Die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheitsmessung : eine theoretische und empirische Überprüfung 9783834998644, 3834998648 [PDF]


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Die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheitsmessung : eine theoretische und empirische Überprüfung
 9783834998644, 3834998648 [PDF]

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Zitiervorschau

Jörg A. Hölzing Die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheitsmessung

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Jörg A. Hölzing

Die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheitsmessung Eine theoretische und empirische Überprüfung

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans H. Bauer

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Mannheim, 2007

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Stefanie Loyal Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1219-0

V

Geleitwort Kundenzufriedenheit stellt eines der wichtigsten Konstrukte der Marketingforschung dar. Aufgrund der postulierten Verhaltenswirkungen liefert es zudem einen maßgeblichen Beitrag zum ökonomischen Erfolg eines Unternehmens. In diesem Kontext ist die Qualität eines Leistungsangebotes von zentraler Bedeutung, da diese als Antezedenzvariable der Kundenzufriedenheit gilt. Über einen langen Zeitraum wurde in der Literatur ein linearer Zusammenhang zwischen der Attributqualität und der Attributzufriedenheit unterstellt. Jüngere Studienergebnisse belegen jedoch, dass die Beziehung zwischen dem Erfüllungsgrad und der Zufriedenheit mit einem Produkt- oder Serviceattribut dynamischen und asymmetrischen Effekten unterliegt. Eine singuläre Fokussierung auf die Maximierung der Attributqualität kann demzufolge kein probates Mittel zur Steigerung der Kundenzufriedenheit darstellen. Sowohl für die Unternehmenspraxis als auch die Marketingforschung stellt sich daher die Frage, welche Zufriedenheitsfaktoren in welchem Ausmaß die Entstehung von Kundenzufriedenheit determinieren. Ein theoretischer Ansatz, der diese Fragestellung aufgreift, ist die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit. Die Kano-Theorie postuliert, dass der Erfüllungsgrad von Kundenanforderungen je nach Attributwichtigkeit unterschiedliche Effekte auf die Kundenzufriedenheit ausübt. Neben diesem theoretisch-konzeptionellen Aspekt beinhaltet der Ansatz ferner mit der Kano-Methode ein etabliertes Messverfahren zur Identifikation und Klassifikation der verschiedenen Zufriedenheitsfaktoren. Trotz der breiten Akzeptanz, welche die Kano-Theorie in Forschung und Praxis erfährt, lassen sich Defizite in Bezug auf die theoretische Herleitung sowie empirische Fundierung konstatieren. Die Marketingforschung ist daher mit der Forderung konfrontiert, die Analyse dieses Themenkomplexes zu intensivieren. Dieser Forderung entsprechend leistet Herr Hölzing mit der vorliegenden Arbeit einen wichtigen Erkenntnisbeitrag zur Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit. Der Autor erläutert auf Basis einer umfassenden Literaturanalyse die Entwicklungshistorie und Kernelemente des Kano-Modells und setzt diese in den Kontext zu Erkenntnisbeiträgen theoretischer Bezugspunkte eines integrativen Modellierungsrahmens der Kundenzufriedenheit. Ferner stellt er mit der Opponent-Process-Theory einen ganzheitlichen Ansatz für die theoretisch-

VI konzeptionelle Fundierung der Kano-Theorie vor. Auf Basis der Ergebnisse von zwei breit angelegten Studien gelingt dem Autor zudem die empirische Bestätigung der Grundannahmen des Kano-Modells sowie die Validierung der Kano-Methode zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren. Herrn Hölzing gelingen mit seiner Arbeit die Schließung einer bestehenden Forschungslücke und die Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zur Kano-Theorie. Der Autor liefert ferner für die Unternehmenspraxis einen wichtigen Beitrag, indem er eine alltagstaugliche Messmethode vorstellt und konkrete Handlungsempfehlungen für Manager ableitet, die zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit führen und somit den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens positiv beeinflussen können. Ich bin davon überzeugt, dass es diese Veröffentlichung wert ist, in Wissenschaft und Praxis große Verbreitung zu finden.

Univ.-Prof. Dr. Hans H. Bauer Universität Mannheim

VII

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Winter 2007 durch die Fakultät für Betriebswirtschaftslehre als Dissertationsschrift angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als externer Doktorand am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing II an der Universität Mannheim. Nach dem erfolgreichen Abschluss meiner Promotion möchte ich mich an dieser Stelle bei den Menschen bedanken, die mich während meines Vorhabens unterstützt und somit zu diesem Erfolg beigetragen haben. Mein herzlichster Dank gilt an erster Stelle meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Hans H. Bauer. Er hat mich in den vergangenen vier Jahren fachlich gefordert und gefördert und mir die akademischen Freiheiten für die Entstehung meiner Arbeit eingeräumt. Ich werde die kritisch-konstruktiven Gespräche in stets vertrauensvoller und angenehmer Atmosphäre mit ihm in guter Erinnerung behalten und bin mir sicher, dass die gemeinsame Zeit mit ihm mich auch für meinen weiteren Lebensweg geprägt hat. Ferner danke ich Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn für seine Bereitschaft zur Übernahme des Koreferats und die zügige Erstellung des Gutachtens. Mein Dank richtet sich zudem an alle Mitarbeiter des Lehrstuhls Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing II von Prof. Dr. Hans H. Bauer, die mich bei fachlichen und administrativen Fragestellungen stets bereitwillig unterstützten. Für die vielen konstruktiven Diskussionen und wertvollen Ratschläge in den unterschiedlichen Phasen meines Dissertationsprojektes gilt mein besonderer Dank hierbei Dr. Tobias E. Haber, Dr. Frank Huber, Dr. Tomas Falk sowie meinem Freund Dr. Marcus M. Neumann. Ihm sowie meiner guten Freundin Christina Eckert danke ich außerordentlich für die kritische Durchsicht früherer Versionen meiner Arbeit. Für die Ermöglichung einer berufsbegleitenden Promotion gilt ein großer Dank meinem Arbeitgeber Roche Diagnostics GmbH. Hierbei danke ich besonders meinen aktuellen und ehemaligen Vorgesetzen Olaf Schulzeck, Dirk Schick, Henning Franke sowie Dr. Thomas Keller für die großzügige Gewährung der notwendigen Freiräume zur Erstellung meiner Dissertation. Tiefe Dankbarkeit gebührt nicht zuletzt meiner gesamten Familie und vor allem meinen Eltern. Sie haben mir im Rahmen ihrer liebevollen Erziehung stets alle

VIII Freiräume für meine persönliche Entwicklung gelassen und mich während meiner gesamten Ausbildung uneingeschränkt gefördert und unterstützt. Ihnen verdanke ich maßgeblich, dass ich zu der Person wurde, die ich heute bin. Mein allergrößter Dank und tiefer Respekt gebührt jedoch meiner Verlobten Tina. Sie hat mich in den vergangen vier Jahren tatkräftig unterstützt und mir neben dem fleißigen Korrekturlesen im Privatleben immer wieder den Rücken frei gehalten und oft auf mich verzichtet. Mit dem durch sie gewährten Freiraum, ihrer unendlichen Geduld und der fortwährenden Motivation hat sie die Fertigstellung meiner Dissertation erst ermöglicht. Ihr widme ich diese Arbeit.

Jörg Hölzing

IX

Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ................................................................................. XIII Tabellenverzeichnis........................................................................................ XV Abkürzungsverzeichnis ............................................................................... XVII 1

Kano-Theorie als marketingwissenschaftliches Erkenntnisobjekt ........1 1.1 Bedeutung von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg .................................1 1.2 Zielsetzung, Forschungsfragen und Gang der Untersuchung ................5

2

Kundenzufriedenheit .................................................................................10 2.1 Etymologie und Definition von Kundenzufriedenheit ............................10 2.2 Abgrenzung zu verwandten Konstrukten ..............................................15 2.3 Einfluss von Kundenzufriedenheit auf den Unternehmenserfolg ..........18 2.4 Theoretische Fundierung der Kundenzufriedenheit..............................23 2.4.1 Confirmation/Disconfirmation-Paradigma als integrativer Modellierungsrahmen der Kundenzufriedenheit..............................23 2.4.2 Assimilations-Kontrast-Theorie........................................................29 2.4.3 Attributionstheorie............................................................................34 2.4.4 Prospect-Theory ..............................................................................38 2.4.5 Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit ................................40 2.4.5.1 Zweifaktorenmodell der Kundenzufriedenheit...........................44 2.4.5.2 Dreifaktorenmodell der Kundenzufriedenheit............................48 2.4.6 Asymmetrische Effekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit........................................................................55 2.4.7 Dynamische Effekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit........................................................................58 2.5 Messung von Kundenzufriedenheit.......................................................61 2.5.1 Allgemeine Methoden zur Messung von Kundenzufriedenheit .......61 2.5.2 Spezielle Methoden zur Identifikation von Basis-, Leistungsund Begeisterungsfaktoren..............................................................65 2.5.2.1 Critical-Incident-Technique........................................................65 2.5.2.2 Lob- und Beschwerdeanalyse ...................................................66 2.5.2.3 Importance-Performance-Analysis ............................................66 2.5.2.4 Importance Grid.........................................................................68 2.5.2.5 Penalty-Reward-Contrast-Analysis ...........................................71 2.5.3 Kritische Würdigung der Methoden zur Identifikation von Zufriedenheitsfaktoren .....................................................................72 2.6 Zusammenführung der Erkenntnisse ....................................................75

3

Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit ..................................................76 3.1 Konzeptionelle Vorüberlegungen ..........................................................76 3.2 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit..................................................77

X 3.2.1 Theory of Attractive Quality als Ausgangspunkt des Kano-Modells...................................................................................77 3.2.2 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit ............................................84 3.2.3 Bestandsaufnahme der Literatur zum Kano-Modell ........................89 3.2.4 Kritische Würdigung des Kano-Modells...........................................96 3.2.5 Opponent-Process-Theory als Erklärungsansatz des Kano-Modells...................................................................................99 3.3 Kano-Methode zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren.............111 3.3.1 Grundlagen der Kano-Methode .....................................................111 3.3.2 Konzeption des Kano-Fragebogens ..............................................114 3.3.3 Datenerhebung mittels Kano-Methode ..........................................119 3.3.4 Datenanalyse mittels Kano-Methode.............................................121 3.3.4.1 Datenanalyse mittels Häufigkeiten ..........................................121 3.3.4.2 Datenanalyse mittels Auswertungsregeln ...............................123 3.3.4.3 Datenanalyse mittels Zufriedenheitskoeffizienten...................124 3.3.4.4 Datenanalyse mittels Category Strength & Total Strength......125 3.3.4.5 Weitere Datenanalysen ...........................................................127 3.3.5 Validität und Reliabilität Kano-Methode.........................................128 3.3.6 Bestandsaufnahme der Literatur zur Kano-Methode.....................133 3.3.7 Kritische Würdigung der Kano-Methode........................................143 3.4 Zusammenführung der Erkenntnisse ..................................................147 4

Empirische Prüfung der Kano-Theorie ..................................................149 4.1 Konzeption und Durchführung der Studien im Überblick ....................149 4.2 Diagnostika-Markt als Ausgangspunkt der Studien ............................150 4.3 Studie 1: Analyse der postulierten Zufriedenheitswirkung der Kano-Klassifikation..............................................................................153 4.3.1 Methodische Grundlagen der Untersuchung.................................153 4.3.1.1 Kano-Methode.........................................................................153 4.3.1.2 Grundlagen der Konstruktmessung ........................................153 4.3.1.3 Univariate Varianzanalyse.......................................................154 4.3.1.4 Multiple Regressionsanalyse...................................................157 4.3.2 Datenerhebung ..............................................................................162 4.3.2.1 Erhebungsdesign ....................................................................162 4.3.2.2 Fragebogenaufbau ..................................................................164 4.3.2.3 Beschreibung der Stichprobe ..................................................165 4.3.3 Datenanalyse.................................................................................167 4.3.3.1 Operationalisierung der gewählten Konstrukte .......................167 4.3.3.2 Attributklassifikation mittels Kano-Methode ............................168 4.3.3.3 Segmentspezifische Datenanalyse .........................................173 4.3.3.4 Analyse der postulierten Zufriedenheitswirkungen .................178

XI 4.4

Studie 2: Analyse der postulierten Dynamik der KanoKlassifikation .......................................................................................185 4.4.1 Methodische Grundlagen der Untersuchung.................................185 4.4.1.1 Konzeption und Analyse von Panelstudien.............................185 4.4.1.2 Modifizierte Kano-Methode .....................................................187 4.4.2 Datenerhebung ..............................................................................188 4.4.2.1 Erhebungsdesign ....................................................................188 4.4.2.2 Fragebogenaufbau ..................................................................188 4.4.2.3 Beschreibung der Stichprobe ..................................................190 4.4.3 Datenanalyse.................................................................................192 4.4.3.1 Serviceklassifikation mittels Kano-Methode............................192 4.4.3.2 Analyse der postulierten dynamischen Effekte .......................196 4.5 Empirische Ergebnisse im Überblick...................................................202 5

Schlussbetrachtung ................................................................................203 5.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse ...........................203 5.2 Implikationen für die Marketingforschung ...........................................206 5.3 Implikationen für die Marketingpraxis..................................................210

Anhang ...........................................................................................................213 Literaturverzeichnis.......................................................................................221

XIII

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17:

Aufbau der Arbeit ...............................................................................9 Wirkungskette der Kundenzufriedenheit ..........................................23 Modellkomponenten und Theorien des C/D-Paradigmas ................25 Erklärungsansätze des Wahrnehmungsprozesses..........................33 Motivatoren und Hygienefaktoren der Zwei-Faktoren-Theorie ........42 Importance-Performance-Analysis-Matrix........................................67 Importance Grid-Matrix ....................................................................70 Eindimensionale Konzeptionalisierung des Qualitätskonstruktes....80 Kano-Diagramm der Attractive Quality.............................................81 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit.............................................85 Standardmuster affektiver Dynamik ...............................................101 Opponent-Prozess .........................................................................102 Affektive Dynamik in Abhängigkeit der Häufigkeit der StimuliDarbietung......................................................................................104 Modifizierter Kano-Fragebogen......................................................117 Auswertungsschritte der Kano-Methode ........................................120 Segmentspezifische Auswertung ausgewählter Attribute ..............174 Asymmetrische Effekte der Attributzufriedenheiten auf die Gesamtzufriedenheit eines Blutzuckermesssystems.....................182

XV

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17: Tab. 18: Tab. 19: Tab. 20: Tab. 21: Tab. 22: Tab. 23: Tab. 24: Tab. 25: Tab. 26: Tab. 27:

Übersicht der verschiedenen Bezeichnungen der Zufriedenheitsfaktoren .....................................................................54 Kriterienkatalog zur Bewertung von Methoden zur Attributkategorisierung .....................................................................74 Kundenreaktion auf die Qualitätsattribute in Abhängigkeit des Erfüllungsgrades ..............................................................................84 Ausgewählte Publikationen zum Kano-Modell.................................95 Kano-Fragebogen zur Klassifizierung von Kundenanforderungen ...................................................................111 Two-dimensional evaluation chart..................................................112 Kano-Auswertungstabelle ..............................................................116 Auswertungstabelle des verkürzten Kano-Fragebogens ...............118 Kano-Ergebnistabelle.....................................................................121 Ausgewählte Publikationen zur Kano-Methode..............................142 Vergleich der Kano-Methode mit alternativen Methoden zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren .......................................146 Charakteristika der Diabetes-Erkrankung.......................................151 Verteilung soziodemografischer und krankheitsspezifischer Eigenschaften der Stichprobe.........................................................166 Gütemaße der verwendeten Konstrukte.........................................167 Kano-Klassifikation der Produktattribute ........................................170 Vergleich von Attributkategorie und Attributwichtigkeit...................173 Ergebnisse der ANOVA zur Prüfung des Einflusses des Produktinvolvements auf die Kano-Klassifikation...........................177 Ergebnisse der schrittweisen multiplen Regressionsanalyse für die Attribute eines Blutzuckermesssystems ...................................179 Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse mit DummyVariablen für die Attribute eines Blutzuckermesssystems ..............181 Gegenüberstellung der Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen und der Kano-Klassifikation...........183 Verteilung soziodemografischer und krankheitsspezifischer Eigenschaften der Stichproben.......................................................191 Kano-Klassifikation der Serviceleistungen von Stichprobe 1 .........194 Kano-Klassifikation der Serviceleistungen von Stichprobe 2 .........195 Nutzungsverhalten der Services zwischen den beiden Erhebungswellen ............................................................................197 Ergebnisse der ANOVA zur Prüfung dynamischer Effekte der Kano-Klassifikation .........................................................................198 Gegenüberstellung der Kano-Klassifikationen der beiden Erhebungswellen ............................................................................201 Berücksichtigte Produktattribute eines Blutzuckermesssystems ...213

XVI Tab. 28: Tab. 29: Tab. 30: Tab. 31:

Übersicht der verwendeten Konstrukte und Indikatorvariablen ......214 Ergebnisse der ANOVA zum Einfluss des Involvements auf die Attributklassifikation ........................................................................216 Berücksichtigte Serviceangebote für Diabetiker.............................217 Ergebnisse der ANOVA zum Einfluss der Nutzungshäufigkeit auf die Attributklassifikation ............................................................219

XVII

Abkürzungsverzeichnis A Attractive Quality Attribute ANOVA Analysis of Variance (Varianzanalyse) C/D-Paradigma Confirmation/Disconfirmation-Paradigma Cat CIT CKM CSII

Category Strength Critical-Incident-Technique Customer Knowledge Management kontinuierliche subkutane Insulininfusion

CT df

konventionelle Insulintherapie Degrees of Freedom (Freiheitsgrade)

DIM EUT F

Dual Importance Mapping Expected Utility Theory F-Statistik

HoQ I

House of Quality Indifferent Quality Attribute

ICT IG IPA

intensivierte konventionelle Insulintherapie Importance Grid Importance-Performance-Analsysis

ITTC LBA

Item-to-Total-Correlation Lob und Beschwerdeanalyse

M MANOVA M-H-Theory n n.c. O OAD PRCA

Must-be Quality Attribute Multiple Analysis of Variance (Multivariate Varianzanalyse) Motivater-Hygiene Theory Stichprobenumfang not classified One-dimensional Quality Attribute orale Antidiabetika Penalty-Reward-Contrast-Analysis

Q QFD R SSI Tot

Questionable Quality Attribute Quality Function Deployment Reverse Quality Attribute Self-Stated Importance Total Strength

TQM VIF

Total Quality Management Variance Inflation Factors

1

1 Kano-Theorie als marketingwissenschaftliches Erkenntnisobjekt 1.1 Bedeutung von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren der Kundenzufriedenheit für den Unternehmenserfolg Kundenzufriedenheit stellt eines der wichtigsten Konstrukte der Marketingforschung dar.1 „Consumer satisfaction is the central element of the marketing concept.“2 Ferner fungiert es aufgrund seiner postulierten Verhaltenswirkungen als Schlüsselvariable und strategischer Imperativ für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens.3 Eine Vielzahl von Studien liefert empirische Belege für die positiven Wirkungen von Kundenzufriedenheit auf erfolgsrelevante Größen wie die Kundenbindung, die Kundenloyalität oder die erhöhte Preisbereitschaft von Konsumenten.4 Diese Erkenntnisse führen dazu, dass die Maximierung der Kundenzufriedenheit eine hochpriorisierte Strategie bei einer Vielzahl von Unternehmen darstellt.5 In diesem Zusammenhang wird der Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung aufgrund seiner Rolle bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit entscheidende Bedeutung beigemessen. Die Ergebnisse mehrer Arbeiten belegen die positive Verknüpfung zwischen der Attributqualität und der Attributzufriedenheit.6 Qualität wird daher als Antezedenzvariable der Kundenzufriedenheit betrachtet.7 Aus diesem Grund fokussieren sich zahlreiche Unternehmen auf die Steigerung der Qualität der angebotenen Leistungen.8 Zielsetzung dieser Anstrengungen war die Steigerung der Kundenzufriedenheit und der Aufbau einer langfristigen Vertrauensbeziehung

1 2 3 4 5 6

7

8

Vgl. De Ruyter/Bloemer (1999), S. 104. Erevelles/Leavitt (1982), S. 104. Vgl. Anderson/Mittal (2000), S. 107; Doorn (2004), S. 1. Vgl. Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 65; Stock (2003), S. 28 f. Vgl. Musa/Pallister/Robson (2005), S. 349. Vgl. Anderson/Sullivan (1993), S. 141; Bruhn/Georgi (2000), S. 185; Huber/Herrmann/ Braunstein (2002), S. 65; Olsen (2002), S. 241. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55; Olsen (2002), S. 241; Bauer/Stokburger/ Hammerschmidt (2006), S. 123. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 53; Yang (2005), S. 1128; Lilja/Wiklund (2006), S. 55.

2 durch das Angebot von Leistungen, welche die Kundenanforderungen erfüllen und deren Erwartungen übertreffen.9 Über einen langen Zeitraum wurde in der Literatur ein linearer Zusammenhang zwischen der Attributqualität und der Attributzufriedenheit unterstellt. Demzufolge steigt die Zufriedenheit eines Kunden mit einem Produkt- oder Serviceattribut proportional mit dessen Erfüllungsgrad an.10 Eine singuläre Fokussierung auf die Maximierung der Attributqualität reicht jedoch nicht als probates Mittel zur Steigerung der Kundenzufriedenheit aus. „[N]o matter how many resources are invested [...] to improve or reform a given attribute [...], it should be no surprise if the investment fails to yield an increase in satisfaction.“11 Sowohl für die Unternehmenspraxis als auch die Marketingforschung ist daher zur Erreichung einer optimalen Mittelallokation von zentralem Interesse, welche Faktoren in welchem Ausmaß zur Entstehung von Kundenzufriedenheit beitragen.12 In diesem Kontext kommt der Betrachtung der Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit eine zentrale Bedeutung zu. Während das Zufriedenheitskonstrukt zu Beginn der Forschungsbemühungen im Rahmen einer holistischen Betrachtungsweise als einfaktorielles Konstrukt modelliert wurde,13 hat sich in der aktuellen Marketingforschung ein dreifaktorielles Konstruktverständnis durchgesetzt.14 So gelingt einer Reihe von Studien ein methodenunabhängiger Nachweis einer mehrfaktoriellen Struktur.15 Hiermit einher geht die Annahme von nicht linearen und asymmetrischen Zusammenhängen zwischen der Attribut- und der Gesamtzufriedenheit.16 Die Attributzufriedenheiten variieren hierbei bzgl. der jeweiligen Einflussstärke sowie der Einflussrichtung und unterliegen ferner zeitlichen Einflüssen.17 Die Verknüpfung zwischen dem Erfüllungsgrad eines Qualitätsattributes

9 10 11 12 13 14 15 16 17

und der Zufriedenheit mit eben diesem unterliegt

Vgl. Yang (2005), S. 1128. Vgl. Yang (2005), S. 1128. Corbella/Maturana (2003), S. 68. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 113. Vgl. Yi (1990), S. 71 ff. Vgl. Beutin (2006), S. 129; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 34. Vgl. Klausegger/Scharitzer (2000), S. 221 ff.; Gierl/Bartikowski (2003), S. 14 ff. Vgl. Anderson/Mittal (2000), S. 108. Vgl. Mittal/Kumar/Tsiros (1999), S. 98; Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 123.

3 dynamischen Einflüssen und kann entweder linear, asymmetrisch oder nicht existent sein.18 Vor dem Hintergrund obiger Ausführungen fordern führende Vertreter der Marketingforschung für die Entwicklung von Ansätzen zu den Themenkomplexen Kundenzufriedenheit, Kundenloyalität und Kundenwert die Berücksichtigung temporal variierender, asymmetrischer Effekte bei der Modellierung der Beziehung zwischen Attributzufriedenheit und Gesamtzufriedenheit.19 Ein theoretischer Ansatz, der diese Forderung aufgreift, ist die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit.20 Die Kano-Theorie basiert auf der Annahme einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit und postuliert, dass der Erfüllungsgrad von Kundenanforderungen je nach Wichtigkeit des Produkt- oder Serviceattributs unterschiedliche Effekte auf die Kundenzufriedenheit ausübt.21 Je nach Art des Zusammenhangs zwischen dem Erfüllungsgrad und der Zufriedenheit eines Qualitätsattributs werden Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren differenziert.22 Basisfaktoren bezeichnen Qualitätsattribute, deren NichtErfüllung zu großer Unzufriedenheit führt, die bei einem hohen physischen Erfüllungsgrad jedoch keine Zufriedenheit bedingen können.23 Demgegenüber weisen Leistungsfaktoren einen proportionalen Zusammenhang zwischen dem Erfüllungsgrad und der Zufriedenheit auf. Sie können demnach sowohl zur Entstehung von Zufriedenheit als auch von Unzufriedenheit beitragen. 24 Schließlich beschreiben die Begeisterungsfaktoren solche Attribute, die bei einem hohen Erfüllungsgrad Zufriedenheit auslösen, aus deren Nicht-Erfüllung jedoch keine Unzufriedenheit resultiert.25 Parallel zu diesen asymmetrischen Zusammenhängen berücksichtigt das Kano-Modell zudem explizit die Existenz dynamischer Effekte.26 Es wird postuliert, dass Produkt- oder Serviceattribute temporalen Einflüssen

18 19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 155. Vgl. Mittal/Kumar/Tsiros (1999), S. 88 ff. Vgl. Kano (1968; 1987; 1995; 2001); Kano et al. (1984). Vgl. Matzler (2003), S. 341. Vgl. Kano et al. (1984), S. 170; Kano (2001), S. 4 f. Vgl. Kondo (2000), S. 648. Vgl. Löfgren/Witell (2005), S. 10. Vgl. Matzler (2000), S. 15. Vgl. Kano (2001), S. 1 ff.; Fundin (2005), S. 18 f.

4 unterliegen und im Zeitverlauf einem spezifischen Attributlebenszyklus folgen.27 Das Kano-Modell stellt somit einen alternativen Erklärungsansatz zur theoretischen Fundierung einer Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit dar, welcher den aktuellen Anforderungen der Kundenzufriedenheitsforschung Rechnung trägt und mithin breite Akzeptanz im Rahmen der Marketingwissenschaft erfährt.28 Neben diesem gemeinhin als Kano-Modell bekannten theoretischkonzeptionellen Aspekt beinhaltet die Kano-Theorie ferner mit der KanoMethode ein Messverfahren zur Identifikation und Klassifikation der unterschiedlichen Zufriedenheitsfaktoren. Die Kenntnis und Unterscheidung der verschiedenen Attribute ist vor dem Hintergrund obiger Ausführungen von großer Bedeutung für die Unternehmenspraxis, erlaubt sie doch die Identifikation der aus Kundensicht wichtigsten Produkteigenschaften, eine optimale Mittelallokation und die Ableitung von Prioritäten im Rahmen der Produktentwicklung sowie die Generierung segmentspezifischer Leistungen. 29 In diesem Kontext findet die Kano-Methode breite Anwendung und hat sich als eine wichtige Alternative im Methodenkanon zur Identifikation und Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren etabliert.30 Trotz der breiten Akzeptanz der Kano-Theorie im Rahmen der marketingwissenschaftlichen Forschung und unternehmerischen Praxis lassen sich Defizite in Bezug auf die theoretische Herleitung und empirische Fundierung konstatieren.31 Die zentrale Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bildet daher die Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zum Kano-Modell sowie zur Kano-Methode und deren theoretisch-konzeptionelle sowie empirische Fundierung.

27 28 29 30

31

Vgl. Fundin/Nilsson (2003), S. 32 ff. Vgl. Baier (2001), S. 10; Baier/Weinand (2002), S. 55; Yang (2005), S. 1127. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 118 f.; Matzler et al. (2003), S. 127 f. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 19 ff.; Bartikowski/Llosa (2004), S. 70 f.; Matzler/ Sauerwein/Stark (2004), S. 278 ff. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 61 ff.

5 1.2 Zielsetzung, Forschungsfragen und Gang der Untersuchung Wie die Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt verdeutlichen, basiert das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit auf der Annahme asymmetrischer und dynamischer Effekte der Attributqualität auf die Gesamtzufriedenheit. Obgleich dieser theoretische Ansatz in der Marketingforschung weithin akzeptiert ist, lässt sich eine unzureichende theoretische Begründung der Grundannahmen und postulierten Effekte des Kano-Modells konstatieren. 32 „Kano et al. (1996) proposed an empirical regularity, a pattern in the correlation between subjective and objective quality. They did not, however, explain the causes for these regularities; they did not posit some underlying mechanism which generates the regularity.“33 So finden sich nur wenige Veröffentlichungen, welche die psychologischen Prozesse bei der Verarbeitung der Attributqualität und die temporal variierenden emotionalen Reaktionen eines Individuums auf einen gleich bleibenden Stimulus fokussieren. Bisherige Arbeiten zu diesem Themenkomplex bieten demnach keinen geeigneten theoretischen Bezugsrahmen zur Klärung der Fragestellung, wie Kundenzufriedenheit im Rahmen der KanoTheorie entsteht, sondern beschreiben lediglich, welche untersuchungsspezifischen Faktoren Zufriedenheit auslösen.34 Sie beschränken sich folglich mit wenigen Ausnahmen auf eine Zitation des ursprünglichen Artikels von Kano sowie auf eine Darstellung der Grundlagen des Modells und lassen eine tiefergehende Analyse der theoretischen und praktischen Implikationen der Modellannahmen vermissen.35 Vor diesem Hintergrund wird eine theoretische Fundierung des Kano-Modells und der die Attributklassifikation bedingenden Prozesse unter besonderer Berücksichtigung dynamischer Aspekte gefordert.36 In diesem Kontext versucht die vorliegende Arbeit im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes eine theoretische sowie empirische Fundierung der Grundannahmen des Kano-Modells vorzunehmen (Forschungsziel 1).

32

33 34 35 36

Vgl. Bharadwaj/Menon (1997) S. 107 ff.; Tan/Pawitra (2001), S. 418 ff.; Lilja/Wiklund (2006), S. 55 ff. Lilja/Wiklund (2006), S. 61, Hervorhebung im Original. Vgl. Matzler (2000), S. 5. Vgl. Sauerwein (2000), S. 4 f. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 62.

6 Während das Kano-Modell primär als alternativer Erklärungsansatz für ein dreifaktorielles Verständnis der Kundenzufriedenheit herangezogen wird, stellt die Kano-Methode ein konkretes Messverfahren zur Identifikation und Klassifikation dieser Zufriedenheitsfaktoren dar. Aufgrund vielfältiger Vorteile und Einsatzmöglichkeiten wird diese Methode häufig im Rahmen der Kundenzufriedenheitsforschung verwendet.37 Ungeachtet dieser Popularität lässt sich jedoch ein Mangel an Studien konstatieren, welche die postulierten Wirkungsweisen der Kano-Kategorien auf die Kundenzufriedenheit und somit vor dem Hintergrund asymmetrischer, nicht linearer Zusammenhänge zwischen Attribut- und Gesamtzufriedenheit die Eignung der Kano-Methode zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren empirisch prüfen.38 Die in diesem Forschungsfeld durchgeführten Methodenvergleiche zur Bewertung verschiedener Verfahren zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren liefern zudem teilweise widersprüchliche Ergebnisse,39 weshalb eine Revalidierung und Prüfung der KanoMethode gefordert wird.40 Aus den genannten Gründen wird in dieser Arbeit die Eignung der Kano-Methode zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren vor dem Hintergrund asymmetrischer und nicht linearer Verknüpfungen zwischen Attribut- und Gesamtzufriedenheit beurteilt (Forschungsziel 2). Des Weiteren finden sich kaum Studien zur Kano-Methode, die auf die postulierten dynamischen Aspekte der Zufriedenheitsfaktoren fokussieren. 41 Das dritte Forschungsziel der vorliegenden Arbeit besteht daher in der Evaluierung der postulierten Dynamik der Attributklassifikation. Zum einen soll analysiert werden, inwieweit die Kano-Methode in der Lage ist, dynamische Effekte im Rahmen der Attributklassifikation adäquat zu erfassen (Forschungsziel 3a). Zum anderen soll die Existenz des postulierten spezifischen Lebenszyklus der Qualitätsattribute untersucht werden (Forschungsziel 3b).

37 38 39

40 41

Vgl. Zhang/Dran (2002), S. 13; Gierl/Bartikowski (2003), S. 31. Vgl. Sauerwein (2000), S. 1 ff. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 428 ff.; Gierl/Bartikowski (2003), S. 14 ff.; Bartikowski/Llosa (2004), S. 67 ff. Vgl. Sauerwein (2000), S. 182. Vgl. Nilsson-Wittel/Fundin (2005), S. 152 ff.; Fundin/Nilsson (2003), S. 32 ff.

7 Zusammenfassend

können

die

drei

zentralen

Forschungsziele

der

vorliegenden Arbeit wie folgt beschrieben werden:  Forschungsziel 1 besteht darin, die Grundannahmen des Kano-Modells der Kundenzufriedenheit theoretisch sowie empirisch zu fundieren.  Forschungsziel 2 besteht darin, die Eignung der Kano-Methode zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren unter Berücksichtigung asymmetrischer Effekte empirisch zu evaluieren.  Forschungsziel 3a besteht darin, die Eignung der Kano-Methode zur Erfassung der unterstellten dynamischen Effekte bei der Attributklassifikation zu prüfen.  Forschungsziel 3b besteht darin, die Existenz des postulierten spezifischen Lebenszyklus der Qualitätsattribute im Zeitverlauf zu analysieren. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Im nachfolgenden Kapitel 2 erfolgt zunächst eine Erörterung und Definition des Zufriedenheitskonstruktes (Abschnitt 2.1) sowie eine Abgrenzung zu verwandten Konstrukten (Abschnitt 2.2), bevor anschließend die Bedeutung von Kundenzufriedenheit für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens herausgearbeitet wird (Abschnitt 2.3). Abschnitt 2.4 dient der theoretischen Fundierung des Zufriedenheitskonstrukts. Hierbei wird das Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/DParadigma) als integrativer Modellierungsrahmen dargestellt sowie die Erkenntnisbeiträge theoretischer Bezugspunkte erörtert. Ferner wird die theoretisch-konzeptionelle Fundierung einer mehrfaktoriellen Struktur der Kundenzufriedenheit unter besonderer Berücksichtigung asymmetrischer sowie dynamischer Effekte dargestellt. Im Anschluss daran werden als Grundlage für die empirische Prüfung der Forschungsziele sowohl allgemeine Methoden zur Messung von Kundenzufriedenheit als auch spezielle Messverfahren zur Identifikation und Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren dargestellt (Abschnitt 2.5). Abschnitt 2.6 fasst die wesentlichen Erkenntnisse des Grundlagenkapitels zusammen.

8 In Kapitel 3 erfolgt die theoretisch-konzeptionelle Fundierung der KanoTheorie. Mit den Ausführungen dieses Kapitels wird das Erkenntnisziel verfolgt, ein grundlegendes Verständnis für die beiden Untersuchungsobjekte zu generieren und den aktuellen Stand der marketingwissenschaftlichen Forschung aufzuzeigen. In Abschnitt 3.1 werden zunächst konzeptionelle Vorüberlegungen vorangestellt. Auf diesen Vorüberlegungen aufbauend erfolgt die Erläuterung des Kano-Modells (Abschnitt 3.2). Hierzu wird die Entwicklung der Kano-Theorie im Kontext der Qualitätsforschung aufgezeigt und die Kernelemente und Annahmen des Kano-Modells im Zufriedenheitskontext erläutert. Ferner erfolgt auf Basis einer Sichtung der relevanten Literatur eine kritische Reflexion. Darauf aufbauend wird mit der OpponentProcess-Theory ein Ansatz zu theoretischen Fundierung des Kano-Modells erörtert. In Abschnitt 3.3 erfolgt anschließend die Darstellung der KanoMethode. Hierbei werden zunächst die Grundlagen der Datenerhebung und Datenanalyse mit dieser Methode dargestellt sowie die Validität und Reliabilität näher beleuchtet. Auf Basis einer Durchsicht der relevanten Literatur wird die Kano-Methode anschließend einer kritischen Würdigung unterzogen. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse des Grundlagenkapitels zur Kano-Theorie erfolgt in Abschnitt 3.4. Kapitel 4 dient der empirischen Validierung der Kano-Theorie und der Evaluierung der Kano-Methode. Nach einer Übersicht über die Konzeption und Durchführung der empirischen Studien (Abschnitt 4.1) erfolgt die Darstellung des gewählten Untersuchungsfeldes (Abschnitt 4.2). Daran schließt Studie 1 zur Analyse der postulierten Zufriedenheitswirkungen der Kano-Kategorien an (Abschnitt 4.3). Nach einer Diskussion der Vorgehensweise und der methodischen Grundlagen wird die empirische Prüfung der unterstellten Wirkungsbeziehungen zwischen Attributund Gesamtzufriedenheit vorgenommen. Hierzu werden die Erhebungsdaten der Untersuchungsstichprobe mittels Kano-Methode, univariater Varianzanalyse sowie multipler Regressionsanalyse mit Dummy-Vaiablen analysiert und anhand ausgewählter Gütekriterien bewertet. Aufbauend auf diesen Ergebnissen erfolgt in Abschnitt 4.4 die Beschreibung von Studie 2 zur Analyse der postulierten Dynamik der Attributklassifikation. Nach Darstellung der Vorgehensweise und methodischen Grundlagen wird die empirische Prüfung der postulierten dynamischen Effekte der Attributklassifikation und des unterstellten Lebenszyklus der Kano-Kategorien auf Basis der Erhebungs-

9 daten einer zweiwelligen Panel-Studie vorgenommen. Hierfür werden die beiden Stichproben mittels der Kano-Methode sowie univariater Varianzanalyse analysiert und anhand ausgewählter Gütekriterien bewertet. Abschnitt 4.5 bietet eine Übersicht der Erkenntnisse der empirischen Validierung. Abschließend werden in Kapitel 5 die zentralen Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst (Abschnitt 5.1). Darauf basierend erfolgt die Identifikation weiteren Forschungsbedarfs (Abschnitt 5.2) sowie die Ableitung von Implikationen für die Unternehmenspraxis (Abschnitt 5.3). Abbildung 1 stellt den Gang der Untersuchung grafisch dar.

Abb. 1: Aufbau der Arbeit

10

2 Kundenzufriedenheit 2.1 Etymologie und Definition von Kundenzufriedenheit Der Zufriedenheitsbegriff erfährt im Vergleich zu vielen anderen psychologischen Konstrukten und Termini der Marketingforschung seit langem breite Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch. Trotz interindividueller Unterschiede bzgl. der genauen inhaltlichen Ausgestaltung verfügen die meisten Personen über ein mehr oder weniger präzises Verständnis von Zufriedenheit.42 So beschreibt Zufriedenheit als nicht direkt beobachtbares, hypothetisches Konstrukt das psychische Innenleben eines Individuums und wird in der Regel mit positiven Zuständen wie bspw. Freude, Glück oder Genugtuung assoziiert.43 Ferner wird Zufriedenheit als relativ stabiles Resultat eines Vergleiches von menschlichen Ansprüchen einerseits mit Realitäten andererseits interpretiert, wobei sie gleichermaßen durch Befriedigung wie auch Absenkung der individuellen Ansprüche erreicht werden kann.44 Der Ursprung des Zufriedenheitsbegriffs liegt im lateinischen Verb „satisfacere“, was übersetzt „zufrieden stellen“ bedeutet.45 In der deutschen Sprache liegt die etymologische Herkunft des relativ jungen Adjektivs „zufrieden“ im 16. Jahrhundert in der präpositionalen Fügung „zu Frieden“ (mittelhochdeutsch: mit vride).46 Hierbei beschreibt der Terminus „zufrieden“ einen Gemütszustand, in welchem man „mit sich und der Welt in Einklang, einverstanden“47 ist. Im 18. Jahrhundert entwickelt sich aus dem entsprechenden Adjektiv das Substantiv „Zufriedenheit“ und das Zufriedenheitskonstrukt wird fester Bestandteil der deutschen Sprache.48 Neben der populären Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch hat das Zufriedenheitskonstrukt mittlerweile unter den Begriffen Mitarbeiter-, Arbeitssowie Kundenzufriedenheit in der wissenschaftlichen Forschung und auch in

42 43 44 45 46 47 48

Vgl. Runow (1982), S. 72. Vgl. Schwetje (1999), S. 12; Bauer (2000), S. 15. Vgl. Holtz (1998), S. 19. Vgl. Oliver (1997), S. 11. Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), S. 375 f.; Kluge (2002), S. 1017. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), S. 375. Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), S. 376. Für eine ausführliche Darstellung der Verwendung des Zufriedenheitsbegriffs im deutschen Sprachgebrauch vgl. Grimm/Grimm (1960), Spalte 365 ff.

11 der unternehmerischen Praxis eine zentrale Bedeutung erlangt.49 Der Ursprung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung liegt dabei in der Arbeits- und Organisationspsychologie der 1930er Jahre. Während sich die Psychologie bereits frühzeitig mit dem Zufriedenheitskonstrukt auseinandersetzt, fließen die dort gewonnenen Erkenntnisse erst später unter dem Begriff Mitarbeiterzufriedenheit in die betriebswirtschaftliche Forschung ein.50 Mitte der 1960er Jahre erfolgt in der Marketingforschung eine zunehmende Integration verhaltenswissenschaftlicher Konzepte mit der Zielsetzung einer besseren Erforschung des Konsumentenverhaltens.51 In diesem Kontext gilt die Studie von Cardozo aus dem Jahre 1965 als erste wegweisende Veröffentlichung zur Kundenzufriedenheit.52 Als Folge des aufkeimenden Interesses an der Erforschung des Konsumentenverhaltens stellt Kundenzufriedenheit seit den 1970er Jahren eines der wichtigsten Konstrukte der Marketingforschung dar.53 So folgen Cardozos initialer experimenteller Studie mit Konsumenten in den 70er Jahren erste Arbeiten, die Vorschläge zur Operationalisierung des Zufriedenheitskonstruktes diskutieren.54 Daran anknüpfend beginnt in den 1980er Jahren eine zunehmende Untersuchung der Auswirkungen von Kundenzufriedenheit. Hierbei liegt der Forschungsfokus zunächst auf der Analyse des Beschwerdeverhaltens von Kunden,55 bevor ab den 1990er Jahren der Einfluss der Kundenzufriedenheit auf ökonomische Zielgrößen der Unternehmen in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses rückt.56

49

50 51 52

53

54

55

56

Winter weist in ihrer Arbeit auf die häufig synonyme Verwendung der Begriffe Mitarbeiterund Arbeitszufriedenheit hin, obschon eine stärkere logische Symmetrie zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit bestehe. Beide Konstrukte beziehen sich demnach auf den Urteilenden, während die Arbeitszufriedenheit den Beurteilungsgegenstand betrachtet. Vgl. Winter (2005), S. 8 f. Vgl. Homburg/Stock (2001), S. 790. Vgl. Holtz (1998), S. 31; Bauer (2000), S. 15. Vgl. Cardozo (1965), S. 244 ff. Die Begriffe Kunden-, Konsumenten- sowie Verbraucherzufriedenheit werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Vgl. Bruhn (1982), S. 9; Yi (1990), S. 68; Erevelles/Leavitt (1992), S. 104; Peterson/ Wilson (1992), S. 61; Stock (2001), S. 20. Vgl. hierzu exemplarisch die Studien von Bettman (1974); Swan/Combs (1976) sowie Jacoby (1978). Vgl. Meffert/Bruhn (1981); Gilly/Betsy (1982); Krapfel (1985); Singh (1988); Brown/ Beltramini (1989); Singh (1989). Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994); Hallowell (1996); Homburg/Koschate (2003).

12 Ungeachtet der Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen zum Konstrukt der Kundenzufriedenheit und der großen Bedeutung, das es in der Marketingwissenschaft erfährt, Rudolph spricht in diesem Kontext von einer eigenständigen Kundenzufriedenheitsforschung, existiert bislang kein einheitliches Begriffsverständnis.57 Sowohl in der praxisnahen als auch in der wissenschaftlichen Literatur findet sich hingegen eine Vielzahl heterogener Definitionsversuche des Zufriedenheitskonstrukts.58 Giese/Cote kritisieren diesen Umstand und konstatieren teilweise fundamental inkonsistente Definitionen.59 In diesem Kontext sehen Peterson/Wilson den Mangel an definitorischen sowie methodologischen Standards als oftmals einzige Gemeinsamkeit vieler Veröffentlichungen zur Kundenzufriedenheit. 60 „Everyone knows what [satisfaction] is, until asked to give a defintion. Then it seems, nobody knows.“61 Es besteht demnach eine zentrale definitorische Inkonsistenz bzgl. einer prozessorientierten versus einer ergebnisorientierten Sichtweise von Kundenzufriedenheit.62 Prozessorientierte Definitionen legen den Fokus auf die Antezedenzbedingungen, die den Entstehungsprozess von Kundenzufriedenheit erklären.63 Hinsichtlich einer Operationalisierung besteht bei diesen Ansätzen allerdings die Schwierigkeit, die den Entstehungsprozess von Zufriedenheit determinierenden Konstrukte in eine gemeinsame Definition zu integrieren, wodurch es zu einer Überlappung der determinativen Prozesskonstrukte mit dem Zufriedenheitskonstrukt kommen kann.64 Im Unterschied dazu betrachten ergebnisorientierte Definitionen Kundenzufriedenheit als Resultat eines komplexen psychischen Vergleichs- oder Bewertungsprozesses.65 Dieses Begriffsverständnis findet sich mittlerweile bei der Mehrzahl von Arbeiten zum Zufriedenheitskonstrukt.66 Der Kunde vergleicht

57 58 59 60 61

62 63 64 65

66

Vgl. Peterson/Wilson (1992), S. 61; Rudolph (1998), S. 12. Vgl. Westbrook/Oliver (1991), S. 84; McQuitty/Finn/Wiley (2000), S. 3. Vgl. Giese/Cote (2000), S. 4. Vgl. Peterson/Wilson (1992), S. 62. Oliver (1997), S. 13, Hervorhebung im Original, seinerseits in Anlehnung an Fehr/Russell (1984), S. 464. Vgl. Yi (1990), S. 69. Vgl. Stock (2001), S. 23. Vgl. Giese/Cote (2000), S. 1. Vgl. Halsted/Hartmann/Schmidt (1994), S. 114 ff.; Churchill/Surprenant (1982), S. 491 ff.; Tse/Wilton (1988), S. 204 ff. Vgl. Giese/Cote (2000), S. 1.

13 die wahrgenommene Diskrepanz zwischen seiner tatsächlichen Erfahrung mit einem Produkt oder einer Dienstleistung (Ist-Leistung) mit einem ex ante gebildeten Vergleichsstandard (Soll-Leistung).67 Im Falle einer Bestätigung oder Übererfüllung der Soll-Leistung entsteht Zufriedenheit beim Kunden. Dieser Vergleichsprozess stellt als theoretischer Modellierungsrahmen unter der Bezeichnung Confirmation/Disconfirmation-Paradigma das am weitesten verbreitete Konzept zur Erklärung von Kundenzufriedenheit dar.68 Die verschiedenen Definitionsansätze der Kundenzufriedenheit lassen sich ferner nach Art und Menge der einbezogenen Komponenten differenzieren. Es geht also um die Frage, ob das Zufriedenheitskonstrukt als primär kognitiv oder affektiv geprägt interpretiert wird.69 Der Logik des C/D-Paradigmas entsprechend gilt Kundenzufriedenheit als ein primär kognitiv geprägtes Konstrukt. Allerdings finden sich in jüngeren Publikationen zunehmend empirische Hinweise für den parallelen Einfluss einer affektiven Komponente.70 Homburg/Becker/Hentschel vereinen daher die ursprünglich distinkten Ansichten und messen der Kundenzufriedenheit sowohl kognitive als auch affektive Elemente bei.71 Neben diesen inhaltlichen Unterscheidungen resultieren unterschiedliche Definitionen zudem aufgrund der Berücksichtigung verschiedener Bezugsund Anwendungsbereiche der Kundenzufriedenheit. So unterscheidet die Marketingliteratur zwischen Makro- und Mikro-Kundenzufriedenheit. Erstere betrachtet die kollektiven Leistungen einer Branche bzw. eines Wirtschaftssystems und zählt zu den wohlstandsorientierten Ansätzen, während bei der zu den marktorientierten Ansätzen gehörenden MikroKundenzufriedenheit das Verhalten sowie das Leistungsspektrum eines bestimmten Anbieters im Fokus des Untersuchungsinteresses steht.72 Zufriedenheitsdefinitionen

im

Rahmen

der

Mikro-Kundenzufriedenheit

subsummieren ihrerseits transaktionsspezifische sowie kumulative Ansätze. 73

67 68 69 70 71 72 73

Vgl. Day (1984), S. 496. Vgl. Kaiser (2002), S. 47. sowie Abschnitt 2.4.1. Vgl. Doorn (2004), S. 16. Vgl. Spreng/Shi/Page (2005), S. 358. Vgl. Homburg/Becker/Hentschel (2005), S. 96. Vgl. Holtz (1998), S. 36. Vgl. Spreng/Shi/Page (2005), S. 358; Ha (2006), S. 137 ff.

14 Zu Beginn der Zufriedenheitsforschung dominiert in der Marketingforschung die transaktionsspezifische Sichtweise.74 Kundenzufriedenheit entsteht hierbei durch die retrospektive Bewertung einer spezifischen Transaktion durch den Kunden.75 Im Unterschied dazu überwiegt in jüngeren Veröffentlichungen eine kumulative bzw. markenspezifische Perspektive von Kundenzufriedenheit. Konsumenten bilden ihr Zufriedenheitsurteil gemäß diesem Verständnis als aggregiertes Gesamturteil mehrerer Transaktionen im Zeitverlauf.76 Markenspezifische Kundenzufriedenheit resultiert somit aus der gesamten Geschäftsbeziehung und fungiert als fundamentaler Indikator der vergangenen, gegenwärtigen sowie zukünftigen Leistung eines Unternehmens.77 Dagegen bietet die tranksaktionsspezifische Kundenzufriedenheit wesentliche Informationen über eine bestimmte Produktoder Serviceerfahrung und kann als notwendige Bedingung für die Entstehung von kumulativer Zufriedenheit interpretiert werden.78 Letztlich lassen sich die verschiedenen Definitionen der Kundenzufriedenheit anhand ihres Spezifitätsgrades differenzieren. Häufig verwendete Bezugsobjekte sind bspw. Kundenzufriedenheit mit einem Produkt oder einer Dienstleistung, mit einzelnen Produkt- oder Serviceattributen, einer Konsumsituation, der Vorkauf-, Kauf- oder Nachkaufphase, einer Verkaufsperson oder Einkaufsstätte.79 Aufgrund der aufgezeigten Vielzahl an Kontextvariablen, die in eine Kundenzufriedenheitsdefinition einfließen können, halten Giese/Cote die Entwicklung einer globalen generischen Definition nicht für sinnvoll.80 Die Autoren fordern vielmehr die Verwendung kontextbezogener Definitionen auf Basis eines von ihnen entwickelten Rahmenkonzeptes zum Zwecke einer besseren Vergleichbarkeit von Studienergebnissen.81 Diesem Rahmenkonzept liegt ein den meisten Definitionen enthaltenes Grundverständnis von

74 75 76 77

78 79 80 81

Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 102. Vgl. Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 124. Vgl. Johnson/Anderson/Fornell (1995), S. 699. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 102; Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 124. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 54. Vgl. Yi (1990), S. 70. Vgl. Giese/Cote (2000), S. 3. Vgl. Giese/Cote (2000), S. 15 f.

15 Kundenzufriedenheit zu Grunde, welches drei Komponenten beinhaltet. Demnach ist Kundenzufriedenheit eine kognitive oder emotionale Reaktion abwechselnder Intensität, die einen bestimmten Fokus (Erwartungen, Produkt, Konsumerfahrung etc.) betrifft sowie zu einem bestimmten Zeitpunkt (nach dem Konsum, nach der Wahlentscheidung etc.) auftritt und von unterschiedlicher Dauer ist.82

2.2 Abgrenzung zu verwandten Konstrukten In ähnlich starkem Maße wie die Definition der Kundenzufriedenheit wird in der wissenschaftlichen Literatur ferner deren Abgrenzung gegenüber ähnlichen Konstrukten intensiv und teilweise kontrovers diskutiert.83 Hierbei werden aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe insbesondere die Konstrukte Einstellung sowie Produkt- respektive Dienstleistungsqualität herangezogen.84 Mit Bezug auf die Einstellungsforschung wird Zufriedenheit von einigen Autoren als spezielle Ausprägung der Einstellung aufgefasst.85 Gemäß Trommsdorff werden Einstellungen als „Zustand einer gelernten und relativ dauerhaften Bereitschaft, in einer entsprechenden Situation gegenüber dem betreffenden Objekt regelmäßig mehr oder weniger stark positiv bzw. negativ zu reagieren“86 definiert. In Analogie zum Zufriedenheitskonstrukt werden auch Einstellungen kognitive und affektive Komponenten beigemessen sowie eine hohe Verhaltensrelevanz unterstellt.87 Desgleichen werden Einstellungen oftmals mittels eines Soll-Ist-Kalküls erfasst.88 Trotz dieser offensichtlichen inhaltlichen Überschneidungen ist eine Differenzierung der beiden Konstrukte möglich. So ist Kundenzufriedenheit als Ergebnis eines Vergleichsprozesses an konkrete Erfahrungen und Situationen gebunden. Da dieser Vergleichsstandard im Zeitverlauf Änderungen unterliegt,

82 83 84 85 86 87 88

Vgl. Giese/Cote (2000), S. 15. Vgl. Doorn (2004), S. 20. Vgl. Bauer (2000), S. 17. Vgl. Rudolph (1998), S. 13. Trommsdorff (2002), S. 150. Vgl. Meffert (1998), S. 114. Vgl. Doorn (2004), S. 21.

16 ist Zufriedenheit als dynamisches Konstrukt anzusehen.89 Demgegenüber sind Einstellungen von vergleichsweise höherer zeitlicher Stabilität.90 Einstellungen können zudem situationsunabhängig gebildet werden und auf ein breiteres Spektrum von Bezugsobjekten fokussieren.91 Letztlich wird der Kundenzufriedenheit ein höherer Konkretisierungsgrad sowie eine stärkere Verhaltensrelevanz als der Einstellung zugeschrieben.92 Die inhaltliche Nähe der beiden Konstrukte wird in starkem Maße vom Betrachtungswinkel der Zufriedenheit determiniert.93 Liegt eine transaktionsspezifische Perspektive der Kundenzufriedenheit vor, sind die Unterschiede zwischen beiden Konstrukten deutlicher. Wird hingegen der kumulierten Sichtweise der Kundenzufriedenheit gefolgt, liegt eine größere Nähe zur Einstellung vor und die Zufriedenheit geht im Zeitverlauf in eine Einstellung über.94 Eng mit der Zufriedenheit verwandt ist neben dem Einstellungskonstrukt auch die Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität.95 Sowohl auf Konstrukt- als auch auf Messebene weisen beide Konstrukte einen hohen, jedoch nicht eindeutig trennscharfen, Überschneidungsbereich auf.96 So resultiert ein Qualitätsurteil auf einem der Kundenzufriedenheit analogen Vergleichsprozess zwischen den Erwartungen und der subjektiv erlebten Leistung eines Produktes oder einer Dienstleistung.97 Trotz dieser Ähnlichkeit hat sich in der Literatur die Auffassung durchgesetzt, dass es sich bei Kundenzufriedenheit und Produkt- oder Dienstleistungsqualität um distinkte Konstrukte handelt.98 So wird Qualität als primär kognitives Konstrukt, Zufriedenheit hingegen als stärker affektiv bedingtes, kognitives Konstrukt verstanden.99 Ferner unterschieden sich die Vergleichsstandards der beiden Konstrukte. Im Rahmen der Zufriedenheitsbildung zieht der Kunde individuelle Normen und Wertmaßstäbe heran, während die 89 90 91 92 93 94 95

96 97 98 99

Vgl. Rodulph (1998), S. 13, Schwetje (1999), S. 14. Vgl. Schütze (1992), S. 146. Vgl. Bauer (2000), S. 18. Vgl. Schwetje (1999), S. 14. Vgl. Bauer (2000), S. 18 f. Vgl. Oliver (1981), S. 27. Die Begriffe Dienstleistungs- und Servicequalität werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Vgl. Stauss (1999), S. 5. Vgl. Bauer (2000), S. 17. Vgl. Taylor/Cronin (1994), S.35. Vgl. Kaiser (2002), S. 28.

17 Bildung eines Qualitätsurteils auf Industriestandards basiert und überdies nicht zwingend an eine Produkterfahrung gekoppelt ist.100 Anderson/Fornell/ Lehmann weisen in ihrer Veröffentlichung zudem darauf hin, dass Kundenzufriedenheit vom Preis abhängig ist, während die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung generell als unabhängig vom Preis betrachtet wird.101 Nach wie vor kontrovers diskutiert wird die sequentielle Reihenfolge der Konstrukte.102 Hierbei interessiert die Fragestellung, ob Qualität als Determinante oder als Konsequenz der Kundenzufriedenheit zu verstehen ist.103 Eine Vielzahl von Studien weist einen positiven Einfluss der Produktbzw. Dienstleistungsqualität auf die Kundenzufriedenheit nach,104 weswegen Qualität als Antezedenzvariable der Kundenzufriedenheit begriffen wird. 105 Ebenfalls strittig ist allerdings die Art des Zusammenhangs zwischen Produktoder Servicequalität und Kundenzufriedenheit. Insbesondere jüngere Publikationen stellen den lange Zeit postulierten linearen Zusammenhang zwischen Qualität und Kundenzufriedenheit mittlerweile in Frage.106 Vor dem Hintergrund der zuvor aufgeführten Begriffsbestimmungen wird Zufriedenheit in dieser Arbeit verstanden als „Ergebnis eines kognitiven und affektiven Evaluierungsprozesses, in dessen Rahmen eine geforderte oder gewünschte Soll-Leistung mit der tatsächlich wahrgenommenen Ist-Leistung verglichen wird.“107

100 101 102 103 104

105

106 107

Vgl. Stauss (1999), S. 12; Bidmon (2004), S. 15. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55. Vgl. Stauss (1999), S. 12. Vgl. Doorn (2004), S. 21; Spreng/Shi/Page (2005), S. 358. Vgl. Stock (2001), S. 27; Cronin/Taylor (1992), S. 55 ff.; Homburg/Kebbel (2001), S. 42 ff.; Caruana (2002), S. 811 ff. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55; Olsen (2002), S. 241; Bauer/Hahn/ Hammerschmidt (2006), S. 12. Vgl. bspw. Matzler (2003), S. 341 ff. sowie Abschnitt 3.2.1. Giering (2000), S. 14.

18 2.3 Einfluss von Kundenzufriedenheit auf den Unternehmenserfolg Eine zentrale Fragestellung sowohl der Marketingforschung als auch der Unternehmenspraxis ist die nach dem Einfluss der Zufriedenheit von Kunden auf deren Verhalten und die daraus resultierenden Folgen für ein Unternehmen. Denn erst die postulierten positiven Verhaltensauswirkungen rechtfertigen aus wirtschaftlicher Sicht die Zielsetzung einer hohen Kundenzufriedenheit als Erfolgsgröße im Unternehmen.108 Eine Vielzahl von Autoren beschäftigt sich daher mit den Auswirkungen der Kundenzufriedenheit auf den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens. Die marketingwissenschaftliche Literatur unterscheidet zwischen individuellen, mikroökonomischen sowie makroökonomischen Effekten der Kundenzufriedenheit.109 Makroökonomische Ansätze analysieren die Auswirkungen der Kundenzufriedenheit auf Branchen oder Volkswirtschaften auf aggregierter Ebene.110 Als Vorstufe der mikroökonomischen Folgen von Kundenzufriedenheit interessieren aus betriebswirtschaftlicher Sicht insbesondere die individuellen Auswirkungen von Kundenzufriedenheit.111 Hierbei lassen sich direkte sowie indirekte Folgen unterscheiden, die dem Einfluss interner und externer Faktoren unterliegen.112 Als bedeutsamste direkte Konsequenzen von Kundenzufriedenheit gelten die Kundenloyalität sowie die Kundenbindung.113 Schon zu Beginn der Zufriedenheitsforschung vermutet Cardozo in seiner Studie den positiven Einfluss hoher Zufriedenheit der Kunden auf deren Wiederkauf-, Zusatzkaufsowie Weiterempfehlungsverhalten.114 Aufgrund einer Vielzahl empirischer Belege herrscht mittlerweile Konsens in der Marketingforschung, dass sich

108 109 110 111 112 113

114

Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 105. Vgl. Anderson/Sullivan (1993), S. 125 ff. Vgl. Meyer/Dornach (1998), S. 188. Vgl. Kraft (1999), S. 519. Vgl. Stock (2001), S. 28. In vielen Veröffentlichungen erfolgt eine synonyme Verwendung der Begriffe Kundenbindung und Kundenloyalität. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die beiden Konstrukte jedoch gemäß Homburg/Bruhn als unterschiedlich voneinander aufgefasst. Kundenloyalität beschreibt hierbei die nachfragerbezogene Perspektive der Bindung und wird als Vorstufe der Kundenbindung verstanden. Vgl. Homburg/Bruhn (2005), S. 8. Für eine Abgrenzung von Kundenbindung und Kundenloyalität vgl. Matzler/ Stahl (2000), S. 630 ff. Vgl. Cardozo (1965), S. 244.

19 Kundenzufriedenheit positiv auf das Konstrukt der Kundenloyalität auswirkt.115 So sind loyale Kunden nicht zwingend zufriedene Kunden, jedoch zeichnen sich zufriedene Kunden tendenziell durch eine höhere Loyalität aus.116 In diesem Kontext bezeichnen Agustin/Singh Kundenzufriedenheit auch als Hygienefaktor der Kundenloyalität.117 Ähnlich argumentiert Neal, der Kundenzufriedenheit als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung von Loyalität versteht.118 Homburg/Giering/Hentschel argumentieren, dass Kundenzufriedenheit zwar kein Garant für Kundenloyalität sei, jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für deren Entstehung darstelle.119 Die Loyalität eines Kunden manifestiert sich in einem grundsätzlichen Vertrauensverhältnis und einer allgemein positiven Einstellung gegenüber einem Anbieter sowie der Akzeptanz seiner Leistungsfähigkeit. 120 Loyale Kunden zeichnen sich demnach durch eine verringerte Wechselbereitschaft sowie eine erhöhte Wiederkaufabsicht des gleichen Produktes aus. Diese Aussagen verdeutlichen die Rolle der Kundenzufriedenheit als Prädiktorvariable des zukünftigen Verhaltens von Konsumenten.121 Sofern aus dieser Verhaltensabsicht reales Kaufverhalten resultiert, vollzieht sich der Übergang der Kundenloyalität zur Kundenbindung. Dieses Konstrukt umfasst das faktische und zukünftige Wiederkauf-, Zusatzkauf- (cross-buying) sowie Weiterempfehlungsverhalten des Kunden gegenüber Dritten.122 Kunden mit hohen Zufriedenheitswerten tendieren in großem Umfang zum Kauf weiterer Produkte desselben Unternehmens, während Kunden mit niedrig ausgeprägter Kundenzufriedenheit eine geringere cross-buying-Tendenz zum aufweisen.123 Des Weiteren zeichnen sich zufriedene Kunden durch ein verstärktes Weiterempfehlungsverhalten aus, welchem ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit

von

anderen

Kunden

zugeschrieben

wird.124

Der Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenbindung wird in

115 116 117 118 119 120 121 122 123 124

Vgl. Stock (2003), S. 28; Homburg/Bucerius (2006), S. 57 ff. Vgl. Fornell (1992), S. 7. Vgl. Agustin/Singh (2005), S. 96. Vgl. Neal (2000), S. 19. Vgl. Homburg/Giering/Hentschel (1999), S. 175. Vgl. Homburg/Bruhn (2005), S. 9. Vgl. Musa/Pallister/Robson (2005), S. 355. Vgl. Homburg/Faßnacht (1998), S. 415. Vgl. Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 66. Vgl. Eggert/Helm (2000), S. 64; Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 70.

20 vielen Studien empirisch nachgewiesen.125 Je zufriedener ein Kunde mit der Leistung eines Anbieters ist, desto stärker ist seine Bindung zu diesem.126 Ein weiterer, bedeutsamer direkter Effekt des Zufriedenheitskonstruktes ist die Wirkung auf die Preisbereitschaft. Hohe Kundenzufriedenheit führt zu einer verringerten Preiselastizität.127 Zufriedene Kunden achten in geringerem Maße auf Preiserhöhungen als unzufriedene Kunden, die zudem bereits bei deutlich kleineren Preisanstiegen ihr Beschaffungsvolumen sowie ihre Wiederkaufabsicht verringern.128 Der negative Effekt der Kundenzufriedenheit auf die Preissensitivität wird mit zunehmender Spezifität sowie Komplexität der Leistung noch verstärkt.129 Koschate zeigt in ihrer Untersuchung jedoch, dass dieser Zusammenhang nicht linearer Art ist, sondern sich durch einen umgekehrt S-förmigen Funktionsverlauf darstellen lässt.130 Während sich für niedrige Zufriedenheitswerte ein konkaver Verlauf ergibt, zeigt sich im Bereich hoher Zufriedenheit ein konvexer Verlauf. Demnach führt eine Ab- bzw. Zunahme der Kundenzufriedenheit in Abhängigkeit des Zufriedenheitsniveaus zu einem überproportionalen Rückgang (niedrige Zufriedenheit) respektive Anstieg (hohe Zufriedenheit) der Preisbereitschaft.131 Im Bereich mittlerer Zufriedenheit ist der Funktionsverlauf relativ flach, Änderungen der Zufriedenheit haben kaum Auswirkungen auf die Preisbereitschaft der Kunden.132 Abgesehen von den aufgezeigten direkten Wirkungen existieren zudem eine Reihe indirekter Effekte, die zu den mikroökonomischen Konsequenzen der Kundenzufriedenheit führen. In der marketingwissenschaftlichen Literatur herrscht inzwischen Einvernehmen darüber, dass sich hohe Kundenzufriedenheit über das mediierende Konstrukt Kundenbindung positiv auf zahlreiche Messgrößen des Unternehmenserfolges auswirkt.133 Beide Konstrukte gelten daher als entscheidende Determinanten des zukünftigen

125 126 127 128 129 130 131 132 133

Vgl. Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 71; Cooil et al. (2007), S. 67 ff. Vgl. Homburg/Giering/Hentschel (1999), S. 189. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55; Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 65. Vgl. Homburg/Koschate (2003), S. 629; Stock (2003), S. 342 f. Vgl. Stock (2003), S. 333. Vgl. Koschate (2002), S. 181. Vgl. Koschate (2002), S. 180 f. Vgl. Koschate (2002), S. 181. Vgl. Kraft (1999), S. 526; Stock (2003), S. 333; Homburg/Bucerius (2006), S. 65 ff.

21 wirtschaftlichen Ergebnisses eines Unternehmens.134 Vargo/Lusch argumentieren sogar, dass Unternehmensprofite letztlich aus Kundenzufriedenheit resultieren und nicht aus der Anzahl verkaufter Produkte.135 Mehrere Studien finden empirische Belege für einen signifikanten positiven Einfluss der Kundenzufriedenheit über die Kundenbindung auf den Unternehmenswert sowie die Kapitalrendite eines Unternehmens.136 Die Folge einer stärkeren Bindung sind eine erhöhte Wiederkaufabsicht, eine zunehmende Habitualisierung des Kaufverhaltens sowie eine verstärkte Inanspruchnahme von zusätzlichen Leistungen des Anbieters.137 Ein gesteigertes Wiederkaufverhalten führt seinerseits zu einer Verringerung der Transaktionskosten eines Unternehmens.138 Hohe Kundenbindung gilt zudem als Indikator für einen stabilen Kundenstamm, der aufgrund einer geringeren Anfälligkeit für Konkurrenzangebote zukünftige Einnahmen kalkulierbarer macht, indem die Volatilität sowie das Risiko antizipierter Zahlungsströme reduziert werden.139 Darüber hinaus beeinflusst eine hohe Kundenbindung die Weiterempfehlungsbereitschaft positiv. Da ermutigende Mund-zu-MundPropaganda von anderen Konsumenten als besonders glaubwürdig eingestuft wird, führt sie zu einer erhöhten Reputation eines Unternehmens.140 Weitere Autoren liefern empirische Belege für den positiven Einfluss hoher Kundenbindung auf die Profitabilität eines Unternehmens, was mit den höheren Kosten der Neukundengewinnung im Vergleich zur Erhaltung eines bestehenden Kundenstammes erklärt werden kann.141 Aufgrund der erwähnten Wirkung von Kundenzufriedenheit auf die Preissensibilität sind zufriedene Kunden zudem nicht nur loyaler, sondern auch profitabler.142 Die infolge einer hohen Kundenbindung verbesserte Interaktion sowie gegenseitige Toleranz zwischen Abnehmer und Anbieter führt zusätzlich zu

134 135 136

137 138 139 140 141 142

Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 101; Musa/Pallister/Robson (2005), S. 349. Vgl. Vargo/Lusch (2004), S. 12. Vgl. Anderson/Fornell/Rust (1997), S. 129; Anderson/Fornell/Mazvancheryl (2004), S. 173; Matzler et al. (2005), S. 678 f. Vgl. Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 72; Stock (2003), S. 334. Vgl. Anderson/Fornell/Mazvancheryl (2004), S. 173. Vgl. Anderson/Fornell/Mazvancheryl (2004), S. 173; Gruca/Rego (2005), S. 127. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55; Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 73. Vgl. Oliva/Oliver/MacMillan (1992), S.84; Hallowell (1996), S. 28. Vgl. Homburg/Koschate (2003), S. 630.

22 einer Reduktion des Bonitäts-, Transport-, Währungs- sowie Innovationsrisikos.143 Neben den genannten positiven Wirkungen zeigt Fornell in seiner Studie allerdings, dass Kundenzufriedenheit auch einen negativen Einfluss auf die Marktanteile eines Unternehmens haben kann.144 Dies ist dann der Fall, wenn die Marktnachfrage sehr heterogen, das Angebot hingegen sehr homogen und standardisiert ist.145 Matzler et al. beschreiben zudem die Existenz eines optimalen Niveaus an Kundenzufriedenheit, dessen Überschreitung zu einer Wertvernichtung im Unternehmen führen kann.146 Der Grund hierfür liegt im abnehmenden Grenznutzen der Kundenzufriedenheit bei gleichzeitig ansteigenden Grenzkosten für deren Aufrechterhaltung bzw. Steigerung. 147 Matzler/Stahl postulieren in diesem Kontext die Annahme eines nichtlinearen, sattelförmigen Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Aus diesen Gründen kommt der Unternehmenswertsteigerung.148 Fragestellung nach dem optimalen Niveau der Kundenzufriedenheit als Zielgröße und einem damit verbundenen adäquatem Mitteleinsatz eine besondere Bedeutung zu. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die aufgezeigte Wirkungskette der Kundenzufriedenheit. Die dargestellten Ausführungen zeigen, welche Bedeutung dem Zufriedenheitskonstrukt durch seine direkten und indirekten Konsequenzen auf das Verhalten der Kunden sowie die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens zukommt. Es scheint daher gerechtfertigt, Kundenzufriedenheit als Schlüsselvariable für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens zu betrachten und das Zufriedenheitskonstrukt als relevante Erfolgsgröße in das betriebliche Zielsystem zu integrieren. Hierbei gilt jedoch, dass aus Unternehmenssicht nicht das maximal erreichbare, sondern vielmehr das hinsichtlich Grenznutzen und Grenzkosten optimale Zufriedenheitsniveau angestrebt werden soll.

143 144 145 146 147 148

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 72 f. Fornell (1992), S. 8. Fornell (1992), S. 8. Matzler et al. (2005), S. 671. Matzler/Stahl (2000), S. 636 f. Matzler/Stahl (2000), S. 636.

23

Abb. 2: Wirkungskette der Kundenzufriedenheit Quelle:

In Anlehnung an Homburg/Bruhn (2005), S. 10.

2.4 Theoretische Fundierung der Kundenzufriedenheit 2.4.1 Confirmation/Disconfirmation-Paradigma als integrativer Modellierungsrahmen der Kundenzufriedenheit Ungeachtet der Vielzahl an Veröffentlichungen zur Kundenzufriedenheit existiert nach wie vor keine eigenständige und allgemein anerkannte Theorie der Zufriedenheit.149 Vielmehr kann eine Fülle konkurrierender Ansätze zur theoretischen Modellierung des Zufriedenheitskonstruktes konstatiert werden.150 Das dominierende Konzept ist seit Beginn der Forschungsbemühungen zum Zufriedeheitskontrukt das Confirmation/DisconfirmationParadigma (Bestätigungs-/Nichtbestätigungsmodell).151 Dieses dient als integrativer Rahmen, in den speziellere Theorien zur Erklärung der Kundenzufriedenheit eingegliedert werden können.152 Das Basismodell des C/D-Paradigmas basiert auf der Adaptions-LevelTheorie von Helson.153 Gemäß dieser Theorie erfolgt die Wahrnehmung eines Stimulus in Relation zu einer Referenzgröße bzw. eines adaptierten

149 150 151

152 153

Vgl. Holtz (1998), S. 38 f. Vgl. Stauss (1999), S. 6. Vgl. Erevelles/Leavitt (1992), S. 104; Rudolph (1998), S. 26; Stauss (1999), S. 6; Bauer (2000), S. 23 f.; McQuitty/Finn/Wiley (2000), S. 3; Bidmon (2004), S. 43. Vgl. Homburg/Krohmer/Cannon/Kiedaisch (2002), S. 3. Vgl. Helson (1948), S. 297 ff.; Helson (1964), S. 36 ff.; Helson (1971), S. 5 ff.

24 Standards, dem so genannten Adaptionsniveau.154 Dieses Referenzniveau resultiert aus einer Vielzahl in der Vergangenheit wahrgenommener Reize und kann als der gewichtete geometrische Mittelwert dieser Reize verstanden werden. Das individuell unterschiedliche Adaptionsniveau verändert sich über den Zeitverlauf und fungiert als zentraler Ankerreiz.155 Ein kognitiver Vergleichsprozess zwischen dem Adaptionsniveau und einem aktuellen Stimulus determiniert die anschließende Beurteilung des aktuellen Stimulus. 156 Aus den Ergebnissen dieses Bewertungsprozesses resultiert ein korrigiertes Adaptionsniveau.157 Eine Übertragung der Kernaussagen der Adaptions-Level-Theorie auf das C/D-Paradigma führt dazu, Kundenzufriedenheit als das Resultat eines kognitiven Vergleichsprozesses zwischen einem vor Leistungsinanspruchnahme gebildeten Vergleichsstandard (Soll-Leistung) und der tatsächlichen Erfahrung bei Inanspruchnahme einer Leistung (Ist-Leistung) zu betrachten.158 Eine Übereinstimmung der wahrgenommenen Leistung mit dem Vergleichsstandard führt zu Konfirmation. Das bei exakter Übereinstimmung resultierende Zufriedenheitsniveau wird als Konfirmationsniveau der Zufriedenheit bezeichnet.159 Unterscheiden sich die wahrgenommene Leistung und der Vergleichsstandard hingegen, führt dies zu Diskonfirmation. Sofern die Ist-Leistung dabei höher ausfällt als erwartet (positive Diskonfirmation), resultiert daraus ein über dem Konfirmationsniveau liegendes Zufriedenheitsniveau.160 Im Unterschied dazu führt eine negative Diskonfirmation zu Unzufriedenheit, die Ist-Leistung liegt also unterhalb der Soll-Leistung. 161 Abbildung 3 veranschaulicht die Komponenten des C/D-Paradigmas. Die Soll-Komponente stellt als Erwartungsniveau des Kunden eine überaus komplexe Größe im Rahme des C/D-Paradigmas dar.162 Insbesondere die Art sowie die Anzahl der Vergleichsstandards werden in der Zufriedenheitsliteratur

154 155 156 157 158 159 160 161 162

Vgl. Helson (1964), S. 36 ff. Vgl. Stahlberg (1987), S. 112; Kaiser (2002), S. 50. Vgl. Oliver (1980), S. 466. Vgl. Helson (1948), S. 308; Oliver (1980), S. 466. Vgl. Bauer (2000), S. 19; Bidmon (2004), S. 45. Vgl. Woodruff/Cadotte/Jenkins (1983), S. 300; Homburg/Becker/Hentschel (2005), S. 96. Vgl. Kraft (1999), S. 517; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 20. Vgl. Churchill/Surprenant (1982), S. 492; Stauss (1999), S. 6. Vgl. Magerhans (2000), S. 7.

25 kontrovers diskutiert, wobei Erwartungen, Erfahrungsnormen sowie Ideale die am häufigsten genannten Vergleichsstandards sind.163

Abb. 3: Modellkomponenten und Theorien des C/D-Paradigmas Quelle:

In Anlehung an Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 21.

Erwartungen beziehen sich auf ein antizipiertes Leistungsniveau bestimmter Produktattribute.164 Diese erfahrungsgemäße Leistung kann als Durchschnittswert aller bisherigen Erfahrungen des Kunden mit einem Produkt betrachtet werden. Das vom Kunden mit der jeweils größten Wahrscheinlichkeit antizipierte Leistungsergebnis wird dann im Vorfeld einer konkreten Leistungserfahrung als Soll-Komponente verwendet.165 Die Verwendung von Erfahrungen als Vergleichsstandard setzt jedoch voraus, dass der Kunde bereits vor dem Kauf über einen hohen Informationsstand verfügt und sich eine Meinung gebildet hat, was insbesondere bei einem Erstkauf schwierig erscheint. Ferner kann das Modell nicht das Zustandekommen von Unzufriedenheit mit Produktattributen erklären, über die sich der Kunde im Vorfeld nicht bewusst war.166 Aus diesen Gründen wird in der Literatur

163

164 165 166

Vgl. Stauss (1999), S. 6; Bauer/Stokburger/Hammerschmid (2006), S. 123; Homburg/ Stock-Homburg (2006), S. 20. Vgl. Churchill/Surprenant (1982), S. 492; Rudolph (1998), S. 18. Vgl. Bauer (2000), S. 25. Vgl. Bidmon (2004), S. 48.

26 ebenfalls

die

Verwendung

von

Erfahrungsnormen

als

Soll-Größe

vorgeschlagen.167 Erfahrungsnormen basieren sowohl auf Erfahrungen mit dem gleichen Produkt als auch auf Erlebnissen mit ähnlichen Produkten oder anderen Erzeugnissen der gleichen Kategorie.168 Den Vergleichsstandard der Produktleistung bildet hier somit nicht das vom Kunden antizipierte, sondern das von ihm erwünschte Leistungsniveau.169 In diesen Vergleichsstandard fließen die gesamten Erfahrungen des Kunden ein. Erfahrungsnormen werden also neben der zur Bedürfnisbefriedigung erwünschten Leistung zusätzlich beeinflusst durch die Kenntnisse des Kunden darüber, was auf Basis der Erfahrungen mit bisher erbrachten Leistungen möglich ist.170 Somit können Erfahrungsnormen auch die Existenz eines Vergleichsstandards beim Erstkauf eines Produktes bzw. einer Dienstleistung erklären. Im Unterschied dazu bildet bei der Verwendung von Idealen das aus Kundensicht optimale Leistungsniveau den Vergleichsstandard.171 Analog zu den Erwartungen basieren auch Ideale auf vergangenen Erfahrungen, die um einen affektiven Aspekt ergänzt werden, der das beschreibt, was der Kunde als ideales bzw. optimal mögliches Leistungsniveau erachtet und für realisierbar hält.172 Da es jedoch kaum möglich erscheint, den idealen Anspruch eines Kunden zu übertreffen und es folglich nicht zu hoher Zufriedenheit kommen kann, erscheint auch die alleinige Verwendung von Idealen als Soll-Komponente problematisch.173 Bislang gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse darüber, welchen Vergleichsmaßstab ein Kunde in spezifischen Situationen verwendet.174 Nicht zuletzt aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit der dargestellten Konzepte wird mittlerweile vermutet, dass Konsumenten mehrere Vergleichsstandards

167

168 169 170 171 172 173 174

Vereinzelt werden neben Erfahrungsnormen auch soziale Normen als Vergleichsstandard genannt, die allerdings kaum anwendbar sind, da die Mehrzahl von Produkten oder Dienstleistungen keinen sozialen Normen unterliegen. Vgl. Rudolph (1998), S. 18 f. Vgl. Woodruff/Cadotte/Jenkins (1983), S. 296. Vgl. Bidmon (2004), S. 49. Vgl. Bidmon (2004), S. 49 f. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 21. Vgl. Kaiser (2002), S. 52. Vgl. Rudolph (1998), S. 19. Vgl. Koschate (2002), S. 14.

27 simultan oder sequentiell heranziehen, um ein Zufriedenheitsurteil zu bilden.175 So finden Tse/Wilton in ihrer Studie empirische Belege für den Einfluss von drei unterschiedlichen Vergleichsstandards bei der Urteilsbildung von Kunden.176 Daher erscheint die Annahme plausibel, dass Kunden sowohl die Höhe des Vergleichsniveaus als auch den Typ des Vergleichsstandards in Anhängigkeit der jeweiligen Kauf- bzw. Konsumsituationen verändern.177 Weniger kontrovers wird die Ist-Komponente des C/D-Paradigmas diskutiert. Sie wird als die tatsächliche Leistung eines Produktes oder einer Dienstleistung aufgefasst, wobei zwischen objektiver und subjektiver Leistung unterschieden wird.178 Erstere bezeichnet die tatsächliche, messbare Höhe einer Leistung, die für alle Kunden gleich ist. Im Unterschied dazu wird unter der subjektiven Leistung die vom Kunden wahrgenommene und interindividuell unterschiedliche Leistung verstanden.179 Aus der unterschiedlichen Wahrnehmung und Verarbeitung objektiv gleicher Reize resultieren aufgrund von Verzerrungseffekten somit für ein und dasselbe Produkt stets mehrere subjektiv wahrgenommene Leistungsniveaus.180 Ferner wird mittlerweile davon ausgegangen, dass das wahrgenommene Leistungsniveau und der gewählte Vergleichsstandard nicht gänzlich voneinander unabhängige, sondern sich vielmehr gegenseitig beeinflussende Konstrukte sind.181 Für die Konzeptionalisierung der Ist-Komponente wird in der Literatur aufgrund der besseren Berücksichtigung individueller Differenzen die subjektive Leistung als Basiskomponente des C/D-Paradigmas verwendet. Der Soll-Ist-Vergleich gilt als die zentrale intervenierende Variable zwischen dem Soll-Standard und der Ist-Komponente einerseits und dem Zufriedenheitsurteil andererseits.182 Im Rahmen des Vergleichsprozesses kann es zu einer Bestätigung (Konfirmation) oder Nichtbestätigung

175 176 177 178 179 180

181 182

Vgl. Erevelles/Leavitt (1992), S. 107 f.; Stauss (1999), S. 7. Vgl. Tse/Wilton (1988), S. 206 ff. Vgl. Rudolph (1998), S. 20. Vgl. Stauss (1999), S. 7; Homburg/Stock-Homurg (2006), S. 21 f. Vgl. Tse/Wilton (1988), S. 204 f.; Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S. 123. Vgl. Rudolph (1998), S. 20 f. Zu solchen Wahrnehmungsverzerrungen, die aus der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität eines Individuums resultieren, zählen bspw. Halo-Effekte, Irradiationen, Stereotypen sowie Primacy- und Recency-Effekte. Vgl. Holtz (1997), S. 61. Vgl. Stauss (1999), S. 7. Vgl. Churchill/Surprenant (1982), S. 492.

28 (Diskonfirmation) der Erwartungen des Kunden kommen, woraus schließlich ein spezifisches Zufriedenheitsniveau resultiert. Als Ergebnis dieses auf den ersten Blick rein kognitiv anmutenden Prozesses kann je nach kognitivem Aufwand zudem zwischen manifester und latenter Zufriedenheit unterschieden werden.183 Manifeste Zufriedenheit resultiert aus einem expliziten Vergleich zwischen Erwartung und Wahrnehmung, dessen Ergebnis sich die Kunden folglich auch bewusst sind. Erfolgt dieser Vergleich hingegen nicht explizit und bewusst, entsteht daraus die sog. latente Zufriedenheit. 184 Neben der Wirkung des (Dis-)Konfirmationsniveaus im Rahmen des Soll-IstVergleiches finden sich in der Literatur zudem empirische Belege für einen direkten Einfluss des wahrgenommen Leistungsniveaus auf das Zufriedenheitsurteil eines Kunden.185 Die dargestellte Grundstruktur des C/D-Paradigmas erfährt breite Akzeptanz im Rahmen der Erforschung der Kundenzufriedenheit. Hinsichtlich der Wirkungsweisen der zentralen Modellelemente wird es jedoch häufig um speziellere Ansätze und Theorien erweitert, die in das C/D-Paradigma integriert werden. So beeinflussen sich Ist- und Soll-Komponente im Rahmen des Beurteilungsprozesses wechselseitig.186 Einen Erklärungsbeitrag für diese Rückkopplungseffekte, die in einer nachträglichen Anpassung von Soll- oder Ist-Größe resultieren können, liefert die Assimilations-Kontrast-Theorie. Ebenfalls von Interesse ist die Frage, nach welcher Psychologik ein Kunde im Rahmen des Soll-Ist-Vergleiches die Bewertung von Einzelmerkmalen eines Produktes zu einem Gesamturteil aggregiert. Hierbei stehen neben der zu Grunde liegenden prinzipiellen Entscheidungsregel insbesondere die asymmetrischen Wirkungen von negativen und positiven Merkmalsbeurteilungen auf die Globalzufriedenheit im Forschungsfokus. Zur Beantwortung dieser Fragestellung eignen sich die grundlegenden Annahmen der Prospect-Theorie sowie der Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit.187

183 184 185 186 187

Vgl. Bloemer/Kasper (1995), S. 312 f.; Bloemer/de Ruyter (1998), S. 499 f. Vgl. Stauss (1999), S. 7. Vgl. Tse/Wilton (1988), S. 204; Doorn (2004), S. 39. Vgl. Bauer (2000), S. 29. Vgl. Mittal/Ross/Baldasare (1998), S. 33 f.; Stauss (1999), S. 7. sowie die Abschnitte 2.4.4 und 2.4.5.

29 Das C/D-Paradigma betrachtet Kundenzufriedenheit als Resultat des Soll-IstVergleiches. Konfirmation bzw. Diskonfirmation als Ergebnis des Beurteilungsprozesses stellen jedoch lediglich eine Vorstufe der Zufriedenheit dar, denn auch im Falle identischer Erwartungserfüllung können unterschiedliche Niveaus der Zufriedenheit konstatiert werden.188 Diese Variationen können auf Basis der Erkenntnisse der Attributionstheorie erklärt werden. In den folgenden Abschnitten werden diese speziellen Ansätze der Kundenzufriedenheitsforschung näher erläutert. 2.4.2 Assimilations-Kontrast-Theorie Die Assimilations-Kontrast-Theorie stellt eine Synthese der AssimilationsTheorie und der Kontrast-Theorie dar. Für ein besseres Verständnis werden die beiden Ansätze daher zunächst einzeln erläutert. Die AssimilationsTheorie basiert im Wesentlichen auf der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger.189 Grundverständnis dieses zur Gruppe der Konsistenztheorien zählenden Ansatzes ist das Streben von Individuen nach einem harmonischen kognitiven Gleichgewicht.190 Dieses resultiert aus der Beziehung der zentralen Elemente des kognitiven Systems, zu denen Informationen, Einstellungen, Glaubens-

und

Verhaltensweisen

einer

Person

zählen.191

Kognitive Dissonanzen, also eine Störung dieses Gleichgewichts, resultieren aus Unvereinbarkeiten der kognitiven Elemente und werden als unangenehmer psychologischer Zustand wahrgenommen.192 Zum Zwecke der Wiederherstellung des kognitiven Gleichgewichtes streben Individuen nach einer Minimierung der kognitiven Disharmonien, wobei die Motivation zur Reduktion der Dissonanzen von deren Stärke determiniert wird.193 Je stärker die kognitive Dissonanz, desto höher ist der Druck zur Dissonanzreduktion. Die Verringerung der Dissonanz kann gemäß Festinger durch eine Änderung kognitiver Elemente der Umwelt, eine Änderung kognitiver Verhaltensweisen oder durch Hinzufügen neuer kognitiver Elemente erfolgen.194

188 189 190 191 192 193 194

Vgl. Bidmon (2004), S. 60; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 27. Vgl. Festinger (1957), S. 3 ff. Vgl. Mayer/Illmann (2000), S. 201; Keller (2002), S. 95. Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 276; Wiswede (2000), S. 81. Vgl. Mayer/Illmann (2000), S. 201; Wiswede (2000), S. 81. Vgl. Festinger (1957), S. 3 und S. 18. Vgl. Festinger (1957), S. 18 ff.

30 Cardozo und Anderson greifen diese Grundannahmen auf und übertragen sie unter dem Namen Assimilationstheorie auf die Kundenzufriedenheitsforschung.195 Im Kontext des C/D-Paradigmas zeigen sie, dass Kunden sich im Falle bestätigter Erwartungen in einem kognitiven Gleichgewicht befinden. Ist jedoch das Ergebnis des Soll-Ist-Vergleiches eine positive oder negative Diskonfirmation, so wird ein Mechanismus zur Reduktion der kognitiven Dissonanz aktiviert.196 Dieser Assimilationseffekt führt zu einer Verringerung der Diskrepanz zwischen den Erwartungen und der wahrgenommenen Leistung, was sowohl durch eine nachträgliche Anpassung der Erwartungen als auch durch eine Anpassung der Wahrnehmung der Ist-Leistung erfolgen kann.197 Zur Erreichung einer konsensualen Zufriedenheit negieren Konsumenten also Abweichungen der Wahrnehmungs- von der Erwartungskomponente und assimilieren diese durch Aufwertung bzw. Abwertung. Als Folge des Assimilationseffektes findet eine Anpassung der Zufriedenheit an das Konfirmationsniveau statt.198 Eine Reihe von Studien liefert empirische Belege für die Existenz des Assimilationseffektes.199 Als kritisch betrachtet Anderson jedoch, dass Individuen gemäß diesem Ansatz nicht aus Fehlkäufen lernen, sondern sich als Folge der Bemühungen zur Dissonanzreduktion die Wahrscheinlichkeit weiterer Fehlkäufe erhöht.200 Gemäß Kaiser sind solche Assimilationseffekte daher nur dann zu beobachten, wenn die Erwartungsdiskonfirmation ein gewisses Ausmaß nicht überschreitet.201 Trotz dieser Einschränkung finden sich Studienergebnisse, bei denen Konsumenten ihre Wahrnehmung konträr zu den Vorhersagen der Assimilations-Theorie nicht an ihre Erwartungen anpassen, sondern die Diskrepanz zwischen beiden Größen vielmehr verstärken.202 Dieses Verhalten kann mit den Aussagen der Kontrast-Theorie erklärt werden.

195 196 197 198 199

200 201 202

Vgl. Cardozo (1965), S. 244 ff.; Anderson (1973), S. 38 ff. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 25. Vgl. Anderson (1973), S. 39; Stock (2001), S. 56. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 25. Vgl. Cardozo (1965), S. 244 ff.; Olshavsky/Miller (1972), S. 19 ff.; Anderson (1973), S. 72 ff. sowie die Studienübersicht bei Yi (1990), S. 83. Vgl. Anderson (1973), S. 39. Vgl. Kaiser (2002), S. 60. Vgl. Anderson (1973), S. 39; Yi (1990), S. 80.

31 Auch die Kontrast-Theorie basiert auf der Annahme, dass Individuen im Falle einer Erwartungsdiskonfirmation zur Verringerung der entstehenden kognitiven Dissonanzen eine nachträgliche Anpassung von Erwartungen und wahrgenommener Leistung vornehmen.203 Diese Anpassung erfolgt im Unterschied zur Assimilations-Theorie jedoch in konträrer Form, die wahrgenommene Leistung stellt eine inverse Funktion der Erwartungshaltung dar.204 Jede Form der Diskonfirmation führt folglich zu einer Vergrößerung der Disparität zwischen beiden Komponenten. Diese in der Wahrnehmungsforschung als Kontrasteffekt bezeichnete Reaktion beschreibt das Phänomen, dass Individuen bei einer synchronen oder sequentiellen Darbietung von Stimuli den Abstand dieser Stimuli auf einer Beurteilungsdimension als größer wahrnehmen, als dieser tatsächlich ist.205 Eine positive Diskonfirmation führt seitens des Kunden zu einer extrem positiven Bewertung der Ist-Leistung. Als Folge steigt die bereits über dem Konfirmationsniveau liegende Zufriedenheit weiter an.206 Tritt hingegen eine negative Erwartungsdiskonfirmation auf, nimmt der Kunde die Leistung als extrem schlecht wahr und seine Unzufriedenheit wird verstärkt.207 Obgleich einzelne Studien empirische Belege für das Auftreten von Kontrasteffekten liefern, scheinen letztere jedoch starken Einflüssen spezifischer situativer Bedingungen zu unterliegen, wie bspw. einem hohen Involvement oder einer hohen kognitiven Auseinandersetzung des Kunden mit dem entsprechenden Produkt.208 Die auf den ersten Blick gegensätzlichen Aussagen von Kontrast-Theorie und Assimilations-Theorie werden in Form der Assimilations-Kontrast-Theorie vereint. Ihr zufolge bedingt die Höhe der Diskrepanz zwischen Erwartungen und wahrgenommener Leistung, ob ein die Abweichung reduzierender (Assimilationseffekt) oder verstärkender (Kontrasteffekt) Prozess ausgelöst wird.209 Die Assimilations-Kontrast-Theorie basiert auf der Annahme, dass

203 204 205 206 207 208 209

Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 25. Vgl. Kaiser (2002), S. 60. Vgl. Stahlberg (1987), S. 111. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 25 f. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 26. Vgl. Kaiser (2002), S. 61 sowie die dort angegebene Literatur. Vgl. Hovland/Harvey/Sherif (1957), S. 245 ff. sowie Sherif/Hovland (1961).

32 Konsumenten

über

eine

individuelle

Akzeptanz-,

Ablehnungs-

sowie

Indifferenzzone verfügen.210 In die Indifferenzzone fallen solche Abweichungen vom Erwartungsniveau, die aufgrund der limitierten Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungskapazitäten der Konsumenten bis zu einem gewissen Ausmaß nicht bewusst wahrgenommen oder als neutral empfunden werden. Es handelt sich folglich um Leistungsniveaus, die zu geringfügiger negativer oder positiver Diskonfirmation führen, auf die der Konsument jedoch gar nicht oder nur träge reagiert, da er sich ansonsten in einem permanenten Zustand von Zufriedenheit oder Frustration befinden würde.211 Fällt die Differenz zwischen Erwartungen und wahrgenommener

Leistung hingegen noch in den

Akzeptanzbereich, kommt es zum Assimilationseffekt. Der Kunde passt also seine Erwartungen oder die Wahrnehmung der Realität nachträglich an. Wenn die Diskonfirmation von so starkem Ausmaß ist, dass sie in den Ablehnungsbereich einer Person fällt, führt der Kontrasteffekt zu einer Vergrößerung der Diskrepanz.212 Abbildung 4 veranschaulicht zusammenfassend die den jeweiligen Theorien zu Grunde liegenden Wahrnehmungsprozesse. Übertragen auf die Kundenzufriedenheitsforschung bedeuten die Annahmen der Assimilations-Kontrast-Theorie, dass im Rahmen des C/D-Paradigmas je nach Größe der Diskrepanz zwischen Erwartung und wahrgenommener Leistung unterschiedliche Effekte das resultierende Zufriedenheitsniveau bedingen. Bei geringen Abweichungen der tatsächlichen Produktleistung von den Erwartungen passt der Kunde eine der beiden Komponenten an.213 Eine geringe negative Erwartungsdiskonfirmation führt bspw. zu einer positiveren Wahrnehmung der Produktleistung. Als Folge des Assimilationseffektes gleicht sich die Zufriedenheit an das Konfirmationsniveau an.214 Eine Soll-IstDifferenz, die in den Indifferenzbereich eines Kunden fällt, führt zu keinen Anpassungstendenzen; die Zufriedenheit verbleibt auf demselben Niveau. Wenn die Diskrepanz als Folge einer hohen Abweichung von Erwartungen und tatsächlicher Produktleistung im Ablehnungsbereich eines Konsumenten

210 211 212 213 214

Vgl. Anderson (1973), S. 41; Gierl/Bartikowski (2002), S. 51. Vgl. Woodruff/Cadotte/Jenkins (1983), S. 300. Vgl. Bidmon (2004), S. 58; Homburg/Stock-Hombug (2006), S. 26. Vgl. Kaiser (2002), S. 62. Vgl. Bidmon (2004), S. 58.

33 liegt, wirken die Mechanismen des Kontrasteffektes. Diese nachträgliche Extremisierung der Disparität führt zu einer verstärkten Soll-Ist-Differenz und als Folge dieser zu einer erhöhten Zufriedenheit respektive Unzufriedenheit.215

Abb. 4: Erklärungsansätze des Wahrnehmungsprozesses Quelle:

In Anlehnung an Anderson (1973), S. 39.

Die Annahmen des C/D-Paradigmas postulieren implizit, dass ein spezifisches Ausmaß an Erwartungskonfirmation automatisch in einem bestimmten Zufriedenheitsniveau resultiert.216 Kon- bzw. Diskonfirmation stellt als Ergebnis des Soll-Ist-Vergleiches jedoch lediglich eine Vorstufe der Zufriedenheit dar und ist nicht mit dieser gleichzusetzen, denn auch im Falle identischer Erwartungserfüllung können unterschiedliche Niveaus der Zufriedenheit beobachtet werden.217 In den folgenden beiden Abschnitten werden daher solche Theorien der Kundenzufriedenheit erläutert, welche die Beziehung zwischen dem Grad der Kon- bzw. Diskonfirmation und dem Zufriedenheitsniveau erklären können. Diese Ansätze berücksichtigen weitere

215 216 217

Vgl. Bauer (2000), S. 30. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 29. Vgl. Bidmon (2004), S. 60; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 27.

34 Einflussgrößen auf das Zufriedenheitsniveau wie bspw. situative Umstände, psychische Kausalattributionen oder Emotionen.218

2.4.3 Attributionstheorie Die Attributionstheorie basiert auf den grundlegenden Überlegungen von Heider zur naiven Handlungsanalyse.219 Dieser analysiert in seiner initialen Studie die Wahrnehmung von Personen bzgl. der Bewegung von geometrischen Figuren.220 Die Attributionstheorie wird in der Folge von ihm sowie zahlreichen anderen Autoren weiterentwickelt und zählt heute zu den populärsten Theorien der Sozialpsychologie.221 Im Zentrum attributionstheoretischer Überlegungen steht die Frage, wie diejenigen kognitiven Prozesse beschaffen sind, auf Basis derer Individuen die alltägliche Umgebung bewältigen. Unter Attributionen begreift man hierbei Ursachenzuschreibungen, mit deren Hilfe eine Person das eigene Verhalten und das Verhalten anderer Personen sowie die Ergebnisse von Verhalten versteht, vorhersagt und kontrolliert.222 Die Zielsetzung der nach Ursachen suchenden Individuen ist es, die auf beobachtbaren Effekten basierenden dispositionellen Merkmale von Personen, Objekten und Ereignissen zu identifizieren.223 Auf Basis solcher invarianten Merkmale manifestieren sich Objekte, Personen und Ereignisse unter spezifischen Bedingungen auf eine bestimmte Weise. Die Funktion von Attributionen besteht demnach in der Sicherstellung Auseinandersetzung eines Individuums mit seiner Ursachenzuschreibung bzw. -analyse und somit die Attributionen findet jedoch nicht permanent statt, denn

einer effektiven Umwelt.224 Eine Anwendung von jedes Individuum

verfügt in der Regel über einen Fundus impliziter, nicht reflektierter Annahmen

218 219 220 221

222 223 224

Vgl. Bidmon (2004), S. 60. Vgl. Heider (1944), S. 3 ff.; Heider (1958), S. 358 ff. Vgl. Heider (1944), S. 3 ff.; Debler (1984), S. 124. Vgl. Hewstone (1983), S. 2 f. Für eine Weiterentwicklung vgl. bspw. Kelley (1973), S. 107 ff.; Debler (1984), S. 15 ff.; Weiner (1985), S. 548 ff. Vgl. Six (1987), S. 122; Meyer/Försterling (1993), S. 175 f. Vgl. Meyer/Försterling (1993), S. 177. Vgl. Meyer/Försterling (1993), S. 177.

35 hinsichtlich der Kausalstruktur der alltäglichen Umgebung.225 Solche Vermutungen (Schemata) dienen dem unmittelbaren, keine aufwändigen Analysen erfordernden Verständnis von Ereignissen und steuern folgerichtig in unbewusster Weise das Handeln von Personen.226 Diese Schemata werden nicht in Frage gestellt, solange auftretende Ereignisse mit den impliziten Annahmen eines Individuums kongruent sind.227 Im Zuge der Wahrnehmung von wissens- bzw. erwartungsdiskrepanten Ereignissen jedoch kommt den Attributionen eine große Bedeutung zu.228 Im Falle solcher schemadiskrepanten Begebenheiten wechselt das ansonsten implizite Wissen eines Individuums zumindest teilweise auf die Ebene bewusster Repräsentanz, wo es mittels mentaler Prozesse einer Überprüfung und ggf. einer Revision unterzogen wird.229 Als Konsequenz kann es zu einer Veränderung des relevanten Schemas kommen, das in modifizierter Weise künftig wieder in nicht bewusster Art das Handeln bestimmt.230 Attributionen führen somit zu einer Erweiterung, Berichtigung oder Revision bisher impliziter Kausalannahmen.231 Solche Kausalannahmen können zur Kategorisierung anhand nachfolgender Dimensionen voneinander abgegrenzt werden:232  Lokation (internal versus external): Internale Kausalfaktoren liegen innerhalb eines Organismus und werden der eigenen Person zugeschrieben, während externale Kausalfaktoren einer anderen Person oder der Umwelt beigemessen werden.  Stabilität (stabil versus variabel): Stabile Ursachen erscheinen konstant über verschiedene Zeitpunkte, variable Kausalfaktoren hingegen sind nur von temporärer Gültigkeit.  Kontrollierbarkeit (kontrollierbar versus unkontrollierbar): Kontrollierbare Kausalfaktoren unterliegen der bewusst-willentlichen Kontrolle der

225 226 227 228 229 230 231 232

Vgl. Meyer (1988), S. 143; Meyer/Försterling (1993), S. 177. Vgl. Meyer/Försterling (1993), S. 177. Vgl. Meyer/Försterling (1993), S. 177. Vgl. Weiner (1985b), S. 81; Meyer (1988), S. 143. Vgl. Jaspars (1983), S. 28 ff.; Meyer (1988), S. 144. Vgl. Meyer/Försterling (1993), S. 177 f. Vgl. Meyer (1988), S. 144. Vgl. Debler (1984), S. 194 f.

36 handelnden Person, derweil unkontrollierbare Ursachen als nicht beeinflussbar betrachtet werden.  Globalität (global versus spezifisch): Globale Attributionen gelten als konstant über unterschiedliche Situationen hinweg. Im Unterschied dazu bezeichnen spezifische Ursachen kontextabhängige und folglich nichtkonstante Kausalfaktoren.  Intentionalität (intentional versus nicht-intentional): Intentionale Attributionen stellen eine bewusste oder unbewusste Absicht dar und verfügen daher über ein Motiv oder eine Zielvorstellung. Im Gegensatz dazu besitzen nicht-intentionale Attributionen keine Motive, sie repräsentieren dementsprechend keine bewusste oder unbewusste Absicht.  Endogenität: (endogen versus exogen): Eine endogene Attribution bezeichnet die Ursachenzuschreibung eines Ereignisses auf einen intrinsischen Kausalfaktor, während unter exogener Attribution die Ursachenzuschreibung eines Ereignisses auf einen extrinsischen Kausalfaktor verstanden wird. Die verschiedenen Attributionsdimensionen werden generell als dichotom betrachtet.233 In Abhängigkeit der jeweils zugeschriebenen Ursachendimensionen variiert das Verhalten eines Individuums bzw. seine Reaktion auf das Verhalten anderer Personen oder seine Umwelt. Diese grundlegenden Erkenntnisse der Attributionstheorie werden insbesondere von Valle/ Wallendorf, Krishnan/Valle sowie Folkes aufgegriffen und auf die Kundenzufriedenheitsforschung übertragen, wobei jedoch lediglich die drei Dimensionen Lokation, Stabilität sowie Kontrollierbarkeit berücksichtigt werden.234 Während Attributionsprozesse anfänglich primär zur Erklärung von Unzufriedenheit herangezogen werden,235 leistet die Attributionstheorie als Ergänzung des C/D-Paradigmas einen ebenso wertvollen Erklärungsbeitrag bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit.236

233 234 235 236

Vgl. Weiner (1980), S. 275 f. Vgl. Valle/Wallendorf (1977), S. 26 ff.; Krishnan/Valle (1979), S. 445 ff. Vgl. Krishnan/Valle (1979), S. 445 ff. sowie Richins (1983), S. 68 ff. Vgl. Oliver (1997), S. 278 ff.

37 So finden sich empirische Belege für den Einfluss der Lokationsdimension auf das Zufriedenheitsurteil.237 Die Stärke der Beeinflussung des Zufriedenheitsniveaus durch die Erwartungskonfirmation wird folglich weitgehend dadurch determiniert, wen der Konsument für die Erfüllung bzw. NichtErfüllung seiner Erwartungen verantwortlich macht.238 Im Falle einer internalen Ursachenzuschreibung führt eine Erwartungskonfirmation zu einem besonders hohen Niveau der Zufriedenheit.239 Wird hingegen eine externale Quelle, bspw. der Anbieter für die Erfüllung der Erwartungen verantwortlich gemacht, erreicht die Zufriedenheit lediglich ein geringeres Niveau.240 Genau umgekehrt verhält es sich bei Nichterfüllung der Erwartungen eines Kunden. Hier führt eine internale Ursachenzuschreibung zu einer geringeren Unzufriedenheit als eine dem Anbieter beigemessene Nichterfüllung.241 Neben der Lokation ist ferner die Stabilitätsdimension bei der Entstehung von Zufriedenheit respektive Unzufriedenheit von Bedeutung. Die Studien von Folkes sowie Matzler zeigen, dass eine hohe Stabilität in Kombination mit einer Erwartungskonfirmation bzw. Diskonfirmation zu einem hohen Zufriedenheits- respektive Unzufriedenheitsniveau führt, da Kunden das jeweilige Niveau der Ist-Leistung auch für zukünftige Vergleichssituationen unterstellen.242 Werden die Ursachen für eine (Nicht-)Erfüllung der Erwartungen hingegen als instabil, also variabel erachtet, resultiert daraus lediglich eine schwache (Un-)Zufriedenheit.243 Schließlich hat auch die Ursachendimension Kontrollierbarkeit einen Einfluss auf das resultierende (Un-)Zufriedenheitsniveau. Im Falle einer Diskonfirmation der Erwartungen ist das entstehende Unzufriedenheitsniveau hoch, wenn der Kunde die Ursache der Nichterfüllung als vom Anbieter kontrollierbar erachtet.244 Im Unterschied dazu fällt bei einer unterstellten Nicht-Kontrollierbarkeit der Gründe der Diskonfirmation seitens des Anbieters die Unzufriedenheit des Kunden niedriger aus.

237 238 239 240 241 242 243 244

Vgl. Erevelles/Leavitt (1992), S. 109. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 30. Vgl. Richins (1983), S. 73 ff.; Folkes (1984), S. 405. Vgl. Erevelles/Leavitt (1992), S. 110. Vgl. Valle/Wallendorf (1977), S. 28. Vgl. Folkes (1984), S. 405; Matzler (1997), S. 56 f. Vgl. Valle/Wallendorf (1977), S. 29. Vgl. Folkes (1984), S. 406.

38 Die Bedeutung von Attributionen im Rahmen des Entstehungsprozesses von Kundenzufriedenheit ist in der Marketingliteratur unbestritten. Nicht geklärt ist jedoch bis dato die Frage, welche der Ursachendimensionen die Bildung des Zufriedenheitsurteils am stärksten beeinflusst. In diesem Kontext verweist Folke auf die prädiktive Überlegenheit einer simultanen Berücksichtigung aller drei Attributdimensionen: „Using all three dimensions increases precision in mapping out relationships between causes and consumer responses.“245

2.4.4 Prospect-Theory Die von Kahneman und Tversky entwickelte Prospect-Theory ist eine Nutzentheorie und wird den deskriptiven Entscheidungstheorien zugeordnet.246 Diese Ansätze identifizieren und beschreiben Muster, mit deren Hilfe Individuen in komplexen Entscheidungsprozessen eine Entscheidung herbeiführen.247 Ausgangspunkt der Prospect-Theory ist die Expected Utility Theory (EUT), die den Menschen als rational handelndes und nach Nutzenmaximierung strebendes Individuum betrachtet. Diese Grundannahme führt zu einer häufigen Verletzung der Prinzipien der EUT und in diesem Sinne zu einem nicht rationalen Handeln. Als Alternative entwickeln Kahneman/ Tversky daher die Prospect-Theory, die die vielförmigen Abweichungen menschlichen Verhaltens von rationalem Handeln in eine mathematisch beschreibbare Form bringt.248 Die Prospect-Theory besagt, dass Individuen im Falle einer Entscheidungssituation unter Unsicherheit die Ergebnisausprägungen nicht absolut, sondern in Verhältnis zu einem Referenzpunkt betrachten.249 Der aus der jeweiligen Entscheidung resultierende Nutzen wird demzufolge als eine positive (Gewinn) oder negative (Verlust) Abweichung von diesem Referenzpunkt interpretiert. 250 Ferner postuliert die Prospect-Theory eine abnehmende Wertesensitivität der Alternativenbeurteilungen bei gleichzeitiger Verlustaversion des

245 246 247 248 249 250

Folkes (1984), S. 406. Vgl. Kahneman/Tversky (1979), S. 263 ff. Vgl. Schmook/Bendrien/Frey/Wänke (2002), S. 279. Vgl. Schmook/Bendrien/Frey/Wänke (2002), S. 279. Vgl. Kahneman/Tversky (1979), S. 277; Doorn (2004), S. 44. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 31.

39 Entscheidungsträgers.251 Dies impliziert einerseits, dass Verluste in Relation zum Referenzpunkt stärker negativ bewertet werden als Gewinne in gleicher Höhe positiv bewertet werden, weswegen die zugehörige Wertefunktion im Verlustbereich steiler verläuft als im Gewinnbereich.252 Andererseits bedeutet die abnehmende Wertesensitivität, dass mit zunehmender Entfernung vom Bezugspunkt die Sensitivität für Verluste sinkt. Demzufolge verhalten sich Individuen im Verlustbereich eher risikofreudig, während im Gewinnbereich risikoaverses Verhalten dominiert. Daraus resultiert, dass die Wertefunktion im Gewinnbereich einen konkaven und im Verlustbereich einen konvexen Verlauf aufweist.253 Übertragen auf die Kundenzufriedenheitsforschung vermag die ProspectTheory einen Erklärungsbeitrag zur Entstehung von Kundenzufriedenheit zu liefern.254 Hierbei werden der Referenzpunkt als Erwartungsniveau bzw. SollLeistung und der Nutzen als Zufriedenheit interpretiert. Eine Diskonfirmation der Kundenerwartungen als Resultat des Soll-Ist-Vergleiches führt demzufolge zu einer stärkeren Unzufriedenheit als ein in gleichem Maße Übertreffen der Erwartungen Zufriedenheit bewirkt.255 Insbesondere zur Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die Teilzufriedenheiten eines Kunden mit einzelnen Leistungsparametern oder Produktattributen auf dessen Gesamtzufriedenheit haben, werden die Kernaussagen der Prospect-Theory herangezogen. Es wird hierbei unterstellt, dass eine Einheit negativ wahrgenommener Attributqualität einen stärkeren Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit mit einem Produkt oder einer Dienstleistung hat als eine gleich große Skaleneinheit positiv wahrgenommener Attributqualität.256 Basierend auf den Annahmen der Prospect-Theory weist die zugehörige Wertefunktion im negativen Bereich eine stärkere Steigung auf als im positiven Bereich. Dies hat zur Folge, dass negative Attributbewertungen einen

251 252 253 254

255 256

Vgl. Tversky/Kahneman (1991), S. 1039; Matzler/Pramhas (2002), S. 181. Vgl. Einhorn/Hogarth (1981), S. 75; Tversky/Kahneman (1991), S. 1039 f. Vgl. Kahneman/Tversky (1979), S. 279. Allerdings wird bei der Anwendung der Prospect-Theorie im Kontext des C/D-Paradigmas die ursprüngliche a priori-Perspektive durch eine a posteriori-Betrachtung ersetzt. Es wird demzufolge eine Leistungsbewertung nach der Entscheidung (Produktkauf, Produktkonsum) vorgenommen und nicht eine Alternativenbewertung vor einer Entscheidung. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 31. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 31. Vgl. Matzler/Pramhas (2002), S. 182; Matzler (2003), S. 341.

40 stärkeren Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit mit einem Produkt oder einer Dienstleistung haben als eine positive Beurteilung einzelner Leistungsparameter.257 Mehrere Studien können einen solchen asymmetrischen Effekt der Attributqualität auf die Gesamtzufriedenheit mittlerweile empirisch belegen.258 Diese Ergebnisse, gepaart mit der plausiblen Annahme, dass Individuen im Rahmen des Bewertungsprozesses des C/D-Paradigmas nicht alle existierenden Produktattribute bzw. Leistungsparameter berücksichtigen, sondern nur die als relevant oder wichtig erachteten, geben erste Hinweise darauf, dass eine eindimensionale Betrachtung von Kundenzufriedenheit der Komplexität dieses Konstrukts nicht gerecht wird.259 Obschon die Prospect-Theory einen Erklärungsbeitrag zur Existenz asymmetrischer Effekte bei der Bildung des Zufriedenheitsurteils leistet, liegt ihre Schwäche darin, nicht zwischen unterschiedlichen Strukturen der Abhängigkeitsbeziehung zwischen Attributsausprägung und Gesamtzufriedenheit zu differenzieren.260 Es wird folglich nicht zwischen Wirkungen verschiedener Attributkategorien unterschieden, sondern die aufgezeigten Effekte werden gleichermaßen für alle betrachteten Merkmale unterstellt. 261 Aus diesem Grund werden nachfolgend die wichtigsten Konzepte zur Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit erläutert, da diese eine differenzierte Analyse der Effekte verschiedener Produktattribute ermöglichen.

2.4.5 Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit Eine bedeutsame Fragestellung im Kontext der Zufriedenheitsforschung ist die nach der Faktorstruktur von Kundenzufriedenheit. Zu Beginn der Zufriedenheitsforschung wird Kundenzufriedenheit häufig als eindimensionales Konstrukt modelliert.262 Hierbei wird postuliert, dass die Prozesse der Zufriedenheitsbildung nur auf der Ebene der Gesamtzufriedenheit wirken. Im Rahmen dieser holistischen Betrachtung beziehen sich die Soll- und Ist257 258

259 260 261 262

Vgl. Doorn (2004), S. 45. Vgl. Anderson/Sullivan (1993), Oliva/Oliver/Bearden (1995), Mittal/Ross/Baldasare (1998) sowie Abschnitt 2.4.6. Vgl. Stauss (1999), S. 10; Beutin (2006), S. 128 f. Vgl. Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 32. Vgl. Mittal/Ross/Baldasare (1998), S. 34 ff.; Anderson/Mittal (2000), S. 108. Vgl. Yi (1990), S. 71 ff.

41 Komponenten des C/D-Paradigmas auf das gesamte Produkt bzw. die komplette Dienstleistung. Da diese Sichtweise der Komplexität des Zufriedenheitskonstruktes nicht gerecht wird, hat sich mittlerweile eine mehrdimensionale Auffassung von Kundenzufriedenheit durchgesetzt.263 Diesem Verständnis liegt die Annahme zugrunde, dass Kunden mit einzelnen Produktattributen zufrieden, gleichzeitig jedoch mit anderen Leistungsparametern unzufrieden sein können.264 Folgerichtig kann unterstellt werden, dass der Vergleichsprozess des C/D-Paradigmas für die Bewertung einzelner Leistungsattribute verwendet wird und die Gesamtzufriedenheit ein verdichtetes Aggregat der Einzelbewertungen darstellt. Dieses als Aggregationshypothese bezeichnete Phänomen besagt, dass einzelne Teilzufriedenheiten eines Individuums auf Basis von kompensatorischen und nicht-kompensatorischen Multiattributmodellen zu einer umfassenden Gesamtzufriedenheit aggregiert werden.265 Wie im vorigen Abschnitt dargestellt, werden nur für solche Produktattribute Soll-Ist-Vergleiche durchgeführt, die vom Kunden als wichtig erachtet werden. Die Auswahl solch determinierender Produktattribute wird hierbei von der Erfahrung sowie der Wahrnehmungsfähigkeit und -bereitschaft eines Individuums bestimmt.266 Sowohl für die Marketingforschung als auch für die Unternehmenspraxis ist es daher von großem Interesse, solche salienten Leistungsattribute zu identifizieren.267 Der Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, da sie die Determinanten der Kundenzufriedenheit untersucht und einen wichtigen Erklärungsbeitrag zu dieser Fragestellung liefert. Die Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit findet ihren Ausgangspunkt in den Ergebnissen einer Studie zur Arbeitszufriedenheit von Herzberg/ Mausner/Snyderman, auf deren Basis die Autoren die sog. Zwei-FaktorenTheorie der Arbeitszufriedenheit entwickeln.268 Die Autoren befragen im

263 264 265 266 267 268

Vgl. Beutin (2006), S. 129; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 34. Vgl. Yi (1990), S. 73. Vgl. Stauss/Hentschel (1991), S. 240. Vgl. Swan/Combs (1976), S. 26. Vgl. Matzler/Sauerwein (2002), S. 314. Vgl. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959). Alternativ findet sich auch die Bezeichnung Motivator-Hygiene-Theorie respektive Dual-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit.

42 Rahmen ihrer Studie mittels der Critical-Incident-Technique 203 Angestellte nach solchen Arbeitserlebnissen, mit denen diese entweder besonders zufrieden oder besonders unzufrieden sind. Die genannten Ereignisse klassifizieren die Autoren und fassen sie zu 16 Gruppen zusammen, die sich dahingehend differenzieren lassen, dass spezifische Ereignisgruppen primär mit positiven Gefühlen assoziiert werden, während andere Ereignisgruppen vermehrt mit negativen Emotionen behaftet sind (vgl. Abbildung 5).269 Die überwiegend mit angenehmen Gefühlen verbundenen Ereignisse bezeichnen die Verfasser als Motivatoren, die vorwiegend negativ verknüpften Erlebnisse hingegen als Hygienefaktoren.270

Abb. 5: Motivatoren und Hygienefaktoren der Zwei-Faktoren-Theorie Quelle: In Anlehnung an Herzberg/Mausner/Snyderman (1959), S. 101.

Hygienefaktoren stellen Mindestanforderungen dar, deren Nichterfüllung zu Unzufriedenheit führt, während aus einer Erfüllung derselben keine Zufriedenheit resultiert. Zu ihnen zählen bspw. die Personalführung, die Arbeitsbedingungen sowie die Beziehung zu Vorgesetzten. Im Unterschied dazu bedingt eine Nichterfüllung der Motivatoren keine Unzufriedenheit, da

269 270

Vgl. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959), S. 100 f.; Herzberg (1966), S.97 ff. Vgl. Shipley/Kiely (1988), S. 18; Bidmon (2004), S. 64.

43 diese vom Mitarbeiter nicht als selbstverständlich betrachtet werden, derweil ein Vorhandensein einen unmittelbaren Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit ausübt.271 Zu den Motivatoren zählen z.B. der Inhalt, die Anerkennung sowie die Leistung der Arbeit. Die Kernannahme von Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie besagt, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit zwei distinkte Konstrukte darstellen, die über die jeweils konträren Gegenpole Nicht-Zufriedenheit und NichtUnzufriedenheit verfügen und demzufolge mit unterschiedlichen Skalen abzubilden sind.272 Das Zufriedenheitsniveau hängt aufgrund der Unabhängigkeit der beiden Konstrukte nicht vom Niveau der Unzufriedenheit ab. Dies hat zur Folge, dass unabhängig vom Grad der Zufriedenheit, die aus der Erfüllung von Motivator-Faktoren resultiert, eine Nicht-Erfüllung von Hygienefaktoren immer zu Unzufriedenheit führt.273 Diese unipolare Sichtweise kann sich in der marketingwissenschaftlichen Literatur jedoch nicht etablieren, so dass Kundenzufriedenheit weiterhin als bipolares Konstrukt mit den Endpolen „Zufriedenheit“ und „Unzufriedenheit“ interpretiert wird.274 Diesem Konstruktverständnis wird auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit gefolgt. An Herzbergs Studie wird eine Reihe von inhaltlichen sowie methodischen Aspekten kritisiert. So können die Ergebnisse bis dato ausschließlich bei Anwendung der Critical-Incident-Technique reproduziert werden. Bei Studien mit anderen Methoden können die Resultate hingegen nicht bestätigt werden, weshalb der Zwei-Faktoren-Theorie vorgeworfen wird, sie sei ein Artefakt ihrer Methode.275 Ferner gilt die Klassifikation der Arbeitserlebnisse in zwei Gruppen als problematisch, da dies eine Vernachlässigung von Ereignissen nach sich zieht, die nicht den extremen Ausprägungen, sondern vielmehr einem neutralen oder hybriden Bereich zuzurechnen sind.276 Auch die a priori Definition der Arbeitserlebnisse als Motivator- oder Hygiene-Faktoren, die fehlende theoretische Begründung für eine Unterteilung in diese beiden

271 272 273 274 275 276

Vgl. Herzberg (1966), S. 71; Shipley/Kiely (1988), S. 19. Vgl. Herzberg (1965), S. 369; Yi (1990), S. 73; Stauss (1999), S. 10. Vgl. Rudolph (1998), S. 23 f. Vgl. Schwetje (1999), S. 35; Kaiser (2002), S. 46. Vgl. Bidmon (2004), S. 64; Matzler/Fuchs/Schubert (2004), S. 1184. Vgl. Schütze (1992), S. 143; Stauss (1999), S. 10.

44 Gruppen sowie die Nichtberücksichtigung soziodemografischer Unterschiede bei den Probanden werden als Kritikpunkte genannt.277 Schließlich werden Herzberg unpräzise und missverständliche Formulierungen sowie die teilweise unplausible und nicht überschneidungsfreie Kategorienzuordnung der Merkmale vorgehalten.278 Trotz dieser Mängel begründet die Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit intensive Forschungsbemühungen zur Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit. Dies ist nicht zuletzt auf Herzbergs eigene Annahme zurückzuführen, dass seine im Bereich der Arbeitszufriedenheit gewonnen Erkenntnisse allgemeingültig seien und sich daher zur grundsätzlichen Erklärung von Zufriedenheit und Unzufriedenheit herangezogen werden könnten.279 In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Publikationen dargestellt, die sich mit der Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit (zweifaktorielle versus dreifaktorielle Sichtweise) auseinandersetzen. Aufgrund der engen Verknüpfung zu diesem Themenkomplex erfolgen ferner eine Analyse relevanter Literatur, die einen Erklärungsbeitrag zum Zusammenhang von Attribut- und Gesamtzufriedenheit liefert sowie eine Darstellung von solchen Publikationen, die dynamische Aspekte der Zufriedenheit berücksichtigen.

2.4.5.1 Zweifaktorenmodell der Kundenzufriedenheit Die Studie von Czepiel/Rosenberg/Akerle ist eine der ersten Publikationen, die die Ergebnisse von Herzberg/Mausner/Snyderman aufgreift und sich mit der Faktorstruktur von Kundenzufriedenheit beschäftigt.280 Die Verfasser identifizieren vier Aspekte von Produkten, die einen Einfluss auf die Zufriedenheit eines Kunden haben (produktbezogene, prozessbezogene, psychosoziale sowie Nachkauf bezogene Aspekte). Diese Aspekte differenzieren die Autoren in solche Faktoren, deren Erfüllung Voraussetzung für die Vermeidung von Unzufriedenheit ist und die nicht zu Zufriedenheit führen

277 278 279 280

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Matzler (2000), S. 21; Sauerwein (2000), S. 31 f. Holtz (1998), S. 43 sowie die dort angegebene Literatur. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959), S. 115. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959); Czepiel/Rosenberg/Akerle (1975).

45 können (maintainers) sowie solche, deren Erfüllung Zufriedenheit bedingt, deren Abstinenz jedoch nicht zu Unzufriedenheit führt (satisfiers). Als Resultat ihrer Arbeit folgern die Autoren, dass es sich bei Kundenzufriedenheit um ein zweifaktorielles Konstrukt handeln müsse.281 Swan/Combs übernehmen diese Betrachtungsweise und untersuchen in ihrer Studie die unterschiedlichen Einflüsse von physischen und psychologischen Produktattributen auf die Zufriedenheit am Beispiel von Kleidung.282 Die Autoren differenzieren hierbei zwischen expressiven Attributen, die als immaterielle psychologische Leistungen aufgefasst werden (z.B. Haltbarkeit des Kleidungsstücks) sowie instrumentellen Attributen, die die physische Produktleistung beschreiben (z.B. Design der Kleidung). Ferner betrachten Swan/Combs die instrumentellen Leistungen als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung von Kundenzufriedenheit, wodurch eine hierarchische Anordnung der Produktattribute postuliert wird.283 Die mittels Critical-Incident-Technique ermittelten Resultate zeigen, dass Zufriedenheit mit der Erfüllung von expressiven Produktmerkmalen verknüpft ist, während aus der Nichterfüllung von instrumentellen Produktattributen Unzufriedenheit erfolgt.284 Auch die Annahme einer hierarchischen Anordnung der Produktattribute wird durch die Ergebnisse unterstützt.285 Die Autoren weisen ferner darauf hin, dass die Gewichtung einzelner Produktattribute problematisch ist, da die wahrgenommene Wichtigkeit von der wahrgenommenen Produktleistung abhängig ist. Diese ersten empirischen Nachweise für eine zweifaktorielle Struktur der Kundenzufriedenheit versucht Leavitt mit seiner Arbeit zu widerlegen.286 Der Autor lässt Probanden jeweils drei Produkte aus einer per Zufallsprinzip zugeteilten Produktkategorie (Gebrauchsgegenstand, Nahrung, Körperpflege, Kleidung) klassifizieren. Hierbei werden einerseits mittels Subskalen die Zufriedenheit für das jeweilige Produkt anhand mehrerer Kriterien bzgl. der Hauptelemente des Marketing-Mix (Produkt, Preis, Promotion, Distribution)

281 282 283 284 285 286

Vgl. Czepiel/Rosenberg/Akerle (1975), S. 120 ff. Vgl. Swan/Combs (1976). Vgl. Swan/Combs (1976), S. 30 f. Zur Critical-Incident-Technique vgl. Abschnitt 2.5.2.1. Vgl. Swan/Combs (1976), S. 32. Vgl. Leavitt (1977).

46 sowie

andererseits

die

Globalmaße

für

die

Zufriedenheit

sowie

Unzufriedenheit erfasst. In Anlehnung an Herzberg/Mausner/Snyderman unterscheidet Leavitt zwischen intrinsischen Faktoren (Motivatoren) sowie extrinsischen Faktoren.287 Erstere beinhalten die verschiedenen Aspekte der Produktpolitik, derweil extrinsische Faktoren preispolitische, distributive sowie kommunikative Aspekte des Marketing-Mixes subsummieren. Der Autor unterstellt, dass beim Vorliegen einer Zwei-Faktorenstruktur die Einzelzufriedenheiten der Produktpolitik mit der Globalzufriedenheit korrelieren müssten, während Unzufriedenheit eine Korrelation mit den Einzelzufriedenheiten der Faktoren Preis, Distribution und Kommunikation aufweisen sollte. Da die empirischen Ergebnisse diese Annahmen nicht bestätigen leitet Leavitt ab, dass „ [a] two-factor model does not appear to be an appropriate vehicle for the study of consumer satisfaction.“288 Vielmehr bedürfe es einer komplexeren Ausgestaltung bisheriger Modelle, denen ein eindimensionales Konstruktverständnis zu Grunde liege. Seine Schlussfolgerungen werden jedoch aufgrund methodischer sowie konzeptioneller Schwächen seiner Studie häufig kritisiert.289 So wird die Klassifizierung in extrinsische und intrinsische Faktoren als problematisch und theoretisch nicht begründbar angesehen. Ferner klassifiziert Leavitt die Faktoren nach anderen Kriterien als Swan/Combs.290 Maddox versucht in seiner Publikation eine Replikation der Studie von Swan/Combs vorzunehmen, wobei er eine vergleichsweise größere und heterogenere Stichprobe sowie differenziertere Produktkategorien verwendet.291 Im Rahmen einer zweistufigen Auswertung analysiert der Autor 2495 positive und negative Ereignisse auf Basis der Klassifizierung der Produktattribute (instrumentelle und expressive Attribute) gemäß der Studie von Swan/Combs.292 Im ersten Schritt werden nur eindeutig zu klassifizierende kritische Ereignisse den instrumentellen oder expressiven Attributen zugeordnet. Als Ergebnis dieser Auswertungsstufe können alle

287 288 289 290 291 292

Vgl. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959); Leavitt (1977), S. 139. Leavitt (1977), S. 143. Vgl. hierzu ausführlich Sauerwein (2000), S. 102 f. sowie Kaiser (2002), S. 173 f. Vgl. Swan/Combs (1976), S. 25 ff.; Sauerwein (2000), S. 102. Vgl. Swan/Combs (1976); Maddox (1981). Vgl. Swan/Combs (1976), S. 25 ff.

47 Hypothesen mit Ausnahme der Produkte aus der Kategorie Körperpflege bestätigt werden. Niedrige Zufriedenheitswerte bei expressiven Produktattributen können zwar die Zufriedenheit verringern, sie bedingen jedoch keine Unzufriedenheit.293 Im zweiten Schritt werden die zweideutigen kritischen Ereignisse je einmal den expressiven und einmal den instrumentellen Attributen zugeordnet. Daraus resultiert eine Bestätigung der Hypothesen für nur wenige Produkte. Maddox folgert daraus, dass die Ergebnisse von Swan/Combs bzgl. einer zweifaktoriellen Struktur der Kundenzufriedenheit zwar partiell bestätigt werden können, jedoch abhängig sind von der Klassifizierung der zweideutigen kritischen Ereignisse.294 Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, ob die Existenz von zweideutigen kritischen Ereignissen nicht als Hinweis auf einen dritten Faktor gesehen werden könnte, der sowohl die Zufriedenheit als auch die Unzufriedenheit bedingt.295 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass auf Basis der Ergebnisse der dargestellten Studien diskrepante Schlüsse zur Faktorstruktur getroffen werden, weshalb manche Autoren die Idee einer mehrfaktoriellen Struktur der Kundenzufriedenheit verwerfen. Darüber hinaus erscheint insbesondere die a priori Zuordnung von Produktattributen zu den einzelnen Zufriedenheitsfaktoren in den Studien von Swan/Combs, Leavitt sowie Maddox problematisch.296 Als Folge dieser vermeintlich widersprüchlichen Ergebnisse kommt es in der Marketingforschung zu einer Vernachlässigung der Analyse der Faktorstruktur, bevor dieser Aspekt in den späten 1980er Jahren im Rahmen der Forschung zur Dienstleistungsqualität wieder verstärkt in den Fokus des Interesses rückt.297 Während die bisher genannten frühen Studien überwiegend die Bestätigung bzw. Ablehnung einer Zweifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit zum Ziel haben, liegt den im Folgenden dargestellten neueren Arbeiten hingegen verstärkt ein dreifaktorielles Konstruktverständnis zu Grunde.

293 294 295 296 297

Vgl. Maddox (1981), S. 101. Vgl. Swan/Combs (1976), S. 25 ff.; Maddox (1981), S. 101. Vgl. Matzler (2000), S. 7. Vgl. Matzler (2000), S.10 ff. Vgl. Stauss (1999), S. 10; Matzler (2000), S. 7.

48 2.4.5.2 Dreifaktorenmodell der Kundenzufriedenheit Brandt gilt als einer der ersten Vertreter einer dreifaktoriellen Struktur des Zufriedenheitskonstruktes.298 Er postuliert in seiner Studie, dass die wahrgenommene Servicequalität einer Dienstleistung von drei unterschiedlichen Attributen determiniert wird.299 Hierbei bezeichnen „minimum requirements“ solche Serviceelemente, die zur Erfüllung der minimalen Kundenanforderungen ausgerichtet sind. Eine Nichterfüllung dieser Attribute führt zu Unzufriedenheit, während ihre Existenz nicht in der Lage ist, Zufriedenheit zu stiften. Im Unterschied dazu subsummieren „valueenhancing elements“ diejenigen Servicebestandteile, die beim Kunden eine höhere Qualitätswahrnehmung und damit eine Zufriedenheitssteigerung verursachen, derweil ein Nichtvorhandensein keine Unzufriedenheit auslöst. Schließlich nennen die Autoren die Gruppe der „hybrids“, denen gleichermaßen ein Einfluss auf die Zufriedenheit wie auch auf die Unzufriedenheit unterstellt wird.300 Die Hypothesen testet Brandt mittels einer multiplen Regressionsanalyse an 400 Kunden eines Logistikdienstleisters. Er erfasst hierbei den durchschnittlichen Anstieg der Gesamtzufriedenheit bei einem wahrgenommen Leistungsniveau, das über den Kundenerwartungen liegt, sowie die durchschnittliche Senkung der Gesamtzufriedenheit bei einem wahrgenommenen Leistungsniveau, das unter den Erwartungen liegt.301 Sofern eine positive Erwartungsdiskonfirmation bei einem Serviceattribut zu einem Anstieg der Gesamtzufriedenheit führt, wird dieses Attribut als „value-enhancing“ bezeichnet, während es sich um ein „minimum requirement“ handelt, wenn aus einer negativen Erwartungsdiskonfirmation eine Senkung der Gesamtzufriedenheit resultiert.302 Die Resultate seiner empirischen Untersuchung führen zur Bestätigung seiner Hypothesen. Cadotte/Turgeon verwenden die Ergebnisse einer Befragung von Restaurant(n= 432) und Hotelmanagern (n= 260) bzgl. der Häufigkeit von Lob- und

298 299 300 301 302

Vgl. Brandt (1988). Vgl. Brandt (1988), S. 35 ff.; Brandt/Reffett (1989), S. 5 ff. Vgl. Brandt (1988), S. 35 f. Vgl. Kaiser (2002), S. 182. Vgl. Matzler (2000), S. 8.

49 Beschwerdeverhalten

für

26

ausgewählte

Serviceattribute,

um

die

Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit empirisch zu überprüfen.303 Basierend auf den Ergebnissen einer Inhaltsanalyse identifizieren die Autoren eindeutige Unterschiede zwischen den primär von Beschwerdeführen genannten Serviceattributen und solchen, die vorwiegend im Zusammenhang mit lobendem Verhalten von Kunden stehen. Daraus schlussfolgern Cadotte und Turgeon die Existenz von unterschiedlichen Arten von Serviceattributen. Als „satisfiers“ bezeichnen die Autoren diejenigen Serviceattribute, die am häufigsten Gegenstand von Lob sind und kaum in Zusammenhang mit Beschwerden genannt werden, während sie die primär bei Beschwerden und kaum bei Lob genannten Serviceelemente als „dissatisfiers“ titulieren. 304 Daneben unterschieden die Autoren noch zwischen „criticals“ und „neutrals“. Während erstere Serviceattribute bezeichnen, die sowohl in Zusammenhang mit Beschwerden als auch mit Lob genannt werden, kennzeichnen „neutrals“ solche Serviceelemente, die weder Gegenstand von Lob noch von Kritik sind.305 Trotz vereinzelter methodischer Kritik gibt diese Studie aufschlussreiche Hinweise zur Faktorstruktur von Kundenzufriedenheit.306 Bitner/Booms/Tetreault analysieren das Verhalten von Servicemitarbeitern und dessen Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit.307 Mittels der Methode der kritischen Ereignisse erheben sie 699 nahezu paritätisch verteilte kritische Erlebnisse von Kunden aus den Branchen Flugverkehr, Hotel und Restaurant, die zu 12 Kategorien verdichtet werden.308 Die Ergebnisse zeigen eine starke Variation der Anzahl positiver und negativer kritischer Ereignisse zwischen den untersuchten Branchen sowie den untersuchten Verhaltenskategorien der Servicemitarbeiter.309 Obgleich die Autoren keine explizite Analyse der Faktorstruktur von Kundenzufriedenheit vornehmen, lassen sich jedoch im Rahmen einer Gegenüberstellung der kritischen Ereignisse drei Faktoren identifizieren.310 So findet sich bei den „satisfiers“ ein höherer Anteil zufrieden stellender Ereignisse als nicht zufrieden stellender Ereignisse, während bei

303 304 305 306 307 308 309 310

Vgl. Cadotte/Turgeon (1988). Vgl. Cadotte/Turgeon (1988), S. 78 f. Vgl. Sauerwein (2000), S. 116 f. Vgl. Matzler (2000), S. 8; Kaiser (2002), S. 192. Vgl. Bitner/Booms/Tetreault (1990). Vgl. Bitner/Booms/Tetreault (1990), S. 74 ff. Vgl. Matzler (1997), S. 135 f. Vgl. Kaiser (2002), S. 198.

50 den „dissatisfiers“ die nicht zufrieden stellenden Ereignisse dominieren. Schließlich weisen „hybrids“ bzw. „criticals“ einen vergleichbaren Anteil zufriedenheitsstiftender sowie nicht zufriedenheitsstiftender Ereignisse auf.311 Auch Silvestro/Johnston überprüfen die Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit am Beispiel der Serviceindustrie.312 Hierbei gehen die Autoren ursprünglich von zwei Determinanten der Servicequalität aus, die sie in Anlehnung an die Nomenklatur bei Herzberg/Mausner/Snyderman als „hygiene factors“ (Hygienefaktoren) und „enhancing factors“ (Motivatoren) bezeichnen.313 Mittels einer schriftlichen Variante der Critical-IncidentTechnique erheben die Autoren Daten von 92 Probanden aus neun unterschiedlichen Servicebereichen, woraus 192 kritische Ereignisse extrahiert werden können. Diese werden in einem weiteren Analyseschritt durch eine Inhaltsanalyse auf 15 Servicefaktoren verdichtet.314 Schließlich werden die prozentualen Anteile der positiven und negativen Ereignisse für die Faktoren ermittelt.315 Als Resultat ordnen die Autoren zehn Faktoren auf Basis der jeweils dominierenden Anzahl von Nennungen eindeutig den HygieneFaktoren respektive den werterhöhenden Faktoren zu. Da die übrigen fünf Faktoren eine gleichmäßige Verteilung von positiven und negativen Ereignissen aufweisen, erweitern die Autoren ihr Konzept zudem um einen dritten Faktor, den sie als „dual-threshold factor“ bezeichnen. Dieser Faktor subsummiert jene Serviceattribute, die von Kunden explizit erwartet werden und die bei Erfüllung eines spezifischen Erwartungsniveaus zu Zufriedenheit führen, bei Untererfüllung dieser Erwartungen jedoch in Unzufriedenheit münden. Dual-threshold-Faktoren entsprechen folglich den „criticals“ in der Studie von Cadotte/Turgeon, respektive den „hybrids“ in den Publikationen von Brandt sowie Bitner/Booms/Tetreault.316 Die Ergebnisse von Silvestro/Johnston unterstützen somit die Annahme einer dreifaktoriellen Struktur des Zufriedenheitskonstruktes.

311 312 313 314 315 316

Vgl. Matzler (2000), S. 9; Sauerwein (2000), S. 119 f. Vgl. Silvestro/Johnston (1990). Vgl. Herzberg/Mausner/Snyderman (1959), Silvestro/Johnston (1990), S. 193 ff. Vgl. Sauerwein (2000), S. 123. Vgl. Matzler (1997), S. 133. Vgl. Brandt (1988); Cadotte/Turgeon (1988); Bitner/Booms/Tetreault (1990).

51 Mersha/Adlakha analysieren den Einfluss unterschiedlicher Serviceattribute hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Servicequalität anhand von Daten aus fünf verschiedenen Branchen.317 Ihrer Arbeit liegt die Annahme zu Grunde, dass die Bedeutung einzelner Serviceattribute bei der Wahrnehmung der Gesamtqualität einer Dienstleistung variiert.318 Im Rahmen einer Vorstudie mit 25 Studenten ermitteln die Autoren anhand einer modifizierten Form der DelphiAnalyse 12 Serviceattribute, die eine positive oder negative Wahrnehmung der Servicequalität beeinflussen. In der Hauptstudie werden anschließend 316 Studenten aufgefordert, aus diesen Serviceattributen die jeweils drei wichtigsten Attribute für gute sowie für schlechte Qualität zu nennen und hinsichtlich ihrer Wichtigkeit zu priorisieren.319 Auf Basis dieser Daten identifizieren die Autoren Serviceattribute, die entweder primär im Zusammenhang mit gutem Service oder mit schlechtem Service gereiht werden sowie solche, die gleichermaßen die Wahrnehmung von guter und von schlechter Servicequalität beeinflussen. Demnach unterstützt auch diese Studie die Annahme einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit.320 Die Studie von Johnston ist eine Replikation der Arbeit von Silvestro/Johnston.321 Unter erneuter Verwendung der Critical-IncidentTechnique erfasst der Autor 579 kritische Ereignisse (323 positive, 256 negative) von Bankkunden.322 Diese werden anhand der gleichen 17 Qualitätsdimensionen aus der Originalstudie im Rahmen einer Faktorklassifizierung verdichtet, wobei aufgrund von fünf nicht zuordenbaren Ereignissen eine weitere Determinante („flexibility“) gebildet wird. Diese nunmehr 18 Qualitätsdimensionen werden im nächsten Analyseschritt auf Basis der Häufigkeit der Nennung als positives oder negatives Ereignis als „hygiene factors“ (n= 2), „enhancing factors“ (n= 2) oder „dual-threshold factor“ (n= 14) klassifiziert.323 Die Ergebnisse führen zu einer Bestätigung der von

317 318 319 320 321 322

323

Silvestro/Johnston

identifizierten

dreifaktoriellen

Struktur

des

Vgl. Mersha/Adlakha (1992). Vgl. Matzler (2000), S. 10. Vgl. Mersha/Adlakha (1992), S. 35 ff. Vgl. Mersha/Adlakha (1992), S. 44 f. Vgl. Silvestro/Johnston (1990); Johnston (1995a). Vgl. Johnston (1995a), S. 59 f. Während in der Originalstudie Kunden aus neun unterschiedlichen Branchen befragt werden, beschränkt sich Johnston hierbei auf die Datenerhebung in einer Branche (Bank) bei Kunden nur eines einzelnen Unternehmens. Vgl. Kaiser (2002), S. 219; Matzler/Sauerwein (2002), S. 317.

52 Zufriedenheitskonstruktes.324 Ferner zeigen die Autoren, dass die Beschränkung auf ein Unternehmen einer Branche bessere Ergebnisse bei der Zuordnung der Serviceattribute zu den verschiedenen Zufriedenheits-faktoren ermöglicht.325 Schließlich finden Bartikowski/Llosa im Rahmen ihrer methodenvergleichenden Studie empirische Belege für eine Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit.326 Sie unterstellen hierbei die Existenz von vier unterschiedlichen Attributkategorien, die sie analog zu Cadotte/Turgeon als „dissatisfiers“, „satisfiers“, „criticals“ und „neutrals“ bezeichnen.327 Im Rahmen einer Vorstudie identifizieren die Autoren 52 Serviceattribute, denen ein Einfluss bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit mit einem Versicherungsberater unterstellt wird. Diese werden in einem zweiten Schritt zu 20 Attributen verdichtet und im Rahmen der Hauptuntersuchung von 123 Kunden eines Versicherungsunternehmens bewertet.328 Die so gewonnen Daten werden von Bartikowski/Llosa anschließend mit vier verschiedenen Methoden ausgewertet.329 Obgleich die Kategoriezuordnung in Abhängigkeit der gewählten Methode variiert, kann insgesamt eine methodenunabhängige Unterstützung der Annahme einer dreifaktoriellen Struktur der Kundenzufriedenheit abgeleitet werden. Als Erkenntnisbeitrag der Literatursichtung kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich eine Vielzahl empirischer Belege findet, die die Existenz einer Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit unterstützen. Hierbei kann eine heterogene Bezeichnung der unterschiedlichen Zufriedenheitsfaktoren konstatiert werden, wobei sich im deutschen Sprachgebrauch die Unterscheidung in Basisfaktoren, Begeisterungsfaktoren sowie Leistungsfaktoren etabliert hat (vgl. Tabelle 1).330

324 325 326 327 328 329 330

Vgl. Silvestro/Johnston (1990), S. 193 ff. Vgl. Matzler (2000), S. 10. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004). Vgl. Cadotte/Turgeon (1988), S. 74 ff.; Bartikowski/Llosa (2004), S. 69. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S. 75. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S. 70 ff. Vgl. Stauss (1999), S. 10; Matzler (2000), S. 15; Huber/Herrmann/Braunstein (2002), S. 68; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 33 f. Teilweise findet sich auch die Bezeichnung als Muss-, Soll, und Kann-Leistungen, vgl. bspw. Bauer/Hammerschmidt (2003), S. 16.

53 Ferner kann eine methodenunabhängige Bestätigung der Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit konstatiert werden. Zu den bisher verwendeten Methoden zählen bspw. die Critical-Incident-Technique, die Lobund Beschwerdeanalyse, eine Form der Delphi-Analyse, die Regressionsanalyse sowie die Faktorenanalyse.331 Für zukünftige Forschungsarbeiten fordert Matzler jedoch aufgrund der Dominanz der Critical-Incident-Technique die Verwendung alternativer Forschungsstrategien.332 Obgleich der endgültige Nachweis einer dreifaktoriellen Struktur des Zufriedenheitskonstruktes nach wie vor nicht eindeutig erbracht ist, liefern insbesondere die Ergebnisse jüngerer Arbeiten Belegen für eine solche. 333 Aus diesem Grund hat sich in der Marketingforschung ein dreifaktorielles Konstruktverständnis durchgesetzt, welchem auch in der vorliegenden Studie gefolgt wird.334 Als kritisch wird jedoch die bis dato unzureichende theoretische Fundierung einer Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit gesehen.335 So beziehen sich auch die Autoren von einigen der in diesem Abschnitt aufgeführten Studien auf die Grundannahmen von Herzbergs Zweifaktoren-Theorie, die, wie bereits dargestellt, nicht unwidersprochen geblieben ist und daher als theoretische Grundlage unzureichend erscheint. Eng verbunden mit der Frage der Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit ist die Analyse des Zusammenhangs zwischen einzelnen Produkt- bzw. Serviceattributen und der Gesamtzufriedenheit eines Individuums. Im folgenden Abschnitt werden daher die wichtigsten Arbeiten zu dieser Fragstellung erläutert.

331 332 333

334

335

Zu den verwendeten Methoden siehe insbesondere Abschnitt 2.5.2. Vgl. Matzler (2000), S. 12. Vgl. Klausegger/Scharitzer (2000); Ting/Chen (2002); Gierl/Bartikowski (2003); Gómez/ McLaughlin/Wittink (2003). Trotz der Dominanz der dreifaktoriellen Sichtweise gibt es nach wie vor Publikationen jüngeren Datums, die an einer zweifaktoriellen Struktur festhalten. Vgl. bspw. Tuten/August (1998); Chowdhary/Prakash (2005). Vgl. Schütze (1992); Johnston (1995b); Oliver (1997); Homburg/Werner (1998); Rudolph (1998); Matzler (2000); Sauerwein (2000); Bartkowski/Llosa (2004); Matzler et al. (2005). Vgl. Matzler (2000), S.15 f.

Oliver (1997)

dissatisfiers Basisfaktor

Zhang/von Drahn (2001)

Bartikowski/Llosa (2004)

Matzler/Sauerwein/Stark (2004)

Begeisterungsfaktor

satisfiers

Übersicht der verschiedenen Bezeichnungen der Zufriedenheitsfaktoren

Quelle: In Anlehnung an Gierl/Bartikowski (2003), S. 15.

Tab. 1:

basic quality

Anderson/Mittal (2000) exciting quality

excitement factor satisfaction-enhancing attribute

basic factor

satisfaction-maintaining attribute

attractive

monovalent satisfier

plus

plus

Begeisterungsanforderung

enhancing factor

keine explizite Bezeichnung

enhancing factor

satisfier

satisfier

value enhancing elements

Merkmal bewirkt Zufriedenheit

Vanhoof/Swinnen (1998)

basic

basic

monovalent dissatisfier

Llosa (1997)

Brandt/Scharioth (1998)

basic

Basisanforderung

Bailom et al. (1996)

Llosa (1996)

hygiene factor

keine explizite Bezeichnung

Johnston (1995a)

Mersha/Adlakha (1992)

dissatisfier hygiene factor

Bitner/Booms/Tetreault (1990)

Johnston/Silvestro (1990)

dissatisfier

minimum requirement

Merkmal bewirkt Unzufriedenheit

Cadotte/Turgeon (1988)

Brandt (1988)

Autoren

Leistungsfaktor

criticals

performance quality

linear & symmetric attribute

hybrid

one-dimensional

bivalent satisfier

key

key

Leistungsanforderung

dual-threshold factor

keine explizite Bezeichnung

dual-threshold factor

hybrid/critical

critical

hybrid

Merkmal bewirkt Unzufriedenheit und Zufriedenheit

---

neutrals

---

---

unimportant factor

low impact

---

secondary

secondary

indifferent

---

---

---

---

Neutral

---

Merkmal ohne Auswirkung auf Zufriedenheit

54

55 2.4.6 Asymmetrische Effekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit Als eine der Ersten beschäftigen sich DeSarbo et al. mit der Analyse von asymmetrischen Effekten bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit.336 Die Autoren untersuchen den Einfluss der SERVQUAL-Dimensionen auf die übergeordnete Qualitätsbeurteilung am Beispiel von Zahnarzt- sowie Bankdienstleistungen.337 Die Datenanalyse der zehn Dimensionen erfolgt hierbei jedoch abweichend vom ursprünglichen SERVQUAL-Ansatz anhand einer Conjoint-Analyse.338 DeSarbo et al. finden empirische Belege für einen stärkeren Einfluss von negativ bewerteten Serviceattributen auf das globale Qualitätsurteil als von positiv bewerteten.339 Mittal/Baldasare analysieren, ob negative bzw. positive Attributzufriedenheiten die Gesamtzufriedenheit gleichermaßen beeinflussen.340 Hierzu erfassen die Autoren anhand von 20 Serviceattributen die Zufriedenheit von Patienten mit Dienstleistungen niedergelassener Allgemeinmediziner. Die Auswertung der Daten mittels einer multiplen Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen ergibt, dass der Einfluss negativer Bewertungen auf die Gesamtzufriedenheit signifikant stärker ist als der positiver Bewertungen. Ferner konstatieren die Autoren, dass der Erklärungsgehalt des asymmetrischen Modells höher ist als der eines von ihnen zum Vergleich getesteten linearen Models. 341 Diese ersten Belege für die Existenz asymmetrischer Effekte überprüfen Mittal/Ross/Baldasare in ihrer Studie anhand von Daten aus dem Gesundheitswesen sowie der Automobilbranche.342 Die Autoren untersuchen hierbei den Einfluss positiver und negativer Attributzufriedenheiten auf die Gesamtzufriedenheit sowie die Wiederkaufabsicht von Kunden. Die Auswertung mittels einer Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen zeigt, dass in beiden untersuchten Branchen negative Bewertungen auf Attributebene sowohl die Gesamtzufriedenheit als auch die Wiederkaufabsicht

336 337

338 339 340 341 342

Vgl. DeSarbo et al. (1994). Der SERVQUAL-Ansatz stellt eine Methode zur Messung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität dar. Vgl. hierzu Hentschel (1990); S. 230 ff.; Buttle (1996) S. 8 ff. Vgl. DeSarbo et al. (1994), S. 208 ff. Vgl. DeSarbo et al. (1994), S. 212 ff. Vgl. Mittal/Baldasare (1996). Vgl. Mittal/Baldasare (1996), S. 27 f. Vgl. Mittal/Ross/Baldasare (1998).

56 stärker beeinflussen als positive.343 Des Weiteren belegen die Ergebnisse, dass das Ausmaß der Asymmetrie zwischen positiver und negativer Diskonfirmation je nach Attribut variiert und bei manchen Attributen eine positive Diskonfirmation keinerlei Auswirkungen auf die Gesamtzufriedenheit hat, während eine negative Diskonfirmation diese ausgesprochen stark beeinflusst.344 Boulding/Kalra/Staelin analysieren die Bedeutungsgewichte von positiven bzw. negativen Vorkauferwartungen auf die Bewertung eines Hotelaufenthaltes. 345 Im Rahmen eines experimentellen Untersuchungsdesigns nehmen die Probanden eine Beurteilung der Gesamtservicequalität sowie einzelner Serviceattribute zweier simulierter Hotelbesuche vor. Als Resultat der Datenanalyse zeigt sich, dass im Falle eines als hoch eingeschätzten wahrscheinlichen Leistungsniveaus positive Serviceattribute stärker gewichtet werden als im Falle einer niedrigen Einschätzung. Wird hingegen das SollNiveau einer Leistung hoch eingeschätzt, werden positive Serviceattribute weniger stark gewichtet als bei niedrigeren Soll-Erwartungen.346 Diese Befunde unterstützen somit ebenfalls die Annahme von asymmetrischen Effekten im Rahmen der Zufriedenheitsbildung. Anderson und Mittal überprüfen den Einfluss nicht linearer Effekte am Beispiel der Zufriedenheit von Kunden mit der Beratungsleistung von Anlageberatern einer Investmentfirma.347 Hierzu erfassen sie sowohl die Zufriedenheit mit einzelnen Servcieattributen als auch die Gesamtzufriedenheit mit der Beratungsleistung. Die Datenanalyse erfolgt in Form einer multiplen Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen. Als Ergebnis der Studie identifizieren die Autoren „maintaining attributes“ und „enhancing attributes“, die sich hinsichtlich ihrer Wirkungen bei der Entstehung von Zufriedenheit unterscheiden.348 So haben „maintaining attributes“ einen stärkeren Einfluss im Falle einer negativen Diskonfirmation, während die

343 344 345 346 347 348

Vgl. Mittal/Ross/Baldasare (1998), S. 44 Vgl. Mittal/Ross/Baldasare (1998), S. 41. Vgl. Boulding/Kalra/Staelin (1999). Vgl. Boulding/Kalra/Staelin (1999), S. 480 ff. Vgl. Anderson/Mittal (2000). Vgl. Anderson/Mittal (2000), S. 111.

57 Wirkung

von

„enhancing

attributes“

bei

einer

positiven

Erwartungs-

diskonfirmation größer ist. Ting/Chen analysieren die Existenz asymmetrischer Effekte am Beispiel der Servicezufriedenheit mit einem Supermarkt.349 Hierzu erfassen die Autoren die Teilzufriedenheiten von 43 Serviceattributen sowie die Gesamtzufriedenheit der Supermarktkunden mittels multipler Dummy-Regression. Die Ergebnisse der Auswertung führen zu einer Unterstützung aller Hypothesen der Autoren. Sie belegen eine nicht lineare, asymmetrische Beziehung zwischen Attributund Gesamtzufriedenheit, unterschiedliche Einflussstärken von positiv oder negativ bewerteten Serviceattributen sowie variierende Einflussstärken und Einflussrichtungen von verschiedenen Qualitätsattributen. Ferner liefern die Studienergebnisse einen Beleg dafür, dass die Prospect-Theory die Wirkung von asymmetrischen Effekten nur bedingt und für einen Teil der Serviceattribute erklären kann, während ihre Annahmen bei anderen Serviceattributen nicht bestätigt werden können.350 Empirische Belege für nicht lineare Zusammenhänge bei der Entstehung von Zufriedenheit finden auch Matzler et al. in ihrer Studie zur Überprüfung der Importance-Performance-Analysis (IPA).351 Die Autoren erheben Werte für die Attribut- sowie die Gesamtzufriedenheit von sechs Zufriedenheitsfaktoren bei Kunden eines Automobilzulieferbetriebes und analysieren diese in einem ersten Schritt mit der Methode der IPA. Um die Ergebnisse der IPA zu evaluieren erfolgt in einem zweiten Analyseschritt die Auswertung desselben Datensatzes mittels einer multiplen Regressionsanalyse mit DummyVariablen. Hierbei zeigen sich asymmetrische und unterschiedlich starke Einflüsse der Attributzufriedenheit auf die Gesamtzufriedenheit in Abhängigkeit der Klassifikation des jeweiligen Attributes als Basisfaktor (basic factor), Leistungsfaktor (performance facto“) oder Begeisterungsfaktor (excitement factor).352

349 350 351 352

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Ting/Shen (2002). Ting/Shen (2002), S. 564. Matzler et al. (2004). Matzler et al. (2004), S. 275.

58 Diese Ergebnisse werden von Matzler et al. in ihrer Befragung von Privatkunden einer Bank zu deren Zufriedenheit mit in Anspruch genommenen Bankdienstleistungen bestätigt.353 Aus der erneuten Bestätigung asymmetrischer Effekte leiten die Autoren zudem ab, dass die Wichtigkeit eines Produkt- bzw. Serviceattributs eine Funktion der Zufriedenheit darstellt.354 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Vielzahl von Studien sowohl für den Dienstleistungsbereich als auch für den Konsumgüterkontext empirische Belege für einen nicht linearen, asymmetrischen Zusammenhang zwischen Teilzufriedenheitsbewertungen von Produkt- respektive Serviceattributen und der Gesamtzufriedenheit liefern. Die Attributzufriedenheiten lassen sich hierbei hinsichtlich der jeweiligen Einflussstärke sowie der Einflussrichtung differenzieren. Die Aussagen der ProspectTheory können ferner nur einen Teil der identifizierten asymmetrischen Effekte erklären. Vor dem Hintergrund des C/D-Paradigmas bedeutet die Existenz asymmetrischer Effekte, dass Konsumenten für unterschiedliche Leistungsattribute jeweils eigene Soll-Ist-Vergleiche durchführen und diese in Abhängigkeit ihres jeweiligen Bedeutungsgewichtes sowie des Ausmaßes an positiver bzw. negativer Diskonfirmation zu einem aggregierten Zufriedenheitsurteil verdichtet werden. Da bei diesem Prozess dynamische Aspekte von Bedeutung sind, erfolgt im folgenden Abschnitt eine Darstellung der wichtigsten Studien zur Zufriedenheitsdynamik.

2.4.7 Dynamische Effekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit Das C/D-Paradigma versteht Zufriedenheit als Ergebnis eines Vergleiches einer ex ante gebildeten Soll-Größe mit einer ex post erfahrenen Ist-Größe.355 Dieses Begriffsverständnis impliziert die allgemein verbreitete Betrachtung von Kundenzufriedenheit als Resultat eines dynamischen Prozesses.356 Die Gesamtzufriedenheit basiert demnach nicht auf statischen, zeitunabhängigen und simultan erfassten Einzelbewertungen, sondern auf phasenspezifischen

353 354 355 356

Vgl. Matzler et al. (2005). Vgl. Matzler et al. (2005), S. 299. Vgl. Abschnitt 2.2.1. Vgl. McQuitty/Finn/Wiley (2000), S. 4; Homburg/Koschate/Hoyer (2006), S. 21.

59 Einzelurteilen.

Kaiser

spricht

in

diesem

Zusammenhang

auch

vom

dynamisierten C/D-Paradigma.357 Ungeachtet dieser Tatsache erfolgt die Operationalisierung der beiden Größen im Rahmen von Zufriedenheitsmessungen jedoch typischerweise simultan zu einem spezifischen Zeitpunkt, obgleich sie zu verschiedenen Zeitpunkten entstehen.358 Bereits Ende der siebziger Jahre fordert Jacoby daher eine verstärkte Berücksichtigung der dynamischen Aspekte des Zufriedenheitskonstruktes.359 Trotz dieses frühzeitig erkannten Forschungsbedarfes findet sich bis dato lediglich eine geringe Anzahl von Publikationen zur Zufriedenheitsdynamik.360 Erst in neueren Studien rückt dieser Themenkomplex verstärkt in den Fokus der Forschungsbemühungen. So analysieren Mittal/Kumar/Tsiros den Einfluss von Attributzufriedenheiten auf die Gesamtzufriedenheit im Zeitverlauf.361 Die Autoren unterstellen variierende Einflussstärken der Produktattribute und begründen dies einerseits mit der unterschiedlichen Wichtigkeit eines Attributes in den verschiedenen Phasen des Konsumprozesses und andererseits mit der Häufigkeit, mit der ein Konsument diesem Attribut ausgesetzt ist. Die Autoren analysieren hierzu Sekundärdaten von Kunden, die im Rahmen einer dreistufigen Längsschnittstudie über einen Zeitraum von zwei Jahren ihre Produkt- sowie Servicezufriedenheit mit einem Automobilhersteller angeben. Die Ergebnisse zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Attributzufriedenheit und Gesamtzufriedenheit dynamischer Natur ist und die Wichtigkeit einzelner Service- bzw. Produktattribute im Zeitverlauf variiert.362 Diese Ergebnisse werden von Mittal/Katrichis/Kumar bestätigt.363 Die Verfasser analysieren in einer ersten Untersuchung die Daten einer jährlichen Zufriedenheitsmessung in der Kreditkartenbranche sowie in einer zweiten Erhebung die Zufriedenheit von Studenten mit einer Lehrveranstaltung. Die

357 358 359 360 361 362 363

Vgl. Kaiser (2002), S. 74 ff. Vgl. McQuitty/Finn/Wiley (2000), S. 4. Vgl. Jacoby (1978), S. 90. Eine Übersicht ausgewählter Studien bietet Kaiser (2002), S. 97. Vgl. Mittal/Kumar/Tsiros (1999). Vgl. Mittal/Kumar/Tsiros (1999), S. 98. Vgl. Mittal/Katrichis/Kumar (2001).

60 Resultate zeigen für beide Studien, dass die Bedeutung von Service- bzw. Produktattributen für die Gesamtzufriedenheit im Zeitverlauf variiert.364 Slotegraaf/Inman untersuchen dynamische Aspekte am Beispiel der Zufriedenheit von Autobesitzern mit bestimmten Qualitätsattributen während der vom Hersteller gewährten Garantiefrist.365 Die Autoren werten hierzu die Daten einer Längsschnittstudie aus, die während der Garantiedauer über einen Zeitraum von drei Jahren in drei Wellen erhoben werden. Die Ergebnisse belegen, dass die Attributzufriedenheit im Zeitverlauf abnimmt und der Einfluss der Attribut- auf die Gesamtzufriedenheit asymmetrischen, dynamischen Effekten unterliegt.366 Das Ausmaß des Zufriedenheitsrückgangs sowie die Einflussstärke eines Produktattributes hängen hierbei davon ab, ob im Falle von Unzufriedenheit mit einem Produktattribut die Quelle dieser Unzufriedenheit beseitigt werden kann (resolvable product attribute) oder nicht (irresolvable product attribute). Vor dem Hintergrund der Entstehung der Soll-Größe des C/D-Paradigmas analysieren Bruhn/Richter/Georgi die Dynamik von Kundenerwartungen im Dienstleistungsprozess.367 Die Autoren ermitteln im Rahmen einer Szenariostudie zu drei Erhebungszeitpunkten die Erwartungen von Teilnehmern an einen Business-Sprachkurs. Die Ergebnisse zeigen, dass Kundenerwartungen sich im Verlaufe eines Dienstleistungsprozesses verändern, wobei einerseits unterschiedliche Wirkungen von affektiven und kognitiven Kundenerwartungen und andererseits variierende Wichtigkeiten von Serviceattributen in Abhängigkeit der jeweiligen Konsumphase identifiziert werden.368 Auch die Studie von Homburg/Koschate/Hoyer analysiert den unterschiedlichen Einfluss von affektiven und kognitiven Faktoren vor dem Hintergrund einer dynamischen Betrachtung der Kundenzufriedenheit.369 Im Rahmen eines experimentellen Studiendesigns erfassen die Autoren die Zufriedenheit von Marketingstudenten mit einem vorlesungsbegleitenden CDROM-Tutorial, mit Hilfe dessen die Teilnehmer der Studie an drei Terminen

364 365 366 367 368 369

Vgl. Mittal/Katrichis/Kumar (2001). S. 351. Vgl. Slotegraaf/Inman (2004). Vgl. Slotegraaf/Inman (2004), S. 278. Vgl. Bruhn/Richter/Georgi (2006). Vgl. Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 130. Vgl. Homburg/Koschate/Hoyer (2006).

61 ausgewählte Lehrinhalte nacharbeiten und eine Übungsaufgabe lösen sollen. Um der Bedeutung von kognitiven und affektiven Komponenten im Kontext des C/D-Paradigmas gerecht zu werden, erfolgt ferner die Ermittlung der Erwartungsdiskonfirmation der Studenten bzgl. der Qualität der CD-Inhalte sowie des Ausmaßes affektiver Empfindungen bei der Nutzung der CD-ROM. Die Ergebnisse der Datenanalyse bestätigen die Veränderung der Antezedenzen von Kundenzufriedenheit im Zeitverlauf. Darüber hinaus zeigt sich, dass affektive Komponenten insbesondere im Anfangsstadium eines Bewertungsprozesses von Bedeutung sind, während kognitive Komponenten mit zunehmender Erfahrung der Konsumenten mit einem bestimmten Beurteilungsobjekt an Bedeutung gewinnen.370 Als Erkenntnisbeitrag der Literatursichtung zur Zufriedenheitsdynamik kann zusammenfassend konstatiert werden, dass der Berücksichtigung von dynamischen Aspekten im Rahmen des Entstehungsprozesses von Zufriedenheit eine große Bedeutung zukommt. Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind zur Verfolgung der Forschungsziele 3a und 3b insbesondere die temporal variierenden Einflüsse einzelner Produkt- oder Serviceattribute auf die Gesamtzufriedenheit von Interesse.

2.5 Messung von Kundenzufriedenheit 2.5.1 Allgemeine Methoden zur Messung von Kundenzufriedenheit In der Zufriedenheitsforschung findet sich eine große Methoden- und Verfahrensvielfalt zur Messung von Kundenzufriedenheit.371 Obgleich allen Ansätzen das Ziel gemein ist, die Zufriedenheit von Kunden zu erfassen um Ansatzpunkte für Maßnahmen zu ihrer Steigerung zu identifizieren, besitzt nahezu jede Methode unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen und beleuchtet unterschiedliche Facetten des Zufriedenheitskonstruktes.372 Aus diesem Grund erfolgt in diesem Abschnitt eine kurze Abgrenzung der wichtigsten Messmethoden.

370 371 372

Vgl. Homburg/Koschate/Hoyer (2006), S. 28. Vgl. Schwetje (1999), S. 68; Beutin (2006), S. 123. Vgl. Homburg/Werner (1996), S. 92.

62 Grundsätzlich werden nach der Art der Wahrnehmung objektive und subjektive Messverfahren unterschieden.373 Objektive Verfahren erfassen die Kundenzufriedenheit anhand direkt beobachtbarer Größen wie bspw. dem Marktanteil, Umsatz oder Gewinn eines Unternehmens.374 Obwohl diese objektiven Indikatoren keinen subjektiven Wahrnehmungsverzerrungen unterliegen, erscheint ihr Gebrauch problematisch, da die verwendeten Maßgrößen neben der Kundenzufriedenheit zusätzlich durch eine Reihe weiterer externer Faktoren wie bspw. der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder dem Wettbewerbsumfeld determiniert werden.375 Aus diesem Grund sind die objektiven Verfahren nicht für eine reliable und valide Messung der Kundenzufriedenheit geeignet, weshalb sich die weiteren Ausführungen auf die subjektiven Verfahren beschränken.376 Diese fokussieren im Unterschied zu den objektiven Verfahren die Erfassung der vom Kunden subjektiv empfundenen Zufriedenheit und sind somit unabhängig von der Ausprägung der objektiven Indikatoren.377 Mit Bezug auf die Orientierung des Messinhaltes lassen sich die subjektiven Methoden nach ereignis- und merkmalsbezogenen Verfahren differenzieren. Ereignisorientierte Ansätze beruhen auf der Ansicht, dass die Kundenzufriedenheit aus der Bewertung von konkreten Erlebnissen während des Konsumprozesses resultiert.378 Sie betrachten daher lediglich ein oder mehrere besonders relevante Kundenkontaktereignisse. Aufgrund ihres punktuellen Fokus sind diese Verfahren allerdings für eine umfassende Messung der Kundenzufriedenheit nur bedingt geeignet. Demgegenüber berücksichtigen merkmalsorientierte respektive kumulative Ansätze ein breites Spektrum von Produkt-, Service- oder Interaktionsmerkmalen.379 Ihnen liegt die Annahme zu Grunde, dass sich die Globalzufriedenheit eines Kunden aus dessen Bewertung von Einzelmerkmalen über den Zeitverlauf ergibt.380

373 374 375 376 377 378 379 380

Vgl. Homburg/Fürst (2005), S. 560. Vgl. Stauss (1999), S. 12; Beutin (2006), S. 124. Vgl. Kraft (1999), S. 517; Schwedtje (1999), S. 68. Vgl. Stauss (1999), S. 12; Beutin (2006), S. 125. Vgl. Homburg/Fürst (2005), S. 561; Beutin (2006), S. 125. Vgl. Stauss (1999), S. 12. Vgl. Beutin (2006), S. 126. Vgl. Homburg/Werner (1996), S. 94; Stauss (1999), S. 12.

63 In Bezug auf die Direktheit der Messung lassen sich die merkmalsbezogenen Verfahren ferner in implizite und explizite Ansätze unterscheiden. Erstere analysieren das Beschwerdeverhalten von Kunden zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit.381 Sie beruhen auf der Annahme, dass aus der Reklamationshäufung implizit ein Rückschluss auf die Zufriedenheit der Kunden möglich ist. Obgleich implizite Ansätze wertvolle Hinweise auf Kundenprobleme liefern können, sind sie aufgrund des in der Praxis sehr gering ausgeprägten aktiven Beschwerdeverhaltens für den Aufbau einer systematischen Kundenzufriedenheitsmessung nicht ausreichend.382 Bei der Verwendung expliziter Ansätze zur Messung der Kundenzufriedenheit erfolgt dagegen eine direkte Befragung der Kunden nach dem Erfüllungsgrad ihrer Erwartungen bzw. eines alternativen Vergleichsstandards empfundenen Zufriedenheit mittels Zufriedenheitsskalen.383

oder

der

Die expliziten Ansätze der Kundenzufriedenheitsmessung lassen sich ihrerseits bzgl. der Dimensionalität in ein- und mehrdimensionale Verfahren unterscheiden. Eindimensionale Messansätze erfassen die Zufriedenheit als globale Einschätzung lediglich auf Basis einer einzigen inhaltlichen Dimension, häufig sogar nur eines einzigen Faktors.384 Da somit Validität und Reliabilität der Messung nur als ungenügend betrachtet werden können und zudem keine Informationen über die einzelnen Komponenten der Zufriedenheit erfasst werden, sind eindimensionale Ansätze nicht in der Lage, die Komplexität der Kundenzufriedenheit abzubilden.385 Aus diesem Grund werden sowohl in der Wissenschaft als auch in der Unternehmenspraxis überwiegend mehrdimensionale oder multiattributive Messverfahren angewendet. Diese berücksichtigen das mehrdimensionale Konstruktverständnis und ermitteln anhand von Ratingskalen die Zufriedenheit mit den relevanten Einzelaspekten eines Beurteilungsobjektes.386 Dadurch ermöglichen sie eine differenzierte Analyse der Struktur der Kundenzufriedenheit. Die Identifikation der Leistungsbestandteile, die beim Kunden Zufriedenheit generieren, bietet folglich wertvolle Ansatzpunkte für gezielte Maßnahmen zur Steigerung derselben.

381 382 383 384 385 386

Vgl. Homburg/Fürst (2005), S. 562. Vgl. Günter (2006), S. 375. Vgl. Homburg/Werner (1996), S. 94; Rudolph (1998), S. 55. Vgl. Beutin (2006), S. 128. Vgl. Rudolph (1998), S. 56 f.; Beutin (2006), S. 129. Vgl. Schwedtje (1999), S. 70.

64 Die multidimensionalen Ansätze lassen sich hinsichtlich des Zeitpunktes der Messung unterscheiden. Bei den so genannten ex ante/ex post Messungen erfolgt die Ermittlung der Kundenzufriedenheit auf Basis einer Gegenüberstellung der ex ante erfassten Erwartungshaltungen eines Kunden mit einer ex post Messung des Erfüllungsgrades dieser Erwartungen.387 Die Differenz dieser beiden Größen gibt den Zufriedenheitsgrad des Kunden wieder. Dieses Verfahren kann jedoch aufgrund methodischer Probleme sowie der Nicht-Berücksichtigung kognitiv bewertender Prozesse zu verzerrten Ergebnissen führen.388 Zur Vermeidung dieser Schwächen erfolgt bei der reinen ex post Messung die Ermittlung der Kundenzufriedenheit ohne jegliche Voraberhebung der Erwartungshaltung mittels eines direkten Zufriedenheitsurteils. Diese Methode gilt als die valideste sowie am stärksten verbreitete Form der Messung.389 In den obigen Ausführungen wurde die Vielzahl der unterschiedlichen Methoden und Ansätze zur Messung von Kundenzufriedenheit dargestellt. Da teilweise deutliche Unterschiede in der Zielsetzung der einzelnen Verfahren festzustellen sind, kann keine generelle Präferenzempfehlung für eine bestimmte Methode ausgesprochen werden.390 Aufgrund der komplementären Vor- und Nachteile empfiehlt es sich daher, den je nach Zielsetzung und Untersuchungsgegenstand adäquaten Messansatz zu wählen.391 Aus diesem Grund werden in den folgenden Abschnitten spezielle Methoden zur Messung der Kundenzufriedenheit erörtert, welche auf der Annahme eines dreifaktoriellen Konstruktverständnisses basierend die Identifikation und Klassifikation der unterschiedlichen Zufriedenheitsfaktoren ermöglichen.

387 388 389 390 391

Vgl. Beutin (2006), S. 129. Vgl. Rudolph (1998), S. 55. Vgl. Homburg/Fürst (2005), S. 563 f.; Beutin (2006), S. 131. Vgl. Homburg/Werner (1996), S. 96. Vgl. Stauss (1999), 16 f. Wirtz/Chung fordern in diesem Kontext, dass die Auswahl zudem in Abhängigkeit der Produkt- sowie Probandencharakteristika erfolgen sollte und Homburg/Werner empfehlen die Verwendung eines Methodenmixes unterschiedlicher komplementärer Messansätze, um eine ganzheitliche Erfassung der Kundenzufriedenheit zu gewährleisten. Vgl. Wirtz/Chung (1998), S. 88; Homburg/Werner (1996), S. 97 f.

65 2.5.2 Spezielle Methoden zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren 2.5.2.1 Critical-Incident-Technique Die auf Flanagan zurückgehende Critical-Incident-Technique (CIT) stellt einen Messansatz dar, mit dem kritische Ereignisse systematisch erhoben und kategoriell ausgewertet werden können.392 Kritische Ereignisse bezeichnen Konsumerlebnisse, die vom Kunden als außergewöhnlich positiv oder negativ wahrgenommen werden und daher als solche lange in Erinnerung bleiben. 393 Es wird postuliert, dass die bedeutendsten Kategorien negativer Ereignisse solche Erlebnisse mit einem Anbieter umfassen, in denen die grundlegenden Erwartungen der Kunden (Minimumqualität) an diesen nicht erfüllt werden. Im Unterschied dazu repräsentieren die positiven Ereignisse solche Erlebnisse, in denen die Erwartungen der Kunden übertroffen werden, wodurch sich der wahrgenommene Wert einer Kernleistung erhöht (Werterhöhungsqualität).394 Nach der Erhebung von kritischen Ereignissen anhand spezifischer Kriterien erfolgt die Bildung von Hauptkategorien, denen die einzelnen Ereignisse zugeordnet werden. Die Klassifikation der Minimum- oder Werterhöhungsfaktoren resultiert aus der Auswertung der Häufigkeit der zugeordneten positiven oder negativen kritischen Ereignisse.395 Jene Faktoren, denen ausschließliche

negative

Ereignisse

zugeordnet

sind,

stellen

die

Minimumfaktoren (Basisfaktoren) dar. Im Unterschied dazu subsummieren Werterhöhungsfaktoren (Begeisterungsfaktoren) ausschließlich positive Ereignisse. Leistungsfaktoren bezeichnen solche Faktoren, denen sowohl positive als auch negative Ereignisse zugeordnet sind.396 Die CIT wird in einer Vielzahl von Studien eingesetzt und gilt als eine bewährte Erhebungsmethode.397 Jedoch kann eine Anwendung der CIT zu Fehlinterpretationen führen, sofern keine Normalverteilung bzgl. der Erfüllung

392 393 394 395 396 397

Vgl. Flanagan (1954), S. 327 ff. sowie Abschnitt 2.4.5. Vgl. Fischer/Pechlaner (2004), S. 473. Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 451. Vgl. Fischer/Pechlaner (2004), S. 474. Vgl. Matzler/Sauerwein/Stark (2004) 272 f. Vgl. Swan/Combs (1976), S. 25 ff.; Maddox (1981), S 97 ff.; Johnston (1995a), S. 53 ff.

66 bzw. Nicht-Erfüllung von Erwartungen bei einzelnen Kriterien gegeben ist, weshalb die Validität dieser Methode fraglich erscheint.398

2.5.2.2 Lob- und Beschwerdeanalyse Ein der CIT verwandtes Verfahren stellt die bereits dargestellte Lob- und Beschwerdeanalyse (LBA) dar.399 Auf Basis einer Inhaltsanalyse des Lobund Beschwerdeverhaltens einer interessierenden Zielgruppe ermöglicht diese Methode die Klassifikation von Dienstleistungsmerkmalen als Basisfaktoren, Begeisterungsfaktoren, Leistungsfaktoren oder neutralen Attributen. Da die Methodik der Lob- und Beschwerdeanalyse auf den Grundannahmen der CIT basiert, gelten für sie die gleichen Bedenken bzgl. der Validität.400 Daneben sind diesem Analyseverfahren aufgrund des sehr unterschiedlich ausgeprägten Lob- und Beschwerdeverhaltens von Kunden enge Grenzen gesetzt. So zeigen die Ergebnisse von empirischen Studien zur Beschwerdeforschung, dass eine Vielzahl von Determinanten das tatsächliche Beschwerdeverhalten beeinflusst.401 Konsumenten nehmen eine KostenNutzen-Abschätzung vor, deren Ergebnis die Wahrscheinlichkeit einer Beschwerde als Reaktion auf eine erfahrene Unzufriedenheit bedingt. Da hierbei auch psychologische Prozesse (kognitive Dissonanzen, Kausalattributionen) wirken, erscheint auch die Reliabilität dieser Methode kritisch.402

2.5.2.3 Importance-Performance-Analysis Die erstmals von Martilla/James vorgestellte Importance-PerformanceAnalysis (IPA) gilt als eine der Standardmethoden zur Prioritätenbildung in der Marketingforschung.403 Sie analysiert, auf welche Produkte und Dienstleistungen sich ein Unternehmen fokussieren sollte, um Kundenzufriedenheit

398 399 400 401 402 403

Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 452; Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 273. Vgl. Abschnitt 2.4.5.2. Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 452 f. Vgl. Stauss (1989), S. 43 ff. Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 452 Vgl. Martilla/James (1977), S. 77 ff.

67 zu erlangen.404 Zu diesem Zweck erfolgt eine gemeinsame Darstellung der Zufriedenheit mit sowie der Wichtigkeit von einzelnen Produkt- oder Servcieattributen in einer zweidimensionalen Matrix, wobei die Attributwichtigkeit auf der Abszisse und die Attributzufriedenheit auf der Ordinate abgetragen werden. Anhand der Mittelwerte dieser beiden Variablen erfolgt dann eine Unterteilung der IPA-Matrix in vier Quadranten (vgl. Abbildung 6), aus denen sich unterschiedliche Implikationen für die Steuerung der Kundenzufriedenheit ableiten lassen.405 Die Attribute in Quadrant I stellen Möglichkeiten zur Erzielung oder Erhaltung von Wettbewerbsvorteilen dar und sollten daher mit gleich bleibender Priorität und Leistung angeboten werden. Die in Quadrant II abgetragenen Attribute mit niedrigen Zufriedenheitswerten aber einer großen Wichtigkeit müssen mit Priorität verbessert werden. Attribute in Quadrant III sind offensichtlich von niedriger Priorität und stellen daher akzeptable Nachteile dar, für die keine zusätzlichen Anstrengungen unternommen werden müssen. Schließlich weisen die Attribute in Quadrant IV hohe Zufriedenheitswerte bei gleichzeitig relativ

niedriger

Wichtigkeit

Wettbewerbsvorteile

dar,

auf.

weshalb

Diese die

Attribute

darin

stellen

gebundenen

irrelevante Mittel

Ressourcen in Attribute der anderen Quadranten investiert werden sollten.

Abb. 6: Importance-Performance-Analysis-Matrix Quelle:

404 405

In Anlehnung Matzler et al. (2005), S. 302.

Vgl. Matzler et al. (2004), S. 272. Vgl. Martilla/James (1977), S. 78; Matzler et al. (2003), S. 119.

und

68 Die IPA findet in der Marketingforschung breite Akzeptanz und erfährt verschiedene Erweiterungen und Modifikationen, wobei jedoch die Grundannahmen beibehalten werden.406 So basiert die Methodik auf den Prämissen, dass Attributwichtigkeit und Attributzufriedenheit voneinander unabhängige Größen darstellen und dass zwischen der Attributwichtigkeit und der Gesamtzufriedenheit ein linearer, symmetrischer Zusammenhang besteht.407 Vor dem Hintergrund zunehmender empirischer Belege für die Existenz asymmetrischer Effekte zwischen diesen beiden Variablen sind diese Annahmen jedoch kritisch zu hinterfragen. So sind gemäß Matzler et al. Attributwichtigkeit und Attributzufriedenheit nicht als zwei unabhängige Größen zu betrachten, sondern die Wichtigkeit einer Produkteigenschaft ist eine Funktion der Zufriedenheit.408 Bei einer solchen Sichtweise sind jedoch die Grundannahmen der IPA nicht mehr aufrecht zu erhalten, weshalb ihre Aussagen und damit auch die Reliabilität und Validität zu hinterfragen sind.

2.5.2.4 Importance Grid Vavra und Homburg/Werner schlagen mit dem Importance Grid (IG) eine Methode zur Identifikation der verschiedenen Faktoren der Kundenzufriedenheit vor, die auf einer Differenzierung zwischen expliziter (direkt erfragter) sowie impliziter (indirekt errechneter) Wichtigkeit von Produkt- sowie Serviceattributen basiert.409 Die Autoren unterstellen hierbei, dass die explizite und die implizite Wichtigkeit von einzelnen Leistungsattributen differieren können.410 Diese Annahme resultiert daraus, dass bei einer direkten Abfrage der Wichtigkeit einzelner Leistungsattribute häufig Basisfaktoren als die wichtigsten, Leistungsanforderungen als zweitrangig und Begeisterungsfaktoren als vergleichsweise unwichtig von den Kunden betrachtet werden.411

406

407 408 409

410 411

Vgl. Martilla/James (1977), S. 78; Matzler et al. (2003), S. 119; Matzler/Sauerwein/ Heischmidt (2003), S. 112 ff. Vgl. Matzler et al. (2005), S. 302. Vgl. Matzler et al. (2005), S. 306. Vgl. Vavra (1997), S. 383 ff.; Homburg/Werner (1998), S. 92 f. Das Importance Grid wird auch als Dual Importance Mapping bezeichnet. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S.70. Vgl. Fischer/Pechlaner (2004), S. 472. Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 454.

69 Diese Priorisierung deckt sich jedoch nicht mit den Grundaussagen der Mehrfaktorentheorie der Kundenzufriedenheit. Demzufolge sind Basisfaktoren nur dann wichtig, wenn sie nicht vorhanden oder nicht zufrieden stellend erfüllt sind, während sie als weniger wichtig erachtet werden, wenn sie zufrieden stellend erfüllt sind. Die explizit erhobene Wichtigkeit ist somit nicht in der Lage, die Zufriedenheits-Wichtigkeits-Beziehung adäquat abzubilden und reflektiert lediglich die relative Wichtigkeit der Attribute untereinander. Im Unterschied dazu wird bei der impliziten Wichtigkeit die gegenwärtige Zufriedenheit mit dem Attribut gemessen. Hierbei wird die ZufriedenheitsWichtigkeits-Beziehung berücksichtigt.412 Mit dem Importance Grid wird versucht, diese Aspekte zu integrieren, indem explizite und implizite Wichtigkeit zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Hierzu wird die explizite Wichtigkeit eines Leistungsattributes direkt mittels Ratingskala erfragt, während die implizite Wichtigkeit indirekt abgeleitet wird, indem der Zusammenhang zwischen der Attributzufriedenheit mit der Gesamtzufriedenheit mittels Korrelations- oder Regressionsanalyse errechnet wird.413 Anschließend werden die beiden Wichtigkeitswerte in einer zweidimensionalen Matrix mit der expliziten Wichtigkeit auf der Abszisse und der impliziten Wichtigkeit auf der Ordinate dargestellt. Durch eine Trennung der Achsen anhand des arithmetischen Mittels der beiden Wichtigkeitswerte ergeben sich vier Quadranten, aus denen die Zufriedenheitsfaktoren der Dreifaktorenstruktur abgeleitet werden können (vgl. Abbildung 7). Quadrant I beinhaltet die Begeisterungsfaktoren, die bei einer direkten Kundenbefragung zwar als unwichtig eingestuft werden, jedoch einen hohen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit ausüben. Bei den Leistungsfaktoren stimmen die impliziten und die expliziten Wichtigkeitswerte überein, weshalb in Abhängigkeit der jeweiligen Ausprägung zwischen wichtigen (Quadrant II) und unwichtigen Leistungsfaktoren (Quadrant III) differenziert wird. Schließlich enthält Quadrant IV mit den Basisfaktoren solche Attribute, die vom Kunden bei direkter Befragung als sehr wichtig bezeichnet werden, jedoch einen lediglich geringen Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit ausüben.414

412 413 414

Vgl. Matzler/Sauerwein/Heischmidt (2003), S. 124. Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 455. Vgl. Pechlaner/Zehrer/Raich (2006), S. 5 f.

70

Abb. 7: Importance Grid-Matrix Quelle:

In Anlehnung Pechlaner/Zehrer/Raich (2006), S. 5.

Trotz der erfolgreichen Anwendung des Importance-Grid gibt es einige Kritikpunkte bzgl. dieser Methode.415 So wird insbesondere die direkte Abfrage der expliziten Wichtigkeit als kritisch erachtet, da diese zur Generierung von schwer interpretierbaren und mehrdeutigen Ergebnissen führen kann. 416 Ferner erscheint auch die Trennung der Achsen und folglich die Klassifizierung der Attribute anhand der Mittelwerte problematisch. Die Verwendung der Attribute als diskriminierende Größe erfolgt willkürlich, da die Klassifikation von Anzahl und relativer Wichtigkeit der untersuchten Attribute determiniert wird.417 Schließlich mangelt es der Methode an einer theoretischen Begründung.418 Insgesamt sind somit auch für diese Methode eine mangelnde Reliabilität und Validität zu testieren.419

415

416 417 418 419

Vgl. Homburg/Werner (1998), S. 131 ff.; Matzler/Sauerwein/Heischmidt (2002), S. 112 ff.; Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 265 ff. Vgl. Oliver (1997), S. 54 f. Vgl. Matzler/Sauerwein (2002), S. 328. Vgl. Matzler/Sauerwein (2002), S. 329. Vgl. Fischer/Pechlaner (2004), S. 473.

71 2.5.2.5 Penalty-Reward-Contrast-Analysis Die Penalty-Reward-Contrast-Analysis (PRCA) basiert auf der Unterscheidung von drei verschiedenen Kategorien von Produkt- oder Serviceattributen, die sich hinsichtlich ihres Einflusses auf die wahrgenommene Leistungsqualität und die Kundenzufriedenheit differenzieren lassen.420 Penalty-Faktoren (Basisfaktoren) umfassen die Leistungsattribute, deren Erfüllung von Kunden erwartet wird und die demzufolge Minimumanforderungen darstellen. Penalty-Faktoren können keine Zufriedenheit auslösen, sondern lediglich Unzufriedenheit vermeiden. Im Gegensatz dazu subsummieren Reward-Faktoren (Begeisterungsfaktoren) solche Leistungsattribute, die eine höhere Qualitätswahrnehmung und folglich Zufriedenheit beim Kunden auslösen können, deren Abstinenz jedoch kein schlechtes Qualitätsurteil und damit keine Unzufriedenheit auszulösen vermag. Schließlich bezeichnen die Hybrid-Faktoren (Leistungsfaktoren) solche Merkmale, die im Falle der Über- oder Untererfüllung der Kundenerwartungen sowohl einen Einfluss auf die Zufriedenheit als auch auf die Unzufriedenheit nehmen.421 Zur Klassifikation der Beziehungen zwischen Zufriedenheit, um von Leistungsattributes zu

Attribute erfolgt eine Analyse der empirischen attributspezifischer Nicht-Bestätigung und globaler der Art der Beziehung auf die Kategorie eines schließen.422 Hierzu werden die durchschnittliche

Zunahme der Gesamtzufriedenheit bzgl. der Wahrnehmung der einzelnen Leistungsattribute über den Erwartungen sowie die durchschnittliche Senkung der Gesamtzufriedenheit in Bezug auf die Wahrnehmung von unter den Erwartungen liegenden Leistungsattributen gemessen.423 Die Analyse der Beziehung zwischen der Gesamtzufriedenheit und den einzelnen Merkmalszufriedenheiten erfolgt im Rahmen der PRCA mittels einer multiplen Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen oder auf Basis einer tabellarischen Auswertung.424

420

421 422 423 424

Vgl. Brandt (1987), S. 61 ff.; Brandt (1988), S. 35 ff.; Brandt/Reffet (1989), S. 5 ff. sowie Abschnitt 2.4.5.2 Vgl. Brandt (1988), S. 35 f.; Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 276 f. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 21. Vgl. Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 277. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 21; Bartikowski/Llosa (2004), S. 72.

72 Als kritisch wird bei dieser Methodik die für die regressionsanalytische Auswertung notwendige ex post Erhebung der Kundenerwartungen gesehen. Diese scheint insbesondere aufgrund einer potenziellen Verzerrung der erinnerten Erwartungen als Folge der tatsächlich erlebten Leistung kritisch. 425 Ferner erlaubt die PRCA lediglich die Klassifikation von bereits existierenden Produkt- oder Serviceattributen, während neue, noch nicht vorhandene Attribute nicht bzgl. ihrer Begeisterungsfähigkeit untersucht werden können.426

2.5.3 Kritische Würdigung der Methoden zur Identifikation von Zufriedenheitsfaktoren Alle im vorangestellten Abschnitt dargestellten Verfahren verfolgen als Zielsetzung gleichermaßen die Identifikation und Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren und basieren auf einem dreifaktoriellen Konstruktverständnis der Kundenzufriedenheit. Trotz dieses äquivalenten Untersuchungsziels unterschieden sich diese jedoch teils erheblich bzgl. der methodischen und theoretischen Grundlagen, der Datenerhebung sowie der Datenanalyse. Im Folgenden werden die dargestellten Methoden daher einer kritischen Würdigung unterzogen. Eine Schwäche aller dargestellten Methoden ist die Tatsache, dass sie keine ex ante Kategorisierung von Produkt- oder Serviceattributen, sondern lediglich eine ex post Zuordnung auf Basis konkreter Konsumerlebnisse erlauben. Insbesondere im Rahmen der Neukonzeption von Produkt- oder Serviceleistungen ist es jedoch für Unternehmen von großer Bedeutung, die potenziellen Auswirkungen einzelner Produktattribute auf die Kundenzufriedenheit bereits vor Fertigstellung eines Angebotes abschätzen zu können, um auf diese Weise eine Priorisierung der zu realisierenden Attribute vorzunehmen.427 Dies kann jedoch keine der dargestellten Methoden leisten. Von Vorteil beim Einsatz der IPA, des IG oder der PRCA ist die einfache und schnelle Datenerhebung, welche die Berücksichtigung einer großen Zahl von

425 426 427

Vgl. Oliver (1997), S. 87; Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 278. Vgl. Matzler/Sauerwein/Stark (2004), S. 278. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 118 f.

73 Attributen erlaubt.428 Im Unterschied dazu ist der teils enorme Aufwand der Datenerhebung bei der Verwendung der CIT sowie der LBA problematisch. Infolge dieser zeitintensiven Datengenerierung kommt es zu einer geringen Response-Rate und die Anzahl der maximal zu berücksichtigenden Attribute wird stark eingeschränkt. Ferner sind bei der CIT und der LBA eine mangelnde theoretische Fundierung der Regeln zur Auswertung der Attributkategorien festzustellen. So ist insbesondere der vorhandene subjektive Spielraum bei der Interpretation und Klassifizierung der geschilderten Ereignisse als kritisch zu betrachten.429 Bei einem Einsatz der IPA oder der IG gelten hingegen insbesondere die Abhängigkeit der Attributkategorisierung von der Anzahl und Verteilung der berücksichtigten Attribute als kritisch. So erfolgt die Einteilung der Quadranten anhand der Mittelwerte von Attributwichtigkeit und Attributzufriedenheit (IPA) respektive expliziter und impliziter Wichtigkeit (IG) willkürlich. Im Unterschied dazu erfolgt die Klassifikation bei Verwendung der PRCA als parametrisches Verfahren durch die Berücksichtigung von Signifikanzniveaus nach klar definierten Regeln und ohne Einfluss der Attributanzahl. Hier ist jedoch als Schwachstelle die Abhängigkeit der Attributkategorisierung von der Stichprobengröße zu sehen. So beeinflusst die Stichprobengröße direkt die Wahrscheinlichkeit, signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Attributkategorien zu finden.430 Analog weisen auch die beiden Verfahren IG und IPA den Nachteil auf, dass die Stichprobengröße die Attributzuordnung bedingt. Lediglich

die

CIT

sowie

die

LBA

erlauben

somit

eine

von

der

Stichprobengröße unabhängige Attributkategorisierung. Bei diesen beiden Methoden ist ferner die Möglichkeit der Kategorisierung und Auswertung der Attribute auf Individualniveau positiv hervorzuheben. IPA, IG und PRCA erlauben hingegen lediglich eine agreggierte Auswertung und Klassifikation und basieren auf der als kritisch zu sehenden Prämisse einer Homogenität der Stichprobe.431 Als sicherlich größte Schwäche sämtlicher dargestellter Ansätze sind jedoch die unzureichende Validität sowie Reliabilität der Methoden zu

428 429 430 431

Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S. 78. Vgl. Maddox (1981), S. 102; Stauss (1999), S. 16. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S. 78. Vgl. Bartikowski/Llosa (2004), S. 78.

74 nennen.432 Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass keine der dargestellten Methoden zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren uneingeschränkt überzeugen kann (vgl. Tabelle 2). Bewertungskriterium

CIT

LBA

IPA

IG

PRCA

Ex ante Kategorisierung der Attribute möglich











Einfachheit der Datenerhebung (erlaubt Berücksichtigung einer großen Attributzahl)





+

+

+

Regeln für Attributkategorisierung sind theoretisch begründet/abgeleitet





+

+

+

Unabhängigkeit der Attributskategorisierung von Gesamtzahl der Attribute (absolute Kategorisierung)

+

+





+

Unabhängigkeit der Attributskategorisierung von Stichprobengröße (feste Regeln)

+

+







Attributkategorisierung und -auswertung auf Individualniveau möglich

+

+







Reliabilität und Validität zufrieden stellend











+ trifft vollständig zu; - trifft nicht zu CIT: Critical-Incident-Technique; LBA: Lob-und Beschwerdeanalyse; IPA: Importance-PerformanceAnalysis; IG: Importance Grid; PRCA: Penalty-Reward-Contrast-Analysis

Tab. 2:

Kriterienkatalog zur Bewertung von Methoden zur Attributkategorisierung

Quelle:

In Anlehnung an Bartikowski/Llosa (2004), S. 79.

432

Vgl. hierzu auch die Übersicht bei Fischer/Pechalner (2004), S. 471.

75 2.6 Zusammenführung der Erkenntnisse Die Ausführungen der vorangestellten Kapitel dienen der Abgrenzung und Einordnung des Untersuchungsgegenstandes sowie als Grundlage für den nachfolgenden speziellen Teil der Arbeit. Die wichtigsten Erkenntnisse stellen sich wie folgt dar:  Das Kundenzufriedenheitskonstrukt wird aufgrund seiner direkten und indirekten Auswirkungen auf das Verhalten von Konsumenten als Schlüsselvariable für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens betrachtet und dient als wichtige Erfolgsgröße im betrieblichen Zielsystem.  Kundenzufriedenheit stellt als mehrfaktorielles Konstrukt das Ergebnis dynamischer kognitiver und affektiver Evaluierungsprozesse dar. Im Rahmen dieser Vergleichsprozesse erfolgt auf Attributebene die Gegenüberstellung einer ex ante gebildeten Soll-Komponente mit einer ex post erfahrenen Ist-Komponente. Die so generierten Teilzufriedenheiten werden auf Basis von kompensatorischen und nicht-kompensatorischen Multiattributmodellen zu einer umfassenden Gesamtzufriedenheit aggregiert, wobei ein nicht linearer, asymmetrischer Zusammenhang zwischen den Teilzufriedenheiten und der Gesamtzufriedenheit festgestellt werden kann. Die Attributzufriedenheiten lassen sich hierbei hinsichtlich der jeweiligen Einflussstärke sowie der Einflussrichtung differenzieren.  Eine Vielzahl empirischer Studien liefert methodenunabhängige Belege für die Annahme einer Mehrfaktorenstruktur des Kundenzufriedenheitskonstruktes. Hierbei kann die Dominanz einer dreifaktoriellen Sichtweise mit der Unterscheidung zwischen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren konstatiert werden, die verschiedene, temporal variierende Einflüsse auf die Entstehung der Kundenzufriedenheit ausüben.  Zur Identifikation und Klassifikation der Zufriedenheitsfaktoren stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Diese unterscheiden sich hinsichtlich der theoretischen Fundierung und verwendeten Methodik teils erheblich und verfügen über spezifische Vor- und Nachteile.

76

3 Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit 3.1 Konzeptionelle Vorüberlegungen Die Kano-Theorie der Kundenzufriedenheit nimmt in der Marketingforschung mittlerweile einen festen Platz als Erklärungsansatz der Kundenzufriedenheit ein.433 Bei einer näheren Betrachtung dieses Themengebietes fällt auf, dass hierbei zwischen dem Kano-Modell und der Kano-Methode differenziert wird. Die theoretischen Überlegungen zu den verschiedenen Leistungsattributen sowie die grafische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Erwartungserfüllung und Kundenzufriedenheit werden gemeinhin als KanoModell bezeichnet, das somit als weiteres theoretisches Konzept zur Erklärung der Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit gilt.434 Im Unterschied dazu stellt die Kano-Methode eine Methodik zur Identifikation und Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren dar. Obgleich diese beiden Elemente der Kano-Theorie häufig gemeinsam betrachtet und die unterschiedlichen Bezeichnungen mitunter gar synonym verwendet werden, behandeln sie doch zwei unterschiedliche Aspekte der Kundenzufriedenheitsforschung, weshalb eine isolierte Diskussion durchaus sinnvoll erscheint. Fischer/Pechlaner bspw. erklären asymmetrische Beziehungen zwischen Kundenzufriedenheit und Attributausprägung mittels der Assimilations-Kontrast-Theorie, sie verwenden jedoch zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren die Kano-Methode.435 Aus diesem Grund erfolgt auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine separate Darstellung des Kano-Modells sowie der Kano-Methode und der jeweils interessierenden Fragestellungen. Die Ausgangsbasis sowohl des Kano-Modells als auch der Kano-Methode stellt jedoch gleichermaßen die „Theory of Attractive Quality“ dar, die im folgenden Abschnitt erläutert wird (Abschnitt 3.2.3). Anschließend erfolgt die Darstellung des Kano-Modells der Kundenzufriedenheit, wobei zunächst überprüft wird, ob eine Adaption des Kano-Modells auf den Kundenzufriedenheitskontext auf Basis der grundsätzlichen Annahmen des C/D-

433 434 435

Vgl. Matzler/Fuchs/Schubert (2004), S. 1183; Yang (2005), S. 1127. Vgl. Matzler (2003), S. 341. Vgl. Fischer/Pechlaner (2004), S. 459 ff.

77 Paradigmas gerechtfertigt und plausibel erscheint (Abschnitt 3.2.2). Im Anschluss daran erfolgt eine Bestandsaufnahme der marketingwissenschaftlichen Literatur zum Kano-Modell (Abschnitt 3.2.3) und eine kritische Würdigung dieser Theorie zur Erklärung der Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit (Abschnitt 3.2.4). Schließlich wird mit der OpponentProcess-Theory ein geeigneter Ansatz zur theoretischen Fundierung des Kano-Modells dargestellt (Abschnitt 3.2.5). Im Anschluss daran erfolgt die Erläuterung der Kano-Methode als alternatives Verfahren zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren. Neben einer Darstellung der grundlegenden Methodik (Abschnitt 3.3.1) und diverser Auswertungsmöglichkeiten (Abschnitt 3.3.4) werden insbesondere die Validität und Reliabilität dieses Operationalisierungsansatzes erläutert (Abschnitt 3.3.5). Analog zum Vorgehen beim Kano-Modell erfolgt eine Sichtung der relevanten Literatur zur Kano-Methode (Abschnitt 3.3.6) und schließlich eine kritische Würdigung dieser Methode zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren (Abschnitt 3.3.7).

3.2 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit 3.2.1 Theory of Attractive Quality als Ausgangspunkt des Kano-Modells Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit hat seinen Ursprung in der so genannten „Theory of Attractive Quality“ von Kano, der in seinen Studien den Zusammenhang zwischen dem Erfüllungsgrad eines Qualitätsattributes und der Zufriedenheit des Kunden mit eben diesem analysiert.436 Die Entstehung des Modells lässt sich auf die siebziger Jahre datieren. Zu dieser Zeit strebt die Firma Konica im Zuge einer zunehmenden Produkthomogenisierung bei gleichzeitig steigendem Wettbewerbsdruck die Entwicklung eines neuen Kameramodells an. Durch die Kreation innovativer Produkteigenschaften soll ein vollkommen neuartiges Kameramodell entwickelt werden, mit dem die erneute Marktführerschaft realisiert werden

436

Vgl. Kano (1968; 1987; 1995; 2001); Kano et al. (1984). Im angloamerikansichen Sprachraum wird das Kano-Modell bisweilen alternativ als Theory of Attractive Quality bezeichnet. Vgl. Kondo (2000), S. 647 ff.; Löfgren/Wittel (2005), S. 7; NilssonWittel/Fundin (2005), S. 152; Lilja/Wiklund (2006), S. 55 ff.

78 kann. Durch eine Kundenbefragung im Rahmen der Produktentwicklung werden nur geringfügige Mängel an den bisher angebotenen Modellen und mithin keine Notwendigkeit für die Integration neuer Produkteigenschaften festgestellt. Daraus wird die Annahme abgeleitet, dass der Schlüssel zum Erfolg in eher latenten, nicht explizit artikulierten oder bewussten Kundenbedürfnissen liegt.437 Auf Basis dieser Erkenntnisse schlussfolgert Kano zudem, dass zwischen der Erfüllung dieser latenten Bedürfnisse und der Entstehung von Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit ein enger Zusammenhang besteht. Kano beruft sich hierbei auf die Ausführungen von Shewhart, der sich mit der Bedeutung von Qualität im industriellen Kontext auseinandersetzt.438 Shewhart postuliert, dass bei der Betrachtung von Qualität grundsätzlich zwischen den beiden unterschiedlichen Aspekten der subjektiven sowie der objektiven Qualität differenziert werden müsse: „there are two common aspects of quality. One of these has to do with the consideration of the quality of a thing as an objective reality independent of the existence of man. The other has to do with what we think, feel, or sense as a result of the objective reality. In other words, there is a subjective side of quality.“439 Die objektive Qualität beschreibt somit die Gesamtheit von Merkmalen eines Produktes oder einer Dienstleistung bzgl. deren Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen. Im Unterschied dazu repräsentiert die subjektive Qualität die individuelle Wahrnehmung und Interpretation der tatsächlichen, objektiven Qualität durch den Kunden.440 Entsprechend können Objekte mit identischer objektiver Qualität hinsichtlich der Wahrnehmung der subjektiven Qualität aufseiten der Kunden stark differenzieren. Auf Basis dieses frühen Konzeptionalisierungsansatzes von Shewhart lässt sich in der Folge in der wissenschaftlichen Diskussion eine Vielzahl unterschiedlicher und heterogener Begriffsdefinitionen feststellen.441 Bis in die 1950er Jahre wird der Qualitätsbegriff primär aus produktions- bzw.

437 438 439 440 441

Vgl. Sauerwein (2000), S. 25. Vgl. Gitlow/Oppenheim/Oppenheim (1995), S. 16. Shewhart (1931), S. 53. Vgl. Ting/Chen (2002), S. 548. Für eine Übersicht der unterschiedlichen Definitionsansätze vgl. Kano et al. ( 1984), S. 167 ff.; Garvin (1988), S. 40 ff.

79 anbieterbezogener Sichtweise als Konformität einer Einheit mit den Konstruktions- respektive Produktionsplänen aufgefasst.442 Im Laufe der Zeit wird diese Sichtweise jedoch insbesondere im Marketingkontext durch ein stärker kundenorientiertes Begriffsverständnis erweitert, demzufolge Qualität die Eigenschaften eines Produktes beschreibt, bekannte oder latente relevante Bedürfnisse eines Kunden zu befriedigen.443 Dieser Ansatz geht somit nicht von der Leistung sondern vom Kunden aus und nimmt eine begriffliche Gleichsetzung von Qualität und Qualitätswahrnehmung vor.444 Es wird somit stärker der Aspekt der Nutzendimension aus Kundensicht berücksichtigt und auf die Erfüllung der individuellen Kundenpräferenzen rekurriert. So definieren Homburg et al. Qualität als „customer’s perception about the relative superiority of a supplier’s offering along relevant product dimensions.“445 Dieser kundenzentrierte Ansatz wird in der Folge zur dominierenden Auffassung eines marketingorientierten Qualitätsbegriffs.446 Der Qualität einer Leistung kommt aufgrund seiner Bedeutung bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit in der betriebswirtschaftlichen Forschung eine hohe Relevanz zu. Eine Vielzahl von Studien weist einen positiven Zusammenhang zwischen Attributqualität und Attributzufriedenheit nach, weshalb Qualität mithin als Antezedenzvariable der Kundenzufriedenheit aufgefasst wird.447 Darüber gilt die Erfüllung eines qualitativen Mindestniveaus als notwendig, um überhaupt vom Kunden als Kaufalternative wahrgenommen zu werden (order qualifier) und gilt somit als Basis für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.448. Über einen langen Zeitraum wird der Zusammenhang zwischen Attributqualität und Attributzufriedenheit als linear betrachtet. Dies unterstellt, dass die Zufriedenheit eines Kunden mit einem Leistungsattribut proportional zu dessen Erfüllungsgrad ansteigt (vgl. Abbildung 8). Es existieren wenige Publikationen, die sich mit charakteristischen Unterschieden zwischen einzelnen Qualitätsattributen befassen oder mit der Frage, welche unterschiedlichen Effekte

442 443 444 445 446 447 448

Vgl. Kano et al. (1984), S. 167; Kotler/Bliemel (2001), S. 78. Vgl. Keller (2002), S. 51; Chen/Su (2006), S. 595. Vgl. Stauss/Hentschel (1991), S. 238 f. Homburg et al. (2005), S. 5. Vgl. Kondo (2000), S. 648. Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 55; Olsen (2002), S. 241 sowie Abschnitt 2.2. Vgl. Fornell (1992), S. 7; Doney/Cannon (1997), S. 46; Mayer/Illmann (2000), S. 65.

80 Qualitätsattribute

mit

verschiedenen

Eigenschaften

auf

die

Kunden-

zufriedenheit haben.449 Der Anstoß für die Entwicklung des Kano-Modells resultiert aus diesem mangelnden Erklärungsbeitrag der eindimensionalen Sichtweise, weshalb Kano die Auffassung eines linearen Zusammenhangs zwischen Attributqualität und Attributzufriedenheit kritisiert: „That viewpoint assumes, that the degree of satisfaction or dissatisfaction of the customers is proportionate to the degree of physical materialization of each quality element [...]. In other words [...] it assumes a one-dimensional, linear relationship.“450

Abb. 8: Eindimensionale Konzeptionalisierung des Qualitätskonstruktes Quelle:

In Anlehnung an Kano et al. (1984), S. 170; Kano (1995), S. 67.

Kano verdeutlicht die mangelnde Aussagekraft dieser eindimensionalen Sichtweise am Beispiel eines TV-Gerätes mit den beiden Qualitätsattributen „Stromverbrauch“ und „Sicherheit im Betrieb“.451 Ein geringer Stromverbrauch führt zu Zufriedenheit, während ein hoher Stromverbrauch die Entstehung von Unzufriedenheit bedingt. Im Unterschied dazu resultiert aus einem sicheren Betrieb eines TV-Gerätes keine Zufriedenheit der Kunden, während sie sehr unzufrieden sind, falls dies nicht möglich ist. Eine eindimensionale Betrachtung

des

Qualitätskonstrukts

kann

zwar

die

Entstehung

von

Unzufriedenheit respektive Zufriedenheit für das Attribut „Stromverbrauch“ erklären, nicht jedoch für das Attribut „Sicherheit im Betrieb“.452 Neben diesem konkreten Beispiel begründen Kano et al. ihre Ablehnung auf Basis einer umfassenden Literatursichtung zu den verschiedenen Begriffsauffassungen und Abgrenzungen des Qualitätsbegriffs. Sie gelangen zu der Erkenntnis, dass letztlich alle Definitionen und Konzeptionalisierungsansätze

449 450 451 452

Vgl. Ting/Chen (2002), S. 548. Kano (1995), S. 65 f. Vgl. Kano (2001), S. 3. Vgl. Kano (2001), S. 3.

81 von Qualität auf der ursprünglichen Differenzierung von Shewhart basieren und sich lediglich durch eine unterschiedliche Berücksichtigung oder synonyme Verwendung der subjektiven und objektiven Aspekte im jeweiligen Ansatz unterscheiden.453 Kano et al. fordern jedoch eine analoge Berücksichtigung beider Aspekte und analysieren den Zusammenhang zwischen der subjektiven und der objektiven Qualität. Sie argumentieren, dass die objektive Qualität die Konformität der Produktanforderungen betrifft, während sich die subjektive Qualität auf die Zufriedenheit der Kunden bezieht. Erstere rekurriert somit auf den physischen Aspekt der Qualität, während zweitgenannte den psychischen Aspekt betont. Ferner betrachten sie die objektive Qualität als Untermenge oder nachgelagerten Aspekt der subjektiven Qualität.454 Auf Basis dieser Überlegungen kommt Kano zu dem Schluss, „that these two aspects should be treated in two different dimensions.“455

Abb. 9: Kano-Diagramm der Attractive Quality Quele:

In Anlehnung an Kano et al. (1984), S, 170; Kano (2001), S. 23.

Kano et al. verdeutlichen ihr Modell in einer grafischen Darstellung des zweidimensionalen Qualitätskonzeptes (vgl. Abbildung 9). Hierzu wird auf der

453 454 455

Vgl. Kano et al. (1984), S. 168 f.; Kano (1987), S. 144 ff. Vgl. Kano et al. (1984), S. 169. Kano (1995), S. 65 f.

82 horizontalen Achse im sog. Kano-Diagramm der physische Erfüllungsgrad bzw. die Funktionalität (state of physical fulfillment) eines spezifischen Qualitätsattributes abgetragen und auf der vertikalen Achse die korrespondierende affektive oder emotionale Reaktion des Kunden (customer perception).456 Die Autoren nehmen an, dass der Zusammenhang zwischen diesen beiden Dimensionen, also dem Erfüllungsgrad eines Qualitätsattributes und der Zufriedenheit mit eben diesem, entweder linear, asymmetrisch oder aber nicht existent sein kann.457 Auf Basis dieser unterschiedlichen Zusammenhänge leiten die Autoren die Existenz der fünf folgenden Qualitätsattribute ab:458  Must-be quality elements: Qualitätsattribute dieser Kategorie werden vom Kunden erwartet und vorausgesetzt. Eine Nicht-Erfüllung dieser Attribute führt zu großer Unzufriedenheit beim Kunden. Im Unterschied dazu resultiert ein hoher physischer Erfüllungsgrad der Qualitätsattribute nicht in Zufriedenheit, sondern kann lediglich Unzufriedenheit vermeiden. „Must-be quality“ Elemente werden von den Kunden nicht explizit artikuliert sondern implizit als Muss-Kriterium des Anbieters vorausgesetzt.  One-dimensional quality elements: Die Beziehung zwischen dem Erfüllungsgrad und der Zufriedenheit entspricht bei diesen Attributen der eindimensionalen Sichtweise und somit einem proportionalen Zusammenhang. Je höher der physische Erfüllungsgrad eines Produktes, desto höher die Zufriedenheit des Kunden und vice versa. „One-dimensional quality“ Elemente werden in der Regel vom Kunden explizit verlangt.  Attractive quality elements: Zu dieser Kategorie zählen Qualitätsattribute, die bei einem hohen Erfüllungsgrad Zufriedenheit bzw. Begeisterung aufseiten des Kunden auslösen, deren Nicht-Erfüllung jedoch keine Unzufriedenheit bedingt. „Attractive quality“ Elemente werden von den Kunden weder explizit erwartet noch artikuliert. Sie stellen latente, unbewusste Bedürfnisse dar, weshalb eine Erfüllung dieser Anforderungen zu überproportionaler Kundenzufriedenheit führt.

456 457 458

Vgl. Fundin/Nilsson (2003), S. 8. Vgl. Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 155. Vgl. Kano et al. (1984), S. 170; Kano (2001), S. 4 f.; Löfgren/Witell (2005), S. 10.

83  Indifferent quality elements: Solche Qualitätsattribute verursachen unabhängig von ihrem Erfüllungsgrad weder Zufriedenheit noch Unzufriedenheit. Sie haben folglich für die Kunden keine Bedeutung. Ihre Abbildung im Kano-Diagramm entspräche der horizontalen Achse.  Reverse quality elements: Diese Kategorie subsummiert Qualitätsattribute, die einen umgekehrt proportionalen Zusammenhang zwischen dem technischen Erfüllungsgrad und der Zufriedenheit aufweisen. Das bedeutet, ein unzureichender Erfüllungsgrad resultiert in Zufriedenheit beim Kunden, während ein hoher Erfüllungsgrad Unzufriedenheit verursacht. Eine Abbildung der „reverse quality“ Elemente entspräche im Kano-Diagramm ein um 90° nach rechts gedrehter Verlauf der „one-dimensional quality“ Elemente. Auf Basis dieser Unterscheidung lassen sich mit der Theory of Attractive Quality sowohl linear proportionale als auch asymmetrische Zusammenhänge zwischen dem technischen Erfüllungsgrad eines Produktes und der Kundenzufriedenheit erklären (vgl. Tabelle 3). Bei der Entwicklung ihres Modells werden Kano et al. auch von den Überlegungen anderer Autoren inspiriert. „It is a fact that we were influenced by Herzberg’s Motivater-Hygiene Theory (MH-Theory) in behavioral science to develop the Attractive Quality Theory.“ 459 So können die „attractive-quality“ Elemente als Pendant der Motivatoren bei Herzberg betrachtet werden, während die „must-be quality“ Elemente den Hygiene-Faktoren entsprechen.460 Ferner erwähnen die Autoren konzeptionelle Ähnlichkeiten mit Mizunos Konzept der „plus quality and minus quality“, Ishikawas „front-facing quality and back-facing quality“ sowie Kojimas Ausführungen zu „necessary conditions and attractive conditions“.461 Während diese Autoren lediglich generelle Konzeptionen und Vorschläge für eine Nomenklatur von Qualitätsattributen bieten, entwickeln Kano et al. aufbauend auf ihrem Modell auch eine Methodik zur Identifikation und Klassifikation ebendieser ermöglicht.462

459 460 461

462

Kano (2001), S. 6. Zur Theorie von Herzberg vgl. Abschnitt 2.4.5. Vgl. Sauerwein (2000), S. 31. Vgl. Mizuno (1971), S. 5 f.; Ishikawa (1973), S. 70 ff.; Kojima (1972), S. 11 ff.; alle Quellen zitiert nach Kano et al. (1984), S. 171. Vgl. Ting/Chen (2002), S. 555 f.; Löfgren/Witell (2005), S. 10.

84

Tab. 3:

Kundenreaktion auf die Qualitätsattribute in Abhängigkeit des Erfüllungsgrades

Quelle:

In Anlehnung an Schvaneveldt/Enkawa/Miyakawa (1991), S. 155.

Die Theory of Attractive Quality postuliert neben der Unterscheidung verschiedener Kategorien von Qualitätsattributen zudem eine dynamische Sichtweise der Qualitätsattribute. Dies bedeutet, dass sich die Attributkategorien im Zeitverlauf ändern und einen spezifischen Lebenszyklus durchlaufen („indifferent quality“  „attractive quality“  „one-dimensional quality“  „must-be quality“).463 Diese Annahme wird gestützt durch eine Längsschnittstudie bzgl. der Wahrnehmung einer TV-Fernbedienung, deren Klassifikation sich über einen Zeitraum von 15 Jahren von einem „attractive“ über ein „one-dimensional“ zu einem „must-be“ Attribut ändert.464

3.2.2 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Interesses an der Faktorstruktur des Zufriedenheitskonstruktes sowie an asymmetrischen und dynamischen Effekten bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit stehen die Aussagen der Theory of Attractive Quality Mitte der 1990er Jahre zunehmend im Fokus der Kundenzufriedenheitsforschung. Hierbei wird gemeinhin zwischen dem Kano-Modell und der Kano-Methode differenziert. Während die theoretischen Überlegungen zu den verschiedenen Leistungsattributen sowie die grafische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Erwartungserfüllung und Kundenzufriedenheit i.d.R. unter den Begriffen Kano-Modell oder Kano-Theorie verstanden werden, bezeichnet die Kano-Methode im Allgemeinen einen Messansatz zur Identifikation und Klassifikation dieser Attribute. Das Kano-

463 464

Vgl. Kano (2001), S. 6 ff. Vgl. Kano (2001), S. 6 f.

85 Modell

stellt

somit

ein

theoretisches

Konzept

zur

Erklärung

einer

Mehrfaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit dar,465 während die KanoMethode als alternativer Ansatz in den Methodenkanon zur Messung des Zufriedenheitskonstruktes eingeht. Mit dem Kano-Modell der Kundenzufriedenheit wird üblicherweise die grafische Darstellung des Zusammenhangs zwischen der Erwartungserfüllung und den Verläufen der Zufriedenheitsfaktoren bezeichnet (vgl. Abbildung 10). Im Unterschied zum Ursprungsmodell von Kano et al. wird jedoch anstatt der Funktionalität eines Produktes die Erwartungserfüllung betrachtet.466 Ferner wird anstelle des Qualitätsattributes der Begriff des Leistungsattributes verwendet. Im deutschen Sprachgebrauch haben sich für die Bezeichnungen des originären Kano-Modells die Begriffe Basisfaktoren („must-be quality“), Leistungsfaktoren („one-dimensional quality“) sowie Begeisterungsfaktoren („attractive quality“) etabliert.

Abb. 10: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit Quelle:

465

466

In Anlehnung an Bailom et al. (1996), S. 118.

Einige Autoren verwenden das Kano-Modell sogar als Gattungsbegriff für die Dreifaktoren-Theorie der Kundenzufriedenheit. Vgl. Matzler (2003), S. 341. Vgl. Kano et al., (1984), S. 170; Homburg/Stock-Homburg (2006), S. 33.

86 Bei der Übertragung des Kano-Modells auf den Kundenzufriedenheitskontext gilt es die geänderten Achsenbeschriftungen zu beachten. Während Kano et al. auf der vertikalen Achse die Kundenreaktion als eher primär kognitivemotionale Reaktion auffassen, subsumiert der Kundenzufriedenheitsbegriff sowohl affektive als auch kognitive Reaktionen.467 Wichtiger erscheint jedoch die abweichende Beschriftung der horizontalen Achse. Diese bildet im Rahmen der Theory of Attractive Quality den physischen Erfüllungsgrad eines Qualitätsattributes und folglich die objektive Qualität ab, während die Abszisse des Kano-Modells im Kundenzufriedenheitskontext das Ausmaß der Erwartungserfüllung der Kunden beschreibt.468 Es ist offensichtlich, dass der physische Erfüllungsgrad der objektiven Qualität und die Erwartungserfüllung essentiell unterschiedliche Größen darstellen. Erstere rekurriert auf das Produkt selbst und somit die Produkteigenschaften. Im Unterschied dazu bezieht sich die Erwartungserfüllung darauf, was der Kunde erhält und unterstellt somit, dass verschiedene Kundenreaktionen mit der Erfüllung von unterschiedlichen Kundenbedürfnissen korrelieren.469 Die Erwartungserfüllung muss demzufolge nicht notwendigerweise in einer Beziehung zu physischen Qualitätsattributen stehen, sofern diese für den Kunden keine Relevanz aufweisen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Adaption des Kano-Modells auf den Kundenzufriedenheitskontext überhaupt möglich ist. Trotz der Abweichungen vom Originalmodell erscheint die Verwendung der Kernannahmen der Theory of Attractive Quality im Rahmen der Kundenzufriedenheitsforschung plausibel und gerechtfertigt. Denn Kundenzufriedenheit wird im Rahmen des C/D-Paradigmas bekanntlich als Ergebnis eines Soll-Ist-Vergleichs definiert.470 Während also bei Kano et al. die Zufriedenheit mit einem Qualitätsattribut das Ergebnis eines Vergleiches zwischen subjektiver und objektiver Qualität einer Leistung darstellt, ist übertragen auf das C/D-Paradigma - Kundenzufriedenheit das Ergebnis eines Vergleiches der Erwartungen eines Kunden mit der wahrgenommenen, subjektiven Qualität eines Leitungsattributes. Die objektive Qualität des Kano-

467 468 469 470

Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 59 sowie Abschnitt 2.1. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 60. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 60. Vgl. Abschnitt 2.4.1.

87 Modells im Qualitätskontext entspricht somit dem Erwartungsniveau bzw. der Soll-Komponente des C/D-Paradigmas, die subjektive Qualität analog der tatsächlichen Leistung oder Ist-Komponente. Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit greift folglich die Ideen der Theory of Attractive Quality auf und verknüpft diese mit den Annahmen des C/D-Paradigmas.471 Ferner erscheint auch vor dem Hintergrund des bereits aufgezeigten engen Zusammenhangs zwischen Attributqualität und Attributzufriedenheit die Adaption des ursprünglich für den Qualitätskontext entwickelten Kano-Modells auf den Zufriedenheitskontext gerechtfertigt. Das Kano-Modell erfreut sich in der Kundenzufriedenheitsforschung nicht zuletzt aufgrund einer Vielzahl von Vorteilen großer Beliebtheit. So ermöglicht die Klassifikation von Leistungsattributen ein besseres Verständnis der kundenseitigen Produktanforderungen. Mit Hilfe der Kano-Methode können solche Produkteigenschaften identifiziert werden, die den größten Einfluss auf die Zufriedenheit des Kunden haben.472 Zudem zeigt das Kano-Modell, dass entgegen der lange verbreiteten Annahme der Grenznutzen der Erhöhung der Qualität oder des Erfüllungsgrades eines Produkt- oder Serviceattributes nicht für alle Zufriedenheitsfaktoren gleich hoch ist. So führt die Erhöhung der Erwartungserfüllung eines Basisfaktors zu einem niedrigeren Zufriedenheitszuwachs als eine Erwartungserfüllung in gleicher Höhe bei einem Leistungsoder Begeisterungsfaktor.473 Ferner ermöglicht die Klassifizierung von Produkteigenschaften die Ableitung von Prioritäten im Rahmen der Produktentwicklung. So macht eine Weiterentwicklung von Basisanforderungen wenig Sinn, wenn diese bereits die Erwartungshaltung der Kunden erfüllen, da eine weitere Verbesserung keinen Beitrag zur Bildung von Kundenzufriedenheit leistet. Des Weiteren bietet die Attributkategorisierung auch eine Hilfestellung im Falle von Zielkonflikten bei der Produktentwicklung. Sofern zwei Leistungsattribute aus Kosten- oder Kapazitätsgründen nicht gleichzeitig realisiert werden können,

471 472 473

Vgl. Judt/Aigner (2004), S. 47. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 118. Vgl. Berger et al. (1993), S. 12.

88 kann mittels der Klassifikation das Attribut identifiziert werden, welches den größeren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit ausübt.474 Daneben ergibt sich aus der Berücksichtigung der unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Kunden bzgl. der jeweiligen Zufriedenheitsfaktoren eine Hierarchisierung der Leistungsattribute, die ein Produkt enthalten sollte. Als generelle Empfehlung sollten Unternehmen sämtliche Basisanforderungen erfüllen, konkurrenzfähig bzgl. der Leistungsattribute sein und zwecks Differenzierung vom Wettbewerb ausgewählte Begeisterungs-faktoren anbieten.475 Die Identifikation von Begeisterungsfaktoren ermöglicht Unternehmen zudem die Differenzierung und Profilierung vom Wettbewerb, da solche Eigenschaften das Produkt von den häufig homogenen Wettbewerbsangeboten innerhalb einer Warengruppe differenziert.476 Insbesondere scheinen Begeisterungsfaktoren geeignet, nicht nur Zufriedenheit, sondern vielmehr sogar Begeisterung und Entzückung auszulösen, indem die Anforderungen und Erwartungen der Kunden nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt werden.477 Ferner ermöglicht das Kano-Modell die Berücksichtigung unterschiedlicher Kundensegmente, die sich hinsichtlich der jeweiligen Klassifikation der Leistungsattribute unterscheiden können. Da die Erwartungen und Anforderungen der Kunden an Produkte oder Services in starkem Maße auch von bereits vergangenen Erfahrungen (Konsumerlebnissen) beeinflusst werden, gestattet eine segmentspezifische Klassifikation der Leistungsattribute die Konzeption zielgerichteter Problemlösungen und Angebote, die die Erreichung des bestmöglichen Zufriedenheitsgrades im jeweiligen Kundensegment ermöglichen. Daneben erlaubt das Kano-Modell eine dynamische Betrachtung der Kategoriezugehörigkeit der einzelnen Attribute.478 Im Zeitverlauf entwickeln sich Begeisterungsfaktoren zunächst zu Leistungsfaktoren und später zu

474 475 476 477 478

Vgl. Bailom et al. (1996), S. 118. Vgl. Berger et al. (1993), S. 12. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 118. Vgl. Shen/Tan/Xie (2000), S. 93. Vgl. Sauerwein (2000), S. 31 f.

89 Basisfaktoren. Diese dynamische Natur des Kano-Modells kann auf Basis des C/D-Paradigmas damit erklärt werden, dass die Erwartungshaltung der Kunden bzgl. einzelner Leistungskomponenten in starkem Maße von vergangenen Erfahrungen beeinflusst wird.479 Schließlich kann anhand des Kano-Modells erklärt werden, weshalb Kunden mit unterschiedlichen Aspekten eines Produktes gleichzeitig sowohl zufrieden als auch unzufrieden sein können.480 Wie bereits aufgezeigt bedeutet dies vor dem Hintergrund des C/D-Paradigmas, dass Konsumenten für unterschiedliche Leistungsattribute jeweils eigene Soll-Ist-Vergleiche durchführen und diese in Abhängigkeit ihres jeweiligen Bedeutungsgewichtes sowie des Ausmaßes an positiver bzw. negativer Diskonfirmation zu einem aggregierten Zufriedenheitsurteil verdichtet werden.481

3.2.3 Bestandsaufnahme der Literatur zum Kano-Modell Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit bleibt im Marketing zunächst einige Zeit weitgehend unbeachtet.482 Mittlerweile lässt sich jedoch eine Vielzahl von Publikationen zu diesem Thema konstatieren und eine Durchsicht der relevanten Literatur zeigt eine breite Akzeptanz der Überlegungen von Kano et al.483 Im deutschsprachigen Raum ist Göppel einer der Ersten, der die Ideen von Kano et al. aufgreift.484 Seine Ausführungen beschränken sich jedoch auf die Erläuterung des Kano-Modells mit seinen unterschiedlichen Leistungsfaktoren und der Darstellung der daraus resultierenden Implikationen für die Produktentwicklung. Holtz bezeichnet das Kano-Modell als einen Erklärungsansatz, der sowohl Gedanken aus den Inhalts- als auch Prozesstheorien der Kundenzufriedenheit vereint.485 Hierbei verweist der Autor auch auf die inhaltliche Nähe des Kano-Modells zur Bedürfnistheorie von Maslow. So entsprechen gemäß

479 480 481 482 483 484 485

Vgl. Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 448. Vgl. Fundin (2005), S. 14. Vgl. Abschnitt 2.4.1. Vgl. Baier (2001), S. 10. Vgl. Löfgren/Witell (2005), S. 9; Chen/Su (2006), S. 597. Vgl. Göppel (1992). Vgl. Holtz (1998), S. 52 ff.

90 Holtz die Basisanforderungen den physiologischen Grundbedürfnissen bei Maslow, die Leistungsanforderungen den Sicherheits- und sozialen Bedürfnissen und die Begeisterungsanforderungen Maslows Selbstverwirklichungsbedürfnissen.486 Nilsson-Witell/Fundin identifizieren Parallelen zwischen dem Kano-Modell und dem Total-Product-Concept von Levitt.487 Den als minimale Kaufanforderungen bezeichneten „generic product“ sowie „expected product“ bei Levitt entsprechen die Basisanforderungen im Kano-Modell, während das „augmented product“ als Pendant zu den Leistungsfaktoren gesehen werden kann und dem „potential product“ die Begeisterungsfaktoren im Kano-Modell gleichkommen. Analog zum Kano-Modell enthält ferner auch der Ansatz von Levitt eine dynamische Dimension, da sich die Minimalanforderungen im Zeitverlauf verändern.488 Als Folge des zunehmenden Einvernehmens, Kundenzufriedenheit als dreifaktorielles Konstrukt aufzufassen, beschäftigt sich eine große Zahl an Publikationen mit den generellen Aussagen und Annahmen des Kano-Modells und dessen Eignung als Theoriealternative zur Erklärung der Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit. So verwenden Bailom et al. sowie Matzler/ Pechlaner/Siller das Kano-Modell als geeignetes theoretisches Konzept zur Erklärung einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit.489 Auch Corbella/Maturana heben die Eignung des Kano-Modells zur Erklärung eines dreifaktoriellen Konstruktverständnisses hervor und betonen, dass das KanoModell stärker als andere theoretische Konzepte neben den Erwartungen der Kunden auch deren Präferenzen explizit berücksichtigt.490 Fundin erläutert in seiner Publikation insbesondere die dynamischen Aspekte des Kano-Modells sowie der Zufriedenheitsfaktoren und betrachtet dies ebenso als geeignetes theoretisches Konzept zur Erklärung einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit.491

486 487 488 489 490 491

Vgl. Maslow (1954); Holtz (1998), S. 52. Vgl. Levitt (1980), S. 83 ff.; Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 154 f. Vgl. Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 154. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 117 ff.; Matzler/Pechlaner/Siller (2001), S. 445 ff. Vgl. Corbella/Maturana (2003), S, 64 ff. Vgl. Fundin (2005), S. 15 ff.

91 Zahlreiche Autoren sehen einen großen Vorteil der Kano-Methode in der Berücksichtigung asymmetrischer Effekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit. So führen Ting/Chen in ihrer Arbeit eine empirische Überprüfung der postulierten asymmetrischen Effekte des Kano-Modells bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit durch.492 Auf Basis der Ergebnisse einer Regressionsanalyse finden die Autoren empirische Belege, die die Existenz asymmetrischer Effekte gemäß dem Kano-Postulat bestätigen. Ähnlich argumentiert auch Matzler. Er führt zur Erklärung von asymmetrischen Zusammenhängen zwischen der Attributqualität bzw. -zufriedenheit und der Gesamtzufriedenheit einen Vergleich zwischen den Annahmen der ProspectTheory und jenen des Kano-Modells durch.493 Matzler kommt zu dem Ergebnis, dass die Aussagen der Prospect-Theory hinsichtlich einer generellen Verlustaversion eines Individuums nur bezogen auf die Basiseigenschaften aus dem Kano-Modell zutreffen. Für Leistungseigenschaften kann diese Verlustaversion hingegen nicht konstatiert werden und bei Begeisterungseigenschaften trifft sogar das Gegenteil zu. Hier hat eine positive Wahrnehmung ein stärkeres Gewicht als eine negative Wahrnehmung derselben Intensität. Unter Bezugnahme auf die Ergebnisse mehrerer empirischer Arbeiten schlussfolgert Matzler daher, dass dem KanoModell gegenüber der Prospect-Theory zur Erklärung der Kundenzufriedenheit der Vorzug zu geben ist.494 Matzler et al. überprüfen vor dem Hintergrund eines dreifaktoriellen Konstruktverständnisses der Kundenzufriedenheit auf Basis des Kano-Modells der Anwendbarkeit der Importance-Performance-Analysis.495 Die Analyse von Kundenzufriedenheitsdaten mit einem Unternehmen der Automobilzulieferindustrie mittels IPA sowie multipler Regressionsanalyse zeigt, dass der von der IPA postulierte lineare Zusammenhang zwischen Attributwichtigkeit und Gesamtzufriedenheit nicht bestätigt werden kann. Vielmehr belegen die Ergebnisse mit den Annahmen des Kano-Modells kongruente asymmetrische Zusammenhänge zwischen Attributwichtigkeit und Gesamtzufriedenheit.

492 493 494 495

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Ting/Chen (2002), S. 547 ff. Matzler (2003), S. 341 ff. Matzler (2000), S. 343. Matzler et al. (2003), S. 111 ff.

92 Matzler/Fuchs/Schubert übertragen das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit auf den Anwendungsbereich der Arbeitszufriedenheit am Beispiel der pharmazeutischen Industrie.496 Mittels Faktorenanalyse und multipler Regressionsanalyse finden die Autoren empirische Belege für die Anwendbarkeit des Kano-Modells auf den Kontext der Arbeitszufriedenheit. Als Erkenntnisbeitrag der Literatursichtung kann festgehalten werden, dass das Kano-Modell als Theoriekonzept zur Erklärung einer dreifaktoriellen Struktur des Zufriedenheitskonstruktes geeignet ist und einen festen Platz in der Marketingforschung eingenommen hat. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die aufgeführten sowie weitere Arbeiten zum Kano-Modell der Kundenzufriedenheit.497

496 497

Vgl. Matzler/Fuchs/Schubert (2004), S. 1179 ff. An dieser Stelle werden nur solche Arbeiten aufgeführt, die ausschließlich das KanoModell sowie ggf. theoretische Erörterungen der Kano-Methode fokussieren. Eine Übersicht der Publikationen, die empirische Studien und konkrete Anwendungsfälle der Kano-Methode enthalten, findet sich in Abschnitt 3.3.6.

 Darstellung des Kano-Modells und der Kano-Methode.  Darstellung der Dynamik der Leistungsattribute und Ableitung eines Attribute Lebenszyklus    

Darstellung und Erläuterung des --Kano-Modells; Darstellung der Vorgehensweise bei der Durchführung eines KanoProjektes

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

Darstellung und Erläuterung des --Kano-Modells; Erläuterung dynamischer Aspekte im Kano-Modell

Integration der Kano-Systematik in  Ermittlung der Arbeitszufriedenheit die Darstellung des Importance-Grid von Sozialpädagogen in dänischen zur Klassifikation von ZufriedenheitsPflegeeinrichtungen faktoren der Mitarbeiterzufriedenheit  n= 300

Bailom et al. (1996)

Holtz (1998)

Kondo (2000)

Kano (2001)

Martensen/ Grønholdt (2001)

---

---

Ermittlung der Arbeitszufriedenheit Ermittlung der Self-Stated Importance Auswertung mittels Faktorenanalyse Ermittlung der Bedeutungsgewichte von einzelnen Indikatoren der Arbeitszufriedenheit mittels Regressionsanalyse  Klassifikation der Quadranten eines Importance-Grid der Mitarbeiterzufriedenheit gemäß der Kano-Systematik  Übertrag der Zufriedenheitsfaktoren des Kano-Modells führt zu einer signifikanten Verbesserung der Aussagekraft gegenüber einem klassischen Importance-Grid

 Darstellung der Grundideen des Kano-Modells sowie insbesondere der Unterschiede zwischen Basis- und Begeisterungsfaktoren  Erläuterung der Besonderheit des Qualitätskonzeptes für die Entwicklung des Kano-Modells sowie der Gemeinsamkeiten des Kano-Modells mit anderen Qualitätskonzepten

 Darstellung des Kano-Modells als Erklärungsansatz der Kundenzufriedenheit, der sowohl Gedanken aus den Inhalts- als auch Prozesstheorien kombiniert  Darstellung der inhaltlichen Nähe des Kano-Modells zur Bedürfnistheorie von Maslow

 Darstellung des Kano-Modells als geeignetes theoretisches Konzept zur Erklärung einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit  Darstellung des Ablaufs eines Kano-Projektes und der Fragebogengestaltung  Darstellung der Auswertungstabelle, der segmentspezifischen Auswertung, der Auswertungsregeln, der CS-Koeffizienten sowie des QualityImprovement-Indexes

 Darstellung des Kano-Modells und der einzelnen Zufriedenheitsfaktoren  Darstellung der Kano-Methode

 Darstellung des Kano-Modells und der einzelnen Zufriedenheitsfaktoren

Darstellung und Erläuterung des --Kano-Modells; Erläuterung dynamischer Aspekte im Kano-Modell

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

Kano (1995)

---

Göppel (1992)

Empirie

Anwendungsgebiet

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

Autor(en)

93

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells sowie einer modifizierten Form der KanoMethode

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells im Vergleich zu den Aussagen der Prospect-Theory

Corbella/ Maturana (2003)

Hinterhube/ Handlbauer/ Matzler (2003)

Matzler (2003) ---

---

 Darstellung und Vergleich des Kano-Modells sowie der Prospect-Theory bzgl. der Erklärung von asymmetrischen Zusammenhängen zwischen der Attributzufriedenheit und der Gesamtzufriedenheit  Das Kano-Modell eignet sich besser zur Abbildung asymmetrischer Effekte als die Prospect-Theory

 Darstellung des Kano-Modells zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Kundenerwartungen und Kundenzufriedenheit

 Darstellung des Kano-Modells als geeignetes theoretisches Konzept zur Erklärung einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit  Erläuterung der einzelnen Zufriedenheitsfaktoren  Darstellung der Kano-Methode  Darstellung des Ablaufs eines Kano-Projektes  Darstellung der Fragebogengestaltung sowie Entwurf einer verkürzten Form des Kano-Fragebogens

 Ermittlung der Attributzufriedenheit mit 43 Serviceattributen eines Supermarktes sowie der Gesamtzufriedenheit mit dem Supermarkt  Analyse des Zusammenhangs zwischen Attributzufriedenheit und Gesamtzufriedenheit mittels logarithmischer Regressionsanalyse  Empirische Belege für die Existenz asymmetrischer Zusammenhänge  Empirische Belege für die Existenz dynamischer Aspekte bei der Attributklassifikation  Empirische Belege für die Überlegenheit des Kano-Modells gegenüber den Aussagen der Prospect-Theory

Darstellung und Erläuterung des  Klassifikation von 43 Kano-Modells; Serviceattributen eines empirische Überprüfung der Supermarktes postulierten asymmetrischen Effekte  n= 435 bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit

Ting/Chen (2002)

---

 Darstellung und Vergleich des Kano-Modells sowie der Prospect-Theory zur Erklärung von asymmetrischen Effekten bei der Entstehung von Preiszufriedenheit  Ermittlung der Preiszufriedenheit mit Kfz-Werkstätten  Auswertung mittels Regressionsanalyse  Empirische Belege für die Vorteile des Kano-Modells zur Abbildung asymmetrischer Effekte gegenüber der Prospect-Theory

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

Matzler/ Pramhas (2002)

Empirie

Anwendungsgebiet

Darstellung und Erläuterung des  Ermittlung der Preiszufriedenheit mit Kano-Modells im Vergleich zu den Kfz-Werkstätten Aussagen der Prospect-Theory;  n= 316 Überprüfung der Anwendbarkeit des Kano-Modells als Erklärungsansatz zur Entstehung der Preiszufriedenheit

Autor(en)

94

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

Darstellung des Kano-Modells sowie --alternierender Konzepte zur Identifikation von Leistungssfaktoren

Fundin (2005)

Lilja/Wiklund (2006)

Tab. 4:

Darstellung und Erläuterung sowie Übertragung des Kano-Modells auf den Anwendungsbereich der Arbeitszufriedenheit in der pharmazeutischen Industrie

Matzler/Fuchs/ Schubert (2004)

 Darstellung des Kano-Modells  Darstellung der dynamischen Natur der Zufriedenheitsfaktoren

Ausgewählte Publikationen zum Kano-Modell

---

 Darstellung des Kano-Modells  Review über die verschiedenen Achsenbeschriftungen des KanoDiagramms und den damit verbundenen unterschiedlichen Aussagen und Bezugsgrößen  Kritik an der mangelnden theoretischen Fundierung des Kano-Modells

 Darstellung des Kano-Modells  Darstellung der dynamischen Natur der Zufriedenheitsfaktoren

 Klassifikation von 30 Attributen aus  Klassifikation mittels IPA 9 Bereichen der Arbeitszufriedenheit  Analyse des Einflusses der Attributzufriedenheit auf die  n= 123 Gesamtzufriedenheit mittels Faktorenanalyse und multipler Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen  Empirische Belege für die Bestätigung des Kano-Modells auch für den Kontext der Arbeitszufriedenheit  Schwächen der IPA bei der adäquaten Abbildung des Einflusses einzelner Zufriedenheitsfaktoren auf die Gesamt-Arbeitszufriedenheit

---

Darstellung und Erläuterung des Kano-Modells

 Ermittlung der Kundenzufriedenheit im Rahmen mündlicher Interviews  Datenanalyse mittels IPA sowie multipler Regressionsanalyse  Der von der IPA postulierte lineare Zusammenhang zwischen Attributwichtigkeit und Gesamtzufriedenheit kann nicht nachgewiesen werden  Empirische Belege für mit den Annahmen des Kano-Modells kongruenten asymmetrischen Zusammenhänge

Judt/Aigner (2004)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

 Ermittlung der Kundenzufriedenheit mit einem Automobilzulieferer  n= 259

Matzler et al. (2003)

Empirie

Anwendungsgebiet

Überprüfung der Anwendbarkeit der Importance-Performance-Analysis vor dem Hintergrund des KanoModells der Kundenzufriedenheit

Autor(en)

95

96 3.2.4 Kritische Würdigung des Kano-Modells Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Einvernehmens, Kundenzufriedenheit als dreifaktorielles Konstrukt zu betrachten, findet auch das Kano-Modell als Erklärungsansatz einer Dreifaktorenstruktur sukzessive Verbreitung. Die Grundannahmen des Kano-Modells einer dreifaktoriellen Struktur des Kundenzufriedenheitskonstruktes können mit Verweis auf die vorangegangenen Erläuterungen bestätigt werden (vgl. Abschnitt 2.4.5.2). Im Vergleich zu alternativen Erklärungsansätzen eignet sich das Kano-Modell insbesondere zur Erklärung asymmetrischer Effekte zwischen der Attributzufriedenheit und der Gesamtzufriedenheit. So wird dem Kano-Modell mittlerweile der Vorzug zur Erklärung dieser asymmetrischen Effekte vor der Prospect-Theory gegeben, da es stärker zwischen den Effekten der verschiedenen Attributkategorien differenziert.498 So zeigen die Ergebnisse mehrerer empirischer Studien, dass der S-förmige Kurvenverlauf der Prospect-Theory nur für einen Teil von Produkt- oder Serviceattributen zutrifft.499 Bei anderen Leistungsattributen kann die von der Prospect-Theory postulierte Verlustaversion hingegen nicht bestätigt werden. Ein weiterer Vorteil des Kano-Modells ist in der expliziten Berücksichtigung dynamischer Aspekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit zu sehen. Auf diese Weise leistet es einen Erklärungsbeitrag dafür, weshalb und wie die Wirkungen von einzelnen Leistungsattributen auf die Gesamtzufriedenheit mit einem Produkt oder Service im Zeitverlauf variieren.500 Trotz dieser Vorzüge kritisieren einige Autoren die Annahmen des KanoModells.501 So erfährt es mit Verweis auf die inhaltliche Nähe zu den Ideen von Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit bisweilen die gleichen Kritikpunkte wie dieser. Hierzu ist festzuhalten, dass Kano et al. gemäß eigener Aussage zwar von Herzbergs Ideen inspiriert werden,502 diese jedoch im Rahmen der Modell-Entwicklung keinesfalls auf den Kontext der

498 499

500 501

502

Vgl. Matzler (2003), S 343. Vgl. Anderson/Mittal (2000), S. 107 ff.; Matzler/Pramhas (2002), S. 177 ff.; Matzler/ Sauerwein (2002), S. 314 ff.; Ting/Chen (2002), S. 547 ff.; Matzler et al. (2004), S. 271 ff. Vgl. Tan/Pawitra (2001), S. 422. Vgl. Bharadwaj/Menon (1997) S. 107 ff.; Tan/Pawitra (2001), S. 418 ff.; Lilja/Wiklund (2006), S. 55 ff. Vgl. Kano et al. (1984), S. 171.

97 Qualität adaptieren und weiterentwickeln, sondern im Gegenteil, deutliche Unterschiede zu diesen aufweisen. Als wesentlicher Unterschied betrachtet Herzberg Zufriedenheit und Unzufriedenheit nicht als Gegenpole eines bipolaren Kontinuums, sondern vielmehr als zwei getrennte Faktoren mit den Gegenpolen Nicht-Zufriedenheit respektive Nicht-Unzufriedenheit. Im Unterschied dazu verstehen Kano et al. Zufriedenheit als ein Konstrukt, das über eine mehrfaktorielle Struktur verfügt.503 Ferner wird im Rahmen des Kano-Modells keine a priori Zuordnung von Qualitätsattributen zu den verschiedenen Klassifikationen vorgenommen, sondern stattdessen versucht, diese mittels der Kano-Methode zu klassifizieren.504 Zudem berücksichtigt Kano unterschiedliche Segmente von Kunden, die sich hinsichtlich der jeweiligen Klassifikation der Leistungsattribute unterscheiden können. Demgegenüber postuliert Herzberg eine generelle Gültigkeit seiner als Motivatoren bzw. Hygienefaktoren identifizierten Faktoren.505 Schließlich können die Ergebnisse Herzbergs bis dato ausschließlich bei Verwendung der Critical-Incident-Technique reproduziert werden, während sie mit alternativen Methoden nicht bestätigt werden können. Aus diesem Grund wird der Zwei-Faktoren-Theorie vorgeworfen, sie sei ein Artefakt ihrer Methode.506 Im Unterschied dazu werden die von Kano et al. genannten Zufriedenheitsfaktoren mit einer Reihe unterschiedlicher Methoden identifiziert und klassifiziert (vgl. Abschnitt 2.5.2), weshalb die genannten Kritikpunkte somit für das Kano-Modell als abgeschwächt gelten. Begründeter erscheint die Kritik von Lilja/Wicklund. Die beiden Autoren kritisieren das Fehlen einer theoretischen Fundierung des Kano-Modells und betrachten dieses daher lediglich als Methodik zur Identifikation und Klassifikation von Leistungsattributen und nicht als Theorie.507 „The Theory of Attractive Quality currently enables the classification and identification of

503

504 505 506 507

Vgl. Sauerwein (2000), S.32; Kaiser (2002), S. 46. Andere Autoren vertreten hingegen die Ansicht, dass auch Kano Zufriedenheit und Unzufriedenheit als zwei getrennte Konstrukte betrachtet. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 414 f.; Baier (2001), S. 10. In den Publikationen von Kano sowie Kano et al. lässt sich hierzu jedoch keine explizite Aussage finden und dieser Sichtweise widerspricht ferner die grafische Darstellung der Zufriedenheitsdimensionen im Kano-Diagramm. Vgl. Sauerwein (2000), S. 31 f. Vgl. Sauerwein (2000), S. 32. Vgl. Bidmon (2004), S. 64; Matzler/Fuchs/Schubert (2004), S. 1184. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 61 ff.

98 attractive quality elements but does not provide explanations as to why some elements are perceived as attractive while others are not.“508 Lilja/Wiklund beschreiben den entscheidenden Bestandteil des Kano-Modells als Blackbox: es könne zwar den Input in Form der objektiven Qualität eines Attributes sowie den Output in Form der subjektiven Qualität beschreiben, die psychologischen Prozesse bei der Verarbeitung der subjektiven Qualität und die Antwort auf die Frage, wie diese je nach Attributkategorie differieren, werden nicht erklärt.509 Die Autoren fordern daher eine theoretische Fundierung des Kano-Modells und der die Klassifikation der Leistungsattribute bedingenden Prozesse, wobei insbesondere die dynamischen Aspekte der Attributkategorisierung berücksichtigt werden sollten. So bleibt die Antwort auf die Frage ungeklärt, wie die emotionale Reaktion eines Individuums auf einen gleich bleibenden Stimulus über den Zeitverlauf variiert. Die Beantwortung dieser Frage erfolgt im Rahmen des folgenden Abschnitts mit der Darstellung der Opponent-Process-Theory. Diese Theorie eignet sich zur Erklärung der Faktorstruktur der Kundenzufriedenheit im Allgemeinen sowie den spezifischen Effekten der verschiedenen Faktoren im Speziellen und ist mit den Grundannahmen des C/D-Paradigmas vereinbar. Die Opponent-Process-Theory ist aufgrund ihrer Eignung zur Erklärung der Existenz von asymmetrischen und dynamischen Effekten zwischen der Attribut- und der Gesamtzufriedenheit von zentraler Bedeutung für die theoretische Fundierung der Kano-Theorie. Da dieser Ansatz somit maßgeblich für die Erreichung von Forschungsziel 1 ist, erfolgt im nächsten Abschnitt eine ausführliche Darstellung der Inhalte der Opponent-ProcessTheory sowie den daraus resultierenden Implikationen für das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit.

508 509

Lilja/Wiklund (2006), S. 61, Hervorhebung im Original. Vgl. Lilja/Wiklund (2006), S. 62.

99 3.2.5 Opponent-Process-Theory als Erklärungsansatz des Kano-Modells Die Opponent-Process-Theory beschäftigt setzt sich mit dynamischen Anpassungsprozessen einer aus einem spezifischen Ereignis resultierenden Emotion.510 Die im Wesentlichen von Solomon/Corbit entwickelte Theorie postuliert die Existenz zentraler Prozesse im Nervensystem eines Individuums, welche die Nivellierung positiver wie negativer emotionaler oder affektiver Reaktionen bedingen.511 Die Opponent-Process-Theory bedient sich zur Erklärung der postulierten Wirkungszusammenhänge dem grundlegenden physiologischen Prinzip der Homeostase.512 Homeostase beschreibt einen im Hypothalamus lokalisierten körpereigenen Kontrollmechanismus. Dort steuern neuronale Mechanismen die in Wechselbeziehung zueinander stehenden Vitalfunktionen eines Organismus. Hierzu zählen bspw. die Kontrolle der Kerntemperatur des menschlichen Körpers (Thermoregulation) sowie der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme.513 Durch die komplexe Interaktion von verschiedenen Hormonen, ausgelöst durch die Rückkopplung von aktuellen Körperinformationen wie z.B. dem aktuellen Blutzuckerspiegel, beeinflusst der Hypothalamus motivationales Verhalten wie bspw. die Nahrungsaufnahme eines Menschen. Diesem Begriffsverständnis folgend definiert Cannon Homeostase als „tendency to uniformity or stability in the normal body states of the organism.“514 Hurvich/Jameson erklären mit dem Homeostase-Prinzip Anpassungstendenzen bei der Farbwahrnehmung des menschlichen Auges.515 Nach dem Homeostase-Prinzip dient die Adaption des Körpers an spezifische Stimuli der Aufrechterhaltung eines konstanten Erregungsniveaus.516 Gerät dieser konstante Aktivierungszustand durch einen Stimulus aus dem Gleichgewicht, so setzt ein neurophysiologischer Prozess (Opponent-Prozess) ein. Dieser hat die Aufgabe, den Aktivierungszustand wieder auf das ursprüngliche Homeostase-Niveau zurück zu setzen, indem er auf den die Homeostase störenden Reiz in konträrer Weise reagiert.517 So

510 511 512 513 514 515 516 517

Vgl. Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 119. Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 119. Vgl. Fletcher (1942), S. 80; Oliver (1981), S. 30. Vgl. Parker/Tavassoli (2000), S. 35. Cannon (1932), S. 686, zitiert nach Fletcher (1942), S. 80. Vgl. Hurvich/Jameson (1957), S. 384 ff. Vgl. Weiner (1980), S. 352 f.; Matzler (2000), S. 17. Vgl. Hurvich/Jameson (1957), S. 384 ff.

100 reagiert der Körper zur Regulierung der Kerntemperatur mit den OpponentProzessen Schwitzen auf exzessive Hitze und Zittern auf große Kälte.518 Basierend auf der Annahme, dass die Homeostase neben den physiologischen Steuerungsprozessen in gleichem Maße der Regulierung des psychischen Gleichgewichts einer Person dient, übertragen Solomon und Corbit diese Theorie auf die Psychologie des Menschen.519 Sie postulieren, dass Individuen nach einem konstanten Niveau emotionaler Erregung streben. Einer Störung dieses emotionalen Gleichgewichts infolge aversiver oder angenehmer emotionaler Abweichungen wird durch das zentrale Nervensystem mit dem Ziel der Wiederherstellung des Gleichgewichtes in Form des Opponent-Prozesses entgegengewirkt.520 „The theory assumes that many hedonic, affective, or emotional states are automatically opposed by central nervous system mechanisms which reduce the intensity of hedonic feelings, both pleasant and aversive.“521 Zur Erklärung dieser Wirkungsweise beschreiben Solomon/Corbit das Standardmuster affektiver Dynamik, welches sich aus fünf Bestandteilen zusammensetzt (vgl. Abbildung 11).522 So löst die Wahrnehmung eines angenehmen respektive unangenehmen Stimulus (Prozess A) eine affektive, emotionale oder motivationale Reaktion aus, deren Intensität bis zur Erreichung eines Höchstpunktes zunächst rasch ansteigt (peak of primary affective reaction). Diesem Anstieg folgt eine Adaptionsphase, während der die Reaktionsintensität trotz gleich bleibender Stimulusintensität langsam abnimmt (adaption phase). Dieser Rückgang resultiert schließlich in einem stabilen Niveau affektiver Intensität, das so lange aufrechterhalten wird, wie Qualität und Intensität des Stimulus andauern (steady level). Sobald der Stimulus nach einer gewissen Zeit verschwindet endet die ursprüngliche Reaktion abrupt und es kommt zu einer qualitativ gegensätzlichen weiteren affektiven, emotionalen oder motivationalen Reaktion (Prozess B), die ihrerseits bis zur Erreichung eines Kulminationspunktes rasch ansteigt (peak of affective after-reaction).523 Nach Erreichung

518 519

520 521 522 523

Vgl. Oliver (1981), S. 30. Vgl. Solomon/Corbit (1973), S. 158 ff.; Solomon/Corbit (1974), S. 119 ff.; Solomon (1980), S. 691 ff. Vgl. Oliver (1981), S. 30. Solomon/Corbit (1974), S. 119. Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 120. Vgl. Bowling et al. (2005), S. 1047.

101 des Höchstpunktes nimmt auch die Intensität dieser Reaktion langsam ab (decay of after-reaction), bis nach einer gewissen Zeit das ursprüngliche Aktivierungsniveau wieder erreicht wird.524 Die so beschriebene Aktivierungssequenz vollzieht sich nach der Abfolge „Ausgangsniveau  A  B  Ausgangsniveau“.525 Hierbei ist zu beachten, dass „State A and State B appear to be in a contrasting relation to each other with regard to their reinforcing properties.“526

Abb. 11: Standardmuster affektiver Dynamik Quelle:

Solomon/Corbit (1974), S. 120.

Die spezifische Wirkungsweise des Opponent-Prozesses ist in Abbildung 12 dargestellt. Der obere Teil der Abbildung (Panel A) illustriert zwei Stadien der Informationsverarbeitung: während die kognitive Wahrnehmungsebene (cognitive perceptual stage) einen vorhandenen Stimulus in ein Informationssignal konvertiert, erfolgt im Rahmen der affektiven Informationsverarbeitung (affective stage) die Umwandlung dieser Information in ein affektives Signal, welches das zuvor gezeigte Verlaufsmuster aufweist.527 Folgendes Beispiel verdeutlicht diese Wirkungsweise: Die Wahrnehmung eines Hundes stellt für

524 525 526 527

Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 120. Vgl. Solomon/Corbit (1973), S. 159. Solomon (1980), S. 692. Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 127.

102 eine Katze einen Angst erzeugenden Stimulus kategorischer Art (Hund versus kein Hund) dar. Die kognitive Wahrnehmungsebene entdeckt den Hund, sobald und solange dieser in der Umgebung der Katze erscheint. Verschwindet der Hund, endet auch die Wahrnehmung desselben, es erfolgt keine Adaption oder Vermischung der kognitiven Wahrnehmung.528

Abb. 12: Opponent-Prozess Quelle:

528

In Anlehnung an Solomon/Corbit (1974), S. 126.

Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 127.

103 Im Unterschied dazu führt die affektive Informationsverarbeitung zu einem intensiven Angstzustand, der nach kurzer Zeit abfällt und sich auf einem spezifischen Angstniveau stabilisiert. Sobald der Hund verschwunden ist, klingt auch dieses Angstempfinden bei der Katze ab und es stellt sich für eine gewisse Dauer ein Gefühl der Erleichterung ein, bevor schließlich das ursprüngliche Erregungsniveau wieder erreicht wird.529 Der untere Teil von Abbildung 12 (Panel B) illustriert die aus drei Komponenten bestehende affektive Reaktion. Die erste Komponente ist die Wahrnehmung eines das affektive Gleichgewicht störenden Stimulus (Prozess A), der das Signal a auslöst. Dieses aktiviert die zweite Komponente, den entgegenwirkenden Prozess B (Opponent-Prozess), der das Signal b verursacht. Die dritte Komponente schließlich fungiert als Summator, der die beiden gegenläufigen Signale a und b aggregiert und als Resultat den Gesamtverlauf der affektiven Erregung bestimmt.530 Die Qualität sowie Intensität des Aktivierungsniveaus ergeben sich hierbei zu jeder Zeit aus der Differenz zwischen der Magnitude von Prozess A und der Magnitude von Prozess B, also aus |a – b|. Dies bedeutet, dass der Zustand A evident ist, so lange a > b ist. Hingegen herrscht der Zustand B vor, wenn der OpponentProzess zum Tragen kommt und b > a ist.531 Der Opponent-Prozess ist ein abhängiger Prozess, der indirekt durch die Existenz des gleichgewichtsstörenden Prozesses A ausgelöst wird. Er zeichnet sich durch eine spezifische Aktivierungsschwelle, Latenzzeit sowie Trägheit aus und kann unter spezifischen Bedingungen als Folge einer klassischen Konditionierung auch durch die Erinnerung an Ereignisse im Gedächtnis ausgelöst werden.532 Darüber hinaus konstatieren Solomon/Corbit eine Änderung des Erscheinungsbildes des Opponent-Prozesses nach mehreren Stimulationen des hedonistischen oder affektiven Gleichgewichtes: „The opponent process is strengthened through use and weakened through disuse, but the primary affective process is not seriously affected by use.“533 Demnach kommt es zu einer schrittweisen Gewöhnung und Wirkungs-

529 530 531 532 533

Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 127. Vgl. Solomon/Corbit (1974), S. 127. Vgl. Solomon (1980), S. 699. Vgl. Solomon/Corbit (1973), S. 162. Solomon/Corbit (1974), S. 129.

104 sättigung von wiederkehrend oder lang anhaltend erlebten Stimuli.534 Dies hat zur Folge, dass der Opponent-Prozess mit zunehmender Stimulation eine stärkere Intensität, eine höhere Asymptote sowie einen längeren Wirkungszeitraum aufweist und zudem schneller ausgelöst wird. Im Unterschied dazu ist der A-Prozess vergleichsweise änderungsresistent und behält seinen Ursprungsverlauf bei. Die Adaption des Opponent-Prozesses in Abhängigkeit der Stimuli-Darbietung führt folglich zu einem geänderten Verlaufsmuster affektiver Dynamik (vgl. Abbildung 13).

Abb. 13: Affektive Dynamik in Abhängigkeit der Häufigkeit der Stimuli-Darbietung Quelle:

In Anlehnung Solomon (1980), S. 700.

Im Vergleich zum Verlauf bei erstmaliger Stimulation (Panel A) führt die Anpassung des Opponent-Prozesses nach mehrmaliger Stimulation (Panel B) zu einem geringeren Kulminationspunkt und einem niedrigeren Adaptionsniveau des gleichgewichtsstörenden Prozesses A, gefolgt von einem intensiveren und länger anhaltenden Opponent-Prozess. Dies bedeutet, dass die Frequenz der Aktivierung des Opponent-Prozesses maßgeblich die emotionale Reaktion determiniert, da der Opponent-Prozess nach häufiger

534

Vgl. Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 119.

105 Aktivierung

stärker

das

affektive

Verlaufsmuster

beeinflusst

als

der

ursprüngliche A-Prozess.535 Die Grundlagen der Homeostase und der darauf basierenden OpponentProcess-Theory wurden in der Vergangenheit in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen angewendet und besitzen breite Akzeptanz.536 Landy und Bowling et al. verwenden die Opponent-Process-Theory zur Erklärung von dynamischen Aspekten der Arbeitszufriedenheit.537 Gardner rekurriert in seiner Arbeit zur Verhaltensforschung auf das Homeostase-Prinzip bei der Erklärung von dynamischen Aspekten im Rahmen von organisatorischen Änderungsprozessen.538 Parker/Tavassoli entwickeln in ihrer Arbeit zur Erklärung interkulturellen Konsumentenverhaltens auf Basis des Homeostase-Prinzips eine Kausalkette, in der die physikalische Umwelt den physiologischen und psychologischen Zustand einer Person beeinflusst, der seinerseits das jeweilige Konsumverhalten determiniert.539 Bruhn/Richter/Georgi verwenden sie als Erklärungsansatz für die Dynamik von Kundenerwartungen im Dienstleistungsprozess.540 Im Kontext der Kundenzufriedenheitsforschung wird die Opponent-Process-Theory im deutschsprachigen Raum insbesondere von Matzler aufgegriffen.541 Im Folgenden wird gezeigt, inwieweit sich die Opponent-Process-Theory als Erklärungsansatz zur theoretischen Fundierung des Kano-Modells eignet. Kongruent mit den Grundannahmen des C/D-Paradigmas wird Kundenzufriedenheit als Ergebnis eines kognitiven Vergleichsprozesses verstanden, welches das emotionale Gleichgewicht einer Person auf positive oder negative Weise stört. Das Ausgangsniveau entspricht hierbei dem emotionalen Gleichgewicht der Person oder deren Einstellung gegenüber einem Produkt oder einer Dienstleistung. Dem die Homeostase störenden Stimulus (Prozess A) entspricht die positive oder negative Diskonfirmation als Ergebnis des Vergleichsprozesses, aus der letztlich Zufriedenheit oder Unzufriedenheit

535 536 537 538 539 540 541

Vgl. Bowling et al. (2005), S. 1047. Vgl. Bowling et al. (2005), S. 1047. Vgl. Landy (1978); Bowling et al. (2005). Vgl. Gardner (1974). Vgl. Parker/Tavassoli (2000). Vgl. Bruhn/Richter/Georgi (2006). Vgl. Matzler (1997; 2000).

106 resultiert.542 Der daraufhin einsetzende Opponent-Prozess führt dazu, dass dieses (Un-)Zufriedenheitsniveau langsam abnimmt, indem er das emotionale Gleichgewicht eines Individuums wiederherstellt und auf ein vom zentralen Nervensystem gesteuertes Ausgangsniveau zurückführt.543 Entsprechend stellen sowohl Kundenzufriedenheit als auch -unzufriedenheit emotionale Zustände von lediglich begrenzter zeitlicher Dauer dar, da die emotionalen Reaktionen eines Kunden auf Stimuli zeitlich variieren.544 Übertragen auf die Kundenzufriedenheit bedeutet dies, dass eine häufige Stimulation des zentralen Nervensystems durch einen bestimmten Reiz zum einen eine nachlassende Wirkung des wahrgenommenen Stimulus im Zeitverlauf bedingt, zum anderen Lernprozesse beim Opponent-Prozess auslöst, in deren Folge sich Gewöhnungseffekte einstellen.545 Der Stimulus kann fortan keine Störung der Homeostase verursachen. Lediglich durch eine Verstärkung oder Modifikation des Stimulus kann nach einer spezifischen Gewöhnungsphase noch (Un-)Zufriedenheit erzeugt werden.546 Daraus folgt, dass neuartige wahrgenommene Stimuli, wie bspw. neue Produkteigenschaften, in der Lage sein können, das emotionale Gleichgewicht eines Individuums zu stören und positive oder negative Emotionen zu verursachen.547 Da der Opponent-Prozess bei diesen neuen Stimuli noch keine Gewöhnungseffekte ausbilden kann, setzt er erst mit einer zeitlichen Verzögerung ein. Übertragen auf die Kano-Klassifikation entsprechen solche Stimuli den Begeisterungsfaktoren. Da sie für das zentrale Nervensystem einen bis dato unbekannten Reiz darstellen sind sie in der Lage positive Emotionen und Kundenzufriedenheit zu bedingen, umgekehrt lösen sie jedoch keine Unzufriedenheit aus, wenn sie nicht wahrgenommen werden.548 Wird hingegen der Stimulus vom Kunden in Form eines spezifischen Produktoder Leistungsattributes häufiger wahrgenommen, setzen die bereits beschriebenen Gewöhnungseffekte ein, die in einer beschleunigten Aktivierung des Opponent-Prozess resultieren. Der Stimulus ist fortan nicht

542 543 544 545 546 547 548

Vgl. Oliver (1981), S. 30. Vgl. Oliver (1981), S. 30; Matzler (2000), S. 19. Vgl. Matzler (2000), S. 19; Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 119. Vgl. Bowling et al. (2005), S. 1047; Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 119. Vgl. Matzler (2000), S. 19. Vgl. Matzler (2000), S. 19. Vgl. Matzler (2000), S. 19.

107 mehr in der Lage, positive Emotionen beim Kunden auszulösen, während der Opponent-Prozess unverändert nachwirkt. Wird bspw. eine bestimmte Produkteigenschaft nicht mehr angeboten, so führt das Ausbleiben dieses Stimulus zu einer nachgelagerten Wirkung des Opponent-Prozesses, woraus schließlich negative Emotionen resultieren. Diesem Verlaufsmuster entsprechen die im Kano-Modell als Basisfaktoren klassifizierten Produkteigenschaften. Das Angebot oder die Wahrnehmung derselben bedingt keine Zufriedenheit, während ein ausbleibendes Angebot von als Basiseigenschaften klassifizierten Produkteigenschaften durch die nachgelagerte Wirkung des Opponent-Prozesses zu Unzufriedenheit führt.549 Die im Kano-Modell als Leistungsfaktoren klassifizierten Leistungsattribute müssen sich folgerichtig in einem Transformationsstadium zwischen diesen beiden Extremen befinden. Einerseits sind sie zwar aufgrund ihrer relativen Neuartigkeit in der Lage, bis zum Eintritt des Opponent-Prozesses kurzfristig positive emotionale Gefühle und somit Kundenzufriedenheit auszulösen. Andererseits hat jedoch die frühe Wahrnehmung des Stimulus bereits den Opponent-Prozess aktiviert, weshalb eine ausbleibende Wahrnehmung zu negativen Emotionen und Unzufriedenheit führt.550 Diese dynamische Betrachtungsweise kann am Beispiel eines Restaurantbesuches veranschaulicht werden.551 Besucht ein Gast ein Restaurant zum ersten Mal, so kann dieser von der Freundlichkeit des Servicepersonals begeistert sein, da seine Erwartungen übertroffen werden. Dieses emotionale Ungleichgewicht aktiviert mit zeitlicher Verzögerung den Opponent-Prozess, der die Begeisterung des Kunden im Zeitverlauf auf das Ausgangsniveau reduziert. Bei weiteren Besuchen desselben Restaurants führt eine gleich bleibende Qualität des Servicepersonals weiterhin zu positiven Emotionen, die vergleichsweise jedoch nicht mehr so intensiv sind wie bei der initialen Erfahrung. Nach mehrmaligen und fortwährenden Restaurantbesuchen lässt die Wirkung des Stimulus schließlich immer stärker nach, bis dieser nicht mehr in der Lage ist, positive Emotionen beim Kunden zu verursachen. Die Erwartungen des Kunden bzgl. der Freundlichkeit des Servicepersonals haben

549 550 551

Vgl. Matzler (2000), S. 20. Vgl. Matzler (2000), S. 20. Vgl. hierzu auch das Beispiel bei Bruhn/Richter/Georgi (2006), S. 119.

108 sich vielmehr auf Basis der vergangenen Erfahrungen erhöht und an das Niveau im Restaurant angepasst.552 Gleichbleibender Service kann nun keine positiven Emotionen mehr auslösen, während bei einem Ausbleiben der Opponent-Prozess die Entstehung von negativen Emotionen und Unzufriedenheit bedingt. Auf Basis der Opponent-Process-Theory kann also die vom Kano-Modell postulierte dreifaktorielle Struktur des Zufriedenheitskonstruktes mit den verschiedenen Zufriedenheitsfaktoren abgeleitet werden. Insbesondere die dynamischen Aspekte können erklärt werden. Ob der Kunde ein Produktattribut als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor wahrnimmt hängt demnach von seinen vergangenen Erfahrungen mit diesem Attribut und dem Adaptionsgrad des Opponent-Prozesses zusammen. Auf Basis dieser Annahmen steht die Theorie in Einklang mit den Grundaussagen des C/DParadigmas.553 Ferner können Parallelen zum Gap-Modell der Dienstleistungsqualität von Parasuraman/Zeithaml/Berry konstatiert werden.554 Gemäß diesem Ansatz werden aktuelle Erwartungen im Wesentlichen von früheren Erfahrungen, der Kommunikation des Anbieters, der Mund-zu-MundPropaganda von anderen Kunden sowie den persönlichen Bedürfnissen eines Konsumenten determiniert. Die im Rahmen einer Konsum- oder Kaufsituation erlebten Produkteigenschaften prägen hierbei zukünftige Erwartungen. Vom Kunden nicht erwartete, die Kundenzufriedenheit positiv beeinflussende Produktattribute, entsprechen somit den Begeisterungsfaktoren. Durch wiederholte Wahrnehmung bilden sich diese jedoch zunächst zu Leistungsfaktoren und erst später zu Basisfaktoren aus.555 Dieser Anpassungsprozess kann analog mit den Kernaussagen des C/DParadigmas auch mittels der Opponent-Process-Theory erklärt werden.556 So löst ein neues und nicht erwartetes Produktattribut den Opponent-Prozess erst mit zeitlicher Verzögerung aus, weshalb positive Emotionen entstehen, die Kundenzufriedenheit auslösen. Durch wiederholte Wahrnehmung dieser

552 553 554 555 556

Vgl. hierzu auch Bauer/Stokburger/Hammerschmidt (2006), S, 123. Vgl. Matzler (2000), S. 20. Vgl. Parasuram/Zeithaml/Berry (1988), S. 41 ff. Vgl. Matzler (2000), S. 20. Vgl. Matzler (2000), S. 20.

109 Produkteigenschaft lernt der Organismus jedoch, schneller auf den Stimulus zu reagieren und die Homeostase wieder herzustellen. Das Leistungsattribut ist fortan nicht mehr in der Lage, Begeisterung auszulösen. Die andauernde Wahrnehmung dieses Stimulus führt zu einer Automatisierung des OpponentProzesses, der von da an automatisch bei der Wahrnehmung des Produktes ausgelöst wird, da der Organismus gelernt hat, auf die das emotionale Gleichgewicht störende Produkteigenschaft zu reagieren.557 Das Produktattribut ist aufgrund einer konkreten Erwartungshaltung infolge wiederholter Erfahrung und Wahrnehmung zu einer Basiseigenschaft geworden. Eine Abstinenz dieses Produktattributes führt infolge der nachgelagerten Wirkung des Opponent-Prozesses zu negativen Emotionen und bedingt die Entstehung von Unzufriedenheit.558 Die obigen Ausführungen zeigen, dass die Opponent-Process-Theory als theoretischer Bezugsrahmen für das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit geeignet ist. Insbesondere gegenüber der von einigen Autoren zur Erklärung ihres Modells herangezogenen Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg erscheint die Opponent-Process-Theory besser geeignet.559 So kann als grundlegender Unterschied festgehalten werden, dass Herzberg eine Zwei-Faktor-Struktur der Kundenzufriedenheit postuliert, während die Opponent-Process-Theory auf der Annahme einer dreifaktoriellen Konstruktstruktur basiert. Daneben kann bei Herzberg das Fehlen einer theoretischen Begründung für die Unterscheidung in Motivatoren und Hygienefaktoren konstatiert werden. Diese Klassifikation leitet sich ausschließlich aus den methodenabhängigen empirischen Erhebungen ab. Im Unterschied dazu leistet die OpponentProcess-Theory einen wesentlichen Beitrag zur theoretischen Herleitung einer Dreifaktorenstruktur des Zufriedenheitskonstruktes. Die Opponent-Process-Theory versucht zu begründen, auf welche Art und Weise Kundenzufriedenheit entsteht, wobei insbesondere individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung respektive Beurteilung von einzelnen Leistungsattributen berücksichtigt oder vorausgesetzt werden. Im Unterschied dazu zielt Herzbergs Theorie als Inhaltstheorie der Arbeitszufriedenheit darauf

557 558 559

Vgl. Matzler (2000), S. 20. Vgl. Matzler (2000), S. 20. Zur Kritik an Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie vgl. Abschnitt 2.4.5.

110 ab zu erklären, was bzw. welche spezifischen Faktoren Zufriedenheit auslösen.560 Ferner ignoriert Herzberg durch seine a priori Klassifikation von Kriterien als Hygiene-Faktoren oder Motivatoren interindividuell unterschiedliche Nutzenerwartungen und Adaptionsniveaus. Im Unterschied zu diesem Postulat universeller Gültigkeit der Merkmalskategorien basiert die Opponent-Process-Theory auf der Annahme, dass die Klassifikation von Produktattributen als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor von den individuellen Nutzenerwartungen der Kunden determiniert wird und folgerichtig nicht ex ante fixiert werden kann.561 Die Opponent-Process-Theory eignet sich somit ebenfalls zur Begründung von unterschiedlichen Faktorenzuordnungen zwischen einzelnen Produkten, Unternehmen oder Branchen. Letztlich unterstützen die Annahmen der Opponent-Process-Theory eine dynamische Sichtweise des Zufriedenheitskonstrukts. Die Beurteilung und Bewertung wahr-genommener Stimuli differiert je nach Häufigkeit der Darbietung und in Abhängigkeit von Gewöhnungseffekten interindividuell, weshalb auch die Kundenerwartungen als variabel über den Zeitverlauf zu betrachten sind.562

560 561 562

Vgl. Matzler (2000), S. 20 f. Vgl. Matzler (2000), S. 21. Vgl. Matzler (2000), S. 21.

111 3.3 Kano-Methode zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren 3.3.1 Grundlagen der Kano-Methode Kano et al. entwickeln ihre Methode basierend auf den theoretischen Ausführungen des Kano-Modells. Den Kern der Kano-Methode zur Identifikation von Zufriedenheitsfaktoren stellt eine spezifische Fragetechnik dar, mittels derer die Klassifikation eines Qualitätsattributes als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor erfolgt. Der sog. Kano-Fragebogen besteht aus zwei hypothetischen Fragen, die für jedes zu klassifizierende Qualitätsattribut formuliert werden (vgl. Tabelle 5).563 Die funktionale Frage bezieht sich auf die Reaktion der Kunden, wenn ein gewisses Qualitätsattribut vorhanden ist, während die dysfunktionale Frage die Kundenreaktion bei Nicht-Existenz des entsprechenden Qualitätsattributes ermittelt.

Tab. 5:

Kano-Fragebogen zur Klassifizierung von Kundenanforderungen

Quelle:

Kano (1995), S. 172.

Für die Beantwortung der beiden Fragen steht eine Antwortskala mit jeweils sechs Ausprägungen zur Verfügung. Es handelt sich hierbei um eine Nominalskala, mittels der eine Klassifikation und keine Rangreihung der

563

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung der Antwortkategorien aufgrund der Feinheiten der japanischen Sprache in den englischsprachigen Veröffentlichungen von Kano et al. leicht variieren. Vgl. hierzu die Antwortskalen bei Kano et al. (1984), S. 172; Kano (1995), S. 69; Kano (2001), S. 24.

112 Attribute vorgenommen werden soll.564 Die Wahl der Skalenitems basiert auf den damit assoziierten Intensitäten positiver und negativer Emotionen der Kunden, die aus einer positiven respektive negativen Erwartungsdiskonfirmation resultieren.565 Durch eine Kombination der Antworten der funktionalen sowie dysfunktionalen Frage lässt sich auf Basis einer Auswertungstabelle die Klassifizierung des jeweiligen Attributes vornehmen (vgl. Abbildung 6).566

Tab. 6:

Two-dimensional evaluation chart

Quelle:

In Anlehung an Kano et al. (1984), S. 173.

Während die Kategorien „must-be“, „attractive“, „one-dimensional“ sowie „indifferent“ die eigentlichen Kano-Kategorien bezeichnen, weisen als „reverse“ klassifizierte Attribute auf eine entgegengesetzte Präferenz bzgl. der Ausgestaltung eines Attributes durch die Kunden hin. Dies bedeutet, dass ein Qualitätsattribut vom Kunden nicht erwünscht ist und sogar das Gegenteil erwartet wird. Mit der Kategorie „questionables“ werden solche Attribute klassifiziert, die aus einer unplausiblen Kombination von funktionaler und dysfunktionaler Frage resultieren. Derart klassifizierte Attribute geben Hinweise auf möglicherweise falsch verstandene Fragen oder irrtümlich falsch

564

565 566

Vgl. Berger et al. (1993), S. 13. Die Autoren schlagen aus diesem Grunde vor, auf eine Nummerierung der Antwortalternativen zu verzichten. Vgl. Berger et al. (1993), S. 25. Vgl. Kano et al. (1984), S. 172 ff.

113 angekreuzte Antworten.567 Schließlich resultieren aus der Berücksichtigung der Antwortalternative „other“ im Kano-Fragebogen 11 Antwortkombinationen, die keine Attributklassifikation erlauben. Gemäß Kano ist die Berücksichtigung dieser Antwortoption jedoch wichtig, da sie eine Konfidenzprüfung des KanoFragebogens ermöglicht.568 Sofern weniger als 1% der Antworten jedes Qualitätsattributes nicht klassifiziert werden, gilt der Fragebogen als konfident.569 Jedoch bieten die Autoren keine Begründung für die Festlegung diese Obergrenze, weshalb diese willkürlich gewählt erscheint. Kano et al. wenden die von ihnen entwickelte Methodik erstmals im Rahmen von zwei Studien zur Kategorisierung von Qualitätsattributen eines TVGerätes sowie einer Tischuhr an.570 Hierbei führen sie eine Klassifikation mittels des Kano-Fragebogens durch und werten die Daten anschließend nach der Häufigkeit der Kategorienzuordnung sowie segmentspezifisch aus. Die im Rahmen der Uhrenstudie ermittelte Klassifikation der Qualitätsattribute sowie die segmentspezifischen Unterschiede dienen anschließend als Grundlage für die Produktentwicklung einer neuen Tischuhr im Hochpreissegment.571 Nach Einführung dieser Uhr auf dem japanischen Markt vergleichen Kano et al. zur Prüfung ihrer Hypothesen die Verkaufszahlen und die Marktentwicklung über eine Periode von zwei Jahren. Hierbei ermitteln die Autoren Absatzzahlen, die deutlich über den durchschnittlichen Absatzzahlen der Konkurrenzangebote im selben Zeitraum liegen. Dies verstehen die Autoren gleichermaßen als Bestätigung ihrer Grundannahmen des Kano-Modells sowie der Anwendbarkeit ihrer Methode.572 Im Zuge der Adaption des Kano-Modells für die Zufriedenheitsforschung rückt auch die Kano-Methode in den Fokus des marketingwissenschaftlichen Interesses. Insbesondere im Kontext eines dreifaktoriellen Konstruktverständnisses der Kundenzufriedenheit wird die Kano-Methode zunehmend als spezieller Messansatz zur Identifikation und Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren verwendet. Obgleich die Kano-Methode

567 568 569 570 571 572

Vgl. Berger et al. (1993), S. 10; Sauerwein (2000), S. 38. Vgl. Corbella/Maturana (2003), S. 73. Vgl. Kano (2001), S. 5 f. Vgl. Kano et al. (1984), S. 171 ff. Vgl. Kano et al. (1984), S. 178 f. Vgl. Kano et al. (1984), S. 179 ff.

114 insbesondere in jüngster Zeit mit dem Ziel der Verbesserung der Analysemöglichkeiten einige Erweiterungen und Modifikationen erfahren hat, beruht sie nach wie vor auf den geschilderten Grundprinzipien von Kano et al. mit dem Kano-Fragebogen als wesentlichem Element. Die Verwendung der Kano-Methode zur Attributkategorisierung erfolgt in vier Schritten: Zunächst gilt es, die latenten Bedürfnisse der Kunden und die zu berücksichtigenden Leistungsattribute zu ermitteln (1). Diese stellen die Basis für die anschließende Entwicklung des Kano-Fragebogens dar (2). Hernach folgt die Datenerhebung bei der interessierenden Zielgruppe (3), bevor abschließend die Analyse und Interpretation der gewonnenen Daten erfolgt (4).573 In den nachfolgenden Abschnitten wird die Kano-Methode unter besonderer Berücksichtigung dieser Schritte als Messansatz der Kundenzufriedenheit dargestellt und die zentralen Aspekte bei der Verwendung dieser Methodik näher erläutert.

3.3.2 Konzeption des Kano-Fragebogens Die Kano-Methode wird sowohl für ex ante Evaluierungen möglicher Leistungsattribute bei der Neuproduktentwicklung als auch für Klassifikationen bereits bestehender Produkte und Services bei Kundenzufriedenheitsmessungen verwendet. In beiden Fällen erfolgt die Datenerhebung anhand des Kano-Fragebogens. Der Auswahl der zu prüfenden Attribute und der Formulierung der funktionalen und dysfunktionalen Fragen kommt daher eine zentrale Bedeutung im Vorfeld der Datenerhebung zu. Ausgangspunkt einer Kano-Befragung sollte immer eine sorgfältige Identifikation der relevanten Anforderungen bzw. eine gründliche Auswahl der zu überprüfenden Produkt- oder Serviceattribute sein. Die Basis der Auswahl können dabei Erkenntnisse aus qualitativen Vorstudien sowie eigene Überlegungen sein.574 Darauf aufbauend erfolgt anschließend die Entwicklung

573 574

Vgl. Sauerwein (2000), S. 33. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 10; Baier (2001), S. 9 f. Gemäß Matzler/Hinterhuber sind qualitative Interviews mit lediglich 20-30 Probanden eines homogenen Kundensegmentes ausreichend, um 90-95% der Produktanforderungen und latenten Bedürfnisse dieser Zielgruppe zu identifizieren. Vgl. Matzler/Hinterhuber (1998), S. 30.

115 des Kano-Fragebogens. Bei der Gestaltung des Fragebogens sollte immer darauf geachtet werden, die einzelnen Fragen aus der Sicht und in der Sprache der Kunden zu formulieren.575 Aus Kundensicht interessiert primär die Erfüllung seiner Bedürfnisse und weniger die Frage, wie dies erfolgt.576 Es ist somit darauf zu achten, ein der Zielgruppe adäquates Abstraktionsniveau der Fragen zu gewährleisten und ausschließlich für die Entstehung von Kundenzufriedenheit relevante Eigenschaften und deren Ausprägungen zu berücksichtigen.577 Des Weiteren sollte bei der Fragenformulierung darauf geachtet werden, die Fragen einerseits so detailliert wie nötig, andererseits jedoch so allgemein wie möglich zu verfassen. Denn mit Zunahme des Detaillierungsgrades steigt auch die Zahl der Probanden, die mangels Abstraktionsvermögen oder Detailwissen das Merkmal als indifferentes Produktattribut klassifizieren, was zu einer möglichen Verzerrung der Auswertung führen kann.578 Ferner gilt es, die Integration von mehr als einem Element in einer Frage zu vermeiden, da sonst im Rahmen der Datenanalyse nicht eindeutig nachvollzogen werden kann, auf welchen Aspekt der Frage der Proband bei seiner Antwort rekurriert.579 Schließlich sollte zur Vermeidung von frühzeitigen Ermüdungserscheinungen darauf geachtet werden, nur eine moderate Zahl von Attributen bei der Fragebogengestaltung zu berücksichtigen, da die erforderliche bipolare Skalierung der Fragestellung zu einem hohen Bearbeitungsaufwand führen kann.580 Bei der Verwendung der Kano-Methode im Kundenzufriedenheitskontext lässt sich feststellen, dass sich bei der Mehrheit der Publikationen die Zahl der Ausprägungen der Antwortskala von ursprünglich sechs auf fünf verringert hat, was aus einer Nicht-Berücksichtigung der Antwortalternative „other“ resultiert. Diese Abweichung vom ursprünglichen Fragebogendesign wird mit dem mangelnden Erkenntnisgewinn durch Berücksichtigung dieser Kategorie

575 576 577 578 579 580

Vgl. Berger et al. (1993), S. 9. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 120. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 418. Vgl. Berger et al. (1993), S. 13. Vgl. Berger et al. (1993), S. 9; Corbella/Maturana (2003), S. 73. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 426; Baier (2001), S. 13.

116 begründet.581 Auch bei den meisten deutschsprachigen Publikationen zur Kano-Methode wird eine fünfstufige Antwortskala verwendet. Hierbei sind bei der Skalenformulierung die Ausprägungen „würde mich sehr freuen“, „setzte ich voraus“, „das ist mir egal“, „könnte ich in Kauf nehmen“ und „würde mich sehr stören“ am stärksten verbreitet. Aus der Verwendung dieser Skala resultiert die in Tabelle 7 dargestellte Auswertungstabelle.

Tab. 7:

Kano-Auswertungstabelle

Quelle:

Bailom et al. (1996), S. 121.

Einige Autoren schlagen mit dem Ziel einer weiteren Komplexitätsreduktion und vor dem Hintergrund einer vermeintlich mangelnden Interpretierbarkeit und Plausibilität einiger Antwortkombinationen eine weitergehende Reduktion der Antwortskala vor. So empfehlen Corbella/Maturana eine Verminderung der Antwortalternativen auf vier Ausprägungen („I like it“, „I am neutral“, „I dislike it“, „other“).582 Dieses Vorgehen führt zu einer Reduktion der ursprünglich 25 möglichen

581

582

Antwortkombinationen

auf

nunmehr

neun.

Trotz

dieser

So stellen Burchill/Shen (1994) den Unterschied der so klassifizierten Leistungsattribute von den als „questionables“ klassifizierten in Frage und betrachten den Anteil der „questionables“ als ausreichendes Gütekriterium zur Prüfung der Validität des Fragebogens. 581 Ferner bezweifeln die Autoren die Konformität der Ausprägung „other“ im Vergleich mit den anderen Alternativen der Antwortskala, weshalb sie diese nicht berücksichtigen. Vgl. Burchill/Shen (1994), S. 4. Vgl. Corbella/Maturana (2003), S. 64 ff.

117 Verringerung ist nach wie vor die Klassifikation der sechs von Kano et al. vorgeschlagenen Kategorien in der Auswertungstabelle möglich.583 Einen ähnlichen Vorschlag unterbreiten Gierl/Bartikowsk.584 Die Autoren schränken die Antwortskala des Kano-Fragebogens auf Basis der Annahme ein, dass im Falle einer angenommenen positiven Leistung (funktionale Frage) Probanden diese nicht negativ bewerten, während sie im Falle einer angenommenen negativen Leistung (dysfunktionale Frage) nicht positiv darauf reagieren. Die Antwortskala unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Endpole somit zwischen funktionaler und dysfunktionaler Frage (vgl. Abbildung 14).

Abb. 14: Modifizierter Kano-Fragebogen Quelle:

In Anlehnung an Gierl/Bartikowski (2003), 24.

Diese Vorgehensweise führt ebenfalls zu einer Reduktion der ursprünglichen Antwortkombinationen auf eine Anzahl von neun. Im Unterschied zum Vorgehen bei Corbella/Maturana erlaubt die Auswertungstabelle als Folge der Verwendung zweier unterschiedlicher Antwortskalen jedoch lediglich die Klassifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren sowie indifferenten Attributen (vgl. Tabelle 8).585 Dementsprechend können mit dem modifizierten Kano-Fragebogen keine entgegengesetzten oder fragwürdigen Attribute bewertet werden. Eine Differenzierung der jeweiligen Pole der Antwortskala in Abhängigkeit der Frageform findet sich auch bei Baier sowie Baier/Weinand.586 Mit dem Ziel einer stärkeren Aufwandsreduktion bei der Beantwortung des KanoFragebogens schlagen die Autoren eine weitere Reduktion der Antwortskala

583 584 585 586

Vgl. Corbella/Maturana (2003), S. 77. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 14 ff.. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 25. Vgl. Baier (2001), S. 1 ff.; Baier/Weinand (2002), S.51 ff.

118 vor und berücksichtigen lediglich zwei Antwortkategorien je Frage, wobei sie zudem deren Formulierung variieren. So beinhaltet die finale Antwortskala der funktionalen Frage die Ausprägung „großartig/begeistert mich“ sowie „normal/ erwarte ich“, während die dysfunktionale Frage die Antwortalternativen „akzeptabel/könnte ich mit leben“ sowie „sehr schlecht/inakzeptabel“ aufweist.587 Diese Vorgehensweise führt somit zu einer nochmaligen Verringerung der möglichen Antwortkombinationen, weshalb die Auswertungstabelle lediglich eine Vier-Felder-Matrix darstellt. Auch bei dieser Variante des Kano-Fragebogens erlaubt die Auswertungstabelle keine Klassifikation von entgegengesetzten oder fragwürdigen Attributen.

Tab. 8:

Auswertungstabelle des verkürzten Kano-Fragebogens

Um eine tiefergehende Analyse der Daten zu ermöglichen empfiehlt sich in Ergänzung zu den Kano-Fragen die Erfassung von wesentlichen Zusatzinformationen der Untersuchungsteilnehmer. Hierzu zählt bspw. die Abfrage der Zufriedenheit mit den jeweiligen Produkt- oder Serviceattributen sowie der relativen Bedeutung (Self-Stated Importance) der einzelnen Attribute für den Kunden.588 Um mögliche segmentspezifische Besonderheiten

587 588

Vgl. Baier (2001), S. 13; Baier/Weinand (2002), S. 53. Vgl. Berger et al. (1993), S. 12; Fong (1996), S. 22; Sauerwein (2000), S.38.

119 erfassen zu können, sollten zudem relevante Soziodemografika der jeweiligen Zielgruppe erfasst werden. Für die Überprüfung der Qualität des konzipierten Fragebogens im Vorfeld der Datenerhebung ist auch bei der Verwendung der Kano-Methode die Durchführung eines Pretests dringend angeraten.589 Dieser dient der Überprüfung der Länge und Verständlichkeit des Fragebogens sowie der Sicherstellung der Berücksichtigung aller für die Untersuchung relevanten Variablen. Hierbei gilt es, den Pretest mit einer für die Zielgruppe der Haupterhebung repräsentativen Personengruppe durchzuführen, wobei je nach Komplexität des Fragebogens eine Anzahl von mindestens 15 Probanden berücksichtigt werden sollte.590 Sofern der Pretest eine gute Eignung des Fragebogens ergibt, kann mit der Datenerhebung begonnen werden. 3.3.3 Datenerhebung mittels Kano-Methode Die Datenerhebung mittels der Kano-Methode kann auf verschiedene Arten durchgeführt werden. So eignen sich sowohl persönliche standardisierte Interviews, klassische schriftliche Befragungen als auch OnlineErhebungen.591 Da bzgl. der besonderen Art der Kano-Fragetechnik seitens der Probanden nicht selten Erklärungsbedarf besteht, liegt ein Vorteil der mündlichen Befragung in der Möglichkeit des Interviewers, im Falle von etwaigen Verständnisproblemen erklärend einzugreifen.592 Eine Datenerhebung mittels Online-Fragebogen hat hingegen den Vorteil, dass eine automatisierte Durchführung und Auswertung der Befragung ermöglicht und somit der gesamte Datenerhebungsprozess verkürzt wird.593 Da die spezielle Kano-Fragetechnik eher unüblich ist, sollte ungeachtet der Erhebungsart eine kurze Einführung mit Beispielfragen sowie Anweisungen zum richtigen Ausfüllen im Kano-Fragebogen enthalten sein.594 In diesem Kontext ist es

589

590 591 592 593 594

Unter einem Pretest wird eine einmalige Testerhebung eines Fragebogens nach Abschluss der Fragebogenkonstruktion bei Mitgliedern der interessierenden Zielgruppe verstanden. Zielsetzung eines Pretests ist insbesondere die Prüfung der Verständlichkeit und Vollständigkeit des Fragebogens. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 234. Vgl. Aaker/Kumar/Day (2001), S. 319. Vgl. Sauerwein (2000), S.39. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 122. Vgl. Scheffler (2000), S. 72. Vgl. Berger et al. (1993), S. 10.

120 zudem von Bedeutung, den Probanden zu vermitteln, dass mittels der Antwortskala eine Klassifikation und keine Rangreihung der Attribute vorgenommen werden soll. Falls die Antworten im Sinne einer klassischen Likert-Skala aufgefasst werden, kann die Klassifikation der Merkmale mittels der Kano-Auswertungstabelle zu verzerrtem Antwortverhalten führen.595

Abb. 15: Auswertungsschritte der Kano-Methode Quelle:

In Anlehnung an Sauerwein (2000), S. 40.

Die Datenerhebung mittels Kano-Fragebogen besteht aus drei Schritten (vgl. Abbildung 15): Zunächst erfolgt die Beantwortung der funktionalen und dysfunktionalen Frage für jedes Qualitätsattribut durch die Probanden (1). Anschließend werden die Antworten probandenspezifisch für jedes Qualitätsattribut in der Auswertungstabelle kombiniert und die Kategorie

595

Vgl. Berger et al. (1993), S. 13. Die Autoren schlagen aus diesem Grunde vor, auf eine Nummerierung der Antwortalternativen zu verzichten.

121 ermittelt (2). Schließlich werden die Resultate für jedes Qualitätsattribut in die sog. Ergebnistabelle übertragen (3).596 Diese erlaubt einen ersten Überblick über die Gesamtverteilung der Attributkategorien über alle Probanden und bildet damit die Basis für die Datenanalyse. Für diese stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zunächst werden im folgenden Abschnitt die von Kano et al. vorgeschlagene Auswertung nach Häufigkeiten und die segmentspezifische Analyse näher erläutert. Im Anschluss daran werden weitere Auswertungsmöglichkeiten dargestellt, die im Rahmen der Modifikation der Kano-Methode entwickelt wurden und breite Akzeptanz erfahren.

3.3.4 Datenanalyse mittels Kano-Methode 3.3.4.1 Datenanalyse mittels Häufigkeiten Die einfachste Form der Datenanalyse und -interpretation stellt die Auswertung nach Häufigkeiten dar. Hierzu wird die Kano-Ergebnistabelle verwendet, mittels derer die Eigenschaftszuordnung auf Individualebene aller Probanden aggregiert wird. Hierdurch erhält man einen Überblick über die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Leistungsattribute (vgl. Tabelle 9).597 Nach dieser Auswertungsmethode wird ein Leistungsattribut der Kategorie zugeordnet, für die es nach Auszählung die häufigsten Nennungen erhält.598

Tab. 9:

Kano-Ergebnistabelle

Quelle:

In Anlehnung an Sauerwein (2000), S. 39.

596 597 598

Vgl. Bailom et al. (1996), S. 122; Sauerwein (2000), S. 40. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 417; Klausegger/Scharitzer (2000), S. 232. Vgl. Baier (2001), S. 10.

122 Für den Fall, dass eine Vielzahl der Probanden ein Attribut als „reverse“ klassifiziert, schlagen Berger et al. eine Umkodierung der Werte der funktionalen und dysfunktionalen Frage vor, um die erhobenen Daten dennoch für die Auswertung zu berücksichtigen.599 Hierzu werden von allen Probanden die Skalenwerte der dysfunktionalen Frage als Index für die funktionale Frage und die Skalenwerte der funktionalen Frage als Index der dysfunktionalen Frage in der Auswertungstabelle verwendet. Auf diese Weise erfolgt eine rückwirkende Konvertierung der Ausprägung eines Attributes in eine von den meisten Probanden bevorzugte entgegengesetzte Form.600 Nicht selten verteilen sich die Nennungen für ein Leistungsattribut über verschiedene Kategorien, wodurch keine eindeutige Klassifikation möglich ist. Solche Verteilungen können mit den unterschiedlichen Nutzenerwartungen verschiedener Segmente begründet werden.601 So nimmt insbesondere die Dauer der Kundenbeziehung einen Einfluss auf die Bewertung verschiedener Leistungsattribute.602 Dies bedeutet, dass die Einordnung eines Attributes als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor von der Zugehörigkeit der Befragten zu einem bestimmten Segment und den damit verbundenen segmentspezifischen Nutzenerwartungen determiniert wird.603 Auf Basis dieser Erkenntnisse empfehlen Kano et al. daher für detailliertere Auswertungen eine segmentspezifische Analyse der Daten.604 Um eine Differenzierung der Serviceleistungen in Abhängigkeit der Nutzenerwartungen verschiedener Kundensegmente durchführen zu können, ist es erforderlich, im Rahmen der Datenerhebung ausreichend kundenbezogene Informationen zu ermitteln, anhand derer eine Segmentierung und Leistungsdifferenzierung nach den segmentspezifischen Nutzenerwartungen durchgeführt werden kann.605

599 600 601 602 603 604 605

Vgl. Berger et al. (1993), S. 10. Vgl. Berger et al. (1993), S. 10 f. Vgl. Sauerwein (2000), S. 41. Vgl. Mittal/Katrichis/Kumar (2001), S. 343. Vgl. Sauerwein (2000), S. 41; Matzler et al. (2003), S. 118. Vgl. Kano et al. (1984), S. 173 ff.; Kano (2001), S. 19. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 123.

123 3.3.4.2 Datenanalyse mittels Auswertungsregeln Unter Umständen ist trotz Auswertung nach Häufigkeiten oder segmentspezifischer Auswertung keine zufrieden stellende Kategorisierung der Leistungsattribute möglich. In solchen Fällen bietet die Datenanalyse mittels Auswertungsregeln alternative Entscheidungsheuristiken zur Klassifikation von Leistungsmerkmalen. So liefert die Anwendung der Auswertungsregel „M>O>A>I“ einen Hinweis darauf, in welcher Reihenfolge die Eigenschaften zu bewerten sind, wenn keine eindeutige Klassifikation möglich ist.606 Diese Regel berücksichtigt dabei die hierarchische Struktur der Zufriedenheitsfaktoren, nach der zuerst solche Anforderungen erfüllt werden müssen, die bei Nichterfüllung Unzufriedenheit erzeugen.607 Sofern sich die Kategorienzuordnung eines Produkt- oder Serviceattributes bzgl. der Auswertung nach Häufigkeiten nur geringfügig unterscheidet, wird das Attribut demzufolge derjenigen Kategorie zugeordnet, die in der Hierarchie den höheren Rang besitzt. Eine weitere Entscheidungsheuristik schlagen Berger et al. vor, die mit ihrer Auswertungsregel die Frage der Kategorienzuordnung beim oftmals auftretenden Problem einer nahezu paritätischen Verteilung der Häufigkeiten zwischen indifferenten und Begeisterungsfaktoren lösen wollen.608 Falls diese beiden Kategorien zugleich die beiden stärksten sind, ergeben sich Schwierigkeiten bei der Interpretation. Einerseits kann das Leistungsattribut als indifferentes Attribut klassifiziert und folglich nicht weiter beachtet werden. Andererseits ist auch eine Kategorisierung als Begeisterungsfaktor mit einer großen Wirkung auf die Entstehung von Kundenzufriedenheit für einen Teil der Kunden möglich.609 Vor diesem Hintergrund entwickeln die Autoren die Auswertungsregel (O+A+M)> (I+R+Q), dann Max(O,A,M)

(2)

wenn (O+A+M) < (I+R+Q), dann Max(I,R,Q)

Vgl. Löfgren/Witell (2005), S. 13. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 10; Pechlaner/Matzler/Siller (2002), S. 209. Vgl. Berger et al. (1993), S. 13. Vgl. Sauerwein (2000), S. 42. Vgl. Berger et al. (1993), S. 13.

124 Sofern also der prozentuale Anteil der Kunden, die diesem Leistungsattribut eine Bedeutung beimessen (O+A+M) größer ist als der Anteil der Kunden, die dieses Attribut als „indifferent“ (I), „reverse“ (R) oder „questionable“ (Q) kategorisieren, so ist dieses Merkmal je nach Häufigkeit als „one-dimensional“, „attractive“ oder „must-be“ zu klassifizieren und vice versa. Diese Auswertungsregel eignet sich somit zur Entscheidungsfindung bei Unklarheit der Kategorisierung zwischen indifferenten oder Begeisterungsfaktoren. Ansonsten ist ihre Anwendung jedoch nur von begrenztem Nutzen, da bei einer sorgfältigen Konzeption des Kano-Fragebogens in der Regel die Mehrzahl der Attribute ohnehin als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor klassifiziert wird.611

3.3.4.3 Datenanalyse mittels Zufriedenheitskoeffizienten Eine weitere Möglichkeit zur detaillierteren Datenanalyse stellt die Ermittlung der Kundenzufriedenheitskoeffizienten (CS-Koeffizienten) dar.612 Diese ebenfalls von Berger et al. entwickelten Indices geben Auskunft darüber, wie die Erfüllung einer Produkt- oder Serviceanforderung die Zufriedenheit steigern kann bzw. inwieweit eine Nichterfüllung der Ansprüche zur Entstehung von Unzufriedenheit beiträgt.613 Die Ermittlung der CSKoeffizienten ist somit geeignet, im Falle nicht eindeutiger Kategorienzuordnungen zusätzliche Informationen darüber zu geben, ob ein Leistungsattribut für die Kunden eine Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsanforderung darstellt. Dies ist besonders bei einer sehr heterogenen Kategorisierung hilfreich, da die Koeffizienten den Einfluss eines Attributes insgesamt auf die Zufriedenheit der Kunden aufzeigen. Hierbei wird zwischen dem Koeffizienten der Zufriedenheitsstiftung (CS+) und dem Koeffizienten der Unzufriedenheitsstiftung (CS-) differenziert.614

611 612

613 614

Vgl. Sauerwein (2000), S. 42. Die CS-Koeffizienten werden in der englischsprachigen Literatur auch als better-/worseindices bezeichnet. Vgl. Berger et al. (1993), S, 18; Löfgren/Witell (2005), S. 14. Vgl. Klausegger/Scharitzer (2000), S. 233; Löfgren/Witell (2005), S. 14. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 121.

125 (3)

CS + =

(4)

CS  = 

A+O

(A + O + M + I ) O+M (A + O + M + I)

[1;0] [0;1]

Der Wertebereich reicht von eins bis null (CS+) respektive von null bis minus eins, (CS-), wobei ein Wert nahe null bedeutet, dass die Leistung einen geringen Einfluss auf die Zufriedenheit (Unzufriedenheit) ausübt, wohingegen ein Wert von eins (minus eins) impliziert, dass die Leistung die Entstehung von Zufriedenheit (Unzufriedenheit) stark beeinflusst.615 Werte ab 0,5 für CS+ werden als bedeutend, Werte ab -0,5 für CS- als kritisch betrachtet. Die WertePaare der CS-Koeffizienten sollten immer in Relation zueinander interpretiert werden, da eine singuläre Betrachtung zu falschen Rückschlüssen führen kann. So zeigt ein Wert von 0,20 für CS+ eine lediglich geringe Wirkung eines Attributes auf die Entstehung von Zufriedenheit an, während der Wert von 0,83 für CS- auf einen überproportionalen Einfluss desselben Attributes bei Nichterfüllung auf die Entstehung von Unzufriedenheit hinweist. Zur relationalen Interpretation der CS-Koeffizienten eignet sich die Darstellung in einer zweidimensionalen Matrix, mit den CS+-Werten auf der Ordinate und den CS--Werten auf der Abszisse.616 Die CS-Koeffizienten stellen eine wertvolle Ergänzung der bisher dargestellten Analysemethoden dar, da sie unabhängig von einer segmentspezifischen Betrachtung die durchschnittliche Wirkung eines Attributes auf die Zufriedenheit aller Kunden angeben.617

3.3.4.4 Datenanalyse mittels Category Strength & Total Strength Zur besseren Kategorienzuordnung dienen auch die beiden von Lee/Newcomb entwickelten Indices Category Strength & Total Strength.618 Die Ermittlung des Category Strength (Cat) dient der quantitativen Analyse der Zuordnungsstärke eines Leistungsattributes zu einer Attributkategorie. Die Berechnung des Category Strength erfolgt gemäß der Formel:

615 616 617 618

Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 121 f. Vgl. Bailom et al. (1996), S. 124. Vgl. Matzler/Hinterhuber (1998), S. 33; Löfgren/Witell (2005), S. 14. Vgl. Lee/Newcomb (1996), S. 13 ff.

126 (5)

Cat = häufigste Nennung – 2. häufigste Nennung

[0%;100%]

Je größer die Category Strength, desto eindeutiger ist die Zuordnung eines Attributes zu einer spezifischen Attributkategorie. Lee/Newcomb fordern auf Basis der Ergebnisse mehrerer Analysen eine Category Strength von mindestens 6%, um von einer statistisch signifikanten Kategorienzuordnung bei einem Konfidenzniveau von 90% ausgehen können.619 Ferner empfehlen sie, solche Attribute mit einer Category Strength von unter 6% nicht einer der klassischen Kano-Kategorien, sondern der von ihnen geschaffenen sog. Mixed Category zuzuordnen.620 Zur weitergehenden Analyse dieser Mixed Category, aber auch sämtlicher sonstiger eindeutig klassifizierter Attribute, entwickeln Lee/Newcomb die Total Strength (Tot) Maßzahl.621 Die Total Strength basiert auf der Annahme, dass durch unterschiedliche Kategorienzuordnungen eines Attributes infolge verschiedener Kundenpräferenzen nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, ob ebenjenes unabhängig von der Klassifikation generell von Relevanz für die Gesamtheit der Kunden ist oder nicht. Die Total Strength ergibt sich aus der Summe der jeweiligen Anteile der Klassifikation als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor eines Attributes: (6)

Tot = A + O + M

[0%,100%]

Je höher die Total Strength Werte eines Attributes, desto höher ist der Anteil der Probanden, für die dieses Attribut unabhängig von der Kategorisierung generell von Bedeutung ist. Im Unterschied dazu implizieren niedrige Total Strength Werte im einstelligen Bereich, dass der überwiegende Teil der Probanden ein Attribut als „indifferent“, „questionable“ oder gar nicht klassifiziert hat. Eine Kombination des Total Strength Wertes sowie der jeweiligen Kategorienzuordnung der einzelnen Attribute ermöglicht die Ableitung der Reihenfolge, nach der die Attribute realisiert bzw. angeboten werden sollten.622

619 620 621 622

Vgl. Lee/Newcomb (1996), S. 16. Vgl. Sauerwein (2000), S. 43 f. Vgl. Lee/Newcomb (1996), S. 16 f. Vgl. hierzu die Abbildung bei Lee/Newcomb (1996), S. 16.

127 3.3.4.5 Weitere Datenanalysen Neben den aufgezeigten Analysemethoden und Auswertungsregeln stehen weitere Möglichkeiten zur Analyse der Kano-Daten zur Verfügung. So entwickelt Fong einen Test zur Prüfung der statistischen Signifikanz einer Kategorienzuordnung für den Fall, dass die Auswertung nach Häufigkeiten nur geringe Unterschiede zwischen den beiden meistgenannten Kategorien ergibt. Demzufolge ist die Zuordnung zu einer Kategorie als nicht signifikant, wenn gilt: (7)

a  b < 1.65

( a + b)(2n  a  b) 2n

Hierbei bezeichnen a sowie b die beiden Kategorien mit den meisten Nennungen und n die Gesamtzahl an Nennungen.623 Sofern eine Klassifikation nicht statistisch signifikant ausfällt, schlägt Fong die Berücksichtigung der entsprechenden Werte der Self-Stated Importance vor, um eine Klassifikation vorzunehmen.624 Für eine Prüfung der statistischen Signifikanz der Kategorienzuordnung generell bietet sich zudem die Durchführung eines t-Tests an.625 Dieser Test ermöglicht es, über das Signifikanzniveau objektive Aussagen bzgl. der Gruppenunterschiede der Kategorienzuordnungen zu machen. Die Durchführung eines t-Tests ist grundsätzlich möglich, da die Voraussetzung einer Normalverteilung der Kano-Daten erfüllt ist.626 Mit der Zielsetzung, die durchschnittliche Kategorisierung eines Attributes über alle Probanden abzubilden, entwickeln Zhang/Dran in ihrer Studie einen attributbezogenen q-Wert.627 Hierfür gewichten die Autoren die Anzahl der Nennungen eines Attributes je nach Klassifikation als Basis-, Leistungs- oder Begeisterungsfaktor mit einem unterschiedlichen Gewichtungswert (m= 1, o= 2, a= 3). Es werden somit lediglich die Antworten der Probanden

623 624 625 626 627

Vgl. Fong (1996), S. 22 f. Vgl. Fong (1996), S. 23. Vgl. Fundin/Nillson (2003), S. 12; Löfgren/Witell (2005), S. 14. Vgl. Löfgren/Witell (2005), S. 14; Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 161. Vgl. Zhang/Dran (2002), S. 9 ff.

128 berücksichtigt, die das jeweilige Attribut einer der drei Kano-Kategorien zugeordnet haben. Der q-Wert errechnet sich wie folgt:628 (8)

q=

( M 1) + (O  2) + ( A  3) ( M + O + A)

Die so ermittelten q-Werte werden anschließend in aufsteigender Reihenfolge in einem Diagramm abgetragen und auf Basis signifikanter Sprünge der qWerte der Kano-Kategorien gebildet.629 Als kritisch bei dieser Vorgehensweise muss jedoch die subjektive Wahl der Gewichtungsfaktoren für die Ermittlung der q-Werte sowie die Grenzwerte bei der Kategorienbildung gesehen werden. Ferner erscheint die Tatsache als problematisch, dass die mittels q-Wert als Leistungsfaktor klassifizierten Attribute auch eine Kombination aus Basis- und Begeisterungsfaktoren darstellen können, die als Resultat der Berechnungsformel für den q-Wert in den Bereich der Leistungsfaktoren „gemittelt“ werden.

3.3.5 Validität und Reliabilität Kano-Methode Wie bei jeder anderen Erhebungsmethodik variiert die Güte der mit der KanoMethode erhobenen Daten mit der Qualität des Messvorgangs und der Messinstrumente. Um verlässliche Aussagen und Implikationen aus den Messergebnissen ableiten zu können, müssen diese daher den Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität genügen.630 Im Folgenden werden diese Kriterien näher erläutert bevor anschließend die Kano-Methode bzgl. der Einhaltung dieser Gütemaße bewertet wird. Unter der Objektivität eines Messvorgangs wird die Unabhängigkeit der Messergebnisse vom Durchführenden der Messung verstanden. Gemäß dem Ablauf eines Messvorgangs wird zwischen drei Arten der Messobjektivität differenziert.631 Durchführungsobjektivität ist gegeben, wenn die Probanden nicht durch den Untersuchungsleiter beeinflusst werden. Im Unterschied dazu

628 629 630 631

Vgl. Zhang/Dran (2002), S. 16. Vgl. hierzu die Abbildung bei Zhang/Dran (2002), S. 18. Vgl. Herrmann/Homburg (2000), S. 23; Müller (2000), S. 144 f. Vgl. Herrmann/Homburg (2000), S. 23.

129 wird Auswertungsobjektivität konstatiert, wenn keine oder nur sehr wenige Freiheitsgrade bei der Auswertung der Messergebnisse vorhanden sind. Schließlich liegt eine hohe Interpretationsobjektivität vor, wenn der Untersuchungsleiter keinen Spielraum bei der Interpretation der Messergebnisse besitzt.632 Als zweites wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Güte einer Messung bezeichnet die Reliabilität den Grad der formalen Genauigkeit einer Messung.633 Ein Messinstrument gilt dann als reliabel, wenn die Messwerte präzise und stabil und somit bei wiederholter Messung reproduzierbar sind. 634 In der gängigen Forschungsliteratur wird zwischen der Test-Retest-Reliabilität und der Paralleltest-Reliabilität differenziert. Die Test-Retest-Reliabilität beschreibt den Grad der Übereinstimmung zweier Messungen mit demselben Messinstrument.635 Sie gibt somit Aufschluss darüber, ob zeitlich versetzte Messversuche zu stabilen Ergebnissen der Konstruktmessung führen. Im Unterschied dazu gibt die Paralleltest-Reliabilität an, inwieweit ein vergleichbares Messverfahren oder Parallelformen eines Tests identische Ergebnisse liefern. Als drittes zentrales Gütekriterium bezeichnet die Validität die materielle Genauigkeit von Testergebnissen.636 Als valide wird ein Messinstrument bezeichnet, wenn es den relevanten Sachverhalt erfasst und das misst, was es zu messen beabsichtigt.637 Die Validität stellt die bedeutendste wissenschaftstheoretische Anforderung an ein Messinstrument dar.638 Zur Beurteilung der Validität einer Messung wird üblicherweise zwischen der Inhaltsvalidität, der Prognosevalidität sowie der Konstruktvalidität differenziert.639 Die Inhaltsvalidität beschreibt das Ausmaß der inhaltlichsemantischen Übereinstimmung der Messungen mit der zugrunde liegenden theoretisch-begrifflichen Ebene des Konstruktes. Inhaltsvalidität liegt somit vor, wenn die theoretischen Bedeutungsinhalte eines Konstruktes durch die

632 633 634 635 636 637 638 639

Vgl. Herrmann/Homburg (2000), S. 23. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 89. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 89. Vgl. Hamann/Erichson (2000), S. 94. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 223. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 90; Neumann (2007), S. 105. Vgl. Balderjahn (2003), S. 131. Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 95.

130 Messungen vollständig repräsentiert werden.640 Mittels der Prognosevalidität wird die Fähigkeit einer Messung erfasst, ein mit dieser kausal verknüpftes, zukünftiges Phänomen vorherzusagen.641 Schließlich beschreibt die Konstruktvalidität die Zusammenhänge zwischen dem Messinstrument und den Konstrukten.642 Sie stellt das anspruchsvollste Validitätskriterium dar und bezeichnet den Grad der Übereinstimmung von theoretisch hergeleiteten Zusammenhangsvermutungen zwischen Konstrukten und den tatsächlichen empirischen Relationen.643 Auf Basis obiger Ausführungen erfolgt nun eine kritische Bewertung der Objektivität, Reliabilität sowie Validität der Kano-Methode. Hierbei werden im Wesentlichen die Ergebnisse von Sauerwein herangezogen, der die KanoMethode in seiner Studie einer umfangreichen Prüfung bzgl. der drei Gütekriterien unterzogen hat.644 Infolge des hohen Standardisierungsgrades der einzelnen Untersuchungsschritte einer Kano-Befragung kann die Objektivität der Kano-Methode insgesamt als äußerst zufrieden stellend betrachtet werden.645 So sind die Freiheitsgrade sowohl bei der Fragebogengestaltung als auch bei der Datenanalyse aufgrund der verbindlichen Auswertungsregeln sehr gering, was sich positiv auf die Durchführungsobjektivität und die Auswertungsobjektivität auswirkt. Ferner kann auf Basis der Definitionen der verschiedenen AttributKategorien mitsamt ihrer postulierten Wirkungen auf die Kundenzufriedenheit gemäß dem Kano-Modell auch die Interpretationsobjektivität als sehr hoch betrachtet werden. Die Reliabilität der Kano-Klassifikation wird von Sauerwein mit verschiedenen Methoden analysiert.646 So ermittelt er die Test-RetestReliabilität der Kano-Kategorisierung als Ergebnis der funktionalen und dysfunktionalen Frage. Hierbei ergeben sich Werte zwischen 0,581 und 0,771

640 641 642 643 644 645 646

Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 95. Vgl. Balderjahn (2003), S. 131. Vgl. Neumann (2007), S. 105. Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 95. Vgl. Sauerwein (2000). Vgl. Sauerwein (2000), S. 57 f. Vgl. Sauerwein (2000), S. 57 ff.

131 für den Kontingenzkoeffizienten und 0,412 bis 0,606 für Cramers V.647 Ein Vergleich der Kano-Kategorisierung von Test und Re-Test ergibt Übereinstimmungswerte zwischen 53,2% und 78,0%. Als sehr gut erweist sich in diesem Kontext die Interpretationsstabilität der Attribut-klassifikation. Ferner analysiert Sauerwein eine mögliche Verbesserung der Reliabilität durch die Ermittlung der Paralleltest-Reliabilität des Kano-Fragebogens.648 Hierbei prüft der Autor Alternativbezeichnungen der Antwortskalen. Ferner testet Sauerwein eine geänderte Form der Fragenformulierung, indem er die dysfunktionale und funktionale Aussage zu einer einzigen Aussage zusammenfasst, anhand derer die Probanden ein Attribut klassifizieren sollen. Die Auswertung der Paralleltest-Reliabilität zeigt jedoch, dass diese Vorgehensweise keine Verbesserung im Vergleich zur originären Konzeption des Kano-Fragebogens ergibt.649 Schließlich testet Sauerwein als weitere Alternative die Kategorisierung der Attribute auf Basis von Mittelwerten der funktionalen und dysfunktionalen Frage über alle Probanden. Durch diese Vorgehensweise soll die individuelle Attributkategorisierung umgegangen und als Folge eine Erhöhung der Reliabilität erzielt werden.650 Hierzu werden den Skalenausprägungen Zahlenwerte zugeordnet und die Mittelwerte als Modus oder Median berechnet. Die Ergebnisse der Datenanalyse zeigen, dass auch diese Alternativform zu keiner Verbesserung der Reliabilität führt. Infolge der aggregierten Betrachtungsweise bedingt dieses Vorgehen vielmehr einen Informationsverlust über die individuellen Präferenzen der Probanden. Ungeachtet dieser Ergebnisse kann zusammenfassend auf Basis der Werte der Test-Retest-Reliabilität die Attributklassifikation mittels Kano-Methode als reliabel betrachtet werden.651 Insbesondere die Tatsache, dass die Attributkategorisierung bei dieser Methodik aus der Kombination der Werte von zwei Fragen resultiert, lassen die von Sauerwein ermittelten Reliabilitätswerte als zufrieden stellend erscheinen.

647

648 649 650 651

Der Wertebereich beider Gütekriterien liegt zwischen [0; 1], wobei ein Wert nahe eins eine hohe und ein Wert nahe null eine niedrige Reliabilität bedeuten. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 244 f. Vgl. Sauerwein (2000), S. 82 ff. Vgl. Sauerwein (2000), S. 86. Vgl. Sauerwein (2000), S. 88 ff. Vgl. Sauerwein (2000), S. 92.

132 Neben der Reliabilität wird auch die Validität der Kano-Methode einer kritischen Prüfung unterzogen. Mit Verweis auf die vorangegangenen Kapitel kann die Grundannahme einer Dreifaktorenstruktur der Kundenzufriedenheit und somit die theoretische Plausibilität als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für die Validität einer Methode als erfüllt betrachtet werden. Sauerwein analysiert in seiner Studie die Inhaltsvalidität mittels nicht linearer Regressionsanalyse zwischen den Einzelurteilen und der Gesamtzufriedenheit der kategorisierten Attribute.652 Gemäß den Annahmen des Kano-Modells sollten die jeweiligen Kano-Kategorien unterschiedliche Einflüsse auf die Gesamtzufriedenheit eines Kunden ausüben. Obgleich sich lediglich moderate Werte für das Bestimmtheitsmaß R2 sowie die einzelnen Regressionskoeffizienten ergeben,653 können die Annahmen insgesamt bestätigt werden und es lässt sich eine akzeptable inhaltliche Validität der Kano-Methode konstatieren.654 Zur Prüfung der Prognosevalidität verwendet Sauerwein in seiner Studie die Wiederkaufsrate der Probanden. Diese setzt er in Relation zu den jeweiligen Kano-Kategorien der Produkteigenschaften. Kongruent mit den Annahmen des Kano-Modells sollte der relative Anteil von Begeisterungsfaktoren bei Wiederkäufern höher sein als die relativen Anteile von Basis- und Leistungsfaktoren. Als Ergebnis der Datenanalyse finden sich signifikante Unterschiede zwischen Wiederkäufern und Markenwechslern. Dies spricht für eine hohe Prognosevalidität der Kano-Methode. 655 Schließlich analysiert Sauerwein die Konstruktvalidität der Kano-Methode. 656 Hierfür nimmt er einen Vergleich der Klassifikation von Produktattributen mittels der Kano-Methode sowie mittels des Importance-Grid vor. Die

652 653

654 655 656

Vgl. Sauerwein (2000), S. 144. Mittels des Bestimmtheitsmaßes R2 wird der Anteil der durch die Regressionsgleichung erklärten Varianz an der Varianz der einfachen Aussage in Form des Mittelwertes erfasst. Der Wertebereich des Bestimmtheitsmaßes beträgt [0; 1], wobei Werte nahe eins eine hohe Validität der Messung ausdrücken. Die Regressionskoeffizienten ermöglichen den Vergleich der Einflussstärke der unabhängigen Variablen auf die abhängigen Variablen. Hohe absolute Werte implizieren hierbei einen starken Einfluss. Vgl. Skiera/Albers (2000), S. 209 sowie Abschnitt 4.3.1.2. Vgl. Sauerwein (2000), S. 167. Vgl. Sauerwein (2000), S. 169 ff. Vgl. Sauerwein (2000), S. 177.

133 Ergebnisse zeigen eine hohe Übereinstimmung der Attributklassifikation bei beiden Methoden.657 Auch ein Methodenvergleich der Kano-Methode mit der Conjoint-Analyse durch Gegenüberstellung der anhand Conjoint-Analyse ermittelten relativen Wichtigkeiten sowie der mittels Kano-Methode gebildeten CS-Koeffizienten zeigt eine weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse der beiden Methoden.658 Die Konstruktvalidität der Kano-Methode kann somit ebenfalls als gut bezeichnet werden. Insgesamt zeigen die verschiedenen Ergebnisse somit eine zufrieden stellende Validität. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Kano-Methode die wesentlichen Anforderungen und Gütekriterien der Objektivität, Reliabilität sowie Validität erfüllt. Sie stellt somit eine viel versprechende Methodenalternative zur Kategorisierung von Zufriedenheitsfaktoren dar.

3.3.6 Bestandsaufnahme der Literatur zur Kano-Methode Analog zum Kano-Modell findet sich in der betriebswirtschaftlichen und marketingwissenschaftlichen Literatur auch eine Vielzahl von Publikationen zur Kano-Methode. Hierbei kann unterschieden werden zwischen solchen Veröffentlichungen, die sich mit Fragen zur Anwendung und Eignung der Methodik als solcher befassen, Arbeiten, die eine Integration respektive Kombination der Kano-Methodik mit anderen Ansätzen thematisieren sowie solchen Studien, die einen konkreten Anwendungsfall der Kano-Methode zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren beinhalten. Im Folgenden werden die wichtigsten Arbeiten des jeweiligen Themenbereiches dargestellt. Eine erste umfassende Publikation zur Anwendung und Eignung der Kano-Methode stellt hierbei die Studievon Berger et al. dar.659 Die Autoren bieten eine umfangreiche Darstellung des Kano-Modells sowie der KanoMethode. Daneben beschäftigen sie sich mit Fragestellungen nach der praktischen Anwendung dieser Methodik mit möglichen alternativen Bezeichnungen der Antwortkategorien des Kano-Fragebogens und einer 657 658 659

Vgl. Sauerwein (2000), S. 175. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 422 ff. Vgl. Berger et al. (1993).

134 Verbesserung der Analysemöglichkeiten der Kategorienzuordnung, die über die von Kano vorgeschlagenen Auswertungen hinausgehen. Hierbei entwickeln sie zwei Auswertungsregeln zur Ermittlung von Kundenzufriedenheitsindices sowie den Quality-Improvment-Index zur Darstellung dieser beiden. Ferner erarbeiten die Autoren Vorschläge zur grafischen Abbildung der jeweiligen Kano-Faktoren auf Basis der möglichen Kombinationen der Kano-Fragen.660 Zanger/Baier führen einen Methodenvergleich zwischen der Kano-Methode und der Conjoint-Analyse am Beispiel der Händlerzufriedenheit mit Telekommunikationsgroßhändlern durch.661 Die Autoren konstatieren eine weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse der beiden Methoden. Jedoch identifizieren sie Vorteile der Kano-Methode durch einen höheren Informationsgehalt der Aussagen sowie einer höheren Praktikabilität bei der Durchführung der Klassifikation.662 Weitere Methodenvergleiche stellen die Arbeiten von Gierl/Bartikowski sowie Bartikowski/Llosa dar.663 Die Autoren vergleichen hierbei die Praktikabilität und Reliabilität der Kano-Mehode mit der Critical-Incident-Technique, der Penalty-Reward-Contrast-Analysis, dem Dual Importance Mapping sowie der Korrespondenzanalyse. Die Ergebnisse beider Studien zeigen unterschiedliche Kategorisierungen der berücksichtigten Attribute, weshalb die Autoren keine generelle Empfehlung für eine Methode aussprechen. Als Vorteil der Kano-Methode konstatieren Gierl/Bartikowski jedoch, dass im Vergleich zu den anderen genannten Methoden nur mit dieser eine vollständige Klassifikation sämtlicher Attribute möglich ist.664 Die bisher umfangreichste Arbeit zur Kano-Methode stellt die bereits erwähnte Publikation von Sauerwein dar.665 Dieser analysiert in seiner Arbeit die Reliabilität und Validität der Kano-Methode und prüft alternative Antwortkategorien des Kano-Fragebogens. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Reliabilität und Validität der Kano-Methode als zufrieden stellend bezeichnet werden kann.

660 661 662 663 664 665

Vgl. Berger et al. (1993), S. 3 ff. Vgl. Zanger/Baier (1998). Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 425 f. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003); Bartikowski/Llosa (2004). Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 24 f. Vgl. Sauerwein (2000) sowie Abschnitt 3.3.5.

135 Neben der Darstellung dieses Verfahrens als solchem findet sich ferner eine Vielzahl von Publikationen, die eine Kombination der Kano-Methode mit anderen Ansätzen thematisieren. Matzler/Hinterhuber integrieren die KanoMethode in die Planungsmatrix des Quality Function Deployment Ansatzes (QFD).666 Durch eine solche Erweiterung lässt sich laut den Verfassern die Aussagekraft des QFD-Konzeptes deutlich erhöhen.667 In ähnlicher Weise integrieren Tan/Xie/Shen, Tan/Shen sowie Tan/Xie die Kano-Klassifikation in die Planungsmatrix des QFD-Ansatzes, wobei die Verfasser jedoch eine modifizierte Form des Kano-Fragebogens verwenden.668 Ferner entwickeln die Autoren ein integriertes Prozessmodell zur Produktentwicklung und erzielen nach eigenen Angaben durch Verwendung eines Adjusted Improvement Ratio auf Basis der Kano-Klassifikation eine bessere Aussagekraft des QFDKonzeptes.669 Schließlich empfehlen Tan/Pawitra eine Integration des KanoModells und des SERVQUAL-Ansatzes in das QFD-Konzept.670 Hierbei verwenden die Autoren die Kano-Klassifikation zur Gewichtung der mittels SERVQUAL ermittelten Attributwichtigkeiten, um die sog. Adjusted Importance ermitteln. Auf diese Weise lässt sich gemäß Tan/Pawitra eine erhöhte Aussagekraft des QFD-Konzeptes im Vergleich zur singulären Verwendung nur einer Methode gewinnen.671 Martensen/Grønholdt arbeiten die Kano-Systematik in die Darstellung eines Importance-Grids zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren der Mitarbeiterzufriedenheit ein.672 Auf diese Weise nehmen die Autoren eine Klassifikation der Quadranten eines Importance-Grids vor. Durch eine Übertragung der Kano-Kategorien auf das klassische Importance-Grid können gemäß Martensen/Grønholdt signifikante Zusatzinformationen zur Priorisierung der Verbesserungsfelder eines Importance-Grid gewonnen werden.673

666 667 668 669 670 671 672 673

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Matzler/Hinterhuber (1998). Matzler/Hinterhuber (1998); S. 36. Tan/Xie/Shen (1999); Tan/Shen (2000); Tan/Xie (2000). Tan/Xie/Shen (1999), S. 283 f. sowie analog Shen/Tan/Xie (2000), S. 93. Tan/Pawitra (2001). Tan/Pawitra (2001), S. 428 f. Martensen/Grønholdt (2001). Martensen/Grønholdt (2001), S. 957.

136 Chen/Su kombinieren das Kano-Modell mit einem Customer Knowledge Management Ansatz.674 Die Autoren nehmen eine Modifikation des KanoFragebogens vor, indem sie die klassischen Antwortkategorien durch eine fünfstufige Likert-Skala ersetzen. Die Autoren konstatieren einen vergleichsweise erhöhten Aussagegehalt der mit diesem Hybrid-Fragebogen vorgenommenen Attributklassifikation.675 Schließlich findet sich eine Vielzahl von Publikationen mit konkreten Anwendungsfällen der Kano-Methode in verschiedenen Branchen und Industrien. So wird die Kano-Methode sowohl im business-to-business als auch im business-to-consumer Kontext zur Klassifikation von Kundenanforderungen an Investitionsgüter (Klimaanlagen), Gebrauchsgüter (TV-Gerät, Tischuhr, Alpinski, GPS-System) sowie Verbrauchsgüter (Verpackungsmaterial) verwendet. Obgleich die Kano-Methode aufgrund ihrer Entstehungshistorie im Qualitäts-Kontext im Rahmen der Marketingforschung zunächst für die Kategorisierung von Produktattributen verwendet wird, erfolgt zeitlich nahe ihre Verwendung zur Klassifikation von Serviceattributen in unterschiedlichen Anwendungsgebieten. Im business-to-consumer Kontext erfolgt die Nutzung der Kano-Methode zur Klassifikation von Kundenanforderungen an die Serviceleistungen von Supermärkten, Reisebüros, touristischen Angeboten, Mobilfunkanbietern, Shopping-Centern und eines Großflughafens sowie von Anforderungen an Beratungsgespräche eines Versicherungsunternehmens. Ferner erfolgen mit ihr im E-Commerce Kontext die Klassifikation der Kundenanforderungen an Serviceattribute bei der Gestaltung von Webseiten, Web-Communities sowie der Online-Ticketbuchung eines Kinobetreibers. Im business-to-business Kontext wird die Kano-Methode verwendet, um eine Klassifizierung der Kundenanforderungen an die Serviceleistungen eines Telekommunikationsgroßhändlers, eines Automobilhändlers sowie eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms vorzunehmen. Tabelle 10 gibt einen Überblick über die genannten sowie weitere Publikationen zur Kano-Methode.

674 675

Vgl. Chen/Su (2006). Vgl. Chen/Su (2006), S. 601 ff.

Anwendung der Kano-Methode zur  Klassifikation von 15 Klassifizierung der KundenServiceattributen eines anforderungen an einen Supermarkt Supermarktes  n= 176

Darstellung und Erläuterung der Kano-Methode

Darstellung der Kano-Methode sowie alternierender Konzepte zur Identifikation von Serviceattributen

Darstellung und Erläuterung der Kano-Methode

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Anforderungen an die Gestaltung eines Wissenschaftsprogramms

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an einen Alpinski

Schvaneveldt/ Enkawa/ Miyakawa (1991)

Berger et al. (1993)

Bharadwaj/ Menon (1997)

Fong (1996)

Lee/Newcomb (1996)

Matzler et al. (1996)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Entwicklung der beiden Indices Category Strength und Total Strength sowie einer Strength-Matrix zur grafischen Darstellung der beiden Indices  Forderung einer Category Strength von mindestens 60% bei einem Konfidenzintervall von +/- 6 % und einem Konfidenzniveau von 90%    

 Klassifikation von 53 Leistungsattributen eines Wissenschaftsprogramms  n= 67  Klassifikation von 10 Produktattributen eines Alpinskis  n= 1500

Klassifikation mittels Kano-Fragebogen Auswertung mittels Auswertungstabelle Auswertung mittels Auswertungsregel Auswertung mittels CS-Koeffizienten sowie Quality-Improvement-Index

 Entwicklung eines Tests zur Überprüfung der statistischen Signifikanz der Kategorienzuordnung  Integration der Self-Stated Importance in die Kano-Methode, um eine bessere Zuordnung zu den Kano-Klassifikationen zu erzielen bei Attributen, deren Zuordnung nicht statistisch signifikant ist

 Darstellung der Kano-Methode, des SERVQUAL-Ansatzes sowie des House-of-Quality (HoQ) Konzeptes im Vergleich mit bzw. als Ergänzung zum Kano-Modell  Erläuterung der Vorteile und Limitationen der jeweiligen Konzepte  Nachteile der Kano-Methode gegenüber SERVQUAL und HoQ-Konzept

Darstellung der Fragebogengestaltung Darstellung der Auswertung der Kategorienzuordnung Darstellung des Self-Stated Importance Fragebogens Entwicklung der Auswertungsregeln, der CS-Koeffizienten sowie des Quality-Improvement-Indexes  Alternative Formulierung der Antwortkategorien im Kano-Fragebogen  Ausführungen zur modifizierten grafischen Darstellung der KanoKategorien auf Basis der jeweiligen Antwortkombinationen

   

---

---

---

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle

 Klassifikation von  Klassifikation mittels Kano-Fragebogen a) 14 Produktattributen eines TV Auswertung mittels Auswertungstabelle Gerätes  Segmentspezifische Auswertung b) 5 Produktattributen einer Tischuhr  n= 883 (TV)  n= 484 (Uhr)

Empirie

Anwendungsgebiet

Anwendung der Kano-Methode in 2 Studien zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an a) ein TV-Gerät b) eine Tischuhr

Autor(en)

Kano et al. (1984)

137

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an die Serviceleistungen eines Reisebüros

Integration einer modifizierten Form der Kano-Methode in die Planungsmatrix des QFD-Ansatzes

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen in der Mobilfunkbranche

Tan/Xie/Shen (1999)

Klausegger/ Scharitzer (2000)

Methodenvergleich zwischen Kano-  Klassifikation von 12 (KanoMethode und Conjoint-Analyse am Methode) bzw. 6 (Conjoint Analyse) Beispiel der Händlerzufriedenheit mit Serviceattributen eines Telekommunikationsgroßhändlern Telekommunikationsgroßhändlers  n= 46 (Kano-Methode)  n= 38 (Conjoint Analyse)

Zanger/Baier (1998)

Kaapke/Hudetz (1999)

Darstellung und Erläuterung der Kano-Methode; Integration der Kano-Methode in die Planungsmatrix des QFD-Ansatzes

Matzler/ Hinterhuber (1998)

   

 Klassifikation von 21 Serviceattributen eines Mobilfunkanbieters  n= 377

Klassifikation mittels Kano-Fragebogen Auswertung mittels Auswertungstabelle Auswertung mittels CS-Koeffizienten Auswertung mittels Zufriedenheits-/Wichtigkeitsmatrix

 Entwicklung eines Prozessmodells zur Produktentwicklung durch Integration der Kano-Methode in den QFD-Ansatz  Verbesserte Aussagekraft des QFD-Konzeptes durch Verwendung einer Adjusted Improvement Ratio

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Auswertung mittels CS-Koeffizienten

Klassifikation von 12 Serviceattributen mittels Kano-Fragebogen Ermittlung der Self-Stated Importance Auswertung mittels CS-Koeffizienten Ermittlung der relativen Wichtigkeiten von 6 Serviceattributen mittels Conjoint Analyse  Methodenvergleich durch Gegenüberstellung der relativen Wichtigkeiten aus Conjoint Analyse sowie der CS-Koeffizienten der Kano-Methode der in beiden Erhebungen übereinstimmend enthaltenen Produktattributen.  Weitgehende Übereinstimmung der Ergebnisse der beiden Methoden  Vorteil der Kano-Methode durch höheren Informationsgehalt der Aussagen höhere Praktikabilität der Durchführung

   

 Entwicklung eines Prozessmodells zur Produktentwicklung durch Integration der Kano-Methode in den QFD Ansatz  Verbesserte Aussagekraft des QFD durch Integration der KanoKlassifikation sowie der CS-Koeffizienten

 Darstellung des Ablaufs eines Kano-Projektes und der Fragebogengestaltung  Darstellung der Auswertungstabelle, der Auswertungsregel, der CSKoeffizienten sowie des Quality-Improvement-Index

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

---

 Klassifikation von 20 Serviceattributen eines Reisebüros  n= 87

---

---

Empirie

Anwendungsgebiet

Darstellung und Erläuterung der Kano-Methode

Autor(en)

Bailom et al. (1998)

138

Integration der Kano-Methode in die Planungsmatrix des QFD-Ansatzes zur Identifikation der Kundenanforderungen an das Design von Webseiten

Anwendung einer modifizierten Variante der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen bzgl. der Gestaltung kleiner Shopping-Center

Darstellung, Erläuterung und --Bewertung der Kano-Methode sowie weiterer Methoden zur Identifikation von Zufriedenheitsfaktoren

Tan/Shen (2000)

Baier (2001)

Matzler/ Pechlaner/Siller (2001)

 Entwicklung eines Prozessmodells zur Produktentwicklung durch Integration der Kano-Methode in den QFD-Ansatz  Verbesserung des Prognosegehaltes des QFD-Konzeptes für die Entwicklung und Gestaltung von Begeisterungsfaktoren und innovativen Produkten

 Klassifikation von 44 Serviceattributen aus 4 verschiedenen Kategorien eines Shopping-Centers  n= 500

 Darstellung und Bewertung der Kano-Methode im Methodenkanon zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren

 Reduktion der Antwortkategorien von ursprünglich 5 auf 2 je funktionaler und dysfunktionaler Frage, Änderung der Formulierung der Antwortkategorien  Ermittlung der Self-Stated Importance  Klassifikation mit modifiziertem Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Auswertung mittels CS-Koeffizienten  Ermittlung der relativen Wichtigkeiten  Keine Aussage über Vorteil des modifizierten Fragebogens sowie keine Prüfung bzgl. Zulässigkeit der Modifikation

 Klassifikation von 8 Serviceattributen  Entwicklung eines quantitativen Voice of the Customer Prozesses durch einer Website Integration der Kano-Klassifikation k  n= keine Angabe  Entwicklung einer Transformationsfunktion (s=cp ) in Abhängigkeit der jeweiligen Kano-Klassifikation (m: k 1)  Ermittlung des Adjusted Improvement Ratio durch Anwendung der Transformationsfunktion auf die Improvement Ratio der QFD  Verbesserte Aussagekraft des QFD für die Produktentwicklung durch Adjusted Improvement Ratio

---

Integration einer modifizierten Form der Kano-Methode in die Planungsmatrix des QFD-Ansatzes

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Auswertung mittels Auswertungsregel  Auswertung mittels CS-Koeffizienten sowie Quality-Improvement-Index  Test von Variationen der Antwortkategorien im Kano-Fragebogen  Analyse der Validität sowie Reliabilität der Kano-Methode  Ausführungen zur grafischen Gestaltung des Kano-Modells  Insgesamt zufrieden stellende Reliabilität und Validität der Kano-Methode

 Klassifikation von a) 10 Produktattributen eines Alpinskis b) 4 Serviceattributen eines Baustoffhändlers  n= 1500 (Alpinski)  n= 108 (Baustoffhändler)

Shen/Tan/Xie (2000)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

Empirie

Anwendungsgebiet

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an einen Alpinski

Autor(en)

Sauerwein (2000)

139

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an AutomobilVertragshändler im Großkundensegment leichter Nutzfahrzeuge

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an die Gestaltung eines online-basierten Fernstudiums

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an die Gestaltung einer Website

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an einen online-basierten Ticketservice

Baier/Weinand (2002)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

Lee/Shih/Tu (2002)

Zhang/Dran (2002)

Fundin/Nilsson (2003)

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Ermittlung eines q-Wertes durch Gewichtung der Faktoren gemäß Klassifikation mit Gewichtungsfaktor (m=1, o=2, a=3) zur eindeutigeren Klassifikation  Direkte Einschätzung von dynamischen Aspekten bei Attributkategorisierung

 Klassifikation von 44 Serviceattributen aus 11 verschiedenen Kategorien einer Website  n= 70

 Klassifikation von 8 Serviceattributen  Klassifikation mittels Kano-Fragebogen eines Online-Ticketservices  Ermittlung der Technology Readiness  n= 188  Ermittlung der Self-Stated Importance  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Auswertung mittels CS-Koeffizienten

 Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Auswertungstabelle

 Klassifikation von 13 Serviceattributen eines Internetstudienangebotes  n= 30

 Klassifikation von 9 Serviceattributen  Reduktion der Antwortkategorien von ursprünglich 5 auf 2 je funktionaler eines Automobilhändlers und dysfunktionaler Frage, Änderung der Formulierung der  n= 57 Antwortkategorien  Klassifikation mit modifiziertem Kano-Fragebogen  Ermittlung der Self-Stated Importance  Auswertung mittels Auswertungstabelle  Auswertung mittels CS-Koeffizienten  Segmentspezifische Auswertung

Empirie

Anwendungsgebiet

Integration der Kano-Methode sowie  Klassifikation von 7 Serviceattributen  Entwicklung eines Rahmenkonzeptes zur Entwicklung innovativer des SERVQUAL-Ansatzes in den eines taiwanesischen Serviceangebote durch Integration des SERVQUAL-Ansatzes und des Quality Function Deployment Ansatz Tourismusangebotes Kano-Modells in das QFD-Konzept zur Entwicklung innovativer Services  n= 500  Ermittlung der Kundenzufriedenheit mittels SERVQUAL-Ansatz in der Tourismusindustrie  Klassifikation mittels Kano-Fragebogen.  Ableitung von Kategoriengewichtungen auf Basis der Kano-Klassifikation (m=1, o=2, a=4)  Ermittlung der Adjusted Importance im QFD-Konzept durch Anwendung der Kategoriengewichtung auf den mit SERVQUAL ermittelten Customer Satisfaction Score  Erhöhte Aussagekraft des QFD-Konzeptes durch Integration von SERVQUAL und der Kano-Methode

Autor(en)

Tan/Pawitra (2001)

140

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen bzgl. der Gestaltung einer Web-Community

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen bzgl. des Verpackungsdesigns von Gebrauchsgütern

Kuo (2004)

Löfgren/Witell (2005)

   

 Klassifikation von 24 Produktattributen aus 3 Bereichen des Verpackungsdesigns von Gebrauchsgütern  n= 708

Klassifikation mittels Kano-Fragebogen Auswertung mittels Auswertungstabelle Auswertung mittels Auswertungsregel Auswertung mittels CS-Koeffizienten Verdichtung der Serviceattribute auf 6 Dimensionen und Klassifikation der Dimensionen als jeweiliger Kano-Faktor

Klassifikation mittels Kano-Fragebogen Ermittlung der Self-Stated Importance Auswertung mittels Auswertungstabelle Vergleich von 3 alternativen Formen der Auswertungstabelle mittels Sensitivitätsprüfung  Auswertung mittels Auswertungsregel  Auswertung mittels Category Strength und Total Strength  Auswertung mittels CS-Koeffizienten  Keine signifikanten Unterschiede der Attributklassifikation zwischen den Alternativformen der Auswertungstabelle

    

 Darstellung und Bewertung der Kano-Methode im Methodenkanon zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren

 Klassifikation von 29 Serviceattributen aus 6 Servicequalitäts-Dimensionen einer Web-Community  n= 264

Darstellung, Erläuterung und --Bewertung der Kano-Methode sowie weiterer Methoden zur Identifikation von Zufriedenheitsfaktoren

Fischer/ Pechlaner (2004)

 Klassifikation von 20 Serviceattributen mittels Kano-Methode, Dual Importance Mapping; Penalty-Reward-Contrast-Analysis sowie Korrespondenzanalyse  Attributkategorisierung mittels den 4 Methoden fällt sehr heterogen aus  Keine generelle Methodenempfehlung

 Klassifikation von 20 Serviceattributen eines Beratungsgespräches  n= 123

Vergleich mehrerer Methoden zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren am Beispiel der Anforderungen an ein Beratungsgespräch eines Versicherungsvertreters

 Klassifikation von 18 Serviceattributen mittels Kano-Methode, CriticalIncident-Technique sowie Penalty-Reward-Contrast-Analysis  Aufgrund zu geringer Fallzahlen keine vollständige Kategorisierung mit CIT und PRCA möglich  Lediglich Kano-Methode liefert vollständige Klassifikation  Bei erfolgten Klassifikationen mit allen Methoden uneinheitliche Ergebnisse  Infragestellung der Aussagekraft der Kano-Methode

 Klassifikation von 18 Serviceattributen eines Flughafens  n= 150

Bartikowski/ Llosa (2004)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

Empirie

Anwendungsgebiet

Vergleich mehrerer Methoden zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren am Beispiel der Servicezufriedenheit mit einem Großflughafen

Autor(en)

Gierl/ Bartikowski (2003)

141

Anwendung einer modifizierten Variante der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen bzgl. der Gestaltung von Klimaanlagen

Integration der Kano-Methode in einen Customer-KnowledgeManagement Ansatz (CKM)

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen in der taiwanesischen Tourismusindustrie

Yang (2005)

Chen/Su (2006)

Lee/Chen (2006)

Vorgehensweise ()/Kernaussagen ()

 Weiterentwicklung der Kano-Methode durch Untergliederung der KanoFaktoren bzgl. der Wichtigkeit (hoch/niedrig)  Ermittlung der Kundenzufriedenheit mit Produktattributen  Ermittlung der Self-Stated Importance  Klassifikation mittels modifiziertem Kano-Fragebogen  Auswertung mittels Wichtigkeits-Zufriedenheitsmatrix  Modifikation des Kano-Fragebogens durch Ersatz der KanoAntwortkategorien durch klassische 5-Punkte-Likert-Skala  Klassifikation mittels modifiziertem Kano-Fragebogen  Analyse von Gruppeneinflüssen (Alter, Geschlecht, etc.) auf Klassifikation mittels ANOVA  Auswertung mittels Kano-Auswertungstabelle  Segmentspezifische Auswertung  Gute Ergebnisse durch Fusion von Kano-Methode und CKM  Klassifikation mittels Kano-Fragebogen  Auswertung mittels CS-Koeffizienten

 Klassifikation von 24 Produkt- und Serviceattributen von Klimaanlagen  n= 150

 Klassifikation von 29 Produktattributen eines GPSSystems  n= 522

 Klassifikation von 23 Serviceattributen eines Hotels  n= 386

 Klassifikation von 8 Serviceattributen  Klassifikation mittels Kano-Fragebogen eines Online-Ticketservices  Ermittlung Gesamtzufriedenheit, Technology Readiness sowie Häufigkeit  n= 193 der Nutzung des E-Services  Analyse des Einflusses von Technology Readiness und Nutzungshäufigkeit auf Attributklassifikation mittels ANOVA  Empirische Belege für dynamische Natur der Attributklassifikation und eines Attributlebenszyklus

Empirie

Tab. 10: Ausgewählte Publikationen zur Kano-Methode

Anwendungsgebiet

Anwendung der Kano-Methode zur Klassifizierung der Kundenanforderungen an einen EService sowie zur Analyse dynamischer Aspekte der Klassifikation

Autor(en)

NilssonWitell/Fundin (2005)

142

143 3.3.7 Kritische Würdigung der Kano-Methode Die Kano-Methode hat sich im Rahmen der Marketingforschung als ein Verfahren zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren etabliert und erfährt aufgrund einer Vielzahl von Vorteilen breite Akzeptanz. So erlaubt die Fragebogenkonstruktion eine einfache und schnelle Beantwortung der Fragen. Zanger/Baier identifizieren Vorteile der KanoMethode durch eine im Vergleich zu alternativen Konzepten höhere Praktikabilität bei der Durchführung der Klassifikation.676 Sowohl die Möglichkeit der Datenauswertung mittels einfacher Auszählung als auch die einfache Interpretation der Ergebnisse erfordert keine Anwendung eines Statistikprogrammes. Mit der Berechnung der CS-Koeffizienten ist es zudem möglich, über die Klassifikation hinausgehende Informationen zu erhalten. In diesem Kontext ist ferner die Möglichkeit der Merkmalszuordnung zu den Kano-Kategorien sowohl auf Individualniveau als auch auf aggregierter Ebene von Vorteil. 677 Als besondere Stärke der Methode ist hierbei die Unabhängigkeit der Attributskategorisierung von der Gesamtzahl der Attribute sowie der Stichprobengröße zu nennen. Weiterhin von Vorteil ist die Tatsache, dass die Kano-Methode eine lediglich lineare Abhängigkeit der zeitlichen Beanspruchung der Befragten von der Zahl der Merkmale und der Merkmalsausprägungen aufweist. Dabei bleibt die Beurteilungskomplexität weitestgehend konstant, während sie bei alternativen Methoden, wie bspw. der Conjoint Analyse, zum Teil exponentiell ansteigt. 678 Ferner ermöglicht die Verwendung der Kano-Methode stärker als vergleichbare Ansätze die Identifikation von latenten, nicht artikulierten Bedürfnissen der Kunden.679 Neben diesen positiven Aspekten gibt es jedoch auch einige kritische Anmerkungen zur Kano-Methode. Bahradwaj/Menon bemängeln, dass das Kano-Modell keine Aussagen über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens

676 677 678 679

Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 427 ff. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003), S. 31. Vgl. Zanger/Baier (1998), S. 419. Vgl. Zhang/Dran (2002), S. 13.

144 bzgl. einzelner Leistungsattribute erlaubt, sondern lediglich eine Methodik zur Identifikation und Klassifikation von Leistungsattributen allgemein darstellt. Ferner erlaubt eine mittels der Kano-Methode erzielte Klassifikation von Leistungsattributen keinerlei Aufschluss über die Treiber der Wahrnehmung und die Wichtigkeit der einzelnen Attribute sowie der darauf basierenden Verhaltensintention der Kunden.680 Durch die Erweiterung des Messinstrumentariums um eine direkte Abfrage der Wichtigkeit der einzelnen Leistungsattribute kann diese Information jedoch gewonnen und dieser Kritikpunkt somit abgeschwächt werden. Einige Autoren kritisieren ferner, dass ein umfangreicher Fragebogen infolge der paarweisen Fragenformulierung mit funktionaler und dysfunktionaler Frage die Gefahr einer hohen Abbruchquote der Probanden bedingt.681 In diesem Kontext werden auch mögliche Irritationen oder Reaktanzen aufseiten der Probanden aufgrund der ungewöhnlichen Frageform befürchtet, weshalb die Durchführung einer direkten mündlichen Befragung im Rahmen der Datenerhebung empfohlen wird.682 Jedoch belegen speziell die Ergebnisse jüngerer Publikationen, dass die Testpersonen bei einer online-basierten Datenerhebung nur wenig Probleme mit der Beantwortung der Fragen haben.683 Dies zeigt sich insbesondere an dem sehr geringen Anteil von als „questionables“ klassifizierten Attributen und den sehr plausiblen Resultaten. Die Durchführung einer persönlichen Befragung scheint somit nicht zwingend notwendig. Durch die Möglichkeit der Datenerhebung über das Internet kann ferner der häufig als Nachteil genannte Aufwand der Datensammlung minimiert und gleichzeitig eine einfache und schnelle Datenaufbereitung vorgenommen werden. Hinsichtlich der Datenanalyse wird die nicht-kompensatorische Auswertung mittels Häufigkeitstabelle als problematisch betrachtet, da hier selbst bei nahezu paritätischer Häufigkeitsverteilung zwischen mehreren Kategorien das Attribut immer der Kategorie mit der höchsten Nennung zugeordnet wird. 684 Dieser Schwachpunkt kann jedoch durch die Berücksichtigung der segment-

680 681 682 683 684

Vgl. Bharadwaj/Menon (1997), S. 107. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 130. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 130; Klausegger/Scharitzer (2000), S. 238. Vgl. Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 152 ff.; Chen/Su (2006), S. 600 ff. Vgl. Klausegger/Scharitzer (2000), S. 238 f.

145 spezifischen Auswertungen sowie der zusätzlichen Ermittlung der CSKoeffizienten entkräftet werden. Das Hauptaugenmerk der Kritik liegt jedoch auf dem Skalenniveau und den Bezeichnungen der Antwortskala der Kano-Methode. Obgleich die Frage des Skalenniveaus nicht eindeutig geklärt ist, wird die Antwortskala der KanoMethode gemeinhin als hedonische Skala mit Nominalniveau betrachtet.685 Eine solche ist im Unterschied zu einer Ordinalskala jedoch mit deutlich geringeren Freiheitsgraden der Datenauswertung behaftet.686 In diesem Kontext wird von einigen Autoren eine Modifikation der ursprünglichen Antwortskala von Kano et al. vorgeschlagen. So finden sich Versuche, die paarweise Frageform durch eine einzige Frage zu ersetzen und mittels dieser die Attributkategorisierung vorzunehmen.687 Um mögliche Verständnisprobleme seitens der Probanden zu minimieren, wurden zudem verschiedene Vorschläge für alternative Skalenbezeichnungen entwickelt.688 Schließlich finden sich unterschiedliche Entwürfe für die Reduktion der Antwortskalen auf lediglich zwei oder drei Ausprägungen je funktionaler bzw. dysfunktionaler Frage.689 Sämtliche Vorschläge dieser Art werden jedoch als kritisch betrachtet, da sie keinerlei empirische Prüfung bzgl. der Verbesserung der Reliabilität oder Verständlichkeit der Methode beinhalten und zudem oft einen Informationsverlust zur Folge haben.690 Die Analyse verschiedener Skalenalternativen in der Studie von Sauerwein offenbart vielmehr eine Verschlechterung der Reliabilität der Kano-Methode als Folge solcher Modifikationen, weshalb davon abgeraten und die Verwendung der ursprünglichen Antwortskala empfohlen wird. An dieser Stelle muss zudem darauf hingewiesen werden, dass mittels der Antwortkategorien der KanoMethode gerade keine Rangordnung vorgenommen werden soll. Mit den 685

686 687 688

689

690

Vgl. Berger et al. (1993), S. 13; Kaapke/Hudetz (1999), S. 131; Klausegger/Scharitzer (2000), S. 239. Burchill/Shen bezeichnen die Antwortskala der Kano-Methode auch als „hedonistic scale of pleasure“. Burchill/Shen (1994), S. 4. Vgl. Kaapke/Hudetz (1999), S. 130. Vgl. Sauerwein (2000), S. 83. Vgl. Berger et al. (1993), S. 25 f.; Vavra (1997), S. 384; Tan/Xie/Shen (1999), S. 280; Sauerwein (2000), S. 183 ff.; Löfgren/Witell (2005), S. 12. Vgl. Baier (2001), S. 1 ff.; Baier/Weinand (2002), S. 51 ff.; Corbella/Maturana (2003), S. 64 ff.; Gierl/Bartikowski (2003), S. 14 ff. sowie Abschnitt 3.3.2. So führt die Reduktion der Antwortskala gemäß des Vorschlages von Gierl/Bartikowski (2003) dazu, dass keine Klassifikation von entgegengesetzten oder fragwürdigen Attributen möglich ist. Vgl. Gierl/Bartikowski (2003) , S. 25.

146 Antwortalternativen wird vielmehr das Ausmaß positiver respektive negativer Emotionen beim Kunden infolge der Existenz bzw. Inexistenz spezifischer Attribute ermittelt.691 Aus diesem Grund wird das Nominalniveau der Antwortskala als unproblematisch betrachtet. Bewertungskriterium

CIT

LBA

IPA

IG

PRCA

Kano

Ex ante Kategorisierung der Attribute möglich











+

Einfachheit der Datenerhebung (erlaubt Berücksichtigung einer großen Attributzahl)





+

+

+

/+

Regeln für Attributkategorisierung sind theoretisch begründet/abgeleitet





+

+

+

+

Unabhängigkeit der Attributkategorisierung von Gesamtzahl der Attribute (absolute Kategorisierung)

+

+





+

+

Unabhängigkeit der Attributkategorisierung von Stichprobengröße (feste Regeln)

+

+







+

Attributkategorisierung und -auswertung auf Individualniveau möglich

+

+







+

Reliabilität und Validität zufrieden stellend











+

+ trifft vollständig zu; - trifft nicht zu; -/+ indifferent CIT: Critical-Incident-Technique; LBA: Lob-und Beschwerdeanalyse; IPA: Importance-PerformanceAnalysis; IG: Importance Grid; PRCA: Penalty-Reward-Contrast-Analysis; Kano: Kano-Methode

Tab. 11: Vergleich der Kano-Methode mit alternativen Methoden zur Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren

Im direkten Vergleich der Kano-Methode mit alternativen Verfahren zur Messung von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren mittles des in Abschnitt 2.5.3 vorgestellten Kriterienkataloges zeigt diese Vorteile bei den wesentlichen Beurteilungskriterien (vgl. Tabelle 11). Als Fazit der kritischen Würdigung kann daher konstatiert werden, dass die Kano-Methode trotz

691

Vgl. Berger et al. (1993), S. 13.

147 einiger Schwächen sehr gut zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren geeignet ist.692 Ungeachtet der breiten Verwendung der Kano-Methode im Rahmen der Kundenzufriedenheitsforschung liegen mit Ausnahme der Studie von Sauerwein bis dato kaum Arbeiten vor, die eine empirische Überprüfung der postulierten Wirkungsweise der verschiedenen Kano-Kategorien auf die Kundenzufriedenheit eines Kunden vornehmen.693 Ferner befassen sich neben der Originalpublikation von Kano lediglich die Studien von NilssonWittel/Fundin sowie Fundin/Nilsson mit den postulierten dynamischen Aspekten der Zufriedenheitsfaktoren im Rahmen der Attributklassifikation.694

3.4 Zusammenführung der Erkenntnisse Die Ausführungen der vorangestellten Kapitel dienten der Erläuterung und theoretischen Fundierung des Kano-Modells sowie der Kano-Methode. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:  Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit findet als Erklärungsansatz einer Dreifaktorenstruktur des Zufriedenheitskonstruktes zunehmend Verbreitung.  Die Vorteile dieses Ansatzes liegen insbesondere in einer besseren Abbildung von asymmetrischen Effekten zwischen der Attributzufriedenheit und der Gesamtzufriedenheit sowie der expliziten Berücksichtigung dynamischer Aspekte bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit.  Als Hauptkritikpunkt des Kano-Modells kann die mangelnde theoretische Fundierung der Kernannahmen betrachtet werden.  Mit der Opponent-Process-Theory wurde ein Ansatz dargestellt, der die unzureichende theoretische Fundierung des Kano-Modells aufhebt.

692 693 694

Vgl. Klausegger/Scharitzer (2000), S. 240. Vgl. Sauerwein (2000). Vgl. Kano (2001); Fundin/Nilsson (2003); Nilsson-Wittel/Fundin (2005).

148  Die

Opponent-Process-Theory

erklärt,

wie

die

Klassifikation

von

Produktattributen von den individuellen Nutzenerwartungen der Kunden determiniert wird und die Beurteilung und Bewertung wahrgenommener Stimuli je nach Häufigkeit der Darbietung und in Abhängigkeit von Gewöhnungseffekten interindividuell differiert.  Die Kano-Methode stellt eine leistungsstarke Methode zur Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren dar.  Ungeachtet der breiten Verwendung der Kano-Methode liegen bis dato kaum Untersuchungen vor, in denen eine empirische Überprüfung der postulierten Wirkungsweise der verschiedenen Kano-Kategorien auf die Kundenzufriedenheit vorgenommen wird.  Ferner finden sich kaum Veröffentlichungen, in denen die unterstellten dynamischen Aspekte der Kano-Kategorien empirisch analysiert werden.

149

4 Empirische Prüfung der Kano-Theorie 4.1 Konzeption und Durchführung der Studien im Überblick Wie die vorangegangenen Abschnitte aufzeigen, lässt sich ein Mangel an Arbeiten konstatieren, die eine empirische Analyse der Annahme des KanoModells vornehmen. Ferner finden sich nur vereinzelt Studien, die die Eignung der Kano-Methode zur adäquaten Identifikation und Klassifikation von Zufriedenheitsfaktoren analysieren. So besteht insbesondere bzgl. des Einflusses asymmetrischer und dynamischer Verknüpfungen zwischen der Attributqualität und der Gesamtzufriedenheit auf die Kano-Klassifikation die Notwendigkeit für weitere Untersuchungen. Die Zielsetzung der folgenden Abschnitte ist es daher, einen Erkenntnisbeitrag bzgl. des identifizierten Forschungsbedarfes zu generieren. Hierzu werden zwei empirische Studien auf dem Diabetes-Monitoring Markt durchgeführt.695 Studie 1 dient der Prüfung der unterstellten Wirkungsbeziehungen zwischen Attribut- und Gesamtzufriedenheit und somit der Grundannahmen des KanoModells (Forschungsziel 1). Sie dient ferner zur empirischen Analyse der Eignung der Kano-Methode zur Identifikation von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren (Forschungsziel 2). Hierfür werden die Erhebungsdaten einer Querschnittstudie zur Klassifikation der Produkteigenschaften eines Blutzuckermesssystems mittels Kano-Methode, univariater Varianzanalyse sowie multipler Regressionsanalyse analysiert. Die Durchführung von Studie 2 dient der Analyse von dynamischen Effekten bei der Attributklassifikation (Forschungsziel 3a) sowie der Überprüfung des postulierten Lebenszyklus der Kano-Kategorien (Forschungsziel 3b). Hierfür erfolgt die Auswertung von Erhebungsdaten einer zweistufigen Panel-Studie zur Klassifikation von Serviceangeboten für Diabetiker mittels Kano-Methode sowie univariater Varianzanalyse. In den folgenden Abschnitten erfolgt die Darstellung der Konzeption, Durchführung sowie Datenanalyse der zwei Studien. Die beiden Erhebungen werden hierbei aufgrund der spezifischen Forschungsziele separat betrachtet.

695

Vgl. hierzu Abschnitt 4.2.

150 4.2 Diagnostika-Markt als Ausgangspunkt der Studien Die Erhebungen der vorliegenden Arbeit werden auf dem DiabetesMonitoring Markt als Teilsegment des Marktes für physiologische Diagnostik durchgeführt. Auf diesem Markt werden Produkte und diagnostische Verfahren für die Diagnose und Therapieüberwachung von Diabetes Mellitus angeboten. Diabetes Mellitus bezeichnet eine auf Insulinmangel basierende GlukoseStoffwechselstörung. Insulin ist ein in der Bauchspeicheldrüse gebildetes Hormon, das ins Blut ausgeschüttet wird, um dort den über die Nahrungsaufnahme ins Blut gelangenden Zucker (Glukose) ab- und Glykogen aufzubauen.696 Sofern Insulin in nicht ausreichender Menge oder Wirkstärke vorhanden ist,

kann die

Glukose

nicht abgebaut

werden und der

Blutzuckerspiegel erhöht sich.697 Gegenwärtig gibt es in Deutschland zwischen fünf bis sechs Millionen diagnostizierte Diabetiker.698 Infolge der durch Komplikationen und Folgeerkrankungen verursachten hohen indirekten Kosten stellt Diabetes einen großen Kostenfaktor im öffentlichen Gesundheitssystem dar und gilt aktuell als die teuerste chronische Erkrankung.699. Zu den häufigsten Folgeerkrankungen zählen bspw. Hyperlipidämie, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Schlaganfall, Neuropathie sowie Retinopathie.700 Grundsätzlich wird zwischen zwei verschiedenen Formen des Diabetes differenziert (vgl. Tabelle 12). Beim so genannten Typ 1 Diabetes ist der Körper nicht mehr in der Lage, Insulin zu produzieren. Die Ursache für diese völlige Einstellung der körpereigenen Insulinproduktion liegt in einer irreparablen Schädigung der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die sowohl erblicher Natur als auch das Resultat einer Autoimmunreaktion infolge einer Viruserkrankung sein kann. Im Unterschied dazu findet beim Typ 2 Diabetes zwar noch eine körpereigene Produktion von Insulin statt, dieses wird jedoch nicht in ausreichender Menge oder Wirkstärke freigesetzt. Für die Entwicklung

696 697 698 699

700

Vgl. Meisinger/Löwel (2005), S. 4. Vgl. Hahn (2006), S. 248. Vgl. Köster/Ferber/Hauner (2005), S. 4; Rothenbacher/Brenner/Rüter (2005), S. 2408. Die Gesamtkosten für die Behandlung von Diabetes Mellitus betrugen 2001 in der Bundesrepublik Deutschland rund 60 Mrd. Euro. Davon entfielen ca. 80% auf die Therapie von Folgeerkrankungen. Vgl. o.V. (2005), S. 2132; Johnston (2006), S. 5 f. Vgl. Rothenbacher/Brenner/Rüter (2005), S. 2409.

151 dieses

Diabetes-Typs

sind

ebenfalls

erbliche

Veranlagungen

sowie

insbesondere Lebensstilfaktoren wie Übergewicht und/oder mangelnde körperliche Bewegung verantwortlich.701 Während bei einer Erkrankung an Typ 1 Diabetes eine Insulinsubstitution obligatorisch ist, wird der Typ 2 Diabetes primär mit Diät, ausreichender Bewegung und oralen Antidiabetika behandelt, in schweren Fällen jedoch ebenfalls durch die Injektion von Insulin.702 Typ 1 Diabetes

Typ 2 Diabetes

Krankheitsursachen

absoluter Insulinmangel

relativer Insulinmangel (Insulinresistenz)

Krankheitsentstehung

Autoimmunreaktion, genetische Veranlagung

genetische und alimentäre Insulinresistenz

Alter der Erstdiagnose

< 40 Jahre, meist zwischen dem 14. und 25. Lebensjahr

> 40 Jahre, zunehmend auch im Kindesund Jugendlichenalter

Entstehungsdauer

rasch und dramatisch

asymptotisch und schleichend

Erstsymptome

häufiges Wasserlassen, enorm gesteigerter Durst, rapider Gewichtsverlust, Leistungsabfall, diabetisches Koma

Fettsucht, diabetische Spätkomplikationen, diabetisches Koma

Anteil an Diabetikern

5-10%

90-95%

Tab. 12: Charakteristika der Diabetes-Erkrankung Quelle:

In Anlehung an Hahn (2006), S. 249.

Bis dato ist Diabetes nicht heilbar, jedoch kann die Wahrscheinlichkeit einer Folgeerkrankung durch eine individuelle und normnahe glykämische Einstellung des Patienten reduziert werden.703 Voraussetzung hierfür stellt eine regelmäßige Kontrolle des Blutzuckerspiegels mit Hilfe eines Blutzuckermesssystems dar. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Eigenverantwortlichkeit des mündigen Patienten hat sich der Markt für Blutzuckermesssysteme in den vergangenen Jahren erheblich gewandelt und

701 702

703

Vgl. Meisinger/Löwel (2005), S. 4. Grundsätzlich werden die folgenden Therapieformen zur Behandlung des Diabetes Mellitus differenziert: Diät, orale Antidiabetika (OAD), orale Antidiabetika und Insulintherapie (Kombi), konventionelle Insulintherapie (CT), intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) sowie subkutane kontinuierliche Insulintherapie (CSII). Vgl. Koschinksy/Lederle/Rose-Fröhlich (2007), S. 4. Die vier letztgenannten Therapieansätze sind für eine obligatorische Insulinsubstitution notwendig. Vgl. Hahn (2006), S. 249.

152 sich hinsichtlich der Marketingaktivitäten sehr stark einem klassischen Konsumgütermarkt angenähert. Dies führt zu einer Zunahme der direkten Kundenansprache von Patienten.704 Als Folge einer ansteigenden Produkthomogenisierung stellen sich die Unternehmen daher verstärkt die Frage, welche Produkteigenschaften oder Serviceleistungen Diabetiker zur Wahl eines Blutzuckermessgerätes bewegen. Aufgrund des hohen Innovationsdrucks, mit dem die Anbieter von Blutzuckermesssystemen derzeit konfrontiert werden, eignet sich die Zielgruppe der Diabetiker zur Überprüfung der Kano-Methode als Instrument zur Klassifikation von Produkt- und Serviceeigenschaften.

704

Vgl. Franke et al. (2003), S. 809.

153 4.3 Studie 1: Analyse der postulierten Zufriedenheitswirkung der Kano-Klassifikation 4.3.1 Methodische Grundlagen der Untersuchung 4.3.1.1 Kano-Methode Die Klassifikation der Kundenanforderungen erfolgt im Rahmen der ersten Studie durch die Verwendung der Kano-Methode. Fragebogengestaltung sowie Auswertungssystematik entsprechen hierbei den originären Vorgaben von Kano et al.705 Die Antwortskala der funktionalen und dysfunktionalen Frage berücksichtigt somit auch die Ausprägung „other“ und weist insgesamt jeweils sechs Antwortkategorien auf. Als Resultat dieser Skalengestaltung ergeben sich in Summe 36 Antwortkombinationen, anhand derer sämtliche Kano-Kategorien („must-be“, „one-dimensional“, „attractive“, „indifferent“, „reverse“, „questionable“, „not classified“) klassifiziert werden können.

4.3.1.2 Grundlagen der Konstruktmessung Zur Überprüfung der postulierten Wirkungen der Kano-Kategorien bei der Entstehung von Kundenzufriedenheit erfolgt neben der Anwendung der KanoMethode zusätzlich die Erhebung der Kundenzufriedenheit sowie des Involvements der Untersuchungsteilnehmer. Bei diesen Variablen handelt es sich um theoretische Konstrukte (latente Variablen), die sich einer direkten Messung entziehen.706 Ihre Erhebung erfolgt daher über geeignete Indikatorvariabeln. Voraussetzung zur Analyse der postulierten Wirkungen der Kano-Kategorien auf die Kundenzufriedenheit stellt somit eine reliable und valide Messung der latenten Variablen dar. In der Literatur finden sich verschiedene Maße zur statistischen Beurteilung der Güte einer Konstruktmessung, wobei grundsätzlich zwischen Gütekriterien der ersten und der zweiten Generation differenziert wird.707 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden von den Gütekriterien der ersten Generation Cronbach’s Alpha sowie die Item-to-Total-Correlation (ITTC) verwendet.

705 706 707

Vgl. Kano et al. (1984), S. 165 ff. sowie Abschnitt 3.3.1. - 3.3.4. Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 465. Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8.

154 Cronbach’s Alpha ist ein Maß für die interne Konsistenz der Indikatoren eines Faktors und stellt einen der am häufigsten verwendeten Reliabilitätskoeffizienten der ersten Generation dar.708 Dieses Gütekriterium entspricht dem Mittelwert aller Korrelationen, der sich aus einer Teilung der Indikatoren eines Faktors in zwei Hälften mit anschließender Korrelation der Summen der daraus resultierenden Faktorhälften ergibt. Der Wertebereich von Cronbach’s Alpha erstreckt sich von null bis eins, wobei ein Wert von 0,7 als unterste Grenze für eine akzeptable Messung gilt.709 Die Aussagekraft von Cronbach’s Alpha wird jedoch dadurch beeinträchtigt, dass der Wert des Koeffizienten positiv mit der Anzahl der Indikatoren zusammenhängt und ferner keine Bewertung des Koeffizienten durch einen statistischen Test möglich ist.710 Ein weiteres Gütemaß für die interne Konsistenz der Indikatoren eines Faktors ist die Item-to-Total-Correlation (ITTC). Sie beschreibt die Korrelation eines Indikators mit der Summe aller Indikatoren, die ein und demselben Faktor zugeordnet sind.711 Die ITTC steigt mit zunehmender Reliabilität an und der Wertebereich erstreckt sich ebenfalls von null bis eins, wobei in der Literatur kein Mindestwert genannt wird. Die ITTC fungiert daher vorwiegend als Entscheidungsgrundlage für die Elimination von Indikatorvariabeln zum Zwecke einer Verbesserung von Cronbach’s Alpha.

4.3.1.3 Univariate Varianzanalyse Die Varianzanalyse stellt als Verfahren der Dependenzanalyse eines der wichtigsten Instrumente der Marktforschung dar.712 Durch Anwendung der Varianzanalyse kann geprüft werden, ob zwischen unterschiedlichen Gruppen von Merkmalsträgern signifikante Unterschiede bestehen, die auf dem Einfluss einer oder mehrerer kontrollierbarer, unabhängiger Variablen basieren. Auf

708 709 710 711 712

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Homburg/Giering (1996), S. 12; Neumann (2007), S. 123. Nunally (1978), S. 245; Zeitlin/Westwood (1986), S. 34 f.; Rodeghier (1997), S. 183 f. Homburg/Giering (1996), S. 8. Homburg/Giering (1996), S. 8. Hammann/Erichson (2000), S. 318; Homburg/Krohmer (2003), S. 288 f.

155 diese Weise kann geprüft werden, ob die abhängige(n) Variable(n) einem signifikanten Einfluss der unabhängigen Variablen unterliegen.713 Die Varianzanalyse dient als strukturprüfende Methode besonders zur Analyse von Experimenten und Befragungen und ist der Regressionsanalyse sehr ähnlich. Während es für die Durchführung letztgenannter Methode kardinaler Größen bedarf, sind für eine Varianzanalyse lediglich kategoriale unabhängige Variablen notwendig. Ferner wird mit der Varianzanalyse geprüft, ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen abhängiger und unabhängiger Variable besteht, wohingegen bei der Regressionsanalyse der marginale Einfluss von Regressoren von Interesse ist.714 Je nach Anzahl der einbezogenen unabhängigen und abhängigen Variablen wird zwischen den verschiedenen Typen der einfachen Varianzanalyse oder ANOVA (Analysis of Variance), der multiplen Varianzanalyse oder MANOVA (Multivariate Analysis of Variance) sowie der n-faktoriellen Varianzanalyse unterschieden.715 Da im Rahmen der vorliegenden Studie der Einfluss einer unabhängigen Variablen auf eine abhängige Variable untersucht werden soll, wird auf die univariate Varianzanalyse zurückgegriffen. Die Anwendung einer ANOVA postuliert die Erfüllung bestimmter Prämissen.716 Für die unabhängige Variable wird Nominalskalierung verlangt, derweil die abhängige Variable metrisches Skalenniveau aufweisen muss.717 Ferner sollten die berücksichtigten Beobachtungswerte immer aus einer Zufallsauswahl resultieren und die entsprechende Grundgesamtheit normalverteilt sein. Schließlich muss innerhalb der unterschiedlichen Gruppen Varianzhomogenität vorliegen und die erklärten und unerklärten Varianzen müssen additiv verknüpft sein.718 Zur Erstellung des Grundmodells einer ANOVA erfolgt auf Basis sachlogisch fundierter respektive theoretisch begründeter Erkenntnisse eine a priori Einteilung in abhängige und unabhängige Variable. Allgemein gilt, dass die

713 714 715 716

717 718

Vgl. Herrmann/Seilheimer (2000), S. 267. Vgl. Herrmann/Seilheimer (2000), S. 267 f. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 289 f.; Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 215. Vgl. Hair et al. 1995, S. 274 ff.; Bauer/Neumann/Hölzing (2004), S. 19; Bauer/Neumann/ Jöst (2004), S. 267. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 120. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 215.

156 abhängige Variable y eine Funktion der unabhängigen Variable x ist, woraus die nachfolgende resultiert:719

Grundgleichung

des

einfaktoriellen

Varianzmodells

Ygk = μ+g+gk

(9)

Hierbei bezeichnet Ygk den Beobachtungswert k der Faktorstufe g, μ den Mittelwert der abhängigen Variablen Y in der Grundgesamtheit, g den Einfluss der Zugehörigkeit zur Gruppe g auf die abhängige Variable Y und schließlich gk eine sämtliche exogenen Einflüsse auf die abhängige Variable umfassende Residualgröße. Es wird folglich postuliert, dass die Abweichung eines Objektes in der Stichprobe vom Mittelwert der Grundgesamtheit durch dessen Gruppenzugehörigkeit sowie eine Residualgröße bedingt wird.720 Die zu prüfende Nullhypothese H0 lautet hierbei, dass von der Gruppenzugehörigkeit keine Effekte auf die abhängige Variable ausgehen, sondern die beobachteten Abweichungen zufälliger Natur sind. Zur Prüfung der Nullhypothese erfolgt eine Dekomposition der Gesamtvarianz aller Beobachtungswerte SSy in eine Streuung zwischen den Gruppen SSb (erklärte Abweichung) sowie eine Streuung innerhalb der Gruppen SSw (nicht erklärte Abweichung):721 G

Kg

  (Y

(10)

gk

Y

g=1 k=1

(11)

)

2

SSy

G

=

 Kg(Y

g

Y

g=1

=

SSb

)

2

G

+

Kg

  (Y

gk

Yg

g=1 k=1

+

)

2

SSw

Hierbei bezeichnen Y g den Mittelwert der Beobachtungswerte einer Faktorstufe und Y den Gesamtmittelwert der Beobachtungswerte. Zur Prüfung, ob ein statistisch signifikanter Einfluss der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable vorliegt oder ob die Mittelwertdifferenzen beliebiger Natur sind wird im Rahmen der Varianzanalyse ein F-Test verwendet.722 Sind als dessen Resultat

719 720 721 722

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

signifikante

Mittelwertdifferenzen

zu

konstatieren,

Hammann/Erichson (2000), S. 319; Herrmann/Seilheimer (2000), S. 269. Homburg/Krohmer (2003), S. 290. Homburg/Krohmer (2003), S. 291; Backhaus et al. (2006), S. 124 f. Homburg/Krohmer (2003), S. 293.

wird

die

157 Nullhypothese verworfen. Dies ist der Fall, wenn die mit der Variabilität begründete Varianz zwischen den Mittelwerten der Grundgesamtheit größer ist als die Streuung, die aus den Abweichungen innerhalb der Grundgesamtheit resultiert. Aufgrund der Ablehnung von H0 lässt sich schlussfolgern, dass zwischen den Gruppen signifikante Unterschiede bestehen, der Faktor mithin einen signifikanten Einfluss auf die Gruppen ausübt.723

4.3.1.4 Multiple Regressionsanalyse Zur Überprüfung der unterschiedlichen Einflüsse der Kano-Kategorien auf die Gesamtzufriedenheit wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine multiple Regressionsanalyse verwendet. Die Regressionsanalyse ist eine der meistgenutzten quantitativen Analysemethoden und dient zur Analyse von Beziehungen zwischen einer abhängigen Variablen (Regressand) und einer oder mehreren unabhängigen Variablen (Regressoren).724 Sie wird insbesondere zur quantitativen Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen sowie zur Schätzung von Werten der abhängigen Variablen verwendet.725 Die Regressionsanalyse zählt zur Kategorie der Dependenzanalysen und erfordert sowohl für die abhängige als auch für die unabhängigen Variablen metrisches Skalenniveau.726 Im Grundmodell der multiplen Regressionsanalyse wird ein linearer Zusammenhang zwischen J Regressoren xj (j=1,...,J) und dem Regressanden y postuliert.727 Es geht somit um die Ermittlung der linearen Abhängigkeit einer abhängigen Variablen von mehreren unabhängigen Variablen.728 Zielsetzung der multiplen Regression ist es, auf Basis der in der Stichprobe beobachteten Werte der abhängigen Variablen die Regressionskoeffizienten der in der Grundgesamtheit geltenden Regressionsfunktion mittels der Methode der

723 724 725 726 727 728

Vgl. Hermann/Seilheimer (2000), S. 276. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 46. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 46. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 274. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 274. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 210.

158 kleinsten Quadrate zu schätzen. Die Regressionsfunktion der Stichprobe lässt sich somit wie folgt formulieren:729 (12)

y = a + b1 x1 + b2 x 2 + ...+ bJ x J + e

die Hierbei bezeichnen a die Regressionskonstante, b1,...,bj Regressionskoeffizienten und e den Fehlerterm des Modells. Die Regressionskoeffizienten bj (j=1,...,J) geben die Einflussstärke der einzelnen unabhängigen Variablen xj auf die abhängige Variable y an.730 Mittels dieser Regressionsfunktion wird versucht, die Beziehung zwischen dem Regressanden und den Regressoren möglichst genau zu approximieren. Hierbei gilt es, die Regressionsparameter a sowie b1,...,bj so zu schätzen, dass die Summe der quadrierten Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Wert der abhängigen Variablen y und dem entsprechenden, vom Modell geschätzten, Wert yˆ zu minimieren. Die Schätzung der Parameter erfolgt mittels der Methode der kleinsten Quadrate, welche eines der wichtigsten statistischen Schätzverfahren darstellt.731 Die als Resultat einer solchen Schätzung ermittelten Regressionskoeffizienten geben den marginalen Effekt der Änderung einer unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable an und erlauben somit Rückschlüsse auf die Stärke und Richtung des Zusammenhangs. Da jedoch der numerische Wert eines Regressionskoeffizienten bj durch die Skala der Variablen xj bedingt wird, ist eine Standardisierung der Koeffizienten notwendig, um die unterschiedlichen Einflussstärken der unabhängigen Variablen vergleichen zu können.732 Als Resultat einer solchen Standardisierung erhält man die standardisierten Beta-Koeffizienten ßj, deren Werte unabhängig von der Messdimension der unabhängigen Variablen sind.733 In der vorliegenden Arbeit wird ein Spezialtyp der multiplen Regressionsanalyse mit Dummy-Variablen verwendet. Diese Form der Regressionsanalyse stellt ein bewährtes Verfahren zur Prüfung von asymmetrischen Effekten von unabhängigen Variablen auf eine abhängige Variable dar. 729 730 731 732 733

Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 274. Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 275. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 58. Vgl. Berekoven/Eckert/Elllenrieder (2004), S. 213. Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 303; Backhaus et al. (2006), S. 62.

159 Demnach ist die Methode auch geeignet, den Einfluss der verschiedenen Kano-Kategorien auf die Kundenzufriedenheit zu analysieren.734 Hierfür erfolgt eine Dichotomisierung der unabhängigen Variablen (hier der jeweiligen Produktattribute) durch Bildung eines Sets von Dummy-Variablen. Dies geschieht auf Basis der jeweiligen Bewertung der unabhängigen Variablen. Dabei werden die standardisierten Variablenwerte herangezogen und die oberen und unteren Quartilswerte der Verteilung als Grenzwerte für die Bildung der Dummy-Variablen verwendet. Auf Basis dieser Grenzwerte erfolgt anschließend für jede unabhängige Variable die Bildung der zwei neuen Variablen Zufriedenheit und Unzufriedenheit. Die Codierung erfolgt dabei gemäß folgender Logik:735  Der Variablen Zufriedenheit wird der Wert eins zugewiesen, sofern der Variablenwert gleich groß oder größer als der obere Quartilswert ist (hohe Zufriedenheit); liegt der Variablenwert unter dem oberen Quartilswert erfolgt die Zuweisung des Wertes null.  der Variablen Unzufriedenheit wird der Wert eins zugewiesen, wenn der Variablenwert kleiner oder gleich dem unteren Quartilswert ist (hohe Unzufriedenheit); sofern der Variablenwert größer als der untere Quartilswert ist, erfolgt die Zuweisung des Wertes null. Mit den Dummy-Paaren je unabhängiger Variable und der Gesamtzufriedenheit der Probanden als abhängiger Variable wird anschließend eine multiple Regressionsanalyse durchgeführt. Als Resultat dieser Vorgehensweise erhält man für jedes Produktattribut (unabhängige Variable) zwei Regressionskoeffizienten. Der Koeffizient für Zufriedenheit stellt den Einfluss dieses Merkmals auf die Gesamtzufriedenheit bei hoher Attributzufriedenheit dar, während der Koeffizient für Unzufriedenheit den Effekt auf die Gesamtzufriedenheit bei niedriger Attributzufriedenheit abbildet.736 Durch einen Vergleich der beiden Regressionskoeffizienten kann analysiert werden, ob gemäß der Ausführungen von Kano et al. Attribute existieren, die in

734

735 736

Vgl. bspw. die Studien von Brandt (1987); Mittal/Ross/Baldasare (1998); Matzler/ Pramhas (2002); Matzler/Sauerwein/Stark (2004); Matzler/Fuchs/Schubert (2004); Matzler et al. (2005). Vgl. Matzler et al. (2005), S. 308. Vgl. Matzler/Pramhas (2002), S. 185.

160 Abhängigkeit ihrer Klassifikation ausschließlich einen Einfluss auf die Zufriedenheit (Begeisterungsfaktoren) oder auf die Unzufriedenheit (Basisfaktoren) ausüben oder gleichermaßen auf Zufriedenheit und Unzufriedenheit (Leistungsfaktoren) wirken.737 Für die Beurteilung der Qualität der Regression existieren unterschiedliche Gütekriterien, die eine Prüfung der Regressionsfunktion und der einzelnen Regressionskoeffizienten ermöglichen.738 Die wichtigsten Gütemaße sind hierbei das Bestimmtheitsmaß R2, die F-Statistik sowie der t-Wert. Das Bestimmtheitsmaß R2 misst als globales Gütemaß die Anpassung der Regressionsfunktion an die empirischen Daten, indem es den Anteil der durch die Regressionsgleichung erklärten Varianz der abhängigen Variablen erfasst.739 R2 ist eine normierte Größe, dessen Wertebereich zwischen null und eins liegt. Es fällt umso höher aus, je größer der Anteil der erklärten Varianz an der Gesamtvarianz ist. Das Bestimmtheitsmaß R2 wird hierbei in seiner Höhe von der Zahl der Regressoren positiv beeinflusst. In der Folge steigt es mit Zunahme jedes weiteren Regressors, auch wenn dieser ggf. irrelevant ist und die Zunahme somit zufällig bedingt ist. Um diesen Effekt zu vermeiden wird angeraten, das korrigierte Bestimmtheitsmaß R2 zu verwenden.740 Dieses reduziert das einfache Bestimmtheitsmaß um eine Korrekturgröße, die mit zunehmender Zahl an Regressoren und abnehmender Zahl an Freiheitsgraden zunimmt. Das korrigierte Bestimmtheitsmaß kann demnach durch die Berücksichtigung weiterer Regressoren auch verringert werden.741 Aufgrund der erhöhten Aussagekraft wird für die vorliegende Arbeit das korrigierte Bestimmtheitsmaß verwendet. Ein weiteres Maß zur Prüfung der globalen Güte des Regressionsmodells stellt der F-Wert dar. Mit diesem Kriterium wird analysiert, ob das auf Basis einer Stichprobe geschätzte Modell für die Grundgesamtheit Gültigkeit besitzt.742 Mit Hilfe eines F-Tests wird die Nullhypothese geprüft, dass alle Regressionskoeffizienten in der Grundgesamtheit den Wert null annehmen.

737 738 739 740 741 742

Vgl. Kano et al. (1984), S. 165 ff. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 213. Vgl. Hammann/Erichson (2000), S. 302. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 68. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 68 Vgl. Skiera/Albers (2000), S. 210; Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 213.

161 Zur Prüfung der Nullhypothese wird eine Testgröße verwendet, die bei Richtigkeit einer F-Verteilung folgt. Im Falle einer Ablehnung der Nullhypothese kann davon ausgegangen werden, dass zwischen der Gesamtheit der unabhängigen Variable und der abhängigen Variable ein signifikanter Zusammenhang besteht, das Regressionsmodell folglich einen gewissen Erklärungsgehalt in Bezug auf die abhängige Variable auch in der Grundgesamtheit hat.743 Zusätzlich zu der Prüfung der globalen Anpassungsgüte kann mittels des tTests die Signifikanz jedes einzelnen Regressionskoeffizienten geprüft werden.744 Hierzu wird für jeden Regressionsparameter bj die Nullhypothese geprüft, dass dieser in der Grundgesamt gleich null ist. Bei Nicht-Ablehnung der Nullhypothese folgt der t-Wert einer t-Verteilung.745 Die Anwendung einer multiplen Regressionsanalyse basiert auf verschiedenen Prämissen:746  Es liegt eine korrekte Modellspezifikation vor, die sämtliche erklärenden Variablen berücksichtigt, einen linearen Zusammenhang zwischen den Regressoren und dem Regressanden unterstellt sowie eine Anzahl von Beobachtungen aufweist, die mindestens so hoch ist wie die Anzahl der zu schätzenden Parameter.  Die Störgrößen des Regressionsmodells besitzen den Erwartungswert Null.  Die erklärenden Variablen und die Störgrößen korrelieren nicht.  Die Störgrößen sind voneinander statistisch unabhängig.  Die Störgrößen weisen eine konstante Varianz auf (Homoskedastizität).  Zwischen den unabhängigen Variablen besteht keine lineare Abhängigkeit (keine exakte Multikollinearität).  Die Störgrößen sind normalverteilt.

743 744 745 746

Vgl. Homburg/Krohmer (2003), S. 277. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 73. Vgl. Skiera/Albers (2000), S. 211 f. Vgl. Skiera/Albers (2000), S. 216 ff.; Backhaus et al. (2006), S. 79 ff.

162 Die Prämissenprüfung erfolgt anhand verschiedener Verfahren. Zur Kontrolle der Unabhängigkeit der Störgrößen wird der Durbin-Watson-Test verwendet. Dieser prüft die Nullhypothese, dass die Residuen der Beobachtungswerte nicht autokorreliert sind.747 Je näher der Durbin-Watson-Koeffizient an dem Wert zwei liegt, desto geringer ist das Ausmaß einer Autokorrelation der Residuen. Eine Prüfung der Normalverteilung kann durch Betrachtung der Histogramme der Residuen vorgenommen werden, die hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem Verlauf der Normalverteilung verglichen werden.748 Eine empirische Überprüfung der Normalverteilungsprämisse ist mit Hilfe des KolmogorovSmirnov-Anpassungstests möglich. Dieser prüft die Nullhypothese, dass die beobachteten Werte aus einer normalverteilten Grundgesamtheit stammen. Zur Analyse der Multikollinearität wird der Variance Inflation Factor (VIF) herangezogen. Dieser stellt den Kehrwert der Toleranzwerte der unabhängigen Variablen dar und ist umso größer, je höher die multiple Korrelation eines Regressors in Bezug auf die restlichen Regressoren ist.749 VIF-Werte nahe eins lassen auf eine lineare Unabhängigkeit der Variablen schließen, während Werte ab fünf auf Multikollinearitätsprobleme hindeuten.750

4.3.2 Datenerhebung 4.3.2.1 Erhebungsdesign Zur Generierung der Daten wurde eine Online-Befragung durchgeführt. Neben seiner herausragenden Bedeutung für die Sekundärforschung hat sich das Internet auch als Erhebungsmedium für die Primärforschung innerhalb des Methodenpluralismus der Marktforschung etabliert.751 Online-Erhebungen weisen eine Reihe von Vorteilen auf. Sie sind aufgrund von Kosten- und Zeitersparnissen in vielerlei Hinsicht ökonomischer und erfahren aufseiten der Teilnehmer oftmals eine höhere Akzeptanz als klassische Erhebungen wie

747 748 749 750 751

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 89. Vgl. Draper/Smith (1998), S. 61 f. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 91. Vgl. Eckstein (2000), S. 244; Skiera/Albers (2000), S. 222. Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2004), S. 114.

163 mündliche, telefonische oder schriftliche Interviews.752 Ferner lässt sich infolge der vermeintlich größeren Anonymität ein offeneres und ehrlicheres Antwortverhalten der Probanden erwarten. Für Online-Erhebungen gelten zudem keinerlei räumliche (Alokalität) oder zeitliche Restriktionen (Asynchronität), sowohl hinsichtlich der Untersuchungsdurchführung als auch bzgl. einer Untersuchungsteilnahme.753 Schließlich weisen Online-Erhebungen infolge des Einsatzes einer standardisierten Erfassungs- und Auswertungssoftware eine hohe Auswertungsobjektivität sowie mangels sozialer Interaktion zwischen Auskunftsperson und Forschungsleiter eine hohe Durchführungsobjektivität auf.754 Die Datenerhebung wurde von einem bekannten deutschen Diabetesportal sowie von einem führenden Anbieter von Blutzuckermesssystemen unterstützt. Der Portalbetreiber wies auf den Internetseiten zur Teilnahme an der Studie hin. Hierfür wurde ein Link zur Befragung als Banner in verschiedenen Bereichen des Portals geschaltet und im wöchentlichen Newsletter auf die Studie hingewiesen. Zusätzlich wurde auch in den Newslettern des Anbieters von Blutzuckermesssystemen auf die Studie hingewiesen. Der Zeitraum der Datenerhebung erstreckte sich vom 21.08.2006 bis zum 11.09.2006. Als Teilnehmer an der Studie wurden nur Diabetiker zugelassen, die regelmäßig ihren Blutzuckerspiegel selbst kontrollieren und folglich über persönliche Erfahrungen im Umgang mit Blutzuckermesssystemen verfügen. In den Anschreiben der Newsletter sowie auf der Eröffnungsseite der Befragung wurde auf diese Voraussetzungen zur Teilnahme hingewiesen. Insgesamt wurden 1776 Fragebögen ausgefüllt. 71 Fragebögen konnten aufgrund unvollständiger Angaben nicht berücksichtigt werden. Die Datenanalyse stützt sich somit auf 1705 Fälle und die Stichprobengröße kann als sehr zufrieden stellend betrachtet werden.755

752 753 754 755

Vgl. Theobald (2000), S. 305. Vgl. Bauer/Wölfer (2001), S. 15 f. Vgl. Theobald (2000), S. 309. Als Untergrenze für eine adäquate Stichprobengröße gelten mit Hinblick auf die Minimierung möglicher Fehlertoleranzen mindestens 200 Fälle. Als übliche Stichprobengröße hat sich ein Umfang von 500 - 2.000 Untersuchungsteilnhmer etabliert. Vgl. Scheffler (2000), S. 69.

164 4.3.2.2 Fragebogenaufbau Der Fragebogen besteht aus insgesamt drei Blöcken. Zu Beginn des Fragebogens wurden die Probanden über die Zielsetzung der Untersuchung informiert.756 Im ersten Teil wurden die Soziodemografika (Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss) sowie Informationen bzgl. der Diabeteserkrankung (Diabetestyp, Therapieform, Erkrankungsdauer) der Probanden erhoben. Der zweite Teil des Fragebogens diente zur Datenerhebung mit der KanoMethode. Zunächst erfolgte eine kurze Einführung zur Fragetechnik der KanoMethode mit Beispielfragen sowie einer Einweisung in das richtige Ausfüllen eines Kano-Fragebogens.757 Danach wurden die Probanden gebeten, 20 Produktattribute eines Blutzuckermesssystems mittels funktionalen und dysfunktionalen Kano-Fragen zu bewerten. Die Auswahl der berücksichtigten Produktattribute basiert auf einer umfangreichen Produktanalyse auf dem Markt für Blutzuckermesssysteme sowie Experteninterviews mit Produktmanagern von Blutzuckermesssystemen. Dies führte zu einer Berücksichtigung von 13 für die Bewertung eines Blutzuckermesssystems als relevant erachteten und von der Mehrzahl der auf dem Markt erhältlichen Geräte unterstützten Produktattributen.758 Um die prädiktive Klassifikationsfähigkeit der Kano-Methode zu examinieren, wurden ferner sieben Produktattribute berücksichtigt, die derzeit noch nicht oder nur vereinzelt in den aktuellen Blutzuckermesssystemen enthalten sind. Zusätzlich zur Beantwortung der Kano-Fragen wurden die Probanden aufgefordert, ihr eigenes Blutzuckermesssystem in Bezug auf das jeweilige Produktattribut auf einer siebenstufigen Likert-Skala (1= sehr gut; 7= sehr schlecht) zu bewerten. Insgesamt waren somit je Produktattribut drei Fragen zu beantworten, woraus eine Gesamtzahl von 60 geschlossenen Fragen resultierte. Im dritten Teil wurden die Probanden gebeten, die Wichtigkeit der zuvor genannten Produktattribute zu bewerten. Ferner erfolgte die Erfassung der Gesamtzufriedenheit der Probanden mit ihrem eigenen Blutzuckermess-

756

757

758

Zur Vermeidung systematischer Verzerrungen im Antwortverhalten der Probanden wurde das genaue Forschungsziel der Unterschung nicht genannt. Vgl. Batinic (2001), S. 118. Diese Vorgehensweise ist notwendig, da aufgrund der unüblichen Fragetechnik der Kano-Methode leicht Verständnisprobleme seitens der Probanden auftreten können. Vgl. Berger et al. (1993), S. 10. Eine Aufstellung der berücksichtigten Produktattribute findet sich im Anhang.

165 system und die Ermittlung des Produktinvolvements der Untersuchungsteilnehmer in Bezug auf Blutzuckermesssysteme. Die Bewertung der Wichtigkeit der Produktattribute sowie die Erfassung der unabhängigen Variablen erfolgte jeweils mit siebenstufigen Likert-Skalen (1= höchster Grad an Zustimmung; 7= höchster Grad an Ablehnung). Zur Erfassung der unabhängigen Variablen diente eine Multi-Item-Messung unter Verwendung von etablierten Indikatorvariablen der Marketingforschung.759 Bei der Durchführung von Online-Befragungen stellt die mehrdeutige oder falsche Gestaltung von Befragungsobjekten ein Problem dar. Aus diesem Grund wurde im Vorfeld der Datenerhebung ein Pretest durchgeführt.760 Hierbei wurde der Fragebogen im Hinblick auf die zuvor genannten Anforderungen untersucht und insbesondere die kognitive Belastung der Probanden sowie die Verständlichkeit der Frageformulierungen überprüft. Die Ergebnisse der insgesamt 22 Teilnehmer dieses Pretests zeigten keine Notwendigkeit für eine Modifikation des Fragebogens.

4.3.2.3 Beschreibung der Stichprobe Die Prüfung der Repräsentativität der Stichprobe erfolgt aufgrund einer sehr heterogenen Datenbasis auf Grundlage verschiedener Studien zur allgemeinen Diabetesprävalenz in der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings beschränkt sich die Gegenüberstellung hierbei auf das Geschlecht, den Diabetestyp sowie die Therapieform der Probanden, da keine Daten bzgl. der Dauer der Diabeteserkrankung oder der altersgruppenspezifischen Verteilung der Grundgesamtheit verfügbar sind. Von den Teilnehmern der vorliegenden Stichprobe sind 413 (24,2%) weiblichen und 1292 (75,8%) männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter beträgt 53,9 Jahre. 609 (35,7%) Probanden sind an Typ 1 Diabetes, 1096 (64,3%) an Typ 2 Diabetes erkrankt und die durchschnittliche Erkrankungsdauer beträgt 13,6 Jahre.

759

760

Eine Aufstellung der verwendeten Item-Batterien findet sich im Anhang. Zur Gewährleistung einer validen Erfassung der berücksichtigten komplexen, latenten Konstrukte wurde der Verwendung von Multi-Item-Skalen der Vorzug vor Single-ItemSkalen gegeben. Für eine Gegenüberstellung der beiden Erhebungsoptionen vgl. Yi (1990), S. 71 f.; Giese/Cote (2000), S. 2. Vgl. Abschnitt 3.3.2.

166

Geschlecht weiblich männlich Diabetestyp Typ 1 Typ 2 Therapietyp Diät OAD Kombi CT ICT CSII Alter in Jahren < 30 31-40 41-50 51-60 > 60 Diabeteserkrankung in Jahren 20

Studie 1 n= 1705

Diabetesprävalenz Deutschland761

24,2% 75,8%

54,4% 45,6%

35,7% 64,3%

10,0% 90,0%

4,1% 18,7% 8,9% 8,9% 40,5% 18,7%

11,1% 39,0% 18,6% 17,2% 12,9% 1,2%

5,2% 8,8% 21,8% 32,3% 32,0%

-----------

17,1% 11,3% 24,0% 25,5% 22,2%

-----------

Tab. 13: Verteilung soziodemografischer und krankheitsspezifischer Eigenschaften der Stichprobe

Die Stichprobe der vorliegenden Studie unterscheidet sich teilweise stark von der relevanten Grundgesamtheit der Diabetiker in Deutschland (vgl. Tabelle 13). Männer sind im Verhältnis zur Gesamtprävalenz deutlich überrepräsentiert, was möglicherweise mit deren stärkerem Interesse am Untersuchungsgegenstand erklärt werden kann. Ebenfalls auffällig ist der hohe Anteil an Typ 1 Diabetikern. Dies kann auf die üblicherweise höhere Compliance dieser Patientengruppe und das daraus resultierende erhöhte

761

Vgl. Hauner/Köster/Ferber (2003); Hauner (2006); Köster/Hauner/Ferber (2006); Pitrow et al. (2006).

167 themenspezifische Involvement zurückgeführt werden.762 Der überproportionale Anteil an Typ 1 Diabetikern bedingt zudem die Dominanz der Therapieformen ICT und CSII, da diese die primären Therapieoptionen in dieser Patientengruppe darstellen.763

4.3.3 Datenanalyse 4.3.3.1 Operationalisierung der gewählten Konstrukte Zunächst werden die latenten Variablen einer Prüfung unterzogen. Zur Bewertung der Reliabilität und der Validität der Indikatorenverbunde werden Gütekriterien der ersten Generation verwendet. Im vorliegenden Abschnitt kommen Cronbach’s Alpha sowie die Item-to-Total-Correlation (ITTC) zum Einsatz. Eine Untersuchung der Konstrukte bzgl. der relevanten Prüfgrößen ergibt die in Tabelle 14 dargestellten Werte. Faktor Gesamtzufriedenheit

Involvement

Indikator

ITTC

sat1

0,727

sat2

0,756

sat3

0,786

inv1

0,599

inv2

0,546

inv3

0,539

inv4

0,601

inv5

0,615

Cronbach’s Alpha 0,874

0,802

Tab. 14: Gütemaße der verwendeten Konstrukte

Die Ergebnisse der Reliabilitätsanalysen weisen für die Faktoren Gesamtzufriedenheit (0,874) sowie Involvement (0,802) sehr gute Werte für Cronbach’s Alpha auf. Dies lässt auf eine hohe interne Konsistenz der zur Operationalisierung verwendeten Indikatoren schließen. Die Berechnung der Item-to-Total-Correlation für den vorliegenden Datensatz zeigt für sämtliche

762

763

Die Compliance eines Patienten bezeichnet das Ausmaß, in dem Patienten den Anordnungen, Vorschriften und Verschreibungen ihrer Ärzte Folge leisten. Vgl. Schuller (2000), S. 116 f.; Keller (2002), S. 181. Für eine Darstellung der verschiedenen Therapietypen vgl. Hauner/Köster/Ferber (2005), S. 2632 ff.

168 Indikatoren ausreichend hohe Koeffizienten in einem Wertebereich von 0,539 (inv3) bis 0,786 (sat3). Die Berücksichtung von Cronbach’s Alpha sowie der Item-to-Total-Correlation zeigt, dass eine Bereinigung des Messinventars nicht notwendig ist. Es kann somit ein zufrieden stellendes Maß an Konvergenzvalidität für die drei Konstrukte konstatiert werden.

4.3.3.2 Attributklassifikation mittels Kano-Methode Die Grundlage der Datenanalyse bilden die Antworten der Probanden auf die funktionalen und dysfunktionalen Kano-Fragen. Durch Kombination der beiden Antworten wird jedes Produktattribut probandenspezifisch gemäß der KanoSystematik klassifiziert und in die Ergebnistabelle übertragen. Die Auswertung des so generierten Datensatzes mittels der Kano-Methode erfolgt auf Basis der Ausführungen in Abschnitt 3.3.4. Im Unterschied zum üblicherweise selektiven respektive alternativen Einsatz der unterschiedlichen Auswertungsregeln und Gütekriterien wird zur Verbesserung der Klassifikationsgüte in der vorliegenden Arbeit jedoch ein integrativ-sequentieller Analyseprozess verfolgt. Dieser besteht aus drei Schritten und bezieht sämtliche vorgeschlagenen Prüfgrößen und Klassifizierungsregeln sukzessive in die Auswertung ein. In einem ersten Analyseschritt erfolgt die Prüfung der Attributklassifikation mittels der t-Test-Methodik. Diese ergibt für sämtliche der 20 Attribute signifikante Gruppenunterschiede der Kategorienzuordnungen (pO>A>I ermöglicht nun auch eine valide Klassifikation des Attributes Fehlermeldungen. Dieses wird nicht mehr als „attractive“, sondern als „one-dimensional“ (O) klassifiziert. Die Kategorienänderung wird durch die Werte der CS-Koeffizienten gestützt (CS+= 0,76; CS-= 0,52). Dieses Attribut ist somit je nach Ausprägung in der Lage, sowohl Zufriedenheit als auch Unzufriedenheit zu bedingen. Die Anwendung der zweiten Entscheidungsregel bedingt eine Kategorienänderung des Merkmals Testerinnerung. Dieses ursprünglich als „indifferent“ klassifizierte Attribut wird insbesondere unter Berücksichtigung des CS+ Wertes (+0,48) als „attractive“ klassifiziert. Abschließend können somit 18 der 20 Produktattribute eindeutig den Kano-Kategorien zugeordnet werden. Tabelle 15 fasst die Ergebnisse der Kano-Analyse zusammen.

765

Vgl. Kano (2001), S. 5 f.

O

M

0,4 0,5

18,2 25,5 42,6

2,6

33,1 18,1 16,9

Messgenauigkeit

Testmarkierung

40,5

41,3 18,2 20,4

44,0 14,7

20,5 27,9 39,3

26,5

15,1 33,8 44,9

13,3 28,2 49,2

40,6 34,8 16,2

36,2 10,3

Farbdisplay

Displaybeleuchtung

Teststreifenbeleuchtung

Gerätegröße

Mehrfarbigkeit

Batterielebensdauer

Menüführung

Fehlermeldungen

Testerinnerung

6,2

0,8

3,2

1,7

0,8

0,1

0,8

0,3

0,2

0,4

0,2

0,4

0,2

0,4

0,9

0,5

0,5

0,5

0,2

44,2

7,0

8,4

5,2

67,3

10,8

36,3

19,0

48,6

24,9

16,9

14,6

19,0

30,9

2,4

12,8

9,8

8,6

10,7

12,4

I

2,3

0,2

0,1

0,2

0,8

0,5

0,2

0,1

1,1

0,5

0,2

0,2

0,8

0,1

0,4

0,1

1,3

0,2

3,9

0,9

R

0,5

0,4

0,5

0,7

0,5

0,8

1,2

0,9

1,0

0,7

2,1

1,0

2,2

0,6

3,5

0,5

1,2

1,2

1,9

1,0

n.c.

I

A

M

M

I

M

A

A

I

A

M

A

A

A

M

M

M

M

M

M

Kategorie

20,850*

17,033*

18,332*

15,988*

26,055*

15,492*

14,902*

14,534*

17,362*

14,862*

13,807*

14,110*

12,572*

17,821*

14,211*

18,365*

14,057*

14,630*

14,965*

15,884*

t-Test

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

n.s.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

FongTest

8,0

5,8

21,0

11,1

40,8

11,4

7,7

20,9

8,1

27,9

7,9

10,7

24,4

2,2

34,7

17,1

4,4

9,0

28,2

25,3

Cat (> 6%)

52,8

91,6

90,7

93,8

31,0

87,7

61,9

79,9

49,0

73,0

80,4

83,8

77,5

68,0

93,2

86,3

86,8

89,5

81,8

84,2

Tot %

I

O

M

M

I

M

A

A

I

A

M

A

A

A

M

M

M

M

M

M

M>O> A>I

A

A

M

M

I

M

A

A

I

A

M

A

A

A

M

M

M

M

M

M

(O+A+M) >< (I+R+Q)

0,48

0,76

0,42

0,49

0,31

0,49

-0,17

-0,52

-0,78

-0,80

-0,05

-0,68

-0,18

-0,39

0,60 0,60

-0,09

-0,21

-0,55

-0,49

-0,31

-0,35

-0,95

-0,69

-0,65

-0,77

-0,80

-0,70

-

CS

0,48

0,71

0,47

0,60

0,72

0,52

0,32

0,44

0,55

0,48

0,33

0,39

+

CS

A

O

M

M

I

M

A

A

I

A

M

A

A

n.c.

M

M

n.c.

M

M

M

Kano Gesamt

Tab. 15: Kano-Klassifikation der Produktattribute

A: Attractive; O: One-dimensional; M: Must-be; Q: Questionables; I: Indifferent; R: Reverse; n.c.: Not classified; *p< 0,001

3,8

6,7

52,8 16,8

Trenddarstellung

3,3

26,9 18,8 34,8

Datenschnittstelle

7,6

47,2 22,8

35,8 22,9 25,1

Datendokumentation

Auswertungsfunktion

27,9 62,6

24,3 29,0 33,4

Nachdosierung

1,7 0,5

Messdauer

22,7 50,9

8,2

13,9 33,3 42,3

Qualitätscheck

1,4

Q

Blutvolumen

16,4 21,3 46,6

A

Codierung

Attribut

170

171 Bevor im folgenden Abschnitt die Wirkungen der unterschiedlichen KanoKategorien auf die Gesamtzufriedenheit analysiert werden, erfolgt zunächst die Prüfung zweier grundlegender Modellannahmen, wodurch zusätzlich die Bewertung der Inhaltsvalidität der Kano-Methode ermöglicht wird:766  Gemäß Kano durchlaufen die Kategorien einen spezifischen Lebenszyklus und ändern sich im Zeitverlauf in Abhängigkeit der Erfahrungen respektive Änderung der Erwartungshaltungen von Kunden.767 Demzufolge sollten neuartige oder unbekannte Produktattribute nach einer erstmaligen Erfahrung oder a priori Bewertung entweder als „attractive“ oder „indifferent“ klassifiziert werden, da Kunden mangels konkreter Konsumerlebnisse kaum ausgeprägte Erwartungsniveaus bilden konnten.  Ferner postuliert das Kano-Modell, dass gerade die latenten und oftmals unbewussten Kundenbedürfnisse (Begeisterungsfaktoren) den größten Einfluss auf die Kundenzufriedenheit ausüben, derweil Basisfaktoren lediglich in der Lage sind, die Entstehung von Unzufriedenheit zu vermeiden.768 Gemäß Kano-Modell besteht somit kein linearer Zusammenhang zwischen Attributwichtigkeit und der Gesamtzufriedenheit. Die Wichtigkeit einer Produkteigenschaft stellt vielmehr eine Funktion der Gesamtzufriedenheit dar. Folglich sollten die anhand der Self Stated Importance (SSI) ermittelten Werte der Attributwichtigkeit in Abhängigkeit der Attributkategorie variieren. Die Attributwichtigkeit von Basisfaktoren müsste demnach höher ausfallen als die entsprechenden Werte für Leistungs- oder Begeisterungsfaktoren oder indifferente Faktoren. Die Prüfung der ersten Annahme (Abhängigkeit der Attributkategorisierung von der Neuartigkeit der Attribute) erfolgt durch eine Differenzierung nach der Neuartigkeit der Attribute (Standard vs. kein Standard). Attribute mit dem Status „Standard“ kennzeichnen die bereits im Markt etablierten Produkteigenschaften, die Bestandteile der überwiegenden Mehrzahl der verfügbaren Blutzuckermesssysteme sind. Im Unterschied dazu bezeichnen Attribute mit dem Status „kein Standard“ solche Produkteigenschaften, die bis dato gar nicht oder nur vereinzelt angeboten werden.

766 767 768

Hierbei werden ausschließlich die 18 eindeutig klassifizierten Attribute berücksichtigt. Vgl. Kano (2001), S. 6 ff. Vgl. Abschnitt 3.2.1.

172 Ein Vergleich der Attributkategorisierung von bekannten sowie unbekannten oder kaum verbreiteten Produktattributen ergibt eindeutige Ergebnisse. Von den neuartigen oder unbekannten Attributen werden sechs Attribute als „attractive“ und zwei Attribute als „indifferent“ klassifiziert. Diese Produkteigenschaften weisen zudem nur sehr geringe Häufigkeiten bei den übrigen Kategorien aus. Im Unterschied dazu werden sämtliche der etablierten Produktattribute entweder als „attractive“ oder als „one-dimensional“ klassifiziert. Dies führt zur Bestätigung der ersten Annahme. Zur Prüfung der zweiten Annahme (Zusammenhang zwischen Attributwichtigkeit und Attributkategorie) erfolgt die Bildung der Mittelwerte der Attributwichtigkeit über alle Probanden durch Verwendung der Self Stated Importance der Probanden. Ein Vergleich dieser mittleren SSI-Werte mit der jeweiligen Kategoriezugehörigkeit ergibt, dass sämtliche als Basisfaktoren klassifizierten Attribute SSI-Werte im oberen Bereich der Skala aufweisen (min.= 1,14; max.= 1,98). Demgegenüber liegen die Mittelwerte der Begeisterungsfaktoren im mittleren Skalenbereich (min.= 2,07; max.= 3,31) und die Werte der indifferenten Merkmale im unteren Skalenbereich (min.= 3,40; max.= 4,53). Die Attributwichtigkeit des als Leistungsfaktor klassifizierten Attributs liegt mit 1,80 zwar im oberen Bereich der Skala, jedoch im Übergangsbereich zwischen Basis- und Begeisterungsfaktoren. Die Attributwichtigkeiten variieren in Abhängigkeit mit der jeweiligen Attributklassifikation. Die zweite Modellannahme kann somit ebenfalls bestätigt werden. Tabelle 16 fasst die Ergebnisse der Prämissenprüfung zusammen. Als Erkenntnisbeitrag des vorliegenden Abschnitts kann somit festgehalten werden, dass die Kano-Methode sehr gut geeignet ist, die Produktanforderungen von Kunden zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Grundannahmen des Kano-Modells bzgl. einer hierarchischen Struktur sowie dynamischen Sichtweise der Attributklassifizierung plausibel erscheinen. Die Inhaltsvalidität der vorliegenden Ergebnisse kann somit als hoch betrachtet werden. Ferner zeigte die Berücksichtigung von sowohl bereits im Markt etablierten als auch neuartigen und noch nicht verfügbaren Produktattributen, dass die Kano-Methode sowohl zur Klassifizierung von Produktattributen auf Basis eigener Erfahrungen der Kunden verwendet werden kann, als auch zur a priori Bewertung möglicher neuer Attribute. Schließlich zeigte sich, dass durch eine kombinierte Verwendung der

173 verschiedenen Auswertungsregeln und Gütemaße eine bessere Kategorienzuordnung vorgenommen werden kann als bei Verwendung nur ausgewählter Kriterien. Auf Basis dieser Ergebnisse erfolgt im nächsten Abschnitt die Prüfung möglicher Gruppeneinflüsse auf die Attributklassifikationen. Attributbezeichnung

Attributstatus

Attributkategorie

Attributwichtigkeit

Messgenauigkeit

Standard

M

1,14

Blutvolumen

Standard

M

1,32

Batterielebensdauer

Standard

M

1,38

Messdauer

Standard

M

1,46

Menüführung

Standard

M

1,50

Codierung

Standard

M

1,55

Gerätegröße

Standard

M

1,65

Qualitätscheck

Standard

M

1,69

Fehlermeldungen

Standard

O

1,80

Datenschnittstelle

Standard

M

1,98

kein Standard

A

2,07

Auswertungsfunktion Datendokumentation

kein Standard

A

2,42

Trenddarstellung

kein Standard

A

2,59

Displaybeleuchtung

kein Standard

A

2,59

Teststreifenbeleuchtung

kein Standard

A

3,31

Testerinnerung

Marktstandard

A

3,40

Farbdisplay

kein Standard

I

4,01

Mehrfarbigkeit

kein Standard

I

4,53

A: Attractive; O: One-dimensional; M: Must-be; I: Indifferent

Tab. 16: Vergleich von Attributkategorie und Attributwichtigkeit

4.3.3.3 Segmentspezifische Datenanalyse Um die Gültigkeit der vorangegangenen Attributklassifikation zu prüfen und mögliche differenzierte Nutzenerwartungen verschiedener Kundengruppen zu identifizieren, ist eine segmentspezifische Analyse der Kano-Daten notwendig. Diese erfolgt anhand der im Rahmen der Datenerhebung ermittelten Soziodemografika sowie krankheitsbezogener Informationen der

174 Probanden. Zu den betrachteten Merkmalen zählen das Geschlecht und die Altersgruppe der Untersuchungsteilnehmer. Ferner werden mögliche Einflüsse der Krankheitsdauer, des Diabetestyps sowie der Therapieform untersucht. Die Analyse der Segmenteinflüsse erfolgt hierbei durch einen Vergleich der Häufigkeitsanteile der jeweiligen Kategorien für jedes zu prüfende Kriterium. Im

Ergebnis

offenbart

die

segmentspezifische

Analyse

der

Attribut-

klassifikationen lediglich für vier Fälle differenzierte Nutzenerwartungen. So unterscheidet sich bei einer geschlechterspezifischen Betrachtung die Kategorienzugehörigkeit

von

zwei

Attributen.

Während

das

Angebot

alternativer Farben eines Blutzuckermesssystems für einen großen Teil der befragten Frauen einen Begeisterungsfaktor darstellt, klassifiziert der überwiegende Teil der männlichen Probanden dieses Attribut als indifferente Produkteigenschaft. Im Unterschied dazu stellt das Vorhandensein einer Datenschnittstelle zum Transfer der ermittelten Blutzuckermesssysteme für die Mehrheit der männlichen Probanden eine Basisanforderung dar, derweil dieses Attribut vom überwiegenden Anteil der befragten Diabetikerinnen als indifferentes

Merkmal

klassifiziert

wurde.

Abbildung

16

stellt

segmentspezifischen Unterschiede der betrachteten Attribute gegenüber.

Abb. 16: Segmentspezifische Auswertung ausgewählter Attribute

die

175 Unterschiede in der Kategorienzuordnung dieses Attributes lassen sich auch bei einer Differenzierung nach Therapieform konstatieren. So bewerten Probanden der Therapieformen OAD und Diät diese Produkteigenschaft als Begeisterungsanforderung, während sie für die Patienten der Therapiegruppen Kombi, CT, ICT und CSII eine Basisanforderung darstellt. Dieser Unterschied kann mit der unterschiedlichen Testfrequenz zwischen den Therapiegruppen und der daraus resultierenden Notwendigkeit der externen Datenhaltung erklärt werden.769 Mit dem unterschiedlichen Testverhalten kann auch die differenzierte Bewertung einer beleuchteten Teststreifenaufnahme begründet werden. Während für die Therapiegruppen mit einer hohen Testfrequenz (Kombi, CT, ICT, CSII) dieses Attribut aufgrund der Notwendigkeit der Blutzuckerselbstkontrolle auch zu Abend- und Nachtstunden einen Begeisterungsfaktor darstellt, bewerten die Therapiegruppen mit einer niedrigen Testfrequenz (Diät, OAD) dieses als indifferentes Merkmal. Zum Zweck einer besseren Identifikation möglicher moderierender Effekte auf die Attributklassifikation empfehlen manche Autoren anstelle der segmentspezifischen Auswertung nach Häufigkeiten eine Varianzanalyse.770 Hierbei fungieren die Attributkategorie als abhängige Variable und mögliche moderierende Größen als unabhängige Variablen. Im Folgenden wird daher mittels univariater Varianzanalyse (ANOVA) ein möglicher Einfluss des Produktinvolvements auf die Attributklassifizierung geprüft.771 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass es aufgrund der ungewöhnlichen Fragetechnik der Kano-Methode und der damit verbundenen Ermüdungsrisiken der Probanden zu keinen Verzerrungen bei der Attributklassifikation infolge unterschiedlichen Produktinvolvements kommt.772 Die Analyse des möglichen Einflusses des Involvements dient somit nicht nur zur Gütebewertung der vorliegenden Klassifikation, sondern sie liefert zugleich einen Beitrag zur ganzheitlichen Validierung der Kano-Methode.

769

770

771

772

Die verschiedenen Therapieformen unterscheiden sich deutlich bzgl. ihrer medikationsund therapiebedingten Testfrequenz. Vgl. Sauerwein (2000), S. 169 f.; Löfgren/Wittel (2005), S. 14 ff.; Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 163 ff.; Chen/Su (2006), S. 602 ff. Involvement bezeichnet als Aktivierungsvariable das Ausmaß und die Motivstärke des persönlichen und zielgerichteten Engagements von Personen. Es determiniert die Informationssuche, -aufnahme, -verarbeitung sowie -speicherung von Individuen. Vgl. Trommsdorff (2002), S. 56; Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 371. Vgl. hierzu Sauerwein (2000), S. 182.

176 Die Anwendung einer ANOVA postuliert die Erfüllung bestimmter Prämissen.773 So wird für die unabhängige Variable mindestens Nominalskalierung und für die abhängige Variable metrisches Skalenniveau gefordert.774 Zur Verwendung der Kano-Kategorie als abhängige Variable wird daher analog zur Vorgehensweise bei Nilsson-Witell/Fundin für jedes Attribut eine ordinalskalierte Kano-Variable gebildet, der in Abhängigkeit der Attributklassifikation ein Wert von eins („attractive“) bis sechs („questionable“) zugewiesen wird.775 Analog der gängigen Marktforschungspraxis wird diese ordinalskalierte Variable im weiteren Verlauf unter der Prämisse der Äquidistanz der Skalenpunkte als quasi-metrische Variable behandelt.776 Dies ermöglicht den Einsatz der Varianzanalyse im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Eine Prüfung der übrigen Prämissen für die Durchführung einer ANOVA bestätigt die Zulässigkeit dieses Analyseverfahrens. Der Anforderung einer Zufallsauswahl der Beobachtungswerte wurde durch die sorgfältige Stichprobengenerierung entsprochen. Eine Betrachtung der Histogramme der abhängigen Variablen liefert ferner erste Hinweise, dass diese aus einer normalverteilten Grundgesamtheit entstammen. Die empirische Prüfung der Normalverteilungsprämisse unter Verwendung des Kolmogorov-SmirnovAnpassungstests bestätigt diese Ergebnisse für sämtliche abhängigen Variablen (pO>A>I ermöglicht nun auch die Klassifikation des Attributes Messgerätetausch. Dieses wird nicht wie ursprünglich als „attractive“, sondern als „one-dimensional“ klassifiziert. Die Kategorienänderung wird durch die Werte der CS-Koeffizienten gestützt (CS+= 0,86; CS= 0,49). Dieses Attribut ist somit je nach Ausprägung in der Lage, sowohl Zufriedenheit als auch Unzufriedenheit zu bedingen. Die Anwendung der zweiten Entscheidungsregel ergibt keine weitere Änderung. Analog wird im Anschluss der Datensatz der zweiten Erhebungswelle einer Prüfung unterzogen. Die Ergebnisse der t-Tests zeigen, dass erneut für alle 15 Attribute signifikante Gruppenunterschiede bei der Kategorienzuordnung existieren (p< 0,001). Eine Analyse der Häufigkeiten führt zur Klassifikation von elf Begeisterungsfaktoren (A), drei Leistungsfaktoren (O) sowie einem indifferenten Attribut (I). Die Prüfung der Total Strength der Kategorienzuordnung ergibt mit Ausnahme für das als „indifferent“ klassifizierte Attribut für alle Serviceleistungen hohe Werte (min. 59,0%; max. 94,6%). Die Prüfung der Kategorienzuordnung mittels Category Strength und Fong-Test ergibt jedoch nur für zehn Serviceangebote eine eindeutige Klassifikation. Fünf Serviceangebote erfüllen hingegen nicht die Anforderungen dieser beiden Prüfkriterien. Um auch für diese eine Aussage über die Kategoriezuordnung treffen zu können, werden die Auswertungsregeln herangezogen sowie die CS-Koeffizienten ermittelt. Als Resultat dieser Vorgehensweise kann die Klassifikation von zwei weiteren Attributen (Messgerätetausch, Kundenhotline) bestätigt werden. Die Tabellen 22 und 23 fassen die Ergebnisse der Datenanalyse mittels Kano-Methode für die beiden Erhebungswellen zusammen.

24,0

44,1

48,5

Diabetikertagebuch

Diabetikerratgeber

E-Learning

28,0

24,7

36,6

27,3

33,6

29,1

12,8

11,4

23,1

17,7

22,1

4,7

6,1

17,0

9,6

26,6

5,4

2,1

4,2

12,6

1,2

11,2

18,4

6,1

6,8

3,5

M

18,9

25,2

22,4

21,7

15,2

14,9

40,6

56,2

22,6

29,8

27,0

11,7

24,0

7,0

21,0

I

Tab. 22: Kano-Klassifikation der Serviceleistungen von Stichprobe 1

A

A

O

A

O

A

A

I

A

A

A

O

A

A

A

Kategorie

A: Attractive; O: One-dimensional; M: Must-be; I: Indifferent; *p< 0,001

24,7

41,5

50,6

Batteriewechsel

Kundenhotline

44,5

Erfahrungsberichte

Internetportal

41,7

51,3

Fitness-/Ernährungsplan

28,2

39,6

Erklärungsvideos

40,3

29,6

Auswertungssoftware

altersger. Internetangebot

Kalkulationstools

25,2

44,8

E-Mail Newsletter

42,4

43,8

Messgerätetausch

22,6

O

52,9

A

Kundenzeitschrift

Service

35,422

35,956

45,616

37,443

47,666

35,890

35,464

44,579

37,492

33,165

37,814

45,464

35,842

42,772

33,693

t-Test

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

n.s.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

sig.

n.s.

sig.

FongTest

20,5

18,9

12,6

14,2

7,0

21,5

3,9

28,0

18,6

21,5

12,6

10,7

19,6

1,4

30,3

Cat > 6%

81,1

74,8

77,6

78,3

84,8

85,1

59,4

43,8

77,4

70,2

73,0

88,3

76,0

93,0

79,0

Tot %

A

A

O

A

O

A

A

I

A

A

A

O

A

O

A

M>O> A>I

A

A

O

A

O

A

A

I

A

A

A

O

A

A

A

(O+A+M) >< (I+R+Q)

0,76

0,69

0,61

0,69

0,58

0,80

0,57

0,40

0,65

0,69

0,62

0,70

0,70

0,86

0,76

CS+

-0,33

-0,31

-0,54

-0,37

-0,60

-0,34

-0,15

-0,16

-0,36

-0,19

-0,33

-0,59

-0,31

-0,49

-0,26

CS-

194

48,5

53,6

Diabetikerratgeber

E-Learning

24,5

25,4

28,7

25,2

31,2

29,8

11,9

13,8

18,9

2,8

9,1

19,8

10,0

25,6

4,9

2,6

5,1

10,5

1,2

11,7

17,2

7,0

8,4

5,4

M

19,1

17,0

23,3

19,1

15,9

11,9

41,0

52,4

29,8

38,2

32,4

16,6

26,3

5,4

19,1

I

33,839

A

Tab. 23: Kano-Klassifikation der Serviceleistungen von Stichprobe 2

35,965

43,795

36,461

45,955

36,315

35,560

42,302

38,189

34,503

38,815

43,237

34,448

42,635

32,704

t-Test

A

O

A

O

A

A

I

A

A

A

O

A

A

A

Kategorie

A: Attractive; O: One-dimensional; M: Must-be; I: Indifferent; *p< 0,001

28,2

Diabetikertagebuch

53,4

Batteriewechsel

27,3

44,5

Erklärungsvideos

Erfahrungsberichte

45,7

31,7

Kalkulationstools

Kundenhotline

10,7

46,9

38,2

Fitness-/Ernährungsplan

Internetportal

21,4

37,1

altersger. Internetangebot

17,7 35,4

49,0

30,8

E-Mail Newsletter

Auswertungssoftware

38,7

47,6

Messgerätetausch

17,5

O

58,0

A

Kundenzeitschrift

Service

sig.

sig.

n.s.

sig.

n.s.

sig.

n.s.

sig.

sig.

sig.

n.s.

n.s.

sig.

sig.

sig.

FongTest

29,1

23,1

0,5

20,5

3,9

23,6

3,5

20,7

8,4

8,7

4,7

4,6

22,7

8,9

38,9

Cat > 6%

80,9

83,0

76,7

80,9

84,1

88,1

59,0

47,6

70,2

61,8

67,6

83,4

73,7

94,6

80,9

Tot %

A

A

O

A

M

A

A

I

A

A

A

O

A

A

A

M>O> A>I

A

A

O

A

O

A

A

I

A

A

A

O

A

O

A

(O+A+M) >< (I+R+Q)

0,78

0,74

0,57

0,71

0,59

0,83

0,56

0,42

0,60

0,61

0,56

0,66

0,67

0,86

0,76

CS+

-0,27

-0,34

-0,48

-0,35

-0,57

-0,35

-0,14

-0,16

-0,32

-0,15

-0,31

-0,53

-0,25

-0,47

-0,23

CS-

195

196 4.4.3.2 Analyse der postulierten dynamischen Effekte Eine Analyse zeitbezogener Hypothesen, die Aussagen über dynamische Prozesse treffen, bedarf grundsätzlich einer Erhebung von Längsschnittdaten.805 Durch die Wahl einer zweistufigen Panelstudie als Erhebungsdesign wurde gewährleistet, dass im Folgenden gleichermaßen individuelle wie temporale Unterschiede des interessierenden Untersuchungsgegenstandes eruiert werden können. Zur Analyse der von Kano et al. postulierten Dynamik sowie des spezifischen Lebenszyklus der Attributklasifikationen werden die Angaben der Untersuchungsteilnehmer zur Nutzung der verschiedenen Serviceleistungen herangezogen. Tabelle 24 gibt einen Überblick über das Servicenutzungsverhalten der Probanden innerhalb der sechs Monate zwischen den beiden Erhebungswellen.806 Eine Betrachtung der Nutzeranzahl sowie der Häufigkeit der Inanspruchnahme der Services ergeben sehr gute Daten und es kann eine hohe Konsistenz im Antwortverhalten der Probanden konstatiert werden. Trotz des relativ kurzen Zeitabstandes zwischen den beiden Erhebungsphasen lässt sich ein äußerst positives Nutzungsverhalten feststellen. Im Rahmen der Studie erfolgte keine explizite Aufforderung oder Incentivierung der Probanden zur Nutzung eines bestimmten Services, weshalb das Nutzungsverhalten als weitestgehend natürlich und frei von Verzerrungseffekten aufgefasst werden kann. Dies betont die Güte der generierten Erhebungsdaten. Die Analyse von dynamischen Effekten bei der Kategorienzuordnung und des spezifischen Attributlebenszyklus erfolgt in einem zweistufigen Prozess. Im ersten Schritt wird mittels univariater Varianzanalyse (ANOVA) ein möglicher Einfluss der Nutzung eines Services auf die Klassifikation desselben analysiert.807

In einem zweiten Schritt werden anschließend die Verschiebungen in den jeweiligen Kategorien auf Basis der Häufigkeitsanteile analysiert, um einen evtl. existenten Lebenszyklus der Attributklassifikationen zu identifizieren.

805 806

807

Vgl. Diekmann (2006), S. 267. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nicht bei allen Serviceleistungen die in der Literatur geforderte Mindestzahl von 80 Beobachtungswerten vorliegt. Vgl. Scheffler (2000), S. 68 f. Ungeachtet dieser Problematik werden aus forschungsökonomischen Gründen jedoch trotzdem alle Services in die weitere Analyse miteinbezogen. Vgl. Nilsson-Witell/Fundin (2005), S. 162 ff.

197 Serviceleistung

Nutzer

Gesamt

Nutzungshäufigkeit

absolut

anteilig

Min.

Max.

Ø

Kundenzeitschrift

429

282

65,7%

0

8

2,65

Messgerätetausch

429

219

51,0%

0

4

0,90

E-Mail Newsletter

429

261

60,8%

0

20

5,38

Auswertungssoftware

429

183

42,7%

0

50

2,78

altersgerechtes Internetangebot

429

107

24,9%

0

20

3,57

Fitness-/Ernährungsplan

429

53

12,4%

0

12

2,21

Kalkulationstools

429

95

36,1%

0

11

2,18

Erklärungsvideos

429

44

10,3%

0

5

1,36

Erfahrungsberichte

429

66

15,4%

0

10

2,70

Batteriewechsel

429

69

16,1%

0

6

1,16

Kundenhotline

429

173

40,3%

0

12

1,39

Internetportal

429

191

44,5%

0

35

4,90

Diabetikertagebuch

429

199

46,4%

0

20

1,84

Diabetikerratgeber

429

201

46,9%

0

26

2,30

E-Learning

429

94

21,9%

0

26

2,76

Tab. 24: Nutzungsverhalten der Services zwischen den beiden Erhebungswellen

Zur Durchführung der ANOVA wird analog der Vorgehensweise in Abschnitt 4.3.3.3 zunächst für jede Serviceleistung eine Kano-Variable gebildet. Hierbei erfolgt in Abhängigkeit der Kano-Klassifikation die Zuweisung eines Wertes von eins („attractive“) bis vier („indifferent“). Unter der Prämisse der Äquidistanz der Skalenpunkte wird diese als quasi-metrische Variable behandelt, was eine Verwendung der ANOVA ermöglicht.808 Die Prüfung der weiteren Prämissen bestätigt die Anwendung dieser Methodik. Durch die sorgfältige Stichprobenbildung wurde die Zufallsauswahl der Beobachtungswerte gewährleistet. Die Histogramme und die Werte der KolmogorovSmirnov-Anpassungstests (p