskräfte, auch Mitarbeiter sind zu integrieren (1) d. Konzept wurde lange Zeit missverstanden (1) 8. Bedeutung für unterschiedliche Hierarchieebenen a. eher obere Hierarchieebene (8) b. beide Hierarchieebenen (8) 9. Formen der Implementierung a. Implizit (17)
5.6.3 Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und Typenbildung In dieser Stufe soll das Zusammentreffen bestimmter Merkmale betrachtet und analysiert werden. Hierbei besteht das Ziel darin, Sinnzusammenhänge innerhalb der Tabelle 10 aufzu-
5.6 Typenbildungen
209
210
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
decken, die es ermöglichen, auf Grundlage bestimmter, reduzierter Merkmalskombinationen eine Typenbildung vorzunehmen. In Tabelle 10 sind die ersten acht Merkmalsräume mit ihren reduzierten Ausprägungen aufgeführt und den jeweiligen Experteninterviews zugeordnet. Einzig Punkt 9, der kein differenzierendes Kriterium bildet, da er von fast allen Experten ausschließlich einheitlich beantwortet wurde, wurde nicht mit aufgenommen. Die einzelnen Merkmalsausprägungen lassen sich den jeweiligen Experteninterviews wie dargestellt zuordnen. Bei der angestrebten Typenbildung geht es nun um die Analyse von Kombinationen von Merkmalsausprägungen in Bezug auf die entsprechenden Experten. Merkmalsraum 8 wurde nicht in die Auswertung mit aufgenommen, da die Ausprägungen sich nicht systematisch mit den anderen Ausprägungen in Verbindung bringen ließen, ohne dass Inkonsistenzen auftraten. Daher existieren für die weitere Analyse, bezogen auf sieben Merkmalsräume, insgesamt 22 Ausprägungen, die durch Auswertung der 20 Experteninterviews zusammengetragen wurden. Im Hinblick auf die angestrebte Typenbildung muss diese hohe Informationsmenge durch Verdichtung weiter verringert werden, um zu aussagefähigen Ergebnissen zu gelangen. Diesbezüglich können einige Merkmalsräume aufgrund hoher Ähnlichkeit zusammengefasst werden. Und auch die Merkmalsausprägungen selbst können durch Gruppierung in eine binäre Form überführt und somit zahlenmäßig deutlich minimiert werden. Insgesamt kann auf diese Weise die Anzahl der Merkmalsräume auf vier, die Anzahl der dazugehörigen Ausprägungen auf jeweils zwei reduziert werden. Bei der Reduktion und Verdichtung der Daten wurde wie folgt vorgegangen: Die Merkmalsräume Gründe für die Popularität des Themas und Gründe für die Bedeutung des Themas bzw. deren Ausprägungen lassen Rückschlüsse zu, inwieweit differenzierte Kenntnisse seitens des Experten darüber bestehen, wodurch die Popularisierung der Thematik zu erklären ist und inwieweit sie im Führungsalltag von Bedeutung ist. Aus diesem Grund können sie zusammengefasst werden und bilden ein übergeordnetes Kriterium (Kriterium 1). Das Kriterium kann eine positive und eine negative Ausprägung annehmen. Im positiven Fall kann der Experte mindestens ein Argument aus mindestens einem der beiden ursprünglichen Räume nennen, im negativen Fall nicht. Die Räume Bewertung der interdisziplinären Entwicklung und Kritik signalisieren, inwieweit sich der Experte kritisch mit der auf der Thematik aufbauenden Konstruktion systematischer Ansätze im Umgang mit Emotionen auseinandergesetzt hat. Das Kriterium bezieht sich implizit schon auf das Konstrukt von Goleman, da dieses einen solchen Ansatz darstellt, auf den
5.6 Typenbildungen
211
sich die meisten Autoren beziehen. Sie werden ebenfalls zu einem Kriterium (Kriterium 2) zusammengefasst. Bei positiver Ausprägung wird ebenfalls mindestens ein Argument aus mindestens einem der zwei ursprünglichen Räume genannt, bei negativer nicht. Während Kriterium 1 sich also ausschließlich auf die grundlegende Thematik Emotionen im Arbeits- und Führungskontext bezieht, zielt Kriterium 2 auf die damit in Verbindung zu bringende, notwendig werdende, Systematisierung ab. In Bezug auf das Kriterium 3 stellt das Kriterium 2 eine Art Vorstufe dar. Bei Kriterium 3 geht es konkret um das Konzept der Emotionalen Intelligenz geht. Die Räume Bewertung des Konzepts und harte vs. weiche Kompetenzen gehen nach Auswertung der Interviews bei konsistenter Beantwortung miteinander einher: Wer weiche Kompetenzen in ihrer Bedeutung als überwiegend ansieht und der Meinung ist, dass weiche Kompetenzen überall mit hineinfließen, wer also die Thematik Umgang mit Emotionen für Führungskräfte insgesamt positiv beurteilt, der muss zwangsläufig den kompetenten Umgang mit Emotionen, etwa in Form von Emotionaler Intelligenz, auch aus konzeptioneller Sicht als elementar ansehen. Umgekehrt führt die Auffassung der Ausgeglichenheit der Kompetenzen bzw. die Ansicht, dass harte Kompetenzen überwiegen dazu, dass der Umgang mit Emotionen eher ein Zusatzkonzept darstellt. Das Kriterium 3 kann also eine positive und eine negative Ausprägung annehmen. Die Ausprägung „alter Wein in neuen Schläuchen“ wird nicht in die Analyse mit einbezogen, da es sich wertungsneutral unabhängig beiden Ausprägungen zuordnen lässt. Hiervon unabhängig ist der Merkmalsraum Prognose der zukünftigen Entwicklung (Kriterium 4). Die Experten sehen die zukünftige Entwicklung entweder positiv-neutral, weil ihrer Meinung nach das Thema zusätzlich noch an Bedeutung gewinnen wird oder schon vollständig integriert ist. Oder aber sie halten die der Thematik entgegengebrachte Aufmerksamkeit für überzogen, die wieder auf ein Normalmaß zurückgeführt werden muss, was für eine negative Prognose spricht. Jeder Experte kann, wie in Tabelle 10 dargestellt, durch eine bestimmte Merkmalskombination charakterisiert werden, welche sich durch die Zusammenfassung zu Kriterien in ihrer Komplexität reduzieren lässt. Die Zusammenfassung zu übergeordneten Kriterien erfolgte hierbei anhand zentraler Forschungsfragen, die es im Rahmen der Auswertung zu beantworten galt, um die Experten möglichst aussagefähig typisieren zu können. Die hinter den Kriterien stehenden (verkürzten) Fragen werden im Folgenden aufgeführt, um die Konstruktion der Kriterien transparent zu machen.
212
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Kriterium 1: Wie wird die Thematik Emotionen im Arbeits- und Führungskontext von den Befragten grundlegend eingeschätzt? Kriterium 2: Wie wird die Entwicklung entsprechender Konzepte diesbezüglich bewertet und kritisiert? Auch wenn es, wie noch in Kapitel 6 zu zeigen sein wird, weitere gibt, beziehen die Experten sich ausschließlich auf Goleman. Kriterium 3: Wie wird konkret das von Goleman postulierte Konzept eingeschätzt? Kriterium 4: Wie wird die Entwicklung der Thematik Emotionen im Arbeits- und Führungskontext sowie Systematisierungsversuche im Umgang mit diesen beurteilt? Die inhaltlichen Sinnzusammenhänge der einzelnen Kriterienkombinationen sollen im Endergebnis in eine Typenbildung überführt werden. Daher wird durch die sequentielle Einbeziehung der vier gebildeten Kriterien und ihrer binären Ausprägungen im Folgenden versucht, relevante Merkmalskombinationen in Bezug auf die geführten Experteninterviews zu erarbeiten, die im Anschluss daran dann analysiert werden. Durch die sequentielle Einbeziehung kann man, ähnlich der Konstruktion eines Entscheidungsbaumes, nicht nur die Merkmalskombination genauer darlegen, sondern auch ihre Entstehung: Die Zuweisung einer Merkmalskombinationen abgebildet durch die Kriterien wird somit nachvollziehbar. Die Reihenfolge der Einbeziehung der Kriterien ist für das Ergebnis unerheblich, wenngleich einige Kriterien unter Konsistenzgesichtspunkten in Abhängigkeit zueinander stehen (siehe unten). Die Übersichtlichkeit der Ergebnisse hingegen hängt jedoch in erheblichem Maße von ihr ab. Die fett hinterlegten Äste des Kombinationsbaumes kennzeichnen die durch die inhaltliche Auswertung der Interviews ermittelten Pfade zu den grau hinterlegten spezifischen Merkmalskombinationen A, C, D, E und H. Der Baum stellt sich – wie in Abbildung 15 gezeigt – dar. Allen Merkmalskombinationen gemein ist, dass sie auf eine positive Ausprägung des ersten Kriteriums zurückführbar sind. Die Interviewpartner wurden nach feststehenden Kriterien für die Befragung ausgewählt (siehe Abschnitt 5.4.3 Stichprobenspezifikation: Auswahl der Experten). Eine mehr oder weniger differenzierte Einschätzung von Seiten der Experten hinsichtlich der Merkmalsräume von Kriterium 1 wurde hierbei vorausgesetzt. Daher konnte
213
5.6 Typenbildungen
P
A
E 4 N
3
B
P
C ja
4 Z
D N
Filter: 2
1
P
E
E 4 nein
F N
3
P
G 4 Z
H N
1
Filterkriterium: Werden Gründe für die Zunahme der Popularität der Thematik bzw. Gründe für ihre Bedeutung im Arbeits- und Führungsprozess genannt? (ja)
2
Wird Kritik geäußert bzw. wird die interdisziplinäre Entwicklung kommentiert? (ja/nein)
3
Wie wird das Konzept bewertet und wie wird das Verhältnis von harten zu weichen Kompetenzen gesehen? (Elementarkonzept vs. Zusatzkonzept)
4
Wie wird die zukünftige Entwicklung prognostiziert? (positiv vs. negativ)
Abbildung 15: Kombination der Expertenmerkmale Quelle: eigene Darstellung
diesbezüglich im Rahmen der Auswertung auch keine negative Ausprägung des Kriteriums dokumentiert werden, so dass dieses als Filterkriterium vorgeschaltet wurde. Es ist anzumerken, dass eine negative Ausprägung des Kriteriums 1 Kennzeichen für ein inkonsistentes Antwortverhalten gewesen wäre: ein Experte kann nicht Kritik äußern oder die Thematik bzw. das aus ihr hervorgehende Konzept bewerten, ohne sich vorher mit diesem auseinandergesetzt zu haben. Das Kriterium 2 ist somit abhängig von der, in diesem Fall positiven, Ausprägung des Kriteriums 1. Seine Ausprägung (Kriterium 2) signalisiert, inwieweit eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik stattgefunden hat.
214
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Unabhängig von der Ausprägung des Kriteriums 2 kann das Kriterium 3 zwei Ausprägungen annehmen, die beide im Gesamtkontext konsistent sein können. So können beide gleichermaßen die Grundlage für die zwei möglichen Bewertungen sein. Die Einschätzung als Elementar- oder Zusatzkonzept ist also unabhängig davon. Kriterium 4 wiederum ist in Abhängigkeit von Kriterium 3 zu sehen, wenngleich hier nicht zwangsläufig Inkonsistenzen auftreten müssen. Eine positive Prognose steht zwar in gewissem Widerspruch zu Bewertung als Zusatzkonzept, weil letzteres ein Indiz dafür ist, dass die Thematik für überwertet eingeschätzt wird und man implizit für eine Rückführung auf ein Normalmaß plädiert. Nichtsdestotrotz existiert ein solcher Fall (C), was aber, wie in Stufe 4 erklärt wird, keine Inkonsistenz darstellt. Die belegten Felder A, C, D, E und H stellen aufgrund der spezifischen Merkmalskombinationen empirisch beobachtbare Typen dar, die in der nächsten Stufe beschrieben und charakterisiert werden.
5.6.4 Charakterisierung der gebildeten Typen In dieser Stufe sollen die gebildeten Typen exakt beschrieben und hinsichtlich ihrer differenzierenden Eigenschaften präzisiert werden. Den Abschluss bildet dann die Zuweisung einer charakteristischen Kurzbezeichnung. Die Reihenfolge der Beschreibung orientiert sich an der Ähnlichkeit der Typen. Typ E hat sich systematisch mit der Thematik auseinandergesetzt, da beide Merkmalsräume von Kriterium 1 anhand von mindestens einer Ausprägung angesprochen wurden (siehe Tabelle 10). Eine kritische Betrachtung bzw. Auseinadersetzung mit der interdisziplinären Entwicklung der Thematik hat dabei nicht stattgefunden. Dies kann u. U. auf die insgesamt sehr positive Einschätzung und die positiv prognostizierte Entwicklung zurückgeführt werden: der Umgang mit Emotionen wird als Elementarkonzept bewertet, da im Führungsalltag die weichen Kompetenzen überwiegen. Typ E kann daher als Der Überzeugte bezeichnet werden, da er die von anderen Experten geäußerten Kritikpunkte vermutlich eher für vernachlässigbar hält oder aber der Meinung ist, dass das Potential des Konzepts die existierenden Defizite überkompensiert. Typ E trifft auf die Experten 1, 4, 5 und 15 zu. Typ A unterscheidet sich von Typ E ausschließlich durch die Tatsache, dass die interdisziplinäre Entwicklung kommentiert bzw. vorhandene Kritik geäußert wird. Typ A sieht zwar ähnlich wie Typ E in der Thematik ein hohes Potential, weist jedoch auch auf existierende
5.6 Typenbildungen
215
Schwachpunkte hin. Die überaus positive Sichtweise von Typ E wird also nicht in vollem Maße geteilt, so dass Typ A als Der Realist bezeichnet werden kann. Die Gesamttendenz bezüglich der Thematik ist insgesamt aber eher positiv. Die Experten 2, 7, 8, 10, 13, 14, 16, 17, 18 und 20 können diesem Typ zugeordnet werden. Typ C hat Ähnlichkeit mit Typ A. Beide unterscheiden sich lediglich dadurch, dass Typ C den Umgang mit Emotionen nur als Zusatzkonzept betrachtet und ihm keine elementare Bedeutung zuspricht. Dies stellt eigentlich einen Widerspruch zu Kriterium 4 dar, da die Entwicklung der Thematik, wie bei Typ A, insgesamt positiv eingeschätzt wird. Dennoch wird diese Inkonsistenz nicht als solche gewertet. Vielmehr kann den Äußerungen der Experten 3, 11 und 12 entnommen werden, dass sie sich bei der Bewertung des Konzepts unabhängig von ihrer insgesamt positiven Sichtweise eher unschlüssig sind. Daher ist der Typ C als der Der Verhaltene zu bezeichnen und kann den Experten 3, 11 und 12 zugewiesen werden. Er ist in seinen Aussagen eher ausgeglichen und in der Gesamttendenz eher neutral. Typ H ist dadurch charakterisierbar, dass bereits das Kriterium 1 nur sehr schwach ausgeprägt ist (vgl. Tabelle 10), wenngleich dies für die am Ende stehende Merkmalskombination, die durch ihre binäre Struktur charakterisierbar ist, unerheblich ist. Gleichwohl unterstützen die analogen Daten den später festgelegten Typen, so dass sie an dieser Stelle aufgeführt werden. So wird im Fall von Interview 19 nur jeweils eine Ausprägung der beiden Merkmalsräume genannt. Interview 9 ist sogar nur durch eine einzige Ausprägung eines Merkmalsraums charakterisierbar. Die negative Ausprägung von Kriterium 2, 3 und 4 ist daher wahrscheinlich eher auf mangelndes Wissen als auf eine fundamental begründete Ablehnung der Thematik zurückführbar. Während bei Experte 9 die Vermutung nahe liegt, dass die berufliche Praxis (technisches Unternehmen) eher eine Konzentration auf andere Felder erfordert, muss bei Experte 19 konstatiert werden, dass entgegen der beruflichen Praxis grundlegendes Wissen nicht vorhanden ist. Daher wird Typ H als Der Uninformierte bezeichnet. Dieser trifft auf die Experten 9 und 19 zu. Die erhobenen Aussagen sind in ihrer Gesamttendenz eher negativ. Die Bezeichnung steht eigentlich im Widerspruch zu der Tatsache, dass der Befragte ein Experte sein soll: Im vorliegenden Fall handelt es sich um HR-Experten, die in Bezug auf die Fragestellung unwissend sind, denen aber insgesamt ein hohes HR-bezogenes Wissen zugesprochen werden kann. Typ D ist spezifizierbar durch eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik im Hinblick auf die Struktur des Kriteriums 1 (Nennung von fünf Ausprägungen der zwei
216
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
Anzahl der Experten
Gesamttendenz bzgl. der Thematik
Der Überzeugte
4
Sehr positiv
Der Realist
10
Eher positiv
Der Verhaltene
3
ausgeglichen
Der Uninformierte
2
eher negativ
Der Skeptische
1
negativ
Abbildung 16: Klassifikation der Experten Quelle: eigene Darstellung
Räume) sowie eine kritische Sichtweise und fundierte Bewertung der interdisziplinären Entwicklung. Auf Grundlage aller im Interview beobachtbaren Äußerungen, die eigentlich eine insgesamt positive Einschätzung der Thematik und des Konzepts vermuten lassen, wird dieser vom Experten nur der Status zusätzlich und nicht elementar zugesprochen. Auch die prognostizierte Entwicklung wird deutlich negativ bewertet. Da dies insbesondere den unter Kriterium 1 genannten Argumenten entgegensteht, wird dieser Typ als Der Skeptische bezeichnet, der trotz besseren Wissens hartnäckig auf einer fundamental nicht haltbaren Sichtweise beharrt. Er trifft zu auf den Experten 6. Die Tendenz der Gesamtbewertung ist klar im negativen Spektrum anzusiedeln. Folgende Übersicht stellt die gebildeten Typen, die jeweilige Anzahl der Experten, die sich diesen zuordnen lassen sowie die Gesamttendenz des Interviews dar. Gesamttendenz bedeutet, wie sich resultierend aus der Sichtweise bezüglich Bedeutung des kompetenten Umgangs mit Emotionen für Führungskräfte und der Einstellung hinsichtlich einer konzeptionalisierten Sichtweise, z.B. abgebildet durch das Konzept von Goleman, die einzelnen Interviews bzw. die ihnen zuordnungsbaren Typen im Gesamtbild darstellen lassen. Wenngleich sich abschließend generalisierende Aussagen aus den einzelnen Interviews nur sehr schwer extrahieren lassen, kann diese Tendenz doch abgeleitet werden (s. Abb. 16).
5.7 Fazit
217
5.7 Fazit Nach Auswertung der Interviews und vorgenommener Typenbildung kann zusammenfassend folgendes festgehalten werden: 1. Alle Experten haben sich bis auf zwei Ausnahmen (Interview 9 und 19) sehr differenziert mit der Thematik auseinandergesetzt, womit die Stichprobe ex post betrachtet anhand sinnvoller Kriterien gezogen wurde. 2. 19 der 20 Experten sehen im Umgang mit Emotionen ein wichtiges Führungsinstrument. Die bisherigen Erkenntnisse können somit bestätigt werden: Die Thematik Kompetenter Umgang mit Emotionen von Seiten der Führungskräfte wird als sehr wichtig erachtet, da Emotionen einen immanenten Bestandteil von Organisations- und Führungsprozessen bilden. Der Umgang mit Emotionen stellt nach Ansicht der überwiegenden Anzahl der Experten auch ein probates Mittel dar, wenn es darum geht, Mitarbeiter zu binden, zu motivieren usw. 3. Die überwiegende Anzahl der Experten (14) äußert sich auch im Gesamtbild sehr positiv bzw. eher positiv hinsichtlich der untersuchten Thematik. Nicht nur der Umgang mit Emotionen wird als wichtig erachtet, auch das von Goleman propagierte Konzept wird positiv bewertet, wenngleich seine effiziente Implementierung eher in einer impliziten und nicht systematischen Vorgehensweise gesehen und auch praktiziert wird. Dennoch bestehen nach Ansicht einiger Experten nach wie vor noch erhebliche Modellinsuffizienzen, die es zu eliminieren gilt. 4. Der von Goleman angestoßene Versuch der Konzeptionalisierung der Thematik stellt ein differenzierendes Kriterium dar. Wenngleich fast alle Experten, wie oben erwähnt, positiv gegenüber der Ausgangsthematik (Umgang mit Emotionen für Führungskräfte) positioniert sind, bildet die Einschätzung (Bewertung des Konzepts, Prognose der Entwicklung) sowie die Wünschbarkeit einer konzeptionalisierten Sichtweise, abgebildet durch das Konzept von Goleman, eine Art Scheidepunkt. Die Aussagen der Typen Der Verhaltene, Der Uninformierte und Der Skeptische lassen sich hier klar von den Typen Der Überzeugte und Der Realist abgrenzen. Sie bewerten das Konzept eher negativ, wenngleich sie in der Summe (6) deutlich unterrepräsentiert sind. Es besteht eine weitgehende Übereinstimmung unter den Experten, dass das Emotionsmanagement in Form von Wahrnehmung, Initiierung, Regulation und Steuerung in der Mitarbeiterführung einen elementaren Faktor darstellt. Auch bei der Anwendung von fachlich-methodi-
218
5 Emotionsmanagement in der Unternehmenspraxis
schen Kompetenzen kommen sozio-emotionale hinzu, da erstere für sich genommen nur einen sehr begrenzten Wirkungsradius haben. Die von Goleman angestoßene Entwicklung der Thematik ist zum Zeitpunkt ihrer Publikation daher auch auf sehr fruchtbaren Boden gestoßen und wurde hierbei durch zahlreiche gesellschaftliche Veränderungsprozesse gestützt. Der überwiegende Teil der Experten sieht in den Arbeiten von Goleman einen positiven Versuch, die bereits bestehenden Erkenntnisse hinsichtlich der Thematik Umgang mit Emotionen für Führungskräfte in eine konzeptionelle Form zu bringen. Eine Minderheit der Experten, welche die grundlegende Sichtweise der anderen Experten zwar teilt, sieht jedoch keine Notwendigkeit einer konkreten Systematisierung in Modellform wie von Goleman geschehen bzw. übt deutliche Kritik an ihr. Gründe hierfür sind die bisweilen recht dürftigen Versuche, einen empirischen Nachweis auf signifikantem Niveau zu erbringen, dass Emotionale Intelligenz wirklich ein differenzierendes Führungsinstrument bildet. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, warum selbst die Unternehmen, die das Thema in ihrer Personal- und Führungskräfteentwicklung bereits aufgegriffen haben, es meist auf implizitem Wege integrieren, ähnlich wie es schon im Rahmen von Kapitel 4 bei der Betrachtung theoretischer Führungs- und empirischer Kompetenzmodelle gezeigt wurde. Dies bedeutet, dass der Umgang mit Emotionen innerhalb spezifischer Maßnahmen (z.B. Verhandlungstraining, Anti-Stress-Training usw.) trainiert wird, die auf den ersten Blick nicht die Emotionsthematik zum Hauptgegenstand haben. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Thematik und der überwiegend positiven Expertenbeurteilung des dazu bereits bestehenden Konzeptes von Goleman kann einer konstruktiven Weiterentwicklung eine insgesamt positive Prognose zugesprochen werden. Nach Ansicht vieler Experten existieren jedoch gerade im Hinblick auf eine systematische Implementierung bisher noch keine entsprechenden Ansätze, die eine praxisnahe und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Anwendung im Hinblick auf die Führung von Mitarbeitern ermöglichen. Ein Blick auf die wissenschaftliche Literatur ergibt in diesem Zusammenhang aber ein gegenläufiges Bild: Mittlerweile existiert sehr wohl eine recht große Anzahl differenzierter Konzepte, die den systematischen Umgang mit Emotionen zum Gegenstand haben und sich problemlos auf den Führungskontext übertragen lassen. Ausgehend von den initiierenden Arbeiten von Salovey/Mayer (1990) und Goleman (1995) haben sich im Zeitablauf erweiternde Modelle entwickelt, die den Umgang mit Emotionen als eigenständige Fähigkeit abzubilden versuchen.
5.7 Fazit
219
Problematisch ist hierbei lediglich die Tatsache, dass bereits das zugrunde liegende Emotionsphänomen sehr komplex ist (siehe hierzu auch Kapitel 2), so dass die Modellierungsversuche entsprechender Kompetenzen u.U. recht aufwendig sind. Somit kann festgehalten werden, dass das Problem bei der Systematisierung von emotionsbezogenen Ansätzen im Führungskontext nicht in dem Mangel an Ansätzen zu sehen ist, sondern vielmehr in den mit den Ansätzen in Verbindung zu bringenden Problemfeldern. Im folgenden Kapitel werden zunächst unterschiedliche Ansätze, Modelle und Meßmethoden problemorientiert dargstellt, woraufhin zahlreiche empirische Untersuchungen beschrieben werden. Diese beschäftigen sich in erster Linie mit dem Nachweis, dass der kompetente Umgang mit Emotionen eine differenzierende Fähigkeit für Führungskräfte bildet und einen signifikanten Einfluss auf unterschiedliche Parameter des Führungserfolges hat.
6 Emotionsmanagement im Arbeits- und Führungsprozess: theoretische Konzeptionalisierungsversuche Die bisherigen Darstellungen haben u.a. gezeigt, dass Emotionen die Motivations- und Handlungsgrundlage von Individuen bilden und somit auch innerhalb sozialer Interaktion eine zentrale Steuerungsgröße darstellen, wenn es z.B. um die Erklärungsgründe von individuellen Entscheidungs- und Handlungsprozessen im Rahmen der Mitarbeiterführung geht. Diese Erkenntnis lässt den Schluss zu, dass für Führungskräfte der kompetente Umgang mit Emotionen, sowohl in Bezug auf die eigene Person als auch in Bezug auf die der geführten Mitarbeiter, in Form von Wahrnehmung, Regulation und Steuerung eine elementare Anforderung darstellt. Kapitel 2 hat die grundlegende Bedeutung emotionaler Wirkmechanismen im Arbeits- und Führungskontext verdeutlicht, welche schon für sich genommen eine Form der Systematisierung im Umgang mit Emotionen notwendig erscheinen lassen. Diese Notwendigkeit wird gestützt durch die in Kapitel 3 beschriebenen Marktdynamiken und Veränderungsprozesse in der Unternehmensumwelt, welche dazu führen, dass interpersonale Kompetenzen zusätzlich an Bedeutung gewinnen. Gerade die soziale Interaktion ist in hohem Maße durch emotionsbasierte Wirkmechanismen erklärbar, so dass dieser Tatbestand die Erfordernis der Berücksichtigung zusätzlich unterstreicht. Eine konkrete Abbildung innerhalb von theoretischen und praktischen Führungs- und empirischen Kompetenzmodellen ist bisher jedoch kaum nachweisbar (Kapitel 4). Diese berücksichtigen das Management von Emotionen als eigenständige Führungsvariable, wenn überhaupt, nur implizit und auch die qualitative Expertenbefragung aus Kapitel 5 hat ergeben, dass der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte von Seiten der Experten zwar als wichtig eingestuft, durch Trainingsmaßnahmen jedoch eher indirekt zu entwickeln versucht wird. Ein Grund hierfür liegt nach Aussage einiger Experten darin, dass die von Goleman initiierte Bewegung zur Systematisierung ihre wissenschaftliche Fundierung und empirische Validierung bislang größtenteils schuldig geblieben ist und auf häufig allzu populärwissenschaftlich anmutende Äußerungen reduziert werden kann.602 So herrscht in weiten Teilen der Führungsforschung nach wie vor Uneinigkeit darüber, in welchem Ausmaß der Umgang mit Emotionen eine erfolgskritische Führungsvariable auf signifikantem Niveau darstellt und in welcher Form diese Fähigkeit überhaupt abgebildet werden kann. Dies führt in letzter Konsequenz zu 602
So definiert er Emotionale Intelligenz z.B. als die „sina qua non“ im Bereich der Mitarbeiterführung. Goleman (1998a), S. 94.
222
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
dem Umstand, dass die Anforderungen an Führungskräfte, sowohl in Theorie und Praxis, diesbezüglich weiterhin unter dem Globalbegriff Soziale Kompetenz abgelegt werden, was jedoch, wie bereits angedeutet, insbesondere aus dem Blickwinkel der Operationalisierung recht undifferenziert erscheint. Der Umgang mit Emotionen stellt eine eigenständige Kompetenzform dar. Ihre Prägung ist in erster Linie auf Goleman (1995, 2003) und den von ihm geprägten Begriff der Emotionalen Intelligenz zurückzuführen. Seit den ersten Veröffentlichungen Mitte der 90er Jahre sind entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht, eine Vielzahl von erweiternden Forschungsbemühungen registrierbar. Diese haben sowohl die Struktur der neuen Kompetenzform sowie ihre wissenschaftliche Einordnung und Daseinsberechtigung als auch den empirischen Nachweis zum Gegenstand, dass sie im Führungskontext ein signifikanter Einflussfaktor ist.603 Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, dieses mittlerweile recht differenziert erforschte Gebiet näher zu erörtern. Neben der Darstellung der Konzepthistorie und thematischen Grundlagen, unterschiedlichen Konzeptionalisierungsversuchen und Modellkonstruktionen, entsprechenden Meßmethoden sowie einer kritischen Bestandsaufnahme sollen insbesondere die Ergebnisse empirischer Studien vorgestellt und analysiert werden. Diese beschäftigen sich mit den messbaren Effekten von emotionalen Kompetenzen bei Führungskräften im Arbeits- und Führungskontext und dem Einfluss auf unterschiedliche Performancemaße. Hiermit soll die Frage beantwortet werden, ob und in welchem Ausmaß die aus den Kapiteln 2 und 3 abgeleitete Notwendigkeit hinsichtlich der Systematisierung im Umgang mit Emotionen überhaupt Auswirkungen auf Determinanten des Führungsprozesses hat. Weiterhin wird geprüft, ob hieraus geschlossen werden kann, dass der Umgang mit Emotionen eine erfolgskritische Führungsvariable bildet, so dass eine Implementierung impliziter Art, wie in Kapitel 4 und 5 erhoben, als unzureichend bezeichnet werden kann.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz 6.1.1 Grundlagen und Historie Für die Einschätzung und Beurteilung von Führungskräftefähigkeit und -potential existieren sehr unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen. Im akademischen und beruflichen Kontext haben sich bei der Diagnose und Analyse verschiedener Leistungsparameter (z.B.
603
Vgl. hierzu u.a. Schulze/Freund/Roberts (2006).
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
223
Fach- und Methodenwissen), dem hieraus resultierendem Leistungsvermögen und der entsprechenden Prognose zukünftiger Leistungsfähigkeit über lange Zeit hinweg Testverfahren etabliert und als sehr effizient erwiesen, die hauptsächlich auf die kognitive Intelligenz der zu testenden Individuen abstellen. So zeigen Schmidt/Hunter (1998) im Rahmen einer Metaanalyse, dass diese Form der Erhebung den am ehesten geeigneten Prädikator in Bezug auf das Untersuchungsziel, die Überprüfung und Vorhersage der möglichen Eignung, darstellt. Dennoch muss angemerkt werden, dass bei den Auswertungen der Untersuchungen große Teile der bestehenden Kriterienvarianz häufig nicht aufgeklärt werden können, auch nicht in Kombination mit anderen psychologischen Konstrukten und Methoden (wie z.B. der Auswertung biografischer Daten).604 Dies hat im Zeitablauf dazu geführt, dass rein kognitiv basierte Tests (z.B. im Rahmen von Assessment Centern oder Potentialanalysen) hinsichtlich ihrer intendierten Vorhersagefähigkeit stark in die Kritik gerieten und sich somit die Suche nach Inkrementen in hohem Maße verstärkte. Aus diesem Grund wurden bei der Konstruktion neuer Erklärungsmodelle zunehmend verwandte und zum Teil bereits altbekannte Gebiete der Psychologie mit einbezogen, um die Insuffizienzen der bestehenden Modelle zu beseitigen.605 Die zugrunde liegende Annahme, dass ein hohes Maß kognitiver Intelligenz allein mit Maßen wie beruflichem Erfolg oder der Fähigkeit zu führen korreliert, ist also nur eingeschränkt gültig. Viel eher kann man davon ausgehen, dass neben den klassischen kognitiven auch andere Fähigkeiten, wie z.B. der Umgang mit Emotionen, als Prädikatoren existieren, die mittels traditionell verfügbarer Testverfahren nicht nachweisbar sind, aber gleichzeitig einen erheblichen Einfluss auf den Erklärungsgehalt bestehender Modelle haben.606 So erscheint z.B. nach Kang/Day/Meara (2006), gerade auch in Anbetracht der Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3, „die Annahme plausibel, dass Menschen, die sich […] emotional intelligent verhalten, allgemein erfolgreicher sind (z.B. in engen Beziehungen oder im Beruf).“607 Augrund dieser Tatsache entwickelten sich in der Vergangenheit zahlreiche Ansätze, die versuchen, die Vorhersagegüte durch eine Erweiterung des klassischen Intelligenzkonzeptes zu erhöhen. Nach Wechslers (1956) ursprünglicher Definition ist Intelligenz „die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken 604
605 606 607
Die Autoren messen die prädikative Validität für das Kriterium overall job performance durch GMA- (general mental ability) Werte in Kombination mit jeweils einem weiteren Testwert, der im Rahmen anderer Tests ermittelt wurde wie z.B. integrity test, conscientiousness test, work sample test usw. Das Kriterium overall job performance wurde dabei über Vorgesetzteneinschätzungen, Produktionswerte, Verkaufswerte usw. erhoben. Vgl. Schmidt/Hunter (1998), S. 264-271. Vgl. Schulze et al. (2006), S. 12. Vgl. Neisser et al. (1996), S. 95-97. Kang/Day/Meara (2006), S. 102.
224
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen.“608 Eine Beschränkung auf rein kognitive Fähigkeiten geht also aus der Definition nicht hervor, so dass der Versuch, den Umgang mit Emotionen als eigenständige Kompetenz- bzw. Intelligenzform zu deklarieren, als durchaus zulässig angesehen werden kann. In diesem Zusammenhang sind seit den 20er Jahren zahlreiche Versuche registrierbar, die einer Bewegung zur Rekonzeptionalisierung des Intelligenzbegriffs zugeordnet werden können und an dieser Stelle kurz dargestellt werden. Schon Thorndike (1920) hat im Rahmen des von ihm postulierten Konzepts der Sozialen Intelligenz darauf verwiesen, dass Menschen sich auch in ihren nicht kognitiven Fähigkeiten unterscheiden, wenn es etwa darum geht, andere Menschen innerhalb von Interaktionsprozessen besser zu verstehen und sich im Rahmen sozialer Interaktion geschickt zu verhalten.609 Nach Matazaro (1972) kann diese Intelligenzform auch als die auf soziale Situationen angewandte allgemeine Intelligenz bezeichnet werden.610 House/Aditya (1997) spannen den Bogen hierbei weiter und bringen Soziale Intelligenz mit der Tätigkeit von Führungskräften in Verbindung. Nach ihrer Auffassung findet Führung stets in einem sozialen Kontext statt, so dass die Formulierung von einer wie auch immer gearteten Sozialen Intelligenz als erforderliche Führungsvariable viel versprechend erscheint.611 Gardner (1983) erweitert den Intelligenzbegriff ebenfalls ähnlich wie Thorndike (1920) und formuliert eine multifaktorielle Intelligenztheorie, bei der er zunächst zwischen sechs Intelligenzformen unterscheidet (linguistische, musikalische, logisch-mathematische, räumliche, körperlich-kinästhetische und personale Intelligenz).612 Letztere spezifiziert er später näher und unterteilt sie in inter- und intrapersonale Intelligenz. Interpersonale Intelligenz „builds on a core capacity to notice distinctions among others; in particular, contrasts in their moods, temperaments, motivations, and intentions.“613 Intrapersonale Intelligenz hingegen charakterisiert Gardner (1993) wie folgt: „access to one’s own feeling life, one’s range of emotions, the capacity to effect discriminations among these emotions and eventually to label them and to draw upon them as a means of understanding and guiding one’s own behavior.“614
608 609 610 611 612 613 614
Wechsler (1956), S. 13. Vgl. Thorndike (1920), S. 228. Vgl. Matazaro (1972), S. 209. Vgl. House/Aditya (1997), S. 418. Vgl. Gardner (1983), S. 73-276. Gardner (1993), S. 23. Gardner (1993), S. 25. Sowohl die interpersonale als auch die intrapersonale Intelligenz finden sich später implizit in den Modellen zur Emotionalen Intelligenz von Goleman (1995, 1998a, 1998b, 2003) wieder.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
225
Auch Sternberg (1985) weicht bei seiner Umschreibung des Intelligenzbegriffs von der klassischen Sichtweise ab und definiert Intelligenz als zweckgerichtete Anpassung an die für das eigene Leben relevante Umwelt, indem er Umgebungsvariablen mit einbezieht. Er postuliert die Triarchische Theorie der Intelligenz, welche sich aus drei Aspekten zusammensetzt: der Intelligenz eines Individuums in Bezug zu seiner Umwelt (external environment of the individual), der Intelligenz eines Individuums in Bezug zu seiner eigenen Person (internal environment of the individual) und dem Zusammenwirken beider Facetten miteinander.615 Später veröffentlicht der Autor noch das Konstrukt der Praktischen Intelligenz. Dieses beschreibt Intelligenz als eine Fähigkeit „that serves to find a more optimal fit between the individual and the demands of the individual’s environment, by adapting to the environment, changing (or shaping) the environment, or selecting a different environment.“616 Diese Formen der Intelligenz unterscheiden sich von den klassischen, strukturellen Intelligenzmodellen dahingehend, dass sie weiter gefasst sind.617 Sie werden auch als systemtheoretische Modelle bezeichnet, indem sie den Gegenstandsbereich der Intelligenzforschung durch die Berücksichtigung von Konzepten ausdehnen, welche innerhalb von strukturellen Intelligenzmodellen als nicht notwendigerweise der Intelligenz zugehörig erachtet werden.618 Anders als bei klassischen Intelligenzmodellen, wo durch die theoretisch sehr fundierten Konstrukte ebenso fundierte wie gleichermaßen eindeutige Messmethoden existieren, ist das Problem der Erhebung bei diesen Formen ungleich schwerer, da sie sowohl Leistungsmaße als auch Selbstberichtsmaße umfassen (vgl. hierzu Abschnitt 6.1.3).619 Dennoch bildet die Entwicklung neuer Intelligenzkonzepte die Grundlage für die Konzeptionalisierungsversuche im Hinblick auf den Umgang mit Emotionen. Aufbauend auf den Erweiterungsversuchen ist dies die konsequente Weiterentwicklung der Thematik, welche mit der Konstruktion des Konzepts der Emotionalen Intelligenz als eigenständige Intelligenzform Gegenstand dieses Kapitels ist. Obwohl die im thematischen Kontext entstandene Begriffsprägung hauptsächlich mit Goleman (1995, 1998, 2003) und den von ihm veröffentlichten Arbeiten in Verbindung gebracht wird, ist er nicht ihr Begründer. Gleichwohl er sicherlich einer der Hauptinitiatoren der wis615 616
617 618 619
Vgl. Sternberg (1985), S. 318-319. Hedlund/Sternberg (2000), S. 150. Dieses ist hervorgegangen aus dem Konstrukt der so genannten Erfolgsintelligenz, welches nach Ansicht von Sternberg (1998) aus den Facetten Analytische Intelligenz, Kreative Intelligenz und Praktische Intelligenz und deren Interaktion besteht. Die Facette Praktische Intelligenz löst er heraus und baut sie zu einem eigenständigen Konzept aus. Vgl. Sternberg (1998), S. 135-136. Vgl. u.a. Holling/Preckel/Vock (2004), S. 17-29. Vgl. Schulze et al. (2006), S. 15. Vgl. Austin/Saklofske (2006), S. 118.
226
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
senschaftlichen und populärwissenschaftlichen Diskurse zum Thema Emotionale Intelligenz ist und seine auflagenstarken Arbeiten den Auslöser einer Vielzahl sehr differenzierter Entwicklungen im Hinblick auf Modelle, Konzepte und Meßmethoden innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde darstellen, ist der Begriff in der Literatur schon sehr viel früher zu finden. Neben Leuner (1966), der den Begriff Emotionale Intelligenz im Rahmen der klinischen Psychologie aufbringt, findet er sich auch bei Payne (1986) und in einem gleich lautenden Artikel ebenfalls bei Greenspan (1989).620 Eine erste formale Definition wird kurz darauf von Salovey/Mayer (1990) publiziert, die zeitgleich auch ein entsprechendes Modell konstruieren (siehe hierzu Abschnitt 6.1.2). Die Autoren definieren Emotionale Intelligenz dabei als „the ability to monitor one’s own and other’s feelings and emotions, to discriminate among them and to use this information to guide one’s thinking and actions.“621 Menschen mit einem hohen Maß an Emotionaler Intelligenz wird hierbei die grundlegende Fähigkeit zugesprochen, über die Wahrnehmung und Regulation von Emotionen unter zu Hilfenahme grundlegenden emotionsbezogenen Wissens individuelle Handlungs- und Entscheidungsprozesse aktiv steuern und positiv beeinflussen zu können. Auf den Kontext der Arbeits- und Führungsforschung übertragen definieren Prati et al. (2003a) Emotionale Intelligenz als „the ability to read and understand others in social contexts, to detect the nuances of emotional reactions and to utilize such knowledge to influence others through emotional regulation and control.“622 Ausgangspunkt ist dabei der, dass, wie in Kapitel 2 gezeigt, Emotionen einen elementaren Einfluss auf die Motivations- und Handlungsgrundlage haben, sowie Einstellungen und Haltungen beeinflussen und unterschiedliche individuelle Leistungsparameter determinieren. Nach der Auffassung von Geiselhardt/Dietz (1998) ist ein Mensch umso stärker seinen Emotionen ausgeliefert, je weniger er seine Gefühle, Denkmuster und Impulse wahrnimmt und versteht, so dass der kompetente Umgang mit Emotionen auch und gerade in Führungsprozessen eine Vielzahl von Performancevariablen positiv beeinflusst.623 Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass Emotionen als Parameter nur schwer operationalisierbar sind und auch der Umgang mit ihnen eine komplexe Fähigkeit repräsentiert. Möglicherweise handelt es sich bei Emotionen im Organisationskontext um latente Variable, so dass diese und auch der Umgang mit ihnen nicht direkt erfassbar sind, sondern vielmehr über
620 621 622 623
Vgl. Leuner (1966), Payne (1986), Greenspan (1989). Salovey/Mayer (1990), S. 189. Prati et al. (2003a), S. 21. Vgl. Geiselhardt/Dietz (1998), S. 59.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
227
Hilfsvariablen (Fähigkeit zum Stressmanagement, Anwendung von emotionsbezogenem Wissen usw.) auf indirektem Weg erhoben werden müssen.624 Da der Umgang mit Emotionen per se eine Vielzahl von Facetten umfasst (Wahrnehmung, Regulation, Steuerung usw.) und zahlreiche unterschiedliche Effekte (z.B. hohe Mitarbeiterzufriedenheit, niedrige Fluktuationsrate) induziert, müssen beobachtbare und vor allen Dingen messbare Faktoren lokalisiert werden, anhand derer man auf die zu untersuchende Fähigkeit rückschließen kann.
6.1.2 Modellkonstruktionen Hinsichtlich der Systematisierung im Umgang mit Emotionen beklagen Salovey/Mayer (1990) den Mangel an theoretischen Konzepten und die sehr fragmentierte Durchdringung der Thematik. Hierin sehen sie auch den Grund, warum die Entwicklung bis zum Anfang der 90er Jahre keine wirklich verwendbaren Ergebnisse erzielt hat: Forschungsbemühungen dürfen nicht unsystematisch und ohne gültige Rahmenkonzepte erfolgen, da ansonsten die erzielbaren Fortschritte in Bezug auf den Erklärungsgehalt von Modellen minimal sind.625 Das von ihnen hieraufhin entwickelte Modell stellt den maßgeblichen Impuls für die Entwicklung verschiedener Modellansätze dar. Ursprünglich ausschließlich auf den psychologischen Kontext bezogen taucht im Zeitablauf eine Vielzahl von weiteren Modellen auf, deren Autoren den skizzierten Geltungsbereich z.T. disziplinübergreifend auch auf die Arbeits- und Führungsforschung ausdehnen. Grundsätzlich lassen sich zwei Formen von Modellen unterscheiden: einige sind vollständig leistungsbasiert, indem sie bei der Definition einzelner Facetten auf rein mentale Fähigkeiten fokussieren (ability models). Andere hingegen beziehen auch Aspekte der Persönlichkeit mit ein, die also weniger maximales Verhalten, wie bei leistungsbasierter Ausrichtung, beschreiben, sondern eher typisches Verhalten (mixed models).626 Diese Unterscheidung wird besonders bei den im Rahmen des folgenden Abschnitts dargestellten Meßmethoden wichtig, da maximales, leistungsbasiertes Verhalten der ability models grundlegend anders erhoben werden muss als typisches, persönlichkeitsabbildendes Verhalten der mixed models. Für die Darstellung grundlegender Modelle ist die Unterscheidung jedoch nicht essentiell. Im Folgenden werden in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006) die bekanntesten Modelle und ihre Hauptelemente, -dimensionen und -facetten tabellarisch dargestellt, deren Einfluss maßgeblich die bisherigen Entwicklungen und Fortschritte im Bereich der Emotionalen Intelligenz geprägt hat (s. Tabelle 11-13).627
624 625 626 627
Vgl. u.a. Bollen (2002), S. 607-615 und Borsboom/Mellenbergh/van Heerden (2003), S. 203-204. Vgl. Salovey/Mayer (1990), S. 189-190. Ein tabellarischer Vergleich beider Modelle findet sich bei Zeidner/Matthews/Roberts (2004), S. 375-376. Vgl. Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 206-207.
228
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Autor (Jahr)
Salovey/ Mayer (1990)628
Goleman (1995)629
Mayer/ Salovey (1997)630
Elemente/Dimensionen/ Facetten
Erläuterung
Die Autoren definieren für ihr Modell drei Dimensionen. Die Autoren setzen die erste Dimension Bewertung und Ausdruck in Bezug zur eigenen Person (verbale und nonverbale Kommunikation und Wahrnehmung eigener emotionaler Zustände) als auch in Bezug zu anderen Personen (nonverbale Erken1. Bewertung und Ausdruck nung von Emotionen bei anderen und empathische Reaktion). Regulation von Emotionen von Emotionen bezieht sich sowohl auf die eigene als auch auf fremde Per(selbst/andere) sonen und umschreibt die Fähigkeit, Emotionen bei sich selbst und im Rah2. Regulation von men sozialer Interaktionsprozesse auch bei anderen in Abhängigkeit spezifiEmotionen scher Ziele zu regulieren. Dies ermöglicht dann die Nutzung von Emotionen. 3. Nutzung von Emotionen Dieses Element umfasst die Komponenten Flexible Planung, Kreatives Denken, Fokussierte Aufmerksamkeit und Motivation. Auf dieser Grundlage können Emotionen zielgerichtet und bedarfsorientiert reguliert bzw. eingesetzt.
1. Selbstwahrnehmung 2. Selbstregulation (Emotionen handhaben) 3. Selbstmotivation (Emotionen in die Tat umsetzen) 4. Empathie (wissen, was andere fühlen) 5. Beziehungsmanagement (Umgang mit Beziehungen)
Goleman (1995) orientiert sich am Modell von Salovey/Mayer (1990) und gliedert sein Modell in fünf Dimensionen. Grundlage ist hierbei die Selbstwahrnehmung, also die Fähigkeit zur Gefühlserkennung innerhalb der eigenen Person. Hierauf baut die Fähigkeit zur Selbstregulation von Emotionen, also die gezielte Hemmung und Hervorbringung von bestimmten emotionalen Zuständen wie Angst, Freude, Gereiztheit usw. auf. Selbstmotivation bedeutet nach Ansicht des Autors, Emotionen auf Grundlage der Fähigkeit zur Selbstregulation als Grundlage für eine konkrete Zielerreichung zu nutzen, also zum Beispiel Impulsivität zu unterdrücken oder zu fördern. Empathie beschreibt eine Form der Menschenkenntnis: Es ist also nicht nur wichtig, eigene Emotionen wahrzunehmen, sondern auch die seiner Gegenüber. Dies ist notwendig, um im Rahmen sozialer Interaktion erfolgreiches Beziehungsmanagement betreiben zu können, also mit den Emotionen anderer umgehen zu können. Nach Auffassung des Autors wird hierdurch die Grundlage für Soziale Kompetenz gebildet.
1. Wahrnehmung, Bewertung und Ausdruck von Emotionen 2. Emotionale Förderung des Denkens 3. Verstehen und Analysieren von Emotionen, Anwendung Emotionalen Wissens 4. Reflektive Regulation von Emotionen zur Förderung des emotionalen und intellektuellen Wachstums
In ihrem zweiten Modell erweitern die Autoren die Anzahl der Faktoren von drei auf vier. Der erste Faktor umschreibt die Fähigkeit, Emotionen bei sich selbst und bei anderen wahrzunehmen, auch wenn diese u.U. über das Verhalten oder das Erscheinungsbild nonverbal kommuniziert werden. Weiterhin umfasst der Faktor die Fähigkeit, Emotionen und aus ihnen heraus resultierende Bedürfnisse exakt zu formulieren sowie im Rahmen sozialer Interaktion z.B. zwischen ehrlichen und vorgetäuschten Emotionen zu unterscheiden. Der zweite Faktor beschreibt die Fähigkeit, durch die Erzeugung spezifischer Emotionen Dinge wie Problemlösungsverhalten, Kreativität u.a. zu fördern. Faktor 3 betrifft die Fähigkeit, komplexe Emotionen und ihre Entstehungsgründe erkennen und analysieren zu können. Dies umfasst auch die Akkumulation von Wissen über Emotionen sowie deren Nutzung innerhalb sozialer Beziehungen, wenn es um die übergreifende Steuerung und Regulation von Emotionen geht. Der vierte Faktor skizziert die Fähigkeit in Bezug auf die eigene Person die Entstehung von angenehmen wie unangenehmen Emotionen nicht zu unterdrücken und diese entsprechend der intendierten Handlungsabsicht dann aber zu regulieren. Dies umfasst auch die Fähigkeit zu erkennen, in welchem Zusammenhang Emotionen in welcher Klarheit und mit welchen Folgen auftreten und welche Informationen durch sie übertragen werden.
Tabelle 11: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil I) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 206ff.
628 629 630
Vgl. Salovey/Mayer (1990), S. 190-200. Vgl. Goleman (2002), S. 65-66. Vgl. Mayer/Salovey (1997), S. 10-16.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
Bar-On (1997)631
Cooper/ Sawaf (1997) 632
Goleman (1998a)633
Weissinger (1998)634
Intrapersonal Interpersonal Adaptability Stress Management General Mood
Das Modell von Bar-On (1997) umfasst fünf Komponenten, die sich wiederum aus zwei bis fünf Subkomponenten zusammensetzen. Die Komponente Intrapersonal besteht aus Self-Regard, Emotional Self-Awareness, Assertiveness, Independence und Self-Actualization. Die Komponente Interpersonal umfasst Empathy, Social Responsibility und Interpersonal Relationship. Zu Adaptability gehören die Elemente Reality Testing, Flexibility und Problem Solving. Stress Management wird gebildet durch Stress Tolerance und Impulse Control. Zu General Mood gehören Optimism und Happiness.
Emotionale Reife Emotionale Fitness Emotionale Tiefe Emotionale Alchemie
Die nebenstehenden Eckpfeiler werden von den Autoren durch je vier Elemente genauer spezifiziert. Emotionale Reife umfasst die Elemente Emotional Honesty, Emotional Energy, Emotional Feedback und Practical Intuition. Emotionale Fitness wird umschrieben durch Authentic Presence, Trust Radius, Constructive Discontent und Resilence and Renewal. Zum Faktor Emotionale Tiefe gehören Unique Potential and Purpose, Commitment, Applied Integrity und Influence without Authority. Der letzte der vier Faktoren Emotionale Alchemie beinhaltet die Komponenten Intuitive Flow, Reflective Time-Shifting, Opportunity Sensing und Creating the Future. Die insgesamt 16 Elemente der vier Faktoren werden an dieser Stelle in ihrer nicht übersetzten Fassung aufgeführt, da ihre Übersetzung zu Fehlinterpretationen führen kann. Auf eine genauere Erläuterung wird verzichtet.
Selbstwahrnehmung Selbstregulierung Motivation Empathie Soziale Fähigkeiten
Das Modell von Goleman (1998a) besteht aus fünf Dimensionen. Unter Selbstwahrnehmung versteht Goleman (1998) u. a. das Wissen über den eigenen, augenblicklichen Gefühlszustand und die Fähigkeit, dieses Wissen in laufende Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Selbstregulierung umschreibt die grundlegende Fähigkeit zur Regulation von Emotionen, also z.B. die Hemmung negativer und Förderung positiver Emotionen bei bestimmten Handlungen. Motivation meint die konkrete Nutzbarmachung von Emotionen, also die Einbeziehung von (regulierten) Emotionen als Grundlage zur Erreichung spezifischer Ziele. Empathie umfasst das Erspüren und Nachvollziehen emotionaler Zustände anderer Personen, sowie ein entsprechendes Adaptionsvermögen. Soziale Fähigkeiten bauen auf den eben genannten Fähigkeiten auf und ermöglichen durch die sequentielle Steuerung und Regulation von Emotionen die Optimierung von Beziehungsgeflechten z.B. bei Kooperationsversuchen oder Teamarbeit, Mediationsversuchen oder Führung.
1. Selbstaufmerksamkeit 2. Emotionales Management 3. Selbstmotivation 4. Effektive Kommunikationsfertigkeiten 5. Interpersonale Expertise 6. Emotionales Coaching
Nach Ansicht des Autors ist der Umgang mit Emotionen sowohl in Bezug auf die eigene Person wichtig, als auch hinsichtlich von Beziehungen. Die ersten drei Faktoren betreffen daher die Fähigkeit von Individuen, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen, zu regulieren und hieraus eine Form der Selbstmotivation zu entwickeln. Zu allererst geht es darum, die Selbstaufmerksamkeit zu steigern, um mittels verschiedener Aktivitäten (Gedanken, Verhalten usw.) positive wie negative Emotionen der intendierten Handlungsabsicht entsprechend zu regulieren. Dies bildet ein wichtiges Instrument, um im Rahmen der Selbstmotivation fortlaufend mit Rückschlägen umgehen zu können. Die Faktoren 4 bis 6 umschreiben die Optimierung sozialer Beziehungen hinsichtlich verschiedener Parameter und übertragen die Faktoren 1 bis 3 quasi auf den sozialen Kontext. Über Fähigkeiten wie Sensitivität, Zurückhaltung, Bestimmtheit usw. können Kommunikationsfähigkeiten entwickelt werden. Gleichzeitig ermöglichen sie das Hervorbringen interpersonaler Expertise, wenn es etwa um die Analysefähigkeit von sozialen Beziehungen geht. Der letzte Faktor, Emotionales Coaching, umschreibt die Fähigkeit zur Steuerung und Regulation von Emotionen innerhalb von Beziehungen z.B. in Bezug auf Fremdmotivation.
1. 2. 3. 4. 5.
1. 2. 3. 4.
1. 2. 3. 4. 5.
Tabelle 12: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil II) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 206ff.
631 632 633 634
229
Vgl. Bar-On (1997). Vgl. Cooper/Sawaf (1997), S. 3-272. Vgl. Goleman (1998a). Vgl. Weissinger (1998), S. 1-212.
230
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
1. 2. 3. 4. 5. Petrides/ Furnham (2001)635
Higgs/ Dulewicz (2002)636
Goleman (2003)
637
6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
Adaptionsvermögen Durchsetzungsfähigkeit Emotionsbewertung (selbst und andere) Emotionsausdruck Emotionsmanagement (andere) Emotionsregulation Impulsivität (gering) Beziehungsfertigkeiten Selbstachtung Selbstmotivation Soziale Kompetenz Stressmanagement Empathie als trait Fröhlichkeit als trait Optimismus als trait
1. Selbstaufmerksamkeit 2. Emotionale Belastbarkeit 3. Motivation 4. Interpersonale Sensitivität 5. Einfluss 6. Intuitivität 7. Gewissenhaftigkeit
1. 2. 3. 4.
Nach einer inhaltlichen Analyse der bestehenden Literatur zum Thema Emotionale Intelligenz identifizieren die Autoren die nebenstehenden Facetten, welche in unterschiedlichen Modellen enthalten sind und im Kontext gleichermaßen wichtig erscheinen. Petrides/Furnham (2001) beziehen sich bei ihrer Formulierung u.a. auf die Ansätze von Bar-On (1997), Goleman (1997) und Salovey/Mayer (1990) und verflechten deren Ansätze zu einem neuen Modell mit 15 Facetten. In Bezug auf die Eignung der einzelnen Facetten als Modellbestandteil merken sie jedoch an, dass kein vollständiger Konsens erwartet werden kann: „It cannot be expected that there will be complete consensus as regards the appropriateness of the facets that have been included […].“ Die Frage nach der optimalen Auswahl der Bestandteile kann somit nicht objektiv beantwortet werden. Die Autoren verstehen ihr Modell daher auch weniger als alleingültiges Modell, sondern eher „as a guide for the development of comprehensive trait EI inventories.“ Die Bezeichnung trait bezieht sich hierbei auf die Charakterisierung der Facette bzw. des gesamten Modells: trait bedeutet, dass es sich z.B. bei der Facette Fröhlichkeit um ein Merkmal der Persönlichkeit handelt und weniger um eine Fähigkeit im Sinne maximaler Leistungsfähigkeit. Diese Unterscheidung wird im Rahmen von Abschnitt 6.1..3 Meßmethoden und -probleme noch genauer erläutert. Nach Ansicht der Autoren umfasst das Konzept der Emotionalen Intelligenz sieben Komponenten. Die Komponente Selbstaufmerksamkeit umfasst neben der eigentlichen Wahrnehmung von eigenen Emotionen auch die Erkennung und Regulation dieser. Emotionale Belastbarkeit beschreibt die Fähigkeit, auch unter hohem Druck in einer Vielzahl unterschiedlicher Situationen ein hohes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten. Motivation bezeichnet das Fokussieren auf kurz- und langfristige Ziele. Interpersonale Sensitivität kann als Fähigkeit verstanden werden, wenn es im Rahmen sozialer Interaktion um das Wahrnehmen und Erkennen von Bedürfnissen anderer geht. Der Faktor Einfluss umschreibt die Fähigkeit, andere auf Grundlage ihrer Perspektive und unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse dazu zu bewegen, ihren Standpunkt neu zu überdenken und zu revidieren. Intuivität meint, dass man auch in Situationen mit unvollständigen oder fragmentierten Informationen zur Entscheidungsfindung in der Lage ist. Gewissenhaftigkeit beschreibt das konsistente und vor allen Dingen nachvollziehbare Verhalten bei der Verfolgung bestimmter Ziele.
Die letzte und aktuellste Variante des Modells von Goleman (2003) besteht aus vier Dimensionen. Die Definitionen der einzelnen Begrifflichkeiten entsprechen dabei inhaltlich denen aus den alten Modellen der Jahre 1997 und 1998, wurden lediglich in Bezug auf die Formulierung leicht modifiziert. Übergreifend lässt sich vereinfachend eine 2x2 Matrix formulieren. Sie besteht aus den Feldern Wahrnehmung und Regulation, die jeweils in Bezug auf die eigene als auch auf andere Personen anzuwenden sind (Selbstwahrnehmung und Soziales Bewusstsein sowie Selbstmanagement und BeziehungsmaSelbstwahrnehmung nagement). Der Autor fasst dabei die Dimensionen Selbstwahrnehmung und Selbstmanagement Selbstmanagement zu Persönlicher Kompetenz und die Dimensionen Soziales Soziales Bewusstsein Beziehungsmanagement Bewusstsein und Beziehungsmanagement zu Sozialer Kompetenz zusammen. Die vier Dimensionen werden zur näheren Erläuterung vom Autor noch mit insgesamt 19 Verhaltensankern unterlegt, welche die Abgrenzung der einzelnen Dimensionen ermöglicht. So gehört z.B. zur Dimension Selbstwahrnehmung der Anker Selbstvertrauen (sich seines Wertes und seiner Fähigkeiten bewusst sein). Die Dimension Selbstmanagement wird u. a. durch den Anker Anpassungsfähigkeit (flexibel an Veränderungen anpassen oder Hindernisse überwinden) umschrieben.
Tabelle 13: Modelle Emotionaler Intelligenz (Teil III) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 206ff.
635 636 637
Vgl. Petrides/Furnham (2001), S. 428 und Petrides/Furnham (2003), S.47. Vgl. Higgs/Dulewicz (2002), S. 29- 31. Vgl. Goleman (2003), S.59-78.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
231
Pérez/Petrides/Furnham (2006) monieren bei den obigen Modellkonstruktionen den Tatbestand, dass sämtliche Ansätze auf keiner fundierten Operationalisierung beruhen. So haben ihrer Meinung nach die jeweiligen Autoren definierte Inhaltsbereiche in Bezug auf die Emotionale Intelligenz völlig willkürlich formuliert. Viele Modelle ähneln sich hinsichtlich der verwendeten Dimensionen und Facetten in der Tat sehr stark, unterscheiden sich lediglich in der Formulierung, die inhaltlich letztlich auf das gleiche abzielt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich in vielen Fällen die Anzahl der Facetten und Dimensionen bzw. deren Aufnahme und deren Ausschluss im Rahmen der Modelle anhand konkreter Kriterien nicht nachvollziehen lassen.638 Und auch die empirischen Belege für die Gültigkeit der einzelnen Konstruktionen werden von den Autoren selbst größtenteils nicht erbracht.
6.1.3 Meßmethoden und -probleme Die Darstellung verschiedener Modellansätze in Abschnitt 6.1.2 hat gezeigt, dass eine eindeutige Modellkonstruktion in Bezug auf das Konzept der Emotionalen Intelligenz bislang nicht existiert. Die Auswahl, Anzahl und Formulierung von Facetten, Dimensionen und Elementen differiert sehr stark, was den Prozess der Messung und Erhebung von Emotionaler Intelligenz in erheblichem Maße beeinflusst: „The definition of the concept is constantly changing.“639 Hinzu kommt, dass alle Modelle sowohl kognitive als auch verhaltensbezogene Komponenten enthalten, die, methodisch exakt, separat durch unterschiedliche Meßmethoden erhoben werden müssten. Gerade dieser Punkt führt bei der Entwicklung geeigneter Messinstrumente zu erheblichen Problemen.640 Emotionale Intelligenz kann bei seiner Erhebung, losgelöst vom zugrunde liegenden Modell, in Abhängigkeit des Messinstrumentes sowohl als Eigenschaft der Persönlichkeit (Emotionale Intelligenz als trait) als auch als Fähigkeit (Emotionale Intelligenz als ability) erhoben werden. Emotionale Intelligenz als trait wird häufig auch als mixed EI bezeichnet, da es meist zu einer Überlappung von Facetten der Persönlichkeit mit Facetten kommt, die spezifische kognitive Fähigkeiten umfassen.641 Anders als im Rahmen von ability-Messmethoden, die Emotionale Intelligenz eher als eine eigenständige Form der Intelligenz (ähnlich der klassischen Intelligenz) konzeptionalisieren, stellen trait oder mixed Modelle einen umfassenderen Ansatz dar, indem sie auch motivationale, situationsspezifische und andere Variablen mit einbezie-
638 639 640 641
Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 205-206. Locke (2005), S. 430. Vgl. Kang/Day/Meara (2006), S. 107-108. Vgl. MacCann et al. (2003), S. 250-255
232
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
hen.642 In Bezug auf die Konstruktion von Messinstrumenten ist daher zwischen typischer Leistung (bei Emotionaler Intelligenz als Persönlichkeitseigenschaft, also trait- bzw. mixedEI) und maximaler Leistung (bei Emotionaler Intelligenz als Fähigkeit, also ability-EI) zu differenzieren.643 Dies bedeutet jedoch, dass bei zwei völlig unterschiedlichen Methoden der Messung ein und dasselbe Modell zu Grunde liegen kann. Die Zuweisung als Fähigkeits- oder Persönlichkeitseigenschaftskonzept wird also weniger durch das Modell als viel mehr durch die Messmethode selbst bestimmt. Ohne diese Thematik weiter zu vertiefen, da sie zu sehr in Bereiche der Messtheorie vordringt, erscheint eine kurze Eingrenzung und Beschreibung vorhandener Methoden notwendig. Dies ist zudem gleichermaßen sinnvoll, weil die existierende Vielzahl von Modellen, die ebenfalls hohe Anzahl von Messmethoden und die hieraus resultierenden, stark variierenden Messergebnisse, die Grundlage für die spätere Beurteilung empirischer Ergebnisse bilden, wenn es etwa um die Bedeutung von Emotionaler Intelligenz im Arbeits- und Führungskontext geht. Gerade die den Untersuchungen zugrunde liegenden Messmethoden limitieren u.U. die erhobenen Messdaten in erheblicher Weise. Die Unterscheidung zwischen ability-EI und mixed-EI ist insofern essentiell für den Messprozess, als dass von ihr abhängt, welche Methode zur Erfassung des Konstruktes verwendet wird. Bei der gemischten oder persönlichkeitsbezogenen Form Emotionaler Intelligenz (mixed EI) kommen Selbstberichtsverfahren zur Anwendung, was bedeutet, dass die Probanden in Bezug auf eine vorgegebene Aussage z.B. „I like to share my emotions with others.“ oder „I help other people feel better when they are down.“644 beurteilen müssen, inwieweit diese auf sie und ihr Leben zutrifft. Hierbei werden in Abhängigkeit der Messmethode unterschiedlich viele Skalen, Subskalen, Faktoren und Testitems verwendet, die die Fähigkeit zur Wahrnehmung, zur Erkennung, zum Verständnis, zur Regulation aber auch zum Stressmanagement oder zur Adaption umfassend erheben sollen. Emotionale Intelligenz als Fähigkeit (ability-EI) hingegen wird durch klassische Leistungstests erhoben, d.h. Individuen werden anhand unterschiedlicher Kategorien hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Emotionserkennung, -regulation usw. aber auch in Bezug auf ihr emotionsbezogenes Wissen getestet. Die Anzahl der verfügbaren
642
643 644
Vgl. MacCann et al. (2003), S. 250. Nach Kang/Day/Meara (2006) ist eine eindeutige Abgrenzung zwischen rein kognitiven und rein persönlichkeitsbasierten Fähigkeiten nicht möglich: die Regulation von Emotionen als persönlichkeitsbasierte Fähigkeit bedeutet nämlich z. B. auch, den Erfolg der gewählten Strategie zu überwachen und diese ggf. zu modifizieren, was ebenfalls eine kognitive Komponente umfasst. Vgl. Kang/Day/Meara (2006), S. 102. Vgl. Hofstee (2001), S. 43-46. Schutte et al. (1998), S. 172.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
233
Messmethoden ist ähnlich der Anzahl existierender Modelle mittlerweile sehr groß. In der Übersicht in den Tabellen 14-16 werden einige der gängigen Methoden spezifiziert, aufgrund ihrer Komplexität jedoch nur kurz.645
Bezeichnung Meßmethode
MEIS (Multifactor Emotional Intelligence Scale) 646
MSCEIT (MayerSaloveyCaruso Emotional Intelligence Test)647
Autor
Mayer/Caruso/Salovey (2000)
Mayer et al. (2002)
Beschreibung/Struktur Der Test beinhaltet 12 Aufgaben verteilt auf vier Kategorien: perceiving emotions, assimilating emotions, understanding emotions and managing emotions. In der Kategorie 1 wird die Fähigkeit zur Erkennung und Zuordnung von Emotionen getestet. Probanden müssen bei insgesamt 30 Stimuli in Bezug auf Gesichter, Lieder, Designs und Geschichten das Vorhandensein bestimmter Emotionen auf einer 5er Likert Skala beurteilen bzw. eigenständig vorgegebene Emotionen zuweisen. Kategorie 2 erfasst anhand von 10 Stimuli die Fähigkeit zur Assimilation von Emotionen, d.h. Probanden müssen anhand semantischer Differentiale bestimmte Ereignisse beschreiben bzw. durch vorgegebene, die eigene Person betreffende Ereignisse, gefühlte Emotionen bestimmen. Kategorie 3 testet die Fähigkeit zum Verständnis von Emotionen (24 Stimuli), z.B. inwieweit eine Emotion mit vorgegebenen Emotionspaaren in Verbindung zu bringen ist oder zu welchem Zustand das fortlaufende Erleben einer Emotion (z.B. Wut) führt (z.B. Rage, Hass usw.). Kategorie 4 prüft die Fähigkeit, Emotionen bei sich und anderen regulieren zu können. Hierzu müssen Probanden in Bezug auf vorgegebene Situationen die optimale Strategie auswählen, um die Situation zu verbessern. Die Auswertung des Tests ist hierbei je nach Kategorie expertenbasiert, konsensbasiert (Bewertung richtet sich nach der am häufigsten abgegebenen Antwort) oder zielbasiert (welche Emotion war z.B. bei einem Lied beabsichtigt). Der Test umfasst 141 items, die sich ebenfalls auf vier Kategorien verteilen: perceiving emotions, using emotions, understanding emotions, managing emotions. Jede Kategorie wird mit zwei Aufgaben gemessen. Die entsprechenden Übungen sind denen aus dem MEIS sehr ähnlich und werden daher nur kurz skizziert. Die Fähigkeit im Umgang mit Emotionen soll umfassend gemessen werden: Probanden müssen z.B. in Bezug auf Gesichter und Bilder auf einer 5er Likert Skala entscheiden, inwiefern eine bestimmte Emotion erkennbar ist. In einer anderen Übung geht es darum zu wählen, welche Emotion am besten zu einem Verhalten passt oder welche Emotion sich aus der Mischung anderer ergibt. Auch müssen Probanden in einer fiktiven Geschichte entscheiden, wie der beschriebene Charakter durch bestimmte Handlungen spezifische emotionale Zustände erreichen kann (z.B. Reduktion von Ärger oder Verlängerung von Freude). In einem weiteren Test ist zu beurteilen, welche Emotion sich durch Intensivierung aus einer anderen Emotion ergibt (z.B. Depression als Folge von permanenter Traurigkeit) Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der Punktzahl wird an dieser Stelle nicht näher beschrieben, beinhaltet aber ähnlich wie beim MEIS unterschiedliche Elemente.
Tabelle 14: Ability-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 195ff.
645 646 647
Eine Übersicht findet sich auch bei Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 195-201. Vgl. Mayer/Caruso/Salovey (2000), S. 273-278. Vgl. Mayer et al. (2003), S. 99ff.
234
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Bezeichnung Messmethode
Autor
TMMS (Trait MetaMood Scale)648
Salovey et al. (1995)
EQ-i (Bar-On Emotional Quotient Inventory)649
Bar-On (2002)
ECI (Emotional Competence Inventory)650
Boyatzis/Goleman/Rhee (2000)
SEIS (Schutte Emotional Intelligence Scale)651
Schutte et al. (1998)
EISRS (Emotional Intelligence SelfRegulation Scale)652
Martinez-Pons (2000)
TEIQue (Trait Emotional Intelligence Questionnaire)653
Petrides/Furnham (2003)
SPTB
(Sjöberg Personality Test Battery)654
Sjöberg (2001)
TEII (Tapia Emotional Intelligence Inventory)655
Tapia (2001)
WEIP (Workgroup Emotional Intelligence Profile)656
Jordan et al. (2002)
Beschreibung/Struktur Itemanzahl: 30 Skala: 5er Likert 3 Faktoren (attention to feelings, clarity of feelings, mood repair) Itemzahl: 133 Subskalen: 15 5 Faktoren (intrapersonal, interpersonal, adaptability, stress management, general mood) Keine Angabe über die Itemanzahl 21 Subskalen 4 Faktoren (Self-Awareness, Self-Management, Social Awareness, Social Skills) Skala: 7er Likert Itemzahl: 33 Subskalen: 3 (appraisal and expression, regulation, utilization) Methode orientiert sich an dem Modell von Salovey/Mayer (1990) Skala: 5er Likert Die Überprüfung der internen Konsistenzreliabilität ergibt nach Angabe der Autoren einen Cronabach Į Wert von 0,9. Itemanzahl: 52 Skala: 7er Likert Das Messinstrument umfasst 10 Subskalen und 4 Dimensionen höherer Ordnung (motivation, goal setting, strategy usage und self-evaluation of strategy effectiveness and adjustment) Interne Konsistenzreliabilität wird durch Auswertung einer Stichprobe mit n = 100 Teilnehmern nachgewiesen. Itemanzahl:153 4 Faktoren (well being, self-controll skills, emotional skills, social skills) 15 Subskalen Bei dieser Version handelt es sich um die aktuellste Überarbeitung mehrfach revidierter Versionen. Itemanzahl: 789 4 Faktoren 21 Subskalen Skala: 4er Likert Itemanzahl:41 4 Faktoren (perception, appraisal, expression of emotions/emotional facilation of thinking/understanding and analyzing emotions, employing emotional knowledge/reflective regulation of emotions) Skala: 5er Likert Itemanzahl: 27 Skala: 7er Likert Die 27 Items erfassen sieben Facetten, die den Dimensionen intrapersonal und interpersonal zugeordnet werden. Das Messinstrument wurde speziell für die Erfassung von individueller Emotionaler Intelligenz im Arbeitskontext konzipiert.
Tabelle 15: Trait-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz (Teil I) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 195ff.
648 649 650 651 652 653 654 655 656
Vgl. Salovey et al. (1995), S. 128-134. Vgl. Bar-On (2002), S. 3 und 15-18. Vgl. Boyatzis/Goleman/Rhee (2000), S. 345-355. Vgl. Schutte et al. (1998), S. 171-172. Vgl. Martinez-Pons (2000), S. 335-337. Vgl. Petrides/Furnham (2003), S. 47. Vgl. Sjöberg, L. (2001), S. 83-86. Vgl. Taipa (2001), S. 354-356. Vgl. Jordan et al. (2002), S. 202 ff.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
EIS (Emotional Intelligence Scale)657
Van der Zee et al. (2002)
235
Itemanzahl: 85 (17x5) 17 Faktoren (z.B. emotional self-consciosness, self-reliance usw.) Skala: 5er Likert Jedes Item wird durch zwei gegensätzliche Aussagepoole repräsentiert: z.B. Emphasises own strengths’s vs. talks mostly about weaknesses’, Proband muss sich auf einer 5er Skala zwischen den beiden Poolen einordnen.
Tabelle 16: Trait-Meßmethoden von Emotionaler Intelligenz (Teil II) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 195ff.
Die Vielzahl der Messmethoden ist offensichtlich und auch ihre Struktur variiert in Bezug auf Itemanzahl, Faktoren usw. sehr stark. Als Hauptursache dafür betrachten Pérez/Petrides/ Furnham (2006) die Tatsache, dass die Forschungsbemühungen ohne Bezugnahme auf psychometrische oder auch inhaltliche Theorien ablaufen, so dass die Entwicklung von Fragebögen häufig ohne jeden Bezug stattfindet.658 An dieser Stelle ergibt sich nun die Frage, ob sich die Vielzahl der beschriebenen Methoden, insbesondere aber die beiden Methodengruppen selbst auf ein gemeinsames Konstrukt zurückführen lassen oder ob sie völlig unterschiedliche Dinge messen. Aufgrund der Tatsache, dass einige Methoden eher das Verstehen und Wahrnehmen von Emotionen als kognitive Fähigkeit (ability EI) erfassen, andere eher verhaltensbezogene, persönlichkeitsbasierte Komponenten wie das Regulieren von Emotionen (mixd EI), kann vermutet werden, dass die zwei Meßmethoden je nach Umfang der einbezogenen Facetten völlig unterschiedliche Parameter erheben. Van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005) stützen im Rahmen einer von ihnen durchgeführten Metaanalyse diese Vermutung, dass die Instrumente der beiden oben aufgeführten Instrumentengruppen ungleiche Konstrukte erheben. Der Vergleich von 13 Instrumenten zur Erhebung von abilty-EI bzw. 11 Instrumenten zur Erhebung von mixed-EI zeigt „that the two models, although sharing certain characteristics, diverge more than converge, indicating that two different constructs are being tapped.“659 Es handelt sich also um unterschiedliche Methoden, die unterschiedliche Tatbestände messen, womit die Vermutung bestätigt werden kann, dass über die aufgeführten Instrumente keine einheitlichen Ergebnisse zu erwarten sind. Petrides/Furnham (2001) konstatieren daher, dass noch keine Methoden existieren, die das Konzept wirklich umfassend erheben.660
657 658 659 660
Vgl. van der Zee/Thijs/Schakel (2002), S. 109-110. Vgl. Pérez/Petrides/Furnham (2006), S. 205. Van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005), S. 453. Vgl. Petrides/Furnham (2001), S. 428.
236
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
6.1.4 Konzeptgüte Seit der Veröffentlichung des ersten Modells der Emotionalen Intelligenz durch Salovey/ Mayer (1990) wurden, wie oben beschrieben, eine Vielzahl von Modellen und Meßmethoden entwickelt und der Geltungsbereich dabei auch auf andere Disziplinen wie die Arbeits- und Führungsforschung ausgedehnt. Ziel war es, bestehende Insuffizienzen z.B. im Hinblick auf die prädikative Beurteilung des Leistungsvermögens von Führungskräften bedingt durch die Verwendung rein kognitiv basierter Messinstrumente und der damit in Zusammenhang zu bringenden nicht aufklärbaren Kriterienvarianz zu beseitigen. Die Verlagerung von kognitiv geprägten Ansätzen hin zu persönlichkeitsbasierten Konstrukten brachte diesbezüglich jedoch auch keine signifikante Verbesserung im Erklärungsgehalt der Modelle: Barrick/Mount (1991) zeigen, dass das Konstrukt der Persönlichkeit mit den big five661 Elementen als Prädikator für das Leistungsvermögen von Individuen am Arbeitsplatz lediglich Korrelationswerte von maximal deutlich unter 0,3 liefert.662 Gerade im Hinblick auf die Uneinheitlichkeit der Meßmethoden und die Vielzahl der Modelle ist jedoch nach wie vor unklar, wie der Stellenwert des Konzepts der Emotionalen Intelligenz zu beurteilen ist. Im Zentrum der Kritik steht hier insbesondere das Kriterium der Validität. Die Frage ist, ob das Konzept wirklich das abbildet, was es abbilden soll, nämlich ein Konstrukt, was nicht schon durch klassische Intelligenz oder Persönlichkeit hinreichend erklärt werden kann. Folgende Fragen in Bezug auf die Validität sind hier insbesondere zu nennen: 1. Ist das Konzept eigenständig oder lässt es sich als Mischform durch bereits bestehende Intelligenz- und Persönlichkeitskonstrukte erklären (konvergente bzw. diskriminante Validität)? Hohe Werte für konvergente Validitäten mit der klassischen Intelligenz oder dem big five Modell der Persönlichkeit würden bedeuten, dass das Konzept der Emotionalen Intelligenz mit den genannten jeweils überlappt, sich bis zu einem bestimmten Grad durch sie erklären lässt und somit u.U. nicht eigenständig ist. Hohe Werte für diskriminante Validität in Bezug auf die klassische Intelligenz ließen schließen, dass das Konstrukt der Emotionalen Intelligenz hiervon völlig unabhängig ist und somit keine Form der Intelligenz im Definitionssinn darstellen würde.
661
662
Das big five Modell beschreibt die Persönlichkeit anhand der fünf Dimensionen Vgl. McCrae/John (1992), S. 178-179. Barrick/Mount (1991) untersuchen den Einfluss der Persönlichkeit abgebildet durch das big five Modell auf drei Kriterien zur Erfassung von Arbeitsleistung (job proficiency, training proficiency, personnel data) für unterschiedliche Berufsgruppen. Vgl. Barrick/Mount (1991).
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
237
2. Können über die Erfassung der Emotionalen Intelligenz allgemein Aussagen über zukünftige Leistungen, Verhaltensweisen oder Ergebnisse von z.B. Führungskräften bezogen auf den Führungskontext getroffen werden (prädikative Validität)? 3. Können durch die Verwendung des Konzepts Aussagen im Hinblick auf ein konkretes Kriterium (z.B. Führungserfolg, Leistungsvermögen etc.) über bestehende Konstrukte hinaus getroffen werden (inkrementelle Validität)? Dies bedeutet im Kontext dieser Arbeit, dass über die Erfassung der Emotionalen Intelligenz von Führungskräften etwa bessere Prognosen im Hinblick auf deren Führungsfähigkeit und -erfolg gemacht werden können als z.B. durch Testergebnisse von klassischer Intelligenz oder Persönlichkeitstests. Hierbei beziehen sich die Fragen weniger auf ein allgemeingültiges Konzept der Emotionalen Intelligenz, welches, wie gezeigt, noch gar nicht existiert, sondern vielmehr auf die jeweils verwendeten Meßmethoden, da durch sie letztlich die Konzeptgüte determiniert wird. Der Nachweis der Erfüllung der dargelegten Gütemaße ist abschließend aber kaum zu erbringen.663 Hierfür wäre es notwendig, alle dargestellten (und nicht dargestellten) Meßmethoden hinsichtlich ihrer Validitätsmaße zu untersuchen. Dies stellt per se ein eigenständiges Forschungsfeld dar, so dass an dieser Stelle die Ergebnisse nur in geraffter Form skizziert werden.664 Besonders Frage 1 soll im Weiteren zu beantworten versucht werden. Ausgang ist hierbei die von Van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005) belegte Erkenntnis, dass die zwei Meßmethodengruppen (ability vs. mixed) unterschiedliche Konstrukte messen. Im Weiteren ist nun zu klären, inwieweit es sich bei Emotionaler Intelligenz um ein bereits bestehendes oder aber neues Konstrukt handelt. Schultz/Izard/Abe (2006) bemerken nämlich: „Einige Komponenten der emotionalen Intelligenz scheinen sich mit bereits etablierten Temperaments- und Intelligenzdimensionen zu überschneiden und sich insgesamt nicht in ein einzeln messbares Konstrukt zusammenzufügen.“665 Die Fragen 2 und 3 werden im Rahmen des Abschnitts 6.2.2 zu beantworten versucht, wenn es um die Erfassung von Emotionaler Intelligenz im Arbeits- und 663
664
665
Zu bedenken ist, dass aufgrund der Ergebnisse von Van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005) eine Vielzahl der Meßmethoden die Gütekriterien ohnehin nicht erfüllt, da ability-Methoden und mixed-Methoden nachweislich völlig unterschiedliche Dinge erheben. Die gängigen Meßmethoden wie MEIS, EQ-i usw. (siehe hierzu Abschnitt 6.1.3) sind in Bezug auf die Erfüllung der Gütekriterien hinreichend untersucht worden. Ergebnisse hierzu finden sich u.a. bei Davies/ Stankov/Roberts (1998), Ciarrochi/Chan/Caputi (2000), Dawda/Hart (2000), Newsome/Day/Catano (2000), Matthews/Zeidner/Roberts (2002), Brackett/Mayer (2003), MacCann et al. (2003), Dulewicz/Higgs/Slaski (2003), Law/Wong/Song (2004), Palmer et al. (2005), Gignac et al. (2005), Conte (2005), Amelang/ Steinmayr (2006), Kang/Day/Meara (2006), Wilhelm (2006). Schultz/Izard/Abe (2006), S. 62.
238
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Führungskontext und der damit verbundenen Vorhersagegüte spezifischer Leistungsparameter geht. Zunächst soll also der Zusammenhang von Emotionaler Intelligenz und klassischer Intelligenz untersucht werden. Lam/Kirby (2002) weisen in ihrer Studie mit Studenten einen signifikanten, jedoch sehr schwach positiven Zusammenhang zwischen beiden Variablen nach (r = 0,25; p 0,001).666 Der schwache, wenn aber auch messbare Zusammenhang von Emotionaler Intelligenz und klassischer Intelligenz kann nach Weber (2002) so erklärt werden, dass Menschen mit hohen kognitiven Fähigkeiten allgemein über eine hohe Lernfähigkeit verfügen, also auch in Bezug auf soziale Regeln und emotionsbezogenes Wissen.667 Van der Zee/Thijs/ Schakel (2002) stützen den schwach signifikanten Zusammenhang zwischen Emotionaler Intelligenz (erfasst mit einem selbst entwickelten Instrument) und klassischer Intelligenz mittels einer stufenweise durchgeführten Regressionsanalyse, wobei sie ein Sample von 116 Studenten unterschiedlicher Studiengänge benutzen.668 Ungeachtet dessen besteht nach van der Zee et al. (2002), entgegen der Auffassung von Weber (2002), aber ein stärkerer Zusammenhang zwischen Emotionaler Intelligenz und Eigenschaften der Persönlichkeit als zwischen Emotionaler Intelligenz und klassischer Intelligenz. Der Grund hierfür ist nach Ansicht der Autorin jedoch weniger fundamental begründbar, sondern vielmehr so zu erklären, dass die bei den Tests verwendeten Indikatoren bei mixed EI so ausgelegt sind, dass sie eher typisches und somit persönlichkeitsbildendes Verhalten messen als maximales Verhalten. Der Nachweis eines Zusammenhangs von Emotionaler Intelligenz mit Konstrukten der Persönlichkeit bzw. klassischen Intelligenzkonzeptionen hängt also in besonderem Maße von der Struktur der zugrunde liegenden Tests ab.669 Diese Vermutung wird von van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005) bestätigt, die in ihrer Metaanalyse zeigen, dass persönlichkeitsbasierte Emotionale Intelligenz (mixed EI) im Vergleich zu leistungsbasierter Emotionaler Intelligenz (ability EI) stärker mit den big five Elementen korreliert. Umgekehrt korreliert leistungsbasierte Emotionale Intelligenz (ability EI) im Vergleich zu persönlichkeitsbasierter Emotionaler Intelligenz (mixed EI) stärker mit klassischer Intelligenz.670 Dieser Nachweis zeigt zwar, dass die Meßmethoden nicht das Gleiche erheben, bringt aber keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Frage, ob das Konstrukt der Emotionalen Intelligenz wirklich den Anspruch der Eigenständigkeit erfüllen kann. 666 667 668 669 670
Vgl. Lam/Kirby (2002), S. 139. Vgl. Weber (2002), S. 41. Vgl. van der Zee/Thijs/Schakel (2002). Vgl. van der Zee (2003), S. 79. Vgl. van Rooy/Viswesvaran/Pluta (2005), S. 454.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
239
Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden: Sowohl Modelle auf der Basis ausschließlich klassischer Intelligenz als auch solche auf Basis von Persönlichkeitseigenschaften weisen z.B. in Bezug auf die Vorhersage von Leistungsparametern im Organisationskontext erhebliche Kriterienvarianzen auf. Das zur Schließung der Erklärungslücke gedachte Modell der Emotionalen Intelligenz korreliert je nach zugrunde liegender Meßmethode mehr mit klassischer Intelligenz bzw. mehr mit Persönlichkeitskonstrukten, so dass die Eigenständigkeit abschließend (noch) nicht beurteilt werden kann. Auch existiert noch keine allgemeingültige Meßmethode, denn unabhängig von der Überlappung mit Konstrukten der klassischen Intelligenz bzw. der Persönlichkeit erfüllen viele Methoden aufgrund der sehr unterschiedlichen Itemanzahl und deren Umfang nur bedingt die erforderlichen Gütekriterien.
6.1.5 Konzeptkritik In Anlehnung an die im vorangegangenen Abschnitt zusammengetragenen Erkenntnisse zur Konzeptgüte sind viele Autoren der Meinung, dass es berechtigte Zweifel an der Brauchbarkeit eines Konzeptes wie dem der Emotionalen Intelligenz gibt. Conte (2005) betont zwar die Güte einiger Messinstrumente, bezweifelt aber die Eigenständigkeit des Konstruktes: „In general, EI measures have demonstrated adequate internal consistency reliability. […] but these data by themselves give no indication about wether EI measures are simply assessing constructs already measured by other, more established constructs (e.g., the Big Five personality dimensions).“671 Nach Schuler (2002b) findet im Rahmen der Postulierung von Emotionaler Intelligenz eine unzulässige Vermengung verschiedener Fähigkeiten statt. Es gilt zu berücksichtigen, dass emotionale und kognitive Fähigkeiten, die im Rahmen Emotionaler Intelligenz gleichermaßen Berücksichtigung finden, häufig negativ miteinander korrelieren: Personen mit der Fähigkeit, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sind häufig weniger in der Lage, diese auch zu regulieren. Dies spricht also schon grundlegend gegen einen Versuch, Emotionale Intelligenz als eigenständiges Konstrukt zu deklarieren. Unabhängig davon ist aber auch die Begriffswahl angreifbar: Alle Intelligenzdefinitionen haben einen gemeinsamen Kern, den Bezug auf kognitive Leistungen. Demnach ist es schlichtweg falsch, den Umgang mit Emotionen als eigenständige Intelligenzform deklarieren zu wollen.672 Ähnlich ist Locke (2005) in Bezug auf die Definition von Emotionaler Intelligenz nach Salovey/Mayer (1990) der Ansicht, dass die Fähigkeit zur Erkennung eigener Emotionen keine 671 672
Conte (2005), S. 437. Vgl. Schuler (2002b), S. 63.
240
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
gesonderte Form der Intelligenz benötigt.673 Auch fördert das Konzept der Emotionalen Intelligenz keinerlei neuen Erkenntnisse zu Tage: Alle deklarierten Merkmale sind rückführbar auf Facetten der klassischen Intelligenz (z.B. sprachgebundene Intelligenz, Verarbeitungskapazität etc.) oder aber spezifische Merkmale der Persönlichkeit. So moniert Schuler (2002b) in Bezug auf das Konzept auch, dass die Facetten weniger methodisch sauber voneinander getrennt, sondern vielmehr unsystematisch miteinander in Verbindung gebracht werden.674 Dieses Manko haftet den meisten Konzeptionalisierungsversuchen an: „Most definitions are so all-inclusive as to make the concept unintelligible.“675 Resümierend handelt es sich nach Schuler (2002a) daher um eine Form von „Etikettenschwindel“: altbekannte Erkenntnisse werden in unsachgemäßer und widersprüchlicher Weise zu einem vermeintlich neuen, aber ungültigen Konzept verarbeitet. Kurz gesagt bezeichnet er Emotionale Intelligenz als rückschrittlich, irreführend, ignorant und unnötig.676 Auch Locke (2005) hält das Konzept für allgemein ungültig, da Emotionale Intelligenz letztlich nur klassische Intelligenz ist, die auf ein spezifisches Feld (hier: Emotionen und der Umgang mit ihnen) angewendet wird. Intelligenz kann aber innerhalb vieler Bereiche Anwendung finden, ohne dass sich daraus zwangsläufig gleich eine neue Intelligenzform ergibt.677 Obwohl Schuler (2002b) den Umgang mit Emotionen für einen zentralen Bereich individuellen Handelns hält, ist die Konzeptionalisierung in Form von Emotionaler Intelligenz als unzulässig zu bezeichnen.678 Ähnlich reagiert auch Sieben (2001), die sich in ihrer Betrachtung vornehmlich auf das Modell von Goleman (1998) konzentriert und für die dessen Konzeptionalisierungsversuch als „unschlüssiger Rückgriff auf Intelligenzkonzeptionen“679 zu bezeichnen ist. Auch ist zu bemängeln, dass die im Rahmen des Modells von Goleman (1998) propagierten Kompetenzen, die das Modell bilden, weder hinsichtlich ihrer Anzahl begründet, noch inhaltlich zusammengeführt oder voneinander abgegrenzt werden.680 Auch Locke (2005) kritisiert die Anzahl der propagierten Kompetenzen, und insbesondere die Tatsache, dass etwa kognitive Aspekte, die im Rahmen von Führung ebenfalls von Relevanz sind, völlig ausgeblendet werden.681 Ashkanasy/Daus (2005) konkretisieren angesichts zu Recht bestehender Kritik ihre
673 674 675 676 677 678 679 680 681
Vgl. Locke (2005), S. 426. Vgl. Schuler (2002b), S. 64. Locke (2005), S. 430. Vgl. Schuler (2002a), S. 139. Vgl. Locke (2005), S. 427. Vgl. Schuler (2002b), S. 63. Sieben (2001), S. 147. Vgl. Sieben (2003), S. 27. Dies sind z.B. Fragen wie „Where should the company be heading?“ „How to attain a competitive advantage?“ „ How to balance the short term with the long term?“ Locke (2005), S. 428-429.
6.1 Das Konzept der Emotionalen Intelligenz
241
Auffassung von Emotionaler Intelligenz: „As a consequence, we see emotional intelligence neither as some new form of social intelligence, nor as a substitute for intellectual intelligence. From our perspective, emotional intelligence is another tool that I/O psychologists and scholars of organizational behavior can use in their efforts to understand and predict behavior.“682 Kluge (2003) vermutet, dass über die Formulierung von Emotionaler Intelligenz im Organisationskontext eine Fähigkeit zu formulieren versucht wird, die besonders im Hinblick auf Führungsprozesse das Funktionieren zwischenmenschlicher Interaktion nur in Abhängigkeit zur Fähigkeit der Führungskraft betrachtet. Hierbei werden jedoch externe Parameter wie z.B. der mangelnde Kooperationswille bei Mitarbeitern, zeitliche Restriktionen oder auch Qualifikationsprobleme vollständig ausblendet. Dem muss jedoch entgegen gehalten werden, dass emotionsbezogenes Wissen und regulative Fähigkeiten im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse diese uneingeschränkt positiv beeinflussen, wenngleich nach Prati et al. (2003a) die emotionsbezogenen Fähigkeiten beider Teilnehmer eine Rolle spielen.683 Asendorpf (2002) merkt an, dass Emotionale Kompetenz, was als Begriff seiner Meinung nach eher zulässig ist als der Begriff Emotionale Intelligenz, als einheitliches Konstrukt nicht existiert, sondern vielmehr ein System vieler unterschiedlicher Fähigkeiten ist, die stets im situativen Kontext zu sehen sind.684 Das Konstrukt kann und muss somit in aller Konsequenz abgelehnt werden, da es suggeriert, eine übergeordnete Fähigkeit zu umschreiben, die es realiter nicht gibt.685 Wottawa (2003) entzerrt die Diskussion, indem er darauf verweist, dass insbesondere das von Goleman sehr populärwissenschaftlich postulierte Konstrukt der Emotionalen Intelligenz weniger als psychologisch-wissenschaftliches Konstrukt aufzufassen ist, sondern vielmehr darauf hinweisen soll, dass der Umgang mit Emotionen im Rahmen von Arbeits- und Führungsprozessen u.U. entscheidenden Einfluss auf Ergebnisparameter hat und, dass dieser Umgang losgelöst sein kann von kognitiven Kapazitäten.686 Diese Auffassung rückt das Modell in ein anderes Licht und nimmt der recht unfruchtbaren Diskussion um Meßmethoden, Modellspezifikationen und andere Konstruktparameter ein wenig den Nährboden. Auch Ashkanasy/Daus 682 683 684 685
686
Askanasy/Daus (2005), S. 449. Vgl. Kluge (2003), S. 197. Vgl. Asendorpf (2002), S. 181. Der Autor merkt z.B. an, dass jeweils individuelle und situationale Spezifika mit einbezogen werden müssen. So kann ein Individuum etwa gut mit Angst umgehen können, aber gefühlten Ärger nicht im Griff haben. Vgl. Asendorpf (2002), S. 181. Vgl. Wottawa (2003), S. 23.
242
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
(2005) schließen sich dieser Meinung an: „We simply see emotional intelligence as a way to explain incremental variance in important organizational outcomes.“687 Abschließend kann festgehalten werden, dass trotz der berechtigten Kritik eine dem Konzept innewohnende Substanz nicht abgesprochen werden kann.688 Klassische Intelligenz ist besonders in solchen Situationen sinnvoll, wo es um die Lösung eindeutiger Probleme geht: die Führungsrealität im sozialen Kontext ist aber durch ein hohes Maß an Unstrukturiertheit geprägt „for which no one best answer is available.“689 Gerade die in Kapitel 3 dargestellten Wandelprozesse haben deutlich gemacht, dass künftig die Lösung komplexer sozialer Probleme ein elementares Anforderungsfeld für Führungskräfte bildet, im Rahmen dessen auch oder besser gerade emotionale Wirkmechanismen eine essentielle Rolle spielen. In Anlehnung an van der Zee/Thijs/Schakel (2002) hat in diesem Zusammenhang die Diskussion um Emotionale Intelligenz den Umgang mit Emotionen auch und gerade im Führungsprozess wieder auf die Agenda geholt und zwar losgelöst von klassischer Intelligenz und Persönlichkeitskonstruktionen. Gleichwohl ist es jedoch denkbar, dass die Diskussion um die Grundlage von Emotionaler Intelligenz durch die Bildung eines weniger schwer zu fassenden Konzeptes wie Emotionale Einsicht, Emotionale Kompetenz o.ä. abgelöst wird.690 Die Frage, ob Emotionale Intelligenz einen Teil der Persönlichkeit bildet oder mit klassischer Intelligenz in Zusammenhang zu bringen ist, sich dabei aber von den genannten jeweils unterscheidet oder ob aber beides auf das Konzept zutrifft, kann abschließend (noch) nicht beantwortet werden. Fasst man die Erkenntnisse aus den Abschnitten 6.1.1-6.1.4 zusammen, dann bleiben insbesondere folgende Fragen offen: 1. Lässt sich das Konzept der Emotionalen Intelligenz eindeutig von anderen Konzepten wie der klassischen Intelligenz oder spezifischen Merkmalen der Persönlichkeit abgrenzen und wenn ja in welcher Form? Handelt es sich eher um eine Eigenschaft der Persönlichkeit messbar durch Selbstberichtsverfahren, um eine individuelle Fähigkeit messbar durch Formen von Leistungstests oder um eine Mischform? 2. Wie lässt sich hieraus ableitbar Emotionale Intelligenz im Rahmen eines Modells exakt spezifizieren (Anzahl, Umfang und Ausgestaltung der Modelldimensionen)? 687 688
689 690
Ashkanasy/Daus (2005), S. 446. Weitere kritische Auseinandersetzungen bzgl. des Konzepts der Emotionalen Intelligenz, die aufgrund des marginalen Mehrwertes für die weiteren Ausführungen an dieser Stelle nicht dargestellt werden, finden sich u.a. bei Daus/Ashkanasy (2003), Matthews/Roberts/Zeidner (2004), Mayer/Salovey/Caruso (2004), Gohm (2004), Brody (2004), Landy (2005). van der Zee (2003), S. 78. Vgl. u.a. van der Zee (2003), S. 79 und Locke (2005), S. 429.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
243
Welche Komponenten, Elemente bzw. Facetten sind hierbei für die empirische Überprüfung essentiell? 3. Welche Art von Messinstrumenten sind hinsichtlich ihrer Gütekriterien brauchbar, um Emotionale Intelligenz erheben zu können? Können emotionsbezogene Kompetenzen in diesem Zusammenhang valide und reliabel gemessen werden? Über das Konzept der Emotionalen Intelligenz haben viele Autoren versucht, die bei der Beurteilung und Auswahl von Führungskräften häufig zu sehr auf fachlich-kognitive Aspekte fokussierende Vorgehensweise und deren teilweise mangelhafte Prognosefähigkeit zu verbessern. Die diesbezüglich auf breiter Front stattfindende Ablehnung in weiten Teilen der (deutschsprachigen) Psychologie und den ihr verwandten Disziplinen dient nach Wottawa (2003) aber nur wenig der Weiterentwicklung des grundlegend vorhandenen Potentials: der stärkeren Berücksichtung von Emotionen und dem Umgang mit ihnen innerhalb von Arbeitsund Führungsprozessen: „Gesellschaftliche Bedarfe werden nicht dadurch behoben, dass man die evtl. unbeholfenen Lösungsversuche evtl. wesentlich weniger kompetenter Personen nur kritisiert, sondern nur dadurch, dass man bessere, konkret anwendbare Konzepte erarbeitet und erfolgreich in die Praxis einbringt.“691 So muss sich die akademische Psychologie nach Wottawa (2003) bei aller Kritik zu Recht die Frage stellen, warum sie es mit all ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen und fundierten Konstrukten nicht geschafft hat, der Emotionalen Intelligenz entsprechend meinungsbildend zu wirken und in Anbetracht der Insuffizienzen bestehender Modelle bei gleichzeitig nachweisbarer Einflussstärke von Emotionen entsprechende Modelle zu konstruieren, die den bestehenden Forschungsbemühungen umfassend Rechnung tragen.692
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess 6.2.1 Theorie Für Mayer/Caruso (2002) fördern Emotionen innerhalb sozialer Interaktionsprozesse wichtige Informationen über die Beziehungsqualität der einzelnen Individuen zueinander zutage und determinieren bzw. initiieren gleichzeitig spezifische Haltungen und Handlungen.693 Nach Ansicht von George (2000) unterstützt und optimiert hierbei die Emotionale Intelligenz von Führungskräften eine Vielzahl von Prozessen im Arbeits- und Führungskontext. So verfügen 691 692 693
Wottawa (2003), S. 23. Vgl. Wottawa (2003), S. 22. Vgl. Mayer/Caruso (2002), S. 1.
244
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
emotional intelligente Führungskräfte z.B. über die Fähigkeit zu erkennen, in welcher Weise ihr emotionaler Zustand ihre eigenen Entscheidungen beeinflusst. Dies führt dazu, dass über Wahrnehmungs- und Regulationsprozesse Entscheidungen erneut überdacht werden: Führungskräfte realisieren, dass Emotionen und Stimmungen einerseits erheblichen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie Aufgaben und Probleme betrachtet werden und andererseits die Anzahl möglicher Handlungsalternativen und -optionen u.U. limitieren.694 Konkret auf den Führungsprozess übertragen sind emotional intelligente Führungskräfte in Bezug auf ihre geführten Mitarbeiter in der Lage, individuelle wie gruppenspezifische Stimmungen zu lesen und u.U. auch Gründe hierfür zu erkennen. Durch emotionsbezogenes Wissen können Führungskräfte ereignis- und verhaltensbasierte Entstehungsmechanismen von Emotionen (Ankündigung von Stellenstreichungen, übermäßig autoritäres Führungsverhalten etc.) sowie nachgelagerte Effekte emotionalen Erlebens (z.B. niedrige Arbeitszufriedenheit, innere Kündigung etc.) erkennen und im Rahmen ihres Führungsverhaltens entsprechend antizipieren. Gleichzeitig können sie positive wie negative Emotionen bei sich selbst und ihren Mitarbeitern entsprechend regulieren, um etwa ein höheres Maß an Enthusiasmus und Optimismus bei ihnen zu erzeugen. Nach Sosik/Megerian (1999) ist es für Führungskräfte von essentieller Bedeutung in der Lage zu sein, erfolgreiches Beziehungsmanagement mit den von ihnen geführten Mitarbeitern im Sinne eines Aufbaus von starken emotionalen Verbindungen betreiben zu können. Nach Ansicht der Autoren determiniert die durch die Emotionale Intelligenz abgebildete Fähigkeit mit Emotionen systematisch umgehen zu können, in welcher Weise Führungskräfte über die Wahrnehmung und Regulation von Emotionen Beziehungen steuern und das Leistungsvermögen ihrer Mitarbeiter beeinflussen können.695 Aus Sicht der Führungskraft führt das Erkennen von Emotionen dazu, dass in Abhängigkeit des emotionalen Klimas der Individuen und des Kollektivs positiv oder negativ regulierende Maßnahmen ergriffen werden können, um die intendierten Ziele zu erreichen.696
694
695 696
Während übermäßig positive Emotionen u.U. dazu führen, dass man Risiken unterschätzt oder Entscheidungen übereilt trifft, können übermäßig negative Emotionen dazu führen, dass Entscheidungsalternativen ausgeblendet bzw. gar nicht erkannt werden. Auch für den Entscheidungsprozess völlig irrelevante Emotionen können diesen behindern und somit die Entscheidungsqualität negativ beeinflussen. Vgl. George (2000), S. 1040-1044. Vgl. Sosik/Megerian (1999), S. 369-371. Wenngleich es in dem meisten Fällen darum geht, übermäßig negative Emotionen dahingehend zu regulieren, dass die Individuen die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen vollständig wahrnehmen bzw. in ihr Kalkül mit einbeziehen, kann es auch umgekehrt sein, dass übermäßig positiven Emotionen entgegengesteuert werden muss, um z.B. leichtsinniges Verhalten zu verhindern. So ist es vorstellbar, dass Mitarbeiter z.B. in einer neuen Strategie (z.B. Fusion mit einer anderen Abteilung) ausschließlich negative
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
245
Auch Prati et al. (2003a) sehen in Emotionaler Intelligenz eine erfolgskritische Variable im Hinblick auf die Effizienz von Führungskräften, wenn es darum geht, Handlungsabsichten von geführten Mitarbeitern und deren Gründe im Führungskontext zu erkennen und dieses Wissen bei der Zielerreichung im Rahmen emotionaler Regulations- und Steuerungsprozesse zielgerichtet einzusetzen. So vertreten sie die Ansicht, dass die von Führungskräften geführten Teams bzw. deren Performance erheblich von der Emotionalen Intelligenz der Führungskräfte abhängt. Auf Grundlage verschiedener theoretischer Ansätze und empirischer Studien formulieren die Autoren eine Vielzahl von zu testenden Hypothesen. So sehen sie Emotionale Intelligenz bei Führungskräften nicht nur als Vorraussetzung für die Induktion von Motivation bei Mitarbeitern an, sondern vertreten auch die Ansicht, dass z.B. das Maß der Gruppenkohäsion von geführten Teams auch von der Emotionalen Intelligenz der sich im Team befindlichen Mitglieder abhängt.697 Die Autoren berücksichtigen bei der Betrachtung von Emotionaler Intelligenz als Einflussfaktor im Organisationskontext also nicht nur, wie George (2000), die Führungskräfte, sondern auch die geführten Mitarbeiter selbst. Erst das Zusammenspiel führt modellhaft zu einer höheren Teameffektivität. Auch hat die Emotionale Intelligenz der Führungskraft nach Zhou/George (2003) erheblichen Einfluss auf die Kreativität der geführten Mitarbeiter, indem sie z.B. in der Lage ist, das emotionale Klima in der Weise zu beeinflussen, dass Mitarbeiter im Prozess der Ideengenerierung und -evaluierung nicht durch negativ destruktive Emotionen blockiert werden.698 Nach der Auffassung von Antonakis (2003) stellt das Konzept der Emotionalen Intelligenz im Arbeits- und Führungskontext hingegen kein wirkliches Novum dar, da alle dargestellten Erkenntnisse durch bereits bestehende Intelligenz- bzw. Persönlichkeitskonstrukte erklärt werden können. So muss man annehmen, dass durch Emotionale Intelligenz kein über diese Konstrukte hinausgehender Erklärungsgehalt im Hinblick auf die Effizienz von Führungskräften generiert wird, zumal Prati et al. (2003a) bei der Bildung ihrer Hypothesen Studien anführen, bei denen keine etablierten Meßmethoden verwendet werden, so dass die daraus gezogenen Schlüsse unzulässig sind.699 Diese Auffassung geht einher mit von Becker (2003) gestellten
697
698 699
Folgen für sich und ihr Arbeitsumfeld (unklare Zuständigkeiten, fremde Kollegen usw.) vermuten, weil sie die damit verbundenen, positiven Chancen (z.B. neue Aufgabengebiete und Projekte) nicht erkennen. Auch ist denkbar, dass das Erreichen bzw. Übertreffen von Quartalszielen aufgrund der damit verbundenen positiven Emotionen zu einer unrealistischen, weil überschätzten, Prognose für das kommende Quartal führt und entsprechende Verhaltensweisen (z.B. Reduktion der Arbeitsintensität) nach sich zieht. Insgesamt formulieren die Autoren 12 Thesen, z.B.: ”The emotionally intelligent team leader will induce collective motivation in team members.“ „The level of work-team cohesion is dependent upon the degree of team members’ emotional intelligence.“ Vgl. Prati et al. (2003a), S. 27-34. Vgl. Zhou/George (2003), S. 554-563. Vgl. Antonakis (2003), S. 356-357.
246
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Frage: „However, why can’t emotional intelligence simply be seen as general intelligence directed at emotional phenomena?“700 Antonakis (2003) bezieht sich in seiner Argumentation insbesondere auf zwei Metaanalysen von Lord/DeVader/Alliger (1986) und Judge et al. (2002), die einen korrelativen Zusammenhang zwischen Führungserfolg und klassischer Intelligenz (0,52) bzw. Führungserfolg und den big five Persönlichkeitsfaktoren (0,48) nachweisen.701 Unklar ist jedoch, ob der Umgang mit Emotionen als konkrete Führungsvariable im Rahmen dieser Studien den Erklärungsgehalt nicht noch weiter erhöhen würde. Nach Ansicht von Antonakis (2003) ist dies nicht der Fall, da der Autor die grundsätzliche Auffassung vertritt, dass der Umgang mit Emotionen für Führungskräfte nicht zwangsläufig deren Effektivität erhöhen muss: „Being immune to detecting subtle emotional nuances in others may actually be useful for leaders, especially top-level leaders, because they would be able to focus on the mission and would not be derailed by negative emotions, pandering to individuals, and beeing agreeable.“702 Mayer/Caruso (2002) sind ähnlich wie Prati et al. (2003a) und George (2000) in diesem Zusammenhang gänzlich anderer Auffassung: „Leaders who are high in EI may be better equipped to develop stronger teams, and to communicate more effectively with others.“703 Anzumerken ist weiterhin, dass Antonakis (2003) bei seiner Argumentation folgenden Tatbestand ausblendet: Mitarbeiter und auch Führungskräfte werden durch ihr Emotionserleben in Bezug auf Leistungsfähigkeit, kognitive Fähigkeiten usw. u.U. in stark negativer Weise beeinflusst (z.B. durch das Erleben von Angst). Ein Ignorieren des emotionalen Klimas bedeutet nun, dass man auch die Ineffizienz der eigenen Person bzw. der Mitarbeiter missachtet und somit weit unterhalb des individuellen bzw. kollektiven Leistungsvermögens bleibt. Es ist anzumerken, dass die Gegner der Emotionalen Intelligenz den Befürwortern häufig (fälschlicherweise) unterstellen, das Konstrukt als eine Art alleiniges Heilmittel anzusehen.704 Dabei sprechen sich selbst die Begründer des Konstruktes im Hinblick auf den Arbeits- und Führungskontext und auf das Verhältnis von emotionalen und kognitiven Kompetenzen ebenfalls weniger für ein „entweder oder“ als vielmehr für ein „sowohl als auch“ aus: „We believe it [EI] is one useful tool, but we also believe that there is more than one way to lead, and that certain situations call for EI more (or less) than others.“705 Auch Prati et al. (2003b) reagieren ähnlich: „Our intent is not to diminish the importance of general intelligence as a pre700 701 702 703 704 705
Becker (2003), S. 193. Vgl. Lord/deVader/Alliger (1986), S. 405 und Judge et al. (2002), S. 773. Antonakis (2003), S. 357. Mayer/Caruso (2002), S. 5. Vgl. Antonakis (2003), S. 355. Mayer/Caruso (2002), S. 5.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
247
dictor of leader effectiveness, but to highlight the influence of emotional intelligence on effectiveness.“706 Die Bedeutung von Emotionen im Kontext sozialer Interaktion konnte hinlänglich verdeutlicht werden. Die Intention der Befürworter der Emotionalen Intelligenz besteht nun lediglich darin, die hieraus ableitbare Notwendigkeit im Hinblick auf die Steuerung und Regulation von Emotionen aufzuzeigen und diese dabei nicht auf eine Form von Schemawissen als rein kognitive Fähigkeit zu reduzieren. Vielmehr stellt der kompetente Umgang mit Emotionen, wie bei George (2000) angedeutet, eine komplexe inter- und intrapersonale Fähigkeit dar, so dass die konkrete Fokussierung auf emotionsinduzierte Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen bei Mitarbeitern und Führungskräften selbst einer mechanistischen und rein kognitiv geprägten Herangehensweise entgegen steht. Gerade das Erkennen und Wahrnehmen von Emotionen bei sich und anderen lässt sich über kognitive Fähigkeiten nicht erfassen: „Gefühle selbst zu erfühlen ist etwas anderes, als Gefühle nur gedanklich zu vermuten.“707 In diesem Zusammenhang merkt Antonakis (2003) jedoch an, dass das Erkennen von Emotionen bei sich und anderen eine sehr komplexe Fähigkeit darstellt. Die Wahrscheinlichkeit von Fehleinschätzungen und Missinterpretationen ist hoch, so dass entsprechende Regulationsund Steuerungsversuche ebenfalls fehlerhaft verlaufen können und die so induzierten Folgewirkungen die eigentliche Intention, etwa die Optimierung von Führungsprozessen, verhindern.708 Elfenbein/Ambady (2002) weisen im Rahmen einer von ihnen durchgeführten Studie zur Fähigkeit der Emotionserkennung darauf hin, dass diese in besonderem Maße davon abhängt, ob negative oder positive Emotionen erkannt werden müssen und über welchen Kanal (verbal vs. nonverbal) diese jeweils kommuniziert werden.709 Grundsätzlich spricht dieser Tatbestand aber nicht gegen eine Implementierung des Konzepts im Organisationskontext, sondern verdeutlicht lediglich dessen Komplexität und die daraus ableitbare Notwendigkeit der systematischen Einbindung. Auch dem häufig in Verbindung mit Emotionaler Intelligenz geäußerten Verdacht, dass durch die Anwendung der dem Konzept zugrunde liegenden Fähigkeiten wie Emotionserkennung und -steuerung die Gefahr der Mitarbeitermanipulation besteht, was eine ethische Bedenklichkeit der Konzeptanwendung mit sich brächte, kann widersprochen werden: Es geht in erster Linie um die Bewusstmachung, dass emotionales Erleben 706 707 708 709
Prati et al. (2003b), S. 364. Dietz/Geiselhardt (2000), S.54. Vgl. Antonakis (2003), S. 357. Freude kann demnach besser anhand des Gesichtsausdrucks als anhand der Stimme erkannt werden. Angst ist unabhängig vom Kommunikationskanal im Gegensatz zu Traurigkeit deutlich schwieriger zu erkennen. Vgl. Elfenbein/Ambady (2002), S. 967.
248
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
nachgelagerte Motivations- und Handlungsprozesse beeinflusst. Eine Form der aktiven Einflussnahme ist aber nicht zwangläufig mit Manipulation gleichzusetzen, zumal die genuine Aufgabe von Führungskräften darin besteht, Mitarbeiter dahingehend zu beeinflussen, Dinge zu tun, die nicht in erster Linie auf ihr Relevanzsystem zurückzuführen sind.710 Die Wahrnehmung von und der Umgang mit Emotionen unterstützt diesen Prozess lediglich.
6.2.2 Empirische Befunde Die Begründer des Begriffs der Emotionalen Intelligenz propagieren deren positiven Einfluss auf den Arbeits- und Unternehmenserfolg bei Individuen im Allgemeinen und den Führungserfolg von Managern im Speziellen. Trotz der mittlerweile recht großen Anzahl an theoretischen Ansätzen gibt es bisher nur äußerst wenige empirische Studien, die auf einer systematischen Grundlage anhand nachvollziehbarer Kriterien durchgeführt wurden.711 Hierbei muss jedoch folgendes angemerkt werden: wie in den Abschnitten 6.1.1, 6.1.2 und 6.1.3 dargelegt werden konnte, ist das Konzept der Emotionalen Intelligenz noch nicht eindeutig und abschließend spezifizierbar. Sowohl die Abgrenzung von anderen Konzepten (6.1.1), die Formulierung und Dimensionierung einer Modellform (6.1.2) als auch die Konstruktion von Meßmethoden (6.1.3) umfasst eine Vielzahl von Ansätzen, die hinsichtlich ihrer Struktur sehr stark differieren. Auch ist immer noch unklar, ob Emotionale Intelligenz eher eine Persönlichkeitseigenschaft (trait) oder eher eine Fähigkeit (ability) darstellt, was essentielle Auswirkungen auf ihre Erhebung hat (Selbstberichtsverfahren vs. Leistungstests). Hierin liegt auch der Grund, warum Versuche der Prüfung von Validität und Reliabilität zu sehr stark variierenden und zum Teil sogar widersprüchlichen Ergebnissen führen (6.1.4). Bereits in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass eine Vielzahl potentiell verzerrender Störgrößen existiert. So beeinflusst die Anzahl und Struktur der Modelldimensionen und -facetten sowie die verwendete Meßmethode die Güte der erhobenen Daten in erheblichem Maße. Für die angewandte Forschung, wenn es etwa darum geht, Emotionale Intelligenz als determinierenden Performance- und Erfolgsparameter im Rahmen von Arbeits- und Führungsprozessen zu untersuchen, sind dies denkbar ungünstige Vorraussetzungen: Wenn schon die im Rahmen der Studien verwendeten Basisdaten in Bezug auf Validität und Reliabilität uneindeutig und u.U. verzerrt sind, dann müssen die hieraus gezogenen Schlüsse möglicherweise ebenfalls angezweifelt bzw. erheblich eingeschränkt werden. Hinzu kommt, dass die 710 711
Vgl. Wunderer (2006), S. 4. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 3.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
249
Operationalisierung der Kontextvariablen, ähnlich wie bei der Operationalisierung von Emotionaler Intelligenz selbst, ebenfalls problembehaftet ist. So kann, wie in Kapitel 3 gezeigt, die Variable Führungserfolg nicht eindeutig spezifiziert werden, was den Versuch der Untersuchung eines korrelativen Zusammenhangs zwischen Emotionaler Intelligenz und Führungserfolg, aber auch anderen Parametern wie Leistungsvermögen, zusätzlich erschwert. Auch kann aufgrund der durch die Vielzahl der Facetten und Dimensionen begründbaren Komplexität des Konzepts der Emotionalen Intelligenz dessen Einfluss auf unterschiedliche Parameter oft nur partiell untersucht werden, da es kaum möglich ist, z.B. alle 137 von Goleman (1995) deklarierten Items im Rahmen einer Studie mit einzubeziehen. Ziel dieses Abschnitts ist die Betrachtung der Emotionalen Intelligenz bei Leistungsgemeinschaften innerhalb einer Organisation und die Darstellung des Einflusses einzelner Komponenten Emotionaler Intelligenz auf spezifische Aspekte im Arbeits- und Führungsprozess anhand von Ergebnissen empirischer Untersuchungen. Dabei wurden die Studien in der Weise ausgewählt, dass der Einfluss von Emotionaler Intelligenz im Organisationskontext in einer möglichst hohen Bandbreite dargelegt, analysiert und ausgewertet wird. Die Ergebnisse der im Folgenden präsentierten Studien und die von den jeweiligen Autoren daraus gezogenen Schlüsse sind dabei jeweils vor dem Hintergrund der oben geäußerten Problemfelder zu betrachten. Aufgrund der recht unterschiedlichen Studienschwerpunkte werden zur besseren Nachvollziehbarkeit zunächst Ergebnisse dargestellt, die sich mit Emotionaler Intelligenz als determinierende Einflussvariable im Arbeits- und Leistungskontext allgemein beschäftigen, bevor dann konkret auf den Führungskontext fokussiert wird. Im Hinblick auf die kognitive Leistungsfähigkeit wird in Anlehnung an die Metastudie von Schmidt/Hunter (1998) häufig angenommen, dass die klassische Intelligenz von Individuen einen, und meist sogar den einzigen, effektiven Prädikator für die Leistungsvorhersage darstellt, obwohl die Autoren darauf verweisen, dass die Kombination aus kognitiven und persönlichkeitsbezogenen Faktoren die prädikative Validität signifikant erhöht.712 Lam/Kirby (2002) untersuchen den Einfluss von klassischer Intelligenz auf der einen und von Emotionaler Intelligenz auf der anderen Seite auf die individuelle, kognitive Leistungsfähigkeit.713 Ihr Sample umfasst 304 Nicht-Graduierte einer Universität im mittleren Westen der USA. Die Werte für die Emotionale Intelligenz der Probanden erfassen die Autoren dabei über den MEIS, die Ermittlung der klassischen Intelligenz (IQ) wird unter Zuhilfenahme der
712 713
Vgl. Schmidt/Hunter (1998), S. 264-271. Vgl. Lam/Kirby (2002).
250
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Shipley Institute of Living IQ Scale erhoben. In Bezug auf die Messung der individuellen, kognitiven Performance wurden den Probanden acht komplexe Probleme vorgelegt (verbale Analogien, logisches Denkvermögen usw.), die jeweils innerhalb von einer Minute zu lösen waren.714 Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass Emotionale Intelligenz die kognitive Performance in einem signifikant höheren Maß beeinflusst als die klassische Intelligenz.715 Auf einem Signifikanzniveau von p 0,001 beträgt die Veränderung des R2-Wertes von Emotionaler Intelligenz im Vergleich zu klassischer Intelligenz als erklärende Variable für kognitive Performance 0,34.716 Somit belegen sie die von ihnen aufgestellte Hypothese: „Overall emotional intelligence contributes to individual cognitive-based performance over and above the level attributable to general intelligence, and the relationship is positive.“717 Einen möglichen Erklärungsgrund für dieses Phänomen liefern Schutte/Schuettpelz/Malouff (2001). Diese zeigen, dass bei kognitiven Leistungstests Probanden mit höherer Emotionaler Intelligenz mit aufkommender Frustration und Hilflosigkeit bei der Lösung schwieriger, kognitiv basierter Probleme signifikant besser umgehen können.718 Hierzu lassen sie 38 Probanden aus unterschiedlichen Berufsgruppen drei Aufgabenkomplexe lösen, wobei der erste ein normales, der zweite ein sehr hohes und der dritte Komplex wieder ein normales Schwierigkeitsniveau aufweist. Die Probanden mit einem hohen Wert an Emotionaler Intelligenz gemessen mit dem SEIS (vgl. hierzu Abschnitt 6.1.3) lösen nach dem sehr schwierigen Aufgabenblock 2 signifikant mehr Aufgaben in Block 3 als die Probanden mit niedrigerer Emotionaler Intelligenz. Hieraus schließen die Autoren, dass Individuen mit hoher Emotionaler Intelligenz bei dem Lösen von kognitiv anspruchsvollen Problemen und gleichzeitig auftretenden Gefühlen wie Frustration etc. „are better able to ward off the detrimental emotional effects of the difficulties and persist at the task.“719 Die Ergebnisse von Lam/Kirby (2002) werden gestützt durch Rozell/Pettijohn/Parker (2002). Diese untersuchen den Zusammenhang zwischen den fachspezifischen GPA-Werten720 von Studenten und verschiedenen Facetten der Emotionalen Intelligenz.721 Das von ihnen verwen714
715
716 717 718 719 720 721
Hierbei ist die Vorgabe, möglichst schnell und präzise zu arbeiten, möglichst alle Aufgabenkomplexe zu bearbeiten und möglichst viele Teilaufgaben zu lösen. Der Anteil der richtig gelösten Aufgaben ist dabei der Gradmesser für die Ermittlung der Performance. Als zusätzlicher Motivationsanreiz wurde für die höchste erzielte Punktzahl eine Prämie von 25 US-Dollar ausgelobt. Vgl. Lam/Kirby (2002), S. 135-137. Emotionale Intelligenz wird hierbei repräsentiert durch die Elemente perceiving emotions, understanding emotions und regulating emotions sowie entsprechender Subskalen. Vgl. Lam/Kirby (2002), S. 138. Vgl. Lam/Kirby (2002), S. 138-139. Lam/Kirby (2002), S. 135. Vgl. Schutte/Schuettpelz/Malouff (2001), S. 347-350. Schutte/Schuettpelz/Malouff (2001), S. 351. GPA steht für grade point average und stellt den (fachspezifischen) Notendurchschnitt der Probanden dar. Vgl. Rozell/Pettijohn/Parker (2002).
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
251
dete Sample umfasst 295 Graduates und Undergraduates einer Universität des mittleren Westens der USA der Disziplinen Management und Marketing.722 Die von den Autoren verwendete Definition von Emotionaler Intelligenz nach Goleman (1995) ist diesen mit insgesamt 137 Items jedoch zu umfangreich und erscheint ihnen wenig praktikabel: „The fact that the scale contains 137 items limits its practicality for use in field studies and consequently limits the empirical and academic assessment of the scale’s validity.“723 Aus diesem Grund reduzieren sie mit Hilfe der Faktorenanalyse die 137 Items auf fünf Faktoren und insgesamt 51 Items, von denen nachstehend für jeden Faktor jeweils beispielhaft einer genannt wird, mit folgenden Werten für Cronbachs Į:724 1. Propensity to change/adapt (0,89): i.e. recognize and remove barrieres to change 2. Group/organizational goals (0,89): i.e. committed to the group’s goals 3. Dependability/reliability/work focus (0,88): i.e. strive to keep promises 4. Customer satisfaction focus (0,88): i.e. act as trusted advisor to customer or client 5. Self focus/impression management (0,74): i.e. show stamina and resilience Die Autoren weisen einen signifikanten Zusammenhang zwischen den Werten der durch die Faktorenanalyse erzeugten Faktoren 1 bis 4725 und dem fachspezifischen GPA-Werten der Studenten nach. Wenngleich die Autoren nicht untersuchen, welche Vorhersagegüte sich bei der Verwendung von Werten zur klassischen Intelligenz ergeben würde, können sie folgendes zeigen: ähnlich wie in der Studie von Lam/Kirby (2002) ist Emotionale Intelligenz dazu in der Lage, die kognitive Leistungsfähigkeit vorherzusagen. In Bezug auf die Entwicklung und Qualifizierung von zukünftigen Führungskräften leiten Rozell/Pettijohn/Parker (2002) daher auch ab, dass in Anbetracht der Ergebnisse die Verbesserung von Emotionaler Intelligenz ein elementarer Bestandteil von Trainings- und Entwicklungsprogrammen sein sollte.726 Deeter-Schmelz/Sojka (2003) lösen sich vom rein kognitiv basierten Leistungskontext. Im Rahmen ihrer Studie gehen sie davon aus, dass „EI represents the active and intentional use of emotional knowledge to achieve desired behavioral results.“727 Auf Grundlage dieser Annahme untersuchen sie, inwieweit Facetten der Emotionalen Intelligenz den Erfolg von Ver722 723 724
725
726 727
Vgl. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 272-276. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 278. Der Wert für Cronbachs Į beträgt für die durch die Items und Faktoren gebildete Gesamtskala 0,95. Vgl. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 279-280. Der fachspezifische GPA-Wert wurde hierbei als abhängige Variable, die fünf Faktoren als unabhängige Variable verwendet. Vgl. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 284. Vgl. Rozell/Pettijohn/Parker (2002), S. 287. Deeter-Schmelz/Sojka (2003), S. 211.
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6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
käufern beeinflussen.728 Ihr Sample umfasst 11 Top-Verkäufer unterschiedlicher Branchen (z.B. Pharma, Automobil, Telekommunikation usw.) mit überdurchschnittlichem Verkaufserfolg.729 Da sich nach Ansicht der Autoren quantitative Messinstrumente bei der Erhebung von Emotionaler Intelligenz aus psychometrischer Sicht als wenig adäquat erwiesen haben, führen diese im Rahmen einer qualitativen Vorgehensweise halbstrukturierte, telefonische Tiefeninterviews durch.730 Die Interviews werden inhaltlich ausgewertet: hierbei bilden die Autoren repräsentative Aussagen für fünf Facetten der Emotionalen Intelligenz (empathy, perceiving other’s emotions, self-awareness, self-regulation und self-motivation) und erheben empirische Häufigkeiten. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Aussagen aller Interviewten jeweils fast allen fünf Facetten der Emotionalen Intelligenz bzw. diesen zuordenbaren Verhaltensankern zugewiesen werden können. Die empirisch häufigsten Zuordnungen sind: „Putting yourself in your customer’s shoes“ (empathy), „interpreting customer’s moods“ (perceiving other’s emotions), „presenting a desired image“ (self-awareness), „dealing with customers while angry“ (self-regulation), „defining oneself as self-motivated“ (self-motivation). Mindestens 10 der 11 Befragten äußern sich im Rahmen der Interviews jeweils zu diesen Items.731 Das Fazit der Autoren, die hieraus auf die Emotionale Intelligenz der Interviewten rückschließen, ist daher, dass Emotionale Intelligenz möglicherweise ein wichtiger Faktor bei der Erzielung von Verkaufserfolg ist.732 Auch Bar-On/Handley/Fund (2006) weisen anhand zweier durchgeführter Studien den positiven Einfluss von Emotionaler Intelligenz auf unterschiedliche Leistungsparameter von Individuen innerhalb von Organisationen und Leistungsgemeinschaften nach.733 In einer der zwei Studien gehen sie der Frage nach, inwieweit über die Emotionale Intelligenz von Anwerbern bei der US Air Force Vorhersagen über deren Performance möglich sind.734 Die Emotionale Intelligenz wird hierbei über den EQ-i (siehe 6.1.3) erhoben und die individuelle Performance 728 729
730
731 732 733 734
Vgl. Deeter-Schmelz/Sojka (2003). Die Erhebung der Verkaufsleistung wurde durch unterschiedliche Methoden vollzogen. Zum einen kamen Selbstberichtsmaße hinsichtlich Selbst- und Firmenperformance zum Einsatz. Des Weiteren wurden als objektive Kriterien Boni/Auszeichnungen/Preise u.ä. der einzelnen Probanden herangezogen. Vgl. DeeterSchmelz/Sojka (2002), S. 212-213. Die Interviewten wurden im Rahmen der Interviews nicht über den exakten zu untersuchenden Zusammenhang in Kenntnis gesetzt. Sie wurden hinsichtlich der Facetten empathy, perceiving other’s emotions, selfawareness, self-regulation und self-motivation sowohl mit offenen als auch mit geschlossenen Fragen interviewt. Sie mussten außerdem zur ja/nein-Beantwortung entsprechende Gründe und Beispiele liefern. Beispielfragen: “Can you read your customer’s moods? If so, how? How do you control your emotions during a sales call?” Vgl. Deeter-Schmelz/Sojka (2002), S. 212 und S. 219. Vgl. Deeter-Schmelz/Sojka (2002), S.213. Vgl. Deeter-Schmelz/Sojka (2002), S. 217. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006). Hintergrund war die Optimierung des Auswahlprozesses für eben diese: „Do people with higher EQs make more effectice recruiters, and how can we use this information to recruit them if so?“ Bar-On/Handley/ Fund (2006), S. 4.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
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aus den Rekrutierungsquoten abgeleitet. Das Sample umfasst 1.171 Anwerber der US Air Force, was 70% der zum Zeitpunkt der Durchführung (1996) insgesamt beschäftigten Anwerber entspricht. Die Autoren differenzieren hinsichtlich der Leistung der einzelnen Anwerber zwischen low und high performern und gehen bei der Gruppierung wie folgt vor: high performer erreichen oder übertreffen die 100%-Marke ihrer individuellen, jährlichen Rekrutierungsquote, low performer hingegen bleiben unterhalb von 80%.735 Mittels eines t-Tests zeigen die Autoren, dass sich beide Gruppen hinsichtlich ihrer Werte der Emotionalen Intelligenz signifikant unterscheiden: während high performer einen durchschnittlichen Wert bei der Emotionalen Intelligenz von 102 erreichen, liegt der von low performern nur bei 95 (t = 3,36 / p = 0,001). Auch bei der Verwendung von Emotionaler Intelligenz als unabhängige Variable und der Rekrutierungsquote als abhängige Variable zeigt sich, dass 28% der Leistungsvarianz durch sieben der 15 Items, die Emotionale Intelligenz gemäß dem zugrunde liegenden Modell beschreiben, aufgeklärt werden kann. Das Modell kann mit einer Genauigkeit von 0,72 high performer von low performern unterscheiden.736 In einer weiteren Studie bei den Israeli Defense Forces (IDF) werden im Rahmen mehrerer Teiluntersuchungen neben unterschiedlichen Leistungsparametern auch Führungsparameter und deren Abhängigkeit von Emotionaler Intelligenz im Organisationskontext bei den untersuchten Probanden erhoben.737 Das insgesamt zur Verfügung stehende Sample besteht hierbei aus 2.428 Soldaten aus Kampfverbänden (combatants), 2.514 Soldaten aus Nichtkampfverbänden (noncombatants) und 470 Offiziersanwärtern (officer trainees).738 In einer ersten Teiluntersuchung werden 335 Rekruten aus Kampfverbänden in Bezug auf ihre Emotionale Intelligenz verglichen.739 Dieser Vergleich zeigt, dass sich die besten 25% (n = 63) signifikant
735
736
737 738
739
Auf Grundlage dieser Leistungsgruppierung konnten 477 high performer und 114 low performer identifiziert werden. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 7. Emotionale Intelligenz wird hierbei durch die signifikanten Facetten assertiveness, interpersonal relationship, happiness, empathy, stress tolerance, social responsibility und problem-solving beschrieben. Alle anderen Facetten sind nicht signifikant. Den stärksten Prädikator für high performer stellt Selbstbewusstsein (assertiveness) dar, was im Hinblick auf die Tätigkeit von Rekrutierern durchaus sinnvoll erscheint. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 10. Auf Grundlage dieser Studie führte die US Air Force ein Screening hinsichtlich der Emotionale Intelligenz-Werte neuer Anwerber ein und konnte auf diese Weise die Mismatch-Kosten, welche durch die Auswahl schlechter Anwerber verursacht wurden, um 92% reduzieren und gleichzeitig die Quote der Anwerber, deren Rekrutierungsquote bei 100% liegt, auf 95% anheben. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 16-17. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 10-14. Die Werte zur Emotionalen Intelligenz wurden wieder über den EQ-i erhoben, die Leistungsmessung erfolgte über drei unterschiedliche Verfahren: peer nomination, criterion group memebership und commander evaluations. Vgl. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 4 Diese weisen nach Einschätzung ihrer Vorgesetzten ähnliche Gesamtleistungsergebnisse hinsichtlich der Kriterien: performs professionally, cooperates with others, fits in socially, performs under pressure, can be counted on und should remain in the unit auf.
254
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
von den schlechtesten 25% (n=67) unterscheiden (107 vs. 96740/ t = 5,18 / p < 0,000). Weiterhin gehen die Autoren der Frage nach, ob sich Rekruten, die aufgrund ihrer Spezialverwendung in Eliteeinheiten permanent starken Stresssituationen ausgesetzt sind, von denen normaler Soldaten in Nichtkampfverbänden hinsichtlich ihrer Emotionalen Intelligenz unterscheiden. Das Sample wird hierbei gebildet durch jeweils 240 Soldaten einer Eliteeinheit und 240 Soldaten aus Stabsverbänden. Der t-Test zeigt auch hier einen signifikanten Unterschied (111 vs. 98 / t = 11,75 / p < 0,000). Auch bei der Identifikation von Führungspotential zeigt sich die Stärke der Einflussgröße Emotionale Intelligenz. Über eine Gleichgestelltenbefragung erheben die Autoren das Führungspotential der Probanden: „Welcher Ihrer Kameraden verfügt Ihrer Meinung nach über hohes bzw. niedriges Führungspotential?“ Ein Vergleich der oberen 25% mit den unteren 25% der Rangliste zeigt einen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Emotionalen Intelligenz (106 vs. 98 / t = 6,74 / p < 0,000). Abschließend ergibt auch ein Vergleich der 470 Offiziersanwärter mit 470 zufällig ausgewählten Rekruten, dass erstere sich von letzteren durch einen deutlich höheren Wert hinsichtlich ihrer Emotionalen Intelligenz unterscheiden (108 vs. 100 / t = 9,60 / p < 0,000). Sämtliche Ergebnisse von BarOn/Handley/Fund (2006) „might explain why some people function better than others, assume positions of leadership, and even volunteer for highly stressful and potentially dangerous tasks at times, whereas others are unable to emotionally and socially deal with daily demands in a more intelligent and effective manner.“741 Diese Ergebnisse decken sich zu einem großen Teil mit denen von Nikolaou/Tsaousis (2002), wenngleich der Kontext ein anderer ist. Die Autoren untersuchen die Beziehung von Emotionaler Intelligenz von Individuen und unterschiedlichen Parametern wie Stress, Einstellung zur Arbeit usw. innerhalb von Organisationen.742 Ihr Sample umfasst 212 Mitarbeiter einer Gesundheitsorganisation. Die Emotionale Intelligenz der Probanden wird mittels einem selbst entwickelten Messinstrument namens EIQ (Emotional Intelligence Questionnaire) erhoben, welches ein Selbstberichtsverfahren auf Basis des Modells der Emotionalen Intelligenz von Mayer/Salovey (1997) darstellt.743 Stress am Arbeitsplatz wird über das Instrument ASSET (An Organizational Stress Screening Tool) gemessen.744 Im Ergebnis zeigt sich, dass die Gesamtwerte der Emotionalen Intelligenz (total EI) signifikant (p = 0,01) negativ bzw. positiv 740
741 742 743
744
Die Werte 106 und 97 sowie alle im weiteren Verlauf in ähnlichem Zusammenhang genannten Werte bezeichnen das Ausmaß für die ermittelte Emotionale Intelligenz der Testpersonen. Bar-On/Handley/Fund (2006), S. 3. Vgl. Nikolaou/Tsaousis (2002). Die Probanden müssen 91 Aussagen auf einer 5er Likert Skala bewerten. 1: not representative at all, 5: very representative. Vgl. Nikolaou/Tsaousis (2002), S. 330-331. Vgl. Cartwright/Cooper (2002).
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
255
mit Variablen wie overload (–0,50) und overall job stress index (–0,59) bzw. commitment of the employee to the organization (0,53) korrelieren. Mittels eines t-Tests zeigen die Autoren weiterhin, dass sich Probanden mit hoher Emotionaler Intelligenz signifikant (p = 0,01) von jenen mit niedriger unterscheiden: Probanden mit hoher Emotionaler Intelligenz weisen z.B. in Bezug auf unterschiedliche Stressindikatoren deutlich niedrigere Werte auf, als diejenigen mit niedriger.745 „The most significant finding in this study ist the strong link among EI, occupational stress, and organizational commitment.“746 Hier kommt es gerade in Bezug zu den Ergebnissen von Bar-On/Handley/Fund (2006) zu einer starken Übereinstimmung: Dort verfügen Elitesoldaten und Offiziersanwärter, bei denen gleichermaßen höhere Werte der Emotionalen Intelligenz ermittelt werden konnten, ebenfalls über höhere Stressverarbeitungskapazitäten bzw. höheres Führungspotential als die Vergleichsgruppe. Auch kann implizit geschlossen werden, dass es sich bei Elitesoldaten und Offiziersanwärtern um Individuen mit hoher Organisationsaffinität handelt, ohne dass dies explizit im Rahmen eines commitment to the organization- Wertes erhoben wurde. Feyerhem/Rice (2002) untersuchen den Zusammenhang zwischen Emotionaler Intelligenz von Gruppen747, Emotionaler Intelligenz von Gruppenleitern und Gruppenperformance.748 Die Autoren vertreten dabei die Auffassung, dass die Emotionale Intelligenz von Gruppen und ihren Leitern positiv mit der Teamperformance korrelieren. Hierbei orientieren sich die Autoren an einer Studie von Williams/Sternberg (1988), die gezeigt haben, dass bei Gruppenarbeit sowohl die interpersonalen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder wie auch deren Kompatibilität untereinander entscheidende Einflussfaktoren im Hinblick auf die Gruppenleistung sind.749 Das Sample von Feyerhem/Rice (2002) umfasst 26 Kundenserviceteams des Finanzservice Centers eines Versicherungskonzerns sowie deren Leiter (n=164). Da in den Modellen von Bar-On (1997) und Goleman (2003) auch Charaktervariablen wie Optimismus, Leistungsbereitschaft etc. enthalten sind, deren Operationalisierung in hohem Maße problembehaftet ist, wählen die Autoren für ihre Studie die Formulierung der Emotionalen Intelligenz nach Salovey /Meyer (1990). Sie determinieren diese somit als Fähigkeit und verwenden als ent-
745 746 747
748 749
Vgl. Nikolaou/Tsaousis (2002), S. 336. Nikolaou/Tsaousis (2002), S. 337. Gruppenintelligenz wird hierbei aufgefasst als die durchschnittliche Emotionale Intelligenz der Gruppenmitglieder und unterscheidet sich somit von der Formulierung von Druskat/Wolff (2001), die diese als eigenständiges Konzept darstellen. Vgl. Feyerhem/Rice (2002), S. 353. Vgl. Feyerhem/Rice (2002). Vgl. Williams/Sternberg (1988), S. 372-373.
256
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
sprechendes Messinstrument den MEIS von Mayer/Caruso/Salovey (2000). Die Autoren stellen hierbei folgende Hypothesen auf:750 1. Teams mit hoher Emotionaler Gruppenintelligenz arbeiten besser und erfolgreicher als Teams mit niedriger. 2. Teams mit Teamleitern, die ein hohes Maß an Emotionaler Intelligenz aufweisen, arbeiten besser und erfolgreicher als Teams mit weniger emotionalen Leitern.
Für den Hypothesentest werden die Hauptfaktoren Emotionale Intelligenz und Performance zusätzlich noch in Teilfaktoren zerlegt. Performance setzt sich zusammen aus den Teilfaktoren Kundenservice, Genauigkeit der geleisteten Arbeit, Produktivität sowie Übereinstimmung bezüglich kontinuierlicher Verbesserungen. Die Dimensionen der Emotionalen Intelligenz sind hier Emotionsidentifikation, Emotionsverständnis, Emotionsmanagement in Bezug auf die eigene Person und Emotionsmanagement in Bezug auf andere Personen. Hieraus wird dann ein für die jeweilige Gruppe repräsentativer Durchschnittswert ermittelt. Die Performance und ihre Teilfaktoren erhalten die Autoren auf folgende Art: Die Teams werden anhand obiger vier Kriterien auf einer 10-er Skala bewertet. Hierbei greifen die Autoren auf zwei Datensätze zurück: Eine Bewertung wird von zwei Department Managern durchführt, bei der anderen geben alle Teilnehmer inklusive der Gruppenleiter selbst eine Bewertung ihrer Gruppe ab. Aus den Bewertungen der vier Teilfaktoren ermitteln die Autoren dann zwei Gesamtbewertungen.751 Die Autoren vermuten in der variierenden Gruppengröße der untersuchten Teams eine verzerrende Einflussgröße: U.U. wird hierdurch die Gruppenintelligenz und Gruppenleistung mit beeinflusst. Dies kann jedoch im Rahmen einer Überprüfung mittels Mann-Whitney-Test ausgeschlossen werden, womit die Gruppenbewertung hinsichtlich Intelligenz und Leistung signifikant unabhängig von ihrer Größe ist.752 Zur Überprüfung der Hypothesen bilden die Autoren drei Korrelationstabellen (s. Tabelle 1719). Wichtig ist, dass die Tabellen nicht nur die Hauptfaktoren Emotionale Intelligenz und Gruppenperformance enthalten, sondern auch deren Teilfaktoren, so dass eine differenzierte Betrachtung verschiedener Zusammenhänge möglich ist.753 750 751
752
753
Vgl. Feyerhem/Rice (2002), S. 349. Eine genaue Beschreibung des Vorgangs der Ermittlung der Emotionalen Intelligenz und der Performancewerte findet sich bei Feyerhem/Rice (2002), S. 351-354. Vgl. Feyerhem/Rice (2002), S. 354. Der U-Test von Mann/Whitney ermöglicht einen Vergleich zweier Stichproben hinsichtlich ihrer zentralen Tendenz. Durch den Test kann ermittelt werden, ob sich die Stichproben signifikant voneinander unterscheiden oder nicht. Vgl. Zöfel (2003), S. 140-144. Vgl. Feyerhem/Rice (2002), S. 355-356.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess Emotionsidentifikation
Emotionsverständnis
257
EmotionsManagement754
Emotionsmanagement755
Emotionale Intelligenz (gesamt) 0,46**
Kundenservice
0,03
0,45**
0,38*
0,29
Genauigkeit
0,04
0,04
0,28
0,38*
0,21
Produktivität
–0,09
–0,11
0,19
0,33
–0,02
Übereinstimmung bzgl. kontinuierlicher Verbesserung
–0,20
–0,01
0,21
0,32
–0,02
Gesamtperformance
0,07
0,16
0,41*
0,38*
0,30
Tabelle 17: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Gruppe und Teamperformance (Bewertung durch Manager) Quelle: Feyerhem/Rice (2002), S. 355.
Emotionsidentifikation
Emotionsverständnis
Emotionsmanagement
Emotionsmanagement –0,06
Emotionale Intelligenz (gesamt) 0,11
Kundenservice
0,01
0,44*
0,10
Genauigkeit
0,03
–0,46**
0,03
0,03
–0,03
Produktivität
0,10
–0,51**
–0,01
0,06
–0,08
Übereinstimmung bzgl. kontinuierlicher Verbesserung
–0,05
–0,50**
0,05
–0,09
–0,11
Gesamtperformance
0,05
–0,32
0,05
–0,03
–0,03
Tabelle 18: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Teamleiter und Teamperformance (Bewertung durch Manager) Quelle: Feyerhem/Rice (2002), S.356.
Emotionsidentifikation
Emotionsverständnis
Emotionsmanagement
Emotionsmanagement
Emotionale Intelligenz (gesamt) –0,25
Kundenservice
–0,17
0,07
–0,26
–0,27
Genauigkeit
–0,31
–0,12
–0,38*
–0,28
–0,35*
Produktivität
–0,30
–0,23
–0,41*
–0,30
–0,40*
Übereinstimmung bzgl. kontinuierlicher Verbesserung
–0,06
0,19
–0,14
–0,14
–0,09
Gesamtperformance
0,06
0,12
–0,05
0,04
0,05
Tabelle 19: Korrelationen zwischen Emotionaler Intelligenz der Teamleiter und der Teamperformance (Bewertung durch Teammitglieder) Quelle: Feyerhem/Rice (2002), S. 356. * : p 0,05 ** : p 0,01
754 755
Emotionsmanagement wird hier hinsichtlich anderer Personen verstanden. Emotionsmanagement wird hier hinsichtlich der eigenen Person verstanden.
258
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Folgende Ergebnisse können festgehalten werden: 1. Bei der Untersuchung der Korrelationen zwischen der Emotionalen Intelligenz der Gruppe und der Teamperformance korrelieren nur die Komponenten Emotionsverständnis und Emotionsmanagement signifikant bzw. schwach signifikant mit einigen Performancekomponenten. Es existieren sechs positiv signifikante Zusammenhänge (Tabelle 17). 2. Keine Komponente der Emotionalen Intelligenz korreliert signifikant mit Produktivität oder Übereinstimmung bzgl. kontinuierlicher Verbesserung (siehe Tabelle 17). 3. Die Emotionale Intelligenz der Teamleiter hat wider Erwarten einen negativen Einfluss auf die Performance der Gruppe aus Sicht der Teammitglieder (siehe Tabelle 19). Einzig bei der Teambewertung durch die Manager ergibt sich ein schwach signifikant positiver Zusammenhang zwischen Kundenservice und Emotionsverständnis (Tabelle 18). Während Hypothese 1 also durch einige positiv signifikante bzw. schwach positiv signifikante Zusammenhänge gestützt werden kann, muss Hypothese 2 abgelehnt werden. Dies widerspricht allen Erkenntnissen der vorherigen Kapitel und wird insofern nicht als eindeutiger Beweis für die Widerlegung der These, dass die Emotionale Intelligenz von Führungskräften einen positiven Einfluss auf die Performance der geführten Teams hat, gewertet. So kommen Shipper et al. (2003) auch zu einer gegenläufigen Einschätzung. Sie untersuchen den Zusammenhang zwischen einer einzelnen Facette von Emotionaler Intelligenz (Selbstwahrnehmung) bei Führungskräften und ihrer Führungseffizienz (managerial effectiveness) und propagieren, ähnlich wie Feyerhem/Rice (2002), einen positiven Zusammenhang zwischen beiden Variablen.756 Ihr Sample umfasst 5.985 Probanden aus Malaysia, den USA und Großbritanien eines multinationalen Unternehmens, welches sich aus Führungskräften (managerial employess) sowie deren Mitarbeitern zusammensetzt.757 Selbstwahrnehmung operationalisieren die Autoren dabei als Kongruenz von Selbst- und Fremdberichtswerten der Führungskräfte und ihrer Mitarbeiter in Bezug auf die Verwendung bestimmter Führungskompetenzen.758 Führungseffizienz erheben die Autoren mittels eines strukturierten Frage756 757 758
Vgl. Shipper et al. (2003). Vgl. Shipper et al. (2003), S. 177. Die Autoren unterscheiden zwischen interactive skills, welche Fähigkeiten wie communicating goals, planning and problem solving, coaching usw. umfassen, während controlling skills verstanden werden als keeping on schedule and meeting deadlines, applying appropiate control to details usw. Vgl. Shipper et al. (2003), S. 174.
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess
259
bogens (Survey of Management Practices), wobei jeweils fünf Mitarbeiter des untersuchten Managers Fragen zu den vier übergeordneten Items works well, does high quality work, is very productive und has a very positive impact on the organization beantworten müssen.759 Im Ergebnis zeigt sich eine signifikant positive Korrelation zwischen der Selbstwahrnehmung eines Managers (Selbstwahrnehmung sowohl in Bezug auf die Verwendung von interaktiven Kompetenzen als auch in Bezug auf die Verwendung von kontrollierenden Kompetenzen) und seiner Effektivität in allen betrachteten Ländern. Die erklärte Varianz liegt in Abhängigkeit der betrachteten Länder und der verwendeten Kompetenzen (interactive vs. controlling) zwischen 0,28 und 0,72.760 Im Folgenden werden einige weitere ausgewählte Ergebnisse empirischer Studien, die sich mit dem Einfluss von Emotionaler Intelligenz im Arbeits- und Führungskontext beschäftigen, dargestellt. Da sie in Bezug auf die bereits ausführlich dargelegten Studien keine zusätzlichen Erkenntnisse mehr generieren, erfolgt die Darstellung tabellarisch (s. Tabelle 20 und 21).
6.2.3 Kritische Würdigung In Anbetracht der dargelegten Ergebnisse kann der von Zeidner/Matthews/Roberts (2004) geäußerten Ansicht zunächst einmal widersprochen werden, dass „the potential benefits from the use of EI in the workplace may be premature or even misplaced.“761 Gleichwohl sind die Ergebnisse, wie bereits erwähnt, aber nicht unabhängig von einigen potentiellen und dabei elementaren Störfeldern zu sehen. Die Autoren obiger Studien verwenden sehr unterschiedliche und voneinander abweichende Meßmethoden, die teilweise sogar selbst konstruiert wurden (z.B. Deeter-Schmelz/Sojka 2003), so dass in einem solchen Fall keine Angaben über die Erfüllung der Gütekriterien existieren. Für die Beurteilung der Studien sind diese aber essentiell: Ist die Güte der Instrumente nicht gegeben, so sind die erhobenen Werte unbrauchbar und die aus den Studien gezogenen Ergebnisse somit unzulässig. Wenngleich für viele Messinstrumente bereits Güteuntersuchungen vorliegen (vgl. Abschnitt 6.1.4), existiert noch kein allgemein akzeptiertes Instrument zur Erhebung von Emotionaler Intelligenz. Dabei besteht insbesondere die Gefahr, dass durch die in den Studien verwendeten Instrumente lediglich Tatbestände zu Tage gefördert werden, die durch bereits bekannte Konstrukte
759
760 761
Alle verwendeten Items werden von den Autoren hinsichtlich ihrer Reliabilität geprüft und erreichen Werte von jeweils deutlich über 0,7. Vgl. Shipper et al. (2003), S. 178. Vgl. Shipper et al. (2003), S. 184. Zeidner/Matthews/Roberts (2004), S. 388.
260
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Autor
Rapirsada (2002)
Carmelli (2003)
Kernfrage
Beeinflusst die Emotionale Intelligenz einer Gruppe762 die Gruppenko-häsion763 und die Gruppenpenperformance?
Welchen Einfluss hat Emotionale Intelligenz auf unterschiedliche Ergebnisparameter im Arbeitsprozess bei Führungskräften (Job Performance, altruism etc.)?
Samplebeschreibung
Methode/Vorgehensweise
Ergebnis
18 Teams eines MBA Programms (insgesamt nahmen an der Studie 91 MBA-Studenten im Alter zwischen 24 und 48 Jahren teil, die jeweils als Mitglied in einer von 18 Studiengruppen mindestens 16 Stunden pro Woche gemeinsam bestimmte Projekte durchführten, Aufsätze anfertigten usw. Vgl. Rapirsada (2002), S. 369.)
Diese werden bezüglich 13 der 19 Kompetenzen Emotionaler Intelligenz aus allen vier von Goleman (2003) konzipierten Dimensionen getestet. Die Werte für Gruppenperformance sowie Gruppenkohäsion werden durch Selbsteinschätzung der Studenten als auch durch Beurteilung der zuständigen Fakultätsmitglieder erhoben, die Werte für die Emotionale Intelligenz der Studenten u.a. mittels Emotional Competence Inventory (ECI). Emotionale Intelligenz wird dabei also implizit als Eigenschaft der Persönlichkeit aufgefasst (mixed EI).
Im Rahmen einer Korrelationsanalyse kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass die Facetten der Emotionalen Intelligenz sowohl die individuelle kognitive Leistungsfähigkeit der Studenten als auch die Gruppenkohäsion der Gruppen, innerhalb derer die Studenten agieren, verbessern. Empathy (social awareness) und achievement orientation (self management) beeinflussen hierbei die Kohäsion (eingeschätzt durch die Studenten selber) am stärksten (r=0,63 / p < 0,1). Vgl. Rapirsada (2002), S. 373-374.
98 CFOs lokaler Regierungsbehörden in Israel
Die abhängigen Variablen job performance, altruism, career commitment, job satisfaction usw. werden mittels Fragebögen auf 5-, 6- und 7-stufigen Skalen erhoben. Die verwendeten Skalen wurden hinsichtlich ihrer Reliabilität bereits von anderen Autoren überprüft und aufgrund ihrer Cronbach ĮWerte von Carmelli (2003) übernommen.764/765 Emotionale Intelligenz wird vom Autor aufgefasst als Eigenschaft der Persönlichkeit (mixed EI) und ebenfalls über ein Selbstberichtsverfahren, den von Schutte et. al. (1998) entwickelten Test mit Hilfe von 33 Items erhoben (Cronbachs Į 0,90).
Der Autor weist signifikante positive Korrelationen (p 0,001) zwischen der Emotionalen Intelligenz der Führungskräfte und den folgenden abhängigen Variablen nach: job performance (0,32), altruism (0,38), career committment (0,38), job satisfaction (0,27).
Tabelle 20: Emotionale Intelligenz als Einflussvariable: empirische Studien (Teil I) Quelle: eigene Darstellung
762
763
764
765
Gruppe ist hierbei nach Guzzo/Dickson (1996) definiert als „individuals who see themselves and who are seen by others as a social entity, who are interdependent because of the tasks they perform as members of a group, who are embedded in one ore more lager social systems (e.g., community, organization), and who perform tasks that affect others (such as customers or coworkers).“ Guzzo/Dickson (1996), S. 308. Festinger (1950) versteht unter dem Begriff Kohäsion im Kontext „the forces acting on members to remain in the group. These forces may depend on the attractiveness or unattrativeness of either the prestige of the group, members in the group, or the activities in which the group engages.“ Festinger (1950), S. 274. Die Cronbach Į Werte betragen nach Angabe von Carmelli (2003) für job performance 0,87 (Pearce/Porter 1986), für altruism 0,82 (Podsakoff et al. 1990), für career commitment 0,74 (Blau 1985) und für job satisfaction 0,68 (Tsui et al. 1992). Vgl. Pearce/Porter (1986), Podsakoff et al. (1990), Blau (1985) und Tsui et al. (1992), Carmelli (2003), S. 799-800. Der Einwand, dass das Verfahren des Selbstberichts kritisch hinterfragt werden muss, weil es in etwa in Bezug auf job performance weniger ein objektiv valides, sondern mehr ein subjektiv verzerrtes Maß ist, wird von dem Autor mit einer Studie von Mabe/West (1992) begegnet, die die Validität von self-evaluation nachweisen und somit die Legitimationsgrundlage für die Verwendung von Selbstberichtsverfahren im Kontext der Studie liefern. Vgl. Mabe/West (1992).
6.2 Emotionale Intelligenz im Arbeits- und Führungsprozess Autor
Gowing et al. (2006)
Higgs/ Aitken (2003)
Kernfrage
Welchen Einfluss hat die Emotionale Intelligenz auf Führungserfolg?
Inwieweit beeinflusst die Emotionale Intelligenz einer Führungskraft deren Führungspotential?
Sample-
261
Methode/Vorgehensweise
Ergebnis
373 Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchiebenen bei Johnson & Johnson
Auf Grundlage eines firmeninternen Führungsmodells (SOL: Standards of Leadership) und dem Emotional Competency Inventory (ECI) entwerfen die Autoren einen 183 Fragen umfassenden Kompetenzkatalog, der sowohl von den Probanden, einem Supervisor sowie vier weiteren Bewertern, die von den Probanden bestimmt werden, beantwortet wird (ergebniskategorien: supervisor, peer und direct report). Die Performancedaten der Probanden werden durch die Personalabteilung bereitgestellt. (high performer vs. normal performer.
Hinsichtlich ihrer Leistung überdurchschnittlich bewertete Probanden unterscheiden sich signifikant von den anderen Probanden: Sowohl die Bewertung der Vorgesetzten als auch die Selbstberichte hinsichtlich aller vier zugrunde liegender Emotionaler Intelligenz-Komponenten nach Goleman (2003) zeigen bei ihnen signifikant höhere Werte.766 Dies wird von den Autoren als Indiz dafür gewertet werden, dass Emotionale Intelligenz einen positiven und vor allen Dingen messbaren Einfluss auf die Führungsleistung von Managern hat.
40 Manager einer öffentlichen neuseeländischen Einrichtung (New Zealand Public Service)
Die Probanden werden auf insgesamt acht Kompetenzen getestet (z.B. Strategic leadership, Intellectual Leadership)767 Das Maß an Emotionaler Intelligenz wird erhoben über den DHEIQ von Dulewicz/Higgs (2000). Die Leistungen der 40 Probanden werden zu einem Gesamtwert (OAR: Overall Assessment Rating) zusammengefasst. Gleichzeitig kann hinsichtlich der acht Kompetenzcluster zwischen interpersonal competencies und cognitive competencies unterschieden werden, so dass letztlich drei Maße zur Verfügung stehen, um das Führungspotential abzubilden: overall assessment rating (OAR), individual competency ratings, interpersonal and cognitive competency ratings
Im Rahmen einer multiplen Regression zeigen die Autoren, dass 35% der Varianz des OAR durch Emotionale Intelligenz aufgeklärt werden kann. Bei den Total Cognitive Competencies beträgt die Varianzaufklärung 23%, bei den Total Interpersonal Competencies 41%.
beschreibung
Tabelle 21: Emotionale Intelligenz als Einflussvariable: empirische Studien (Teil II) Quelle: eigene Darstellung
erklärbar sind, womit das Konzept der Emotionalen Intelligenz seine Legitimationsgrundlage verlöre. Daher resümmiert Antonakis (2004): „If EI proponents want to show that EI matters, they need to demonstrate that EI goes beyond „g“ and the „big five“ and that EI predicts non-pitful amounts in outcome measures.“768
766
767 768
Lediglich bei der Bewertung durch Gleichgestellte wurden nur die die ersten beiden Komponenten bei den High Performern höher bewertet, während sich bei den anderen Komponenten keine signifikanten Werte ergaben. Vgl. Gowing et al. (2006), S. 253. Vgl. Higgs/Aitken (2003), S. 816-817. Antonakis (2004), S. 176. Mit g ist die klassische Intelligenz als ein Faktor gemeint.
262
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Weiterhin ist bei den Studien anzumerken, dass eine Verallgemeinerung der Ergebnisse immer in Abhängigkeit der untersuchten Branchen und Berufsgruppen zu sehen ist. So lassen sich z.B. die im Rahmen von Studien mit Studenten erzielten Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf konkrete und weitaus komplexere Arbeits- und Führungssituationen übertragen, da diese durch den universitären Untersuchungskontext nicht ausreichend abgebildet werden können. Konkret können eine Vielzahl von Störfeldern bei obigen Studien aufgezeigt werden. Bis auf Feyerhem/Rice (2002) verwenden alle Autoren zur Erfassung der Emotionalen Intelligenz zwar meist die Gütemaße erfüllende, aber eher nur auf die Persönlichkeit der Probanden abzielende Selbstberichtsverfahren, die nicht leistungsbasiert sind. Hier besteht jedoch in hohem Maße die Gefahr des overreporting, indem die Probanden übermäßig wünschenswert antworten und weniger der Realität entsprechend, so dass hinsichtlich der Emotionalen Intelligenz der Probanden falsche Werte erhoben werden. Auch beziehen viele Studien, die Emotionale Intelligenz im Führungskontext untersuchen, die Spezifikationen der geführten Mitarbeiter nicht ein, die aber nach Prati et al. (2003a) ebenfalls als determinierende Variable zu beachten ist. Weitere kleinere Störfelder sollen hier nur kurz umrissen werden: Higgs/Aitken (2003) etwa weisen selbst auf die zu kleine Samplegröße ihrer Studie hin.769 Auch bei Deeter-Schmelz/ Sojka (2003) ist diese mit nur elf Probanden zu beanstanden. Hinzu kommt, dass die Daten qualitativ erhoben wurden, was per se noch keine Beschränkung hinsichtlich der Datengüte bedeutet. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hierbei aber um Telefoninterviews handelt, erhöht sich die Gefahr einflussverzerrender Tendenzen jedoch erheblich, da nonverbale Reaktionen bei der Datenerhebung nicht mit einbezogen werden. Hinzu kommt, dass gerade Verkäufer und Vertriebler rhetorisch meist sehr geschickt sind und somit die Gefahr des unbemerkten over- und underreporting besteht. Die Autoren selber merken daher an: „Further, because we were not looking for ‚hidden meanings’, comments from respondents were taken at face value.“770 Außerdem ist die Grundgesamtheit der Studie schlecht gewählt, da nur die erfolgreichen Verkäufer untersucht werden und keine Kontrollgruppe mit einbezogen wird. Auch die Tatsache, dass bei Gowing et al.(2006) die Probanden sich ihre Gutachter im Hinblick auf die Erfassung der Performance selber aussuchen sowie der Tatbestand, dass in diesem Zusammenhang keine harten Daten wie z.B. die Fluktuation erhoben werden, erscheint angreifbar.
769 770
Vgl. Higgs/Aitken (2003), S. 821. Deeter-Schmelz/Sojka (2002), S. 213.
6.3 Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften
263
In Anbetracht der dargelegten Kritikpunkte stellt Carmelli (2003) daher auch heraus, dass gerade in Bezug auf den Organisationskontext die Erforschung von Emotionaler Intelligenz als Einflussvariable erst am Anfang steht und vermeintliche Ergebnisse in ihrer Gültigkeit erst noch bestätigt werden müssen: „Though growing evidence indicates that emotional intelligence competency has the potential to improve performance on both personal and organizational levels, we are still only in the initial phase of understanding the extent to which members with high emotional intelligence would be more valued assests than less emotionally intelligent members of their organization.“771 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse auf einen positiven Einfluss von Emotionaler Intelligenz im Organisationskontext hinweisen. Führungskräfte und deren Vermögen, Emotionen bei sich selbst wahrnehmen und entsprechend regulieren zu können, verbessert ihre Führungsfähigkeit, wenngleich diese nicht ohne Einschränkungen zu sehen sind: „However, there are a number of limitations, which indicate a need for caution in interpreting and generalising the findings.“772
6.3 Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften Die Systematisierung im Umgang mit Emotionen in Form von Emotionaler Intelligenz773 erscheint in Anbetracht obiger Erkenntnisse unverzichtbar für die Arbeit von Führungskräften. Diese Notwendigkeit wird insbesondere gestützt durch die Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3, welche zusammenfassend gezeigt haben: Emotionen sind ein wichtiger Steuerungsparameter individuellen Entscheidens und Handelns. Diese entstehen hierbei nicht erst im Zeitablauf, sondern bilden vielmehr den Ursprung eines jeden Entscheidungs- und Handlungsprozesses.774 Führungskräfte werden aufgrund zahlreicher Veränderungen in der Unternehmensumwelt künftig verstärkt mit der Lösung sozial geprägter Probleme konfrontiert sein, im Rahmen derer Emotionen als strukturierender Parameter eine zentrale Rolle spielen. Auf dieser Grundlage wurde vermutet, dass der systematische Umgang mit Emotionen für Führungskräfte eine Schlüsselkompetenz darstellt, die ihre Führungsfähigkeit in besonderem 771 772 773
774
Carmelli (2003), S. 789. Higgs/Aitken (2003), S. 821. Die Begriffe Emotionale Intelligenz und Emotionale Kompetenz werden in diesem und auch in anderen Abschnitten zuweilen synonym verwendet. Vgl. Roth (2004).
264
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Maße positiv beeinflusst. Dies konnte ihm Rahmen der obigen Darstellung anhand unterschiedlicher quantitativer und qualitativer Effekte in Teilen bestätigt werden: Führungskräfte mit einem höheren Maß an Emotionaler Intelligenz weisen hinsichtlich führungsspezifischer Tätigkeiten (z.B. Bindung und Motivation von Mitarbeitern) deutlich bessere Werte auf als diejenigen mit einem niedrigeren Maß. Unabhängig von der berechtigten Diskussion um Modellspezifikationen und Meßmethoden, die mit der Konzeptionalisierung dieser Kompetenzform in Zusammenhang zu bringen sind, kann daher argumentiert werden, dass eine grundlegende Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen innerhalb des Führungsprozesses eine notwendige Vorraussetzung für die Erzielung von Führungserfolg darstellt. Somit lässt sich ableiten, dass das Management von Emotionen bei sich und anderen eine Kompetenzform ist, die einer systematischen Entwicklung bedarf, die also auch innerhalb der Führungskräfteentwicklung zu berücksichtigen ist. Wie in Kapitel 4 und 5 gezeigt wurde findet hier jedoch bisher keine Adaption von dazu bereits bestehenden Erkenntnissen statt: So ist die Wichtigkeit des Umgangs mit Emotionen im Führungskontext nach Ansicht der Experten aus Kapitel 5 zwar erkannt, doch wird dieser im Rahmen der Führungskräfteentwicklung nicht adäquat umgesetzt. Die bloße Betonung Sozialer Kompetenz erscheint in diesem Zusammenhang ebenfalls unzureichend und vor allen Dingen unspezifisch. Grund ist der, dass Soziale Kompetenz lediglich einen Oberbegriff darstellt, der eine Vielzahl von Komponenten in Form von Fähigkeiten und Qualifikationen umfasst, wozu z.B. der Umgang mit Emotionen bei sich und anderen gehört. 775 Das Führen und Bewegen von Mitarbeitern ist untrennbar mit der Emotionsthematik verbunden (siehe auch Kapitel 2), so dass jede Führungskraft Emotionale Intelligenz in einem bestimmten Ausmaß quasi intuitiv und automatisch bei der Führung von Mitarbeitern nutzt und einsetzt. Dennoch wird sie im Führungskontext noch weitestgehend unsystematisch zu entwickeln versucht. Der Grund hierfür liegt dabei jedoch nicht, wie man zuerst vermuten könnte, in dem Umstand begründet, dass die Vielzahl von konkurrierenden und bisher noch nicht ausreichend validierten Modellkonstrukten und Meßmethoden die gezielte Auswahl einer Methode erschwert. Die Expertenaussagen aus Kapitel 5 legen in diesem Zusammenhang viel mehr folgende Gründe nahe: Die Thematik Emotionen stößt unter Führungskräften in der beruflichen Praxis allgemein auf wenig Resonanz, weil sie als zu weich angesehen wird. Emotionen und der 775
Vgl. Kanning (2003).
6.3 Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften
265
Umgang mit ihnen werden eher als eine Sache aufgefasst, die es im Führungskontext auszublenden als einzubeziehen gilt. Grund hierfür kann meist in dem unzureichend vorhandenen Wissen über emotionsbaiserte Kausalzusammenhänge gesehen werden. Vielen Führungskräften ist der Umgang mit Emotionen als eigenständiges Führungsinstrument auf Grundlage ihres unzureichenden Wissens gänzlich unbekannt. Gerade HR-Manager und Führungskräfteentwickler bevorzugen daher eine implizite Berücksichtigung, um die Thematik überhaupt in Entwicklungsmaßnahmen implementieren zu können: Im Rahmen unterschiedlicher Trainings (z.B. Stressmanagement, Verhandlungsführung, Teamentwicklung etc.) wird sie indirekt eingebunden, indem emotionale Wirkmechanismen und von diesen ausgehende Effekte jeweils themenbezogen verarbeitet werden. Diese Vorgehensweise spiegelt sich auch in den Kompetenzmodellen des Kapitels 4 wider, welche letztlich die Grundlage für die Führungskräfteentwicklung innerhalb der Unternehmen bilden. Zwar werden hier neben fachlichen und methodischen auch die sozialen Kompetenzen sehr facettenreich thematisiert, doch findet man speziell Emotionen und den Umgang mit ihnen lediglich implizit vor. In Anbetracht der Erkenntnisse aus Kapitel 2 und 3 zieht dies aber eine inhaltliche und strukturelle Fehlspezifikation von Entwicklungsmaßnahmen nach sich: aufgrund der dargestellten Wandelprozesse kommt es zu Verschiebungen in den Arbeitsschwerpunkten von Führungskräften. Es stellt sich die Frage, was hinsichtlich dieser Verschiebungen essentielle Führungskompetenzen für die Zukunft sein werden. Die Belegschaften werden heterogener und die Kompetenzpyramiden kippen u.U., so dass neben einem hohen Maß an Interdisziplinarität insbesondere das Management von Beziehungen in Form von interpersonaler Kompetenz einen neuen Stellenwert bekommt (vgl. hierzu auch Kapitel 3). Die hiermit in Verbindung zu bringende soziale Problemlösungsfähigkeit im Führungskontext erfordert hierbei ein tief greifendes Verständnis für emotionale Wirkmechanismen und Kausalzusammenhänge. Somit wird deutlich, dass eine implizite Einbindung der Emotionsthematik im Rahmen der Kompetenzmodelle dem notwendigen Ausmaß nicht gerecht wird. Die Form der aktuellen Operationalisierung kann daher immer noch als ungeeignet bezeichnet werden: eine führungsrelevante Fähigkeit in Form von Emotionaler Kompetenz muss durch entsprechende Maßnahmen vermittelt werden, welche konkret die Emotionsthematik als Bestandteil der Führungsaufgabe zum Gegenstand hat. Eine implizite Thematisierung (z.B. im Rahmen von Stressmanagement) erscheint dagegen wenig geeignet und nur bedingt effizient.
266
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Die Arbeit und Entwicklung von Führungskräften wird bisher weitestgehend losgelöst von emotionalen Wirkmechanismen im Arbeits- und Führungskontext und weniger integrativ betrachtet. Aufgrund der in Zukunft wichtiger werdenden Führungsqualität als eine zentrale Vorraussetzung für die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen müssen Kompetenz- und Führungsmodelle jedoch um den erklärenden und strukturierenden Parameter Emotion erweitert und hinsichtlich ihrer Operationalisierung genauer spezifiziert werden. Die konkrete Implementierung von Emotionaler Kompetenz erweist sich dabei aber als ein schwerwiegendes Unterfangen, welches u.a. in dem angesprochenen trade-off begründet liegt: die Thematik ist angesichts obiger Erkenntnisse von elementarer Bedeutung für die Führungsarbeit, wird aber gleichzeitig von vielen Führungskräften als zu weich und zu unwichtig angesehen, so dass es kaum gelingt, sie auf breiter Front in die Führungskräfteentwicklung einzubeziehen. Unabhängig davon kommen noch folgende Tatbestände hinzu, die die Problematik der Implementierung zusätzlich verschärfen und die es somit ebenfalls zu berücksichtigen und lösen gilt: Emotionale Kompetenz stellt ein sehr komplexes Konstrukt dar, da es sowohl Elemente umfasst, die die eigene Person betreffen (Selbstwahrnehmung, -steuerung) als auch die zu führende Person (Fremdwahrnehmung, -fremdregulation).776 Dies bedeutet, dass neben der eigentlichen Fähigkeit Emotionen bei anderen zu erkennen (z.B. über das Lesen von Körperhaltungen, Gesichtausdrücken etc.)777 auch Elemente wie Selbstführungskompetenz wichtig werden.778 Die Vermittlung und das Erlernen von Emotionaler Kompetenz erfordert ein hohes Maß an Lern- und Veränderungsbereitschaft (ego-involvement). Der Lernerfolg wird in besonderem Maße dadurch mitbestimmt, inwieweit eine Führungskraft aktiv den Prozess der Kompetenzvermittlung mitgestaltet, wobei neben den kognitiven auch emotionale Elemente zu erlernen sind. Anders als bei dem Erwerb rein fachlicher Kompetenzen geht es hierbei aber weniger um den Erwerb von schematisierten Wissen, was jederzeit, auch ohne hohes ego-involvement, abgerufen bzw. angewendet werden kann, sondern vielmehr um die nicht schematisierbare Optimierung interpersonalen Verhaltens. Die Modifikation bestehender Entwicklungsprogramme und die Erweiterung um die Erkenntnisse dieser Arbeit implizieren in Anbetracht obiger Problemfelder ein sehr aufwendiges Vor776 777 778
Vgl. Goleman (2003). Vgl. hierzu insbesondere Ekman (2007). Vgl. hierzu u.a. Kuhl (2004), Müller (2004b).
6.3 Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften
267
gehen. Es ist dabei in jedem Fall mehrstufig und enthält mehrere voneinander abhängige Elemente, die im Folgenden exemplarisch beschrieben werden: Akkumulation validierter empirischer Daten Den Ausgangspunkt für eine Erhöhung der Akzeptanz der Thematik Emotionale Intelligenz bilden insbesondere im Führungskontext zusätzliche, theoriegeleitete Arbeiten und deren empirische Validierung (z.B. in Form von Strukturgleichungsmodellen), die die Kompetenz und die mit ihr in Zusammenhang zu bringen Effekte zum Gegenstand haben. Folgende Punkte sind in diesem Zusammenhang noch näher zu untersuchen: Welche Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Emotionspsychologie erscheinen auch für die Führungsforschung grundlegend? Wie kann man die angestrebte Kompetenzform exakt spezifizieren und sie dabei von bereits bestehenden Konzepten und Kompetenzen abgrenzen? In welchem Ausmaß kann Emotionale Intelligenz als Fähigkeit überhaupt erlernt werden?779 Wie lässt sich im Rahmen der Führungskräfteentwicklung sowohl im Hinblick auf das Ausgangsmaß der Emotionalen Intelligenz der Teilnehmer als auch im Hinblick auf ihren Lernfortschritt ein geeignetes Messinstrument konstruieren (Validität/Reliabilität)? Welche Schulungsmethoden erscheinen geeignet und effizient? Inwieweit lässt sich die Affective Events Theory empirisch validieren und inwieweit sind die durch die Anwendung Emotionaler Intelligenz induzierten positiven Effekte quantifizierbar? Akzeptanz- und Bewusstseinsschaffung In Anlehnung an die bisherigen Ausführungen kann man die zunehmende Einbeziehung emotionaler Aspekte in der Führungsforschung als eine Form von Innovation betrachten, wobei im Zeitablauf unterschiedliche Barrieren (z.B. Unvermögen einer nachhaltigen Akzeptanzschaffung) den eigentlichen Innovationsprozess gehemmt haben. In diesem Fall erscheint es jedoch unter Zuhilfenahme von empirisch validierten Daten möglich, eine Art Pararadigmenwechsel zu vollziehen. Dies bedeutet, dass durch den Einsatz von so genannten Promotoren die Thematik allgemein und speziell der notwendig werdende Umgang mit ihr publik gemacht
779
Vgl. hierzu Zeidner/Roberts/Matthews (2002).
268
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
und die Implementierung aktiv gefördert werden kann.780 Promotoren können hierbei insbesondere Widerstände überwinden, die nach Witte (1973) mit dem Nicht-Wollen als auch mit dem Nicht-Wissen zusammenhängen. Nicht-Wollen meint in diesem Zusammenhang, dass sich viele Führungskräfte immer noch gegen die Thematik stellen, weil sie sie als nicht salonfähig und als zu weich auffassen. Nicht-Wissen bedeutet, dass grundlegende Kenntnisse über emotionsbasierte Wirkmechanismen weitestgehend fehlen und die Betrachtung von Emotionaler Kompetenz als eigenständiges Führungsinstrument gar nicht in Betracht gezogen wird.781 Die Rolle von Promotoren, die sich in Fach- und Machtpromotoren einteilen lassen, kann im Idealfall Personen zugeschrieben werden, die sowohl über die fachliche Befähigung als auch über die notwendige Durchsetzungsfähigkeit verfügen, ein bestimmtes Vorhaben im beruflichen Kontext zu implementieren (Personalunion von Machtpromotor und Fachpromotor).782 Hierfür kommen nach Janz/Krüger (2000) also auch oder gerade Topmanager in Frage.783 Sie können auf Grundlage ihrer Fähigkeiten und ihrer Befugnisse neue Prozesse initiieren und entsprechende Entwicklungsmaßnahmen begleitend forcieren und damit ein grundlegend neues Bewusstsein für die Thematik schaffen bzw. die schon vorhandene Akzeptanz weiter erhöhen. Modifikation bestehender Programme zur Führungskräfteentwicklung Die Programme zur Entwicklung von Führungskräften müssen in Anlehnung an die bisherigen Erkenntnisse um die Emotionsthematik erweitert werden.784 Dies bedeutet, dass eine modifizierte bzw. ergänzte Form von Führungs- und Kompetenzmodellen angestrebt werden muss, die insbesondere auch verhaltensbiologische und emotionspsychologische Elemente berücksichtigt.785 In Anbetracht der Erkenntnisse der anderen Kapitel lassen sich folgende Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften formulieren: Das Training Sozialer Kompetenz muss spezifiziert werden und wissenschaftlich gesicherte Lerninhalte umfassen. Hierbei geht es vor allen Dingen um eine Konkretisie-
780
781 782 783 784 785
Vgl. hierzu Hauschildt (2001) und insbesondere auch Witte (1973) und das von ihm beschriebene Promotorenmodell. Vgl. Witte (1973), S. 14 ff. Vgl. Witte (1973), S. 6-9. Vgl. Witte (1973), S. 19. Vgl. Janz/Krüger (2000). Vgl. Rosenstiel (2003b). Vgl. Dehner (2002).
6.3 Implikationen für die Entwicklung von Führungskräften
269
rung der zu entwickelnden Kompetenzen aus der Familie der sozialen Kompetenzen und deren Systematisierung.786 Die Entwicklungsmaßnahmen von Führungskräften bauen, gerade im Hinblick auf das Beziehungsmanagement, auf einer Vielzahl intrapersonaler Kompetenzen auf, die ein eigenständiges Entwicklungsziel darstellen und unter dem Obergriff Selbstführungskompetenz zusammengefasst werden können. Hierzu zählen Fähigkeiten wie Selbstaufmerksamkeit, Selbstregulation und -kontrolle, Willensstärke und -hemmung, emotionale, motivationale und kognitive Selbstführung u.a.787 Hierbei ist jedoch zu klären, in welchem Ausmaß es überhaupt möglich ist, dass Führungskräfte auf der Grundlage von Sensitivitätstrainings etwa die Fähigkeit zur Emotionserwahrnehmung und -deutung erlernen können und welche Trainingsmaßnahmen in diesem Zusammenhang als geeignet erscheinen. Auch in Bezug auf das Beziehungsmanagement ist es erforderlich, breit angelegte und differenzierte Erkenntnisse in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Dies umfasst z.B. die Motivation und das Führen von Individuen auf Grundlage ihrer Bedürfnisse und Wertesysteme als auch die damit in Verbindung zu bringende Fähigkeit, Emotionen und Stimmungen anhand bestimmter Verhaltensweisen, Körperhaltungen und Gesichtsausdrücke erkennen zu können.788 Weiterhin ist im Rahmen der Führungskräfteentwicklung ein systematisches Entwicklungscontrolling zu betreiben, welches einerseits die bereits vorhandenen Kompetenzen in differenzierter Form erhebt als auch die Lernerfolge und deren Auswirkungen auf die Führungsfähigkeit protokolliert. Die Installation von spezifischen Skilldatenbanken stellt hierbei einen möglichen Weg der Dokumentation dar.789 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aus den Erkenntnissen dieser Arbeit resultierenden Implikationen für die Führungskräfteentwicklung massiv sind. Neben einer grundsätzlichen Akzeptanz- und Bewusstseinsschaffung unter Zuhilfenahme von Promotoren fehlen weiterhin noch zusätzlich empirisch validierte Daten, die den ökonomischen Nutzen von Emotionaler Kompetenz im Führungskontext quantifizieren. Auf diese Weise können insbesondere auch fachlich rational geprägte Führungskräfte von der Thematik überzeugt werden, für die sich die Notwenigkeit der Berücksichtung emotionaler Wirkmechanismen im
786 787 788 789
Vgl. Kanning/Walter (2003). Vgl. hierzu u.a. Kuhl (2004) und Müller (2004b). Vgl. hierzu u.a. Scheffer (2006) und Ekman (2007). Vgl. Gronau/Uslar (2004).
270
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Führungskontext aus den Neurowissenschaften und der Emotionspsychologie heraus alleine bisher nicht erschlossen hat. Auf dieser Grundlage ist dann eine sehr differenzierte Überarbeitung bzw. Erweiterung vieler Kompetenz- und Führungsmodelle möglich, um die facettenreiche Thematik nachhaltig zu implementieren. Neben ausgereiften Übungen und Trainings zu Teilkompetenten der Emotionalen Intelligenz wie z.B. Selbstführung existieren bereits auch erste spezielle Maßnahmen, die konkret auf die Emotionsthematik und den Umgang mit ihr fokussieren.790
6.4 Zusammenfassung In Anbetracht der bestehenden Ansätze und Auswertungsergebnisse obiger Studien kann dem Konzept der Emotionalen Intelligenz bescheinigt werden, „zu den Erfolg versprechenden Konstrukten psychologischer Forschung zu gehören.“791 In Bezug auf die Konzeptionalisierung von emotionsbezogenen Fähigkeiten im Organisationskontext, die in Anlehnung an die Verwendung des Kürzels IQ für das Maß an kognitiver Intelligenz auch als EQ (Emotional Quotient) bezeichnet werden, ziehen Svyantek/Rahim (2002) das Fazit, dass der EQ ein zukunftsweisendes Instrument darstellt.792 Dies steht der Auffassung entgegen, es handele sich bei Emotionaler Intelligenz lediglich um eine weitere Intelligenzform, die zu einer Inflationierung der Intelligenzen beiträgt.793 Aufgrund obiger Erkenntnisse „erscheint es kaum gerechtfertigt, die Emotionale Intelligenz als ein Thema anzusehen, bei dem lediglich ‚alter Wein in neuen Schläuchen’ verkauft wird.“794 Die Entwicklung von Konzepten, die den Umgang mit Emotionen zu systematisieren versuchen, und die hieraus resultierende Kritik sind dabei sehr differenziert zu betrachten. Gerade im angloamerikanischen Raum existiert eine große Vielzahl von Modellen, Meßmethoden und Studien, die auf einem mehr oder weniger fundierten Niveau die Erkenntnis, das emotionales Erleben soziale Interaktion in einem hohen Maße determiniert, in Form systematischer Ansätze zu optimieren versuchen. Zurückgeführt werden kann dies auf einen Versuch, den Intelligenzbegriff zu rekonzeptionalisieren. Im deutschsprachigen Raum beschränkt man sich dagegen nach wie vor noch vornehmlich auf rein kognitiv basierte Konzepte. Die Vorstöße von Gardner und Kollegen etwa werden von Schuler (2002b) implizit dahingehend kritisiert, 790 791 792 793
794
Vgl. hierzu u.a. Kuhl (2004) und Bagshaw (2000). Roberts et al. (2006), S. 314. Vgl. Svyantek/Rahim (2002), S. 301. Für eine kritische Auseinandersetzung hinsichtlich der Zunahme neuer Intelligenzformen vgl. u.a. Weber/Westmeyer (2001). Neubauer/Freudenthaler (2001), S. 230.
6.4 Zusammenfassung
271
dass diese „in der Intelligenzforschung nicht zu Hause […] oder vollständig fachfremd waren […].“795 Und auch die Entwicklung erweiternder Kompetenzmodelle reduziert sich auf Versuche der Begriffsdefinition. Wenngleich es aus wissenschaftshistorischer Sicht noch nachvollziehbar erscheint, dass das in erster Linie von Goleman (1995) lancierte Konzept der Emotionalen Intelligenz möglicherweise inkompatibel zu bestehenden psychologischen Konstrukten ist, bleibt festzuhalten, dass sich die deutsprachige Diskussion auf die Unterstreichung dieser Tatsache beschränkt. So ist zu kritisieren, dass eine stereotype Reaktion von deutschsprachigen Arbeits- und Organisationspsychologen darin besteht, „sich im berechtigten Bewusstsein der höheren fachlichen Kompetenz zu beklagen, dass (wieder einmal) andere Personen (in vielen Fällen zweifelsfrei mit weit unterlegener fachlicher Kompetenz) die aktuelle Diskussion, Konzeptbildung, Intervention und die Selektion in der wirtschaftlichen Praxis beklagen.“796 Versuche der Integration neuer in bestehende Kenntnisse sucht man vergebens. Dabei wurde im Verlauf des Kapitels deutlich, dass bestehende Erkenntnisse zweifelsfrei belegen, dass das Erkennen und der Umgang mit Emotionen im Rahmen von Arbeits- und Führungsprozessen eine erfolgskritische Variable für Führungskräfte auf signifikantem Niveau bilden. Gleichwohl sind die inflationären Tendenzen zu kritisieren, die sich sowohl in Bezug auf die Konstruktion neuer Modelle als auch auf Entwicklung neuer Meßmethoden recht unsystematisch und eher populärwissenschaftlich darbieten. Daus/Ashkanasy (2003) kommen gerade in Bezug auf die Vielzahl der Modelle zu dem Schluss: „These models may indeed be useful for organizational development and interventions, but they are much too broad in scope, and do not appear markedly differ from traditional personality models or competency models.“797 Nach Ansicht von Ashkanasy/Daus (2005) ist für die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema Emotionale Intelligenz insbesondere ein grundlegendes Verständnis in Bezug auf emotionale Kausalzusammenhänge im Organisationskontext notwendig.798 „And it’s also true that there is much to be done before we understand fully the nature and effects of emotional intelligence.“799 In Bezug auf die Meßmethoden erscheint es wichtig, die bestehenden Instrumente dahingehend zu modifizieren, dass eine Integration von persönlichkeits- sowie kognitiv basierten Anteilen gleichermaßen Berücksichtigung findet. Die prädikative Validität konnte durch die 795 796 797 798 799
Schuler (2002b), S. 138. Wottawa (2003), S. 22. Daus/Ashkanasy (2003), S. 69. Vgl. Ashkanasy/Daus (2005), S. 449. Ashkanasy/Daus (2005), S. 446.
272
6 Emotionsmanagement im Führungsprozess: Konzeptionalisierungsversuche
Auswertung obiger Studien gezeigt werden. An dieser Stelle muss aber hinterfragt werden, ob es bei der Erhebung von Emotionaler Intelligenz im Rahmen von Studien nicht wünschenswert oder sogar notwendig ist, die befragten Probanden nicht nur zu bestimmten Emotionen und entsprechendem Verhalten zu befragen, sondern sie gleichzeitig auch in Situationen zu versetzten, die einen emotionalen Bezug zu eben diesen Emotionen ermöglichen, um nicht sozial wünschenswerte, sondern vielmehr reale Reaktionen zu erheben. Unklar im Hinblick auf die inkrementelle Validität ist, ob der durch die Anwendung von Emotionaler Intelligenz im Organisationskontext generierte und dargestellte Erklärungsgehalt nicht auch durch die Kombination bestehender Konstrukte hätte erreicht werden können. Es bleibt festzuhalten, dass Emotionen und der Umgang mit ihnen als integraler Bestandteil der Arbeit von Führungskräften zu sehen sind, die von ihrem Wirkungspotential her einen elementaren Einflussfaktor darstellen, so dass die aus den Kapiteln 2 und 3 gezogenen Schlüsse als zulässig zu bezeichnen sind. Die implizite Berücksichtigung der Erkenntnisse in den Kapitel 4 und 5 wird der Notwendigkeit einer stärkeren Fokussierung der Emotionsthematik nicht gerecht, zumal mittlerweile recht gut entwickelte Modelle existieren, wenn es darum geht, erste Ansätze in bestehende Kompetenzmodelle zu integrieren. Die in diesem Kapitel beschriebenen Konzeptionalisierungsversuche stellen einen wichtigen Baustein dar, wenn es darum geht, die Anforderungen an Führungskräfte vor dem Hintergrund hoher Marktdynamiken exakter abzubilden. Eine Modifikation bzw. Erweiterung bestehender Kompetenz- und Führungsmodelle um die Erkenntnisse dieser Arbeit erscheint somit notwendig.
7 Schlussbetrachtung Der Ausgangspunkt dieser Arbeit wird gebildet durch die populärwissenschaftlichen Arbeiten von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003), der den systematischen Umgang mit Emotionen als eine für Führungskräfte essentielle Fähigkeit im Rahmen der Mitarbeiterführung postuliert hat. Das von ihm in diesem Zusammenhang modifizierte Konzept der Emotionalen Intelligenz wurde insbesondere von den interdisziplinär ausgerichteten Bereichen der Führungsforschung sehr rasch aufgenommen und weiterzuentwickeln versucht. Grosse Teile der klassischen Führungsforschung hingegen sehen es bis heute lediglich als Teil einer Managementmode an, die durch nicht belegte Thesen kennzeichenbar ist und aufgrund ihrer unwissenschaftlichen Vorgehensweise bei der Aufstellung und Evaluierung von Modellen aus forschungsrelevanter Sicht gänzlich abzulehnen ist. Auch viele Bereiche der Psychologie reagieren recht ähnlich und sehen in der Konstruktion von Emotionaler Intelligenz lediglich eine unwissenschaftliche und teilweise auch unzulässige Art der Vermengung von in der Psychologie schon längst bekannten Erkenntnissen, durch die kein inkrementeller Erklärungsgehalt generiert wird. Festzuhalten bleibt, dass die von Goleman (1995, 1998b, 2000b, 2003) gewählte Vorgehensweise bei dem Versuch, die für Führungskräfte notwendige Systematisierung im Umgang mit Emotionen in eine Konzeptform zu bringen, wissenschaftlichen Standards zuweilen entgegensteht. Dennoch muss konstatiert werden, dass die Kritiker in diesem Zusammenhang häufig „das Kind mit dem Bade ausschütten“. Während ihre Fundamentalkritik an dem von Goleman postulierten Konzept in Teilen sowohl berechtigt als auch nachvollziehbar erscheint, wird der Umstand, dass die mit dem Konzept in Verbindung zu bringende Betonung von Emotionen im Arbeits- und Führungskontext gleichsam mit ignoriert wird, nicht ersichtlich. So wird die Bedeutung von Emotionen von ihnen entgegen grundlegender Erkenntnisse aus der Emotionspsychologie in Form systematischer und konzeptionalisierter Ansätze weder aufgegriffen noch weiterentwickelt. Auch stehen die von vielen Arbeits- und Organisationspsychologen im Zusammenhang mit dem Konzept der Emotionalen Intelligenz getätigten Äußerungen in gewissem Widerspruch zu beobachtbaren Forschungsbemühungen innerhalb der ihnen zuordenbaren Forschungszweige. Schuler (2000b) sieht z.B. den Vorteil und Gewinn der Emotionale Intelligenz-Bewegung darin, „dass dem Gefühlsleben der Menschen in ihrer Arbeitswelt grundsätzlich mehr Bedeutung geschenkt wird, dass das Bemühen um soziale Sensibilität angespornt wird, dass die förderlichen wie hemmenden Effekte von Emotionen auf das Lernen und Leisten, auf Ko-
274
7 Schlussbetrachtung
operation wie auf antisoziales Verhalten, auf die Interaktion zwischen Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern besser bekannt und damit der intentionalen Einflussnahme zugänglich gemacht werden.“782 Die zu erwartende Resonanz fällt aber, zumindest in der deutschsprachigen Psychologie und Führungsforschung, eher gegenteilig aus und äußert sich zumeist in vernichtender Kritik denn in einer Adaption und Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Auch der die Emotionale Intelligenz betreffende Appell von Wottawa (2003), „die in aktuellen, wichtige Bereiche der Psychologie betreffenden öffentlichen Diskussionen liegenden Chancen zumindest zu nutzen, oder noch besser, entsprechend den fundierten fachlichen Fortschritten der wissenschaftlichen Psychologie selbst solche Diskussionen mit hoher praktischer Bedeutsamkeit zu initiieren“783 verläuft sich innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde in Deutschland ohne nennenswerte Ergebnisse. Sowohl Adaptionsversuche als auch insbesondere Weiterentwicklungen des Golemanschen Konstruktes finden sich insbesondere in der deutschsprachigen Arbeits- und Organisationspsychologie bisher nur sehr vereinzelt. Vor diesem Hintergrund sollte im Rahmen der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, dass das Management von Emotionen durch Führungskräfte aus normativer Sicht ein elementar berechtigtes und vor allen Dingen erfolgskritisches Führungsinstrument bildet, welches bisher sowohl in der Theorie als auch in der Praxis keine ausreichende Beachtung findet. Insbesondere galt es folgende Aussagen nachzuweisen: 1. Das von Goleman (2003) auf den Arbeits- und Führungskontext übertragene Konzept der Emotionalen Intelligenz ist, rückführbar auf unterschiedliche emotions- und arbeitspsychologische Tatbestände, von grundlegender Bedeutung für die Tätigkeit von Führungskräften. (Kapitel 2) 2. Das Konzept gewinnt aufgrund zahlreicher Wandelprozesse in der Unternehmensumwelt künftig noch zusätzlich an Bedeutung. (Kapitel 3) 3. Es handelt sich dabei um eine in Theorie und Praxis bisher noch nicht existierende bzw. noch nicht ausreichend beachtete und eher spärlich angewendete Kompetenzform. (Kapitel 4/Kapitel 5) 4. Diese Kompetenzform stellt im Führungskontext eine erfolgskritische Einflussvariable auf signifikantem Niveau dar. (Kapitel 6)
782 783
Schuler (2002b), S. 67. Wottawa (2003), S. 23.
7 Schlussbetrachtung
275
Die in den Kapiteln 2 bis 6 diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse sollen im Rahmen dieses Abschnitts zusammengeführt und übergreifend diskutiert werden. Hierzu erscheint es in Anlehnung an die obige, vier Punkte umfassende, Aufzählung sinnvoll, die wichtigsten Erkenntnisse zunächst thesenförmig zusammenzufassen. Folgende Kernaussagen dieser Arbeit erscheinen elementar: 1. Emotionen sind ein alltägliches Phänomen und stellen facettenreiche Muster von Veränderungen dar, welche sich innerhalb von Individuen auf unterschiedlichen Ebenen vollziehen. Sie fokussieren die Aufmerksamkeit auf elementar wichtige Ereignisse, die von hoher Relevanz für das Individuum sind, stellen hierzu wichtige handlungsleitende Informationen bereit und ermöglichen über die Induktion vielseitiger organismischer Veränderungen eine entsprechende Reaktion. 2. Emotionen können insbesondere im sozialen Kontext, also auch innerhalb von Organisationen sowie innerhalb von Arbeits- und Führungsprozessen, als eine wichtige und gleichermaßen erklärende wie strukturierende Variable angesehen werden: Sie stellen einerseits eine Anpassungsreaktion auf Ereignisse, Subjekte und Objekte dar, deren Existenz und Ausgestaltung als bedeutsam für das individuelle Wohlbefinden eingeschätzt wird. Andererseits bilden sie ein zentrales strukturierendes Moment, da emotionales Erleben als ein Grund für spezifische Handlungen von Individuen angesehen werden kann. 3. In Bezug auf das individuelle Handeln bestimmt das emotionale Erleben sowohl die binäre Wahl von Handlungsoptionen (welche Handlungsalternative gewählt wird) als auch deren analoge Ausgestaltung (wie diese Handlungsalternative ausgeführt wird). Während die Handlungsalternativen in ihrer Form eher diskret sind, können ihre jeweiligen Ausgestaltungen als stetig aufgefasst werden, da sie eine Vielzahl verschiedener Ausprägungen annehmen können. 4. Im Arbeits- und Führungskontext determinieren Emotionen zahlreiche leistungsrelevante Parameter. Auf kurze Sicht beeinflussen sie z.B. die Wahrnehmung, das Urteilsvermögen, die Problemlösefähigkeit und die Kreativität, während auf lange Sicht aus wiederholtem emotionalem Erleben überzeugungsbasierte Verhaltensweisen, Einstellungen und Sichtweisen resultieren können. Gerade in Bezug auf Faktoren wie Arbeitszufriedenheit, gefühlte Bindungsintensität zum Unternehmen, Leistungsbereitschaft etc. spielen Emotionen eine wichtige Rolle.
276
7 Schlussbetrachtung 5. In der Regel ist es so, dass positive Emotionen wie Stolz, Freude, Zufriedenheit etc. positive Effekte induzieren (z.B. Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Erhöhung der Leistungsbereitschaft), während negative Emotionen wie Ärger, Wut, Angst, Langeweile etc. negative Effekte herbeiführen (z.B. antisoziales Verhalten, Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten, Arbeitszurückhaltung). 6. Die Rolle der Führungskraft ist in Bezug auf das Emotionserleben der Mitarbeiter elementar, da das von ihr gegenüber den geführten Mitarbeitern gezeigte (Fehl-) Verhalten eine wichtige Quelle für die Entstehung von Emotionen darstellt. Weiterhin ist die Führungskraft für die Spezifikationen des Arbeitsplatzes, die Ausgestaltung von Arbeitsabläufen und die Struktur der Arbeitsumwelt mitverantwortlich, welche ebenso eine Grundlage für emotionales Erleben bilden. In der Praxis existieren aber insbesondere unter Führungskräften nur sehr rudimentäre Kenntnisse über emotionale Wirkmechanismen. Dies hat zur Folge, dass der Umgang mit Emotionen als eigenständiges Führungsinstrument weitestgehend unbekannt ist. 7. Für die Erzielung von positivem Führungserfolg, z.B. im Sinne einer erfolgreichen Bindung und Motivierung von Mitarbeitern, muss eine Führungskraft über grundlegendes Wissen emotionsbasierter Kausalzusammenhänge verfügen und die entsprechenden Auswirkungen auf leistungsrelevante Parameter kennen, zumal sich Emotionen über Synchronisationsprozesse sehr schnell vom Individuum auf das Kollektiv übertragen können. 8. Durch zahlreiche Wandelprozesse in der Unternehmensumwelt wie die demographische Entwicklung, die fortschreitende Globalisierung und Technologisierung sowie den Wertewandel werden Führungskräfte in Zukunft zunehmend mit der Lösung komplexer sozialer Probleme konfrontiert sein. Dieser Tatbestand unterstreicht die Notwendigkeit emotionaler Führungsfähigkeit, wenn es vor dem Hintergrund knapper und vor allen Dingen heterogener werdender Belegschaften, dem Abflachen von Hierarchien, zahlreicher Entgrenzungsprozesse u.ä. darum geht, Mitarbeiter zu rekrutieren, zu integrieren und zu binden. 9. Die in diesem Zusammenhang häufig vorgenommene Formulierung und Betonung von Sozialer Kompetenz erscheint jedoch unpräzise und stellt in Anbetracht der notwendig werdenden Fähigkeiten kein probates Mittel dar, da insbesondere der Umgang mit Emotionen nur als integraler Bestandteil abgebildet wird. 10. Der kompetente Umgang mit Emotionen als Führungsvariable in Form von Wahrnehmung, Regulation und Steuerung stellt eine komplexe Fähigkeit dar und umfasst, ne-
7 Schlussbetrachtung
277
ben dem Adaptionsvermögen mitarbeiterbezogener Bedürfnisse, die Fähigkeit zur Variation des eigenen Verhaltens sowie das Vermögen, bestimmte emotionsinduzierende Ereignisse herbeiführen zu können. 11. Sowohl in empirischen Kompetenzmodellen wie auch in theoretischen Führungsmodellen findet sich weitestgehend keine gesonderte, sondern nur eine implizite Berücksichtigung der emotionalen Führungsthematik wieder, die den Umgang mit Emotionen z.B. im Rahmen des Stressmanagements erfasst. Auch in der Unternehmenspraxis wird der Umgang mit Emotionen zwar als wichtiges Führungsinstrument angesehen, doch im Hinblick auf die Systematisierung nicht expliziert. Die Thematik Emotionen im Führungsprozess ist in der beruflichen Praxis unter Führungskräften eher von untergeordneter Bedeutung. 12. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Emotionen als Steuerungsvariable, den von ihnen ausgehenden Effekten auf der einen Seite und der Komplexität des Emotionsphänomens auf der anderen Seite erscheint eine integrierte Betrachtung jedoch nicht ausreichend. Vielmehr ist es notwendig im Rahmen der Führungskräfteentwicklung die Emotionsthematik zu explizieren, was sich sowohl auf Elemente wie die Selbstführungskompetenz von Führungskräften als auch deren Fähigkeit zum Beziehungsmanagement bezieht. 13. Emotionale Intelligenz repräsentiert einen Ansatz, der den Umgang mit Emotionen in Modellform systematisiert. Die bestehende Kritik zeigt die bisher wenig exakte Spezifikation sowie die uneinheitliche Evaluierung von Modellen und Meßmethoden auf. Da gleichermaßen Teile der Persönlichkeitsforschung und Teile der Intelligenzforschung Berücksichtigung finden, existieren massive Probleme im Hinblick auf unterschiedliche Formen der Validität. 14. Es bleibt festzuhalten, dass Emotionale Intelligenz ein komplexes und erfolgkritisches Führungsinstrument mit signifikantem Einfluss ist. Hierzu existieren erste empirische Belege, die dieses Instrument im Arbeits- und Führungskontext untersuchen. Hinsichtlich der Begriffsfindung erscheint die Bezeichnung Emotionale Kompetenz geeigneter, um nicht mit der Intelligenzforschung zu kollidieren. 15. Eine Modifikation bzw. Erweiterung bestehender Programme zur Entwicklung von Führungskräften erscheint angemessen und notwendig, da gerade unter Führungskräften die Thematik noch nicht in ausreichendem Maße adaptiert worden ist. Auf Grundlage fortschreitender theoriegeleiteter Arbeiten und ihrer empirischen Validierung kann unter Zuhilfenahme von Promotoren eine stetige Akzeptanz und Bewussteins-
278
7 Schlussbetrachtung schaffung herbeigeführt werden. Diese können durch ihr Fachwissen und ihre Durchsetzungsfähigkeit die Implementierung der Thematik fördern, indem sie innerhalb der bisherigen Entwicklungsstrukturen neue Wandelprozesse initiieren und entsprechende Entwicklungsmaßnahmen begleitend forcieren.
Die auf Goleman rückführbare Aussage, dass eine elementare Notwendigkeit im Führungskontext besteht, den Umgang mit Emotionen zu systematisieren, kann durch die Betrachtung grundlegender emotionaler Wirkmechanismen in Verbindung mit zahlreichen und umfassenden Wandelprozessen in der Führungskräftetätigkeit als plausibel bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass innerhalb empirischer Kompetenzmodelle und praktischer Führungsarbeit der Umgang mit Emotionen zumeist nur implizit im Rahmen der Sozialen Kompetenz abzubilden versucht wird, erscheint die Konzeption einer eigenständigen Kompetenz zulässig. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Konstrukt Soziale Kompetenz in Anbracht der von Emotionen ausgehenden Effekte und der Komplexität des Emotionsphänomens zu unpräzise erscheint. Mit dem Konzept der Emotionalen Intelligenz wurden von Goleman bereits bekannte, jedoch sehr lange missachtete, Erkenntnisse (z.B. aus der klinischen Psychologie) in einem neuem Kontext (dynamisches Arbeitsumfeld) platziert. Die starke Resonanz lässt sich aus der Kombination dieser beiden Punkte ableiten, womit gleichzeitig deutlich wird, dass die Zuweisung als Managementmode unzulässig ist. Die Beziehungsqualität in Führungsprozessen wird in Zeiten des Wandels eine für Führungskräfte immer wichtiger werdende Rolle einnehmen, wobei Emotionen hierbei einen elementaren Treiber individuellen Verhaltens bilden. Unter Führungskräften wird die Thematisierung und Systematisierung von Emotionen im Führungskontext jedoch häufig missverstanden: Mit emotionsbezogener Mitarbeiterführung wird z.B. assoziiert, dass es zu einer Aufweichung des Führungsprozesses kommt, durch die Emotionen zum unkontrollierten Verhaltenstreiber werden, was von Seiten der Führungskräfte zu berücksichtigen ist. Genau das Gegenteil aber ist der Fall: Indem man als Führungskraft das emotionale Erleben als einen die Leistung determinierenden Parameter anerkennt, kann der Führungsprozess wesentlich effizienter gestaltet werden. Auch geht es im Rahmen von Emotionaler Intelligenz weniger um die Manipulation der Mitarbeiter, sondern mehr um eine Optimierung des Führungsprozesses durch die Einbeziehung der geführten Mitarbeiter als Person. Die Berücksichtigung emotionaler Wirkmechanismen und die systematische Steuerung emotionalen Erlebens erfüllen somit keinen
7 Schlussbetrachtung
279
Selbstzweck, sondern haben auch aus ökonomischer Sicht weit reichende Konsequenzen: Mitarbeiter besitzen innerhalb des Führungsprozesses einen diskretionären Handlungsspielraum. Dies bedeutet, dass sie auszuführende Tätigkeiten anders als angeordnet ausführen können, ohne dass dies aufgrund bestehender Legitimitätserosionen von den Führungskräften rekonstruiert werden kann. Ein Ignorieren emotionalen Erlebens führt also u.U. zu Ineffizienzen in der Mitarbeiterführung. So folgert George (2000), dass Emotionen „ rather than being simply an additional factor to consider, feelings play a much central role in the leadership process.“784 Im Hinblick auf die Implementierung von emotionalen Führungsfähigkeiten sind jedoch einige einschränkende Anmerkungen vorzunehmen. Zwar erscheint die Systematisierung von Emotionen im Führungskontext uneingeschränkt sinnvoll, doch ist das für Führungskräfte in Bezug auf ihre Tätigkeit notwendige Ausmaß von Emotionaler Intelligenz stets in Abhängigkeit ihrer Tätigkeit zu sehen. Gerade im Bereich der Dienstleistung hat das emotionale Erleben der Mitarbeiter wahrscheinlich weiter reichende Folgen als z.B. in einem produzierenden Unternehmen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die geführten Mitarbeiter selbst ebenfalls in den Prozess des Emotionsmanagements einzubeziehen sind. Sie müssen ebenso wie die Führungskräfte grundlegendes Wissen über emotionale Wirkmechanismen besitzen, da die von den Führungskräften angestrebte Regulation und Steuerung von Emotionen sonst u.U. nicht den gewünschten Effekt erzielt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Management von Emotionen keine fachlich-methodischen Fähigkeiten ersetzen kann, sondern diese nur stützt. Analytisches Denkvermögen, strategische Kompetenz u.a. können also bestenfalls optimiert in keinem Fall aber substituiert werden. Für die Zukunft erscheinen eine systematische Weiterentwicklung der Thematik sowie deren Einbindung in die Führungskräfteentwicklung notwendig und wahrscheinlich. In anderen Bereichen wie z.B. der Medienpsychologie, der Werbung und der Medizin sind emotionsbasierte Wirkmechanismen ebenfalls längst erkannt. Hier werden sie aber, anders als in der Führungsforschung und der Arbeits- und Organisationspsychologie, in Form entsprechender Konzepte auch systematisch genutzt.785 Dies zeigt einmal mehr das Unvermögen und/oder die mangelnde Bereitschaft der angesprochenen Forschungsdisziplinen, durch interdisziplinäre Ansätze wissenschaftlichen Fortschritt zu generieren. 784 785
George (2000), S. 1029. Vgl. hierzu u.a. Winterhoff-Spurk (2005) und Servan-Schreiber (2006).
280
7 Schlussbetrachtung
Für eine Weiterentwicklung in der Führungsforschung ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Unterstützung der Psychologie notwendig, um tragfähige und vor allen Dingen anwendungsorientierte Konzepte zu entwickeln. Bisher hat man sich zu sehr auf begriffliche Definitionen beschränkt, wie am Beispiel der Unterscheidung von Fähigkeiten, Qualifikationen und Kompetenzen deutlich wird. Dies ist zwar wissenschaftlich exakt, treibt die Entwicklung, gerade in Bezug auf die Formulierung von für die Praxis relevanten Führungsanforderungen jedoch nicht voran.
Anhang Fragenkatalog Im Folgenden soll der Leitfaden für das erläuterte Interview skizziert werden. Der aufgeführte Fragenkatalog ist hierbei jedoch lediglich als Einstiegsmöglichkeit in unterschiedliche Themenfelder gedacht und bildet daher nur einen unverbindlichen Rahmen. Aufhängepunkt ist die Bedeutung von Emotionen im Arbeitsprozess für Führungskräfte. Dieser Arbeitsprozess bildet dann den eigentlichen Schwerpunkt des Interviews: die Diskussion von Anforderungen an Führungskräfte (im Wandel) sowie die Betrachtung unterschiedlicher Determinanten der Führungskräfteentwicklung. Die anzusprechenden Themenfelder können vom Experten daher durchaus modifiziert bzw. erweitert werden. Im Rahmen eines strukturierten Vorgehens wurde ein Splitting des Interviewleitfadens vorgenommen: während in Block 1 die Kernfragen Gegenstand der Befragung sind, kann Abschnitt 2 durch Fragen gekennzeichnet werden, die den thematischen Zugang etwas konkretisieren sollen.
Block 1: Hauptfragen
Wie kann Ihrer Meinung nach die stetig zunehmende Thematisierung von Emotionen im Rahmen der angewandten Führungsforschung begründet werden?
Handelt es sich hierbei eher um eine substanzlose Modeerscheinung oder um einen wegweisenden Trend?
Was könnten Gründe dafür sein, dass eine emotionale Sichtweise im Rahmen der Arbeits- und Führungsforschung zurzeit so populär ist?
Welche endogenen Faktoren (unternehmensinterne Faktoren) und welche exogenen Faktoren (Faktoren im Unternehmensumfeld) katalysieren dabei Ihrer Einschätzung nach das Thema?
Welche Rolle spielt z. B. das Modell der Emotionalen Intelligenz von Daniel Goleman?
282
Anhang
Block 2: Detailfragen Arbeit und Aufgaben von Führungskräften im Wandel
Was sind Ihrer Meinung nach zentrale Aufgaben von Führungskräften?
In welchem Bereich der Unternehmensumwelt sehen Sie in der nahen Zukunft (nächsten 10–15 Jahre) elementare Veränderungsprozesse und inwiefern hat dies Auswirkungen auf das künftige Profil von Führungskräften?
Training und Entwicklung von Führungskräften
Worin sehen Sie allgemein die Grundlage für den Prozess der Führungskräfteentwicklung (handlungsorientierte Eigenschaften, strategische Kompetenzprofile, spezifische Range an Verhaltensweisen etc.)?
Wie muss Ihrer Meinung die Tatsache, dass sich die Anforderungen an Führungskräfte ständig wandeln, im Rahmen der Managemententwicklung adaptiert werden?
Was sind hierauf Bezug nehmend im Rahmen Führungskräfteentwicklung die zentralen Herausforderungen für Unternehmen?
Welche Problemfelder sehen sie im systematischen und strategischen Training von Führungskräften?
Emotionen im Arbeits- und Führungsprozess
Wie schätzen Sie die Rolle von Emotionen und den konkrete Umgang mit ihnen im Arbeits- und Führungsprozess ein?
Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Erkenntnisse in den Prozess der Führungskräfteentwicklung zu implementieren?
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