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German Pages 230 [181] Year 2004
Claudia Wiesemann Nikola Biller−Andorno unter Mitarbeit von Andreas Frewer mit Beiträgen von Roberto Andorno Jörg Klein Christian Lenk Karen Nolte Via medici Buchreihe Medizinethik
Die Publikation dieses Buches ist mit freundlicher Unterstützung der Allianz Privaten Krankenversicherung−AG verwirklicht worden.
Aus C. Wiesemann, N. Biller-Adorno: Medizinethik (ISBN 9783131382412) © 2005 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
Claudia Wiesemann Nikola Biller−Andorno unter Mitarbeit von Andreas Frewer mit Beiträgen von Roberto Andorno Jörg Klein Christian Lenk Karen Nolte
Medizinethik
Thieme Verlag Stuttgart New York
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Frau Prof. Dr. med. Claudia Wiesemann Universität Göttingen Inst. f. Ethik und Geschichte der Medizin Humboldtallee 36 37073 Göttingen Frau Prof. Dr. med. Dr. phil. Nikola Biller−Andorno Charit−Universitätsmedizin Berlin Inst. f. Ethik in der Medizin Luisenstr. 57 10117 Berlin Herr Prof. Dr. med. Andreas Frewer Medizinische Hochschule Hannover Inst. f. Geschichte, Ethik u. Philosophie der Medizin Carl−Neuberg−Str. 1 30625 Hannover Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Inter− net über http://dnb.ddb.de abrufbar
F 2005 Georg Thieme Verlag Rüdigerstraße 14 D−70469 Stuttgart Telefon: + 49/0711/8931−0 Unsere Homepage: http://www.thieme.de Printed in Germany Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlagabbildung: Christian Schnalke Satz: Primustype Hurler, Notzingen Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH ISBN 3−13−138241−4
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Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissen− schaft ist die Medizin ständigen Ent− wicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern un− sere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse The− rapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Appli− kation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese An− gabe dem Wissensstand bei Fertigstel− lung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanwei− sungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr über− nommenwerden. Jeder Benutzer ist an− gehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präpa− rateund gegebenenfallsnachKonsulta− tion eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Do− sierungen oder die Beachtung von Kon− traindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei sel− ten verwendeten Präparaten oder sol− chen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Ap− plikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appel− lieren an jeden Benutzer, ihm etwa auf− fallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. Die dargestellten Personen sind Mo− delle zu Illustrationszwecken und ste− hen nicht in Zusammenhang mit den Inhalten. Geschützte Warennamen (Warenzei− chen) werden nicht besonders kennt− lich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht ge− schlossen werden, dass es sich um ei− nen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages un− zulässig und strafbar. Das gilt insbe− sondere für Vervielfältigungen, Über− setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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Vorwort Die neue Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte sieht ab dem Winter− semester 2003/2004 Unterricht im Querschnittsbereich Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin“ vor. Medizinethik ist damit zu einem prüfungsrelevanten Ausbildungsfach im Medizinstudium geworden. Ärztinnen und Ärzte der Zu− kunft sollen in der Lage sein, kompetent und verantwortungsvoll mit den aus der Medizin resultierenden moralischen Konflikten umzugehen. Aber kann man Moral erlernen? Viele unserer moralischen Überzeugungen erwerben wir schon in der Kindheit. Ehrlichkeit und Verlässlichkeit sind Eigen− schaften, die in jeder Lebenssituation vonnöten sind. Doch wer einen ärztlichen Beruf anstrebt, weiß, dass er unter Umständen mit Fragen zu tun haben wird, die mit Alltagsmoral nicht ohne weiteres zu beantworten sind. Dies ist das Gebiet der Medizinethik. Professionalität in der Medizin heißt nicht nur, stets über die neuesten Er− kenntnisse in Diagnostik und Therapie zu verfügen. Es bedeutet auch, der Ver− antwortung, die der Arztberuf mit sich bringt, gerecht zu werden. Gutes ärzt− liches Handeln muss deshalb nicht nur fachlich, sondern auch moralisch ange− messen sein. Denn viele Fragen in der Medizin lassen sich mit naturwissen− schaftlichen Kenntnissen allein nicht beantworten: Muss ich meinem Patienten immer die Wahrheit über seine Krankheit sagen? Unter welchen Umständen darf ich Forschung am Menschen durchführen? Habe ich das Recht, eine Behandlung zu verweigern? Manch einer hat auf solche Fragen spontan eine intuitive Antwort. Aber ist es auch eine gut begründete Antwort? Hat sie alle wesentlichen Aspekte berück− sichtigt? Hält sie Kritik stand? Eine gute moralische Entscheidung kommt nicht einfach nur aus dem Bauch“. Sie sollte rational begründet und von anderen nachvollziehbar sein. Dies gilt besonders für den Bereich der Medizin, denn nur so entsteht jenes Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten, ohne das gute medizinische Behandlung nicht möglich ist. Moral braucht aber auch die Anteilnahme am Leben anderer Menschen und das Gespräch mit ihnen, denn erst im Gespräch kann man herausfinden, wie andere Personen einen Konflikt wahr− nehmen und was ihnen im Leben wichtig ist. Und schließlich muss Moral auch gelebt, nicht nur gepredigt werden. Sie ist Teil der professionellen Haltung von Ärzten; dies unterscheidet den Arztberuf von vielen anderen Berufen und macht ihn zu einer der anspruchsvollsten, aber auch interessantesten Tätigkeiten.
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Danksagung Wir sind vielen Personen für ihre Hilfe bei der Entwicklung dieses Lehrbuchs zu Dank verpflichtet. Tina Merkel gab den entscheidenden Anstoß für das Unter− richtskonzept. Studierende wie Dozentinnen und Dozenten des Kursus Medizin− ethik an der Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen haben durch ihr Engagement und ihr Feedback dazu beigetragen, die zu Grunde liegenden Unter− richtsmaterialien zu verbessern. Viele kritische Leserinnen und Leser haben uns mit wertvollen Hinweisen geholfen. Dank dafür an: Sigrid Achenbach, Matthias Dahl, Heiner Fangerau, Anna Jakovljevic, Christian Netzer, Heiko Rode, Alfred Simon und Uta Ziegler. Frau Dr. Eva−Cathrin Schulz vom Thieme Verlag schließ− lich hat sich für unsere Lehrbuchidee begeistert und uns mit klugen Ratschlägen und viel persönlichem Engagement unterstützt.
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Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3
Medizinethik im Studium – eine Einführung 1 Zu diesem Buch 3 Problemorientiertes Lernen (POL) in der Medizinethik 6 Basisliteratur zum Thema 8
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung 11 Fallgeschichten 13 Was ist, was will Medizinethik? 14 Patient−Arzt−Beziehung und Patientenautonomie Dokumente und Websites zum Thema 22 Basisliteratur zum Thema 24
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin und Embryonenfor− schung 27 Fallgeschichten 29 Schwangerschaftsabbruch 30 Reproduktionsmedizin 32 Embryonenforschung, Forschung an Stammzellen, Klonen 35 Dokumente und Websites zum Thema 37 Basisliteratur zum Thema 41
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Medizinische Genetik 43 Fallgeschichten 45 Genetische Diagnostik 46 Was passiert mit den Daten? 49 Experimentelle Genetik 52 Dokumente und Websites zum Thema Basisliteratur zum Thema 55
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
Transplantationsmedizin 57 Fallgeschichten 59 Kurzer Überblick 59 Lebendspende 60 Postmortale Organspende 62 Organknappheit und Xenotransplantation 64 Dokumente und Websites zum Thema 66 Basisliteratur zum Thema 69
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Sterbehilfe und Sterbebegleitung 71 Fallgeschichten 73 Historisches 74 Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe 74 Therapiebegrenzung und Sterbebegleitung 77 Dokumente und Websites zum Thema 79 Basisliteratur zum Thema 83
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Inhaltsverzeichnis
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Psychiatrie und Psychotherapie 85 Fallgeschichten 87 Besonderheiten psychiatrischer Behandlung 88 Betreuung und Zwangsbehandlung 89 Forschung an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen Dokumente und Websites zum Thema 93 Basisliteratur zum Thema 95
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Forschung am Menschen 97 Fallgeschichten 99 Rechtliche Rahmenbedingungen 100 Therapeutischer versus wissenschaftlicher Versuch 101 Aufklärung und Einwilligung 102 Dokumente und Websites zum Thema 105 Basisliteratur zum Thema 108
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6
Tierversuche 109 Fallgeschichten 111 Zahlen und Fakten zu Tierversuchen in Deutschland 112 Gesetzliche Regelungen 113 Kritik am Tierversuch und ethische Diskussion 114 Dokumente und Websites zum Thema 117 Basisliteratur zum Thema 119
10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Gute wissenschaftliche Praxis – gute klinische Praxis 121 Fallgeschichten 123 Gute wissenschaftliche Praxis und wissenschaftliches Fehlverhalten 124 Gute klinische Praxis 126 Dokumente und Websites zum Thema 128 Basisliteratur zum Thema 130
11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
Öffentliche Gesundheit und Gesundheitsversorgung (Public Health) Fallgeschichten 133 Was ist Public Health? 133 Problemfelder 134 Dokumente und Websites zum Thema 140 Basisliteratur zum Thema 142
Anhang I 143 Anhang II 159 Sachverzeichnis
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1 Medizinethik im Studium – eine Einführung
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L 1.1 Zu diesem Buch Lehrziele
O O O O O
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Unterricht in Medizinethik muss Wissen und Kenntnisse, praktische Fähig− keiten und Fertigkeiten sowie Einstellungen und Haltungen vermitteln. R Lehrziele der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. s. Anhang S. 161–163. Zu den allgemeinen Lehrzielen zählen unter anderem: Vertrautheit mit moralphilosophischen Grundbegriffen und Kenntnis rele− vanter Gesetze, Richtlinien und Kodizes; ein Verständnis des Verhältnisses von Moral, Ethik, Politik und Recht; die Fähigkeit, die eigenen moralischen Positionen reflektieren, weiterentwik− keln und argumentativ vertreten zu können; Methoden der Entscheidungsfindung kennen und anwenden zu können; eine verantwortungsbewusste, fürsorgliche und respektvolle Einstellung ge− genüber Patienten und Kollegen. Neben diesen allgemeinen Lehrzielen gehört die Einführung in spezielle Themenbereiche zu den Unterrichtszielen der Medizinethik. Dazu gehören: Patientenautonomie, Aufklärung und Einwilligung. Beziehungen zwischen Patienten, Ärzten, Pflegenden und Angehörigen. Medizinische Forschung. Medizin und Fortpflanzung. Medizin und Genetik. Kinder− und Jugendmedizin. Psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen. Transplantationsmedizin. Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Gesundheitswesen. Verantwortung und Selbstverständnis von Ärzten und Studierenden. Das vorliegende Buch bietet eine Einführung in diese Fragen und Probleme der Medizinethik für Medizinstudierende und andere Personen im Gesund− heitswesen, die sich zum ersten Mal mit diesem Thema vertraut machen wollen. Ärztinnen und Ärzte müssen keine Moralphilosophen sein, aber sie sollten wissen, wie sie in der Praxis mit einem Konflikt angemessen umgehen.
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1 Medizinethik im Studium – eine Einführung
Hinweise für Studierende
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Konkrete Konflikte im Arbeitsalltag stehen häufig am Anfang medizinethi− scher Reflexion. Die einzelnen Kapitel des Lehrbuchs beginnen deshalb stets mit einigen typischen Fallgeschichten, meist realen Konflikten aus der Praxis. Diese Fälle sollen für das jeweilige Thema sensibilisieren. Einige dieser Fälle haben keine eindeutige Lösung. Denn zum einen sind manche Konflikte – z. B. um das so genannte therapeutische Klonen – so neu, dass sich bislang noch keine einheitliche Lehrmeinung herausgebildet hat. Zum anderen kann ein Konflikt manchmal auf unterschiedliche Weise gelöst werden. Es gibt deshalb nicht immer eine einzige richtige“ Lösung für die dargestellten Konflikte. Wichtig ist jedoch in jedem Fall, verschiedene Handlungsoptionen und ihre Begründungen zu kennen. Dies hilft einerseits die eigenen Argu− mente zu schärfen, andererseits aber auch Respekt und Toleranz für andere Meinungen zu entwickeln. Am Beginn jeder medizinethischen Auseinandersetzung steht deshalb das Verständnis für die moralischen Motive des Anderen. Dies kann im gemein− samen Gespräch geübt werden. Zudem handeln die an einem Konflikt be− teiligten Personen in der Regel nicht nur als Individuen, sondern auch als Menschen in Beziehung, als Eltern, Kinder, Vorgesetzte oder Angehörige einer Religion. Sie haben Bindungen zu anderen Menschen, für die sie Ver− antwortung übernehmen oder denen sie verpflichtet sind. Eine gute Kennt− nis dieser menschlichen Beziehungen ist Voraussetzung für jede medizin− ethische Reflexion. Im Anschluss folgt jeweils eine Einführung in die spezielle Thematik. Die Spannbreite der Themen reicht von der Reproduktionsmedizin bis zu thera− peutischen Entscheidungen am Lebensende, von wissenschaftlichem Fehl− verhalten bis zu ethischen Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens. Me− dizinethik setzt eine gute Kenntnis aller in einem Fall bedeutsamen Um− stände voraus. Denn moralisches Handeln findet nicht im luftleeren Raum, sondern unter ganz bestimmten kulturellen, sozialen und politischen Bedin− gungen statt. In den Texten werden daher der Stand des Wissens und der Diskussion dargestellt, die wichtigsten Fachbegriffe eingeführt und die für das Thema relevanten Richtlinien und Gesetze vorgestellt. Meist geben die Texte Hinweise darauf, wie die vorangestellten Fälle zu beurteilen sind. Die für das jeweilige Thema wichtigen Dokumente, Richtlinien oder Geset− zestexte finden sich im Anschluss an jede Einführung (Dokumente und Websites zum Thema). Einige besonders grundlegende Texte sind im Origi− nal abgedruckt. Ihre Kenntnis ist notwendig für ein vertieftes Verständnis der Fragestellung. Sie helfen dabei, die vorangestellten Fälle besser zu beurteilen und geben einen Einblick in den aktuellen Stand der rechtlichen und ethi− schen Regelungen. Auf weitere wichtige Richtlinien und Gesetze, die aus Platzgründen nicht im Original abgedruckt werden können, verweist ein Verzeichnis der Dokumente – in der Regel mit Angabe der Internetadresse – wo der entsprechende Text im Original nachgelesen werden kann. Jedes Kapitel endet mit einem Verzeichnis der wissenschaftlichen Literatur (Basisliteratur zum Thema). Genannt werden jeweils eine Auswahl von Bü− chern oder Artikeln, die einen Überblick geben oder als Nachschlagewerke genutzt werden können. Wie jedes andere medizinische Fach auch ist die Medizinethik in einer lebhaften wissenschaftlichen Entwicklung begriffen. Um einige Fragen, wie z. B. die Zulässigkeit der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen, wird heftig gestritten. Die Literaturhinweise in
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1 Medizinethik im Studium – eine Einführung
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diesem Abschnitt dienen dazu, solche kontroversen Fragestellungen vertie− fen zu können, Hinweise auf die weiterführende Diskussion zu erhalten und somit auch einen Einblick in die Arbeitsweise der Medizinethik zu gewinnen. Am Ende des Buches findet sich ein Verzeichnis der Lehrziele, die mit Hilfe dieses Buches erreicht werden können (s. Anhang S.161–163). Sie können an Hand dieser Liste ihren Lernerfolg überprüfen und gegebenenfalls Themen nacharbeiten. Alle von der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. empfohlenen Lehrziele für Medizinstudierende werden in diesem Buch aufgegriffen. Es kann damit für die Vorbereitung auf eine Prüfung in Medizinethik im Medizinstudium genutzt werden. Zuletzt: Dieses Buch ist primär für Medizinstudierende verfasst worden. Ethische Probleme in der Pflege und in anderen Heilberufen stehen daher – obgleich ihre Bedeutung außer Frage steht – nicht im Mittelpunkt. Im Hinblick auf die Fallgeschichten und mögliche Lösungsansätze sollte jedoch die Kooperation mit allen Mitgliedern des versorgenden Teams ein wichtiger Aspekt sein.
Hinweise für Lehrende Die hier versammelten Fälle und Texte beruhen sämtlich auf Unterrichtsma− terialien, die seit einigen Jahren in Lehrveranstaltungen an der Medizini− schen Fakultät der Universität Göttingen entwickelt und erprobt worden sind. Das Lehrbuch ist damit unmittelbar auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnitten. Die Lehrinhalte der einzelnen Kapitel können problemlos in klinische Unterrichtsmodule integriert werden. Da Medizinethik im Rahmen des Querschnittfachs Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin“ gelehrt wird, werden in allen Kapiteln Bezüge zu medi− zinhistorischen und medizintheoretischen Fragestellungen hergestellt. Aus unserer Erfahrung heraus halten wir den fallorientierten Zugang für den besten Weg, sich als angehende Ärztin/als angehender Arzt mit Medizinethik auseinander zu setzen. Daher sind jedem Kapitel Fallgeschichten vorange− stellt. Sie können im Eigenstudium bearbeitet oder als Ausgangsmaterial für Gruppendiskussionen genutzt werden. Das Buch gibt zu jedem Thema einen Überblick über den neuesten Stand des Wissens. Es leitet dazu an, sich mit medizinethischen Konflikten selbständig zu befassen und Lösungswege zu erarbeiten. Und es bietet Informationsma− terial zur weiteren Lektüre und Vertiefung der Fragestellung. Jedem Kapitel schließen sich Dokumente und Websites zum Thema“ an; so werden die Leserinnen und Leser dieses Buches angeregt, auch das Internet als Quelle für medizinethische Fragen zu nutzen und selbständig weiter zu recherchieren. Das Lehrbuch eignet sich für jeden praxisorientierten Unterricht im Medizin− studium. Besonders gut geeignet ist es für das Problemorientierte Lernen (POL) und darüber hinaus generell für Fallseminare. Diese Unterrichtsme− thoden gehen davon aus, dass die für moralisch angemessenes und profes− sionelles Verhalten wichtigen Fertigkeiten am besten von einem konkreten Konflikt ausgehend und in Gesprächssituationen erlernt werden können. Kompetenz in Medizinethik bedeutet, sich mit Menschen anderer Meinung auseinandersetzen zu können und zu wissen, wie konstruktive Gespräche geführt werden. Das Problemorientierte Lernen hilft zudem Studierenden zu lernen, wie man lernt. Diese Fähigkeit ist wichtig für alle sich rasch entwi− ckelnden Fächer in der Medizin, zu denen die Medizinethik in besonderem
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1 Medizinethik im Studium – eine Einführung Maße zählt. Lehrbuchwissen kann schnell veralten. Ärztinnen und Ärzte müssen deshalb wissen, wie sie sich selbständig Informationen verschaffen und erarbeiten können. Dies wurde im vorliegenden Lehrbuch berücksich− tigt.
L 1.2 Problemorientiertes Lernen (POL) in der Medizinethik Einführung Das Problemorientierte Lernen ist eine Unterrichtsmethode, die den selb− ständig lernenden und arbeitenden Studierenden in den Mittelpunkt stellt. Die Vorteile dieser Unterrichtsmethode sind erwiesen: Wissen, das man sich selbst erarbeitet hat, behält man besser; Fertigkeiten, die man praktisch erprobt hat, prägen sich besser ein. Außerdem ermöglicht POL, im eigenen Rhythmus und nach eigenen Schwerpunkten zu lernen. Gerade in der Medi− zinethik können Wissen und Fertigkeiten nicht einfach passiv übernommen werden. Erst die aktive und kritische Auseinandersetzung mit ethischen Fragen macht es möglich, moralische Überzeugungen zu erwerben, zu ver− tiefen oder unter Umständen vielleicht sogar zu ändern. In der gemeinsamen Diskussion kann man dazu die eigenen Ansichten immer wieder überprüfen und lernen, mit abweichenden Ansichten fair und respektvoll umzugehen.
Der Siebensprung Für das Problemorientierte Lernen sollten sich Lern− und Arbeitsgruppen von maximal 10 Studierenden bilden. Die Gruppen erhalten einen Fall mit einer definierten Fragestellung zur Bearbeitung. Damit die gemeinsame Arbeit strukturiert abläuft, wird der so genannte Siebensprung eingesetzt. In sieben Arbeitsschritten wird das Problem einer oder mehreren Lösungen zugeführt: 1. Begriffe klären: In diesem Abschnitt werden alle unklaren Begriffe erläutert, die ein Verständnis der Fragestellung behindern. In medizinethischen Kon− flikten ist z. B. oft von Krankheiten die Rede, die vielleicht nicht alle Teilneh− mer kennen. Erklärungen sollten nur soweit gesucht werden, bis die Frage− stellung ungestört weiter verfolgt werden kann. Wichtig ist hier im Auge zu behalten, dass das Ziel der Gruppenarbeit nicht das möglicherweise unbe− kannte Krankheitsbild, sondern der ethische Konflikt ist, der sich aus der Behandlung eines Patienten ergibt.
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2. Problem definieren: In diesem Schritt benennt die Gruppe das ethische Problem des vorgestellten Falls. Manchmal ergeben sich auch zwei oder drei Probleme. Ziel dieses Arbeitsschrittes ist es, dass alle sich einig werden, welche Frage sie gemeinsam bearbeiten wollen. Das macht die Gruppenar− beit effektiver. Am Anfang wird es vielleicht noch ungewohnt sein, das ethi− sche Problem eines Konflikts zu erkennen. Hierzu ein Tipp: Ethische Fragen enthalten Verben wie sollen“ oder dürfen“. Ein Hinweis findet sich übri− gens auch am Ende jedes Falles in diesem Buch. Dort steht jeweils eine Frage, die die Gruppenarbeit anregen soll (Jetzt sind Sie gefragt“). 3. Brainstorming: In dieser Phase sollen möglichst viele Ideen zum Problem gesammelt werden. Das geschieht am einfachsten mittels Brainstorming, bei dem alle ihre Ideen und Assoziationen frei und ohne Kritik äußern können. Alle sollten zu Wort kommen, denn jeder könnte hilfreiche Anregungen zum Umgang mit dem Problem geben. Brainstorming hilft auch, Assoziationen zu einem Thema zu bilden. Und je mehr Assoziationen zu einem Thema ge− sammelt werden, desto leichter kann man sich etwas vorstellen und merken. Es kann hilfreich sein, alle Gruppenmitglieder zu bitten, ihre Einfälle auf Karteikarten oder Zetteln zu notieren, und dann die Beiträge zu sammeln. Dies erleichtert es zurückhaltenden Teilnehmern, sich von Anfang an ein− zubringen. Zudem kann in den darauf folgenden Arbeitsphasen auf die Kar− ten zurückgegriffen werden. 4. Zusammenfassen und ordnen: Nun müssen die gesammelten Ideen syste− matisch geordnet werden (z. B. an einer Tafel oder Pinnwand). Einige Ge− danken gehören zusammen, andere nicht. Diese Phase dient dazu, sich gründlicher zu überlegen, welche Fragen dem Problem zu Grunde liegen, was die Mitglieder der Gruppe schon wissen und wo noch Wissenslücken bestehen. Hier müssen die Gruppenmitglieder auch ihr vorhandenes Wissen mobilisieren. Auch dies hilft, sich neues Wissen leichter zu merken. 5. Lernziele formulieren: Am Ende von Phase 4 formuliert die Gruppe Lernziele, die sie sich sodann im Eigenstudium erarbeiten kann. Hier können auch Prioritäten gesetzt werden, wenn nicht alle Probleme gleichzeitig bearbeitet werden können. Die Bearbeitung der Lernziele kann unter den Gruppenmit− gliedern aufgeteilt werden. 6. Eigenstudium: Das Lehrbuch bietet eine Reihe von Texten an, um im Eigen− studium die formulierten Lernziele zu bearbeiten. Gut eignet sich in der Regel die Einführung in die Thematik, die alle Gruppenmitglieder lesen sollten. Dokumente, Richtlinien und Gesetze sowie die weiterführende Lite− ratur, die im Lehrbuch teils im Original angeführt werden, können zur Bear− beitung unter den Gruppenmitgliedern aufgeteilt werden. Wichtig ist, die Texte nicht nur zu lesen, sondern den Stoff aktiv zu erfassen und in eigenen Worten wiederzugeben. Da in der Medizinethik manche Fragen kontrovers diskutiert werden, sollte man sich die Autoren der Texte, die man liest, gut merken, um später Vergleiche mit anderen Meinungen anstellen zu können. 7. Wissen zusammentragen, Ausblick formulieren: Wenn die Gruppe sich wie− der trifft, trägt sie zusammen, was die einzelnen Mitglieder inzwischen an Antworten auf die Lernziele in Erfahrung gebracht haben. Der Ausgangsfall kann nun mit neuem Wissen beurteilt werden. Es sollte auch festgehalten werden, was nicht verstanden wurde. Dies kann dazu anregen, das Eigen− studium noch einmal aufzunehmen.
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1 Medizinethik im Studium – eine Einführung
Organisatorisches
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Damit diese Arbeitsschritte eingehalten werden können, benötigt die Gruppe einen Tutor. Der Tutor bestärkt und unterstützt die Studierenden beim selb− ständigen Arbeiten. Er achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden und gibt Ratschläge, wenn sich eine Diskussion festgefahren hat. Der Tutor kann auch auf Missverständnisse und Irrtümer aufmerksam machen. Es ist außer− dem hilfreich, einen Schriftleiter zu benennen. Der Schriftleiter protokolliert die wichtigsten Arbeitsergebnisse der Gruppe. Dieses Protokoll kann nach Abschluss der Arbeitseinheit an alle ausgeteilt werden. Darüber hinaus sollte sich aber auch jedes Gruppenmitglied Aufzeichnungen machen. Notizen helfen, ein Problem zu durchdenken und zu verstehen. Nach jeder Arbeitseinheit sollten sich Gruppe und Tutor ein Feedback über ihre Arbeitsweise geben. POL ist eine Unterrichtsmethode, die erlernt wer− den muss. Dabei hilft es, wenn die Mitglieder der Gruppe sich gegenseitig informieren, was sie gut und schlecht fanden, ob sie ausreichend zum Reden kamen oder ob sie mit dem Gruppenergebnis zufrieden sind. Achtung: Kritik an anderen und an sich selbst ist nicht einfach! Hier ist es besonders wichtig, fair und rücksichtsvoll zu bleiben. Dies ist auch ein wichtiger Lernschritt in der Medizinethik, denn medizinethische Auseinandersetzungen betreffen oft fundamentale Fragen des menschlichen Lebens. Umso wichtiger ist es, andere Meinungen zu respektieren und Streitgespräche konstruktiv zu füh− ren.
L 1.3 Basisliteratur zum Thema 1. Biller−Andorno N, Neitzke G, Frewer A, Wiesemann C. Lehrziele Medizin− ethik im Medizinstudium“. Ethik in der Medizin. 2003;15: 117–121. 2. Bockenheimer−Lucius G, Reiter−Theil S, Hrsg. Unterrichtsmodelle zur Ethik in der Medizin und in den Heilberufen. Themenheft Ethik in der Medizin. 1994;6(2). 3. Boyd KM. Ethik−Unterricht an medizinischen Hochschulen in Großbritan− nien. Zeitschrift für Medizinische Ethik. 1994;40: 93–99. 4. Kahlke W, Reiter−Theil S. Ausbildung in medizinischer Ethik – Stand und Perspektiven in Deutschland. Medizin. Mensch. Gesellschaft. 1992;17: 227– 233. 5. Lenk C, Biller−Andorno N, Merkel T, Wiesemann C. Medizin als kulturelle und moralische Praxis. Zu den Aufgaben des Medizinethikunterrichts im Medi− zinstudium. Zeitschrift für medizinische Ethik. 2004;50: 3–10. 6. Marckmann G, Heinrich V. In sieben Schritten zur Problemlösung. Die struk− turierte Falldiskussion im Ethikunterricht. Ethik und Unterricht. 2001;4:16− 20. 7. Moust JHC, Bouhuijs PAJ, Schmidt H. Problemorientiertes Lernen. Wiesba− den: Ullstein Medical; 1999. 8. Neitzke G, Möller M. Zur Evaluation von Ethikunterricht. Med. Ausbildung. 2002;19(2): 190–195. 9. Reiter−Theil S, Hrsg. Vermittlung medizinischer Ethik. Theorie und Praxis in Europa. Baden−Baden: Nomos; 1997. 10. Sponholz G, Uhl A. Das Ulmer Modell medizinethischer Lehre. Bochumer medizinethische Materialien. 1999; Bd. 121.
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11. Töpfer F, Wiesing U. Das britische core curriculum in Medizinethik und Me− dizinrecht – ein Vorbild für Deutschland? Zeitschrift für medizinische Ethik. 2001;47: 421–432. 12. Wiesemann C. Aufgaben und Perspektiven der Medizinethik im Medizin− studium. In: Kolb S, Seithe H, Hrsg. Medizin und Gewissen. 50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess. Frankfurt am Main: Mabuse Verlag; 1998: 416– 420.
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L 2.1 Fallgeschichten Ein AIDS−Kranker verpflichtet seinen Arzt zum Schweigen Ein niedergelassener Allgemeinarzt in einer Großstadt behandelt in seiner Praxis viele HIV−positive und an AIDS erkrankte Patienten. Einer dieser Pa− tienten, Herr N., ist inzwischen bettlägerig. Er wird von seiner Lebenspart− nerin, mit der er zwei Kinder hat, gepflegt. Der Kranke hat seinen Hausarzt ausdrücklich gebeten, seine Partnerin nicht über die AIDS−Erkrankung zu informieren. R Jetzt sind Sie gefragt: Welche ethischen Prinzipien sind in diesem Fall von Bedeutung?
Aufklärung eines krebskranken Patienten Ein 65−jähriger russischer Spätaussiedler, der seit zehn Jahren in Deutsch− land lebt, wird wegen Bluthustens in die Klinik eingeliefert. Thorax−CT, Bron− choskopie und Gewebeuntersuchung ergeben ein kleinzelliges Bronchialkar− zinom mit Befall peripherer Lymphknoten. In diesem fortgeschrittenen Sta− dium ist eine palliative Chemotherapie möglich, aber problematisch, da die unter Umständen erreichbare Lebensverlängerung von einigen Monaten mit einer Verschlechterung der Lebensqualität einhergeht. Die Oberärztin der Station informiert zunächst die Ehefrau des Patienten über die Diagnose und die schlechte Prognose (durchschnittliche Überlebenszeit: 4–12 Monate). Daraufhin bittet die Ehefrau inständig, ihrem Mann nichts von seiner Krank− heit zu sagen. Er werde diese Nachricht nicht verkraften. Sein Vater habe mit 50 Jahren erfahren, dass er an Krebs leide und sich daraufhin das Leben genommen. R Jetzt sind Sie gefragt: Was soll die Oberärztin tun?
Verweigerung einer Transfusion aus religiösen Gründen Eine Zeugin Jehovas muss sich einer Operation unterziehen. Sie erklärt ge− genüber den behandelnden Ärzten, dass sie eine eventuell erforderliche Bluttransfusion ablehnt und überreicht ihnen ein Dokument, in dem sie einen Bevollmächtigten bestimmt, der Mitglied der gleichen Glaubensge− meinschaft ist. Unmittelbar nach der Operation treten bei der Patientin schwere Komplikationen auf. Ohne Bluttransfusionen, so die Einschätzung des behandelnden Arztes, reduzieren sich die Heilungschancen auf Null. Er wendet sich an das Vormundschaftsgericht und bittet um die Bestellung eines Betreuers für die Patientin. Die Richterin sucht die bewusstlose Pati− entin im Klinikum auf und bestellt deren Ehemann zum vorläufigen Betreuer. Dieser stimmt der Transfusion zu, auch im Hinblick auf den gemeinsamen Sohn. Die Patientin überlebt und legt eine Verfassungsbeschwerde gegen den Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Recht auf Religionsfreiheit ein. R Jetzt sind Sie gefragt: Hat der behandelnde Arzt richtig gehandelt?
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L 2.2 Was ist, was will Medizinethik? Einführung Viele Entscheidungen in der Medizin sind durch naturwissenschaftliches Wissen allein nicht zu begründen. Gesundheit, Lebensqualität und Wohl− befinden basieren auf individuellen und gesellschaftlichen Wertvorstellun− gen, die nur in einem begrenzten Ausmaß verallgemeinerbar sind. Moderne Gesellschaften erlauben und fördern eine Vielfalt unterschiedlicher Lebens− entwürfe, und die Medizin hat dementsprechend mit Patienten zu tun, die unter Umständen ganz Unterschiedliches von ihrem Leben erwarten. Wenn ein Arzt eine Rentnerin in einem ländlichen Altersheim oder ein Mitglied einer Punkband in einer Großstadt behandelt, muss er mit unterschiedlichen Wertvorstellungen umgehen und darauf Rücksicht nehmen können. Krank− heit und Gesundheit selbst sind Begriffe, die sich in und mit der Zeit wandeln und auf teils unreflektierten Annahmen dessen, was normal“ und erstre− benswert“ ist, beruhen.
Probleme der modernen Medizin Weil die moderne Medizin sich nicht nur mit der Behandlung akuter Krank− heiten, sondern auch mit der Betreuung chronisch Kranker sowie der Präven− tion befasst, ist sie zu einem nahezu normalen Bestandteil unseres Alltags geworden. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf unser alltägliches Ver− halten. Die technische Revolution in der Medizin hat das Spektrum der Eingriffs− möglichkeiten beachtlich vergrößert, teilweise mit der Konsequenz, dass neue, bisher undenkbare Synthesen von Mensch und Maschine entstehen. Diese neuen Möglichkeiten bedeuten immer auch Abhängigkeiten, mit de− nen der Mensch lernen muss, gut zu leben. Zudem sind von manchen In− novationen, vor allem im Bereich der Genetik, auch zukünftige Generationen betroffen, deren Interessen und Bedürfnisse schon heute mitbedacht sein wollen.
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Die weit reichenden Möglichkeiten der Medizin unterliegen einer recht− lichen Kontrolle und Aufsicht mit dem Ziel, das technisch Machbare und das gesellschaftlich Erwünschte in Einklang zu bringen. So haben deutsche Gerichte beispielsweise schon vor mehr als einhundert Jahren mit dem Auf− kommen der experimentellen Medizin verfügt, jedem Versuch am Menschen solle eine Information und Einwilligung der Versuchsperson vorausgehen. Diese Beschränkung medizinischen Handlungsspielraums wurde als wichtig angesehen, weil die wachsende Abhängigkeit der Patienten von Ärzten und Forschern – vor allen Dingen in der Krankenhaussituation – als bedenklich angesehen wurde. Heute ist der Wunsch nach rechtlicher Regelung auch innerhalb der Medizin groß, denn die erweiterten Möglichkeiten bürden dem einzelnen Arzt große Verantwortung auf und lassen Richtlinien und Gesetze als willkommene Hilfestellungen in schwierigen Entscheidungen erscheinen. Viele Bereiche der modernen Medizin aber sind rechtlich ungeregelt, teils weil bestehende rechtliche Regelungen durch den technischen Fortschritt überholt wurden, teils weil der Gesetzgeber die individuelle Patient−Arzt− Beziehung respektiert und der rasanten Entwicklung in der Medizin auch im Interesse der Patienten keine unnötigen Hindernisse in den Weg legen will. Im Prozess der Erarbeitung neuer und der kritischen Reflexion etablierter Normen und Standards spielt die Medizinethik deshalb eine zentrale Rolle.
Aufgaben der Medizinethik Die Medizinethik untersucht unter Zuhilfenahme philosophisch−ethischer Theorien und Argumentationsformen auf wissenschaftliche Art und Weise den verantwortlichen Umgang mit den medizinischen Möglichkeiten. Auf− gabe der Medizinethik ist es, unterschiedliche Begründungen gegeneinander abzuwägen und allgemeine Prinzipien oder Regeln abzuleiten, nach denen eine Handlung als gut oder schlecht bezeichnet werden kann. Sie ist also die Wissenschaft vom moralischen Urteilen und Handeln im Gesundheitswesen. Medizinethik ist nicht ausschließlich ärztliche Deontologie (Pflichtenlehre), denn sie befasst sich mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen, also auch mit Patienten, Pflegekräften oder Gesundheitspolitikern. Die Bioethik wiederum umfasst neben der Medizinethik auch die Umwelt− und Tierethik. Die Medizinethik stützt sich unter anderem auf eine Reihe von ärztlichen Eiden und Deklarationen, die in vergangenen Jahrhunderten verfasst worden sind. Das bekannteste und wohl auch früheste Dokument ist der so genannte Hippokratische Eid, in dem grundlegende moralische Prinzipien ärztlichen Handelns – wie die Fürsorgepflicht des Arztes für seine Patienten, das Nicht− schadensgebot, die Schweigepflicht und das Gebot der sexuellen Abstinenz gegenüber Patienten und ihren Angehörigen – niedergelegt wurden. Solche Texte müssen aus ihrer Zeit (in diesem Fall der griechischen Antike) heraus verstanden und im jeweilig aktuellen historischen Kontext neu interpretiert werden. Sie geben aber wertvolle Hinweise auf das Verständnis der Arztrolle. R Dokument Der Hippokratische Eid s. S. 22. Ein weiterer grundlegender Text ist das Genfer Gelöbnis des Weltärztebun− des von 1948, das als Reaktion auf den Missbrauch der Medizin im Natio− nalsozialismus verabschiedet wurde. Darin verpflichten sich Ärztinnen und Ärzte, ihre Patienten unabhängig von religiösen, nationalen, rassischen, Par− tei− oder Klassengesichtspunkten gleich zu behandeln. Das Genfer Gelöbnis
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2 Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung ist heute Teil der Berufsordnungen, die von den Landesärztekammern er− lassen werden und für Ärzte verbindliche Richtlinien des Handelns enthal− ten. R Dokument Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes s. S. 23. R Dokument (Muster−)Berufsordnung der deutschen Ärzteschaft s. S. 23–24. Solche Eide und Deklarationen enthalten oft aber auch Textteile, die als zunft− bzw. standespolitisch motiviert gelten können oder als überkommen angesehen werden. So findet sich im Hippokratischen Eid ein Verbot des (Blasen−)Steinschneidens, während das Genfer Gelöbnis indirekt ein Verbot des heute in vielen westlichen Ländern unter bestimmten Bedingungen tolerierten Schwangerschaftsabbruchs ausspricht. Moral ist also immer auch abhängig von historischen Bedingungen, und es ist eine der schwierigsten, aber auch unvermeidlichen Fragen der Medizinethik, ob und wann ein Wan− del moralischer Auffassungen akzeptabel oder sogar geboten ist.
Traditionelle und neuere Ethiktheorien Die Medizinethik ist eine Bereichsethik innerhalb der Ethik, einer Subdis− ziplin der Philosophie, die sich mit der Beschreibung, Beurteilung und Be− gründung moralischen Handelns befasst. Medizinethik nutzt also Methoden der Philosophie für ihr eigenes Vorgehen. Zu den traditionsreichen Ethiktheorien zählt die Tugendethik, nach der Glückseligkeit und das gute Leben“ durch eine der Tugend gemäße Tätig− keit der Seele“ erreicht werden (Aristoteles 384–322 v. Chr.). Ethische Tu− genden sind nach Aristoteles Mut, Mäßigkeit, Freigebigkeit, Hochherzigkeit und Wahrhaftigkeit; diese werden durch Verstandestugenden wie Klugheit und Weisheit genauer bestimmt. Hiervon zu unterscheiden sind die Deon− tologien, die das Leben des Menschen an grundlegenden Pflichten ausrich− ten. Ein Prinzip für die Ermittlung solcher Pflichten wurde von Immanuel Kant (1724–1804) als Kategorischer Imperativ formuliert: Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ Der Konsequenzialismus schließlich bemisst den moralischen Wert einer Hand− lung an ihren Folgen. So ist nach Jeremy Bentham (1748–1832) das über− geordnete moralische Ziel, das größte Glück der größten Zahl von Menschen zu verwirklichen (Utilitarismus). Allerdings sind diese Theorien sehr abstrakt gehalten; ihre Anwendung in der konkreten Entscheidungssituation erfordert ein zusätzliches Element der Interpretation. Hier hat in neuerer Zeit die Care−Ethik (Fürsorge−Ethik) ange− setzt, der es um moralische Ansprüche in konkreten Situationen und um Verantwortung geht, die aus den Beziehungen der Menschen zueinander resultiert. Im Mittelpunkt steht nach Carol Gilligan (*1936) ein Mensch, der sich mit der Bedürftigkeit anderer konfrontiert sieht und darauf reagieren muss. Ein weiteres Problem ethischer Theorien ist das der Letztbegründung. Be− zweifelt wird, dass sich die von einer ethischen Theorie postulierten grund− legenden moralischen Normen oder Werte ausschließlich aus sich heraus begründen lassen. Einige zeitgenössische Ethiker befürworten daher eine prozedurale Ethik, d. h. sie beschränken sich darauf festzulegen, nach welchem Verfahren eine moralische Entscheidung zustande kommen soll. Der bekannteste Vertreter einer solchen Theorie ist Jürgen Habermas (*1929), dessen Ideal eines herr−
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schaftsfreien Diskurs“ aller beteiligten Parteien ein Modell für eine konsens− orientierte Methode der Entscheidungsfindung darstellt (s. Tab. 1). Konsensfindung ist in pluralen Gesellschaften mit weit voneinander abwei− chenden Wertvorstellungen oft der einzige Weg, um zu allgemeinverbindli− chen Regelungen zu kommen. Dazu gibt es in der Medizinethik Gremien (wie z. B. Ethikkommissionen für die Forschung am Menschen an den Universi− täten und Landesärztekammern oder den Nationalen Ethikrat), die im Ideal− fall in einem transparenten Verfahren gebildet werden. Sie sollen Sachver− stand in den relevanten Fragen sowie eine Beteiligung aller betroffenen Parteien gewährleisten. Tabelle 1
Zusammenschau wichtiger Ethiktheorien
traditionelle Ethiktheorien Tugendethik (Aristoteles)
Ausrichtung an menschlichen Tugenden
Pflichtenethik (Immanuel Kant)
Ausrichtung an grundlegenden Pflichten
Konsequenzialismus (Jeremy Bentham)
Ausrichtung an den Folgen einer Hand− lung
neuere Ethiktheorien Care−Ethik (Fürsorge−Ethik) (Carol Gilligan)
Ausrichtung an Beziehungen und daraus resultierenden Verantwortlichkeiten
prozedurale Ethik (Jürgen Habermas)
Ausrichtung am Prozess der Entschei− dungsfindung (herrschaftsfreier Dialog)
Prinzipienethik (Tom Beauchamp / James Childress)
Ausrichtung an Prinzipien mittlerer Reichweite
Als eine Reaktion auf das Problem der Letztbegründung von Ethik kam von amerikanischen Bioethikern der Vorschlag, sich auf Prinzipien mittlerer Reichweite zu stützen, die traditionell Anerkennung in der Medizin erfahren haben. Tabelle 2 O O O O O O
Prinzipien mittlerer Reichweite
Respekt vor der Autonomie des Patienten Fürsorgepflicht des Arztes (salus aegroti suprema lex“) Nichtschadensgebot (primum nil nocere“) Gerechtigkeit Wahrhaftigkeit Zuverlässigkeit Solche Prinzipien können helfen, unterschiedliche moralische Ansprüche, die in einer Situation zutage treten, zu erkennen und gegeneinander abzu− wägen. Moralische Konflikte treten typischerweise auf, wenn zwei oder mehr Prinzipien zu entgegengesetzten Handlungen auffordern, z. B. wenn der Re− spekt vor der Autonomie von Patienten verlangt, dem Wunsch einer Patien−
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2 Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung tin nach Abbruch einer Behandlung nachzukommen, dies aber unter Um− ständen eine Schädigung der Patientin nach sich ziehen kann. Es herrscht in der westlichen Welt ein weitgehender Konsens darüber, dass die Autonomie von Patienten, also ihr Recht, in allen persönlichen Fragen über sich selbst zu bestimmen, als höherrangiges Prinzip anzusehen ist, sofern nicht andere Personen durch diese Entscheidung geschädigt werden. Auch die Berufsordnungen der deutschen Ärzteschaft enthalten einen ent− sprechenden Passus. Diese Entwicklung ist unmittelbarer Ausdruck unseres liberalen Selbstverständnisses, das den Freiheitsrechten des einzelnen Bür− gers ein großes Gewicht beimisst. In Gesellschaften, in denen traditionell die Familie eine große Rolle spielt – wie z. B. in manchen asiatischen Gesell− schaften – ist dieses Prinzip allerdings umstritten. Dies kann dann zu Konflikten führen, wenn sich gesellschaftliche Minder− heiten in ärztliche Behandlung begeben. Darf eine Ärztin in Deutschland z. B. auf Wunsch der Eltern eine Beschneidung bei einem jungen afrikanischen Mädchen durchführen, weil das Kind nur durch diese Maßnahme in seinem gesellschaftlichen Umkreis als vollwertiges Mitglied akzeptiert wird? Sollte in diesem Fall ein moralischer Universalismus verfolgt werden, davon aus− gehend, dass ein ethisches Prinzip (also hier z. B. der Vorrang der individuel− len Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit) für alle Men− schen gültig ist? Oder sollte ein moralischer Relativismus bzw. Pluralismus Richtschnur des Handelns sein, der die in unterschiedlichen Kulturen ent− wickelten Moralvorstellungen respektiert und nicht gegeneinander wertet? Diese Fragen werden auch innerhalb der Medizinethik kontrovers diskutiert. Es besteht jedoch weitgehende Einigkeit, dass die Extreme beider Positionen unangemessen sind: Zum einen ist ein moralischer Absolutismus inakzep− tabel, der genau einzuhaltende Regeln vorschreibt, ohne die Möglichkeit einer unterschiedlichen Interpretation je nach weltanschaulicher Überzeu− gung oder kulturellem Hintergrund einzuräumen. Zum anderen muss Ver− schiedenheit nicht zu Beliebigkeit führen, denn in vielen Fragen lassen sich gemeinsame Mindeststandards finden, die dazu beitragen, den Rahmen des moralisch Zulässigen genauer abzustecken.
L 2.3 Patient−Arzt−Beziehung und Patientenautonomie Allgemeines Die Autonomie von Patienten zu respektieren bedeutet, den Patienten als Partner zu betrachten. Manche Ethiker gehen sogar so weit, die Patient−Arzt− Beziehung lediglich als eine Art Vertrag anzusehen, in dem geregelt wird, welchen Wünschen des Patienten ein Arzt wie nachzukommen hat. Die Patient−Arzt−Beziehung hat tatsächlich Züge eines Vertrags, der schon durch die Konsultation des Patienten, d. h. ohne weitere schriftliche Abspra− che, zustande kommt und Ärzte damit an grundlegende rechtliche Pflichten bindet, wie z. B. an O die Pflicht der Fürsorge für den Patienten, O die Pflicht der sorgfältigen Aufklärung und O die Schweigepflicht. Dennoch stehen Ärzte und Patienten nicht ausschließlich in einer Vertrags− beziehung zueinander. Ein Kranker befindet sich gegenüber dem Arzt oft in einer Notsituation, die verhindert, dass er als selbstbewusster und rationaler Partner agieren kann. Die Krankenhaussituation, der unverständliche Jargon
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der Mediziner und die Autorität von Ärzten schüchtern viele Patienten ein. Die Autonomie von Patienten ist also zwar dem Prinzip nach gegeben, faktisch aber oft eingeschränkt. Selbstbestimmung muss gegen ungünstige institu− tionelle Bedingungen erarbeitet und gelegentlich sogar erkämpft werden.
Ärzte und Patienten als Partner Selbstbestimmung ist die Fähigkeit, im Einklang mit den eigenen Zielen zu handeln. Patienten aber handeln aus Unkenntnis, Gewohnheit oder Stress oft selbstschädigend, z. B. indem sie sich ungesund ernähren. Aufgabe von Ärz− ten ist es auch, auf eine Veränderung solcher selbstschädigenden Verhaltens− weisen hinzuwirken. Der Arzt ist dem Patienten dabei behilflich, seine Situa− tion zu erkennen, für sich zu entscheiden und sein Verhalten im eigenen Interesse gegebenenfalls zu ändern. Dazu müssen Ärzte aber versuchen, ihre Patienten und deren persönliche Wertvorstellungen zu verstehen, um ihnen angemessene Hilfestellung bieten zu können. Das Ideal der Patient−Arzt− Beziehung ist also das einer Partnerschaft, in der beide voneinander lernen. Diese Partnerschaft basiert wiederum auf dem Vertrauen zwischen Patient und Arzt und auf der Fähigkeit des Arztes, sich auf den Patienten einzulassen. Auf diese Art und Weise können Konflikte zwischen widerstreitenden mo− ralischen Prinzipien (z. B. Selbstbestimmung des Patienten versus Fürsorge− pflicht des Arztes) oft in einem gemeinsamen Verständigungsprozess aufge− löst werden. Selbstbestimmte Entscheidungen setzen Folgendes voraus: Tabelle 3
Voraussetzungen für selbstbestimmte Entscheidungen
O Der Arzt hat den Patienten umfassend und allgemeinverständlich über seine Krankheit bzw. Vor− und Nachteile der geplanten Maßnahme aufgeklärt. O Der Arzt hat sich ein Bild davon verschafft, ob der Patient seine Erklärungen auch verstanden hat. O Der Patient kann ohne Zwang frei entscheiden. O Der Patient ist einwilligungsfähig. Ein Patient kann übrigens nur dann rechtskräftig in eine vorgeschlagene Maßnahme einwilligen, wenn dafür auch eine ärztliche Indikation besteht. Unsinnige Maßnahmen können also auch durch die Einwilligung des Patien− ten nicht rechtmäßig werden. Eine Einwilligung, die diesen Kriterien genügt, nennt man im angelsächsischen Sprachraum Informed Consent. Eine wirk− same Einwilligung ist Voraussetzung für alle präventiven, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie für jede Forschung am Menschen.
Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit Die Einwilligungsfähigkeit des Patienten muss vom Arzt geprüft werden. Sie ist nicht mit der Geschäftsfähigkeit gleichzusetzen. Einwilligungsfähig muss der Kranke zum Zeitpunkt der Einwilligung und auch nur für die vorgeschla− gene Maßnahme sein. So kann z. B. ein Jugendlicher, der nicht geschäftsfähig ist, dennoch rechtskräftig seine Einwilligung – z. B. in die Behandlung eines Armbruchs – geben, falls er in der Lage ist, Wesen, Tragweite und Bedeutung des Eingriffs zu verstehen und seinen Willen danach zu bestimmen. Ein− willigungsfähigkeit ist also kein absoluter, sondern ein relativer Begriff; er
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2 Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung hängt ab von der aktuellen geistigen Leistungsfähigkeit des Betroffenen im Verhältnis zur Komplexität des Eingriffs. Einwilligungsfähigkeit hat nicht nur eine kognitive, sondern auch eine emo− tionale Komponente: Wenn z. B. eine schwer depressive Patientin nicht in der Lage ist, inneren Anteil an ihrer Behandlung zu entwickeln, kann sie mögli− cherweise keine angemessene Entscheidung treffen. Für die Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit, die z. B. in der Psychiatrie von großer Bedeutung ist, wurden Testinstrumente entwickelt (z. B. das MacArthur Competence As− sessment Tool [MacCAT]). Was aber ist, wenn ein Patient trotz umfassender Information eine aus der Sicht der behandelnden Ärztin unsinnige Entscheidung trifft, z. B. wenn ein junger Mensch die Behandlung einer lebensbedrohlichen Tumorerkrankung ablehnt, obwohl durch Chemotherapie Heilungsraten von mehr als 80 % zu erzielen sind? Zu fragen ist dann, ob dieser Mensch authentisch, d. h. im Einklang mit seinen sonstigen Lebenszielen, handelt. Ist das nicht der Fall, könnte die Einwilligungsfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung eingeschränkt sein (s. Kap. 7, S. 89). Andernfalls muss auch einem solchen Wunsch aus Respekt vor der Selbstbestimmung nachgegeben werden.
Entscheidungen bei einwilligungsunfähigen Patienten Oft haben Ärzte und Pflegende mit Patienten zu tun, die nicht oder nur beschränkt einwilligungsfähig sind. In einer Notfallsituation, in der niemand sonst befragt werden kann, kann ein Arzt die notwendigen Entscheidungen im mutmaßlichen Interesse des Patienten allein treffen (so genannte Geschäftsführung ohne Auftrag). Gibt es einen gesetzlichen Stellvertreter, wie z. B. bei Kindern die Eltern oder bei dementen Patienten einen gesetzlichen Betreuer, so muss dessen stell− vertretende Einwilligung eingeholt werden. Eltern oder Betreuer sind dabei gehalten, im Interesse des Betroffenen zu entscheiden.
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In der Kinder− und Jugendmedizin setzt sich darüber hinaus immer mehr die Auffassung durch, auch Kleinkinder schon als Partner in der Behandlung ernst zu nehmen und sie an den medizinischen Entscheidungen zu beteili− gen. Dies entspricht dem Artikel 12 der UN−Kinderrechtskonvention, in dem gefordert wird, die Meinung des Kindes in allen das Kind berührenden An− gelegenheiten angemessen und entsprechend seines Alters und seiner Reife zu berücksichtigen. Ärzte sind also gehalten, sich der Kooperation der Kinder zu versichern. Spätestens ab dem Schulalter können Kinder schon einfach gehaltene Auf− klärungstexte lesen und verstehen. Jugendliche können unter Umständen auch ohne Zustimmung ihrer Eltern einer Ärztin einen Auftrag erteilen; bei− spielsweise dann, wenn es um die Verschreibung eines Verhütungsmittels geht und sie ein besonderes Interesse haben, die Eltern nicht einzubeziehen. Hat ein Arzt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der gesetzliche Stellver− treter gegen die Interessen des Betroffenen handelt, so kann er das Vormund− schaftsgericht anrufen. Im Fall von Kindesmisshandlung oder −missbrauch kann das Jugendamt eingeschaltet werden. Viele einwilligungsunfähige Patienten haben jedoch keinen gesetzlichen Stellvertreter – entweder, weil die Krankheit überraschend kam oder weil sie nicht vorgesorgt haben. In diesem Fall sollten die Entscheidungen dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entsprechen. Dazu müssen sich die Ärzte ein Bild von den Wert− und Glaubensvorstellungen des Betroffenen machen und ihr Handeln danach ausrichten. Es empfiehlt sich, frühzeitig, d. h. vor dem Eintreten einer Einwilligungsunfähigkeit, Gespräche mit Pati− enten über ihre Einstellungen zu Krankheit und Sterben zu führen. Wichtig ist zudem, das gesamte betreuende Team in die Entscheidung mit einzube− ziehen, um die Kenntnis des Patienten und das Einfühlungsvermögen von möglichst vielen Beteiligten zu nutzen. Pflegende nehmen die Interessen von Patienten oft anders wahr als Ärzte. Auch die Angehörigen von Patienten sollten dabei mit einbezogen werden, weil sie im Normalfall am ehesten in der Lage sind, deren Wünsche nachzuvollziehen. Ärzte oder auch Angehörige können zudem die Möglichkeit nutzen, beim Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers zu veranlassen. Die Betreuung kann z. B. nur für Entscheidungen in medizinischen Fragen aus− gesprochen werden. Sie ist also ein wesentlich flexibleres Instrument als die zu Recht gefürchtete Entmündigung des Patienten (vgl. Kap. 7 S. 89–90). Einige Menschen nutzen die Möglichkeit, zu Zeiten körperlicher und geisti− ger Unversehrtheit eine Patientenverfügung aufzusetzen, in der sie festle− gen, welchen Maßnahmen sie im Fall einer Einwilligungsunfähigkeit zustim− men würden. Oft wird in einer Vorsorgevollmacht gleichzeitig verfügt, wel− che Person gegebenenfalls stellvertretend für den Betroffenen entscheiden soll. Diesen Verfügungen wird von deutschen Gerichten inzwischen durch− aus eine Verbindlichkeit für das Handeln von Ärzten zuerkannt, vor allen Dingen dann, wenn sie wohl überlegt und nicht veraltet scheinen. Auch der nur mündlich gegenüber Zeugen geäußerte Wunsch von Patienten kann in diesem Sinn als Entscheidungshilfe herangezogen werden.
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L 2.4 Dokumente und Websites zum Thema Der Hippokratische Eid
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Ich schwöre bei Apollon dem Arzt und bei Asklepios, Hygieia und Panakeia sowie unter Anrufung aller Götter und Göttinnen als Zeugen, dass ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil diesen Eid und diesen Vertrag erfüllen werde: Denjenigen, der mich diese Kunst gelehrt hat, werde ich meinen Eltern gleichstellen und das Leben mit ihm teilen; falls es nötig ist, werde ich ihn mitversorgen. Seine männlichen Nachkommen werde ich wie meine Brüder achten und sie ohne Honorar und ohne Vertrag diese Kunst lehren, wenn sie sie erlernen wollen. Mit Unterricht, Vorlesungen und allen übrigen Aspekten der Ausbildung werde ich meine eigenen Söhne, die Söhne meines Lehrers und diejenigen Schüler versorgen, die nach ärztlichem Brauch den Vertrag unterschrieben und den Eid abgelegt haben, aber sonst niemanden. Die diätetischen Maßnahmen werde ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil zum Nutzen der Kranken einsetzen, Schädigung und Unrecht aber ausschließen. Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein töd− liches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ebenso werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel aushändigen. Lauter und gewissenhaft werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. Auf keinen Fall werde ich Blasensteinkranke operieren, sondern ich werde hier den Handwerkschirurgen Platz machen, die darin erfahren sind. In wie viele Häuser ich auch kommen werde, zum Nutzen der Kranken will ich eintreten und mich von jedem vorsätzlichen Unrecht und jeder anderen Sittenlosigkeit fernhalten, auch von sexuellen Handlungen mit Frauen und Männern, sowohl Freien als auch Sklaven. Über alles, was ich während oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen sehe oder höre, das man nicht nach draußen tragen darf, werde ich schweigen und es geheimhalten. Wenn ich diesen meinen Eid erfülle und ihn nicht antaste, so möge ich mein Leben und meine Kunst genießen, gerühmt bei allen Menschen für alle Zeiten; wenn ich ihn aber übertrete und meineidig werde, dann soll das Gegenteil davon geschehen. [Quelle: Hippokratischer Eid (Übersetzung Axel Bauer): http://med.uni− hd.de/igm/g47/bauerhip.htm oder http://www.ruhr−uni−bochum.de/zme/]
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Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Lehrern die schuldige Achtung und Dankbarkeit erweisen. Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patien− ten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten. Meine Kolleginnen und Kollegen sollen meine Schwestern und Brüder sein. Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfes− sion, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zuge− hörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegen− bringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Wider− spruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre. [Quelle: Weltärztebund, Genf 1948, revidierte Fassung von Stockholm 1994: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Auslandsdienst/99Hand− buch2003.pdf, S. 94; englische Fassung: http://www.wma.net/e/policy/17− a_e.html]
(Muster−)Berufsordnung der deutschen Ärzteschaft I. Grundsätze § 1 Aufgaben des Arztes (1) Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevöl− kerung. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf. (2) Aufgabe des Arztes ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hin− blick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. [. . .] II. Pflichten gegenüber Patienten § 7 Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln (1) Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte des Pa− tienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen. § 8 Aufklärungspflicht Zur Behandlung bedarf der Arzt der Einwilligung des Patienten. Der Einwilli− gung hat grundsätzlich die erforderliche Aufklärung im persönlichen Ge− spräch vorauszugehen. § 9 Schweigepflicht (1) Der Arzt hat über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod des Patienten hinaus – zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen des Patienten, Auf−
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2 Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung zeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersu− chungsbefunde. (2) Der Arzt ist zur Offenbarung befugt, soweit er von der Schweigepflicht entbunden worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines hö− herwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage− und Anzei− gepflichten bleiben unberührt. Soweit gesetzliche Vorschriften die Schwei− gepflicht des Arztes einschränken, soll der Arzt den Patienten darüber unter− richten. (3) Der Arzt hat seine Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit zu belehren und dies schriftlich festzuhalten. (4) Wenn mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patien− ten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schwei− gepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. [Quelle: Auszüge aus der (Muster−)Berufsordnung für die deutschen Ärzte und Ärztinnen, Version vom Deutschen Ärztetag 2003 in Köln: http:// www.bundesaerztekammer.de/30/Berufsordnung]
Weitere Dokumente und Websites 1. Akademie für Ethik in der Medizin e.V. (AEM): http://www.aem−online.de 2. Bill of Rights“ für Krankenhauspatienten in Amerika der American Hospital Association von 1973. In: Troschke J, Schmidt H, Hrsg. Ärztliche Entschei− dungskonflikte. Stuttgart: 1983: 258 f. 3. Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP). Charta der Pa− tientenrechte: http://patientenstellen.de/patientencharta.html 4. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. Patientenrechte in Deutschland (2003): http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/themen/ge− sundheit/rechte/index_2191.cfm 5. Christliche Patientenverfügung, Formular der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland: http://dbk.de/schrif− ten/DBK6.GemeinsameTexte/ 6. Deutsches Referenzzentrum Ethik in den Biowissenschaften (DRZE), Bonn: http://www.drze.de 7. European Database Network Ethics in Medicine and Biotechnology (EU− RETHNET): http://www.eureth.net 8. Patientenverfügung von Rita Kielstein und Hans−Martin Sass: http:// www.ruhr−uni−bochum.de/zme/ 9. Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates: s. Anhang S.145–153. 10. World Health Organization (WHO), Regional Office of Europe. Eine Erklärung über die Patientenrechte in Europa, Europäische Beratungstagung über die Patientenrechte, Amsterdam 28. bis 30. März 1994: http://whqlibdoc. who.int/euro/1994−97/ICP_HLE_121_ger.pdf
L 2.5 Basisliteratur zum Thema 1. Beauchamp T, Childress JF. Principles of Biomedical Ethics. 5 th ed. New York, Oxford: Oxford University Press; 2001. 2. Deutsch E, Spickhoff A. Medizinrecht. Arztrecht, Arzneimittelrecht. Medizin− produktrecht und Transfusionsrecht. 5. Auflage. Berlin: Springer; 2003.
Aus C. Wiesemann, N. Biller-Adorno: Medizinethik (ISBN 9783131382412) © 2005 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
2 Medizinethik und Patient−Arzt−Beziehung
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3. Düwell M, Steigleder K, Hrsg. Bioethik. Eine Einführung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; 2003. 4. Eser A, von Lutterotti M, Sporken P, Hrsg. Lexikon Medizin, Ethik, Recht. Freiburg: Herder; 1989. 5. Irrgang B. Grundriss der medizinischen Ethik. München: UTB für Wissen− schaft; 1995. 6. Korff W, Beck L, Mikat P, Hrsg. Lexikon der Bioethik. Gütersloh: Chr. Kaiser Gütersloher Verlagshaus; 1998. 7. Laufs A. Handbuch des Arztrechtes. 3. Auflage. München: Beck; 2002. 8. Loewy EH. Ethische Fragen in der Medizin. Heidelberg: Springer; 1995. 9. Pöltner G. Grundkurs Medizin−Ethik. Wien: UTB für Wissenschaft; 2002. 10. Reich WT, ed. Encyclopedia of Bioethics. 2 nd ed. New York: Simon & Schuster, MacMillan; 1995. 11. Riha O. Ethik in der Medizin: Eine Einführung. Aachen: Shaker; 1998. 12. Sass HM, Kielstein R. Patientenverfügung und Betreuungsvollmacht. Münster: Lit; 2001 13. Schramme T. Bioethik. Frankfurt/M.: Campus; 2002. 14. Steinkamp N, Gordijn B. Ethik in der Klinik – ein Arbeitsbuch. Zwischen Leitbild und Stationsalltag. Neuwied, Köln, München: Luchterhand; 2003. 15. Wiesemann C, Erichsen H, Behrendt N, Biller−Andorno N, Frewer A, Hrsg. Pflege und Ethik. Leitfaden für Wissenschaft und Praxis. Stuttgart: Kohlham− mer; 2003. 16. Wiesemann C, Doerries A, Simon A, Wolfslast G, Hrsg. Das Kind als Patient. Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille. Frankfurt a. M.: Campus; 2003. 17. Wiesing U, Hrsg. Ethik in der Medizin: Ein Reader. Stuttgart: Reclam; 2000.
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Schwangerschaftsabbruch, Reproduktions− medizin und Embryonenforschung
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 29
L 3.1 Fallgeschichten Selektion eines Embryos bei In−vitro−Fertilisation Das Ehepaar Lisa und Jack Nash ist seit längerer Zeit in einer reproduktions− medizinischen Klinik in Behandlung, weil es sich ein zweites Kind wünscht. Einige In−vitro−Fertilisationszyklen sind schon erfolglos verlaufen, aber das Ehepaar möchte trotzdem nicht aufgeben. Ihre Tochter Molly – die ebenfalls mittels künstlicher Befruchtung zur Welt gekommen war – ist sechs Jahre alt. Vor wenigen Monaten haben die Eltern erfahren, dass Molly an der Fanconi− Anämie, einer schweren erblichen Beeinträchtigung des Knochenmarks, lei− det und in der nahen Zukunft eine Knochenmarkzellspende benötigen wird. Die Nashs bitten nun die Ärztin in der Reproduktionsmedizin, bei der In− vitro−Fertilisation einen Embryo auszuwählen, der 1. nicht die gleiche Er− krankung wie Molly hat und 2. seiner Schwester genetisch so nahe ist, dass er als Zellspender in Frage kommt. Stammzellen aus dem Nabelschnurblut des Neugeborenen könnten die todkranke Molly möglicherweise heilen. Auf kritische Nachfragen hin beteuern die Eltern, sie hätten sich sowieso noch ein Kind gewünscht und wollten jetzt nur versuchen, zugleich ihrer Molly noch eine Heilungschance zu bieten. Sollte sich aber unter den Embryonen kein möglicher Spender befinden, dann würden sie irgendeinen der Embryos übertragen lassen, der nicht an der gleichen Immunschwäche leidet. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie ist die Selektion eines Embryos (eines poten− ziellen Stammzellspenders bzw. eines nicht an Immunschwäche erkrankten Embryos) unter diesen Bedingungen zu beurteilen?
Pränataldiagnostik und Morbus Huntington Eine 25−jährige schwangere Frau bittet um genetische Pränataldiagnostik. In ihrer Familie ist der Vater vor Jahren an der Huntingtonschen Erkrankung verstorben. Dieses autosomal dominant vererbte Leiden tritt im Alter von 30–50 Jahren auf. Es geht mit schweren Bewegungsstörungen sowie mit einer Demenz einher und führt nach Jahren zum Tode. Die Tochter hat sich nicht testen lassen, weil ihr die Vorstellung unerträglich schien, mit dem Wissen zu leben, auch ihr stehe das gleiche Schicksal bevor. Jetzt aber möchte sie zumindest die Gewissheit haben, dass ihr Kind nicht von der Erkrankung betroffen ist. Sollte es Genträger sein, wolle sie einen Schwan− gerschaftsabbruch durchführen lassen. Das Risiko des Kindes, das Gen vom Großvater geerbt zu haben, beträgt 25 %. R Jetzt sind Sie gefragt: Halten Sie in diesem Fall genetische Diagnostik und ggf. einen Schwangerschaftsabbruch für gerechtfertigt?
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin
L 3.2 Schwangerschaftsabbruch Einführung
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Schwangerschaft und Geburt zählen zu jenen bedeutsamen Phasen im Leben von Menschen, welche die Medizin von jeher vor ethische Probleme gestellt haben. Heute sind es vor allen Dingen die wachsenden Eingriffsmöglichkei− ten vor und in der Frühphase der Schwangerschaft, die schwierige Fragen im Umgang mit Fortpflanzung und Elternschaft aufwerfen. Die besondere Kom− plexität dieser Probleme entsteht daraus, dass immer jeweils mehrere Men− schen gemeinsam – die (prospektiven) Eltern und ihr Kind – betroffen sind und dass diese Menschen teils auf engste leibliche Art und Weise mitei− nander verbunden sind. Um die ethische Debatte zu vereinfachen, hat man versucht, die beteiligten Akteure, also die Frau, den Mann und den Embryo, jeweils getrennt vonei− nander zu betrachten, ihre jeweiligen Rechte zu identifizieren und gege− neinander abzuwägen. Dieses Verfahren ist hilfreich, wird der Sachlage aber nicht immer gerecht. Vor allen Dingen die enge leibliche und biographische Einheit von Frau und Embryo in der Schwangerschaft lässt eine solche gedankliche Trennung als künstlich und unangemessen erscheinen. Mit dem Slogan Mein Bauch ge− hört mir!“ haben Frauen in den 1960 er und −70 er Jahren darauf aufmerksam gemacht und für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs demonst− riert. In Deutschland wird der Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Be− dingungen strafrechtlich nicht verfolgt (§ 218 StGB). Bis zur 12. Schwanger− schaftswoche bleibt ein Abbruch straffrei, wenn die betroffene Frau nach− weist, dass sie über die Möglichkeit einer Fortführung der Schwangerschaft beraten wurde. Aber auch nach diesem Zeitpunkt ist ein Abbruch möglich, wenn die Fort− führung der Schwangerschaft mit schwerwiegenden seelischen oder körper− lichen Risiken für die Frau verbunden ist. Diese Regelung ermöglicht eine Beendigung der Schwangerschaft nach Pränataldiagnostik (PND, s. u.), deren Ergebnis oft erst im zweiten Schwangerschaftsdrittel, selten sogar erst im dritten Trimenon zur Verfügung steht. R Dokument § 218, § 218 a s. S. 37–38.
Pränataldiagnostik (PND) Die pränatale Diagnostik wird seit ihrer Einführung vor über zwanzig Jahren von einer kontinuierlichen ethischen Debatte begleitet, obwohl sie inzwi− schen von vielen Frauen genutzt wird. Neben einer Vielzahl nichtgenetischer Verfahren (Ultraschalluntersuchung, Proteinbestimmungen im Fruchtwas− ser, Serum−Marker−Tests) werden vor allem die Chorionzottenbiopsie (7.–10. SSW) und die Amniozentese verwendet (9.–15. SSW). Weil die Amniozentese mit einem niedrigeren Abortrisiko als die Chorion− zottenbiopsie (Abortrisiko 1–2 %) belastet ist, wird sie häufig bevorzugt, auch wenn sie erst später eingesetzt werden kann. Da das diagnostische Ergebnis manchmal erst relativ spät vorliegt, kann es in seltenen Fällen zur zusätz− lichen ethischen Problematik der so genannten Spätabtreibung kommen, bei der der Fetus schon außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig wäre.
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 31 Schwangere Frauen können die Zeit des Wartens auf ein Testergebnis sehr ambivalent empfinden. Obwohl die Phase der Schwangerschaft auf Probe“ als belastend empfunden wird und manche Paare einen Schwangerschafts− abbruch überhaupt nicht in Betracht ziehen, kommt es nicht selten dennoch zu einem gewissen Automatismus der Diagnostik, z. B. durch den unkriti− schen Einsatz von Bluttests in der gynäkologischen Praxis. Eine umfassende, nicht direktive, d. h. ergebnisoffene Beratung des Paares (s. Kap. 4, S. 49), die auch die Konsequenzen einer Diagnostik ins Auge fasst, findet gelegentlich gar nicht oder zu spät statt.
Der moralische Status des Embryos
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Die ethische Debatte um die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbruch und PND konzentriert sich auf die Frage nach dem moralischen Status des Em− bryos. Untersucht wird dabei nicht nur, ab wann – biologisch gesehen – menschliches Leben beginnt, sondern vor allem, ab wann diesem Leben der volle rechtstaatliche Schutz zukommen soll. Zwei häufig vertretene Positionen lassen sich voneinander abgrenzen: Die eine geht von einer absoluten Schutzwürdigkeit des Embryos vom Beginn der Befruchtung an aus: Mit der Befruchtung sei der Embryo biologisch Mitglied der Gattung Mensch (Speziesargument). Seine Entwicklung verlaufe kontinuierlich, Zäsuren seien also artifiziell (Kon− tinuitätsargument). Er habe die Potenz, sich in einen Menschen zu entwickeln (Potenzialitäts− argument). Er sei mit dem Menschen, zu dem er sich einmal entwickele, identisch (Identitätsargument). Aus all diesen Gründen müsse der Embryo dieselben Rechte beanspruchen können wie ein erwachsener Mensch. Kritiker haben gegen jedes dieser Argumente Einwände vorgebracht: Die biologische Zugehörigkeit allein könne keinen Rückschluss auf morali− sche Rechte begründen. Auch wenn die Entwicklung des Embryos kontinuierlich verläuft, ließen sich dennoch moralisch relevante Zäsuren identifizieren. Am häufigsten werden genannt: Aufnahme des befruchteten Eis in die mütterliche Gebärmutter, Beginn der Lebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter, Ausbildung des Ner− vensystems und Geburt. Ein potenzieller Mensch habe nicht automatisch die gleichen Rechte wie ein Mensch; der Kronprinz als potenzieller König habe z. B. auch nicht die Rechte des Königs. Die Identität von Embryo und Mensch könne sich nicht nur auf die geneti− sche Substanz beziehen, sonst müssten z. B. Blutzellen genauso geschützt werden wie der Mensch selbst. Daher könne Identität allenfalls an Personen− eigenschaften gebunden werden, die sich aber erst später in der Entwicklung ausbildeten. Vertreter dieser zweiten Position gehen daher nicht von einer absoluten Schutzwürdigkeit des Embryos aus, sondern binden sie an bestimmte Eigen− schaften oder Fähigkeiten, die erst im Laufe der Schwangerschaft erworben werden. Sie halten in manchen Stadien eine Abwägung zwischen Schutz− interessen des Embryos und anderen Interessen für zulässig.
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin Dem grundsätzlichen und möglicherweise nicht auflösbaren ethischen Kon− flikt um den moralischen Status des Embryos lässt sich, so eine dritte Posi− tion, ausweichen, wenn man die Einzigartigkeit der leiblichen und biogra− phischen Verbundenheit von Frau und Embryo in der Schwangerschaft be− rücksichtigt. Diese besondere und einmalige Situation menschlicher (Ko−)Existenz erfor− dere besondere Lösungen, die nicht automatisch auf andere Phasen men− schlichen Lebens übertragen werden dürfen. So scheint eine Abwägung der Interessen der Frau gegen die Interessen des Embryos deshalb gerechtfertigt, weil die Frau die unabdingbare Voraussetzung für das Menschsein des Em− bryos ist. Ein Schutz der Interessen des Embryos könne also primär nur durch die Frau und damit nicht gegen die Interessen der Frau erfolgen. Diesem Tatbestand trägt auch jetzt schon unsere Rechtsprechung Rechnung, indem Frauen z. B. nicht gezwungen werden, so genannte verwaiste (d. h. im Rah− men einer In−vitro−Fertilisation befruchtete, aber nicht implantierte) Em− bryonen auszutragen. Selbstbestimmung und leibliche Integrität der Frau werden höher bewertet als das Überlebensrecht des Embryos. Kritiker des abgestuften oder graduellen Lebensschutzes argumentieren nicht nur mit dem moralischen Status des Embryos, sondern auch mit den gesellschaftlichen Folgen. Sie befürchten, dass der Lebensschutz generell ausgehöhlt werde könnte. Auch schon geborene, aber z. B. geistig behinderte Menschen wären dann gefährdet. Dieses so genannte Slippery Slope“− oder Dammbruchargument ist allerdings problematisch, denn es geht von vielen ungeprüften Voraussetzungen aus. Es unterstellt z. B., dass Menschen nicht in der Lage sind, einen Unterschied zwischen einem wenige Tage oder Wo− chen alten Embryo und einem erwachsenen Menschen zu machen, oder dass unsere gesellschaftliche Ordnung fehlerhaften Entwicklungen nicht Einhalt gebieten kann. Dammbruchargumente beruhen oft auf subjektiven, nicht überprüfbaren Zukunftsprognosen. Argumente, die plausibel sein und als ethisches Argument zählen sollen, müssen sich jedoch auf möglichst viele überprüfbare Fakten beziehen.
L 3.3 Reproduktionsmedizin Künstliche Befruchtung und In−vitro−Fertilisation Die hier skizzierten ethischen Fragen haben sich durch die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung und In−vitro−Fertilisation (IVF) noch weiter ver− schärft. Durchgeführt werden in Deutschland derzeit O die künstliche Befruchtung mittels Spendersamen und O die Befruchtung im Reagenzglas (In−vitro−Fertilisation). Hierzu zählt auch die Injektion von Samenzellen direkt in die Eizelle (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion [ICSI]). IVF ist nach den Richtlinien der deutschen Ärzte− schaft nur bei heterosexuellen Paaren in fester Partnerschaft erlaubt. Die künstliche Befruchtung ermöglicht prinzipiell – wie die Adoption – die gespaltene Elternschaft, d. h. ein Kind kann unterschiedliche genetisch−leib− liche und soziale Eltern haben. Anders als bei der Adoption kommt es aber bei der Befruchtung mittels Eizell− oder Embryospende – die in Deutschland übrigens nicht erlaubt sind – zu− sätzlich auch zu einer Auftrennung von genetischer und leiblicher Mutter− schaft, d. h. die Frau, die das Kind austrägt, ist nicht die genetische Mutter des Kindes. Ein solches Verfahren ermöglicht in einigen Ländern (Italien, USA)
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 33 Frauen eine Schwangerschaft, die z. B. durch Krankheit funktionsunfähige Eierstöcke haben. Schließlich kann IVF auch bei Leihmutterschaft zum Ein− satz kommen: Dabei trägt eine Frau für die zukünftigen sozialen und ggf. auch genetischen Eltern ein Kind aus, u. U. auch gegen Bezahlung. Adoption und Gametenspende (Eizell− oder Samenspende), aber vor allen Dingen die Leihmutterschaft, stellen die beteiligten Personen, d. h. die Eltern wie die Kinder, vor nicht unbeachtliche soziale und seelische Probleme. Sie bringt bis dahin unbekannte neue verwandtschaftliche Verhältnisse und da− mit belastende Rollenkonflikte mit sich. Diskutiert wird außerdem, ob Kin− der ein Recht auf Kenntnis ihrer genetischen Abstammung haben. In Deutschland wird dies bejaht. Andere Länder erlauben dagegen nur die anonyme, meist kommerzielle Gametenspende. Eine Eizellspende gegen Entgelt erbringt in Spanien z. B. ca. 500 Euro; sie ist für die Frau jedoch mit teils nicht unerheblichen körperlichen Risiken durch die hormonelle Stimu− lation verbunden. In England werden deshalb nur solche Frauen gebeten, Eizellen zu spenden, die selbst eine IVF für sich in Anspruch nehmen. Die Leihmutterschaft, die in einigen Fällen in den USA praktiziert wurde, hat heftige Kritik auf sich gezogen, weil sie eine besonders schwere Form der Instrumentalisierung von meist sozial schlecht gestellten Frauen darstelle. Gegeneinander abgewogen werden in allen diesen Fällen das Recht auf re− produktive Autonomie, d. h. auf Selbstbestimmung der Frau bzw. des Paares in Fragen der Fortpflanzung, gegen die Pflicht des Staates, seine Bürger (ein− schließlich der Kinder) vor Schaden und Instrumentalisierung zu bewahren. Ein Recht auf ein gesundes Kind“ von dem gelegentlich – polemisch – in den Debatten die Rede ist, kann es jedoch nicht geben. Schon allein aus prakti− schen Gründen wäre ein solches Recht nicht realisierbar: Nur der kleinere Teil aller Formen kindlicher Behinderung ist derzeit pränatal diagnostizier− bar. Die Verbreitung der IVF führte zur Verabschiedung des Embryonenschutz− gesetzes in Deutschland im Jahre 1990. Demnach ist die Befruchtung von Eizellen außerhalb des Körpers der Frau nur zum Zweck der künstlichen Befruchtung erlaubt. Es dürfen nicht mehr Embryonen hergestellt werden, als der Frau implantiert werden sollen. In Deutschland sind dies maximal drei, um die Häufigkeit von gefährlichen Mehrlingsschwangerschaften zu reduzieren. Als schützenswertes menschliches Leben wird jeder Embryo nach Verschmelzung der beiden Vorkerne definiert. Diese im internationalen Vergleich restriktiven Richtlinien sind in letzter Zeit kritisiert worden. Die Definition des Embryos führt dazu, dass in Deutsch− land Eizellen befruchtet werden, aber noch vor Beginn der Verschmelzung der Vorkerne eingefroren werden. Dies ist für die beteiligten Frauen ein sinnvolles Vorgehen, weil es die Anzahl der belastenden Eizellentnahmen verringert. Es führt allerdings dazu, dass in den IVF−Zentren befruchtete Eizellen lagern, die aller Wahrscheinlichkeit nach keiner IVF mehr zugeführt werden und nach einer gewissen Zeit durch Auftauen vernichtet werden. Die Verwendung dieser befruchteten Eizellen für die Herstellung embryonaler Stammzellen ist derzeit umstritten (s. S. 35–37). R Dokument Embryonenschutzgesetz s. S. 38–40.
Präimplantationsdiagnostik (PID) Anders als die Pränataldiagnostik (PND) wird die Präimplantationsdiagnos− tik (PID) mittels PCR−Technik gegenwärtig in Deutschland nicht praktiziert,
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin weil das Embryonenschutzgesetz diese Option nach Meinung der Mehrheit der Interpreten nicht zulässt. Bei dieser Technik wird am dritten Tag nach der Befruchtung eine Zelle eines in vitro erzeugten Embryos für die DNA−Analyse entnommen. Ob der Embryo der Frau implantiert wird, hängt vom Ergebnis der Testung ab. Das deutsche Embryonenschutzgesetz sieht in jeder Zelle, die sich wiederum zu einem Embryo entwickeln könnte (totipotente Zelle), einen schutzwürdigen Em− bryo, dessen Verbrauch zu diagnostischen Zwecken unzulässig ist. Zum Zeit− punkt der Diagnostik könnten einzelne Zellen jedoch noch totipotent sein. Die Zulassung dieser Technik wird von jenen gefordert, die es widersprüch− lich finden, PND mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch an einem entwickelten Embryo zuzulassen, PID aber nicht. Die Präimplantationsdia− gnostik ist in anderen Ländern zugelassen (z. B. in England, Belgien, USA) und wird am häufigsten bei X−chromosomal oder autosomal rezessiven Erkran− kungen eingesetzt (z. B. bei Muskeldystrophie Duchenne, Mukoviszidose); auch die Diagnose dominanter Erkrankungen wie Morbus Huntington ist möglich. Sie kann allerdings nur zusammen mit der für die Frau sehr auf− wändigen In−vitro−Fertilisation erfolgen und wird deshalb verhältnismäßig selten angewendet. In den USA oder England wird PID allerdings auch schon als Screening− Methode bei IVF eingesetzt, um die nach wie vor nicht besonders guten Schwangerschaftsraten zu verbessern. Kritiker der PID befürchten, dass da− mit der Züchtung“ von Menschen mit erwünschten Eigenschaften Tür und Tor geöffnet wird, wenn erst mit der vollständigen Erforschung des mensch− lichen Genoms das nötige Wissen dafür vorhanden ist. Aber auch hier gilt, was schon oben über Dammbruchargumente gesagt wurde: Sie beruhen oft auf Zukunftsprognosen, die zumindest als unsicher einzustufen sind. Zu bedenken ist in jedem Fall, dass sich gerade im Umgang mit mensch− lichem Leben in der Reproduktionsmedizin die Einstellung einer Gesellschaft zum Menschen und seiner Instrumentalisierbarkeit offenbart. Dies legt allen Beteiligten eine besondere Verantwortung auf. Das gilt auch für Reproduk− tionsmediziner, die in der Phase von der Eizellentnahme bis zur Implantation einer befruchteten Eizelle direkten Zugriff auf den Beginn menschlichen Lebens erhalten.
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 35
L 3.4 Embryonenforschung, Forschung an Stammzellen, Klonen Verbrauchende Forschung an menschlichen Embryonen, humane embryonale Stammzellen Unter verbrauchender Forschung an menschlichen Embryonen versteht man Forschung, die zu einer Zerstörung der befruchteten Eizelle führt. Sie ist laut Embryonenschutzgesetz in Deutschland nicht gestattet. Dabei besteht eine moralische Inkonsistenz in der Tatsache, dass IVF in Deutschland zwar er− laubt ist, Forschungen, die zu einer Verbesserung dieser Technik und damit möglicherweise zu einer größeren Erfolgsrate für die beteiligten Frauen führen – wie z. B. Forschungen zu den Methoden der Kryokonservierung von Embryonen – aber nicht zulässig sind. Verbesserte Techniken werden derzeit aus anderen Ländern übernommen, in denen diese Art der Forschung durchgeführt werden darf. Die Debatte um die Zulässigkeit der verbrauchenden Forschung an mensch− lichen Embryonen erhielt Aktualität durch die Entdeckung des Potenzials humaner embryonaler Stammzellen (hES). Stammzellen sind Zellen, die sich zu Zellen verschiedener Organtypen ent− wickeln können. So genannte adulte Stammzellen kommen im ausgewach− senen Organismus vor (z. B. im Knochenmark). Stammzellen können aber auch aus befruchteten menschlichen Eizellen hergestellt werden, indem sie zu Zellverbänden weitergezüchtet werden; man nennt sie dann embryonale Stammzellen (s. Tab. 1). Tabelle 1
Humane Stammzellen adulte Stammzellen
embryonale Stammzellen (hES)
Vorkommen/Herstellung
Vorkommen im ausge− wachsenen Organismus (z. B. Knochenmark)
Entwicklung aus befruch− teten menschlichen Eizel− len
therapeutische Anwen− dung
z. B. zur Knochenmark− Therapieversuche z. B. bei transplantation bei Leukä− Morbus Parkinson (experi− mie (z. T. etablierte mentelle Therapie) Therapie)
rechtliche Regelungen
allg. Bestimmungen zur Einwilligung nach Aufklä− rung von Spender und Empfänger
Stammzellgesetz (s. S. 36)
Nach entsprechenden Versuchen mit Mäusen setzen Wissenschaftler große Hoffnung in das therapeutische Potenzial der hES. Die Vorstellungen gehen dahin, nicht mehr regenerierbares Gewebe wie z. B. Nervenzellen durch hES zu ersetzen. Versuche mit hES bei Parkinsonpatienten, die aus Föten nach einem Schwangerschaftsabbruch hergestellt worden waren, verliefen teils hoffnungsvoll, teils enttäuschend. Schon diese Instrumentalisierung des Fö− tus wurde kritisiert. Nun stellt sich die Frage, ob es mit einem angemessenen Umgang mit menschlichem Leben vereinbar ist, Embryonen zu Stammzellen weiterzuzüchten.
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin In der Diskussion werden die oben beschriebenen Positionen zum morali− schen Status des Embryos vorgetragen (s. S. 31). Zusätzlich wird kritisch vorgebracht, dass es sich hier um eine reine Verzweckung des Menschen handele. Der Mensch werde als Rohstoff und als Ware behandelt. Dies sei mit der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde nicht vereinbar. Die zu befürchtende Kommerzialisierung im Fall der Entwicklung eines therapeu− tischen Verfahrens würde Embryonen zum Handelsprodukt der biotechno− logischen Industrie und Frauen zu Lieferantinnen dieser Ware“ degradieren. Die Erforschung adulter Stammzellen stelle eine geeignete Alternative dar. Befürworter halten dagegen, dass sich mit der Technik große Hoffnungen für schwer kranke Menschen verbinden. Eine Abwägung von Interessen müsse erlaubt sein, wenn in unserer Gesellschaft auch postkonzeptionelle Verhü− tung und Schwangerschaftsabbruch zulässig seien. Es sei inkonsequent, dass in Deutschland befruchtete Eizellen lagern, die nicht mehr in der IVF ver− wendet werden, aber dennoch nicht für solche sinnvollen Zwecke gespendet werden dürften. Ferner sei fraglich, ob das Konzept der Menschenwürde auf Embryonen im Frühstadium anwendbar sei. Im Frühjahr 2002 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Stammzell− gesetz, das eine Einfuhr von hES aus anderen Ländern, nicht aber die Produk− tion von hES in Deutschland erlaubt. Um einer Kommerzialisierung der Her− stellung von hES vorzubeugen, dürfen nur Stammzellen verwendet werden, die vor einem bestimmten Stichtag erzeugt worden sind. Die Zellen dürfen nur für besonders hochrangige Forschungsprojekte und nach Prüfung durch eine Kommission verwendet werden. Das Gesetz nimmt somit eine Mittel− stellung zwischen beiden Positionen ein und versucht, die Gefahr miss− bräuchlicher Verwendung zu reduzieren.
Experimentelles reproduktives und therapeutisches Klonen Erfolgreiche Versuche an Säugetieren (Schaf Dolly“) rückten vor einiger Zeit die Möglichkeit des reproduktiven Klonens von Menschen in greifbare Nähe. Befürworter dieser Technik argumentieren damit, dass schon die Natur selbst mit eineiigen Zwillingen Klone hervorbringe und dass die Technik z. B. dabei behilflich sein könne, Eltern den Schmerz über den Verlust eines früh verstorbenen Kindes zu nehmen. Zudem könne sie es Paaren ermögli− chen, ein genetisch eigenes Kind zu bekommen, selbst wenn einer der Part− ner unfruchtbar ist. Meist jedoch wird die Anwendung des Klonens zur Hervorbringung eines genetischen Zwillings eines schon lebenden oder verstorbenen Menschen einhellig verurteilt. Die Unverfügbarkeit der Person werde so in Frage ge− stellt. Der Philosoph Jürgen Habermas argumentiert, das reproduktive Klo− nen stelle eine Art Versklavung eines Menschen dar. Schon aus praktischen Gründen ist die Durchführung der Technik gegenüber der beteiligten Frau und dem zu gebärenden Kind nicht zu rechtfertigen. Die entsprechenden Versuche mit Schafen mussten hundertfach durchgeführt werden, es ent− standen dabei zahllose missgebildete Lämmer. Ein derartiger Versuch am Menschen wäre sowohl für die beteiligte Frau wie auch für das Kind mit sehr großen Risiken verbunden. Dagegen wurde das therapeutische Klonen vor kurzem in England zugelas− sen. Hierbei handelt es sich um eine Technik zur Herstellung von embryo− nalen Stammzellen mit nahezu gleicher genetischer Ausstattung wie jene des Spenders (s. Tab. 2).
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 37 Tabelle 2
Gegenüberstellung: reproduktives und therapeutisches Klonen
reproduktives Klonen
therapeutisches Klonen
Ziel: Herstellung eines genetischen Zwillings eines lebenden oder bereits toten Lebewesens
Ziel: Herstellung embryonaler Stamm− zellen zur Therapie
Beispiel: Schaf Dolly“
Beispiel: Experiment in England bewil− ligt
Ziel beim therapeutischen Klonen ist, die Gefahr einer Abstoßungsreaktion bei der Therapie mit embryonalen Stammzellen zu verringern. Dazu wird der Kern einer Körperzelle des Spenders in eine entkernte menschliche Eizelle transferiert. Die so entstandene befruchtete“ Eizelle ist in der Lage, sich wie ein Embryo weiterzuentwickeln. Die entstehenden Zellen könnten dem Spender dann im Rahmen einer Therapie – z. B. als Organersatz bei Insuffi− zienz der Bauchspeicheldrüse – implantiert werden. Kritiker wenden dagegen ein, dass diese Technik als Wegbereiter für das reproduktive Klonen dienen könne und deshalb abzulehnen sei. Zudem han− dele es sich auch bei den durch diese Technik hergestellten, entwicklungs− fähigen Eizellen um Embryonen und damit um schützenswertes Leben.
L 3.5 Dokumente und Websites zum Thema Strafgesetzbuch: Besonderer Teil (§§ 80–358), 16. Abschnitt – Straftaten gegen das Leben (§§ 211–222) § 218 Schwangerschaftsabbruch (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Ab− schluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes. [. . .] § 218 a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünfti− gen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis ange− zeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegen− den Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustan− des der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschafts− abbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenom− men wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwan− geren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwanger− schaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen ver− strichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat. [Quelle: http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stgb/index.html]
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Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) vom 13. Dezember 1990 Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
1. 2.
3.
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7.
2.
§ 1 Missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt, es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruch− ten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen, [. . .] einer Frau einen Embryo vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnimmt, um diesen auf eine andere Frau zu übertragen oder ihn für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden, oder es unternimmt, bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach der Geburt Dritten auf Dauer zu überlassen (Ersatzmutter), eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen. (2) Ebenso wird bestraft, wer [. . .] eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle künstlich ver− bringt, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt. [. . .] § 2 Missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen (1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräu− ßert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld− strafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extra− korporal weiterentwickelt. [. . .] § 3 Verbotene Geschlechtswahl Wer es unternimmt, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom aus− gewählt worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 39 Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldys− trophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden ge− schlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohen− de Erkrankung von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt worden ist. § 4 Eigenmächtige Befruchtung, eigenmächtige Embryoübertragung und künstliche Befruchtung nach dem Tode (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. es unternimmt, eine Eizelle künstlich zu befruchten, ohne dass die Frau, deren Eizelle befruchtet wird, und der Mann, dessen Samenzelle für die Befruchtung verwendet wird, eingewilligt haben, 2. es unternimmt, auf eine Frau ohne deren Einwilligung einen Embryo zu übertragen, oder 3. wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tode künstlich befruchtet. [. . .] § 5 Künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen [. . .] (2) Ebenso wird bestraft, wer eine menschliche Keimzelle mit künstlich veränderter Erbinformation zur Befruchtung verwendet. [. . .] § 6 Klonen (1) Wer künstlich bewirkt, dass ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [. . .] § 7 Chimären− und Hybridbildung (1) Wer es unternimmt, 1. Embryonen mit unterschiedlichen Erbinformationen unter Verwendung mindestens eines menschlichen Embryos zu einem Zellverband zu vereini− gen, 2. mit einem menschlichen Embryo eine Zelle zu verbinden, die eine andere Erbinformation als die Zellen des Embryos enthält und sich mit diesem weiter zu differenzieren vermag, oder 3. durch Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder durch Befruchtung einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Men− schen einen differenzierungsfähigen Embryo zu erzeugen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [. . .] § 8 Begriffsbestimmung (1) Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, ent− wicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. [. . .]
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin (3) Keimbahnzellen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Zellen, die in einer Zell−Linie von der befruchteten Eizelle bis zu den Ei− und Samenzellen des aus ihr hervorgegangenen Menschen führen, ferner die Eizelle vom Einbrin− gen oder Eindringen der Samenzelle an bis zu der mit der Kernverschmel− zung abgeschlossenen Befruchtung. [. . .] [Quelle: Auszüge aus dem Embryonenschutzgesetz http://bundesrecht.ju− ris.de/bundesrecht/eschg/index.html]
Weitere Dokumente und Websites
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1. Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen. Aufsätze, Berichte, Dis− kussionsbeiträge, Kommentare im Deutschen Ärzteblatt seit der Veröffent− lichung des Diskussionsentwurfs zu einer Richtlinie zur Präimplantations− diagnostik“ am 3. März 2000 (Heft 9/2000) bis zum 3. Mai 2002 (Heft 18/ 2002): http://www.bundesaerztekammer.de/30/Ethik/10FortGenetik/ 20PID.pdf 2. Duden B, Zimmermann B. Gutachten zum Thema: Aspekte des Wandels des Verständnisses von Gesundheit/Krankheit/Behinderung als Folge der moder− nen Medizin: http://www.bundestag.de/parlament/kommissionen/archiv/ medi/medi_gut_dud.pdf 3. Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen vom 3. Mai 2001: http://www.dfg.de/aktuelles _presse/reden_stellungnahmen/download/empfehlungen_stammzel− len_03_05_01.pdf 4. Erklärung des Weltärztebunds zum therapeutischen Schwangerschaftsab− bruch in Oslo, November 1983: http://www.bundesaerztekammer.de/30/ Auslandsdienst/99Handbuch2003.pdf (S. 102) 5. Erklärung der Bundesärztekammer zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik. In: Deutsches Ärzteblatt. 1998(95); Heft 47: A−3013–A− 3016: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=14480 6. European Council. Additional Protocol to the Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with Regard to the Applica− tion of Biology and Medicine, on the Prohibition of Cloning Human Beings; 1998: http://conventions.coe.int/treaty/en/treaties/html/168.htm 7. European Group on Ethics in Science and New Technologies. Ethical Aspects of Research Involving the Use of Human Embryos in the Content in the Context of the Fifth Framework Programme; 1998: http://europa.eu.int/ comm/european_group_ethics/docs/avis12_en.pdf 8. Gesellschaft für Humangenetik e.V. und Berufsverband Medizinische Gene− tik e.V. Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik; Oktober 2001: http://www.medgenetik.de/sonderdruck/1995−420.PDF 9. International Planned Parenthood Federation (IPPF). Charter on Sexual and Reproductive Rights; 2001: http://www.ippf.org/charter/index.htm 10. Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zur Genetischen Diagnostik vor und während der Schwangerschaft: http://www.ethikrat.org/stellungnah− men/pdf/Stellungnahme_Genetische_Diagnostik.pdf 11. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Richtlinien zur pränata− len Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen. In: Deutsches Ärzteblatt. 1998(95); Heft 50: A−3238: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/ pdf.asp?id=14769
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3 Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin 41 12. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Richtlinien zur Durch− führung der assistierten Reproduktion. In: Deutsches Ärzteblatt 1998(95); Heft 49: A−3166–A−3171: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Richtli− nien/Richtidx/Kuenstbefrucht_pdf.pdf 13. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik. In: Deutsches Ärzteblatt. 2000(97); Heft 9: A−525–528: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf. asp?id=21457
L 3.6 Basisliteratur zum Thema 1. Ach JS, Hrsg. Hello Dolly? Über das Klonen. Frankfurt a.M.: 1998. 2. Bockenheimer−Lucius G, Hrsg. Forschung an embryonalen Stammzellen: Ethische und rechtliche Aspekte. Köln: Deutscher−Ärzte−Verlag; 2002. 3. Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Hrsg. Enquete−Kommis− sion Recht und Ethik der modernen Medizin. Schlussbericht. Berlin: Media− Print; 2002. 4. Düwell M, Mieth D, Hrsg. Ethik in der Humangenetik: Die neueren Entwick− lungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive. Tübingen: Francke−Verlag; 1998. 5. Graumann S. Die somatische Gentherapie: Entwicklung und Anwendung aus ethischer Sicht. Tübingen: Francke−Verlag; 2000. 6. Haker H. Ethik in der genetischen Frühdiagnostik: Sozialethische Reflexion. Paderborn: Mentis; 2002. 7. Hölzle C, Wiesing U. In−vitro−Fertilisation: Ein umstrittenes Experiment. Fakten, Leiden, Diagnosen, Ethik. Berlin: Springer; 1991. 8. Kindl M. Philosophische Bewertungsmöglichkeiten der Abtreibung. Berlin: Duncker & Humblot; 1996. 9. Kuhlmann A. Abtreibung und Selbstbestimmung: Die Intervention der Me− dizin. Frankfurt a.M.: Fischer; 1996. 10. Leist A. Eine Frage des Lebens. Ethik der Abtreibung und der künstlichen Befruchtung. Frankfurt a.M., New York: Campus; 1990. 11. Merkel R. Forschungsobjekt Embryo. Verfassungsrechtliche und ethische Grundlagen der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. München: dtv; 2002. 12. Nationaler Ethikrat. Zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen. Stellungnahme. Berlin: Eigenverlag; 2002. 13. Oduncu F, Schroth U, Vossenkuhl W, Hrsg. Stammzellenforschung und the− rapeutisches Klonen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2002. 14. Rothmann BK. Schwangerschaft auf Abruf: Vorgeburtliche Diagnose und die Zukunft der Mutterschaft. Marburg: Metropolis−Verlag; 1989.
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L 4.1 Fallgeschichten Dickdarmkrebs und Genetik Herr Schmidt, ein 35−jähriger Mann, geht zu seinem Internisten, weil er eine Darmkrebs−Vorsorgeuntersuchung durchführen lassen will. Er berichtet, dass sein Großvater väterlicherseits mit 70 Jahren an Darmkrebs verstorben sei und sich sein Vater vor 15 Jahren (im Alter von damals 45 Jahren) eben− falls einer Darmkrebs−OP unterziehen musste. Der Internist entscheidet sich für eine Dickdarmspiegelung. Diese ist unauffällig. Angesichts der Familien− konstellation überweist er den Patienten an eine genetische Beratungsstelle, mit dem Hinweis, dass der Nachweis oder Ausschluss einer erblichen Darm− krebserkrankung Konsequenzen für das in Zukunft erforderliche Vorsorge− programm habe. In der Beratungsstelle wird Herr Schmidt darüber aufgeklärt, dass bei ihm in der Tat eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 50 % besteht, Anlageträger für eine bestimmte Form des erblichen Kolonkarzinoms zu sein. Dieses Karzinom führe auch häufig zu weiteren Tumoren an anderen Organen, z. B. an der Blase und am Magen. Molekulargenetische Untersuchungen der betreffen− den Gene würden jedoch nur bei Betroffenen durchgeführt; d. h. es wäre der Vater, bei dem zunächst eine DNA−Untersuchung durchgeführt werden müsste. Herr Schmidt zögert: Zum einen möchte er seinen Vater nicht weiter belasten; dieser sei froh, mit dem Thema Krebs nichts mehr zu tun zu haben. Zum anderen macht er sich Sorgen, ob ihm die Testergebnisse im Hinblick auf die Sicherheit seines Arbeitsplatzes und auf den von ihm beabsichtigten Wechsel in eine private Krankenversicherung nicht schaden könnten. R Jetzt sind Sie gefragt: Welche ethischen Überlegungen sind bei der Bera− tung von Herrn Schmidt zu berücksichtigen?
Thalassämie in Zypern Im Mittelmeerraum ist die Beta−Thalassämie, eine autosomal−rezessive erb− liche Erkrankung, am weitesten verbreitet. In Zypern ist fast jede siebte Person klinisch mehr oder minder unauffälliger Anlageträger (carrier“). Bei Kindern, die von beiden Eltern die genetische Anlage vererbt bekommen haben, tritt eine schwere Synthesestörung des roten Blutfarbstoffes auf, die neben einer ausgeprägten Anämie unter anderem eine erhöhte Infektanfäl− ligkeit und chronische Organschäden zur Folge hat. Wegen der Anämie wer− den häufig Bluttransfusionen benötigt. Laut einer englischen Studie sterben 50 % dieser Patienten vor dem 35. Lebensjahr. Zur Prävention der Erkrankung hat man sich im griechischen Teil Zyperns zu folgender Maßnahme entschlossen: Alle Zyprioten und Zypriotinnen, die heiraten wollen, müssen zuvor eine genetische Untersuchung auf die Anla− geträgerschaft für diese Erkrankung vornehmen lassen. Die orthodoxe Kirche erteilt ihren Segen für heiratswillige Paare erst dann, wenn die Teilnahme am Gentest nachgewiesen wurde. (Eine standesamtliche Trauung wie in Deutschland gibt es in Zypern nicht.) In der Folge sank die Erkrankungsrate in Zypern um über 90 %. Da die Behandlung der Thalassämie aufwändig ist, schlug sich die Verringerung der Erkrankungshäufigkeit auch in einer spür− baren Reduktion der Ausgaben im Gesundheitswesen nieder. R Jetzt sind Sie gefragt: Beurteilen Sie dieses Screening−Programm aus ethischer Perspektive.
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L 4.2 Genetische Diagnostik Relevanz für den Einzelnen und die Gesellschaft
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Die Auswirkungen genetischer Forschung auf Mensch und Gesellschaft zäh− len zu den besonders wichtigen und umstrittenen Themen moderner Medi− zinethik. Mit genetischer Diagnostik verbinden sich widerstreitende Gefüh− le: Auf der einen Seite Angst vor einem staatlichen Missbrauch genetischen Wissens wie in der Zeit des Nationalsozialismus (Eugenik des Volkskör− pers“), auf der anderen Seite die Hoffnung auf Erforschung und Bekämpfung von Krankheiten an ihrer Wurzel. Unter dem im 19. Jahrhundert geprägten, heute meist kritisch verwendeten Begriff der Eugenik versteht man die Verbesserung“ des Genpools einer abstrakten Größe (Volk, Gesellschaft). Gezielte eugenische Maßnahmen sind aus mehreren Gründen problematisch: O Sie beruhen vielfach auf einer zweifelhaften Unterscheidung zwischen gu− ten“ und schlechten“ Genen. O Sie sind oft wenig effektiv, weil viele gesundheitspolitisch oder ökonomisch bedeutsame Erkrankungen multifaktoriell verursacht werden und Spontan− mutationen häufig sind. O Sie ordnen die Interessen des Individuums denen der Gesellschaft oder Ge− meinschaft unter. Genetische Erkrankungen haben eine nicht unbeachtliche medizinische Re− levanz: Statistischen Angaben zufolge finden sich bei etwa 2–4 % aller Ge− burten schwere kindliche Erkrankungen oder Fehlbildungen, von denen al− lerdings nur die Hälfte rein genetischen Ursachen zugeschrieben werden. Man geht davon aus, dass auch bei Erkrankungen im Erwachsenenalter ge− netische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Das Zusammenspiel von Um− welt und Genetik ist hier allerdings oft sehr komplex, weshalb die Isolierung von genetischen Faktoren noch in den Anfängen steckt. Die derzeit verbrei− tete übertriebene Erwartung, alle Erkrankungen, Auffälligkeiten und uner− wünschten Verhaltensweisen genetisch erklären und damit letztlich behe− ben zu können, hat man kritisch als Genetisierung“ der Gesellschaft be− zeichnet. Welche genetische Ausstattung sich für einen Menschen jedoch letztlich als nachteilig erweist, wird außer von Umweltbedingungen auch von den Wert− haltungen in Medizin und Gesellschaft bestimmt. Die Kenntnis genetischer Prädispositionen kann von erheblichem ökonomischem Interesse sein. Es ist leicht nachvollziehbar, dass Arbeitgeber ein Interesse an genetischen Infor− mationen haben, um beispielsweise Mitarbeiter mit nur geringer Toleranz für toxische Stoffe von bestimmten Arbeitsplätzen auszuschließen. Für den Arbeitnehmer ist diese Information nicht selten – besonders in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit – ambivalent. Prädiktive Medizin birgt deshalb, auch wenn sie primär auf individuelle Leidensverminderung zielt, immer die Gefahr, zu Diskriminierung oder Stigmatisierung von Personen zu führen. Dazu ist nicht zwangsläufig ein totalitäres Regime vonnöten; auch subtile ökonomische und soziale Zwänge demokratischer Gesellschaften können erheblichen Druck auf das Individuum ausüben.
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Genetische Tests O O O
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Genetische Tests werden für verschiedene Situationen angeboten: Differenzialdiagnostik bei kranken Patienten. Prädiktive Diagnostik bei asymptomatischen Risikopersonen. Nachweis oder Ausschluss einer Anlageträgerschaft für bestimmte erbliche Erkrankungen – z. B. in Form von Heterozygotentests für autosomal−rezessiv erbliche Krankheiten. Vorgeburtliche Diagnostik (Pränataldiagnostik). Vereinzelt werden bereits so genannte pharmakogenetische Tests eingesetzt, um Aussagen über die Wirkung eines Arzneimittels bei bestimmten Perso− nengruppen treffen zu können. Der erste verfügbare prädiktive genetische Test wurde 1993 für die Chorea Huntington entwickelt. Diese neurodegenerative Erkrankung wird autoso− mal dominant vererbt und manifestiert sich zumeist zwischen dem 25. und 55. Lebensjahr. Neben motorischen und sensiblen Dysfunktionen führt sie zu affektiven Veränderungen und schließlich zur Demenz. Inzwischen existiert eine Vielzahl an Tests für autosomal wie auch x−chromosomal vererbte, dominante oder rezessive Krankheiten, deren Reliabilität und Validität je− doch unterschiedlich zu beurteilen sind. Das Beispiel der Huntingtonschen Erkrankung zeigte aber, dass das reine Wissen um das Erkrankungsrisiko ohne Möglichkeit einer Vorbeugung oder Behandlung für die Betroffenen zu einer schwer erträglichen Belastung werden kann. Viele Selbsthilfegruppen empfehlen daher Menschen mit einer positiven Familienanamnese nicht mehr, den Test durchführen zu lassen. Genetische Diagnostik betrifft nicht nur das Individuum selbst, sondern meist auch andere, mit dem Ratsuchenden verwandte Personen. Zur Siche− rung der Diagnose einer erblichen Brustkrebserkrankung ist beispielsweise auch die Untersuchung anderer Familienangehöriger erforderlich. Die Ratsu− chenden müssen über die Folgen für Familienmitglieder aufgeklärt werden, und die entsprechenden Angehörigen müssen ihre Zustimmung zur Unter− suchung geben. Ein Kind, an dem vor oder nach der Geburt eine genetische Diagnostik durchgeführt wurde, hat spätestens mit dem Erreichen der Voll− jährigkeit das Recht, über die Ergebnisse informiert zu werden, wenn es dies wünscht.
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4 Medizinische Genetik Genetische Diagnostik führt zudem bisher in den meisten Fällen nicht zu therapeutischen Konsequenzen für den Betroffenen, sondern allenfalls zu häufigeren Vorsorgeuntersuchungen (z. B. bei erblichem Brustkrebs), zu Fol− gen bei der Familienplanung (z. B. bei der Beta−Thalassämie) oder – im Fall von Pränataldiagnostik (s. S. 30–31) – zu einem Schwangerschaftsabbruch. Dies kann eine erhebliche Belastung für die Betroffenen darstellen, kann aber auch von ihnen als eine erwünschte Erweiterung der Handlungsoptionen begrüßt werden.
Genetisches Screening
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Im Gegensatz zu genetischen Tests geht es beim genetischen Screening nicht um eine individuelle Diagnostik aufgrund einer besonderen Risikokonstella− tion oder einer speziellen Symptomatik, sondern um die systematische Su− che nach Betroffenen oder Anlageträgern (carrier“) in einer Bevölkerung. Das so genannte Heterozygotenscreening, also die Suche nach meist asymp− tomatischen Personen von autosomal−rezessiv erblichen Krankheiten, soll v.a. der Familienplanung dienen. Entsprechende Programme existieren z. B. auf Sardinien und Zypern für die dort häufige Beta−Thalassämie, eine Störung der Hämoglobinsynthese, die zu Anämie und häufig zu verkürzter Lebens− erwartung führt. Bereits in den siebziger Jahren wurde in den USA im Rahmen einer öffent− lichen Gesundheitsmaßnahme versucht, die Prävalenz der Sichelzellanämie zu verringern, die sich besonders bei Personen afrikanischer Herkunft findet. Eine unglückliche, aber vorhersehbare Konsequenz war, dass manche Arbeit− geber ein negatives Testergebnis zur Einstellungsvoraussetzung machten. Anders waren die Erfahrungen mit dem Screening auf die Tay−Sachs−Erkran− kung. Dieses Leiden betrifft v.a. Ashkenazy−Juden (Angehörige einer ethni− schen Gruppe, die u. a. in Nordamerika leben) und führt zu mentaler Retar− dierung und in den meisten Fällen zum Tod vor dem 5. Lebensjahr. In diesem Falle waren es die Rabbiner als Leiter der jüdischen Gemeinden, die das Programm guthießen und umsetzten und damit dessen Akzeptanz verbes− serten. Vorbeugungsmaßnahmen“ bestehen bei all diesen Erkrankungen nur im Verzicht auf Kinder (wenn beide Eltern Träger der Anlage sind), in der ent− sprechenden Wahl des Partners (der nicht Anlageträger sein sollte) oder im Schwangerschaftsabbruch bzw. in der Durchführung von Präimplantations− diagnostik, falls praktisch möglich und gesetzlich zulässig (s. S. 33–34). Neben der Gefahr der Diskriminierung gibt es außerdem die Schwierigkeit, die Testergebnisse zu interpretieren und Wahrscheinlichkeitsaussagen für große Populationen zu machen, wie die noch anhaltende Diskussion um die BRCA (Breast−Cancer−Gene) zeigt. Die anfänglich berechneten hohen Wahr− scheinlichkeiten für das Auftreten eines Brustkrebses bei Vorliegen der Mu− tation wurden inzwischen deutlich nach unten korrigiert. Die Sicherheit der Prognose ist jedoch für die Betroffenen von entscheidender Bedeutung, ma− chen sie davon doch unter Umständen schwerwiegende Entscheidungen (wie z. B. die prophylaktische Entfernung beider Brüste) abhängig. Eine wei− tere psychologische Betreuung der betroffenen Frauen scheint unabdingbar zu sein. In Deutschland existieren bislang schon aufgrund des hohen tech− nischen Aufwandes und der damit einhergehenden Kosten keine genetischen Screening−Programme für Brustkrebs. Aber dieses Beispiel kann verdeutli− chen, dass es häufig nicht klar ist, wann und auf welche Weise ein Screening−
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Programm zum Nutzen der Bevölkerung durchgeführt werden kann. Unbe− strittene Voraussetzung ist jedoch in jedem Falle der Informed Consent (s. S. 19). Das gilt auch für das Neugeborenen−Screening, das in Deutschland derzeit nur auf behandelbare Erkrankungen hin durchgeführt wird (wie z. B. Phe− nylketonurie), das aber de facto ohne ausdrückliche elterliche Zustimmung erfolgt. Hier wird dem unmittelbaren Nutzen für das Kind Priorität gegen− über der elterlichen Autonomie gegeben. In einem bayerischen Modellversuch wird derzeit mit Hilfe der Tandem− Massenspektrometrie ein erweitertes Screening auf über 30 verschiedene Stoffwechselstörungen bei Neugeborenen durchgeführt. Auch diese Unter− suchung ist freiwillig, allerdings ist bei der Vielzahl der untersuchten Stö− rungen mit zum Teil unbekannten Konsequenzen für das Kind eine nicht− direktive und umfassende Beratung der Eltern nur begrenzt möglich. Kritisch wird auch gesehen, dass einige der diagnostizierten Stoffwechseldefekte nicht behandelbar sind, weshalb sich kein Nutzen für das Kind, wohl aber eine Beunruhigung der Eltern ergibt. Die Entwicklung von DNA−Chips, die eine umfassende, schnelle und kosten− günstige Analyse erlauben, wird das genetische Screening in nächster Zeit vermutlich technisch leichter durchführbar machen. Eine DNA−Probe, die auf eine winzige präparierte Glasoberfläche gegeben wird, kann so auf eine Vielzahl von Mutationen untersucht werden. Man erhofft sich von dieser technischen Anwendung, dass in Zukunft eine Vielzahl von genetischen Varianten schnell und auch kostengünstig diagnostiziert werden kann. DNA−Chips werfen das Problem auf, wie trotz der Vielzahl der untersuchten Gene noch eine angemessene genetische Beratung des zu Testenden durch− geführt werden kann.
L 4.3 Was passiert mit den Daten? Genetische Beratung Laut einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik muss jeder genetische Test von einer Beratung begleitet sein. Schon die Entscheidung zur Diagnostik bedarf der freien und informierten Zustim− mung der zu testenden Person. Auch nach dem Test muss der oder die Getestete die Mitteilung des Testergebnisses noch ablehnen können; dies entspricht dem Recht auf Nichtwissen. Bei Kindern und Jugendlichen darf ein Test nicht erfolgen, wenn kein unmittelbarer prophylaktischer oder thera− peutischer Nutzen für das jeweilige Individuum in Aussicht steht (wie es z. B. für einige erbliche Krebserkrankungen der Fall ist). Die Prinzipien der Ver− traulichkeit und Schweigepflicht sowie die Bestimmungen des Datenschut− zes müssen selbstverständlich gewahrt werden. Die genetische Beratung selbst soll nichtdirektiv erfolgen. Das heißt, die Beratung soll den Betroffenen in die Lage versetzen, selbst bezüglich weiterer Diagnostik oder bezüglich Fragen der Lebens− und Familienplanung ent− scheiden zu können. Damit soll der Autonomie des Ratsuchenden Rechnung getragen werden. Dieses Modell der nichtdirektiven Beratung ist häufig eher Ideal als Realität. Zum einen ist es für den Beratenden nicht einfach, sich von eigenen Über− zeugungen hinreichend zu distanzieren. Sofern sich wichtige präventive oder therapeutische Konsequenzen eröffnen, kann die Fürsorgepflicht des Arztes
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4 Medizinische Genetik mit dem Respekt vor der Patientenautonomie in Konflikt geraten. Darüber hinaus kommt es oft vor, dass nicht nur eine Person, sondern auch deren Angehörige oder Nachkommen mit betroffen sind. Deren Interessen müssen zusätzlich in die Erwägungen einbezogen werden. Auch deshalb versucht die humangenetische Beratung, multidisziplinär zu arbeiten und psychosoziale Aspekte angemessen zu berücksichtigen. Wenn Gentests in Zukunft zu einem Teil der klinischen Routinediagnostik werden, besteht allerdings die Gefahr, dass die hohen Qualitätsmaßstäbe, die sich die Humangenetik selbst gesetzt hat, mangels Kapazität nicht eingehal− ten werden können. Auch die Verbreitung von DNA−Chips zur Diagnostik wird allein durch die Menge der erhobenen Daten eine Beratung und damit eine angemessene Interpretation der Information erheblich erschweren. Zu− dem ist es auch in Deutschland heute schon möglich, eine Diagnose per Internet zu erhalten. R Dokument Leitlinien zur Genetischen Beratung s. S. 53–54.
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Genetische Datenbanken Eine andere Anwendung von DNA−Tests, der genetische Fingerabdruck“, der die individuelle Identifizierung erlaubt, wird bereits für Abstammungsbe− gutachtungen und die forensische Spurenanalyse verwendet. Darüber hin− aus können die genetischen Profile von Individuen oder sogar Proben von Individuen in DNA−Datenbanken gespeichert werden. Diese Datenbanken werfen zahlreiche ethische und rechtliche Fragen zum Thema Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung auf; insbesondere wenn sie kom− merziell betrieben und genutzt werden, wie es beispielsweise zurzeit in Island geschieht. Unbestritten ist, dass die Nutzung genetischer Daten, die ja immer auch einen Personenbezug ermöglichen, den Informed Consent des betroffenen Individuums erforderlich macht. Der ärztlichen Schweigepflicht muss genü− ge getan sein und eine missbräuchliche Verwendung der Daten ausgeschlos− sen werden. Beide Bedingungen sind allerdings nicht leicht zu erfüllen. Datenbankbetreiber können oft nicht im Detail festlegen, zu welchem Zweck die Daten in Zukunft genutzt werden. Selbst verschlüsselte Krankendaten unterliegen der Gefahr eines Missbrauchs oder müssen z. B. unter Umstän− den für polizeilichen Zugriff freigegeben werden. Für Betroffene ist gerade bei Computerdatenbanken oft nicht mehr nachvollziehbar, wo und von wem ihre Daten genutzt werden. Empfohlen wird in diesem Fall die Einrichtung einer Datentreuhänderschaft. Nur der Treuhänder hat dann Zugang zu den Verschlüsselungscodes. Er überwacht die Sicherheitsmaßnahmen eines Da− tenbankbetreibers und stellt ggf. fest, ob eine Ausweitung der Forschungs− fragen noch durch die Zustimmung der Betroffenen gedeckt ist. Empfohlen wird auch, dass Betreiber kommerzieller genetischer Datenbanken einen Teil ihres Gewinns – der sich ja unter anderem aus der altruistischen Spende vieler Individuen ergibt – in gemeinnützige Forschungsfonds investieren.
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4 Genetik und Versicherung Die Aufklärung vor einer genetischen Diagnostik sollte auch jetzt schon be− rücksichtigen, dass Wissen um genetische Dispositionen möglicherweise in Zukunft Nachteile beim Abschluss von Versicherungen mit sich bringt. Die gesetzliche Sozialversicherung berücksichtigt solche Daten nicht, aber pri− vate Krankenversicherer könnten – abhängig von der Verbreitung und Aus− sagesicherheit von Tests – zukünftig ihre Tarife auf der Basis solcher Risiko− daten berechnen. Auch die Lebensversicherer haben dies nicht ausgeschlos− sen. Bisher verlangen die deutschen Versicherungsgesellschaften zwar nicht, genetische Daten für die individuelle Risikoberechnung offen zu legen. Dies könnte sich jedoch in Zukunft mit wachsender Verbreitung genetischer Tests ändern. Dadurch würden Patienten wie Versicherer in ein Dilemma geraten: Für Patienten ergibt sich ein Konflikt, weil genetische Information für sie unter Umständen medizinisch notwendig, aber sozial nachteilig ist. Für Versiche− rer kann die korrekte Risikoberechnung durch einen möglichen Wissensvor− sprung des Versicherten oder potenziellen Kunden unmöglich werden; denn im Wissen um eine schlechte Prognose könnten z. B. einige versucht sein, Lebensversicherungspolicen mit besonders hohen Versicherungssummen abzuschließen. Dies würde sich in einer Verteuerung der Versicherungsprä− mien für alle niederschlagen und ginge damit zu Lasten aller Kunden. Das Prinzip der Gerechtigkeit würde also auf der einen Seite eine Offenlegung der Daten erforderlich machen. Auf der anderen Seite könnte eine Verpflichtung potenzieller Versicherungsnehmer zur Offenlegung aller Informationen zur systematischen Benachteiligung von Personen mit hohem genetischem Ri− siko führen. Hier ist ein Ausgleich von Individualinteressen und den Inte− ressen der Allgemeinheit erforderlich. Dazu könnte z. B. die Einrichtung spezieller Fonds für solche Gruppen zählen.
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L 4.4 Experimentelle Genetik Experimentelle Gentherapie
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Seit Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts experimentieren einige medizinische Zentren in den USA, Frankreich, Italien und auch Deutschland mit somatischer Gentherapie. Mit Hilfe von Viren als Vektoren versuchte man, Genabschnitte in erkrankte Organzellen einzuschleusen. In Anbetracht der großen Schwierigkeit, die Risiken dieses absolut neuen Verfahrens abzu− schätzen, begann man in den USA zunächst mit der Behandlung von neu− geborenen Kindern mit schwerster, zum Tode führender angeborener Im− munschwäche. Obwohl die ersten Versuche kaum signifikante Verbesserun− gen erbrachten, führte der große Optimismus, der diesem Verfahren entge− gengebracht wurde, dazu, dass immer mehr Patientengruppen – auch solche mit nicht unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankungen – eingeschlossen wurden. 1999 starb an einem solchen Eingriff der 18 Jahre alte Jesse Gelsinger. Er war in eine Versuchsreihe eingeschlossen worden, obwohl er an einer gut be− handelbaren angeborenen Leberfunktionsstörung litt. Über die bis dahin bekannten Risiken des viralen Transfers war er nicht ausreichend aufgeklärt worden. Die Analyse des Falls ergab im Nachhinein Hinweise dafür, dass die beteiligte Ethikkommission unter Druck gesetzt worden war und mindestens ein beteiligter Forscher finanzielle Interessen an der Entwicklung der Technik hatte. Der Tod Jesse Gelsingers brachte die gentherapeutischen Versuche weltweit nahezu zum Erliegen. Die ethische Rechtfertigung solcher Versuche ist deshalb so schwer, weil die Risiken des innovativen Verfahrens kaum abzuschätzen sind. Eine besonders kritische Risiko−Nutzen−Abschätzung und die kompromisslose Aufklärung der beteiligten Patienten ist deshalb vonnöten (s. Kap. 8, S.102–103). Überzogene Heilungserwartungen von Sei− ten der Forscher wie der Patienten und konfligierende Interessen des For− schers (z. B. an der Entwicklung eines Patents) können dem entgegenstehen. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat eine Kommission Somatische Gentherapie“ ins Leben gerufen, die lokale Ethikkommissionen bei der Begutachtung solcher Forschungsvorhaben berät. Ebenfalls große Hoffnungen richteten sich ursprünglich auf die Keimbahn− therapie, also den Versuch, genetische Defekte durch Gentransfer an be− fruchteten Eizellen bzw. Embryonen in einem sehr frühen Stadium zu be− handeln. Aufgrund der erschwerten Risikoabschätzung (missglückte Heil− versuche würden sich erst in der weiteren Entwicklung des behandelten Kindes zeigen), der Vererbbarkeit vorgenommener Eingriffe und der Mög− lichkeit eines missbräuchlichen Einsatzes einer solchen Technik für nicht− therapeutische Ziele der Genmanipulation wurde die Forschung zur huma− nen Keimbahntherapie im internationalen Bereich allerdings praktisch ein− gestellt. Die Keimbahntherapie wird u. a. durch das deutsche Embryonen− schutzgesetz und das Menschenrechtsübereinkommen des Europarates un− tersagt. R Dokument Embryonenschutzgesetz s. S. 38–40. R Dokument Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin s. S.145– 153.
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Genetisches Enhancement Die ethische Diskussion zu nichttherapeutischen Zielen der experimentellen Gentherapie wird unter dem Begriff des Genetic Enhancement“ geführt. Damit sind verbessernde“ Eingriffe gemeint, die sich nicht auf die Heilung einer Krankheit oder die Wiederherstellung von Gesundheit richten. Solche verbessernden Eingriffe werden auch mit konventionellen medizinischen Methoden durchgeführt, wie z. B. in der ästhetischen Chirurgie. Im Bereich genetischer Eingriffe besteht jedoch das zusätzliche ethische Problem, dass sich solche Eingriffe auf noch nicht geborene, einwilligungsunfähige Indivi− duen richten. Welcher Nutzen für das geborene Kind oder den zukünftigen Erwachsenen rechtfertigt einen solchen Eingriff? Wie viele Risiken dürfen dafür in Kauf genommen werden? Als mögliche Ziele für die Durchführung eines Genetic Enhancement“ werden z. B. höhere Intelligenz oder größere körperliche Leistungsfähigkeit genannt. Damit werden Teile der alten euge− nischen Debatte aus dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gewissermaßen wieder belebt. In der aktuellen ethischen Diskussion besteht jedoch weitgehende Einigkeit darüber, dass sich Eingriffe in die genetische Ausstattung eines Individuums derzeit, wenn überhaupt, nur aus therapeu− tischen oder präventiven Gründen und nach sorgfältiger Nutzen−Risiko−Ab− wägung rechtfertigen lassen.
L 4.5 Dokumente und Websites zum Thema Leitlinien zur Genetischen Beratung 1. Im Rahmen einer Genetischen Beratung werden Fragestellungen behandelt, die mit dem Auftreten oder der Befürchtung einer angeborenen und/oder genetisch (mit−)bedingten Erkrankung oder Behinderung zusammenhängen. Die Genetische Beratung soll einem Einzelnen oder einer Familie helfen, medizinisch−genetische Fakten zu verstehen, Entscheidungsalternativen zu bedenken und individuell angemessene Verhaltensweisen zu wählen. 2. Die Inanspruchnahme genetischer Beratung ist freiwillig. Sie darf nur unter Einhaltung der für ärztliche Maßnahmen geforderten Rahmenbedingungen (Aufklärungspflicht, Schweigepflicht, Datenschutz etc.) durchgeführt wer− den. Über Ziele und Vorgehensweisen sollte der Berater vorab informieren. In der Regel sollten diese Informationen schriftlich gegeben werden. Der Ratsuchende sollte sein Einverständnis zur Durchführung der Genetischen Beratung in der beschriebenen Form schriftlich erteilen. 3. Genetische Beratung erfolgt auf der Basis umfassender Anamnese− und Be− funderhebung (Eigenanamnese, Familienanamnese, letztere in der Regel do− kumentiert über mindestens drei Generationen). Nicht selbständig erhobene Befunde müssen unter medizinisch−genetischen Gesichtspunkten im Hin− blick auf ihre Validität geprüft werden. 4. Ein Beratungsgespräch dauert mindestens eine halbe Stunde. Bei Bedarf sollen wiederholte Gespräche angeboten werden. Bestandteil der geneti− schen Beratung ist eine schriftliche gutachtliche Stellungnahme, ggf. zusätz− lich eine schriftliche Zusammenfassung für die Ratsuchenden, in der alle für die jeweilige Situation wichtigen Informationen allgemeinverständlich zu− sammengefasst sind.
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5. Ein genetisches Beratungsgespräch umfasst: 5.1 Informationsgebung über: O Medizinische Zusammenhänge angeborener oder spätmanifestierender genetisch bedingter bzw. mitbedingter Erkrankungen und Behinderun− gen unter Einschluss von Ätiologie, Prognose, Therapie bzw. Prävention sowie prä− und postnatale Diagnostik und ihre Grenzen; die Bedeutung genetischer Faktoren bei der Krankheitsentstehung und deren Auswir− kungen auf die Erkrankungswahrscheinlichkeiten für Angehörige bzw. die/den zu Beratenden) selbst. Wenn möglich, muss eine Berechnung der Erkrankungsrisiken erfolgen. In anderen Fällen muss eine Abschätzung der Höhe von Erkrankungsrisiken versucht werden. O Im Falle exogener Belastungen mögliche Wirkungsmechanismen, tera− togene und/oder mutagene Risiken sowie Möglichkeiten von Prävention bzw. Therapie und pränataler Diagnostik. 5.2 Hilfe bei einer individuellen Entscheidungsfindung unter Berücksichti− gung der jeweiligen persönlichen bzw. familiären Situation. Eine beson− dere Bedeutung kommt dabei der Beachtung und Respektierung der individuellen Werthaltungen einschließlich religiöser Einstellungen so− wie der psychosozialen Situation der Ratsuchenden zu. 5.3 Hilfe bei der Bewältigung bestehender bzw. durch genetische Diagnostik neu entstandener Probleme. 6. Die Art der in einer genetischen Beratung zu bearbeitenden Probleme er− fordert eine Kommunikation im Sinne der personenzentrierten Beratung. Dies schließt jede direktive Einflussnahme des Beraters auf die Entscheidung der Ratsuchenden ebenso aus wie eine sog. aktive“ Beratung, d. h. die Kon− taktaufnahme durch den Berater mit nicht unmittelbar ratsuchenden Fami− lienangehörigen ohne deren ausdrücklichen Wunsch. Es bleibt in das Ermes− sen der Ratsuchenden gestellt, Familienangehörige über das Angebot gene− tischer Beratung zu informieren. 7. Zu den Voraussetzungen für die selbständige und verantwortliche Durch− führung genetischer Beratung und Begutachtung zählen der Nachweis einer mindestens zweijährigen Tätigkeit auf diesem Gebiet und die entsprechende Qualifikation (Facharzt für Humangenetik, Zusatzbezeichnung Medizinische Genetik, oder Fachhumangenetiker GfH/GAH). Hinsichtlich der Befugnis zur Ausübung der Tätigkeit im Einzelfall wird auf die Bestimmungen der Weiter− bildungs− und Berufsordnungen der Ärztekammern verwiesen. Die regel− mäßige Teilnahme an fachspezifischen Fortbildungsveranstaltungen ein− schließlich solcher zu ethischen und psychologischen Aspekten genetischer Beratung wird als eine unabdingbare qualitätssichernde Maßnahme ange− sehen. Eine kontinuierliche Supervision (z. B. Balintgruppe) wird empfohlen. [Quelle: Berufsverband Medizinische Genetik e.V., Deutsche Gesellschaft für Humangenetik. Leitlinien zur Erbringung humangenetischer Leistungen: 1. Leitlinien zur Genetischen Beratung. medgen.1996(8); Heft 3 (Sonderbeila− ge): 1–2: http://www.medgenetik.de/sonderdruck/1996−3−1.PDF]
Weitere Dokumente und Websites 1. Deutsche Forschungsgemeinschaft. Stellungnahme zur prädiktiven geneti− schen Diagnostik: http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnah− men/2003/redstell/praed_genetische_diagnostik.html
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2. Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V. Stellungnahme zum Heterozy− goten−Bevölkerungsscreening: b.PDF»http://www.medgenetik.de/sonder− druck/2000−376 b.PDF 3. Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V. Stellungnahme zur geneti− schen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen: http://www.medgenetik.− de/sonderdruck/2000−376 c.PDF 4. Komitee der Internationalen Huntington−Assoziation (IHA) und der For− schungsgruppe Chorea Huntington des Weltverbandes für Neurologie (WFN). Richtlinien für die Anwendung des präsymptomatischen molekular− genetischen Tests zur Huntington−Krankheit: http://www.dhh−ev.de/Richt− linien.doc 5. Nuffield Council on Bioethics. Report: Genetics and Human Behaviour; 2002: http://www.nuffieldbioethics.org/publications/pp_0000000015.asp 6. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e.V.: d.PDF»http://www.medgenetik.de/sonderdruck/2000−376 d.PDF 7. UNESCO. Universal Declaration on the Human Genome and Human Rights: http://www.unesco.org/ibc/index.html 8. Website der Deutschen Huntington Hilfe e.V.: http://www.dhh−ev.de
L 4.6 Basisliteratur zum Thema 1. Bartram CR, Beckmann JP, Breyer F, Fey G, Fonatsch C, Irrgang B, Taupitz J, Seel KM, Thiele F. Humangenetische Diagnostik: Wissenschaftliche Grundlagen und gesellschaftliche Konsequenzen. Berlin: Springer; 2000. 2. Baumann−Hölzle R, Bondolfi A, Ruh H, Hrsg. Genetische Testmöglichkeiten. Ethische und rechtliche Fragen. Frankfurt am Main: Campus; 1990. 3. Chadwick R. Genetic Screening and Ethics: European Perspectives. J Med Phil. 1998; 23: 255–273. 4. Bayertz K. Whats Special about Molecular Genetic Diagnostics? J Med Phil. 1998; 23: 247–254. 5. Düwell M, Mieth D, Hrsg. Ethik in der Humangenetik: Die neueren Entwick− lungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive. Tübingen: Francke; 2000. 6. Graumann S. Die somatische Gentherapie. Entwicklung und Anwendung aus ethischer Sicht. Tübingen: Francke; 2000. 7. Haker H. Ethik der genetischen Frühdiagnostik: Sozialethische Reflexionen zur Verantwortung am Beginn des menschlichen Lebens. Paderborn: mentis; 2002. 8. Henn W, Schroeder−Kurth T. Humangenetische Diagnostik – Die Macht des Machbaren. Deutsches Ärzteblatt. 1999; 96(23): A−1555−1556: http:// www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=17682. 9. Honnefelder L, Propping P, Hrsg. Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen? Köln: DuMont; 2001. 10. Lenk C. Therapie und Enhancement: Ziele und Grenzen der modernen Medi− zin. Münster: Lit; 2002. 11. Neuer−Miebach Th, Tarneden R, Hrsg. Vom Recht auf Anderssein. Anfragen an pränatale Diagnostik und humangenetische Beratung. Düsseldorf: Lebens− hilfe−Verlag; 1994. 12. Schöne−Seifert B, Krüger L, Hrsg. Humangenetik – Ethische Probleme der Beratung, Diagnostik und Forschung. Stuttgart: Gustav Fischer; 1993. 13. Swientek C, Hrsg. Was bringt die pränatale Diagnostik? Informationen und Erfahrungen. Freiburg: Herder Verlag; 1998.
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14. Thiele F. Genetische Diagnostik und Versicherungsschutz: Die Situation in Deutschland. Bad Neuenahr−Ahrweiler: Europäische Akademie zur Erfor− schung von Folgen wissenschaftlich−technischer Entwicklungen; 2000. 15. Zeitschrift für medizinische Ethik. Ausgabe zum Thema: Genetische Diag− nostik am kranken Menschen. 2002; 4, Schwabenverlag, Ostfildern.
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L 5.1 Fallgeschichten Wer soll spenden dürfen? Frau N. leidet an einer Niereninsuffizienz als Folge einer Glomerulonephritis. Seit zwei Jahren muss sie dreimal pro Woche an die Dialyse. Dies bedeutet eine erhebliche Belastung für die 27−jährige Patientin, die zwei kleine Kinder hat. Ihr Ehemann, der etliche Haushaltspflichten übernehmen musste, hat seinen Arbeitsplatz verloren und neigt zum Alkoholismus. Durch Gespräche mit anderen Dialysepatienten hat Frau N. von der Möglichkeit einer Lebend− spende erfahren. Von ihren Eltern und vier Geschwistern scheint nur der jüngste Bruder, Martin, in Frage zu kommen, da alle anderen selbst gesund− heitlich beeinträchtigt sind. Martin ist 18 Jahre alt und intellektuell nur schwach begabt. Nach dem Besuch einer Sonderschule absolviert er zur Zeit eine Ausbildung im Rahmen eines Bildungswerkes. Er lebt bei seinen Eltern und ist nicht entmündigt. Martin hatte auf die Nachfrage seiner Schwester hin zugestimmt, eine Niere für sie zu spenden. Die behandelnden Ärzte in der Transplantationsmedizin und im hinzugezogenen psychosomatischen Kon− siliardienst sind nach längeren Gesprächen mit Martin nicht sicher, ob er in der Lage ist, die Konsequenzen seines Angebots zu erfassen. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie ist weiter vorzugehen und warum?
5 Postmortalspende – Anfrage bei den Angehörigen Ein 40−jähriger Gymnasiallehrer erleidet bei einem Autounfall schwere Kopf− verletzungen. Trotz Maximalversorgung wird nach zwei Tagen der Hirntod festgestellt. Die Ehefrau ist nach der Mitteilung des Befundes einem psychi− schen Zusammenbruch nahe. Sie hat Weinkrämpfe und äußert verzweifelt, sie wisse nicht, wie sie das ihren drei Kindern sagen könne und was nun überhaupt werden solle. Nach stundenlangem Zuspruch auf Station geht sie nach Hause. Es wird vereinbart, dass sie am darauf folgenden Tag mit den Kindern wiederkommt, um Abschied zu nehmen. In der Brieftasche des Patienten findet sich ein zehn Jahre alter Organspende− ausweis. Der Stationsarzt nimmt sich deshalb vor, die Ehefrau oder andere Familienmitglieder am nächsten Tag auf die Möglichkeit einer Organspende anzusprechen. Das Pflegepersonal, das sich mit großem Engagement um die Hinterbliebene gekümmert hat, wendet sich vehement gegen eine solche Anfrage, die in dieser Situation eine Zumutung sei und die Angehörigen völlig überfordere. Das Thema kommt im Rahmen der Oberarztvisite zur Sprache. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie sollte die Oberärztin den Konflikt zu lösen versuchen?
L 5.2 Kurzer Überblick Die Transplantation ist ein Verfahren, das seit etwa 100 Jahren experimentell am Menschen erprobt wird; befriedigende Langzeitresultate gibt es aller− dings erst seit der Einführung des Cyclosporins zu Beginn der achtziger Jahre. Da über Jahrzehnte hinweg die Abstoßungsreaktion des Empfängers nicht zu kontrollieren war, folgte im 20. Jahrhundert zweimal einer euphorischen Welle von Transplantationen (Schilddrüsen, Nieren und Herzen sowohl von Tieren als auch von Menschen) die Phase eines Moratoriums, also einer freiwilligen Abstinenz von Organtransplantationen. Die Hoffnung der Chi−
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5 Transplantationsmedizin rurgen, durch Organersatz Krankheiten vollständig heilen und das Leid ihrer – meist todkranken – Patienten mildern zu können, führte nicht selten zu wagemutigen, gelegentlich sogar leichtsinnigen Eingriffen. Diese Vergangen− heit verpflichtet Chirurgen heute in einem besonderen Maße zu einer sorg− fältigen Abwägung von Nutzen und Risiken bei einer neuen Organersatz− therapie. Ihre Verantwortung erstreckt sich auch auf die Spender von Organen oder Geweben. Bei der Lebendorganspende werden Teile des Körpers eines le− benden Menschen zur Behandlung eines anderen Menschen verwendet. Die Entnahme von Geweben oder Organen zum Zweck der Transplantation stellt somit einen Verstoß gegen die Fürsorge− und Schadensvermeidungspflicht des Arztes dem Spender gegenüber dar. Dieser Verstoß kann nur durch die informierte Zustimmung des Spenders sowie eine sorgfältige Abwägung von Risiken und Nutzen gerechtfertigt werden. Aber auch bei der postmortalen Organentnahme ist zu beachten, dass die Spende im Sinne des Verstorbenen und auf respektvolle Weise geschieht. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Transplantation ein Netz von engen menschlichen Beziehungen zwischen Spendern und Empfängern schafft und dass dies besondere Ver− antwortlichkeiten mit sich bringt. Den Umgang mit der Entnahme, Spende und Übertragung von Organen regelt in Deutschland seit 1997 das Transplantationsgesetz. R Dokument Transplantationsgesetz s. S. 66–68.
L 5.3 Lebendspende Allgemeines Bei regenerierbarem Gewebe, wie zum Beispiel dem Knochenmark, be− schränkt sich das Entnahmerisiko für den lebenden Spender auf die Neben− wirkungen der Punktion und der Narkose. Die Spende von nicht regenerier− baren Organen hingegen, wie z. B. einer Niere, setzt den Spender einer grö− ßeren Gefahr aus, nicht nur wegen der dazu notwendigen Operation, sondern auch wegen der möglichen Folgen, sollte die zweite Niere versagen. Noch problematischer stellt sich die Situation der Leber− oder Pankreasteilspende dar. Hier ergeben sich schon durch die Operation beträchtliche Risiken für den Spender. Die Lebendspende nicht regenerierbarer Gewebe oder Organe ist in Deutschland besonderen Restriktionen unterworfen. Sie ist nur zwi− schen Verwandten bzw. Personen zulässig, die sich in besonderer Verbun− denheit offenkundig nahe stehen. Zudem ist sie nur erlaubt, wenn kein geeignetes Postmortalorgan zur Verfügung steht.
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Psychosoziale Aspekte Die Lebendorganspende kann ein Ausdruck echter Nächstenliebe sein, hat aber durchaus auch ihre problematischen Seiten. Angehörige oder andere nahe stehende Personen können sich unter Druck gesetzt fühlen, eine Niere zu spenden. Kranke können Spendern gegenüber schwere Schuldgefühle entwickeln, vor allen Dingen, wenn der Spender tatsächlich eine Komplika− tion erleidet. Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Tyrannei des Geschenks“. Allein schon das Angebot einer medizinischen Technik stellt Menschen vor verantwortungsvolle Entscheidungen, deren Folgen sie unter Umständen nicht verkraften können. Man muss annehmen, dass auch gesellschaftliche Erwartungen bei der Le− bendorganspende eine Rolle spielen, da Frauen nahezu doppelt so häufig Organe spenden wie Männer, aber nur halb so häufig Organe empfangen. Aus all diesen Gründen werden gefordert: O Eine umfassende psychosoziale Evaluation von potenziellen Spendern und Empfängern. O Eine nichtdirektive Information und Aufklärung, die keine Handlungszwän− ge begründet. O Wiederholte Ausstiegsangebote für unsichere Spender, aber auch für Emp− fänger.
Kommerzielle Aspekte In Deutschland darf eine Lebendspende nicht aus kommerziellen Gründen erfolgen; lediglich finanzielle Aufwandsentschädigungen durch die Kran− kenkassen, zum Beispiel für die kurzfristige Arbeitsunfähigkeit des Spenders, sind zulässig. Es gibt jedoch Länder, die finanziellen Anreizen nicht grund− sätzlich ablehnend gegenüberstehen. Im Iran existiert beispielsweise ein staatlich reglementiertes Entgeltsystem für Lebendorganspender, das auch die Spende von Personen zulässt, die den potenziellen Empfänger nicht kennen. In anderen Ländern ist die Kommerzialisierung der Organspende zwar verboten, doch das Verbot wird nur unzureichend umgesetzt.
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5 Transplantationsmedizin Der Organhandel ist ein internationales Problem, wobei die Spender offen− sichtlich vor allem aus ärmeren Ländern oder Gegenden stammen. Da der Organhandel nur schwer zu unterbinden ist, fordern einige Medizinethiker auch angesichts des großen Bedarfs an Organen, man solle die kommerzielle Lebendspende generell zulassen (so genanntes rewarded gifting“) und dafür strengeren Regelungen unterwerfen. So könne man effektiver dafür sorgen, dass die Spender tatsächlich eine angemessene Summe Geld für ihr Organ bekommen und Zwischenhändler ausgeschlossen werden. Umstritten ist, ob das Recht auf Selbstbestimmung auch eine derartige Verfügung über den eigenen Körper umfasst. Kritiker verurteilen die nicht altruistische Lebend− spende generell als moderne Form der Sklaverei, die es erlaubt, den Körper eines Menschen für die Zwecke anderer zu instrumentalisieren.
L 5.4 Postmortale Organspende Einführung Eine Alternative zur Lebendspende ist die Entnahme von Organen bei Toten. Seit 1968 ist in Deutschland oder auch den USA die Organentnahme bei Hirntoten zulässig. Ende 1967 hatte der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard unter spektakulären Umständen das erste Herz – das Herz einer bei einem Verkehrsunfall verunglückten Frau – auf einen anderen Menschen übertragen.
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Hirntodkonzept Nach dem im Jahre 1997 vom Bundestag verabschiedeten Transplantations− gesetz kann der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt werden. R Dokument Transplantationsgesetz s. S. 66–68.
Definition Hirntod
O O O O
Der Hirntod liegt vor, wenn die für personales Leben notwendigen Großhirn− funktionen sowie die für die zentralnervöse Steuerung des ganzen Körpers notwendigen Stammhirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind. Der Nachweis des Hirntods ist erbracht, wenn bei zwei Untersuchungen innerhalb von 24 Stunden gezeigt werden kann, dass eine Person im tiefen Koma liegt, sie keine zentralen Reflexe mehr aufweist, sie nicht mehr spontan atmet und sie weite, lichtstarre Pupillen hat. Für Kinder gelten längere Untersuchungsintervalle. Der Einsatz eines EEGs oder anderer apparativer Techniken kann die Untersuchungszeit abkürzen, ist aber nicht vorgeschrieben. Die Befürworter der Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen ar− gumentieren auf verschiedenen Ebenen. Zum einen halten sie das Kriterium Hirntod biologisch für angemessener als das Kriterium Herz− oder Atemstill− stand, da der unbehandelbare Herz− und Atemstillstand immer das Erlöschen der Gehirnfunktionen nach sich zieht. Zum anderen manifestiere sich das Wesen menschlichen Lebens in den komplexen Leistungen des Nervensys− tems, insbesondere in den für personales Leben (Bewusstsein, Verstandestä−
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tigkeit) notwendigen Funktionen des Großhirns. Das letzte Argument veran− lasst einige wenige Ethiker sogar dazu, die Diagnose des Großhirntods allein für ausreichend zu halten, um einen Menschen für tot zu erklären. Erhaltene Stammhirnreflexe, wie z. B. die Atemtätigkeit, würden in diesem Fall nicht berücksichtigt. Gegner der Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen argumentie− ren, dass es unplausibel sei, einen Menschen, dessen Herz noch schlägt und der einen warmen, rosigen, gut durchbluteten Körper hat, als tot zu bezeich− nen. Andere Kritiker sind der Meinung, dass das Konzept des Hirntods menschliches Leben unzulässigerweise ausschließlich auf geistige Funktio− nen reduziere. Eine dritte Gruppe wiederum ist der Ansicht, dass es unter den Bedingungen der modernen Intensivtherapie prinzipiell nicht mehr möglich sei, den Tod des ganzen Menschen eindeutig zu bestimmen. Menschliches Leben zerfalle durch die Intensivtechnik in verschiedene Vi− talfunktionen“, die zeitlich verschoben ihre Funktion einstellen können. Diese Kritiken münden in verschiedene Forderungen: Einige Kritiker sind der Meinung, Organentnahme bei Hirntoten sei grundsätzlich nicht zu rechtfer− tigen. Andere halten eine Organentnahme bei hirntoten – aber ihrer Meinung nach nicht vollständig toten – Menschen für vertretbar, fordern dazu jedoch die ausdrückliche, zu Lebzeiten erteilte Zustimmung des Spenders. Die Auseinandersetzungen um die Richtigkeit des Hirntodkonzepts drehen sich auch um die Frage: Kann der Tod des Menschen naturwissenschaftlich objektiv und für alle gültig definiert werden, oder handelt es sich dabei immer auch um eine gesellschaftliche Wertentscheidung?
Zustimmung zur Organentnahme bei Hirntoten Nach dem zurzeit gültigen Transplantationsgesetz ist eine Organentnahme dann zulässig, wenn entweder der Hirntote selbst zu Lebzeiten seine Ein− willigung erteilt hat (z. B. durch einen Organspendeausweis) oder die Ange− hörigen stellvertretend ihre Zustimmung geben (erweiterte Zustimmungslö− sung). Ausschlaggebend ist stets der ausdrückliche bzw. mutmaßliche Wille des Patienten. Das Verfahren unterstreicht das Recht eines jeden Menschen, auch über den Tod hinaus über seinen Körper verfügen zu können und setzt dieses Recht höher an als das gesellschaftliche Bedürfnis nach transplantier− baren Organen.
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5 Transplantationsmedizin Die Rolle der Angehörigen bei der erweiterten Zustimmungslösung wird jedoch von einigen kritisch gesehen. Die Selbstbestimmung des Patienten sei nur dann gewährleistet, wenn der Betroffene zu Lebzeiten die Erlaubnis zur Organentnahme erteilt habe (enge Zustimmungslösung). Zudem seien die Angehörigen bei der erweiterten Zustimmungslösung mit der Entschei− dung überfordert. Transplantationsmediziner haben dagegen argumentiert, dass bei einer solchen Regelung die Zahl der verfügbaren Postmortalorgane rapide sinken würde, weil nur wenige Menschen einen Organspendeausweis bei sich tragen. Aus ethischer Perspektive ist bedenkenswert, dass eine sol− che radikal individualistische Sicht, wie sie die enge Zustimmungslösung repräsentiert, unangemessen ist und es wichtiger ist, menschliche Beziehun− gen zu stärken und zu fördern. In Österreich, Italien oder Spanien gilt hingegen die so genannte Wider− spruchslösung. Eine Organentnahme ist erlaubt, wenn der Betroffene selbst zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Hier ist die Abwägung zwischen den Interessen von Kranken nach transplantierbaren Organen und dem Interesse des Individuums, über seinen Körper ausschließlich selbst zu verfügen, anders als in Deutschland ausgefallen (s. Tab. 1).
Tabelle 1
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Einverständnis zur Organentnahme
enge Zustimmungs− lösung
erweiterte Zustim− mungslösung
Widerspruchslösung
Organentnahme nur dann möglich, wenn der Spen− der zu Lebzeiten seine Er− laubnis dazu erteilt hat
Organentnahme auch dann möglich, wenn die Angehörigen stellvertre− tend zustimmen
Organentnahme erlaubt, sofern der Spender zu Lebzeiten nicht ausdrück− lich widersprochen hat
Japan (mit Widerspruchs− recht der Angehörigen)
gültig in Deutschland, Dänemark, Großbritan− nien, Niederlande
gültig in Österreich, Ita− lien, Belgien, Schweden
L 5.5 Organknappheit und Xenotransplantation Verteilung von Organen Die Verteilung von Organen erfolgt unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um das Organ eines Lebendspenders oder um ein Postmortalorgan handelt. Die Lebendorganspende ist nach deutschem Gesetz immer gerichtet, und zwar an eine nahe stehende Person. Der Gesetzgeber wollte damit der Gefahr einer Kommerzialisierung der Organspende aus dem Weg gehen und hat dafür als Nachteil in Kauf genommen, dass weniger Organe für die Lebend− spende zur Verfügung stehen. In anderen Ländern, wie den USA, ist die ungerichtete Spende zulässig; d. h. ein Mensch kann sich in einem Transplantationszentrum als Lebendorgan− spender anbieten. Die Verteilung des Organs geschieht dann nach dem Er− messen der dortigen Ärzte. Dem Spendewunsch wird nur stattgegeben, wenn es sich um eine altruistische Motivation handelt, der potenzielle Spen− der psychisch gesund und das medizinische Risiko vertretbar ist. Diese und andere Möglichkeiten werden auch in Deutschland immer wieder in die medizinethische Diskussion eingebracht. Hierzu gehört auch die so genannte Cross−over“−Spende: Zwei Spender−Empfänger−Paare tun sich zu−
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sammen, bei denen eine Spende aus Gründen des Matchings (z. B. Blutgrup− peninkompatibilität) nicht möglich gewesen wäre. Wenn die medizinischen Voraussetzungen gegeben sind, kann der Spender des einen Paares dann dem Empfänger des anderen Paares spenden und umgekehrt. Eine weitere Va− riante wäre, dass ein Lebendorganspender, der dem potenziellen Empfänger aus Gründen der Verträglichkeit nicht spenden kann, sein Organ in einen Pool für Postmortalorgane gibt und der ihm nahe stehende Empfänger dafür mit hoher Priorität ein passendes Organ aus diesem Verteiler erhält. Diese Verteilungsmodelle versuchen auf unterschiedliche Weise, einen möglichst hohen Wirkungsgrad der Spendebereitschaft aus Altruismus zu erreichen. Zum Zweck einer effizienten Verteilung postmortaler Organe haben sich Deutschland, Österreich, Slowenien und die Benelux−Länder zu einem Ver− bund mit dem Namen Eurotransplant zusammengeschlossen. Die Entschei− dung für oder gegen die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste erfolgt durch die Transplantationszentren in den jeweiligen Ländern und soll laut deutschem Transplantationsgesetz nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“, und zwar insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ gefällt werden. Somit haben Ärzte einen nicht geringen Einfluss auf die Auswahl der Empfänger, da sie entscheiden, welche Patien− ten überhaupt auf die Wartelisten von Eurotransplant gesetzt werden. Diese Entscheidung muss allerdings schriftlich festgehalten und begründet wer− den. Damit soll Transparenz, auch für die beteiligten Patienten, erreicht werden. Kriterien einer gerechten Verteilung des knappen Guts Organ“ sind nicht immer nur medizinisch zu begründen (s. auch Kap. 11 S.137–138). Dazu zählen: die Bedürftigkeit des Empfängers, die Wartezeit, der zu erreichende Nutzen für den Empfänger und schließlich – umstritten, aber von einigen ernsthaft diskutiert – der zu erreichende Nutzen für die Gesellschaft. Ein weiterer denkbarer Modus einer gerechten Verteilung ist das Zufalls− prinzip, das zumindest Chancengleichheit garantiert. Dieses Lotterieverfah− ren“ wird in der Medizin meist als unangemessen angesehen. Die zentrale Verteilungsstelle von Eurotransplant in Leiden vergibt Organe von hirntoten Spendern nach einer ausgeklügelten Mischung von Nutzenmaximierung, Bedürftigkeit und Wartezeit.
Xenotransplantation Um das Problem der Verteilung knapper Organe zu umgehen, prüfen Wis− senschaftler mit Unterstützung privater Gentechnikfirmen derzeit, ob es möglich ist, Tiere genetisch so zu verändern, dass ihre Organe beim Men− schen nicht abgestoßen werden. In der Regel werden dazu Schweine ver− wendet, weil sie leicht zu züchten sind und ihre Organe den menschlichen ausreichend ähneln. Die Xenotransplantation würde die Nachteile der Lebend− und Postmortal− spende vermeiden helfen. Sie wird aber auch aus drei Gründen kritisiert: 1. Es stellt sich die Frage, ob es dem Menschen erlaubt ist, andere Lebewesen so weit für seine Zwecke zu instrumentalisieren, dass er in ihre genetische Ausstattung eingreift.
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2. Es wird die Befürchtung geäußert, dass die Transplantation von Tierorganen die Identität der betroffenen Menschen als Teil der menschlichen Spezies in Frage stellen könne. 3. Es wird eingewandt, dass man die Gefahr der Übertragung tierischer Viren oder Parasiten auf den Menschen nicht genügend einschätzen könne. Befürworter des Verfahrens halten dagegen, dass Menschen schon seit lan− gem durch Züchtungen die Gene von Tieren verändert und neue Arten ge− schaffen haben und dass man den noch nicht ausreichend bekannten Risiken durch eine besonders vorsichtige Einführung des neuen Verfahrens begeg− nen könne.
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L 5.6 Dokumente und Websites zum Thema Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Orga− nen (Transplantationsgesetz – TPG)
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[. . .] Zweiter Abschnitt: Organentnahme bei toten Organspendern § 3 Organentnahme mit Einwilligung des Organspenders (1) Die Entnahme von Organen ist, soweit in § 4 nichts Abweichendes be− stimmt ist, nur zulässig, wenn der Organspender in die Entnahme eingewilligt hatte, der Tod des Organspenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist und der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird. (2) Die Entnahme von Organen ist unzulässig, wenn die Person, deren Tod festgestellt ist, der Organentnahme widersprochen hatte, nicht vor der Entnahme bei dem Organspender der endgültige, nicht beheb− bare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirn− stamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medi− zinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. (3) Der Arzt hat den nächsten Angehörigen des Organspenders über die beabsichtigte Organentnahme zu unterrichten. Er hat Ablauf und Umfang der Organentnahme aufzuzeichnen. Der nächste Angehörige hat das Recht auf Einsichtnahme. Er kann eine Person seines Vertrauens hinzuziehen.
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1. 2. 3.
4. 5.
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§ 4 Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen (1) Liegt dem Arzt, der die Organentnahme vornehmen soll, weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch des möglichen Organspenders vor, ist dessen nächster Angehöriger zu befragen, ob ihm von diesem eine Erklärung zur Organspende bekannt ist. Ist auch dem Angehö− rigen eine solche Erklärung nicht bekannt, so ist die Entnahme unter den Voraussetzungen des § 3 Abs.1 Nr. 2 und 3 und Abs. 2 nur zulässig, wenn ein Arzt den Angehörigen über eine in Frage kommende Organentnahme unter− richtet und dieser ihr zugestimmt hat. Der Angehörige hat bei seiner Ent− scheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organspenders zu beachten. Der Arzt hat den Angehörigen hierauf hinzuweisen. Der Angehö− rige kann mit dem Arzt vereinbaren, dass er seine Erklärung innerhalb einer bestimmten, vereinbarten Frist widerrufen kann. (2) Nächste Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind in der Rangfolge ihrer Aufzählung Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern oder, sofern der mögliche Organspender zur Todeszeit minderjährig war und die Sorge für seine Person zu dieser Zeit nur einem Elternteil, einem Vormund oder einem Pfleger zustand, dieser Sorgeinhaber, volljährige Geschwister, Großeltern. Der nächste Angehörige ist nur dann zu einer Entscheidung nach Absatz 1 befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organspenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte. Der Arzt hat dies durch Befragung des Angehörigen festzustellen. Bei mehreren gleichrangi− gen Angehörigen genügt es, wenn einer von ihnen nach Absatz 1 beteiligt wird und eine Entscheidung trifft; es ist jedoch der Widerspruch eines jeden von ihnen beachtlich. Ist ein vorrangiger Angehöriger innerhalb angemesse− ner Zeit nicht erreichbar, genügt die Beteiligung und Entscheidung des nächsterreichbaren nachrangigen Angehörigen. Dem nächsten Angehörigen steht eine volljährige Person gleich, die dem möglichen Organspender bis zu seinem Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe− gestanden hat; sie tritt neben den nächsten Angehörigen. (3) Hatte der mögliche Organspender die Entscheidung über eine Organent− nahme einer bestimmten Person übertragen, tritt diese an die Stelle des nächsten Angehörigen. (4) Der Arzt hat Ablauf, Inhalt und Ergebnis der Beteiligung der Angehörigen sowie der Personen nach Absatz 2 Satz 6 und Absatz 3 aufzuzeichnen. Die Personen nach den Absätzen 2 und 3 haben das Recht auf Einsichtnahme. Eine Vereinbarung nach Absatz 1 Satz 5 bedarf der Schriftform. [. . .]
Dritter Abschnitt: Organentnahme bei lebenden Organspendern § 8 Zulässigkeit der Organentnahme (1) Die Entnahme von Organen einer lebenden Person ist nur zulässig, wenn O die Person a) volljährig und einwilligungsfähig ist, b) nach Absatz 2 Satz 1 aufgeklärt worden ist und in die Entnahme einge− willigt hat, c) nach ärztlicher Beurteilung als Spender geeignet ist und voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittel−
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baren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird, O die Übertragung des Organs auf den vorgesehenen Empfänger nach ärztli− cher Beurteilung geeignet ist, das Leben dieses Menschen zu erhalten oder bei ihm eine schwerwiegende Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Beschwerden zu lindern, O ein geeignetes Organ eines Spenders nach § 3 oder § 4 zum Zeitpunkt der Organentnahme nicht zur Verfügung steht und O der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird. Die Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können, ist darüber hinaus nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen. (2) Der Organspender ist über die Art des Eingriffs, den Umfang und mög− liche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen der beabsichtigten Organent− nahme für seine Gesundheit sowie über die zu erwartende Erfolgsaussicht der Organübertragung und sonstige Umstände, denen er erkennbar eine Bedeutung für die Organspende beimisst, durch einen Arzt aufzuklären. Die Aufklärung hat in Anwesenheit eines weiteren Arztes, für den § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 entsprechend gilt, und, soweit erforderlich, anderer sach− verständiger Personen zu erfolgen. Der Inhalt der Aufklärung und die Ein− willigungserklärung des Organspenders sind in einer Niederschrift aufzu− zeichnen, die von den aufklärenden Personen, dem weiteren Arzt und dem Spender zu unterschreiben ist. Die Niederschrift muss auch eine Angabe über die versicherungsrechtliche Absicherung der gesundheitlichen Risiken nach Satz 1 enthalten. Die Einwilligung kann schriftlich oder mündlich widerrufen werden. (3) Die Entnahme von Organen bei einem Lebenden darf erst durchgeführt werden, nachdem sich der Organspender und der Organempfänger zur Teil− nahme an einer ärztlich empfohlenen Nachbetreuung bereit erklärt haben. Weitere Voraussetzung ist, dass die nach Landesrecht zuständige Kommis− sion gutachtlich dazu Stellung genommen hat, ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand verbotenen Handeltrei− bens nach § 17 ist. Der Kommission muss ein Arzt, der weder an der Ent− nahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt ist noch Weisungen eines Arztes untersteht, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, eine Person mit der Befähigung zum Richteramt und eine in psychologischen Fragen erfahrene Person angehören. Das Nähere, insbesondere zur Zusammenset− zung der Kommission, zum Verfahren und zur Finanzierung, wird durch Landesrecht bestimmt. [Quelle: Auszüge aus dem Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertra− gung von Organen (Transplantationsgesetz – TPG) vom 5. November 1997 (BGBL. I, S. 2631): http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/tpg/index.html]
Weitere Dokumente und Websites 1. Council of Europe. Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine, on Transplantation of Organs and Tissues of Human Origin; 2002: http://conventions.coe.int/treaty/en/treaties/html/186.html
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2. Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen – Trans− plantationsgesetz (TPG). Bundesgesetzblatt. 5.111997; I: 2631−39: http:// bundesrecht.juris.de/bundesrecht/tpg/index.html 3. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zur Xenotransplantation. Deutsches Ärzteblatt. 1999; 96: C−1402−8: http:// www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=25313 4. Richtlinien der Bundesärztekammer. Qualitätssicherung in der Transplanta− tionsmedizin. In: Deutsches Ärzteblatt. 2001(98), Ausgabe 34/35: A−2147: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/pdf.asp?id=28370 5. Weltärztebund. Erklärung zum Handel mit Organen. Brüssel 1985. In: Hand− buch der Deklarationen des Weltärztebundes: http://www.bundesaerzte− kammer.de/30/Auslandsdienst/99Handbuch2000.pdf 6. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Richtlinien zur Organ− transplantation gemäß § 16 TPG vom 28.02 2003: http://www.aerzteblatt.− de/v4/archiv/pdf.asp?id=25314 7. Weltgesundheitsorganisation (WHO). Guiding Principles on Human Organ Transplantation. Lancet. 1991; 337: 1470−71
L 5.7 Basisliteratur zum Thema 1. Ach JS, Anderheiden M, Quante M. Ethik der Organtransplantation. Frankfurt a.M.: Fischer; 2000. 2. Beckmann JP, Brem G, Eigler FW, Günzburg W, Hammer C, Müller−Ruchholtz W, Neumann−Held EM, Schreiber HL. Xenotransplantation von Zellen, Ge− weben oder Organen. Wissenschaftliche Entwicklungen und ethisch−recht− liche Implikationen. Berlin: Springer; 2000. 3. Biller−Andorno N, Kling S. Who gives and who receives? Gendes issues in living organ donation. In: Gutmann T, Daar AS, Sells RA, Land W, eds. Ethical, Legal, and Social Issues in Organ Transplantation. Lengerich: Pabst; 2004, S. 222−230. 4. Biller−Andorno N, Schauenburg H. Its Only Love: Some Pitfalls in Emotionally Related Organ Donation. Journal of Medical Ethics. 2001; 27(3): 162−164. 5. Brudermüller G, Seelmann K, Hrsg. Organtransplantation. Würzburg: Kö− nigshausen & Neumann; 2000. 6. Fox R, Swazey JP. The Courage to Fail: A Social View of Organ Transplantation and Dialysis. 2 nd ed. Chicago: University of Chicago Press; 1978. 7. Gutmann T, Schneewind KA, Schroth U, Schmith VH, Elsässer A, Land W, Hillebrand GF. Grundlagen einer gerechten Organverteilung. Medizin – Psy− chologie – Recht – Ethik – Soziologie. Berlin: Springer; 2003. 8. Hauser−Schäublin B, Kalitzkus V, Petersen I, Schröder I. Der geteilte Leib. Die kulturelle Dimension von Organtransplantation und Reproduktionsmedizin in Deutschland. Frankfurt a.M., New York: Campus; 2001. 9. Meuter N, Lachmann R. Zur Gerechtigkeit der Organverteilung. Ein Problem der Transplantationsmedizin aus interdisziplinärer Sicht. Stuttgart/New York: Gustav Fischer; 1997. 10. Schlich T, Wiesemann C, Hrsg. Hirntod. Kulturgeschichte der Todesfeststel− lung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; 2001. 11. Schicktanz S. Organlieferant Tier: Medizin− und tierethische Aspekte der Xenotransplantation komplexer Organe. Frankfurt a.M./New York: Campus; 2002. 12. Scheper−Hughes N. The Global Traffic in Human Organs. Current Anthropo− logy. 2000 (41); 2: 191–224.
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13. Schmidt VH. Politik der Organverteilung: Eine Untersuchung über Empfän− gerauswahl in der Transplantationsmedizin. Baden−Baden: Nomos; 1996. 14. Stöcker R. Der Hirntod: Ein medizinisches Problem und seine moralphiloso− phische Transformation. Freiburg: Alber; 1999. 15. Vollmann J. Ethische Probleme des Hirntods in der Transplantationsmedizin. Stuttgart: G. Fischer; 1998.
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung
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L 6.1 Fallgeschichten Therapieabbruch bei einer Patientin im Wachkoma Bei Frau S. wird im Alter von 69 Jahren eine Alzheimersche Demenz diag− nostiziert. Ein Jahr später wird sie pflegebedürftig und in ein Pflegeheim aufgenommen. Ihr Sohn Klaus S. wird vom Vormundschaftsgericht als Be− treuer eingesetzt. Wegen eines Kreislaufstillstands wird Frau S. noch im selben Jahr im Pflege− heim vom Notarzt reanimiert. Seitdem liegt sie im Wachkoma, d. h. sie zeigt nur noch vegetative Funktionen und reagiert reflexhaft auf Außenreize, ist aber nicht mehr bei Bewusstsein. Da Frau S. nicht mehr schlucken kann, wird sie über eine Magensonde ernährt. Wegen des häufigen Würgereizes wird zwischenzeitlich eine perkutane Enterostomie (PEG) gelegt, aber diese Sonde muss nach einiger Zeit wieder gegen eine Magensonde ausgetauscht werden. Die Patientin verliert dabei weiter an Gewicht. An den Gliedmaßen stellen sich Kontrakturen ein. Der Sohn, der seine Mutter im Pflegeheim fast täglich besucht, kommt schließlich zu der Überzeugung, dass es nicht mehr sinnvoll sei, das Leben seiner Mutter weiter zu verlängern. Seine Mutter hatte vor Jahren anlässlich einer Fernsehsendung geäußert, sie möchte später einmal nicht sinnlos dahinvegetieren“. Der Sohn bittet nun den Hausarzt seiner Mutter, die künstliche Ernährung über die Magensonde einzustellen und die Magensonde zu ziehen. Als der Hausarzt den Pflegenden diese Entscheidung mitteilt, sind diese entsetzt und drohen damit, den Arzt zu verklagen. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie würden Sie sich an Stelle des Hausarztes entscheiden?
Beatmung eines Patienten mit Pankreaskarzinom Ein 72−jähriger Patient mit bekanntem, therapiertem Pankreaskarzinom, Rezidiv, Leber− und Hirnmetastasen erleidet zu Hause einen Krampfanfall. Bis zu diesem Zeitpunkt ging es dem Patienten bis auf eine leichte Gelbsucht noch verhältnismäßig gut. Dem Notarzt gelingt es, den Krampfanfall zu beenden. Der Patient wird bewusstlos nachts gegen 24 Uhr ins Krankenhaus eingeliefert, begleitet von der Ehefrau und der Tochter. Dort stellt sich heraus, dass die Blutwerte eine Beatmungspflicht anzeigen. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie sollen die Krankenhausärzte weiter vorgehen?
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung
L 6.2 Historisches Aus der Geschichte Die Macht des Arztes, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch den Tod geben zu können, ist in der Geschichte schon oft Anlass zu Befürch− tungen gewesen. Deshalb fordert der wohl bekannteste Absatz des antiken Hippokratischen Eids, dass ein Arzt seine Kenntnisse nicht für eine Tötung durch Gift zur Verfügung stelle: Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein töd− liches Medikament geben.“
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Doch das ärztliche Wissen wurde auf der anderen Seite auch gesucht, wenn ein Kranker seinem unheilbaren Leiden, schweren Schmerzen oder einer Entwürdigung durch Krankheit entgehen wollte. Der gute Tod war früher ein Tod, dem man gefasst und in Würde entgegen sehen konnte – heute verstehen viele darunter eher ein schmerzloses und rasches Sterben. Welche Rolle Ärzte dabei spielen sollen und dürfen, ist nach wie vor Gegenstand grundlegender Auseinandersetzungen. Zeitweise hatten Ärzte in diesen Fragen weit reichende Vollmachten mit extremen Konsequenzen. So wurden in der Zeit des Nationalsozialismus unter medizinischen Vorwänden und mit ärztlicher Beteiligung über 250000 geistig und körperlich behinderte Menschen – Erwachsene und Kin− der – im Rahmen der so genannten Euthanasieaktion“ durch Schlafmittel− injektionen, Vergasung oder Verhungernlassen umgebracht. Ebenso beschö− nigend wie irreführend wurde diese Aktion als Gnadentod“ für lebens− unwertes Leben“ oder leere Menschenhülsen“ umschrieben. Sie diente letztlich der systematischen finanziellen Entlastung des Staates von so ge− nannten Ballastexistenzen“. Gleichzeitig entledigte sich die wissenschaft− lich aufstrebende Psychiatrie von scheinbar nicht therapiefähigen Patienten. Diese bestürzende historische Erfahrung eines krassen Missbrauchs ärztli− cher Macht im Dienste staatlicher Interessen prägt die Diskussion um das Thema bis heute. In Deutschland ist der Begriff Euthanasie“ untrennbar mit dieser Geschichte verbunden, während er in der internationalen Debatte meist unbefangener synonym mit dem Begriff Sterbehilfe“ verwendet wird.
L 6.3 Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe Einführung Auch ärztliche Maßnahmen am Ende des Lebens müssen sich am Willen des Patienten orientieren. Doch über das Sterben zu reden und dabei einen klaren Kopf zu behalten ist für alle Beteiligten eine überaus schwierige Auf− gabe. Letztlich geht es um etwas, für das uns allen die Erfahrung fehlt: den Tod. Aber auch wenn das Gespräch über den Tod gelingt, bleibt es ein Problem, was der Patient von seinem Arzt verlangen kann bzw. zu welchem Tun oder Unterlassen ein Arzt berechtigt ist. Sollte eine Ärztin ihrer Patientin auf deren wiederholten und gut begründeten Wunsch hin ein Mittel zum Suizid be− reitstellen dürfen? Sollte sie eine solche Patientin durch eine Injektion oder Vergleichbares töten dürfen?
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung
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Begriffsdefinitionen Nach deutscher Rechtsprechung machen sich Ärzte nicht strafbar, wenn sie nichts gegen den Freitod eines ihnen gut bekannten Patienten unternehmen, der sich auf eigenen Wunsch hin und aus nachvollziehbaren Gründen (un− behandelbare Schmerzen, Entstellung, Aussichtslosigkeit des Leidens) das Leben nehmen will. Auch die Beihilfe zum Suizid, z. B. indem ein Arzt in einem solchen Fall wissentlich ein stark wirkendes Schlafmittel verschreibt, wird nicht zwangsläufig rechtlich verfolgt. Die Bundesärztekammer lehnt ein solches Verhalten aber als unärztlich ab. Eine Tötung auf Verlangen, bei der also der Arzt die Tatherrschaft behält, ist verboten (§ 216 StGB). Aktive direkte Sterbehilfe ist die beabsichtigte Tötung eines Kranken. Sie liegt beispielsweise vor, wenn der Tod eines Patienten durch eine Überdosis von Kaliumchlorid gezielt verursacht wird. Bei indi− rekter Sterbehilfe wird der Tod eines Patienten als Nebenfolge einer Behand− lung in Kauf genommen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Patient mit fortgeschrittenem Lungentumor zur Linderung schwerer Atemnot hoch dosiert Morphium erhält, das als Nebenwirkung zu einem Atemstillstand führen kann. Von passiver Sterbehilfe spricht man, wenn eine lebensverlängernde thera− peutische Maßnahme nicht unternommen oder beendet wird. Darunter fällt zum Beispiel die Beendigung einer Nierendialyse bei einem Patienten mit fortgeschrittenem Multiorganversagen. Der Tod des Patienten wird zwar nicht unmittelbar bezweckt, als letzte Konsequenz des Tuns oder Unterlas− sens aber doch in Kauf genommen (s. Tab. 1). Tabelle 1
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Begriffsdefinitionen – Übersicht Definition und/oder Beispiel
rechtliche Situation
Beihilfe zur Selbsttötung
z. B. Verschreiben eines in Deutschland nicht straf− potenziell tödlichen Medi− bar; laut Bundesärztekam− kamentes in dem Wissen, mer aber unärztlich dass der Patient einen Sui− zid plant
aktive direkte Sterbehilfe
beabsichtigte Tötung ei− nes Patienten, z. B. durch Injektion einer Überdosis von Kaliumchlorid
in Deutschland verboten; in Holland und Belgien seit 2002 unter bestimm− ten Bedingungen von Stra− fe freigestellt
indirekte Sterbehilfe
Tod des Patienten als mögliche Nebenfolge der Behandlung in Kauf ge− nommen
laut Richtlinien der Bun− desärztekammer bei Ster− benden zulässig
passive Sterbehilfe
Unterlassen oder Beenden laut Richtlinien der Bun− lebensverlängernder Maß− desärztekammer zulässig, wenn in Übereinstimmung nahmen mit dem Willen des Pa− tienten
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung
Probleme aktiver und passiver Sterbehilfe
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Die auf den ersten Blick eindeutige und häufig verwendete Unterscheidung von aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe birgt einige für die Praxis bedeutsame Probleme. Bei der Vielfalt der Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin ist diese Unterscheidung nicht immer möglich oder sinn− voll. Warum sollte das Abstellen eines Beatmungsgeräts bei einem beat− mungspflichtigen Patienten passiver“ sein als die Injektion eines tödlichen Mittels? Als Argument wird hier angeführt, dass bei passiver Sterbehilfe dem natürlichen Sterbeprozess nichts mehr entgegengesetzt würde. Aber auch hinter dieser Begründung verbirgt sich ein Problem, denn oft ist nicht ein− deutig feststellbar, ob und wann der natürliche“ Sterbevorgang begonnen hat und wie lange er sich noch hinziehen wird, vor allen Dingen unter den Bedingungen der modernen Intensivmedizin. Eine andere Definition von passiver Sterbehilfe orientiert sich deshalb vor− rangig am Willen des Patienten. Passiv ist die Sterbehilfe dann, wenn der Patient die Einwilligung in eine Behandlung nicht gibt bzw. die Einwilligung für die Fortführung einer Behandlung entzieht und die Berücksichtigung des Patientenwillens den Tod zur Folge hat. In jedem Fall kommt es wesentlich auf die näheren Umstände an: den Willen des Patienten, die Aussichtslosigkeit des Leidens, die Intentionen der ärztlichen Handlung, die Zwangsläufigkeit der beabsichtigten sowie der in Kauf genommenen Folgen und auch die Außergewöhnlichkeit der medizinischen Mittel. Demnach kann eine medizinische Maßnahme umso eher beendet oder un− terlassen werden, je mehr sie das Leiden verlängert und dadurch qualvoll macht, je außergewöhnlicher sie ist und je zwangsläufiger der Sterbeprozess verläuft. Der Wille des Kranken, so weit bekannt, sollte dabei immer berücksichtigt werden.
Euthanasie in den Niederlanden und Belgien Die deutsche Debatte um legitime Formen von Sterbehilfe ist in der Vergan− genheit in besonderer Weise durch die Regelungen in den Niederlanden angeregt worden. Dort wird seit dem Jahr 2002 die aktive Sterbehilfe durch Ärzte von Strafe freigestellt, wenn sie gewissen Sorgfaltskriterien entspricht. Wichtigste Bedingung ist der nachgewiesene und unter Zeugen mehrfach geäußerte Wunsch des Betroffenen. Die Sterbehilfe muss also auf einer freien Willensentscheidung des Patienten beruhen. Weitere Kriterien sind: O Das Leiden des Patienten muss unerträglich, andauernd und nicht behandel− bar sein. O Ein zweiter Arzt muss dies prüfen und bestätigen. O Schließlich muss der Arzt, der die Euthanasie durchführt, sein Vorgehen einer Kommission anzeigen. Dem Gesetz vorausgegangen waren empirische Untersuchungen, die zeigten, dass in den Niederlanden aktive Sterbehilfe trotz eines gesetzlichen Verbots praktiziert wurde. Die Justiz in den Niederlanden verfolgt schon seit einiger Zeit das Ziel, Sterbehilfe einer staatlichen Aufsicht zu unterstellen und ihr ein
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geregeltes Verfahren zu Grunde zu legen, um der willkürlichen Anwendung einen Riegel vorzuschieben. Auch Belgien hat 2002 ein vergleichbares Gesetz erlassen. Die Kritiker der Praxis in den Niederlanden weisen darauf hin, dass nach der Liberalisierung der Sterbehilfe unter den bekannt gewordenen Fällen eine beträchtliche Anzahl von Patienten war, von denen keine klare Willenserklä− rung vorlag. Hier lag also keine freiwillige Sterbehilfe vor. Dies könnte ein Indiz für eine eigentlich unerwünschte, schleichende Ausweitung der Krite− rien sein. Generell kritisiert wird auch, dass es letztlich das Vertrauen in die Ärzteschaft zerstöre, wenn Ärzten eine solche Macht über Leben und Tod von anderen Menschen in die Hand gegeben werde. Schließlich wird befürchtet, alte und kranke Menschen könnten unter Druck geraten, ihren Familien Belastungen“ zu ersparen. Oft wird auch argumentiert, eine gute palliativ− medizinische Betreuung mache in den allermeisten Fällen ohnehin den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe überflüssig. Die Befürworter halten dagegen, dass die Selbstbestimmung des Patienten auch ein Recht auf einen selbstbestimmten, menschenwürdigen Tod bein− halte. In den Niederlanden gebe es traditionell eine starke Bindung zwischen dem Hausarzt und seinen Patienten. In diesen nicht selten lang anhaltenden Vertrauensverhältnissen sei ein Arzt eher in der Lage, derart schwerwiegen− de Entscheidungen im Interesse des Patienten zu fällen. Des Weiteren wird vorgebracht, dass Sterbehilfe in jeder Form mit großer Wahrscheinlichkeit auch in anderen Ländern praktiziert werde. Dort werde diese Praxis aber nicht öffentlich bekannt gemacht und sei damit auch nicht öffentlich kon− trollierbar. Im Übrigen gebe es in den Niederlanden europaweit vorbildliche Fürsorgeeinrichtungen für alte und pflegebedürftige Patienten. Ökonomi− sche Gründe für die Propagierung der Euthanasie spielten daher keine Rolle. Auch in Deutschland gibt es Initiativen für eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung oder der aktiven Sterbehilfe. Hier engagiert sich vor allem die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in diesen Fragen. In der Schweiz bieten Vereinigungen wie DIGNITAS und EXIT eine Sterbebegleitung und Freitodhilfe an.
L 6.4 Therapiebegrenzung und Sterbebegleitung Sterbebegleitung Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung betonen besonders den Willen des Patienten: Jede ärztliche Maßnahme bedürfe der Zustimmung des Patienten. Daher könne auch eine lebenserhal− tende Therapie auf Wunsch des bewusstseinsklaren und urteilsfähigen Pa− tienten beendet werden: Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Ver− lauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linde− rung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.“
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung Bei einwilligungsunfähigen Patienten sei der zuvor geäußerte oder mutmaß− liche Wille maßgeblich. Dagegen wird betont, dass aktive Sterbehilfe unzu− lässig ist und Beihilfe zur Selbsttötung nicht dem ärztlichen Ethos entspricht. R Dokument Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebe− gleitung s. S. 79–82. Bei aller Differenzierung bleibt stets eine Reihe von Situationen, in denen Entscheidungen außerordentlich schwierig sind, vor allen Dingen dann, wenn der Wille des Kranken nicht zu ermitteln ist. Erstrebenswert ist es in solchen Fällen, möglichst viele beteiligte Personen – zum Beispiel Angehö− rige und Pflegekräfte – bei Entscheidungen zu Rate zu ziehen und einen Konsens der Beteiligten zu erreichen. Eine medizinische Maßnahme ist prinzipiell umso eher geboten, je mehr sie zur Linderung und Erleichterung von Beschwerden und zu einem würdevol− len Leben vor dem Tod beiträgt. Zur so genannten Basisbetreuung zählen: eine menschenwürdige Unterbringung Zuwendung Körperpflege das Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit das Stillen von Hunger und Durst. Ob es allerdings z. B. auch zur Basisbetreuung gehört, einen Patienten nach mehrfachem Schlaganfall und bei über Jahre anhaltendem Koma über eine Magensonde oder eine perkutane Enterogastrostomie (PEG) zu ernähren, ist umstritten. Dagegen spräche die Außergewöhnlichkeit dieser Ernährungs− maßnahme. Ein menschenwürdiger Umgang mit schwer kranken und sterbenden Pati− enten ist ohne die ernsthafte Auseinandersetzung aller Beteiligten mit dem Sterben und ohne eine gute menschliche Betreuung nicht möglich. Maßnah− men der Therapiebegrenzung sollten nicht zur Ausgrenzung der Sterbenden, sondern zu einem bewussten und fürsorglichen Umgang mit ihnen beitra− gen. Dieser Idee haben sich vor allen Dingen die aus England stammende Hospizbewegung und die Palliativmedizin verschrieben. Ihr Ziel ist es, den Patienten – auch wenn keine Heilung mehr möglich ist – zu unterstützen, seine Schmerzen zu lindern, seine psychischen und spirituellen Bedürfnisse ernst zu nehmen und auch seine Angehörigen nicht allein zu lassen. In vielen Orten Deutschlands gibt es inzwischen speziell eingerichtete stationäre Hos− pize, die ein menschenwürdiges Sterben ermöglichen.
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Therapiebegrenzung Bei allen Entscheidungen von Therapiebegrenzung ist es von außerordentli− cher Wichtigkeit, die Wünsche des Patienten zu kennen oder sich zumindest ein möglichst genaues Bild von den früher geäußerten Wünschen des Pati− enten zu machen. Dazu können Angehörige oder im Zweifelsfall ein vom Gericht bestellter Betreuer beitragen (s. Kap. 2 S. 21 und Kapitel 7 S. 89–90). In letzter Zeit wird der so genannten Patientenverfügung – häufig missver− ständlich auch Patiententestament genannt – immer mehr Gewicht beige− messen. Der Bundesgerichtshof hat 2003 festgestellt, dass bei einwilligungsunfähi− gem Patienten und tödlichem Verlauf einer Erkrankung lebenserhaltende oder −verlängernde Maßnahmen unterbleiben müssten, wenn dies dem mündlich oder schriftlich geäußerten Willen des Patienten entspreche. Dies folge aus der Würde des Menschen, die es gebiete, sein Selbstbestimmungs− recht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu einer eigenverantwortli− chen Entscheidung nicht mehr in der Lage sei. Allerdings müsse dazu das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden. Auch die Grundsätze der Bun− desärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung räumen der Patientenver− fügung einen hohen Stellenwert ein. Mit Hilfe dieser Form der Willensäußerung können Patienten oder auch Gesunde Wünsche über Art und Intensität von medizinischen Maßnahmen am Lebensende äußern. Als unmittelbarer Ausdruck des Patientenwillens gibt die Patientenverfügung dem Arzt hilfreiche Hinweise für schwierige Entscheidungen. Patientenverfügungen werden umso hilfreicher und ver− bindlicher sein, je präziser sie sind, d. h. je genauer der Patient die Situatio− nen vorausgesehen hat, die möglicherweise auf ihn zukommen. Patienten mit chronischen Leiden und voraussehbaren Verläufen sowie Menschen, die viele persönliche Erfahrungen mit Krankheiten gesammelt haben (z. B. in der Familie oder Bekanntschaft), sind dazu am ehesten in der Lage. Der Voraus− schau sind allerdings naturgemäß Grenzen gesetzt, die auch die Grenzen der Wirksamkeit einer Patientenverfügung bezeichnen. Konflikte um die ange− messene Auslegung des Willens eines Patienten kommen nicht selten vor; denn Ärzte sind auch durch eine Patientenverfügung nicht der Pflicht ent− hoben, sich ein Bild darüber zu verschaffen, welche Entscheidung aktuell jeweils im Interesse des Patienten ist.
L 6.5 Dokumente und Websites zum Thema Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbe− begleitung [2004] Präambel Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzu− stellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. So gibt es Situationen, in denen sonst angemessene Diagnostik und Therapieverfahren nicht mehr angezeigt und Begrenzungen geboten sein können. Dann tritt palliativmedizinische Versorgung in den Vorder− grund. Die Entscheidung hierzu darf nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig gemacht werden.
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung Unabhängig von dem Ziel der medizinischen Behandlung hat der Arzt in jedem Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen. Dazu gehören u. a.: menschen− würdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst. Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten; dies gilt auch für die künstliche Nahrungs− und Flüssigkeitszufuhr. Er muss dabei den Willen des Patienten beachten. Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen. Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung wiederspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein. Diese Grundsätze können dem Arzt die eigene Verantwortung in der kon− kreten Situation nicht abnehmen. Alle Entscheidungen müssen individuell erarbeitet werden.
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I. Ärztliche Pflichten bei Sterbenden Der Arzt ist verpflichtet, Sterbenden, d. h. Kranken oder Verletzten mit irre− versiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist, so zu helfen, dass sie unter menschenwürdigen Bedingungen sterben können. Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in Beistand und Sorge für Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nah− rungs− und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfin− dungen gestillt werden. Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Lin− derung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod her− beiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist als aktive Sterbehilfe unzulässig und mit Strafe bedroht. Die Unterrichtung des Sterbenden über seinen Zustand und mögliche Maß− nahmen muss wahrheitsgemäß sein, sie soll sich aber an der Situation des Sterbenden orientieren und vorhandenen Ängsten Rechnung tragen. Der Arzt kann auch Angehörige des Patienten und diesem nahe stehende Personen informieren, wenn er annehmen darf, dass dies dem Willen des Patienten entspricht. Das Gespräch mit ihnen gehört zu seinen Aufgaben. II. Verhalten bei Patienten mit infauster Prognose Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärzt− licher Erkenntnis aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist, kann eine Änderung des Behand− lungszieles indiziert sein, wenn lebenserhaltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden und die Änderung des Therapieziels dem Willen des Patienten entspricht. An die Stelle von Lebensverlängerung und Lebenser− haltung treten dann palliativmedizinische Versorgung einschließlich pflege−
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rischer Maßnahmen. In Zweifelsfällen sollte eine Beratung mit anderen Ärz− ten und den Pflegenden erfolgen. Bei Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigungen durch Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Bes− serung besteht, kann nach hinreichender Diagnostik und im Einvernehmen mit den Eltern eine lebenserhaltende Behandlung, die ausgefallene oder ungenügende Vitalfunktionen ersetzen soll, unterlassen oder nicht weiter− geführt werden. Gleiches gilt für extrem unreife Kinder, deren unausweich− liches Sterben abzusehen ist und für Neugeborene, die schwerste Zerstörun− gen des Gehirns erlitten haben. Eine weniger schwere Schädigung ist kein Grund zur Vorenthaltung oder zum Abbruch lebenserhaltender Maßnah− men, auch dann nicht, wenn Eltern dies fordern. Wie bei Erwachsenen gibt es keine Ausnahmen von der Pflicht zu leidensmindernder Behandlung und Zuwendung, auch nicht bei unreifen Frühgeborenen. [. . .] IV. Ermittlung des Patientenwillens Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt die durch den angemessen aufgeklärten Patienten aktuell geäußerte Ablehnung einer Behandlung zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose− und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Ent− scheidung zu überdenken. Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung für den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Willensänderung erkennbar sind. Soweit ein Vertreter (z. B. Eltern, Betreuer oder Bevollmächtigter in Gesund− heitsangelegenheiten) vorhanden ist, ist dessen Erklärung maßgeblich; er ist gehalten, den (ggf. auch mutmaßlichen) Willen des Patienten zur Geltung zu bringen und zum Wohl des Patienten zu entscheiden. Wenn der Vertreter eine ärztlich indizierte lebenserhaltende Maßnahme ablehnt, soll sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden. Bis zur Entscheidung des Vor− mundschaftsgerichts soll der Arzt die Behandlung weiterführen. Liegt weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Vertreter oder einem Bevollmächtigten eine bindende Erklärung vor und kann eine solche nicht – auch nicht durch Bestellung eines Betreuers – rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mutmaß− lichen Willen aus den Gesamtumständen zu ermitteln. Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten können neben früheren Äußerun− gen seine Lebenseinstellung, seine religiöse Überzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und zu schweren Schäden in der ihm verbleibenden Lebenszeit sein. In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch Angehörige oder nahe stehende Personen einbezogen werden, wenn angenommen wer− den kann, dass dies dem Willen des Patienten entspricht. Lässt sich der mutmaßliche Wille des Patienten nicht anhand der genannten Kriterien ermitteln, so soll der Arzt für den Patienten die ärztlich indizierten Maßnahmen ergreifen und sich in Zweifelsfällen für Lebenserhaltung ent− scheiden. Dies gilt auch bei einem apallischen Syndrom.
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6 Sterbehilfe und Sterbebegleitung V. Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungs− verfügungen Mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügun− gen nimmt der Patient sein Selbstbestimmungsrecht wahr. Sie sind eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes. Eine Patientenverfügung (auch Patiententestament genannt) ist eine schrift− liche oder mündliche Willensäußerung eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen äußern, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umrissenen Krankheitssituationen medizinische Maß− nahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen. Anders als ein Testament bedürfen Patientenverfügungen keiner Form, soll− ten aber schriftlich abgefasst sein. Mit einer Vorsorgevollmacht kann der Patient für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, eine oder mehrere Personen bevoll− mächtigen, Entscheidungen mit bindender Wirkung für ihn, u. a. in seinen Gesundheitsangelegenheiten, zu treffen (§ 1904 Abs. 2 BGB). [. . .] Die Einwilligung des Bevollmächtigten in Maßnahmen, bei denen die be− gründete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, bedarf der Genehmi− gung des Vormundschaftsgerichtes, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist (§ 1904 Abs. 2 BGB). Ob dies auch bei einem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen gilt, ist unmstritten. Jedenfalls soll sich der Arzt, wenn der Bevollmächtigte eine ärztlich indizierte lebenserhaltende Maßnahme ablehnt, an das Vormundschaftsgericht wenden. Bis zur Ent− scheidung des Vormundschaftsgerichts soll der Arzt die Behandlung durch− führen. Eine Betreuungsverfügung ist eine für das Vormundschaftsgericht bestimm− te Willensäußerung für den Fall der Anordnung einer Betreuung. In ihr können Vorschläge zur Person eines Betreuers und Wünsche zur Wahrneh− mung seiner Aufgaben geäußert werden. Eine Betreuung kann vom Gericht für bestimmte Bereiche angeordnet werden, wenn der Patient nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, und eine Vollmacht hier− für nicht vorliegt oder nicht ausreicht. Der Betreuuer entscheidet im Rahmen seines Aufgabenkreises für den Betreuten. Zum Erfordernis der Genehmi− gung durch das Vormundschaftsgericht wird auf die Ausführungen zum Be− vollmächtigten verwiesen. [Quelle: Auszüge aus den Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung der Bundesärztekammer. http://www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/ Empfidx/Sterbebegleitung2004/]
Weitere Dokumente und Websites 1. Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz: www.hospiz.net 2. Empfehlung 1418 des Europarates. Schutz der Menschenrechte und der Wür− de der Todkranken und Sterbenden (Protection of the human rights and dignity of the terminally ill and the dying“). Official Gazette of Europe; Juni 1999: http://adssembly.coe.int/documents/adoptedtext/ta99/erec1418.htm 3. Eser A, Koch H−G, Hrsg. Materialien zur Sterbehilfe. Eine internationale Do− kumentation. Freiburg i. Br.: Eigenverlag Max−Planck−Institut für Ausländi− sches u. Internationales Strafrecht; 1991.
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4. Körner U, Biermann E et al. DGEM−Leitlinie Enterale Ernährung: Ethische und rechtliche Gesichtspunkte. Aktuel Ernaehr Med. 2003; 28, Suppl. 1: 36−41. 5. Meran JG, Geissendörfer SE, May AT, Simon A, Hrsg. Möglichkeiten einer standardisierten Patientenverfügung. Gutachten im Auftrag des Bundesmi− nisteriums der Gesundheit. Lit: Münster; 2003. 6. Schell W. Sterbebegleitung und Sterbehilfe: Gesetze, Rechtsprechung, Dekla− rationen (Erklärungen), Richtlinien, Stellungnahmen (Statements). 3. aktua− lisierte und erweiterte Auflage. Hannover: Schlütersche; 2002. 7. Schmerztherapeutisches Ambulantes Netzwerk der Region Köln (STAN): http://www.medizin.uni−koeln.de/stan/ 8. § 216 Strafgesetzbuch: Tötung auf Verlangen: http://bundesrecht.juris.de/ bundesrecht/stgb/index.html 9. Südniedersächsisches Projekt zur Qualitätssicherung der palliativmedizi− nisch orientierten Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen (SUP− PORT): www.come.to/support 10. The World Medical Association. Resolution on Euthanasia. Washington D.C.; 2002: http://www.wma.net/e/policy/e13b.htm 11. Wolfslast G, Conrad C, Hrsg. Textsammlung Sterbehilfe. Heidelberg: Sprin− ger; 2001.
L 6.6 Basisliteratur zum Thema 1. Aulbert E, Klaschik E, Pichlmaier H, Hrsg. Palliativmedizin – Die Alternative zur aktiven Sterbehilfe. Zur Euthanasie−Diskussion in Deutschland. Stuttgart, New York: Schattauer; 1998. 2. Frewer A, Eickhoff C, Hrsg. Euthanasie“ und die aktuelle Sterbehilfe−Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik. Frankfurt a.M., New York: Campus; 2000. 3. Illhardt F−J, Heiss HW, Dornberg M, Hrsg. Sterbehilfe: Handeln oder Unter− lassen? Stuttgart: Schattauer; 1998. 4. Hegselmann R, Merkel R, Hrsg. Zur Debatte über Euthanasie: Beiträge und Stellungnahmen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 1991. 5. Hoerster N. Sterbehilfe im säkularen Staat. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 1991. 6. Kuhlmann A. Sterbehilfe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; 1995. 7. Merkel R. Früheuthanasie: Rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin. Baden−Baden: Nomos; 2001. 8. Putz W, Steldinger B. Patientenrechte am Ende des Lebens: Vorsorgevoll− macht – Patiententestament – Betreuungsrecht – Sterbehilfe. München: dtv; 2003. 9. Thiele F, Hrsg. Aktive und passive Sterbehilfe: Medizinische, rechtswissen− schaftliche und philosophische Aspekte. Paderborn: Wilhelm Fink; 2003. 10. Thomasma DC, Kimbrough−Kushner T, Kimsma GK, Ciesielski−Carlucci C, eds. Asking to Die: Inside the Dutch Debate About Euthanasia. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers; 1998. 11. Uhlenbruck W. Patientenrecht, Betreuungsverfügung und Vorsorgevoll− macht: Zur Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes. Dortmund: Humanitas; 1996. 12. Zimmermann−Acklin M. Euthanasie. Eine theologisch−ethische Untersu− chung. Freiburg i. Br.: Herder; 1997.
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Psychiatrie und Psychotherapie
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L 7.1 Fallgeschichten Suizidgefährdeter Physiker Martin F. ist Physiker und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut. Vor wenigen Tagen hatte er mit seiner Freundin seinen 36. Geburtstag gefeiert. Beim gemeinsamen Abendessen war er sehr nachdenklich geworden und hatte geäußert, dass 36 Jahre eigentlich genug seien und man der ganzen Sache vielleicht besser ein Ende setzen sollte“. Den Rest des Abends war er schweigsam und zurückgezogen gewesen. Die Freundin kennt Herrn F. seit nunmehr 4 Jahren und weiß, dass er mit Ende Zwanzig eine schwere Depression hatte, die zu einer Zwangseinwei− sung und einem mehrmonatigen Psychiatrieaufenthalt geführt hatte. Bei verschiedenen Anlässen hatte er ihr gegenüber immer wieder betont, die Psychiatrie solle sich nicht in die privaten Lebensentwürfe anderer Men− schen einmischen. Mit Bitterkeit hatte er von seinen großen Schwierigkeiten berichtet, im Anschluss an seinen Klinikaufenthalt wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Wer einmal in der Psychiatrie gewesen sei, der habe sein Stigma weg“. Da mache er lieber seine Probleme mit sich selber aus. Am Tag nach der Geburtstagsfeier geht Herr F. weder ans Telefon noch öffnet er die Tür. Die Freundin macht sich große Sorgen und schildert die Situation einer befreundeten Allgemeinmedizinerin. R Jetzt sind Sie gefragt: Welches weitere Vorgehen würden Sie vorschlagen und warum?
Alkoholentzug gegen den Willen des Betroffenen? Ein Elternpaar sucht Hilfe bei einem Suchttherapeuten. Ihr 17−jähriger Sohn Markus spreche mehr und mehr dem Alkohol zu. Er habe in letzter Zeit wiederholt Schwierigkeiten an seiner Ausbildungsstelle zum Feinmechani− ker bekommen. Der Leiter seiner Betriebseinheit habe gedroht, ihn zu ent− lassen, wenn er noch einmal betrunken zur Arbeit komme. Die Eltern waren sehr froh, als ihr Sohn vor einem Jahr die Stelle trotz zahlreicher Mitbewerber bekommen hatte, und sehen nun die berufliche Zukunft ihres Sohnes ge− fährdet. Markus habe im Alter von elf oder zwölf Jahren bei Grillpartys der Familie erste Erfahrungen mit Alkohol gemacht. In den darauf folgenden Jahren habe er ab und zu mit dem Vater ein Bier mittrinken dürfen. Aber erst seit er sich vor etwa neun Monaten einer bestimmten Gruppe von Jugendlichen angeschlossen habe, trinke er massiv. Wenn er betrunken sei, werde er manchmal auch aggressiv. So habe er kürzlich einen Freund der Familie bedroht. Markus selbst, so berichten die Eltern, sähe in seinem Alkoholkonsum kein Problem und erst recht keine Krankheit. Zu so einem Psycho−Doktor“ ginge er auf gar keinen Fall. Die Eltern fragen nun den The− rapeuten nach der Möglichkeit einer Entziehungskur, wenn nötig auch gegen Markus’ Willen. R Jetzt sind Sie gefragt: Welche moralischen Erwägungen stellen sich für den Suchttherapeuten und wie sollte er vorgehen?
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7 Psychiatrie und Psychotherapie
L 7.2 Besonderheiten psychiatrischer Behandlung Die besondere Situation psychiatrischer Patienten
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Ethische Fragen in der Psychiatrie und Psychotherapie weisen einige Charak− teristika auf, die ihnen besondere Brisanz verleihen. Im Verlauf der psychia− trischen Diagnostik und Therapie erhält die Ärztin bzw. der Arzt Einblicke in die gedankliche, emotionale und soziale Welt des Patienten, die dessen Selbstverständnis in sehr grundlegender Weise berühren. Zudem entwickelt sich häufig auch eine komplexe Beziehung zwischen Therapeut und Patient, deren Gestaltung unmittelbare Auswirkungen auf das Wohlergehen des Pa− tienten haben kann. Die Rolle eines psychiatrischen Behandlers oder Gut− achters ist mit erheblicher Macht verbunden, denn bereits die Diagnose einer psychischen Erkrankung ist nach wie vor mit einem gesellschaftlichen Stig− ma behaftet und kann Lebensentwürfe in privater und beruflicher Hinsicht in Frage stellen. Außerdem beurteilen Psychiater auch die Entscheidungskom− petenz von Patienten und können unter Umständen eine Zwangsbehandlung einleiten. Psychiatrische Patienten sind daher eine besonders vulnerable Gruppe; d. h. Personen dieser Gruppe können leicht – mit oder ohne Absicht – in körperlicher, seelischer oder sozialer Hinsicht geschädigt werden und sich gegen Missbrauch nur bedingt zur Wehr setzen.
Gesellschaftliche und politische Aspekte Insbesondere im Bereich der Psychiatrie ist die Grenze zwischen Normalem und Pathologischem, zwischen Krankheit und gesellschaftlicher Wertung unscharf. Als Beispiel kann hier die Homosexualität genannt werden, die erst 1973 von der American Psychiatric Association aus dem Katalog psy− chiatrischer Erkrankungen gestrichen wurde. Die Einteilung und Systemati− sierung psychiatrischer Erkrankungen ist umstritten, weil sie einem steten Wandel unterliegt. So wurde beispielsweise der Begriff der Neurose, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst bedeutsam war, in den letzten Jahren weitgehend aufgegeben. Zudem beruht die Diagnose auf Kriterien, deren Beurteilung häufig nicht unabhängig vom jeweiligen Untersucher ist. Theorie und Praxis der Psychiatrie sind also auf mehreren Ebenen von gesellschaft− lichen Wertungen geprägt.
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7 Psychiatrie und Psychotherapie
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Die Institution der Psychiatrie kann für politische Zwecke missbraucht wer− den. Dies liegt insbesondere an der Stigmatisierung, die der als psychisch krank“ Diagnostizierte erfährt, und der daraus resultierenden Macht des Therapeuten“. Entsprechende Fälle sind z. B. für die Sowjetunion der 1960 er Jahre dokumentiert, wo mit Hilfe der Psychiatrie politische Gegner diskreditiert bzw. eliminiert wurden. Die Zwangssterilisation, Misshandlung und Ermordung psychisch Kranker in Deutschland zur Zeit des Nationalso− zialismus legt ein weiteres, äußerst drastisches Zeugnis für das Missbrauchs− potenzial der Psychiatrie ab. Deklarationen wie die des Weltverbandes für Psychiatrie haben auf diese Ereignisse reagiert und betonen die Bedeutung von Informed Consent, Schweigepflicht und einem sorgsamen Umgang mit Zwangsmaßnahmen. Es haben sich außerdem Selbsthilfegruppen wie der Verein Psychiatrie−Er− fahrener sowie Gruppen von Angehörigen psychisch Kranker organisiert, die als Forum für kritische Einwände gegen die gängige psychiatrische Praxis dienen können. Eine radikal skeptische Position bezüglich der therapeutischen Möglichkei− ten und der Notwendigkeit der institutionellen Psychiatrie wurde in den 1960 er Jahren formuliert. Einer der entschiedensten Vertreter der so genann− ten Antipsychiatrie in den 1960 ern war Thomas Szasz, der davon ausging, dass der Begriff der Geisteskrankheit nichts als ein bequemer Mythos sei, der dazu diene, lebensweltliche Probleme und moralische Konflikte zu ka− schieren. Kritisiert wurde auch, dass der Verwahrung psychiatrischer Pati− enten – und damit einem vermeintlichen Schutz der Gesellschaft – höherer Wert beigemessen wurde als ihrer Behandlung und Rehabilitierung. In der Folgezeit wurden zahlreiche psychiatrische Patienten enthospitalisiert. Die− se Entwicklung ist zwar teilweise wieder zurückgenommen worden, doch hat sie eine nachhaltige Diskussion über ethische Probleme in der Psychiatrie in Gang gesetzt, die sowohl von den Fachvertretern als auch von Betroffenen und der Öffentlichkeit fortgeführt wurde.
Eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit In der Erwachsenen− wie in der Kinder− und Jugendpsychiatrie ist das Ziel der Behandlung nicht nur die Linderung von Krankheitssymptomen, sondern auch die Wiederherstellung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Bei allen Patienten, auch bei Kindern und Jugendlichen, setzt dies eine frühzeitige Einbeziehung in klinische Entscheidungen voraus. Liegt keine Selbstbestim− mungsfähigkeit vor, muss der Arzt seine Entscheidungen am mutmaßlichen Willen des Patienten orientieren. Hilfreich kann auch die vormundschafts− gerichtliche Bestellung eines Betreuers sein. Bei Kindern und Jugendlichen entscheiden die Eltern nach Beratung durch den Arzt. Wenn Eltern− und Kindeswille nicht übereinstimmen, sollte der behandelnde Arzt prüfen, wel− che Entscheidung im besten Interesse des Minderjährigen ist. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Kind das Recht auf einen eigenständigen, authentischen Lebensentwurf hat.
L 7.3 Betreuung und Zwangsbehandlung In Deutschland ist der rechtliche Rahmen auf Bundesebene durch das Be− treuungsgesetz (1992) oder – falls eine Straftat vorliegt – durch das StGB
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7 Psychiatrie und Psychotherapie (§§ 20–21, §§ 63–64) und auf Länderebene durch Gesetze über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (PsychKG) geregelt. R Dokumentauszüge aus dem Strafgesetzbuch s. S. 94–95.
Betreuung Den Begriff der Vormundschaft gibt es seit der Reform des § 1896, Abs.1 BGB im Jahre 1992 nur noch für Minderjährige. Ein psychisch erkrankter Mensch kann anderen Personen, z. B. Angehörigen, eine Vorsorgevollmacht erteilen. Ansonsten kann das Vormundschaftsgericht, das dem Amtsgericht angeglie− dert ist, einen Betreuer benennen, der als gesetzlicher Vertreter für bestimm− te Aufgabenkreise fungiert. Dazu zählen beispielsweise die Verwaltung des Vermögens, die Bestimmung des Aufenthalts oder die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung. Jeder kann eine Betreuung für eine andere Person anregen. In manchen Fällen kommt es bei der Wahl des Betreuers zu Kon− flikten – wenn z. B. der betroffene Patient eine andere Person bevorzugt als die durch das Gericht benannte Person. Entschieden wird im Rahmen eines Betreuungsverfahrens, das sich auf eine persönliche Anhörung des Betroffe− nen sowie auf Gutachten von Sachverständigen stützt.
Zwangsbehandlung
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Ein Verlust der Selbstbestimmbarkeit im Rahmen einer psychischen Erkran− kung kann mit einer Selbst− oder Fremdgefährdung einhergehen. In diesem Fall muss der psychisch Erkrankte notfalls durch Freiheitsentzug daran ge− hindert werden, falls weniger eingreifende Maßnahmen nicht zum Erfolg führen. Das Gericht kann per einstweiliger Anordnung eine Unterbringung in einer Klinik für die Höchstdauer von sechs Wochen verfügen. Da es sich hier um einen massiven Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung handelt, muss dies gut und sorgfältig begründet sein. Die häufigste Begründung für eine Zwangsbehandlung ist Suizidgefahr. Vor− ausgesetzt wird, dass dem Suizidwunsch eine Krankheit zu Grunde liegt, welche die Selbstbestimmungsfähigkeit der Person einschränkt. Die Zwangsbehandlung zielt darauf, diese Fähigkeit wiederherzustellen. Einige Ethiker gehen davon aus, dass jeder Suizidwunsch krankhaft ist und daher ein ärztliches Eingreifen immer gerechtfertigt ist. Dagegen argumentieren andere, dass es auch den wohl überlegten Bilanzsuizid“ gebe, z. B. als Folge einer langjährigen unheilbaren Erkrankung, der nicht auf einer krankhaften Persönlichkeitsveränderung beruhe und daher ein fürsorgliches Eingreifen seitens der Medizin nicht rechtfertige. In jedem Fall besteht ein deutlicher Konflikt zwischen der medizinischen Garantenpflicht zur Lebenserhaltung und dem Respekt vor der Autonomie des Betreffenden. Im Falle einer Fremdgefährdung konfligieren die individuelle Freiheit des Patienten mit dem Schutz der Gesellschaft, z. B. bei pädophilen Sexualstraf− tätern. Die Abwägung der Maßnahmen im Einzelfall erfordert von der be− treffenden Ärztin bzw. dem Arzt eine sorgfältige und selbstkritische ethische Reflexion, die die Perspektive von Angehörigen und Pflegenden ebenso mit einbezieht wie die rechtlichen Rahmenbedingungen. R Dokument Erklärung des Weltärztebundes zu den ethischen Problemen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen s. S. 93–94.
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L 7.4 Forschung an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen Einführung In jedem Bereich der Psychiatrie – von der Psychopharmakologie bis hin zu Psychoanalyse oder kognitiv−verhaltenstherapeutischen Ansätzen – ist For− schung eine unverzichtbare Voraussetzung, um Therapiemöglichkeiten, diagnostische Kompetenz und ätiologische Konzepte weiterzuentwickeln. Ohne eine wissenschaftliche Validierung besteht die Gefahr, dass wenig wirksame oder potenziell gefährliche Behandlungen aufgrund anekdotisch berichteter Erfolge, theoretischer Vermutungen oder allein aus Loyalität zu einer Schulrichtung beibehalten werden. Wenn psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen in wissenschaft− liche Studien eingeschlossen werden sollen, ist dabei jedoch stets zu beden− ken, dass es sich hier um besonders vulnerable Gruppen handelt. Ein inter− national bekanntes Beispiel für ein moralisch fragwürdiges Forschungspro− jekt stellt die so genannte Willowbrook−Studie an geistig behinderten Kin− dern dar: Zwischen 1956 und 1970 beobachteten U.S.−amerikanische Ärzte den Verlauf der in einem Behindertenheim endemischen Hepatitis B und infizierten auch einige Kinder mit dem Virus, um die Wirksamkeit von ver− schiedenen Impfverfahren zu testen. Den Forschern wurde zum einen vorge− worfen, Eltern seien genötigt worden, ihre Zustimmung zum Experiment zu geben. Zum anderen wurde eingewandt, Nichteinwilligungsfähige sollten, wenn es sich um Forschung handle, die keinen unmittelbaren therapeuti− schen Nutzen für sie habe, allenfalls einem minimalen Risiko ausgesetzt werden. Diese Grenze sei aber durch eine Infektion mit Hepatitis B klar überschritten worden. Die öffentliche Diskussion dieses Forschungsskandals hatte maßgeblich Einfluss auf die Verabschiedung strengerer Richtlinien zur Kontrolle der Forschung in den USA.
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Voraussetzungen für eine medizinethisch akzeptable Forschung
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Für eine differenziertere Betrachtung jeder Forschung an psychisch erkrank− ten oder geistig behinderten Probanden sind folgende Fragen zu klären: Ist Einwilligungsfähigkeit gegeben? Handelt es sich um Forschung mit oder ohne direkten potenziellen Nutzen für den Probanden? Welches Risiko ist mit der Forschung verbunden? Je nach den Gegebenheiten und dem Risiko für den Patienten werden die Kriterien für die Zulässigkeit mehr oder weniger streng sein. Voraussetzun− gen für eine medizinethisch akzeptable Forschung sind eine individuelle Nutzen−Risiko−Abwägung sowie eine sorgfältige Aufklärung und die Einwil− ligung des Patienten. Die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ist Voraussetzung für eine gültige Einwilligung des Patienten. Grundsätzlich bestehen in folgenden Fällen Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit: Wenn der Patient entweder nicht zu Entscheidungen in der Lage ist (z. B. bei schwerer Depression) oder nicht authentisch – d. h. nicht in Übereinstim− mung mit seinen Überzeugungen im gesunden Zustand – entscheiden kann (z. B. im akuten Schub einer Schizophrenie). Wenn er gegebene Informationen nicht versteht (z. B. bei Demenz) oder nicht für realitätsbezogene Entscheidungen nutzen kann (z. B. bei Wahnvorstel− lungen). Wenn er keine Einsicht in seine Situation bzw. Behandlungsbedürftigkeit hat.
Forschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten Besondere Rechtfertigung erfordert die Forschung an nicht einwilligungsfä− higen Patienten. Die stellvertretende Einwilligung des Betreuers ist in diesem Fall erforderlich. Ob ein Betreuer auch in Forschung ohne direkten Nutzen für den Probanden einwilligen kann, ist umstritten; denn das Amt des Betreuers impliziert eigentlich die Tätigkeit im Interesse des Betreuten (s. Kap. 8 S. 102– 103). Die ethische Zulässigkeit von Forschung ohne direkten Nutzen für den Pro− banden an Nichteinwilligungsfähigen ist ebenfalls umstritten. Die Deklara− tion von Helsinki in ihrer im Jahre 2000 überarbeiteten Version fordert in
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diesem Fall besondere Schutzmaßnahmen für diese Patientengruppe. So muss die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters eingeholt werden. Zudem darf es sich nur um Forschung handeln, die auf eine Verbesserung des Ge− sundheitszustands der betreffenden Patientengruppe zielt und die an Ein− willigungsfähigen nicht durchgeführt werden kann (vgl. Kap. 8 S.102–103). R Dokument Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki s. Anhang S.154– 158. In der Psychiatrie lassen sich Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (s. Kap. 2 S. 21) sinnvoll einsetzen. Bei Erkrankungen, die in Schüben verlaufen oder im Frühstadium diagnostiziert werden, können sich die Betroffenen im Zustand der Einwilligungsfähigkeit zu Therapiemaßnahmen oder zur Teil− nahme an Forschungsvorhaben äußern. Sie können Personen benennen, die in dieser Frage stellvertretend und in ihrem Interesse entscheiden sollen. Ärztinnen und Ärzte, die ihre Patienten dabei unterstützen, schaffen die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen allen Beteilig− ten.
L 7.5 Dokumente und Websites zum Thema Erklärung des Weltärztebundes zu den ethischen Problemen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen Präambel [. . .] Patienten mit psychischen Erkrankungen sollten die gleiche Beachtung, Be− handlung und medizinische Versorgung erfahren wie alle anderen Patienten. Der Psychiater hat als Arzt die gleichen Pflichten gegenüber seinen Patienten wie jeder andere Facharzt. So sollte die Rolle als Vermittler der Gesellschaft, die den Psychiatern zuwei− len auferlegt wird, nicht dazu verleiten, ihre vorrangige Funktion als Ange− hörige der Heilberufe zu unterminieren bzw. zu untergraben. Ethische Grundsätze 1. Der Weltärztebund ist der Meinung, dass der mit der Psychiatrie und den psychisch Kranken verbundenen Diskriminierung ein für alle Mal ein Ende zu bereiten ist. Dieses Stigma hält Menschen in Not häufig davon ab, die Hilfe von Psychiatern in Anspruch zu nehmen, wodurch sich ihre Situation noch verschlimmert. 2. Der Psychiater versucht, in seiner Therapie zu seinem Patienten eine Bezie− hung gegenseitigen Vertrauens aufzubauen. Er sollte den Patienten über den gesundheitlichen Zustand, die therapeutischen Methoden (einschließlich mögliche Alternativen und jeweilige Risiken) und über das erhoffte Ergebnis informieren. 3. Die rechtliche Stellung eines Patienten mit einer psychischen Erkrankung, der nicht in der Lage ist, selbständig zu handeln und zu entscheiden, unter− scheidet sich nicht von der anderer Patienten, die rechtlich unzurechnungs− fähig sind. Er/sie sollte wie jeder andere Patient behandelt werden, der vor− übergehend oder ständig unzurechnungsfähig ist. Patienten mit psychischen Erkrankungen, einschließlich Psychosen, sollten nicht automatisch für recht− lich unzurechnungsfähig erklärt werden. Ihr Urteil sollte in Bereichen re− spektiert werden, in denen sie Entscheidungen treffen können. Wenn der Kranke nicht fähig ist, eine Entscheidung bezüglich seiner medizinischen
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7 Psychiatrie und Psychotherapie Versorgung zu treffen, dann sollte entsprechend dem geltenden Gesetz stell− vertretend die Einwilligung eines bevollmächtigten Vertreters eingeholt wer− den. Zwangsbehandlungen sollten bei der Behandlung von Patienten mit psychi− schen Erkrankungen nur angewendet werden, wenn sie sich in einem kriti− schen gesundheitlichen Zustand befinden und sie eine Bedrohung für sich selbst oder für andere darstellen. Ärzte sollten Zwangseinweisungen nur in Ausnahmefällen vornehmen und auch nur, wenn und solange dies medizi− nisch erforderlich ist. Jeder Psychiater sollte seinen Patienten die nach seinem Kenntnisstand best− mögliche Therapie zuteil werden lassen und sie mit dem der Würde aller Menschen entsprechenden Respekt behandeln. Psychiater, die in einer An− stalt, beim Militär oder in Gefängnissen praktizieren, können in einen Kon− flikt geraten bezüglich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und ihrer Verpflichtung gegenüber dem Patienten. Sie müssen sich in erster Linie gegenüber ihren Patienten loyal verhalten. Wenn von dem Psychiater ver− langt wird, als Vermittler der Gesellschaft zu fungieren anstatt die Interessen des Patienten bestmöglich zu vertreten, dann sollte der Patient über den Konflikt informiert werden, damit er sich nicht vom Arzt hintergangen fühlt oder ihn für von den Behörden vorgeschriebene Maßnahmen verantwortlich macht. Die ärztliche Schweigepflicht und die Privatsphäre aller Patienten sollte ge− schützt werden. Wenn es das Gesetz verlangt, sollte der Psychiater nur die relevanten Informationen bekanntgeben, und zwar nur der zuständigen Be− hörde. Dabei können Datenbanken, durch die der automatische Informati− onstransfer von einer zur anderen Behörde möglich ist, benutzt werden, vorausgesetzt, die ärztliche Schweigepflicht bleibt gewahrt. Ein Psychiater darf seine berufliche Position niemals dazu benutzen, die Würde oder die Menschenrechte eines Einzelnen oder einer Gruppe von Patienten zu verletzen und er sollte niemals zulassen, dass seine persönli− chen Wünsche, Bedürfnisse, Gefühle, Vorurteile oder Ansichten die Behand− lung beeinflussen. Auch darf der Psychiater keinen Vorteil aus seiner beruf− lichen Position oder aus der Verletzlichkeit eines Patienten ziehen, wodurch er seine Autorität missbrauchen würde, z. B. wenn er die Arbeitskraft eines Patienten für seine persönlichen Zwecke einsetzen oder sexuelle Beziehun− gen zu einem Patienten unterhalten würde. [Quelle: Erklärung des Weltärztebundes zu den ethischen Problemen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen. Verabschiedet von der 47. General− versammlung des Weltärztebundes in Bali, Indonesien, September 1995. In: Handbuch der Deklarationen des Weltärztebundes: http://www.bundes− aerztekammer.de/30/Auslandsdienst/99Handbuch2003.pdf (S. 137−139)]
Auszüge aus dem Strafgesetzbuch Grundlagen der Strafbarkeit [. . .] § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
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§ 21 Verminderte Schuldfähigkeit Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründen bei Be− gehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs.1 ge− mildert werden. [. . .] § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Ge− richt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (1) Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechts− widrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zu− rückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldun− fähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. (2) Die Anordnung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint. [Quelle: http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stgb/index.html]
Weitere Dokumente und Websites 1. European Association for Psychotherapy. Carta Ethica or Charta of Professio− nal Ethics for Psychologists. Adopted by the General Assembly 1995, July 1 in Athens: http://www.efpa.be/Home/newpagina.htm 2. Walter−von−Baeyer−Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V.: http:// www.psychiatrie−und−ethik.de/1_gesamt.html 3. World Medical Association. Resolution on the Abuse of Psychiatry. Adopted by the WMA General Assembly, Washington 2002: http://www.wma.net/e/ policy/a3.htm 4. World Psychiatric Association. Madrid Declaration on Ethical Standards for Psychiatric Practice, approved by the General Assembly on August 25, 1996, and amended by the General Assembly in Yokohama, Japan, in August 2002: http://www.wpanet.org/generalinfo/ethic1.html
L 7.6 Basisliteratur zum Thema 1. Barocka A, Lungershausen E, Hrsg. Ethische Brennpunkte der Psychiatrie. Würzburg: Königshausen & Neumann; 1999. 2. Bloch S, Chodoff P, Green SA, eds. Psychiatric Ethics. 3 rd ed. Oxford: Oxford University Press; 1999. 3. Dickenson D, Fulford B. In Two Minds: A Casebook of Psychiatric Ethics. Oxford: Oxford University Press; 2000. 4. Dörner K, Plog U, Teller C, Wendt F. Irren ist menschlich. Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie. Bonn: Psychiatrie−Verlag; 2002.
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5. Helmchen H, Vollmann J. Ethische Fragen in der Psychiatrie. In: Helmchen H, Henn F et al., Hrsg. Psychiatrie der Gegenwart. Bd. 2. Berlin, Heidelberg: Springer; 1999: 522−572. 6. Hutterer−Krisch R, Hrsg. Fragen der Ethik in der Psychotherapie: Konfliktfel− der, Machtmissbrauch, Berufspflichten. Wien u. a.: Springer; 2001. 7. Goffman E. Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. 12. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 1999. 8. Payk TR, Hrsg. Perspektiven psychiatrischer Ethik. Stuttgart: Thieme; 1996. 9. Pöldinger W, Wagner W, Hrsg. Ethik in der Psychiatrie. Wertebegründung – Wertedurchsetzung. Berlin, Heidelberg: Springer; 1991. 10. Szasz TS. Geisteskrankheit – ein moderner Mythos? (The Myth of Mental Illness). Reinbek: Rowohlt; 1961. 11. Tress W, Langenbach M, Hrsg. Ethik in der Psychotherapie. Göttingen: Van− denhoeck & Ruprecht; 1999. 12. Vollmann J. Aufklärung und Einwilligung in der Psychiatrie: Ein Beitrag zur Ethik in der Medizin. Darmstadt: Steinkopff; 2000.
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L 8.1 Fallgeschichten Stammzelltherapie bei Parkinson Eine Neurologin stellt bei der Ethikkommission einen Antrag auf folgendes Forschungsprojekt: In einer doppelblinden, randomisierten Studie soll bei insgesamt 50 Patienten mit fortschreitendem schwerem Morbus Parkinson die Therapie mit humanen embryonalen Stammzellen gegen die Standard− behandlung mit Anti−Parkinson−Medikamenten getestet werden. Die Patienten, die in die Studie eingeschlossen werden sollen, leiden alle unter schweren Bewegungsstörungen. Ihre Erkrankung schreitet langsam voran. Die Stammzellen werden von Embryonen nach Schwangerschaftsab− bruch gewonnen und im Bereich der Substantia nigra in das Gehirn betroffe− ner Personen implantiert. Heilversuche mit einzelnen Patienten in verschie− denen Ländern haben schon Hinweise dafür erbracht, dass eine solche Be− handlung die Symptome des M. Parkinson bessern kann. Es wurde aber bislang noch kein wissenschaftlich abgesicherter, systematischer Vergleich von Standardtherapie und neuer Behandlungsmethode durchgeführt. Die Verteilung in die beiden Behandlungsgruppen soll per Zufallsverfahren (Ran− domisierung) erfolgen. Damit die Studie doppelblind durchgeführt werden kann, soll auch bei jenen Patienten, die der Standardtherapiegruppe zugelost werden, eine Operation durchgeführt werden, d. h. es soll der Schädel ange− bohrt werden, dann aber sollen keine Zellen implantiert werden. Weder der betreuende Arzt noch der Patient werden erfahren, ob Embryonalzellen verpflanzt worden sind oder nicht. Die Patienten sollen über dieses Vorgehen aufgeklärt werden und ihre Zustimmung dazu erteilen. R Jetzt sind Sie gefragt: Stellen Sie sich vor, Sie seien Mitglied der Ethik− kommission. Halten Sie diese Studie für vertretbar?
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Studie zum Hyperkinetischen Syndrom Im Rahmen einer Studie soll das überzufällig häufige gemeinsame Auftreten von Hyperkinetischer Störung (HKS) und Lese−Rechtschreib−Schwäche (LRS) untersucht werden. Ziel ist es, die – möglicherweise gemeinsame – krank−
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heitsauslösende Ursache zu finden, um in Zukunft eine genauere und früh− zeitige Diagnostik und Therapie zu ermöglichen. Hierfür sollen mindestens 80 Kinder mit Lese−Rechtschreib−Schwäche und/oder Hyperkinetischer Stö− rung zwischen sechs und elf Jahren sowie zum Vergleich 40 gesunde Kinder untersucht werden. Die Testdauer beträgt insgesamt sieben bis acht Stunden einschließlich Pau− sen, verteilt auf drei Tage innerhalb einer Woche. Zu den Untersuchungen gehören: neurologische Untersuchung, Hörtest, Fragebögen, Intelligenztest, Lese−Rechtschreibtests, Aufmerksamkeits−Tests, Elektroenzephalogramm (EEG). R Jetzt sind Sie gefragt: Halten Sie diese Studie für vertretbar? Wenn ja, unter welchen Bedingungen?
L 8.2 Rechtliche Rahmenbedingungen Der gesetzliche Rahmen
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Forschung am Menschen ist heute essenzieller Bestandteil wissenschaftli− cher Medizin. Versuche am Menschen durchzuführen ist sogar ein morali− sches Gebot, denn nur so kann man wirkungsvolle von unwirksamen oder sogar schädlichen Therapien unterscheiden und neue Therapien entwickeln. Dennoch setzt gerade die Forschung am Menschen die Patient−Arzt−Bezie− hung großen Belastungen aus, weil der Arzt vom Gebot, zum Wohl eines individuellen Patienten tätig zu sein, unter Umständen abweicht. Da eine große Gefahr des Missbrauchs besteht, ist die Durchführung von Versuchen am Menschen heute in vielen Ländern streng geregelt. Dies ge− schah aus der Erfahrung heraus, dass Patienten in der Geschichte nicht selten als Versuchsobjekte missbraucht wurden. Ehrgeiz von Forschern oder die Interessen der pharmazeutischen Industrie sind mächtige Motoren des wis− senschaftlichen Fortschritts und könnten ohne rechtlichen Schutz des Pati− enten oder der Versuchsperson inhumane Auswirkungen haben. Für jeden Versuch am Menschen gilt deshalb eine besonders strenge Pflicht des Arztes zur Nutzen−Risiko−Abschätzung und zur umfassenden Aufklärung seines Patienten oder Probanden. Die Durchführung von Versuchen am Menschen wird in Deutschland durch das Arzneimittelgesetz (AMG [§§ 40/41]) sowie das Medizinproduktegesetz (MPG [§§ 20/21]) und die Strahlenschutzverordnung (§§ 23 ff) geregelt; auf europäischer Ebene durch die Richtlinien zur Good Clinical Practice (GCP) sowie international durch die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes (derzeitige Fassung Edinburgh 2000). R Dokument Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) s. S.105–106. R Dokument Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki s. Anhang S. 154– 158. Auch das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates befasst sich in den Artikeln 15–19 mit der Forschung am Menschen. Es wurde allerdings von einigen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, noch nicht unterzeichnet. R Dokument Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin s. Anhang S.145–153.
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Ethikkommissionen Jeder Arzt, der einen Versuch am Menschen durchführen will, ist durch ärzt− liches Berufsrecht und andere Rechtsvorschriften dazu verpflichtet, sich zu− vor von einer nach Landesrecht gebildeten Ethikkommission für Forschung am Menschen beraten zu lassen. Solche Ethikkommissionen gibt es an allen Universitäten und Landesärztekammern. Sie stellen in einem Begutach− tungsverfahren fest, ob die ethischen und rechtlichen Richtlinien zur Durch− führung von Versuchen am Menschen im konkreten Fall beachtet worden sind und ob für eine ausreichende Aufklärung der Versuchsteilnehmer Sorge getragen wurde. Sie können die Genehmigung zur Durchführung einer Studie verweigern. Bei einem positiven Votum bleibt allerdings die volle Verantwortung für die Durchführung des Versuchs beim Versuchsleiter selbst. Ethikkommissionen sind jedoch nur für die Durchführung von systematischen wissenschaftli− chen Versuchen am Menschen zuständig. Der individuelle Heilversuch, also die Anwendung eines noch nicht ausreichend erprobten Verfahrens im Ein− zelfall, muss nicht begutachtet werden. Hier gelten aber unvermindert die besonderen Ansprüche an die Risiko−Nutzen−Abwägung sowie an Informa− tion und Zustimmung des Patienten. Die Zusammensetzung von Ethikkommissionen ist weitgehend der Ärzte− schaft selbst überlassen. Die Mitglieder sind in der Mehrheit Ärzte; in der Regel nimmt an den Beratungen noch ein Jurist, gelegentlich auch ein Theo− loge, ein Mitglied des Pflegepersonals oder ein Medizinethiker, selten ein Studierender oder ein Bürgervertreter teil. Die Dominanz der ärztlichen Ver− treter in Ethikkommissionen wurde wiederholt kritisiert. Gefordert wird, dass die Öffentlichkeit durch Laienmitglieder stärker beteiligt werden soll. Problematisch ist, dass eine Aufsicht über die Tätigkeit dieser Kommissionen nicht stattfindet. Kritisiert wird zudem, dass nicht kontrolliert wird, ob die Auflagen der Ethikkommission in der Praxis von den Forschern auch tatsäch− lich eingehalten werden.
L 8.3 Therapeutischer versus wissenschaftlicher Versuch Versuchsarten Man unterscheidet Versuche mit und ohne direkten potenziellen Nutzen für die Versuchsperson, gelegentlich auch als therapeutische bzw. rein wissen− schaftliche Versuche bezeichnet. O Rein wissenschaftliche Versuche dienen ausschließlich der wissenschaftli− chen Erkenntnis und sind deshalb besonders sorgfältig zu rechtfertigen. Sie sind beispielsweise nötig, um grundlegende physiologische Mechanismen am Menschen zu erforschen, die Kinetik oder Toxizität neuer Arzneimittel zu bestimmen oder die Validität eines neuen diagnostischen Verfahrens zu testen. Zulässig sind solche Versuche nur dann, wenn nach systematischen Tierversuchen die Risiken für den Menschen als gering eingeschätzt werden. Rein wissenschaftliche Arzneimittelstudien nennt man Phase−I−Studien. Da− ran nehmen in der Regel nur gesunde Personen teil, die für ihre Teilnahme bezahlt werden. O Beim so genannten therapeutischen Versuch hingegen steht für die Ver− suchsperson ein unmittelbarer Nutzen zumindest in Aussicht. Dieser Nutzen kann zum Beispiel darin bestehen, dass ein Patient mit einer bisher unheil−
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baren Krankheit an der Erprobung eines neuen Medikaments teilnimmt. Das Arzneimittel muss schon im Tierversuch erwünschte Eigenschaften gezeigt haben und beim Menschen auf seine Toxizität hin getestet worden sein. Dann wird in einem Phase−II−Versuch mit Patienten untersucht, bei welcher Dosis sich therapeutische Wirkungen beim Menschen einstellen und ob die Ne− benwirkungen tolerabel sind. Der Nutzen für die am Versuch teilnehmenden Patienten muss streng gegen die zu befürchtenden Schäden abgewogen werden. In Phase−III− und Phase−IV−Studien wird ein neues Medikament dann an zunehmend größeren Patientengruppen geprüft. Die Unterscheidung in rein wissenschaftliche und therapeutische Studien dient der Abschätzung des Versuchsnutzens und geht auf eine entsprechen− de Formulierung in früheren Fassungen der Helsinki−Deklaration zurück. Sie wurde allerdings kritisiert, weil klinische Studien oft zugleich Versuchsan− teile mit und ohne Nutzen für die Versuchsperson enthalten und somit nicht eindeutig klassifizierbar sind. Eine Orientierung ausschließlich am poten− ziellen Nutzen eines Versuchs ohne zusätzliche Risikoabschätzung kann zudem falsche Sicherheiten erzeugen. Denn es gibt rein wissenschaftliche Versuche mit vernachlässigbarem Risiko (z. B. psychologische Tests) und therapeutische Studien mit extrem hohen Risiken für die Versuchsperson (z. B. Transplantationsversuche). Die neueste Fassung der Helsinki−Deklara− tion enthält die Unterscheidung deshalb nicht mehr, während sie in Deutsch− land nach wie vor gebräuchlich ist. R Dokument Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki s. Anhang S.154– 158.
L 8.4 Aufklärung und Einwilligung Aufklärung und Einwilligung
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Die Teilnahme an einem Versuch erfordert eine umfassende Aufklärung des Patienten und seine Einwilligung. Hohe Ansprüche an die Aufklärung von Versuchspersonen wurden von dem amerikanischen Militärgericht erhoben, das 1946/1947 über nationalsozia− listische Ärzte und ihre Menschenversuche in Konzentrationslagern zu ur− teilen hatte (so genannter Nürnberger Ärzteprozess). Dieser Nürnberger Kodex wurde 1964 auf einer Konferenz des Weltärztebundes in Helsinki weiter ausdifferenziert (Helsinki−Deklaration). Die damals und in weiteren nachfolgenden Treffen niedergelegten Richtlinien gelten als internationaler Standard für die Durchführung von Experimenten am Menschen. R Dokument Nürnberger Kodex s. S.106–107. Demnach erfordert jeder Versuch am Menschen die umfassende Aufklärung des Versuchsteilnehmers über Risiken und Nutzen des Versuchs, über therapeutische Alternativen sowie über die absolute Freiwilligkeit der Teilnahme. Die Versuchsperson muss zudem über den genauen Ablauf des Versuchs und über ihr Recht, den Versuch jederzeit ohne persönliche Nachteile abbrechen zu können, unterrichtet werden. Versuche an Frauen im gebärfähigen Alter sind besonders problematisch. Es ist oft unbekannt, ob ein neues Medikament zur Schädigung einer schwan− geren Frau oder ihres Kindes führt. Aus diesem Grund müssen Frauen insbe−
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sondere über diese Gefahren bei einer Versuchsteilnahme aufgeklärt werden. Sie müssen in der Lage sein, für eine konsequente Empfängnisverhütung zu sorgen. In der Praxis hat diese nicht immer praktikable Einschränkung dazu geführt, dass einige große Studien zu neuen Medikamenten überwiegend oder sogar ausschließlich an Männern durchgeführt wurden. Die Auswir− kungen neuer Arzneimittel auf Frauen sind deshalb gelegentlich schlecht erforscht. Erkrankt eine Frau in der Schwangerschaft, ist das Risiko einer Behandlung oft unbekannt. Eine Maßnahme zum Schutz von Frauen und ihren Kindern wirkt sich so indirekt zu ihrem Nachteil aus. Darin steckt ein besonderes ethisches Dilemma.
Einwilligungsunfähigkeit Die Zustimmung zur Versuchsteilnahme setzt die Einwilligungsfähigkeit der Versuchsperson voraus (s. Kapitel 2 S.19–20 und Kapitel 7 S. 89). Die Ver− suchsperson muss in der Lage sein, Wesen, Tragweite und Bedeutung des Versuchs zu erkennen und ihr Handeln danach zu bestimmen. Einige Personengruppen sind teilweise oder vollständig einwilligungsunfä− hig oder in ihrer Entscheidung nicht frei. Man spricht von den so genannten vulnerablen Gruppen. Zum einen handelt es sich dabei um Kinder sowie um vorübergehend oder dauerhaft in ihren geistigen Leistungen eingeschränkte Erwachsene. Zum anderen ist Vorsicht auch geboten bei Personen, deren Freiwilligkeit eingeschränkt sein kann oder die vom Versuchsleiter abhängig sind, wie Mitarbeiter oder Doktoranden, aber auch z. B. Soldaten oder Ge− fangene. Personen, die nicht einwilligungsfähig sind und daher ihre Zustimmung zu einem Versuch nicht geben können, können dennoch an medizinischen Ver− suchen teilnehmen. Dies erfordert allerdings eine besonders sorgfältige Nut− zen−Risiko−Abwägung. Der gesetzliche Vertreter muss stellvertretend ein− willigen und dafür ebenso umfassend aufgeklärt werden, wie es bei der Versuchsperson selbst zu geschehen hätte. Ausschlaggebend ist der mut− maßliche Wille des Kranken. In der letzten Zeit setzt sich die Auffassung durch, darüber hinaus auch einwilligungsunfähigen Versuchspersonen (z. B. Kleinkindern) ein Mitspracherecht bei der Durchführung von Versuchen ein− zuräumen. Dies kann z. B. bedeuten, eine unmissverständliche Weigerung, an einem Versuch teilzunehmen, zu respektieren. Versuche mit direktem oder potenziellem Nutzen für den Probanden an einwilligungsunfähigen Personen sind in Deutschland grundsätzlich mög− lich. Die Zulässigkeit rein wissenschaftlicher Versuche ohne direkten Nutzen an Personen, die einwilligungsunfähig sind, ist hingegen umstritten. Der gesetzliche Vertreter (z. B. die Eltern bei Versuchen mit Minderjährigen) kann nur in Maßnahmen einwilligen, die im Interesse des Schutzbefohlenen sind. Rein wissenschaftliche Versuche dienen jedoch nicht dem betroffenen Individuum, sondern der wissenschaftlichen Forschung. Auf der anderen Seite kann ein striktes Verbot rein wissenschaftlicher Forschung vulnerable Gruppen von der Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt ausschließen. Die Entwicklung von neuen diagnostischen Methoden oder Heilverfahren in der Pädiatrie, der Notfallmedizin oder der Psychiatrie könnte dadurch ver− langsamt oder vielleicht sogar unmöglich gemacht werden. Einige Ethiker sind deshalb der Meinung, man solle bei diesen Personen− gruppen zumindest rein wissenschaftliche Forschung mit nur minimalem Risiko zulassen. Darunter versteht man Versuche, die zum Beispiel nur einen
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nichtinvasiven Test, eine zusätzliche venöse Blutentnahme im Rahmen oh− nehin notwendiger Untersuchungen oder eine einfache Röntgenaufnahme erfordern. Voraussetzung ist, dass diese Versuche nicht genauso gut an ein− willigungsfähigen Erwachsenen durchgeführt werden können. Es wird argu− mentiert, dass Probanden, die an solchen Versuchen teilnehmen, so gut wie keinen Nachteil in Kauf nehmen müssen, aber möglicherweise selbst in Zukunft noch von den Ergebnissen profitieren können, oder dass zumindest die Gruppe der in gleicher Weise Erkrankten einen zukünftigen Nutzen haben könne. Gegner dieses Vorschlags geben wiederum zu bedenken, dass der Begriff minimales Risiko“ unpräzise sei und nicht eindeutig definiert werden könne.
Plazebos und Randomisierung Besondere Probleme wirft die in klinisch kontrollierten Studien häufige Ver− wendung von Plazebos auf. Plazeboforschung ist nur dann zulässig, wenn dem Patienten damit keine notwendige und wirksame Behandlung vorent− halten wird. Nutzen und Schaden für den Patienten müssen auch hier be− sonders sorgfältig abgewogen werden. Ein weiteres ethisches Problem stellt die für kontrollierte klinische Studien wichtige Randomisierung dar. Bei zwei oder mehr Studienarmen wird die Zuteilung zur Verumgruppe (die den zu prüfenden Wirkstoff erhält), zur Kontrollgruppe und/oder zur Plazebogrup− pe durch Losverfahren entschieden. Die Randomisierung ermöglicht es, auf der Basis einer relativ kleinen Zahl von Versuchsteilnehmern sichere Aus− sagen über die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu machen. Für Patienten ist es aber oft schwer einzusehen, dass ihre Behandlung nicht ausgewählt, son− dern per Zufall bestimmt wird. Über Randomisierung oder Verwendung von Plazebos müssen die Versuchsteilnehmer unmissverständlich aufgeklärt werden.
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L 8.5 Dokumente und Websites zum Thema Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)
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Sechster Abschnitt Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung § 40 Allgemeine Voraussetzungen (1) Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen nur durch− geführt werden, wenn und solange die Risiken, die mit ihr für die Person verbunden sind, bei der sie durch− geführt werden soll, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arz− neimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind, die Person, bei der sie durchgeführt werden soll, ihre Einwilligung hierzu erteilt hat, nachdem sie durch einen Arzt über Wesen, Bedeutung und Trag− weite der klinischen Prüfung aufgeklärt worden ist, und mit dieser Einwilli− gung zugleich erklärt, dass sie mit der im Rahmen der klinischen Prüfung erfolgenden Aufzeichnung von Krankheitsdaten, ihrer Weitergabe zur Über− prüfung an den Auftraggeber, an die zuständige Überwachungsbehörde oder die zuständige Bundesoberbehörde und, soweit es sich um personenbezo− gene Daten handelt, mit deren Einsichtnahme durch Beauftragte des Auf− traggebers oder der Behörden einverstanden ist, die Person, bei der sie durchgeführt werden soll, nicht auf gerichtliche oder behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist, sie von einem Arzt geleitet wird, der mindestens eine zweijährige Erfahrung in der klinischen Prüfung von Arzneimitteln nachweisen kann, eine dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspre− chende pharmakologisch−toxikologische Prüfung durchgeführt worden ist, die Unterlagen über die pharmakologisch−toxikologische Prüfung, der dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechende Prüf− plan mit Angabe von Prüfern und Prüforten und das Votum der für den Leiter der klinischen Prüfung zuständigen Ethikkommission bei der zuständigen Bundesoberbehörde vorgelegt worden sind, der Leiter der klinischen Prüfung durch einen für die pharmakologisch−toxi− kologische Prüfung verantwortlichen Wissenschaftler über die Ergebnisse der pharmakologisch−toxikologischen Prüfung und die voraussichtlich mit der klinischen Prüfung verbundenen Risiken informiert worden ist und für den Fall, dass bei der Durchführung der klinischen Prüfung ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, eine Versicherung nach Maßgabe des Absatzes 3 besteht, die auch Leistungen gewährt, wenn kein anderer für den Schaden haftet. Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen vorbehaltlich des Satzes 3 nur be− gonnen werden, wenn diese zuvor von einer nach Landesrecht gebildeten unabhängigen Ethikkommission zustimmend bewertet worden ist [. . .]. (2) Eine Einwilligung nach Absatz 1 Nr. 2 ist nur wirksam, wenn die Person, die sie abgibt geschäftsfähig und in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung einzusehen und ihren Willen hiernach zu bestimmen und die Einwilligung selbst und schriftlich erteilt hat. Eine Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. [. . .] (4) Auf eine klinische Prüfung bei Minderjährigen finden die Absätze 1 bis 3 mit folgender Maßgabe Anwendung:
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1. Das Arzneimittel muss zum Erkennen oder zum Verhüten von Krankheiten bei Minderjährigen bestimmt sein. 2. Die Anwendung des Arzneimittels muss nach den Erkenntnissen der medi− zinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krank− heiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen. 3. Die klinische Prüfung an Erwachsenen darf nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen. 4. Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben. Sie ist nur wirksam, wenn dieser durch einen Arzt über Wesen, Bedeutung und Trag− weite der klinischen Prüfung aufgeklärt worden ist. Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung einzuse− hen und seinen Willen hiernach zu bestimmen, so ist auch seine schriftliche Einwilligung erforderlich. [. . .] [Quelle: Auszüge aus dem Arzneimittelgesetz. Paul−Ehrlich−Institut, Langen: http://www.pei.de/downloads/10 amg.pdf Anm: Eine Novelle des Arzneimittelgesetzes wurde 2004 im Bundestag be− raten. http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/gesetze/index_aus_gesetze.cfm? bid=9]
Der Nürnberger Kodex von 1947
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1. Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Ge− brauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und infor− mierte Entscheidung treffen zu können. Diese letzte Bedingung macht es notwendig, dass der Versuchsperson vor der Einholung ihrer Zustimmung das Wesen, die Länge und der Zweck des Versuches klar gemacht werden sowie die Methode und die Mittel, welche angewendet werden sollen, alle Unannehmlichkeiten und Gefahren, welche mit Fug zu erwarten sind, und die Folgen für ihre Gesundheit oder ihre Person, welche sich aus der Teil− nahme ergeben mögen. 2. Die Pflicht und Verantwortlichkeit, den Wert der Zustimmung festzustellen, obliegt jedem, der den Versuch anordnet, leitet oder ihn durchführt. Dies ist eine persönliche Pflicht und Verantwortlichkeit, welche nicht straflos an andere weitergegeben werden kann. Der Versuch muss so gestaltet sein, dass fruchtbare Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft zu erwarten sind, welche nicht durch andere Forschungsmittel oder Methoden zu erlangen sind. Er darf seiner Natur nach nicht willkürlich oder überflüssig sein. 3. Der Versuch ist so zu planen und auf Ergebnissen von Tierversuchen und naturkundlichem Wissen über die Krankheit oder das Forschungsproblem aufzubauen, dass die zu erwartenden Ergebnisse die Durchführung des Ver− suchs rechtfertigen werden. 4. Der Versuch ist so auszuführen, dass alles unnötige körperliche und seelische Leiden und Schädigungen vermieden werden. 5. Kein Versuch darf durchgeführt werden, wenn von vornherein mit Fug an− genommen werden kann, dass er zum Tod oder einem dauernden Schaden
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führen wird, höchstens jene Versuche ausgenommen, bei welchen der Ver− suchsleiter gleichzeitig als Versuchsperson dient. Die Gefährdung darf niemals über jene Grenzen hinausgehen, die durch die humanitäre Bedeutung des zu lösenden Problems vorgegeben sind. Es ist für ausreichende Vorbereitung und geeignete Vorrichtungen Sorge zu tragen, um die Versuchsperson auch vor der geringsten Möglichkeit von Verletzung, bleibendem Schaden oder Tod zu schützen. Der Versuch darf nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen durchge− führt werden. Größte Geschicklichkeit und Vorsicht sind auf allen Stufen des Versuchs von denjenigen zu verlangen, die den Versuch leiten oder durch− führen. Während des Versuchs muss der Versuchsperson freigestellt bleiben, den Versuch zu beenden, wenn sie körperlich oder psychisch einen Punkt erreicht hat, an dem ihr seine Fortsetzung unmöglich erscheint. Im Verlauf des Versuchs muss der Versuchsleiter jederzeit darauf vorbereitet sein, den Versuch abzubrechen, wenn er auf Grund des von ihm verlangten guten Glaubens, seiner besonderen Erfahrung und seines sorgfältigen Urteils vermuten muss, dass eine Fortsetzung des Versuchs eine Verletzung, eine bleibende Schädigung oder den Tod der Versuchsperson zur Folge haben könnte. [Quelle: Mitscherlich A, Mielke F. Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt a.M.: Fischer;1960: S. 272 f]
Weitere Dokumente und Websites 1. Arbeitskreis medizinischer Ethikkommissionen in der Bundesrepublik Deutschland: http://www.ak−med−ethik−komm.de/ 2. Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS) Guide− lines; 2002: http://www.cioms.ch/frame_guidelines_nov_2002.htm 3. Weltärztebund. Deklaration von Helsinki 1964. Version Edinburgh 2000. Übersetzung ins Deutsche vom Auslandsdienst der Bundesärztekammer: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Auslandsdienst/92Helsinki 2003.pdf (s. auch Anhang S.154–158) 4. Medizinproduktegesetz (MPG), § 20/21: http://bundesrecht.juris.de/bun− desrecht/mpg/index.html 5. National Bioethics Advisory Commission (NBAC). Ethical and Policy Issues in Research Involving Human Participants, 2001: http://www.georgetown.edu/ research/nrcbl/nbac/human/oversumm.html 6. Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts− und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln: http:// europa.eu.int/eur−lex/pri/de/oj/dat/2001/l_121/l_12120010501 de00340044.pdf 7. U.S. Department of Health and Human Services. Protection of Human Sub− jects, 2001: http://ohrp.osophs.dhhs.gov/humansubjects/guidance/45 cfr46. htm 8. Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin bei der Bundesärztekammer. Forschung mit Minderjährigen. In: Deutsches Ärz− teblatt. 2004; 101 (22): C1293−1297.
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L 8.6 Basisliteratur zum Thema 1. Biller−Andorno N, Wild V. Zwischen Protektion und Protektionismus – medi− zinische Überlegungen zur Teilnahme schwangerer Frauen an klinischen Studien. In: Wiesemann C, Dörries A, Wolfslast G, Simon A, Hrsg. Das Kind als Patient. Frankfurt a.M./New York: Campus; 2003, S. 302−320. 2. Brody BA. The Ethics of Biomedical Research. An International Perspective. New York/Oxford: Oxford University Press; 1998. 3. Deutsch E, Lippert H−D. Ethikkommissionen und klinische Prüfung. Berlin, Heidelberg: Springer; 1998. 4. Dahl M, Wiesemann C. Forschung an Minderjährigen im internationalen Vergleich: Bilanz und Zukunftsperspektiven. Ethik in der Medizin. 2001;13:87−110. 5. Elkeles B. Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperi− ment im 19. Jahrhundert. Stuttgart: Fischer; 1996. 6. Grodin MA, Glantz LH, eds. Children as research subjects. Science, Ethics and Law. New York/Oxford: Oxford University Press; 1994. 7. Helmchen H, Winau R, Hrsg. Versuche mit Menschen in Medizin, Human− wissenschaft und Politik. Berlin: De Gruyter; 1986. 8. Maio G. Ethik der Forschung am Menschen: Zur Begründung der Moral in ihrer historischen Bedingtheit. Stuttgart, Bad Cannstatt: Frommann−Holz− boog; 2002. 9. Toellner R, Hrsg. Die Ethik−Kommission in der Medizin. Problemgeschichte, Aufgabenstellung, Arbeitsweise, Rechtsstellung und Organisationsformen Medizinischer Ethik−Kommissionen. Stuttgart: Gustav Fischer; 1990. 10. Van den Daele W, Müller−Salomon H. Die Kontrolle der Forschung am Men− schen durch Ethikkommissionen. Stuttgart: Enke; 1990. 11. Wiesing U, Hrsg. Die Ethik−Kommissionen. Neuere Entwicklungen und Richt− linien. Köln: Deutscher−Ärzte−Verlag; 2003. 12. Wiesing U, Simon A, von Engelhardt D, Hrsg. Ethik in der medizinischen Forschung. Stuttgart: Schattauer; 2000.
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L 9.1 Fallgeschichten Sektion von Fröschen im Medizinstudium Im Physiologieunterricht sollen Medizinstudierende einen Frosch sezieren und dann Versuche zur Nervenleitung durchführen. Die Frösche sind vor Beginn des Kurses zu diesem Zweck getötet worden. Einige Medizinstudie− rende verweigern die Teilnahme an dem Versuch und führen Gewissens− gründe für ihre Entscheidung an. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie ist diese Entscheidung zu beurteilen und wie soll mit ihr umgegangen werden?
Versuch mit Mäusen zur Therapie der Sepsis Der Tierschutzbeauftragte einer Universität hat sich mit folgendem Antrag zu befassen: Es sollen zwei neue Medikamentenkombinationen zur Therapie der schweren Blutvergiftung (Sepsis) im Tierversuch getestet werden. Die Standardtherapie mit A ist beim Menschen leider oft nicht erfolgreich. Unter der Therapie mit B, einem Medikament mit guter Wirksamkeit, bilden sich leider oft resistente Bakterienstämme aus. Deshalb soll jetzt neben einer Behandlung mit B auch eine Kombination von B und C erprobt werden sowie eine Kombination von D und E, die ganz ähnlich wie B und C wirken. Erhofft wird, im Experiment eine Verringerung der Letalität der Sepsis unter der neuen Behandlung von 50 % auf 25 % nachweisen zu können. Als Versuchstiere sind Mäuse vorgesehen. Einer Hälfte der Tiere soll eine bestimmte Menge Streptococcus pneumoniae, der anderen eine bestimmte Menge Staphylococcus aureus in den Bauchraum injiziert werden. Nach einer gewissen Zeit soll dann mit der Behandlung begonnen werden. Die Letalität der erzeugten Sepsis ist abhängig von der Zeitdauer zwischen Infektion und Behandlung. Um herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt des Behandlungs− beginns 50 % der Mäuse versterben, ist vorgesehen, zunächst 50 Mäuse in zehn Vorversuchen zu infizieren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten an− zubehandeln. Danach soll der eigentliche Versuch beginnen: Für jede der vier Behand− lungsgruppen sollen 67 Mäuse infiziert und behandelt werden, das heißt insgesamt 268 Mäuse für Streptococcus pneumoniae und 268 Tiere für Staphylococcus aureus. Es ist abzuwarten, welche Tiere durch die Behand− lung überleben, welche nicht. Moribunde Tiere sollen jedoch nicht ihrem weiteren Schicksal überlassen, sondern getötet werden. Die hauptsächliche Belastung für die Tiere, vermuten die Antragsteller, be− stünde in einer Bewusstseinstrübung, nicht aber in starken Schmerzen. Die hohe Gruppengröße von je 67 Tieren sei statistisch notwendig, um die er− wartete Verringerung der Sterblichkeit um 50 % valide messen zu können, daneben aber auch, um ein womöglich schlechteres Abschneiden der neuen Medikamente bzw. Medikamentenkombinationen gegenüber der Standard− therapie gesichert erfassen zu können. R Jetzt sind Sie gefragt: Nach welchen Kriterien sollte der Tierschutzbeauf− tragte den Antrag beurteilen? Welche ethischen Argumente haben für Sie persönlich Priorität?
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L 9.2 Zahlen und Fakten zu Tierversuchen in Deutschland Tierschutzbericht 2001 Laut jüngstem Tierschutzbericht der Bundesregierung in Deutschland wur− den 2001 ca. 2,1 Millionen Wirbeltiere für Tierversuche verwendet. Der größte Teil der Versuchstiere, etwa 75 %, waren Nagetiere, zumeist Mäuse und Ratten. 5,5 % der Versuchstiere waren Kaninchen, über 14 % Fische und etwa 3 % Vögel. Unter den Versuchstieren des Jahres 2001 waren auch ca. 2100 Affen (0,1 % der Versuchstiere). Menschenaffen wurden in Deutschland zuletzt 1991 für Versuche herangezogen. Etwa 44 % der Tiere fanden Verwendung in der biologischen Grundlagenfor− schung, weitere 38 % bei der Erforschung, Entwicklung, Herstellung und Qualitätskontrolle von Erzeugnissen oder Geräten für die Medizin (ohne die hierfür durchgeführten toxikologischen Untersuchungen). Auf toxikolo− gische Untersuchungen – die vor allem in den Bereichen Medizin, Landwirt− schaft und Industrie anfallen, aber auch zur Erkennung von Umweltgefähr− dungen durchgeführt werden – entfielen 9 %. Für Zwecke der Aus− und Wei− terbildung wurden 2 % der Tiere verwendet. Nach einem anderen Aufschlüsselungsverfahren wurden insgesamt etwa 70 % aller Tiere für die Erforschung von Erkrankungen von Mensch und Tier herangezogen.
Was geschieht im Tierversuch?
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Um Krankheiten beobachten und therapieren zu können, werden bei Ver− suchstieren gezielt Krankheitszustände hervorgerufen, z. B. durch künstliche Infektion mit Krankheitskeimen oder durch Erbgutveränderung. Diese Tiere dienen, wie es in der Fachsprache heißt, als Krankheitsmodell. Ebenfalls im Rahmen ihrer Funktion als Krankheitsmodell, vor allem aber bei der Prüfung von Produkten werden die Tiere für sie giftigen oder potenziell giftigen und schädigenden Stoffen ausgesetzt. Oft werden, zumeist unter Betäubung, operative Eingriffe an den Versuchstieren vorgenommen. Am Ende der Ex− perimente wird die Mehrzahl der Tiere getötet, hauptsächlich um sie an− schließend sezieren zu können, aber auch, um geschädigten Tieren ein Fort− leben unter stärkeren Beeinträchtigungen zu ersparen.
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Obwohl über die Art der an Versuchstieren vorgenommenen Eingriffe detail− liertes Zahlenmaterial vorliegt, fehlen bisher bundesweite Angaben zur Schwere des Leidens der Tiere. Eine ältere Stichprobenuntersuchung aus dem Jahr 1984 stuft die Belastung bei 68 % der Tiere als gering und bei 6 % als hoch oder sehr hoch ein.
L 9.3 Gesetzliche Regelungen Der gesetzliche Rahmen
O O O 1.
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Als Tierversuche im gesetzlichen Sinne gelten Eingriffe und Behandlungen an Tieren zu Versuchszwecken, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die Tiere verbunden sein können. Auch Eingriffe am Erbgut von Tieren haben den Stellenwert eines Tierversuchs, wenn sie Schmerzen, Leiden oder Schäden, sei es beim erbgutveränderten Tier selbst oder seinem Trägertier (dem Mut− tertier“, das das erbgutveränderte Tier austrägt) zur Folge haben können. Tierexperimente dürfen nach dem Tierschutzgesetz nur zur Bekämpfung und Vermeidung gesundheitlicher Schäden, für die Grundlagenforschung und für die Erkennung von Umweltgefährdungen durchgeführt werden. Daran werden zwei wichtige Einschränkungen geknüpft: dass die Versuche zur Erreichung der betreffenden Zwecke unerlässlich sind – ähnlich brauchbare Daten also nicht durch andere Methoden oder Verfah− ren gewonnen werden können – und dass die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind“. R Dokument Tierschutzgesetz (TierSchG) s. S.117–119. Die Zahl der für einen Versuch herangezogenen Tiere wie auch ihre Belastung sollen dem Gesetz zufolge möglichst gering gehalten werden. Grundsätzlich verboten sind Tierversuche im Bereich der Entwicklung und Erprobung von Waffen, der Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und Kosme− tika. Bei den Kosmetika lässt das Gesetz aber in Einzelfällen Ausnahmen zu. Versuche an Wirbeltieren müssen – bis auf bestimmte gesetzlich geregelte Ausnahmen, für die nur eine Anzeigepflicht besteht – bei der zuständigen Behörde schriftlich beantragt werden. Der Antrag muss in ausführlicher Form Zweck, Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit des Versuchs dar− legen. Sowohl der Tierschutzbeauftragte der jeweiligen Einrichtung, an der der Versuch durchgeführt werden soll, als auch die der Behörde beigeordnete beratende Kommission geben ihre Stellungnahme zu dem Antrag ab, bevor die Behörde selbst ihre Entscheidung trifft. Mehrfach wurde in der öffentlichen Diskussion Kritik an den Bestimmungen über die Zusammensetzung der beratenden Kommission geäußert, in der bisher – neben einer Minderheit von Tierschutzvertretern – vornehmlich Veterinärmediziner, Mediziner und Naturwissenschaftler vertreten sind. Probleme bereitet ferner die Auslegung der in § 7 Abs. 3 des Tierschutzge− setzes geforderten ethischen Vertretbarkeit, was sich sowohl in den Geneh− migungsanträgen wie auch in der wissenschaftlich−juristischen Diskussion zum Tierschutzgesetz widerspiegelt. Im Sommer 2002 wurde der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz ver− ankert. R Dokument Grundgesetz s. S.117.
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Für den Tierversuchsbereich bedeutet dies, dass sich im Falle rechtlicher Abwägungen Forschungs− und Lehrfreiheit auf der einen und der Schutz der Tiere auf der anderen Seite als prinzipiell gleichrangige Rechtsgüter gegenüberstehen. Welche Auswirkungen dies auf die zukünftige Praxis bei Antragstellungen und Zulassungen von Tierversuchen haben wird, ist noch offen.
L 9.4 Kritik am Tierversuch und ethische Diskussion Einführung In der öffentlichen und philosophischen Diskussion um den Tierversuch geht es zumeist um die grundsätzliche Frage, ob Tierversuche überhaupt durch− geführt werden sollen. Die Einzelheiten der gesetzlichen Regelungen zum Tierversuch spielen in dieser Diskussion deshalb kaum eine Rolle. Genauer hat der Streit um Tierexperimente zwei Einzelfragen zum Inhalt: 1. Sind Tierversuche zur Erzielung wichtiger Erkenntnisse überhaupt notwen− dig? 2. Sind sie – auch wenn ihr diesbezüglicher Vorteil erwiesen wäre – ethisch vertretbar?
Sind Tierversuche notwendig?
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Ein großer Teil der Tierversuchsgegner ist der Auffassung, dass Erkenntnisse aus Tierversuchen für die menschliche Gesundheit keinen Nutzen erbringen könnten, weil sie auf den andersartigen Organismus des Menschen gar nicht anwendbar seien. So sei die Verträglichkeit von Substanzen von Spezies zu Spezies so verschieden, dass erst der klinische Versuch am Menschen er− weisen könne, zu welchen anderen Tieren jeweilige Ähnlichkeiten oder Ver− schiedenheiten bestehen. Unter Naturwissenschaftlern hingegen lehnt nur eine kleine Minderheit den Tierversuch aus diesem Grund als unbrauchbar ab. Hier wird auf die nahe evolutionäre Verwandtschaft von Säugetieren und Menschen verwiesen, auf vorhandene Kenntnisse, welche Tierarten sich zur Untersuchung bestimmter Fragestellungen eignen und welche nicht, und auf die bisherigen Erfolge der auf Tierversuche gestützten medizinischen For− schung.
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Eine weitere wichtige Kritik stellt zwar nicht die Nützlichkeit, aber die Uner− setzbarkeit des Tierversuchs infrage. Danach ließen sich die im Tierexperi− ment gewonnenen Erkenntnisse auch mit Forschungsmethoden gewinnen, die ohne Belastung lebender Tiere auskommen, z. B. mit In−vitro−Methoden (z. B. Zellkulturen) oder Computersimulationen. Dem wird wiederum ent− gegengehalten, dass die Aussagekraft von beispielsweise In−vitro−Methoden immer dann zu begrenzt ist, wenn komplexe Wechselwirkungen im Gesamt− organismus erforscht werden sollen. Die Nutzen− und Ersetzbarkeitsfrage kann hier nur angerissen werden. Wich− tig ist festzuhalten, dass es sich um empirische Fragestellungen handelt, nicht um philosophisch−ethische. Dennoch kann die Antwort darauf von großem Gewicht für die ethische Stellungnahme sein. Sollten nämlich Tier− versuche nutzlos oder aber ersetzbar sein, könnten sie ethisch wohl kaum verteidigt werden. (Auch müssten die betreffenden Versuche als ungesetz− lich gelten.) Hingegen wäre der Schluss von der Nützlichkeit und Nichtersetzbarkeit von Tierversuchen auf ihre moralische Zulässigkeit vorschnell. Vielmehr wirft die tierexperimentelle Methode erst mit dem Erweis der Nützlichkeit ein dis− kussionswertes ethisches Problem auf: Dürfen Menschen gesundheitliche und wissensmäßige Vorteile für sich erzielen, zu denen sie nur um den Preis von Belastungen, Leiden und Sterben empfindungsfähiger Tiere gelangen können? Erzwungene Versuche an Menschen, die ja ebenfalls wissenschaft− lichen Wert haben könnten, erscheinen uns immerhin als moralisch illegi− tim. Warum sollte das Leiden von Tieren im selben Kontext einer anderen Bewertung unterliegen?
Sind Tierversuche ethisch vertretbar? Die neuere philosophische Tierrechtsdiskussion wird von zwei Lagern domi− niert, die im Prinzip beide tierversuchskritisch eingestellt sind, sich aber doch in der Rigorosität ihrer Einstellung unterscheiden: Das eine Lager ist das der utilitaristischen Tierethik und geht auf den austra− lischen Philosophen Peter Singer zurück. Der Utilitarismus ist eine ethische Theorie, die den moralischen Wert einer Handlung nach ihrem Nutzen für die Beteiligten beurteilt. In Betracht gezogen werden dabei zumeist die Maxi− mierung von Glück und Wohlbefinden und die Minimierung von Leiden. Das andere Lager vertritt eine Position der Rechte, die von dem amerikanischen Philosophen Tom Regan ausgearbeitet wurde (s. Tab. 1). Tabelle 1
Verschiedene Positionen zur Tierethik
utilitaristische Tierethik (Peter Singer)
Bedürfnisse sollen gleichermaßen be− rücksichtigt werden, unabhängig von der Speziesabhängigkeit Ziel: Maximierung von Glück, Minimie− rung von Leiden
Position der Rechte (Tom Regan)
Postulat des gleichen Wertes aller emp− findenden Lebewesen und damit des gleichen Respekts für sie
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In der utilitaristischen Tierethik sollen die Bedürfnisse von Tieren genauso berücksichtigt werden wie die von Menschen. Eine andere Einstellung wäre unfair und parteiisch, vergleichbar mit den Ideologien des Rassismus und Sexismus. Singer spricht von Speziesismus“, der ungerechtfertigten Bevor− zugung einer Gattung oder Spezies vor einer anderen. Kann man bei dieser Sichtweise dennoch für Tierversuche plädieren? Theo− retisch, indem man abstreitet, dass Tiere in Tierversuchen leiden können. Doch diese Position wird heute kaum noch vertreten, und in keinem Fall von Tierrechtsethikern selbst. Dennoch werden bestimmte Tierversuche auch von utilitaristisch orientierten Tierethikern für berechtigt gehalten: Versuche nämlich, durch die in der Bilanz mehr Leiden verhindert, als im Versuch selbst verursacht wird (und für die es zur Erzielung der betreffenden Lei− densminderung keine Alternative gibt). Die Regel, gleichermaßen an die Bedürfnisse von Menschen und Tieren zu denken, sei hier nicht verletzt. Wir stehen bei diesem Rechtfertigungsmodell vor mehreren Problemen: O Wie will man mit einiger Sicherheit den leidensmindernden Erfolg biome− dizinischer Versuche vorhersagen? Schließlich müssten Versuche, deren Er− gebnis bekannt wäre, nicht unternommen werden. Für viele Versuche gilt zudem, dass ihr eigener Beitrag zu einer neuen und erfolgreicheren Therapie abhängig ist vom Erfolg anderer Versuche, die gleichzeitig oder später unter− nommen werden. Neue Therapien werden im Normalfall durch konzertierte Forschungsarbeit und schrittweise entwickelt. O Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der Abwägung zwischen tierischem und menschlichem Leiden. Wann wissen wir, dass Leidenszustände von Menschen schwerer wiegen als solche von Tieren? Manche Theoretiker mei− nen, dass Menschen wegen ihrer starken sozialen Bindungen untereinander und ihrer komplexeren Mentalität durch Krankheit, Not oder Gefangenschaft mehr leiden, als es Tiere unter ähnlichen Umständen tun würden, andere bestreiten das. O Zuletzt: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung zielen nicht nur auf die Minderung von Leidenszuständen, sondern auch auf die Rettung und Verlängerung von Leben. Wie viele durch eine neue Therapie gewonnene Lebensjahre von Menschen rechtfertigen wie viel Tierleiden im Labor? Wel− cher gemeinsame Maßstab könnte hier angelegt werden? Letzteres Problem wurde in der utilitaristisch orientierten Tierethik bisher noch gar nicht in den Blick genommen. Aus den beiden ersten Problemen zieht man den Schluss, dass allenfalls ein kleinerer Teil der heute durchge− führten Tierversuche zu rechtfertigen wäre. Auch tritt man dafür ein, über− haupt keine Versuche mit Tieren zu unternehmen, die über Selbstbewusst− sein und damit möglicherweise über ein ähnliches personales Ich wie Men− schen verfügen – Tiere, zu denen in jedem Fall die Menschenaffen gerechnet werden. Manche Autoren treten dafür ein, dass die schmerzlose Tötung von Tieren zu Tierversuchszwecken, sofern keine Leidensbelastungen vorausgehen und die Tiere keinen Personenstatus haben, problemlos sei. Die Tiere verfügten über keine echten Zukunftsvorstellungen, weshalb man, wenn man sie schmerz− los tötet, auch keine ihrer Interessen verletzen würde. Dieser Punkt ist jedoch innerhalb der Tierrechtsdebatte heftig umstritten. Vertreter der Position der Rechte postulieren, dass alle Lebewesen, die sich als Subjekt erleben können (die also über subjektiv erlebte Empfindungen, eine innere mentale Welt verfügen), den gleichen Wert besitzen. Teils wird behauptet, dieser gleiche Wert wohne allen diesen Lebewesen inne, teils, wir
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sollten es so sehen, um Ungerechtigkeiten wie Ausbeutung und Sklaverei zu vermeiden. Zentrale Bedeutung für diese Position kommt dem argument from marginal cases (Argument der Grenzfälle) zu: Stärker geistig behin− derte Menschen, aber auch Neugeborene und kleine Kinder würden über nicht mehr geistige Kräfte verfügen als manche Tiere. Wenn wir aber diesen Menschen den gleichen Wert zuordnen wie allen anderen Menschen, müss− ten wir auch die Tiere in den Kreis der als gleichwertig Angesehenen auf− nehmen. An das Postulat des gleichen Wertes aller empfindenden Lebewesen wird die Forderung nach gleichem Respekt für alle geknüpft. Kein Lebewesen dürfe nur zum Zweck für andere gebraucht oder für andere geopfert werden. Dies sei eine Rechtsposition, die auch dann nicht gebrochen werden dürfe, wenn mit der Opferung eines einzelnen Lebewesens vielen anderen geholfen wer− den kann. Aus der Position der Rechte ergibt sich eine klare rigorose Verur− teilung des Tierversuchs; auch eine Verurteilung solcher Versuche, bei denen die Tiere nur“ getötet werden. Befürworter von Tierversuchen vertreten in der Regel die Position, dem Menschen und seinen Bedürfnissen sei ein höherer Wert beizumessen als Tieren. Aber auch innerhalb dieser Position lässt sich ein Argument gegen Tierversuche vorbringen, wie dies z. B. der Philosoph Immanuel Kant getan hat: Tierversuche könnten nämlich zur Verrohung des Menschen, zur Ab− stumpfung gegenüber dem Leid von Lebewesen führen und seien aus diesem Grund bedenklich. Bezüglich des moralischen Status von Tieren besteht kein gesellschaftlicher Konsens, besonders nicht in kulturübergreifender Hinsicht. Obwohl die dar− gestellten Tierrechtspositionen in der akademischen Debatte eine wichtige Rolle spielen, hat man sich in der Praxis zunächst weitgehend auf die Regel geeignet, Eingriffe an Tieren umso strenger zu beurteilen, je gravierender sie für die Tiere sind und je unerheblicher und verzichtbarer für den Menschen.
L 9.5 Dokumente und Websites zum Thema Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 20 a Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungs− mäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. [Quelle: Auszug aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juli 2002: http:// www.bundestag.de/gesetze/gg/gg_07_02.pdf]
Tierschutzgesetz (TierSchG), Fassung vom 25. Mai 1998 Fünfter Abschnitt: Tierversuche §7 (1) Tierversuche im Sinne dieses Gesetzes sind Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken 1. an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere oder 2. am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können.
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(2) Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind: Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, Leiden, Körperschä− den oder körperlichen Beschwerden oder Erkennen oder Beeinflussen phy− siologischer Zustände oder Funktionen bei Mensch oder Tier, Erkennen von Umweltgefährdungen, Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit für die Ge− sundheit von Mensch oder Tier oder auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge, Grundlagenforschung. Bei der Entscheidung, ob Tierversuche unerlässlich sind, ist insbesondere der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Ver− fahren erreicht werden kann. (3) Versuche an Wirbeltieren dürfen nur durchgeführt werden, wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind. Versuche an Wirbeltieren, die zu länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden führen, dürfen nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse vermuten lassen, dass sie für wesentliche Bedürfnisse von Mensch oder Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung sein werden. [. . .] §9 [. . .] (2) Tierversuche sind auf das unerlässliche Maß zu beschränken. Bei der Durchführung ist der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berück− sichtigen. Im Einzelnen gilt für die Durchführung Folgendes: Versuche an sinnesphysiologisch höher entwickelten Tieren, insbesondere warmblütigen Tieren, dürfen nur durchgeführt werden, soweit Versuche an sinnesphysiologisch niedriger entwickelten Tieren für den verfolgten Zweck nicht ausreichen. Versuche an Tieren, die aus der Natur entnommen worden sind, dürfen nur durchgeführt werden, soweit Versuche an anderen Tieren für den verfolgten Zweck nicht ausreichen. Für den Tierversuch dürfen nicht mehr Tiere verwendet werden, als für den verfolgten Zweck erforderlich ist. Schmerzen, Leiden oder Schäden dürfen den Tieren nur in dem Maße zuge− fügt werden, als es für den verfolgten Zweck unerlässlich ist; insbesondere dürfen sie nicht aus Gründen der Arbeits−, Zeit− oder Kostenersparnis zuge− fügt werden. Versuche an Wirbeltieren dürfen vorbehaltlich des Satzes 4 nur unter Be− täubung vorgenommen werden. Die Betäubung darf nur von einer Person, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 und 2 erfüllt, oder unter ihrer Aufsicht vorgenommen werden. Ist bei einem betäubten Wirbeltier damit zu rechnen, dass mit Abklingen der Betäubung erhebliche Schmerzen auftreten, so muss das Tier rechtzeitig mit schmerzlindernden Mitteln behandelt wer− den, es sei denn, dass dies mit dem Zweck des Tierversuchs nicht vereinbar ist. An einem nicht betäubten Wirbeltier darf a) kein Eingriff vorgenommen werden, der zu schweren Verletzungen führt, b) ein Eingriff nur vorgenommen werden, wenn der mit dem Eingriff ver− bundene Schmerz geringfügiger ist als die mit einer Betäubung verbun−
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dene Beeinträchtigung des Befindens des Versuchstieres oder der Zweck des Tierversuchs eine Betäubung ausschließt. An einem nicht betäubten Wirbeltier darf nur einmal ein erheblich schmerzhafter Eingriff oder eine erheblich schmerzhafte Behandlung durchgeführt werden, es sei denn, dass der Zweck des Tierversuchs anders nicht erreicht werden kann. Bei einem nicht betäubten Wirbeltier dürfen keine Mittel angewandt werden, durch die die Äußerung von Schmerzen verhindert oder eingeschränkt wird. [...] [Quelle: Auszüge aus dem Tierschutzgesetz (TierSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Mai 1998 (BGB l.I S.1105): http://bundesrecht.ju− ris.de/bundesrecht/tierschg/index.html]
Weitere Dokumente und Websites 1. Bundesregierung Deutschland. Tierschutzbericht 2003: http://www.ver− braucherministerium.de/tierschutz/tierschutzbericht−2003.pdf 2. The Rights of Animals. A Declaration against Speciesism, unterzeichnet von den Teilnehmern des Symposiums Animals’ Rights“ am Trinity College, Cambridge am 19.8.1977: http://www.react−online.de/tierrechte/declara− tion1.html 3. Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. und Bundesverband der Tierver− suchsgegner – Menschen gegen Tierversuche. Datenbank zu Tierversuchen: www.datenbank−tierversuche.de 4. Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V.: http://aerzte−gegen−tierversu− che.tierrechte.de/start.php4 5. World Medical Association. Statement on Animal Use in Biomedical Re− search. Hongkong, September 1989: http://www.wma.net/e/policy/17− u_e.html
L 9.6 Basisliteratur zum Thema 1. Ach JS. Warum man Lassie nicht quälen darf. Tierversuche und moralischer Individualismus. Erlangen: Harald Fischer Verlag; 1999. 2. Blumer K. Tierversuche zum Wohle des Menschen? Ethische Aspekte des Tierversuchs unter besonderer Berücksichtigung transgener Tiere. Mün− chen: Utz; 1999. 3. Bondolfi A, Hrsg. Mensch und Tier. Ethische Dimensionen ihres Verhältnis− ses. Freiburg, Schweiz: Universitäts−Verlag; 1994. 4. Gluck JP, DiPasquale T, Orlans FB, eds. Applied Ethics in Animal Research: Philosophy, Regulation, and Laboratory Applications. West Lafayette: Purdue University Press; 2001. 5. Kallhof A, Siep L. Tierethik. In: Düwell M, Steigleder K, Hrsg. Bioethik. Eine Einführung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp; 2003: 413−421. 6. Kaplan HF. Tierrechte. Göttingen: Echo Verlag; 2000. 7. Klein J. Die ethische Problematik des Tierversuchs. In: Ethica. 1998; 6(4): 383−406. 8. Regan T. The Case for Animal Rights. London: Routledge; 1988. 9. Rippe KP. Darf man Versuchstiere töten? In: Bundesverband Satis e.V., Hrsg. Über Leichen zum Examen? Tierversuche im Studium. Bochum: Timona; 1993: 168−179. 10. Singer P. Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; 1996 (zuerst engl. 1975).
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11. Wolf JC. Tierethik. Neue Perspektiven für Menschen und Tiere. Freiburg, Schweiz: Paulusverlag; 1992. 12. Wolf U. Das Tier in der Moral. Frankfurt: Vittorio Klostermann; 1990.
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L 10.1 Fallgeschichten Konflikt um Autorschaft Frau Dr. M. forscht im Bereich Neurowissenschaften und hat sich vor einigen Monaten einer neuen Forschungsgruppe angeschlossen. Da sie einige Ergeb− nisse aus ihrer vorhergehenden Arbeit noch nicht publiziert hat, fasst sie diese nun in einem Manuskript zusammen, welches sie bei einer renom− mierten Fachzeitschrift zur Veröffentlichung einreichen möchte. Ein erfah− rener Kollege schlägt ihr vor, die Leiterin ihrer neuen Forschungsgruppe als Mitautorin zu nennen. Als Frau Müller darauf hinweist, dass diese zur Ent− stehung der Arbeit nichts beigetragen hat, deutet ihr Kollege an, dass ihr Aufsatz mit größerer Wahrscheinlichkeit angenommen werden würde, wenn die in ihrem Fach sehr angesehene Forschungsgruppenleiterin als Koautorin erwähnt werde. Außerdem sei das Angebot einer Koautorschaft auch für ihr eigenes Vorwärtskommen in der Arbeitsgruppe von Vorteil. R Jetzt sind Sie gefragt: Ist die Nennung der Forschungsgruppenleiterin als Mitautorin moralisch akzeptabel?
Konflikt um empirische Daten Herr S. hat gerade seine Doktorarbeit im Labor von Prof. B. fertig gestellt und wird in wenigen Tagen an einer anderen Universitätsklinik eine Assistenten− stelle antreten. Er hofft, im Rahmen seiner neuen Stelle seine Forschungsar− beiten fortführen zu können und vielleicht sogar einen Projektantrag zu einer weiterführenden Fragestellung zu entwickeln, der auf seinen bisheri− gen Arbeiten aufbaut. Prof. B. teilt ihm jedoch mit, dass seine Laborbücher wie auch seine bishe− rigen Ergebnisse Besitz der Abteilung seien und er nach Ablauf der Stelle über seine Ergebnisse nicht weiter verfügen könne. Herr S. überlegt nun, ob er am kommenden Wochenende ins Labor gehen und seine Laborbücher kopieren soll. R Jetzt sind Sie gefragt: Ist es in ethischer Hinsicht vertretbar, die Labor− ergebnisse zu kopieren, um sie mitzunehmen?
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Gynäkologische Untersuchung einer Patientin in Narkose Eine Medizinstudentin famuliert in der gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses. Sie erhebt die Anamnese bei einer 35−jährigen Frau, die wegen eines Gebärmuttermyoms operiert werden soll. Am nächsten Tag begleitet sie die Patientin in den OP. Nach Einleitung der Narkose wird sie von der Ärztin, die die Operation durchführen wird, aufgefordert, die vagi− nale Untersuchung an der Patientin zu üben. Die Studentin ist dankbar für jede Gelegenheit, die vaginale Untersuchung zu üben. Andererseits fühlt sie sich der Patientin verpflichtet. Sie möchte die Frau, die ihr bei der Anamnese sehr sympathisch war, nicht übergehen und hätte sie lieber mit ihrem Ein− verständnis untersucht. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie soll die Medizinstudentin entscheiden?
L 10.2 Gute wissenschaftliche Praxis und wissenschaftliches Fehlverhalten Einführung Wissenschaft wird oft mit dem uneigennützigen Streben nach Wissen gleichgesetzt. Viele Menschen glauben wahrscheinlich aus diesem Grunde, dass Wissenschaftler per definitionem ehrlich sind. Diese Annahme beinhal− tet allerdings einen logischen Trugschluss. Forscher sind wie alle anfällig für Unehrlichkeit. Und Forscher haben, wenn sie ihr Labor oder ihre Forschungs− einrichtung betreten, immer noch dieselben Ambitionen und denselben Ehrgeiz wie alle anderen Menschen. Um als erfolgreich zu gelten, müssen Forscher üblicherweise zahlreiche Artikel in möglichst hochrangigen Zeitschriften veröffentlichen (publish or perish“). Sie müssen Forschungsgelder einwerben, originelle Entdeckun− gen machen und als Mitglied in wissenschaftlichen Gesellschaften aufge− nommen werden. Der Erfolgsdruck ist manchmal sehr groß, und die Versu− chung, den ehrlichen Weg zu verlassen, ist allzu gegenwärtig. Betrug in der Wissenschaft stellt aber eine Verleugnung des grundsätzlichen Zieles eines jeden Forschers dar: der Suche nach Wahrheit. Wenn man voraussetzt, dass Wissenschaftler durch Beobachtung, Studium und Experimente sicheres Wissen gewinnen, so ist offensichtlich, dass Lügen, Betrügen und Diebstahl von Ideen anderer den fundamentalen Grundsätzen und dem Wesen wissen− schaftlicher Forschungsarbeit widersprechen.
Definition von wissenschaftlichem Fehlverhalten
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Gemäß einer weit verbreiteten Definition meint wissenschaftliches Fehlver− halten (scientific misconduct) das Erfinden und Verfälschen von Daten, die Anmaßung fremder Autorschaft (Plagiarismus) oder andere Verhaltenswei− sen, die stark von denen abweichen, die in der wissenschaftlichen Gemein− schaft als Grundlage der wissenschaftlichen Arbeit gelten. Gemeint sind nicht ehrliche Irrtümer oder unterschiedliche Interpretationen und Bewer− tungen von Ergebnissen. Beispiele für wissenschaftliches Fehlverhalten sind: O Unredlichkeit bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen: Das Er− finden und Verfälschen von Daten reicht von der Schaffung fingierten Daten− materials über die Manipulation von Ergebnissen bis zum gezielten Aus−
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wählen und Verschweigen unerwünschter Ergebnisse. Aber auch grobe Fahr− lässigkeit bei der Erhebung und Auswertung von Daten gehört hierher. Verletzung geistigen Eigentums: Hierzu zählen Verwertung von Arbeiten anderer ohne ordentliche – d. h. den formalen Regeln wissenschaftlichen Arbeitens entsprechende – Erwähnung der Urheber, der Diebstahl von Resul− taten bzw. Methoden anderer sowie die unberechtigte Entgegennahme von Anerkennung für die Arbeit oder die Ideen anderer. Eingeschlossen ist auch die Beanspruchung oder Veröffentlichung von Ideen oder Daten anderer, die einem vertraulich mitgeteilt wurden (z. B. Ausbeutung von Forschungsan− sätzen und Ideen anderer, in die man als Gutachter im Rahmen eines For− schungsförderungsantrags oder als Prüfer von Manuskripten für Zeitschrif− ten Einblick erhielt). Unredlichkeit bei der Präsentation oder Veröffentlichung: Die wissentliche Irreführung von Zuhörern oder Lesern durch die Präsentation (z. B. durch die Veröffentlichung von fingierten Daten) ist hier zu nennen wie auch die Hin− zufügung von Autoren ohne ihre Erlaubnis, die Zitierung noch nicht publi− zierter Manuskripte ohne Erlaubnis oder eine unzureichend klare Zuordnung von Fuß− oder Endnoten, so dass nicht deutlich wird, von wem welche Daten stammen. Unredlicher Umgang mit Interessenskonflikten: Dies betrifft Situationen, in denen finanzielle oder andere persönliche Interessen das professionelle Ur− teil eines Wissenschaftlers und seine Unabhängigkeit bei der Planung, Durchführung oder Veröffentlichung von Forschung beeinträchtigen können. Zum Beispiel kann ein Forscher für die Bewerbung eines Produktes von der Herstellungsfirma Laborausrüstung, Forschungsgelder oder Geschenke (z. B. Reisekosten, Übernahme von Kongressgebühren etc.) erhalten; ein Forscher kann an der Entscheidung über einen Beschaffungsvertrag mit einer Firma beteiligt sein, bei der er selbst oder Familienmitglieder finanziell engagiert sind; ein Mitglied eines Auswahlgremiums kann mit einem Kandidaten für ein Stipendium o.ä. familiär oder beruflich in Beziehung stehen. Absichtliche schwere Verletzung von Regeln: Der absichtliche Verstoß gegen gesetzliche oder institutionelle Regelungen, die die Durchführung von wis− senschaftlicher Forschung betreffen, die Richtlinien zum Schutz von Men− schen, zum Tierschutz, zum Gebrauch von rekombinanter DNS und zum Gebrauch und zur Entsorgung radioaktiven Materials oder chemischer und biologischer Gefahrenstoffe eingeschlossen. Unterlassung einer Meldung moralisch nicht korrekter Methoden: Aktive Verschleierung oder wissentliches Verschweigen von Vorfällen wissen− schaftlichen Fehlverhaltens. Absichtliche Benachteiligung einer Person, die einen Vorfall wissenschaftli− chen Fehlverhaltens gemeldet hat (whistle blower“).
Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um wissenschaftlicher Unredlichkeit entgegenzutreten. Zunächst sollte das Problem wenn möglich innerhalb der Arbeitsgruppe angesprochen und behoben werden. Ist dies nicht mög− lich, kann die Hilfe der Ombudsperson oder des Ombudsgremiums der ent− sprechenden Einrichtung in Anspruch genommen werden. Solche Gremien werden seit kurzem an den Universitäten sowohl auf Fakultäts− wie auch auf Universitätsebene eingerichtet. Sie setzen sich aus mehreren erfahrenen und vertrauenswürdigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusam−
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men, die die Beschuldigungen entgegennehmen und prüfen sowie in Kon− flikte vermittelnd eingreifen können. Weitere Instanzen zur Prüfung eines Verdachts auf wissenschaftliches Fehl− verhalten wurden bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Max−Planck−Gesellschaft eingerichtet. Diese Institutionen arbeiten auf der Grundlage von Satzungen und nationalen sowie internationalen Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis. Sollte die Prüfung ergeben, dass wissen− schaftliches Fehlverhalten vorliegt, kann die Leitung der Institution Sanktio− nen gegen den Wissenschaftler verhängen. Dies kann auch seine Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis mit einschließen. In den meisten Ländern ist diese Art des Vorgehens üblich. Darüber hinaus gibt es in manchen Ländern noch nationale Einrichtungen, die Vorwürfe auf wissenschaftliches Fehlverhalten entgegennehmen und prüfen, in den USA z. B. das Office of Research Integrity“, in Dänemark das Danish Committee on Scientific Dishonesty“ (DCSD). Als Reaktion auf eine Reihe von Forschungsskandalen wurden 1997 von der Kommission Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Deutschen For− schungsgemeinschaft Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis erarbeitet. Unter anderem forderte die Kommission die Abschaffung von Ehrenautorschaften“ ohne inhaltliche Mitwirkung sowie die Benen− nung von Vertrauenspersonen, an die sich Wissenschaftler in Konfliktfällen oder bei Hinweisen auf wissenschaftliches Fehlverhalten wenden können. Darüber hinaus wird auf die Vorbildfunktion erfahrener Wissenschaftler für den wissenschaftlichen Nachwuchs und auf die Rolle von Regeln guter wis− senschaftlicher Praxis in Lehre und Ausbildung verwiesen. Die Verantwor− tung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen für die Formulierung entsprechender Regeln sowie für die Etablierung von Mechanismen zur Konfliktregelung und Qualitätssicherung wird eingefordert. Auch die wis− senschaftlichen Fachgesellschaften werden aufgerufen, für ihren jeweiligen Wirkungsbereich Richtlinien für gute wissenschaftliche Praxis zu entwi− ckeln. R Dokument Empfehlungen der Kommission Selbstkontrolle in der Wissen− schaft“ s. S. 128–129. Wissenschaftler sind verpflichtet, alle Situationen, in denen Interessenskon− flikte auftreten könnten, offen zu legen. Sie können – und sollten sich gege− benenfalls auch – direkt von der Teilnahme an Aktivitäten freistellen lassen, die einen Interessenskonflikt hervorrufen könnten.
L 10.3 Gute klinische Praxis Einführung
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Auch für die klinische Praxis gilt die Pflicht zu sorgfältigem und gewissen− haftem Handeln sowie zur Wahrhaftigkeit im Umgang mit eigenen Fehlern. Qualitätssicherung in der klinischen Medizin bedeutet auch, stets auf dem neuesten Stand des Wissens zu sein. Dies schließt eine lebenslange Ver− pflichtung von Ärzten zur Weiterbildung sowie ein Engagement für die Entwicklung und Verbreitung gesicherter Diagnose− und Behandlungsver− fahren mit ein. Patienten sollten wahrheitsgemäß über die für sie angemes− sene und beste Behandlung informiert werden, gerade auch dann, wenn diese Behandlung nur von anderen Ärzten durchgeführt wird.
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Mit eigenen Fehlern und den Fehlern anderer sollte ehrlich, transparent und fair umgegangen werden. Komplexe Arbeitsabläufe, wie sie für die Medizin typisch sind, haben ein hohes Fehlerpotenzial. Fehler lassen sich daher meist nicht vollständig vermeiden. Wichtig ist jedoch, sie zu erkennen, um aus ihnen lernen zu können und ihre negativen Auswirkungen möglichst gering zu halten. Das kann nur gelingen, wenn Verfahren entwickelt werden, die es erlauben, offen und transparent mit Fehlern umzugehen. Eine Möglichkeit besteht in regelmäßigen Fehlerkonferenzen und Qualitätszirkeln, in denen Ursachen analysiert und vorbeugende Maßnahmen entwickelt werden. Vor− aussetzung dafür ist jedoch stets faire Kritik. Zynische oder herabwürdigende Kritik führt nicht zur Vermeidung, sondern zum Verschweigen von Fehlern und unterhält damit einen Teufelskreis. Kollegialer Umgang hingegen be− deutet Respekt vor der Würde des Anderen, wenn notwendig auch Ermuti− gung und Hilfestellung. In allen diesen Fragen guter klinischer Praxis ist die Vorbildfunktion erfahrener Kolleginnen und Kollegen von großer Bedeutung. Dies gilt vor allen Dingen für jene Ärztinnen und Ärzte, die mit der Aus− bildung von Medizinstudierenden befasst sind. Aus der Verantwortung gegenüber verschiedenen Personen innerhalb des Teams und gegenüber dem Patienten kann es zu Rollenkonflikten und damit verbundenen ethischen Konflikten kommen. Studierende haben beispiels− weise die Pflicht, sich persönlich für eine gute Ausbildung einzusetzen und sich zugleich dem Team gegenüber, in das sie integriert sind, loyal zu ver− halten. Wenn sie in die Untersuchung und Behandlung von Patienten einge− bunden werden, können sie in Konflikt geraten mit dem Gebot, dem Patien− ten stets die bestmögliche Behandlung und Betreuung zukommen zu lassen und sein Selbstbestimmungsrecht zu respektieren. Aber auch Patienten ha− ben ein Interesse an einer guten Ausbildung von Medizinstudierenden. Denn nur dies gewährleistet, dass sie auch in Zukunft von guten Ärztinnen und Ärzten betreut werden. Viele Patienten sind deshalb bereit, im Interesse von Studierenden Kompromisse einzugehen, wenn die damit für sie verbunde− nen Risiken gering sind. Dies setzt jedoch eine vollständige Aufklärung der Patienten über den Status aller an ihrer Behandlung beteiligten Personen voraus.
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Die Arztrolle bringt unterschiedliche Loyalitäten mit sich, z. B. gegenüber dem Krankenhausträger, den Kollegen oder dem Staat. Diese moralischen Verpflichtungen sind wichtig, haben in der Regel jedoch geringere Bedeu− tung als die Loyalität gegenüber dem Patienten. Nur in Ausnahmefällen ist es
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beispielsweise dem Arzt erlaubt, vom Gebot der Schweigepflicht im Inter− esse der Gemeinschaft bzw. des Staates abzuweichen; z. B. im Fall der na− mentlichen Meldepflicht bei einigen wenigen ansteckenden Erkrankungen. Ob es einem Arzt erlaubt sein soll, an der Durchführung der Todesstrafe mitzuwirken, ist international strittig. Die Mitwirkung an Foltermaßnahmen wird einhellig in ärztlichen Moralkodizes verurteilt.
L 10.4 Dokumente und Websites zum Thema Empfehlungen der Kommission Selbstkontrolle in der Wissenschaft“
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[. . .] Empfehlung 1: Regeln guter wissenschaftlicher Praxis sollen – allgemein und nach Bedarf spezifiziert für die einzelnen Disziplinen – Grundsätze insbe− sondere für die folgenden Themen umfassen: allgemeine Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit, zum Beispiel lege artis zu arbeiten, Resultate zu dokumentieren, alle Ergebnisse konsequent selbst anzuzweifeln, strikte Ehrlichkeit im Hinblick auf die Beiträge von Partnern, Konkurrenten und Vorgängern zu wahren, Zusammenarbeit und Leitungsverantwortung in Arbeitsgruppen (Empfeh− lung 3), die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Empfehlung 4), die Sicherung und Aufbewahrung von Primärdaten (Empfehlung 7), wissenschaftliche Veröffentlichungen (Empfehlung 11). Empfehlung 2: Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsinstitute sol− len unter Beteiligung ihrer wissenschaftlichen Mitglieder Regeln guter wis− senschaftlicher Praxis formulieren, sie allen ihren Mitgliedern bekanntgeben und diese darauf verpflichten. Diese Regeln sollen fester Bestandteil der Lehre und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sein. [. . .] Empfehlung 3: Die Leitung jeder Hochschule und jeder Forschungseinrich− tung trägt die Verantwortung für eine angemessene Organisation, die sichert, dass [...] die Aufgaben der Leitung, Aufsicht, Konfliktregelung und Qualitäts− sicherung eindeutig zugewiesen sind und gewährleistet ist, dass sie tatsäch− lich wahrgenommen werden. [. . .] Empfehlung 4: Der Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nach− wuchses muss besondere Aufmerksamkeit gelten. Hochschulen und For− schungseinrichtungen sollen Grundsätze für seine Betreuung entwickeln und die Leitungen der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheiten darauf verpflichten. [. . .] Empfehlung 5: Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen unabhän− gige Vertrauenspersonen/Ansprechpartner vorsehen, an die sich ihre Mit− glieder in Konfliktfällen, auch in Fragen vermuteten wissenschaftlichen Fehl− verhaltens, wenden können. [. . .] Empfehlung 6: Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen bei Prü− fungen, bei der Verleihung akademischer Grade, Einstellungen und Berufun− gen Originalität und Qualität stets Vorrang vor Quantität zumessen. Dies soll vorrangig auch für die leistungs− und belastungsorientierte Mittelzuweisung in der Forschung gelten. [. . .]
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Empfehlung 7: Primärdaten als Grundlagen für Veröffentlichungen sollen auf haltbaren und gesicherten Trägern in der Institution, wo sie entstanden sind, für zehn Jahre aufbewahrt werden. [. . .] Empfehlung 8: Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen Verfahren zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens vorsehen. [. . .] Empfehlung 10: Wissenschaftliche Fachgesellschaften sollen für ihren Wir− kungsbereich Maßstäbe für gute wissenschaftliche Praxis erarbeiten, ihre Mitglieder darauf verpflichten und sie öffentlich bekannt geben. [. . .] Empfehlung 11: Autorinnen und Autoren wissenschaftlicher Veröffentli− chungen tragen die Verantwortung für deren Inhalt stets gemeinsam. Eine so genannte Ehrenautorschaft“ ist ausgeschlossen. [. . .] Empfehlung 12: Wissenschaftliche Zeitschriften sollen in ihren Autoren− richtlinien erkennen lassen, dass sie sich im Hinblick auf die Originalität eingereichter Beiträge und die Kriterien für die Autorschaft an der besten international üblichen Praxis orientieren. Gutachter eingereichter Manuskripte sollen auf Vertraulichkeit und auf Of− fenlegung von Befangenheit verpflichtet werden. [. . .] Empfehlung 13: Einrichtungen der Forschungsförderung sollen nach Maß− gabe ihrer Rechtsform in ihren Antragsrichtlinien klare Maßstäbe für die Korrektheit der geforderten Angaben zu eigenen und fremden Vorarbeiten, zum Arbeitsprogramm, zu Kooperationen und zu allen anderen für das Vor− haben wesentlichen Tatsachen formulieren und auf die Folgen unkorrekter Angaben aufmerksam machen. [. . .] Empfehlung 14: Förderorganisationen sollen ihre ehrenamtlichen Gutachter auf die Wahrung der Vertraulichkeit der ihnen überlassenen Antragsunter− lagen und auf Offenlegung von Befangenheit verpflichten. Sie sollen die Beurteilungskriterien spezifizieren, deren Anwendung sie von ihren Gutach− tern erwarten. Unreflektiert verwendete quantitative Indikatoren wissen− schaftlicher Leistung (z. B. so genannte impact−Faktoren) sollen nicht Grund− lage von Förderungsentscheidungen werden. [. . .] [Quelle: Auszüge aus der Denkschrift der Deutschen Forschungsgemein− schaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Darmstadt 1998: http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/download/ empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf]
Weitere Dokumente und Websites 1. United States, Office of Science and Technology Policy. Federal Policy on Research Misconduct; December 2000: http://www.ostp.gov/html/ 001207_3.html 2. Deutsche Forschungsgemeinschaft. Abschlussbericht der Task Force F.H. (zur Aufklärung des Falls Herrmann/Brach); 2000: http://www.dfg.de/aktuelles _presse/pressemitteilungen/2000/presse_2000_26.html 3. Max−Planck−Gesellschaft. Verantwortliches Handeln in der Wissenschaft. Analysen und Empfehlungen; 2001. Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten; 2000: http://www.mpg.de/root/verford/ fehlver.htm
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L 10.5 Basisliteratur zum Thema 1. Damkowski W u. a., Hrsg. Patienten im Gesundheitssystem: Patientenunter− stützung und −beratung: Notwendigkeit, Konzepte und Erfahrungen. Augs− burg: Maro; 1995. 2. Deutsch E. Medizin und Forschung vor Gericht: Kunstfehler, Aufklärung und Experiment im deutschen und amerikanischen Recht. Heidelberg u. a.: Mül− ler, Jur. Verl.; 1978. 3. DiTrocchio F. Der Große Schwindel: Betrug und Fälschung in der Wissen− schaft. Aus dem Italienischen von Simon A. Frankfurt a.M., New York: Cam− pus; 1995. 4. Finetti M, Himmelrath A. Der Sündenfall: Betrug und Fälschung in der deut− schen Wissenschaft. Stuttgart u. a.: Raabe; 1999. 5. Hudson A, Mclellan F. Ethical Issues in Biomedical Publication. Baltimore: John Hopkins University Press; 2000. 6. Lock S, Wells F, Farthing M, eds. Fraud and Misconduct in Biomedical Re− search. 3 rd ed. London: BMJ; 2001. 7. Macrina F. Scientific Integrity. An Introductory Text with Cases. Washington: ASM Press; 2000. 8. Sandkühler, HJ, Hrsg. Freiheit, Verantwortung und Folgen in der Wissen− schaft. Frankfurt a.M.: Lang; 1994. 9. Stegemann−Böhl S. Fehlverhalten von Forschern: Eine Untersuchung am Bei− spiel der biomedizinischen Forschung im Rechtsvergleich USA – Deutsch− land. Stuttgart: Enke; 1994. 10. Taupitz J. Arztfehler – unter dem Mantel des Schweigens? Zur Rechtspflicht des Arztes, unaufgefordert eigene Behandlungsfehler zu offenbaren. Berliner medizinethische Schriften 25, Dortmund: Humanitas; 1998.
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L 11.1 Fallgeschichten Therapieversuch bei Leukämie Bei einem zehn Jahre alten britischen Mädchen mit akuter Leukämie tritt ein Rezidiv auf. Die behandelnden Ärzte prognostizieren eine verbleibende Le− benserwartung von circa acht Wochen sowie eine sehr geringe Heilungs− chance und raten im Interesse des Kindes von weiterer Therapie ab. Der Vater des Mädchens zieht einen anderen Experten hinzu, der bereit ist, noch einen Behandlungsversuch zu unternehmen. Die zuständige Behörde, in etwa mit einer deutschen gesetzlichen Krankenkasse vergleichbar, weigert sich je− doch, für die Behandlung aufzukommen. Sie begründet ihre Entscheidung damit, dass die Kosten für teure Therapien nur übernommen werden könn− ten, wenn die Wirksamkeit erwiesen sei. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Presse und Öffentlichkeit in Großbritannien reagieren mit Empö− rung. R Jetzt sind Sie gefragt: Wie beurteilen Sie die Problematik?
Lebertransplantation mit hoher Dringlichkeit Drei Patienten eines Transplantationszentrums stehen wegen rasch fort− schreitendem Leberversagen bei Eurotransplant auf der Warteliste. Alle drei werden innerhalb von Tagen versterben, wenn sie kein Organ erhalten. Das Transplantationszentrum hat nun die Möglichkeit, maximal einem der Pa− tienten eine hohe Dringlichkeitsstufe zuzuweisen, was bedeutet, dass er oder sie ganz oben auf die Warteliste kommt und damit voraussichtlich in Kürze ein Organ erhalten wird. Wer sollte bei gleicher medizinischer Erfolgsaus− sicht als besonders dringlicher Fall gemeldet werden? 1. Eine 40−jährige Mutter von drei noch schulpflichtigen Kindern: Fortschrei− tendes Leberversagen nach Hepatitis−C−Infektion unbekannter Ursache; gute Compliance der Patientin. 2. Ein 25−jähriger Bauschlosser: Wegen seiner Erkrankung seit längerem arbeitsunfähig; Leberzirrhose wegen Alkoholabusus seit dem 15. Lebensjahr, seit 6 Monaten abstinent; Compliance ist fraglich. 3. Ein 65−jähriger Großunternehmer und Kunstmäzen der Region: Ursache der Leberzirrhose unbekannt, wartet von allen drei Kandidaten am längsten auf eine Transplantation; gute Compliance. R Jetzt sind Sie gefragt: Welche Kriterien einer gerechten Auswahl lassen sich anwenden?
L 11.2 Was ist Public Health? Einführung Die Wissenschaft und Praxis der öffentlichen Gesundheitsversorgung (Public Health, Public Health Sciences) befasst sich zum einen mit der Erhaltung und Förderung von Gesundheit und zum anderen mit der Verhütung und Be− wältigung von Krankheiten. Im Zentrum steht dabei nicht – wie in anderen medizinischen Disziplinen – das Wohl des individuellen Patienten, sondern die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Bevölkerung im Allge− meinen sowie die besonderen Bedürfnisse von Teilpopulationen, z. B. Kin− dern, älteren Menschen oder Flüchtlingen.
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Eine wichtige Rolle spielt das Konzept der Prävention, sei es in Form von Verbraucherschutz, von Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen bzw. Früherkennungsmaßnahmen. Zur Prävention gehört auch die Aufklärung über Infektionskrankheiten und über die Bedeutung des Lebensstils für die Gesundheit (z. B. Ernährung, Rauchen, Sport). Öffentliche Gesundheitsmaß− nahmen werden daraufhin geprüft, ob sie wirksam, kulturell angemessen sowie in ethischer und ökonomischer Hinsicht vertretbar sind.
Institutionen Institutionell ist das öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland vor allem über die Gesundheitsämter organisiert, auf nationaler Ebene über die Bun− desbehörden wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Robert−Koch−Institut. Das Robert−Koch−Institut untersucht das Auftreten von Krankheiten und Gesundheitsgefahren und entwickelt notwendige Maßnah− men zum Schutz der Bevölkerung. Die maßgebliche Organisation auf internationaler Ebene ist die WHO (World Health Organization). Gemäß ihrer Mission arbeitet sie auf den höchstmög− lichen Gesundheitsstandard für alle Völker hin. Dies geschieht u. a. durch technische Hilfe beim Aufbau und bei der Verbesserung nationaler Gesund− heitssysteme, durch Programme zur Prävention und Kontrolle von Epide− mien, Endemien und anderen Erkrankungen sowie durch die Entwicklung international gültiger Standards und Normen. Dabei versteht die WHO Gesundheit als Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als Abwesenheit von Erkrankung. Diese Definition ist einerseits als Errungenschaft begrüßt wor− den, weil sie endlich ein biologisch−reduktionistisches Verständnis von Krankheit überwinde; andererseits ist sie gerade aufgrund ihrer Breite und ihres hohen Anspruchs angegriffen worden – nach dieser Definition sei, so die Kritik, fast niemand gesund.
L 11.3 Problemfelder Problemfelder
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Von der Frage, wie Gesundheit zu definieren ist und wie verschiedene ge− sundheitliche Beeinträchtigungen zu bewerten sind, hängen gewichtige ethische Fragen ab: Wie viel Geld soll ins Gesundheitswesen fließen? Welche
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Prioritäten sollen bei der gesundheitlichen Versorgung gesetzt werden? Wie können die zur Verfügung stehenden Mittel gerecht verteilt werden? Für welche medizinischen Interventionen soll die Gemeinschaft aufkommen? Worin besteht die medizinische Grundversorgung, die jedem Menschen zu− teil werden sollte? Hat der Einzelne nicht nur ein Recht auf medizinische Hilfe, sondern auch eine Pflicht, seine Gesundheit zu erhalten bzw. die Ge− sundheit anderer nicht zu gefährden? Im Folgenden sollen drei medizinethische Problemfelder umrissen werden: 1. Die Frage des Respekts vor der Autonomie des Einzelnen im Zusammenhang mit präventiven Maßnahmen. 2. Die Thematik der sozialen Gerechtigkeit, die sich im Bereich der Prioritäten− setzung und Ressourcenallokation (Verteilung knapper Güter) stellt. 3. Der Konflikt zwischen den Interessen von Individuum und Gesellschaft, der eng mit der Frage von Rationalisierung und Rationierung im Gesundheits− wesen verknüpft ist.
Prävention und Autonomie Etwa 90 % der deutschen Bevölkerung sind in gesetzlichen Krankenkassen versichert, die Leistungen nicht nur für die Behandlung von Erkrankungen und die Rehabilitation, sondern auch für Primärprävention und Früherken− nung zur Verfügung stellen. Im Sozialgesetzbuch V, das die Gesetzliche Kran− kenversicherung zum Gegenstand hat, wird allerdings neben den Aufgaben der Solidargemeinschaft, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wie− derherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“ (SGB V §1), auch die Eigenverantwortung der Versicherten für ihre Gesundheit betont. Sie besteht u. a. in einer gesundheitsbewussten Lebensführung und frühzeitiger Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen. R Dokument SGB V s. S.139–142.
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Lässt sich eine Verpflichtung zu konkreten Vorsorgemaßnahmen mit dem Respekt vor der Autonomie des Einzelnen vereinbaren? Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet: O Eine Entscheidung zugunsten der Autonomie des Einzelnen: Es werden heute zwar Impfempfehlungen ausgesprochen, doch ist man vielerorts von einer allgemeinen Impfpflicht abgerückt. Für diese Entscheidung können zwei Gründe angegeben werden: Zum einen soll die Abwägung von individuellem Nutzen und Risiko dem Einzelnen überlassen bleiben; im Fall von Kindern den Eltern bzw. gesetzlichen Vertretern, die im Interesse des Kindes ent− scheiden sollen. Zum anderen ist der Konflikt zwischen Gemeinwohl (gerin− gere Prävalenz einer Infektionskrankheit) und individueller Autonomie zu− gunsten Letzterer entschieden worden. Man könnte es als ungerecht anse− hen, dass nicht geimpfte Kinder letztlich davon profitieren, wenn andere sich impfen lassen (denn dadurch sinkt auch für sie die Prävalenz der Erkrankung und damit das Erkrankungsrisiko). Man könnte auch kritisch fragen, ob El− tern das Recht haben, ihre nicht geimpften Kinder einem erhöhten Erkran− kungsrisiko auszusetzen. Auf der anderen Seite wird der elterlichen Auto− nomie in unserer Gesellschaft ein hoher Wert beigemessen. Berücksichtigt wird auch, dass das wissenschaftliche Weltbild, welches der Impfung zu Grunde liegt, nicht von allen selbstverständlich akzeptiert wird. Es ist jedoch denkbar, dass diese Güterabwägung anders ausfällt, wenn das Erkrankungs− risiko für Kinder steigt oder eine hochansteckende, gefährliche Erkrankung mittels einer sehr wirksamen und sicheren Impfung eingedämmt werden könnte. O Eine Entscheidung zuungunsten der Autonomie des Einzelnen: Zur Eindäm− mung des Schweren Akuten Atemnotsyndroms (SARS), mit dem sich 2003 weltweit mehrere tausend Menschen infizierten und das mehrere hundert Todesopfer gefordert hat, wurden eine Reihe von Maßnahmen getroffen. In einigen asiatischen Ländern wurden Personen, die mit SARS−Patienten in Kontakt gekommen waren, verpflichtet, zu Hause zu bleiben. Die Befolgung der Anordnung wurde dabei teilweise mit Kameras überwacht. Eine Miss− achtung der Auflagen konnte die Verlegung in ein Quarantänelager zur Folge haben. Solche eingreifenden Maßnahmen, die die Freiheit des Individuums massiv einschränken, bedürfen sorgfältiger Begründung. Noch anders fällt üblicherweise die Beurteilung aus, wenn nicht das Gemein− wohl, sondern nur der Nutzen für das Individuum selbst auf dem Spiel steht: So werden Screening−Programme, z. B. für Brustkrebs, zwar empfohlen, doch ist die Teilnahme nicht verpflichtend. Allerdings führen die wirtschaftlichen Konsequenzen, die in der Regel wiederum die Allgemeinheit belasten, immer wieder zu der Diskussion, ob gesundheitsschädigendem oder risikoreichem Verhalten nicht auch mit höheren Beiträgen begegnet werden solle, wie dies z. B. bei privaten Krankenversicherungen im Fall von riskanten Sportarten praktiziert wird. Welche Faktoren – z. B. Rauchen, Übergewicht oder Vernachlässigung von Vorsorgemaßnahmen – in diesem Sinn berücksichtigt werden sollten und wo eine unzulässige Einmischung in private Lebensentwürfe beginnt, wird kontrovers diskutiert. Dies liegt zum einen daran, dass sich die Kosten für die Allgemeinheit nur schwer objektivieren lassen. Zum anderen wird das ge− sundheitsschädigende Verhalten selbst gelegentlich als Krankheit angesehen (z. B. Alkoholmissbrauch); der Betroffene würde also für etwas bestraft, das nicht in seiner Verantwortung liegt.
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Prioritätensetzung und Ressourcenallokation Da der größte Anteil der Gesundheitsversorgung in Deutschland Teil des öffentlichen Gesundheitswesens ist und über gesetzliche Krankenkassen finanziert wird, handelt es sich nicht um einen sich selbst regulierenden Markt. Vielmehr werden politische Zielvorgaben unter Einhaltung ökonomi− scher Rahmenbedingungen umgesetzt. Somit stellt sich die Frage, nach wel− chen Kriterien Prioritäten in der Gesundheitsversorgung gesetzt und wie Mittel verteilt werden sollen. Obwohl die Prinzipien der sozialen Gerechtig− keit und der Solidarität weitgehend unumstritten sind, sind konkrete Ent− scheidungen nicht leicht zu treffen. Komplexe formale Methoden, wie Quality Adjusted Life Years“ (QALYs), versuchen, den Wert einer Behandlung mit Hilfe des Nutzens für die Betrof− fenen – gemessen an Lebensqualität im Verhältnis zu Lebensverlängerung – wissenschaftlich objektiv zu erfassen. Die Quantifizierung des zu erwarten− den Nutzens einer Intervention basiert jedoch letztlich auch auf subjektiven Wahrnehmungen und Wertentscheidungen. Gerechte Verteilung kann somit nicht auf eine mathematische Aufgabe reduziert werden. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin begründet, dass es unterschiedliche Kriterien für gerechte Verteilung gibt (s. Kap. 5 S. 64–65). Die wichtigsten sollen im Folgenden am Beispiel der Organtransplantation beschrieben wer− den. Es gibt verschiedene Wege, die von Hirntoten gewonnenen Organe und Gewebe, die zur Zeit nicht in ausreichender Zahl für alle Bedürftigen vor− handen sind, gerecht zu verteilen: Tab. 1 O O O O
Kriterien für gerechte Verteilung
Chancengleichheit Nutzenmaximierung Schadensvermeidung Soziale Wertigkeit oder Würdigkeit
O Ist das vorherrschende Kriterium gerechter Verteilung das der Chancen− gleichheit, haben alle die gleiche Wahrscheinlichkeit, ein Organ zu bekom− men. Eine solche Verteilung (oder Allokation) ließe sich praktisch zum Bei− spiel durch Losentscheid verwirklichen. Dieses Verfahren hat jedoch den Nachteil, dass Organe unabhängig vom zu erwartenden Erfolg der Trans− plantation vergeben würden. Auch die unterschiedliche Bedürftigkeit der Kranken würde dabei nicht in Rechnung gezogen. O Ein weiteres Kriterium gerechter Verteilung ist das der Nutzenmaximierung, ein utilitaristisches Prinzip (s. Kap. 2 S.16). Demnach würden Organe nach dem größtmöglichen kollektiven Nutzen zugeteilt. Nur diejenigen erhalten ein Organ, bei denen eine lange Transplantatüberlebenszeit zu erwarten ist. Praktisch bedeutet dies zum Beispiel, dass Organe nur bei guter HLA−Über− einstimmung transplantiert würden oder nur jungen Patienten mit wenigen Begleiterkrankungen. Handelt man nach solch einem Prinzip, muss man allerdings in Kauf nehmen, dass schwer kranke oder alte Menschen, Kranke mit Antikörpern oder mit seltenen Blutgruppen prinzipiell benachteiligt werden. O Ein drittes Kriterium der Verteilung ist das der Schadensvermeidung. Knappe Organe werden dann so vergeben, dass der größtmögliche Schaden vermie− den wird; also beispielsweise bevorzugt an schwer Kranke, die andernfalls
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sterben würden, oder an Kinder, die andernfalls schwere Wachstums− und Entwicklungsrückstände erleiden würden. O Schließlich gibt es noch das von allen hier diskutierte, am meisten umstrit− tene Kriterium der sozialen Wertigkeit oder Würdigkeit. Danach sollen vor− rangig solche Menschen ein Organ erhalten, die für die Gesellschaft von hohem Wert sind oder sich ihre Grunderkrankung nicht durch eigenes Ver− schulden zugezogen haben. Eine Mutter mit drei Kindern würde eher eine Niere erhalten als ein Krimineller oder ein Kranker mit Nierenversagen nach Schmerzmittelmissbrauch. Hier stellt sich die Frage, wer kompetent ist, die soziale Wertigkeit eines Menschen zu beurteilen und nach welchen Maß− stäben dies geschehen soll. Die Entscheidung, ob ein bestimmter Patient ein Organ erhalten soll, ist ein Beispiel für eine Allokationsfrage auf der Mikroebene. Doch auch auf den übergeordneten Meso− und Makroebenen stellen sich Verteilungsfragen: Soll eine Patientengruppe für eine Transplantation grundsätzlich in Frage kommen, z. B. Patienten, die ein bestimmtes Alter überschritten haben? Wie viel soll in die Entwicklung von künstlichem Organersatz oder alternativen Organquellen investiert werden, etwa im Ver− gleich zu Mitteln für die Prävention von Nieren−, Leber− und Herzerkrankun− gen? Wie viele Gelder sollen insgesamt in die Organtransplantation fließen, statt in andere Bereiche des Gesundheitswesens? Letztere Frage stellt sich insbesondere in Ländern, in denen eine medizinische Grundversorgung nicht in ausreichendem Maße etabliert ist. Die zahlreichen Fragen, die die Vertei− lung begrenzter und oft knapper Ressourcen betreffen, stellen somit kom− plexe und zugleich in praktischer Hinsicht höchst relevante medizinethische Probleme dar. In den meisten Fällen werden, wie auch bei der Allokation von Organen, verschiedene Gerechtigkeitskriterien, wenn auch in unterschiedli− cher Gewichtung, kombiniert. Wichtig ist in jedem Fall, möglichst allen Betroffenen ein Mitspracherecht einzuräumen und die angewandten Vertei− lungskriterien transparent zu halten.
Rationalisierung und Rationierung Die Rationalisierung im Gesundheitswesen, d. h. die Steigerung der Effizienz erbrachter Leistungen, ist inzwischen weithin als Notwendigkeit anerkannt. Die Rationierung, also die Kürzung von Mitteln, wird dagegen häufig noch immer als Tabu betrachtet. In der Tat zeigt sich jedoch angesichts der immer kostspieligeren diagnostischen und therapeutischen Innovationen, dass selbst bei erwiesener Wirksamkeit eine Begrenzung des Angebots von Ge− sundheitsleistungen nicht vermeidbar ist bzw. sein wird. Dies gilt insbeson− dere für Länder, deren finanzieller Rahmen für die Gesundheitsversorgung eng gesteckt ist. Das deutsche Sozialgesetzbuch hat in diesem Zusammenhang das so ge− nannte Wirtschaftlichkeitsgebot formuliert: Die Leistungen der Krankenkas− sen . . .
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. . . müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwen− dig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dür− fen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ (SGB V, §12[1])
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Unter den ethischen Fragen, die durch Rationalisierung und Rationierung aufgeworfen werden, finden sich wiederum Gerechtigkeitsfragen: Wie kann trotz Einschränkungen allen ein angemessener Zugang zur Gesundheitsver− sorgung gesichert werden? Wie kann verhindert werden, dass Einschrän− kungen manche Gruppen im Vergleich zu anderen in unfairem Maße treffen? Werden z. B. Unterschiede in Lebenserwartung und Sterblichkeit in den ver− schiedenen sozialen Schichten, die jetzt schon vorhanden sind, weiter zu− nehmen? Obwohl das international anerkannte Recht auf medizinische Grundversorgung sowie das oft zitierte Prinzip der sozialen Gerechtigkeit wichtige Ankerpunkte für die Diskussion darstellen, bleibt deren Konkreti− sierung und Umsetzung ein schwieriges Unterfangen. Ein weiteres Problem betrifft das Verhältnis von individuellen Bedürfnissen und Präferenzen auf der einen und gesellschaftlichen Interessen auf der anderen Seite. So stellt sich die Frage, ob individuellen Präferenzen für eine bestimmte Therapie – z. B. für eine homöopathische Behandlung – trotz gegenwärtig nicht erwie− sener Wirksamkeit Rechnung getragen werden soll. Die Frage der Erstat− tungsfähigkeit stellt sich ebenfalls, wenn der Krankheitswert in Frage steht, z. B. bei manchen Eingriffen in der plastischen Chirurgie. Gegenwärtig wird versucht, mittels Leitlinien, Disease−Management−Pro− grammen (die bestimmte Behandlungspfade vorgeben), Health Technology Assessments und ähnlichen Maßnahmen auf Lösungen dieser Fragen hinzu− arbeiten. Diese Ansätze orientieren sich an den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Nachweisen (Evidenz) für Wirksamkeit und Wirtschaft− lichkeit. Dies birgt jedoch zugleich die Gefahr, dass diejenigen Gruppen, für deren medizinische Probleme keine oder wenig Evidenz vorliegt, im Hinblick auf die Kostenerstattung benachteiligt werden. Es kann eine Vielzahl von Grün− den für den Mangel an Evidenz geben: So kann es sein, dass sich eine Patientengruppe aus methodologischen oder ethischen Gründen schlecht im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien beforschen lässt (z. B. mul− timorbide, geriatrische Patienten oder Kinder). Zum anderen sind nicht alle Patientengruppen für die Pharmaindustrie, die viele große Studien mitfinan− ziert oder in Auftrag gibt, gleichermaßen attraktiv. Diese Probleme sind für die evidenzbasierte Medizin, der es um eine kritische Beurteilung der gegen− wärtigen Datenlage geht, von großer Bedeutung. Die Existenz von Evidenzen für Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit kann also nicht alleiniges Kriterium für gesundheitspolitische Priorisierung sein. Für die Legitimität von Allokationsentscheidungen ist es wichtig, dass sie auf transparente Weise und unter Einbeziehung der Perspektive Betroffener ge− fällt werden. Die Frage, wo Begrenzungen vorgenommen werden sollen, bleibt im Einzelfall immer problematisch und lässt den medizinethischen Konflikt zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen in aller Schärfe hervortreten.
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L 11.4 Dokumente und Websites zum Thema Sozialgesetzbuch (SGB V): Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung Stand: Zuletzt geändert durch Art. 3 G. v. 21. 8. 2002 I 3352 § 1 Solidarität und Eigenverantwortung Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Ge− sundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Ge− sundheitszustand zu bessern. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mit− verantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen so− wie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken. § 2 Leistungen (1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel ge− nannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei− und Heil− mittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Quali− tät und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizini− schen Fortschritt zu berücksichtigen. (2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach− und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Über die Erbringung der Sach− und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungser− bringern. (3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen. (4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. [. . .]
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§ 12 Wirtschaftlichkeitsgebot (1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Kran− kenkassen nicht bewilligen. (2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag. (3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendes Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewusst oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen
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Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regressver− fahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat. [. . .] § 20 Prävention und Selbsthilfe (1) Die Krankenkasse soll in der Satzung Leistungen zur primären Präven− tion vorsehen, die die in den Sätzen 2 und 3 genannten Anforderungen er− füllen. Leistungen zur Primärprävention sollen den allgemeinen Gesund− heitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen. Die Spit− zenverbände der Krankenkassen beschließen gemeinsam und einheitlich unter Einbeziehung unabhängigen Sachverstandes prioritäre Handlungsfel− der und Kriterien für Leistungen nach Satz 1, insbesondere hinsichtlich Be− darf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten und Methodik. (2) Die Krankenkassen können den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchführen; Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Die Krankenkassen arbeiten bei der Verhütung arbeitsbeding− ter Gesundheitsgefahren mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversiche− rung zusammen und unterrichten diese über die Erkenntnisse, die sie über Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und Arbeitsbedingungen gewon− nen haben. Ist anzunehmen, dass bei einem Versicherten eine berufsbeding− te gesundheitliche Gefährdung oder eine Berufskrankheit vorliegt, hat die Krankenkasse dies unverzüglich den für den Arbeitsschutz zuständigen Stel− len und dem Unfallversicherungsträger mitzuteilen. (3) Die Ausgaben der Krankenkasse für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach den Absätzen 1 und 2 sollen insgesamt im Jahr 2000 für jeden ihrer Versicherten einen Betrag von 2,56 Euro umfassen; sie sind in den Folge− jahren entsprechend der prozentualen Veränderung der monatlichen Be− zugsgröße nach § 18 Abs.1 des Vierten Buches anzupassen. (4) Die Krankenkasse soll Selbsthilfegruppen, −organisationen und −kontakt− stellen fördern, die sich die Prävention oder die Rehabilitation von Versicher− ten bei einer der im Verzeichnis nach Satz 2 aufgeführten Krankheiten zum Ziel gesetzt haben. Die Spitzenverbände der Krankenkassen beschließen gemeinsam und einheitlich ein Verzeichnis der Krankheitsbilder, bei deren Prävention oder Rehabilitation eine Förderung zulässig ist; sie haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und Vertreter der für die Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe maßgeblichen Spitzenorganisationen zu be− teiligen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen beschließen gemeinsam und einheitlich Grundsätze zu den Inhalten der Förderung der Selbsthilfe; eine über die Projektförderung hinausgehende Förderung der gesundheits− bezogenen Arbeit von Selbsthilfegruppen, −organisationen und −kontaktstel− len durch Zuschüsse ist möglich. Die in Satz 2 genannten Vertreter der Selbst− hilfe sind zu beteiligen. Die Ausgaben der Krankenkasse für die Wahrneh− mung ihrer Aufgaben nach Satz 1 sollen insgesamt im Jahr 2000 für jeden ihrer Versicherten einen Betrag von 0,51 Euro umfassen; sie sind in den Folgejahren entsprechend der prozentualen Veränderung der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs.1 des Vierten Buches anzupassen. [. . .] § 70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
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Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden. Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maß− nahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwir− ken. [Quelle: Auszüge aus dem Sozialgesetzbuch. http://www.sozialgesetzbuch− bundessozialhilfegesetz.de/_buch/sozialgesetzbuch.htm]
Weitere Dokumente und Websites 1. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ): www.aezq.de 2. American Public Health Association. Public Health Code of Ethics: http:// www.apha.org/codeofethics/ethics.htm 3. Gesundheitspolitische Grundsätze der deutschen Ärzteschaft: http:// www.bundesaerztekammer.de/10/015Grundsaetze.html 4. Forum für Evidence−Based Medicine (EBM) und Evidence−Based Health Care (EBHC): www.ebm−net.de 5. World Health Organization. Constitution (1946): http://whqlibdoc.who.int/ hist/official_records/constitution.pdf
L 11.5 Basisliteratur zum Thema
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1. Biller−Andorno N. Evidenz−basierte Gesundheitsversorgung – kritische Nach− fragen vor medizinethischem Hintergrund. Wiener Medizinische Wochen− schrift. 2002; 152 (5/6): 161−164. 2. Brand A, v. Engelhardt D, Simon A, Wehkamp KH, Hrsg. Individuelle Gesund− heit versus Public Health? Münster: Lit; 2002. 3. Daniels N. Just health care. Cambridge: Cambridge University Press; 1985. 4. Dietrich F. Dimensionen der Verteilungsgerechtigkeit. Stuttgart: Lucius und Lucius; 2001. 5. Feuerstein G, Kuhlmann E, Hrsg. Rationierung im Gesundheitswesen. Wies− baden: Ullstein Medical; 1998. 6. Kersting W. Gerechtigkeit und Medizin. Köln: Wirtschaftsverlag Bachem; 1995. 7. Lachmann R, Meuter N. Medizinische Gerechtigkeit. München: Fink; 1997. 8. Marckmann G, Liening P, Wiesing U, Hrsg. Gerechte Gesundheitsversorgung. Ethische Grundpositionen zur Mittelverteilung im Gesundheitswesen. Stutt− gart: Schattauer Verlag; 2003. 9. Marckmann G. Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung. In: Düwell M, Steigleder K, Hrsg. Bioethik. Eine Einführung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; 2003: 333−343. 10. Nagel E, Fuchs C, Hrsg. Rationalisierung und Rationierung im deutschen Gesundheitswesen. Stuttgart: Thieme; 1998. 11. Ter Meulen R, Arts W, Muffels R, eds. Solidarity in Health and Social Care in Europe. Dordrecht: Kluwer; 2001. 12. Thielmann L. Ethische Grundlagen einer Prioritätensetzung im Gesundheits− wesen. Bayreuth: Verlag PCO; 2001.
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Anhang I: Dokumente
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Anhang I: Dokumente
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bereinkommen zur Biomedizin des L I.1 Menschenrechtsu Europarates bereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der U rde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie Menschenwu bereinkommen u ber Menschenrechte und und Medizin: U Biomedizin vom 4. April 1997 ambel Pra Die Mitgliedsstaaten des Europarats, die anderen Staaten und die Europä− ische Gemeinschaft, die dieses Übereinkommen unterzeichnen – eingedenk der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrech− te; eingedenk der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Men− schenrechte und Grundfreiheiten; eingedenk der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961; eingedenk des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966; eingedenk des Übereinkommens vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Men− schen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten; eingedenk auch des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes; in der Erwägung, dass es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen, und dass eines der Mittel zur Erreichung dieses Zieles darin besteht, die Menschenrechte und Grundfrei− heiten zu wahren und fortzuentwickeln; im Bewusstsein der raschen Entwicklung von Biologie und Medizin; überzeugt von der Notwendigkeit, menschliche Lebewesen in ihrer Indivi− dualität und als Teil der Menschheit zu achten, und in der Erkenntnis, dass es wichtig ist, ihre Würde zu gewährleisten; im Bewusstsein, dass der Missbrauch von Biologie und Medizin zu Hand− lungen führen kann, welche die Menschenwürde gefährden; bekräftigend, dass die Fortschritte in Biologie und Medizin zum Wohl der heutigen und der künftigen Generationen zu nutzen sind; betonend, dass internationale Zusammenarbeit notwendig ist, damit die gesamte Menschheit aus Biologie und Medizin Nutzen ziehen kann; in Anerkennung der Bedeutung, die der Förderung einer öffentlichen Dis− kussion über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung von Biologie und Medizin und über die darauf zu gebenden Antworten zukommt; von dem Wunsch geleitet, alle Mitglieder der Gesellschaft an ihre Rechte und ihre Verantwortung zu erinnern; unter Berücksichtigung der Arbeiten der Parlamentarischen Versammlung auf diesem Gebiet, einschliesslich der Empfehlung 1160 (1991) über die Aus− arbeitung eines Übereinkommens über Bioethik; entschlossen, im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Menschenwürde sowie der Grundrechte und Grundfreiheiten des Menschen zu gewährleisten – sind wie folgt übereingekommen:
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Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen Artikel 1 – Gegenstand und Ziel Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens schützen die Würde und die Identität aller menschlichen Lebewesen und gewährleisten jedermann ohne Diskriminierung die Wahrung seiner Integrität sowie seiner sonstigen Grundrechte und Grundfreiheiten im Hinblick auf die Anwendung von Bio− logie und Medizin. Jede Vertragspartei ergreift in ihrem internen Recht die notwendigen Maß− nahmen, um diesem Übereinkommen Wirksamkeit zu verleihen. Artikel 2 – Vorrang des menschlichen Lebewesens Das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebewesens haben Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder der Wissenschaft. Artikel 3 – Gleicher Zugang zur Gesundheitsversorgung Die Vertragsparteien ergreifen unter Berücksichtigung der Gesundheitsbe− dürfnisse und der verfügbaren Mittel geeignete Maßnahmen, um in ihrem Zuständigkeitsbereich gleichen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung von angemessener Qualität zu schaffen. Artikel 4 – Berufspflichten und Verhaltensregeln Jede Intervention im Gesundheitsbereich, einschließlich Forschung, muss nach den einschlägigen Rechtsvorschriften, Berufspflichten und Verhaltens− regeln erfolgen. Kapitel II: Einwilligung Artikel 5 – Allgemeine Regel Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Inter− vention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären. Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit frei widerrufen. Artikel 6 – Schutz einwilligungsunfähiger Personen (1) Bei einer einwilligungsunfähigen Person darf eine Intervention nur zu ihrem unmittelbaren Nutzen erfolgen; die Artikel 17 und 20 bleiben vorbe− halten. (2) Ist eine minderjährige Person von Rechts wegen nicht fähig, in eine Intervention einzuwilligen, so darf diese nur mit Einwilligung ihres gesetz− lichen Vertreters oder einer von der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Behörde, Person oder Stelle erfolgen. (3) Der Meinung der minderjährigen Person kommt mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife immer mehr entscheidendes Gewicht zu. (4) Ist eine volljährige Person aufgrund einer geistigen Behinderung, einer Krankheit oder aus ähnlichen Gründen von Rechts wegen nicht fähig, in eine Intervention einzuwilligen, so darf diese nur mit Einwilligung ihres gesetz− lichen Vertreters oder einer von der Rechtsordnung dafür vorgesehenen Behörde, Person oder Stelle erfolgen. (5) Die betroffene Person ist soweit wie möglich in das Einwilligungsver− fahren einzubeziehen. (6) Der Vertreter, die Behörde, die Person oder die Stelle nach den Absätzen 2 und 3 ist in der in Artikel 5 vorgesehenen Weise aufzuklären. (7) Die Einwilligung nach den Absätzen 2 und 3 kann im Interesse der betroffenen Person jederzeit widerrufen werden.
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Artikel 7 – Schutz von Personen mit psychischer Störung Bei einer Person, die an einer schweren psychischen Störung leidet, darf eine Intervention zur Behandlung der psychischen Störung nur dann ohne ihre Einwilligung erfolgen, wenn ihr ohne die Behandlung ein ernster gesund− heitlicher Schaden droht und die Rechtsordnung Schutz gewährleistet, der auch Aufsichts−, Kontroll− und Rechtsmittelverfahren umfasst. Artikel 8 – Notfallsituation Kann die Einwilligung wegen einer Notfallsituation nicht eingeholt werden, so darf jede Intervention, die im Interesse der Gesundheit der betroffenen Person medizinisch unerlässlich ist, umgehend erfolgen. Artikel 9 – Zu einem früheren Zeitpunkt geäußerte Wünsche Kann ein Patient im Zeitpunkt der medizinischen Intervention seinen Willen nicht äußern, so sind die Wünsche zu berücksichtigen, die er früher im Hinblick auf eine solche Intervention geäußert hat. re und Recht auf Auskunft Kapitel III: Privatspha Artikel 10 – Privatsphäre und Recht auf Auskunft Jeder hat das Recht auf Wahrung der Privatsphäre in Bezug auf Angaben über seine Gesundheit. Jeder hat das Recht auf Auskunft in Bezug auf alle über seine Gesundheit gesammelten Angaben. Will jemand jedoch keine Kenntnis erhalten, so ist dieser Wunsch zu respektieren. Die Rechtsordnung kann vorsehen, dass in Ausnahmefällen die Rechte nach Absatz 2 im Interesse des Patienten eingeschränkt werden können. Kapitel IV: Menschliches Genom Artikel 11 – Nichtdiskriminierung Jede Form von Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes ist verboten. Artikel 12 – Prädiktive genetische Tests Untersuchungen, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten vor− herzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prädis− position oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, dürfen nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche For− schung und nur unter der Voraussetzung einer angemessenen genetischen Beratung vorgenommen werden. Artikel 13 – Interventionen in das menschliche Genom Eine Intervention, die auf die Veränderung des menschlichen Genoms ge− richtet ist, darf nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken und nur dann vorgenommen werden, wenn sie nicht darauf abzielt, eine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen. Artikel 14 – Verbot der Geschlechtswahl Die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nicht dazu verwendet werden, das Geschlecht des künftigen Kindes zu wählen, es sei denn, um eine schwere, erbliche geschlechtsgebundene Krankheit zu vermeiden.
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Kapitel V: Wissenschaftliche Forschung Artikel 15 – Allgemeine Regel Vorbehaltlich dieses Übereinkommens und der sonstigen Rechtsvorschriften zum Schutz menschlicher Lebewesen ist wissenschaftliche Forschung im Bereich von Biologie und Medizin frei.
i. ii. iii.
iv.
v.
i. ii. iii. iv. v.
i.
ii.
Artikel 16 – Schutz von Personen bei Forschungsvorhaben Forschung an einer Person ist nur zulässig, wenn die folgenden Vorausset− zungen erfüllt sind: Es gibt keine Alternative von vergleichbarer Wirksamkeit zur Forschung am Menschen; die möglichen Risiken für die Person stehen nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung; die zuständige Stelle hat das Forschungsvorhaben gebilligt, nachdem eine unabhängige Prüfung seinen wissenschaftlichen Wert einschließlich der Wichtigkeit des Forschungsziels bestätigt hat und eine interdisziplinäre Prü− fung ergeben hat, dass es ethisch vertretbar ist; die Personen, die sich für ein Forschungsvorhaben zur Verfügung stellen, sind über ihre Rechte und die von der Rechtsordnung zu ihrem Schutz vor− gesehenen Sicherheitsmaßnahmen unterrichtet worden, und die nach Artikel 5 notwendige Einwilligung ist ausdrücklich und eigens für diesen Fall erteilt und urkundlich festgehalten worden. Diese Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden. Artikel 17 – Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Forschungsvorhaben (1) Forschung an einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, ist nur zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Die Voraussetzungen nach Artikel 16 Ziffern i bis iv sind erfüllt; die erwarteten Forschungsergebnisse sind für die Gesundheit der betroffe− nen Person von tatsächlichem und unmittelbarem Nutzen; Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit ist an einwilligungsfähigen Per− sonen nicht möglich; die nach Artikel 6 notwendige Einwilligung ist eigens für diesen Fall und schriftlich erteilt worden, und die betroffene Person lehnt nicht ab. (2) In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf Forschung, deren erwartete Ergeb− nisse für die Gesundheit der betroffenen Person nicht von unmittelbarem Nutzen sind, zugelassen werden, wenn außer den Voraussetzungen nach Absatz 1 Ziffern i, iii, iv und v zusätzlich die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Die Forschung hat zum Ziel, durch eine wesentliche Erweiterung des wissen− schaftlichen Verständnisses des Zustands, der Krankheit oder der Störung der Person letztlich zu Ergebnissen beizutragen, die der betroffenen Person selbst oder anderen Personen nützen können, welche derselben Altersgrup− pe angehören oder an derselben Krankheit oder Störung leiden oder sich in demselben Zustand befinden, und die Forschung bringt für die betroffene Person nur ein minimales Risiko und eine minimale Belastung mit sich.
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Artikel 18 – Forschung an Embryonen in vitro (1) Die Rechtsordnung hat einen angemessenen Schutz des Embryos zu ge− währleisten, sofern sie Forschung an Embryonen in vitro zulässt. (2) Die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken ist ver− boten. Kapitel VI: Entnahme von Organen und Gewebe von lebenden Spendern zu Transplantationszwecken Artikel 19 – Allgemeine Regel (1) Einer lebenden Person darf ein Organ oder Gewebe zu Transplantations− zwecken nur zum therapeutischen Nutzen des Empfängers und nur dann entnommen werden, wenn weder ein geeignetes Organ oder Gewebe einer verstorbenen Person verfügbar ist noch eine alternative therapeutische Me− thode von vergleichbarer Wirksamkeit besteht. (2) Die nach Artikel 5 notwendige Einwilligung muss ausdrücklich und ei− gens für diesen Fall entweder in schriftlicher Form oder vor einer amtlichen Stelle erteilt worden sein.
i. ii. iii.
iv.
Artikel 20 – Schutz einwilligungsunfähiger Personen (1) Einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu er− teilen, dürfen weder Organe noch Gewebe entnommen werden. (2) In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf die Entnahme regenerierbaren Ge− webes bei einer einwilligungsunfähigen Person zugelassen werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Ein geeigneter einwilligungsfähiger Spender steht nicht zur Verfügung; der Empfänger ist ein Bruder oder eine Schwester des Spenders; die Spende muss geeignet sein, das Leben des Empfängers zu retten; die Einwilligung nach Artikel 6 Absätze 2 und 3 ist eigens für diesen Fall und schriftlich in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung und mit Billigung der zuständigen Stelle erteilt worden, und der in Frage kommende Spender lehnt nicht ab. Kapitel VII: Verbot finanziellen Gewinns; Verwendung eines Teils des rpers menschlichen Ko Artikel 21 – Verbot finanziellen Gewinns Der menschliche Körper und Teile davon dürfen als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden. Artikel 22 – Verwendung eines dem menschlichen Körper entnommenen Teils Wird bei einer Intervention ein Teil des menschlichen Körpers entnommen, so darf er nur zu dem Zweck aufbewahrt und verwendet werden, zu dem er entnommen worden ist; jede andere Verwendung setzt angemessene Infor− mations− und Einwilligungsverfahren voraus. bereinkommens Kapitel VIII: Verletzung von Bestimmungen des U Artikel 23 – Verletzung von Rechten oder Grundsätzen Die Vertragsparteien gewährleisten einen geeigneten Rechtsschutz, der dar− auf abzielt, eine widerrechtliche Verletzung der in diesem Übereinkommen verankerten Rechte und Grundsätze innerhalb kurzer Frist zu verhindern oder zu beenden.
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Artikel 24 – Schadensersatz Hat eine Person durch eine Intervention in ungerechtfertigter Weise Schaden erlitten, so hat sie Anspruch auf angemessenen Schadensersatz nach Maß− gabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Voraussetzungen und Mo− dalitäten. Artikel 25 – Sanktionen Die Vertragsparteien sehen angemessene Sanktionen für Verletzungen von Bestimmungen dieses Übereinkommens vor. bereinkommens zu anderen Bestimmungen ltnis dieses U Kapitel IX: Verha Artikel 26 – Einschränkungen der Ausübung der Rechte (1) Die Ausübung der in diesem Übereinkommen vorgesehenen Rechte und Schutzbestimmungen darf nur insoweit eingeschränkt werden, als diese Einschränkung durch die Rechtsordnung vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die öffentliche Sicher− heit, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der öffent− lichen Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer not− wendig ist. (2) Die nach Absatz 1 möglichen Einschränkungen dürfen sich nicht auf die Artikel 11, 13, 14, 16, 17, 19, 20 und 21 beziehen. Artikel 27 – Weiterreichender Schutz Dieses Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als beschränke oder beeinträchtige es die Möglichkeit einer Vertragspartei, im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin einen über dieses Übereinkommen hinausgehenden Schutz zu gewähren. entliche Diskussion Kapitel X: O Artikel 28 – Öffentliche Diskussion Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens sorgen dafür, dass die durch die Entwicklungen in Biologie und Medizin aufgeworfenen Grundsatzfragen, insbesondere in Bezug auf ihre medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen, ethischen und rechtlichen Auswirkungen, öffentlich diskutiert werden und zu ihren möglichen Anwendungen angemessene Konsultationen stattfinden. bereinkommens und Folgemaßnahmen Kapitel XI: Auslegung des U Artikel 29 – Auslegung des Übereinkommens Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann, ohne unmittelbare Bezugnahme auf ein bestimmtes, bei einem Gericht anhängiges Verfahren, Gutachten über Rechtsfragen betreffend die Auslegung dieses Übereinkom− mens erstatten, und zwar auf Antrag – der Regierung einer Vertragspartei nach Unterrichtung der anderen Vertragsparteien – des nach Artikel 32 vor− gesehenen und auf die Vertreter der Vertragsparteien beschränkten Aus− schusses, wenn der Antrag mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stim− men beschlossen worden ist. Artikel 30 – Berichte über die Anwendung des Übereinkommens Nach Aufforderung durch den Generalsekretär des Europarats legt jede Ver− tragspartei dar, in welcher Weise ihr internes Recht die wirksame Anwen− dung der Bestimmungen dieses Übereinkommens gewährleistet.
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Kapitel XII: Protokolle Artikel 31 – Protokolle Zur Weiterentwicklung der Grundsätze dieses Übereinkommens in einzel− nen Bereichen können Protokolle nach Artikel 32 ausgearbeitet werden. Die Protokolle liegen für die Unterzeichner dieses Übereinkommens zur Unterzeichnung auf. Sie bedürfen der Ratifikation, Annahme oder Genehmi− gung. Ein Unterzeichner kann die Protokolle ohne vorherige oder gleichzei− tige Ratifikation, Annahme oder Genehmigung des Übereinkommens nicht ratifizieren, annehmen oder genehmigen. nderungen des U bereinkommens Kapitel XIII: A Artikel 32 – Änderungen des Übereinkommens (1) Die Aufgaben, die dieser Artikel und Artikel 29 dem Ausschuss“ über− tragen, werden vom Lenkungsausschuss für Bioethik (CDBI) oder von einem anderen vom Ministerkomitee hierzu bestimmten Ausschuss wahrgenom− men. (2) Nimmt der Ausschuss Aufgaben nach diesem Übereinkommen wahr, so kann, vorbehaltlich des Artikels 29, jeder Mitgliedsstaat des Europarats so− wie jede Vertragspartei dieses Übereinkommens, die nicht Mitglied des Eu− roparats ist, im Ausschuss vertreten sein und über eine Stimme verfügen. (3) Jeder in Artikel 33 bezeichnete oder nach Artikel 34 zum Beitritt zu diesem Übereinkommen eingeladene Staat, der nicht Vertragspartei des Übereinkommens ist, kann einen Beobachter in den Ausschuss entsenden. Ist die Europäische Gemeinschaft nicht Vertragspartei, so kann sie einen Beobachter in den Ausschuss entsenden. (4) Damit wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen werden kann, überprüft der Ausschuss dieses Übereinkommen spätestens fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten und danach in den von ihm bestimmten Abstän− den. (5) Jeder Vorschlag zur Änderung dieses Übereinkommens und jeder Vor− schlag für ein Protokoll oder zur Änderung eines Protokolls, der von einer Vertragspartei, dem Ausschuss oder dem Ministerkomitee vorgelegt wird, ist dem Generalsekretär des Europarats zu übermitteln; dieser leitet ihn an die Mitgliedsstaaten des Europarats, die Europäische Gemeinschaft, jeden Un− terzeichner, jede Vertragspartei, jeden nach Artikel 33 zur Unterzeichnung eingeladenen Staat und jeden nach Artikel 34 zum Beitritt eingeladenen Staat weiter. (6) Der Ausschuss prüft den Vorschlag frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem der Generalsekretär ihn nach Absatz 5 weitergeleitet hat. Der Ausschuss unterbreitet den mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen angenommenen Text dem Ministerkomitee zur Genehmigung. Nach seiner Genehmigung wird dieser Text den Vertragsparteien dieses Übereinkommens zur Ratifikation, Annahme oder Genehmigung zugeleitet. (7) Jede Änderung tritt für die Vertragsparteien, die sie angenommen haben, am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem fünf Vertragsparteien, darunter mindes− tens vier Mitgliedsstaaten des Europarats, dem Generalsekretär ihre Annah− me der Änderung mitgeteilt haben. (8) Für jede Vertragspartei, welche die Änderung später annimmt, tritt sie am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem die betreffende Vertragspartei dem Ge− neralsekretär ihre Annahme der Änderung mitgeteilt hat.
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Kapitel XIV: Schlussbestimmungen Artikel 33 – Unterzeichnung, Ratifikation und Inkrafttreten (1) Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedsstaaten des Europarats, für die Nichtmitgliedsstaaten, die an seiner Ausarbeitung beteiligt waren, und für die Europäische Gemeinschaft zur Unterzeichnung auf. (2) Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation, Annahme oder Geneh− migung. Die Ratifikations−, Annahme− oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt. (3) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem fünf Staaten, darunter mindestens vier Mitgliedsstaaten des Europarats, nach Absatz 2 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Übereinkommen gebunden zu sein. (4) Für jeden Unterzeichner, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung seiner Ratifikations−, Annahme− oder Genehmigungsurkunde folgt. Artikel 34 – Nichtmitgliedsstaaten (1) Nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens kann das Ministerkomitee des Europarats nach Konsultation mit den Vertragsparteien durch einen Be− schluss, der mit der in Artikel 20 Buchstabe d der Satzung des Europarats vorgesehenen Mehrheit und mit einhelliger Zustimmung der Vertreter der Vertragsparteien, die Anspruch auf einen Sitz im Ministerkomitee haben, gefasst worden ist, jeden Nichtmitgliedsstaat des Europarats einladen, dem Übereinkommen beizutreten. (2) Für jeden beitretenden Staat tritt dieses Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinter− legung der Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats folgt. Artikel 35 – Hoheitsgebiete (1) Jeder Unterzeichner kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinter− legung seiner Ratifikations−, Annahme− oder Genehmigungsurkunde ein Ho− heitsgebiet oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Über− einkommen Anwendung findet. Jeder andere Staat kann bei der Hinterle− gung seiner Beitrittsurkunde dieselbe Erklärung abgeben. (2) Jede Vertragspartei kann jederzeit danach durch eine an den General− sekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Über− einkommens auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, für dessen internationale Beziehungen sie verantwortlich ist oder für die sie befugt ist, Verpflichtungen einzugehen. Das Übereinkommen tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim General− sekretär folgt. (3) Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Mona− ten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt. Artikel 36 – Vorbehalte (1) Jeder Staat und die Europäische Gemeinschaft können bei der Unter− zeichnung dieses Übereinkommens oder bei der Hinterlegung der Ratifika−
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tionsurkunde bezüglich bestimmter Vorschriften des Übereinkommens ei− nen Vorbehalt machen, soweit das zu dieser Zeit in ihrem Gebiet geltende Recht nicht mit der betreffenden Vorschrift übereinstimmt. Vorbehalte all− gemeiner Art sind nach diesem Artikel nicht zulässig. (2) Jeder nach diesem Artikel gemachte Vorbehalt muss mit einer kurzen Darstellung des betreffenden Rechts verbunden sein. (3) Jede Vertragspartei, welche die Anwendung dieses Übereinkommens auf ein in der in Artikel 35 Absatz 2 aufgeführten Erklärung erwähntes Hoheits− gebiet erstreckt, kann in Bezug auf das betreffende Hoheitsgebiet einen Vor− behalt nach den Absätzen 1 und 2 machen. (4) Jede Vertragspartei, die einen Vorbehalt nach diesem Artikel gemacht hat, kann ihn durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung zurücknehmen. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Eingang beim Generalsekretär folgt. Artikel 37 – Kündigung (1) Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation kündigen. (2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim General− sekretär folgt.
a) b) c) d) e) f) g)
Artikel 38 – Notifikationen Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedsstaaten des Ra− tes, der Europäischen Gemeinschaft, jedem Unterzeichner, jeder Vertrags− partei und jedem anderen Staat, der zum Beitritt zu diesem Übereinkommen eingeladen worden ist, jede Unterzeichnung, jede Hinterlegung einer Ratifikations−, Annahme−, Genehmigungs− oder Bei− trittsurkunde; jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens nach Artikel 33 oder 34; jede Änderung und jedes Protokoll, die nach Artikel 32 angenommen worden sind, sowie das Datum des Inkrafttretens der Änderung oder des Protokolls; jede nach Artikel 35 abgegebene Erklärung; jeden Vorbehalt und jede Rücknahme des Vorbehalts nach Artikel 36; jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen. Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben. Geschehen zu Oviedo (Asturien) am 4. April 1997 in englischer und franzö− sischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedsstaaten des Europarats, der Euro− päischen Gemeinschaft, den Nichtmitgliedsstaaten, die an der Ausarbeitung dieses Übereinkommens beteiligt waren, und allen zum Beitritt zu diesem Übereinkommen eingeladenen Staaten beglaubigte Abschriften. [Quelle: http://www.coe.int/T/E/Legal_affairs/Legal_co−operation/Bioethics/ Texts_and_documents/ETS164_German.asp#TopOf Page Anm.: Das Dokument wurde von Deutschland noch nicht ratifiziert.]
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rztebundes L I.2 Deklaration von Helsinki des Welta tze fu r die medizinische Forschung am Ethische Grundsa Menschen in der Fassung von Edinburgh, Schottland, Oktober 2000 (erste Fassung Helsinki, Finnland, Juni 1964)
A. Einleitung 1. Mit der Deklaration von Helsinki hat der Weltärztebund eine Erklärung ethischer Grundsätze als Leitlinie für Ärzte und andere Personen entwickelt, die in der medizinischen Forschung am Menschen tätig sind. Medizinische Forschung am Menschen schließt die Forschung an identifizierbarem menschlichen Material oder identifizierbaren Daten ein. 2. Es ist die Pflicht des Arztes, die Gesundheit der Menschen zu fördern und zu erhalten. Der Erfüllung dieser Pflicht dient der Arzt mit seinem Wissen und Gewissen. 3. Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes verpflichtet den Arzt mit den Worten: Die Gesundheit meines Patienten soll mein vornehmstes Anliegen sein“, und der internationale Kodex für ärztliche Ethik legt fest: Der Arzt soll bei der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit ausschließlich im Interesse des Patienten handeln, wenn die Therapie eine Schwächung des physischen und psychischen Zustandes des Patienten zur Folge haben kann.“ 4. Medizinischer Fortschritt beruht auf Forschung, die sich letztlich zum Teil auch auf Versuche am Menschen stützen muss. 5. In der medizinischen Forschung am Menschen haben Überlegungen, die das Wohlergehen der Versuchsperson (die von der Forschung betroffene Person) betreffen, Vorrang vor den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft. 6. Oberstes Ziel der medizinischen Forschung am Menschen muss es sein, prophylaktische, diagnostische und therapeutische Verfahren sowie das Ver− ständnis für die Aetiologie und Pathogenese der Krankheit zu verbessern. Selbst die am besten erprobten prophylaktischen, diagnostischen und the− rapeutischen Methoden müssen fortwährend durch Forschung auf ihre Ef− fektivität, Effizienz, Verfügbarkeit und Qualität geprüft werden. 7. In der medizinischen Praxis und in der medizinischen Forschung sind die meisten prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Verfahren mit Risiken und Belastungen verbunden. 8. Medizinische Forschung unterliegt ethischen Standards, die die Achtung vor den Menschen fördern und ihre Gesundheit und Rechte schützen. Einige Forschungspopulationen sind vulnerabel und benötigen besonderen Schutz. Die besonderen Schutzbedürfnisse der wirtschaftlich und gesundheitlich Benachteiligten müssen gewahrt werden. Besondere Aufmerksamkeit muss außerdem denjenigen entgegengebracht werden, die nicht in der Lage sind, ihre Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern, denjenigen, die ihre Zu− stimmung möglicherweise unter Ausübung von Zwang abgegeben haben, denjenigen, die keinen persönlichen Vorteil von dem Forschungsvorhaben haben und denjenigen, bei denen das Forschungsvorhaben mit einer Be− handlung verbunden ist. 9. Forscher sollten sich der in ihren eigenen Ländern sowie der auf internatio− naler Ebene für die Forschung am Menschen geltenden ethischen, gesetz− lichen und verwaltungstechnischen Vorschriften bewusst sein. Landesspe−
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zifische, ethische, gesetzliche oder verwaltungstechnische Vorschriften dür− fen jedoch die in der vorliegenden Deklaration genannten Bestimmungen zum Schutz der Menschen in keiner Weise abschwächen oder aufheben.
tze fu r jede Art von medizinischer B. Allgemeine Grundsa Forschung 10. Bei der medizinischen Forschung am Menschen ist es die Pflicht des Arztes, das Leben, die Gesundheit, die Privatsphäre und die Würde der Versuchs− person zu schützen. 11. Medizinische Forschung am Menschen muss den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entsprechen, auf einer umfassenden Kennt− nis der wissenschaftlichen Literatur, auf anderen relevanten Informations− quellen sowie auf ausreichenden Laborversuchen und gegebenenfalls Tier− versuchen basieren. 12. Besondere Sorgfalt muss bei der Durchführung von Versuchen walten, die die Umwelt in Mitleidenschaft ziehen können. Auf das Wohl der Versuchstiere muss Rücksicht genommen werden. 13. Die Planung und Durchführung eines jeden Versuches am Menschen ist ein− deutig in einem Versuchsprotokoll niederzulegen. Dieses Protokoll ist einer besonders berufenen Ethikkommission zur Beratung, Stellungnahme, Orien− tierung und gegebenenfalls zur Genehmigung vorzulegen, die unabhängig vom Forschungsteam, vom Sponsor oder von anderen unangemessenen Ein− flussfaktoren sein muss. Diese unabhängige Kommission muss mit den Ge− setzen und Bestimmungen des Landes, in dem das Forschungsvorhaben durchgeführt wird, im Einklang sein. Die Kommission hat das Recht, laufende Versuche zu überwachen. Der Forscher hat die Pflicht, die Kommission über den Versuchsablauf zu informieren, insbesondere über alle während des Versuchs auftretenden ernsten Zwischenfälle. Der Forscher hat der Kommis− sion außerdem zur Prüfung Informationen über Finanzierung, Sponsoren, institutionelle Verbindungen, potenzielle Interessenkonflikte und Anreize für die Versuchspersonen vorzulegen. 14. Das Forschungsprotokoll muss stets die ethischen Überlegungen im Zusam− menhang mit der Durchführung des Versuchs darlegen und aufzeigen, dass die Einhaltung der in dieser Deklaration genannten Grundsätze gewährleis− tet ist. 15. Medizinische Forschung am Menschen darf nur von wissenschaftlich quali− fizierten Personen und unter Aufsicht einer klinisch kompetenten, medizi− nisch ausgebildeten Person durchgeführt werden. Die Verantwortung für die Versuchsperson trägt stets eine medizinisch qualifizierte Person und nie die Versuchsperson selbst, auch dann nicht, wenn sie ihr Einverständnis gegeben hat. 16. Jedem medizinischen Forschungsvorhaben am Menschen hat eine sorgfälti− ge Abschätzung der voraussehbaren Risiken und Belastungen im Vergleich zu dem voraussichtlichen Nutzen für die Versuchsperson oder andere vo− rauszugehen. Dies schließt nicht die Mitwirkung von gesunden Freiwilligen in der medizinischen Forschung aus. Die Pläne aller Studien sind der Öffent− lichkeit zugänglich zu machen. 17. Ärzte dürfen nicht bei Versuchen am Menschen tätig werden, wenn sie nicht überzeugt sind, dass die mit dem Versuch verbundenen Risiken entspre− chend eingeschätzt worden sind und in zufriedenstellender Weise be−
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herrscht werden können. Ärzte müssen den Versuch abbrechen, sobald sich herausstellt, dass das Risiko den möglichen Nutzen übersteigt oder wenn es einen schlüssigen Beweis für positive und günstige Ergebnisse gibt. Medizinische Forschung am Menschen darf nur durchgeführt werden, wenn die Bedeutung des Versuchsziels die Risiken und Belastungen für die Ver− suchsperson überwiegt. Dies ist besonders wichtig, wenn es sich bei den Versuchspersonen um gesunde Freiwillige handelt. Medizinische Forschung ist nur gerechtfertigt, wenn es eine große Wahr− scheinlichkeit gibt, dass die Populationen, an denen die Forschung durch− geführt wird, von den Ergebnissen der Forschung profitieren. Die Versuchspersonen müssen Freiwillige sein und über das Forschungsvor− haben aufgeklärt sein. Das Recht der Versuchspersonen auf Wahrung ihrer Unversehrtheit muss stets geachtet werden. Es müssen alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen wer− den, um die Privatsphäre der Versuchsperson und die Vertraulichkeit der Informationen über den Patienten zu wahren und die Auswirkungen des Versuchs auf die körperliche und geistige Unversehrtheit sowie die Persön− lichkeit der Versuchsperson so gering wie möglich zu halten. Bei jeder Forschung am Menschen muss jede Versuchsperson ausreichend über die Ziele, Methoden, Geldquellen, eventuelle Interessenkonflikte, insti− tutionelle Verbindungen des Forschers, erwarteten Nutzen und Risiken des Versuchs sowie über möglicherweise damit verbundene Störungen des Wohlbefindens unterrichtet werden. Die Versuchsperson ist darauf hinzu− weisen, dass sie das Recht hat, die Teilnahme am Versuch zu verweigern oder eine einmal gegebene Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass ihr irgendwelche Nachteile entstehen. Nachdem er sich vergewissert hat, dass die Versuchsperson diese Informationen verstanden hat, hat der Arzt die freiwillige Einwilligung nach Aufklärung (informed consent“) der Versuchs− person einzuholen; die Erklärung sollte vorzugsweise schriftlich abgegeben werden. Falls die Einwilligung nicht in schriftlicher Form eingeholt werden kann, muss die nichtschriftliche Einwilligung formell dokumentiert und be− zeugt werden. Beim Einholen der Einwilligung nach Aufklärung für das Forschungsvorha− ben muss der Arzt besonders zurückhaltend sein, wenn die Person in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Arzt steht oder die Einwilligung möglicher− weise unter Druck erfolgt. In einem solchen Fall muss die Einwilligung nach Aufklärung durch einen gutunterrichteten Arzt eingeholt werden, der mit diesem Forschungsvorhaben nicht befasst ist und der keine Beziehung zu den Personen hat, die in diesem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Im Falle einer Versuchsperson, die nicht voll geschäftsfähig ist, infolge kör− perlicher oder geistiger Behinderung ihre Einwilligung nicht erteilen kann oder minderjährig ist, muss die Einwilligung nach Aufklärung vom gesetzlich ermächtigten Vertreter entsprechend dem geltenden Recht eingeholt wer− den. Diese Personengruppen sollten nicht in die Forschung einbezogen wer− den, es sei denn, die Forschung ist für die Förderung der Gesundheit der Population, der sie angehören, erforderlich und kann nicht mit voll ge− schäftsfähigen Personen durchgeführt werden. Wenn die nicht voll geschäftsfähige Person, wie beispielsweise ein minder− jähriges Kind, fähig ist, seine Zustimmung zur Mitwirkung an einem For− schungsvorhaben zu erteilen, so muss neben der Einwilligung des gesetzlich ermächtigten Vertreters auch die Zustimmung des Minderjährigen eingeholt werden.
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Anhang I: Dokumente
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26. Forschung an Menschen, bei denen die Einwilligung, einschließlich der Ein− willigung des ermächtigten Vertreters oder der vorherigen Einwilligung, nicht eingeholt werden kann, darf nur dann erfolgen, wenn der physische/ geistige Zustand, der die Einholung der Einwilligung nach Aufklärung ver− hindert, ein notwendiger charakteristischer Faktor für die Forschungspopu− lation ist. Die konkreten Gründe für die Einbeziehung von Versuchspersonen, deren Zustand die Einholung der Einwilligung nach Aufklärung nicht erlaubt, ist in dem Forschungsprotokoll festzuhalten und der Ethikkommission zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. In dem Protokoll ist festzuhalten, dass die Einwilligung zur weiteren Teilnahme an dem Forschungsvorhaben so bald wie möglich von der Versuchsperson oder dem gesetzlich ermäch− tigten Vertreter eingeholt werden muss. 27. Sowohl die Verfasser als auch die Herausgeber von Veröffentlichungen haben ethische Verpflichtungen. Der Forscher ist bei der Veröffentlichung der For− schungsergebnisse verpflichtet, die Ergebnisse genau wiederzugeben. Posi− tive, aber auch negative Ergebnisse müssen veröffentlicht oder der Öffent− lichkeit anderweitig zugänglich gemacht werden. In der Veröffentlichung müssen die Finanzierungsquellen, institutionellen Verbindungen und even− tuellen Interessenkonflikte dargelegt werden. Berichte über Versuche, die nicht in Übereinstimmung mit den in dieser Deklaration niedergelegten Grundsätzen durchgeführt wurden, sollten nicht zur Veröffentlichung ange− nommen werden.
tze fu r die medizinische Forschung C. Weitere Grundsa rztlicher Versorgung in Verbindung mit a 28. Der Arzt darf medizinische Forschung mit der ärztlichen Betreuung nur so− weit verbinden, als dies durch den möglichen prophylaktischen, diagnosti− schen oder therapeutischen Wert der Forschung gerechtfertigt ist. Wenn medizinische Forschung mit ärztlicher Versorgung verbunden ist, dann sind für den Schutz der Patienten, die gleichzeitig Versuchspersonen sind, zusätz− liche Standards anzuwenden. 29. Vorteile, Risiken, Belastungen und die Effektivität eines neuen Verfahrens sind gegenüber denjenigen der gegenwärtig besten prophylaktischen, diag− nostischen und therapeutischen Methoden abzuwägen. Dies schließt nicht die Verwendung von Placebos, oder die Nichtbehandlung, bei Versuchen aus, für die es kein erprobtes prophylaktisches, diagnostisches oder therapeuti− sches Verfahren gibt. 30. Am Ende des Versuchs sollten alle Patienten, die an dem Versuch teilgenom− men haben, die sich in der Erprobung als am wirksamsten erwiesenen pro− phylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Verfahren erhalten. 31. Der Arzt hat den Patienten ausführlich über die forschungsbezogenen Aspek− te der Behandlung zu informieren. Die Weigerung eines Patienten, an einem Versuch teilzunehmen, darf niemals die Beziehung zwischen Patient und Arzt beeinträchtigen. 32. Bei der Behandlung eines Patienten, für die es keine erwiesenen prophylak− tischen, diagnostischen und therapeutischen Methoden gibt oder diese keine Wirkung zeigten, muss der Arzt mit der Einwilligung des Patienten nach Aufklärung die Freiheit haben, nicht erprobte neue prophylaktische, diagnos− tische und therapeutische Maßnahmen anzuwenden, wenn sie nach dem Urteil des Arztes die Hoffnung bieten, das Leben des Patienten zu retten,
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Anhang I: Dokumente
seine Gesundheit wiederherzustellen oder seine Leiden zu lindern. Gegebe− nenfalls sollten diese Maßnahmen zur Evaluierung ihrer Sicherheit und Wirksamkeit zum Gegenstand von Forschungsvorhaben gemacht werden. In allen Fällen sollten neue Informationen aufgezeichnet und gegebenenfalls veröffentlicht werden. Die anderen relevanten Leitlinien dieser Deklaration sollten befolgt werden. [Übersetzung ins Deutsche vom Auslandsdienst der Bundesärztekammer. Quelle: http://www.bundesaerztekammer.de/30/Auslandsdienst/92Helsin− ki2002.pdf]
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Anhang II: Curriculum
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Anhang II: Curriculum
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r L Lehrziele Medizinethik im Medizinstudium der Akademie fu Ethik in der Medizin e.V. hrung Einfu Unterrichtsveranstaltungen in Medizinethik haben zum Ziel, Studierende zu kompetenten, verantwortungsvollen Ärztinnen und Ärzten auszubilden. Das Lehrangebot erstreckt sich dazu auf die Vermittlung medizinethischen Wis− sens, praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Reflexion ärztlicher Einstellungen und Haltungen. Sowohl Unterrichtsmethoden als auch Prü− fungsformen müssen diesen Lehrzielen angemessen und auf praktische Kompetenz hin ausgerichtet sein. Der Vorstand der Akademie für Ethik in der Medizin empfiehlt den Medizi− nischen Fakultäten bei der Umsetzung der Vorgaben der Ärztlichen Approba− tionsordnung vom 27. Juni 2002 auf dem Gebiet der Medizinethik sich an den folgenden Lehrzielen zu orientieren.
I. Allgemeine Lehrziele 1. Medizinethisches Wissen setzt folgende grundlegende Kenntnisse voraus: O Vertrautheit mit den Aufgaben der Ethik, Verhältnis von Moral, Ethik, Politik und Recht, einschließlich ihrer historischen und gesellschaftlichen Dimen− sion. O Vertrautheit mit moralphilosophischen Grundbegriffen, unterschiedlichen Ethikkonzeptionen und Modellen moralischer Urteilsfindung. O Kenntnis relevanter Gesetze, Richtlinien und Kodizes. higkeiten und Fertigkeiten zählen: 2. Zu den grundlegenden Fa O Sensibilität für die moralischen Dimensionen des Handelns in der Medizin entwickeln. O Eigene moralische Positionen reflektieren, weiterentwickeln und argumen− tativ vertreten können. O Sichtweisen und Interessen anderer Beteiligter – auch anderer Berufsgrup− pen im Gesundheitswesen – erkennen und berücksichtigen können. O Methoden der Entscheidungsfindung kennen und anwenden können. O Entscheidungen ethisch begründen, kommunizieren und umsetzen können. O Möglichkeiten der Informationsgewinnung in der Medizinethik nutzen kön− nen. 3. Zu grundlegenden ärztlichen Einstellungen und Haltungen zählen: O Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. O Respekt und Toleranz. O Fürsorglichkeit, Empathie und Mitgefühl. O Intellektuelle Redlichkeit, Wahrhaftigkeit und Verlässlichkeit.
II. Spezielle Lehrziele rung und Einwilligung: 1. Patientenautonomie, Aufkla a) Patientenautonomie: Philosophische, rechtliche, historische und soziokultu− relle Grundlagen; praktischer Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht; Grenzen der Selbstbestimmung. b) Aufklärung: Ziele des Aufklärungsgesprächs; Vermittlung von Information; Kriterien gelingender Kommunikation und Interaktion; zentrale Elemente
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Anhang II: Curriculum
des Aufklärungsgesprächs über Diagnose und Prognose, medizinische Maß− nahmen sowie Teilnahme an wissenschaftlichen Studien. c) Einwilligung: Einwilligungsfähigkeit, Vorausverfügungen, mutmaßlicher Wille, stellvertretende Einwilligung (Eltern, Betreuer, Bevollmächtigte); Frei− willigkeit und Abhängigkeit unter den Bedingungen von Krankheit und Leid. rzten, Pflegenden und Angeho rigen: 2. Beziehungen zwischen Patienten, A a) Arzt−Patient−Beziehung: Verhältnis von Autonomie und Fürsorge; die Be− deutung von Empathie, Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen. b) Verhältnis der verschiedenen Professionen im Gesundheitswesen: Gestal− tung des interprofessionellen Dialogs, Teamfähigkeit, professionelles Rollen− verständnis. c) Die Rolle von Familie und Angehörigen: Wechselbeziehungen mit Patienten, Ärzten und Pflegenden. d) Kommunikation und Entscheidungsprozesse: Erkennen und Benennen von Werthaltungen der Beteiligten, Analyse und Gewichtung der Argumente, Konsenssuche, Umsetzung und Rechtfertigung der Entscheidung. e) Umgang mit Information: Aufklärungspflicht, Recht auf Wissen/Nichtwissen und informationelle Selbstbestimmung; Vertraulichkeit und Schweige− pflicht; Übermitteln schlechter Nachrichten; die Bedeutung von Hoffnung; Prognoseunsicherheit und Umgang mit Wahrscheinlichkeiten, Begrenztheit medizinischen Wissens. 3. Medizinische Forschung: a) Forschung am Menschen: Konflikte zwischen Arzt− und Forscherrolle; Nut− zen−Risiko−Abwägung; nichttherapeutische und fremdnützige Forschung; Konflikt zwischen individuellem und gemeinschaftlichem Wohl; Umgang mit vulnerablen Gruppen; Grenzen stellvertretender Einwilligung. b) Forschung an Tieren. c) Aufgaben und Ziele von Ethikkommissionen. 4. Medizin und Fortpflanzung: a) Ethische und juristische Kontroversen zum moralischen Status des vorge− burtlichen Lebens; die Beziehung von Frau und Ungeborenem. b) Schwangerschaftsabbruch. c) Pränatale Diagnostik und Präimplantationsdiagnostik. d) Assistierte Reproduktion: Keimzellspende, In−vitro−Fertilisation, ICSI, repro− duktives Klonieren. e) Humane embryonale Stammzellen, therapeutisches Klonieren. 5. Medizin und Genetik: a) Nutzen und Risiken genetischer Tests und genetischen Screenings: die Ge− fahr genetischer Stigmatisierung und Diskriminierung. b) Genetische Beratung: direktive und nichtdirektive Beratungsformen; Um− gang mit genetischem Wissen; mögliche Interessenskonflikte zwischen Ratsuchenden und Familie. c) Eugenik und Enhancement (Verbesserung der genetischen Ausstattung). d) Experimentelle somatische Gentherapie und Keimbahntherapie. 6. Kinder− und Jugendmedizin: a) Kindeswohl; Zustimmungs−, Einwilligungs− und Geschäftsfähigkeit von Kin− dern und Jugendlichen; das elterliche Sorgerecht und seine Grenzen; Kinder− rechte. b) Umgang mit Kindesmisshandlung und −missbrauch. c) Neonatologie: genetisches Screening; Therapiebegrenzung und −verzicht.
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Anhang II: Curriculum
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7. Psychische Erkrankungen und geistige Behinderungen: a) Umgang mit dem Anderssein; Grenzen des Krankheitsbegriffs; Schutz des Individuums versus Schutz der Gesellschaft. b) Eingeschränkte Geschäfts− und Einwilligungsfähigkeit; Betreuung. c) Umgang mit Selbst− und Fremdgefährdung; Zwangseinweisung, Zwangsbe− handlung. 8. Transplantationsmedizin: a) Organ− oder Gewebeentnahme: Kriterien der Entnahme; Hirntod; Lebend− organspende. b) Organ− oder Gewebeempfänger: Kriterien für Aufnahme auf die Warteliste; Verteilungsgerechtigkeit; Beziehung zwischen Empfänger und Spender. c) Xenotransplantation; Transplantate aus humanen embryonalen Stammzel− len. d) Umgang mit Organmangel; Instrumentalisierung des menschlichen Körpers; Umgang mit Sterben und Tod. 9. Sterbebegleitung und Sterbehilfe: a) Todesdefinitionen und deren ethische Problematik; Umgang mit Sterben und Tod in Medizin und Gesellschaft. b) Entscheidungen am Lebensende; Probleme der Abgrenzung von aktiver und passiver, direkter und indirekter, freiwilliger, nichtfreiwilliger und unfreiwil− liger Sterbehilfe sowie Beihilfe zur Selbsttötung. c) Therapiebegrenzung und Therapieverzicht; Patientenverfügung, Betreu− ungsverfügung und Vorsorgevollmacht. d) Die ethische Dimension von Palliativmedizin und Hospizbewegung. e) Die Euthanasiedebatte im internationalen Kontext. 10. Gesundheitswesen: a) Gerechtigkeitsmodelle; Kriterien für eine gerechte Gesundheitsversorgung (Chancengleichheit, Bedürftigkeit, Nutzen, Effizienz, Verdienst). b) Prioritätensetzung und Rationierung im Gesundheitswesen; ethische Ana− lyse der gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen; Ebenen der Allo− kation (Mikro− und Makroallokation). c) Ethisch relevante Unterschiede verschiedener Gesundheitssysteme. d) Globale Gerechtigkeit. e) Individuelle und gesellschaftliche Verantwortlichkeiten für Erhaltung von Gesundheit und Entstehung von Krankheit. rztinnen/A rzten und ndnis von A 11. Verantwortung und Selbstversta Studierenden: a) Ärztliche Berufsordnung; ärztliche Rollen− und Interessenskonflikte; mora− lische Entwicklung und Sozialisation im Studium; Rollenkonflikte von Stu− dierenden. b) Gute klinische Praxis und Qualitätssicherung; Umgang mit Leitlinien; Ge− walt gegen Patienten; Umgang mit Kunstfehlern; Umgang mit wissenschaft− lichem Fehlverhalten. c) Ärztliche Beteiligung an polizeilichen Maßnahmen, Folter und Todesstrafe. d) Beitrag der Medizin zum gesellschaftlichen Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Behinderung. [Quelle: Akademie für Ethik in der Medizin e.V. Lehrziele Medizinethik im Medizinstudium; 2002: http://www.aem−online.de/main.htm
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Sachverzeichnis A Abhängigkeit 88 Ablehnung, Bluttransfusion 13 Absolutismus, moralischer 18 Abstammung, genetische 33 Abstammungsbegutachtungen 50 Abtreibung 29 Adoption 32 Afrika – Beschneidung 18 – Sichelzellanämie 48 AIDS 13 Akademie für Ethik in der Medizin 3 – Curriculum 161 Alkoholismus, Jugendliche 87 Allokation 137 Alzheimer, Morbus 73 American Psychiatric Association 88 Amniozentese 30 Amtsgericht 90 Amtsrichter 13 Angehörige, Aufklärung 13 Anlageträger 45 Anordnung, einstweilige 90 Antike 15 Antipsychiatrie 89 Antrag, Tierversuch 113 argument from marginal cases 117 Aristoteles 16 Arzneimittelgesetz 100, 105 Arzneimittelstudie 101 Arzt−Patienten−Vertrag 18 Arztrolle 15 Ashkenazy−Juden 48 Asien, SARS 136 Assoziationen 7 Aufklärung 19 – Gentherapie 52 – Krebs 13 – Proband 102 – Versuch 102 Aufklärungspflicht 13, 23 Ausbildung, Medizinstudenten 127 Auseinandersetzung, medizinethi− sche 4 Authentizität 20
Autonomie – Patient 18 – reproduktive
33
B Barnard, Christiaan 62 Basisbetreuung 78 Befruchtung, künstliche 29, 32 Begründung von Ethik 16 Begutachtungsverfahren, For− schung 101 Beihilfe zum Suizid 75 Belgien, Sterbehilfe 77 Bentham, Jeremy 16 Beratung – genetische 49, 53 – nicht−direktiv 49 Berufsordnung 16 – Ärzteschaft 23 Beschneidung 18 Bestechung 125 Betreuer – gesetzlicher 13, 20, 73, 90 – gesetzlicher in der Forschung 92 Betreuungsgesetz 89 Betreuungsverfahren 90 Bevollmächtiger 13 Beziehung – Arzt−Patient 18 – Patient−Student 127 – Psychiatrie 88 Beziehungen, menschliche 4 Bilanz−Suizid 90 Bioethik 15, 17 Bluttransfusion 13 Brainstorming 7 BRCA = breast cancer Gene 48 Brustkrebs, Vererbung 47 Bundesärztekammer – Grundsätze Sterbebegleitung 79 – Sterbehilfe 77 Bundesgerichtshof, Sterbehilfe 79 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 134 C Care−Ethik 16 carrier 45, 48
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Sachverzeichnis
Chancengleichheit 137 Chimären 39 Chirurgie – ästhetische 53 – plastische 139 Chorea Huntington 29, 47 Chorionzottenbiopsie 30 Committee on Scientific Dishones− ty 126 Computersimulation 115 Copyright 123 Cyclosporin 59 D Dammbruchargument 32 Dänemark, Committee on Scientific Dishonesty 126 Darmkrebs 45 Datenbank, genetische 50 Datenschutz 49−50 Datentreuhänderschaft 50 Definition, Problem 7 Deklaration von Helsinki 92, 100, 154 Demenz, Alzheimer 73 Deontologie 15 Deutsche Forschungsgemein− schaft 126 Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben 77 Deutschen Gesellschaft für Humange− netik 49 Diagnostik, pränatale 30 Dialyse 59 DIGNITAS 77 Disease−Management−Pro− gramm 139 Diskussion 4, 6 DNA−Chips 49 DNA−Datenbank 50 Doktorarbeit, Recht 123 Dokument 4 Dolly 36 Dringlichkeitsstufe, Transplanta− tion 133 E Ehrenautorschaft 126 Ehrlichkeit, Wissenschaft 124 Eid, Hippokrates 15, 22, 74 Eid, ärztlicher 15
Eigenstudium 7 Eigentum, geistiges 125 Eigenverantwortung 135 Eingriff, verbessender 53 Einverständnis = Einwilligung 15, 19 – Forschung 102 Einwilligung 15, 19 – Ablehnung 13 – Demenz 20 – Experiment 102 – geistig Behinderte 92 – Kinder 20 – Organspende 59, 63 – Psychiatrie 92 – Sterbehilfe 74 – Untersuchung in Narkose 124 – Versuch 102 Einwilligungsfähigkeit 19 – Proband 103 – Psychiatrie 20 Eizellentnahme 33 Eizellspende 32 Eltern 32 Elternschaft 30 Embryo – moralischer Status 32 – rechtlicher Status 31 – Spende 32 Embryonenschutzgesetz 33, 35, 38, 52 England, Hospizbewegung 78 Enhancement, genetic 53 Entmündigung 21 Entscheidung, unsinnige 20 Entscheidungsfindung, konsensorien− tierte 17 Entziehungsanstalt, Strafgesetz− buch 95 Entziehungskur 87 Erkrankung, genetische 29, 46 Ernährung, künstliche 78 Ethik – prozedurale 16 – Theorien 16 Ethikkommission 17, 52, 99, 101 – Zusammensetzung 101 Ethikrat, nationaler 17 Eugenik 46, 53 Europarat 52 – Forschung am Menschen 100 – Menschenrechte zur Biomedi− zin 145
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Sachverzeichnis 167 Eurotransplant 65, 133 Euthanasie 74 – Tierversuch 112 Evidenz 139 Evolution 114 EXIT 77 Experiment – Gentherapie 52 – Klonen 36 – Versuchstypen 101 F Fälschen von Daten 124 Fallgeschichten, Einführung zu 4 Fallseminar 5 Feedback 8 Fehler in der Medizin 127 Fehlverhalten, wissenschaftli− ches 124 Fingerabdruck, genetischer 50 Folter 128 Forscher, Anforderung 124 Forschung – am Menschen 99 – an geistig Behinderten 91 – an nicht−einwilligungsfähigen Pati− enten 92 – an psychisch Kranken 91 – Betrug 124 – Embryo 35 – Gentherapie 52 – Interessenskonflikt 125 – mit minimalem Risiko 103 – Pharmafirmen 125 – Recht an Ergebnissen 123 – ungesetzliche 125 – unkorrekte Methoden 125 – Veröffentlichung 123 – Voraussetzungen in der Psychia− trie 92 Forschungsgelder 124 Fortpflanzung 30 Fortschritt, technischer 15 Frauen im gebärfähigen Alter, For− schung 102 Freiheitsentzug 90 Freitod 75 Freiwilligkeit, Proband 103 Fremdgefährdung 90 Fürsorge−Ethik 16 Fürsorgepflicht 15
G Gametenspende 33 Gebot der sexuellen Abstinenz 15 Geburt 30 Gelsinger, Jesse 52 Genetic enhancement 53 Genetik 14 Genetische Datenbank 50 Genfer Gelöbnis 15, 23 Genkrankheiten 46 Gentest 45 Gentherapie 52 Gerechtigkeit, soziale 139 Geschäftsfähigkeit 19 Geschäftsführung ohne Auftrag 20 Gesellschaft 14, 16 Gesetze über Hilfen und Schutzmaß− nahmen für psychisch Kranke 90 Gespräch 4 Gesprächssituationen 5 Gesundheit, Definition der WHO 134 Gesundheitsamt 134 Gesundheitsmaßnahmen, öffentli− che 134 Gesundheitsversorgung – öffentliche 133 – Prioritäten 137 – Problemfelder 134 Gilligan, Carol 16 Gnadentod 74 Good Clinical Practice 100 Gremien, medizinische 17 Großbritannien, National Health Ser− vice 133 Grundgesetz – Tier 117 – Tierschutz 113 Gruppe, vulnerable 103 Gruppenarbeit 6 H Habermas, Jürgen 16, 36 Handeln, moralisches 4 Health Technology Assessment 139 Heilversuch, individueller 101 Helsinki−Deklaration 92, 100 Herrschaftsfreier Diskurs 17 hES = humane embryonale Stamm− zellen 35 Heterozygotenscreening 48 Hilfsverben der Ethik 7
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Sachverzeichnis
Hippokratischer Eid 15, 22, 74 Hirntod 59, 62 HIV−positiv 13 Homöopathie 139 Homosexualität 88 Hospizbewegung 78 Humanes Sterben, Schweiz 77 Huntington, Morbus 29, 34, 47 Hybride 39 Hyperkinetische Störung 99 I ICSI = Intrazytoplasmatische Sper− mieninjektion 32 Identitätsargument 31 Impfen 136 In−vitro−Fertilisation 29, 32 In−vitro−Methoden, Experiment 115 Indikation, ärztliche 19 Individuum 4 Industrie, Forschung 100 informed consent 19 – Psychiatrie 89 Innovation 14 Institution, Gesundheitswesen 134 Internet 5 Intrazytoplasmatische Spermieni− njektion 32 Iran, Lebendspende 61 Island, Datenbank 50 IVF = In−Vitro−Fertilisation 29, 32 J Jehova 13 Jugendamt 21 Jugendliche, Psychiatrie
89
K Kant, Immanuel 16, 117 Karteikarten 7 Katalog, psychiatrischer Erkrankun− gen 88 Kategorischer Imperativ 16 Keimbahntherapie 52 Keimbahnzellen 40 Kinder – Einwilligung 21 – Forschung 100 – Psychiatrie 89 – Rechte 21
Kinderrechtskonvention 21 Kinderwunsch 29 Kindesmisshandlung oder −miss− brauch 21 Klonen 4, 36 – reproduktives 36 – therapeutisches 36 Knochenmarkspende 60 Knochenmarkzellspende 29 Koautorenschaft 123 Kodex, Nürnberger 106 Kolonkarzinom, Genetik 45 Kommission – Selbstkontrolle in der Wissen− schaft 126 – Somatische Gentherapie 52 – Tierversuch 113 Konflikt 4 – moralischer 17 Konsensfindung 17 Konsequenzialismus 16 Kontext 5 Kontinuitätsargument 31 Konzentrationslager, medizinische Forschung 102 Krankenversicherung – gesetzliche 135 – private 51 Krankheitsmodell 112 Krebs 13 – Sterbehilfe 73 – Vererbung 45 Kryokonservierung, Embryo 35 Künstliche Befruchtung 29, 32 Kulturen, unterschiedliche 18 L Landesärztekammern 16 Leben – lebensunwertes 74 – menschliches 31 Lebendorganspende 59 – kommerzielle Aspekte 61 – psychosoziale Aspekte 61 Lebensversicherung 51 Lehrziele 3 Leiden (Eurotransplant) 65 Leihmutterschaft 33 Leitlinien 139 – Genetische Beratung 53 Lernarten 5
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Sachverzeichnis 169 Lernen – aktives 6 – zu lernen 5 Lernziele 3, 7 Lese−Rechtschreibschwäche 99 Letztbegründung 16 M MacArthur Competence Assessment Tool 20 Mammakarzinom, Genetik 48 Manipulation, Gene 52 Max−Planck−Gesellschaft 126 Medikamentenforschung an Frauen 103 Medizin – evidenzbasierte 139 – experimentelle 15 – moderne 14 Medizinethik 15 – Aufgaben 15 – Curriculum 161 – Definition 15 – Zielgruppen 15 Medizinproduktegesetz 100 Medizinstudium, Tierversuch 111 Meldepflicht 128 Menschenrechtsübereinkom− men 145 – des Europarates 52 – zur Biomedizin 100 Missbrauch – ärztliche Macht 74 – Daten 50 – Forschung 100 – Medizin 15 – Psychiatrie 88 – staatlicher 46 Misshandlung oder Missbrauch, Kin− der 21 Moralische Prinzipien ärztlichen Han− delns 15 Morbus Alzheimer 73 Morbus Huntington 29, 34, 47 Morbus Parkinson 35 – Forschung 99 Motiv, moralisches 4 Mukoviszidose 34 Muskeldystrophie Duchenne 34 Musterberufsordnung 23 Mutationen 49
N Narkose 124 Nationaler Ethikrat 17 National Health Service 133 Nationalsozialismus 15 – Euthanasie 74 – Experimente 102 – Genetik 46 – Menschenversuche 102 – psychisch Kranke 89 Neugeborenen−Screening 49 Neurose 88 Nichtschadensgebot 15 Niederlande, Sterbehilfe 76 Niere – Insuffizienz 59 – Spende 60 Norm 15 Nürnberger Ärzteprozess 102 Nürnberger Kodex 102, 106 Nutzenmaximierung 137 O Office of Research Integrity 126 Ombudsgremium 125 Organ – Ersatz 60 – Handel 62 – Transplantation 59 Organspende – Ausweis 59, 63 – Gentechnik 65 – Tiere 65 Organvergabe, Auswahl 65 P Pädophilie 90 Palliativmedizin 78 Parkinson, Morbus 35 – Forschung 99 Patient – Abhängigkeit 15 – psychiatrischer 88 Patient−Arzt−Beziehung 15, 18 Patientenautonomie 18 Patiententestament 79 Patientenverfügung 21, 79 – Psychiatrie 93 Pharmaindustrie, Forschung 100 Phase I−Studie 101
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Sachverzeichnis
Phase II−Studie 102 Phase III−Studie 102 Phase IV−Studie 102 Phenylketonurie 49 Philosophie 15 PID = Präimplantationsdiagnostik 33 Pinnwand 7 Plagiarismus 124 Plazebo 104 Pluralismus, moralischer 18 PND = Pränataldiagnostik 30 POL = Problemorientiertes Lernen 5−6 Position der Rechte 115 Postmortalspende 59 – Einwilligung 59 Potenzialitätsargument 31 Präimplantationsdiagnostik 33 Pränataldiagnostik 29−30 Prävention 134 Praxis – klinische 123 – wissenschaftliche 123 primum nil nocere 17 Probandenschutz, Einwilligungsunfä− higkeit 92 Problem, Definition 7 Problemorientiertes Lernen 5 – Arbeitsphasen 6 – Gruppenstärke 6 – Struktur 6 Protokoll 8 Prozedurale Ethik 16 Prüfung von Produkten 112 Psychiatrie – ethische Fragen 88 – Grenzen 88 PsychKG = Gesetze über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke 90 Psychotherapie, ethische Fragen 88 Public Health 133 publish or perish 124 Q Qualitätssicherung, klinische Pra− xis 126 Quality Adjusted Life Years 137
R Randomisierung 99, 104 Recht – auf Nichtwissen 49 – medizinische Grundversor− gung 139 Regan, Tom 115 Relativismus, moralischer 18 Religionsfreiheit 13 Reproduktionsmedizin 29 Respekt 4 Ressourcenallokation 137 Revolution, technische 14 rewarded gifting 62 Richtlinie 4, 15 Risiko, minimales 104 Risiko−Sportart 136 Risikodaten, Versicherungen 51 Robert−Koch−Institut 134 Rolle 4 – Arzt 15 Rollenkonflikte 127 S salus aegroti suprema lex 17 SARS = Schweres Akutes Atemnotsyn− drom 136 Schadensvermeidung 137 Schriftleiter 8 Schwangerschaft 30, 32 – Medikamente in der 103 Schwangerschaftsabbruch 29 – Gesetz 37 Schweigepflicht 13, 15, 23, 50 – Psychiatrie 89 Schweiz, Humanes Sterben 77 Schweres Akutes Atemnotsyn− drom 136 scientific misconduct 124 Screening 136 – genetisches 48 – Neugeborene 49 – Thalassämie 45 Selbstbestimmbarkeit, Verlust 90 Selbstbestimmung 19 – Fähigkeit 89 Selbstbestimmungsrecht 79 – Sterben 79 Selbstgefährdung 90 Selbsthilfegruppen, psychisch Kran− ker 89
Aus C. Wiesemann, N. Biller-Adorno: Medizinethik (ISBN 9783131382412) © 2005 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
Sachverzeichnis 171 Selbstkontrolle in der Wissenschaft – Empfehlungen 128 – Kommission 126 Selbstmord 75 – drohender 87 Selbstschädigung 19 Selektion, Embryo 29 Sepsis, Tierversuch 111 Sexuelle Abstinenz 15 Sichelzellanämie 48 Siebensprung 6 Singer, Peter 115 slippery slope 32 Solidargemeinschaft 135 Sowjetunion, Psychiatrie 89 Sozialgesetzbuch 138 – gesetzliche Krankenkassen 140 – V 135 Spätabtreibung 30 Spende – nicht−regenierbarer Organe 60 – Organ 60 Speziesargument 31 Speziesismus 116 Spurenanalyse, forensische 50 Stammhirnreflex 63 Stammzellen – adulte 35 – embryonale 33, 35 – Forschung 99 Stammzellgesetz 35 Standard 15 – Experimente am Menschen 102 Stellvertreter, gesetzlicher 20 Sterbebegleitung 77 Sterbehilfe 73 – aktive direkte 75 – aktive indirekte 75 – Belgien 77 – Entscheidungsfindung 78 – Krebs 73 – mögliche Indikationen 76 – Niederlande 76 – passive 75 – Probleme 76 – Wachkoma 73 Sterben 74 StGB = Strafgesetzbuch, Psychia− trie 89 Stigma 88 Stoffwechselstörung, Neugebore− ne 49
Strafgesetzbuch 37 – Grundlagen der Strafbarkeit 94 – Psychiatrie 90 – Schuldunfähigkeit 94 – Zwangseinweisung 95 Strahlenschutzverordnung 100 Studie – klinische 102 – Plazebo 104 – Psychiatrie 91 Suizid 75 Suizidgefahr 87 – Zwangseinweisung 90 Szasz, Thomas 89 T Tafel 7 Tandem−Massenspektrometrie 49 Tay−Sachs−Erkrankung 48 Test – genetischer 47 – pharmakogenetischer 47 – psychologischer 102 Textaufbau 4 Thalassämie 45 Theorie, Ethik 17 Therapie – Begrenzung 79 – Keimbahn 52 – Kosten 133 Tierethik 15 – utilitaristische 115 Tierrechtsdiskussion 115 Tierschutz 113 – Beauftragter 111 – Bericht 112 – Gesetz 113, 117 Tierversuch 111 – Antrag 113 – gesetzliche Regelung 113 – Inhalt 112 – Kosmetik 113 – Kritik 114 – Leiden 113 – Medizinstudium 111 – Notwendigkeit 114 – Operation 112 – Sepsis 111 – Statistik 112 – Tabak 113 – Übertragbarkeit 114
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Sachverzeichnis
– Waffen 113 – Waschmittel 113 – Wirbeltier 113 Tod, guter 74 Todesstrafe 128 Toleranz 4 Tötung auf Verlangen 74 Tradition, asiatische 18 Transfusion 13 Transplantation 59 – Auswahl des Empfängers 133 – Herz 62 Transplantationsgesetz 60, 65 Transplantationsversuch 102 Treuhänder, Daten 50 Tugendethik 16 Tutor 8 Tyrannei des Geschenks 61 U Übertragbarkeit, Tierversuch 114 Ultraschalluntersuchung 30 Umgang, kollegialer 127 Umweltethik 15 UN−Kinderrechtskonvention 21 Universalismus, moralischer 18 Unterrichtsmethode 5 Unterrichtsziel 3 Urheberrecht 123, 125 USA – Office of Research Integrity 126 – Sichelzellanämie 48 – ungerichtete Lebendorganspen− de 64 – Willowbrook Studie 91 Utilitarismus 115 V Vektoren, Viren 52 Verantwortung 4 Verhütungsmittel 21 Veröffentlichung – Unredlichkeit 124 – wissenschaftliche 123 Verpflichtung 4 Verschlüsselung, Daten 50 Versicherung 51 Verständnis 4
Versuch – an Frauen 102 – therapeutischer 101 – wissenschaftlicher 101 Versuchsperson, Einwilligung 15 Versuchsphasen 101 Versuchstier – Affe 112 – Frosch 111 – Maus 111 – Statistik 112 Verteilung – gerechte 137 – von Organen 64 Vertreter, gesetzlicher 90 Verweigerung – Entzug 87 – Psychiatrie 87 – Therapie 13 Vivisektion 111 Vormundschaft 90 Vormundschaftsgericht 13, 21, 73, 90 – Sterben 79 Vorsorgeuntersuchung, Krebs 45 Vorsorgevollmacht 21, 90 – Psychiatrie 93 W Wachkoma 73 Weltärztebund 15 – ethische Probleme Psychiatrie 93 – Helsinki 93 – Psychiatrie 90 Wert, sozialer 138 Wertvorstellungen 14 whistle blower 125 WHO = World Health Organiza− tion 134 Widerspruchslösung 64 Wille, mutmaßlicher 21 Willowbrook−Studie 91 Wirtschaftlichkeitsgebot 138 Wissenschaft – Betrug 124 – Ehrlichkeit 124 World Health Organization 134 X Xenotransplantation
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Sachverzeichnis 173 Zwangsbehandlung, Psychiatrie 88 Zwangseinweisung, Psychiatrie 90 Zwangssterilisation 89 Zwillinge, eineiige 36
Z Zelle, totipotente 34 Zeugen Jehovas 13 Zielgruppe 3, 5 Zufallsverfahren, Forschung Zugang, fallorientierter 5 Zustimmungslösung – enge 63 – erweiterte 63
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