La Russa: Zum Belastungserleben Von Förderlehrkräften in Der Inklusion [PDF]

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Zitiervorschau

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Förderschulen im Fach Allgemeine Heil- und Sonderpädagogik. Eingereicht der hessischen Lehrkräfteakademie - Prüfungsstelle Frankfurt am Main ___________________________________________________

Das Belastungserleben von Förderlehrkräften in der Inklusion. Eine empirische Untersuchung ausgewählter Förderlehrkräfte über die Wahrnehmung belastender Faktoren in inklusiven Schulen.

___________________________________________________________

Verfasser: Daniele La Russa Am Burggraben 12 in 64521 Groß-Gerau

Gutachter: Hr. Prof. Dr. Dieter Katzenbach

Eingereicht am: 19.12.2019

Zum Verfasser Name:

Daniele La Russa, geboren am 27. August 1988 in Groß-Gerau

Anschrift:

Am Burggraben 12 in 64521 Groß-Gerau

Studium:

Goethe-Universität Frankfurt am Main

Matrikel-Nr.: 5974704 Kontakt:

[email protected]

2

Das Belastungserleben von Förderlehrkräften in der Inklusion. Zusammenfassung Seit der Einführung inklusiver Schulen in Deutschland, ab dem Jahr 2009, haben sich die Anforderungen und Tätigkeitsbereiche des Lehrerberufs zunehmend verändert. Die Inklusion und damit die Beschulung aller Schülerinnen und Schülern in Regelschulen, geht mit veränderten Aufgaben für alle Lehrkräfte einher. Speziell die Förderlehrer*innen arbeiten nun nicht mehr

in

der

typischen

Lehrerrolle,

sondern

unterstützend

an

allgemeinbildenden Schulen. Sie diagnostizieren auffällige Kinder und Jugendliche, üben Beratungstätigkeiten bei Lehrer-Kollegen*innen und Eltern aus; sie fördern gezielt Kinder und Jugendliche zum Beispiel in Einzel- oder Kleingruppen-Förderung und vieles mehr. So stellt sich die Frage: Gehen mit den veränderten Rahmenbedingungen des Berufsalltags für Förderlehrkräfte in der Inklusion neue oder zusätzliche belastende Faktoren einher? Ziel dieser Arbeit ist es, das subjektive Belastungserleben von Förderlehrkräften, die in der Inklusion tätig sind, zu analysieren: Welche Faktoren belasten Förderlehrer*Innen in der Inklusion? Durch die Befragung von Förderlehrkräften mittels Experteninterviews, konnte das subjektive Belastungserleben erfasst und unter den Probanden verglichen werden. Hierbei kristallisierten sich im Ergebnis sowohl Gemeinsamkeiten mit vorangegangenen Untersuchungen, aber auch Widersprüche heraus. Mit einer Diskussion und anschließendem Fazit werden abschließend Anregungen für weitere Forschungen gegeben, aber auch Konsequenzen für das eigene Lehrerhandeln gezogen und im Hinblick auf eine ‚gesündere‘ Umsetzung von Inklusion erörtert.

3

The stress experience of support teachers in inclusion. Abstract Since the introduction of inclusive schools in Germany in 2009, the demands and activities of the teaching profession have changed increasingly. The inclusion and thus the schooling of all pupils in regular schools is accompanied by changed tasks for all teachers. In particular, the support teachers no longer work in the typical teaching role but as supporters in the regular school system. They diagnose conspicuous children and adolescents, practice counseling activities with teachers and parents; They promote individual children and adolescents and make, for example, single or small group promotion and much more. Though the question comes up: Are the changing conditions of daily working life for support teachers in the context of inclusion accompanied by burdensome factors? The aim of this work is to analyze the subjective stress experience of special needs-teachers working in inclusion. What are the factors that affect teachers in inclusion? By interviewing support teachers through expert interviews, the subjective experience of stress could be recorded and compared among the subjects. As a result, similarities with previous investigations as well as contradictions emerged. Finally, with a discussion and subsequent conclusion, suggestions for further research are given, but also consequences for one's own teacher action and for a "healthier" implementation of inclusion are discussed.

4

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung …………………………………………………………………. 7 1.1. Schulische Inklusion ………………………………………………… 10 1.2. Förderlehrer in der Inklusion ………………………………………. 12 1.3. Lehrkräftegesundheit ………………………………………………. 16 2. Theorie: Belastung, Beanspruchung und Ressourcen …………. 18 2.1. Zur Abgrenzung von Belastung und Beanspruchung …………… 19 2.2. Belastungs-Beanspruchungs-Konzepte …………………………. 21 2.3. Die Bedeutung von Ressourcen als Schutz vor Belastungen …. 24 2.4. Das Konzept der Belastung für diese Untersuchung ……………. 25 3. Forschungsstand: Ausgewählte Befunde zur Belastungsforschung von Lehrkräften ……………………………… 26 3.1. Belastungsforschung von (Förder-)Lehrkräften …………………. 26 3.2. Belastungsforschung von Förderlehrkräften in der Inklusion …… 30 4. Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung ………………… 35 5. Methodisches Vorgehen zur Untersuchung des Belastungserlebens von Förderlehrkräften in der Inklusion ....... 37 5.1. Überlegungen zum Messinstrument …………………………....... 37 5.2. Erstellung des Interviewleitfadens ………………………………… 37 5.3. Die Auswahl der Stichprobe ………………………………………. 38 5.4. Durchführung der Experteninterviews ……………………………. 39 6. Auswertung ………………………………………………………………. 40 6.1. Kategoriebildung zur Auswertung des Datenmaterials ...………. 40 6.2. Analyse und Interpretation …………………………………………. 41 7. Ergebnisse ……………………………………………………………….. 43 7.1. Umweltbedingte Belastungsfaktoren ……………………………… 43 7.1.1. Kollegium ……………………………………………………... 43 7.1.2. Politische Rahmenbedingungen …………………………… 45 7.1.3. Arbeitsorganisation …………………………………………. 47 7.1.4. Arbeitsumfang ………………………………………………. 48 7.1.5. Arbeitsaufgaben ……………………………………………. 49 7.1.6. Schülerinnen und Schüler …………………………………. 50

5

7.2. Personenbezogene Belastungsfaktoren ………………………… 51 7.2.1. Kompetenzen ……………………………………………….

51

7.2.2. Arbeitsengagement ………………………………………… 51 7.2.3. Emotionen …………………………………………………… 52 7.3. Umweltbedingte Schutzmechanismen zur Belastungsbewältigung ……………………………………………

53

7.3.1. Politische Rahmenbedingungen ………………………….

53

7.3.2. Schulleitung …………………………………………………. 54 7.3.3. Kollegium ……………………………………………………. 55 7.4. Personenbedingte Schutzmechanismen zur Belastungsbewältigung ……………………………………………. 57 7.4.1. Arbeitsorganisation …………………………………………. 57 7.4.2. Kompetenzen ……………………………………………….

58

7.4.3. Sonstiges ……………………………………………………. 58 7.5. Zusammenfassung der Ergebnisse ……………………………… 59 8. Diskussion ………………………………………………………………. 60 9. Fazit und Ausblick für weitere Forschung ………………………… 65 10. Anhang …………………………………………………………………… 67 Abkürzungsverzeichnis ………………………………………………. 110 Abbildungsverzeichnis ………………………………………………... 111 Tabellenverzeichnis ……………………………………………………. 111 Literaturverzeichnis ……………………………………………………. 112 Eigenständigkeitserklärung …………………………………………. 118

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Das Belastungserleben von Förderlehrkräften in der Inklusion. Eine empirische Untersuchung ausgewählter Förderlehrkräfte über die Wahrnehmung belastender Faktoren in inklusiven Schulen. _____________________ 1. Einleitung Die gesundheitliche Situation von Lehrkräften erfährt seit vielen Jahren ein zunehmendes Interesse auf gesellschaftlicher und politischer Ebene: Immer häufiger liest man in den Medien, dass der Lehrerberuf im Allgemeinen ein sehr

belastender

Beruf

sein

soll,

der

zu

ernsthaften

Gesundheits-

beeinträchtigungen und im schlimmsten Fall zu einem Durchbrennen, einem Burnout, führen kann (Süddeutsche: Göres 2018, Zeit Online: Götz 2018). Aber nicht nur die Medien berichten über die prekäre gesundheitliche Situation an deutschen Schulen. Auch in der Fachwelt wird das Thema Lehrerbelastung oft erwähnt und meist unter den Aspekten Burnout oder Belastung, Beanspruchung und deren Folgen

untersucht

(vgl.

u.a.

Hedderich

1997,

Schmid

2003,

Hasselhorn/Nübling 2004, Schaarschmidt 2005a, Hedderich/Hecker 2009, Neugebauer/Wilbert 2010, Stiller 2015, Adams et al. 2016, Peperkorn 2019). Die Reihe an Forschern*Innen und Autoren*Innen, die in der Vergangenheit das Gesundheitserleben oder den Gesundheitszustand bei Lehrkräften untersucht haben, ließe sich an dieser Stelle problemlos fortsetzen. Spätestens seit der „Potsdamer Lehrerstudie“ jedoch, deren Ergebnisse 2005 veröffentlicht wurde, steht zumindest fest, dass der Lehrerberuf tatsächlich zu den Berufen zählt, der zu den meisten krankheitsbedingten Fehltagen führt, viele Lehrer*Innen krank macht und das Ausscheiden aus dem Berufsleben bedingen kann (Schaarschmidt 2005). Die Erkenntnisse der Potsdamer Studie erinnern an die eigenen Erfahrungen aus der Praxis: Durch meine nebenberufliche Tätigkeit an einer hessischen Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen und angeschlossenem Beratungs- und Förderzentrum (BFZ) konnte ich in Konferenzen und Gesprächen mit Förderlehrer*Innen häufig erfahren, dass der Berufsalltag viel von einem abverlangt, als stressig erlebt wird und hin und wieder die Kolleginnen und Kollegen an ihre Belastungsgrenzen zu bringen scheint. Nicht selten klagt das Kollegium über die beruflichen Belastungen ihres Arbeitsalltags, was sich unter anderem dadurch manifestiert, dass die Kolleginnen und Kollegen häufig davon sprechen, wie sehr sie die Ferien benötigen, um sich erholen zu

7

können oder gar häufig erkranken. Ähnliches Bild ergab sich im Kollegium, welches durch das BFZ an den Regelschulen zur Umsetzung der Inklusion beiträgt: Auch hier beklagt man sich über die Art und Menge der zu bewältigenden Aufgaben und dem gleichzeitig frustrierenden Gefühl, dass die Umsetzung der Inklusion zu Lasten der Lehrerschaft und den Lernenden geht. Eine Situation, die alles andere als zufriedenstellend zu sein scheint und vermehrt Untersuchungsgegenstand groß angelegter Studien sein sollte. Zumal die Forschung der letzten Jahre die Arbeitsbedingungen und das Erleben der in der Inklusion tätigen Förderlehrer*Innen nicht immer im Fokus hatte. Was in vergangenen Studien kaum Beachtung findet, ist speziell das Berufsfeld

der

Förderlehrer*Innen.

Vor

allem

wurden

diejenigen

vernachlässigt, die im inklusiven Setting an Regelschulen mitarbeiten und wegen ihrer veränderten Berufspraxis durchaus veränderten objektiven Belastungsfaktoren gegenüberstehen. Ihnen

liegt

ein

verändertes

Aufgabenfeld

zugrunde,

denn

seit

der

Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, im Jahr 2009, erfährt das deutsche Schulsystem einen Wandel hin zur schulischen Inklusion: Der Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen im Regelschulsystem. Dieser Wandel führt auch zu einem Wandel im Berufsbild und den auszuübenden Tätigkeiten an deutschen Schulen.

Aufgrund meist fehlender

Kompetenzen der

Regellehrkräfte, sind diese auf die Unterstützung ihrer Lehrtätigkeiten von Förderlehrkräften angewiesen. Letztere übernehmen Diagnosen auffälliger Kinder und Beratungsaufgaben für Regelschulkollegen und Eltern. Sie unterstützen den Regelschulbetrieb bei der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen und ihren entsprechend besonderen Bedürfnissen. Durch Individual-Förderung, Kleingruppen-Förderung oder beispielsweise der Unterstützung im gemeinsamen Unterricht wird versucht, einer

jahrzehntelangen

Selektionspraxis

des

deutschen

Schulsystems

entgegenzuwirken. Kommt der Regelschulbetrieb an seine Grenzen mit dem Umgang schwieriger Schülerinnen und Schülern1, so wird eine Förderlehrkraft aus dem BFZ angefordert, um dem Anspruch gerecht zu werden, dass alle Kinder das Recht haben, gemeinsam (ohne Selektion an eine andere Schulform) beschult zu werden. 1

Im Folgenden abgekürzt mit ‚SuS‘

8

Diese sukzessive Anpassung des Schulsystems, die Vorbereitungen zur Inklusion sowie die (ersten) Erfahrungen im inklusiven Setting werden von den betroffenen Akteuren wohl unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Sowohl die Regelschullehrer*Innen der Grund-, Haupt-, Realschulen und Gymnasien, als auch die Förderschullehrer*Innen haben wahrscheinlich einen unterschiedlichen Blick auf die Umsetzung der Inklusion und die damit verbundenen Aufgabenbereiche. Die Inklusion und damit die Beschulung aller SuS in Regelschulen, geht mit veränderten (evtl. zusätzlichen) Belastungen für die betreffenden Lehrkräfte einher. Sowohl für Regelschul- als auch für Förderlehrer*innen ergeben sich durch die Inklusion neue Herausforderungen. Entsprechend

wirken

wahrscheinlich

unterschiedliche,

als

belastend

wahrgenommene Faktoren, auf die Lehrerschaft ein. Eben in Abhängigkeit vom jeweiligen Lehramt und dessen veränderten Aufgabenbereichen. Als angehender Förderlehrer habe ich mich deshalb gefragt, wie Kolleginnen und Kollegen in der Inklusion ihre Arbeit wahrnehmen und inwieweit sie diese als belastend empfinden? Welche Situationen oder Faktoren empfinden sie als psychisch belastend oder – umgangssprachlich – stressig? Und welche Möglichkeiten gibt es, belastenden Situationen entgegenzuwirken oder sie auszugleichen? Schließlich werde ich in der Zukunft wahrscheinlich ebenfalls im Feld der Inklusion tätig sein und bin aus diesem Grund besonders daran interessiert, mehr über den belastenden Arbeitsalltag zu erfahren, um besser für den eigenen beruflichen Werdegang vorbereitet zu sein. Mit hiesiger Arbeit möchte ich daher das psychische Belastungserleben von Lehrkräften in der Inklusion genauer betrachten und meinen Fokus auf Förderpädagogen*innen setzen. Ziel dieser Arbeit ist es, als belastend wahrgenommene Faktoren und Situationen heraus zu arbeiten, welche die befragten Lehrkräfte besonders Beanspruchen. Nicht nur die erlebten Belastungssituationen und –faktoren sollen dabei in Erfahrung gebracht werden, sondern auch der individuelle Umgang mit Belastungen. Hiermit wird versucht einen Beitrag zu leisten, vorhandene Lücken in der Forschung über das Belastungserleben von Förderlehrkräften, welche in der Inklusion in Regelschulen eingesetzt sind, zu schließen. Das bereits vorhandene Spektrum an erhobenen Daten soll durch diese Arbeit erweitert und Anreize für weitere bzw. neue Forschungsunternehmungen geboten werden, da im Feld der Inklusion bei Förderlehrkräften noch nicht lange geforscht wird (vgl. Hedderich 2009, Peperkorn 20019, Peperkorn/Horstmann 2019).

9

Nachdem die Tätigkeiten von inklusiv arbeiten Förderlehrkräften vertiefend erläutert werden und das dieser Arbeit zugrunde liegende BelastungsBeanspruchungs-Konzept in seiner Theorie nachgezeichnet wird, schließt sich ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema an. Dabei wird zunächst

der

angerissen,

Forschungsstand

ehe

konkret

der

zur Stand

allgemeinen der

Lehrkräftegesundheit

Forschung,

bezogen

auf

Förderlehrkräfte in der Inklusion, beleuchtet wird. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt schließlich auf der eigenen Untersuchung zum Thema: Mit Experteninterviews werden ausgewählte Förderlehrkräfte (n=4), die in der Inklusion tätig sind, zu ihrem Erleben von Belastungen im inklusiven Lehrerberuf befragt. Nach inhaltlicher Analyse und Interpretation des gesammelten Datenmaterials werden zum Ende dieser Arbeit die Ergebnisse präsentiert, mit dem theoretischen und dem aktuellen Forschungsstand abgeglichen und auch im Hinblick auf die Umsetzung von Inklusion diskutiert. Abschließend werden Konsequenzen für die eigene pädagogische Arbeit genannt und weitere Forschungsanreize gegeben bzw. weiterer Forschungsbedarf erörtert.

1.1. Schulische Inklusion Mit ‚inklusiver Pädagogik‘ ist im Prinzip der Einbezug aller Schülerinnen und Schülern in einem allgemeinbildenden Schulsystem gemeint. Zunehmende Vielfältigkeit und Andersartigkeit der Individuen wird als Normalität gesehen und

gleichzeitig

(Lindmeier

2008).

als

Lern-

Die

und

Entwicklungsmöglichkeiten

Heterogenität

(Trautmann/Wischer

betrachtet 2011)

soll

besonders wertgeschätzt werden und durch die gleichberechtigte Teilhabe aller SuS am Bildungswesen idealerweise zu einer gesamtgesellschaftlichen Inklusion führen (vgl. Hinz 2009). Der Begriff ‚Inklusion‘ ist im Bereich der Bildung mittlerweile kein ganz neuer Begriff. Die mit schulischer Inklusion verbundenen Ideen und Prinzipien jedoch versuchte man bereits seit Mitte der 1970er Jahre, unter dem früher verwendeten Begriff ‚Integration‘, an deutschen Schulen umzusetzen (Moser & Lütje-Klose 2013). So gab es seit den 1970er Jahren in Kindergärten und Schulen die ersten integrativen Modellversuche, mit dem Ziel, einen gemeinsamen Unterricht (GU) für alle Kinder und Jugendliche umzusetzen (ebd.). Die „als Gegenbewegung zum stark expandierenden, segregierenden Sonderschulsystem“ verstandenen Modellversuche konnten sich jedoch nicht bundesweit

10

durchsetzen und daher auch keine strukturellen Veränderungen in Schulen bewirken, selbst nicht trotz einer gesetzlichen Verankerung im Jahr 1986, als „Parallelangebote zur traditionellen Sonderbeschulung“ (ebd.: 7). 1994 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) schon einmal versucht den Weg zu ebnen und einen Paradigmenwechsel in der Sonderpädagogik einzuleiten (vgl. Amrhein 2011). Mit der „Empfehlung zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland“ wurde ein neuer Ansatz im Bildungssystem angestrebt, bei dem beispielsweise die defizitorientierte Sichtweise auf förderbedürftige SuS zugunsten einer ressourcenorientierten Betrachtungsweise aufgegeben werden sollte (Amrhein 2011: 36). Es wurde empfohlen, die Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen; Heterogenität der Schülerschaft zu akzeptieren unabhängig vom jeweiligen Lernort, um eine institutionsbezogene Sichtweise zu verbergen (ebd.). Folgt man dieser Empfehlung stringent, so hätte auch die Institution Sonderschule in Frage gestellt werden müssen, da es widersprüchlich erscheint, die Förderung aller SuS anzustreben, alle gleichsam in das gesellschaftliche Leben (hier: Schule) integrieren zu wollen und gleichzeitig die Kinder in eine Sonderinstitution zu sondern. In Folge dessen entwickelte sich eine angespannte Situation zwischen Reform und Erhalt, bis letztlich die Empfehlungen von 1994 weitgehend folgenlos blieben und somit die allgemeinbildenden Schulen sowie die Sonderschulen ihre Bildungspraxis unverändert weiter ausübten (vgl. ebd.). Der Empfehlung der KMK mangelte es an Verbindlichkeit, weswegen eine Umsetzung dergleichen nicht zwingend erfolgen musste. Im gleichen Jahr wurde dann der Inklusionsbegriff schließlich international durch die Salamanca-Erklärung etabliert und war hiermit Wegbereiter

für

die

Entstehung

der

Behindertenrechtskonvention

(Moser/Lütje-Klose 2013). Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) im Jahr 2009 soll das deutsche Schulsystem nun jedoch ein flächendeckendes, inklusives Schulsystem werden2. Wider den bis

dahin

vorherrschenden

Selektionspraktiken

unsers

mehrgliedrigen

2

Weiterführend hierzu: Bentele, V. (2017). Die UN- Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Online Verfügbar unter: https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konvention_de utsch.pdf?__blob=publicationFile&v=2. [10.09.19]

11

Schulsystems, sollen idealerweise alle Kinder und Jugendliche gleichberechtigten Zugang zur Bildung erhalten, was vor allem die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen am Regelschulsystem meint. Inklusion ist darüber

hinaus

bezogen

auf

die

Bedürfnisse

von

Menschen

aus

benachteiligten Lebenslagen (Moser 2013). Versuche aus der Vergangenheit, Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf, in allgemeinbildende Schulen zu inkludieren, sind seit der Ratifizierung der UNBRK nun bundesweit geltendes Recht. Diese Umstellung des Schulsystems führt gleichermaßen zu einer veränderten, herausfordernden Rolle bei den Lehrkräften, denn die Lehrkräfte der Sonderpädagogik sollen fortan mit Lehrkräften der allgemeinbildenden Schulen zusammenarbeiten mit dem Ziel, der gelingenden Umsetzung von Inklusion (vgl. Lütje-Klose 2011).

1.2. Förderlehrer in der Inklusion Mit der Transformation des deutschen Bildungssystems gehen veränderte Rahmenbedingungen und neue Aufgabenfelder – vor allem auch für Förderlehrkräfte – einher. Statt der ursprünglichen Rolle der Förderlehrkraft, in kleinem Klassenverband Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen gesondert an einer extra vorgesehenen Förderschule zu unterrichten, treten neue Tätigkeiten für Förderlehrkräfte in den Fokus: Ihre Arbeit findet nun (auch) in Regelschulen statt, zur Unterstützung der Umsetzung von inklusiver Beschulung. Anstelle der zuvor stattgefundenen Aussonderungs-Praxis, bei denen

die

betroffenen

Kinder

den

vorhandenen

Ressourcen

(hier:

Förderschulen) zugeteilt wurden, arbeitet man nun gemäß dem Motto: Die Ressource

kommt

zum

Kind!

Demnach

sind

es

heutzutage

die

Förderlehrer*Innen die fortan an einem neuen Arbeitsplatz, den Regelschulen, tätig sind und mit einem neuen Kollegium zusammenarbeiten müssen. Sie sind notwendige Lehrkräfte, um in den allgemeinbildenden Schulen die Inklusion von SuS mit Beeinträchtigungen jeglicher Art zu unterstützen oder überhaupt erst zu ermöglichen (vgl. Lütje-Klose 2011). Die Profession der Regellehrkräfte ist in der Regel für den Umgang mit Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf unzureichend: Man fühlt sich oft als nicht kompetent genug, für inklusive Lernumgebungen (vgl. Amrhein 2011: 136). Das Förderlehrkräfte zur Umsetzung der gleichberechtigten Beschulung aller Kinder und Jugendlicher benötigt werden, verdeutlichen auch die statistischen

12

Belege über die Anzahl von Kindern mit diagnostiziertem Förderbedarf an Regelschulen in Hessen. Das hessische Statistische Landesamt führt jährliche Statistik

über

die

Anzahl

inklusiv

beschulter

SuS

an

hessischen

allgemeinbildenden Schulen. Zusätzlich sind die Zahlen differenziert nach Förderschwerpunkten und nach Bildungseinrichtung (Hessisches Statistisches Landesamt 2010, 2015, 2018). George (2018) fasst die Statistiken zu den Inklusionsanteilen der Schuljahre 2009/2010 bis 2017/2018 anschaulich zusammen: Demnach gab es einen Anstieg der in Hessen inkludierten SuS mit Förderbedarf im Primarbereich von 2.081 im Jahr 2009/2010 auf 3.421 SuS im Jahr 2017/2018 (Tabelle 1). Ein Plus von etwa 65%. Im Sekundarbereich stieg die Anzahl der inklusiv beschulten Kinder und Jugendlichen ebenfalls von 1.556 im Schuljahr 2009/2010 auf 5.661 im Schuljahr 2017/2018 an (vgl. George 2018; Tabelle 1). Eine Zunahme von über 250%.

Tabelle 1: Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf3 in inklusiver Beschulung an allgemeinbildenden Schulen (aus George 2018: 26).

Auf bundesweiter Ebene stellt Prof. Dr. Klaus Klemm (2018) mit Hilfe von „Exklusionsquoten“ fest, dass vor allem Kinder mit dem Förderschwerpunkt 3

Die in der Tabelle verwendeten Kürzel stehen für die unterschiedlichen Förderschwerpunkte Emotionale und soziale Entwicklung (ESE), Geistige Entwicklung (GE), Körperliche und motorische Entwicklung (KME) und Sprachheilförderung (SH).

13

Lernen in Regelschulen inkludiert werden. Über die Entwicklung der Jahre 2008 bis 2018 hat sich die Zahl der SuS, die in Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt

Lernen unterrichtet

werden nahezu

halbiert,

oder

umgekehrt ausgedrückt: Es werden umso mehr Kinder und Jugendliche mit diagnostiziertem

Förderbedarf

Lernen

in

allgemeinbildenden

Schulen

unterrichtet (vgl. Klemm 2018). Was gehört aber nun zum konkreten Aufgabenfeld der Förderlehrkräfte? Welche Tätigkeiten üben sie in der Inklusion aus? Melzer und Hillenbrand (2013) geben darüber Aufschluss: Sie haben mit Hilfe von Literaturreviews zusammengefasst,

welche

die

typischen

beruflichen

Aufgaben

von

Förderlehrern in der Inklusion

sind.

Dabei konnten sie 57 unterschiedliche Aufgaben

von

Förderlehrkräften in inklusiven Settings identifizieren. Diese wurden

in

11

Aufgabenbereiche unterteilt

(Melzer/

Hillenbrand 2013). Die von Melzer und Hillenbrand

(2013)

erstellten Aufgabenbereiche, Tabelle

sind 2

Anzahl

in

nach der

Nennungen in den untersuchten Studien aufgelistet. Demnach wurden folgende Bereiche erfasst:

Tabelle 2: Aufgabenbereiche von Förderlehrkräften in der Inklusion (aus Melzer/Hillenbrand 2013: 197)

(1)Administrative Aufgaben, (2)Diagnostik, (3)Unterricht, Vermittlung & Förderung, (4)Zusammenarbeit (allg.), (5)Anleitung von anderen Lehrkräften / Assistenten,

(6)Förderplanung,

(7)Individuelle

Angebote

für

einzelne 14

Schüler*Innen,

(8)Beratung

verschiedener

Zielgruppen,

(9)Vermittlung

spezifischer Inhalte, (10)Professionalisierung anderer Mitarbeiter der Schule, (11)Eigene Professionalisierung (siehe Tabelle 2, ebd.). Wie sich zeigt, sind die meist genannten Aufgaben „administrative Aufgaben“, die jedoch abhängig von der jeweiligen Schule sind, und von Akten-Arbeit, hin zum Schreiben von Dokumenten etc. reichen. Die „Diagnostik“ von auffälligen SuS, sowie die Unterstützung im Unterricht zählen ebenfalls zu den Kernaufgaben von Förderlehrern*Innen in der Inklusion. Dabei liegt ein wichtiger Aufgabenbereich auf der individuellen Förderung von Kindern mit Unterstützungsbedarf (Fischer et al. 2014). Mit „Zusammenarbeit“ ist vor allem die Beratung von Eltern und Kooperation mit externen Kontakten gemeint; darüber hinaus auch die Koordination und Kooperation mit den Regelschullehrern*Innen. Das „Anleiten von anderen Lehrkräften“ beinhaltet die Ausstattung der Regelschullehrkräfte mit speziellen (oft selbst erstellten) Hilfsmitteln und die Anleitung von Klassenlehrern durch beispielsweise die Empfehlung passender Lernmethoden. Das Erstellen von „Förderplänen“, sowie individuelle Angebote für einzelne Schüler (u.A. das vermitteln emotionaler und sozialer Kompetenzen) zählt ebenfalls zu den vielfältigen Aufgabenbereichen der Sonderpädagogen*Innen. Zuletzt sind es Beratungstätigkeiten im Kollegium der allgemeinbildenden Schulen und der Eltern. (Fischer et al. 2014) Die „Professionalisierung anderer Mitarbeiter“ durch (interne) Fortbildungen, Trainingsprogramme etc. und auch die „eigene Professionalisierung“ (Tabelle 2), ebenfalls bezogen auf Fortbildungen zur Inklusion, sind an dieser Stelle als letzte Aufgaben von Förderlehrkräften zu erwähnen (ebd.). Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass mithin nicht alle der 57 von Melzer und Hillebrand identifizierten Aufgaben zu erfüllen sind. Darum wird in Weiterem darauf verzichtet, die Aufgaben von Förderlehrkräften detaillierter auszuführen, da sie sich als höchst unterschiedlich gestalten können. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich die ursprüngliche Rolle des Lehramts an Förderschulen deutlich gewandelt hat und der Profession neue bzw. veränderte Aufgaben zugrunde liegen. Die „klassische“ Lehrerrolle, wie sie noch an den bestehenden Förderschulen praktiziert wird, gehört mit dem Einzug der Inklusion im deutschen Bildungssystem für Förderlehrkräfte zunehmend der Vergangenheit an. Hüfner (2012: 6ff.) beschreib aus bayrischer Sicht, dass Inklusion als „FrustProjekt“ erlebt wird, in dem sich die betroffenen Lehrer*Innen alleine gelassen 15

fühlen. Er kommt zu dem Schluss, dass zwar besonders Förderlehrer*Innen der Inklusion aufgeschlossen gegenüberstehen, jedoch unzureichende Unterstützung für Lehrer der allgemeinbildenden Schulen angeboten wird, was zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann (vgl. Hüfner 2012). Umgekehrt ist die Frage, ob die begrenzt verfügbaren Förderlehrkräfte dadurch nicht ebenfalls in eine ungünstige gesundheitliche Lage gebracht werden, da sie den Mangel an personellen Ressourcen schließlich irgendwie kompensieren müssen.

1.3. Lehrkräftegesundheit Die gesundheitliche Situation von Lehrkräften steht seit vielen Jahren immer wieder im Gespräch. Die Medien berichten regelmäßig darüber, dass der Lehrerberuf sehr anstrengend ist, zu psychischen Erkrankungen führen kann und die häufigsten Berufsaussteiger im Vergleich zu anderen Berufen verbucht (vgl. Göres 2018, Götz 2018). Die Süddeutsche beruft sich auf eine Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz

und

Arbeitsmedizin

und

schreibt,

dass

unter

„20 000

Erwerbstätigen (…) Lehrer deutlich häufiger als andere Berufsgruppen von Erschöpfung (…), Kopfschmerzen (…), Nervosität und Reizbarkeit (…) sowie von Schlafstörungen (…) betroffen“ sind (Göres 2018). Neben den Medien steht die prekäre gesundheitliche Situation an deutschen Schulen auch in der Fachwelt hoch im Kurs: Bereits seit den 1980er Jahren beschäftigt

sich

die

Fachwelt

zunehmend

mit

dem

Thema

der

Lehrkräftegesundheit. Stress und Burnout werden allzu häufig mit dem Lehrerberuf

in

Verbindung

gebracht,

gerade

aufgrund

der

hohen

Berufsausfälle wegen dem Gefühl des ‚ausgebrannt sein‘ (vgl. Schaf 2008, Schaarschmidt/Kieschke

2007b).

Die

bisher

größte

Studie

im

deutschsprachigen Raum über den Gesundheitszustand von Lehrkräften ist die „Potsdamer Lehrerstudie“ von Schaarschmidt (2005a) und seinem Forschungsteam. Nach der Untersuchung von über 16.000 Probanden wurde klar, dass der Beruf als Lehrer*In - neben dem der Erzieher*In - seinerzeit einer der am meisten belastenden Berufe war, der zu psychischen Erkrankungen führen kann und im schlimmsten Fall sogar ein Ausscheiden aus dem Berufsleben bedingt (Schaarschmidt 2005b, Schaarschmidt/ Kieschke 2007b). Vergleichbare Ergebnisse liefern Hasselhorn und Nübling (2004), die ebenfalls Lehrkräfte als höchste Risikogruppe für psychische

16

Erkrankungen identifizieren. Neben der Potsdamer Studie existiert jedoch ein wahrhaftiger Forschungs-Dschungel im Feld der Lehrkräftegesundheit. Aufgrund der enormen Anzahl an Untersuchungen ist dieser beinahe unmöglich zu überblicken. Klarheit im Feld der Gesundheitsforschung von Lehrkräften zu schaffen stellt – wie bereits Martin Rothland (2013) festgestellt hat – eine beachtliche Herausforderung dar: „Angesichts der auch für den Forscher oder die Forscherin kaum noch zu überblickenden Forschungslandschaft, nicht immer klarer geschweige denn einheitlicher Begriffsverwendung und einer keinesfalls eindeutigen Befundlage nebst bedeutsamer Limitierung der Forschungsergebnisse ist dies alles andere als ein simples Unterfangen.“ (Rothland 2013: 7).

Das heißt, dass die Verwendung uneinheitlicher Begriffe in den unterschiedlichen Studien, unterschiedliche Herangehensweisen und auch teils widersprüchliche Ergebnisse (vgl. ebd.) für die vorliegende Untersuchung noch genauer betrachtet werden müssen! Es herrscht folglich keine Einigkeit in der Auffassung und Erforschung von Gesundheit. Außerdem sei angemerkt, dass zwar insgesamt im Feld der Lehrer viel geforscht wurde; über die Lehrkräftegesundheit

im

Bereich

Inklusion,

und

hier

speziell

von

Förderlehrern*Innen, existieren jedoch kaum Erhebungen! Weiterhin muss an dieser Stelle berücksichtigt werden, dass die explizite Belastungsforschung von Lehrkräften auch gerne als Unteraspekt im Zuge der Lehrergesundheitsforschung

erfasst

wird

(so

z.B.

bei

der

Potsdamer

Studie,

vgl.

Ksienzyk/Schaarschmidt 2005). Um dennoch einen etwas differenzierten Einblick zu erhalten, wird nachfolgend ein ausgewählter Auszug aus dem Stand der Forschung zum Belastungserleben von (Förder-)Lehrern*Innen im Allgemeinen dargestellt, der einen grundlegenden Überblick verschaffen soll. Daran anschließend wird der Fokus auf Belastungsuntersuchungen bei Förderlehrkräften in der Inklusion gelegt und der Blick in besonderem Maß auf neuere Untersuchungen der vergangenen 5-10 Jahre gerichtet.

17

2. Theorie: Belastung, Beanspruchung und Ressourcen Wie eben dargestellt, führten die Verwendung uneinheitlicher Begriffe in vergangenen Studien und widersprüchliche Ergebnisse dazu, dass der Forschungsstand nur schwer zu durchblicken ist (vgl. Rothland 2013). Gesundheit, Stress, Burnout, Belastung und Beanspruchung. Über diese fünf Begriffe stolpert man, wenn man die Diskurse der Fachwelt über das Thema „Lehrkräftegesundheit“ vergleicht. Dabei ist es nicht immer einfach und trennscharf zu unterscheiden, welche Begriffe und welche Definitionen für Forschungen über Belastungen im Lehrerberuf in der Vergangenheit gewählt wurden (Mußmann 2017). Auffällig ist, dass die Forscher in der Vergangenheit oft keinen einheitlichen Terminus verwendet haben und unterschiedliche Definitionen oder Konzepte heranzogen. (Mußmann 2017: 14) Im bisherigen Verlauf wurde mehrmals von der Lehrkräftegesundheit, also vom Begriff ‚Gesundheit‘ gesprochen. Für diese Arbeit wird Gesundheit als Überbegriff aufgefasst, in dem die Elemente ‚Belastung‘ und ‚Beanspruchung‘ enthalten sind. Um die eigene Untersuchung dem bestehenden Wissen anschlussfähig

zu

machen,

soll

eine

theoretische

Bestimmung

und

Abgrenzung der Begriffe ‚Belastung‘ und dem sehr ähnlichen oder sogar synonym verwendeten Begriff ‚Beanspruchung‘ erfolgen. Für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird die Bedeutung der Begriffe festgelegt. Somit soll es möglich sein, die Ergebnisse hiesiger Arbeit besser in den Stand der Forschung einordnen zu können und eine Vergleichbarkeit auf begrifflicher Basis herzustellen. Das heißt, ausgehend von den für diese Arbeit zugrunde liegenden

Begrifflichkeiten,

setzt

die

eigene

Untersuchung

des

Belastungserlebens an. Des Weiteren wird im Folgenden ein Blick auf Ressourcen

gerichtet,

die

nach

Forschermeinungen

als

Schutz

vor

Belastungen dienen. Dabei werden Ressourcen direkt in Bezug auf die Arbeit als Lehrkraft betrachtet. Daran anschließend folgt in Kapitel 3 eine Auswahl an Forschungsergebnissen zur Lehrerbelastungsforschung, differenziert nach Schulformen und unter Berücksichtigung inklusiver Beschulung. Im Anschluss dieser Untersuchung werden Erkenntnisse des Forschungsstandes schließlich mit den eigenen Untersuchungsergebnissen verglichen.

18

2.1. Zur Abgrenzung von Belastung und Beanspruchung Blickt man in den Duden, so hat der Begriff ‚Belastung‘ mehrere Bedeutungen. Zum einen, dass etwas „mit einer Last versehen (…)“ wird. Zum anderen, dass etwas „in seiner Existenz, Wirkung“ bzw. in seinem „[Lebens]wert“ beeinträchtigt ist (Duden). Darüber hinaus bedeutet Belastung „stark in Anspruch nehmen“ oder „jemandem einer Sache zu schaffen machen“ bzw. „schwer auf jemandem, etwas lasten“ (Duden). Sibylle Redeker (1993) hat für ihre Forschungszwecke zunächst Modelle zu Belastungen miteinander verglichen und die vielfältigen Perspektiven als Rahmen

ihrer

Forschung

benutzt.

Der

Belastungsbegriff

wurde

aus

psychologischer, erziehungswissenschaftlicher und arbeitswissenschaftlicher Sicht beleuchtet und als Stütze verwendet, um ihn nach den Ergebnissen ihrer eigenen Untersuchung, neu zu diskutieren (Redeker 1993). Sie ließ bei ihrer Untersuchung die Probanden jeweils selbst den Begriff ‚Belastung‘ definieren. Aus diesen entstand schließlich eine neue Definition von ‚Belastungen‘ als „Arbeitstätigkeiten / Arbeitserfahrungen, bei denen elementare Wünsche der Betroffenen frustriert werden.“ (ebd.: 173). Hieran kann man erkennen, dass sich der Begriff auf psychische Belastungen beschränkt. Würde man diesem Begriff jedoch folgen, müsste man für die eigene Arbeit den Schwerpunkt verschieben, weg von den belastenden Faktoren hin zu den Wünschen der Betroffenen,

weswegen

Redekers

Belastungsbegriff

an

dieser

Stelle

unpassend erscheint. Ernst Schüle (2012) beschäftigt sich für die Deutsche Gesellschaft für psychosoziale

Gesundheitsförderung

Begrifflichkeiten

der psychischen

ebenfalls

Belastung

genauer

mit

und Beanspruchung.

den Als

nationale und internationale „Verständnisgrundlage“ wurde die DIN-Norm „Ergonomische

Grundlagen

bezüglich

psychischer

Arbeitsbelastungen“

eingeführt (Schüle 2012: 1, DIN EN ISO 100754) und somit ‚psychische Belastung‘ und ‚psychische Beanspruchung‘ genau definiert: „Definition Psychische Belastung nach der DIN EN ISO 10075 – 1 (1a): Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ (Schüle 2012: 6, van Dick/Stegmann 2013: 45) „Definition Psychische Beanspruchung nach der DIN EN ISO 10075 – 1: Psychische Beanspruchung ist die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der 4

Siehe

auch

https://www.din.de/de/wdc-beuth:din21:271934702

[30.10.19]

19

individuellen Bewältigungsstrategien.“ (Schüle 2012: 6, van Dick/Stegmann 2013: 45, Joiko/Schmauder/Wolff 2010: 9f.)

Was auf jeden Fall für die eigene Arbeit Berücksichtigung findet, ist die Zusammenfassung von Schüle (2012): „Die psychische Beanspruchung wird durch verschiedenste Faktoren wie Merkmale, Eigenschaften, Verhaltensweisen, Fokussierungen etc. beeinflusst Dabei spielen psychische Voraussetzungen wie Fähigkeiten und Vertrauen in diese, Erfahrungen, Kenntnisse, Anspruchsniveau, Motivation, Einstellungen, Bewältigungsstrategien eine wichtige Rolle. Weitere Faktoren, die die gefühlte Beanspruchung beeinflussen können, sind Gesundheitszustand, körperliche Konstitution, Alter, Geschlecht, Ernährungsverhalten, aktuelle Verfassung, soziale Schicht etc.. Demzufolge ist jeder Mensch mit seinen psychischen, körperlichen, genetischen und sozialen Voraussetzungen unterschiedlich. Diese individuellen Voraussetzungen sind die Ursache dafür, dass jeder anders empfindet und reagiert. Gleiche Belastungen können also Individuen unterschiedlich beanspruchen.“

Ähnlich formulieren es auch Mußmann et al. (2017: 11), dass objektive Belastungen subjektiv bewertet werden, in unterschiedlichem Maße als Belastung wahrgenommen werden und somit zur Beanspruchung werden können. Van Dick und Stegmann (2013) beschreiben weiterhin den Begriff ‚Stress‘, als ein im Volksmund geläufiger Begriff, der oft synonym für die beiden zuvor erörterten Begriffe verwendet wird. Die Autoren unterscheiden, inwiefern ‚Stress‘ sowohl als psychische Belastung, als Beanspruchung oder als deren Folgen (gesundheitliche Beeinträchtigungen) aufgefasst werden kann und erläutern die Unterschiede aus wissenschaftlicher Sicht (ebd.). Demnach bedeutet das umgangssprachlich oft verwendete Wort Stress zum einen

„alle

möglichen

Formen

von

Umweltanforderungen

(…),

wissenschaftlich würde man dabei von (potenziellen) Stressoren oder Belastungen sprechen.“ (van Dick/Stegmann 2013: 44). Weiterhin kann mit ‚Stress‘ ausgedrückt werden, „dass man sich unter den Anforderungen der Umwelt, also den Stressoren, tatsächlich belastet fühlt, weil diese die eigenen Ressourcen

übersteigen



wissenschaftlich

würde

man

hier

von

Beanspruchung reden.“ (ebd.: 44). Zuletzt werden mit dem Begriff ‚Stress‘ im Alltag „auch häufig bereits die Symptome von zu hohen Belastungen beschrieben, wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Gefühle des Ausgebrannt seins (Burnout(...)) – wissenschaftlich bezeichnet man diese Symptome als Stressreaktionen.“ (ebd.: 44). a

20

Es wird bewusst darauf verzichtet, den Stressbegriff und Stressmodelle, welche durchaus anschlussfähig wären, zu erörtern, da dies zu mehr begrifflicher Verwirrung führen würde. Wie sich zeigt, ist dennoch eine trennscharfe Begriffsklärung mithin nicht ganz einfach. Darum sollen

die nachfolgenden Modelle

Beanspruchungs-Konzepte

zum

Verständnis

von

bzw. BelastungsBelastung

und

Beanspruchung behilflich sein. Ihnen liegt die Annahme zu Grunde, dass unter ‚Belastungen‘ von außen einwirkende Faktoren verstanden werden, die potenziell zu einer Beanspruchung führen können.

2.2. Belastungs-Beanspruchungs-Konzepte Nach dem Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (Abbildung 1) von Rohmert und Rutenfranz (1975) werden als Belastung alle von außen einwirkenden Faktoren subsumiert (z.B. Arbeitsbedingungen, Art und Schwierigkeit der Aufgaben etc.).

Abbildung 1: Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (aus Schüle 2012: 7, nach Rohmert/Rutenfranz 1975)

Diese werden vom Betreffenden nicht direkt als Belastung identifiziert, sondern zunächst vom jeweiligen Individuum bewertet. Es werden subjektive (z.B. persönliche, arbeitsbezogene, umweltbezogene) Möglichkeiten zur Bewältigung bedacht und herangezogen. Sollte die einwirkende Belastung die bewältigenden Möglichkeiten überschreiten, kann daraus das Gefühl der Beanspruchung resultieren. Beanspruchung versteht sich nach diesem Modell also als eine Reaktion auf die von außen einwirkenden Faktoren und ist somit stets die Folge der vorangegangenen oder noch andauernden Belastung. (vgl. Rohmert/Rutenfranz 1975).

21

Als intervenierende Faktoren zählt beispielsweise Ernest Schüle (2012: 7) „individuelle

Eigenschaften

wie

Alter,

Persönlichkeit,

„Rhythmustyp“,

physiologische Anpassungsfähigkeit, soziale und häusliche Umstände, Einstellung (…) oder arbeitsbezogene Faktoren (Tätigkeitsbereich, Ausmaß an körperlicher und geistiger Belastung, Länge der Arbeitszeit, (…) Umgebungsbedingungen)“ auf. Mit dem Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung (Abbildung 2, verändert von van Dick/Stegmann 2013) veranschaulicht Rudow (1994) die Zusammenhänge von Belastung und Beanspruchung. Das Modell weist viele Parallelelen zum Belastungs-Beanspruchungs-Konzept von Rohmert und Rutenfranz auf: Von außen einwirkenden Belastungen werden bei Rudow zunächst als objektive Belastungen kategorisiert. In einem zweiten Schritt wird bei der Widerspiegelung nach persönlichen Kompetenzen, Ressourcen und „Aspekten der Lehrerpersönlichkeit“ geschaut, und somit die objektive Belastung bewertet (van Dick/Stegmann 2013: 45). Mangelt es an Handlungsvoraussetzungen, so wird aus der objektiven Belastung eine subjektive Belastung und diese kann als besondere Herausforderung gewertet werden.

Abbildung 2: Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung (aus van Dick/ Stegmann 2013: 45, verändert nach Rudow 1994: 43 ff.)

In Folge der subjektiven Belastung können reversible Beanspruchungsreaktionen (z.B. Kopfschmerzen, Anspannung, etc.) entstehen, welche durch ausgleichende

Beschäftigungen

oder Entspannung

und Ruhe

wieder 22

ausgeglichen werden können; dauerhafte subjektive Belastungen und Beanspruchungsreaktionen können sich zu permanenten Beanspruchungsfolgen

(z.B. chronische Krankheiten) umwandeln (ebd.). Van Dick und

Stegmann betonen jedoch auch positive Reaktionen, die nach Rudows Modell resultieren können: Sind die objektiven Belastungen mit vorhandenen Handlungsvoraussetzungen (Prozess der Widerspiegelung) vereinbar, können aus subjektiven Belastungen auch positive Beanspruchungsreaktionen wie beispielsweise Wohlbefinden oder geistige Aktivität ergeben und daraufhin „langfristig ein Gefühl der Kompetenz und Gesundheit“ (ebd.: 46). An dem Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung ist besonders, dass Rudow (1994) nach objektiver und subjektiver Belastung differenziert. Der Prozess der Belastungsbewertung ist also ein Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess, der grundsätzlich aus allen (objektiven) Belastungen nur diejenigen subjektiv in den Fokus der Wahrnehmung nimmt, denen es an Handlungsvoraussetzungen mangelt, und die zur Beanspruchung führen können. Das letzte hier

vorgestellte

Modell

ist

das Modell

von Belastung,

Beanspruchung und Ressourcen nach Mußmann et al. (2017, Abbildung 3). Mußmann et al. (2017) beschreiben zunächst die Zusammenhänge von Belastung und Beanspruchung ehe sie diese Konzeptionen in dem Dargestellten Modell – zugeschnitten auf die Arbeitswelt in Schulen – vereinen. Das heißt: Ausgehend von (objektiven) Belastungen, also von außen Einwirklenden

Faktoren

wie

Arbeitsaufgaben,

Arbeitsbedingungen,

Arbeitsorganisation erfolgt eine subjektive Bewertung der Belastung durch die betroffenen Lehrkräfte (ebd.). Die gleichen Belastungen werden durch individuell

vorhandene

Ressourcen,

persönliche

Fähigkeiten

und

Voraussetzungen demnach unterschiedlich bewertet (siehe auch Schüle 2012, Kap. 2.1). Je nachdem, ob die Belastungen positiv beeinflusst oder erfüllt werden können und abhängig von Dauer und Intensität der einwirkenden Belastung, erfährt man eine subjektiv wahrgenommene Beanspruchung (hier: besondere Herausforderung durch Arbeitsaufgaben, -bedingungen, etc.). Als Folgen der Belastung gelten zum Beispiel Überforderung oder psychische Erschöpfung. (Mußmann et al. 2017: 12ff.)

23

Abbildung 3: Das Modell von Belastung, Beanspruchung und Ressourcen (Mußmann et al. 2017: 13)

Anhand der hier vorgestellten Modelle und Konzepte wird deutlich, was man alles unter Belastungen versteht. Trotzdem kann der Übergang zwischen Belastung und Beanspruchung noch als diffus verstanden werden. Jedenfalls haben alle Modelle prinzipiell den gleichen Ablauf: Aus Belastungen resultiert die Beanspruchung und daraus wiederum (langfristige) Folgen. Ihnen ist weiterhin gemeinsam, dass ein Bewertungsprozess stattfindet, der wie ein Filter wirkt, um objektiv einwirkende Belastungen zu bewerten und zu filtern. In die Bewertung fließen verfügbare Ressourcen ein, um mit Belastungen umzugehen.

2.3. Die Bedeutung von Ressourcen als Schutz vor Belastungen Die Entwickler der eben vorgestellten Modelle und Konzepte messen den eigenen Ressourcen einen hohen Stellenwert bei und erkennen im Zusammenhang mit einwirkenden Belastungen eine entscheidende Rolle! „Das Verhältnis von Belastung und Beanspruchung wird auch von situationsund personenbezogenen Ressourcen (…) beeinflusst“ (Mußmann et al. 2017: 12). Wie sich in den Modellen aus Kapitel 2.2 zeigt, werden Belastungen stets mit dem Vorhandensein von Ressourcen abgeglichen: Bei Rohmert und Rutenfranz (1975) als „intervenierende Faktoren“ bezeichnet sind es die

24

„Handlungsvoraussetzungen“ bei dem veränderten Modell von van Dick und Stegmann (2013), die mit Ressourcen gleichzusetzen sind. Im Modell von Belastung, Beanspruchung und Ressourcen von Mußmann und anderen (2017: 12f.), definieren die Autoren ‚Ressourcen‘ als „Einflussfaktoren, die die Aufgabenbewältigung und die Belastungsregulation unterstützen und sich somit gesundheitsförderlich auswirken.“. Nach Fuchs (2006: 49) werden Ressourcen eine schützende Pufferfunktion zugeschrieben. So auch im letzten Modell (Abbildung 3) in denen sie eine besondere Funktion innehaben: Ressourcen werden zunächst schützend (wie auch in den Modellen zuvor) zur Belastungsbewertung herangezogen. Somit sind sie quasi ein Schutzfaktor vor Belastungen. Wie schon nach dem Modell von

Rudow

(1994),

nimmt

Mußmann

(2017)

ebenfalls

positive

Beanspruchungsreaktionen/-folgen mit in Betracht. Aus diesem Grund könnte eine Rückkopplung entstehen, die aus z.B. hoher Arbeitszufriedenheit (Folge) eine Ressource werden lässt und somit vor künftigen belastenden Ereignissen oder Situationen schützt (Mußmann et al. 2017). Von der konkreten Situation selbst ist jedoch abhängig, ob Faktoren als Ressourcen gesehen werden oder sogar als Belastungsfaktor: „Fehlende soziale Unterstützung (…) kann genauso als Belastungsfaktor wie als fehlende Ressource gesehen werden. In ähnlicher Weise fällt aufgrund des Rückkopplungsprozesses eine klare Abgrenzung von Ressource und Beanspruchungsfolge manchmal schwer.“ (ebd.: 13). 2.4. Das Konzept der Belastung für diese Untersuchung Als Grundlage für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung soll das Rahmenmodell von Rudow (1994, Abbildung 2) dienen und der Schwerpunkt auf der Identifikation von subjektiven Belastungen liegen. Ist im Folgenden also vom Begriff der (subjektiven) ‚Belastung‘ die Rede, so bezieht er sich grundsätzlich auf wahrgenommene „Anforderungen der Umwelt, die auf die Lehrkraft einwirken“ (van Dick/Stegmann 2013: 44), die Lehrkräfte herausfordern oder auf sonstige Weise negativ konnotiert sind. Dagegen ist mit ‚Beanspruchung‘ ein individuelles Empfinden von z.B. Unwohlsein, Krankheit oder Ähnlichem aufgrund der (subjektiven) Belastung gemeint, was zu einem Ausscheiden aus dem Berufsleben führen könnte (vgl. van Dick/Stegmann 2013: 44).

25

3. Forschungsstand: Ausgewählte Befunde zur Belastungsforschung von Lehrkräften Anschließend an die in der Theorie nachskizzierten Begriffe, folgt in diesem Kapitel nun eine Auswahl an Forschungsergebnissen zur Lehrerbelastungsforschung, differenziert nach Schulformen und unter Berücksichtigung inklusiver Beschulung.

3.1. Belastungsforschung von (Förder-)Lehrkräften Das Feld der Belastungs-/Gesundheitsforschung von Lehrkräften ist kein unbetretenes Feld. Im Gegenteil: Von hochgradiger Burnout-Gefährdung wird sowohl in der Fachwelt, als auch in Medien gesprochen. Kaum ein anderer Beruf wird als so belastend gewertet, wie der Lehrerberuf (s.o. Kap. 1.3), weswegen bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten der Gesundheitszustand und die Belastungen im Arbeitsalltag der Berufsgruppe Lehrer*In in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt sind. Dabei ging es primär um Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Förderlehrkräfte wurden hingegen nur selten bei Forschungen mitgedacht (Kramis-Aebischer 1995, Schaarschmidt 2005b, Krause/Dorsemagen 2007, Mußmann et al 2017). Die bislang wohl bedeutendste Untersuchung zur Lehrkräftegesundheit wurde vom Psychologieprofessor Uwe Schaarschmidt und seinem Team an der Universität Potsdam vorgenommen: Die als „Potsdamer-Studie“ bekannte Untersuchung wurde von 2000-2006 an über 16.000 Befragten Lehrkräften unterschiedlicher Regionen innerhalb Deutschlands durchgeführt und die Ergebnisse bereits 2005 präsentiert (Schaaf, 2008; Schaarschmidt, 2005; Schaarschmidt/Kieschke, 2007a). Symptome von Belastung standen im Forschungsinteresse, ebenso wie individuelle Möglichkeiten der Belastungund Krankheitsbewältigung (Schaaf, 2008). Aus diesem Grund wurde das diagnostische Verfahren „Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster“ (AVEM) entwickelt, mithilfe dessen das arbeitsbezogene Verhalten und Erleben in 11 Dimensionen erfasst wird (Schaarschmidt/Fischer 2008, 2016, Schaarschmidt 2005). Aus dem individuellen Arbeitserleben der Probanden konnten die Forscher 4 Muster ableiten, die für unterschiedliches Arbeitserleben stehen. Man erhält „darüber Aufschluss, wie die Lehrerinnen und Lehrer (…) den Anforderungen ihres Berufes begegnen und in welchem Maße darin zum einen Gesundheitsressourcen, zum anderen aber auch Gesundheitsrisiken zum Ausdruck kommen“ (Schaarschmidt/Fischer 2016: 410).

26

Im Ergebnis konnten die Forscher die gesundheitliche Situation von Lehrern – ungeachtet der Schulform – mit anderen Berufen vergleichen und feststellen, dass auf Lehrkräfte, im Vergleich mit anderen Berufen, ein höheres Maß an psychosozialen Belastungen einwirkt (Schaarschmidt 2005b). Weiterhin wurden Geschlechtsunterschiede zu Ungunsten der Frauen festgestellt, bei dem die Forscher eine Doppelbelastung von Schule und Familie annehmen; außerdem

wird

darauf

hingewiesen,

„dass

Frauen

eine

stärkere

Empfänglichkeit gegenüber negativen Emotionen zeigen, als Männer.“, also geschlechtsspezifische Dispositionen bei der Verarbeitung von Belastungen eine Rolle spielen (ebd.: 51ff.). Letztlich konnte ein Zusammenhang zwischen Dienstalter und Belastungssituation festgestellt werden: Berufseinsteiger (1.Jahr) weisen deutlich günstigere Bedingungen als Kollegen*Innen höheren Dienstalters.

Mit

Gesundheitliche

steigenden Situation,

Berufsjahren wobei

verschlechtert

„besonders

die

sich

die

progressive

Verschlechterung des Bildes in den ersten fünf Berufsjahren hervorzuheben“ ist (ebd.: 57). Der Potsdamer Studie gingen zunächst Belastungs-Forschungen voraus: Durch

Tätigkeitsanalysen

des

Lehrerberufs

wurden

26

verschiedene

Merkmale zusammengestellt, denen eine Belastungswirkung zugeschrieben wurde (vgl. Ksienzyk/Schaarschmidt 2005). Als Erhebungsinstrument diente ein Fragebogen. Die zuvor festgelegten Tätigkeitsbereiche konnten von den Probanden mit je fünf Auswahlmöglichkeiten (5: sehr belastend, 1: gar nicht belastend) bewertet werden (Ksienzyk/Schaarschmidt 2005). Ungeachtet der Schulform und des jeweiligen Bundeslandes haben die Autoren die Belastungssituation von Lehrkräften quantitativ erfassen können (ebd.); somit könnte

man

die

als

belastend

gewerteten

Tätigkeitsbereiche

als

Belastungsfaktoren bezeichnen, also ursächlich für individuelles BelastungsEmpfindungen. Nach dieser Voruntersuchung zählen zu den drei stärksten Belastungsfaktoren im beruflichen Alltag von Lehrern, die in großer Übereinstimmung genannt wurden: (1) Das Verhalten schwieriger Schüler, (2) zu große Klassenstärken und (3) die Anzahl der zu unterrichtenden Stunden (ebd.: 72f.). Im Bereich der Bewältigung wurde soziale Unterstützung (soziale Klima, Aussprachemöglichkeiten, …) als wichtigster entlastender Faktor identifiziert. Interessant war an dieser Stelle, dass der Schulleitung ebenfalls eine entlastende Funktion beigemessen wird (Ksienzyk/Schaarschmidt 2005).

27

Neugebauer & Wilbert (2010) haben selbst das Belastungserleben von Lehrkräften

erforscht,

speziell

jenes

von

Förderschullehrkräften.

Unberücksichtigt, ob ein inklusiver Kontext im Arbeitsfeld der Befragten besteht.

Durch

eine

quantitative

Erhebung

mittels

Fragebögen

und

unterschiedlichen Items zum Belastungserleben, Gesundheit, Prävention, usw. und einem anschließenden Vergleich mit bestehenden Studien zum Belastungserleben von Lehrkräften an Regelschulen, konnten die Autoren folgendes Herausfinden: „Die Befunde zeigen, dass die entsprechenden Pädagoginnen und Pädagogen ein sehr ähnliches Belastungsmuster zeigen wie Kolleginnen und Kollegen an allgemeinbildenden Schulen, wobei die Förderlehrkräfte ihre Belastung insgesamt betrachtet etwas geringer einschätzen. Vor dem Hintergrund einer mehrfach dokumentierten extrem hohen subjektiven Arbeitsbelastung von Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen (Hasselhorn & Nübling, 2004) ist die Lage der Förderlehrkräfte aber nicht als positiv einzustufen, sondern es muss auch hier von einer deutlichen subjektiven Arbeitsbelastung ausgegangen werden.“ (Neugebauer/Wilbert 2010: 78f.).

Es konnte demnach festgestellt werden, dass Förderlehrkräfte zwar hohen Belastungen ausgesetzt sind, diese aber insgesamt als geringer Eingeschätzt wurden als von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulformen. Konkrete Belastungsfaktoren wurden dabei nicht hinterfragt oder identifiziert. Weiterhin haben

die

Forscher

Bewältigungsstrategien

auch

hier

einen

Zusammenhang

und

Belastungserleben

feststellen

zwischen können

(Neugebauer/Wilbert 2010:77) Adams, Kurtz, Jakobs und Kollegen veröffentlichten 2016 eine Literaturübersicht über Forschungsergebnisse zu Belastungsstudien im Lehrerberuf der Förderpädagogik. Diese Zusammenstellung zeigt eine Auswahl aktueller Forschungen zum Thema Belastungserleben, speziell bei Förderlehrkräften. Die Ergebnisse über Belastungen für Beschäftigte an Förderschulen sind darüber hinaus differenziert nach Förderschwerpunkten: „Hedderich und Hecker (2009) zeigten, dass der Arbeitsumfang als Belastung von Förderschullehrkräften, die in integrativen Schulen arbeiten, genannt wurde. Im internationalen Forschungskontext bestätigen Eichinger et al. (2000), dass Förderschullehrkräfte, die in integrativen Settings arbeiten, angeben, v. a. durch Aspekte organisatorischer Belange sowie Elternarbeit belastet zu sein. Lehrkräfte, die an Förderschulen mit dem Schwerpunkt „emotionale- und verhaltensbezogene Schwierigkeiten“ arbeiten, empfinden den Umgang mit Schüler*Innen als Herausforderung (Malecki, 2013) oder nennen insbesondere Aspekte der Deeskalation als eine spezifische Arbeitsanforderung (Weiss/Kollmannsberger/ Kiel 2013). Zudem sei die Unvorhersehbarkeit eine spezifische Belastung von Förderschullehrkräften, was zu Unsicherheit beim Unterrichten führen könne (ebd.). Auch Shyman et al. (2011) berichten, dass 33 % der Befragten angaben, höhere emotionale als zeitliche Arbeitsanforderungen zu erleben, der

28

Förderschwerpunkt bleibt hier jedoch unklar (Shyman 2011). Diese Studien weisen auf Unterschiede in den Belastungen in Abhängigkeit vom Förderschwerpunkt bzw. der Schulform hin.“ (Adams et al. 2016: 177)

Somit lassen sich weitere Belastungsfaktoren zusammenfassen: (1) Arbeitsumfang, (2) Organisatorische Aspekte, (3) Elternarbeit, (4) Umgang mit schwierigen SuS, (5) Aspekte der Deeskalation und (6) Unvorhersehbarkeit der pädagogischen Arbeit (Adams et al. 2016: 177). Ein wichtiger Hinweis ist, dass es Unterschiede im Belastungserleben gibt, abhängig von der Schulform oder den Förderschwerpunkten (ebd.). Mußmann (2017) berichtet über die in Niedersachsen in den Jahren 20152016 durchgeführte Arbeitszeitstudie bei Lehrkräften. Ca. 3000 Lehrkräfte haben über einen Zeitraum von einem Jahr ihre Arbeitszeit minutengenau dokumentiert. Man hat die Arbeitszeit als Grund für Belastungen erklären können, denn viele Lehrkräfte neigten zu enormer Mehrarbeit trotz freier Arbeitseiteilung (Hardwig 2019). Das der Blick auf die Arbeitszeit durchaus ein Maß für Belastungen sein kann, ist demnach wohl unumstritten. Als Belastungsfaktoren müssen neben der reinen Arbeitszeit allerdings noch weitere Aspekte beachtet werden, merkt Mußmann (2017: 8) an. Denn auch diejenigen Lehrer*Innen, die nicht durch überlange Arbeitszeiten belastet sind, könnten andere Gründe für ein subjektives Belastungserleben haben. Wie sich durch diese Auswahl an Belastungsforschungen zeigt, konnten in der Vergangenheit bereits viele Erkenntnisse über Belastungssituationen von Lehrkräften gewonnen werden. Problematisch erweist sich leider der Anteil an speziell Förderlehrkräfte betreffende Untersuchungen. Diese scheinen nach aktuellem Wissensstand kaum oder nur Lückenhaft vorhanden zu sein. Laut Neugebauer und Wilbert (2010: 80) „(…) herrscht ein deutlicher Mangel an empirischen Vergleichsstudien, aus denen sich belastbare Daten über die Situation

von

Lehrkräften

und

insbesondere

von

Förderlehrkräften

heranziehen lassen“. Daher „besteht die Notwendigkeit, in diesem stark unterforschten Feld, insbesondere in Bezug auf Förderlehrkräfte mehr Klarheit zu schaffen“ (Neugebauer/Wilbert, 2010: 80). Des Weiteren erweist sich als Auffällig, dass die hier vorgestellten Studien nicht im Kontext schulischer Inklusion durchgeführt wurden!

29

3.2. Belastungsforschung von Förderlehrkräften in der Inklusion Zugespitzt wird die aktuelle Forschungssituation an deutschen Regelschulen mit der Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 und dem damit einhergehenden

reformatorischem

Einzug

der Inklusion

ins deutsche

Schulsystem, eine bis dato unbekannte Erfahrung für die meisten Lehrkräfte in der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang mangelt es, durch die erst sehr kurze praktische Arbeitszeit in diesem veränderten System, an empirischen Studien über die Situation von Lehrkräften (vgl. Neugebauer/ Wilbert, 2010). Die Untersuchung von Bettina Amrhein (2011) ist ein Beispiel dafür, dass zwar Forschungen über Lehrkräfte in inklusiven Settings unternommen

wurden;

hierbei

wurde

jedoch

die

Perspektive

der

Förderlehrkräfte außer Acht gelassen. Darüber hinaus finden sich im deutschsprachigen Raum und in den vergangen fünf Jahren fast keine Forschungsarbeiten, die das Belastungserleben von Förderlehrkräften in der Inklusion untersucht haben. Eine der jüngsten Arbeiten in diesem Feld, ist die von Peperkorn (2019, siehe auch Peperkorn/Horstmann

2019).

Ihr

Bestreben

war

es,

ebenfalls

das

Gesundheitserleben von Lehrkräften im inklusiven Kontext zu erforschen. Damit hat Peperkorn mit ihrer eigenen Untersuchung im Prinzip die Bemühungen von Amrhein ergänzt und um weitere Forschungsaspekte erweitert, denn es wurde hierbei auch die Situation von Förderlehrkräften in der Inklusion beleuchtet und mit Regellehrkräften verglichen. Die Auswertung ihres Datenmaterials ergab, dass „Lehrkräfte von Förder-, Grund- sowie von Integrierten Gesamtschulen ihre Gesundheit im Vergleich am positivsten bewerten (…) und Gymnasiallehrkräfte am negativsten“, obwohl insgesamt „kein positives Gesundheitserleben im Kontext inklusiver Bildungstätigkeiten berichtet werden kann“ (Peperkorn 2019: 99). Die junge Forscherin konnte herausfinden, dass Routine und häufiges Ausführen beruflicher Tätigkeiten zu einem positiveren Gesundheitserleben führt, also die

Berufserfahrung

zur

Bewältigung

beiträgt

(Peperkorn

2019);

im

Widerspruch zur Potsdamer Studie, bei der man ab dem 5. Dienstjahr eher eine Zunahme der Belastungssituation beobachtete (siehe S.27). Als Erklärungsmöglichkeit sieht Peperkorn (2019) einen Erfahrungsvorsprung bereits durch die Ausbildung von Förderlehrkräften im Vergleich anderer Lehramtsausbildungen, da erstere bereits im Studium mit inklusiven Tätigkeiten (z.B. Diagnostikverfahren) in Kontakt kommen.

30

Für

hiesige

Untersuchung

gebräuchlichsten

Forschungserkenntnisse

entstammen aus der Studie von Hedderich und Hecker (2009). Mit ihrer Pilotstudie über die „Belastung und Bewältigung an integrativen Schulen“ bei Lehrer*Innen der Förderpädagogik, betraten Ingeborg Hedderich und André Hecker (2009: 3) Neuland der Forscherwelt in Deutschland: Sie machten es sich zur Aufgabe, die Schnittstelle aus Lehrerbelastungsforschung von Förderlehrkräften und Lehrerbelastungsforschung in integrativen/ inklusiven Schulen zu erforschen; die Belastung und Bewältigung von Förderlehrkräften in integrativem Setting. Ziel war es, belastende Situationen zu identifizieren, sowie

die

Bewältigungsmöglichkeiten

der

Probanden

zu

erfragen

(Hedderich/Hecker 2009, Hedderich 2016). In Anlehnung an Schaarschmidts Lehrer-Studie aus Potsdam wurden Elemente des Erhebungsinstrumentes AVEM

zu

einem

Experteninterview

Leitfaden

adaptiert

und

für mit

eine

qualitative

weiteren

Forschung

per

erweitert.

Per

Fragen

Experteninterview wurden 9 Förderlehrerinnen und ein Förderlehrer befragt (Hedderich/Hecker

2009,

Hedderich

2016).

Aus

dem

transkribierten

Textmaterial heraus haben Hedderich und Hecker (2009: 81f.) vier übergeordnete Bereiche zur Auswertung bilden können: A.) Belastungen, B.) Bewältigung, C.) Anforderungen an inklusive Arbeit und D.) Der eigene Belastungszustand (= Standort). Nachfolgend werden - aufgrund der Relevanz für die eigene Untersuchung - nur die Erkenntnisse der ersten beiden Kategorien (Belastungen, Bewältigung) vorgestellt. Auf Grundlage der Text-Analyse entwickelten die Forscher innerhalb der Bereiche A.) ‚Belastung‘ und B.) ‚Bewältigung‘ Variablenkomplexe mit zusätzlicher Unterteilung nach umweltbedingten und personenbedingten Faktoren. Letzteres ist jeweils auf die eigene Person bezogen (Hedderich/ Hecker 2009). Es wurde aus dem Datenmaterial heraus für die personenbezogenen Belastungsfaktoren zu A.) folgende „Variablenkategorien“ gebildet (ebd.: 84).: (1) Kompetenzen, (2) Arbeitsengagement, (3) Emotionen (Erfolgserleben), (4) Alter.

31

Zu den umweltbedingten Belastungsfaktoren in A.) zählten (ebd.: 84).: (1) Politische Rahmenbedingungen, (2) Arbeitsumfang, (3) Arbeitsorganisation, (4) Kollegium, (5) Schüler, (6) Eltern, (7) der gesellschaftliche Status. „Vor allem Arbeitsumfang und der Arbeitsorganisation wurden Belastungscharakter zugeschrieben. Darüber hinaus nannten die befragten Pädagogen Störungen im Kollegium, im Umgang mit den Eltern, schülerbezogene Belastungen und (im weiteren Sinne) politische Rahmenbedingungen“. (ebd.: 85)

Diesen Variablenkategorien wurden dann die Aussagen der Probanden als „Variable“ zugeordnet. Zusammenfassend haben Hedderich und Hecker (2009: 85ff.) nachfolgende belastende Aspekte durch ihre Pilotstudie von Förderlehrkräfte in der Inklusion für den Bereich A.) ‚Belastung‘ herausgefunden: …Zeitmangel, Geldmangel, oder die Einbringung in neue oder sogar zwei unterschiedliche Kollegien genannt. Den Lehrern bleibt zu wenig Zeit, sich für die Förderung von Schülern einzusetzen oder müssen schulische Mehrbelastungen

(z.B.

Gutachten,

Formulierung

verbaler

und

notenfreier

Zeugnisse, Projektarbeiten) in Kauf nehmen und teilweise ins Privatleben überführen. Beratungen und Besprechungen wurden ebenfalls als belastend bewertet und erhöhter Dokumentationsaufwand als hinderlich gesehen. Im Bereich der Arbeitsorganisation nannten die Teilnehmer der Studie, dass gewisse

Stoßzeiten,

wie

beispielsweise

Halbjahreswechsel

oder

Schulanfang/-ende zu einem stressigen Mehraufwand durch Zeugnisse und Gutachtenerstellung führe. Außerdem belastet ein Mehr an Interaktionen zwischen Lehrern, die in einem integrativen Team zusammenarbeiten müssen. Ein Teilnehmer aus Hedderichs Studie nannte den Rollenmix aus Förder- und teilweise Regellehrer als sehr herausfordernd. Eine weitere Förderlehrkraft gab an, oft in der Inklusion als Vertretungslehrkräfte für Regelschullehrer eingesetzt zu werden und somit fachfremden Unterricht vorbereiten und durchführen zu müssen, was auf Dauer sehr belastet. Im Kollegium wurde die Kooperation sehr facettenreich als belastend erlebt. „Zwischenmenschliche Schwierigkeiten in einem Lehrerteam wurden als deutliche Belastung von zwei Probandinnen angegeben (…). Ebenso wurde von einer Teilnehmerin (…) die häufigen Diskussionen und notwendigen Absprachen als belastend empfunden, was von einer anderen Probandin (…) insofern bestätigt

32

wurde, als dass die Teamarbeit Konsensfähigkeit fordert und auch die Rücknahme eigener Ideen bedeuten kann. (Hedderich/Hecker 2009: 87)

Ob man im Kollegium akzeptiert und wertschätzend aufgenommen wird, spielt dahingehend eine Rolle, ob einem die Arbeit langfristig zusetzt oder nicht. Konkurrierende Situationen mit den Regelschullehrern wirken für mehrere Probanden sehr belastend. Dies beinhaltet auch, die unterschiedlichen Sichtweisen beider Professionen auf Kinder mit Beeinträchtigung, die bei der Zusammenarbeit als Belastung erlebt wird. (ebd.: 88) Als weitere umweltbedingte Belastungsfaktoren wurden bei Hedderich und Heckers Pilotstudie wie auch schon bei Schaarschmidt der Umgang mit Schülerinnen und Schüler genannt, sofern sie multifaktoriell auffällige Kinder sind oder unter therapeutischen Maßnahmen stehen, die Kommunikation zu Eltern und das geringe gesellschaftliche Ansehen des Lehrerberufes. (ebd.: 88f.) Im Gegensatz zu den umweltbedingten Faktoren, gab es bei den personenbezogenen Faktoren deutlich weniger Nennungen. Diese bezogen sich auf mangelnde Kompetenzen (z.B. unzureichende Konfliktfähigkeit) und auf unzureichende Eigenreflexion. Außerdem wurde auch in der individuellen Verausgabungsbereitschaft, insbesondere dem eigenen Idealismus, eine Belastungswirkung beigemessen. Auf emotionaler Ebene konnte lediglich eine Nennung bezüglich dem Erfolgserleben im Beruf verzeichnet werden. Letztlich wurde auch das Alter im Zusammenhang mit der individuellen Belastbarkeit erwähnt, welche mit zunehmendem Alter immer mehr nachlasse (ebd.: 90). Weitere Untersuchungsergebnisse aus der Studie von Hedderich und Hecker (2009) bezogen sich auf die individuelle Belastungsbewältigung der Probanden. Für den Bereich B.) ‚Bewältigung‘ wurden gleichermaßen die Ergebnisse

nach

umweltbedingten

und

personenbezogenen

Faktoren

differenziert. Im Ergebnis zeichneten sich mehr entlastende oder bewältigende Funktionen auf Seiten der umweltbedingten Bewältigungsmöglichkeiten als auf Seiten der personenbezogenen Möglichkeiten aus (Hedderich 2016). Hauptsächlich wurde der Kommunikation und Kooperation mit dem Kollegium eine positive Wirkung und somit eine Entlastungsfunktion zugestanden. Dies war deckungsgleich mit dem „Befund, dass den persönlichen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kooperation und Kommunikation eine hohe Bedeutung zugewiesen

wurde“

Weiterbildungen

(vor

(Hedderich allem

für

2016:

37).

Lehrkräfte

der

Integrationsspezifische Regelschulen)

oder

33

Unterstützungsprogramme seitens der Schulen (Supervisionen, Beratungen, usw.) wurden ebenfalls als schützend vor Belastungen wahrgenommen; die Weiterbildung soll bei den Regelschullehrkräften ein besseres „Verständnis für integrationspädagogische Herangehensweisen“ leisten, um schließlich die Zusammenarbeit im Team zu verbessern (ebd.: 37). Überraschend und deckungsgleich mit der Erkenntnis von Ksienzyk und Schaarschmidt (2005: 81) war, dass Schulleitungen eine besondere Schutzfunktion beigemessen werden. Die Hälfte der von Hedderich und Hecker (2009) befragten verwies auf eine Schutzfunktion der Schulleitungen: Ihnen wird die Möglichkeit unterstellt, sich schützend für jeweiliges Kollegium einzusetzen

zu

können,

Weiterbildungen

anzubieten

und

es

vor

Mehrbelastungen (z.B. arbeitsorganisatorisch) zu bewahren, aber auch durch einen Wertschätzenden Umgang für ein positives, entlastendes Gefühl zu sorgen (vgl. Hedderich/Hecker 2009: 99) „Ist seitens der Schulleitung wenig Verständnis, Wertschätzung und konkrete Hilfe zu erwarten, so schlagen die schwierigen Schüler, die großen Klassen und ein hohes Stundendeputat besonders beeinträchtigend zu Buche. Kann man sich dagegen auf den Rückhalt durch die Schulleitung verlassen, so werden diese belastenden Wirkungen zwar nicht beseitigt, aber doch abgepuffert.“ (Ksienzyk/Schaarschmidt 2005: 81)

Wie sich anhand des vorliegenden Auszuges aus dem Forschungsstand zeigt, sind verwertbare Daten aus der Belastungsforschung über konkret belastende Faktoren oder Situationen für Förderlehrkräfte an inklusiven Schulen eher Mangelware. Diesen Zustand gilt es in Zukunft zu ändern…

„Forschungsarbeiten mit explizitem Inklusionsbezug sind im deutschsprachigen Raum (…) als Desiderat zu bezeichnen.

Vor

Untersuchung Lehrkräften

diesem des

in

Hintergrund

erlangt

Gesundheitserlebens

Bezug

auf

die von

inklusionsspezifische

Tätigkeiten an Bedeutung.“ (Peperkorn 2019:1)

34

4. Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung Nach der neuen Ausgangslage, dem Einzug der Inklusion, und den damit verbundenen veränderten Tätigkeiten von Förderlehrkräften besteht ein persönliches Interesse, mehr über die aktuelle Situation an inklusiven Schulen zu erfahren. Um den Gesundheitszustand von Lehrern steht es offensichtlich nicht gut. Was sind aber die genauen Ursachen, bedingt durch den Arbeitsalltag, die Lehrer krank machen? Als angehender Förderlehrer möchte mehr darüber in Erfahrung bringen, wie Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit in der Inklusion als ‚Sonderpädagoge‘ wahrnehmen und inwiefern sie diese als Herausforderung oder Belastung empfinden. Welche Situationen oder Faktoren wirken für sie als belastend? Und welche Möglichkeiten gibt es, belastenden Situationen vorzubeugen oder sie auszugleichen? Schließlich werde ich in der Zukunft wahrscheinlich ebenfalls im Feld der Inklusion tätig sein und bin aus diesem Grund besonders daran interessiert, aus Sicht von Experten über den (belastenden) Arbeitsalltag berichtet zu bekommen. Nach Auseinandersetzung mit Theorie und Forschungsstand wurden die eigenen vorläufigen Forschungsfragen schließlich konkretisieret. Mit hiesiger Arbeit möchte ich daher das Belastungserleben von Lehrkräften in der Inklusion

genauer

untersuchen

und

meinen

Fokus

auf

Förder-

pädagogen*innen setzen. Mußmann (2017: 12) merkte an, dass neben der reinen Arbeitszeit - erhoben durch Arbeitszeitstudien (siehe oben) - auch andere Faktoren als Belastend für Lehrkräfte beachtet werden müssen. Dies wird für die eigene Fragestellung berücksichtigt. Ziel dieser Arbeit ist es daher, unabhängig von der reinen Arbeitszeit als Förderlehrer*In in der Inklusion, als belastend wahrgenommene Faktoren und Situationen heraus zu arbeiten. Nicht nur die erlebten Belastungssituationen und –faktoren sollen dabei jedoch in Erfahrung gebracht werden. Weil nach wissenschaftlichem Stand den

Ressourcen

eine

besondere

Schutzfunktion

gegen

einwirkende

Belastungen zugesprochen wird, soll zusätzlich der Frage auf den Grund gegangen, welche Ressourcen günstig sind für eine entlastende Wirkung. Inspiriert von den Ergebnissen von Ksienzyk/Schaarschmidt (2005: 81) und Adams (2016: 180), die in Schulleitungen eine entlastende Funktion sahen, sowie der Erkenntnis von Hedderich (2016: 38), welche in der „inklusiven Schule ein zukunftsweisendes Modell“ sieht, „wenn sie gut ausgestattet ist, ihren Lehrkräften Unterstützung anbietet und ihre Arbeit wertschätzt“, wird in

35

dieser Untersuchung der Blick auf entlastende Angebote seitens der Schulen und entlastenden Funktionen von Schulleitungen gerichtet. Demnach möchte ich in meiner wissenschaftlichen Hausarbeit primär der folgenden Fragestellung auf den Grund gehen: A) Welche Situationen, Faktoren oder Erlebnisse werden in der Inklusion von Förderlehrkräften subjektiv als Belastung erlebt?

Sekundär möchte ich mich der Frage widmen, welche entlastenden Möglichkeiten administrativer bzw. organisatorischer Art vorhanden sind, welche in dieser Arbeit als Schutzfaktoren vor Belastungen angesehen werden: B) Welche Möglichkeiten werden von Schule und Schulleitung geboten, um mit Belastungen umzugehen oder ihnen vorzubeugen? Stiller (2015) fordert, „sowohl den gesellschaftlichen Kontext (z. B. Ansehen des Lehrberufs), als auch das private Umfeld (z. B. familiäre Situation) in die Belastungsforschung einzuschließen und sich nicht auf die drei Kernbereiche Schulsystemeben

(…),

Schulebene

(…)

und

Unterrichtsebene

zu

beschränken“ (Mußmann 2017: 14 nach Stiller 2015: 52ff.). Hiesige Erhebung wird sich aus pragmatischen Gründen jedoch auf die Kernbereiche der Schule konzentrieren und lediglich bei der Interpretation das private Umfeld der Probanden mitberücksichtigen.

36

5. Methodisches Vorgehen zur Untersuchung des Belastungserlebens von Förderlehrkräften in der Inklusion 5.1. Überlegungen zum Messinstrument Zur Bearbeitung der Forschungsfragen bietet es sich an, qualitativ zu forschen, weil die Wahrnehmung von Belastungsfaktoren und Möglichkeiten mit dem Umgang derselben nicht per se objektiv messbar sind. Aus diesem Grund wird die Methode des Experten-/Leitfadeninterviews in Betracht gezogen.

Die

sozialwissenschaftliche,

qualitative

Methode

des

Experten-/Leitfadeninterviews soll angewendet werden, um zunächst keine große Anzahl an Probanden zu untersuchen, sondern primär exemplarisch das subjektive Empfinden von Förderlehrkräften zu erfahren (Mayring 2016, Döring/Bortz 2016). Die gewählte Interviewform wird von Döring und Bortz (2016) auch als halbstrukturiertes Interview bezeichnet, welches unter Einsatz eines Leitfadens einen vergleichbaren Gesprächsverlauf unter den Probanden erreichen soll. Eine Stichprobe von mindestens drei Förderlehrkräften, die in der Inklusion arbeiten, soll Aufschluss zur Beantwortung der Forschungsfragen geben. Die Befragungen per Experteninterviews sind mit einer Dauer von je ca.20min vorgesehen. Gleichzeitige Tonaufnahmen dienen der Konservierung des Datenmaterials.

Anschließende

inhaltliche

Analysen

erfolgen

mittels

qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) und Gläser & Laudel (2010), wofür die zuvor aufgenommen Konversationen transkribiert und somit verschriftlicht werden. Mit dem Extrahieren von Informationen aus dem verschriftlichen Datenmaterial soll es Möglich sein, Antworten auf die Forschungsfragen zu geben.

5.2. Erstellung des Interviewleitfadens Für die Durchführung der Interviews wurde im Vorfeld ein Leitfaden erstellt, der dazu dienen soll, verwertbare Daten zur Beantwortung der Forschungsfragen zu erheben. Er wird erstellt, um einen gewissen inhaltlichen Rahmen zu setzen und wenn nötig, den Gesprächsverlauf zielführend lenken zu können. Zudem werden Fragen formuliert, die es in der Interview-Situation ermöglichen, ein Stocken im Gespräch zu verhindern. Als Interviewform wurde das halbstrukturierte Interview gewählt, um mit Hilfe eines Leitfadens einen vergleichbaren

Gesprächsverlauf

unter

den

Probanden

zu

erreichen

(Döring/Bortz 2016).

37

Gläser & Laudel (2010) weisen auf unterschiedliche Fragetypen hin, für unterschiedliche Erkenntnisgewinne um beispielsweise Detailwissen, Fakten oder Meinungen abzufragen. Erzählanregungen sollen Probanden dagegen als Impuls für Erzählungen dienen (Gläser/Laudel 2010). Der Leitfaden (siehe Anhang) für die Experteninterviews wird jedoch flexibel verwendet und an die jeweilige Situation angepasst und soll nur als eine Art Fragenkatalog verstanden werden. Die Reihenfolge der Fragen und die Art der Formulierungen können jederzeit verändert werden und wenn geeignet im Gesprächsverlauf ihren Einsatz finden. In Anlehnung an die Untersuchungen von Hedderich und Hecker (2009) und Peperkorn (2019) werden überwiegend offene Fragen verwendet, die die Interviewpartner zum Reden anregen sollen. Im Fall, das geschlossene Fragen gestellt werden, so sollen diese durch ergänzende offene Fragen weitere Antworten generieren. Der Leitfaden wurde nach dem ersten Interview überarbeitet und angepasst um zielführender verwertbare Daten für hiesige Untersuchung zu erheben.

5.3. Die Auswahl der Stichprobe Die Kontaktaufnahme erfolgte über ein Beratungs- und Förderzentrum im Rhein-Main-Gebiet. Zwölf Förderlehrkräfte wurden im Vorfeld mündlich und schriftlich kontaktiert und über die anstehende Untersuchung unterrichtet. Darunter waren zehn Lehrerinnen und zwei Lehrer. Teilnehmersuche erfolgte nicht nach dem Zufallsprinzip. Ausgewählt wurden sowohl Förderlehrkräfte, die in der Inklusion an einer Grundschule arbeiten, als

auch

jene,

die

in

der

(Haupt-/Real-/Gesamtschulen)

Inklusion

eingesetzt

an sind.

weiterführenden Die

Schulen

in der Potsdamer

Lehrerstudie erfassten Alters- und Geschlechtsunterschiede (siehe oben, Kap. 3.1) können bei dieser kleinen Stichprobe nur bedingt berücksichtigt werden. Für die Altersunterschiede, wurde die 5-Jahres-Grenze mitgedacht, die von Schaarschmidt und Kollegen als das Dienstalter beschrieben wurde, ab dem sich das Belastungserleben meist zum negativen hinwendet (Kap. 3.1). Es wurde entsprechend darauf geachtet, dass die Auswahl potentielle Teilnehmer mit der Berufserfahrung von weniger als 5 Jahren und solche mit mehr als 5 Dienstjahren Berufserfahrung umfasst. Die Auswahl zwischen verschiedenen Schulformen und verschiedenen Altersgruppen soll schließlich der Analyse dienen, um Aufschlüsse über

38

eventuelle Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu erhalten. Grund dafür ist, dass in der Vergangenheit oft Unterschiede im Belastungserleben abhängig von der jeweiligen Schulform in der gearbeitet wird, beschrieben wurden. Insgesamt haben sich drei Teilnehmer für hiesige Untersuchung bereiterklärt. Somit ergibt sich folgende Untersuchungsstichprobe: Eine Förderlehrerinnen an der Inklusion im Primarbereich, eine Förderlehrerin im Primar und Sekundarbereich und ein Förderlehrer aus der Inklusion in der Sekundarstufe (Tabelle 3). Der Mangel an männlichen Kollegen lässt in dieser Untersuchung den

Vergleich

zwischen

den

Geschlechtern

leider

nicht

zu.

Das

Durchschnittsalter der Probanden liegt bei 36,33 Jahren; die durchschnittliche Berufserfahrung bei 7,33 Dienstjahren.

Berufserfahrung = 5 Jahre

Inklusion: Grundschule

Inklusion: Grundschule u. Sekundarschule

Inklusion: Sekundarschule

1 (weiblich)

1 (männlich)

1 (weiblich)

Tab.3: Auswahl der Probanden für die Untersuchung.

5.4. Durchführung der Experteninterviews Die Befragung der an der Untersuchung teilnehmenden Lehrkräfte fand im Zeitraum

vom

27.09.2019



17.10.2019

statt.

Die

Interviews

zur

Datenerhebung für die vorliegende Untersuchung wurden alle an einer Förderschule mit Beratungs- und Förderzentrum in Südhessen durchgeführt. Hierfür wurde ein verhältnismäßig neutraler Raum mit Ruhebereich genutzt um dem Interview eine gelockerte Atmosphäre zu verleihen. Nach Empfehlung von Gläser und Laudel (2010) wurde nur ein Interviewer eingesetzt und die Interviews zur Konservierung und anschließenden Transkription Aufnahmegerät

per

Tonband

eventuell

aufgenommen.

hemmend

wirkt

Auch und

wenn

die

ein

Audio-

Teilnehmer

der

Untersuchung zur Zurückhaltung führen, so hat die Aufzeichnung einen absoluten Vorteil: Gegenüber einem Gedächtnisprotokoll oder einer Mitschrift während dem Interview, wird per Tonband der komplette Gesprächsverlauf festgehalten (vgl. Hedderich/Hecker 2009). Der Interviewer kann sich komplett auf das eigentliche Gespräch konzentrieren und wird nicht von anderen Aktionen (wie beispielsweise das Mitschreiben von Stichpunkten) abgelenkt.

39

6. Auswertung 6.1. Analyse und Interpretation Inhaltliche Analysen des transkribierten Datenmaterials erfolgen schließlich mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) und Gläser & Laudel (2010).

Hierfür

wurden

die

aufgenommen

Konversationen

zunächst

transkribiert. Das verschriftlichte Datenmaterial wurde einer systematischen Analyse

unterzogen.

Zur

Beantwortung

der

Forschungsfrage

werden

brauchbare Informationen aus dem Text strukturiert und reduziert (vgl. Hedderich/Hecker 2009). Aussagen zu Belastungsfaktoren wurden extrahiert sowie der Blick auf Mechanismen bzw. Möglichkeiten zum Schutz vor Belastungen seitens Schulleitung bzw. Schule gerichtet. Außerdem wurden bei der Analyse Hinweise aus der Forschung berücksichtigt: wie von Stiller (2015: 52ff.) empfohlen, wird bei der Belastungsforschung von Lehrkräften weiteres

Beachtet:

Aus

pragmatischen

Gründen

bleibt

zwar

der

gesellschaftliche Status (z.B. Ansehen des Lehrerberufs) unbeleuchtet, jedoch wird das private Umfeld (z. B. familiäre Situation) in die Belastungsforschung mit eingeschlossen; bei den Interpretationen ebenfalls Bezüge zu einer möglichen Doppelbelastung aus Arbeit und Privatleben berücksichtigt. Für die Auswertung der Ergebnisse wird außerdem die Verwendung der Begrifflichkeit ‚Stress‘ seitens der Probenden mit Belastungen in Verbindung gebracht, da davon auszugehen ist, dass umgangssprachlich beide Begriffe auch als synonym verwendet werden. 6.2. Kategoriebildung zur Auswertung des Datenmaterials Für die Kategoriebildung zur Analyse des Datenmaterials werden zwei Bereiche unterschieden: A) Belastungsfaktoren und B) Schutzmechanismen. Bei der Untersuchung von Hedderich und Hecker (2009) wurde ein Kategoriesystem konstruiert, welches durch die Aussagen der Probanden angepasst wurde. Dieses soll für das eigene Vorhaben als Rahmen dienen. Es wurden daher die gebildeten Kategorien und Variablenkomplexe von Hedderich und Hecker für diese Untersuchung zunächst als Grundlage für die Analyse des eigenen Datenmaterials übernommen (als zu erwartende Belastungsfaktoren) und die beiden zuvor festgelegten Bereiche A) und B) weiter

differenziert

nach

umweltbezogenen

und

personenbezogenen/-

bedingten Faktoren (vgl. Hedderich/Hecker 2009).

40

Während der Sichtung des Materials wurde der Kategorieleitfaden angepasst und verändert, sodass nach endgültiger Analyse des Datenmaterials folgende Kategorien

und

Variablenkomplexe

„Belastungsfaktoren“

wird

unterteilt

gebildet nach

wurden:

Die

Kategorie

umweltbedingten

und

personenbezogenen Faktoren und ergibt zusammengenommen den unten aufgeführten Variablenkomplex.

Belastungsfaktoren

Abbildung 4: Umweltbedingte und personenbezogene Belastungsfaktoren.

41

Für die zweite Forschungsfrage, der Untersuchung nach den (administrativen) „Schutzmechanismen zur Belastungsbewältigung“, wurde die Kategorie Schutzmechanismen erstellt und mit den Unterkategorien umweltbedingt und personenbedingt weiter differenziert. Die extrahierten Daten wurden zu folgendem Variablenkomplex zusammengefasst:

Schutzmechanismen zur Belastungsbewältigung

Abbildung 5:

Umweltbedingte und personenbedingte Schutzmechanismen zur Bewältigung von Belastungen.

Die gesamte und detaillierte Zusammenstellung der Kategorien und Variablen befindet sich als zusammengefasster Kategorieleitfaden im Anhang (S.98ff.). Im anschließenden Kapitel werden die erhobenen Daten und gewonnen Ergebnisse schließlich genau erörtert.

42

7. Ergebnisse 7.1. Umweltbedingte Belastungsfaktoren 7.1.1. Kollegium Bei der Variablen ‚Kollegium‘ konnten die meisten Merkmale als Belastungsfaktor identifiziert werden. 12 Fundstellen über belastende Situationen oder Ereignisse die das Kollegium der Regelschulen betreffen konnten als 7 unterschiedliche

Merkmale

zusammengefasst

werden.

Zwei

weitere

Nennungen sind zwar nicht als Belastend einzustufen – im Gegenteil: Bei zwei Teilnehmern fiel auf, dass sie der Zusammenarbeit im Regelschulkollegium grundsätzlich gut gestimmt sind und darin wenige Probleme sehen. Trotzdem werden jene Nennungen der Vollständigkeit halber an dieser Stelle erwähnt und mit aufgeführt, jedoch nicht als Belastungsfaktor gewertet. Kooperation: Im Allgemeinen – so wurde berichtet – wird nur von einer Lehrkraft die Zusammenarbeit grundsätzlich als negativ bewertet und als Belastung erlebt: „An der Gesamtschule ist es dann so, dass du wie gesagt nichtmehr nur diese ein/zwei/drei Lehrer hast, sondern dann plötzlich 10 / 15 / 20 Lehrer, mit denen du kooperieren musst. (…) Das ist natürlich LehrerAbhängig, aber ich hab da sehr schlechte Erfahrungen gemacht.“ (2, 25). Die zwei anderen Befragten hingegen haben zunächst festgestellt, dass die

Zusammenarbeit

mit

ihrem

Regelschulkollegium

insgesamt

sehr

gut

funktioniert, obwohl es (wie sich anschließend zeigen wird) trotzdem auch bei einer dieser beiden Probandinnen Reibungspunkte mit dem ‚Kollegium‘ gibt! „Also die Beratung und Kooperation an der Grund- und weiterführenden Schule läuft super! Wir kennen uns alle schon so lange und ich gehöre da genauso zum Team wie ich hier zum Förderschulteam gehöre. (…). Also menschlich läuft die Kooperation gut; inhaltlich läuft die Kooperation auch sehr gut.“ (3, 26)

Die Teilnehmerin des dritten Interviews hatte nichts Negatives über die Zusammenarbeit in der Inklusion mit Regelschullehrkräften zu berichten. Es ließen sich lediglich über die ersten beiden Interviews Nennungen zu der belastenden Variablen ‚Kollegium‘ zuordnen. Gleichstellung: Eine Nennung betrifft die Gleichstellung unter dem Kollegium der Regelschule und den Förderschullehrkräften. Beim Einsatz in der Inklusion, ist es für den Sonderpädagogen schwierig, gleichberechtigt und

43

gleichgestellt behandelt zu werden. Es entstehen Hierarchien in der Schule, an deren Ende die Förderlehrkräfte untergeordnet werden. „Und dann gehste in die Inklusion und bist da aber plötzlich so en Bitsteller und Dienstleister. (…). Du bist gar nicht mehr gleichgestellt mit den Regelschullehrern. Du fühlst dich irgendwie als wärste, weiss nicht, ja irgendwie ganz weit unten (…). Und dann haste irgendwann natürlich kein Bock mehr auf sowas, ja.“, berichtete der Untersuchungsteilnehmer in Interview 2. Arbeitseinstellung: Unterschiedliche Auffassungen und Denkweisen über die Umsetzung von Inklusion sind Elemente des Merkmals Arbeitseinstellung. Kommt

es

zum

aufeinandertreffen

unterschiedlicher

Lehrertypen

mit

unterschiedlichen Einstellungen und Ideen zur Umsetzung von Inklusion, so lässt sich darin Belastungspotential feststellen, wenn ausgerechnet diese Lehrkräfte zur Kooperation gezwungen sind. „Es (ist) wichtig, dass man dieselben Denkweisen von Inklusion hat also das man die gleichen Visionen hat oder auch vom Arbeitstyp her ähnlich tickt, weil ansonsten bringt das auch noch ma zusätzliche Belastungssituationen, wenn’s da nicht so ähnlich is.“ (1, 41), erzählte die Teilnehmerin im ersten Interview. Über die „Beratungsresistenz“ berichteten zwei der Befragten. Der Widerstand bzw. die Uneinsichtigkeit bei Beratungen der Regellehrkräfte führt zu Frustration und Ärger der Förderlehrkräfte: Man fragt sich, wozu man sich unnötig die Mühe macht, das Kollegium zu beraten, wenn man auf Widerstand stößt, oder aber die gegebenen Hinweise und Ratschläge letzten Endes nicht in die Tat umgesetzt werden: „Also natürlich gibt es mal die ein oder andere Kollegin, (…) die man berät und ihr ähm Fördermöglichkeiten oder auch Anstöße gibt und wenn diese dann die genannten Sachen aber nicht annimmt, beziehungsweise nicht umsetzt, ist das natürlich schon auch en Stück weit frustrierend“ (1, 48). Kommunikation: Die Kommunikation in der Zusammenarbeit mit Regelschullehrkräften wurde von einer befragten Person als besonders schwierig erlebt bzw.

hat

laut

Aussage

des

Untersuchungsteilnehmers

gar

keine

Kommunikation zwischen den Kollegen*Innen stattgefunden. „Was ich alles versucht hab, um die Lehrer überhaupt zu mir zu bekommen! Ich hab denen E-Mails geschrieben, ich hab ne Sprechstunde angeboten, ich

44

hab gesagt: „Bitte sagt mir zumindest Bescheid wenn ihr en neues Thema anfangt, damit ich weiss, was die Schüler machen. Sagt mir Bescheid, wann ihr Klassenarbeiten schreibt. Es kam überhaupt nix zurück!“ (2, 22).

Kommunikationsschwierigkeiten werden mit der Schulform begründet und in diesem Zusammenhang mit einem mehr an Kollegen, mit denen kommuniziert werden muss: „Also Kommunikation ist ganz schwierig! Vor allem in den Gesamtschulen, vor allem in den großen Schulen.“ (2, 24). Akzeptanz: Eine Nennung umfasste die Akzeptanz im ‚neuen‘ Kollegium der Regelschule. Hierbei wurden konfliktreiche Situationen sowie eine durchaus angespannte Atmosphäre zwischen den Regelschul- und den Förderschullehrkräften genannt. „Die Stimmung war ne ganz fiese (…), es wurde auch sehr im Lehrerzimmer über Inklusion geschimpft. Über uns Förderschullehrer wurde auch geschimpft. Ich wurde auch mal böse im Lehrerzimmer Angegangen, laut angemault von nem Kollegen und der mich angeschrien hat. (…). Also es war schon zum Teil ne heftige Atmosphäre auch, ja, gegen Inklusion, gegen Förderschullehrer.“ (2, 26).

Ungenutztes Material: Eine Förderlehrkraft gab in der Untersuchung an, dass sie sich darüber ärgere, wenn individuelle Materialien nicht genutzt werden. Für die erfolgreiche inklusive Beschulung wird Arbeitsmaterial zusammengestellt oder gar neu erstellt und den Regellehrkräften an die Hand gegeben, In vielen Fällen wird dieses Material im Unterricht aber nicht verwendet. „Was ja auch immer so unsre Haupttätigkeit war: Material vorbereiten. Also für Mathe, Deutsch, GL auch, ja. Das wir dann für die Arbeitspläne erarbeitet haben. Des wurde aber auch nur von manchen Lehrern angenommen. Andere Lehrer nehmen das Material aber teilen‘s dann nichtmal aus (…).“ „Des warn so die Hauptbaustellen wo de dir sagst: okay, ja, warum mach ich mir überhaupt die Mühe hier so’n Plan zu erstellen, (…) wenn‘s nicht mal angewendet wird im Unterricht?“ (2, 32).

7.1.2. Politische Rahmenbedingungen Ressourcenmangel im Sinne von Lehrkräfte- bzw. Fachkräftemangel wurde von allen Befragten als kritisch betrachtet. Es gibt zu wenige (personelle) Ressourcen für die Umsetzung von Inklusion. Weswegen die wenigen vorhanden Förderlehrkräfte das Mehr an Arbeit kompensieren müssen. „(An den) Ressourcen hapert’s ja sowieso schon von Anfang an! Wir sind viel zu

45

wenig Förderschullehrer, ja. Es hieß auch von Anfang an in der Inklusion (…) sechs Schüler pro Förderschullehrer, oder so. (…) Aber es haut ja vorne und hinten nicht hin, weil viel zu wenig Lehrer da sind!“ (Interview 2, Abs. 43)5. Unvorbereitete Systemänderung, also die Einführung der Inklusion ohne ausreichende Vorbereitung der Akteure, wurde auf politischer Ebene als belastend empfunden. „Insgesamt find ich Inklusion was sehr Schwieriges, weil‘s alles sehr schnell kam, ohne Vorbereitung, ohne Konzept wurden wir quasi alle ins Kalte Wasser geworfen und es wurde gesagt: „macht mal!““, wurde im Interview 2, Abs. 14 berichtet. Von der Politik war die inklusive Umsetzung zwar gefordert, jedoch wurde eine unzureichende Vorarbeit für die neue Situation an Deutschlands Schulen geleistet, um einen reibungslosen Übergang hin zur schulischen Inklusion zu gewährleisten. Stundenzuweisungen: Weiterhin wurden in einem Interview die Stundenzuweisungen der Förderlehrkräfte für den Einsatz in den Regelschulen als unzureichend kritisiert: „Aber es fehlt auch an Stunden. Denn die Stunden werden ja (…) nach Sozialindex zugeordnet. (…) Und nur weil ne Schule kleiner is, oder vielleicht nicht ganz so im Brennpunkt ist, heisst das nicht, dass da weniger Bedarf ist.“ (3, 32). Die Stundenzuteilung über einen ‚Sozialindex‘ reicht nicht aus um flächendeckend sonderpädagogische Arbeit in der Inklusion zu leisten. Man erkennt also den Bedarf an weiteren notwendigen Stundenzuteilung, politische Instrumente (hier: Sozialindex) stehen dem aber entgegen. Schulformen:

Mithin

wurde

die

Abhängigkeit

der

Schulformen

als

grundlegendes wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen mehr oder weniger Arbeitsbelastungen genannt. Der Untersuchungsteilnehmer stellte fest, dass die Inklusion in der Sekundarstufe, also den weiterführenden Schulen, anstrengender sei, als in Grundschulen. Argumentiert wurde zum einen mit der Größe der Schulen (Grundschulen sind in der Regel kleiner als weiterführende Schulen). In diesem Zusammenhang gibt es auch mehr Kollegen*Innen in der Sekundarstufe, mit denen Kooperation betrieben werden muss. Schließlich wird die Arbeit mit den Schülern von dem Probanden

als

schwieriger

bewertet,

im

Vergleich

zur

Arbeit

mit

5

Nachfolgend werden die Quellen der Zitate mit dem Verweis auf das Interview und den jeweiligen Absatz der Fundstelle in der Form (X, Y) angegeben, wobei X für das Interview steht und Y für den Absatz.

46

Grundschülern. „die Inklusion, (ist) insbesondere in der Sekundarstufe, verdammt schwierig. (…). Die in der Grundschule haben auch viel Belastung, aber ich behaupte jetz ma, dass des in der Sekundarstufe nochmal höher is, weil‘s da einfach nochmal schwieriger is mit unsern Förderschulkindern.“ (2, 54). Ein Mehr an potentiellen Belastungsfaktoren wird also alleine schon mit der Schulform begründet.

7.1.3. Arbeitsorganisation Stoßzeiten: Beachtlich ist, dass die Arbeit in der Inklusion bei zwei Förderlehrkräften phasenweise von mehr Belastungsmomenten zeugt: „Also es gibt immer Phasen, die definitiv belastender oder stressiger sind und dann wiederrum Phasen, wo’s entspannter läuft. (…). Also es gibt wirklich Hoch und Tiefs.“ (1, 16). Als Stoßzeit kann demnach der Schuljahresbeginn gesehen werden sowie das Schuljahresende. Andererseits berichtet eine dieser beiden Befragten, dass man diese Phasen, in denen man größeren Belastungen ausgesetzt sei, nicht pauschalisieren könne (vgl. Interview 2, Anhang). Interaktionen: Wenn in den Regelschulen auffällige Schüler*Innen in Erscheinung

treten,

werden

Förderlehrkräfte

der

Beratungs-

und

Förderzentren um Unterstützung (Diagnostik, Stellungnahmen, etc.) gebeten und per ‚Anfrage‘ an die Regelschulen geholt. Zu diesem Procedere zählt auch,

mit

verschiedenen

Akteuren,

wie

beispielsweise

dem

Regelschulkollegium, Eltern usw. Gespräche zu führen und zu beraten; in Interaktion zu treten. Einer Nennung zur Folge, führt dies zu einer Mehrarbeit, die mit Einbußen der eigenen Freizeit einher gehen: „Die letzten Wochen, wo eben verschiedene BFZ-Anfragen bezüglich Kinder mit Förderanspruch reinkamen, habe ich auch etliche äh Elterngespräche und Kollegengespräche geführt. Das geht natürlich dann auch alles in den Nachmittag hinein und da muss man dann natürlich diese Zeit dann auch von der eigenen Freizeit so’n bisschen abknöpfen.“ (1, 26)

Vertretung: Eine Person hat angemerkt, dass Förderschullehrkräfte in der Inklusion auch gerne für Vertretungsstunden eingesetzt werden, um Krankheitsausfälle zu kompensieren. „(es) gibt auch viele Schulleiter, die uns Förderschullehrer auch sehr ausnutzen als Vertretungslehrer, ja. Wenn dann Lehrer ausfallen, so ne, dann ham wir ja noch den Lehrer XY, unsern Förderschullehrer, der kann ma

47

Vertretung machen in der Klasse und der kann auch die Pausenaufsicht übernehmen und sonst was alles.“ (2, 48)

Doppelbelastung: Diese resultiert aufgrund der Tatsache, dass neben dem ohnehin anstrengenden Beruf noch das Privatleben gepflegt werden muss. Zwei Probanden gaben an, dass Privates und Berufliches nur schwer voneinander zu trennen seien und der Beruf viel Zeit im Privaten einnehme. „dieses Nachmittag nochma hier telefonieren, da telefonieren is in Ordnung. Es gibt aber Phasen, da nimmt das überhand und dann wird’s natürlich und zuhause hat man ja auch sein Programm. Also is schon belastend. (…). Manchmal wird’s dann viel und wie gesagt, Zuhause geht’s ja weiter!“ (3, 40/42).

Wobei an dieser Stelle angemerkt sei, dass diese Doppelbelastung zumindest bei einer Nennung offenbar in Zusammenhang mit einer phasenweisen Mehrbelastung stehen (siehe oben: Stoßzeiten).

7.1.4. Arbeitsumfang Zeit: Dieses Merkmal wurde auch von allen Befragten mit besonderem Belastungspotential versehen. Zeitmangel für Förderlehrer zur Bewältigung aller Aufgaben in der Inklusion: „Prinzipiell hast du das Gefühl als Förderschullehrerin zeitlich nicht genug da sein zu können“ (3/29). Umgekehrt kann die Variable Zeit auch dahingehend interpretiert werden, dass eine bestimmte Menge an Arbeit nicht zu bewältigen ist (Arbeitspensum). Dennoch verdient das Merkmal ‚Zeit‘ eine gesonderte Behandlung, weil der Zeitmangel bei den befragten subjektiv präsent ist und so auch erwähnt wurde. „Wir ham versucht fünf/sechs Stunden die Woche jeden Schüler im Lernzentrum individuell zu fördern. (…) Dann hatteste irgendwie Zeit und Raum um zumindest en bisschen was abzudecken, ja. Und je mehr Schüler aber kamen, desto weniger Zeit hatteste.“ (2, 31).

Pausen: Das eine Pause zur Erholung gelten soll, als Zeit für sich um sich mit Essen und Trinken zu stärken, oder einfach nur kurz abzuschalten, kann in der Inklusion auf Seiten der Förderlehrer*Innen offenbar anders aussehen. Zumindest ein Proband erzählte über die Situation seiner Pausen in einer inklusiven Gesamtschule: „Aber ansonsten sind die Pausen ja eigentlich – und das werden ganz viele Förderschullehrer sagen – also wir ham kaum Pausen, weil wir in den Pausen eigentlich nur im Lehrerzimmer sind, und zwischen Tür

48

und Angel versuchen, über die Schüler zu sprechen (…).“ (2, 36). In der Aussage wird unter anderem die Situation von weiteren Förderschullehrern angesprochen, denen es ebenfalls so ergehen soll, dass die Pausenzeit eigentlich Arbeitszeit bedeutet. Arbeitspensum: eine Probandin gab an, dass sie von zu vielen Aufgaben, die sie in ihrem Beruf erledigen muss, belastet ist. Also die Menge der anstehenden Tätigkeiten im Berufsalltag als Belastungsfaktor gesehen wird. „Das sind dann schon Situationen die mich in der Hinsicht belasten, weil‘s viel Arbeit is und man möchte jedem Kind, jedem Kollegen (…) gerecht werden. (…) Wenn‘s zu viele Faktoren werden, (…) dann belastet mich das.“ (1, 17). Wobei hier ebenfalls wieder ein Zusammenhang mit gewissen Stoßzeiten besteht, da die Befragte angegeben hat, nicht immer von den zu bewältigenden Aufgaben ‚gestresst‘ zu sein.

7.1.5. Arbeitsaufgaben Kriseninterventionen werden von einer Untersuchungsteilnehmerin als besonders belastend erlebt. Dies sind Situationen, in denen hauptsächlich Kinder des Förderschwerpunktes ‚emotionale und soziale Entwicklung‘ beispielsweise Aggressionsausbrüche haben, dass sogar körperliche Eingriffe (Fixierung des Kindes) erforderlich sind um solche Situation zu kontrollieren. „Kriseninterventionen kommen meistens sehr unverhofft. (…). Und oftmals auch, dass man körperlich Eingreifen muss, indem man das Kind fixieren muss.“ (Interview 3, Abs. 24). Der plötzliche Eintritt dieser Ereignisse trägt zusätzlich zu einer negativen Bewertung bei. Stellungnahmen: Das Anfertigen von Stellungnahmen zur Situation von (Förder-)Schulkindern wird von einem Probanden ausdrücklich als nicht belastend erlebt. Dies liegt jedoch mithin darin Begründet, dass das Schreiben von Stellungnahmen nicht häufig zu praktizieren war, was wohl den Grund für diese positive Bewertung ausmacht: „Wir schreiben, also ich bin ja jetz wie gesagt im 11. Jahr dabei und in der Regel warns pro Schuljahr zwei/drei Stellungnahmen, die ich schreiben musste und das ist immer so geblieben und das war okay so und das habe ich nicht als Belastung empfunden.“ (2,

34).

49

7.1.6. Schülerinnen und Schüler Der Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern wird von einer der befragten Förderlehrkräften insgesamt als nicht herausfordernd oder belastend beschrieben: „Also tatsächlich die Arbeit mit den Schülern selbst empfinde ich bisher, und des sin ja jetz schon 2 ½ Jahre, zu keinem Zeitpunkt hab ich (…) die Arbeit mit dem Kind als belastend empfunden.“ (Interview 1, Abs. 19). Stattdessen ist gerade der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen etwas, was den Befragten an ihrer Arbeit sogar Freude bereitet und sogar Grund für die Berufswahl war (vgl. u.A. Interview 2). Psychisch-Klinisch-Auffällig: Dennoch gab eine Untersuchungsteilnehmerin an, dass sie den Umgang mit Schülerinnen und Schülern als herausfordernd oder belastend erlebt, wenn nicht nur Probleme im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung vorliegen, sondern sogar psychisch-klinische Auffälligkeiten: „Schüler, wo ich festgestellt hab, das ist nichtmehr ESE, sondern das geht schon Richtung psychisch-klinisch auffällig.“ (3, 34). Nicht nur die Arbeit mit dem Schulkind selbst bereitet in solch einer Situation Probleme, denn mitunter führt die Prozedur mit dem Kind zu weiteren Maßnahmen, die ebenfalls als Belastung wahrgenommen werden: „Also Schüler, die für mich an der Grenze

sind für psychisch Kranke, das is schwierig; in Obhut nahmen die man dann doch auch mit initiiert hat und auch begleitet hat, in der Schule.“ (3, 36).

50

7.2. Personenbezogene Belastungsfaktoren 7.2.1. Kompetenzen Die Vorbereitung auf Inklusion verlief schlecht, wie ein Untersuchungsteilnehmer mitteilte. Die Lehrkräfte, die von der Umsetzung betroffen sind, fühlen sich nicht gut auf das inklusive System vorbereitet. Ihnen fehlten Kompetenzen zur gelingenden Umsetzung. „Wir ham uns alle so gefühlt, wir werden ins kalte Wasser geworfen, sowohl wir Förderschullehrer, als auch die Regelschullehrer, als auch die Schüler. Wir waren alle irgendwie Versuchskaninchen; sind wir immer noch nach vier Jahren, ja.“ (Interview 2, Abs. 51) Unsicherheiten im Arbeitsalltag der Lehrkraft werden selbst als negativ wahrgenommen und bewertet. Deutlich wird dies an einem genannten Beispiel, „wenn ein ESE-Kind den Klassenraum verlässt, weil‘s en Wutausbruch hat, weiss ich gar nicht, wie ich beraten soll, weil: Hinterher rennen: verletzt

sie

(Lehrerin)

die

Aufsichtspflicht

für

die

Klasse.

Nicht

hinterherrennen: was passiert mit dem Kind? Das ist belastend!“ (Interview 3, Abs. 34/36). Also mehr als nur eine Möglichkeit zur Beratung besteht, alle jedoch gewisse Pflichten verletzen, sodass eine „Korrekte“ Beratung besonders schwer fällt. Mithin nimmt man eine neue Lehrerrolle in der Inklusion ein, statt der klassischen Lehrerrolle und Unterrichten einer eigenen Klasse etc.: „Wir sind Förderschullehrer geworden in der Hoffnung, man steht vor ner Klasse und man hat nen guten Job. Und (…) du bist so dein eigener Chef, ja. Und dann gehste in die Inklusion und bist da aber plötzlich so en Bitsteller und Dienstleister. (…) Du bist plötzlich in ner ganz andern Rolle, weisste!“, wurde in einem Interview genannt (Interview 2, Abs. 27/29).

7.2.2. Arbeitsengagement Anspruch an die eigene Arbeit: Wie sich herausstellte, ist für die beiden weiblichen Probandinnen der Anspruch an die eigene Arbeit ein Belastungsgrund, sofern man diesen Ansprüchen trotz Arbeitsengagement nicht mehr gerecht wird. „Subjektiv belastend finde ich eher, nicht genug für die Lehrer da sein zu können. (…) Ja, nicht genug für die Lehrer da sein zu können.“ Umgekehrt

ist

dieses

Merkmal

an

die

in

den

umweltbedingten

51

Belastungsfaktoren

erwähnten

Merkmale

‚Zeit‘

und

‚Arbeitspensum‘

gekoppelt. Das Arbeitspensum und der Zeitmangel auf der Arbeit sind strenggenommen Mitbegründer für das belastende Gefühl, den eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht zu werden. „Weil‘s viel Arbeit is und man möchte jedem Kind, jedem Kollegen (.) ähm und auch sich selbst und seiner Arbeit gerecht werden. (…). Wenn quasi die Arbeit im Verhältnis zum eigenen Anspruch – ich glaub das ist ganz wichtig – wenn das Verhältnis nichtmehr stimmt, dann belastet mich das.“ (Interview 1, 19)

7.2.3. Emotionen Mitgefühl

gegenüber

der

Regellehrkräfte

wurde

in

einem

Interview

ausdrücklich als Belastungsgrund erwähnt: „Die Regelschullehrer sind oft hilflos. (…). Alle möglichen Institutionen beraten und sie müssen‘s ausführen. Und das ist für mich belastend, weil ich weiss, des kriegt die Lehrerin gar nicht mehr alles gewuppt.“ (Interview 3, Abs. 29). Darüber hinaus kommt in gleichem Interview auch ein Mitgefühl gegenüber verwahrlosten Kindern zum Ausdruck. „Kinder, wo man weiss, dass es zu Hause

sehr

schlecht

läuft.

Und

das

Jugendamt

aber

noch

keine

Kindeswohlgefährdung sieht. Und vor allem Kinder, wo Mutter, Vater oder beide Elternteile psychisch krank sind (..) und das Jugendamt sagt: Die Wohnung ist aufgeräumt, satt, sauber, trocken.“ (Interview 3, Abs. 46). Dieses Mitgefühl um das Kindeswohl hat Belastungscharakter, weil selbst externe Instanzen (z.B. Jugendamt) an dem unbefriedigenden Zustand offenbar nichts ändern können.

52

7.3. Umweltbedingte bewältigung

Schutzmechanismen

zur

Belastungs-

7.3.1. Politische Rahmenbedingungen Fachpersonal: Ist an einer inklusiven Schule neben den Förderlehrkräften noch weiters Fachpersonal verfügbar (z.B. Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter), so wird dies von zumindest einem Probanden als entlastend und unterstützend für die eigene Arbeit gewertet: „Und natürlich wären Sozialarbeiter auch ne große Unterstützung. Was zum Beispiel an (meiner Schule) sehr gut läuft. Die ham ja auch einige Sozialarbeiter da sitzen, aber es gibt natürlich auch Schulen die ham gar keine“ (2, 44). Wobei ebenfalls angemerkt sei, dass der Befragte mitteilte, dass es eben auch viele inklusive Schulen gebe, an denen weiteres Fachpersonal fehlen würde, was durchaus dafürspricht, dass die beiden anderen Befragten über weiteres unterstützendes Fachpersonal keine Auskunft gaben. Unterstützungsprogramme: Im Ergebnis konnte nur eine recht spärliche Auswahl an Entlastungsmöglichkeiten, als Unterstützungsangebote der Schule, identifiziert werden, was auch durch eine Befragte bestätigt wurde: „Ja ansonsten haben wir so gesehen leider keine großen Installationen für öhm ja, um ma runter zu kommen, ja“ (1, 52). Insgesamt gab es nur zwei konkrete Nennungen zu entlastenden Angeboten seitens der Schule, womit das oben beschriebene Merkmal ‚Supervision‘ festgestellt werden konnte. Das Merkmal ‚Fortbildung‘ hingegen wurde mithilfe hermeneutischer Interpretation des Materials erstellt, denn laut dem Befragten fehlten zwar die Fortbildung an der eigenen Schule, dennoch wurden sie positiv gewertet und hier mit aufgeführt. Räumliche Rückzucksmöglichkeiten, wie beispielsweise ein Ruheraum, oder auch weitere Möglichkeiten wie zum Beispiel kollegiale Fallarbeit wurde von keinem der Befragten genannt. Unterstützungsprogramme – Supervisionen: Supervision, quasi eine Beratung für die eigenen Mitarbeiter, wird als Unterstützungsangebot identifiziert und auch bei zwei Lehrkräften grundsätzlich als positiv bewertet. Eine dieser beiden kritisiert jedoch, dass die Supervision in erster Linie als Angebot für die Regelschullehrer gedacht ist. „(Supervision) gab‘s hauptsächlich für die Regelschullehrer, ja. Weil die ja wirklich ganz oft auf den Barrikaden waren: „Scheiss Inklusion!“ (…). Und um

53

da die Wogen so’n bisschen zu glätten hat natürlich dann die Schulleitung auch angeboten: „okay ihr kriegt en Supervisor und ihr kriegt Unterstützung und ihr kriegt Hilfe“.“ (2/50)

Die andere Person erzählte, dass Supervision zwar dem Kollegium guttue, jedoch für sie selbst nicht in Betracht kommt, weil die Supervision am Nachmittag im Freizeitbereich stattfinden. Die Dritte befragte nannte zwar ebenfalls Supervision als Unterstützungsangebot, jedoch wird diese nicht auf Initiative der Schule angeboten, sondern eigenverantwortlich vom Kollegium organisiert und finanziell getragen wird. Die Nennung letzterer Person findet sich demnach bei den Ergebnissen in der Kategorie ‚Umweltbedingte Schutzmechanismen zur Belastungsbewältigung‘ unter der Variablen ‚Kollegium‘ ( 7.3.3.).

Unterstützungsprogramme – Fortbildungen: Eine Nennung umfasst das Thema ‚Fortbildungen‘ als Unterstützung für Lehrkräfte, obwohl diese an der eingesetzten Regelschule gar nicht mehr angeboten werden: „Was mir aber da komplett fehlt, sind die Fortbildungen: Wie differenziere ich? Wie gehe ich mit schwierigen Kindern um? Sowas war halt viel zu Wenig.“ (2, 51). Trotzdem

kann

einer

Weiterbildung

gewisser

Bewältigungs-Charakter

zugesprochen werden, denn Fortbildungen über Fragen und Themen der Inklusion könnten zu einer professionelleren und besseren Umsetzung von Inklusion verhelfen. Gemeint ist dies vom Probanden aus Interview 2 vor allem in Bezug auf die Regellehrkräfte. Somit ergibt sich die hypothetische Kausalkette, dass Weiterbildungen der Regellehrkräfte zu mehr Kompetenzen ( 7.4.2.) im Hinblick auf inklusive Beschulung führen (z.B. Differenzierung, Umgang mit schwierigen SuS, etc.). In Folge dessen weniger Arbeit an die Förderlehrkräfte übertragen wird.

7.3.2. Schulleitung Rahmenbedingungen: Alle Probanden gaben an, dass die Schulleitung Rahmenbedingungen schafft, unter denen eine Effiziente Arbeit der Förderlehrkräfte nach wie vor erbracht werden kann. Damit verbunden ist die klare Aufgabenzuteilung in Absprache mit der Schulleitung der Regelschulen; außerdem der Schutz vor unzumutbaren Zusatzaufgaben oder sonstigen Mehrbelastungen durch anfallende Arbeiten.

54

„da ich einfach ja die meisten Klassen bediene, hab ich dann auch für mich einstehen müssen, dass mein Pensum erreicht ist (…), da das sonst tatsächlich an meine Belastungsgrenze stößt und die Schulleitung aber da komplett hinter mir steht und die auch vorher schon immer drauf achten und erpicht sind und auch zu mir kommen und wirklich mehrmals sagen: „wenn dir das oder das zu viel wird“ ähm und auch im Vorfeld immer drauf achten, dass ich da wirklich geschützt bin.“ (1, 50).

Anerkennung: Die Schulleitung des BFZ pflegt eine überaus gute Beziehung zu ihren Mitarbeitern. Zwei Untersuchungsteilnehmer gaben an, dass die Schulleitung für jegliche Anliegen verfügbar ist, interessiert am Wohlergehen des Kollegiums, hilfsbereit und verständnisvoll ist. Dies führt zu einer gelockerten Arbeitsatmosphäre und nimmt den Druck seitens der Schulleitung auf die Mitarbeiter, weswegen hierin ein Schutzmechanismus erkannt wird: „Also

Schulleitung

Regelschule

und

Schulleitung

Förderschule

sind

unwahrscheinlich offenes Ohr. Ähm, fragen immer wie’s einem geht.“ (3, 48).

Pädagogischer

Freiraum

kann

mit

einer

Nennung

ebenfalls

als

Schutzfunktion in Betracht gezogen werden. Die Freiheit der Förderpädagogen, sonderpädagogische Ideen und Prinzipien in der inklusiven Schule ausleben zu können, scheint den Betroffenen gut zu tun. „Der Schulleiter selbst, mit dem hab ich tolle Erfahrungen gemacht, ja. Der hat uns auch viele Freiheiten gegeben an der Gesamtschule. Wir konnten wie gesagt den Schulgarten neu machen, wir konnten Psychomotorik, in den Werkraum, in die Küche. Es gibt viele Schulen, die machen das nich, ja!“ (2, 48)

7.3.3. Kollegium Kooperation: Das Kollegium kann durch die Zusammenarbeit unter gewissen Voraussetzungen, z.B. einer harmonierenden Gesinnung, die eigene Arbeit entlasten. Gemeint ist hier eine geteilte Denkweise über Unterricht sowie Einigkeit in der Kooperation über organisatorische Belange. Funktionierende Teamarbeit demnach als umweltbedingter Schutzfaktor: „Wenn‘s natürlich wirklich von beiden Seiten, also wenn man sich von der Denkweise was die Unterrichtsgestaltung angeht und generell so die Teamarbeit von der Strukturierung und Organisation in vielen Punkten einig ist, erleichtert das natürlich auch meine Arbeit“ (1, 38).

55

Supervision: Bereits bei den Politischen Rahmenbedingungen ( 7.3.2.) wurden Supervisionen als Unterstützungsangebote, initiiert durch die Schulen, als Schutzmechanismus angesprochen. An dieser Stelle betrifft es jedoch eine Supervisions-Maßnahme, die nicht unter die politischen Rahmenbedingungen fällt, da sie von dem Schulkollegium selbst organisiert und finanziell – ohne jegliche Unterstützung der Schule – getragen wird. „Es gibt eine Supervisions-Möglichkeit, die wird jedoch privat von ner Gruppe von Lehrkräften getragen, also die ham das mal eingeführt, dass einmal im Monat eine Supervisionärin (…) kommt. (…) und die Kollegen berichten auch immer sehr sehr positiv und angetan davon und nehmen sehr sehr viel für sich mit, aber sie tragen die Kosten eben privat.“ (1, 52).

Soziale Unterstützung: Losgelöst von der Forschungsfrage wurde als

weitere umweltbedingter Schutzmechanismus die s oziale Unterstützung durch Arbeitskollegen oder Freunde als Ausgleich für Belastungen genannt, auf

die

Frage

hin,

was

man

generell

für

Möglichkeiten

zur

Belastungsbewältigung nutz. „Gespräche mit Arbeitskollegen / Freunden“ antwortete die Befragte aus Interview 3 (Abs. 44).

56

7.4. Personenbedingte bewältigung

Schutzmechanismen

zur

Belastungs-

Auch wenn das Hauptaugenmerk auf Schutzmechanismen der Schulleitung bzw. Schule gerichtet war, konnten weitere Äußerungen über den Umgang mit Belastungen oder wahrgenommene Schutzfaktoren aus dem Material betrachtet und analysiert werden. Diese wurden der Vollständigkeit halber und für weitere Aufschlüsse mit in die Interpretation und Auswertung einbezogen und sind im Folgenden zusammengefasst.

7.4.1. Kompetenzen Wissenserweiterung: Die Teilnahme an Supervisionen bzw. an Fortbildungen zu Themen der Inklusion und inklusiver Schulentwicklung wurde in einem Interview als wichtige Voraussetzung für gelingende Inklusion genannt. Die Wissenserweiterung durch Weiterbildungen soll dazu dienen, kompetenter unterrichten zu können und den Anforderungen an inklusive Bildung gerecht zu werden. Aus diesem Grund kann man Kompetenz-/Wissenserweiterung für Lehrkräfte somit als Schutzfunktion vor potentiellen Belastungen sehen. Problematisch an dieser Aussage erweist sich allerdings, dass der Proband angibt, diese dringend nötigen Fortbildungen zu vermissen, da sie seitens der Schule nicht (mehr) angeboten werden! „Am Anfang, (…) war in Frankfurt an der Uni ne Fortbildung, wo viele Tandems hinsollten. Das heisst, da sollten dann die Regelschullehrer mit den Förderschullehrern, die mit ihnen an der Regelschule arbeiten, nach Frankfurt an die Uni. (…) wo dann wirklich so die wichtigsten Themen ma zumindest angesprochen worden sind. (…). Das war einmal vor vier Jahren! (…) zwei/drei Kollegen der Regelschule (…) sind dann in den Genuss dieser Fortbildung gekommen und seitdem war halt nix mehr. Aber, sowas bräuchte man halt viel viel mehr, ja.“ (2, 51)

Berufserfahrung: wurde als entlastend angesehen. Eine Nennung gab darüber Auskunft, dass mit zunehmenden Berufsjahren, und dem damit einhergehenden Anstieg an Berufserfahrung, das Belastungserleben sinkt und nachlässt: „Also so gewisse Erfahrungswerte kommen auch dazu (…). Also des hat sich schon\ im Vergleich der Berufsjahre ist das gesunken, weil bestimmte Sachen sind einfach so dann nicht zu Leisten (.) und wenn gerade StellungnahmenZeit ist, dann ist die Förderstunde halt nicht perfekt vorbereitet. Also des Belastungs\ des sinkt mit den Berufsjahren.“ (3, 44)

57

Im gleichen Interview spricht die Probandin an, inwiefern sie sich ihrer Reflexionsfähigkeit bedient um belastende Ereignisse zu verarbeiten und reflektieren und sich somit vor künftigen belastenden Situationen zunehmend schützt: „Wenn man dann doch schon ne Menge Jahre dabei is, reflektiert man und merkt für bestimmte Sachen: mh, eigentlich habe ich mich gerade umsonst aufgeregt und mich umsonst belastet gefühlt.“ (3, 44)

7.4.2. Arbeitsorganisation „Work-Life-Balance“ ist ein immer häufiger zu hörender Begriff, der eine Ausgewogenheit, eine Vereinbarkeit zwischen Arbeitsleben und Privatleben (Freizeit) ausdrückt. Eine solche Ausgewogenheit konnte bei zwei Probanden als wichtiger Faktor zum Schutz vor Arbeitsbelastungen identifiziert werden. Die Befragten äußerten sich über eine Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Privatleben, wenngleich hin und wieder Abstriche auf beiden Seiten erforderlich sind, denn „man versucht natürlich alles was in Schule gemacht werden muss zu machen, aber man hat natürlich auch oft das Gefühl: eigentlich müsst‘ ich noch viel mehr machen aber jetz is ma gut und jetz is Zuhause, ja! Und da hab ich eben auch genug Baustellen und muss mich kümmern und machen und tun.“ (2, 41). Gerade bei diesem Probanden wurde eine Irritation deutlich: Zum einen gab er an, eine Doppelbelastung aus Arbeit und Privatleben zu verspüren, dennoch gelingt es ihm scheinbar klare Grenzen zwischen den beiden Bereichen zu ziehen (siehe Interview 2, Abs.40ff.).

7.4.3. Sonstiges Sport, als außerschulische Freizeitbeschäftigung, hat laut einer Aussage eine entlastende Wirkung und wird zum Ausgleich der beruflichen Belastungsempfindungen praktiziert. Sport. Viel Sport. Eine Vermeidungsstrategie hingegen war eine innerschulische Strategie um generell konfliktreiche Erlebnisse und somit belastenden Situationen durch das Regelschulkollegium vorzubeugen. „Und dann gings auch soweit, dass ich gesagt hab: na ja dann meide ich auch das Lehrerzimmer en bisschen. Also, wenn die mich nichtma grüßen, wenn die nix von mir wollen (…). Dann geh ich halt einmal am Tag da rein, guck in mein Fach (…)“ (2, 28)

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7.5. Zusammenfassung der Ergebnisse In der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse fällt sowohl bei den Belastungen als auch bei den Schutzmechanismen zur Bewältigung ein Übergewicht an umweltbedingten Nennungen auf. Insgesamt konnten 28 Nennungen zu 20 umweltbedingten belastenden Merkmalen zusammengefasst werden, während über personenbezogenen Belastungsfaktoren nur 7 Nennungen zu 6 Merkmalen zugeordnet werden konnten. Mit Blick auf die Schutzmechanismen zur Bewältigung belastender Ereignisse oder Situationen überwiegen ebenfalls die umweltbedingten Faktoren gegenüber der personenbedingten. Mit 10 Nennungen und 8 Merkmalen bei den Umweltbezogenen Schutzmechanismen liegen vier Zähler über den 6 Nennungen zu den personenbedingten Schutzfaktoren. Top-5 Nennungen – als Antwort auf die Forschungsfrage Gemessen an der Häufigkeit zählen demnach folgende Merkmale zu den fünf meistgenannten bei den Belastungsfaktoren und können als Antwort auf die Frage: „Welche Faktoren belasten Förderlehrkräfte in der Inklusion?“ gesehen werden:

Zu

(1) Politischer Rahmen: Ressourcenmangel

(3 von 3 Befragte)

(2) Arbeitsumfang:

Zeit

(3 von 3 Befragte)

(3) Kollegium:

Beratungsresistenz

(2 von 3 Befragte)

(4) Arbeitsorganisation: Stoßzeiten

(2 von 3 Befragte)

(5) Arbeitsorganisation: Doppelbelastung

(2 von 3 Befragte)

den

Top-5

Schutzmechanismen

zählen

nach

Auswertung

der

Untersuchung (1) Schulleitung:

Rahmenbedingungen (3 von 3 Befragte)

(2) Schulleitung:

Anerkennung

(2 von 3 Befragte)

(3) Politischer Rahmen: Supervisionen

(2 von 3 Befragte)

(4) Politischer Rahmen: Mehr Fachpersonal

(2 von 3 Befragte)

(5) Arbeitsorganisation: Work-Life-Balance

(2 von 3 Befragte)

Die Schutzmechanismen (1) – (4) gelten als Antwort auf die sekundäre Forschungsfrage,

indem

sie

von

entlastender

Wirkung

seitens

der

Schulleitung zeugen; Punkt (5) wird als personenbedingter Schutzfaktor eingestuft. 59

8. Diskussion Zu den Belastungsfaktoren: Tendenziell wurden mehrere Nennungen bei umweltbedingten Faktoren gezählt. Als Hauptbelastungsquellen zählen Politische Rahmenbedingungen, Arbeitsumfang, Arbeitsorganisation. Diese Ergebnisse sind deckungsgleich mit den Erhobenen Erkenntnissen von Hedderich und Hecker (2009: 91): „Bei der Zusammenschau der Belastungen zeigte sich ein deutliches Übergewicht der umweltbezogenen Belastungsnennungen. Dabei wurden vor allem Arbeitsumfang und Arbeitsorganisation sowie die Rahmenbedingungen angegeben, womit strukturelle Faktoren offenbar als Hauptbelastungsquelle identifiziert wurden.“ Hedderich/Hecker (2019: 91).

Als ein konkretes belastendes Merkmal der Arbeitsorganisation wurden Stoßzeiten bzw. Phasen von bedeutender Mehrarbeit genannt. Zur gleichen Erkenntnis gelangt man in der Untersuchung von Hedderich und Hecker, in der

von

zwei

Förderlehrkräften

„die

Belastung

durch

Stoßzeiten“

angesprochen werden, die „vor allem zum Schul(halb-)jahredende“ stattfinden (ebd.: 86). Weiterhin – dem Stand der Forschung entsprechend – wurde dem Kollegium Belastungscharakter zugesprochen. Konflikte im Umgang miteinander, schwierige Kommunikation und ungünstige hierarchische Stellungen erweisen sich als belastend (vgl. ebd.). Hingegen kann eine Doppelbelastung durch Familie und Beruf (ebd.) durch 2 von 3 Probanden als durchaus gegeben betrachtet werden. Privatleben und Beruf sind nur schwer voneinander zu trennen und sorgen nicht gerade für entlastende Verhältnisse. Hannelore Kauder (2008) hielt bereits vor über 10 Jahren und damit noch vor der Ratifizierung der UN-BMRK fest, dass es für die gelingende Umsetzung inklusiven Unterrichts auf ein Umdenken ankommt: „Auf die grundsätzliche Neuorientierung

des

Bewusstseins,

der

Einstellungen,

Haltungen,

Kompetenzen und Verhaltensweisen der Professionellen – also vorwiegend der Lehrerinnen und Lehrer“ (ebd.: 26). Auch dieser Aussage von Kauder lässt sich durch eine Aussage einer Probandin bestätigen, die ebenfalls betonte, wie wichtig die Denkweisen und Einstellungen zur Inklusion sind und für entspanntere Verhältnisse in der Zusammenarbeit sorgen. Wie sich auch im Interview zeigte, ist die Einstellung der Lehrer zur Inklusion durchaus mitentscheidend, für eine gelingende Umsetzung. Zugleich könnte eine positive Einstellung zur Inklusion auch Belastungen durch das Kollegium

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vorbeugen: Indem alle eine gleiche oder ähnliche Vorstellung über den Umgang mit Vielfalt und der veränderten Schülerschaft haben. Oder aber eine gleiche oder ähnliche Vorstellung darüber haben, wie die Inklusion aufgrund vorhandener Ressourcen und gegebener Rahmenbedingungen in der jeweiligen Schule implementiert werden kann. Ich denke, wenn die eigene Denkweise reflektiert wird und eine neue Sicht auf Inklusion verinnerlicht wird, gehen automatisch auch bessere Bedingungen zur Umsetzung einher und damit wo möglich weniger Reibungspunkte oder Belastungsgründe. Weiterhin stellen bereits vorangegangene Untersuchungen fest, dass „eine personelle Entlastung (…) zudem den häufig genannten Zeitdruck“ minimieren könnte (Adams et al. 2016: 180). Dies deckt sich mit den Ergebnissen der eigenen Untersuchung, denn alle Befragten berichteten darüber, dass mehr (personelle)

Ressourcen

bzw.

Fachkräfte

wie

Förderlehrer*Innen,

Sozialarbeiter oder Schulpsychologen als entlastend wirken. Auch der von Adams angesprochene Zeitdruck wurde von allen Befragten bestätigt und kann in Zusammenhang mit dem Ressourcenmangel begründet werden. Signifikante

Geschlechtsunterschiede

und

Altersunterschiede

nach

Dienstjahren (vgl. Schaarschmidt 2005) konnten in dieser Untersuchung aufgrund der kleinen Stichprobe leider nicht festgestellt und bestätigt werden. Bei der Analyse der Daten viel lediglich an einer Stelle auf, dass die jüngste Lehrkräfte (Dienstjahre