Adorno - Zur Lehre Von Der Geschichte Und Von Der Freiheit [PDF]

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Zitiervorschau

Hochschule für Gei.taltung Offenbach am Main

Th eodor W Ado r A.ßibliothek• Zur Lehr e von der Geschichte und von der Freih eit (1964/65) Herausgegeben von Ro lfTiedemann

Anfang der sechziger Jahre hielt Theodo r W. Adorno an der Frankfurter Universität vier Vorlesungen, darunter die Lehre vo11der Geschiclite,md von der Freiheit.Jnhaltlich handelt es sich um eine Vorstufe der H egel und Kant gewidmeten Kapitel der •Negativen Dialektik< (1966),formal um improvisierte, frei gesprochene Vorträge, die es erlauben, dem Philosophen bei der ,Arbeit am Begriff• zuzuschauen. Der Text versammelt alle wichtigen Themen und Motive der Adornoschen Geschichtsph ilosoph ie: das Schlüsselp hänomen der Naturbehe rrschung, die Kritik des Existenzials der ,Geschichtlichke it< und schließlich Adornos Opposition zu dem traditione llen Begriff von Wahrhei t als einem Bleibenden, Unveränderlichen, Ungeschichtlichen. Das Werk Theodor W. Adornos (1903-1969) liegt im Suhrkamp Verlag vor.

Suhrkamp

Dieser Band ist textidentisch mit Abteilung IV: Vorlesungen Band 1 3 der Nachgelassenen Schriften von Theodor W. Adorno, herausgegeben vorn Theodor W. Adorno Archiv.

Inhail

Anmerkungen des Herausgebers Nachbemerkungdes Herausgebers Register ............... . Übersicht .......................

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publi.katior in der Deutschen Nationalbibliografie; detai\lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 5. Auflage 2019 Erste Auflage 2006 suhrkamp taschenbuch wissenschaft 178 5 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim Printed in Gerrnany ISBN 978-3-518-29385-o

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Vorlesungen

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darstellt, desto unwider stehlicher der Drang oder die Begierde, es zu deuten und mit dieser Sinnlosigkeit fertig zu werden. Das Licht, das in den fragmentarischen, zerfallenden, abgespaltenen Phänomenen aufgeht, ist die einzige Hoffnung , die die Philosophi e überhaupt noch entzünde n kann: als das Allerfinsterste, als das sie dabei - wie ich es in dieser Vorlesung bis jetzt vorbereitet habe - jenen Sinn zu enthüllen sich anschickt. Viel mehr dies wäre heute zu begründen als der Drang, abzuleiten oder das Ganze philosophisch zu haben; das ist heute gar nicht mehr das Philosophische, sondern eben jene Versenkung in das Einzelne, jene rückhaltlose Versenkung in das Einzelne und Spezifische, die Hegel zwar gefordert, aber durch seine tatsächlich geübte Denkpraxis zugleich verweigert hat. Bei' Heidegger ist die Idee der Deutung, der er recht nahe kommt, deshalb korrumpiert - so erscheint es mir jedenfalls-, weil sie vereidigt ist auf den Unterschied des Ontischen und Ontologischen, während die ontologische Struktur nicht das ist, was man als die Bedeutung in Wahrheit ansprechen darf. Sie bleibt im Grunde eben doch nichts anderes als die allgemeinbegrifilichen Mannigfaltigkeiten, in welche die spezifischen Phänomene sich einfügen. Und gerade über diese Einfügung müßte die philosophische Deutung hinausgelangen: das ist, wenigstens dogmatisch formuliert, der Unterschied der geschichtsphilosophischen Zeichendeuterei, von der ich Ihnen wenigstens eine Idee geben möchte, von der heute gängigen Hermeneutik. - An dieser Stelle möchte ich das nächste Mal fortfahren und dann den geschichtsphilosoph ischen Teil der Vorlesung damit beschließen, daß ich Ihnen noch einen größeren Zusammenhang vortrage, der sich auf eine der zentralsten geschichtsphilosophischen Kategorien bezieht, in der alle unsere bisherigen Fragestellungen kulntinieren, - nämlich auf den Begriff des Fortschritts.

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15. VORLESUNG 12.

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In der letzten Stunde hatte ich begonnen, Ihnen einiges über den Übergang von Philosophie zum Begriff der Deutung und der Interpretation zu sagen. Und ich möchte heute die notwendigerweise sehr kursorische Betrachtung, die ich an diesen Komplex anschließ e, zunächst einmal Zl1 Ende bringen, ehe ich dann mich daran begebe, die Brücke zu schlagen zwischen den beiden Komplexen dieser Vorlesung, - wobei ich gewiegten Dialektikern wie Ihnen ja nicht erst zu sagen brauche, daß diese Vermittlung keine Brücke zwischen den Momenten sein darf, sondern eine Vermittlung in den Momenten selbstsein müßte. Wenn Sie sich überlegen, was ich Ihnen über philosophische Deutung expliziert hatte, dann können Sie vielleicht einsehen, warum ich dabei der Konstruktion der Naturgeschichte einen so großen Nachdruck verliehen habe: weil man wohl sagen darf, daß dieses Ineinander von Natur und Geschichte das Modell ist, nach dem ein deutendes Verhalten allgemein sich in der Philosophie zu richten hat; man könnte fast sagen, daß es der Kanon dafür ist, daß Philosophie deutend sich verhält, ohne in dieser Deutung in pure Willkür zu geraten. Denn es bleibt ja die Polarität, die aus der Philosophie nicht sich ausmerzen läßt: daß sie das Moment des Stringenten, des Verbindlichen mit dem der lebendigen Erfahrung oder des Ausdrucks vereinen muß, ohne daß diese Momente je ganz sich zusammenbringen ließen. Das Auseinanderfallen der Philosophie in sogenannte große und perennierend miteinander kämpfende Schulen, wie es die des Rationalismus und des Empirismus gewesen sind, hat ja auch zum Hinter grund eben die Unauflösbark eit dieser Spannung, hinter der recht wohl die Unauflöslichkeit des Nichtidentischen in die Identität selber stecke n mag. An dem Verhältnis von Natur und Geschichte ist das Urbild deutenden Verhaltens zu gewinnen, wie es ja in der Geschichte des Geistes in der Form der Allegori e überliefert ist. Und es ist schwerlich ein Zufall, daß 187

die erste Philosophie, die den Begriff der Deutung in einem sehr nachdrücklichen Sinn und in einem sehr großen Umfang sich selber als methodisches Prinzip zu eigen gemacht hat, nämlich die des mittleren und des späten Schelling, dabei so vielfach auf den in der Ästhetik mittlerweile verketzerten Begriff der Allegorie sich bezogen hat. 192 Natur offenbart sich unter diesem Blick, unter dem allegorischen Tiefblick, der vielleicht doch das Modell des philosophischen Blicks überhaupt ist - die Haltung der melancholischen Versenkung ist ja wohl die Verhaltensweise, an der überhaupt die philosophische Verhaltensweise sich gebildet hat -, Natur, sage ich, offenbar t sich unter diesem Blick als Geschichte, so wie der Totenkopf seine zentrale Bedeutung in aller Allegorese dem verdankt hat, daß er als ein Naturgebilde vermöge seines Ausdrucks sich selbst als ein Geschichtliches einbekennt. Umgekehrt ist es so - und ich erinnere Sie hier an die Stelle aus Benjamin, die ich Ihnen in einer der letzten Stunden verlesen habe 193 -, daß Geschichte als Natur unter diesem Blick sich insofern ef\veist, als sie sich erweist als permanente Vergängnis. Und dieses: das Eingedenken an das Vergangene, die Erinnerung in dem Phänomen selber, ist die Verhaltensweise oder, man könnte Hölderlinisch 194 fast sagen: das Schema , nach dem Deutung sich vollzieht; ist aber zugleich auch, eben als eine solche Haltung der Schwermut, die in allem Geschichtlichen der Vergängnis inne wird, eine kritischeHaltung. Man könnte vielleicht überhaupt sagen, daß der Übergang der Philosophie an die Kritik soviel bedeutet wie eine Säkularisierung der Melancholie. Die tätig gewordene, die nicht bei sich selbst als unglückliches Bewußtsein 195 sich bescheidende, sondern so den Phänomenen gegenüber kritisch sich entäußernde Melancholie : das ist woh l überhaupt die kritisch philosophische Verhaltensweise. Mit anderen Worten: wenn Sie die Phänomene der Geschichte lesen als Chiffren ihrer eigenen Vergängnis oder ihre r eigenen Naturverfallenheit, sc werden sie damit zugleich immer auch bestimmt in ihrer eigeI 8~

nen Negativität. Und dieses Moment der Negativität ist dai Kritische der Philosophie. Deutung und Kritik dürften in einem tiefsten Sinn miteinander koinzidieren. Und deshalt halte ich es für so töricht, etwa zu verlangen, daß man erstetwas verstehen müsse und dann kritisieren dürfe, weil das verstehende, also das deutende Verhalten, eben als das der Negativität, der immanenten Vergängnis des Phänomens selber, mi1 der Kritik an dem , was die Welt aus dem Phänomen gemacht hat, 196 geradezu zusammenhängt. Allgemein gesprochen, könnte man vielleicht sagen, daß Deutung soviel sei wie Natur und Geschichte wechselseitig auseinander lesen. Deutung lockt aus den Phänomenen , aus der zweiten Natur, aus dem Vermittelten, dem durch Geschichte und Gesellschaft Vermittelten, das uns umgibt, ihr Gewordensein heraus, - ebenso ·wie das Gewordensein nicht ist, ohne daß dabe i der Prozeß seine, eigenen Natuf\Vüchsigkeit überführt und das Werden seinerseits selber, die Vermittlung als eine prolongierte Unmitte lbarkeit, als ein Naturverhä ltnis verstanden würde. Beide Mo mente sind ineinander, Sie können sagen: sie sind einande, immanent; also: das Naturmoment ist in der Weise der Geschichte als Vergängnis immanent, wie ich es in dem ganzen ersten Teil der Vorlesung Ihnen zu entwickeln versucht habe; und umgekehrt wird man ebenso auch sagen dürfen, daß die Geschichte der Natur als einem Gewordenen und Vergänglichen selber immanent ist. Zugleich aber isf, vermöge der Un auflöslichkeic dieser beiden Momente, jegliche Interpretation auch gesetzt, - und ich glaube, gerade wer den Standpunkt der immanenten Interpretation und Kritik so hervorhebt, wie ich es tue, ist verpflichtet, darauf hinzuweisen, damit aus diesem Standpunkt der Immanenz kein Fetisch wird; zugleich aber bedarf es, um diese Immanenz zu entbinden , um ihrer mächtig zu werden, immer auch der Kenntnis des anderen. Also der melancholische Tiefblick, von dem ich Ihnen gesprochen habe, wird an dem Gewordenen das Werden , oder sein Gewordensein, nur dann entdecken können, wenn er an das Phänomen zugleich auch von sich aus schon das Bewußtsein seir8~

nes Gewordenseins heranbringt. - Tch habe in meiner Arbeit über Hölderlin ein Beispiel gegeben, auf das ich Sie vielleicht verweisen darf, nämlich das Gedicht von dem »Winke l von Harde«, 197 dessen Sinn sich nur ganz entschleiert, wenn man die pragmatischen Bezüge kennt, - daß nämlich an jenem allegorischen Ort der Herzog Ulrich von Württemberg auf der Flucht sich versteckt haben soll und daß, dem Dichter zufolge, der Ort selber davon auch sprechen soll. Nur wenn man das weiß, ist das Gedicht ganz zu verstehen; während es, solange dieser Bezug, so wie es Beissner entwickelt hat, 198 bereits jenen Charakter des Verstörten hat, den man j a geneigt war, viel mehr Hö lderlinschen Gedichten zuzuschreiben als ihren Ausdrucksgehalt199. Andererseits aber ist nun auch wieder dieses Verschwinden des Geschichtlichen in der Natur, das injenem Gedicht von Hölderlin beschrieben wird, ein Moment des Ausdruc ks, den die Natur annimmt. Das heißt also: nur dadurch, daß diese pragmatischen Momente verschwunden sind, nur dadurch, daß das Gedicht selber jenen rätselhaften Charakter hat, nur dadurch gewinnt es ganz jenen Ausdruck von Vergängnis, der über sich hinausweist, der die Größe des Gedichts ausmacht . Ich möchte Sie bitten, daß Sie alle sich dieses Gedicht, dieses späte Gedicht von Hölderl in, »Der Winkel von Hardt« einmal ansehen; ich glaube, es gibt kein besseres Mode ll für das, was ich mit der Verschränkung von Natur und Geschichte in einem Phänomen, und zwar hier nun in einem selber bereits künstlerischen Phänomen, meine, als dieses Gedicht. Deutung, sagte ich, ist Kritik an den stillgestellten Phäno menen dadurch, daß an dem Stillgescellten die in ihm aufgespeicherte Dynamik, also daß Geschich te an dem, was zweite Natur ist, enthüllt wird; aber andererse its auch dadurch, daß das Gewordene den Schein seines Ansichseins verliert und in seiner Gewordenheit dargestellt wird, - so wie es vor allem (wenn ich einma l einen ganzen philosophischen Komp lex eine Sekunde lang unter diesen Aspekt rücken darf) das Verfahren der Marxschen Kritik ist, die durchweg darin besteht,

daß gezeigt wird, daß alle erdenklichen gesellschaftlichen und ökonomischen Momente, die naturhaft scheinen, ihrerseits geworden und geschichtlich sind. Also: es gib t immer diese Reziprozität, daß das, was als Natur scheint, als Geschichtliches aufgedeckt wird, während oft andererseits das, was geschichtlich ist, als ein Vergängliches in seiner Nacurhaftigkeit sich erweise. Und hinter diesem Moment steht eben die geschichtlich gewordene Dialektik von Subjekt und Objekt, die nicht auf ihren reinen Begriff zu bringen sind. Unmittelbarkeit zerstören heißt dabei soviel wie: das Ansichsein des Gewordenen kritisch aufzulösen; den Anspruch aufzulösen, die gewordenen Phänomene seien ganz und gar das, was sie sind. Es will mir scheinen, als wäre an dieser Stelle - ich habe darauf eigentlich noch nie in all den Betrach tungen hingewiesen, die ich an Hegel angeknüpft habe - , als wäre an dieser Stelle Hegel doch einer gewissen Illusion verfallen insofern, als er die Lehre von der stets sich wieder herstellenden Unmittelbarkeit zu positiv gefaßt hat. Ganz sicher hat Hegel recht, daß in dem , was geworden ist, sein Gewordcnscin, seine Geschichte verschwindet oder daß es - wie jener Ausdruck von Hegel lautet, den ich Ihnen vor ein paar Stunden zitiert habe - zu zweiter Natur geworden ist. Und je gründlicher dieses Gewordensein verschwindet , um so mehr wird dadurch der Schein zweiter Natur, des bloßen Ansichseins befördert. Denken Sie nur an die Sphäre der reinen Vernunft, der logischen Vernunft, die ja dadurch sich offenbart, daß ihr zunächst einmal die Spur ihres Gewordenseins, also das subjektive Moment der Synchesis, kaum mehr anzumerken ist und daß es einer äußersten reflektierenden Anstrengung bedarf, um es darin überhaupt zu erkennen, es wiederzugewinnen. Dieses vorausgeschickt , und dieses, ich möchte fast sagen: als ein durch die Hege lschen Argumentationen Selbsrverständliches unterstellt, ist aber doch zu sagen, daß diese gewordene Unmittelbarkeit, diese zweite Unmitte lbarkeit immer auch ein Schein ist; das heißt, daß sie immer auch etwas Verdeckendes hat, daß sie, indem sie geronnene Geschichte ist, die in ihr verschlossene Dynamik zu-

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gleich auch verschließt. Und der Fehler (wenn ich so schulmeisterlich reden darf), den Hegel hier begeht, ist, daß er diese zweite Natur, eben um ihrer Undurchdringlichkeit willen, logisch wenigstens der ersten gleichzusetzen geneigt ist; also sie selbst ohne Vorbehalt zu einer Unmittelbarkeit zu machen, während sie gerade dadurch, daß sie als unmittelbare sich setzt, ohne ganz unmittelbar zu sein, immer auch ihre eigene Historizität verdeckt und dadurch zur Ideologie \vird. Man könnte fast sagen, das wäre, auf Kategor ien der dialektischen Logik gebracht, die eigentliche Differenz zwischen dem, was Marx und was Hegel getan haben, - wenn man einmal von den bekannten politischen und ontologischen Oberflächenunterschieden absieht . Bei Marx ist es immer so, daß er den Gedan ken der Gewordenheit der zweiten, dritten, vierten Unmittelbarkeiten, der zweiten Natur viel ernster nimmt als Hege l, bei dem das Verschwinden des Werdens im Gewordenen mehr als eine Stufe der Dialektik so akzeptiert wird. So daß also das, was bei Hegel eigentlich nur soviel heißt wie, daß durch den Aufweis der Vermittlung auch die Unmittelbarkeit schließlich auf allen Stufen wieder nur als ein Stück Subje ktivität, als ein Stück Geist, als ein Stück vom Geist Gesetztes herausgebracht werden soll; während es bei Marx tendenziell so ist, daß gerade in diesem Ansichsein der Unmittelbarkeit, der späten, der vermittel ten, der gewordenen Unmittelbarkeit, ihre Negativität hervortreten soll, und daß das reflektierende Bewußtsein die Aufgabe hat, gerade diesen Schein des Ansichseins zu zerstören und demgegenüber in dem, was sich verschließt, ,vas also nicht offenbar ist, in dem verborgenen Wesensgesetz der Bewegung das eigentliche Sein zu entdecken, -während die Fassadezu einem bloßen Schein wird. Das wäre so eine Art - wenn das nicht zu pompös klingt - , so eine Art metaphysisch-dialektischer Inte rpretation des Verhältnisses von Dialektik und Ideologiekritik. Im übrigen ist es wohl kein Zufall, daß die Sphäre, in der am vollkommens ten - und zwar ihrem eigenen Sinn nach - ein Gewordenes, ein Gemachtes, et\vas was iJeaeiist, sich als qyvau gibt, die Sphäre der Kunst ist; und daß die Sphäre der Kunst ja 192

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eben gerade darin, daß in ihr das Gewordene als ein rein Unmittelbares, als ein Sein auftritt, selber als Schein sich deklariert, während die Realitä t, in der die gleiche Verkapselung des P roduktionsprozesses - wenn ich es so nennen soll - in seinem Resultat statthat ,vie in der Kunst, eben versäumt, sich selber ebenso als Schein zu bekennen; und daß sie - wenn ich es so spitzfindig ausdrücken darf - insofern selber viel scheinhafte r ist, dem Schein viel mehr verfällt als die Kunst, die der Realität dadurch näherkommt, daß sie dieses Verhältnis von Schein und Realität ihrerseits thematisch macht und ihrerseits zum Ausdruck bringe. Meine Damen und Herren, ich hatte Ihnen vom Glück der Deutung gesprochen; lassen Sie mich, wenn ich diese Betrachtung nun abschließe, darüber noch ein Wort sagen. Das, was man das Glück der Deutung nennen kann, ist Ihnen vielleicht durch das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, ein bißchen deutlicher geworden. Das Glück der Deutung heißt nämlich: die Kraft, sich nicht von dem Schein der Unmittelbarkeit verblenden zu lassen, sondern, indem man des Werdens in dem Gewordenen inne wird, über den bloßen Schein hinaus zu kommen; und es heißt zugleich auch die Kraft des Geistes, im Angesich t der Trauer , die das Vergangene in dem Betrachtenden erweckt, seiner selbst mächt ig zu bleiben, -so wie Kant an den tie(~ten Stellen seiner Ästhetik, in der •>Ästhetikdes Erhabenem gewahrt hat, daß eigentlich das, was eine Wald- und W iesenästhetik so gewöhnlich mit ästhetischem >Wohlgefallen