Veränderungsmanagement in Bundesministerien : eine empirische Untersuchung auf Basis multipler Fallstudien 9783835054172, 3835054171 [PDF]

Preliminary; Einleitung; Veränderungsmanagement -- theoretischer Bezugsrahmen; Reformprozesse in Ministerien und nachge

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German Pages 473 Year 2008

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Veränderungsmanagement in Bundesministerien : eine empirische Untersuchung auf Basis multipler Fallstudien
 9783835054172, 3835054171 [PDF]

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Zitiervorschau

Martin Plag Veränderungsmanagement in Bundesministerien

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Unternehmensführung & Controlling Herausgegeben von Universitätsprofessor Dr. Wolfgang Becker, Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber, WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar

Die Schriftenreihe präsentiert Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Forschung im Themenfeld Unternehmensführung und Controlling. Die Reihe dient der Weiterentwicklung eines ganzheitlich geprägten Management-Denkens, in dem das Controlling als übergreifende Koordinationsfunktion einen für die Theorie und Praxis der Führung zentralen Stellenwert einnimmt.

Martin Plag

Veränderungsmanagement in Bundesministerien Eine empirische Untersuchung auf Basis multipler Fallstudien

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Weber

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation WHU (Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung) – Otto Beisheim School of Management, 2007

1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0809-0

V

Geleitwort Change Management ist ein umfassend und sehr heterogen bearbeitetes Themenfeld. Die Heterogenität resultiert aus mehreren Aspekten. Unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen (von der Pädagogik bis zur Kybernetik) zählen hier ebenso wie unterschiedliche Theorieansätze, unterschiedliche methodische Zugänge (konzeptionell versus empirisch) sowie unterschiedliche Erfahrungshorizonte (insbesondere theoretischer versus praktischer Zugang zur Thematik). Es resultiert eine kaum noch überschaubare Vielzahl von Quellen und eine mittlerweile große Zahl von – wiederum sehr unterschiedlichen – Ordnungsansätzen. Dennoch ist das Themenfeld Change Management keinesfalls als hinreichend erforscht anzusehen. Die genannte Heterogenität lässt sich vielmehr als ein Indikator dafür heranziehen, dass noch umfangreiche Arbeit geleistet werden muss. Dies gilt in jeglicher Hinsicht, sei es konzeptionell, sei es empirisch, sei es bezogen auf unterschiedliche Kontexte. Eine Arbeit, die sich angesichts dieser Ausgangssituation mit Change Management beschäftigt, sollte sich deshalb zum einen im Spektrum der drei eben angesprochenen Bereiche fokussieren. Zum anderen wird sie umfassender, als dies für etablierte Theoriebereiche gilt, auf die nicht fokussierten Bereiche mit eingehen müssen. Exakt dies gilt für diese Monographie. Sie hat ihren Fokus auf Veränderungsprozesse in Ministerien und ihnen nachgeordnete Bereichen, die aus einer ökonomischen Perspektive heraus empirisch bislang kaum erforscht sind. Auf Veränderungsprozesse bezogene Forschung fehlt für diese Institutionen bislang völlig. Die Arbeit fügt sich in zwei Forschungsstränge des Lehrstuhls ein. Zum einen beschäftigt sich dieser seit langem mit Fragen der Veränderung der Führung und der Führungsinstrumente in öffentlichen Institutionen (vgl. etwa die Dissertationen von Kückelhaus und Hunold). Zum anderen wird das Thema des Veränderungsmanagements in unterschiedlichen Kontexten behandelt (vgl. die Dissertation von Endres). In letzteren Forschungsstrang ist die vorliegende Monographie einzuordnen. Im Ergebnis liegt eine Arbeit vor, die in hohem Maße überzeugt. Einen Grund hierfür liefert die präzise theoretische Fundierung, die unerlässlich für ein empirisches Arbeiten ist. Der zweite Grund besteht in der überaus aufwendigen, breit und tief angelegten Fallstudienforschung. Die Auswahl der 13 Fallstudien bietet ein breites Spektrum von Ausgangsbedingungen und liefert damit eine aussagefähige Basis für das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Generalisierung von Erkenntnissen. Die Fallstudien werden jeweils modellgeleitet gleich strukturiert präsentiert, was den Vergleich sehr erleichtert. Die Darstellung fällt sowohl inhaltsreich als auch Überblick gebend aus.

VI Insofern würde ich mich freuen, wenn die Arbeit einen breiten Leserkreis bekäme. Allerdings sollten die Leser dabei ein gerüttelt Maß an staatsbürgerlicher Leidensfähigkeit mitbringen. Die Arbeit endet nämlich mit einer erschreckenden Erkenntnis: „Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass in der Bundesverwaltung kaum ein Akteur ernsthaftes Interesse an einer Reform im Sinne des ‚Public Management’ hat“. Es kann nur besser werden, auch angestoßen von einer solchen Arbeit.

Prof. Dr. Jürgen Weber

VII

Vorwort „In der Gesellschaft hat sich eine fatale Arbeitsteilung entwickelt: Für die Reformen ist die Rhetorik zuständig, für die Wirklichkeit sind es die beharrenden Kräfte.“ Dieser Aussage des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf kann nur zugestimmt werden. Für die öffentlichen Verwaltungen werden seit langem radikale Reformen gefordert und seit Mitte der 1990er Jahre gibt es umfangreiche Reformprogramme für die Bundesverwaltung. Ein nachhaltiger Erfolg hat sich jedoch nicht eingestellt. Die Charakterisierung der Bürokratie von Max Weber als „stahlhartes Gehäuse“, an das sich Bürger und Beschäftigte anzupassen haben und das kaum veränderlich ist, scheint sich zu bestätigen. Die Bürokratie wehrt sich, Reformen verlaufen im Sande. Meine persönlichen Erfahrungen als Unternehmensberater mit der „Widerborstigkeit“ der Verwaltung gegen Modernisierungsvorhaben und mein Interesse als Staatsbürger an einem Paradigmenwechsel des öffentlichen Sektors waren der Anlass für diese Arbeit. Die im Zentrum dieser Arbeit stehenden 13 Fallstudien haben zwar die negative Gesamttendenz der Reformergebnisse bestätigt, geben aber auch Anlass zur Hoffnung. Es hat sich nämlich gezeigt, dass einzelne Veränderungsprozesse durch engagierte und fähige Führungskräfte und Mitarbeiter zum Erfolg geführt werden konnten. Die vorliegende Forschungsarbeit will vor allem die Faktoren aufzeigen, die über Erfolg oder Misserfolg von Veränderungsprozessen im spezifischen Kontext der Bundesverwaltung entscheiden und sie will zudem konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen. Zum Gelingen dieser Arbeit hat eine ganze Reihe von Personen beigetragen. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber von der WHU – Otto Beisheim School of Management, für seine geduldige und hilfreiche Betreuung meiner Arbeit. Die intensive Diskussion mit ihm hat die Qualität dieser Arbeit maßgeblich beeinflusst. Ich möchte Prof. Weber aber ganz besonders für die zuvorkommende und von persönlicher Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit danken. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Peter-J. Jost für die Erstellung des Zweitgutachtens. Zu besonderem Dank bin ich Prof. Dr. Malte Brettel verpflichtet, heute Ordinarius an der RWTH Aachen, der diese Arbeit lange Zeit als Habilitand der WHU betreut hat. Er war nicht nur wichtiger Diskussionspartner, sondern hat auch intensiv die Akquisition der Fallstudien unterstützt. Die Zusammenarbeit mit ihm hat mir immer besonderen Spaß gemacht. Weitere wichtige Diskussionspartner waren für mich zum einen die Lehrstuhlkollegen der WHU, besonders sei hier John Endres genannt, sowie zum anderen mein alter Freund Christian Debus.

VIII Bei der Durchführung der Fallstudien wurde ich von einer ganzen Reihe engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesministerien und Behörden unterstützt. Ihnen gilt mein Dank. Stellvertretend seien hier Oberstleutnant Ingo Braun und Oberst Hans Rodewald aus dem Bundesministerium der Verteidigung genannt, die mich über lange Zeit als Fach- und Machtpromotoren begleitet haben. Sie stellen sicherlich leuchtende Beispiele für Reformwillen und –fähigkeit in der Bundesverwaltung dar. Dieses Buch wäre nicht ohne die germanistischen Korrekturarbeiten von Ulrike Knieling und vor allem Bernd Knieling denkbar. Bernd, was hätte ich ohne Dich gemacht? Herzlichen Dank! Mein größter Dank gilt meiner Familie. Meine Eltern Käthe und Herbert Plag haben mich auf meinem gesamten Lebensweg begleitet und unterstützt. Sie haben mir auch den besonderen Wert von Bildung nahe gebracht. Meinen beiden Kindern Julius und Leni danke ich dafür, dass sie mir Zeit, die ihnen gehört hat, großzügig geschenkt haben, um diese Arbeit fertig zu stellen. Gar nicht zu überschätzen ist der Beitrag meiner Frau Nicole. Sie hat mich über sechs Jahre hinweg unterstützt und mir Mut zugesprochen, mir jederzeit den Rücken für diese Arbeit freigehalten, viele Einschränkungen hingenommen und niemals am erfolgreichen Ende dieses Projektes gezweifelt. Ihr ist dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.

Martin Plag

IX

Inhaltsübersicht Geleitwort Vorwort

V VII

Inhaltsübersicht

IX

Inhaltsverzeichnis

XI

Abbildungsverzeichnis

XXV

Tabellenverzeichnis

XXV

1

2

Einleitung 1.1

Ausgangssituation

1.2

Forschungsleitende Fragen und Zielsetzung

3

1.3

Vorgehen und Struktur der Untersuchung

3

Veränderungsmanagement – theoretischer Bezugsrahmen 2.1

Grundbausteine der Theorien des Veränderungsmanagements

2.2

Literaturüberblick – Theoriestränge und aktuelle Ansätze

2.3

7 7 38 67

Reformprozesse in Ministerien und nachgeordneten Behörden als Untersuchungsobjekt

87

3.1

Charakterisierung von Ministerien und nachgeordneten Behörden

87

3.2

Reformbewegung des Public Management

94

3.3

Empirische Forschung in der Schnittmenge von Public Management und Veränderungsmanagement

4

1

Akteursbezogener Ansatz des Veränderungsmanagements als Referenzmodell der Untersuchung

3

1

Forschungsmethode

101 105

4.1

Fallstudien als Forschungsstrategie

105

4.2

Eignungsvoraussetzungen von Fallstudien

106

4.3

Zwecke von Fallstudien

108

4.4

Einzelfallstudien versus multiple Fallstudien

110

4.5

Vorgehen in den Fallstudien

111

4.6

Kriterien zur Bewertung von Fallstudien

128

X 5

Empirische Ergebnisse 5.1

Fallstudie 1 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle A des Bundesministeriums I

5.2

212

Fallstudie 7 - Privatisierung von Unterstützungsdienstleistungen in der nachgeordneten Dienststelle G des Bundesministeriums I

231

5.8

Fallstudie 8 - Einführung von KLR in Bundesministerium II

248

5.9

Fallstudie 9 - Einführung von KLR in Bundesministerium III

262

5.10

Fallstudie 10 - Einführung eines KVP in Bundesministerium IV und zwei nachgeordneten Behörden

5.11 5.12

5.14

303

Fallstudie 12 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium III und dem gesamten nachgeordneten Bereich

5.13

279

Fallstudie 11 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium I und dem gesamten nachgeordneten Bereich

6

193

Fallstudie 6 - Privatisierung von Logistikdienstleistungen im nachgeordneten Bereich F des Bundesministeriums I

5.7

180

Fallstudie 5 - Privatisierung von Unterstützungsleistungen in der nachgeordneten Dienststelle E des Bundesministeriums I

5.6

166

Fallstudie 4 - Einführung von KLR und KVP im nachgeordneten Bereich D des Bundesministeriums I

5.5

150

Fallstudie 3 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle C des Bundesministeriums I

5.4

133

Fallstudie 2 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle B des Bundesministeriums I

5.3

133

329

Fallstudie 13 – Ressortübergreifende Einführung von Personalentwicklung in der gesamten Bundesverwaltung

359

Einzelfallübergreifende Ergebnisse

382

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

411 415

XI

Inhaltsverzeichnis Geleitwort

V

Vorwort

VII

Inhaltsübersicht

IX

Inhaltsverzeichnis

XI

Abbildungsverzeichnis

XXV

Tabellenverzeichnis

XXV

1

2

Einleitung

1

1.1

Ausgangssituation

1.2

Forschungsleitende Fragen und Zielsetzung

3

1.3

Vorgehen und Struktur der Untersuchung

3

Veränderungsmanagement – theoretischer Bezugsrahmen 2.1

Grundbausteine der Theorien des Veränderungsmanagements

1

7 7

2.1.1

Veränderung – Wandel – Change: Begriffsbestimmungen

7

2.1.2

Ungeplanter vs. geplanter Wandel

7

2.1.3

Organisatorischer Wandel und Organisationsbegriff

8

2.1.4

Ausmaß der zu gestaltenden Veränderung – Wandel 1. und 2. Ordnung

2.1.5

Triebkräfte von Veränderungen

9 10

2.1.6

Veränderungsmanagement

13

2.1.7

Annahmen zur Steuerbarkeit von Veränderungsprozessen

15

2.1.8

Veränderung/Veränderungsmanagement als Prozess und Phasenmodelle

17

2.1.9

Gestaltungsdimensionen und ausgewählte Gestaltungsaspekte des Veränderungsmanagements

24

2.1.9.1

Gestaltungsdimensionen des Veränderungsmanagements

2.1.9.2

Richtung der Beeinflussung, Widerstand, Macht und Partizipation

24 26

2.1.9.3

Anpassung an die Umwelt vs. Veränderung der Umwelt

29

2.1.9.4

Veränderungsorganisation

30

2.1.9.5

Akteure im Veränderungsprozess

31

2.1.9.6

Instrumente des Veränderungsmanagements

35

XII 2.2

Literaturüberblick – Theoriestränge und aktuelle Ansätze

2.2.1

Lewin als Ausgangspunkt

2.2.2

Organisationsentwicklung (OE)

2.2.2.1

38 38 40

Charakterisierung der Organisationsentwicklung

40

2.2.2.2

Organisationsentwicklung in historischer Perspektive

40

2.2.2.3

Kritik an der Organisationsentwicklung

42

2.2.3

Organistionstransformation (OT)

2.2.4

Veränderungsmanagement und Lernen

43 46

2.2.4.1

Zusammenhang von Veränderung und Lernen

46

2.2.4.2

Zusammenhang von individuellem und organisationalem Lernen

47

2.2.4.3

Theorien organisationalen Lernens

48

2.2.5

Kotters acht Kardinalfehler

51

2.2.6

Krügers 3W-Modell

56

2.2.7

Veränderung im St. Galler General Management Navigator (GMN)

61

2.3

Akteursbezogener Ansatz des Veränderungsmanagements als Referenzmodell der Untersuchung

2.3.1

67

Entstehung und Ausrichtung

67

2.3.2

Zugrunde gelegtes Akteursmodell

67

2.3.3

Grundverständnis von Veränderungsmanagement im

2.3.4

akteursbezogenen Ansatz

69

Veränderungsmanagement bei individuellen Akteuren

70

2.3.4.1

Prämisse der Nutzenmaximierung im Veränderungsprozess

70

2.3.4.2

Phasen des Veränderungsprozesses im Überblick

72

2.3.4.3

Phase Unfreeze

72

2.3.4.4

Phase Move

73

2.3.4.5

Phase Refreeze

75

2.3.4.6

Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten

76

2.3.5

Veränderungsmanagement bei Akteuren höherer Ordnung

2.3.5.1

Begriff des Akteurs höherer Ordnung

2.3.5.2

Grundannahmen zum Veränderungsmanagement bei Akteuren

76 76

höherer Ordnung

77

2.3.5.3

Hohe Komplexität von Akteuren höherer Ordnung - Ursachen

77

2.3.5.4

Folgen hoher Komplexität für den Veränderungsprozess

79

2.3.5.5

Folgen hoher Komplexität für das Veränderungsmanagement

2.3.6

Komparative Bewertung des akteursbezogenen Ansatzes

80 83

XIII 3

Reformprozesse in Ministerien und nachgeordneten Behörden als Untersuchungsobjekt 3.1

Charakterisierung von Ministerien und nachgeordneten Behörden

87

3.1.1

Zielsetzung von Organisationen des öffentlichen Sektors

87

3.1.2

Abgrenzung von Ministerien gegenüber Kommunen

88

3.1.3

Max Webers Bürokratiemodell

90

3.1.4

Führung und Koordination – Defizitbereiche des öffentlichen Sektors

92

3.2

Reformbewegung des Public Management

94

3.2.1

Begriff und Kernelemente des Public Management

94

3.2.2

Deutsche Entwicklung des Public Management im internationalen Vergleich

97

3.3

Empirische Forschung in der Schnittmenge von Public Management und Veränderungsmanagement

4

87

Forschungsmethode

101 105

4.1

Fallstudien als Forschungsstrategie

105

4.2

Eignungsvoraussetzungen von Fallstudien

106

4.3

Zwecke von Fallstudien

108

4.4

Einzelfallstudien versus multiple Fallstudien

110

4.5

Vorgehen in den Fallstudien

111

4.5.1

Fokussierung der Forschungsfragen

111

4.5.2

Offenlegung und Reflexion ex ante generierter Hypothesen

112

4.5.3

Kriterien für die Auswahl von Ministerien und Fällen

113

4.5.4

Gesamtumfang und Sample der Untersuchung

114

4.5.5

Der Zugang zum Forschungsfeld

116

4.5.6

Verwendete Arten der Datenerhebung (Quellen)

117

4.5.6.1

Quellentriangulation

4.5.6.2

Kurzfragebögen

118

4.5.6.3

Narrative Interviews

118

4.5.6.4

Problemzentrierte Interviews

119

4.5.6.5

Gruppendiskussionen

119

4.5.6.6

Vorhandene Dokumente / Aktenmaterial

120

4.5.6.7

Teilnehmende Beobachtung und informelle Gespräche

4.5.7

Wichtige Aspekte der Interviewtechnik

4.5.7.1

Auswahl der Interviewpartner

4.5.7.2

Durchführung der Interviews

4.5.8

Dokumentation

4.5.9

Datenauswertung / Analyse

4.5.9.1

Aufbereitung der Daten

117

120 121 121 122 123 124 124

XIV 4.5.9.2 4.5.9.3 4.5.10 4.6 5

Within-Case-Analysis und Cross-Case-Comparison Bezugnahme auf bestehende Literatur Zirkularität in Fallstudien

Kriterien zur Bewertung von Fallstudien

Empirische Ergebnisse 5.1

125 127 127 128 133

Fallstudie 1 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle A des Bundesministeriums I

133

5.1.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

133

5.1.2

Akteure im Veränderungsprozess

134

5.1.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

135

5.1.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 135

5.1.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 136

5.1.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

138

5.1.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

139

5.1.3.5

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) 139

5.1.3.6

Nettonutzenbetrachtung

5.1.3.7

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.1.4

Fähigkeiten

5.1.4.1 5.1.4.2 5.1.5

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im 141

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

142

144

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.1.5.3

144

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.1.5.2

140 140

Veränderungsprozess Externe Zustände

5.1.5.1

139

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

146 147

5.1.6

Interne Zustände

148

5.1.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

148

5.2

Fallstudie 2 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle B des Bundesministeriums I

150

5.2.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

150

5.2.2

Akteure im Veränderungsprozess

151

5.2.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

152

5.2.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 152

5.2.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 153

5.2.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

155

5.2.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

155

XV 5.2.3.5

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) 156

5.2.3.6

Nettonutzenbetrachtung

5.2.3.7

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.2.4

Fähigkeiten

5.2.4.1 5.2.4.2 5.2.5

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im 158

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

160

161

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.2.5.3

161

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.2.5.2

157 158

Veränderungsprozess Externe Zustände

5.2.5.1

156

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

163 164

5.2.6

Interne Zustände

165

5.2.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

165

5.3

Fallstudie 3 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle C des Bundesministeriums I

166

5.3.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

166

5.3.2

Akteure im Veränderungsprozess

167

5.3.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

167

5.3.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 167

5.3.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 169

5.3.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

5.3.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des

170

Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

170

5.3.3.5

Nettonutzenbetrachtung

170

5.3.3.6

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.3.4

Fähigkeiten

5.3.4.1

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

5.3.4.2 5.3.5

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Externe Zustände

5.3.5.1

5.3.6

174 175 175

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.3.5.3

172

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.3.5.2

171 172

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

Interne Zustände

177 178 178

XVI 5.3.7 5.4

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

178

Fallstudie 4 - Einführung von KLR und KVP im nachgeordneten Bereich D des Bundesministeriums I

180

5.4.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

180

5.4.2

Akteure im Veränderungsprozess

181

5.4.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

182

5.4.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 182

5.4.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 183

5.4.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

184

5.4.3.4

Die Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

184

5.4.3.5

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) 184

5.4.3.6

Nettonutzenbetrachtung

5.4.3.7

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.4.4

Fähigkeiten

5.4.4.1 5.4.4.2 5.4.5

Veränderungsprozess

186

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

187

188

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.4.5.3

188

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.4.5.2

185 186

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im

Externe Zustände

5.4.5.1

185

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

190 191

5.4.6

Interne Zustände

191

5.4.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

191

5.5

Fallstudie 5 - Privatisierung von Unterstützungsleistungen in der nachgeordneten Dienststelle E des Bundesministeriums I

193

5.5.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

193

5.5.2

Akteure im Veränderungsprozess

195

5.5.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

196

5.5.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 196

5.5.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 197

5.5.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

199

5.5.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

199

5.5.3.5

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

200

5.5.3.6

Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

200

5.5.3.7

Nettonutzenbetrachtung

200

5.5.3.8

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

202

XVII 5.5.4

Fähigkeiten

5.5.4.1

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

5.5.4.2 5.5.5

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Externe Zustände

5.5.5.1

204 205 205

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.5.5.3

203

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.5.5.2

203

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

209 210

5.5.6

Interne Zustände

210

5.5.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

210

5.6

Fallstudie 6 - Privatisierung von Logistikdienstleistungen im nachgeordneten Bereich F des Bundesministeriums I

5.6.1

212

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

212

5.6.2

Akteure im Veränderungsprozess

214

5.6.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

215

5.6.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 215

5.6.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 217

5.6.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

218

5.6.3.4

Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

219

5.6.3.5

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) und Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

219

5.6.3.6

Nettonutzenbetrachtung

219

5.6.3.7

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

220

5.6.4

Fähigkeiten

5.6.4.1 5.6.4.2 5.6.5

Veränderungsprozess

222

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

223

Externe Zustände

5.6.5.1

5.6.5.3

224

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.6.5.2

222

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im

224

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

227

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

228

5.6.6

Interne Zustände

229

5.6.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

229

XVIII 5.7

Fallstudie 7 - Privatisierung von Unterstützungsdienstleistungen in der nachgeordneten Dienststelle G des Bundesministeriums I

231

5.7.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

231

5.7.2

Akteure im Veränderungsprozess

233

5.7.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

233

5.7.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 233

5.7.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 235

5.7.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

236

5.7.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

236

5.7.3.5

Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

236

5.7.3.6

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

237

5.7.3.7

Nettonutzenbetrachtung

237

5.7.3.8

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.7.4

Fähigkeiten

5.7.4.1

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

5.7.4.2 5.7.5

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Externe Zustände

5.7.5.1

242 242 242

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.7.5.3

240

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.7.5.2

238 240

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

245 246

5.7.6

Interne Zustände

246

5.7.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

246

5.8

Fallstudie 8 - Einführung von KLR in Bundesministerium II

5.8.1

248

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

248

5.8.2

Akteure im Veränderungsprozess

249

5.8.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

250

5.8.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 250

5.8.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 251

5.8.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

5.8.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des

252

Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

252

5.8.3.5

Nettonutzenbetrachtung

253

5.8.3.6

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

253

XIX 5.8.4

Fähigkeiten

5.8.4.1

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

5.8.4.2 5.8.5

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Externe Zustände

5.8.5.1

255 255 257 257

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

257

5.8.5.2

Innerhalb der betroffenen Dienststelle entstandene externe Zustände

258

5.8.5.3

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

260

5.8.6

Interne Zustände

260

5.8.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

260

5.9

Fallstudie 9 - Einführung von KLR in Bundesministerium III

5.9.1

262

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

262

5.9.2

Akteure im Veränderungsprozess

263

5.9.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

264

5.9.3.1

Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 264

5.9.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 265

5.9.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

5.9.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des

266

Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

267

5.9.3.5

Nettonutzenbetrachtung

267

5.9.3.6

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

5.9.4

Fähigkeiten

5.9.4.1 5.9.4.2 5.9.5

Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

269

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

271

Externe Zustände

5.9.5.1

273

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.9.5.3

273

Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

5.9.5.2

267 269

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

275 278

5.9.6

Interne Zustände

278

5.9.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

278

5.10

Fallstudie 10 - Einführung eines KVP in Bundesministerium IV und zwei nachgeordneten Behörden

279

5.10.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

279

5.10.2

Akteure im Veränderungsprozess

281

XX 5.10.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

282

5.10.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 282 5.10.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 284 5.10.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

286

5.10.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

287

5.10.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) 287 5.10.3.6 Nettonutzenbetrachtung 5.10.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens 5.10.4

Fähigkeiten

287 289 291

5.10.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess 5.10.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten 5.10.5

Externe Zustände

291 293 294

5.10.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

294

5.10.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände 5.10.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

296 301

5.10.6

Interne Zustände

301

5.10.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

301

5.11

Fallstudie 11 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium I und dem gesamten nachgeordneten Bereich

5.11.1

303

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

303

5.11.2

Akteure im Veränderungsprozess

305

5.11.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

306

5.11.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 306 5.11.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 307 5.11.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

310

5.11.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

311

5.11.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) 311 5.11.3.6 Nettonutzenbetrachtung 5.11.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens 5.11.4

Fähigkeiten

311 312 314

5.11.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess 5.11.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

314 317

XXI 5.11.5

Externe Zustände

318

5.11.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

318

5.11.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände 5.11.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

320 327

5.11.6

Interne Zustände

328

5.11.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

328

5.12

Fallstudie 12 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium III und dem gesamten nachgeordneten Bereich

329

5.12.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

329

5.12.2

Akteure im Veränderungsprozess

331

5.12.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

332

5.12.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 332 5.12.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 334 5.12.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

337

5.12.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

339

5.12.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) 339 5.12.3.6 Nettonutzenbetrachtung

339

5.12.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

341

5.12.4

Fähigkeiten

344

5.12.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess 5.12.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten 5.12.5

Externe Zustände

344 347 349

5.12.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

349

5.12.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände 5.12.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung externer Zustände

351 356

5.12.6

Interne Zustände

357

5.12.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

357

5.13

Fallstudie 13 – Ressortübergreifende Einführung von Personalentwicklung in der gesamten Bundesverwaltung

359

5.13.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

359

5.13.2

Akteure im Veränderungsprozess

361

5.13.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

362

5.13.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 362

XXII 5.13.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 364 5.13.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

365

5.13.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

366

5.13.3.5 Nettonutzenbetrachtung

366

5.13.3.6 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

368

5.13.4

Fähigkeiten

371

5.13.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess 5.13.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten 5.13.5

Externe Zustände

371 372 373

5.13.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

373

5.13.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände 5.13.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

376 379

5.13.6

Interne Zustände

380

5.13.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

380

5.14

Einzelfallübergreifende Ergebnisse

5.14.1

382

Ausgangszustand und Zielzustand

382

5.14.2

Akteure im Veränderungsprozess

382

5.14.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

383

5.14.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) 383 5.14.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) 384 5.14.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

385

5.14.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

386

5.14.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

386

5.14.3.6 Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

386

5.14.3.7 Nettonutzenbetrachtung

387

5.14.3.8 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens

387

5.14.4

Fähigkeiten

392

5.14.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess 5.14.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

392 395

XXIII 5.14.5

Externe Zustände

397

5.14.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

397

5.14.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände 5.14.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

6

5.14.6

Interne Zustände

5.14.7

Interdependenzen von Präferenzen, Fähigkeiten, internen und

403 407 407

externen Zuständen

408

5.14.8

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

409

5.14.9

Bewertung des akteursbezogenen Ansatzes

410

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

411 415

XXV

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Aufbau der Arbeit............................................................................................... 5 Abbildung 2: Alternative Ausgangspunkte für organisatorischen Wandel ............................ 26 Abbildung 3: Promotoren und Opponenten............................................................................ 34 Abbildung 4: Der ideale organisatorische Entscheidungs- bzw. Lernzyklus nach March/Olsen............................................................................................. 49 Abbildung 5: Das 3W-Modell nach Krüger ........................................................................... 57 Abbildung 6: Der General Management Navigator (GMN)................................................... 62 Abbildung 7: Die vier Komponenten des Wandeldesigns im General Management Navigator....................................................................... 65 Abbildung 8: Das fünf-Phasen-Modell des Wandels im General Management Navigator....................................................................... 66

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Synoptische Zusammenfassung der Phasenmodelle ............................................. 19 Tabelle 2: Unterschiede zwischen Organisationsentwicklung und Organisationstransformation ................................................................................. 45 Tabelle 3: Internationale Entwicklung des Public Management............................................ 99 Tabelle 4: Sample der Fallstudien ........................................................................................ 116

1

1 Einleitung 1.1 Ausgangssituation Der öffentliche Sektor ist von erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Im Jahr 2005 hatten die Staatsausgaben in Deutschland mit insgesamt über 1.049 Mrd. Euro ein Volumen von fast 47% des Bruttoinlandsproduktes.1 Im öffentlichen Dienst waren in Deutschland im Jahr 2004 annähernd 4,7 Mio. Personen beschäftigt, über 3,3 Mio. davon als Vollzeitbedienstete.2 Jedoch gibt die öffentliche Wirtschaft immer wieder Anlass zur Kritik.3 Die Verschuldung aller deutschen Gebietskörperschaften4 betrug 2005 mit 1.447 Mrd. Euro 64,5% des Bruttoinlandsproduktes5 und überschritt damit wiederholt die Vorgaben der EU. Die anhaltende Haushaltskrise sowie der Vorwurf ineffizienten Wirtschaftens führt seit geraumer Zeit zur Forderung nach Modernisierung des öffentlichen Sektors6, insbesondere nach verstärkter Nutzung neuerer betriebswirtschaftlicher Instrumente.7 Zudem wird aus staatsrechtlicher Sicht bereits seit Ende der 1960er Jahren die Treuhänderschaft des Staates über die Ressourcen seiner Bürger verstärkt in den Fokus der Betrachtung gerückt, aus der wirtschaftliches Verwaltungshandeln als verbindliches Ziel für die öffentliche Hand abgeleitet wird. „Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist Rechtsprinzip.“8 Die Reformdiskussion zur Abkehr von der traditionellen Bürokratie9 und zur Übernahme betriebswirtschaftlicher Methoden reicht in Deutschland schon über 35 Jahre zurück.10 Sie fand ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren, vor allem ausgelöst durch das ‘Neue Steuerungsmodell’11 der KGSt12, das seine Wurzeln in der internationalen Bewegung des ‘(New) Public

1 2 3 4 5 6 7 8

9

10

11

Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2006), S. 17 und S. 67. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2006), S. 74. Vgl. Busch (2004), S. 30-33, Weber (1996), S. 2. Bund, Länder und Gemeinden, einschließlich des Sondervermögens des Bundes. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2006), S. 73. Vgl. Kückelhaus (1999), S. 1 sowie S. 5-18. Vgl. Weber (1991a), S. 17, Klages (1995). Arnim (1988), S. 86. Vgl. auch Arnim (1978), S. 9 sowie Schäfer (1977), S. 520-521. Schmidt weist darauf hin, dass nach der Grundgesetzänderung von 1969 das Wirtschaftlichkeitsprinzip in den Verfassungsrang erhoben wurde. Vgl. Schmidt (2002), S. 20-21. Zur näheren Charakterisierung der traditionellen Bürokratie siehe Kapitel 3.1.3. Vgl. auch Banner (1991), S. 6-7. So forderte z. B. Eichhorn bereits 1976 ein grundlegend neues Verständnis von öffentlichen Verwaltungen als Dienstleistungsbetriebe. Vgl. hierzu Eichhorn (1976) sowie Eichhorn (1997), S. 25-49. Naschold/Bogumil (2000), S. 142 weisen darauf hin, dass sich der Begriff der ‘Verwaltungsreform’ bereits seit den späten 1960er Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut. Auch Duppré beklagt bereits 1969 die Reformbedürftigkeit der öffentlichen Verwaltung. Vgl. Duppré (1969), S. 11. Das ‘Neue Steuerungsmodell’ wurde der Öffentlichkeit erstmals 1990 auf dem ‘KGSt-Forum’ vorgestellt. Vgl. hierzu sowie zu den wesentlichen inhaltlichen Elementen des ‘Neuen Steuerungsmodells’ Reichard (1996a). Vgl. zum Begriff des ‘Neuen Steuerungsmodells’ weiterhin Kapitel 3.2.1 sowie Banner (1991) und Banner (1994).

2 Management’13 hat. Verschiedene Elemente der Modernisierung wurden seither im Rahmen des ‘(New) Public Management’ diskutiert und in der Verwaltungspraxis erprobt, so z. B. Reengineering14, Total Quality Management15, Lean Management16, der Einsatz der Doppik17, Kosten- und Leistungsrechnung18, Personalentwicklung19, Anreizinstrumente20, Privatisierung21, Führung durch Zielvereinbarung22, Public Private Partnership (PPP)23, Einsatz von Marketinginstrumenten24 und Controlling25. Die betriebswirtschaftlich geprägten Reformansätze stellen für die betroffenen Verwaltungen einen Paradigmenwechsel und damit einen tief greifenden Veränderungsprozess dar.26 Die Bewertung des Erfolgs dieser Veränderungsbemühungen ist mittlerweile von deutlicher Ernüchterung gekennzeichnet. Die Verwaltungsreformen sind ‘ins Stocken’ geraten und zeigen insgesamt nicht die erhofften Wirkungen.27 In Anbetracht dieser Bilanz stellt sich die Frage, warum die Veränderungsbemühungen bislang nur selten mit Erfolg belohnt wurden bzw. welche Erfolgsfaktoren es für Veränderungen im öffentlichen Sektor gibt? Die betriebswirtschaftliche Forschung hat sich diesem Thema bisher weder im Forschungsfeld ‘(New) Public Management’ noch im Veränderungsmanagement ausreichend zugewandt.28 Insbesondere die Veränderungsprozesse auf Bundesebene wurden bislang wenig erforscht, obwohl der Bund eine besondere Stellung in der öffentlichen Wirtschaft einnimmt. Mit 326 Mrd. Euro tätigte er in 2005 mehr Ausgaben als alle Bundesländer zusammen. Dies entspricht in etwas den doppelten Ausgaben sämtlicher bundesdeutscher Gemeinden.29 Zu-

12

13

14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

24 25

26 27 28 29

Die KGSt ist die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (früher: Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung), ein von Städten, Gemeinden und Kreisen gemeinsam getragenes Entwicklungszentrum für kommunales Management mit Sitz in Köln, das 1949 gegründet wurde. Zum Begriff des ‘(New) Public Management’ vgl. Reichard (1992), S. 843-848, Damkowski/Precht (1994), S. 412, Hablützel (1995), S. 142-147, Kückelhaus (1999), S. 11-18. Naschold/Bogumil (2000), S. 146 führen zur Verbreitung des (New) Public Management aus: „Die fünfte Phase der Verwaltungsreform in Deutschland breitet sich ‘wie ein Buschfeuer’ in Wissenschaft und Praxis aus. Es geht dabei um die Diskussion und Implementation eines betriebswirtschaftlich inspirierten ‘Public Management’ […].“ Vgl. Hablützel (1995), S. 145-146. Vgl. Hirschfelder/Lessel (1994). Vgl. Hogrefe (1994), Bruch (1995). Vgl. Schauer (1992), Bräuning (2004), S. 311-317. Vgl. Lüder (1991), S. 202-203, Brede (1994), S. 90, Littkemann et al. (2005). Vgl. Bollmann (1993), Reichard (1994a), Eck (1995), Kirchhof (1995). Vgl. Eichhorn (1991), Reichard (1979). Vgl. Benz (1995). Vgl. Damkoski/Precht (1994), S. 412-416. Hiermit ist eine enge, auf die Realisierung von Synergieeffekten gerichtete Zusammenarbeit von Akteuren der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand angesprochen. Zur Definition von PPP vgl. ausführlich Budäus/Grüning, S. 48-54. Vgl. Eiteneyer (1978), Hesse (1982). Vgl. Weber (1991a), S. 51-52, Weber (1991b), Brüggemeier/Küpper (1992), Budäus (1993), Lüder (1993), Weber (1996), Weber/Weise (2004). Vgl. Klages (1995), S. 203 sowie Banner (1994), S. 6. Vgl. Hofmeister (2003), Berens et al. (2004), S. 323-324. Diese Aussage wird in Kapitel 3.3 detailliert begründet. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2006), S. 69.

3 dem beeinflusst der Bund mittels Gesetzgebung und ministerieller Weisungen die anderen Gebietskörperschaften sowie die Sozialversicherungen in ihrem wirtschaftlichen Gebaren. Insgesamt erscheint Veränderungsmanagement in den Bundesministerien und nachgeordneten Behörden als ein ökonomisch bedeutsames und wenig bearbeitetes Forschungsfeld.

1.2 Forschungsleitende Fragen und Zielsetzung Im Fokus der Untersuchung stehen Beschreibung und Erklärung der Veränderungsprozesse und des Veränderungsmanagements in Ministerien und ihren nachgeordneten Behörden. Da die Bundesverwaltung als ökonomischer Handlungsraum, speziell als Kontext für Veränderungsprozesse, von der betriebswirtschaftlichen Forschung bislang kaum beschrieben wurde, soll dieses spezifische Umfeld für Veränderungsprozesse, d. h. Ministerien und deren nachgeordnete Behörden, im Sinne eines explorativen Vorgehens näher charakterisiert werden. Es ist Ziel der Arbeit, Hypothesen zur Wirkung dieses spezifischen Handlungskontextes auf den Verlauf und das Ergebnis der Veränderungsprozesse abzuleiten. Die Untersuchung ist jedoch nicht auf die Kontextwirkung eingeschränkt. Vielmehr sollen aus der umfassenden Analyse konkreter Fälle Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren für Veränderungsprozesse in Ministerien und deren nachgeordnete Behörden generiert werden. Darüber hinaus wird angestrebt, für die betriebswirtschaftliche Praxis Gestaltungsempfehlungen für Veränderungsprozesse abzuleiten. Damit kann die Untersuchung als praxisnahe empirische Forschung eingeordnet werden. Die Arbeit verfolgt zudem eine konzeptionell-theoretische Fragestellung. Am Lehrstuhl für Controlling und Telekommunikation der WHU Vallendar wurde ein Ansatz entwickelt, der Aspekte der ‘klassischen’ Theorien des Veränderungsmanagements mit einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure30 verbindet und eine neue Sichtweise auf Veränderungsprozesse und deren Gestaltung eröffnen soll.31 Dieser Ansatz stellt den konzeptionellen Bezugsrahmen zur empirischen Untersuchung dar. Auf Basis der hier gemachten Erfahrungen soll eine Bewertung vorgenommen werden, inwiefern die theoretischen Kategorien dieses Ansatzes zur Erklärung der in den Veränderungsprozessen aufgetretenen Phänomene geeignet waren.

1.3 Vorgehen und Struktur der Untersuchung Der theoretische Bezugsrahmen der Untersuchung wird in Kapitel 2 dargelegt. Es werden zunächst die Grundbausteine der Theorien des Veränderungsmanagements vorgestellt, um im Anschluss daran Theoriestränge der Veränderungsmanagement-Forschung und aktuelle An-

30 31

Zum Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure vgl. Bach et al. (2002). Siehe Kapitel 2.3.6. Vgl. auch Brettel et al. (2002) sowie Endres (2006), S. 59-74.

4 sätze aufzuzeigen. Es folgt die Erläuterung des akteursbezogenen Ansatzes des Veränderungsmanagements, der die konzeptionelle Basis für den empirischen Teil dieser Untersuchung liefert. In Kapitel 3 werden die Reformprozesse in der Bundesverwaltung als Untersuchungsobjekt der Arbeit vorgestellt. Hierzu werden zunächst die Ministerien und ihre nachgeordneten Behörden als Organisationen näher charakterisiert. Für den Themenbereich ‘Reformprozesse und Veränderungsmanagement in der öffentlichen Verwaltung’ werden der Stand der Forschung und die verbliebenen Defizite aufgezeigt. Die für die empirische Untersuchung gewählte Forschungsstrategie wird in Kapitel 4 eingehend dargestellt und begründet. Neben der wissenschaftstheoretisch-methodischen Einordnung der Methode wird auch das konkrete Vorgehen in der nachfolgenden Fallstudienuntersuchung erläutert. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden in Kapitel 5 präsentiert. Dazu werden zunächst die Erkenntnisse aus jeder einzelnen Fallstudie (Within-Case-Analysis) vorgestellt. Im Anschluss wird eine zusammenfassende Auswertung über alle Fallstudien (Cross-CaseComparison) vorgenommen. In Kapitel 6 werden die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung zusammengefasst, um anschließend den verbleibenden Forschungsbedarf zu formulieren und einen Ausblick auf mögliche weitere Forschungsarbeiten zu eröffnen.

5

1. Einleitung 2. Veränderungsmanagement – Theoretischer Bezugsrahmen • Grundbausteine der Theorien des Veränderungsmanagements • Literaturüberblick – Theoriestränge und aktuelle Ansätze • Akteursbezogener Ansatz des Veränderungsmanagements als Referenzmodell der Untersuchung

3. Reformprozesse in Ministerien und nachgeordneten Behörden als Untersuchungsobjekt • Charakterisierung von Ministerien und nachgeordneten Behörden • Reformbewegung des Public Management • Empirische Forschung in der Schnittmenge von Public Management und Veränderungsmanagement

4. Forschungsmethode • Wissenschaftstheoretische Einordnung • Konkretes Vorgehen

5. Empirische Ergebnisse • Einzelfallbezogene Ergebnisse • Einzelfallübergreifende Ergebnisse

6. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit32

32

Quelle: Eigene Darstellung.

7

2 Veränderungsmanagement – theoretischer Bezugsrahmen 2.1 Grundbausteine der Theorien des Veränderungsmanagements 2.1.1

Veränderung – Wandel – Change: Begriffsbestimmungen

In der Literatur sind Begriffe wie Veränderung, Wandel, Entwicklung, Transformation, Fortschritt, Dynamik sowie vor allem die englischsprachigen Termini Change und Development gebräuchlich.33 Ulrich differenziert zwischen Veränderung und Wandel: „Der Ausdruck ‚Wandel’ steht in der deutschsprachigen Literatur auch für das amerikanische ‚Change’, was ebenso gut mit ‚Veränderung’ hätte übersetzt werden können und damit etwas weniger gewichtig erschienen wäre. In der Tat jedoch wollen die meisten Autoren damit wohl andeuten, dass es sich bei ihrem Thema nicht bloß um übliche, alltägliche Geschehnisse handelt, sondern um etwas Wichtiges, Grundlegendes und Bedeutungsvolles.“34 Wöhrle schließt sich dieser Auffassung an und ergänzt, dass die Begriffe Veränderung und Entwicklung weitgehend wertneutral seien, Wachstum und Forschritt hingegen eine positive Richtung implizierten35 und die Vokabel Transformation einen Wandel konkretisiere, „[…] der einen wirklichen Umbruch darstellt.“36 Seidenschwarz bereinigt den Begriff des Wandels um solche interpretationsbedürftigen Deutungen und reduziert ihn auf seinen Kern: „Wandel bedeutet zuerst einmal den Wechsel von einem Zustand in einen anderen.“37 Diese Definition ist ebenso auf den Terminus Veränderung anwendbar und gleichfalls mit dem Verständnis des Begriffs Change vereinbar, das Beckhard/Harris vertreten. Beckhard/Harris verstehen Change als den Wechsel von einem „Present State“ zu einem „Future State“.38 Die Definition des Wandels von Seidenschwarz wird in dieser Arbeit übernommen. Die Begriffe Wandel, Veränderung und Change werden im Folgenden synonym verwendet. 2.1.2

Ungeplanter vs. geplanter Wandel

Zur Hinleitung auf den Begriff des Veränderungsmanagements ist es sinnvoll und in der Literatur üblich, zwischen ungeplantem und geplantem Wandel zu unterscheiden. Unter Planung soll ein Informationsverarbeitungsprozess verstanden werden, der die bewusste, d. h. die von Reflexion getragene und zielorientierte Festlegung zukünftigen Handelns zum Ziel hat und

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Vgl. hierzu Ulrich (1994) S. 6., Seidenschwarz (2003), S. 15-16., Wöhrle (2005), S. 51-52. Ulrich (1994) S. 6. Vgl. Wöhrle (2005), S. 51. Wöhrle (2005), S. 51. Seidenschwarz (2003), S. 16. Vgl. hierzu Beckhard/Harris (1987), S. 29-30. Zwischen „Present State“ und „Future State“ findet der Übergangsprozess statt, der von Beckhard/Harris als „Transition State“ bezeichnet wird. Die Begriffe „Present State“, „Future State“ und „Transition State“ sind der oben angegebenen Quelle wörtlich entnommen.

8 damit eine Ausprägung von Willensbildung darstellt.39 Damit kann ungeplanter Wandel als ein Wandel verstanden werden, der nicht im Sinne des bewussten Einsatzes40 von Mitteln zur Erreichung von Zielen beeinflusst wird. Staehle fügt als weiteres Kriterium für ungeplanten Wandel die Aufmerksamkeit hinzu, die eine Veränderung erfährt: „Sind Wandlungsprozesse nicht intendiert, zufällig und bleiben sie weitgehend unbemerkt, spricht man von ungeplantem Wandel.“41 Unter geplantem Wandel soll hingegen ein Wandel verstanden werden, dem eine bewusste Entscheidung zur Veränderung vorausgeht und der zielorientiert gestaltet wird.42 Da sich die vorliegende Untersuchung mit Veränderungsmanagement, ergo mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen auseinandersetzt, ist für den weiteren Gang der Untersuchung nur der geplante Wandel relevant. 2.1.3

Organisatorischer Wandel und Organisationsbegriff

Veränderungsmanagement befasst sich mit organisatorischem Wandel, also mit Wandel von und in Organisationen. Daher scheint es angezeigt, das Verständnis von Organisation in der Literatur und den dieser Arbeit zu Grunde liegenden Organisationsbegriff darzustellen. Laux/Liermann unterscheiden zwischen funktionalem und institutionalem Organisationsbegriff. „Der Begriff ‘Organisation’ bezeichnet sowohl die Tätigkeit der zielorientierten Steuerung der Aktivitäten in einem sozialen System43 mit mehreren Mitgliedern (funktionaler Organisationsbegriff) als auch das soziale Gebilde selbst (institutionaler Organisationsbegriff). Organisationen sind durch zwei wesentliche Merkmale charakterisiert: Erstens müssen mindestens zwei Personen beteiligt sein; die Koordination der eigenen Tätigkeiten durch ein Individuum fällt nicht unter den Organisationsbegriff. Zweitens müssen die Tätigkeiten der Beteiligten zielorientiert gesteuert werden; […].“44 Bleicher sowie Wolf und Siedenbiedel ergänzen diese beiden Ansätze um den ‘instrumentalen’ (bei Wolf ‘instrumentellen’) Organisationsbegriff, wonach die Organisation ein auf Dauer angelegtes Set an Regeln darstellt. In diesem Sinne ist ein Unternehmen keine Organisation, sondern es hat eine Organisation.45

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Vgl. Weber (2004), S. 311-312. Der bewusste Einsatz von Mitteln setzt die antizipative Festlegung von Ausführungshandlungen voraus. Staehle (1999), S. 899. Ausführlich zum Begriff des geplanten Wandels vgl. Bennis et al. (1989). Vgl. zudem Stähle (1999), S. 901902. Auch Nadler/Tushman definieren Organisationen - aus systemtheoretischer Perspektive - als (dynamische, offene) soziale Systeme. Vgl. Nadler/Tushman (1980), S. 37. Laux/Liermann (2005), S. 1-2. Die zielorientierte Steuerung der Aktivitäten der Systemmitglieder (funktionaler Organisationsbegriff) kann aber auch über die Tätigkeit der Schaffung von Regeln erfolgen. Hierbei ist das Ergebnis der Organisation (als Tätigkeit = funktionaler Organisationsbegriff) das erzeugte Set an Regeln und damit eine Organisation im instrumentalen Sinne. Zum Erzeugen von Regeln als Inhalt des ‘Organisationsvorgangs’ vgl. Steinmann/Schreyögg (2000), S. 403. Vgl. Bleicher (1991), S. 34 – 35, Wolf (2003), S. 37-38, Siedenbiedel (2001), S. 2-4. Bleicher grenzt dabei die Regelungen auf explizite Regelungen ein, die zur Gestaltung von Aufbau- und Ablaufstrukturen dienen. Einen instrumentalen Organisationsbegriff (systemtheoretischer Ausrichtung) vertritt auch Grochla (1976): „Unter ‘Organisation’ sollen die zur Stabilisierung bewusst aufgestellten Verhaltens- und Funktionsregeln eines sozio-technischen Systems verstanden werden.“

9 Im Veränderungsmanagement stellen Organisationen primär die im Veränderungsprozess zu gestaltenden Objekte dar. Daher scheint hier eine institutionale Sichtweise zweckdienlich zu sein. Kieser/Walgenbach definieren Organisation in diesem Sinne: „Wenn wir im Folgenden von Organisationen sprechen, so meinen wir damit soziale Gebilde, die • •

dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen.“46

North definiert und differenziert die Begriffe Institution und Organisation und zeigt deren Zusammenwirken auf. „Institutions consists of formal rules, informal constraints (norms of behavior, conventions, and self-imposed codes of conduct), and the enforcement characteristics of both.”47 North führt weiterhin aus: „If institutions are the rules of the game, organizations are the players. They are groups of individuals engaged in purposive activity.“48 Jost erweitert die Betrachtung durch die Einführung individueller Ziele und spezifiziert die Definition zugleich für ökonomische Organisationen: „Ökonomische Organisationen verstehen wir als Gebilde, in denen verschiedene Personen miteinander interagieren, um individuelle und kollektive ökonomische Ziele zu erreichen“49 Da nachstehend nicht nur die Verfolgung kollektiver50, sondern auch individueller Ziele innerhalb der Ministerien und nachgeordneten Behörden Gegenstand der Untersuchung ist, wird dieser Arbeit Josts Definition von Organisation zu Grunde gelegt. 2.1.4

Ausmaß der zu gestaltenden Veränderung – Wandel 1. und 2. Ordnung

Zur Charakterisierung des Ausmaßes einer Veränderung wird zumeist auf das Konzept der dichotomischen Unterscheidung zwischen Wandel 1. Ordnung und Wandel 2. Ordnung zurückgegriffen. Bei diesem auf Levy/Marry zurückgehenden Ansatz wird unter Wandel 1. Ordnung eine Veränderungen geringen Ausmaßes verstanden, die sich auf einzelne Dimensionen einer Organisation beschränkt, in eine bereits bekannte Richtung führt, lediglich inkrementelle Veränderungen beinhaltet und keinen Paradigmenwechsel darstellt. Wandel 2. Ordnung hingegen

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Kieser/Walgenbach (2003), S. 6. Auch Rosenstiel et al. legen eine institutionale Definition von Organisation zu Grunde. Vgl. Rosenstiel et al. (1995), S. 24. North (1993), S. 36. Diese Definition von Institution überschneidet sich mit dem oben dargestellten instrumentalen Organisationsbegriff. North (1993), S. 36. Zu Institutionen vgl. auch Sjöstrand (1993a). Jost (2000a), S. 31. Als übergeordnetes kollektives ökonomisches Ziel der Ministerien und nachgeordneten Behörden wird im Rahmen dieser Untersuchung die Erstellung öffentlicher Güter angenommen. Unter öffentlichen Gütern werden dabei solche Güter verstanden, die durch nicht-rivalisierenden Konsum (Grenzkosten der Nutzung = 0) und/oder durch mangelnde Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips gekennzeichnet sind, d. h. bei denen potenzielle Nutzer nicht vom Konsum ausgeschlossen werden können (z. B. Anwohner hinter einem Deich), wodurch Anreize zu Free-Rider-Verhalten entstehen. Zur Theorie der öffentlichen Güter vgl. Zimmermann/Henke (1994), S. 42-50.

10 ist mehrdimensional, führt in eine neue Richtung, beinhaltet ‚revolutionäre’ Veränderungen und ist daher mit einem Paradigmenwechsel verbunden.51 Dieses Konzept ist zur gedanklichen Abgrenzung von Veränderungsprozessen verschiedener Art geeignet. Für die Einordnung realer Veränderungsprozesse in der empirischen Forschung sind aber fließende Übergänge zu erwarten, weshalb ein Kontinuum für die Einordnung der Merkmalserfüllung angezeigt erscheint. 2.1.5

Triebkräfte von Veränderungen

Die Diskussion über die Entstehung und die Triebkräfte organisationaler Veränderungen hat in der Literatur des Veränderungsmanagements einen hohen Stellenwert. Es ist zu klären, was Wandel initiiert bzw. was seinen ‘Motor’ darstellt. Hierzu existieren vielfältige konzeptionelle Ansätze und empirische Untersuchungen, wovon einige exponierte im Folgenden dargelegt werden. Tichy klassifiziert die Ursachen des Wandels in vier Kategorien: ‘Environment’, ‘Diversification’, ‘Technology’ und ‘People’.52 Unter ‘Environment’ fasst Tichy Auslöser wie z. B. erhöhter Wettbewerbsdruck, Faktorkosten und -verfügbarkeit, Inflation oder Arbeitsrecht. Tichy führt als Beispiel an, dass die Entwicklung der Automobilindustrie maßgeblich durch die Erhöhung der Energiekosten und verstärkten ausländischen Wettbewerb geprägt wurde.53 Er bündelt unter ‘Diversification’ die strukturellen Veränderungen in Organisationen, die sich durch den Eintritt in neue Geschäftsfelder ergeben. Als Beispiel wird hier ein kleines Unternehmen angeführt, das medizinische Instrumente herstellt und funktional organisiert ist (Vertrieb, Marketing, F & E, Produktion etc.). Durch den Eintritt des Unternehmens in das zusätzliche Geschäftsfeld ‘Reparatur von elektronischem Gerät’ wird die Unternehmung reorganisiert und divisional ‘aufgestellt’, d. h. existieren nunmehr zwei ‘Divisionen’: Erstens Medizinische Geräte und zweitens Reparaturen elektronischen Geräts.54 Tichy nimmt bei der Erläuterung der Diversification explizit auf die grundlegende Arbeit Chandlers Bezug.55 Dieser untersuchte die sich aus Diversifikationen ergebenden strukturellen Veränderungen und leitete hieraus die These ‘Structure follows Strategy’ ab.56 Unter der Kategorie ‘Technology’ werden als Treiber für Veränderungen technologische Entwicklungen gefasst, die sich auf die Gestaltung von Organisationen auswirken. Als Beispiel wird die Entwicklung der Mikropro-

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Levy/Marry führen noch weitere Kriterien an. Vgl. Levy/Merry (1986), S. 9. Ein modifiziertes Konzept findet sich bei Wöhrle (2002), S. 120. Vgl. Tichy (1983), S. 18-20. Vgl. Tichy (1983), S. 18. Zur ‘Diversification’ vgl. Tichy (1983), S. 18-19. Vgl. Tichy (1983), S. 18. Chandler hat die vier amerikanischen Großunternehmen Du Pont de Nemours, General Motors, Standard Oil Company of New Jersey und Sears Roebuck & Cie. in Fallstudien untersucht, um nachzuweisen, dass die Strategie einer Organisation ihre Struktur bestimmt. Vgl. Chandler (1962). Vgl. hierzu auch Amburgey/Dacin (1994).

11 zessoren genannt, die die Möglichkeiten der weitgehenden Automatisierung geschaffen und damit grundlegende organisationale Veränderungen in den Produktionsbereichen der Automobilindustrie ausgelöst haben.57 Zudem gibt es Auslöser, die sich auf menschliches Verhalten beziehen und daher in die Kategorie ‘People’ eingeordnet werden. „Another trigger for strategic change is change in people. That is, the types of people entering the organization may change in terms of education, expectations, or status, such as previously excluded minorities. Or the people already in the organization may change as the result of education, or shifts in attitudes or expectations.”58 In der Literatur wird häufig auch die Arbeit von Van de Ven/Pool angeführt.59 Sie unterscheiden vier verschiedene Theorierichtungen, die die Entstehung von organisationalem Wandel erklären.60 In der ‘Life-Cycle Theory’ wird das Phänomen organischer Lebenszyklen metaphorisch auf Organisationen übertragen. Demnach durchlaufen diese – ähnlich biologischer Organismen – in einem ‘Alterungsprozess’ verschiedene Lebensstadien wie Geburt/Entstehung, Wachstum, Reife, Degeneration/Niedergang und unterliegen damit zwangsläufig ständigem Wandel.61 Im Zentrum der ‘Teleological Theory’ stehen die Ziele einer Unternehmung. Die Organisation ist zielvoll und adaptiv, d. h. sie wählt ihre Strategien so aus, dass eine Adaption an die Umweltbedingungen (die sich fortlaufend ändern) erfolgt und die Organisation ihre Ziele erreichen kann - oder die Organisation verändert ihre Ziele. „Thus, proponents of this theory view development as a repetitive sequence of goal formulation, implementation, evaluation, and modification of goals based on what was learned or intended by the entity.“62 In der ‘Dialectical Theory’ ist Veränderung (in Anlehnung an das philosophische Konzept der Dialektik von Hegel und Marx) das Ergebnis widerstrebender Kräfte in einer pluralistischen Welt, in der sich weder These noch Antithese letztlich durchsetzen können, sondern zu einer Synthese, wie z. B. zu einem Kompromiss in einem Widerstreit von Interessen führen.63 Die ‘Evolutionary Theory’ transferiert die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie auf Organisationen. Es existiert eine beständige Abfolge von Variationen (Mutationen), die sich dem Überlebenskampf/Wettbewerb (Selektion) aussetzen müssen und von denen sich nur die überlebensfähigen durchsetzen (Retention).64 Eine weitere Kategorisierung der Auslöser findet sich bei Kleingarn, der einerseits zwischen reaktiven und aktiven Auslösern und andererseits zwischen inneren und äußeren Auslösern

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Vgl. Tichy (1983), S. 19. Tichy (1983), S. 19. Vgl. z. B. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 552-553 sowie Endres (2006), S. 19-22. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 510-540. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 513-545. Van de Ven/Poole (1995), S. 516. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 517. Vgl. Van de Ven/Poole (1995), S. 517-518. Ausführlich vgl. Nelson/Winter (1982).

12 unterscheidet.65 Ist die Veränderung eine adaptive Antwort der Organisation auf Veränderungen der Umwelt oder auf Veränderungen von Bestandteilen der Innenwelt der Organisation, so liegt ein reaktiver Auslöser vor. Wird eine Veränderung ausgelöst, ohne dass die Organisation dazu ‘genötigt’ wurde, so kann von aktiven Auslösern gesprochen werden. Entstammt der Grund der Veränderung der Organisationsumwelt, liegt ein äußerer Auslöser vor.66 Resultiert die Veränderung aus Anstößen, die aus der Organisation selbst kommen, ist ein innerer Auslöser gegeben.67 Beide Dimensionen können kombiniert werden, so dass vier Typen von Auslösern entstehen (aktive/innere, aktive/äußere, reaktive/innere, reaktive/äußere).68 Andere Autoren richten ihren Fokus stärker auf einzelne Triebkräfte oder einzelne Kategorien von Auslösern im o. g. Sinne. So stellen Kieser/Walgenbach insbesondere auf Umweltfaktoren als treibende Kraft ab.69 Sie diskutieren in diesem Zusammenhang intensiv ‘Organisationsmoden’, die dazu führen, dass Manager organisationale Veränderungen im Unternehmen initiieren, weil sie keine Trends ‘verpassen’ wollen, die einen wesentlichen Faktor im Wettbewerb darstellen könnten.70 Auch Müller-Stewens/Lechner greifen diesen Aspekt auf: „‘Change’ wird aber oft auch durch den immer perfekter inszenierten Siegeszug neuer Methoden und Beratungsansätze ausgelöst. Man denke hier z. B. an die Macht, die ein Beratungsunternehmen wie Stern, Stewart & Co. über den Hebel des Kapitalmarktes hinsichtlich der propagierten Methode des ‘Economic Value Added (EVA)’ entfalten konnte.“71 Letztlich kann diese Erkenntnis in der von Rumelt geprägten Aussage zusammengefasst werden:

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Vgl. Kleingarn (1997), S. 42-43. Vgl. hierzu auch Kirkbridge (1993), S. 26-29. Den äußeren Auslösern können vor allem die von Krüger beschriebenen marktlichen und außermarktlichen Entwicklungen zugeordnet werden. Unter marktlichen Entwicklungen versteht Krüger die Globalisierung, die wachsende Bedeutung der ‘Wissensindustrie’ (Bildungs- und Ausbildungssektor), die ‘Mediatisierung’ der Märkte (z. B. virtuell-elektronische Marktplätze) und neue Branchenstrukturen (z. B. strategische Allianzen). Zu den außermarktlichen Entwicklungen zählt Krüger die politisch-rechtlichen Entwicklungen sowie gesellschaftliche Entwicklungen (z. B. demographische Entwicklungen). Vgl. hierzu Krüger (2000), S. 3338. Vgl. Kleingarn (1997), S. 43. Vgl. Kleingarn (1997), S. 43. Hierzu Kieser/Walgenbach (2003), S. 406: „Was veranlasst Unternehmen, bestehende formale Strukturen zu ändern? Die gängige Antwort auf diese Frage ist: Die Umwelt ändert sich und das nötigt die Organisationen, ihre Strukturen anzupassen. Europäische Automobilunternehmen haben beispielsweise den Eindruck, dass japanische Automobilunternehmungen ihre Produkte billiger verkaufen können, weil sie diese aufgrund einer anderen Fertigungsorganisation kostengünstiger produzieren. Europäische Automobilunternehmen bringt diese Erkenntnis u. U. dazu, dass sie ihre Produktion einer grundlegenden Reorganisation unterziehen.“ Auch Seidenschwarz fokussiert auf Umweltbedingungen als Auslöser des organisatorischen Wandels, insbesondere auf ‘turbulente Märkte’, die er durch hohe Komplexität und Dynamik gekennzeichnet sieht. Vgl. hierzu Seidenschwarz (2003), S. 31-34. Unter Dynamik soll der Grad der Veränderung von sozialen Systemen (hier Organisationen) im Zeitablauf verstanden werden. Vgl. zum Begriff Dynamik Siedenbiedel (2001), S. 68 sowie ausführlich Perich (1992), S. 91-116. Vgl. Kieser/Walgenbach (2003), S. 410-414. Hierzu auch Kieser/Hegele (1998), S. 24: „Die Überzeugung, dass eine Reorganisation notwendig ist, wird häufig durch Organisationsmoden herbeigeführt: Aus Erfolgsmeldungen, die von Beratern verbreitet werden, welche die neuen Konzepte vertreten, folgern Manager, dass sie, um nicht in eine Krise zu geraten, gezwungen sind, sich der Organisationsmode anzuschließen und ihr Unternehmen entsprechend zu reorganisieren.“ Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 551.

13 „Structure follows fashion.“72 Staehle hingegen diskutiert ausführlich Krisen als Auslöser von Wandel, wobei eine Krise als nachhaltige Störung eines Systems oder wesentlicher, überlebenswichtiger Bereiche verstanden wird. Veränderungen der Organisation stellen hier ein Mittel dar, diese Krisen zu bewältigen.73 Die Triebkräfte organisationaler Veränderungsprozesse sind auch Objekt der empirischen Forschung. Stellvertretend seien hier die Arbeiten von Kirsch et al. sowie Endres genannt. Kirsch et al. haben mittels einer großzahligen empirischen Untersuchung die Gründe für die Einleitung von Reorganisationen ermittelt, wie z. B. Wachstum, Marktveränderungen, technologische Veränderungen etc.74 Endres hat mit Mitteln der Case Study Research die Treiber von Veränderungen in Verwaltungen von Großstädten untersucht. Als wichtige Auslöser hat er einerseits Veränderungen des Umfelds ermittelt, wie Entwicklungen der Informationstechnologie, Transformationen des politischen Systems (z. B. in Südafrika und Ostdeutschland), demografische Änderungen, Gesetzesänderungen, veränderte Forderungen von Bürgern/Kunden und der Wettbewerb mit anderen Städten oder privatwirtschaftlichen Organisationen. Andererseits konnte Endres die Änderungen wichtiger innerer organisationaler Eigenschaften (finanzielle Situation, Führungswechsel in Verwaltung und Politik) als Auslöser von Veränderungen identifizieren.75 2.1.6

Veränderungsmanagement

Der Begriff des Veränderungsmanagements kann nicht geklärt werden, ohne Bezug auf den Terminus Management zu nehmen. Dieser wird in der Literatur nicht einheitlich aufgefasst, so dass eine Vielzahl sich überschneidender und konkurrierender Ansätze existiert. 76 Staehle verwendet einen erheblichen Anteil seines Standardwerkes zur Beschreibung des Managements als Gegenstand von Forschung und Lehre.77 Er weist darauf hin, dass bereits die etymologische Deutung des Begriffs kontrovers diskutiert würde und bietet drei Varianten an: Das Englische Verb to manage leitet sich nach einer Erklärung vom lateinischen ‘manu agere’ (‘mit der Hand arbeiten’), nach einer anderen von ‘manus agere’ (‘an der Hand führen, ein Pferd in allen Gangarten üben’) ab. Eine dritte Deutungsvariante unterstellt, dass sich to manage aus ‘mansionem agere’ entwickelt hat (‘das Haus für einen anderen bzw. den Eigentü-

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Rumelt (1974), S. 149. Vgl. Staehle (1999), S. 901-908. Auch Kieser/Hegele sehen Krisen als Auslöser von Veränderungsprozessen. Vgl. Kieser/Hegele (1998), S. 7-24. Ebenso hebt Greiner (1972) die Bedeutung von Krisen hervor, bettet diesen Aspekt jedoch in evolutions- und wachstumstheoretische Überlegungen ein. Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 6-9. Die ermittelten Gründe für die Einleitung von Reorganisationen können in die oben beschriebenen Kategorisierungen eingeordnet werden, was hier jedoch nicht vorgenommen werden soll. Vgl. Endres (2006). Wolf gibt einen Überblick über in der Literatur getroffene Definitionen. Vgl. Wolf (2003), S. 37-41. Vgl. Staehle (1999), S. 1-145.

14 mer bestellen’). Damkowski/Precht hingegen gehen davon aus, dass sich Management vom italienischen ‘maneggiare’ (= handhaben, bewerkstelligen) ableitet.78 Wolf differenziert zwei Bedeutungsebenen von Management: „Es zeigt sich, dass der Managementbegriff – ähnlich wie derjenige der Organisation – in zweifacher Weise ausgedeutet werden kann. Erstens erneut instrumentell, wobei hiermit die Führung und Leitung von Sozialsystemen angesprochen ist. Und zweitens wiederum institutionell; hier ist die Gruppe der Personen gemeint, der die Führung und Leitung der Sozialsysteme obliegt.“79 Steinmann/Schreyögg nehmen eine inhaltlich ähnliche Unterscheidung vor, sprechen dabei aber von einem ‘institutionellen’ und einem ‘funktionalen’ Ansatz. „Mit Management als ‘Institution’ meint man die Gruppe von Personen, die in einer Organisation mit Anweisungsbefugnissen betraut ist. Zum Management gehören demnach alle Organisationsmitglieder, die Vorgesetztenfunktionen wahrnehmen, angefangen beim Meister bis zum Vorstandsvorsitzenden.“80 Zum funktionalen Ansatz führen Sie aus: „Der Funktionsansatz knüpft dagegen – prinzipiell unabhängig von einer vorherigen Fixierung auf bestimmte Positionen und Führungsebenen – an diejenigen Handlungen an, die der Steuerung des Leistungsprozesses, d. h. aller leistungsrelevanten Arbeitsvollzüge, dienen. Solche ‘Steuerungshandlungen’ können ganz verschiedener Art sein, z. B. planender, organisierender oder kontrollierender Art.“81 In diesem (funktionalen) Sinne muss eine Definition von Veränderungsmanagement also auf ‘Steuerungshandlungen’ abzielen, die der Gestaltung geplanter Veränderungsprozesse dienen.82 Brettel et al. nehmen eine solche Definition vor und rekurrieren dabei auf das Verständnis von Wandel nach Seidenschwarz und Beckhard/Harris83, wonach Wandel den Übergang von einem gegenwärtigen zu einem zukünftigen Zustand darstellt. Sie fokussieren auf die Veränderung ökonomischer Akteure, die in Organisationen agieren oder selbst solche darstellen: „Veränderungsmanagement bezeichnet die durch einen Akteur intendierte Gestaltung des Übergangs seiner selbst oder mindestens eines anderen Akteurs von einem Gesamtzustand A in Richtung auf einen Gesamtzustand B.“84

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Vgl. Damkowski/Precht (1995), S. 51. Wolf (2003), S. 38. Steinmann/Schreyögg (2000), S 6 (Fettdruck im Originaltext). Steinmann/Schreyögg (2000), S 6 (Fettdruck im Originaltext). Im Sinne eines solchen Funktionsansatzes nehmen Gattermeyer/Al-Ani eine Definition von Veränderungsmanagement vor : „Unter Change Management werden alle Maßnahmen subsumiert, die zur Initiierung und Umsetzung von neuen Strategien, Strukturen, Systemen und Verhaltensweisen notwendig sind.“ Das Zitat wurde entnommen: Gattermeyer/Al-Ani (2000), S. 14. Dieser Ansatz ist mit der Definition von Steinmann/Schreyögg allerdings insofern nicht kompatibel, als er die Maßnahmen nicht auf ‘Steuerungshandlungen’ eingrenzt. Zum Verständnis von Wandel nach Beckhard/Harris siehe Kapitel 2.1.1. Brettel et al. (2002), S. 5.

15 2.1.7

Annahmen zur Steuerbarkeit von Veränderungsprozessen

Für das Verständnis davon, was Veränderungsmanagement leisten kann und was es nicht leisten kann, sind die Annahmen über die Steuerbarkeit von Individuen und Organisationen grundlegend. Die theoretische Diskussion wird diesbezüglich sehr stark von den Konzepten der Kybernetik zweiter Ordnung und der Autopoiese geprägt.85 Die Kybernetik zweiter Ordnung ist eng verbunden mit der Arbeit Heinz von Foersters, der explizit auf die Steuerbarkeit komplexer Systeme eingeht und sich dabei des Bildes der ‘trivialen und nicht-trivialen Maschinen’ bedient.86 „Das auszeichnende Merkmal der trivialen Maschine ist Gehorsam, das der nichttrivialen Maschine augenscheinlich Ungehorsam.“87 Dies bezeichnet bereits das grundlegende Verhältnis der Kybernetik zweiter Ordnung zur Steuerbarkeit von Organisationen: Sie geht v. a. aufgrund der hohen Komplexität88 von sozialen Systemen davon aus, dass das Ergebnis einer Steuerungshandlung nicht genau prognostizierbar ist. „Eine ‘nicht-triviale Maschine’ verfügt nicht über festgelegte Transformationsregeln, die immer wieder einen bestimmten Input in den gleichen Output umwandeln, unabhängig von dem, was vorher geschah und danach geschehen kann. Stattdessen wird bei jeder Operation der Zustand berücksichtigt, in dem sich die ‘nicht-triviale Maschine’ befindet.“89 Die Theorie der Autopoiese baut auf der Arbeit Heinz von Foersters auf und geht in ihrem Grundkonzept auf die chilenischen Biologen Humberto Maturana (ein Mitarbeiter Heinz von Försters) und seinen Schüler Francisco Varela zurück.90 Sie geht davon aus, dass (autopoietische) Systeme fortlaufend ihre eigenen Bestandteile (und damit sich selbst) aus sich heraus erzeugen.91 Dieses biologische Konzept wurde vor allem von Luhmann auf soziale Systeme übertragen.92 Nach diesem Ansatz können Manager das autopoietische System Organisation nicht steuern, sondern, sofern der Manager mit der Organisation sozialisiert, also Teil des Systems und damit ‘anschlussfähig’ ist, nur ‘irritieren’, d. h. bestenfalls zu einer Reaktion veranlassen, deren Ergebnis aber letztlich offen

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Einen hervorragenden Überblick über beide Konzepte gibt Debus (2002). Individuen und Organisationen sind dabei eindeutig dem Bild der ‘nicht-trivialen Maschinen’ zuzurechen. Foerster (1997a), S. 247. Komplexität macht sich in einer häufig verwendeten Definition von Bronner an der Zahl der Elemente eines Systems und der Zahl der zwischen diesen existierenden Beziehungen fest. Vgl. hierzu Bronner (1992), Sp. 1121. Luhmann erweitert diese Definition. Luhmann (1980), Sp. 1064-1070: „Ein System (oder die Umwelt eines Systems für das System) ist umso komplexer, je mehr Elemente es aufweist, je größer die Zahl der Beziehungen zwischen diesen Elementen ist, je verschiedenartiger diese Beziehungen sind und je ungewisser es ist, wie sich die Zahl der Elemente, die Zahl der Beziehungen und die Verschiedenartigkeit der Beziehungen im Zeitablauf ändert.“ Elemente sind nach Luhmann jene Einheiten, die für das System als nicht weiter auflösbare Einheit fungieren. Vgl. hierzu Luhmann (1987), S. 43. Zur Definition von Komplexität vgl. auch Thielen (1993), S. 40-41. Debus (2002), S. 29. Vgl. Debus (2002), S. 44. Ausführlich zum Konzept der Autopoiese vgl. Maturana/Varela (1980), Maturana/Varela (1987), Maturana (1985), Varela et al. (1991). Vgl. Debus (2002), S. 44-47. Vgl. Debus (2002), S. 47-88. Ausführlich vgl. hierzu Luhmann (1984). Dieser Ansatz soll im Verlauf der Arbeit auch unter dem Begriff der ‘modernen Systemtheorie’ geführt werden.

16 ist.93 Die Beeinflussung erfolgt hier nicht durch einen direkten Eingriff, sondern eher durch die Gestaltung des Kontextes, in dem ein autopoietisches System existiert. Ein Manager in einer Organisation sollte, um die Worte Hayeks zu gebrauchen, daher „[…] was immer er an Wissen erwerben kann, nicht dazu verwenden dürfen, um die Ergebnisse zu formen, wie der Handwerker sein Werk formt, sondern ein Wachsen kultivieren, indem er die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht.“94 In der Literatur des Veränderungsmanagements geht ein Großteil der Autoren ebenfalls von einer zwar vorhandenen aber begrenzten Beeinflussbarkeit der Veränderungsprozesse aus. Müller-Stewens/Lechner unterscheiden Determinismus, Voluntarismus und gemäßigten Voluntarismus.95 Der Determinismus unterstellt, dass die Entwicklungsbahnen der Organisation vollständig vorbestimmt sind. Einem absichtsvollen Gestalten wird hierbei keinerlei Chance auf Erfolg eingeräumt.96 Der Voluntarismus unterstellt hingegen, dass jegliches organisatorisches Verhalten als Ergebnis der gestalterischen Intervention der Führung herbeigeführt werden kann. Müller-Stewens/Lechner führen unterschiedliche Mechanismen an, die in diesem Konzept zur Durchsetzung des Willens der Führung führen können: „Dies kann sich deshalb ergeben, weil die Führung die Organisation als reines Herrschaftsinstrument betrachtet und der Unternehmer auf Grund von Egoismen sich als ‘Tyrann’ und ‘Ausbeuter’ die Mitarbeiter untertan macht, oder weil Unternehmer über weit überdurchschnittliche Persönlichkeits- und Leadership-Merkmale verfügen („great man theories’, ‘cultural hero’, ‘genius’). Auf Grund ihres ‘Charismas’ und Vorbilds erreichen sie ein hohes Maß an Gefolgschaft und können deshalb das Unternehmen nahezu gänzlich nach ihrem Willen gestalten. Oder aber man sieht die Führung in ihrer Funktion und Positionsmacht (im Zusammenhang mit ihrer Informations- und Sanktionsmacht), die ihr den Auftrag, aber auch die Möglichkeit gibt, das Unternehmen zielorientiert und geplant zu lenken.“97 Der gemäßigte Voluntarismus stellt eine Zwischenposition dar und räumt dem Management zwar Einfluss ein, sieht diesen aber als begrenzt an. Das organisatorische Verhalten ist auch Ergebnis des Gestaltungswillens des Managements, der sich mit anderen kontextuellen und situativen Faktoren vermischt. Begrenzungen und Verzerrungen der gewünschten Wirkung der Eingriffe ergeben sich z. B. aus der beschränkten Informationsverarbeitungskapazität des Managements und der Organisationsmitglieder, aus interner organisatorischer Eigendynamik sowie aus externen Eingriffen Dritter oder sonstigen Veränderungen der Organisationsumwelt.98 Kirsch et al., Seidenschwarz sowie

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Vgl. Debus (2002), S. 83-88. Vgl. Hayek (1975), S. 21. Ähnlich äußern sich zur Kontextsteuerung auch Malik/Probst (1981), S. 132. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 553-555. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554. Auch Kirsch et al. (1979), S. 232-233, erläutern den Begriff des gemäßigten Voluntarismus: „Für einen gemäßigten Voluntaristen stellt sich nicht die Frage, ob man komplexere Systeme überhaupt planen und lenken kann. Soziale Systeme, vor allem Organisationen, sind grundsätzlich durch Willensakte veränderbar. Für einen gemäßigten Voluntaristen bleibt jedoch die Frage

17 Müller-Stewens/Lechner bekennen sich in ihren Arbeiten explizit zum gemäßigten Voluntarismus.99 Auch das Konzept von Brettel et al., auf das diese Arbeit rekurriert, vertritt diesen Ansatz,100 so dass im weiteren Verlauf dieser Untersuchung die Gültigkeit des gemäßigten Voluntarismus angenommen wird. 2.1.8

Veränderung/Veränderungsmanagement als Prozess und Phasenmodelle

Das grundlegende Verständnis von Veränderungen als Prozess ergibt sich bereits aus der in Kapitel 2.1.1 dargelegten Sichtweise von Beckhard/Harris, wonach der Wandel von einem ‘Present State’ zu einem ‘Future State’ nicht übergangslos stattfindet, sondern zwischen diesen beiden Zuständen ein ‘Transition State’ liegt, von dem angenommen werden kann, dass dieser eine Zeitspanne > 0 Zeiteinheiten beansprucht. Organisationale Veränderungen benötigen Zeit und erfordern die Abfolge vielfältiger Aktivitäten. Wird z. B. eine Produktion automatisiert, so sind alternative Fertigungstechniken zu vergleichen, die überlegene Variante auszuwählen, neue Maschinen zu beschaffen, Fertigungshallen umzubauen, die Anlagen zu installieren, Mitarbeiter zu schulen usw. Es hat in der Literatur des Veränderungsmanagements eine lange Tradition, diese vielfältigen Aktivitäten des Veränderungsprozesses in ihrer Abfolge durch Phasenmodelle zu klassifizieren und dadurch überschaubarer zu machen.101 Als Ausgangspunkt und Vorbild aller nachfolgenden Phasenmodelle des Veränderungsmanagements kann das triadische Modell von Kurt Lewin aus dem Jahre 1947 angesehen werden, das als Ergebnis der Untersuchung von Gruppenverhalten und Widerständen in Wandlungsprozessen den Veränderungsprozess in die Phasen ‘Unfreezing’, ‘Moving’ und ‘Freezing’ gliedert. „A successful change includes therefore three aspects: unfreezing (if necessary) the present level L1, moving to the new level L2, and freezing group life on the new level.”102 Dabei gibt ein System in der Phase ‘Unfreezing’ seinen Gleichgewichtszustand auf und bildet eine Bereitschaft zur Veränderung. Bisherige Handlungsweisen oder Werte werden in Frage gestellt und letztlich werden neue vorgezogen. Die tatsächliche Durchführung der vom alten Muster abweichenden Handlungen ist Inhalt der Phase ‘Moving’. Die Stabilisierung des veränderten Verhaltens, d. h. das Verhindern eines ‘Rückfalls’ in alte Verhaltensmuster ist schließlich der Phase ‘Freeze’ zuzuordnen.103 In den nachfolgenden Jahren entstanden regelmäßig immer wieder neue Phasenmodelle, die in Anzahl und inhaltlicher Beschreibung der Phasen voneinander abweichen. Die Bandbreite

99 100 101 102 103

offen, wie viel man unter Einsatz welcher Mittel durch Willensakte bewältigen kann. Die Aussage, daß grundsätzlich alles durch Willensstärke veränderbar ist, impliziert nicht, daß jeder willentliche Änderungsversuch automatisch gelingt.“ Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 20, Seidenschwarz (2003), S. 24 und Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 553. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 13. Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 36-40. Lewin (1947a), S. 35. Vgl. Lewin (1947a), S. 34 sowie Steinmann/Schreyögg (2005), S. 496.

18 reicht dabei vom Zweiphasenmodell von Zaltman et al. (‘Initiation stage’ und ‘Implementation stage’) bis zum Zehnphasenmodell Jicks (vgl. hierzu Synopse in diesem Kapitel). Trotz der fast 60jährigen Historie der Phasenmodelle gibt es auch noch aktuelle Ansätze in der Literatur, um die Phasen von Veränderungsprozessen neu zu fassen. Als Beispiele hierfür dienen die Ansätze von Krüger (2000), Müller-Stewens/Lechner (2001) oder Seidenschwarz (2003). Die nachfolgende synoptische Darstellung ist eine Synthese der Arbeiten von Kirsch et al. (1979) sowie Endres (2006), ergänzt um eigene Eintragungen.

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23

24 Phasenmodelle werden vereinzelt in der Literatur auch kritisch bewertet, weil sie auf einer Vorstellung des Übergangs von Gleichgewichtszustand zu Gleichgewichtszustand basieren.105 Insbesondere Schreyögg/Noss kritisieren diese Sichtweise. „Der Gleichgewichtsansatz betrachtet Wandel als relativ seltene Unterbrechung von Phasen organisatorischer Stabilität; Wandel bildet die Ausnahme, Stabilität die Regel. Dieses episodenhafte Wandelverständnis der Gleichgewichtsansätze erweist sich als Sackgasse.“106 Schreyögg/Noss bemängeln hieran, dass dieses Verständnis den Blick für den grundsätzlich dynamischen Charakter von Organisationen und die Notwendigkeit für einen kontinuierlichen Wandel verstellen würde.107 Diese Sichtweise blendet aber aus, dass es für Teilbereiche oder Subsysteme der Organisation dennoch Phasen von Wandel und Stabilität geben kann. So werden z. B. Produktionsverfahren verändert und dann über eine längere Zeitspanne weitgehend unverändert angewendet oder alte Softwareprodukte durch neue abgelöst und dann über Jahre genutzt. Die Veränderung der Produktionsverfahren oder der Software bedeuten in diesem Sinne einen Wandel, dem sich eine Phase der Stabilität anschließt. Im Rahmen der in Kapitel 5 dargestellten empirischen Untersuchung werden solche Veränderungen von Subsystemen einer Organisation analysiert. Daher scheint der Ansatz von Schreyögg/Noss für die vorliegende Arbeit ungeeignet, die sich dem ‘Hauptstrom’ der Literatur des Veränderungsmanagements anschließt, der Phasenmodelle zur Strukturierung von Veränderungsprozessen nutzt. 2.1.9

Gestaltungsdimensionen und ausgewählte Gestaltungsaspekte des Veränderungsmanagements

Veränderungsmanagement befasst sich mit der zielorientierten Beeinflussung von Veränderungsprozessen. Daher soll zunächst ein Überblick über grundsätzliche Gestaltungsdimensionen im Rahmen des Veränderungsmanagements gegeben werden. Anschließend werden einzelne, in der Literatur exponierte Fragestellungen der Gestaltung erörtert. 2.1.9.1 Gestaltungsdimensionen des Veränderungsmanagements Eine in der Literatur verbreitete Systematik ist die von Leavitt vorgestellte Kategorisierung der Gestaltungsvariablen einer Organisation.108 „One can view industrial organizations as complex systems in which at least four interacting variables loom especially large; task variables, structural variables, technological variables, and human variables.“109 Unter Task fasst Leavitt den übergeordneten ‘Daseinszweck’110 sowie die daraus abgeleiteten Aufgaben

105

106 107 108 109 110

Vgl. Schreyögg/Noss (2000), S. 36-38. Schreyögg/Noss nehmen dabei direkt Bezug auf Lewins triadisches Modell. Vgl. auch Steinmann/Schreyögg (2005), S. 505. Schreyögg/Noss (2000), S. 33. Vgl. Schreyögg/Noss (2000), S. 33. So baut z. B Werrs Untersuchung auf der Systematik Leavitts auf. Vgl. hierzu Werr (1995), S. 607-609. Leavitt (1987), S. 1144. Leavitt spricht hier wörtlich (der Text ist ansonsten in Englisch verfasst) vom „raison d´ Être“. Leavitt (1987), S. 1144.

25 und Ziele. People (Actors) zielt auf die Organisationsmitglieder und deren Eigenschaften, z. B. ihre Qualifikation ab. In der Kategorie Technology wird die in der Organisation eingesetzte technische Ausstattung wie Maschinen oder Computer als Gegenstand des Veränderungsmanagements betrachtet. In den Gestaltungsbereich Structure fallen die Kommunikationssysteme und ‘Autoritätssysteme’111 der Organisation.112 Staehle übernimmt die Systematik Leavitts, ergänzt diese jedoch um eine ‘Kulturdimension’113 und unterscheidet für den Einsatz von Gestaltungsinstrumenten zudem die Interventionsebenen Individuum, Gruppe114 und Organisation.115 Eine Systematisierung der Ansatzpunkte des Veränderungsmanagements mittels vier ‘WFragen’ nehmen Müller-Stewens/Lechner vor.116 So ist die Frage ‘Wann?’ (Timing) durch das Veränderungsmanagement zu klären, d. h. die Gestaltung der Reihenfolge der zeitlich aufeinander aufbauenden Schritte des Veränderungsprozesses. Zur Beantwortung der ‘Was?’Frage (Akzente) ist der inhaltliche Entwicklungsfokus, somit die Zielrichtung der Veränderung festzulegen. Die Frage ‘Wer?’ weist darauf hin, dass das Veränderungsmanagement zu ermitteln hat, welche Akteure im Veränderungsmanagement welche Kräfte auf den Veränderungsprozess ausüben und welche dieser Akteure ihrerseits durch das Veränderungsmanagement zu beeinflussen sind. Die ‘Wo?’-Frage zielt auf die Gestaltungsräume, die Entwicklungsobjekte ab, z. B. auf bestimmte Rahmenbedingungen wie Aufbau- und Ablauforganisation oder Organisationskultur. Diese müssen erzeugt werden, damit die Akteure die Veränderungsinhalte (‘Was?’-Frage) umsetzen können.117 Der Ansatz von Müller-Stewens/Lechner könnte um die Frage des ‘Wie?’ bzw. ‘Womit?’ ergänzt werden, also um die Frage nach den auszuwählenden oder zu entwickelnden Instrumenten des Veränderungsmanagements.118

111 112 113

114

115 116 117 118

Leavitt (1987), S. 1144, spricht wörtlich von „systems of authority“. Vgl. Leavit (1987). Zum Begriff der Kultur wird die Definition von Jost (2000b), S. 85, übernommen: „Die Organisationskultur beschreibt die in einer Unternehmung gültigen Normen, Einstellungen und Werte, wie Mitarbeiter und organisatorische Einheiten der Unternehmung untereinander bzw. mit externen Organisationsteilnehmern umgehen sollen. Beispiel solcher Normen sind Grundsätze wie ‘seid nett zueinander’ oder ‘der Kunde ist König’. Indem die Organisationskultur Vorgaben an das organisatorische Verhalten des einzelnen Mitarbeiters macht, prägt sie sein Verhalten in der Organisation.“ Staehle (1999), S. 265, zieht zur Abgrenzung von Gruppen folgende Merkmale heran: 1. direkte Interaktion zwischen Mitgliedern (face-to-face), 2. physische Nähe, 3. die Mitglieder nehmen sich als Gruppe wahr (es existiert ein ‘Wir-Gefühl’), 4. es existieren gemeinsame Ziele, Werte und Normen, 5. zwischen den Mitgliedern gibt es eine Rollendifferenzierung und Statusverteilung, 6. das eigene Handeln und Verhalten wird durch andere beeinflusst, 7. die Zugehörigkeit ist relativ langfristig angelegt. Zur Begriffsbestimmung von Gruppen vgl. auch Rosenstiel et al. (1995), S. 118-121. Vgl. Staehle (1999), S. 944-970. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 591-594. Vgl. Müller-Stewens (2005), S. 591-594. In der Literatur existieren darüber hinaus weitere Modelle, wie z. B. die acht Komponenten des Wandlungsmanagements von Krüger, der folgende Gestaltungsbereiche des Veränderungsmanagements festlegt: 1. Wandlungsprozesse (Aufgaben und Phasen des Wandels festlegen), 2. Strategie (Fokus und Stoßrichtung des Wandels bestimmen), 3. Topmanagement (Rollenvielfalt im Wandlungsgeschehen beherrschen, Unterstützung des Top-Managements sicherstellen), 4. Organisation (Infrastrukturen für Wandel schaffen),

26 2.1.9.2 Richtung der Beeinflussung, Widerstand, Macht und Partizipation Für das Veränderungsmanagement ist es von Bedeutung, wo die Ausgangspunkte für den Wandel in der Organisation liegen und in welche Richtung die Beeinflussung laufen soll. Um eine Organisation als Gesamtheit für die Veränderung zu gewinnen, gibt es grundsätzlich drei Ansatzpunkte, die von Porter/Lawler/Hackmann beschrieben wurden.119

Chie f e xecutive office r and top managers

Chief executive officer and top managers

Chief executive officer and top managers

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Middle managers

Middle managers

First-level supervisors and nonsupervisory personal

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Fro m top to bottom

Middle: Both direct ions

Fro m bottom to top

Abbildung 2: Alternative Ausgangspunkte für organisatorischen Wandel120

Zum einen kann eine Initiative von der Leitung ausgehen und in einer ‘From-top-to-bottomStrategie’ bis zur ‘Basis’ durchgesetzt werden. Zum anderen kann die Initiative von der ‘Basis’, d. h. vom unteren Ende der hierarchischen Pyramide ausgehen und als ‘From-bottom-totop-Strategie’ nach oben durchgesetzt werden. Als dritte Möglichkeit kann sowohl die Leitung als auch die Basis einer Organisation vom mittleren Management aus beeinflusst werden (‘Both-directions-Strategie’). Die Wahl des Ausgangspunktes ist insofern von Bedeutung für das Veränderungsmanagement, als den verschiedenen Akteuren unterschiedliche Mittel zur Verfügung stehen. So hat die Leitung die Möglichkeit, im Rahmen einer ‘From-top-tobottom-Strategie’ Machtmittel zum Einsatz zu bringen, die der Basis bei der Umsetzung der ‘From-bottom-to-top-Strategie’ nicht in gleichem Umfang zur Verfügung stehen. Eine beson-

119 120

5. Einstellungen und Verhalten (Mentale Modelle ändern), 6. Kommunikation (Einheitliches Verständnis erzeugen), 7. Systeme (Wandlungsinstrumente einbauen) und 8. Controlling (Prozess- und Ergebnistransparenz sichern). Zur dieser Systematisierung der Ansatzpunkte des Veränderungsmanagements vgl. Krüger (2000c), S. 22-29 sowie Kapitel 2.2.6 dieser Arbeit. Vgl. Porter/Lawler/Hackman (1975), S. 474. In enger Anlehnung an Porter/Lawler/Hackman (1975), S. 474.

27 dere Ausprägung der ‘From-top-to-bottom-Strategie’ ist die von Kirsch et al. beschriebene ‘Bombenwurftaktik’. Hier wird unter weitgehender Geheimhaltung und unter Ausschluss der ‘Betroffenen’ von einem kleinen Zirkel von Führungspersonen der obersten Hierarchieebenen ein Konzept für die Veränderung entworfen, das dann schlagartig und „relativ unwiderruflich“121 in Kraft gesetzt und damit wie eine ‘Bombe’ über die Organisation geworfen wird. Dieses Konzept schließt, zumindest in der frühen Phase und bezüglich der grundsätzlichen Entscheidungen, eine Partizipation der Mitarbeiter weitgehend aus.122 Das Konzept wird mit Mitteln der Macht – auch gegen mögliche Widerstände – realisiert. In der Diskussion um solche Implentierungsstrategien ist eine Betrachtung von Macht integraler Bestandteil. Macht bedeutet nach der Definition Max Webers die Chance, in einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben Anderer durchzusetzen.123 Damit ist auch das Verhältnis von Macht und Widerstand in Veränderungsprozessen bereits weitgehend umrissen. Etzioni spitzt diesen Aspekt zu, indem er feststellt: „Machtanwendung heißt, definitionsgemäß, Überwindung von Widerstand […].“124 Macht gründet sich jedoch nicht ausschließlich auf hierarchischen Status. Max Weber unterscheidet zwischen drei Formen der Macht, nämlich 1. legale (rationale) Herrschaft, die auf legitimer Einsetzung des Machtausübenden beruht (legitime Anordnungsmacht), 2. traditionelle Herrschaft, die auf historisch gewachsenen Mustern (Traditionen) beruht und 3. charismatische Herrschaft, die sich auf die ausgeprägte Persönlichkeit des Machtausübenden gründet.125 French/Raven unterscheiden hingegen fünf Quellen der Macht. Dies sind: 126 ƒ

Legitimate Power (Macht durch Legitimation): Hierunter ist Macht zu verstehen, die auf das durch Arbeitsvertrag und Arbeitsrecht gegründete und abgesicherte Recht beruht, Anweisungen zu erteilen.

ƒ

Reward Power (Macht durch Belohnung): Durch die Möglichkeit, Mitarbeitern Belohnungen zuteil werden zu lassen und die positive Bewertung dieser Belohnung durch die Mitarbeiter, entsteht für den Vorgesetzten ein Einflusspotenzial.

ƒ

Coercive Power (Macht durch Bedrohung/Bestrafung): Sie stellt das Pendant zur Reward Power da, weil sie die Möglichkeit eröffnet, Maßnahmen zu ergreifen, die von

121 122 123

124 125 126

Kirsch et al. (1979), S. 180. Zur Strategie des ‘Bombenwurfs’ vgl. Kirsch et al. (1979), S. 180-183. Vgl. Weber (1976), S. 28. Salancik/Pfeffer (1977), S. 4 führen hierzu ein plastisches Beispiel an: „Power is simply the ability to get things done the way one wants them to be done. For a manager who wants an increased budget to launch a project that he thinks is important, his power is measured by his ability to get that budget.“ Eine ausführliche Abhandlung zu Macht bzw. Machttheorien findet sich bei Wolf (2003), S. 203-232. Etzioni (1969), S. 164. Vgl. Kieser (1995c), S. 38-39. Zur nachfolgenden Aufzählung vgl. French/Raven (1959). Eine synoptische Zusammenfassung verschiedener Ansätze zu Machtbasen findet sich bei Wolf (2003), S. 214.

28 dem Betroffenen negativ bewertet werden. Der Wunsch, die Bestrafung zu vermeiden wirkt (so die Annahme) verhaltensregulierend. Coercive Power kann daher primär zur Abschreckung eingesetzt werden. ƒ

Referent Power (Macht durch Persönlichkeitswirkung): Diese Form der Macht basiert auf der Ausstrahlung des Vorgesetzten. Ihm wird seitens der ‘Untergebenen’ Einfluss eingeräumt, weil die Führungskraft als Vorbild angesehen wird, man sich ihrer Wertschätzung versichern möchte oder weil man ihr Bewunderung entgegenbringt.

ƒ

Expert Power (Macht durch Wissen/Fähigkeiten): In den Bereichen, in denen eine Person über besonderes Wissen oder Fähigkeiten verfügt, kann sie Macht daraus schöpfen, dass andere Akteure tendenziell geneigt sind, dieser Person (oder ihren Vorschlägen) zu folgen.

Veränderungsprozesse können aber nicht nur mittels Ausübung zentraler Macht der Führungsebenen durchgeführt werden, sondern im Gegenentwurf (z. B. in einer ‘Both-directionsStrategie’) mit einem hohen Grad an Partizipation. Hierin wird deutlich, dass der Einsatz von Macht auf der einen Seite und Partizipation auf der anderen (oder Delegation von Macht) ein Gestaltungsfeld des Veränderungsmanagements darstellt. Greiner sieht jedoch keine dichotomische Einordnung der Veränderungsprozesse, sondern formuliert ein Kontinuum der Machtverteilung von unilateraler Autorität seitens der Führung, über Ansätze verteilter Macht bis hin zu vollständig delegierter Macht am anderen Ende des Kontinuums.127 Das Veränderungsmanagement kann die Verteilung der Macht innerhalb dieses Kontinuums positionieren. Widerstände können auf vielfältige Ursachen zurückzuführen sein und erfordern daher differenzierte Instrumente des Veränderungsmanagements. Daraus folgt der Einsatz unterschiedlicher Arten von Macht zur Überwindung dieser Widerstände oder zur Vermeidung von Widerständen im Vorfeld. So können Widerstände daraus resultieren, dass Individuen ‘handfeste’ ökonomische Nachteile befürchten, z. B. die Verschlechterung der Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten (etwa Lohneinbußen) oder aus der Antizipation eines Kompetenz- oder Prestigeverlusts.128 Watson beschreibt auf der einen Seite Widerstände, die ‘aus der Person heraus’ begründet sind („Resistance in personality“129), wie z. B. die psychologische Hemmung, in der Vergangenheit bewährte Gewohnheiten aufzugeben. Auf der anderen Seite unterscheidet er hiervon solche Widerstände, die ‘aus der Organisation heraus’ kommen („Resistance to

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128 129

Hierzu Greiner (1967), S. 120: „At one extreme are those which rely on unilateral authority. More toward the middle of the continuum are the shared approaches. Finally, at the opposite extrem are the delegated approaches.“ Greiner hat dabei in Fallstudien eine Überlegenheit des ‘shared power approaches’ ermittelt: „The findings discussed in this article highlight the use of the more difficult, but perhaps more fruitful, shared prower approach.“ Greiner (1967), S. 130. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 494-495. Watson (1967a), S. 12.

29 Change in social Systems“130) und sich daraus ergeben, dass z. B. Neuerungen gegen bestehende Normen der Organisation verstoßen.131 Die Liste der in der Literatur genannten möglichen Gründe für Widerstände ist lang und umfasst z. B. die Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst vor dem Verlust von Privilegien und Statussymbolen, Angst vor Machtverlust, drohender Verlust von Freiheitsgraden, eine mangelnde Informationsbasis der ‘Betroffenen’ usw.132 Die vorstehende Differenzierung von Widerständen dient im Veränderungsmanagement vor allem deren gezielter Beeinflussung bzw. Vermeidung. So kann ein Widerstand, der auf fehlenden Informationen beruht, möglicherweise durch den Einsatz von ‘Expert Power’ (glaubwürdige Informationspolitik) verringert werden, wohingegen ein Widerstand, der aus einem antizipierten Verlust von Einkommensbestandteilen resultiert133, evtl. besser durch den Einsatz von ‘Reward Power’ (monetäre Kompensation) verhindert wird.134 2.1.9.3 Anpassung an die Umwelt vs. Veränderung der Umwelt Für Veränderungen, die durch äußeren Druck ausgelöst werden, gibt es zwei grundsätzliche Gestaltungsmöglichkeiten des Veränderungsmanagements, die Anpassung an die Umwelt sowie die Veränderung der Umwelt.135 Einerseits kann die Organisation versuchen, die veränderten Umweltbedingungen dadurch ‘aufzufangen’, dass sie sich an diese Bedingungen anpasst, sich also selbst verändert.136 So kann ein Unternehmen auf eine Erhöhung des Wettbewerbsdrucks durch billigere ausländische Konkurrenz reagieren, indem es eine Reorganisation durchführt, z. B. die Produktion zum Zweck der Kostensenkung stärker automatisiert. Die andere Möglichkeit besteht für das Veränderungsmanagement darin, die Umwelt selbst zu beeinflussen, so dass der Veränderungsdruck verringert wird.137 Ein Beispiel zur Verringerung des Veränderungsdrucks wäre die Einflussnahme eines großen Unternehmens auf die politischen Entscheidungsträger zur Umsetzung einer protektionistischen Handelspolitik, die

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Watson (1967a), S. 18. Ausführlich vgl. Watson (1967a), S. 10-25. Vgl. hierzu Coch/French (1948), S. 512-532, Lawrence (1954), S. 49-57, Watson (1967a), S. 10-25, Börsig (1975), Duncan (1975), S. 438, Böhnisch (1979), Kotter/Schlesinger (1979), S. 107-109, Nadler (1981), S. 197, Burke (1982), Krebsbach-Gnath (1992a), S. 42-50, Miller (1993), S. 110-111, Dutfield/Eling (1994b), S. 96-98, Strebel (1996), S. 86-92, Staehle (1999), S. 977-982, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 494-497, Müller-Stewens (2005), S. 578-582. Ein Beispiel hierfür wäre der Wegfall des Einkommensbestandteils ‘Nachtzuschlag’, wenn die gesamte Produktion auf Einschichtbetrieb umgestellt wird. Zum differenzierten Einsatz von Maßnahmen des Veränderungsmanagements bei verschiedenen Widerstandsursachen vgl. Kotter et al. (1979), S. 389, Kirsch et al. (1979), S. 174-186. Vgl. Kieser/Walgenbach (2003), S. 423 sowie Hrebiniak/Joyce (1985), S. 336-349. Vgl. Kieser/Walgenbach (2003), S. 423-425. Vgl. Kieser/Walgenbach (2003), S. 423-424.

30 den durch ausländische Unternehmen verursachten Konkurrenzdruck verringert.138 Das Unternehmen könnte weiterhin versuchen, nicht die Konkurrenz selbst zu verhindern, sondern durch Beeinflussung der Umwelt die Abhängigkeit von dieser Konkurrenzsituation zu reduzieren, indem z. B. staatliche Subventionen eingefordert werden, die das Überleben sicherstellen. Die beiden grundsätzlichen Optionen ‘Anpassung der Organisation an die veränderte Umwelt’ und ‘Anpassung der Umwelt an die Organisation’ schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern können miteinander kombiniert werden.139 2.1.9.4 Veränderungsorganisation Für die Durchführung von Veränderungsprozessen und für ein wirksames Veränderungsmanagement müssen zumeist Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation erzeugt werden, die das Veränderungsmanagement ermöglichen und unterstützen. „Zur Organisation des Wandels gehört neben der bereits erwähnten Regelung der Wandlungsprozesse (‘Ablauforganisation’) die Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen auf vorhandene oder neu zu schaffende organisatorische Einheiten. Dies betrifft die Strukturen des Wandels (‘Aufbauorganisation’), also die organisatorischen Plattformen, auf denen sich Wandlungsprozesse abspielen. Die zu wählende Struktur hängt sehr stark von der Situation und der Form der Implementierung ab. Strikt direktiver Wandel führt zwangsläufig zu anderen Organisationslösungen als eine partizipative Implementierung.“140 Die Erzeugung einer geeigneten Veränderungsorganisation ist damit ein Gestaltungsfeld des Veränderungsmanagements. Kirsch et al. interpretieren Veränderungsprozesse als spezifische Projekte und weisen daher auf die Notwendigkeit zu einem Projektmanagement (und damit einer Projektorganisation) hin.141 Auch Müller-Stewens/Lechner sehen in Veränderungsprozessen primär Projekte und schlagen v. a. eine Reihe (projektbezogener) aufbauorganisatorischer Elemente vor, die den Veränderungsprozess tragen bzw. unterstützen sollen.142 Eine ausführliche Abhandlung zur Gestaltung der Organisation des Wandels findet sich bei Brehm/Jantzen-Homp, die die für den Veränderungsprozess zu schaffende Sekundärorganisa-

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Kieser/Walgenbach führen an, dass auch Bestechung ein Mittel sei, die Umwelt zu verstetigen. Bedrohliche Aktivitäten von Interessengruppen oder Ressourcengebern könnten zudem durch eine (im jeweiligen Kontext) positive Darstellung der Organisation durch Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit abgewendet werden. Vgl. hierzu Kieser/Walgenbach (2003), S. 424. Kieser/Walgenbach (2003), S. 423. Krüger (2000c), S. 26. Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 57-58 und 277-278. Vgl. auch Claßen/Arnold (2004), S. 28. So werden z. B. ‘Change Steering Commitees‘ (Gremien auf Top-Management-Ebene), Change Manager (Leiter des Projetkteams), Peer Groups (in- und externe Fachleute zur Beurteilung des Projektes), Change Project Teams (das Projektteam im engeren Sinne), und Transition-Teams (in sehr großen Projekte zusätzliche, unterstützende Teams in dezentralen Einheiten) vorgeschlagen. Vgl. hierzu Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 645-647.

31 tion143 im Verlauf der fünf Phasen des Modells von Krüger (Initialisierung, Konzipierung, Mobilisierung, Umsetzung, Verstetigung)144 und in Relation zur Primärorganisation145 betrachten.146 Sie gehen davon aus, dass in der Phase der Initiierung keine Sekundärorganisation für Zwecke des Wandels benötigt wird, sondern der Wandlungsbedarf von der Primärorganisation erkannt werden kann.147 In der Phase der Konzipierung wird für Projektaufgaben eine „Additive Sekundärorganisation“148 geschaffen, die neben die Primärorganisation tritt und die Aufgaben des Veränderungsmanagements übernimmt, aber wenig Auswirkungen auf die Primärorganisation hat.149 Dies ändert sich in den Phasen Mobilisierung und Umsetzung, in denen die Veränderungsorganisation vor allem benötigt wird, um weite Bereiche der Primärorganisation ‘in Bewegung zu setzen’, d. h. für die Veränderung zu gewinnen. Da die Sekundärorganisation hier die treibende Kraft im Veränderungsprozess darstellt, wird sie von Brehm/Jantzen-Homp als „Katalytische Sekundärorganisation“150 bezeichnet.151 In der Phase Verstetigung wird eine „Integrierte Sekundärorganisation“152 benötigt, die dauerhaft auf die Primärorganisation einwirkt, in diese fest integriert ist und für die Verankerung der Wandlungsergebnisse sorgt sowie eine anhaltende Wandlungsfähigkeit für zukünftige Veränderungsprozesse bewirkt.153 2.1.9.5 Akteure im Veränderungsprozess Veränderungsprozesse betreffen nicht nur die Organisation als Ganzes, sondern auch die Mitglieder, die diese konstituieren (aus systemtheoretischer Sichtweise die Subsysteme und Elemente, die ein soziales System bilden) und werden daher von diesen internen Akteuren154 sowie möglicherweise von externen Akteuren beeinflusst. Daher ist es eine wesentliche Aufgabe des Veränderungsmanagements, festzustellen, wer die relevanten Akteure für den Verän-

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Zur Sekundärorganisation Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 180: „Die Gesamtheit aller Organisationseinheiten für ‘Spezialaufgaben’ wird durch das Gegenstück der Primärorganisation, die sogenannte Sekundärorganisation, dargestellt“. (Fettdruck im Originaltext). Kieser/Walgenbach sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Ergänzungsstrukturen.“ Dieser Begriff wurde wörtliche entnommen Kieser/Walgenbach (2003), S. 443. Vgl. Krüger (2000a), S. 58-72. Zur Sekundärorganisation Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 180: “Die Gesamtheit der Organisationseinheiten zur Erfüllung der Daueraufgaben stellt die Primärorganisation dar, die in den Unternehmungen z. B. durch Abteilungen oder dauerhaft eingerichtete Ausschüsse charakterisiert ist.“ Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 177-219. Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 181-182. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 184. Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 184-185. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 189. Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 189-202. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 202. Die Autoren weisen darauf hin, dass die ‘Integrierte Sekundärorganisation’ auch als neue, ‘tertiäre’ Organisationsform betrachtet werden kann. Vgl. ebenda., S. 203. Vgl. Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 202-209. Der Begriff der Akteure ist in der Literatur gebräuchlich für die Beteiligten, also alle Organisationsmitglieder (und externe Beteiligte), die Einfluss auf den Veränderungsprozess nehmen können. In diesem Sinne wird der Begriff z. B. verwendet von Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 594, Bach (2000b), S. 224-225,

32 derungsprozess sind und was diese charakterisiert. Nur so kann das Veränderungsmanagement an den richtigen Akteuren und in einer geeigneten Weise ansetzen. Es ist in der Literatur üblich, zwischen den drei Ebenen Organisation, Gruppe und Individuum zu unterscheiden. Diese Kategorisierung dient z. B. der Strukturierung der Instrumente des Veränderungsmanagements.155 Eine weitere Unterscheidung erfolgt nach internen und externen Akteuren, also zwischen Organisationsmitgliedern und Akteuren der Umwelt, die auf den Veränderungsprozess Einfluss nehmen können.156 Durch solche Ordnungssysteme können insbesondere in komplexen Veränderungsprozessen die Akteure strukturiert werden. Zudem ist es weit verbreitet, bestimmte Rollen, die Akteuren zukommen, näher zu spezifizieren. Bekanntestes Beispiel ist wohl der ‘Change Agent’. „Der ‘Change Agent’ bezieht sich auf ‘helfende Profis’, die einen organisatorischen Wandel stimulieren, führen und stabilisieren sollen. Innerhalb der Konzeption des geplanten organisatorischen Wandels ist ein Change Agent eine Handlungseinheit, die vom Klientensystem beschäftigt wird, um dazu beizutragen, einen Wandel durchzuführen und so eine bessere organisatorischen Leistung zu erreichen.“157 Ein weiteres in der Literatur verbreitetes Rollenbild ist das des Promotors, das auf Witte zurückgeführt werden kann.158 Für Witte ist ein Promotor eine Person, die den Veränderungsprozess selbst aktiv und intensiv fördert und dazu beiträgt, Widerstände zu überwinden. Promotoren übernehmen diese Aufgabe aber nicht ‘hauptberuflich’ (anders als zumeist der ‘Change Agent’), sondern neben ihren laufenden Aufgaben. Wesentliches Merkmal von Promotoren ist, dass sie dabei nicht nur Aufgaben delegieren, „vielmehr geben sie selbst nachhaltige Energie zur Prozessförderung ein und identifizieren sich mit dem Prozesserfolg.“159 Auf Witte geht auch die Unterscheidung zwischen Macht- und Fachpromotoren zurück. Machtpromotoren setzen dabei nicht nur ihre ‘Legitimate Power’ ein, also die durch Hierarchie formal begründete Macht sondern auch die übrigen ‘Machtformen’, um den Wandlungsprozess zu unterstützen. Fachpromotoren fördern dagegen den Veränderungsprozess dadurch, dass sie spezifisches, notwendiges Fachwissen einbringen.160 Als Gegenpol zu den

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Staehle, S. 970. Kirsch et al. sprechen hingegen von Aktoren. Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 186-193 und S. 275. Vgl. zur Unterscheidung der drei Ebenen Organisation, Gruppe und Individuum Seidenschwarz (2003), S. 45-46, Staehle (1999), S. 943-976, Kleingarn (1997), S. 146-265, French/Bell (1982), S. 134-141 sowie Nadler (1981), S. 193. Merchel (2005), S. 39 und Kieser (1995a) unterscheiden in ähnlicher Weise die Ebenen Individuum, Gruppe und Organisationsstruktur. Cummings/Huse (1989), S. 158-186 unterscheiden „Interpersonal and Group Process Approaches“ von „System-wide Process Approaches“. Vgl. Kirsch et al. (1979), S. 193. Kirsch et al. (1979), S. 279. Kirsch et al. weisen darauf hin, dass der Begriff bereits 1947 vom National Training Laboratory eingeführt wurde. Vgl. ebenda, S. 278-279. Vgl. Witte (1973), S. 14-16. Witte (1973), S. 16. Zur Unterscheidung von Macht- und Fachpromotor vgl. Witte (1973), S. 14-16. Hauschild ergänzt diese Betrachtung um den ‘Prozesspromotor’, der für das ‘Schnittstellenmanagement’ zwischen den Akteuren verantwortlich ist. Vgl. Hausschild (2006), S. 178.

33 Promotoren sieht Bach die Opponenten, die den Wandlungsprozess ablehnen und hintertreiben.161 Zudem unterscheidet Bach zwischen dem Topmanagement einerseits und den Mitarbeitern an der Unternehmensbasis andererseits.162,163 Eine besondere Aufmerksamkeit erfährt in der Literatur der ‘externe Berater’164, der neben der möglichen Rolle als Change Agent insbesondere sein Fachwissen und seine Erfahrung im Projektmanagement zur Verfügung stellt.165 Es ist ein Gestaltungsfeld des Veränderungsmanagements, ggf. geeignete externe Berater zu finden und deren Einsatz zu steuern. Für das Veränderungsmanagement ist auch die Charakterisierung der Akteure relevant, speziell die Beschreibung der handlungsleitenden Merkmale von Individuen. Jost kennzeichnet die Organisationsmitglieder in Anlehnung an Schein166 als ‘komplexe Mitarbeiter’.167 Die unterschiedlichen genetischen Voraussetzungen, die Individuen einerseits aufweisen sowie die spezifischen Umweltfaktoren, denen diese andererseits ausgesetzt sind und im Sinne von Erfahrungen und Sozialisierung ausgesetzt waren, führen zu individuellen Persönlichkeiten, Werten und Einstellungen, Bedürfnissen und Fähigkeiten. Diese sind im Zeitablauf veränderlich, was bedeutet, dass der Mensch wandlungsfähig ist.168 French/Bell weisen darauf hin, dass traditionelle Modelle ein Individuum aufgrund seiner Interessen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale definieren.169 Solche Menschenbilder, also Annahmen über die Natur des Menschen, haben natürlich auch Anwendung im Veränderungsmanagement gefunden. Krüger beschreibt die ökonomischen Akteure, unabhängig von der Ebene,170 in den Kategorien Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit.171 Bach definiert zudem als handlungsbestimmende Momente die ‘mentalen Modelle’ der Akteure. „Mentale Modelle sind vereinfachende Modelle im Kopf eines Menschen, die das reale Geschehen beschreiben und erklären. Alles Wissen setzt sich aus solchen Modellen zusammen. Mentale Modelle steuern das Verhalten, und sie bestimmen, was Menschen wahrnehmen und

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Vgl. Bach (2000b), S. 225. Vgl. Bach (2000b), S. 224-225. Es existieren in der Literatur weitere Unterscheidungen von Akteuren und ihren Rollen in Veränderungsprozessen. Z. B. beschreibt Pettigrew die verschiedenen Rollen anhand der Metapher eines amerikanischen Pioniertrecks. Er unterscheidet dabei Enthusiasten (die unbedingt bei dem Abenteuer dabei sein wollen), die Machtpromotoren (die z. B. den Treck mit Ressourcen ausstatten), die Scouts (die den Treck anführen, vergleichbar den Change Agents) und den Zuschauern (diese sind nur Zuschauer, obwohl sie auch mitmachen könnten). Vgl. hierzu Pettigrew (1998), S. 271-289. Hier werden insbesondere die Mitarbeiter von Unternehmensberatungsgesellschaften betrachtet. Zur Rolle des externen Beraters vgl. Kirsch et al. (1979), S. 285-297, Scholz (1995), S. 15-16, Staehle (1999), S. 970-976 sowie Merchel (2005), S. 197-218. Vgl. Schein (1988). Vgl. Jost (2000b), S. 63-65. Vgl. Jost (2000b), S. 63-65. French und Bell zitieren hierzu Tannenbaum/Davis (1969). Sie weisen darauf hin, dass für die Organisationsentwicklung der Mensch dabei als etwas ‘Fließendes, Werdendes’ betrachtet werden muss. Vgl. French/Bell (1982), S. 91. Gemeint sind die Ebenen Organisation, Gruppe und Individuum. Vgl. Krüger (2000c), S. 19-22.

34 auf welche Reize sie reagieren (Identitätsstiftung).“172 Jeder Mensch verfügt über eine Vielzahl solcher im Langzeitgedächtnis abgespeicherter Modelle, die in verschiedenen Situationen aktiviert werden können.173 Mittels der mentalen Modelle wird gegenüber bestimmten Sachverhalten eine Einstellungsakzeptanz herausgebildet, d. h. man entwickelt gegenüber dem Sachverhalt eine grundsätzlich positive oder negative Einstellung. Zur Verhaltensakzeptanz, also zur Bereitschaft, eine Handlung auszuführen, kommt es hingegen nur, wenn der Akteur in einer konkreten Situation einen positiven Anreiz-Beitrags-Saldo antizipiert.174 Zwar ist die Verhaltensakzeptanz leichter herzustellen, wenn die Einstellungsakzeptanz positiv ist, es ist jedoch jede Kombination von positiver/negativer Einstellungsakzeptanz und positiver/negativer Verhaltensakzeptanz möglich.175

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Potentielle Promotoren

Promotoren

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Verhaltensakzeptanz

positiv

Abbildung 3: Promotoren und Opponenten176

Akteure mit positiver Einstellungs- und Verhaltensakzeptanz stellen klassische Promotoren dar, klassische Opponenten hingegen weisen eine negative Einstellungs- und Verhaltensakzeptanz auf. Liegt eine positive Einstellungsakzeptanz vor, die Verhaltensaktzeptanz ist aber aufgrund des Anreiz-Beitrags-Saldos negativ, ist der Akteur ein potenzieller Promotor. Ist hingegen die Einstellungsakzeptanz negativ, es liegt aber eine positive Verhaltensakzeptanz (positiver Anreiz-Beitrags-Saldo) vor, also opportunistisches Verhalten ‘gegen die eigene Überzeugung’, spricht Bach von einem verdeckten Opponenten.177

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Bach (2000b), S. 229. Vgl. Bach (2000b), S. 228. Vgl. Bach (2000b), S. 236-239. Vgl. Bach (2000b), S. 237-239. Quelle: Bach (2000b), S. 238. Vgl. Bach (2000b), S. 237-238.

35 Sowohl Systematisierung der verschiedenen Akteure bzw. der Rollen, die verschiedene Akteure ausüben als auch die Charakterisierung von Akteuren sind für das Veränderungsmanagement vor allem deshalb bedeutsam, weil hierdurch unterschiedliche Ansatzpunkte für das Veränderungsmanagement transparent werden. Die Intervention des Veränderungsmanagements muss bei den unterschiedlichen Akteuren mit ihren verschiedenen Merkmalsausprägungen spezifisch gestaltet werden. 2.1.9.6 Instrumente des Veränderungsmanagements Die Durchführung des Veränderungsmanagements stützt sich auf den Einsatz von Instrumenten bzw. die Umsetzung konkreter Maßnahmen. Das Spektrum an Instrumenten des Veränderungsmanagements ist ausgesprochen breit und wird seit vielen Jahren ausführlich beschrieben und permanent erweitert. French/Bell geben einen guten Überblick über die in der Organisationsentwicklung178 üblichen Instrumente. Sie klassifizieren die ‘Interventionen’179 danach, ob sie auf Individuen, auf Beziehungen innerhalb von Gruppen (Teams), auf Beziehungen zwischen Gruppen (Intergruppenbeziehungen) oder auf die gesamte Organisation abzielen. Zu den bekanntesten Instrumenten der Organisationsentwicklung und damit zu den ‘Klassikern’ des Veränderungsmanagements zählen nachstehende: ƒ

Teamentwicklungs-Workshops: Die Leistungsfähigkeit von Gruppen soll durch besseres Management der Aufgabenanforderungen, der Beziehungen und der Gruppenvorgänge erhöht werden. Dabei soll eine Gruppe im Rahmen eines Workshops ihre Teamleistungen kritisieren, die Arbeitsweise analysieren und Strategien zur Verbesserung ihrer Arbeit entwickeln. French/Bell schlagen dreitägige Workshops vor, die von externen Beratern unterstützt werden. Die Berater führen mit allen Mitgliedern Interviews zu leistungsmindernden Faktoren. Im Anschluss werden die Daten dieser Interviews dann in der Gruppe diskutiert und priorisiert. Auf dieser Basis werden Problemlösungsvorschläge ausgearbeitet.180

ƒ

Survey-Feedback: Diese Interventionsmethode basiert auf der Durchführung von systematischen Datenerhebungen durch Befragungen in der gesamten Organisation zur Ermittlung der Einstellungen der Akteure und zum anschließenden Feedback an Individuen und Gruppen. Hierbei wird ein fünfstufiges Vorgehen vorgeschlagen. Im ersten Schritt wird eine Vorplanung unter Beteiligung der Führungsspitze durchge-

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Zur ‘Schule’ der Organisationsentwicklung als spezifischen Theoriestrang des Veränderungsmanagements vgl. Kapitel 2.2.2.2. Interventionen sind der in der OE-Schule die gebräuchliche Bezeichnung für Maßnahmen und Instrumente zur Beeinflussung des Veränderungsprozesses. Vgl. French/Bell (1982). Staehle übernimmt diesen Begriff. Vgl. Staehle (1999), S. 943.

36 führt, im zweiten Schritt werden sämtliche Mitglieder der Organisation befragt. Danach folgt als dritter Schritt die Erläuterung der erhobenen Daten gegenüber der Topmanagement-Gruppe und anschließend gegenüber den Organisationsbereichen. Im vierten Schritt hat jeder Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern eine Besprechung durchzuführen, in der die Daten diskutiert und interpretiert werden, um anschließend konstruktive Änderungen abzuleiten. Fünftens wird zu den Besprechungen ein Berater hinzugezogen, mit dessen Hilfe der Vorgesetzte auch die Besprechung geplant hat.181 ƒ

Konfrontationstreffen: In einem eintägigen Workshop werden alle Manager einer Organisation aufgefordert, den Ist-Zustand ihrer Organisation zu untersuchen. Dabei sollen Informationen über die Hauptprobleme der Organisation sowie deren Ursachen gewonnen werden. Es werden Aktionspläne einschließlich Terminfestsetzungen entwickelt, die zur Lösung der identifizierten Probleme beitragen sollen. Dabei wird in sechs Schritten vorgegangen: 1. Schaffung eines geeigneten Klimas, 2. Sammeln von Informationen, 3. Austausch der Informationen, 4. Bestimmung der Priorität und Planung der Maßnahmen, 5. Fortsetzung des Treffens durch das Topmanagement und 6. Erfolgskontrolle. Das Verfahren ist im Wesentlichen auf Beckhard zurückzuführen.182

ƒ

Grid-Organisationsentwicklung: Diese ‘Intervention’ ist ein im Kern von Blake/Mouton entwickeltes sechsphasiges Programm über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, mittels derer eine Organisation an ein ‘ideales strategisches Unternehmensmodell’ herangeführt werden soll. Dabei soll das Management möglichst die im (ebenfalls von Blake/Mouton entwickelten) ‘Managerial Grid’ postulierte Idealposition 9.9 erreichen, bei der die Manager auf einer Neunerskala jeweils den Höchstwert in den beiden Dimensionen ‘Interesse an Menschen’ und ‘Interesse für die Produktion’ erreichen. Das Modell umfasst folgende Phasen: 1. Schulung aller Manager in der Grid-Technik, 2. Team-Entwicklung zur Verbesserung der Arbeit aller Teams, 3. Entwicklung der Intergruppenbeziehungen, 4. Entwicklung eines idealen strategischen Unternehmensmodells, 5. Implementierung und Anwendung des strategischen Idealmodells und 6. Systematische Kritik bzw. Evaluation der bis dahin durchlaufenen Phasen.183

ƒ

Sensitivity-Training: Diese Interventionsmethode gilt als eines der frühesten OEInstrumente. Mit Trainingsgruppen (‘T-Gruppen’) von zehn bis zwölf Teilnehmern und einem Trainer werden unstrukturierte Seminare in ‘Trainings-Laboratorien’ mit

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Vgl. Beckhard (1969), S. 27-33, Kirsch et al. (1979), S. 212-213, French/Bell (1982), S. 145, Staehle (1999), S. 953-954. Vgl. French/Bell (1982), S. 162-166, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 501, Kieser (1995a), S. 113, Kirsch et al. (1979), S. 216-219, Miles et al. (1975), S. 376, Vgl. Beckhard (1967), S. 149-155 sowie French/Bell (1982), S. 159-162, Kieser (1995a), S. 113. Vgl. Blake/Mouton (1969), French/Bell (1982), S. 166-170, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 502-503.

37 einer Dauer von drei bis 14 Tagen durchgeführt (‘Laboratory Training’). Ziel dieser Seminare ist es, im Sinne von Selbst- und Gruppenerfahrungen zu erlernen, zwischenmenschliche Beziehungen besser handhaben zu können. Es soll die Sensitivität für emotionale Reaktionen bei den Teilnehmern erhöht werden. Zudem soll der Einzelne eine höhere Bereitschaft und Fähigkeit herstellen, Feedback für sich zu nutzen. Damit soll letztlich das Individuum ein ‘effektiveres Verhalten gegenüber seiner Umwelt’ erlernen.184 ƒ

Prozessberatungs-Interventionen: Die Prozessberatung zielt nicht etwa, wie man vermuten könnte, auf die Reorganisation von Geschäftsprozessen ab, sondern ist eine Methode, bei der unter Einsatz eines Externen Beraters ‘menschliche und soziale Prozesse’, wie z. B. Kommunikationsprozesse, verbessert werden. Der Berater soll die Mitarbeiter des Klienten jedoch nur dabei unterstützen, selbst Lösungen zu erarbeiten. Hierzu ‘spiegelt’ der Berater den Teilnehmern das von ihm beobachtete Verhalten der Individuen und Gruppen und leitet diese dann zur Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen an. Die Beobachtung muss bei dieser Methode nicht ausschließlich unter Laborbedingungen stattfinden, sondern kann auch während der ‘normalen Arbeit’ vorgenommen werden.185 Die Praktiken und Prinzipien der Prozessberatung wurden vor allem von Edgar Schein beschrieben.186

ƒ

Der Berater als ‘Neutraler Dritter’ (‘Third Party Consultation’): Diese Methode dient vorrangig der Steuerung und Lösung von Konflikten. Ein ‘Neutraler Dritter’ (zumeist ein externer Fachmann für Konfliktbewältigung) versucht, den Dialog zwischen Konfliktparteien in Gang zu bringen oder zu halten. Hierfür wird eine Diagnose der Konfliktsituation in vier Feldern vorgenommen: 1. Die Konfliktthemen, 2. die auslösenden Umstände, 3. die konfliktrelevanten Handlungen der Parteien und 4. die Folgen des Konfliktes. Die Parteien sollen zunächst die trennenden Elemente ihrer Beziehung herausarbeiten, um anschließend auf Basis verbindender Elemente gemeinsame Ziele zu erstellen. Der ‘Neutrale Dritte’ kann dabei auch eine Schiedsrichterrolle einnehmen.187

Auch in der jüngeren Literatur des Veränderungsmanagements mangelt es nicht an der Darstellung eines umfassenden Instrumentariums zur Gestaltung der Veränderungsprozesse. Stellvertretend sei hier die Arbeit von Doppler/Lauterburg (2005, 11. Auflage) genannt, die

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Zum Sensitivity-Training vgl. French/Bell (1982), S. 176-179, Benne et al. (1972), Schein/Bennis (1965), Gebert (1972), Kieser (1995a), S. 110-111. Vgl. Schein (1969), French/Bell (1982) S. 171-174, Kieser (1995a), S. 111-112, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 501. Vgl. Schein (1969). Vgl. Walton (1969), French/Bell (1982), S. 174-176.

38 sich im deutschsprachigen Raum zu einem Standardwerk für Praktiker entwickelt hat.188 Doppler/Lauterburg präsentieren eine ‘Werkstatt’, in der sie Instrumente des Veränderungsmanagements zu Strategieentwicklung, Unternehmensentwicklung, Organisationsdiagnose, Zielvereinbarungen, Moderation, Feedback, Projektmanagement, Umgang mit Widerständen, Gestaltung der Kommunikation, Integration im Rahmen von Fusionen und Akquisitionen, Gestaltung von Workshops, Konfliktmanagement, Teamentwicklung, Unternehmenskultur, Geschäftsprozessoptimierung und Coaching vorstellen.189 Bereits an den Stichworten lässt sich erkennen, dass die meisten ‘neueren’ Instrumente durchaus einen starken Bezug zu den oben dargestellten ‘Interventionsmethoden’ der klassischen Organisationsentwicklung aufweisen bzw. dort ihren Ursprung haben. Es ist die Gestaltungsaufgabe des Veränderungsmanagements, die richtigen Instrumente auszuwählen oder diese zu modifizieren, ggf. neue, spezifische Instrumente für den Veränderungsprozess zu entwickeln sowie deren Einsatz zu planen, zu steuern und zu evaluieren.

2.2 Literaturüberblick – Theoriestränge und aktuelle Ansätze Es existiert eine große Zahl an Veröffentlichungen zum Veränderungsmanagement mit unterschiedlichster Ausrichtung, darunter wissenschaftliche und praxisorientierte Arbeiten, empirische und konzeptionelle Untersuchungen. Die Abgrenzung zu anderen Wissenschaften ist nicht immer klar, insbesondere sind die Übergänge zu Psychologie und Pädagogik fließend. Aus der Vielzahl der Arbeiten sollen im Folgenden besonders exponierte Theoriestränge und Ansätze vorgestellt werden. 2.2.1

Lewin als Ausgangspunkt

Die Arbeiten des Deutsch-Amerikaners Kurt Lewin190 können als Ausgangspunkt der modernen Theorie des Veränderungsmanagements angesehen werden. Wohl auf keinen anderen Autor wird so häufig in der Literatur des Veränderungsmanagements Bezug genommen, obwohl seine Arbeiten bereits aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts stammen. Eine große Verbreitung und hohe Akzeptanz hat das in Kapitel 2.1.8 bereits beschriebene triadische Prozessmodell mit seinen Phasen Unfreezing, Moving und Freezing gefunden, das als Referenzmodell sämtlicher nachfolgenden Phasenmodelle des Veränderungsmanagements gelten kann. Weithin bekannt wurde Lewin durch seine Studien zum Abbau von Widerständen bei der Veränderung von Ernährungsgewohnheiten. Er untersuchte den Abbau der Abscheu von US-

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189

Die Arbeit von Doppler/Lauterburg wird insbesondere in praxisorientierten Veröffentlichungen häufig zitiert. Vgl. Doppler/Lauterburg (2005).

39 Hausfrauen gegen den Verzehr von Innereien. In zwei Gruppen wurden unterschiedliche Ansätze zur Erzeugung einer Verhaltensänderung genutzt. In einer Gruppe erhielten die Hausfrauen Vorträge über Nährwerte und Zubereitungsformen von Innereien, in der anderen Gruppe wurden die Mitglieder stärker aktiviert und sollten selbst ein Programm erarbeiten, mit denen man bei anderen US-Hausfrauen die Abscheu vor diesen Speisen hätte abbauen können. Es zeigte sich, dass die aktivere Gruppe sich selbst umfassender analysierte, die Quellen ihres Ekels ermittelte und sie in gruppendynamischen Prozessen die eigenen Vorurteile abbaute und ihr Verhalten letztlich stärker änderte als die Vergleichsgruppe, die nur ‘Frontalvorträge’ gehört hatte.191 Zudem hat Lewin für Veränderungsprozesse eine ‘Feldtheorie’ entwickelt, die in Analogie zur Physik jeweils widerstrebende ‘Force Fields’ untersucht, welche einerseits zum Veränderungsprozess drängen (driving forces / akzelerierende Kräfte) und andererseits den Veränderungsprozess hemmen (restraining forces / retardierende Kräfte). Bei einem ‘Übergewicht’ retardierender Kräfte kann in diesem Denkansatz kein Veränderungsprozess stattfinden.192 Lewin spielte darüber hinaus auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Verbreitung der Forschungsmethode der ‘Action Research’, bei der neben dem Forschungsinteresse auch das Interesse der erforschten Gruppe/Organisation bedeutsam ist. Der Forscher greift bei dieser Methode in das Geschehen ein, die Grenzen zwischen Forschung und Veränderungsmanagement verwischen. Lewin propagierte diese Methode sehr offensiv: „The research needed for social practice can best be characterized as research for social management or social engineering. It is a type of actionresearch, a comparative research on the conditions and effects of various forms of social action, and research leading to social action. Research that produces nothing but books will not suffice.”193 Lewins Arbeiten stellen die Basis für die im nächsten Kapitel vorgestellte Theorierichtung der Organisationsentwicklung (OE) dar. Er hat sowohl in der OE gebräuchliche Instrumente vorgelegt als auch die wesentlichen wissenschaftlichen Plattformen der OE mit aufgebaut. „Wenn Laboratoriumstraining und Survey-Feedback als die beiden Quellen der OE verstanden werden, dann ist sicherlich Kurt Lewin mit seiner Entwicklung der sozialpsychologischen Feldtheorie der eigentliche Initiator. Sowohl die Laboratoriumsmethode als auch die SurveyFeedback-Verfahren gehen wesentlich auf sein nachhaltiges Interesse an den angewandten Sozialwissenschaften zurück. Lewin spielte eine zentrale Rolle sowohl bei der Gründung der National Training Laboratories (des heutigen NTL-Institute for Applied Behavioral Science)

190 191

192 193

Kurt Lewin emigrierte 1933 in die USA und nahm dort 1940 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Vgl. Lewin (1952), S. 459-473 (Veröffentlichung post mortem), Steinmann/Schreyögg (2005), S. 497-498. Zur Bedeutung Lewins für die Erforschung der Gruppendynamik vgl. auch Kieser (1995a), S. 109-110. Vgl. Lewin (1947a), S. 5-41, Seidenschwarz, S. 45. Lewin (1947b), S. 150.

40 als auch des Research Center for Group Dynamics.“194 Dass Lewin vorrangig als Initiator der Organisationsentwicklung (OE), nicht aber als einer deren Hauptvertreter gilt, liegt wohl ausschließlich an Lewins frühem Tod im Jahre 1947. 2.2.2

Organisationsentwicklung (OE)

2.2.2.1 Charakterisierung der Organisationsentwicklung Die ‘Schule’ der Organisationsentwicklung195 ist durch die starke Verknüpfung von Forschung und Beratung gekennzeichnet. Durch Verwendung der Action Research-Methode werden die Wissenschaftsziele der Forscher und die Gestaltungsziele der erforschten Organisationen hinsichtlich des geplanten Wandels unmittelbar miteinander gekoppelt.196 Weiterhin charakterisiert den Ansatz der OE die Verwendung der in Kapitel 2.1.9.6 beschriebenen Instrumente, die sich auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Zudem werden die Beziehungen zwischen Mitarbeitern, wie auch Intergruppenbeziehungen und kulturelle Aspekte der Organisation bei diesem Ansatz explizit thematisiert. Es ist für die OE charakteristisch, dass zur Organisationsgestaltung systematisch externe Spezialisten hinzugezogen werden, die Organisationsmitglieder aber dennoch stark in die Gestaltung des Veränderungsprozesses eingebunden sind.197 Zudem ist der Ansatz zumeist mit dem normativen Element gekoppelt, dass die OE-Bemühungen gleichermaßen auf die Ziele ‘Leistungsfähigkeit der Organisation’ (Effizienzverbesserung) und ‘Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens’ (Humanität) ausgerichtet sind. Dieser Aspekt ist explizit Bestandteil der OE-Definition der (deutschen) Gesellschaft für Organisationsentwicklung aus dem Jahr 1980.198 French/Bell definieren OE wie folgt: „Im sozialwissenschaftlichen und vielleicht im idealen Sinn des Wortes ist Organisationsentwicklung eine langfristige Bemühung, die Problemlösungs- und Erneuerungsprozesse in einer Organisation zu verbessern, vor allem durch eine wirksamere und auf Zusammenarbeit gegründete Steuerung der Organisationskultur – unter besonderer Berücksichtigung der Kultur formaler Arbeitsteams – durch die Hilfe eines OE-Beraters oder Katalysators und durch Anwendung der Theorie und Technologie der angewandten Sozialwissenschaften unter Einbeziehung von Aktionsforschung.“199 2.2.2.2 Organisationsentwicklung in historischer Perspektive Wesentliche Grundsteine der ‘OE-Schule’ wurden bereits in den 1940er Jahren gelegt. 1945 gründete Kurt Lewin am Massachusetts Institute of Technology (MIT) das ‘Research Center

194 195 196 197

198 199

French/Bell (1982), S. 42. In der angelsächsischen Literatur ist der Begriff ‘Organization Development’ (OD) gebräuchlich. Vgl. Boos et al. (2004), S. 24. Zur Charakterisierung des OE-Ansatzes vgl. auch Kieser (1995a), S. 109-114. Trebesch weist darauf hin, dass es eine Vielzahl von Definitionen der Organisationsentwicklung gibt, die teilweise deutlich voneinander abweichen. Vgl. hierzu Trebesch (1982), S. 37-62. Vgl. Merchel (2005), S. 32. French/Bell (1982), S. 31.

41 for Group Dynamics’. Im Sommer 1947 initiierten Kurt Lewin, Kenneth Benne, Leland Bradford und Ronald Lippitt ein Forschungsprogramm zum Thema Laboratoriumstraining. Aus dieser Arbeit, die vor allem vom Research Center for Group Dynamics getragen wurde, gingen dann die National Training Laboratories for Group Development (NTL) hervor.200 Zu den führenden Mitarbeitern am MIT können neben den o. g. Wissenschaftlern auch Marian Radke, Leon Festinger, Douglas McGregor, John R. P. French jr., Dorwin Cartwright und Morton Deutsch gerechnet werden.201 Ein großer Teil dieser Gruppe wechselte nach Lewins Tod im Jahr 1947 zur University of Michigan, wo sie zusammen mit dem Michigan Survey Research Center das Institute for Social Research (ISR) gründeten.202 Parallel dazu entwickelte sich mit dem Tavistock Institute of Human Relation in London (UK) eine zweite (europäische) Quelle der Organisationsentwicklung.203 Inhaltlich befasste sich die frühe OEForschung vorrangig mit Gruppendynamik, Verhaltens- und Einstellungsveränderungen, Laboratoriumstraining, Survey-Feedback und der Anwendung von Action Research. Anfänglich wurden die Erkenntnisse auch eingesetzt, um politische Ziele zu verfolgen, insbesondere den Abbau rassistischer Einstellungen.204 Besonderes Augenmerk wurde in den 1950er Jahren auf den Transfer der im Laboratorium für kleinere Gruppen gewonnenen Erkenntnisse auf komplexe Organisationen gelegt. 1958/59 begannen Herbert Shepard, Paul Buchanan, Robert Blake und Murray Horwitz, aufbauend auf der Arbeit von Douglas McGregor, mit Experimenten bei Esso Standard Oil zur Anwendung der Laboratoriumsmethode und dem Einsatz von T-Gruppen.205 Auch in den 1960er Jahren wurden weitere Impulse gesetzt, z. B. durch Larry Greiners Arbeit zu Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen bzw. seinem sechsstufigen Phasenmodell für erfolgreiche Veränderungsprozesse206 sowie durch Arbeiten zu den in Kapitel 2.1.9.6 beschriebenen Interventionsmethoden von Richard Beckhard, Robert Blake / Jane Mouton und Edgar Schein.207 Die OE Ansätze wurden insbesondere in den 1970er Jahren weltweit in namhaften Organisationen wie IBM, Polaroid, Texas Instruments, American Airlines oder der NASA angewendet. Die weite Verbreitung des Ansatzes belegen auch die speziellen Graduiertenprogramme im Bereich OE, die von verschiedenen Universitäten wie Harvard, MIT und Yale anboten wurden.208 In den 1970er und 1980er Jahren wurde OE in Deutschland, aufgrund der ‘sozialkulturellen Klimaveränderungen’ in Folge der Studentenbewegung, als Instrument zur Demokratisierung von

200 201 202 203

204 205 206 207 208

Vgl. French/Bell (1982), S. 37-38, Bradford et al. (1972), S. 3 und 81-83. Vgl. French/Bell (1982), S. 41. Vgl. French Bell (1982), S. 41. Vgl. Boos et al. (2004), S. 24, Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 582, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 497. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005) S. 582. Vgl. French/Bell (1982), S. 38-40. Vgl. Greiner (1967), S. 122-129. Siehe Kapitel 2.1.9.6. Vgl. French/Bell (1982), S. 42-45, Schreyögg/Noss (2005), S. 497.

42 Organisationen auf breiter Basis wohlwollend aufgegriffen, wobei das normative Element des Interessenausgleichs zwischen Organisationseffizienz und Humanität des Arbeitslebens herausgestellt wurde.209 Müller-Stewens/Lechner sehen als wichtigen Impuls aus den 1980er Jahren die Entwicklung der ‘systemischen OE’, die wesentlich auf die Psychotherapeutin Selvini Palazzoli (‘Mailänder Schule’) zurückgeführt wird. Hier werden als zentrale Ursachen von Organisationsproblemen ‘Paradoxien’ angesehen, die durch sog. ‘Gegenparadoxien’ gelöst werden sollen. Als Beispiel für ‘Paradoxien’ führen Müller-Stewens/Lechner das notorische Hinausschieben von Entscheidungen in Organisationen (wider besseres Wissen) an, was dadurch kuriert werden soll, dass man die Betroffenen dazu auffordert, dieses Verhalten und damit die daraus erwachsenden Konsequenzen noch zu verstärken (Gegenparadoxie). Hierdurch kann das System die ‘Pathologie’ besser anerkennen und sorgt anschließend - aus sich selbst heraus - für Abhilfe.210 Nach Einschätzung von Seidenschwarz hat sich die OE in jüngerer Zeit verstärkt dem Feld der Veränderung von Organisationskulturen zugewandt (‘cultural change’).211 In den letzten Jahren ist zudem ein weniger normativ geprägtes und an spezifische Instrumente geknüpftes Verständnis von OE stärker in den Vordergrund getreten. So definiert Wimmer Organisationsentwicklung als einen Sammelbegriff „für ein bestimmtes Repertoire an Veränderungsmaßnahmen, auf das Manager wie Berater zurückgreifen können, wenn es in der Praxis um den gezielten Wandel von als dysfunktional erkannten Strukturen und Abläufen in Organisationen geht.“212 2.2.2.3 Kritik an der Organisationsentwicklung Der Organisationsentwicklung wird immer wieder angelastet, ihre theoretische und empirische Fundierung sei zu gering und hinke den Erfahrungen der OE-Praxis hinterher. Weder sei im Rahmen der Organisationsentwicklung eine angemessene Theorie der Veränderung vorgelegt worden, noch sei die Wirksamkeit der OE-Instrumente in organisationalen Veränderungsprozessen ausreichend untersucht worden.213 Als weiterer Kritikpunkt wird angebracht, dass die OE letztlich der Durchsetzung von Veränderungsprozessen diene, die vom Management gewünscht seien. Es sei daher nicht auszuschließen, dass reale Machtverhältnisse unter dem ‘Deckmäntelchen’ des vermeintlichen Interessenausgleichs zwischen Effizienzzielen und Mitarbeiterzielen verschleiert würden. Mitun-

209 210 211 212 213

Vgl. Merchel (2005), S. 33-34. Zur ‘systemischen OE’ vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 584. Vgl. Seidenschwarz (2003), S. 46-47. Wimmer (1998), S. 329. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 584, Seidenschwarz (2003), S. 45, Kubicek et al. (1979), S. 297318, Staehle (1999), S. 588-589.

43 ter sei die OE mit ihren Instrumenten eine Form der Scheinbeteiligung. Es würde dann keine Partizipation angestrebt, sondern eine Manipulation der Mitarbeiter. Auch die eingesetzten externen Berater seien aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit stärker dem Management und dessen Interessen verpflichtet als den übrigen Organisationsmitgliedern.214 In diesem Zusammenhang ist auch das nachfolgende Zitat Staehles zu interpretieren: „Die Managementorientierung hat OE bisweilen den Vorwurf eingetragen, es sei lediglich eine einseitige interessenbezogene, präskriptive Sozialtechnologie.“215 Müller-Stewens/Lechner führen an, dass auch Kritik an der Annahme erhoben wird, dass die Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen überwiegend harmonisierbar seien.216 Steinmann/Schreyögg führen noch weitere Kritikpunkte an. Dadurch, dass die OE stark psychologisch/psychotherapeutisch ausgerichtet sei, würde sie zu einem Feld für Spezialisten. Die Aufgaben des Veränderungsmanagements könnten damit kaum von den internen Führungskräften als ureigene Angelegenheit des Managements wahrgenommen werden, sondern erforderten in großem Umfang externe Experten.217 Außerdem würden, auf Basis eines Verständnisses von Wandel als Episode, Veränderungsprozesse zumeist in Projektform bewältigt (Sonderaufgabe, daher Sekundärorganisation). Hierdurch stünde die Bewältigung des Wandels immer neben der gewöhnlichen Leistungserstellung und sei nicht in die Regelorganisation integriert.218 Von Steinmann/Schreyögg wird aber das Verständnis des Wandels als (seltene) Episode zwischen zwei Gleichgewichtszuständen insgesamt angezweifelt und Veränderung als ein kontinuierlich stattfindendes Phänomen, als Normalzustand angesehen.219 Darüber hinaus wäre OE, so Steinmann/Schreyögg, tendenziell nur auf weniger radikale Wandelprozesse ausgelegt, die zudem in längeren Zeiträumen bewältigt werden könnten. Auf revolutionäre Veränderungsprozesse hingegen, d. h. tiefgreifende Veränderungen, die in kurzer Zeit umgesetzt werden müssen, sei OE nicht ausgerichtet. Organisationen müssten aber auch solche revolutionären Veränderungsprozesse bewältigen können, da diese, so zeigten empirische Untersuchungen, im realen Organisationsgeschehen immer wieder evident würden.220 2.2.3

Organistionstransformation (OT)

Die fehlende Ausrichtung der OE auf revolutionären Wandel leitet zum Konzept der Organisationstransformation/Organizational Transformation (OT) über, das sich mit radikalem Wandel auseinandersetzt.

214

215 216 217 218 219 220

Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 584, Kieser (1995a), S. 114-115, Breisig (1990), S. 336-337, Kappler (1980), S. 218. Staehle (1999), S. 588. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 584. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 503. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 504. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 505. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 504.

44 Die im Rahmen der OT betrachteten Veränderungsprozesse sind prototypische Fälle des in Kapitel 2.1.5 betrachteten Wandels 2. Ordnung, also tiefgreifender Natur. Zudem betrifft der Veränderungsprozess stets die gesamte Organisation und nicht nur kleine, begrenzte Teile davon. OT fordert eine grundlegende Wandlung der Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsmuster, d. h. die Ablösung der alten und Erzeugung neuer Paradigmen. Auslöser der hier betrachteten Veränderung ist primär die sich verändernde Umwelt und die Unzufriedenheit mit den hierauf nicht ausgerichteten bisherigen Managementphilosophien der Organisation. Dabei spielt das Management selbst, durch seine Wahrnehmung der Realität sowie als Quelle neuer Denkmuster und visionärer Entwürfe eine große Rolle; das Management ist der Initiator der Veränderung.221 Eine umfassende Zusammenstellung der Unterschiede zwischen Organisationsentwicklung und Organisationstransformation findet sich bei Seidenschwarz:

221

Vgl. hierzu Staehle, S. 929-931. Dieser bezieht sich dabei v. a. auf Cummings/Huse (1989), S. 418 ff.,

45

Organisationsentwicklung

Organisationstransformation

Ausgangspunkt: Grundsätzliche Zufriedenheit

Ausgangspunkt: Unzufriedenheit mit alten

mit vorhandenen Managementphilosophien

Managementphilosophien und Glaube an die

und Problemlösungsansätzen

Existenz neuer Lösungen

Bestand des herrschenden Paradigmas

Änderung des herrschenden Paradigmas

Beginn mit Problemdiagnose und Lösungssuche Impliziert relativ identische Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen der Beteiligten Zielorientiert Betonung von Werten, Normen und Einstellungen Einigung über Lösungen

Beginn mit einer neuen Vision Impliziert qualitativ unterschiedliche Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen der Beteiligten Zweckorientiert (neue Mission) Betonung von Ideologie, Politik und Technik Ausrichtung von Personen und Systemen an der neuen Mission

Gegenwartsorientiert

Zukunftsorientiert

Kontinuität mit der Vergangenheit

Diskontinuität in Bezug auf die Vergangenheit

Fokus: Teile der Organisation

Fokus: gesamte Organisation

Aus dem gesamten Unternehmen heraus initiierbar Teilweise Expertenunterstützung

Top Management-initiiert Expertenunterstützung unabdingbar (intern und/oder extern)

Tabelle 2: Unterschiede zwischen Organisationsentwicklung und Organisationstransformation222

Seidenschwarz fokussiert in seinen Betrachtungen darauf, dass sich in die OE das Konzept des Business Reengineering einordnen lässt, da hier ein grundlegendes Überdenken und ein radikales Redesign von Organisationen und ihren Geschäftsprozessen vorgenommen wird (Wandel 2. Ordnung).223 Die Gestaltungsoptionen des Veränderungsmanagements ergeben sich in dieser Sichtweise vorrangig aus dem Instrumentatrium des Business Reengineering, das aber an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden soll. Müller-Stewens/Lechner sowie Staehle hingegen betonen stärker, dass OT sich Lernmodelle zu nutze mache, was unmittelbar

222

223

Levy/Merry (1986), S. 33. Quelle: Seidenschwarz (2003), S. 48. Seidenschwarz bezieht sich dabei auf Kilman/Covin (1988), Cummings/Huse (1989), S. 418 ff., Levy/Merry (1986), S. 33; Staehle (1999), S. 931. Vgl. Seidenschwarz (2003), S. 47.

46 zum Kapitel 2.2.4 überleitet, in dem das Verständnis von Wandel als Lernprozess diskutiert wird.224 Abschließend kann festgestellt werden, dass das Konzept der Organisationstransformation nicht annähernd die gleiche ‘Strahlkraft’ auf die wissenschaftliche Diskussion ausgeübt hat, wie das Konzept der Organisationsentwicklung. 2.2.4

Veränderungsmanagement und Lernen

Wesentlichen Antrieb erhält die Diskussion um das Veränderungsmanagement durch die Theorie des organisationalen Lernens. Im Folgenden soll zunächst der Zusammenhang von Veränderung und Lernen aufgezeigt werden. Anschließend wird der Zusammenhang von individuellem und organisationalem Lernen erläutert. Im letzten Schritt werden wichtige Theorien organisationalen Lernens dargestellt. 2.2.4.1 Zusammenhang von Veränderung und Lernen Lernprozesse können erstens als wichtige Bestandteile eines Veränderungsprozesses gesehen werden. In dieser Sicht ist Lernen die Voraussetzung eines dauerhaft stattfindenden organisatorischen Wandels: Geplanter Wandel erfordert Lernen.225 Zweitens kann man organisationales (oder organisatorisches) Lernen selbst als einen Veränderungsprozess auffassen: Lernen ist Veränderung. Dies deckt sich mit den Definitionen von organisatorischem Lernen, die Probst/Büchel vorschlagen: „Unter organisationalem Lernen ist der Prozeß der Erhöhung und Veränderung der organisationlen Wert- und Wissensbasis, die Verbesserung der Problemlösungs- und Handlungskompetenz sowie die Veränderung des gemeinsamen Bezugsrahmens von und für Mitglieder innerhalb der Organisation zu verstehen.“226 Drittens wird teilweise die Umkehrung der Aussage ‘Lernen ist Veränderung’ vertreten, also ‘Veränderung ist Lernen’: „Nach diesem Ansatz [gemeint ist die Theorie des organisationalen Lernens, Anm. d. Verfassers] werden die Entwicklung und der Wandel von Organisationen als fortdauernder Lernprozess verstanden, der von der gesamten Organisation auf allen Ebenen zu leisten ist.“227 Dies ist jedoch insofern zu relativieren, als auch Veränderungen von Organisationen denkbar sind, die nicht mit Lernen gleichzusetzen sind, z. B. natürliche Alterungsprozesse der Organisationsmitglieder, die sich auf die Fähigkeiten der Organisation auswirken,

224 225

226

227

Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 585, Staehle (1999), S. 929. Diese Sichtweise vertreten z. B. Müller-Stewens/Lechner. Vgl. hierzu Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 585. Probst/Büchel (1994), S. 17. Auch die Definition von Kleingarn (1997), S. 54 passt zu diesem Verständnis: „Organisatorisches Lernen ist der kontinuierliche Veränderungsprozeß von Organisationen, der von Individuen, Gruppen und der Organisation als Ganzes getragen wird und diesen auf Basis von selbstorganisatorischen Lernprozessen eine Weiterentwicklung ermöglicht.“ Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 505.

47 aber nicht als Lernen angesehen werden können.228 In allen drei dargelegten Sichtweisen sind Veränderung und Lernen eng miteinander verknüpft. 2.2.4.2 Zusammenhang von individuellem und organisationalem Lernen Der Ausgangspunkt der meisten Betrachtungen des organisationalen Lernens ist das Lernen von Individuen.229 Es ist die Frage zu beantworten, ob organisationales Lernen mit der Summe des Lernens der Individuen einer Organisation identisch ist. Individuelles Lernen soll hier in einer ‘klassisch-behavioristischen’ Form definiert werden:230 „Der wissenschaftliche Begriff des ‘Lernens’ stammt ursprünglich aus einer behavioristischen Forschungstradition, in der er im Rahmen des Stimulus-Response-Schemas (S-R-Paradigma) thematisiert wurde. Aus dieser Sicht wird die Fähigkeit zu lernen als eine Eigenschaft des Individuums angesehen und ein Lernprozess dann unterstellt, wenn ein Individuum auf einen gleichen oder ähnlichen Anstoß (Stimulus) in einer von früherem Verhalten signifikant abweichenden Weise reagiert (Response). Der Prozess selbst ist nicht beobachtbar; das Individuum wird als Black-Box vorausgesetzt“231 Individuen lernen in diesem Sinne nach Probst/Büchel z. B. dadurch, dass sie sich neues Wissen232 aneignen.233 Individuen können dieses Wissen der Organisation übertragen, indem es z. B. mittels elektronischer Speichermedien dokumentiert wird (z. B. Erfahrungswissen über die effiziente Gestaltung eines Prozesses). Das Wissen der Organisation hat sich vergrößert, die Organisation hat gelernt.234 Scheidet das Individuum aus der Organi-

228 229 230

231

232

233

234

Vgl. hierzu Staehle (1999), S. 207. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 17. In Abgrenzung zu behavioristischen Lerntheorien werden weiterhin kognitivistische Lerntheorien, Gedachtnistheorien, sozial-kognitive Lerntheorien, die Handlungsregulationstheorie und subjektive Lerntheorien unterschieden. Einen guten Überblick über individuelle Lerntheorien gibt Olbert-Bock (2002), S. 3743. Zu den kognitivistischen Lerntheorien vgl. Olbert-Bock (2002), S. 38, Felsch (1996), S 69, Rosemeier, 1991, S. 68. Zu den Gedachtnistheorien vgl. Olbert-Bock (2002), S. 38-39, Faulstich (1999), S. 29, zur sozial-kognitiven Lerntheorie vgl. vor allem Bandura (1977) sowie Faulstich/Zeuner (1999), S. 26, OlbertBock (2002), S. 39-40. Zur subjektiven Lerntheorie vgl. Holzkamp (1993), S. 184-191, Arnold/Schüßler (1998), S. 77, Faulstich/Zeuner (1999), S. 29, Faulstich (1999), S. 32, Olbert-Bock (2002), S. 41-43. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 506. Steinmann/Schreyögg berufen sich dabei auf Watson (1930) und Skinner (1938). Probst/Büchel verstehen unter Wissen kognitive Muster, die auch als ‘Schema‘, ‘geistiger Plan’ oder ‘kognitive Karte’ bezeichnet würden. Die Charakterisierung wird deutlicher durch die Unterscheidung des Wissens in vier Formen, die Probst/Büchel in Anlehnung an Sackmann (1991 und 1992) vornehmen: 1. Wörterbuchwissen, 2. Beziehungswissen, 3. Rezept- oder Vorschriftenwissen und 4. Normenwissen. Vgl. hierzu Probst/Büchel (1994), S. 24-25. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass es in der Literatur eine umfassende Diskussion zur Abgrenzung von Begriffen gibt, die die ‘Könnenskomponente’ betreffen, wie Qualifikation, Kompetenz, Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse usw. Vgl. hierzu Erpenbeck/von Rosenstiel (2003), S. IX-XXV, Olbert-Bock (2002), S.74-76, Staehle (1999), S. 179-182, Enggruber/Bleck (2005), S. 6-14, Kasper et al. (2005), S. 260-261. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 18. Nach Probst/Büchel ist Lernen jedoch nicht mit Aneignung von Wissen gleichzusetzen. Lernen ist vielmehr „[…] eine Funktion – der Erkenntnismöglichkeiten im Sinne von kognitiven Kategorien, - der Intelligenz, - der Erfahrung im Sinne von sozial vermitteltem Wissen und eingelagerten Fähigkeiten sowie – der historisch gewachsenen und situativ unterschiedlichen Bedürfnis- und Motivlage.“ Zitat entnommen: Probst/Büchel (1994), S. 20 (Die Spiegelstriche kennzeichnen im Original eine durch Absätze getrennte Aufzählung.) Die Aneignung von Wissen ist also eine Komponente von Lernen. Vgl. hierzu die Definition von organisationalem Lernen in Kapitel 2.2.4.1.

48 sation aus, verbleibt dieses Wissen dennoch in der Organisation und das organisationale Wissen ist größer als das individuelle Wissen. In diesem Fall war aber das individuelle Lernen Vorraussetzung für das organisationale Lernen. Andererseits kann sich ein Individuum Wissen aneignen, dieses aber nicht der Organisation zur Verfügung stellen (es hält sein Wissen z. B. zurück, um es später selbständig zu vermarkten). Hier lernt zwar das Individuum, die Organisation aber nicht. Somit kann eine Organisation über mehr, aber auch über weniger Wissen als die Summe seiner Individuen verfügen.235 Versteht man Organisationen als soziale Systeme, sind zudem die Interaktionen der Organisationsmitglieder für den Prozess des Lernens relevant. Die Organisation ist also nicht nur durch die Mitglieder gekennzeichnet, sondern auch durch deren Beziehungen untereinander. In diesem Sinne ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Individuen können lernen, ohne dass das zwangsläufig zu einer Verbesserung für die Gesamtorganisation führt. Somit ist zusammenfassend festzuhalten, dass organisationales Lernen eine eigene Größe darstellt, die vom individuellen Lernen abweichen kann, nicht aber davon unbeeinflusst ist. „Organisationales Lernen erfolgt über Individuen und deren Interaktionen, die ein verändertes Ganzes mit eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften schaffen. Das Lernen eines sozialen Systems ist also nicht mit der Summe der individuellen Lernprozesse und Ergebnisse gleichzusetzen, auch wenn diese Voraussetzung und wichtige Basis für institutionelles Lernen sind.“236 2.2.4.3 Theorien organisationalen Lernens Im Folgenden werden als exponierte Theorien organisationalen Lernens einerseits der Ansatz von March und Olsen sowie andererseits die stärker systemtheoretisch geprägte Sicht von Argyris/Schön vorgestellt. Zu den frühesten und wohl prominentesten Ansätzen, Lernen auf die Ebene von Organisationen zu übertragen gehört das Lernprozessmodell nach March/Olsen.237 Auch hier sind die Individuen mit ihrer Wahrnehmung und ihren Zielvorstellungen der Ausgangspunkt der Betrachtung.238 „Wenn sie Diskrepanzen zwischen aktuell bestehenden und erwünschten Umweltzuständen feststellen, entstehen (1) individuelle Handlungsentwürfe, die zu (2) organistorischen Handlungen (Entscheidungen) führen. In der Konsequenz übt damit die Organisation in einer bestimmten Weise auf die Umwelt (3) Einfluss aus (Stimulus); worauf die Umwelt ihrerseits in neuer veränderter Weise reagiert (Response). Mit der (4) Perzeption und Interpretation der Umweltreaktionen durch die Organisationsmitglieder und die anfällige Diagnose einer Diskrepanz entsteht ein neuer Lernzyklus.“239

235 236 237 238 239

Vgl. zu diesem Gedankengang Probst/Büchel (1994), S. 18. Probst/Büchel (1994), S. 19. Vgl. hierzu auch Antal (1992). Zum Modell von March/Olsen vgl. March/Olsen (1979). Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 506. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 506.

49

Individuelle Handlungen bzw. Partizipation von Individuen in Entscheidungssituationen

1

Individuelle Kognitionen und Präferenzen

2

4

Organisatorische Handlungen: „Entscheidungen“ bzw. „Resultate“

3

Handlungen der Umwelt bzw. „Reaktionen“

Abbildung 4: Der ideale organisatorische Entscheidungs- bzw. Lernzyklus nach March/Olsen240

Steinmann/Schreyögg

bezeichnen

das

Konzept

von

March/Olsen

als

„adaptiv-

erfahrungsbasiertes Lernen“241, da die Organisationsmitglieder versuchen, auf der Basis der vergangenheitsbezogenen Erfahrungen aus den Umweltreaktionen solche Handlungsentwürfe zu generieren, die der jeweiligen Situation immer besser angepasst sind.242 Der beschriebene Lernzyklus kann z. B. dadurch gestört werden, dass die Umweltsignale für die Individuen mehrdeutig interpretierbar sind oder Handlungsimpulse der Individuen nicht in organisatorisches Handeln umgesetzt werden.243 Steinmann/Schreyögg kritisieren an diesem Ansatz, dass er, da er auf einem deterministischen Stimulus-Response-Mechanismus basiere, die Organisation trivialisiere, damit konzeptionell zu eng und unbefriedigend sei.244 Eine stärker systemtheoretisch orientierte Sicht organisationalen Lernens nehmen Argyris/ Schön ein. Kern ihrer Betrachtungen sind die sog. ‘theories of action’245 (Handlungstheorien), die einen Speicher organisationalen Wissens darstellen. Mit diesen ‘theories of action’ werden die Erwartungen über Konsequenzen gebildet, die bestimmte Verhaltensweisen unter spezifischen Bedingungen zur Folge haben.246 „Handlungstheorien, denen Leitbilder, Strategien, Ziele, Kultur, Strukturen sowie Machtverhältnisse zugrunde liegen, bilden den Bezugs-

240 241 242 243 244 245

Quelle: March/Olsen (1979), S. 13, in der modifizierten Form von Steinmann/Schreyögg (2005), S. 507. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 507. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 507. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 507. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 507. Vgl. Argyris/Schön (1978).

50 rahmen der Organisation. Dieser Bezugsrahmen bestimmt das Bild, welches sich die Öffentlichkeit und die Mitarbeiter vom Unternehmen machen. Damit ist diese Theorie formeller oder auch informeller Ausdruck des Unternehmenszwecks in wirtschaftlicher, politischer, sozialer, oder ökologischer Hinsicht.“247 Probst/Büchel führen zur Erläuterung des Begriffs Handlungstheorien weiter aus: „Der Begriff Handlungstheorie rührt daher, daß es sich hier um eine Theorie handelt, an der Organisationen oder Individuen ihr Handeln ausrichten.“248 Damit diese Theorien jedoch für Organisationen Gültigkeit haben, muss ein breiter Konsens der Organisationsmitglieder über deren Inhalte gefunden werden. Die Konstruktion eines Organisationsbildes erfolgt über die Auseinandersetzung der Organisationsmitglieder mit Informationen und Meinungen. Hierdurch entsteht ein Bezugsrahmen, innerhalb dessen die Entwicklung der Individuen erfolgt. Dieser Bezugsrahmen ist für das Individuum transparent und es finden individuelle Lernprozesse statt, die mit der Gesamtorganisation vereinbar sind.249 Damit entstehen Handlungstheorien aus dem System selbst heraus. „Diese Theorien sind, so kann man es in der Begrifflichkeit der neueren Systemtheorie interpretieren, vom System selbstreferenziell erzeugte Handlungs- und Erwartungsmuster.“250 Argyris/Schön differenzieren zwischen ‘espoused theories’ (offizielle Handlungstheorien) und ‘theories-in-use’ (Gebrauchstheorien).251 ‘Espoused Theories’ bilden den (offiziellen) Rahmen der Organisation, der von den Mitgliedern geteilt wird. Sie werden von den Organisationsmitgliedern zur offiziellen Begründung ihrer Handlungen herangezogen.252 ‘Theories-in-use’ hingegen sind jene Handlungstheorien, die dem Handeln - oft unbewusst – tatsächlich zu Grunde liegen.253 Die ‘theories-in-use’ vereinen die gelebten Werte, sind dem Einzelnen oft gar nicht bewusst und werden nicht offen diskutiert.254 „Sie sind vielmehr das Resultat der Wechselbeziehungen zwischen individuellen und kollektiv geteilten Erfahrungen.“255 Organisationale Lernprozesse treten dann ein, wenn die Handlungsergebnisse einer Organisation nicht mit ihren Handlungserwartungen übereinstimmen bzw. wenn die ‘espoused theories’ von den ‘theories-in-use’ abweichen und dies zu Diskussionsprozessen führt.256 Ebenfalls auf Argyris/Schön kann die Einteilung in die drei Lernebenen ‘Single-LoopLearning’, ‘Double-Loop-Learning’ und ‘Deutero-Learning’ zurückgeführt werden.257 Das

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251 252 253 254 255 256 257

Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 22. Probst/Büchel (1994), S. 22. Probst/Büchel (1994), S. 23. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 23. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 509. Steinmann/Schreyögg beziehen sich dabei auf Luhmann (1973 und 1984). Vgl. Argyris/Schön (1978). Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 23. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 509. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 24. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 24. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 24. Vgl. Steinmann/Schreyögg, S. 510. Zu Single- und Double-Loop Learning vgl. Auch Stacey (1993a), S. 80-83.

51 ‘Single-Loop-Learning’ nutzt die Idee des Regelkreises. Ein Sollzustand wird festgelegt und Abweichungen des Istzustands hiervon registriert. Das Lernen besteht darin, durch Korrekturen der ‘theories-in-use’ (ohne deren Grundorientierung aufzugeben) und den damit verbundenen Veränderungen der Handlungen, den Ist- an den Sollzustand heranzuführen. Hierbei werden die bestehenden Handlungstheorien in ihrer grundlegenden Ausrichtung aber bestätigt und nur in Details verbessert.258 Im Gegensatz dazu werden beim ‘Double-Loop-Learning’ auch die grundsätzlichen Führungsgrößen in Frage gestellt. Die Handlungstheorien haben sich als grundlegend problematisch erwiesen und müssen in weiten Teilen verändert oder ersetzt werden. Um im Bild des Regelkreises zu bleiben, werden hier auch die Sollgrößen auf den Prüfstand gestellt. In diesem Prozess kann es in einer Organisation zu erheblichen Konflikten kommen, bis sich aus verschiedenen neuen individuellen Handlungstheorien letztlich in einem Konsens oder auch durch Überstimmung einzelner Akteure, allgemein akzeptierte neue Handlungstheorien auf Ebene der Organisation bilden.259 Auf der dritten Ebene des Lernens, dem ‘Deutero-Learning’, findet ein ‘Lernen des Lernens’, also Lernen auf einer MetaEbene statt, bei dem Wissen über vorangegangene Lernprozesse gespeichert und verarbeitet wird. Hier werden Lernerfolge und –misserfolge reflektiert, das Lernen wird zum Gegenstand der Lernprozesse.260 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Lerntheorien einen erheblichen Einfluss auf die Diskussion des Veränderungsmanagements ausgeübt haben. Diese Entwicklung hält bis heute an. 2.2.5

Kotters acht Kardinalfehler

Wohl kein anderer Ansatz des Veränderungsmanagements hat seit Mitte der 1990er Jahre eine so hohe Resonanz hervorgerufen wie das acht-Stufen-Modell von John P. Kotter. 1995 veröffentlichte Kotter in der Harvard Business Review einen Artikel mit dem Titel „Leading Change: Why Transformation Efforts Fail“261, der insbesondere bei Praktikern eine große Aufmerksamkeit erfuhr.262 Das nachfolgende Buch Kotters mit dem Titel „Leading Change“263, in dem die Inhalte des Artikels ausführlicher dargestellt wurden, entwickelte sich zum Bestseller und wurde zum ‘management book of the year in 1996’ gekürt.264 Artikel und Buch stellen dabei keineswegs die Ergebnisse einer systematischen, durch wissenschaftliche

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Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 35, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 510. Vgl. Probst/Büchel (1994), S. 36-37, Steinmann/Schreyögg (2005), S. 510-511. Vgl. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 511-512. Probst/Büchel (1994), S. 37-39 sprechen hier von Prozesslernen. Kotter (1995a). Zeitgleich erschien eine von Diekhoff ins Deutsche übersetzte Version im Harvard Business Manager unter dem Titel „Acht Kardinalfehler bei der Transformation“; Kotter (1995b). Vgl. Endres (2006), S. 40. Kotter (1996). Ein Jahr später erschien die Deutsche Übersetzung mit dem Titel „Chaos, Wandel, Führung – Leading Change“; Kotter (1997). Vgl. Endres (2006), S. 40.

52 Methoden abgesicherten Arbeit dar, sondern beschreiben die persönlichen Erfahrungen Kotters, die dieser innerhalb von zehn Jahren in über 100 Unternehmen gesammelt hat. Dennoch sind diese Veröffentlichungen Kotters in akademischen Lehrbüchern und Publikationen mit wissenschaftlichem Anspruch vielfach beachtet worden.265 Als Ursache hierfür kann erstens die wissenschaftliche Reputation gesehen werden, die sich Kotter als Professor of Leadership an der Harvard Business School durch andere Arbeiten erworben hat, die wohl sicherlich eine wichtige (wenn auch eine implizite) Basis für Kotters Einschätzungen in ‘Leading Change’ waren.266 Ein zweiter Erfolgsfaktor kann in der plastischen und pointierten Sprache gesehen werden, in der wichtige Aspekte des Veränderungsmanagements mittels einer ganzen Reihe von Anekdoten dargelegt werden. Ein dritter Grund für die große Resonanz liegt aber gewiss darin, dass die Ausführungen Kotters sich mit den Beobachtungen und Erfahrungen von Praktikern und mit den Forschungsergebnissen anderer Wissenschaftler in außergewöhnlich hohem Maße decken. „Wie viele andere Transformationskonzepte besteht es lediglich aus der Aufzählung der Schritte, die nach Ansicht des Verfassers zu unternehmen sind, um den Wandel zu bewerkstelligen. Bei Kotter (1996: 21) sind es acht. Wir haben dieses Konzept auch deshalb als Beispiel herausgegriffen, weil es unserer Auffassung von einem angemessenen Vorgehen sehr nahe kommt.“267 Kotter beschreibt acht Phasen, die durchlaufen werden müssen, um einen erfolgreichen Veränderungsprozess zu gewährleisten. Diese Phasen verdeutlicht Kotter anhand von acht „Kardinalfehlern“, die in Veränderungsprozessen begangen werden können. Diese acht Phasen bzw. acht „Kardinalfehler“ sollen im Folgenden kurz dargelegt werden. (1) Kein ausreichendes Gespür für die Dringlichkeit: Die Menschen in einer Organisation finden insbesondere dann Einsicht in die Notwendigkeit einer Veränderung, wenn diese als unausweichlich eingeschätzt oder wenn das Verharren im Status Quo als gefährlicher angesehen wird als die mit Ungewissheit behaftete Veränderung. Hier sind nach Kotter Führungskräfte gefordert, die diese Dringlichkeit vermitteln und die Mitarbeiter aus ihrer Bequemlichkeit aufschrecken können. Kotter unterscheidet zwischen Managern einerseits, deren Mandat gewöhnlich auf Risikominimierung und Bewahrung des gegebenen Systems beschränkt sei und Führungskräften andererseits, mit einer ausgeprägten Persönlichkeit, die eine Veränderung tatsächlich ‘anführen’ können. Wenn die Dringlichkeit nicht deutlich herausgestellt werden kann, gerät der Verände-

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266 267

Vgl. z. B. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 582, Bungard (2005), S. 29-30, Seidenschwarz (2003), S. 12, Anderson/Ackerman-Anderson (2001), S. 163, Krüger (2000a), S. 56-57, Weber/Schäffer (2000), S. 76. Vgl. hierzu auch Endres (2006), S. 40. Kieser/Hegele (1998), S. 114.

53 rungsprozess bereits hier in ernsthafte Gefahr. Ziel der ersten Phase ist es somit, ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Wandels zu schaffen.268 (2) Fehlen einer mächtigen Koalition der Erneuerer: Tiefgreifende Veränderungen scheitern, wenn die Unterstützung der obersten Führung sowie weiterer einflussreicher Organisationsmitglieder ausbleibt. Die Anzahl der Koalitionäre für die Veränderung muss im Zeitablauf anwachsen und auch Mitarbeiter unterhalb des Topmanagements einschließen. Den Kern der Koalition sollten nach Ansicht Kotters aber immer Topmanager bilden. Eine Koalition, die z. B. von einem nachrangigen Stabsmanager angeführt wird, verfügt nicht über den Einfluss, die für die Durchsetzung des Wandels notwendig ist. Auch hier sind wiederum die Führungspersönlichkeiten gefordert, die es schaffen, eine ausreichend mächtige Koalition zu ‘schmieden’, ohne die ein Veränderungsprozess früher oder später zum Erliegen kommt. Als Ziel der zweiten Phase kann also die Schaffung einer Koalition für die Veränderung gesehen werden, die über die notwendige Macht zur Durchsetzung des Wandels verfügt.269 (3) Es wird versäumt, eine Vision zu entwerfen: In organisationalen Veränderungsprozessen wollen die Mitarbeiter vor allem wissen, ‘wo das alles hinführen soll’, d. h. in welche Richtung sich die Organisation bewegt und wo der Endpunkt (zumindest der vorläufige) der Bewegung liegen soll. Die Führungskoalition muss ein Bild von der Zukunft zeichnen, das die Mitarbeiter verstehen und das sie anspricht. Ohne ein solches Zukunftsbild, eine Vision, kann es zudem leicht zu unvereinbaren Einzelinitiativen kommen, denen die gemeinsame Ausrichtung fehlt. Eine Vision sollte, so Kotter, einem Mitarbeiter in höchstens fünf Minuten begreiflich gemacht werden können und eine Reaktion hervorrufen, die Verständnis und Interesse erkennen lässt. Eine verständliche Vision ist die Voraussetzung für eine zielgerichtete, koordinierte Veränderung der Organisation. Daher kann die Erarbeitung einer geeigneten Vision als Ziel von Phase drei bezeichnet werden.270 (4) Unzulängliche Vermittlung der Vision: Die Mitarbeiter können die Vision nur verstehen und für den Veränderungsprozess gewonnen werden, wenn diese in ausreichendem Maße kommuniziert wird. Kotter weist darauf hin, dass die Kommunikationsaufgabe in der Praxis häufig deutlich unterschätzt und vernachlässigt wird. Zur Kommunikation der Vision sollten alle Kommunikationskanäle genutzt werden. Besonderes Augenmerk ist aber auf das Handeln der Führungskräfte und der davon ausgehenden Kommunikationswirkung zu legen. Das Handeln der Führungskräfte muss mit den Botschaften der offiziellen Kommunikation des Veränderungsprozesses ver-

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Zur ersten Phase vgl. Kotter (1995a), S. 60-62 Zur zweiten Phase vgl. Kotter (1995a), S. 61-63. Zu Phase drei vgl. Kotter (1995a); S. 61 und 63.

54 einbar sein, um Glaubwürdigkeit zu erzeugen. „Kommunikation vollzieht sich in Worten und Taten, und die letzteren überzeugen oft stärker. Deshalb wird das Erneuerungsbestreben auch durch nichts mehr untergraben als ein Verhalten von wichtigen Personen, das sich mit ihren Äußerungen nicht verträgt.“271 Es ist daher primäres Ziel der vierten Phase, die Vision in Wort und Tat verständlich und glaubhaft zu kommunizieren.272 (5) Entgegenstehende Hürden werden nicht weggeräumt: Veränderungsprozesse stellen einen ausgesprochen ‘steinigen Weg’ dar. Auch wenn Mitarbeiter mit gutem Willen versuchen, die Vision umzusetzen, gibt es Hindernisse, die für den einzelnen nur schwer aus dem Weg zu räumen sind. „Allzuoft begreift jemand zwar die neue Vision und will dazu beitragen, sie zu verwirklichen. Doch dann erscheint ein Elefant und verstellt ihm den Weg.“273 Diese Barrieren existieren teilweise in den ‘Köpfen der Mitarbeiter’274, teilweise sind sie sehr ‘handfest’ und resultieren z. B. aus den Befugnissen, die einem Mitarbeiter zugeordnet wurden. Hindernisse können auch in personifizierter Form auftreten, als Mitarbeiter oder im schlimmsten Fall als Führungskräfte, die den Prozess nicht mittragen. In diesem Fall empfiehlt Kotter einen fairen Umgang mit ‘Blockierern’, aber ebenso deutlich fordert er, dass auch hier gehandelt werden sollte. Ziel der fünften Phase ist es, dass die auftauchenden Hürden unter Beteiligung der Führungspersönlichkeiten rechtzeitig erkannt und aus dem Weg geräumt werden.275 (6) Kurzfristige Erfolge werden nicht systematisch vorbereitet: Tiefgreifende Veränderungsprozesse benötigen in der Regel Zeit. Mitarbeiter wollen sich aber nicht jahrelang an einem aufwändigen Prozess beteiligen, ohne Beweise für die Wirksamkeit zu haben. Daher sind kurzfristig vorzeigbare Erfolge von erheblicher Bedeutung für einen Veränderungsprozess und sollten möglichst systematisch angestrebt und erarbeitet werden. Die erzielten Veränderungen sind für die Mitarbeiter spürbar zu machen. „Bei einer erfolgreichen Transformation suchen die Manager tatkräftig nach Wegen zum Erreichen klarer Leistungssteigerungen, setzen in der Jahresplanung klare Ziele, erfüllen ihre Zielvorgaben und belohnen die beteiligten Leute mit Belobigungen, Beför-

271 272

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275

Kotter (1995b), S. 25. Zur Phase fünf vgl. Kotter (1995a), S. 63-64. Ähnlich auch Claßen (2005), S. 72-73. Zur Kommunikation in Veränderungsprozessen vgl. außerdem Dutfield/Eling (1994a), S. 76-94. Kotter (1995b), S. 25. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Führungskraft, dem Mitarbeiter zu vermitteln, dass keine externe Kraft ihn daran hindert, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Vgl. hierzu auch Kegan/Lahey (2002), S. 89. Vgl. zur fünften Phase Kotter (1995a), S. 64-65.

55 derung und auch mit Geldprämien.“276 Das Aufspüren, Realisieren und Kommunizieren kurzfristiger Erfolge ist somit das Ziel von Phase sechs.277 (7) Siegesfeiern werden zu früh angesetzt: Oft wird bei Eintritt der ersten Erfolge der Veränderungsprozesses in toto für bewältigt erklärt. „Gewiß ist nichts dagegen einzuwenden, einen Erfolg auch zu feiern. Doch den ganzen Feldzug vorschnell als gewonnen anzusehen, kann sich katastrophal auswirken.“278 Kotter geht davon aus, dass es fünf bis zehn Jahre dauern kann, bis sich Veränderungen in der Organisationskultur tief eingeprägt und durchgesetzt haben. Bis dahin sind sie unstabil und es können ‘Rückfälle’ in altgewohnte Verhaltensweisen nicht ausgeschlossen werden. Ein Nachlassen der Anstrengungen ist daher verfehlt, vielmehr empfiehlt Kotter, die Bemühungen auf weitere Problemfelder auszuweiten. Die erreichten Verbesserungen zu stabilisieren und auszubauen ist daher Ziel der siebten Phase.279 (8) Keine Verankerung des Neuen in der Unternehmenskultur: Die erzielten Veränderungen müssen fest in der Organisation verwurzelt werden und mit den sozialen Normen und gemeinsamen Wertvorstellungen der Organisationsmitglieder übereinstimmen. Bei nachlassendem Veränderungsdruck kann es immer noch passieren, dass die Neuerungen ausgesetzt, ‘verwässert’ oder verächtlich gemacht werden. Daher ist den Organisationsmitgliedern dauerhaft vor Augen zu führen, welche positiven Auswirkungen die neuen Ansätze haben. Außerdem ist der Erfolg auf lange Sicht dadurch zu sichern, dass nachfolgende Generationen von Topmanagern so ausgewählt werden, dass sie den Veränderungsprozess mittragen. Die Neuerungen in der Organisation fest zu verankern ist daher das Ziel der achten und letzten Phase.280 Kotter geht davon aus, dass keine der beschriebenen Phasen übersprungen werden kann. Fehler in jeder einzelnen Phase können sich auf den Veränderungsprozess massiv auswirken und ihn zum Erliegen bringen.281 Kotter weist selbst darauf hin, dass die benannten Fehler keine erschöpfende Auflistung der möglichen Unterlassungen in Veränderungsprozessen darstellen und eine vereinfachende Betrachtung vorgenommen wurde. Er geht aber davon aus, dass die acht benannten ‘Kardinalfehler’ die schwerwiegendsten Auswirkungen auf die Transformation haben.282

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Kotter (1995b), S. 26. Vgl. zu Phase sechs auch Kotter (1995a), S. 65-66. Vgl. Kotter (1995b), S. 27. Vgl. zu Phase sieben auch Kotter (1995a), S. 66-67. Vgl. zur achten Phase Kotter (1995a), S. 67. Vgl. Kotter (1995b), S. 21. Vgl. Kotter (1995b), S. 28.

56 2.2.6

Krügers 3W-Modell

Als Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojektes des Lehrstuhls für Organisation, Unternehmensführung und Personalwirtschaft der Justus Liebig-Universität Gießen hat Wilfried Krüger im Jahr 2000 zusammen mit sechs Co-Autoren sein ‘3W-Modell’ des Wandels vorgestellt.283 Dieses Modell ist aus Sicht Krügers „ein Beschreibungs- und Erklärungsmuster für die Theorie des Wandels und ein Bezugsrahmen für das Management des Wandels.“284 Der Ansatz hat vor allem im deutschsprachigen Raum in kurzer Zeit große Aufmerksamkeit erfahren und Eingang in eine Vielzahl von Arbeiten anderer Autoren gefunden.285 Der Erfolg des Modells ist vor allem durch die vielschichtige, umfassende und integrative Betrachtung verschiedenster Aspekte des Veränderungsmanagements zu erklären und durch die Einordnung dieser Aspekte des Veränderungsmanagements in den Gesamtkontext der Unternehmensführung. „Krüger gibt in seinem Sammelband, dem ein durchgängiges Phasenkonzept des Wandels zugrunde liegt, eine in sich konsistente modulare Darstellung, in der die einzelnen Facetten (Programme, Prozesse, Rolle des Top Managements, Organisation, Mitarbeiter, Kommunikation, Systeme, Controlling) im Gesamtzusammenhang erläutert werden. Der interdisziplinäre Charakter des Wandels in Unternehmen wird deutlich.“286 Der Ansatz Krügers wird im Folgenden skizzenhaft dargestellt. Als Grundannahme wird im Ansatz Krügers vorausgeschickt, dass Wandel für Führungskräfte eine Daueraufgabe darstellt, die nicht nur hin und wieder anfällt, sondern dass neben dem ‘Tagesgeschäft’ auch permanent ein ‘Wandlungsgeschäft’ zu bewältigen ist.287 Das Modell besteht im Kern zum einen aus den drei Kategorien Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit (3W), als „[…] gedanklichen Koordinaten, zwischen denen sich das Wandlungsmanagement bewegen muß.“288 Zum anderen gehören zum Modell acht Komponenten des Wandlungsmanagements:289

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Wandlungsprozesse

ƒ

Strategien

ƒ

Topmanagement

ƒ

Organisation

ƒ

Einstellungen und Verhalten

Vgl. Krüger (2000b), S. 7. Krüger (2000c), S. 17. Vgl. z. B. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 582, Brosch/Weiber (2005), S. 87-89, Brettel et al. (2005), S. 105. Seidenschwarz (2003) nutzt Krügers Ansatz für seine Arbeit mehrfach. Vgl. hierzu Seidenschwarz (2003), S. 20, 22, 45 und 78-79. Der breiten studentischen Leserschaft ist Krügers Ansatz vor allem durch einen Artikel in der vorrangig an Studenten gerichteten Zeitschrift WISU – DAS WIRTSCHAFTSSTUDIUM (Juni 2005) bekannt geworden. Vgl. Krüger/Petry (2005), S. 758-760. Seidenschwarz (2003), S. 45. Vgl. Krüger (2000c), 17-18. Krüger (2000c), S. 19. Eine Zusammenfassung des 3W-Modells findet sich bei Krüger et al. (2006), S. 156-162. Vgl. Krüger (2000c), S. 23.

57 ƒ

Kommunikation

ƒ

Systeme

ƒ

Controlling

Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit stellen die Voraussetzung dafür dar, dass Wandel stattfinden kann. Das Veränderungsmanagement muss im Rahmen der Gestaltung der acht Komponenten den festgestellten Wandlungsbedarf decken (also z. B. richtige Richtung und Umfang der Veränderung sicherstellen), die Wandlungsbereitschaft sicherstellen (und dabei berücksichtigen, in welchem Umfang sie bereits vorhanden bzw. nicht vorhanden ist) und die Wandlungsfähigkeit der Organisation und der Mitglieder gewährleisten. Der Zusammenhang der Bestandteile des Modells wird durch nachstehende Abbildung Krügers veranschaulicht: Wandlungsbereitschaft

Strategien Topmanagement Wandlungsbedarf

Organisation

Wandlungsprozesse

Einstellung/ Verhalten Strategische Erneuerung

Kommunikation Systeme Controlling

Wandlungsfähigkeit

Abbildung 5: Das 3W-Modell nach Krüger290

Nachfolgend werden die ‘3W’ Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit erläutert: (1) Wandlungsbedarf: Hierunter ist das Ausmaß der notwendigen Veränderung zu verstehen, die das Unternehmen und seine Teilbereiche zu vollführen haben, aber auch deren externe Kopplung mit marktlichen und außermarktlichen Anspruchsgruppen betrifft. Dabei ist nicht nur der ‘sachlich notwendige’, sondern auch der ‘subjektiv wahrgenommene’ Wandlungsbedarf relevant.291 Krüger weist darauf hin, dass die Bestimmung des Wandlungsbedarfs durchaus von subjektivem Kenntnisstand, individuellen

290 291

Quelle: Krüger (2000c), S. 18. Vgl. Krüger (2000c), S. 19.

58 Interessenlagen und gegenseitiger Beeinflussung bzw. Machtverhältnissen überlagert sein kann.292 (2) Wandlungsbereitschaft: Wenn ein Bedarf zur Wandlung vorhanden ist, so heißt das noch keineswegs, dass auch automatisch eine entsprechende Bereitschaft zur Veränderung in der Organisation vorhanden ist. Unter Wandlungsbereitschaft „[..] sind die Einstellungen und das Verhalten der am Wandlungsprozess beteiligten bzw. von ihm betroffenen Personen und Organisationseinheiten gegenüber den Zielen und Maßnahmen des Wandels zu verstehen.“293 (3) Wandlungsfähigkeit: Eine Organisation und seine Mitglieder muss nicht nur willens, sondern auch in der Lage sein, sich zu verändern. „Die Wandlungsfähigkeit bezeichnet die auf geeignetem Wissen und Können beruhende Möglichkeit eines einzelnen bzw. einer Organisationseinheit oder der Unternehmung insgesamt, Wandlungsprozesse erfolgreich durchzuführen.“294 Krüger geht von einer engen Wechselwirkung zwischen Fähigkeiten einer höheren Ebene (z. B. Unternehmen) und Individuen aus, ohne dies gleichzusetzen. Die Fähigkeiten auf höherer Ebene entstehen durch die Integration der Fähigkeiten der Individuen, andererseits schafft die Organisation die Bedingungen für individuelles Lernen.295 Die Entfaltung der Wandlungsfähigkeit der Individuen ist aber abhängig von einer innovations- und wandlungsorientierten Strategie und Kultur sowie einer auf Flexibilität ausgerichteten Primärorganisation, die ergänzende, die Wandlung unterstützende Bausteine einer Sekundärorganisation zulässt.296 Die acht Komponenten des Wandlungsmanagements sind die Ansatzpunkte für die Gestaltung der Veränderungsprozesse. In diesen acht Bereichen müssen die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtigen Maßnahmen und Instrumente umgesetzt werden, um die ‘3W’ sicherzustellen. Die acht Komponenten werden im Folgenden beschrieben: (1) Wandlungsprozesse: Im Ansatz Krügers wird Wandel als Prozess verstanden, der auf drei verschiedenen Ebenen betrachtet wird. Erstens findet Wandel im Rahmen des Prozesses der Unternehmensentwicklung statt (Makroprozessebene). Hierunter sind die Lebensstadien einer Unternehmung zu verstehen (z. B. Pionierstadium, Markterschließung, Programmerweiterung, Internationalisierung, Globalisierung).297 Zweitens wird der Wandel innerhalb der sog. Transformationsprozesse (Mesoprozessebene) betrachtet. Hierunter sind die Übergänge zwischen den Lebensstadien zu verstehen. Im

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296 297

Vgl. Krüger (2000c), S. 20. Krüger (2000c), S. 20. Krüger (2000c), S. 21. Vgl. Krüger (2000c), S. 21. Dieser Gedankengang korrespondiert mit den unter Kapitel 2.2.4.2 ausgeführten Gedanken zum Zusammenhang zwischen individuellem und organisationalem Lernen. Vgl. Krüger (2000c), S. 22. Vgl. Krüger (2000a), S. 50.

59 Rahmen dieser Mesoprozessebene verläuft die Veränderung gemäß eines von Krüger beschriebenen fünf-Phasenmodells (siehe Tabelle 1, Kapitel 2.1.8), das aus den Schritten Initiierung, Konzipierung, Mobilisierung, Umsetzung und Verstetigung besteht.298 Drittens beleuchtet Krüger die Ebene der Projektprozesse (Mikroprozessebene), auf der einzelne, zeitlich begrenzte Vorhaben innerhalb der Transformationsprozesse gestaltet werden.299 Im Rahmen der beschriebenen Prozessebenen sind die Gestaltungsaufgaben des Veränderungsmanagements zu strukturieren und durchzuführen. Der Prozess zeigt und bestimmt die sachlogische Abfolge der zu bewältigenden Aufgaben.300 (2) Strategie: Der Unternehmensstrategie kommt eine herausragende Stellung zu, da sie die inhaltliche Ausrichtung für das Wandlungsgeschehen vorgibt. „Wandel dient der Umsetzung und Realisierung von Strategien des Abbaus, Umbaus oder Aufbaus von Geschäften. Die Unternehmungsstrategie muß zu diesem Zweck für den jeweiligen Transformationsprozeß in Wandlungsziele heruntergebrochen werden. Die Wandlungsvorhaben sind also Ausdruck der Unternehmungsstrategie. Eine eigenständige ‘Wandlungsstrategie’ kann es also gar nicht geben.“301 Demnach geht dem ‘Herunterbrechen’ von Strategien in Wandlungsziele zunächst die Erörterung der möglichen strategischen Optionen voraus, die den Inhalt der strategischen Erneuerung in seiner Grundausrichtung steuern.302 Dies lässt erkennen, dass die Beteiligung des TopManagements in tiefgreifenden Veränderungsprozessen unabdingbar ist, da Entscheidungen, die die strategische Ausrichtung betreffen, nur hier getroffen werden können. Dies leitet unmittelbar zur nächsten Komponente über. (3) Topmanagement: Krüger geht davon aus, dass ein tiefgreifender Wandel in jedem Fall von der obersten Führungsebene getragen werden muss, da er ansonsten versandet. „Kraftvolle und glaubwürdige Führung ist und bleibt aber ein Grundelement jedes Wandlungsprozesses. Topmanager sind aufgefordert, als Promotoren des Wandels zu wirken.“303 Dabei muss das Management, abhängig von der Art des Wandels, verschiedene Rollen ausfüllen. In Fällen des ‘positiven Wandels (Aufbau)’ ist die Rolle des ‘begeisterten Visionärs’, in Fällen des ‘negativen Wandels (Abbau)’ die des ‘harten Sanierers’ gefragt, womit der Einsatz verschiedener Formen von Macht verbunden ist.304

298 299 300 301 302 303 304

Vgl. Krüger (2000a), S. 56-69. Vgl. Krüger (2000c), S. 24. Vgl. Krüger (2000c), S. 25. Krüger (2000c), S. 25. Vgl. Krüger (2000c), S. 25. Krüger (2000c), S. 26. Vgl. Krüger (2000c), S. 26. Zu den unterschiedlichen Formen von Macht siehe Kapitel 2.1.9.2.

60 (4) Organisation: Die Bewältigung des Wandels erfordert eine geeignete Primärorganisation, die Wandel zulässt und unterstützt, sowie eine Sekundärorganisation, die spezifische Sonderaufgaben des Wandels wahrnimmt. Die Ausgestaltung der beiden Organisationsformen machen Krügers Co-Autoren Brehm/Jantzen-Homp von der jeweiligen Phase des Wandels abhängig.305 Dies wurde bereits in Kapitel 2.1.9.4 ausführlich beschrieben und soll hier nicht wiederholt werden. Krüger sieht als Idealfall bzw. als ‘Endzustand’ eine Organisationsform (integrierte Sekundärorganisation), in der die übliche und zunächst sinnvolle Trennung zwischen Primär- und Sekundärorganisation weitgehend aufgehoben werden kann, in der die Grenzen zwischen Tages- und Wandlungsgeschäft verwischen und die Verantwortung für beides in einer Hand liegt.306 (5) Einstellung und Verhalten: Als weiteres Gestaltungsfeld wird das Management der ’Humanressourcen’ angesehen. Dabei geht es zum einen darum, Wissen und Fähigkeiten zu verändern. Zum anderen, und dies bewertet Krüger als ungleich bedeutender, sind Einstellungen, Werte und Verhaltensmuster bis in tiefer liegende Bewusstseinsebenen zu beeinflussen. Hier spielt die Theorie der ‘mentalen Modelle’ für Krüger eine zentrale Bedeutung. Die Kernbestandteile des Konzepts der ‘mentalen Modelle’ wurden von Krügers Co-Autor Bach dargelegt307 und bereits in Kapitel 2.1.9.5 vorgestellt. (6) Kommunikation: Im Wandel müssen die Beteiligten miteinander interagieren, sich abstimmen und austauschen. Es muss ein möglichst einheitliches Verständnis bezüglich des Veränderungsprozesses geschaffen werden. Dies geschieht durch Kommunikation.308 Die Kommunikation dient dazu, für den Veränderungsprozess nicht dienliche ‘mentale Modelle’ aufzubrechen und Informationsdefizite bei den Mitarbeitern abzubauen. Im Rahmen der Kommunikationsaufgabe sind Zielgruppen zu bestimmen, Kommunikationsinhalte festzulegen und kommunizierende Personen zu bestimmen. Krügers Co-Autor Brehm strukturiert das Kommunikationsvorgehen nach dem Phasenmodell Krügers und gibt für jede Phase spezifische Gestaltungshinweise.309 (7) Systeme: Die Implementierung der Inhalte des Veränderungsprozesses muss mit den ‘regulären’ Steuerungssystemen des Unternehmens verzahnt werden. „Vorhandene oder neu aufzubauende Systeme können die Wandlungsträger bei der Erfüllung ihrer Aufgaben wirkungsvoll unterstützen. In Betracht kommen vor allem Führungssysteme,

305 306 307 308 309

Vgl. hierzu Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 177-220. Vgl. Krüger (2000c), S. 27, Brehm/Jantzen-Homp (2000), S. 204-209 und S. 220. Vgl. Bach (2000), S. 221-260. Vgl. Krüger (2000c), S. 28. Vgl. Brehm (2000), S. 261-290.

61 Anreizsysteme, Informations- und Kommunikationssysteme sowie Personalentwicklungssysteme.“310 (8) Controlling: Die Wandlungsprozesse sollen durch ein geeignetes Controlling besser beherrschbar gemacht werden.311 „Wandlungscontrolling hat die informationelle Sicherstellung eines ergebnisorientierten Wandlungsmanagements zum Ziel. Hierzu gehören sowohl die Erfassung und Verrechnung von Wandlungskosten als auch die Bewertung und Zuordnung von Wandlungsleistungen.“312 Die Gestaltung des Controllings erfolgt differenziert nach den Prozessebenen des Wandels, nämlich als Controlling der Unternehmensentwicklung (Makroprozessebene), Controlling des Wandlungsprogramms (Mesoprozessebene) und als Controlling der Projektprozesse (Mikroprozessebene). Innerhalb des Controllings des Wandlungsprogramms wird das Controlling nochmals nach dem fünf-Phasenmodell strukturiert.313 Das Wandlungscontrolling soll aber nicht isoliert den Wandlungsprozess behandeln, vielmehr sollen alle Unternehmensprozesse im Zusammenhang gesehen werden. Daher wird ein Controlling mit Schwerpunkt auf die Wandlungsprogramme vorgeschlagen, das aber über Schnittstellen mit dem ‘allgemeinen Controlling’ verbunden ist.314 Insgesamt ist das Modell Krügers ein sehr umfassender, praxisnaher Ansatz, der viele verschiedenartige Aspekte des Veränderungsmanagements aufgreift und integriert. 2.2.7

Veränderung im St. Galler General Management Navigator (GMN)

Im Jahr 2001 wurde von Günter Müller-Stewens und Christoph Lechner, beide Professoren am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität St. Gallen, ein Konzept für strategisches Management unter dem Namen ‘Der St. Galler General Management Navigator (GMN)’ vorgestellt, in dem die Gestaltung von Veränderungsprozessen eine zentrale Rolle spielt und in dem Veränderungsmanagement ausführlich dargestellt wird.315 Im Folgenden soll die Einordnung des Veränderungsmanagements in das strategische Management vorgenommen und das Veränderungsmanagement im Rahmen des St. Galler General Management Navigators (im Folgenden GMN) kurz dargestellt werden. Vorab erfolgt eine Zuordnung des GMN in die Landschaft der betriebswirtschaftlichen ‘Schulen’. „Der GMN seht in der Tradition der an der Universität St. Gallen entwickelten Ansätze zur Unternehmensführung und systemorientierten Managementlehre von Ulrich/Krieg (1974)

310 311 312 313 314 315

Becker (2000), S. 290. Vgl. Krüger (2000c), S. 29. Bach/Brehm (2000), S. 328. Vgl. Bach/Brehm (2000), S. 351-354. Vgl. Krüger (2000c), S. 29. Die Bedeutung von Veränderung für diesen Ansatz wird bereits durch den Untertitel deutlich: „Wie strategische Initiativen zum Wandel führen“. Müller-Stewens/Lechner (2005).

62 und Bleicher (1999).“316 Damit steht das Konzept der modernen Systemtheorie bzw. der Kybernetik zweiter Ordnung, wie sie in Kapitel 2.1.6 beschrieben wurde, sehr nahe. Übergeordnetes Thema des GMN ist das strategische Management, das von MüllerStewens/Lechner wie folgt verstanden wird: „In einem ersten, allgemeinen Zugang kann man sagen, dass ein Strategisches Management anstrebt, die Entwicklung von Unternehmen zu gestalten.“317 Weiter führen sie an anderer Stelle aus: „Ein SM (strategisches Management, Anm. d. Verfassers) verkörpert eine spezifische Denkweise, sich mit der Entwicklung von Unternehmen auseinander zu setzen. Sie basiert auf der Vorstellung der geplanten Evolution, beschäftigte sich in diesem Kontext mit Theorien und theoriegeprägten Praktiken, öffnet sich dadurch der Rationalisierung, vollzieht sich in Form eines kollektiven Lernprozesses und greift all die Themen auf, die es hinsichtlich der Entwicklung von Unternehmen als wichtig erachtet.“318 Der GMN besteht aus den fünf Arbeitsfeldern (1) Initiierung, (2) Positionierung, (3) Wertschöpfung, (4) Veränderung und (5) Performance Messung sowie den beiden Achsen (1) Genese vs. Wirksamkeit und (2) Prozess vs. Inhalt.319 Diese Felder und Achsen dienen dazu, dem strategischen Management einen Bezugsrahmen zu geben und es zu strukturieren.320

Abbildung 6: Der General Management Navigator (GMN)321

316 317 318 319 320 321

Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 7. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 20. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 23. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 27-32. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 24. Quelle: In enger Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 27.

63 Im ersten Schritt werden die Arbeitsfelder des GMN kurz charakterisiert, nach denen auch die gesamte Monographie von Müller-Stewens/Lechner gegliedert ist: (1) Initiierung: Initiativen zur Beeinflussung des Unternehmens starten. In diesem Arbeitsfeld geht es darum, wie Impulse für strategische Initiativen entstehen und wie bzw. welche dieser Impulse sich gegen andere durchsetzen. Es wird ferner betrachtet, wie diese Initiativenbildung zu beeinflussen/zu gestalten ist.322 (2) Positionierung: Das Verhältnis gegenüber den Stakeholdern323 bestimmen. Strategische Initiativen wirken sich auf alle möglichen Anspruchsgruppen (und damit Stakeholder) aus, die sich inner- und außerhalb des Unternehmens befinden können. Zwischen diesen Stakeholdern und dem Unternehmen bestehen Austauschbeziehungen, die hierdurch beeinflusst werden. So kann die strategische Initiative zum Eintritt in ein neues Geschäftsfeld massive Auswirkungen auf die Beziehung zu den Geschäftsbanken haben, wenn diese den Eintritt als riskant bewerten und möglicherweise die Kredite nur noch zu anderen Konditionen oder gar nicht mehr zur Verfügung stellen wollen. In diesem Feld geht es also um die Frage, wie sich das Unternehmen mit seiner strategischen Ausrichtung gegenüber den Stakeholdern positioniert bzw. wie es die Position gestalten will und kann.324 (3) Wertschöpfung: Ausgestaltung des Innenverhältnisses. Eine strategische Neuausrichtung beeinflusst natürlich das ‘Innenleben’ einer Organisation; sie erfordert bestimmte Fähigkeiten oder beeinflusst die wertschöpfenden Prozesse. Im Rahmen strategischer Initiativen muss also beachtet werden wie sich diese auf die Organisationsstruktur, die Geschäftsprozesse, die Managementsysteme oder sonstige Bestandteile der ‘Innenwelt’ der Organisation auswirken. Gegebenenfalls müssen diese Bestandteile zur Umsetzung der strategischen Initiative ebenfalls neu ausgerichtet werden.325 (4) Veränderung: Die Initiativen zum Leben bringen. In den ersten drei Arbeitsfeldern wurden die Richtung der strategischen Initiative und die Inhalte von Veränderungen festgelegt. Im Arbeitsfeld Veränderung soll die Wirksamkeit dieser Initiative sichergestellt werden, d. h. das System soll dazu bewegt werden, Handlungsweisen nachhaltig zu verändern. „Auch hier ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen nicht nur technische Systeme zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, sondern auch soziale Systeme sind, in denen verhaltenswissenschaftliche Phänomene eine besondere Rol-

322 323

324 325

Zur Beschreibung des Arbeitsfelds Initiierung vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 27-28. Stakeholder definieren Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 25, wie folgt: „Die, die Ansprüche an das Unternehmen stellen bzw. deren Interessen mit dem Unternehmen verbunden sind, werden als Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder bezeichnet.“ Müller-Stewens/Lechner berufen sich dabei auf Freeman/McVea (2001) und Janisch (1992). Zur Beschreibung des Arbeitsfelds Positionierung vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 28-29. Zur Beschreibung des Arbeitsfelds Wertschöfung vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 29.

64 le spielen.“326 Die zentrale Fragestellung ist hier also, wie man die Organisationen dazu bringen kann, eine Bewegung in die gewünschte Richtung tatsächlich zu vollführen und die Neuerungen beizubehalten. Dieses Arbeitsfeld soll später näher ausgeführt werden. (5) Performance Messung: Fortschrittsbetrachtung und Feed-back. Im Rahmen dieses fünften Arbeitsfeldes soll der Verlauf der strategischen Initiative beobachtet und ‘gemessen’ werden. Eine Evaluierung, die bereits während der Initiierung einsetzt, bietet dem Management und den Stakeholdern die Chance, ggf. korrigierend oder unterstützend einzugreifen. Müller-Stewens/Lechner weisen darauf hin, dass hier in den letzten Jahren die klassischen, rein finanzwirtschaftlichen Messungen durch umfassendere, mehrperspektivische Ansätze abgelöst wurden.327 Neben den Arbeitsfeldern stellen auch die ‘Achsen’ wesentliche Bestandteile des GMN dar: (1) Genese versus Wirksamkeit: Strategische Initiativen können entweder durch gezieltes, planerisches Handeln oder sukzessive, emergent aus der täglichen Arbeit heraus entstehen. Zudem kann neben der Genese auch die operative Wirksamkeit einer strategischen Initiative untersucht und beobachtet werden. Die Genese der strategischen Initiativen wird vorrangig durch die Arbeitsfelder Initiierung und Positionierung geprägt, die operative Wirksamkeit vorrangig durch die Arbeitsfelder Wertschöpfung und Veränderung.328 (2) Prozess versus Inhalt: Es kann zwischen Strategieprozess und Strategieinhalt unterschieden werden. Ersteres stellt den Weg dar, wie es letztlich zu einer Neupositionierung kommt, wie sich Strategien im Zeitablauf durchsetzen (oder nicht). Der Strategieinhalt hingegen bestimmt, ‘wohin die Reise geht’. Die Strategieprozesse werden stärker durch die Arbeitsfelder Initiierung und Veränderung geprägt, die Inhalte stärker durch Positionierung und Wertschöpfung.329 Eines von fünf Arbeitsfeldern des GMN ist Veränderung und wird von MüllerStewens/Lechner entsprechend ausführlich dargestellt. Da die Arbeitsfelder als ‘Theorienspeicher und Werkzeugkiste’ fungieren, ihnen also Theorien und Gestaltungsempfehlungen zugeordnet werden können, werden im Rahmen der Monographie von MüllerStewens/Lechner zunächst relevante Bestandteile der Theorie des Veränderungsmanagements dargelegt und anschließend die Gestaltung thematisiert. Die Darlegung der Theorie greift auf vielfältige Ansätze der Literatur zurück und enthält ähnliche Bestandteile wie die vorange-

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Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 29. Zur Beschreibung des Arbeitsfelds Performance Messung vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 29 und 693. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 31. Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 31-32.

65 gangenen Kapitel dieser Arbeit. Sie soll deshalb hier nicht näher dargestellt werden. Stattdessen soll das Vorgehen zur Gestaltung von Veränderungsprozessen erläutert werden. Die Gestaltung von Veränderungen wird im GMN anhand von vier W-Fragen strukturiert (siehe auch Kapitel 2.1.9.1).330 Ein gezieltes Veränderungsmanagement hat nachstehende Fragen zu bearbeiten und befriedigend zu beantworten: •

Wann? (Timing): Gestaltung der Reihenfolge der zeitlich aufeinander aufbauenden Schritte des Veränderungsprozesses



Was? (Akzente): Inhaltlicher Entwicklungsfokus, somit Festlegung der Zielrichtung der Veränderung



Wer? (Akteure): Ermittlung der Akteure, die über Macht verfügen und diese im Veränderungsprozess ausüben können/wollen; Ermittlung der Akteure, die durch das Veränderungsmanagements zu beeinflussen sind



Wo? (Gestaltungsräume): Bestimmen der Entwicklungsobjekte, insbesondere Fähigkeiten der Akteure, aber vor allem deren Kontexte, z. B. Aufbau- und Ablauforganisation oder Organisationskultur

Wo setzt die Veränderung an?

Abbildung 7: Die vier Komponenten des Wandeldesigns im GMN331

330 331

Vgl. im Folgenden Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 591. Quelle: In enger Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 592.

66 Im Rahmen des GMN wird als weitere Strukturierungshilfe zudem ein eigenes fünf-PhasenModell vorgeschlagen, das die Schritte (1) Sensibilisierung, (2) Auftakt, (3) Roll-Out, (4) Verstetigung und (5) Konsolidierung beinhaltet. Als ‘normale’ Zeitdauer für den Gesamtprozess einer tiefgreifenden Veränderung werden insgesamt ca. 3-5 Jahre angenommen.332

Aktivitätenniveau

Destabilisierung

1

2

3-5 Jahre

3

4

StabiliSierung

5 Zeit

Sensibilisierung: Den Wandel vorbereiten Auftakt: Den Prozesseinstieg begehen Roll-Out: Die Energie ins System bringen Verstetigung: Das Momentum erhalten Konsolidierung: In einen eingeschwungenen Zustand zurückfinden Abbildung 8: Das fünf-Phasen-Modell des Wandels im GMN333

Der besondere Wert des Ansatzes von Müller-Stewens/Lechner ist vor allem darin zu sehen, dass die Bedeutung des Veränderungsmanagements für die Umsetzung strategischer Initiativen herausgestellt wird. Eine strategische Neuausrichtung ohne Veränderungsmanagement ist nicht möglich. Zudem wird im GMN sehr umfassend die Theorie des Veränderungsmanagements reflektiert; die Gestaltungsoptionen für Wandlungsprozesse entstehen nicht im ‘luftleeren Raum’, sondern auf dem Boden einer tragfähigen theoretischen Basis. Weiterhin zeichnet sich der Ansatz des Veränderungsmanagements durch eine klare Strukturierung aus, die zum einen durch die Gliederung des Veränderungsmanagements nach den vier W-Fragen und zum anderen durch das Phasenmodell vorgenommen wird.

332 333

Vgl. Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 609-631. Quelle: In enger Anlehnung an Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 610.

67

2.3 Akteursbezogener Ansatz des Veränderungsmanagements als Referenzmodell der Untersuchung 2.3.1

Entstehung und Ausrichtung

Am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling und Telekommunikation der WHU Otto Beisheim School of Management wurde im August 2002 mit dem WHUForschungspapier Nr. 89 „Gedanken zu einer Theorie des Veränderungsmanagements“334 ein Ansatz des Veränderungsmanagements vorgestellt, der die in der Literatur des Veränderungsmanagements etablierte und bewährte Prozess- und Phasenbetrachtung mit dem am gleichen Lehrstuhl entwickelten „Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure“335 (im Folgenden als Akteursmodell bezeichnet) verbindet. Der Ansatz ist damit sowohl prozess- als auch verhaltensorientiert ausgerichtet.336 Er greift auf bekannte und in den vorangegangenen Kapiteln beschriebene Elemente der Theorie des Veränderungsmanagements zurück und integriert diese in den Gedankengang. Neu sind an diesem Ansatz vor allem die Implikationen, die sich aus der Verbindung mit dem Akteursmodell ergeben. Diese sollen im Rahmen einer Gesamteinschätzung des Ansatzes am Ende des Kapitels 2.3 dargelegt werden. Der akteursbezogene Ansatz des Veränderungsmanagements dient für die empirische Untersuchung dieser Arbeit als Referenzmodell und soll daher detailliert dargestellt werden. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen in enger Anlehnung an das oben genannte WHUForschungspapier Nr. 89 von Brettel et al. (2002). 2.3.2

Zugrunde gelegtes Akteursmodell

Das Handeln ökonomischer Akteure wird im Akteursmodell auf der Basis der Komponenten Fähigkeiten und Präferenzen als Basiseigenschaften sowie der internen und externen Zustände und die auf diesen vier Komponenten basierenden internen Modelle erklärt.337 „Ein ökonomischer Akteur ist eine wirtschaftlich handelnde Einheit, für die nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt wird. Es wird unterschieden zwischen individuellen Akteuren und Akteuren höherer Ordnung, wobei letztere aus zwei oder mehr Akteuren338 bestehen, die zusammenwirken, um ihren erwarteten Nutzen zu erhöhen.“339

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339

Brettel et al. (2002). Bach et al. (2002). Vgl. hierzu Endres (2006), S. 59. Endres lässt seine Untersuchung auf dem gleichen akteursbezogenen Ansatz basieren. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 2. Die konstituierenden Akteure eines Akteurs höherer Ordnung können wiederum individuelle Akteure oder Akteure höherer Ordnung sein. Brettel et al. (2002), S. 2-3. Bereits in Kapitel 2.1.9.5 wurde darauf hingewiesen, dass der Begriff des Akteurs in der Literatur des Veränderungsmanagements als eingeführt und gebräuchlich angesehen werden kann. Der Ursprung dieses Begriffs ist daher weder Brettel et al. (2002) zuzurechnen noch dem For-

68 Brettel et al. definieren Handlungen ökonomischer Akteure und grenzen Einzelhandlungen von Handlungsmustern ab. Handlungen ökonomischer Akteure sind produktive, potenziell zu einem gewünschten Ergebnis führende Faktorkombinationsprozesse, durch die die Akteure ihre individuelle und zeitpunktbezogene Nutzenposition zu verbessern versuchen.340 Unter Handlungsmuster wird eine Menge von Handlungen verstanden, die übereinstimmende, für die jeweilige Betrachtung relevante Merkmale aufweisen.341 Einzelhandlungen verfügen nicht über solche übereinstimmenden Merkmale, sie wiederholen sich demnach nicht und sind per se verschiedenartig.342 Die erste Kategorie von Basiseigenschaften eines Akteurs sind seine Fähigkeiten, die dem Akteur einen potenziellen Handlungsraum eröffnen.343 Sie repräsentieren im weitesten Sinne die ‘Könnensmerkmale’ eines Akteurs, d. h. sie spiegeln wider, was ein Akteur unter spezifischen Bedingungen zu leisten vermag. Die Fähigkeiten werden gegliedert in Lern- und Realisationsfähigkeiten. „Die Lernfähigkeit ermöglicht es dem Akteur, durch Vorwegnahme von zu realisierenden Zweck-Mittel-Beziehungen in der Willensbildung sowie durch den Vergleich von gebildetem Willen und Ausführung in der Kontrolle sein Handlungspotenzial zu erhöhen.“344 Die Lernfähigkeit wird weiter untergliedert in die Fähigkeiten, Zustände wahrzunehmen (Perzeptionsfähigkeit), vorherzusagen (Prognosefähigkeit) und zu bewerten (Bewertungsfähigkeit).345 Die Realisationsfähigkeit setzt sich ebenfalls aus zwei Bestandteilen zusammen: Die Durchsetzungsfähigkeit stellt auf die Übernahme der Willensbildung durch andere Akteure ab346, die Ausführungsfähigkeit hingegen ermöglicht es dem Akteur, Änderungen im Handlungsraum tatsächlich vornehmen zu können.347 Die zweite Kategorie von Basiseigenschaften des Akteurs stellen seine Präferenzen dar. Ausgangspunkt der Betrachtung sind die gewünschten Zustände eines Akteurs, an denen sich die Richtung seiner Handlungen orientiert. Dabei können verschiedene gewünschte Zustände eines Akteurs miteinander konkurrieren. „Die Präferenzen eines Akteurs beschreiben die

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347

schungspapier, dem das zugrunde liegende Akteursmodell entnommen wurde, Bach et al. (2002). Der Begriff findet sich z. B. auch bei Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 594, und Staehle (1999), S. 970. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 3. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 3. Brettel et al. führen hierzu aus, dass zu solchen Handlungsmustern Handlungen gehören können, „[…] die sich in gleicher oder ähnlicher Form häufig wiederholen, aber auch Handlungen, die trotz vordergründiger Heterogenität durch gemeinsame Werte und Normen gekennzeichnet sind, wie z. B. verschiedene Handlungen, die alle Ergebnis der Ausübung eines spezifischen Führungsstils sind, der auf einer bestimmten Wertvorstellung basiert.“ Zitat entnommen Brettel et al. (2002), S. 3. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 3. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 3. Brettel et al. (2002), S. 3. Vgl. hierzu auch Bach et al. (2002), S. 2. Die Nähe dieser Definition zur in Kapitel 2.2.4.3 vorgestellten klassischen behavioristischen Sichtweise individuellen Lernens, das über Stimulus und Response erfolgt, ist unverkennbar. Vgl. hierzu Steinmann/Schreyögg (2005), S. 506, Olbert-Bock (2002), S. 37-38, Watson (1930) sowie Skinner (1938). Vgl. Bach et al. (2002), S. 6, Brettel et al. (2002), S. 3. Die so definierte Durchsetzungfähigkeit hat mit dem in Kapitel 2.1.9.2 vorgestellten Machtbegriff von Max Weber gemein, dass es auch hier um die Umsetzung des eigenen Willens in einer sozialen Beziehung geht. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 3-4.

69 Ordnung der gewünschten Zustände. Die Realisierung gewünschter Zustände wird als Nutzen bezeichnet.“348 Die Handlungen der Akteure sind neben den beschriebenen Basiseigenschaften Fähigkeiten und Präferenzen zudem noch abhängig von deren internen und externen Zuständen. „Interne Zustände beschreiben biophysische und emotionale Zustände des Akteurs. So kann sich beispielsweise das Einkaufsverhalten eines Konsumenten im hungrigen Zustand von dem im satten Zustand unterscheiden, obwohl seine Basiseigenschaften dieselben sind.“349 Externe Zustände definieren Brettel et al. wie folgt: „Zu den externen Zuständen eines Akteurs gehört neben der physischen Umwelt auch das Handeln anderer Akteure. Diese Interaktion mit anderen Akteuren kann dem Akteur sowohl neue Handlungsfelder eröffnen, als auch handlungsbeschränkend wirken (in Form von Handlungsrechten oder -regeln).“350 Ökonomische Akteure verfügen weder über alle Informationen eines Kontextes noch können sie diese vollständig verarbeiten. Daher bilden sie über Clusterung und (irrtumsgefährdete) Hypothesenbildung interne Modelle, mit denen sie Komplexitätsbewältigung betreiben und eine Abstraktion von Einzelumständen erreichen können. Sie stellen die Basis seiner Willensbildung dar.351 „Ein internes Modell lässt sich mit anderen Worten als ein Ordnungsschema bezeichnen, das auf einen Handlungskomplex bezogen Komplexitätsreduktion durch Spezialisierung und Standardisierung erreicht.“352 Es kann sowohl aufgrund eigener Erfahrung als auch durch die Übernahme der Erfahrungen Dritter gebildet werden.353 Interne Modelle beinhalten Annahmen über die Ausprägung der eigenen Eigenschaften und deren Nebenbedingungen (‘Selbstbild’) sowie Erwartungen über Bezugsgrößen und die Folgen unterschiedlicher Handlungssequenzen (‘Weltbild’).354 2.3.3

Grundverständnis von Veränderungsmanagement im akteursbezogenen Ansatz

Ausgangspunkt der Betrachtungen zum Veränderungsmanagement ist im akteursbezogenen Ansatz der Gesamtzustand eines Akteurs. Hierunter wird die spezifische Konfiguration seiner internen Modelle verstanden, die auf seinen Fähigkeiten, Präferenzen, seinen internen und externen Zuständen basieren.355

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Brettel et al. (2002), S. 4. Fettdruck im Original. Brettel et al. (2002), S. 4. Brettel et al. (2002), S. 4. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 4-5. Bach et al. (2002), S. 4. Die inhaltliche Ähnlichkeit der so definierten internen Modelle mit den in Kapitel 2.1.9.5 vorgestellten ‘mentalen Modellen’ ist unverkennbar. Ähnliche Gedanken wurden bereits im Rahmen der in Kapitel 2.2.4.3 dargestellten sozial-kognitiven Lerntheorien erörtert. Auch dort bilden Akteure (Individuen) auf Basis der Erfahrungen anderer eine Ergebniserwartung für die eigene Ausführung von Handlungen in einem bestimmten Kontext. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 5. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 5.

70 Eine Veränderung stellt in dieser Terminologie den Übergang eines ökonomischen Akteurs von einem Gesamtzustand A zu einem Gesamtzustand B dar.356 Die beiden Zustände unterscheiden sich in der oben beschriebenen Konfiguration der internen Modelle und damit der Fähigkeiten, Präferenzen, der internen und externen Zustände, auf denen sie basieren.357 „Veränderungsmanagement bezeichnet die durch einen Akteur intendierte Gestaltung des Übergangs seiner selbst oder mindestens eines anderen Akteurs von einem Gesamtzustand A in Richtung auf einen Gesamtzustand B. Das Ziel des Veränderungsmanagements ist die Veränderung von Handlungen. Das Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist die Veränderung von internen Modellen.“358 2.3.4

Veränderungsmanagement bei individuellen Akteuren

In Kapitel 2.3.4 wird der Ablauf von Veränderungsprozessen und des Veränderungsmanagements bei individuellen Akteuren vorgestellt, auf dessen Grundlage im darauf folgenden Kapitel 2.3.5 die Besonderheiten des Veränderungsmanagements bei Akteuren höherer Ordnung beschrieben werden. 2.3.4.1 Prämisse der Nutzenmaximierung im Veränderungsprozess Unter einem individuellen Akteur wird ein ökonomisch handelndes Individuum verstanden, das fortlaufend unter Unsicherheit verschiedene zukünftige Handlungsmuster und den jeweils daraus resultierenden Nutzen antizipiert. Diese Antizipation stellt die Grundlage dar, auf der ein Akteur seinen Willen bildet, der wiederum seine Handlungen bestimmt.359 Es wird unterstellt, dass der Akteur bestrebt ist, seinen Nutzen zu maximieren. Der Nutzen, der aus einem möglichen veränderten Handlungsmuster (VM) antizipiert wird, kann größer, kleiner oder gleich dem antizipierten Nutzen des bisherigen Handlungsmusters (BM) sein.360 Ein Akteur wird dann sein bisheriges Handlungsmuster – das auf seinen internen Modellen und damit auf seinen Fähigkeiten, Präferenzen, seinen internen und externen Zuständen basiert – verändern, wenn er antizipiert, dass sich hierdurch seine Nutzensituation verbessern wird.361 Es sind folgende Komponenten zu beachten:362

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Diese Definition von Veränderung korrespondiert mit der Definition von Change nach Beckhard/Harris (1987), S. 29-30, die Veränderung als den Übergangsprozess (‘Transition State’) zwischen einem ‘Present State’ und einem ‘Future State’ sehen. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 5. Brettel et al. (2002), S. 5. Fettdruck im Original. Brettel et al. gehen davon aus, dass die Veränderung von internen Modellen mit hohem Aufwand verbunden ist und fokussieren vor dem Hintergrund des Effizienzkriteriums die weiteren Betrachtungen des Veränderungsmanagements nicht auf Einzelhandlungen, sondern auf Handlungsmuster (und damit auf die Beeinflussung einer Mehrzahl von Handlungen). Vgl. hierzu Brettel et al. (2002), S. 5-6. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 6. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 6. Brettel et al. (2002), S. 6.

71 1. Der antizipierte Nutzen des bisherigen Handlungsmusters (NBM) 2. Die antizipierten Kosten des bisherigen Handlungsmusters (KBM) 3. Abgeleitet: Netto-NBM (NNBM) = NBM – KBM 4. Der antizipierte Nutzen des veränderten Handlungsmusters (NVM) 5. Die antizipierten Kosten des veränderten Handlungsmusters (KVM) 6. Abgeleitet: Netto-NVM (NNVM) = NVM – KVM 7. Die antizipierten Kosten des Übergangsprozesses363 von BM zu VM (KÜ) 8. Der antizipierte Nutzen des Übergangsprozesses364 von BM zu VM (NÜ) 9. Abgeleitet: Netto-KÜ (NKÜ) = KÜ – NÜ Somit verändert ein Akteur sein Handlungsmuster dann, wenn gilt: NNBM < NNVM – NKÜ oder NBM – KBM < NVM – KVM – KÜ + NÜ Der antizipierte Nettonutzen des bisherigen Handlungsmusters muss geringer sein als der eines veränderten Handlungsmusters abzüglich der Nettokosten des Übergangs, damit ein Akteur sein Handlungsmuster verändert.365 Aus der angeführten Ungleichung lässt sich der Nettonutzen der Veränderung (NNV) formulieren: NNV = NNVM – NKÜ – NNBM oder NNV = NVM – KVM – KÜ + NÜ – NBM + KBM Wenn dem Akteur mehrere veränderte Handlungsmuster zur Auswahl stehen, so wählt er aufgrund der Prämisse der Nutzenmaximierung jenes aus, das den größten Nettonutzen der Veränderung erwarten lässt. Es wird vereinfachend angenommen, dass das anfangs gewählte ver-

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Der nachfolgende Abschnitt wurde wörtlich übernommen aus Brettel et al. (2002), S. 6-7. „Die Kosten des Übergangsprozesses sind diejenigen Kosten, die ausschließlich aus dem Übergang resultieren und nur in der Übergangsphase anfallen. Zum Beispiel: Die Entzugserscheinungen, die bei einem Raucher auftreten, während er sich das Rauchen abgewöhnt, und die nach erfolgter Entwöhnung aufhören.“ Brettel et al. (2002), S. 7. „Analog ist der Nutzen des Übergangsprozesses derjenige Nutzen, der sich ausschließlich aus dem Übergang ergibt und der nach Abschluss des Übergangsprozesses wegfällt. Zum Beispiel: Die tägliche Selbstbestätigung während des Entzugs, die sich für den Raucher daraus ergibt, den Entzugserscheinungen zu widerstehen und somit seine Willenskraft unter Beweis zu stellen.“ Brettel et al. (2002), S. 7. „Es sei angenommen, dass der Akteur bei der Antizipation der oben genannten Nutzen- und Kostengrößen die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten und seine Risikopräferenzen berücksichtigt.“ Brettel et al. (2002), S. 7.

72 änderte Handlungsmuster über den gesamten Veränderungsprozess hinweg den höchsten antizipierten Nettonutzen aufweist.366 Zur Menge aller verfügbaren zukünftigen Handlungsmuster gehört auch das bisherige Handlungsmuster, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass es in der ersten Phase die einzige Alternative ist, die ohne Übergangskosten ausgeübt werden kann.367 Eine Veränderung der oben vorgestellten Ungleichung, die zu einer Veränderung des Handlungsmusters führt, ist stets darauf zurückzuführen, dass sich mindestens eine der Größen Fähigkeiten, Präferenzen, interne und externe Zustände verändert.368 2.3.4.2 Phasen des Veränderungsprozesses im Überblick Dem Ansatz wurde das ‘Urmodell’ der Phasenbetrachtungen des Veränderungsmanagements von Kurt Lewin aus dem Jahr 1947 zu Grunde gelegt.369 In Anlehnung hieran findet der Veränderungsprozess in den Phasen Unfreeze, Move und Refreeze statt. Für jede Phase werden zunächst die Veränderung sowie anschließend das Veränderungsmanagement dargestellt. Dabei wird beschrieben, wodurch sich die Phasen des Veränderungsprozesses unterscheiden lassen (Veränderung) und wie ein individueller Akteur 1 einen anderen individuellen Akteur 2 dazu veranlassen kann, sein Handlungsmuster in einem von Akteur 1 gewünschten Sinne zu verändern (Veränderungsmanagement). 2.3.4.3 Phase Unfreeze Veränderung: Die Phase Unfreeze ist dadurch gekennzeichnet, dass sich NNV beständig erhöht und Null annähert.370,371 Dabei wird das bestehende interne Modell, das bislang die Handlungen bestimmt, in Frage gestellt. Die Phase Unfreeze ist dann abgeschlossen, wenn gilt: NNV > 0. Akteur 2 antizipiert, dass das verändertes Handlungsmuster seine Nutzensituation verbessern wird. Als Ergebnis seiner Willensbildung372 hat er die Entscheidung getroffen, das bisherige Handlungsmuster durch ein verändertes Handlungsmuster zu ersetzen.373

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Vgl. Brettel et al. (2002), S. 7-8. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 8. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 8. Vgl. Lewin (1947a), S. 34. „Der Gesamtzustand A vor Beginn der Veränderung zeichnet sich (in Abgrenzung zur Phase Unfreeze) dadurch aus, dass für den zu verändernden Akteur 2 der Wert von NNV < 0 ist und sich nicht systematisch Null annähert.“ Brettel et al. (2002), S. 8. „Die Annäherung des NNv an Null sei am Beispiel des Rauchers exemplarisch beschrieben. Die Entscheidung, sein Verhalten zu ändern und das Rauchen aufzugeben, kann durch Änderungen der Fähigkeiten (er lernt Neues über die negativen gesundheitlichen Folgen des Rauchens), der Präferenzen (er sucht nicht länger die Anerkennung Dritter, die er durch das Rauchen erlangen kann), der externen Zustände (die Tabaksteuern werden erhöht) und der internen Zustände (er bekommt Asthma) ausgelöst werden.“ Brettel et al. (2002), S. 8. Die Willensbildung ist Bestandteil des Führungszyklus´ (Willensbildung, Willensdurchsetzung, Handlung, Handlungsergebnis und Kontrolle) nach Weber. Vgl. hierzu Weber (2004), S. 67-75. Vgl. Brettel et al. (2002), S 8-9.

73 Veränderungsmanagement: Die für den verändernden Akteur 1 in dieser Phase zu erreichenden Ziele lauten: Die Willensbildung des zu verändernden Akteurs 2 ist so zu beeinflussen, dass dieser einen positiven Nettonutzen der Veränderung antizipiert (NNV > 0) und sich entscheidet, sein bisheriges Handlungsmuster durch das von Akteur 1 gewünschte veränderte Handlungsmuster zu ersetzen. Der verändernde Akteur 1 kann dieses Ziel in verschiedener Weise erreichen:374 Er kann Akteur 2 dahingehend beeinflussen375, dass sich für diesen 1. der antizipierte NBM reduziert,376 2. die antizipierten KBM erhöhen,377 3. der antizipierte NVM erhöht,378 4. die antizipierten KVM reduzieren,379 5. die antizipierten KÜ reduzieren,380 6. der antizipierte NÜ erhöht.381 Dies erreicht Akteur 1, indem er die internen Modelle von Akteur 2 verändert, bzw. deren Einflussgrößen (die Fähigkeiten und Präferenzen sowie die internen und externen Zustände). 2.3.4.4 Phase Move Veränderung: In der Phase Move geht Akteur 2 erstmals zur Ausführung über und verändert sein Handlungsmuster entsprechend der zuvor durchgeführten Antizipation. Er vergleicht anschließend den tatsächlich resultierenden mit dem zuvor antizipierten Nettonutzen der Veränderung (Kontrolle).382 In dieser Phase ist das neue interne Modell noch instabil. Das veränderte Handlungsmuster trägt für den Akteur den Charakter des Neuen und wird entsprechend noch nicht als ‘selbst-

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Der nachfolgende Absatz wurde einschließlich der Fußnoten wörtlich entnommen: Brettel et al. (2002), S. 9-10. Die Möglichkeiten der Beeinflussung werden in den folgenden Fußnoten anhand des Raucherbeispiels dargestellt. Der antizipierte Nutzen des bisherigen Handlungsmusters, z. B. die Anerkennung Dritter, sinkt, wenn Akteur 1 darauf hinweist, dass das Rauchen gesellschaftlich zunehmend geächtet wird. Die antizipierten Kosten des bisherigen Handlungsmusters steigen, wenn Akteur 1 deutlich macht, welche Krankheiten durch Rauchen verursacht werden. Der antizipierte Nutzen des veränderten Handlungsmusters (des Nichtrauchens) steigt, wenn Akteur 1 die daraus resultierende erhöhte sportliche Leistungsfähigkeit transparent macht. Die antizipierten Kosten des veränderten Handlungsmusters sinken, wenn Akteur 2 darauf hingewiesen wird, dass eine mögliche Gewichtszunahme nach dem Aufhören nur vorübergehend ist. Die antizipierten Kosten des Übergangsprozesses können reduziert werden, wenn Akteur 1 versichern kann, dass sich die Entzugserscheinungen mithilfe von Nikotinpflastern reduzieren lassen. Der antizipierte Nutzen des Übergangsprozesses kann erhöht werden, indem jeder zigarettenfreie Tag in der Übergangsphase als Beitrag zur Stärkung des Selbstbewusstseins von Akteur 2 (als Beweis seiner Willensstärke und Disziplin) dargestellt wird. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 10.

74 verständliches Herangehen’ oder ‘übliche Methode’ akzeptiert, sondern befindet sich in einem ‘Teststadium’. Das neue interne Modell steht in Konkurrenz mit dem alten internen Modell.383 Während der Phase Move besteht die Gefahr des ‘Zurückkippens’ in das alte interne Modell und damit in das bisherige Handlungsmuster. Dieser Fall tritt dann ein, wenn der ökonomische Akteur auf Basis seiner ersten Erfahrungen mit dem neuen Handlungsmuster für die weitere Zukunft antizipiert, dass sein Nettonutzen dann höher ist, wenn er zu dem bisherigen Handlungsmuster zurückkehrt, als wenn er weiterhin das veränderte Handlungsmuster verfolgt: NNBM > NNVM – NKÜ

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Zudem besteht in der Phase Move die Möglichkeit, dass auch das bisherige Handlungsmuster nicht mehr ohne Kosten eines ‘Rückübergangs’ (NKRÜ = KRÜ – NRÜ) zur Verfügung steht.385 Diese Nettokosten des Rückübergangs (NKRÜ ) müssen in das Kalkül einbezogen werden. Für eine Fortführung des Veränderungsprozesses muss daher gelten: NNBM – NKRÜ < NNVM – NKÜ Veränderungsmanagement: Die für den verändernden Akteur 1 in dieser Phase zu erreichenden Ziele des Veränderungsmanagements lauten: 386 1. Der zu verändernde Akteur 2 hat aufgrund der veränderten Antizipation des Nettonutzens sein bisheriges Handlungsmuster verworfen und im Rahmen einer ersten Ausführung durch das veränderte Handlungsmuster ersetzt. 2. Akteur 2 vergleicht auf Basis der ersten Ausführung des veränderten Handlungsmusters den erwarteten mit dem realisierten Nettonutzen (Kontrolle) und bestätigt vorläufig den antizipierten positiven Nettonutzen der Veränderung unter Berücksichtigung möglicher Kosten des Rückübergangs: NNV = NNVM – NKÜ – NNBM + NKRÜ > 0 Es ist dabei die Aufgabe des Veränderungsmanagements, den wahrgenommenen Nettonutzen des erstmalig veränderten Handlungsmusters mindestens im positiven Bereich zu halten und möglichst zu maximieren. Dies gelingt Akteur 1, indem er seine Durchsetzungsfähigkeit einsetzt. Er kann potenziell alle Komponenten der oben unter 2. beschriebenen Ungleichung ver-

383 384

385

386

Vgl. Brettel et al. (2002), S. 10. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 10. Vereinfachend wird unterstellt, dass die verbleibenden, antizipierten Nettokosten des Übergangs in der Phase Move tendenziell abnehmen, ohne jedoch bereits den Wert Null erreicht zu haben. Vgl. hierzu ebenda, S. 10. Zum Beispiel: Nach der Einführung eines neuen Softwaresystems ist die Rückkehr zum vorherigen System mit Kosten verbunden, z. B. durch die neuerliche Installation alter Systeme. Zu den Zielen in dieser Phase vgl. Brettel et al. (2002), S. 11.

75 ändern, indem er die Fähigkeiten, die Präferenzen, die internen und externen Zustände beeinflusst.387 2.3.4.5 Phase Refreeze Veränderung: In der Phase Refreeze wird im Rahmen einer fortlaufenden Kontrolle geprüft, ob der Nettonutzen der Veränderung, der Antizipation entsprechend, weiterhin einen positiven Wert aufweist (NNV > 0). Ist dies der Fall, verfestigen sich in dieser Phase das neue interne Modell und das neue Handlungsmuster des Akteurs 2.388 Die dritte Phase ist dann abgeschlossen, wenn die Kosten des Übergangs zum veränderten, realisierten Handlungsmuster Null sind (NKÜ = 0), d. h. wenn das veränderte Handlungsmuster der ‘übliche, für den Akteur selbstverständliche’ Ansatz geworden ist und ein ‘Zurückkippen’ in das alte interne Modell und das alte Handlungsmuster nicht mehr zu erwarten ist: NNV > 0 gilt dauerhaft.389 Veränderungsmanagement: Der verändernde Akteur 1 wirkt weiterhin im Sinne der eigenen Willensdurchsetzung auf den zu verändernden Akteur 2 ein, um folgende Ziele zu erreichen: 1. Es gibt für den zu verändernden Akteur 2 keine Kosten des Übergangs zum veränderten Handlungsmuster mehr: NKÜ = 0. 2. Akteur 2 nimmt dauerhaft einen positiven Nettonutzen aus dem veränderten Handlungsmuster wahr und hat dadurch seine internen Modelle so weit verfestigt, dass ein ‘Zurückkippen’ in das bisherigen Handlungsmuster nicht mehr zu erwarten ist und NNV > 0 dauerhaft gilt.390 In diesem Sinn ist es die Aufgabe des Veränderungsmanagements, das neue interne Modell des zu verändernden Akteurs 2 und somit sein neues Handlungsmuster zu verfestigen.391 Da individuelle Lernprozesse durch wiederholte Bestätigungen des Gelernten verstärkt werden können392, sollte das Veränderungsmanagement durch entsprechende Aktivitäten dieses konfirmatorische Lernen ermöglichen.393

387 388 389 390 391 392 393

Vgl. Brettel et al. (2002), S. 11. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 11. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 11. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 12. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 12. Vgl. Schäffer (2001), S. 27ff. „Zum Beispiel: Akteur 1 kann die positiven Wirkungen der Veränderung für Akteur 2 nach jeder Ausführung des neuen Handlungsmusters durch eine zusätzliche Belohnung verstärken, wodurch der wahrgenommene Nettonutzen der Veränderung bei Akteur 2 erhöht wird. Akteur 1 führt solche Maßnahmen solange fort, bis der wahrgenommene Nettonutzen der Veränderung auch ohne diese Aktivitäten von Akteur 2 dauerhaft positiv bewertet wird (z. B. aufgrund der wegfallenden Kosten des Übergangs) und ein Zurückkippen in das alte Handlungsmuster nicht mehr zu erwarten ist.“ Beispiel wörtlich entnommen: Brettel et al. (2002), S. 12.

76 Wie in den beiden vorhergehenden Phasen können die oben beschriebenen Ziele über die Gestaltung der Einflussgrößen Fähigkeiten, Präferenzen und interne und externe Zustände erreicht werden. Auch hier wird die Durchsetzungsfähigkeit zur Gestaltung sämtlicher Komponenten der Ungleichung eingesetzt.394 2.3.4.6 Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten Auch Brettel et al. gehen davon aus, dass die Gestaltung von Handlungen eines Akteurs durch einen weiteren Akteur möglich ist, der Steuerbarkeit jedoch Grenzen gesetzt sind. Damit wird im Rahmen des akteursbezogenen Ansatzes der in Kapitel 2.1.6 dargestellte ‘gemäßigte Voluntarismus’ vertreten.395 Die Grenzen der Gestaltbarkeit beruhen auf Ursachen, die teils Akteur 1, teils Akteur 2 zuzurechnen sind. So unterliegt Akteur 1 in der Regel Wissensbeschränkungen bezüglich der Basiseigenschaften von Akteur 2 (Fähigkeiten, Präferenzen, interne und externe Zustände und interne Modelle) in der Gegenwart und in der Zukunft – solches Wissen wäre jedoch zur genauen Beeinflussung von Akteur 2 notwendig. Unabhängig von den Wissensbeschränkungen ist in der Realität auch die Durchsetzungsfähigkeit von Akteur 1, also die Fähigkeit zur Beeinflussung oben genannter Eigenschaften, begrenzt.396 2.3.5

Veränderungsmanagement bei Akteuren höherer Ordnung

2.3.5.1 Begriff des Akteurs höherer Ordnung Aus der Binnenperspektive betrachtet entsteht ein Akteur höherer Ordnung397, wenn zwei oder mehr Akteure (die jeweils Individuen oder selbst Akteure höherer Ordnung sein können) zusammenwirken, um ihren antizipierten Nutzen zu erhöhen. Aus der Außenperspektive liegt ein Akteur höherer Ordnung vor, wenn diesem eine eigene Identität zugeordnet werden kann.398 Die Nutzenerhöhung kann sich aus einer Kooperationsbeziehung (auf der Basis von gemeinsamen oder unterschiedlichen Eigenschaftsdimensionen) oder einer Konkurrenzbeziehung ergeben, wobei die intuitive oder reflexive Wahrnehmung der nutzenerhöhenden Eigenschaften dem einzelnen Akteur seine potenzielle Zugehörigkeit zu einem Akteur höherer Ordnung aufzeigt.399 Akteure höherer Ordnung können sowohl aufgrund endogener als auch aufgrund exogener Ursachen entstehen oder verändert werden. Endogen entstehen ökonomische Akteure höherer

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Vgl. Brettel et al. (2002), S.12. Vgl. zum gemäßigten Voluntarismus Müller-Stewens/Lechner (2005), S. 554, Seidenschwarz (2003), S. 24 sowie Kirsch et al. (1979), S. 232-233. Vgl. Brettel et al. (2002), S.13. Zum Begriff des Akteurs höherer Ordnung vgl. Bach et al. (2002), S. 6-7 sowie Brettel et al. (2002), S. 14. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 14. Brettel et al. (2002), S. 14.

77 Ordnung durch Prozesse wechselseitiger Anpassung bei gleichlautenden („Netzwerk“) oder unterschiedlichen („Markt“) Zwecksetzungen. Exogene Entstehungsprozesse hingegen beruhen auf der Koordination durch die Anordnungen einer „Instanz“, die ebenfalls gleichlautende („Hierarchie“) oder unterschiedliche („Zwang“) Zwecksetzungen verfolgen kann.400 „Das Konstrukt des handelnden Akteurs ist damit nicht an eine spezielle Abstraktionsebene gebunden. Aus der Sicht z. B. einer Branche als Akteur höherer Ordnung entsprechen Unternehmen einzelnen Akteuren niedrigerer Ordnung, innerhalb eines Unternehmens einzelne Geschäftsfelder bzw. Organisationseinheiten, innerhalb dieser wieder einzelne Mitarbeiter. Ihnen kommen [in der außenperspektivischen Betrachtung, Anm. d. Verf.] jeweils abstraktionsebenenbezogen dieselben Eigenschaften zu.“401 2.3.5.2 Grundannahmen zum Veränderungsmanagement bei Akteuren höherer Ordnung Brettel et al. postulieren, dass grundsätzlich alle zuvor für einen individuellen Akteur beschriebenen Prozessschritte von Veränderung und Veränderungsmanagement auch für Akteure höherer Ordnung gültig sein sollen. Es lassen sich analog zu den individuellen Akteuren die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze im Veränderungsprozess unterscheiden, in denen die Fähigkeiten und Präferenzen sowie internen und externen Zustände jeweils Ansatzpunkte zur Gestaltung des Veränderungsprozesses bieten.402 Zudem gilt für Akteure höherer Ordnung ebenfalls die Prämisse der Nutzenmaximierung, d. h. Akteure höherer Ordnung verändern sich ebenfalls, wenn der antizipierte Nettonutzen der Veränderung positiv ist. Allerdings stellen sich Veränderungsprozesse (und das Veränderungsmanagement) – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird – bei Akteuren höherer Ordnung wesentlich umfangreicher und schwieriger dar als bei individuellen Akteuren. Die Akteure höherer Ordnung sind per se komplexer als individuelle Akteure. Dies wirkt sich auf die Veränderungsprozesse aus und führt vor allem zu steigenden Anforderungen an das Veränderungsmanagement, denen durch spezielle Methoden des Veränderungsmanagements bei Akteuren höherer Ordnung entsprochen werden muss.403 2.3.5.3 Hohe Komplexität von Akteuren höherer Ordnung - Ursachen Akteure höherer Ordnung können von hoher Komplexität gekennzeichnet sein.404 Die Komplexität der Akteure höherer Ordnung ist nach Brettel et al. grundsätzlich abhängig von der

400 401 402 403 404

Vgl. Brettel et al. (2002), S. 14. Bach et al. (2002), S. 7. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 15. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 15. Die große Komplexität bezieht sich (im systemtheoretischen Verständnis von Komplexität) lediglich auf das soziale System, das vom Veränderungsprozess betroffen ist. Das soziale System besteht im Fall eines gesteuerten Veränderungsprozesses bei individuellen Akteuren nur aus einem verändernden und dem zu verändernden Akteur. Im Fall des Veränderungsprozesses bei Akteuren höherer Ordnung sind, mit Ausnahme einer zwei-Personen-Organisation, mehr Akteure (systemtheoretisch: mehrere Subsysteme oder Elemente) zu verändern, was, da die Komplexität u. a. von der Anzahl der Elemente abhängig ist, c. p. einer

78 Anzahl der konstituierenden Akteure, die berücksichtigt werden müssen, deren Unterschiedlichkeit sowie der Anzahl von Beziehungen zwischen den Akteuren und der Unterschiedlichkeit ihrer Beziehungen.405 Diese Ursachen hoher Komplexität werden nachfolgend detailliert erläutert: (1) Vielzahl und Vielfalt von konstituierenden Akteuren unterschiedlicher Abstraktionsebenen: Die konstituierenden Akteure eines ökonomischen Akteurs höherer Ordnung können neben Individuen auch Akteure höherer Ordnung mehrerer weiterer Abstraktionsebenen sein. Dabei gibt es neben formellen ökonomischen Akteuren höherer Ordnung auch informelle ökonomische Akteure höherer Ordnung. Innerhalb einer Unternehmung wären formelle Akteure höherer Ordnung z. B. Abteilungen oder Projektteams, während informelle Akteure in Form von Fahrgemeinschaften oder Sportgruppen auftreten können. Hierdurch kann sich die Gesamtanzahl der konstituierenden Akteure eines Akteurs höherer Ordnung deutlich erhöhen. Ferner kann sich die Anzahl konstituierender Akteure dadurch erhöhen, dass Akteure niedrigerer Ordnung gleichzeitig Mitglied mehrerer verschiedener Akteure höherer Ordnung (auf der gleichen oder auf verschiedenen Abstraktionsebenen, formeller oder informeller Art) sein können. Die Zuordnung von konstituierenden Akteuren zu Akteuren höherer Ordnung im Veränderungsprozess stellt somit eine besondere Herausforderung dar. Weiterhin wird die Komplexität bei Akteuren höherer Ordnung dadurch vergrößert, dass die konstituierenden Akteure in aller Regel erheblich voneinander differenzieren, da sie unterschiedliche interne Modelle sowie unterschiedliche Präferenzen, Fähigkeiten, interne und externe Zustände aufweisen.406 (2) Vielzahl und Vielfalt von Beziehungen zwischen Akteuren: Mit der Anzahl der konstituierenden Akteure steigt auch die Anzahl der möglichen Beziehungen zwischen den Akteuren an. Obwohl die Anzahl tatsächlich realisierter Beziehungen in der Regel geringer als das potenzielle Maximum sein dürfte (aufgrund von kognitiven Beschränkungen und Reichweitenrestriktionen der Akteure), muss in aller Regel von einer Zunahme der Beziehungen mit steigender Anzahl von Akteuren ausgegangen werden. Die Beziehungen zwischen den Akteuren können zudem vielfältige Formen annehmen. Unterschiede ergeben sich zum Beispiel bezüglich des Inhalts (z. B. Austausch von Informationen, Geld, Gefälligkeiten usw.), der Intensität (Dauer, Häufigkeit, Verbindlichkeit usw.) oder der Ausgestaltung (formell, z. B. durch Verträge oder explizite

405 406

höheren Komplexität entspricht. Dies schließt jedoch nicht aus, dass das Individuum in einer anderen Betrachtungsebene, z. B. als biologisches System, wesentlich komplexer ist als ein ökonomischer Akteur, dem dieses Individuum als Element angehört. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 15. Die Ausführungen zu Vielzahl und Vielfalt der konstituierenden Akteure erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 15-16.

79 Regeln, sowie informell, z. B. auf Basis von gemeinsamer Freizeitgestaltung oder Freundschaften).407 2.3.5.4 Folgen hoher Komplexität für den Veränderungsprozess Verglichen mit Veränderungsprozessen bei individuellen Akteuren sind entsprechende Vorgänge bei Akteuren höherer Ordnung deutlich komplexer. Dies lässt sich auf die Vielzahl und Vielfalt der Akteure und ihrer Beziehungen (d. h. die hohe Komplexität der Akteure höherer Ordnung) sowie die mögliche Ungleichzeitigkeit der Veränderung bei den konstituierenden Akteuren zurückführen. Somit führt die größere Komplexität der Akteure höherer Ordnung zu einer größeren Komplexität der Veränderungsprozesse bei Akteuren höherer Ordnung. Dies soll im Einzelnen dargestellt werden: (1) Mehr Akteure und Beziehungen, die Veränderungen unterworfen sein können: Eine größere Komplexität von Veränderungsprozessen bei Akteuren höherer Ordnung entsteht dadurch, dass sowohl eine größere Anzahl und Vielfalt von Akteuren als auch eine größere Anzahl und Vielfalt von Beziehungen zwischen den Akteuren vom Veränderungsprozess betroffen sein können. Im Gegensatz zu Veränderungsprozessen bei individuellen Akteuren können Veränderungsprozesse bei Akteuren höherer Ordnung deren quantitative und qualitative Zusammensetzung sowie deren interne Beziehungen betreffen. Es können im Veränderungsprozess zudem gänzlich neue Akteure höherer Ordnung entstehen, 408 die der Veränderung sowohl positiv als auch negativ gegenüberstehen können und daher im Rahmen des Veränderungsmanagements beachtet werden müssen. Tendenziell steigt die Komplexität der Veränderungsprozesse mit der Größe des Akteurs höherer Ordnung an.409 (2) Ungleichzeitigkeit von Prozessen bei konstituierenden Akteuren: Für konstituierende Akteure kann gelten, dass ihre Eigenschaften – Fähigkeiten, Präferenzen, interne und externe Zustände sowie interne Modelle – und dadurch ihre Nutzenbewertungen bezüglich des Veränderungsprozesses, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausfallen und von derjenigen des Akteurs höherer Ordnung divergieren. Der Nettonutzen einer Veränderung kann von den konstituierenden Akteuren aber nicht nur zeitpunktbezogen unterschiedlich bewertet werden, sondern die Bewertung kann sich im Zeitablauf auch unterschiedlich entwickeln (z. B. sind manche Akteure schneller von einer Veränderung überzeugt als andere). Selbst bei gleicher positiver Bewertung des Nettonutzens der Veränderung sind jedoch vermutlich nicht alle Akteure zu einer gleich schnellen Umsetzung des Veränderungsprozesses in der Lage (z. B. aufgrund

407

408 409

Die Ausführungen zu Vielzahl und Vielfalt von Beziehungen zwischen Akteuren erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 16. Z. B. Projektgruppen oder „Widerstandsnester“, die sich im Veränderungsprozess bilden. Die Ausführungen zu Ziffer (1) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 17.

80 unterschiedlicher Fähigkeiten). Die Ungleichzeitigkeit der Veränderungen bei verschiedenen konstituierenden Akteuren kann im Extremfall sogar dazu führen, dass der Akteur höherer Ordnung zerbricht. Demnach finden Veränderungen bei den konstituierenden Akteuren eines Akteurs höherer Ordnung in der Regel nicht einheitlich und zeitgleich statt, sondern es ergeben sich asynchrone Phasenverläufe bei den verschiedenen Akteuren.410 (3) Gegenseitige Beeinflussung von Akteuren im Veränderungsprozess: Aus den Beziehungen und Interaktionen von Akteuren einer Abstraktionsebene sowie zu Akteuren anderer Abstraktionsebenen resultiert die gegenseitige Beeinflussung der Akteure. Das Handeln eines Akteurs stellt einen externen Zustand für andere Akteure und ihr Handeln dar. Dies trifft ebenso auf Handlungen zu, die im Rahmen eines Veränderungsprozesses vorgenommen werden. So kann z. B. das Verhalten eines Vorgesetzten in einem Veränderungsprozess zu einer veränderten Antizipation des Nettonutzens der Veränderung bei den ihm unterstellten Mitarbeitern führen.411 2.3.5.5 Folgen hoher Komplexität für das Veränderungsmanagement Die Handlungsmuster von Akteuren höherer Ordnung werden ebenso wie die von Akteuren niedrigerer Ordnung durch ihre internen Modelle (und deren Einflussfaktoren Fähigkeiten, Präferenzen, interne und externe Zustände) bestimmt. Hierdurch ergibt sich grundsätzlich eine entsprechende Gestaltung von Veränderungsprozessen bei Akteuren höherer Ordnung.412 Im Einzelnen sind für das Veränderungsmanagement jedoch Unterschiede festzustellen, die sich aus der in Kapitel 2.3.5.3 begründeten höheren Komplexität und der die Komplexität verursachenden Faktoren, nämlich der Vielzahl und Vielfalt der Akteure, der Vielzahl und Vielfalt ihrer Beziehungen, der Ungleichzeitigkeit der Veränderungsprozesse und der gegenseitigen Beeinflussung der Akteure im Veränderungsprozess ableiten lassen. In der Folge gewinnen insbesondere Möglichkeiten der Reduzierung und des Umgangs mit Komplexität für das Veränderungsmanagement an Bedeutung, da hierdurch Beschränkungen aufgrund begrenzter Fähigkeiten (kognitive Restriktionen oder Reichweitenrestriktionen) entgegengewirkt werden kann.413 Im Kern zielt die Komplexitätsreduktion darauf ab, bei umfangreicheren Akteuren höherer Ordnung nicht den gesamten Akteur als homogene Einheit zu verändern, sondern Veränderungen gezielt bei ausgewählten konstituierenden Akteuren koordiniert auszulösen, damit sich im Idealfall die Veränderung kaskadenförmig im gesamten Akteur höherer Ordnung fort-

410 411 412 413

Die Ausführungen zu Ziffer (2) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 17-18. Die Ausführungen zu Ziffer (3) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 18. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 18. Vgl. Brettel et al. (2002), S. 18-19.

81 setzt.414 Hieraus ergeben sich spezifische Aufgabenfelder für das Veränderungsmanagement bei Akteuren höherer Ordnung, die nachfolgend beschrieben werden: (1) Identifikation als Aufgabe des Veränderungsmanagements: „Vorausgesetzt, dass nicht alle konstituierenden Akteure einen Veränderungsprozess signifikant beeinflussen, ergibt sich aus der Vielzahl und Vielfalt der Akteure und ihrer Beziehungen die Notwendigkeit, zunächst die relevanten Akteure und Beziehungen zu identifizieren. Erst die Identifikation der für den Veränderungsprozess relevanten Akteure ermöglicht ihre gezielte Beeinflussung im Sinne eines Veränderungsmanagements.“415 Besondere Bedeutung kommt dabei der Feststellung von drei Eigenschaften der identifizierten konstituierenden Akteure zu: Erstens ihrer Durchsetzungsfähigkeiten gegenüber anderen Akteuren, zweitens ihres antizipierten Nettonutzens der Veränderung, der die positive oder negative Haltung gegenüber dem Veränderungsprozess maßgeblich beeinflusst und drittens die Häufigkeit der Interaktionen mit unterschiedlichen Akteuren. Alle drei Aspekte wirken sich auf die Beeinflussung anderer Akteure im Veränderungsprozess aus. Durch ihre unterschiedlichen Ausprägungen bilden sich Cluster, die im Veränderungsmanagement unterschiedlich bedacht werden müssen. Zum Beispiel: Man kann bei einem Akteur mit hoher Durchsetzungsfähigkeit, stark negativem antizipierten Nettonutzen und häufiger Interaktion mit unterschiedlichen Akteuren davon ausgehen, dass er den Veränderungsprozess nachhaltig negativ beeinflusst. Ihn wird das Veränderungsmanagement mit anderen Maßnahmen bedenken müssen als einen Akteur mit stark positivem Nettonutzen, geringer Durchsetzungsfähigkeit und seltener Interaktion (der sich über die Veränderung „im Stillen freut“). Entsprechend ergeben sich unterschiedliche Gestaltungsmaßnahmen für Akteure mit differierenden Ausprägungen der drei eingangs erwähnten Eigenschaften.416 (2) Koordination ungleichzeitiger Veränderungsprozesse: Die Möglichkeit ungleichzeitig stattfindender Veränderungsprozesse bei konstituierenden Akteuren sowie die gegenseitige beabsichtigte oder unbeabsichtigte Beeinflussung der Akteure führt für das Veränderungsmanagement zur Notwendigkeit der Koordination der verschiedenen Veränderungsprozesse. Sie müssen inhaltlich aufeinander abgestimmt und in einer sinnvollen Reihenfolge bearbeitet werden. Zum Beispiel: Es wird sich oftmals als sinnvoll erweisen, zunächst einen Vorgesetzten zur Veränderung zu bewegen, bevor seine Mitarbeiter zur Veränderung veranlasst werden, weil das Handeln des Vorgesetzten einen relevanten externen Zustand für die Mitarbeiter darstellt. Das Veränderungsmanagement wäre bei den Mitarbeitern möglicherweise schwieriger, solange der

414 415 416

Vgl. Brettel et al. (2002), S. 19. Brettel et al. (2002), S. 19. Die Ausführungen zu Ziffer (1) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 19.

82 Vorgesetzte nicht die Phase Unfreeze durchlaufen, einen positiven Nettonutzen der Veränderung antizipiert und dies seinen Mitarbeitern signalisiert hat.417 (3) Bewusste Nutzung gegenseitiger Beeinflussung: In Kapitel 2.3.5.4 wurde die Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung der Akteure im Rahmen des Veränderungsprozesses beschrieben. Diese Interaktion der Akteure ist für das Veränderungsmanagement relevant und bei der Gestaltung des Übergangs zu Zustand B zu berücksichtigen. Dies schließt auch die Möglichkeit der bewussten Nutzung durch das Veränderungsmanagement ein. Zum Beispiel: Eine Aufgabe des Veränderungsmanagements kann bei Akteuren höherer Ordnung darin bestehen, dass konstituierende Akteure ausgewählt werden, die als Promotoren418 für die Veränderung weiterer Akteure unterschiedlicher Ebenen dienen. Geeignete Promotoren, die sich durch eine große Durchsetzungsfähigkeit, häufige Interaktionen mit vielen Akteuren und einen positiven Nettonutzen der Veränderung auszeichnen, setzen ihre Durchsetzungsfähigkeit ein, um weitere Akteure für die Veränderung zu gewinnen. Neben der Auswahl der als Promotoren geeigneten Akteure ist es zudem die Aufgabe des Veränderungsmanagements, für die Promotoren sicherzustellen, dass deren interne Modelle – basierend auf ihren Fähigkeiten, Präferenzen, internen und externen Zuständen – die Erfüllung dieser Aufgabe zulassen. Gegebenenfalls müssen die internen Modelle der Promotoren durch Maßnahmen des Veränderungsmanagements angepasst werden. Ferner können sich innerhalb der Akteure höherer Ordnung „kritische Massen“419 ergeben, deren Veränderung die Voraussetzung für die Veränderung des jeweiligen gesamten Akteurs (höherer Ordnung) ist. „Die ‘kritische Masse’ ist derjenige Akteursanteil eines Akteurs höherer Ordnung, dem es gelingt, den gesamten Akteur höherer Ordnung der jeweiligen Betrachtungsebene zur Veränderung zu bewegen. Die kritische Masse bezieht ihre Beeinflussungsstärke aus dem Produkt der Anzahl der konstituierenden Akteure und der Stärke ihrer jeweils ausgeübten Durchsetzungsfähigkeit.“420 Unter Gesichtspunkten der Effizienz- und Komplexitätsreduktion kann es für das Veränderungsmanagement sinnvoll sein, eine kritische Masse vor allem durch die gezielte Beeinflussung von Akteuren mit hoher Durchsetzungsfähigkeit und häufigen Interaktionen herbeizuführen.421

417 418 419

420 421

Die Ausführungen zu Ziffer (2) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 20. Zum Promotorenkonzept siehe auch Kapitel 2.1.9.5 sowie Witte (1973), S. 14-16. Kotter spricht hier von „minimum mass“; Kotter (1995a), S. 62, bzw. in der Übersetzung von „minimaler kritischer Menge“; Kotter (1995b), S. 23. Brettel et al. (2002), S. 21. Die Ausführungen zu Ziffer (3) erfolgen in enger Anlehnung an Brettel et al. (2002), S. 21.

83 2.3.6

Komparative Bewertung des akteursbezogenen Ansatzes

Die in Kapitel 2.2 und 2.3 dargestellten Ansätze des Veränderungsmanagements sollen einer komparativen Bewertung unterzogen werden, um die Wahl des Referenzmodells für die empirische Untersuchung zu begründen. Hierzu werden zunächst die Kriterien dargelegt, die der zu verwendende Ansatz erfüllen soll. (1) Der Handlungskontext von und in Ministerien und seine Wirkung auf Veränderungsprozesse wurden bislang nur unzureichend beschrieben. Die Analyse dieses spezifischen Handlungskontextes im Sinne eines explorativen Vorgehens ist deshalb explizites Forschungsziel (siehe Kapitel 1.2). Daher sollte das verwendete Referenzmodell die Wirkung des Handlungskontextes auf Veränderungsprozesse abbilden. (2) Da die Wirkung des spezifischen Handlungskontextes ex ante nicht abzusehen ist, dürfen keine Deutungsmuster a priori ausgeschlossen werden. Daher muss der zu verwendende Ansatz offen für neue Erklärungen sein. Ein Referenzmodell, das primär ein Set zu überprüfender Hypothesen vorgibt, erscheint für die Beantwortung der gestellten Forschungsfragen nicht sinnvoll (siehe Kapitel 4). (3) Veränderungsprozesse stellen eine Abfolge vielfältiger Ereignisse und Aktivitäten unterschiedlicher Akteure dar und sind komplex. In der Literatur des Veränderungsmanagements haben sich zur Analyse historischer Veränderungsprozesse daher Phasenmodelle durchgesetzt, die Veränderungsprozesse strukturieren (siehe Kapitel 2.1.8). In der nachstehenden empirischen Untersuchung werden ebenfalls komplexe historische Veränderungsprozesse analysiert. Deswegen sollte das verwendete Referenzmodell ein Phasenmodell als Strukturierungsraster beinhalten. (4) Zielsetzung der empirischen Untersuchung ist die umfassende Analyse von Erfolgsfaktoren für Veränderungsprozesse in Ministerien. Daher darf das verwendete Referenzmodell keine ‘Partialtheorie’ darstellen, die lediglich einen Ausschnitt der Erfolgsfaktoren erfasst, sondern muss die Veränderungsprozesse ganzheitlich beleuchten. Es ist zu analysieren, welcher der vorgestellten Ansätze des Veränderungsmanagements diesen Kriterien am stärksten entspricht. Lewins Modell: Der Ansatz Kurt Lewins beinhaltet zwar das bedeutsamste Phasenmodell der Literatur des Veränderungsmanagements, sieht aber keine explizite Betrachtung des historischen Handlungskontextes eines Veränderungsprozesses vor. Die von Lewin in den Vordergrund gerückte Laboratoriumsmethode versucht vielmehr, den historischen Kontext auszublenden und unter stabilen Rahmenbedingungen gruppendynamische Prozesse zu analysieren. Damit ist Lewins Ansatz eher als ‘Partialtheorie’ des Veränderungsmanagements zu verstehen.

84 Organisationsentwicklung (OE) und Organisationstransformation (OT): Die Organisationsentwicklung ist stark verbunden mit der Action Research-Methode, die Forschung und Beratung unmittelbar miteinander koppelt. Sie nutzt zudem i. d. R. ein bestimmtes Repertoire an ‘Technologien’ der angewandten Sozialwissenschaft, um Abläufe in Veränderungsprozessen zu beeinflussen (siehe Kapitel 2.2.2.2 und 2.2.2.3). Das hat ihr den Vorwurf eingetragen, theoretisch wenig fundiert und eine „präskriptive Sozialtechnologie“422 zu sein. Zudem ist die OE stark psychologisch/psychotherapeutisch orientiert (siehe Kapitel 2.2.2.3). Damit ist die OE weder für ein Forschungsvorgehen, das keine Beeinflussung der untersuchten Organisation vorsieht423 noch für außerhalb der Psychologie/Psychotherapie liegende Erklärungsmuster ausreichend offen. Auch die Organisationstransformation zeigt eine starke Gestaltungsorientierung und wird von Seidenschwarz in das Konzept des Business Reengineering eingeordnet (siehe Kapitel 2.2.3). Zudem verengt die OT die Betrachtung auf Wandel 2. Ordnung und schließt damit Erklärungsmuster für weniger radikale Wandlungsprozesse aus, die aber in der vorliegenden Untersuchung analysiert werden. Theorien organisationalen Lernens: Diese Theorien stellen Lernen bzw. Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Zwar findet hier der Handlungskontext verstärkt Berücksichtigung, die Präferenzen und ihre Relation zu den Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen stehen jedoch nicht im Fokus. Damit sind sie zur umfassenden Analyse der Erfolgsfaktoren eines Veränderungsprozesses nicht geeignet. Die Theorien organisationalen Lernens umfassen zudem kein Phasenmodell, das zur Strukturierung der vielfältigen Ereignisse und Aktivitäten eines Veränderungsprozesses geeignet wäre. Kotters acht Kardinalfehler: Der Ansatz stellt weniger einen konzeptionellen Rahmen als vielmehr die Essenz der persönlichen Erfahrungen Kotters mit Veränderungsprozessen dar. Kotter gibt sehr konkret gefasste Empfehlungen für die Gestaltung von Veränderungsprozessen, die im Rahmen einer empirischen Untersuchung überprüft werden könnten, jedoch wenig hilfreich für das Erkennen darüber hinausgehender Erfolgsfaktoren sind. Damit erscheint der Ansatz Kotters als Referenzmodell der empirischen Untersuchung dieser Arbeit als gänzlich ungeeignet. Krügers 3W-Modell: Das Modell Krügers stellt einen sehr umfassenden und offenen Rahmen zur Betrachtung des Veränderungsmanagements dar, der sowohl ein Phasenkonzept umfasst als auch Präferenzen (Wandlungsbereitschaft) und Fähigkeiten (Wandlungsfähigkeit) in die Betrachtung integriert. Die Behandlung des Handlungskontextes konzentriert sich indes auf die Erzeugung der Notwendigkeit zu Veränderungen (Wandlungsbedarf) und auf die Beeinflussung der Richtung des Wandels (siehe Kapitel 2.2.6). Die Wirkung des Handlungskon-

422 423

Staehle (1999), S. 588. Die vorliegende empirische Untersuchung erhebt nicht den Anspruch, die analysierten Organisationen beeinflussen zu wollen.

85 textes auf den Verlauf und den Erfolg des Veränderungsprozesses findet jedoch auch im 3WModell kaum Berücksichtigung. St. Galler General Management Navigator (GMN): Dieser Ansatz kombiniert, ähnlich dem 3W-Modell, einen sehr offenen und (relativ) umfassenden konzeptionellen Rahmen mit einem Phasenmodell des Veränderungsmanagements. Doch auch hier wird die Betrachtung des Handlungskontextes auf die Anspruchsgruppen (‘Stakeholder’) einer Organisation eingeengt (siehe Kapitel 2.2.7). Darüber hinausgehende Bestandteile des Handlungskontextes wie z. B. die Gesetzgebung finden hingegen kaum Beachtung. Akteursbezogener Ansatz: Diese Sichtweise verbindet die in der Literatur bewährte Phasenbetrachtung, hier das triadische Modell Lewins, mit dem Grundmodell einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure, wodurch ein sehr umfassendes Verständnis von Veränderungsprozessen bzw. von Veränderungsmanagement abgeleitet wird, das alle relevanten Dimensionen beinhaltet: ƒ

In jeder der drei Phasen Unfreeze, Move und Refreeze sind

ƒ

Akteure verschiedener Ebenen (Individuen oder alle Ebenen von Akteuren höherer Ordnung) am Veränderungsprozess beteiligt. Diese sind charakterisiert durch

ƒ

Fähigkeiten, Präferenzen sowie interne und externe Zustände. Auf diese Größen kann im Rahmen des Veränderungsmanagements eingewirkt werden.

ƒ

Zur Beeinflussung des Nettonutzens der Veränderung kann an allen Komponenten der Bewertung angesetzt werden (NNV = NVM – KVM – KÜ + NÜ – NBM + KBM sowie ab der Phase Move die Nettokosten des Rückübergangs).

Damit bietet das Modell umfassende Möglichkeiten zur Strukturierung der Analyse von Veränderungsprozessen und des Veränderungsmanagements. Ein Spezifikum des Ansatzes ist darin zu sehen, dass er die externen Zustände explizit thematisiert. Externe Zustände sind nicht nur ein ‘gegebener Kranz an Daten’ im Sinne eines feststehenden, unbeeinflussbaren Handlungskontextes, sondern ausdrücklich Gestaltungsfeld des Veränderungsmanagements. Dabei werden nicht nur externe Zustände betrachtet, denen der Akteur ‘Gesamtorganisation’ ausgesetzt ist (‘äußere externe Zustände’), sondern auch externe Zustände, die für die Akteure innerhalb einer Gesamtorganisation vorliegen (‘innere externe Zustände’) und die v. a. durch das Handeln interner Akteure generiert werden. Das ist für die vorliegende Arbeit unabdingbar, weil hier die externen Zustände von und in Ministerien explorativ untersucht werden sollen. Zudem ist der Ansatz durch seinen relativ geringen Detaillierungsgrad sehr offen und lässt Raum für verschiedene Deutungsmuster. Weiterhin erlaubt der akteursbezogene Ansatz die Integration weiterer Theorien (z. B. aus dem Bereich der Motivation), um die Entstehung oder den Wandel von Präferenzen zu erklären. Diese Offenheit des Ansatzes ist insbesondere für

86 die Nutzung der Forschungsstrategie der Case Study Research zur Generierung von Thesen sehr hilfreich (siehe Kapitel 4), da hier keine Erklärungen a priori ausgeschlossen werden sollen. Außerdem kann das in Kapitel 1.2 formulierte Forschungsziel, den akteursbezogenen Ansatz hinsichtlich seiner Eignung zur Erklärung beobachtbarer Phänomene in Veränderungsprozessen zu bewerten, naturgemäß nur durch dessen Anwendung erreicht werden. Zusammenfassend betrachtet ist der akteursbezogene Ansatz damit für die vorliegende Untersuchung in besonderem Maße geeignet.

87

3

Reformprozesse in Ministerien und nachgeordneten Behörden als Untersuchungsobjekt

3.1 Charakterisierung von Ministerien und nachgeordneten Behörden 3.1.1

Zielsetzung von Organisationen des öffentlichen Sektors

Organisationen des öffentlichen Sektors unterscheiden sich von Organisationen der Privatwirtschaft grundsätzlich durch ihre Zielsetzung. Behörden verfolgen, anders als Unternehmen, nicht das Ziel der Gewinnmaximierung. Primäres Ziel ist aus ökonomischer Sicht vielmehr die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern. Öffentliche Güter im klassischen Sinn sind solche Güter, die durch fehlende Rivalität im Konsum und/oder mangelnde Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips gekennzeichnet sind.424 Die fehlende Rivalität im Konsum bedeutet, dass die Grenzkosten der Nutzung gleich null sind, wie z. B. im Fall einer Radiosendung, deren Produktion und Ausstrahlung sich nicht dadurch verteuert, dass ein zusätzliches Radiogerät eingeschaltet wird. Das Prinzip der fehlenden Rivalität im Konsum begründet insofern eine Sicherstellung der Versorgung solcher Güter durch den Staat, als durch die zur Verfügungstellung für alle Bürger die Effizienz erhöht wird (bei gleichem Ressourceninput erreicht man eine höhere Nutzung). Die mangelnde Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips bedeutet, dass man einzelne Akteure nicht von der Nutzung des Gutes ausnehmen kann, wie z. B. bei einem Deich, der, wenn er einmal gebaut ist, zwangsläufig alle dahinter liegenden Anwohner schützt. Die fehlende Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips setzt prinzipiell Anreize zu einem Free-Rider-Verhalten.425 Daher kommen solche Güter in privater Initiative nicht zustande oder es wird als Aufgabe des Staates angesehen, dieses Free-Rider-Verhalten auszuschließen.426 Im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern wird auch von Marktversagen gesprochen, weil der Markt weniger geeignet erscheint, die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Gütern zu gewährleisten als der Staat.427 Die Versorgung mit öffentlichen Gütern erfolgt also nicht über marktliche, sondern politische Prozesse.428

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428

Vgl. Zimmermann/Henke (1994), S. 42-50, Damkowski/Precht (1995), S. 63. Beispiel: Der einzelne Akteur beteiligt sich nicht an den Kosten des Deiches, sondern verlässt sich darauf, dass andere dies tun und begründet sein Verhalten offiziell damit, dass er eine Sturmflut für sehr unwahrscheinlich hält. Zum gesamten Themenbereich der öffentlichen Güter vgl. Zimmermann/Henke (1994), S. 42-50 Vgl. Damkowski/Precht (1995), S. 63. Es kann jedoch diskutiert werden, ob der Begriff des ‘Versagens’ hier tatsächlich angebracht ist oder ob es nicht einfach einen Bereich von Gütern gibt, der für die marktliche Versorgung geeignet ist und einen Bereich von Gütern der, ohne wertendes Vokabular wie ‘Versagen’ zu verwenden, als Aufgabenfeld des Staates angesehen werden kann. Es entscheiden politisch legitimierte Parlamentarier über die Versorgung mit öffentlichen Gütern, die von der Exekutive dann sicherzustellen ist. Vgl. hierzu auch Weber (1996), S. 6.

88 Als primäre Zielsetzung von Unternehmen sei hier das Gewinnziel unterstellt,429 somit ein Formalziel430, also eine monetäre Größe, die verhältnismäßig leicht festzustellen ist.431 Die primären Ziele der Organisationen des öffentlichen Sektors liegen hingegen in der Bereitstellung oben beschriebener öffentlicher Güter, somit in Sachzielen. Bereits die Definition der relevanten Leistungen einer öffentlichen Organisation ist aber zumeist schwierig.432 So ist die Aussage, dass das Bundesministerium der Verteidigung ‘äußere Sicherheit produziert’, wenig greifbar, interpretationsfähig und interpretationsbedürftig. Die aktuelle kontroverse Diskussion, ob der ‘Bundeswehreinsatz am Hindukusch’ einen Fall der nationalen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland darstellt oder nicht, kann dies beispielhaft belegen. Noch schwieriger ist es aber hier, Ziel-/bzw. Erfolgsgrößen zu definieren und diese zu messen.433 Die Leistung der Bundeswehr innerhalb einer Periode ist nicht ohne größere Anstrengungen zu bewerten. Um ein anderes Beispiel zu bemühen: Es ist offensichtlich leichter festzustellen, ob eine private Klinik einen der Zielvorgabe der Investoren entsprechenden Jahresgewinn erwirtschaftet hat, als zu bestimmen, ob ein kommunales Krankenhaus eine angemessene Qualität klinischer Gesundheitsversorgung erbracht hat. Die mangelnde Operationalisierbarkeit und Messbarkeit der Zielerreichung wirkt sich auf die Steuerung von Organisationen des öffentlichen Sektors aus, was in Kapitel 3.1.4 aufgegriffen werden soll. 3.1.2

Abgrenzung von Ministerien gegenüber Kommunen

Untersuchungsobjekt dieser Arbeit sind Ministerien und nachgeordnete Behörden. Daher soll an dieser Stelle eine Abgrenzung gegenüber anderen Organisationen des öffentlichen Sektors vorgenommen werden, insbesondere gegenüber Kommunen.434 Ministerien einschließlich ihrer nachgeordneten Behörden stellen die ‘Großorganisationen’ des öffentlichen Sektors dar, wohingegen die Kommunen mit Ausnahme einiger weniger Großstädte als ‘Mittelständler des öffentlichen Sektors’ bezeichnet werden können. So gehö-

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Es wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass es andere primäre Zielsetzungen geben kann, wie z. B. der Erhalt der Selbständigkeit im Fall eines traditionellen Familienunternehmens oder soziale Ziele aufgrund der Werte des Unternehmers/Eigentümers. Formalziele können in monetären Größen ausgedrückt werden, Sachziele hingegen verfügen über eine ‘physische’ Ausprägung und können in Mengen, Qualitäten, Zeiten usw. ausgedrückt werden. Vgl. hierzu Weber (2004), S. 320 und 365. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass dies eine verkürzte Darstellung ist. Zwar ist der Jahresgewinn verhältnismäßig leicht zu ermitteln, für den Erfolg eines Unternehmens ist jedoch dieser nicht allein ausschlaggebend, wie z. B. die Diskussion um den Shareholder Value nach der Discounted-CashFlow-Methode zeigt. Demnach ist es entscheidend, welche Einzahlungsüberschüsse das Unternehmen in der Zukunft (ggf. in einer ‘Ewigkeitsbetrachtung’) erzielt und wann diese Überschüsse anfallen (da sie abgezinst werden müssen). Vgl. hierzu sowie zu anderen relevanten Konzepten der Erfolgsmessung in Unternehmen Weber et al. (2004). Vgl. Weber (2002), S. 482. Vgl. Weber (2002), S. 482. Kommunen werden deshalb hier dargestellt, weil sie in der förderalistischen Struktur Deutschlands den ‘Gegenpol’ zu Bundesministerien darstellen. Länderbehörden stellen sozusagen die ‘Zwischenstufe’ dar, die hier nicht abgegrenzt werden soll.

89 ren zum Bereich des Bundesverkehrsministeriums insgesamt ca. 27.000 Mitarbeiter, verteilt auf 68 Behörden435, z. B. Wasser- und Schifffahrtsbehörden, Eisenbahn- und Luftfahrtbundesamt, Deutscher Wetterdienst usw. Dem Bundesministerium der Verteidigung sind insgesamt sogar ca. 370.000 Mitarbeiter unterstellt.436 Zudem sind die nachgeordneten Behörden der Ministerien zumeist stark disloziert, im Fall des Bundesverkehrsministeriums verteilen sich die 68 Behörden auf über 200 Dienststellen im gesamten Bundesgebiet. Die Dienststellen des Auswärtigen Amtes (Botschaften) sind sogar global verteilt. Kommunalverwaltungen hingegen sind räumlich konzentriert. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die Kommunikationsprozesse, z. B. auf die Möglichkeit zu persönlicher Kommunikation innerhalb des Bereichs der Behörden. Ministerien sind zudem inhaltlich spezialisiert, z. B. auf Justiz, äußere Sicherheit oder Verkehr. Kommunen hingegen stellen ein breiteres Spektrum an öffentlichen Leistungen bereit, z. B. Bildung (kommunale Schulen), Gesundheit (Krankenhäuser), innere Sicherheit (Ordnungsämter/Ortspolizeibehörden) sowie Freizeit und Familie (Sportstätten). Ministerien sind die ‘Spezialisten’, Kommunen hingegen die ‘Gemischtwarenläden’ des öffentlichen Sektors. Ein weiterer Unterschied ist darin zu sehen, dass die Kommunen einem wesentlich höheren Grad der Fremdbestimmung unterworfen sind als die Ministerien. Kommunen sind verwaltungsrechtlich ‘Glieder der Länder’ und müssen in dieser Eigenschaft Landesgesetze umsetzen. In erheblichem Umfang gilt dies auch für Bundesgesetze.437 Bundesministerien haben hingegen durch die Minister sowie die parlamentarischen Staatssekretäre einen unmittelbaren Zugang zur Gesetzgebung. Die Bundesministerien bereiten in aller Regel die Bundesgesetze vor und können somit de facto (indirekt, z. B. beratend) Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Zudem sind die Kommunen in finanzieller Hinsicht von Bund und Ländern abhängig, da eine wesentliche Finanzierungsquelle in Zuweisungen liegt, die wiederum teilweise zweckgebunden vergeben werden. Im Jahr 2005 waren nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes von insgesamt ca. 149 Mrd. € Euro Einnahmen 41,4 Mrd. € Zuweisungen von Bund und Ländern.438 Zudem ist das Handeln der Bundesministerien sehr viel stärker von internationalen Verflechtungen gekennzeichnet als kommunales Handeln. Nationale Vorgänge sind oft auf internatio-

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Diese Auskunft wurde im Rahmen der Fallstudien direkt vom Ministerium erteilt. Diese Zahl wurde der offiziellen Bundeswehr-Homepage entnommen: http://www.bundeswehr-karriere.de mit dem Stand vom 27.02.2006. Busch (2004), S. 20: „Organisatorisch sind Gemeinden Glieder des Landes und gehören zur unmittelbaren Staatsverwaltung, indem sie […] in Bezug auf Bundes- und Landesgesetze ausführenden Charakter haben.“ Vgl. hierzu auch Thom/Ritz (2000), S. 38. Die Zahlen wurden entnommen: Homepage des Deutschen Städte- und Gemeindebundes http://www.dstgb.de mit Stand 27.02.2006.

90 nale politisch-rechtliche Systeme wie EU, UNO oder NATO abzustimmen oder werden von diesen beeinflusst.439 3.1.3

Max Webers Bürokratiemodell

Eine Charakterisierung der Bürokratie ist ohne das Modell Max Webers heute kaum vorstellbar und gewiss unvollständig. Webers Leitidee ist die Rationalisierung, die eine „[…] zunehmende Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit der Probleme der natürlichen und sozialen Welt durch Wissenschaft, Technik und Organisation bezeichnet.“440 Handlungen sind an der Ratio wissenschaftlicher Ausprägung auszurichten. Diese Rationalisierung legt Weber auch der Gestaltung der Bürokratie zugrunde. Eine Bürokratie, die dieser Leitidee entspricht, verfügt nach Weber über folgende Merkmale:441 ƒ

In der Bürokratie gilt das Prinzip der regelgebundenen Amtsführung. Sie erfolgt nach generellen, personenunabhängigen Regeln, die sich auf die Vergabe der Kompetenzen der Beamten, die Aufgabenerledigung und die Kommunikation in der Behörde (den ‘Dienstweg’) erstrecken. Die strenge Orientierung an Regeln soll Willkür und Korruption entgegenwirken.442

ƒ

Die Behörden nutzen Arbeitsteilung und Spezialisierung, es gibt eine feste Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeitsbereichen (‘amtliche Pflichten’). An die Zuständigkeit ist auch die Vergabe von Kompetenzen bzw. Entscheidungsbefugnissen gebunden sowie die Ausstattung mit der entsprechenden ‘Befehlsgewalt’ des Beamten. Die Vergabe der Zuständigkeiten erfolgt nach Ausbildung und Qualifikation.443

ƒ

Es existiert eine straffe Amthierarchie (‘Instanzenzug’), d. h. ein klares System von Über- und Unterordnung, bei denen die ‘Oberen’ die ‘Unteren’ beaufsichtigen. Dabei herrscht keineswegs Willkür, sondern auch die ‘Oberen’ sind an Regeln gebunden und verfügen dabei über klar definierte und begrenzte Zwangsmittel der Disziplinierung. Die Vorgesetzten können z. B. den untergebenen Beamten nicht nach Belieben Aufgaben entziehen. Die höheren Instanzen haben Konflikte zu lösen und Aufgaben wahrzunehmen, die den Bereich eines Untergeordneten überschreiten. Ihre Rolle ist durch ihre höhere Qualifikation legitimiert und dadurch, dass sie einen größeren Bereich überschauen.444 Innerhalb der Hierarchie wird nur ‘legale Herrschaft’ ausgeübt,

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Zur internationalen Ausrichtung staatlichen Handelns vgl. Thom/Ritz (2000), S. 69. Kieser (1995c), S. 34. Zu den Merkmalen der von Rationalität geleiteten Bürokratie vgl. Weber (1976), S. 551-561, Thom/Ritz (2000), S. 17-19, Kieser (1995c), S. 40-41. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 18, Kieser (1995c), S. 40. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 18, Kieser (1995c), S. 40. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 18, Kieser (1995c), S. 40.

91 ‘charismatische oder traditionale Herrschaft’ gelten als vorrationale Herrschaftsformen (siehe auch Kapitel 2.1.9.2).445 ƒ

Für die Behörden gilt die Maßgabe der ‘Aktenmäßigkeit’ der Verwaltung. Zur besseren Nachvollziehbarkeit und Kontrollierbarkeit erfolgt die Kommunikation über den Dienstweg schriftlich und wird in Akten protokolliert. Die Dokumentation dient zudem dazu, Vorgänge unabhängig von einzelnen Beamten (z. B. in deren Abwesenheit oder nach deren Ausscheiden aus dem Dienst) bearbeiten zu können.446

ƒ

Ein wesentlicher Pfeiler der Bürokratie ist das Beamtentum: Die Beamten werden aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation ausgewählt. Es besteht ein Kontrakt zwischen Beamten und Dienstherren. Der Beamte wird mit festem, regelmäßigem, am Dienstgrad orientierten Entgelt entlohnt, erhält eine langfristige, meist lebenslange Zukunftssicherung und steigt in einer vorgezeichneten Laufbahn nach ‘Anciennität’ auf. Dafür ist er dem ‘Dienstherrn’ zu besonderer Treue verpflichtet, übt seine Tätigkeit frei von persönlichen Motiven aus und unterwirft sich der einheitlichen ‘Amtsdisziplin und Kontrolle’. Er besitzt kein Eigentum am Amts- oder Betriebsvermögen.447

Max Weber weist selbst auf zentrale Probleme hin: Die Rationalisierung lässt aus der Bürokratie ein ‘stahlhartes Gehäuse’ werden, das den Bewegungsspielraum der Organisationsmitglieder, aber auch der Bürger einengt und sich damit gegen deren Rationalität der persönlichen Lebensführung (Verfolgung der individuellen Wertorientierung) wendet. Der Bürger ist nicht mehr der Willkür eines Herrschers ausgesetzt, er ist aber ‘unentrinnbar’ den Regeln der Bürokratie ausgeliefert. Positive persönliche Elemente ‘vorrationaler’ Herrschaft sind ebenfalls ausgeschaltet (z. B. ‘Gnade’ oder Berücksichtigung besonderer Umstände). Die Bürokratie verfährt gegenüber den Bürgern streng nach den unpersönlichen Regeln, die zwangsläufig nicht alle Ausnahmentatbestände berücksichtigen können. Zudem neigen die bürokratischen Institutionen dazu, ein Eigenleben zu führen und zu ‘wuchern’, d. h. sich zum Selbstzweck zu entwickeln. Weber schlägt als Lösung vor, bürokratische Apparate charismatischen Führungspersönlichkeiten zu unterstellen, also hier die charismatische Herrschaft (der Bürokratie übergeordnet) zuzulassen, um der Bürokratie die Richtung vorzugeben und die Entwicklung eines Eigenlebens zu unterbinden.448 Eine so charakterisierte Bürokratie scheint heute vielleicht überzeichnet, dennoch haben die hier aufgeführten Prinzipien bis heute erheblichen Einfluss auf die Gestalt von Behörden.

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Vgl. Weber (1976), S. 124-126. Kieser (1995c), S. 39. Vgl. Kieser (1995c), S. 40. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 19, Kieser (1995c), S. 39.Zum Berufsbeamtentum in Deutschland vgl. Ellwein (1997), S. 27-31. Zum vorstehenden Absatz vgl. Kieser (1995c), S. 43-46.

92 „Die Eigenheiten dieses Bürokratiemodells sind bis heute in den meisten öffentlichen Verwaltungen und Betrieben, insbesondere im deutschsprachigen Europa, beobachtbar.“449 3.1.4

Führung und Koordination – Defizitbereiche des öffentlichen Sektors

Das Führungsmodell der klassischen Bürokratie450 im oben beschriebenen Sinne hat unmittelbar Einfluss auf den vorherrschenden Koordinationsmechanismus der Behörden. Insbesondere die strenge Regelbindung der Verwaltung lässt als dominanten Koordinationsmechanismus nur Programme zu, entspricht im Kern sogar dieser Koordinationsform: „Programme legen die Aufgabendurchführung im Detail fest.“451 Die anderen drei Basistypen der Koordination, persönliche Weisung, Selbstabstimmung und Pläne scheiden hingegen aus, 452 da mit ihnen keine Bindung an Regeln zur Aufgabendurchführung einhergeht. Die Koordination durch Programme erfolgt in Behörden mittels Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen und sonstigen Anweisungen.453 Damit steht in der klassischen Bürokratie die Erfüllung der Regeln (‘Prinzip der Recht- und Ordnungsmäßigkeit’) im Vordergrund der Bewertung öffentlicher Leistungserstellung.454 Ein Beamter hat in dieser Logik dann seine ‘Dienstpflicht’ erfüllt und ist positiv zu beurteilen, wenn er den Buchstaben des Gesetztes Rechnung getragen hat. Dies hat teilweise seinen Ursprung (und seine Berechtigung) im traditionell dominanten Verständnis der Behörden als ‘hoheitliche Eingriffsverwaltung’ gegenüber ihrer Rolle als ‘Leistungsverwaltung’.455 Hier verhindert Regeltreue wiederum staatliche Willkür. Das Gebaren einer ‘hoheitlichen Eingriffsverwaltung’ führt jedoch dann zu unbefriedigender Aufgabenerfüllung, wenn der Bürger – und dies ist ein aktueller Trend – stärker qualitativ hochwertige Dienstleistungen vom Staat fordert.456 Auch ist die Effizienz der Leistungserstellung in der traditionellen Sicht gegenüber der Regelerfüllung nachrangig.457 Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Hand spielt aber, nicht zuletzt vor dem Hintergrund prekärer Kassenlagen, eine immer größere Rolle.458 Grundsätzlich ist auch mit einer Koordination durch Programme eine effiziente

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Thom/Ritz (2000), S. 19. Jürgen Weber bezeichnet das Bürokratiemodell als Führungsmodell. Dem liegt ein Verständnis von Führung in einem umfassenden Sinne von Unternehmensführung zugrunde. Vgl. hierzu Weber (2002), S. 30 und S. 482. Weber (1996), S. 7. Vgl. Weber (1996), S. 7. Zu den Basistypen der Organisation vgl. ausführlich Kieser/Walgenbach (2003), S. 87-122. Vgl. Weber (1996), S. 7. Vgl. Busch (2004), S. 33. Freilich kann sowohl ‘hoheitliche Eingriffsverwaltung’ als auch ‘Leistungsverwaltung’ ökonomisch als die Bereitstellung öffentlicher Güter interpretiert werden. Grundsätzlich ist auch der staatliche Eingriff (z. B. das Abschleppen eines Autos) ein öffentliches Gut, von der Mehrheit gewollt und politisch legitimiert (er dient möglicherweise der Verkehrssicherheit), auch wenn der Betroffene dies in dem Moment, da sein Auto abgeschleppt wird, nicht als Dienstleistung des Staates willkommen heißen mag. Vgl. Busch (2004), S. 33. Vgl. Busch (2004), S. 33. Vgl. Naschold/Bogumil (2000), S. 80, Weber (1996), S. 2.

93 Leistungserstellung möglich.459 Da die Erstellung von geeigneten, detaillierten Regelwerken jedoch mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist (z. B. in Gesetzgebungsverfahren), ist sie nur in relativ statischen Umfeldern sinnvoll. Bei dynamischen Umweltbedingungen hinkt die Regelerstellung den Entwicklungen tendenziell hinterher. „Die zu regelnden staatlichen Leistungen sind immer schneller Veränderungen unterworfen. In kurzer Frist kommen neue Aufgaben hinzu, für die schnell Lösungen gefunden werden müssen.“460 Die Programmkoordination bereitet auch in steigendem Maße Probleme, wenn aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen Bürger und Beschäftigte mehr Handlungsspielräume einfordern und zunehmend die Dominanz staatlicher Regeln nicht mehr als selbstverständlich hinnehmen.461 Zudem kann angeführt werden, dass die strikte Arbeitsteilung der klassischen Bürokratie zu einer „Atomisierung der Verantwortungsstrukturen“462 geführt hat. Insbesondere die Separierung sog. ‘Querschnittsaufgaben’ wie Personal und Finanzen, die die Ressourcensteuerung beinhalten, haben zu einem ‘System organisierter Unverantwortlichkeit’ geführt.463 Weiterhin erfolgt die Planung im Schwerpunkt durch die Erstellung der Haushaltspläne und damit vorrangig auf der Inputseite (Inputorientierung), nicht aber auf der Leistungsseite.464 „Die gesetzlich festgelegte Haushaltsplanung präzisiert nicht, welche Produkte oder Dienstleistungen die verschiedenen Verwaltungsorganisationen mit den zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen herstellen (sollen).“465 Es fehlt darüber hinaus auch eine systematische Kontrolle bzw. Messung der Output466- oder Outcomegrößen467.468 Dies hat zur Folge, dass Effizienz kaum feststellbar ist, da die zur Bewertung notwendigen Output-/Outcomegrößen fehlen. Unterstellt man, dass hohe Budgets das Wirtschaften für die Verantwortlichen erleichtert, Budgets zudem als Mittel der Macht eingesetzt werden können und dass der soziale Status eines Mitarbeiters innerhalb der Behörde auch von dem ihm zur Verfügung stehenden Budget abhängig ist, besteht die Möglichkeit und der Anreiz zu Verschwendung. Das sprichwörtliche ‘Dezemberfieber’ als sichtbares Symptom der Ineffizienz stützt diese These.469

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Vgl. Weber (1996), S. 7. Weber (2002), S. 483. Vgl. auch Weber (2004), S. 77. Vgl. Weber (2002), S. 483. Hill/Klages (1996), S. 1. Vgl. Busch (2004), S. 30. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Verbraucher dieser Ressourcen, die Fachabteilungen, eben nicht für den Ressourcenverbrauch verantwortlich sind, sondern Personal- und Haushaltsabteilungen. Die Fachabteilungen haben in dieser Situation einen großen Anreiz, möglichst viele Ressourcen zu fordern. Vgl. Weber (1996), S. 17. Busch (2002), S. 30-31. Unter Output soll das Ergebnis verstanden werden. Vgl. Weber (1996), S. 1. Unter Outcome soll die Wirkung verstanden werden. Vgl. Schedler, (1995), S. 17, Weber (1996), S. 1. Vgl. Weber (1996), S. 16 und 19. Vgl. Busch (2002), S. 30-31.

94

3.2 Reformbewegung des Public Management 3.2.1

Begriff und Kernelemente des Public Management

An den in Kapitel 3.1.4 diskutierten Defiziten hat sich eine umfassende und lang anhaltende Erörterung in Wissenschaft und Praxis darum entzündet, welche Reformansätze diese Mängel beheben können. Dies ist eine international stattfindende Diskussion, in der die Vorschläge zu verbesserter Steuerung der öffentlichen Organisationen üblicherweise unter den Schlagworten New Public Management (NPM) oder Public Management (PM) geführt werden.470 Dakowski/Precht weisen darauf hin, dass beide Begriffe weitgehend synonym verwendet werden.471 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird von Public Management gesprochen. Weitgehend identische Inhalte sind in Deutschland vor allem auch unter dem Begriff ‘Neues Steuerungsmodell’ bekannt geworden.472 Dieses Modell wurde der Öffentlichkeit von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement473 (KGSt) erstmalig 1990 vorgestellt.474 Folgende Reformbestandteile werden in der Literatur ausführlich diskutiert und können als Kernelemente des Public Management/Neuen Steuerungsmodells angesehen werden:475 ƒ

Ziel- und ergebnisorientierte Steuerung anstatt Inputorientierung: Output und Outcome sollen in den Vordergrund und an Stelle der traditionellen inputorientierten Haushaltssteuerung treten. Hiermit wird die strikte Regelorientierung aufgeweicht und der Schwerpunkt zur Ergebnis-/Effizienz-/Wirtschaftlichkeitsperspektive verschoben.476 Zur Ziel- und Ergebnisorientierung gehört auch die Beachtung von Qualitätsaspekten der Dienstleistungserbringung.477

ƒ

Dezentralisierung von Organisationsstrukturen und Verantwortung: Auf Basis von Zielvorgaben auf Leistungs- und Inputseite wird die Aufgabenerledigung dezentralen Einheiten bzw. einzelnen Personen übertragen. Diese bekommen neben den

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Vgl. Reichard (1996a), S. 24. Damkowski/Precht (1995), S. 79. Laut Damkowski/Precht (ebenda) ist der Begriff des Public Management der gebräuchlichere. Vgl. Reichard (2001), S. 23. Früher: Kommunale Gemeinschaftsstelle zur Verwaltungsvereinfachung. Vgl. Reichard (1996a), S. 9. Zur Rolle der KGSt in der deutschen Reformdiskussion vgl. auch Hopp/Göbel (1999), S. 28-31. Zu den Kernelementen des Public Management/Neuen Steuerungsmodells Damkowski/Rösner vgl. (2003), S.20-21, Reichard (2001), S. 15, Hood (1991), S. 3-19, Naschold/Bogumil (2000), S. 86-90, Weber (1996) S. 8-10, Lange (1996), S. 166-167, Seidlmeier/Knauf (1997), S. 27-30, Richter (2001), S. 64, Mundhenke (1998), S. 12-16, Günther et al. (2002), S. 220, Bieker (2004), S. 28, Schwarting (2005), S. 29-44. Zur Ergebnisorientierung vgl. Budäus (1995), Schedler (1995), S. 57-72, Weiß (2002), S. 63-64, Schwarting (2005), S. 29-31. Zum Aspekt der Qualität vgl. Corte-Real (1996), Pochard (1996), Turton (1996), Bendell et al. (1997), Hirschfelder (1997). Im Rahmen der Qualitätsdiskussion wird auch die Forderung nach verstärkter Nutzung von IT-Technologie angebracht (v. a. Beschleunigung von Verwaltungsprozessen, OnlineBearbeitung usw.). Die IT-Technologie spielt aber auch für Kostensenkungsansätze eine erhebliche Rolle. Vgl. hierzu Severijnen et al. (1997), S. 404.

95 notwendigen Ressourcen weitgehende Handlungsfreiheit (also Abkehr von Verfahrensregeln), sind für die Zielerreichung verantwortlich und werden entsprechend an der Zielerreichung gemessen. Dies kann z. B. durch Management by Objectives erreicht werden.478 ƒ

Stärkung von Marktorientierung und Wettbewerbsdenken: Hier wird unterschieden zwischen marktlichem, quasi-marktlichem und nicht-marktlichen Wettbewerb. Im marktlichen Wettbewerb werden tatsächlich Marktmechanismen genutzt, z. B. durch öffentliche Ausschreibungen oder dadurch dass sich der Staat in echte Konkurrenzsituationen begibt, wie z. B. bei der kommunalen Altenpflege, die mit privaten Pflegediensten konkurriert. Situationen des quasi-marktlichen Wettbewerbs sind dadurch gekennzeichnet, dass öffentliche Organisationen außerhalb des Marktes direkt miteinander um Kunden konkurrieren, z. B. Standesämter, die von den Bürgern frei gewählt werden können oder in angelsächsischen Ländern Schulen. Nicht-marktlicher Wettbewerb findet in Form von Leistungsvergleichen oder Rankings statt, es existiert also keine direkte Konkurrenz um Kunden.479 Zur Stärkung der Marktorientierung kann auch die Möglichkeit der Privatisierung von Aufgaben480 und öffentlichen Organisationen diskutiert werden.481

ƒ

Bürgerbeteiligung, Kundenorientierung und Dienstleistungsmentalität: Das Verständnis der Eingriffsverwaltung wird zurückgedrängt, der Bürger tritt in seiner Rolle als Auftraggeber und Kunde von Dienstleistungen stärker in den Vordergrund. Der Bürger hat eine veränderte Erwartungshaltung gegenüber dem Verwaltungshandeln, die Mitarbeiter der Behörden müssen entsprechend die Zufriedenheit des Kunden stärker in den Fokus rücken, was eine Veränderung der Mentalität und der Fähigkeiten erfordert 482

ƒ

Einsatz von Managementkonzepten und betriebswirtschaftlichen Instrumenten: Es wird im Public Management der Einsatz eines umfassenden Instrumentariums gefordert, wie z. B. eine veränderte Haushaltsplanung, die Input und Output in Relation

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Vgl. zu Dezentralisierung Budäus (1995), S. 55-57, Bieker (2004), S. 28, Naschold/Bogumil (2000), S. 8788, Ellwein (1996), S. 60-61, Lovell (1994a). Zu Marktorientierung und Wettbewerbsdenken vgl. Bogumil et al. (2001), S. 32-50, Bieker (2004), S. 28, Adamaschek (1997), Maij (1997). Hier ist zu unterscheiden zwischen der Privatisierung der Leistungserstellung (z. B. durch Outsourcing) und dem gänzlichen Rückzug des Staates aus der Aufgabe. So kann eine Kommune den öffentlichen Personennahverkehr gegenüber dem Bürger garantieren, den Fahrbetrieb aber an ein privates Unternehmen vergeben oder er kann den Personennahverkehr vollständig dem Spiel der Marktkräfte überlassen. Zur Analyse der Vorteilhaftigkeit privater oder öffentlicher Leistungserstellung vgl. Wigger (2004). Vgl. Naschold/Bogumil (2000), S. 51-56. Vgl. hierzu Naschold/Bogumil (2000), S. 89-90, Bogumil et al. (2001), Bieker (2004), S. 28-29, Stahlberg (1997), Lunde (1996), Mengel (1995), S. 312-313, Bogumil/Kißler (1993), S. 87-102. Es wird jedoch auch kritisch bemerkt, dass das Verhältnis des Bürgers zum Staat nicht auf ein simples Kunden-AnbieterVerhältnis reduziert werden kann. Vgl. hierzu Mintzberg (1996), S. 10-12.

96 setzt (‘Produkthaushalte’), flexible Budgetierung483, Einführung der Doppik zur Erfassung von Aufwand anstatt der reinen Einnahmen-Ausgabenrechnung der Kameralistik, Einführung von Kosten- und Leistungsrechnung,484 übergreifender Controllinginstrumente485, wie z. B. Performance Measurement486, Benchmarking487 und BSC488, Nutzung von Reengineering, Marketinginstrumente489 usw.490 Einige der Controllinginstrumente sind Vorraussetzung für Ziel- und Outputorientierung sowie Dezentralisierung, weil sie die verbesserte Planung und Leistungsmessung und damit die Evaluierung der Zielerreichung erst ermöglichen.491 ƒ

Umorientierung im Personalwesen: Dezentralisierung von Verantwortung bedeutet, dass für die Verantwortungsträger eine gute Zielerreichung, orientiert an der Leistungserbringung, in anderer (positiver) Form spürbar wird als eine schlechte Zielerreichung. Insofern ist ein Anreiz- und Sanktionssystem für die Umsetzung dezentraler Verantwortung notwendig.492 Zudem stellt das Public Management neue Anforderungen an das Personal. Daher muss auch Personalentwicklung und Personalauswahl den veränderten Bedingungen angepasst werden. Insbesondere erfordert eine hohe Dynamik Maßnahmen der Aus- und Fortbildung.493

ƒ

Neubestimmung der Rollen von Politik und Verwaltung: Die Politik soll sich auf die Vorgabe strategischer Zielgrößen konzentrieren, sich aber aus der Steuerung der Prozesse, die zur Zielerreichung führen, weitgehend heraushalten. Dies bedeutet auch, dass die Regelerstellung durch die Parlamente nicht auf Detailvorschriften der Leistungsprozesse der Verwaltung zielt. Die operative Steuerung der Leistungserstellung erfolgt durch die dezentral Verantwortlichen der Behörden.494

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493

494

Vgl. Schwarting (1999). Zur den Ansätzen des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens vgl. Lüder (2001), Harms (1999), Rürup/Winter (1996). Zu Controlling vgl. Eichhorn (2002), Budäus (2002), Hill (1996), Andree (1994), Schmidberger (1994), Braun/ Bozem (1990a). Vgl. Sorber (1996). Vgl. Fairbanks (1994), Lehto (1994), Trosa/Williams (1996). Vgl. Ferrari/Tausch (2002). Vgl. Walsum (1994). Vgl. hierzu ausführlich Damkowski/Precht (1995), S. 145-223. Vgl. Budäus (1995), S. 57-72, Bieker (2004), S. 28. Im traditionellen Bürokratiemodell wird der Beamte nicht anhand der Leistungserbringung bewertet, sondern primär danach, wie gut er die Regeln befolgt hat. Zum Aspekt der Anreizsysteme vgl. ausführlich Schedler (1993), Stöbe et al. (1996). Vgl. zur Umorientierung des Personalwesens Budäus (1995), S. 73-77, Naschold/Bogumil (2000), S. 88, Bieker (2004), S. 28, Lappé (1994), Hopp/Göbel (1999), S. 174-275. Zur Personalentwicklung vgl. auch Damkowski/Precht (1995), S. 219-226, Fischer (1996a), S. 165-179. Vgl. Bieker (2004), S. 28, Naschold/Bogumil (2000), S. 88, Reichard (1996b), S. 207-208, Wolters (1994), S. 290-292. Hierzu auch Weiß (2002), S. 58-59: „Das Neue Steuerungsmodell empfiehlt eine ‘Steuerung auf Abstand’, das heißt, der Rat soll sich in erster Linie mit langfristigen, strategischen Problemen befassen und die Verwaltung durch Grundsatzvorgaben steuern.“ Zur Neubestimmung der Rolle der Politik vgl. auch Banner (1996).

97 Die Kernelemente des Public Managements bedeuten eine Abkehr vom traditionellen Bürokratiemodell und erfordern vor allem den Wechsel des primären Koordinationsmechanismus von Programmen zu Plänen.495 Dies stellt für die betroffenen Behörden einen Paradigmenwechsel496 und damit einem tiefgreifenden Veränderungsprozess dar.497 Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Veränderungsprozesse sind alle in den Bereich der Einführung von Public Management einzuordnen. 3.2.2

Deutsche Entwicklung des Public Management im internationalen Vergleich

Die Diskussionen um die Erneuerung des öffentlichen Sektors setzten in der Wissenschaft in Deutschland bereits Ende der 1960er Jahre ein (siehe Kapitel 1.1). Die Reformbewegung erreichte die Praxis in Deutschland auf breiter Basis allerdings erst in den 1990er Jahren und damit im internationalen Vergleich sehr spät.498 In den USA wurden bereits ab 1965 auf nationaler Ebene mit dem Planning-Programming-Budgeting System (PPPS) praktische Versuche unternommen, ergebnisorientierte Haushalte zu erstellen.499 Auch in Großbritannien wurden schon ab 1979 die als ‘Thatcherism’ bekannt gewordenen, radikalen Reformen umgesetzt.500 Als Ursachen für die späten Bemühungen Deutschlands sehen Thom/Ritz vor allem die sich erst in 1993 verschärfende Finanzkrise und die in Deutschland traditionell stärkere Regelbezogenheit (‘Vorbehalt des Gesetztes’), „[…] wodurch die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns stark betont wurde und wenig Raum für ‘managerialistisches’ Verwaltungshandeln im Sinne des NPM blieb […]“501 Die Reformen begannen in Deutschland in den Kommunen, die Bundesebene bildete mit den erst 1995 eingeleiteten Aktivitäten zum ‘Schlanken Staat’502 das Schlusslicht der Entwicklung.503 „Deutschland hat, insbesondere auf Bundesebene, die internationale Entwicklung weitgehend verschlafen.“504 Das unter Bundeskanzler Helmut Kohl gestartete Projekt ‘Schlanker Staat’ beinhaltete Elemente des Public Managements zur Effizienzsteigerung, im Schwerpunkt sollten aber eine Senkung der Staats-

495 496

497

498

499

500 501 502 503

504

Vgl. Weber (2002), S. 484. Auch Mundhenke spricht von einem Paradigmenwechsel durch die Einführung des Public Management. Vgl. Mundhenke (1998), S. 10, ebenso Reinermann (1996), S. 9-28. Weber weist bereits 1989 darauf hin, dass die Einführung von Elementen des Public Managements (genauer: Controlling) einen tiefgreifenden Veränderungsprozess für öffentliche Organisationen darstellt und als Problem der Organisationsentwicklung zu verstehen ist. Vgl. Weber (1989). Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 38, Busch (2004), S. 51, Naschold/Bogumil (2000), S. 36-37, Weiß (2002), S. 55, Reichard (1996a), S. 11. Vgl. Zimmermann/Henke (1994), S. 86-87, Rosenbloom/Goldman (1989), S. 270-274. Erste Versuche mit Zero Base Budgeting reichen in den USA sogar in das Jahr 1962 zurück. Diese Versuche waren jedoch wenig erfolgreich und wurden schnell eingestellt. Vgl. hierzu Naschold/Bogumil (2000), S. 49-51, Rürup/Färber (1980), S. 662. Zum Zero Base Budgeting vgl. auch Rosenbloom/Goldman (1989), S. 274-276. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 57. Thom/Ritz (2000), S. 39. Vgl. Budig (1998), S. 33-35. Vgl. Thom/Ritz (2000), S. 39. Naschold/Bogumil (2000), S. 154, stellen fest, dass der Bund im Jahr 2000 den Kommunen und Ländern immer noch ‘hinterher hinkt’. Jann (1996), S. 12.

98 quote und die Reduzierung des Staates auf Kernaufgaben erreicht werden. Mit dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde dann der Schwerpunkt der Reformen mit dem Leitbild ‘Aktivierender Staat’ verändert und klar auf Initiativen fokussiert, die dem Public Management zuzuordnen sind, wie stärkere Bürgerorientierung und -beteiligung (z. B. durch Electronic Government505), die Verstärkung der marktlichen Elemente (Privatisierung von Leistungserbringung, Public Privat Partnership), Reduzierung der Regelungsdichte, Einführung von effizienzsteigernden Instrumenten (Benchmarking, Qualitätsmanagement, Einführung von ERP-Systemen, KLR, Controlling usw.) sowie die Neuausrichtung der Personalentwicklung. Hierzu wurden 1999 insgesamt 15 Leitprojekte und 23 weitere Projekte definiert, die zum Gesamtprojekt ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’506 zusammengefasst wurden.507 Das Projekt ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ kann damit als Konzept für eine umfassende innere Reform der gesamten Bundesverwaltung bezeichnet werden. Gemessen hieran ist der erzielte Erfolg dieses Großprojektes, dies unterstützen auch die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten Fallstudien, ausgesprochen ernüchternd (siehe Kapitel 1.1 und Kapitel 5), was auch für andere Reforminitiativen des öffentlichen Sektors (Länder, Kantone, Kommunen) in den deutschsprachigen Ländern symptomatisch ist.508 Es kann aber nicht von einer generellen Tendenz gesprochen werden. Der Veränderungsprozess z. B. in Neuseeland wird zumeist als sehr viel erfolgreicher bewertet.509 Nachfolgend wird eine synoptische Zusammenfassung der internationalen Reformentwicklungen des öffentlichen Sektors vorgenommen.

505 506

507

508

509

Zum Begriff und den Inhalten des Electronic Government vgl. Mehlich (2002), S. 1-6. Für das Projekt wurde eigens ein Staatssekretärsausschuss sowie im Innenministerium eine Staatsstelle ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ eingerichtet, die die einzelnen Teilprojekte koordinieren sollte. Vgl. dazu Kabinettsbeschluss der Bundesregierung „Moderner Staat – Moderne Verwaltung – Leitbild und Programm der Bundesregierung“ vom 1. Dezember 1999. Zum Leitbild des ‘Aktivierenden Staates’ vgl. auch Damkowski/Rösener (2003). Zur gesamten Reformentwicklung in Deutschland vgl. Naschold/Bogumil (2000), S. 146-166. Vgl. Hofmeister (2003), Reichard (2001), S. 24 und S. 33. Auch Berens et al. (2004), S. 323 beklagen, dass Reforminitiativen häufig nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Vgl. z. B. Reichard (1994b), S. 21-22, Kückelhaus (1999).

99 Struktur des

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Reform-

Reform-

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Kommunen

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formance Review (NPR)’ und ‘Government Performance and Results Act (GPRA)’511

Tabelle 3: Internationale Entwicklung des Public Management512

3.3 Empirische Forschung in der Schnittmenge von Public Management und Veränderungsmanagement Die empirische Erforschung von Reformen des Public Management mit dem Fokus auf das Veränderungsmanagement ist bislang schwach ausgeprägt. Veränderungsmanagement in Reformen der öffentlichen Verwaltung kann prinzipiell Behandlung in der Literatur des Veränderungsmanagements oder in der Literatur des Public Managements finden.

510

511 512

Eine umfassende Übersicht zur Entwicklung der Verwaltung der USA und ihrer Reformen seit George Washington findet sich bei Promberger et al. (2004), S. 17-18. Zum GPRA vgl. auch Radin (1998). In Anlehnung an Thom/Ritz (2000), S. 56-58, durch eigene Einträge ergänzt und aktualisiert. Vgl. zur internationalen Entwicklung auch Busch (2004), S. 51-66, Naschold/Bogumil (2000), S. 34-44, Meyer (1998), S. 95-106, Damkowski/Precht (1995), S. 77-131, Reichard (1994b), Reichard (1996a) S. 23-30, OECD (1995), OECD (1996a), Haldemann (1995), Reichard (2001), S. 13-35. Internationale Beispiele für frühe Reformbemühungen finden sich bei Castro (1976), Brewer-Carias (1976), Moharir (1976), Hadisumarto/Siegel (1976), Johnson (1976), Scheuner (1976), Thoenig/Friedberg (1976) und Andrèn (1976), die alle im Herausgeberband von Leemans (1976) publiziert wurden.

102 In der Literatur des Public Managements (bzw. der Verwaltungsforschung) dominieren die konzeptionellen Arbeiten. Dennoch gibt es auch eine große Anzahl empirischer Untersuchungen. Diese Arbeiten sind sehr unterschiedlich angelegt. So wurden großzahlig-empirische Untersuchungen vorgenommen, z. B. im Themenfeld Personal von Luhmann et al. (1973), Pippke (1975), Klages et al. (1991), Damski/Möller (1997), im Bereich Organisation von Eichhorn/Siedentopf (1976), Derlien/Queis (1986), Schrapper (1994), Grabow (2001) und im Haushalts-/Rechnungswesen/Controlling von Lüder/Budäus (1976), Weber (1991b) und Hunold (2003). Ebenso vertreten sind die eher qualitativ ausgerichteten empirischen Arbeiten, so z. B. im Bereich Personal von Koch (1975), zur Darstellung internationaler Reformansätze Leemans (Hrsg.) (1976), im Themenfeld Organisation von Derlien et al. (1976), Schimanke (1977), König (1993) und Frenzel (1995), im Bereich Haushalts-/Rechnungswesen/Controlling von Lüder et al. (1990), zur Servicequalität O´Shea (1996), zu Vertrauen Pröhl (1998) oder im Themenfeld Public Governance (Kückelhaus, 1999). Die hier aufgeführten Untersuchungen fokussieren alle ebensowenig auf Veränderungsmanagement in deutschen Bundesministerien wie die über 100 empirischen Arbeiten aus dem Bereich Verwaltungsforschung/Public Management, die von Derlien kategorisiert wurden.513 Einige Untersuchungen setzen sich explizit mit obersten Bundesbehörden auseinander, z. B. Murswieck (1975), Müller (1978) oder König (1989), rücken dabei aber ebenfalls nicht das Veränderungsmanagement in den Mittelpunkt. Auch in der Literatur des Veränderungsmanagements liegen zahlreiche empirische Arbeiten vor. Beispiele für großzahlig-empirische Untersuchungen sind die von Bowers (1973; Strategien der OE), Tichy (1974; Change Agents), Kirsch et al. (1979; Reorganisationen), Thomson et al. (1985; Veränderungsmanagement in Großbritannien), Severance/Passino (1986; Verhalten hochrangiger Führungskräfte), Wille (1989; Treiber von Veränderungen), ProSci Research and Publishing Company (1998; Erfolgsfaktoren), Olbert-Bock (2002; Lernen und Veränderung), Kohnke et al. (2005; ERP-Systeme und Veränderungsmanagement) und Püttgen/Roe (2005; Erfolgsfaktoren von ERP-Implementierungen). Ebenfalls üblich sind Fallstudien in der Literatur des Veränderungsmanagement. Stellvertretend genannt werden sollen hier die Untersuchungen von Greiner (1967; Macht), Golembiewski/Carrigan (1970a/b; Betriebsklima), Endruweit (1979; Organisation und Sozialisation), Beer et al. (1990; Steuerbarkeit von Veränderungsprozessen), DiBella (1992; Struktur/Kultur), Beyer (2000; Typen von Veränderungsprozessen), Böhnke et al. (2005; ERP-Systeme/Psychologie) und Endres (2006; Internationaler Vergleich von Veränderungsmanagement in Großstädten). Zudem werden Fallstudien auch zur Illustration konzeptioneller Arbeiten genutzt wie z. B. von Kleingarn (1997; Lernende Organisation).

513

Vgl. Derlien (2000), S. 15-44. Nagel/Müller (1999), S. 5-8, beklagen explizit die Vernachlässigung von Aspekten des Veränderungsmanagement.

103 Die Schnittmenge der empirischen Forschung von Veränderungsmanagement und Public Management, also Veränderungsmanagement im Rahmen der Reformen des öffentlichen Sektors, ist sehr gering. Zu den wenigen Arbeiten in diesem Bereich gehören die von Endres (2006), Beyer (2000), White (2000), Koch (1982) und Caiden (1976), die jedoch nicht deutsche Bundesministerien untersuchen.514 Arbeiten zum Veränderungsmanagement in deutschen Bundesministerien und nachgeordneten Behörden mit Schwerpunkt auf dem Verhalten von Akteuren und ihrem Handlungskontext wurden nicht gefunden. Die Ursachen für diese Forschungslücke sind nicht transparent. Ein möglicher Grund kann in der bisher kaum vorhandenen verhaltensorientierten Beschreibung der ökonomischen Innenwelt von Ministerien liegen, die zunächst ein exploratives Vorgehen mit Fallstudien erfordert (siehe Kapitel 4.2). Die Akquisition von Fallstudien ist jedoch mit ausgesprochen hohem Aufwand verbunden (siehe Kapitel 4.5.5). Ein weiterer Grund kann darin gesehen werden, dass die Ansätze des Veränderungsmanagements bislang den Handlungskontext nicht in den Fokus der Betrachtung gerückt haben, wodurch eine institutionelle Differenzierung des Veränderungsmanagements weitgehend unterblieb. Die Priorisierung des Handlungskontextes (externe Zustände) durch den akteursbezogenen Ansatz legt eine solche institutionelle Differenzierung hingegen nahe. Als Ursache für die bislang fehlenden Arbeiten über Veränderungsmanagement in Ministerien kann aber nicht geltend gemacht werden, dass eine solche Differenzierung nicht zielführend sei. Die in Kapitel 5 vorgelegten empirischen Ergebnisse zeigen, dass der spezifische Handlungskontext von bzw. in Ministerien eine hohe Wirkung auf die Veränderungsprozesse entfaltet.

514

Endres untersucht Veränderungsprozesse international in Kommunen. Beyer zieht zur Typenbildung von Veränderungsprozessen u. a. das Beispiel der Österreichischen Bundesverwaltung heran, nutzt im wesentlichen aber Sekundärmaterial (z. B. Projektberichte) und nimmt damit keine ‘Innenperspektive’ der Behörden ein, betritt also das ‘Forschungsfeld’ nicht physisch. White, Koch und Caiden beziehen sich auf keine spezifische Organisationsform von Behörden.

105 "Science is a journey, not a destination" (Evert Gummesson)

4 Forschungsmethode Das nachstehende Kapitel dient dazu, die Auswahl der Methode515 in der vorliegenden Untersuchung zu begründen und ihre spezifische Ausprägung zu erläutern. Hierzu werden Fallstudien im ersten Schritt als Forschungsstrategie charakterisiert und vorgestellt. Anschließend wird dargelegt, welchen Eignungsvoraussetzungen Fallstudien unterliegen, um danach aufzuzeigen, welche Forschungszwecke mit ihnen verfolgt werden können. Hieran anknüpfend werden Einzelfallstudien von multiplen Fallstudien abgegrenzt und ihre jeweiligen Einsatzfelder beschrieben. Den größten Raum nimmt dann die Darstellung und Begründung des konkreten Vorgehens in den Fallstudien ein. Abschließend werden die Kriterien zur Bewertung der Qualität von Fallstudienforschung dargestellt, die auch auf diese Untersuchung Anwendung finden.

4.1 Fallstudien als Forschungsstrategie Fallstudien werden in der Literatur als eine Forschungsstrategie charakterisiert, die mit dem Experiment oder der (großzahligen) statistisch-quantitativen Untersuchung zu vergleichen ist.516 Eine Forschungsstrategie ist zu unterscheiden von den Arten der verwendeten Daten sowie von der Art der Datenerhebung. Als Arten von Daten wird grundsätzlich zwischen qualitativen und quantitativen Daten differenziert, wobei in der Fallstudienforschung beide Arten von Daten Verwendung finden können. Somit sind Fallstudien nicht ausschließlich der qualitativen Forschung zuzurechnen. Bei der Art der Datenerhebung stehen vielfältige Methoden zur Verfügung, wie z. B. Interviews, Beobachtungen, Auswertungen vorhandenen Aktenmaterials, Fragebögen usw. Die Datenerhebung in Fallstudien beschränkt sich keineswegs auf die Durchführung von Interviews, sondern kann verschiedene Methoden umfassen. "First, the case study does not imply the use of a particular type of evidence. Case studies can be done

515

516

Seiffert (1989a); S. 215: „Der Weg des wissenschaftlichen Vorgehens wird als Methode bezeichnet.“; Chmielewicz (1994), S. 36: „Unter Methoden sei die Art und Weise des Vorgehens auf einem Gebiet verstanden, die Auswahl von Mitteln als Instrumenten der Zielerreichung.“ sowie S. 37: „Forschungsmethoden sind darauf gerichtet, den menschlichen Wissensbestand zu vermehren, um damit praktische Probleme besser beherrschen zu können und die Problemlösungskapazität des Menschen zu erweitern.“ Yin (1981), S. 59: „What the case study does represent is a research strategy, to be likened to an experiment, a history, or a simulation, which may be considered alternative research strategies.“ Auch Benbasat et al. charakterisieren Fallstudien als Forschungsstrategie: Vgl. Benbasat et al. (1987), S. 369-386.

106 by using either qualitative or quantitative evidence. The evidence may come from fieldwork, archival records, verbal reports, observations, or any combination of these."517 Fallstudien zeichnen sich als empirische Methode dadurch aus, dass sie zeitgenössische Phänomene in ihrem realen, historischen Kontext betrachten, wobei die Grenze zwischen dem zu betrachtenden Phänomen und dem Kontext nicht trennscharf gezogen werden kann. "As a research strategy, the distinguishing characteristic of the case study is that it attempts to examine: (a) a contemporary phenomenon in its real-life context, especially when (b) the boundaries between phenomenon and context are not clearly evident.518

4.2 Eignungsvoraussetzungen von Fallstudien Die auszuwählende Forschungsmethode hat den Zielen des Forschungsvorhabens und dem Stand der Forschung im zu bearbeitenden Forschungsfeld Rechnung zu tragen.519 Fallstudien eignen sich insbesondere, wenn die nachfolgend aufgeführten Voraussetzungen vorliegen: (1) Fallstudien sind eine adäquate Forschungsstrategie, wenn der Kontext des zu untersuchenden Phänomens von besonderem Interesse ist.520 In diesem Fall ist die Fallstudie der statistisch-quantitativen Untersuchung vorzuziehen, da sie den Kontext mit seinen meist vielfältigen Aspekten besser erfassen kann. "Finally, surveys can try to deal with phenomenon and context, but their ability to investigate the context is extremely limited. The survey designer, for instance, constantly struggles to limit the number of variables to be analyzed (and hence the number of questions that can be asked) to fall safely within the number of respondents that can be surveyed."521 (2) Weiterhin eignen sich Fallstudien besonders dann, wenn bestehende Ansätze und Perspektiven der Wissenschaft aufgebrochen und neue Sichtweisen gesucht werden sollen.522 Sie eröffnen stärker als statistisch-quantitative Untersuchungen die Möglichkeit, weitgehend ohne Hypothesen523 in eine Untersuchung einzutreten (siehe Kapitel 4.5.1) und sind dadurch geeignet, gänzlich neue Zusammenhänge zu erfassen, die bis dahin nicht transpa-

517

518

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520 521 522

Yin (1981), S. 58. Eisenhardt (1981, S. 534-535) stützt diese Argumentation: „Case studies typically combine data collection methods such as archieves, interviews, questionaires, and observations. The evidence may be qualitative (e.g., words), quantitative (e.g., numbers), or both.“ Vgl. zudem Benbasat et al. (1987), S. 374 sowie Hamprecht (1996), S. 162 und 171. Yin, Robert K. (1981), S. 59. Zur Charakterisierung der Fallstudienforschung vgl. auch Benbasat et al. (1987), S. 370 sowie Hamprecht (1996), S. 161-163. Es ist zu bekräftigen, dass es keine per se ‘überlegenen’ bzw. ‘unterlegenen’ Forschungsmethoden gibt, sondern dass verschiedene Methoden unter besonderen Umständen effektiver sind als andere. Vgl. hierzu Hamprecht (1996), S. 164, Otley und Berry (1994), S. 47-48 sowie Downey und Ireland (1979), S. 630. Vgl. Benbasat et al. (1987), S. 369-370 f.; Hamprecht (1996), S. 168-169. Yin, Robert K.: Case Study Research (2003a), S. 13. Otley und Berry (1994), S. 47: „They (gemeint sind Fallstudien; Anm. des Verfassers) are likely to be particularly valuable where existing theories are inadequate or incomplete, or explain only a subset of the phenomena of interest.“ Vgl. auch Eisenhardt (1989), S. 548.

107 rent waren und sich der Sichtweise einer bestehenden Theorie entzogen haben. Zudem ist es möglich, während der Untersuchung entstehende Hypothesen fortlaufend zu hinterfragen, zu modifizieren und neue Hypothesen hinzuzufügen, wohingegen bei statistischquantitativen Untersuchungen wesentliche Hypothesen bereits vor der empirischen Erhebung formuliert werden müssen, die aber aus bestehenden theoretischen Perspektiven abgeleitet werden. (3) Fallstudien können zudem sinnvoll eingesetzt werden, wenn sich der Stand der Forschung auf einem Gebiet in einer frühen Phase befindet524. Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig, sich dem Forschungsgegenstand unvoreingenommen und mit einem möglichst breiten Blickwinkel zu nähern, insbesondere, wenn zunächst herausgefunden werden muss, welche Teilbereiche bzw. Fragestellungen des neuen Forschungsfeldes von besonderem Interesse für Theorie und Praxis sind.525 In der frühen Forschungsphase ist ein übergreifendes, grundsätzliches ‘Verstehen’526 des Forschungsgegenstands anzustreben, das durch Beobachtung und Reflexion vielfältiger, unterschiedlicher Aspekte und ihrer Beziehungen zueinander entsteht.527 Fallstudien ermöglichen gerade diesen ‘holistic view’.528 Für die vorliegende Arbeit sind alle drei oben beschriebenen Eignungsvoraussetzungen relevant. Zum einen ist in der Untersuchung der Kontext der stattfindenden Veränderungsprozesse von besonderer Bedeutung, da herausgefunden werden soll, wie sich die Rahmenbedingungen, die in Ministerien und ihren nachgeordneten Bereichen vorherrschen (Innensicht Ministerium) und denen Ministerien selbst unterliegen (Umwelt von Ministerien), auf die Veränderungsprozesse und das Veränderungsmanagement auswirken. Der Kontext, in dem Akteure in Veränderungsprozessen agieren, ist explizit Bestandteil des zu Grunde gelegten neuen Ansatzes (externe Zustände) und daher für die Untersuchung von besonderem Interesse. Zum anderen soll durch die Arbeit der Versuch unternommen werden, eine von den bisherigen Change-Management-Theorien abweichende Perspektive einzunehmen, indem ein neuer

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527

Schnell et al. (1992), S. 42: „Allgemein bezeichnet man diejenigen Aussagen als 'Hypothesen', die einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen postulieren.“ (Unterstreichung im Originaltext). Vgl. Benbasat et al. (1987), S. 369-370 sowie Eisenhardt (1989), S. 548. Benbasat et al (1987), S. 371 weisen darauf hin, dass Fallstudien für explorative Zwecke einen besonderen Stellenwert einnehmen. Vgl. auch Otley und Berry (1994), S. 46. Vgl. Gummesson (2000), S. 86, der den engen Zusammenhang von Fallstudienforschung und ‘Verstehen’ betont. Zur Verwendung des deutschen Begriffs ‘Verstehen’ zitiert Gummesson hier Kjellen und Söderman (1980, S.35): „Within hermeneutics and phenomenology, the German word for understanding, Verstehen, has become accepted international jargon.“ Auch Otley und Berry (1994), S. 50, benutzen in einem englischsprachigen Text die deutsche Vokabel „Verstehen“. Flick (1999), S. 40 bezeichnet Verstehen als ein „Erkenntnisprinzip“. McClintock, Brannon und Maynard-Moody (1979), S. 612 zeigen, dass es das Ziel von Fallstudien ist, gerade die Faktoren näher zu beleuchten, die für das weitergehende Verstehen von Kausalitäten bedeutsam sind.

108 Change-Management-Ansatz auf Basis des Grundmodells einer dynamischen Theorie ökonomischer Akteure529 zu Grunde gelegt wird, mit dem Ziel, diesen auf seine Eignung zu prüfen und ggf. zu erweitern. Drittens wurde bislang Veränderungsmanagement in der spezifischen Organisationsform Ministerium kaum erforscht, so dass sich der Stand der Wissenschaft hier in einem frühen Stadium befindet. Somit lassen die bestehenden Eignungsvoraussetzungen Fallstudien als geeignete Forschungsstrategie für die vorliegende Untersuchung erscheinen. Es muss im Anschluss aber noch geklärt werden, ob Fallstudien auch für die angestrebten Zwecke angemessen erscheinen.

4.3 Zwecke von Fallstudien Fallstudien können vorrangig für drei unterschiedliche Zwecke Verwendung finden, die nachfolgend dargestellt werden. (1) Fallstudien können deskriptive Zwecke verfolgen,530 zum Beispiel um in einem frühen Forschungsstadium das Forschungsfeld systematisch darzustellen. Beschreibungen durch Fallstudien können auch dazu genutzt werden, mittels anderer Methoden gewonnene Forschungsergebnisse beispielhaft zu illustrieren531 und dienen dem Forscher dann vor allem als Kommunikationsinstrument. Hierbei kann die Fallstudie jedoch nicht die zentrale Forschungsmethode sein, sondern wird lediglich unterstützend in Forschungsvorhaben eingesetzt, deren wesentliche Ergebnisse z. B. mittels statistisch-quantitativer Methoden erarbeitet wurden. (2) Ein weiteres Einsatzfeld für Fallstudien ist der Test von Hypothesen.532 Dabei ist unstrittig, dass Fallstudien eingesetzt werden können, um Hypothesen, die den Anspruch universeller Gültigkeit erheben,533 sog. Allsätze534, (vorläufig) zu falsifizieren.535 So ist es zur

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Gummeson (2000), S.86 sieht gerade in der Möglichkeit zum „holistic view“ einen wichtigen Vorteil der case study research. Auch Otley und Berry (1994), S. 47 sehen in Fallstudien die Möglichkeit einen „holistic approach“ zu betreiben. Vgl. zudem Das (1983), S. 301. Dieser Ansatz ist dargestellt im WHU-Forschungspapier Nr. 89 „Gedanken zu einer Theorie des Veränderungsmanagments“ von Brettel, Endres, Plag und Weber (2002) und basiert auf dem Verständnis ökonomischer Akteure von Bach et al (2002). Vgl. Eisenhardt (1989), S. 535-536. Vgl. Lamnek (1995), S. 13 sowie Otley und Berry (1994), S. 47. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 535-536. Vgl. auch Young (1999), S. 80. Die Diskussion um die Relevanz solcher universell gültiger Hypothesen und Gesetze für die Wirtschaftswissenschaften wird von Pagenstecher (1987), S. 32-35 ausführlich dargestellt. Zur Definition von Allsätzen vgl. Popper (1984), S. 39-40 sowie Chmielewicz (1994), S. 83-85. Zur grundlegenden Charakterisierung der Falsifikation vgl. Popper (1984), S. 14-17 und 47-59. Küttner (1989), S. 80: „Die Logik der Falsifikation beruht zunächst auf einer leicht einsehbaren Voraussetzung: (Natur-)Gesetze mit streng raum-zeitlich unbegrenztem Geltungsanspruch lassen sich auch durch noch so viele Tatsachenaussagen nicht verifizieren. Wenn nun gerade ihnen das besondere Interesse der

109 Falsifikation der Hypothese ‘kein Verwaltungsbeamter arbeitet außerhalb der vorgeschriebenen Bürozeiten’ ausreichend, einen einzigen Beamten zu finden, der eine Akte am Wochenende bearbeitet.536 Einen solchen Hypothesentest durch ‘critical cases’ können Fallstudien, die im Sinne statistisch-quantitativer Forschung nicht repräsentativ sind, zweifellos leisten.537 Darüber hinaus können aber auch Hypothesen durch Fallstudien erhärtet werden, wobei nicht wie in statistisch-quantitativen Untersuchungen der Versuch unternommen wird, diese durch repräsentative Aussagen zu untermauern, sondern Hypothesen durch die Offenlegung von Wirkungszusammenhängen gestützt werden. Hypothesen können somit durch die Entdeckung von Kausalzusammenhängen, insbesondere durch die Beantwortung von Fragen nach dem ‘warum’ dem ‘wie’,538 gestärkt oder geschwächt werden.539 Otley und Berry weisen darauf hin, dass im Rahmen von Hypothesentests mittels ‘critical cases’ Hypothesen modifiziert und neue generiert werden können.540 Hier ist ein fließender Übergang zum dritten Zweck festzustellen, nämlich der Theoriegenerierung durch Fallstudien. (3) Die Generierung von Hypothesen bzw. die Generierung von Theorie541 ist der dritte Zweck, zu dem Fallstudien eingesetzt werden können.542 Wie bereits beschrieben, lassen

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theoretischen Erfahrungswissenschaft gilt, liegt es nahe, die Diskrimination konkurrierender Gesetzeshypothesen durch Falschheitsnachweis zu leisten. Hierfür scheint es nämlich zu genügen, eine einzige widerlegende Instanz zu finden.“ Küttner weist allerdings im gleichen Text (S. 81) darauf hin, dass jede der Falsifikation zu Grunde liegende Beobachtung theorieabhängig sei, wodurch ein falsifiziertes Gesetz folglich nur als „vorläufig falsch“ gekennzeichnet werden könnte. Vgl. zu dem letztgenannten Aspekt auch Meyer (1979), S. 38. Ausführlich zur Theorieabhängigkeit der Wahrnehmung vgl. Chalmers (1989), S. 2740. Popper legt in seiner „Logik der Forschung“ (8. Auflage 1984, S. 3-6) in beeindruckender Weise dar, warum es umgekehrt nicht möglich ist, zweifelsfrei aus besonderen auf allgemeine Sätzen zu schließen („Problem der Induktion“) und illustriert dies mit dem berühmten Beispiel: „Bekanntlich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz, dass alle Schwäne weiß sind.“ Otley und Berry (1994), S. 46: „A so-called ‘critical case’ (following the positivist notation of the critical experiment) can be used to falsify theory by providing an example of a set of phenomena which are inconsistent with a set of theoretical statements.“ Vgl. auch Stake (1978), S. 7. Yin (2003a), S. 1: „In general, case studies are the preferred strategy when ‘how’ or ‘why’ questions are being posed...“ Auch Benbasat et al (1987), S. 370 betonen die Möglichkeit zur Beantwortung von Fragen nach dem wie und warum: „Second, the case method allows the researcher to answer ‘how’ and ‘why’ questions, that is, to understand the nature and complexity of the processes taking place.“ Eisenhardt (1989), S. 542, zeigt, dass insbesondere die Nutzung von qualitativen Daten dazu führt, dass die Frage nach dem ‘warum?’ in den Fallstudien geklärt werden kann, da diese das Verständnis für die Zusammenhänge verbessern können. Zur Erarbeitung von Erklärungen durch Fallstudien vgl. Yin, (1981, S. 61-62). Vgl. Otley und Berry (1994), S. 46-47. Schnell et al. (1992), S. 43: „Im strengen Sinne ist eine ‘Theorie’ ein System von Aussagen, das mehrere Hypothesen oder Gesetze umfasst.“ (Unterstreichung im Originaltext). Seiffert (1989b), S. 368, definiert Theorie „..als wissenschaftliches Lehrgebäude, ohne Rücksicht auf die Methode(n), mit denen es gewonnen wurde, oder auf seinen Gegenstand.“ Eichhorn (1979), S. 84-85 spezifiziert den Begriff der Theorie für die Wirtschaftswissenschaft wie folgt: „Durch das zur Theorie gehörende (widerspruchsfreie) System von Annahmen wird ein Modell der Wirtschaft bzw. des betreffenden Teilbereichs dargestellt. Ist diese Bedingung erfüllt, so kann die Theorie, d. h. das gesamte aus den Annahmen und den Folgerungen bestehende System von Sätzen, als die Darstellung eines ökonomischen Modells, also eines vereinfachten Abbildes (eines Ausschnitts) der ökonomischen Wirklichkeit, aufgefaßt werden.“

110 Fallstudien insbesondere die authentische Betrachtung vielfältiger Aspekte im Forschungsfeld und ihrer Beziehungen zueinander zu. Hierdurch werden vor allem grundlegende Wirkungszusammenhänge in einem Forschungsfeld offengelegt, die ex ante nicht antizipierbar sind und damit z. B. im Rahmen einer statistisch-quantitativen Untersuchung auch nicht als zu testende Hypothesen vorab formuliert werden können. Fallstudien ermöglichen also auf Basis empirischer (nicht statistischer) Erkenntnisse eine Theoriegenerierung, die aus dem ‘Verstehen’ von (Inter)dependenzen in der realen Organisation, in ihrem historischen Kontext und mit allen vom Forscher wahrnehmbaren Facetten resultiert. Das Entdecken und Erklären solcher ‘Phänomene’543 erfordert vom Forscher aber eine genaue Kenntnis der betrachteten Organisation und setzt damit voraus, sich mit den Akteuren und dem Kontext der Organisation eingehend vertraut zu machen.544 Die Möglichkeit, theoretische Erkenntnisse von einem Grad der Generalisierung oberhalb des Einzelfalls zu gewinnen, ergibt sich bei Fallstudien also nicht durch eine Repräsentativität der Empirie, sondern aus dem Erkennen von Kausalbeziehungen.545 Die vorliegende Untersuchung dient primär der Generierung neuer Hypothesen und verfolgt damit einen Zweck, der Fallstudien als geeignete Forschungsstrategie erscheinen lässt.546 Nun ist zu klären, ob der Forschungszweck effektiver durch Betreiben einer einzelnen Fallstudie oder durch mehrere Fallstudien erreicht werden kann.

4.4 Einzelfallstudien versus multiple Fallstudien In der Fallstudienforschung können Einzelfallstudien (nur ein Fall wird untersucht) von multiplen Fallstudien (mehrere Fälle werden untersucht) unterschieden werden.547 Da im Rahmen von Einzelfallstudien jeweils nur ein einzelner Fall untersucht wird, bleibt die Möglichkeit zur Erkenntnisgewinnung durch den Vergleich zwischen verschiedenen Fällen

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Vgl. Eisenhardt (1989), S. 535-536. Vgl. auch Young (1999), S. 80-81. In Anlehnung an Mayring (1999), S. 85, sollen unter Phänomenen „konkrete Erscheinungen“ verstanden werden. Im oben genannten (Forschungs-) Zusammenhang stellen Phänomene solche konkreten Erscheinungen dar, für die zunächst keine unmittelbar einsichtigen Erklärungen vorliegen und die erst durch die zu bildenden Hypothesen erklärt werden sollen. Glaser und Strauss (1998), S. 230: „Aber das unmittelbare Eintauchen in die Lebens- und Handlungssphäre einer sozialen Welt, die sich von der eigenen unterscheidet, erbringt eine beachtliche Dividende.“ Vgl. dazu auch Gummesson (2003), S. 86 sowie Van Maanen (1979), S. 522-526. Vgl. zur Generalisierbarkeit von Erkenntnissen aus Fallstudien Gummesson (2000), S. 88-97. Siehe auch Kapitel 4.6. In geringerem Maße wird aber auch die Reflexion bereits gebildeter Hypothesen und Deskription betrieben. Yin (2003b), S. 5: „A single-case study focuses on a single case only; multiple-case studies, however, include two or more cases within the same study.“ Vergleiche zur Abgrenzung sowie zur den unten dargestellten Eignung von Einzelfallstudien und multiplen Fallstudien auch Benbasat et al. (1987), S. 373, die ebenfalls die Termini „single-case studies“ und „multiple-case studies“ verwenden. Hamprecht (1996), S. 162-163 sowie Roll (2004), S. 86 nutzten die Begriffe Einzelfall- und Mehrfachstudien. Stake (2000), S. 437-438, spricht bei Studien, die mehrere Fälle beinhalten von „collective case studies“.

111 versperrt. Deshalb sind Einzelfallstudien zur Theoriegenerierung nur angezeigt, wenn das Forschungsfeld für Wissenschaftler nur in einem Fall zugänglich ist oder wenn sich das Forschungsinteresse auf singuläre Ereignisse bezieht, z. B. einmalige historische Prozesse wie der Fall der Berliner Mauer im November 1989.548 Zudem können Einzelfallstudien eingesetzt werden, wenn ein ‘kritischer’ Fall zur Falsifikation von ‘Allsätzen’ vorliegt. Zum Zweck der Illustration von Theorien, die mit anderen Methoden gewonnenen wurden, sind Einzelfallstudien ebenfalls geeignet. Multiple Fallstudien lassen dagegen den Vergleich zwischen verschiedenen Fällen zu, was die empirische Basis (inhaltlich, nicht statistisch) tragfähiger macht, insbesondere hinsichtlich der externen Validität, d.h. der Generalisierbarkeit von Erkenntnissen (siehe Kapitel 4.6). Deshalb stellen multiple Fallstudien zur Theoriegenerierung den Regelfall dar und werden auch in der vorliegenden Untersuchung genutzt. Nachdem hergeleitet wurde, dass multiple Fallstudien die geeignete Forschungsstrategie darstellen, soll nun das Vorgehen in den Fallstudien detailliert dargestellt werden.

4.5 Vorgehen in den Fallstudien 4.5.1

Fokussierung der Forschungsfragen

Auf Basis der Untersuchungsziele sind zunächst Forschungsfragen zu formulieren, die mittels der Fallstudien beantwortet werden können. In theoriegenerierenden Fallstudien stehen nicht diejenigen Forschungsfragen im Vordergrund, die sich aus dem Test bestehender Hypothesen ergeben, sondern es ist vielmehr wünschenswert, so weit wie möglich ‘theoriefrei’ in die Fallstudien zu gehen. Es wird das "Prinzip der Offenheit"549 gegenüber "theoretischen Kategorien"550 gefordert, um den Blick in das umrissene Forschungsfeld weit offen zu halten. Es erscheint sinnvoll, sich in theoriegenerierenden Fallstudien von bestehenden Hypothesensystemen gedanklich zu emanzipieren, da ansonsten die Gefahr besteht, nicht neue Hypothesen zu erzeugen, sondern ausschließlich vorhandene Hypothesen zu testen. "Finally and most importantly, theory-building research is begun as close as possible to the ideal of no theory under consideration and no hypotheses to test."551

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Zur Nutzung von ‘single cases’ bei besonderem Forschungsinteresse am spezifischen Fall vgl. Gummesson (2000), S. 84. Zum Prinzip der „Offenheit“ vergleiche Steinke (1999), S. 35-36 sowie Lamnek (1995), S. 199-200. Mayring (1999), S. 16 hierzu: „Sowohl theoretische Strukturierungen und Hypothesen als auch methodische Verfahren dürfen im Forschungsprozeß den Blick auf wesentliche Aspekte des Gegenstandes nicht versperren. Sie müssen sich erweitern, modifizieren, auch revidieren lassen, wenn es notwendig erscheint. Das Prinzip der Offenheit auf theoretischer Ebene zielt vor allem ab auf eine Kritik strenger Hypothesengeleitetheit der Forschung.“ Lamnek (1995), S. 199. Eisenhardt (1989), S. 536.

112 Doch auch wenn ein ‘offenes’ Vorgehen gewünscht ist, sollten im Vorfeld der Fallstudien die Forschungsfragen unbedingt mit ‘offenen’ Konstrukten552 fokussiert und präzise formuliert werden.553 Die in der vorliegenden Untersuchung zur Fokussierung der Forschungsfragen verwendeten Konstrukte (z. B. ‘Kosten des Übergangsprozesses’) wurden in Kapitel 2.3 herausgearbeitet. 4.5.2

Offenlegung und Reflexion ex ante generierter Hypothesen

Ein von bestehenden Hypothesen völlig losgelöstes, theoriefreies Vorgehen ist aber auch in der Fallstudienforschung häufig nicht möglich554, da der Forscher keine ‘Tabula rasa’ darstellt; es existieren oft zumindest implizit Hypothesen. Im Sinne eines ‘ehrlichen Forschungsvorgehens’ ist es somit notwendig, falls Hypothesen vorhanden sind, diese zu explizieren.555 Damit beinhalten Fallstudien, die dazu dienen, Hypothesen zu generieren, mitunter in beschränktem Umfang auch die Reflexion ex ante formulierter Hypothesen. Lamnek spricht hier allerdings nicht von Hypothesentests, sondern von Hypothesenmodifikation durch Fallstudien.556 Im Rahmen dieser Arbeit wurden ex ante keine Hypothesen generiert. Vielmehr stand im Zentrum der Vorbereitung der Fallstudien die Erarbeitung der offenen Konstrukte, d. h. der theoretischen Eigenschaftsdimensionen des akteursbezogenen Ansatzes (siehe Kapitel 4.5.1). Diese können jedoch nicht als Hypothesen bezeichnet werden.

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Schnell, Hill, Esser (1992), S. 165: „Unter dem Begriff ‘Konstrukt’ werden theoretische Eigenschaftsdimensionen (latente Variablen) verstanden.“ In diesem Sinne und in diesem inhaltlichen Zusammenhang benutzt Eisenhardt (1989), S. 536 den englischen Begriff „constructs“. Eisenhardt (1989), S. 536 weist darauf hin, dass ansonsten die große Datenmengen in Fallstudien nicht bewältigt werden können: „Without a research focus, it is easy to become overwhelmed by the volume of data.“ Diese Sicht wird gestützt durch Yin (1981), S. 61: „Obviously, the determination of what is 'meaningful' requires some sense of what the case study is all about. This does not imply a rigid conceptual framework, but the central questions of the case study do need to be identified beforehand.“ Auch Hoepfl (1997), S. 5 sowie Roll (2003), S. 316 fordern eine Fokussierung der Studien. Glaser und Strauss (1998), S. 246-248 empfehlen, die „Kategorien“ abstrakt genug zu belassen, um eine ausreichende Flexibilität (und damit Offenheit) zu wahren. Vgl. Otley und Berry (1994), S. 46-47. Auch Eisenhardt (1989, S. 536) bestätigt, dass ein theoriefreies Vorgehen nur ein Ideal darstellt, das in der Forschungspraxis nicht erreicht werden kann. Lamnek (1995), S. 75: „Dieses Vorgehen wird damit begründet, dass der Forscher eben nicht eine tabula rasa sein kann, daß er sich nicht völlig theorie- und konzeptionslos in das soziale Feld begibt und er immer schon entsprechende theoretische Ideen und Gedanken (mindestens implizit) entwickelt hat. Selbst wenn diese Vorstellungen nur seinem Alltagsverständnis entsprechen, werden sie in die empirische Untersuchung einfließen. Warum also sollte dann nicht gleich eine wissenschaftliche Konzeption über den zu erforschenden Gegenstandsbereich des sozialen Feldes entwickelt werden?“ Vgl. Lamnek (1995), S. 75. Otley und Berry (1994), S. 46-48 rücken die „modification“ von „theoretical positions“ im Rahmen von Falsifikationsversuchen durch Fallstudien in den Vordergrund. Vgl. auch Glaser und Strauss (1998), S. 36-37.

113 4.5.3

Kriterien für die Auswahl von Ministerien und Fällen

Die Gestaltung der Datenbasis erfolgt bei statistisch-quantitativen Untersuchungen in der Regel dergestalt, dass versucht wird, eine hohe Repräsentativität zu erzeugen. Die Auswahl von Fallstudien hingegen wird nicht nach statistischen Merkmalen vorgenommen, sondern nach theoretischen Kriterien (‘theoretical sampling’).557 Im Rahmen des ‘theoretical sampling’ sind Kriterien zur Auswahl von Organisationen und Fällen festzulegen, die erwarten lassen, dass möglichst viele relevante Aspekte im Forschungsfeld und die Beziehungen zwischen diesen transparent und damit Wirkungszusammenhänge erkennbar werden. Die Fälle sind dabei so zu wählen, dass entstehende theoretische Kategorien gefüllt, gegensätzliche sowie extreme Beispiele gefunden, Ergebnisse vorangegangener Fälle repliziert und dadurch Theorien erweitert werden können.558 Um diese Anforderungen umzusetzen, haben nachfolgende Kriterien zum Sampling der Fälle in der vorliegenden Untersuchung Anwendung gefunden: (1) Die untersuchten Fälle mussten von den betroffenen Mitarbeitern der Organisationen als deutliche Veränderung empfunden werden (empfundene Stärke der angestrebten Veränderung). Es wurde dabei angenommen, dass sich eine von den Mitarbeitern der Organisationen als relativ hoch empfundene Stärke der Veränderung in der Art auswirkte, dass Verhaltensweisen deutlicher und/oder häufiger erkennbar waren, die für Veränderungsprozesse als charakteristisch bewertet werden können. (2) Es wurden Fälle mit extremen und gegensätzlichen Verläufen und Ergebnissen ausgewählt, um einzelne Phänomene und ihre Auswirkungen bzw. die ihnen zugrunde liegenden Wirkungsketten deutlicher erkennen zu können, insbesondere, wodurch sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Veränderungsprozessen unterschieden haben. (3) Ein Ministerium, einschließlich des dazugehörigen nachgeordneten Bereichs, sollte als Schwerpunkt der Untersuchung dienen. Hier wurden deutlich mehr Fallstudien durchgeführt als in den anderen Organisationen, um die Untersuchung dieses Ministeriums vertiefen zu können. Dadurch sollte ein besseres Verständnis für die Organisation aufgebaut werden. Diese ‘Vertiefung in einer Organisation’ wurde eine ‘Verbreiterung’ der Fallstudienbasis zum Zwecke der Replikation (siehe Kapitel 4.6) ergänzt, indem eine Anzahl zusätzlicher Fallstudien in weiteren Ministerien durchgeführt wurde.559

557

558 559

Das Konzept des theoretical sampling stammt von Glaser und Strauß. Vgl. Glaser und Strauss (1998, englische Originalausgabe von 1967), S. 53-57. Vgl. auch Lamnek (1995), S. 22; Eisenhardt (1989), S. 537 sowie Hamprecht (1996); S.171. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 537. In der vorliegenden Untersuchung entstand die ‘Vertiefung’ durch acht Fallstudien innerhalb eines Ministeriums bzw. innerhalb des zugehörigen nachgeordneten Bereichs. Die ‘Verbreiterung’ erfolgte durch fünf

114 (4) Es wurden gleiche thematische Inhalte von Veränderungsprozessen in verschiedenen Organisationen untersucht, um einen Vergleich zwischen den Organisationen anstellen zu können, vor allem, um die Auswirkungen verschiedener externer Zustände bei gleicher inhaltlicher Ausrichtung der Veränderungsprozesse besser erfassen zu können. (5) Innerhalb einer Organisation wurden Veränderungen verschiedener inhaltlicher Ausrichtung analysiert, um die spezifischen externen Zustände eines Ministeriums und ihre Wirkungen intensiver betrachten zu können. Zusätzlich konnte hierdurch besser ermittelt werden, wie sich unterschiedliche Inhalte von Veränderungsprozessen auf deren Verlauf auswirken. 4.5.4

Gesamtumfang und Sample der Untersuchung

Für den Gesamtumfang an Fallstudien im Rahmen einer theoriegenerierenden Untersuchung gibt es keine ‘Normzahl’, die Anzahl sollte aber ausreichend groß sein, um ‘Muster’ zu erkennen und nicht zu hoch, um die Komplexität aus forschungspraktischen Gründen bewältigen zu können.560 Die Anzahl der Fälle sollte zudem nicht ex ante festgelegt werden, sondern es sind in der laufenden Untersuchung so lange neue Fälle hinzu zu nehmen, bis eine "theoretische Sättigung"561 erreicht ist, d.h. bis die Erkenntnisse aus neuen Fallstudien nur noch marginal sind und den gegenüberstehenden Aufwand nicht rechtfertigen.562 In der vorliegenden Untersuchung wurden insgesamt 13 Fallstudien durchgeführt.563 Folgende Ministerien und nachgeordnete Bereiche waren beteiligt: ƒ

Auswärtiges Amt (AA/Außenministerium)

ƒ

Bundesministerium der Finanzen (BMF)

ƒ

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

ƒ

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)

ƒ

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

ƒ

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) sowie der nachgeordnete Bereich

560

561 562

563

zusätzliche Fallstudien, an denen weitere neun Ministerien bzw. deren nachgeordnete Bereiche beteiligt waren. Eisenhardt (1989), S. 545 weist darauf hin, dass es keine ideale Anzahl von Fällen gibt, aber bei zu geringer Zahl die empirische Basis wenig überzeugend ist und bei zu hoher Zahl die Datenmenge und steigende Komplexität zu Schwierigkeiten führen kann. Hoepfl (1997), S. 8 benennt auch die Begrenzung der Forschungsressourcen als legitimen Grund für die Beendigung der Datenerhebung. Zum Terminus „theoretische Sättigung“ vgl. Glaser und Strauss (1998), S. 68-70. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 545. Gleiches gilt im übrigen für den fortlaufenden, iterativen Abgleich zwischen entstehenden bzw. sich entwickelnden Hypothesen und Daten. Nach Durchführung von 13 Fallstudien wurde die o.g. „theoretische Sättigung“ in der vorliegenden Untersuchung als erreicht angesehen.

115 - Eisenbahnbundesamt ƒ

Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) sowie die nachgeordneten Bereiche - Heer - Luftwaffe - Marine - Streitkräftebasis

ƒ

Bundesministerium des Innern (BMI) sowie der nachgeordnete Bereich - Bundesgrenzschutz

ƒ

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA)

ƒ

Bundesministerium für Gesundheit (BMG)

Dabei wurden inhaltlich folgende Veränderungsprozesse in den Fallstudien untersucht: ƒ

Vier Fallstudien zur Einführung von Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) in Verbindung mit Kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP)

ƒ

Zwei Fallstudien zur Einführung von KLR ohne KVP

ƒ

Eine weitere Fallstudie zur Implementierung von KVP ohne KLR

ƒ

Drei Fallstudien zum Outsourcing/zur Privatisierung der Erbringung von Dienstleistungen, die bis dahin der amtlichen Leistungserbringung oblagen und eine enge Kooperation mit den Partnern aus dem privatwirtschaftlichen Sektor erforderten.

ƒ

Zwei Fallstudien zur Implementierung von ERP-Systemen564, verbunden mit organisatorischen Veränderungen.

ƒ

Eine Fallstudie zur koordinierten Konzeption und Umsetzung von betriebswirtschaftlich geprägter Personalentwicklung in der gesamten Bundesregierung.

Da einige der untersuchten Veränderungsprozesse von den betroffenen Organisationen als ausgesprochene Misserfolge gewertet wurde, verknüpften diese die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Ergebnisse mit der Bedingung der Anonymität. Die nachfolgende Darstellung der Verteilung der Fallstudien mit ihren verschiedenen inhaltlichen Ausrichtungen kann daher nur in anonymisierter Form erfolgen.

564

„ERP-Systeme sind modular aufgebaute Software-Lösungen, die eine prozessorientierte Sichtweise auf das Unternehmen ermöglichen. Durch die Integration aller wichtigen Unternehmensfunktionen, wie Rechnungswesen, Logistik, Produktion und Personal auf Basis einer integrierten, unternehmensweiten Datenbasis soll die Planung und das Controlling im gesamten Unternehmen wesentlich erleichtert werden.“ Kohnke (2005), S. 38.

116

Inhalte

Einführung Organisation

Einführung

cing/

von ERP-

Privatisie-

Systemen

betriebs-

rung der

sowie damit

wirtschaft-

Erbringung

einherge-

lich gepräg-

bis dahin

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ter Perso-

Einführung

von KLR in

Einführung

Einführung

‘amtlicher’

ganisations-

nalent-

Verbindung

von KLR

von KVP

Dienstleis-

veränderun-

wicklungs-

mit KVP

ohne KVP

ohne KLR

tungen

gen

konzepte

Fallstudie 1 Ministerium I

Outsour-

Fallstudie 5

Fallstudie 2

Fallstudie 6

Fallstudie 3

Fallstudie 7

Fallstudie 4 Ministerium II

Fallstudie 8

Ministerium III

Fallstudie 9

Ministerium IV Ministerium V Ministerium VI Ministerium VII Ministerium VIII Ministerium IX Ministerium X

Fallstudie 11

Fallstudie 12 Fallstudie

Fallstudie

10

13 Fallstudie 13 Fallstudie 13 Fallstudie 13 Fallstudie 13 Fallstudie 13 Fallstudie 13

Tabelle 4: Sample der Fallstudien

4.5.5

Der Zugang zum Forschungsfeld

Die Akquisition der Fallstudien in den Ministerien war mit einem hohen Aufwand und großen praktischen Schwierigkeiten verbunden.565 Haupthindernisse waren dabei eine von den Ministerien befürchtete negative öffentliche Darstellung problematischer Verläufe und Ergebnisse von Veränderungsprozessen, die Sicherstellung der Geheimhaltung beim Zugang des Forschers zu sensiblen Daten sowie der erwartete, mit der Untersuchung verbundene Aufwand für das Ministerium, wie z. B. die interne Organisation von Interviews oder die Betreuung des Interviewers. In den meisten Fällen waren im Vorfeld zahlreiche persönliche Gespräche mit

117 leitenden Ministerialbeamten notwendig, um Interesse für die Untersuchung zu wecken und Vertrauen in die beteiligten Personen aufzubauen. Dies wurde erreicht, indem in den Gesprächen die Ziele und das Vorgehen der Untersuchung detailliert vorgestellt wurden und umfassende Vertraulichkeit zugesichert wurde. Zusätzlich wurde als Anreiz für die Beteiligung, bzw. als Kompensation für den entstandenen Aufwand, jeweils eine kostenlose Beratung auf Basis der erarbeiteten Ergebnisse angeboten, um einen unmittelbaren Nutzen der Untersuchung für die beteiligte Organisation zu erzeugen.566 4.5.6

Verwendete Arten der Datenerhebung (Quellen)

4.5.6.1 Quellentriangulation Eisenhardt weist darauf hin, dass eine ‘Triangulation’ von Arten der Datenerhebung (Quellen) zu einer Erhärtung von Konstrukten und Hypothesen beiträgt.567 Sie dient einerseits dazu, eine möglichst breite Datenbasis und somit möglichst umfassende Informationen zu bekommen und andererseits, um einzelne Informationen zu hinterfragen und bewusst nach möglichen Widersprüchen zu suchen. Stützen sich die Quellen gegenseitig, wird tendenziell von einer steigenden Verlässlichkeit der Informationen ausgegangen, widersprechen sich die Quellen, gibt das Anlass, diese Aspekte stärker zu hinterfragen. In der Untersuchung wurden sowohl qualitative als auch quantitative Daten erhoben und genutzt, die durch verschiedene Arten der Datenerhebung (Quellen), wie z. B. Fragebögen oder Interviews gewonnen wurden. Bei der Vielfalt der genutzten Datenquellen stehen die narrativen und problemzentrierten Interviews, die in Kapitel 4.5.6.3 und 4.5.6.4 beschrieben werden, im Vordergrund der Datenerhebung. In den 13 Fallstudien wurden 158 Interviews mit einer durchschnittlichen Dauer von ca. 1,5 Stunden568 (in Einzelfällen bis zu vier Stunden) durchgeführt, wobei sich die Interviewzeit in etwa zu gleichen Teilen auf die narrativen und die problemzentrierten Interviews verteilt.

565

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567

568

Auch Benbasat et al. (1987), S. 373-374 betonen die Schwierigkeit der Akquisition von Fallstudien. Flick (1999), S.70-77, widmet dem Zugang zum Feld ein ausführliches Kapitel. Benbasat et al. (1987), S. 373-374: „Two key points to be addressed in order to gain cooperation are confidentiality and benefits to the organization.“ Eisenhardt (1989), S. 538: „That is, the triangulation made possible by multiple data collection methods provides stronger substantiation of constructs and hypotheses.“ sowie S. 541: “When a pattern from one data source is corroborated by the evidence from another, the finding is stronger and better grounded.“ Hamprecht (1996), S. 162 wendet die gleiche Argumentation auf die Kombination von qualitativen und quantiativen Daten an und weist auf die höhere interne Validität hin, die durch diese „Triangulation“ entsteht. Vgl. auch Stake (2000), S. 443-444, Jick (1979), S. 602-611 sowie Glaser und Strauss (1998), S. 7276. Die gleiche durchschnittliche Interviewdauer wird von Brown und Eisenhardt (1998), S. 252 berichtet.

118 4.5.6.2 Kurzfragebögen Mit Hilfe von Kurzfragebögen569 können im Vorfeld von Interviews (bzw. zu Beginn der Interviews) wichtige Basisinformationen über den Interviewpartner erhoben werden,570 um die Inhalte des anschließenden Interviews besser einordnen zu können, wie z. B. die Aufgabe des Interviewpartners in der Organisation, seine Zugehörigkeitsdauer zur Organisation, seine Berührungspunkte mit dem Veränderungsprozess usw. So ist es für den Forscher z. B. wichtig zu wissen, ab welchem Zeitpunkt der Interviewte den Veränderungsprozess persönlich erlebt hat, ob er massive eigene Interessen zu verteidigen hatte oder nur ‘unbeteiligter Zuschauer’ war. Die gemachten Aussagen sind im jeweiligen Licht dieser Basisinformationen zu erörtern. In zwei Fallstudien untersagten die Ministerien die Verwendung der Kurzfragebögen, weil Konflikte mit der Personalvertretung bzw. eine Gefährdung der Anonymität des einzelnen Interviewpartners durch die Kurzfragebögen befürchtet wurden. In den übrigen Fallstudien wurden Kurzfragebögen eingesetzt. 4.5.6.3 Narrative Interviews Narrative Interviews571 sind dadurch gekennzeichnet, dass der Forscher den Interviewten möglichst nicht in eine von ihm vorgefertigte theoretische Struktur lenkt, sondern diesen weitgehend frei und unbeeinflusst ‘seine Version der Geschichte’ erzählen lässt. Dem Interviewten werden zunächst keine Fragen gestellt (mit Ausnahme von Nachfragen zum besseren Verständnis des Gesagten). Kommt die Erzählung ins Stocken, kann der Interviewer dem Interviewten ‘Erzählanreize bieten, z. B. in Form von Themenstichworten, an dem dieser Anknüpfen kann, um ‘seine Geschichte’ weiter zu erzählen. Durch narrative Interviews wird sichergestellt, dass der Interviewte diejenigen Aspekte behandelt, die er für besonders relevant hält. Bei narrativen Interviews nutzt der Forscher die inhaltliche Kompetenz des Befragten in seinem Umfeld, um wichtige Forschungsaspekte zu erkennen. Der Befragte zeigt durch diese ungelenkte Interviewform Aspekte und (Inter)dependenzen von Aspekten auf, die der Forscher nicht hätte antizipieren können und die er daher auch nicht mit einem strukturierten Interviewleitfaden hätte abdecken können. Alle im Rahmen der Untersuchung geführten Interviews enthielten einen narrativen Anteil, der in der Regel der Beantwortung des Kurzfragebogens folgte und dem problemzentrierten Interview vorausging.

569

570 571

Zur Verwendung von Fragebögen als Quelle in Fallstudie vgl. Eisenhardt (1981), S. 534-535 sowie Brown und Eisenhardt (1998), S. 252. Zu diesem Vorgehen vgl. Brown und Eisenhardt (1998), S. 252. Zur Technik narrativer Interviews vgl. Lamnek (1995), S. 70-74 sowie Mayring (1999), S. 54-57.

119 4.5.6.4 Problemzentrierte Interviews Bei problemzentrierten Interviews572 finden im Gegensatz zu narrativen Interviews strukturierte Interviewleitfäden Verwendung. Hierdurch werden Aspekte behandelt, die ex ante als relevant erachtet wurden. Deshalb können durch problemzentrierten Interviews auch existierenden Hypothesen thematisiert, hinterfragt und modifiziert werden. Damit unterstützen sie insbesondere den Anteil der Fallstudien, der sich, wie in Kapitel 4.5.2 beschrieben, mit der Reflexion ex ante explizierter Hypothesen befasst. Problemzentrierte Interviews dienen jedoch nicht ausschließlich der Überprüfung von Hypothesen, sondern sollen ebenfalls neue Hypothesen hervorbringen, die bisher nicht bestanden. Hierzu werden den Befragten in der Regel offene Fragen573 zu ‘breiten Themengebieten’ gestellt, die diese mit eigenen Inhalten und in eigener Struktur beantworten können. Insofern wird der Befragte durch offene Fragen auf Themengebiete gelenkt, die aus den Forschungsfragen heraus als relevant erscheinen, aber zu denen noch keine konkreten Hypothesen existieren. Die problemzentrierten Interviews wurden erst im Anschluss an die narrativen Interviews durchgeführt, um die Befragten nicht zu früh in eine vorgefertigte Denkstruktur zu lenken, was der Intention der narrativen Interviews zuwider gelaufen wäre. 4.5.6.5 Gruppendiskussionen Um die Datenerhebung in Fallstudien zu ergänzen, können mit Interviewpartnern zusätzlich Gruppendiskussionen574 durchgeführt werden. Hierdurch sollen gruppendynamische Prozesse ausgelöst werden, in denen z. B. die Teilnehmer untereinander ihre Argumentationen aufgreifen und weiterentwickeln. Neue Aspekte treten insbesondere dann zu Tage, wenn der Forscher die Gruppe mit provozierenden Argumenten konfrontiert. In der vorliegenden Untersuchung wurden in zwei Fallstudien solche Gruppendiskussionen genutzt. In den übrigen Fallstudien war es aufgrund zeitlicher Begrenzungen der Interviewpartner nicht möglich, Gruppendiskussionen durchzuführen.575

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575

Zur Technik problemzentrierter Interviews vgl. Lamnek (1995), S. 74-78 sowie Mayring (1999), S. 50-54. Yin (1981), S. 60, weist auf die besondere Bedeutung offener Fragen für die Durchführung von Fallstudienuntersuchungen hin. Zur Technik von Gruppendiskussionen vgl. ausführlich Lamnek (1995), S. 125-171 sowie Mayring (1999), S. 58-61. Es war sinnvoll die beiden Gruppendiskussionen in die Datenbasis einzubeziehen, auch wenn diese Art von Quelle in anderen Fallstudien nicht genutzt werden konnte. Sie erbrachten hier wertvolle, zusätzliche Informationen.

120 4.5.6.6 Vorhandene Dokumente / Aktenmaterial In Fallstudien können nicht nur eigens erhobene Daten verwendet werden, sondern auch bereits vorhandene Daten unterschiedlicher Quellen. Hierzu gehören z. B. Projektberichte, Ausschreibungen, Angebote, Präsentationsunterlagen und Korrespondenz.576 Sie liefern in vielen Fällen grundlegende Daten zu den untersuchten Veränderungsprozessen, wie Projektlaufzeiten, Anzahl der in die Projekte eingebundenen bzw. betroffenen Mitarbeiter oder Umfang der externen Unterstützung durch Beratungsunternehmen etc. Es können zudem Hinweise auf die angestrebten Ziele eines Veränderungsprozesses, seinen Verlauf und seine Ergebnisse gewonnen werden. Die Nutzung bereits vorhandenen Materials bietet den Vorteil, dass es in der Entstehung keiner potenziellen Verzerrung durch den Forscher unterliegt (höchstens bei Auswahl und Auswertung), da es nicht im Zuge der Fallstudien erstellt wurde. Die Einsicht und Auswertung vorhandener Dokumente/Aktenmaterials erfolgte in dieser Arbeit einerseits (vorab) als Vorbereitung auf die Interviews, bzw. um einen ersten Überblick über den Veränderungsprozess zu gewinnen.577 Andererseits wurde ein Teil der Dokumente erst im Laufe der Fallstudie zugänglich gemacht, zumeist von einzelnen Interviewpartnern, die dann zum vertiefenden Studium genutzt wurden. 4.5.6.7 Teilnehmende Beobachtung und informelle Gespräche In der Fallstudienforschung ist es von besonderer Bedeutung, dass der Forscher ein tiefgreifendes Verständnis für die betrachtete Organisation gewinnt und Aspekte erfasst, die über die ‘offiziell verlautbarten Standpunkte’ deutlich hinausgehen. Er muss erhobene Informationen im Lichte des Gesamtkontexts der Organisation interpretieren und Aussagen ‘zwischen den Zeilen’ deuten können, um ein ‘Gespür für die Organisation’ aufzubauen. Hierzu tragen die ‘teilnehmende Beobachtung’ und informelle Gespräche578 bei, die im Rahmen der Fallstudien gemacht werden können, wenn der Forscher verstärkt am Tagesgeschehen der untersuchten Organisation teilnimmt.579 Informelle Gespräche sind besonders geeignet, um ein persönliches Verhältnis zu den Gesprächspartnern aufzubauen, wodurch sich diese verstärkt offen äußern, z. B. kritisch über einzelne Mitarbeiter sprechen, erhellende Anekdoten580 über die Organisation erzählen oder Hintergrundinformationen zur Unternehmenskultur liefern.

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Vgl. zur Dokumentenanalyse ausführlich Mayring (1999), S. 32-35. Lediglich in einem Fall konnten vorab keine schriftlichen Materialien zugänglich gemacht werden. Zum gesamten Themenkomplex ‘teilnehmende Beobachtung und informelle Gespräche’ vgl. Brown und Eisenhardt (1998), S. 252-253, Mayring (1999), S. 61-65 sowie Lamnek (1995), S. 239-317. Vgl. Becker (1958), S. 652. Im Extremfall kann der Forscher sogar in der Organisation mitarbeiten und temporär als Arbeitskraft integriert werden, was in der vorliegenden Untersuchung nicht der Fall war. Mintzberg (1979), S. 587 betont die Bedeutung von Anekdoten zur Theoriebildung: „Theory building seems to require rich description, the richness that comes from anecdote.“

121 In dieser Arbeit wurden informelle Gespräche in großem Umfang und mit hoher Intensität betrieben, vor allem während mehrtägiger Aufenthalte in den Dienststellen, in denen sich der Forscher in den Tagesablauf (aber nicht in die Arbeitsabläufe) und die Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter eingliedern konnte.581 Die informellen Gespräche wurden zwar nicht systematisch ausgewertet, da eine solche "Investigative Partizipation"582 einen Vertrauensbruch gegenüber dem Gesprächspartner bedeuten würde,583 sie haben im oben beschriebenen Sinne aber dazu geführt, eine deutlich verbesserte Gesamtsicht auf die Organisationen zu gewinnen. 4.5.7

Wichtige Aspekte der Interviewtechnik

Da die Interviews in der vorliegenden Untersuchung im Zentrum der Datenerhebung standen, sollen die wichtigsten technischen Aspekte ihrer Vorbereitung und Durchführung näher beleuchtet werden. 4.5.7.1 Auswahl der Interviewpartner Die Auswahl der Interviewpartner sollte so ausgerichtet werden, dass möglichst viele verschiedene Perspektiven auf den Veränderungsprozess genutzt werden.584 Es werden unterschiedliche Gruppen von Beteiligten und Beobachtern der Veränderungsprozesse in die Interviews einbezogen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven sollen zum einen möglichst viele Aspekte erfasst werden, zum anderen dienen sie aber dazu, die Sichtweise einer Gruppe mit der einer anderen zu konfrontieren. Die Argumente einer Gruppe A können einer anderen Gruppe B ‘zugespielt’ und durch diese neu reflektiert werden. Dadurch können zum Beispiel Eigeninteressen bestimmter Mitarbeitergruppen durch andere Gruppen mit gegenläufigen Interessen aufgedeckt und damit deren Aussagen in einem neuen Licht bewertet werden. Zudem können sich Aussagen dadurch ‘erhärten’, dass sie von der breiten Mehrheit der Befragten über verschiedenste Gruppen hinweg bestätigt werden.

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Beispiele für Anlässe solcher informeller Gespräche in der Untersuchung sind gemeinsame Abendveranstaltungen mit Offizieren des Bundesministeriums der Verteidigung in Offiziersheimen, die gemeinsamen Unterbringung des Interviewers mit den Offizieren in der jeweiligen Kaserne sowie gemeinsame sportliche Aktivitäten. In Dienststellen anderer Ministerien wurden gemeinschaftliche Mittagessen, Cafeteriabesuche, Spaziergänge etc. genutzt. Von ähnlichen Situationen, in denen informelle Gesprächen geführt wurden, berichten auch Brown und Eisenhardt (1998), S. 252. „Investigative Participation“ wird laut Young (1999), S. 77-78, von der Schule der „Existential sociology“ als Datenerhebungsmethode favorisiert. Hierbei ist den beteiligten Mitarbeitern in der jeweiligen Situation nicht bewusst, dass von ihnen Daten erhoben werden. Zur Ethik in der Fallstudienforschung vgl. Stake (2000), S. 447-448. Stake geht davon aus, dass ein impliziter Vertrag zwischen Forscher und dem an der Forschung beteiligten Individuum besteht, dessen Einhaltung für den Forscher eine moralische Verpflichtung darstellt. In der vorliegenden Untersuchung wird davon ausgegangen, dass es Bestandteil dieses Vertrages ist, Äußerungen, die im privaten Rahmen gemacht wurden, nicht systematisch auszuwerten und darzustellen. Ein solches Vorgehen wurde von Brown und Eisenhardt (1998), S. 252 gewählt. Vgl. zu „PerspektivenTriangulation“ Flick (1999), S. 66- 67.

122 Folgende Gruppen (die nicht überschneidungsfrei sind) wurden, soweit möglich, in die Interviews einbezogen: ƒ

Führungskräfte der von den Veränderungen betroffenen Organisationen

ƒ

‘Betroffene’ der Veränderungen, wie z. B. Nutzer neuer DV-Systeme

ƒ

Projektmanager/Projektleiter der Veränderungsprojekte

ƒ

Projektmitarbeiter der Veränderungsprojekte

ƒ

Personalvertreter (Personalräte und Hauptpersonalräte)

ƒ

Externe Unternehmensberater / Mitarbeiter und Führungskräfte beteiligter Unternehmen

Es wurde versucht, über die oben genannten Gruppen einen Mix aus verschiedenen Altersgruppen, Geschlechtern und Arbeitnehmerstati (Beamte, Angestellte, Arbeiter) zu realisieren. Es ist zu betonen, dass die unterschiedlichen Interviewpartner nicht ausgewählt wurden, um Repräsentativität zu erzeugen, sondern um möglichst vielschichtige Argumente aufzudecken. Die Zusammensetzung der Interviewpartner war nicht in allen Fallstudien völlig identisch sondern wurde jeweils den inhaltlichen Erfordernissen und forschungspraktischen Gegebenheiten angepasst. Das Set an interviewten Personen wird in jeder Fallstudie beschrieben (siehe Kapitel 5.1-5.13). 4.5.7.2 Durchführung der Interviews Um eine möglichst große Offenheit der Interviewpartner zu erreichen, ist es notwendig, in der zur Verfügung stehenden, begrenzten Interviewzeit ein möglichst großes Vertrauen zwischen den Interviewer und Interviewpartner aufzubauen. Hierzu erfolgt zu Beginn des Interviews zunächst ein ‘warm up’, in dem der Interviewer sich und sein Forschungsvorhaben vorstellt und dem Interviewten transparent macht, dass er keinen persönlichen Nachteil durch eine offene Stellungnahmen erleiden wird. Insgesamt verlangen die Interviews vom Forscher ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen für den Interviewten und seine Situation.585 Zur Sicherstellung von offenen Äußerungen in den Interviews war es von größter Wichtigkeit, für die gemachten Aussagen absolute Diskretion und Anonymität gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen zuzusichern und zu wahren.586 Im Rahmen des ‘warm up’

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586

Benbasat et al. (1987) betonen, dass der Forscher in Fallstudien über hohe integrative Kraft verfügen muss, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Miles (1979), S. 590, unterstreicht zudem, dass die Erhebung qualitativer Daten insgesamt mit einem hohen Aufwand für den Forscher verbunden ist. Beide Aussagen decken sich mit den in der Untersuchung gemachten Erfahrungen. Etliche Interviewpartner haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einem Bruch der Anonymität mit ‘handfesten’ persönlichen Nachteilen für sich rechnen müssten und sie ohne Zusicherung dieser Ano-

123 wurde der Kurzfragebogen (zur Person des Interviewten) eingesetzt, da sich gezeigt hat, dass in der frühen Phase des Interviews dessen ‘mechanische Abarbeitung’ als leichte Aufgabe empfunden wird, die den Interviewten an die Interviewsituation heranführt, um dann, wenn dieser sich an die Situation gewöhnt hat, die schwierigere Aufgabe des narrativen Interviews zu lösen.587 Für den weiteren Verlauf des Interviews wirkte es sich erfahrungsgemäß positiv aus, dem Interviewten zu signalisieren, dass seinen Aussagen im Forschungsprojekt Bedeutung zugemessen und er als Wissensträger ernst genommen wird. 4.5.8

Dokumentation

Im Sinne eines transparenten Forschungsprozesses sind das Vorgehen und die Ergebnisse der Datenerhebung klar und nachvollziehbar zu dokumentieren.588 Da in der Untersuchung verschiedene Quellen und Arten von Daten Verwendung fanden, wurden zum Teil unterschiedliche Medien zur Dokumentation eingesetzt. ƒ

Tonaufzeichnung: Von den Interviews wurden, soweit möglich, mittels eines sog. MiniDisk-Recorders589 Tonaufzeichnungen aufgenommen. In ca. 10% der Interviews wurde die Tonaufzeichnung nicht durchgeführt, da sie zum einen von den Interviewpartnern nicht gestattet wurde, weil diese sich entweder hierdurch einem Zwang ausgesetzt sahen, ‘in druckreifen Sätzen’ zu reden oder ihre Anonymität gefährdet sahen.590 Sie wurden zum anderen dann unterlassen, wenn der Interviewer Anzeichen für eine ‘Irritation’ beim Interviewten wahrgenommen hat, die befürchten ließen, dass offene Äußerungen durch die Tonbandaufzeichnungen verhindert würden. In beiden Fällen wurden die Tonaufzeichnungen soweit wie möglich durch handschriftliche Protokolle ersetzt.

ƒ

Handschriftliche Aufzeichnungen (Protokolle): Von allen Interviews, auch von den durch Tonaufzeichnung dokumentierten, wurden handschriftliche Aufzeichnungen (Protokolle) angefertigt. Die handschriftlichen Aufzeichnungen, die gesprächsbegleitend erzeugt werden, konnten aufgrund der begrenzten Schreibgeschwindigkeit des Interviewers keine wortwörtlichen Protokolle sein. Dadurch war der Interviewer gezwungen, im laufenden Interview diejenigen Aussagen aufzunehmen, die ihm als besonders relevant erschienen und andere wegzulassen. Zudem musste er Sachverhalte komprimieren bzw. zu-

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nymität nur die ‘offizielle Version’ wiedergegeben würden. Daher können in den folgenden Kapiteln Zitate der Interviewpartner nur in anonymisierter Form wiedergegeben werden. Der Kurzfragebogen enthielt nur Fragen zur Person, keine inhaltlichen Fragen. Inhaltliche Daten zum Veränderungsprozess wurden erst im narrativen Interview erhoben. Zum gesamten Themenkreis der Dokumentation vgl. Lamnek (1995), S. 96 ff. Diese Technik hat gegenüber herkömmlichen Tonbandgeräten den Vorteil, dass die Geräte sehr klein sind und von den Interviewpartnern bereits nach kurzer Gesprächsdauer kaum mehr wahrgenommen werden und dadurch auch keine Störung darstellen, z. B. den Interviewten nicht an eine ‘Verhörsituation’ erinnern. Hoepfl (1997), S. 6-7 zeigt, dass es in der Literatur durchaus widerstreitende Meinungen zu Tonaufzeichnungen gibt; von einigen Autoren werden sie demnach als unverzichtbar angesehen, während andere sie nicht uneingeschränkt empfehlen.

124 sammenfassend darstellen. Insofern war die gesprächsbegleitende, handschriftliche Aufzeichnung nicht nur eine Dokumentation, sondern bereits eine erste Auswertung, in deren Rahmen der Interviewer ad hoc versuchen musste, relevante von weniger relevanten Aussagen zu selektieren und bei der Zusammenfassung einzelner Aussagen ‘Essenzen’ zu extrahieren. Hier verwischte somit die Grenze zwischen Dokumentation und Auswertung. ƒ

Elektronische Daten (CD-Rom, Diskette, Festplatte): Insbesondere vorhandene Dokumente/Aktenmaterial wurden von den Fallstudienpartnern in elektronischer Form übergeben und entsprechend archiviert. Hierbei handelte es sich um Projektplanungen, Projektberichte, Präsentationen und sonstige Arbeitsunterlagen der Ministerien, ihrer nachgeordneten Bereiche und der beteiligten Firmen.

ƒ

Kopien in Papierform: Weiterhin wurden vorhandene Dokumente/Aktenmaterial häufig als Kopien in Papierform übergeben, die für den weiteren Forschungsprozess archiviert wurden, vor allem Projektberichte, Präsentationen, Korrespondenz, internen Schriftverkehr, Ausschreibungen und Angebote.

4.5.9

Datenauswertung / Analyse

Im Folgenden wird dargestellt, wie in der Untersuchung die Aufbereitung der Daten, die Analyse im Rahmen der Within-Case-Analysis und Cross-Case-Comparison sowie die Bezugnahme auf die bestehende Literatur vorgenommen wurde. 4.5.9.1 Aufbereitung der Daten Am Beginn der Analyse von Fallstudien steht die Aufbereitung der Daten, die es dem Forscher ermöglicht, sie für eine Auswertung nutzbar zu machen. Gerade bei multiplen Fallstudien geht es oft um die Bewältigung sehr großer Datenmengen.591 Insbesondere die Aufbereitung von Interviews stellt eine wesentliche Aufgabe dar. Hierzu wurde in der vorliegenden Untersuchung das von Mayring beschriebene "selektive Protokoll"592 genutzt. Beim selektiven Protokoll wurden bereits bei der Datenaufbereitung relevante von weniger relevanten Aussagen getrennt und nur die als relevant erachteten wurden für die weitere Auswertung protokolliert.593 Hierzu waren im Vorfeld Kriterien dafür zu definieren, was zu protokollieren war und was nicht.594 Diese Kriterien wurden aus den For-

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Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540. Vgl. Mayring (1999), S. 78. Mayring hält das „selektive Protokoll“ dann für angemessen, wenn einerseits große Datenmengen zu verarbeiten sind und andererseits verschiedene Arten der Datenerhebung (Quellen) verwendet wurden. Beides trifft auf die vorliegende Untersuchung zu, so dass das „selektive Protokoll“ als Instrument der Datenaufbereitung ausgewählt wurde. Yin (1981), S. 60-61 weist auf die hohe Bedeutung der Selektion von ‘Wichtigem’ und ‘Unwichtigem’ für die Handhabbarkeit von Fallstudien hin. Vgl. Mayring (1999), S. 78.

125 schungsfragen, den zum Fokussieren der Forschungsfragen verwendeten ‘offenen Konstrukten’ und den bereits bestehenden Hypothesen abgeleitet. Es wurde die Frage gestellt, ob Aussagen vor dem Hintergrund und in Bezug auf die Forschungsfragen bedeutsam erschienen, bzw. bei ihnen zumindest ein mittelbarer Zusammenhang zu den Forschungsfragen gesehen werden konnte. Diese Vorgehensweise wurde in der vorliegenden Untersuchung nicht nur auf Interviews, sondern analog auf alle Arten der Datenerhebung (Quellen) angewendet. 4.5.9.2 Within-Case-Analysis und Cross-Case-Comparison Bei der Within-Case-Analysis595 werden innerhalb einer Fallstudie Phänomene aufgezeigt und beschrieben sowie Ursache-Wirkungs-Beziehungen erschlossen, d.h. es werden Fragen nach dem ‘Wie’ und ‘Warum’ zu beantworten versucht. Es werden innerhalb eines Falles logische Ketten hergeleitet,596 die zur Klärung der Forschungsfragen und zur Reflexion bestehender Hypothesen beitragen. Bei der Cross-Case-Comparison wird hingegen ein systematischer Vergleich zwischen verschiedenen Fällen durchgeführt.597 Es werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt und analysiert, wobei das Erkennen von "Mustern"598 im Vordergrund steht, d.h. es wird nach Erklärungen für Sachverhalte gesucht, die über den Einzelfall hinaus Gültigkeit besitzen. Dabei werden die Aussagen zu bestimmten Phänomenen in verschiedenen Fällen miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herausgearbeitet.599 Typische Fragen, die dabei aufgeworfen werden, lauten z. B. ‘warum ist in den Fällen etwas unterschiedlich, wo man Gleiches erwartet hätte?’ oder ‘warum ist etwas gleich, wo man Unterschiedliches erwarten würde?’.600 Im Rahmen der Cross-CaseComparison kann insbesondere hinterfragt werden, ob eine Erklärung, die im Rahmen der Within-Case-Analysis plausibel erschien, bei anderen Fällen ebenfalls Gültigkeit besitzt. Ist dies nicht der Fall, ist hierfür wiederum eine Erklärung zu suchen; der vorherige Ansatz wird entkräftet oder modifiziert. Durch die Cross-Case-Comparison erwachsen breitere, gemeinsame Erklärungen, die nicht nur auf einen Fall anwendbar sind, sondern in einer Mehrzahl von Fällen Anwendung finden konnten und daher einen ersten Schritt zur Verallgemeinerung

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Zum Themenkreis Within-Case-Analysis und Cross-Case-Comparison vgl. Eisenhardt (1989), S. 539-541 sowie Yin (1981), S. 59-64. Benbasat et al. (1987), S. 374: „...a clear chain of evidence should be established.“ Vgl. Glaser und Strauss (1998), S. 32-41, die in diesem Zusammenhang von „komparativer Analyse“ sprechen. In Anlehnung an den von Eisenhardt (1989), S. 540-541 verwendeten englischen Begriff „Pattern“. Vgl. Brown und Eisenhardt (1998), S. 253 sowie Eisenhardt (1989), S. 540. Wie bereits erwähnt, ist der Vergleich der Phänomene in ‘real’ variierten Kontexten Teil der ‘phänomenologischen Analyse’. Vgl. hierzu Mayring (1999), S. 85-86. Eisenhardt (1989), S. 540: „The juxtaposition of seemingly similar cases by a researcher looking for differences can break simplistic frames. In the same way, the search for similarity in a seemingly different pair also can lead to more sophisticated understanding.“

126 von Schlussfolgerungen bildeten (siehe Kapitel 4.6). "When the lessons from each case study were compared, a common explanation emerged [...]"601 In der vorliegenden Untersuchung erfolgte die Datenauswertung im Rahmen der WithinCase-Analysis hauptsächlich in Anlehnung an die von Mayring dargestellte ‘phänomenologische Analyse’.602 Dabei wurde im ersten Schritt definiert, welche Aspekte (Phänomene) Gegenstand einer eingehenderen Analyse sein sollten. Im zweiten Schritt musste der Fallstudienforscher "...einen Durchgang durch das gesamte Material vollziehen, um den generellen Sinn des Ganzen aufzuschließen."603 Danach wurde das Material darauf hin untersucht, wo wichtige Aussagen zum Phänomen zu finden sind604, um diese im Anschluss daran zu interpretieren.605 Zuletzt werden die unterschiedlichen Aussagen und ihre Interpretationen zu einem Phänomen miteinander verglichen, verknüpft und zu einer generelleren Interpretation synthetisiert. Neben der ‘phänomenologischen Analyse’ sind in die Untersuchung auch Elemente der ‘gegenstandsbezogenen Theoriebildung’606 eingeflossen, da bereits während der Datenerhebung Memos angefertigt wurden, die zum einen (implizit) direkt interpretiert und die zum anderen zur Bildung von theoretischen Kategorien genutzt wurden. Diese sind dann im Verlauf der weiteren Untersuchung näher analysiert worden. Die Cross-Case-Comparison erfolgte in der oben beschriebenen Weise. In der Untersuchung wurden alle Fälle der Within-Case-Analysis unterzogen und zudem in die Cross-Case-Comparison eingebunden, wodurch erreicht wurde, dass alle Fallstudien miteinander in Beziehung gesetzt wurden, um ‘Muster’ zu erkennen und diese auf einer möglichst reichhaltigen Datenbasis zu hinterfragen. Durch die Kombination beider Verfahren wurden v. a. im Rahmen der Within-Case-Analysis Hypothesen generiert,607 die in der CrossCase-Comparison hinterfragt und im Ergebnis erhärtet, widerlegt oder modifiziert wurden.

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Yin (1981), S. 63. Zum im Weiteren dargestellten Vorgehen der „phänomenologischen Analyse“ vgl. Mayring (1999), S. 8587. Mayring (1999), S. 86. Hierzu wurden die erfassten Aussagen geclustert (kodiert). Zur Kodierung vgl. Hoepfl (1997), S. 8. Im Rahmen dieser Interpretationen werden die Phänomene in ‘gedankenexperimentell variierten Kontexten’ gegenübergestellt. Es wird beispielsweise gefragt, ob zu erwarten gewesen wäre, dass der Akteur im Kontext eines anderen Anreizsystems anders gehandelt hätte. Der Vergleich der Phänomene in ‘real’ variierten Kontexten hingegen ist hauptsächlich Gegenstand der Cross-Case-Comparisson. Mayring (1999), S. 82: „Es ist ein Verfahren gemeint, das schon während der Erhebung Schritte der vorwiegend induktiven Konzept- und Theoriebildung zuläßt.“ Mayring setzt die ‘gegenstandsbezogene Theoriebildung’ mit dem Konzept der ‘Grounded Theory’ von Glaser und Strauss gleich. Vgl. hierzu Glaser und Strauss (1998). Es ist aber anzumerken, dass die Entstehung von Hypothesen nicht zwangsläufig auf ein strukturiertes Vorgehen im oben beschriebenen Sinne (im Rahmen der Within-Case-Analysis und der Cross-CaseComparison) zurückzuführen sein muss. Vielmehr gibt es gerade für die Entstehung von Erklärungsansätzen kein starres Schema, sondern diese werden im Ablauf des Untersuchungsprozesses vom Forscher oftmals durch spontane, intuitive Einfälle generiert. Hierzu Popper (1984), S. 7: „Unsere Auffassung ..., dass es eine logische, rational nachkonstruierbare Methode, etwas Neues zu entdecken nicht gibt, pflegt man oft

127 4.5.9.3 Bezugnahme auf bestehende Literatur Das Ergebnis aus Within-Case-Analysis und Cross-Case-Comparison ist ein neues, vorläufiges Hypothesensystem, das an einer breiten Basis bestehender (relevanter) Literatur gespiegelt werden muss, um diese Hypothesen erneut zu reflektieren, insbesondere um festzustellen, wo Übereinstimmungen und Abweichungen von der bestehenden Literatur vorliegen und warum.608 Übereinstimmungen mit der bestehenden Literatur erhärten dabei tendenziell die Hypothesen. Abweichungen hingegen führen nicht nur dazu, Hypothesen zu verwerfen, sondern möglicherweise zu modifizieren. Sie dienen auch als Chance, nochmals einen kreativen, die ‘bisherigen Denkbahnen sprengenden Prozess’ anzustoßen, z. B. um die eigenen Ergebnisse und die Ergebnisse der existierenden Literatur in Frage zu stellen, oder nach einer ‘theoretischen Klammer‘ zu suchen, die scheinbar konfliktäre Ansätze integrieren kann. Insgesamt führte der im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Abgleich mit der existierenden (relevanten) Literatur dazu, dass die Validität der Ergebnisse erhöht werden konnte. 4.5.10 Zirkularität in Fallstudien In Kapitel 4.5.9 wurde beschrieben, dass auf Basis aller erhobenen Daten eine umfassende Auswertung vorgenommen wird. Dennoch gibt es in Fallstudien keine klar abgrenzbare, lineare Abfolge von Datenerhebung und anschließender Datenauswertung statt, sondern der Forscher nimmt teilweise, zumindest implizit, bereits während der Datenerhebung eine erste Auswertung vor.609 So findet z. B. immer eine Reflexion des Gehörten während eines Interviews und zwischen zwei Interviews statt. Insofern finden hier Datenerhebung und Datenauswertung teilweise simultan statt. Dies führt dazu, dass in Fallstudien, anders als Fragebögen in statistisch-quantitativen Untersuchungen, die Kurzfragebögen und strukturierten Interviewleitfäden nicht über alle Interviews hinweg identisch bleiben müssen. Sie werden auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse von Fallstudie zu Fallstudie, teilweise sogar von Interview zu Interview, fortlaufend modifiziert, was sich wiederum auf die Gewinnung von Erkenntnissen auswirkt usw. Kurzfragebögen und Interviewleitfäden werden z. B. um zusätzliche Aspekte ergänzt, die sich in vorangegangenen Interviews als relevant erwiesen haben. Ebenso wie die Gestaltung der Kurzfragebögen und Interviewleitfäden kann auch die Auswahl der Interviewpartner, die Auswahl der zu verwendenden Quellen und das Sampling der zu untersu-

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dadurch auszudrücken, dass man sagt, jede Entdeckung enthalte ein ‘irrationales Moment’, sei eine ‘schöpferische Intuition’ [...]“ Vgl. auch Chmielewicz (1994), S. 90, der im intuitiven Einfall eine „Entdeckungsmethode“ sieht. Glaser und Strauss (1998), S. 225: „Die Hauptquelle aller bedeutsamen Theoriebildung besteht in Einfällen oder Einsichten des Forschers selbst. Wie jeder weiß, können diese sich morgens oder nachts, plötzlich oder langsam dämmernd, während der Arbeit oder beim Spiel (selbst während des Schlafes) einstellen [...]“ Vgl. hierzu auch Eisenhardt (1989), S. 539. Vgl. zur Bezugnahme auf bestehende Literatur Eisenhardt (1989), S. 544-545. Eisenhardt (1989), S. 538: „A striking feature of research to build theory from case studies is the frequent overlap of data analysis with data collection.“

128 chenden Fälle laufend angepasst werden.610 Damit gibt es also sinnvollerweise Rückkopplungsschleifen zwischen den einzelnen Interviews innerhalb einer Fallstudie und zwischen Fallstudien.611 Auch in der vorliegenden Arbeit wurden die Interviewleitfäden und Kurzfragebögen auf Basis vorläufiger, überblicksartiger Auswertungen von Fallstudie zu Fallstudie modifiziert. Nachdem das Vorgehen in den Fallstudien eingehend dargestellt wurde, soll abschließend erläutert werden, welche Kriterien zur Bewertung der vorliegenden Fallstudienuntersuchung angelegt werden können.

4.6 Kriterien zur Bewertung von Fallstudien Wie jede wissenschaftliche Untersuchungsmethode müssen auch Fallstudien einer kritischen Bewertung standhalten, die anhand anerkannter Kriterien vorgenommen wird. Zunächst müssen Fallstudien Anforderungen erfüllen, die an jede Form der empirischen Forschung gestellt werden. Hier sind vor allem nach Popper Erklärungsgehalt612, Falsifizierbarkeit613, Widerspruchslosigkeit614 und Bewährung615 anzuführen.616 In der bestehenden Literatur gibt es zudem eine Vielzahl von Ansätzen für Kriterien zur spezifischen Bewertung von Fallstudien.617 Der vorliegenden Untersuchung werden die Bewertungskriterien von Yin zugrunde gelegt. Yin verwendet ‘klassische’ Kriterien zur Bewertung empirischer Forschung, namentlich Konstruktvalidität, interne Validität, externe Validität und Reliabilität, die für die Anwendung auf Fallstudienforschung eine spezifische Ausprägung erhalten:

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Vgl. Benbasat et al. (1987), S. 371 sowie Hamprecht (1996); S.173. Eisenhardt (1989), S. 539 bemerkt zur Anpassung von laufenden Forschungsvorhaben: „Indeed, a key feature of theorybuilding case research is the freedom to make adjustments during the data collection process.“ Zum Thema Zirkularität vgl. Flick (1999), S. 56-62 sowie Steinke (1999), S. 40-42. Popper (1984), S. 33: „Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, daß gerade durch den Beschluß, nach kausalen Erklärungen zu suchen, der Theoretiker sich sein besonderes Ziel setzt - das Ziel der theoretischen Wissenschaft überhaupt. Sein Ziel ist es, erklärende Theorien zu finden (möglichst wahre erklärende Theorien), das heißt, Theorien, die bestimmte strukturelle Eigenschaften der Welt beschreiben und uns erlauben, mit Hilfe von Randbedingungen die zu erklärenden Effekte zu deduzieren.“ Popper (1989, S. 82): „Ein Satz (oder eine Theorie) ist dann und nur dann empirisch-wissenschaftlich, wenn er falsifizierbar ist.“, weiter S. 83: „Ein Satz (oder eine Theorie) ist nach Popper falsifizierbar dann und nur dann, wenn es wenigstens einen Basissatz gibt, der mit ihr in logischem Widerspruch steht.“ Popper weist ausdrücklich darauf hin, dass nicht gefordert wird, dass dieser Basissatz wahr ist. Zu Falsifikation siehe auch Abschnitt 1.3. Vgl. Popper (1984), S. 59. Gemeint ist hier die Widerspruchsfreiheit der (Basis-)Sätze eines theoretischen Systems. Vgl. Popper (1984), S. 198-226. Unter Bewährung kann das Bestehen von ‘Prüfungen’ im Sinne von Falsifikationsversuchen verstanden werden. Vgl. Hamprecht (1996); S. 165. Steinke (1999), S. 43-80 nimmt zu diesem Thema eine sehr umfassende Würdigung und Diskussion der existierenden Literatur vor und zeigt die Vielfalt der Ansätze auf. Vgl. zudem Mayring (1999), S. 119-122.

129 (1) Konstruktvalidität: Diese wird von Yin wie folgt gekennzeichnet: "Construct Validity: establishing correct operational measures for the concepts being studied."618 Konstruktvalidität wird nach Yin in Fallstudien durch drei ‘Taktiken’ sichergestellt:619 a.

Durch die Nutzung verschiedener Quellen von ‘Beweisen’

b.

Durch den Aufbau von ‘Beweisketten’

c.

Indem wichtige ‘Informanten’ aus den Fallstudien in Reviews von Entwürfen der Fallstudienberichte eingebunden werden.620

(2) Interne Validität: Diese wird von Yin folgendermaßen definiert: "Internal Validity (for explanatory or causal studies only, and not for descriptive or exploratory studies): establishing a causal relationship, whereby certain conditions are shown to lead to other conditions, as distinguished from spurious relationships"621 Im Rahmen dieses Kriteriums ist danach zu fragen, ob die getroffenen Schlussfolgerungen korrekt sind, ob alle (auch die rivalisierenden) Erklärungsansätze herangezogen wurden und ob die gesammelten ‘Beweise’ und Schlussfolgerungen zusammenpassen.622 Interne Validität kann durch Anwendung von vier Punkten hergestellt werden: a. Ein Abgleich von ‘Mustern’ wird durchgeführt (‘pattern-matching’), b. Erklärungen sind zu erarbeiten (‘explanation-building’), c. Rivalisierende Erklärungen werden thematisiert ("address rival explanations") und d. Logik-Modelle finden Verwendung ("use logic models").623 (3) Externe Validität: Hierunter versteht Yin Folgendes: "External validity: establishing the domain to which a study´s findings can be generalized"624

618

619 620

621 622 623 624

Yin (2003a), S. 34. Gummesson (2000), S. 92 zu Validität: „Validity means in essence that a theory, model, concept, or category describes reality with a good fit, just as a good map properly describes earth or an architect´s blueprint is useful for erecting a functional building.“ Zu Validität als Kriterium vgl. auch Hamprecht (1996), S. 162-163, Stier (1999), S. 51-62 sowie Hujer und Cremer (1978), S. 19. Vgl. zu den folgenden drei ‘Taktiken’ Yin (2003a), S. 34 und 36. Solche Reviews wurden für alle 13 Fallstudien mit wichtigen ‘Informanten’ durchgeführt, indem die Ergebnisse mit diesen intensiv diskutiert (nicht aber ‘abgestimmt’) wurden. Yin (2003a), S. 34. Vgl. Yin (2003a), S. 36. Vgl. Yin (2003a), S. 34 und 36. Yin (2003a), S. 34. Er zeigt den Unterschied zur Ausprägung der externen Validität in statistischquantitativen Untersuchungen auf: S. 37: „However, such critics are implicitly contrasting the situation to survey research, in which a sample (if selected correctly) readily generalizes to a larger universe. This analogy to samples and universes is incorrect when dealing with case studies. Survey research relies on statistical generalization, whereas case studies (as with experiment) rely on analytical generalization. In

130 Die Logik, die hinter der Generalisierbarkeit von Fallstudienergebnissen steht, ist die gleiche wie bei einem Experiment; auch hier versucht der Forscher nicht, ‘repräsentative Experimente’ durchzuführen, sondern die Frage ist, in welchen theoretischen Bereichen die Erkenntnisse des Experiments Gültigkeit besitzen. Yin führt das Beispiel der Forscherin Jane Jacobs an, die auf Basis von Erfahrungen in New York breitere theoretische Aussagen zu Fragen der Stadtplanung getroffen hat, wie zur Rolle von Gehsteigen, Parks oder der Größe von Wohneinheiten etc., die nicht durch Repräsentativität erzeugt wurden.625 Die Generalisierbarkeit (externe Validität) entsteht dann, wenn die Ergebnisse durch weitere Fallstudien in anderen Bereichen, auf die die Generalisierung ausgedehnt werden soll, repliziert626 werden können, analog zur Replikation im Rahmen einer Serie von Experimenten.627 Um externe Validität herzustellen, sind in multiple case studies somit Replikationen durchzuführen.628 (4) Reliabilität: Dieser Begriff wird von Yin folgendermaßen erläutert: "Reliability: demonstrating that the operations of a study - such as the data collection procedures - can be repeated, with the same results"629 Reliabilität kann für Fallstudien damit erläutert werden, dass ein ‘nachfolgender Forscher B’, wenn er den beschriebenen Prozeduren des ‘originären Forschers A’ folgte und die selbe (!) Fallstudie noch einmal durchführen würde, zu den gleichen (oder sehr ähnlichen) Schlüssen bzw. Ergebnissen käme.630

625 626 627 628 629

630

analytical generalization, the investigator is striving to generalize a particular set of results to some broader theory [...]“ Vgl. zur Generalisierbarkeit auch Gummesson (2000), S. 88-90. Nach Gummesson entsteht Generalisierbarkeit durch das fundamentale Verstehen von Strukturen, Prozessen, ‘driving forces’ und Mechanismen. Vgl. Yin (2003a), S. 38. Zur Replikationslogik vergleiche auch Eisenhardt (1989), S. 542 sowie Hamprecht (1996); S. 165. Vgl. Yin (2003a), S. 37-38. Vgl. Yin (2003a), S. 34 und 37-38. Yin (2003a), S. 34. Hujer und Cremer (1978), S. 19 zu ‘Reliabilität’: „Reliabel (zuverlässig) ist jede Methode, die unter gleichen Randbedingungen stets das gleiche Resultat erbringt.“ Gummesson (2000), S. 91: „The favourite criterion of science, however, is reliability. Simply put, this means that two or more researchers studying the same phenomenon with similar purposes should reach approximately the same results. A study with high reliability can thus be replicated by others.“ Zu Reliabilität als Kriterium vgl. auch Hamprecht (1996), S. 162-163, Stier (1999), S. 51-62 sowie Schäffer/Brettel (2005), S. 45. Vgl. Yin (2003a), S. 37. Wollte also ein Forscher B die Reliabilität einer von Forschers A durchgeführten Fallstudie prüfen und würde Forscher B bei dieser Prüfung mittels der Wiederholung der Fallstudie auf der bestehenden Datenbasis ansetzen, müsste er bei gleichen Methoden zur Datenaufbereitung und Auswertung zu ähnlichen Ergebnissen wie Forscher A kommen.

131 Die Reliabilität in Fallstudien wird hergestellt, indem die Fallstudie (Vorgehen, Quellen usw.) detailliert protokolliert wird und indem eine umfassende Datenbasis aufgebaut wird.631 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es für die Fallstudienforschung ebenso strenge Bewertungskriterien gibt wie für die Forschungsstrategie der statistisch-quantitativen Untersuchung. Die Qualität der Forschung hängt daher nicht von der Wahl der Forschungsstrategie, sondern von der Einhaltung dieser Kriterien ab. In der vorliegenden Untersuchung wurde versucht, sowohl den allgemeinen Kriterien für empirische Forschung von Popper, als auch den spezifisch ausgeprägten Bewertungskriterien der Fallstudienforschung nach Yin gerecht zu werden.

631

Vgl. Yin (2003a), S. 34 und 37-38.

133

5 Empirische Ergebnisse Nachfolgend werden zunächst die Ergebnisse der Within-Case-Analysis aller 13 Fallstudien sowie anschließend die der Cross-Case-Comparison dargestellt. Die Ergebnisse werden systematisch nach dem ‘Theorieraster’ des akteursbezogenen Ansatzes des Veränderungsmanagements (siehe Kapitel 2.3) strukturiert. Beobachtete Phänomene, ihre Wirkung und deren Erklärungen werden jeweils in allen betroffenen Kategorien des ‘Theorierasters’ behandelt. Berührt ein Phänomen mehrere Kategorien, wird es bewusst mehrfach aufgeführt, um die empirische Bedeutung dieser Kategorien zu belegen. So ist z. B. ein System extrinsischer Anreize sowohl für die Kategorie ‘Präferenzen’ (bzw. ‘Nutzen des veränderten Handlungsmusters’) als auch für die Kategorie ‘externe Zustände’ relevant. Die entstehenden Wiederholungen sind somit sinnvoll und werden bewusst in Kauf genommen.

5.1 Fallstudie 1 - Einführung von KLR und KVP632 in der nachgeordneten Dienststelle A des Bundesministeriums I 5.1.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Inhalt des in Fallstudie 1 untersuchten Veränderungsprozesses ist die Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle A des Ministeriums I. Der Ausgangszustand ist im Betrieb der Dienststelle ohne KLR und KVP zu sehen, der Zielzustand im Betrieb und der Nutzung dieser Instrumente. Erklärte Ziele dieser Einführung waren die Erhöhung der Effizienz, die Senkung der Kosten zur Schaffung größerer Freiräume für notwendige Investitionen sowie die Verankerung von Wirtschaftlichkeit im Denken der Akteure, was für die Beteiligten einen ‘großen Schritt in den Köpfen’ darstellte.633 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Ab September 1995 wurde auf Anordnung des Bundesministeriums I in der nachgeordneten Dienststelle KLR in Verbindung mit KVP eingeführt und betrieben. Die Projektverantwortlichen der Dienststelle wurden von 1995-1997 durch einen ‘internen Berater’634 aus einer übergeordneten Behörde sowie externe Unternehmensberater unterstützt; anschließend erfolgten Implementierung und Betrieb in ‘Eigenregie’.635 Das Projekt wurde vom beauftragenden Ministerium betreut und evaluiert. Zum Zeitpunkt Datenerhebung im Juli 2001wurden KLR und KVP zwar formal/technisch noch betrieben, die Instrumente wurden de facto aber nicht mehr

632

633 634

Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) und Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP). Der kontinuierliche Verbesserungsprozess entsprach in seinen Grundzügen dem ‘klassischen’ betrieblichen Vorschlagswesen. Vgl. Interview 1-9. Diese ‘internen Berater’ verfügten über eine die Instrumente KLR und KVP betreffende hohe Expertise.

134 genutzt.636 Die Führungskräfte der Dienststelle wollten auch in Zukunft KLR und KVP nicht nutzen.637 Damit wurde der Veränderungsprozess faktisch abgebrochen und der Zielzustand nicht erreicht.638 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung wurde im Juli 2001 durchgeführt, die Datenbasis umfasst neun Interviews mit einem breiten Sample an Gesprächspartnern639, eine Gruppendiskussion mit Führungskräften und Projektmitarbeitern der Dienststelle, Dokumentenauswertungen und Kurzfragebögen. Darüber hinaus wurden informelle Gespräche geführt.640 Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom Beginn der KLR/KVP-Implementierung im September 1995 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli 2001. 5.1.2

Akteure im Veränderungsprozess

Nachfolgend werden die wichtigsten identifizierten Akteure aufgeführt und ihre Rolle im Veränderungsprozess knapp beschrieben. Sie sind zentrale Objekte der weiteren Analyse. ƒ

Die Dienststelle war der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Dem Dienststellenleiter und den weiteren Führungskräften kamen eine besondere Bedeutung im Veränderungsprozess zu, da sie zum einen die potenziellen Nutzer von KLRErgebnissen und zum anderen potenzielle Promotoren oder Opponenten mit erheblicher Macht (‘Legitimate Power‘, ‘Coercive Power’, ‘Reward Power’ und ‘Referent Power’) darstellten.

ƒ

Das Projektteam war für die Implementierung von KLR/KVP zuständig und damit ein wesentlicher Akteur im Veränderungsprozess. Es bestand aus den dienststelleninternen Projektmitarbeitern, einem ‘internen Berater’, der aus einer übergeordneten Behörde abgeordnet wurde, sowie externen Unternehmensberatern.

635

636 637 638 639

640

Eine weitere kurzzeitige Unterstützung durch einen ‘internen Berater’ fand in der Zeit von Januar bis März 2000 statt. Vgl. hierzu Dokument 1-5, S. 2. Vgl. Interview 1-5. Interview 1-9: „Den großen Durchbruch wird man nicht schaffen.“ Vgl. auch Gruppendiskussion 1-1. Zur Bewertung der Projektergebnisse vgl. Dokument 1-2, Seite 2, sowie Dokument 1-5, S. 3. Interviews wurden mit folgenden Akteuren geführt (Funktionen während des Projektes): der Dienststellenleiter und sein Stellvertreter, eine weitere Führungskraft, drei interne Projektmitarbeiter, der ‘interne Berater’ aus einer übergeordneten Behörde, ein beteiligter Beamter des Ministeriums und ein ‘betroffener’ Arbeiter. Informelle Gespräche mit den Akteuren der Dienststelle wurden vor allem im Rahmen von Abendveranstaltungen und gemeinsamer Mittagessen geführt. Sie wurden aus forschungsethischen Gründen nicht systematisch ausgewertet, da sich der Gesprächspartner der Datenerhebung nicht bewusst gewesen wäre. Dies hätte einen Vertrauensbruch dargestellt. Die informellen Gespräche erwiesen sich aber als ausgesprochen hilfreich, um das Gesamtverständnis zu verbessern. Zum Umgang mit informellen Gesprächen siehe auch Kapitel 4.5.6.7.

135 ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben lieferten den größten Teil der KLRDaten,641 von deren Richtigkeit und Vollständigkeit die Qualität der KLR-Ergebnisse abhing. Zudem waren die Mitarbeiter potenzielle Urheber von KVP-Vorschlägen.

ƒ

Die übergeordneten Behörden642 einschließlich des Ministeriums traten durch Ausübung ihrer Weisungsbefugnisse gegenüber der Dienststelle, ihrer Kompetenz zur Ressourcenzuteilung, der Monitoring- und Steuerungsaufgaben im Projekt sowie durch ihre fachliche Unterstützung als Akteure im Veränderungsprozess in Erscheinung.

5.1.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

Im Folgenden wird aufgezeigt, in welcher Weise sich der Veränderungsprozess und das veränderte Handlungsmuster auf die Nutzenmaximierung der Akteure auswirkten. Die Darstellung erfolgt differenziert nach den verschiedenen in Kapitel 2.3.4.1 erläuterten Kosten- und Nutzenkategorien sowie nach unterschiedlichen Akteuren.643 5.1.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Dienststelle: Der Betrieb von KLR/KVP erforderte den Einsatz interner Arbeitskräfte, die für andere Aufgaben somit nicht zur Verfügung standen.644 Für die KLR mussten Kostenrechnungsdaten erhoben und analysiert sowie Ergebnisse dargestellt und kommuniziert werden. Zudem waren die hierfür notwendigen IT-Systeme zu pflegen. Im Bereich KVP mussten Vorschläge ausgewertet und ggf. umgesetzt werden. Zudem waren die ‘Einreicher’ von KVPVorschlägen zu betreuen. Das beinhaltete z. B. auch die Begründung der Ablehnung eines Vorschlags gegenüber dem einreichenden Mitarbeiter. Mögliche Einsparungen, die auf Basis von KLR-Informationen oder KVP-Vorschlägen hätten realisiert werden können, hätten an die übergeordneten Behörden ‘abgeführt’ werden müssen.645 Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Der Einsatz qualifizierten Personals für KLR/KVP verursachte auch bei den Führungskräften Opportunitätskosten, da dieser Ressourceneinsatz zu Lasten der Leistungserstellung ging, für den die Führungskräfte die Verantwortung zu tragen hatten.646 Zudem war KLR/KVP auch für die Führungskräfte unmittelbar mit

641 642

643

644

645

646

Die KLR basierte vor allem auf detaillierten Zeitaufschreibungen der Mitarbeiter. Unterhalb des Ministeriums existieren weitere, der Dienststelle übergeordnete Behörden, die in mehreren Ebenen zwischen Dienststelle (unterste Ebene) und Ministerium (oberste Ebene) hierarchisch angeordnet sind. Zur Anonymisierung der betroffenen Organisationen können diese jedoch nicht benannt werden. Akteure, zu denen keine Aussagen generiert werden konnten, bleiben bei der jeweiligen Kosten/Nutzenkategorie unerwähnt. Akteure, für die gleiche Argumente gelten, werden zusammenfassend betrachtet. Es erfolgte keine Kompensation durch übergeordnete Behörden, d.h. der Personalbestand wurde im Rahmen der Einführung von KLR/KVP nicht vergrößert. Vgl. hierzu Interview 3. Vgl. Gruppendiskussion 1-1. Lediglich ein geringer Teil der Einsparungen durfte von der Dienststelle für andere Zwecke eingesetzt werden. Vgl. Interview 1-2, Interview 1-3.

136 zusätzlichem Aufwand verbunden, z. B. für die Interpretation der KLR-Informationen.647 Weiterhin barg die KLR das Risiko, dass Unwirtschaftlichkeit oder mangelhafte Leistungen einzelner Führungskräfte oder ihrer Bereiche hätten transparent werden können.648 Internes Projektteam: Für die dienststelleninternen Projektmitarbeiter war das veränderte Handlungsmuster darin zu sehen, KLR/KVP zu implementieren und operativ zu betreiben. Das Projekt bedeutete eine erhebliche Mehrbelastung über den üblichen Umfang der Linientätigkeit hinaus.649 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Einen zusätzlichen Arbeitsaufwand, der zur Verringerung der Akzeptanz des Projektes führte, sahen die Mitarbeiter vor allem in den KLR-Zeitaufschreibungen, die täglich detailliert vorzunehmen waren.650 Bezüglich des KVP wurde ein umständliches Verfahren bemängelt, das für diejenigen, die Verbesserungsvorschläge einreichten, zu erheblicher Mehrarbeit führte.651 In der Wahrnehmung eines Teils der Belegschaft erhöhte sich zudem die Leistungs- und Verhaltenskontrolle durch KLR.652 „Die Pessimisten […] fühlen sich kontrolliert statt controlled und sehen sich immer weiter gerupft.“653 Übergeordnete Behörden/Ministerium: Das Ministerium als initiierende übergeordnete Behörde erwartete durch die Einführung von KLR/KVP insgesamt eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und eine Kosteneinsparung (siehe Kapitel 5.1.1.). Diese Kosteneinsparung konnte jedoch in der Dienststelle A nicht realisiert werden.654 Durch KVP wurden in den Dienststellen Vorschläge generiert, deren Umsetzung die Abänderung von Vorschriften durch die übergeordneten Behörden erforderte.655 Das hätte in den übergeordneten Behörden zusätzlichen Arbeitsaufwand verursacht.656 5.1.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Der Nutzen für die Dienststelle wurde als ausgesprochen gering eingeschätzt. Die KLR-Informationen führten nach

647 648 649

650 651 652 653 654 655 656

Vgl. Gruppendiskussion 1. Vgl. Interview 1-9. Vgl. Interview 1-3, Dokument 1-3, S. 5. Die Projektmitarbeiter waren zwar für die Projektarbeit anteilig freigestellt, die Summe aus Projekt- und Linientätigkeit ging jedoch deutlich über den vorherigen Umfang der ausschließlich betriebenen Linientätigkeit hinaus. Vgl. Dokument 1-3, S. 7, Interview 1-1, Interview 1-3, sowie Interview 1-6. Vgl. Interview 1-3. Vgl. Interview 1-4. Dokument 1-3, S. 3. Vgl. Interview 1-1, Interview 1-3, Interview 1-7 sowie Gruppendiskussion 1-1. Vgl. Interview 1-1, sowie Interview 1-3. Z. B. durch Verfassen und Verteilen neuer Dienstanweisungen an alle unterstellten Dienststellen.

137 Aussagen der Interviewpartner zu keiner Verbesserung des Output/Outcome. Auch der Nutzen aus den KVP-Vorschlägen war gering.657 Die Führungskräfte konnten durch KLR/KVP ebenfalls keinen zusätzlichen Nutzen realisieren. Es waren weder Möglichkeiten zur persönlichen Profilierung erkennbar, noch sahen die Führungskräfte Möglichkeiten zu einer nennenswerten Verbesserung der Steuerung ihres Bereichs durch KLR/KVP.658 „Das Argument war hauptsächlich, daß den Berichten keine steuerungsrelevanten / entscheidungsbeeinflussenden Aussagen entnommen werden können.“659 Der fehlende Nutzen führte zu Ablehnung und mangelnder Unterstützung des Projektes. „Die Missstimmung wuchs jeden Tag, weil wir nichts Konkretes vorweisen konnten.“660 Internes Projektteam: Auch die dienststelleninternen Projektmitarbeiter haben keinen Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster antizipiert. Sie sahen insbesondere keine Möglichkeit zur positiven Profilierung bei den Vorgesetzten der Dienststelle. „Man erntet keine Lorbeeren, nur stilles Lächeln.“661 Vielmehr bestand das Risiko, sich mit dem Einfordern notwendiger Unterstützung bei den Führungskräften negativ zu profilieren. Ein Projektmitarbeiter wurde mit nachstehenden Worten abgewiesen, als er eine hochrangige Führungskraft um die Diskussion von KLR-Ergebnissen bat: „Wenn Sie mich weiterhin mit diesem Mist behelligen, werde ich Ihre Karriere beenden.“662 Weil sich die Projektmitarbeiter nicht auf ihre ‘Erstverwendung’, d. h. ihr Tagesgeschäft konzentrieren konnten, verschlechterten sich z. T. ihre Beurteilungen. Sie hatten zudem Schwierigkeiten, die für die Ausübung dieser ‘Erstverwendungen’ notwendigen Lizenzen663 zu erhalten, wodurch auch hieran geknüpfte Verwendungszulagen zeitweilig gefährdet waren.664 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Mit dem veränderten Handlungsmuster waren auch für die Mitarbeiter Nutzeneinbußen verbunden. Arbeiter und Angestellte befürchteten für den Fall, dass die KLR die Unwirtschaftlichkeit der Dienststelle belegt hätte, den Verlust des bestehenden Arbeitsverhältnisses665 oder eine Verlegung der Dienststelle.666

657 658 659 660 661 662 663 664 665

666

Vgl. Interview 1-1, Interview 1-2, Interview 1-3, Interview 1-6 und Interview 1-7. Vgl. Dokument 1-5, S. 3, Interview 1-1. Dokument 5, S. 3. Interview 1-3. Vgl. auch Dokument 1-3, S. 7. Interview 1-3. Interview 1-5. Die Erhaltung der Lizenzen war i. d. R. an eine bestimmte Anzahl zu leistender Arbeitsstunden gebunden. Vgl. Interview 1-2, sowie Interview 1-3. Vgl. Interview 1-1, sowie Interview 1-6. Die Gruppe der Beamten war durch ihren arbeitsrechtlichen Status unkündbar und damit nicht betroffen. Dieser Aspekt betraf auch die Gruppe der Beamten.

138 Zusätzlicher Nutzen im Sinne einer steigenden Leistungsmotivation667 durch die Umsetzung eigener Ideen wurde durch zu lange Bearbeitungszeiten668 und häufige Ablehnung der KVPVorschläge verhindert. 669 Ein Nutzen für die Mitarbeiter kann in den Prämien für KVP-Vorschläge gesehen werden, die zum Januar 2000 eingeführt wurden und maximal 50.000,- DM betrugen. Zu diesem Zeitpunkt war der Veränderungsprozess aber faktisch schon zum Erliegen gekommen. 5.1.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Im Folgenden werden nur solche Kosten aufgeführt, die ausschließlich für den Übergangsprozess anfielen, nicht aber für den auf den Übergangsprozess folgenden ‘regulären Betrieb’ von KLR/KVP. Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Konzeption und Implementierung von KLR/KVP verursachte den überwiegenden Teil der Kosten des Übergangsprozesses.670 Es entstand sowohl Personalaufwand für das Projektteam 671 als auch bei den Führungskräften, die sich in dieses Thema einzuarbeiten hatten und den Implementierungsprozess betreuen mussten.672 Auch hier ging der entstandene Personalaufwand zu Lasten der Aktivitäten der Leistungserstellung. Internes Projektteam: Der Veränderungsprozess war für die dienststelleninternen Projektmitglieder mit einem Lernprozess verbunden. Diese mussten in erheblichem Umfang Kenntnisse in KLR/KVP und im Projektmanagement erwerben, da diese vor Projektbeginn nicht vorhanden waren.673 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Kosten des Übergangsprozesses entstanden den Mitabeitern in geringem Umfang dadurch, dass sie sich die operativen Verfahren der KLRZeitaufschreibung und der KVP anzueignen hatten. Übergeordnete Behörden/Ministerium: Im Übergangsprozess entstanden Kosten durch den Einsatz der externen Unternehmensberater sowie des ‘internen Beraters’, die jedoch vom Ministerium getragen wurden.

667 668 669 670

671

672 673

Zum Begriff der Leistungsmotivation vgl. Röpke (1977), S. 136-151. Vgl. Interview 3. Vgl. Interview 4. Diese Kosten des Übergangsprozesses gingen den Kosten des Betriebes voraus. Die Kosten des Betriebes sind keine Kosten des Übergangsprozesses, sondern Kosten des veränderten Handlungsmusters. Z. B. für den Erwerb der notwendigen KLR/KVP-Kenntnisse und für die Erarbeitung des KLR/KVPKonzeptes durch die Projektmitarbeiter. Vgl. Gruppendiskussion. Vgl. Interview 1-2.

139 5.1.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) Das vorliegende Projekt war für Ministerium I ein Pilotprojekt, d. h. man strebte an, im Implementierungsprozess Erkenntnisse zu gewinnen, um diese für die KLR/KVP-Einführungen in anderen Dienstellen zu nutzen. Ob für das Ministerium verwertbare Erkenntnisse aus dem Übergangsprozess gewonnen wurden, konnte im Rahmen der Fallstudie nicht ermittelt werden. 5.1.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Zu diesen beiden Kategorien konnten in Fallstudie 1 nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Datenquellen keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.1.3.6 Nettonutzenbetrachtung Zur Einschätzung des Nettonutzens soll mittels der Gegenüberstellung der wichtigsten Kosten- und Nutzenaspekte eine Gesamtbeurteilung der Vorteilhaftigkeit bzw. Nachteilhaftigkeit der Veränderung für die jeweiligen Akteure vorgenommen werden. Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Es entstanden Kosten des Übergangs und Kosten des veränderten Handlungsmusters in erheblichem Umfang, vor allem durch den Einsatz von Personal für Konzeption und Implementierung sowie für den Betrieb von KLR/KVP. Den Kosten stand kein entsprechender Nutzen gegenüber, so dass für die Akteure von einem negativen Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden kann. Internes Projektteam: Aus der KLR/KVP-Einführung resultierten für die Projektmitarbeiter eine hohe zusätzliche Arbeitsbelastung und Friktionen in der ‘Erstverwendung’. Eine positive Profilierung durch die Projektarbeit war nicht möglich; vielmehr entstand das Risiko zur negativen Profilierung. Da kein zusätzlicher Nutzen erkennbar war, realisierte das interne Projektteam einen negativen Nettonutzen. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Bei den Mitarbeitern dominierte der Aufwand der täglichen Arbeitszeiterfassung das Nettonutzenkalkül. Zusätzlich befürchteten die Mitarbeiter eine verstärkte Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Da die Mitarbeiter keinen Nutzen durch die Veränderung erwarteten bzw. wahrnahmen, lag hier ebenfalls ein negativer Nettonutzen der Veränderung vor. Übergeordnete Behörden/Ministerium: Das Ministerium erwartete eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit (Kostensenkungen und/oder Erhöhung von Output/Outcome) und nahm dafür die Kosten in Kauf, die durch den Einsatz des ‘internen Beraters’, der externen Unternehmensberater sowie durch den Personaleinsatz in der Dienststelle entstanden. Das Ministerium antizipierte insgesamt einen positiven Nettonutzen. Zudem erwartete man aus diesem Pilotprojekt Erkenntnisse für die Implementierung in anderen Dienststellen. Zur ex-post-

140 Bewertung des Nettonutzens durch das Ministerium kann ebenso wie für den Nettonutzen der übrigen übergeordneten Behörden aber keine Aussage getroffen werden. 5.1.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Die Aktivitäten des Veränderungsmanagements zur Beeinflussung des Nettonutzens konzentrierten sich auf Maßnahmen der Kommunikation. So wurden Informationsveranstaltungen für die Belegschaft durchgeführt, die jedoch als wenig erfolgreich eingeschätzt wurden, sondern im Gegenteil, ‘Verwirrung und Ängste’ ausgelöst hätten.674 Der Grund hierfür war vor allem darin zu sehen, dass die Kommunikation inhaltlich und sprachlich nicht auf die Zielgruppe ausgerichtet war, sondern von den externen Unternehmensberatern ‘Folienvorträge’ vor einem betriebswirtschaftlich wenig geschulten Publikum gehalten wurden, die die Anwesenden deutlich überforderten.675 Später wurden Vorträge und Gespräche in kleineren Gruppen auch von Mitgliedern des internen Projektteams vorgenommen. Diese Maßnahmen wurden (in Selbsteinschätzung) ebenfalls als wenig erfolgreich charakterisiert.676 Extrinsische Anreize: Eine weitere Maßnahme des Veränderungsmanagements war die Einführung der Prämien für KVP-Vorschläge. Dieses Instrument wurde jedoch erst eingesetzt677, als der Veränderungsprozess bereits weitgehend gescheitert war. Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Projektbesetzung wurde zur Beeinflussung des Nettonutzens des Projektteams nicht instrumentalisiert, vor allem wurden nicht vorrangig solche Mitarbeiter ausgewählt, die eine hohe Affinität zum Projektthema hatten678 und evtl. einen Nutzen aus der Projektarbeit antizipiert hätten. Es wurde berichtet, dass die Freiwilligkeit bei der Projektbesetzung keine Rolle spielte. In mindestens einem Fall wurde ein Mitarbeiter sogar in das Projektteam ‘strafversetzt’.679 Insgesamt wurde der Nettonutzen der relevanten Akteure wenig beachtet und durch das Veränderungsmanagements nicht so beeinflusst, dass er sich dauerhaft im positiven Bereich bewegt hätte. 5.1.4

Fähigkeiten

Es wird im Folgenden dargelegt, welche Fähigkeiten die Akteure im Veränderungsprozess benötigten bzw. benötigt hätten und in welchem Umfang diese vorhanden waren. Anschlie-

674 675 676 677

678

679

Vgl. Interview 1-2, Interview 1-4 sowie Interview 1-5. Vgl. Interview 1-2. Vgl. Interview 1-5. Es konnte nicht früher eingesetzt werden, weil die Prämien für alle Dienststellen einheitlich vom Ministerium genehmigt werden mussten, was erst Anfang 2000 erfolgte. Vgl. Interview 1-2. Hier wird ausgeführt, dass ein Mitarbeiter sogar zum Projektteam "strafversetzt" wurde. Vgl. Interview 1-2 sowie Interview 1-5.

141 ßend wird beschrieben, wie die notwendigen Fähigkeiten durch Maßnahmen des Veränderungsmanagement beeinflusst wurden. 5.1.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess KLR/KVP-Kenntnisse: Die Mitglieder des Projektteams benötigten zur Umsetzung des Projektes Kenntnisse über die Instrumente KLR und KVP. Die am Projekt beteiligten dienststelleninternen Projektmitarbeiter680 verfügten zu Beginn des Projektes nur in geringem Maße über diese Fähigkeiten, nahmen im Laufe des Projektes jedoch an Schulungen zum Thema KLR/KVP teil (siehe Kapitel 5.1.4.2) und konnten die Kenntnisse deutlich erhöhen. Die Nutzung der Kostenrechnungsinformationen zur Steuerung der Dienststelle erforderte auch von den Führungskräften Kenntnisse aus dem Bereich der KLR.681 Ob diese über die erforderlichen Fähigke#iten verfügten, konnte durch die Fallstudie nicht eindeutig geklärt werden. Für die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben war es zur Antizipation der Auswirkungen des Veränderungsprozesses notwendig, sowohl die Ziele als auch die Funktionsweise von KLR und KVP zu verstehen. 682 Es ist für das Instrument KLR nicht im erforderlichen Maße gelungen, den Mitarbeitern dieses Wissen zu vermitteln.683 Kommunikationsfähigkeiten: Die Projektmitarbeiter benötigten zur Beeinflussung der Führungskräfte und Mitarbeiter Kommunikationsfähigkeiten. Im Projekt ist es jedoch trotz erheblicher Bemühungen nicht gelungen, diese Akteure im Sinne der Projektziele positiv zu beeinflussen. Die Kommunikationsaktivitäten wurden als ungeeignet charakterisiert. Bezüglich der Kommunikationsfähigkeiten kann sowohl bei den dienststelleninternen Projektmitarbeitern684 als auch bei den externen Unternehmensberatern von einem erheblichen Defizit ausgegangen werden.685 Projektmanagementfähigkeiten: Der Veränderungsprozess war durch hohe Komplexität gekennzeichnet.686 Daher waren Fähigkeiten im Projektmanagement erforderlich, über die die internen Projektmitarbeiter nach eigener Einschätzung nicht in notwendigem Maß verfügten.687 Auch die externen Unternehmensberater, denen die Aufgabe der Projektsteuerung ursprünglich zugeordnet wurde, waren mit dem Projektmanagement überfordert. Sie seien von

680 681 682 683 684 685 686

687

Zu den KLR/KVP-Kenntnissen der externen Berater wurden keine Aussagen gemacht. Die KLR-Kenntnisse wurden insbesondere zur Interpretation der Kostenrechnungsinformationen benötigt. Vgl. Interview 1-3 sowie Interview 1-9. Vgl. Interview 1-3. Vgl. Interview 1-5. Vgl. Interview 1-2 sowie Interview 1-4. Die Komplexität entstand durch die hohe Anzahl von Akteuren und den Interaktionen zwischen diesen. Die KLR war zudem durch eine hohe Zahl von Zurechnungsrelationen zwischen einzelnen Systemelementen gekennzeichnet. Vgl. Selektives Protokoll 1, Interview 1-2.

142 der ‘Komplexität des Ganzen’ überrascht worden688 und konnten ‘keinen roten Faden in das Projekt legen’.689 „Trotz eines überzeugenden Angebotes hat das Konsortium bei der Durchführung des Projektes den Eindruck hinterlassen, für diese Aufgabenstellung nicht über die erforderliche Expertise zu verfügen. Ein erheblicher Mangel wird in der unzureichenden Umsetzung von theoretischen Erkenntnissen in die praktische Anwendung gesehen […].“690 Somit kann im gesamten Projektteam von fehlenden Projektmanagementfähigkeiten ausgegangen werden. Kenntnis der Strukturen des öffentlichen Sektors und der Dienststelle: Für die Projektumsetzung war es notwendig, mit den strukturellen Spezifika des öffentlichen Sektors im Allgemeinen und der Dienststelle im Speziellen vertraut zu sein,691 was bei den externen Unternehmensberatern nicht gegeben war. Kenntnisse in diesem Bereich konnten von den Beratern auch im Laufe des Projektes nicht in notwendigem Maße aufgebaut werden.692 IT-Fähigkeiten: Die KLR wurde mit IT-technischer Unterstützung durchgeführt. Das erfolgte anfangs mit Standardsoftware, später mit einem im gesamten Bereich des Ministeriums I verwendeten, spezifischen KLR-Programm. Zum Aufbau der IT-Systeme sowie zur Nutzung der Software benötigten die Projektmitarbeiter die entsprechenden IT-Fähigkeiten.693 Ob diese Fähigkeiten in erforderlichem Maß vorlagen oder während des Projektes aufgebaut wurden, konnte nicht ermittelt werden. Sonstige Fähigkeiten: Das Projekt hatte Pilotcharakter. Für viele Problemstellungen mussten neuartige Lösungen erarbeitet werden. Daher stellte Kreativität eine wichtige Fähigkeit dar. Die Erarbeitung kreativer Ansätze wurde aber als deutliches Defizit des Projektteams eingeschätzt.694 Aufgrund der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit innerhalb des Projektteams sowie zur Kooperation mit den Führungskräften und den Mitarbeitern der Dienststelle, wurde Teamfähigkeit als bedeutsame Fähigkeit identifiziert. Insbesondere den externen Unternehmensberatern wurde eine geringe Ausprägung dieser Fähigkeiten zugeschrieben.695 5.1.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten wurde nur in geringem Umfang betrieben. Nachfolgend werden daher nicht nur die durchgeführten Aktivitäten beschrieben,

688 689 690 691 692 693 694 695

Vgl. Gruppendiskussion 1. Vgl. Interview 1-2, Interview 1-1 sowie Interview 1-7. Dokument 1-1, S. 1-2. Vgl. Interview 1-1 sowie Interview 1-2. Vgl. Interview 1-3 sowie Gruppendiskussion 1-1. Vgl. Interview 1-3. Vgl. Interview 1-9. Vgl. Interview 1-2, Interview 1-4 sowie Interview 1-8.

143 sondern auch die – in den Interviews monierten – unterlassenen Maßnahmen des Veränderungsmanagements. Fortbildung: Um die Fähigkeiten der dienststelleninternen Mitarbeiter zu erhöhen, wurden diese zu den Themen KLR/KVP sowie der verwendeten Software geschult. Die Schulungsmaßnahmen wurden von den Betroffenen aber als wenig effektiv bewertet.696 Führungskräfte und Projektmitarbeiter erhielten ‘Briefings’ durch die externen Berater, die jedoch ebenfalls als ungeeignet charakterisiert wurden.697 Den Mitarbeitern, die die KLR-Daten zu erfassen hatten, wurde ein Training angeboten, um die Eingabe der Daten korrekt vornehmen zu können. Dieses Training wurde als ausreichend angesehen.698 Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Personalauswahl wurde nicht genutzt, um die Mitarbeiter mit der besten Befähigung für das Projektteam zu rekrutieren, sondern erfolgte nach anderen Kriterien wie der ‘Abkömmlichkeit in der Erstverwendung’.699 Es war zudem erklärte Strategie der Dienststellenleitung, kein ‘Spitzenpersonal’ auszuwählen, da dieses für höher priorisierte Aufgaben eingesetzt werden sollte.700 Auswahl der externen Unternehmensberatung: Kritik wurde auch am Verfahren zur Auswahl der Beratungsfirma geübt, da diese von dienststelleninternen Mitarbeitern vorgenommen wurde, die sich nach eigener Einschätzung mit dieser Aufgabe überfordert sahen. "Ein Blinder musste hier über die Farben entscheiden." 701 Personalrotation: Im Bereich des Ministeriums I ist es für die Mehrzahl der Beschäftigten verpflichtend, regelmäßig (nach einigen Jahren ‘Stehzeit’) die Position zu wechseln und einen anderen Arbeitsplatz zu besetzen. Für das Projektteam bedeutete dies eine hohe Fluktuation und fehlende personelle Kontinuität im Projekt. Hierdurch kam es zu einem regelmäßigen Abfluss von erworbenem KLR/KVP- und Projektwissen.702 Auf Basis dieser Erfahrungen empfahl der ‘interne Berater’ in einer späten Projektphase (März 2000), das Rotationsprinzip für das Projektteam auszusetzen: „Ich empfehle den Einsatz von langfristig verfügbarem, fest […] eingeteiltem Personal. Ein Bruch der Kontinuität, kontinuierlicher Verlust von Erfahrungen und stetig stattfindende Übergaben und Einweisungen der Nachfolger können dadurch vermieden werden. Weiterhin würde die Notwendigkeit entfallen, für die jeweiligen

696 697 698 699 700

701

702

Vgl. Interview 1-3. Vgl. Interview 1-2. Vgl. Interview 1-5. Vgl. Interview 1-2. Vgl. Interview 1-1. In Interview 1-5 wird geschildert, dass dem Projektteam ein ‘Unterbringungsfall’ zugewiesen wurde, den man ’nirgendwo anders haben wollte’. Interview 1-2. Diese Aussage stammt von dem Mitarbeiter, der die Auswahl der Unternehmensberatung vorzunehmen hatte. Vgl. Interview 1-2, Interview 1-3 sowie Gruppendiskussion.

144 Nachfolger immer neue Ausbildungslehrgänge zu besetzen.“703 Bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung wurde diesem Ratschlag jedoch nicht Folge geleistet.704 Insgesamt entstand das Bild, dass die wenigen Maßnahmen des Veränderungsmanagements die notwendigen Fähigkeiten der Akteure nicht sicherstellen konnten. 5.1.5

Externe Zustände

5.1.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften705 Prozessvorschriften und Vorschriften zur Ressourcenallokation: Die übergeordneten Behörden regelten in hohem Detaillierungsgrad die Gestaltung von Geschäftsprozessen706 und legten die Personal- und Sachmittelausstattung der Dienststelle präzise fest. 707 Eine Veränderung dieser Regelungen durch Antrag der Dienststelle war prinzipiell zwar möglich, de facto aber nicht praktikabel, da die Anträge für die Dienststelle einen sehr hohen administrativen Aufwand auslösten und mitunter erst nach Jahren von den übergeordneten Behörden entschieden wurden.708 Zudem war die Dienststelle gezwungen, das kameralistische Rechnungswesen zu betreiben, wodurch nicht nur die Höhe der Finanzmittel extern vorgegeben, sondern auch deren Verwendungen detailliert geregelt wurde. Daher konnten Finanzmittel auf Basis von KLR/KVP-Informationen zwar eingespart, nicht aber anderen Verwendungen zugeführt werden, wodurch

eine umfassende Reallokation der Ressourcen ausgeschlossen

709

war.

Personal- und Tarifrecht: Die existierenden personalrechtlichen Vorschriften und Tarifverträge, die eine Effizienzerhöhung z. B. durch Entlassungen, Mehrbelastung oder geringere Entlohnung der Mitarbeiter weitgehend unmöglich machten, schlossen die Umsetzung eines Teils der KLR/KVP-Ergebnisse aus.710

703 704 705

706 707

708 709

710

Dokument 1-5, S. 4. Vgl. Gruppendiskussion 1-1. Hierunter sollen außerhalb der betroffenen Dienststelle festgelegte, i. d. R. schriftlich explizierte Regeln verstanden werden wie Gesetze und Verordnungen, aber auch Anweisungen der übergeordneten Behörden. Es gibt z. B. vereinheitlichte Beschaffungsprozesse, Ausbildungsprozesse, Beförderungsverfahren usw. Es wurde ein eindrückliches Beispiel zur einengenden Wirkung dieser Regelungen geschildert: Aus der Prämie eines akzeptierten KVP-Vorschlags wollte die vorschlagende Abteilung eine Nietzange anschaffen. Das Anliegen auf Beschaffung der Nietzange wurde abgelehnt, weil dieses Werkzeug im Sachmittelverzeichnis der Dienststelle nicht aufgeführt war. Trotz mehrfacher intensiver Bemühungen gelang es nicht, die Beschaffung zu bewerkstelligen. Nach Aussage des interviewten Mitarbeiters beteiligte sich die Abteilung seither nicht mehr am KVP. Vgl. hierzu Interview 1-6. Vgl. Gruppendiskussion 1-1. Formal gab es die Möglichkeit zur begrenzten flexiblen Budgetierung. Das System erwies sich in der Praxis aber als ungeeignet für die ‘Umwidmung’ (Verwendung für andere als die im Haushaltsplan vorgesehenen Zwecke) nennenswerter Beträge. Vgl. Interview 1-1, Interview 1-3, Interview 1-4 und Gruppendiskussion 1. Vgl. Gruppendiskussion 1-1.

145 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die externen Vorschriften, der die Dienststelle ausgesetzt war, erstreckten sich auf nahezu alle Tätigkeitsfelder und wurden, bezogen auf den Veränderungsprozess, als stark handlungsbeschränkend wahrgenommen.711 Die hohe Dichte an externen Vorschriften trug deutlich dazu bei, dass KVP-Vorschläge oder KLR-Ergebnisse kaum umsetzbar waren. Es gab auch Hinweise, dass Vorschriften von den übergeordneten Behörden instrumentalisiert wurden, um ‘unliebsame’ KVP-Vorschläge zu blockieren.712 (2) Anreizstrukturen und Verantwortung für den Projekterfolg In den Interviews wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Anreizstrukturen der Dienststellenleitung und der übrigen Führungskräfte primär auf die Leistungserstellung gerichtet waren und dass der Veränderungsprozess, vor allem aufgrund des Verzehrs personeller Ressourcen, im Konflikt mit der Leistungserstellung stand. 713 Ein positiver Anreiz zur Umsetzung von KLR/KVP wurden auch dadurch verhindert, dass die durch KLR/KVP eingesparten Mittel nicht von der Dienststelle für andere Zwecke verwendet werden durften, sondern größtenteils an die übergeordneten Behörden ‘abzuführen’ waren.714 Damit existierten insgesamt für die Führungskräfte – nutzenmaximierendes Verhalten unterstellt – keine Anreize, den Veränderungsprozess zu unterstützen.715 Es gab zudem keine Verantwortlichkeit für den Projekterfolg. Keiner der beteiligten Akteure der Dienststelle hätte für das faktische Scheitern des Projektes negative Konsequenzen zu tragen gehabt hätte.716 (3) Unterstützung übergeordneter Behörden Weiterhin wurde die mangelnde Unterstützung durch übergeordnete Behörden moniert, insbesondere die fehlende Bereitschaft, die für die Umsetzung von KVP-Vorschlägen notwendige Anpassungen von Vorschriften vorzunehmen, z. B. um Geschäftsprozesse verändern zu können.717 Im Laufe des Projektes verbesserte sich zwar die fachlich-inhaltliche Unterstützung durch eine eigens hierfür geschaffene Stelle in einer übergeordneten Behörde, nicht aber die Haltung zur Abänderung von Vorschriften.718

711 712 713 714 715 716 717 718

Vgl. Gruppendiskussion 1-1. Vgl. Interview 1-4. Vgl. Interview 1-9, Interview 1-2 sowie Interview 1-3. Vgl. Gruppendiskussion 1-1. Vgl. Interview 1-8, Interview 1-2, Interview 1-3 sowie Interview 1-5. Vgl. Interview 1-2 sowie Interview 1-9. Vgl. Interview 1-1, Interview 1-3 sowie Interview 1-4. Vgl. Interview 1-4 sowie Interview 1-5.

146 (4) Unterstützung durch Berater Die Unterstützungsleistung des ‘internen Beraters’ wurde von den dienstelleninternen Projektmitarbeitern durchgehend als positiv wirkendes Element bewertet.719 An der Unterstützungsleistung der externen Unternehmensberater wurde hingegen starke Kritik geübt. Insbesondere seien diese mit ihrer Aufgabe überfordert gewesen (siehe Kapitel 5.1.4.1). Weiterhin waren die Berater weniger häufig ‘vor Ort’ präsent wie vorab vereinbart.720 (5) Dislozierung der Dienststelle Die Dienststelle war durch eine starke Dislozierung gekennzeichnet, d.h. sie verfügte über mehrere Standorte, die räumlich bis zu 350 km voneinander entfernt waren, was die persönliche Kommunikation von Akteuren aus verschiedenen Standorte erschwerte.721 5.1.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte Die mangelnde Unterstützung der Dienststellenleitung und der übrigen Führungskräfte war ein wichtiger Bestandteil der externen Zustände der Projektmitarbeiter und eine der zentralen Beobachtungen dieser Fallstudie. Die Führungskräfte haben dem Projekt wenig Aufmerksamkeit geschenkt und in ihrer Kommunikation nicht den Willen zum Projekterfolg signalisiert. Teilweise war die ‘informelle Kommunikation’ der Führungskräfte sogar gegenläufig722; es entstand in der Dienststelle die Wahrnehmung, dass die KLR/KVP-Einführung von einzelnen Führungskräften nicht gewollt sei.723 Zudem wurden die vom Projektteam generierten KLR-Informationen von den Führungskräften nicht genutzt oder positiv gewürdigt.724 (2) Ressourcenausstattung Die Ausstattung an ‘Sachmitteln’ wurde als ausreichend geschildert und stellte kein Hemmnis für den Veränderungsprozess dar.725 Lediglich die eingeschränkte Funktionsfähigkeit des eingesetzten KLR-Softwareprodukts wurde bemängelt.726 Hingegen wurde deutlich kritisiert, dass die personelle Ausstattung nicht ausreichend gewesen sei. Besonders der Einsatz der dienststelleninternen Projektmitarbeiter in ‘Zweitverwen-

719 720 721 722

723 724 725 726

Vgl. Interview 1-1, Interview 1-2 sowie Interview 1-4. Vgl. Interview 1-2. Vgl. Interview 1-1. Vgl. Interview 1-2. Hier wird beschrieben, dass die Führungskräfte in der offiziellen Darstellung bzw. nach außen Unterstützung bekundeten, aber „[…] abends an der Bar wurde gelästert“. Vgl. Interview 1-3. Vgl. Interview 1-2 sowie Interview 1-5. Vgl. Interview 1-2. Vgl. Interview 1-1, Interview 1-7 sowie Interview 1-8.

147 dung’ stellte eine wesentliche Einschränkung dar und wirkte sich auf den Projektverlauf negativ aus.727 (3) Nutzung zulässiger Anreizsysteme Für die Mitarbeiter existierten keine Anreize oder Sanktionen, die eine wahrheitsgemäße KLR-Zeitaufschreibung bewirkt hätten.728 Die Führungskräfte stellten lediglich die regelmäßige Durchführung der Zeitaufschreibungen sicher, da das Ministerium die KLR/KVPEinführung angeordnet hatte. Die inhaltliche Richtigkeit wurde jedoch nicht überprüft, Manipulationen wurden weder aufgedeckt noch sanktioniert.729 Im Bereich KVP existierten hingegen Anreize zur Beteiligung. Für erfolgreiche KVPVorschläge wurden anfänglich nicht-monetäre Incentives730 von geringem Wert vergeben (v. a. Sachpreise wie Bücher), ab Januar 2000 wurden auch monetäre Incentives bis zu einer Höhe von 50.000,- DM in Aussicht gestellt (siehe Kapitel 5.1.3.2).731 (4) Organisationskultur Es wurde berichtet, dass die Kultur im Bereich des Ministeriums I auf Effektivität, also Leistungserbringung ausgerichtet war, dass aber nicht auf Effizienz oder Kosten geachtet wurde. Daher stand KLR/KVP im Konflikt mit der bestehenden Organisationskultur.732 (5) Weitere Organisationsveränderungen Die Dienststelle führte zeitgleich mit der KLR/KVP-Einführung eine grundlegende Umstrukturierung durch, so dass die Aufmerksamkeit der Führungskräfte hiermit stark gebunden war und das KLR/KVP-Projekt als zusätzliche Belastung empfunden wurde.733 5.1.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Im Projekt ist es trotz der Bemühungen des Projektteams nicht gelungen, die übergeordneten Behörden zur Veränderung von Vorschriften zu bewegen, um KVP-Vorschläge umsetzen zu können. Zudem konnten auch die Führungskräfte der Dienststelle nicht zu einer nennenswerten Unterstützung des Projektteams veranlasst werden. Lediglich der Aufbau eines Anreizsystems zur Belohnung von KVP-Vorschlägen stellte eine erfolgreiche Beeinflussung externer Zustände dar.

727

728 729

730 731

732 733

Vgl. Interview 1-1, Interview 1-3, Interview 1-4, Interview 1-5, Interview 1-7, Interview 1-8, Gruppendiskussion 1-1, Dokument 1-3, S. 6 sowie Dokument 1-5, S. 3. Vgl. Interview 1-2. Diese Aussage ist vor allem Ergebnis mehrerer informeller Gespräche, die in der Dienststelle geführt wurden. Unter Incentives sollen zielorientiert eingesetzte extrinsische Anreize verstanden werden. Hier ist anzumerken, dass vor der Einführung von KLR/KVP finanzielle Anreize für Verbesserungsvorschläge existierten, durch das Projekt somit zunächst eine Verschlechterung eintrat. Vgl. Interview 1-9. Vgl. Interview 1-1, Interview 1-4 sowie Interview 1-8.

148 5.1.6

Interne Zustände

In der Fallstudie konnten nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Datenquellen keine Hinweise zur Auswirkung von internen Zuständen der Akteure auf den Veränderungsprozess gefunden werden. Da in fast allen übrigen Fallstudien ebenfalls keine Aussagen zu internen Zuständen generiert wurden (Ausnahme: Fallstudie 10, siehe Kapitel 5.10.6), wird dieser Umstand im Rahmen der einzelfallübergreifenden Ergebnisse (Kapitel 5.14.6) erläutert. 5.1.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleitung und weitere Führungskräfte: Der von der Dienststellenleitung und den Führungskräften antizipierte bzw. wahrgenommene negative Nettonutzen der Veränderung ist als Grund dafür zu sehen, dass sie sich nicht dazu entschlossen, das Instrument KLR/KVP intensiv zu unterstützen und zu nutzen. Die Führungskräfte haben das veränderte Handlungsmuster nicht ausgeführt und daher die Phasen Unfreeze und Move nicht erfolgreich abschlossen. Somit konnten sie auch die Phase Refreeze nicht erfolgreich durchlaufen. Dennoch konnten die Dienststellenleitung und die Führungskräfte das bisherige Handlungsmuster nicht unverändert beibehalten. Das Ministerium hatte die KLR/KVP-Implementierung angeordnet. Die strikte Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters hätte für die Dienststellenleitung disziplinarische Konsequenzen nach sich gezogen (‘Legitimate Power’ und ‘Coercive Power’).734 Die Kosten des bisherigen Handlungsmusters bzw. dessen Beibehaltung stiegen durch (implizite) Androhung disziplinarischer Machtmittel des Ministeriums an. Deshalb haben die Führungskräfte ein drittes Handlungsmuster ausgeführt, das sich sowohl vom bisherigen Handlungsmuster (Ausgangszustand) als auch vom gewünschten veränderten Handlungsmuster (Zielzustand) unterschied.735 Dieses dritte Handlungsmuster war im ‘vorschriftsmäßigen’ aber rein formalen/technischen und mit minimalem Aufwand durchgeführten Betrieb von KLR/KVP ohne eine tatsächliche Nutzung der Instrumente zu sehen. Die Führungskräfte haben somit eine ‘Ausweichbewegung’ vorgenommen, um sich den disziplinarischen Druckmitteln zu entziehen. Da dieses Handlungsmuster über Jahre hinweg ausgeführt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass Dienststellenleitung und Führungskräfte bezogen auf dieses dritte Handlungsmuster die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze durchlaufen haben. Internes Projektteam: Die dienststelleninternen Projektmitarbeiter antizipierten bzw. empfanden ebenfalls einen negativen Nettonutzen aus dem veränderten Handlungsmuster. Der strikte Verbleib im bisherigen Handlungsmuster wäre aber auch hier mit starken negativen

734

Im Rahmen der Fallstudien, die im Bereich des Ministeriums I durchgeführt worden sind, ist deutlich geworden, dass es nicht möglich gewesen wäre, sich einer solchen Anordnung des Ministeriums offen zu verweigern.

149 Anreizen durch disziplinarische Sanktionen verbunden gewesen, so dass der Nettonutzen (der Beibehaltung) des bisherigen Handlungsmusters negativ war. Das erklärt, warum sich die dienststelleninternen Mitarbeiter zur Beteiligung an der Projektarbeit – also für das veränderte Handlungsmuster – entschieden und damit die Phase Unfreeze erfolgreich abgeschlossen haben. Das veränderte Handlungsmuster wurde eine geraume Zeit betrieben, d. h. auch die Phase Move wurde erfolgreich durchlaufen, die Phase Refreeze begonnen. Es ist nicht bekannt, wie lange die Projektmitarbeiter jeweils im Projekt arbeiteten und ob sie die Phase Refreeze abgeschlossen haben. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Trotz hoher antizipierter Kosten und niedrigen Nutzens haben sich die Mitarbeiter scheinbar am Projekt beteiligt, insbesondere an den täglichen KLR-Zeitaufschreibungen. Die Mitarbeiter mussten einen Beitrag leisten, um den formalen/technischen Betrieb der KLR zu gewährleisten, der ebenfalls durch Anordnung durchgesetzt wurde. Doch auch die Mitarbeiter nahmen ein drittes Handlungsmuster ein. Es gab deutliche Hinweise darauf, dass die Zeitaufschreibungen nicht die tatsächliche Verwendung der Arbeitszeit widerspiegelten, sondern Ineffizienzen durch ‘taktische Zeitaufschreibungen’ kaschiert wurden, um eine geringe persönliche Arbeitsleistung zu verschleiern und einem möglichen Personalabbau oder einer Erhöhung von Leistungsstandards vorzubeugen. „Es war allen klar und offensichtlich, dass die ihre Leerlaufzeiten kaschierten.“736 Damit haben die Mitarbeiter i. d. R. die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze bezüglich des veränderten Handlungsmusters nicht durchlaufen. Zum Bereich KVP wurden zu wenige Erkenntnisse gewonnen, um eine abgesicherte Aussage treffen zu können. Übergeordnete Behörden (einschließlich Ministerium): Die Interviews belegen, dass die Unterstützung der beteiligten Stellen in übergeordneten Behörden gering war, was den Schluss nahe legt, dass die Mehrzahl von ihnen die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht erfolgreich durchlaufen hat. Lediglich eine übergeordnete Behörde hat auf Weisung des Ministeriums über Jahre hinweg fachliche Unterstützung geleistet. Daher hat diese Behörde (oder der zuständige Behördenteil) vermutlich alle drei Phasen durchlaufen. Auch die betreuende/monitorende Stelle im Ministerium beteiligte sich während des gesamten Betrachtungszeitraumes am Veränderungsprozess. Das Ministerium hielt an der Einführung von KLR/KVP fest und versuchte auch zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch, die Nutzung dieser Instrumente auf den gesamten nachgeordneten Bereich des Ministeriums auszudehnen. Dieser Prozess war noch nicht abgeschlossen. Daher kann für das Ministerium an-

735

736

Es wird angenommen, dass dieses dritte Handlungsmuster gegenüber dem bisherigen und dem veränderten Handlungsmuster den größten Nettonutzen aufwies. Interview 1-5.

150 genommen werden, dass es die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen hatte und sich noch in der Phase Move befand.737 Dienststelle: Anstelle des vom Ministerium angestrebten veränderten Handlungsmusters hatte sich in der Dienststelle A mit der rein formalen Implementierung des Instruments KLR/KLV ohne tatsächliche Nutzung ein drittes Handlungsmuster etabliert. Damit hat die Dienststelle die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze für das angestrebte veränderte Handlungsmuster nicht abschließen können. Die Dienststelle A als der zu verändernde Akteur höherer Ordnung hat den Veränderungsprozess insgesamt nicht erfolgreich durchlaufen. Der Zielzustand wurde nicht erreicht.

5.2 Fallstudie 2 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle B des Bundesministeriums I 5.2.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Fallstudie 2 hat die Einführung von KLR738 und KVP739 in der nachgeordneten Dienststelle B des Ministeriums I zum Gegenstand. Analog zu Fallstudie 1 war hier der Ausgangszustand im Betrieb der Dienststelle ohne KLR und KVP zu sehen, der Zielzustand im Betrieb und der Nutzung der genannten Instrumente. Die zentrale Intention des Veränderungsprozesses lag in der Erhöhung der Effizienz der Leistungserstellung. Der kombinierte Betrieb von KLR und KLV wurde eingeschätzt als „[…] ein bedeutsames Instrument, um […] einen wirtschaftlichen Einsatz von Personal und Betriebsmitteln zu erreichen.“740 Ziel war, die „Betriebsausgaben“741 zu senken,742 um die eingesparten Mittel Investitionen zuführen zu können.743 Zudem sollte das „Kosten- und Leistungsbewusstsein“744 der Organisationsmitglieder erhöht.745 sowie die Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert werden.746 Die Veränderung wurde als gravierend wahrgenommen,747 weil das für KLR und KVP notwendige Kostenbewusstsein nicht vorhanden war.748

737

738 739 740 741 742 743 744 745 746 747 748

Diese Argumentation besitzt auch Gültigkeit für die Fallstudien 2-4 und soll daher dort nicht wiederholt werden. Die KLR wurde als Prozesskostenrechnung eingeführt. Vgl. Dokument 2-1, S. 3. Der KVP entsprach in seinen Grundzügen dem ‘klassischen’ betrieblichen Vorschlagswesen. Dokument 2-1, S. 2. Vgl. auch Gruppendiskussion 2-1. Dokument 2-2, S. 3. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-5. Vgl. Dokument 2-2, S. 3 und Dokument 2-5, S. 11. Dokument 2-2, S. 3. Vgl. Dokument 2-2, S. 3 Vgl. Gruppendiskussion 2-1 sowie Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-11. Vgl. Interview 2-5.

151 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Im Juli 1996 erging die Weisung des Ministeriums I an die Dienststelle B zur Umsetzung der KLR/KVP-Einführung.749 Im gleichen Monat kam die Dienststelle der Aufforderung nach und begann mit den Vorarbeiten zur Implementierung der Instrumente.750 Das Einführungsprojekt fand vom 01.01.1997 bis zum 28.02.1998 mit Unterstützung externer Berater statt.751 Im gleichen Zeitraum wurde der Dienststelle von einer übergeordneten Behörde zusätzlich ein ‘interner Berater’ zur Verfügung gestellt.752 Nach Beendigung des Einführungsprojektes wurde im April 1998 eine positive Zwischenbilanz gezogen: „Im März 1997 wurde mit der kontinuierlichen Erfassung der Kosten- und Leistungsdaten begonnen. Die Kosten- und Leistungsrechnung als Voraussetzung für die Erhöhung der Effizienz ist inzwischen etabliert.“753 Anschließend wurden KLR und KVP von der Dienststelle eigenständig fortgeführt754 und zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli 2001 noch uneingeschränkt betrieben. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Daten wurden hauptsächlich aus elf Interviews gewonnen, die mit Akteuren unterschiedlicher Gruppen geführt wurden755 sowie aus einer Gruppendiskussion. Diese Datenbasis wurde durch die Auswertung von zahlreichen Dokumenten und Kurzfragebögen sowie durch informelle Gespräche756 ergänzt. Der Betrachtungszeitraum der Fallstudie erstreckt sich vom Beginn der Implementierungsaktivitäten im Juli 1996 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli 2001. 5.2.2

Akteure im Veränderungsprozess

Aufgrund der inhaltlichen Entsprechung des Veränderungsprozesses lag in Fallstudie 2 eine weitgehend gleichartige Akteursstruktur wie in Fallstudie 1 vor (Begründung der Rollen analog; siehe Kapitel 5.1.2). Lediglich der Personalrat wurde zusätzlich benannt. Als Akteure wurden damit identifiziert: ƒ

Die Dienststelle stellte den insgesamt zu verändernden Akteur höherer Ordnung dar.

ƒ

Der Dienststellenleiter und die weiteren Führungskräfte waren potenzielle Nutzer der KLR-Ergebnisse und Promotoren bzw. Opponenten, denen Machtmittel zur Verfügung standen.

ƒ

749 750 751 752 753 754 755

Das Projektteam mit den dienststelleninternen Projektmitarbeitern, einem ‘internen Bera-

Vgl. Dokument 2-1. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Dokument 2-4, S. 1, Interview 2-5, Interview 2-3. Vgl. Dokument 2-2, S. 6. Dokument 2-4, S. 2. Vgl. Dokument 2-6, S. 2. Zu den interviewten Personen gehörten der stellvertretende Dienststellenleiter, zwei Hauptcontroller, der interne Berater, ein Bereichscontroller und KVP-Beauftragter, ein KVP-Bearbeiter, zwei ‘betroffene’ Beamte mit Führungsaufgaben, ein ‘betroffener’ Beamter ohne Führungsaufgaben sowie zwei ‘betroffene’ Arbeiter/innen ohne Führungsaufgaben.

152 ter’ aus einer übergeordneten Behörde sowie externen Unternehmensberatern war für die operative Umsetzung der Implementierung verantwortlich. ƒ

Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben fungierten als ‘Datenlieferanten’ für die KLR und als Einreicher von KVP-Vorschlägen.

ƒ

Die Personalratsmitglieder stellten wesentliche Kommunikatoren gegenüber der Mitarbeiterbasis dar.757

ƒ

Die übergeordneten Behörden einschließlich des Ministeriums waren im Veränderungsprozess gegenüber der Dienststelle weisungsbefugt, hatten Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Monitoring-, Steuerungs-, und Unterstützungsaufgaben im Projekt wahrzunehmen.

5.2.3 5.2.3.1

Präferenzen und Nutzenmaximierung Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM)

Dienststelle und Ministerium: Wesentliche Kosten des veränderten Handlungsmusters durch Betrieb und Nutzung von KLR/KVP waren im Einsatz hauptamtlicher Kräfte der Dienststelle zu sehen, die damit für alternative Verwendungen nicht mehr zur Verfügung standen. Es wurden drei Mitarbeiter des gehobenen/höheren Dienstes in hauptamtlicher sowie drei Mitarbeiter des einfachen/mittleren Dienstes in nebenamtlicher Funktion eingesetzt. Darüber hinaus wurde die entsprechende Infrastruktur (Arbeitsplatzausstattungen, Rechner etc.) geschaffen.758 Zudem hatten alle Mitarbeiter der Dienststelle im Rahmen der KLR tägliche Zeitaufschreibungen vorzunehmen, was pro Mitarbeiter aber weniger als fünf Minuten Arbeitszeit erforderte.759 Diesen Kosten standen Einsparungen durch die Nutzung von KLR/KVP in erheblichem Umfang gegenüber. So konnten z. B. 14 Dienstposten im Einvernehmen mit den Stelleninhabern abgebaut760 oder durch einen einzelnen KVP-Vorschlag Sachkosten in Höhe von ca. 220.000,- DM761 eingespart werden.762 Die Summe der tatsächlich realisierten Einsparungen waren bereits im Jahr 1998 beträchtlich: „Mit den bereits realisierten Vorschlägen […] konnte schon jetzt ein relativ hoher Anteil (knapp 1 Mio. DM) an Einsparpotenzial erreicht werden.“763 Die Umsetzung weiterer Vorschläge mit einem Einsparvolumen von 0,7 Mio. DM war ebenfalls 1998 bereits eingeleitet.764

756 757 758 759 760 761 762 763 764

Insbesondere im Rahmen eines mehrtägigen Besuchs der Dienststelle. Zur Bedeutung des Personalrats vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-2. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Vgl. Interview 2-2. Vgl. Interview 2-2. Zu den erzielten Einsparungen vgl. auch Interview 2-5 sowie Interview 2-1. Dokument 2-3, S. 3. Dokument 2-3, S. 4. Für die danach erzielten Einsparungen lagen keine Quantifizierungen vor.

153 Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Es entstanden bei den Führungskräften keine Befürchtungen, durch Rationalisierungseffekte notwendige Ressourcen einbüßen zu müssen, weil die Führungskräfte von Seiten des Projektteams weitreichend in die Implementierung und den Betrieb von KLR/KVP integriert wurden.765 Die Dienststellenleitung signalisierte den übrigen Akteuren der Dienststelle (damit auch den übrigen Führungskräften) unmissverständlich, dass ihr die Implementierung von KLR/KVP ein wichtiges Anliegen war,766 wodurch diese antizipieren konnten, dass eine Unterstützung von KLRKVP positive, eine Verweigerungshaltung negative Anreize der Dienststellenleitung ausgelöst hätte. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Kosten für die Mitarbeiterbasis resultierten aus den täglichen Zeitaufschreibungen, die im Laufe der Zeit aber spürbar vereinfacht wurden767, sowie aus den Schwierigkeiten einzelner Mitarbeiter, eine sinnvolle Verwendung ihrer Arbeitszeit zu dokumentieren, wodurch ein Rechtfertigungszwang entstand. „Manche wussten nicht, wie sie ihre 'Stunden unterbringen' sollten."768 Hierdurch verspürten die Mitarbeiter teilweise eine verstärkte Kontrolle.769 Übergeordnete Behörden: Den übergeordneten Behörden entstand zusätzlicher Aufwand durch KLR/KVP vor allem durch die Prüfung und Umsetzung dienststellenübergreifender KVP-Vorschläge sowie durch die damit verbundenen Änderungen von Vorschriften.770 5.2.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte sowie Ministerium: Die Führungskräfte haben in KLR/KVP ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Kostentransparenz771 und zur Verbesserung der Ressourcenallokation gesehen, was sich im Laufe des Projektes bestätigte.772 Die Dienststellenleitung sah in KLR/KVP eine Möglichkeit, die Handlungsspielräume vor dem Hintergrund enger werdender finanzieller Grenzen auszuweiten.773 Die durch KLR/KVP eingesparten Mittel (siehe Kapitel 5.2.3.1) wurden für Investitionen eingesetzt.774 Dies entsprach sowohl der Zielsetzung der Dienststelle und der Dienststellenleitung als auch der des Ministeriums (siehe Kapitel 5.2.1). Zudem haben Führungskräfte in der Umsetzung von KLR/KVP eine Möglichkeit gesehen, sich zu profilieren.775

765

766 767 768 769 770 771 772 773 774 775

Maßnahmen des Projektteams wurden mit den Führungskräften diskutiert und abgestimmt. Vgl. Interview 2-2. Vgl. Interview 2-9, Interview 2-1. Vgl. Interview 2-4, Interview 2-6, Interview 2-7, Interview 2-8, Gruppendiskussion 2-1. Interview 2-3. Vgl. Interview 2-3. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-10. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-9, Interview 2-2. Vgl. Interview 2-9. Vgl. Interview 2-6, Interview 2-7 sowie Interview 2-5. Vgl. Interview 2-2.

154 Der Nutzen aus KLR/KVP verringerte sich aus Sicht der Dienststellenleitung in späteren Jahren, da vom Ministerium jährlich antizipativ Beträge aus (noch nicht realisierten) Rationalisierungseinsparungen vom Budget der Dienststelle abgezogen wurden und damit nicht mehr zur Verfügung standen.776 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Eine deutliche Nutzenerhöhung wurde von den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben wahrgenommen. So durften einige Mitarbeiter auf der Basis der KLR-Informationen in den (gewünschten) Vorruhestand gehen777, andere konnten von arbeitserleichternden Investitionen profitierten oder erhielten für geeignete Vorschläge KVP-Prämien778. Arbeitserleichternd wirkten z. B. eine in Folge eines KVP-Vorschlags installierte mobile Kfz-Waschanlage oder von den Mitarbeitern gewünschte Computer, die aus KLR/KVP-Einsparungen angeschafft werden konnten.779 Hierdurch konnte die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöht werden.780 Als Indikator für den hohen antizipierten und wahrgenommenen Nutzen im Bereich KVP kann die große freiwillige Beteiligung der Mitarbeiter angesehen werden, die durch die Vielzahl an eingereichten KVP-Vorschlägen zum Ausdruck kam.781 Die Nutzen stiftende Wirkung wurde vermindert, wenn die Bearbeitung und Umsetzung von KVP-Vorschlägen zu lange dauerte bzw. vollständig unterblieb782 oder eingesparte Mittel in anderen als den vorschlagenden Kostenstellen investiert wurden783. Die Mitarbeiter schrieben KVP insgesamt eine stärkere Nutzen stiftende Wirkung zu als KLR.784 Potenzielle Nutzeneinbußen entstanden durch Befürchtungen, es könnte zu Personalabbau bzw. einem drohenden Arbeitplatzverlust kommen.785 Diese konnten durch eine Vereinbarung mit dem Personalrat, die Entlassungen aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen ausschloss, abgebaut werden.786 Übergeordnete Behörden (ohne Ministerium): In den übergeordneten Behörden wurde zusätzlicher Nutzen weder antizipiert noch wahrgenommen.787 Gründe hierfür wurden nicht expliziert; es ist jedoch zu vermuten, dass der größte Teil der Einsparungen aus KLR/KVP

776 777 778 779 780

781

782 783 784 785 786 787

Vgl. Interview 2-9, Interview 2-5 sowie Interview 2-7. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-2. Vgl. Interview 2-8. Vgl. Interview 2-6, Interview 2-7 sowie Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5. Vermutlich trug bei Mitarbeitern auch die Umsetzung ihrer KVP-Vorschläge zur Arbeitszufriedenheit bei. Hierzu wurden jedoch in den Interviews keine Aussagen gemacht. Dies erscheint jedoch plausibel, da eine Verzögerung oder Ablehnung der Umsetzung als Nutzeneinbuße empfunden wurde. Im ersten Jahr wurden ca. 100 KVP-Vorschläge eingereicht, in den darauffolgenden Jahren bis hin zum Zeitpunkt der Fallstudie ca. 50-70 Vorschläge p.a. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-10. Vgl. Interview 2-11, Interview 2-10 sowie Interview 2-5. Vgl. Interview 2-4. Vgl. Interview 2-6, Interview 2-7 sowie Interview 2-8. Vgl. Interview 2-2. Vgl. zudem Interview 2-5. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-9. Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-5.

155 entweder der vorschlagenden Dienststelle oder dem Ministerium zu Gute kam. In beiden Fällen entsteht kein Nutzen für die übergeordneten Behörden. 5.2.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Kosten des Übergangsprozesses sind in erster Linie im Ressourcenverzehr für die Einführung von KLR/KVP zu sehen, der vor dem ‘Wirkbetrieb’ von KLR/KVP erfolgte bzw. der bis zum Abschluss der Implementierung über die Kosten des ‘reinen’ Betriebs (vgl. Kapitel 5.2.3.1) hinausging. Der personelle Aufwand der Dienststelle ging in der Einführungsphase nur geringfügig über den späteren Betrieb von KLR/KVP hinaus.788 Der persönliche Aufwand, der den Führungskräften in der Einführungsphase durch Einarbeitung in die Thematik und Unterstützung des Projektes erwuchs, wurde hingegen als nicht unerheblich beschrieben.789 Internes Projektteam: Durch einen erhöhten Arbeitsaufwand im Projekt gegenüber einer ‘normalen’ Tätigkeit in der Linienorganisation entstanden den internen Projektteammitgliedern Kosten des Übergangsprozesses. Die Führungskräfte der Dienststelle ‘würdigten’ aber den Mehraufwand des internen Projektteams und versuchten, diesen z. B. durch Freizeitausgleich zu begrenzen.790 Übergeordnete Behörden (einschließlich Ministerium): Kosten des Übergangsprozesses entstanden für die übergeordneten Behörden bzw. das Ministerium vor allem durch den Einsatz der externen Unternehmensberater und des internen Beraters. Der interne Berater wurde von einer übergeordneten Behörde ‘beigestellt’, die externen Unternehmensberater wurden aus Mitteln des Ministeriums finanziert.791 5.2.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

Die internen Projektteammitglieder gingen davon aus, sich mit einem erfolgreichen Projektverlauf positiv zu profilieren und damit Einfluss auf die persönliche Leistungsbeurteilung nehmen zu können.792 Tatsächlich wurde KLR/KLV als formales Leistungskriterium in die Beurteilung der Beschäftigten einbezogen.793 Im Übergangsprozess entwickelte sich bei den unmittelbar Projektbeteiligten ein positiv bewertetes Gemeinschaftsgefühl, das daraus resultierte, in der Gruppe ‘etwas aus eigener Kraft heraus geschafft zu haben’.794

788 789 790 791

792 793 794

Zwei Teilzeitkräfte wurden in der Einführungsphase zusätzlich benötigt. Vgl. hierzu Interview 2-5. Vgl. Interview 2-9. Vgl. Interview 2-5. Die Finanzierung des internen Beraters durch eine übergeordnete Behörde und der externen Unternehmensberater durch das Ministerium wurde in informellen Gesprächen mehrfach dargelegt. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-9.

156 5.2.3.5

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

Die Fallstudie 2 hat keine Hinweise zum Nutzen und zu den Kosten des Rückübergangs erbracht. 5.2.3.6

Nettonutzenbetrachtung

Dienststelle und Ministerium: Die verbesserte Kostentransparenz und Ressourcenallokation sowie die daraus folgenden erheblichen Einsparungen, die wie geplant für notwendige Investitionen verwendet werden konnten, dominierten den Nettonutzen. Die Kosten des Übergangsprozesses bzw. des Betriebs und der Nutzung von KLR/KVP durch zusätzlichen Personalaufwand, die externen Berater und die technische Ausstattung des Projektteams waren demgegenüber als vergleichsweise nachrangig einzustufen. Bereits 1998 standen 14 abgebauten Stellen je drei zusätzlich geschaffene Vollzeit- und Teilzeitstellen für KLR/KVP gegenüber. Daher kann für die Dienststelle und das Ministerium insgesamt von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Einführung von KLR/KVP wurde von der Dienststellenleitung und den übrigen Führungskräften als wichtige Profilierungsmöglichkeit (sowohl positiv als auch negativ) angesehen. Trotz des Aufwands für Einarbeitung und Unterstützungsleistungen für das Projekt kann von der Wahrnehmung eines deutlich positiven Nettonutzens der Veränderung ausgegangen werden. Internes Projektteam: Die internen Projektteammitglieder verspürten eine klare Profilierungsmöglichkeit durch die Projektarbeit und realisierten zudem ein positives Gemeinschaftsgefühl im Projektteam, verbunden mit der Befriedigung aus dem Aufbau eines neuen Instrumentariums. Dem stand lediglich ein geringfügiger Mehraufwand gegenüber, der aber von der Dienststellenleitung ‘gewürdigt’ und z. T. kompensiert wurde. Daher kann für das interne Projektteam ein positiver Nettonutzen angenommen werden. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiterbasis hatte einen erhöhten Aufwand durch die täglichen Zeitaufschreibungen, der aber aufgrund eines vereinfachten Verfahrens sehr begrenzt war. Erheblicher zusätzlicher Nutzen konnte durch arbeitserleichternde Investitionen, KVP-Prämien und Umsetzung eigener Ideen bzw. daraus entstehender Arbeitszufriedenheit gewonnen werden. Insgesamt ergab sich für die Mitarbeiterbasis ein positiver Nettonutzen der Veränderung. Übergeordnete Behörden (ohne Ministerium): Die Prüfung/Umsetzung von KVPVorschlägen und Vorschriftenänderungen sowie die Kosten des Übergangsprozesses durch den Einsatz des internen Beraters dominierten die Nettonutzenbetrachtung. Dem standen für die übergeordneten Behörden keine positiven Effekte gegenüber. Daher wurde für die übergeordneten Behörden (ohne Ministerium) insgesamt von einem negativen Nettonutzen der Veränderung ausgegangen.

157 5.2.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Der Kommunikation als Instrument des Veränderungsmanagements wurde im vorliegenden Projekt ausgesprochen hohe Bedeutung beigemessen.795 In der Dienststelle wurden zahlreiche Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt, um auf die Antizipation und Wahrnehmung des Nettonutzens Einfluss zu nehmen. So fanden vor verschiedenen Gruppen von Akteuren wiederholt Vorträge statt796, die positiv bewertet wurden797. Weitere Kommunikationsmaßnahmen bestanden aus Rundschreiben, ‘Flyern’ oder Aushängen.798 Persönliche Gespräche in kleinen Gruppen zur Beeinflussung der Akteure waren von besonders hoher Wirkung.799 Dabei wurde auch auf die besondere Bedeutung informeller Gespräche mit den Akteuren hingewiesen.800 Die Kommunikationsaufgaben wurden vorrangig von den Führungskräften801, dem internen Berater802 sowie den internen Mitarbeitern des Projektteams803 wahrgenommen. Auch auf die wichtige Rolle des Personalrates als Multiplikator sowohl mit potenziell positivem als auch mit negativem Einfluss auf die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgabe wurde hingewiesen.804 Besondere Bedeutung wurde der kommunikativen Wirkung ‘greifbarer’ Erfolge beigemessen, die im Projekt in ausreichendem Maße generiert werden konnten und maßgeblich zur Akzeptanz beigetragen haben.805 Die Kommunikation wurde von den Betroffenen, insbesondere zu Beginn des Veränderungsprozesses, positiv bewertet.806 Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war die Information über KLR/KVP jedoch deutlich schlechter,807 wurde aber immer noch als ausreichend bezeichnet.808 Extrinsische Anreize: Bis zum Jahr 2000 stellte die Unterstützung von KLR/KVP bzw. der Projekterfolg ein Kriterium der Leistungsbeurteilung dar. Ab dem Jahr 2000 konnten auch Prämien bis zu 50.000,- DM für KVP-Vorschläge vergeben werden. Auch die Möglichkeit zur positiven oder negativen Profilierung der Führungskräfte und Mitarbeiter (v. a. Leis-

795 796 797

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803 804 805 806 807

Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-10, Interview 2-9, Interview 2-4 sowie Interview 2-2. Vgl. Interview 2-5. Auch Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben bewerteten diese positiv. Vgl. dazu Interview 2-4. Zu den eingesetzten Kommunikationsmitteln vgl. Interview 2-5, Interview 2-9 und Interview 2-10. Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-2. Bei informellen Gesprächen seien andere Sachverhalte als in formellen Gesprächen transportiert worden. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-2, Interview 2-3, Interview 2-7, Interview 2-8, Interview 2-9, Interview 211 sowie Interview 2-6. Die Kommunikation wurde als eine der zentralen Aufgaben des internen Beraters betrachtet. Vgl. hierzu Interview 2-1. Vgl. Interview 2-5, Interview 2-10, Interview 2-11 sowie Interview 2-6. Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-5. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-5 sowie Interview 2-11. Vgl. Interview 2-4. Vgl. Interview 2-4 und Interview 2-7.

158 tungsbeurteilung) kann als wichtiger extrinsischer Anreiz zur Beeinflussung des Nettonutzens angesehen werden.809 Auswahl der Projektmitarbeiter: Zur Sicherstellung eines positiven Nettonutzens der Veränderung bei den internen Projektmitarbeitern wurde als zentrales Auswahlkriterium die persönliche Einstellung der Akteure zu KLR/KVP bzw. deren Freiwilligkeit zum Projekteinsatz herangezogen.810 Einbeziehen des Personalrats: Das interne Projektteam und die Dienststellenleitung versuchten, den Nettonutzen der Veränderung des Personalrats durch dessen umfassende Partizipation am Projekt positiv zu beeinflussen. Ob und inwieweit dies gelang, konnte nicht ermittelt werden. 5.2.4 5.2.4.1

Fähigkeiten Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess

KLR/KVP-Kenntnisse: Für die Einführung von KLR/KVP wurden Kenntnisse über diese betriebswirtschaftlichen Instrumente benötigt.811 Im vorliegenden Fall waren diese Fähigkeiten teilweise bei Mitarbeitern der Dienststelle vorhanden812, außerdem verfügten die externen Berater über eine hohe fachliche Expertise813. Die übrigen Projektmitarbeiter konnten sich die notwendigen KLR/KVP-Kenntnisse aneignen, so dass diese Fähigkeit keinen dauerhaften Engpass darstellte.814 Lediglich in den übergeordneten Behörden, in denen KLR/KVP nicht eingeführt wurde, war ein gering ausgeprägtes Verständnis für Intention und Funktionsweise des Instruments zu verzeichnen.815 Kommunikationsfähigkeiten: Im Veränderungsprozess diente Kommunikation als zentrales Mittel zur Beeinflussung des Nettonutzens (siehe Kapitel 5.2.3.7). Daher wurde Kommunikationsfähigkeit als wichtige Fähigkeit der Projektbeteiligten angesehen.816 Da die Kommunikation von den Akteuren der Dienststelle insgesamt positiv bewertet wurde, kann von ausreichenden Kommunikationsfähigkeiten der Projektverantwortlichen ausgegangen werden.817 Auch die Kommunikation innerhalb des Projektteams wurde von den Beteilig-

808 809 810 811

812 813 814 815 816 817

Vgl. Interview 2-7. Zu den extrinsischen Anreizen siehe auch Kapitel 5.2.4.1 und 5.2.4.2. Vgl. Interview 2-5. Z. B. über Aufbau und Funktionsweise der Prozesskostenrechnung. Zur Bedeutung dieser Fähigkeit im Veränderungsprozess vgl. Interview 2-5. Ein Projektmitarbeiter war Betriebswirt. Vgl. Interview 2-2. Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-2. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Gruppendiskussion 2-1, Interview 2-1, Interview 2-2 sowie Interview 2-10. Vgl. Interview 2-5.

159 ten ausgesprochen positiv charakterisiert.818 Projektmanagementfähigkeiten: Die Einführung von KLR/KVP erforderte aufgrund der hohen Komplexität des Projektes gut ausgeprägte Projektmanagementfähigkeiten. 819 Die externen Berater verfügten über diese Fähigkeiten und konnten daher einen sehr positiv bewerteten Beitrag im Projekt leisten. 820 Kenntnis der Strukturen des öffentlichen Sektors und der Dienststelle: Zur Projektumsetzung war ein ausgeprägtes Verständnis des öffentlichen Sektors und der betrieblichen Vorgänge in der Dienststelle notwendig.821 Im Rahmen der KLR-Implementierung wurde angestrebt, die Prozesse der Dienststelle zu erfassen und kostenrechnerisch abzubilden. Für KVP mussten die Auswirkungen der Verbesserungsvorschläge auf den betrieblichen Leistungserstellungsprozess bewertet und deren Machbarkeit eingeschätzt werden. Diese Kenntnis des öffentlichen Sektors und der Dienststelle war im Projektteam in ausreichendem Maße vorhanden, da die meisten internen Projektmitarbeiter bereits längere Zeit in der Dienststelle beschäftigt waren.822 Im Projektteam der externen Berater befand sich mindestens ein ehemaliger Mitarbeiter des nachgeordneten Bereichs des Bundesministeriums I, weshalb sich die externen Berater schnell mit den Gegebenheiten der Dienststelle vertraut machen konnten.823 IT-Fähigkeiten: Die Kostenrechnung erfolgte mittels einer spezifischer Software, die ebenso wie die für Nebenrechnungen und Sonderanalysen eingesetzten MS-Office-Programme beherrscht werden musste.824 Diese Fähigkeiten waren zunächst nicht bei allen Beteiligten im notwendigen Maße vorhanden.825 Da IT-Fähigkeiten im Projekt nicht als Engpass aufgetreten sind, konnten sie demnach in notwendigem Umfang aufgebaut werden.826 Teamfähigkeit: Im Projekt war die enge Zusammenarbeit der internen Projektmitarbeiter, des internen Beraters, der externen Unternehmensberater, der Führungskräfte, des Personalrats und der Mitarbeiterbasis zwingend erforderlich. Daher war die Teamfähigkeit dieser Akteure, insbesondere der Projektverantwortlichen, von großer Bedeutung.827 Die Abstimmung im Team, auch mit den externen Unternehmensberatern, wurde positiv beschrieben,828 so dass insgesamt von einer ausreichend ausgeprägten Teamfähigkeit ausgegangen werden kann.

818 819

820 821 822 823 824 825 826 827 828

Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-5. Die Anzahl beteiligter Mitarbeiter war sehr hoch, die Art ihrer Beteiligung sehr verschieden. Auch der Aufbau der Prozesskostenrechnung war mit einer hohen Zahl an Kostenstellen, Prozessen, Tätigkeiten usw. sowie durch die Vielzahl der zwischen diesen Elementen bestehenden Beziehungen komplex. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-2 sowie Interview 2-9. Vgl. Interview 2-2. Vertrautheit mit den Gegebenheiten war Kriterium zur Auswahl der Projektmitarbeiter. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-5. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Explizite Aussagen hierzu liegen jedoch nicht vor. Zur Bedeutung der Teamfähigkeit vgl. auch Interview 2-5 und Interview 2-10. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-2, Interview 2-5 sowie Interview 2-9.

160 Sonstige Fähigkeiten: Zur Generierung von KVP-Vorschlägen war Kreativität erforderlich.829 Weiterhin wurden analytische Fähigkeiten830, Abstraktionsvermögen831, Hartnäckigkeit832 und Durchsetzungsfähigkeit833 als wichtige ‘Skills’ benannt. Zur Ausprägung dieser Fähigkeiten konnten aber keine expliziten Hinweise gefunden werden. 5.2.4.2

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Fortbildung: Als Fortbildungsmaßnahmen für der internen Projektmitarbeiter wurden insbesondere Controllinglehrgänge834 genutzt (insgesamt fünf einwöchige Module835), die von den Teilnehmern der Dienststelle aber als nicht ausreichend eingeschätzt wurden.836 Die Unterweisung

der

Dienststellenmitarbeiter

in

der

operativen

Handhabung

der

KLR-

Zeitaufschreibungen und der Einreichung von KVP-Vorschlägen erfolgte durch die internen Projektmitarbeiter sowie über bereits eingewiesene Führungskräfte.837 Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Sicherstellung der Fähigkeiten erfolgte ganz wesentlich durch die Auswahl der Projektmitglieder. Die notwendigen Fähigkeiten waren ein entscheidendes Kriterium zur Auswahl der Projektmitarbeiter.838 Auswahl der externen Unternehmensberatung: Zur Auswahl der externen Berater lagen keine Aussagen vor; die Fähigkeiten der externen Berater wurden durchweg sehr positiv bewertet.839 Wissenstransfer: Das Projektteam beschaffte Informationen aus anderen nachgeordneten Dienststellen des Bundesministeriums I, die bereits Erfahrungen mit KLR/KVP gesammelt hatten, um einen Know-How-Transfer herzustellen. Ein weiterer Wissenstransfer fand vom internen Berater, der über ebenfalls Erfahrungen mit der Einführung von KLR/KVP verfügte, zu den übrigen Projektteammitgliedern statt.840 Insgesamt wurde der Know-How-Transfer aus anderen KLR/KVP-Projekten jedoch als zu gering eingeschätzt.841

829 830 831 832 833 834

835 836

837 838

839 840 841

Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-9. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Vgl Interview 2-5. Diese Lehrgänge fanden in Bildungseinrichtungen statt, die ebenfalls Ministerium I nachgeordnet waren. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Bemängelt wurde, der Lehrgang sei für den vermittelten Stoff deutlich zu kurz. Vgl. hierzu Gruppendiskussion 2-1. Vgl. Interview 2-4, Interview 2-6, Interview 2-7 sowie Interview 2-8. Die Projektmitarbeiter wurden als "handverlesen" bezeichnet. Vgl. hierzu Interview 2-1 sowie Interview 25 und Interview 2-9. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-2, Interview 2-5 sowie Interview 2-9. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-2.

161 5.2.5 5.2.5.1

Externe Zustände Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

(1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Vorschriften zur Ressourcenallokation: Für die Dienstelle bestand im Rahmen des Projektes die Möglichkeit zur begrenzten flexiblen Budgetierung, d.h. ein Abweichen vom starren System der Kameralistik. Dies wurde durchgehend als Verbesserung der Ressourcenallokation bewertet.842 So war es möglich, durch KLR/KVP eingesparte Mittel innerhalb der Dienststelle für andere Verwendungen einzusetzen.843 Allerdings war die flexible Budgetierung auf ca. 1,6% des Gesamtbudgets beschränkt und somit von relativ geringer Bedeutung.844 Zudem wurden diese Handlungsspielräume durch Vorschriften wie z. B. verbindliche Sachmittel- und Personalpläne 845 oder die Verpflichtung zur Teilnahme an der zentralen Beschaffung846 eingeschränkt. Es hat sich indes gezeigt, dass diese Vorschriften große Interpretationsspielräume zuließen, die durch die gute Zusammenarbeit des Projektteams mit dem haushaltsverantwortlichen Mitarbeiter der Dienststelle ausgeschöpft werden konnten.847 Als demotivierend wurde empfunden, dass in späteren Jahren ein Anteil des Dienststellebudgets (1,8%) als pauschaler Rationalisierungsertrag an das Ministerium abgeführt werden musste. Bei geringen jährlichen Einsparungen kamen diese somit ausschließlich dem Ministerium zugute. "Eine positive Sache, die wir mit großer Akribie, mit viel Aufwand, mit viel Schweiß und mit viel Arbeitszeit versehen haben, […] kehrt sich nun ins Gegenteil und ist leider jetzt enttäuschend."848 Prozessvorschriften: In den Fällen, in denen die KVP-Vorschläge die Veränderung bestehender Prozesse beinhaltete, wurde die Vorschriftenlage als ausgesprochen restriktiv angesehen, da die Prozesse zumeist sehr detailliert und starr festgelegt waren.849 Rotationsprinzip für Personal: Die Verpflichtung zu regelmäßiger Rotation der Mitarbeiter auf andere Dienstposten, vor allem die häufigen Versetzungen auf Dienstposten einer anderen Dienststelle, haben sich negativ ausgewirkt, da hierdurch permanent Know-How verloren ging.850 Der Aufbau einer Routine zur Durchführung von KLR/KVP wurde stark gehemmt.851

842 843 844 845

846 847 848 849 850 851

Vgl. Interview 2-2, Interview 2-5 sowie Interview 2-9. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-5. Vgl. Interview 2-11. Bei einem Gesamtbudget von ca. 100 Mio. DM waren 1,6 Mio. DM flexibel budgetiert. Vgl. hierzu Interview 2-11. Innerhalb des Personalbereichs konnten fast keine Umschichtungen vorgenommen werden. Vgl. hierzu . Interview 2-11. Zur beschränkenden Wirkung starrer Sachmittel- und Personalpläne vgl. auch Interview 2-2. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-1. Interview 2-9. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-5 sowie Interview 2-2. Vgl. Interview 2-2. Vgl. Interview 2-11.

162 Es gab für Fachleute im Bereich KLR/KVP bzw. Controlling keine eigenständige ‘Laufbahn’, so dass weder ein längerer Verbleib auf einem KLR/KVP-Dienstposten noch eine Beförderung innerhalb dieses Bereichs möglich gewesen wäre. 852 Das erschwerte den Aufbau umfassenden Spezialistenwissens im Bereich KLR/KVP.853 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die bestehende Vorschriftenlage wirkte hinderlich, wenn KVP-Vorschläge mit den Vorschriften kollidierten. Dies zog ein Genehmigungsverfahren nach sich, in das übergeordnete Behörden eingebunden werden mussten, was in aller Regel längere Zeit in Anspruch nahm und selten mit einer Änderung der Vorschriften endete.854 „Die hohe Regelungsdichte im KVP Prozess […] führt zu Verzögerungen in der Bearbeitung.“855 Die Vorschriftendichte wurde als ausgesprochen restriktiv bewertet: „Der Hinweis […] auf die Probleme mit der hohen Regelungsdichte im kontinuierlichen Verbesserungsprogramm wird ausdrücklich unterstrichen.“856 Es gab jedoch deutliche Indizien dafür, dass die Vorschriften bei einer ‘zielorientierten’ Interpretation auch breite Interpretationsspielräume und damit Handlungskorridore zuließen, wofür aber entsprechende Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit den Vorschriften Voraussetzung waren.857 (2) Anreizstrukturen Anfänglich konnten den Mitarbeitern für KVP-Vorschläge keine materiellen Anreize gewährt werden,858 sondern lediglich nicht-monetäre Anreize wie Urkunden oder Belobigungen sowie kleinere Sachpreise (z. B. Bücher). Erst ab Januar 2000 ließ das zuständige Bundesministerium Geldprämien in Höhe von maximal 50.000,- DM zu.859 In einigen Fällen konnten Prämien in nennenswertem Umfang in der Dienststelle ausgezahlt werden.860 Die Höhe der Prämien wurde als ausreichend gewertet.861 Die Tatsache, dass bereits vor der Möglichkeit zur monetären Incentivierung eine hohe Anzahl an Verbesserungsvorschlägen eingereicht wurde, die nach der Einführung der Geldprämien nicht anstieg862, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass auch nicht-monetäre Anreize bzw. die unter 5.2.3 beschriebenen positiven Wirkungen auf den Nettonutzen der Veränderung zur Partizipation am Projekt geführt haben. Ein zentraler Anreiz für Führungskräfte und Projektmitarbeiter der Dienststelle lag in der wahrgenommenen Möglichkeit zur persönlichen Profilierung (positiv wie negativ), was durch die Auf-

852

853 854 855 856 857 858 859 860 861

Zu den Auswirkungen häufigen Personalwechsels und einer fehlenden Fachlaufbahn vgl. Gruppendiskussion-2-1 und Interview 2-2. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Vgl. Interview 2-9 und Interview 2-10. Dokument 2-3, S. 7. Dokument 2-3, S. 3. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-10. Die Höhe der Prämiierung hing vom Rationalisierungspotenzial des Vorschlags ab. Vgl. Interview 2-8. Vgl. Gruppendiskussion 2-1 sowie Interview 2-11.

163 nahme des Engagements für KLR/KVP als Kriterium der Leistungsbeurteilung formalisiert wurde (siehe Kapitel 5.2.3.4). (3) Unterstützung übergeordneter Behörden Da übergeordnete Behörden z. B. bei genehmigungspflichtigen Prozessveränderungen weitreichende Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Dienststelle hatten, war ihre Unterstützung ein relevanter Faktor im Veränderungsprozess.863 Die Unterstützung durch diese Behörden wurde tendenziell negativ eingeschätzt.864 Bemängelt wurden die fehlende Bereitschaft zur Veränderung von Vorschriften und zur Umsetzung von KVP-Vorschlägen sowie die Bearbeitungsdauer dienststellenübergreifender KVP-Vorschläge.865 Positiv wurde hingegen der Einsatz des internen Beraters aus einer übergeordneten Behörde bewertet.866 (4) Unterstützung durch externe Unternehmensberater Die Unterstützung durch die externen Berater wurde aufgrund ihrer Beiträge im Projektmanagement und der hohen inhaltlich-fachlichen Expertise positiv eingeschätzt. Die Berater leisteten aus Sicht der internen Projektbeteiligten einen wertvollen Beitrag zum positiven Projektverlauf.867 5.2.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte Die Unterstützung durch die Dienststellenleitung und der übrigen Führungskräfte stellte einen zentralen Erfolgsfaktor dar, da diese durch ihre disziplinarischen Vollmachten868 und ihre Verfügungsrechte starken Einfluss auf die übrigen Akteure sowie auf die Ressourcenverteilung nehmen konnten. "Es kristallisiert sich immer wieder heraus: Die Unterstützung des Dienststellenleiters und der Führung in der Dienststelle ist [...] das A und O für das ganze Projekt."869 Es bestand bei den Interviewpartnern große Einigkeit über die starke Unterstützung des Projektes durch die Dienststellenleitung und die sonstigen Führungskräfte,870 was auch für die übrigen Akteure der Dienststelle transparent gemacht wurde871. "Ich habe […] durch die Führung eine gewaltige Unterstützung erfahren."872

862 863 864 865 866 867 868 869 870 871

872

Vgl. Interview 2-10. Vgl. Interview 2-1. Vgl. Interview 2-1 und Interview 2-5. Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-10. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5, Interview 2-1, Interview 2-2 sowie Interview 2-9. Vor allem durch dienstliche Beurteilungen. Interview 2-2. Ähnlich auch Interview 2-9. Vgl Interview 2-1, Interview 2-2, Interview 2-5 sowie Interview 2-10. Der Dienststellenleiter nahm z. B. die Bekanntgabe und Ehrung der KVP-Vorschlagenden öffentlich vor. Vgl. Interview 2-2. Vgl. zur Transparenz der Unterstützung zudem Interview 2-1. Interview 2-1. Die Aussage stammt von dem internen Berater.

164 (2) Ressourcenausstattung Die personelle Ausstattung des Projektteams wurde als einer der bedeutsamsten Faktoren für eine erfolgreiche Implementierung von KLR/KVP angesehen.873 Das Projekt war von Beginn an personell ausreichend ausgestattet.874 Positiv wirkte sich demnach auf den Projektverlauf aus, dass die zentralen Akteure des Projektteams hauptamtlich die Implementierung von KLR/KVP betrieben. "Wir haben gleich von vornherein, und das ist für mich einer der Hauptgründe, warum das hier recht gut […] funktioniert hat, […] den Hauptcontroller gleich als hauptamtliches Personal gehabt, nicht in einer Nebentätigkeit und das würde ich auch jedem empfehlen."875 Die Ausstattung mit Sachmitteln (Arbeitsräume, Mobiliar und EDV-Technik etc.) war eine Voraussetzung zur effizienten Projektarbeit, die ebenfalls im notwendigen Maße gegeben war.876 Bemängelt wurde lediglich die wenig anwenderfreundliche KLR-Software.877 (3) Organisationskultur Die Organisationskultur war geprägt durch ein bis dahin geringes Kostenbewusstsein, weshalb die Nutzung der betriebswirtschaftlichen Instrumente KLR und KVP eine gravierende Veränderung in der Einstellung der Akteure darstellte bzw. voraussetzte.878 Zudem war die Kultur sehr stark hierarchisch ausgerichtet. Für die Durchsetzungsfähigkeit eines Akteurs war demnach der Dienstgrad, aber auch das Lebensalter von zentraler Bedeutung.879 Dieser Aspekt wurde im vorliegenden Veränderungsprozess berücksichtigt. Die zentralen Akteure im Projektteam der Dienststelle sowie der interne Berater verfügten über hohe Dienstgrade und wiesen eine ausreichende Seniorität auf. 5.2.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Eine hochrangige Führungskraft der Dienststelle hatte dem Minister die demotivierende Wirkung aus der jährlichen ‘Ex-ante-Einziehung’ der (noch nicht realisierten) Rationalisierungseinsparungen persönlich vorgetragen, mit der Intention, diese Praxis zukünftig zu verhindern. Auf diese Anfrage bekam die Dienststelle seitens des Ministeriums jedoch keine Antwort.880 Weitere Maßnahmen zur Beeinflussung der außerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände konnten nicht identifiziert werden.

873 874 875 876 877 878 879 880

Vgl. Interview 2-2 und Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5, Interview 2-2 sowie Interview 2-10. Interview 2-5. Vgl. hierzu auch Interview 2-2. Vgl. Interview 2-1, Interview 2-2 sowie Interview 2-5. Vgl. Interview 2-10. Vgl. Gruppendiskussion 2-1. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-2, Gruppendiskussion 2-1. Vgl. Interview 2-9.

165 Die wesentlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der innerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände waren in der Sicherstellung der Unterstützung der Dienstellenleitung und der Führungskräfte sowie der Ressourcenausstattung des Projektes zu sehen. 5.2.6

Interne Zustände

Die Fallstudie hat keine Hinweise zur Auswirkung von internen Zuständen der Akteure auf den Veränderungsprozess ergeben. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.2.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleitung und weitere Führungskräfte: Die Dienststellenleitung und die übrigen Führungskräfte förderten während des gesamten Untersuchungszeitraums die KLR/KLVImplementierung, unterstützten das Projektteam aktiv und nutzten die Instrumente. KLR/KVP gehörte zum Zeitpunkt der Datenerhebung für die Dienststellenleitung und die Führungskräfte zum ‘normalen Betrieb’. Das veränderte Handlungsmuster wurde damit ausgeführt, Kosten des Übergangs waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erkennbar. Daher konnte diese Gruppe von Akteuren die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze erfolgreich durchlaufen und den Zielzustand einnehmen. Internes Projektteam: Das interne Projektteam hat das KLR/KVP-Einführungsprojekt erfolgreich bearbeitet und wurde danach als ‘Controlling-Einheit’ in die Regelorganisation überführt. Auch hier wurden die KLR/KVP-Aktivitäten bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung mit hohem Engagement betrieben. Somit führte das interne Projektteam das veränderte Handlungsmuster schon lange Zeit aus, was den Schluss zulässt, dass die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze beim internen Projektteam erfolgreich abgeschlossen wurden. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter führten die vereinfachten KLRZeitaufschreibungen regulär durch und beteiligten sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung am KVP.881 Dies kam durch die über mehrere Jahre konstant hohe Anzahl an KVP-Vorschlägen zum Ausdruck. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Mitarbeiterbasis großteils die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze vollständig durchlaufen und den Zielzustand eingenommen hatte. Personalrat: Für den Personalrat können keine eindeutigen Aussagen getroffen werden. Die Daten lieferten aber keine Hinweise auf destruktives Einwirken. Übergeordnete Behörden (ohne Ministerium): Die übergeordneten Behörden (ohne Ministerium) unterstützten den Veränderungsprozess nur unbefriedigend. Daher wird hier davon ausgegangen, dass die Behörden die Phase Unfreeze nicht erfolgreich durchlaufen konnten.882

881 882

Vgl. Interview 2-7. Zur Phasenbetrachtung des Ministeriums vgl. Kapitel 5.1.7.

166 Dienststelle: Zum Zeitpunkt der Datenerhebung lagen die Anfänge der Implementierung bereits fünf Jahre zurück. Sowohl KLR als auch KVP wurden nach wie vor uneingeschränkt betrieben. Die Zahl der KVP-Vorschläge lag lediglich im ersten Jahr höher als in den darauf folgenden Jahren883, blieb dann konstant bei ca. 50-70 Vorschlägen p. a.884 Die Organisation befand sich nicht mehr im Übergang (Kosten des Übergangs waren nicht mehr feststellbar), sondern hatte das veränderte Handlungsmuster erkennbar verfestigt. Es wurde insgesamt die ‘kritische Masse’ erreicht, die Dienststelle als Akteur höherer Ordnung konnte den Veränderungsprozess in allen Phasen durchlaufen. Der Zielzustand wurde eingenommen.

5.3 Fallstudie 3 - Einführung von KLR und KVP in der nachgeordneten Dienststelle C des Bundesministeriums I 5.3.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Fallstudie 3 untersucht die Einführung von KLR und KVP in einer nachgeordneten Dienststelle des Bundesministeriums I. Daher war der Ausgangszustand im Betrieb der Dienststelle ohne KLR/KVP zu sehen, der Zielzustand hingegen im Betrieb der Dienststelle mit der Anwendung und Nutzung dieser Instrumente. Die zentrale Intention von KLR/KVP wurde in Kostensenkungen bzw. der Steigerung der Wirtschaftlichkeit gesehen.885 „Über konsequente Anwendung von […; interne Bezeichnung für KLR/KVP, Anm. d. Verfassers] auf jeder Verantwortungsebene kann der Führungsprozess durch angemessene Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Aspekte entscheidend verbessert werden. Insbesondere im Bereich der Logistik bedeutet dies Kostensenkung oder Qualitätsverbesserung der Arbeit, damit Erhöhung der Wirtschaftlichkeit.“886 Im Rahmen der Projektumsetzung sollten auch Reorganisationsmaßnahmen in der Dienststelle durchgeführt werden.887 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Erste vorbereitende Aktivitäten zur Einführung von KLR/KVP begannen in der Dienststelle ab Oktober 1996.888 Das Implementierungsprojekt im engeren Sinne fand im Zeitraum von Anfang März 1997 bis Ende Mai 1998 statt.889 Während dieser Zeit wurde das interne Projektteam der Dienststelle von externen Unternehmensberatern sowie einem internen Berater unterstützt, der von einer übergeordneten Behörde ‘beigestellt’ wurde. Vom Juni 1998 bis

883 884 885 886 887 888 889

Im ersten Jahr wurden ca. 100 Vorschläge eingereicht. Vgl. Interview 2-5. Vgl. Interview 2-5 und Interview 2-10. Vgl. Interview 3-1, Interview 3-2, Interview 3-3, Interview 3-4, Interview 3-5 sowie Interview 3-7. Dokument 3-2, S. 11. Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-9. Vgl. Kurzfragebogen zum Interview 3-3. Vgl. Dokument 7, S. 32, Dokument 3-5, S. 1.

167 zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli 2001 wurde KLR und KVP von der Dienststelle eigenständig betrieben. Von der tatsächlichen Nutzung der Instrumente durch die Führungskräfte der Dienststelle konnte jedoch kein eindeutiges Bild gewonnen werden. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung zur Fallstudie erfolgte hauptsächlich im Juli 2001 und wurde überwiegend in der Dienststelle C890 vorgenommen. Die Datenbasis bestand aus neun Interviews mit verschiedenen Akteuren des Veränderungsprozesses891, unfangreichem Aktenmaterial892 sowie ergänzend Kurzfragebögen und informellen Gesprächen893. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich vom Beginn der KLR/KVP-Aktivitäten in der Dienststelle ab Oktober 1996 bis zur Datenerhebung im Juli 2001. 5.3.2

Akteure im Veränderungsprozess

Die Struktur der Akteure ist identisch mit der aus Fallstudie 2.894 Die Akteure werden daher an dieser Stelle nur benannt; auf die Darstellung der Bedeutung der Akteure kann aufgrund der Analogie zu Fallstudie 2 verzichtet werden. Relevante Akteure sind damit: ƒ

Die Dienststelle als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Die Dienststellenleitung und die weiteren Führungskräfte.

ƒ

Das Projektteam mit den dienststelleninternen Projektmitarbeitern, einem ‘internen Berater’ aus einer übergeordneten Behörde sowie den externen Unternehmensberatern.

ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben.

ƒ

Der Personalrat.

ƒ

Die übergeordneten Behörden einschließlich des Ministeriums.

5.3.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

5.3.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Dienststelle: Spezifische Kosten des veränderten Handlungsmusters entstanden in der Dienststelle durch den hauptamtlichen Einsatz zweier KLR/KVP-Mitarbeiter, die dadurch für alternative Verwendungen nicht eingesetzt werden konnten. Weiterhin waren in allen Abteilungen der Dienststelle Mitarbeiter in nebenamtlicher Funktion mit der Umsetzung des Projektes be-

890

891

892 893 894

Ein ergänzendes Interview fand im Dezember 2001 außerhalb der Dienststelle mit der Projektleiterin eines beteiligten Beratungsunternehmens statt. Interviewpartner waren zwei hochrangige Führungskräfte der Dienststelle, ein Projektmitarbeiter, ein ‘betroffener’ Beamter des mittleren Dienstes, ein ‘betroffener’ Beamter des gehobenen Dienstes, zwei ‘betroffene’ Angestellte ohne Führungsaufgaben, ein Personalratsmitglied und die Projektleiterin eines beteiligten Beratungsunternehmens. Das Aktenmaterial wurde vom Ministerium zur Verfügung gestellt. Die informellen Gespräche wurden während eines mehrtägigen Besuchs der Dienststelle geführt. Die handelnden Personen waren aber nicht identisch, lediglich die Funktionen/Rollen wie z. B. ‘Dienststellenleiter’.

168 traut.895 Sämtliche Mitarbeiter hatten (geringe) Anteile ihrer Arbeitszeit auf die täglich durchzuführenden Zeitaufschreibungen896 zu verwenden. Zudem resultierten zusätzlich Kosten aus der für den Betrieb von KLR/KVP erforderlichen Hard- und Software. Die Kosten für den Betrieb von KLR/KVP beliefen sich insgesamt auf ca. 2,5% der Gesamtkosten der Dienststelle.897 Die gewünschten Einsparungen konnten nicht realisiert werden.898 Dies bezog sich nicht nur auf KLR, sondern auch auf KVP: "Im KVP kann ich mich nicht erinnern, dass wir irgendwelche maßgeblichen Verbesserungen, also die dann auch wirklich zu Geldeinsparungen geführt hätten, [...] vorweisen können."899 Dies wurde in der abschließenden Bewertung des Projektes durch das Ministerium bestätigt: "KVP ‘bottom up’ hat […] bislang keine meldewürdigen Einsparpotenziale und nur geringe Verbesserung der Arbeitsabläufe erbracht. Es ist im ersten Ansatz als gescheitert anzusehen."900 Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Führungskräfte bewerteten potenzielle Personaleinsparungen durch KLR/KVP als nachteilig. Zum einen nutzte man einen Personalüberhang als ‘Leistungsreserve’, weil es im Zuge der permanenten Personalrotation immer wieder dazu kommen konnte, Personal mit unzureichender Leistungsfähigkeit oder motivation zugewiesen zu bekommen, was man dann durch eine höhere Personalquantität kompensieren konnte.901 Zum anderen diente eine breite Personalbasis im ‘Stellenkegel’ dazu, Dienstposten mit hohen Dienstgraden zu begründen. Personalabbau schwächte daher die Rechfertigung für höher dotierte Dienstposten.902 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Obwohl im Verlauf der Einführung das Verfahren zur täglichen Zeitaufschreibung vereinfacht wurde903, haben die Mitarbeiter diese Tätigkeit auch zum Zeitpunkt der Fallstudie noch als lästig empfunden. "Es stößt bei mir jeden Monat wieder sauer auf, dass ich da [...] meine Stunden schreiben muss."904 Zudem befürchteten die Mitarbeiter eine erhöhe Kontrollintensität ihrer Tätigkeit905, was zu einer sehr skeptischen Haltung gegenüber dem Projekt führte.906 Ministerium: Das Ministerium antizipierte durch die KLR/KVP-Einführung eine Erhöhung

895 896

897 898

899 900 901 902

903 904 905 906

In jeder Abteilung gab es einen KLR/KVP-Beauftragten. Täglich bis zu 15 Minuten je Mitarbeiter. Vgl. Interview 3-4. Die Zeitaufschreibung war zunächst aufwendiger und wurde später vereinfacht. Vgl. hierzu Interview 3-1. Dokument 3, S. 7. Vgl. Interview 3-6 und Interview 3-2. Nur in einem Fall wurde von nennenswerten Einsparungen im Bereich Travelmanagement berichtet. Vgl. hierzu Interview 3-2. Interview 3-9. Aus ‘Schlussniederschrift’ des Ministeriums entnommen: Dokument 2, S. 26. Vgl. Interview 3-8 und Interview 3-9. Vgl. Interview 3-9. Hochrangige Dienstposten sind nicht nur für die jeweiligen und zukünftigen Stelleninhaber wünschenswert, sondern verhelfen der gesamten Dienststelle zur besseren Durchsetzung ihrer Interessen nach außen. Vgl. Interview 3-1. Interview 3-5. Vgl. hierzu auch Interview 3-4 und Interview 3-6. Vgl. Interview 3-7 und Interview 3-3. Vgl. Interview 3-7.

169 der Wirtschaftlichkeit bzw. Kostensenkungen. Dies war die zentrale Intention des Projektes. 5.3.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Der Nutzen des veränderten Handlungsmusters wurde in Fallstudie 3 als relativ gering eingeschätzt. In Einzelfällen erhöhte sich die Kostentransparenz durch die KLR.907 Die Aussagefähigkeit der KLR wurde aber als eingeschränkt charakterisiert, da die Bewertung der Leistung bzw. Effizienz aufgrund der vorwiegend administrativen Tätigkeiten mit einem hohen Anteil einmaliger Sonderaufgaben kaum möglich gewesen sei.908 "Insbesondere wurde festgestellt, daß die Aussagekraft einer Leistungsbewertung mit Hilfe der Kostentreibersätze […] deutlich eingeschränkt ist."909 Auch die erreichte Verbesserung der Prozesse auf Basis des KVP wurde niedrig bewertet.910 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter911 befürchteten einen möglichen Personalabbau auf Basis der KLR/KVP-Informationen und nahmen die Veränderung damit als Bedrohung ihres Nutzens aus einem gesicherten Beschäftigungsverhältnis wahr.912 In diesem Zusammenhang hat es sich negativ ausgewirkt, dass in Kombination mit der Einführung von KLR/KVP ein Reorganisationsprojekt durchgeführt wurde, da "[…] in diesem Fall die […; interne Bezeichnung für KLR/KVP, Anm. d. Verfassers] nach Ansicht vieler Angehörigen der Dienststelle nicht mehr als Führungsinstrument des Dienststellenleiters, sondern als Mittel zur Beseitigung von Dienstposten angesehen wird."913 Die Mitarbeiter konnten durch Belohnung (bis zu 50.000,- DM) und Belobigung auf Grund von KVP-Vorschlägen einen Nutzen generieren. Die grundsätzliche Möglichkeit hierzu war den Interviewpartnern überwiegend transparent,914 die Modalitäten dieser Incentivierung, wie z. B. die potenzielle Höhe der Belohnung, hingegen teilweise nicht.915 Der Nutzen aus Belohnung und Belobigung wurde allerdings durch die lange Bearbeitungs- und Umsetzungszeit der Vorschläge vermindert.916 Die Mitarbeiter sahen zudem durch KLR/KVP keinen Nutzen für die Dienststelle, was zusätzlich die Motivation zur Unterstützung des Veränderungsprozesses verringerte.917

907 908

909 910 911 912 913 914

915 916

917

Vgl. Interview 3-2. Vgl. Interview 3-9. Diese Einschätzung erfolgte durch die interviewte Unternehmensberaterin und stellt damit nicht eine ‘gängige Ausrede’ der Amtsseite dar. Dokument 3, S. 6. Vgl. auch Interview 3-8 und Interview 3-6. Vgl. Dokument 2, S. 26. Insbesondere die prinzipiell kündbaren Arbeiter und Angestellten. Vgl. Interview 3-3. Dokument 3, S. 7. Vgl. Interview 3-1 und Interview 3-5. Einem Interviewpartner waren die Belohnungsmöglichkeiten nicht transparent. Vgl. hierzu Interview 3-4. Vgl. Interview 3-1. Mitunter konnten die Mitarbeiter diesen Nutzen erst realisieren, als sie nicht mehr in der Dienststelle beschäftigt waren. Vgl. hierzu Interview 3-5. Vgl. Interview 3-5 und Interview 3-1. In diesem Fall stellt der Nutzen der Dienststelle einen Bestandteil des individuellen Nutzens dar, was als ‘Loyalität’ des Mitarbeiters gegenüber der Dienststelle interpretiert werden kann.

170 5.3.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Dienststelle, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte, übergeordnete Behörden und Ministerium: Im Einsatz des bis zu vier Personen umfassenden externen Beraterteams918 und einem internen Berater während der ersten 14 Monate der Implementierung ist ein Ressourcenverzehr zu sehen, der über den späteren ‘Wirkbetrieb’ von KLR/KVP hinausging und der somit Kosten des Übergangsprozesses darstellte.919 Dieser Ressourcenverzehr wurde jedoch für die Dienststelle externalisiert, da die Kosten ausschließlich von einer übergeordneten Behörde (interner Berater) und dem Ministerium (externe Unternehmensberater) getragen wurden. Der Einsatz des internen Projektteams vor dem ‘Wirkbetrieb’ stellte Kosten des Übergangsprozesses dar, die von der Dienststelle zu tragen waren. Über sonstige Kosten des Übergangsprozesses wie z. B. über den ‘Lernaufwand’ der Führungskräfte konnten auf Basis der vorhandenen Daten keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.3.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Die Fallstudie hat keine Hinweise zum Nutzen des Übergangsprozesses, dem Nutzen des Rückübergangs und den Kosten des Rückübergangs erbracht. 5.3.3.5 Nettonutzenbetrachtung Dienststelle: Erkennbare zusätzliche Kosten des veränderten Handlungsmusters sind der Dienststelle durch den Einsatz zweiter hauptamtlicher KLR/KVP-Mitarbeiter, der nebenamtlichen KLR/KVP-‘Beauftragten’ in allen Abteilungen und durch die Zeitaufschreibungen der Mitarbeiter entstanden. Dem stand eine begrenzt höhere Kostentransparenz gegenüber. Nennenswerte Einsparungen auf Basis von KLR/KVP wurden nicht erzielt. Daher kann hier insgesamt von einem negativen Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Bei den Führungskräften der Dienststelle dominierten die Kosten des veränderten Handlungsmusters, insbesondere die aus einer erfolgreichen KLR/KVP-Nutzung drohenden Personaleinsparungen, die den Wegfall personeller Leistungsreserven und die Verkleinerung des ‘Stellenkegels’ mit sich brachten. Als positiver Effekt für die Führungskräfte konnte lediglich die o. g. begrenzte Erhöhung der Kostentransparenz angeführt werden. Daher soll für die Dienststellenleitung und die weiteren Führungskräfte ein negativer Nettonutzen der Veränderung unterstellt werden. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Für die Mitarbeiterbasis standen die negativen Aspekte klar im Vordergrund. Insbesondere die als lästig empfundenen Zeitaufschreibungen, die befürchtete höhere Kontrolle sowie der drohende Personalabbau durch ein funktionierendes KLR/KVP-Instrumentarium prägten die negative Einschätzung seitens der Mitarbeiterbasis. Positiv wurden lediglich die Möglichkeiten der Incentivierung für KVP-Vorschläge be-

918

Vgl. Interview 3-2.

171 wertet. Insgesamt kann von einem deutlich negativen Nettonutzen ausgegangen werden.920 Übrige Akteure: Die Datenbasis ließ keine ausreichend abgesicherten Aussagen zum Nettonutzen der Veränderung der übrigen Akteuren zu. 5.3.3.6 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Zur Beeinflussung des Nettonutzens der Akteure stellte die Kommunikation ein zentrales Instrument dar.921 Es wurden eine Reihe unterschiedlicher Kommunikationsmaßnahmen wie Informationsveranstaltungen vor der gesamten Belegschaft,922 separate Veranstaltungen in einzelnen Dezernaten923, Verbreitung interner Informationspapiere924 sowie Email-Aktionen925 durchgeführt. Die Informationsveranstaltungen vor der gesamten Belegschaft stießen auf gespaltenes Echo. Ein Teil der Interviewpartner fühlte sich gut informiert,926 ein anderer Teil bewertete die Veranstaltung für ‘betriebswirtschaftliche Laien’, die den überwiegenden Teil des Publikums ausmachten, als ungeeignet927. Die Kommunikationsaufgaben wurden von den Führungskräften,928 den externen Beratern,929 dem internen Projektteam,930 dem internen Berater und den in den Dezernaten für die KLR/KVP-Einführung verantwortlichen Mitarbeitern931 wahrgenommen. Die Bedeutung der Führungskräfte wurde dabei hervorgehoben.932 Positiv wurde auch die Rolle des internen Beraters in der Kommunikation bewertet.933 Das Projektteam versuchte, die Arbeitnehmervertreter intensiv mit Informationen zu versorgen, da deren Multiplikatorenrolle als sehr bedeutsam eingeschätzt wurde.934 In Fallstudie 3 wurde die hohe kommunikative Wirkung der Ausübung der Vorbildfunktion durch Führungskräfte und übergeordnete Stellen transparent.935 Die Interviewpartner bemängelten teilweise, dass die Rückmeldung der Ergebnisse der KLR/KVP-Aktivitäten an die Akteure der Organisation nicht ausreichend gewesen sei.936

919 920

921 922 923 924 925 926 927 928 929 930 931 932 933 934 935 936

Die Kosten des ‘Wirkbetriebs’ von KLR/KVP nach der Einführung werden unter 5.3.3.1 behandelt. Vgl. zu dieser Einschätzung auch Interview 3-2, das mit einer hochrangigen Führungskraft der Dienststelle geführt wurde. Vgl. Interview 3-3 und Interview 3-9. Vgl. Interview 3-1, Interview 3-2, Interview 3-7 sowie Interview 3-9. Vgl. Interview 3-1, Interview 3-2 sowie Interview 3-9. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-7. Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-7. Vgl. Interview 3-1. Vgl. Interview 3-4. Vgl. Interview 3-1 und Interview 3-2. Vgl. Interview 3-7. Vgl. Interview 3-7. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-9. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-9 und Interview 3-1. Vgl. Interview 3-4 und Interview 3-5. Das könnte auf fehlende vorzeigbare Erfolge zurückzuführen sein.

172 Bei der Gesamtbewertung der Kommunikation im Projekt zeigte sich ein geteiltes Bild. Während sich die Führungskräfte gut informiert fühlten,937 bewertete die Mitarbeiterbasis die Kommunikation tendenziell negativ.938 Extrinsische Anreize: Zur Partizipation am KVP-Prozess wurden als extrinische Anreize zunächst Belobigungen und kleinere Sachpreise eingesetzt. Ab dem Jahr 2000 konnten für geeignete KVP-Vorschläge monetäre Prämien bis zur Höhe von 50.000,- DM vergeben werden (siehe zu extrinsischen Anreizen Kapitel 5.3.5.1). 5.3.4

Fähigkeiten

5.3.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess KLR/KVP-Kenntnisse (betriebswirtschaftliche Kenntnisse): Die Einführung von KLR/ KVP erforderte aufgrund der der Komplexität der Prozesskostenrechnung hohe betriebswirtschaftliche bzw. kostenrechnerische Kenntnisse.939 Diese Fähigkeit lag zunächst vor allen bei den externen Beratern, denen sehr gute betriebswirtschaftliche Kompetenzen bescheinigt wurden.940 Im Laufe des Projektes konnten bei internen Projektmitarbeitern der Dienststelle die erforderlichen Fähigkeiten aufgebaut werden, um KLR/KVP ohne externe Unterstützung fortzuführen.941 Über die betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten der Dienststellenleitung und der weiteren Führungskräfte kann auf Basis der vorhandenen Daten keine eindeutige Aussage getroffen werden. In einem ministeriellen Bericht ist jedoch die Rede von „[…] zögerlicher Annahme notwendiger Inputs durch einzelne Beschäftigte auch in Schlüsselpositionen […]“942, was u. a. zu mehrfachem „Nachschulungsbedarf“943 führte.944 Die KLR/KVP-Kenntnisse des internen Beraters wurden als gering ausgeprägt beschrieben.945 Kommunikationsfähigkeiten: Da die Kommunikation das zentrale Instrument zur Beeinflussung des Nettonutzens der Akteure darstellte, waren die Kommunikationsfähigkeiten von besonderer Bedeutung.946 Einige der externen Berater „[…] verfügten über unterdurchschnittliche Fähigkeiten der Themenvermittlung […]".947 Der interne Berater zeigte hier deutliche komparative Vorteile, seine kommunikative Tätigkeit wurde (von einer externen Berate-

937 938 939 940 941 942 943 944 945 946 947

Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-7. Vgl. Interview 3-4 und Interview 3-5. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Dokument 2, (‘Schlussniederschrift’ des Ministeriums), S. 20. Vgl. Dokument 2, S. 7. Dokument 4, S. 3. Dokument 4, S. 3. Vgl. Dokument 4, S. 3. Vgl. Interview 3-9. Vgl. Interview 3-3. Dokument 2, S. 20.

173 rin) als sehr wirksam beschrieben.948 Über die Kommunikationsfähigkeiten der übrigen mit Kommunikationsaufgaben betrauten Akteure wurden keine Aussagen getroffen. Projektmanagementfähigkeiten: Projektmanagementfähigkeiten wurden in hohem Umfang benötigt, nicht zuletzt weil der Veränderungsprozess durch sehr hohe Komplexität gekennzeichnet war, die im Vorfeld unterschätzt wurde: "Die Komplexität des Pilotprojektes hat alle anfänglichen Vorstellungen weit übertroffen."949 Zentrale Aufgabe des Projektmanagements war es daher, diese Komplexität zu bewältigen. Hierbei wirkte sich negativ aus, dass das Team der externen Unternehmensberater aus einem Konsortium zweier Firmen bestand. Das führte zu zusätzlichen Friktionen und einem erhöhten Koordinationsaufwand für das interne Projektteam.950 Dennoch stellten gerade die externen Berater die konsequente Zielverfolgung im Projekt sicher.951 Insgesamt schienen die Projektmanagementfähigkeiten ausreichend ausgeprägt zu sein. Kenntnis der Strukturen des öffentlichen Sektors und der Dienststelle: Für die Konzeption und Umsetzung der Prozesskostenrechnung sowie die Eignungsprüfung von KVPVorschlägen war die Kenntnis der Dienststelle (und des öffentlichen Sektors insgesamt) eine wichtige Vorraussetzung. Diese Fähigkeiten waren bei den externen Beratern zunächst nicht vorhanden und mussten daher im Projekt aufgebaut werden.952 IT-Fähigkeiten: Zur Beherrschung der eingesetzten Kostenrechnungssoftware und zum Betrieb der dazugehörigen Hardware waren IT-Fähigkeiten notwendig. Über deren Ausprägung im Veränderungsprozess konnten jedoch keine Aussagen getroffen wurden. Die ITFähigkeiten sind im Projekt aber nicht als Engpassfaktor in Erscheinung getreten. Teamfähigkeit: Die Abstimmung innerhalb des Projektteams wie auch mit Führungskräften der Dienststelle und den ‘KLR/KVP-Beauftragten’ der einzelnen Dezernate erforderte ein hohes Maß an Teamfähigkeit. Die Zusammenarbeit und Kommunikation in diesem Sinne wurde als positiv charakterisiert.953 Auch die Kooperation mit den externen Beratern wurde von den Mitarbeitern der Dienststelle als angenehm und problemlos beschrieben.954 Lediglich das ‘Teamplaying’ innerhalb des Beraterkonsortiums schien von Friktionen geprägt gewesen zu sein.955 Insgesamt kann jedoch von einer ausreichenden Teamfähigkeit des Gesamtprojektteams ausgegangen werden.

948 949 950 951 952 953 954 955

Vgl. Interview 3-9. Dokument 2, S. 21. Vgl. hierzu auch Dokument 4, S. 3. Vgl. Dokument 2, S. 21. Vgl. Interview 3-2. Vgl. Interview 3-2, Interview 3-3 sowie Interview 3-6. Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-3. Vgl. Interview 3-3. Dokument 2, S. 21.

174 Sonstige Fähigkeiten: Sowohl zur Lösung spezifischer KLR-Implementierungsprobleme als auch zur Generierung von KVP-Vorschlägen war Kreativität erforderlich. Das Projekt war jedoch von einem ‘eher technischen Abarbeiten’ geprägt.956 Hieraus kann aber nicht unmittelbar auf fehlende Kreativität des Projektteams geschlossen werden, weshalb hierzu keine eindeutige Aussage getroffen werden kann.957 Zur Überwindung von Widerständen wurde auch Durchsetzungsfähigkeit als wichtiger Faktor bewertet. Es wurden den Führungskräften der Dienststelle958 und einem Teil der externen Berater959 hohe Durchsetzungsfähigkeiten zugeschrieben. 5.3.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Fortbildung: Zum Aufbau der KLR/KVP-Fähigkeiten wurden spezielle Lehrgänge genutzt, die für die Mitarbeiter des nachgeordneten Bereichs von Ministerium I zielgruppenspezifisch angepasst waren. KLR/KVP-Lehrgänge wurden nicht nur für Controller, sondern auch z. B. für Führungskräfte und Personalratsmitglieder durchgeführt.960 Die Lehrgänge wurden von einer Führungskraft und einem Personalratsmitglied negativ bewertet.961 Zur Sicherstellung der ‘operativen Durchführungsfähigkeiten’ - insbesondere der korrekten Zeiterfassung - wurden in den einzelnen Dezernaten ‘Briefings’ durchgeführt.962 Als Multiplikatoren wurden sowohl Führungskräfte963 als auch die ‘KLR/KVP-Beauftragten’ der Dezernate964 eingesetzt. Auswahl der internen Projektmitarbeiter: Bei der Auswahl der internen Projektmitarbeiter wurde zur Sicherstellung notwendiger (‘harter’) Fähigkeiten auf eine kaufmännische Vorbildung und IT-Kenntnisse geachtet.965

956

957 958 959 960 961 962

963 964 965

Vgl. Interview 3-2. Das entspricht dem Eindruck, der in der Fallstudie gewonnen wurde. Die Ideengenerierung wurde nie thematisiert; stets wurden konzeptionell-technische Fragen in den Vordergrund gestellt. Dies kann bestenfalls als ein dahingehendes ‘Indiz’ gewertet werden. Vgl. Interview 3-8. Vgl. Dokument 2, S. 20. Vgl. Interview 3-2, Interview 3-3 sowie Interview 3-6. Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-6. Vgl. Interview 3-2, Interview 3-1 sowie Interview 3-5. Unter Briefings sollen Kurzfortbildungen am Arbeitsplatz verstanden werden. Vgl. Interview 3-1. Vgl. Interview 3-5. Vgl. Interview 3-3.

175 5.3.5

Externe Zustände

5.3.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften966 Vorschriften zur Ressourcenallokation: Auch in Fallstudie 3 wurde die fehlende Flexibilität zur Verwendung von Haushaltsmitteln bemängelt. Insbesondere fehlte aufgrund der kameralistischen Haushaltsführung die Möglichkeit, eingesparte Mittel weitgehend frei verausgaben zu können, da die Mittelverwendung sachlich/inhaltlich festgelegt war.967 "Wir haben [...] das große Problem, dass wir durch die Bundeshaushaltsordnung gebunden sind […]. Das hindert uns an vielen Stellen daran, wirtschaftliche Wege zu gehen; das ist ein echter Hinderungsgrund."968 Eine Flexibilisierung des Haushaltswesens wäre als wesentliche Erleichterung zur Realisierung von Effizienzsteigerungen bewertet worden.969 Auch die Allokation personeller Ressourcen war durch Vorschriften übergeordneter Behörden stark begrenzt. Die Dienststelle hatte nicht nur auf die Personalab- und zugänge, sondern auch auf die Personalstärke970 geringen Einfluss. Die Ausstattung der Dienststelle mit Personal war Angelegenheit übergeordneter Behörden. Es konnte zu Zuweisungen von wenig leistungsfähigen oder -willigen Mitarbeitern kommen, woraus eine Neigung zum Aufbau von ‘Personalpolstern’ zum Zweck der Kompensation dieser leistungsschwachen Mitarbeiter resultierte.971 Prozessvorschriften: Bestehende Vorschriften wirkten sich im vorliegenden Fall besonders dann negativ aus, wenn sich KVP-Vorschläge auf die Veränderung bestehender, festgelegter Prozesse bezogen.972 Die Umsetzung solcher Vorschläge erforderte dann die Abänderung einer Vorschrift durch eine übergeordnete Behörde, was häufig nicht erfolgte.973 Personal- und Tarifrecht: Auch die ausgeprägten Schutzbestimmungen des öffentlichen Dienst- und Personalrechts wirkten restriktiv.974 Es existierten fast keine Möglichkeiten, sich von leistungsschwachen oder leistungsunwilligen Mitarbeitern zu trennen oder diese anderweitig zu sanktionieren.975 Die Vergütung der Mitarbeiter war vorrangig von Familienstand und Alter, jedoch kaum von der erbrachten Leistung abhängig. Im Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) waren für die Tarifgruppen Tätigkeiten fixiert. Durch die Veränderung von Tätigkeiten auf Basis von KLR/KVP-Ergebnissen hätten Angestellte, sofern ‘höherwertige’ Tä-

966

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Hierunter sollen außerhalb der betroffenen Dienststelle festgelegte, i .d. R. schriftlich explizierte Regeln wie Gesetze und Verordnungen verstanden werden, aber auch Anweisungen der übergeordneten Behörden. Vgl. hierzu Interview 3-3. Interview 3-2 und Interview 3-4. Vgl. Interview 3-2 und Interview 3-8. Möglichem Personalabbau wurden auch durch politische Vorgaben enge Grenzen gesetzt. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-9, Interview 3-8. Vgl. Interview 3-8 und Interview 3-9 sowie Dokument 2, S. 26. Vgl. Interview 3-9. Vgl. Interview 3-3 und Interview 3-8. Vgl. Interview 3-8 und Interview 3-9.

176 tigkeiten damit verbunden waren, ein (einklagbares) Recht auf Höhergruppierung ableiten können.976 Zudem führte die übliche Auslegung des Personal- und Tarifrechts, hochrangige Dienstposten nur bei einem entsprechend großen ‘Stellenkegel’ zu genehmigen, zu negativen Anreizen für einen möglichen Personalabbau.977 Das Personal- und Tarifrecht war damit weitgehend leistungsfeindlich, behinderte die Flexibilisierung von Mitarbeitertätigkeiten und setzte Anreize für die Schaffung eines ‘Personalpolsters’. Rotationsprinzip für Personal: In Fallstudie 3 hat sich in besonderer Weise der negative Einfluss des Zwangs zur regelmäßigen Rotation des Führungspersonals auf den Veränderungsprozess gezeigt.978 Während der ersten vierzehn Monate der Implementierung kam es zu einem "[…] Wechsel bei 7 von insgesamt 10 der wichtigsten Dienstposteninhaber […]“979, die im Veränderungsprozess Schlüsselaufgaben wahrnahmen. Die Versetzung dieser Akteure in andere Dienststellen führte dazu, dass permanent andere Führungskräfte an die Thematik des Veränderungsprozesses herangeführt und deren Unterstützung gewonnen werden mussten.980 Die negative Wirkung dieser Rotation wurde auch vom Ministerium erkannt: „Dies war dem Projekt insgesamt wenig dienlich."981 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die hemmende Wirkung der Vorschriftenlage auf den Veränderungsprozess insgesamt und insbesondere auf die Umsetzung effizienzsteigernder Maßnahmen ist als sehr hoch zu bewerten. Diese Einschätzung wurde vom Ministerium geteilt: "Diese Einsparpotentiale werden im wesentlichen nur [...] dann erschließbar, wenn die Flexibilisierung der Rahmenbedingungen Fortschritte macht."982 Es war erkennbar, dass der Umgang der internen Mitarbeiter der Dienststelle mit den Vorschriften großen Einfluss auf die Stärke der einengenden Wirkung hatte. Erweiterungen des Handlungskorridors konnten bewirkt werden, je nachdem, wie stark die Normen ‘zielorientiert interpretiert’ und genutzt wurden, d. h. ob die Prüfung bzw. Interpretation der Vorschriftenlage stärker auf die Handlungsspielräume oder auf deren Beschränkungen fokussierten.983 (2) Anreizstrukturen und Verantwortung für den Projekterfolg Ab Januar 2000 wurde für geeignete KVP-Vorschläge eine Prämie in Abhängigkeit vom Einsparpotenzial in Höhe von maximal 50.000,- Euro gewährt. Zuvor konnten nur Belobigungen ausgesprochen und kleinere Sachpreise vergeben werden.

976 977 978

979 980 981 982 983

Vgl. Interview 3-9. Hierdurch wird z. B. ein ‘Job-Enrichment’ systematisch verhindert. Vgl. Interview 3-9. Dieser Zwang zur Rotation gilt für weite Teile der Führungskräfte im gesamten Bereich des Ministeriums I. Dokument 2, S. 21. Dokument 2, S. 21. Dokument 2, S. 21. Vgl. hierzu auch Interview 3-3 und Interview 3-9. Dokument 2, S. 26. Vgl. auch Interview 3-6 und Interview 3-8. Vgl. Interview 3-9.

177 Besondere Anreize für die Projektmitarbeiter und die Führungskräfte zur Erreichung der Projektziele existierten ebensowenig wie Sanktionen für den Fall des (inhaltlichen) Scheiterns.984 Von der in Fallstudie 2 beschriebenen Möglichkeit, die individuelle Leistungsbeurteilung als Anreizinstrument für die KLR/KVP-Implementierung einzusetzen, wurde im vorliegenden Fall kein Gebrauch gemacht. (3) Unterstützung übergeordneter Behörden Als wesentliche Unterstützung durch übergeordnete Behörden wurde die Zuordnung des internen Beraters empfunden.985 Als gering wurde hingegen auch in Fallstudie 3 die Bereitschaft der übergeordneten Behörden beschrieben, KVP-Vorschläge zu genehmigen bzw. zu diesem Zweck Vorschriften großzügig auszulegen oder sogar anzupassen, was sich negativ auf den Veränderungsprozess auswirkte.986 5.3.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte Auch in Fallstudie 3 stellte die Unterstützung der Führungskräfte einen zentralen Erfolgsfaktor dar, da diese für die Durchsetzung des Veränderungsprozesses in der Dienststelle verantwortlich waren.987 Die Leitung der Dienststelle zeigte sich dem Thema gegenüber trotz des negativen Nettonutzens offen und unterstützte die Implementierung ausreichend, allerdings auch nicht über das notwendige Maß hinaus.988 (2) Ressourcenausstattung Während der ersten 14 Monate der Implementierung waren bis zu vier externe Berater, der interne Berater und zwei hauptamtliche Mitarbeiter der Dienststelle mit dem Projekt betraut.989 Die Ausstattung mit hauptamtlichen internen Mitarbeitern wurde positiv bewertet.990 Zudem wurden in den Dezernaten Verantwortliche für die dezentralen Aktivitäten benannt, die das Projekt nebenamtlich unterstützten.991 Es gab Verzögerungen bei der Ausstattung mit geeigneter Hardware,992 und wiederholt traten Probleme mit der KLR-Software auf.993 "Die anfänglichen Probleme mit der Experimentalsoftware [...] waren dem Pilotprojekt in einer kritischen Phase abträglich."994 Die Ausstat-

984 985 986 987 988 989 990 991 992 993 994

Vgl. Interview 3-2. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-9. Vgl. Interview 3-8. Vgl. Interview 3-3 und Interview 3-9. Vgl. Interview 3-2. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-7. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-8 und Dokument 4, S. 3. Dokument 2, S. 22.

178 tung des Projektes mit notwendigem Personal und Sachmitteln wurde als ausreichend geschildert.995 (3) Organisationskultur Die Organisationskultur der Dienststelle war vor der KLR/KVP-Einführung durch ein geringes Kostenbewusstsein gekennzeichnet.996 KLR/KVP stand in deutlichem Konflikt mit dieser Kulturkomponente und wurde daher als gravierende Veränderung angesehen.997 "Alte Zöpfe mussten abgeschnitten werden."998 Es gab keine einheitliche Bewertung darüber, ob eine Erhöhung des Kostenbewusstseins bei den Akteuren durch KLR/KVP erzeugt werden konnte.999 5.3.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Als Versuch zur Beeinflussung außerhalb der Dienststelle entstandener externer Zustände war zu werten, dass der Leiter des internen Projektteams bereits im Dezember 1997 dem Ministerium die hemmende Wirkung der Personalrotation sowie die Beschränkungen durch das Haushaltsrecht und die Prozessvorschriften schriftlich mitteilte.1000Zur Beeinflussung der innerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände wurde versucht, die Unterstützung der häufig wechselnden Führungskräfte und der Dienststellenleitung sicherzustellen. Zudem stellte auch die Ausstattung des Projektteams mit personellen Ressourcen und Sachmitteln durch die Dienststellenleitung eine wesentliche Maßnahme dar. 5.3.6

Interne Zustände

Die Fallstudie hat keine Hinweise zur Auswirkung von internen Zuständen der Akteure auf den Veränderungsprozess ergeben. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.3.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleitung und weitere Führungskräfte: Für die Dienststellenleitung und die weiteren Führungskräfte kann keine eindeutige Aussage zum Durchlaufen der Phasen gemacht werden. Einerseits wurde von der Unterstützung des Projektes durch die Führungskräfte berichtet, andererseits wurden auch Äußerungen der Führungskräfte transportiert, die belegen, dass das veränderte Handlungsmuster nicht akzeptiert wurde: "Das hört man ja sogar von Vorgesetzten: jetzt muss man wieder diesen Schwachsinn zusammenstellen."1001 Über die Nutzung der KLR/KVP-Informationen durch die Führungskräfte der Dienststelle lagen keine aussagekräftigen Informationen vor, vermutlich auch, weil die Steuerungsrelevanz der

995 996 997 998 999 1000 1001

Vgl. Interview 3-7. Vgl. Interview 3-3. Vgl. Interview 3-2, Interview 3-3, Interview 3-7 sowie Interview 3-9. Interview 3-2. Vgl. Interview 3-7. Vgl. Dokument 2, S. 19, S. 21 und S. 26. Interview 3-5.

179 KLR/KVP-Ergebnisse in der Dienststelle niedrig bewertet wurde.1002 Möglicherweise wurde das veränderte Handlungsmuster durch disziplinarischen Druck des Ministeriums (‘künstliche’ Erhöhung der Kosten des bisherigen Handlungsmusters bzw. seiner Beibehaltung) erwirkt. Denkbar ist auch, dass ein drittes Handlungsmuster realisiert wurde, das in der vordergründigen Unterstützung des Projektes bei bewusster ‘Nicht-Nutzung’ des Instrumentes KLR/KVP bestand. Eine belastbare Aussage ist auf Basis der erhobenen Daten aber nicht möglich. Internes Projektteam: Das Projektteam führte die KLR/KVP-Implementierung durch und wurde anschließend als Controlling-Element in die Regelorganisation übernommen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung betrieb das interne Projektteam bzw. das Controlling-Element KLR/KVP und damit das veränderte Handlungsmuster uneingeschränkt seit über drei Jahren als ‘Alltagsgeschäft’. Eine Einstellung der Tätigkeiten war nicht abzusehen, Kosten des Übergangsprozesses nicht mehr erkennbar. Daher kann davon ausgegangen werden, dass das interne Projektteam die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze erfolgreich durchlaufen und den Zielzustand erreicht hat. Mitarbeiterbasis

ohne

Führungsaufgaben:

Die

Mitarbeiter

führten

die

KLR-

Zeitaufschreibungen durch, obwohl diese als ausgesprochen lästig und als unliebsame Kontrolle empfunden wurden. Das konnte auf den disziplinarischen Druck zurückgeführt werden, der das strikte Beibehalten des bisherigen Handlungsmusters verhinderte. Es wurde aber berichtet, dass diese Aufschreibungen unter taktischen Gesichtspunkten manipuliert wurden.1003 Hiermit hätten die Mitarbeiter ein drittes Handlungsmuster ausgeübt, also ein vom bisherigen und vom veränderten Handlungsmuster abweichendes Verhalten. Da dieses Verhalten bereits 1997 registriert1004 und zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Jahr 2001 noch immer praktiziert wurde1005, kann davon ausgegangen werden, dass sich dieses dritte Handlungsmusters verfestigt hatte. Zur Partizipation am KVP wurde kein disziplinarischer Druck ausgeübt. KVP-Vorschläge wurden im gesamten Untersuchungszeitraum nur in geringem Umfang eingereicht. Damit wurde auch im Bereich KVP von der Mehrheit der Mitarbeiter das veränderte Handlungsmuster nicht ausgeübt. Es kann davon ausgegangen werden, dass bezogen auf das gesamte veränderte Handlungsmuster (KLR und KVP) die Mitarbeiterbasis mehrheitlich die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht erfolgreich durchlaufen hat.

1002

1003 1004

Die Einschätzung wurde nicht nur von Führungskräften abgegeben, sondern z. B. auch von der interviewten externen Beraterin. Vgl. Interview 3.9. Zur geringen Steuerungsrelevanz vgl. auch Interview 3-6 und Dokument 3, S. 6. Vgl.Interview 3-5 und Interview 3-9. Vgl. Interview 3-9.

180 Personalrat: Der interviewte Personalrat äußerte sich im Interview durchweg negativ zu KLR/KVP. Es ist daher anzunehmen, dass er die Phase Unfreeze (und damit alle anderen Phasen ebenfalls) nicht erfolgreich durchlaufen hat. Übergeordnete Behörden: Zu den übergeordneten Behörden können auf Basis der erhobenen Daten keine klaren Aussagen getroffen werden. Dienststelle: Eine eindeutige Bewertung ist für die Dienststelle nicht möglich. KLR/KVP wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung zwar betrieben, der daraus resultierende Nutzen schien jedoch sehr gering zu sein. Der Tenor der geführten Interviews war insgesamt negativ. Es blieb unklar, ob hier lediglich ein ‘ernst gemeinter’, aber wenig erfolgreicher Betrieb von KLR/KVP vorlag oder ob ein drittes Handlungsmuster, bestehend aus dem rein formalen Betrieb von KLR/KVP ohne tatsächliche Nutzung, ausgeübt wurde. Das Gesamtbild des Projektes in Dienststelle C wird treffend durch ein Zitat des internen Projektleiters charakterisiert, das in der ‘Schlussniederschrift’ des Ministeriums wiedergegeben wurde: "Das Pilotprojekt ist insgesamt mit knapp befriedigend zu bewerten."1006

5.4 Fallstudie 4 - Einführung von KLR und KVP im nachgeordneten Bereich D des Bundesministeriums I 5.4.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Fallstudie 4 untersucht die Einführung von KLR und KVP im nachgeordneten Bereich D des Bundesministeriums I, der aus drei Dienststellen bestand, die räumlich und inhaltlich eng zusammenarbeiteten. Eine dieser Dienststellen war den beiden anderen hierarchisch übergeordnet. Der Ausgangszustand bestand, analog zu den Fallstudien 1-3, im Betrieb des nachgeordneten Bereichs D ohne KLR/KVP, der Zielzustand im Betrieb der drei Dienststellen mit Durchführung und Nutzung von KLR/KVP. Als Kostenrechnungssystem sollte die Prozesskostenrechnung eingeführt werden.1007 Vorrangiges Ziel war es, Kostensenkungen zu erreichen, „[…] weil aufgrund der Haushaltslage das ökonomische Maximalprinzip […] nicht gelten kann: Es geht um gleich bleibende Leistungen […] bei Verringerung der Kosten.“1008 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Im August 1994 wurden im Ministerium I erste Vorarbeiten zur KLR/KVP-Einführung im nachgeordneten Bereich D geleistet.1009 Ab März 1995 wurde von einer übergeordneten Behörde eine Vorstudie zur Untersuchung der Machbarkeit und der Erfolgsaussichten einer

1005 1006 1007 1008

Vgl. Interview 3-5. Dokument 2, S. 21. Dokument 4-1, S. 25. Dokument 4-4, S. 12. Unterstreichung und Fettdruck im Originaltext.

181 KLR/KVP-Implementierung durchgeführt.1010 Das Einführungsprojekt im engeren Sinne begann im Juli 1995. Ab diesem Zeitpunkt wurde zunächst in zwei Dienststellen KLR/KVP mit Unterstützung externer Berater sowie eines von einer übergeordneten Behörde ‘beigestellten’ internen Beraters eingeführt. Erst zum Januar 1996 wurde die Stelle eines hauptamtlichen ‘Leiters Controlling’ eingerichtet, der die interne Projektleitung wahrnahm. Die Erweiterung der Implementierung auf die dritte Dienststelle erfolgte ab April 1996.1011 "Die Arbeiten wurden im Dezember 1996 abgeschlossen."1012 Anschließend hatte der nachgeordnete Bereich D KLR/KVP selbständig weiterzuführen. Er stellte zwischenzeitlich die Aktivitätenerfassung im Rahmen der KLR eigenmächtig ein, musste diese aber auf ministerielle Weisung ab April 1997 wieder aufnehmen.1013 Im März 1998 erging jedoch vom Ministerium ein neuerlicher Erlass, der eine Reduzierung der Aktivitätenerfassung auf das ‘notwendige Mindestmaß’ anordnete.1014 "KVP ist jedoch mit Nachdruck fortzusetzen."1015 KLR und KVP wurden bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli/August 2001 betrieben. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung erfolgte hauptsächlich im Rahmen eines mehrtägigen Besuchs der Dienststelle im Juli/August 2001 und basiert im Kern auf sieben Interviews mit verschiedenen Akteuren1016 sowie der Auswertung umfangreichen Aktenmaterials1017. Die Datenbasis wurde durch Kurzfragebögen und informelle Gespräche ergänzt. Untersucht wurde der Zeitraum von Beginn der Implementierungsbemühungen im August 1994 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Juli/August 2001. 5.4.2

Akteure im Veränderungsprozess

Die Akteure werden im Folgenden nur benannt, da sie - ihrer Art nach - weitgehend identisch mit denen der Fallstudie 1 waren. Die zentralen Akteure waren: ƒ

Der nachgeordnete Bereich D als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Die Leitung des Bereichs D, d. h. der Leiter der hierarchisch übergeordneten Dienststelle1018, die Leiter der beiden anderen Dienststellen und die übrigen Führungskräfte.

ƒ

1009 1010 1011 1012 1013 1014 1015 1016

1017

1018

Das Projektteam mit den internen Projektmitarbeitern, dem internem Berater einer über-

Dokument 4-6, S. 1 und S. 4. Vgl. Dokument 4-2, S. 1-2. Vgl. Dokument 4-5, S. 11, Dokument 4-1, S. 11 sowie Dokument 4-3, S. 4 und 5. Dokument 4-5, S. 2. Dokument 4-4, S. 4. Vgl. Dokument 4-4, S. 5. Dokument 4-4, S. 5. Die Interviews wurden mit dem Leiter einer der drei betroffenen Dienststellen, einer weiteren Führungskraft des höheren Dienstes, dem amtierenden ‘Leiter Controlling’ (höherer Dienst), zwei ‘betroffenen’ Beamten des mittleren Dienstes und zwei ‘betroffenen’ Angestellten geführt. Das Dokumentenmaterial wurde vom Ministerium zum Zweck der Fallstudie zur Verfügung gestellt und umfasst z. B. Schriftverkehr, Angebote der Beraterfirmen, Berichte und bewertende Stellungnahmen. Der damit auch der Leiter des gesamten aus den drei Dienststellen bestehenden Bereichs D war.

182 geordneten Behörde sowie externen Unternehmensberatern. ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben.

ƒ

Die übergeordneten Behörden, einschließlich des Ministeriums.

5.4.3 5.4.3.1

Präferenzen und Nutzenmaximierung Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM)

Bereich D: Das veränderte Handlungsmuster verursachte Kosten für den Bereich D durch den Einsatz vier nebenamtlicher KLR/KVP-Kräfte.1019 Darüber hinaus hatten alle Mitarbeiter die Aktivitätenerfassung durchzuführen, was einen täglichen Arbeitszeitverbrauch von 5-15 Minuten je Beschäftigten erforderte.1020 Es wurde geäußert, dass große Datenmengen mit hohem Aufwand gesammelt, aber keine wahrnehmbaren Einsparungen oder sichtbare Veränderungen erreicht worden seien.1021 Einsparungen durch KVP-Vorschläge wären lediglich ‘Lappalien’ gewesen. Zudem seien im nachgeordneten Bereich D nur 7% der Gesamtkosten dezentral beeinflussbar gewesen und damit Kostensenkungen enge Grenzen gesetzt. 1022 Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung wurden indes Kosteneinsparungen in erheblichem Umfang realisiert.1023 Bis Ende 1996 wurden neun KVP-Vorschläge mit einer Gesamteinsparung von ca. 700.000,- DM umgesetzt.1024 Weiterhin waren zu diesem Zeitpunkt bereits neun weitere Vorschläge mit einem zusätzlichen Einsparvolumen von über 1.000.000 DM positiv entschieden, aber noch nicht umgesetzt.1025 Auf Basis von KLR-Daten wurden zudem ineffiziente Praktiken der Substitution von Ressourcen verschiedener Haushaltstitel/-kapitel oder Verantwortungsbereiche1026 transparent gemacht und unterbunden.1027 Darüber hinaus wurde wiederholt ausgeführt, dass sich durch

1019

1020 1021 1022 1023

1024 1025

1026

1027

Vgl. Dokument 4-5, S. 11. Die Stelle des hauptamtlichen KLR/KVP-Verantwortlichen wurde zusätzlich eingerichtet und damit von einer übergeordneten Behörde getragen. Der Dienststelle enstanden keine Kosten. Vgl. Interview 4-3 und Interview 4-7. Vgl. Interview 4-1, Interview 4-5 sowie Interview 4-7. Vgl. Interview 4-1 und Interview 4-5. Das kann auf unzureichendes Feedback der KLR/KVP-Ergebnisse an die Organisation zurückgeführt werden. Vgl. Dokument 4-4, S. 1-3. Vgl. Dokument 4-4, S. 1-3. Im Abschlussbericht der Unternehmensberatung wurden insgesamt wesentlich höhere Einsparpotenziale identifiziert (über 27 Mio. DM), deren Realisierbarkeit jedoch angezweifelt wurde. Vgl. Dokument 4-4, S. 1-3, S. 15 sowie Dokument 4-5, S. 94-96. Sind die Mittel eines Haushaltstitels A nicht ausreichend, können im klassischen kameralistischen Haushaltswesen keine Mittel aus einem anderen Titel B übertragen werden. Die Mittel des Titels B können aber (ineffizient) eingesetzt werden, um die fehlenden Mittel des Titels A zu kompensieren. Ist z. B. der Titel ‘Heizkosten’ ausgeschöpft, der Titel ‘Büromaterial’ weist aber noch hohe Mittel auf, so können diese nicht umgewidmet werden, um Heizöl zu kaufen. Es könnte aber Kopierpapier beschafft und verheizt werden, was um ein vielfaches teurer, aus der Sicht einer Dienststelle aber rational wäre (fiktives Beispiel). In den Fallstudien wurden immer wieder reale Beispiele angeführt, die diesen Effekt beschreiben. Siehe auch Kapitel 5.4.5.1. Vgl. Interview 5-4.

183 die Einführung von KLR/KVP das Kostenbewusstsein im nachgeordneten Bereich D erhöhte.1028 Leitung des Bereichs D und weitere Führungskräfte: Die Befürchtung verstärkter Leistungskontrollen bzw. Leistungsvergleiche und der damit verbundenen Kritik an der eigenen Person war für die Führungskräfte der zentrale Kostenaspekt des veränderten Handlungsmusters. "Wir hatten das Gefühl, kontrolliert zu werden."1029 Die Führungskräfte hatten daher eine geringe Neigung, objektive Leistungsmessung im Rahmen der KLR zuzulassen.1030 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Für die Mitarbeiter erschien insbesondere die Aktivitätenerfassung als zusätzlicher Arbeitsaufwand.1031 Ab März 1998 wurde die Zeitaufschreibung auf das ‘notwendige Mindestmaß’ reduziert, so dass die Kosten sanken (siehe Kapitel 5.4.1). Weiterer Kostenaspekt war die Wahrnehmung einer verstärkten Kontrolle der Verwendung der Arbeitszeit. "Jetzt sag ich´s mal ganz ehrlich, man hat sich vorgestellt, warum macht man das? Das sieht aus, als wenn ich jetzt den Arbeitnehmer, den Angestellten kontrollieren will."1032 Übergeordnete Behörden/Ministerium: Die Position des ‘Leiters Controlling’ entstand im Rahmen des Projektes als zusätzliche Stelle und wurde von den übergeordneten Behörden getragen. 5.4.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM)

Bereich D: Als ausgesprochen nützlich wurde die mit dem KLR/KVP-Projekt eingeführte Teilflexibilisierung der Budgets wahrgenommen. Diese ermöglichte eine Übertragung von Mitteln in das nächste Haushaltsjahr – wodurch das ‘Dezemberfieber’1033 vermindert wurde – sowie die Übertragbarkeit der Mittel zwischen einigen Titeln/Kapiteln des Haushalts.1034 Die Steuerungsrelevanz der KLR-Informationen wurde als niedrig eingeschätzt, da die Bewertung der erbrachten Leistungen ausgesprochen problematisch bzw. kaum durchführbar gewesen sei. Somit war eine Gegenüberstellung von Kosten und Leistungen nur begrenzt möglich.1035 Leitung des Bereichs D und weitere Führungskräfte: Die Führungskräfte konnten sich der KLR-Informationen bedienen, um Führungsentscheidungen zu begründen. Eine Führungskraft führte aus, dass man auf Basis von KLR-Ergebnissen „unsinnige Projektaufträge abkni-

1028 1029 1030 1031 1032 1033

1034 1035

Vgl. Interview 4-2, Interview 4-5 sowie Interview 4-6. Interview 4-7. Die Aussage stammt von einer hochrangigen Führungskraft. Vgl. Interview 4-1. Auch diese Aussage wurde von einer hochrangigen Führungskraft getroffen. Vgl. Interview 4-1, Interview 4-2, Interview 4-3, Interview 4-6 sowie Interview 4-7. Interview 4-2. Das ‘Dezemberfieber’ beschreibt die im öffentlichen Sektor gängige Praxis, überzählige Mittel am Jahresende (mitunter völlig ineffizient) zu verausgaben, um so für das nächste Jahr Budgetkürzungen zu verhindern. Vgl. Interview 4-2 und Interview 4-7. Vgl. Interview 4-5 und Interview 4-7.

184 cken“1036 konnte. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Als zusätzlicher Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster wurden die Prämien für geeignete KVP-Vorschläge sowie die Umsetzung der Vorschläge wahrgenommen. Dieser Nutzen wurde jedoch durch ‘Versanden’ der Vorschläge in der Hierarchie (innerhalb und außerhalb des Bereichs D) gemindert.1037 Als Verringerung des bestehenden Nutzenniveaus bewerteten die Mitarbeiter einen möglichen Stellenabbau auf Basis der KLR/KVP-Ergebnisse und den hierdurch drohenden Verlust des eigenen Arbeitsplatzes.1038 5.4.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Bereich D, Leitung des Bereichs D und weitere Führungskräfte: Kosten des Übergangsprozesses entstanden durch den Einsatz der internen Projektmitarbeiter vor dem ‘Wirkbetrieb’ von KLR/KVP. Hierfür wurden vier nebenamtliche Mitarbeiter sowie ein hauptamtlicher Mitarbeiter von der Dienststelle eingesetzt und getragen.1039 Diese konnten im Umfang ihrer KLR/KVP-Tätigkeit nicht für alternative Verwendungen eingesetzt werden. Übergeordnete Behörden/Ministerium: Analog zu den Fallstudien 1-3 sind auch hier im Einsatz der vier bzw. zeitweise fünf externen Berater1040 sowie des internen Beraters Kosten des Übergangsprozesses zu sehen. Der interne Berater wurde von einer übergeordneten Behörde ‘beigestellt’, die externen Berater wurden vom Ministerium finanziert. Auch die Tätigkeit des ‘Leiters Controlling’ stellte vor dem Wirkbetrieb Kosten des Übergangs dar, die von einer übergeordneten Behörde getragen wurden. 5.4.3.4

Die Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

Der Bereich D hat einen partiellen Versuch des Rückübergangs unternommen, indem er die Aktivitätenerfassung im Rahmen der KLR eigenmächtig einstellte (siehe Kapitel 5.4.1). Das Ministerium intervenierte und erzeugte durch eine explizite Weisung1041 Kosten des Rückübergangs, die in disziplinarischen Konsequenzen bestanden hätten. Bereich D hat die Kosten des Rückübergangs vermieden, da er die ordnungsgemäße Aktivitätenerfassung wieder aufnahm. 5.4.3.5

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

Zu diesen Kategorien konnten in Fallstudie 1 nach Auswertung aller zur Verfügung stehenden Datenquellen keine Erkenntnisse gewonnen werden.

1036 1037 1038 1039

1040 1041

Interview 4-1. Vgl. Interview 4-1. Das betraf die Arbeiter und Angestellten. Vgl. Interview 4-1, Interview 4-2 sowie Interview 4-6. Vgl. Dokument 4-5, S. 11. Der hauptamtliche Mitarbeiter wurde von der Dienststelle nur bis November 1995 gestellt. Ab Januar 1996 wurde die zusätzliche hauptamtliche Stelle des ‘Leiters Controlling’ eingerichtet und damit von einer übergeordneten Behörde getragen. Vgl. Dokument 4-5, S. 12. Vgl. Dokument 4-4, S. 4.

185 5.4.3.6

Nettonutzenbetrachtung

Bereich D: Der Dienststelle entstanden zusätzliche Kosten durch den Personaleinsatz für KLR/KVP. Dem standen jedoch bereits 1996 realisierte bzw. unmittelbar realisierbare Einsparungen von ca. 1,7 Mio. DM (siehe Kapitel 5.4.3.1) sowie die Erhöhung des Kostenbewusstseins gegenüber. Trotz des ausgesprochen schlechten Rufs des Projektes kann für den Bereich D, entgegen der Wahrnehmung der meisten Akteure,1042 von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Leitung des Bereichs D und weitere Führungskräfte: Zwar konnten die Führungskräfte durch KLR-Informationen Führungsentscheidungen besser begründen, im Zentrum der Bewertung stand jedoch für die Führungskräfte die Möglichkeit zum Leistungsvergleich und damit die Gefahr erhöhter Kontrolle und Kritik. Daher lag für die Führungskräfte insgesamt ein negativer Nettonutzen der Veränderung vor. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Der Nutzen aus KVP-Prämien und der Umsetzung von KVP-Vorschlägen wurde klar dominiert vom Arbeitsaufwand durch die Aktivitätenerfassung, der Wahrnehmung einer verstärkten Kontrolle und der Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Damit war der Nettonutzen der Veränderung für die Mitarbeiterbasis insgesamt negativ. Übrige Akteure: Die vorhandene Datenbasis ließ keine eindeutigen Aussagen zum Nettonutzen der Veränderung für die übrigen Akteure zu. 5.4.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Im Bereich D wurde in erheblichem Umfang Kommunikation zur Beeinflussung der Akteure betrieben.1043 So wurden Präsentationen von den Unternehmensberatern durchgeführt,1044 Gespräche von Vorgesetzten mit ihren Mitarbeiter geführt,1045 Aushänge gestaltet,1046 Informationsblätter1047 und Berichte1048 verteilt sowie Einweisungen an den Arbeitsplätzen1049 vorgenommen. Die Bemühungen konnten jedoch eine in der Tendenz ablehnende Haltung der meisten Akteure1050 nicht verhindern.1051 Eklatante Schwächen zeigten sich v. a. bei der Kommunikation von erzielten Erfolgen. Obwohl hohe Einsparpotenziale identifiziert und auch schnell umge-

1042

1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051

Zu den Vorbehalten gegen das Projekt vgl. Interview 4-1, Interview 4-2, Interview 4-5 sowie Interview 46. Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-4 und Interview 4-6. Vgl. Interview 4-3. Vgl. Interview 4-6. Vgl. Interview 4-3. Vgl. Interview 4-3. Vgl. Interview 4-5, Interview 4-6 sowie Interview 4-1. Vgl. Interview 4-6 und Interview 4-7.

186 setzt werden konnten (siehe Kapitel 5.4.3.1), bewerteten die meisten Interviewpartner KLR/KVP als weitgehend wirkungslos.1052 Hier wurde offensichtlich versäumt, die erzielten Erfolge für die Organisation transparent zu machen. Das kann in Zusammenhang mit der mehrfach geäußerten Kritik gesehen werden, dass zu wenig Ergebnisinformationen in die Organisation ‘zurückgespielt’ wurden.1053 Auch das Auftreten der externen Unternehmensberater wurde deutlich kritisiert und von den internen Akteuren als überheblich wahrgenommen.1054 Extrinsische Anreize: Wie dem gesamten nachgeordneten Bereich von Ministerium I stand auch dem Bereich D ab Januar 2000 die Möglichkeit der Prämierung von geeigneten KVPVorschlägen bis zur Höhe von 50.000,- DM offen. Diese Möglichkeit wurde kommuniziert und war den Mitarbeitern bekannt.1055 Auswahl der internen Projektmitarbeiter: Die Auswahl der internen Projektmitarbeiter wurde nicht genutzt, um bei dieser Gruppe den Nettonutzen der Veränderung sicher zu stellen. Die Beschäftigten wurden zumeist nicht auf freiwilliger Basis für das Projekt rekrutiert.1056 5.4.4

Fähigkeiten

5.4.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess KLR/KVP-Kenntnisse: Zur Umsetzung des Projektes waren Kenntnisse in KLR und KVP unabdingbar. Diese waren jedoch bei den meisten internen Beteiligten nicht vorhanden und mussten aufgebaut werden. Der zum Zeitpunkt der Datenerhebung amtierende ‘Leiter Controlling’ berichtete, er habe vor Antritt dieses Dienstpostens noch keinerlei Berührung mit dem Arbeitsgebiet KLR/KVP gehabt.1057 Sämtliche erforderlichen Fachkenntnisse musste er nachträglich erwerben.1058 Ein ähnliches Bild wurde von den internen Beratern gezeichnet. Auch sie verfügten demnach nicht über die notwendigen Fachkenntnisse und wechselten überdies während der Projektlaufzeit.1059 Die externen Unternehmensberater wurden hingegen als fachlich kompetent eingeschätzt.1060 Die notwendigen Fähigkeiten der Mitarbeiter zu operativen Umsetzung (v. a. zur Durchführung der Zeitaufschreibung) konnten aufgebaut werden.

1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060

Vgl. Interview 4-6. Vgl. Interview 4-1, Interview 4-3, Interview 4-4, Interview 4-5 sowie Interview 4-6. Vgl. Interview 4-7. Vgl. Interview 4-4 und Interview 4-2. Vgl. Interview 4-1. Die Aussage wurde von einer hochrangigen Führungskraft getroffen. Vgl. Interview 4-5 sowie Kurzfragebogen zu Interview 4-5. Vgl. Interview 4-5. Vgl. Interview 4-7 sowie Dokument 4-5, S. 11. Interview 4-1.

187 Kommunikationsfähigkeiten: Da Kommunikation ein zentrales Instrument zur Beeinflussung der Akteure darstellte, waren Kommunikationsfähigkeiten von hoher Bedeutung. Die Kommunikation im Projekt wurde heftig kritisiert (siehe Kapitel 5.4.3.7). Dennoch fehlten eindeutige Hinweise auf die vorhandene Ausprägung dieser Fähigkeit.1061 Projektmanagementfähigkeiten: Auch im vorliegenden Veränderungsprozess wurde neben KVP eine komplexe Prozesskostenrechnung unter Beteiligung unterschiedlichster Akteure eingeführt. Hierfür waren Projektmanagementfähigkeiten notwendig. Über die Ausprägung dieser Fähigkeit kann auf Basis der vorhandenen Daten jedoch keine Aussage getroffen werden. Kenntnis der Strukturen des öffentlichen Sektors und der Dienststelle: Die ’Leiter Controlling’ verfügten zunächst nicht über die notwendige Kenntnis des Bereichs D,1062 da der neu geschaffene Dienstposten nicht mit einem Mitarbeiter der Dienststelle besetzt wurde. Da sowohl die externen als auch der interne Berater mit den Gegebenheiten des Dienststellenbereichs nicht vertraut waren,1063 fehlte im Projekt zunächst beträchtliches Know-How. IT-Fähigkeiten: Zur Durchführung des Projektes wurden Fähigkeiten zur Nutzung der KLRSoftware benötigt. Da im Untersuchungszeitraum das eingesetzte Softwareprodukt gewechselt wurde,1064 entstand ein vermehrter Aufwand für die Schulung der IT-Fähigkeiten. Die ITFähigkeiten traten aber nicht als Engpass in Erscheinung. Durchhaltevermögen: Weiterhin wurde Durchhaltevermögen als wichtige Fähigkeit benannt, um Rückschläge im Verlauf des komplexen Projekts hinnehmen zu können.1065 Die Ausprägung dieser Fähigkeit im Veränderungsprozess konnte nicht bestimmt werden. 5.4.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Fortbildung: Für die ‘Leiter Controlling’ wurde zur Sicherstellung der Fähigkeiten ein Ausbildungsangebot genutzt, das aus einem einwöchigen KLR/KVP-Lehrgang, einem vierwöchigen Lehrgang zur KLR-Software und einem KVP-Moderatoren-Lehrgang bestand.1066 Bei den Mitarbeitern der Dienststelle wurden die operativen Fähigkeiten zur Durchführung der Aktivitätenerfassung durch Kurzeinweisungen am Arbeitsplatz vermittelt.1067 Unterstüt-

1061

1062 1063 1064 1065 1066 1067

Die mangelhafte Kommunikation kann auch andere Gründe als fehlende Kommunikationsfähigkeiten haben, z. B. mangelnden Willen zur Kommunikation. Diese Kenntnisse waren notwendig zur Prozessmodellierung und zur Bewertung von KVP-Vorschlägen. Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-5. Vgl. Interview 4-5. Vgl. Interview 4-5. Vgl. Interview 4-2.

188 zend wurden Informationsblätter ausgegeben.1068 Diese Maßnahmen waren zur Sicherstellung der notwendigen operativen Fähigkeiten ausreichend. Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Besetzung des internen Projektteams (auch die des ‘Leiters Controlling’) wurde kritisiert, weil sie nicht nach Fähigkeitskriterien vorgenommen worden seien, sondern lediglich nach Verfügbarkeit.1069 Auswahl der internen Berater: Es wurde bemängelt, dass als interne Berater ebenfalls Mitarbeiter ohne die notwendigen Qualifikationen ausgewählt worden seien.1070 5.4.5

Externe Zustände

5.4.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften1071 Prozessvorschriften und Vorschriften zur Ressourcenallokation: Der Konflikt eines starren kameralistischen Haushaltswesens zu einer effizienten Ressourcenallokation wurde plastisch beschrieben. Beispielsweise wurde der Haushaltstitel „Aufwandsvergütungen“ (Entschädigungen für auswärtige Übernachtungen) nicht in Anspruch genommen, indem man Großfahrzeuge mit immensem Treibstoffverbrauch einsetzte, um die Mitarbeiter über weite Strecken abends nach Hause zu befördern. Die Kosten für Treibstoff, die die Kosten für die Aufwandsvergütungen mitunter um den Faktor Zehn überstiegen, wurde von übergeordneten Behörden getragen. Beim nachgeordneten Bereich B wurden keine Kosten verursacht.1072 Zudem sei es gegen Ende des Jahres immer wieder zu ‘Aktionen des Dezemberfiebers’ gekommen.1073 Lediglich 7% der im nachgeordneten Bereich D anfallenden Kosten lagen im Verantwortungsbereich der dortigen Führungskräfte und waren von diesen unmittelbar bzw. kurzfristig beeinflussbar.1074 Die Haushaltsvorschriften wurden als starke Beschränkung eingeschätzt.1075 KLR/KVP konnte diesen Fehlsteuerungen kaum entgegenwirken, da die Ineffizienzen weniger auf mangelnder Transparenz als auf dysfunktionalen Anreizstrukturen beruhten. Die Einführung (der begrenzten) flexiblen Budgetierung im Rahmen der KLR-Implementierung wurde als Fortschritt empfunden.1076

1068 1069 1070 1071

1072 1073 1074 1075 1076

Interview 4-6. Vgl. Interview 4-1 und Interview 4-7. Vgl. Interview 4-7. Hierunter sollen außerhalb der betroffenen Dienststelle festgelegte, i. d. R. schriftlich explizierte Regeln verstanden werden wie Gesetze und Verordnungen, aber auch Anweisungen übergeordneter Behörden. Vgl. Interview 4-1. Vgl. auch Interview 4-5, Interview 4-7 sowie Interview 4-2. Vgl. Interview 4-1, Interview 4-2 sowie Interview 4-7. Vgl. Interview 4-1 sowie Dokument 4-5, S. 2. Vgl. Interview 4-1. Interview 4-2, Interview 4-7 und Interview 4-5.

189 Personal- und Tarifrecht: Es wurde bemängelt, dass es aufgrund des öffentlichen Personalrechts kaum möglich sei, sich von wenig leistungsfähigen oder -willigen Mitarbeitern zu trennen.1077 Rotationspflicht für Führungskräfte: Auch in Fallstudie 4 zeigten sich die gravierenden Auswirkungen der Rotationspflicht für Führungskräfte. Es kam zu großen Diskontinuitäten bei der Besetzung des internen Projektleiters (‘Leiter Controlling’), der eine zentrale Rolle für den Projektverlauf spielte: "In 17 Monaten Projektlaufzeit wurden nacheinander drei Controller eingesetzt, die ihre Einarbeitung während des laufenden Projektes gestalten mussten."1078 Das wirkte sich ausgesprochen negativ auf das Projekt aus, da die ‘Leiter Controlling’ stärker mit der eigenen Einarbeitung als mit der Projektsteuerung befasst waren. Außerdem wurde während des Projektes der interne Berater ausgetauscht.1079 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die hohe Zahl an Vorschriften wirkte sich auch im vorliegenden Fall negativ auf die Umsetzung von Effizienz verbessernden Maßnahmen aus, die auf KLR-Ergebnissen bzw. KVP-Vorschlägen basierten, "[…] weil sie sich in den üblichen Vorschriften-Strickfallen verheddert haben […]"1080 und als nicht mit den Vorschriften harmonisierbar abgelehnt wurden. Die Vorschriftendichte ist als ausgesprochen restriktiv und hemmend für den Veränderungsprozess zu bewerten.1081 (2) Anreizstrukturen Wie bereits in den Fallstudien 1-3 beschrieben, konnten ab Januar 2000 im gesamten nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums I KVP-Vorschläge mit Prämien bis zu 50.000,DM belohnt werden. Davor konnten keine monetären oder geldwerten Anreize gewährt werden. Zum Einsatz nichtmonetärer Anreize wurden keine Aussagen getroffen. (3) Unterstützung übergeordneter Behörden Wesentliche Unterstützung können in der ‘Beistellung’ des internen Beraters, dem Angebot an Schulungen, der Schaffung der zusätzlichen Stelle des ‘Leiters Controlling’ sowie der Finanzierung der externen Berater durch das Ministerium gesehen werden. Bemängelt wurde auch in Fallstudie 4 die geringe Bereitschaft zur Genehmigung und/oder Umsetzung bereichsübergreifender KVP-Vorschläge bzw. zur Abänderung von Vorschriften zu diesem Zweck.1082 Die Unterstützung wurde insgesamt eher niedrig eingeschätzt.1083 (4) Veränderungsdruck Das Ministerium ließ keinen Zweifel am Willen zur Umsetzung, überwachte das Projekt und

1077 1078 1079

1080 1081 1082

Vgl. Interview 4-1. Dokument 4-4, S. 15. Dokument 4-5, S. 11. Zudem stand der interne Projektleiter krankheitsbedingt in der zweiten Projekthälfte nur eingeschränkt und unregelmäßig zur Verfügung. Vgl. hierzu Dokument 4-4, S. 14 und 15. Interview 4-1. Vgl. hierzu Interview 4-1. Vgl. Interview 4-1.

190 gab klare Weisungen zur Durch- und Weiterführung,1084 was sich positiv auf das Projekt auswirkte. Für den nachgeordneten Bereich D und die dortigen Führungskräfte wurde so Druck zur Umsetzung des Projektes erzeugt. 5.4.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Leitung des Bereichs D und weiterer Führungskräfte Auch in Fallstudie 4 wurde auf die hohe Bedeutung der Unterstützung der Leitung und der übrigen Führungskräfte hingewiesen.1085 Von den interviewten Führungskräften wurde offen mitgeteilt, dass das Projekt ein ‘ungeliebtes Kind’ gewesen sei, hinter dem weder die Leitung des Bereichs D, noch sonst ein führender Mitarbeiter gestanden hätte.1086 Dies war auch zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch deutlich spürbar. KLR/KVP stellte für eine interviewte hochrangige Führungskraft lediglich einen ‘Appendix’ dar.1087 Im Januar 1997 wurde die ablehnende Haltung des amtierenden Leiters des nachgeordneten Bereichs D zum Projekt aktenkundig vermerkt.1088 Eine über das notwendige Maß hinausgehende Unterstützung wurde dem Projekt von der Führungsmannschaft versagt. Partiell versuchte man vielmehr, KLR-Vorschläge intern zu ‘ersticken’.1089 Eine weitergehende Unterminierung des Projektes durch die Leitung des Dienststellenbereichs und die übrigen Führungskräfte wurde offensichtlich nur durch eindeutige Weisungen des Ministeriums verhindert.1090 (2) Ressourcenausstattung Das Projekt wurde mit einem hauptamtlichen ‘Leiter Controlling’ sowie vier nebenamtlichen internen Mitarbeitern ausgestattet. Zudem standen vier, zeitweise fünf externe Unternehmensberater sowie ein interner Berater zur Verfügung.1091 Die Personalausstattung erschien damit quantitativ ausreichend, die Qualifikation der internen Berater und der ‘Leiter Controlling’1092 wurde hingegen kritisch bewertet.1093 Über die Ausstattung mit Sachmitteln während der ersten Jahre konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden; zum Zeitpunkt des Interviews waren alle notwendigen Sachmittel vorhanden. (3) Organisationskultur Wie bereits beschrieben, war in der Gesamtorganisation traditionell kaum Kostenbewusstsein

1083 1084 1085 1086 1087 1088 1089 1090 1091 1092

1093

Vgl. Interview 4-1 sowie Dokument 4-4, S. 14 und 15. Vgl. Dokument 4-4, S. 4. Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-1 und Interview 4-7. Vgl. Interview 4-7. Vgl. Interview 4-4, S. 15. Vgl. Interview 4-7. Diese Aussage stammt von einer hochrangigen Führungskraft. Vgl. Interview 4-4, S. 4. Vgl. Dokument 4-5, S. 11. Hier ist der Plural zu verwenden, weil aufgrund des häufigen Personalwechsels während des Projektes zwei interne Berater und drei ‘Leiter Controlling’ eingesetzt wurden. Zur Qualifikation der genannten Akteure siehe Kapitel 5.4.4.1 und Kapitel 5.4.4.2.

191 vorhanden. In der Vergangenheit musste Finanzbedarf lediglich angemeldet werden; die Mittel wurden dann stets zur Verfügung gestellt.1094 Durch den andauernden Einsatz von KLR/KVP konnte das Kostenbewusstsein erhöht werden.1095 Weiterhin gab es keine Kultur der Leistungsmessung und -kritik. Führungskräfte wurden bewusst in eine ‘solitäre Stellung’ gebracht, wo Kritik unerwünscht war.1096 Auch intensive inhaltliche Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten wurden als ‘Aufmüpfigkeit’ oder Illoyalität gewertet.1097 Das verminderte die Akzeptanz von KLR/KVP, da hiermit Leistungsmessung betrieben und Verbesserungsbedarf (der als Kritik interpretiert werden kann) transparent gemacht werden sollten. (4) Weitere Organisationsveränderungen Auf die Akzeptanz des Projektes wirkte sich die kurz zuvor erfolgte räumliche Verlegung einer Dienststelle negativ aus. Da zugleich eine hohe Belastung im ‘Kerngeschäft’ vorlag, sei diese Dienststelle ‘am Rande ihrer Möglichkeiten’ gewesen.1098 Die Einführung von KLR/KVP stellte in dieser Situation eine zusätzliche Belastung dar. 5.4.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Die einzig erkennbare Maßnahme zur Beeinflussung der außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände war der Versuch, die übergeordneten Behörden zur Genehmigung und/oder Umsetzung von KVP-Vorschlägen sowie zu den dazu notwendigen Abänderungen von Vorschriften zu bewegen. Dies gelang jedoch meist nicht. Zentrale Maßnahme zur Beeinflussung der innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände war die Sicherstellung einer ausreichenden Personal- und Sachmittelausstattung des Projektteams. 5.4.6

Interne Zustände

Die Fallstudie hat keine Hinweise zur Auswirkung von internen Zuständen der Akteure auf den Veränderungsprozess oder deren Nutzung im Sinne des Veränderungsmanagements ergeben. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.4.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Leitung des Bereichs D und weitere Führungskräfte: Das Verhältnis der Führungskräfte zur KLR/KVP-Einführung war von einem negativen Nettonutzen der Veränderung und einer ‘widerstrebenden Unterstützung’ geprägt. Die Unterstützung kann auf den massiven Druck

1094 1095 1096 1097 1098

Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-2 und Interview 4-5. Vgl. Interview 4-1. Vgl. Interview 4-7. Interview 4-7.

192 des Ministeriums zurückgeführt werden, das klare Weisungen zur Umsetzung des Projektes gab. Eine Weigerung zur Durchführung dieser Weisungen hätte zwangsläufig disziplinarische Sanktionen nach sich gezogen. Damit wurde das bisherige Handlungsmuster bzw. dessen strikte Beibehaltung durch die implizite Androhung disziplinarischer Sanktionen ‘künstlich verteuert’. Folglich gewährten die Führungskräfte dem Projekt letztlich die zwingend notwendige, aber keine darüber hinaus gehende Unterstützung. Nur in Einzelfällen wurden auch KLR-Informationen genutzt, um ineffiziente Praktiken transparent zu machen und abzustellen (siehe Kapitel 5.4.3.1). Es entstand jedoch der Eindruck, dass KLR/KVP-Informationen nur in drastischen Fällen von Unwirtschaftlichkeit zur Abänderung der Praktiken führten.1099 Insgesamt schienen die Führungskräfte das Instrument KLR/KVP kaum zur Steuerung zu nutzen und standen ihm zum Zeitpunkt der Datenerhebung nach wie vor ausgesprochen kritisch gegenüber.1100 Insofern realisierten die Führungskräfte ein vom bisherigen und vom veränderten Handlungsmuster abweichendes drittes Handlungsmuster. Dies war im formalen Betreiben von KLR/KVP bei minimaler tatsächlicher Nutzung und dem Tolerieren der Aktivitäten des ‘Leiters Controlling’ zu sehen. Für das veränderte Handlungsmuster, das durch die tatsächliche Nutzung von KLR/KVP zur Steuerung des Bereichs B gekennzeichnet gewesen wäre, durchliefen die Leitung des Bereichs D und die Führungskräfte die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht. Das dritte Handlungsmuster stellte dennoch einen Schritt in Richtung des geplanten Zielzustands dar. Internes Projektteam: Das interne Projektteam wurde nach Ende des Projektes ‘im engeren Sinne’ als Controllingelement in die Regelorganisation überführt. KLR und KVP wurden zum Zeitpunkt der Datenerhebung uneingeschränkt betrieben. Der amtierende ‘Leiter Controlling’ sah die Möglichkeit, mit ‘Beharrlichkeit etwas erreichen zu können’. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das interne Projektteam die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze erfolgreich durchlaufen und den Zielzustand erreichen konnte. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Für die Mitarbeiterbasis dominierte der negative Nettonutzen. Die Zeitaufschreibungen wurden auf ein notwendiges Mindestmaß reduziert und durch disziplinarische Anordnung (‘Legitimate und Coercive Power’) durchgesetzt. Ob die Zeitaufschreibungen wahrheitsgemäß durchgeführt wurden, konnte nicht ermittelt werden. Auch die Beteiligung am KVP war gering. Im Jahr der Datenerhebung wurde pro Monat durchschnittlich ca. ein KVP-Vorschlag eingereicht.1101 Die Haltung der Mitarbeiter war gegenüber KLR/KVP reserviert. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze von der Mehrheit der Mitarbeiter nicht erfolgreich durchlaufen wurde.

1099

1100 1101

Vermutlich wollten die Führungskräfte nicht riskieren, dass die (extrem) ineffizienten Praktiken übergeordneten Behörden bekannt wurden und zu Sanktionen führten. Vgl. Interview 4-1 und Interview 4-7. Vgl. Interview 4-5.

193 Allerdings konnte das Kostenbewusstsein erhöht werden, so dass eine Veränderung zumindest ‘in Richtung des veränderten Handlungsmusters’ erzeugt wurde. Übergeordnete Behörden: Die vorhandene Datenbasis ist nicht ausreichend, um eine fundierte Aussage treffen zu können. Nachgeordneter Bereich D: Zentrale Akteure des Bereichs D übten das veränderte Handlungsmuster offensichtlich nicht aus. Insbesondere die geringe Nutzung der KLR für die Steuerung der Dienststellen und die geringe Partizipation der Mitarbeiter am KVP sind deutliche Indizien dafür, dass der nachgeordnete Bereich D als der zu verändernde Akteur höherer Ordnung die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht erfolgreich durchlaufen konnte. Dennoch konnten erhebliche Kosteneinsparungen realisiert, das Kostenbewusstsein erhöht und einige Mitarbeiter zur Partizipation am KVP gewonnen werden. Insofern hat durch die beharrliche Arbeit des ‘Leiters Controlling’ bzw. des internen Projektteams eine Veränderung ‘in die Richtung’ des Zielzustands stattgefunden. Da das Projekt vom Ministerium als Beispiel eines vollständig misslungenen Veränderungsprozesses zur Untersuchung vorgeschlagen wurde, war es in der Gesamtschau besser als sein Ruf.

5.5 Fallstudie 5 - Privatisierung von Unterstützungsleistungen in der nachgeordneten Dienststelle E des Bundesministeriums I 5.5.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand In der Dienststelle E, einer große Ausbildungseinrichtung im nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums I, sollten Unterstützungsdienstleistungen in hohem Umfang privatisiert werden. Solche Dienstleistungen waren z. B. Betrieb, Instandsetzung und Wartung eines Fuhrparks mit mehreren hundert Kraftfahrzeugen, Fahrdienst, der Betrieb von Wasch- und Tankanlagen sowie der (sehr komplexen) Systemtechnik und der Kommunikationsnetze.1102 Der Ausbildungsbetrieb als Kernaufgabe der Dienststelle wurde weiterhin von Bundesbediensteten geführt. Somit wurden im Ausgangszustand die zum Ausbildungsbetrieb notwendigen Unterstützungsdienstleistungen durch Bundesbedienstete wahrgenommen, im Zielzustand sollten diese von privatwirtschaftlichen Betreiberfirmen erbracht werden. Hierdurch wurde eine Zusammenarbeit zwischen ‘Amtsseite’ und ‘Unternehmensseite’ notwendig, die in Umfang und Intensität ein Novum darstellte und von dem Mitarbeitern als tiefgreifende Veränderung wahrgenommen wurde. "Das erfordert in der Tat eine neue Mentalität, so eng mit der Industrie zusammen zu arbeiten." 1103 Mit dieser Form der Kooperation war das Ziel

1102 1103

Vgl. Dokument 5-1, S. 15. Interview 5-10. Vgl. hierzu auch Interview 5-1. Die zu erbringenden Unterstützungsdienstleistungen mussten permanent bzgl. Umfang, Qualität, Zeitpunkt und Dauer abgestimmt werden. Interaktionen fanden daher bei Planung, Inanspruchnahme/Durchführung und Bewertung der Dienstleistungen statt. Der Konnex

194 verbunden, „[…]die Betriebskosten zu minimieren."1104 Zudem wollte man eine Konzentration auf die Kernaufgaben erreichen.1105 Das Bundesministerium I verfolgte mit dieser (und anderen) Privatisierungen aber auch explizit das Ziel, bei der Umsetzung des Reformleitbildes ‘Aktivierender Staat’1106 bzw. des Reformprogramms ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’1107 die Vorreiterrolle innerhalb der Bundesregierung zu übernehmen.1108 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Erste Überlegungen zur Konzeption des Übungszentrums wurden bereits in den Jahren 19891993 vorgenommen, die in den Jahren 1994-1995 konkretisiert wurden.1109 Der Aufbau des Zentrums erfolgte ab 1996, der Ausbildungsbetrieb wurde 1997 aufgenommen.1110 Der Zeitraum von 1997 bis 1999 wurde als Testphase genutzt, um die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten einer umfassenden Privatisierung der Unterstützungsdienstleistungen zu eruieren.1111 Im Dezember 1999 wurde vom Bundesministerium I mit Unternehmen der deutschen Wirtschaft ein Rahmenvertrag zur verstärkten Zusammenarbeit geschlossen.1112 Auf Basis dieses Rahmenvertrages legte sich Ministerium I auf ein ‘privates Betreibermodell’ für das Übungszentrum fest.1113 Im Juli 2000 wurde ein Betreibervertrag mit einer eigens für diesen Zweck gegründeten GmbH geschlossen.1114 Diese GmbH wurde dazu "[…] verpflichtet, alle wettbewerbsfähigen Leistungen im Wettbewerb an Unterauftragnehmer (UAN) zu vergeben."1115 Die Ausschreibung und Vergabe dieser Unterstützungsleistungen erfolgte noch im selben Jahr: "Der UAN-Wettbewerb ist abgeschlossen. Von den insgesamt 11 Arbeitspaketen, die im Unterauftragnehmerwettbewerb ausgeschrieben waren, wurden 10 Pakete an externe Unterauftragnehmer vergeben."1116 Ab Januar 2001 wurden die Unterstützungsleistungen dann von

1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110

1111 1112

1113 1114

1115 1116

mit diesen Unternehmen war so eng, dass etliche Mitarbeiter der Amtsseite den Betreiberfirmen durch einen sog. ‘Gestellungsvertrag’ gegen Entgelt zur Leistungserstellung überlassen wurden (allerdings ohne dass sie dabei den Status von Bundesbeschäftigten hätten aufgeben müssen). Hierdurch entstand ein der Leiharbeit ähnelndes Arbeitsverhältnis. Dokument 5-6, S. 2. Vgl. hierzu auch Dokument 5-4, S. 3. Vgl. Dokument 5-1, S. 5. Zum Reformleitbild ‘Aktivierender Staat’ vgl. auch Kapitel 3.2.2. Zum Reformprogramm ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ vgl. auch Kapitel 3.2.2. Vgl. Dokument 5-1, S. 5. Dokument 5-2, S. 12. Vgl. Dokument 5-2, S. 12, Interview 5-2. Der Aufbau des Übungszentrums sollte parallel zur beginnenden Durchführung des Ausbildungsbetriebs fortgesetzt und 2003 abgeschlossen werden. Vgl. hierzu ebenfalls Dokument 5-2, S. 12. Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-2, Dokument 5-1, S. 5. Der Rahmenvertrag sah eine generelle Intensivierung der Zusammenarbeit von Bundesministerium I und Unternehmen der Privatwirtschaft vor. Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-12. Vgl. auch Dokument 5-1, S. 15 und S. 56. Die GmbH wurde von den Unternehmen gegründet, die bereits in der Konzeptions- und Testphase seit 1992 in Aufbau und Betrieb der Systemtechnik eingebunden waren. Vgl. hierzu Dokument 5-5, S. 2. Dokument 5-1, S. 15. Dokument 5-1, S. 15.

195 den privaten Betreibern erbracht.1117 Der Betreibervertrag wurde zunächst für die Jahre 2001 bis 2003 geschlossen, um ab 2004 auf Basis der bis dahin erworbenen Erfahrungen eine erneute Ausschreibung und Vergabe aller Unterstützungsleistungen im freien Wettbewerb vorzunehmen.1118 Zum Zeitpunkt der Datenerhebung wurde das veränderte Handlungsmuster nach Überwindung erheblicher Friktionen bereits seit zehn Monaten erfolgreich ausgeübt und zeigte deutliche Tendenzen zur Stabilisierung. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Im Zentrum der Datenerhebung standen zwölf Interviews, die von August bis Oktober 2001 in allen drei beteiligten übergeordneten Behörden sowie während eines viertägigen Besuchs in der Dienststelle geführt wurden. Hier bot sich zudem ausreichend Gelegenheit für zahlreiche informelle Gespräche mit verschiedenen Akteuren, die sich als besonders wertvoll für das Verständnis des Projektes erwiesen. Die Datenerhebung wurde durch die Auswertung umfangreichen Dokumentenmaterials1119 sowie den Einsatz von Kurzfragebögen ergänzt. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Zeit von der Aufnahme des Ausbildungsbetriebs im Jahr 1997 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Herbst 2001 und schließt damit die ersten zehn Monate der Ausübung des veränderten Handlungsmusters ein.1120 5.5.2

Akteure im Veränderungsprozess

Der Veränderungsprozess zeichnete sich, in Relation zu den bisher betrachteten Veränderungsprozessen, durch eine komplexere Akteursstruktur aus. Nachfolgende Akteure wurden identifiziert:1121 ƒ

Die Dienststelle als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Die Dienststellenleitung, d. h. der Leiter der Dienststelle und sein Stellvertreter, die vor Ort die Verantwortung für den Erfolg des Projektes zu tragen hatten und wichtige potenzielle Promotoren des Projektes darstellten.

ƒ

Die mittleren Führungskräfte der Dienststelle, die Nutzer der privat erbrachten Dienstleistungen sowie potenzielle Promotoren oder Opponenten waren.

ƒ

Die unteren Führungskräfte der Dienststelle als Nutzer der privat erbrachten Dienstleistungen sowie als Promotoren/Opponenten auf unterer Ebene.

ƒ

Die Mitarbeiterbasis der Dienststelle ohne Führungsaufgaben, die zum Teil weiterhin als Beschäftigte der Dienststelle arbeiteten und teilweise in die Arbeitsbereiche der privaten

1117 1118 1119

1120

1121

Vgl. Interview 5-12. Vgl. Dokument 5-4, S. 3 und S. 6, Dokument 5-1, S. 15, Dokument 5-6, S. 2. Bestehend aus Schriftverkehr zwischen Dienststelle, Ministerium und übergeordneten Behörden, Leistungsbeschreibungen, Angeboten, Präsentationen, Berichten etc. Der Zeitraum vom Beginn der ersten konzeptionellen Überlegungen im Jahr 1989 bis zur Aufnahme des Ausbildungsbetriebes im Jahr 1997 wird nur am Rande betrachtet. Vgl. zu den Akteuren Interview 5-1, Interview 5-2, Interview 5-3 sowie Interview 5-12.

196 Betreiber übergingen und diesen fachlich unterstellt wurden.1122 ƒ

Drei übergeordneten Behörden sowie das Ministerium als wichtige Aufgaben- und Entscheidungsträger im Veränderungsprozess.

ƒ

Die beauftragten Unternehmen, die Unterstützungsleistungen zu erbringen hatten, d. h. eine eigens zu diesem Zweck gegründete Gesellschaft sowie mehrere Unterauftragnehmer.

ƒ

Die Führungskräfte der beauftragten Unternehmen als zentrale Gestalter des veränderten Handlungsmusters und als ‘Counterparts’ der mittleren Führungskräfte der Amtsseite.

ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben der beauftragten Unternehmen als operative Leistungserbringer der Unterstützungsleistungen.

5.5.3 5.5.3.1

Präferenzen und Nutzenmaximierung Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM)

Dienststelle und Dienststellenleitung: Für die Dienststelle entstanden erhebliche Kosten durch Friktionen im täglichen Betrieb,1123 die auch durch die Widerstandshaltung der mittleren Führungskräfte der Dienststelle ausgelöst wurden. So bestanden diese Akteure häufig strikt auf die Bereitstellung von Leistungen durch die Betreiber, insbesondere wenn bekannt war, dass diese aufgrund äußerer Umstände von den Unternehmen nur schwer oder gar nicht zu erbringen waren. Dies erfolgte auch, wenn die Dienstleistungen nicht benötigt wurden.1124 Es wurde vermutet, die mittleren Führungskräfte der Dienststelle wollten damit eine geringe Leistungsfähigkeit der privaten Betreiber demonstrieren. Hierdurch kam es permanent zu Auseinandersetzungen zwischen Amts- und Unternehmensseite, welche Leistungsbestandteile gemäß Vertrag zu erbringen waren.1125 ‘Reibungsverluste’ entstanden auch durch Konflikte zwischen den zu den Betreiberfirmen überführten Mitarbeitern der Amtsseite und dem ‘eigenen Personal’ der Betreiber.1126 Die Schlichtung/Verhinderung dieser Friktionen verursachte einen nicht unerheblichen Aufwand. Diese ‘Konfliktbewältigung’ war vornehmlich Aufgabe der Dienststellenleitung und stellte damit für den Dienststellenleiter und seinen Stellvertreter (sowie für die gesamte Dienststelle1127) zusätzliche Kosten dar. Als maßgebliche Kostensenkung für die Dienststelle und die Dienststellenleitung kann angesehen werden, dass sie nicht mehr die Managementaufgaben für die Durchführung der Unterstützungsleistung zu erbringen hatten.

1122

1123 1124 1125 1126 1127

Die Mitarbeiter waren damit an fachliche Weisungen der privaten Unternehmen gebunden; disziplinarisch unterstanden sie weiterhin der Amtsseite. Vgl. Interview 5-1. Vgl. Interview 5-1. Vgl. Interview 5-1. Vgl. Interview 5-1, Interview 5-2, Interview 5-6 sowie Interview 5-11. Für die Dienststelle entstanden erhebliche Opportunitätskosten, da die begrenzte Arbeitskapazität der Dienststellenleitung nicht für alternative Verwendungen zur Verfügung stand. Die Dienststellenleitung musste sich in der Phase des Übergangs in erheblichem Umfang mit der Schlichtung von Konflikten befassen.

197 Mittlere Führungskräfte der Dienststelle: Das veränderte Handlungsmuster forderte von den mittleren Führungskräften eine frühere und exaktere Planung für die Nutzung der Unterstützungsleistungen, was gegenüber den traditionell kurzfristigen Leistungsanforderungen bei Leistungserbringung durch die Amtsseite als unbequem empfunden wurde.1128 Die mittleren Führungskräfte wurden von der Steuerung des Erstellungsprozesses der Unterstützungsdienstleistungen entlastet, was eine deutliche Kostensenkung darstellte. Mitarbeiterbasis der Dienststelle ohne Führungsaufgaben sowie der beauftragten Unternehmen: Zusätzliche Kosten für die Mitarbeiter der Basis beider Seiten entstanden durch die Konflikte zwischen amtsseitigen Mitarbeitern und den Mitarbeitern der Unternehmen, die bis zu ‘Mobbingsituationen’ führten.1129 Diese Konflikte waren vor allem auf die Anwendung unterschiedlicher Tarifverträge zurückzuführen (siehe Kapitel 5.5.5.1). Ministerium: Für den Vertragszeitraum von 2001 bis 2003 sollten an den Betreiber insgesamt ca. 180 Mio. DM gezahlt werden.1130 Dieser Betrag wäre gemäß Berechnung einer beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bei Erstellung der Unterstützungsleistungen durch Bundesbedienstete ca. 10% höher gewesen. Demnach erwartete das Ministerium eine Kosteneinsparung durch das Betreibermodell von ca. 18 Mio. DM.1131 5.5.3.2

Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM)

Dienststelle und Dienststellenleitung: Zentraler zusätzlicher Nutzen des veränderten Handlungsmusters war darin zu sehen, dass es der Dienststelle bzw. der Dienststellenleitung durch das ‘Betreibermodell’ ermöglicht wurde, sich auf die Wahrnehmung der Kernaufgaben, d. h. die Durchführung der Ausbildung, zu konzentrieren.1132 Die Interviews zeigten die klare Tendenz, dass den durch die beauftragten Unternehmen erbrachten Dienstleistungen eine ebenso gute oder sogar bessere Qualität als den amtseitig erbrachten Leistungen beigemessen wurde.1133 Ein höherer Nutzen des bisherigen Handlungsmusters wurde in der größeren Flexibilität der Leistungserbringung durch ‘eigene’ Bedienstete gesehen, da hier die direkte Steuerung des Personals sowie der Prozesse und damit der Leistungserbringung möglich waren. Leistungen konnten somit kurzfristiger angefordert und erbracht werden.1134 Es wurde jedoch berichtet, dass die Betreiber mit fortschreitender Betriebsdauer die Flexibilität erhöhen konnten.1135 Mittlere Führungskräfte der Dienststelle: Die mittleren Führungskräfte realisierten erheb-

1128 1129 1130 1131 1132 1133

1134

Vgl. Interview 5-3. Vgl. Interview 5-6 und Interview 5-11. Vgl. Dokument 5-4, S. 3. Vgl. Dokument 5-7, S. 7 und Interview 5-1. Vgl. Dokument 5-1, S. 5, Interview 5-2 sowie Interview 5-3. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-4, Interview 5-5 sowie Interview 5-10. In Einzelfällen wurde auch von unbefriedigenden Leistungen berichtet. Vgl. z. B. Interview 5-4. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-3.

198 liche Nutzeneinbußen durch das veränderte Handlungsmuster. Aus der Privatisierung resultierte ein deutlicher Verlust an Macht/Einfluss und Prestige, da Aufgabenfelder, Mitarbeiter und Budget von der Amtsseite zu den Managern der privaten Betreiberfirmen übergingen.1136 Zudem ging die Veränderung für das mittlere Management mit einem Verlust von Statussymbolen einher, die in der Organisation traditionell einen hohen Stellenwert einnahmen, z. B. der ‘eigene Fahrer’, der bis dahin für diese Führungskräfte auf Abruf bereitzustehen hatte. Dieser wurde durch einen Fahrdienst der Betreiberfirma ersetzt, der eine frühzeitige Vorbestellung erforderte und allen Führungskräften als ‘Taxidienst’ zur Verfügung stand, wodurch die mit dem ‘eigenen Fahrer’ verbundene Wahrnehmung von Exklusivität verloren ging. Hiermit wurde von den betroffenen Führungskräften ein Verlust an Prestige verbunden.1137 Dieses Verlustempfinden wurde noch verstärkt, weil teilweise die mittleren Führungskräfte zusammen mit unteren Dienstgraden in einem Fahrzeug befördert wurden.1138 Untere Führungskräfte der Dienststelle: Die für die unteren Führungskräfte relevanten Dienstleistungen wurden im Rahmen des Betreibermodells überwiegend zu deren Zufriedenheit erbracht.1139 Mängel der Leistungserbringung im Unterstützungsbereich der beauftragten Unternehmen wurden nur partiell beklagt.1140 Insgesamt gab es für die unteren Führungskräfte kaum eine Nutzendifferenz zwischen dem bisherigen und dem veränderten Handlungsmuster. Mitarbeiterbasis der Dienststelle ohne Führungsaufgaben: Erhebliche Nutzeneinbußen durch das veränderte Handlungsmuster entstanden für jene Mitarbeiter der Amtsseite ohne Führungsaufgaben, deren fachliche Unterstellung in die Hände der privaten Betreiber gelegt wurde. Diese Mitarbeiter hatten bis dahin klar definierte Regelarbeitszeiten und konnten für Tätigkeiten außerhalb dieser eng gefassten Zeiten Mehrverdienste durch Überstundenvergütungen, Nachtzuschläge usw. realisieren. Die Unternehmen vermieden diese Zuschläge, indem sie für diese Zeiten eigene Teilzeitkräfte einsetzen, die sich außerhalb des Tarifbereichs befanden und somit günstiger eingesetzt werden konnten. Dadurch verloren die zu den Betreibern überführten Mitarbeiter der Amtsseite einen Teil ihres Einkommens.1141 Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben der beauftragten Unternehmen: Die Mitarbeiter der Firmen fühlten sich ‘unter Wert bezahlt’, da sie nicht nur deutlich niedriger

1135 1136 1137 1138

1139 1140 1141

Vgl. Interview 5-3 und Interview 5-4. Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-7 und Interview 5-11. Dieser Aspekt wurde insbesondere in den informellen Gesprächen immer wieder ausgeführt. Die Führungskräfte hätten sich ‘fast einen Zacken aus der Krone gebrochen’, wenn sie mit den unteren Dienstgraden zusammen in einem Auto fahren mussten. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-4, Interview 5-5 sowie Interview 5-10. Vgl. Interview 5-4. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-6.

199 entlohnt wurden als die Kollegen der Amtsseite, sondern zudem zu wesentlich ungünstigeren Zeiten arbeiten mussten.1142 5.5.3.3

Kosten des Übergangsprozesses (KÜ)

Dienststelle und Dienststellenleitung: Die Kosten des Übergangsprozesses waren vor allem in jenen Friktionen zu sehen, die sich bei längerer Ausübung des veränderten Handlungsmusters abgebaut hätten und damit ausschließlich dem Übergangsprozess zuzuordnen waren. Da zum Zeitpunkt der Datenerhebung das veränderte Handlungsmuster erst seit zehn Monaten betrieben wurde, sind kaum Aussagen möglich, welche Friktionen langfristig Bestand gehabt hätten (und damit Kosten des veränderten Handlungsmusters waren) und welche im Zeitablauf abbaubar gewesen wären und damit Kosten des Übergangsprozesses darstellten. Übergeordnete Behörden und Ministerium: Für die übergeordneten Behörden und das Ministerium verursachten die Vorbereitung des Betreibermodells (Ausschreibung, Wirtschaftlichkeitsgutachten usw.), die Evaluierung der Leistungserbringung in der Übergangsphase und die Betreuung der Dienststelle Kosten des Übergangs, die jedoch nicht quantifiziert werden konnten. 5.5.3.4

Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ)

Dienststelle: Nach Einschätzung eines zuständigen Interviewpartners einer übergeordneten Behörde erfolgte der Aufbau des Übungszentrums durch die Beteiligung der Betreibergesellschaften deutlich schneller, als er bei einem klassischen Eigenbetrieb der Behördenseite hätte vorgenommen werden können.1143 Dienststellenleitung: Für den Fall, dass die Dienststellenleitung den neuen Ansatz erfolgreich etablieren konnte, wurden positive Auswirkungen auf die weitere Karriere des Dienststellenleiters angenommen.1144 Für den stellvertretenden Leiter war bei erfolgreichem Verlauf der Aufstieg zum Leiter des Übungszentrums vorgesehen.1145 Das hat sich für den stellvertretenden Leiter bestätigt, der im Jahr 2003 die Leitung der Dienststelle übernommen hat und in eine höhere Besoldungsstufe aufrücken konnte. Von der Dienststellenleitung wurde geäußert, dass die Gestaltung des Veränderungsprozesses als positive Herausforderung gesehen wurde und sie einen Nutzen darin wahrnahm, ‘etwas bewegen zu können’.1146 Beauftragte Unternehmen: Die beauftragten Unternehmen hatten bei einem positiven Verlauf des Übergangsprozesses (und eigenem Beitrag zum Erfolg) erhöhte Chancen, auch

1142 1143 1144 1145 1146

Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-1. Vgl. Interview 5-3. Vgl. Interview 5-5. Vgl. Interview 5-5.

200 bei erneuter Ausschreibung der Leistungen im Jahr 2004 einen weiteren Auftrag zu erhalten.1147 5.5.3.5

Nutzen des Rückübergangs (NRÜ)

Zum Nutzen des Rückübergangs konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.5.3.6

Kosten des Rückübergangs (KRÜ)

Ministerium: Die Kosten des Rückübergangs hätten für das Ministerium, zumindest für die Laufzeit der bestehenden Betreiberverträge, in Abstandszahlungen für die Nichterfüllung des Vertrages oder sogar in der Zahlung der gesamten vertraglich vereinbarten Vergütung bestanden. Zudem wären Kosten für den Aufbau der Fähigkeiten entstanden, die durch die Erstellung der Unterstützungsleistungen durch externe Betreiber auf Amtsseite bereits verloren gegangen waren. Für das Ministerium hätte der beträchtliche Imageschaden, der mit dem Scheitern des Vorhabens verbunden gewesen wäre, ebenfalls Kosten des Rückübergangs dargestellt, da man mit dem Projekt offensiv an die Öffentlichkeit getreten war und erhebliche Aufmerksamkeit erzeugt hatte.1148 Untere Führungskräfte der Dienststelle: Die unteren Führungskräften leisteten die operative Arbeit im Ausbildungsbereich und waren daher der Anspruchshaltung der auszubildenden ‘Kunden’ direkt ausgesetzt. Sie hatten daher hohes Interesse an einem funktionierenden Ausbildungsbetrieb. Widerstandsverhalten hätte die Leistungserstellung der Betreiber verringert und damit die Voraussetzungen für den Ausbildungsbetrieb verschlechtert. Aus einer schlechten Ausbildung resultierte die Kritik der auszubildenden ‘Kunden’, was als potenzielle Kosten des Rückübergangs interpretiert werden kann.1149 5.5.3.7

Nettonutzenbetrachtung

Dienststelle: Die Dienststelle hatte durch das veränderte Handlungsmuster bzw. durch den Übergangsprozess höhere Friktionen im Betrieb zu bewältigen. Zudem war das bisherige Handlungsmuster durch eine höhere Flexibilität in der Planung und Erstellung der Unterstützungsdienstleistungen gekennzeichnet. Dem standen als wesentliche Vorteile des veränderten Handlungsmusters die Entlastung von der Steuerung der Unterstützungsbereiche und die Möglichkeit zur Konzentration auf die Kernaufgaben gegenüber. Außerdem konnte durch das Betreibermodell ein schnellerer Aufbau des Übungszentrums durchgeführt werden. Auf Basis der erhobenen Daten war keine klare Bewertung des Nettonutzens der Veränderung möglich. Dienststellenleitung: Für die Dienststellenleitung wirkten sich vor allem die erhöhten Friktionen negativ auf den Nettonutzen aus. Doch die Dienststellenleitung wurde von Steuerungsaufgaben des Unterstützungsbereichs entlastet und konnte sich auf die Kernaufgabe Ausbil-

1147 1148

Vgl. Interview 5-2. Vgl. z. B. Dokument 5-1.

201 dung konzentrieren. Da die Dienststellenleitung zudem die Möglichkeit zu hoher persönlicher (karrierewirksamer) Profilierung hatte, kann von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Mittlere Führungskräfte der Dienststelle: Auch die mittleren Führungskräfte wurden von Steuerungsaufgaben im Bereich der Unterstützungsleistungen entlastet. Allerdings mussten die Akteure einen deutlich höheren Planungsaufwand hinnehmen. Im Zentrum der Betrachtung stand jedoch der Verlust von Macht/Einfluss sowie von Statussymbolen und damit von Prestige. Für die mittleren Führungskräfte ergab sich eindeutig ein negativer Nettonutzen der Veränderung. Diese Einschätzung wird durch das deutliche Widerstandsverhalten dieser Gruppe gestützt. Untere Führungskräfte der Dienststelle: Für die unteren Führungskräfte ergaben sich durch das Betreibermodell keine gravierenden Veränderungen. Die Unterstützungsleistungen wurden insgesamt in ähnlicher (oder etwas besserer) Qualität geleistet wie bei Eigenerstellung. Es entstanden jedoch hohe Kosten des Rückübergangs, da Widerstandshandlungen die Unterstützungsleistungen und damit die Rahmenbedingungen für den Ausbildungsbetrieb verschlechterten, was insbesondere die unteren Führungskräfte traf (siehe Kapitel 5.5.3.6). Daher kann hier von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Mitarbeiterbasis der Dienststelle ohne Führungsaufgaben sowie der beauftragten Unternehmen: Aufgrund der unterschiedlichen Behandlung der Mitarbeiter der Amtsseite und der beauftragten Unternehmen kam es zu schwerwiegenden Konflikten bis hin zu ‘Mobbing’. Die Mitarbeiter der Amtsseite hatten aufgrund des Wegfalls von Zulagen Einkommenseinbußen hinzunehmen, die Mitarbeiter der Betreiberseite wurden schlechter bezahlt als die Kollegen der Amtsseite und mussten zudem zu ungünstiger Zeiten arbeiten. Insgesamt herrschte bei den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben auf beiden Seiten große Unzufriedenheit. Daher kann auf beiden Seiten ein negativer Nettonutzen der Veränderung unterstellt werden. Ministerium: Das Ministerium erwartete durch das Betreibermodell Kosteneinsparungen in erheblichem Umfang (ca. 18 Mio. DM). Bei einem möglichen Rückübergang wären hohe Abstandszahlungen an die Betreiber und vor allem ein beträchtlicher Imageschaden unabwendbar gewesen. Die Kosten des Übergangs durch Vorbereitung des Veränderungsprozesses und durch Monitoring der Betreiber erscheinen demgegenüber vernachlässigbar. Das Ministerium realisierte daher einen positiven Nettonutzen der Veränderung. Übrige Akteure: Für die übrigen Akteure konnte auf Basis der erhobenen Daten keine klare Einschätzung des Nettonutzens der Veränderung vorgenommen werden.

1149

Vgl. Interview 5-4.

202 5.5.3.8 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Es wurde ausgesagt, dass eine umfassende Informationsarbeit hätte stattfinden müssen, um die Mitarbeiter der Basis auf ihren ‘Übergang’ zu den privaten Betreibern vorzubereiten.1150 Nach dem Beschluss des Ministeriums für das Betreibermodell sei jedoch sehr wenig Zeit gewesen, um solche Maßnahmen durchzuführen.1151 Eine umfassende, systematische Kommunikation zur Beeinflussung der Akteure im Vorfeld des Projektes hätte daher nicht stattgefunden,1152 die Mitarbeiter der Dienststelle seien vielmehr überrascht und ‘vor vollendete Tatsachen’ gestellt worden.1153 Teilweise seien aufgrund der kurzen Vorlaufzeit die Mitarbeiter auch falsch informiert worden, was zu unerfüllbaren Erwartungen geführt hätte und Unzufriedenheit schürte.1154 Als wesentliche Kommunikationsmaßnahme kann angesehen werden, dass die Dienststellenleitung ihre Unterstützung und ihren Willen zur Umsetzung des Projektes klar kommunizierte.1155 Begleitende Maßnahmen zur Förderung der Kommunikation zwischen den Mitarbeitern der Amtsseite und der beauftragten Unternehmen zum Abbau vorhandenen Misstrauens wurden als wichtig erachtet,1156 seien jedoch kaum durchgeführt worden.1157 Auch sei es von großer Bedeutung gewesen, die Kommunikation zur Abstimmung der Leistungserbringung zwischen Amts- und Unternehmensseite zu intensivieren, um operative Ineffizienzen zu verringern. Hier habe eine systematische Kommunikation gefehlt.1158 Lediglich die Kommunikation auf Ebene der unteren Führungskräfte wurde als gut funktionierend beschrieben.1159 Extrinsische Anreize: Eine wichtige Maßnahme des Veränderungsmanagements konnte darin gesehen werden, der Dienststellenleitung zu signalisieren, dass der Erfolg des Veränderungsprozesses eine wesentliche Auswirkung auf die weitere Karriereentwicklung haben würde. Weitere Maßnahmen: Insgesamt war das Projekt dadurch gekennzeichnet, dass nur in ausgesprochen geringem Umfang Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens der Akteure betrieben wurde.

1150 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157 1158 1159

Vgl. Interview 5-6. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-6. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-3 sowie Interview 5-6. Vgl. Interview 5-6. Vgl. Interview 5-6. Diese Aussage stammte von einem Vorgesetzten, dem dies selbst unterlaufen war. Vgl. Interview 5-3 und Interview 5-7. Vgl. Interview 5-7. Vgl. Interview 5-6 und Interview 5-7. Vgl. Interview 5-1, Interview 5-7 sowie Interview 5-8. Vgl. Interview 5-10.

203 5.5.4

Fähigkeiten

5.5.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten/Planungsfähigkeiten: Die Nutzer der Unterstützungsleistungen seitens der Dienststelle, vor allem die mittleren Führungskräfte, benötigten vermehrt Fähigkeiten zur genauen Planung des Unterstützungsbedarfs.1160 Es wurde berichtet, dass bezüglich dieser Fähigkeit auf der Amtsseite Defizite vorhanden waren.1161 Technische Fähigkeiten: Zentrale Aufgabe der beauftragten Firmen waren Betrieb, Reparatur und Wartung der komplexen technischen Systeme zum Zweck der Ausbildung, was hohes technisches Know-How voraussetzte. Da die Dienstleistungen von den Betreiberunternehmen weitgehend zur Zufriedenheit der Nutzer erbracht werden konnten (siehe Kapitel 5.5.3.2), kann von ausreichenden technischen Fähigkeiten ausgegangen werden. Kommunikationsfähigkeiten: Kommunikationsfähigkeiten wurden zur Abstimmung zwischen Amts- und Unternehmensseite benötigt. Die Kommunikation ‘auf der Arbeitsebene’, d. h. zwischen den unteren Führungskräften der Dienststelle und der Mitarbeiterbasis der Betreiberunternehmen, wurde durchgehend positiv bewertet.1162 Hier schienen ausreichende Kommunikationsfähigkeiten vorhanden gewesen zu sein. Als gezieltes Instrument zur Beeinflussung (des Nettonutzens) der Akteure wurden Kommunikationsmaßnahmen indes kaum eingesetzt, so dass nicht festgestellt werden konnte, ob die hierfür notwendigen Kommunikationsfähigkeiten vorgelegen hätten. Dienstleistungs-/Servicedenken: Das Betreibermodell erforderte auf Seiten der beauftragten Unternehmen eine ausgeprägte Dienstleistungs-/Serviceorientierung. Die Ausprägung des Dienstleistungsdenkens auf der Unternehmensseite wurde jedoch nicht einheitlich bewertet.1163 Projektmanagementfähigkeiten: Das Projekt zeichnete sich durch eine hohe Komplexität aus, die anfänglich sowohl von Amts- als auch Firmenseite unterschätzt wurde1164 und hohe Projektmanagementfähigkeiten erforderte. Das Projektmanagement war aber stark von den durch das Ministerium und den übergeordneten Behörden vorgegebenen Projektstrukturen (siehe Kapitel 5.5.5.1) dominiert, so dass über die Projektmanagementfähigkeiten der einzelnen Akteure in der Dienststelle keine Aussagen getroffen werden können.

1160 1161 1162 1163 1164

Vgl. Interview 3-5. Vgl. Interview 5-9 und Interview 5-11. Diese Aussagen stammen von Amts- und Unternehmensseite. Vgl. Interview 5-6, Interview 5-10 sowie Interview 5-11. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-2. Vgl. Interview 5-11. Die hohe Komplexität resultierte u. a. aus der Vielzahl der Unterauftragnehmer, die dem Generalauftragnehmer untergeordnet waren, was zusätzliche Schnittstellen und einen hohen Koordinationsbedarf bedingte. Vgl. Dokument 5-1, S. 57.

204 Kenntnis von Struktur und Kultur des ‘Counterparts’ und Fähigkeit zur Anpassung: Die Strukturen und Organisationskulturen der Amtsseite und der Firmenseite wurden als deutlich differierend empfunden. Es wurde aufgrund der Notwendigkeit zur engen Zusammenarbeit als sehr bedeutsam angesehen, die Struktur und Kultur der jeweils ‘anderen Seite’ zu kennen.1165 Diese Kenntnis und das damit verbundene gegenseitige Verständnis wurden jedoch von beiden Seiten als gering ausgeprägt charakterisiert.1166 Bezüglich der Ausprägung der Fähigkeit zur kulturellen Anpassung konnten keine klaren Erkenntnisse generiert werden. Allerdings war erkennbar, dass auf Amtsseite die jüngeren Mitarbeiter besser in der Lage waren, die kulturelle Anpassung vorzunehmen als die älteren.1167 Hierin kann ein weiterer Grund für die Beharrungstendenzen der mittleren Führungskräfte der Dienststelle gesehen werden, da dies mehrheitlich ältere Mitarbeiter waren (in Relation zu den unteren Führungskräften). Der Grund für die geringere Anpassungsfähigkeit der älteren Mitarbeiter kann in der längeren und tiefer greifenden Sozialisierung und der damit verbundenen Verfestigung der internen Modelle vermutet werden. Teamfähigkeit: Aufgrund der Vielzahl der beteiligten Akteure und der Notwendigkeit zu deren Interaktion war ein hohes Maß an Teamfähigkeit wichtige Voraussetzung für den Projekterfolg. Über die Ausprägung dieser Fähigkeit konnten keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen werden. Durchsetzungsfähigkeit: In der Dienststelle mussten erhebliche Widerstände vor allem der mittleren Führungskräfte überwunden werden, so dass die Durchsetzungsfähigkeiten von hoher Bedeutung waren. Diese Widerstände konnten durch Eingreifen der Dienststellenleitung weitgehend überwunden werden. Insgesamt kann von ausreichenden Durchsetzungsfähigkeiten der Dienststellenleitung ausgegangen werden. Diese waren durch die persönlichen Eigenschaften der Dienststellenleitung (‘Referent Power’) sowie durch deren Dienstgrad (‘Legitimate Power’) bedingt.1168 5.5.4.2

Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten

Zur Sicherstellung der Fähigkeiten konnten in dieser Fallstudie nur wenige Informationen gewonnen werden. Als wesentliche Maßnahme zur Sicherstellung zentraler Fähigkeiten wurde ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Stelle des örtlichen Leiters des Hauptauftragnehmers angeführt, über das die Amtsseite de facto verfügte.1169

1165 1166 1167 1168 1169

Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-12. Vgl. Interview 5-11 unf Interview 5-7. Vgl. Interview 5-4, Interview 5-3 sowie Interview 5-6. Vgl. Interview 5-5. Vgl. Interview 5-12. Eine juristische Durchsetzbarkeit dieses ‘Rechts’ war jedoch nicht gegeben.

205 Eine weitere Maßnahme war darin zu sehen, dass dem Übungszentrum auf Amtsseite überwiegend besonders befähigtes Personal durch die übergeordneten Behörden zugeführt wurde.1170 5.5.5

Externe Zustände

5.5.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Prozessvorschriften und Vorschriften zur Ressourcenallokation: Die privaten Betreiber waren in der Ressourcenallokation teilweise eingeschränkt, da sie z. B. vertraglich verpflichtet wurden, bei der Ersatzteilbeschaffung auf die logistischen Ketten der Amtsseite zurückzugreifen.1171 In der Anfangsphase des Projekts wirkte sich eine Vielzahl spezifischer, auf den nachgeordneten Bereich des Ministeriums I ausgerichteter Vorschriften lähmend auf den Veränderungsprozess aus.1172 So hatten z. B. Mitarbeiter der beauftragten Unternehmen in ihrer früheren Beschäftigung als Bundesbedienstete Berechtigungen (Zertifikate etc.) zur Handhabung und Reparatur bestimmter Geräte erworben, die ihre Gültigkeit verloren, nachdem diese Personen zu den privaten Betreiberunternehmen überwechselten. Sie mussten eine ‘zivile’ Lizenz völlig identischen Inhalts erwerben.1173 Andere Vorschriften richteten sich auf die Handhabung spezieller Gefahrengüter, die der Amtsseite den Umgang mit diesen Gütern erlaubten, nicht aber den privaten Betreibern.1174 Personal- und Tarifrecht: Die Betreiber wurden verpflichtet, Arbeitnehmer der Amtsseite in die eigene Organisation zu ‘überführen’ und in die Leistungserstellungsprozesse zu integrieren.1175 Eine hemmende Wirkung entstand, weil die zu den Betreiberfirmen ‘überführten’ Bundesbedienstete weiterhin formal ihren Status behielten. "Das Arbeitsverhältnis zwischen diesen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber Bund bleibt bestehen."1176 Somit behielt der Tarifvertrag der Amtsseite Gültigkeit für diese Mitarbeiter und damit die hierin festgelegten Arbeitsbedingungen wie z. B. Arbeitszeit- und Zuschlagsregelungen.1177 Folglich setzten die Betreiber zu kostenintensiven Arbeitszeiten (nachts, am Wochenende usw.) wegen der hohen Zuschläge nicht das von der Amtsseite ‘überführte’ Personal ein, sondern ‘eigenes’ Personal, das nach einem anderen Tarifvertrag entlohnt wurde und nur geringere (oder keine) Zuschlä-

1170 1171 1172 1173 1174 1175 1176 1177

Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-3. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-7. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-7. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-7. Vgl. Dokument 5-3, S. 2. Dokument 5-4, S. 16. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-6.

206 ge erhielt.1178 Dieses Vorgehen erzeugte auf beiden Seiten Unzufriedenheit. Die ‘überführten’ Mitarbeiter der Amtsseite konnten die bis dahin regelmäßig anfallenden Zuschläge nicht mehr realisieren, während die ‘eigenen’ Mitarbeiter der Betreiberunternehmen regelmäßig zu ‘ungünstigen’ Zeiten bzw. gegen geringere Entlohnung zu arbeiten hatten und sich dadurch als Mitarbeiter ‘zweiter Klasse’ fühlten.1179 Hierdurch entstanden die bereits beschriebenen Konflikte bis hin zu ‘Mobbing’,

1180

was zu gravierenden Friktionen im Veränderungsprozess

führte. Zudem waren die ‘überführten’ Mitarbeiter disziplinarisch weiterhin der Amtsseite unterstellt, weshalb die Unternehmen kaum Möglichkeiten zur Sanktionierung unerwünschten Verhaltens hatten. Rotationspflicht für Führungskräfte: Als wesentlicher Erfolgsfaktor wurde auch in dieser Fallstudie personelle Kontinuität ermittelt.1181 Auf Amtsseite wurde die personelle Kontinuität für die zentrale Führungsposition des Dienststellenleiters gesichert, da vorgesehen war, dass der stellvertretende Dienststellenleiter nach Ausscheiden des Amtsvorgängers auf die Position des Dienststellenleiters vorrücken sollte.1182 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die Vorschriften waren außerordentlich umfangreich und in Summe als sehr restriktiv für den Veränderungsprozess zu bewerten.1183 Eine ex ante Analyse der Auswirkungen der Vorschriften auf das Projekt wurde als sinnvoll erachtet, fand jedoch nur partiell statt.1184 (2) Projektorganisation Die Fähigkeit des Projektteams zu einem effektiven Management des Projekts wurde insbesondere durch die Projektorganisation beeinflusst. Diese war durch Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse und Ergebnisverantwortung sowie durch die starke Dislozierung der Verantwortlichen geprägt. Die Entscheidungsträger und damit die Entscheidungsbefugnisse waren auf das Ministerium, drei weitere übergeordnete Behörden und die Dienststelle verteilt, die räumlich teilweise mehrere hundert Kilometer voneinander getrennt waren. Hierdurch wurde die Kommunikation deutlich behindert. Insbesondere war die persönliche Kommunikation mit hohem Reiseaufwand verbunden und konnte entsprechend selten stattfinden.1185 Die Verteilung der Verantwortung hat schnelle Entscheidungen verhindert, da eine Vielzahl von Entscheidungsträgern in den ‘Mitzeichnungsgang’1186 eingebunden werden mussten.1187 So

1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185 1186

Vgl. Interview 5-6. Vgl. Interview 5-6. Vgl. Interview 5-1, Interview 5-3, Interview 5-6 sowie Interview 5-11. Vgl. Interview 5-8, Interview 5-11 sowie Interview 5-12. Vgl. Interview 5-5. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-7. Vgl. Interview 5-7, Interview 5-2. Vgl. Interview 5-4, Interview 5-11. Der ‘Mitzeichnungsgang’ ist die in Bundesministerien übliche und durch die gemeinsame Geschäftsordnung geregelte, zumeist konsensorientierte Abstimmung der beteiligten Verantwortungsträger.

207 warteten die Verantwortlichen der Dienststelle auch bei dringendem Handlungsbedarf auf Anfragen an das Ministerium bis zu fünf Monate auf die Entscheidungen.1188 Daher wurde die Installation eines ‘räumlich konzentrierten’ Projektteams in der Dienststelle für den Zeitraum des Projekts, mit den notwendigen Entscheidungsträgern aus dem Ministerium, den übergeordneten Behörden und der Dienststelle sowie einem hochrangigen Gesamtverantwortlichen Projektleiter an der Spitze zwar als sinnvoll erachtet,1189 konnte jedoch nicht realisiert werden.1190 Für das Projektmanagement waren aufgrund der hohen Friktionen die Instrumente zur Krisenbewältigung sehr bedeutsam.1191 Hierzu wurde in der Dienststelle für strittige Fragen der Vertragserfüllung eine Schiedsstelle eingerichtet.1192 Außerdem hatte der Leiter der Dienststelle ein direktes Vorspracherecht bei der zuständigen Stelle im Ministerium, allerdings auf einer als zu niedrig angesehenen hierarchischen Ebene.1193 Als wichtiges Element der Projektsteuerung wurde auch die Kontrolle/Messung der Leistungserbringung der beauftragten Unternehmen gesehen. Hierfür wurde ein umfassendes Instrumentarium in der Dienststelle installiert.1194 Auf der Seite der Betreiber erhöhte die Beteiligung zahlreicher Unterauftragnehmer (neben dem Hauptauftragnehmer) den Koordinationsaufwand deutlich. "Der Auftragnehmer hat verschiedene Arbeitspakete an Unterauftragnehmer vergeben, so dass an dem Pilotprojekt [..] eine große Zahl von verschiedenen Firmen beteiligt sind."1195 (3) Personelle Kontinuität der beauftragten Unternehmen Personelle Kontinuität wurde auch für die Auftragnehmerseite als wichtiger Faktor bewertet.1196 Eine ausreichende Personalkontinuität lag hier zumindest in der Testphase aber nicht vor, da der Hauptauftragnehmer von 1997 bis 2001 die zentrale Position des Geschäftsführers nacheinander mit vier Personen besetzte.1197 Auch in mindestens zwei operativen Bereichen

1187

1188 1189 1190

1191 1192 1193 1194 1195 1196 1197

Als weiteres bezeichnendes Beispiel für die ‘Zersplitterung’ der Entscheidungskompetenz wurde ausgeführt, dass der Dienststellenleiter Beschwerden nicht direkt an die beauftragten Unternehmen richten durfte, sondern sich hiermit an eine übergeordnete Behörde zu wenden hatte, die dann entschied, ob und wie bzgl. dieser Beschwerde gegenüber dem Betreiber zu verfahren war. Vgl. hierzu Interview 5-1. Vgl. Interview 5-11. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-5, Interview 5-11 sowie Interview 5-12. Die Gründe hierfür konnten nicht ermittelt werden. Es wurde aber festgestellt, dass eine derartige Projektorganisation im Bereich des Ministeriums ‘nicht üblich’ war. Vgl. Interview 5-6. Vgl. Interview 5-1 und Interview 5-2. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-5 sowie Interview 5-11. Vgl. Interview 5-2. Dokument 5-1, S. 57. Vgl. Interview 5-4 und Interview 5-1. Vgl. Interview 5-1.

208 der Leistungserbringung wurde von häufig wechselndem Personal der Unternehmen berichtet, was sich auf den Betrieb negativ ausgewirkte.1198 (4) Anreizstrukturen und Verantwortung für den Projekterfolg Für die Leitung der Dienststelle lag ein wesentlicher Anreiz in der persönlichen Profilierung bzw. der Möglichkeit zur Karriereentwicklung. Der Stellvertretende Leiter der Dienststelle war bereits 2001 designierter Nachfolger des Dienststellenleiters (siehe Kapitel 5.5.3.4). Für einige mittlere Führungskräfte war die Karriereentwicklung offensichtlich determiniert. Es bestand für diese Personen kein Anreiz, sich mit einem individuellen Beitrag zum Projekterfolg karrierewirksam zu profilieren, da eine positive Entwicklung ausgeschlossen war und eine Rückstufung im Dienstgrad nur in Fällen schwerer disziplinarischer Vergehen hätte vorgenommen werden können.1199 Für die Betreiberfirmen lag ein ausgesprochen hoher Anreiz in der Möglichkeit zur langfristigen Fortsetzung des Engagements, das nur bei Zufriedenheit der Amtsseite mit der erbrachten Leistung möglich war. Durch eine hohe Befriedigung der Nutzer konnten sich die Unternehmen daher für die nachfolgende Ausschreibungen (Leistungszeitraum ab 2004) günstig positionieren.1200 Dies führte jedoch auch zu einer Konkurrenzsituation unter den beauftragten Unternehmen, was wiederum ‘Reibungen’ bzgl. deren Zusammenarbeit auslöste.1201 (5) Ressourcenausstattung Die Ausstattung des Projekts mit Personal, Sach- und Finanzmitteln wurde als sehr gut dargestellt.1202 Eine Ausnahme bildete der Einsatz von veraltetem Gerät in zentralen Ausbildungsbereichen, der für die Betreiber die Beschaffung von Ersatzteilen erschwerte, da diese nur noch eingeschränkt verfügbar waren.1203 (6) Unterstützung übergeordneter Behörden Auch in Fallstudie 5 stellte die Unterstützung durch übergeordnete Behörden einen wesentlichen Faktor für den Erfolg des Veränderungsprozesses dar. Die übergeordneten Behörden waren vor allem gefordert, die bestehenden Konflikte mit der vorhandenen Vorschriftenlage auszuräumen bzw. zu lösen.1204 Hier wurde eine zu langsame Reaktion der übergeordneten Behörden auf Anfragen/Eingaben bemängelt.1205 Positiv wurde bewertet, dass die Dienststellenleitung ein unmittelbares Vorspracherecht bei

1198 1199 1200 1201 1202 1203 1204 1205

Vgl. Interview 5-4 und Interview 5-8. Vgl. Interview 5-3. Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-3 und Interview 5-8. Vgl. Interview 5-2 und Interview 5-4. Vgl. Interview 5-4 und Interview 5-5. Vgl. Interview 5-2. Vgl. Interview 5-11.

209 der zuständigen Stelle des Ministeriums hatte.1206 Die Unterstützung durch übergeordnete Behörden wurde insgesamt positiv bewertet.1207 (7) Veränderungsdruck Die Höhe der möglichen Einsparungen durch das neue Modell sowie die große öffentliche Aufmerksamkeit führten zu einer hohen Priorisierung des Projektes im Ministerium. Allen Beteiligten war bewusst, dass bei negativem Projektverlauf das Ministerium vermutlich die ihm zur Verfügung stehenden Mittel genutzt hätte, um einen hohen Druck zur Umsetzung des Vorhabens auszuüben.1208 5.5.5.2

Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände

(1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte Wichtigster Bestandteil der innerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände war die Unterstützung des Veränderungsprozesses durch die Führungskräfte. Diesbezüglich war eine deutliche Zweiteilung zu beobachten. Während die Unterstützung der Dienststellenleitung sowie der unteren Führungskräfte in vollem Umfang gegeben war, zeigte die Ebene der mittleren Führungskräfte eine klare Tendenz zu Widerstandsverhalten. Die Beeinflussung der Akteure der Dienststelle durch die Dienststellenleitung konnte nicht ‘kaskadenförmig’ nach unten durchgeführt werden, da das mittlere Management keine positive Beeinflussung der übrigen Akteure vornahm. Daher hat die Dienststellenleitung in einem ‘hierarchischen Bypass’ die Beeinflussung der unteren Führungskräfte selbst vorgenommen. Die unteren Führungskräfte hingegen haben sich wiederum als Promotoren des Projektes gegenüber den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben erwiesen.1209 Teilweise hat die Dienststellenleitung auch Aufgaben, die eigentlich den mittleren Führungskräften oblagen, selbst wahrgenommen, um ein Ergebnis im Sinne des Veränderungsprozesses sicherzustellen, teilweise hat sie die Aufgabenerledigung durch die mittleren Führungskräfte stärker kontrolliert.1210 (2) Organisationskultur Auch in dieser Fallstudie trat deutlich zutage, dass die traditionelle Organisationskultur des untersuchten Bereichs vor allem durch geringes Kostenbewusstsein geprägt war.1211 Zudem war die Organisation der Amtsseite auch durch spezifische Statussymbole gekennzeichnet, wozu für die mittleren Führungskräfte vor allem ein PKW mit ‘eigenem Fahrer’ zählte.1212

1206

1207 1208 1209 1210 1211 1212

Vgl. Interview 5-2. Von der Dienststellenleitung wurde als sinnvoll erachtet, wenn im Ministerium hierarchisch deutlich höhere Stellen hätten angesprochen werden dürfen. Vgl. hierzu Interview 5-5 und Interview 5-11. Vgl. Interview 5-5. Vgl. Interview 5-7. Vgl. Interview 5-3. Vgl. Interview 5-3. Vgl. Interview 5-3 und Interview 5-4. Vgl. Interview 5-7 und Interview 5-11.

210 Weiterhin wurde die Organisationskultur als ausgesprochen hierarchisch charakterisiert.1213 Den beauftragten Unternehmen wurde hingegen eine einseitige Ausrichtung auf Gewinnoptimierung bzw. eine ‘Mentalität des Abkassierens’ unterstellt.1214 Die kulturellen Unterschiede zwischen Amts- und Unternehmensseite wurden von beiden Parteien als gravierend wahrgenommen und führten zu einem ‘Klima des gegenseitigen Misstrauens’ zwischen Amts- und Firmenseite.1215 "Es gibt hier eindeutig von beiden Seiten eine Misstrauenskultur. Von Seiten der Industrie wird jede Anforderung darauf geprüft, ob es nicht eigentlich eine Schikane ist und eine Einsparung darstellen könnte. Die [..; Bezeichnung der Amtsseite, Anm. d. Verfassers] hingegen unterstellen der Industrie, nur der ‘Gewinnmöhre’ nachzurennen und daher nur eine Minimalleistung erbringen zu wollen."1216 Das Herstellen von wechselseitigem Vertrauen zwischen Amts- und Unternehmensseite wurde vom Dienststellenleiter daher als wichtige Aufgabe betrachtet.1217 5.5.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Die Akteure versuchten zwar nicht, die extern entstandenen Vorschriften zu verändern, partiell fand aber im Ministerium eine Prüfung der Auswirkungen der Vorschriftenlage auf den Veränderungsprozess statt. Außerdem versuchten übergeordnete Behörden für bestehende ’Vorschriftenprobleme’ Lösungen zu erarbeiten. Darüber hinaus wurde von übergeordneten Behörden die Kontinuität in der Dienststellenleitung ebenso wie ausreichende Ressourcen für die Dienststelle sichergestellt. Die zentrale Maßnahme zur Beeinflussung der innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände ist zweifelsohne in der Gewährleistung der Unterstützung der Dienststellenleitung zu sehen. Die Dienststellenleitung versuchte ihrerseits durch eine möglichst eindeutige ‘Weisungslage’ das ‘Unterwandern’ des veränderten Handlungsmusters zu erschweren. 5.5.6

Interne Zustände

Die Fallstudie hat keine Hinweise zur Auswirkung von internen Zuständen der Akteure auf den Veränderungsprozess ergeben. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.5.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleitung: Die Dienststellenleitung handelte zum Zeitpunkt der Interviews bereits geraume Zeit ohne jede Einschränkung im Sinne des veränderten Handlungsmusters. Sie hatte

1213 1214 1215

1216 1217

Vgl. Interview 5-5. Vgl. Interview 5-2, Interview 5-3, Interview 5-6 sowie Interview 5-7. Vgl. Interview 5-1, Interview 5-2, Interview 5-3, Interview 5-6, Interview 5-8, Interview 5-10 sowie Interview 5-11. Der Aspekt des gegenseitigen Misstrauens wurde sowohl von der Amtsseite als auch von der Unternehmensseite in den Interviews betont. Interview 5-7. Vgl. Interview 5-11.

211 die Phasen Unfreeze und Move erfolgreich abgeschlossen. Ob auch die Phase Refreeze bereits erfolgreich durchlaufen wurde oder ob bei der Dienststellenleitung noch Kosten des Übergangsprozesses vorlagen, konnte nicht eindeutig ermittelt werden. Auf Basis der erhobenen Daten war jedoch das Erreichen des Zielzustands zu erwarten. Mittlere Führungskräfte der Dienststelle: Die mittleren Führungskräfte hatten die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze überwiegend nicht durchlaufen. Sie signalisierten eindeutig ihre Missbilligung des Ansatzes und agierten weitgehend als ‘Opponenten’ bzw. ‘verdeckte Opponenten’.1218 Das Widerstandsverhalten wurde nur durch klare Weisungen der Dienststellenleitung und implizite Androhung disziplinarischer Sanktionen gezügelt. Hierdurch entstand ein drittes Handlungsmuster, gekennzeichnet durch latente Widerstandshandlungen bei gleichzeitiger Erbringung der (nicht vermeidbaren) notwendigen Unterstützungsleistung.1219 Untere Führungskräfte der Dienststelle: Es wurde mehrfach beschrieben, dass von den unteren Führungskräften eine große Kooperationsbereitschaft ausging. Die unteren Führungskräfte hatten ein vitales Interesse an einer funktionierenden Zusammenarbeit mit den Unternehmen, um den täglichen Ausbildungsbetrieb sicherzustellen (siehe Kapitel 5.5.3.5). Sie verhielten sich daher im Sinne des veränderten Handlungsmusters und hatten somit die Phasen Unfreeze und Move erfolgreich durchlaufen. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur zehnmonatigen Praxis konnte zum Durchlaufen der Phase Refreeze noch keine klare Aussage gemacht werden. Das bis dahin gezeigte Verhalten und die bis dahin von den unteren Führungskräften gemachten positiven Erfahrungen mit dem veränderten Handlungsmusters sprachen aber für eine günstige Prognose zur Erreichung des Zielzustands. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter der Dienststelle ohne Führungsaufgaben realisierten aufgrund der großen Konflikte mit den Mitarbeitern der beauftragten Unternehmen einen negativen Nettonutzen der Veränderung. Die Ausübung des veränderten Handlungsmusters erfolgte nicht freiwillig, die Mitarbeiter wurden zu den beauftragten Unternehmen vielmehr mit disziplinarischem Zwang (‘Legitimate Power’) abgeordnet. Damit stand die Ausübung des bisherigen Handlungsmusters nicht als Alternative zur Auswahl. Übrige Akteure (ohne Dienststelle): Zu den übrigen Akteuren (ohne Dienststelle) kann auf Basis der erhobenen Daten keine eindeutige Aussage zum Durchlaufen der Phasen getroffen werden. Dienststelle: Die Dienststelle als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung hatte den neuen Ansatz akzeptiert und zum Zeitpunkt der Datenerhebung das veränderte Handlungsmuster bereits zehn Monate ausgeführt, obwohl noch deutliche Friktionen erkennbar waren, die als Kosten des Übergangsprozesses gewertet werden können. Somit hatte die Dienst-

1218 1219

Zu den Begriffen ‘Opponenten’ und ‘verdeckte Opponenten’ siehe Kapitel 2.1.9.5. Vgl. Interview 5-3, Interview 5-5, Interview 5-8 sowie Interview 5-12.

212 stelle die Phasen Unfreeze und Move erfolgreich durchlaufen und befand sich noch in der Phase Refreeze. Bis dahin konnte also in der Dienststelle die ‘kritische Masse’ erzeugt werden, die vor allem aus einer Koalition von Dienststellenleitung und unteren Führungskräften bestand: "Der Wille an der Basis und der obersten Ebene ist da! Die mittlere Managementebene mauert."1220 Auf Basis des bis dahin positiven Verlaufs des Veränderungsprozesses konnte für das Erreichen des Zielzustands eine günstige Prognose abgegeben werden.

5.6 Fallstudie 6 - Privatisierung von Logistikdienstleistungen im nachgeordneten Bereich F des Bundesministeriums I 5.6.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Gegenstand von Fallstudie 6 ist die Privatisierung der Logistikdienstleistungen, die bis dahin vom nachgeordneten Bereich F des Bundesministeriums I mit eigenem Personal erbracht wurden. Unmittelbar betroffen waren zwölf Dienststellen, die über mehrere Bundesländer verteilt waren1221 sowie die ebenfalls zum nachgeordneten Bereich F gehörende vorgesetzte Dienststelle. Im Ausgangszustand umfassten die von der Amtsseite erbrachten Dienstleistungen die Lagerhaltung und Bevorratung großer Mengen von Gefahrgütern, deren Zustandserhaltung durch Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten, die Bereitstellung der eingelagerten Güter für insgesamt über 250 verbrauchende Dienststellen sowie die Entsorgung unbrauchbarer Bestände. Im Zielzustand sollten die genannten Dienstleistungen von privaten Betreiberunternehmen ausgeführt werden. Zusätzlich sollten die bevorrateten Gefahrgüter zukünftig von den beauftragten Unternehmen zu den verbrauchenden Dienststellen transportiert werden, die diese bis dahin selbst abzuholen hatten.1222 Intention der Veränderung war vorrangig die Senkung der Kosten bei Beibehaltung der Qualität, welche in der Verfügbarkeit der Güter in nutzbarem Zustand, der zuverlässigen Versorgung der verbrauchenden Dienststellen sowie der Einhaltung der Sicherheitsstandards für gefährliche Güter gesehen wurde.1223 Weiterhin sollte die Privatisierung dazu beitragen, dass die Amtsseite sich stärker als bisher auf die Kernaufgaben des Ministeriums I konzentrieren konnte.1224 Analog zu Fall 5 war auch diese Privatisierung Bestandteil der Bemühungen von Ministerium I, bei der Umsetzung des Reformleitbildes ‘Aktivierender Staat’1225 bzw. des Re-

1220 1221 1222 1223 1224 1225

Interview 5-8. Vgl. Dokument 6-2, S. 18. Vgl. Dokument 6-1, S. 7-8, Dokument 6-2, S. 2 sowie Dokument 6-7, S. 17. Vgl. Dokument 6-1, S. 7. Vgl. Dokument 6-1, S. 7. Zum Reformleitbild ‘Aktivierender Staat’ vgl. auch Kapitel 3.2.2.

213 formprogramms ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’1226 eine Vorreiterrolle einzunehmen.1227 Das untersuchte Vorhaben sollte dabei als Pilotprojekt dienen und Erfahrungswerte für weitere Privatisierungen generieren.1228 Die Veränderung wurde von den Akteuren, insbesondere den Mitarbeitern der betroffenen zwölf Dienststellen, als ausgesprochen schwerwiegend empfunden.1229 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Dem Veränderungsprozess zur Privatisierung der Logistikdienstleistungen gingen im nachgeordneten Bereich F intensive Bemühungen der Führungskräfte voraus, Einsparpotenziale in ‘Eigenregie’ zu identifizieren, auszuweisen und zu realisieren. Es wurden Vorschläge mit hohem Einsparvolumen erarbeitet, die jedoch in Kernpunkten (v. a. Schließungen von Standorten und Abbau von Personal) von übergeordneter Behörden nicht genehmigt wurden und daher nicht umgesetzt werden konnten.1230 Ausgangspunkt des Veränderungsprozesses zur Privatisierung der Dienstleistungen war der vom Ministerium I im Jahr 1999 geschlossene Rahmenvertrag zur Verstärkung der Kooperation mit Unternehmen der deutschen Wirtschaft.1231 Eine vorläufige Leistungsbeschreibung zur Privatisierung wurde im Juni 2000 via Internet veröffentlicht, das sog. Interessenbekundungsverfahren, mit dem das Interesse potenzieller Anbieter eruiert werden sollte, wurde im Juli 2000 eingeleitet. Im September 2000 lagen unverbindliche Angebote mehrerer potenzieller Anbieter vor, die dann bis Mitte Oktober 2000 ausgewertet wurden. Im Januar 2001 entschied sich die Leitung des Ministeriums, auf Basis des Interessenbekundungsverfahrens eine europaweite Ausschreibung durchzuführen, zu deren Zweck im Juli 2001 eine endgültige Leistungsbeschreibung erstellt wurde.1232 Zum Zeitpunkt der Datenerhebung im September/Oktober 2001 sollte die formale Ausschreibung der Logistikdienstleistungen innerhalb weniger Monate erfolgen. Das veränderte Handlungsmuster wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung damit noch nicht ausgeübt, der weitere Verlauf des Projektes konnte noch nicht abgesehen werden. Somit ist die Fallstudie, bezogen auf den insgesamt zu verändernden Akteur höherer Ordnung, auf die Phase Unfreeze beschränkt. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Fallstudie basierte vorrangig auf 13 Interviews, die im September/Oktober 2001 in zwei der betroffenen Dienststellen sowie der vorgesetzten Dienststelle und einer übergeordneten

1226 1227 1228 1229

1230 1231 1232

Zum Reformprogramm ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ vgl. auch Kapitel 3.2.2. Vgl. Dokument 6-7, S. 5 und S. 17. Dokument 6-1, S. 8. Vgl. Interview 6-6 und Interview 6-7. Die Veränderung wurde als gravierend empfunden, weil massive Veränderungen der Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeiter dieser zwölf Dienststellen zu erwarten waren. Siehe hierzu Kapitel 5.6.3. Vgl. hierzu Interview 6-7 und Interview 6-8. Vgl. Interview 6-1. Siehe zudem Kapitel 5.5.1. Vgl. Dokument 6-7, S. 17, Dokument 6-4, S. 2 sowie Dokument 6-1, S. 1.

214 Behörde mit verschiedenen Akteuren geführt wurden.1233 Weiterhin wurden zahlreiche Dokumente ausgewertet. Kurzfragebögen und umfangreiche informelle Gespräche verbesserten das Verständnis für das Projekt. Die Fallstudie fokussiert die Betrachtung auf den Zeitraum von der Initiierung des Projektes im Jahr 1999 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im September/Oktober 2001.1234 5.6.2

Akteure im Veränderungsprozess

Im Veränderungsprozess konnten folgende Akteure identifiziert werden, die unterschiedlichen Bereichen entstammten und verschiedene Rollen ausübten:1235 ƒ

Der nachgeordnete Bereich F als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung, bestehend aus zwölf unterstellten Dienststellen sowie einer vorgesetzten Dienststelle.

ƒ

Die Dienststellenleiter und weiteren Führungskräfte der betroffenen zwölf Dienststellen und der vorgesetzten Dienststelle als zentrale potenzielle Promotoren/Opponenten des Veränderungsprozesses sowie als Know-How-Träger und Ansprechpartner der Betreiberunternehmen vor und während des Übernahmezeitraums.

ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben in den zwölf betroffenen Dienststellen als operative Leistungserbringer, im Betreibermodell unter der Führung der beauftragten Unternehmen.

ƒ

Das Projektteam, das den Veränderungsprozess operativ umzusetzen hatte, bestehend aus Führungskräften der vorgesetzten Dienststelle, der betroffenen Dienststellen sowie Mitarbeitern der übergeordneten Behörden bzw. des Ministeriums.

ƒ

Das zuständige Bundesministerium I und drei weitere übergeordneten Behörden als Entscheidungsinstanzen im Veränderungsprozess.

ƒ

Die Nutzer der Logistikdienstleistungen, d. h. über 250 außerhalb des nachgeordneten Bereichs F angesiedelte Dienststellen.

ƒ

Die Personalvertreter in den betroffenen zwölf Dienststellen, vor allem als Multiplikatoren für die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben.

ƒ

Die (potenziellen) Betreiberunternehmen, die als Auftragnehmer die Logistikdienstleistungen zukünftig erbringen und den Übergangsprozess gestalten sollten.

ƒ

Die Gewerkschaften, die Einfluss auf die Mitarbeiterbasis und die Personalvertreter genommen haben.

1233

1234 1235

Interviews wurden mit fünf Führungskräften (davon vier Mitglieder des Projektteams), drei betroffenen Arbeitern (davon zwei Personalratsmitglieder), drei betroffenen Angestellten ohne Führungsaufgaben (einer davon Personalratsmitglied), einem betroffenen Beamten ohne Führungsaufgaben und einem Vertreter einer übergeordneten Behörde geführt. Auf die Aktivitäten der Amtsseite vor 1999 (ca. ab 1996) wird nur am Rande Bezug genommen. Vgl. zu den Akteuren Interview 6-1, Interview 6-7, Interview 6-10 sowie Interview 6-13.

215 5.6.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

5.6.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Nachgeordneter Bereich F, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte, Projektteam: Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben (Angestellte und Arbeiter) sollten überwiegend von den privaten Betreiberunternehmen übernommen und von diesen ‘fachlich gesteuert’ werden, jedoch formal Mitarbeiter des Bundes bleiben.1236 Hieraus entstand die Schwierigkeit, dass die Führungskräfte der Amtsseite weiterhin die disziplinarische Führung auszuüben hatten, ohne ‘eigene’ Kenntnisse vom Leistungsverhalten und den Arbeitsergebnissen der Mitarbeiter zu haben. Die Erstellung von Leistungsbeurteilungen und das Verhängen disziplinarischer Sanktionen ausschließlich auf Basis der Berichte externer Führungskräfte wurden aufgrund dessen als problematisch erachtet. Es wurden erhebliche Konflikte mit den Mitarbeitern erwartet, die der nachgeordnete Bereich F und die dort tätigen Führungskräfte zu tragen hatten.1237 Zudem entstanden dem nachgeordneten Bereich F zusätzliche Kosten aus der notwendigen Kontrolle der Leistungserbringung durch die beauftragten Betreiberunternehmen.1238 Für die Mitglieder des Projektteams wie auch für die Führungskräfte der zwölf betroffenen und der vorgesetzten Dienststelle entstanden dadurch Kosten, dass die Amtsseite gegenüber den privaten Betreibern als weniger wirtschaftlich bzw. leistungsfähig dargestellt wurde: "[...]die Logistik hatte 20 Jahre Zeit gehabt, jetzt hat sie die Zeit verschlafen, jetzt kommt die Industrie."1239 Diese Einschätzung wurde als Beschädigung des eigenen Prestiges gewertet, insbesondere da man intern geeignete Vorschläge zur Kostensenkung vorgelegt hatte.1240 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Hohe Kosten durch das veränderte Handlungsmuster wurden von den Arbeitern und Angestellten der zwölf betroffenen Dienststellen antizipiert. Im Zentrum der Bewertung des Veränderungsprozesses stand die Befürchtung, aufgrund von Standortschließungen zu weiter entfernten Dienststellen versetzt zu werden und somit entweder einen Wohnortwechsel oder lange Fahrzeiten zum Dienstort in Kauf nehmen zu müssen. Bei einem Wohnortwechsel hätten dann ein möglicher Arbeitsplatzverlust des Ehepartners und/oder ein Schulwechsel der Kinder erhebliche zusätzliche Kosten dargestellt.1241

1236 1237 1238 1239 1240 1241

Vgl. Dokument 6-2, S. 6, Dokument 6-1, S. 7, Dokument 6-3, S. 4 sowie Interview 6-1. Vgl. Interview 6-2. Dieser Aspekt wurde in den informellen Gesprächen stark thematisiert. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-2 sowie Interview 6-13. Interview 6-13. Vgl. Interview 6-13. Vgl. Interview 6-4, Interview 6-3, Interview 6-5, Interview 6-7, Interview 6-10, Interview 6-12 sowie Interview 6-13.

216 Teilweise befürchteten die Mitarbeiter auch eine höhere Arbeitsbelastung unter der Führung der privaten Betreiberunternehmen gegenüber der Arbeitsbelastung unter der Führung der Amtsseite.1242 Zudem hatten die Mitarbeiter Bedenken, dass die privaten Betreiberunternehmen aufgrund des unterstellten gewinnmaximierenden Verhaltens Kosten für die Gewährleistung der Sicherheit im Umgang mit den Gefahrengütern senken würden, woraus eine erhöhte Gefahr für Leben und Gesundheit resultiert hätte.1243 Übergeordnete Behörden und Ministerium: Das zuständige Ministerium erwartete durch eine Effizienzsteigerung deutliche Kostensenkungen gegenüber dem Status Quo bei gleichbleibender Qualität.1244 Die Angebote der Industrie ließen erkennen, dass Einsparungen hauptsächlich durch Schließung von Dienststellen und Personalabbau erreicht werden sollten.1245 Personalreduzierungen und Standortschließungen in größerem Umfang wurden prinzipiell auch von der Amtsseite als möglich und sinnvoll eingeschätzt.1246 Die Realisierung dieser Einsparungen wurde jedoch erschwert, weil betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitern und Angestellten tarifvertraglich ausgeschlossen waren und Beamte ohnehin nicht gekündigt werden konnten (siehe Kapitel 5.6.5.1). Kostenwirksame Personalreduzierungen hätten somit nur im Umfang der ‘natürlichen’ Fluktuation oder durch eine alternative Beschäftigung der Belegschaft in den beauftragten Unternehmen erreicht werden können. Analysen des Projektteams ergaben, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren 10-15% der Beschäftigten durch altersbedingte Fluktuation hätten abgebaut werden können.1247 Nach Berechnungen des Ministeriums war, trotz der genannten Restriktionen, mit einer Einsparung gegenüber dem Status Quo zu rechnen.1248 Dem wurde insbesondere von Mitgliedern des Projektteams entgegengehalten, dass diese Einsparungen nicht vorrangig auf das veränderte Handlungsmuster, also das private Betreibermodell, zurückzuführen seien, sondern auch innerhalb des bisherigen Handlungsmusters, d. h. im Eigenbetrieb, durch interne Optimierung zu realisieren gewesen wären. Man hatte bereits vor dem Projekt in einer eigenen Arbeitsgruppe, die aus Fachleuten der vorgesetzten Dienststelle sowie der betroffenen zwölf Dienststellen bestand, nahezu gleich lautende Vorschläge zur Kostensenkung erarbeitet. Diese Vorschläge der Amtsseite wurden von übergeordneten

1242 1243 1244 1245

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1247 1248

Vgl. Interview 6-2 und Interview 6-13. Vgl. Interview 6-8 und Interview 6-11. Vgl. Dokument 6-4, S. 3. Vgl. Interview 6-2. In einem unverbindlichen Angebot ging man von einem möglichen Personalabbau in Höhe von 80% aus. Vgl. hierzu Dokument 6-6, S. 1 und S. 19. Vgl. Interview 6-5, Interview 6-6 sowie Interview 6-7. Das war primär auf eine seit Beginn der 1990er Jahre stark gesunkene Menge an Gefahrgütern zurückzuführen, die gelagert und instand gesetzt werden musste. Vgl. hierzu Interview 6-7. Vgl. Interview 6-2. Vgl. Interview 6-1.

217 Behörden jedoch abgelehnt.1249 Insgesamt blieb unklar, ob eine zusätzliche Kostenreduzierung für das Ministerium, die unmittelbar dem veränderten Handlungsmuster (Privatisierung) zuzurechnen war, hätte realisiert werden können. Nutzer der Logistikdienstleistungen: Für die verbrauchenden Dienststellen wurde angenommen, dass im Rahmen eines Betreibermodells eine frühzeitigere und genauere Planung des Güterverbrauchs hätte vorgenommen werden müssen. Der Zwang zur genaueren Planung wurde als unbequem und damit als nachteilig für die verbrauchenden Dienststellen bewertet.1250 5.6.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Nachgeordneter Bereich F, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Für den nachgeordneten Bereich F war das Betreibermodell mit dem Verlust von Einfluss im Bereich der zwölf unterstellten Dienststellen verbunden. Die Dienststellenleiter und Führungskräfte waren allerdings einer regelmäßigen Rotation unterworfen und hätten mit Einführung des Betreibermodells (oder kurze Zeit später) die Stelle gewechselt, so dass sie mittelfristig keinen Machtverlust zu befürchten hatten. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Für die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben stand die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw. der Verlust des Nutzens aus dem bestehenden Beschäftigungsverhältnis klar im Vordergrund der Betrachtung.1251 "Um den Arbeitsplatz hat jeder Angst."1252 Zudem befürchteten die Mitarbeiter, sie verlören bei einem möglichen Wechsel zum privaten Betreiber die Ansprüche auf die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenrente des Bundes.1253 Ministerium: Durch das veränderte Handlungsmuster wäre für das Ministerium zusätzlicher Nutzen entstanden, da man einen Teil der personellen Kapazitäten (insbesondere die Führungskräfte) für Kernaufgaben des Ministeriums freigesetzt hätte.1254 Zudem antizipierte Ministerium I durch die Privatisierung eine deutliche Profilierung im Reformprozess der Bundesregierung (siehe Kapitel 5.6.1). Nutzer der Logistikdienstleistungen: Für die Nutzer der Logistikleistungen wurde die Qualität der Dienstleistungen (pünktliche und vollständige Bereitstellung der Güter, Erhaltung der Güter in funktionsfähigem Zustand) als entscheidend für die Nutzendifferenz von verändertem und bisherigem Handlungsmuster angesehen.1255 Es wurde von einer ‘gewissen Skepsis’ der Nutzer berichtet, die befürchteten, dass die Dienstleistungen von den privaten Betreibern

1249 1250 1251

1252 1253 1254 1255

Vgl. Interview 6-2, Interview 6-6, Interview 6-7 sowie Interview 6-8. Vgl. Interview 6-2, Interview 6-6 sowie Interview 6-13. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-2, Interview 6-3, Interview 6-5, Interview 6-6, Interview 6-7, Interview 68, Interview 6-10 sowie Interview 6-13. Interview 6-12. Vgl. Interview 6-3, Interview 6-4, Interview 6-5 sowie Interview 6-10. Vgl. Dokument 6-1, S. 7. Vgl. Interview 6-7.

218 in schlechterer Qualität erbracht würden.1256 So wurde als Gefahr gesehen, die Flexibilität der Leistungserbringung könnte absinken, da den Mitarbeitern der Amtsseite bislang auch die kurzfristige Leistungserbringung ‘angeordnet’ werden konnte, was bei den privaten Betreibern nicht möglich wäre.1257 Ein zusätzlicher Nutzen für die Nutzer der Logistikdienstleistungen war darin zu sehen, dass diese die Güter nicht mehr selbst hätten abholen müssen, sondern diese zukünftig vom Betreiber direkt an den Ort des Verbrauchs geliefert werden sollten.1258 5.6.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Nachgeordneter Bereich F und Nutzer der Logistikdienstleistungen: Für den Übergangsprozess wurden erhebliche ‘Anlaufschwierigkeiten’ wie die unpünktliche Bereitstellung der Güter oder Fehllieferungen erwartet, da während eines Übernahmezeitraums von 6-12 Monaten1259 bei bereits laufendem Betreibermodell noch in erheblichem Umfang Wissen von der Amtsseite zu den privaten Betreibern hätte transferiert werden müssen.1260 Diese Friktionen hätten sowohl für den nachgeordneten Bereich F als auch für die Nutzer der Logistikleistungen Kosten dargestellt. Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte, Projektteam: Den Führungskräften und Projektmitarbeitern der Amtsseite waren bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung durch das Interessenbekundungsverfahren, die Erstellung der Leistungsbeschreibung und die Vorbereitung der Ausschreibung erhebliche Kosten des Übergangs entstanden, da die Projekttätigkeiten zusätzlich zum ‘Tagesgeschäft’ ausgeübt wurden. 1261 Als gewichtiges Ärgernis wurde von den Projektmitarbeitern der Amtseite empfunden, die privaten Betreiberunternehmen im Übergangszeitraum dabei unterstützen zu müssen, jene Verbesserungsvorschläge umzusetzen, die diese in ihren Angeboten von der amtsseitigen Arbeitsgruppe übernommen hatten,1262 die die Amtsseite aber in eigener Regie nicht hatte umsetzen dürfen. Die Projektmitarbeiter, die zuvor in der Arbeitsgruppe zur internen Optimierung tätig waren, sollten nun in einer Situation ‘das Feld räumen’, in der sie selbst große Fortschritte hätten bewerkstelligen können. "So, und jetzt sind wir um Grunde genommen voll dabei und könnten noch wesentlich mehr machen [...] und jetzt will man das nicht mehr so, sondern, ich sag´s jetzt auch wieder in Anführungsstrichen, verkauft man uns auch noch an die Industrie. Und das ist schon etwas, was den einen oder anderen stört. Weil wir einfach wissen, wir könnten wesentlich mehr, aber man lässt uns eigentlich nicht, sondern hat uns nicht

1256 1257 1258 1259 1260 1261 1262

Vgl. Interview 6-2, Interview 6-4 sowie Interview 6-6. Vgl. Interview 6-2, Interview 6-6, Interview 6-8 sowie Interview 6-13. Vgl. Dokument 6-1, S. 7-8, Dokument 6-2, S. 2, Dokument 6-7, S. 17, Interview 6-7 sowie Interview 6-8. Vgl. Dokument 6-1, S. 8, Dokument 6-2, S. 2 sowie Dokument 6-6, S. 1. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-6 sowie Interview 6-7. Vgl. Interview 6-1. Vgl. Interview 6-13.

219 mal angespornt, da noch mehr zu bringen, sondern man hat uns eigentlich, ohne uns zu fragen, schon verkauft." 1263 5.6.3.4 Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Ministerium: Zum Zeitpunkt der Datenaufnahme lagen noch keine Kosten des Rückübergangs vor, für die Zukunft waren diese jedoch erkennbar. Ein Rückübergang nach abgeschlossenen Verträgen während der Vertragslaufzeit hätte zu Kompensationszahlungen zu Gunsten der beauftragten Unternehmen geführt. Außerdem wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass es nur mit großem Aufwand möglich sein würde, verloren gegangenes Know-How wieder aufzubauen, wenn die Dienstleistungen über einen längeren Zeitraum nicht mehr von der Amtsseite ausgeführt worden wären.1264 5.6.3.5 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) und Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) Im Rahmen der Fallstudie konnten keine Erkenntnisse zum Nutzen des Übergangsprozesses und zum Nutzen des Rückübergangs gewonnen werden. 5.6.3.6 Nettonutzenbetrachtung Nachgeordneter Bereich F: Für den nachgeordneten Bereich F konnten vorrangig negative Aspekte der Privatisierung wie die zusätzliche Kontrolle der Leistungserbringung der Betreiberunternehmen sowie die erwarteten Anlaufschwierigkeiten und die sich daraus ergebenden Friktionen im Übergangsprozess identifiziert werden. Als zentrale Nutzeneinbuße kann aber der Verlust von Einfluss angesehen werden, da Aufgabenfelder und Ressourcen zu den privaten Betreibern übergehen sollten. Insgesamt kann daher von einem deutlich negativen Nettonutzen der Veränderung für den nachgeordneten Bereich F ausgegangen werden. Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Führungskräfte bewerteten den impliziten Imageverlust durch die Darstellung des Privatisierungsprozesses als Beleg der geringeren Effizienz und Leistungsfähigkeit der Amtsseite negativ. Weiterhin antizipierten die Führungskräfte Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung disziplinarischer Aufgaben. Zudem führte auch der Aufwand zur Vorbereitung der Privatisierung einschließlich des Wissenstransfers an die privaten Betreiber zu einem negativen Nettonutzen der Veränderung. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Bei den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben standen die Ängste vor überregionaler Versetzung und den damit verbundenen Kosten, dem Arbeitsplatzverlust sowie dem Verlust der Ansprüche auf die Zusatzrente des Bundes klar im Vordergrund der Betrachtung. Zudem wurden durch die Privatisierung eine höhere Arbeitsbelastung und eine stärkere Gefährdung beim Umgang mit den Gefahrgütern befürchtet. Da diesen Effekten keine Kostensenkungen oder Nutzenerhöhungen aus dem veränderten Hand-

1263

Interview 6-8. Vgl. hierzu auch Interview 6-13.

220 lungsmuster gegenüber standen, kann für diese Gruppe eindeutig von der Antizipation eines negativen Nettonutzens der Veränderung ausgegangen werden. Projektteam: Auch die Projektteammitglieder traf der für die Führungskräfte bereits beschriebene Imageverlust durch die Privatisierung.1265 Dies wurde von den Projektteammitgliedern deshalb verstärkt wahrgenommen, weil die potenziellen Betreiber die Vorschläge des Projektteams in ihren Angeboten weitgehend übernommen hatten. Zudem hatte das Projektteam einen großen Teil der Arbeit für die Vorbereitung der Privatisierung (Leistungsbeschreibung, Ausschreibung usw.) neben dem ‘Tagesgeschäft’ zu tragen. Daher kann für das Projektteam von einem negativen Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Ministerium: Das Ministerium erwartete durch die Privatisierung gegenüber dem Status Quo deutliche Effizienzerhöhungen und Kostensenkungen. Es wurde jedoch plausibel dargelegt, dass die zu erzielenden Einsparungen weniger auf dem spezifischen Merkmal des veränderten Handlungsmusters als auf Standortschließungen und Personalreduzierungen beruhten, Maßnahmen, die auch im bisherigen Handlungsmuster (Eigenbetrieb) hätten realisiert werden können. Die Privatisierung führte jedoch unzweifelhaft zur Freisetzung von Führungskräften, die zur Bewältigung der Kernaufgaben des Ministeriums eingesetzt werden konnten. Zudem diente die Privatisierung der Profilierung des Ministeriums im Reformprozess der Bundesregierung. Damit kann insgesamt ein positiver Nettonutzen der Veränderung unterstellt werden. Nutzer der Logistikdienstleistungen: Die Nutzer der Logistikleistungen hatten die Inanspruchnahme der Dienstleistungen genauer und früher zu planen, was einen zusätzlichen Aufwand und einen Verlust an Flexibilität darstellte. Zudem wurden tendenziell Qualität und Zuverlässigkeit der Dienstleistungserbringung durch private Betreiber in Zweifel gezogen. Dem stand der zusätzliche Nutzen aus der Anlieferung der Gefahrgüter an den Ort des Verbrauchs gegenüber, die bislang von den Nutzern abzuholen waren. Eine Gewichtung der Vor- und Nachteile ist auf Basis der vorhandenen Daten nicht möglich, so dass der Nettonutzen der Veränderung nicht ausreichend sicher eingeschätzt werden kann. Übrige Akteure: Die vorliegende Datenbasis ließ für die übrigen Akteure keine fundierten Aussagen zum Nettonutzen der Veränderung zu. 5.6.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: Zum Zeitpunkt der Datenerhebung konnte eine Vielzahl von Kommunikationsmaßnahmen ermittelt werden, die der Beeinflussung der Akteure dienen sollten. So wurden Informationen in Betriebsversammlungen, Arbeitsbesprechungen und Workshops weiter-

1264 1265

Vgl. Interview 6-6, Interview 6-2, Interview 6-5 sowie Interview 6-13. Es gab eine große Überschneidung von Führungskräften und Projektteam. Das Projektteam war vorrangig mit Führungskräften des nachgeordneten Bereichs F besetzt. Eine große Zahl der Führungskräfte gehörte zum Projektteam oder arbeitete diesem zu.

221 gegeben. Zudem stellte das Ministerium Information in Intranet und Internet bereit.1266 Die Führungskräfte fühlten sich selbst gut informiert1267 und gingen ihrerseits auch davon aus, dass die ihnen unterstellten Mitarbeiter aufgrund der vielfältigen Kommunikationsmaßnahmen ebenfalls gut informiert seien.1268 Die Informationsversorgung wurde jedoch von den betroffenen Mitarbeitern völlig anders bewertet; sie beklagten sich durchgehend, teilweise massiv, über fehlende Informationen.1269 "Im Grunde genommen haben wir nur diese Information hier, wir sollen Pilotprojekt für eine Privatisierung werden: Nicht wann, nicht wie und warum erst recht auch nicht."1270 Auch der Personalrat fühlte sich über das Projekt schlecht informiert.1271 Fehlende Informationen über zukünftige Zustände wurden stattdessen durch Gerüchte bzw. Spekulationen1272 mit tendenziell negativem Charakter substituiert. Letztlich wurden auf Basis von Spekulationen steigende Kosten bzw. sinkender Nutzen durch das veränderte Handlungsmusters antizipiert.1273 Als potenziell geeignete Multiplikatoren wurden die direkten Vorgesetzten der betroffenen Mitarbeiter angesehen.1274 Deren Aussagen würden, vor allem in Form des gesprochenen Wortes, als besonders verbindlich und vertrauenswürdig eingeschätzt.1275 Von Seiten des Projektteams wurde ausgeführt, dass der Einsatz der Führungskräfte der Dienststellen als (überzeugende) Multiplikatoren nicht zu erzwingen und nur schwer zu beeinflussen sei. Man hätte lediglich ein offen subversives Verhalten unterbinden können. "Wir können natürlich tätig werden, wenn hier plötzlich Schreiben kursieren würden [...], 'und wir werden uns dagegen wehren’ [...]. Aber was der hier in seinen Betriebsversammlungen erzählt und in seinen Personalversammlungen erzählt, da hat keiner einen Einfluss drauf."1276 Von einigen Führungskräften der unterstellten zwölf Dienststellen wurde berichtet, sie informierten ihre Mitarbeiter kaum oder hätten sich gegenüber den Mitarbeitern negativ über den Veränderungsprozess geäußert und seien als ‘negative Multiplikatoren’ aufgetreten.1277 Auch

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Zu den Instrumenten der Kommunikation vgl. Interview 6-2, Interview 6-3 sowie Interview 6-6. Vgl. Interview 6-6 und Interview 6-7. Das kann darauf zurückgeführt werden, dass ein Teil der Führungskräfte zugleich im Projektteam mitarbeitete und damit Zugang zu Projektinformationen hatte. Vgl. Interview 6-2, Interview 6-7 sowie Interview 6-13. Informationen bezüglich Standortschließungen, Personalabbau, Modus des möglichen Übergangs zu einem privaten Arbeitgeber und Erhaltung der Zusatzrente des Bundes wurden vermisst. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-3, Interview 6-4, Interview 6-5 sowie Interview 6-11. Interview 6-5. Es ist anzumerken, dass wichtige Informationen über die Modalitäten der Privatisierung zu dieser Zeit noch nicht vorlagen und deshalb auch nicht weitergegeben werden konnten. Vgl. Interview 6-3 und Interview 6-4. Unter Spekulation sollen auf ungesicherten Annahmen bzw. Mutmaßungen beruhende Erwartungen verstanden werden. Vgl. Interview 6-3, Interview 6-4 sowie Interview 6-5. Vgl. Interview 6-2, Interview 6-3 sowie Interview 6-7. Vgl. Interview 6-2 und Interview 6-7. Vgl. Interview 6-13. Vgl. Interview 6-6, Interview 6-8 sowie Interview 6-13.

222 die Gewerkschaften führten auf Einladung der Personalräte Veranstaltungen durch, bei denen sie die negativen Aspekte der Veränderung hervorhoben. "Die Gewerkschaften haben in meinen Augen unverantwortlich da noch Ängste geschürt, in den Personalversammlungen, wo der Personalrat natürlich [...] eingeladen hat und die da also ordentlich vom Leder gezogen haben und also da völlig konträr und völlig dagegen sind [...]."1278 Extrinsische Anreize: Die Mitarbeiter wurden von Führungskräften darauf hingewiesen, dass diejenigen Standorte, die eine hohe Leistungsfähigkeit und -willigkeit demonstrierten1279, die besten Chancen hätten, von den privaten Betreiber langfristig erhalten zu werden. Dies wurde als wesentlicher Anreiz eingeschätzt, weitgehende Kooperationsbereitschaft zu demonstrieren (siehe Kapitel 5.6.5.1). Zudem wurde angeführt, bezüglich der wichtigsten ‘Sorgen’ der Mitarbeiter wie Standortwahl, Arbeitsplatzerhalt, Wahrung der Sicherheitsstandards und Erhalt der Zusatzrenten des Bundes sei Klarheit durch das Ministerium zu schaffen. Bei befriedigender Klärung dieser Problemstellungen könne man bei den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben in den verbleibenden Standorten mit ausreichender Kooperation und Akzeptanz des Modells rechnen (siehe Kapitel 5.6.5.1).1280 Controlling: Zur langfristigen Sicherstellung des Nutzens des Ministeriums sowie der Nutzer der privat erbrachten Logistikleistungen war der Aufbau eines Controllinginstrumentariums geplant, das die Beurteilung von Quantität und Qualität der Leistungserbringung sowie deren Steuerung ermöglichen sollte.1281 5.6.4

Fähigkeiten

5.6.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Technische und logistische Fähigkeiten: Für den Umgang mit den Gefahrgütern waren spezielle technische Fähigkeiten notwendig, über die auch die privaten Betreiber hätten verfügen müssen. Für den Teil des technischen Personals, der aus Angestellten und Arbeitern bestand, wäre das notwendige Know-How unmittelbar mit der Personalüberlassung für den Betreiber verfügbar gewesen. Lediglich für das Führungspersonal der Amtsseite, das für andere Verwendungen freigesetzt werden sollte, hätten die Betreiber technisch kompetentes Personal einsetzen müssen. Auch bezüglich der Beherrschung der logistischen Prozesse waren ausgeprägte Fähigkeiten notwendig, da die zu privatisierenden Felder in den Bereichen Lagerhaltung und Transport sehr umfangreich und aufgrund der besonderen Art der Gefahrgüter sehr

1278 1279 1280 1281

Interview 6-13. Z. B. durch hohen Ausbildungsstand und hohe Produktivität. Vgl. Interview 6-7. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-2 und Interview 6-13.

223 spezifisch waren.1282 Im operativen Bereich wären diese Fähigkeiten ebenfalls im Rahmen der Personalüberlassung zum Betreiber übergegangen, im Bereich der Führung hätten sie zunächst aufgebaut werden müssen, wozu der Übernahmezeitraum von 6-12 Monaten zur Verfügung stand (siehe Kapitel 5.6.4.2). Das Projektteam musste zur Vorbereitung des Betreibermodells über intensive Kenntnisse der technischen Verfahren und logistischen Prozesse verfügen. Hier wurden nur hochrangige Mitarbeiter mit jahrelanger Erfahrung im nachgeordneten Bereich F eingesetzt, so dass die notwendigen technischen und logistischen Fähigkeiten des Projektteams eindeutig sichergestellt waren. Kommunikationsfähigkeiten: Für den Veränderungsprozess war es von großer Bedeutung, verschiedene Akteure gezielt zu informieren und zur Kooperation zu bewegen, um Widerstände zu verringern. Hierfür waren die Kommunikationsfähigkeiten der Führungskräfte und Projektmitarbeiter wichtig (siehe Kapitel 5.6.3.7). Zur Ausprägung dieser Fähigkeiten konnten aber keine klaren Erkenntnisse gewonnen werden. Projektmanagementfähigkeiten: Das Projekt hatte die Bewältigung eines komplexen Veränderungsprozesses zum Ziel,1283 weshalb Fähigkeiten zum Projektmanagement von zentraler Bedeutung waren. Gerade zu Beginn des Projektes kam es zu großen Friktionen durch komplexe und langwierige Abstimmungen zwischen den Projektbeteiligten in den übergeordneten Behörden einschließlich des Ministeriums und den Projektbeteiligten im nachgeordneten Bereich F. Das Projektmanagement (und die Projektmanagementfähigkeiten des Projektteams) waren daher stark von der außerhalb des nachgeordneten Bereichs F vorgegebenen Projektorganisation geprägt (siehe Kapitel 5.6.5.1). Kenntnis des nachgeordneten Bereichs des Ministeriums I: Für den privaten Betreiber wären gute Kenntnis von den Strukturen und der Kultur der Amtsseite von großer Bedeutung gewesen, weil die zu übernehmenden Mitarbeiter im öffentlichen Sektor sozialisiert wurden und ihren Status als Beschäftigte des Bundes behalten sollten. Weiterhin waren auch die Nutzer der Logistikdienstleistungen ausschließlich Dienststellen des nachgeordneten Bereichs des Ministeriums I und somit ebenfalls dem öffentlichen Sektor zugehörig.1284 Da die privaten Betreiber zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht feststanden, konnte zu deren Kenntnis von Struktur und Kultur der Amtsseite keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.6.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Sicherstellung der notwendigen Fähigkeiten zu Beginn des Veränderungsprozesses erfolgte durch die Auswahl der Projektmitarbeiter aus dem

1282 1283

Zu den benötigten technischen und logistischen Fähigkeiten vgl. Interview 6-7. Die Komplexität entstand durch die hohe Zahl der Projektbeteiligten und deren Beziehungen zueinander.

224 nachgeordneten Bereich F. Diese zeichneten sich durch hohe Fachkompetenz aus und nahmen in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich seit Jahren führende Positionen ein.1285 Auswahl der Betreiberunternehmen: Die notwendigen Fähigkeiten der beauftragten Betreiberunternehmen sollten durch eine sorgfältige Auswahl im Rahmen der europaweiten Ausschreibung gewährleistet werden. Grundlage hierfür waren die in der Leistungsbeschreibung definierten Anforderungen an die Betreiber. Know-How-Transfer der Amtsseite: Als zentraler Erfolgsfaktor zur Sicherstellung der notwendigen Fähigkeiten wurde der Know-How-Transfer der Führungskräfte der Amtsseite auf die Führungskräfte der Betreiberfirma während des Übernahmezeitraums gesehen.1286 Diese Know-How-Übertragung innerhalb von 6-12 Monaten wurde aber als problematisch eingeschätzt: "[...] also dieser Know-How-Transfer, der wird sehr schwierig sein, denn [...] das ist ja Jahrzehnte lang gewachsen, das ist ja nicht so, dass man da eine Vorschrift geschrieben hat und dann hat man das vom ersten Tag an so gemacht, das hat sich ja letztendlich weiterentwickelt und das wird sehr, sehr schwierig sein […]."1287 Zudem war die Bereitschaft der Führungskräfte aus dem nachgeordneten Bereich F und des Projektteams zum Know-How-Transfer teilweise auf das ‘notwendige Maß zur Erfüllung der Dienstpflicht’ beschränkt.1288 5.6.5

Externe Zustände

5.6.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Prozessvorschriften und Vorschriften zur Ressourcenallokation: In Fallstudie 6 wirkten umfangreiche gesetzliche Regelungen und Verordnungen zum Umgang und Transport der spezifischen Gefahrgüter sowie zum Brandschutz sehr hemmend.1289 Die besondere Vorschriftenlage drohte die Realisierung des veränderten Handlungsmusters deutlich zu behindern, da der Amtsseite als Träger hoheitlicher Aufgaben in den Vorschriften vielfach Ausnahmeregelungen eingeräumt wurden. Die Vorschriften für private Organisationen waren zumeist deutlich restriktiver. Es war zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch ungeklärt, ob die privaten Betreiberfirmen die Ausnahmeregelungen der Amtsseite hätten in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie in deren Auftrag handelten.1290

1284 1285 1286 1287

1288 1289 1290

Vgl. Interview 6-2 und Interview 6-13. Vgl. Interview 6-13. Vgl. Interview 6-1 und Interview 6-7. Auf die Frage, ob er seine Ideen zur Effizienzverbesserung den privaten Betreibern zur Verfügung stellen würde antwortete eine Führungskraft: "Ich werd´n Teufel tun." Interview 6-7. Interview 6-8. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-2, Interview 6-7, Interview 6-8 sowie Interview 6-13. Vgl. Interview 6-1, Interview 6-2, Interview 6-8 sowie Interview 6-13.

225 Bezüglich der Ressourcenallokation lagen ebenfalls starke Restriktionen vor. Dem betroffenen Organisationsbereich war es im bisherigen Handlungsmuster seitens der übergeordneten Behörden nicht gestattet, Standortschließungen und Personalreduzierungen vorzunehmen. In den Interviews wurde betont, dass hierin die Ursache liegen würde, warum eine deutliche Reduzierung der Kosten des bisherigen Handlungsmusters noch nicht realisiert worden sei.1291 Für das veränderte Handlungsmuster wurde der externe Zustand diesbezüglich verändert, indem man den Betreiberfirmen eben diese Maßnahmen gestatten wollte (Personalabbau im Umfang der ‘natürlichen Fluktuation’1292).1293 Die freie Allokation personeller Ressourcen wurde für die privaten Betreiber aber dahingehend eingeschränkt, dass sie die Leistungserstellung ganz überwiegend mit dem bisherigen Personal hätten durchführen müssen, also zur Übernahme von Personal vertraglich verpflichtet wurden. "Der Auftragnehmer muss sich daher grundsätzlich verpflichten, das gesamte betroffene Personal weiterhin zu beschäftigen."1294 Man erwartete, dass die Ressourcenallokation bezüglich der Betriebsmittelausstattung im veränderten Handlungsmuster deutlich flexibler gewesen wäre, da die privaten Betreiber nicht dem öffentlichen Haushaltsrecht ausgesetzt waren und wesentlich autonomer z. B. Investitionsentscheidungen hätten treffen können.1295 Personal- und Tarifrecht: Bezüglich der Personalfreisetzungen existierten starke Restriktionen für das Ministerium aus gültigen Tarifverträgen, die betriebsbedingte Kündigungen über einen Zeitraum von 10 Jahren ausschlossen.1296 Somit bestand für das Ministerium die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der von den Betreiberfirmen freigesetzten Mitarbeiter. Daher wurden betriebsbedingte Kündigungen bereits in der Leistungsbeschreibung explizit untersagt: "Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen."1297 De facto hätte ein Personalabbau daher nur in Höhe der ‘natürlichen Fluktuation’ realisiert werden können (vgl. Kapitel 5.6.3.1). Zudem hätte der Erhalt des Status’ als Bundesbeschäftigte bei den zu den privaten Betreibern überführten Mitarbeitern die disziplinarische Führung sowohl bei der Amts- als auch bei der Unternehmensseite erschwert. Die Amtsseite hätte disziplinarische Führungsaufgaben (z. B. Beurteilungen) nur auf Basis externer Informationen wahrnehmen können, die Unternehmen hingegen hätten kaum über Sanktionsmöglichkeiten bei geringer Leistungsfähigkeit oder –bereitschaft der Mitarbeiter verfügt.1298 Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Die Vorschriftendichte kann als sehr hoch eingeschätzt werden und entfaltete eine ausgesprochen hemmende Wirkung auf den Ver-

1291 1292 1293 1294 1295 1296 1297 1298

Vgl. Interview 6-2, Interview 6-6, Interview 6-7 sowie Interview 6-8. Siehe auch Kapitel 5.6.3.1. Betriebsbedingte Kündigungen wurden ausgeschlossen. Vgl. hierzu Dokument 6-2, S. 6. Vgl. Interview 6-6. Dokument 6-3, S. 4. Vgl. hierzu auch Dokument 6-2, S. 6. Vgl. Interview 6-10, Interview 6-7 sowie Interview 6-11. Vgl. Interview 6-3 und Interview 6-6. Dokument 6-2, S. 6. Vgl. Interview 6-2 und Interview 6-4. Siehe auch Kapitel 5.6.3.1.

226 änderungsprozess. Durch die Prüfung und Berücksichtigung der Vorschriftenlage kam es bereits in der Phase Unfreeze immer wieder zu Verzögerungen im Projekt.1299 (2) Anreizstrukturen und Verantwortung für den Projekterfolg Die Ausschreibung war zunächst auf einen Zeitraum von fünf Jahren beschränkt.1300 Hierdurch hatten die Betreiberunternehmen einen starken Anreiz, eine die Amtsseite befriedigende Leistung zu erbringen, um sich für eine neuerliche Ausschreibung nach fünf Jahren positiv zu positionieren. Die Projektmitglieder gingen davon aus, dass die privaten Betreiber Standorte bevorzugt erhalten würden, die durch eine hohe Wirtschaftlichkeit gekennzeichnet waren und weiterhin hohe Kooperationsbereitschaft signalisierten. Hierin lag für die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben ein Anreiz, das veränderte Handlungsmuster zu unterstützen.1301 Andererseits wurde es als wichtig angesehen, die zentralen Anliegen der Mitarbeiter nach Erhalt des Standortes und des Arbeitsplatzes, der Zusatzrenten des Bundes sowie nach Einhaltung der Sicherheitsstandards gewährleisten. Nach Beseitigung dieser ‘Sorgen’ hätten die Mitarbeiter eine positive, langfristige berufliche Perspektive gehabt und dadurch einen hohen Anreiz zur Kooperation mit den privaten Betreibern.1302 Sowohl die Entscheidungsbefugnisse als auch die Verantwortung für den Erfolg des Projektes lagen auch in Fallstudie 6 nicht in einer Hand, sondern verteilten sich über sämtliche amtsseitigen Akteure im Ministerium, in den drei übergeordneten Behörden und im nachgeordneten Bereich F.1303 Dadurch war weder ein möglicher Erfolg noch ein Misserfolg eindeutig zurechenbar, was insgesamt als geringe Verantwortlichkeit einzelner Akteure für den Projekterfolg interpretiert werden kann.1304 Hieraus kann ein geringer Erfolgsdruck für die genannten Akteure abgeleitet werden. (3) Ressourcenausstattung Es wurde deutlich, dass die Bearbeitung des Projektes für die Projektteammitglieder in den übergeordneten Behörden sowie im betroffenen Organisationsbereich zu einer hohen persönlichen Belastung führte.1305 Hier wäre eine zeitweilige Freistellung förderlich gewesen, die die volle Konzentration auf das Projekt erlaubt hätte. Es wäre zudem notwendig gewesen, die Führungskräfte der Amtsseite aus den betroffenen Dienststellen bis zum Ende des Übernahmezeitraums zum Zweck des Know-How-Transfers in den Dienststellen zu halten.

1299 1300 1301 1302 1303 1304 1305

Vgl. Interview 6-1. Vgl. Dokument 6-1, S. 7. Vgl. Interview 6-2, Interview 6-7, Interview 6-8 sowie Interview 6-13. Vgl. Interview 6-7. Vgl. Interview 6-2. Vgl. Interview 6-2. Vgl. Interview 6-1.

227 (4) Unterstützung übergeordneter Behörden und des Ministeriums Die Unterstützung der Behörden bzw. des Ministeriums wurde von den Projektmitarbeitern des betroffenen Bereichs bei der Klärung von Rechtsfragen und der Vorgabe zentraler Projektanforderungen wie z. B. zur Ausgestaltung der Controllinginstrumente benötigt.1306 Über die Ausprägung dieser Unterstützung konnten keine gesicherten Erkenntnisse gewonnen werden. (5) Projektorganisation Die Projektorganisation war gekennzeichnet durch die ‘Zersplitterung’ des Projektteams bzw. die Verteilung der Projektmitarbeiter auf das Ministerium, drei übergeordnete Behörden sowie den nachgeordneten Bereich F. Hierdurch wurde die direkte Kommunikation der Projektbeteiligten behindert und die Abstimmung im Projekt aufwändig und langwierig.1307 Durch ein an einem Ort konzentriertes Projektteam mit Mitgliedern aus allen relevanten Organisationsteilen hätte das verhindert werden können, was jedoch bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht umgesetzt wurde.1308 (6) Weitere Organisationsveränderungen Der gesamte nachgeordnete Bereich F und alle mit Logistik befassten nachgeordneten Bereiche des Ministeriums I waren in eine umfassende Reorganisation des Ministeriums I eingebunden. Daher konnten die Führungskräfte ihre Aufmerksamkeit nicht ungeteilt auf die Privatisierung der Logistikdienstleistungen richten, sondern hatten weitere Veränderungsprozesse zu bewältigen.1309 5.6.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte Die Unterstützung der Dienststellenleiter und der weiteren Führungskräfte war für den Veränderungsprozess von zentraler Bedeutung. In der Vorbereitung des veränderten Handlungsmusters wirkten die Führungskräfte als zentrale Promotoren auf die Haltung der übrigen Akteure des nachgeordneten Bereichs F ein (siehe Kapitel 5.6.3.7).1310 Im Übernahmezeitraum war die Unterstützung der Führungskräfte für den Transfer spezifischen Know-Hows zu den Betreiberunternehmen notwendig (siehe Kapitel 5.6.4.2). Es war erkennbar, dass etliche Führungskräfte in den ihnen unterstellten Bereichen das Projekt jedoch nicht unterstützten, sondern als ‘negative’ Multiplikatoren auftraten.1311 In der Fallstudie entstand der Eindruck, die

1306 1307 1308 1309 1310 1311

Vgl. Interview 6-2. Vgl. Interview 6-1. Vgl. Interview 6-2. Vgl. Interview 6-7 und Interview 6-2. Vgl. Interview 6-8 und Interview 6-13. Vgl. Interview 6-4.

228 übrigen Führungskräfte leisteten überwiegend die zur Erfüllung der Dienstpflicht notwendige, aber keine darüber hinausgehende Projektunterstützung. (2) Organisationskultur Die Bewertung der Leistungsorientierung der amtsseitigen Organisation fiel nicht eindeutig aus. Einerseits sei innerhalb von zehn Jahren ein deutlicher Wandel von einer "Schläfertruppe"1312 zu einer leistungsfähigen Dienstleistungsorganisation vollzogen worden.1313 Andererseits beklagten die Führungskräfte, teilweise sei noch immer eine geringe Leistungsbereitschaft vorhanden: "Es gibt ja ganz speziell in diesen älteren Depots immer wieder so die typischen Vertreter des öffentlichen Dienstes, die gibt´s halt da. Ich bin halt da, arbeiten soll ein anderer[...]"1314 Eine Führungskraft beklagte die geringe Selbständigkeit bzw. die geringe Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und antizipierte Probleme für den Fall, dass die privaten Betreiber von den Mitarbeitern eine höhere Selbständigkeit einfordern sollten.1315 Die Unterschiedlichkeit der Kultur von Amts- und Unternehmensseite wurde ex ante, also ohne konkrete Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen, als relativ gering eingeschätzt.1316 Auf Basis der in Fallstudie 5 beobachteten Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass auch in Fallstudie 6 die kulturellen Differenzen in der ex-ante Betrachtung vermutlich unterschätzt wurden. 5.6.5.3

Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände

Bezüglich der Beeinflussung der außerhalb des nachgeordneten Bereichs F entstandenen externen Zustände konnten einige Anstrengungen festgestellt werden. Bereits im Vorfeld des Interessenbekundungsverfahrens wurden die Vorschriften vom Projektteam systematisch auf mögliche Hemmnisse analysiert, wodurch etliche rechtliche Restriktionen zur Umsetzung des veränderten Handlungsmusters zum Zeitpunkt der Datenerhebung schon bekannt waren. Die entsprechenden Problemstellungen wurden dann an die zuständige Stelle des Ministeriums mit der Bitte um Klärung der Fragestellungen bzw. Anpassung der Vorschriften weitergeleitet.1317 Hierdurch sollten Verzögerungen in späteren Projektphasen verringert werden. Zudem wurde die Ausschreibung der Dienstleistungen bewusst auf fünf Jahre begrenzt, um einen Anreiz für die Betreiber zu schaffen, sich mit einer hohen Dienstleistungsqualität für die nächste Ausschreibung zu profilieren. Maßnahmen zur Beeinflussung der innerhalb des nachgeordneten Bereichs F entstandenen externen Zustände konnten lediglich in den Versuchen gesehen werden, in den Dienststellen

1312 1313 1314 1315 1316 1317

Vgl. Interview 6-8. Vgl. Interview 6-8 und Interview 6-2. Interview 6-13. Vgl. Interview 6-6. Vgl. Interview 6-7 und Interview 6-3. Vgl. Interview 6-7 und Interview 6-1.

229 Führungskräfte als Promotoren für den Veränderungsprozess zu finden. Das gelang nur sehr begrenzt (siehe Kapitel 5.6.5.2). 5.6.6

Interne Zustände

Fallstudie 6 hat keine Hinweise zu internen Zuständen als Einflussgröße auf den Veränderungsprozess erbracht. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.6.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Für die Führungskräfte lag insgesamt ein negativer Nettonutzen der Veränderung vor. Einige Dienststellenleiter zeigten Widerstandstendenzen. Für diese Akteure kann klar davon ausgegangen werden, dass sie bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung die Phase Unfreeze nicht erfolgreich durchlaufen hatten und noch im Ausgangszustand verharrten. Andere Führungskräfte unterstützten das Projekt gemäß ihrer Dienstpflicht ‘ordnungsgemäß’. Das geschah teilweise widerstrebend wie z. B. hinsichtlich des Transfers von Know-How auf die privaten Betreiber. Ein dauerhaftes, striktes Verharren im bisherigen Handlungsmuster wäre aber aufgrund des disziplinarischen Drucks des Ministeriums nicht möglich gewesen (‘Legitimate Power’ und ‘Coercive Power’). Für die Führungskräfte eröffnete sich die Möglichkeit zur Realisierung eines dritten Handlungsmusters, indem sie die regelmäßige Rotation beschleunigen und sich aus dem nachgeordneten Bereich F in einen anderen Bereich versetzen lassen konnten. Einige Führungskräfte schienen von dieser Option Gebrauch machen zu wollen: "Wie sieht das denn aus, wenn man das in der Praxis durchleuchtet, dann stellt man einen Versetzungsantrag und dann ist man aus dem Bereich raus und nach mir die Sintflut, ist doch so. So, und dann ist alles das Know-How, das ich in den letzten 10 Jahren hier erworben hab, was jetzt hier für diesen Piloten vielleicht verwendbar wäre, ist dann im Grunde genommen weg."1318 Daher kann für die Führungskräfte mehrheitlich angenommen werden, dass sie die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht durchlaufen hatten. Allerdings lag im hier untersuchten Veränderungsprozess eine besondere Situation vor. Die Führungskräfte sollten die Phase Refreeze ohnehin nicht durchlaufen, da deren Stellen nach Abschluss der Übergangsphase abgebaut und die Führungsaufgaben dem privaten Betreiber übertragen werden sollten. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben antizipierten einen deutlich negativen Nettonutzen der Veränderung. Sie zeigten sich in den Interviews durchgehend besorgt und standen dem Veränderungsprozess weitestgehend ablehnend gegenüber. In einigen Dienststellen zeigte die Mitarbeiterbasis ein latent passives Widerstandsverhalten: "Also, ich will nicht unbedingt von innerer Kündigung reden, aber wahr-

1318

Interview 6-8.

230 scheinlich ist es das doch."1319 Offene Widerstandshandlungen der Mitarbeiter wurden hingegen nicht festgestellt bzw. erwartet.1320 Einige der Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben realisierten ein drittes Handlungsmuster, indem sie die Organisation verließen und den Arbeitgeber wechselten. Hier sei eine „gewisse Fluchtbewegung“1321 entstanden.1322 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben die Phase Unfreeze ganz überwiegend nicht erfolgreich durchlaufen hatten. Projektteam: Die Projektmitarbeiter bearbeiteten das Projekt ‘pflichtgemäß’ und bereiteten das veränderte Handlungsmuster vor, obwohl sie einen negativen Nettonutzen der Veränderung wahrnahmen. In einer übergeordneten Behörde wurde die Arbeit des Projektteams bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung positiv bewertet.1323 Das ist auf die klare Anordnung des Ministeriums und den daraus resultierenden disziplinarischen Druck (Legitimate Power’ und ‘Coercive Power’) zurückzuführen. Die Projektteammitglieder bewerteten die Optimierung des nachgeordneten Bereichs F in ‘Eigenregie’ eindeutig als die überlegene Option und hätten diese, ohne den disziplinarischen Druck des Ministeriums, dem Betreibermodell eindeutig vorgezogen. Bezüglich der Bereitschaft zum Know-How-Transfer in der Übergangsphase äußerten sich die Projektteammitglieder teilweise sehr verhalten. Obwohl die Projekttätigkeit bereits geraume Zeit betrieben wurde, blieben letztlich Zweifel, ob der disziplinarische Druck dazu führte, dass die Projektmitarbeiter die Phasen Unfreeze und Move erfolgreich durchliefen oder ob man, wo immer möglich, latenten Widerstand (insbesondere beim Know-HowTransfer) ausübte. Ministerium: Das Ministerium antizipierte einen positiven Nettonutzen der Veränderung und entschied sich mit der Privatisierung der Logistikdienstleistungen im nachgeordneten Bereich F für das veränderte Handlungsmuster. Somit hat das Ministerium die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen. Da sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung die Ausschreibung noch im Endstadium der Vorbereitung befand, wurde das veränderte Handlungsmuster noch nicht ausgeübt. Daher kann zum Durchlaufen der Phasen Move und Refreeze keine Aussage getroffen werden. Übrige Akteure (ohne nachgeordneten Bereich F): Die vorhandene Datenbasis reichte nicht aus, um zur Phasenbetrachtung der übrigen Akteuren eine ausreichend fundierte Einschätzung treffen zu können. Nachgeordneter Bereich F: Der nachgeordnete Bereich F antizipierte einen negativen Nettonutzen der Veränderung, insbesondere aufgrund des Verlustes an Macht bzw. Einfluss, was

1319 1320 1321 1322 1323

Interview 6-7. Vgl. Interview 6-7. Interview 6-7 Vgl. Interview 6-10, Interview 6-7 sowie Interview 6-11. Vgl. Interview 6-1.

231 darauf beruhte, dass Aufgaben und Ressourcen zu den privaten Betreibern übergingen. Damit hätte sich der nachgeordnete Bereich F nach erfolgter Privatisierung um die zwölf unterstellten Dienststellen verkleinert und wäre auf die vorgesetzte Dienststelle begrenzt gewesen. Der disziplinarische Druck des Ministeriums erzeugte hohe zusätzliche Kosten (der Beibehaltung des) bisherigen Handlungsmusters (Legitimate Power’ und ‘Coercive Power’) und machte offene Widerstandshandlungen unmöglich. Über Chancen und Bereitschaft des nachgeordneten Bereichs F zur Ausübung von latentem Widerstand konnten in dieser frühen Phase des Veränderungsprozesses keine Erkenntnisse gewonnen werden. Obwohl der nachgeordnete Bereich F das Projekt bis dahin offenkundig unterstützte, kann letztlich keine gesicherte Aussage darüber getroffen werden, ob die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen wurde oder ob man ‘nur auf eine Chance wartete’, den Prozess umkehren zu können, um das bisherige Handlungsmuster beizubehalten. Da sich das veränderte Handlungsmuster noch in Vorbereitung befand, konnten zu den Phasen Move und Refreeze keinerlei Erkenntnisse gewonnen werden.

5.7 Fallstudie 7 - Privatisierung von Unterstützungsdienstleistungen in der nachgeordneten Dienststelle G des Bundesministeriums I 5.7.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Der in Fallstudie 7 untersuchte Veränderungsprozess umfasst die Privatisierung umfangreicher Unterstützungsdienstleistungen in Dienststelle G, einer großen Ausbildungseinrichtung im nachgeordneten Bereich des Ministeriums I. Im Ausgangszustand wurden das sog. Flottenmanagement sowie die Versorgungsdienstleistungen für die Dienststelle im Eigenbetrieb erbracht. Zum Flottenmanagement gehörten die zeitgerechte Bereitstellung und Erhaltung1324 der für die Ausbildung erforderlichen ca. 490 Kraftfahrzeuge1325 und weiterer technischer Ausbildungsanlagen.1326 Zu den Versorgungsleistungen zählten die Beschaffung und Bereitstellung von Verbrauchsgütern, umfangreiche Personal- und Materialtransporte zur Sicherstellung des Ausbildungsbetriebs sowie der Betrieb einer Tankanlage.1327 Im Zielzustand sollten diese Aufgaben ausschließlich von privaten Betreiberunternehmen wahrgenommen werden.1328 Ziele der Privatisierung waren seitens des Ministeriums Senkung der Kosten sowie Freisetzung von Führungspersonal, um die Konzentration auf die Kernaufgaben des Ministeriums I

1324 1325

1326 1327 1328

Die Erhaltung des Geräts beinhaltete Wartungs-, Pflege- und Reparaturarbeiten. Davon ca. 440 spezifische Sonderfahrzeuge mit z. T. komplexer, (hoch-)technologischer Ausstattung sowie ca. 50 handelsübliche Kraftfahrzeuge. Vgl. hierzu Dokument 7-2, S. 7-10. Vgl. Dokument 7-1, S. 2 und Dokument 7-2, S. 2. Zu den inhaltlichen Bestandteilen der Privatisierung vgl. Dokument 7-1, S. 2-3 und Dokument 7-2, S. 1-26. Vgl. Dokument 7-9, S. 20, Dokument 7-2, S. 1-2 sowie Dokument 7-3, S. 2-3

232 zu unterstützen.1329 Zudem diente die Privatisierung analog zu den Fällen 5 und 6 dem Ministerium I zur Profilierung im Reformprozess der Bundesregierung.1330 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Zu Beginn des Jahres 2000 wurde das Projekt vom Ministerium initiiert,1331 und im März 2000 wurde die betroffene Dienststelle G beauftragt, eine vorläufige Leistungsbeschreibung als Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens (IBV) auszuarbeiten.1332 Das IBV wurde mit der Veröffentlichung der vorläufigen Leistungsbeschreibung im Juni 2000 via Internet und im Juli 2000 im Bundesausschreibungsblatt eingeleitet,1333 worauf sechs Unternehmen bzw. Konsortien Angebote einreichten,1334 von denen vier als ‘brauchbar’ beurteilt wurden.1335 Auf Basis dieser Angebote bewertete die zuständige übergeordnete Behörde die Privatisierung als wirtschaftlich sinnvoll und empfahl dem Ministerium, das Projekt weiter zu verfolgen.1336 Im November 2000 traf die Leitung des Ministeriums die Entscheidung für die Privatisierung.1337 Danach traten jedoch massive Verzögerungen im Projektablauf ein. Ursprünglich sollte die Privatisierung bereits zum 01.01.2001 wirksam werden.1338 Dieser Zeitrahmen konnte nicht eingehalten werden. Im Juni 2001 wurde erst die endgültige Leistungsbeschreibung für die offizielle Ausschreibung erstellt, aber noch nicht veröffentlicht.1339 In den aktualisierten Projektplänen vom September 2001 war der Vertragsabschluss mit den privaten Betreiberunternehmen für März 2002 avisiert, 1340 was aber von einem Vertreter einer übergeordneten Behörde als sehr optimistisch eingeschätzt wurde.1341 Für die Übernahme der Leistungen durch den Auftragnehmer war ein Zeitraum von maximal zwölf Monaten nach Vertragsschluss vorgesehen.1342 Die Vergabe der Leistungen sollte zunächst auf fünf Jahre begrenzt werden.1343 Zum Zeitpunkt der Datenerhebung im September/Oktober 2001 hatte man das veränderte Handlungsmuster somit noch nicht ausgeübt, was für die Fallstudie bedeutete, dass die Dienststelle als der insgesamt zu verändernde Akteur die Phase Move noch nicht erreicht hatte. Damit stand die Phase Unfreeze im Zentrum der Untersuchung.

1329 1330 1331 1332 1333 1334 1335 1336 1337 1338 1339 1340 1341

1342 1343

Vgl. Dokument 7-1, S. 1, Dokument 7-2, S. 1 sowie Dokument 7-3, S. 2. Dokument 7-9, S. 5 und S. 20. Vgl. Interview 7-1. Vgl. Interview 7-3. Vgl. Dokument 7-8, S. 3 und Dokument 7-9, S. 20. Vgl. Dokument 7-9, S. 20. Vgl. Interview 7-1. Vgl. Interview 7-1. Vgl. Dokument 7-9, S. 20. Vgl. Dokument 7-6, S. 2. Vgl. Interview 7-1. Vgl. Dokument 7-7, S. 1. Vgl. Interview 7-1. Zu diesem Zeitpunkt lag man weitere drei Wochen hinter diesem aktualisierten Projektplan zurück. Vgl. hierzu Dokument 7-7, S. 1. Dokument 7-1, S. 1. Vgl. Dokument 7-3, S. 2.

233 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Fallstudie stützt sich vorrangig auf 14 Interviews mit 15 Akteuren1344 verschiedener Bereiche,1345 die im September 2001 in einer übergeordneten Behörde und im Oktober 2001 während eines mehrtägigen Aufenthalts in der betroffenen Dienststelle durchgeführt wurden. Ergänzt wurden die Interviews durch die Analyse von Dokumenten und Kurzfragebögen sowie durch informelle Gespräche. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich auf die Zeit von der Initiierung des Projektes Anfang 2000 bis zum Zeitpunkt der letzten Datenaufnahme im Oktober 2001. 5.7.2

Akteure im Veränderungsprozess

Die Struktur der Akteure war auch in Fall 7 durch eine starke Dislozierung1346 der Akteure auf Ministerium, drei übergeordnete Behörden und Dienststelle G gekennzeichnet. Folgende Akteure konnten im Rahmen der Fallstudie identifiziert werden: ƒ

Die Dienststelle G als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Der Dienststellenleiter und die weiteren Führungskräfte als wichtige potenzielle Promotoren/Opponenten im Veränderungsprozess, als zentrale Kooperationspartner der beauftragten Betreiberunternehmen und als Nutzer der Unterstützungsdienstleistungen.

ƒ

Die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben als operative Leistungserbringer unter Führung der beauftragten Unternehmen und als Nutzer der Unterstützungsdienstleistungen.

ƒ

Das Projektteam, bestehend aus dem sog. ‘regionalen Projektteam’ mit Mitarbeitern der betroffenen Dienststelle G sowie den Projektmitarbeitern aus den vorgesetzten Dienststellen und dem Ministerium.

ƒ

Das zuständige Bundesministerium I und drei weitere übergeordneten Behörden als zentrale Entscheidungsträger im Veränderungsprozess.

ƒ

Die Personalvertreter als Multiplikatoren für die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben.

ƒ

Die (potenziellen) Betreiberunternehmen als zukünftige Erbringer der Unterstützungsdienstleistungen und bedeutsame Gestalter des Übergangsprozesses bzw. des veränderten Handlungsmusters.

5.7.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

5.7.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Aufgrund eines möglichen Stellenabbaus in der Dienststelle befürchteten die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben eine überregionale Verset-

1344 1345

1346

Ein Interview wurde mit zwei Personen geführt. Interviewpartner waren ein Vertreter einer übergeordneten Behörde, acht Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben (davon zwei Mitglieder des Personalrats, mit denen ein gemeinsames Interview geführt wurde) sowie sechs Führungskräfte, darunter der Leiter sowie zwei Mitarbeiter des ‘regionalen Projektteams’. Die beteiligten Dienststellen waren zum Teil mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt.

234 zung, was entweder einen Wohnortwechsel oder hohe Fahrtkosten und lange Fahrzeiten zum Arbeitsplatz bedeutet hätte.1347 Weiterhin wurde in einigen Fällen vermutet, die privaten Betreiber würden den im bisherigen Handlungsmuster als niedrig eingestuften Leistungsdruck deutlich erhöhen.1348 Zu den ausgeschriebenen Dienstleistungen gehörten auch Arbeiten mit nicht unerheblichen Sicherheitsrisiken (z. B. der Transport von Gefahrgut). Hier sahen die Mitarbeiter das Risiko, die Betreiberunternehmen könnten aus Kostengründen die Sicherheitsstandards absenken.1349 Ministerium: Das veränderte Handlungsmuster sollte der Kostensenkung dienen (siehe Kapitel 5.7.1).1350 Von mehreren Interviewpartnern, darunter auch hochrangige Führungskräften der Dienststelle und einer übergeordneten Behörde wurde stark bezweifelt, dass die Einsparungen realisierbar waren.1351 Die Zweifel gründeten auf den Restriktionen, die sich aus der vom Ministerium vorgelegten endgültigen Leistungsbeschreibung ergaben. So hätte sich der private Betreiber bis auf wenige Ausnahmefälle der (ineffizienten) amtsseitigen Logistik bei der Ersatzteilbeschaffung bedienen müssen.1352 Außerdem mussten die Betreiberunternehmen die tariflichen Rahmen- und Arbeitsbedingungen des Bundes als Mindeststandards für alle Beschäftigungsverhältnisse in der Dienststelle anerkennen (siehe Kapitel 5.7.5.1).1353 Dadurch wäre auch der bis dahin amtsseitig genutzte ‘Niedriglohnbereich’1354 entfallen, wodurch der private Betreiber partiell höhere Personalkosten gehabt hätte.1355 Zudem sollten die Bundesbediensteten ohne Führungsaufgaben weitestgehend übernommen werden,1356 da betriebsbedingte Kündigungen für zehn Jahre tarifvertraglich ausgeschlossen waren (siehe Kapitel 5.7.5.1).1357 Einsparungen von Personalkosten hätten entweder über die ‘natürliche Fluktuation’ oder über alternative Beschäftigungen im Betreiberunternehmen realisiert werden müssen.1358 Damit wurden dem privaten Betreiber durch das Ministerium maßgebliche Handlungsspielräume zur Erarbeitung von Wirtschaftlichkeitsvorteilen entzogen.

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1354 1355 1356 1357 1358

Vgl. Interview 7-13 und Interview 7-14. Die Kosten des veränderten Handlungsmusters aufgrund einer möglichen Versetzung betrafen auch Führungskräfte, denen man eigentlich sog. ‘dienstzeitbeendende Posten’ in der Dienststelle eingeräumt hatte, auf denen sie die Dienstzeit bis zur Pensionierung ohne Versetzung hätten ableisten dürfen, was durch das veränderte Handlungsmuster in Frage gestellt wurde. Vgl. Interview 7-12 und Interview 7-4. Interview 7-13: „Viele wissen gar nicht, wie gut es ihnen geht. Die Privaten müssen richtig ranklotzen.“ Vgl. hierzu auch Interview 7-2, Interview 7-9 sowie Interview 7-8. Die Aussagen sind glaubwürdig, da sie ausnahmslos von Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben getroffen wurden. Vgl. Interview 7-12. Über die erwartete Höhe der Einsparungen wurden keine Aussagen getroffen. Vgl. Interview 7-6, Interview 7-1, Interview 7-2, Interview 7-3 sowie Interview 7-5. Vgl. Interview 7-5 und Dokument 7-2, S. 16. Das hätte auch für jene Mitarbeiter, die nicht vom Bund übernommen wurden und damit keine Bundesbedienstete waren, gegolten. Vgl. hierzu Dokument 7-4, S. 2. Der ‘Niedriglohnbereich’ befand sich außerhalb tariflicher Regelungen. Vgl. Interview 7-1 und Interview 7-4. Vgl. Dokument 7-4, S. 1 und Interview 7-2. Vgl. Interview 7-2. Die übergeordnete Behörde ging davon aus, dass innerhalb von 10 Jahren ca. 20% des Personals über die Fluktuation abgebaut werden könnten. Vgl. Interview 7-1.

235 In den Interviews wurde von großen Ineffizienzen berichtet1359, deren Beseitigung jedoch auch innerhalb des bisherigen Handlungsmusters über die Optimierung der amtseitigen Beschaffung und Logistik, durch den Zugriff auf weitere Niedriglohnsektoren (z. B. die damaligen ‘630-DM-Jobs’) und durch Personalabbau im Rahmen der Fluktuation hätte erfolgen können. Unter den beschriebenen externen Zuständen erschien eine maßgebliche Kostenreduzierung, die der Einführung des veränderten Handlungsmusters zuzurechnen war, insgesamt zweifelhaft. 5.7.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Dienststelle G, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Für die Dienststellenleitung und die Führungskräfte wäre eine Privatisierung der Unterstützungsdienstleistungen mit einer Verringerung der eigenen Führungsspanne einhergegangen. Die Überführung von Personal (und weiteren Ressourcen) in den Verfügungsbereich der privaten Betreiber hätte einen Verlust an Macht und Prestige bedeutet, was als Nutzeneinbuße interpretiert wurde.1360 Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Als wichtigster Nutzen des bisherigen Handlungsmusters war für diese Gruppe das gesicherte Arbeitsverhältnis als Bundesbedienstete zu sehen. Trotz des tarifvertraglich abgesicherten Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen für zehn Jahre zeigten die Arbeiter und Angestellten massive Ängste vor dem Totalverlust des Arbeitsplatzes. Sie befürchteten, zu einem Wechsel des Arbeitsverhältnisses zum privaten Betreiber gedrängt zu werden, der dann zu einem späteren Zeitpunkt die Beschäftigung kündigen könnte.1361 Darüber hinaus wurden Einkommenseinbußen erwartet, da beim möglichen Wegfall entsprechend hoch qualifizierter Tätigkeiten die Angestellten eine Gehaltsgruppe, die Arbeiter bis zu vier Lohngruppen heruntergestuft werden konnten. Zudem wurde der Verlust bislang regelmäßig realisierter Zulagen antizipiert, was bei den Arbeitern zu einem Minderverdienst von bis zu 1.500,- DM pro Monat hätte führen können.1362 Weiterhin wurde der Verlust auf die vorhandenen Ansprüche der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenrente des Bundes befürchtet. Ministerium: Wichtigstes Kriterium für den Vergleich des Nutzens beider Handlungsmuster war in der Gewährleistung der Ausbildung durch die Versorgung der Dienststelle mit Verbrauchsgütern, Kraftfahrzeugen und sonstigem Ausbildungsgerät zu sehen.1363 Es wurde nicht bezweifelt, dass private Betreiber in der Lage gewesen wären, die Dienstleistung zu erbringen.1364 Damit kann bezüglich dieses ‘Basisnutzens’ von weitgehender Gleichwertigkeit

1359

1360 1361 1362 1363 1364

Diese Berichte sind von hoher Glaubwürdigkeit, weil sie von Arbeitern und Angestellten der betroffenen Bereiche selbst vorgebracht wurden. Vgl. hierzu Interview 7-2, Interview 7-8 sowie Interview 7-13. Vgl. Interview 7-3. Vgl. 7-3, Interview 7-11 und Interview 7-13. Vgl. zum potenziellen Einkommensverlust Interview 7-2 und Interview 7-3. Vgl. Interview 7-7. Vgl. Interview 7-6 und Interview 7-1.

236 des bisherigen und des veränderten Handlungsmusters ausgegangen werden. Allerdings wurde eine geringere Flexibilität in der Leistungserbringung durch private Betreiber angenommen.1365 Die Freisetzung von Führungskräften für die Wahrnehmung der Kernaufgaben des Ministeriums hätte einen zusätzlichen Nutzen dargestellt.1366 Zudem wurde erwartet, dass sich das Ministerium mit einem Projekterfolg im Reformprozess der Bundesregierung profilieren konnte (siehe Kapitel 5.7.1).1367 5.7.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Dienststelle G, Dienststellenleitung und weitere Führungskräfte: Für den Übernahmezeitraum wurden Friktionen bei der Bereitstellung der Unterstützungsdienstleistungen erwartet. Diese hätten bei den Führungskräften der Dienststelle zusätzlichen Aufwand in Form von Interventionshandlungen ausgelöst und bei den mit Ausbildungsaufgaben betrauten Führungskräften Schwierigkeiten bei der Sicherstellung der Qualität der Ausbildung bedeutet.1368 Als Auslöser dieser Probleme wurde neben der (noch) fehlenden Routine der Betreiber1369 auch das ‘Aufeinanderprallen’ verschiedener Organisationskulturen gesehen.1370 Projektteam: Die wesentlichen Kosten des Übergangsprozesses waren für das Projektteam im Projektaufwand zu sehen, da die Projektaufgaben zusätzlich zum Tagesgeschäft wahrzunehmen waren.1371 5.7.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) Zum Nutzen des Übergangsprozesses wurden wenige Erkenntnisse gewonnen. Ein Projektmitarbeiter verspürte (und antizipierte für die Zukunft) jedoch einen direkten Nutzen aus der Projektarbeit: "Aber ich denke, das würde mir Spaß machen und da hoffe ich auch, dass ich entsprechend noch dabei bin."1372 5.7.3.5 Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Ministerium: Für den Zeitraum nach Übernahme der Erbringung der Unterstützungsdienstleistungen durch einen privaten Betreiber wurden erhebliche Kosten des Rückübergangs antizipiert, die insbesondere auf den Verlust der zur Erstellung der Dienstleistungen notwendigen Fähigkeiten zurückzuführen gewesen wären. Man fürchtete, sich in die Abhängigkeit der Betreiberfirma zu begeben und die Eigenerstellung der Dienstleistungen gar nicht mehr oder

1365 1366 1367 1368 1369 1370

1371 1372

Vgl. Interview 7-4 und Interview 7-7. Vgl. Dokument 7-1, S. 1, Dokument 7-2, S. 1 sowie Dokument 7-3, S. 2. Siehe auch Kapitel 5.7.1. Dokument 7-9, S. 5 und S. 20. Siehe auch Kapitel 5.7.1. So hätten die Nutzer der Dienstleistungen evtl. nicht die notwendigen Ausbildungsgeräte nutzen können. Dieser Aspekt wurde in informellen Gesprächen mehrfach betont. Vgl. Interview 7-4, Interview 7-1, Interview 7-3, Interview 7-8 sowie Interview 7-10. Siehe auch Kapitel 5.7.5.2. Vgl. Interview 7-3 und Interview 7-6. Interview 7-6.

237 nur noch mit sehr hohen Kosten wieder aufnehmen zu können.1373 Zudem wären bei einem Rückübergang innerhalb der Vertragslaufzeit sicherlich Abstandszahlungen oder Konventionalstrafen an den Auftragnehmer zu leisten gewesen. 5.7.3.6 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) Zum Nutzen des Rückübergangs konnten keine Aussagen generiert werden. 5.7.3.7 Nettonutzenbetrachtung Dienststelle G, Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Für die Dienststelle G, den Dienststellenleiter und die übrigen Führungskräfte entstanden Macht- und Prestigeverlust durch die Verkleinerung des ‘Personalkörpers’ und den Wegfall des Budgets im Unterstützungsbereich. Zudem hätten die Führungskräfte entstehende Friktionen während des Übernahmezeitraums durch Interventionshandlungen beseitigen müssen. Das hätte eine zusätzliche Belastung für die Dienststelle und die Führungskräfte dargestellt. Da kein zusätzlicher Nutzen (oder sinkende Kosten) für die Dienststelle, die Dienststellenleitung und die Führungskräfte durch das veränderte Handlungsmuster festgestellt werden konnten, kann davon ausgegangen werden, dass diese Akteure einen negativen Nettonutzen der Veränderung antizipierten. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben sahen sich durch einen möglichen Verlust des Arbeitsplatzes oder, bei Erhalt des Arbeitsplatzes, durch überregionale Versetzungen bedroht. Für den Fall eines möglichen Übergangs zu einem Betreiberunternehmen befürchteten die Mitarbeiter hohe Lohn- bzw. Gehaltseinbußen, den Verlust ihrer Ansprüche auf die Zusatzrente des Bundes sowie erhöhten Leistungsdruck. Daher antizipierte die Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben einen deutlich negativen Nettonutzen der Veränderung. Projektteam: Für die Projektmitarbeiter bedeutete der Veränderungsprozess primär eine nicht unerhebliche Mehrarbeit, dem als Nutzen nur die (mögliche) Befriedigung aus der Projektaufgabe entgegenstand. Obwohl ein Projektmitarbeiter sich den weiteren Verbleib im Projekt wünschte, konnte für das gesamte Projektteam keine fundierte Aussage bezüglich des Nettonutzens der Veränderung getroffen werden. Ministerium: Das Ministerium antizipierte eine maßgebliche Kostensenkung, deren Realisierung jedoch mit stichhaltigen Argumenten in Frage gestellt wurde bzw. die auch im bisherigen Handlungsmuster hätte ungesetzt werden können. Unzweifelhaft war jedoch, dass ein erfolgreiches Projekt eine stärkere Fokussierung auf die Kernaufgaben des Ministeriums ermöglicht und die Privatisierung zur Profilierung des Ministeriums im Reformprozess der

1373

Vgl. Interview 7-5.

238 Bundesregierung beigetragen hätte. Insgesamt kann von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden, der in der Entscheidung des Ministeriums für die Umsetzung des Veränderungsprozesses zum Ausdruck kam. Übrige Akteure: Für die übrigen Akteure konnten auf Basis der vorliegenden Daten keine fundierten Aussagen zum Nettonutzen der Veränderung getroffen werden. 5.7.3.8 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Kommunikation: In Fallstudie 7 wurde der Aspekt der Kommunikation von den Interviewpartnern stark thematisiert. Anders als in Fallstudie 6 fühlten sich hier auch die Führungskräfte durch das Ministerium und die übergeordneten Behörden ausgesprochen schlecht informiert (siehe Kapitel 5.7.5.1).1374 Eine hochrangige Führungskraft bezeichnete den Informationsfluss sogar als "katastrophal"1375. Die Führungskräfte schätzten den Informationsstand der Mitarbeiter sowie des Personalrates bzw. das eigene Informationsverhalten gegenüber den Mitarbeitern als gut ein.1376 So seien große Informationsveranstaltungen mit allen Mitarbeitern der Dienststelle durchgeführt1377 und vorliegende Informationen immer zügig an die Mitarbeiter und den Personalrat weitergegeben worden.1378 "Es gibt derzeit eigentlich keinen weiteren Informationsbedarf bei den Mitarbeitern."1379 Die Einschätzung der Mitarbeiter und des Personalrates über den eigenen Informationsstand widersprach dieser Einschätzung der Führungskräfte aber in hohem Maße. Der Informationsfluss wurde von den Mitarbeitern der Basis z. B. als „sehr, sehr schlecht“1380 und „schleppend“1381 bezeichnet.1382 Die Personalräte sprachen bezüglich der Informationsweitergabe sogar von einer „Riesenschweinerei“1383. So sei die breite Öffentlichkeit via Internet über Sachverhalte informiert worden, die bis dahin dem Personalrat nicht bekannt waren. "Wir haben aus dem Internet davon erfahren. Das muss man sich mal vorstellen. Ein Unding."1384 Die positive Wirkung der eigenen Kommunikation wurde von den Führungskräften damit stark überschätzt. Die nicht befriedigten Informationsbedürfnisse der Mitarbeiter bezogen sich auf den Startzeitpunkt des Projektes, den weiteren zeitlich-inhaltlichen Ablauf, die Felder der Privatisierung und die Auswirkungen auf die Mitarbeiter.1385 Den Mitarbeitern war nicht bekannt, dass in der Leistungsbeschreibung bereits umfassende Schutzbestimmungen

1374 1375 1376 1377 1378 1379 1380 1381 1382 1383 1384

Vgl. Interview 7-3, Interview 7-6, Interview 7-4 sowie Interview 7-7. Interview 7-5. Vgl. Interview 7-6, Interview 7-3 sowie Interview 7-4. Vgl. Interview 7-3. Vgl. Interview 7-4. Interview 7-3. Interview 7-8. Interview 7-10. Vgl. hierzu weiterhin Interview 7-9, Interview 7-11, Interview 7-13 sowie Interview 7-10. Interview 7-2. Interview 7-2.

239 zur Wahrung der Arbeitnehmerinteressen festgeschrieben waren (siehe Kapitel 5.7.5.1). Es konnte ebenfalls beobachtet werden, dass die Führungskräfte der Dienststelle die Akzeptanz der Veränderung bei den übrigen Akteuren vermutlich aufgrund eines fehlenden Informationsrückflusses falsch bewerteten. So wurde die Stimmung der Mitarbeiter als relativ positiv1386 und die Akzeptanz des Personalrats als "gesund"1387 eingeschätzt. Beides kann als Fehleinschätzung angesehen werden, da sowohl die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben als auch der Personalrat dem Projekt ausgesprochen ablehnend gegenüberstanden.1388 In Fallstudie 7 wurden fehlende Informationen in hohem Maße durch Gerüchte/Spekulationen ersetzt.1389 Es habe eine Vielzahl an Gerüchten gegeben, die sehr schnell ‘die Runde gemacht’ hätten. „Spekulation ist Tür und Tor geöffnet.“1390 Die Gerüchte hatten überwiegend stark negativen Charakter, d. h. es wurden für die betroffenen Mitarbeiter sehr ungünstige Szenarien gezeichnet.1391 Über die geeignete Art der Informationsvermittlung bestand hingegen Einvernehmen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Die Information der Mitarbeiter wurde als Aufgabe der Führungskräfte angesehen: "Information ist eine der vornehmsten Führerpflichten".1392 Dabei wurde das gesprochene Wort als wichtigstes Medium betrachtet: "Es gibt keinen Ersatz für das gesprochene Wort […]."1393 Als wichtiger Multiplikator wurde neben den Führungskräften auch der Personalrat genannt.1394 Zusammenfassend betrachtet gelang es mit Mitteln der Kommunikation nicht, den Nettonutzen der Veränderung bei den Mitarbeitern deutlich positiv zu beeinflussen. Die Bedenken konnten nicht ausgeräumt werden; die Bewertung des Veränderungsprozesses durch die Mitarbeiter war trotz der Kommunikationsmaßnahmen eindeutig von Zukunftsangst dominiert.1395 Extrinsische Anreize: Als zentraler (potenzieller) extrinsischer Anreiz zur Erhöhung der Akzeptanz des Veränderungsprozesses wurde es angesehen, dass für die betroffenen Beschäftigten Sicherheit bezüglich der zentralen Fragen zum Beschäftigungsverhältnis (Arbeitsplatzga-

1385 1386 1387 1388 1389

1390 1391

1392 1393 1394 1395

Vgl. Interview 7-4 und Interview 7-11. Vgl. Interview 7-4. Interview 7-5. Vgl. Interview 7-9 und Interview 7-2. Vgl. Interview 7-13, Interview 7-11, Interview 7-7, Interview 7-9, Interview 7-12, Interview 7-2 sowie Interview 7-5. Interview 7-2 und Interview 7-10. Dies wurde vor allem in informellen Gesprächen immer wieder angeführt. Hier wurde von „Schreckensszenarien“ und „Horrorszenarien“ gesprochen. Interview 7-6. Vgl. auch Interview 7-14. Interview 7-5. Vgl. hierzu auch Interview 7-3. Vgl. Interview 7-5. Vgl. Interview 7-8.

240 rantie, Ort der Beschäftigung, Entlohnung, Beschäftigtenstatus, Erhalt der Ansprüche auf die Zusatzrente des Bundes etc.) zu schaffen sei.1396 Controlling: Die langfristige Sicherstellung eines positiven Nettonutzens der Veränderung wollte das Ministerium durch den Einsatz von Instrumenten des Controllings erreichen. Diese sollten der Erfassung der Leistungen1397 in Menge und Qualität sowie der Dokumentation der Prozesse dienen.1398 Hiermit sollte die Bewertung und Steuerung der Leistungserstellung ermöglicht bzw. verbessert werden. Zudem wollte man auf diesem Weg das Know-How der Amtsseite über die Leistungserstellungsprozesse erhalten, um bei einem Scheitern des veränderten Handlungsmusters die Kosten des Rückübergangs zu verringern.1399 Verpflichtung zur Fortführung des Betriebs: Die privaten Betreiber sollten vertraglich verpflichtet werden, die Leistungserstellung ggf. auch nach Beendigung der Vertragslaufzeit bis zu einem Jahr weiterzuführen, um einen möglichen Rückübergang zum Eigenbetrieb zu gewährleisten bzw. um die Kosten des Rückübergangs zum bisherigen Handlungsmuster zu begrenzen. "Der Auftragnehmer ist verpflichtet, für einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten nach Ablauf der Geltungsdauer des Vertrags die Leistungen zu angemessenen Bedingungen fortzuführen."1400 5.7.4

Fähigkeiten

5.7.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Technische und logistische Fähigkeiten: Da die Privatisierung auch in hohem Umfang die Wartung, Reparatur und Bereitstellung von (teilweise technologisch hochkomplexen) Ausbildungsfahrzeugen und -anlagen beinhaltete, waren technische Fähigkeiten von hoher Bedeutung. Bereitstellung der Fahrzeuge und Betrieb eines umfangreichen Fahrdienstes erforderten zudem logistische Fähigkeiten. Da die bislang mit den operativen technischen und logistischen Aufgaben betrauten Mitarbeiter übernommen werden sollten, waren diese Fähigkeiten weitgehend sichergestellt. Lediglich bei den von den privaten Betreibern einzusetzenden Führungskräften war die Ausprägung dieser Fähigkeiten noch offen. Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten: Im Rahmen der Privatisierung sollten Aufgaben vergeben werden, die von mehreren hundert Mitarbeitern verrichtet wurden.1401 Der Vertragswert belief sich auf ca. 20 Mio. DM p. a.1402 Damit hatte das Projekt ein Volumen, das von den privaten Betreibern auch erhebliche betriebswirtschaftliche Fähigkeiten erforderte. Es

1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402

Vgl. Interview 7-3. Der Betreiber sollte darüber hinaus auch in begrenztem Maße eigene Kostendaten zur Verfügung stellen. Vgl. Dokument 7-3, S. 51-55, Dokument 7-1, S. 34-35 sowie Dokument 7-2, S. 31-32. Vgl. Interview 7-5. Dokument 7-2, S. 2. Vgl. Dokument 7, S. 2. Vgl. Dokument 7-9, S. 20.

241 konnte kein plausibles Argument dafür gefunden werden, warum die privaten Betreiberunternehmen nicht über eine ausreichende betriebswirtschaftliche Expertise hätten verfügen sollen. Die betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Engpass im Veränderungsprozess dargestellt. Die Amtsseite hätte zusätzliche Controllingkenntnisse aufbauen müssen, da der Einsatz eines umfassenden Controllinginstrumentariums geplant war (siehe Kapitel 5.7.3.8).1403 Diese Kenntnisse lagen nach eigener Einschätzung bei der Amtsseite nicht im erforderlichen Maße vor.1404 Kommunikationsfähigkeiten: Fallstudie 7 belegte die Bedeutung der Kommunikation zur Erzeugung von Akzeptanz in Veränderungsprozessen (siehe Kapitel 5.7.3.8). Die Ausprägung dieser Fähigkeiten konnte auf Basis der vorhandenen Daten nicht fundiert beurteilt werden. Die Fehleinschätzung der Führungskräfte bezüglich der Wirkung der eigenen Kommunikation kann aber als Indiz für Schwächen in deren Kommunikationsfähigkeiten gewertet werden. Projektmanagementfähigkeiten: Das untersuchte Projekt war von hoher politischer und finanzieller Bedeutung und betraf mehrere hundert Mitarbeiter. In die Projektarbeit wurden drei Behörden, das Ministerium und vielfältige Akteure der Dienststelle eingebunden. Das Projektteam hatte komplexe rechtliche und betriebswirtschaftliche Fragestellungen zu lösen, weshalb Projektmanagementfähigkeiten von hoher Bedeutung waren. Die Ausprägung dieser Fähigkeiten im Projektteam konnte auf Basis der vorhandenen Daten nicht bewertet werden. Die Projektmanagementfähigkeiten des Projektteams wurden jedoch von der vorgegebenen Projektorganisation negativ beeinflusst (siehe Kapitel 5.7.5.1). Kenntnis der jeweiligen Struktur und Kultur des Kooperationspartners und Fähigkeiten zur Anpassung: Die Dienststelle war durch eine Vielzahl zum Teil komplexer Betriebsabläufe und durch eine spezifische Kultur gekennzeichnet (siehe Kapitel 5.7.4.2). Ein Großteil der in dieser Kultur beruflich sozialisierten Mitarbeiter sollte von den privaten Betreibern übernommen werden. Daher war die Kenntnis von Struktur1405 und Kultur der Amtsseite für den privaten Betreiber unabdingbar. Die Kooperation hätte jedoch keine einseitige Ausrichtung des Betreibers auf die Dienststelle zugelassen. Vielmehr wäre auch eine Anpassung des Verhaltens der amtsseitigen Mitarbeiter an den privaten Betreiber erforderlich gewesen, weshalb die Kenntnis der Struktur und Kultur der Betreiberunternehmen und die Fähigkeit zur Anpassung hieran auch für die amtseitigen Mitarbeiter bedeutsam waren.1406 Über die

1403

1404 1405 1406

Vgl. Dokument 7-3, S. 51-55, Dokument 7-1, S. 34-35, Dokument 7-2, S. 31-32, Interview 7-3 sowie Interview 7-4. Vgl. Interview 7-6. Unter Struktur soll hier die Aufbau- und Ablauforganisation verstanden werden. Vgl. Interview 7-4.

242 Ausprägung dieser Fähigkeiten konnten auf Basis der vorhandenen Daten keine Aussagen getroffen werden. 5.7.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Auswahl der Projektmitarbeiter: Im regionalen Projektteam wurden die notwendigen Fähigkeiten durch eine gezielte Auswahl der Projektmitarbeiter nach Qualifikation sichergestellt. Hierdurch wurde ein gemischtes Projektteam aus Kaufleuten, Technikern, Kostenrechnern und sonstigen Fachkräften zusammengestellt, um möglichst viele der unter Kapitel 5.7.4.1 beschriebenen Fähigkeiten zu gewährleisten.1407 Auswahl der Betreiberunternehmen: Zur Sicherstellung der Fähigkeiten der privaten Betreiber stand die Auswahl im Rahmen der Ausschreibung im Vordergrund. Hierbei sollten die Fähigkeiten der Anbieter ein bedeutsames Kriterium darstellen.1408 Fortbildung: Für die Projektmitarbeiter wurden Schulungen gefordert, um diese auf ihre Aufgaben im Veränderungsprozess vorzubereiten.1409 Es wurde vorgeschlagen, Arbeitsgruppen der Unternehmen vor Aufnahme der Tätigkeit für mindestens zwei Wochen in die Dienststelle zu entsenden, um die wichtigsten Aufgabenbestandteile und deren bisherige Handhabung kennen zu lernen.1410 Ob diese Vorschläge umgesetzt wurden, war zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht absehbar. Know-How-Transfer der Amtsseite: Zur Sicherstellung der Fähigkeiten des regionalen Projektteams erfolgte ein Transfer von Erfahrungswissen aus Dienststelle E, deren Veränderungsprozess in Fallstudie 5 beschrieben wurde und der große strukturelle/inhaltliche Analogien zu Fall 7 aufwies. Hierzu wurden sowohl die Ausschreibungsunterlagen von Fall 5 ausgewertet als auch persönlich Erfahrungen ausgetauscht.1411 5.7.5

Externe Zustände

5.7.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften1412 Allgemeine gesetzliche Regelungen und Vorschriften zur Ressourcenallokation einschließlich vertraglicher Regelungen: Allgemeine gesetzliche Regelungen bezogen sich auf die umfangreichen Vorschriften zu Handhabung und Transport gefährlicher Güter sowie auf

1407 1408 1409 1410 1411 1412

Vgl. Interview 7-4. Vgl. Interview 7-5. Vgl. Interview 7-4. Vgl. Interview 7-5. Vgl. Interview 7-6, Interview 7-4, Interview 7-3 sowie Interview 7-5. Hierunter sollen außerhalb der betroffenen Dienststelle festgelegte, i. d. R. schriftlich explizierte Regeln wie Gesetze und Verordnungen verstanden werden, aber auch Anweisungen übergeordneter Behörden.

243 Fahrberechtigungen für Sonderkraftfahrzeuge.1413 Hier wurde erheblicher Bedarf zur Klärung der Auswirkungen des externen Zustands auf das veränderte Handlungsmusters gesehen, da zum Zeitpunkt der Fallstudie noch nicht transparent war, ob und wie diese Vorschriften im Detail auf den privaten Betreiber anzuwenden waren.1414 Die privaten Betreiber wären gemäß der Leistungsbeschreibung in ihrer Ressourcenallokation vertraglich stark eingeschränkt worden. Sie hätten sowohl für die von der Amtsseite ‘übernommenen’ als auch für die ‘eigenen’ Mitarbeiter die Vergütungs- und Sozialstandards des Bundes einhalten müssen: "Die im Arbeitsvertrag mit dem Bund [...] vereinbarten tarifvertraglichen allgemeinen Rahmen- und Arbeitsbedingungen (Bezügestruktur, zusätzliche Altersversorgung, Arbeitszeitregelungen, Kündigungsschutz etc.) müssen als Mindeststandard anerkannt werden. Eine entsprechende Vereinbarung wird Bestandteil des Vertrags."1415 Zudem hätten die Betreiberunternehmen das vorhandene amtsseitige Personal der ‘Unterstützungsbereiche’ weitestgehend übernehmen müssen. „Der Auftragnehmer muss sich daher grundsätzlich verpflichten, das gesamte betroffene Personal weiterhin zu beschäftigen.“1416 Diese sollten den Status als Beschäftigte des Bundes behalten. "Das Arbeitsverhältnis der dem Auftragnehmer im Rahmen einer Personalgestellung gestellten Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber Bund [..] bleibt bestehen; die sich aus dem Arbeitsvertrag und somit aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ergebenden Rechte und Pflichten werden nicht berührt."1417 Vor Neueinstellungen und vor Einbringung eigener Arbeitnehmer hätten die privaten Betreiber die Zustimmung der Amtsseite einholen müssen.1418 Für nicht benötigtes Personal sollte der private Betreiber eine Beschäftigungsperspektive aufzeigen.1419 Darüber hinaus wurden die Unternehmen verpflichtet, im Regelfall für ihre Beschaffungsaufgaben die (sehr langsame) Zentrallogistik1420 der Amtsseite zu nutzen.1421 Somit waren die privaten Betreiber bezüglich der Ressourcenallokation im veränderten Handlungsmuster vielfach den gleichen (restriktiven) externen Zuständen ausgesetzt wie die Amtsseite im bisherigen Handlungsmuster. Das erschwerte die Realisierung von Rationalisierungspotenzialen erheblich.1422 Einen Vorteil bot das veränderte Handlungsmuster bezüglich der Möglichkeit zur Bevorratung von Ersatzteilen durch die privaten Betreiber, was der Amtsseite aufgrund von Vorschriften übergeordneter Behörden – auch für häufig benötigte Ersatzteile – strikt untersagt

1413 1414 1415 1416

1417 1418 1419 1420 1421 1422

Vgl. Dokument 3, S. 39, Interview 7-6, Interview 7-4 sowie Interview 7-2. Vgl. Interview 7-4. Dokument 7-4, S. 2. Vgl. Dokument 7-4, S. 1. Die Leistungsbeschreibung sah für diese Klausel allerdings Ausnahmen vor. Betriebsbedingte Kündigungen wurden ausgeschlossen. Vgl. hierzu ebenfalls Dokument 7-4, S. 1. Dokument 7-4, S. 2. Vgl. Dokument 7-2, S. 28-29. Vgl. Dokument 7-4, S. 2. Vgl. Interview 7-2, Interview 7-11 sowie Interview 7-5. Vgl. Dokument 7-2, S. 16. Vgl. Interview 7-5.

244 war.1423 Beschränkend wirkten im bisherigen Handlungsmuster auch die starren Vorgaben der übergeordneten Behörden für Inventar und Personal der Dienststelle, die von einem privaten Betreiber ebenfalls nicht einzuhalten gewesen wären.1424 Die hier beschriebenen Nachteile hätten jedoch auch innerhalb des bisherigen Handlungsmusters durch Veränderung der Vorschriften beseitigt werden können.1425 Es wurde auch in Fallstudie 7 auf die geringe Flexibilität der Regelungen des öffentlichen Haushaltsrechts hingewiesen, an die private Betreiber nicht gebunden gewesen wären.1426 Personal- und Tarifrecht: Ein wesentlicher externer Zustand war das tarifvertraglich geregelte Verbot betriebsbedingter Kündigungen für einen Zeitraum von zehn Jahren.1427 Zudem regelten die Tarifverträge die oben beschriebenen Vergütungs- und Sozialstandards, zu deren Einhaltung die Betreiber vertraglich verpflichtet werden sollten. Gesamtbewertung der Vorschriftendichte: Auch im vorliegenden Fall wurde die Vorschriftendichte als ausgesprochen hoch beschrieben, was sich auf den Veränderungsprozess hinderlich auswirkte, da viele Handlungsmöglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch die externen Zustände ausgeschlossen wurden. (2) Anreizstrukturen und Verantwortung für den Projekterfolg Für das Projektteam existierten keine positiven extrinsischen Anreize zum Engagement im Projekt.1428 Vielmehr sei als negativer Anreiz mit dem Projekt die Verkleinerung des ‘Stellenkegels’ in der Dienststelle verbunden gewesen.1429 Die Entscheidungskompetenzen im Projekt lagen auch im betrachteten Fall nicht in einer Hand, sondern waren auf die Akteure im Ministerium, die drei übergeordneten Behörden und der betroffenen Dienststelle verteilt.1430 Somit war eine Zuweisung der Verantwortung bzw. des Projekterfolgs auf einen einzelnen Akteur nicht möglich. Für die privaten Betreiber wurde hingegen ein Anreiz geschaffen, eine positiv bewertete Leistung zu erbringen, da die Begrenzung der Vertragslaufzeit auf fünf Jahre eine positive Profilierung des Betreibers in dieser Zeit erforderlich machte, um sich für eine neuerliche Ausschreibung nach fünf Jahren gut zu positionieren. Die privaten Betreiber hätten ihrerseits

1423 1424 1425 1426 1427 1428 1429

Vgl. Interview 7-2 und Interview 7-4. Vgl. Interview 7-7. Vgl. Interview 7-7. Vgl. Interview 7-6. Vgl. Interview 7-2. Vgl. Interview 7-3. Vgl. Interview 7-3.

245 während der Vertragslaufzeit bessere Möglichkeiten als die Amtsseite gehabt, gute Leistungen der Mitarbeiter zu incentivieren.1431 (3) Ressourcenausstattung Zur notwendigen sowie vorhandenen Ressourcenausstattung konnten nur wenige Erkenntnisse gewonnen werden. Es wurde allerdings bemängelt, dass die Projektmitarbeiter ihre Projektaufgaben ausschließlich in ‘Nebenverwendung’ zusätzlich zum ‘Tagesgeschäft’ zu erledigen hatten.1432 Daher wurde aus dem Projektteam die Forderung erhoben, das Projekt mit hauptamtlichen Dienstposten auszustatten.1433 (4) Unterstützung übergeordneter Behörden und des Ministeriums Die Unterstützung übergeordneter Behörden und insbesondere des Ministeriums wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung vor allem zur Klärung von Rechtsfragen benötigt.1434 Weiterhin wurde von den Führungskräften der betroffenen Dienststelle G eine zügige und umfassende Information durch die übergeordneten Behörden gefordert. In beiden Punkten wurde eine zu geringe Unterstützung der übergeordneten Behörden bemängelt.1435 (5) Projektorganisation Auch in Fallstudie 7 war die Projektorganisation durch eine Verteilung der Projektmitarbeiter auf das Ministerium, drei übergeordnete Behörden sowie die betroffene Dienststelle G gekennzeichnet, was persönliche Kommunikation und zügige Klärung von Problemstellungen im Projekt erschwerte. Daher wurde eine Projektorganisation gefordert, in der Projektmitarbeiter mit ausreichenden Handlungsvollmachten in der Dienststelle G ‘zusammengezogen’ werden sollten.1436 5.7.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände Zum Zeitpunkt der Datenerhebung befand sich der Veränderungsprozess noch in einem sehr frühen Stadium, in dem sich ein großer Teil des ‘Projektgeschehens’ noch im Ministerium und den übergeordneten Behörden abspielte und wenige Vorgänge in der Dienststelle stattfanden. Das kann als Grund angesehen werden, warum in Fallstudie 7 nur wenige Beobachtungen zu den innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zuständen gemacht wurden.

1430 1431 1432 1433 1434 1435 1436

Vgl. Interview 7-4. Vgl. Interview 7-7. Vgl. Interview 7-3. Vgl. Interview 7-6. Vgl. Interview 7-1. Vgl. Interview 7-1, Interview 7-3, Interview 7-6, Interview 7-4 sowie Interview 7-7. Vgl. Interview 7-6, Interview 7-4 sowie Interview 7-5.

246 (1) Unterstützung der Dienststellenleitung und weiterer Führungskräfte In Fallstudie 7 wurde die hohe Bedeutung des Kommunikationsverhaltens der Führungskräfte der Dienststelle G für den Veränderungsprozess deutlich. Dieser externe Zustand wies starke Mängel auf (siehe Kapitel 5.7.3.8). Darüber hinaus konnten keine Erkenntnisse über die Unterstützung der Dienststellenleitung und der weiteren Führungskräfte gewonnen werden. (2) Organisationskultur Von den internen Akteuren wurde angenommen, dass die Organisationskultur des zukünftigen privaten Betreibers deutlich von der eigenen abweichen würde.1437 So wurde das Arbeitsverhalten in der Dienststelle als wenig leistungsorientiert und der Leistungsdruck als gering beschrieben (siehe Kapitel 5.7.3.1). Die Führungskultur der Amtsseite wurde als ‘fürsorglich’ bezeichnet.1438 Man erwartete bei den privaten Betreibern höheren Leistungsdruck, niedrigere Fehlertoleranz und stärker von Gewinn- und Leistungsorientierung geprägtes Denken (siehe Kapitel 5.7.3.1).1439 Daher wurden in der Zusammenarbeit kulturell bedingte Konflikte erwartet.1440 5.7.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Als diesbezügliche Maßnahmen können die Aufforderungen an übergeordnete Behörden zur zügigen Bereitstellung von Informationen angesehen werden. Zudem kann die zeitliche Begrenzung der Vergabe der Dienstleistungen auf fünf Jahre als Beeinflussung der externen Zustände verstanden werden, da hiermit ein zentraler Anreiz für die privaten Betreiber geschaffen wurde, befriedigende Leistungen zu erbringen. Maßnahmen des Veränderungsmanagements zur Beeinflussung der innerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände konnten in Fallstudie 7 nicht erkannt werden. 5.7.6

Interne Zustände

Auch Fallstudie 7 hat keine Hinweise zu internen Zuständen als Einflussgröße auf den Veränderungsprozess ergeben. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.7.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Dienststellenleiter und weitere Führungskräfte: Die Führungskräfte der Dienststelle verspürten zwar einen negativen Nettonutzen des veränderten Handlungsmusters gegenüber dem Status Quo, die Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters wurde aber aufgrund des disziplinarischen Drucks ‘verteuert’ (‘Legitimate Power’ und ‘Coercive Power’), so dass das bisherige Handlungsmuster nicht hätte strikt beibehalten werden können. Es konnte auf Basis

1437 1438 1439 1440

Vgl. Interview 7-10. Vgl. Interview 7-3. Vgl. Interview 7-13, Interview 7-2, Interview 7-9, Interview 7-8 sowie Interview 7-3. Vgl. Interview 7-1, Interview 7-4 sowie Interview 7-8.

247 der vorhandenen Daten nicht ermittelt werden, ob die Phase Unfreeze aufgrund des disziplinarischen Drucks tatsächlich erfolgreich durchlaufen wurde oder ob die Führungskräfte ein drittes Handlungsmuster praktizierten, indem sie verdeckte Widerstandshandlungen (z. B. durch Verzögerungstaktiken) ausführten. Mitarbeiterbasis ohne Führungsaufgaben: Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben antizipierten einen stark negativen Nettonutzen der Veränderung, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass diese zum Zeitpunkt der Datenerhebung die Phase Unfreeze nicht erfolgreich durchlaufen hatten. Wahrscheinlich hätte das Ministerium die Mitarbeiter zu einem späteren Zeitpunkt mittels disziplinarischen Drucks zur Partizipation bewegen können, da diese (außer freiwilligem Ausscheiden aus der Organisation) kaum Möglichkeiten hatten, sich dem veränderten Handlungsmuster zu entziehen.1441 Projektteam: Obwohl das Projektteam die Projektaufgaben bereits seit geraumer Zeit wahrnahm, konnte jedoch weder zum Nettonutzen der Veränderung noch zum Durchlaufen der Phasen Unfreeze und Move eine fundierte Erkenntnis gewonnen werden. Das veränderte Handlungsmuster1442 wurde scheinbar durchgeführt, die Ausübung eines dritten Handlungsmusters wie z. B. latenter Widerstand bei der Aufgabenbearbeitung konnte aber nicht ausgeschlossen werden. Ministerium: Das Ministerium antizipierte einen positiven Nettonutzen der Veränderung und traf die Entscheidung für die Umsetzung des Projektes. Damit hatte das Ministerium die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen. Da sich das Projekt noch in der Vorbereitung befand, konnte zu den Phasen Move und Refreeze keine Aussage getroffen werden. Übrige Akteure (ohne Dienststelle G): Die vorhandene Datenbasis ließ keine fundierte Phasenbetrachtung für die übrigen Akteure (ohne Dienststelle G) zu. Dienststelle G: Die Dienststelle verhielt sich im Veränderungsprozess scheinbar kooperativ. Bei den zentralen Akteuren wie Führungskräfte, Mitarbeiterbasis und Personalrat war aber eine sehr distanzierte, z. T. ablehnende Haltung gegenüber dem Projekt nicht zu übersehen. Aufgrund des frühen Projektzeitpunkts war noch nicht erkennbar, ob der Druck des Ministeriums dazu führte, dass die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen wurde (‘künstliche Verteuerung’ der Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters) oder ob die Dienststelle letztlich ein drittes Handlungsmuster z. B. durch Praktizieren latenten Widerstands mittels Anwendung von Verzögerungstaktiken ausübte. Das veränderte Handlungsmuster befand sich noch in Vorbereitung, weswegen sich die Phasen Move und Refreeze einer Betrachtung entzogen.

1441

Im Extremfall hätte das Ministerium die Mitarbeiter vor die Wahl stellen können, unter Führung des privaten Betreibers zu arbeiten oder das Beschäftigungsverhältnis zu kündigen.

248

5.8 Fallstudie 8 - Einführung von KLR in Bundesministerium II 5.8.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Untersuchungsgegenstand von Fallstudie 8 ist die Einführung von Kosten- und Leitungsrechnung (KLR) in Bundesministerium II. Der Ausgangszustand war im Verwaltungshandeln ohne KLR zu sehen, der Zielzustand in der Durchführung und Nutzung von KLR. Die Kostenund Leistungsrechnung sollte den Führungskräften durch die Bereitstellung steuerungsrelevanter Informationen zur Entscheidungsunterstützung dienen. Das veränderte Handlungsmuster war dadurch gekennzeichnet, dass sämtliche Mitarbeiter des Ministeriums tägliche Zeitaufschreibungen (vollständig und wahrheitsgemäß) vorzunehmen und die Führungskräfte die KLR-Informationen als Basis für Entscheidungen zu nutzen hatten.1443 Intention der KLR-Einführung war die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns im Ministerium. Es blieb allerdings unklar, ob die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit zu einer Kostensenkung oder zur Steigerung des Outputs/Outcomes führen sollte.1444 Die Einführung von KLR wurde innerhalb des betrachteten Ministeriums als erhebliche Veränderung empfunden: "Man muss ganz großes Umdenken herbeiführen bei den einzelnen Leuten, weil wenige sich bisher mit Kosten auseinander gesetzt haben. Personal ist immer in ausreichendem Maße zur Verfügung gewesen, man brauchte sich eigentlich keine Gedanken über die Kosten zu machen."1445 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Ab Juli 2000 hatte man im Ministerium in einer Projektgruppe aus internen Mitarbeitern und externen Unternehmensberatern begonnen, konzeptionelle Grundlagen für die KLREinführung zu schaffen. In einem ersten Schritt sollte die KLR in zwei Pilotabteilungen (von insgesamt zehn Abteilungen des Ministeriums) implementiert werden. Hierzu wurden ab November 2000 umfangreiche Informationsveranstaltungen für alle Mitarbeiter der betroffenen Abteilungen sowie Führungskräfteschulungen durchgeführt. Im Dezember 2000 hatte man ein Leitbild für das Ministerium erstellt,1446 bis März 2001 wurden dann in den Pilotabteilungen und ihren Referaten Zielsysteme sowie Produktkataloge erarbeitet. Von September 2001 bis Ende Dezember 2001 wurden in einer Pilotphase erste Zeitaufschreibungen und Auswertungen vorgenommen, danach ging die KLR in den Pilotabteilungen in den ‘regulären Wirkbe-

1442

1443 1444 1445 1446

Das veränderte Handlungsmuster kann für das Projektteam im Wahrnehmen der Projektaufgaben gesehen werden. Vgl. zum Zielzustand Interview 8-1, Interview 8-2 sowie Dokument 8-1, S. 26-27. Möglich ist eine Kombination aus Kostensenkung und Erhöhung des Outputs/Outcomes. Interview 8-2. Vgl. hierzu auch Interview 8-3. Das Leitbild diente als Grundlage für die Erarbeitung des Zielsystems.

249 trieb’. Ab Februar 2002 begann der Roll-Out der KLR im gesamten Ministerium, der in allen zehn Abteilungen bis Ende 2003 abgeschlossen sein sollte.1447 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Fallstudie basiert vorrangig auf Daten aus elf Interviews, die an den Standorten Berlin und Bonn im Zeitraum zwischen dem 4.2.2002 und dem 8.4.2002 geführt wurden. Mit den Interviews konnte ein breites Spektrum an Akteuren abgedeckt werden.1448 Eine Dokumentenanalyse konnte in dieser Fallstudie nur in geringem Umfang durchgeführt werden, da nur wenige Akten zur Verfügung gestellt wurden. Darüber hinaus konnten informelle Gespräche einen Beitrag zum tieferen Verständnis des Veränderungsprozesses leisten. Kurzfragebögen durften in dieser Fallstudie nicht eingesetzt werden. Die Untersuchung bezieht sich auf den Zeitraum zwischen Beginn des Projektes im Juli 2000 und Abschluss der Datenerhebung im April 2002. Die Untersuchung umfasst in der betrachteten Pilotabteilung nicht nur die Einführung, sondern auch die frühe Phase des Betriebs der KLR. 5.8.2

Akteure im Veränderungsprozess

Die Struktur der Akteure ist im vorliegenden Veränderungsprozess vergleichsweise wenig komplex, da nur das Ministerium, aber keine weiteren Behörden betroffen waren. Als wesentliche Akteure konnten identifiziert werden: ƒ ƒ

Das Ministerium als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung. Die Führungskräfte des Ministeriums als Nutzer der KLR-Informationen und als potenzielle Promotoren/Opponenten. Hier kann das Kollegium (Minister und Staatssekretäre) als oberste Leitung des Ministeriums von weiteren Führungskräften der darunter liegenden Ebenen, d. h. Abteilungsleitern, Unterabteilungsleitern und Referatsleitern, unterschieden werden.

ƒ

Das Projektteam, das sich aus den internen Projektmitarbeitern (Gesamtprojektleiter, Teilprojektleiter und Projektmitarbeiter), den externen Unternehmensberatern und den für die KLR-Implementierung in den Referaten verantwortlichen Mitarbeitern (sog. ‘Realisierungsbeauftragten’) zusammensetzte.

ƒ

Die gesamte Belegschaft (Mitarbeiterbasis und Führungskräfte), die einerseits aufgefordert war, das Zielsystem und den Produktkatalog mit zu gestalten und die andererseits die

1447

1448

Zum Verlauf des Veränderungsprozesses vgl. Dokument 8-1, S. 27-29, Interview 8-2, Interview 8-1 sowie Interview 8-10. Es wurden Interviews geführt mit dem ehemaligen Gesamtprojektleiter (zum Zeitpunkt der Datenerhebung war dieser Akteur der Zentralcontroller des Ministeriums), weiteren Projektmitarbeitern, Führungskräften

250 täglichen Zeitaufschreibungen durchzuführen hatte. ƒ

Der Personalrat als dem Vertretungsorgan der Mitarbeiter und als potenzieller Promotor/Opponent.

5.8.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

5.8.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Ministerium: Das Ministerium antizipierte eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch den Einsatz der KLR. Die Möglichkeit zur Kosteneinsparung durch KLR wurde jedoch von etlichen Akteuren angezweifelt. Da die KLR hauptsächlich auf Arbeitszeitaufschreibungen der Mitarbeiter basierte, erforderte die Identifikation von Ineffizienzen, insbesondere von Leerlaufzeiten, die wahrheitsgemäße Dokumentation der Arbeitszeitverwendung durch die Mitarbeiter. Es wurde aber von den Interviewpartnern dargelegt, dass die Mitarbeiter ihre Leerlaufzeiten nicht durch die Aufschreibungen transparent machen mussten, sondern die Zeitaufschreibung nach taktischen Gesichtspunkten manipulieren konnten. "Ich kann doch da buchen was ich will. Wenn ich da zehn Stunden schreibe, ich habe da [...] gearbeitet, ja, gut und dann akzeptiert das unterm Strich wahrscheinlich auch mein Abteilungsleiter, wenn das da so drauf steht, obwohl ich vielleicht zehn Stunden Kaffee trinken war."1449 Es wurde die Vermutung geäußert, dass von dieser Möglichkeit zur Manipulation der Zeitaufschreibung auch tatsächlich Gebrauch gemacht wurde: "Ich bezweifle auch die Ehrlichkeit der Einträge..."1450 Hierdurch erschien die Realisierung einer nennenswerten Kosteneinsparung wenig wahrscheinlich. Andererseits entstanden dem Ministerium unzweifelhaft Kosten des veränderten Handlungsmusters, vor allem durch die für die Zeitaufschreibungen verwendete Arbeitszeit, durch den Personalaufwand der Controller für Datensammlung und -analyse sowie für die Aufbereitung und Präsentation der Ergebnisse. Darüber hinaus wurde auch Arbeitszeit der Führungskräfte für die Interpretation der KLR-Ergebnisse benötigt. Mitarbeiterbasis: Kosten des veränderten Handlungsmusters waren bei den Mitarbeitern deutlich erkennbar. Diese empfanden die täglichen Zeitaufschreibungen als überaus lästig. "Ich schaffe es nicht, die Disziplin aufzubringen, die Selbstdisziplin, nach elf Stunden harter Arbeit, Hektik und Herzklopfen, mich an den Rechner zu setzen, mir darüber Gedanken und

1449

und Mitarbeitern, die die Erfassung der täglichen Arbeitszeit durchzuführen hatten. Die Interviews konnten nur in einer der beiden Pilotabteilungen durchgeführt werden. Interview 8-8. Eine Reihe von Interviewpartnern stützte diese Sichtweise. Ein Mitarbeiter äußerte sich in fast gleichem Wortlaut. Interview 8-6: "Theoretisch könnte ich auch Kaffee trinken und Skat spielen und etwas aufschreiben." Vgl. hierzu auch Interview 8-9 und Interview 8-10. Erleichtert wurden Manipulationen auch dadurch, dass die KLR-Zeitaufschreibungen nicht mit den elektronischen Arbeitszeiterfassungssystemen (‘Stechuhr’) abgeglichen werden durften. Vgl. hierzu Interview 8-8.

251 dann noch ein Programm aufzumachen und was zu bebuchen. Da habe ich einfach keine Lust mehr zu."1451 Zudem befürchteten die Mitarbeiter eine verstärkte Verhaltens- und Leistungskontrolle, die zu einem Rechtfertigungszwang bezüglich ineffizienter Arbeitszeitverwendung geführt hätte. Vor allem wurde angenommen, dass diese Kontrolle bei geringer Arbeitsauslastung zu einer Erhöhung der Leistungsanforderungen führen würde: "Wenn ich in meinem Arbeitsbereich viel Luft habe und das nicht unbedingt kommunizieren möchte und die Luft auch ganz gerne behalten möchte um in der Zeit vielleicht was anderes machen zu können, für die birgt das aus rein subjektiver Sicht natürlich Nachteile."1452 Führungskräfte: Den Führungskräften (unterhalb der obersten Leitung) entstand ebenfalls ein zusätzlicher Arbeitsaufwand durch die täglichen Zeitaufschreibungen. Zudem befürchteten sie einen drohenden

Personalabbau im eigenen Bereich aufgrund von KLR-

Informationen. "Also, große Befürchtungen bei Kollegen gingen auch dahin, das bringt jetzt Einschränkungen im Personalbereich, die nehmen mir Leute weg […]."1453 5.8.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Ministerium: Eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch die Verbesserung der Steuerung hätte die Steigerung von Qualität und/oder Quantität der Leistung bei gleich bleibenden Kosten bewirken können.1454 Die Verbesserung der Steuerung erforderte aber eine ausreichend genaue Messung von Input und Output/Outcome. In Kapitel 5.8.3.1 wurde bereits dargelegt, dass die Genauigkeit der Input-Messung mittels Zeitaufschreibungen anzuzweifeln war. Es wurde zudem angeführt, dass die KLR auch die Leistungen bzw. Zielerreichungen nicht angemessen abbilden würde, sondern vielmehr das, was (zufällig) messbar sei: "Man misst also das, was messbar ist und das, was eigentlich Ziel sein sollte, fällt total unter den Tisch. Das ist das, was mich ausgesprochen stört an der Geschichte."1455 Zurückgeführt wurde dies vor allem auf sehr heterogene (häufig auch einmalige) und sich ständig verändernde Aufgaben, bei denen Qualitätsindikatoren nur sehr schwer zu finden bzw. aufwendig zu messen seien.1456

1450 1451

1452 1453 1454 1455

1456

Interview 8-7. Vgl. hierzu auch Interview 8-8. Interview 8-6. Diese Aussage wurde in weiteren Interviews gestützt. Vgl. hierzu Interview 8-3, Interview 8-4, Interview 8-7 , Interview 8-11 sowie Interview 8-10. Interview 8-2. Vgl. hierzu auch Interview 8-3. Interview 8-7. Vgl. auch Interview 8-5. Dies entspricht dem Maximalprinzip als Ausprägung des ökonomischen Prinzips. Interview 8-4. In dem Interview wurde sehr harsche Kritik geäußert. So wurde ausgeführt, dass man nur "Kinkerlitzchen" messen würde und dafür kleinliche "Oberamtsratsziele" formuliert hätte. Hierzu wurden hauptsächlich in informellen Gesprächen verschiedene Beispiele genannt. So sei die Ermittlung der Qualität einer Gesetzesvorlage kurzfristig kaum zu bestimmen, da sich ‘handwerkliche’ Mängel oft erst Jahre nach Inkrafttreten des Gesetztes zeigten. Ähnliche Schwierigkeiten wurden bei vielfältigen Leistungen wie der Erstellung von Informationsmaterialien für die Bevölkerung, der Durchführung von

252 Führungskräfte: Ein zentraler Nutzen für die oberste Leitung des Ministeriums kann in der Öffentlichkeitswirkung der KLR-Einführung gesehen werden, da die Bundesregierung zu dieser Zeit, im Rahmen des Großprojektes ‘Moderner Staat - Moderne Verwaltung’, die Einführung der KLR in der Bundesverwaltung ausgesprochen offensiv für PR-Zwecke nutzte.1457 „Gerade unser Haus kommt doch gar nicht umhin, so etwas einzuführen. Die Bundesregierung und die Öffentlichkeit erwarten das einfach von uns. Da steht unsere Leitung in der Pflicht und die will das auch nach außen darstellen.“1458 Für die übrigen Führungskräfte war kein zusätzlicher Nutzen durch das veränderte Handlungsmuster erkennbar. Mitarbeiterbasis: Auch für die Mitarbeiterbasis wurde kein Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster benannt. Als potenzieller Nutzen wurde zwar angeführt, dass Mitarbeiter eine mögliche Überlastung anhand der Zeitaufschreibungen dokumentieren könnten,1459 da jedoch eine Tendenz zur Manipulationen erkennbar war, ist die tatsächliche Realisierung dieses Nutzens zweifelhaft. Eine tatsächliche Überlastung war von einer fingierten nicht zu unterscheiden. 5.8.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Die Kosten des Übergangsprozesses entstanden für das Ministerium vor allem durch die Projektarbeit. Es wurden während des Untersuchungszeitraums von über anderthalb Jahren durchschnittlich acht interne Mitarbeiter sowie sechs externe Unternehmensberater im Projekt beschäftigt.1460 Zudem entstanden Kosten durch Schulung der Führungskräfte zum Thema KLR bzw. zum Umgang mit den KLR-Ergebnissen. Kosten des Übergangs waren auch im Personalaufwand zu sehen, der durch die Teilnahme der Führungskräfte und Mitarbeiter an Informationsveranstaltungen und Workshops entstand. Da das Projekt nach der Datenerhebung im gesamten Ministerium ‘ausgerollt’ werden sollte, war mit weiteren Kosten des Übergangs zu rechnen. 5.8.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Zu den oben genannten Kategorien konnten im Rahmen dieser Fallstudie keine Erkenntnisse gewonnen werden.

1457 1458 1459 1460

Pressekonferenzen, internationaler Zusammenarbeit oder der Bewältigung einmaliger Krisen gesehen. Vgl. dazu auch Interview 8-9, Interview 8-4, Interview 8-6, Interview 8-11 und Interview 8-7. Vgl. Bundesregierung (Hrsg.) (2002). Vgl. Interview 8-1. Vgl. Interview 8-5. Vgl. Interview 8-2 sowie Interview 8-1.

253 5.8.3.5 Nettonutzenbetrachtung Ministerium: Die Einführung der KLR war für das Ministerium insgesamt mit Kosten durch den Einsatz von internem Personal und externen Beratern verbunden. Andererseits resultierte für das Ministerium kaum erkennbarer Nutzen aus dem Instrument, da die erhoffte bzw. zunächst antizipierte Verbesserung der Steuerung nicht realisiert werden konnte. Insgesamt kann daher von einem negativen Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Führungskräfte: Die oberste Leitung des Ministeriums generierte einen erheblichen Nutzenzuwachs durch die Außendarstellung als ‘moderne Verwaltung’. Dabei war für die Leitung der inhaltliche Erfolg der Implementierung jedoch nachrangig; im Vordergrund stand die formale, nach außen kommunizierbare Einführung des Instruments. Der Leitung selbst entstanden kaum Kosten durch das veränderte Handlungsmuster oder den Veränderungsprozess. Daher lag hier ein positiver Nettonutzen der Veränderung vor. Bei den übrigen Führungskräften des Ministeriums standen hingegen die Kosten durch mögliche Personalreduzierungen im eigenen Bereich und durch eigenen Arbeitsaufwand (z. B. Zeitaufschreibungen, Dateninterpretation) im Vordergrund. Ein greifbarer Nutzen wurde hingegen nicht wahrgenommen. Hier kann ein negativer Nettonutzen der Veränderung unterstellt werden. Mitarbeiterbasis: Für die Mitarbeiter entstanden vor allem Kosten durch die täglichen Zeitaufschreibungen, durch die Wahrnehmung verstärkter Kontrolle sowie durch eine drohende Erhöhung der Leistungsanforderungen. Ein greifbarer Nutzen für die Mitarbeiter konnte nicht erkannt werden. Das Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen kam auch darin zum Ausdruck, dass Mitarbeiter in Besprechungen immer wieder ihren Unmut über die KLREinführung äußerten.1461 Für die Mitarbeiter lag klar erkennbar ein negativer Nettonutzen der Veränderung vor. 5.8.3.6 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Im vorliegenden Veränderungsprozess hat das Projektteam das Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der Akteure systematisch und mit einer hohen Intensität durchgeführt. Der Fokus des Veränderungsmanagements war stark auf Maßnahmen der Kommunikation gerichtet, die in ausgesprochen hohem Umfang und mit vielfältigen Mitteln betrieben wurden. Der Gesamtprojektleiter führte vor dem offiziellen Projektstart Informationsgespräche1462 mit allen Abteilungsleitern des Ministeriums, zudem wurden für alle Mitarbeiter zahlreiche Informationsveranstaltungen und Schulungen durchgeführt, Rundbriefe verteilt, Emails versendet, Informationen im Intranet präsentiert, eine telefonische Hotline eingerichtet und eine Skulptur1463 im Ministerium aufgestellt, die zur Reflexion und Diskussion des Themas KLR anre-

1461 1462 1463

Vgl. hierzu Interview 8-4. Der Projektleiter berichtete von 27 Gesprächen dieser Art. Hierbei handelte es sich um einen gläsernen ‘Controlling-Würfel’.

254 gen sollte. Ein hohes Maß an Partizipation wurde durch die Teilnahme der Mitarbeiter an Workshops zur Ziel- und Produktdefinition sichergestellt.1464 Die ersten Informationsveranstaltungen wurden z. T. scharf kritisiert, weil sowohl die externen Unternehmensberater als auch der Gesamtprojektleiter nicht in der Lage gewesen wären, sich für die Mehrzahl der Mitarbeiter verständlich zum Thema zu äußern.1465 Es wurde eine von Anglizismen und Fachtermini geprägte Sprache bemängelt, die im Ministerium weder gebräuchlich noch verständlich gewesen sei, weshalb es nicht gelang, den Mitarbeitern Intention, Nutzen und Funktionsweise der geplanten KLR zu vermitteln.1466 „Was mich als allererstes geschockt hat, das ist also dieses Kauderwelsch, was man dort in Bezug auf Controlling und KLR gesprochen hat. Ich habe den Leuten gesagt, also wenn Sie weiterhin in Kauderwelsch sprechen, dann verlasse ich die Veranstaltung und reise nach Hause, denn A ist das was für Fachleute, B wie will ich jemals den Kollegen in den Referaten im Hause KLR näher bringen, wenn ich die nur mit Fachausdrücken überschütte, die kein Mensch mehr versteht."1467 Die empfundene Qualität der Informationsveranstaltungen stieg jedoch stark an, nachdem die Kommunikationsaufgaben größtenteils auf interne Mitarbeiter aus den betroffenen Abteilungen übertragen wurden, die dort über eine hohe Akzeptanz verfügten und die Veranstaltungen ‘in der Sprache der Mitarbeiter’ und mit plastischen Beispielen durchführten.1468 Weiterhin gab Anlass zur Kritik, dass zu wenige Informationen über die KLR-Ergebnisse und deren Verwendung bereitgestellt wurden.1469 Die Mitarbeiter konnten somit nicht einschätzen, wie ihre Zeitaufschreibungen verwendet wurden und welchen Nutzen ‘ihre Mühe’ erbrachte. Bemängelt wurde zudem, dass eine Schulung (zum Thema Zeitaufschreibung) von einem Mitarbeiter durchgeführt worden sei, der offensichtlich selbst ‘nicht hinter dem Projekt gestanden hätte’. Hier wurde die Kommunikation als unglaubwürdig empfunden.1470 Als wirksamstes Medium zur Beeinflussung der Akteure wurde auch in Fallstudie 8 das persönliche Gespräch mit den Mitarbeitern genannt.1471 Nach Einschätzung des Gesamtprojektleiters entfielen ca. 40% des gesamten Ressourcenauf-

1464 1465

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1467 1468 1469 1470 1471

Zu den hier genannten Maßnahmen des Veränderungsmanagements vgl. Interview 8-1. Interview 8-10: „Ich selbst habe zwei Veranstaltungen mitgemacht, die [Name der Unternehmensberatung, Anm. d. Verfassers] und das Referat [Name des Gesamtprojektleiters, Anm. d. Verfassers] gemacht hat und da muss ich sagen, da habe ich gedacht, wo bist Du hier, bist Du hier auf einem anderen Planet, bist Du hier in der Deutschen Botschaft in Washington oder wo bist Du oder bist Du in irgendeiner Vorlesung irgendeiner Universität?“ Die Vermittlung von Intention, Nutzen und Funktionsweise des neuen Ansatzes wurde als besonders wichtig bewertet. Vgl. hierzu Interview 8-10. Interview 8-10. Vgl. Interview 8-2. Vgl. Interview 8-4, Interview 8-10 sowie Interview 8-2 Vgl. Interview 8-2. Vgl. Interview 8-10.

255 wands im Projekt auf Maßnahmen zur Beeinflussung von Verhalten und Einstellung der Mitarbeiter.1472 Trotz des hohen Aufwands für diese Maßnahmen der Kommunikation ist es nicht gelungen, für die KLR-Einführung eine Akzeptanz auf breiter Basis zu erzeugen.1473 5.8.4

Fähigkeiten

5.8.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten, insbesondere KLR- und Controlling-Kenntnisse: Da im Zentrum des Veränderungsprozesses die Implementierung des Controlling-Instruments KLR stand, waren betriebswirtschaftliche Fähigkeiten und hier insbesondere KLR- und Controlling-Kenntnisse von zentraler Bedeutung. Die externen Unternehmensberater und die internen Projektmitarbeiter benötigten diese Fähigkeiten, um das System konzeptionell zu gestalten. Die Führungskräfte mussten in der Lage sein, KLR-Informationen zu interpretieren, um diese als Entscheidungsbasis nutzen zu können. Die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse der externen Unternehmensberater wurden von keiner Seite in Frage gestellt. Auch im internen Projektteam war von Projektbeginn an bei einzelnen Mitarbeitern – aufgrund der vorherigen Verwendung und Vorbildung – ein erhebliches Maß an KLR- und Controlling-Kenntnissen vorhanden.1474 Das Projektteam verfügte somit insgesamt über ausreichend hohe betriebswirtschaftliche Fähigkeiten. Allen übrigen Akteuren wurde die Gelegenheit gegeben, sich durch Schulungen die notwendigen Kenntnisse anzueignen. Kenntnis des Ministeriums: Im Rahmen der KLR-Einführung sollten die Zielformulierung, die Produktbildung und die Messung der Zielerreichung für das Ministerium vorgenommen werden. Deshalb war eine tiefgreifende Kenntnis des Ministeriums von großer Bedeutung. Diese Kenntnisse konnte von den größtenteils lange im Ministerium beschäftigten internen Projektmitgliedern ‘beigesteuert’ werden. Die externen Unternehmensberater benötigten ein gutes Verständnis für die Strukturen, die Kultur und die Prozesse des Ministeriums.1475 Die mangelhafte Kommunikation der Berater kann als Indiz für eine geringe Kenntnis der Kultur des Ministeriums gewertet werden. Es wurde jedoch berichtet, dass die Berater in der Lage waren, die vorhandenen Defizite im Laufe des Projektes zu verringern.1476

1472 1473 1474

1475

1476

Vgl. Interview 8-1. Vgl. Nettonutzenbetrachtungen Ziffer (6) sowie Interview 8-5. Teilweise waren die Projektmitarbeiter bereits mit KLR-Projekten befasst, teilweise hatten sie sich während ihrer Ausbildung betriebswirtschaftliches Wissen angeeignet. Vgl. Interview 8-2, Interview 8-3 sowie Interview 8-9. Zur Notwendigkeit der Kenntnis des Ministeriums vgl. Interview 8-2, Interview 8-3, Interview 8-4 und Interview 8-5. Vgl. Interview 8-10.

256 Projektmanagementfähigkeiten: Die KLR-Implementierung wurde als Projekt durchgeführt und erforderte dementsprechende Fähigkeiten zur Projektsteuerung. Das Projekt war klar strukturiert, und es wurden Instrumente des Projektmanagements (z. B. ein Projektlenkungsausschuss) genutzt. Für die Implementierung gab es einen Zeitplan, der bis zur Datenerhebung auch eingehalten wurde. Daher erschien das Projektteam insgesamt mit ausreichenden Fähigkeiten zum Projektmanagement ausgestattet zu sein. Kommunikationsfähigkeit: Zur Durchführung der Kommunikationsmaßnahmen des Veränderungsmanagements war die Kommunikationsfähigkeit von großer Bedeutung. Gefordert wurde von den Akteuren, die mit Kommunikationsaufgaben betraut waren, vor allem eine Sprache, die sich im Einklang mit der Organisationskultur des Ministeriums befand, d. h. die nicht mit Anglizismen und betriebswirtschaftlichen Fachtermini durchsetzt war. Die externen Unternehmensberater waren im Kontext des Ministeriums (zumindest anfänglich) nicht mit den notwendigen Kommunikationsfähigkeiten ausgestattet.1477 Es wurde aber berichtet, dass sie ihre Kommunikation im Laufe des Projektes an die Organisationskultur des Ministeriums teilweise anpassen konnten.1478 Über deutlich höhere Kommunikationsfähigkeiten verfügten die aus den Abteilungen rekrutierten ‘Realisierungsbeauftragten’, deren Informationstätigkeit auf größere Akzeptanz als die der Unternehmensberater stieß: "Ich meine immer, was man auf gar keinen Fall machen darf in Modernisierungsprozessen, also ist da irgendwie beratermäßig anzukommen. Die Berater hatten ihre eigene Rolle im Projekt, die ist drin, aber Vertrauen schaffen Mitarbeiter, die aus der Abteilung bekannt sind, die unpreziös sind, die aus ihrer eigenen Arbeit ein gewisses Ansehen genießen, aus ihrer bisherigen Sache, sozusagen bodenständig und handfest. Wenn man die bekommt, dass sie sich für das Projekt begeistern und dass sie das in einer auch angemessenen Weise rüberbringen, dann gewinnt man sehr viel an Akzeptanz."1479 Damit stand die Kommunikationsfähigkeit in engem Zusammenhang mit der Akzeptanz des Mitarbeiters als ‘Autorität’ im eigenen Bereich (‘Referent Power’ und ‘Expert Power’).1480 Da diese Mitarbeiter einen Großteil der Kommunikationsaufgaben übernommen hatten, kann insgesamt

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1478 1479 1480

Die Kommunikationsfähigkeiten beziehen sich nur auf die Fähigkeit zur Kommunikation im Ministerium, das einen spezifischen externen Zustand darstellte. In einem anderen externen Zustand, z. B. in einem Unternehmen, verfügten die externen Berater möglicherweise über hervorragende Kommunikationsfähigkeiten. Vgl. Interview 8-10. Interview 8-3. Das wurde in Interview 8-2 bestätigt: "Wobei ich das eigentlich sehr gut gefunden habe, weil die Kollegen aus der Abteilung [...] das gemacht haben, da zumindest ein Kollege ein sehr gutes Standing in der Abteilung hat und ein sehr gutes Fachwissen von der Abteilung hat und wenn der etwas gesagt hat, hat das ein anderes Gewicht, als wenn irgend so jemand, in Anführungszeichen irgend so jemand, von der Unternehmensberatungsfirma sagt, ihr müsst jetzt KLR einführen. Das hat nicht das Gewicht, als wenn jemand aus dem eigenen Haus sagt, Mensch, wir können damit das und das erreichen oder wir können durch die KLR auch das und das mal in Zahlen darstellen.".

257 von ausreichenden Kommunikationsfähigkeiten des Gesamtprojektteams ausgegangen werden. 5.8.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Auswahl der internen Projektmitarbeiter: Die Auswahl der Projektmitarbeiter war eine zentrale Maßnahme zur Sicherstellung der notwendigen Fähigkeiten und erfolgte nach Vorwissen und Erfahrung.1481 Der Gesamtprojektleiter und mindestens ein Projektmitarbeiter verfügten über Erfahrungen aus anderen KLR-Projekten, weitere Projektmitarbeiter besaßen KLR-/Controlling-Kenntnisse aufgrund ihrer Ausbildung.1482 Zudem wurden weitere Projektmitarbeiter und die ‘Realisierungsbeauftragten’ der Referate aufgrund der erforderlichen Kommunikationsfähigkeiten und Kenntnisse über das Ministerium rekrutiert (siehe Kapitel 5.8.4.1). Auswahl der externen Unternehmensberater: Auch die Auswahl der externen Berater erfolgte anhand ex ante festgelegter Auswahlkriterien, die auch ‘Softskills‘1483 (vor allem Erfahrungen im Veränderungsmanagement) einschlossen.1484 Bezüglich der Kommunikationsfähigkeiten der externen Berater muss jedoch festgestellt werden, dass das Auswahlverfahren nicht die notwendigen Fähigkeiten sicherstellen konnte (siehe Kapitel 5.8.4.1). Fortbildung: Weiterhin wurden für Projektmitarbeiter, Führungskräfte und die übrigen Mitarbeiter Schulungsmaßnahmen angeboten, um die jeweils notwendigen Fähigkeiten aufzubauen.1485 Wissenstransfer: Die Projektteammitglieder verfügten über Kontakte zu anderen Behörden, die ebenfalls KLR einführten oder eingeführt hatten und konnten Erfahrungswissen aus KLRImplementierungen dieser Behörden in das Projekt transferieren.1486 5.8.5

Externe Zustände

5.8.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Datenschutz: Die Vorschriften zum Datenschutz begrenzten die Möglichkeiten zur Auswertung der KLR-Daten und zur Veröffentlichung der KLR-Ergebnisse. So war z. B. eine

1481 1482 1483

1484 1485 1486

Vgl. Interview 8-1 und Interview 8-10. Vgl. Interview 8-2. Mit ‘Softskills’ sind alle Arten sozialer Fähigkeiten gemeint. Der Begriff dient zur Abgrenzung dieser Fähigkeiten gegenüber dem Fachwissen. Vgl. Interview 8-1. Vgl. Interview 8-2, Interview 8-1 sowie Interview 8-4. Vgl. Interview 8-3 und Interview 8-10.

258 personenbezogene Leistungsmessung im Rahmen der KLR nicht möglich.1487 Daher wurden die Vorschriften zum Datenschutz als Einschränkung wahrgenommen. Personalrecht/Anreizmöglichkeiten: Auch die durch das Personalrecht vorgegebenen Anreize und Sanktionen wurden als ungeeignet bzw. unzureichend bewertet, um die Mitarbeiter zu wirtschaftlichem Verhalten zu bewegen.1488 Insgesamt wurden aber die Vorschriftendichte und die sich aus den Vorschriften ergebenden Einschränkungen für die Umsetzung des veränderten Handlungsmusters in Fallstudie 8 als gering eingeschätzt. (2) Politische Rahmenbedingungen Die Bundesregierung rückte mit der Initiative ‘Moderner Staat - Moderne Verwaltung’ die KLR als Bestandteil der Verwaltungsmodernisierung stark in das öffentliche Interesse und erzeugte damit im Ministerium Druck zur Implementierung dieses Instruments.1489 5.8.5.2 Innerhalb der betroffenen Dienststelle entstandene externe Zustände (1) Unterstützung durch die oberste Leitung und weitere Führungskräfte Die Unterstützung des Projektes durch die oberste Leitung wurde als zentraler Erfolgsfaktor für den Veränderungsprozess bewertet.1490 Die Ausprägung dieser Unterstützung im vorliegenden Fall wurde von den Interviewpartnern jedoch tendenziell als niedrig eingeschätzt. "Also ich denke, die Priorität könnte höher sein, wobei vieles für mich ein bisschen halbherzig verfolgt wird, also nicht so mit der schlussendlichen Konsequenz [...], also nicht weitgehend genug und es müsste vielleicht noch mehr von Leitungsebene dahinter gestanden werden."1491 Auch bezüglich der Unterstützung der übrigen Führungskräfte gab es eine klare Tendenz zur Einschätzung, dass die Führungskräfte dem Projekt wenig Priorität beimaßen.1492 (2) Ressourcenausstattung Im Vergleich zu den übrigen bis dahin betrachteten KLR-Einführungen war das vorliegende Projekt erheblich besser mit Ressourcen ausgestattet. Durchschnittlich waren im Untersuchungszeitraum acht interne Projektmitarbeiter und sechs externe Unternehmensberater mit

1487 1488 1489 1490 1491

1492

Vgl. Interview 8-3. Vgl. Interview 8-8. Vgl. Bilanz der Bundesregierung ‘Moderner Staat - Moderne Verwaltung’ des Jahres 2002. Vgl. Interview 8-1. Interview 8-2. Die Aussage, das Projekt würde von der Leitung halbherzig verfolgt, passt zur These, der Leitung reiche eine rein formale Implementierung für PR-Zwecke aus. Ein anderer Interviewpartner äußerte sich ähnlich: „Also, die Leitung ist wahrscheinlich daran interessiert, die möchte es ausprobieren, aber ein Herzensanliegen der Leitung ist dieses Controllingprojekt bestimmt nicht, das glaube ich nicht.“ Vgl. auch Interview 8-9. Zur Unterstützung der Führungskräfte vgl. Interview 8-2, Interview 8-8.

259 der KLR-Implementierung beschäftigt.1493 Damit stellte die Ressourcenausstattung keinen Engpass im Projekt dar. (3) Zuweisung von Entscheidungskompetenzen / Zuweisung von Verantwortung Die Entscheidungskompetenzen im Projekt lagen bei dem Gesamtprojektleiter, der auch für den Erfolg der Implementierung verantwortlich war. Da während des Projektes der Gesamtprojektleiter wechselte, ging die Verantwortung für die Implementierung auf dessen Nachfolger über. Die Verantwortung für die Weiterentwicklung und die Nutzung des Systems lag bei dem ausgeschiedenen Projektleiter, der die neu eingerichtete Stelle des Zentralcontrollers besetzte. Über die Folgen eines hohen/geringen Projekterfolges für den Gesamtprojektleiter (Verantwortung als Tragen der Konsequenzen des eigenen Handelns) konnten allerdings keine Aussagen gewonnen werden. (4) Organisationskultur Die Organisationskultur des Ministeriums wirkte sich auf den Veränderungsprozess spürbar aus. Insbesondere war im Ministerium bis dahin bei vielen Mitarbeitern nur ein sehr gering ausgeprägtes Kostenbewusstsein vorhanden, so dass die KLR-Einführung auch als Veränderung der Kultur empfunden wurde.1494 Zudem zeigte sich, dass im Ministerium eine Kommunikationskultur vorhanden war, die mit der der Unternehmensberater nicht ‘kompatibel’ war, was zunächst zu Friktionen bei der Information der Mitarbeiter durch die Berater führte sowie dazu, dass die Berater für Kommunikationsaufgaben nur sehr begrenzt eingesetzt werden konnten (siehe Kapitel 5.8.4.1). Von mehreren Interviewpartnern wurde dargelegt, dass der hohe Anteil an Juristen im Ministerium zur geringen Akzeptanz der KLR beigetragen habe, da Juristen ökonomische Erwägungen tendenziell weniger Bedeutung beimessen würden als ‘formaljuristischen’ Betrachtungen. Teilweise wurde ihnen auch eine veränderungsfeindliche Grundhaltung vorgeworfen, da sie Veränderungen zunächst sehr systematisch auf mögliche juristische Hemmnisse prüfen würden, die dann häufig auch gefunden würden. Die Kenntnis der Rechtsgrundlagen würde auch taktisch genutzt, um Veränderungen abzublocken: "Das Verstecken hinter Regeln ist hier gang und gäbe."1495 (5) Sonstige externe Zustände Es wirkte sich negativ auf das Projekt aus, dass zeitgleich zur KLR-Einführung eine Personalbedarfsermittlung durchgeführt wurde, für die alle Mitarbeiter zusätzlich Zeitaufschrei-

1493 1494 1495

Vgl. Interview 8-2, Interview 8-1. Vgl. Interview 8-2, Interview 8-3. Interview 8-1. Zur Rolle von Juristen in Veränderungsprozessen vgl. auch Interview 8-2, Interview 8-1, Interview 8-5, Interview 8-6 sowie Interview 8-8.

260 bungen durchführen mussten, so dass die KLR-Aufschreibungen als unnötig und sehr lästig empfunden wurden.1496 5.8.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Es konnten keine Maßnahmen zur Beeinflussung außerhalb des Ministeriums erzeugter externer Zustände erkannt werden. Die Beeinflussung der innerhalb des Ministeriums entstandenen externen Zustände bestand vor allem darin, dass das Projektteam mit Maßnahmen der Kommunikation auf die Führungskräfte einzuwirken versuchte, um diese als Promotoren zu gewinnen. Auch auf den Personalrat versuchte das Projektteam massiv Einfluss zu nehmen, um zu verhindern, dass dieser als Opponent auftrat. Dies wollte man sowohl mit Mitteln der Kommunikation erreichen, als auch mit einem hohen Maß an Partizipation, die dem Personalrat eingeräumt wurde.1497 5.8.6

Interne Zustände

Zu internen Zuständen wurden im Rahmen der Fallstudie keine Erkenntnisse gewonnen. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.8.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Mitarbeiterbasis: Die Mitarbeiter antizipierten durch das veränderte Handlungsmuster einen negativen Nettonutzen, konnten jedoch das bisherige Handlungsmuster nicht beibehalten. Die Einführung der KLR war durch die oberste Leitung beschlossen; eine offene Verweigerung der Mitarbeiter hätte disziplinarische Sanktionen nach sich gezogen (‘Legitimate Power‘, ‘Coercive Power’). Die Mitarbeiter realisierten aber mehrheitlich ein drittes Handlungsmuster, nachdem sie einschätzen konnten, hierdurch keine Sanktionen auszulösen. Dieses Handlungsmuster bestand darin, die Zeitaufschreibungen mit geringer Genauigkeit (zur Verringerung des Aufwands) durchzuführen und sie nach taktischen Gesichtspunkten zu manipulieren. "[...] das ist die Obrigkeitsausrichtung des deutschen Durchschnittsbeamten, dass er sozusagen Angst vor negativen Sanktionen hat, wenn irgendwas nicht richtig ist. Aber sobald also raus war, dass das weder kontrollierbar noch sanktionierbar ist, hat er sozusagen passiven Widerstand gewählt."1498 Für das (geplante) veränderte Handlungsmuster wurden die drei Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht durchlaufen.1499 Der Zielzustand wurde nicht erreicht. Führungskräfte: Auch die mittleren Führungskräfte realisierten aus dem veränderten Handlungsmuster einen negativen Nettonutzen, konnten aufgrund der Anordnung der obersten Lei-

1496 1497

1498

Vgl. Interview 8-7 und Interview 8-10. Vgl. Interview 8-1. Es wurde von einer „Umarmungsstrategie“ des Projektteams gegenüber dem Personalrat gesprochen. Interview 8-6.

261 tung zur KLR-Einführung aber ebenfalls das bisherige Handlungsmuster nicht beibehalten, da dies von der Leitung nicht toleriert worden wäre (‘Legitimate Power’, ‘Coercive Power’). Sie nahmen ein drittes Handlungsmuster ein, indem sie in ihren jeweiligen Bereichen die KLR zwar formal implementierten, die manipulierten Aufschreibungen der Mitarbeiter aber duldeten und die KLR-Informationen kaum zur Steuerung verwendeten (und aufgrund der Qualität gar nicht verwenden konnten). Auch hier wurden für das (geplante) veränderte Handlungsmuster die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht durchlaufen1500 und damit der Zielzustand nicht erreicht. Die oberste Leitung des Ministeriums antizipierte aus der Einführung der KLR einen positiven Nettonutzen und entschied sich für die Durchführung des Projektes. Der positive Nettonutzen basierte aber vorrangig auf der Möglichkeit zur Außendarstellung als ‘moderne Verwaltung’. Daher war es für die oberste Leitung kaum von Belang, dass die mittleren Führungskräfte und die Mitarbeiterbasis ein drittes Handlungsmuster realisierten, das vom bisherigen und vom angestrebten veränderten Handlungsmuster abwich. Der positive Nettonutzen der Veränderung konnte auch durch das dritte Handlungsmuster, die rein formale Einführung der KLR ohne tatsächliche Nutzung, realisiert werden. Daher ist anzuzweifeln, ob die oberste Leitung für das veränderte Handlungsmuster, das die faktische Nutzung der KLR vorsah, die Phase Unfreeze erfolgreich durchlief. Ministerium: In den betrachteten Pilotbereichen des Ministeriums II konnte das ex ante formulierte veränderte Handlungsmuster nicht durchgesetzt werden. Der Zielzustand wurde somit nicht erreicht und der Veränderungsprozess konnte (zumindest vorläufig) als gescheitert angesehen werden. Der Pilotbereich des Ministeriums realisierte ein drittes Handlungsmuster und betrieb es bereits geraume Zeit, so dass für das dritte Handlungsmuster die Phasen Unfreeze und Move abgeschlossen und die Phase Refreeze zumindest begonnen werden konnte. In der Fallstudie entstand jedoch nicht der Eindruck, dass man im Ministerium dieses dritte Handlungsmuster von Beginn an bzw. planmäßig angestrebt hätte. Die ernsthaften Bemühungen des Projektteams zur Erreichung des veränderten Handlungsmusters und zur tatsächlichen Nutzung der KLR waren deutlich erkennbar und stellten – so die Einschätzung nach Bewertung des Gesamtbildes aller Daten, auch subjektiver Eindrücke – keine ‘Finten’ oder fingierte Aktivitäten zur Rechtfertigung des dritten Handlungsmusters dar. Vielmehr schien das dritte Handlungsmuster aus den unterschiedlichen Präferenzen der Akteure und dem ‘Spiel der Kräfte’ emergent entstanden zu sein. Alle beteiligten Akteure konnten sich mit diesem Zustand aber sehr schnell arrangieren und es entstand (zumindest vorläufig) ein neuer ‘eingeschwungener Zustand’.

1499 1500

Diese drei Phasen wurden aber möglicherweise für das dritte Handlungsmuster durchlaufen. Diese drei Phasen wurden aber möglicherweise für das dritte Handlungsmuster durchlaufen.

262 Eine der zentralen Erkenntnisse aus Fallstudie 8 ist, dass diese Abweichung vom (geplanten) veränderten Handlungsmuster trotz der Maßnahmen des Veränderungsmanagements, die in ausgesprochen hohem Umfang und systematisch durchgeführt wurden, nicht aufgehalten werden konnte. Das Veränderungsmanagement war nicht geeignet, einen positiven Nettonutzen der Veränderung zu erzeugen und die Erreichung des Zielzustands zu bewirken.

5.9 Fallstudie 9 - Einführung von KLR in Bundesministerium III 5.9.1

Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick

(1) Ausgangszustand und Zielzustand Untersuchungsgegenstand von Fallstudie 9 ist die Einführung einer KLR in Ministerium III. Der Ausgangszustand ist im Verwaltungshandeln ohne KLR zu sehen, der Zielzustand in Betrieb und Nutzung der KLR. Als veränderte Handlungsmuster sind die regelmäßigen Zeitaufschreibungen durch alle Mitarbeiter, der Betrieb der KLR durch zuständiges Personal sowie die Nutzung der KLR-Informationen durch Führungskräfte zu nennen. Die Intention der KLR-Einführung war die verbesserte Steuerung der Verwaltung, mit dem Ziel der die Erhöhung von Effizienz und Effektivität des Verwaltungshandelns. Das beinhaltete auch eine stärkere Output- und Dienstleistungsorientierung.1501 Die KLR-Einführung wurde von den meisten Akteuren als starke Veränderung wahrgenommen.1502 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Die ersten Vorüberlegungen zur KLR-Einführung in Ministerium III entstanden bereits Anfang des Jahres 1998 im zuständigen Referat. Hier wurden die Grundzüge eines KLRProjektes erarbeitet, das ursprünglich im September 1999 beginnen sollte. Aufgrund von Verzögerungen, die durch den Umzug des Ministeriums von Bonn nach Berlin bedingt waren, konnte das Projekt erst im Juli 2000 gestartet werden. Der Implementierungsplan sollte im Rahmen dieses Projektes von Juli 2000 bis Dezember 2000 erarbeitet werden. Ab Oktober 2000 zeigte sich, dass das entwickelte Konzept deutliche Mängel aufwies. Der im Dezember 2000 von der beauftragten Unternehmensberatung vorgelegte Bericht wurde von der Amtsseite nicht akzeptiert. Dies führte zu mehrmonatigen Nachverhandlungen mit dem Beratungsunternehmen, die trotz Einschaltung des zuständigen Staatssekretärs nicht zu einem befriedigenden Ergebnis kamen. Der Abbruch des Projektes erfolgte aufgrund der bis dahin unzureichenden Ergebnisse auf Weisung des Staatssekretärs zum 03.04.2001.1503

1501 1502 1503

Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-2. Zum Verlauf des Projektes vgl. Interview 9-2.

263 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Fallstudie stützt sich auf zwölf Interviews mit Akteuren unterschiedlicher Funktion,1504 die im Ministerium im Zeitraum vom 04.06.2002 bis zum 12.06.2002 geführt wurden. Den Interviews ging ein mehrtägiges, intensives Briefing zu Strukturen und Arbeitsweise des Ministeriums voraus, das von einem Ministerialbeamten des höheren Dienstes durchgeführt wurde.1505 Dieses Briefing sollte beim Interviewer das notwendige Grundverständnis für das Verwaltungshandeln im Ministerium aufbauen, um die Ausführungen der Interviewpartner besser einordnen zu können. Im Rahmen der Fallstudie wurden weiterhin Dokumente ausgewertet und zahlreiche informelle Gespräche geführt. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von den ersten Vorüberlegungen zur KLR-Einführung Anfang 1998 bis zum Abbruch des Projektes am 03.04.2001. 5.9.2

Akteure im Veränderungsprozess

Die Akteure in den Veränderungsprozessen der Fallstudien 8 und 9 waren ihrer Art nach weitgehend identisch. So ist die Akteursstruktur auch im vorliegenden Veränderungsprozess durch eine vergleichsweise geringe Komplexität gekennzeichnet, da auch hier nur das Ministerium betroffen ist. Als relevante Akteure wurden in Fallstudie 9 identifiziert: ƒ

Das Ministerium als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Die Führungskräfte des Ministeriums als Nutzer der KLR-Informationen und potenzielle Promotoren/Opponenten. Zu den Führungskräften zählen die oberste Leitung des Ministeriums (das sog. ‘Kollegium’, bestehend aus Minister und Staatssekretären) sowie die weiteren Führungskräfte der darunter liegenden Ebenen, d. h. Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter und Referatsleiter.

ƒ

Das mit der KLR-Implementierung beauftragte Projektteam, das sich aus dem internen Projektteam (bestehend aus zwei Mitarbeitern des Ministeriums) und den externen Unternehmensberatern zusammensetzte.

ƒ

Die gesamte Belegschaft (Mitarbeiter und Führungskräfte), die aufgefordert war, die KLR-Produktkataloge mit zu gestalten und die – im Falle einer erfolgreichen Implementierung – die täglichen Aufschreibungen zur produktbezogenen Erfassung der Arbeitszeit durchzuführen gehabt hätte.

ƒ

Der Personalräte, die als Interessenvertreter der Mitarbeiter potenzielle Promotoren bzw. Opponenten darstellten.

1504

1505

Interviewpartner waren der ehemalige Projektleiter, drei Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben, fünf Referatsleiter und drei Unterabteilungsleiter. So wurden Projektverantwortliche, ‘Betroffene’ und Nutzer des Veränderungsprozesses aus unterschiedlichen Abteilungen des Ministeriums abgedeckt. Dieser Beamte betreute die Durchführung der Fallstudie.

264 5.9.3

Präferenzen und Nutzenmaximierung

5.9.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Ministerium: Das Ministerium erwartete von der KLR-Einführung durch das veränderte Handlungsmuster eine Verbesserung der Steuerung des Verwaltungshandelns, was zu einer Erhöhung der Effizienz und einer Reduzierung der Kosten hätte führen sollen.1506 Hier wurde jedoch mehrfach angeführt, dass im Ministerium kaum standardisierte, sondern vorrangig Einzelaufgaben bzw. kaum vergleichbare, sich ständig verändernde Aufgaben zu bearbeiten seien, was die Produktbildung und damit die Generierung steuerungsrelevanter KLRInformationen deutlich erschwert hätte.1507 Auch scheinbar gleichartige Aufgaben wie das Erstellen sog. ‘Sprechzettel’ für die Hausleitung oder die Erarbeitung von Gesetzesvorlagen wiesen eine große Bandbreite benötigter Arbeitszeit auf.1508 Teilweise gingen die Interviewpartner davon aus, dass KLR grundsätzlich geeignet gewesen sei, die Steuerung in ihrem Bereich zu verbessern, jedoch nicht mit der von der Unternehmensberatung vorgeschlagenen Produktstruktur, die der Aufgabenwahrnehmung nicht gerecht geworden sei. "Die Produktbildung entsprach nicht dem Aufgabenbild unseres Hauses."1509 Es wurde von allen Befragten bezweifelt, das mit dem gewählten Ansatz des veränderten Handlungsmusters tatsächlich eine Kosteneinsparung für das Ministerium zu realisieren gewesen wäre. Führungskräfte: Die Führungskräfte antizipierten Kosten des veränderten Handlungsmusters durch die Arbeitszeit, die sie selbst und ihre Mitarbeiter für die Zeitaufschreibungen sowie für die Beschäftigung mit den KLR-Ergebnissen hätten verwenden müssen.1510 Zudem wurde befürchtet, dass durch die KLR ein möglicher Personalabbau im eigenen Bereich hätte ausgelöst werden können.1511 Eine Verringerung der eigenen Kosten durch das veränderte Handlungsmuster (gegenüber dem bisherigen Handlungsmuster) wurde hingegen nicht antizipiert, u. a. weil Ziele und Informationsbedarf der Führungskräfte nicht erhoben worden seien, so dass die Gewinnung der KLR-Informationen hierauf nicht hätte abgestimmt werden können.1512 Belegschaft: Die Mitarbeiter antizipierten ebenfalls hohe Kosten des veränderten Handlungsmusters durch die täglichen Zeitaufschreibungen und die Erwartung einer steigenden Verhaltens- und Leistungskontrolle. Zudem befürchteten sie einen möglichen Personalabbau, der einerseits die eigene Arbeitsbelastung hätte erhöhen können und andererseits evtl. zu ei-

1506 1507 1508 1509 1510 1511

1512

Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-4, Interview 9-6, Interview 9-7 sowie Interview 9-9. Vgl. Interview 9-4. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-5. Hier besteht ein gewisser Widerspruch zur Antizipation, die KLR hätte keine steuerungsrelevanten Ergebnisse liefern können. Befürchtet wurde jedoch, dass auch KLR-Zahlen ohne reale Aussagekraft einen ‘willkommenen Anlass’ für Rationalisierungen hätten bieten können. Das wurde in informellen Gesprächen mehrfach angeführt. Vgl. Interview 9-12.

265 nem Abbau von Führungsstellen geführt hätte, was die Aussichten für die Karriereentwicklung der Mitarbeiter negativ beeinflusst hätte.1513 "Aber die meisten Betroffenen, die auch noch nie mit derartigen Instrumentarien in Berührung kamen, zum Beispiel alle Juristen hier im Hause, die haben zwei Dinge gesehen. Nur die persönliche Betroffenheit in zweierlei Hinsicht. Erstens: ich muss künftig meine Stunden kontieren, das ist lästig. Zweitens: wer weiss, was damit gemacht wird. Am Ende habe ich ein gläsernes Referat und jeder kann sehen, womit ich meine Zeit verbringe, das will ich nicht, also eine Abwehrhaltung."1514 Zu den Kosten des veränderten Handlungsmusters führte ein anderer Akteur aus: "Für den einzelnen Mitarbeiter kann das Ergebnis der Kosten- und Leistungsrechnung letztendlich wiederum nur Einsparung von Mitarbeitern bedeuten. Es besteht natürlich nachher mit Sicherheit die Möglichkeit, nachzuvollziehen, wer wo wie lange an was gearbeitet hat. Es wird zwar immer wieder bestritten, aber das kann nur Sinn und Zweck des Ganzen mit sein."1515 Ein Interviewpartner betonte die antizipierten Kosten des veränderten Handlungsmusters durch möglichen Personalabbau: "Man befürchtete weitere Rationalisierungen. Da brennen den Leuten die Sicherungen durch."1516 Zudem wurde unterstellt, dass die KLR die hohen Kosten der geteilten Ministerialverwaltung der beiden Standorte Bonn und Berlin hätte transparent machen können, was unter Umständen zu einer Aufgabe des Standortes Bonn hätte führen können.1517 Hier wären Kosten des veränderten Handlungsmusters durch einen Wohnortwechsel oder vermehrte Reisetätigkeit für diejenigen Mitarbeiter entstanden, die am Standort Bonn bleiben wollten. Bei einigen Akteuren basierte die Antizipation der Kosten des veränderten Handlungsmusters auch auf Erfahrungen aus vorherigen Verwendungen in anderen Dienststellen.1518 5.9.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Ministerium: Analog zur Kostendifferenz gilt auch für die Nutzendifferenz, dass eine Erhöhung des Nutzens (Output/Outcome) die verbesserte Bereitstellung steuerungsrelevanter Informationen erfordert hätte, was aber aufgrund der Schwierigkeiten zur Leistungsmessung, resultierend aus den heterogenen, stark veränderlichen Aufgaben (und Einzelaufgaben), dem ungeeigneten Vorgehen bei der Produktbildung und der unterlassenen Feststellung von Zielen/Prioritäten überwiegend ausgeschlossen wurde.1519 Zudem wurde, wie auch in Fallstudie 8, auf die Möglichkeit zur Manipulationen der Zeitaufschreibungen hingewiesen, was die Ge-

1513

1514 1515 1516 1517 1518 1519

Zur Furcht vor Personalabbau vgl. Interview 9-3, Interview 9-5, Interview 9-7, Interview 9-9 und Interview 9-11. Interview 9-12. Interview 9-9. Interview 9-11. Vgl. Interview 9-6. Vgl. Interview 9-1. Siehe Ziffer (1) dieses Kapitels.

266 nerierung steuerungsrelevanter Informationen durch KLR ebenfalls behindert hätte.1520 Es sei völlig unklar geblieben, auf welchem Wege der von den Beratern vorgeschlagene KLRAnsatz einen zusätzlichen Nutzen (oder eine Kostenreduzierung) hätte generieren sollen.1521 Damit wurde insgesamt die Nutzensteigerung aufgrund des veränderten Handlungsmusters in Frage gestellt. Leitung des Ministeriums: Ein deutlicher Nutzen für die Leitung des Ministeriums wurde allerdings darin gesehen, das Ministerium nach außen mit dem neuen Instrument als ‘moderne Verwaltung’ präsentieren zu können: "Und gleichzeitig hat man sich wohl vorgestellt, dass man mit Einführung des Controlling, schöner Begriff, der nach Dynamik klingt, auch das Ansehen der Verwaltung in der Öffentlichkeit fördern könnte."1522 Haushaltsreferat: Eine Nutzen verringernde Wirkung durch das veränderte Handlungsmuster wurde hingegen für die Haushaltsreferate unterstellt, die bei einer funktionierenden KLR gezwungen seien, die Mittelverteilung stärker nach objektiven Maßstäben vorzunehmen, was deren Machtausübung, basierend auf der Ressourcenverteilung, eingeschränkt hätte.1523 5.9.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Ministerium: Die Kosten des Übergangs waren für das Ministerium im Einsatz der Arbeitskraft der internen Projektmitarbeiter und im Einsatz von Führungskräften und Mitarbeitern zu sehen, die Unterstützung bei der Erarbeitung des Produktkatalogs leisten mussten und sich zudem an Informationsveranstaltungen und Schulungen beteiligten. Für das Ministerium entstanden jedoch keine Kosten des Übergangsprozesses durch den Einsatz der externen Unternehmensberater, da diese vom Bundesministerium für Finanzen getragen wurden.1524 Allerdings erzeugte die Zusammenarbeit mit den Beratern starke Friktionen, da es zu langwierigen und schwierigen Nachverhandlungen aufgrund der für ungeeignet befundenen Konzeption kam, in die sogar die Leitung des Ministeriums (Staatssekretär) persönlich eingreifen musste. Belegschaft (einschließlich Führungskräfte): Die unterstützenden Aktivitäten zur Erstellung des Produktkatalogs wurden, da sie als zusätzliche Aufgaben neben dem Tagesgeschäft zu erledigen waren, von den Mitarbeitern des Ministeriums als individuelle Kosten des Übergangs wahrgenommen. Obwohl der Umfang dieser Aktivitäten auf Weisung der Leitung stark begrenzt wurde, haben die Mitarbeiter die Kosten hieraus dennoch verhältnismäßig hoch bewertet. "Es hat uns viel Mühe gekostet, die Gespräche vorzubereiten, das was man von uns forderte zu liefern an Papieren, weil das alles sehr durchdacht werden musste, mit einem Anspruch oder mit einer Zielrichtung, die für uns ja auch neu war. Wir haben uns ja mit diesen

1520 1521 1522

1523

Vgl. Interview 9-1. Vgl. Interview 9-1. Interview 9-12. Der Aspekt der Imageförderung wurde von weiteren Interviewpartnern bestätigt. Vgl. auch Interview 9-7, Interview 9-6 sowie Interview 9-9. Vgl. Interview 9-4.

267 Themen so noch nicht befasst [...]"1525 Zur negativen Wahrnehmung dieser Aktivitäten hat auch die Zusammenarbeit mit den externen Beratern beigetragen, die als unangenehm beschrieben wurde, da deren Auftreten von den Mitarbeitern des Ministeriums als ‘arrogant’ empfunden wurde und durch Inkompetenz bzgl. der Aufgaben im Ministerium sowie der Vorgehensweise im Projekt geprägt gewesen sei.1526 5.9.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ), Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Es konnten im Rahmen der Fallstudie für diese drei Kategorien keine Aussagen gewonnen werden. 5.9.3.5 Nettonutzenbetrachtung Ministerium und oberste Leitung des Ministeriums: Im Ministerium konnten durch das veränderte Handlungsmuster kaum Kosteneinsparungen erwartet werden; indes entstanden erhebliche Kosten des Übergangs, denen fast ausschließlich der Nutzen durch die positive Öffentlichkeitswirkung (‘moderne Verwaltung’) gegenüber standen. Dieser Nutzen wurde geringer bewertet als die Kosten, so dass das Projekt aufgrund des negativen Nettonutzens abgebrochen wurde. Belegschaft (einschließlich Führungskräfte): Auf Seiten der Führungskräfte wie auch der Mitarbeiter wurden hohe Kosten des Übergangsprozesses durch die projektunterstützenden Tätigkeiten wahrgenommen. Außerdem antizipierte man hohe Kosten durch das veränderte Handlungsmuster (Aufwand für Zeitaufschreibungen, Kontrolle, Personalabbau). Andererseits wurde keine spürbare Nutzenerhöhung erwartet, so dass der Nettonutzen deutlich negativ war, was in einer Aussage eines Akteurs zum Ausdruck kommt: "Letztendlich […] waren wir alle froh, dass das Thema zu Ende war."1527 5.9.3.6 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens konzentrierte sich im vorliegenden Fall auf Maßnahmen der Kommunikation. Den Mitarbeitern wurden Informationsveranstaltungen angeboten, die aber nur in geringem Umfang genutzt wurden. So wurden zunächst Veranstaltungen für die Abteilungsleiter angeboten, die dort jedoch nicht persönlich erschienen, sondern Vertreter entsandten.1528 In den Pilotreferaten des Ministeriums wurden insgesamt 14 eintägige Informationsveranstaltungen durchgeführt, die jedoch weniger als 120

1524 1525 1526 1527 1528

Vgl. Interview 9-2. Interview 9-1. Vgl. Interview 9-2. Interview 9-1. Das kann als Indiz für den geringen Stellenwert dienen, der dem Projekt beigemessen wurde. Vgl. Interview 9-2.

268 von möglichen 600 Mitarbeitern besuchten.1529 Diese Veranstaltungen wurden hinsichtlich ihrer Qualität scharf kritisiert. Insbesondere sei nicht klar geworden, auf welchem Wege man mit der KLR positive Effekte erzielen wolle. Nachfragen aus dem Auditorium seien entweder ignoriert oder unbefriedigend beantwortet worden.1530 Ein interviewter Akteur bewertete die Veranstaltungen wie folgt: "Die Grundsatzfrage, wozu machen wir überhaupt Controlling, welches sind dann geeignete Systeme, also Infosysteme, um ein Controlling dann auch effektiv gestalten zu können, diese Grundsatzfrage, die wurde voll ausgeblendet, die ist nie in die Diskussion gekommen und immer abgetan worden: ist doch wohl selbstverständlich, dass ein modernes Haus auch Controlling braucht, fertig."1531 Zudem wurde bemängelt, dass der fehlenden betriebswirtschaftlichen Vorbildung vieler Akteure in diesen Veranstaltungen nicht Rechnung getragen worden sei und sie daher nicht in der Lage gewesen seien, den Ausführungen inhaltlich zu folgen.1532 Weiterhin wurden Schulungsveranstaltungen zum Thema KLR angeboten, Informationen über das Intranet bereitgestellt und schriftliche Unterlagen verteilt. Zudem wurden, insbesondere von den amtsseitigen Projektmitarbeitern, Einzelgespräche in den Büros der betroffenen Mitarbeiter geführt.1533 Auch in Fallstudie 9 wurde das persönliche Gespräch ‘unter vier Augen’ oder in einer kleinen Gruppe als das wirksamste Medium eingeschätzt. Hiermit sei eine erfolgreiche Überzeugungsarbeit sehr viel besser zu leisten als mit Informationen in ‘Massenveranstaltungen’.1534 Das persönliche Gespräch wurde vom internen Projektteam als Kommunikationsmittel genutzt, jedoch – nach Angaben des Projektleiters – nicht in ausreichendem Umfang.1535 Insgesamt wurden die Kommunikationsmaßnahmen im Projekt von den betroffenen Akteuren hinsichtlich ihrer Quantität als ausreichend bewertet, bezüglich ihrer Qualität jedoch stark kritisiert. Deshalb blieb trotz der intensiven Kommunikationsbemühungen seitens des Projektteams ein erheblicher Informationsbedarf unbefriedigt. Auch in dieser Fallstudie ist erkennbar, dass man versuchte, die fehlenden Informationen durch Spekulationen/Gerüchte zu kompensieren.1536 Die Einbindung der Mitarbeiter in die Gestaltung des Projektes und damit die Möglichkeiten zur direkten Beeinflussung des Nettonutzens durch die Betroffenen selbst wurde von diesen als gering eingeschätzt.1537

1529 1530 1531 1532 1533 1534 1535 1536 1537

Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-2, Interview 9-3, Interview 9-6, Interview 9-8, Interview 9-9 sowie Interview 9-11 Interview 9-12. Vgl. Interview 9-6. Vgl. Interview 9-2, Interview 9-4, Interview 9-6 sowie Interview 9-7. Vgl. hierzu z. B. Interview 9-3, Interview 9-9, Interview 9-11 sowie Interview 9-2. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-12 und Interview 9-9. Vgl. Interview 9-8 und Interview 9-9.

269 5.9.4

Fähigkeiten

5.9.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten, insbesondere KLR- und Controllingkenntnisse: Da der Veränderungsprozess die Implementierung eines betriebswirtschaftlichen Instruments zum Inhalt hatte, waren die betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten der beteiligten Akteure von großer Bedeutung. Die Mitarbeiter des Projektteams benötigten als maßgebliche Gestalter des neuen Instruments KLR- und Controllingkenntnisse in besonderem Umfang. Die beiden internen Projektmitarbeiter hatten jedoch, nach eigener Aussage, bis dahin keine nennenswerte Vorbildung auf diesem Gebiet vorzuweisen.1538 Die externen Unternehmensberater hingegen verfügten über eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung und einen hohen Kenntnisstand in den Bereichen KLR und Controlling.1539 Damit verfügten diejenigen Projektmitglieder, die große Kenntnisse hinsichtlich der Aufgaben und Strukturen des Ministeriums hatten, über unzureichende betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Die externen Berater wiederum, die über betriebswirtschaftliche Fähigkeiten verfügten, hatten nicht die notwendigen Kenntnisse über das Ministerium (siehe Ziffer (2)). Es ist im Projekt nicht gelungen, hier einen Ausgleich der Fähigkeiten herbeizuführen oder die spezifischen Fähigkeiten so zu nutzen, dass insgesamt ausreichende Fähigkeiten des Gesamtprojektteams entstanden. Für die Leitung des Hauses wäre es, um bezüglich des Projektes urteilsfähig zu sein und als Promotoren auftreten zu können, vorteilhaft gewesen, über KLR-Grundkenntnisse zu verfügen, was aber nach Einschätzung der Interviewpartner nicht der Fall war. "Was sich hinter einer Kosten-/Leistungsrechnung im Detail verbirgt, was sich gar hinter einem Controlling verbirgt, ich glaube, da herrschen nicht mal nebulöse Vorstellungen in unserer Leitung. Und da haben wir den Knackpunkt, denn wenn die Leitung nicht weiss, was sie will, dann kann sie schlecht dafür sorgen, dass ein Projekt durchgezogen wird."1540 Auch für die übrigen Führungskräfte und sonstigen Mitarbeiter wären betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse eine wichtige Basis für das Verständnis der Funktionsweise der KLR und für die Unterstützung der KLR-Produktbildung gewesen. Bei vielen Führungskräften und Mitarbeitern war eine betriebswirtschaftliche Vorbildung jedoch nicht vorhanden. Insgesamt waren die betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten bei den Akteuren des Ministeriums gering ausgeprägt, was sich auf den Veränderungsprozess hinderlich auswirkte. Kenntnis des Ministeriums und des öffentlichen Sektors: Die KLR hätte die spezifischen Leistungen des Ministeriums in Relation zu den entsprechenden Kosten abbilden sollen, was eine eingehende Kenntnis der Aufgaben und Strukturen des Ministeriums bei den Projektmit-

1538 1539 1540

Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-1. Interview 9-12.

270 arbeitern voraussetzte. Die externen Unternehmensberater verfügten nicht über diese Kenntnisse und erwarben sie auch nicht während der Projektlaufzeit. "Also von KLR haben sie sicher nicht zu wenig verstanden, von unserem Geschäft auf alle Fälle, da verstanden sie gar nichts, absolut nichts."1541 Als Folge der mangelnden Kenntnis des Ministeriums hätten die Berater daher andernorts verwendete Schemata ohne die notwendige Modifikation im Ministerium zur Anwendung gebracht, was auf heftige Kritik und Gegenwehr seitens der Beschäftigten des Ministeriums gestoßen ist.1542 Projektmanagementfähigkeiten: Da die KLR-Einführung ein Projekt größeren Umfangs darstellte, waren die Fähigkeiten im Projektmanagement von großer Bedeutung. Den externen Unternehmensberatern wurde jedoch eine mangelnde Projekterfahrung angelastet. "Und da hatte ich wiederum den Eindruck, dass die Personen aus der Unternehmensberatung, die vor Ort waren, alles junge Spunde waren, die nicht wussten, wovon sie reden, […] die noch nie ein derartiges Projekt bis zum Ende durchgezogen haben, sondern die ihr Wissen […] aus Lehrbüchern hatten."1543 Die mangelnde Projekterfahrung habe sich vor allem in einem konzeptionslosen Vorgehen und mangelhafter Reaktion auf Projektkrisen geäußert.1544 Auch einen Wissenstransfer aus ähnlich gelagerten Projekten, den man sich von den Unternehmensberatern erwartet hatte, sei nicht erkennbar gewesen. "Das gipfelte dann natürlich in Vorwürfen, wie, dass man Leute frisch von der Uni schickt. Man kauft sich eigentlich Kompetenz und Sachverstand ein bei so einem Berater, der aus vielen, vielen Projekten Informationen mitbringt, ähnlich gelagerte Projekte, und [...] die haben gesagt, das sei das erste Projekt, das sie so machen."1545 Zudem hätten die Berater die Veränderung von verhaltensbestimmenden Einstellungen der Mitarbeiter als Projektaufgabe massiv unterschätzt. "Ich habe immer wieder versucht, denen klar zu machen, dass doch eine vollkommene Änderung der Mentalität im Denken notwendig wird. Und das muss doch in irgendeiner Art und Weise in das Akzeptanzmanagement hineinführen. Aber das hat überhaupt keine Rolle gespielt bei den Beratern."1546 Über die Projektmanagementfähigkeiten der internen Projektmitarbeiter konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden. Kommunikationsfähigkeiten: Insbesondere die Mitglieder des Projektteams benötigten Kommunikationsfähigkeiten, um den übrigen Akteuren des Ministeriums die Intention und die Funktionsweise der KLR vermitteln zu können. Hier wurden vor allem bei den Unternehmensberatern große Defizite bemängelt. Sie seien nicht in der Lage gewesen, den in betriebswirtschaftlichen Themen mehrheitlich fachfremden Mitarbeitern des Ministeriums wichtige Inhalte zu vermitteln. "Das waren waschechte junge Betriebswirte, Volkswirte, die durch-

1541 1542 1543 1544 1545

Interview 9-1. Interview 9-2, Interview 9-3 sowie Interview 9-11. Interview 9-12. Vgl. Interview 9-2 und Interview 9-10. Interview 9-6.

271 drungen waren von ihrem Wissensstoff und sich gar nicht vorstellen konnten, dass man sie nicht versteht. Das war für die alles so selbstverständlich, was die da von sich gaben, dass es für die unverständlich war, nicht verständlich zu sein […]."1547 Die Berater beherrschten aber ihrerseits auch nicht die Terminologie des Ministeriums, so dass sie Probleme hatten, die Anliegen der Beschäftigten des Ministeriums inhaltlich zu durchdringen. "Und das andere war wiederum, dass die KLR-Leute uns nicht verstanden, unsere Sprache nicht verstanden, auch gar nicht in der Lage waren, unsere Arbeit zu erfassen. Das war äußerst mühsam, denen zu erklären, was wir tun, weil die immer in ihren privatwirtschaftlichen Kategorien dachten."1548 Weiterhin ist es den Beratern nicht gelungen, die Sympathie und das Vertrauen der Mitarbeiter zu erwerben, was mit der nicht angemessenen Art der Kommunikation begründet wurde. Die externen Berater hätten z. B. Fragen oder Einwände der internen Mitarbeiter ignoriert, seien gegenüber älteren Mitarbeitern ‘belehrend’ aufgetreten und oft unpünktlich zu vereinbarten Terminen erschienen.1549 "Negativ war auch, mit welcher arroganten Art und Weise Beraterfirmen mit unseren Beschäftigten und mit unserem Thema und mit unserem Auftrag umgegangen sind."1550 Dabei wirkte sich auch das äußere Erscheinungsbild der Berater negativ aus: "Wissen Sie, die traten auf, im schwarzen Anzug, weißem Kragen, arrogant."1551 Über die Ausprägung der Kommunikationsfähigkeiten der internen Projektmitarbeiter sind nur wenige Aussagen gemacht worden, die zudem noch widersprüchlich waren, so dass sich hier kein klares Bild ergeben hat. 5.9.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Fortbildung: Für interessierte Mitarbeiter des Ministeriums wurden Schulungen angeboten, um das Verständnis für die Funktionsweise der KLR zu erhöhen. An diesen Schulungen wurde jedoch bemängelt, dass viele Teilnehmer aufgrund der mangelnden ökonomischen Vorbildung inhaltlich überfordert gewesen seien und daher den Ausführungen nicht hätten folgen können.1552 Die internen Projektmitarbeiter besuchten vor Projektbeginn eine dreitägige KLRSchulung der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, die jedoch als zu kurz und inhaltlich zu wenig auf die spezifischen Anforderungen des Ministeriums ausgerichtet beschrieben wurde.1553 Auswahl der internen Projektmitarbeiter: Die Personalauswahl zur Besetzung des Projektteams hätte als Möglichkeit zur Sicherstellung der Fähigkeiten der internen Projektmitarbeiter genutzt werden können. Bei der Besetzung des internen Projektteams war aber die ökonomi-

1546 1547 1548 1549 1550 1551 1552 1553

Interview 9-2. Interview 9-1. Interview 9-1. Vgl. Interview 9-7., Interview 9-1 sowie Interview 9-2. Interview 9-2. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-1. Vgl. Interview 9-2.

272 sche Vorbildung kein Auswahlkriterium.1554 Nach welchen Kriterien die Auswahl tatsächlich erfolgte, konnte nicht geklärt werden. Auswahl des Beratungsunternehmens: Auch bei der Auswahl der Unternehmensberatung ist es nicht gelungen, ein Beraterteam mit dem notwendigen Maß an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, Projekterfahrung, Kenntnis der ministeriellen Verwaltung und den erforderlichen Kommunikationsfähigkeiten zu rekrutieren. "Man hat junge Leute frisch von der Uni genommen und die in´s kalte Wasser geworfen, hatte ich den Eindruck, die [...] auch innerhalb der eigenen Firma vermute ich mal, noch nicht in vorderster Front gestanden haben und sie mit einer Aufgabe betraut, die quasi vorher noch nicht durchgeführt worden war. Die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung in einer Ministerialverwaltung war, glaube ich, noch ein Novum zu dem Zeitpunkt und damit hat man, glaube ich, die Youngsters schlicht und ergreifend überfordert, ihnen fehlte die notwendige Erfahrung. Gleichzeit fehlte ihnen die Erfahrung, mit einer gewissen Sensibilität die Entscheidungsfindung innerhalb eines Ministeriums, die Strukturen zu verinnerlichen und auch die Aufgaben, die am Ende stehen."1555 Im Auswahlprozess wurde nicht darauf geachtet, die von den Unternehmensberatungen für den späteren Einsatz vorgesehenen Berater kennen zu lernen, um diese beurteilen zu können. "Also eine Erfahrung ist, dass die beim Angebot sehr hochrangig auftreten, tolle Leute anbieten, die auch bekannt sind, bis hin zu Ex-Ministern haben sie irgendwann mal angeboten und einen früheren Abteilungsleiter dieses Hauses hatten sie unter Vertrag. Und was dann nachher kommt ist die dritte Garnitur mit fünf Studenten."1556 Wissenstransfer: Ein Wissenstransfer aus anderen KLR-Projekten der öffentlichen Verwaltungen wurde nur in sehr geringem Umfang vorgenommen.1557 Wirkung des Veränderungsmanagements: Auf Seite des Ministeriums fehlten bei vielen Akteuren die notwendigen betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten. Die externen Berater hingegen wiesen zu geringe Erfahrung über die ministerielle Verwaltung, zur Kommunikation im Ministerium und im Projektmanagement auf. Diese Defizite konnten durch die Maßnahmen zur Sicherstellung der Fähigkeiten nicht behoben werden und wirkten sich auf den Veränderungsprozess in erheblicher Weise negativ aus.

1554 1555

1556 1557

Vgl. Interview 9-2. Interview 9-9. Ein weiterer Interviewpartner führte hierzu aus: "Der zweite Punkt war, dass ein Unternehmensberater rausgesucht worden ist, der auch keine große Ahnung von der Materie hatte, der auch mehr auf Show gemacht hat als Erfahrungen in der KLR, im Controlling in der öffentlichen Verwaltung hat." Interview 9-12. Interview 9-4. Vgl. Interview 9-2.

273 5.9.5

Externe Zustände

5.9.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Anreizmöglichkeiten zur Unterstützung des Veränderungsprozesses Auch in Fallstudie 9 wurden die Möglichkeiten zur Nutzung von Anreizen und Sanktionen zur Erzeugung von Konsequenzen aus KLR-Informationen als unzureichend bewertet. So hätte die Ermittlung guter oder unzureichender Leitungen aufgrund des öffentlichen Personalrechts kaum zu Belohnungen oder Sanktionen führen können. Das öffentliche Personalrecht wurde daher als leistungsfeindlich beschrieben, was die Nutzung der KLR für eine Steigerung der Leistung des vorhandenen Personals (und damit eine Effizienzsteigerung) erschwerte.1558 (2) Vorschriftendichte Hemmend wirkten sich, neben dem unter Ziffer (1) thematisieren Dienstrecht, lediglich Vorschriften des Datenschutzes aus, die insbesondere die personenbezogene Auswertung der KLR-Daten verhindert hätten. Ansonsten wurde in Fallstudie 9 die Vorschriftendichte nicht thematisiert. Die bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass diese im weiteren Veränderungsprozess keine Rolle gespielt hätte. Möglicherweise sind die Hemmnisse aus diversen Vorschriften nicht transparent geworden, weil man das Projekt bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt abgebrochen hat. (3) Politische Rahmenbedingungen Die politischen Rahmenbedingungen können in Fall 9 als bedeutender externer Zustand betrachtet werden. Wechsel der obersten Führung: Vor allem wurde ein dreimaliger Ministerwechsel, der jeweils mit einem Wechsel des für das Projekt zuständigen Staatssektretärs verbunden war, als wesentliches Hemmnis im Veränderungsprozess beschrieben: "Es gab viele Irrungen und Wirrungen in diesem Fahrplan, insbesondere weil unsere Leitung ja so häufig wechselte, die Staatssekretäre wechselten. Drei Stück an der Zahl waren es insgesamt seit diesem Zeitpunkt und es wurden von jedem Staatssekretär natürlich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, unterschiedliche Vorgehensweisen versucht durchzudrücken, es gab die abenteuerlichsten Ansatzweisen, mit Insellösungen, um das Projekt dann überhaupt noch zu retten."1559 Politischer Wahlzyklus: In diesem Zusammenhang war in Fallstudie 9 erstmals ein weiterer Aspekt politischer Rahmenbedingungen erkennbar: die Auswirkungen des vierjährigen Wahlzyklus’ auf nach innen gerichtete Reformvorhaben. Direkt nach einer Wahl – so die Interviewpartner – müsse sich ‘das Haus erst finden’, d. h. es würden zunächst Regierungsprogramm und/oder Koalitionsvereinbarungen auf ihre Auswirkungen hin untersucht. Im Falle eines Ministerwechsels müssten sich dieser und evtl. neue Staatssekretäre zunächst einarbei-

1558 1559

Vgl. Interview 9-7 sowie Interview 9-8. Interview 9-2.

274 ten, wodurch sich diese ‘Findungsphase’ verlängern würde. Während dieses drei- bis sechsmonatigen Zeitraums fänden Initiativen für nach innen gerichtete Reformvorhaben bei der Leitung erfahrungsgemäß kaum Gehör. Danach müsse man Reformvorhaben sehr schnell platzieren und vorantreiben, da vor der nächsten Wahl die oberste Führung ihre Aufmerksamkeit bereits wieder sehr stark nach außen richte und alle Reformvorhaben vermeiden würde, die Personalrat und Gewerkschaften zu negativen Darstellungen in der Öffentlichkeit veranlassen könnten. Zugleich engagierten sich auch die Mitarbeiter vor der Wahl nicht stark in solchen Vorhaben, da die Gefahr bestünde, dass bei einem politischen Richtungswechsel die Reformbemühungen außer Kraft gesetzt würden und die Mitarbeiter dann ‘für den Papierkorb’ gearbeitet hätten. Daher müssten wesentliche, nach innen gerichtete Reformarbeiten noch vor Beginn des Wahlkampfs weit vorangebracht sein, um eine ‘Kehrtwende’ nach der Wahl zu erschweren.1560 Es wurde weiterhin angeführt, dass die Planungen der politischen Leitung für die innere Führung des Ministeriums nicht über den vierjährigen Wahlzyklus hinaus angelegt seien.1561 Politische Gefährdung der obersten Leitung durch Transparenz: Es wurde angeführt, dass eine KLR, die bis in die Leitungsspitze die Zielerreichung messen würde, im Falle einer geringen Zielerreichung die oberste Führung unmittelbar für die Opposition angreifbar mache. "In irgendeiner KLR-Besprechung hat ein Abteilungsleiter mal gesagt, Ziele sind der Fleischerhaken, an dem der Minister aufgehängt wird, wenn es nicht erreicht wird und deswegen nennen wir keine Ziele."1562 Dies führte dazu, dass die Organisationseinheiten unterhalb der obersten Führungsebene im Rahmen der KLR-Einführung ihre Ziele nicht aus den Zielen der obersten Führung ableiten konnten.1563 Öffentlicher und politischer Druck zur Einführung ‘moderner’ Instrumente: In Fallstudie 9 bestätigte sich, dass es zum damaligen Zeitpunkt politisch opportun erschien, eine KLR im Ministerium einzuführen, um gegenüber der Öffentlichkeit ‘Modernität’ zu signalisieren. "Das klammheimliche Ziel war, man wollte sagen können: das [Name des Ministeriums, Anm. d. Verfassers] hat schon was gemacht. Ob das dann was taugt, war zweitrangig."1564 Ein weiterer Interviewpartner bemerkte hierzu: "Das sind einfach Dinge, mit denen man derzeit glänzen kann[...]"1565 Zudem übten das Bundesinnenministerium und das Bundesfinanzministeri-

1560 1561 1562 1563 1564 1565

Vgl. zum politischen Wahlzyklus Interview 9-12 und Interview 9-10. Vgl. Interview 9-6. Interview 9-4. Vgl. hierzu Interview 9-12. Interview 9-7. Interview 9-9. Mit ‘Dinge’ ist die KLR gemeint (Anm. d. Verfassers). Vgl. hierzu auch Interview 9-6 und Interview 9-12.

275 um auf die anderen Ministerien der Bundesregierung politischen Druck zur Implementierung einer KLR aus.1566 Bonn-Berlin-Umzug: Während des KLR-Projektes war vom Ministerium die politische Entscheidung zum Umzug nach Berlin umzusetzen, was in erheblichem Umfang Arbeitskraft gebunden hatte und wodurch KLR noch stärker als zusätzliche Belastung empfunden wurde.1567 (4) Ressourcenausstattung durch das BMF Die Ausstattung mit Finanzmitteln für die Unterstützung der externen Berater erfolgte in ausreichendem Umfang durch das Bundesministerium der Finanzen. Die Ausstattung mit internem Personal erfolgte durch Bundesministerium III und wird daher in Kapitel 5.9.5.2 behandelt. 5.9.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der obersten Führung und der weiteren Führungskräfte Unterstützung der obersten Führung: "Eine ganz besondere, wichtige Frage ist, dass die Leitung des Hauses unumstößlich und unabwendbar, wirklich fest hinter dem Projekt steht, es selbst will, nicht nur will, sondern sich selbst für die Durchsetzung des Willens einbringt. Und da genügt nicht die Meinung eines Unterabteilungsleiters, [...] sondern es muss tatsächlich die oberste Leitung wollen. "1568 Die interviewten Akteure zeigten große Übereinstimmung in der Einschätzung, dass das Projekt eine deutlich zu geringe Unterstützung durch die Leitung erfahren hätte.1569 Dabei sei der Staatssekretär, der für die Initiierung des Projektes verantwortlich war, noch für das Projekt eingetreten, jedoch sehr bald abgelöst worden. Die nachfolgenden Staatssekretäre und die Minister hätten das Projekt nicht unterstützt, sondern lediglich toleriert.1570 Als Beleg hierfür wurden verschiedene Indizien wie die geringen personellen Ressourcen, die für das Projektteam zur Verfügung gestellt wurden (siehe Ziffer (2)), das fehlende Recht des Projektteams zur regelmäßigen Vorsprache beim Staatssekretär oder die Weisung, die Mitarbeiter in den Abteilungen zeitlich nur sehr begrenzt mit dem Thema zu binden, angeführt.1571 Auch habe ein Staatssekretär in Abteilungsleitersitzungen kontroverse Diskussionen nicht unterbunden.1572 Zudem hätte die Leitung keine klaren Anforderungen an das Projektergebnis gestellt,

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Interview 9-6: "Und wenn das nun wirklich sehr pessimistisch klingt, meines Erachtens sind diese ganzen Dinge von außen aufoktroyiert, man macht es, weil es der Innenminister gesagt hat oder der Finanzminister [...], man muss was machen in der Richtung. Aber ein eigenes Interesse da dran? Warum denn?" Vgl. Interview 9-10. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-2, Interview 9-4, Interview 9-7, Interview 9-8, Interview 9-10 sowie Interview 9-11. Vgl. Interview 9-4. Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-4.

276 was als Signal der Mitarbeiter für mangelndes Interesse der obersten Führung gewertet worden sei.1573 Unterstützung der weiteren Führungskräfte: Auf der Ebene der Abteilungsleiter wurde ebenfalls eine geringe Unterstützung festgestellt. Zu KLR-Sitzungen wurden regelmäßig Vertreter niedrigerer Hierarchieebenen entsandt und die Abteilungsleiter achteten darauf, dass die ihnen unterstellten Mitarbeiter ihre Arbeitszeit nur in geringem Umfang auf die Unterstützung des KLR-Projektes verwendeten. "Wir konnten unserem Abteilungsleiter nicht damit kommen, wir sind mit KLR beschäftigt. Daher haben wir den Aufwand minimiert."1574 Diese Position vertraten die Abteilungsleiter auch gegenüber dem Staatssekretär. "Ein zweiter, sehr schwieriger Bereich war, dass hier im Hause die Abteilungsleiter […] sehr vehement gegenüber dem Staatssekretär deutlich machen konnten, dass überhaupt kein Personal für diese Geschichte vorhanden sei, für das Projekt."1575 (2) Ressourcenausstattung Die Ressourcenausstattung ist insbesondere im Bereich der internen Projektmitarbeiter als sehr gering einzuschätzen und betrug mit zwei Mitarbeitern nur ein Viertel der personellen Ausstattung der in Fallstudie 8 betrachteten KLR-Einführung (siehe Kapitel 5.8). Da die internen Projektmitarbeiter – nach eigener Einschätzung – nicht über die notwendigen spezifischen Qualifikationen1576 für das Projekt verfügten,1577 ist die personelle Ausstattung des internen Projektteams sowohl qualitativ als auch quantitativ als gering einzuschätzen. Im Team der externen Unternehmensberater waren bis zu sechs Mitarbeiter im Einsatz,1578 also eben so viele wie im KLR-Einführungsprozess der Fallstudie 8. Jedoch wurde die Qualifikation der Berater im vorliegenden Fall gegenüber Fallstudie 8 bedeutend geringer eingeschätzt. Der ehemalige interne Projektleiter stellte in der ex-post-Betrachtung fest, dass es für den Projektverlauf aufgrund der höheren Akzeptanz des eigenen Personals besser gewesen wäre, verstärkt mit internen Projektmitarbeitern zu arbeiten und externe Berater nur im Sinne eines Coachings und in geringerem Umfang einzusetzen.1579

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Interview 9-4: " Es war […] eher für die Mitarbeiter erkennbar, probiert mal, aber wenn´s nicht geht, ist es auch nicht schlimm." Interview 9-8. Interview 9-2. An dieser Stelle sei bemerkt, dass die internen Projektmitarbeiter in ihren jeweiligen Fachbereichen eine hohe Wertschätzung genossen und als ausgewiesene Experten galten. Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-2. Vgl. Interview 9-2.

277 (3) Zuweisung von Verantwortung Das Projekt wurde im Ministerium stark mit der Person des internen Projektleiters verbunden, so dass der offensichtliche Misserfolg des Vorhabens in hohem Maße auf diesen ‘zurückfiel’.1580 (4) Organisationskultur Im Rahmen der Fallstudie wurde immer wieder herausgestellt, dass die Mitarbeiter des Ministeriums und die externen Unternehmensberater erhebliche Probleme in der Kommunikation miteinander hatten, was auch auf unterschiedliche Organisationskulturen, insbesondere auf Unterschiede in der jeweiligen Fachsprache, zurückgeführt wurde. So waren einerseits die Berater tief im betriebswirtschaftlichen Sprachgebrauch mit den entsprechenden Fachtermini und Anglizismen verwurzelt, die von den Beschäftigten des Ministeriums nicht verstanden wurden. Andererseits waren die Berater nicht in der Lage, die ministerielle Terminologie ausreichend zu verstehen.1581 Zudem wurde angeführt, dass das für den Betrieb und die Nutzung von KLR erforderliche Denken in wirtschaftlichen Kategorien wie Effizienz oder Effektivität sowie eine ausgeprägte Ziel- und Outputorientierung in der bestehenden Organisationskultur des Ministeriums nicht verankert war, sondern Bestandteil des Veränderungsprozesses gewesen wäre.1582 Die Organisationskultur des Ministeriums wurde zudem als generell veränderungsfeindlich und wenig tolerant gegenüber Fehlern beschrieben. "Es muss also hier eine verbesserte Kultur entstehen. Eine Kultur für den Veränderungsprozess. Es muss ‘in’ sein, nach neuen Wegen zu suchen. Wobei neue Wege deswegen nicht immer gleich gut sein müssen, aber das muss erlaubt sein. Es muss auch mal irren erlaubt sein."1583 Von einem Mitarbeiter, der über berufliche Erfahrung im nachgeordneten Bereich verfügte, wurden erhebliche Unterschiede zwischen Ministerium und unterstellten Behörden bezüglich des Widerstandsverhaltens festgestellt. Im Ministerium seien wesentlich heftigere Widerstände zu erwarten als im nachgeordneten Bereich. "In den nachgeordneten Behörden können sie immer noch davon ausgehen, dass die so eine gewisse Befehlsempfänger-Mentalität dann im Zweifelsfall mal haben, wenn das Ministerium sagt, Leute, macht endlich, dann fangen die an, auch wenn sie es nicht wollen. Hier haben sie keine mehr, die ihnen Befehle geben, hier haben sie kreative und nicht ganz dumme Leute, und die sind extrem kreativ wenn es darum geht, ihre Widerstände und ihre Besitzstände zu formulieren. Und deswegen ist ein Ministerium sicherlich nicht einfach für diese Dinge."1584

1580

1581 1582 1583 1584

Zumindest in der Wahrnehmung der Mitarbeiter des Ministeriums, wodurch für den ehemaligen Projektleiter von einem Prestigeverlust innerhalb des Ministeriums ausgegangen werden kann. Vgl. Interview 9-1. Vgl. Interview 9-2. Interview 9-2. Interview 9-4.

278 (5) Nutzung vorhandener Anreizmöglichkeiten Im Veränderungsprozess wurden weder bei den Führungskräften noch bei den Mitarbeitern Anreize oder Sanktionen eingesetzt, um die Implementierung der KLR zu unterstützen. (6) Sonstige externe Zustände Bezüglich der Auswertung der KLR-Daten hat sich der Personalrat in den Veränderungsprozess eingeschaltet und den projektbeteiligten Akteuren klar gemacht, dass er eine personenbezogene Analyse von KLR-Daten nicht zulassen würde.1585 5.9.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Es sind im Rahmen der Fallstudie keine Maßnahmen erkennbar geworden, die auf die Beeinflussung außerhalb der Dienstelle erzeugter externer Zustände abgezielt hätten. Die wesentlichen Maßnahmen des Veränderungsmanagements zur Beeinflussung der innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände sind in den Bemühungen des internen Projektteams zu sehen, die Unterstützung der obersten Leitung des Ministeriums und der weiteren Führungskräfte zu gewinnen. Dies ist jedoch nur unzureichend gelungen. 5.9.6

Interne Zustände

Zu internen Zuständen wurden im Rahmen der Fallstudie keine Erkenntnisse gewonnen. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.9.7

Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses

Führungskräfte und Belegschaft: Im vorliegenden Fall haben die Führungskräfte und Mitarbeiter weder das angestrebte veränderte Handlungsmuster noch ein drittes Handlungsmuster realisiert, sondern konnten das bisherige Handlungsmuster durchsetzen. "Hier ist kollektiver Ungehorsam geübt worden."1586 Der Nutzen für die Leitung des Ministeriums war vorrangig in der positiven Öffentlichkeitswirkung durch den Einsatz der KLR zu sehen. Dieser wurde jedoch offensichtlich nicht so hoch eingeschätzt wie die Kosten, die es erfordert hätte, um den Widerstand der Führungskräfte und Mitarbeiter zu überwinden, weshalb die Leitung nicht versucht hat, die Aufgabe des bisherigen Handlungsmusters zu erzwingen. Daher mussten die Führungskräfte und Mitarbeiter nicht auf ein drittes Handlungsmuster ausweichen. Die Führungskräfte und Mitarbeiter haben in ihrer breiten Masse daher die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze nicht durchlaufen. Projektmitarbeiter: Betrachtet man die Ausübung der Projekttätigkeit als gesonderten Zielzustand für das Projektteam, so hatten die Projektmitarbeiter die Phase Unfreeze ebenso erfolgreich abgeschlossen wie die Phase Move, da die Projektarbeit über ein halbes Jahr durch-

1585 1586

Vgl. Interview 9-1. Interview 9-11.

279 geführt wurde. Zum Abschluss der Phase Refreeze erhielten die Projektmitarbeiter durch den Projektabbruch keine Gelegenheit mehr. Ministerium: Für das Ministerium als insgesamt zu verändernder Akteur wurde beschlossen, die KLR-Implementierung vorzunehmen. Damit konnte die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen werden. Die anschließenden Projektaktivitäten sind als Beginn der Phase Move anzusehen. Durch den Abbruch des Projektes am Ende der Konzeptionsphase konnte die Phase Move jedoch nicht abgeschlossen werden; das veränderte Handlungsmuster – Betrieb und Nutzung der KLR – wurde nicht ausgeführt. Der angestrebte Zielzustand wurde nicht erreicht. Der Veränderungsprozess ist damit insgesamt eindeutig gescheitert.

5.10 Fallstudie 10 - Einführung eines KVP in Bundesministerium IV und zwei nachgeordneten Behörden 5.10.1 Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick (1) Ausgangszustand und Zielzustand Gegenstand des Veränderungsprozesses war die Einführung eines KVP-Konzeptes in Ministerium IV sowie in zwei nachgeordneten Behörden. Bereits vor Implementierung des neuen Konzeptes existierte dort zwar formal ein betriebliches Vorschlagswesen, das aber de facto nicht genutzt wurde und grundlegend reformiert werden sollte.1587 Der Ausgangszustand war daher im behördlichen Betrieb ohne funktionierenden KVP zu sehen, der Zielzustand in der tatsächlichen Ausübung des KVP in (den Pilotbreichen) aller drei Organisationen.1588 Mit dem Instrument sollte sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Wirtschaftlichkeit erhöht werden.1589 Die Einführung des KVP-Konzeptes wurde von den Mitarbeitern als starke Veränderung empfunden. Zum einen wurde von den Beschäftigten eine Mitverantwortung für die Gestaltung der Organisation eingefordert, was als wesentlicher kultureller Wandel angesehen wurde.1590 Zum anderen ergaben sich Veränderungen aus den Verbesserungsvorschlägen des

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1588

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Vgl. Interview 10-2. Lediglich fünf Promille der Beschäftigten beteiligten sich am bisherigen Vorschlagswesen. Vgl. hierzu Dokument 10-1, S. 7. Die Betrachtung des Veränderungsprozesses wird auf die Pilotdienststellen fokussiert. Aus dieser Perspektive wird auch die Identifikation der Akteure in Kapitel 5.10.2 vorgenommen. Vgl. Dokument 10-1, S. 1. Vgl. Interview 10-1. Interview 10-11: "Es ist ja was vollkommen Fremdes gewesen, dass also in der wohlgeordneten Hierarchie öffentlicher Dienst von oben nach unten plötzlich was von unten nach oben passieren sollte. Es kann plötzlich ein Mitarbeiter ein Vorschlag machen, der nirgendwo themenmäßig eingegrenzt ist, ja, den ich zu entscheiden habe und mich unter Druck setzen, wo ich noch einen Termin habe, das zu machen."

280 KVP.1591 So wurde etwa der Vorschlag zur Einführung der Beurteilung von Vorgesetzten als Ansatz mit ‘großer Sprengkraft’ wahrgenommen.1592 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Zu Beginn des Jahres 1998 wurde ein Beratungsunternehmen vom untersuchten Ministerium beauftragt, ein Konzept zur Neugestaltung des behördlichen Vorschlagswesens zu erarbeiten.1593 Derselben Beratungsfirma wurde Anfang 1999 der Auftrag erteilt, auf Basis dieses Konzeptes ein Pilotprojekt zur Einführung des KVP vorzubereiten und zu begleiten.1594 Es wurden jeweils eine Abteilung des Ministeriums, eine Abteilung der nachgeordneten Behörde A1595 sowie eine Dienststelle1596 der nachgeordneten Behörde B als Pilotbereiche ausgewählt. Das KVP-Konzept sollte bei Eignung in den Pilotbereichen fortgeführt und darüber hinaus auf alle Organisationseinheiten der drei genannten Behörden ausgeweitet werden.1597 Der Pilotierungszeitraum begann in den Monaten August/September1598 1999 und dauerte ca. ein halbes Jahr.1599 Der Pilotierung schloss sich (formal) unmittelbar der Regelbetrieb des neuen KVP an. Faktisch wurde der KVP jedoch nach der Pilotierungsphase in den untersuchten Organisationseinheiten nicht fortgeführt. Dennoch wurde im Mai 2001 mit dem Roll-Out des Konzeptes im gesamten Ministerium begonnen, der im September 2001 abgeschlossen werden konnte.1600 Im Bereich der nachgeordneten Behörden fand bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung kein Roll-Out statt. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum von Anfang Mai 2002 bis Ende Juni 2002 und wurde sowohl im Ministerium als auch in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B durchgeführt. Im Zentrum der Datenerhebung standen auch in dieser Fallstudie Interviews. Ergänzend wurden Kurzfragebögen genutzt und Dokumente ausgewertet. Zudem wurden informelle Gespräche geführt, um das Gesamtverständnis des betrachteten Veränderungspro-

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Vgl. Interview 10-2. Vergleiche Interview 10-5. Solche Vorgesetztenbeurteilungen wurden bis dahin nicht vorgenommen und konnten auch im Rahmen des KPV nicht durchgesetzt werden. Zur empfundenen Stärke der Veränderung vgl. auch Interview 10-8, Interview 10-10 und Interview 10-11. Vgl. Dokument 10-1, S. 1. Vgl. Dokument 10-1, S. 8. Behörde A ist dem Ministerium direkt unterstellt. Diese Dienststelle ist nicht direkt dem Ministerium unterstellt, sondern einem Amt, das seinerseits einem Präsidium nachgeordnet ist, das wiederum direkt dem Ministerium untersteht. Somit liegen zwischen dem Ministerium und der betrachteten Dienststelle zwei weitere behördliche Hierarchieebenen. Es war zudem vorgesehen, dass langfristig alle dem untersuchten Ministerium nachgeordneten Behörden KVP einführen sollten. Hierzu wurde eine Richtlinie erlassen, die für die Behörden jedoch nicht verbindlich war. Die Pilotierung begann in den drei Dienststellen um wenige Wochen versetzt. Vgl. Dokument 10-1, S. 1, S. 13, S. 24 und S. 35. Vgl. Interview 10-13.

281 zesses zu erhöhen. Es wurden 13 Interviews geführt.1601 In der nachgeordneten Behörde A wurden keine Interviews geführt; die Untersuchung behandelt diesen Pilotbereich daher nur am Rande.1602 Die Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum vom Beginn der konzeptionellen Gestaltung Anfang 1998 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Mai/Juni 2002. 5.10.2 Akteure im Veränderungsprozess Im vorliegenden Veränderungsprozess wurden nachfolgende Akteure aus dem Bereich des Ministeriums und der beiden nachgeordneten Behörden identifiziert: ƒ

Die Pilotbereiche des Ministerium und der nachgeordneten Behörden A und B als die insgesamt zu verändernden Akteure höherer Ordnung.

ƒ

Die oberste Führung des Ministeriums als Promotor im Veränderungsprozess sowie die weiteren Führungskräfte des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden A und B als Promotoren/Opponenten und Entscheider über die Umsetzung von KVP-Vorschlägen bzw. als Verantwortliche für die tatsächliche Umsetzung in ihren Bereichen.

ƒ

Das Projektteam, bestehend aus einem Gesamtprojektleiter, Teilprojektleitern in den jeweiligen Organisationseinheiten sowie den Projektmitarbeitern. Zudem waren dem Projektteam die externen Unternehmensberater zuzurechnen, die das Projekt konzeptionell begleiteten, Informationsveranstaltungen durchführten und andere Akteure schulten.

ƒ

Die ‘Mittelbehörden’ Präsidium und Amt als potenzielle Promotoren/Opponenten im Bereich der Pilotdienststelle der Behörde B.

ƒ

In den Pilotbereichen wurden sog. Ideenmanager eingesetzt, die für die operative Durchführung des gesamten KVP verantwortlich waren.1603

ƒ

Die sog. Qualitätszirkelleiter hatten als zentrale Aufgabe vor allem die Organisation und Moderation von Workshops zur Ideengenerierung wahrzunehmen.

ƒ

Die Gutachter der drei Behörden – Fachleute aus allen Organisationsbereichen – die KVP-Vorschläge auf ihre inhaltliche Eignung zu prüfen hatten. Da auch Vorschläge gemacht werden konnten, die Organisationseinheiten außerhalb der Pilotbereiche betrafen

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Hierzu gehörten die Gesamtprojektleiterin der Pilotphase, der Leiter der Pilotdienststelle von Behörde B, der dort zudem als (Teil-)Projektleiter fungierte, zwei Projektmitarbeiter, ein Vorschlags-Gutachter, vier Mitarbeiter ohne Projektaufgaben als Einreicher von KVP-Vorschlägen, ein Personalratsmitglied, ein ‘Ideenmanager’, ein Qualitätszirkelleiter und die für den Roll-Out zuständige Projektleiterin. Davon wurden acht Interviews im Ministerium und vier Interviews in der Dienststelle der Behörde B geführt. Zu Behörde A können Aussagen nur auf Basis der Gespräche im Ministerium und der Dokumentenauswertung getroffen werden. Der Ideenmanager hatte z. B. die Verwaltung der Vorschläge vorzunehmen, die Mitarbeiter bei der Ausarbeitung bzw. -formulierung der Vorschläge zu unterstützen und vor allem die termingerechte Abwicklung der Vorschlagsbearbeitung durch alle beteiligten Stellen sicherzustellen. Zudem hatte er beratende Funkti-

282 (z. B. andere Abteilungen im Ministerium), mussten auch Gutachter über den Pilotbereich hinaus ernannt werden. ƒ

Die gesamte Belegschaft, die durch den KVP aufgerufen war, Verbesserungsvorschläge als Einzel- oder Gruppenleistung einzureichen und an den Qualitätszirkeln regelmäßig und konstruktiv teilzunehmen.

5.10.3 Präferenzen und Nutzenmaximierung 5.10.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Ministerium und nachgeordnete Behörden: Mit dem neuen KVP-Konzept sollte die Wirtschaftlichkeit des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden erhöht werden, was u. a. die Verringerung der Kosten hätte zur Folge haben können.1604 Es wurden jedoch kaum KVPVorschläge generiert, die ein nennenswertes Potenzial zur Kostensenkung gehabt hätten.1605 Dagegen fielen erhebliche Kosten durch den Betrieb des neuen KVP an. Der Arbeitsaufwand des KVP-Betriebes (nicht der Einführung des KVP!)1606 wurde von der betreuenden Unternehmensberatung auf Basis der Daten der Pilotphase für alle drei Pilotbereiche auf insgesamt 3.428 Arbeitstage pro Jahr geschätzt, was im gewichteten arithmetischen Mittel ca. 3% des gesamten Arbeitsvolumens dieser drei Bereiche entspricht.1607 Die Sachkosten des KVPBetriebes für Werbemittel und Prämien fielen mit 28,8 TDM hingegen moderat aus.1608 Ideenmanager und Qualitätszirkelleiter: Für die Ideenmanager und Qualitätszirkelleiter ergab sich durch die Ausübung der ihnen zugewiesenen Rollen im KVP eine zusätzliche Arbeitsbelastung, da diese Aufgaben zusätzlich zum ‘Tagesgeschäft’ wahrgenommen werden mussten. Neben dem erhöhten Arbeitsaufwand wurde es auch als Belastung empfunden, die Widerstände (z. B. Boykott der Qualitätszirkel) einzelner Kollegen überwinden zu müssen.1609 Gutachter: Ein zusätzlicher Arbeitsaufwand entstand für die Gutachter, die als Fachleute die Vorschläge auf ihre inhaltliche Eignung zu prüfen hatten. Hier waren die Gutachter der sog. ‘Querschnittsbereiche’ der Behörden, vor allem der ‘Inneren Dienste’1610, besonders betrof-

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on für die Gutachter und darüber hinaus die regelmäßige Durchführung der Qualitätszirkelsitzungen zu gewährleisten. Vgl. hierzu Interview 10-11. Die zweite Möglichkeit zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit wäre die Erhöhung von Output/Outcome gewesen (Maximalprinzip als Ausprägung des ökonomischen Prinzips). Zu den geringen wirtschaftlichen Potenzialen der Verbesserungsvorschläge vgl. Dokument 10-1, S. 68 sowie Interview 10-6, Interview 10-11 und Interview 10-4. Die Kosten der Einführung werden im Abschnitt Ziffer (3), "Kosten des Übergangsprozesses", aufgeführt. Vgl. Dokument 10-1, S. 21, S. 31 und S. 40. Dabei betrug der Aufwand in der nachgeordneten Behörde A 2%, in der Dienststelle der nachgeordneten Behörde B 3% und in der Pilotabteilung des Ministeriums 4% des gesamten Arbeitsvolumens. Vgl. hierzu ebenda. Vgl. Dokument 10-1, S. 21, S. 31 und S. 40. Vgl. zu den Aspekten zusätzlicher Belastung Interview 10-6, Interview 10-8 und Interview 10-10. Die 'Inneren Dienste' waren z. B. für die Bereitstellung der Büroausstattung zuständig, für die Ausgabe von Büromaterial, den technischen Hausdienst, Hausmeisterdienste, Gebäudereinigung usw.

283 fen, da die KVP-Vorschläge überproportional auf diese Bereiche zielten.1611 Von den Gutachtern wurde es als besonders belastend empfunden, dass sie sich in erheblichem Umfang mit offensichtlich absurden Vorschlägen beschäftigen mussten, die erkennen ließen, dass der Einreicher den KVP als Ventil seiner Unzufriedenheit nutzte und durch die Eingabe ‘seinen Frust abladen wollte’1612, ohne wirklich damit zu rechnen, dass der Vorschlag ernsthaft zur Umsetzung in Betracht gezogen würde.1613 Weiterhin waren die Gutachter oft in Personalunion diejenigen Fachkräfte, die von den Führungskräften auch mit der operativen Umsetzung angenommener Vorschläge betraut wurden. Hierdurch entstand ein Anreiz für die Gutachter, Vorschläge abzulehnen, um sich damit der anschließenden Implementierungsarbeit zu entziehen.1614 Insgesamt wurde das neue KVP-Konzept von den Gutachtern als hohe Belastung empfunden.1615 Führungskräfte: Für die Führungskräfte ergab sich ebenfalls ein erhöhter Arbeitsaufwand, da sie für die Umsetzung des KVP in ihrem Bereich verantwortlich waren und die Implementierung von Vorschlägen begleiten mussten.1616 Zudem wurde die Akzeptanz von Verbesserungsvorschlägen vereinzelt von Führungskräften als Eingeständnis bisheriger Missstände interpretiert. Es wurde befürchtet, dass die Leistung der Mitarbeiter höher bewertet werden könnte als die der Führungskraft selbst, was zu einer relativ häufigen Ablehnung der Verbesserungsvorschläge durch die Vorgesetzten führte.1617 "Und andere, die sagen, ja Gott, das ist eine super Idee, da hätte ich selber drauf kommen müssen, jetzt muss ich mir was ausdenken, warum die Idee Mist ist."1618 Da die Vorschlagsfelder inhaltlich nicht eingeschränkt waren, konnten Verbesserungsvorschläge auch auf das gesamte Führungsverhalten abzielen, wie z. B. die Forderung nach einer Vorgesetztenbeurteilung, was von den Führungskräften überwiegend negativ bewertet wurde.1619 Die Führungskräfte im mittleren Management der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B empfanden den Druck, der vom Dienststellenleiter zur Projektbeteiligung in der Pi-

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Dies ist damit zu erklären, dass die ‘Querschnittsbereiche’ Dienstleistungen für alle anderen Bereiche erbrachten und diese Dienstleistungen ‘Zielscheibe’ der Verbesserungsvorschläge waren. Vgl. Interview 101 sowie 10-2. Weitere stark betroffene Querschnittsbereiche waren neben den "Inneren Diensten" das Organisationsreferat und das IT-Referat. Vgl. hierzu Interview 10-13. Vgl. hierzu Interview 10-2 sowie 10-3. Vgl. Interview 10-3. Dennoch mussten die Gutachter diese Vorschläge – wenn auch eingeschränkt – bearbeiten und die Ablehnung begründen. Vgl. Interview 10-3. Die Aussage ist von hoher Glaubwürdigkeit, da sie von einem Gutachter stammt. Vgl. Interview 10-3. Vgl. Interview 10-1. Vgl. Interview 10-11 sowie Interview 10-2. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-5. Es blieb allerdings unklar, ob dies für die Führungskräfte tatsächlich vorrangig mit höheren Kosten verbunden war (zusätzlicher Aufwand, ‘mentaler Stress’, Rechtfertigungszwang usw.) oder ob hier hauptsächliche Nutzenkategorien betroffen waren (vor allem Nutzen aus einer bestehenden Reputation als Führungskraft, die durch eine Vorgesetztenbeurteilung herabgesetzt werden könnte).

284 lotphase ausgeübt wurde, als hoch.1620 Dem Dienststellenleiter entstanden seinerseits Kosten durch die Rechtfertigung von Vorschlägen gegenüber Entscheidungsträgern in übergeordneten Behörden,1621 die selbst nicht zum Pilotbereich gehörten und daher nur wenig Verständnis für das Vorhaben aufbrachten.1622 Gesamte Belegschaft: Zusätzlicher Aufwand entstand den Mitarbeitern (auch Führungskräften) durch die Ausarbeitung von Vorschlägen und die Teilnahme an Qualitätszirkeln. Darüber hinaus hatten alle einreichenden Mitarbeiter den Umgang mit der Software zu erlernen, die für die Darstellung, Weiterleitung und Bearbeitung der Vorschläge eingesetzt wurde.1623 Zudem wurde es von den Mitarbeitern negativ bewertet, wenn die Ablehnungen der Vorschläge für sie nicht ausreichend nachvollziehbar waren.1624 In Einzelfällen waren Einreicher auch persönlicher Kritik durch andere Mitarbeiter ausgesetzt, wenn diese Vorschläge inhaltlich auf Ablehnung stießen.1625 Auch Mitarbeiter befürchteten, ähnlich wie die Vorgesetzten, dass Verbesserungsvorschläge die bisherige Leistung in Frage stellen könnten. Sie erwarteten, dass durch den KVP Mängel transparent werden könnten.1626 In der Dienststelle der Behörde B empfanden auch die Mitarbeiter den vom Dienststellenleiter ausgeübten Druck zur Teilnahme am KVP als Belastung.1627 Die Mitarbeiter der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B befürchteten teilweise auch Repressalien durch die übergeordneten Behörden, als Reaktion auf Verbesserungsvorschläge, die die Behörden direkt betrafen und dort als Kritik hätten aufgefasst werden können.1628 5.10.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Ministerium und nachgeordnete Behörden: Für das Ministerium wurden im Rahmen der Ausarbeitung, Bewertung und Umsetzung von KVP-Vorschlägen die Kommunikation zwi-

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Vgl. Interview 10-9. Es wurde vom Interviewpartner aber eingeräumt, dass dieser Druck erforderlich gewesen sei, da sich viele Führungskräfte ansonsten nicht ausreichend mit dem Projekt auseinandergesetzt hätten. Viele Verbesserungsvorschläge gingen in ihrer Wirkung über den Bereich der Dienststelle hinaus und betrafen den gesamten Amts- oder sogar Präsidiumsbereich. Daher konnten diese Vorschläge nicht innerhalb der Dienststelle entschieden werden, sondern nur von Führungskräften des Amtes oder des Präsidiums. Vgl. Interview 10-11. Zum Aufwand der Mitarbeiter vgl. Interview 10-1 sowie 10-7. Interview 10-4: "[...] was uns oder mich auch gestört hat, dass man manchmal nicht den Ablehnungsgrund richtig nachvollziehen konnte. Das hat [...] manchmal hier zu Unmut geführt." Im gleichen Interview wurde weiterhin geäußert: "Ja, ich meine, man setzt sich ja auch hin und macht sich Gedanken, was stört einen oder was kann man verbessern und dann erwarte ich auch, dass in der gleichen Art und Weise darüber nachgedacht wird, warum man das eben nicht umsetzen kann oder was dagegen spricht. Das will ich dann auch schon dokumentiert haben." Vgl. Interview 10-6. Vgl. Interview 10-8. Vgl. Interview 10-10. Der ausgeübte Druck beschränkte sich allerdings auf fortlaufende Appelle; die Mitarbeiter fühlten sich ihrem Vorgesetzten zwar verpflichtet und wollten diesen nicht 'hängen lassen', eine Verweigerung hat aber keine unmittelbaren Konsequenzen nach sich gezogen (‘Referent Power’). Vgl. Interview 10-10.

285 schen verschiedenen Organisationseinheiten verstärkt und verbessert.1629 Zudem wurde durch den KVP eine stärkere Reflexion der eigenen Tätigkeit bei den Mitarbeitern ausgelöst.1630 Außerdem diente der KVP zumindest in einem Referat des Ministeriums dazu, interne Probleme zu thematisieren und einer Lösung zuzuführen,1631 was in dem betroffenen Referat als großer Erfolg eingeschätzt wurde.1632 Der unmittelbare wirtschaftliche Nutzen, der aus KVPVorschlägen gezogen werden konnte, wurde hingegen insgesamt als gering eingeschätzt, da viele der Vorschläge entweder nicht umsetzbar oder ‘Banalitäten’ gewesen seien.1633 Oberste Führung des Ministeriums und weitere Führungskräfte: Ein erheblicher Nutzen für die oberste Führung des Ministeriums war in der positiven Außendarstellung zu sehen, da das neue Instrument in Imagebroschüren und im Internet als erfolgreiches neues Instrument moderner Verwaltungsführung kommuniziert wurde.1634 Diese Kommunikation sei für die oberste Führung des Ministeriums bedeutsamer gewesen als der inhaltliche Implementierungserfolg des KVP.1635 Für die übrigen Führungskräfte waren keine Nutzenveränderungen erkennbar. Gutachter: Einige Gutachter des Ministeriums waren ‘Vertreter der alten Kultur’ und versuchten in der Pilotphase Veränderungen aus KVP-Vorschlägen zu verhindern, da sie befürchteten, eine Verschlechterung des bislang als positiv empfundenen Status Quo hinnehmen zu müssen: "Es gibt eben Mitarbeiter an bestimmten Stellen [...], die dort Oberamtsräte sind seit 20, 25 Jahren und ganz gut damit fahren, dass sie das Know-How haben für bestimmte Dinge und letztlich alle anderen abblitzen lassen. Und so sind dann eben auch die Gutachten, [...] und dann haben die tausend Gründe, fadenscheinige Gründe, das abzuwürgen."1636 Gesamte Belegschaft: Von den Mitarbeitern wurde es als wesentlicher (potenzieller) Nutzen wahrgenommen, das Arbeitsumfeld durch die Umsetzung der eingereichten Verbesserungsvorschläge selbst mitgestalten zu können, ‘etwas bewegen’ zu können.1637 Es herrschte jedoch weitgehende Einigkeit in der Einschätzung, dass es nicht in ausreichendem Maße gelungen sei, die KVP-Vorschläge so zu würdigen, dass die Mitarbeiter zufrieden gestellt wurden. Vielmehr seien zu viele Vorschläge mit unzureichender Begründung nicht umgesetzt worden, was bei den Mitarbeitern zu Frustration führte: "Und das hat dem Projekt seinerzeit in der Pi-

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Vgl. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-4. Die erhöhte Reflexion der eigenen Tätigkeit kann den Ausgangspunkt einer langfristigen Leistungssteigerung darstellen, da hierdurch Leistungsmängel erkannt werden können. Die Probleme wurden intern gelöst, ohne 'offizielle' KVP-Vorschläge einzureichen, sondern innerhalb des Qualitätszirkels bzw. mit der Referatsleitung diskutiert. Vgl. Interview 10-8. Vgl. Interview 10-3, Interview 10-6 sowie Interview 10-11. Einzelne Vorschläge hingegen wurden jedoch als durchaus erfolgreich eingeschätzt. Vgl. hierzu Interview 10-7 sowie Interview 10-10. Vgl. Dokument 10-2 sowie Bundesregierung (2002), S. 19. Vgl. Interview 10-1 und Interview 10-2. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-4, Interview 10-2 sowie Interview 10-9.

286 lotierung geschadet und das ist auch heute unser Problem was wir haben, dass wir nicht glaubhaft vermitteln können, den Beschäftigten, dass die Ideen die sie einreichen, dass die die entsprechende Würdigung finden, dass es in der Tat wirklich gewünscht ist..."1638 Teilweise wurden durch den neuen KVP aber auch erst Erwartungen zur Veränderung des Arbeitsumfeldes bei den Mitarbeitern erzeugt, die dann enttäuscht werden mussten.1639 Ein Nutzen entstand dennoch für die Mitarbeiter, die den KVP als Ventil nutzen konnten, um mit KVPVorschlägen vorhandener Frustration ‘Luft zu machen’.1640 In der Bewertung der Prämien für Verbesserungsvorschläge zeigte sich ein geteiltes Bild zwischen dem Ministerium und der Dienststelle der Behörde B. Im Ministerium trat die Prämie vollständig in den Hintergrund und wurde als Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster als wenig bedeutsam eingeschätzt.1641 In der Dienststelle der Behörde B hingegen wurde der Nutzen aus den KVP-Prämien von den Mitarbeitern als sehr hoch bewertet.1642 Befürchtungen bezüglich eines möglichen Personalabbaus bestanden in den Pilotbehörden nicht1643, da vom Ministerium frühzeitig versichert wurde, dass auf Basis des KVP keine Personaleinsparungen vorgenommen würden. Diese Ankündigung wurde von den Mitarbeitern als verbindlich und glaubwürdig eingeschätzt.1644 5.10.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Ministerium und nachgeordnete Behörden: Für die Einführung des neuen KVP entstand in allen drei Pilotbereichen (ohne Projektteam) in Summe ein geschätzter Arbeitsaufwand von 364 Arbeitstagen.1645 Der Sachaufwand der Einführung betrug zusätzlich 109 TDM, überwiegend für die externen Berater.1646 Projektteam: Der Arbeitsaufwand der Projektmitarbeiter für Einführungstätigkeiten wurde nicht quantifiziert, von den Betroffenen aber als hoch eingeschätzt. Die Projekttätigkeit war in

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Interview 10-2. Vgl. hierzu auch Interview 10-5, Interview 10-7 sowie Interview 10-13. Ein Projektmitarbeiter führte aus, dass man mit dem neuen KVP ein Forum geschaffen hätte, mit dem sich jeder Mitarbeiter 'eine neue Büroeinrichtung' wünschen konnte. Ohne KVP hätte der Mitarbeiter diesen latent vorhandenen Wunsch nicht weiter verfolgt, jetzt war er jedoch enttäuscht, wenn er auf seine mühevoll begründete Eingabe eine negativen Bescheid erhielt. Vgl. hierzu Interview 10-5. Vgl. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-2 und Interview 10-7. Als Indiz hierfür wurde auch angeführt, dass die Mitarbeiter teilweise die Prämien überhaupt nicht eingelöst hätten. Vgl. Interview 10-9 und Interview 10-10. Zumindest nicht in den beiden Behörden, in denen Interviews geführt wurden. Vgl. Interview 10-11 und Interview 10-12. In der Dienststelle der Behörde B wurde zudem der Abbau von Fahrzeugen ausgeschlossen. Damit waren wesentliche Befürchtungen der Mitarbeiter ausgeräumt. Hierbei handelt es sich um eine Aufwandsabschätzung der betreuenden Unternehmensberatung. Auf das Ministerium entfielen 94 Arbeitstage, auf die Dienststelle der Behörde B 137 Arbeitstage und auf die implementierende Abteilung der Behörde A 133 Arbeitstage. Vgl. hierzu Dokument 10-1, S. 21, S. 31 und S. 40. Vgl. Dokument 10-1, S. 21, S. 31 und S. 40.

287 einer ‘Nebenverwendung’ zusätzlich zum Tagesgeschäft zu erbringen.1647 Es wurde berichtet, dass dabei viel Arbeitsaufwand in die Implementierung der KLV-Bearbeitungssoftware geflossen sei, ohne letztlich im Rahmen des Pilotprojektes deren Funktionsfähigkeit hergestellt zu haben.1648 5.10.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) Als Nutzen des Übergangsprozesses erwarteten im Ministerium zwei Projektmitarbeiter, sich durch einen erfolgreichen Implementierungsprozess für die weitere Karriereentwicklung profilieren zu können.1649 Gleiches gilt für den Leiter der Dienststelle aus dem Bereich der Behörde B, der nach seinem Aufstieg aus dem gehobenen in den höheren Dienst hier seine erste Verwendung bekam und die vom Präsidenten übertragene Rolle als Teilprojektleiter als erste Bewährungsaufgabe im höheren Dienst verstanden hatte.1650 Darüber hinaus zeigten alle befragten Projektmitarbeiter eine deutliche Begeisterung für die Projektarbeit des KVP, weshalb von einem unmittelbaren Nutzen aus der Wahrnehmung der Projektaufgaben ausgegangen wird.1651 5.10.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Weder zum Nutzen noch zu den Kosten des Rückübergangs konnten in Fallstudie 10 Aussagen gewonnen werden. 5.10.3.6 Nettonutzenbetrachtung Ministerium und nachgeordnete Behörden: Die unmittelbaren wirtschaftlichen Wirkungen des KVP-Pilotprojektes für das Ministerium wurden im Abschlussbericht der beauftragten Unternehmensberatung zusammengefasst: "Dem hohen Aufwand stehen tendenziell Verbesserungsvorschläge mit eher kleinem Nutzen gegenüber. Ein signifikanter wirtschaftlicher Nutzen ist im größeren Maße nicht erkennbar. Es sind jedoch positive Wirkungen hinsichtlich der Mitarbeiterzufriedenheit zu berücksichtigen."1652 Dabei ist zu ergänzen, dass zwar anfänglich positive Motivationseffekte erzielt wurden und die Mitarbeiter einem reformierten Vorschlagswesen offen gegenüberstanden, die Erwartungen jedoch in erheblichem Maße enttäuscht wurden.1653 Das Ministerium hielt aber trotz der hohen Kosten und der geringen un-

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Interview mit Projektmitarbeiterin 10-8: "Also, die Zeit, die es uns neben unserer Arbeit gekostet hat, war enorm hoch. Also man kann fast sagen, wir haben im Schnitt, würde ich mal behaupten, alle 2-3 Tage mindestens 3-4 Stunden dran gesessen." Vgl. Interview 10-12. Vgl. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-12. Diese Einschätzung gründet sich weniger auf einzelne Interviewaussagen, sondern vielmehr auf den Gesamteindruck des Interviewers, der in den Gesprächen entstanden ist. Dokument 10-1, S. 68. Zum relativ geringen Potenzial der Vorschläge vgl. auch Interview 10-5 und Interview 10-11. Vgl. Interview 10-7 und Interview 10-5. In Behörde A standen Führungskräfte und Mitarbeiter dem veränderten Handlungsmuster von Beginn an deutlich kritischer gegenüber als in den beiden anderen Pilotdienststellen. Vgl. hierzu Interview 10-2.

288 mittelbaren Nutzeneffekte auch über die Pilotphase hinaus an dem Konzept fest, was im Wesentlichen auf die hohe Nutzbarkeit des KVP für die Außendarstellung als Ministerium (und Bundesregierung) mit moderner, wirtschaftlicher Verwaltungsführung zurückgeführt werden kann.1654 Daher kann für das Ministerium insgesamt von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden. Führungskräfte: Bei den Führungskräften des Ministeriums traten vor allem die Kostenaspekte stark hervor, insbesondere der zusätzliche Arbeitsaufwand durch den KVP. Dem stand kein entsprechender Nutzen gegenüber, wodurch insgesamt ein negativer Nettonutzen entstand. "Die Führungskräfte fanden das alle aufgrund der zusätzlichen Belastung unter dem Strich schlecht."1655 Offene Widerstände seitens der Führungskräfte gab es jedoch nicht.1656 Letztlich beteiligten sich die Führungskräfte ‘pflichtgemäß’ am Projekt, was vor allem auf disziplinarischen Druck zurückzuführen ist (‘Legitimate und Coercive Power’), der die Kosten (der strikten Beibehaltung) des bisherigen Handlungsmusters erhöhte. Die Hausleitung des Ministeriums wünschte die Durchführung des Projektes ausdrücklich.1657 Die rein formale Unterstützung der KVP-Implementierung durch die Führungskräfte (und die indirekte Förderung ihres Scheiterns) kann aber als Umsetzung eines dritten Handlungsmusters1658 interpretiert werden. Für den Dienststellenleiter der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B kann ein positiver Nettonutzen angenommen werden, der in erster Linie darauf beruhte, dass dieser sich in seiner neuen Position mit dem KVP-Projekt zu profilieren versuchte. Die übrigen Führungskräfte dieser Dienststelle unterstützten den Einführungsprozess in der Pilotierung ebenfalls, so dass von einem positiven Nettonutzen ausgegangen werden kann.1659 Gutachter: Die Gutachter realisierten keinen erkennbaren Nutzen aus dem Projekt, hatten jedoch erheblichen Aufwand. Dennoch haben sie – zumindest formal – und vermutlich unter Einsatz von ‘Legitimate Power’ ihre Gutachtertätigkeit ausgeführt. Allerdings kann unterstellt werden, dass Gutachter in unbestimmtem Umfang Vorschläge abgelehnt haben, um nachfolgende Implementierungsarbeiten zu verhindern und um den Status Quo zu erhalten. Insofern haben die Gutachter ein drittes Handlungsmuster realisiert: Dem KVP durch die formalkorrekte Vorschlagsbearbeitung nominell gerecht zu werden, ihn aber in der inhaltlichen Um-

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Ein Abbruch der weiteren Implementierung aufgrund der geringen positiven Wirtschaftlichkeitseffekte hätte hingegen vor der Öffentlichkeit (und der Opposition) als partielles Scheitern der Reformbemühungen interpretiert werden können. Interview 10-1. Vgl. auch Interview 10-2. Es wurde allerdings berichtet, dass Führungskräfte nicht an Schulungen teilnahmen und sich bezüglich des Projektes 'lethargisch' verhielten. Vgl. hierzu Interview 10-2 sowie Interview 10-12. Vgl. Interview 10-5. Ein drittes Handlungsmuster ist ein Handlungsmuster, das weder dem Handlungsmuster des Ausgangszustands, noch dem des Zielzustands entspricht. Wie sich bei diesen Führungskräften der positive Nettonutzen zusammensetzte, blieb weitgehend ungeklärt.

289 setzung zu unterlaufen. In diesen Fällen ist von geringerem Nettonutzen des veränderten (und des bisherigen) Handlungsmusters gegenüber dem dritten Handlungsmuster auszugehen. Belegschaft: Die Mitarbeiter nahmen in erheblichem Umfang am KVP teil. Insgesamt beteiligten sich in der Pilotabteilung des Ministeriums 85% der Mitarbeiter am neuen KVP, in den beiden anderen Pilotdienststellen jeweils 40% der Mitarbeiter, was im gewichteten arithmetischen Mittel aller drei Pilotbereiche ca. 50% der Mitarbeiter entspricht.1660 Dabei wurden insgesamt 450 Vorschläge erarbeitet.1661 Die Mitarbeiter konnten aufgrund der Freiwilligkeit der KVP-Beteiligung das bisherige Handlungsmuster ohne drohende Sanktionen beibehalten, wovon ca. 50% Gebrauch machten.1662 Daher kann davon ausgegangen werden, dass die eine Hälfte der Mitarbeiter einen positiven Nettonutzen der Veränderung antizipierte, die andere Hälfte hingegen einen negativen. Es zeigte sich hier allerdings ein Gefälle im Zeitablauf. Anfänglich wurden starke positive Nutzeneffekte antizipiert, insbesondere durch die Möglichkeit zur Gestaltung des Arbeitsumfeldes. Als diese Antizipation dann nicht mit der späteren Wahrnehmung des Nutzens übereinstimmte, weil nur sehr wenige Vorschläge umgesetzt bzw. mit unzureichender Begründung abgelehnt wurden,

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des Nettonutzens; Einstellung und Beteiligung der Mitarbeiter zum KVP verschlechterten sich. Es kann angenommen werden, dass daher im Verlauf des Projektes die Wahrnehmung eines negativen Nettonutzens bei den Mitarbeitern zugenommen hat. Projektmitarbeiter: Die Projektmitarbeiter zeigten trotz des erheblichen Aufwandes großes Interesse an ihrer KVP-Tätigkeit, empfanden die Aufgabe als interessant und erwarteten z. T. eine positive berufliche Profilierung, weshalb insgesamt von einem positiven Nettonutzen ausgegangen wird.1664 5.10.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Die Maßnahmen zur Beeinflussung von Kosten und Nutzen wurden systematisch durchgeführt und führten insbesondere im Vorfeld des Projektes dazu, dass viele Mitarbeiter einen positiven Nettonutzen der Veränderung antizipierten. Kommunikation: Die Kommunikation wurde vom Projektteam als sehr bedeutsam für einen positiven Projektverlauf eingeschätzt und in der Pilotierung mit hohem Aufwand betrie-

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Vgl. Dokument 10-1, S. 16, S.26 und S. 36. Beteiligung heisst nicht, dass der Mitarbeiter zwangsläufig einen Vorschlag einreichte, sondern z. B. auch, dass er an Qualitätszirkelsitzungen teilgenommen hat. Vgl. Dokument 10-1, S. 42. Diese Beteiligung muss jedoch um den (unbekannten) Anteil an Vorschlägen bereinigt werden, der aus 'Frust' gemacht wurde und schon von Seiten des Vorschlagenden nicht wirklich zur Umsetzung gedacht war. In begrenztem Maße bildet die Pilotdienststelle der Behörde B hier eine Ausnahme, da der Dienststellenleiter Druck zur Beteiligung der Mitarbeiter ausübte. Letztlich musste er sich aber auf Appelle beschränken, da die Teilnahme nicht zu erzwingen war. Es nahmen 60% in dieser Dienststelle nicht am KVP teil. Zur unzureichenden Würdigung der Vorschläge vgl. Interview 10-2, Interview 10-5, Interview 10-7 und Interview 10-13. Diese Betrachtung bezieht sich im Falle der Projektmitarbeiter auf das Handlungsmuster ‘Wahrnehmung von Projektaufgaben’.

290 ben.1665 Es wurden vielfältige Maßnahmen der Kommunikation zur Beeinflussung der Akteure eingesetzt. Als bedeutsam wurde vom Projektteam des Ministeriums ein Schreiben der Hausleitung mit der Aufforderung zur Unterstützung des Projektes bewertet, das Führungskräften die strikte Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters deutlich erschwerte. Im Ministerium wurde eine Auftaktveranstaltung durchgeführt, die Elemente mit starkem Unterhaltungscharakter1666 mit Informationsbestandteilen verknüpfte und von den Mitarbeitern ausgesprochen positiv bewertet wurde.1667 Auftaktveranstaltungen wurden auch in den beiden anderen Pilotdienststellen durchgeführt. Darüber hinaus wurden vom Projektteam vielfältige Medien zur Kommunikation eingesetzt, wie Intranetpräsentationen, Informationsaushänge, Plakate und persönliche Kommunikation in Gesprächen.1668 Kommunikation wurde aber auch im Rahmen der Qualitätszirkelarbeit und in Schulungsveranstaltungen betrieben. Der persönlichen Kommunikation mittels des gesprochenen Wortes wurde dabei eine besonders hohe Wirksamkeit zugesprochen: "Also, [...] ich kann viele bunte Sachen machen, das Wesentliche ist für mich, dass ich mit jemandem reden kann. Man kann also im Gespräch erkennen, ob er mich versteht, was ich will, ja, das kann ich beim Plakat nicht, auch bei der Intranetseite nicht, weil ich nicht weiss, was er dazu denkt. Sondern wenn ich mit ihm wirklich zwanglos das Gespräch führe und er sich mir gegenüber wirklich ehrlich äußern kann, das ist eigentlich ein wesentlicher Punkt."1669 Die Kommunikationsmaßnahmen wurden nach der Pilotphase stark reduziert und im Wesentlichen nur noch via Intranet bereitgestellt, was sich auf die Akzeptanz des neuen Modells negativ auswirkte.1670 Deutliche Defizite in der Kommunikation gab es bei der Vermittlung von Vorschlagsablehnungen. Hier wurden viele Ablehnungen aus Sicht der Einreicher inhaltlich nicht ausreichend sorgfältig begründet.1671 Es fand auch keine direkte Kommunikation zwischen Einreicher und Gutachter statt, so dass ein Vorschlag hätte persönlich diskutiert werden können.1672 Verzicht auf Stellenabbau: In der Dienststelle der nachgeordneten Behörden B führte die klare Ankündigung des Ministeriums zum Verzicht auf einen Stellenabbau bei den Mitarbei-

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Vgl. Interview 10-1. Beispielsweise traten ein Referatsleiter als Illusionist und ein Unterabteilungsleiter als Conférencier auf. Zudem wurde eine Verlosung durchgeführt. Interview 10-7: "Also gute Erinnerungen habe ich an die Eröffnungsveranstaltung. Die war richtig gut gemacht, die war gut aufgezogen, da waren auch wirklich alle gut drauf. Dann haben sie das erklärt, damals, wie das von statten gehen soll... Und es war ganz lustig, also da war auch eine gute Stimmung, man hatte das Gefühl, doch die Leute sind alle motiviert." Vgl. hierzu auch Interviews 10-5 und Interview 10-8. Vgl. Interview 10-1. Interview 10-11 (BGS). Vgl. auch Interviews 10-1, Interview 10-8, Interview 10-4 und Interview 10-12. Von Interviewpartnerin 10-2 wurde berichtet, dass die Referatsleiter der Pilotabteilung zu einem Frühstücksgespräch eingeladen wurden, was eine sehr positive Wirkung hatte. Vgl. Interview 10-2, Interview 10-7 sowie Interview 10-4. Vgl. Interviews 10-2, Interview 10-5, Interview 10-7 sowie Interview 10-13. Vgl. Interview 10-3, Interview 10-7 und Interview 10-4.

291 tern zu einer deutlichen Verringerung der antizipierten Kosten des veränderten Handlungsmusters. Freiwilligkeit als Auswahlkriterium für die Projektarbeit: Ein positiver Nettonutzen der Projektmitarbeiter wurde in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B vor allem durch die Freiwilligkeit als Auswahlkriterium für die Teammitglieder des Projektes sichergestellt.1673 5.10.4 Fähigkeiten 5.10.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Im betrachteten Veränderungsprozess stellten die Fähigkeiten insgesamt keinen wesentlichen Engpass dar. Dennoch sollen einzelne, benötigte Fähigkeiten nachfolgend betrachtet werden. Kommunikationsfähigkeit: Da im Rahmen der Projektarbeit in großem Umfang Kommunikationsaufgaben wahrzunehmen waren,1674 hatten Kommunikationsfähigkeiten einen hohen Stellenwert. Die Kommunikation der amtsseitigen Mitarbeiter fand bei den Kollegen hohe Akzeptanz.1675 Die Kommunikation der externen Unternehmensberater wurde indes massiv kritisiert. Das Auftreten der externen Berater wurde von Mitarbeitern des Ministeriums teilweise als arrogant beschrieben.1676 Auch die von den Beratern verwendete Sprache sei nicht immer dem Umfeld des Ministeriums angemessen gewesen. So habe der Ausdruck ‘Kick-off’ für die Auftaktveranstaltung zu allgemeiner Belustigung unter den Mitarbeitern des Ministeriums geführt.1677 Es wurde auch bemängelt, dass in der nachgeordneten Behörde A eine junge Beraterin eingesetzt worden sei, die sich dort nicht gegenüber den amtsseitigen Mitarbeitern hätte durchsetzen können (fehlende ‘Referent Power’ als Vorraussetzung für Akzeptanz der Kommunikation) und ‘dem Haus nicht gewachsen’ gewesen sei.1678 IT-Fähigkeiten. Die Bearbeitung der KVP-Vorschläge war im Projekt an eine Software gekoppelt, die einen elektronischen Workflow1679 beinhaltete, dessen Nutzung allen Einreichern und Bearbeitern (Gutachtern und Führungskräften) verbindlich vorgeschrieben war. Elektronische Workflows im Allgemeinen und das KVP-Bearbeitungsprogramms im Speziellen wurden jedoch nicht von allen Mitarbeitern beherrscht. "Es ist eben nur das Problem, dass das

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Vgl. Interviews 10-11 und Interview 10-12. Zum Projektteam des Ministeriums und der Behörde A lagen hierzu keine Informationen vor. Siehe Kapitel 5.10.3, Ziffer (7). Vgl. Interview 10-7, Interview 10-2 und Interview 10-12. Interview 10-8: "Wissen Sie, manchmal hatte ich auch so das Gefühl, das ist denen auch einfach furchtbar lästig, da also aus ihrem Schicki-Micki-Hamburg, in diesem Supergebäude, wo sie mitten in der Innenstadt sitzen da an der Alster und den feinen Restaurants, sich in die Niederungen des Ministeriums zu begeben. Also die hatten so eine etwas arrogante Ausstrahlung." In einem anderen Interview wurde von einer „aalglatten Art“ zweier Berater gesprochen. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-4. Vgl. Interview 10-2. Gemeint sind hier durch die Software vorgegebene Bearbeitungsschritte und –mittel.

292 E-Net hier im Haus noch nicht so hundert Pro gelebt wird, dass viele einfach auch ein bisschen überfordert sind als Führungskraft, weil die gar nicht begreifen, wenn das Signal da leuchtet, dass sie jetzt was machen müssen. Aber das ist eben eine Schulungsgeschichte."1680 Diese Problematik war auch zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Ministerium noch nicht gelöst. Viele Mitarbeiter nahmen das vorhandene Angebot zu entsprechenden Schulungen nicht wahr.1681 Kenntnis der Dienststelle und des öffentlichen Sektors: Die Implementierung des neuen Ansatzes erforderte von den Projektmitgliedern und Gutachtern umfassende Kenntnis der jeweiligen Dienststelle.1682 Auf Amtsseite wurde durch die Auswahl der Mitarbeiter diese Fähigkeit sichergestellt. Die internen Projektmitarbeiter monierten jedoch fehlende Kenntnisse des öffentlichen Sektors bei den externen Unternehmensberatern.1683 Den Beratern hätten nicht nur zu Beginn des Projektes die notwendigen Kenntnisse gefehlt, sondern sie auch im Laufe des Projektes nicht in nennenswertem Maße aufgebaut und entsprechende Hinweise der Amtsseite nicht reflektiert.1684 Projektmanagementfähigkeiten: Da der Veränderungsprozess in Projektform durchgeführt wurde, waren Fähigkeiten des Projektmanagements notwendig, aufgrund der geringen Komplexität des Projektes jedoch nicht in besonders hohem Maße.1685 Negativ bewertet wurde eine (zu) starke Konzentration auf die Implementierung der Bearbeitungssoftware, die zudem letztlich nicht erfolgreich war; gegen Ende des Pilotprojektes verzichtete man auf ihren Einsatz. Hierdurch wurden personelle Ressourcen des Projektteams gebunden, die damit nicht mehr für die inhaltliche Gestaltung des Projektes zur Verfügung standen. Insgesamt konnten bezüglich des Projektmanagements keine gravierenden Probleme erkannt werden, so dass von ausreichenden Fähigkeiten im Projektmanagement ausgegangen wird. KVP-Kenntnisse: Die Umsetzung des Projektes erforderte Kenntnisse aus dem Themenfeld KVP. Mangelnde KVP-Kenntnisse sind im Implementierungsprozess nicht als Hemmnis in Erscheinung getreten. Die KVP-Kenntnisse waren auf Beraterseite vorhanden und konnten auf Amtsseite durch Schulungen zügig aufgebaut werden. Teamfähigkeit: Als wichtig für die Ausübung der Projektarbeit wurde weiterhin Teamfähigkeit1686 genannt. Zudem erforderte die Generierung von Verbesserungsvorschlägen Kreativi-

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Interview 10-2. Vgl. hierzu auch Interview 10-3. Vgl. Interview 10-13. Auch für die externen Berater wurden Kenntnisse des öffentlichen Sektors gefordert. Vgl. hierzu Interview 10-8 und Interview 10-12. Vgl. Interview 10-1. Vgl. Interview 10-2, Interview 10-8 und Interview 10-11. Vgl. Interview 10-13. Vgl. Interview 10-2 und Interview 10-12.

293 tät.1687 Über die Ausprägung beider Fähigkeiten kann auf Basis der erhobenen Daten keine fundierte Aussage getroffen werden. 5.10.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Fortbildung: Zur Sicherstellung der Fähigkeiten der Qualitätszirkelleiter, Ideenmanager, Gutachter und Führungskräfte wurden Schulungen angeboten und durchgeführt.1688 Die Projektmitarbeiter wurden während eines eintägigen Einführungsseminars von den externen Beratern in ihre neuen Aufgaben eingewiesen.1689 Dieses Seminar wie auch die Schulungen für Qualitätszirkelleiter, die ebenfalls die externen Berater durchführten, wurden von den Teilnehmern positiv bewertet.1690 Auswahl der Projektmitarbeiter: Die Auswahl der Projektmitarbeiter im Ministerium erfolgte vorrangig nach Verfügbarkeit,1691 in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B nach den Kriterien Freiwilligkeit und Reputation im Kollegenkreis (‘Referent Power’).1692 Damit stellte die Auswahl der Projektmitarbeiter ein weniger zentrales Instrument zur Sicherstellung der Fähigkeiten dar als in anderen untersuchten Veränderungsprozessen (siehe z. B. Fallstudie 12). Auswahl des Beratungsunternehmens: Bezüglich der Auswahl der externen Berater zeigte sich ein geteiltes Bild. Während die KVP-Kenntnisse, Moderationsfähigkeiten und die Fähigkeiten zur Schulung der Projektmitarbeiter und Qualitätszirkelleiter positiv bewertet wurden, gaben geringe Kenntnisse des öffentlichen Sektors, fehlendes Charisma, geringe Lebenserfahrung und die ‘Art des Auftretens’ der externen Berater Anlass zu Kritik. Wissenstransfer: Es fand zur Sicherstellung der Fähigkeiten ein intensiver Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen den Teilprojekten, aber auch mit anderen Behörden statt, die ebenfalls neue KVP-Konzepte implementierten oder dies bereits abgeschlossen hatten.1693

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Vgl. Interview 10-13. Vgl. Interview 10-1, Interview 10-3, Interview 10-5, Interview 10-8, Interview 10-4, Interview 10-11 und Interview 10-12. Diese Schulungen beinhalteten die Vermittlung des KVP-Grundgedankens, die spezifische Konzeption des Ministeriums und die praktische Umsetzung einschließlich des Umgangs mit der Bearbeitungssoftware. Vgl. Interview 10-5 und Interview 10-8. Vgl. Interview 10-5 und Interview 10-10. Vgl. Interview 10-2. Im späteren Rollout im Ministerium wurde die Aufgabe nach inhaltlichen Kriterien einem Referat zugeordnet. Vgl. hierzu Interview 10-13. Vgl. Interview 10-12. Vgl. Interview 10-1 und Interview 10-2.

294 5.10.5 Externe Zustände 5.10.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Anreizmöglichkeiten zur Unterstützung des Veränderungsprozesses In den Fallstudien 1-4 wurde beschrieben, dass Incentivierungen für Verbesserungsvorschläge von bis zu 50.000 DM ermöglicht wurden, so dass davon auszugehen ist, dass das öffentliche Dienst- und Personalrecht derartige Anreize generell zugelassen hat. Bezüglich nichtmaterieller Anreize waren keine besonderen Beschränkungen bekannt. Diese hatten lediglich ihre Grenzen in allgemein gültigen Rechtsnormen, wie z. B. den rechtlichen Bestimmungen zur Verleihung von Orden. Inwieweit die Möglichkeiten zur Nutzung von Anreizmöglichkeiten genutzt wurden, wird in Kapitel 5.10.5.2 dargestellt. Besondere Probleme entstanden jedoch, wenn die Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B nicht-monetäre Anreize durch übergeordnete Behörden genehmigen lassen musste. Diese Problematik wird unter Ziffer (2) und (3) dieses Kapitels näher erläutert. (2) Vorschriftendichte – externe Vorschriften In Fallstudie 10 wurde ein deutlicher Unterschied in der Bedeutung externer Vorschriften für das Ministerium einerseits und der nachgeordneten Behörde andererseits ersichtlich. Ressourcenallokation: Während im Ministerium bezüglich der Ressourcenallokation keine Schwierigkeiten erkennbar waren, wurden die begrenzten Handlungsspielräume in der Pilotdienststelle der Behörde B stark bemängelt. So sei es kaum möglich gewesen, in Eigenregie passende Hard- und Software zu beschaffen, da die Dienststelle – gemäß den Vorschriften zur Beschaffung – an die zentrale Beschaffung der übergeordneten Behörden angeschlossen war. Diese hätte die Bedürfnisse kaum befriedigt. Zudem sei die Beschaffung mit sehr aufwändigen Verwaltungsprozessen verbunden gewesen.1694 Die übergeordnete Behörde hat z. B. einen für das Projekt notwendigen Laptop erst nach Intervention des Ministeriums beschafft.1695 Weitere bürokratische Hürden zeigten sich bei der Barauszahlung von Geldprämien für Verbesserungsvorschläge, die ebenfalls erst nach erheblichen Anstrengungen seitens der Dienststelle von den übergeordneten Behörden genehmigt wurde.1696 Sonstige Vorschriften, Gesamtwirkung der Vorschriftenlage und Umgang mit Vorschriften: Auch bezüglich der Auswirkungen sonstiger Vorschriften war ein deutlicher Unterschied zwischen Ministerium und nachgeordneter Behörden festzustellen. Im Ministerium wurde mit großer Einstimmigkeit berichtet, dass Vorschriften kaum hinderlich auf den Projektverlauf gewirkt hätten.1697 In der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B hinge-

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In diese Beschaffungsprozesse waren zum Teil mehrere übergeordnete Behörden eingebunden. Vgl. Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11. Vgl. Interview 10-1, Interview 10-2, Interview 10-5, Interview 10-8 und Interview 10-13.

295 gen zeigten sich deutliche Hemmnisse durch existierende Vorschriften, z. B. bei der Gestaltung des Prämienkatalogs, wo von Seiten der übergeordneten Behörden nichtmonetäre Prämien mit Hinweis auf die Vorschriftenlage häufig abgelehnt wurden.1698 Doch nicht nur die Vorschriftenlage per se, sondern der Umgang mit den Vorschriften war von zentraler Bedeutung,1699 da nach hartnäckiger Verfolgung der Anliegen durch die Dienststelle letztlich für zahlreiche Prämien Genehmigungen erteilt wurden.1700 "Deswegen muss man für so ein Projekt halt jemanden haben, der voll hinter der Sache steht, weil der geht dann auch über holprige Wege und versucht da irgendwas zu glätten, währenddessen der nächste, sag ich mal, treue Beamte, der dem Beamtengesetz fürchterlich verpflichtet ist, dort nur Hürden sieht […]."1701 Als Erfolgsfaktor für die ‘zielorientierte’ Interpretation der Vorschriften in den übergeordneten Behörden wurde vor allem die persönliche Kommunikation mit den zuständigen Bearbeitern dieser Behörden genannt.1702 Insgesamt waren für die Pilotdienststelle B die Vorschriften der übergeordneten Behörden (und deren Interpretation in den übergeordneten Behörden) ein größeres Hemmnis als gesetzliche Normen. (3) Unterstützung durch übergeordnete Behörden Die Unterstützung durch übergeordnete Behörden wurde im Rahmen der Fallstudie ausschließlich in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B betrachtet. Die Unterstützung übergeordneter Behörden wurde vor allem bei der Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen benötigt, deren Wirkung über die Dienststelle hinausging und den übrigen Bereich des Amtes oder des Präsidiums betraf. Von den übergeordneten Behörden Amt und Präsidium seien jedoch Vorschläge regelmäßig ohne nähere Begründung als ‘nicht realisierbar’ abgelehnt worden, was dazu geführt habe, dass im Zeitablauf keine Vorschläge mehr gemacht wurden, die über die Grenzen der Dienststelle hinaus reichten.1703 Dabei wirkte es sich negativ aus, dass die übergeordneten Behörden nicht Teil des Pilotprojektes waren und die Mitarbeiter dort wenig Verständnis für das Projekt aufbrachten.1704 Es wurden Vorschläge

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Vgl. Interview 10-11. Interview 10-11: "Ich kann ja letztendlich ein Gesetz […] äußerst defensiv interpretieren, indem ich sage, ich suche alles raus, was dagegen spricht und alles andere, was dafür sprechen könnte, lasse ich einfach mal weg." Interview 10-11: "Als ich die erste Hubschrauberprämie eingelöst habe, weil nämlich eine Angestellte hat diese Prämie sich ausgesucht und die wollte nun noch mit ihrem Ehegatten […] in einem Hubschrauber fliegen, da habe ich gedacht, hier dreht sich die Welt nicht mehr. Da habe ich einen Kunstgriff gemacht, habe die regionale Presse eingeladen, habe diesen Preis ganz stolz verkündet und habe diesen Zeitungsartikel mit Bild an meine Anforderungen mit angeheftet und hoch geschickt. Da musste unser Präsident auf den Samstagvormittag noch eine Entscheidung treffen, weil die ganzen Fachmänner, in Anführungsstrichen, gesagt haben, es geht nicht, es ist überhaupt nicht möglich. Und wir haben gesagt, es muss möglich sein, wenn jeder Journalist mitfliegen kann, der uns gut oder böse darstellt, jeder Politiker mitfliegen kann, warum kann nicht der Mitarbeiter fliegen? Ja, es ging dann doch plötzlich." Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11. Vgl. Interview 10-10 und Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11.

296 von Amt oder Präsidium teilweise als nicht durchführbar abgelehnt, deren Inhalte von diesen Behörden aber später außerhalb des KVP auf Anordnung des Ministeriums umgesetzt wurden, was bei den KVP-Beteiligten der Dienststelle erhebliche Frustration verursachte.1705 Weiterhin war die Unterstützung der Dienststelle durch übergeordnete Behörden bei der Genehmigung des nicht-monetären Prämiensystems notwendig. Hier war deutlich erkennbar, dass Vorschriften von den Mitarbeitern übergeordneter Behörden auch instrumentalisiert wurden, um die Prämienvorschläge ablehnen zu können. Möglicher Beweggrund für die ablehnende Haltung könnte z. B. die Vermeidung individuellen Arbeitsaufwands gewesen sein. Besonders negativ wirkte es sich aus, dass mit Beendigung des Pilotprojektes seitens der übergeordneten Behörden der Prämienkatalog außer Kraft gesetzt wurde 1706. Hierdurch entstand ein starker Bruch in der Implementierung, und der KVP kam faktisch zum Erliegen.1707 Unterstützung erhielt die Dienststelle allerdings durch die Gesamtprojektleitung des Ministeriums, die sich intensiv für die Belange der örtlichen Projektgruppe in der Dienststelle einsetzte.1708 (4) Sonstige externe Zustände Differenziert wurde der Umstand bewertet, dass das Projekt direkt nach dem Umzug des Ministeriums von Bonn nach Berlin stattfand. Einerseits seien durch den Umzug für die Mitarbeiter bereits andere starke Veränderungen entstanden, was eine geringe Aufmerksamkeit für das Projekt zur Folge hatte.1709 Andererseits habe der Umzug einen ‘Neuanfang’ dargestellt, der für das Projekt ein günstiges Klima für eine Veränderung bedeutete.1710 5.10.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der obersten Führung sowie der Führungskräfte des Ministeriums und der Dienststelle Oberste Führung des Ministeriums: In den Interviews wurde die herausragende Bedeutung der Unterstützung der obersten Führung für den erfolgreichen Verlauf des Veränderungsprozesses betont.1711 Es wurde berichtet, dass die zuständige Staatssekretärin zu Beginn des Projektes persönlich ihren Willen zur Umsetzung des Projektes kommuniziert hätte.1712 Diese

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Vgl. hierzu Interview 10-11. Interview 10-9: "Also es sollte hier [...] ohne Verzögerung weiter laufen und es sollte amtsweit eingeführt werden. Das waren die öffentlich bekundeten Willenserklärungen. Als es allerdings darum ging, einen modifizierten Prämienkatalog, den wir vorgeschlagen haben hier für die Inspektion, um auch nach dem Projekt das fortführen zu können, eingereicht haben, haben wir meines Wissens bis heute keine Antwort drauf bekommen." Vgl. hierzu auch Interview 10-12. Vgl. Interview 10-9, Interview 10-10 sowie Interview 10-11. Vgl. Interview 10-12. Vgl. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-5. Vgl. Interview 10-1, Interview 10-2, Interview 10-5, Interview 10-13 und Interview 10-11. Vgl. Interview 10-5, Interview 10-6 und Interview 10-13.

297 Kommunikation sei jedoch nicht fortgeführt worden. Darüber hinaus sei kaum eine Leitungsunterstützung wahrnehmbar gewesen, was von den Mitarbeitern als geringe Priorisierung des Projektes interpretiert wurde. "Geschadet hat dem Projekt vielmehr, dass die Hausleitung, also die über Abteilungsleiter, dass die sich sehr wenig für die Sache interessiert haben, dass sie sich zwar positioniert haben im Verlauf, sie haben gesagt, sie möchten was haben, aber letztlich nicht besonders ehrlich. Zumindest ist es bei den Beschäftigten so angekommen."1713 Es wurde insbesondere bemängelt, dass sich die Leitung des Hauses vom Projektteam die Ergebnisse des Projektes bzw. die Projektfortschritte nicht berichten ließ.1714 Als weiterer wichtiger Aspekt der Leitungsunterstützung wurde die Ausübung einer Vorbildfunktion in den Reformvorhaben genannt. Diesbezüglich wurden erhebliche Defizite beschrieben, vorrangig durch die ‘ausstrahlende Wirkung’ aus dem Vorhaben ‘Erneuerung der Personalentwicklung’. Hier habe die Führung durch ihr eigenes Verhalten, das im Widerspruch zum Reformvorhaben stand, die Glaubwürdigkeit des Reformwillens insgesamt in Frage gestellt. "Vielleicht noch ein Beispiel, Sie haben den Herrn [..] kennen gelernt, der [...] stellt das Personalentwicklungskonzept vor. Unter anderem sind in dem Personalentwicklungskonzept einige Grobschritte enthalten, z. B. es muss jemand drei Verwendungen im Hause gehabt haben, bevor er Referatsleiter werden kann oder so [...]. Das stellt der jetzt da vor. Also wirklich zur gleichen Zeit passierte hier im Haus, dass ein Mitarbeiter, der in der Sonne der Leitung stand, wirklich an allen anderen vorbei auf einen Posten gesetzt wird. Also dieser [..] der hat mir einfach nur leid getan. Und das ist es, was auch jede Modernisierung unglaubwürdig macht. Also die Frage der Glaubwürdigkeit ist aus meiner Sicht ein ganz entscheidender Punkt. Und diese Glaubwürdigkeit existiert eigentlich nur dann, wenn dies auch von oben gelebt wird." 1715 Weitere Führungskräfte: Zudem wurde eine geringe Unterstützung der Führungskräfte auf den nachfolgenden Hierarchieebenen beschrieben.1716 Durch die mangelnde Unterstützung der Führungskräfte entstanden in der Organisation Gerüchte, diese hätten das Scheitern des Projektes bewusst herbeiführen wollen.1717 Die geringe Unterstützung der Führungskräfte beeinflusste auch das Verhalten der Gutachter, die dadurch einer geringen Kontrolle unterlagen und bei ihren Prüfungen stärker eine Minimierung des persönlichen Arbeitsaufwands (oder andere opportunistische Verhaltensweisen) verfolgen konnten.1718 Die mangelnde Unter-

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Interview 10-2. Vgl. zur geringen Priorisierung bzw. fehlenden Unterstützung der Leitung auch Interview 10-5, Interview 10-8 und Interview 10-13. Vgl. Interview 10-2 und Interview 10-8. Interview 10-8. Vgl. Interview 10-2, Interview 10-6. In Einzelfällen wurde Mitarbeitern, die sich am KVP beteiligten, von den Führungskräften die Frage gestellt, ob sie 'nichts Besseres zu tun' hätten. Vgl. hierzu Interview 10-13. Vgl. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-2.

298 stützung der Führungskräfte unterhalb der Ebene der Staatssekretäre wurde auch auf den fehlenden Druck der Hausleitung zurückgeführt.1719 Ein gegensätzliches Bild wurde in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B gezeichnet. Der Dienststellenleiter priorisierte das Projekt hoch und unterstützte als Teilprojektleiter stark.1720 Die Unterstützung nahm jedoch ab, als der Dienststellenleiter im Verlauf des Pilotprojektes die Dienststelle wechselte, die Teilprojektleitung aber bei dem (jetzt außerhalb der Dienstelle beschäftigten) ehemaligen Dienststellenleiter verblieb.1721 Insgesamt wurde die starke Unterstützung der Dienststellenleitung als positiv wirkender Faktor beschrieben, mit förderlicher Auswirkung auf die Arbeit des gesamten Projektteams und das Partizipationsverhalten der Mitarbeiter. (2) Ressourcenausstattung Das Projektteam für das Gesamtprojekt bestand aus vier Mitarbeitern des Ministeriums, die das Projekt in ‘Nebenverwendung’ bearbeiteten. Das Projektteam der Pilotabteilung des Ministeriums bestand ebenfalls aus vier Mitarbeitern in ‘Nebenverwendung’.

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Zusätzlich

standen dem internen Projektteam noch zwei externe Unternehmensberater zur Verfügung, die das Projekt ebenfalls nicht vollzeitig bearbeiteten. Die Quantität der personellen Ausstattung wurde trotz der ausschließlich ‘nebenamtlichen’ Verwendungen nicht kritisiert.1723 Indes wurde bemängelt, dass die Teilprojektleitung, die zunächst einem Unterabteilungsleiter oblag, im Laufe des Pilotprojektes einem Referenten übertragen und damit hierarchisch zwei Ebenen abgewertet wurde (abnehmende ‘Legitimate Power’).1724 In der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde lag ein ähnliches Bild vor. Auch hier wurde die Personal- und Sachmittelausstattung in der Pilotphase als ausreichend empfunden.1725 Bemängelt wurde jedoch, dass unmittelbar nach Beendigung des Pilotprojektes der größte Teil der Sachmittelausstattung, den man für den weiteren Betrieb des KVP benötigt hätte, an die übergeordneten Behörden zurückführen musste.1726 Ausgesprochen scharfe Kritik wurde bezüglich der KVP-Software geäußert, die nicht funktionsfähig gewesen sei und deren Implementierung erheblich personelle Ressourcen gebunden habe.1727

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Vgl. Interview 10-5. Vgl. Interview 10-9, Interview 10-10, Interview 10-11 und Interview 10-12. Vgl. Interview 10-10 und Interview 10-11. Dennoch unterstützte auch der neue Dienststellenleiter das Projekt grundsätzlich. Vgl. hierzu Interview 10-11. Vgl. Dokument 10-1, S. 9. Im Rollout für das gesamte Ministerium waren im Projektteam weiterhin vier Mitarbeiter ‘nebenamtlich’ mit ca. 20-30% ihrer Arbeitzeit tätig sowie für jede der zehn Abteilungen jeweils ein Ideenmanager. Vgl. hierzu Interview 10-13. Vgl. Interview 10-5. Interview 10-2. Vgl. Interview 10-10 und Interview 10-12. Am Projekt waren der Teilprojektleiter, fünf Ideenmanager sowie ca. zehn Qualitätszirkelleiter ‘nebenamtlich’ in das Projekt eingebunden. Vgl. hierzu Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11. Vgl. Interview 10-1, Interview 10-2, Interview 10-4, Interview 10-5, Interview 10-8, Interview 10-11 sowie Interview 10-12.

299 (3) Zuweisung von Entscheidungskompetenzen / Zuweisung von Verantwortung Sowohl Projektteammitglieder des Ministeriums als auch der Teilprojektleiter der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B sahen in dem Projekt eine Möglichkeit zur persönlichen Profilierung.1728 Versteht man Verantwortung als Zuordnung von positiven und negativen Konsequenzen aus Handlungen, liegt hier die Übernahme von Verantwortung durch die Projektmitarbeiter vor. Wie sich der zunächst erfolgreiche Projektverlauf und der spätere ‘Rückfall’ in das bisherige Handlungsmuster auf die Projektverantwortlichen tatsächlich ausgewirkt hat, konnte im Rahmen der Fallstudie nicht ermittelt werden. (4) Organisationskultur Im Ministerium wurde von den Interviewpartnern in einer Selbsteinschätzung ausgeführt, dass eine überaus konservative, der Verwaltungsmodernisierung entgegen stehende Kultur vorgelegen hätte. "Das war wirklich eine ganz steife Bürokratie hier drin."1729 In diesem Zusammenhang wurden mehrfach jene Mitarbeiter des gehobenen Dienstes, die aufgrund ihres Dienstalters und -grades als die ‘alten Oberamtsräte’ bezeichnet wurden und über erheblichen Einfluss in der Organisation verfügten, als besonders veränderungsfeindlich beschrieben. Diese ‘alten Oberamtsräte’ waren zwar kaum mit ‘Legitimate Power’ (z. B. Entscheidungskompetenzen) ausgestattet, verfügten aber in erheblichem Umfang über ‘Expert Power’ und ‘Referent Power’. 1730 In einem Interview wurde dargelegt, dass sich Juristen tendenziell reservierter gegenüber Veränderungen verhielten als z. B. Wirtschaftswissenschaftler.1731 In anderen Interviews wurde dies indes bestritten, so dass diesbezüglich kein einheitliches Bild entstand.1732 Zur Kultur der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B können keine fundierten Aussagen getroffen werden.

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Vgl. Interview 10-2 und Interview 10-12. Interview 10-7. Vgl. auch Interview 10-2 und Interview 10-13. Es wurde ausgeführt, dass im Ministerium insgesamt eine tradierte, an starren Hierarchien orientierte Kultur vorgeherrscht hätte. Interview 10-8: "Man muss dazu sagen, in der Abteilung [..] waren zu der Zeit, als dieses Projekt startete, nämlich kurz vor dem Umzug, so die ersten Überlegungsphasen, noch sehr viele altgediente Oberamtsräte. Das sind die vom gehobenen Dienst, die seit Jahr und Tag, das war irgendwie so Tradition in der Abteilung [...], auf ihrem Arbeitsplatz gesessen haben, sich mit ihren Bereichen beschäftigt haben, die absoluten Wissensträger waren, die Kommentare geschrieben haben, und das sind dann die, wo man also negativ sagen würde, 'also das war schon immer so und das lassen wir jetzt so und das hatten wir alles schon mal und das klappt nicht.' Also jedenfalls das war die Klientel, gegen die, das muss man fast so sagen, wir also, als etwas, ja auch lebensalter- […] jüngere Leute zu kämpfen hatten, die in dem Projektteam waren. Und das war in der Tat ein wahnsinniger Kampf, eben diese Ressentiments auszuhebeln, also insbesondere bei den Älteren, also es hat auch manchmal richtig weh getan, das muss ich schon sagen." Vgl. hierzu auch Interview 10-13 und Interview 10-2. Auch in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B wurde auf die Bedeutung ‘informeller Führer’ hingewiesen. Vgl. hierzu Interview 10-12. Interview 10-7: "Allgemein denke ich, vielleicht liegt das daran, dass sich Juristen, ja, in ihrem ganzen Leben quasi an den Gesetzen orientieren, also quasi wenn irgendwas zu tun ist oder zu prüfen ist, dann wird das anhand von festgeschriebenen Dingen halt gemacht. […] Die haben immer was, die können immer irgendwo nachschlagen oder irgendwo nachfragen und dann steht´s halt da drin. Und ich habe also wenig Juristen getroffen, die wirklich kreativ sind[…]."

300 (5) Nutzung zulässiger Anreizmöglichkeiten Zur Prämierung der KVP-Vorschläge wurden monetäre und nicht monetäre Anreize eingesetzt. Es gab Sachprämien im Gegenwert von maximal 2.000,- DM (z. B. Reisen), kleinere Geldprämien sowie freie Tage, aber auch ‘Kleinstprämien’ wie Tassen oder Kugelschreiber.1733 Insbesondere in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B wurde während der Pilotphase ein Prämienkatalog mit vielfältigen originellen Anreizen wie Hubschrauberflüge, Bootsfahrten oder die temporäre Nutzung von reservierten Parkplätzen unmittelbar vor dem Eingang der Dienststelle geschaffen.1734 Die Attraktivität der Prämien wurde in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B einheitlich als hoch eingeschätzt. "Ich bin mir ganz sicher, aus Gesprächen mit vielen Mitarbeitern und Kollegen, dass die Erfolgsprämie, nicht die Tasse, sondern, was weiss ich, der Tag dienstfrei, 100 Mark gab´s oder irgendwie so kleinere Erfolgsprämien, dass die ein großer Anreiz oder Motivation waren."1735 Im Ministerium wurde die Attraktivität der Prämien hingegen uneinheitlich bewertet.1736 Während die Prämien im Ministerium über den Pilotierungszeitraum hinaus weitergeführt und noch erweitert wurden (Eintrittskarten für den Bundespresseball oder für den Tag der offenen Tür des Bundespräsidenten, positiver Vermerk in der Personalakte usw.)1737, fielen in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B mit Beendigung der Pilotphase sämtliche Prämien weg.1738 Es wurde berichtet, dass mit dem Wegfall der Prämien auch die Vorschlagstätigkeit von den Mitarbeitern abrupt eingestellt wurde.1739 Dies kann in zwei Richtungen interpretiert werden: Erstens könnte dies ein Indiz für die prinzipielle Wirksamkeit extrinsischer Anreize im KVP sein; andererseits könnte es aber auch so interpretiert werden, dass der Wegfall extrinsischer Anreize negative Auswirkungen hat, wenn die Mitarbeiter sich einmal an diese Anreize gewöhnt haben.1740 (6) Sonstige externe Zustände Als wesentlicher externer Zustand für die Mitarbeiter wurde das Engagement der Qualitätszirkelleiter beschrieben. Diese seien die zentralen Akteure gewesen, die KVP ‘an der Basis’ immer wieder thematisiert und damit am Leben gehalten hätten. Es wurde von einem Fall im Ministerium berichtet, bei dem mit dem Weggang des Qualitätszirkelleiters aus dem Referat die KVP-Aktivitäten dort de facto ‘eingeschlafen’ seien.1741

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Vgl. Interview 10-8, Interview 10-7 und Interview 10-5. Vgl. Interview 10-4, Interview 10-7, Interview 10-9 sowie Interview 10-11. Vgl. Interview 10-11 und Interview 10-12. Interview 10-9. Vgl. hierzu auch Interview 10-11. Sie wurden teilweise als wenig attraktiv beschrieben (vgl. hierzu Interview 10-5 und Interview 10-7), teilweise aber als durchaus ausreichend (Vgl. Interview 10-8 und Interview 10-13). Vgl. Interview 10-4 und Interview 10-13. Vgl. Interview 10-9. Vgl. Interview 10-9 und Interview 10-10. Um diese Schlussfolgerung validieren zu können, müsste man allerdings wissen, ob überhaupt eine KVPVorschlagstätigkeit ohne extrinsische Anreize hätte erzeugt werden können. Vgl. Interview 10-7.

301 Zudem wurde im Pilotprojekt der Umstand, dass durch das Projektteam Kontrollen der obligatorischen KVP-Aktivitäten vorgenommen wurden, als förderlich für deren Durchführung beschrieben.1742 5.10.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Anstrengungen zur Beeinflussung der außerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände waren vor allem in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B zu sehen. Diese konzentrierten sich darauf, die übergeordneten Behörden zu einer angemessenen Unterstützung zu bewegen. Vorschriften sollten ‘zielführend’ angewendet oder abgeändert und Prämienkataloge sowie Veränderungsvorschläge genehmigt werden. Die Beeinflussung der übergeordneten Behörden gelang jedoch nur sehr unzureichend. Die zentrale Maßnahme zur Beeinflussung der innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände ist in der Gestaltung des Prämiensystems für KVPVorschläge zu sehen. Hierfür wurden insbesondere in der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B beträchtliche Ressourcen aufgewendet. Die Entwicklung des Prämiensystems hat sich im Veränderungsprozess sehr positiv ausgewirkt. 5.10.6 Interne Zustände In Fallstudie 10 gibt es einen Hinweis auf die Wirkung von internen Zuständen im Veränderungsprozess und deren bewusste Nutzung zur Beeinflussung der Akteure. Die Auftaktveranstaltung zum KVP wurde im Ministerium bewusst gestaltet, um die Mitarbeiter in eine positive Stimmung zu versetzen. Hierzu wurden z. B. Unterhaltungselemente (z. B. Zaubershow, Tombola) in die Veranstaltung eingebaut, die keinerlei Fachinformationen transportierten,1743 sondern dazu dienten, unter den Mitarbeitern ‘Frohsinn’ zu erzeugen, um diese besser für das neue Konzept begeistern zu können. "Also gute Erinnerungen habe ich an die Eröffnungsveranstaltung. Die war richtig gut gemacht, die war gut aufgezogen, da waren auch wirklich alle gut drauf. Dann haben sie das erklärt, damals, wie das von statten gehen soll [...]. Und es war ganz lustig, also da war auch eine gute Stimmung, man hatte das Gefühl, doch die Leute sind alle motiviert."1744 5.10.7 Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses Führungskräfte (einschließlich der obersten Führung) und Gutachter: Bei der Betrachtung der Phasenverläufe von mittleren Führungskräften und Gutachern im Ministerium sind Verbindungen zu den Nettonutzenpositionen der obersten Leitung des Ministeriums zu knüp-

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Interview 10-8: "Was ich leider feststellen musste ist, dass seitdem diese Kontrollen des Pilots, nämlich alle vier Wochen müssen Qualitätszirkel stattgefunden haben und man muss auch Protokolle abgeben, als es diesen Zwang nicht mehr gab, schlief das Ganze ein." Neben diesen Unterhaltungselementen wurden aber auch umfangreiche Informationen zum KVP angeboten. Interview 10-7. Vgl. hierzu auch Interview 10-8.

302 fen. Die oberste Leitung des Ministeriums hatte vorrangig Interesse an der formalen Implementierung des Instruments zu Zwecken der externen Kommunikation (Darstellung als ‘moderne Verwaltung’), war jedoch am inhaltlichen Erfolg nur begrenzt interessiert. Hierdurch wurde nur geringer Druck auf die Führungskräfte zur inhaltlichen Umsetzung des Konzeptes ausgeübt. Daraus resultierte die rein formale, nicht aber die inhaltliche Unterstützung der Führungskräfte, die damit ein drittes Handlungsmuster ausübten. Hierdurch konnten die Gutachter ebenfalls ein drittes Handlungsmuster durchführen, das durch die Ablehnung von Vorschlägen aus opportunistischen Gründen gekennzeichnet war (siehe Kapitel 5.10.3, Ziffer (6)). Führungskräfte und Gutachter durchliefen bezüglich eines dritten Handlungsmusters die Phasen Unfreeze und Move. Zur Phase Refreeze kann keine Aussage getroffen werden.1745 Der Dienststellenleiter der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B trat auch zum Zeitpunkt der Datenerhebung, d. h. mehrere Jahre nach der Pilotierung, noch als klarer Verfechter des KVP auf und war um die Reaktivierung des Konzeptes bemüht.1746 Er hat damit die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze erfolgreich durchlaufen. Zu den übrigen Führungskräften der Dienststelle kann keine Aussage getroffen werden. Belegschaft: Die Mitarbeiter aller betroffenen Dienststellen beteiligten sich in der Pilotphase in erheblichem Umfang am KVP. Damit durchliefen sie die Phase Unfreeze erfolgreich. Der zunächst antizipierte positive Nettonutzen der Veränderung ging bei den Einreichern von Vorschlägen aufgrund der geringen Würdigung, d.h. der hohen Ablehnungsrate, der geringen Umsetzungsrate und den mangelnden Begründungen bei Ablehnungen stark zurück. Das bewirkte einen negativen Nettonutzen in der Phase Refreeze, evtl. schon in der Phase Move.1747 In der Pilotdienststelle der nachgeordneten Behörde B wurde die Verringerung des Nutzens des veränderten Handlungsmusters zudem durch den Abbau des Prämiensystems deutlich verstärkt. Weiterhin entfiel nach der Pilotphase die Kontrolle der Aktivitäten durch das Projektteam1748, was die Rückkehr in das bisherige Verhaltensmuster erleichterte (Kosten der Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters wurden geringer). Durch die Verringerung des Nettonutzens der Veränderung kann der abrupte Abbruch der Partizipation erklärt werden.1749 Es ist allerdings ergänzend anzumerken, dass ein Rückgang der KVP-Vorschläge teilweise auch dadurch zu erklären ist, dass zunächst alle Vorschläge eingereicht wurden, die den Mitarbeitern schon länger bewusst waren, die bis dato aber aufgrund fehlender äußerer Impulse nicht expliziert wurden.1750

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Zur Phase Refreeze kann keine Aussage getroffen werden, weil nach Abschluss der Datenerhebung in den übrigen Abteilungen des Ministeriums ebenfalls der neue KVP eingeführt wurde und Führungskräfte und Gutachter somit weiterhin betroffen waren. Dies kam in einem längeren informellen Gespräch mit dem Dienststellenleiter klar zum Ausdruck. Es konnte nicht geklärt werden, wann genau der ‘Einbruch’ des Nettonutzens stattfand. Vgl. Interview 10-8. Vgl. hierzu Interview 10-13. Vgl. zur 'Abschöpfung' naheliegender Ideen in der frühen Phase Interview 10-7 und Interview 10-12.

303 Pilotdienststellen des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden: Eines der zentralen Ergebnisse der Fallstudie 10 war die Beobachtung des völligen Einbruchs des Veränderungsprozesses in der Phase Refreeze. Verhältnismäßig viele Akteure konnten in der Pilotierung zur Beteiligung am Veränderungsprozess, d. h. zur ein- und mehrmaligen Partizipation an Qualitätszirkeln und zur Vorschlagsgenerierung bewegt werden. Nach Beendigung der Pilotphase folgte jedoch ein abrupter Rückgang der Beteiligung in allen Dienststellen.1751 Damit durchliefen die Pilotdienststellen erfolgreich die Phasen Unfreeze und (vermutlich) Move1752, nicht aber die Phase Refreeze. Es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um die negative Entwicklung in der Phase Refreeze aufzuhalten oder neue Impulse zu setzen.1753 Der Veränderungsprozess ist in den Pilotdienststellen nach einem relativ erfolgreichen Start letztlich doch gescheitert.

5.11 Fallstudie 11 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium I und dem gesamten nachgeordneten Bereich 5.11.1 Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick (1) Ausgangszustand und Zielzustand In Fallstudie 11 wird die Einführung eines ERP-Systems (Enterprise-Ressource-PlanningSystems) in Bundesministerium I und dem gesamten nachgeordneten Bereich untersucht. Mit dem ERP-System sollten weit über 100 IT-Altverfahren in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesamtorganisation abgelöst werden.1754 Der Ausgangszustand bestand somit im Betrieb ohne das neue ERP-System und in der Nutzung einer Vielzahl von ‘IT-Insellösungen’1755. Der Zielzustand war im Betrieb mit laufender Nutzung des neuen ERP-Systems und vollständiger Ablösung der meisten alten Softwareprodukte zu sehen. Im Zuge der ERP-SystemEinführung sollten zudem die betrieblichen Prozesse überprüft und ggf. an die Vorgaben der neue Software angepasst werden, was zu erheblichen Veränderungen der Ablauforganisation und der Aufbauorganisation geführt hätte. „Es ist eben keine Einführung einer neuen Software, sondern es ist tatsächlich ein Organisationsprojekt. Wir müssen unsere Organisation der Software anpassen.“1756 Es wurde damit gerechnet, dass die damit einhergehenden Ver-

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Vgl. Interview 10-4, Interview 10-6, Interview 10-7, Interview 10-9, Interview 10-10 sowie Interview 1011. Es konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden, ob der Einbruch des Nettonutzens während oder nach der Phase Move eintrat. Vgl. Interview 10-1. Vgl. hierzu Interview 11-11 sowie Interview 11-3. Ein Interviewpartner gab sogar an, dass ca. 600 Informationssysteme durch das ERP-System abzulösen seien. Vgl. Interview 11-20. Gemeint sind weitgehend autonom betriebene Softwareprodukte, die vielfach zu den übrigen Systemen nicht kompatibel waren oder bei denen ein Datenaustausch nur mit hohem Aufwand möglich war. Interview 11-1. Vgl. auch Interview 11-4, Interview 11-5, Interview 11-3, Interview 11-6 und Interview 11-19.

304 änderungen von den betroffenen Akteuren mehrheitlich als erheblich empfunden würden.1757 Inhaltlich war mit den beabsichtigten Organisationsveränderungen eine stärkere betriebswirtschaftliche Ausrichtung verbunden, z. B. dezentrale Ressourcenverantwortung durch flexible Budgetierung (Abkehr vom klassischen kameralistischen Haushaltswesen) und den verstärkten Einsatz der im ERP-System enthaltenen KLR-Komponenten.1758 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Im Zeitraum von Ende 1997 bis Anfang 1999 wurde mit externer Unterstützung eine Untersuchung durchgeführt, in der die Eignung eines ERP-Systems zur Ablösung der meisten Softwareprodukte geprüft wurde. Da diese Studie die grundsätzliche Eignung bestätigte, fiel zu Beginn des Jahres 1999 bereits die Entscheidung für den Einsatz eines ERP-Systems.1759 Diese Untersuchung enthielt jedoch keine Informationen zu den Kosten und zur konkreten Projektgestaltung, weshalb vom zuständigen Staatssekretär Mitte 1999 eine weitere vertiefende Studie in Auftrag gegeben wurde, die Mitte 2000 abgeschlossen war.1760 Auf Basis der Ergebnisse dieser Studie wurde im selben Jahr ein IT-Großprojekt zur Einführung des ERPSystems SAP mit externer Unterstützung gestartet. Die konzeptionelle Arbeit sollte bis April 2002 abgeschlossen sein, danach sollte die technische Implementierung in Pilotprojekten beginnen.1761 Der Roll-Out in die gesamte Organisation war bereits ab 2003 vorgesehen und wurde zum Zeitpunkt der Interviews von den Projektverantwortlichen als realistisch erachtet.1762 Über den erwarteten Zeitpunkt des Projektabschlusses gab es kein einheitliches Meinungsbild. Während einige Projektbeteiligte den Abschluss bis zum Ende des Jahres 2006 als realistisch erachteten1763, rechneten andere mit einer Gesamtprojektdauer von 7-10 Jahren1764, d.h. mit einem Projektabschluss zwischen 2007 und 2010. Eine Nachfrage im Ministerium im Mai 2005 ergab, dass zu diesem Zeitpunkt erst eine Dienststelle mit großen Schwierigkeiten pilotiert worden war und der Abschluss des Gesamtprojektes noch nicht abgeschätzt werden konnte. (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung erfolgte größtenteils von Dezember 2001 bis Februar 2002. In dieser Zeit wurden insgesamt 22 Interviews geführt, die den größten Anteil der erhobenen Daten ausmachen. Darüber hinaus wurden eine Vielzahl informeller Gespräche geführt1765 und Dokumente

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Vgl. Interview 11-3. Interview 11-19: "Wir führen endlich ein: betriebswirtschaftliches Denken und Handeln; und zwar umfassend; weg von der kameralistischen Betrachtung." Vgl. hierzu auch Interview 11-10. Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-3 sowie Interview 11-11. Vgl. Interview 11-3 sowie Interview 11-11. Vgl. Interview 11-11. Vgl. 11-1. Diese informellen Gespräche wurden auch in Fallstudie 11 nicht systematisch ausgewertet, sondern dienten der Verbesserung des Gesamtverständnisses.

305 ausgewertet. Im Mai 2005 wurde der Projektstand im Ministerium supplementär abgefragt.1766 Die Untersuchung fokussiert auf die Zeitspanne vom Beginn der ersten Untersuchung Ende 1997 bis zur Durchführung der Interviews im Februar 2002. Zur Ergänzung der Betrachtungen wird der Projektstand im Mai 2005 hinzugenommen. 5.11.2 Akteure im Veränderungsprozess Die identifizierte Struktur der Akteure kann in Fallstudie 11 als ausgesprochen komplex bezeichnet werden. Insgesamt ist annähernd die gesamte Organisation betroffen, die jedoch als Akteure verschiedenen Gruppen zugeordnet werden konnten. Folgende Akteure wurden identifiziert:1767 ƒ

Das Ministerium und der gesamte nachgeordnete Bereich als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

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Die oberste Führung des Ministeriums, d.h. der Bundesminister und die Staatssekretäre sowie die mittleren Führungskräfte des Ministeriums als Entscheidungsträger und potenzielle Promotoren.

ƒ

Das Projektmanagement bzw. das Projektteam im engeren Sinne. Hier konnte unterschieden werden zwischen den internen Projektmitarbeitern und den Projektmitarbeitern der externen Beratungs- und IT-Unternehmen. Das interne Projektteam war wiederum gegliedert in eine Gesamtprojektleitung1768 sowie verschiedene Teilprojekte mit Teilprojektleitern und Teilprojektmitarbeitern. Dieses interne Projektteam sollte in der "Endausbaustufe" auf bis zu maximal 250 Mitarbeiter aufgestockt werden. Die externen Berater waren wiederum aufzuteilen in ein Konsortium, das die Gesamtsteuerung des Projektes verfolgte, sowie zahlreiche weitere Unternehmen, die die einzelnen Teilprojekte operativ unterstützten.

ƒ

Die sog. ‘Prozessorganisation’, d.h. die Prozessverantwortlichen, die im Projekt die durch das ERP-System abzubildenden Prozesse definieren sollten. Hier wurden die Prozessverantwortlichen auf Ebene des Ministeriums von denen der nachgeordneten Ämter unterschieden. Zudem wurden für alle Hauptprozesse auf ministerieller Ebene sog. ‘Prozesssponsoren’ benannt, die als hochrangige Machtpromotoren für die Erfordernisse des jeweiligen Hauptprozesses eintreten sollten.

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Die Abfrage erfolgte telefonisch. Zur nachfolgenden Auflistung der Akteure vgl. Interview 11-1, Interview 11-2, Interview 11-7, Interview 11-3, Interview 11-4, Interview 11-5, Interview 11-6, Interview 11-10, Interview 11-18 und Interview 1119. Die Gesamtprojektleitung bestand aus einer Doppelspitze mit einem Gesamtprojektleiter, der die Sicht der "nutzenden Organisation" vertrat und einem Gesamtprojektleiter, der die Sicht der "beschaffenden Organisation" repräsentierte.

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Die an der ERP-System-Einführung beteiligten Organisationsbereiche im Ministerium und den nachgeordneten Behörden sowie deren Führungskräfte und Mitarbeiter, die z. B. von Reorganisationsmaßnahmen im Rahmen der ERP-System-Einführung betroffen waren.

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Die Nutzer der ERP-Software, insgesamt etliche tausend Mitarbeiter des Ministeriums und des gesamten nachgeordneten Bereichs.

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Die im Ministerium für IT hauptverantwortliche Person und unterstellte Mitarbeiter.

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Die für die Koordination aller Reformvorhaben zuständige Stelle im Ministerium.

ƒ

Die IT-Fachkräfte des Ministeriums und aller nachgeordneten Bereiche, vor allem Administratoren, Nutzerbetreuer, Programmierer etc.

ƒ

Das für die Beschaffung des gesamten ministeriellen Bereichs (einschließlich der nachgeordneten Behörden) zuständige Amt, das auch für die ‘Beschaffung’ der neuen ERPSoftware Mitverantwortung zu tragen hatte.

5.11.3 Präferenzen und Nutzenmaximierung 5.11.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Ministerium und oberste Führung des Ministeriums: Das Ministerium antizipierte als Folge der ERP-System-Implementierung deutliche Einsparungen bei den IT-Kosten. Im Ausgangszustand beliefen sich die Kosten für Pflege und Weiterentwicklung der alten Software auf jährlich ca. 600 Mio. DM.1769 Dabei wirkte es sich Kosten steigernd aus, dass alle Organisationsbereiche eigene Softwareprodukte ähnlichen Inhalts parallel pflegten und weiterentwickelten, was hohe Redundanzen verursachte.1770 Zudem sei die Pflege der bestehenden Systeme aufgrund ihres zumeist hohen Alters sehr kostenintensiv gewesen. "Da gibt es jetzt noch Programme, da […] sind simpelste Änderungen zu machen, da finden Sie keinen mehr. Da müssen Sie Leute einkaufen, zum Teil für horrendes Geld, die überhaupt noch in der Lage sind, das zu machen."1771 Das geplante ERP-System hätte ca. 80% aller IT-Funktionalitäten sämtlicher Organisationsbereiche abgedeckt. Es wäre zudem bei zukünftigen ‘Up-Dates’1772 für alle Organisationsbereiche nur einmal (anstatt separat in jedem Organisationsbereich) anzupassen gewesen.1773 Weitere Einsparungen sollten bei der Dateneingabe und -pflege realisiert werden, da in dem neuen ERP-System Daten jeweils nur einmalig eingegeben werden mussten und dann für alle nutzenden Module verfügbar waren.1774 Der Betrieb der alten Sys-

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Vgl. Interview OTL Häuselmann. Vgl. Interview 11-11. Interview 11-15. Vgl. auch Interview 11-11. Gemeint sind Weiterentwicklungen der Software. Vgl. Interview 11-11. Vgl. Interview 11-5.

307 teme wurde als so teuer eingeschätzt, dass er zukünftig vom Ministerium überhaupt nicht mehr hätte gewährleistet werden können.1775 Die Höhe der erwarteten Einsparungen wurde jedoch nicht quantifiziert. Zusätzliche Einsparungen wurden durch die Reorganisation der durch das ERP-System unterstützten Prozesse erwartet.1776 Hier wurde der Wegfall und die Beschleunigung überflüssiger Prozessschritte angeführt1777 sowie die Erhöhung von Prozesstransparenz1778 als Voraussetzung effizienter Steuerung. Unterstützt werden sollte die Erhöhung der betriebswirtschaftlichen Transparenz zudem durch das im ERP-System enthaltene Controlling-Modul.1779 Führungskräfte und Mitarbeiter der Organisationsbereiche: Von einigen Führungskräften und Mitarbeitern wurde die durch das ERP-System steigende Transparenz bezüglich der eigenen Leistung (bzw. des eigenen Verhaltens) negativ bewertet: "Wissen sie, zu gläsern und zu transparent, wenn man damit selber auch transparent wird, das ist nicht immer erwünscht...."1780 Nutzer: Für Nutzer stand die Verringerung des Arbeitsaufwands durch das ERP-System im Vordergrund. Positive Effekte für die Gesamtorganisation wurden von den Nutzern als nachrangig bewertet. "Denn die großen Zusammenhänge interessieren eigentlich den Nutzer überhaupt nicht. Der will sich seine Arbeit so gut als möglich […], DV-gestützt […] erledigen, möglichst wenig Aufwand mit möglichst wenig Nachpflegebedarf für sich und für sein Programm, so dass es für ihn eine Arbeitserleichterung ist und keine Arbeitserschwernis."1781 Erwartet wurde für die Nutzer eine größere Bedienerfreundlichkeit durch das ERP-System, insbesondere eine vereinfachte Nutzeroberfläche der Software.1782 5.11.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Ministerium und oberste Führung des Ministeriums: Der wichtigste Nutzen der alten wie der neuen Software lag in der Gewährleistung der betrieblichen Abläufe, weshalb die Zuver-

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Vgl. Interview 11-15 und Interview 11-5. Vgl. Interview 11-1. Die bestehenden Prozesse wurden intern für ineffizienter gehalten als die vorgegebenen Standardprozesse der ERP-Software, so dass der Staatssekretär die Weisung erteilte, die Prozesse des Ministeriums und des nachgeordneten Bereichs an die Standardprozesse der Software anzupassen und nicht umgekehrt. Man wollte verhindern, dass die Software ineffiziente Prozesse einfach abbildet und die zukünftige Softwarepflege zu aufwändig werden würde. Interview 11-3: "Das ist also eine klare Vorgabe vom Staatssekretär, die Organisation hat sich an die Software anzupassen, wann immer möglich." Vgl. hierzu auch Interview 11-11. Vgl. Interview 11-1 sowie Interview 11-12. Als Beispiel wurden hier die Prozesse für Entwicklung und Beschaffung von Material angeführt, die im Ausgangszustand sehr ineffizient gewesen seien: Interview 1112: "Beispielsweise, wenn ich so einen PC auf meinem Tisch sehe, [...] schätze ich mal, dass der mindestens 25.000 - 30.000 Mark kostet." Vgl. Interview 11-2 sowie Interview 11-18. Vgl. Interview 11-19. Interview 11-13. Vgl. hierzu auch Interview 11-19. Interview 11-13. Vgl. Interview 11-12.

308 lässigkeit und Funktionsfähigkeit zentrales Bewertungskriterium war.1783 Die Funktionsfähigkeit der neuen ERP-Software wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern es bestand lediglich für den Einführungszeitraum Sorge hinsichtlich der Zuverlässigkeit. Sämtliche Prozesse sollten im Rahmen der Einführung des ERP-Systems neu modelliert, über die Organisationsbereiche hinweg aufeinander abgestimmt und damit leistungsfähiger werden, wovon eine wesentliche Nutzensteigerung erwartet wurde.1784 Die Leistungsfähigkeit der bestehenden Prozesse wurde massiv kritisiert: "Die Beschaffungszeit von einem Ersatzteil ist derzeit durchschnittlich 18 Monate, können Sie sich das vorstellen?"1785 Die Prozesse der einzelnen Organisationsbereiche seien durch die vielfältigen ‘Insellösungen’ immer weiter auseinander gedriftet, das neue ERP-System hingegen sei eine Lösung ‘aus einem Guss’.1786 Unstrittig war, dass mit den existierenden Altsystemen der Betrieb langfristig kaum mehr hätte sichergestellt werden können.1787 Zudem sollte das neue System den direkten Datenaustausch mit kooperierenden Unternehmen (z. B. Lieferanten) der Privatwirtschaft erheblich erleichtern.1788 Projektteam: Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster konnten diejenigen Mitarbeiter realisieren, die als Projektbeteiligte früh Know-How aufgebaut haben, das in der veränderten IT-Landschaft benötigt wurde. " Gewinner sind natürlich erst einmal die, die früh angefangen haben, in diesem Projekt mitzuarbeiten, sich qualifiziert haben in diesem Projekt tätig zu sein."1789 Führungskräfte und Mitarbeiter der Organisationsbereiche: Es wurde erwartet, dass im Rahmen der ERP-bedingten Neugestaltung des ‘Workflows’1790 Entscheidungswege verkürzt würden, was für einzelne Führungskräfte zu einem partiellen Machtverlust geführt hätte (für die unterstellten Mitarbeiter entsprechend zu einem Machtgewinn), da sie an einzelnen Entscheidungen nicht mehr beteiligt worden wären.1791 Eine wesentliche Nutzensteigerung aus der ERP-System-Einführung wurde für die Führungskräfte in der gestiegenen Transparenz des eigenen Bereichs gesehen, da im neuen System vielfältige Auswertungen bezüglich erbrachter Leistungen, eingesetzter Ressourcen, ver-

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Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-3 und Interview 11-7. Interview 11-15. Vgl. 11-13 und Interview 11-15. Allerdings wurde Qualität der Neugestaltung der Prozesse kritisiert. So wurde bemängelt, dass die Prozesse zunächst unabhängig von den Vorgaben der neuen Software modelliert würden. Vgl. hierzu Interview 11-4. Weiterhin wurde kritisiert, dass die Prozesse von denjenigen Mitarbeitern modelliert würden, die bereits die alten Prozesse zu verantworteten. Von ihnen sei nicht zu erwarten, dass sie von ihrem bisherigen Vorgehen erheblich abweichen würden, da sie tendenziell von der ‘Richtigkeit’ ihrer bisherigen Prozesse überzeugt seien. Vgl. hierzu Interview 11-19 sowie Interview 11-3. Vgl. Interview 11-7 und Interview 11-20. Als Grund hierfür wurde z. B. das hohe Alter einiger Softwareprodukte (bis zu 25 Jahre) genannt. Vgl. hierzu Interview 11-15 sowie 11-12. Vgl. Interview 11-15. Interview 11-7. Hier ist der Ablauf der Arbeitsschritte gemeint.

309 fügbaren Materials und Personals usw. 'auf Knopfdruck' möglich gewesen wären. Hierdurch sollten die Möglichkeiten zur Steuerung innerhalb der Organisationsbereiche verbessert werden.1792 Allerdings führte für die Haushaltsabteilung die steigende Transparenz auch zum Verlust von Macht, da ihre Möglichkeiten zur Mittelverteilung eingeschränkt wurden.1793 Ein wesentlicher Nutzenaspekt wurde in der mobilen Nutzung des Systems gesehen. Zum Zeitpunkt der Interviews war allerdings noch unklar, wann das neue System diesen Aspekt würde abdecken können.1794 Es wurde erwartet, dass im Zuge der Einführung des neuen ERP-Systems die flexible Budgetierung verstärkt eingesetzt würde1795, was in den meisten Organisationsbereichen positiv bewertet wurde, da dies größere Handlungsspielräume bei der Mittelverwendung zugelassen hätte IT-Fachkräfte: Das neue ERP-System ging insbesondere für die Experten der Altverfahren mit einer Entwertung bestehenden Wissens einher.1796 Mit dem Verlust des Wissens war für die ‘Herren der Altverfahren’ auch ein Verlust an Macht (‘Expert Power’) verbunden: "Das ist auf jeden Fall Entwertung von Wissen, das ist aber auch Entwertung von Machtstrukturen."1797 Weiterhin wurde befürchtet, dass sich für die IT-Fachkräfte die Arbeitssituation verschlechtern würde, z. B. durch Standortwechsel.1798 Der erwartete Stellenabbau1799 wurde einerseits von den IT-Fachkräften negativ bewertet, andererseits aber auch von den Führungskräften in Bereichen mit einem hohen Anteil an IT-Stellen als Machtverlust wahrgenommen.1800 Nutzer: Der Nutzen der IT-Systeme wurde für die Anwender vor allem in den vorhandenen Funktionalitäten des Programmes gesehen.1801 Hier wurde mehrheitlich erwartet, dass die neue ‘Standardsoftware’ den stark spezialisierten Altsystemen deutlich unterlegen war.

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Vgl. Interview 11-2 sowie Interview 11-5. Interview 11-6, Interview 11-1, Interview 11-2 sowie Interview 11-12. Vgl. Interview 11-5 und Interview 11-18. Ähnliches wurde für das Material beschaffende Amt beschrieben, da auch hier durch erhöhte Transparenz "Mauscheleien" bei der Materialbeschaffung und -verteilung erschwert wurden. Vgl. hierzu Interview 11-21. Vgl. Interview 11-3, Interview 11-11 sowie Interview 11-13. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-15, Interview 11-4 sowie Interview 11-7. Interview 11-2. In diesem Zusammenhang wurde von den IT-Experten der Altsysteme als "Inselfürsten" gesprochen, die über große Expertenmacht verfügten. Vgl. hierzu z. B. Interview 11-5 und Interview 11-2. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-2, Interview 11-7, Interview 11-13, Interview 11-15, Interview 11-12, Interview 11-14, Interview 11-16 sowie Interview 11-17. Betriebsbedingte Kündigungen waren ausgeschlossen. Interview 11-14: "Man merkt jetzt ganz deutlich, wenn es darum geht, dass Aufgaben wegfallen, dass sich die Leute sperren, dass sie sagen, nein, die Aufgabe brauchen wir noch und es wird dann groß getan, den kann ich nicht ziehen lassen, den Mann oder wenn eine Sonderaufgabe anfällt, dann kann er natürlich ausgeliehen werden, das geht alles nicht und wenn man dann über den Flur geht, dann sieht man, wie die Leute dann Tetris spielen, sag ich mal, das war jetzt übertrieben gesagt, aber in dieser Richtung." Vgl. hierzu Interview 11-1. Der Aspekt der Arbeitserleichterung durch die neue Software wurde bei der Betrachtung der Kostendifferenz (NVM - NBM) behandelt.

310 "Na ja, das Problem ist, dass in vielen Bereichen, denk ich, das eher eine suboptimale Lösung ist, dass das, was die heute haben, in Einzelbereichen wahrscheinlich besser ist als das Gesamtsystem."1802 5.11.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Ministerium und oberste Führung des Ministeriums: Die Kosten des Übergangsprozesses waren für das Ministerium vorrangig in den Projektkosten zu sehen. Für die Projektbearbeitung durch interne und externe Mitarbeiter sowie für notwendige IT-Infrastrukturmaßnahmen waren mehrere Milliarden Euro eingeplant.1803 Projektteam: Für die Mitarbeiter des Projektteams entstanden Kosten des Übergangsprozesses, da die Projektarbeit mit einer überdurchschnittlichen Arbeitsbelastung verbunden war. "Und die besondere Leistung besteht sicherlich darin, dass bei diesem Projekt erwartet wird, dass - weit über das normale Maß - Engagement und auch Bereitschaft zur Arbeit und Fachwissen vorhanden sein muss."1804 Führungskräfte und Mitarbeiter der Organisationsbereiche: In den Organisationsbereichen mussten Mitarbeiter für das Projektteam bzw. die Implementierung des neuen ERPSystems zur Verfügung gestellt werden, die für alternative Verwendungen fehlten.1805 Potenzielle Kosten des Übergangs waren auch in möglichen Friktionen im Betrieb zu sehen, die während des Übergangs von den Altsystemen zur neuen Software entstanden wären. IT-Fachkräfte: Kosten des Übergangs entstanden vor allem für die IT-Fachkräfte durch den Aufbau der zum Umgang mit dem neuen ERP-System notwendigen Fähigkeiten. Diese Aufgabe wurde für die Mitarbeiter als große Herausforderung beschrieben, für einige gar als Überforderung. "Die Leute sehen, dass sie für diese neuen Aufgaben zum Teil, entweder vom Alter her aber auch rein von ihrer Qualifikation, Probleme haben, sich das noch anzueignen."1806 Nutzer: Die Nutzer mussten die Bedienung des neuen Programms und die Beherrschung veränderter Prozesse erlernen. "Also da ändern sich nicht nur die Icons und die Benutzeroberfläche, sondern der wird sich mit anderen Abläufen beschäftigen müssen."1807 Der Schwierig-

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Interview 11-10. Vgl. hierzu weiterhin Interview 11-1, Interview 11-8, Interview 11-18 und Interview 1115. Allein für den Aufbau/Ausbau der Datennetze waren insgesamt zehn Milliarden DM eingeplant. Vgl. hierzu Dokument 11-1. Die werktäglichen Kosten für die Beratungsunterstützung durch die IT-Unternehmen wurden auf den 'Gegenwert eines Einfamilienhauses' beziffert (Information aus einem informellen Gespräch mit einem hochrangigen Projektbetreuer im Ministerium, der u. a. für Beratereinsatz verantwortlich war). Interview 11-10. Vgl. Interview 11-5. Interview 11-15. Interview 11-2.

311 keitsgrad der Umstellung wurde, insbesondere für die älteren Arbeitnehmer, als nicht unerheblich eingeschätzt.1808 5.11.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) IT-Fachkräfte: Insbesondere jüngere IT-Fachkräfte sahen in der neuen ERP-Software auch eine deutliche Chance zum Aufbau von am Personalmarkt nachgefragtem IT-Know-How und versuchten verstärkt, das vorhandene Schulungsangebot auszuschöpfen.1809 Externe Beratungs- und IT-Unternehmen: Für die Beteiligten externer Unternehmen bot der Übergangsprozess der ERP-System-Implementierung die Möglichkeit zur Ausübung ihres Projektgeschäfts und bedeutete daher Generierung von Umsätzen.1810 5.11.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Zu den Kategorien Nutzen des Rückübergangs und Kosten des Rückübergangs konnten im Rahmen der Fallstudie keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.11.3.6 Nettonutzenbetrachtung Ministerium und oberste Führung des Ministeriums: Zu einer umfassenden Erneuerung der IT-Landschaft bestand für das Ministerium keine Alternative, und der Nutzen überstieg die Kosten deutlich. "Das Ding ist notwendig, dass wir so etwas tun, dass wir SAP einführen, weil die DV-Landschaft, die wir haben, das funktioniert überhaupt nicht mehr. Das kann so nicht mehr bezahlt werden, funktioniert nicht mehr und jetzt geht es darum, wie kann man das ändern."1811 Projektteam: Für die Projektmitarbeiter stand einer als überdurchschnittlich hoch beschriebenen Arbeitsbelastung nur der Erwerb marktfähigen Wissens über ERP-Systeme gegenüber. Insgesamt wurde die Belastung deutlich gewichtiger eingeschätzt, weshalb die Beschäftigung innerhalb des Projektes als wenig attraktiv galt.1812 Die Mitarbeiter konnten sich dennoch der Projektarbeit nicht entziehen, da ihre Abordnung zum Projekt ggf. auch mit disziplinarischem Druck (‘Legitimate und Coercive Power’) durchgesetzt worden wäre.1813 Hierdurch war die Beteiligung am Veränderungsprozess für die Projektteammitglieder letztlich (gegenüber der strikten Verweigerung der Projektarbeit) mit einem positiven Nettonutzen verbunden. Führungskräfte und Mitarbeiter der Organisationsbereiche: In den Organisationsbereichen wurde insbesondere bei jenen Akteuren ein negativer Nettonutzen der Veränderung an-

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Vgl. Interview 11-13 und Interview 11-21. Vgl. hierzu Interview 11-16. Vgl. Interview OTL 11-4. Interview 11-14. Vgl. hierzu auch Interview 11-12 sowie Interview 11-18. Vgl. Interview 11-1 und Interview 11-2. Mittels disziplinarischer Drohungen können die Kosten des bisherigen Handlungsmusters deutlich erhöht werden.

312 tizipiert, die persönlich von einem potenziellen Stellenabbau betroffen waren.1814 Als ‘Nettoverlierer’ wurde auch das für die Beschaffung von Material zuständige Amt eingeschätzt, 1815 das deutlich an Einfluss verlor. Die übrigen Organisationsbereiche wurden insgesamt als ‘Nettogewinner’ angesehen. Einen negativen Nettonutzen kann man auch für jene Mitarbeiter annehmen, die aufgrund schwacher Leistungen oder ihres Verhaltens eine hohe Transparenz befürchteten. Für die übrigen Akteure der Organisationsbereiche ergab die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen kein eindeutiges Bild. IT-Fachkräfte: Bei den IT-Fachkräften dominierten der drohende Stellenabbau und die potenziellen Standortverlagerungen die übrigen Aspekte deutlich, so dass bei weiten Teilen der IT-Fachkräfte diese Befürchtungen zu einem klar negativen Nettonutzen der Veränderungen führten. "Die Notwendigkeit wird sicherlich auch von vielen gesehen. Aber das Hemd ist jedem näher als der Rock. Das ist so. Der sagt, das ist zwar gut und schön, aber warum muss ich derjenige sein, der hier der Betroffene ist."1816 Übrige Akteure: Für die übrigen Akteure konnte keine eindeutige Gewichtung der Kostenund Nutzenaspekte vorgenommen werden, so dass Aussagen über den Nettonutzen der Veränderung hier nicht möglich sind. 5.11.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Bedeutung und Verständnis im Projekt: Von den Interviewpartnern wurde annähernd einhellig die Meinung vertreten, dass dem Veränderungsmanagement eine große Bedeutung zukam. „Wenn man das Projekt ohne Change Management machen würde, sollte man es besser lassen.“1817 Daher wurden vielfältige Maßnahmen geplant (und zum Teil bereits durchgeführt), die auf die Kosten- und Nutzenantizipation der relevanten Akteure Einfluss nehmen sollten. Die Anstrengungen des Veränderungsmanagements bezogen sich dabei nicht nur auf die von der ERP-System-Einführung betroffene Organisation, sondern auch ausdrücklich auf das Projektteam selbst.1818 Im Projektteam wurden sowohl von Amtseite als auch bei den Beratungsunternehmen mehrere Mitarbeiter für die Aufgaben des Veränderungsmanagements in Vollzeit abgestellt.1819 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens wurde dabei primär als Kommunikationsaufgabe verstanden. Maßnahmen der Kommunikation: Ein breites Spektrum an Kommunikationsmaßnahmen wurde geplant und umgesetzt, z. B. Informationsveranstaltungen bei Schulungen und Tagun-

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Vgl. Interview 11-10. Vgl. 11-18. Möglicherweise gilt dies auch für die Haushaltsabteilung, bei der ebenfalls ein Machtverlust angenommen wurde. Eine klare Einschätzung wurde hier aber von den Interviewpartnern nicht abgegeben. Interview 11-15. Interview 11-1. Ähnlich hierzu auch Interview 11-12: "Der wesentliche Knackpunkt [...] ist eben das Reengineering in den Köpfen." Vgl. weiterhin 11-6, Interview 11-10 sowie Interview 11-11. Vgl. Interview 11-5, Interview 11-8, Interview 11-10 sowie Interview 11-21. Vgl. Interview 11-21.

313 gen, Printmedien, Informationsbereitstellung via Intranet und persönliche Gespräche.1820 Inhaltlicher Schwerpunkt war die Vermittlung der Auswirkungen bzw. des Nutzens für die jeweiligen Akteure. „Ich muss doch den Benefit rüberbringen. Ich muss keine hochakademischen Abhandlungen von ERP-Software rüberbringen.“1821 Zur Vermittlung des Nutzens sollten Demonstrationen des Systems eingesetzt werden. „Sie müssen mit Vorführungen des Systems, bezogen auf den Kunden, dem deutlich machen, was er da kriegt. Und zwar verständlich; und das ist unser Problem. Also, wir brauchen ein lauffähiges SAP-System, das in den Ausprägungen der jeweiligen Kunden vorführbar wird."1822 Erkenntnisse zur Gestaltung der Kommunikation: Auch in Fallstudie 11 wurde von den Interviewpartnern ausgeführt, dass die Kommunikation von Mitarbeitern der Amtsseite am erfolgreichsten sei, da diese über eine größere Glaubwürdigkeit in der Organisation verfügten. Externe Berater könnten hingegen nur für spezielle Aufgaben in der Kommunikation und nur punktuell eingesetzt werden, insbesondere wenn es darum geht, spezielle fachliche Probleme auf inhaltlich hohem Niveau zu erörtern.1823 Als besonders geeignetes Medium wurde das gesprochene Wort des Vorgesetzten in den Vordergrund gerückt, da hiermit am stärksten auf die Akteure Einfluss genommen werden könnte.1824 Dem Einsatz von geeigneten Multiplikatoren wurde große Bedeutung beigemessen.1825 Es wurde darauf hingewiesen, dass es den Mitarbeitern bei der Kommunikation vor allem darauf ankäme, sich selbst mitzuteilen, was im persönlichen Gespräch am besten realisierbar sei. "Man muss also nicht nur sein eigenes Produkt verkaufen, sondern man muss auch die Sorgen und Nöte desjenigen kennen, der gegenüber sitzt, um vielleicht darauf eingehen zu können."1826 Es wurde deutlich, dass es einen Zielkonflikt zwischen zeitnaher Information einerseits und Zuverlässigkeit der Informationen andererseits gab.1827 Im Zweifelsfall wurden Inhalte mit geringer Zuverlässigkeit (bzw. geringer Eintrittswahrscheinlichkeit) nicht kommuniziert, um den Eindruck der fahrlässigen Falschinformation oder Lüge zu vermeiden.1828 Kommunikationserfolg: Teilweise herrscht bezüglich der Kommunikation zum Zeitpunkt der Datenerhebung erhebliche Unzufriedenheit. Die Mitarbeiter fühlten sich nicht ausreichend

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Vgl. Interview 11-2, Interview 11-5, Interview 11-8, Interview 11-10, Interview 11-12 sowie Interview 1118. Interview 11-1. Vgl. auch Interview 11-5, Interview 11-18 sowie Interview 11-19. Interview 11-1. Vgl. auch Interview 11-2, Interview 11-6, Interview 11-7 sowie Interview 11-10. Ähnlich auch Interview 11-4: "Die müssen mal zeigen, dass SAP das kann. Also die müssen mal ein Produkt aufbauen und müssen den Leuten mal zeigen, was ist denn SAP. Die Masse der Leute, die da hinein soll, weiss nichts davon." Vgl. hierzu 11-2 sowie Interview 11-3. Vgl. Interview 11-6, Interview 11-8, Interview 11-18 sowie Interview 11-21. Vgl. Interview 11-5. Interview 11-18. Vgl. Interview 11-18. Vgl. Interview 11-18.

314 informiert. "Also ich bin nicht zufrieden mit dem Informationsstand über SAP."1829 Bemängelt wurde zudem, dass die Kommunikation wenig koordiniert erfolgte, was sich negativ auf die deren Qualität ausgewirkt hätte und es dadurch zu inkonsistenten Informationen gekommen sei.1830 5.11.4 Fähigkeiten 5.11.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten: Da im Rahmen der ERP-Einführung die gesamten Geschäftsprozesse abgebildet und neu gestaltet werden sollten, waren Fähigkeiten zur Prozessmodellierung und -reorganisation von großer Bedeutung.1831 Diese wurden auf Amtseite als relativ gering ausgeprägt beschrieben.1832 Bezüglich der Fähigkeiten der externen Berater konnten keine Aussagen getroffen werden. Mit dem neuen ERP-System sollte insgesamt eine stärkere Nutzung betriebswirtschaftlicher Instrumente vor allem aus dem Bereich des Controllings einhergehen, das daher allgemeine betriebswirtschaftliche Kenntnisse und spezielle Controlling-Kenntnisse voraussetzte. Diese Kenntnisse wurden als gering ausgeprägt eingeschätzt.1833 IT-Fähigkeiten: Für die Einführung des ERP-Systems waren IT-Fähigkeiten unabdingbar1834, bei den Projektmitarbeitern der Amtsseite jedoch zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht in ausreichendem Maß vorhanden (Selbsteinschätzung aus dem Projektteam) und mussten daher verstärkt aufgebaut werden. Die externen IT-Unternehmen brachten - wie erwartet - die notwendigen IT-Fähigkeiten mit.1835 Weiterhin hatten auch die IT-Fachkräfte der Organisationsbereiche Fähigkeiten im Umgang mit der neuen Software aufzubauen, ebenso die Nutzer. Bei beiden Gruppen gab es umfassenden Schulungsbedarf.1836 Die Fähigkeit zur Beherrschung des neuen ERP-Systems wurde für Projektmitarbeiter, ITFachkräfte und Nutzer auch als Voraussetzung für die Wahrnehmung eines positiven Nettonutzens der Veränderung angesehen.1837

1829

1830 1831 1832 1833 1834 1835 1836 1837

Interview 11-4. Vgl. auch Interview 11-16 und Interview 11-21. Die unzureichende Information bezog sich auch auf die Gruppe zukünftiger Nutzer: Interview 11-18: "Wir müssen dem Mann sagen, was für ihn persönlich rausspringt, das will er wissen. Und das ist eben etwas, das wir nicht richtig gemacht haben bisher." Vgl. Interview 11-21. Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-19 und Interview 11-3. Vgl. Interview 11-10. Diese Einschätzung wurde immer wieder in informellen Gesprächen transportiert. Vgl. Interview 11-6. Vgl. 11-1. Vgl. Interview 11-2. Ohne die notwendigen Kenntnisse waren diese Mitarbeiter nicht arbeitsfähig und hätten permanent Frustrationserlebnisse bei der Ausübung ihrer Arbeit erdulden müssen. Zur Interdependenz von IT-Fähigkeit und Präferenzen vgl. Interview 11-19.

315 Kenntnis des Ministeriums und des öffentlichen Sektors: Für die externen Unternehmensberater und Softwareunternehmen wurde die Kenntnis des öffentlichen Sektors, speziell des untersuchten Ministeriums und seines nachgeordneten Bereichs, nachdrücklich gefordert, da hier Prozesse reorganisiert und IT-Altverfahren ersetzt werden sollten.1838 Die geforderten Kenntnisse waren in den verschiedenen beteiligten Unternehmen sehr unterschiedlich vorhanden. Einige Unternehmensmitarbeiter waren schon sehr lange mit den Gegebenheiten des Hauses vertraut, andere waren erstmalig im öffentlichen Sektor tätig.1839 Projektmanagementfähigkeiten: Die untersuchte ERP-System-Einführung war ein komplexes Großprojekt, so dass ausgeprägte Projektmanagementfähigkeiten auf Amts- und Unternehmensseite unerlässlich waren. Die hohe Komplexität entstand durch das Zusammenspiel des Projektteams, der Prozessorganisation, der Verantwortlichen im Ministerium und den beteiligten Organisationsbereichen und Ämtern des nachgeordneten Bereichs.1840 Zudem wirkte es stark ‘komplexitätstreibend’, dass über 50 IT- und Beratungsunternehmen koordiniert werden mussten, die in das Projektteam integriert waren.1841 Die Koordination der Unternehmen wurde erschwert, da diese aufgrund ihrer jeweiligen Eigeninteressen oft nicht kooperierten, sondern vielfach untereinander Rivalitäten austrugen.1842 Es wurde (ex post) als Fehler angesehen, die Unternehmen einzeln und nicht über einen Generalunternehmer verpflichtet zu haben, der dann für den Gesamterfolg der Unternehmensseite verantwortlich gewesen wäre.1843 Komplexität erzeugte auch die Größe des Projektteams mit über 300 Mitarbeitern (Mitarbeiter von Amtseite und Unternehmensvertreter).1844 Die Zusammenarbeit innerhalb des Projektteams wurde als problematisch beschrieben.1845 Es hätte sich negativ auf die Zusammenarbeit ausgewirkt, dass die Projektbeteiligten nicht alle örtlich zusammengefasst wurden, sondern auf unterschiedliche Standorte verteilt waren.1846 Die Prozessverantwortlichen (die Mitarbeiter, die die Soll-Prozesse definierten), waren nicht in das Projektteam integriert, sondern stellten eine vom Projektteam separierte Gruppe dar, was negativ bewertet wurde.1847 Bemängelt wurde außerdem, dass innerhalb des Projektes kein systematisches, technisch gestütztes Wissensmanagement betrieben wurde, durch das alle Projektbeteiligten Zugriff auf die für sie notwendigen Informationen gehabt hätten.1848

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Vgl. Interview 11-5, Interview 11-6, Interview 11-7, Interview 11-10 sowie Interview 11-18. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-8. Vgl. Interview 11-2. Vgl. hierzu Interview 11-8 sowie Interview 11-9. Vgl. Interview 11-9 und Interview 11-10. Die Unternehmen versuchten in der vorliegenden Konstellation, die Verantwortung für (fehlende) Projektfortschritte gegenseitig abzuwälzen. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-5. Hierdurch sei es nicht gelungen, ein Gruppengefühl bei den Beteiligten zu erzeugen. Die Kommunikation der Projektbeteiligten sei hierdurch erschwert worden. Vgl. Interview 11-7. Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-20.

316 Der Projektleitung der Amtsseite (Gesamtprojektleiter und Teilprojektleiter) wurde angelastet, dass sie zu zögerlich bzw. in zu geringem Umfang notwendige Entscheidungen selbständig getroffen hätten und zu wenig die strategische Leitung des Projektes wahrgenommen, sondern sich vorrangig um technische Details gekümmert hätten.1849 Auch für die darunter liegenden Hierarchieebenen wurde eine mangelnde Entscheidungskraft festgestellt: "Aber Banalitäten landen hier auf Hierarchieebenen, wo natürlich unser Programmmanager nachher irgendwann mal die Zornesröte kriegt und sagt, lasst mich mit diesem Mist zufrieden, da habe ich nichts mit zu tun. Beispiel, nur banale Sachen, wie müssen Türschilder gelayoutet sein, nach dem Motto Logo, nicht Logo, Name groß, klein, fett, Firma dahinter oder nicht, das sind Dinge, da findet diese Organisation keinen pragmatischen Ansatz zu sagen, jawoll, so machen wir das."1850 Es wurde massiv kritisiert, dass bis zum Zeitpunkt der Interviews noch keine Priorisierung der einzelnen Implementierungsbereiche und keine Festlegung der Einführungsreihenfolge erfolgt sei, man somit zentrale Projektschritte nicht geplant, sondern vorrangig 'IT-Details' behandelt habe.1851 Für eintretende Projektkrisen wurde ein ‘Krisenmanagement’ für wichtig erachtet1852, das in Form von definierten Eskalationsstufen sowie eines Projektcontrollings in Ansätzen vorhanden war.1853 Zum Zeitpunkt der Interviews schien die Organisation mit den Aufgaben des Projektmanagements überfordert zu sein, was sich im schleppenden Projektfortschritt zeigte. Der sich bis zum Jahr 20051854 fortsetzende mangelnde Projekterfolg kann als Indiz für unzureichende Projektmanagementfähigkeiten1855 der beteiligten Akteure angesehen werden.1856 Kommunikationsfähigkeit: Zur Beeinflussung der Antizipation des Nettonutzens der Akteure benötigten potenzielle Multiplikatoren der Amtsseite ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten.1857 Die Befähigung zur Beeinflussung wurde für die Führungskräfte der Amtseite als hoch eingeschätzt.1858

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Vgl. Interview 11-21. Interview 11-22. Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-4. Ein Lenkungsausschuss und eine ministerielle Steuergruppe standen dem Projektteam als übergeordnete Gremien für Eskalationen zur Verfügung. Vgl. hierzu Interview 11-5, Interview 11-6, Interview 11-9 und Interview 11-18. Im Mai 2005 erfolgte die letzte telefonische Nachfrage zum Projektfortschritt. Die Einschätzung mangelnder Projektmanagementfähigkeiten bezieht sich ausschließlich auf das vorliegende Projekt mit seinen spezifischen externen Zuständen! Es wurde beschrieben, dass die beauftragten Unternehmen mit den Projektmanagementaufgaben an ihre Grenzen gestoßen seien. Diese hätten zwar über einschlägige Projekterfahrung verfügt, ein Vorhaben dieser Größenordnung und Komplexität stellte jedoch für alle ein Novum dar. Vgl. hierzu Interview 11-5 und Interview 11-6. Vgl. Interview 11-6 und Interview 11-10. Vgl. Interview 11-6, Interview 11-8, Interview 11-18 sowie Interview 11-21.

317 Seitens der IT- und Beratungsunternehmen wurden Kommunikationsfähigkeiten vor allem für die Vermittlung DV-technischer Sachverhalte benötigt.1859 Hier wurden zum Zeitpunkt der Interviews erhebliche Defizite ausgemacht. „Und […] diese ganzen Abhandlungen, die sie von Firmen kriegen, die können sie alle einstampfen, das versteht kein normaler Kunde. Und die sind auch nicht in der Lage, das zu übersetzen.“1860 Teamfähigkeit: Als weitere notwendige Fähigkeit wurde für Amts- und Unternehmensseite Teamfähigkeit benannt, da das gesamte Projekt in Teamstrukturen zu bearbeiten war.1861 Über die Ausprägung dieser Fähigkeit konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.11.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Fortbildung: Zum Aufbau der notwendigen Fähigkeiten standen Fortbildungen klar im Vordergrund. So wurden vor allem Schulungsmaßnahmen als notwendig erachtet, die den Nutzern Anwenderkenntnisse, den Mitgliedern des Projektteams spezifische Kenntnisse des ERPSystems und BWL-/Managementfähigkeiten sowie den Prozessverantwortlichen Kenntnisse in Prozessmodellierung vermitteln sollten.1862 Die Ausbildung der Nutzer1863 sollte dabei möglichst zeitnah zur Implementierung in der jeweiligen Dienststelle erfolgen, um die erworbenen Kenntnisse unmittelbar durch praktische Anwendung vertiefen zu können.1864 Hinsichtlich der Fortbildung wurden zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits umfassende Aktivitäten betrieben. So existierte innerhalb des Projektteams eine Arbeitsgruppe, die sich ausschließlich mit der Planung und Organisation von Fortbildungsmaßnahmen beschäftigte.1865 Ein Großteil der im Projektteam beschäftigen Mitarbeiter hatte bereits eine Schulung zum Aufbau von Kenntnissen über die einzuführende ERP-Software erhalten.1866 Es wurde für die Gruppe der Nutzer als Problem eingeschätzt, die notwendige Fortbildungsbereitschaft herzustellen, da diese Akteure auch in der Vergangenheit wenig gewillt gewesen seien, sich schulen zu lassen.1867 Ein besonderer Aspekt ergab sich durch die Pflicht zur regelmäßigen Rotation, was zu einer hohen Fluktuation führte. Hierdurch ging Know-How mit den ausscheidenden Mitarbeitern verloren, und es entstand zusätzlicher Ausbildungsbedarf bei den ‘Nachrückenden’, der nur schwer und mit zeitlicher Verzögerung zu befriedigen war, wodurch Fähigkeitslücken entstanden.1868

1859 1860 1861 1862

1863 1864 1865 1866 1867 1868

Zur Bedeutung der Kommunikationsfähigkeiten der Unternehmensmitarbeiter vgl. Interview 11-6. Interview 11-1. Vgl. Interview 11-6, Interview 11-5 sowie Interview 11-10. Vgl. Interview 11-1, Interview 11-5, Interview 11-6, Interview 11-18, Interview 11-16 sowie Interview 1119. Vgl. 11-11. Vgl. Interview 11-7. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-10 und Interview 11-9. Vgl. Interview 11-19. Vgl. Interview 11-20.

318 Mitarbeiterauswahl / Unternehmensauswahl: Die Sicherstellung der Fähigkeiten erfolgte auch über eine gezielte Auswahl der Projektmitarbeiter. Der Auswahl wurden Kriterien wie Prozesskenntnis, Kenntnis der Altsysteme, IT-Fähigkeiten, Projekterfahrung, aber auch ‘SoftSkills’, wie Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit zugrunde gelegt.1869 Insgesamt war die Projektleitung mit den ausgewählten Mitarbeitern zufrieden.1870 Die Auswahl der unterstützenden Unternehmen erfolgte nach fachliche Spezialisierung, Erfahrung und Reputation, aber auch nach den o. g. ‘Soft-Skills’.1871 Die Projektleitung zeigte sich mit den ausgewählten Unternehmen ebenfalls zufrieden.1872 Know-How-Transfer: Zur Sicherstellung der notwendigen Fähigkeiten wurde auch ein Know-How-Transfer (insbesondere durch Erfahrungsaustausch) von Organisationen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Sektors vorgenommen, die erfolgreich ERP-Systeme implementiert hatten.1873 5.11.5 Externe Zustände 5.11.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Die Dichte der externen Regelungen durch Haushaltsrecht, Vergaberecht, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz usw. wurde insgesamt als hoch (und hinderlich) empfunden1874, so dass vorschlagen wurde, für die weiteren Projektschritte ex ante eine Analyse der rechtlichen Grundlagen durchzuführen, um Hindernisse besser antizipieren zu können.1875 Nachstehende Vorschriften zeigten sich als besonders hinderlich: Haushaltsrecht: Als wichtige Voraussetzung für die effizienzsteigernde Wirkung des ERPSystems wurde es angesehen, dass die Ressourcenverantwortung in den Organisationsbereichen weitgehend dezentralisiert würde. Das war zur Zeit der Datenerhebung nicht der Fall. Weite Teile des Budgets wurden zentral durch das Ministerium verantwortet. Mit diesem Teil der Budgets sei außerordentlich unwirtschaftlich umgegangen worden, insbesondere hätte man hiermit die dezentral zu verantwortenden Budgetteile substituiert: "Wenn ich heute keine Briefmarke mehr habe, dann greife ich nicht in´s Portemonnaie und kaufe eine neue für 1,10 Mark oder jetzt 52 Cent, sondern sag' ich o. k., Mensch, es sind doch nur 100 Kilometer, ach, wir haben doch noch den Kleinbus hier draußen stehen, komm, dem Fahrer geben wir den Auftrag, der soll den Brief so da hin bringen. Kost' doch nichts, haben wir 52 Cent ge-

1869

1870 1871 1872 1873 1874 1875

Vgl. Interview 11-3, Interview 11-5, Interview 11-6, Interview 11-7, Interview 11-9, Interview 11-10 sowie Interview 11-18. Vgl. Interview 11-6 und Interview 11-10. Vgl. Interview 11-8. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-6, Interview 11-7, Interview 11-9 sowie Interview 11-10. Vgl. Interview 11-3 und Interview 11-5. Vgl. Interview 11-1.

319 spart."1876 Dieses Verhalten wäre auch durch die Einführung der ERP-Software nicht aufgehoben worden, da es sich auf dysfunktionale Anreizstrukturen gründete und nicht auf mangelhafte Steuerungsinformationen, die das ERP-System hätte bereitstellen können. Als weitere Voraussetzung für die Entfaltung von Effizienzverbesserungen wurde genannt, dass die zentrale und starre/verbindliche Festlegung der Personal- und Sachmittelausstattungen für die dezentralen Organisationseinheiten entfallen müsse.1877 Die Verhandlungen dezentraler Einheiten mit zentralen Stellen über die Abänderung der Festlegung der Personalund Sachmittelausstattung habe durchschnittlich ca. drei Jahre gedauert; kurzfristige Veränderungen (z. B. Reorganisationen, die einer abweichenden Sachmittelausstattung bedurft hätten) wären innerhalb dieses Systems überhaupt nicht möglich gewesen.1878 Ausschreibungsrecht: Eine weitere wesentliche Beschränkung ergab sich durch das öffentliche Ausschreibungsrecht, das i. d. R. für die Vertragsvergabe ein kompliziertes und langwieriges Verfahren vorschrieb und damit verhinderte, durch kurzfristige Inanspruchnahme des Dienstleistungsmarktes auf einen (ebenfalls kurzfristig entstandenen) Bedarf reagieren zu können.1879 Selbst bei zeitlich begrenzten Vorhaben wurde aufgrund der Ausschreibungsprozesse viel Zeit für die Ausschreibung benötigt, die dann bei der inhaltlichen Bearbeitung fehlte.1880 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: Aufgrund der Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes konnten die Mitarbeiter der unterstützenden Unternehmen nicht vollständig in die Teams integriert werden, da z. B. aus der gemeinsamen Nutzung eines Büros von Unternehmens- und Behördenmitarbeitern oder aus der Ausübung direkter Weisungen von amtlichen Mitarbeitern gegenüber Unternehmensmitarbeitern von diesen das Recht auf Festanstellung in der Behörde hätte abgeleitet werden können.1881 (2) Anreizstrukturen Die Anreizstrukturen des öffentlichen Sektors wurden als wenig leistungsfördernd beschrieben. Die erbrachte Leistung würde weniger beachtet als die korrekte Ausführung der Handlungsvorschriften.1882 Die Unterlassung von erfolgsrelevanten Handlungen wurde, soweit dies

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Interview 11-19. Personalkosten (Fahrer) und Treibstoff wurden nicht von der Dienststelle, sondern vom Ministerium budgetiert, Porto hingegen von der Dienststelle. Vgl. Interview 11-4. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-12, Interview 11-7 sowie Interview 11-18. Vgl. Interview 11-10. Für die 'vertiefende Studie' zur ERP-System-Einführung von Juli 1999-Juli 2000 benötigte man insgesamt neun Monate für die Ausschreibung, während die Studie inhaltlich nur drei Monate betrieben werden konnte. Vgl. Interview 11-20. Vgl. zum Aspekt der Arbeitnehmerüberlassung Interview 11-10. Vgl. Interview 11-14.

320 den Handlungsvorschriften entsprach, daher auch nicht sanktioniert,1883 gute oder schwache Arbeitsergebnisse hatten bei den meisten Mitarbeitern nur geringe Auswirkungen.1884 (3) Politische Rahmenbedingungen Das untersuchte Projekt wurde vor allem aufgrund des hohen benötigten Finanzvolumens in der Öffentlichkeit stark diskutiert. Die politische Brisanz führte für die oberste Führung des Ministeriums zu erheblichem Erfolgsdruck. 5.11.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der obersten Führung und mittlerer Führungskräfte Die Bedeutung der Unterstützung der obersten Führung, aber auch der hierarchisch nachfolgenden Führungskräfte des Ministerium und der Organisationsbereiche wurden herausgestellt.1885 Unterstützung der obersten Führung des Ministeriums: Die oberste Führung des Ministeriums kommunizierte ihren Willen zum Projekterfolg deutlich und leistete dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Beeinflussung der Akteure,1886 insbesondere weil diese Ebene über beträchtliche Machtmittel (‘Legitimate Power’, ‘Reward Power’ und ‘Coercive Power’) verfügte und offener Widerstand dagegen nur schwer durchzusetzen war. Es wurde bemängelt, dass die Projektleitung trotz der hohen politischen und finanziellen Bedeutung des Vorhabens organisatorisch nicht auf der Ebene des Staatssekretärs ‘verankert’ war, sondern einige Hierarchieebenen tiefer. Das hatte zur Folge, dass Berichte oder Anfragen der Projektverantwortlichen an die Leitung des Ministeriums über einige Hierarchieebenen weitergereicht werden mussten und dort zeitverzögert und gefiltert ankamen.1887 Zudem gab es auch für dringliche Angelegenheiten kein Vorspracherecht auf der Ebene des Staatssekretärs (‘rotes Telefon’), das für schnelle und wirksame Interventionen hätte genutzt werden können. "Das ‘rote Telefon’ fehlt, das kann man definitiv mal feststellen. "1888 Der Vorteil des ‘roten Telefons’ wurde vor allem in seiner präventiven Wirkung gesehen, da bereits die Möglichkeit des Projektteams, den Staatssekretär einzuschalten, bewusste Widerstandshandlungen im Vorfeld hätte verhindern können.1889 Weiterhin hätte die oberste Führung das Projekt maßgeblich unterstützen können, indem in dringenden Angelegenheiten schnelle Entscheidungen abseits des üblichen ‘Mitzeichnungs-

1883 1884

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Vgl. Interview 11-14 und Interview 11-21. Das gilt vor allem für Mitarbeiter, deren Karrierepfad klar determiniert war, was in der betrachteten Organisation aufgrund des Prinzips der Regelbeförderung für die Mehrzahl der Führungskräfte zutraf. Vgl. 11-2. Vgl. Interview 11-9 und Interview 11-6 . Vgl. Interview 11-21. Interview 11-21. Vgl. Interview 11-21.

321 ganges’ getroffen worden wären.1890 Für das Projekt wurde jedoch festgestellt, dass es in hohem Maße an zu langsamen Entscheidungsprozessen litt (siehe Ziffer (5)). Unterstützung der mittleren Führungskräfte: Auch die Unterstützung der mittleren Führungsebenen des Ministeriums und der betroffenen Organisationsbereiche war für das Projekt von großer Bedeutung, da Entscheidungen und Unterstützungsleistungen auf verschiedenen Ebenen getroffen bzw. erbracht werden mussten.1891 Hier wurde die zu geringe Unterstützung des ‘mittleren Managements’ des Ministeriums und der verschiedenen nachgeordneten Organisationsbereiche bemängelt.1892 So hätten die Führungskräfte verschiedener Organisationsbereiche nur zögerlich und in unzureichendem Umfang Personal für die ERP-SystemImplementierung zur Verfügung gestellt.1893 Zudem seien die Führungsebenen unterhalb des Staatssekretärs zu wenig als Promotoren aufgetreten.1894 Es wurde betont, dass die Führungskräfte eine positive Haltung ‚in Worten und Taten’ gegenüber dem Projekt vorzuleben hätten, da in der betrachteten Organisation der Vorbildcharakter der Führungskräfte einen hohen Stellenwert hatte.1895 Als Indikator für die mangelnde Unterstützung wurde auch angeführt, dass viele Führungskräfte zu Sitzungen, die die ERP-System-Einführung betrafen, lediglich Vertretungskräfte entsendet hatten.1896 (2) Ressourcenausstattung Das Projekt war mit einem ausgesprochen hohen Ressourcenverzehr verbunden, so dass die Ausstattung mit Finanzmitteln und Personal über einen längeren Zeitraum einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellte.1897 Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war das Projekt ausreichend mit finanziellen Ressourcen ausgestattet. Allerdings wurde befürchtet, dass die notwendige Ausstattung nicht über den ganzen Zeitraum gewährleistet werden könnte.1898 Für das Jahr 2002 waren bereits 30% der ursprünglich veranschlagten Mittel gekürzt worden.1899 Die Ausstattung mit Personal wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung als unzureichend bezeichnet.1900 Sowohl das Projektteam als auch die Prozessorganisation befanden sich noch ‘im personellen Aufwuchs’ d.h. sie wurden sukzessive mit Personal ausgestattet. Das für diesen ‘Aufwuchs’ benötigte Personal wurde nicht vollständig und zu langsam zur Verfügung gestellt.1901

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Vgl. Interview 11-21, Interview 11-22, Interview 11-1 sowie Interview 11-10. Vgl. Interview 11-2. Vgl. Interview 11-5 und Interview 11-6. Vgl. Interview 11-6. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-21 und Interview 11-2. Vgl. Interview 11-5. Vgl. Interview 11-4. Vgl. Interview 11-2, Interview 11-5, Interview 11-6 sowie Interview 11-10. Vgl. Interview 11-5 und Interview 11-13. Vgl. Interview 11-10 und Interview 11-13. Vgl. Interview 11-10 und Interview 11-18.

322 (3) Technische Voraussetzungen Die Gesamtorganisation des Ministeriums und seines nachgeordneten Bereichs war durch eine starke Dislozierung gekennzeichnet. Damit das ERP-System standortübergreifend betrieben werden konnte, musste eine Vernetzung zwischen und innerhalb der Liegenschaften aufgebaut werden.1902 Es war ausschließliche Aufgabe eines Teilprojektes, hierfür die technischen Voraussetzungen zu schaffen.1903 Auch für den mobilen Betrieb musste der Datentransfer sichergestellt werden, was besondere technische Schwierigkeiten bereitete.1904 Eine telefonische Nachfrage im Mai 2005 ergab, dass die technischen Voraussetzungen der Vernetzung bis zu diesem Zeitpunkt weder für den stationären noch für den mobilen Betrieb geschaffen werden konnten. Eine weitere technische Voraussetzung für die ERP-System-Einführung war die Harmonisierung der vorhandenen Datenelemente aus den Altsystemen aller Organisationsbereiche.1905 Diese Harmonisierung wurde als große Herausforderung eingeschätzt, die jedoch bei Einsatz angemessener personeller Ressourcen lösbar gewesen sei.1906 Die Sicherstellung der technischen Voraussetzungen für die ERP-System-Einführung seien insgesamt nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben worden.1907 (4) Vorschriftendichte - Interne Vorschriften Die Dichte der internen Vorschriften wurde insgesamt als hoch sowie stark handlungsbegrenzend für die Mitarbeiter angesehen. „Natürlich muss man bestimmte Dinge regeln, aber das Minimum. Wir reden immer davon, dass den Mitarbeitern ein Freiraum gegeben wird, vom selbständigen Mitarbeiter. Wir nehmen ihm alle Selbständigkeit, die es nur gibt […].“1908 Vorschriften zu Geschäftsprozessen: Sämtliche Prozesse wurden durch detaillierte Vorschriften geregelt, die im Rahmen der ERP-System-Einführung hätten außer Kraft gesetzt oder verändert werden müssen, um eine Anpassung vornehmen zu können.1909 Es wurde daher vorgeschlagen, diese Vorschriften zu analysieren und an die neuen Soll-Prozesse des ERPSystems anzupassen1910, was jedoch aufgrund des enormen Umfangs der Vorschriften sehr

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Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-3, Interview 11-8, Interview 11-9 sowie Interview 11-20. Vgl. Interview 11-7. Nur so kann sichergestellt werden, dass z. B. ein identisches Ersatzteil überall unter der gleichen Bezeichnung gelagert wird und von allen Bereichen abgerufen werden kann. Vgl. Interview 11-7 und Interview 11-17. Allerdings wurde angemerkt, dass für diese Aufgabe das Personal zu schwach bemessen sei. Vgl. hierzu 11-13. Vgl. Interview 11-20. Interview 11-7. Vgl. Interview 11-1 und Interview 11-3. Es wurde betont, dass nicht umgekehrt die ERP-Prozesse an die alten Vorschriften angepasst werden sollten. Hierzu Interview 11-3. "Wir dürfen nicht den Fehler machen und sagen, jetzt weil die Vorschrift da ist, müssen wir die Prozesse daraufhin anpassen, sondern das ist der Paradigmenwechsel, die Prozesse sind da und das ist für uns zukünftig das Gesetz. Und alles andere müssen wir daran anpassen, auch die Vorschriften."

323 aufwändig gewesen wäre.1911 Es wurde deshalb als Alternative erwogen, die Vorschriften zur Prozessgestaltung durch die Prozessvorgaben des neuen ERP-Systems generell zu ersetzen.1912 Ressourcenallokation – Personal: Die Pflicht zur regelmäßigen Rotation von Führungspersonal im Bereich des Bundesministeriums I stellte sich auch in Fallstudie 11 als hinderlich für den Veränderungsprozess heraus, insbesondere verlor das Projektteam regelmäßig KnowHow durch die Versetzung von Mitarbeitern.1913 "Wenn Sie jemand ausgebildet haben, ist er weg."1914 Die ‘Stehzeiten’ der Beschäftigten waren deutlich geringer als die Laufzeit des Projektes und die Mitarbeiter konnten i. d. R. nicht innerhalb des Projektes rotieren oder sogar befördert werden.1915 Zwar wurde vom Projektteam ein spezifisches Personalentwicklungskonzept entwickelt und vorgeschlagen; es wurde jedoch vom Ministerium nicht umgesetzt.1916 Weiterhin wirkte es einer effizienzsteigernden Reorganisation im Rahmen der ERP-SystemImplementierung entgegen, dass es gemäß der internen Organisationsgrundsätze nur möglich war, hochrangige Dienstposten zu rechtfertigen, wenn diese an der Spitze eines entsprechend großen ‘Stellenkegels’ standen. Hierdurch entstand ein unmittelbarer Anreiz, den jeweils eigenen Bereich so großzügig wie möglich mit Personal auszustatten.1917 Ebenso diente eine große Führungsspanne der individuellen Profilierung einer Führungskraft.1918 Daher bestand bei den Führungskräften eine starke Neigung, im Zuge der Gestaltung der Aufbauorganisation möglichst viele Stellen zu schaffen, anstatt effiziente Strukturen zu generieren. Diese Tendenz kommt in nachfolgender Aussage eines internen Mitarbeiters deutlich zum Ausdruck: "Ich neige wirklich dazu, dass ich sage, wenn man sich mal überhaupt den öffentlichen Dienst anschaut, der ist ja eigentlich nicht geschaffen worden, um die Arbeit zu bewältigen, [...] sondern nur um Dienstposten zu begründen."1919 Gleiches galt auch für die Sicherstellung hoher Budgets, die ebenfalls als Maßstab individueller Bedeutung der Führungskraft und damit als karriererelevanter Profilierungsaspekt angesehen wurden.1920 Mitzeichnungsgang / Regeln der Entscheidungsfindung: Wesentliche externe Zustände waren für das Projekt die Regeln zur Entscheidungsfindung innerhalb des untersuchten Berei-

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Interview 11-3: "Wir müssen die Sollprozesse nehmen und sagen, wie ist der Stand der Vorschriften im Augenblick und dann sagen, wie müssen wir die Vorschriften an die Prozesse anpassen und neue Vorschriften schreiben. Und wenn Sie den Umfang des Vorschriftenwesens [...] kennen, wissen sie, was alleine das für eine enorme Aufgabe sein wird." Vgl. Interview 11-1 und Interview 11-4. Vgl. Interview 11-1, Interview 11-4, Interview 11-10 und Interview 11-22. Siehe auch Kapitel 5.11.4, Ziffer (7). Interview 11-12. Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-14 und Interview 11-18. Vgl. Interview 11-14 Interview 11-14. Vgl. Interview 11-14.

324 ches sowie deren Handhabungspraxis. Im Ministerium wurden annähernd alle Entscheidungen im Rahmen eines sog. ‘Mitzeichnungsganges’ getroffen, d. h. sämtliche von einer Entscheidung betroffenen Referate werden aufgefordert, die Entscheidungsvorlage zu prüfen, eine Stellungnahme abzugeben, ihr zuzustimmen, sie abzulehnen oder gegebenenfalls Änderungsvorschläge zu machen. Die Entscheidungen werden hierbei i. d. R. nach dem Konsensprinzip getroffen, was bedeutet, dass die Entscheidungsvorlagen so lange überarbeitet und wiederum allen mitzeichnenden Referaten zur Prüfung vorgelegt werden, bis eine einstimmige Einigung erzielt wird.1921 Hierdurch wurden die für das Projekt relevanten Entscheidungen sehr langsam getroffen, wodurch im Projekt Verzögerungen entstanden.1922 Zudem stellten die so getroffenen Entscheidungen oftmals Kompromisse ‘auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners’ dar.1923 Der Mitzeichnungsgang stellte eine umfassende Gelegenheit dar, (opportunistische) Individualinteressen oder die Interessen des eigenen Organisationsbereichs durchzusetzen.1924 Daher wurde die deutliche Verkürzung oder gar Abschaffung der ‘Mitzeichnung’ gefordert.1925 Diese Forderung konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Ein zusätzliches Problem für das Projektteam war der hierarchische Weg, um Entscheidungen auf oberster Führungsebene herbeizuführen, da hierzu insgesamt acht Instanzen der Linienorganisation durchlaufen werden mussten.1926 Man räumte dem Projektleiter im Laufe des Projektes zwar formal ein Vorspracherecht bei einer höher angesiedelten Stelle ein, um einige dieser Instanzen überspringen zu können, de facto konnte er dieses Recht jedoch kaum nutzen, da er negative Reaktionen der übersprungenen Instanzen zu verhindern hatte.1927 (5) Zuweisung von Verantwortung Auch in Fallstudie 11 wurde festgestellt, dass die persönliche Verantwortlichkeit als sehr gering bezeichnet werden kann. Dies steht auch in ursächlichem Zusammenhang mit dem oben beschriebenen ‘Mitzeichnungsgang’. Dieser wurde genutzt, um für Entscheidungen keine per-

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Zum Konsensprinzip im Mitzeichnungsgang vgl. Interview 11-20, Interview 11-22, Interview 11-2 sowie Interview 11-10. Interview 11-21: "Nehmen sie ein ganz banales Grundlagendokument […]. Das muss abgestimmt werden, das muss mitgezeichnet werden, durch alle möglichen Organisationseinheiten. Wir haben hier ganz konkret tatsächlich den Fall, [...] dass ein Basisdokument vor Wochen in die Mitzeichnung gesteckt wurde, diese Mitzeichnung bis heute nicht abgeschlossen ist aber gleichzeitig, weil das ein lebendes Dokument ist, das ist nicht in Beton gegossen, wenn die Version eins erstellt ist, hat sich dieses Dokument weiterentwickelt. D. h., selbst wenn die Mitzeichnung heute kommt, ist sie uninteressant, weil sie auf einem alten Status mitgezeichnet wurde, der heute gar nicht mehr gültig ist." Vgl. auch Interview 11-1, Interview 11-22, Interview 11-3 und Interview 11-10. Vgl. Interview 11-20. Vgl. Interview 11-21. Eigeninteressen konnten durchgesetzt werden, indem ‘unliebsame’ Entwicklungen durch Veränderungsvorschläge zur Entscheidungsvorlage beeinflusst, durch Verzögerung der Mitschrift aufgeschoben oder durch Verweigerung der Mitzeichnung ganz verhindert wurden. Verzögerungen konnten ganz einfach bewirkt werden, indem man eine Vielzahl redaktioneller Überarbeitungen einer Entscheidungsvorlage forderte. Vgl. Interview 11-21 und Interview 11-3. Vgl. Interview 11-10. Vgl. Interview 11-10 und Interview 11-22. Das Überspringen von Linienstellen wurde als 'Brüskierung' angesehen.

325 sönliche Verantwortung übernehmen zu müssen, sondern die Verantwortung mittels Gruppenentscheidung auf eine breite Akteursmehrheit zu verteilen (‘Kollektivverantwortung’).1928 "Das ist das Phantastische in dieser Organisation. Es ist das ‘Prinzip der Unverantwortlichkeit’, das führt dazu, dass viele Dinge nicht gehen. Wir haben in der Bürokratie eine Verantwortlichkeit, die sehr begrenzt ist. Und die Bürokratie schafft es immer wieder, so viele Leute mitzeichnen zu lassen, dass nicht einer verantwortlich ist. Und das ist meines Erachtens der Mangel, warum bei uns auch nichts geht."1929 Zudem wären die Konsequenzen für unzureichende Arbeitsergebnisse, selbst bei persönlicher Zurechenbarkeit von Ergebnissen, für Beschäftigte, deren Karriereentwicklung bereits determiniert war1930, nur geringfügig gewesen.1931 Dies führte zur Forderung, die Schlüsselpositionen mit Führungskräften zu besetzen, deren Karriereentwicklung noch offen war.1932 (6) Nutzung zulässiger Anreizsysteme Die Tätigkeit im Projektteam galt bei den Mitarbeitern einerseits als sehr arbeitsintensiv und stressbehaftet, andererseits aber als wenig geeignet für eine persönliche Profilierung, wodurch die Projektmitarbeit insgesamt als wenig attraktiv eingeschätzt wurde. "Das was man hier gemeinhin unter [...] Attraktivitätsprogramm mal versucht hat einzubauen, also Leute in die Programmorganisation zu bringen, auch mit der klaren Aussage, das bringt Dir was, persönlich, für Dein Weiterkommen, solange wir das nicht machen, stellt sich erst mal die große Frage für jeden Betroffenen, was bringt mir das, außer einem Haufen Arbeit, einem Haufen Ärger, ziemlich viel Stress in den nächsten drei bis fünf Jahren."1933 Ein solches Programm zur Erhöhung der Attraktivität wurde zwar konzipiert, aber nicht umgesetzt.1934 Die vorhandenen Anreizmöglichkeiten wurden insbesondere für die Mitarbeiter, die ihren Enddienstgrad erreicht hatten und wussten, dass sie keine Beförderungen mehr realisieren konnten, als gering beschrieben.1935 Wichtigster Anreiz für die Organisationsbereiche (als Akteure höherer Ordnung) zur Unterstützung des Veränderungsprozesses war die Verteilung der Finanzmittel in Abhängigkeit vom Projektfortschritt im jeweiligen Organisationsbereich.1936 Inwieweit dieser Anreiz genutzt wurde, konnte durch die Fallstudie nicht ermittelt werden.

1928 1929

1930

1931

1932 1933 1934 1935 1936

Vgl. Interview 11-21, Interview 11-22 sowie Interview 11-4. Interview 11-4. Zur (kaum vorhandenen) Zurechenbarkeit von Ergebnissen vgl. auch Interview 11-2 und Interview 11-3. Nur bei relativ wenigen Führungskräften stand der 'Enddienstgrad', also der Dienstgrad bei regulärem, altersbedingtem Ausscheiden, noch nicht fest. Aufgrund schlechter Arbeitsergebnisse konnten die Beschäftigten weder entlassen noch degradiert werden. Vgl. hierzu Interview 11-2. Vgl. Interview 11-18. Interview 11-1. Vgl. hierzu auch Interview 11-2, Interview 11-8, Interview 11-10 sowie Interview 11-22. Vgl. Interview 11-10, Interview 11-20 sowie Interview 11-22. Vgl. Interview 11-1. Vgl. Interview 11-1.

326 (7) Organisationskultur Die betrachtete Organisation wurde als traditionalistisch und schwer reformierbar dargestellt (Selbsteinschätzung der Organisationsmitglieder): "Und eine Aufgabe wird es mit Sicherheit sein, viele alte Zöpfe, die wir zukünftig nicht mehr brauchen, abzuschneiden. Und das ist nicht immer leicht."1937 Hinsichtlich der Reformierbarkeit wurde eine sehr ungünstige Einschätzung abgegeben: "Ich bin ganz sicher, dass es falsch ist, noch Experimente in unserem System zu machen. Ich halte das System nicht für reformierbar. Ich glaube, Bürokratie ist eine krebsartige Krake, der man nicht entkommt, wenn man nicht privatwirtschaftlich organisiert."1938 Zudem wurde beschrieben, dass die Kultur durch eine geringe betriebswirtschaftliche Ausrichtung und Denkweise geprägt sei.1939 Auch in Fallstudie 11 wurde bestätigt, dass sich die Organisationskultur bis dahin durch eine geringe Leistungstransparenz auszeichnete.1940 Die Kultur wurde weiterhin als sehr hierarchieorientiert beschrieben, was für den Veränderungsprozess hinderlich war, da durch das ERP-System die starren, hierarchischen Entscheidungsprozesse durch schlankere Entscheidungsstrukturen ersetzt werden sollten.1941 (8) Weitere Organisationsveränderungen Die Einführung des neuen ERP-Systems war eingebettet in eine sehr umfassende Gesamtreform, innerhalb derer ganze Organisationsbereiche aufbau- und ablauforganisatorisch umgestaltet wurden.1942 Hierdurch wurde die Gesamtkomplexität des ERP-Projektes erheblich erhöht, da die Gestaltung des ERP-Systems mit den übrigen (noch nicht abgeschlossenen) Reorganisationsmaßnahmen harmonisiert werden musste.1943 Im Rahmen dieser Reorganisation sollte auch ein Teil der IT-Fachkräfte1944 in eine Organisationsform privaten Rechts überführt werden, was als sinnvoll begrüßt wurde1945, um Restriktionen des öffentlichen Rechts abzubauen1946, andererseits aber bei den betroffenen IT-Fachkräften erhebliche Verunsicherung bezüglich der zukünftigen Beschäftigung auslöste.1947 Qualifizierte Mitarbeiter hätten bereits sich bietende Gelegenheiten genutzt, um die Organisation zu verlassen.1948 Insgesamt entstand der Eindruck, dass die Organisation mit Umfang und Komplexität der Ge-

1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948

Interview 11-3. Vgl. auch Interview 11-4 und Interview 11-14. Interview 11-4. Interview 11-4. Vgl. Interview 11-18. Vgl. Interview 11-21. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-7 sowie Interview 11-2. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-8 sowie Interview 11-18. Hierbei handelte es sich um IT-Dienstleistungs- bzw. Rechenzentren. Vgl. Interview 11-4, Interview 11-6, Interview 11-18. Vgl. Interview 11-7, Interview 11-18. Vgl. Interview 11-16. Vgl. Interview 11-15.

327 samtreform deutlich überfordert war,1949 womit ein wesentlicher Grund für die langsamen Projektfortschritte ermittelt ist. (9) Sonstige externe Zustände Als weiterer wichtiger, innerhalb der Dienststelle erzeugter externer Zustand kann die Weisung des Staatssekretärs angesehen werden, die Prozesse an die Standards der ERP-Software anzupassen (und nicht umgekehrt), was ein hohes Ausmaß an Prozessveränderungen induzierte.1950 5.11.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der externen Zustände Im Rahmen der Fallstudie wurden keine Maßnahmen zur Beeinflussung der außerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände erkannt. Im vorliegenden Fall wurden die obersten Führungskräfte früh beeinflusst und durchliefen den Veränderungsprozess so weit, dass sie (wenn auch begrenzt) als Promotoren auftraten.1951 Deutliche Schwierigkeiten gab es jedoch auf den nachfolgenden Hierarchieebenen des Ministeriums und der Organisationsbereiche. Hier wurde eine mangelnde Beeinflussung der Führungskräfte gegenüber den übrigen Akteuren moniert. "Es gibt hier eine Leitungsentscheidung, die hat Gültigkeit und gearbeitet wird auf der Arbeitsebene. Und das gesamte Zwischendeck mit den verantwortlichen Führungskräften, die halten sich da raus."1952 Ausgerechnet dieser Gruppe wurde eine hohe Bedeutung in der Beeinflussung der übrigen Akteure zugeordnet.1953 Diese Situation mangelnder Unterstützung durch Führungskräfte sollte gezielt verändert werden. Es war geplant, für den Roll-Out des ERP-Systems die Dienststellenleiter als Promotoren sowie jeweils eine Führungskraft als Einführungsverantwortlichen für die Implementierung pro Dienststelle zu gewinnen.1954 Es wurde auch versucht, den Personalrat aktiv zu beeinflussen und als Promotor zu nutzen.1955 Ob dies gelungen ist, konnte nicht ermittelt werden. Als weitere wesentliche Maßnahmen zur Beeinflussung der innerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände wurden die Untersuchung der internen Vorschriften und deren Anpassung an die Erfordernisse der ERP-System-Einführung genannt.1956 Vorgeschlagen wurde aber auch, die internen Vorschriften bei der ERP-System-Implementierung zielorientiert zu interpretieren, d. h. Ermessensspielräume auszunutzen.1957 Sowohl die Veränderung

1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957

Vgl. Interview 11-18. Vgl. Interview 11-1. Wobei Uneinigkeit darüber herrschte, ob dies im ausreichenden Maße erfolgte. Interview 11-2, vgl. auch Interview 11-18. Vgl. Interview 11-3. Vgl. Interview 11-21. Vgl. Interview 11-2. Vgl. Interview 11-1 und Interview 11-3. Vgl. Interview 11-10.

328 der internen Vorschriften als auch die zielorientierte Interpretation wurde als ‘mühsam’ beschrieben.1958 5.11.6 Interne Zustände Zur Bedeutung interner Zustände konnten im Rahmen von Fallstudie 11 keine Aussagen generiert werden. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.11.7 Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses ‘Betroffene’ Mitarbeiter und Führungskräfte: In den Organisationsbereichen wie auch bei den IT-Fachbereichen wiesen Mitarbeiter, die von einem potenziellen Stellenabbau und von Standortverlagerungen betroffen waren sowie Mitarbeiter und Führungskräfte, die eine Erhöhung der Leistungstransparenz befürchteten, einen negativen Nettonutzen der Veränderung auf. Diese Mitarbeiter hatten somit die Phase Unfreeze nicht durchlaufen und es wurden von dieser Seite erhebliche Widerstandshandlungen befürchtet. "Sie haben natürlich immer Möglichkeiten, selbst auch als kleines Rädchen können sie blockieren."1959 Inwiefern diese Widerstände durch Mittel der Macht (‘Legitimate und Coercive Power’) verhindert werden konnten, war zum Zeitpunkt der Interviews noch nicht klar. Projektmitarbeiter: Für die Projektteammitglieder kann ein gesonderter Zielzustand definiert werden, der in der aktiven Beteiligung an der Projektarbeit zu sehen ist. Diese Gruppe hatte die aktive Projektarbeit zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits aufgenommen. Sie hat damit die Phasen Unfreeze und Move erfolgreich durchlaufen. Die Projektarbeit galt insgesamt aber als unattraktiv. Daher kann das Durchlaufen dieser Phasen zumindest zum Teil auf den Einsatz disziplinarischer Mittel (‘Legitimate und Coercive Power’) zurückgeführt werden. Die Phase Refreeze war zwar bereits begonnen worden, es war aber unklar, inwiefern die Mitarbeiter Gelegenheiten zur Rotation nutzten, um sich so früh wie möglich aus dem Projekt zurückzuziehen. Daher kann zum Erfolg der Phase Refreeze keine Aussage getroffen werden. Ministerium und gesamter nachgeordneter Bereich als insgesamt zu verändernder Akteur höherer Ordnung: Da sich die Einführung des ERP-Systems zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch in der Vorbereitung befand, kann für das Ministerium und den gesamten nachgeordneten Bereich nur die Phase Unfreeze ex post betrachtet werden. Für diesen insgesamt zu verändernden Akteur höherer Ordnung kann aufgrund des positiven Nettonutzens der Veränderung und der Entscheidung zur ERP-System-Einführung festgestellt werden, dass er die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen hat. Aufgrund der befürchteten Widerstandshandlungen aus den Organisationsbereichen und von den IT-Fachkräften, vor allem aber aufgrund der

1958 1959

Vgl. Interview 11-22. Interview 11-15.

329 begrenzten Fähigkeiten sowie der problematischen externen Zustände1960 konnte für die Phasen Move und Refreeze jedoch eine ungünstige Prognose getroffen werden. Dies wurde zumindest für die Phase Move bestätigt, da im Mai 2005 erst eine Dienststelle (mit großen Schwierigkeiten) pilotiert war, obwohl ursprünglich bereits ein flächendeckender Roll-Out für das Jahr 2003 geplant war.

5.12 Fallstudie 12 - Einführung eines ERP-Systems in Bundesministerium III und dem gesamten nachgeordneten Bereich 5.12.1 Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick (1) Ausgangszustand und Zielzustand In Fallstudie 12 wird die Einführung eines ERP-Systems (Enterprise-Ressource-PlanningSystem) in Bundesministerium III und sämtlichen nachgeordneten Behörden untersucht. Der Ausgangszustand war im Betrieb der Verwaltung ohne ERP-System, der Zielzustand hingegen im Betrieb der Verwaltung mit ERP-System zu sehen. Es war vorgesehen, im Rahmen der Softwareeinführung auch die Geschäftsprozesse zu reorganisieren, so dass diese angestrebten Veränderungen ebenfalls dem Zielzustand zuzurechnen sind. "Wir sind ja eigentlich ein Organisationsprojekt, das bedeutet, während die Software implementiert wird, werden sich die Arbeitsabläufe in vielen Bereichen ändern."1961 Ziel war dabei, die Prozesse in den verschiedenen Behörden soweit wie möglich zu vereinheitlichen, um Vergleichbarkeit herzustellen und effiziente Strukturen zu etablieren. Es sollten in allen Behörden sämtliche für die öffentliche Verwaltung übliche ERP-Module in abgegrenzten Teilprojekten eingeführt werden, wie z. B. die Module Controlling, Haushaltsmanagement, Materialwirtschaft und Personalmanagement.1962 Eine zentrale Organisationsveränderung im Schwerpunkt der Fallstudie, dem Teilprojekt Personalmanagement,1963 ist darin zu sehen, dass im Zuge der ERP-Einführung die Personalbearbeiter ihre bislang funktional differenzierten Aufgabenbereiche (und damit ihre Spezialisierung) aufgeben und stärker einheitliche Rollen wahrnehmen sollten. Hierdurch hätte jeder Personalbearbeiter alle personalwirtschaftlichen Anliegen eines zu betreuenden Mitarbeiters bearbeiten können, womit eine verbesserte Beratung und Betreuung des Personals erreicht

1960

1961 1962

1963

Zusammenfassend sind hier nochmals die begrenzten Möglichkeiten zur effizienten Ressourcenallokation, mangelnde Anreizstrukturen, die fehlenden technischen Voraussetzungen, langsame Entscheidungsprozesse, die hohe Komplexität der Gesamtreform und die hohe Vorschriftendichte zu nennen. Siehe auch Kapitel 5.11.5. Interview 12-1. Vgl. hierzu auch Interview 12-10. Vgl. Dokument 12-1, S. 2, Dokument 12-3, S. 2, Dokument 12-2, S. 3, Interview 12-10 und Interview 122. Zur Schwerpunktbildung der Fallstudie siehe Ziffer (3).

330 werden sollte.1964 Diese veränderte Mitarbeiterbetreuung durch die Personalabteilungen wurde mit dem Schlagwort "one face to the customer"1965 gekennzeichnet.1966 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Bereits seit ca. 1992 gab es Bemühungen, für die Personalverwaltung im gesamten Bereich des Ministeriums III eine einheitliche Software einzuführen, allerdings nicht im Rahmen einer ERP-System-Implementierung, sondern als ‘Insellösung’ innerhalb der jeweiligen Behörde.1967 Diesen Versuchen war geringer Erfolg beschieden, die Zusammenarbeit mit dem damaligen Softwareanbieter wurde 1998 aufgekündigt und das Projekt zunächst abgebrochen, anschließend aber neu initiiert.1968 Es wurde 1998 eine ‘Aufwandstudie’ in Auftrag gegeben, mit dem Ziel, die Eignung der ERP Software SAP/R3 für das Personalmanagement zu prüfen sowie die Kosten dafür zu ermitteln.1969 Auf Basis dieser Studie wurde 1999 unter Führung eines neuen Projektleiters ein Projektteam zusammengestellt, das sowohl mit Mitarbeitern des Vorprojektes als auch neuen Mitarbeitern besetzt wurde.1970 Im Jahr 2001 erfolgte eine europaweite Ausschreibung zur externen Unterstützung der ERP-Einführung, und im Januar 2002 wurde ein Konsortium aus drei Firmen hiermit beauftragt.1971 Im März 2002 begannen dann die operativen Arbeiten zur Implementierung des ERP-Systems in einem Team aus Mitarbeitern der Amtsseite und der unterstützenden Unternehmen.1972 Noch im gleichen Jahr sollte in drei Behörden die Software in Pilotprojekten eingeführt werden, für 2003 war der ‘Roll-Out I’ in 16 weiteren Behörden geplant und ab 2004 der 'Roll-Out II' in den übrigen fast 50 Behörden.1973 Zum Zeitpunkt der Durchführung der Interviews im Juni/Juli 2002 konnte man den Zeitplan jedoch schon nicht mehr einhalten.1974 Eine telefonische Nachfrage im Juni 2005 ergab, dass das Personalmanagementmodul erst in den drei Pilotbehörden eingeführt war und Implementierungen in weiteren Behörden gerade durchgeführt wurden. Auch die Implementierung weiterer Module, insbesondere des Controllingmoduls, war in einigen Behörden bereits abgeschlossen, insgesamt lag man jedoch deutlich hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück. Die inhaltlichen Ziele wurden zu diesem Zeitpunkt jedoch unverändert verfolgt.

1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974

Vgl. Dokument 12-3, S. 1 sowie Interview 12-4. Dokument 12-3, S. 1. Vgl. hierzu Dokument 12-4, S. 3. Vgl. hierzu Interview 12-14 und Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Dokument 12-2, S. 4. Vgl. Interview 12-1.

331 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung erfolgte vom 24.06.2002-09.07.2002 in Ministerium III sowie in einer Pilotbehörde, in der das ERP-Modul Personalmanagement eingeführt wurde. Im Zentrum der Datenerhebung standen 15 Interviews1975, zusätzlich wurden Dokumente und Kurzfragebögen genutzt. Darüber hinaus konnten zahlreiche informelle Gespräche geführt werden, die jedoch nicht systematisch ausgewertet wurden, sondern, wie in den übrigen Fallstudien, vorrangig der Verbesserung des Gesamtverständnisses dienten. Da die Einführung des Moduls Personalmanagement zum Zeitpunkt der Datenerhebung das einzige bereits in der Realisierung befindliche Teilprojekt war und nur hier erste Erfahrungen von Betroffenen und Beteiligten vorlagen, wurde der Schwerpunkt der Fallstudie auf dieses Modul gelegt. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Zeit zwischen der Erstellung der Aufwandsstudie in 1998 bis zum Zeitpunkt der Interviews im Sommer 2002. In geringerem Umfang wird jedoch auch der Zeitraum von Beginn des Vorprojektes ebenso betrachtet wie der Stand des Projektes im Sommer 2005. 5.12.2 Akteure im Veränderungsprozess Da die ERP-Software Einfluss auf alle Organisationsbereiche hat, sind in Fallstudie 12 sämtliche Beschäftigte der Organisation in verschiedensten Rollen im Veränderungsprozess als Akteure in Erscheinung getreten. Folgende Akteure wurden identifiziert: ƒ

Das Ministerium III und alle nachgeordneten Behörden als der insgesamt zu verändernde Akteur höherer Ordnung.

ƒ

Die einzelnen Behörden als die für die Implementierung zuständigen Organisationseinheiten.

ƒ

Die Leitung des Ministeriums sowie weitere Führungskräfte des Ministeriums als Entscheidungsträger und potenzielle Promotoren sowie teilweise als Nutzer von IT-gestützten Auswertungen.

ƒ

Die Leitungspersonen und Führungskräfte der nachgeordneten Behörden als Entscheidungsträger und potenzielle Promotoren sowie teilweise als Nutzer von IT-gestützten Auswertungen.

ƒ

Das Projektteam, bestehend aus behördeninternen Mitarbeitern und externen Beratern. Das Gesamtprojektteam untergliedert sich weiterhin in die Teilprojekte (nach SAPModulen gegliedert) sowie innerhalb dieser Modulprojekte wiederum in Subprojekte nach ‘Aufgabenpaketen’. Weiterhin wurde im betrachteten Teilprojekt ‘Modul Personalmana-

1975

Die Interviews wurden mit dem Projektleiter des Gesamtprojektes, dem Projektleiter des Projektes Modul Personalmanagement, sechs Projektmitarbeitern des Projektes Modul Personalmanagement, zwei ‘betroffenen’ Personalbearbeitern, einem dezentralen Personalrat, einem Hauptpersonalrat, einem stellvertretenden Präsidenten einer Pilotbehörde, einer weiteren Führungskraft dieser Behörde und einer externen Beraterin geführt. Die externe Beraterin zog jedoch ex post die Erlaubnis zur Verwertung des Interviews zurück, so dass dieses Interview zur formalen Analyse nicht herangezogen werden kann.

332 gement’ zwischen einem zentralen ‘Kernteam’ im Ministerium und dezentralen Behördenteams unterschieden. ƒ

Die Nutzer der neuen Software.

ƒ

Die Mitarbeiter des Ministeriums und der nachgeordneten Behörden als Betroffene veränderter Personalbetreuungsprozesse im Zuge der Einführung des Moduls Personalverwaltung.

ƒ

Die IT-Fachkräfte der Behörden als Implementierungsbeteiligte und Betroffene von Aufgabenveränderungen durch die neue Software.

ƒ

Die IT-Fachkräfte in den neu geschaffenen IT-Zentren.

ƒ

Die Personalvertreter, d.h. örtliche Personalräte und der Hauptpersonalrat (HPR)1976 als potenzielle Promotoren oder Opponenten.

ƒ

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) war als ‘Geldgeber’ ein Akteur außerhalb des Bereichs des Ministeriums III.

5.12.3 Präferenzen und Nutzenmaximierung 5.12.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Ministerium und Behörden: Für den Bereich des Ministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde ein Einsparpotenzial von insgesamt ca. 60 Stellen durch die Einführung des SAP-R/3-Moduls HR (Personalmanagement) berechnet.1977 Effizienzvorteile der ERP-Software wurden vor allem bei der Bearbeitung standardisierbarer Aufgaben gesehen, die im Ausgangszustand noch manuell bearbeitet wurden.1978 Die Amortisationsdauer der ERP-Einführung wurde mit ca. vier Jahren nach erfolgreicher Implementierung angenommen.1979 Da der gesamte Bereich des Ministeriums III einer Vorgabe des Bundesfinanzministeriums nachkommen musste, jährlich 1,5% der Stellen einzusparen, wurden die Effizienzgewinne durch die ERP-Einführung als positiver Beitrag zur Erreichung dieses Zieles bewertet.1980 Die Bereitschaft zur Reorganisation war in den Behörden von der Höhe der erkennbaren bzw. erreichbaren Effizienzgewinne abhängig.1981 Es entstand auch zusätzlicher Aufwand, z. B. durch Aufbau und Betrieb neuer ITServicestellen sowie bislang nicht vorhandener ERP-spezifischer Aufgaben für die dezentralen Administratoren der Behörden.1982

1976

1977 1978 1979

1980

1981 1982

Der Hauptpersonalrat ist zuständig für übergeordnete Fragen der Personalvertretung, die den gesamten Bereich des Ministeriums einschließlich aller nachgeordneten Behörden betreffen. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Dokument 12-3, S. 4. Die Methode der Investitionsrechnung (z. B. statisches oder dynamisches Verfahren) wurde in dem Dokument nicht dargelegt. Die Einhaltung dieser Vorgabe wurde im Ministerium als ausgesprochen schwierig eingeschätzt. Vgl. hierzu Interview 12-1 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-3. Die oben genannten 60 eingesparten Stellen sind jedoch bereits ein geschätzter Nettowert, der diese zusätzlichen Aufwände berücksichtigt.

333 Nutzer/Personalbearbeiter: Bei den betroffenen Personalbearbeitern existierte die Erwartung, dass sich mit der neuen Software eine Arbeitserleichterung bei monotonen Routineaufgaben einstellen könnte.1983 Die Personalbearbeiter fürchteten jedoch, dass das neue ERPSystem im Gegensatz zum alten System besondere, behördenspezifische Funktionen nicht enthalten könnte und dadurch zusätzliche manuelle Auswertungen verursachen würde.1984 Zudem gab es die Sorge der Personalbearbeiter, das neue System nicht handhaben bzw. die neuen Prozesse nicht beherrschen zu können.1985 Weiterhin befürchteten einzelne Bearbeiter, dass durch die Vereinheitlichung der Prozesse die Ineffizienz ihrer bisherigen Abläufe transparent werden könnte und sie hierdurch einen Verlust ihrer Reputation erleiden könnten.1986 Behördenleiter: Für die Leitung der Behörden stellte die Einführung des Systems eine Möglichkeit dar, die vom Bundesministerium der Finanzen geforderten Personaleinsparungen zu erbringen oder sich sogar mit darüber hinausgehenden Rationalisierungen zu profilieren. "Ich persönlich möchte über die 1,5% jährlich Einsparung hinaus einsparen."1987 Mitarbeiter: Erhöhte Kosten des veränderten Handlungsmusters hätte für das Gros der Mitarbeiter entstehen können, wenn bei Nutzung des ERP-Systems (das grundsätzlich sehr komplexe Datenverknüpfungen und Auswertungen zulässt) der Datenschutz nicht gewährleistet gewesen wäre und Daten außerhalb der üblichen Personalakten von Vorgesetzten vorgehalten oder genutzt worden wären.1988 Dies hätte eine höhere, von den Mitarbeitern nicht einschätzbare Leistungs- und Verhaltenstransparenz bedeutet. IT-Fachkräfte der Behörden: Für die IT-Fachleute der Behörden hätte die Betreuung der IT-Nutzer durch zentrale IT-Zentren eine Entlastung bedeutet, insbesondere vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der Interviews beschriebenen starken Überlastung der dezentralen IT-Bereiche.1989 Personalvertreter: Die Personalräte befürchteten zunächst Verhaltens- und Leistungskontrollen, insbesondere durch missbräuchliche, nicht zulässige Auswertungen auf Basis der ERP-Software, was aber durch eine Dienstvereinbarung weitgehend ausgeschlossen werden konnte. "Ein Ziel dieser Vereinbarung ist die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Dies gilt für den Schutz vor den möglichen Gefahren einer technischen Überwachung ihrer Leistungen und ihres Verhal-

1983 1984 1985

1986 1987 1988 1989

Vgl. Interview 12-5, Interview 12-6, Interview 12-7 sowie Dokument 12-3, S. 1. Vgl. Interview 12-13. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-6. Als weit reichende Neuerung wurde angesehen, dass die Personalbearbeiter künftig nicht mehr sehr eng eingegrenzte Problemstellungen zu bearbeiten hatten, sondern jeder Personalbearbeiter im Rahmen des sog. ‘one-face-to-the-customer’ alle personalwirtschaftlichen Fragen der Mitarbeiter beantworten sollte. Vgl. hierzu Dokument 12-3, S. 1 sowie Interview 12-4. Vgl. Interview 12-6. Interview 12-8. Vgl. Interview 12-7 und Interview 12-9. Vgl. Interview 12-10 und Interview 12-2.

334 tens."1990 Der örtliche Personalrat einer Behörde lehnte die Einführung einer ‘Einheitsrolle’ für die Personalbearbeiter aufgrund der Erhöhung der Anforderungen ab.1991 Bemerkenswert war, dass der Hauptpersonalrat die ERP-Einführung begrüßte und als Möglichkeit ansah, die vom BMF geforderte jährliche Stelleneinsparung ohne Leistungseinbußen oder Mehrbelastung der verbleibenden Mitarbeiter vornehmen zu können.1992 Damit stellte sich der Hauptpersonalrat sogar an die Spitze der Reform- und Rationalisierungsbewegung des Ministeriums.1993 Bundesministerium der Finanzen: Auch für das BMF bedeutete die ERP-Einführung eine Kostensenkung, da der Bundeshaushalt durch eine ‘Stellenrückgabe’ an das BMF im Umfang von 13 Stellen unmittelbar entlastet wurde.1994 5.12.3.2 Nutzendifferenz verändertes - bisheriges Handlungsmuster (NVM - NBM) Ministerium: Eine wesentliche Nutzenerhöhung für das Ministerium wurde darin gesehen, dass zukünftig aufgrund der einheitlichen Systeme und Prozesse eine größere Transparenz bezüglich der Personalwirtschaft der einzelnen Behörden hergestellt werden konnte.1995 Bislang existierten in den Behörden insgesamt 68 verschiedene Systeme, die z. B. eine einheitliche Auswertung im Sinne eines Benchmarkings kaum zuließen.1996 Mit dem integrierten ERP-System sollten zukünftig Auswertungen möglich werden, die derzeit als nicht möglich oder zu aufwändig erschienen.1997 Behörden: Insbesondere die kleineren Behörden befürchteten, ihre eigenen, leicht handhabbaren IT-Lösungen gegen ein zu komplexes, überdimensioniertes und schwer zu handhabendes System austauschen zu müssen.1998 Daher standen einige Behörden der Vereinheitlichung der Personalverwaltungssysteme durchaus skeptisch gegenüber und versuchten diese zu verhindern.1999 Zudem wurde die im Ministerium positiv bewertete höhere Transparenz bzgl. des

1990 1991 1992 1993

1994

1995 1996 1997 1998 1999

Dokument 12-4, S. 3. Vgl. hierzu auch Interview 12-7, Interview 12-11 sowie Interview 12-4. Interview 12-7. Vgl. Interview 12-11. Das wurde auch von der ‘Verwaltungsseite’ im Ministerium so wahrgenommen und ist in informellen Gesprächen von Vertretern des Ministeriums wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Im Bereich des Ministeriums III wurden 13 Stellen ersatzlos gestrichen, die den jährlichen 1,5%igen Einsparungen nicht angerechnet wurden. Die Verwendung der übrigen Personaleinsparungen lag im Entscheidungsbereich des Ministeriums III. Vgl. hierzu Interview 12-10. Zum Aspekt der höheren Transparenz vgl. Interview 12-9. Zur Unterschiedlichkeit der Personalverwaltungssysteme vgl. Interview 12-2. Vgl. Interview 12-11 und Interview 12-13. Vgl. Interview 12-2. Die Vereinheitlichung wurde als Voraussetzung zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit angesehen. Vgl. Interview 12-10.

335 Handelns der einzelnen Behörden von diesen genau gegenteilig, nämlich als Bedrohung empfunden.2000 Nutzer/Personalbearbeiter: Die Personalbearbeiter richteten ihren Fokus vorrangig auf die zu erwartende Veränderung der Beschäftigungssituation. Es war explizit eine Zielsetzung der Reorganisation, die Aufgabeninhalte der Sachbearbeiter anzureichern, um die Tätigkeit attraktiver zu gestalten.2001 Teilweise wurde diese Sicht von den Personalbearbeitern geteilt: "Aber die Arbeit wird mit Sicherheit interessanter, weil sie halt breiter gefächerter ist."2002 Aufgrund der Erfahrungen aus vorangegangenen Veränderungsprozessen wurde aber auch angenommen, dass ein anderer Teil der Personalbearbeiter die Veränderung des Aufgabenspektrums negativ bewerten würde.2003 Zudem gab es vereinzelt Ängste vor Versetzungen bzw. Standortwechsel2004, Personalabbau2005 oder niedrigerer tariflicher Eingruppierung2006, obwohl es von Seiten des Ministeriums durch Vereinbarungen mit dem Hauptpersonalrat dahingehende Garantien für die Beschäftigen gab.2007 Ängste vor einem Totalverlust des Arbeitsplatzes konnten hingegen nicht festgestellt werden und waren ebenfalls durch die Dienstvereinbarung ausgeschlossen.2008 Positiv bewertet wurde, dass durch das Prinzip ‘one face to the customer’ die Möglichkeiten zum Gedankenaustausch unter den Kollegen erweitert worden wären.2009 Führungskräfte/Behördenleiter: Es wurde beschrieben, dass die Führungskräfte des Ministeriums und die Behördenleiter im Ausgangszustand die geringe Transparenz im Personalwesen für Zwecke der Machtausübung nutzen konnten,2010 was durch das ERP-System deutlich erschwert worden wäre, indem z. B. die Prozesse und Dokumentationen für Beurteilungen

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Interview 12-2: "Das ist ja auch immer so eine große Sorge, die die haben, dass sie sagen, wenn wir so ein gemeinsames System haben, dann kann das Ministerium sehen, was bei uns vor Ort läuft, können sie bisher nicht, bisher sind wir abgeschottet, sind wir autark." Dokument 12-4, S. 3: "Mit der Einführung von SAP R/3 sollen die Arbeit und die Arbeitsabläufe prozessorientiert neu gestaltet werden. Damit sollen einseitige Spezialisierungen aufgehoben und den Beschäftigten im Sinne einer ganzheitlichen Sachbearbeitung ein breiteres Spektrum an unterschiedlichen Tätigkeiten eröffnet werden." Vgl. auch Dokument 12-2, S. 3. Interview 12-13. Interview 12-9: "Es gibt auch Mitarbeiter oder Personen, die froh sind, mal ein weiteres Spektrum zu lernen oder zu bearbeiten und nicht immer nur ihre stupide, eintönige oder seit Jahren gemachte Tätigkeit.“ Vgl. auch Interview 12-10. Vgl. Interview 12-8. Vgl. Interview 12-3, Interview 12-7 sowie Interview 12-1. Vgl. Interview 12-4. Warum der Stellenabbau trotz Ausschluss von Entlassungen negativ bewertet wurde, konnte nicht festgestellt werden (evtl. Befürchtungen von Mehrarbeit). Vgl. Interview 12-4. Hier geht es um Nutzendifferenz und nicht etwa um Kostendifferenz, weil ein als attraktiv eingeschätzter Status Quo der derzeitigen Beschäftigungsbedingungen gefährdet war und durch einen Status mit geringerem Nutzen hätte eingetauscht werden können. Keine Garantien gab es allerdings für Arbeitsinhalte. Vgl. Interview 12-11. Vgl. hierzu Interview 12-8, Interview 12-11 sowie Interview 12-1. Vgl. Interview 12-13. Z. B. durch Beförderungen ohne entsprechende inhaltliche Begründung.

336 und Beförderungen stärker standardisiert und damit nachvollziehbarer wurden.2011 "Der Nachteil ist, dass alles im Endeffekt ja überprüfbar ist und dass das System ja auch Vorgaben enthält, die bei Entscheidungen ganz einfach die Grundlage bilden. Und die freie Hand, die man dann teilweise in der Vergangenheit hatte, wird dadurch eingeschränkt, man muss also auch von Auswahlregeln abweichende Dinge eingehender begründen, als das ohne eine EDVUnterstützung ja erforderlich ist."2012 Das führte vielfach zur Forderung der Behörden nach individuellen Lösungen.2013 Für die Führungskräfte der Behörden hätte sich in jedem Falle eine Verbesserung der Informationsunterstützung ergeben, da das System komplexere Auswertungen zugelassen hätte.2014 Ein möglicher Personalabbau verschlechterte für die Führungsnachwuchskräfte die bis dahin bestehenden Karriereaussichten, da im öffentlichen Dienst nach wie vor die Größe des ‘Personalkörpers’ für die Besoldungseinstufung von Leitungsstellen bedeutsam ist. "Und das ist ja immer noch wichtig, wie viele Indianer ein Häuptling hat."2015 Die Führungskräfte, die sich in ihrer ‘Endbesoldungsstufe’ befanden, waren hiervon aber nicht betroffen, da eine Rückgruppierung bzw. Rückstufung im öffentlichen Dienst nicht möglich ist.2016 Dennoch wurde unterstellt, dass diese Führungskräfte eine große Führungsspanne als Nutzen stiftend bewerteten.2017 Mitarbeiter: Durch die Erweiterung des Aufgabenspektrums der Personalbearbeiter sollte erreicht werden, dass ein zu betreuender Mitarbeiter nicht von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter verwiesen, sondern in sämtlichen Anliegen durch einen Personalberater im Sinne des Prinzips ‘one face to the customer’ schnell und auf Basis valider Daten des ERP-Systems betreut wird, was eine Verbesserung des Mitarbeiterservices bewirken sollte.2018 Effizienzgewinne sollten im Bereich der Routinearbeiten zur Intensivierung der Beratung der Mitarbeiter eingesetzt werden.2019 Es gab allerdings auch Befürchtungen, dass durch die Automatisierung Dienste zentralisiert und damit die persönliche Betreuung in kleineren Standorten ausgedünnt werden könnte.2020

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Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-2. Zur Verbesserung der Transparenz als Ziel der ERP-Einführung vgl. auch Dokument 12-2, S. 3. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-2. Bezogen auf das gesamte Programm der ERP-Einführung lag daher auch der größte Widerstand bei den Abteilungen, die die Ressourcenverteilung steuerten. Vgl. Interview 12-14. Vgl. Interview 12-5. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Das dahinter liegende Motiv (evtl. Anzahl der unterstellten Mitarbeiter als Statussymbol oder Solidarität mit den nachfolgenden Führungskräften) blieb jedoch unklar. Vgl. Dokument 12-3, S. 1, Dokument 12-2, S. 3 sowie Interview 12-4, Interview 12-3, Interview 12-9 und Interview 12-13. Interview 12-2: "Unsere Philosophie war ja mal die, dass wir gesagt haben, 'one face to the customer', wie es so schön heisst, also dass einer dann als Ansprechpartner zur Verfügung steht, aber trotzdem noch seine Fachleute in der Hinterhand hat." Vgl. Interview 12-6. Vgl. Interview 12-7.

337 IT-Fachkräfte der Behörden: Im bisherigen Handlungsmuster ohne ERP-System und ITZentren galten die dezentralen IT-Fachleute mit ihrem exklusiven Expertenwissen/Service als unverzichtbar und hatten dadurch einen besonderen Status, was sich im veränderten Handlungsmuster zu verändern drohte. "Und ihr Wissen wird entwertet, weil, es gibt ja eine zentrale Instanz und die hat vielleicht noch einen besseren Service irgendwann mal als ihr eigener […]. Also das ist eine Sache, wo wir merken, dass sehr viel Skepsis da ist und wenig Unterstützung."2021 Die in Planung befindlichen IT-Zentren wurden daher von den IT-Fachkräften der Behörden als Konkurrenten bzw. als Bedrohung wahrgenommen.2022 "Und damit haben wir vielleicht noch mit den IT-Leuten noch eine ganz wichtige Gruppe identifiziert, denen wir mit diesem Vorgehen [...] ein bisschen an der Macht kratzen. Das sind die dezentralen ITFürsten, denn plötzlich kommt ja die Software aus der Steckdose und die können gar nicht mehr mitregieren."2023 Diese Sichtweise wurde im Interview sogar von einer Leitungsperson des dezentralen IT-Bereichs einer Behörde eingeräumt.2024 Personalvertreter: Wie auch in anderen Fallstudien war die Nutzenwahrnehmung des Personalrats teilweise an die der betroffenen Mitarbeiter gekoppelt, insbesondere wenn die Personalvertreter an einer Wiederwahl interessiert waren. Daher war der Personalrat ebenfalls an einer Sicherung des Nutzens aus den ursprünglichen Arbeitsbedingungen interessiert, vor allem am Erhalt aller Standorte und den bestehenden tariflichen Eingruppierungen.2025 Der Personalrat drängte auf die Bewahrung der dezentralen Betreuungsstrukturen im Personalwesen, um eine persönliche Betreuung aller Mitarbeiter ‘in der Fläche’ zu gewährleisten.2026 5.12.3.3 Kosten des Übergangsprozesses (KÜ) Ministerium III und BMF: Die Einführung der neuen ERP-Software einschließlich der Reorganisation war mit erheblichen Kosten verbunden. Für das gesamte Programm wurden die Ausgaben2027 auf über 55 Mio. Euro geschätzt, wobei die Opportunitätskosten des Zeitaufwands für die Projektarbeit der eigenen Mitarbeiter unberücksichtigt blieben.2028 Der weitaus größte Anteil der Ausgaben entfiel auf den Erwerb von Hard- und Software (ca. 38 Mio. Euro), auf externe Sachverständige (ca. 6 Mio. Euro) sowie Aus- und Fortbildung (ca. 5 Mio. Euro). Auf das Modul Personalverwaltung, das in dieser Fallstudie primär betrachtet wird, entfielen „einmalige Investitionskosten“2029 in Höhe von über 16 Mio. Euro.2030 Die Ausga-

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Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-12. Vgl. Interview 12-7 und Interview 12-4. Vgl. Interview 12-7. In der Kameralistik als dem immer noch dominanten Rechnungssystem des öffentlichen Sektors werden nicht primär die Kosten, sondern die Ausgaben erfasst und ausgewiesen. Vgl. zu den Ausgaben durch das Gesamtprojekt Dokument 12-1, S. 7. Dokument 12-3, Seite 4.

338 ben mussten vom BMF genehmigt und im Haushaltsplan zusätzlich ausgewiesen werden, so dass das BMF die Mittel letztlich zur Verfügung stellte. Der Personalaufwand für die internen Projektmitarbeiter, in der Pilotphase ca. 20 Mitarbeiter, war jedoch voll von Ministerium III zu tragen.2031 Behörden: Die Behörden wurden an den Kosten für Software und externer Beratung nicht beteiligt, mussten jedoch selbst für eine angemessene Rechnerausstattung sorgen.2032 Des Weiteren waren Mitarbeiter der Behörden auch mit Projektarbeit im Rahmen der ERPEinführung gebunden, was ebenfalls Kosten des Übergangs darstellte. Zudem wurden Friktionen bei der Veränderung der behördlichen Prozesse befürchtet.2033 Projektmitarbeiter: Die Projektmitarbeiter der sog. Behördenteams wurden für die ERPEinführung nur teilweise freigestellt, so dass sie anteilig ihre originären Aufgaben in der Linienorganisation und die Projektaufgaben zu bearbeiten hatten. In der Summe wurde eine erhebliche zusätzliche Belastung dieser Mitarbeiter durch die Projektaufgaben beschrieben.2034 Dabei führte die Verteilung der Dienststellen über das gesamte Bundesgebiet zu einem hohen Reiseaufwand.2035 Für die Entlastung bei der Erledigung der originären Aufgaben wurden Dienstaushilfen eingesetzt, die jedoch aufgrund der fehlenden Routine keinen vollständigen Ausgleich schaffen konnten.2036 Die Projektmitarbeiter des sog. Kernteams des Ministeriums waren vollständig freigestellt, die Arbeitsbelastung ging jedoch über das in Linienaufgaben übliche Maß deutlich hinaus.2037 Nutzer/Personalbearbeiter: Für die Personalbearbeiter bedeutete die Einführung des Prinzips ‘one-face-to-the-customer’ erheblichen fachlichen Lernaufwand, da sie sich zusätzlich zu ihrem bisherigen Aufgabenfeld weitere Gebiete inhaltlich aneignen mussten.2038 Hier wurde erwartet, dass einige Personalbearbeiter klare Widerstandstendenzen zeigen würden (andere sahen den Lernprozess hingegen aber auch als Nutzen).2039 Zudem stellte es für die Nutzer einen Aufwand dar, den Umgang mit der neuen Software zu erlernen, insbesondere dort, wo bislang noch weitgehend ohne DV-Unterstützung gearbeitet wurde (‘Papierbearbeitung’).2040 Zudem hatten die Personalbearbeiter durch den teilweisen Ausfall ihrer im Projekt tätigen

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Vgl. Dokument 12-3, Seite 4. Zur Höhe des Personalaufwands durch interne Projektmitarbeiter siehe Kapitel 5.1.5.2, Ziffer (3). Vgl. Interview 12-2. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-3 und Interview 12-2. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-3. Das kam in den informellen Gesprächen deutlich zum Ausdruck. Die Mehrarbeit wurde jedoch vom Nutzen des Übergangs deutlich überkompensiert. Siehe Ziffer (4) und (6). Vgl. Interview 12-3 und Interview 12-4. Vgl. Interview 12-3, Interview 12-6, Interview 12-9 sowie Interview 12-13. Vgl. Interview 12-3. Es wurde beschrieben, dass es im Bereich der Personalbearbeitung noch ‘Inseln‘ gab, wo eine Bearbeitung mit EDV noch weitgehend vermieden wurde. Vgl. hierzu Interview 12-13.

339 Kollegen für die Zeitdauer der ERP-Einführung deren Aufgaben z. T. zu tragen, wodurch eine Mehrbelastung entstand.2041 Führungskräfte/Behördenleiter: Auch für die Führungskräfte, in deren Bereichen die neue ERP-Software zu implementieren war, bedeutete deren Einführung Mehraufwand, da sie dem Projekt Aufmerksamkeit widmen, sich mit den Inhalten befassen und das Vorhaben aktiv unterstützen sollten.2042 5.12.3.4 Nutzen des Übergangsprozesses (NÜ) Projektmitarbeiter: Den größten Nutzen des Übergangsprozesses verspürten die Projektmitarbeiter des ministeriellen Kernteams wie auch der dezentralen Behördenteams. Diese nahmen die Projektarbeit als interessante Aufgabe wahr, die auch zur persönlichen Entwicklung beitrug.2043 Teilweise gingen die Projektmitarbeiter auch davon aus, dass das Engagement im Projekt karriereförderlich gewesen sei.2044 Zudem wurde es als Anreiz wahrgenommen, zur grundlegenden Neugestaltung des eigenen Arbeitsbereichs beitragen zu können. "Das ist auch […], dass hier die Möglichkeit wirklich besteht, an einem System, was später mal eingeführt wird, […] verantwortlich mit zu gestalten."2045 Nutzer/Personalbearbeiter: Auch die Personalbearbeiter empfanden die Möglichkeit, sich im Übergangsprozess neues Wissen aneignen zu können, teilweise als Nutzen und antizipierten eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung.2046 Es wurde aber auch klar herausgestellt, dass ein Teil der Personalbearbeiter im Lernprozess keinen Nutzen, sondern lediglich Kosten sah.2047 5.12.3.5 Nutzen des Rückübergangs (NRÜ) und Kosten des Rückübergangs (KRÜ) Zum Nutzen des Rückübergangs sowie zu den Kosten des Rückübergangs konnten im Rahmen der Interviews keine Erkenntnisse gewonnen werden. 5.12.3.6 Nettonutzenbetrachtung Bei den vielen Akteuren standen Kosten- und Nutzenaspekte nicht in einer so eindeutigen Relation, dass unmittelbar eine Einschätzung des Nettonutzens möglich gewesen wäre. Deshalb können im Folgenden nur zu wenigen Akteuren klare Aussagen gemacht werden. Ministerium III: Das Ministerium antizipierte durch die ERP-Einführung erhebliche NettoKosteneinsparungen, bei gleichzeitiger Verbesserung der Leistungen. Da wesentliche Pro-

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Vgl. Interview 12-6, Interview 12-5 sowie Interview 12-4. Vgl. Interview 12-2. Interview 12-1: "Das ist gut, persönlich, für mich persönlich ist der Anreiz, ich habe meinen Horizont unheimlich erweitert, seit ich in dem Projekt bin." Hierzu ähnlich auch Interview 12-2. Vgl. Interview 12-5. Interview 12-6. Vgl. Interview 12-5 und Interview 12-13. Vgl. Interview 12-13. Hier wurde sogar ausgeführt, dass das Interesse am Lernen tendenziell gering sei.

340 jektkosten vom BMF getragen wurden, kann hier von einem positiven Nettonutzen der Veränderung des Ministeriums III ausgegangen werden kann. Behörden: Die Behörden konnten durch die ERP-Einführung Effizienzgewinne erzielen und die Dienstleistung für die Mitarbeiter verbessern. Dem standen der Aufwand für die Projektmitarbeiter und die Rechnerausstattung entgegen. Negativ bewertet wurde vor allem die Erhöhung der Transparenz gegenüber dem Ministerium. Insgesamt zeigte die untersuchte nachgeordnete Behörde jedoch eine klare Bereitschaft zur Einführung der ERP-Software, sodass von einem positiven Nettonutzen der Veränderung ausgegangen werden kann.2048 Von anderen nachgeordneten Behörden wurde über Widerstandsverhalten berichtet, jedoch waren in diesen noch keine umfassenden Maßnahmen zur Beeinflussung des Nettonutzens durchgeführt worden, sodass hier kein abschließendes Urteil über den weiteren Verlauf möglich ist. Führungskräfte/Behördenleiter: In der betrachteten nachgeordneten Behörde sah die Leitung im Projekt vor allem die Möglichkeit, die vom BMF geforderten Einsparungen ohne Leistungseinbußen zu erbringen und sich darüber hinaus mit Rationalisierungen zu profilieren, so dass hier von einem positiven Nettonutzen ausgegangen werden kann. Weniger eindeutig war die Situation bei den Führungskräften des Ministeriums zu bewerten. Hier wirkte sich offensichtlich der persönliche Aufwand und der beschriebene Machtverlust durch die steigende Transparenz und Prozessstandardisierung im Personalwesen (z. B. bei Beförderungen) negativ aus, sodass zumindest in Einzelfällen von Widerstandsverhalten berichtet wurde, was einen negativen Nettonutzen nahe legt. "Und wie schwierig wird es sein, im nächsten Jahr dieses System dann in diesem Ministerium einzuführen, […]. Und das ist halt in vielen Ebenen spürbar, dass […] das Beharrungsvermögen und die Widerstände gegen das, was wir machen viel größer sind als vielleicht in irgendwelchen Behörden vor Ort, wo die Leute viel aufgeschlossener sind."2049 Nutzer/Personalbearbeiter: Bei den Personalbearbeitern waren Kosten- und Nutzenwahrnehmung sehr stark abhängig von Lernbereitschaft und Leistungsfähigkeit der einzelnen Individuen. Hier konnte kein einheitliches Bild gewonnen werden. Projektmitarbeiter: Bei den Projektmitarbeitern war hohes Engagement und Freude an der Aufgabe klar ersichtlich, sodass hier von einem deutlich positiven Nettonutzen der Veränderung2050 ausgegangen werden kann. Mitarbeiter: Für die Mitarbeiter war insbesondere eine Verbesserung des Personalservices zu erwarten gewesen, dem keine erkennbaren Nachteile gegenüberstanden, so dass von einem positiven Nettonutzen ausgegangen werden kann. Die Nutzenposition wurde im Rahmen der

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Vgl. auch Interview 12-4. Interview 12-2. Für die Projektmitarbeiter soll die Ausübung der Projektarbeit als der Zielzustand definiert werden.

341 Interviews allerdings nicht direkt von den betroffenen Mitarbeitern erhoben, sondern ausschließlich als Fremdeinschätzung. IT-Fachkräfte der Behörden: Die IT-Fachkräfte wurden durch die ERP-Einführung sowie die Nutzer-Betreuung durch die IT-Zentren zwar entlastet, im Vordergrund stand aber eindeutig die Entwertung ihres Wissens sowie der Verlust an Bedeutung und Macht in den Behörden.2051 Die IT-Fachkräfte zeigten ein deutlich wahrnehmbares Widerstandsverhalten. Es kann daher ein negativer Nettonutzen der Veränderung unterstellt werden. Personalvertreter: Der Hauptpersonalrat sah in der ERP-Einführung eine Möglichkeit, den vom BMF geforderten Personalabbau ohne wesentliche Leistungseinbußen und Mehrbelastung der verbleibenden Mitarbeiter vornehmen zu können. Da wesentliche, potenziell negative Aspekte wie z. B. verstärkte Verhaltenskontrolle durch das ERP-System mittels einer entsprechenden Dienstvereinbarung ausgeschlossen werden konnten, war der Hauptpersonalrat einer der stärksten Befürworter der ERP-Einführung. Daher ist hier von einem positiven Nettonutzen auszugehen. Zu den örtlichen Personalräten konnte keine klare Einschätzung des Nettonutzens der Veränderung gewonnen werden. Bundesministerium der Finanzen: Die ERP-Einführung hätte in Summe zu Nettoeinsparungen und damit zur Entlastung des Bundeshaushalts geführt, was als bedeutsames Interesse des BMF angesehen werden kann. Dem stand aus Sicht des BMF kein erkennbarer Nachteil entgegen. Daher unterstützte das BMF die Einführung und es wird ein positiver Nettonutzen der Veränderung angenommen. 5.12.3.7 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung des Nettonutzens Im untersuchten Vorhaben wurde Veränderungsmanagement zur Beeinflussung der Akteure als zentraler Projektbestandteil und Erfolgsfaktor aufgefasst und systematisch durchgeführt. Verankerung des Veränderungsmanagements als Projektbestandteil: Dem Veränderungsmanagement wurde im Projekt ein hoher Stellenwert beigemessen, und die Ziele des Veränderungsmanagements wurden klar benannt: "Dem Veränderungsmanagement kommt in Programmen in der Größenordnung von [... Name des Programms; Anm. d. Verfassers] stets eine besondere Bedeutung zu. Die Harmonisierungsbestrebungen in der Umsetzung verstärken die besondere Bedeutung. Wichtige Ziele sind bspw. die Kommunikation der Projektzeile in die Organisation, die Integration von Schlüsselpersonen in das Programm, der aktive Aufbau von Engagement und Commitment bei allen Beteiligten, [das] Erreichen von Konsens durch konstruktiven Meinungsaustausch,[und] die Befähigung der Betroffenen zum effizienten Umgang mit der neuen Lösung."2052

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Vgl. Interview 12-10. Dokument 12-1, S. 10. Zur Bedeutung des Veränderungsmanagements vgl. auch Interview 12-1.

342 Veränderungsorganisation: Im Projektorganigramm waren zur Umsetzung des so beschriebenen Veränderungsmanagements zwei Organisationselemente vorgesehen, eines für die konzeptionelle Gestaltung und eines für die operative Durchführung.2053 Dienstvereinbarung: Eine Maßnahme des Veränderungsmanagements von herausragender Bedeutung war der Abschluss einer Dienstvereinbarung zwischen Ministerium III und dem Hauptpersonalrat mit der Intention, wesentliche Nachteile für alle betroffenen Mitarbeiter wie auch für die Personalbearbeiter auszuschließen. Hierdurch wurde verstärkte Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie personenbezogene Auswertungen verhindert.2054 Zudem wurden durch die Dienstvereinbarung Kündigungen ausgeschlossen.2055 Partizipation: Im Rahmen des Veränderungsmanagements wurden die betroffenen Personalbearbeiter durch Workshops in den Einführungsprozess integriert. Hier konnten sie ihre Vorstellungen von den notwendigen Funktionalitäten der neuen Software und vom Ablauf der Implementierung einbringen. 2056 Kommunikation: Zum Zeitpunkt der Interviews waren vielfältige Maßnahmen der Kommunikation geplant und bereits durchgeführt worden, um die relevanten Akteure über den Veränderungsprozess zu informieren und ihnen die Vorteile des ERP-Systems transparent zu machen.2057 Hierzu wurden eine Projektzeitung, Informationsveranstaltungen (bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits ca. 150 Präsentationen) und das Intranet eingesetzt.2058 Die nachgeordneten Behörden wurden im Rahmen einer sog. ‘Roadshow’ von leitenden Projektmitarbeitern bereist, wobei auch mittels Softwaredemonstrationen Funktionsweise und Vorteile des ERP-Systems aufgezeigt werden sollten. Zusätzlich sollten in den Behörden spezielle Personen ausgewählt und ausgebildet werden, um fortlaufend Kommunikationsmaßnahmen im Sinne des Veränderungsmanagements für das Projekt durchzuführen. Hierfür erwies sich insbesondere die Gruppe der ‘Oberamtsräte’ als geeignet:2059 Man ging davon aus, dass die hier besonders geeigneten Personen leicht zu identifizieren waren, da das ministerielle Kernteam des Projektes einen guten Zugang zu erfahrenen Insidern der Behörden hatte.2060 Auch dem Projektleiter des Teilprojektes SAP/R3 HR wurde eine besondere Rolle in der Kommunikati-

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Vgl. Dokument 12-5, S. 1. Vgl. Dokument 12-4, S. 8. Dokument 12-4, S. 15: „Betriebsbedingte Kündigungen im Zuge der Veränderungen von Geschäftsprozessen der Personal-, Dienstposten- und Stellenverwaltung oder im Zusammenhang mit der Einführung und dem Betrieb von SAP R/3 HR […] werden nicht durchgeführt.“ Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-13. Interview 12-1: "Wir wollen ja diese Change Agents aufbauen, das sind besonders fachlich und persönlich anerkannte Mitarbeiter der Behörden, also das sind so Leute, die von allen angesprochen werden, wenn es irgendwie Probleme gibt[...], die so allgemeine Auskunftspersonen, die die Behörde in- und auswendig kennen, die schon lange dabei sind, so allgemein akzeptierte Personen, die aber auch einen Draht haben dann zur entsprechenden Leitung[...] Das sind die alten Oberamtsräte." Vgl. Interview 12-1.

343 on zuerkannt, da er in der Organisation als fachlich und sozial sehr anerkannt galt.2061 Als besonders wirksames Mittel der Kommunikation wurden auch in diesem Veränderungsprozess das persönliche Gespräch unter vier Augen und in Kleingruppen angesehen, Informationsveranstaltungen vor ‘großem Publikum’ wurden hingegen überwiegend negativ bewertet.2062 Daher konzentrierte sich der Projektleiter der untersuchten nachgeordneten Behörde stark auf die Kommunikation in persönlichen Gesprächen.2063 Weiterhin wurden Kommunikationsaufgaben von der Leitung der implementierenden Behörde wahrgenommen.2064 Trotz der intensiven Kommunikationsanstrengungen wurde die Information von den Betroffenen durchaus unterschiedlich bewertet, d. h. einige Mitarbeiter zeigten sich zufrieden, andere bewerteten die Information hingegen als nicht befriedigend.2065 Frühe Erfolge: Es wurde als wichtig erachtet, in den Pilotprojekten deutliche Erfolge zu erzielen, um den anschließend implementierenden Behörden praktische Beispiele von Nutzen und Funktionsweise der ERP-Software liefern zu können.2066 Freiwilligkeit der Projektarbeit: Die Freiwilligkeit war eines der wichtigsten Kriterien bei der Rekrutierung der Projektmitarbeiter, um einen positiven Nutzen aus dem veränderten Handlungsmuster / dem Übergangsprozess bei den Projektmitarbeitern sicherzustellen.2067 Um eine Übereinstimmung von Antizipation und Wahrnehmung des Nutzens bei den Projektmitarbeitern zu gewährleisten, wurde für die Projektarbeit eine Probezeit vereinbart, in der die Betroffenen feststellen konnten, ob ihre Erwartungen mit der Realität der Projektarbeit übereinstimmten.2068 Kompensation von Machtverlust: Zur Kompensation der ‘entmachteten’ IT-Fachkräfte der Behörden wurde eine funktionale Zentralisierung und Spezialisierung erwogen, um deren Rolle aufzuwerten.2069

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Vgl. Interview 12-1. Interview 12-13: "Man kann ja auch viel eher auf die einzelnen Leute eingehen und auch auf deren Probleme. Vielleicht traut sich dann auch einer mal was zu sagen. In so einer Großveranstaltung sitzt alles da und schweigt, der eine schläft vielleicht, der andere spielt mit seinem Gameboy oder irgend so was, keinen interessiert es so wirklich. Ich denke mal, in so kleineren Gruppen, da kommen die Leute vielleicht auch mal mit ihren eigentlichen Problemen dann auch, dass sie dann auch mal sagen, ja aber ich habe die Befürchtung, dass dann das und das passiert. Das würden die, glaube ich, in so einer großen Runde auch schon allein durch den Gruppenzwang würden die das schon gar nicht machen." Vgl. auch Interview 12-3. Vgl. Interview 12-2 und Interview 12-6. Vgl. Interview 12-8. Vgl. Interview 12-3, Interview 12-5, Interview 12-4, Interview 12-6 sowie Interview 12-13. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10.

344 Übernahme von Implementierungskosten: Weiterhin wurde in den Behörden eine Verbesserung der Akzeptanz erzielt, indem zugesagt wurde, dass die Kosten für die Softwareimplementierung weitestgehend vom Ministerium getragen würden.2070 5.12.4 Fähigkeiten 5.12.4.1 Notwendige Fähigkeiten und deren Ausprägung im Veränderungsprozess IT-Fähigkeiten: Da im Zentrum des Projektes die Einführung eines ERP-Systems stand, waren IT-Fähigkeiten von hoher Bedeutung. Es wurde von ‘Amtseite’ einhellig berichtet, dass die beauftragten Berater über die notwendigen IT-Fähigkeiten verfügt hätten.2071 Die meisten betroffenen Mitarbeiter der implementierenden Behörden hingegen waren mit der neuen Software vor dem Projekt noch nicht in Berührung gekommen und hatten einen deutlichen Nachholbedarf im Aufbau spezifischer Softwarekenntnisse. In einer Pilotbehörde verfügten die Mitarbeiter allerdings über Vorkenntnisse, die sie in das Projekt einbringen konnten.2072 Insgesamt stellten die IT-Fähigkeiten im Projekt aber keinen Engpass dar. Kenntnisse über das Ministerium, die Behörden und den öffentlichen Sektor: Im Projekt wurden für die internen Projektmitarbeiter wie auch für die externen Berater Kenntnisse über das Ministerium, den öffentlichen Sektor und die spezifischen Hintergründe des Projektes als wichtige Voraussetzung angesehen.2073 Es entstand kein einheitliches Bild bei der Bewertung der externen Berater hinsichtlich dieses Aspekts. Teilweise wurde das Fehlen dieser Kenntnisse bemängelt2074, teilweise wurden aber auch gute Kenntnisse des öffentlichen Sektors und der Verwaltungspraxis attestiert2075. Projektmanagement-Fähigkeiten: Ein Projekt dieser Größenordung wurde im Bereich des Ministeriums III bis dahin noch nicht durchgeführt.2076 Es zeichnete sich zudem durch eine hohe Komplexität aus. Hierdurch war die Fähigkeit im Bereich Projektmanagement einer der zentralen Erfolgsfaktoren des Veränderungsprozesses.2077 Bei einem Teil der behördeninternen Projektmitarbeiter war zwar Projekterfahrung vorhanden, dennoch wurden in der Selbsteinschätzung deutliche Defizite gesehen.2078 Trotzdem war ein umfangreiches Bemühen um professionelles Projektmanagement deutlich erkennbar. Es wurden zahlreiche Projektmanagementinstrumente genutzt. "Wir haben uns professionell, für den öffentlichen Dienst professionell, organisiert, mit Strukturplan, mit Zielvereinbarungen, mit Projektauftrag, mit Arbeitspaketvereinbarungen usw."2079 Zu den Instrumenten des Projektmanagements gehörten weiterhin ein Risikomanagement für das Projekt sowie die Installierung und Nutzung eines Lenkungsgremiums, das aus hochrangigen Vertretern des Ministeriums sowie der externen Berater bestand.2080 Das gesamte Projekt wurde in Teilprojekte (gegliedert nach SAP-Modulen) strukturiert, mit jeweils einem eigenständigen Projektmanagement sowie einem Gesamtprojektleiter, der übergreifende bzw. koordinierende Aufgaben2081

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Vgl. Interview 12-14.

345 wahrzunehmen hatte.2082 Zur frühzeitigen Beseitigung von Konflikten mit dem Hauptpersonalrat wurde ein Konsensausschuss eingerichtet.2083 Es wirkte sich negativ auf die Projektmanagementfähigkeiten des Gesamtprojektteams aus, dass der externe Kooperationspartner als Konsortium organisiert war, was starke interne Abstimmungsschwierigkeiten zum Ergebnis hatte.2084 Das führte zu Verzögerungen im Projektablauf, sodass sich der Auftragnehmer (d. h. das Konsortium) zum Zeitpunkt der Interviews, also vier Monate nach Projektstart, mit seiner Leistung bereits einen Monat im Verzug befand.2085 Bei den externen Beratern wurde daher eine unzureichende Fähigkeit (oder eine unzureichende Umsetzung vorhandener Fähigkeiten) im Bereich des Projektmanagements bemängelt, was durch geringe personelle Kapazitäten verstärkt worden sei.2086 Die Projektmanagementfähigkeiten können insgesamt als besonders bedeutsam eingestuft werden, wobei für das Gesamtprojektteam sowohl auf Amtseite als auch auf Unternehmensseite Defizite beschrieben wurden. Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten: Im Zuge der Implementierung des neuen ERPSystems sollten die Prozesse zwischen den Behörden vereinheitlicht und effizienter gestaltet werden. Hierdurch waren betriebswirtschaftliche Kenntnisse aus dem Bereich Prozess(re)organisation notwendig. Eines der beauftragten Beratungsunternehmen war auf diesem Feld spezialisiert. Ob tatsächlich in ausreichendem Maße betriebswirtschaftliche Fähigkeiten zur Prozess(re)organisation vorhanden waren, konnte im Rahmen der Fallstudie nicht ermittelt werden, jedoch wurden in den Interviews keine Mängel moniert. Zu den betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten der Amtseite wurden keine expliziten Aussagen getroffen, aber es war offensichtlich, dass man in diesem Bereich Fähigkeiten durch die externe Beratung ‘einkaufen’ wollte.

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Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-2, Interview 12-3 sowie Interview. 12-6. Vgl. Interview 12-2. Vgl. Interview 12-3 und Interview 12-13. Vgl. Interview 12-14. Vgl. hierzu auch Interview 12-2. Es wurde berichtet, dass das ‚Vorläuferprojekt’ im Bereich Personalverwaltung aufgrund des mangelhaften Projektmanagements sowohl auf Seiten des Ministeriums als auch auf Seiten des zu dieser Zeit beauftragten Unternehmens scheiterte. Vgl. hierzu Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Es wurde versucht, diese Defizite durch Schulungsmaßnahmen zu verringern. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Z. B. die Ressourcenbeschaffung oder die Definition von Qualitätsstandards für das Projekt. Vgl. Interview 12-14. Vgl. Interview 12-11. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-10. Es wurde vermutet, dass die Akteure der Beratungsunternehmen nicht über genügend personelle Kapazität verfügten, um Projektmanagementaufgaben wahrzunehmen. So habe man auf Eingaben der Amtseite zwar positiv geantwortet, aber nicht gehandelt.

346 Kommunikationsfähigkeit: In den Interviews wurde die Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit für die Vermittlung der Intention des Projektes, der Projektinhalte und der Auswirkungen hervorgehoben.2087 Insbesondere wurden diese Fähigkeiten für die Mitarbeiter des Projektteams gefordert, da diese in erster Linie die Kommunikationsaufgaben wahrzunehmen hatten. In besonderem Maße waren die ‘Change Agents’ betroffen, die speziell Aufgaben des Veränderungsmanagements in ihren jeweiligen Behörden wahrnehmen sollten.2088 Teilweise zeigten sich bezüglich der Kommunikationsfähigkeiten bei internen wie auch bei externen Projektmitarbeitern Defizite. So wurde bemängelt, die in einer größeren Informationsveranstaltung verwendete Sprache sei für das Publikum nicht verständlich gewesen. "Wissen Sie, wenn wir hier so eine Veranstaltung haben, ich red´ jetzt mal von mir, da kriegen Sie was erzählt, da weiss ich teilweise gar nicht, wovon die sprechen. […] Aber ich hab schon mit Kollegen gesprochen, denen geht´s ähnlich."2089 Derselbe Interviewpartner ergänzte: "Begriffe werden da genannt, wo ich nichts mit anfangen kann."2090 Auch in dieser Fallstudie wurde die Kommunikation der externen Berater von den Mitarbeitern der Behörden kritisch bewertet. Zum einen hätten die externen Berater Probleme mit der in den Behörden üblichen Terminologie, wodurch Missverständnisse entstanden seien und die Kommunikation erheblich erschwert wurde.2091 Zum anderen wurde das Auftreten der Berater wie in anderen Fallstudien auch als teilweise arrogant empfunden.2092 Teamfähigkeit: Der Veränderungsprozess wurde in Form eines Projektes und unter Beteiligung der unterschiedlichsten Akteure durchgeführt, was für die Teamfähigkeit vorrangig des Projektteams ebenfalls von Bedeutung war.2093 Die Teamfähigkeit im Projektteam war in zwei Richtungen erheblich gestört. Zum einen gab es bei der Zusammenarbeit zwischen internem Projektteam und externem Auftragnehmer erhebliche Friktionen, was auch auf ein unterschiedliches Projektverständnis zurückgeführt wurde.2094 Zum anderen war das Teamverhalten innerhalb des Auftragnehmerkonsortiums durch Unstimmigkeiten bei der Verteilung der Zuständigkeiten in der Aufgabenerfüllung geprägt.2095 Die Kooperation innerhalb des ministeriellen Kernteams wurde als sehr gut beschrieben, was auf eine hohe Homogenität der

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Vgl. Interview 12-1, Interview 12-2, Interview 12-6, Interview 12-11 sowie Interview 12-14. Vgl. Interview 12-1. Die ‘Change Agents‘ sollten als Teil des erweiterten Behördenteams die ERPEinführung kommunikativ begleiten und Fragen zu Intention, Auswirkungen und Funktionsweise beantworten. Interview 12-5. Interview 12-5. Das wurde in anderen Gesprächen bestätigt. Vgl. auch Interview 12-13. Vgl. Interview 12-11. Vgl. Interview 12-13. Das Bild ist nicht einheitlich. Andere Mitarbeiter hatten andere Erfahrungen mit den Beratern gemacht und diese als umgänglich beschrieben. Vgl. hierzu Interview 12-6. Vgl. Interview 12-14. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1.

347 Akteure zurückgeführt wurde.2096 Auch die Zusammenarbeit im dezentralen Team der untersuchten Behörde wurde als gut bezeichnet,2097 ebenso wie die Kooperation zwischen ministeriellem Kernteam und dezentralem Behördenteam.2098 Sonstige Fähigkeitsaspekte: Es wurde angeführt, dass die Projektmitarbeiter ‘Ausdauer’ und hohe Frustrationstoleranz benötigten, da sie sich über lange Zeiträume permanent mit vielfältigen Widerständen und Schwierigkeiten auseinandersetzen mussten.2099 Ob diese Fähigkeit in ausreichendem Maße vorlag, konnte nicht festgestellt werden. In Fallstudie 12 wurde die Wahrnehmung formuliert, dass Juristen Problemlösungen stärker blockierten als andere Berufsgruppen: "Also ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass die Juristen formaler sind. Ein Ingenieur […] ist mehr so ad hoc und mehr so pragmatisch. Ein Jurist kann unter Umständen nicht so pragmatisch sein wie ein Ingenieur. Ein Jurist sagt eher, ja, Mensch, das dürfen wir doch eigentlich gar nicht und der Ingenieur sagt, komm, das machen wir jetzt."2100 Andererseits wurde juristischer Sachverstand, insbesondere bei der Vertragsgestaltung mit den externen Beratern, als bedeutsam angesehen.2101 Es wurde festgestellt, dass einige der betroffenen Personalsachbearbeiter in der betrachteten nachgeordneten Behörde überfordert gewesen seien. "Manche verkraften das auch von der Menge der Informationen her nicht. Es ist halt nicht jeder gleich intelligent oder hat das gleiche Spektrum."2102 5.12.4.2 Veränderungsmanagement zur Sicherstellung der Fähigkeiten Auswahl der Projektmitarbeiter: Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Sicherstellung der Fähigkeiten war die Auswahl der Projektmitarbeiter des ministeriellen ‘Kernteams’ nach den oben genannten Fähigkeitskriterien.2103 Im dezentralen Projektteam der untersuchten nachgeordneten Behörde konnte der dezentrale Projektleiter die Projektmitglieder nicht auswählen und war mit der Hälfte der Mitarbeiter nicht zufrieden.2104

2096

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Vgl. Interview 12-1. Die These hoher Homogenität (im Vergleich zu den externen Teammitgliedern) erscheint aufgrund gleicher/ähnlicher Ausbildung und beruflicher Sozialisation plausibel. Vgl. Interview 12-6 und Interview 12-13. Vgl. Interview 12-9. Vgl. Interview 12-14. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Interview 12-13. Der Eindruck erhärtete sich auch auf der Basis von informellen Gesprächen, die mit Mitarbeitern geführt wurden und die die Überforderung selbst einräumten. Bei diesen Mitarbeitern kann unterstellt werden, dass sie die Verringerung der Kosten des Arbeitsprozesses (z. B. durch Arbeitserleichterungen) und die Erhöhung des Nutzens durch ‘Job-Enrichment’ kaum realisieren könnten. Zugleich würden diese Mitarbeiter höhere Kosten des Übergangs wahrnehmen, da ihnen das Erlernen der neuen Arbeitsweise am schwersten fallen würde. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-2.

348 Auswahl der externen Berater: Das Ergebnis der Beraterauswahl wurde sehr differenziert betrachtet, bezüglich der Bewertung der Fähigkeiten der externen Berater lagen positive wie negative Einschätzungen vor.2105 Externer juristischer Sachverstand: Als ausgesprochen wertvoll wurde die Maßnahme erachtet, bei der Gestaltung der Verträge mit dem Konsortium einen externen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, da dieser über sehr spezifische Kompetenzen bezüglich Beraterverträgen verfügte, die amtseitig nicht vorhanden waren.2106 Fortbildung/‘Coaching’: Weiterhin wurden Anstrengungen unternommen, die benötigten Fähigkeiten mittels Schulungen herzustellen.2107 Hierbei standen für die Projektmitarbeiter die Themenfelder Projektmanagement, Projektmodellierung (v. a. Software) sowie das ERPSystem im Vordergrund.2108 Zudem wurde das interne Projektteam von einem externen Berater (der nicht zum beauftragten Konsortium gehörte) bezüglich des Projektmanagements ‘gecoached’, was ex ante als notwendig2109 und ex post als sehr effektiv2110 bewertet wurde. Für die Nutzer waren Anwenderschulungen in SAP geplant.2111 Neue Projektmitarbeiter wurden intensiv eingearbeitet.2112 Wissenstransfer: Zur Erzeugung und Nutzung eines Wissenstransfers hat man einen gezielten und intensiven Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen betrieben, die bereits Erfahrungen mit der Implementierung von ERP-Systemen gesammelt hatten.2113 Ein Wissenstransfer innerhalb des Projektes sollte stattfinden, indem die Projektmitarbeiter und externen Berater, die mit den Pilotprojekten befasst waren, auch in der ‘Roll-Out-Phase’ eingesetzt werden sollten.2114

2105 2106 2107 2108 2109

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Vgl. Interview 12-3, Interview 12-1, Interview 12-6, Interview 12-10 sowie Interview 12-2. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1, Interview 12-2, Interview 12-6 sowie Interview 12-10. Interview 12-10: "Weil ich die Projektmanagementdefizite natürlich auf unserer Seite auch gesehen habe, habe ich auch noch vorgeschlagen, dass wir einen Coach bekommen, einen externen zum Thema Projektmanagement, aber der fachlich überhaupt nicht von diesem Thema beleckt ist, aber ProjektmanagementKnow-How hat. Und das Lenkungsgremium hat dem zugestimmt, weil das war ein K.O.-Kriterium, ohne Coach hätte ich die Leitung nicht übernommen.“ Interview 12-2. Vgl. Interview 12-5. Vgl. Interview 12-10. Interview 12-1: "Wir haben uns getroffen mit der Berliner Senatsverwaltung, die hat SAP eingeführt, wir haben uns mit dem Landschaftsverband Rheinland getroffen, die haben SAP eingeführt [...], wir haben viele Kontakte, Auswärtiges Amt und wir haben ein extra Arbeitspaket externe Kontakte." Ähnlich auch Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10.

349 5.12.5 Externe Zustände 5.12.5.1 Außerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Ressourcenausstattung durch das BMF Von der Genehmigung der notwendigen Haushaltsmittel in Höhe von ca. 55 Mio. Euro durch das BMF war das gesamte Projekt abhängig. Das BMF forderte den Nachweis, dass durch das Projekt insgesamt eine Nettoeinsparung realisiert würde, der vom Projektteam erbracht werden konnte.2115 Nachdem dieser Nachweis erfolgreich erbracht wurde, stellte das BMF die Mittel zur Verfügung. Zusätzliche Stellen für die Projektbearbeitung wurden vom BMF hingegen nicht genehmigt, sondern die Projektmitarbeiter mussten aus dem bestehenden Stellenplan des Ministeriums III gestellt werden.2116 Nachdem eine ausreichende finanzielle Ausstattung durch das BMF sichergestellt war, stellte die Ressourcenausstattung des Projektes insgesamt keinen Engpass im Veränderungsprozess mehr dar. (2) Vorschriftendichte – externe Vorschriften Die externen Vorschriften wurden als erhebliches Hemmnis für den Veränderungsprozess eingeschätzt. Schutzrechte für Arbeitnehmer und Mitbestimmungsrecht: Die Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer und das Personalvertretungsrecht machten die intensive Einbeziehung des Hauptpersonalrats notwendig. Das führte zur Dienstvereinbarung zwischen Ministerium und Hauptpersonalrat, in der z. B. eine automatisierte Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen wurden. 2117 Die Einschränkungen durch das Personalvertretungsrecht wurden insgesamt als erheblich wahrgenommen.2118 Dienstrecht/Allokation von Personalressourcen: Bei der Veränderung des Mitarbeitereinsatzes im Zuge der Reorganisation stieß man an die Grenzen des ‘Laufbahnrechts’. Geeignete Beamte des ‘mittleren Dienstes’ mussten zur Wahrnehmung höherwertiger Aufgaben bzw. zur Besetzung von Stellen, die dem ‘gehobenen Dienst’ zuzurechnen waren, auch bei vorhandener Befähigung zunächst ein dreijähriges Verwaltungsstudium absolvieren. Hier wurde die geringe ‘Durchlässigkeit’ der Laufbahnen als Hemmnis kritisiert.2119 Zulagenwesen: Als weiteres Hemmnis bei der Realisierung von Prozessoptimierungen im Zuge der ERP-Einführung wurden die Vorschriften und Tarifvereinbarungen zum umfangreichen und komplexen Zulagenwesen des öffentlichen Dienstes benannt. Die Berechnung der Zulagen erforderte einen hohen Aufwand. Diese Zulagen konnten aufgrund der Vorschriften-

2115

2116 2117 2118 2119

Vgl. Interview 12-1. Die Einsparungen ergaben sich im Wesentlichen aus ca. 60 netto einzusparenden Stellen. Siehe dazu auch Kapitel 5.1.3 Ziffer (1). Vgl. Interview 12-1. Vgl. Dokument 12-4, S. 3, S. 8 und S. 15. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-2.

350 lage (und der Tarifverträge) nicht pauschaliert werden, was erhebliche Einsparungen verhinderte.2120 Vorschriften zur Aufgabenverteilung in der Bundesverwaltung: Die Implementierung wurde erschwert, weil aufgrund einer Verordnung des BMF die gesamte Finanzverwaltung im Bereich des Ministeriums III einschließlich der Auszahlung der Mitarbeiterbezüge nicht von Ministerium III, sondern vom BMF durchgeführt wurde, wodurch sich vor allem große technische Schnittstellenprobleme ergaben.2121 Diese Vorgabe wurde vom BMF im Zuge der ERP-Einführung nicht aufgehoben, obwohl das Projektteam auf die erheblichen Schwierigkeiten hingewiesen hatte.2122 Der Streit des Ministeriums III mit dem BMF bezüglich der Veränderung dieser Vorschrift hat das Projekt im Vorfeld erheblich verzögert, weil das BMF bis zum Einlenken des Ministeriums III die Mittel nicht freigegeben hatte.2123 Es gab jedoch auch den Hinweis, dass nicht nur die Vorschriftenlage für den Veränderungsprozess bedeutsam sei, sondern vielmehr auch der Umgang mit diesen Rahmenbedingungen.2124 (3) Politische Rahmenbedingungen Das politische Umfeld von Ministerium III war während der Vorbereitung und Durchführung des Projektes durch einen häufigen Wechsel von Ministern (vier Minister innerhalb von vier Jahren) und Staatssekretären gekennzeichnet,2125 mit der Folge, dass das Projekt jeweils mit hohem Aufwand der neuen Leitung erläutert wurde und von dieser akzeptiert werden musste.2126 Eine mögliche ablehnende Haltung der Leitung stellte ein erhebliches Risiko für das Projekt dar. Auch in Fallstudie 12 zeigte sich, dass der politische Wahlzyklus durchaus Auswirkungen auf die Veränderungsprozesse der Ministerien hat. So lenkten die Minister am Ende einer Legislaturperiode ihre Aufmerksamkeit nicht auf interne Projekte wie die ERP-Implementierung, sondern auf Themen mit hoher Öffentlichkeitswirkung und den Wahlkampf. Dadurch war in diesem Zeitraum kaum Top-Managementunterstützung zu erwarten.2127 Weiterhin war der politische Wahlzyklus mit einem möglichen Wechsel von Minister und Staatssekretären verbunden – mit den oben beschriebenen Auswirkungen. Nach der Wahl musste sich die jeweili-

2120 2121 2122 2123

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Vgl. zum Themenfeld Zulagenwesen Interview 12-2. Vgl. Interview 12-14 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10. Dieser Konflikt führte dazu, dass das Projekt ein Jahr überhaupt nicht in den Haushalt aufgenommen wurde und ein zweites Jahr mit einer qualifizierten Sperre versehen wurde, d. h. die Mittel waren nur durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages freizugeben. Vgl. Interview 12-14. Vgl. Interview 12-11. Hier wird unterstellt, dass ein Ministerwechsel (und Wechsel der Staatssekretäre) in aller Regel von außen induziert wird. Vgl. Interview 12-14. Das setzte sich dann auch auf nachgeordneten Führungsebenen fort. Vgl. dazu Interview 12-14.

351 ge Leitung wieder neu orientieren (auch wenn sie nicht wechselte),2128 bevor sie den Managern interner Projekte ein Vorspracherecht gewährte und das Projekt unterstützte.2129 5.12.5.2 Innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandene externe Zustände (1) Unterstützung der Leitung des Ministeriums, der mittleren ministeriellen Führungskräfte und der Behördenleitungen Die Unterstützung der ministeriellen Führungsebenen sowie der Leiter der implementierenden dezentralen Behörden wurde als entscheidender Faktor für den Erfolg des Projektes angesehen.2130 Unterstützung der Leitung des Ministeriums: Bezüglich der Unterstützung der Leitung des Ministeriums herrschte kein einheitliches Bild. Einige Mitglieder der Projektleitung nahmen die Unterstützung als hoch wahr,2131 andere Akteure stellten dies hingegen in Frage.2132 Als äußerst problematisch und zeitaufwändig wurde es vom Projektteam beschrieben, einen Zugang zur Leitung des Ministeriums zu bekommen.2133 Zudem herrschte bei den Mitarbeitern durch den häufigen Wechsel der obersten Führung Unklarheit bezüglich der Einstellung der jeweiligen Führung zum Projekt.2134 Unterstützung der weiteren Führungskräfte des Ministeriums: Die Unterstützung der mittleren Führungskräfte des Ministeriums2135 wurde überwiegend negativ bewertet.2136 "Und eine Kernaussage, die mir so gut in Erinnerung geblieben ist, ist die, dass ein Referatsleiter [...] gesagt hat, also ihm würde es reichen, wenn das System seine Urlaubskartei abbilden kann und der Rest, das soll halt sein Nachfolger machen. Das ist aber jemand, der an entscheidender Position sitzt, der im Grunde genommen wirklich die Weichen stellen müsste für das, was wir jetzt mit dem System zukünftig machen. Und der sagt einfach, ich bin nur noch zwei Jahre da, danach gehe ich in Pension und ich habe keine Lust mehr mich da mit irgendwelchen Leuten rumzuzanken. Ich möchte, dass meine tägliche Arbeit unterstützt wird, sprich, dass so das ganz Normale läuft und über irgendwelche innovativen Dinge will ich mir gar keinen Kopf zerbrechen."2137

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Z. B. aufgrund neuer Koalitionsprogramme. Vgl. Interview 12-14 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-2. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-10. Interview 12-2. Vgl. auch Interview 12-11 und Interview 12-14. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-14. Mit Ausnahme der für das Projekt direkt verantwortlichen Abteilungs-, bzw. Unterabteilungsleiter. Deren Unterstützung stand außer Frage. Dem zuständigen Abteilungsleiter wurde jedoch eine geringe Konfliktbereitschaft unterstellt, was für das Projekt zu verstärkten Konsenslösungen hätte führen können. Vgl. Interview 12-2 und Interview 12-10. Interview 12-2.

352 Unterstützung der Leitung der nachgeordneten Behörde: Die Unterstützung des Projektes in der untersuchten nachgeordneten Behörde durch die Behördenleitung wurde hingegen durchgängig von den verschiedenen Interviewpartnern als ausgesprochen hoch bezeichnet. "Hier […] ist es ganz klar so, dass das Projekt unterstützt wird, also sogar forciert wird, weil hier die Hausleitung wirklich davon ausgeht, wir brauchen die Ressourcen, die wir dadurch frei machen können, für die Fachbereiche."2138 Die Leitung der nachgeordneten Behörde selbst wollte die hohe Priorität mit eindeutiger Kommunikation des ‘Commitments’ sowie ausreichender Ausstattung des Projektes mit Personal verdeutlichen.2139 (2) Kooperation des Personalrats Der Hauptpersonalrat wollte sicherstellen, dass wesentliche Arbeitnehmerinteressen wie Datenschutz, tarifliche Eingruppierung und Standortsicherheit gewahrt wurden und machte dafür das Eingeständnis, dass die Arbeitnehmer Veränderungen bei den Arbeitsinhalten hinzunehmen hatten.2140 Die Wahrung dieser Interessen wurde in einer Dienstvereinbarung zwischen Hauptpersonalrat und Ministerium festgeschrieben.2141 Der Hauptpersonalrat sah in der ERPEinführung

und

den

damit

verbundenen

Effizienzsteigerungen

aber

auch

eine

Möglichkeit, die vom BMF geforderten Einsparungen zu erbringen, ohne die Mitarbeiter zusätzlichen Arbeitsbelastungen auszusetzen.2142 Die Dienstvereinbarung wirkte somit einerseits handlungsbeschränkend, andererseits sicherte sie unter den festgelegten Bedingungen eine umfassende Unterstützung des Hauptpersonalrats. Insgesamt zeigte sich der Hauptpersonalrat ausgesprochen kooperativ und war als wesentlicher Promotor des Projektes einzustufen. Der örtliche Personalrat der untersuchten nachgeordneten Behörde wurde vom Projektteam zum Zeitpunkt der Datenerhebung von Diskussionen und Verhandlungen weitgehend ausgeschlossen.2143 Die Auswirkungen dieser Verhaltensweise waren zu dieser Zeit noch nicht absehbar. (3) Ressourcenausstattung – internes Personal für die Projektbearbeitung Da das BMF nur die Finanzmittel für die Software und externe Beratung zur Verfügung stellte, nicht aber zusätzliche Stellen für das Projektteam, war die Projektbesetzung aus dem bestehenden ‘Personalkörper’ des Ministeriums III und seiner nachgeordneten Behörden zu bestücken.

2138

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Interview 12-2. Ähnlich äußerte sich eine ganze Reihe weiterer Interviewpartner (die alle selbst nicht der Leitung der Behörde angehörten). Vgl. Interview 12-3, Interview 12-4, Interview 12-5 sowie Interview 126. Vgl. Interview 12-8. Vgl. Interview 12-11. Vgl. Dokument 12-4. Die Intention wurde in zahlreichen informellen Gesprächen mit Vertretern des Hauptpersonalrats deutlich. Vgl. Interview 12-2.

353 Im Modul Personalverwaltung wurde folgende Personalausstattung genehmigt: Für das ministerielle Kernteam wurden ca. elf Mitarbeiter vollzeitig eingesetzt, in dem zentralen ITFachzentrum fünf Fachadministratoren, für die Pilotbehörden waren jeweils fünf bis sieben Mitarbeiter in Teilzeit vorgesehen.2144 Die internen personellen Projektressourcen wurden insgesamt als ausreichend eingeschätzt.2145 (4) Technische Voraussetzungen Für die Nutzung des ERP-Systems waren in den Bereichen Netzwerke und Rechnerausstattung die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Die lokalen Netzwerke (LAN) waren in den Pilotbehörden vorhanden. Die überregionalen Netzwerke (WAN) waren noch aufzubauen, wurden aber bereits bearbeitet.2146 Die Ausstattung der Pilotbehörden mit geeigneter Hardware war zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht gegeben,2147 was aber nicht kritisch bewertet wurde.2148 Insgesamt stellten die technischen Voraussetzungen im vorliegenden Fall kein erkennbares Hemmnis dar.2149 (5) Zuweisung von Verantwortung Im vorliegenden Projekt wurde das Projektergebnis relativ eindeutig dem Gesamtprojektleiter sowie den jeweiligen Teilprojektleitern zugeordnet.2150 Es wurde aber deutlich gemacht, dass ein Scheitern des Projektes kaum persönliche Nachteile mit sich bringen würde: "Da müssen sie schon fast aus grober Fahrlässigkeit irgendwas gegen die Wand gefahren haben."2151 (6) Vorschriftendichte – interne Vorschriften Im Zuge der ERP-Einführung sollten Prozesse vereinheitlicht, effizienter gestaltet und damit verändert werden. Das Projektteam hatte die Befugnis, alle bestehenden internen Vorschriften zu Prozessabläufen in Frage zu stellen. Die letzte Entscheidung über die Regelung der Abläufe lag jedoch nicht in der Hand des Projektteams, sondern der jeweiligen Behörde. Es wurde damit gerechnet, dass in den betroffenen Behörden von jenen Akteuren, die für die

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Vgl. Interview 12-10 und Interview 12-1. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-10. Das interne Projektteam wurde von 20-25 externen Beratern unterstützt. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-1. Vgl. Interview 12-2, Interview 12-3 sowie Interview 12-13. Man ging davon aus, über genügend Ressourcen zu verfügen, um für die Nutzer des einzuführenden Moduls HR kurzfristig Rechner beschaffen zu können. Vgl. Interview 12-2. Zu dieser Gesamteinschätzung vgl. auch Interview 12-6. Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-14.

354 bisherigen Regelungen der Prozesse verantwortlich waren, erheblicher Widerstand ausgehen würde.2152 (7) Nutzung zulässiger Anreizsysteme Es existierten für das interne Projektteam kaum explizite Anreizkomponenten, die eine erfolgreiche Projektarbeit belohnt hätten. Lediglich die externen Beratungsunternehmen wurden leistungsorientiert entlohnt. Incentives:2153 Extrinsische Anreize für interne Projektmitarbeiter ausgerechnet im Bereich Personalmanagement einzusetzen, wurde als problematisch eingestuft, da das einer ‘Selbstbedienung’ der Personalverantwortlichen gleichgekommen wäre: "Das heißt, der Pastor segnet sich selbst zuerst, dieser Vorwurf kann natürlich ganz schnell kommen."2154 Hingegen wurden Gesten der Wertschätzung mit eher symbolischem Charakter wie einem gemeinsamen Abendessen für die Mitarbeiter, die an Feiertagen Projektarbeit geleistet hatten, bereits eingesetzt.2155 Personalentwicklung: Als motivationsfördernd hätte ein Personalentwicklungskonzept für die Projektmitarbeiter des ministeriellen Kernteams wirken können, das die weitere Verwendung nach Abschluss des Projektes geregelt hätte. Ein solches Konzept war nicht vorhanden.2156 Anreizsystem für die externen Berater: Lediglich für das Konsortium der externen Unternehmensberater gab es ein explizites Anreizsystem. Der Vertrag war so gestaltet, dass Honorarzahlungen nur bei der erfolgreichen Fertigstellung von Projektteilen bzw. der Erreichung von Meilensteinen erfolgte. Hierdurch waren die externen Dienstleister an einem zügigen Projektfortschritt und dem Projekterfolg interessiert. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war erstmalig die Situation eingetreten, dass das Ministerium aufgrund aufgetretener Verzögerungen den Auftragnehmer mit ausstehenden Zahlungen unter Zugzwang setzen konnte. Hierdurch konnten beim Konsortium zügig Gegenmaßnahmen ausgelöst werden.2157 (8) Organisationskultur Die Kultur des Ministeriums wurde als grundsätzlich wenig veränderungsfreundlich beschrieben. " Ich sehe das nicht so, dass die Organisation offen ist, das ist ein statischer, antiquierter Haufen."2158 Bei den IT-Fachkräften des neu zu errichtenden IT-Fachzentrums musste ein grundsätzlich verändertes Verständnis bezüglich des Dienstleistungsgedankens erzeugt

2151 2152 2153 2154 2155

Interview 12-14. Zu diesem Abschnitt vgl. Interview 12-10. Hier werden unter Incentives extrinsische Anreize verstanden. Interview 12-10. Allerdings wurde angemerkt, dass auch schon die Finanzierung eines solchen Abendessens aufgrund der Vorschriftenlage durchaus schwierig war. Vgl. hierzu Interview 12-14.

355 werden, da die Dienstleistungskultur bislang gering ausgeprägt war, aber für die zentrale Betreuung einer Vielzahl von Behörden als unabdingbar angesehen wurde.2159 (9) Behördenstrukturen Es wurde angestrebt, in den fast 70 Behörden eine einheitliche Software einzuführen, um einen möglichst geringen Programmieraufwand bei der Anpassung der Standardsoftware zu verursachen, effiziente Prozesse zu etablieren und bislang ineffiziente Prozesse nicht in einer neuen Software abzubilden. Dabei erwies es sich jedoch als ausgesprochen hinderlich, dass die Behörden zum Teil sehr unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen hatten.2160 Das erschwerte die Vereinheitlichung und ließ sie teilweise als nicht sinnvoll erscheinen.2161 Im Teilprojekt zur Einführung des Moduls HR (Personalmanagement) war eine Vereinheitlichung noch relativ gut möglich, weil hier die Notwendigkeit zu behördenspezifischen Prozessen gering war. Für andere Module wurden die Möglichkeiten zur Vereinheitlichung schlechter beurteilt. Zudem erwies es sich für die Abstimmung des Vorgehens zwischen den Behörden als hinderlich, dass die Standorte über das gesamte Bundesgebiet verteilt waren. Hierdurch entstand bei Besprechungen, die persönliche Anwesenheit erforderten, hoher Reiseaufwand.2162 (10) Weitere Organisationsveränderungen Der untersuchte Veränderungsprozess war in den untersuchten Behörden nicht das einzige Reformvorhaben, das zu bewältigen war, sondern es wurde von einer ‘Flut von Vorhaben’ berichtet, was die Akzeptanz der ERP-Einführung verringert habe, da die Veränderungsprozesse mit zusätzlichen Belastungen verbunden gewesen seien.2163 Es wurde bemängelt, dass trotz der Vielzahl von Projekten kein ‘Multiprojektmanagement’ betrieben worden sei.2164 (11) Präsenzregelung für externe Berater Negativ wurde das Fehlen einer Regelung zur Präsenz der externen Berater in den Behörden bewertet. Die Anwesenheit der Berater vor Ort wurde als zu gering wahrgenommen, was zu mangelhaften Absprachen von Amt- und Beraterseite sowie zu einem unpersönlichen Arbeitsklima zwischen internen und externen Projektmitarbeitern geführt habe.2165

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Zu einem möglichen Personalentwicklungskonzept und der damit verbundenen Motivationswirkung vgl. Interview 12-1. Vgl. auch Interview 12-14. Zur Vertragsgestaltung und daraus resultierenden Motivationseffekten bei externen Beratern vgl. Interview 12-1. Interview 12-1. Dies bezog sich auf die Akzeptanz von Methoden der Projektarbeit. So wurden z. B. Mitarbeiter, die Sachverhalte an einem ‘Flipchart’ visualisierten, als ‘Spinner’ bezeichnet. Vgl. Interview 1210. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-6. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-3. Vgl. Interview 12-3 und Interview 12-4. Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-2.

356 5.12.5.3 Veränderungsmanagement zur Beeinflussung externer Zustände Die einzigen wesentlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der außerhalb der Dienststelle entstandenen externen Zustände waren die Verhandlungen mit dem BMF über die notwendigen Finanzmittel sowie über die Zuständigkeit der Finanzverwaltung, insbesondere der Berechnung und Auszahlung der Bezüge. Während die notwendigen Finanzmittel akquiriert werden konnten, blieb der Versuch, die Vorschriften zur Zuständigkeit der Finanzverwaltung zu verändern, erfolglos. Es wurden permanent Aktivitäten entfaltet, um die innerhalb des betroffenen Organisationsbereichs entstandenen externen Zustände zu beeinflussen. Von der Leitung des Gesamtprojektes wie auch von der Leitung des untersuchten Teilprojektes zur Einführung des Moduls Personalmanagement wurden intensive Anstrengungen unternommen, die Führungskräfte des Ministeriums bis hin zur obersten Leitung von der Vorteilhaftigkeit des Projektes zu überzeugen und zur aktiven Unterstützung zu bewegen.2166 Dies wurde z. B. erreicht, indem die Projektleitung die ERP-Einführung als regelmäßigen Tagesordnungspunkt des ‘Jour-fixe’ der Staatssekretäre und Abteilungsleiter platzierte.2167 Auch der Hauptpersonalrat wurde früh in das Projekt eingebunden, um dessen Unterstützung sicherzustellen. Das ist in hohem Maße gelungen, da der Hauptpersonalrat das Projekt befürwortete und förderte.2168 Zudem versuchte das Projektteam die Organisationskultur zu beeinflussen, indem z. B. der umständliche Kommunikationsweg vom Ministerium zu den Unterbehörden stark vereinfacht wurde. Bis dahin war es üblich, dass das Ministerium mit einer Unterbehörde nur über die Mittelbehörde kommunizierte. Dieser Umweg wurde ausgeschaltet und das ministerielle Projektteam kommunizierte direkt mit der Unterbehörde.2169 Eine systematische Analyse der internen Vorschriften war als Bestandteil des ‘Projektbausteins Risikomanagement’ vorgesehen.2170 Es wurde berichtet, dass die IT-Fachleute des neu zu errichtenden IT-Fachzentrums auf die Aufforderung des Projekteams, die gültigen Erlasse in Frage zu stellen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten, als Neuland empfunden hätten.2171

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Vgl. Interview 12-1 und Interview 12-10. Vgl. Interview 12-14. Vgl. Interview 12-10 und Interview 12-11. Interview 12-1: "Dieses ministerielle Gehabe, ja, zum Beispiel hier eine oberste Bundesbehörde kommuniziert mit einer Unterbehörde nur über die Mittelbehörde, ja, so Dinge haben wir ausgehebelt. Also wir als Projekt, mit einem Ministeriumskopfbogen, kommunizieren selbstverständlich auch mit einer Unterbehörde nicht über die Mittelbehörde, also das machen wir schon, was uns auch Stirnrunzeln an einigen Stellen einbringt, dass wir den Dienstweg nicht immer einhalten." Vgl. Interview 12-10. Vgl. Interview 12-10.

357 5.12.6 Interne Zustände Zu den internen Zuständen der Akteure oder deren Beeinflussung durch das Veränderungsmanagement konnten im Rahmen der Fallstudie keine Erkenntnisse gewonnen werden. Zur Begründung siehe Kapitel 5.14.6. 5.12.7 Phasenbetrachtung und Gesamterfolg des Veränderungsprozesses Führungskräfte/Behördenleiter: In der untersuchten nachgeordneten Behörde wurde für die Behördenleitung ein positiver Nettonutzen ermittelt. Sie bekannte sich eindeutig zum Projekt und unterstützte es aktiv. Deshalb kann hier vom erfolgreichen Durchlaufen der Phase Unfreeze ausgegangen werden. Da das im Pilotprojekt implementierte Modul Personalmanagement zum Zeitpunkt der letzten Abfrage des Projektstandes in 2005 bereits seit einiger Zeit erfolgreich betrieben wurde, kann angenommen werden, dass bezüglich dieses TeilVeränderungsprozesses auch die Phasen Move und Refreeze abgeschlossen werden konnten. Für den Gesamtveränderungsprozess der Einführung aller Module lag für die Phasen Move und Refreeze noch kein Ergebnis vor. Nutzer/Personalbearbeiter: Die Nutzer/Personalbearbeiter in der untersuchten nachgeordneten Behörde zeigten keinen einheitlichen Nettonutzen der Veränderung, was zum Zeitpunkt der Interviews dazu führte, dass ein Teil die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen hatte, während ein anderer Teil der Personalbearbeiter die Phase Unfreeze bis dahin nicht erfolgreich abgeschlossen hatte. Der negative Nettonutzen der Veränderung war bei dieser Gruppe zum Teil auf die geringen Lernfähigkeiten zurückzuführen.2172 Da die Behörde später das Personalmodul der ERP-Software dennoch erfolgreich einführte, haben diese Personalbearbeiter die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze letztlich erfolgreich durchlaufen. Ob dies auf die Beeinflussung des Nettonutzens der Veränderung durch Ausübung disziplinarischen Drucks (Legitimate Power/Coercive Power) und damit einer Erhöhung der Kosten der Beibehaltung des bisherigen Handlungsmusters, durch Verbesserung der Nutzenaspekte oder durch Veränderung der individuellen Fähigkeiten erzielt wurde, konnte nicht ermittelt werden. Projektmitarbeiter: Die Projektmitarbeiter verspürten einen deutlich positiven Nettonutzen der Veränderung. Definiert man für die Projektmitarbeiter den Zielzustand als die Mitarbeit im Projekt, veränderte sich das Handlungsmuster, da diese Akteure die Tätigkeit in ihrer bisherigen Linienfunktion ganz oder teilweise einstellten und bereits seit geraumer Zeit die Pro-

2172

Von anderen Personalbearbeitern positiv bewertete Aspekte wie verstärkte IT-Unterstützung oder ‘JobEnrichment’ wurden als zusätzliche Belastung empfunden. Zugleich wurden die Kosten des Übergangs durch Lernen sehr viel höher bewertet. Siehe auch Kapitel 5.1.4, Ziffer (7) und Kapitel 5.1.7.

358 jekttätigkeit ausübten.2173 Daher haben sie die Phasen Unfreeze, Move und Refreeze erfolgreich durchlaufen. IT-Fachkräfte der Behörden: Bei den IT-Fachkräften kann für den Zeitpunkt der Interviews ein negativer Nettonutzen der Veränderung angenommen werden, so dass diese die Phase Unfreeze noch nicht erfolgreich durchlaufen hatten. Zur weiteren Entwicklung im Zeitraum danach konnten keine Erkenntnisse gewonnen werden. Personalvertreter: Für den Hauptpersonalrat kann der Zielzustand B als die nachhaltige Unterstützung des Projektes definiert werden. Da der Hauptpersonalrat das Projekt über einen längeren Zeitraum (den gesamten Betrachtungszeitraum) unterstützte, kann hier ein erfolgreiches Durchlaufen der Phasen Unfreeze, Move und Refreeze festgestellt werden. Zu den örtlichen Personalräten konnten keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen werden, um eine fundierte Aussage zu treffen. Behörden: In der untersuchten nachgeordneten Behörde wurde ein positiver Nettonutzen wahrgenommen und das Projekt aktiv unterstützt. Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen wurde und man sich bereits in der Phase Move befand. Im Jahr 2005 wurde vom Ministerium wie auch von der untersuchten Behörde bestätigt, dass das im Pilotprojekt einzuführende Personalverwaltungsmodul SAP/R3-HR bereits seit einiger Zeit erfolgreich genutzt würde. Damit waren hinsichtlich der Einführung des Moduls SAP/R3-HR die Phasen Move und Refreeze erfolgreich abgeschlossen. Die Einführung weiterer Module stand jedoch noch aus. Daher kann zum Erfolg der Phasen Move und Refreeze bezogen auf den Prozess der Implementierung des ERP-Gesamtsystems keine Aussage getroffen werden. Ministerium: Durch den positiven Nettonutzen des Veränderungsprozesses kann davon ausgegangen werden, dass das Ministerium III die Phase Unfreeze erfolgreich durchlaufen hat. Das spiegelt sich in der Entscheidung des Ministeriums, die ERP-Implementierung durchführen zu wollen. Das Ministerium befand sich zum Zeitpunkt der Interviews bereits in den Aktivitäten zur Umsetzung des Vorhabens, was der Phase Move zugeordnet werden kann. Die erstmalige Durchführung des veränderten Handlungsmusters (Betrieb des gesamten ERPSystems) war aber noch nicht vorgenommen worden. Damit kann die Phase Move noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Es zeigte sich bereits zum Zeitpunkt der Datenerhebung, dass es deutliche Verzögerungen in der Implementierung gab. Im Jahr 2005 wurde auf telefonische Nachfrage bestätigt, dass sich die Verzögerungen im Gesamtprojekt bis zu diesem Zeitpunkt fortlaufend vergrößert hatten.

2173

Das betrifft alle Projektteammitglieder, die im Rahmen der Fallstudie interviewt wurden. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Projektmitarbeiter aus dem Projekt ausgeschieden sind, weil sie die Tätigkeit in der Linienverwendung letztlich vorzogen.

359 Über den Erfolg der Phase Move kann daher genauso wenig eine Aussage getroffen werden wie über den Erfolg der Phase Refreeze.

5.13 Fallstudie 13 – Ressortübergreifende Einführung von Personalentwicklung in der gesamten Bundesverwaltung 5.13.1 Fallstudie und Veränderungsprozess im Überblick (1) Ausgangszustand und Zielzustand In Fallstudie 13 beschränkte sich der untersuchte Veränderungsprozess nicht auf ein einzelnes Ministerium, sondern erstreckte sich auf sämtliche Ressorts, d. h. alle Ministerien und nachgeordnete Bereiche der Bundesregierung. Der Veränderungsprozess beinhaltete die Konzeption und Implementierung von ‘modernen’2174, betriebswirtschaftlich ausgerichteten Personalentwicklungssystemen. Das Vorhaben war eingebettet in das Gesamtprojekt der Bundesregierung zur Verwaltungsmodernisierung ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’2175 aus dem Jahr 1999 (siehe Kapitel 3.2.2).2176 Nachfolgende Instrumente waren die ‘Bausteine’ der Personalentwicklungssysteme: 2177 ƒ

Anforderungsprofile für Führungskräfte und Mitarbeiter

ƒ

Verfahren der Personalauswahl

ƒ

Programme zur Einführung neuer Mitarbeiter

ƒ

Regelmäßige Mitarbeitergespräche

ƒ

Fortbildung / Qualifizierung

ƒ

Mitarbeiterbeurteilung

ƒ

Verwendungsplanung

ƒ

Einschätzung der Vorgesetzten durch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Vorgesetztenfeedback)



Frauenförderung

„Die Personalentwicklungskonzepte der einzelnen Ministerien und Behörden sind auf die Zielsetzungen des Programms ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ ausgerichtet, d.h. auf

2174

2175 2176

ƒ

Eine leistungsstarke, kostengünstige und transparente Verwaltung,

ƒ

Motivierte und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, z. B. durch die Erhöhung von Eigenverantwortlichkeit, Stärkung von Managementfähigkeiten, Modernisierung des Bezahlungssystems und die Förderung im Rahmen der individuellen Fä-

Unter ‘modernen’ Personalentwicklungssystemen sollen solche verstanden werden, die den aktuellen Stand betriebswirtschaftlicher Personalwirtschaftslehre widerspiegeln. Hierbei handelte es sich um ein Großprojekt mit insgesamt 15 Leitprojekten und 23 weiteren Projekten. Vgl. Dokument 13-1, S. 10.

360 higkeiten, ƒ

ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Bürgern, gesellschaftlichen Gruppen und Unternehmen sowie den Ländern und Kommunen.“2178

Zwar existierten auch vor Beginn des Projektes in den Behörden partiell Instrumente der Personalentwicklung, allerdings in ‘klassisch bürokratischer Ausprägung’2179 und nicht im Sinne eines umfassenden, betriebswirtschaftlich ausgerichteten Gesamtsystems. Der Ausgangszustand war somit in einem Personalwesen der Bundesverwaltung ohne solche Personalentwicklungssysteme zu sehen, der Zielzustand hingegen im Betrieb und der Nutzung dieser Systeme und der o. g. Instrumente. Dabei stand die Anpassung des Personalwesens an sich wandelnde Aufgaben und externe Zustände im Vordergrund der Bemühungen.2180 Deswegen wurden die Personalentwicklungssysteme nicht als statische, sondern als fortlaufend weiter zu entwickelnde Gebilde verstanden.2181 Die Ausprägung der Personalentwicklungssysteme in den unterschiedlichen Ministerien und Behörden sollte nicht einheitlich, sondern auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmt sein.2182 (2) Verlauf des Veränderungsprozesses - Grobdarstellung Am 1. Dezember 1999 wurde von der Bundesregierung ein Kabinettbeschluss zum Programm ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ herbeigeführt, der bis zum Ende des Jahres 2001 von allen Ministerien umsetzungsreife Personalentwicklungskonzepte forderte.2183 Am 10. Dezember 2001 hatten 14 von 18 obersten Bundesbehörden (Ministerien und Bundeskanzleramt) diese Forderung bereits erfüllt und Konzepte vorgelegt, für vier Ressorts war der Abschluss der Konzeption im Laufe des Jahres 2002 geplant.2184 Ein Beschluss des Staatssekretärsausschuss ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ vom 29. Januar 2001 forderte von den Ministerien die Umsetzung der Personalentwicklungskonzepte bis zum Ende des Jahres 2002.2185 Die Erreichung dieses Zieles wurde von den Projektverantwortlichen der Ministerien zum Zeitpunkt der Interviews jedoch massiv in Frage gestellt bzw. als nicht realisierbar bewertet.2186 Die Projekte waren in den Ministerien zum Zeitpunkt der Datenerhebung unter-

2177 2178 2179

2180 2181 2182

2183 2184 2185 2186

Vgl. zu den vorgesehenen Bausteinen der Personalentwicklung Dokument 13-1, S. 6-8. Dokument 13-1, S. 4. Z. B. als traditionelle Ausbildung im Rahmen der klassischen Beamtenlaufbahnen wie dem ‘gehobenen, nichttechnischen Verwaltungsdienst’. Vgl. Interview 13-3, vgl. Interview 13-4 und Interview 13-5. Vgl. Interview 13-8 und Interview 13-10. Zu den Ausprägungen der unterschiedlichen Personalentwicklungssysteme vgl. Interview 13-1, Interview 13-2, Interview 13-3, Interview 13-4, Interview 13-5, Interview 13-6, Interview 13-8, Interview 13-9 sowie Interview 13-10. Vgl. Dokument 13-1, S. 10 und 12. Vgl. Dokument 13-1, S. 12. Vgl. Dokument 13-1, S. 10. Vgl. Interview 13-1 und Interview 13-10.

361 schiedlich weit gediehen.2187 eine vollständige Implementierung war jedoch noch in keinem Ressort zu verzeichnen. Einzelne Bausteine befanden sich in den Ministerien bereits in der Erprobung, insbesondere Fortbildungskonzepte sowie das Vorgesetztenfeedback, bei dem Führungskräfte von ihren Mitarbeitern bewertet wurden.2188 (3) Datenerhebung und Untersuchungszeitraum Die Datenerhebung wurde vom 17. Mai 2002 bis 05. Juli 2002 vorgenommen, die Datenbasis besteht im Kern aus zehn Interviews, die in sieben verschiedenen Bundesministerien (nicht in nachgeordneten Behörden) geführt wurden, sowie aus umfassendem Dokumentenmaterial.2189 Damit ist die Untersuchung in Fallstudie 13 ‘sehr breit’ angelegt, in den einzelnen Ressorts musste jedoch auf eine in die Tiefe gehende Analyse der jeweiligen Fälle verzichtet werden.2190 Auch in dieser Fallstudie kamen Kurzfragebögen zum Einsatz, die vor allem die Einschätzung des Interviewpartners durch den Interviewer und damit die Gesprächsführung verbessern sollten.2191 Zudem wurden mit einigen Interviewpartnern informelle Gespräche geführt, die jedoch ebenso wie in den übrigen Fallstudien aus forschungsethischen Gründen nicht systematisch ausgewertet wurden, das Gesamtverständnis jedoch erheblich verbesserten. Der Untersuchung konzentriert sich auf den Zeitraum von Dezember 1999 bis zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Sommer 2002. Im Einzelfall wird auch der Zeitraum vor Dezember 1999 betrachtet, wenn einzelne Aktivitäten der Ressorts bereits vor diesem Zeitpunkt lagen. 5.13.2 Akteure im Veränderungsprozess Die Akteursstruktur in Fallstudie 13 weicht von denen der übrigen Fallstudien ab, da hier über ein einzelnes Ministeriums hinausgegangen und ein breites Spektrum der gesamten Bundesverwaltung betrachtet wird. Im Einzelnen konnten folgende Akteure identifiziert werden: ƒ

Die Bundesregierung als oberste (exekutive) Instanz in der Hierarchie der Bundesverwaltung, die mit dem Programm ‘Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ den Anstoß zu einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung einschließlich der Personalentwicklung gegeben hat.

ƒ

2187

2188 2189

2190

2191

2192

Die einzelnen Ministerien2192 und nachgeordneten Behörden (gesamte Bundesverwaltung)

In einigen Ressorts war bereits vor Beschlussfassung des Bundeskabinetts mit der Konzeption und Einführung einzelner Elemente der Personalentwicklung begonnen worden. Vgl. hierzu Interview 13-1 und Interview 13-10. Vgl. Interview 13-1. Unter den analysierten Dokumenten waren z. B. der Beschluss des Staatssekretärsausschuss vom 29. Januar 2001, der Sachstandsbericht des Staatssekretärsausschusses vom 10. Dezember 2001, Konzeptbeschreibungen der Stabsstelle ‚Moderner Staat – Moderne Verwaltung’ sowie die jeweiligen Personalentwicklungskonzepte aus neun Ressorts der Bundesregierung. Der Verzicht auf eine vertiefende Untersuchung der einzelnen Veränderungsprozesse hat forschungspraktische Gründe und dient vorrangig der Aufwandsbegrenzung und Komplexitätsreduktion. In den Kurzfragebögen wurde z. B. die Rolle im Projekt abgefragt, seit wann der Akteur mit dem Projekt betraut ist, wie lange der Akteur bereits im Ministerium arbeitet und über welche Ausbildung er verfügt. Hierdurch konnte die Gesprächsführung in den Interviews deutlich verbessert werden. Die Ministerien werden auch als Ressorts bezeichnet, was dem ministeriellen Sprachgebrauch entspricht.

362 als die insgesamt zu verändernden Akteure höherer Ordnung, die in ihren Bereichen Personalentwicklungskonzepte zu entwickeln und zu implementieren hatten. ƒ

Die obersten Führungsebenen (Minister und Staatssekretäre) der jeweiligen Ministerien und Behörden als wesentliche potenzielle Machtpromotoren und Entscheidungsträger im Veränderungsprozess.

ƒ

Die übrigen Führungskräfte der Ministerien und Behörden als Machtpromotoren und Entscheidungsträger sowie als Zielgruppe der Personalentwicklung.

ƒ ƒ

Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben als Zielgruppe der Personalentwicklung Die mit Konzeption und Implementierung befassten Projektmitarbeiter bzw. Mitarbeiter der zuständigen Personalreferate.

ƒ

Die Abteilung D (Dienstrecht) des Innenministeriums als die für öffentliches Personalrecht zuständige Stelle der Bundesregierung, die die externen Zustände im Bereich dienstrechtlich relevanter Rechtsnormen für die übrigen Akteure in der Personalentwicklung wesentlich beeinflussen konnte.

ƒ

Die Personalräte, die als Entscheidungsträger in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten sowie in ihrer Rolle als Personalvertreter wichtige potenzielle Promotoren/Opponenten darstellten.

5.13.3 Präferenzen und Nutzenmaximierung 5.13.3.1 Kostendifferenz bisheriges - verändertes Handlungsmuster (KBM - KVM) Die Bundesregierung: Es bestand die Erwartung, dass durch die Einführung der Personalentwicklungssysteme die Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns erhöht und die Kosten reduziert werden könnten. „[…] unser Ziel von Personalentwicklung ist, im Rahmen von knapper werdenden Ressourcen eine größere Leistung zu haben, die Ressource Mitarbeiter effektiver und effizienter zu nutzen.“2193 Die Führungskräfte der Ministerien: Die Einschätzung der Kostendifferenz von bisherigem zu verändertem Handlungsmuster schwankte je nach Baustein der Personalentwicklung und dessen spezifischer Ausprägung im jeweiligen Ressort. So wurden in einigen Ministerien keine erhöhten Kosten aus dem Vorgesetztenfeedback bei den Führungskräften antizipiert,2194 in anderen Ministerien zeigten sich die Führungskräfte hingegen besorgt und befürchteten ein ‘Vorgesetzenmobbing’2195 oder empfanden Unbehagen gegenüber der Situation, der Kritik der Untergebenen direkt ausgesetzt zu sein.2196 Das Vorgesetztenfeedback erzeugte vor allem Kosten, wenn ein positives Selbstbild der Vorgesetzten

2193 2194 2195

Interview 13-4. Vgl. Interview 13-1 und Interview 13-10. Vgl. Interview 13-3.

363 einem deutlich schlechteren Fremdbild der Mitarbeiter entgegenstand, was zu Enttäuschung/Frustration bei den Betroffenen führte.2197 Die Fortbildungskonzepte führten für die Führungskräfte zu Kosten, weil Mitarbeiter in der für Fortbildungen verwendeten Zeit nicht für das operative Geschäft und damit zur Aufgabenerledigung im Bereich der Führungskraft zur Verfügung standen. „Ein bisschen negativen Rücklauf hatten wir bei diesen Führungskräftefortbildungen dergestalt, dass das vielen oft zu lange ist, da haben die Leiter gesagt, Kinders, also das muss nicht sein, dass mein einziger Referent hier jetzt sechs Wochen verschwindet.“2198 Die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben: Bei den Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben (aber auch bei zu beurteilenden Führungskräften) war die Veränderung des Beurteilungswesens in hohem Maße mit Ängsten besetzt.2199 Im Rahmen der Neugestaltung des Beurteilungswesens wurde die Vergabe von Bestnoten quotiert, um ein konfliktscheues und vereinheitlichendes Beurteilungsverhalten zu vermeiden. Dies stieß bei den Mitarbeitern zum Teil auf heftigen Widerstand.2200 Als kritisch wurde dabei eingeschätzt, dass sich die Benotung an das System deutscher Schulnoten anlehnte. Das ministerielle Personal, das im Vergleich zum übrigen öffentlichen Sektor als besonders hoch qualifiziert galt, lehnte es ab, mehrheitlich mit ‘befriedigend’ beurteilt zu werden, zumal unklar blieb, ob Mitarbeiter mit dieser Beurteilungsstufe noch für Beförderungen in Frage kamen.2201 Nach einer ersten Beurteilungsrunde zeigte sich in einem Ministerium dann auch, dass sich die Führungskräfte nicht an die vorgegebenen Quoten für die Bestnoten hielten und diese überschritten (Widerstand der Beurteilenden). In einem anderen Ministerium wurden nach der erstmaligen Durchführung der quotierten Beurteilung ebenfalls massive Widerstände erhoben, die sich in formalen Widersprüchen gegen die Beurteilung äußerten (Widerstand der Beurteilten).2202 Zudem wurde in diesem Ministerium in mindestens einem Fall gegen die Beurteilung nach dem neuen Verfahren gerichtlich geklagt.2203 Die Motivation der Mitarbeiter sei durch das neue Beurteilungsverfahren insgesamt abgesunken.2204

2196 2197 2198 2199 2200

2201 2202

2203 2204

Vgl. Interview 13-6. Vgl. Interview 13-3 und Interview 13-10. Interview 13-8. Vgl. Interview 13-6. Interview 13-2: „Wir haben gerade eine Maßnahme die uns extrem wehtut, […] die höchst, höchst problematisch ist, auch klimatisch schwierig, also das was gerade so positiv ein Stück weit aufgebaut worden ist, ist jetzt mit einem Schlag […], nicht zu Nichte gemacht aber schon sehr stark gestört worden, durch die Einführung der quotierten Rege