Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen : eine empirische Untersuchung der Kundenperspektive 9783834998903, 3834998907 [PDF]


176 56 2MB

German Pages 323 Year 2008

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Papiere empfehlen

Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen : eine empirische Untersuchung der Kundenperspektive
 9783834998903, 3834998907 [PDF]

  • 0 0 0
  • Gefällt Ihnen dieses papier und der download? Sie können Ihre eigene PDF-Datei in wenigen Minuten kostenlos online veröffentlichen! Anmelden
Datei wird geladen, bitte warten...
Zitiervorschau

Doreén Pick Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Kundenmanagement & Electronic Commerce Herausgegeben von Professor Dr. Manfred Krafft Universität Münster

Neue, interaktive Medien und die damit einhergehenden Möglichkeiten, einzelne Kundenbeziehungen datengeschützt optimal zu gestalten, verändern die wissenschaftliche und unternehmerische Landschaft nachhaltig. Mit dieser Schriftenreihe wird ein Forum für innovative und anspruchsvolle Beiträge geschaffen, die sich mit Fragen des Customer Relationship Management, des Direktmarketing, des Electronic Commerce, der marktorientierten Unternehmensführung und des Vetriebsmanagements auseinandersetzen.

Doreén Pick

Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen Eine empirische Untersuchung der Kundenperspektive

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Manfred Krafft

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 2008 D6

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Stefanie Loyal Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1069-1

Geleitwort Im Rahmen des Managements von Kundenbeziehungen stellen immer mehr Unternehmen fest, dass ein großer Teil ihrer bisher loyalen Kunden die Geschäftsbeziehung abbricht, zu Wettbewerbern wechselt oder auch ganz als Marktteilnehmer ausscheidet. Diese Entwicklung ist einerseits auf die Stagnation in vielen Branchen, die Liberalisierung bisher regulierter Sektoren und das aktive Abwerben von Kunden durch die jeweiligen Wettbewerber zurückzuführen. Andererseits steigen aber auch die Ansprüche der Kunden, und das Bedürfnis nach Abwechslung begünstigt eine hohe Neigung zur Abwanderung und zu einem häufigen Anbieterwechsel. So wird in praxisnahen und wissenschaftlichen Zeitschriften von jährlichen Abwanderungs- und Kündigungsquoten von bis zu 70 Prozent berichtet. Vor diesem Hintergrund müssen Unternehmen entweder bemüht sein, fortlaufend neue Kunden zu akquirieren oder die hohen Anteile gekündigter Geschäftsbeziehungen zu reduzieren, um ihre bestehende Ertragskraft zu erhalten. Sind die Kunden aber bereits abgewandert und haben sie ihre Verträge bei dem bisherigen Anbieter gekündigt, bleibt den Unternehmen nur noch die Möglichkeit, diese Kunden zurückzugewinnen. Nun zeigt sich zwar, dass viele Unternehmen in der Kundenrückgewinnung aktiv sind, diese Aktivitäten aber mehr oder weniger systematisch und nachhaltig entfalten. Auch der Blick in die einschlägige wissenschaftliche Literatur zeigt, dass sich so gut wie keine fundierten theoretischkonzeptionellen oder empirischen Arbeiten finden lassen, die sich mit der Frage der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen aus Kundensicht auseinandersetzen. Vor diesem Hintergrund zielt Frau Pick in ihrer Arbeit darauf ab, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisbeiträge über die Rolle der Wiederaufnahmebereitschaft und das verhalten in Bezug auf frühere Geschäftsbeziehungen aus Sicht der Forschung und Praxis zu erbringen. Die Verfasserin konzentriert sich in ihrer Arbeit auf zwei Forschungsfragen zur Wiederaufnahmebereitschaft: Zum einen untersucht Frau Pick die generelle Bereitschaft abgewanderter Kunden zur Wiederaufnahme, zum anderen werden Faktoren identifiziert und analysiert, von denen ein potenzieller Einfluss auf die Wiederaufnahmebereitschaft ausgeht. Im Rahmen ihrer konzeptionellen und empirischen Arbeit betrachtet die Verfasserin dabei nicht nur die von den Kunden geäußerte Wiederaufnahmebereitschaft, sondern untersucht auch das Wiederaufnahmeverhalten abgewanderter Kunden. Dadurch wird es möglich, die Aussagen abgewanderter Kunden zu validieren, und pragmatische

VI

Geleitwort

Hinweise zur Gestaltung und zum Einsatz von Rückgewinnungsmaßnahmen im Kundenrückgewinnungsmanagement abzuleiten. Diese Zweistufigkeit der Konzeption spiegelt sich auch im empirischen Teil der Arbeit wider. Nach der Durchführung einer großzahligen Kundenbefragung wurden im Rahmen eines Feldexperiments diese abgewanderten Kunden kontaktiert, um verschiedene Maßnahmen zur Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung mit dem früheren Anbieter zu testen. Die Ergebnisse der Rückgewinnungsexperimente wurden in Kombination mit den Befragungsdaten in Logistischen Regressionsanalysen ausgewertet, um Effekte von Einstellungen auf das tatsächliche Rückgewinnungsverhalten von Kunden nach deren Abwanderung umfassend erklären zu können. Für die empirische Untersuchung konnte je ein führendes Unternehmen aus der Verlags- und der Verkehrsdienstleistungsbranche gewonnen werden. Dass die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit nicht nur von hohem Erkenntniswert für die Wissenschaft, sondern auch für die Praxis sind, wird dadurch belegt, dass die Empfehlungen der Studie von beiden kooperierenden Unternehmen aufgegriffen und in konkrete Rückgewinnungsmaßnahmen übersetzt wurden. Aus wissenschaftlicher Sicht liefert nicht nur die umfassende Aufbereitung der relevanten theoretischkonzeptionellen und empirischen Literatur zur Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen interessante Befunde, sondern auch die empirischen Studien der Verfasserin vermitteln einige neue Erkenntnisse für die Forschung. Die Arbeit von Frau Pick bietet eine sowohl für den an Fragen des Kundenrückgewinnungsmanagements interessierten Forscher als auch für Marketingführungskräfte eine aktuelle und umfassende Quelle zu zentralen Einflüssen und Folgen der Bereitschaft von Kunden, frühere Geschäftsbeziehungen wieder aufzunehmen. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung in Praxiskreisen und innerhalb der wissenschaftlichen Community. Prof. Dr. Manfred Krafft

Vorwort Als ich im Oktober 2004 mit der Themensuche für die Promotion begonnen habe, schien mir die Fertigstellung einer Monographie von rund 250 Seiten weit entfernt. Nun, nach knapp drei Jahren erscheint mir der Beginn der Arbeit so nah, als wäre nur ein Augenblick vergangen, als ich das erste Forschungsmodell zur Wiederaufnahmebereitschaft aufgestellt habe. Wenn ich heute diese Konzeption mit dem finalen Modell vergleiche, wird jedoch deutlich, dass zwischen beiden Ansätzen ganze Welten liegen und tatsächlich einige Jahre intensiver wissenschaftlicher Arbeit vergangen sind. Die Promotionszeit in Münster war eine sehr intensive Zeit, nicht zuletzt deshalb, weil meine vorige Berufszeit nur wenig mit der wissenschaftlichen Arbeitsweise und der Universitätskultur gemein hatte. Aber nicht nur fachlich wechselten sich Hochs regelmäßig mit Tiefs ab, die (zumeist vor Konferenzvorträgen) das Forschungsmodell zu Teilen in Frage stellten. Auch die Wahrung der Balance zwischen wissenschaftlichem Anspruch und der praxisgetriebenen Fragestellung des „cui bono“ war eine interessante Herausforderung, die sich regelmäßig stellte und der man keineswegs ausweichen konnte. Die Promotionszeit mit der Arbeit am Lehrstuhl, der Betreung des Alumni-Vereins und den Gesprächen (und Parties) auf Konferenzen in Brüssel, Athen und Rejkjavik war in toto eine Zeit, die ich nicht missen möchte, da sie wesentlich zur Erweiterung meines persönlichen und fachlichen Horizonts beigetragen hat. Ermöglicht wurde dies vor allem durch das Umfeld am Institut für Marketing, in dem ich mit Ideen meinen eigenen Weg beschreiten konnte. Mein Dank geht daher zuerst an meinen Doktorvater Prof. Dr. Manfred Krafft, ohne dessen Gewährung von Freiräumen für die wissenschaftliche Arbeit, die zahlreichen Gespräche und intensive Förderung zu Konferenzen und internationalem Austausch sowie eine fortwährende Motivation zur Überprüfung jeglicher Annahmen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Danken möchte ich auch Frau Prof. Dr. Theresia Theurl, die die Zweitbegutachtung der Arbeit übernommen hat und mit ihrem Blick aus der Volkswirtschaft und ihrer bestimmten Art weitere Aspekte in die Arbeit eingebracht hat. Ohne die Unterstützung weiterer Personen wäre die Durchführung der Kundenbefragung und Experimente in der vorliegenden Stichprobengröße und der erzielten Qualität nicht möglich gewesen. Daher geht mein Dank vor allem an Stella Ehlers, Marc Fleischhauer, Steffen Frosch, Susanne Glomsda, Anke-Maria Grewe, Anke A.

VIII

Vorwort

Müller, Sousan Nazarian, Petra Siemoneit, Gisela Stahl und alle Mitarbeiter der beiden Unternehmen, die in der Datenerhebung beteiligt waren für die persönliche Unterstützung, die teils weit über die üblichen Arbeitszeiten hinaus ging und die sehr angenehme Zusammenarbeit in allen Phasen der Erhebung. Der Aufenthalt am IMC an der Northwestern University im Sommer 2007 und die Zusammenarbeit mit Jakki Thomas war ein weiterer Höhepunkt in der Promotionszeit. Auch wenn der Aufenthalt einen Monat in der Schreibphase gekostet hat, möchte ich die Erlebnisse und Erfahrungen nicht missen und denke gern an die Zeit mit Jakki Thomas, Ed Malthouse und Kalyian Raman zurück. Mein Dank geht darüber hinaus an alle Kollegen und Freunde des Instituts für Marketing, die in der Dissertationszeit in vielfältiger Weise motivierend und beratend zur Seite standen. Besonderer Dank geht an Oliver Götz, dessen Hilfestellungen bei methodischen Fragestellungen zu PLS mir sehr weitergeholfen haben. Besonderer Dank geht auch an Heiko Frenzen, der in der gemeinsamen Zeit im Außenbüro ein guter Freund geworden ist und der kritisch meine englisch-sprachigen Texte überprüft hat, an Tim Tecklenburg, der gewissenhaft und mit ihm eigener Strenge die letzte Fassung Korrektur gelesen hat und an Stephan Nass, der als Word-Profi bei Fragen der Formatierung insbesondere in den letzten Tagen vor der Abgabe geduldig zur Seite stand. Nicht zuletzt geht mein Dank auch an Doris Bombeck, die mit viel Energie, stoischer Ruhe und einem unabhängigen Blick auf den Universitätsalltag immer wieder Zeit auf einen Kaffeeplausch hatte. Auch ohne all jene Doktoranden und (Junior-)Professoren, die ich auf vielen Konferenzen kennen lernen und mit ihnen die Freuden und Leiden der wissenschaftlichen Arbeit teilen konnte, wäre die Promotionszeit um einiges ärmer gewesen. Sie alle hier zu nennen, würde den Rahmen dieses Vorworts sprengen, daher möchte ich meinen Dank übergreifend an alle richten, denen ich begegnen konnte. Jede Promotion ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, in dem nicht zuletzt Eltern, Freunde und Bekannte eine wichtige Rolle einnehmen, auch wenn ihnen das manchmal nicht so bewusst ist. Daher bin ich meiner gesamten Familie zu Dank verpflichtet, die, wenn auch räumlich weit entfernt, in meiner bisherigen Berufszeit immer eine große Unterstützung war. Ganz besonderer Dank geht an Eka, die in den letzten Jahren an unserem sonntäglichen 11 Uhr-Termin festgehalten hat und mit ihrer unerschütterlichen Lebensfreude dazu beigetragen hat, schwierige Zeiten zu meistern und den Blick immer wieder nach vorn zu richten. Doreén Pick

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis....................................................................................................IX Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... XV Tabellenverzeichnis ............................................................................................ XVII Abkürzungsverzeichnis........................................................................................XXI Symbolverzeichnis ...............................................................................................XXV 1 Einleitung .............................................................................................................. 1 1.1 Relevanz des Themas .................................................................................. 1 1.2 Zielsetzungen der Arbeit ............................................................................. 5 1.3 Aufbau der Arbeit........................................................................................ 7 2 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen ..................................................... 9 2.1 Grundlagen zur Abwanderung aus Beziehungen ........................................ 9 2.1.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Kundenabwanderung ......... 11 2.1.2 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zur Abwanderung aus Geschäftsbeziehungen ........................................... 15 2.1.2.1 Kundenabwanderung im B2C-Kontext ....................................... 18 2.1.2.2 Dimensionen der Kundenabwanderung in B2C-Kontexten........ 19 2.1.2.2.1 Initiatoren der Abwanderung................................................... 21 2.1.2.2.2 Art der Kundenbeziehung........................................................ 21 2.1.2.2.3 Umfang der Abwanderung ...................................................... 23 2.1.2.2.4 Abwanderungsprozesse ........................................................... 24 2.1.2.2.5 Absichten und Verhalten ......................................................... 25 2.1.2.2.6 Wiederaufnahmemöglichkeit................................................... 30 2.1.3 Konsequenzen der Kundenabwanderung............................................. 32 2.1.3.1 Konsequenzen der Abwanderung für die Kunden....................... 32 2.1.3.2 Konsequenzen der Abwanderung für die Unternehmen ............. 33 2.2 Grundlagen zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen ................. 35 2.2.1 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen...................................... 35 2.2.1.1 Konzeptionelle Forschungsarbeiten ............................................ 36 2.2.1.2 Empirische Forschungsarbeiten................................................... 36 2.2.2 Definition und Abgrenzung der Wiederaufnahmebereitschaft............ 40 2.2.3 Konzeptualisierung des Wiederaufnahmeverhaltens........................... 42 2.3 Grundlagen zum Kundenrückgewinnungsmanagement............................ 42

X

Inhaltsverzeichnis

2.3.1

Definition und Abgrenzung des Begriffs Kundenrückgewinnungsmanagement.................................................. 45 2.3.2 Ziele des Kundenrückgewinnungsmanagements................................. 50 2.3.3 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zum Kundenrückgewinnungsmanagement.................................................. 53 2.3.3.1 Konzeptionelle Forschungsarbeiten ............................................ 54 2.3.3.2 Empirische Forschungsarbeiten................................................... 55 2.3.3.2.1 Übersicht über empirische Beiträge ........................................ 55 2.3.3.2.2 Phase der Abwanderungsanalyse............................................. 56 2.3.3.2.3 Phase der Rückgewinnungsaktivitäten .................................... 57 2.3.3.2.4 Phase des Rückgewinnungscontrolling ................................... 67 2.3.3.3 Empirische Forschungslücken im Kundenrückgewinnungsmanagement .......................................... 67 3 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen .................................................. 73 3.1 Theorie der kognitiven Dissonanz............................................................. 74 3.1.1 Grundsätze der Theorie........................................................................ 74 3.1.2 Empirische Anwendungen der Dissonanztheorie im Marketing ......... 79 3.1.3 Relevanz für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen .......... 80 3.2 Attributionstheorie..................................................................................... 84 3.2.1 Grundsätze der Theorie........................................................................ 84 3.2.2 Empirische Anwendungen der Attributionstheorie im Marketing ...... 87 3.2.3 Relevanz für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen .......... 88 4 Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen ................................................................................. 93 4.1 Konzeptualisierung und Operationalisierung von Konstrukten ................ 93 4.2 Bezugsrahmen der Untersuchung.............................................................. 94 4.2.1 Wiederaufnahmebereitschaft abgewanderter Kunden ......................... 96 4.2.1.1 Wiederkaufbereitschaft als konzeptioneller Rahmen.................. 96 4.2.1.2 Inhaltliche Dimension und Hypothesenbildung ........................ 101 4.2.1.3 Operationalisierung ................................................................... 103 4.2.2 Dimensionen der Kundenmotivation ................................................. 105 4.2.2.1 Generelle Kundenzufriedenheit................................................. 106 4.2.2.1.1 Inhaltliche Dimension und Hypothesenbildung .................... 106 4.2.2.1.2 Operationalisierung ............................................................... 109

Inhaltsverzeichnis

XI

4.2.2.2 Commitment .............................................................................. 110 4.2.2.2.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 110 4.2.2.2.2 Operationalisierung ............................................................... 113 4.2.2.3 Wahrgenommene Verhaltenskontrolle...................................... 113 4.2.2.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 113 4.2.2.3.2 Operationalisierung ............................................................... 115 4.2.2.4 Kundenwissen............................................................................ 116 4.2.2.4.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 116 4.2.2.4.2 Operationalisierung ............................................................... 120 4.2.3 Dimensionen der Abwanderungsattributionen .................................. 121 4.2.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung....................... 121 4.2.3.2 Operationalisierung des Lokus .................................................. 123 4.2.3.3 Operationalisierung der Stabilität.............................................. 124 4.2.3.4 Operationalisierung der Kontrollierbarkeit ............................... 125 4.2.4 Dimensionen des Wettbewerbs und explorativen Kundenverhaltens .............................................................................. 125 4.2.4.1 Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten................................ 126 4.2.4.1.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 126 4.2.4.1.2 Operationalisierung ............................................................... 130 4.2.4.2 Attraktivität der Alternativen .................................................... 131 4.2.4.2.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 131 4.2.4.2.2 Operationalisierung ............................................................... 132 4.2.4.3 Variety Seeking ......................................................................... 133 4.2.4.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 133 4.2.4.3.2 Operationalisierung ............................................................... 135 4.2.4.4 Wechselerfahrungen .................................................................. 136 4.2.4.4.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung................... 136 4.2.4.4.2 Operationalisierung ............................................................... 139 4.2.5 Soziodemografische Einflussgrößen.................................................. 140 4.2.6 Weitere Beziehungsdimensionen....................................................... 142 4.2.7 Branchenspezifische Wiederaufnahmebereitschaften ....................... 144 4.2.8 Darstellung des Gesamtmodells......................................................... 147 5 Methodische Grundlagen................................................................................. 149 5.1 Strukturgleichungsmodelle – Grundlagen und Anwendung ................... 149 5.1.1 Grundlagen von Strukturgleichungsmodellen ................................... 149 5.1.1.1 Aufbau von Strukturgleichungsmodellen.................................. 149

XII

Inhaltsverzeichnis

5.1.1.2 Methoden zur Parameterschätzung............................................ 151 5.1.2 Spezifikation von Messmodellen und Validierung von Konstrukten........................................................................................ 152 5.1.2.1 Validierung reflektiver Indikatoren und Gütekriterien ............. 155 5.1.2.1.1 Gütekriterien der ersten Generation ...................................... 155 5.1.2.1.2 Gütekriterien der zweiten Generation.................................... 156 5.1.2.2 Validierung formativer Indikatoren und Gütekriterien ............. 161 5.1.3 Spezifikation von Strukturmodellen .................................................. 164 5.1.3.1 Mediierende Effekte .................................................................. 164 5.1.3.2 Hypothesenprüfung, Gütekriterien und Anspruchsniveaus....... 164 5.2 Grundlagen zur experimentellen Forschung ........................................... 167 5.2.1 Allgemeine Grundlagen ..................................................................... 167 5.2.2 Zielsetzung und Experimentdesign.................................................... 169 5.2.3 Gütekriterien von Experimenten........................................................ 170 5.3 Grundlagen zur Logistischen Regression................................................ 171 5.3.1 Allgemeine Grundlagen ..................................................................... 171 5.3.2 Gütekriterien der Logistischen Regression........................................ 172 6 Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen ...................................................................................... 174 6.1 Empirische Befunde des Verlagshauses.................................................. 175 6.1.1 Markt für Publikumszeitschriften ...................................................... 175 6.1.2 Datenerhebung und Datenbasis ......................................................... 176 6.1.2.1 Grundgesamtheit und Stichprobe der Untersuchung................. 176 6.1.2.2 Deskriptive Analyse .................................................................. 178 6.1.2.3 Durchführung und Ergebnisse des Experiments ....................... 180 6.1.3 Ergebnisse der Modellschätzung ....................................................... 184 6.1.3.1 Validierung der Messmodelle.................................................... 185 6.1.3.2 Beurteilung des Strukturmodells ............................................... 193 6.1.4 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ................................ 198 6.2 Empirische Befunde des Verkehrsdienstleisters ..................................... 203 6.2.1 Markt für Verkehrsdienstleistungen .................................................. 203 6.2.2 Datenerhebung und Datenbasis ......................................................... 204 6.2.2.1 Grundgesamtheit und Stichprobe der Untersuchung................. 204 6.2.2.2 Deskriptive Analyse .................................................................. 205 6.2.2.3 Durchführung und Ergebnisse des Experiments ....................... 207

Inhaltsverzeichnis

XIII

6.2.3 Ergebnisse der Modellschätzung ....................................................... 209 6.2.3.1 Validierung der Messmodelle.................................................... 209 6.2.3.2 Beurteilung des Strukturmodells ............................................... 217 6.2.3.3 Ergebnisse der Logistischen Regression ................................... 221 6.2.4 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ................................ 226 6.3 Zusammenfassende Betrachtung beider Unternehmensstudien.............. 228 6.3.1 Gemeinsamkeiten der beiden Teilstudien.......................................... 230 6.3.2 Unterschiede bei den Untersuchungsobjekten................................... 232 6.3.3 Vergleich der Wiederaufnahmebereitschaften................................... 235 7 Schlussfolgerungen und Ausblick ................................................................... 236 7.1 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse........................................... 236 7.1.1 Schlussfolgerungen für beide Unternehmen...................................... 236 7.1.2 Schlussfolgerungen für das Verlagshaus ........................................... 240 7.1.3 Schlussfolgerungen für den Verkehrsdienstleister ............................ 242 7.2 Implikationen für die Marketingforschung ............................................. 244 7.3 Implikationen für die Marketingpraxis.................................................... 251 Anhang.................................................................................................................... 257 Literaturverzeichnis.............................................................................................. 263 Internet-Quellen .................................................................................................... 299 Geschäftsberichte .................................................................................................. 300 Gesetzestexte und Gerichtsurteile........................................................................ 301

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26:

Rahmenbedingungen zur Abwanderung und Rückkehr ........................ 2 Prozess der Kundenabwanderung und Wiederaufnahme ...................... 4 Aufbau der Arbeit .................................................................................. 8 Investmentmodell in zwischenmenschlichen Beziehungen................. 10 Schnittmengen von Einflussgrößen des Verbleibs bzw. der Abwanderung aus Beziehungen........................................................... 11 Begriffliche Abgrenzung von Wechsel und Kundenabwanderung ..... 17 Dimensionen der Kundenabwanderung............................................... 20 Umfang der Kundenabwanderung ....................................................... 23 Abwanderungsprozess ......................................................................... 25 Dimensionen von Kundenabwanderung und Wechsel ........................ 26 Elemente der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen......... 35 Einordnung der Kundenrückgewinnung in den Kundenbeziehungslebenszyklus .......................................................... 44 Auslegung der Kundenrückgewinnung in der Literatur ...................... 46 Kundenstatus und Kundenrückgewinnungsmanagement .................... 47 Ökonomische Effekte bei einer 5%-igen Reduktion der Kundenabwanderung ........................................................................... 51 3-Phasen-Modell des Kundenrückgewinnungsmanagements ............. 53 Wege der Rückgewinnungskommunikation........................................ 61 Attributionsprozess von Kunden nach der Abwanderung ................... 85 Theoretische Ansätze und deren zentrale Konstrukte zur Erklärung der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen........ 92 Bestimmungsgrößen der Wiederaufnahme.......................................... 95 Konzeptualisierung der Kundenbindung aus Kundensicht.................. 97 Dimensionen der Kundenmotivationen ............................................. 105 Dimensionen der Abwanderungsattributionen .................................. 121 Dimensionen des Wettbewerbs und explorativen Kundenverhaltens .............................................................................. 126 Einordnung der Güterkategorien in die Maslowsche Bedürfnispyramide............................................................................. 145 Einordnung von Branchen bzw. Leistungen nach Güterart und Marktsituation .................................................................................... 146

XVI

Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35:

Abbildungsverzeichnis

Bezugsrahmen der vorliegenden Studie ............................................ 148 Allgemeines Strukturgleichungsmodell............................................. 150 Ablauf der Überprüfung von reflektiven Messmodellen................... 161 Prozess der Prüfung formativer Messmodelle ................................... 162 Experimentelle Untersuchungsdesigns .............................................. 168 Allgemeiner Prozess der Datenerhebung........................................... 174 Verteilung der Abwanderungsgründe der Verlagshauskunden ......... 179 Beziehung zwischen der GWAB und der Abwesenheitsdauer.......... 201 Verteilung der Abwanderungsgründe bei dem Verkehrsdienstleister ......................................................................... 206 Abbildung 36: Aufteilung des ursprünglichen Datensatzes für die Logistische Regression.......................................................................................... 221 Abbildung 37: Empirische Ergebnisse der Strukturgleichungsanalyse für beide Unternehmen................................................................................... ...229 Abbildung 38: Beziehungsgeflecht der Abwanderungsattributionen ........................ 252

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24:

Ausgewählte Begriffe zur Kundenabwanderung................................. 13 Ausgewählte Einflussgrößen von Wechselabsichten .......................... 27 Ausgewählte Studien mit vom Kunden aufgeführten Abwanderungsgründen ........................................................................ 28 Einflussgrößen der Wiederaufnahmebereitschaft................................ 37 Einflussfaktoren auf die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen ......................................................................... 39 Begrifflichkeiten zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen ......................................................................... 40 Definitionen zum Kundenrückgewinnungsmanagement..................... 49 Inhalte und betrachtete Phasen der empirischen Studien zum Kundenrückgewinnungsmanagement.................................................. 55 Arten von Rückgewinnungsangeboten ................................................ 64 Zentrale Beiträge zum Kundenrückgewinnungsmanagement ............. 69 Ausgewählte Beiträge zur Theorie der kognitiven Dissonanz ............ 79 Ausgewählte Beiträge zur Attributionstheorie .................................... 88 Einflussgrößen der Wiederkaufabsicht................................................ 99 Indikatoren zur Messung der generellen Wiederaufnahmebereitschaft ............................................................. 104 Indikatoren zur Messung der spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft ............................................................. 105 Indikatoren zur Messung der generellen Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung ................................................ 109 Indikatoren zur Messung des Commitment ....................................... 113 Indikatoren zur Messung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle............................................................................ 115 Indikatoren zur Messung des Kundenwissens................................... 120 Indikatoren zur Messung des Konstrukts Lokus ............................... 124 Indikatoren zur Messung des Konstrukts Stabilität ........................... 124 Indikatoren zur Messung des Konstrukts Kontrollierbarkeit............. 125 Indikatoren zur Messung der wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten ..................................................................... 130 Indikatoren zur Messung der Attraktivität der Alternativen.............. 132

XVIII

Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53:

Tabellenverzeichnis

Indikatoren zur Messung des Variety Seeking .................................. 136 Indikatoren zur Messung der Wechselerfahrungen ........................... 139 Auswirkungen von soziodemografischen Daten auf die Kundenbindung.................................................................................. 141 Gütekriterien für reflektive Messmodelle.......................................... 160 Gütekriterien für formative Messmodelle ......................................... 163 Zentrale Gütekriterien der Logistischen Regression ......................... 172 Deskriptive Daten der Befragten des Verlagshauses......................... 178 Experimentaufbau und Rückgewinnungsdaten der Befragungsgruppe des Verlagshauses ............................................... 181 Experimentaufbau und Rückgewinnungsdaten der Nicht-Befragungsgruppe des Verlagshauses ..................................... 182 Gütemaße des Konstrukts generelle Wiederaufnahmebereitschaft ... 185 Gütemaße des Konstrukts spezifische Wiederaufnahmebereitschaft ............................................................. 186 Gütemaße des Konstrukts generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung............................................................. 186 Gütemaße des Konstrukts Commitment ............................................ 187 Gütemaße des Konstrukts Kundenwissen.......................................... 187 Gütemaße des Konstrukts wahrgenommene Verhaltenskontrolle..... 188 Gütemaße des Konstrukts Stabilität................................................... 189 Gütemaße des Konstrukts Lokus ....................................................... 189 Gütemaße des Konstrukts Kontrollierbarkeit .................................... 190 Gütemaße des Konstrukts Wiederaufnahmekosten ........................... 191 Gütemaße des Konstrukts Attraktivität der Alternativen .................. 192 Gütemaße des Konstrukts Variety Seeking ....................................... 192 Gütemaße des Konstrukts Wechselerfahrungen ................................ 193 Bestimmtheitsmaße der endogenen Konstrukte ................................ 194 Ergebnisse der Hypothesenprüfung für das Verlagshaus .................. 195 Ergebnisse zur Prüfung der Effektgröße für die Verlagshaus-Daten............................................................................. 196 Ergebnisse der Blindfolding-Prozedur zur Bestimmung des Stone-Geisser-Kriteriums .................................................................. 197 Deskriptive Daten des Befragten des Verkehrsdienstleisters ............ 205 Struktur des Experiments und Ergebnisse ......................................... 208 Gütemaße des Konstrukts generelle Wiederaufnahmebereitschaft ... 210

Tabellenverzeichnis

Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61: Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69: Tabelle 70: Tabelle 71: Tabelle 72: Tabelle 73: Tabelle 74: Tabelle 75: Tabelle 76:

XIX

Gütemaße des Konstrukts spezifische Wiederaufnahmebereitschaft ............................................................. 210 Gütemaße des Konstrukts generelle Kundenzufriedenheit................ 211 Gütemaße des Konstrukts Commitment ............................................ 211 Gütemaße des Konstrukts Kundenwissen.......................................... 212 Gütemaße des Konstrukts wahrgenommene Verhaltenskontrolle..... 212 Gütemaße des Konstrukts Stabilität................................................... 213 Gütemaße des Konstrukts Lokus ....................................................... 214 Gütemaße des Konstrukts Kontrollierbarkeit .................................... 214 Gütemaße des Konstrukts Wiederaufnahmekosten ........................... 215 Gütemaße des Konstrukts Attraktivität der Alternativen .................. 215 Gütemaße des Konstrukts Variety Seeking ....................................... 216 Gütemaße des Konstrukts Wechselerfahrungen ................................ 217 Ergebnisse für die Bestimmtheitsmaße.............................................. 218 Ergebnisse der Hypothesenprüfung für den Verkehrsdienstleister ... 219 Ergebnisse zur Prüfung der Effektgröße des Verkehrsdienstleisters ........................................................................ 219 Output der Blindfolding-Prozedur zur Bestimmung des Stone-Geisser-Kriteriums .................................................................. 220 Zentrale Gütemaße der Logistischen Regression (Variante 1).......... 222 Klassifikationsmatrix der Logistischen Regression........................... 223 Regressionskoeffizienten, Wald-Statistik und Signifikanzen............ 223 Ähnlichkeiten in den Pfadkoeffizienten der beiden Teilstudien........ 231 Vergleich der Bestimmtheitsmaße beider Untersuchungen .............. 232 Unterschiede in den Pfadkoeffizienten beider Unternehmen ............ 233 Kennzahlen des Bus-, Bahn-, PKW- und Luftverkehrs..................... 243

Abkürzungsverzeichnis Abb. AGFI AMOS ANOVA Aufl.

Abbildung Adjusted-Goodness-of-Fit-Index Analysis of Moment Structures Varianzanalyse Auflage

B2B B2C bspw. bzgl. bzw.

Business to Business Business to Consumer beispielsweise bezüglich beziehungsweise

CIT CRM DEV df d. h. DM

Critical Incident Technique Customer Relationship Marketing Durchschnittlich erfasste Varianz degrees of freedom (Freiheitsgrade) das heißt Deutsche Mark

EQS et al. f. ff.

Equations based Structural Program et alii folgende fortfolgende

GFI ggf. ggü. GLS GWAB

Goodness-of-Fit-Index gegebenenfalls gegenüber Generalized Least Squares Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

H Hrsg. i. d. R.

Hypothese Herausgeber in der Regel

XXII

Abkürzungsverzeichnis

i. e. S. inkl. IR i. w. S.

im engeren Sinne inklusive Indikatorreliabilität im weiteren Sinne

Jg. KMO KRM

Jahrgang Kaiser-Meyer-Olkin Kundenrückgewinnungsmanagement

LISREL MCC Mio. ML

Linear Structural Relation Maximum Chance Criterion Million(en) Maximum Liklihood

NFI n. g. n. s. o. g.

Normed-Fit-Index nicht geprüft nicht signifikant oben genannt(e)

PKW PPC PLS p r resp. RMR

Personenkraftwagen Proportional Chance Criterion Partial Least Squares-Ansatz Signifikanzniveau revers kodiert respektive Root-Mean-Square-Residual

S. Sig. SGM Sp. SPSS sog. SSE SSO

Seite Signifikanzniveau Strukturgleichungsmodell(e) Spalte Statistical Product and Service Solutions sogenannte(s)(r) Summe der quadrierten Residuen Summe der quadrierten Beobachtungen

Abkürzungsverzeichnis

SWAB Tab. u. a. ULS UWG

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft Tabelle unter anderem Unweighted Least-Squares Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v. a. VDEW VIF vgl. VD VH Vol. vs.

vor allem Verband der Elektrizitätswirtschaft Variance Inflation Factor vergleiche Verkehrsdienstleister Verlagshaus Volume versus

WAB WAK WAV WKA WOM

Wiederaufnahmebereitschaft Wiederaufnahmekosten Wiederaufnahmeverhalten Wiederkaufabsicht Word-of-mouth

z. B. z. T.

zum Beispiel zum Teil

XXIII

Symbolverzeichnis a  B  



x y

2 Q2 R2

Pfadkoeffizient exogener Konstrukte auf ein endogenes Konstrukt Pfadkoeffizienten zwischen endogenen Konstrukten Koeffizientenmatrix der latenten endogenen Konstrukte Pfadkoeffizienten exogener Konstrukte auf endogene Konstrukte Koeffizientenmatrix der Pfadkoeffizienten  exogener Konstrukte auf endogene Konstrukte Vektor der Messfehlervariablen eines exogenen Messmodells Vektor der Messfehlervariablen eines endogenen Messmodells Effektgröße empirischer F-Wert Vektor der Residualvariablen im Strukturmodell Index latente endogene Variable geschätzte Varianz des zugehörigen Messfehlers Ladungskoeffizienten der Indikatoren eines Konstrukts Koeffizientenmatrix der Faktorladungen exogener Messmodelle Koeffizientenmatrix der Faktorladungen endogener Messmodelle latente exogene Variable Varianz einer latenten Variable Chi-Quadrat Stone-Geisser-Kriterium Bestimmtheitsmaß

2 R inkl.

Bestimmtheitsmaß des vollständigen Modells

  f2 Femp  i

R

2 exkl.

x y % >   (+)/(-)

9

Bestimmtheitsmaß des Modells nach Eliminierung eines Konstrukts Vektor der Indikatorvariablen exogener Konstrukte Vektor der Indikatorvariablen endogener Konstrukte Prozent größer größer, gleich kleiner, gleich positiv bzw. negativ vermuteter Wirkungszusammenhang Hypothese bestätigt

1 Einleitung 1.1 Relevanz des Themas Mit Werbebotschaften wie „Jetzt wechseln!“ oder „Wechseln Sie jetzt!“ versuchen deutsche Energiedienstleistungsunternehmen seit einigen Jahren neue Kunden zu gewinnen.1 Kunden, die sich für einen neuen Anbieter entscheiden, können einfach und schnell bestehende Verträge auflösen und eine neue Vertragsbeziehung eingehen. Dabei offerieren die Unternehmen nicht nur attraktive Konditionen für ihre Neukunden, sondern übernehmen i. d. R. auch die administrativen Aufgaben, die mit einem Wechsel verbunden sind. Zugleich werden dem abwanderungsbereiten Kunden sog. Wechselprämien angeboten, um dessen Wechselentscheidung zu befördern. Allerdings war die Wechselbereitschaft im Strommarkt bis zum Jahr 2001 nur gering ausgeprägt.2 Im Zuge gestiegener Rohstoffpreise scheint sich nun das Preisbewusstsein der Kunden aber zu verändern und ziehen immer mehr von ihnen einen Anbieterwechsel in Erwägung.3 Dies wird deutlich an aktuellen Studien, die Wechselquoten von bis zu 7,3 % für das Jahr 2007 prognostizieren.4 In anderen Wirtschaftszweigen, z. B. bei Zeitungen und Zeitschriften sind dagegen seit Längerem Kündigungsquoten von bis zu 66 Prozent anzutreffen.5 In Deutschland zeichnet sich u. a. durch die fortschreitende Liberalisierung vieler Märkte ein Trend zur unternehmensseitigen Abwerbung von Kunden ab.6 Vor allem im Mobilfunk haben seit 1999 neue Wettbewerber die Chance auf die Akquisition neuer Kunden ergriffen und damit zur Abwanderung bei Monopolunternehmen, wie der Deutschen Telekom geführt.7 Diese Entwicklung ist jedoch nicht auf Telekommunikationsanbieter und Stromversorger beschränkt. Vielmehr ist die Zunahme von Abwerbemaßnahmen branchenübergreifend festzustellen: Auch Banken gehen in die Offensive und versuchen, mit attraktiven Preis-Angeboten neue Kunden zu gewinnen.8 Aus Unternehmenssicht ist hierbei ungeklärt, ob mit der intensiven, preis1

Vgl. u. a. EnBW (2007). Vgl. VDEW (2001), S. 42. Vgl. Die Welt (2007). 4 Vgl. VDEW (2007), S. 4. Als Hauptabwanderungsgründe wurden der Preis, aber zunehmend auch ökologische Gesichtspunkte genannt. Vgl. VDEW (2007), S. 8. 5 Vgl. Griffin/Lowenstein (2001), S. 5. 6 Vgl. Henseler (2006), S. 10. 7 Vgl. Geschäftsbericht Deutsche Telekom (2006), S. 56. 8 Vgl. Geschäftsbericht Commerzbank (2006), S. 28-32; Yang/Peterson (2004), S. 806. 2 3

2

Einleitung

bezogenen Kundenakquise nicht nur „Prämienjäger“ angesprochen werden, d. h. Kunden, die sich allein aufgrund der Sonderangebote für das Unternehmen entscheiden,9 und ob diese Kunden nicht – auf der Suche nach dem jeweils für sie günstigsten Angebot – bei der nächsten Gelegenheit erneut kündigen werden. Das aktive Abwerbeverhalten von Unternehmen ist jedoch nicht die einzige Ursache für die beobachtbare zunehmende Neigung zur Kundenabwanderung: höhere Verbraucheransprüche und ein Bedürfnis nach Abwechslung führen zur Fluktuation in beinahe allen Branchen.10 Die Thematik der Kundenabwanderung ist somit nicht nur für ehemalige Monopolunternehmen in deregulierten Märkten relevant, sondern stellt sich als eine zentrale Herausforderung für das Kundenmanagement in zahlreichen Branchen dar. Diese Praxisrelevanz manifestiert sich in der vermehrten Forschung zur Kundenabwanderung in den letzten Jahren.11 Dabei beziehen sich die meisten wissenschaftlichen Beiträge auf den Wechsel von Kunden, d. h. die Kündigung beim bisherigen Anbieter und die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung bei einem neuen Anbieter.12 Gleichwohl werden unter der Abwanderung auch Entscheidungen von Kunden subsummiert, die nichts mit einem Anbieterwechsel zu tun haben, sondern sich als einfacher Nichtwiederkauf darstellen. Die Abbildung 1 gibt die zentralen Rahmenbedingungen für viele Unternehmen zur Kundenabwanderung und Rückkehr wieder. Wettbewerb Wettbewerb

t-1 t0

t1 tn Abbildung 1: Quelle:

9

• Liberalisierung der Märkte • Neue Angebote, Produkte, Dienstleistungen • Verstärkter Wettbewerb • Abwerbemaßnahmen

Kunden Kunden • Höhere Verbraucheransprüche/ Erwartungen an Unternehmensleistungen • Bedürfnis nach Abwechslung • Mobilität

Abwanderung aus Vertragsbeziehungen

Vertrag beim Wettbewerber Rückkehr zum Anbieter

Marktabstinenz/ Nichtkauf Verbleib beim Wettbewerber

Marktabstinenz/ Nichtkauf

Rahmenbedingungen zur Abwanderung und Rückkehr Eigene Darstellung.

Vgl. Krafft (2007), S. 105. Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 57. 11 Für einen Überblick der wissenschaftlichen Beiträge zur Kundenabwanderung vgl. Abschnitt 2.1.2.1. 12 Vgl. Michalski (2004), S. 977. Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 2.1.2.2.5. 10

Einleitung

3

Die Abwanderung von Kunden – sei es als Anbieterwechsel oder als Marktabstinenz – kann substanzielle Auswirkungen auf das verlassene Unternehmen haben. Wesentliche Konsequenzen können Umsatzeinbußen, erhöhte Kosten der Neukundengewinnung zum Erhalt des Kundenstamms und daraus resultierende Gewinnrückgänge sein.13 Bei diesen ökonomischen Effekten ist es nahe liegend, zum einen die Frage nach geeigneten Rückgewinnungsmaßnahmen zu stellen, um den Kundenstamm des Unternehmens zu erhalten bzw. wieder auszubauen. Zum anderen dürfte ebenfalls von Interesse sein, an welchen Einstellungen und Absichten abgewanderter Kunden die jeweiligen Unternehmen ansetzen können, um bestimmte Kunden(-gruppen) zurückzugewinnen. Hierbei ist insbesondere von Belang, ob in Analogie zur Wiederkaufabsicht die abgewanderten Kunden eine Bereitschaft zur Wiederaufnahme früherer Vertragsbeziehungen aufweisen.14 Es überrascht, dass trotz der Relevanz der Kundenabwanderung in der wissenschaftlichen bzw. praxisbezogenen Literatur kaum Anhaltspunkte für die Rückgewinnung abgewanderter Kunden zu finden sind. Als Gründe für die geringe praktische Beschäftigung mit dem Komplex Kundenrückgewinnung werden v. a. methodische und kulturelle Aspekte wie eine unumgängliche Beschäftigung mit Unternehmensfehlern angeführt.15 Es scheint, dass Unternehmen ihre abgewanderten Kunden „abschreiben“ und von einem unumkehrbaren Kundenverlust ausgehen.16 Unternehmen, die ein systematisches Kundenrückgewinnungsmanagement betreiben, sind eher als Ausnahme denn als Regel anzusehen.17 Aus den genannten Gründen mag sich auch die geringe Durchdringung der Kundenrückgewinnung in der wissenschaftlichen Forschung begründen. Ein Erklärungsansatz kann darin liegen, dass für die wissenschaftlichen Untersuchungen die Bereitschaft der Unternehmen mit der Beschäftigung mit Fragestellung der Kundenabwanderung und -rückgewinnung vorhanden sein muss, da ohne Kooperationen kaum empirische Untersuchungen mit der Ausnahme von SzenarioUntersuchungen möglich sind. Der zentrale Treiber für die Beschäftigung mit der Kundenrückgewinnung dürften die ökonomischen Effekte sein, die aktive Unternehmen erzielen können. Zum einen wird der Rückgewinnung abgewanderter Kunden aufgrund des bestehenden Wissens über die Kunden eine größere Wahrscheinlichkeit als der Neukundenakquisition zugesprochen. Zum anderen ist die Rückgewinnung sehr viel kostengünstiger, wobei je nach Branche Umsatzrenditen von 41 % bis 102 % an13

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 2.1.3.2. Zur Wiederkaufabsicht vgl. Nacif (2003). Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 58 f.; Homburg/Schäfer (1999), S. 3. 16 Vgl. Michalski (2002), S. 215-217; Sauerbrey/Henning (2000), S. 5. 17 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 58; Sieben (2002), S. 139. 14 15

4

Einleitung

gegeben werden.18 Die Literaturauswertung zeigt, dass die wissenschaftliche Durchdringung der Themen ‚Kundenabwanderung’ und ‚Kundenrückgewinnung’ substanzielle empirische Lücken aufweist. Die vorliegende Arbeit ist als eine integrative Forschungsarbeit zu verstehen, die ausgehend vom Stand der bisherigen Forschung mögliche Einflussgrößen einer Wiederaufnahme abgewanderter Kunden untersucht. Die Rückkehr von Kunden wird in dieser Arbeit unter dem Begriff der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen zusammengefasst. Diese Wiederaufnahme von Kundenbeziehungen wird in die Wiederaufnahmebereitschaft und das Wiederaufnahmeverhalten unterteilt. Aus den obigen Ausführungen leiten sich die folgenden Forschungsfragen für die Wiederaufnahmebereitschaft ab:19 x Inwieweit sind abgewanderte Kunden bereit zu einem früheren Anbieter zurückzukehren? x Welche Faktoren treiben diese Wiederaufnahmebereitschaft? Für das Wiederaufnahmeverhalten wiederum ergeben sich die folgenden Fragestellungen: x Welche Maßnahmen sind für die Rückgewinnung abgewanderter Kunden geeignet? x Welche Faktoren haben einen Einfluss auf die Rückkehr abgewanderter Kunden? Die Facetten der Kundenabwanderung, Wiederaufnahmebereitschaft und -verhalten lassen sich wie in Abbildung 2 in prozessualer Hinsicht darstellen. Abwanderungsentscheidung

Kündigung/ Abwanderung

Ex-post Bewertung der Abwanderung

Ex-post Bewertung des Unternehmens

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

WiederaufnahmeEntscheidung (Ja)

Wiederaufnahmeverhalten (Kontakt)

Neuer Vertrag

Maßnahmen des Unternehmens

Abbildung 2: Quelle: 18

Prozess der Kundenabwanderung und Wiederaufnahme Eigene Darstellung.

Vgl. Griffin (2001), S. 9; Homburg/Schäfer (1999), S. 20; Michalski (2002), S. 161; Sauerbrey/ Henning (2000), S. 18. 19 Für die Darstellung des Forschungsbedarfs sei auf den Abschnitt 2.3.3.3 verwiesen.

Einleitung

5

1.2 Zielsetzungen der Arbeit Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die vier aufgeführten, allgemeinen Forschungsfragen in einem Forschungsmodell der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen untersucht werden. Die generelle Zielsetzung dieser Arbeit besteht darin, ein breites Verständnis über Kundenabsichten hinsichtlich der Wiederaufnahme eines früheren Vertrags mit einem Unternehmen zu gewinnen. Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist zum einen die Konzeption, Operationalisierung und empirische Prüfung der Wiederaufnahmebereitschaft und ihrer Bestimmungsgrößen. Zum anderen soll geprüft werden, welche Faktoren das tatsächliche Wiederaufnahmeverhalten abgewanderter Kunden in Geschäftsbeziehungen determinieren. Das im Rahmen der Arbeit entwickelte Modell der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen soll über die beiden untersuchten und aus verschiedenen Branchen stammenden Unternehmen – ein Verlagshaus und ein Verkehrsdienstleister – hinaus eine generelle Aussagekraft besitzen. Beide Unternehmen unterhalten sowohl transaktionale als auch vertragliche Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden. In dieser Arbeit werden allein die vertraglichen Geschäftsbeziehungen untersucht. Die systematische Bestandsaufnahme der Literatur zur Kundenabwanderung und eine Abgrenzung der damit verbundenen Begrifflichkeiten sind erforderlich, da trotz erster konzeptioneller und empirischer Ansätze bisher keine Arbeit vorliegt, die konkrete und zufrieden stellende Unterscheidungen vornimmt. In der Arbeit werden sechs verschiedene Dimensionen der Kundenabwanderung abgeleitet, die Ausgangspunkt für die Modellbildung und die Auswahl des Untersuchungsumfeldes sind. Mit den Dimensionen sind jene Ausprägungen angesprochen, anhand derer die Kundenabwanderung weiter detailliert werden kann und damit Ansätze für ein Rückgewinnungsmanagement liefern. Mit einer Konzeptualisierung der Wiederaufnahmebereitschaft wird in der eigenen empirischen Arbeit die Kundensicht auf eine Rückkehr zum früheren Unternehmen berücksichtigt. Hierbei werden aus den vorhandenen Beiträgen der Forschung zwei Dimensionen der Wiederaufnahmebereitschaft abgeleitet. Aus den Erkenntnissen wird ein Stufenmodell der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen aufgestellt, das sowohl Einstellungen, Absichten als auch Verhaltensweisen der abgewanderten Kunden umfasst. Zusammengefasst lässt sich der wissenschaftliche Beitrag der vorliegenden Arbeit folgendermaßen darstellen: x Systematische Bestandsaufnahme der Literatur zur Kundenabwanderung, x Begriffsabgrenzung zwischen Kundenabwanderung und Kundenwechsel,

6

Einleitung

x Darstellung von Dimensionen, die eine Kundenabwanderung bestimmen, x Konzeptualisierung der Wiederaufnahmebereitschaft, x Konzeptualisierung des Wiederaufnahmeverhaltens und x Konzeption und empirische Prüfung eines Stufenmodells der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen. Darüber hinaus werden in der vorliegenden Arbeit erstmals die wahrgenommenen Kosten einer Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen, die Wirkung von Kundenattributionen bzgl. der Abwanderung und die Wettbewerbsdimensionen untersucht. Erstmalig werden in diesem Zusammenhang zudem auch Kundenbefragungsund Kundenverhaltensdaten über zwei Branchen untersucht, sodass sich aus den empirischen Ergebnissen wichtige Schlussfolgerungen für eine Generalisierung der Befunde zu Wiederaufnahmebereitschaften und zum Wiederaufnahmeverhalten und damit Anregungen für eine Theorie der Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen ableiten lassen.20 Die Arbeit liefert aber auch einen praxisbezogenen Beitrag. Über die Einstellungsmessung der in dieser Arbeit befragten abgewanderten Kunden erhalten beide Unternehmen Einsicht in die Kundenbewertungen der früheren Geschäftsbeziehung und können über diese Beurteilungen profunde Schlussfolgerungen für ihre bisherige Leistungspolitik ziehen. Informationen wie die Höhe der Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung dürften für das Kundenmanagement beider Unternehmen von hoher Aussagekraft sein. Ein weiterer Beitrag für das Kundenmanagement liegt in der Prüfung verschiedener Rückgewinnungsmaßnahmen. Dabei werden unterschiedliche Rückkehrangebote bzw. -dialogwege auf ihre Bedeutung bzgl. der Wiederaufnahme geprüft, sodass sich daraus Anhaltspunkte für das Kundenrückgewinnungsmanagement beider Unternehmen ableiten lassen. Mithilfe der Resultate dieser Arbeit erhalten beide Unternehmen einen Einblick in den Umfang und die Relevanz der Abwanderungsgründe (z. B. wettbewerbs- bzw. unternehmensbezogene Gründe) der vertraglichen Geschäftsbeziehungen. Diese Kenntnis kann wiederum einen Anhaltspunkt für die Leistungsverbesserung und zukünftige Positionierung im Markt für beide Unternehmen darstellen.

20

Der Abschnitt 4.2.7 widmet sich der marktlichen Einordnung und des Wettbewerbsumfeldes des im Rahmen der eigenen Studie kooperierenden Verlagshauses und Verkehrsdienstleisters.

Einleitung

7

1.3 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in einen konzeptionellen und einen – darauf aufbauenden – empirischen Teil gegliedert. Die Kapitel 2 bis 5 bilden die konzeptionelle Grundlage, während Kapitel 6 die empirischen Studien beinhaltet. Nach der Einführung, der Darstellung der Relevanz des Themas und der Beschreibung der Zielsetzungen in der Einleitung werden im Kapitel 2 zentrale begriffliche und konzeptionelle Grundlagen zur Kundenabwanderung, zur Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen und zum Kundenrückgewinnungsmanagement dargelegt. Das Kapitel 3 ist zentralen sozialwissenschaftlichen Ansätzen zur Erklärung der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen gewidmet. Hierzu werden die Theorie der kognitiven Dissonanz und die Attributionstheorie mit ihren verhaltenswissenschaftlichen Fundamenten, ausgewählte Anwendungen in der Marketingwissenschaft und die Übertragung dieser Theorien auf das Forschungsthema behandelt. Gegenstand von Kapitel 4 ist die Entwicklung eines Untersuchungsmodells für die vorliegende Arbeit. Nach den Grundlagen zur Konzeptualisierung und Operationalisierung von Konstrukten werden das Untersuchungsmodell mit den Einflussgrößen der Wiederaufnahmebereitschaft und die Arbeitshypothesen entwickelt. Kapitel 4 schließt mit der grafischen Zusammenfassung des Gesamtmodells. In Kapitel 5 werden die notwendigen Grundlagen der verwendeten statistischen Auswertungsmethoden vorgestellt. In Abschnitt 5.1 erfolgt dabei die Schilderung zentraler Grundlagen und Messvorschriften zu den Strukturgleichungsmodellen. Im Anschluss daran werden in Abschnitt 5.2 die Fundamente experimenteller Forschung vorgestellt. Ausgewählte Grundlagen der Logistischen Regression in Abschnitt 5.3 schließen das methodische Kapitel ab. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung für das Verlagshaus und den Verkehrsdienstleister getrennt vorgestellt. Dabei erfolgt im Abschnitt 6.1 die Beschreibung der Datenbasis, Schätzung der Messmodelle und des Strukturmodells des Verlagshauses, während in Abschnitt 6.2 die Datenbasis, die Resultate der Messmodelle und des Strukturmodells des Verkehrsdienstleisters vorgestellt werden. Am Beispiel des Verkehrsdienstleisters werden die Einflussgrößen des Wiederaufnahmeverhaltens mittels der Logistischen Regression bestimmt. Der Abschnitt 6.3 widmet sich einer zusammenfassenden Betrachtung der Befunde beider Unternehmen.

8

Einleitung

Im Anschluss an den empirischen Teil der Arbeit erfolgt im Kapitel 7 die Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Arbeit, die Schilderung der Implikationen für die Marketingforschung und für die Marketingpraxis. Die Abbildung 3 zeigt den Aufbau der vorliegenden Arbeit. 1 Einleitung

2 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen 2.2 Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

2.1 Kundenabwanderung

2.3 Kundenrückgewinnungsmanagement

3 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft 3.1 Theorie der kognitiven Dissonanz

3.2 Attributionstheorien

4 Konzeption des Untersuchungsmodells 4.1 Konzeptualisierung und Operationalisierung

4.2 Modellentwicklung

5 Methodische Grundlagen 5.1 Strukturgleichungsmodelle

5.2 Experimentelle Forschung

5.3 Logistische Regression

6 Empirische Analyse 6.1 Befunde für das Verlagshaus

6.2 Befunde für den Verkehrsdienstleister

6.3 Zusammenfassung beider Unternehmen

7 Schlussfolgerungen und Ausblick 7.1 Zentrale Ergebnisse

Abbildung 3: Quelle:

Aufbau der Arbeit Eigene Darstellung.

7.2 Implikationen für die Marketingforschung

7.3 Implikationen für die Marketingpraxis

2 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen In diesem Kapitel werden die begrifflichen Grundlagen für die vorliegende Arbeit gelegt. Dabei umfasst der Abschnitt 2.1 die Grundlagen zur Kundenabwanderung mit u. a. der Definition und Abgrenzung des Phänomens der Kundenabwanderung sowie der Identifikation sowie Beschreibung von sechs Dimensionen und den Konsequenzen der Kundenabwanderung. Der Abschnitt 2.2 wiederum ist den Grundlagen zur Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen gewidmet und fokussiert dabei auf die Beschreibung der bisher veröffentlichten konzeptionellen und empirischen Arbeiten zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen sowie die Konzeptualisierung der Wiederaufnahmebereitschaft und des Wiederaufnahmeverhaltens. Im Abschnitt 2.3 werden das Kundenrückgewinnungsmanagement (KRM) mit den begrifflichen Grundlagen, den Zielen des KRM und den bereits publizierten Forschungsarbeiten zu dieser Fragestellung vorgestellt. Der Abschnitt 2.3 schließt mit einem Überblick der Forschungslücken innerhalb des KRM. 2.1 Grundlagen zur Abwanderung aus Beziehungen In den frühen 1980er Jahren wuchs mit den sozialpsychologisch geprägten Arbeiten von Rusbult und Koautoren das Interesse an den Gründen für eine Abwanderung aus persönlichen Beziehungen, d. h. aus der Beendigung zwischenmenschlicher Beziehungen.21 Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist dabei das mikroökonomische Modell von Hirschman gewesen, das Kundenverhalten in verschiedenen Marktkonstellationen thematisiert hat.22 Rusbult hat festgestellt, dass die Stabilität einer Beziehung v. a. durch drei Elemente gekennzeichnet ist. Zu diesen drei Elementen zählen die Zufriedenheit mit der Beziehung, die Qualität möglicher Alternativen und die Höhe der getätigten Beziehungsinvestitionen.23 Die Zusammenhänge zwischen den Variablen sind im sog. Investmentmodell abgebildet. Die Abbildung 4 gibt das Investmentmodell wieder.

21

Vgl. u. a. Baxter/Philpott (1982); Drigotas/Rusbult (1992). Vgl. Hirschman (1970). 23 Vgl. Rusbult (1980); Rusbult (1983). 22

10

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Belohnungen Zufriedenheit Kosten Investitionen

Commitment

Stabilität

Vergleichsniveau Alternativen

Abbildung 4: Quelle:

Investmentmodell in zwischenmenschlichen Beziehungen Eigene Darstellung in Anlehnung an Bierhoff (2006), S. 89

In späteren Arbeiten wurde im Rahmen des Investmentmodells die Annahme bestätigt, dass hohe Investitionen als Austrittsbarriere in einer Beziehung wirken und – je nach Wahrnehmung – entweder Loyalität oder (aber auch) Beschwerden bei einem Individuum verursachen können.24 Während Beschwerden und Loyalität als konstruktive Verhaltensmuster aufgefasst werden, gilt die Beendigung von zwischenmenschlichen Beziehungen als ein destruktives Verhalten. Auch andere Autoren haben die Determinanten einer Beziehungsbeendigung untersucht, dabei jedoch auch die Wirkungen von Beziehungsabbrüchen wie z. B. psychologischen, emotionalen und physischen Stress, die Stufen bzw. Prozessphasen der Beziehungsbeendigung und die Rolle der Beziehungszufriedenheit in ihre Überlegungen einbezogen.25 Duck hat in diesem Zusammenhang den Prozess einer Beziehungsbeendigung in verschiedene Stufen unterschieden.26 Während in einer frühen Phase die Kosten- und Nutzenbewertung einer Beziehung vorgenommen und die Entscheidung vorbereitet wird, ist die Beendigung die letzte Phase. Aus den Arbeiten zur Beendigung persönlicher Beziehungen lassen sich interessante Erkenntnisse für die vorliegende Arbeit gewinnen. Insbesondere lässt sich feststellen, dass die Auflösung einer Beziehung von der Nichterfüllung mehrerer, z. T. gleichzeitig auftretender Variablen abhängig sein kann. Dabei gilt, dass auch, wenn wichtige Beziehungsgrößen nicht vollständig erfüllt sind, eine Beziehung fortgeführt werden kann.27 Entscheidend ist offenbar der Grad der Nichterfüllung – er stellt ein wichtiges Bestimmungsmoment für die Entscheidung zum Verbleib in einer Beziehung oder zur Abwanderung dar. Für die Wiederaufnahme einer früheren Beziehung und die unternehmensseitigen Maßnahmen zur Rückgewinnung von Kunden kann der Grad der Be-

24

Vgl. Rusbult/Johnston/Morrow (1986); Rusbult/Zembrodt/Gunn (1982). Vgl. Bloom/Asher/White (1978); Drigotas/Rusbult (1992); Duck (1982); Felmlee/Sprecher/Bassin (1990); Kurdek (2006). 26 Vgl. Duck (1982). Die Inhalte der sozialpsychologischen Theorie von Duck werden bei Scharff (2005) ausführlich dargestellt. 27 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 4.2.2.1. 25

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

11

ziehungserfüllung somit einen ersten Anhaltspunkt darstellen. Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass jene Variablen, die eine Abwanderung verursacht haben, auch die Faktoren sein können, die zur Wiederaufnahme einer Beziehung führen. Der Transfer von Erkenntnissen aus der Sozialpsychologie in die vorliegende Marketingarbeit wird dadurch erleichtert, dass in beiden Wissenschaftsdisziplinen Variablen wie die Zufriedenheit mit dem Partner/Unternehmen, das Vorhandensein bzw. die Attraktivität von Alternativen und wahrgenommene Wechselkosten zu finden sind, die Einfluss auf Verbleibe- oder Abwanderungsentscheidungen in Beziehungen haben. Diese Schnittmengen sind in der Abbildung 5 grafisch verdeutlicht.

Zwischenmenschliche Beziehungen

Abbildung 5: hungen Quelle:

• Beziehungszufriedenheit • Qualität der Alte rnativen • Investitionen/ Wechselkosten

Geschäftliche Beziehungen

Schnittmengen von Einflussgrößen des Verbleibs bzw. der Abwanderung aus BezieEigene Darstellung.

Bevor auf die spezifische konzeptionelle und empirische Literatur zur Kundenabwanderung eingegangen wird, soll im folgenden Abschnitt 2.1.1 die Kundenabwanderung begrifflich abgegrenzt werden. Darüber hinaus werden sechs Dimensionen, in denen die Kundenabwanderung ihre Einordnung finden kann, vorgestellt. 2.1.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Kundenabwanderung Die Literatur weist kein einheitliches Begriffsverständnis für das Phänomen der Kundenabwanderung auf. Vielmehr existieren verschiedene begriffliche Auffassungen nebeneinander. Ein Schwerpunkt der Literatur liegt in der Betrachtung von Kundenloyalität, die als komplementäres Phänomen zur Kundenabwanderung betrachtet wird.28 Nach Jones/Sasser Jr. existieren zwei Arten von Loyalität.29 Während die echte Loyalität auf einer sehr hohen Kundenzufriedenheit beruht, ist die unechte Loyalität mit hohen Wechselkosten und attraktiven Unternehmensmaßnahmen verbunden, die

28 29

Vgl. Colgate/Stewart/Kinsella (1996), S. 24. Vgl. Jones/Sasser Jr. (1995), S. 90. Ein anderer Begriff für die unechte Loyalität ist der Terminus „spurious loyalty“ Vgl. u. a. Dick/Basu (1994); Krafft (2007), S. 29-36; Liljander/Roos (2002).

12

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

die Kunden an das Unternehmen binden. Diese beiden Loyalitätsdimensionen können als generelle, d. h. kundenbezogene bzw. als spezifische, d. h. aktionsabhängige Loyalität verstanden werden. Kunden mit einer unechten Loyalität sind somit tendenziell gefährdete Kunden, die aufgrund von Verpflichtungen oder reinen Nutzenüberlegungen bei dem derzeitigen Anbieter verbleiben und bei entsprechenden Angeboten der Wettbewerber das Unternehmen wechseln würden. Kundenloyalität scheint des Weiteren ein Phänomen zu sein, das zeitlichen Änderungen unterliegt, sodass von einer zeitbezogenen Kundenloyalität als dritter Dimension ausgegangen werden kann. Als Gründe für Loyalitätsveränderungen über die Zeit werden v. a. die Deregulierung von Märkten, der Markteintritt neuer Wettbewerber sowie der Rückgang der Markenbedeutung aufgeführt.30 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden für eine Spezifizierung der Wiederaufnahme Aspekte der Kundenloyalität im Abschnitt 4.2.1.1 aufgegriffen und sollen daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Ausgehend von der konzeptionellen Arbeit von Dwyer/Schurr/Oh haben zahlreiche Autoren verschiedene Termini für die Abwanderung von Kunden verwendet. Dwyer/Schurr/Oh haben dabei einen konzeptionellen Rahmen für die Entwicklung von Geschäftsbeziehungen mit fünf Phasen (Aufmerksamkeit, Exploration, Ausweitung, Commitment, Auflösung) aufgestellt. Dem Leser bleiben sie aber eine eindeutige Begriffsbestimmung der Abwanderung schuldig.31 Vielmehr verwenden Dwyer/Schurr/ Oh verschiedene Begriffe für augenscheinlich den gleichen Tatbestand. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die verschiedenen Begriffsansätze, die im Rahmen der Kundenabwanderung zu finden sind.

30 31

Vgl. Jones/Sasser Jr. (1995), S. 95. Dwyer/Schurr/Oh verwenden Begriffe wie „Disengagement“, „Dissolution“, „Termination“ und „Withdrawal“ synonym. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 19.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

13

Begriff

Autoren

Customer defection

Reichheld/Sasser Jr. (1990), „[…] customers who will not come back” S. 105

Customer exit

Singh (1990), S. 2

„[…] the voluntary termination of an exchange relationship“

Stewart (1998a), S. 235

„[…] used to denote the economic phenomenon of a customer ceasing patronage of a particular supplier”

Customer relationship ending

Michalski (2004), S. 978

„[…] decision process taken by the customer to end an existing business relationship“

Customer switching

Keaveney (1995), S. 71

„[…] the loss of a continuing service customer”

Disengagement

Alajoutsijärvi/Tähtinen (1997), S. 12

„[…] disengagement process is one of the subprocesses or sub-phases taking place in the relationship dissolution process”

Dissolution

Tähtinen/Halinen-Kaila (1997), S. 560

„[…] a relationship is dissolved when all activity links are broken and no resource ties and actor bonds exist between the companies“

(Relationship) Ending

Halinen/Tähtinen (2002), S. 166

„[…] as a process where these links, ties and bonds are broken, disconnecting the former parties from each other“

Stewart (1996), S. 266

„[…] the phenomenon of customers leaving one organization or stopping patronage of it”

Boshoff (1997), S. 112

„[…] active, destructive response: switch brands, reduce consumption, stop buying product“

Hirschman (1975), S. 5

„Some customers stop buying the firm’s products […].”

Ping (1993), S. 330

„[…] physically leaving the relationship"

Exit

Definition/ Begriffsansätze

Kundenabwanderung Michalski (2002), S. 8

„[…] umfasst sämtliche Entscheidungsprozesse sowie Maßnahmen eines Kunden, die letztlich darin münden, dass die bisherige Geschäftsbeziehung zu diesem Anbieter beendet wird“

Migration

Ngobo (2005), S. 184

„[…] as the process by which theatregoers move from subscription to occasional ticket buying (downward migration) or move from occasional ticket buying to subscription (upward migration)”

Termination

Giller/Matear (2001), S. 94

„[…] when no activity links or resource ties exist between the parties involved in the relationship“

Tabelle 1: Quelle:

Ausgewählte Begriffe zur Kundenabwanderung Eigene Darstellung.

14

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Trotz ihrer Vielfalt und unterschiedlicher Bezugspunkte lassen sich die Begriffe konsolidieren. Zielsetzung einer allgemein gültigen Definition sollte es dabei sein, eine Begriffserklärung zu finden, die für mehrere Kontexte, z. B. Geschäftsbeziehungen und Branchen, Gültigkeit hat. Daher wurden die existierenden Begriffsansätze auf eine generalisierbare Definition hin geprüft. In Anlehnung an die Definition von Michalski soll in der vorliegenden Arbeit für die Kundenabwanderung i. w. S. daher folgende Interpretation gelten:32 Unter der Kundenabwanderung i. w. S. sind alle bewussten Entscheidungen und Maßnahmen eines Kunden zu verstehen, eine Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmen aufzulösen. Diese bewussten Entscheidungen umfassen dabei sowohl die explizit geäußerte Abwanderung (über Kündigungsschreiben) als auch die implizite Kundenabwanderung (über z. B. Kaufverhaltensänderungen). Damit umfasst die Definition sowohl ereignis- als auch prozessbezogene Komponenten und kann für geschäftliche Beziehungen angewandt werden. Der obige Begriff der Kundenabwanderung umfasst jedoch auch die Form der „mentalen“ Abwanderung im Sinne eines bewussten Einstellens der Kundenkäufe, ohne dass das betroffene Unternehmen dies explizit vom Kunden erfährt. Für den Kontext dieser Arbeit mit der Konzentration auf vertragliche Geschäftsbeziehungen ist eine Eingrenzung der obigen Definition notwendig. Daher wird die Kundenabwanderung i. e. S. wie folgt definiert: Unter der Kundenabwanderung i. e. S. sind alle bewussten Entscheidungen und Maßnahmen eines Kunden zu verstehen, eine Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmen aufzulösen. Diese Auflösung erfolgt durch eine mündliche oder schriftliche, d. h. explizite Kommunikation gegenüber dem Unternehmen. Abgewanderte Kunden sind somit für die vorliegende Arbeit jene Personen, die ihren Wunsch, die Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmen nicht mehr fortzuführen, dem Unternehmen mitgeteilt haben. Dies erfolgt im Rahmen von vertraglichen Geschäftsbeziehungen i. d. R. durch eine schriftliche Kündigung. Aufgrund der Existenz von Kündigungsfristen können abgewanderte Kunden jedoch noch Bestandskunden (aktive Kunden) sein, da sie ggf. erst nach Ablauf einer Frist tatsächlich zu inaktiven Kunden werden. Aktive, abgewanderte Bestandskunden sind folglich Personen, die ihre Geschäftsbeziehung aufgelöst haben, aber durch die Vertragsbedingungen noch als Kunden aktiv sind, während inaktive abgewanderte Kunden nach dieser Abgrenzung ehemalige Kunden darstellen.33 Auch wenn gerade in der englischsprachigen Marketingliteratur der Begriff der „lost customer“ als Beschreibung 32 33

Vgl. Michalski (2002), S. 8. Diese Unterscheidung wird in der Abbildung 12 grafisch verdeutlicht.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

15

abgewanderter Kunden verwendet wird, soll im weiteren Verlauf der Arbeit nicht von „verlorenen“ Kunden gesprochen werden.34 Dieser Terminus bezieht sich nach Auffassung der Verfasserin semantisch-konnotativ auf eine Unabänderbarkeit der Abwanderung, die nicht in allen Fällen gegeben ist. 2.1.2 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zur Abwanderung aus Geschäftsbeziehungen Vor dem Hintergrund eines in der unternehmerischen Praxis seit den 1990er Jahren gestiegenen Interesses am Beziehungsmarketing und einer damit einhergehenden Erforschung der Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Unternehmen standen die Themenkomplexe Kundenbindung und Kundenloyalität im Fokus der Marketingwissenschaft der letzten Jahre.35 Der Begriff des Beziehungsmarketing („Relationship Marketing“) bezog sich dabei ursprünglich sowohl auf die geschäftlichen Verbindungen zwischen Privatkunden und Unternehmen (B2C-Kontext) als auch auf die Beziehungen zwischen Geschäftskunden und Unternehmen (B2B-Kontext). Das Forschungsfeld des Beziehungsmarketing wurde damit sehr breit gedeutet. Eine für diese Arbeit adäquate Eingrenzung lässt sich bei Bruhn finden. Für ihn umfasst das Beziehungsmarketing „[...] sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zu den Anspruchsgruppen – insbesondere zu den Kunden – des Unternehmens mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen“36. In ähnlicher Weise, allerdings unter Ausschluss des Kundenrückgewinnungsmanagements, definieren Morgan/Hunt und Krafft/Götz das Beziehungsmarketing bzw. Customer Relationship Marketing (CRM).37 Für die vorliegende Arbeit wird die Definition von Bruhn mit der Integration der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen zugrunde gelegt. Erst mit der Studie von Keaveney wurde das Forschungsspektrum über die Kundenbindung hinaus auf Fragestellungen der Kundenabwanderung erweitert.38 Eine Auslöserfunktion für die neu akzentuierte Betrachtung der Kundenabwanderung kann dabei den Phänomenen des Markenwechsels und der -illoyalität und der damit verbundenen Forschung, die seit den 1980er Jahren zugenommen haben, zugeschrieben

34

Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004). Vgl. dazu die Ausführungen und Quellenangaben in Abschnitt 4.2.1.1. Bruhn (2001), S. 9. 37 Vgl. Krafft/Götz (2003), S. 340; Morgan/Hunt (1994), S. 22. 38 Vgl. Keaveney (1995). 35 36

16

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

werden.39 Insbesondere der im Dienstleistungs- und Beziehungsmarketing verwendete Terminus „Switching“ weist nachhaltige Verbindungen zum Markenwechsel auf und bezieht den Gedanken, dass Kunden zwischen verschiedenen Anbietern bzw. deren Marken wechseln, grundsätzlich ein. Dabei ist jedoch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Abwanderung aus vertraglichen Beziehungen andere Dimensionen, die im weiteren kurz umrissen werden, als der Anbieter- bzw. Markenwechsel aufweisen kann. Zum einen ist davon auszugehen, dass Abwanderungen aus Verträgen deutlich bewusster getroffen werden, auch dadurch, dass eine explizite Abwanderungsentscheidung (Kündigung) dem Unternehmen kommuniziert werden muss. Zum anderen stellt die Kündigung von Verträgen i. d. R. eine Entscheidung mit mittel- bis langfristigen Konsequenzen (z. B. Verlust von Beziehungsinvestitionen) dar, sodass aus diesen Wirkungen heraus zu erwarten ist, dass sich Kunden eine Abwanderungsentscheidung genau überlegen. Ein drittes Unterscheidungskriterium ist die Tatsache, dass Kunden bei einem Anbieter auch abwandern können, ohne einen Vertrag bei einem anderen Anbieter aufzunehmen. Die Analyse der für diese Arbeit zugrunde liegenden Literatur hat ergeben, dass seitens der (End-)Kunden eine Unterscheidung zwischen bewusst-willentlicher Abwanderung und kurzfristigem Nichtkauf bzw. vorübergehender Bedarfsdeckung bei anderen Anbietern nicht vorgenommen wird. Vielmehr werden die Begriffe Kundenabwanderung und (Marken- bzw. Anbieter-)Wechsel in der einschlägigen Literatur synonym verwendet. Dies stellt in der wissenschaftlichen Betrachtung von Abwanderungs- und Wechselsituationen ein Manko dar, da je nach Kundenstatus nach der Abwanderung unterschiedliche Einstellungen und Absichten existieren dürften, die wiederum in einem unterschiedlichen Kundenverhalten und verschiedenen Unternehmensreaktionen münden können. In der Abbildung 6 ist der Zusammenhang der Begriffe ‚Wechsel’ und ‚Kundenabwanderung’ grafisch verdeutlicht. Danach wird unter dem Begriff ‚Markenwechsel’ die Kundenentscheidung bzw. das -verhalten verstanden, ein (oder mehrere) markierte(s) Produkt(e) eines Anbieter nicht mehr zu kaufen und dafür ein (oder mehrere) andere(s) markierte(s) Produkt(e) des gleichen Anbieters oder anderer Anbieter zu kaufen. Der Begriff ‚Kundenabwanderung’ steht hingegen für die Kundenentscheidung für einen neuen Anbieter (Anbieterwechsel) aber auch die Abwanderung ohne Wahl eines neuen Anbieters (Marktabstinenz). Die gemeinsame Schnittmenge stellt

39

Vgl. Carpenter/Lehmann (1985); Dubé/Maute (1996); Dubé/Shoemaker (2000); Mazursky/ LaBarbera/Aiello (1987); Morgan/Dev (1994).

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

17

folglich der Begriff ‚Anbieterwechsel’ dar. Wechsel („Switching“)

Markenwechsel

Anbieterwechsel

Marktabstinenz

Kundenabwanderung („customer defection“) Abbildung 6: Quelle:

Begriffliche Abgrenzung von Wechsel und Kundenabwanderung Eigene Darstellung.

Der Vorgang des Wechselns impliziert auch die Möglichkeit einer Rückkehr (d. h. ein Rückwechseln) des Kunden zum früheren Anbieter bzw. zu einer früheren Marke. Dabei wird diese Rückkehr in der Literatur vorrangig unter dem Begriff des Wiederkaufs subsummiert, da in den untersuchten Branchen (z. B. Konsumgüter) überwiegend nicht bekannt ist, ob der Wiederkauf aus einer aktiven Kundenbeziehung heraus erfolgt oder eine echte Kundenrückkehr darstellt, die z. B. aus der Unzufriedenheit mit dem ursprünglichen Markenwechsel resultiert.40 Die Rückkehr eines Kunden zu einem Anbieter (oder zu einer Marke) nach einer längeren zeitlichen Abwesenheit kann somit als eine Form des Wiederkaufs bezeichnet werden, berührt aber gerade im Bereich vertraglicher Beziehungen weitere Facetten.41 Dadurch, dass die Begriffe ‚Wechsel’ und ‚Kundenabwanderung’ in der Marketingliteratur für verschiedene Kontexte verwendet werden, muss in der Literaturdarstellung z. T. der Terminus ‚Wechsel’ in dieser Arbeit verwendet werden, um Arbeiten in die hier vorliegende Themenstellung überhaupt einordnen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn mit dem Wechsel der Anbieterwechsel gemeint ist. Das Phänomen des Markenwechsels, d. h. die Fokussierung auf das Produkt bzw. Leistung und nicht die Geschäftsbeziehung als solche, wird hingegen für die weitere Betrachtung in dieser Arbeit ausgeschlossen. Während sich also der Forschungszweig des Markenwechsels vorrangig mit Beziehungen zwischen Kunden und Marke befasst, stehen Interaktionen von Kunden und Unternehmen im Mittelpunkt der Forschungsbeiträge zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen. Dabei können die Kunden Unternehmen (B2B) oder Endverbraucher 40 41

Zur Abgrenzung der Begriffe Kundenwechsel und Kundenabwanderung vgl. Abschnitt 2.1.2.2.5. Vgl. Abschnitt 2.1.2.2.

18

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

(B2C) darstellen. Die Literaturanalyse zur vorliegenden Arbeit hat gezeigt, dass im Bereich der Abwanderung aus B2B-Geschäftsbeziehungen zahlreiche Studien vorliegen. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf den B2C-Geschäftsbeziehungen liegt, sollen diese nicht weiter berücksichtigt werden.42 2.1.2.1 Kundenabwanderung im B2C-Kontext In diesem Abschnitt werden zentrale Forschungsbereiche der Kundenabwanderung aus B2C-Geschäftsbeziehungen vorgestellt. Dabei beschränkt sich dieser Teilabschnitt auf ausgewählte Aspekte in der Forschung, da die vorhandene Literatur zur Forschung von B2C-Beziehungen in den darauf folgenden Passagen über die sechs Dimensionen ausführlich eingeordnet wird. Gleichsam zur Kundenabwanderung im B2B-Bereich hat sich die Marketingforschung im B2C-Bereich vorrangig mit der Untersuchung von Abwanderungs- bzw. Wechselgründen befasst. Ein Großteil der Arbeiten stammt aus dem Forschungsgebiet der sog. Service Recovery, in dem die Wechselabsichten des Kunden nach einem Serviceversagen untersucht werden.43 Dabei sind unter dem Begriff ‚Service Recovery’ alle Aktivitäten eines Anbieters zu verstehen, die unternommen werden, um ein vom Kunden wahrgenommenes Problem bei Serviceversagen zu lösen.44 Beispielhaft hierfür sind Lieferverzögerungen oder Sachmängel. Innerhalb der Service Recovery wird nicht berücksichtigt, ob der Kunde sich zuvor über den Fehler beschwert hat. Mit anderen Worten: Das Unternehmen wird proaktiv tätig, um Beschwerden zuvorzukommen, kann jedoch aber auch reaktiv auf Kundenbeschwerden antworten. Damit umfasst das Konzept der Service Recovery das im Deutschen oftmals synonym verwendete Beschwerdemanagement, geht aber im Rahmen der proaktiven Maßnahmen auch darüber hinaus. Die Untersuchungen der Service Recovery-Forschung reichen für eine Erklärung der Kundenabwanderung jedoch nicht weit genug, da nur Kundenabsichten nach Serviceversagen untersucht wurden. Ein Grund für die nur partielle Relevanz der Service Recovery-Literatur für die vorliegende Arbeit ist, dass Kunden sich für eine Abwanderung entscheiden können, ohne dass Serviceversagen vonseiten des Unternehmens vorliegen muss. In dem Falle können Abwanderungsgründe, die sich auf die Kundensitu-

42

Diese Literatur wird in der vorliegenden Arbeit nicht explizit beschrieben. Für eine Übersicht der Literatur zur Abwanderung und Rückgewinnung aus B2B-Geschäftsbeziehungen sei auf Alajoutsijärvi/Möller/Tähtinen (2000) und Tähtinen/Halinen (2002) verwiesen. 43 Vgl. u. a. Hess Jr./Ganesan/Klein (2003); Hoffman/Kelley/Rotalsky (1995); Levesque/McDougall (2000); Maxham III (2001). 44 Vgl. Smith/Bolton/Wagner (1999), S. 357. Ein Überblick der Literatur zur Service Recovery ist bei Sieben (2002), S. 25-34 zu finden.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

19

ation beziehen, existieren. Ein anderer Grund besteht darin, dass Absichtsbekundungen von Kunden zur Abwanderung nicht zwangsläufig auf das tatsächliche Abwanderungsverhalten schließen lassen.45 Die Beziehung zwischen Absichten und Verhalten wird zudem als fragil bezeichnet, da sie abhängig vom Zeithorizont der Absichtsmessung sind.46 Um ein tieferes Verständnis der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen zu gewinnen, berücksichtigt die vorliegende Arbeit neben den Kundeneinstellungen und -absichten auch das Wiederaufnahmeverhalten von abgewanderten Kunden. Dieser Abschnitt sollte auf die zahlreichen Aspekte der B2C-Abwanderung und Kundenrückgewinnung einstimmen. Der folgende Abschnitt 2.1.2.2 geht detailliert auf die einzelnen Arbeiten, die sich in sechs Dimensionen aufzeigen lassen, ein. 2.1.2.2 Dimensionen der Kundenabwanderung in B2C-Kontexten Wie in Abschnitt 2.1.1 aufgezeigt, kann das Phänomen der Kundenabwanderung in einem weiteren Sinne und in einem engeren Sinne voneinander abgegrenzt werden. Das wesentliche Problem in der Identifikation abgewanderter Kunden liegt in der uneinheitlichen Betrachtungsweise, wann ein Kunde als abgewandert gilt. Je nach Branche und Zweck von Untersuchungen bzw. Maßnahmen des Managements kann diese Einschätzung unterschiedlich ausfallen. Die Kundenabwanderung kann dabei explizit durch Kündigung eines Vertrages, durch die Bestimmung einer Abwanderungsabsicht oder durch die Schätzung der Abwanderungswahrscheinlichkeit bzw. Inaktivität bestimmt werden. Damit hängt die Identifikation abgewanderter Kunden eng mit dem Kundenstatus (aktiver oder inaktiver Kunde) zusammen. Hinzu kommt, dass auch in der wissenschaftlichen Literatur keine eindeutigen Begriffe für alle Branchenkontexte und Arten von Geschäftsbeziehungen vorhanden sind.47 Aus der Literaturanalyse heraus wurden von der Verfasserin daher sechs Dimensionen der Kundenabwanderung konzipiert, die sowohl für B2B- als auch B2C-Geschäftsbeziehungen Gültigkeit haben und daher für Wissenschaft und Praxis einen Anhaltspunkt der Einordnung der Kundenbeziehungen und ihrer Auflösung bieten können.

45

Vgl. Chandon/Morwitz/Reinartz (2005). Vgl. Morwitz/Schmittlein (1992). 47 Aus den Aufarbeitungen der folgenden Abschnitte resultiert die Abbildung 12, die die Begriffsvielfalt zur Abwanderung in einer neuen Struktur zusammenfasst. 46

20

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Die sechs Dimensionen der Kundenabwanderung sind: x der Initiator (Kunde, Unternehmen), x die Art der Kundenbeziehung (vertraglich, nicht-vertraglich), x der Umfang der Abwanderung (vollständig, partiell), x die Abwanderungsstruktur (Prozess, Ereignis), x die Absichten bzw. Verhalten und x die Umkehr der Abwanderung (umkehrbar, nicht umkehrbar). Je nach Untersuchungskontext bzw. praktischer Relevanz ist die Identifikation abgewanderter Kunden eng mit den aufgeführten sechs Dimensionen verbunden. Die folgenden Abschnitte befassen sich deshalb mit den möglichen Unterscheidungsformen der Kundenabwanderung, die in der Abbildung 7 zusammengefasst wiedergegeben sind. Hierbei stellen die beiden Ausprägungen entweder die beiden einzigen Ausprägungen der Kundenabwanderung oder die beiden äußeren Enden des Kontinuums dar. Charakteristika

Charakteristika

Kunde entscheidet sich zur Abwanderung, z. B. aufgrund von Unzufriedenheit.

Kunde schließt Vertrag o. ä. Vereinbarungen, die über explizite Kommunikation zu beenden sind.

Auflösung aller Vertragsbeziehungen oder vollständiger Nicht-Kauf.

Ein Ereignis führt zur Abwanderung, z. B. Serviceversagen des Anbieters.

Kunde beabsichtigt, das Unternehmen zu verlassen, ist aber noch nicht abgewandert.

Kunde kauft zu späteren Zeitpunkt erneut bzw. schließt neuen Vertrag ab, da Bedarf noch besteht.

Abbildung 7: Quelle:

Unternehmen beendet Geschäftsbeziehung mit Kunden, z. B. aufgrund geringen Kundenwerts.

Kunde als Initiator

Unternehmen als Initiator

Vertragliche Beziehungen

Nicht-vertragliche Beziehungen

Kunde ist mit Unternehmen nicht vertraglich verbunden, sondern kauft fallweise ein.

Vollständige Abwanderung

Partielle Abwanderung

Auflösung nicht aller Vertragsbeziehungen bzw. auch partieller Nicht-Kauf.

Ereignisbezogene Abwanderung

Prozessbezogene Abwanderung

Abwanderungsabsicht

Vollzogene Abwanderung

Umkehrbare Entscheidung

Nicht umkehrbare Entscheidung

Dimensionen der Kundenabwanderung Eigene Darstellung.

Mehrere Ereignisse führen zur Abwanderung. Kunde bewertet die Ereignisse in ihrer Summe.

Kunde hat das Unternehmen tatsächlich verlassen.

Langfristig nicht umkehrbar: z. B. Todesfall; kurzfristig nicht umkehrbar: z. B. Vertrag beim Wettbewerber.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

21

2.1.2.2.1 Initiatoren der Abwanderung Die Initiatoren einer Beziehungsbeendigung können sowohl Kunden als auch Unternehmen sein. Dabei kann die Initiative zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen allein vom Kunden, vom Unternehmen oder von beiden Seiten ausgehen.48 Erste Forschungsbeiträge liegen zur unternehmensinitiierten Beziehungsbeendigung, die auch als Exit-Management oder Beziehungsauflösungsmanagement bezeichnet wird, vor.49 Eine zentrale Zielsetzung des Exit-Managements liegt darin, unprofitable Kundenbeziehungen zu beenden, ohne den Kunden dabei zu verärgern, sodass eine spätere Rückkehr denkbar bleibt. Für Details zum Exit-Management sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.50 Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit der Kündigung durch den Kunden. 2.1.2.2.2 Art der Kundenbeziehung Geschäftsbeziehungen lassen sich in vertragliche und nicht-vertragliche Beziehungen unterscheiden. Als Beispiele für vertragliche Beziehungen gelten u. a. Abonnements von Zeitschriften oder Zeitungen. Aber auch die Nutzung von Girokonten bei Banken kann im weitesten Sinne zu den vertraglichen Geschäftsbeziehungen gezählt werden.51 Vertragliche Geschäftsbeziehungen erleichtern die Identifikation abgewanderter Kunden. Der Kunde muss für eine Abwanderung explizit seinen Abwanderungswunsch durch Vertragskündigung mitteilen, sodass Unternehmen über den Eingang dieser (i. d. R. schriftlichen) Nachricht den Kunden als eindeutig abgewandert klassifizieren können. Dagegen stellt sich die Bestimmung der Abwanderung aus nicht-vertraglichen Beziehungen deutlich komplexer dar bzw. ist in letzter Instanz nicht eindeutig zu ermitteln. Nicht-vertragliche Beziehungen finden sich in transaktionalen Kaufvorgängen wieder, z. B. im Versandhandel. Die Abwanderung von Kunden erfolgt hier i. d. R. nicht durch eine explizite Mitteilung des Kunden, sondern durch Nicht-Kauf bzw. die Reduktion der Kaufmenge.52 Für die Bestimmung des Zeitpunkts der Inaktivität der 48

Vgl. Hocutt (1998); Hocutt/Chakraborty/Mowen (1997). Mögliche Einflüsse von dritten Personen oder Organisationen bzw. Unternehmen sollen für diesen Kontext vereinfachend in eine der beiden Kategorien ‘Kunde’ und ‘Unternehmen’ unterschieden werden. Der Initiator der Abwanderung ist jener Geschäftspartner, der die Beziehung auflöst. 49 Vgl. Bumbacher (2000); Diller/Haas/Ivens (2005), S. 276-279; Helm/Rolfes/Günter (2006); Mittal/Sarkees (2006); Tomczak/Reinecke/Finsterwalder (2000). 50 Vgl. u. a. Xie/Gerstner (2007). 51 Henseler fasst derartige Vertragsbeziehungen unter der Bezeichung ‚Versorgungsbeziehungen’ zusammen. Vgl. Henseler (2006), S. 15-18. 52 Homburg/Schäfer schlagen die Festlegung eines kritischen Niveaus der Geschäftsbeziehung vor, anhand dessen die Abwanderung bestimmt werden kann. Eine Kenngröße stellt hierzu der Kunden-

22

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Kunden (zukünftige Abwanderung) werden u. a. Hazard-Modelle und Multilevel Latent Class-Methoden eingesetzt.53 Mit der Anwendung derartiger Verfahren tritt jedoch ein neues Klassifizierungsproblem auf. Diese Methoden nutzen i. d. R. reine Kaufdaten (z. B. Häufigkeiten, Mengen), sodass eine Schätzung dazu führen kann, dass Kunden, die nur vorübergehend weniger oder nicht gekauft haben, fälschlicherweise in die Kategorien „abgewanderte Kunden“ bzw. „abwanderungs-gefährdete Kunden“ eingeordnet und zur Rückgewinnung bzw. Reaktivierung angesprochen werden. Daraus kann die Ansprache aktiver Kunden resultieren, sodass Kosten z. B. für das Rückgewinnungsangebot und die Kontaktierung anfallen, hätten vermieden werden können. Rutsatz hat mit dem NBD/Pareto-Modell eine methodische Vorgehensweise zur Identifizierung abgewanderter Kunden eines Versandhändlers ausführlich beschrieben.54 In der Unternehmenspraxis lassen sich häufig Mischformen vertraglicher und nicht-vertraglicher Geschäftsmodelle finden. Verlagshäuser verkaufen ihre Produkte nicht nur über das Abonnementgeschäft, sondern auch über den Kiosk- und Buchhandel. Danach müssen Unternehmen mit diesen Geschäftsbeziehungen transaktionale Kunden und vertragliche Kunden idealerweise – aufgrund der unterschiedlichen Kundenbedürfnisse und -erwartungen – im Kundenmanagement differenziert betrachten. Die Bestimmung der formalen (expliziten Kommunikation der Abwanderung) oder der informalen Abwanderung besitzt daher insbesondere bei Unternehmen mit verschiedenen Beziehungsformen Relevanz, da die Kategorisierung nach den Kundenstati abwanderungsgefährdete (aktive) oder abgewanderte (aktive oder inaktive) Kunden zu unterschiedlichen Rückgewinnungsaktivitäten führen dürfte.55

bedarf am Unternehmen, der „share of customer“ dar. Vgl. Homburg/Schäfer (1999), S. 6. Zur Kritik am „share of customer“ vgl. Peters/Krafft/Malthouse (2007). Einen Ansatz zur Identifikation von Einflussgrößen der Kundenabwanderung im B2B-Bereich der Mobilfunkbranche hat Tecklenburg (2007) entwickelt. Zur Loyalitätsbestimmung über HazardAnsätze vgl. Hüppelshäuser (2005); Hüppelshäuser/Krafft/Rüger (2006). 54 Vgl. Rutsatz (2004). Zum NBD/Pareto-Modell und seiner Anwendung in der Kundenbindung vgl. Krafft (2007), S. 113-125; Schmittlein/Morrison/Colombo (1987). Ein alternativer Ansatz zu diesem Modell stammt von Fader/Hardie/Lee (2005). 55 Vgl. Rutsatz (2004), S. 19. 53

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

23

2.1.2.2.3 Umfang der Abwanderung Neben der Bestimmung der Beziehungsart lässt sich die Abwanderung von Kunden als vollständige (totale) oder partielle Abwanderung klassifizieren.56 Nach Stewart liegt eine totale Abwanderung im Bankenbereich vor, wenn das letzte Konto gekündigt wird.57 Eine vollständige Kundenabwanderung ist somit dann gegeben, wenn ein Kunde alle Geschäftsbeziehungen mit dem Unternehmen auflöst bzw. aufgelöst hat. Eine Betrachtung des Kunden als vollständig abgewandert erfordert ein umfassendes Datenbanksystem des Unternehmens, das alle Informationen dieses Kunden über sämtliche Produkte und Services vereinigt, jegliche Veränderung der Kundenbeziehungen dokumentiert und diese den Mitarbeitern im Kundenkontakt zur Verfügung stellt. Allerdings stellt die Identifikation der vollständigen Abwanderung v. a. die Konzerne mit Tochtergesellschaften bzw. Unternehmen, die Profitcenter für einzelne Produkte oder Services führen, vor große Herausforderungen. Bei einer unabhängigen Arbeitsweise der Bereiche wird eine Koordination und Informationsweitergabe der Kundendaten notwendig, um die Kunden als abgewandert klassifizieren zu können. Damit verbunden ist ein höherer Aufwand zur Rückgewinnung dieser Kunden, da geprüft werden muss, inwieweit der Kunde zwar aus einem Vertrag ausgetreten ist, aber in einem anderen Unternehmensbereich einen neuen Vertrag eröffnet hat, sodass ein interner Anbieterwechsel vorliegt. Die Abbildung 8 verdeutlicht diesen Zusammenhang am Beispiel der Versicherungsbranche. Versicherungskonzern Division A (z. B. Personenversicherung) Division B (z. B. Altersvorsorge) ...

Berufsunfähigkeitsversicherung Risikolebensversicherung Privat-Haftpflichtversicherung

Partielle Abwanderung

Kapitallebensversicherung Rentenversicherung Stationärer Vertrieb

InternetVertrieb

Interner Anbieterwechsel

Abbildung 8: Quelle:

56 57

Umfang der Kundenabwanderung Eigene Darstellung.

Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 60; Homburg/Schäfer (1999), S. 6. Vgl. Stewart (1998a).

Totale Abwanderung

24

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Die partielle Kundenabwanderung umfasst dagegen die Auflösung einer oder mehrerer, aber nicht aller Geschäftsbeziehungen mit einem Unternehmen. Bei der partiellen Abwanderung kann der Kunde weiter andere Unternehmensangebote nutzen.58 2.1.2.2.4 Abwanderungsprozesse Aufbauend auf den Arbeiten von Keaveney und Roos wird in der Abwanderungsliteratur nach ereignis- und prozessbezogener Abwanderung unterschieden.59 Dabei werden die beiden Ausprägungen nach der Anzahl der Ereignisse, die zur Abwanderung geführt haben, unterschieden. In der Literatur zur ereignisbezogenen Abwanderung wird nur eine Situation, ein Ereignis als Grund für die Kundenabwanderung angeführt, während in prozessbezogenen Arbeiten von einer Vielzahl von Gründen und damit auch zwangläufig längeren Abwanderungsphase ausgegangen wird.60 Die Arbeiten von Michalski und Koautoren können für die prozessorientierte Sichtweise der Kundenabwanderung als maßgeblich bezeichnet werden.61 Hintergrund dieser Ansätze ist die Überlegung, dass Kunden eine Abwanderung häufig nicht bei einmaligen Vorkommnissen in Betracht ziehen, sondern über längere Zeiträume die Vor- und Nachteile einer Abwanderung abwägen.62 Die Historie von mehreren kritischen Ereignissen führt zu sog. Wechselpfaden.63 Abwanderungsprozesse können dabei Zeiträume von bis zu mehreren Jahren umfassen.64 Neben Studien, die auf die von Kunden angegebenen Abwanderungsgründe fokussieren, existieren weitere Prozessmodelle der Abwanderung, die Variablen wie Kundenerwartungen, Kundenzufriedenheit oder Einstellungen berücksichtigen.65 Dabei wird in nahezu allen Prozessmodellen von einem auslösenden Faktor, einem sog. „trigger“ ausgegangen.66 Diese Auslöser sind jedoch nicht zwangsläufig die Gründe für die Abwanderung, sondern können lange vor der eigentlichen Abwanderung eintreten, sodass letztlich ergänzende Variablen zur Kundenabwanderung führen.67 Faktoren, die einen solchen Abwanderungsprozess fördern, sind z. B. Empfehlungen von 58

Vgl. Michalski (2004), S. 983. Vgl. Keaveney (1995); Roos (1998); Roos (1999). Bei Michalski findet sich eine Zusammenfassung ausgewählter ereignisbezogener Studien. Vgl. Michalski (2002), S. 18-23. 61 Vgl. Bruhn/Michalski (2001); Bruhn/Michalski (2003); Jüttner/Michalski/Schmidt (2006); Michalski (2002); Michalski (2004). 62 Vgl. Duck (1982); Reichheld (1996), S. 65. 63 Vgl. Roos (1999), S. 71. 64 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003); Michalski (2004), S. 986; Roos (1999), S. 77. 65 Vgl. Boshoff (1997); Jüttner/Michalski/Schmidt (2006); Stewart (1998a); Stewart (1998b). 66 Vgl. Roos/Strandvik (1997), S. 17; Stewart (1998a), S. 238. 67 Vgl. Giller/Matear (2001), S. 99. Zur Differenzierung von Auslösern und Gründen zur Abwanderung vgl. Michalski (2002), S. 113-118. 59 60

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

25

dritten Personen. Dagegen hemmen Faktoren wie die Bequemlichkeit, der Zeitmangel und persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern den Abwanderungsprozess.68 Eine komprimierte Form des Abwanderungsprozesses mit der Unterscheidung von Auslösern, Abwanderungsgründen und der Kündigung von Michalski ist in der folgenden Abbildung 9 dargestellt. Prozesshemmende Einflussfaktoren

Initiale Auslöser Abwanderungsgründe

Beginn Abwanderungsprozess

Finale Auslöser

Prozessmerkmale Prozessphasen Latenzphase

Wahrnehmungsphase

Dialogphase

Entscheidungsphase

Umsetzungsphase

Kündigung: Ende des Abwanderungsprozesses

Prozesstypen Länge des Abwanderungsprozesses

Prozessfördernde Einflussfaktoren

Abbildung 9: Quelle:

Abwanderungsprozess Eigene Darstellung in Anlehnung an Michalski (2002), S. 109.

Die prozessorientierte Sichtweise der Kundenabwanderung wird in den allgemeinen Modellen der Entwicklung von Geschäftsbeziehungen, die unterschiedliche Stufen bzw. Phasen von Kundenbeziehungen definieren, konzeptionell gestützt.69 Angesprochen wird hiermit das Konzept des Kundenlebenszyklus, das mehrere Stufen der Entwicklung einer Kundenbeziehung darstellt.70 2.1.2.2.5 Absichten und Verhalten Eine Vielzahl von Studien zur Kundenabwanderung und Service Recovery befasst sich mit der Untersuchung von Absichten und Verhalten von Kunden. Im Rahmen der Literaturanalyse für die vorliegende Arbeit wurde deutlich, dass die Begriffe bzw. Dimensionen von Wechsel, Abwanderung, Verhalten und Absichten nicht erschöpfend genug voneinander getrennt sind. Wie die weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt zeigen werden, werden die Termini in unterschiedlicher Weise miteinander vermengt und nicht ausreichend definiert, sodass für den Forscher zum Teil nicht ersichtlich ist, ob sich die Untersuchungen nur auf Absichten oder Verhalten im Kontext von Kun68

Vgl. Michalski (2002), S. 109. Vgl. Dwyer/Schurr/Oh (1987); Georgi (2000), S. 29-31. 70 Vgl. Rutsatz (2004), S. 23; Stauss (2000). 69

26

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

denwechsel oder Kundenabwanderung beziehen. Daher ist es von erheblicher Bedeutung, die Begriffe eindeutiger zu benennen, um zielgerichtet in Wissenschaft und Praxis die Facetten der Kundenvariablen untersuchen und einsetzen zu können. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts werden daher die verschiedenen Begrifflichkeiten ausführlich analysiert. Die folgenden Ausführungen lassen sich grafisch in vier Dimensionen darstellen: Abwanderungsabsichten

WechselW echselabsichten

Abwanderung/ Wechsel W ahrscheinlichkeit der Abwanderung

Abbildung 10: Quelle:

Wechsel- und Abwanderungsverhalten

Dimensionen von Kundenabwanderung und Wechsel Eigene Darstellung.

Abschließend werden in diesem Unterabschnitt Arbeiten, die sich mit diesen Dimensionen befassen, vorgestellt. Eine eindeutige Zuordnung einiger Arbeiten war an dieser Stelle nicht möglich. Zielsetzung der Differenzierung zwischen Absichten und Verhalten, Wechsel und Abwanderung sowie Wahrscheinlichkeit ist es, für die Ableitung eines Modells der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen die Facetten der Wiederaufnahme herauszuarbeiten und zugleich einzelne Einflussgrößen zu identifizieren. Den Ansatzpunkt hierfür bildet die Überlegung, dass Faktoren der Abwanderung gleichzeitig Faktoren der Wiederaufnahme sein können. a) Wechselabsichten Die Wechselabsichten werden als erste Dimension innerhalb möglicher Facetten der Kundenabwanderung bzw. des Kundenwechsels vorgestellt. Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über zentrale Einflussgrößen von Wechselabsichten. Ein Großteil der Literatur widmet sich dabei der Rolle der (Un-)Zufriedenheit als auslösende Größe für die Absicht eines Kunden, eine existierende Geschäftsbeziehung zu beenden und einen neuen Anbieter zu wählen. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Bansal und Koautoren, die im Rahmen des ‚Service Provider Switching Models’ mehrere Faktoren, bspw. Wechselkosten, auf ihren Einfluss auf Wechselabsichten untersucht haben.71

71

Vgl. Bansal/Taylor (1999); Bansal/Taylor/James (2005).

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Untersuchungsgegenstand

Autoren (Jahr)

Attraktivität der Alternativen

Dick/Basu (1994); Henseler (2006)

Commitment

Ping/Dwyer (1992)

Einstellungen gegenüber dem Wechsel

Bansal (1997); Bansal/Taylor (1999)

Normen

Bansal (1997); Bansal/Taylor (1999)

(Un-)Zufriedenheit

Bansal/Taylor (1999); Bearden/Teel (1983); Bolton (1998); Bolton/ Bronkhorst (1995); Cronin/Taylor (1994); Jones/Sasser Jr. (1995); Oliver (1981); Rust/Zahorik (1993)

Wahrgenommene Wechselkosten/-barrieren

Bansal/Taylor (1999); Henseler (2006)

Tabelle 2: Quelle:

27

Ausgewählte Einflussgrößen von Wechselabsichten Eigene Darstellung.

Der Begriff der Wechselabsicht impliziert, dass ein Kunde die Absicht hat, ein Unternehmen zu verlassen, um gleichzeitig eine Geschäftsbeziehung bei einem anderen Unternehmen aufzunehmen. Allerdings wird in der aufgeführten Literatur auf diese Differenzierung überwiegend nicht explizit hingewiesen, sodass zu vermuten ist, dass z. T. auch eine reine Abwanderungsabsicht untersucht worden ist. Jedoch besagt die Abwanderungsabsicht nur, dass ein Kunde ein Unternehmen verlässt – unabhängig davon, ob ein neuer Vertrag aufgenommen wird. Daher wird im nächsten Unterabschnitt die Abwanderungsabsicht veranschaulicht. b) Abwanderungsabsicht Nach Kenntnis der Verfasserin liegen zur Abwanderungsabsicht kaum Studien vor. Zwar hat Ping mit der „exit intention“ eine Abwanderungsabsicht aufgeführt, letztlich unterscheidet er aber nicht, ob es sich dabei um eine Wechsel- oder eine Abwanderungsabsicht handelt.72 In einer Studie von Krafft wurde die Kündigungsneigung von Programmzeitschriftenkunden – die Ähnlichkeiten mit der Abwanderungsabsicht aufweist – untersucht. Hierbei leistet neben soziodemografischen Daten auch die Gesamtzufriedenheit des Kunden einen Erklärungsbeitrag zur Abwanderungsneigung.73 Die Kündigungsneigung bei Internetanschlüssen wiederum wurde von Hüppelshäuser untersucht. Danach nimmt die Kündigungneigung zu, wenn vom Kunden die Grundgebühr im Verhältnis zur Nutzung als zu hoch eingeschätzt wird.74

72

Vgl. Ping (1993). Vgl. Krafft (2007), S. 89 und S. 100-107. 74 Vgl. Hüppelshäuser (2005), S. 318. 73

28

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

c) Wechsel- und Abwanderungsverhalten Die vorhandene Literatur zum Wechsel- und Abwanderungsverhalten von Kunden lässt sich in zwei Forschungsrichtungen unterscheiden. Während sich der erste Forschungszweig mit der direkten Identifizierung von Wechsel- und Abwanderungsgründen, d. h. der Ermittlung der Wechsel- und Abwanderungsgründe aus den konkreten Kundennennungen befasst, widmet sich der zweite Forschungszweig der Modellierung von Verhaltensgründen und einer indirekten Identifizierung der Kundengründe (z. B. über kausalanalytische Modelle oder Data Mining-Verfahren). Zur Bestimmung direkter Wechsel- und Abwanderungsgründe und des -verhaltens hat sich dabei die von Flanagan entwickelte Critical Incident Technique (CIT) als qualitative Erhebungsmethode im Service Recovery-Kontext etabliert.75 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Studien, in denen direkte Wechsel- bzw. Abwanderungsgründe von Kunden untersucht wurden. Aufgrund der in den Studien meist fehlenden Abgrenzung kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob der Kunde den Anbieter wechselt oder nur eine bestehende Geschäftsbeziehung beendet und damit der Kunde marktabstinent wird. Untersuchungsgegenstand

Autoren (Jahr)

Bedürfnis nach Variation

Bennett (1996); Roos (1999); Sheth/Parvatiyar (1995); Stewart (1998a)

Beschwerdemanagement/ Kommunikationskanäle

Ahmad (2002); Forbes/Kelley/Hoffman (2005); Stewart (1996)

Personal

Roos (1999); Roos/Edvardsson/Gustafsson (2004)

Preis(-politik)

De Souza (1992); Gerrard/Cunningham (2004); Jüttner/Michalski/Schmidt (2006); Keaveney (1995); Roos (1999); Roos/Edvardsson/Gustafsson (2004)

Produktpalette/ -mix

Roos (1999); Roos/Edvardsson/Gustafsson (2004)

Service-/ Produktfehler

Gerrard/Cunningham (2004); Keaveney (1995); Kelley/Hoffman/Davis (1993); Stewart (1998a); Wirtz/Mattila (2004)

(Un-)Zufriedenheit

Andreasen (1985); Colgate/Stewart/Kinsella (1996); Ping (1993)

Wettbewerbsangebote

Gerrard/Cunningham (2004); Keaveney (1995); Ping (1993); Ping (1995)

Tabelle 3: Quelle:

75

Ausgewählte Studien mit vom Kunden aufgeführten Abwanderungsgründen Eigene Darstellung.

Vgl. Flanagan (1954). Die CIT wurde u. a. von Bitner/Booms/Mohr (1994); Bitner/Booms/Tetreault (1990); Keaveney (1995); Roos (1999) und Roos (2002) angewendet.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

29

Ebenso muss die Literatur zur indirekten Ermittlung von Einflussfaktoren auf das konkrete Verhalten (Abwanderungs- und Wechselverhalten) als begrenzt bezeichnet werden. Als indirekte Ermittlung wurde die Konzeptualisierung von nichtbeobachtbaren Variablen (Konstrukten) bzw. die Identifikation von kaufverhaltensrelevanten Daten definiert. In der Literatur wurden die Attraktivität bzw. Verfügbarkeit von Alternativen, das Bedürfnis nach Variation, die Wechselkosten und die (Un-) Zufriedenheit als Einflussfaktoren des konkreten Abwanderungs- und Wechselverhaltens bestimmt.76 d) Wahrscheinlichkeit der Abwanderung Das Spannungsfeld von Absichten und Verhalten lässt sich des Weiteren noch nach der Wahrscheinlichkeit der Abwanderung abgrenzen. Capraro/Broniarczyk/ Srivastava haben drei Treiber der Abwanderungswahrscheinlichkeit bestimmt: Zufriedenheit sowie objektives und subjektives Wissen der Alternativen am Markt.77 Dagegen hat Santonen die Preissensibilität von Bankkunden als dominierenden Faktor für die Abwanderungswahrscheinlichkeit bestimmt.78 Einen anderen Forschungsansatz liefert Krafft über die Hazard-Regression mit der Bestimmung der Abwanderungsneigung von Abonnenten.79 Danach haben insbesondere das Alter, Haushaltseinkommen, der Magazincharakter, die Magazinthemen und die Gesamtzufriedenheit einen hohen Einfluss auf die Abwanderungsneigung. e) Übergreifende Studien zur Kundenabwanderung Neben den genannten direkten und indirekten Methoden zur Ermittlung von Kundenabsichten und -verhalten zum Wechsel bzw. zur Abwanderung existieren weitere Studien, die Abwanderungsgründe bzw. -ursachen aufführen, deren Bezug aber nicht explizit ausweisen und daher als „übergreifend“ klassifiziert werden sollen. In diesen Untersuchungen wird nicht uneingeschränkt deutlich, ob der Kunde diese Gründe als Abwanderungsabsichten oder seine tatsächliche Abwanderung genannt hat, ob diese aus Unternehmenseinschätzungen oder Expertenmeinungen stammen oder über Kausalmodelle ermittelt wurden. Daher wurden diese Beiträge nicht in die obigen vier Dimensionen a) bis d) eingeordnet, sollen aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Insbesondere die Kategorisierung der Abwanderungsgründe nach Kunden, Unternehmen bzw. Wettbewerber ist für die vorliegende Arbeit relevant.

76

Vgl. Henseler (2006), S. 155; Roos (1999); Sambandam/Lord (1995); Stewart (1998a). Vgl. Capraro/Broniarczyk/Srivastava (2003). 78 Vgl. Santonen (2007), S. 50. 79 Vgl. Krafft (2007), S. 104 f. 77

30

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Diese aufgeführten Abwanderungsursachen und -gründe sind: x gestiegene Kundenansprüche,80 x Homogenität von Produkten und Leistungen,81 x Unzufriedenheit und Wahrnehmung der Alternativen,82 x Sättigung, Langeweile und Variety Seeking,83 x Wettbewerbsangebote und die Erwartung besserer Angebote des Anbieters,84 x relative Abhängigkeit, Vertrauen, Beziehungsinvestitionen und -dauer85 und x Verschlechterung der Qualität.86 Zusammenfassend lassen sich aus den genannten Abwanderungsursachen verschiedene Klassifikationsansätze ableiten. Hierbei können diese Bezugspunkte der Abwanderung nach folgenden Kriterien unterschieden werden: x kunden-, unternehmens- und wettbewerbsbezogenen Gründe,87 x absichtlich und unabsichtlich vertriebene, abgeworbene, weggekaufte, ungewollt ausscheidende und sich „mental“ entfernte Kunden,88 x gezwungene, optionale, unfreiwillige und geplante Abwanderung.89 2.1.2.2.6 Wiederaufnahmemöglichkeit Die letzte Dimension, dem sich die Kundenabwanderung zuordnen lässt, bezieht sich auf die Frage, inwieweit die Abwanderungsentscheidung umkehrbar bzw. nicht umkehrbar ist. Mit der Umkehrbarkeit einer Abwanderung ist v. a. die Annahme einer Bereitschaft des Kunden zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäfts-beziehung vorausgesetzt. Sowohl in der wissenschaftlichen als auch der praxisbezogenen Literatur finden sich nur wenige, zudem recht allgemeine Aussagen hinsichtlich einer Umkehrbarkeit.90 In Anlehnung an den von Roos geprägten Begriff der erneuerbaren („revocable“) Geschäftsbeziehungen muss eine Kündigungsentscheidung nicht als endgültig betrachtet werden. Vielmehr erweisen sich abgewanderte Kunden nach einer 80

Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 57. Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003). Vgl. Hocutt/Chakraborty/Mowen (1997); Singh/Pandya (1991). 83 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 57; Stewart (1998a), S. 245. 84 Vgl. Marple/Zimmermann (1999). 85 Vgl. Hocutt/Chakraborty/Mowen (1997). 86 Vgl. Stewart (1998a); Stewart (1998b). 87 Vgl. Büttgen (2003), S. 68; Michalski (2002), S. 43; Michalski (2004), S. 982. 88 Vgl. Stauss/Friege (2000), S. 460-461. 89 Vgl. Michalski (2004), S. 977. Eine sehr ähnliche Unterscheidung ist bei Halinen/Tähtinen (2002), S. 167 f. zu finden. 90 Z. T. wird die Rückgewinnung abgewanderter Kunden und deren Wiederaufnahme sogar bestritten. Vgl. Colgate/Stewart/Kinsella (1996), S. 23. 81 82

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

31

Abstinenzzeit und unter gewissen Umständen durchaus als wiederaufnahmebereit.91 Ausgangpunkt ist das Verständnis von emotionalen Verbindungen zwischen Kunden und Unternehmen bzw. der Existenz einer Art von Energie, die den Kunden zur Wiederaufnahme motivieren können.92 Der Fragestellung der Wiederaufnahme – als zentraler Forschungszweck dieser Arbeit – wird in Abschnitt 2.2 ausführlich nachgegangen. Zielsetzung dieses Abschnitts war es, einen Überblick über ausgewählte Befunde der Kundenabwanderungsliteratur zu geben. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen den Studien zur Abwanderung aus B2B- und B2C-Geschäftsbeziehungen existieren. Diese Übereinstimmungen zeigen sich insbesondere in der Analyse von Konstrukten wie z. B. der Attraktivität von Alternativen und den Wechselkosten als Einflussgrößen der Kundenabwanderung. Darüber hinaus gilt für geschäftliche Vertragsbeziehungen, dass die Abwanderung einen Prozess darstellt, der aus Sicht des Kunden mehrere Ursachen umfasst. In der Literaturanalyse wurde deutlich, dass nur wenige Kenntnisse zur Rückgewinnung bzw. zur Wiederaufnahme(-bereitschaft) abgewanderter Kunden vorliegen. Dabei zeigt die empirische Forschung, dass die Kundenabwanderung beachtliche Auswirkungen auf Unternehmen und Kunden haben kann. An einem Beispiel sei verdeutlicht, wie diese Wirkungen mit den sechs beschriebenen Dimensionen zusammenhängen. Ein Kunde, der alle Geschäftsbeziehungen mit einem Unternehmen kündigt (totale Abwanderung), nimmt andere Konsequenzen wahr, als wenn er nur einen von mehreren Verträgen auflösen würde. Entsprechend sieht sich ein Unternehmen bei der Kündigung mehrerer Verträge anderen, i. d. R. umfangreicheren Konsequenzen ggü. als bei der Kündigung eines einzigen Vertrags. Im nächsten Abschnitt sollen sowohl die Konsequenzen der Abwanderung für die abgewanderten Kunden als auch für das betroffene Unternehmen geschildert werden.

91 92

Vgl. Michalski (2002), S. 160 f.; Michalski (2004), S. 987; Roos (1999); Rutsatz (2004), S. 209 f. Vgl. Giller/Matear (2001), S. 101; Havila/Wilkinson (1997); Havila/Wilkinson (2002).

32

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

2.1.3 Konsequenzen der Kundenabwanderung Generell lassen sich die Konsequenzen einer Kundenabwanderung nach den Wirkungen auf die abgewanderten Kunden und das betroffene Unternehmen unterscheiden. 2.1.3.1 Konsequenzen der Abwanderung für die Kunden Während sich die Marketingliteratur ausführlich mit den Wechselkosten bzw. -barrieren als Konsequenzen eines Anbieterwechsels befasst hat,93 liegen keine Arbeiten vor, in denen die Konsequenzen für Kunden nach der Abwanderung gemessen bzw. bewertet werden. Geht man jedoch von der Annahme aus, dass die Kundenwahrnehmung der Kosten bei einem Anbieterwechsel mit den Kosten nach einer Abwanderung vergleichbar ist, lassen sich diese Erkenntnisse der vorhandenen Literatur auf die Konsequenzen der Kundenabwanderung übertragen. Gleichzeitig sind diese Konsequenzen von der Art der Kundenentscheidung abhängig. Kunden, die abwandern, ohne eine neue Geschäftsbeziehung einzugehen, können andere Kosten oder Erträge als Konsequenzen wahrnehmen, als wenn sie eine neue Bindung mit einem anderen Anbieter eingehen. Die Konsequenzen für beide Formen des Kundenverhaltens, d. h. Anbieterwechsel und Marktabstinenz werden im Weiteren vorgestellt. Die Konsequenzen der Abwanderung für Kunden lassen sich in wahrgenommene bzw. reale Kosten und Erträge unterscheiden. In der Literatur ist belegt, dass Kunden vor der Abwanderung bzw. im Rahmen ihrer Abwanderungs- bzw. Wechselentscheidung Wechselkosten antizipieren, z. B. Kosten der Alternativensuche, ohne dass diese in ihrer Höhe und Form eintreten müssen.94 Derartige Kosten fungieren als bindungsbegünstigende Determinanten, da ihr Eintreten vom Kundenverhalten abhängt und der Kunde mit dem Verbleib beim aktuellen Anbieter diese Kosten vermeiden kann. Diese Kosten lassen sich auf den Abwanderungskontext übertragen. Kunden können u. a. folgende Kosten wahrnehmen: nachgelagerte Kosten der Abwanderung, z. B. Beschäftigung mit der Abwanderung (durch Zweifel an der Entscheidung), Kosten der Informationssuche und -verarbeitung für die Auswahl eines neuen Anbieters, Kosten der „Eingewöhnung“ an den neuen Anbieter, seine Produkte 93

Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003); Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000); Jones/Mothersbaugh/ Beatty (2002); Klemperer (1995); Ping (1995); Yang/Peterson (2004). 94 Vgl. u. a. Bansal/Taylor/James (2005). Der Begriff Kosten ist in dieser Arbeit nicht mit dem Terminus aus dem Controlling identisch. Die Marketingliteratur verwendet den Kostenbegriff vielmehr für jegliche Aufwendungen, die Kunden in Bezug auf den Wechsel haben. Die Verfasserin lehnt sich der Verständlichkeit halber an den Begriff an.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

33

und Services aber auch an das Personal und die Strukturen sowie Kosten einer Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung.95 Neben den Kosten können abgewanderte Kunden aber auch Erträge bzw. Nutzen ihrer Abwanderung wahrnehmen. Dies können die Befriedigung, eine Entscheidung nach negativen Erfahrungen mit dem Unternehmen getroffen zu haben (Herstellen von kognitiver Konsonanz), die Bestätigung aus dem sozialen Umfeld, wenn eine Abwanderung von diesem Unternehmen gesellschaftlich akzeptiert wird, der monetäre Nutzen aus dem Verzicht des Produktkaufs (Marktabstinenz mit dem Resultat der Verbesserung der eigenen Finanzlage), der monetäre Nutzen einer neuen Geschäftsbeziehung durch z. B. bessere Konditionen und der nicht-monetäre Nutzen der neuen Geschäftsbeziehung durch z. B. ein besseres Image des Anbieters oder gesellschaftliche Akzeptanz ein. 2.1.3.2 Konsequenzen der Abwanderung für die Unternehmen Die Konsequenzen der Kundenabwanderung sind für Unternehmen weitaus besser bekannt als die Auswirkungen auf die Kunden. Dabei beziehen sich diese Konsequenzen v. a. auf die berichteten Effekte zurückgewonnener Kunden, denen deutlich höhere Verkaufspotenziale als neuen Kunden zugesprochen werden.96 Des Weiteren werden eine längere Bindungsdauer und eine höhere Rentabilität im Vergleich zu bestehenden Kunden berichtet.97 Trotz der potenziellen Erträge zurückgewonnener Kunden hat die Kundenabwanderung zuallererst negative Wirkungen auf die wirtschaftliche Situation von Unternehmen. Daher überrascht es nicht, dass der Blick auf die Kosten, die Unternehmen nach der Kundenabwanderung zu tragen haben, vorherrscht. Für die Telekommunikationsbranche bspw. wurden Ende der 1990er Jahre die jährlichen Abwanderungskosten auf rund 10 Milliarden US-Dollar geschätzt.98 Die Kosten der Kundenabwanderung für Unternehmen lassen sich in finanzielle und nichtfinanzielle Kosten unterscheiden. Zu den finanziellen Kosten der Kundenabwanderung für Unternehmen zählen der unmittelbare Verlust an Umsätzen, Deckungsbeiträgen und Marktanteilen sowie damit verbundene Skaleneffekte, der Verlust des langfristigen Kundenpotenzials hinsichtlich zukünftiger Erträge,99 die Kosten der Neukundenakquisition und die Kosten der Kundenrückgewinnung.

95

Zur Konzeption der Wiederaufnahmekosten vgl. Abschnitt 4.2.4.1. Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 34. Vgl. Sauerbrey/Henning (2000), S. 17; Starke (2000), S. 122. 98 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 57. 99 Vgl. Reichheld/Sasser Jr. (1990), S. 106. 96 97

34

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Zu den nicht-finanziellen Kosten der Kundenabwanderung für Unternehmen zählen eine negative Mund-zu-Mund-Kommunikation durch abgewanderte Kunden und eine damit verbundene „Kündigungsausstrahlungsgefahr“,100 eine indirekte Stärkung der Wettbewerber, wenn die ehemaligen Kunden zum Konkurrenten wechseln, und Einschnitte in der systematischen Kundenbetreuung, da mit zunehmender Erfahrung die Kunden effizienter betreut werden können.101 Abschließend bleibt festzuhalten, dass nur wenige Anhaltspunkte zu den realen Kosten der Kundenabwanderung vorliegen. Ein erster Erklärungsansatz hierfür ist, dass die Veröffentlichung derartiger Unternehmensdaten einen sensiblen Punkt darstellt, um insbesondere den Wettbewerbern keine Details des Geschäfts zu kommunizieren. Eine zweite Erklärung kann darin liegen, dass vielen Unternehmen die Wirkungen der Kundenabwanderung möglicherweise auch nicht bewusst sind. Analog zum niedrigen Kenntnisstand zu den Abwanderungskosten ist auch wenig über die Erträge bzw. den Nutzen der Kundenabwanderung für Unternehmen bekannt. Während im Fall einer vom Unternehmen forcierten, erwünschten Kundenabwanderung, d. h. des aktiven oder passiven Exit-Managements, Einsparungs- und Reallokationserträge von Ressourcen auf profitablere Kunden anfallen,102 ist jedoch im Falle einer unerwünschten Kundenabwanderung, also bei einer Abwanderung profitabler Kunden nicht mit Erträgen zu rechnen. Während sich der Begriff der Rückgewinnung auf die Unternehmenssicht bezieht und Unternehmen aufgrund des zumeist zunehmenden Wettbewerbsdrucks ein Interesse an der Wiedergewinnung von Kunden haben, bezieht sich die Kundenseite auf den Begriff der Wiederaufnahmebereitschaft (WAB) und des Wiederaufnahmeverhaltens (WAV). Das zentrale Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, herauszufinden, ob verschiedene Dimensionen der WAB existieren und durch welche Einflussgrößen diese bestimmt werden. Im folgenden Abschnitt werden daher ausgewählte konzeptionelle und empirische Arbeiten der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen vorgestellt und somit die konzeptionellen Grundlagen für die vorliegende Arbeit vermittelt.

100

Vgl. Jones/Sasser Jr. (1995), S. 97; Zollner (1995), S. 180 f. Vgl. Reichheld/Sasser Jr. (1990), S. 106. 102 Vgl. Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 295. 101

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

35

2.2 Grundlagen zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 2.2.1 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen Wie unter der Fragestellung der Umkehrbarkeit von Geschäftsbeziehungen angeführt (Abschnitt 2.1.2.2.6), nehmen Kunden unter bestimmten Umständen frühere Beziehungen wieder auf. Ein Erklärungsansatz hierfür ist die Annahme, dass Kunden nach der Abwanderung ihre Entscheidung überdenken und damit auch eine Neubewertung ihrer früheren Geschäftsbeziehungen vornehmen.103 Homburg/Fürst/Sieben sprechen von branchenabhängigen Rückgewinnungsquoten von 15 bis 50 %.104 Nicht alle Kunden sind somit „unwiederbringlich verloren“105, sondern bringen dem früheren Unternehmen offensichtlich Wohlwollen entgegen, was wiederum einen Ansatz für die Kundenrückgewinnung darstellen kann. Ähnlich der Differenzierung in Absichten und Verhalten im Abschnitt 2.1.2.2.5 kann auch hinsichtlich der Umkehrbarkeit von Abwanderungsentscheidungen von einer Wiederaufnahmebereitschaft und dem Wiederaufnahmeverhalten gesprochen werden. Im Weiteren werden erstmals zentrale konzeptionelle und empirische Arbeiten und die dortigen Erkenntnisse zur Umkehrbarkeit von Abwanderungsentscheidungen, d. h. der Wiederaufnahme, in ihrer Summe vorgestellt. Abbildung 11 gibt den für die vorliegende Arbeit relevanten Zusammenhang der Begrifflichkeiten der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen, Wiederaufnahmebereitschaft und des Wiederaufnahmeverhaltens wieder. Wiederaufnahme

Wiederaufnahmebereitschaft (WAB)

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft (GWAB)

Abbildung 11: Quelle:

103

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft (SWAB)

Elemente der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen Eigene Darstellung.

Vgl. Bolton (1998). Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 58. 105 Ebenda. 104

Wiederaufnahmeverhalten (WAV)

36

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

2.2.1.1 Konzeptionelle Forschungsarbeiten Der Begriff der Wiederaufnahme ist konzeptionell bisher nur in zwei Arbeiten verwendet wurden. Der zentrale Ansatz für die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen ist im Modell zur Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen von Bendapudi/Berry zu sehen, in dem vier Kategorien von Einflussfaktoren (Umwelt, Unternehmen, Kunde, Transaktion) auf die Kundenbindung (zwangs- oder wunschbasiert) konzipiert wurden.106 Darauf aufbauend hat Rutsatz eine generelle Wiederaufnahmebereitschaft abgeleitet, die sich in eine vertrauens- und abhängigkeitsbasierte Kundenabsicht zur Beziehungswiederaufnahme differenzieren lässt.107 Faktoren für eine vertrauensbasierte Wiederaufnahmebereitschaft sind demzufolge das Commitment, die Ähnlichkeit der Geschäftspartner, die Zufriedenheit und die Transaktionshäufigkeit, während zur bedingten Wiederaufnahmebereitschaft die Alternativen am Markt und die Unternehmensmaßnahmen gezählt werden.108 Als Gründe für eine generelle Wiederaufnahme einer Geschäftsbeziehung führt Rutsatz v. a. eine Reduktion des Risikos und der Transaktionskosten an, die sich aus den Erfahrungswerten abgewanderter Kunden ergeben.109 Die bedingte Wiederaufnahmebereitschaft wird durch die Unternehmensmaßnahmen zur Rückgewinnung bestimmt und beinhaltet mögliche Erwartungen der Kunden an einen früheren Anbieter. Hinsichtlich der Messung und Analyse der Wiederaufnahmebereitschaft ist Rutsatz auf der konzeptionellen Ebene geblieben – in seiner Arbeit ist er zwar immer wieder implizit von der Existenz einer generellen Kundenintention zur Wiederaufnahme ausgegangen, ohne diese jedoch faktisch zu prüfen.110 2.2.1.2 Empirische Forschungsarbeiten Die empirischen Arbeiten lassen sich in deskriptiv orientierte Studien, die sich vorrangig mit Mittelwertvergleichen befassen und in Hypothesen testende Arbeiten, die sich mit multivariaten Analyseverfahren beschäftigen, unterscheiden. In den deskriptiv empirischen Studien ist insbesondere die Existenz einer Wiederaufnahmebereitschaft von Kunden beschrieben worden. Während Roos festgestellt hat,

106

Vgl. Bendapudi/Berry (1997). Vgl. Rutsatz (2004), S. 28 f. 108 Vgl. Bendapudi/Berry (1997); Rutsatz (2004), S. 31-33. 109 Vgl. Rutsatz (2004), S. 33 f. 110 In der vorliegenden Arbeit wird statt der bedingten Wiederaufnahmebereitschaft die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft untersucht, die sich auf die Kundenerwartungen an Rückgewinnungsmaßnahmen des Unternehmens bezieht. 107

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

37

dass ein Großteil der Kunden zur Wiederaufnahme bereit ist,111 hat Michalski berichtet, dass nur wenige Kunden wiederaufnahmebereit sind, bei entsprechenden Bedingungen aber eine Rückkehr zum früheren Anbieter in Betracht ziehen.112 Insgesamt besteht diesen Beiträgen zufolge ein – wenn auch geringes – Potenzial die Kunden zurückzugewinnen.113 Die Ergebnisse der Untersuchung von Michalski sind in der folgenden Tabelle 4 aufgeführt. Einflussgrößen der Wiederaufnahmebereitschaft (WAB)

Ergebnisse

Abwanderungsgründe

Die Abwanderung aufgrund von wettbewerbsbezogenen Gründen führt zur geringsten WAB.

Alter

Das Alter hat keinen Einfluss auf die WAB.

Berufliche Position

Die berufliche Position der abgewanderten Kunden ist für die WAB nicht relevant.

Geschlecht

Es gibt keine Wirkung des Geschlechts auf die WAB.

Haushalts-Nettoeinkommen

Das Haushalts-Nettoeinkommen hat einen positiven Einfluss auf die WAB. Kunden mit einem hohen Einkommen weisen eine höhere WAB auf.

Prozesstyp der Abwanderung

Der Prozesstyp (Abwanderungsgrund) hat keine Wirkung auf die WAB. Kunden, die zwangsweise ihre Bankbeziehung auflösen mussten, zeigten jedoch die höchste Wiederaufnahmebereitschaft.

Zeitliche Dimension

Mit zunehmender Zeit nach der Abwanderung steigt die WAB der abgewanderten Kunden (positiver Time-Lag-Effekt).

Zufriedenheit

Es wurde kein Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und WAB festgestellt. Auch sehr zufriedene Kunden waren nicht zu einer Rückkehr bereit.

Tabelle 4: Quelle:

Einflussgrößen der Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung in Anlehnung an Michalski (2002), S. 160-167.

Auch wenn die Erhebung der Wiederaufnahmebereitschaft (WAB) nur anhand eines einzelnen Indikators operationalisiert und zudem kein Zusammenhang zwischen der WAB und dem tatsächlichen Wiederaufnahmeverhalten aufgedeckt wurde, lassen sich nützliche Erkenntnisse aus dieser Untersuchung gewinnen. Demnach scheinen demografische Variablen keine Wirkung auf die WAB zu haben, während sozioökonomische Faktoren und der Einfluss des Wettbewerbsumfelds einen Einfluss aufweisen. Daneben stellt auch die Ausgestaltung der Rückgewinnungsangebote bzw. -anreize eine wichtige Determinante für eine hohe Rückkehrwahrscheinlichkeit dar.114 111

Vgl. Roos (1999), S. 69 und S. 77. Vgl. Michalski (2004), S. 985. 113 Vgl. Michalski (2002), S. 160 f. 114 Vgl. Roos (1999), S. 74 und S. 79. Zu den Rückgewinnungsangeboten vgl. Abschnitt 2.3.3.2.3. 112

38

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

In der Literatur, in denen Hypothesen zur Wiederaufnahme getestet werden, finden sich ebenfalls nur wenige Ansätze, die eine Wiederaufnahme mit den Facetten der Wiederaufnahmebereitschaft und des -verhaltens berücksichtigen. Rutsatz, der ein Modell der Rückgewinnungswahrscheinlichkeit aufstellt, berücksichtigt explizit Variablen der Geschäftsbeziehung und des Kunden.115 Aus einer Kundendatenbank werden Variablen wie Umsatz, Retouren, Akquisitionskanal, Wohnort und Geschlecht auf deren Einfluss auf eine erneute Bestellung bei einem Versandhändler geprüft. Jedoch hat der Autor keine Kundeneinstellungsdaten erhoben. Auf Basis der Vorüberlegungen von Rutsatz kann zwischen einer generellen und einer spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft unterschieden werden.116 Eine weitere empirische Arbeit, die Ansatzpunkte für eine Wiederaufnahmebereitschaft liefert, ist die experimentelle Untersuchung von Tokman/Davis/Lemon, in der die Wiederaufnahmebereitschaft als Bereitschaft, zum Anbieter zurückzuwechseln („switch-back intention“) im Rahmen nichtvertraglicher Geschäftsbeziehungen modelliert und deren Einflussgrößen (wie z. B. Art der Abwanderungsgründe) untersucht wurden.117 Die Autoren haben festgestellt, dass Rückgewinnungsangebote mit dem Preis und Servicevorteilen, Zufriedenheit mit dem früheren Anbieter und Bedauern ggü. der Abwanderungsentscheidung die Absicht zur Wiederaufnahme positiv beeinflussen. Indessen haben Homburg/Hoyer/Stock im vertraglichen Kontext Erfolgsfaktoren der Rückkehr von Kunden (Wiederaufnahmeverhalten) untersucht.118 Mit der Verwendung des Datensatzes von Sieben wird dabei unter Anwendung der Logistischen Regression überprüft, inwieweit die Zufriedenheit mit der früheren Beziehung oder das Kundenalter die Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung beeinflusst.119 Zentrale Ergebnisse dieser Studie sind in der Tabelle 5 auf der nächsten Seite aufgeführt.

115

Vgl. Rutsatz (2004), S. 117-127. Vgl. Rutsatz (2004), S. 26-28. Vgl. Tokman/Davis/Lemon (2007), S. 48-50. 118 Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 18-21. 119 Vgl. Sieben (2002). 116 117

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

39

Einflussgrößen des Wiederaufnahmeverhaltens

Ergebnisse

Abwanderungsgründe

Die Abwanderungsgründe hängen positiv mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen.

Alter

Das Alter hängt positiv mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen.

Dauer der Geschäftsbeziehung

Die Dauer der früheren Geschäftsbeziehung hängt nicht mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen.

Involvement

Das Involvement hängt positiv mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen.

Kundenzufriedenheit mit der Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der generellen Zufrüheren Geschäftsfriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung und der Wahrscheinbeziehung lichkeit der Wiederaufnahme. Variety Seeking

Das Variety Seeking hängt negativ mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen. Je höher der Wunsch nach Abwechslung ist, desto geringer ist die Wiederaufnahmewahrscheinlichkeit.

Zufriedenheit mit der Die Kundenzufriedenheit mit der Rückgewinnungsmaßnahme hängt Rückgewinnungsmaßnahme positiv mit der Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme zusammen. Tabelle 5: Quelle:

Einflussfaktoren auf die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen Eigene Darstellung in Anlehnung an Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 19.

Neben dem Begriff der Wiederaufnahme wird in der Literatur der Begriff der Rückgewinnungswahrscheinlichkeit als Aussicht, dass ein Kunde zurückkehrt, verwendet.120 Während die Wiederaufnahmebereitschaft eine (erhobene) Absicht des Kunden beinhaltet, wird die Rückgewinnungswahrscheinlichkeit über Einflussfaktoren geschätzt. Bei Kunden mit unternehmensbezogenen Abwanderungsgründen konnte eine hohe Rückgewinnungswahrscheinlichkeit festgestellt werden, während kundenbezogene und wettbewerbsbezogene Gründe eher zur weiteren Abwesenheit bzw. Inaktivität der Kunden bei dem früheren Anbieter führen.121 Im Rahmen der Literatur zur Rückgewinnungswahrscheinlichkeit wird das sog. Rückgewinnungs-Portfolio diskutiert, das neben der Wahrscheinlichkeit der Rückgewinnung auch die Attraktivität der Kunden (Kundenwert) berücksichtigt und damit den Ausgangspunkt von Rückgewinnungsmaßnahmen bildet.122 Neben den aufgeführten konzeptionellen und empirischen Arbeiten gibt es Studien, in denen die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen behandelt wurde, ohne dass diese jedoch konzeptionell unterlegt oder empirisch untersucht wurden. Diesen Arbeiten zufolge existiert ein gewisser Goodwill abgewanderter Kunden ggü. dem

120

Vgl. Homburg/Schäfer (1999); Rutsatz (2004), S. 113-147. Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 63. 122 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 63; Michalski (2002), S. 198-200; Rutsatz (2004), S. 43-45. 121

40

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

früheren Unternehmen bzw. eine Art von „Beziehungsenergie“, die zur Erneuerung von früheren Geschäftsbeziehungen führen kann.123 Frühere Geschäftsbeziehungen sind demgemäß dann erneuerbar, wenn eine Aussicht auf Beziehungserhalt besteht, z. B. aufgrund sozialer Bindungen.124 Eine derartige Begriffsauffassung weist auf Geschäftsbeziehungen hin, die ihrer Natur nach eher als gefährdet klassifiziert werden können. Im folgenden Abschnitt werden die verwendeten Begrifflichkeiten zur Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen (Kundensicht) analysiert und die Termini für die vorliegende Arbeit und damit das semantische Modell der Studie bestimmt. 2.2.2 Definition und Abgrenzung der Wiederaufnahmebereitschaft In der nachstehenden Tabelle 6 sind die in der Literatur verwendeten Termini zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen aufgeführt. Die Tabelle verdeutlicht, dass der Begriff der Wiederaufnahme im Wesentlichen die konkrete Handlung des Kunden umfasst, während die Wiederaufnahmebereitschaft nicht eindeutig definiert ist.125 Begriff

Autoren

Definition

Re-path

Roos (1999), S. 73

Keine explizite Definition. Beschreibung der kritischen Ebenen/ Situationen der Abwanderungsentscheidung.

Revival Performance

Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 3

„[…] relates to the question whether a target lost customer re-establishes the relationship with the company or not.”

Rückgewinnungserfolg

Sieben (2002), S. 64

„[…] wenn der abgewanderte Kunde die Geschäftsbeziehung mit einem Anbieter wieder aufnimmt, indem er seine Kündigung widerruft oder zu einem üblicherweise zu erwartenden Transaktionsmuster zurückkehrt.“

Rückgewinnungswahrscheinlichkeit

Rutsatz (2004)

Keine explizite Definition.

Switch-back intentions

Tokman/Davis/Lemon (2007), S. 54

Keine explizite Definition (Form der Verhaltensabsicht).

Wiederaufnahme

Rutsatz (2004), S. 28

„[...] Wiederaufnahme einer Beziehung [stellt] letztlich einen Akt der (erneuten) Kundenbindung dar.“

Wiederaufnahmebereitschaft

Michalski (2002), S. 160 Keine explizite Definition.

Tabelle 6: Quelle:

123

Begrifflichkeiten zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen Eigene Darstellung.

Vgl. Havila/Wilkinson (1997); Homburg/Schäfer (1999), S. 2; Pressey/Mathews (2003), S. 151. Vgl. Alajoutsijärvi/Möller/Tähtinen (2000), S. 1275; Havila/Wilkinson (2002), S. 192. 125 Vgl. Michalski (2002), S. 160; Rutsatz (2004), S. 28. 124

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

41

Der Begriff der Wiederaufnahmebereitschaft wird bisher implizit für das Vorhandensein einer Kundenabsicht hinsichtlich einer neuen Geschäftsbeziehung verwendet und stellt damit eine „Präferenz für eine längerfristige Bindung“126 dar. In Anlehnung an diese Interpretation soll unter der Wiederaufnahmebereitschaft allgemein die Bereitschaft des Kunden, eine Geschäftsbeziehung mit einem früheren Anbieter wiederaufzunehmen verstanden werden. Wie Rutsatz skizziert, kann sich die Wiederaufnahmebereitschaft zum einen auf generelle Dispositionen des Kunden zur Wiederaufnahme beziehen und zum anderen aber abhängig von Unternehmens-aktivitäten und darauf bezogene Erwartungen sein.127 Im Weiteren soll Folgendes unter der generellen Wiederaufnahmebereitschaft (GWAB) verstanden werden: Die generelle Wiederaufnahmebereitschaft ist die von Unternehmensaktivitäten losgelöste und unbedingte Bereitschaft des Kunden, eine vertragliche Geschäftsbeziehung mit einem früheren Anbieter wiederaufzunehmen. Während die GWAB eher affektive Beweggründe beinhaltet, bezieht sich die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft auf kognitive Motivationen, die eng mit dem Bewusstsein des eigenen Werts als Kunden für das Unternehmen und damit verbundenen Erwartungen an Unternehmensmaßnahmen zur Rückgewinnung einhergehen dürften. Die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft (SWAB) definiert sich daher wie folgt: Die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft ist die von Unternehmensaktivitäten abhängige, bedingte Bereitschaft des Kunden, eine vertragliche Geschäftsbeziehung mit einem früheren Anbieter wiederaufzunehmen. Die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft bildet die Erwartungshaltung des Kunden gegenüber Maßnahmen des Unternehmens zur Rückgewinnung des Kunden ab. Die Wiederaufnahmebereitschaft weist starke Bezugspunkte zum Begriff der Wiederkaufabsicht auf, um Kundenabsichten hinsichtlich eines zukünftigen Erwerbs von Produkten bzw. Dienstleistungen zu beschreiben. Gegenüber der transaktionalen Wiederkaufabsicht zeichnet sich die WAB durch die Bereitschaft zur vertraglichen Bindung mit dem früheren Anbieter aus. Eine vertragliche Bindung ist durch die Beziehungsdauer (z. B. Mindestlaufzeit von Mobilfunkverträgen), Kündigungsfristen und den Produktpreis (z. B. Grundgebühr) gekennzeichnet. Die konzeptionellen Unterschiede und Parallelen von WAB und Wiederkaufabsicht werden in Abschnitt 4.2.1.1 näher erläutert.

126 127

Rutsatz (2004), S. 28. Vgl. Rutsatz (2004), S. 35 f.

42

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

2.2.3 Konzeptualisierung des Wiederaufnahmeverhaltens Das Wiederaufnahmeverhalten stellt das Handeln abgewanderter Kunden zur Erneuerung der Geschäftsbeziehung mit einem früheren Anbieter dar und bezieht die explizite Wiederaufnahme einer Geschäftsbeziehung ein. Wie bereits geschildert, existieren mit den Arbeiten von Sieben und Rutsatz zwei empirische Studien, die sich mit der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung befasst haben.128 In diesen Arbeiten werden jedoch weder die generelle noch die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft hinsichtlich ihres Einflusses auf das Wiederaufnahmeverhalten abgewanderter Kunden untersucht. Hierbei ist u. a. auf Basis der Theory of Reasoned Action anzunehmen, dass beide Kundenabsichten eine positive Wirkung auf das Wiederaufnahmeverhalten haben.129 Allgemein kann das Wiederaufnahmeverhalten als ein umfassender Prozess von der Kundenkontaktaufnahme bis zum Vertragsabschluss verstanden werden. Das Wiederaufnahmeverhalten wird somit wie folgt definiert: Das Wiederaufnahmeverhalten ist die bewusste Kontaktaufnahme bzw. -erwiderung eines aktiven (Kündiger) bzw. inaktiven Kunden mit einem früheren Anbieter mit dem Zweck, eine Geschäftsbeziehung mit diesem Anbieter wiederaufzunehmen. Das Wiederaufnahmeverhalten umfasst darüber hinaus den erneuten Vertragsabschluss mit einem früheren Unternehmen. 2.3 Grundlagen zum Kundenrückgewinnungsmanagement Während im vorangegangenen Abschnitt die Begriffe ‚Wiederaufnahmebereitschaft’ und ‚Wiederaufnahmeverhalten’ geklärt und darauf bezogene konzeptionelle sowie empirische Ansätze vorgestellt wurden, soll nun die Sicht der Unternehmung im Vordergrund stehen. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass Kundenrückgewinnungsmaßnahmen an den beschriebenen Wiederaufnahmebereitschaften der Kunden ansetzen. Für eine erfolgreiche Rückgewinnung abgewanderter Kunden ist somit eine Betrachtung der Kundeneinstellungen (Kundenmotivationen), eine Bewertung der Kundenabwanderung (Abwanderungsattributionen) und der Wettbewerbssituation (Dimensionen des Wettbewerbs und explorativen Verhaltens) nahe liegend, da sich aus diesen drei unterschiedlichen Dimensionen ein Kundenrückgewinnungs-

128 129

Vgl. Rutsatz (2004); Sieben (2002). Vgl. u. a. Ajzen (1991); Ajzen/Fishbein (1980); Ajzen/Madden (1986); Armitage/Conner (2001); Bansal/Taylor/James (2005); Braunstein/Huber/Herrmann (2005).

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

43

management ableiten lässt. Die Zielsetzung des aktuellen Abschnitts ist es daher, die Kundensicht mit den Variablen der GWAB und SWAB als Ausgangspunkt für die Konzeption und Implementierung eines Kundenrück-gewinnungsmanagements heranzuziehen. Trotz der offenkundigen wirtschaftlichen Relevanz der Kundenabwanderung nimmt v. a. die Bindung bestehender Kunden eine prägende Rolle in der Erforschung des Kundenmanagements ein. Dies zeigt die Vielzahl der Veröffentlichungen zur Loyalität und Kundenbindung in den vergangenen Jahren.130 Erst in der jüngeren Vergangenheit ist die Rückgewinnung abgewanderter Kunden in den Fokus konzeptioneller und empirischer Studien gerückt.131 Ausgangspunkt dieser Studien ist dabei die Konzeption eines dreistufigen Kundenrückgewinnungsmanagements von Stauss/Friege, das auf dem Prozessmodell des Kundenbeziehungslebenszyklus beruht.132 Das idealtypische Modell des Kundenlebenszyklus wird zur Darstellung und Abgrenzung von Interaktionsphasen zwischen Kunden und Unternehmen eingesetzt und dient v. a. der Definition von Strategien und Maßnahmen zur Betreuung von potenziellen, aktuellen, gefährdeten und abgewanderten Kunden.133 Ein systematisches Kunden-(beziehungs-) management umfasst danach den gesamten Kundenbeziehungslebenszyklus (KLZ) und steuert aufeinander abgestimmt die einzelnen Beziehungsphasen.134 Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung aller Geschäftsphasen mit den Kunden wird das KRM als ein wichtiges Element des Kundenmanagements betrachtet.135 Ein Erklärungsansatz hierfür ist, dass die Art und der Umfang der Kundenakquisition Einfluss auf die Bindung des Kunden hat.136 Gleichzeitig ist zu erwarten, dass sich die Kundenbindungsaktivitäten auf die nachfolgenden Stufen der Abwanderungsprävention und der Kundenrückgewinnung auswirken, da die Bindungsmaßnahmen der Unternehmen die Erwartungshaltung der Kunden beeinflussen und diese wiederum die Phase der Beziehungsauflösung determinieren.137 Die folgende Abbildung 12 zeigt

130

Vgl. u. a. Bolton (1998); Bolton/Kannan/Bramlett (2000); Braunstein/Huber/Herrmann (2005); Diller (1996); Diller (2000); Eggert (2000); Herrmann/Johnson (1999); Homburg/Bruhn (2003); Homburg/Giering/Hentschel (1999); Krafft (1999a); Peter (1999); Reinartz/Krafft (2001); Thomas (2001); Venohr/Zinke (2000). 131 Vgl. dazu den Abschnitt 2.3.3. 132 Vgl. Stauss/Friege (1999). 133 Vgl. Bruhn (2001), S. 43-52; Stauss (2000), S. 15-17. Zur Abgrenzung des Kundenstatus wird die Beziehungsintensität bzw. der Kundenwert verwendet. 134 Vgl. Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 294 f. 135 Vgl. Büttgen (2003), S. 61 f.; Michalski (2002), S. 11; Rutsatz (2004), S. 22 f.; Sieben (2002), S. 40-45; Stauss/Friege (1999), S. 347 f. 136 Vgl. Thomas (2001), S. 262. 137 Vgl. u. a. Bruhn (2000), S. 1037; Kelley/Davis (1994).

44

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

die Einordnung der Kundenrückgewinnung in den Kundenbeziehungslebenszyklus.

Kundenwert

Vertragsbeginn Potenzielle Kunden

Vertragsende

Aktuelle Kunden

Erneuter Vertragsbeginn

Abgewanderte Kunden

Wiederaufnahmebereitschaft

1. Beziehungslebenszyklus Kündigung

Neukundenakquisition

Abbildung 12: Quelle:

Kundenbindung

Zurückgewonnene Kunden

2. Beziehungslebenszyklus Wiederaufnahmeverhalten

Kundenrückgewinnung

Zeit

Kundenbindung

Einordnung der Kundenrückgewinnung in den Kundenbeziehungslebenszyklus Eigene Darstellung in Anlehnung an Stauss/Friege (2000), S. 454.

Der Kundenbeziehungslebenszyklus verdeutlicht, dass Kunden einen Prozess des Wachstums und der Degeneration hinsichtlich ihres Werts für das Unternehmen durchlaufen.138 Innerhalb der Phase der Neukundenakquisition werden potenzielle Kunden angesprochen. Bei einer erfolgreichen Gewinnung von Kunden werden diese über Kundenbindungsmaßnahmen mit dem Ziel einer langfristigen, profitablen Geschäftsbeziehung betreut. Entsprechend des Kurvenlaufs aus der obigen Abbildung 12 können Geschäftsbeziehungen über den Zeitverlauf an Intensität hinsichtlich der Umsätze und damit verbundenen Kundenwerte abnehmen und in der Folge aufgelöst werden. Im Rahmen vertraglicher Geschäftsbeziehungen ergibt sich eine Besonderheit für den KLZ. Kunden, die ihren Vertrag gekündigt haben, können noch aktive Bestandskunden sein und gleichzeitig als abgewanderte Kunden klassifiziert werden. Der Grund hierfür liegt in den Kündigungsfristen, die mehrere Monate betragen können. Mit dem Auslauf des Vertrags tritt der Kunde in eine Abstinenzphase ein, in der er als inaktiver, abgewanderter Kunde bezeichnet werden kann. Die Rückgewinnungsmaßnahmen können in dem Moment beginnen, in dem der Kunde als abgewandert klassifiziert wird, unabhängig davon, ob er gemäß seiner Vertragskonditionen noch Käufe tätigt bzw. Leistungen des Anbieters in Anspruch nimmt. In idealtypischer Weise ist die Phase der Kundenrückgewinnung dann beendet, wenn der Kunde die Geschäfts138

Vgl. Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 294 f.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

45

beziehung wieder aufnimmt und somit ein neuer Vertrag beginnt. Der zurückgewonnene Kunde wird dann i. d. R. erneut in die Programme des Kundenbindungsmanagements aufgenommen, um einer zweiten Abwanderung entgegenzuwirken. In der Literatur wird empfohlen, Kunden nach der Rückgewinnung mit gesonderten Maßnahmen zu betreuen und nicht in das allgemeine Kundenbindungsmanagement zu überführen.139 Der Grund hierfür liegt in den unterschiedlichen Erfahrungen bzw. Erwartungen zurückgewonnener Kunden im Vergleich zu loyalen Stammkunden an einen früheren Anbieter. So wie in der Literatur kein einheitlicher Begriff für abgewanderte Kunden verwendet wird, wird auch das Kundenrückgewinnungsmanagement (KRM) nicht eindeutig definiert bzw. in seinen Aufgaben ausgelegt. Diese begrifflich-konzeptionelle Vernachlässigung wird auch in der Praxis deutlich, da das KRM nur vereinzelt als systematischer Managementansatz mit den entsprechenden Strategien und Maßnahmen zur Rückgewinnung abgewanderter Kunden verankert ist.140 Im nächsten Abschnitt erfolgt für ein besseres Verständnis des KRM die Darstellung zentraler Ansätze und Begrifflichkeiten des Kundenrückgewinnungsmanagements. 2.3.1 Definition und Abgrenzung des Begriffs Kundenrückgewinnungsmanagement In Abhängigkeit vom Kundenstatus, d. h. der Einordnung in aktuelle (gefährdete oder gekündigte) und inaktive Kunden lässt sich das KRM in zwei Kategorien unterscheiden. Ein Blick auf diese Kategorien ist insbesondere für die inhaltlichstrategische Ausgestaltung des Kundenrückgewinnungsmanagements und die Umsetzung der Unternehmensmaßnahmen sinnvoll und notwendig. Die Abbildung 13 weist auf die beiden konzeptionellen Auslegungen der Kundenrückgewinnung in Abhängigkeit des Kundenstatus hin. Während einige Autoren nur ehemalige Kunden in die Kundenrückgewinnung einbeziehen (Gruppe B), zählt ein anderer Autorenkreis auch die Rückgewinnung bestehender Kunden, die als gefährdet eingestuft werden (Gruppe A), zur Aufgabe des KRM.141

139

Vgl. Homburg/Schäfer (1999), S. 14. Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 117; Michalski (2002), S. 181 f. 141 Vgl. die in der Abbildung 13 zitierten Autoren. 140

46

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Rückgewinnung nach Kundenstatus Potenzielle Kunden

Akquisition

Akquisition

Abbildung 13: Quelle:

Aktuelle Kunden

Bindung

Bindung

Ehemalige Kunden Rückgewinnung

Rückgewinnung

Autoren

Gruppe

Bruhn (2001); Büttgen (2001), (2003); Homburg/Fürst/ Sieben (2003); Krafft (2007); Rutsatz (2004); Stauss/Friege (1999)

A

Homburg/Schäfer (1999); Michalski (2002); Sauerbrey/ Henning (2000); Sieben (2002); Thomas/Blattberg/Fox (2004)

B

Auslegung der Kundenrückgewinnung in der Literatur Eigene Darstellung in Anlehnung an Rutsatz (2004), S. 19; Michalski (2002), S. 9.

Die Einordnung gefährdeter aktueller Kunden in die Rückgewinnung (Gruppe A) erklärt sich aus der Annahme, dass der tatsächlichen Kündigung ein innerer Abwanderungsprozess vorausgeht und Kunden ihre „mentale“ Abwanderung durch eine Reduktion bzw. Veränderung ihres Kaufverhaltens ausdrücken.142 Im Rahmen der Kundenrückgewinnung wird daher beabsichtigt, diese gefährdeten Kunden von einer Abwanderung abzuhalten. Maßnahmen, die eine solche Abwanderungsprävention umfassen, werden in der Literatur teilweise aber auch dem Bereich der Kundenbindung bzw. dem Churn-Management zugeordnet.143 Die Identifikation gedanklich abgewanderter Kunden, die noch beim Unternehmen kaufen, ist in der Praxis mit Schwierigkeiten verbunden, da letztlich die Kundenabwanderung nur aufgrund von Kundeneinstellungen oder Kundenverhaltensdaten geschätzt werden kann und somit ein Restrisiko einer Falschklassifizierung besteht. Frühwarnindikatoren, die auf eine zukünftige Abwanderung hinweisen, müssen letztlich für jede Branche und die jeweilige Unternehmenssituation definiert werden. Für eine Rückgewinnung der „mental“ abgewanderten Kunden ergeben sich unter Umständen andere adäquate Maßnahmen als für Kunden, die ihre Abwanderung explizit durch Vertragskündigung äußern. Der Einbezug aktueller und ehemaliger Kunden in die Kundenrückgewinnung ist der umfassendere Ansatz, berücksichtigt bei aktuellen Kunden jedoch bisher ausschließlich gefährdete Kunden und bezieht die Personen, die gekündigt haben und noch bis Vertragsende Kunden des Unternehmens sind, nicht mit ein. Jene Kunden, die gekündigt haben, werden in der Gruppe A in die Kategorie ehemaliger Kunden integriert, was semantisch nicht eindeutig ist, da Kündiger bis Vertragsende noch als aktuelle Kunden 142 143

Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 112; Rutsatz (2004), S. 19. Vgl. dazu den Abschnitt 2.1.2.2.2. Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 113. Zur Literatur des Churn-Managements und der Abwanderungsprognose vgl. Borna (2000); Pearson/Gessner (1999) und Srinivasan (1996). Eine Metaanalyse zur Bestimmung von Abwanderungsquoten liegt von Neslin et al. (2006) vor.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

47

klassifiziert werden können. Die Schwierigkeit des Kundenrückgewinnungsmanagements in der Gruppe A besteht nun darin, die Kunden nach ihrem Status mit unterschiedlichen Rückgewinnungsmaßnahmen zu betreuen. Auf diese Unterscheidung wird in der Literatur nicht eingegangen. Wenn aus der Klassifizierung der Gruppe A heraus mit einer gleichen Bearbeitung von gefährdeten Kunden, Kündigern und inaktiven Kunden zu rechnen ist, dürften keine optimalen Ergebnisse für das Kundenrückgewinnungsmanagement zu erwarten sein. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Rückgewinnungsmaßnahmen suboptimal ausgerichtet sind und nicht die gewünschten Effekte erzielen. Im zweiten Erklärungsansatz (Gruppe B) werden jene Kunden betrachtet, die ihre Beziehungsbeendigung dem Unternehmen ggü. explizit kommuniziert haben. In vertraglichen Geschäftsbeziehungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, wird die Kundenabwanderung somit durch den Eingang der Kündigung beim Anbieter bestimmt. Trotz dieser expliziten Abwanderungserklärung können sich diese Kunden zum einen noch mit dem Unternehmen verbunden fühlen und somit eine positive Einstellung hinsichtlich einer zukünftigen Geschäftsbeziehung aufweisen. Zum anderen können Kunden im Rahmen ihrer Vertragsrestlaufzeit noch aktive Bestandskunden sein. Aus diesem Umstand wird für ein effektives Kundenrückgewinnungsmanagement eine differenziertere Unterscheidung der Kunden erforderlich. In der Abbildung 14 ist die für diese Arbeit vorgenommene Neukonzeption des Kundenstatus und der Elemente des Kundenbindungsmanagements wiedergegeben. Kundenstatus

Aktive Kunden

Sicher gebundene Kunden

Gefährdete Kunden

Kundenbindungsmanagement

ChurnManagement

Abbildung 14: Quelle:

Inaktive Kunden

Kündiger (mit Vertragsrestlaufzeit)

Abgewanderte Kunden

Ehemalige Kunden

Kundenrückgewinnungsmanagement (vorliegende Arbeit)

Kundenstatus und Kundenrückgewinnungsmanagement Eigene Darstellung.

Da die einschlägige Literatur nicht semantisch zwischen den einzelnen Kundenstati differenziert, wird bei der Beschreibung der Abwanderungs- und Rückgewinnungsliteratur in dieser Arbeit vereinfachend von abgewanderten Kunden gesprochen, wenn

48

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

diese in eine der drei relevanten Kategorien Kündiger, abgewanderte Kunden und ehemalige Kunden einzuordnen sind. Ehemalige Kunden sind somit jene Kunden, die bereits seit einem längeren Zeitraum inaktiv sind, d. h. eine lange Abwesenheitszeit aufweisen. Während der Begriff der Wiederaufnahmebereitschaft für die Position des Kunden hinsichtlich seiner Absichten steht, verbirgt sich hinter der Kundenrückgewinnung die Unternehmenssicht als Reaktion auf entsprechende Kundenabsichten bzw. das -verhalten. Ausgangspunkt einer jeden Strategie zur Kundenrückgewinnung ist somit das Vorhandensein einer Wiederaufnahmebereitschaft. Dies gilt für beide oben dargestellten Formen der Abwanderung, also sowohl für implizit als auch für explizit abgewanderte Kunden. In der folgenden Tabelle 7 wird ein chronologischer Überblick über ausgewählte Definitionen zum KRM gegeben. Es wird deutlich, dass neben einem divergierenden Begriffsverständnis für das Kundenrückgewinnungsmanagement verschiedene Termini wie z. B. Regain Management oder Customer Recovery existieren. Autoren

Definitionen

Stauss (1997), S. 2

Regain management: „[...] the planning, realization, and control of all actions that the company takes to keep customers who give notice to terminate a business relationship respectively to regain customers who already have ended the business relationship.”

Stauss/Friege (1999), S. 348

„Regain management encompasses the planning, realization, and control of all processes that the company puts in place to regain customers who either give notice to terminate the business relationship or whose relationship has already ended.”

Bruhn/Michalski (2001), S. 112

Sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, „[...] die darauf ausgerichtet sind, abwandernde Kunden und abgewanderte Kunden sowie deren Abwanderungsgründe zu identifizieren, um daraufhin einen Reaktivierungsprozess einzuleiten mit dem Ziel, gefährdete Kunden dazu zu veranlassen, die Geschäftsbeziehung nicht zu beenden bzw. abgewanderte Kunden wiederzugewinnen“

Büttgen (2001), S. 397 „Recovery Management [...] bezeichnet heute alle Planungs-, Umsetzungsund Controllingaktivitäten eines Unternehmens zum Zweck der Rückgewinnung verlorener Kunden.” Michalski (2002), S. 12

„Das Rückgewinnungsmanagement umfasst die Konzeption sowie Implementierung eines Unternehmensprozesses, der darauf abzielt, eine kundenseitig beendete und aus Unternehmenssicht profitable Kundenbeziehung zu reaktivieren.“

Sieben (2002), S. 45

Kundenrückgewinnungsmanagement ist die „[...] Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen des Unternehmens, die darauf abzielen, verlorene Kunden zu einer Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung zu bewegen.“ Fortsetzung auf der nächsten Seite

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

49

Fortsetzung Rutsatz (2004), S. 22

„Das KRM ist ein Unternehmensprozess, der alle Maßnahmen umfasst, welche darauf abzielen, Kunden, die eine Geschäftsbeziehung beenden, bzw. Kunden, welche die Geschäftsbeziehung durch konkludentes (Nicht-) Handeln bereits abgebrochen haben, zu identifizieren und anschließend zu halten bzw. zurückzugewinnen.“

Thomas/Blattberg/Fox „Customer winback is the process of firms’ revitalizing relationships with (2004), S. 31 customers who have defected.“ Tabelle 7: Quelle:

Definitionen zum Kundenrückgewinnungsmanagement Eigene Darstellung.

Michalski unterscheidet des Weiteren zwischen der Kundenrückgewinnung und dem Kundenrückgewinnungsmanagement. Eine solche Differenzierung ist insofern angebracht, da die (Kunden-)Rückgewinnung als ein Prozessbestandteil des Kundenrückgewinnungsmanagements verstanden werden kann. Unter der Prämisse, dass im Rahmen des Rückgewinnungsmanagements nur kundenseitig beendete Geschäftsbeziehungen reaktiviert werden sollen, schließt Michalski jedoch die vom Unternehmen beendeten Geschäftsbeziehungen aus. Innerhalb einer umfassenden Definition kann jedoch auch von der Rückgewinnung abgewanderter Kunden gesprochen werden, wenn diese nicht aus eigenen Stücken abgewandert sind, sondern wenn die Geschäftsbeziehung durch das Unternehmen beendet wurde. Im Rahmen dieser Arbeit soll für den Begriff der Kundenrückgewinnung die Definition nach Michalski144 gelten. Mit der Kundenrückgewinnung sind dabei v. a. die konkreten Angebote für den Kunden sowie die Dialogformen mit dem Kunden angesprochen, die ihn zur Wiederaufnahme motivieren sollen. Der Begriff der Kundenrückgewinnung ist somit eine Bezeichnung für die Phase des erfolgreichen Einsatzes von Rückgewinnungsaktivitäten. Für die Rückgewinnung gefährdeter Kunden bietet sich der Begriff des Kundenreaktivierungsmanagements an, das alle Maßnahmen von der Analyse bis zur Kontrolle der Wiederbelebung nicht-vertraglicher Geschäftsbeziehungen und die Vermeidung von faktischer Kundenabwanderung umfasst. Die in der Tabelle 7 aufgeführten Definitionen von Michalski und Sieben zum Kundenrückgewinnungsmanagement sollen in modifizierter Weise für diese Arbeit verwendet werden. Die vorgenommenen Änderungen beziehen sich zum einen darauf, dass das KRM nicht nur auf profitable Kunden ausgerichtet ist, sondern alle abgewanderten Kunden umfasst. Zum anderen wird in der Definition der von Sieben verwendete Begriff ‚verlorene’ Kunden präzisiert. Das Kundenrückgewinnungsmanagement wird daher für diese Arbeit wie folgt definiert: 144

Vgl. Michalski (2002), S. 11.

50

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Das Kundenrückgewinnungsmanagement (KRM) umfasst die Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle jeglicher Maßnahmen des Unternehmens, die darauf abzielen, abgewanderte aktive (Kündiger) und inaktive Kunden zu einer Wiederaufnahme der vertraglichen Geschäftsbeziehung zu bewegen. 2.3.2 Ziele des Kundenrückgewinnungsmanagements In Abhängigkeit von der begrifflichen Einordnung des Kundenrückgewinnungsmanagements (KRM) ergeben sich verschiedene Ziele. Diese Zielsetzungen lassen sich in primäre und sekundäre Ziele unterscheiden. Die hier aufgeführten Zielsetzungen beziehen sich auf die aus einer Vertragsbeziehung abgewanderten Kunden. Daher werden mögliche Ziele, die mit der Abwanderungsprävention in nichtvertraglichen Geschäftsbeziehungen verbunden sind, nicht weiter betrachtet. Das primäre Ziel des Kundenrückgewinnungsmanagements ist die Wiedergewinnung abgewanderter bzw. ehemaliger Kunden, d. h. sowohl die Ansprache von aktiven, gekündigten als auch von inaktiven Kunden.145 Die sekundären Ziele des KRM stellen sich dagegen weitaus differenzierter dar. Hierbei geht es v. a. um die Unterscheidung in Profitabilitätsziele und Kommunikations- sowie Informationsziele.146 Inwieweit die Ziele der Kommunikation und Information jedoch in der unternehmerischen Praxis erreicht werden, ist aufgrund des Fehlens empirischer Studien in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht belegt. Zu den Profitabilitätszielen zählen die: x Sicherung der Umsätze, Deckungsbeiträge und Gewinne, x Ersparnis von Opportunitätskosten der alternativen Neukundenakquisition, x Vermeidung bzw. Reduzierung negativer Mund-zu-Mund-Kommunikation und x Verbesserung des Ertragspotenzials, inklusive des Referenz- und Informationspotenzials sowie die bessere Ausschöpfung von Cross-SellingPotenzialen.147

145

Vgl. Sieben (2002), S. 46; Stauss/Friege (1999), S. 348. Vgl. Michalski (2002), S. 185-187. 147 Vgl. Büttgen (2001), S. 397 f.; Büttgen (2003), S. 62 f., Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 59; Michalski (2002), S. 185-187; Sauerbrey/Henning (2000), S. 18; Sieben (2002), S. 46 f. 146

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

51

Prozentuale Steigerung de Kundenwerts

In der Literatur wird zurückgewonnenen Kunden gemeinhin ein höheres Ertragsund Bindungspotenzial als den Bestandskunden zugesprochen.148 Demnach sind Kunden nach der Wiederaufnahme einer Geschäftsbeziehung stärker an das frühere Unternehmen gebunden und weisen eine höhere Loyalität sowie eine hohe Weiterempfehlungsbereitschaft auf. Als Grund hierfür wird ein stärkeres Vertrauen dem Anbieter ggü. angeführt.149 In der Abbildung ist für einige Branchen die ökonomische Wirkung einer Reduktion der Abwanderungsquote grafisch wiedergegeben. 100 80

85% 75%

60 50%

40 30%

20

45%

45%

40% 35%

25%

0 BankAutowerkstatt einlagen

Abbildung 15: Quelle:

KreditKreditVersiche- Industrie- Industrie- Gebäudekarten versicherung rungen vertrieb reinigung management

Software

Ökonomische Effekte bei einer 5%-igen Reduktion der Kundenabwanderung Eigene Darstellung in Anlehnung an Reichheld/Sasser Jr. (1990), S. 108.

Diese oben geschilderten Annahmen finden sich in der Service Recovery-Literatur wieder. Im Rahmen des Service Recovery-Paradoxon weisen Kunden nach einer erfolgreichen Beschwerdebehandlung sogar eine weitaus höhere Kundenzufriedenheit als vor der Beschwerde auf.150 Auch wenn derartige Annahmen für abgewanderte Kunden bisher empirisch nicht gestützt sind,151 wird in der einschlägigen Literatur mit Blick auf diese Effekte für die Implementierung und den Einsatz des Rückgewinnungsmanagements plädiert.

148

Vgl. Hart/Heskett/Sasser (1990), S. 148; Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 58; Homburg/Schäfer (1999), S. 2; Sauerbrey/Henning (2000), S. 17; Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 39. 149 Vgl. Homburg/Schäfer (1999), S. 2 f. 150 Vgl. McCollough/Berry/Yadav (2000); Michel (2001); Swanson/Kelley (2001). 151 Untersucht wurde bisher nur die Zufriedenheit mit den Rückgewinnungsaktivitäten. Vgl. Sieben (2002), S. 104-106.

52

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Zu den Kommunikations- und Informationszielen zählen: x eine Identifizierung von Qualitätsproblemen der Produkte bzw. Services und von Interaktionsproblemen mit Kunden, x eine Verbesserung der unternehmerischen Leistungen aus den Informationen zur Abwanderung, x eine Optimierung der Kundenbindung, x der Ausbau des Qualitätsmanagements und x die Integration der Informationen in das Churn-Management sowie der Aufbau eines Frühwarnsystems zur Verhinderung zukünftiger Abwanderung.152 Neben den vielfältigen Zielen, die im Rahmen des Kundenrückgewinnungsmanagements verfolgt werden und die auf eine Verbesserung der Unternehmensleistungen für den Kunden ausgerichtet sind, müssen auch die Nachteile dieses Managementansatzes vor einem Einsatz dieses berücksichtigt werden. Ungeachtet der Vorteile kann die Kundenrückgewinnung eben auch Nachteile für das Unternehmen mit sich bringen. Gegen eine unreflektierte Implementierung des Kundenrückgewinnungsmanagements wird in erster Linie angeführt, dass die Wiederbelebung nicht für alle Geschäftsbeziehungen für das Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll sein muss.153 Dies ist dann der Fall, wenn zurückgewonnene Kunden in Bezug auf ihren Gewinnbeitrag für das Unternehmen als nachteilig einzuschätzen sind, z. B. negative Deckungsbeiträge aufweisen. Ganz im Sinne eines effektiven Einsatzes von knappen Mitteln sollten frei werdende Ressourcen für die potenziell profitabelsten Geschäftsbeziehungen verwendet werden. So können höherwertige Kunden wertvollere Rückgewinnungsangebote erhalten. Möglicherweise gehen jedoch mit der ungleichen Behandlung von Kunden auch negative Effekte aus Kundensicht einher. Eine unterschiedliche Behandlung kann bei einigen Kunden zu Unmut, Verärgerung und Beschwerden ggü. Dritten oder der medialen Öffentlichkeit führen. Mit der Forderung eines kundenwert-orientierten Einsatzes von Ressourcen geht die Schwierigkeit einher, den Wert des zurückzugewinnenden Kunden im Voraus abzuschätzen, da die Profitabilität eines „zweiten“ Beziehungslebenszyklus in der Regel nicht bekannt ist. Stauss/Friege haben einen Ansatz entwickelt, der sich auf die Idee des Customer Lifetime Value stützt und einen „second lifetime value“ für die Zeit nach der Rückgewinnung modelliert.154 Die Bestimmung der Wertigkeit zurückzu152

Vgl. Büttgen (2001), S. 398; Büttgen (2003), S. 63; De Souza (1992); Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 59; Michalski (2002), S. 187; Sieben (2002), S. 46; Tax/Brown (1998). 153 Vgl. Halinen/Tähtinen (2002), S. 163. 154 Vgl. Stauss/Friege (1999), S. 351-353.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

53

gewinnender Kunden ist ein wichtiges Element der Phase der Abwanderungsanalyse und wird im Abschnitt 2.3.3.2.4 beschrieben. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass dem KRM die Aufgabe zukommt, abgewanderte Kunden dergestalt zu betreuen, dass die Unternehmensziele hinsichtlich Profitabilität, Information und Kommunikation erreicht werden können. 2.3.3 Stand der konzeptionellen und empirischen Forschung zum Kundenrückgewinnungsmanagement Während erste Untersuchungen zu kritischen Situationen in Geschäftsbeziehungen schon in den 1990er Jahren durchgeführt wurden,155 ist die Forschung zur Kundenrückgewinnung und zum Kundenrückgewinnungsmanagement (KRM) als vergleichsweise neu zu bezeichnen. Als wegweisend kann in diesem Zusammenhang der konzeptionelle Beitrag von Stauss/Friege mit einem 3-Phasen-Modell angesehen werden.156 Diese drei Phasen sind in der folgenden Abbildung 16 wiedergegeben.

- Phase 1 -

- Phase 2 -

- Phase 3 -

AbwanderungsAnalyse

RückgewinnungsAktivitäten

RückgewinnungsControlling Ermittlung der Erfolgsquote

Analyse der Abwanderungsgründe

Ermittlung der Rückgewinnungskosten

Kundenwertanalyse

Kündigungsgrundanalyse

Rückgewinnungsdialog

Segmentierung verlorener Kunden

Rückgewinnungsangebot

Abbildung 16: Quelle:

155

Ermittlung der Nutzeneffekte der Rückgewinnung Ermittlung des Return on Regain Management

3-Phasen-Modell des Kundenrückgewinnungsmanagements Eigene Darstellung in Anlehnung an Stauss/Friege (1999), S. 350.

Vgl. u. a. Bitner/Booms/Tetreault (1990); Bolton/Bronkhorst (1995); Keaveney (1995). Ein Literaturüberblick zu kritischen Situationen in Geschäftsbeziehungen findet sich bei Sieben (2002), S. 31-34. 156 Vgl. Stauss/Friege (1999). Die konzeptionelle Arbeit von Stauss/Friege ist die einzige der Verfasserin bekannte Arbeit, in der das Kundenrückgewinnungsmanagement derart umfassend strukturiert wird.

54

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Im nächsten Abschnitt erfolgt nach der Vorstellung des 3-Phasen-Modells des KRM die Beschreibung der empirischen Studien. Das Kapitel schließt mit dem Aufzeigen der Forschungslücken im KRM. 2.3.3.1 Konzeptionelle Forschungsarbeiten Die Abwanderungs-Analyse als erste Phase umfasst die Identifikation abgewanderter Kunden, die Analyse des Kundenwerts, die Analyse der Abwanderungsgründe und die Segmentierung bzw. Priorisierung der abgewanderten Kunden. Diese Phase wird von anderen Autoren auch als Kündigeranalyse, Migrations- und Stornoanalyse bezeichnet.157 Die Analysephase ist in mehreren wissenschaftlichen Beiträgen umfassend beschrieben worden, für die Details wie z. B. die Kundenwertbestimmung sei daher auf diese Arbeiten verwiesen.158 Die zweite Phase wird als die Stufe der Rückgewinnungs-Aktivitäten bezeichnet und umfasst die Gestaltung der Rückgewinnungsdialoge und -angebote. Diese Phase wird aufgrund ihrer Relevanz für die Wiederaufnahmebereitschaft und das -verhalten im Abschnitt 2.3.3.2.2 näher erläutert. Die dritte Phase stellt das Rückgewinnungs-Controlling mit den vier Ebenen der Bestimmung der Erfolgsquoten, Rückgewinnungskosten, Nutzeneffekte der Rückgewinnung und des Return on Regain Management dar.159 Für die Details zum Rückgewinnungs-Controlling wird auf die relevante Literatur verwiesen.160 Weitere Veröffentlichungen, die sich mit der Konzeption und den Elementen des KRM befassen, stammen von Büttgen, Homburg/Fürst/Sieben und Homburg/Schäfer.161

157

Vgl. Jones/Sasser (1995), S. 93. Vgl. Michalski (2002), S. 189-200; Stauss/Friege (2003), S. 526-530. 159 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 65-67; Michalski (2002), S. 174-176; Witt (2005), S. 284289. 160 Vgl. Sauerbrey/Henning (2000), S. 69-78; Sieben (2002), S. 111-119; Stauss/Friege (1999), S. 355358. 161 Vgl. Büttgen (2001); Büttgen (2003); Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 59-67; Homburg/Schäfer (1999), S. 4-14. 158

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

55

2.3.3.2 Empirische Forschungsarbeiten 2.3.3.2.1 Übersicht über empirische Beiträge In der empirischen Forschung zur Kundenrückgewinnung hat die deutschsprachige Forschung eine Vorreiterrolle eingenommen.162 In der englischsprachigen Literatur ist hingegen nur die Arbeit von Thomas/Blattberg/Fox zu finden, in der die Wirkung der Preispolitik auf die Kundenrückgewinnung untersucht wurde.163 Jene Arbeiten, die sich mit der Kundensicht auf die Wiederaufnahme einer Geschäftsbeziehung befassen, sind in dem Abschnitt 2.2.1 beschrieben. An dieser Stelle sollen daher nur die Arbeiten vorgestellt werden, die konkret auf das Kundenrückgewinnungsmanagement mit u. a. den Unternehmensmaßnahmen eingehen. Die folgende Tabelle 8 gibt einen chronologischen Überblick über die empirischen Arbeiten zum KRM. Hierbei wird deutlich, dass in den Untersuchungen oft nur einzelne Facetten behandelt und darüber hinaus nur Aussagen allgemeiner Natur getroffen werden. Autoren (Jahr)

Phasen im KRM

Studieninhalte

Homburg/Schäfer (1999); Homburg/Fürst/Sieben (2003)

Alle drei Phasen

Fallstudien, Aufarbeitung der Erfolgsfaktoren eines Kundenrückgewinnungsmanagements

Sauerbrey/Henning (2000)

Alle drei Phasen

Expertenbefragung (n=17) zum Status quo im Kundenrückgewinnungsmanagement

Bruhn/Michalski (2001)

Alle drei Phasen

Unternehmensbefragung (25 Banken und 25 Versicherungen)

Michalski (2002)

Phase 2

Durchführung einer telefonischen Rückgewinnung (Banken)

Sieben (2002)

Phase 2 und 3

Bestandsaufnahme des KRM in Unternehmen, Bestimmung von Erfolgsfaktoren der Wiederaufnahme (Mobilfunkunternehmen), Wirtschaftlichkeit des KRM (Finanzdienstleistungen)

Rutsatz (2004)

Phase 1 und 2

Identifikation der abgewanderten Kunden; Timing und Personalisierungsstrategien erweisen sich als Erfolgsfaktoren der Kundenrückgewinnung.

Thomas/Blattberg/Fox (2004)

Phase 2 und 3

Wirkung der Preispolitik auf die Rückgewinnung und Nachbetreuung, Schätzung des Kundenwerts (Second lifetime value).

Tabelle 8: Quelle:

162

Inhalte und betrachtete Phasen der empirischen Studien zum Kundenrückgewinnungsmanagement Eigene Darstellung.

Hier sind in erster Linie die bereits zitierten Arbeiten von Michalski (2002); Rutsatz (2004) und Sieben (2002) zu erwähnen. 163 Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004).

56

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

2.3.3.2.2 Phase der Abwanderungsanalyse Der Fokus der empirischen Arbeiten zur Phase 1 liegt auf Fallstudien bzw. kleinzahligen Unternehmensumfragen zum Status quo in der Analyse der Kundenabwanderung. Homburg/Fürst/Sieben und Homburg/Schäfer haben aus Fallstudien in verschiedenen Branchen einzelne Prinzipien, die eng mit der Arbeit von Stauss/Friege verbunden sind, für das KRM abgeleitet.164 Zwei, von den Autoren abgeleitete, Empfehlungen sind die schnelle und transparente Reaktion auf die Kundenabwanderung und der Einsatz von fairen Wiedergutmachungsleistungen.165 In den Studien wird indes nicht die Frage nach einer praktischen Ausgestaltung von Rückgewinnungsmaßnahmen beantwortet. Somit bleibt für die Wissenschaft und Praxis offen, welche Rückgewinnungsmaßnahmen in welchem Kontext als vorteilhaft anzusehen sind. In einer Status quo-Befragung zum KRM haben Bruhn/Michalski je 25 Unternehmen der Banken- und Versicherungsbranche befragt und aufgezeigt, dass den Aspekten der Planung, der Analyse, der Umsetzung und des Controllings von Rückgewinnungsmaßnahmen keine besondere Bedeutung in diesen beiden Branchen zukommt.166 Trotz der in der Literatur geforderten Fokussierung auf (zukünftig) rentable Kunden167 wird – nach Selbstauskunft der an den o. g. Studien teilnehmenden Unternehmen – auf die Segmentierung von abgewanderten Kunden zur Rückgewinnung verzichtet. In den aufgeführten Studien sind darüber hinaus keine näheren Angaben enthalten, in welcher Form eine Segmentierung erfolgen sollte. In der Unternehmenspraxis werden Kunden nach der Abwanderung überwiegend als gleichwertig betrachtet und in den Rück-gewinnungsprozess integriert. Im Fall der beiden in dieser Arbeit untersuchten Unternehmen wird für die Kundenrückgewinnung ebenfalls nicht nach Kundenwerten segmentiert. Die Segmentierung kann dabei nach unterschiedlichen, im Folgenden beschriebenen, Kriterien erfolgen. Im Verlagsgeschäft (Zeitschriften, Magazine) ergibt sich der Wert eines Kunden nicht nur aus den Einnahmen eines Abonnements oder eines Kioskverkaufs, sondern auch aus seinem Potenzial für werbende Unternehmen. Derartige Geschäftsmodelle bauen auf sog. Kuppelprodukten auf.168 Ein weiterer Grund für den Verzicht der Verlagsunternehmen auf eine Kundenqualifizierung kann daran liegen, dass ab einer bestimm-

164

Zu den Prinzipien bzw. Anleitungen für das KRM vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003); Homburg/Schäfer (1999). 165 Vgl. Homburg/Fürst/Sieben (2003), S. 60-65. 166 Vgl. Bruhn/Michalski (2001). 167 So bspw. in Blattberg/Deighton (1996), S. 136; Helm/Günter (2001), S. 14; Rust/Zeithaml/Lemon (2000), S. 187; Storbacka/Strandvik/Grönroos (1994), S. 22. 168 Vgl. Kiefer (2001), S. 144 und S. 151.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

57

ten Höhe der Kundenzahl sprungfixe Erträge und Kosten anfallen, d. h., der einzelne Kunde erbringt möglicherweise keine direkten Werbeerträge als Anzeigenkonsument, aber ist genau jener Kunde, der die Gesamtanzahl der Kunden über einen ertrags- und kostenrelevanten Schwellenwert bringt. Analog können Kunden von Verkehrsdienstleistern durch die Inanspruchnahme von freien Platzkapazitäten einen positiven Deckungsbeitrag liefern. Im Rahmen einer explorativen Untersuchung der Wiederaufnahmebereitschaft abgewanderter Kunden (wie sie hier vorliegt) empfiehlt es sich, die Kunden nicht nach ihren Werten für das Unternehmen zu segmentieren. Durch eine ausschließliche Betrachtung profitabler Kunden können Informationen der unprofitablen Kunden verloren gehen (z. B. Wahrnehmung von Wiederaufnahmekosten), die jedoch einen Erklärungsgehalt für die Theorie einer Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen liefern können. Die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen wird von der Verfasserin als unabhängig von dem Kundenwert für das frühere Unternehmen gesehen. 2.3.3.2.3 Phase der Rückgewinnungsaktivitäten Die Phase der Rückgewinnungsaktivitäten (Phase 2) beinhaltet die Dialogformen und -wege, die Anreize für bzw. Angebote an die Kunden zur Wiederaufnahme und den Zeitaspekt der Rückgewinnung. Einige Elemente der Rückgewinnung von Kunden wurden in vier empirischen Beiträgen untersucht.169 In dieser zweiten Phase geht es um die Konfiguration von Bedingungen, unter denen Kunden bereit sind, eine frühere Geschäftsbeziehung wieder aufzunehmen. Mögliche Konditionen einer Rückkehr hat Michalski in ihrer Kundenbefragung erhoben. Ihrer Studie zufolge können sich 29 von 82 abgewanderten Bankkunden keine Bedingungen vorstellen, unter denen sie zur Rückkehr bereit wären.170 Andere Kunden würden bei z. B. Konditionenzugeständnissen oder einem einmaligen Rückgewinnungsangebot zurückkehren. Allerdings haben - im Rahmen eines anschließenden Experiments - die Rückgewinnungsanrufe über Call-Center keine nennenswerten Erfolge erzielt. Aus der geringen Rückkehrquote von 0,4 % im Rahmen des Experiments schließt die Autorin, dass sich eine Rückgewinnung für Banken nicht empfiehlt.171 Rutsatz hat in seiner Arbeit experimentell die Wirkung von Timing- und Personalisierungsstrategien auf das Wiederaufnahmeverhalten von Versandhandelskunden untersucht. Dabei war die Rückgewinnungsquote mit 2,5 % der abgewanderten Kunden 169

Vgl. Michalski (2002); Rutsatz (2004); Sieben (2002); Thomas/Blattberg/Fox (2004). Vgl. Michalski (2002), S. 167-173. 171 Vgl. Michalski (2002), S. 175. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für die Wiederaufnahme keine finanziellen Anreize oder andere Rückgewinnungsangebote geboten wurden. 170

58

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

vergleichsweise hoch.172 Dagegen hat Sieben die Wahrnehmung von Rückgewinnungsaktivitäten (Dialog, Prozess und Angebote) untersucht. In seiner Befragung haben die betrachteten Mobilfunkkunden die Maßnahmen der Kundenrückgewinnung in Bezug auf deren gerechte Verteilung beurteilt. Allerdings wird nicht dokumentiert, inwieweit unterschiedliche Angebote oder Dialogformen zur Rückgewinnung eingesetzt wurden. Sieben berichtet bei den Mobilfunkkunden eine äußerst bemerkenswerte Rückgewinnungsquote von 62 %.173 In der Erhebung von Thomas/Blattberg/Fox wurden von 566 abgewanderten Kunden 416 Kunden zurückgewonnen.174 Als zentrales Instrument zur Kundenrückgewinnung wurde eine Preisreduktion für Zeitschriften-Abonnements durchgeführt. Kunden, die mit einem Abonnement-Preis in gleicher Höhe wie in der ersten Geschäftsbeziehung zurückgewonnen wurden, wiesen längere Geschäftsbeziehungen nach der Rückgewinnung auf als jene Kunden, die mit einem deutlich günstigeren Preis als in der ersten Geschäftsbeziehung zurückgewonnen wurden. Zudem haben die Autoren gezeigt, dass die Rückgewinnungswahrscheinlichkeit ansteigt, wenn die temporäre Inaktivität der Kunden kürzer und der Preis im zweiten Beziehungslebenszyklus niedriger als der frühere Preis ist. Die z. T. unterschiedlichen Befunde in den vier Branchen (Banken, Versandhandel, Mobilfunk, Zeitschriften) verdeutlichen die Notwendigkeit, weitere Untersuchungen zur Konzeption und Effizienzschätzung von Rückgewinnungsaktivitäten durchzuführen. Die Rückgewinnungsaktivitäten lassen sich in die Dialogformen bzw. die Rückgewinnungskommunikation, die Rückkehr-Angebote und die zeitlichen Aspekte der Kundenrückgewinnung unterscheiden. Auf diese Aspekte soll im Weiteren eingegangen werden. Unter der Kundenkommunikation wird in Anlehnung an eine Definition von Meffert die bewusste und abgestimmte Gestaltung der auf die Kunden gerichteten Informationen des Unternehmens mit dem Ziel der Meinungs- und Verhaltenssteuerung verstanden.175

172

Vgl. Rutsatz (2004), S. 210. Vgl. Sieben (2002), S. 83 f. 174 Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 38-43. 175 Vgl. Meffert (2000), S. 684. 173

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

59

Im Rahmen der Kundenrückgewinnung kann die Kommunikation mit dem Kunden zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung als x kunden- oder unternehmensinitiiert (Auslöser), x persönlich oder unpersönlich (Mitarbeiterkontakt) und x individuell oder standardisiert (Form) erfolgen. Während eine kundeninitiierte Form der Rückgewinnungskommunikation eher selten anzutreffen sein dürfte, stellt die unternehmensinitiierte Rückgewinnungskommunikation den Regelfall der Kundenrückgewinnung dar. Daher sollen die Möglichkeiten der unternehmensinitiierten Rückgewinnungskommunikation im Weiteren näher vorgestellt werden. Die persönliche Kundenkommunikation umfasst die aktiven Kommunikationsformen des persönlichen Gesprächs (z. B. in einem Reisebüro) und des Telefonats.176 Ungeachtet der persönlichen Ansprache durch Mitarbeiter oder Beauftragte des Unternehmens können Rückgewinnungsgespräche individuell oder standardisiert ablaufen. Während sich die individuelle Ansprache direkt auf die Besonderheiten des abgewanderten Kunden bezieht, wird im Rahmen der standardisierten Ansprache mit dem Kunden in einem genormten Ablauf kommuniziert. Anwendung findet die Verknüpfung von individueller und standardisierter Ansprache bspw. in den Telefonleitfäden von Call Centern, die sowohl individuelle Aspekte als auch Standardfragen und -taktiken nahe legt. Die persönliche Kommunikation bündelt die Vorteile einer gesteuerten Information des Kunden und der Einflussnahme auf die Kundenentscheidungen.177 Die unpersönliche Kundenkommunikation beschreibt den Einsatz von Medien, mit denen ohne direkten Einbezug von Mitarbeitern die Kunden angesprochen werden. Die zentralen Instrumente der unpersönlichen Kommunikation sind elektronische und postalische Mailings sowie jede Form von Werbung in Printmedien, TV und Kino. Letztgenannte Medien dienen eher dem Zweck der Neukundengewinnung. Die breite Kundenansprache über Massenmedien erscheint für die Kundenrückgewinnung als ungeeignet, da es in der Rückgewinnung um die direkte Ansprache abgewanderter Kunden geht, die zudem auf die jeweiligen Kunden zugeschnitten sein sollte. Im Rahmen der Kundenrückgewinnung kommen daher vornehmlich Mailings zum Einsatz, um Streuverluste in der Kundenansprache zu minimieren. Aufgrund des angestrebten Feedbacks des Kunden (Wiederaufnahme) enthalten derartige Mailings i. d. R. 176 177

Zu den Merkmalen der persönlichen Kommunikation vgl. Fuchs (2000), S. 228 f. Vgl. Hilke (1993), S. 10-15; Höchst (1993), S. 327; Link/Schleuning (1999), S. 50.

60

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Responseelemente, z. B. Coupons, Vertragsdokumente oder Service-Telefonnummern. In der Literatur finden sich nur wenige Angaben darüber, welche der aufgeführten Kommunikationskanäle und -formen für eine Rückgewinnung am wirkungsvollsten sind. Jedoch wird häufig von der Zweckmäßigkeit des telefonischen Kontakts178 und des persönlichen Gesprächs179 zur Rückgewinnung ausgegangen. Eine unternehmensinterne Erhebung im Mobilfunkbereich hat ergeben, dass die Kunden z. T. sogar Anrufe zur Rückgewinnung erwarten.180 Der Einsatz des persönlichen Gesprächs dürfte sich aufgrund der berichteten, hohen Kosten auf Kunden, die eine hohe Kundenattraktivität und hohe Rückgewinnungswahrscheinlichkeit aufweisen, beschränken.181 Die Nachteile der telefonischen Rückgewinnung sind v. a. die teils schlechte Erreichbarkeit des Kunden, der Notwendigkeit der Kunden sich i. d. R. sofort entscheiden zu müssen und ein in Deutschland zunehmend negatives Image des Telefonverkaufs.182 Darüber hinaus beschränken die gesetzlichen Regelungen mit der Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) eine Kundenansprache über das Telefon.183 Die unpersönliche Ansprache über Mailings kann wiederum in Form eines individuellen Anschreibens oder als Standardanschreiben zum Einsatz kommen. In der Praxis wird das Standardanschreiben als eher ungeeignet betrachtet, während das individuelle Anschreiben als wirksam eingeschätzt wird.184 Diese Ansicht wird durch ein Rückgewinnungsexperiment von Rutsatz bestätigt, indem die Vorteilhaftigkeit des personalisierten Anschreibens belegt wird.185 Neben der Entscheidung für die Personalisierung im Brieftext kann dabei auch die Formulierung in Bezug auf Abwanderungsgründe und Rückgewinnungsangebote bzw. das äußere Erscheinungsbild des Mailings erfolgsrelevant sein.186 Ein Nachteil der unpersönlichen, schriftlichen Ansprache liegt darin, dass der Kunde das Schreiben als reines Werbemailing ansieht und ignoriert.187 Durch die zunehmende Verbreitung elektronischer Kommunikationswege kann auch 178

Vgl. Büttgen (2003), S. 70; Sauerbrey/Henning (2000), S. 34; Siegert (1997), S. 36; Stauss/Friege (2000), S. 464. Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 121; Stapelfeldt (2000). 180 Vgl. Florl (2000), S. 90. 181 Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 121; Sauerbrey/Henning (2000), S. 35. 182 Vgl. Florl (2000), S. 86; Hilke (1993), S. 17 f.; Schefer (2002), S. 111-114. 183 Zur Gesetzeslage bei der Kontaktierung von Privatpersonen vgl. Burmeister (2006); Holland (2004); Paschke (2002); Schäfer/Romann (2000). 184 Vgl. Bruhn/Michalski (2001), S. 121. 185 Vgl. Rutsatz (2004), S. 216-218. 186 Vgl. Florl (2000), S. 91; Krafft/Blockus/Frenzen (2005), S. 11. 187 Die Akzeptanzquote schriftlicher Mailings ist seit Jahren rückläufig. Während einer aktuellen Studie zufolge noch 24% die Werbepost lesen, lassen sich lediglich 8% zu einer Reaktion motivieren. Vgl. Krafft et al. (2005), S. 250. 179

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

61

das elektronische Mailing (die E-Mail) zur Rückgewinnung eingesetzt werden. Über die Eignung von E-Mails zur Rückgewinnung liegen bisher jedoch keine Kenntnisse vor. Eine Zusammenfassung der Wege zur Rückgewinnungskommunikation gibt die Abbildung 17 wieder. Persönlich • Persönliches Gespräch • Telefonat

Mitarbeiterkontakt

Abbildung 17: Quelle:

Unpersönlich • Elektronische Mailings • Postalische Mailings • Werbung (TV, Radio, Kino)

Individualisiert (u. a. persönliche Ansprache, Bezug zur Abwanderung)

Form der Standardisierung

Standardisiert

Wege der Rückgewinnungskommunikation Eigene Darstellung.

Der Rückgewinnungsdialog muss aber nicht auf das Ziel einer direkten Kundenrückgewinnung beschränkt sein, sondern kann auch der Vorbeugung negativer Mundzu-Mund-Kommunikation und der Verhinderung der daraus folgenden Imageschäden dienen.188 Diese Zielsetzung basiert auf Befunden der Beschwerdemanagementliteratur, in denen die Wichtigkeit betont wird, Kunden v. a. auf emotionaler Ebene anzusprechen, sie nach einem Serviceversagen zu besänftigen und gemeinsam mit den Kunden eine Problemlösung zu erarbeiten, um negativen Einstellungen und Verhaltensweisen der Kunden in der Zukunft vorzubeugen.189 Über eine persönliche, emotionale Kundenansprache lässt sich zudem eine individuelle Wertschätzung des Unternehmens ggü. seinen Kunden zeigen und die Rückkehrwahrscheinlichkeit der Kunden erhöhen.190 Anforderungen an eine auf Emotionen ausgerichtete Kundenkommunikation stellen das Einfühlungsvermögen, die Motivation und Kompetenz der Mitarbeiter im Kundenkontakt dar, um das verlorene oder gesunkene Kundenvertrauen wiederherzustellen.191 Die wahrgenommene Qualität der Rückgewinnungsinteraktion definiert sich dabei aus Kundensicht in der Dienstleistungsqualität und der Motivation der Kundenkontaktmitarbeiter, einen effektiven Prozessablauf zu gewährleisten und zu einer angenehmen Interaktionsatmosphäre beizutragen. Diese Faktoren erhöhen die Kundenzufriedenheit mit der Rückgewinnung und begünstigen das Wiederaufnahmeverhalten.192

188

Vgl. Sauerbrey/Henning (2000), S. 29. Vgl. Rutsatz (2004), S. 37; Stapelfeldt (2000), S. 58. Vgl. Holland (2004), S. 236; Sieben (2002), S. 36; Stauss (2000), S. 16. 191 Vgl. Michalski (2004), S. 511; Sauerbrey/Henning (2000), S. 15 f. 192 Vgl. Homburg/Sieben/Stock (2004), S. 35 f.; Sieben (2002), S. 67. 189 190

62

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Bei der Entscheidung für einen der (persönlichen oder unpersönlichen) Kommunikationskanäle sind neben deren Effizienz und Effektivität v. a. die Akzeptanz der Kunden in Bezug auf die gewählten Kommunikationsformen zu berücksichtigen. In der persönlichen Ansprache kann die Akzeptanz durch eine flexible Gesprächsgestaltung und eine Eruierung der Abwanderungsgründe gesteigert werden. Die Kundenrückgewinnung kann stufenweise erfolgen. Beispielsweise bietet sich nach einem erfolglosen ersten Kontakt ein zweiter Kontakt mit dem Kunden an, wobei die zweite Kundenansprache häufig über einen anderen Kommunikationskanal erfolgt. In der relevanten Literatur mit dem Fokus auf Fallstudien wird der mehrfache Kundenkontakt und die daraus resultierenden Synergieeffekte betont, die einen höheren Erfolg als bei einem isolierten Einsatz von Kommunikationsinstrumenten nach sich ziehen.193 Ein Einsatz des Telefons für den zweiten Kontakt erscheint insbesondere bei der Rückgewinnung über Mailings angebracht, wenn der Kunde innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts nicht reagiert hat. Die Gründe für eine fehlende Reaktion müssen nicht zwangsläufig in einer ablehnenden Haltung des Kunden ggü. dem Unternehmen liegen, sondern können auch situativ bedingt sein, z. B. durch die verspätete Zusendung eines Mailings. Auch wenn der kombinierte bzw. stufenweise Einsatz der Kommunikationsinstrumente in der Kundenrückgewinnung empfohlen wird; eine höhere Wirksamkeit, d. h. Responsequote, ggü. der einstufigen Rückgewinnung ist noch nicht nachgewiesen.194 Nach der Entscheidung über geeignete Kommunikationskanäle müssen Unternehmen definieren, ob und welche Rückgewinnungsangebote sie den abgewanderten Kunden unterbreiten. Derartige Angebote sollen abgewanderte Kunden zur Wiederaufnahme der beendeten Geschäftsbeziehung anregen.195 Vor allem in der Literatur zur Service Recovery werden die Angebote an den Kunden als Kompensationsmittel für dessen erlittene Verluste eingesetzt.196 Eine Kompensation bedingt jedoch, dass der Kunde mit der Abwanderung realiter einen Verlust erfahren hat. Als Verluste können u. a. Emotionen wie Ärger oder der Aufwand für Beschwerden angesehen werden.197 Insbesondere bei unternehmensbezogenen Abwanderungsgründen ist von der Wichtigkeit eines aus Kundensicht gerechten Rückgewinnungsangebots auszugehen, um 193

Vgl. Töpfer (1993), S. 42 f. Vgl. Döhrer/Fausten (2000); Florl (2000); Schulz-Klingauf (2000). 195 Vgl. Bruhn (2001), S. 120. 196 Vgl. Boshoff (1997); Hoffman/Kelley/Rotalsky (1995); Kelley/Davis (1994); Levesque/McDougall (2000); Maxham III (2001); Smith/Bolton/Wagner (1999); Webster/Sundaram (1998); Wirtz/Mattila (2004). 197 Vgl. McCollough/Berry/Yadav (2000), S. 124. 194

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

63

wahrgenommene Verluste des Kunden auszugleichen. Ähnliches dürfte im Fall von wettbewerbsbezogenen Abwanderungsgründen gelten, wenn der Kunde die Angebote verschiedener Anbieter untereinander vergleicht und zu dem Schluss kommt, dass der frühere Anbieter ihn nachteilig behandelt hat.198 Allerdings scheinen die Kundenerwartungen einer Kompensation eher ein Phänomen bei Unternehmens- bzw. Serviceversagen und damit in vielen Fällen der Kundenabwanderung aus Geschäftsbeziehungen vernachlässigbar zu sein, da andere Gründe als das Versagen von Unternehmensleistungen zur Abwanderung führen dürften.199 Auch die Erkenntnis aus einer Fallstudie, dass Kunden Rückgewinnungsanrufe von Mobilfunkunternehmen erwarten, lässt bezweifeln, ob Kunden unternehmensseitige Kompensationen aus einem Verlustempfinden heraus erwarten.200 Vielmehr scheint sich der Kunde seines Werts für die Unternehmen bewusst zu sein und beansprucht daraus seinen persönlichen „Return on retention“. Hinzu kommt, dass in vielen Branchen intensiv und mit hohen Prämien für Neukunden geworben wird.201 Auch im Weiterempfehlungsmanagement werden verstärkt Angebote zur Kundenakquisition eingesetzt, sodass Kunden die Einschätzung gewinnen können, dass Unternehmen bereit sind, für die Akquisition oder Rückgewinnung von Kunden etwas zu zahlen. Derartige branchen- und oftmals produktspezifische Beigaben könnten Kunden dazu bewegen, diese Vertragszugaben auch von anderen Branchen zu erwarten. Die relevante Höhe gerechter Rückgewinnungsangebote kann sich aus Kundensicht aus den Erfahrungen mit dem Unternehmen und den bisherigen finanziellen Investitionen (z. B. Kontoführungspauschale) in die Geschäftsbeziehung ergeben. Innerhalb der verschiedenen Strategien von Unternehmen zur Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit werden v. a. die Entschuldigung und die Erklärung der auftretenden Fehler genannt.202 Die empirische Forschung im Bereich der Service Recovery hat gezeigt, dass unzureichende Reaktionen auf Kundenbeschwerden zur Verärgerung von Kunden führen können und dass diese Verärgerung in einer Verringerung der Kundenzufriedenheit und der Wiederkaufabsichten resultieren kann.203 Dagegen kann eine an den Kundenwünschen und -erwartungen ausgerichtete Service Recovery die Kaufabsichten und positive Kommunikation erhöhen sowie den Grad der früheren Kunden198

Zur Anwendung der Equity-Theorie im Rahmen der Kundenrückgewinnung vgl. Sieben (2002), S. 53-58. 199 Vgl. dazu die Abwanderungsanalyse in den Abschnitten 6.1.2.2 und 6.2.2.2. 200 Vgl. Florl (2000), S. 90. 201 Vgl. dazu den Abschnitt 1.1. 202 Vgl. Bell/Zemke (1987); Boshoff (1997); Kelley/Hoffman/Davis (1993). 203 Vgl. Maxham III (2001), S. 13 und S. 16.

64

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

bindung wiederherstellen.204 In Anlehnung an eine geläufige Systematisierung der Angebote der Service Recovery können Rückgewinnungsangebote ebenfalls in finanzielle, materielle und immaterielle Anreize unterschieden werden. Die Tabelle 9 gibt einen Überblick über ausgewählte Rückgewinnungsanreize. Art des Anreizes zur Rückkehr Finanziell

Materiell

Immateriell

Beispiele

Preisnachlass, Gutscheine, Kaufpreiserstattung, Schadensersatz

Umtausch, Reparatur, Ersatz eines mangelhaften Produkts, Geschenke

Entschuldigung, Erklärung, Information, Nutzenargumentation

Eignung für Gebrauchs- oder Verbrauchsgüter

Hohe Eignung

Hohe Eignung

Eignung für Dienstleistungen

Hohe Eignung

Geringe Eignung, [nur] Geschenke als Geste der Wiedergutmachung

Generell angebracht zum Abbau der Unzufriedenheit auf emotionaler Ebene

Tabelle 9: Quelle:

Arten von Rückgewinnungsangeboten Eigene Darstellung in Anlehnung an Homburg/Schäfer (1999), S. 13; Sauerbrey/ Henning (2000), S. 37.

In der einschlägigen Literatur finden sich jedoch kaum Angaben zur konkreten Ausgestaltung bzw. zum Einsatz der Rückgewinnungsangebote, obwohl diese als zentral für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen angesehen werden. Abstrahierend für konkrete Rückgewinnungsanreize hat Sieben die Qualität des Rückgewinnungsangebots als einen Treiber für die Wiederaufnahme untersucht. Demnach bestimmt sich die Qualität des Rückgewinnungsangebots aus der Angemessenheit und Attraktivität des Angebots für den Kunden, um seine individuellen Anforderungen und Bedürfnisse zu erfüllen.205 Für die Bestimmung der jeweiligen Art und Höhe der Rückgewinnungsangebote ist jedoch nicht nur die Historie der Kundenbeziehung zu berücksichtigen. Vielmehr müssen auch die Maßnahmen der Wettbewerber einbezogen werden, insbesondere dann, wenn der Kunde direkt vom Wettbewerber abgeworben wurde. Ein Rückgewinnungsangebot muss demnach mindestens den gleichen Nutzen wie das Angebot des Wettbewerbers bieten.206 Allerdings erfordert eine gleich- oder höherwertige Angebotsgestaltung zum einen eine hinreichende Kenntnis der jeweiligen Konkurrenzangebote an die Kunden und zum anderen kann der Kunde aus dem Angebot einen

204

Vgl. Kelley/Hoffman/Davis (1993); Spreng/Harrell/Mackoy (1995). Vgl. Homburg/Sieben/Stock (2004), S. 28; Sieben (2002), S. 67. 206 Vgl. Stauss/Friege (2000), S. 465. 205

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

65

individuellen, für das Unternehmen schwer zu quantifizierenden Nutzen ziehen, der für das Unternehmen nicht direkt ersichtlich wird. Neben den Rückgewinnungskanälen und -angeboten ist innerhalb des KRM festzulegen, zu welchem Zeitpunkt die Rückgewinnung erfolgen soll. In diesem Zusammenhang kann zwischen einer frühen bzw. unmittelbaren und einer späten Rückge-winnung unterschieden werden.207 In der Literatur zur Service Recovery wird eine frühe Kontaktierung des Kunden empfohlen.208 Allerdings ist diese Empfehlung nicht ohne Weiteres auf die Rückgewinnung von vertraglich abgewanderten Kunden übertragbar. Der zentrale Grund hierfür ist darin zu sehen, dass in der Service Recovery ein Serviceversagen vonseiten des Unternehmens vorliegt und die Kunden sich z. T. darüber beschwert haben. Gleichzeitig wird in diesen Arbeiten implizit davon ausgegangen, dass der Kunde ein aktiver Kunde und damit (noch) nicht abgewandert ist. Das Ziel von sofortigen Recovery-Aktivitäten liegt somit in der Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit bzw. der Vermeidung der Abwanderung von Kunden, die sich einem Serviceversagen ggü. sehen. Dagegen sollen mit den Maßnahmen der Kundenrückgewinnung abgewanderte Kunden, die sich also bereits gegen eine Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmen entschieden haben, zurückgewonnen werden. In der einschlägigen Literatur zur Kundenrückgewinnung sind jedoch auch Arbeiten zu finden, in denen in Anlehnung an die Service Recovery-Literatur eine sofortige Ansprache abgewanderter Kunden empfohlen wird.209 Ein wesentlicher Grund für eine schnelle Rückgewinnung, z. B. direkt bei Eingang der Kündigung, liegt in dem Risiko für den bisherigen Anbieter, dass die Kunden schon kurz nach der Abwanderung einen Vertrag mit einem anderen Anbieter eingegangen sein können. Diese Kunden sind dann für die Vertragslaufzeit verloren bzw. nur unter Inkaufnahme sehr hoher Kosten (z. B. durch Übernahme der Stornokosten) zurückzugewinnen. Für die späte Ansprache spricht v. a. das Argument, dass sich schwierige Kundenbeziehungen, d. h. Geschäftsbeziehungen in denen der Kunde ein oder mehrere negative Erfahrungen mit dem Unternehmen gemacht hat, bei einem größeren zeitlichen Abstand ins Positive umkehren lassen. Demnach bietet sich eine späte Rückgewinnung bspw. für Bankkunden an.210 Eine späte Rückgewinnung kann sich auch als sinnvoll erweisen, wenn Kunden nach ihren Erfahrungen mit neuen Anbietern von diesen enttäuscht sind und daher eher bereit sind, zum früheren Anbieter zurückzukehren. Dieser Effekt wird als 207

Vgl. Michalski (2002), S. 151 f.; Sauerbrey/Henning (2000), S. 33. Vgl. Miller/Craighead/Karwan (2000), S. 395. 209 Vgl. Homburg/Schäfer (1999), S. 2 f.; Sauerbrey/Henning (2000), S. 33; Stauss/Friege (1999). 210 Vgl. Michalski (2002), S. 151 f. 208

66

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

„honey moon effect“ bezeichnet und gibt dem früheren Unternehmen eine kurze Zeitspanne, um den abgewanderten Kunden für eine Wiederaufnahme anzusprechen.211 Gerade in einem kurzen Zeitfenster erscheint es schwierig, den optimalen Zeitpunkt der Kundenansprache zu bestimmen. Ein möglicher Ansatz, um den optimalen Zeitpunkt zu ermitteln, ist der unternehmensspezifische Test von Rückgewinnungsaktionen zu verschiedenen Zeitpunkten für unterschiedliche Kundengruppen. In der relevanten Literatur findet sich nur eine Arbeit, die zwei Rückgewinnungszeitpunkte experimentell untersucht hat und zu dem Schluss kommt, dass eine späte Rückgewinnung für den Buchversandhandel geeignet ist.212 Letztlich bestimmen die Vertragslaufzeiten einer Branche (z. B. 24 Monate im Mobilfunkbereich) den Zyklus möglicher Rückgewinnungsaktivitäten. Bei Zeitungs- und Zeitschriftenabonnements existieren zwar Kündigungsfristen von mehreren Wochen oder Monaten, vielfach hat sich jedoch in den letzten Jahren die Praxis durchgesetzt, überschüssige Abonnementbeträge dem Kunden zurückzuerstatten. Damit liegen faktisch keine Kündigungsfristen mehr vor. Die Bestimmung eines optimalen Rückgewinnungszeitpunkts aus den Vertragslaufzeiten heraus ist damit fast unmöglich. Im Verkehrsdienstleistungssektor hängen die Vertragslaufzeiten v. a. von der Höhe des Produktpreises ab. Je kürzer die Vertrags- und Kündigungsfristen sind, umso höher ist der Betrag für das Abonnement et vice versa. Die gängige Vertragsdauer in dieser Branche ist ein Jahr, sodass sich diese Unternehmen bei einer Kündigung des Kunden für eine Rückgewinnung im Wesentlichen an der Jahresfrist orientieren können. Für die vorliegende Arbeit mit ihrem Fokus auf der Wiederaufnahmebereitschaft und dem -verhalten ist insbesondere die in diesem Abschnitt betrachtete zweite Phase des KRM von Bedeutung, da mithilfe geeigneter Rückgewinnungsangebote die spezifischen Erwartungen von Kunden an eine Unternehmensreaktion angesprochen werden können. Diese Erwartungen werden in den eigenen empirischen Studien im Konstrukt ‚spezifische Wiederaufnahmebereitschaft’ aufgegriffen.

211 212

Vgl. Sauerbrey/Henning (2000), S. 33. Vgl. Rutsatz (2004), S. 209-211. Allerdings sind die Experimentgruppen „frühe Rückgewinnung“ (77 Probanden) und „späte Rückgewinnung“ (201 Probanden) ungleich verteilt, sodass ein Vergleich der Ergebnisse eingeschränkt ist. Die absolute Rückgewinnungsanzahl liegt bei vier von 138 kontaktierten Kunden.

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

67

2.3.3.2.4 Phase des Rückgewinnungscontrolling In den konzeptionellen Arbeiten zum KRM werden in der Phase 3 v. a. Kalkulationsansätze des „second lifetime value“ und Rückgewinnungsrentabilitäten betrachtet.213 Neben den Fallstudien basierten Arbeiten von Homburg und Koautoren, Sauerbrey/Henning und Bruhn/Michalski existieren nur zwei empirische Arbeiten, die sich ausgewählten Aspekten des Rückgewinnungscontrolling widmen und an dieser Stelle skizziert werden sollen. Innerhalb der Finanzdienstleistungsbranche hat Sieben die Erfolgsauswirkungen des Kundenrückgewinnungsmanagements untersucht.214 Zielsetzung seiner Untersuchung war die Beantwortung der Frage, wie der Erfolg der Kundenrückgewinnung gemessen werden kann, welche Auswirkungen eine Variation der Rückgewinnungsaktivitäten auf den Erfolg hat und wie sich der optimale Aufwand für Rückgewinnungsmaßnahmen bestimmen lässt. In die Berechnung des zukünftigen Kundenwerts sind der erwartete Umsatz, der erwartete Deckungsbeitrag und die erwartete Dauer des zweiten Beziehungslebenszyklus eingeflossen. Dagegen sind in der Berechnung keine Cross-Selling-, Kommunikations- und Informationseffekte berücksichtigt worden. Der Kundenwert eines zurückgewonnenen Bankkunden beträgt nach dieser Kalkulation 299,11 Euro (585 DM) und ist damit fast doppelt so hoch wie der Wert eines neuen Kunden. Thomas/Blattberg/Fox haben in ihrer Studie zu Zeitungsabonnements analysiert, welche Kundenwerte sich bei der Rückgewinnung mit unterschiedlichen Preisniveaus und den Abonnementpreisen in der ersten Geschäftsbeziehung ergeben. Dabei hat sich herausgestellt, dass Kunden mit einem hohen Abonnementpreis in der ersten Geschäftsbeziehung auch nach der Rückgewinnung attraktive Kunden darstellen.215 2.3.3.3 Empirische Forschungslücken im Kundenrückgewinnungsmanagement Im vorangegangenen Abschnitt 2.3.3 wurden zentrale konzeptionelle und empirische Arbeiten zum Kundenrückgewinnungsmanagement und dem verwandten Forschungsgebiet der Service Recovery dargestellt. Trotz vielfältiger Einzelerkenntnisse hinsichtlich der Phasen des KRM sind einige Fragen unbeantwortet geblieben bzw. erfordern eine branchenübergreifende Überprüfung. In diesem Abschnitt werden daher wichtige Forschungslücken aufgezeigt. Hierfür werden die drei Phasen des KRM (A, C, E) um die zwei Aspekte der Wiederaufnahmebereitschaft und ihrer Einflussfaktoren zu einem Fünf-Phasen-Modell (A-E) ergänzt und mit den entsprechenden empirischen Studien 213

Vgl. Sauerbrey/Henning (2000); Sieben (2002); Stauss/Friege (1999); Stauss/Friege (2003). Vgl. Sieben (2002), S. 113-119. 215 Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 42 f. 214

68

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

in einer Tabelle dargestellt. Arbeiten, die sich empirisch mit den Aspekten der einzelnen Phasen vollständig oder auch nur z. T. befassen, sind in der Tabelle mit einem ‚x’ gekennzeichnet. Die jeweiligen Forschungslücken sind in der Tabelle daran zu erkennen, dass in den entsprechenden Feldern kein ‚x’ vorhanden ist. In der letzten Zeile der Tabelle ist wiedergegeben, welche Aspekte des KRM die vorliegende Arbeit behandelt. Der tabellarische Literaturüberblick verdeutlicht, dass in allen Phasen des KRM erheblicher Forschungsbedarf besteht. Insbesondere in der Phase der Kundenrückgewinnungsaktivitäten – Phase C – mit den verschiedenen Angeboten und Dialogformen liegen nur wenige Untersuchungen vor. Hinzu kommt, dass mögliche Erfolgsfaktoren des Wiederaufnahmeverhaltens bisher nur in der Studie von Sieben empirisch untersucht wurden. Ein Bedarf zur umfassenden Erklärung der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen ist somit eindeutig gegeben. Auch für die Phase E, d. h. das Rückgewinnungscontrolling, liegen nur wenige Arbeiten vor.

x

Büttgen (2003)

x

Tabelle 10: Quelle:

Zentrale Beiträge zum Kundenrückgewinnungsmanagement Eigene Darstellung.

x

x

x

Vorliegende Arbeit

x

x

x

nahmebereitschaft

x

x

x

x

x

Priorisierung/ Segmentierung

Tokman/Lemon/ Davis (2007)

Thomas/Blattberg/Fox (2004)

Rutsatz (2004)

Michalski (2004)

Capraro/ Broniarczyk/Srivastava (2003)

Sieben (2002)

x

x

Stauss/Friege (1999)

Michalski (2002)

x

Reichheld/Sasser Jr. (1990)

Autoren (Jahr)

Analyse der Abwanderungsgründe

x

x

Rückgewinnungsdialog

x

Rückgewinnungsangebot

Einflussfaktoren

D

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x x

Nutzeneffekte

Rückgewinnungsrendite

Rückgewinnungscontrolling

E

Timing der Wie- Erfolgs- Rückgeder quoten winnungsderkosten Rückge- aufnahme (Wiederaufnahme) winnung

Rückgewinnungsaktivitäten

Wiederauf-

Abwanderungs- und Rückgewinnungsanalyse

des Identifika- Analyse tion abge- KundenKRM wan-derter wert Kunden

zeption

Kon-

C

B

A

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

69

70

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

Die Konzeption eines ganzheitlichen KRM ist mit vier Arbeiten in der Literatur bereits recht umfassend dargestellt, sodass sich daraus keine nennenswerten Forschungslücken ergeben. Aus den freien Feldern in der Tabelle wurden von der Verfasserin einzelne Forschungslücken abgeleitet. Im Einzelnen stellen sich die offenen Forschungsfragen innerhalb des Kundenrückgewinnungsmanagements wie folgt dar: x Phase der Abwanderungs- und Rückgewinnungsanalyse (Phase A) Während die Abwanderungsgründe und -prozesse mit zwei Studien von Michalski annähernd bekannt sind, ist die Frage ungeklärt, inwieweit Kunden Attributionen hinsichtlich der Beziehungsbeendigung bilden. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, wer für die Abwanderung verantwortlich ist (Lokus), wie stabil der Abwanderungsgrund ist (Stabilität) und wer den Abwanderungsgrund kontrollieren (Kontrollierbarkeit) konnte.216 Homburg/Hoyer/Stock haben die Ermittlung von Kundenattributionen in Zusammenhang mit der Abwanderung explizit als eine Forschungslücke genannt.217 Dabei postulieren sie, dass eine Wiederaufnahme bei stabilen Abwanderungsgründen unwahrscheinlich ist. x Wiederaufnahmebereitschaft (Phase B) Zur Wiederaufnahmebereitschaft abgewanderter Kunden liegt bisher nur der Befund vor, dass abgewanderte Kunden zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung bereit sind. Diese Wiederaufnahmebereitschaft wurde bisher jedoch über Mittelwertvergleiche und lineare Regressionen geschätzt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle Facetten der Wiederaufnahmebereitschaft abgedeckt sind.218 Darüber hinaus hat Rutsatz zwar die Unterscheidung in eine generelle und eine bedingte Wiederaufnahmebereitschaft vorgenommen, jedoch nicht überprüft, ob diese verschiedenen Formen tatsächlich empirisch nachweisbar sind. Auch die Absicht eines Kunden zurückzuwechseln, modelliert als „switch-back intention“ von Tokman/Davis/Lemon, weist nur eine Dimension der in dieser Arbeit konzipierten Wiederaufnahmebereitschaften auf und wird darüber hinaus in einem nicht-vertraglichen Kontext und als Szenario-Experiment untersucht.219 Demnach liegen keine ausreichenden bzw. gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich der Konzeption der Wiederaufnahmebereitschaft von Kunden vor.

216

Zu Beispielen der Attributionstheorie vgl. Abschnitt 3.2.2. Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 22 f. 218 Vgl. Michalski (2002), S. 160-167. 219 Vgl. Tokman/Davis/Lemon (2007). 217

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

71

x Phase der Rückgewinnungsmaßnahmen (Phase C) Zu den Rückgewinnungsmaßnahmen sind einige wenige, jedoch deskriptiv gestaltete Beiträge bekannt, die überwiegend aus der Praxis stammen. Hinsichtlich der Wirkung von Rückgewinnungsdialogen und -angeboten ist die wissenschaftlich geprägte Literatur jedoch auf den Beitrag von Rutsatz begrenzt. Es besteht Forschungsbedarf im Hinblick auf den Test alternativer Rückgewinnungsangebote, Dialogformen und Timing-Strategien, über die kaum Erkenntnisse zu den Kundenreaktionen vorliegen.220 x Einflussgrößen der Wiederaufnahme (Phase D) Die Arbeit von Sieben vermittelt erste Erkenntnisse in Bezug auf mögliche Einflussgrößen der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen. Zwischen dem Variety Seeking und der Rückkehr des Kunden wurde dabei ein negativer Zusammenhang festgestellt, d. h. je höher der Wunsch des Kunden nach Abwechslung ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er zum früheren Anbieter zurückkehrt. Allerdings kann sich der Effekt des Variety Seeking mit zunehmender Dauer der Abwesenheit des Kunden vom früheren Anbieter verändern, d. h., mit längerer Abwesenheit könnte sich die Wirkung ins Positive verkehren.221 Roos hat in ihrer Arbeit zwar das Bedürfnis der Abwechslung, die Produktpalette, die Kundengewohnheiten und den Service als Faktoren einer möglichen Rückkehr abgewanderter Kunden hergeleitet, jedoch diese nicht empirisch überprüft.222 In der Arbeit von Sieben wurden ausgewählte Einflussfaktoren auf ihre Wirkung auf die Rückkehr von abgewanderten Kunden untersucht.223 Trotz erster spannender Befunde dieser Studie im Mobilfunkbereich bietet sich eine Erweiterung des Portfolios an Wiederaufnahmedeterminanten, z. B. eine Erweiterung um wettbewerbsbezogene Faktoren wie Wechselkosten zwingend an, die überdies in anderen Branchen als der Mobilfunkbranche untersucht werden sollten. Für das Einbeziehen von Wettbewerbsgrößen in die Planung und Umsetzung von Rückgewinnungsmaßnahmen plädiert auch Rutsatz.224 In der Service Recovery-Literatur ist die Bedeutung von Emotionen als angenehm oder unangenehm empfundene innere Erregungen im Rahmen der Recovery hinlänglich bekannt.225 In der Literatur zur Kundenrückgewinnung liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, welche Emotionen nach einer Abwanderung, insbesondere aus einer 220

Vgl. Michalski (2002), S. 238; Rutsatz (2004), S. 219-225; Sieben (2002), S. 158. Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 22 f. 222 Vgl. Roos (1999), S. 75. Aus diesem Grund ist ihre Arbeit auch nicht in der Tabelle 10 aufgeführt. 223 Vgl. Sieben (2002), S. 158. 224 Vgl. Rutsatz (2004), S. 219-225. 225 Vgl. Chebat/Slusarczyk (2005), S. 666 f.; Schoefer/Ennew (2005), S. 266 f.; Smith/Bolton (2002), S. 14-18. 221

72

Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen

vertraglichen Beziehung, vorliegen und wie diese auf die Wiederaufnahmebereitschaft bzw. das Wiederaufnahmeverhalten wirken. Bei der Berücksichtigung von Kundenemotionen innerhalb des KRM dürfte v. a. die Bedeutung der Abwanderungsentscheidung eine beeinflussende Rolle spielen. So ist zu erwarten, dass Kunden mit der Wahrnehmung von Unternehmensversagen deutlich ausgeprägtere Emotionen verbinden. Dies wurde in ersten Studien bereits bestätigt.226 x Phase des Rückgewinnungscontrolling (Phase E) Die Anzahl von Arbeiten zur Phase E des KRM ist sehr übersichtlich. Insbesondere liegen kaum Erkenntnisse zur Art und Höhe von Rückgewinnungskosten vor. Die Nutzeneffekte und Angaben zur Rendite von Rückgewinnungsmaßnahmen sind bisher ebenfalls nur fallweise von Unternehmen bekannt. Darüber hinaus ist es unabdingbar, dass die Nachhaltigkeit von Rückgewinnungserfolgen überprüft wird.227 Kunden, die mehrfach einen Anbieter verlassen haben, reagieren möglicherweise anders auf weitere Rückgewinnungsversuche des Anbieters als jene, die zum ersten Mal den Vertrag gekündigt haben. Die Ausführungen zu den Forschungslücken im KRM in diesem Abschnitt haben verdeutlicht, dass ein substanzieller Bedarf besteht, Aspekte der Wiederaufnahmebereitschaft und des Wiederaufnahmeverhaltens theoretisch-konzeptionell und empirisch zu beleuchten. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sollen insbesondere folgende Fragen beantwortet werden: 1. Welche Faktoren bestimmen die generelle Wiederaufnahmebereitschaft, d. h. die bedingungslose Intention zu einem Anbieter zurückzukehren? 2. Welche Faktoren bestimmen die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft, d. h. die mit Erwartungen verknüpfte Intention zu einem Anbieter zurückzukehren? 3. Welche Faktoren führen letztlich zu einer Wiederaufnahme einer gekündigten Vertragsbeziehung? Die aufgeführten Forschungsfragen werden in zwei unterschiedlichen Unternehmenskontexten, d. h. bei einem Verlagshaus und einem Verkehrsdienstleister empirisch im Rahmen von Kundenbefragungen und Rückgewinnungsexperimenten untersucht.

226

Vgl. Craighead/Karwan/Miller (2004), S. 315; Forrester/Maute (2001), S. 8; Hess Jr./Ganesan/ Klein (2003), S. 138; Roos (1999), S. 76; Webster/Sundaram (1998), S. 156 f. 227 Vgl. Sieben (2002), S. 158.

3 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen In Kapitel 2 wurden die begrifflichen Grundlagen zur Kundenabwanderung, der Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen und des Kundenrückgewinnungsmanagements (KRM) gelegt. In diesem Kapitel werden zwei sozialwissenschaftliche Ansätze vorgestellt, die einen Erklärungsbeitrag für die Wiederaufnahme von früheren Geschäftsbeziehungen leisten. Aus der Vielzahl sozialwissenschaftlicher Theorien werden die Theorie der kognitiven Dissonanz und die Attributionstheorien herangezogen, da diese beiden Theorieansätze mit der Berücksichtigung von Kognitionen, Einstellungen und Absichten von Individuen das hier behandelte Forschungsfeld gut abdecken. In den jeweiligen Abschnitten wird auf die Eignung der Theorien für den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand detailliert eingegangen. Einleitend erfolgt in diesem Abschnitt eine kurze Skizzierung des Theorienpluralismus. Im Anschluss daran wird in Abschnitt 3.1 die Theorie der kognitiven Dissonanz mit ihren Grundlagen, Anwendungsbereichen im Marketing und der Übertragung auf den Kontext der hier vorliegenden Arbeit vorgestellt. In Abschnitt 3.2 erfolgt eine Beschreibung der Attributionstheorie mit den inhaltlichen Grundlagen, der Nutzung im Marketingbereich und den Einsatzmöglichkeiten dieser Theorie für die Wiederaufnahme von früheren Geschäftsbeziehungen. Innerhalb der verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen lässt sich eine Vielzahl von Theorien finden, die sich mit dem Verhalten von Individuen in Beziehungen zu anderen Individuen und Gruppen befassen. Da es sich auch bei Geschäftsbeziehungen bzw. deren Wiederaufnahme um soziale Interaktionen in einem weiteren Sinne handelt, können diese Theorien grundsätzlich einen Beitrag zur Erklärung ökonomischer Austauschphänomene leisten. In den Sozialwissenschaften ist dabei umstritten, ob zur Erklärung von Sachverhalten nur eine Theorie einzubeziehen ist oder ob die bewusste Kombination mehrerer Theorien – der so genannte Theorienpluralismus – einen geeigneten Ansatz für die Herleitung eines Modells darstellt.228 Die Beantwortung dieser Frage ist letztlich vom jeweils präferierten Wissenschaftsbild des einzelnen Forschers abhängig. Eine sozialwissenschaftliche Theorie besitzt gemeinhin 228

Eine aktuelle Gewichtung der Vor- und Nachteile der wissenschaftstheoretischen Ansätze des Kritischen Rationalismus und des Wissenschaftlichen Realismus ist u. a. bei Nießing (2007), S. 42-45 zu finden. Zudem sei auf die umfassende Auseinandersetzung mit dem theoretischen Pluralismus bei Feyerabend verwiesen. Vgl. Feyerabend (1965).

74 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

eine ontologische und eine epistemologische Dimension, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Die ontologische Dimension bezieht sich auf das jeweilige präferierte Weltbild. Im Rahmen dieser Dimension werden also a priorische Annahmen über die Beschaffenheit der sozialen Realität und der diese Realität kennzeichnenden Strukturen, Prozesse und Antriebskräfte getroffen. Ontologische Annahmen sind dabei grundsätzlich weder verifizierbar noch falsifizierbar, da dies einen so genannten archimedischen Punkt, d. h. eine meta-wissenschaftliche Festlegung voraussetzen würde. Die epistemologische Dimension bezieht sich auf die Auswahl der methodischen Instrumentarien, mittels derer postulierte Hypothesen über kausale Zusammenhänge überprüft werden sollen. Da eine holistische, d. h. auf die Gesamtheit aller Erscheinungen abzielende Erfassung der Realität aus dem genannten Grund nicht möglich scheint, empfiehlt es sich, verschiedene Theorien derart zu kombinieren, dass ein größtmöglicher Realitätsausschnitt erfasst werden kann. Dabei sollte einerseits ein derartiger Eklektizismus möglichst reflektiert gehandhabt werden, andererseits sollte das Ziel einer möglichst umfassenden Theoriebildung nicht aus den Augen verloren werden.229 In der vorliegenden Arbeit werden deshalb im Sinne eines aufgeklärten Eklektizismus zwei Theorien, die einen hohen Erklärungsgehalt versprechen, zur Erklärung der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen verwendet: die Theorie der kognitiven Dissonanz und die Attributionstheorie. Für eine Übersicht weiterer Theorien, die Teilaspekte der Wiederaufnahme erklären können, sei auf die entsprechende Literatur verwiesen.230 Die hier verwendeten Theorien unterliegen den gleichen Grundannahmen über Individuen und haben ihre Schnittmenge v. a. in der Berücksichtigung von Kognitionen. 3.1 Theorie der kognitiven Dissonanz 3.1.1 Grundsätze der Theorie Die Theorie der kognitiven Dissonanz zählt zu den sog. Konsistenztheorien. Konsistenztheorien befassen sich mit dem kognitiven Gleichgewicht von Personen und der Erklärung von Einstellungsänderungen. Ausgangspunkte der Theorie der kognitiven Dissonanz, im Weiteren auch als Dissonanztheorie bezeichnet, sind die Arbeiten zum Anspruchsniveau und der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse.231 Festinger hat 229

Unter dem Eklektizismus wird die Selektion verschiedener Theoriegebäude aus überlieferten Wissensordnungen verstanden. Vgl. Jacob (2001), S. 137. Zur Sozialen Austauschtheorie und Equity-Theorie vgl. Nacif (2003), S. 52-55 und Sieben (2002), S. 50-57. Ein Überblick weiterer theoretischer Ansätze findet sich bei Michalski (2002), S. 15-17. 231 Vgl. Festinger (1942); Festinger (1954). 230

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 75

festgestellt, dass widersprüchliche Gedankengänge bei Individuen zu unangenehmen Empfindungen führen und Zweifel an einer früheren Entscheidung hervorrufen können. Derartige Ungleichgewichte werden als Dissonanzen bezeichnet und sind Folge einer Entscheidung zwischen Alternativen, wenn das bestehende Wertesystem nicht mit der getroffenen Entscheidung übereinstimmt. Dissonanzen beziehen sich neben den Kognitionen232 aber auch auf emotional-psychische Aspekte. Konsonante Beziehungen als Gegensatz von Dissonanzen sind hingegen vorhanden, wenn die Kognitionen eines Individuums miteinander vereinbar sind.233 Basierend auf dem Wissen um kognitive Ungleichgewichte hat Festinger weiter festgestellt, dass Personen nach einem Gleichgewicht in ihrem kognitiven System streben und deshalb Situationen zu vermeiden suchen, die kognitive Ungleichgewichte hervorrufen bzw. verstärken könnten.234 Der Grad der Dissonanz von Kognitionen ist gemäß der Dissonanztheorie eine Funktion zwischen der Wichtigkeit der beteiligten Kognitionen und des relativen Anteils dissonanter zu konsonanten Beziehungen. Je größer die Anzahl dissonanter Beziehungen und je höher die Bedeutung dieser Kognitionen sind, desto höher fällt die kognitive Dissonanz aus.235 Ein wesentlicher Punkt der Überlegungen von Festinger ist, dass Dissonanzen weniger aufgrund von logischen Verknüpfungen entstehen, sondern vielmehr auf psychologischen Unvereinbarkeiten im Wertesystem eines Menschen beruhen. Dissonante Beziehungen erzeugen die Motivation, konsonante Beziehungen wiederherzustellen und somit die Dissonanz zu reduzieren bzw. abzubauen. Zur Reduktion kognitiver Dissonanz stehen drei Techniken zur Verfügung:236 x Addition neuer konsonanter Kognitionen, x Subtraktion dissonanter Kognitionen (z. B. durch Verdrängung) und x Substitution von Kognitionen (Ersatz dissonanter durch konsonante Werturteile). Die Dissonanzreduktion erfordert oftmals ein hohes Ausmaß an kognitiver Verzerrung.237 Dabei wird am ehesten diejenige dissonante Kognition abgebaut, die den

232

Kognitionen sind dabei als Wissen, Meinungen, Werthaltungen und Überzeugungen von Personen über sich selbst und ihre Umwelt zu verstehen. Vgl. Behrens (1991), S. 105; Festinger (1957), S. 3; Festinger (1978), S. 17; Frey/Benning (1997), S. 147. 233 Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 276 f. 234 Vgl. Festinger (1957), S. 3 und S. 260. 235 Vgl. Schuchard-Ficher (1979), S. 15. 236 Vgl. Festinger (1978), S. 31 f.; Frey/Benning (1997), S. 147 f.; Frey/Gaska (1993), S. 277; Schuchard-Ficher (1979), S. 28-33. 237 Generell wurde festgestellt, dass Personen aufgrund der Wahrnehmung von kognitiven Kosten

76 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

geringsten Widerstand aufweist. Dies ist diejenige Dissonanz, die für das Individuum am leichtesten veränderbar ist, weil der hinter der Dissonanz stehende Wert einen geringeren Stellenwert als andere Werte im Wertesystem des Individuums einnimmt. Es gibt vier zentrale Situationen, in denen kognitive Dissonanzen entstehen: Dissonanz nach getroffenen Entscheidungen, forcierte Einwilligung („forced compliance“), selektive Informationssuche („selective exposure“) und soziale Unterstützung („social support“).238 Festinger hat seinen Forschungsschwerpunkt auf die Entstehung und Reduktion von kognitiven Dissonanzen nach getroffenen Entscheidungen gelegt.239 Auch in dieser Arbeit liegt der Fokus auf der Betrachtung von kognitiver Dissonanz nach getroffenen Entscheidungen, in diesem Falle nach einer Abwanderungsentscheidung des Kunden.240 Kognitive Dissonanz entsteht nach Entscheidungen durch die Wahrnehmung positiver Aspekte der nicht gewählten Alternative und dem Vergleich mit negativen Aspekten der gewählten Alternative.241 Danach bezweifeln Kunden nach einem Kauf die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung und empfinden den Kauf als Ursache der Störung ihres kognitiven Gleichgewichts.242 Eine direkte Möglichkeit, die entstandene Dissonanz abzubauen, ist die Revision der Entscheidung, was jedoch auch neue Ungleichgewichte erzeugen kann, insbesondere dann, wenn die Überprüfung mit hohem psychischen und materiellen Aufwand verbunden ist.243 Festinger hat in seinen Untersuchungen den sog. „spreading apart of alternatives“-Effekt beschrieben. Dieser Effekt ist als die häufigste Art der Dissonanzreduktion (Subtraktion dissonanter Kognitionen) anzusehen und umfasst die Abwertung der Attraktivität einer nicht gewählten Alternative. Der Effekt ist bei geringeren Chancen zur Entscheidungsrevision deutlich hö-

bestrebt sind, kognitive Anstrengungen gering zu halten. Vgl. Fiske/Taylor (1984), S. 12. Nach Festinger wird eine Wahl höher bewertet, wenn diese mit größerer Anstrengung verbunden ist. Zum gegenteiligen Ergebnis kommen Garbarino/Edell (1997), S. 151 f. in ihrer Studie zur Komplexität von Alternativen und Kaufwahl. Zum Prinzip der Einfachheit und dem Prinzip der Effizienz vgl. Frey/Gaska (1993), S. 282 f. 238 Vgl. Cummings/Venkatesan (1976); Frey/Benning (1997), S. 148-152. 239 Vgl. Festinger (1957); Festinger (1964). 240 Prinzipiell kann auch im Vorfeld einer Abwanderungsentscheidung kognitive Dissonanz bei Kunden eines Unternehmens auftreten, die wiederum der Auslöser für die Abwanderung ist. Da in der vorliegenden Arbeit jedoch der Zeitraum nach der Abwanderung untersucht wird, ist eine mögliche Dissonanz vor der Kündigung nicht Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit und soll infolgedessen nicht weiter berücksichtigt werden. 241 Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 284; Schuchard-Ficher (1979), S. 17. Im Marketing wird diese Form der kognitiven Dissonanz unter dem Begriff ‚Nachkauf-Dissonanz’ behandelt. Vgl. dazu den Abschnitt 3.1.2. 242 Vgl. Schuchard-Ficher (1979), S. 1. 243 Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 284.

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 77

her,244 d. h., bei irreversiblen Entscheidungen scheinen sich Personen mit ihrer Entscheidung zu arrangieren. Im Marketing ist der „spreading apart“-Effekt von Raffée/Sauter/Silberer empirisch untersucht und bestätigt worden.245 Konträre Befunde berichten dagegen Walster und Brehm/Wicklund in ihren Arbeiten.246 Generell kann die kognitive Dissonanz auch bei vorläufigen (tentativen) Entscheidungen auftreten, diese unterscheiden sich jedoch im Ausmaß des Festgelegtseins.247 Die Revision von Entscheidungen ist bei vorläufigen Urteilen des Individuums leichter, daher fällt der „spreading apart“-Effekt hier auch deutlich geringer aus.248 Eng verbunden mit der Dissonanz nach Entscheidungen ist die selektive Informationsaufnahme und -verarbeitung. Demnach tendieren Personen dazu, genau jene Informationen zu suchen, die ihre getroffene Entscheidung stützen.249 Die Theorie von Festinger hat zahlreiche Modifikationen erfahren. Die wesentlichen Ansätze stammen hierbei von Brehm/Cohen, die zwei ergänzende Faktoren als Ursache von Inkonsistenten ausgemacht haben: Selbstverpflichtung (Commitment) sowie Entscheidungsfreiheit. Hinzu kommt der Ansatz von Aronson, der den Aspekt der persönlichen Betroffenheit in die Analyse der Dissonanzentstehung eingebracht hat.250 Die Annahmen von Brehm/Cohen werden durch spätere Arbeiten bestätigt.251 Irle hat in einer Fortführung des Ansatzes von Brehm/Cohen das Commitment252 als einen relevanten Einflussfaktor der Entstehung kognitiver Dissonanz bestätigt und weitere theoretische Variablen wie z. B. die mögliche Höhe von kognitiver Dissonanz präzisiert.253 Tedeschi/Schlenker/Bonoma stellen wiederum die Hypothese auf, dass kognitive Dissonanz v. a. infolge der von der Außenwelt an die Personen herangetragenen Erwartung, ein konsistentes Erscheinungsbild abzugeben, entsteht.254 Neben den modifizierten Ansätzen der Dissonanztheorie gibt es weitere theoretische Konzepte, die sich mit der kognitiven Konsistenz beschäftigen. Hierfür seien v. a. die Balancetheorie von Heider und Newcomb sowie deren Ausweitung auf die Lerntheorie durch Coo244

Vgl. Frey et al. (1984). Vgl. Raffée/Sauter/Silberer (1973). Vgl. Brehm/Wicklund (1970); Walster (1964). Diesen Studien zufolge steigt die Attraktivität der nicht gewählten Alternative kurzzeitig sogar an. 247 Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 287 f.; Irle (1975). 248 Vgl. Ochsmann/Frey (1978). 249 Vgl. Frey/Gaska (1993), S. 295. 250 Vgl. Aronson (1968); Aronson (1969); Brehm/Cohen (1962). 251 Vgl. Festinger (1964). 252 Zur Rolle des Commitment im Rahmen des Abbaus kognitiver Dissonanz vgl. Tesser/Leone (1977). 253 Vgl. Irle (1975). 254 Vgl. Tedeschi/Schlenker/Bonoma (1971). Die Einstellungsänderung wird dem Zweck der Selbstpräsentation zugeschrieben. 245 246

78 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

per/Fazio genannt.255 Eng verbunden mit der Theorie der kognitiven Dissonanz ist der Effekt des ‚Regret’, der als Gegenstück zum „spreading apart“-Effekt gilt und auch als allgemeine kognitive Dissonanz definiert wird.256 Aus den Forschungen zum RegretEffekt ist die Regret Theorie von Loomes/Sugden und Bell entwickelt worden.257 Zentrale Aussage ist, dass der Wert einer gewählten Alternative abhängig vom Wert der nichtgewählten Alternative ist und Personen auf das Ausbleiben von negativen Konsequenzen bei falschen Entscheidungen hoffen. Regret beruht auf dem Vergleich des Ertrags einer aktuellen Entscheidung mit einem denkbaren anderen Ertrag, drückt „[...] a feeling that somehow you made a mistake” aus und wird definiert als „[...] result comparing one`s outcome with a better [...] outcome that would have occurred had a different alternative been selected.”258 In der marketingwissenschaftlichen Literatur wird Regret zur Erklärung unterschiedlicher Phänomene herangezogen. Zum einen wird Regret als Bestimmungsfaktor für Kaufentscheidungen untersucht. Hierzu zählen Arbeiten zu den Auswirkungen antizipierten Regrets auf Markenwahl und Kaufzeitpunkte und die Rolle von antizipiertem Regret bei der Nutzung von Verkaufsförderungangeboten.259 Zum anderen widmen sich einige Studien dem Regret als Konsequenz von Kaufentscheidungen. Inman/Dyer/Jia integrieren Regret in ein Nutzen-Konzept der Kundenentscheidung ein.260 Oliver identifiziert Regret als Bestimmungsgröße für Kundenzufriedenheit.261 Tsiros/Mittal haben ein Modell mit Determinanten und Konsequenzen des Regret bei der Wahl von Markenartikeln aufgestellt und daraus abgeleitet, dass Regret als Nachkaufvergleich eine wesentliche Ursache für Markenwechsel ist.262 Wunderle hat in seiner Untersuchung dagegen die Relevanz von Regret im Kontext von Kundenloyalität berücksichtigt.263

255

Vgl. Cooper/Fazio (1984); Heider (1946); Heider (1958); Newcomb (1953); Newcomb (1961); Newcomb (1978). 256 Vgl. Soutar/Sweeney (2003), S. 231. 257 Vgl. Bell (1982); Loomes/Sugden (1982); Loomes/Sugden (1987). 258 Tsiros/Mittal (2000), S. 402. Ähnlich definiert Zeelenberg (1996), S. 6 Regret als “[…] a negative, cognitively determined emotion that we experience when realizing or imagining that our present situation would have been better, had we acted differently.” 259 Vgl. Inman/McAlister (1994); Simonson (1992), S. 111. 260 Vgl. Inman/Dyer/Jia (1997), S. 99 und S. 102. Regret hat demnach eine negative Wirkung auf die Kundenzufriedenheit. 261 Vgl. Oliver (1997). 262 Bedauern stellt sich ein, wenn der Vergleich zwischen zwei oder mehreren Marken für den Kunden ungünstig ausfällt, d. h. die getroffene Entscheidung nachträglich als nicht optimal erscheint. Vgl. Tsiros/Mittal (2000), S. 401 f. 263 Vgl. Wunderle (2006).

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 79

3.1.2 Empirische Anwendungen der Dissonanztheorie im Marketing Auch im Marketing hat die Theorie der kognitiven Dissonanz – wie oben z. T. skizziert – Verwendung gefunden.264 In den 1960er und 1970er Jahren wurden u. a. Aspekte der Dissonanzentstehung, der Dissonanzreduktion, Dissonanzwirkungen, Erklärung des Konsumentenverhaltens und Messung von Nachkauf-Dissonanz untersucht.265 In der jüngeren Marketingliteratur werden folgende Einflussgrößen der Dissonanzentstehung in Kauf- und Nachkaufsituationen aufgeführt: Wichtigkeit der Entscheidung (Relevanz des Ergebnisses und der Investitionshöhe), Entscheidungsfreiheit, Irreversibilität der getroffenen Entscheidung, Commitment und Einschätzung der Attraktivität der nicht gewählten Alternative(n).266 In den Marketingstudien wird deutlich, dass Kunden nicht zwangsläufig in allen Situationen Dissonanz wahrnehmen müssen als auch, dass Kunden im Entscheidungsprozess stets einer kognitiven Dissonanz ausgesetzt sind.267 Bis heute ist jedoch nicht geklärt, welche der beiden genannten Sichtweisen am ehesten in welchen Kaufkontexten anzutreffen ist. Die Wahrnehmung von Dissonanz kann bei Kunden zudem unterschiedlich stark ausfallen.268 Einen Überblick ausgewählter Untersuchungen, in denen kognitive Dissonanzen im Marketing betrachtet wurden, zeigt die folgende Tabelle 11. Autoren (Jahr)

Kontext

Westbrook/Oliver (1991)

Klassifikation von Parallelen zwischen dem Konzept der kognitiven DisKaufemotionen sonanz und Kundenzufriedenheit. Regret als Einflussfaktor der Unzufriedenheit von Kunden.

Sweeney/Hausknech Entwicklung einer t/Soutar (2000) Skala zur Messung von Dissonanz

Ergebnisse

Erstellung einer Skala mit 22 Indikatoren, kognitive Dissonanz setzt sich aus emotionalen und kognitiven Elementen zusammen. Im Fokus stehen Indikatoren, die sich auf die Emotionalität von Individuen beziehen.

Tsiros/Mittal (2000) Entwicklung eines Regret hat eine negative Wirkung auf die WiederkaufRegret-Modells absichten und die Kundenzufriedenheit. Soutar/Sweeney (2003) Tabelle 11: Quelle:

264

Kundenbefragung Identifizierung von Kundensegmenten mit unterschied(Konsumgüter) lichen Dissonanzausprägungen, Unterscheidungskriterien sind z. B. Alter und Zufriedenheit mit dem Produkt. Ausgewählte Beiträge zur Theorie der kognitiven Dissonanz Eigene Darstellung.

Einen umfassenden Überblick von Anwendungen der Dissonanztheorie im Marketing der 1960er und 1970er Jahre geben Cummings/Venkatesan (1976). 265 Vgl. Anderson/Taylor/Holloway (1966); Cardozo (1965); Engel/Light (1968); Holloway (1967); Losciuto/Perloff (1967); Mittelstaedt (1969); Oshikawa (1970); Oshikawa (1972); SchuchardFicher (1979); von Rosenstiel/Ewald (1979); Weber (1978). 266 Vgl. Louden/Della Bitta (1993); Oliver (1997). 267 Vgl. Bell (1967); Soutar/Sweeney (2003), S. 223. 268 Vgl. Soutar/Sweeney (2003), S. 229.

80 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

In der Tabelle 11 wird deutlich, dass sich die Marketingforschung in den letzten Jahren nur begrenzt mit der Thematik und den Wirkungen kognitiver Dissonanz auf die Wiederkaufabsichten und die Zufriedenheiten von Kunden beschäftigt hat. Im nächsten Abschnitt wird die Relevanz der Dissonanztheorie für die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen aufgezeigt. 3.1.3 Relevanz für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen In der Marketingwissenschaft wird deutlich, dass der Dissonanzentstehung insbesondere bei Kaufentscheidungen eine wesentliche Rolle zukommt. Personen können andere Handlungsoptionen, für die sie sich nicht entschieden haben, als attraktiver wahrnehmen und Unsicherheit ggü. ihrer getroffenen Entscheidung empfinden. In Abhängigkeit von der Anzahl und Attraktivität der alternativen Handlungsoptionen kann die kognitive Dissonanz dabei unterschiedlich hoch ausfallen. Unterscheiden sich die nicht gewählten Alternativen nur wenig von der getroffenen Entscheidung, ist die wahrgenommene Dissonanz nach einer Entscheidung tendenziell gering.269 Bei geringer Attraktivität der Alternativen ist somit von einer nur geringen kognitiven Dissonanz auszugehen. In Abhängigkeit des Kundenstatus nach der Abwanderung (neue Geschäftsbeziehung) kann der Kunde Erfahrungen beim neuen Anbieter gesammelt haben, die im Vergleich mit der früheren Geschäftsbeziehung negativ ausfallen und damit kognitive Dissonanz auslösen können. In einem solchen Fall ist mit der Wiederaufnahmeabsicht und dem -verhalten, also mit einer Rückkehr zum früheren Anbieter, als Strategie zur Dissonanzreduktion zu rechnen. Es kann folglich erwartet werden, das Personen nach einer Abwanderungs-/Kündigungsentscheidung kognitive Dissonanzen wahrnehmen und versuchen, derartige „Nachentscheidungsdissonanzen“ durch Einstellungsänderungen und Handlungen abzubauen.270 Dies kann mit der zentralen Annahme der Theorie begründet werden, dass Dissonanzen vielfach in und nach Entscheidungssituationen auftreten. Eine Kündigung dürfte nach Ansicht der Verfasserin eine solche Entscheidung sein, die mit einem gewissen immateriellen und materiellen Aufwand des Kündigers verbunden ist und eine deutlich langfristigere Wirkung als ein reiner Nicht-Kauf von Produkten oder Dienstleistungen ausübt. Wie in Abschnitt 2.1.2.2.4 aufgezeigt, vergeht z. T. von einer ersten Überlegung zur Kündigung bis zur endgültigen Entscheidung ein längerer Zeitraum, aus dem deutlich wird, dass kognitive Dissonanzen nach der Kundenabwanderung existieren dürften. Es gibt je-

269 270

Vgl. Schuchard-Fichner (1979), S. 18. Vgl. Sieben (2002), S. 60 f. Auch nach Aronson (1968), S. 23 können Beziehungsabbrüche zu kognitiven Dissonanzen führen.

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 81

doch kaum Untersuchungen, in denen die Existenz kognitiver Ungleichgewichte nach einer Kündigung empirisch gestützt wird. Tokman/Davis/Lemon haben das RegretPhänomen als Einflussgröße auf eine Wiederaufnahmebereitschaft untersucht und mithilfe dieses Konstrukts die Existenz kognitiver Dissonanz belegt.271 Allerdings ist in der Literatur nicht geklärt, welchen Einfluss Regret-Effekte oder „spreading apart“Effekte tatsächlich auf das Ausmaß kognitiver Dissonanzen haben. Somit ist bis heute ungeklärt, ob bei Kündigungsentscheidungen eher Regret-Effekte (d. h. eine negative Einschätzung der Entscheidung und positive Bewertung der Alternative ‚Verbleib beim aktuellen Unternehmen’) und „spreading apart“-Effekte (d. h. die gewählte Entscheidung wird positiv gesehen, die Alternativen werden abgewertet) überwiegen. Tendenziell ist jedoch anzunehmen, dass die Abwanderung als eine Form der Status quo-Veränderung höheres Bedauern bei negativem Ergebnis auslöst als bei einem Kunden, der bei dem aktuellen Anbieter bleibt.272 Die Kenntnis darüber ist für Unternehmen relevant, um geeignete Maßnahmen zur Verstärkung der Regret-Effekte oder positiven Darstellung eigener Leistungen zur Dissonanzreduktion zu definieren. Beispielsweise weist das Vorhandensein des Regrets auf eine schnelle Rückgewinnung hin, um das Bedauern der Kündigung des jeweiligen Kunden zu nutzen. Letztlich sprechen gleichwohl beide Ausprägungen (Regret und „spreading apart“) für eine Wiederaufnahmebereitschaft ehemaliger Kunden. Daher kann die Existenz kognitiver Dissonanzen als Folge von Abwanderungsentscheidungen als ein Ansatzpunkt zur Rückkehr von Kunden betrachtet werden. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass Rückgewinnungsmaßnahmen durch das Unternehmen bei abgewanderten Kunden neue Dissonanzen verursachen können, indem der abgewanderte Kunde neue Informationen erhält, die seine Kündigungsentscheidung in Frage stellen und ihn zur Wiederaufnahme bewegen können. An dieser Stelle kann das Rückgewinnungsmanagement einsetzen, um mögliche Kundendissonanzen zu mindern bzw. abzubauen. Sieben geht von der Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung als einen Ansatz zur Dissonanzreduktion aus, ein empirischer Beweis für diese Annahme wird jedoch von dem Autor nicht erbracht.273 Die Art der Dissonanzreduktion dürfte nach Ansicht der Verfasserin jedoch vom eigentlichen Abwanderungsgrund abhängen. Denkbar ist die Prüfung der Kündigungsentscheidung, wenn der Abwanderungsgrund nach einer gewissen Zeit bspw. als irrelevant wahrgenommen wird. Dies kann der Fall sein, wenn der Kunde die Geschäftsbeziehung aufgrund z. B. von finan271

Vgl. Tokman/Davis/Lemon (2007), S. 55 f. Zur Abwägung von Entscheidungen vgl. Burmeister/Schade (2005). 273 Vgl. Sieben (2002), S. 60 f. 272

82 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

ziellen Engpässen gekündigt hat. Der Kunde würde bei Verbesserung der finanziellen Lage in der Folge seine Entscheidung revidieren und zum Unternehmen zurückkehren. Es ist anzunehmen, dass andere Einstellungen, wie z. B. Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung, begünstigend auf den Abbau von Dissonanz nach der Kündigung wirken können. Ein anderer Ansatzpunkt zur Reduzierung der kognitiven Ungleichgewichte kann von dem früheren Unternehmen ausgehen, indem dieser frühere Anbieter durch Informationen, seine Wertschätzung und konkrete Rückgewinnungsangebote die Konsonanz beim Kunden wiederherstellt.274 Vorstellbar sind Angebote, die auf die ökonomische Ausrichtung gewisser Kundensegmente abzielen und Rückkehrangebote offerieren, die mit dem Nutzenbeitrag des „Preiswert Einkaufen“ von Kunden übereinstimmen. Bisher gibt es in der einschlägigen Literatur jedoch keinerlei Studien, inwieweit Unternehmen nach einer Kündigung die Kognitionen abgewanderter Kunden durch Rückgewinnungsmaßnahmen beeinflussen können. Ein weiterer Ansatzpunkt im Kundenrückgewinnungsmanagement ist es, die wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten der Kunden durch einfach gestaltete Unternehmensprozesse gering zu halten. Wiederaufnahmekosten (als eine spezielle Form von Wechselkosten)275 können als kognitive Anstrengungen („cognitive effort“) einer Kundenrückkehr und damit als Erhöhung von kognitiver Dissonanz wahrgenommen werden.276 Je niedriger die wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten ausfallen, desto niedriger dürfte die kognitive Dissonanz und desto höher die Wiederaufnahmebereitschaft ausfallen. Ein weiterer Punkt, der für die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen spricht, ist der Befund, dass ab einer bestimmten Dissonanzhöhe eine Revision der früheren Entscheidung in Betracht gezogen wird.277 Auch dies kann als Ansatzpunkt für Unternehmen dienen, die Kunden zur Wiederaufnahme zu motivieren. Eine Option zur Motivation kann darin liegen, die Dissonanz bei ehemaligen Kunden zu erhöhen, indem z. B. attraktive Angebote zur Rückkehr unterbreitet werden. Aus der Theorie der kognitiven Dissonanz lassen sich neben generellen Annahmen zur Übertragung auf den Kontext von Kundenabwanderung und -rückgewinnung auch spezifische Erklärungsansätze zu einzelnen Einflussgrößen ableiten. Hierbei sind v. a. die Selbstverpflichtung (Commitment)278, das Wissen um einen Entscheidungs-

274

Vgl. Sieben (2002), S. 61. Vgl. dazu den Abschnitt 4.2.4.1. Zur Modellierung von kognitiven Anstrengungen vgl. Garbarino/Edell (1997). 277 Vgl. Frey/Benning (1997), S. 148. 278 Vgl. Schuchard-Ficher (1979), S. 24-26. Zur Rolle des Commitment vgl. Weber (1978), S. 96-105. 275 276

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 83

gegenstand und die Entscheidungsfreiheit („free volition“)279 zu nennen. Insbesondere das Commitment, d. h. das Festgelegtsein auf einen Anbieter, kann bei der Kündigung eines Vertrags zu kognitiver Dissonanz und dem Wunsch zum Abbau dieser Ungleichgewichte führen, sodass ggf. mit einer Rückkehr des Kunden zu rechnen ist. Wie bereits gezeigt, entsteht Dissonanz, wenn Kognitionen, die eine emotionale Komponente in sich tragen, zueinander in dissonantem Verhältnis stehen. Dies ist eng mit dem Wissen, aus dem heraus Einstellungen geprägt werden, verbunden. Das Kundenwissen wird in marketingbezogenen Publikationen als eine Einflussgröße des Konstrukts Kundenloyalität konzipiert.280 Im Kontext der Rückgewinnung kann dies bedeuten, dass Kunden als Folge der Kenntnis der früheren Geschäftsbeziehung (Inhalte, Abläufe) und des Anbieters (Produkte/Leistungen, Image, Preis) bestimmte Meinungen gebildet haben, die eine Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung begünstigen. Die Entscheidungsfreiheit als Ursache von kognitiver Dissonanz weist Parallelen zum Konstrukt der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf und kann somit ebenfalls über die Theorie der kognitiven Dissonanz erklärt werden. Das Variety Seeking als Wunsch nach Abwechslung und als ein individuelles Wertegefüge ist eng mit der Entstehung von kognitiver Dissonanz verbunden. Personen, die ein solches Bedürfnis haben, dürften bei Auftreten von Langeweile oder Sättigung in einer Geschäftsbeziehung eher nach Dissonanzreduktion streben und einen Vertrag beenden bzw. einen neuen Vertrag aufnehmen, als jene mit einem geringen oder keinem Bedürfnis nach Variation. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Theorie der kognitiven Dissonanz sowohl zur Erklärung der Kundenabwanderung als auch der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen als Konsequenz des Dissonanzabbaus und zur Erklärung einzelner Konstrukte beitragen kann.

279 280

Vgl. Brehm/Cohen (1965). Vgl. Wirtz/Mattila (2003) und den Abschnitt 4.2.2.4.

84 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

3.2 Attributionstheorie 3.2.1 Grundsätze der Theorie Die Attributionstheorie hat ihren Ursprung in den kognitiven Theorien der Sozialpsychologie. Zentrale Beiträge der Attributionstheorie beziehen sich auf die Grundlagenforschung und die anwendungsorientierte Forschung. Während generelle Attributionsprozesse und deren Einflussgrößen zur Grundlagenforschung zählen, gehören zur anwendungsorientierten Attributionsforschung Beiträge zu Fragen der Leistungsmotivation, interpersonellen Wahrnehmung und zum Wahl- und Entscheidungsverhalten.281 Mittels der Attributionstheorie wird untersucht, in welcher Art und Weise Individuen Attributionen zu bestimmten Ereignissen bilden, d. h., welche Ursachen bestimmten Situationen zugeschrieben werden und wie sich diese Attributionen auf das Verhalten von Personen auswirken.282 Als Attribution wird „[...] jener Interpretationsprozess der Erfahrungswelt verstanden [...] durch den der Einzelne sozialen Ereignissen und Handlungen Gründe bzw. Ursachen zuschreibt.“283 Dabei umfassen diese Ereignisse, Sachverhalte und Zustände auch Merkmale, die das Erleben, Verhalten und die Ereignisse von Verhalten der eigenen Person als auch das anderer Personen betreffen.284 Allerdings kann der Begriff der Attribution nach Ansicht der Verfasserin auch auf das Ergebnis eines Schlussfolgerungsprozesses bezogen werden. Demnach können Attributionen als Prozesse und auch Ergebnisse von Prozessen, somit Einschätzungen, betrachtet werden, die Einfluss auf künftige Absichten und das Verhalten von Personen haben. Die folgende Abbildung 18 gibt einen Überblick über den Attributionsprozess von abgewanderten Kunden.

281

Vgl. Six (1997), S. 123 und S. 130. Als Vorläufer der Attributionstheorie gelten Theorien der sozialen Wahrnehmung und Personenwahrnehmung sowie Theorien sozialer Vergleichsprozesse und Emotionstheorien. Vgl. u. a. Asch (1946); Bruner/Tagiuri (1954); Kelley (1967); Schachter (1964). 282 Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 299 f.; Trommsdorff (2003), S. 285. 283 Six (1997), S. 122. 284 Vgl. Bitner (1990), S. 70.

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 85

Abwanderung Abwanderung aufgrund z. B. Leistungsversagen des Unternehmens Prozess der Attribuierung/ Ursachenzuschreibung

Attributionen als Resultat (Lokus, Stabilität, Kontrollierbarkeit)

Absichten für das eigene Verhalten

Zukünftiges Verhalten (z. B. Kauf, Wiederaufnahme)

Abbildung 18: Quelle:

Attributionsprozess von Kunden nach der Abwanderung Eigene Darstellung in Anlehnung an Weiner (2000), S. 38 f.

Attributionen haben je nach Auswirkung auf einen Beobachter unterschiedliche Bedeutungen und begründen somit die Existenz von Attributionsverzerrungen.285 Zu der Attributionstheorie zählen die Ansätze von Heider als sog. attributionale Theorien und die Arbeiten von Jones/Davis, die als eigentliche Attributionstheorie bezeichnet werden.286 Attributionale Theorien befassen sich mit den Auswirkungen von Attributionen auf Erleben, Motivation und Verhalten. Heider bspw. betrachtet in seinem Modell Personen- und Umweltvariablen als Ausgangspunkt für Absichten, Anstrengung und Können. Diese Variablen führen letztlich zu einer Handlung.287 Dabei unterstellt Heider jeder Person die Rolle eines „naiven Wissenschaftlers“, der den Dingen mit der Frage „Warum?“ auf den Grund geht. Insbesondere stellt Heider fest, dass Personen je nach Erklärungsziel situative Faktoren teils oder gänzlich ignorieren, wenn sie das eigene Verhalten oder das anderer Personen erklären wollen.288 Die Überlegungen von Heider wurden in den darauf folgenden Jahren maßgeblich in den Arbeiten von Jones/Davis und Kelley zur allgemeineren, universellen Attributionstheorie weiterentwickelt.289 Diese allgemeinere Attributionstheorie beschäftigt sich mit dem Zustandekommen von Attributionen und weist drei Dimensionen auf (Objekte, Zeitpunkte, Personen). Dabei wird die Frage untersucht, aufgrund welcher 285

Vgl. Bradley (1978). Zu den Attributionsverzerrungen vgl. u. a. Folkes (1988), S. 551-553. Vgl. Heider (1958); Jones/Davis (1965). 287 Vgl. Six (1997), S. 124. 288 Derartige Attributionsverzerrungen werden ausführlich bei Fincham/Hewstone (2003), S. 218-228 und Bierhoff (2006), S. 305-312 und S. 317-320 beschrieben. Diese Verzerrungen werden aber im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. 289 Vgl. Jones/Davis (1965); Kelley (1967). 286

86 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Bedingungen (z. B. Informationen, Prozesse und Motivationen) eine Ursache einer Wirkung zugeschrieben wird.290 Das Modell von Kelley gibt sowohl Erklärungen für das eigene Verhalten als auch für das beobachtete Handeln. Im Weiteren soll der übergreifende Begriff ‚Attributionstheorie’ verwendet werden, auch wenn diese Arbeit eher den attributionalen Theorien nach Heider zuzuordnen ist.291 Die Attributionstheorie ist durch vier Dimensionen gekennzeichnet: x Personenabhängigkeit (Lokus), x Stabilität über die Zeit, x Kontrollierbarkeit und x Globalität.292 Die Dimension Personenabhängigkeit bezieht sich auf die Zuordnung von Ursachen auf die Person oder auf die nicht beeinflussbare Umgebung. Damit kann diese Dimension in internale und externale Ursachen unterschieden werden. Interne Attributionen beziehen sich auf die eigene Person, während externe Attributionen die Zuschreibung auf andere Personen und das Umfeld (wie z. B. das Unternehmen als Anbieter) umfasst.293 Die Stabilität über die Zeit umfasst die Ausprägungen der Ursache in stabil bzw. variabel. Im Rahmen der Kontrollierbarkeit werden kontrollierbare und unkontrollierbare Ursachen der handelnden oder beurteilenden Person unterschieden, die wiederum eng mit der Personenabhängigkeit verbunden sind. Die Dimension Globalität wiederum umfasst die Anzahl von Ursachen, die zu einer Situation führen. Dabei gibt es globale (eine Ursache wirkt auf mehrere Situationen, z. B. kann mangelnde Begabung eines Individuum mehrere Wirkungen entfalten) und spezifische Ursachen, die sich nur auf eine Situation auswirken.294 Verallgemeinernd kann festgehalten werden, dass die Zuschreibung von Ursachen zu einer Situation oder Verhaltensweise immer ein subjektives Vorgehen und Interpretieren von Individuen darstellt. In der Zuschreibung von Ursachen zu Ereignissen und Sachverhalten ist jedoch häufig nicht die eigentliche Ursache von Relevanz, sondern die jeweilige Einordnung und Wahrnehmung der Ursache bzgl. der vier skizzierten Dimensionen. Die Attributionstheorie wird insbesondere in der Sozialpsychologie eingesetzt. Beispielsweise hat Weiner die Attributionstheorie auf Aspekte der Motivation und Emo290

Für eine Abgrenzung der beiden Forschungsströmungen vgl. Bierhoff (2006), S. 300 f. In der wissenschaftlichen Literatur hat sich ebenfalls der Begriff ‘Attributionstheorie’ für die beiden Forschungsströmungen durchgesetzt. Die Verfasserin folgt dieser Vorgehensweise. 292 Vgl. u. a. Weiner (2000). 293 Vgl. Folkes (1988), S. 556 f. 294 Vgl. Abramson/Seligman/Teasdale (1978). 291

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 87

tionen angewandt und untersucht.295 Der Autor hat dabei festgestellt, dass die Art und Weise, wie Individuen Ursachen zuschreiben, Einfluss auf die Gefühle und das zukünftige Verhalten haben. Bullock hat dagegen untersucht, in welcher Entwicklungsstufe Kinder erste Attributionen ausbilden, während Hewstone/Klink Attributionsprozesse zwischen Gruppen von Personen untersuchen.296 3.2.2 Empirische Anwendungen der Attributionstheorie im Marketing Auch im Marketing gibt es einige Untersuchungen, die sich mit ausgewählten Aspekten der Attributionstheorie beschäftigen. Eine der ersten Arbeiten stammt von Folkes. Diese Autorin hat die Attributionstheorie zur Erklärung von u. a. Wiederkaufabsichten im Marketing angewandt.297 Weitere Studien in der Marketingforschung befassen sich mit Fragen der Produktakzeptanz,298 den Wirkungen von Attributionen auf die Kundenzufriedenheit,299 des Bedürfnisses von Kunden, positive und negative Produkterfahrungen auszutauschen,300 der Markenbewertung301 und Glaubwürdigkeit von Verkaufsförderungsaktionen.302 Einen umfangreichen Überblick über die Attributionstheorie in der Konsumentenforschung gibt Folkes.303 Weiner untersucht in seinem Beitrag den Effekt von zwei Attributionsdimensionen (Stabilität über die Zeit und Kontrollierbarkeit) auf die Wahrscheinlichkeit des Wiederkaufs.304 In einem konzeptionellen Beitrag werden Ansätze für die Übertragung der Attributionstheorie in das Kundenmanagement im Handel aufgezeigt.305 Die Tabelle 12 gibt einen chronologischen Überblick über ausgewählte Marketingbeiträge der Attributionstheorie. Insbesondere innerhalb der Service Recovery-Forschung sind mehrere Untersuchungen zu Attributionsprozessen von Kunden und unterschiedlichen Auswirkungen dieser Prozesse durchgeführt worden.

295

Vgl. Weiner (1985); Weiner (1986). Vgl. Bullock (1994); Hewstone/Klink (1994). Vgl. Folkes (1984); Folkes (1988); Folkes/Koletsky/Graham (1987); Folkes/Kotsos (1986). 298 Vgl. Settle (1972). 299 Vgl. Matzler (1997), S. 52-55. 300 Vgl. Curren/Folkes (1987). Dabei haben insbesondere Situationen, die den Unternehmen als kontrollierbar und stabil zugeschrieben wurden, eine höhere Bereitschaft des Kunden zur Kommunikation ausgelöst. 301 Vgl. Laczniak/DeCarlo/Ramaswami (2001); Mizerski (1982). 302 Vgl. Golden (1977); Smith/Hunt (1978). 303 Vgl. Folkes (1988). 304 Vgl. Weiner (2000). 305 Vgl. Pick/Krafft (2007), S. 352-356. 296 297

88 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Autoren (Jahr)

Befunde der empirischen Untersuchungen

Dimension

Folkes/ Kolets- Je stabiler und kontrollierbarer eine Ursache ist, desto geringer K, S ky/Graham (1987) ist die Bereitschaft, den Anbieter erneut zu nutzen. Swanson/Kelley (2001)

Untersuchung der Wirkung des Beschwerdemanagementpro- L, S zesses auf Kundenwahrnehmungen von Servicequalität, Zufriedenheit und Verhaltensabsichten (Wiederkaufabsicht und WOM). Service Recoveries, die wenig komplex sind und weniger Zeit des Kunden bedürfen, werden von den Autoren empfohlen.

Hess Jr./Ganesan/Klein (2003)

Kunden, die eine lange Geschäftsbeziehung erwarten, haben K, S geringere Erwartungen an Service Recovery-Maßnahmen und nehmen ein Unternehmensversagen als weniger stabil wahr.

Mattila/Patterson (2004)

Erklärungen von Unternehmen im Rahmen von Service Reco- L, K very üben einen positiven Einfluss auf die Prozesse der Ursachenzuschreibung der Kunden aus.

Tsiros/Mittal/Ross (2004)

Stabilitätsattributionen wirken negativ moderierend auf die Be- S ziehung zwischen Verantwortlichkeit (Unternehmen) und Kundenzufriedenheit.

Wirtz/Mattila (2004)

Die Kompensationen in der Service Recovery wirken positiv auf L, S die Wahrnehmung einer Kontrollierbarkeit durch das Unternehmen. Stabilitätsattributionen wiederum wirken auf die Kundenzufriedenheit mit der Service Recovery.

Kim (2006)

Untersuchung des Zusammenhangs von Attributionen von Ver- L tragsstrafen mit der Wiederkaufabsicht, Unzufriedenheit und negativem WOM. Kunden, welche die Ursache in sich (intern) sehen, sind weniger unzufrieden und eher bereit, erneut beim Unternehmen zu kaufen bzw. nicht abzuwandern als Kunden, die die Ursache extern (dem Unternehmen) zuschreiben.

Legende: K = Kontrollierbarkeit, L = Lokus, S = Stabilität Tabelle 12: Quelle:

Ausgewählte Beiträge zur Attributionstheorie Eigene Darstellung.

3.2.3 Relevanz für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen Im Kontext der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen kann die Attributionstheorie insofern einen Beitrag leisten, dass die Tendenz zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung voraussichtlich von der Zuschreibung der Abwanderungsursachen abhängt. Anhand der oben dargelegten vier Kausaldimensionen soll daher die Eignung der Attributionstheorie für die Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen durch Kunden diskutiert werden.

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 89

Die folgenden Ausführungen beruhen dabei auf Plausibilitätsüberlegungen der Verfasserin der vorliegenden Arbeit. 1)

2)

3)

Lokus (Personenabhängigkeit): Der Kunde schreibt die Ursache seiner Abwanderungsentscheidung und die Beziehungsbeendigung dem Verhalten von Mitarbeitern zu (externe Verursachung im Sinne der Attributionstheorie). Intern ließe sich der Abwanderungsgrund auf die Unzufriedenheit des Kunden mit den Leistungen des Unternehmens beziehen. Allerdings kann hier auch eine Wirkung der Unternehmensleistungen auf die Unzufriedenheit des Kunden vorliegen, sodass tendenziell eher externe Ursachen der Abwanderung zuzuschreiben sind. Stabilität über die Zeit: Der Kunde hat ggf. bezogen auf die Stabilität seines Abwanderungsgrunds spezifische Ansichten. So kann er erwarten, dass die Ursache seiner Entscheidung dauerhaft stabil, d. h. weiterhin existent ist (dies würde bei einem Wegfall des Bedarfs der Leistung gegeben sein). In diesem Fall ist kaum mit einer Rückgewinnung zu rechnen, wenn die Ursache der Abwanderungsentscheidung für den Kunden zudem von Bedeutung ist. Dagegen können Ursachen auch variabel über die Zeit sein, d. h. in Zukunft unwichtiger werden. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Umsetzung und Vermittlung von Rückgewinnungsmaßnahmen, sodass die Ursache der Kundenentscheidung beseitigt bzw. mindestens gemildert wird. Die Glaubwürdigkeit der Unternehmensmaßnahmen spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kontrollierbarkeit: Hinsichtlich der Dimension Kontrollierbarkeit wird geprüft, inwieweit der handelnden Person bzw. einer Institution von Personen, d. h. dem Unternehmen, ein Einfluss auf die Ursache zugesprochen wird. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Kunde dem Unternehmen die Kontrollierbarkeit der Ursache zuschreibt, also bspw. meint, dass das Unternehmen auf bestimmte Sachverhalte wie z. B. unfreundliche Mitarbeiter einwirken kann. Es ist dabei davon auszugehen, dass der Kunde die Gegebenheiten einer Geschäftsbeziehung negativ einschätzt, wenn das Unternehmen Kontrolle über die jeweilige Geschäftsbeziehung bzw. Situation hatte oder hätte haben können. In diesem Fall ist tendenziell nicht mit einer Rückkehr des Kunden zu rechnen. Von nicht zu unterschätzender Relevanz ist aber auch die Fragestellung, inwieweit der Kunde nach einer Abwanderung und vor einer möglichen Wiederaufnahme den Eindruck hat, die Geschäftsbeziehung in Zukunft eigenbestimmt gestalten zu können und somit Kontrolle über seine Abwanderungs- und Wiederaufnahmeentscheidungen hat.

90 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4)

Globalität: Die Globalität umfasst die Kategorien der spezifischen und globalen Ursachen von Situationen. Im Rahmen der Kundenabwanderung und -rückgewinnung kann dies bedeuten, dass z. B. unfreundliches Verhalten des Personals auf eine Abwanderungsentscheidung und negative Mund-zu-MundKommunikation wirken kann. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Dimension in der Kundenrückgewinnung nur eine geringe Bedeutung hat. Eher tritt in der Unternehmenspraxis der umgekehrte Fall ein, dass mehrere Ursachen letztlich eine einzige Wirkung haben, d. h. die Kündigung eines Vertrages auf mehrere Gründe zurückzuführen ist.306

Aus drei der vier Dimensionen können Ansätze einer Wiederaufnahmebereitschaft früherer Geschäftsbeziehungen abgeleitet werden. So ist zu erwarten, dass ein Unternehmen, das auf die Personenabhängigkeit der Vertragskündigung abstellt, die Kunden über Maßnahmen im Bereich von Entschuldigung (Dialog) zurückgewinnen kann. Zentrale Studien von Folkes, Curren/Folkes und Weiner betonen den Einfluss von Stabilitätsattributionen, die auf die Bildung von Kundenerwartungen einwirken und dadurch die Einschätzung zukünftiger Ergebnisse bestimmen.307 Dabei prägen v. a. stabile Attributionen den Bewertungsprozess. Bei von Unternehmen verursachten Fehlern, die häufig in gleicher bzw. ähnlicher Weise auftreten, gehen Kunden tendenziell von einem stabilen Zustand und zukünftig ähnlichen Fehlern aus. Es ist zu erwarten, dass in solchen Fällen die Kunden eine niedrige Wiederaufnahmeabsicht aufweisen. In Abhängigkeit davon, wen der ehemalige Kunde als Verursacher seiner Abwanderung sieht, sind ggf. unterschiedliche, jeweils geeignete Maßnahmen zu initiieren, um den Kunden erfolgreich zu einer Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung zu motivieren. Schwierig dürfte sich die Abgrenzung von unternehmens- und wettbewerbsinduzierten Abwanderungsgründen darstellen, da ein überlegeneres Wettbewerbsangebot dem Wettbewerb als Stärke attribuiert werden kann. Dagegen kann der Mangel an überzeugenden Unternehmensleistungen dem früheren Unternehmen als eine fehlende Orientierung an den Kundenbedürfnissen angerechnet werden. In der Marketingforschung wurden drei der vier oben aufgeführten Dimensionen operationalisiert308 und auf ihre Wirkung u. a. auf Wiederkaufabsichten von Kunden untersucht. Die in der Literatur auf die drei Dimensionen bezogenen Messansätze genügen zum einen nicht den Anforderungen an valide Konstrukte. Zum anderen wurden 306

Vgl. Michalski (2004), S. 977; Roos (1999) S. 74. Vgl. Folkes (1984); Folkes (1988); Curren/Folkes (1987); Weiner (2000). 308 Die Dimension der Globalität wurde in der empirischen Literatur bisher nicht berücksichtigt und wird auch in der vorliegenden Arbeit nicht weiter betrachtet. 307

Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 91

die Dimensionen Lokus, Stabilität und Kontrollierbarkeit noch nicht in dem Kontext der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen geprüft. Vielmehr bezieht sich die Messung der Attributionsdimensionen auf die Beurteilung von Produkten anhand ausgewählter Merkmale.309 Dies ist jedoch eher der Einschätzung von Qualitätsdimensionen von Produkten und Leistungen zuzuordnen. Tsiros/Mittal/Ross haben bspw. die Dimensionen Lokus und Kontrollierbarkeit zur Dimension Verantwortlichkeit zusammengefasst.310 Zu kritisieren ist an diesem Ansatz, dass die Frage der Verantwortlichkeit nur über einen Indikator gemessen wird und der semantischen Bedeutung nach jedoch mehr Facetten enthalten dürfte, die über mehrere Indikatoren hätten erhoben werden müssen. Zusammenfassend lässt sich aus der beschriebenen Literatur ableiten, dass die Attributionstheorie einen potenziellen Beitrag zur Verwendung der Konstrukte Stabilität, Lokus und Kontrollierbarkeit für eine Bewertung der Abwanderungsgründe zu leisten vermag. Auch die empirischen Beiträge deuten darauf hin, dass die genannten Dimensionen empirische Phänomene potenziell erklären helfen. Die Attributionstheorie berücksichtigt implizit die Informationssuche und -verarbeitung als einen Ausgangspunkt für die Bildung von Attributionen. Zum einen entsteht aus derartigen kognitiven Prozessen Wissen über relevante Objekte und Subjekte der Person, zum anderen unterstützen dieses Wissen und die damit verbundenen Wissensstrukturen aber auch die Bildung von Attributionen.311 Auch im Rahmen von Aspekten der Kundenabwanderung und Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen können derartige Evaluierungsprozesse und Meinungen hinsichtlich des früheren Anbieters, seiner Leistungen und Mitarbeiter vermutet werden. Kunden, die mehr über einen früheren Anbieter wissen, dürften weniger Attributionsverzerrungen als andere Kunden aufweisen und damit Situationen realistischer einschätzen können. Eine Rückkehr zum früheren Anbieter dürfte von diesen Kunden als einfacher wahrgenommen werden. Die Attributionstheorie liefert somit einen potenziellen Erklärungsbeitrag für das Entstehen bzw. die Verwendung von Kundenwissen in Bezug auf eine mögliche Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung. Es lässt sich attestieren, dass die Wahrnehmung von Kosten und Nutzen einer Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen letztlich vom Attributionsprozess des Kunden abhängig ist. Bei Abwanderungsgründen, die nach Ansicht des Kunden dem Unternehmen zuzuschreiben sind, kann der Kunde hohe Kosten (z. B. Wiederaufnahmekosten) wahrnehmen. Zu den Wiederaufnahmekosten können tatsächliche Barrieren wie eine hohe Anzahl auszufül309

Vgl. Laczniak/DeCarlo/Ramaswami (2001). Vgl. Tsiros/Mittal/Ross (2004). 311 Vgl. Cohen/Basu (1987), S. 456. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass tendenziell jede Informationsaufnahme und -verarbeitung Verzerrungsprozessen des Individuums unterliegen kann. 310

92 Theoretische Ansätze der Sozialwissenschaft zur Erklärung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

lender Dokumente für einen Vertragsabschluss aber auch subjektive Kosten der Überwindung der eigenen Abwanderungsentscheidung zählen. Die Wiederaufnahmebereitschaft des Kunden dürfte bei der Wahrnehmung von hohen Wiederaufnahmekosten eher gering und das Wiederaufnahmeverhalten entsprechend unwahrscheinlich sein. In der folgenden Abbildung 19 werden die jeweils zentralen Konstrukte der beiden Theorien im Überblick wiedergegeben. Konstrukte zu den verhaltenswissenschaftlichen Theorien Dissonanztheorie • Kundenzufriedenheit • Commitment • Wahrgenommene Verhaltenskontrolle • Kundenwissen • Wiederaufnahmekosten • Attraktivität der Alternativen • Variety Seeking • Wechselerfahrungen • Generelle Wiederaufnahmebereitschaft • Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

Attributionstheorie • Kundenwissen • Stabilität • Lokus • Kontrollierbarkeit • Wiederaufnahmekosten

Abbildung 19: Theoretische Ansätze und deren zentrale Konstrukte zur Erklärung der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen Quelle: Eigene Darstellung.

In Kapitel 4 werden auf Basis der hier diskutierten beiden Theorien die Einstellungen abgewanderter Kunden, der Abwanderungsattributionen und die Wettbewerbsfaktoren, die im Rahmen der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen auftreten können, hinsichtlich ihrer Konzeptualisierung und Operationalisierung vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt zum Ende des Kapitels 4 die Darstellung des Forschungsmodells mit den zugrunde liegenden Hypothesen. In Kapitel 6 wiederum erfolgt die Validierung der Konstrukte.

4 Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen 4.1 Konzeptualisierung und Operationalisierung von Konstrukten Zahlreiche Phänomene im Marketing wie z. B. Kundenabsichten lassen sich nicht direkt beobachten. Um diese Aspekte dennoch einer Quantifizierung unterziehen zu können, werden die zu untersuchenden Phänomene in zwei Teilschritten erfasst. Der erste Schritt umfasst die Konzeptualisierung dieser Aspekte, d. h. eine Konkretisierung des Forschungsgegenstands auf theoretischer Ebene. Anhand semantischer und inhaltlicher Überlegungen bildet der Forscher dabei ein Verständnis über den Untersuchungsgegenstand heraus und stellt mögliche Ausprägungen des Phänomens zusammen. Zielsetzung ist dabei, den unbeobachtbaren Untersuchungsgegenstand so umfangreich wie möglich zu umschreiben. In diesem Zusammenhang wird in der einschlägigen Literatur auch von der Ausarbeitung von Konstruktdimensionen gesprochen.312 Unter einem Konstrukt wird dabei eine abstrakte, „echte“ Einheit eines nichtbeobachtbaren Phänomens verstanden.313 Konstrukte sind dabei nicht beobachtbare Phänomene, die zahlreiche Facetten aufweisen und sich einer direkten Messung entziehen.314 Derartige Konstrukte werden ferner als latente Variablen oder Faktoren bezeichnet, beruhen auf theoretischen Überlegungen und können erst mithilfe spezifischer Skalen bzw. Messvorschriften ermittelt werden.315 In dieser Arbeit wird für den Begriff ‚Konstrukt’ auch der Terminus ‚Faktor’ synonym verwendet. Es bedarf somit eines Hilfsmittels, um Charakteristika messen zu können und auf diese Weise für den Forscher greifbar zu machen. Die Entwicklung bzw. der Einsatz einer solchen Messvorschrift für latente Konstrukte wird als Operationalisierung bezeichnet.316 Dabei hat die Operationalisierung als zweiter Schritt der Quantifizierung latenter Phänomene zur Aufgabe, die theoretische, inhaltliche Sprache des entwickelten Konzepts in empirische Befunde zu übertragen.317 Innerhalb der Konstruktmessung werden den Messobjekten Zahlen zugeordnet, sodass aus der qualitativen Konzeptualisierung quantitativ auswertbare Daten entstehen. Im Rahmen der Konzeptualisierung

312

Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 5. Vgl. Bagozzi/Fornell (1982), S. 24. 314 Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 465. 315 Vgl. Hildebrandt (1984), S. 41; Steenkamp/Baumgartner (2000), S. 196. 316 Vgl. Berekoven/Eckert/Ellenrieder (2001), S. 192 f. 317 Vgl. Chmielewicz (1979), S. 66. 313

94

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

und Operationalisierung muss vom Forscher festgelegt werden, ob das jeweilige Phänomen über einen reflektiven oder formativen Zusammenhang gemessen werden soll. In Abhängigkeit dieser Entscheidung werden für die Konstrukte unterschiedliche Größen zur Gütebeurteilung herangezogen.318 4.2 Bezugsrahmen der Untersuchung In diesem Abschnitt wird der Bezugsrahmen der Untersuchung mit den entsprechenden Bestimmungsfaktoren der Wiederaufnahmebereitschaft und des Wiederaufnahmeverhaltens vorgestellt. Dabei wird in Abschnitt 4.2.1 die abhängige Größe der Wiederaufnahmebereitschaft mit ihrer theoretisch-konzeptionellen und empirischen Fundierung vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt die Beschreibung x der Dimensionen der Kundenmotivation (d. h. Kundenzufriedenheit, Commitment, Kundenwissen und wahrgenommene Verhaltenskontrolle), x der Dimensionen der Abwanderungsattribution (d. h. Stabilität, Lokus, Kontrollierbarkeit) und x der Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens (d. h. wahrgenommene Wiederaufnahmekosten, Attraktivität der Alternativen, Variety Seeking und Wechselerfahrungen). Diese drei Dimensionen wurden ausgewählt, um die zentralen Einflussgrößen der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen verdichtet darzustellen. Dabei ist von der Relevanz der Kundenmotivation, der Beziehung des Kunden zur Abwanderungsentscheidung und den Einflüssen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens auszugehen. Wie in Abschnitt 2.1.2.2.5 aufgezeigt wurde, begünstigen bzw. behindern verschiedene Konstrukte wie z. B. die Zufriedenheit mit der Geschäftsbeziehung (Kundenmotivation) und die Attraktivität der Alternativen (Wettbewerbsdimension) die Abwanderungsentscheidung von Kunden. Ausgangspunkt der Konzeptualisierung des Forschungsmodells war daher die Überlegung, inwieweit diese Faktoren, die im Rahmen der Abwanderung wirken, auch im Falle des Wiederaufnahmeprozesses eine wichtige Funktion einnehmen und daher die Wiederaufnahme begünstigen bzw. behindern. Neben den Konstrukten fließen weitere, z. T. direkt messbare Beziehungsvariablen (z. B. soziodemografische Faktoren) und Beziehungsdimensionen (z. B. die Abwesenheitsdauer) in die Untersuchung mit ein. Die Ab-

318

Zu den Formen der Konstruktmessung vgl. ausführlich den Abschnitt 5.1.2.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

95

bildung 20 gibt die vielfältigen Dimensionen des Forschungsmodells grafisch wieder. Kundenmotivation „Einstellungen der Gegenwart“

Wiederaufnahme Abwanderungsattribution „Einschätzungen der Vergangenheit“

Soziodemografische Faktoren

Wettbewerb und Exploration „Einflüsse auf die Kunden“

Beziehungsfaktoren

Abbildung 20: Quelle:

Bestimmungsgrößen der Wiederaufnahme Eigene Darstellung.

Im Rahmen der weiteren Vorstellung der einzelnen Konstrukte und ihrer Relevanz für das Untersuchungsmodell wird wie folgt vorgegangen: Nach der theoretischen Fundierung und der Operationalisierung bzw. Messung werden die Determinanten bzw. Konsequenzen eines jeden Konstrukts vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgen die Konstruktdefinition und die Darstellung der Hypothesen. Die jeweiligen Abschnitte schließen mit den verwendeten Skalen.

96

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.1 Wiederaufnahmebereitschaft abgewanderter Kunden 4.2.1.1 Wiederkaufbereitschaft als konzeptioneller Rahmen Wie bereits beschrieben, wurde das Konstrukt der Wiederaufnahmebereitschaft (WAB) bisher in der wissenschaftlichen Literatur nur am Rande behandelt.319 Für ein tieferes Verständnis des Konstrukts und der möglichen Wirkungen der Wiederaufnahmebereitschaft ist es daher erforderlich, den Blick auf ein eng verwandtes Konstrukt, die Wiederkaufabsicht (WKA), zu richten. In der Literatur ist die Wiederkaufabsicht eng mit dem Begriff der Kundenbindung verknüpft.320 Die Wiederkaufabsicht ist ein in der Marketingliteratur vielfach untersuchtes Konstrukt zur Operationalisierung von Kundenintentionen und wird als Bestandteil einer übergeordneten Dimension, der Kundenbindung, betrachtet. Aufgrund unterschiedlicher Interpretationsvarianten der Kundenbindung und der Vielzahl an Studien sollen nur zwei zentrale Klassifizierungsansätze von Diller und Eggert im Weiteren vorgestellt werden. Eine umfassende Gruppierung bietet Diller, der das Phänomen der Kundenbindung in drei Perspektiven einordnet.321 Demnach lässt sich Kundenbindung hinsichtlich einer x Anbietersicht, x Kundensicht und x Beziehungssicht unterscheiden. In der Literatur dominieren Beiträge zur Anbietersicht, welche die Kundenbindung als Maßnahmenbündel der Unternehmen zur Bindung von Kunden definiert322, sodass die Kundenbindung letztlich als Mittel zur Erreichung ökonomischer Ziele dient. Unter Kundenbindung aus Kundensicht werden hingegen ganz allgemein Einstellungen, die Bereitschaft zu Folgekäufen sowie das Kontakt- und Kaufverhalten von Kunden ggü. dem Anbieter verstanden. Innerhalb der Kundensicht differenziert Diller nach einer Kundenbindung i. w. S. als Einstellung des Kunden zur Geschäftsbeziehung mit einem Anbieter und einer Kundenbindung i. e. S. als Kunden-

319

Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt 2.2.2. Die Kundenbindung wird u. a. über die Mikroökonomische Theorie von Hirschman (1975), die Transaktionskostenanalyse und die sozialpsychologischen Interaktionsansätze erklärt. Vgl. u. a. Krafft (2007), S. 30-32; Peter (1999), S. 82-103 und Scharff (2005), S. 59-97. 321 Vgl. Diller (2000), S. 30 f. 322 Vgl. Diller (1996), S. 82. Für diese Anbietersicht wurde auch der Begriff ‚Customer Bonding’ als ein Prozess der Kundenbeeinflussung durch Unternehmen geprägt. Vgl. Diller (2000), S. 30 f. 320

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

97

bereitschaft zu Folgekäufen.323 Aus Beziehungssicht umfasst Kundenbindung das tatsächliche Einkaufsverhalten (z. B. die Kaufhäufigkeit), das Interaktionsgeschehen zwischen Kunde und Unternehmen und die Geschäftsatmosphäre.324 Die Beziehungssicht schließt im Rahmen der Geschäftsatmosphäre auch die Zustände der Geschäftsbeziehung, wie z. B. die Kundenzufriedenheit ein. Die Kundenbindung aus Kundensicht (Bereitschaften) und Beziehungssicht (u. a. Zufriedenheit, Vertrauen, Commitment) sind in der empirischen Forschung eng miteinander verbunden, da diese Konstrukte in kausalen Zusammenhängen stehen, d. h. von Faktoren wie der Kundenzufriedenheit eine Wirkung auf die Kundenbereitschaften ausgeht.325 In der Abbildung 21 ist der Klassifikationsansatz von Diller weiter aufgefächert und die Kundenbindung aus der Kundensicht mit der Berücksichtigung des aktuellen Verhaltens und zukünftiger Absichten von Kunden verdeutlicht. Die dort wiedergegebene Wiederkaufabsicht lässt sich Homburg/Fassnacht zufolge somit als Kundenbindung i. e. S. verstehen (grau markierter Bereich). Kundenbindung i.w.S.

Kundenbindung als tatsächliches Verhalten

Wiederkaufverhalten

Abbildung 21: Quelle:

Weiterempfehlung

Kundenbindung als Verhaltensabsicht

Wiederkaufabsicht

CrossBuyingAbsicht

Weiterempfehlungsabsicht

Konzeptualisierung der Kundenbindung aus Kundensicht Eigene Darstellung in Anlehnung an Homburg/Faßnacht (2001), S. 451.

In einer alternativen Klassifizierung werden ausgewählte Aspekte der obigen Abbildung 21 aufgenommen. Dabei wird das Phänomen der Kundenbindung explizit hinsichtlich der Gebundenheit und Verbundenheit differenziert.326 Unter Gebundenheit wird dabei die vertragliche und kognitive Bindung des Kunden zum Unternehmen verstanden, die mit Zeitaufwand, Investitionen, Einschränkungen und Wechselkosten des 323

Vgl. Diller (1996), S. 83. Vgl. Diller (1996), S. 83. 325 Vgl. u. a. Garbarino/Johnson (1999); Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996). 326 Vgl. Bliemel/Eggert (1998), S. 39 f.; Eggert (2000), S. 126; Meffert (2000), S. 128. 324

98

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Kunden verbunden ist, während die Verbundenheit affektive und normative Bindungsmotive des Kunden umfasst. Diese Differenzierung in Gebundenheit und Verbundenheit ist zweckmäßig, da auf dieser Basis der Status von Geschäftsbeziehungen mit Kunden beurteilt werden kann und dem Unternehmen somit eine zielgerichtete Betreuung des Kunden ermöglicht. Im Rahmen der Gebundenheit stellt die Wiederkaufabsicht die unfreiwillige Bereitschaft des Kunden dar, erneut bei dem aktuellen Anbieter zu kaufen. Gebundenheit repräsentiert damit – aus Kundenperspektive – einen negativen Bindungszustand. Vertragliche, technisch-funktionale und ökonomische Unternehmensmaßnahmen führen in erster Linie zu einer Gebundenheit von Kunden.327 Im Fall der vorliegenden Arbeit ist eine Gebundenheit des Kunden gegeben, wenn der Kunde gekündigt hat aber noch bis zum Ende der Vertragslaufzeit seine Vertragspflichten erfüllen muss (z. B. Abnahme und Bezahlung von Romanheften). Die Verbundenheit hingegen ist als freiwillige Bereitschaft des Kunden zu kaufen bzw. Verträge einzugehen charakterisiert und beeinflusst die Verhaltensabsichten sowie das Verhalten von Kunden positiv.328 Diese Interpretation geht einher mit der Auffassung von Bendapudi/Berry, die in eine zwangsbasierte (d. h. Gebundenheit) und wunschbasierte (d. h. Verbundenheit) Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen unterscheiden.329 Die Wiederkaufabsicht von Kunden kann sowohl aus der Gebundenheit als auch der Verbundenheit resultieren. Innerhalb vertraglicher Beziehungen liegt in jedem Fall eine Wiederkaufabsicht aus Gebundenheit vor. Ungeachtet der vertraglichen Vereinbarungen zur Abnahme bestimmter Produkte bzw. der Zahlung eines monetären Fixums (z. B. Bankdienstleistungen) innerhalb eines definierten Zeitraums kann sich der Kunde aber auch durch Verbundenheit und damit eine freiwillige Wiederkaufabsicht auszeichnen. Wie oben gezeigt wurde, stellt die WKA ein zentrales Element der Verhaltensabsichten von Individuen dar. Während in der deutschsprachigen Forschung der Begriff als grundsätzliche Absicht, die Produkte eines Unternehmens zukünftig wiederzukaufen bzw. die Geschäftsbeziehung weiterhin aufrecht zu erhalten verwendet wird,330 liegen in der englischsprachigen Forschung verschiedene Termini wie z. B. ‚repatronage intentions’, ‚repatronage decisions’, ‚repurchase intentions’ und ‚loyalty intentions’ zur Beschreibung von Wiederkaufabsichten bzw. -verhalten vor.331 Zur 327

Zur vertraglichen Bindung vgl. Meyer/Oevermann (1995), Sp. 1341. Vgl. Eggert (2000), S. 124-126. Zu inneren Bindungszuständen bei Kunden und ihrer empirischen Schätzung vgl. ausführlich Eggert (1999), S. 28-29 und S. 143-155. 329 Vgl. Bendapudi/Berry (1997), S. 19. 330 Vgl. Homburg/Bruhn (2003), S. 9; Homburg/Fassnacht (2001), S. 451. 331 Vgl. u. a. Grace/O`Cass (2005); Johnson/Herrmann/Huber (2006); Jones/Mothersbaugh/Beatty 328

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

99

begrifflichen Vielfalt kommt hinzu, dass einige Autoren das Konstrukt z. T. mit dem Kundenverhalten vermischen und häufig erst durch eine Prüfung der verwendeten Indikatoren zu klären ist, welche Betrachtungsweise des Wiederkaufs (Absichten oder Verhalten) die Autoren jeweils verfolgen. In dieser Arbeit soll der Definition von Howard gefolgt werden, nach der Kaufabsichten als „[...] a mental state that reflects the buyer´s plan to buy some specific number of units of a particular brand in some specified time period”332 verstanden werden. Die Wiederkaufabsicht umfasst danach den Wunsch, erneut ein Produkt bzw. eine Dienstleistung des Anbieters zu kaufen und stellt einen wichtigen Bestandteil des tatsächlichen Kaufverhaltens dar. Die Tabelle 13 weist zentrale Studien, in denen die Einflussgrößen der Wiederkaufabsicht untersucht wurden, aus. Determinanten

Autoren (Jahr)

Attraktivität der Wettbewerbsangebote

Bejou/Palmer (1998); Bendapudi/Berry (1997); Colgate/Lang (2001); Giloth (2003); Peter (1999)

Commitment

Bakay/Schwaiger (2006); Bettencourt (1997); Garbarino/Johnson (1999); Giloth (2003); Rosenbaum/Massiah/Jackson (2006)

(Kunden-)Zufriedenheit

Garbarino/Johnson (1999); Gerpott/Rams (2000); Hammerschmidt/Hellinger (1998); Nacif (2003); Peter (1999)

Kundenwissen

Bell/Auh/Smalley (2005); Wirtz/Mattila (2003)

Variety Seeking

Chintagunta (1999); Giloth (2002); Homburg/Giering (2001); Peter (1999); Sheth/Parvatiyar (1995)

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Braunstein (2004); Braunstein/Huber/Herrmann (2005)

Wechselbarrieren bzw. Wechselkosten

Giloth (2003); Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002); Peter (1999)

Tabelle 13: Quelle:

Einflussgrößen der Wiederkaufabsicht Eigene Darstellung.

Die Wirkungen der Wiederkaufabsicht bzw. Kundenbindung lassen sich im Wesentlichen in ökonomische und nicht-ökonomische Effekte für das Unternehmen unterscheiden. Ungeachtet der mehrfach zitierten Bedeutung der Kundenbindung liegen kaum Studien vor, in denen die Wirkungen der Wiederkaufabsicht empirisch untersucht wurden. Vorrangig berichten Fallstudien anekdotenhaft über die Effekte der Kundenbindung auf den Erfolg von Unternehmen.333 Höhere Umsätze und eine höhere Rentabilität berichten Kalwani/Narayandas, dagegen haben Rust/Zahorik den Einfluss

(2000); Nacif (2003); Patterson/Spreng (1997). Howard (1994), S. 41. 333 Vgl. u. a. Diller (2000), S. 31-33; Reichheld/Sasser Jr. (1990); Reichheld (1993); Reichheld (1996). Eine Übersicht der ökonomischen Effekte findet sich bei Giloth (2003), S. 6-15. 332

100

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

der Kundenbindung auf den Marktanteil untersucht, während in weiteren Beiträgen Weiterempfehlungen bzw. Weiterempfehlungsabsichten der Kunden als Effekte betrachtet wurden.334 Gebundene Kunden gewährleisten dem Unternehmen zudem eine höhere (Planungs-)Sicherheit für das operative Geschäft. Diese Sicherheit ergibt sich u. a. aus habituellen, regelmäßigen Kaufentscheidungen, einer gewissen Immunität ggü. Wettbewerbsaktivitäten und einer höheren Fehlertoleranz.335 Unternehmen in einigen Branchen arbeiten mit dieser höheren Planungssicherheit, indem sie Verträge mit ihren Kunden eingehen oder Vorabzahlungen zur Liquiditätsbeschaffung vereinbaren, z. B. bei Prepaid-Telefonkarten. Für Unternehmen liegen die Gründe für vertragliche Geschäftsbeziehungen daher v. a. in der Übertragung von Unternehmensrisiken auf Kunden, der Erzielung fixer Erlöse, einer optimierten Produktionsplanung und den aus Unternehmenssicht weiter verwendbaren Informationen über Kunden (Umsätze, soziodemografische Daten).336 Ungeachtet der zahlreichen Produkt- und Dienstleistungsarten, die in vertraglichen Beziehungen verkauft werden, liegt der Fokus der vorhandenen Literatur dieser Untersuchungen auf nicht-vertraglichen Beziehungen. Das Konstrukt der Wiederkaufabsicht bezieht sich in diesen Studien folgerichtig auf den Erwerb kurz- und langfristiger Konsumgüter ohne jegliche Vertragsbindung. Zwar kann auch der Erwerb langfristiger Konsumgüter hinsichtlich seiner dauerhaften Konsequenzen auf Kundenabsichten und -verhalten als eine Form der Bindung betrachtet werden, jedoch stellt sich eine solche nicht-vertragliche Geschäftsbeziehung de facto als unverbindlich dar. Bei vertraglichen Beziehungen hingegen ist eine Vertragslaufzeit definiert, aus der heraus der Kunde realiter an das Unternehmen gebunden ist und nur durch größere Anstrengungen die Beziehung bspw. in Form einer Kündigung bzw. Vertragsaufhebung beenden kann. Eine wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Wiederkaufabsicht und Wiederaufnahmebereitschaft ist daher längst überfällig. Im Kontext der vorliegenden Arbeit interessiert anstelle der Wiederkaufabsicht (im Rahmen nicht-vertraglicher Beziehungen) das Konstrukt der Wiederaufnahmebereitschaft (mit dem Bezug auf vertragliche Geschäftsbeziehungen), das ausgehend von der Definition im Abschnitt 2.2.2 im Folgenden spezifiziert wird.

334

Vgl. Kalwani/Narayandas (1995); Krüger (1997); Rust/Zahorik (1993). Vgl. Diller (1995). 336 Vgl. Giloth (2003), S. 21 f. 335

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

101

4.2.1.2 Inhaltliche Dimension und Hypothesenbildung Die Wiederaufnahmebereitschaft wurde definiert als die Kundenabsicht bei einem früheren Anbieter erneut eine vertragliche Geschäftsbeziehung abzuschließen und setzt – wie oben geschildert – an der freiwilligen Wiederkaufabsicht des Kunden an. Daher ist es im Kontext vertraglicher Beziehungen und deren Auflösung für Unternehmen von nachhaltiger Bedeutung, den Kunden in einem ersten Schritt über seine RestVerbundenheit, d. h. die freiwillige Kundenbindung zurückzugewinnen337 und in einem zweiten Schritt seine vertragliche Gebundenheit wiederherzustellen. Unabhängig davon, ob ein Kunde nach der Abwanderung bei einem anderen Anbieter eine Geschäftsbeziehung aufgenommen hat, kann bei ihm eine Bereitschaft zur Rückkehr zum früheren Anbieter vorliegen. Diese Absicht zeichnet sich somit durch eine situationsunabhängige („generelle“) Bereitschaft des Kunden aus und kann auch als Prädisposition verstanden werden. Insgesamt ist gleichwohl zu erwarten, dass abgewanderte Kunden bei einer direkten Frage nach einer Wiederaufnahmebereitschaft früherer Beziehungen eher zurückhaltend sind und nur unter situationsspezifischen Umständen erneut eine Beziehung mit einem früheren Anbieter eingehen. Dies resultiert aus der Annahme, dass Kunden zum Teil lange Entscheidungsprozesse durchlaufen, ehe sie sich für eine Abwanderung bzw. Kündigung entscheiden. Diese Entscheidung dürfte von den Kunden als relativ irreversibel, d. h. stabil eingeschätzt werden, da mit einer Kündigung Aufwendungen verbunden sind und – bei negativen Erfahrungen mit dem Unternehmen – der Kunde möglicherweise andere Personen über seine Kündigung informiert hat bzw. weitere Personen von der Kündigung betroffen sind. Das soziale Risiko, die Entscheidung dennoch zurückzunehmen und dann von Dritten, z. B. Familie und Freunden, als unentschlossen bzw. zu nachgiebig wahrgenommen zu werden, kann in einem solchen Zusammenhang als hoch eingeschätzt werden und behindert damit sowohl Absichten als auch Verhalten von abgewanderten Kunden. Allerdings unterliegt die Wiederaufnahmebereitschaft ebenso wie andere Einstellungen den Erfahrungen mit der unmittelbaren Umgebung, z. B. mit Unternehmen. Somit ist anzunehmen, dass Kunden über die Zeit und bei negativen Erfahrungen mit neuen Anbietern deutlich höhere Bereitschaften zur Rückkehr zum früheren Anbieter aufweisen.

337

Die Verbundenheit stellt eine stärkere, da emotionale Kundenbindung als die Gebundenheit dar. Vgl. Bliemel/Eggert (1998), S. 43; Bruhn (2001), S. 74.

102

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Neben den längeren Entscheidungsprozessen zur Abwanderung kann auch die Rückkehr zu einem Anbieter als ein umfassender kognitiver Prozess der Abwägung von Vor- und Nachteilen dieses Schritts verstanden werden. Fitzmaurice hat in ihrer empirischen Untersuchung festgestellt, dass Individuen mehrere Stufen von Verhaltensabsichten durchlaufen.338 In der Studie wird zwischen verschiedenen Ebenen des Verhaltensengagements von Personen unterschieden. Der Prozess der Bildung von Verhaltensabsichten beläuft sich dabei von ersten Überlegungen zu handeln, über die Bereitschaft aktiv zu werden bis zur Vorbereitung der eigentlichen Handlung. Faktoren, die diesen Prozess beeinflussen, sind dieser Studie zufolge die Erfahrungen mit dem früheren Anbieter und Charakteristika der jeweiligen Geschäftsbeziehung. In mehreren Publikationen wird die Wirkung von Erfahrungen mit Unternehmen als wichtige Einflussgrößen von Kundenabsichten und -verhalten bestätigt.339 In einer Untersuchung zu vertraglichen Geschäftsbeziehungen hat Giloth festgestellt, dass positive Erfahrungswerte mit dem Unternehmen bindungsbegünstigend wirken können.340 In Analogie zu den oben vorgestellten drei Ansätzen der Kundenbindung von Diller werden in der vorliegenden Arbeit Elemente der beziehungsorientierten Kundenbindung (z. B. Commitment), der Absichten des Kunden (Wiederaufnahmebereitschaft) und der Anbietersicht (Rückgewinnungsmaßnahmen) berücksichtigt. Konzeptionell ist die Wiederaufnahmebereitschaft den Absichten des Kunden zuzuordnen. Ausgewählte Aspekte einer beziehungsorientierten Kundenbindung werden anhand einiger Konstrukte, die in dem Abschnitt 4.2.2 vorgestellt werden, untersucht. Die Anbietersicht nach Diller wird mit der Darlegung der Rückgewinnungsaktivitäten von Unternehmen in das hier vorliegende Modell der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen integriert. Entsprechend der in der Literatur zur Wiederkaufabsicht oft postulierten und z. T. bestätigten Annahme, dass Wiederkaufabsichten das Wiederkaufverhalten beeinflussen,341 wird auch für diese Arbeit angenommen, dass die individuelle Wiederaufnahmebereitschaft positiv auf das Wiederaufnahmeverhalten wirkt. Höhere Absichten zur Wiederaufnahme dürften somit auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit der 338

Vgl. Fitzmaurice (2005), S. 83. Zu ähnlichen Prozessansätzen vgl. Prochaska/DiClemente/Norcross (1992) und Oliver (1997). Ein anderer Ansatz für Verhaltensabsichten wird in dem Konstrukt des Verhaltensvorsatzes gesehen. Vgl. u. a. Gollwitzer/Malzacher (1996), S. 427-430. 339 Vgl. Bolton/Kannan/Bramlett (2000); Bolton/Lemon/Bramlett (2006); Ganesh/Arnold/Reynolds (2000); Holloway/Wang/Parish (2005). 340 Giloth hat erforscht, dass die Kundenbindung zwar nicht von der Einstellung zu Mitgliedschaftssystemen abhängt, jedoch durch das Commitment zur Mitgliedschaft und die Kundenzufriedenheit positiv beeinflusst wird. Vgl. Giloth (2003), S. 182. 341 Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 2.2.3.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

103

Wiederaufnahme führen. Überträgt man die Ausführungen von Fitzmaurice auf den Untersuchungsgegenstand der hier vorliegenden Arbeit, lassen sich analog für die Wiederaufnahmebereitschaft zwei Dimensionen ableiten. Diese beiden Abstufungen sind die generelle Wiederaufnahmebereitschaft (GWAB) und die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft (SWAB). Die GWAB begünstigt, wie weiter oben bereits gezeigt wurde und unter der Annahme, dass ein Prozess von Absichten existiert, der letztlich zu einer bestimmten Handlungsweise führt, die SWAB. Dies kann damit begründet werden, dass Individuen mit keiner oder einer niedrigen GWAB auch keinerlei Erwartungen bzw. Anforderungen an den früheren Anbieter in Zusammenhang mit Rückgewinnungsaktivitäten richten, da sie faktisch mit dem Unternehmen „abgeschlossen“ und keine Absicht zur Wiederaufnahme haben. In einem derartigen Fall ist auch nicht mit einer Wiederaufnahme einer früheren Vertragsbeziehung zu rechnen. Aufbauend auf diesen Überlegungen werden folgende Hypothesen formuliert: H1a:

Die generelle Wiederaufnahmebereitschaft übt einen positiven Einfluss auf das Wiederaufnahmeverhalten, d. h. die Rückkehr des Kunden aus.

H1b:

Die generelle Wiederaufnahmebereitschaft übt einen positiven Einfluss auf die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft aus.

H1c:

Die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft übt einen positiven Einfluss auf das Wiederaufnahmeverhalten, d. h. die Rückkehr des Kunden aus.

4.2.1.3 Operationalisierung Die nachstehenden Indikatoren sind für die Wiederaufnahmebereitschaft für das Verlagshaus aufgeführt. In der Erhebung zur Wiederaufnahme im Verkehrsdienstleistungsbereich wurden diese Indikatoren auf den Kontext des Unternehmens (Produkte und Firmenbezeichnung) angepasst, sollen jedoch in dieser Arbeit nicht explizit vorgestellt werden.342 Die folgende Tabelle 14 zeigt die einzelnen Indikatoren zum Konstrukt der generellen Wiederaufnahmebereitschaft (GWAB). Es ist dabei explizit hervorzuheben, dass mangels vorhandener Messansätze der GWAB – mit Ausnahme des Indikators GENREACT4 – völlig neue Indikatoren entwickelt werden mussten. Die neu entwickelten Indikatoren wurden auf Basis der spärlich vorhandenen Literatur, theoretisch-konzeptioneller Überlegungen und Gesprächen mit Experten aus Wissenschaft und Praxis formuliert.343 Im Vorfeld der hier vorliegenden Untersuchung wur-

342 343

Die Indikatoren können bei der Verfasserin angefragt werden. Wie die weiteren Abschnitte dieses Kapitels zeigen werden, war eine Neuformulierung von einzelnen Indikatoren auch für andere Konstrukte unerlässlich.

104

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

den die Skalen zwei Pretests unterzogen. Zuerst wurden die in der vorliegenden Arbeit genutzten Indikatoren in einem Conveniencesample an der Universität Münster geprüft.344 Im Anschluss daran wurden die Indikatoren in Gesprächen mit Führungskräften der beiden kooperierenden Unternehmen bewertet und an die jeweiligen Unternehmensbezeichnungen angepasst. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

GENREACT1 Ich bin generell bereit, zu Ihrem Verlag zurück- Eigens entwickelt zukehren und ein neues Abonnement abzuschließen. GENREACT2 Ich bin generell bereit, frühere Entscheidungen zu revidieren, d. h. rückgängig zu machen.

Eigens entwickelt

GENREACT3 Ich würde in Zukunft wieder bei Ihnen AboVerträge abschließen.

Eigens entwickelt

GENREACT4 Aufgrund dessen, was mir bei Ihnen passiert ist, (r) würde ich niemals zurückkehren.

Wirtz/Mattila (2004)

GENREACT5 Die Wiederaufnahme meiner Geschäftsbeziehung, d. h., der Abschluss eines neuen Abonnements, ist sehr unwahrscheinlich / sehr wahrscheinlich.

Eigens entwickelt

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 14: Quelle:

Indikatoren zur Messung der generellen Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

Die folgende Tabelle 15 weist die Indikatoren zum Konstrukt der spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft (SWAB) im Überblick aus. Bezüglich der Operationalisierung der einzelnen Indikatoren gelten analog die obigen Ausführungen zur GWAB. Da dieses Konstrukt bisher noch nicht empirisch geprüft wurde, wurde für die vorliegende Arbeit eine neue Skala entwickelt.

344

An dieser im Frühjahr 2006 durchgeführten Befragung haben 132 Personen teilgenommen.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

105

Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

SPREACT1

Ich bin bei entsprechenden Angeboten bereit, frühere Geschäftsbeziehungen/Verträge wiederaufzunehmen.

Eigens entwickelt

SPREACT2

Interessante Angebote sind für mich sehr wichtig, Eigens entwickelt um eine/n frühere/n Geschäftsbeziehung/Vertrag wiederaufzunehmen.

SPREACT3

Ich erwarte Angebote von einem Unternehmen, um eine frühere Geschäftsbeziehung/Vertrag wiederaufzunehmen.

Eigens entwickelt

Legende: Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 15: Quelle:

Indikatoren zur Messung der spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

4.2.2 Dimensionen der Kundenmotivation Innerhalb dieses Abschnitts werden die im Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit betrachteten vier Konstrukte der Kundenmotivation mit ihrem theoretischen Bezug und empirischen Belegen erörtert. Jeder Teilabschnitt schließt mit der Postulierung der jeweiligen Hypothesen und der Operationalisierung der Konstrukte. Die Determinanten der Gruppe ‚Kundenmotivation’ umfassen all jene Konstrukte, die sich übergreifend mit den Einstellungen und Prädispositionen der abgewanderten Kunden befassen. Die folgende Abbildung 22 gibt einen Überblick über die in dieser Arbeit einbezogenen Kundenmotivationen. Kundenmotivationen

Abbildung 22: Quelle:

Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung

Commitment

Kundenwissen

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Dimensionen der Kundenmotivationen Eigene Darstellung.

106

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.2.1 Generelle Kundenzufriedenheit 4.2.2.1.1 Inhaltliche Dimension und Hypothesenbildung Im Abschnitt 3.1.3 wurde gezeigt, dass die Theorie der kognitiven Dissonanz zur Erklärung der Konsequenzen von Kundenzufriedenheit herangezogen werden kann. In den letzten Jahren hat das Konstrukt der Kundenzufriedenheit eine zentrale Stellung in der Marketingpraxis und -theorie eingenommen. Zentrale Determinanten, Konsequenzen und Messansätze von Kundenzufriedenheit werden ausführlich in wissenschaftlichen und praxisorientierten Publikationen diskutiert. Ein wesentlicher Grund für die intensive Beschäftigung mit dem Konstrukt liegt darin, dass Kundenzufriedenheit als ein wichtiger Einflussfaktor für das Kundenverhalten (wie z. B. Wieder- und Zusatzkauf) angesehen wird und somit eine relevante Zielgröße von Unternehmen darstellt.345 Die Bedeutung des Phänomens Kundenzufriedenheit zeigt sich in den zahlreichen Ansätzen, die postuliert wurden, um das Konstrukt zu operationalisieren.346 Die existierenden Messansätze können danach unterschieden werden, inwieweit sie die zeitliche Komponente und die Dimensionalität berücksichtigen. Die zeitliche Komponente der Messansätze bezieht sich auf die Unterscheidung in eine transaktionale und eine generelle Kundenzufriedenheit. Die transaktionale Kundenzufriedenheit umfasst die Bewertung einer einzigen Transaktion bzw. Kaufentscheidung.347 Die generelle Kundenzufriedenheit hingegen schließt die Zufriedenheit mit einer Serie von Transaktionen ein, basiert auf mehreren Konsumerfahrungen mit Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen348 und wird in zahlreichen Arbeiten im Dienstleistungsbereich heranzogen.349 Die Dimensionalität der Kundenzufriedenheit berücksichtigt die Anzahl von verschiedenen Zufriedenheitsobjekten. Hierbei kann die Zufriedenheit hinsichtlich Personen, Unternehmen/Institutionen oder einzelnen Produkt-/Servicekomponenten gemessen werden.350

345

Vgl. Anderson/Mittal (2000); Giering (2000); Homburg/Giering (2001); Krafft (2007); Mittal/Kamakura (2001); Szymanski/Henard (2001). Vgl. Bearden/Teel (1983), S. 21-23; Bitner (1990), S. 70; Bolton/Lemon/Verhoef (2004), S. 274; Homburg/Bucerius (2003), S. 55; Krafft (1999a), S. 516-520; Westbrook/Oliver (1991), S. 84. 347 Vgl. Bearden/Teel (1983); Oliver/DeSarbo (1988). 348 Vgl. Anderson/Fornell/Lehmann (1994), S. 54; Bitner/Hubbert (1994), S. 77. 349 Vgl. Anderson/Mittal (2000); Bendall-Lyon/Powers (2004); Bolton (1998); Crosby/Stephens (1987); Grace/O`Cass (2005); Gustaffson/Johnson/Roos (2005); Herrmann/Johnson (1999); Parasuraman/Zeithaml/Berry (1994); Zeithaml/Berry/Parasuraman (1996). 350 Vgl. Hallowell (1996), S. 41 f.; Herrmann/Wricke/Huber (2000); Rapp (1997); Yi (1990). 346

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

107

In der Literatur wurden zudem weitere Abgrenzungsund Konzeptionalisierungsversuche von Kundenzufriedenheit mit Servicequalität und Commitment vorgenommen.351 In Bezug auf die Kundenzufriedenheit werden mehrere Einflussgrößen identifiziert. Die Wirkungen von Einstellungen auf Kundenzufriedenheit haben Garbarino/Johnson untersucht, während Rapp die Auswirkungen der Qualitätsdimensionen auf die Kundenzufriedenheit erforscht hat.352 Ein weiteres Forschungsfeld umfasst die Wirkung von Service Recovery-Maßnahmen und Kundenerwartungen auf die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit von Kunden.353 In der relevanten Literatur zu den Wirkungsbeziehungen des Konstrukts Kundenzufriedenheit werden umfassend Zufriedenheitswirkungen auf die Kundenloyalität und die Unternehmensprofitabilität untersucht.354 Allerdings wird die Beziehung der Konstrukte ‚Zufriedenheit’ und ‚Kundenbindung’ kontrovers diskutiert.355 Der Kunden(un)zufriedenheit werden darüber hinaus Wirkungen auf folgende Arten von Kundenabsichten empirisch belegt: Beschwerde- und Weiterempfehlungsabsicht,356 Kaufabsichten,357 Wiederkaufabsichten im B2B-Kontext358 und Wiederkaufabsichten im B2C-Kontext,359 Loyalitätsabsicht bzw. Bindungsneigung360 und Wechselabsichten361. In anderen Arbeiten werden die Wirkungen der Zufriedenheit auf das Phänomen Commitment untersucht.362 Demnach beeinflusst die Kundenzufriedenheit die Verbundenheit zum Unternehmen in positiver Weise. Die empirische Literatur untersucht neben diesen geschilderten Beziehungswirkungen aber auch, ob diese Wirkungszusammenhänge in Abhängigkeit der Konstruktausprägungen linear verlaufen oder nicht. Hierbei wird festgestellt, dass die Beziehung zwischen Zufriedenheit und Loya-

351

Zur Abgrenzung bzw. Gleichsetzung mit der Servicequalität vgl. Bolton/Drew (1991); Anderson/Sullivan (1993); Gustafsson/Johnson/Roos (2005). Zur Abgrenzung von Commitment vgl. Bolton/Lemon/Verhoef (2004), S. 274. 352 Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Rapp (1997). 353 Vgl. Brown/Cowles/Tuten (1996), S. 41; Hess Jr./Ganesan/Klein (2003), S. 138; Zeithaml (2000). 354 Eine Übersicht der Wirkungen auf die Kundenloyalität ist bei Homburg/Giering/Hentschel (1999) zu finden. Die Wirkung der Kundenzufriedenheit auf die Unternehmensprofitabilität wurde u. a. von Anderson/Fornell/Lehmann (1994); Anderson/Fornell/Rust (1997); Anderson/Mittal (2000); Anderson/Fornell/Mazvancheryl (2004) und Gruca/Rego (2005), S. 122 untersucht. 355 Vgl. Bolton (1998), S. 46; Reichheld (1996), S. 58. 356 Vgl. Brown et al. (2005); Eggert/Ulaga (2002), S. 113; Holloway/Wang/Parish (2005). 357 Vgl. Cronin/Taylor (1992), S. 63. 358 Vgl. Eggert/Ulaga (2002), S. 113. 359 Vgl. Anderson/Mittal (2000); Anderson/Sullivan (1993); Holloway/Wang/Parish (2005); Grace/O`Cass (2005); Jones/Suh (2000); Patterson/Spreng (1997). 360 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 117; Krafft (2007), S. 100. 361 Vgl. Cronin/Taylor (1992); Rust/Zahorik (1993); Yi (1990); Bolton/Bronkhorst (1995), S. 95; Walsh/Dinnie/Wiedmann (2006), S. 416. 362 Vgl. Brown et al. (2005); Garbarino/Johnson (1999); Sharma/Patterson (2000), S. 483 f.

108

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

lität sich häufig als nicht linear darstellt.363 Bezogen auf das Phänomen der Wiederaufnahme existieren zu den Wirkungen von Kundenzufriedenheit bisher nur wenige Arbeiten. Roos hat die Zufriedenheit als eine wichtige Einflussgröße auf die Umkehrbarkeit von Abwanderungsentscheidungen bezeichnet, prüft diese Annahme jedoch nicht empirisch.364 Die empirischen Studien von Sieben und Tokman/Davis/Lemon setzen sich hingegen mit möglichen Konsequenzen der Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung auseinander.365 Sieben hat dabei festgestellt, dass die Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung sich positiv auf den Rückgewinnungserfolg auswirkt.366 Ferner haben Tokman/Davis/Lemon eine positive Wirkungsbeziehung der Kundenzufriedenheit auf die Bereitschaft zum Anbieter zurückzukehren belegt.367 In der vorliegenden Arbeit soll die Wirkung der generellen Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung auf die Wiederaufnahmebereitschaft von Kunden untersucht werden. Die generelle Zufriedenheit wurde als Messansatz gewählt, da sie mehrere inhaltliche Aspekte einer früheren Beziehung berücksichtigt und dadurch die Abschätzung des grundlegenden Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und -absichten ermöglicht. Darüber hinaus hat – wie oben aufgezeigt – die Literaturanalyse gezeigt, dass die Kundenzufriedenheit innerhalb der Kundenbindungsforschung eine zentrale Rolle einnimmt. Der Zusammenhang der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung soll auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit zur Wiederaufnahmebereitschaft geprüft werden. Auf Basis der hier und in vergangenen Abschnitten diskutierten theoretischen und empirischen Erkenntnisse ist zu erwarten, dass sich eine hohe Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung vorteilhaft auf eine Wiederaufnahmebereitschaft auswirkt. Dies kann damit begründet werden, dass positive Erfahrungen der Vergangenheit mit dem Unternehmen auf die Zukunft projiziert werden und die Kunden dem Unternehmen wohlwollend eingestellt sind. Zudem ist davon auszugehen, dass die Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung positiv auf das Commitment mit dem Unternehmen wirkt.

363

Vgl. Herrmann/Johnson (1999), S. 591; Mittal/Kamakura (2001); Oliva/Oliver/MacMillan (1992). Vgl. Roos (1999). Vgl. Sieben (2002); Tokman/Davis/Lemon (2007). 366 Vgl. Sieben (2002), S. 155. 367 Vgl. Tokman/Davis/Lemon (2007), S. 58. 364 365

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

109

Auf Basis der obigen Ausführungen werden folgende Hypothesen formuliert: H2a:

Die Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

H2b:

Die Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung übt einen positiven Einfluss auf das Commitment aus.

4.2.2.1.2 Operationalisierung Zur Messung des Konstrukts ‚generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung’ werden Indikatoren von zwei etablierten Skalen herangezogen und auf den Untersuchungskontext angepasst. Die Tabelle 16 gibt einen Überblick über die verwendeten Indikatoren.368 Die Darstellung der Ergebnisse der Validierung des Konstrukts erfolgt im Abschnitt 6.1.3.1 (Verlagshaus) und im Abschnitt 6.2.3.1 (Verkehrsdienstleister). Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung

OVSAT1

Ich bin generell zufrieden mit dem Produkt/ Maxham III Service-Angebot Ihres Verlags. (2001)

OVSAT2

Generell bin ich sehr zufrieden mit der Ge- Ping (1995) schäftsbeziehung zu Ihnen.

OVSAT3

Alles zusammen betrachtet haben Sie und Ping (1995) Ihre Mitarbeiter mich fair behandelt.

OVSAT4

Wie zufrieden sind Sie mit der Qualität un- Maxham III serer Leistungen? (2001)

Legende: Messung der Indikatoren (OVSAT1, OVSAT2, OVSAT3) auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Bei dem Indikator OVSAT4 wird eine Skala von 1 = gar nicht zufrieden, 7 = sehr zufrieden verwendet. Tabelle 16: Quelle:

368

Indikatoren zur Messung der generellen Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung Eigene Darstellung.

An dieser Stelle werden wie bei den Konstrukten zuvor die Indikatoren für das Verlagshaus vorgestellt. Die jeweiligen unternehmensspezifischen Bezeichnungen sind im Fragebogen des Verkehrsdienstleisters berücksichtigt, sodass die Begriffe leicht voneinander abweichen können.

110

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.2.2 Commitment 4.2.2.2.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Das Konstrukt Commitment und seine Wirkungsbeziehungen lassen sich – wie im Abschnitt 3.1.3 aufgezeigt – aus der Theorie der kognitiven Dissonanz erklären. Brehm/Cohen haben das Vorhandensein von Commitment als einen Ausgangspunkt für die Entstehung von kognitiver Dissonanz bei Individuen beschrieben.369 Das Commitment als Festlegung eines Individuums auf eine Entscheidung bzw. Handlung (Identifikation), nachdem Alternativen ausgewählt und verworfen wurden, äußert sich demnach auch in der Verbundenheit mit Personen bzw. Unternehmen. Mit der psychologischen Festlegung auf ein Objekt bzw. eine Person und der Existenz alternativer Wertestrukturen, die ebenfalls wichtig sind, entsteht kognitive Dissonanz. Salancik vertritt die Ansicht, dass durch den zunehmenden Wunsch nach Konsistenz das Commitment eines Individuums überhaupt erst entsteht und das Commitment durch schwer zu revidierende Entscheidungen die kognitive Dissonanz stärkt.370 Diese unterschiedlichen Ansätze verdeutlichen, dass nicht geklärt ist, ob Commitment die kognitive Dissonanz begründet oder durch die Dissonanz selbst beeinflusst wird. Eine Erklärung für den bisher nicht geklärten Zusammenhang kann darin liegen, dass die kognitive Dissonanz neben dem Commitment auch durch andere Einflussgrößen bestimmt (z. B. freie Entscheidung) und in der Folge u. a. durch das Commitment reduziert werden kann. In anderen Fällen entsteht kognitive Dissonanz erst durch die Verbundenheit mit einer Person oder einer Sache, sodass die Dissonanz wiederum durch andere Maßnahmen, z. B. zusätzliche Informationen reduziert wird. Je nach Kontext können also unterschiedliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen vorliegen. Summa summarum ist festzuhalten, dass auch in der Literatur zur Kundenabwanderung und Kundenrückgewinnung darüber weitestgehend Unklarheit besteht, inwieweit Commitment als Ursache oder Folge von kognitiver Dissonanz anzusehen ist.371 Das Commitment hat vor allem im Beziehungsmarketing breite Anwendung gefunden. Arbeiten von Moorman/Zaltman/Desphande, Morgan/Hunt und Garbarino/Johnson waren wegweisend, um die Bedeutung der Verbundenheit von Kunden mit

369

Vgl. hierzu und im Weiteren Brehm/Cohen (1965), S. 57 f. Vgl. Salancik (1977). 371 Mehrdimensionale Facetten des Commitment könnten einen Erklärungsbeitrag für die UrsacheWirkungs-Beziehung liefern. Beispielsweise kann aus Sicht der Verfasserin eine Form des Commitment (z. B. affektives Commitment) kognitive Dissonanz verursachen, die wiederum von einer anderen Commitment-Form, z. B. dem Verpflichtungs-Commitment abgebaut wird. Allerdings liegen zu dieser Überlegung noch keine empirischen Erkenntnisse im Marketing vor. 370

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

111

dem Unternehmen aufzuzeigen.372 Das Commitment wurde als Wunsch des Kunden bzw. eines Unternehmens interpretiert, Beziehungen mit dem jeweiligen Geschäftspartner zu erhalten und dafür Ziele und Werte der Organisation zu akzeptieren und unterstützen.373 Zahlreiche Beiträge widmen sich ausschließlich einer eindimensionalen Konzeptualisierung von Commitment.374 In der neueren Forschung wird das Konstrukt in drei verschiedene Komponenten unterschieden. Diese drei Komponenten sind das affektive Commitment, Fortsetzungs-Commitment und VerpflichtungsCommitment.375 Unter dem affektiven Commitment wird die emotionale und psychologische Verbundenheit aufgrund gemeinsamer Werte verstanden. Das affektive Commitment wird in empirischen Beiträgen insbesondere bei eindimensionalen Messansätzen herangezogen.376 Das Fortsetzungs-Commitment hingegen umfasst den Willen des Kunden zur Weiterführung einer Beziehung.377 Der Fokus der relevanten Literatur zum Beziehungsmarketing liegt daher auf der Analyse des FortsetzungsCommitment, da dieses eng mit Verhaltensabsichten von Kunden in einer Geschäftsbeziehung verbunden ist. Das Verpflichtungs-Commitment wiederum weist Ähnlichkeiten zur zwangsbasierten Motivation der Aufrechterhaltung von Beziehungen auf und berührt die Gebundenheit, die dazu führt, dass auch unzufriedene Kunden aufgrund hoher Wechselkosten, mangelnder Alternativen oder sozialer Normen eine bestehende Beziehung fortführen.378 Allerdings scheint das Verpflichtungs-Commitment in der heutigen Wirtschaftswelt kaum noch existent zu sein.379 Gründe hierfür dürften in den an Alternativen reichen Marktstrukturen und einer zunehmenden Liberalisierung von Märkten und damit verbundenem Wettbewerbsdruck liegen. Neben den drei oben genannten Komponenten gibt es weitere Abgrenzungen des Konstrukts Commitment, die normative, affektive und kostenbezogene Elemente unterscheiden und eine mehrdimensionale Konzeptualisierung und Operationalisierung des Konstrukts hinsichtlich dieser Dimensionen empfehlen.380 Den unterschiedlichen, oben aufgeführten Ansätzen ist die affektive Komponente gemeinsam, die auf Basis der Verbundenheit eine langfristige Stabilität von Beziehungen umfasst. Im Rahmen der 372

Vgl. Garbarino/Johnson (1999); Moorman/Zaltman/Deshpandé (1992); Morgan/Hunt (1994). Vgl. Kelley/Davis (1994), S. 54. 374 Vgl. Beatty/Kahle/Homer (1988); Garbarino/Johnson (1999); Henning-Thurau/Gwinner/Gremler (2002); Sharma/Patterson (2000). 375 Vgl. Allen/Meyer (1990); Morgan/Hunt (1994). 376 Zum affektiven Commitment vgl. ausführlich Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238. 377 Vgl. Bruhn (2001), S. 72. 378 Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 238 f.; Bendapudi/Berry (1997), S. 18-20; Sharma/Patterson (2000), S. 484. 379 Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 246. 380 Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 235 f.; Meyer/Allen (1997). 373

112

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Wiederaufnahmebereitschaft interessiert vor allem die Komponente des affektiven Commitment, da Fortsetzungs- und Verpflichtungs-Commitment für die Fragestellung dieser Arbeit aufgrund der vollzogenen Abwanderung von Kunden nicht sinnvoll anzuwenden sind. In der vorliegenden Arbeit wird somit die affektive Komponente des Konstrukts Commitment verwendet. Innerhalb von Geschäftsbeziehungen gelten die Konstrukte Kundenzufriedenheit, Vertrauen, Wechselkosten und Attraktivität von Alternativen als wesentliche Bestimmungsfaktoren des Commitment.381 Insbesondere das Konstrukt der Kundenzufriedenheit wird in der Literatur als eine zentrale Einflussgröße des Commitment beschrieben.382 Ein Großteil der Literatur zu den Auswirkungen des Konstrukts Commitment widmet sich der Wirkung auf die Kundenbindung383 und die Wahrscheinlichkeit der Kundenabwanderung.384 Es wird gleichwohl für die vorliegende Arbeit angenommen, dass Kunden, die dem Anbieter ggü. ein hohes Commitment aufweisen, bei einer Kündigung kognitive Dissonanz und somit Zweifel an der getroffenen Entscheidung empfinden. Damit wird der Meinung von Brehm/Cohen gefolgt. Das (noch) vorhandene Commitment mit dem Anbieter verursacht in Folge kognitive Dissonanz bei abgewanderten Kunden, die die abgewanderten Kunden durch neue Entscheidungen abzubauen intendieren. Die Wiederaufnahmebereitschaft kann dabei helfen, das psychologische Ungleichgewicht zu reduzieren und erneut eine psychologische Balance herzustellen. Das Commitment ggü. dem Anbieter wird vor diesem Hintergrund in der vorliegenden Arbeit als Einflussgröße für die Wiederaufnahmebereitschaft herangezogen, da nach Ganesh/Arnold/Reynolds davon ausgegangen werden kann, dass auch nach der Beziehungsbeendigung eine Verbundenheit mit dem Unternehmen besteht: „[…] customers are likely to remember their previous service provider in a positive light and factor their previous experience into current expectations, emotions, and behavior.”385 Daher wird für die vorliegende Arbeit postuliert, dass Kunden, die einem Anbieter ggü. Commitment aufweisen, eine höhere Wiederaufnahmebereitschaft als nicht verbundene Kunden aufweisen. Dies führt zu nachfolgender Hypothese: H2c:

381

Das Commitment übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 237; Bakay/Schwaiger (2006), S. 336. Vgl. Bakay (2003), S. 67; Garbarino/Johnson (1999); Henning-Thurau/Gwinner/Gremler (2002). 383 Vgl. u. a. Bakay/Schwaiger (2006), S. 336; Bettencourt (1997); Lohmann (1997); Pritchard/Havitz/Howard (1999). 384 Vgl. Bansal/Irving/Taylor (2004), S. 246; Morgan/Hunt (1994), S. 22 f. 385 Ganesh/Arnold/Reynolds (2000), S. 69. 382

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

113

4.2.2.2.2 Operationalisierung Das Konstrukt des Commitment mit dem Anbieter wird für die vorliegende Arbeit mittels folgender Indikatoren gemessen (vgl. Tabelle 17). Dabei liegt der Fokus auf der Integration der affektiven Komponente des Commitment, die die Verbundenheit mit dem Anbieter wiedergibt. Wie bei den Konstrukten zuvor, wird nur die Skala für das Verlagshaus vorgestellt. Die Indikatoren des Konstrukts Commitment haben eine leichte Variation für den entsprechenden Unternehmenskontext erfahren (z. B. Ergänzung um unternehmensspezifische Produkte, die hier aufgrund der Wahrung der Anonymität nicht aufgeführt werden können). Konstrukt

Variablen- Indikator label

Quelle

Commitment

COMM1

Wenn ich diese Art von Produkt/Service wieder brauche oder nutzen würde, würde ich erneut wieder Kunde bei Ihnen sein.

Tax/Brown/ Chandrashekaran (1998)

COMM2

Ich würde von Ihnen auch andere Produkte/ Services kaufen.

Tax/Brown/ Chandrashekaran (1998)

COMM3

Die Geschäftsbeziehung, die ich mit Ihrem Verlag hatte, war für mich wichtig.

Ganesh/Arnold/ Reynolds (2000)

COMM4

Ich fühle mich mit Ihrem Verlag auch nach der Kündigung noch verbunden.

Eigens entwickelt

Legende: Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 17: Quelle:

Indikatoren zur Messung des Commitment Eigene Darstellung.

4.2.2.3 Wahrgenommene Verhaltenskontrolle 4.2.2.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Die Theorie der kognitiven Dissonanz beschreibt u. a., wie die Entscheidungsfreiheit von Individuen zur Wahrnehmung von kognitiver Dissonanz führen kann.386 Aufgrund des freien Willens bzw. des Gefühls, das eigene Verhalten bewusst kontrollieren zu können,387 nehmen Individuen (tendenziell) Verantwortung für eigene Absichten und vor allem Verhaltensweisen wahr. Eine Entscheidung, die auf dem freien Willen von Personen beruht, kann die Abwanderungsentscheidung darstellen. Schätzt ein Kunde nach der Abwanderung nun diese Entscheidung als falsch bzw. ungünstig für sich ein, entsteht der Dissonanztheorie zufolge kognitive Dissonanz. Die wahrgenommene Ver-

386 387

Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 3.1.3. Vgl. Weber (1978), S. 105-112.

114

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

haltenskontrolle erlaubt nun aber wiederum dem Individuum, die getroffene Entscheidung rückgängig zu machen, somit die Dissonanz zu reduzieren und eine frühere Geschäftsbeziehung wiederaufzunehmen. In der einschlägigen Marketingliteratur werden bisher kaum Parallelen zwischen Entscheidungsfreiheit, wahrgenommener Verhaltenskontrolle und der Theorie der kognitiven Dissonanz gezogen. Vielmehr werden als theoretische Grundlagen der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle vor allem die Theory of Reasoned Action bzw. die Theory of Planned Behavior herangezogen. In diesen Theorien wird die Verhaltenskontrolle als ein Einflussfaktor der Absichten und des Verhaltens von Personen in u. a. sozialen Kontexten untersucht.388 Diesen Überlegungen zufolge weist eine Person eine positive Einstellung ggü. dem eigenen Verhalten auf, wenn das Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu positiven Konsequenzen für die Person führt. Zur genauen Beschreibung dieser Theorien wird auf die entsprechenden Beiträge der sozialpsychologischen Literatur verwiesen.389 Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird von verschiedenen (internen und externen) Einflussgrößen bestimmt. Dabei umfassen die internen Faktoren die Willensstärke, den verhaltensrelevanten Wissensstand (z. B. Kundenwissen) und die individuellen Fähigkeiten sowie Emotionen.390 Hinzu kommen externe Einflussgrößen (wie z. B. verfügbare Zeit oder finanzielle Ressourcen), die für die Ausübung des Verhaltens erforderlich sein können. Die von Personen wahrgenommene Verhaltenskontrolle wirkt sowohl auf die Absichten als auch auf das tatsächliche Verhalten von Individuen.391 Zentrale Konsequenzen des Konstrukts wahrgenommene Verhaltenskontrolle werden bei Bansal/Taylor und Braunstein untersucht.392 Bansal/Taylor haben die Wirkung auf Wechselabsichten und -verhalten geprüft und dabei festgestellt, dass die wahrgenommene Verhaltenskontrolle einen positiven Einfluss auf die Absichten einen Anbieter zu wechseln hat.393 Ähnlich hat Braunstein festgestellt, dass die Verhaltenskontrolle einen positiven Einfluss auf die Kundenloyalität hat.394 Dem Konstrukt der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle wird in der vorliegenden Arbeit eine nachhaltige Be388

Vgl. Fischer/Wiswede (1997), S. 253. Vgl. u. a. Ajzen (1985); Ajzen (1991); Ajzen/Fishbein (1977); Ajzen/Fishbein (1980); Ajzen/ Madden (1986); Frey/Stahlberg/Gollwitzer (2001). 390 Vgl. Eggert (1999), S. 73. 391 Vgl. Ajzen/Madden (1986), S. 459-461; Beck/Ajzen (1991), S. 286-288. 392 Vgl. Bansal/Taylor (2002); Braunstein (2004). 393 Vgl. Bansal/Taylor (2002), S. 418. 394 Vgl. Braunstein (2004); Braunstein/Huber/Herrmann (2005), S. 201. 389

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

115

deutung für die abhängige Variable ‚Wiederaufnahmebereitschaft’ zugeschrieben, da insbesondere bei vertraglichen Beziehungen die Fähigkeit bzw. die entsprechende Wahrnehmung eines abgewanderten Kunden gegeben sein muss, Verträge mit Anbietern abzuschließen. Das Konstrukt der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle beeinflusst eine Verhaltensabsicht umso stärker, je geringer die externen, hemmenden Größen und je höher die internen Größen ausgeprägt sind. Ausgehend von diesen theoretisch-konzeptionellen Überlegungen postulieren wir für die vorliegende Arbeit folgende Hypothese: H2d:

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

4.2.2.3.2 Operationalisierung Die folgende Tabelle 18 gibt einen Überblick über die Indikatoren, die zur Messung des Konstrukts der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle herangezogen werden. Die in der vorhandenen Marketingliteratur herangezogenen Indikatoren erfüllen die Anforderungen an eine Übertragung auf das hier zugrundeliegende Untersuchungsfeld nicht genügend, sodass für die vorliegende Arbeit eine neue Skala mit drei Indikatoren entwickelt wird. Die Indikatoren geben die Einschätzung der abgewanderten Kunden wieder, welche Einflussmöglichkeiten diese Kunden in Bezug auf ihre eigenen Handlungen, d. h. die Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung wahrnehmen. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

PERCBEH1 Ich kann jederzeit ein Abo bei einem frü- Eigens entwickelt heren Verlag wieder aufnehmen. PERCBEH2 Es fällt mir leicht, eine frühere Geschäfts- Eigens entwickelt beziehung wieder aufzunehmen. PERCBEH3 Es liegt vor allem an mir, eine frühere Ge- Eigens entwickelt schäftsbeziehung wieder aufzunehmen.

Legende: Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 18: Quelle:

Indikatoren zur Messung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle Eigene Darstellung.

116

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.2.4 Kundenwissen 4.2.2.4.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Die Theorie der kognitiven Dissonanz liefert einen Erklärungsansatz, wie das Wissen von Individuen zur Entstehung und zum Abbau von psychologischen Ungleichgewichten beiträgt.395 Das Wissen von Individuen umfasst Wertestrukturen, die sich aus der Verarbeitung von Informationen und Reizen ergeben. Durch die Erfahrungen mit Unternehmen über längere Zeiträume nimmt das Kundenwissen, d. h. die Kenntnis über Unternehmen und Märkte, zu und führt zu komplexen kognitiven Strukturen.396 Kognitive Dissonanz entsteht – wie in Abschnitt 3.1.3 aufgezeigt – auch nach Entscheidungen, z. B. Abwanderungsentscheidungen, wenn neue Informationen verfügbar sind, welche die getroffene Wahl einer Person in Frage stellen. Diese Dissonanz wird insbesondere in der Kaufverhaltensforschung als sog. „Nach-Kauf-Dissonanz“ bezeichnet.397 Die „Nach-Kauf-Dissonanz“ drückt sich vor allem in der Sorge des Kunden aus, nicht die richtige Kaufentscheidung getroffen zu haben und ist umso stärker, je risikoreicher ein Kauf eingeschätzt wird. In solchen Fällen wird vom Kunden eine Bestätigung des Kaufs angestrebt. Die Loyalität von Kunden, insbesondere in Form des Wiederkaufs, kann daher als eine Form der Risikoreduktion angesehen werden und eignet sich zur Vermeidung kognitiver Dissonanz.398 Über den Wiederholungskauf oder auch die Vertragsverlängerung bestätigt der Kunde die Vorteilhaftigkeit seiner Geschäftsbeziehung. In die Neubewertung von Entscheidungen fließen weitere Informationen ein, bspw. Erfahrungen mit alternativen Anbietern. Allerdings führt die Bewertung einer Entscheidung nicht zwangsläufig dazu, am Status quo festzuhalten (z. B. Verbleib bei einem Anbieter) und aufkommende Zweifel in Geschäftsbeziehungen durch neue Erklärungsmuster „wegzudenken“ (d. h. Subtraktion dissonanter Kognitionen).399 Vielmehr kann die kognitive Dissonanz auch durch eine Revision von Entscheidungen abgebaut werden, z. B. indem ein Kunde zu einem früheren Anbieter zurückkehrt bzw. zu einer Rückkehr bereit ist. In der Marketingforschung wird das Phänomen Kundenwissen mit seinen Einflussgrößen und Konsequenzen vergleichsweise wenig beachtet. Der Begriff des Kundenwissens wird in der einschlägigen Literatur in zwei unterschiedlichen Formen ver395

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 3.1.3. Vgl. Alba/Hutchinson (1987); Mitchell/Dacin (1996). Vgl. Wangenheim/Bayón (2004), S. 212. 398 Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 251; Sheth/Venkatesan (1968). 399 Zu Methoden zum Abbau bzw. zur Minderung von kognitiver Dissonanz vgl. Abschnitt 3.1.1. 396 397

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

117

wendet. Zum einen wird unter dem Kundenwissen das Wissen über den Kunden, seine Absichten und sein Verhalten verstanden. Damit ist die Unternehmenssicht angesprochen.400 Zum anderen bezieht sich das Kundenwissen auf die Kenntnisse des Kunden über (Sach-)Objekte, Personen oder Unternehmen. Für die vorliegende Arbeit wird der letztere Begriff zugrunde gelegt. Unter dem Kundenwissen wird daher die Kenntnis des Kunden über das Unternehmen und den relevanten Markt verstanden. Die Literaturanalyse, deren Ergebnisse im Weiteren beschrieben werden, hat verdeutlicht, dass das Kundenwissen als Wissen des Kunden ein mehrdimensionales Konstrukt ist. Neben Studien, die sich mit der Vertrautheit und Produktkenntnis401 sowie der Expertise402 von Kunden befassen, dominiert die Unterscheidung in das objektive und subjektive Kundenwissen die relevante Literatur.403 Unter dem objektiven Kundenwissen wird das faktische Wissen über ein Objekt verstanden.404 Dagegen umfasst das subjektive Wissen die Einschätzung des Kunden, wie viel er über Produkte und Märkte weiß. Das subjektive Wissen entsteht im Vergleich mit anderen Personen, z. B. Freunden oder Experten.405 In der vorliegenden Arbeit steht das subjektive Kundenwissen im Vordergrund, da der abgewanderte Kunde mit der Wahrnehmung seiner Unternehmenskenntnis und weniger das objektive Faktenwissen von Bedeutung ist. Das subjektive Kundenwissen als Selbsteinschätzung des Kunden über einen Befragungsgegenstand kann verzerrt sein, d. h. nicht die Realität bzw. Sicht anderer Kunden oder des Unternehmens abbilden. Trotz der Gefahr attributionaler Verzerrungen eignet sich die Nutzung des subjektiven Kundenwissens aus Anbietersicht für vertragliche Beziehungen, da Kunden zwar objektive Informationen über Unternehmen aufnehmen, aber in Abhängigkeit ihres Wertesystems z. T. nur ausgewählte Aspekte dieser Informationen verwenden und damit einen Ausschnitt für sich als subjektives Kundenwissen speichern. Als eine weitere Komponente von Kundenwissen wird gelegentlich die Erfahrung aufgeführt, die wiederum als Einflussfaktor des objektiven und des subjektiven Kun-

400

Vgl. Chen/Su (2006). Vgl. Philippe/Ngboo (1999). Unter Familiarität wird die Anzahl der produktbezogenen Erfahrungen verstanden. Vgl. Alba/Hutchinson (1987), S. 411; Söderlund (2002), S. 862. 402 Vgl. Jacoby et al. (1986); Söderlund (2002). Alba/Hutchinson (1987) unterscheiden fünf Dimensionen der Kundenexpertise und stellen ein umfangreiches Strukturkonzept zum Kundenwissen auf. 403 Vgl. Bettman/Park (1980); Mattila/Wirtz (2002); Park/Mothersbaugh/Feick (1994); Philippe/Ngboo (1999); Wirtz/Mattila (2003). 404 Zum objektiven, faktischen Wissen als Element kognitiver Strukturen vgl. Brucks (1986); Lutz (1975). 405 Vgl. Fitzmaurice (2005), S. 85; Wirtz/Mattila (2003), S. 649. 401

118

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

denwissens gilt.406 In Abhängigkeit der Wissensdimension werden in der Literatur unterschiedliche Wirkungen des Kundenwissens auf Kundeneinstellungen und Konsumentenverhalten festgestellt.407 Mit den Konsequenzen des Konstrukts Kundenwissen haben sich in der Marketingforschung verschiedene Autoren befasst. So wurden die Wirkung des Kundenwissens auf die Präferenzbildung für neue Produkte bzw. die Produktwahl408 und der Einfluss auf die Informationssuche von Kunden untersucht. Demnach führt ein umfangreicheres Kundenwissen zur Wahrnehmung des Kunden, Informationen zusammentragen und Alternativen am Markt bewerten zu können.409 Dabei bestimmt das objektive Kundenwissen v. a. die Informationssuche über neutrale, unpersönliche Medien, während das subjektive Kundenwissen zur Nutzung der persönlichen Erinnerung führt und die Nutzung persönlicher Weiterempfehlung ausschließt.410 Daneben liegen Studien vor, in denen die Wirkung des Kundenwissens auf die Relevanz von Attributen für die Anbieterwahl411, die Bewertung des Unternehmens nach Serviceversagen412 und auf die Wahrnehmung von Wechselkosten413 aus Kundensicht untersucht wurde. Danach wirkt sich ein hohes Kundenwissen negativ auf die Wahrnehmung von Wechselkosten aus, reduziert die Einzigartigkeit des aktuellen Anbieters und erleichtert einen Anbieterwechsel.414 Diese Befunde werden von Wirtz/Mattila bestätigt.415 Insbesondere ist höheres objektives Kundenwissen mit einer geringeren Service-Loyalität und umfangreicherem ‚consideration set’ verbunden. Dagegen hat das subjektive Kundenwissen keinen Einfluss auf die Loyalität. Söderlund hat festgestellt, dass sich das Kundenwissen bei hoher Qualität der Dienstleistung positiv auf die Verhaltensabsichten (Wiederkauf- und WOM-Absichten) von Kunden auswirkt.416 Moderierende positive Effekte eines marktbezogenen Kundenwissens auf die Beziehung von Qualitätsdimensionen und Kundenbindung haben auch Bell/Auh/Smalley festgestellt.417

406

Vgl. Mattila/Wirtz (2002), S. 214. Vgl. Bettman/Park (1980); Flynn/Goldsmith (1999); Sheth/Parvatiyar (1995). Vgl. Flynn/Goldsmith (1999); Joshi/Sharma (2004); Wirtz/Mattila (2001). 409 Vgl. Wirtz/Mattila (2003), S. 652. 410 Vgl. Mattila/Wirtz (2002), S. 224 f. Eine ähnliche Wirkungsbeziehung von der Word-of-MouthKommunikation und dem subjektiven Kundenwissen haben Beatty/Smith (1987) festgestellt. 411 Im Bankenkontext hat Devlin (2002) untersucht, welche Faktoren in Abhängigkeit der Höhe des Finanzwissens für die Entscheidung für einen Anbieter relevant sind. 412 Vgl. Holloway/Wang/Parish (2005), S. 63. 413 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003). 414 Vgl. Bendapudi/Berry (1997), S. 25; Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 119. 415 Vgl. Wirtz/Mattila (2003), S. 658. 416 Vgl. Söderlund (2002), S. 869-871. 417 Vgl. Bell/Auh/Smalley (2005), S. 178. 407 408

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

119

Das Kundenwissen entfaltet einigen Studien zufolge zudem eine Wirkung auf die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten der Kunden. Ein höheres Kundenwissen führt demnach zu größerem Vertrauen in eigene Fertigkeiten, z. B. einen geeigneten Anbieter auszuwählen.418 Eng verbunden mit dem Vertrauen in die eigene Person ist eine deutlich verringerte Informationssuche.419 Kunden mit hohem subjektiven Kundenwissen verlassen sich diesen Studien zufolge eher auf ihre eigenen Einschätzungen und ziehen selten ergänzende Informationen für eine Entscheidung heran. Das Vertrauen in die eigene Person und in persönliche Fähigkeiten kann als eine wahrgenommene Kontrolle des Kunden über das eigene Verhalten interpretiert werden. Insbesondere im Rahmen vertraglicher Beziehungen ist von einer hohen Bedeutung des Kundenwissens auf die Entscheidungsprozesse und das Verhalten von Kunden auszugehen. Vertragliche Beziehungen sind durch die Festlegung auf eine Vertragslaufzeit gekennzeichnet. Allein daraus können Kunden eine höhere Unsicherheit vor einem Vertragsabschluss wahrnehmen und deshalb mehr Informationen für ihre Entscheidung einbeziehen. Um die Vorteile und Nachteile eines Vertrags abschätzen zu können, greifen Kunden auf ihre Erfahrungen mit diesem und anderen Anbietern und ihr Wissen über diesen und andere Anbieter auf dem Markt zurück. Kunden mit einem höheren Wissensstand können schneller auf ihr kognitives System und ihre Erfahrungen zurückgreifen und die Umstände bzw. Ursachen einer Kündigung umfassender beurteilen. Daraus lässt sich eine höhere Bereitschaft zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung durch den Kunden ableiten. Für eine Wirkung auf die Wiederaufnahmebereitschaft spricht zudem, dass Individuen Situationen bevorzugen, mit denen sie vertraut sind und mit denen sie ihr Risiko einer falschen Entscheidung reduzieren können.420 Eine Rückkehr zu einem Anbieter stellt – abhängig von den Erfahrungen – eine solche risikominimierende Verhaltensweise dar. Eine Entscheidungsrevision und Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung wird begünstigt, wenn ein Kunde mit anderen Anbietern Erfahrungen gesammelt hat, die wiederum nicht mit dem kognitiven System (z. B. den Erwartungen des Kunden) vereinbar sind. Eine Entscheidungsrevision wird auch unterstützt, wenn ein Individuum ein komplexes kognitives System aufweist, somit als kenntnisreich eingeschätzt wird und daher eher in der Lage ist, Dissonanzen entsprechend den eigenen Vorstellungen (z. B. über verstärkte Informationssuche) abzubauen. Demzufolge wird von der Verfasserin erwartet, dass Kunden mit einem höheren Wissen über das Unternehmen und den 418

Vgl. Anderson/Engledow/Becker (1979); Brucks (1985); Wirtz/Mattila (2003). Vgl. Mattila/Wirtz (2002). 420 Vgl. Bornstein (1989). 419

120

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Markt eher bereit sind, zu einem früheren Anbieter zurückzukehren. Aus den obigen Erwägungen leiten sich die folgenden Hypothesen ab: H2d: H2f:

Das Kundenwissen übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus. Das Kundenwissen übt einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Verhaltenskontrolle aus.

4.2.2.4.2 Operationalisierung Das Kundenwissen wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit als subjektives Kundenwissen über den Markt (z. B. von Romanheften und Zeitschriften) gemessen und durch folgende Indikatoren abgedeckt (vgl. Tabelle 19). Für die Arbeit wird – wie oben bereits diskutiert – das subjektive Kundenwissen heranzogen, um die individuellen Einschätzungen und Wahrnehmungen der abgewanderten Kunden zu erfassen. Diese sind aus Sicht der Verfasserin für den Kontext der vorliegenden Arbeit zentraler als die objektiv prüfbaren Marktkenntnisse. Die in der Marketingliteratur vorzufindenden Skalen decken nur zum Teil den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand ab, sodass für die Operationalisierung des Konstrukts Kundenwissen die etablierte Skala von Flynn/Goldsmith um drei Indikatoren ergänzt wird. Neu in eine Skala des Kundenwissens einbezogen werden Aspekte, die die Zeit der Vertragsbeziehung (und die implizit dahinter liegenden Erfahrungswerte) und die Aktivitäten der Kunden zum Aufbau ihres Kundenwissens erfassen. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Kundenwissen

KNOWL1

Ich weiß ziemlich viel über Romanhefte.

Flynn/Goldsmith (1999)

KNOWL2

Im Kreis meiner Freunde und Bekannten bin Flynn/Goldsmith (1999) ich einer der Experten für Romanhefte und Frauenzeitschriften.

KNOWL3 (r)

Verglichen mit den meisten anderen Menschen, weiß ich wenig über Romanhefte.

Flynn/Goldsmith (1999)

KNOWL4

Ich bin ein(e) langjährige(r) Abo-Kund(e)in.

Eigens entwickelt

KNOWL5

Ich kenne die Angebote bei Romanheften sehr gut.

Eigens entwickelt

KNOWL6

Ich verfolge regelmäßig die Angebote auf dem Zeitschriftenmarkt.

Eigens entwickelt

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 19: Quelle:

Indikatoren zur Messung des Kundenwissens Eigene Darstellung.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

121

Mit dem Konstrukt Kundenwissen ist die Schilderung der Kundenmotivationen abgeschlossen. Im folgenden Abschnitt 4.2.3 werden die drei, für die vorliegende Arbeit relevanten, Abwanderungsattributionen vorgestellt. 4.2.3 Dimensionen der Abwanderungsattributionen 4.2.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Wie in Abschnitt 3.2.2 zur Attributionstheorie aufgezeigt wurde, sind v. a. in der Service Recovery-Forschung die Attributionen von Kunden in Bezug auf das Versagen von Unternehmen untersucht worden. Danach versuchen Kunden im Falle von wahrgenommenen Fehlern des Unternehmens, z. B. Produktmängeln oder Verspätungen im Transport, die Ursachen bzw. Verursacher dieser Situationen abzuschätzen. Der Prozess der Attributionsbildung und die Resultate dieses Prozesses werden in die drei Dimensionen der Stabilität, des Lokus und der Kontrollierbarkeit unterschieden.421 Die folgende Abbildung 23 gibt einen Überblick über die im Weiteren vorgestellten drei Dimensionen der Kundenattributionen zur Abwanderung. Abwanderungsattributionen Lokus

Stabilität

Abbildung 23: Quelle:

Kontrollierbarkeit

Dimensionen der Abwanderungsattributionen Eigene Darstellung.

Im Abschnitt 3.2.3 wurde bereits ausführlich auf die Literatur zu möglichen Einflussgrößen und Konsequenzen der Abwanderungsattributionen eingegangen, sodass auf eine erneute umfangreiche Beschreibung an dieser Stelle verzichtet wird. Vielmehr sollen an dieser Stelle für die Herleitung der Hypothesen nur noch ausgewählte Erkenntnisse herangezogen werden. Attributionen von Individuen können über verschiedene Skalen erfasst werden. Dabei ist festzustellen, dass in bisher veröffentlichten Studien die Kundenattributionen kaum untersucht werden und wenn, dann auch nur ausgewählte Aspekte herangezogen werden.422 Insbesondere in der Forschung zur Kundenrückgewinnung wurden die Attributionen, die der Kunde mit der Abwande421

Die Dimension der Globalität wird aufgrund ihrer inhaltlichen Ausprägung in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet. Vgl. dazu die Ausführungen zur Globalität in Abschnitt 3.2.1. 422 Vgl. dazu auch den Abschnitt 3.2.2.

122

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

rung verbindet, bisher nicht berücksichtigt.423 Aus diesem Grund werden die Erkenntnisse aus der Service Recovery-Literatur auf den Kontext der Wiederaufnahme übertragen. In den Studien zur Service Recovery wird aufgezeigt, dass die Kundenattributionen Einfluss auf die Zufriedenheit und die Wiederkaufabsichten von Kunden haben.424 So wird in einigen empirischen Studien bestätigt, dass bei stabilen und durch andere Personen kontrollierbaren Ursachen die Bereitschaft, bei einem Anbieter erneut kaufen, geringer ausfällt.425 Zudem wurde festgestellt, dass Kunden, die die Ursache einer Situation in ihrer Person sehen (internale Zuschreibung), weniger unzufrieden und eher bereit sind, erneut bei einem bisherigen Anbieter zu kaufen bzw. nicht abzuwandern.426 Umgekehrt würde dies bedeuten, dass bei einer Zuschreibung des Lokus an das Unternehmen (d. h. der Verursacher), ein Kunde weniger zum Wiederkauf bzw. zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung bereit ist. Dies führt zu folgender Hypothese: H3a:

Der Lokus (hier: Unternehmen) übt einen negativen Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Der Lokus wurde als die Einschätzung des Kunden beschrieben, inwieweit das Unternehmen oder der Kunde selbst für die Kundenentscheidung zur Abwanderung verantwortlich ist. Es wird folglich erwartet, dass ein Kunde seine Abwanderung als stabil einschätzt, wenn das Unternehmen für die Abwanderungsursache vom Kunden als verantwortlich eingeschätzt wird. Hintergrund ist die Überlegung, dass ein Kunde über diese wahrgenommene Verursachung verärgert sein kann. Gleichzeitig wird erwartet, dass der Lokus (hier: Unternehmen) die Kontrollierbarkeit der Abwanderungsursache beeinflusst. Dies bedeutet aus Kundensicht, dass Unternehmen, die als Verursacher der Kundenabwanderung eingeschätzt werden, auch eine Möglichkeit zur Kontrolle der Abwanderung ihrer Kunden haben müssen und damit Einfluss auf die Umkehrbarkeit der Abwanderungsentscheidung haben. Diese Überlegungen führen zu folgender Hypothese:

423

H3b:

Der Lokus (Unternehmen) übt einen positiven Einfluss auf die Stabilität eines Abwanderungsgrunds aus.

H3c:

Der Lokus (Unternehmen) übt einen positiven Einfluss auf die Kontrollierbarkeit eines Abwanderungsgrunds aus.

Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 22. Vgl. Swanson/Kelley (2001). 425 Vgl. u. a. Folkes/Koletsky/Graham (1987); Weiner (2000). 426 Vgl. Kim (2006). 424

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

123

In der Studie von Folkes/Koletsky/Graham wird belegt, dass je stabiler eine Ursache des Serviceversagens wahrgenommen wird, desto geringer stellt sich die Bereitschaft dar, bei einem Anbieter erneut zu kaufen.427 Dies führt bezogen auf die Wiederaufnahmebereitschaft zu folgender Hypothese: H3d:

Die Stabilität (eines Abwanderungsgrunds) übt einen negativen Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Entgegen der Meinung von Folkes/Koletsky/Graham, dass eine Situation, die durch das Unternehmen kontrollierbar ist, zu einer geringeren Wiederkaufabsicht führt,428 wird angenommen, dass Kunden die Kontrollierbarkeit eines Abwanderungsgrunds durch das Unternehmen als Ausgangspunkt sehen, dass ein Anbieter sein Leistungsangebot im Sinne des Kunden verbessern kann. Daher wird erwartet, dass Kunden, die die Kontrollierbarkeit des Abwanderungsgrunds bei einem früheren Anbieter sehen, zur Wiederaufnahme bereit sind, da sie implizit von Verbesserungen der Unternehmensleistungen in der Zukunft ausgehen. Daraus leitet sich die folgende Hypothese ab: H3e:

Die Kontrollierbarkeit (des Abwanderungsgrundes) durch das Unternehmen übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

In den folgenden Tabellen werden im Überblick die einzelnen Indikatoren, die verwendeten Skalen und die Zuordnung der Indikatoren zu den Attributionsdimensionen aufgeführt. 4.2.3.2 Operationalisierung des Lokus Das Konstrukt des Lokus beschreibt, inwieweit der Abwanderungsgrund aus Kundensicht dem Unternehmen zuzuschreiben ist. Da dieses Konstrukt bisher in der relevanten Marketingliteratur kaum untersucht wurde, musste – mit Ausnahme eines Indikators – eine neue Skala entwickelt werden. Hierbei wurden Indikatoren herangezogen, die weitere Facetten des Konstrukts wiedergeben und den Lokus bei einer Abwanderung präzisieren (z. B. Personal des Unternehmens).

427 428

Vgl. Folkes/Koletsky/Graham (1987). Ebenda.

124

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Lokus

LOCUS1

Ihr Verlag ist für meine Kündigungsentscheidung verantwortlich.

Tsiros/Mittal/Ross (2004)

LOCUS2

Ihr (Service-)Personal hat meine Kündigungsentscheidung beeinflusst.

Eigens entwickelt

LOCUS3

Eigens entwickelt Die Managementstrategien und die Ausrichtung Ihres Verlags haben meine Kündigungsentscheidung beeinflusst.

Eigens entwickelt LOCUS4 (r) Meine Kündigungsentscheidung habe ich völlig losgelöst von Ihrem Verlag getroffen. Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 20: Quelle:

Indikatoren zur Messung des Konstrukts Lokus Eigene Darstellung.

4.2.3.3 Operationalisierung der Stabilität Das Konstrukt der Stabilität umschreibt die zeitliche Fixierung des Abwanderungsgrundes, d. h. Unveränderbarkeit. Zur Messung des Konstrukts wurden semantische Differenziale herangezogen, die bereits in einer Studie von Wirtz/Mattila eingesetzt wurden. Dabei wurde einer extrem hohen Stabilität der Wert 7 zugeordnet, während eine extrem geringe Stabilitätseinschätzung den Wert 1 erhielt. Als stabile Abwanderungsgründe werden die Extrempole „permanent/ständig“, „unveränderbar“ und „stabil über die Zeit“ verwendet. Als instabile Attribute werden hingegen „temporär/vorübergehend“, „veränderbar“ und „variabel über die Zeit“ angesehen. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Stabilität

Meine Kündigungsgründe sind ....

Quelle

STAB1

(7) Permanent/ ständig – (1) temporär/ vorübergehend

Wirtz/Mattila (2004)

STAB2 (r)

(1) Veränderbar – (7) unveränderbar

Wirtz/Mattila (2004)

STAB3

(7) Stabil über die Zeit – (1) variabel über Wirtz/Mattila die Zeit (2004)

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 Tabelle 21: Quelle:

Indikatoren zur Messung des Konstrukts Stabilität Eigene Darstellung.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

125

4.2.3.4 Operationalisierung der Kontrollierbarkeit Das Konstrukt ‚Kontrollierbarkeit’ bezieht sich auf die Einschätzung, inwieweit das Unternehmen Einfluss auf den Abwanderungsgrund des Kunden nehmen konnte bzw. hätte nehmen können. Das Konstrukt wird durch die in der folgenden Tabelle aufgeführten Indikatoren gemessen. Auch hier kamen semantische Differenziale zum Einsatz. Ein extrem hoher Wert der Kontrollierbarkeit durch das Unternehmen wurde dem Wert 7 zugeordnet. Eine extrem geringe Einschätzung der Kontrollierbarkeit des Unternehmens wurde mit dem Wert 1 versehen. Als kontrollierbare Abwanderungsgründe werden die Extrempole „kontrollierbar“, „vermeidbar“ und „beabsichtigt“ verwendet. Als instabile Attribute werden hingegen „überhaupt nicht kontrollierbar“, „überhaupt nicht vermeidbar“ und „überhaupt nicht beabsichtigt“ eingesetzt. Konstrukt

Variablenlabel

Kontrollierbarkeit

Meine Kündigungsgründe sind durch Ihren Verlag .….

Tabelle 22: Quelle:

Indikator

Quelle

CONTR1

Kontrollierbar – überhaupt nicht kontrollierbar

Wirtz/Mattila (2004)

CONTR2

Vermeidbar – überhaupt nicht vermeidbar

Hess Jr./Ganesan/Klein (2003)

CONTR3

Beabsichtigt – überhaupt nicht beabsichtigt

Hess Jr./Ganesan/Klein (2003)

Indikatoren zur Messung des Konstrukts Kontrollierbarkeit Eigene Darstellung.

Mit dem Konstrukt ‚Kontrollierbarkeit’ ist die Darlegung der Attributionsdimensionen mit den drei relevanten Variablen abgeschlossen. Im nächsten Abschnitt werden die Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens beschrieben. 4.2.4 Dimensionen des Wettbewerbs und explorativen Kundenverhaltens Im Folgenden werden die Elemente des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens (Suche nach neuen Reizen und Handlungsweisen) mit den hierfür relevanten konzeptionellen Grundlagen, empirischen Befunden, den abgeleiteten Hypothesen und der Operationalisierung der dabei betrachteten Konstrukte vorgestellt. Zu den Elementen des Wettbewerbs zählen die wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten und die Attraktivität der Alternativen. Diese Faktoren verdeutlichen die Stärke des Wettbewerbs und stellen mögliche Barrieren einer Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen dar. Dagegen umfassen die Variablen Variety Seeking und

126

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Wechselerfahrungen die Kundeneinstellungen in Bezug auf Abwechslung und die bisherigen Abwanderungserfahrungen in einer Branche. In der folgenden Abbildung 24 sind die vier Dimensionen der Wettbewerbseinflüsse bzw. des explorativen Kundenverhaltens dargestellt. Wettbewerb und exploratives Verhalten Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten

Variety Seeking

Attraktivität der Alternativen

Wechselerfahrungen

Abbildung 24:

Dimensionen des Wettbewerbs und explorativen Kundenverhaltens

Quelle:

Eigene Darstellung.

4.2.4.1 Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten 4.2.4.1.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Das Konstrukt ‚wahrgenommene Wiederaufnahmekosten’ ist nach bester Kenntnis der Verfasserin bisher nicht in der Marketingliteratur zu finden. Konzeptioneller Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung, Operationalisierung und Postulierung von Hypothesen dieses Konstrukts sind die sog. Wechselkosten, die sich auf einen aktuellen Anbieter und die mit der Abwanderung von diesem Anbieter verbundenen Kosten beziehen. Am Ende des Abschnitts erfolgt die Übertragung auf die neu konzipierte Variable der wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten. Wechselkosten, als wahrgenommene Kosten von Individuen, einen Anbieter zu verlassen und bei einem anderen Anbieter zu kaufen, können nach Ansicht der Verfasserin als eine Form von vorweggenommenen kognitiven Anstrengungen interpretiert werden. Kognitive Anstrengungen können wiederum zur Wahrnehmung von kognitiver Dissonanz und somit zu einem psychologischen Ungleichgewicht führen. Folgt man der Auffassung in der Dissonanztheorie, dass Individuen zur Reduktion bzw. Vermeidung von kognitiver Dissonanz tendieren, ist auch im Kontext von Geschäftsbeziehungen damit zu rechnen, dass Kunden bestrebt sind, jegliche kognitive Anstrengung zu vermeiden.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

127

Bei der Antizipation zukünftig auftretender (hoher) Wechselkosten werden sich Individuen dementsprechend für den Verbleib bei einem Unternehmen und damit gegen einen Wechsel bzw. die Abwanderung entscheiden.429 Unter den Wechselkosten werden alle wahrgenommenen ökonomischen und psychologischen Kosten von Kunden verstanden, die mit dem Wechsel von einem Anbieter zu einem anderen Anbieter verbunden sind.430 In der Marketingliteratur werden verschiedene Dimensionen bzw. Elemente von Wechselkosten, die im Weiteren kurz geschildert werden, aufgeführt. Als Ausgangspunkt der Forschung zu Wechselkosten kann die qualitativ ausgerichtete Arbeit von Klemperer betrachtet werden.431 Eine neuere, umfassende und empirisch geprüfte Kategorisierung von Wechselkosten ist in den Arbeiten von Jones/Mothersbaugh/Beatty zu finden. In diesen Beiträgen werden Wechselkosten in sechs Kategorien unterschieden. Diese Kategorien umfassen Kosten der entgangenen Leistung, Unsicherheitskosten, Kosten der Alternativensuche samt der Bewertung, Lernkosten, Eingewöhnungskosten an den neuen Anbieter und „sunk costs“.432 Eine verwandte, acht Kategorien umfassende Klassifizierung wurde von 433 Burnham/Frels/Mahajan vorgenommen. Der Begriff ‚Wechselkosten’ wird in der Marketingliteratur häufig auch in Zusammenhang mit dem Phänomen der Wechselbarrieren verwendet. Wechselbarrieren resultieren dabei aus mehreren Faktoren, u. a. den Wechselkosten, der Attraktivität von Alternativen und den Beziehungsinvestitionen.434 Während als empirische Studien zur Wirkung von Einflussgrößen auf die Art der Wechselkosten und -barrieren der Verfasserin nur die Arbeit von Burnham/Frels/Mahajan bekannt ist,435 sind die Konsequenzen von Wechselkosten ausführlich untersucht worden. Neben Arbeiten zur Wirkung auf das Commitment436 liegt der Fokus der Studien auf der Wirkung der Wechselkosten bzw. -barrieren auf die Kundenloyalität, die Wechsel- und Abwanderungsabsichten und die Wahrnehmung der Gebundenheit von Kunden. Dabei kann das Empfinden von Wechselkosten aus 429

Dieser kognitive Entscheidungsprozess wird auch als „switching dilemma“ bezeichnet. Vgl. Colgate/Lang (2001), S. 332. Vgl. Colgate/Lang (2001), S. 333; Dick/Basu (1994); Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 441; Porter (1980). 431 Klemperer hat in seiner Arbeit zwei Arten von Wechselkosten unterschieden: Transaktions- und Lernkosten eines Markenwechsels. Vgl. Klemperer (1987), S. 375 f. 432 Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 262; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 441-443. 433 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 111 f. Weitere Klassifikationen stammen von Fornell (1992) und Sharma/Patterson (2000). 434 Vgl. Colgate/Lang (2001), S. 337; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 261. Ähnlich Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 441. Zur Unterscheidung von Wechselkosten und Wechselbarrieren vgl. u. a. Maute/Forrester (1993), S. 227. 435 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003). 436 Vgl. Jones et al. (2007), S. 346; Sharma/Patterson (2000), S. 483. 430

128

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Kundensicht zu einem Abhängigkeitsverhältnis mit dem Unternehmen führen.437 Die Kundenbindung ist demnach umso höher, je höher die Kosten bzw. Barrieren eines Wechsels von Anbietern eingeschätzt werden.438 Insbesondere in Geschäftsbeziehungen, in denen die Kunden eine geringe Zufriedenheit aufweisen, wirken Wechselkosten bindend auf Kunden und halten sie tendenziell von einer Abwanderung ab.439 Allerdings ist die langfristige Wirkung von Wechselkosten auf Unternehmen umstritten, da sich Neukunden aufgrund der wahrgenommenen Kosten ggf. gegen eine Geschäftsbeziehung mit einem Anbieter entscheiden können und sich eine Kundenakquisition damit schwierig gestaltet.440 Der bewusste Einsatz von Wechselbarrieren als Instrumente der Kundenbindung seitens der Anbieter kann sogar langfristig negative Folgen für die Unternehmen haben, insbesondere, wenn die Kundenunzufriedenheit (als moderierende Größe) nachhaltig und andauernd ist.441 Im Rahmen der Diskussion der Phänomene ‚Wechselabsichten’ bzw. ‚Abwanderungsabsichten’ wurde festgehalten, dass bei niedrigen wahrgenommenen Wechselkosten bzw. -barrieren höhere Wechselbereitschaften und häufigeres Wechselverhalten existieren.442 Darüber hinaus bergen Wechselkosten und -barrieren die Gefahr, dass sich Kunden in einer Geschäftsbeziehung gefangen fühlen.443 Allerdings können positive Barrieren wie z. B. zwischenmenschliche Bindungen beim Kunden ein geringes Gefühl des „locked in“ bzw. „trapped“ („Gefangensein“) auslösen und daher weniger für das Unternehmen negative Verhaltensweisen von Kunden verursachen.444 Aus den konzeptionellen und empirischen Arbeiten zu Wechselkosten und -barrieren heraus lassen sich Anhaltspunkte zur Ableitung von Wiederaufnahmekosten und deren Wirkungen auf Kundenabsichten finden. In der relevanten Literatur zu habitualisiertem Kaufverhalten wird davon ausgegangen, dass Individuen bestrebt sind, das Leben einfach zu gestalten und jegliche Schwierigkeiten zu vermeiden.445 Dieses Streben nach Komplexitätsreduktion lässt sich auch auf die Wiederaufnahme einer früheren Beziehung übertragen. Dabei sollen unter dem Begriff der wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten (WAK) jegliche Aufwendungen verstanden werden, die ein Kunde 437

Vgl. Morgan/Hunt (1994). Vgl. Ping (1993), S. 345; Ranaweera/Prabhu (2003), S. 384. Vgl. Colgate/Lang (2001), S. 334; Dick/Basu (1994), S. 104; Grönhaug/Gilly (1991); Jones/ Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 259 f.; Porter (1980), S. 10; Sharma/Patterson (2000), S. 484. 440 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 120; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 448. 441 Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 269. 442 Vgl. Bansal/Taylor (1999) S. 211; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 262. 443 Vgl. Ranaweera/Prabhu (2003), S. 390. 444 Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 268. 445 Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 402. 438 439

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

129

vor einer konkreten Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen oder bereits bei Überlegungen zur Wiederaufnahme wahrnimmt. Das Konzept der WAK unterscheidet sich von den Wechselkosten darin, dass Kunden bei der Entscheidung zur Wiederaufnahme Kosten bzw. Barrieren empfinden, die sie von der Wiederaufnahme abhalten können, während Wechselkosten vor der eigentlichen Abwanderungsentscheidung wahrgenommen werden können. Die Kosten einer Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen können von den realen Kosten einer tatsächlichen Wiederaufnahme abweichen. Es erscheint plausibel, dass die Kenntnis der Prozesse und des Leistungsumfangs eines früheren Anbieters begünstigend, im Sinne von „kostenneutral“, auf die Kundeneinschätzung von Wiederaufnahmekosten wirkt. Förderlich für eine Wahrnehmung niedriger Wiederaufnahmekosten kann die Wahrnehmung von Kosten der vorangegangenen Abwanderung sein. Dabei können frühere Beziehungsinvestitionen des Kunden durch eine Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung „zurückerworben“ werden.446 Entsprechend der Literatur zu den Wechselkosten bzw. -barrieren ist davon auszugehen, dass hohe wahrgenommene Wiederaufnahmekosten eher hinderlich für eine generelle Bereitschaft zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung sind. Ein Erklärungsgrund hierfür kann darin liegen, dass der Aufwand für eine Rückkehr durch den Kunden als nachteilig eingeschätzt wird. Um einen Vertrag mit dem früheren Anbieter erneut abzuschließen, sind Schritte wie die Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen, die Verhandlung über Konditionen und die Kündigung möglicher bestehender Verträge seitens des Kunden erforderlich. In einer neueren Studie zum Konsumentenverhalten wird bestätigt, dass den Individuen eine gewisse Trägheit inhärent ist – aus der ein auch vom abgewanderten Kunden präferierter Status quo der Inaktivität geschlossen werden kann.447 Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussion wird folgende Hypothese aufgestellt: H4a:

446

Die Wiederaufnahmekosten üben einen negativen Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Diese Annahme wird durch eine empirische Studie gestützt, nach der „lost performance costs“ und somit Privilegien oder Sonderbehandlungen eines Anbieters die höchste Wirkung auf Wiederkaufabsichten ausüben. Vgl. Jones/Mothersbaugh/Beatty (2002), S. 447. 447 Vgl. Burmeister/Schade (2005).

130

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.4.1.2 Operationalisierung Die aus dem Kontext der Wechselkosten abgeleiteten Indikatoren zur Messung der wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Dabei werden wie in den vorangegangenen Abschnitten zur Operationalisierung nur die Formulierungen für das Verlagshaus vorgestellt. Im Falle des Verkehrsdienstleisters wurden leichte Änderungen der Indikatoren vorgenommen, um diese dem Unternehmenskontext anzupassen. Für die Operationalisierung des Konstrukts ‚wahrgenommene Wiederaufnahmekosten’ wurden Indikatoren zweier etablierter Skalen ausgewählt und um drei eigens entwickelte Indikatoren ergänzt, um die Besonderheit der Wiederaufnahme vertraglicher Geschäftsbeziehungen zu erfassen. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten

REACTCOST1

Ich glaube, die Kosten einer Rückkehr zu Ihrem Verlag würden hinsichtlich Zeit, Geld und Anstrengung für mich sehr hoch sein.

Bansal/Taylor/ James (2005)

REACTCOST2

Bei einer Rückkehr zu Ihrem Verlag Bansal/Taylor/ könnte ich viel aus meiner jetzigen bzw. James (2005) einer neuen Geschäftsbeziehung verlieren.

REACTCOST3

Die Rückkehr zu Ihrem Verlag ist mir zu risikoreich bzw. zu unsicher.

Sharma/Patterson (2000)

REACTCOST4

Es ist für mich zu kompliziert, einen neuen Vertrag mit Ihrem Unternehmen aufzunehmen.

Eigens entwickelt

REACTCOST5

Die Rückkehr zu Ihrem Verlag ist mir zu umständlich.

Eigens entwickelt

REACTCOST6 (r)

Die Rückkehr zu Ihrem Verlag ist einfach, da ich Ihren Verlag noch gut kenne und mit den Abläufen vertraut bin.

Eigens entwickelt

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 23: Quelle:

Indikatoren zur Messung der wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten Eigene Darstellung.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

131

4.2.4.2 Attraktivität der Alternativen 4.2.4.2.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung In der Theorie der kognitiven Dissonanz wird in der Existenz von Alternativen und deren wahrgenommener Attraktivität ein Auslöser für das Entstehen von kognitiver Dissonanz gesehen. Demnach beurteilen Individuen die eigene Wahl v. a. nach den nicht gewählten Handlungsoptionen und vergleichen zwischen allen Alternativen die wahrgenommenen „Gewinne“ bzw. „Verluste“. Je höher nun die vom Individuum eingeschätzte Attraktivität der Alternativen ausfällt, desto eher versucht eine Person entweder die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen oder eine gänzlich neue Handlung anzustreben. Attraktive Alternativen können folglich zum Markenwechsel bzw. zur Abwanderung aus einer Geschäftsbeziehung führen.448 Die Position eines Unternehmens im Vergleich zu seinen Wettbewerbern kann über ökonomische Daten wie den Marktanteil bestimmt werden. Ein kundenbezogener Ansatz der Positionsbestimmung von Unternehmen im Wettbewerbsgefüge ist die Befragung von Kunden zur Einschätzung der Attraktivität vorhandener Alternativen.449 Im Marketing werden als Einflussgrößen der Attraktivität von Alternativen v. a. die Verbundenheit und Gebundenheit von Kunden aufgeführt. Danach wirkt sich die Kundenverbundenheit mit einem Anbieter negativ auf dessen Suche nach alternativen Angeboten aus.450 Mögliche weitere Faktoren, die über die Attraktivität von Alternativen entscheiden, sind u. a. die Verfügbarkeit eines umfangreichen Serviceangebots und niedrigere Preise.451 Als Konsequenz der Attraktivität von Alternativen in persönlichen Beziehungen wird v. a. die Abwanderungsabsicht aufgeführt.452 Ähnliche Befunde sind in der Marketingliteratur ausgewiesen. Attraktive alternative Angebote erschweren die Bindung der Kunden und können in der Beendigung von Geschäftsbeziehungen und in dem Wechsel zu einem neuen Anbieter resultieren.453 Fehlende Alternativen hingegen führen zum Verbleib bei einem Unternehmen, auch wenn die Beziehung als nicht zufrieden stellend wahrgenommen wird.454 Es wird daher für diese Arbeit postuliert, dass die wahrgenommene Attraktivität von Konkurrenzangeboten auch die Bereitschaft beeinflusst, eine frühere Geschäftsbeziehung wiederaufzunehmen. Als Grund wird 448

Zur Diskussion unterschiedlicher empirischer Studien zur Wirkung der Attraktivität von Alternativen auf Dissonanz reduzierende Verhaltensweisen vgl. Abschnitt 3.1.2. Vgl. Ping (1993); Rusbult (1980); Sharma/Patterson (2000), S. 475. 450 Vgl. Eggert (1999), S. 150 f. 451 Vgl. Sharma/Patterson (2000), S. 474. 452 Vgl. Farrell/Rusbult (1992); Rusbult (1983); Rusbult/Zembrodt/Gunn (1982). 453 Vgl. Bansal/Taylor/James (2005), S. 108; Jones/Mothersbaugh/Beatty (2000), S. 267; Peter (1999), S. 123 f.; Ping (1993), S. 340; Sharma/Patterson (2000), S. 474. 454 Vgl. Bejou/Palmer (1998); Bendapudi/Berry (1997), S. 19; Colgate/Lang (2001), S. 334. 449

132

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

insbesondere davon ausgegangen, dass der Kunde den Nutzen der früheren Geschäftsbeziehung im Vergleich mit den Alternativen der Konkurrenz als deutlich geringer wahrnimmt. Dies ist unabhängig davon, ob der Kunde mögliche Alternativen zu dem früheren Anbieter nutzt, d. h. bei den Wettbewerbern kauft bzw. Verträge abschließt. Dies führt zu folgender Hypothese: H4b:

Die Attraktivität von Alternativen übt einen negativen Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

4.2.4.2.2 Operationalisierung In der Tabelle 24 sind die Indikatoren, die das Konstrukt der Attraktivität der Alternativen messen, zusammengefasst. Dabei bewerten die abgewanderten Kunden allgemein die Attraktivität der Alternativen am Markt, unabhängig davon, ob sie einen Vertrag bei einem anderen Wettbewerber haben oder marktabstinent sind.455 Zur Operationalisierung des Konstrukts werden Indikatoren einer etablierten Skala von Sharma/Patterson herangezogen und um drei neue Indikatoren ergänzt. Zielsetzung ist es, weitere Indikatoren heranzuziehen, die durch das Konstrukt der Attraktivität der Alternativen bestimmt werden. Auch hier werden der Übersichtlichkeit halber nur die Indikatoren des Verlagshauses aufgeführt. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Attraktivität der Alternativen

ALTATTR1 Alles in allem sind Ihre Abonnements (r) günstiger als jene bei anderen Verlagen.

Sharma/Patterson (2000)

ALTATTR2 Andere Verlage bieten genau die Produktpalette an, die ich brauche.

Sharma/Patterson (2000)

ALTATTR3 Andere Verlage bieten mir mehr Nutzen als Ihr Verlag.

Sharma/Patterson (2000)

ALTATTR4 Es gibt im Abo-Bereich sehr viele Verlage, die interessant für mich sind.

Eigens entwickelt

ALTATTR5 Andere Verlage bieten eine größere Auswahl Eigens entwickelt an Abos als Ihr Verlag an. ALTATTR6 Andere Verlage informieren mich häufig über günstige Aboangebote.

Eigens entwickelt

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 24: Quelle:

455

Indikatoren zur Messung der Attraktivität der Alternativen Eigene Darstellung.

Zur Abgrenzung von Kundenwechsel und Kundenabwanderung vgl. Abschnitt 2.1.1 und die dort aufgeführte Abbildung 6.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

133

4.2.4.3 Variety Seeking 4.2.4.3.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Das Konstrukt ‚Variety Seeking’, d. h. das Bedürfnis nach Abwechslung, findet seine theoretische Erklärung in der Theorie der kognitiven Dissonanz.456 Innere Wertestrukturen eines Individuums können einen starken Wunsch nach neuartigen Erfahrungen beinhalten. Befindet sich ein Individuum in einer Situation, die diesem Wunsch nach neuen Reizen nicht entspricht, oder stellt sich Gewöhnung an eine Leistung eines Unternehmens ein, kann dies bei der Person zur Wahrnehmung von Dissonanz und in Folge zu Dissonanz reduzierenden Absichten und Verhaltensweisen führen. Ein Produktwechsel oder die Abwanderung aus einer Geschäftsbeziehung bzw. eine Wiederaufnahme der früheren Geschäftsbeziehung ist nach Ansicht der Verfasserin denkbar, wenn damit neuartige Reize für den abgewanderten Kunden verbunden sind. In der Literatur finden sich zwei divergierende Ansätze, den Wunsch nach Abwechslung zu konzeptualisieren. Dabei wird in eine intrinsische und extrinsische Motivation des Variety Seeking unterschieden. Die intrinsische Motivation wird verstanden als „[…] one for which there is no apparent reward except the activity itself. People engage in the activities for their own sake and not because they lead to an extrinsic reward.”457 Mit dieser Begriffsabgrenzung werden v. a. die Selbstbestimmtheit, Autonomie und der Nutzen eines Individuums angesprochen, die allein die innere Erfüllung in den Vordergrund seiner Einstellungen, Absichten und seines Verhaltens stellen.458 Dagegen steht bei der extrinsischen Motivation v. a. der Zweck der Tätigkeit im Vordergrund.459 Danach werden Kunden durch externe Angebote bzw. Reize der Umgebung, z. B. durch andere Kunden (Weiterempfehlung mit Prämie) oder Unternehmen (Wechselprämien), angesprochen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird aus forschungsökonomischen Gründen auf die intrinsische Dimension des Variety Seeking abgestellt. Die Konsequenzen des Variety Seeking werden v. a. in der Bereitschaft, eine Marke oder einen Anbieter zu wechseln und im tatsächlichen Wechselverhalten gesehen.460 Diese negative Wirkungsbeziehung zwischen dem Variety Seeking und der Kunden-

456

Vgl. Peter (1999), S. 100. Deci (1975), S. 23. 458 Vgl. Tscheulin (1994), S. 46. 459 Vgl. McReynolds (1971), S. 159. 460 Vgl. Bansal/Taylor/James (2005), S. 108; Burmeister/Schade (2005), S. 16; McAlister/Pessemier (1982), S. 141. 457

134

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

bindung wird in mehreren Studien empirisch bestätigt.461 Der Kunde wechselt infolge dieser Studien nicht aufgrund von Unzufriedenheit eine Marke oder einen Anbieter, sondern, da ihm der Wechsel selbst einen zusätzlichen Nutzen stiftet.462 In der Literatur finden sich empirische Belege dafür, dass auch zufriedene Kunden den Wunsch nach Abwechslung haben.463 Eine Übersicht empirischer Marketingbefunde zu den Wirkungen des Variety Seeking ist bei Helmig einzusehen.464 Im Rahmen des Kundenrückgewinnungsmanagements wurde dem Variety Seeking ein negativer Einfluss auf den Rückgewinnungserfolg, d. h. die tatsächliche Rückkehr eines abgewanderten Kunden attestiert.465 Sieben hat eine erneute Kundenbindung als einen Auslöser für das Absinken des individuellen Stimulusniveaus interpretiert, sodass ein Kunde mit einem hohen Abwechslungsbedürfnis eine nur geringe Motivation aufweist, zurückzukehren.466 Nach Ansicht der Verfasserin kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Kunden mit einem hohen Bedürfnis nach Abwechslung einen früheren Anbieter erneut in Betracht ziehen, wenn seit der Kündigung eine längere Zeit vergangen ist, wenige Anbieter auf dem Markt agieren oder bei alternativen Anbietern wenig zufrieden stellende Verträge eingegangen wurden. Insbesondere die längere Abwesenheit des Kunden (im Sinne der vergangenen Zeit seit der Kundenabwanderung) kann zur Einschätzung des Kunden führen, dass der frühere Anbieter innovative Produkte oder Dienstleistungen anbietet, die eine neue Anziehungskraft ausüben können, sodass das frühere Unternehmen erneut in das „consideration set“ des Kunden, d. h. die engere Kaufwahl gelangt. Einen Anhaltspunkt für diese Überlegungen bietet die empirische Studie von Roos.467 Es kann davon ausgegangen werden, dass Individuen mit einem hohen Bedürfnis nach Abwechslung dieses Streben durch entsprechendes, d. h. konkludentes Handeln erfüllen. Demnach führt ein hohes Ausmaß an Variety Seeking zu häufigerem Markenwechsel bzw. zur Abwanderung aus Geschäftsbeziehungen. Dies resultiert wiederum über den Verlauf der Zeit in höhere allgemeine Wechselerfahrungen und in umfangreichere Kenntnisse im Umgang mit Unternehmen in verschiedenen Branchen.468

461

Vgl. Chintagunta (1999); Homburg/Giering (2001), S. 57; Peter (1999), S. 99; Sheth/Parvatiyar (1995), S. 286. Vgl. Peter (1999), S. 100; Tscheulin (1994), S. 54. 463 Vgl. Ganesh/Arnold/Reynolds (2000). 464 Vgl. Helmig (1997), S. 46 f. 465 Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006); Homburg/Sieben/Stock (2004). 466 Vgl. Sieben (2002), S. 107. 467 Hierbei wird das Abwechslungsbedürfnis als eine mögliche Einflussgröße des Rückkehrverhaltens der Kunden erfasst. Vgl. Roos (1999), S. 75. 468 Das Konstrukt der Wechselerfahrungen wird im nächsten Abschnitt vorgestellt. 462

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

135

Daraus leitet sich die folgende Hypothese ab: H4c:

Das intrinsisch motivierte Variety Seeking übt einen positiven Einfluss auf die Wechselerfahrungen aus.

Aufbauend auf der Hypothese H4c und der empirischen Literatur wird also davon ausgegangen, dass Individuen mit einem hohen Abwechslungsbedürfnis tendenziell häufiger den Anbieter wechseln. Aus den daraus gewonnenen Erfahrungen des Kunden wiederum können sich höhere Kundenerwartungen und die Kenntnis des eigenen Kundenwerts ableiten. Inwieweit sich Kunden des eigenen Werts für Unternehmen bewusst sind, ist empirisch aber noch nicht belegt. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass Kunden in zahlreichen Branchen recht umfassende Erfahrungen in Verhandlungen mit Unternehmen haben (z. B. im Abschluss von MobilfunkVerträgen mit quer subventionierten Mobilfunkgeräten). Diese Wirkungsbeziehung gilt sowohl für das intrinsisch motivierte als auch für das extrinsisch motivierte Variety Seeking. Es ist davon auszugehen, dass Kunden, die sich ausschließlich durch Unternehmensangebote motivieren lassen, deutlich höhere Rückgewinnungserwartungen (in Bezug auf z. B. materielle Angebote)469 an den früheren Anbieter aufweisen. Unabhängig davon ist aber auch anzunehmen, dass Kunden, die den inneren Wunsch nach Abwechslung haben, Angeboten zur Rückgewinnung positiv gegenüberstehen, sodass auch das intrinsisch motivierte Variety Seeking die Erwartungen an Rückgewinnungsaktivitäten des Unternehmens erhöht. Ausgehend von diesen Überlegungen wird folgende Hypothese aufgestellt: H4d:

Das intrinsisch motivierte Variety Seeking übt einen positiven Einfluss auf die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft aus.

4.2.4.3.2 Operationalisierung Die Tabelle 25 weist die in der Untersuchung verwendeten Indikatoren aus. Die Bezeichnung ‚Firma’ wurde dabei bewusst gewählt, da dieser Begriff in der Umgangssprache für die Beschreibung von Unternehmen weit verbreitet und somit für die Probanden verständlich ist. Für die Operationalisierung des Konstrukts ‚Variety Seeking’ wurden Indikatoren von zwei etablierten Skalen verwendet. Darüber hinaus wurden zwei neue Indikatoren aufgenommen, die die Selbstzuschreibung und das Verhalten von Kunden in Bezug auf Abwechslung erfassen sollen.

469

Die Rückgewinnungserwartungen werden in der vorliegenden Arbeit als spezifische Wiederaufnahmebereitschaften (SWAB) konzeptualisiert und operationalisiert.

136

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Variety Seeking

VARSEEK1 Ich bleibe lieber bei einer Firma, als (r) etwas Neues und Unsicheres auszuprobieren.

van Trijp/Hoyer/Inman (1996)

VARSEEK2 Ich genieße es, neue Firmen und Produkte/ Verträge auszuprobieren, um mein Leben interessanter zu gestalten.

van Trijp/Hoyer/Inman (1996)

VARSEEK3 Ich probiere gern immer wieder etwas Neues aus.

Homburg/Sieben/Stock (2004)

VARSEEK4 Ich bin ständig auf der Suche nach Abwechslung.

Homburg/Sieben/Stock (2004)

VARSEEK5 Ich bin ein experimentierfreudiger Mensch.

Eigens entwickelt

VARSEEK6 Es macht mir Spaß, neue Angebote auszuprobieren.

Eigens entwickelt

Legende: (r): revers kodierter Indikator, Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu). Tabelle 25: Quelle:

Indikatoren zur Messung des Variety Seeking Eigene Darstellung.

4.2.4.4 Wechselerfahrungen 4.2.4.4.1 Inhaltliche Grundlagen und Hypothesenbildung Die Theorie der kognitiven Dissonanz leistet einen Erklärungsbeitrag für die Entstehung von Wechselerfahrungen. Unter der Annahme, dass bestimmte Ereignisse kognitive Dissonanz hervorrufen können, ist ein Individuum bestrebt, diese Dissonanz über neue Wertestrukturen oder konkrete Handlungen abzubauen. Ein Kunde kann seine auf Unzufriedenheit ggü. dem Anbieter bezogene Dissonanz bspw. durch eine Beziehungsbeendigung reduzieren. Mit dem Wechsel von Anbietern einher geht der Aufbau von Erfahrungen. Erfahrungen stellen eine vergangenheits- und wissensbasierte Gesamtheit von Erlebnissen und deren individuelle Bewertung dar. Diese Erfahrungen treten im Endkundengeschäft mit Produkten, Dienstleistungen und Personen (z. B. Mitarbeitern) auf, sodass aus diesen Erfahrungen heraus die Kunden über ein Unternehmen und dessen Leistungen eine Meinung bilden. Den Erfahrungen wird wiederum ein Einfluss auf die Risikowahrnehmung zugeschrieben. Dabei gilt, je umfassender die Erfahrungen mit einer Sache oder einer Person sind, desto geringer wird das jeweilige Risiko einer Handlung eingeschätzt.470

470

Vgl. Alba/Hutchinson (1987).

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

137

In der empirischen Marketingforschung werden v. a. Produkterfahrungen und Beschwerdeerfahrungen von Konsumenten untersucht. Dabei werden diese Erfahrungen über die Dauer der Produktnutzung, die Einschätzung der Produktqualität und die Beschwerdequalität operationalisiert.471 In der Literatur zur Kundenabwanderung werden v. a. Wechselerfahrungen als eine Einflussgröße der Beziehungsbeendigung behandelt. Wechselerfahrungen werden definiert als der Umfang, in dem ein Kunde in der Vergangenheit zwischen verschiedenen Anbietern gewechselt und dementsprechend Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Unternehmen gesammelt hat.472 Damit sind Wechselerfahrungen durch konkrete Handlungen determiniert. Innerhalb des Konstrukts Kundenwissen stellen – wie aufgezeigt – die Erfahrungen eine Dimension zur Beschreibung des Kundenwissens dar.473 Mit zunehmenden Erfahrungen steigt die Familiarität bzw. Vertrautheit mit einer Sache. Kunden mit einer größeren Vertrautheit mit Unternehmen können eher zwischen schlechter und guter Leistung unterscheiden als Kunden mit niedriger ausgeprägter Vertrautheit. In einer empirischen Studie wird gezeigt, dass die Kunden bei positiver Leistung und hoher Anbietererfahrung eher zufrieden und eher zu einem Wiederkauf bereit sind als jene Kunden mit geringen Erfahrungswerten.474 Während die Familiarität als Gesamtheit aller produktbezogenen Erfahrungen definiert wird,475 stellen Wechselerfahrungen die anbieterbezogenen Erlebnisse in Zusammenhang mit der Abwanderung und Aufnahme neuer Geschäftsbeziehungen dar. Damit implizieren Wechselerfahrungen, dass ein Kunde den Anbieter mit seinen Produkten bzw. Dienstleistungen über einen bestimmten Zeitraum kennen gelernt hat. Eine weitere Einflussgröße des Kundenwissens stellt das Variety Seeking dar. Danach sammeln Individuen verstärkt Erfahrungen bei anderen Anbietern, um ihr Abwechslungsbedürfnis zu befriedigen.476 Die Erfahrungen des Kunden mit einem Unternehmen wirken positiv auf dessen Wahrnehmung von Rückgewinnungsangeboten und die Bereitschaft zur Wiederaufnahme einer früheren Geschäftsbeziehung.477 Burnham/Frels/Mahajan haben festge-

471

Erfahrungen mit dem Unternehmen wirken einer Studie zufolge positiv moderierend auf die Beziehung der Zufriedenheit mit der Beschwerdebehandlung und das Vertrauen sowie Commitment. Bei höheren positiven Erfahrungen mit dem Unternehmen weist die Unzufriedenheit dagegen eine schwache negative Wirkung auf das Vertrauen und Commitment auf. Vgl. Tax/Brown/Chandrashekaran (1998), S. 70. 472 Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 114. 473 Vgl. Abschnitt 4.2.2.4. 474 Vgl. Söderlund (2002), S. 872. 475 Vgl. u. a. Alba/Hutchinson (1987), S. 411. 476 Vgl. dazu auch den Abschnitt 4.2.4.3. 477 Vgl. Tokman/Davis/Lemon (2007), S. 54.

138

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

stellt, dass sich die Wahrnehmung der Höhe von Wechselkosten mit zunehmenden Wechselerfahrungen der Kunden reduziert. 478 Damit ist zu erwarten, dass höhere Wechselerfahrungen eine Beziehungsbeendigung durch den Kunden begünstigen, insbesondere dann, wenn weitere Einflüsse wie Kundenunzufriedenheit bzw. Wettbewerbsangebote gegenwärtig sind. Umfangreichere Wechselerfahrungen der Kunden dürften darüber hinaus mit einem größeren Vertrauen in deren eigene Fähigkeiten verbunden sein. Dieses Vertrauen wiederum dürfte die Kunden zu einem leichteren Wechsel zwischen den Anbietern motivieren. In Abhängigkeit der Marktsituation (z. B. Oligopol) kann ein häufiger Anbieterwechsel gleichbedeutend sein mit der Rückkehr zu einem früheren Anbieter. Alles in allem ist daher davon auszugehen, dass umfassende Wechselerfahrungen die Kundenabsicht zur Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen fördern. Daraus wird folgende Hypothese abgeleitet: H4e:

Die Wechselerfahrungen üben einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Die Wechselerfahrungen umfassen die Kenntnisse des Kunden in einer bestimmten Branche. Erst durch umfangreichere Wechselerfahrungen können die Kunden alternative Wettbewerber kennen lernen und deren Attraktivität im Vergleich zu anderen Unternehmen bewerten. Bei hohen Wechselerfahrungen steigt zudem die Fähigkeit von Kunden, diese Erfahrungen übergreifend beurteilen zu können und die Vor- bzw. Nachteile von Unternehmen besser abzuschätzen. Daraus leitet sich folgende Hypothese ab: H4f:

Die Wechselerfahrungen üben einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung der Attraktivität von Alternativen aus.

Es wird angenommen, dass Kunden mit umfangreicheren Wechselerfahrungen höhere Ansprüche an ein früheres Unternehmen stellen und somit spezifische Unternehmensmaßnahmen für eine Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung erwarten. Dies führt zu folgender Hypothese: H4g:

478

Die Wechselerfahrungen üben einen positiven Einfluss auf die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Vgl. Burnham/Frels/Mahajan (2003), S. 118.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

139

4.2.4.4.2 Operationalisierung Trotz der oft zitierten Bedeutung von Wechselabsichten und Abwanderungsverhalten fällt auf, dass kaum empirische oder konzeptionelle Arbeiten zu den Wechselerfahrungen vorliegen. Die Operationalisierung und empirische Analyse von Wechselerfahrungen in dieser Arbeit stellt somit einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag dar. In der Tabelle 26 sind die in der eigenen empirischen Studie verwendeten Indikatoren aufgeführt. Dabei lag der Fokus auf Kundenerfahrungen in der jeweiligen Branche. Die etablierte Skala von Burnham/Frels/Mahajan wurde um einen neuen Indikator ergänzt, um eine weitere Konstruktfacette in der Erhebung berücksichtigen zu können. In der Tabelle 26 sind wie in den anderen Abschnitten zuvor nur die Indikatoren für das Verlagshaus aufgeführt. Konstrukt

Variablenlabel

Indikator

Quelle

Wechselerfahrungen

SWEXP1

Auch bei anderen Verlagen teste ich ab Eigens entwickelt und zu neue Abos.

SWEXP2

In der Vergangenheit habe ich häufig zwischen Zeitschriften- und Romanheftenabos gewechselt.

Burnham/ Frels/Mahajan (2003)

SWEXP3

Gelegentlich probiere ich neue Abonnements aus.

Burnham/ Frels/Mahajan (2003)

SWEXP4

Wie viele Abos haben Sie in den letzten 3 Jahren ausprobiert bzw. wie oft haben Sie einen neuen Vertrag abgeschlossen? 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6.

Burnham/ Frels/Mahajan (2003)

Legende: Messung der Indikatoren auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = stimme gar nicht zu, 7 = stimme voll und ganz zu), mit Ausnahme von SWEXP4. Tabelle 26: Quelle:

Indikatoren zur Messung der Wechselerfahrungen Eigene Darstellung.

Mit den Wechselerfahrungen ist die Schilderung der Wettbewerbs- und Explorationsdimension abgeschlossen. Im nächsten Abschnitt werden soziodemografische Variablen beschrieben, denen innerhalb des hier vorliegenden Modells der Wiederaufnahme Einfluss zugeschrieben wird.

140

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.5 Soziodemografische Einflussgrößen Unter soziodemografischen Daten sind personenspezifische Größen zu verstehen. Dazu zählen u. a. das Geschlecht, das Alter, der Bildungsstand und das Haushaltseinkommen. In einer Studie wurden soziodemografische Daten als Bestimmungsgrößen für die Abwanderungsneigung herangezogen.479 Den dort berichteten Befunden zufolge sind soziodemografische Daten gut geeignet, um unterschiedliche Kündigungsneigungen zu begründen.480 Ergänzende Einstellungsvariablen reichern die existierenden Befunde weiter an, sodass soziodemografische Daten allein nicht aussagekräftig genug sind. In mehreren Marketingstudien wird das Alter der Kunden als Einflussgröße für Kundenabsichten und -verhalten herangezogen.481 Ein Grund für das Heranziehen des Alters als Untersuchungsgegenstand liegt in der mit zunehmenden Alter abnehmenden Risikobereitschaft, der geringeren Flexibilität und der Zunahme habituellen Verhaltens und den damit verbundenen Wirkungen auf die Kundenbindung.482 Die Tabelle 27 gibt einen Überblick über ausgewählte Arbeiten, in denen die soziodemografischen Variablen Alter und Einkommen auf ihre Wirkung in der Kundenbindung untersucht wurden. Untersuchungsgegenstand

Autoren (Jahr)

Resultate

Alter

Zollner (1995)

Das Alter hat über die Kundenzufriedenheit eine positive Wirkung auf die Kundenbindung.

Homburg/Giering (2001)

Das Alter hat eine verstärkende Wirkung auf den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

Mittal/Kamakura (2001), S. 139

Ältere Kunden haben eine höhere Wiederkaufwahrscheinlichkeit.

Evanschitzky/Wunderlich (2006), S. 338

Ältere Kunden sind dem Unternehmen gegenüber loyaler.

Krafft (2007), S. 105

Junge Kunden weisen höhere Kündigungswahrscheinlichkeiten auf.

Fortsetzung auf der nächsten Seite

479

Vgl. Krafft (2007), S. 100-106. Vgl. Krafft (2007), S. 106. 481 Vgl. u. a. Angerer/Foscht/Swoboda (2006); Homburg/Giering (2001); Mittal/Kamakura (2001). 482 Vgl. Weinberg (1977), S. 166; Weinberg (1998), S. 49 f. 480

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

141

Fortsetzung Einkommen

Tabelle 27: Quelle:

Zollner (1995)

Das Einkommen wirkt negativ auf die Kundenbindung.

Homburg/Giering (2001)

Das Einkommen hat eine abschwächende, moderierende Wirkung auf den Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

Evanschitzky/Wunderlich (2006), S. 338

Kunden mit geringerem Einkommen sind loyaler.

Krafft (2007), S. 105

Kunden mit einem geringeren NettoHaushaltseinkommen weisen höhere Kündigungswahrscheinlichkeiten auf.

Auswirkungen von soziodemografischen Daten auf die Kundenbindung Eigene Darstellung.

Das Heranziehen soziodemografischer Daten zur Erklärung von Kundenverhalten ist jedoch strittig. So wird in vielen Arbeiten diesen soziodemografischen und auch den psychografischen Merkmalen immer weniger Relevanz für das Konsumentenverhalten zugeschrieben.483 Begründet wird diese kritische Haltung mit der zunehmenden Heterogenisierung von Kunden und Produkten. Aktivitätsniveau, Nutzungs- und Transaktionsdaten (wie z. B. auch die Dauer einer Geschäftsbeziehung) weisen gemäß einiger Autoren einen deutlich höheren Erklärungsgehalt für das Kundenverhalten auf.484 Innerhalb der Kundenrückgewinnungsforschung berichtet Sieben eine positive Wirkung des Alters auf die Rückkehrwahrscheinlichkeit.485 Durch Beiträge der sozialpsychologischen Forschung wird die Annahme gestützt, dass ältere Personen auch bei Schwierigkeiten in einer Beziehung eher bereit sind, sich in der Beziehung weiter zu engagieren.486 In einer Studie von Michalski wurde dagegen festgestellt, dass Geschlecht und Alter keinen signifikanten Zusammenhang mit der Wiederaufnahmebereitschaft von Bankkunden aufweisen.487 Für die vorliegende Arbeit wird jedoch davon ausgegangen, dass ein höheres Alter mit einer höheren Risikoscheu verbunden ist und ältere Personen somit vertrauten Situationen zugeneigt sind. Dies begründet auch einen postulierten positiven Zusammenhang von Alter und genereller Wiederaufnahmebereitschaft.

483

Vgl. Peter (1999), S. 127. Vgl. Cooil et al. (2007), S. 78; Dwyer (1997), S. 7-13; Nacif (2003), S. 239 f.; Page/Pitt/Berthon (1996), S. 823. 485 Vgl. Sieben (2002), S. 104. 486 Vgl. Rusbult/Johnston/Morrow (1986), S. 56. 487 Vgl. Michalski (2002), S. 160-167. 484

142

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Auch das Einkommen wird als eine essenzielle Determinante für Kundenkaufentscheidungen herangezogen.488 So hat die Produktzufriedenheit für Kunden mit einem höheren Einkommen eine geringere Wirkung auf die Kundenbindung.489 Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Individuen mit höherem Einkommen in der Auswahl ihrer Vertragspartner flexibler sind und aufgrund ihrer Einkommenssituation besser in der Lage sind, frühere Geschäftsbeziehungen wiederaufzunehmen. Ein erster Anhaltspunkt für diese Annahme ist eine Studie über Bankenkunden von Michalski. Dazu wird in einer qualitativen Erhebung festgestellt, dass Kunden mit einem höheren Haushaltsnetto-Einkommen eine höhere Wiederaufnahmebereitschaft ausweisen.490 Aus den obigen Ausführungen werden folgende Hypothesen abgeleitet: H5a:

Das Kundenalter hängt positiv mit der generellen Wiederaufnahmebereitschaft zusammen.

H5b:

Das Haushaltseinkommen hängt positiv mit der generellen Wiederaufnahmebereitschaft zusammen.

4.2.6 Weitere Beziehungsdimensionen Neben den soziodemografischen Variablen ist von Interesse, welche Beziehungen zwischen der Dauer der Kundenabwesenheit (Zeit nach Ablauf der Vertragsfrist) sowie der Häufigkeit der Kündigung zur Wiederaufnahmebereitschaft bestehen können. Diese Variablen wurden in die Modellierung aufgenommen, da sie Daten darstellen, auf die die Unternehmen über die Kundendatenbank zurückgreifen können. Unternehmen werden darüber in die Lage versetzt, aus ihrem Datenbestand jene Kunden für die Rückgewinnung zu selektieren, die eine hohe Wiederaufnahmebereitschaft versprechen. Im Rahmen der Betrachtung der Kundenabwesenheit („time lapsed“) wird in der Studie von Thomas/Blattberg/Fox festgestellt, dass Kunden mit einer längeren Abwesenheit eine geringe Wahrscheinlichkeit der Wiederaufnahme aufweisen.491 Dies lässt sich auch Sicht der Verfasserin über die Tatsache erklären, dass Kunden durch eine längere Abwesenheit den Kontakt zum Unternehmen und eine mögliche „RestVerbundenheit“ verlieren. Andererseits könnte eine längere Abwesenheit auch dazu führen, dass Kunden die Angebote des früheren Unternehmens wieder als attraktiv und

488

Vgl. Cooil et al. (2007), S. 77; Evanschitzky/Wunderlich (2006); Zeithaml (1985). Vgl. Homburg/Giering (2001), S. 56. 490 Vgl. Michalski (2002), S. 160-167. 491 Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 38. Die Autoren haben zudem festgestellt, dass eine längere Abwesenheit des Kunden nicht zwangsläufig zu einer längeren zweiten Geschäftsbeziehung nach der Rückkehr führt. Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 38. 489

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

143

neuartig wahrnehmen und aufgrund möglicher Enttäuschungen bei alternativen Anbietern, bereit zu einer Wiederaufnahme sind. Für die vorliegende Arbeit wird jedoch von einem stärkeren Effekt der Dauer der Abwesenheit auf die Wiederaufnahmebereitschaft ausgegangen. Darüber hinaus könnte auch die Trägheit von Konsumenten nach einer langen Abwesenheit eine Wiederaufnahmebereitschaft unwahrscheinlich erscheinen lassen. Dies wird gestützt durch die Argumentation von Thomas/Blattberg/Fox, dass die Entscheidung zur Wiederaufnahme eine größere Dissonanz erzeugt, die letztlich den Kunden aufgrund des Bedürfnisses nach psychischer Balance von einer Rückkehr abhält.492 Daher wird die folgende Hypothese aufgestellt: H5c:

Die Dauer der Kundenabwesenheit übt einen negativen Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Zur Wirkung der Kündigungshäufigkeit und der Wiederaufnahmebereitschaft bzw. des -verhaltens liegen dagegen gar keine empirischen Erkenntnisse vor. Es wird jedoch angenommen, dass Kunden, die häufiger einen Vertrag mit dem jeweils betrachteten früheren Anbieter gekündigt haben, flexibler sind und – unter der Annahme, dass keine schwer wiegenden Abwanderungsgründe vorliegen – eher bereit sind, die Geschäftsbeziehung mit einem früheren Anbieter zu erneuern. Im Fall der vorliegenden Arbeit kann von fehlenden gravierenden Abwanderungsgründen ausgegangen werden, da die Kunden bereits nach einem einmaligen Vorfall von negativen Situationen mit dem Unternehmen die Geschäftsbeziehung nicht ein zweites Mal eingegangen wären.493 Vielmehr wird vermutet, dass manche Kunden aus taktischen Gründen kündigen, um z. B. ein besseres Angebot für die Rückkehr zu erhalten und daher unter bestimmten Umständen (d. h. materiellen Angeboten) zur Rückkehr bereit sind. Daraus leitet sich die folgende Hypothese ab: H5d:

Die Häufigkeit der Kundenabwanderung übt einen positiven Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus.

Damit ist die Vorstellung der einzelnen Modelldimensionen mit ihren theoretischen und inhaltlichen Grundlagen sowie den Messmodellen abgeschlossen. Der folgende Abschnitt widmet sich dem Thema der branchenspezifischen Wiederaufnahmebereitschaften, da unter Umständen davon auszugehen ist, dass die Wiederaufnahmebereitschaften in verschiedenen Branchen unterschiedlich hoch ausfallen.

492 493

Vgl. Thomas/Blattberg/Fox (2004), S. 34. Die deskriptive Analyse hat erbracht, dass zahlreiche Probanden der beiden im Weiteren betrachteten Unternehmen mehr als einmal den Vertrag mit diesen Anbietern gekündigt haben. Vgl. dazu die Abschnitte 6.1.2.2 und 6.2.2.2.

144

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

4.2.7 Branchenspezifische Wiederaufnahmebereitschaften Unter der branchenspezifischen Wiederaufnahmebereitschaft sollen im Weiteren die unterschiedlichen Ausprägungsgrade der GWAB und SWAB verstanden werden. Im Rahmen dieser in den Branchen verschiedenen Wiederaufnahmebereitschaften muss berücksichtigt werden, inwieweit sich Produkte oder Dienstleistungen von ihrer Natur her für Kunden als unverzichtbar erweisen. Während es Produkte/Dienstleistungen gibt, die den üblichen Bedarf von Privatpersonen decken, z. B. Abschließen von Versorgungsverträgen für Strom und Wasser für den Privathaushalt, gibt es Güter, die einen Zusatznutzen dem Konsumenten bieten. Güter für den unverzichtbaren Bedarf werden im Weiteren als Primär- bzw. Basisgüter bezeichnet. Beispiele hierfür sind neben dem aufgeführten Bedarf an Energie und Wasser auch die Nutzung des öffentlichen oder privaten Nah- und Fernverkehrs, von Bankverbindungen und Versicherungen. Darüber hinaus existieren Produkte bzw. Dienstleistungen, die das Leben erleichtern bzw. aus hedonistischen Gründen erworben werden.494 Zu diesen Gütern zählen z. B. Zeitschriften oder Pay-TV-Abonnements. Diese Güter sollen im Weiteren als Zusatz- bzw. Sekundärgüter bezeichnet werden. Allerdings wird bei der Abgrenzung deutlich, dass einige Produkte bzw. Dienstleistungen diesen Kategorien nicht eindeutig zuzuordnen sind und stark vom jeweiligen Umfeld und den Lebensumständen sowie Bedürfnissen der Person abhängen. Beispielsweise können berufstätige Personen Verkehrsdienstleistungen für tägliche Fahrten zur Arbeitsstelle als Basisgüter empfinden, während Pensionäre und Rentner diese eher als Zusatzgüter für private Reisen wahrnehmen. Aus dieser Differenzierung heraus ergibt sich für Individuen auch eine abweichende Einschätzung des jeweiligen Nutzens, da dieser als ein „[...] Maß individueller, subjektiv empfundener Bedürfnisbefriedigung“495 zu verstehen ist. Aus der differenzierten Nutzeneinschätzung wiederum resultieren andere Anforderungen an eine Rückgewinnung bzw. die Ausprägung der Wiederaufnahmebereitschaft. Auf eine erschöpfende Abgrenzung des Nutzenkonzepts soll aufgrund der vorhandenen Literatur im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden.496 Eine Klassifizierung nach Basis- und Zusatzgütern kann unter Rückgriff auf die Bedürfnispyramide von Maslow, in der in fünf hierarchische Stufen von Bedürfnissen

494 495 496

Zur hedonistischen Motivationstheorie vgl. Reisenzein (2000). Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 4. Zur Nutzentheorie und zum Nutzenkonzept vgl. Kunz (1997). In der Literatur wird die Thematik des Nutzens für den Kunden unter dem Begriff ‚Customer Value’ behandelt. Vgl. u. a. Eggert/ Ulaga (2002); Yang/Peterson (2004).

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

145

unterschieden wird, vorgenommen werden.497 Trotz der berechtigten Kritik an der Maslowschen Bedürfnispyramide498 bietet sich die Übertragung dieses Konzepts auf eine Einordnung der Güter an, da Kunden über verschiedene Güter unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen. Maslow hat die physiologischen Bedürfnisse als Grundelemente der menschlichen Motivation aufgestellt. Erst nach der Erfüllung dieser Bedürfnisse streben Individuen nach Sicherheits- und sozialen Bedürfnissen, Anerkennung oder Selbstverwirklichung. Im Rahmen dieser Arbeit werden Basisgüter als jene Güter verstanden, die physiologische und sicherheitsbezogene Bedürfnisse erfüllen, während Zusatzgüter die drei höheren Stufen der Bedürfnispyramide erfassen.499 Diese Zuordnung wird in Abbildung 25 verdeutlicht. Die Unterscheidung in diese zwei Güterkategorien wird für die vorliegende Arbeit vorgenommen, da sich die zwei kooperierenden Unternehmen, mit denen die Untersuchung durchgeführt wurde, eindeutig in die Kategorie der Primärgüter (Verkehrsdienstleister) bzw. die Kategorie der Sekundärgüter (Verlagshaus) einordnen lassen. Eine Übertragung der unternehmensspezifischen Ergebnisse auf eine allgemeinere Ebene – die Güterart – wird somit ermöglicht.

Selbstverwirklichung

Selbstwertschätzung

Sekundär-/ Zusatzgüter

Zuwendung/ Liebe/ Soziale Wertschätzung Sicherheit/ Geborgenheit

Primär-/ Basisgüter Physiologische Bedürfnisse/ Motive

Abbildung 25: Quelle:

Einordnung der Güterkategorien in die Maslowsche Bedürfnispyramide Eigene Darstellung.

Eine Rückgewinnung von Kunden durch einen früheren Anbieter für Basisgüter erscheint als deutlich einfacher als für Zusatzgüter, die für das Leben eher entbehrlich sein können. Allerdings ist eine derartige Klassifikation nach Basis- oder Zusatzbedarf 497

Vgl. Maslow (1954). Vgl. u. a. Gerum (1981); Salancik/Pfeffer (1977). 499 Für einen Überblick über zentrale Inhalte der Maslowschen Theorie vgl. Schreyögg (1996), S. 217-222. 498

146

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

nicht ausreichend, um mögliche Reaktionen abgewanderter Kunden in Bezug auf Unternehmensaktivitäten zu erklären. In Abhängigkeit von der Marktsituation kann sich eine Kundenrückgewinnung als deutlich diffiziler gestalten. Beispielsweise dürfte der Aufwand für Anbieter in wenig umkämpften Märkten geringer sein, um Kunden an sich zu binden bzw. nach einer Abwanderung zurückzugewinnen. Dagegen erscheint die Rückgewinnung in Märkten mit hohem Wettbewerbsdruck und mit Gütern, die der Kunde nicht zwingend für seine Grundbedürfnisse benötigt, mit deutlich höherem Aufwand, z. B. höheren Rückgewinnungsangeboten verbunden. In der Abbildung 26 sind Beispiele vertraglicher Beziehungen und eine Klassifikation der Kombination von Marktsituation und Güterarten dargestellt.

Marktsituation

Polypol

Duopol/ Oligopol

Monopol

Verkehrsdienstleistungen Bankdienstleistungen Versicherungen Telekommunikation (Festnetz/ Mobil)

Zeitungen/Zeitschriften Communities (Alumnivereine, Onlinegemeinschaften) Fitness-Studios Theater

Kinderbetreuung Wohnungsanbieter/Vermietung Energiedienstleistung Wasservers orgung

Buchclubs Kabelfernsehen und Pay-TV Musik-Clubs (z.B. Jamba) Automobilclubs/-vereine

Postdienstleis tungen Fernsehen und Rundfunk (GEZ)

Basis- bzw. Primärgüter

-

Zusatz- bzw. Sekundärgüter

Güterart Abbildung 26: Quelle:

Einordnung von Branchen bzw. Leistungen nach Güterart und Marktsituation Eigene Darstellung.

In beiden untersuchten Branchen (Verlag und Verkehrsdienstleistungen) ist der Wettbewerb als intensiv einzuschätzen. Es gibt zahlreiche, vor allem horizontale Alternativen (d. h. in der gleichen Branche bzw. Wirtschaftsstufe) auf den jeweiligen Märkten. Im Fall von Verkehrsdienstleistungen kommen neben öffentlichen Nah- und Fernverkehrsunternehmen auch private Unternehmen wie Flug- und Busgesellschaften oder der PKW für private und geschäftliche Fahrten in Frage. Allerdings unterscheiden sich beide Unternehmen in ihrer Güterart, sodass für den Anbieter von Verkehrsdienstleistungen aufgrund der Klassifikation des Bedürfnisses Mobilität als Basisgut eine höhere Wiederaufnahmequote zu erwarten ist. H6:

Die Wiederaufnahmebereitschaften fallen für Basisgüter und Zusatzgüter unterschiedlich aus.

Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

147

4.2.8 Darstellung des Gesamtmodells Aus den obigen Schilderungen der Dimensionen der Kundenmotivation (Bereich A), der Dimensionen der Abwanderungsattributionen (Bereich B), der Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens (Bereich C), der soziodemografischen Daten sowie weiterer Beziehungsdimensionen leitet sich das folgende Kausalmodell ab (vgl. Abbildung 27). Einige der soziodemografischen Daten bzw. der weiteren Beziehungsdimensionen liegen nur für das Verlagshaus oder den Verkehrsdienstleister vor, sodass eine unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit des Hypothesenblocks 5 nicht gegeben ist. Das folgende Kapitel 5 ist der Beschreibung der methodischen Grundlagen von Strukturgleichungsmodellen (Abschnitt 5.1), der experimentellen Forschung (Abschnitt 5.2) und der Logistischen Regression (Abschnitt 5.3) gewidmet.

Abbildung 27: Quelle:

H4f (+)

A

C

H4g (+)

Attraktivität der Alternativen

H4e (+)

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

H4d (+)

H4a (-)

H2e (+)

H2f (+)

H2c (+)

H2a (+)

Bezugsrahmen der vorliegenden Studie Eigene Darstellung.

Variety Seeking

H4c (+)

Wechselerfahrungen

Wiederaufnahmekosten

Kundenwissen

Commitment

H2b (+)

Generelle Zufriedenheit

H4b (-)

H2d (+)

H3a (-)

Lokus

H3e (+)

H1c (+)

H1a (+)

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

H1b (+)

H3c (+)

B

Wiederaufnahmeverhalten

Weitere Beziehungsdimensionen

Soziodemografische Daten

Kontrollierbarkeit

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

H3d (-)

Stabilität

H3b (+)

148 Konzeption eines Untersuchungsmodells der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

5 Methodische Grundlagen 5.1 Strukturgleichungsmodelle – Grundlagen und Anwendung 5.1.1 Grundlagen von Strukturgleichungsmodellen 5.1.1.1 Aufbau von Strukturgleichungsmodellen In den vergangenen Jahren hat das Interesse im Marketing an der Verwendung von Strukturgleichungsmodellen (SGM) zur Analyse komplexer Abhängigkeitsbeziehungen mit latenten Variablen deutlich zugenommen. Zum Teil wird diese Methode sogar als eine gänzlich neue Philosophie betrachtet.500 Strukturgleichungsmodelle erlauben die simultane Schätzung komplexer Beziehungen zwischen nicht beobachtbaren (latenten) Variablen (d. h. Konstrukten) und beobachtbaren (manifesten) Variablen.501 Zur Analyse der Beziehungszusammenhänge zwischen latenten und manifesten Variablen müssen verschiedene Kriterien wie z. B. die Berücksichtigung von Messfehlern für unabhängige und abhängige Variablen erfüllt werden.502 Diesen Anforderungen werden die Verfahren zur Analyse von Strukturgleichungsmodellen prinzipiell gerecht.503 Auf Basis theoretischer Vorüberlegungen und empirischer Erkenntnisse werden die Untersuchungsmodelle mit ihren Komponenten und Wirkungszusammenhängen entwickelt und mithilfe von Pfaddiagrammen grafisch dargestellt.504 In der Abbildung 28 sind die einzelnen Elemente von Strukturgleichungsmodellen und ihre möglichen Wirkungsbeziehungen skizziert.

500

Vgl. Diller (2004), S. 177; Fritz (1995), S. 115; Homburg/Baumgartner (1995), S. 162; Steenkamp/ Baumgartner (2000), S. 195 f. 501 Vgl. Hildebrandt (2004), S. 543. 502 Vgl. Fritz (1995), S. 115; Backhaus et al. (2006), S. 338-342. 503 Zu den Empfehlungen zur Anwendung der Kausalanalyse vgl. Homburg/Klarmann (2006). 504 Zunehmend wird Kritik an einer (oftmals unreflektierten) Anwendung von Strukturgleichungsmodellen laut. Die Kritik bezieht sich dabei v. a. auf Probleme in der Spezifikation, Schätzung und Interpretation der Modelle. Vgl. dazu Scholderer/Balderjahn/Paulssen (2006).

150

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen Messmodell der latenten endogenen Variablen

Strukturmodell

1

Indikator x1

2

Indikator x2

11

1

32

21

2

11 For matives Messmodell

2

21

42

Indikator y1

11

Indikator y2

12

Indikator y1

1

Indikator y2

2

21

1

Reflektives Messmodell

Reflektives Messmodell

Messmodelle der latenten exogenen Variablen

1

Messmodelle der latenten endogenen Variablen

Abbildung 28: Quelle:

Allgemeines Strukturgleichungsmodell Eigene Darstellung in Anlehnung an Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 716.

Das Messmodell veranschaulicht die Beziehungen zwischen den (beobachtbaren) Indikatoren und den nicht beobachtbaren theoretischen Konstrukten und wird auch als das äußere Modell bezeichnet. Messmodelle können sowohl formativer als auch reflektiver Natur sein und für latente exogene Variablen ebenso wie für latente endogene Variablen abgebildet werden. Die abhängigen, zu erklärenden Variablen werden dabei als latente endogene Variablen  und die unabhängigen Variablen als latente exogene Variablen  bezeichnet.505 Die Beziehungen zwischen den Indikatoren und Konstrukten lassen sich folgendermaßen formalisieren:506 (1) (2)

 =  x +  (formativ, exogen) und  = y +  (formativ, endogen) x = x + x (reflektiv, exogen) und y = y + y (reflektiv, endogen).

Die beiden Gleichungen unter (1) stehen für formative Messmodelle. Die Gleichungen unter (2) stellen hingegen reflektive Messmodelle dar. Der Zusammenhang zwischen den Indikatoren und dem Konstrukt wird durch die Faktorladungen bzw. Ladungskoeffizienten (y, x, ) abgebildet. x und y stellen in den Gleichungen (1) und (2) die Vektoren der beobachtbaren Indikatoren dar, während  und  Fehlerterme der Indikatorvariablen x und y repräsentieren. Fehlerterme oder Messfehler sind jegliche Einflüsse auf die Konstruktindikatoren bzw. auf die latenten Konstrukte, die „[...] nicht mit dem wahren Wert des Konstrukts kovariieren“507.

505

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 336. Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 306; Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 718 f. 507 Scholderer/Balderjahn/Paulssen (2006), S. 646. 506

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

151

Das Strukturmodell als das sog. innere Modell stellt die Kausalbeziehungen zwischen den Konstrukten dar. Die Beziehungen zwischen den Konstrukten werden in Matrixnotation folgendermaßen geschrieben: (3)

 =  +  + 

Dabei stellt  den Vektor der Konstruktwerte einer latenten endogenen Variablen dar, der sich aus einer Kombination von unabhängigen latenten Variablen mit ihren Messfehlern ergibt. Die vermutete direkte Beziehung zwischen den latenten endogenen Variablen wird durch die Koeffizientenmatrix ausgedrückt, die Beziehungen zwischen latenten endogenen und latenten exogenen Variablen durch die Koeffizientenmatrix .508 Der Vektor  steht für die Residualvariablen der endogenen Konstrukte im Strukturmodell.509 Ein Vorteil der Strukturgleichungsmodelle ggü. anderen multivariaten Analyseverfahren ist die simultane Schätzung zwischen den Indikatoren und den Konstrukten.510 5.1.1.2 Methoden zur Parameterschätzung In der Praxis existieren im Wesentlichen zwei Verfahren zur Parameterschätzung der Mess- und Strukturmodelle, die sich im Hinblick auf Einsatzvoraussetzungen und -grenzen (z. B. Verteilungsannahmen und Stichprobengröße) unterscheiden.511 Dabei lassen sich diese Verfahren in zwei Gruppen unterscheiden. Kovarianzbasierte Verfahren schätzen über die bestmögliche Reproduktion der empirischen Kovarianzmatrix der Indikatoren die Modellparameter.512 Als Beispiele für kovarianzbasierte SoftwareLösungen sind insbesondere LISREL (LInear Structural RELations), EQS (EQuations based Structural Program) und das in SPSS implementierte AMOS (Analysis of MOment Structures) zu nennen.513 Varianzbasierte Verfahren zeichnen sich dagegen durch eine bestmögliche Erklärung der abhängigen Größen aus. Um dies zu erreichen, wird bei der Schätzung die Varianz der Fehlerterme in den Messmodellen und im Strukturmodell minimiert und die erklärte Varianz der abhängigen Variablen und in den reflektiven Messmodellen maximiert.514 Varianzbasierte Verfahren nutzen dafür die Kleinste-Quadrate-

508

Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 163. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 334 f.; Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 717. 510 Vgl. Hildebrandt (2004), S. 545. 511 Vgl. Fritz (1995), S. 115. 512 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 37. 513 Zu LISREL vgl. Jöreskog/Sörbom (1993). Zu EQS vgl. Bentler (1985). 514 Vgl. Betzin/Henseler (2005). 509

152

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Schätzung.515 Die Algorithmen zur Parameterschätzung beschränken sich bei varianzbasierten Verfahren jeweils auf einzelne Teilmodelle und setzen in jedem Rechenschritt die Kenntnis der restlichen Modellparameter voraus.516 Der Partial Least Squares(PLS)-Ansatz wurde 1982 von Wold entwickelt und baut auf der Hauptkomponentenanalyse und der kanonischen Korrelationsanalyse auf.517 Die Anwendungsbereiche sowie Vor- und Nachteile der kovarianzbasierten und varianzbasierten Verfahren sind in den letzten Jahren verstärkt diskutiert wurden.518 PLS ermittelt nach der Bestimmung der Linearkombination der latenten Variablen innerhalb eines iterativen Prozesses die Gewichte der Indikatoren und die Wirkungsbeziehungen.519 Nach der Schätzung des inneren Strukturmodells erfolgt die äußere Schätzung der Indikatorvariablen. Diese Schritte werden abwechselnd so oft wiederholt, bis keine wesentlichen Veränderungen in den Indikatorgewichten und Konstrukten mehr festzustellen sind und Konvergenz eintritt.520 Durch dieses Vorgehen werden die Residualvarianzen in den Mess- und Strukturmodellen minimiert. In PLS können Signifikanzaussagen mittels der Prozeduren Bootstrapping und Jackknifing erfolgen.521 Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe ‚Konstrukt’, ‚latente Variable’ und ‚Faktor’ synonym verwendet. Der Terminus ‚Messmodell’ umfasst im Weiteren die Aufstellung und Überprüfung einer Skala eines Konstrukts. Die Begriffe ‚Dimensionen’, ‚Komponenten’ und ‚Facetten’ wiederum umschreiben die Elemente von Konstrukten und sind somit dem Begriff ‚Konstrukt’ inhaltlich untergeordnet. 5.1.2 Spezifikation von Messmodellen und Validierung von Konstrukten Das Ziel der Konstruktmessung ist die Spezifikation von Beziehungen zwischen beobachtbaren Indikatoren und der latenten Variablen. Damit verfolgt die Konstruktmessung den Zweck, das Konstrukt „empirisch greifbar“ zu machen.522 Die beiden zentralen Gütemaße für Konstrukte sind die Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität

515

Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 37. Vgl. Fornell/Cha (1994). 517 Vgl. Wold (1982). 518 Vgl. Chin (1998); Chin/Newsted (1999); Cohen (1988); Herrmann/Huber/Kressmann (2006); Hildebrandt (2004); Homburg/Klarmann (2006); Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005); Panten/Thies (2006), S. 316-319; Scholderer/Balderjahn (2006); Steenkamp/Baumgartner (2000). Eine vergleichende Übersicht findet sich bei Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 44; Panten (2005), S. 226. 519 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 37. 520 Vgl. Chin/Newsted (1999), S. 316; Lohmöller (1989), S. 29 f. Zum PLS-Algorithmus vgl. Betzin/ Henseler (2005), S. 49-69; Panten/Thies (2006), S. 315 f. 521 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 5.1.3.2. 522 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6. 516

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

153

(Gültigkeit) der Messmodelle.523 Unter der Reliabilität wird die Abwesenheit von zufälligen Messfehlern bei einer Messung verstanden. Dabei wird untersucht, wie stabil und genau die Messungen sind und „[...] ob die Messungen tatsächlich die Merkmale ihres Konstrukts erfassen“524. Die Reliabilitätskoeffizienten bzw. der Anteil an der Varianz wiederum dokumentieren, wie gut die Messung der Indikatoren erfolgt ist.525 Dabei gilt: Je geringer der Einfluss der Messfehlervariablen ist, desto verlässlicher stellt sich das gemessene Konstrukt dar.526 Um den Umfang des Messfehlers bewerten zu können, wird der Einsatz von mehreren Indikatoren je Konstrukt empfohlen.527 Andere Autoren betonen, dass – bei Vorliegen gewisser Merkmale des zu messenden Phänomens – auch die Verwendung von einem Indikator zur Konstruktbeschreibung zu validen Ergebnissen führen kann, sodass eine multidimensionale Messung von Konstrukten nicht zwangsläufig erforderlich ist.528 Eine reliable Messung (d. h. Zufallsfehler ist gleich Null) bildet eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Validität.529 Reliable Messungen können dessen ungeachtet noch einen systematischen Fehler enthalten. Systematische Fehler sind Fehler, die bei jeder erneuten Messung der Konstrukte in gleicher Höhe auftreten, während Zufallsfehler bei jeder wiederholten Messung in anderer Stärke auftreten.530 Die Validität (Gültigkeit) ist der Grad, zu dem ein Messverfahren tatsächlich die zu untersuchenden Zusammenhänge misst.531 Eine hohe Validität weist dabei die konzeptionelle Richtigkeit einer Konstruktmessung aus und schließt neben Zufallsfehlern auch systematische Fehler aus.532 Vielmehr werden einzelne Facetten des Gütebegriffs durch interdependente Kriterien beurteilt.533 Im Zusammenhang mit der Bestimmung der Konstruktvalidität lassen sich drei Arten unterscheiden: die Inhaltsvalidität, die Diskriminanzvalidität und die nomologische Validität.534

523

Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 727 f. Hildebrandt (1984), S. 41. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 371. 526 Vgl. Peter (1979), S. 7. 527 Vgl. Steenkamp/Baumgartner (2000), S. 198. 528 Vgl. Bergkvist/Rossiter (2007). 529 Vgl. Churchill (1979), S. 65; Hildebrandt (1984), S. 42; Peter (1979), S. 6. 530 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 7. Ein Verfahren zur Separation des systematischen Fehlers beschreiben Steenkamp/Baumgartner (1998). 531 Vgl. Bagozzi/Phillips (1982), S. 468. 532 Vgl. Churchill (1979), S. 65; Homburg/Giering (1996), S. 7; Peter/Churchill (1986), S. 4. 533 Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 162. 534 Vgl. Bagozzi (1980), S. 114. 524 525

154

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Die Inhaltsvalidität beschreibt den Grad, zu dem die Indikatoren eines Messmodells den inhaltlich-semantischen Bereich des Konstrukts abbilden.535 Hierbei wird die Frage gestellt, ob alle Befragungsinhalte und Facetten des Konstrukts durch die Indikatoren abgedeckt werden.536 Voraussetzung für die Prüfung der Inhaltsvalidität ist eine Ansammlung von Indikatoren verschiedener semantischer Inhalte. Für die Prüfung der Inhaltsvalidität wird eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt.537 Die explorative Faktorenanalyse untersucht als strukturentdeckendes Verfahren die Indikatoren auf die ihnen zugrunde liegende Faktorstruktur und verdichtet die einzelnen Indikatoren zu Faktoren. Im Idealfall ergeben sich eindeutige Faktorlösungen, die sich durch ausreichend hohe Ladungen der Indikatoren (> 0,7) auszeichnen. Die Faktorladungen können als ein erstes Indiz für eine sinnvolle Konstruktmessung herangezogen werden.538 Zur Bewertung der Inhaltsvalidität stehen das Kaiser-Meyer-Olkin(KMO)Kriterium und der erklärte Varianzanteil zur Verfügung.539 Die Diskriminanzvalidität verlangt eine Überprüfung, ob die Indikatoren eines Konstrukts untereinander stärker korrelieren als mit Indikatoren anderer Konstrukte und sich damit die Konstrukte voneinander unterscheiden.540 Danach unterscheiden sich zwei Konstrukte, wenn die gemeinsame Varianz des Konstrukts mit seinen Indikatoren größer ist als die Varianz, die es mit anderen Konstrukten teilt.541 Ein weiteres Kriterium für die Diskriminanzvalidität ist das Fornell-Larcker-Kriterium, nach dem Diskriminanzvalidität gegeben ist, wenn die DEV größer als die quadrierte Korrelation der Konstrukte untereinander ist.542 Die nomologische Validität beschreibt, inwieweit die aus theoretischen Überlegungen abgeleiteten Konstrukte mit den empirisch gewonnenen Ergebnissen übereinstimmen und in Zusammenhang mit einer Theorie stehen.543 Folglich bezieht sich die nomologische Validität auf die im Strukturmodell spezifizierten Kausalbeziehungen und misst, inwieweit die abhängigen Variablen inhaltlich durch die unabhängigen 535

Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 727. Vgl. Bohrnstedt (1970), S. 92; Hildebrandt (1984), S. 42. Die Inhaltsvalidität stellt das relevante Kriterium zur Entwicklung von Messinstrumenten dar. Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 732. 537 Vgl. Bohrnstedt (1970), S. 92 f. 538 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. 539 Ausführlich zu diesen Gütekriterien und den damit verbundenen Mindestwerten vgl. Backhaus et al. (2006), S. 276 f.; Peter (1999), S. 179. 540 Vgl. Bagozzi (1980), S. 114 und S. 129 f.; Bagozzi/Phillips (1982), S. 468 f.; Churchill Jr. (1979), S. 70; Peter (1981), S. 136 f. 541 Vgl. auch die Ausführungen in Abschnitt 5.1.2.1.2. 542 Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46. 543 Vgl. Bagozzi (1979), S. 14; Bagozzi (1980), S. 114; Peter (1981), S. 137 f.; Peter/Churchill (1986), S. 2. 536

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

155

Variablen erklärt werden können.544 5.1.2.1 Validierung reflektiver Indikatoren und Gütekriterien Indikatoren sind reflektiv, wenn eine latente Variable die Indikatoren „verursacht“. Die Indikatoren stellen folglich die Messungen des Konstrukts dar.545 Eine Veränderung des Konstrukts bedingt dabei eine Veränderung aller Indikatoren.546 Die Gütemaße von reflektiven Indikatoren werden in Kriterien der ersten und der zweiten Generation unterschieden und summieren sich zu den Gütemaßen für die Reliabilität und Validität von Konstrukten.547 Auf die Gütekriterien der ersten und zweiten Generation wird in den nächsten zwei Abschnitten näher eingegangen. 5.1.2.1.1 Gütekriterien der ersten Generation Zu den sog. Gütekriterien der ersten Generation zählen: x das Cronbachsche Alpha und x die Item-to-Total-Korrelation. Das Cronbachsche Alpha wird zur Messung der Reliabilität einer Gruppe von Indikatoren, die einen Faktor messen, herangezogen. Dieser Koeffizient stellt ein Maß der internen Konsistenz des Konstrukts dar548 und ist der Mittelwert aller Korrelationen, die sich aus der mehrfachen Halbierung von Indikatoren und der Summierung ihrer Variablenhälften ergeben.549 Für dieses Gütemaß wird ein Mindestwert von 0,7 gefordert.550 Ein Nachteil des Reliabilitätsmaßes ist, dass der Alpha-Wert mit der Anzahl der Indikatoren i. d. R. steigt.551 Deshalb wird auch für Konstrukte mit weniger als vier Indikatoren ein Mindestwert von 0,5 als akzeptabel betrachtet.552 Die Item-toTotal-Korrelation als zweites Kriterium der ersten Generation bezieht sich ebenfalls auf eine Gruppe von Indikatoren und resultiert aus der Korrelation eines Indikators mit der Summe aller Indikatoren, die zur Messung des gleichen Konstrukts herangezogen werden. Da dieses Gütemaß mit dem Cronbachschen Alpha eng verbunden ist, kann durch die Eliminierung eines Indikators mit niedriger Item-to-Total-Korrelation aus

544

Vgl. Fritz (1995), S. 138. Vgl. Hunt (1991), S. 386. 546 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 36; Panten/Thies (2006), S. 314. 547 Vgl. Homburg/Giering (1996). Die Zuordnung der Gütemaße zu den Ebenen der Reliabilität und Validität ist der Tabelle 28 auf Seite 160 zu entnehmen. 548 Vgl. Churchill Jr. (1979), S. 68; Nunnally (1978); Peter (1979), S. 8 f. Die Überbetonung der internen Konsistenz wird in der Literatur als kritisch erachtet. Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 732. 549 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8. 550 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8; Nunnally (1967), S. 226; Nunnally/Bernstein (1994), S. 265. 551 Vgl. Peterson (1994), S. 384. 552 Vgl. Cortina (1993), S. 102. 545

156

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

dem Messmodell das Cronbachsche Alpha verbessert werden.553 Die Gütekriterien der ersten Generation weisen einige Defizite auf. Hierzu zählen sehr restriktive Annahmen und eine fehlende Möglichkeit zur expliziten Schätzung von Messfehlereinflüssen einzelner Indikatoren. Hinzu kommt, dass die Grenzwerte der Validitätsmessung weitestgehend auf Faustregeln, also auf nicht inferenzstatistischen Regeln beruhen.554 An diesen Schwächen setzen die Gütekriterien der sog. zweiten Generation an und überprüfen das auf Basis der Gütekriterien der ersten Generation abgeleitete Messinstrument.555 Auch Rossiter weist auf eine derartige Überprüfung der Konstruktzusammensetzung für reflektive Indikatoren hin, um die angenommene Konstrukt-Indikatoren-Struktur zu überprüfen.556 Diese Überprüfung kann mit Hilfe von konfirmatorischen Faktorenanalysen erfolgen. 5.1.2.1.2 Gütekriterien der zweiten Generation Die Gütekriterien der zweiten Generation lassen sich in die globalen und die lokalen Gütemaße unterscheiden. Die globalen Kriterien beschreiben die Anpassungsgüte der theoretischen Modellstruktur an die empirischen Daten. Die globalen Gütemaße bilden damit den Gesamtfit des Modells ab, geben jedoch keine Auskunft über die Güte einzelner Modellbestandteile, d. h. eine Trennung in Reliabilität und Validität ist nicht möglich. Hierzu sind die lokalen Gütemaße heranzuziehen. Zu den Gütekriterien der zweiten Generation zählen:557 x Globale Kriterien: Goodness of Fit (GFI), Adjusted Goodness of Fit (AGFI), Normed Fit-Index (NFI) und Root-Mean-Square-Residual (RMR) sowie x Lokale Kriterien: Indikatorreliabilität, Konstruktreliabilität und durchschnittlich erfasste Varianz eines Konstrukts (DEV).558 Für die Bestimmung der globalen Kriterien stehen verschiedene Schätzverfahren wie das Maximum Likelihood(ML)-Verfahren und das Generalized Least Squares(GLS)-Verfahren zur Verfügung. Diese beiden Methoden liefern unter Annahme der multivariaten Normalverteilung asymptotisch unverzerrte und konsistente Schätzer.559 Ein alternatives Schätzverfahren bei Verletzung der Prämisse der multivariaten

553

Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 8 f. Vgl. Gerbing/Anderson (1988), S. 189. 555 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 9. 556 Vgl. Rossiter (2002), S. 329. 557 Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 165-171. 558 Die lokalen Gütemaße sind in dieser Arbeit den Gütekriterien der zweiten Generation zugeordnet, da sie aus den Daten der Kovarianzanalyse (in diesem Fall AMOS) ermittelt werden. 559 Vgl. Hildebrandt (2004), S. 546; Panten/Thies (2006), S. 312. 554

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

157

Normalverteilung ist die Unweighted Least Square(ULS)-Schätzung.560 Bei hoher Reliabilität der Indikatoren und großer Stichprobe liefert die ULS-Methode robuste Schätzergebnisse.561 Das ULS-Verfahren weist allerdings weniger günstige Eigenschaften als der ML-Schätzer auf.562 Die Abweichung von der Normalverteilungsannahme wird in der einschlägigen Literatur als nicht besonders kritisch betrachtet, da diese Abweichung nur zu geringen Verzerrungen der Parameterschätzungen führt.563 Der Goodness of Fit (GFI) ist ein deskriptives Anpassungsmaß, das die relative Menge an Varianz und Kovarianz misst. Der GFI entspricht dem Bestimmtheitsmaß der Regressionsanalyse und kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen.564 Bei idealer Anpassung weist dieses Maß den Wert 1 auf und erklärt damit 100 Prozent der gesamten Ausgangsvarianz. Der GFI berücksichtigt nicht die Anzahl der Freiheitsgrade eines Modells, sodass eine Verbesserung der Anpassungsgüte durch Hinzufügen eines weiteren Modellparameters möglich ist.565 Auch der Adjusted Goodness of Fit (AGFI) ist ein deskriptives Anpassungsmaß, das die relative Menge an Varianz und Kovarianz, jedoch unter Berücksichtigung der Anzahl der Freiheitsgrade, misst. Modelle mit einer hohen Parameteranzahl (Überparametrisierung) werden bestraft.566 Wie beim GFI liegen die Werte zwischen 0 und 1. Ab einem Wert von 0,9 wird üblicherweise von einer guten Modellanpassung und Akzeptanz des Modells ausgegangen.567 Der AGFI eignet sich daher bei Modellvergleichen aufgrund der Berücksichtigung der Freiheitsgrade eher als der GFI.568 Jöreskog/Sörbom haben zudem festgestellt, dass GFI und AGFI bei nicht normalverteilten Variablen relativ robust sind und auch durch die Stichprobengröße nicht substanziell verzerrt werden.569 Der Normed Fit-Index (NFI) vergleicht die Anpassungsgüte eines Modells über den Minimalwert der Diskrepanzfunktion mit einem Basismodell.570 Der NFI kann Werte zwischen 0 und 1 aufweisen, wobei hohe Werte eine hohe Modellgüte indizieren. Für den NFI wird ein Mindestwert von 0,9 gefordert, ein perfekter Fit liegt bei 560

Vgl. Fritz (1995), S. 118; Jöreskog/Sörbom (1996). Vgl. Balderjahn (1986); Fritz (1995), S. 118-120. Vgl. Bollen (1989), S. 112. Zu den Nachteilen des ULS-Verfahren vgl. Hildebrandt/Temme (2005), S. 63. 563 Vgl. Benson/Fleishman (1994); Lei/Lomax (2005). 564 Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 380. 565 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10. 566 Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 10. 567 Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 382; Fritz (1995), S. 126. 568 Vgl. Fritz (1995), S. 127. 569 Vgl. Jöreskog/Sörbom (1988), S. 43. 570 Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 381. Zur mathematischen Struktur des NFI vgl. Bentler/Bonett (1980). 561 562

158

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

einem Wert von 1 vor.571 Das Maß Root-Mean-Square-Residual (RMR) misst die durchschnittliche Restvarianz eines Modells und sollte Werte kleiner als 0,1 aufweisen.572 Werte kleiner als 0,05 gelten dabei als gut.573 Nach der Beurteilung des Gesamtfits können die Teilstrukturen eines Messmodells bestimmt werden. Zur Bestimmung von Teilstrukturen werden die sog. lokalen Gütemaße herangezogen. Auf Basis der globalen Gütekriterien (aus der konfirmatorischen Faktorenanalyse) lassen sich folgende lokale Gütemaße bestimmen: x die Indikatorreliabilität, x die Faktorreliabilität, x die durchschnittlich erfasste Varianz (DEV) und x die Diskriminanzvalidität. Die Indikatorreliabilität (IR) gibt den Anteil der erklärten Varianz eines Indikators durch die zugehörige latente Variable wieder.574 Die Werte der Indikatorreliabilitäten können dabei zwischen 0 und 1 liegen. Im Idealfall (d. h. es liegt keinerlei Einfluss des Messfehlers vor) weist der Wert 1 auf. Für die IR wird ein Mindestwert von 0,5 gefordert, sodass alle Faktorladungen einen Wert größer als 0,5 aufweisen.575 Im Vordergrund der Bewertung sollte v. a. die Erklärungskraft der Indikatoren stehen, sodass Indikatoren, die unter dem oben aufgeführten Wert liegen, trotzdem im Messmodell verbleiben können.576 Studien haben gezeigt, dass die notwendige Höhe des Güte-maßes von der Stichprobengröße abhängig ist. Bei Stichproben größer als 400 werden Indikatorreliabilitäten von kleiner 0,4 als ausreichend gewertet.577 Die Indikatorreliabilität errechnet sich wie folgt:578 2ij jj (4) rel(xi) = 2  ij jj + ii mit: ij: Ladungen der Indikatorvariablen i einer latenten Variable j, j: Varianz der latenten Variable j, i: geschätzte Varianz des zugehörigen Messfehlers des Indikators i, j: Laufindex über alle reflektiven Messmodelle der latenten Konstrukte j.

571

Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 168. Vgl. Bagozzi/Yi (1988), S. 12; Fritz (1995), S. 126. 573 Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 167. 574 Vgl. Balderjahn (1986), S. 117. 575 Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 727. 576 Vgl. Little/Lindenberger/Nesselroade (1999). 577 Vgl. Balderjahn (1986), S. 117. 578 Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 170. 572

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

159

Im Rahmen der Bewertung der Messmodelle stellt sich auch die Frage nach der Konvergenzvalidität. Die Konvergenzvalidität kann durch zwei Maße bestimmt werden: die Faktorreliabilität rel(j) und die durchschnittlich erfasste Varianz DEV(j). Die Faktorreliabilität (auch Konstruktreliabilität) gibt an, wie gut ein Faktor durch alle ihm zugeordneten Indikatoren gemessen wird.579 Der Wertebereich der Faktorreliabilität reicht von 0 bis 1. Hohe Werte deuten dabei auf eine hohe Güte hin. Als akzeptable Grenze gilt der Wert von 0,6.580 Die Faktorreliabilität errechnet sich wie folgt: ( ij)2 jj i =1 (5) rel(j) = k k ( ij)2jj + ii i =1

i =1

mit: ij: Ladungen der Indikatorvariablen i einer latenten Variable j, j: Varianz der latenten Variable j, i: geschätzte Varianz des zugehörigen Messfehlers des Indikators i, j: Laufindex über alle reflektiven Messmodelle der latenten Konstrukte j. Die durchschnittlich erfasste Varianz (DEV) gibt „[...] die Menge der Information an, die von einer Messkomposition, d. h. einer Mehrzahl von Indikatoren gemeinsam für die Erfassung einer latenten Variablen in Relation zu den Messfehlereinflüssen zur Verfügung gestellt wird“581. Für die DEV wird ein Mindestmaß von 0,5 und damit eine Erklärung von 50 % der Varianz aller Indikatoren gefordert.582 Die durchschnittlich erfasste Varianz errechnet sich wie folgt: k

(6)

DEV(j)

=

 2ijjj

i =1 k

k

i =1

i =1

 2ijjj + ii

mit: ij: Ladungen der Indikatorvariablen i einer latenten Variable j, j: Varianz der latenten Variable j, i: geschätzte Varianz des zugehörigen Messfehlers des Indikators i, j: Laufindex über alle reflektiven Messmodelle der latenten Konstrukte j. Für die Bestimmung der Diskriminanzvalidität können die bivariaten Korrelationen und das Fornell-Larcker-Kriterium eingesetzt werden. Diese Prüfgrößen können auch bei einer Verletzung der Normalverteilungsannahme zum Einsatz kommen. Im Rahmen der Korrelationsanalyse wird geprüft, ob ein Konstrukt mit anderen Konstrukten eine Korrelation aufweist, die deutlich geringer als 1 ist.583 Überschreitet die bivariate Korrelation dabei den Wert von 0,9, liegt keine Diskriminanzvalidität 579

Vgl. Bagozzi/Baumgartner (1994), S. 402; Homburg/Giering (1996), S. 10. Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46; Homburg/Baumgartner (1995), S. 170. Fritz (1995), S. 133. 582 Vgl. Bagozzi/Yi (1988), S. 17; Fornell/Larcker (1981), S. 46. 583 Vgl. Fritz (1995), S. 137. 580 581

160

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

vor.584 Das Fornell-Larcker-Kriterium ist erfüllt, wenn die DEV des betrachteten Faktors größer ist als die quadrierte Korrelation zwischen diesem und jedem anderen Faktor.585 Die Berücksichtigung globaler und lokaler Gütemaße trägt dazu bei, die Anpassungsgüte des Modells zu schätzen. Ein gutes Modell liegt vor, wenn die Gütekriterien zufrieden stellende Ergebnisse liefern. Somit ist für die Bewertung der Modelle zu berücksichtigen, dass bei einem Unterschreiten eines der lokalen Anpassungsmaße nicht zwangsläufig das untersuchte Modell abgelehnt werden muss.586 Die folgende Tabelle 28 gibt abschließend einen Überblick über die einzelnen Gütekriterien und ihre Anforderungen. Analyse

Beurteilungsebene Inhaltsvalidität

Explorative Faktorenanalyse Reliabilität

Konvergenzvalidität Konfirmatorische Faktorenanalyse

Diskriminanzvalidität

Globale Gütekriterien

Kriterien

Anforderungen

KMO-Maß

 0,5

Erklärter Varianzanteil

 50%

Cronbachsches Alpha

 0,7 (ab 4 Indikatoren)

Item-To-Total-Korrelation

Cronbachsches Alpha  0,7, Eliminierung des kleinsten Korrelationswertes

Indikatorreliabilität

 0,4

Faktorreliabilität

 0,6

DEV

 0,5

Korrelation

< 0,9

Fornell-Larcker-Kriterium

DEV > r2

GFI

 0,9

AGFI

 0,9

NFI

 0,9

RMR

< 0,1

Legende: r2 quadrierte Korrelation zwischen den Konstrukten Tabelle 28: Quelle:

Gütekriterien für reflektive Messmodelle Eigene Darstellung in Anlehnung an Fritz (1995), S. 140.

In Abbildung 29 werden die Schritte der Konstruktvalidierung für reflektive Messmodelle nochmals zusammengefasst. Im Anschluss an diese Abbildung erfolgt im nächsten Abschnitt die Darstellung der Validierung formativer Indikatoren.

584

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 372. Vgl. Fornell/Larcker (1981), S. 46. 586 Vgl. Homburg/Baumgartner (1995), S. 172. 585

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

161

Explorative Faktorenanalyse über alle Konstrukte

Explorative Faktorenanalyse der einzelnen Konstrukte Gütekriterien: KMO, Bartlett-Test, Erklärte Varianz, Faktorladungen

Ggf. anpassen bis die Gütekriterien der ersten und zweiten Generation gute Werte erreichen

Konfirmatorische Faktorenanalyse Gütekriterien: Indikatorreliabilität, Faktorreliabilität, DEV

Diskriminanzvalidität

Abbildung 29: Quelle:

Ablauf der Überprüfung von reflektiven Messmodellen Eigene Darstellung.

5.1.2.2 Validierung formativer Indikatoren und Gütekriterien Indikatoren werden als formativ bezeichnet, wenn die Indikatoren das Konstrukt verursachen.587 Die Veränderung eines formativen Indikators bewirkt also die Veränderung eines Konstruktwertes, ohne dass zwangsläufig auch die anderen Indikatoren davon betroffen sind.588 Aus diesem Grund können die spezifizierten Indikatoren nicht einfach ausgetauscht oder eliminiert werden, da sie das Konstrukt inhaltlich wiedergeben.589 Formative Indikatoren sind in der Regel untereinander nur schwach korreliert. Dies bedeutet, dass die nomologische Bedeutung einzelner Indikatoren voneinander abweichen kann.590 Der gemessene Konstruktwert weicht bei Einsatz formativer Indikatoren vom wahren Konstruktwert ab, da angenommen wird, dass in der empirischen Erhebung nicht alle Facetten eines Konstrukts erfasst werden können.591 Als Folge der genannten Besonderheiten unterliegen formative Indikatoren anderen Reliabilitäts- und Validitätsanalysen als reflektive Indikatoren. Formative Indikatoren sollten nicht mittels der explorativen oder konfirmatorischen Faktorenanalyse geprüft werden, sondern werden nach Diamantopoulos/Winklhofer einem vierstufigen Vor587

Vgl. Homburg/Giering (1996), S. 6; Krafft (1999b), S. 124. Vgl. Panten/Thies (2006), S. 314. 589 Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001), S. 270 f.; Edwards/Bagozzi (2000), S. 156; Herrmann/ Huber/Kressmann (2006), S. 51. 590 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 48. 591 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 36. Diese Abweichung wird als „lack of validity“ bezeichnet. Vgl. Lohmöller (1989), S. 15. 588

162

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

gehen unterzogen, das weniger strenge Vorgaben als bei reflektiven Konstrukten folgt.592 Damit unterliegen formative Konstrukte nach Ansicht einiger Autoren einem „Risiko theoretischer Beliebigkeit“593. In der Abbildung 30 ist der Prozess der Prüfung formativer Messmodelle mit seinen zentralen Elementen dargestellt. Test der Inhaltsvalidität

Prüfung der Indikatorausgestaltung

Überprüfung auf Multikollinearität

Test auf externe Validität

Abbildung 30: Quelle:

Prozess der Prüfung formativer Messmodelle Eigene Darstellung.

Die Inhaltsvalidität muss bei formativen Messmodellen bereits bei der Spezifizierung des Messmodells gegeben sein, da eine vollständige Erhebung der Indikatoren erforderlich ist, um alle Merkmale des Konstrukts zu berücksichtigen.594 Dabei kann die Zuordnung der Indikatoren mit Hilfe von Pretests geprüft werden.595 Es existiert jedoch kein Gütemaß, anhand dessen geklärt werden kann, ob tatsächlich alle wesentlichen Facetten des Konstrukts erfasst wurden. Diesbezüglich ist die Überprüfung der Reliabilität der formativen Konstrukte wenig sinnvoll, da im Gegensatz zu reflektiven Modellen, bei denen hohe Korrelationen für eine reliable Messung sprechen, formative Indikatoren nicht notwendigerweise korreliert sein müssen. Aufgrund der Beschreibung des Konstrukts durch die Indikatoren dürfen die Indikatoren nur bei nachhaltiger Multikollinearität eliminiert werden. Unter Multikollinearität wird der Grad der linearen Abhängigkeit der Indikatoren verstanden. Formative Messmodelle beruhen auf dem Prinzip der multiplen Regression, sodass eine zunehmende Multikollinearität zu unzuverlässigen Schätzungen der Regressionsparameter führt.596 Für die Bestimmung des Ausmaßes der Multikollinearität liegen verschiedene Ansätze vor. Eine Möglichkeit zur Ermittlung der linearen Abhängigkeit der Indikatoren ist die bivariate Korrelationsanalyse, nach der die Korrelationen der Konstrukte unter 0,5 liegen und nicht sig592

Vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001). Homburg/Klarmann (2006), S. 731. 594 Vgl. Bollen/Lennox (1991), S. 308. 595 Da diese Überprüfung häufig mit Hilfe von Expertengesprächen erfolgt, auch von der Expertenvalidität gesprochen. Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005), S. 76 f. 596 Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 88. 593

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

163

nifikant sein sollten. Signifikante Werte über 0,50 weisen auf ernsthafte Multikollinearität hin, die eine Elimination von Indikatoren nach sich ziehen sollte.597 Einen zweiten Ansatz zur Bestimmung des Ausmaßes von Multikollinearität stellt der Variance Inflation Factor (VIF) dar.598 Der VIF berechnet sich wie folgt: (7)

VIFj =

1 1  R²j

mit: R2j: Bestimmtheitsmaß für die Regression der unabhängigen Indikatoren Xj auf die übrigen unabhängigen Indikatoren, j: Laufindex der Indikatoren. Der VIF ist umso größer, je größer die multiple Korrelation bzw. das Bestimmtheitsmaß eines Indikators auf die übrigen Indikatoren ist. Ein verbindlicher Grenzwert für einen akzeptablen VIF ist nicht in der relevanten Literatur aufgeführt, allerdings weist ein Wert von größer 10 auf eine sehr substanzielle Multikollinearität hin.599 Bereits Werte von über 2 werden in einigen empirischen Beiträgen kritisch eingeschätzt und erfordern eine nähere Untersuchung der Variablen.600 Ein sinnvolles Gütekriterium für die Beurteilung der internen Konsistenz formativer Konstrukte stellt die externe Validität dar. Als Maß der externen Validität formativer Messmodelle kann die nomologische Validität herangezogen werden.601 Von nomologischer Validität ist auszugehen, wenn der vorab postulierte Zusammenhang zwischen den Konstrukten durch die empirische Studie signifikant bestätigt wird. Tabelle 29 fasst die Gütekriterien formativer Indikatoren zusammen. Kriterium

Definition

Methode

Inhaltsvalidität

Beitrag zur Konstruktbildung

Interpretation der Gewichte; Multikollinearität: Korrelationsmatrix und VIF

Externe Validität

Gültigkeit der Konstruktmessung

Überprüfung nomologischer Validität anhand Stärke, Richtung und Signifikanz des Zusammenhangs

Tabelle 29: Quelle:

Gütekriterien für formative Messmodelle Eigene Darstellung in Anlehnung an Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005), S. 82.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Entscheidung für die Konstruktzusammensetzung abhängig von forschungstheoretischen Überlegungen ist. Ein Mess-

597

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 89-92; Rutsatz (2004), S. 136. Vgl. hier und im Weiteren Backhaus et al. (2006), S. 89-91. 599 Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 729; Gujarati (2003), S. 362; Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 57. 600 Vgl. Schneider (2006), S. 192. 601 Vgl. Reinartz/Krafft/Hoyer (2004), S. 298. 598

164

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

modell kann dabei aus reflektiv oder formativ gemessenen Konstrukten bestehen. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff haben eine Liste von Kriterien zusammengestellt, anhand derer Konstrukte hinsichtlich ihrer Beziehungsrichtung der Indikatoren geprüft werden können.602 Ungeachtet vorliegender Entscheidungskriterien scheint die Formulierung der Natur eines Messmodells v. a. von subjektiven Einschätzungen geprägt zu sein.603 5.1.3 Spezifikation von Strukturmodellen 5.1.3.1 Mediierende Effekte Strukturgleichungsmodelle gehen ursächlich von linearen Beziehungen zwischen den Konstrukten aus. Jedoch kann es Konstrukte geben, die erst über eine andere unabhängige Variable eine Wirkung auf die abhängige Variable ausüben. Es liegt dann ein mediierender (d. h. indirekter bzw. vermittelnder) Effekt vor. Eine vollständige Mediation der Variablen ist dann gegeben, wenn nach der Kontrolle des indirekten Effekts der unabhängigen Variable über den mediierenden Faktor auf die abhängige Variable kein signifikanter direkter Effekt von der unabhängigen auf die abhängige Variable ausgeht.604 Partielle Mediation liegt dagegen vor, wenn zusätzlich zum mediierenden noch ein direkter Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable existiert. Innerhalb des Strukturgleichungsmodells werden somit der direkte und der mediierende Effekt einer Variablen gleichzeitig geschätzt und miteinander verglichen. Allerdings kann mittels varianzerklärender Strukturgleichungsmodelle weder ein mediierender Effekt präzise geschätzt werden, noch eine eindeutige Einschätzung der Existenz von vollständiger Mediation erfolgen.605 5.1.3.2 Hypothesenprüfung, Gütekriterien und Anspruchsniveaus Aufgrund der sukzessiven Schätzung der Parameter liefern varianzbasierte Verfahren wie PLS keine Werte für globale Modellfits.606 Alternativ werden nichtparametrische Tests zur Überprüfung des Strukturmodells herangezogen. Damit wird das Strukturmodell anhand von Teilstrukturen in seiner Gesamtheit bewertet.

602

Vgl. Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003), S. 203. Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 731. 604 Vgl. Homburg/Klarmann (2006), S. 730. 605 Vgl. Scholderer/Balderjahn (2006), S. 64. Ausführlich zu Mediatoren in Regressionsrechnungen vgl. Müller (2006). 606 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 58. 603

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

165

Zu den Gütemaßen im Strukturmodell zählen: x das Bestimmtheitsmaß (R2) für endogene Konstrukte, x das Ausmaß der Signifikanz der Pfadkoeffizienten, x der substanzielle Erklärungsbeitrag (Effektgröße f2) und x das Stone-Geisser-Kriterium (Q2).607 Ausgangspunkt der Bewertung des Strukturmodells ist das Bestimmtheitsmaß R2. Das Bestimmtheitsmaß beschreibt, zu welchem Anteil die Varianz der endogenen latenten Variablen erklärt wird.608 Damit misst dieses Gütemaß die Anpassung der Regressionsfunktion an das empirisch gewonnene Konstrukt. Das Bestimmtheitsmaß kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. In der Literatur ist umstritten, welche Höhe des Bestimmtheitsmaßes als gut zu beurteilen ist.609 Grundsätzlich sind aber substanzielle Werte anzustreben, wobei höhere Werte einen höheren erklärten Varianzanteil indizieren. Ein weiteres Kriterium, anhand dessen die Güte des Modells geschätzt wird, stellt die Höhe der Pfadkoeffizienten dar. Der Pfadkoeffizient gibt dabei den Einfluss eines Konstrukts auf ein anderes Konstrukt an.610 Die Signifikanzprüfung der Pfade erfolgt über t-Statistiken, die aus der Anwendung von Resampling-Methoden gewonnen werden.611 Unter Resampling versteht man Verfahren der statistischen Datenanalyse, die geeignet sind, Datensätze bei Unklarheit über deren Verteilungseigenschaften bzw. bei fehlenden Anwendungsmöglichkeiten von Standardverfahren zu analysieren. Während des Resampling-Prozesses werden Stichproben aus dem Datensatz gezogen und wieder zurückgelegt. Aufgrund des zufallsgesteuerten Prozessablaufs können Teilstichproben im Bootstrapping-Verfahren auch mehrfach ausgewählt werden.612 Damit basieren diese Verfahren auf der Annahme, dass die Stichprobe repräsentativ für eine Grundgesamtheit ist.613 Nicht-signifikante Pfade oder Pfade, die eine Hypothesenkonträre Richtung aufweisen, widerlegen die jeweilige Hypothese. Dagegen erfährt das Strukturmodell empirische Unterstützung, wenn die Pfadkoeffizienten die theore-

607

Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 730 f. Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 58; Hildebrandt (1984), S. 49. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 63 f. 610 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 58. 611 Die t-Tabelle weist Werte von 1,283 für ein Signifikanzniveau von 90%, 1,648 für ein Signifikanzniveau von 95% und 2,334 für ein Signifikanzniveau von 99% bei 500 Freiheitsgraden aus. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 808. 612 Vgl. Chin (1998), S. 320 f.; Reimer (2006), S. 408. 613 Vgl. Herrmann/Huber/Kressmann (2006), S. 40. 608 609

166

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

tisch postulierte Richtung aufweisen und zugleich signifikant sind.614 Die dritte Größe zur Beurteilung der Güte von Strukturmodellen stellt die Effektgröße dar. Die Effektgröße f2 gibt die Änderung des Bestimmtheitsmaßes einer abhängigen Variablen an. Die Änderung des R2-Werts ergibt sich aus der Berechnung des Strukturmodells inklusive und exklusive des bzw. der zu betrachtenden Konstrukte. Die Effektgröße berechnet sich wie folgt:615 (8)

f2

=

R2incl. - R2 excl. 1 - R2incl.

mit: R2incl.: Bestimmtheitsmaß einer endogen Größe mit dem Konstrukt, R2excl.: Bestimmtheitsmaß ohne das Konstrukt. Werte für die Effektgröße, die bei 0,02; 0,15 und 0,35 liegen, deuten auf einen schwachen, moderaten oder substanziellen Einfluss auf die latente endogene Variable hin.616 Die Prüfung der Effektgröße ähnelt dabei einem partiellen F-Test.617 Als viertes Gütemaß zur Beurteilung des Strukturmodells kann der Stone-GeisserTest herangezogen werden.618 Dabei wird innerhalb einer sog. Blindfolding-Prozedur ein Teil der Rohdatenmatrix systematisch als fehlend angenommen, d. h. ausgeklammert.619 Die Parameterschätzungen werden dann auf die ausgeklammerten Rohdaten angewendet und eingesetzt. Diese Prozedur wird so lange fortgesetzt, bis jeder Datensatz ersetzt ist. Es ist einschränkend anzumerken, dass der Stone-Geisser-Ansatz jedoch nur bei reflektiven Indikatoren eingesetzt werden kann.620 Das Stone-GeisserTest-Kriterium berechnet sich wie folgt:621 (9)

Qj2 = 1 -

 Ejk k

k Ojk

Ejk zeigt die Quadratsumme der Prognosefehler an, während Ojk die Quadratsumme aus der Differenz des geschätzten Werts und dem Mittelwert der restlichen Daten bildet. Der Index j steht dabei für das endogene Messmodell des Konstrukts j und reprä614

Zur Auswahl von relevanten Signifikanzniveaus vgl. Krafft (1995), S. 295 und S. 304. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 731. Vgl. Cohen (1988); Chin (1998), S. 316. 617 Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 730. 618 Vgl. Geisser (1975), S. 320; Stone (1975); Fornell/Cha (1994), S. 71-73. 619 Die Blindfolding-Prozedur ist als ein Holdout-Verfahren einzustufen. Zum Holdout-Verfahren vgl. Kuhlmann (2006), S. 420-426. 620 Vgl. Panten/Thies (2006), S. 324. 621 Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004), S. 731. 615 616

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

167

sentiert die jeweiligen Indikatoren des Konstrukts j. Das Stone-Geisser-Kriterium muss einen Wert über 0 annehmen, um für das Modell eine hinreichende Prognosefähigkeit auszuweisen.622 Das Stone-Geisser-Kriterium wird analog dem Bestimmtheitsmaß interpretiert und verdeutlicht, wie gut die empirisch gewonnenen Daten mit dem Modell und den Parameterschätzungen rekonstruiert werden können.623 5.2 Grundlagen zur experimentellen Forschung 5.2.1 Allgemeine Grundlagen In der Marketingforschung werden Experimente angewandt, um z. B. Wirkungen von Unternehmensmaßnahmen auf Kundenzufriedenheit, Preisvariationen oder Werbewirkungen zu untersuchen.624 Unter einem Experiment wird die Beobachtung und Erfassung von Phänomenen unter Ausschaltung bzw. Kontrolle von Störfaktoren durch den Forscher verstanden.625 Ähnlich definiert Zimmermann das Experiment als „[...] eine wiederholbare Beobachtung unter kontrollierten Bedingungen, wobei eine (oder mehrere) unabhängige Variable(n) derartig manipuliert wird (werden), daß eine Überprüfungsmöglichkeit der zugrundeliegenden Hypothese (Behauptung eines Kausalzusammenhangs) in unterschiedlichen Situationen gegeben ist.“626 Aus den Definitionen leiten sich folgende zwei Hauptmerkmale ab: die systematische Beobachtung (inkl. der Erfassung der beobachteten Tatbestände) und der experimentelle Eingriff („treatment“), mit dem der Proband in seiner Wahrnehmung oder seinem Verhalten beeinflusst wird. Ein weiteres Hauptmerkmal von Experimenten ist die Ausschaltung bzw. Kontrolle von Störgrößen, also von Faktoren, die ebenfalls auf die zu untersuchende Variable wirken können. Ohne Ausschluss bzw. Kontrolle von Störfaktoren kann nicht entschieden werden, ob und inwieweit die beobachteten Wirkungen auf die experimentellen Maßnahmen oder auf die Störfaktoren zurückzuführen sind.627 In der empirischen Realität existiert jedoch keine vollständige Kontrolle über alle Experimentbedingungen, sodass ein Forscher in der Ergebnisbeurteilung unaufhaltsam weitere Einflüsse berücksichtigen muss.628

622

Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 73; Hahn (2002), S. 104. Vgl. Fornell/Cha (1994), S. 72. 624 Vgl. Ahrens (2006); Koschate (2002); Vogel (2006); Woisetschläger (2006). 625 Vgl. Campbell/Stanley (1969), S. 1; Sarris (1992), S. 129. 626 Zimmermann (1972), S. 37. 627 Vgl. Sarris (1992), S. 130. 628 Vgl. Campbell/Stanley (1969), S. 1. 623

168

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Um den mannigfachen Gegebenheiten und Forschungszielen gerecht zu werden, haben sich in der Vergangenheit verschiedene Experimentformen herausgebildet. Experimente können v. a. in vor- und quasi-experimentelle Designs, klassische und statistische Designs unterschieden werden. Die verschiedenen Arten von Experimenten sind in der Abbildung 31 dargestellt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kommen statistische Designs in Form von faktoriellen Designs in Kombination mit Kontrollgruppen zum Einsatz. Untersuchungsdesigns

Panelstudie

Vor-experimentelle und quasi-experimentelle Designs Vor-experimentell: • Ein-Gruppen Pre-Test/ Post-Test • Vergleich statischer Gruppen • Survey-Design Quasi-experimentell: • Zeitreihen-Designs (time series) • Äquivalentes Zeit-StichprobenDesign

Abbildung 31: Quelle:

Experimente

Experimentelle, klassische Designs • 4-Gruppen-Design nach Solomon • Pretest-Posttest-Kontrollgruppen Design • Posttest-Nur-KontrollgruppenDesign

Einzelfallstudie

Statistische Designs • Blockdesigns (randomisierte oder unvollständige Designs) • Quadrate (Lateinisches oder lateinisch-griechisches Quadrat) • Faktorielle Designs • Split-Plot-Designs • Hierarchische Designs

Experimentelle Untersuchungsdesigns Eigene Darstellung in Anlehnung an Aaker/Kumar/Day (1995), S. 328; Stier (1999), S. 217-225.

Darüber hinaus ist in der experimentellen Forschung zwischen Feld- und Laborexperimenten zu unterscheiden. Während Laborexperimente durch eine künstliche Umgebung, eine umfassende Kontrolle der Probanden und der Störfaktoren gekennzeichnet sind, können in den Feldexperimenten zahlreiche Einflüsse auf die Probanden wirken.629 Eine Entscheidung für eine der beiden Arten ist eng mit dem jeweiligen Zweck des Untersuchungsgegenstands verbunden. Innerhalb von Laborexperimenten können gezielt Störfaktoren ausgeschlossen bzw. vermindert werden, was dazu beiträgt, die Sicherstellung interner und externer Validität zu gewährleisten.630 Ein Blick in die marketingwissenschaftliche Literatur zeigt trotz der Relevanz von Störfaktoren

629

Zur Differenzierung von Labor- und Feldexperimenten vgl. Guski (1997); Sarris (1992), S. 228 ff.; Aaker/Kumar/Day (1995), S. 326 ff.; Schnell/Hill/Esser (2005), S. 225-227. 630 Zur Übersicht von Störvariablen und deren Wirkungen auf die Validitäten vgl. Campbell/Stanley (1963), S. 175 ff.; Sarris (1992), S. 216 f.; Schnell/Hill/Esser (2005), S. 217 ff.; Stier (1999).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

169

auf die Interpretation der Experimentergebnisse nur wenige Hinweise auf mögliche Störfaktoren und deren Beeinflussung. Koschate führt in ihrer Erhebung drei Techniken zur Kontrolle bzw. Ausschaltung von Störfaktoren auf.631 5.2.2 Zielsetzung und Experimentdesign Für die Prüfung des Modells der Wiederaufnahme früherer Geschäftsbeziehungen wird im Folgenden ein Experiment durchgeführt, um die erhobenen Daten aus einer Kundenbefragung um Verhaltensdaten zu ergänzen. Da aus den in der Befragung erhobenen Absichtsbekundungen von Kunden nicht verlässlich auf deren tatsächliches Verhalten geschlossen werden kann, ist es an dieser Stelle von Interesse, inwieweit Kunden mit einer generellen und spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft tatsächlich bei dem früheren Anbieter einen neuen Vertrag abschließen. Aus Unternehmenssicht ist es darüber hinaus wichtig herauszufinden, welche der potenziellen Maßnahmen sich am besten für die Rückgewinnung von abgewanderten Kunden eignen. Unter Berücksichtigung dieser Zielsetzungen erweist sich das Feldexperiment als besonders geeignet.632 Nach der Entscheidung für diese Experimentart ist es für die Konzeption des Experiments wichtig, mögliche Störfaktoren zu identifizieren und auf deren Relevanz für die Experimentergebnisse hin zu prüfen. Die Durchführung eines Feldexperiments empfiehlt sich darüber hinaus, wenn Unternehmensmaßnahmen in realen Kontexten geprüft werden sollen. Eine wesentliche Störgröße stellen die Werbemaßnahmen der Konkurrenz dar, auf die das Unternehmen keinen Einfluss hat, die jedoch die Kunden von einer Reaktion in einem Feldexperiment abhalten könnten. Da jedoch auch zukünftige Rückgewinnungsmaßnahmen unter derartigen realen Bedingungen durchgeführt werden (müssen), wird der Einfluss von Wettbewerbsaktivitäten als nicht störend für die Experimentdurchführung angesehen. Um mögliche Störeffekte, die von den Wettbewerbern ausgehen, in die Interpretation einschließen zu können, wurde ergänzend geprüft, ob innerhalb des Erhebungszeitraums von November bis Dezember 2006 außergewöhnliche Aktivitäten des Wettbewerbs durchgeführt wurden. Es konnten in beiden Branchen keine auffälligen Wettbewerbsaktivitäten festgestellt werden, sodass von der Abwesenheit von Störeinflüssen bzgl. der Wettbewerbssituation auszugehen ist. Darüber hinaus wurde bei der Experimentplanung auf die mögliche Störgröße der Selektions- und Auswahleffekte geachtet. Dahinter verbirgt sich die An631

Zum Einsatz kommen das instrumentelle Konstanthalten der äußeren Rahmenbedingungen über kontrollierte Gruppensitzungen, eine versuchsplanerische Kontrolle durch Randomisierung und Wiederholungsmessungen sowie die Erhebung demografischer Daten für eine spätere statistische Kontrolle von Störfaktoren. Vgl. Koschate (2002), S. 138. 632 Vgl. dazu die weiteren Ausführungen in diesem Teilabschnitt.

170

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

nahme, dass mit einer gezielten Auswahl der Probanden, z. B. nach Bildungsstand, die interne Validität beeinflusst wird. Einen Ansatz zur Vermeidung derartiger Selektionseffekte stellt die Zufallsauswahl der Stichprobe dar.633 Die Zuordnung der abgewanderten Kunden zu den Experimentgruppen erfolgte daher in beiden zu untersuchenden Branchen zufallsgesteuert. Ein weiterer Störeffekt kann durch den Einsatz von Hilfsmitteln und Instrumenten auftreten. Beispielsweise kann im Fall einer telefonischen Kundenrückgewinnung der Einsatz verschieden effektiver Mitarbeiter eines Callcenters zu unterschiedlichen Rückgewinnungsquoten führen. Da jedoch auch in der Praxis derartige Unterschiede auftreten können, wird der unterschiedlich effektive Einsatz der Instrumente nicht als kritisch für die interne Validität des Rückgewinnungsexperiments eingeschätzt. Ein weiterer Ansatz zur Identifizierung möglicher Störfaktoren ist der Einsatz von Kontrollgruppen. Ansatzpunkt ist die Überlegung, dass beide Gruppen (Experimentalund Kontrollgruppe) in der Zeit des Experiments den gleichen Störfaktoren ausgesetzt sind. Daher werden für die vorliegende Untersuchung Kontrollgruppen sowohl aus der Gruppe der abgewanderten befragten Kunden als auch aus der Gruppe der abgewanderten nicht-befragten Kunden gebildet. Diese Kontrollgruppen werden im Rahmen des Experiments nicht für die Rückgewinnung kontaktiert. Vor der Konzeption des Experiments wurden die aufgeführten Störgrößen auf ihre mögliche Existenz anhand von Plausibilitätsüberlegungen geprüft und als nicht relevant für den hier vorliegenden Untersuchungskontext eingeschätzt. Die Details des unternehmensspezifischen Experimentaufbaus sind im Abschnitt 6.1.2.3 (Verlagshaus) und Abschnitt 6.2.2.3 (Verkehrsdienstleister) aufgeführt. 5.2.3 Gütekriterien von Experimenten Im Rahmen der Auswertung von Experimenten kommen v. a. Gütekriterien der internen und externen Validität zum Einsatz. Diese Gütekriterien werden im Wesentlichen über die Kontrolle von Störgrößen bzw. die Übertragbarkeit der Ergebnisse qualitativ überprüft und sollen an dieser Stelle nicht weiter beschrieben werden.634 Üblicherweise werden zur Auswertung von Experimenten strukturprüfende Verfahren der Varianz- und Kovarianzanalyse (ANOVA, MANOVA) eingesetzt. Aufgrund der

633 634

Zu dieser Prozedur der Randomisierung vgl. ausführlich Schnell/Hill/Esser (2005), S. 223. Eine interne Validität ist bswp. gegeben, wenn die Beobachtung, z. B. das Verhalten eines Probanden eindeutig auf die Beeinflussung der unabhängigen Variable zurückzuführen ist. Für die Details sei auf die Literatur verwiesen. Vgl. u. a. Rack/Christophersen (2006), S. 30-34 und die dort zitierte Literatur.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

171

Manipulation von Unternehmensmaßnahmen und der generierten abhängigen binären Variable (Rückkehr = 1, Nicht-Rückkehr = 0) erfolgt die Auswertung des Experiments jedoch nicht über die Varianzanalyse. Die durch das Experiment gewonnenen Daten werden vielmehr mithilfe der Logistischen Regression ausgewertet, um die Wirkung einzelner Variablen auf das Wiederaufnahmeverhalten prüfen zu können. Das Verfahren der Logistischen Regression wird im folgenden Abschnitt komprimiert dargestellt. 5.3 Grundlagen zur Logistischen Regression 5.3.1 Allgemeine Grundlagen Die Logistische Regression als strukturprüfendes Verfahren wird zur Analyse von Beziehungen zwischen mehreren unabhängigen Variablen und einer dichotomen (binären) abhängigen Variablen eingesetzt. Dabei ermittelt die Logistische Regression die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses der dichotomen Variable, z. B. die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs bzw. Nichtkaufs.635 Als wesentliche Vorzüge für die Anwendung der Logistischen Regression ggü. der Diskriminanzanalyse gelten der mögliche Einsatz von inferenzstatistischen Tests, die geringen Anforderungen an das Datenmaterial und die Angabe von asymptotisch t-verteilten Statistiken.636 Die zentrale Voraussetzung für die Anwendung der Logistischen Regression ist die Unabhängigkeit der Regressoren, d. h., es darf weder Multikollinearität noch Autokorrelation vorliegen.637 Ein Test auf Multikollinearität kann durch die Analyse der Korrelationsmatrix der unabhängigen Variablen erfolgen. Dabei werden Korrelationen von 0,3 bis 0,5 als moderat eingestuft, während Korrelationen  0,5 einen Hinweis auf potenzielle Multikollinearität liefern. Das Vorliegen von Multikollinearität würde eine Elimination von Variablen nach sich ziehen.638 Auf die Inhalte, Vorgehensweise und mathematischen Formeln des Ansatzes der Logistischen Regression wird im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen. Vielmehr wird auf die ausführlichen Darstellungen in der Literatur verwiesen.639 Im Weiteren sollen lediglich zentrale Maße zur

635

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 426. Vgl. Krafft (1997), S. 625 f. Eine alternative Methode im Umgang mit dichotomen Variablen ist die Diskriminanzanalyse. Die Logistische Regression erweist sich ggü. der Diskriminanzanalyse als weitaus robuster, da sie weniger strengen Prämissen unterliegt. Vgl. Frenzen/Krafft (2008), S. 607649. 637 Vgl. Aldrich/Nelson (1984), S. 49; Menard (2001), S. 75 ff. Zur Bestimmung der Autokorrelation über den Durbin/Watson-Test vgl. Backhaus et al. (2006), S. 88 f. 638 Vgl. Schneider (2006), S. 196. 639 Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 425-445; Krafft (1997), S. 626-629. 636

172

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Beurteilung der Güte Logistischer Regressionsmodelle verkürzt diskutiert werden. 5.3.2 Gütekriterien der Logistischen Regression Die Güte des logistischen Modells kann über verschiedene Gütekriterien bewertet werden. Diese Gütemaße lassen sich in Kriterien für das gesamte Modell und für einzelne Variablen (Koeffizienten) unterscheiden. Im Rahmen der Gütemaße für das gesamte Modell wird untersucht, wie gut die unabhängigen Variablen insgesamt zur Trennung der Ausprägungen der abhängigen Variablen beitragen. Ein zentrales Gütemaß stellt dabei der -2LL-Wert, d. h. die Devianz, dar. Weitere Gütemaße sind die sog. Pseudo-R2-Statistiken wie McFaddens R2 oder Nagelkerkes R2. Darüber hinaus wird anhand der Klassifikationsmatrix geprüft, inwieweit die einbezogenen Fälle richtig klassifiziert wurden. Für die Beurteilung der Trefferquote („hit ratio“) innerhalb der Klassifikationsmatrix gibt es zwei verschiedene Ansätze. Dabei wird das „proportional chance criterion“ (PCC) für eine ungleiche Anzahl von Fällen in den Gruppen eingesetzt, während das „maximum chance criterion“ (MCC) für die Anwendung bei ungefähr gleich großer Gruppengröße vorzuziehen ist.640 Der Hosmer-Lemeshow-Test wiederum prüft, inwieweit die Differenz zwischen den prognostizierten und den beobachteten Werten Null ist. Die Tabelle 30 gibt einen Überblick über die Kriterien zur globalen Bewertung von Logistischen Regressionsmodellen. Gütekriterien

Akzeptabler Wertebereich

Devianz (-2LL)

-2LL nahe 0; Signifikanzniveau nahe 100%

Likelihood-Ratio-Test

Möglichst hoher 2-Wert, Signifikanzniveau < 5%

McFaddens R2

Akzeptable Werte ab 0,2, gute Werte ab 0,4

Cox & Snells R2

Akzeptable Werte ab 0,2, gute Werte ab 0,4

Nagelkerkes R2

Akzeptable Werte ab 0,2, gute Werte ab 0,4, sehr gute Werte ab 0,5

Klassifikationsmatrix

Klassifikation mindestens besser als „maximum chance criterion“ (MCC)

Hosmer-Lemeshow-Test

Möglichst geringer 2-Wert

Tabelle 30: Quelle:

640

Zentrale Gütekriterien der Logistischen Regression Eigene Darstellung in Anlehnung an Krafft (1997), S. 632.

Vgl. Krafft (2007), S. 103.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

173

Die Erklärungsgüte der einzelnen Koeffizienten des Regressionsmodells kann anhand der Wald-Statistik und das entsprechende Signifikanzniveau beurteilt werden. Dabei gilt die Wald-Statistik als Indikator der relativen Aussagekraft der einzelnen Variablen.641 Von Bedeutung sind hierbei die Richtung (positiv oder negativ) und die Einflussstärke der einzelnen Variablen auf die abhängige Variable. Für die vorliegende Arbeit wird das Wiederaufnahmeverhalten abgewanderter Kunden (Rückkehr = 1, Nicht-Rückkehr = 0) als abhängige dichotome Variable analysiert. Das Wiederaufnahmeverhalten kann dabei durch mehrere unabhängige Konstrukte verursacht werden. Nach Urban ist die Voraussetzung zur Anwendung der Logistischen Regression eine Beobachtungszahl von mindestens 50.642 In beiden Datensätzen der vorliegenden Arbeit wird mit 543 bzw. 1.095 Fällen diese Grenze überschritten. Allerdings konnten im Fall des Verlagshauses nur 16 Probanden zurückgewonnen werden, sodass auf eine Anwendung der Logistischen Regression für das Verlagshaus verzichtet wird.643 Über die Auswertung der Varianzanalyse und eines Vergleichs von Mittelwerten (für eine Verletzung der multivariaten Normalverteilungsannahme) wird jedoch versucht Aussagen in Bezug auf relevante Einflussgrößen der Wiederaufnahme von Verlagskunden zu treffen. Nach der Beschreibung der methodischen Grundlagen dieser Arbeit werden im nächsten Kapitel die empirischen Ergebnisse für beide kooperierenden Unternehmen separat vorgestellt.

641

Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 460 f.; Krafft (2007), S. 105. Zur Wald-Statistik vgl. Krafft (1999c), S. 251 f. und die dort zitierte Literatur. 642 Vgl. Urban (1993), S. 13. 643 Als Untergrenze wird für jede Ausprägung der abhängigen Variablen eine Fallzahl von 25 empfohlen. Vgl. Backhaus et al. (2006), S. 480. Zur Bestimmung der Fallzahl vgl. Hosmer/Lemeshow (2000), S. 339- 347.

6 Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen Wie in Abschnitt 4.2.8 aufgezeigt, setzt sich das Forschungsmodell aus zwei Stufen zusammen, die empirisch mithilfe der Strukturgleichungsanalyse und der Logistischen Regression geprüft werden. Nach der Identifizierung von abgewanderten Kunden beider kooperierender Unternehmen (Verlagshaus, Verkehrsdienstleister) wurde ein Teil dieser Kunden über eine Zufallsstichprobe ausgewählt und über einen auf die Besonderheiten der beiden Unternehmen angepassten Fragebogen kontaktiert. Ansonsten war der Fragebogen für beide Unternehmen identisch. Mit dem Fragebogen wurden Kundendaten wie z. B. soziodemografische Daten sowie Einstellungs- und Verhaltensabsichtsvariablen gewonnen.644 Nach Beendigung der Kundenbefragung wurde der größere Teil der befragten Kunden mit Rückgewinnungsmaßnahmen angesprochen. Der kleinere Teil der befragten Kunden wurde als Kontrollgruppe für das Experiment berücksichtigt und hat keine Rückgewinnungsmaßnahmen erhalten. Darüber hinaus wurden Experimentgruppen gebildet, die die nicht-befragten Kunden enthielten. Aus dem Experiment zur Kundenrückgewinnung konnten die Rückkehrdaten generiert werden. Die Abbildung 32 gibt einen Überblick über den Ablauf der Datenerhebung.645 167 Rückkehrer

928 NichtRückkehrer

1.095 Probanden

Abbildung 32: Quelle:

Ist-Situation nach der Rückgewinnung

Neuer Datensatz für die Logistische Regression

167 NichtRückkehrer Drei zufällig ausgewählte Stichproben aus dem Datensatz von 928 Nicht-Rückkehrern

Allgemeiner Prozess der Datenerhebung Eigene Darstellung.

Auf Basis der im Kapitel 5 vermittelten methodischen Grundlagen sollen im weiteren Verlauf dieses Kapitels die empirischen Ergebnisse für die kooperierenden Unternehmen separat vorgestellt werden. Dabei werden zuerst der Markt, die deskriptive 644

Der Fragebogen ist im Anhang aufgeführt. Die Auswahl der Kunden und die deskriptiven Ergebnisse jedes Unternehmens werden in den entsprechenden Abschnitten 6.1.2 und 6.2.2 detailliert beschrieben. 645 Das Experimentdesign ist für beide Unternehmen in den Abschnitten 6.1.2.3 und 6.2.2.3 aufgeführt.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

175

Analyse und die Ergebnisse der Mess- und Strukturmodelle des Verlagshauses geschildert. Aufgrund der Rückkehrquote der abgewanderten Kunden beschränkt sich die empirische Untersuchung für das Verlagshaus auf die Strukturgleichungsanalyse. Im Anschluss daran erfolgt die Darstellung des Marktes für Verkehrsdienstleistungen, die deskriptive Analyse und die Vorstellung der empirischen Ergebnisse der Strukturgleichungsanalyse und der Logistischen Regression.646 Das Kapitel 6 schließt mit einem Vergleich der empirischen Ergebnisse beider Unternehmen. 6.1 Empirische Befunde des Verlagshauses 6.1.1 Markt für Publikumszeitschriften Die Medienbranche steht seit der Verbreitung des Internets und des zunehmenden Vertriebs von digitalen Medienprodukten vor enormen Herausforderungen. Als die zentralen Triebkräfte des zunehmenden Wettbewerbsdrucks können das größere Angebot neuer Titel und eine gleichzeitig verringerte Lesernachfrage aufgrund der Veränderungen der Nutzungszeit der Printmedien angeführt werden.647 Das größere Angebot wird in der positiven Bilanz der Neueinführungen ggü. den Marktaustritten von Publikumszeitschriften deutlich.648 Seit dem Jahr 1995 hat sich die Titelanzahl von 709 um rund 27 Prozent auf 900 erhöht.649 Gleichzeitig ist seit 2000 die Gesamtauflage von Publikumszeitschriften in Deutschland von ca. 92,5 Millionen auf rund 85,6 Millionen Exemplare gesunken.650 Dies bedeutet implizit eine Reduktion der durchschnittlichen Auflage von Publikumszeitschriften. Neben den quantitativen Ursachen beschleunigt der Trend zu sog. reichweitenmaximierenden Angeboten und deren Fokussierung auf den Werbemarkt einen Qualitätsrückgang vieler Publikumszeitschriften.651 Durch die erhöhte Anzahl der Medienangebote, die zu großen Teilen werbefinanziert sind und damit für die Kunden günstige Einzelpreise anbieten können, ist auch die Zahlungsbereitschaft der Rezipienten aufgrund der Wahrnehmung, dass Medien zunehmend kostenlos sind, gesunken.652

646

Innerhalb der Konzeption beider Untersuchungen wurde großer Wert darauf gelegt, dass die Fragebogen für beide Unternehmen möglichst einheitlich sind, um die empirischen Ergebnisse miteinander vergleichen zu können. 647 Zur Nutzung klassischer Medien vgl. Kiefer (2003), S. 40-49. 648 Zu den Publikumszeitschriften zählen u. a. (Wochen-)Zeitschriften, Frauenzeitschriften und Lifestylemagazine. Vgl. IVW (2007). 649 Vgl. IVW (2007), S. 7. 650 Vgl. Sjurts (2005), S. 122-125. 651 Vgl. Sjurts (2005), S. 13. 652 Vgl. Kiefer (2001), S. 235 f.

176

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Mit der Zunahme an Fernsehsendern und dem Zuwachs an (interaktiven) InternetAngeboten haben sich die Nutzungszeiten der Printmedien weiter verringert. Während im Jahr 1995 noch rund eine Stunde pro Tag gelesen wurde, wird aktuell von einer Lesezeit von 48 Minuten ausgegangen.653 Alles in allem müssen die Verlagshäuser mit deutlich gesunkener Nachfrage umgehen, sodass es für die Unternehmen immer wichtiger wird, aktuelle Kunden zu halten bzw. abgewanderte Kunden zurückzugewinnen. Diese Herausforderungen steigen, da die Abwanderungsquoten in den ersten Geschäftsjahren als deutlich höher eingeschätzt werden als in den Folgejahren.654 6.1.2 Datenerhebung und Datenbasis 6.1.2.1 Grundgesamtheit und Stichprobe der Untersuchung Für die empirische Untersuchung des Marktes für Sekundärgüter wurde ein privatwirtschaftlich geführtes Verlagshaus ausgewählt. Das Unternehmen ist auf dem Markt der Publikumszeitschriften mit Romanheften aktiv. Die Romanhefte werden unter verschiedenen Titeln verkauft und können sowohl im Abonnement bezogen als auch im Einzelhandel (Buchhandel, Kiosk) als Einzelausgaben gekauft werden. Dabei variieren die Erscheinungstermine der Hefte von wöchentlich bis monatlich. Zu bestimmten saisonalen Anlässen wie Weihnachten veröffentlicht das Unternehmen Sonderausgaben. Die Finanzierung von Publikumszeitschriften erfolgt über die Verkaufs- und Abonnementerlöse. Ein großer Abonnentenstamm sorgt dabei für eine gleichmäßige Produktionsauslastung und bildet eine gute Planungsgrundlage. Darüber hinaus lässt sich das Risiko unverkaufter Exemplare durch mehr Abonnements reduzieren, und die Liquiditätslage des Verlagshauses verbessert sich durch die Vorauszahlungen der Kunden. Kündigen Abonnenten ihren Vertrag, verfügt der Verlag aufgrund der formalen Bindung über wichtige Informationen über die Kunden und hat damit erste Anhaltspunkte für eine Kundenrückgewinnung. Für die vorliegende Untersuchung ermöglichen die festen Vertragslaufzeiten der Abonnements und die erforderliche ausdrückliche Kündigung eine eindeutige Identifikation der abgewanderten Kunden und der zu einem Abonnement zurückgekehrten Kunden. Für die Untersuchung wurden die abgewanderten Kunden identifiziert, die länger als zwölf Monate inaktiv waren, d. h. die in den letzten zwölf Monaten kein Abonnement

653 654

Vgl. Wirtz (2005), S. 38. Vgl. Krafft (2007), S. 53. Die Wechselneigung anhand einzelner Titel zeigt Sjurts (2005), S. 123 f. in ihrer Zusammenfassung auf.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

177

bei dem Kooperationspartner hatten. Vor dem Versand der Fragebogen fand ein telefonischer Pretest des Fragebogens mit zehn zufällig ausgewählten ehemaligen Kunden des Verlagshauses statt. Zielsetzung des Pretests war es, den Fragebogen mit den Fragestellungen zu Kundenabwanderung und -rückgewinnung für die Markterhebung zu finalisieren. Die zehn ausgewählten Probanden wurden aus der weiteren Erhebung ausgeschlossen. Vor der eigentlichen, großzahligen Befragung wurde die Kundendatenbank auf ihre Aktualität hin überprüft, d. h., die vorhandenen Adressbestände wurden einer Überprüfung unterzogen, um unvollständige bzw. veraltete Adressen auszuschließen. Aus diesen rund 25.000 abgewanderten Kunden wurde eine Zufallsstichprobe von 7.461 Kunden gezogen, die für die Untersuchung zur Verfügung stand. Für das Untersuchungsmodell wurden 6.411 Kunden vor der Befragung einer sog. Befragungsgruppe zugeordnet, während 1.051 ehemalige Kunden der NichtBefragungsgruppe zugeteilt wurden. Die Befragung der 6.411 abgewanderten Kunden fand vom 27. September bis 14. Oktober 2006 statt.655 Als Anreiz zur Teilnahme wurden unter den Probanden 20 Einkaufsgutscheine im Wert von je 20 Euro ausgelost. Diese Gutscheine wurden, um die Datenerhebung nicht zu beeinflussen, erst nach Ablauf der Rückgewinnungsmaßnahmen Ende November 2006 versandt. Nach Ablauf der Hälfte des Befragungszeitraums wurde an die 6.411 abgewanderten Kunden eine Erinnerungspostkarte zur Teilnahme an der Befragung versandt. Von 748 zurückgesandten Fragebogen erwiesen sich 543 Fragebogen als auswertbar.656 Dies entspricht einer NettoRücklaufquote von 8,6 %.657 Auf Basis der zurückgesandten Fragebogen wurden Anfang November Experimentcluster gebildet und das Experiment durchgeführt. Für den Test der Wirkung alternativer Rückgewinnungsmaßnahmen wurden verschiedene Dialogwege und Rückgewinnungsangebote ausgewählt.

655

656

657

Das Porto für die zurückgesandten Fragebogen hat das Verlagshaus getragen (Briefumschlag mit dem Hinweis „Porto zahlt Empfänger“). 205 Fragebogen mussten von der weiteren Auswertung ausgeschlossen werden, da die Probanden nur ihre Kontaktdaten zur Teilnahme an der Verlosung ausgefüllt hatten, zu viele fehlende Werte vorhanden waren bzw. die Fragebogen nach Ablauf der Befragung eingetroffen sind. Die Fragebogen wurden direkt beim Verlagshaus gesammelt und in gebündelter Form zur Auswertung an uns weitergegeben. Aus diesem Grund konnten die Fragebogen nicht nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs sortiert werden. Eine Bestimmung des Ausmaßes eines möglichen NonResponse Bias nach Armstrong/Overton (1977) war somit nicht möglich. Probanden, die  neun fehlende Werte aufwiesen, wurden aus der weiteren Analyse und der Zuordnung zu den Experimentgruppen ausgeschlossen, da bei mehr fehlenden Werten der Anteil dieser überproportional ansteigt. Bei weniger als neun fehlenden Werten wurden die Daten durch die Mittelwerte des einzelnen Indikators über alle Probanden (formative Konstrukte) und durch die verbleibenden Indikatoren des jeweiligen Konstrukts (reflektive Konstrukte) in SPSS ersetzt.

178

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

6.1.2.2 Deskriptive Analyse Der Fragebogen ist in drei Teile strukturiert. Der erste Teil umfasst Aspekte der Beziehungsdauer, der Abwanderungshäufigkeit (bei diesem Unternehmen), die Kündigungsgründe (u. a. den Hauptabwanderungsgrund) und die monatlichen Ausgaben für Zeitschriften, Romanhefte und Bücher. Im zweiten Teil sollen die Befragten die Geschäftsbeziehung bewerten. Im dritten Teil werden Informationen zur Person, d. h. Daten wie Geschlecht, Geburtsdatum, Familienstand und monatliches Haushaltsnettoeinkommen erhoben. Die Tabelle 31 gibt einen Überblick über die wesentlichen deskriptiven Daten der Probanden des Verlagshauses. Dabei werden bei kategorial abgefragten Daten wie der Dauer der Geschäftsbeziehung die jeweils häufigsten Nennungen aufgeführt.658 Variable

Variable Dauer von 1 Jahr: 23,5%, Dauer von 1 bis 3 Jahren: 34,3%

Geschlecht

Frauen: 99,6%, Männer: 0,04%

Beziehungsdauer

Durchschnittsalter (Berechnung anhand des Geburtsdatums)

40 Jahre

Kündigungshäufigkeit Einmalige Kündigung: 74,8%, zweimalige Kündigung: 20,1%

Familienstand

Ledig: 32,2%, verheiratet: 56,0%

Monatsausgaben für Romanhefte

Monatliches Haushaltsnettoeinkommen

Bis zu 750 Euro: Lesedauer pro Woche 20,9%, von 751 bis 1.000 Euro: 16,9%, von 1.001 bis 1.500 Euro: 23,5%

Bis zu 2 Stunden: 26,3%, zwischen 2 und 5 Stunden: 34,9%, zwischen 5 und 7 Stunden: 11,8%

Höchster Bildungsabschluss

Hauptschule: 13,2%, Realschule: 26,0%, Gymnasium: 12,2%, Berufsausbildung: 37,5%, Hochschule: 11,0%

Keine Nutzung: 68,9%, einmal im halben Jahr: 11,7%, jeden zweiten Monat: 8,2%

Tabelle 31: Quelle:

Internetnutzung von Verlagsangeboten

Bis zu 10 Euro: 60,1%, zwischen 10 und 20 Euro: 26,2%

Deskriptive Daten der Befragten des Verlagshauses Eigene Darstellung.

Die detaillierte Erhebung der Abwanderungsgründe erlaubt einen weiterführenden Blick auf die Beweggründe der Kunden, das Abonnement beim betrachteten Verlagshaus zu kündigen. In der Kundenbefragung wurden 17 mögliche Abwanderungsgründe zur Auswahl gestellt. Diese Abwanderungsgründe wurden im Vorfeld mit dem Ver-

658

Die Differenz der Prozentangaben zu 100 Prozent bezieht sich auf ein oder zwei ausgelassene Kategorien, die aufgrund ihres geringen Gewichts hier nicht explizit berichtet werden.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

179

lagshaus auf Relevanz in der Branche geprüft. Zudem wurde über die Frage nach dem Hauptabwanderungsgrund sichergestellt, dass Kunden bei der Nennung mehrerer Abwanderungsgründe sich für einen zentralen Grund entscheiden. Von 543 Probanden haben 48 Probanden (8,84 %) keinen Abwanderungsgrund angegeben. Interessant ist hierbei, dass im Durchschnitt jeder Kunde 1,9 Gründe für seine Abwanderung genannt hat.659 Dies deutet darauf hin, dass Kunden nicht beim ersten Unternehmensfehler bzw. -versagen kündigen, sondern sich häufig erst bei mehreren Ereignissen für eine Kündigung entscheiden. Als Hauptabwanderungsgründe werden die „Veränderung der persönlichen finanziellen Lage“ (32,53 %), „keine Zeit zum Lesen“ (28,28 %) und die „Preiserhöhung des Abos“ (13,13 %) identifiziert. Zudem wird auch das Auslaufen des Abonnements (10,30 %), die Änderung der Romaninhalte (5,45 %) und die Möglichkeit, woanders die Romanhefte auszuleihen (4,44 %) aufgeführt. Fasst man alle Abwanderungsgründe zusammen, kristallisieren sich die kundenbezogenen Gründe als die größte Kategorie heraus. Die folgende Abbildung 33 gibt diese Ergebnisse wieder.660

Unternehmensbezogene Gründe

37,0%

61,1% 1,9% Kundenbezogene Gründe

Abbildung 33: Quelle:

659 660

Wettbewerbsbezogene Gründe

Kundenbezogene Gründe: Grund1: Ich gucke lieber Telenovelas als zu lesen. Grund3: Ich habe keine Zeit mehr zum Lesen. Grund7: Ich kann bei Bekannten Frauenzeitschriften und/ oder Romane ausleihen. Grund8: Meine persönliche finanzielle Lage hat sich geändert. Grund10: Freunde und/ oder Bekannte haben ebenfalls ihr Abo gekündigt. Unternehmensbezogene Gründe: Grund2: Der Inhalt der Romane hat sich deutlich geändert und ist nicht mehr das, was ich möchte. Grund5: Mein Abo ist oft unpünktlich geliefert worden. Grund6: Das Abo ist zu teuer geworden. Grund9: Mir fehlt für Fragen ein Ansprechpartner bei Ihnen. Grund12: Der Abobetrag wurde falsch abgebucht. Grund14: Die Romane haben ein schlechteres Image bekommen. Grund15: Mein Abo-Vertrag ist ausgelaufen. Grund16: Ich bin unzufrieden mit dem Service Ihres Verlags. Grund17: Meine Beschwerde(n) wurde/n nicht ausreichend beachtet bzw. behandelt. Wettbewerbsbezogene Gründe: Grund4: Ich habe bereits ein anderes Roman- oder Zeitschriftenabo abgeschlossen. Grund11: Die Leistung ist bei anderen Verlagen besser. Grund13: Ich habe ein interessantes Angebot von einem anderen Verlag bekommen.

Verteilung der Abwanderungsgründe der Verlagshauskunden Eigene Darstellung.

Über alle Probanden wurden 949 Abwanderungsgründe angegeben. Die Prüfung auf multivariate Normalverteilung hat ergeben, dass die vorliegenden Daten der Verlagskunden nicht normalverteilt sind.

180

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

6.1.2.3 Durchführung und Ergebnisse des Experiments Nach Ablauf von drei bzw. vier Wochen nach dem Befragungsende wurde vom 6. November bzw. 13. November 2006 das Experiment zur Rückgewinnung der abgewanderten Verlagshauskunden durchgeführt. In die experimentelle Untersuchung wurden die Befragungsgruppe mit 543 Probanden und die Nicht-Befragungsgruppe mit 1.051 Probanden einbezogen. Für das Verlagshaus wurden zwei unterschiedliche Dialogformen der Rückgewinnung (telefonisch, schriftlich) und drei Rückgewinnungsangebote (Prepaid-Gutscheinkarte für Einzelkäufe am Kiosk bzw. im Buchhandel, Sachprämie (frei wählbar) und Überraschungspaket mit Romanheften) getestet.661 Alle Rückgewinnungsangebote waren für den Kunden in etwa gleichwertig. Bei dem hier vorliegenden Experiment handelt es sich um ein 2x3 „between subjects“-Design (mehrfaktorielles Design). Das 2x3 „between subjects“-Design besagt dabei, dass Probanden einer Gruppe nur eine Experimentmaßnahme erhalten. Probanden einer anderen Gruppe erhalten eine andere Maßnahme. Darüber hinaus wurde der Experimentaufbau um eine Kontrollgruppe ergänzt, um den Effekt einer möglichen Wiederaufnahme ohne Rückgewinnungsaktivitäten identifizieren zu können. Nach Informationen der Mitarbeiter des Verlagshauses kommt es gelegentlich vor, dass Probanden auch ohne eine Ansprache durch das Unternehmen einen neuen Vertrag im Experimentzeitraum aufnehmen. Da es insbesondere bei mehrfaktoriellen Designs zur Konfundierung der abhängigen Variablen kommen kann, wird geprüft, inwieweit Konfundierung im Falle des Verlagshauses vorlag.662 Unter Konfundierung (Vermischung) versteht man die systematische Beeinflussung der abhängigen Variablen durch weitere Faktoren, z. B. Störfaktoren.663 Zwei (oder mehr experimentelle) Effekte sind konfundiert, wenn der experimentelle Effekt durch die kombinierte Wirkung von zwei oder mehr Variablen eintritt. Hierbei kann die Konfundierung aus der Kombination der unabhängigen Variablen und der Störfaktoren aber auch aufgrund der Kombination der unabhängigen Variablen untereinander auftreten.664 Die Frage nach einer Konfundierung ist v. a. bei der Manipulation von Konstrukten, z. B. Kundenzufriedenheit zu stellen. In der vor-

661

Der letzte Termin für den Abschluss eines neuen Vertrags war für alle Probanden (telefonische oder schriftliche Rückgewinnung) gleich mit dem 30. November 2006 vorgegeben. 662 Vgl. Mason/Gunst/Hess (1989). 663 Vgl. Sarris (1992), S. 163. 664 Bei einer Konfundierung der unabhängigen Variable ist das Vertrauen des Forschers in die experimentellen Ergebnisse eingeschränkt, da die Konstruktvalidität in Frage zu stellen ist. Die Gefahr der Konfundierung sinkt deutlich, wenn die unabhängige Variable eine konkrete beobachtbare Variable ist (z. B. Preis). Vgl. Perdue/Summers (1986), S. 317.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

181

liegenden experimentellen Untersuchung kann von fehlender Konfundierung ausgegangen werden, da sich der Dialogweg und das Angebot zur Rückgewinnung inhaltlich nicht gegenseitig beeinflussen. Die Zuordnung der Probanden zu den einzelnen Experimentgruppen ist zufällig erfolgt und wurde somit nicht systematisch von den Befunden der Befragung beeinflusst. Der Experimentaufbau und die Rückkehrquoten gestalten sich in der Befragungsgruppe wie folgt (vgl. Tabelle 32): Befragungsgruppe Aufbau des Experiments

Anzahl Probanden

Anzahl RückkehrRückkehrer quote

E111

O1

X1

O8

79

12

E112

O2

X2

O9

77

0

0%

E113

O3

X3

O10

79

4

5,1%

Dialogweg Mailing (Brief) (m=2)

E121

O4

X4

O11

77

0

0%

E122

O5

X5

O12

78

0

0%

E123

O6

X6

O13

76

0

0%

Kontrollgruppe

K3

O7

O14

77

0

0%

Dialogweg Telefon (m=1)

15,2%

Elmn: Experimentgruppe, l für die Art der Gruppe (l = 1, 2), (m = 1, 2), n für das Angebot (n = 1, 2, 3) Op : Messung der Befragung und des Rückkehrverhaltens, (p = 1, ...7: Befragung) (p = 8, ... 14: Rückkehrverhalten) Xq : Experimentmaßnahme als entsprechender Stimulus (q = 1, …., 6) K3 : Kontrollgruppe für die Befragungsgruppe Tabelle 32: Quelle:

Experimentaufbau und Rückgewinnungsdaten der Befragungsgruppe des Verlagshauses Eigene Darstellung.

Die Zuordnung der Experimentgruppe ist folgendermaßen zu lesen: Probanden der Gruppe 111 gehören der Befragungsgruppe (l=1) an, wurden über das Telefon angesprochen (m=1) und haben das Rückgewinnungsangebot n=1 (PrepaidGutscheinkarte)665 erhalten. Von den 543 Kunden der Befragungsgruppe haben insgesamt 16 Kunden einen neuen Vertrag aufgenommen.

665

Nach dem Erwerb kann der Kunde die einzelnen Coupons für den Kauf von Romanheften unbefristet im Einzelhandel einlösen.

182

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Analog gestaltete sich der Experimentaufbau für die Gruppe der Probanden der Nicht-Befragungsgruppe, die vor dem Experiment nicht befragt wurden. Die Zuordnung und Ergebnisse sind in der Tabelle 33 festgehalten. Nicht-Befragungsgruppe Aufbau des Experiments

Anzahl Probanden

Anzahl RückkehrRückkehrer quote

Dialogweg Telefon (m=1)

E211

X1

O1

150

5

3,3%

E212

X2

O2

150

1

0,7%

E213

X3

O3

150

4

2,7%

Dialogweg Mailing (Brief) (m=2)

E221

X4

O4

150

0

0%

E222

X5

O5

150

0

0%

E223

X6

O6

150

0

0%

Kontrollgruppe

K4

O7

151

0

0%

Elmn: Experimentgruppe, l für die Art der Gruppe (l = 1, 2) (m = 1, 2), n für das Angebot (n = 1, 2, 3) Op : Messung des Rückkehrverhaltens (p = 1, ..., 7: Rückkehrverhalten) Xq : Experimentmaßnahme als entsprechender Stimulus (q = 1, …., 6) K4 : Kontrollgruppe für die Nicht-Befragungsgruppe Tabelle 33: Quelle:

Experimentaufbau und Rückgewinnungsdaten der Nicht-Befragungsgruppe des Verlagshauses Eigene Darstellung.

Von den 1.051 angesprochenen Kunden der Nicht-Befragungsgruppe sind 10 Kunden zum Verlagshaus zurückgekehrt. Dies entspricht einer Rückkehrquote von 0,95 %. Aus dem direkten Vergleich der Rückkehrquoten der Befragungsgruppe und der Nicht-Befragungsgruppe wird deutlich, dass bei gleichen Rückgewinnungsangeboten die Kundenbefragung einen positiven Effekt auf das Rückkehrverhalten aufweist. Deutlich wird zudem, dass die Telefonansprache wesentlich besser für die Rückgewinnung dieser Kunden geeignet ist, da sämtliche 26 zurückgewonnenen Kunden telefonisch angesprochen wurden. Eine durchgeführte Varianzanalyse der Befragungsgruppe hat zudem ergeben, dass die Art des Rückgewinnungsangebots bei telefonischer Ansprache einen signifikanten Einfluss auf die Rückkehr der Kunden hat (Femp = 7,726, df = 2, Vertrauenswahrscheinlichkeit von 99,9 %).666 Darüber hinaus wurden die beiden Gruppen der Rück666

Hierfür wurden nur die drei Experimentgruppen der telefonischen Rückgewinnung (E111 bis E113) einer Varianzanalyse unterzogen, sodass allein die Rückgewinnungsangebote in den Gruppen variieren und damit eine Aussage über deren Wirksamkeit erlauben. Als besonders wirksam erwies sich konkret die Prepaid-Gutscheinkarte.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

183

kehrer (16 Probanden) und Nicht-Rückkehrer (527 Probanden) auf signifikante Unterschiede in den Mittelwerten aller Konstrukte untersucht. Dabei hat die Analyse gezeigt, dass die Mittelwerte beider Gruppen mit der Ausnahme der Konstrukte ‚Lokus’ und ‚Stabilität’ (beide Variablen mit einem Signifikanzniveau von 0,05 < p < 0,10) signifikant ähnlich sind. Damit unterscheiden sich die beiden Gruppen kaum hinsichtlich der Variablen des Modells, und die Konstrukte außer ‚Lokus’ und ‚Stabilität’ sind nicht als Trennkriterien der Gruppen geeignet.667 Aus diesen Befunden lässt sich keine finale Aussage treffen, welche der Konstrukte möglicherweise das tatsächliche Wiederaufnahmeverhalten begünstigen. Der Lokus (hier: Unternehmen) und die Stabilität der Abwanderungsgründe werden von den Nicht-Rückkehrern jedoch deutlich höher gewertet, sodass ein negativer Einfluss dieser beiden Konstrukte auf die Wiederaufnahme anzunehmen ist. Im Rahmen des Forschungsmodells war es das Ziel, mittels der Logistischen Regression die Determinanten des Wiederaufnahmeverhaltens in der Gruppe der Befragten zu bestimmen. Aufgrund der geringen Fallzahl von 16 Kunden, die erneut einen Vertrag geschlossen haben, ist eine Überprüfung potenzieller Einflussgrößen nicht möglich. Sowohl eine Reduktion des Gesamtdatensatzes auf 32 Fälle (16 Rückkehrer und 16 zufällig ausgewählte Nicht-Rückkehrer) als auch eine Erhöhung des Datensatzes auf 1.054 Fälle (527 Rückkehrer668 und 527 Nicht-Rückkehrer) erscheint als nicht zweckdienlich. Allerdings stellt sich die Frage, warum die Rückgewinnungsquote derart niedrig ausgefallen ist. Einen Ansatz zur Erklärung kann die Analyse der Abwanderungsgründe leisten. Wie aufgezeigt, haben 32,5 % der Befragten als Hauptabwanderungsgrund die geänderte finanzielle Situation angegeben. Hinzu kommt, dass 60,1 % der Befragten nur bis zu 10 Euro pro Monat für Printmedien ausgeben. Somit scheint sich die geringe Rückgewinnungsquote von 2,95 % auf die Einkommenssituation bzw. die Preissensitivität der Befragten zurückführen zu lassen. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Ergebnisse einer zweiten – vom Unternehmen später initiierten – Rückgewinnungsaktion berücksichtigt. Hierfür wurden im Februar und März 2007 u. a. auch die 527 nicht zurückgekehrten Kunden der Befragungsgruppe mit deutlich güns667

668

Die Ergebnisse des Mann-Whitney-U-Tests und die (standardisierten) Mittelwerte der beiden Gruppen (Rückkehrer und Nicht-Rückkehrer) können bei der Verfasserin angefragt werden. Der Mann-Whitney-U-Test kam aufgrund der nicht gegebenen Normalverteilung der Daten zum Einsatz. Vgl. Brosius (2004), S. 864 f. Um die Fallzahl von 527 Nicht-Rückkehrern adäquat zu „matchen“, kann die Anzahl der Rückkehrer entsprechend vervielfacht werden. Allerdings ist der dafür nötige Faktor von 26,7 so groß, dass nachhaltige Verzerrungen zu befürchten sind.

184

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

tigeren Angeboten (zehn Romanhefte für 10 Euro) angesprochen. Für einen neuen Vertrag haben sich in dieser zweiten Aktion 67 Kunden entschieden. Dies entspricht einer Rückkehrquote von ca. 12,7 %. Somit scheint die Rückkehrquote eng mit dem jeweiligen Angebot und dessen Preisgünstigkeit zusammenzuhängen. Aus Unternehmenssicht ist zu prüfen, inwieweit derartige, nachhaltig preisfokussierte Angebote überhaupt einen positiven Deckungsbeitrag erbringen, insbesondere, wenn ein Teil der Kunden möglicherweise nach Bezug dieses Abonnements erneut abwandert.669 An dieser Stelle wird die Relevanz der unternehmensseitigen Abwägung der ökonomischen Vorteilhaftigkeit einzelner Angebote deutlich. So sollte nicht nur eine hohe Rückkehrquote im Fokus stehen, sondern auch die ökonomischen Konsequenzen der Kundenrückgewinnung für das Unternehmen Berücksichtigung finden. 6.1.3 Ergebnisse der Modellschätzung In Abschnitt 5.1.2 wurde die Vorgehensweise bei der Validierung von Messmodellen mit den entsprechenden Gütekriterien vorgestellt. Entsprechend der Systematik dieser Ausführungen in 5.1.2 werden im Weiteren die sog. Gütekriterien der ersten Generation für die Konstruktmessung bei dem Verlagshaus vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgen eine konfirmatorische Faktorenanalyse und die Ableitung der Gütekriterien der zweiten Generation, die sich wiederum in globale und lokale Maße unterscheiden lassen. Der Prozess der Konstruktvalidierung wird so lange fortgesetzt, bis inhaltlich adäquate und statistisch verlässliche Resultate erzielt werden. Für die Bestimmung der Gütemaße der ersten Ordnung wird die Software SPSS 14 verwendet, die Bestimmung der Gütemaße der zweiten Ordnung erfolgt mithilfe von AMOS 6.0.

669

Dabei ist insbesondere die mittel- und langfristige Wirkung auf den „Referenzpreis“ der Romanhefte zu beachten. Die langfristige Wertschätzung des Produkts und die Zahlungsbereitschaft der Kunden dürften sinken. Vgl. Gedenk (2002), S. 174-176.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

185

6.1.3.1 Validierung der Messmodelle Mithilfe der explorativen Faktorenanalyse wurde geprüft, welche Faktorenstruktur innerhalb der unabhängigen, reflektiv gemessenen Konstrukte vorliegt. Dabei ergibt sich eine Neun-Faktoren-Lösung, die sich auch nach der Prüfung sämtlicher Gütemaße als finale Lösung erweist.670 Zur Beurteilung der reflektiven und formativen Messmodelle werden die bereits genannten verschiedenen Gütemaße herangezogen. Diese werden in den folgenden Tabellen ausgewiesen. Die Tabelle 34 gibt die finalen Gütemaße des reflektiv gemessenen und validierten, finalen Konstrukts ‚generelle Wiederaufnahmebereitschaft’ wieder.671 Nach der – aufgrund schlechter Gütekriterien angezeigten – Elimination des revers kodierten Indikators GENREACT4 („Aufgrund dessen, was mir bei Ihnen passiert ist, würde ich niemals zurückkehren.“) zeigen die Gütemaße für das Konstrukt eine gute Erklärung. Hierbei sind sowohl die Gütemaße der ersten Generation als auch der zweiten Generation erfüllt (vgl. Tabelle 34). Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

GENREACT1

0,819

Generelle Wiederaufahmebereitschaft

GENREACT2

0,447

GENREACT3

0,726

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,821

Erklärter Varianzanteil: 73,86%

GFI: 1,000

AGFI: 0,998

GENREACT5

Globale Kriterien Tabelle 34: Quelle:

Konstruktreliabilität

DEV

0,884

0,659

0,644 Cronbachsches Alpha: 0,881 RMR: 0,047

NFI: 0,999

Gütemaße des Konstrukts generelle Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

Das Konstrukt ‚spezifische Wiederaufnahmebereitschaft’ wird durch formative Indikatoren gemessen. Zur Gütebeurteilung ist daher der Variance Inflation Factor (VIF) heranzuziehen. Für die beiden Indikatoren des Konstrukts SWAB ergeben sich folgende Werte:

670

Die detaillierten Ergebnisse können bei der Verfasserin angefragt werden. Der explorativen Faktorenanalyse zufolge bilden die Indikatoren der Phänomene Commitment und Kundenzufriedenheit einen Faktor. Die weitere Überprüfung der Faktorenstruktur zwischen Commitment und Zufriedenheit impliziert jedoch, dass beide Faktoren als unterschiedliche, getrennte Variablen anzusehen sind. 671 Im Rahmen der explorativen und konfirmatorischen Faktorenanalyse ist es z. T. zur Eliminierung einzelner Konstruktindikatoren gekommen. Im Weiteren werden lediglich die Endresultate vorgestellt.

186

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Kollinearitätsanalyse Indikator

VIF

SPREACT1

1,685

SPREACT2 Tabelle 35: Quelle:

1,685 Gütemaße des Konstrukts spezifische Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

Die einzelnen Indikatoren weisen VIF-Werte deutlich unterhalb des Grenzwerts von 10 bzw. 2 aus. Somit ist davon auszugehen, dass keine substanzielle Multikollinearität zwischen den Indikatoren vorliegt, sodass auf eine Elimination von Indikatoren verzichtet werden kann. Ein weiteres Gütemaß für formative Konstrukte ist die nomologische Validität, die bei hohen Pfadkoeffizienten zwischen zwei Konstrukten als erfüllt anzusehen ist. In diesem Fall beträgt der Pfadkoeffizient zwischen den Konstrukten der GWAB und der SWAB 0,434 (p  0,01). Somit ist von nomologischer Validität des Konstrukts SWAB auszugehen. Zu den Dimensionen der Kundenmotivation zählen die generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung, das Commitment, das Kundenwissen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Im Folgenden werden die Ergebnisse der explorativen und konfirmatorischen Faktorenanalyse für diese Konstrukte vorgestellt. Für das Konstrukt ‚generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung’ ergibt sich eine gute Anpassung an die Anforderungen der Gütemaße der ersten und der zweiten Generation (vgl. Tabelle 36). So liegen die Reliabilitäten aller Indikatoren über dem Mindestwert von 0,4. Auch die Konstruktreliabilität und die DEV weisen hohe Werte auf. Ebenso sind alle globalen Gütekriterien der zweiten Generation erfüllt. Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

Konstruktreliabilität

OVSAT1

0,494

Generelle Kundenzufriedenheit

OVSAT2

0,850

OVSAT3

0,757

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,793

Erklärter Varianzanteil: 75,50%

Cronbachsches Alpha: 0,891

GFI: 0,944

AGFI: 0,985

RMR: 0,048

OVSAT4

Globale Kriterien Tabelle 36: Quelle:

0,891

DEV

0,673

0,600

NFI: 0,995

Gütemaße des Konstrukts generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung Eigene Darstellung.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

187

Nach der Löschung der zwei Indikatoren COMM1 und COMM2 sind mit einem erklärten Varianzanteil von 79,81 % und einem Cronbachschen Alpha von 0,745 die Anforderungen der Gütemaße der ersten Generation für das Konstrukt ‚Commitment’ erfüllt (vgl. Tabelle 37). Die beiden Indikatoren COMM1 und COMM2 wurden gelöscht, da sie weniger die Verbundenheit als eine Wiederkaufabsicht ausdrücken. Aufgrund der Konstruktlösung mit nur zwei Indikatoren ist eine Bestimmung der Gütemaße der zweiten Generation nicht möglich. Variablenlabel

Variable

Commitment

Indikatorreliabilität

COMM3

-

COMM4

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 79,81%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

Cronbachsches Alpha: 0,745 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 37: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Commitment Eigene Darstellung.

Nach der Elimination der zwei Indikatoren KNOWL4 („Ich bin eine langjährige Kundin.“) und KNOWL6 („Ich verfolge regelmäßig die Angebote auf dem Zeitschriftenmarkt.“) weist die Faktorstruktur des Konstrukts ‚Kundenwissen’ sowohl bei den Gütekriterien der ersten als auch der zweiten Generation eine gute Lösung auf (vgl. Tabelle 38). Die beiden Indikatoren KNOWL4 und KNOWL6 geben eher die Dauer der Geschäftsbeziehung und die Informationssuche des Kunden wieder, als dass sie durch das Konstrukt Kundenwissen beschrieben werden. Variable

Kundenwissen

Variablenlabel

Indikatorreliabilität

KNOWL1

0,719

KNOWL2

0,647

KNOWL3

0,437

KNOWL5 Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,796

Globale Kriterien Tabelle 38: Quelle:

GFI: 0,999

Konstruktreliabilität

DEV

0,832

0,557

0,427 Erklärter Varianzanteil: 66,24% AGFI: 0,997

Gütemaße des Konstrukts Kundenwissen Eigene Darstellung.

Cronbachsches Alpha: 0,827 RMR: 0,048

NFI: 0,999

188

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Innerhalb der ursprünglichen Struktur des Konstrukts ‚wahrgenommene Verhaltenskontrolle’ musste der Indikator PERCBEH3 („Es liegt vor allem an mir, eine frühere Geschäftsbeziehung wieder aufzunehmen.“) gelöscht werden. Ein Erklärungsansatz für die geringe Indikatorreliabilität kann darin liegen, dass mit der Formulierung dieses Indikators Aspekte der Umgebung abgedeckt sind, die durch das reflektiv gemessene Konstrukt jedoch nicht beschrieben werden. Mit einem erklärten Varianzanteil von 80,98 % und einem Cronbachschen Alpha von 0,761 sind die Anforderungen an diese Gütemaße der ersten Generation gegeben. Aufgrund der Zwei-Indikatoren-Lösung können jedoch die Gütemaße der zweiten Generation nicht bestimmt werden (vgl. Tabelle 39). Variablenlabel

Indikatorreliabilität

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

PERCBEH1

-

PERCBEH2

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 80,98%

Cronbachsches Alpha: 0,761

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

RMR: -

Variable

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 39: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts wahrgenommene Verhaltenskontrolle Eigene Darstellung.

Zu den Dimensionen der Abwanderungsattributionen zählen die Stabilität, der Lokus und die Kontrollierbarkeit. In der folgenden Tabelle 40 werden die Ergebnisse der Validierung des Konstrukts ‚Stabilität’ vorgestellt. Mit Ausnahme des Indikators STAB2 („Meine Kündigungsgründe sind veränderbar - unveränderbar“), der revers gemessen wurde, weisen alle anderen Indikatoren des Konstrukts ‚Stabilität’ Reliabilitäten von deutlich größer 0,4 auf. Aufgrund des Inhalts dieses Indikators und der geringen Unterschreitung des Gütemaßes soll jedoch von einer Elimination dieses Items abgesehen werden. Auch die lokalen Gütekriterien weisen gute Werte auf. Aufgrund der Konstruktlösung mit drei Indikatoren ist eine Bestimmung der globalen Gütemaße der zweiten Generation nicht möglich (vgl. Tabelle 40).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

STAB1

0,645

Stabilität

STAB2

0,351

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,675

Erklärter Varianzanteil: 68,55%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

STAB3

189

Konstruktreliabilität

DEV

0,776

0,540

0,625 Cronbachsches Alpha: 0,767 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 40: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Stabilität Eigene Darstellung.

Zur Gütebeurteilung des formativen Konstrukts ‚Lokus’ wird der Variance Inflation Factor (VIF) herangezogen. Kollinearitätsanalyse Indikator

VIF

LOCUS1

2,253

LOCUS2

2,619

LOCUS3

2,573

LOCUS4 Tabelle 41: Quelle:

1,166 Gütemaße des Konstrukts Lokus Eigene Darstellung.

Für alle Indikatoren liegt der VIF deutlich unter dem Wert von 10. Jedoch weisen drei Indikatoren VIF-Werte von größer 2 auf, die auf eine mögliche Multikollinearität hinweisen. Die Überprüfung der Toleranzwerte als Komplement des VIF hat ergeben, dass die beiden Indikatoren LOCUS2 (Toleranzwert von 0,382) und LOCUS3 (Toleranzwert von 0,389) knapp unter der Richtgröße von 0,4 liegen und damit auf eine mittlere Multikollinearität hinweisen.672 Da diese Werte jedoch nur gering unter der Richtgröße liegen, kann das formative Konstrukt als valide gemessen gewertet werden.673 Darüber hinaus bestätigt die Höhe des Pfadkoeffizienten zwischen den Konstrukten ‚Lokus’ und ‚Kontrollierbarkeit’ mit 0,408 (p  0,01), dass für das Konstrukt ‚Lokus’ von nomologischer Validität auszugehen ist (vgl. Tabelle 41). 672

673

Vgl. Fickel (2001), S. 41. VIF-Werte um 2,500 werden daher für diese Arbeit als nicht kritisch eingeschätzt. Die vollständigen Ergebnisse der Analyse können bei der Verfasserin angefragt werden. In den Ergebnissen wird deutlich, dass LOCUS1 mit LOCUS2, aber auch LOCUS2 mit LOCUS3 hoch korreliert sind.

190

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Der erklärte Varianzanteil von 82,75 % und das Cronbachsche Alpha in Höhe von 0,792 weisen auf eine hohe Güte der Messung des Konstrukts ‚Kontrollierbarkeit’ hin. Eine Bestimmung der Gütemaße der zweiten Generation ist auch hier aufgrund der Konstruktlösung mit nur zwei Indikatoren nicht möglich. Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

Kontrollierbarkeit

CONTR1

-

CONTR2

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 82,75%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

Cronbachsches Alpha: 0,792 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 42: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Kontrollierbarkeit Eigene Darstellung.

Zu den Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens zählen die Konstrukte Wiederaufnahmekosten, Attraktivität der Alternativen, Variety Seeking und Wechselerfahrungen. Nach der Elimination des revers gemessenen Indikators REACTCOST6 („Die Rückkehr zu Ihrem Verlag ist einfach, da ich Ihren Verlag noch gut kenne und mit den Abläufen vertraut bin.“) ergibt sich für das Konstrukt ‚Wiederaufnahmekosten’ eine Lösung mit fünf Indikatoren.674 Bei den Indikatoren REACTCOST1 („Ich glaube, die Kosten einer Rückkehr zu Ihrem Verlag würden hinsichtlich Zeit, Geld und Anstrengung für mich sehr hoch sein.“) und REACTCOST2 („Bei einer Rückkehr zu Ihrem Verlag könnte ich viel aus meiner jetzigen bzw. einer neuen Geschäftsbeziehung verlieren.“) sind die Indikatorreliabilitäten deutlich unter dem Gütemaß von 0,4.675 Unter inhaltlichen Überlegungen stellen beide Indikatoren wichtige Aspekte in der Bewertung der Wiederaufnahmekosten dar und werden daher als Items beibehalten. Außerdem liegt die DEV nur geringfügig unter dem geforderten Maß von 0,5. Auch

674

675

Dieser Arbeit vorangegangene Pretests haben auch verdeutlicht, dass sich eine Elimination von revers kodierten Indikatoren anbietet. Ein Grund für die geringen Reliabilitäten revers kodierter Indikatoren kann in der von den Probanden nicht sofort als umgekehrt erkannten Fragestellung liegen, sodass die Antworten der Probanden nicht die eigentlichen Werte des Indikators wiedergeben. In der Bewertung der Reliabilitäten aller reflektiven Indikatoren dieser Arbeit ist zu berücksichtigen, dass die Faktorladungen aus der konfirmatorischen Faktorenanalyse über AMOS genutzt wurden. Bei der Verwendung der Faktorladungen aus PLS hingegen zeigt sich eine deutlich bessere Anpassung an die Gütemaße für z. B. Indikatorreliabilitäten, Konstruktreliabilität und DEV. Im Rahmen dieser Arbeit werden die konservativeren Ergebnisse aus AMOS verwendet.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

191

der Root-Mean-Square-Residual (RMR) liegt nur leicht über dem empfohlenen Maximalwert von 0,1. Da beide Abweichungen als eher gering einzuschätzen sind, werden keine weiteren Anpassungen am Messmodell vorgenommen (vgl. Tabelle 43). Variablenlabel

Variable

Wiederaufnahmekosten

REACTCOST1

0,222

REACTCOST2

0,246

REACTCOST3

0,572

REACTCOST4

0,739

REACTCOST5 Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,777

Globale Kriterien Tabelle 43: Quelle:

Indikatorreliabilität

GFI: 0,995

Konstruktreliabilität

DEV

0,813

0,479

0,615 Erklärter Varianzanteil: 56,73% AGFI: 0,985

Cronbachsches Alpha: 0,787 RMR: 0,103

NFI: 0,988

Gütemaße des Konstrukts Wiederaufnahmekosten Eigene Darstellung.

Nach Löschung des revers gemessenen Indikators ALTATTR1 („Alles in allem sind Ihre Abonnements günstiger als jene bei anderen Verlagen.“) ergibt sich eine FünfIndikatoren-Lösung für das Konstrukt ‚Attraktivität der Alternativen’. Die Reliabilität des Indikators ALTATTR6 („Andere Verlage informieren mich häufig über günstige Aboangebote.“) liegt geringfügig unter dem geforderten Mindestwert von 0,4. Allerdings wird dieses Item inhaltlich durch das Konstrukt verursacht, daher soll auf eine Elimination des Indikators verzichtet werden. Die anderen Gütemaße der ersten Generation weisen gute Werte auf. Das Maß des RMR als Gütekriterium der zweiten Generation liegt über dem empfohlenen Wert von 0,1.676 Da eine Elimination weiterer Indikatoren nicht zu einer Verbesserung dieses Werts führt, wird die Konstruktzusammensetzung in dieser Form beibehalten (vgl. Tabelle 44).

676

Demnach fällt die Abweichung der durchschnittlichen Residuen bei der empirischen Kovarianzmatrix höher als bei der modellimplizierten Kovarianzmatrix aus. Die Quadrierung verstärkt diesen Effekt weiter.

192

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Variablenlabel

Variable

Attraktivität der Alternativen

Explorative Faktorenanalyse Globale Kriterien Tabelle 44: Quelle:

Indikatorreliabilität

ALTATTR2

0,589

ALTATTR3

0,582

ALTATTR4

0,492

ALTATTR5

0,648

ALTATTR6

0,360

Konstruktreliabilität

DEV

0,850

0,535

KMO: 0,807

Erklärter Varianzanteil: 62,45%

Cronbachsches Alpha: 0,842

GFI: 0,992

AGFI: 0,976

RMR: 0,130

NFI: 0,985

Gütemaße des Konstrukts Attraktivität der Alternativen Eigene Darstellung.

Nach der Elimination des revers gemessenen Indikators VARSEEK1 („Ich bleibe lieber bei einer Firma, als generell etwas Neues und Unsicheres auszuprobieren.“) lässt sich das Konstrukt ‚Variety Seeking’ über fünf Indikatoren beschreiben (vgl. Tabelle 45). Die Gütemaße der ersten Generation weisen durchweg gute Werte auf. Auch die Beurteilung der Kriterien der zweiten Generation fällt bis auf die Unterschreitung des DEV-Maßes von 0,5 und die Überschreitung des RMR-Wertes positiv aus. Wie in den Fällen zuvor wird aus inhaltlichen Gründen von einer Elimination weiterer Indikatoren abgesehen. Variable

Variety Seeking

Explorative Faktorenanalyse Globale Kriterien Tabelle 45: Quelle:

Variablenlabel

Indikatorreliabilität

VARSEEK2

0,652

VARSEEK3

0,786

VARSEEK4

0,673

VARSEEK5

0,527

VARSEEK6

0,590

Konstruktreliabilität

DEV

0,784

0,424

KMO: 0,854

Erklärter Varianzanteil: 71,50%

Cronbachsches Alpha: 0,900

GFI: 0,997

AGFI: 0,991

RMR: 0,122

NFI: 0,995

Gütemaße des Konstrukts Variety Seeking Eigene Darstellung.

Mit der Elimination des Indikators SWEXP4 („Wie oft haben Sie in den letzten 3 Jahren zwischen vergleichbaren Angeboten/Verträgen gewechselt?“ mit Antwortmöglichkeiten von 0 bis 6) ergibt sich für das Konstrukt ‚Wechselerfahrungen’ eine

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

193

Struktur mit drei Indikatoren. Alle Gütemaße der ersten Generation und die lokalen Maße der zweiten Generation weisen gute Werte auf, daher kann von einer gelungenen Messung gesprochen werden. Aufgrund der Drei-Indikatoren-Lösung können keine globalen Gütemaße der zweiten Generation bestimmt werden (vgl. Tabelle 46). Variablenlabel

Variable

Wechselerfahrungen

Indikatorreliabilität

SWEXP1

0,647

SWEXP2

0,499

SWEXP3

0,749

Konstruktreliabilität

DEV

0,836

0,632

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,710

Erklärter Varianzanteil: 75,07%

Cronbachsches Alpha: 0,833

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 46: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Wechselerfahrungen Eigene Darstellung.

Im Rahmen der Konstruktvalidierung wird die Diskriminanzvalidität über die Korrelationen der Konstrukte auf einer Beziehungsebene (d. h. alle Konstrukte, denen eine direkte oder indirekte Wirkung auf die beiden abhängigen Konstrukte GWAB und SWAB zugesprochen wird) geprüft. Die Diskriminanzvalidität ist nach dem FornellLarcker-Kriterium gegeben, wenn die durchschnittlich erfasste Varianz eines Konstrukts geringer ist als die quadrierte Korrelation dieses Konstrukts mit allen anderen Konstrukten.677 Dies ist im Fall der Daten des Verlagshauses gegeben. Die dafür herangezogene DEV und die bivariaten Korrelationen können bei der Verfasserin angefragt werden. 6.1.3.2 Beurteilung des Strukturmodells Für die Schätzung des Strukturmodells wird das Partial-Least Squares-Verfahren mit der Software SmartPLS 2.0 eingesetzt.678 Für die Anwendung des Bootstrapping werden 300 Subsamples gebildet, in denen alle 543 Fallwerte berücksichtigt werden. Im Rahmen des Strukturmodells erfolgt die Gütebeurteilung anhand des Bestimmtheitsmaßes, der Höhe und der Signifikanz der Pfadkoeffizienten, der Effektgröße und – für reflektive Konstrukte – des Stone-Geisser-Kriteriums.679 Die Ergebnisse für die Bestimmtheitsmaße der endogenen Konstrukte sind in Tabelle 47 aufgeführt. 677

Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt 5.1.2.1.2. Vgl. Ringle/Wende/Will (2005). 679 Vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt 5.1.3.2. 678

194

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Abhängige Variable

Bestimmtheitsmaß R2

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

0,405

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

0,352

Commitment

0,171

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,015

Stabilität

0,023

Kontrollierbarkeit

0,163

Attraktivität der Alternativen

0,168

Wechselerfahrungen

0,153

Tabelle 47: Quelle:

Bestimmtheitsmaße der endogenen Konstrukte Eigene Darstellung.

Die beiden zentralen, abhängigen Konstrukte der generellen und spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft sind mit Bestimmtheitsmaßen von 0,405 und 0,352 als relativ hoch einzustufen. Auch das Konstrukt des Commitment wird – einzig über einen Faktor ‚Kundenzufriedenheit’ – mit 0,171 gut erklärt. Dagegen weisen die anderen Konstrukte deutlich niedrigere R2-Werte auf. Dies bedeutet, dass die im Modell betrachteten Konstrukte keinen nennenswerten Beitrag für die Erklärung dieser abhängigen Variablen leisten und somit weitere Bestimmungsgrößen, die im Bezugsrahmen nicht berücksichtigt wurden, existieren dürften. Jedoch ist dies für den zentralen Forschungszweck von nachrangiger Bedeutung, da die beiden Konstrukte der generellen und spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft erklärt werden sollten. Die Hypothesen H1a, H1c und H6 werden auf Basis von logistischen Regressionsmodellen bzw. Mittelwertvergleichen getestet, sodass sie auch nicht in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt sind.680 Die Ergebnisse zum Ausmaß der Signifikanz der Pfadkoeffizienten sind in der Tabelle 48 im Überblick dargestellt.

680

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 6.1.4.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Hypothese

Befund Wirkungszusammenhang

195

Pfadkoeffizient

t-Wert

H1b (+)

9

GWAB Æ SWAB

0,434 ***

H2a (+)

n.s.

Zufriedenheit Æ GWAB

0,047

H2b (+)

9

Zufriedenheit Æ Commitment

0,417 ***

11,470

H2c (+)

9

Commitment Æ GWAB

0,252 ***

6,055

H2d (+)

9

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Æ GWAB

0,128 ***

3,154

H2e (+)

n.s.

Kundenwissen Æ GWAB

0,025

0,547

H2f (+)

9

Kundenwissen Æ wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,125 ***

2,562

10,077 1,108

H3a (-)

f.

Lokus (Unternehmen) Æ GWAB

0,082 **

1,884

H3b (+)

9

Lokus (Unternehmen) Æ Stabilität der Abwanderungsgründe

0,148 ***

2,924

H3c (+)

9

Lokus (Unternehmen) Æ Kontrollierbarkeit

H3d (-)

9

Stabilität Æ GWAB

H3e (+)

9

Kontrollierbarkeit (Unternehmen) Æ GWAB

0,095 ***

2,345

H4a (-)

9

Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten Æ GWAB

-0,223 ***

5,054

H4b (-)

n.s.

Attraktivität der Alternativen Æ GWAB

-0,030

0,817

H4c (+)

9

Variety Seeking Æ Wechselerfahrungen

0,390 ***

9,860

H4d (+)

9

Variety Seeking Æ SWAB

0,251 ***

5,679

H4e (+)

9

Wechselerfahrungen Æ GWAB

0,071 **

1,782

H4f (+)

9

Wechselerfahrungen Æ Attraktivität der Alternativen

0,411 ***

10,839

H4g (+)

9

Wechselerfahrungen Æ SWAB

0,171 ***

3,323

H5a (+)

9

Kundenalter Æ GWAB

0,054 **

2,066

H5c (-)

9

Dauer der Kundenabwesenheit Æ GWAB

-0,085 ***

2,579

H5d (+)

n.s.

Häufigkeit der Kundenabwanderung Æ GWAB

-0,039

1,244

0,408 ***

8,791

-0,319 ***

8,209

Legende: 9: Hypothese bestätigt n.s.: Befund nicht signifikant f: Hypothese falsifiziert Signifikanzniveaus: *: p0,10 **: p0,05 ***: p0,01 (zweiseitiger Test) Tabelle 48: Quelle:

Ergebnisse der Hypothesenprüfung für das Verlagshaus Eigene Darstellung.

Insgesamt lassen sich 17 von 22 aufgestellten Hypothesen des Kausalmodells für die Kunden des Verlagshauses bestätigen. Vier Hypothesen werden durch nicht signifikante Pfadkoeffizienten nicht bestätigt, während eine Hypothese falsifiziert wird. Allerdings erweisen sich drei von vier der nicht-signifikanten Koeffizienten in der Richtung als hypothesenkonform (H2a, H2e, H4b) erwiesen. Im Abschnitt 6.1.4 werden die Ergebnisse detailliert diskutiert.

196

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Die Kalibrierung des gesamten Modells zeigt für die Effektgröße f2 der unabhängigen Variablen folgende Resultate, die in Tabelle 49 dargestellt sind, erbracht. Konstrukte

GWAB

SWAB

R2incl.

R2excl.

f2

Zufriedenheit

0,405

0,404

0,002

Commitment

0,405

0,361

0,074

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,405

0,392

0,022

Kundenwissen

0,405

0,405

0,000

Stabilität

0,405

0,318

0,146

Lokus

0,405

0,402

0,005

Kontrollierbarkeit

0,405

0,400

0,008

Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten

0,405

0,370

0,059

Attraktivität der Alternativen

0,405

0,405

0,000

Variety Seeking Wechselerfahrungen

0,405

0,402

0,005

R2incl.

R2excl.

f2

0,352

0,300

0,080

0,352

0,338

0,022

Legende: R2incl.: Bestimmtheitsmaß mit dem Konstrukt, R2excl.: Bestimmtheitsmaß ohne das Konstrukt, f2: Effektgröße Tabelle 49: Quelle:

Ergebnisse zur Prüfung der Effektgröße für die Verlagshaus-Daten Eigene Darstellung.

In der Tabelle sind jene Resultate hervorgehoben, die mindestens einen moderaten Einfluss der Variablen auf die Wiederaufnahmebereitschaften ausüben, d. h. f2-Werte von über 0,02 aufweisen. Dabei wird deutlich, dass die Stabilität (des Abwanderungsgrunds) mit einem Wert von f2 = 0,146 den größten Einfluss auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft hat. Weitere moderate Einflussgrößen stellen das Commitment, die wahrgenommenen Wiederaufnahmekosten und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle dar. Dagegen üben die Konstrukte ‚Kundenwissen’ und ‚Attraktivität der Alternativen’ keinen statistisch nachweisbaren Effekt auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft aus. Auch die Kundenzufriedenheit weist mit einem Wert von f2 = 0,002 einen nur sehr schwachen Effekt auf. Dies ist ein unerwartetes Ergebnis, wenn man berücksichtigt, dass die Kundenzufriedenheit in der einschlägigen Literatur als einer der wichtigsten Treiber der Kundenbindung bzw. Wiederkaufbereitschaft gilt.681 In der Tabelle 49 wird darüber hinaus deutlich, dass die Konstrukte ‚Variety Seeking’ und ‚Wechselerfahrungen’ einen moderaten Effekt auf die Erklärung der spezifischen 681

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 4.2.2.1.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

197

Wiederaufnahmebereitschaft ausüben. Das Stone-Geisser-Kriterium (Q2) gibt die Prognoserelevanz des Forschungsmodells an und ist damit dem Bestimmtheitsmaß aus der Regressionsanalyse ähnlich. Zur Schätzung werden die exogenen reflektiven Konstrukte herangezogen, d. h. Variablen wie Kundenalter, Abwanderungshäufigkeit, Abwesenheitszeit, Lokus und spezifische Wiederaufnahmebereitschaft werden nicht in die Schätzung integriert, da das Kriterium Q2 nur für die reflektiven Konstrukte bestimmt werden kann. Alle Resultate aus dem Blindfolding-Prozess liegen über dem Gütemaß von 0, sodass von der Prognoserelevanz des Modells ausgegangen werden kann.682 Insbesondere zeigen die Q2-Werte für die generelle Wiederaufnahmebereitschaft, das Commitment, die Kontrollierbarkeit und die Wechselerfahrungen eine relativ hohe Relevanz und damit Prognosegüte für die Bestimmtheitsmaße der endogenen Variablen. Variablen (Total)

SSO

SSE

1-SSE/SSO

Attraktivität der Alternativen

2.715,00

2.501,81

0,08

Commitment

1.086,00

941,85

0,13

Kontrollierbarkeit

1.086,00

952,23

0,12

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

2.172,00

1.560,17

0,28

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

1.086,00

1.074,96

0,01

Stabilität

1.629,00

1.604,44

0,02

Wechselerfahrungen

1.629,00

1.453,95

0,11

Legende: SSE: Summe der quadrierten Residuen, SSO: Summe der quadrierten Beobachtungen Tabelle 50: Quelle:

Ergebnisse der Blindfolding-Prozedur zur Bestimmung des Stone-GeisserKriteriums Eigene Darstellung.

Nach der Prüfung der Bestimmtheitsmaße, der Höhe und Signifikanz der Pfadkoeffizienten, der Effektgröße und des Stone-Geisser-Kriteriums ist die Gütebeurteilung des Strukturmodells abgeschlossen. Insgesamt weisen die Gütemaße auf eine moderate bis gute Eignung des vorliegenden Modells zur Abbildung der aufgestellten Wirkungsbeziehungen zwischen den Faktoren und damit auf eine hohe Übereinstimmung der empirischen Ergebnisse mit den theoretischen Vorüberlegungen hin.

682

Vgl. Chin (1998), S. 318; Fornell/Bookstein (1982), S. 449.

198

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

6.1.4 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse Aufgrund der Spezifika des Datensatzes des Verlagshauses konnte nicht das gesamte Hypothesensystem geprüft werden. Insbesondere musste auf die Schätzung des Einflusses der generellen Wiederaufnahmebereitschaft (H1b) und der spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft (H1c) auf das Wiederaufnahmeverhalten aufgrund der geringen Anzahl von Rückkehrern verzichtet werden.683 Im Folgenden werden strukturiert nach den drei Modellelementen Kundenmotivationen, Attributionsdimensionen und Wettbewerbsdimensionen sowie den soziodemografischen Variablen und weiteren Beziehungsfaktoren die einzelnen Ergebnisse der Parameterschätzung vorgestellt. Innerhalb der Kundenmotivationen (alle H2-Hypothesen) weist das Commitment die stärkste Wirkung im Sinne der Höhe der Pfadkoeffizienten auf die GWAB auf (H2c: = 0,252; p  0,01). Auch die wahrgenommene Verhaltenskontrolle hat einen hohen positiven Einfluss auf die GWAB (H2d: = 0,128; p  0,01). Dagegen konnten die Wirkungen der Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung (H2a: = 0,047; n.s.) und des Kundenwissens (H2e: = 0,025; n.s.) auf die GWAB nicht bestätigt werden. Die nichtsignifikante Wirkung der Kundenzufriedenheit überrascht, da – wie im Abschnitt 4.2.2.1.1 aufgezeigt – die Zufriedenheit als ein wesentlicher Faktor für die Kundenbindung angesehen wird. Weiterhin ist zu beobachten, dass die abgewanderten Kunden insgesamt sehr hohe Zufriedenheitswerte aufweisen, allerdings auch Abwanderungsgründe berichtet haben, die außerhalb der Kontrolle des Kunden (z. B. Verschlechterung der finanziellen Lage) liegen. Damit könnte von den Abwanderungsgründen eine moderierende Wirkung auf die Beziehung ZufriedenheitGWAB ausgehen. Gleichzeitig zeigt der Befund zu Hypothese H2b, dass die Zufriedenheit über das Commitment eine indirekte Wirkung auf die GWAB ausübt. Dieser indirekte Effekt auf die GWAB impliziert, dass die Zufriedenheit als eine Art Hygienefaktor für die Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen betrachtet werden kann. Demnach muss eine bestimmte „Grundzufriedenheit“ mit der früheren Geschäftsbeziehung vorliegen, damit ein Kunde zur Wiederaufnahme bereit ist. Innerhalb der Attributionsdimensionen (alle H3-Hypothesen) weist das Konstrukt ‚Stabilität’ eine hohe negative Wirkung auf die GWAB (H3d: = -0,319; p  0,01). Danach gilt hypothesenkonform, dass stabile Abwanderungsgründe die Bereitschaft zur Rückkehr deutlich reduzieren. Dieser Befund kann als Erklärung für die sehr geringe Rückkehrquote von 2,95 % dienen. Offensichtlich schätzen die Verlagshaus683

Als Ansatzpunkt für die Abschätzung des Wiederaufnahmeverhaltens kann jedoch die deskriptive Analyse der Rückkehrer dienen. Vgl. dazu die Ausführungen in dieser Arbeit auf S. 178 f.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

199

Kunden den Hauptabwanderungsgrund (v. a. Verschlechterung der finanziellen Lage) derart stabil ein, dass die Wiederaufnahmeabsichten und das tatsächliche Verhalten davon betroffen sind.684 Die Hypothesen zur Wirkung des Lokus (H3a, H3b und H3c) werden in zwei Fällen bestätigt. Das Unternehmen als Verursacher einer Abwanderung wirkt entgegen der Hypothese positiv auf die GWAB (H3a: = 0,082; p  0,05). Somit ist die Hypothese H3a falsifiziert, da ursprünglich angenommen wurde, dass bei Abwanderungsgründen, die vom Unternehmen verursacht sind, die GWAB sinkt. Allerdings ist einschränkend zu bemerken, dass der Pfadkoeffizient der Beziehung Lokus-GWAB mit 0,082 einen kleinen Wert ausweist. Ein erster Erklärungsansatz für diesen unerwarteten positiven Zusammenhang kann darin liegen, dass als Abwanderungsgründe insbesondere kundenbezogene Gründe genannt wurden.685 Möglicherweise steht jedoch eine unternehmensbezogene Ursache hinter der Abwanderung aus z. B. finanziellen (kundenbezogenen) Gründen – der Preis des Abonnements. Ein anderer – damit verbundener – Erklärungsansatz könnte darin liegen, dass sich die Kunden implizit eine Reaktion des Unternehmens erhoffen, z. B. die Einflussnahme auf die Preisgestaltung der Romanhefte. Damit ist die Größe der Kontrollierbarkeit angesprochen. Diese Annahme wird auch durch das Ergebnis der Hypothese H3e mit der Wirkung der Kontrollierbarkeit auf die GWAB ( = 0,095; p  0,01) bestätigt. Das Ergebnis weist jedoch insgesamt auf einen nachhaltigen zukünftigen Forschungsbedarf hin, um z. B. mögliche moderierende Effekte der Abwanderungsgründe zu prüfen. Im Komplex der Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Verhaltens hat die Analyse der Pfadkoeffizienten gezeigt, dass die GWAB lediglich durch die Variablen der Wiederaufnahmekosten (H4a: = -0,223; p  0,01) und die Wechselerfahrungen (H4e: = 0,071; p  0,05) beeinflusst wird. Dagegen übt die Attraktivität der Alternativen keinen signifikanten Einfluss auf die GWAB aus (H4b: = -0,030; n.s.). Zudem konnte festgestellt werden, dass die Attraktivität der Alternativen mit Mittelwerten um 2,5 von den abgewanderten Kunden als sehr niedrig eingeschätzt wird.686 Dies kann zum einen an den tatsächlich unattraktiven Wettbewerbsalternativen liegen – wovon jedoch eher nicht auszugehen ist – oder aber auf die geringe Marktkenntnis der Befragten zurückzuführen sein. Hierbei ist zu beachten, dass Ver684

Eine Überprüfung der Mittelwerte der Stabilität anhand des Mann-Whitney-U-Tests zeigt jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen diesem Hauptabwanderungsgrund und den anderen genannten Hauptabwanderungsgründen (p = 0,257; zweiseitiger Signifikanz-Test). Zu den Abwanderungsgründen vgl. im Detail Abschnitt 6.1.2.2. 685 Insgesamt konnten von allen Hauptabwanderungsgründen 61% als kundenbezogene Gründe identifiziert werden, während unternehmensbezogene Gründe 37% und wettbewerbsbezogene Gründe 2% ausgemacht haben. Vgl. dazu die Abbildung 33. 686 Die Skala nimmt Werte von 7 (stimme voll und ganz zu) bis 1 (stimme gar nicht zu) ein.

200

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

lagshaus-Kunden an der Untersuchung teilgenommen haben, die ein recht niedriges Einkommen haben und somit möglicherweise auch weniger Gelegenheiten haben, Abonnements bei Wettbewerbern abzuschließen und darüber Erfahrungen bei Konkurrenten zu sammeln. Auf die SWAB gehen direkte positive Effekte – wie postuliert – von dem Konstrukt Variety Seeking (H4d: = 0,251; p  0,01) und den Wechselerfahrungen (H4g: = 0,171; p  0,01) aus. Interessant ist die sehr hohe Wirkung des Variety Seeking auf die Wechselerfahrungen (H4c: = 0,390; p  0,01). Hier verdeutlichen die empirischen Befunde, dass der Anbieterwechsel in der Verlagsbranche nachhaltig durch den Kundenwunsch nach Abwechslung beeinflusst wird. Wie postuliert üben die Wechselerfahrungen einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Attraktivität der Alternativen aus (H4f: = 0,411; p  0,01). Kunden, die häufig einen Anbieter gewechselt haben, nehmen Alternativen am Markt somit als deutlich attraktiver wahr. Als soziodemografische Einflussgrößen erweisen sich das Kundenalter und die Dauer der Abwesenheit vom Anbieter als signifikante Treiber der generellen Wiederaufnahmebereitschaft. Mit zunehmendem Alter der Kunden steigt die GWAB (H5a:

= 0,054; p  0,05), allerdings weist der Pfadkoeffizient nur eine moderate Höhe auf. Die weitere Analyse hat – wie postuliert – gezeigt, dass eine längere Abwesenheit vom Anbieter zu einer niedrigen GWAB (H5c: = -0,085; p  0,01) führt. Mit zunehmender Dauer der Abwesenheit scheint ein Kunde den Kontakt zum Unternehmen zu verlieren, sodass sich das frühere Unternehmen für den abgewanderten Kunden möglicherweise auch nicht mehr im „consideration set“ befindet. Im vorliegenden Fall wurden zwar keine verschiedenen Rückgewinnungszeitpunkte untersucht, allerdings kann über die Abwesenheitszeit und die Höhe der Mittelwerte der GWAB abgeschätzt werden, ob sich tendenziell eine frühe oder späte Ansprache der abgewanderten Kunden empfiehlt. Daher wurde geprüft, ob die GWAB bei kürzeren Abwesenheitszeiten signifikant höher ist, sodass sich eine frühzeitige Rückgewinnung empfehlen würde. Dafür wurde eine Clusterzentrenanalyse mit zwei und drei Gruppen über die Variable Abwesenheitsdauer durchgeführt. Im Fall der Lösung mit zwei Clustern konnten signifikante Unterschiede der Gruppen mit kurzer (23 Monate) und langer (38 Monate) Abwesenheit in Bezug auf die generelle Wiederaufnahmebereitschaft festgestellt werden (p < 0,002). In der Clusterlösung mit drei Kundensegmenten wurden in zwei von drei Clustern ebenfalls signifikante Gruppenunterschiede festgestellt.687

687

Der zweiseitige t-Test hat folgende Resultate erbracht: Vergleich der Gruppe 1 mit Gruppe 2 (p=0,01), Gruppe 1 mit Gruppe 3 (p=0,41; n.s.) und Gruppe 2 mit Gruppe 3 (p=0,03).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

201

Diese Resultate deuten auf einen abfallenden bzw. möglicherweise auch -förmigen Kurvenverlauf der Beziehung der GWAB und der Abwesenheitsdauer hin, allerdings nur für sehr lange Abwesenheiten. Für die Abbildung 34 wurden die Daten der Abwesenheitsdauer der Kunden aus der Unternehmensdatenbank in Gruppen von Kunden unterteil. Dabei werden alle Kunden der Gruppe mit 12 Monaten Abwesenheit zugeordnet, die 12 Monate abwesend sind. Die Gruppe mit der Abwesenheitsdauer ergab sich aus der Zusammenfassung aller Kunden mit einer Abwesenheit von 13 bis 18 Monaten und so weiter.

Durchschnittliche GWAB

4,100

3,956

3,991

3,900 3,700

y = 3,600

3,500 3,300 3,100 2,900

3,015

2,700 2,500 12

Abbildung 34: Quelle:

18

24 30 36 42 48 Zeit der Abwesenheit des Kunden (in Monaten)

52

Beziehung zwischen der GWAB und der Abwesenheitsdauer Eigene Darstellung.

Demnach scheint es einen Punkt zu geben, an dem die GWAB mit zunehmender Abwesenheit deutlich sinkt und auch das Wiederaufnahmeverhalten der abgewanderten Kunden vergleichsweise unwahrscheinlich wird. Bei einer durchschnittlichen Abwesenheitsdauer von 30 Monaten aller 543 Probanden lässt sich über die geringe durchschnittliche GWAB von 3,60 ein Erklärungsansatz finden, warum nur wenige Kunden tatsächlich zurückgekehrt sind.688 Ein solcher Punkt lässt sich ab einer Abwesenheit von mehr als 34 Monaten feststellen.689 Bis zu einer Abwesenheit von 42 Monaten verringert sich die GWAB erheblich, steigt dann noch einmal kurzzeitig an und fällt erneut ab einer Abwesenheitsdauer von 48 Monaten. Im Rahmen weiterer Beziehungsdimensionen wurde die Hypothese H5d untersucht und als nicht bestätigt befunden. Danach hat die Häufigkeit der Kundenabwanderung keinen Einfluss auf die 688

Die Gruppe der Probanden mit einer kürzeren Abwesenheitsdauer um 18 Monate weist dagegen für die vier Indikatoren der GWAB Mittelwerte zwischen 3,40 bis 4,22 auf, die deutlich über den Mittelwerten der längeren Abwesenheitsdauer liegen. 689 Siehe dazu die gestrichelte Linie in Abbildung 34.

202

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

GWAB (-0,039; n.s.). Somit ist bei dem Verlagshaus die GWAB im statistischen Sinne unabhängig von der Anzahl der Kundenabwanderungen. Da die Logistische Regression für das Verlagshaus aufgrund der sehr niedrigen Anzahl der zurückgewonnenen Kunden nicht durchgeführt werden konnte, wurde nach Anhaltspunkten für den Zusammenhang der Wiederaufnahmebereitschaften und des Wiederaufnahmeverhaltens gesucht. Hierfür können die Ergebnisse des Rückgewinnungsexperiments zumindest deskriptiv herangezogen werden.690 Es wird deutlich, dass sich die telefonische Rückgewinnung mit dem Angebot einer PrepaidGutscheinkarte für das Verlagshaus empfiehlt. Darüber hinaus ist ein Befragungseffekt festzustellen, der sich in sechs zusätzlichen Abonnement-Verträgen widerspiegelt (16 Rückkehrer aus der Befragungsgruppe ggü. zehn Rückkehrern aus der NichtBefragungsgruppe). Allerdings können aufgrund der geringen Anzahl der Rückkehrer auch hier keine verallgemeinernden Aussagen getroffen werden. Bemerkenswert ist jedoch v. a., dass die Rückgewinnung über das Mailing keinen einzigen der 231 (Befragungsgruppe) bzw. 450 (Nicht-Befragungsgruppe) abgewanderten Kunden zu einem neuen Vertrag motivieren konnte. Dies könnte daran liegen, dass diese Kunden das persönliche Gespräch ggü. einer schriftlichen Kommunikation mit dem Unternehmen bevorzugen oder die Reaktion auf das Schreiben als zu kompliziert wahrnehmen. Im Gespräch mit den Führungskräften des Verlagshauses wurde deutlich, dass die Kundenklientel grundsätzlich eine positive Einstellung zum persönlichen Gespräch über das Telefon aufweist. Ein nicht unerheblicher Teil der Kundenakquisition erfolgt beim Verlagshaus schon heute über den Telefonverkauf. Hier zeigen sich mögliche Parallelen der Kundenakquisition und Kundenrückgewinnung in dem Sinne, dass sich der schon bei der Kundengewinnung wirksame Kanal auch bei der Kundenrückgewinnung als erfolgreich erweist. Im nächsten Abschnitt werden die Befunde der empirischen Untersuchung für den Verkehrsdienstleister vorgestellt.

690

Vgl. dazu auch den Abschnitt 6.1.2.3.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

203

6.2 Empirische Befunde des Verkehrsdienstleisters 6.2.1 Markt für Verkehrsdienstleistungen Für die Überprüfung des Forschungsmodells in der Kategorie Primärgüter wurde ein Verkehrsdienstleister in Deutschland als Kooperationspartner gewonnen. Aus Gründen der Vertraulichkeit wird im Verlauf der Arbeit nicht das Unternehmen namentlich erwähnt, sondern allgemeingültig als Verkehrsdienstleister bezeichnet. Die Kunden können bei diesem Verkehrsdienstleister Fahrkarten jeweils transaktional erwerben oder sich über einen Vertrag mit dem Unternehmen einen Anspruch auf günstigere Preise der Tickets sichern. Für diesen Vertrag ist im Voraus eine Jahresgebühr zu entrichten, die unabhängig von der Anzahl der Fahrten im Vertragszeitraum anfällt. Diese Jahresgebühr ist einem Beitrag für ein Abonnement vergleichbar, sodass diese Vertragsform im Weiteren wie ein Abonnement behandelt wird, wenngleich es sich streng genommen um den Grundbeitrag eines zweiteiligen Tarifs handelt.691 Der Verkehrsdienstleister bietet für die geplante Nutzungsintensität (Anzahl der Reisen und Kilometer) verschiedene Abonnement-Formen an, sodass Kunden bei häufigen Reisen zu einer Vertragsform mit höherer Jahrespauschale wechseln können, um damit über den Vertragszeitraum den Durchschnittspreis zu reduzieren. Der Markt der Verkehrsdienstleistungen umfasst den Personentransport über Straßen, Schienenwege, Wasserwege und Luftverkehr.692 Die relevanten Transportmittel bzw. Unternehmen für den privaten Verkehr (B2C) sind somit PKW sowie Bus-, Bahn-, Schiffs- und Fluggesellschaften. Mit der zunehmenden beruflichen und privaten Mobilität in Deutschland besteht nach Auskunft der Führungskräfte des Kooperationspartners ein hohes Interesse der Kunden an günstigen und verlässlichen Transportmöglichkeiten. Durch die Liberalisierung für Luftverkehrsdienstleistungen in Europa zum Jahr 1993 und die Bahn-Reform im Jahr 1994 hat sich auch der innerdeutsche Wettbewerb intensiviert. Insbesondere mit dem Marktzugang der sog. „Billigflieger“ (Low Cost Carrier), die über die Bewerbung günstiger Flugtickets das Preisbewusstsein für Reisen erhöht haben, sehen sich Unternehmen im Verkehrsdienstleistungsbereich einem verschärften Wettbewerb gegenüber.693 Einen Ansatz der langfristigen Bindung der Kunden stellen Jahres- oder Monatsabonnements, wie z. B. im Bus-

691

Vgl. Krafft (2007), S. 299. Vgl. Statistisches Bundesamt (2007), S. 412. 693 Vgl. HSH Nordbank (2005). Zur Marktsituation vgl. den Wettbewerbsbericht 2007 der Deutschen Bahn (2007), S. 12-15. 692

204

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

und Bahnverkehr dar.694 Hinzu kommen sog. Loyalitäts- und Prämienprogramme der Fluggesellschaften, wie z. B. Miles&More, mit denen Kunden in diesem eher transaktional ausgerichteten Segment potenziell gebunden werden können.695 6.2.2 Datenerhebung und Datenbasis 6.2.2.1 Grundgesamtheit und Stichprobe der Untersuchung Für die vorliegende Untersuchung wurden jene abgewanderten Kunden identifiziert, die ihren Vertrag zum 31. Dezember 2006 gekündigt haben.696 Von diesen rund 10.000 abgewanderten Kunden wurde eine Zufallsstichprobe von 8.200 abgewanderten Kunden gezogen. Am 12. Oktober 2006 wurde an 6.560 dieser Kunden ein vierseitiger Fragebogen inkl. Anschreiben versandt. Jedem Teilnehmer der Befragung wurden nach Abschluss der Befragung zwei Gutscheine im Wert von je 5 Euro zugesandt, die bei dem Unternehmen eingelöst werden konnten. Es erfolgte keine Nachfass-Aktion für die Befragung der abgewanderten Kunden. Von 1.329 zurückgesandten Fragebogen konnten 1.095 Fragebogen als auswertbar qualifiziert werden.697 Dies entspricht einer Rücklaufquote von 20,26 %.698 Auf Basis der zurückgesandten Fragebogen wurden am 3. November 2006 verschiedene Experimentgruppen gebildet, sodass im Anschluss das Rückgewinnungsexperiment durchgeführt werden konnte.699 Die übrigen 1.640 Probanden wurden nicht angeschrieben, sondern waren ausschließlich für das Experiment vorgesehen. Dabei wurden von diesen 1.640 Probanden zufallsgesteuert 1.104 abgewanderte Kunden für das Experiment ausgewählt, sodass die Anzahl der Probanden in den Experimentgruppen der Befragung und Nicht-Befragungssegmente annähernd identisch ist (vgl. Tabelle 52).

694

Vgl. Krafft (2007), S. 299 f. Vgl. Hauschild (2007); Wagner (2005). 696 Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen vor Vertragsablauf. 697 225 Fragebogen gingen erst nach Ablauf der Befragung ein und konnten daher nicht mehr in die Auswertung einfliessen. Weitere neun Fragebogen wiesen fehlende Werte von vierzehn und mehr Konstruktindikatoren je Probanden auf. 698 Fragebogen, die  14 fehlende Werte aufwiesen, wurden aus der weiteren Analyse und der Zuordnung zu den Experimentgruppen ausgeschlossen. Bei weniger als vierzehn fehlenden Werten, wurden die Daten durch die Mittelwerte des einzelnen Indikators über alle Probanden (formative Konstrukte) und durch die verbleibenden Indikatoren des jeweiligen Konstrukts (reflektive Konstrukte) in SPSS ersetzt. 699 Zum Experimentaufbau vgl. Abschnitt 6.2.2.3. 695

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

205

6.2.2.2 Deskriptive Analyse Wie im Fall des Verlagshauses ist der Fragebogen in drei Teile gegliedert. An die Fragen zur Vertragsdauer mit dem Anbieter und zu den Kündigungsgründen schließt sich die Bewertung der früheren Geschäftsbeziehung durch den Kunden an. Der dritte Teil ist den Informationen zur Person gewidmet und umfasst sowohl soziodemografische und sozioökonomische Daten als auch Fragen zum Unternehmen und dessen Angeboten.700 Ausgewählte deskriptive Daten der Erhebung bei dem Verkehrsdienstleister sind in Tabelle 51 zusammengefasst. Bei den Antwortkategorien werden die jeweils am häufigsten genannten Kategorien wiedergegeben. Variable

Variable

Geschlecht

Frauen: 57,2% Männer: 42,8%

Höchster Bildungsabschluss

Hauptschule: 3,3%, Realschule: 10,6%, Gymnasium: 16,9%, Ausbildung: 14,2%, Hochschule: 47,3%

Durchschnittsalter (direkte Angabe)

39 Jahre

Beziehungsdauer

1 Jahr: 17,7%, von 1 bis 3 Jahren: 31,1%, von 3 bis 5 Jahren: 20,2%

Familienstand

Ledig: 58,0%, verheira- Kündigungshäufigkeit Einmalige Kündigung: tet: 34,9% 52,3%, zweimalige Kündigung: 25,6%

Monatliches Haushaltsnettoeinkommen

Bis zu 750 Euro: 15,1%, von 751 bis 1.000 Euro: 6,9%, von 1.001 bis 1.500 Euro: 18,4%, von 1.501 bis 2.000 Euro: 17,5%

Tabelle 51: Quelle:

Internetnutzung von Unternehmensangeboten

Keine Nutzung: 22,9%, einmal im halben Jahr: 23,3%, jeden zweiten Monat: 21,7%

Deskriptive Daten des Befragten des Verkehrsdienstleisters Eigene Darstellung.

Den Probanden wurden 16 mögliche Abwanderungsgründe, die vorab mit dem Verkehrsdienstleister abgestimmt wurden, zur Auswahl gestellt. Die Frage nach dem Hauptabwanderungsgrund sollte auch in dieser Erhebung sicherstellen, dass die Kunden bei der Nennung mehrerer Abwanderungsgründe sich für den zentralen Grund entscheiden. Insgesamt wurden 2.302 Abwanderungsgründe genannt. Dies ergibt eine durchschnittliche Anzahl von 2,5 Abwanderungsgründen, was auch für den Verkehrsdienstleister impliziert, dass ein Kunde sich für eine Abwanderung erst aufgrund von mehreren negativen Erfahrungen mit dem Anbieter entscheidet.701 Die weitere Analyse 700 701

Vgl. den Fragebogen des Verlagshauses im Anhang. Von 1.095 Probanden haben 204 Probanden keinen Hauptabwanderungsgrund angegeben, sodass der Durchschnitt anhand der verbleibenden 891 Probanden ermittelt wurde.

206

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

der aufgeführten Abwanderungsgründe hat ergeben, dass der fehlende Bedarf an Reisen mit 37,9% der Probanden den Hauptabwanderungsgrund darstellt. Der nächstwichtigste Grund, den Vertrag zu kündigen, ist mit 12,9% die private Nutzung anderer Transportmittel.702 11,2% der Befragten gaben an, dass ihre Motivation zur Kündigung sich auf den Wunsch bezog, weniger zu reisen um Geld zu sparen. Dagegen nannten 8,2% der Befragten ihre Unzufriedenheit mit dem Anbieter als relevanten Abwanderungsgrund. Offensichtlich wenig Relevanz für die Abwanderung haben das Image des Unternehmens, bessere Alternativen und ungünstige Reiseverbindungen.703 Auch bei dem Verkehrsdienstleister wird deutlich, dass die kundenbezogenen Abwanderungsgründe mit 86,8% dominieren. Die Abbildung 35 gibt einen Überblick über die nach den drei Kategorien geordneten Hauptabwanderungsgründe der Probanden.704

Unternehmensbezogene Gründe

12,0% 1,2% Wettbewerbsbezogene Gründe

86,8% Kundenbezogene Gründe

Kundenbezogene Gründe: Grund1: Ich nutze privat zukünftig andere Verkehrsmittel. Grund2: Ich führe zukünftig weniger Geschäftsreisen durch. Grund3: Ich nutze geschäftlich zukünftig andere Verkehrsmittel. Grund4 Ich bin unzufrieden mit dem Service des Unternehmens. Grund7: Ich bin umgezogen. Grund8: Ich fahre insgesamt weniger, um zu sparen. Grund10: Freunde und/oder Bekannte haben ebenfalls ihren Vertrag gekündigt. Grund13: Ich brauche jetzt keinen neuen Vertrag, sondern erst wieder für die nächste Reise. Grund15: Meine Freizeitgestaltung hat sich geändert. Grund16: Ich habe gekündigt, um ein umfassenderes Abonnement zu kaufen. Unternehmensbezogene Gründe: Grund5: Meine Beschwerde(n) wurde(n) nicht ausreichend beachtet bzw. behandelt. Grund6: Der Vertrag ist zu teuer geworden. Grund9: Das Unternehmen hat ein schlechtes Im age und deshalb möchte ich nicht mehr mit dem Unternehmen reisen. Grund12: Der Abo-Betrag wurde falsch abgebucht. Grund14: Die Reise-/Fahrpläne sind für mich ungünstig, daher reise ich weniger mit dem Unternehmen. Wettbewerbsbezogene Gründe: Grund11: Das Angebot anderer Verkehrsdienstleister ist besser.

Abbildung 35: Quelle:

702

Verteilung der Abwanderungsgründe bei dem Verkehrsdienstleister Eigene Darstellung.

Zu den Marktverschiebungen in der Branche vgl. Statistisches Bundesamt (2007), S. 412. Hier reichten die Nennungen von 1 bis 4 Prozent. 704 Die Prüfung auf multivariate Normalverteilung hat ergeben, dass die vorliegenden Daten der Kunden des Verkehrsdienstleisters nicht normalverteilt sind. 703

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

207

6.2.2.3 Durchführung und Ergebnisse des Experiments Im Zeitraum vom 15. November bis zum 31. Dezember 2006 wurde das Experiment zur Rückgewinnung der Kunden durchgeführt.705 Aufgrund der organisatorischen Gegebenheiten, u. a. Umstrukturierungen der Datenbanken wurde für die Rückgewinnung als einzige Dialogform das Direct Mailing ausgewählt. Dazu wurden die 1.095 befragten Kunden über einen personalisierten Brief mit verschiedenen Rückgewinnungsangeboten kontaktiert. Der Zeitraum der Kundenrückgewinnung war auf rund sechs Wochen festgelegt, um den Kunden für das Experiment eine Frist zur Reaktion zu setzen und damit die Auswertung der Daten steuern zu können. Bisher werden Kunden zur Rückgewinnung ohne Fristen angesprochen. Zielsetzung war es, eine vergleichbare Situation zu erzeugen, unter denen das Unternehmen üblicherweise die Rückgewin-nung durchführt, sodass die Ergebnisse miteinander vergleichbar sind. Bisher umfassten die Rückgewinnungsmaßnahmen des Unternehmens nur die Versendung von Mailings mit einer Nutzenargumentation über die Vorteile des Vertrags. Im Rahmen des Experiments wurden nach dem Zufallsprinzip die Befragten weitgehend gleichzahlig in insgesamt 12 Experiment- und Kontrollgruppen eingeteilt. Für den Test eines möglichen Fragebogeneinflusses haben 1.104 nicht-befragte Kunden Rückgewinnungsmaßnahmen erhalten. Diese Kunden wurden aus der gleichen Ursprungsstichprobe von 8.200 abgewanderten Kunden gezogen. Für die Rückgewinnung wurden die folgenden aus Kundensicht – monetär vergleichbaren – Angebote ausgewählt: x Gutschein für ein neues Abonnement im Wert von 10 Euro, x Reise-Gutschein im Wert von 10 Euro, x Prämien-Punkte im Wert von 10 Euro, x verlängerte Gültigkeit des Abonnements um zwei auf 14 Monate und x eine reine Vorteilsargumentation des Abonnements. Dabei beziehen sich alle Rückgewinnungsangebote auf die Leistungen des Verkehrsdienstleisters. Es wurden keine Anreize für Angebote, die bei anderen Unternehmen eingelöst werden können, eingesetzt. 1.833 von 2.199 abgewanderte Kunden haben ein einziges Rückgewinnungsangebot erhalten.706 Insgesamt haben von den 1.095 befragten Kunden 167 Kunden einen neuen Vertrag bei dem Anbieter auf705

706

Die Zeit zwischen der Festlegung der Experimentgruppen und dem Beginn des Experiments war notwendig, um die Mailings zu personalisieren, zu drucken und zu versenden. 366 Probanden zählen zu den beiden Kontrollgruppen und haben keine Rückgewinnungsangebote erhalten.

208

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

genommen. Von den 1.104 nicht-befragten Kunden haben sich 111 Kunden für einen neuen Vertrag bei dem Unternehmen entschieden. Abzüglich jener Kunden, die aufgrund ihrer Zuordnung in die Kontrollgruppen 6 und 12 keine Rückgewinnungsmaßnahmen erhalten haben, beläuft sich der Nettoeffekt der Befragung 53 zusätzliche Verträge beziffern.707 Insgesamt beträgt die Rückgewinnungsquote der befragten Kunden 15,25 %, die Rückgewinnungsquote der nicht-befragten Kunden hingegen 10,05 %. Die Tabelle 52 gibt einen Überblick über die Gestaltung und aggregierten Befunde des Experiments. Auflage des Mailings

Anzahl Rückder Rück- kehrer in kehrer Prozent

Gruppenbezeichnung

Rückgewinnungsangebot

Befragungsgruppe 1

Gutschein für das Abonnement

183

44

24,04

Nicht-Befragungsgruppe 7

Gutschein für das Abonnement

184

23

12,50

Befragungsgruppe 2

Reise-Gutschein

183

30

16,39

Nicht-Befragungsgruppe 8

Reise-Gutschein

184

24

13,04

Befragungsgruppe 3

Prämien-Punkte beim Anbieter

183

24

13,11

Nicht-Befragungsgruppe 9

Prämien-Punkte beim Anbieter

184

13

7,07

Befragungsgruppe 4

Verlängerte Gültigkeit

182

26

14,29

Nicht-Befragungsgruppe 10

Verlängerte Gültigkeit

184

16

8,70

Befragungsgruppe 5

Nutzenargumentation

182

27

14,84

Nicht-Befragungsgruppe 11

Nutzenargumentation

184

22

11,96

Befragungsgruppe 6

Kontrollgruppe: kein Angebot

182

16

8,79

Nicht-Befragungsgruppe 12

Kontrollgruppe: kein Angebot

184

13

7,07

2.199

278

12,64

Gesamt Tabelle 52: Quelle:

Struktur des Experiments und Ergebnisse Eigene Darstellung.

Der Vergleich der einzelnen Rückgewinnungsangebote zeigt, dass die größte Anzahl von Kunden über den Abonnement-Gutschein im Wert von 10 Euro zurückgewonnen werden konnte (Gruppe 1 und 7, gesamt: 67 Personen). Als zweiterfolgreichstes Rückgewinnungsangebot erweist sich der Reise-Gutschein in Höhe von 10 Euro (Gruppe 2 und 8, gesamt: 54 Personen). An dritter Stelle befindet sich die Nutzenargumentation mit insgesamt 49 zurückgewonnenen Kunden als erfolgreich erwiesen (Gruppe 5 und 11). Dieses Ergebnis kann entweder mit den bestehenden geringen Kenntnissen der Abonnementvorteile oder aber durch die hohe Vorteilhaftigkeit des 707

Dieser Wert ergibt sich aus 167 neuen Verträgen aus der Befragungsgruppe abzüglich 16 aus der entsprechenden Kontrollgruppe im Vergleich zu 111 neuen Verträgen aus der Nicht-Befragungsgruppe abzüglich 13 aus der entsprechenden Kontrollgruppe.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

209

Produkts erklärt werden. Interessant ist, dass sogar 29 Kunden, die aufgrund ihrer Zuordnung zur Kontrollgruppe kein Angebot erhalten haben (Gruppe 6 und 12) z. T. auch einen neuen Vertrag mit dem Unternehmen geschlossen haben. Allerdings liegen die Rückkehrquoten der Kontrollgruppen mit 8,79 % bzw. 7,07 % recht deutlich unter denen der anderen Experimentgruppen. Allerdings sollte dieser Befund der Kontrollgruppen als Korrektiv berücksichtigt werden, da etwa 8 % der Kündiger selbst ohne Rückgewinnungsmaßnahme einen neuen Vertrag abschließen. Die Rückgewinnungsquoten der anderen Maßnahmen sind demzufolge entsprechend zu korrigieren. Nach der deskriptiven Beschreibung der Stichprobe und der Experimentergebnisse werden im folgenden Abschnitt die Ergebnisse der Schätzung der Messmodelle vorgestellt. 6.2.3 Ergebnisse der Modellschätzung 6.2.3.1 Validierung der Messmodelle Analog zum Verlagshaus wurde für die Modellvalidierung zuerst eine explorative Faktorenanalyse durchgeführt, um die Faktorenstruktur innerhalb der reflektiven Indikatoren zu prüfen. Es ergibt sich eine Neun-Faktorenstruktur, die auch nach der Prüfung sämtlicher Gütemaße die finale Lösung darstellt.708 Insgesamt weist die Messung des Konstrukts ‚generelle Wiederaufnahmebereitschaft’ gute Resultate auf. Die Gütemaße der ersten Generation sind erfüllt. Auch die Gütekriterien der zweiten Generation weisen fast durchweg gute Werte aus. Der Indikator GENREACT2 („Ich bin generell bereit, frühere Entscheidungen zu revidieren, d. h. rückgängig zu machen.“) weist zwar eine Reliabilität von deutlich unter 0,4 auf, soll jedoch aufgrund inhaltlicher Überlegungen beibehalten werden. Ein Grund für die geringe Reliabilität kann in der reversen Messung liegen. Die DEV liegt mit 0,403 unter dem geforderten Wert von 0,5. Aufgrund der Zielsetzung, vergleichbare Konstruktstrukturen für das Verlagshaus und den Verkehrsdienstleister zu erhalten, wurde geprüft, inwieweit kritische Indikatoren trotz dem Unter- bzw. Überschreiten von Gütekriterien beibehalten werden können. Da nur sehr wenige Werte die geforderten Gütemaße nicht erfüllen und diese Gütekriterien z. T. auch als Heuristiken und nicht verbindliche Größe gelten, wird auf die weitere Elimination von Indikatoren verzichtet (vgl. Tabelle 53). 708

Dabei wird in der Faktorenstruktur deutlich, dass die Faktoren der Zufriedenheit und des Commitment eine große Nähe zueinander aufweisen und zu einem Faktor hätten verdichtet werden können. Die Prüfung aller Indikatoren dieser beiden Konstrukte über die Faktorenanalyse hat jedoch ergeben, dass sich beide Konstrukte eindeutig voneinander unterscheiden. Die vollständige Darstellung der Analyseergebnisse kann bei der Verfasserin angefragt werden.

210

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

Konstruktreliabilität

DEV

0,698

0,403

GENREACT1

0,801

Generelle Wiederaufahmebereitschaft

GENREACT2

0,188

GENREACT3

0,758

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,772

Erklärter Varianzanteil: 66,90%

Cronbachsches Alpha: 0,819

Globale Kriterien

GFI: 0,999

AGFI: 0,997

RMR: 0,053

GENREACT5

Tabelle 53: Quelle:

0,602

NFI: 0,999

Gütemaße des Konstrukts generelle Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

Die Messung der formativen Indikatoren des Konstrukts ‚spezifische Wiederaufnahmebereitschaft’ über den Variance Inflation Factor (VIF) hat folgende Resultate ergeben: Kollinearitätsanalyse Indikator

VIF

SPREACT1

1,735

SPREACT2

1,735

Tabelle 54: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts spezifische Wiederaufnahmebereitschaft Eigene Darstellung.

Für beide Indikatoren liegen die VIF deutlich unter 10 bzw. 2, sodass von einer fehlenden Multikollinearität ausgegangen werden kann. Darüber hinaus weist der Pfadkoeffizient der Wirkungsbeziehung der GWAB auf die SWAB mit 0,171 (p  0,01) auf die nomologische Validität des Konstrukts SWAB hin. Im Weiteren werden die vier Dimensionen der Kundenmotivation generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung, das Commitment, das Kundenwissen und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle mit den Ergebnissen der Konstruktmessung vorgestellt. Die Gütemaße der ersten Generation weisen für das Konstrukt ‚generelle Kundenzufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung’ insgesamt gute Werte aus. Auch die lokalen und globalen Gütemaße der zweiten Generation sind trotz der nur moderaten Reliabilität des Indikators OVSAT2 („Generell bin ich sehr zufrieden mit der Geschäftsbeziehung zu Ihnen.“), die den geforderten Wert von 0,4 marginal unterschreitet, der Unterschreitung der DEV und der geringfügigen Überschreitung des RMRKriteriums als akzeptabel zu bezeichnen (vgl. Tabelle 55).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

211

Konstruktreliabilität

DEV

0,723

0,407

OVSAT1

0,666

Generelle Kundenzufriedenheit

OVSAT2

0,392

OVSAT3

0,786

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,773

Erklärter Varianzanteil: 71,08%

Cronbachsches Alpha: 0,858

Globale Kriterien

GFI: 0,995

AGFI: 0,974

RMR: 0,115

OVSAT4

Tabelle 55: Quelle:

0,643

NFI: 0,990

Gütemaße des Konstrukts generelle Kundenzufriedenheit Eigene Darstellung.

Nach Löschung der zwei Indikatoren COMM1 („Ich würde wieder Kunde werden, wenn ich wieder reisen möchte.“) und COMM2 („Ich würde von Ihnen auch andere Angebote kaufen (z. B. [hier wurden unternehmensspezifische Angebote ausgewiesen].“) ergibt sich eine Zwei-Indikatoren-Lösung für das Konstrukt ‚Commitment’. Die Elimination der zwei genannten Indikatoren ist notwendig, da mit diesen Fragestellungen eher eine Form Wiederkaufabsichten als die Verbundenheit mit dem Unternehmen abgefragt werden, die sich im Nachhinein als nicht nützlich für das Konstrukt erweisen. Die Gütemaße der ersten Generation weisen gute Werte auf. Da nur zwei Indikatoren verbleiben, können keine Gütemaße der zweiten Generation bestimmt werden. Insgesamt ist das Konstrukt ‚Commitment’ als moderat valide anzusehen (vgl. Tabelle 56). Variablenlabel

Variable

Commitment

Indikatorreliabilität

COMM3

-

COMM4

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 77,88%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

Cronbachsches Alpha: 0,716 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 56: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Commitment Eigene Darstellung.

Nach der Elimination von zwei Indikatoren KNOWL4 („Ich bin ein langjähriger Kunde.“) und KNOWL6 („Ich verfolge regelmäßig die Angebote im Bereich der Verkehrsdienstleistungen.“) weist die Faktorstruktur des Konstrukts ‚Kundenwissen’ so-

212

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

wohl bei den Gütekriterien der ersten als auch der zweitem Generation eine gute Lösung auf. Die Löschung der beiden aufgeführten Indikatoren war aus inhaltlichen Überlegungen notwendig. Die DEV liegt mit 0,352 unter dem geforderten Wert von 0,5. Da in beiden Datensätzen mit möglichst identischen Konstrukten gearbeitet werden soll, wird auf weitere Eliminationen verzichtet. Zudem sind die globalen Gütemaße der zweiten Generation als gut zu bezeichnen (vgl. Tabelle 57). Variable

Kundenwissen

Variablenlabel

Indikatorreliabilität

KNOWL1

0,631

KNOWL2

0,665

KNOWL3

0,417

KNOWL5 Explorative Faktorenanalyse Globale Kriterien Tabelle 57: Quelle:

Konstruktreliabilität

DEV

0,678

0,352

0,626

KMO: 0,815

Erklärter Varianzanteil: 68,54%

GFI: 1,000

AGFI: 0,999

Cronbachsches Alpha: 0,844 RMR: 0,019

NFI: 1,000

Gütemaße des Konstrukts Kundenwissen Eigene Darstellung.

Nach der Löschung des Indikators PERCBEH3 („Es liegt vor allem an mir, eine frühere Geschäftsbeziehung wieder aufzunehmen.“) ergibt sich für das Konstrukt ‚wahrgenommene Verhaltenskontrolle’ eine Zwei-Indikatoren-Lösung mit guten Werten für die Gütemaße der ersten Generation. Auch hier konnten aufgrund der Faktorstruktur keine Gütekriterien der zweiten Generation bestimmt werden (vgl. Tabelle 58). Der Indikator PERCBEH3 wurde eliminiert, da sich durch die Löschung dieses Items deutlich bessere Werte für das Cronbachsche Alpha und den erklärten Varianzanteil ergeben haben. Variablen- label

Variable

Indikatorreliabilität

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

PERCBEH1

-

PERCBEH2

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 80,31%

Cronbachsches Alpha: 0,747

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

RMR: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 58: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts wahrgenommene Verhaltenskontrolle Eigene Darstellung.

NFI: -

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

213

Innerhalb der Dimensionen der Abwanderungsattributionen wurden die Stabilität des Abwanderungsgrunds, der Lokus (Unternehmen bzw. Kunde) und die Kontrollierbarkeit des Abwanderungsgrunds auf die Konstruktvalidierung hin überprüft. Die Messung des Konstrukts ‚Stabilität’ weist insgesamt moderate bis gute Werte auf. Allerdings erfüllen einige Kriterien nicht die geforderten Werte. So liegt der Indikator STAB2 („Meine Kündigungsgründe sind veränderbar - unveränderbar“) deutlich unter der Indikatorreliabilität von 0,4. Ein Grund hierfür kann darin liegen, dass dieses Item revers gemessen wurde.709 Auf die Elimination des Indikators wird jedoch verzichtet, da mit der Löschung wichtige semantische Inhalte des Konstrukts verloren gehen würden. Auch die Konstruktreliabilität und die DEV liegen unter den empfohlenen Maßen von 0,6 bzw. 0,5. Aufgrund der geringen Indikatorenanzahl ist auch für das Konstrukt ‚Stabilität’ keine Bestimmung der globalen Gütemaße der zweiten Generation möglich (vgl. Tabelle 59). Variablenlabel

Variable

Stabilität

Indikatorreliabilität

STAB1

0,607

STAB2

0,183

STAB3

0,645

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,612

Erklärter Varianzanteil: 62,84%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

Konstruktreliabilität

DEV

0,486

0,273

Cronbachsches Alpha: 0,698 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 59: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Stabilität Eigene Darstellung.

Für das formative Konstrukt ‚Lokus’ wird der Variance Inflation Factor (VIF) zur Gütebeurteilung herangezogen. Das Konstrukt ‚Lokus’ setzt sich aus vier Indikatoren zusammen, deren VIF-Werte von deutlich kleiner als 10 implizieren, dass keine Multikollinearität vorliegt (vgl. Tabelle 60).710 Auch die nomologische Validität des Konstrukts ist mit einer signifikanten Wirkungsbeziehung zwischen ‚Lokus’ und ‚Stabili709

Es wurde geprüft, inwieweit sich die Ergebnisse des Strukturmodells verändern würden, wenn auf den Indikator STAB2 verzichtet wird. Dabei konnten keine signifikanten Änderungen der Pfadkoeffizienten festgestellt werden. Da also keine Ergebnisverzerrung auftritt, wird die Verletzung des Kriteriums Indikatorreliabilität als nachrangig eingeschätzt. 710 Die vollständige Darstellung der Analyseergebnisse kann bei der Verfasserin angefragt werden. Die Indikatoren LOCUS2 und LOCUS4 werden aus der Analyse ausgeschlossen, da ihre VIF-Werte deutlich unter 2 liegen. Es wird ersichtlich, dass zwischen LOCUS1 und LOCUS3 eine vergleichsweise hohe Korrelation von 0,679 besteht.

214

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

tät’ von 0,229 (p  0,01) als erfüllt anzusehen. Kollinearitätsanalyse Indikator

VIF

LOCUS1

2,249

LOCUS2

1,338

LOCUS3

2,112

LOCUS4 Tabelle 60: Quelle:

1,833 Gütemaße des Konstrukts Lokus Eigene Darstellung.

Für das Konstrukt ‚Kontrollierbarkeit’ können aufgrund der geringen Indikatorenanzahl nur die Gütemaße der ersten Generation bestimmt werden. Dabei deuten die Ergebnisse wie das Cronbachsche Alpha von 0,849 und der erklärte Varianzanteil von 86,85% auf eine gute Konstruktmessung hin (vgl. Tabelle 61). Variablenlabel

Variable

Indikatorreliabilität

Kontrollierbarkeit

CONTR1

-

CONTR2

-

Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,500

Erklärter Varianzanteil: 86,85%

Globale Kriterien

GFI: -

AGFI: -

Konstruktreliabilität

DEV

-

-

Cronbachsches Alpha: 0,849 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 61: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Kontrollierbarkeit Eigene Darstellung.

Die Konstrukte der Wiederaufnahmekosten, der Attraktivität der Alternativen, des Variety Seeking und der Wechselerfahrungen bilden zusammen die Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Kundenverhaltens. In der folgenden Tabelle 62 sind die Ergebnisse der Validierung des Konstrukts ‚wahrgenommene Wiederaufnahmekosten’ aufgeführt. Das Konstrukt wurde mithilfe von fünf Indikatoren operationalisiert. Für drei Indikatoren (REACTCOST1, REACTCOST2, REACTCOST3) weisen die Reliabilitäten Werte unterhalb des geforderten Maßes von 0,4 auf. Wie im Fall des Verlagshauses sind diese Indikatoren jedoch als inhaltlich höchst relevant einzuschätzen und sollen daher beibehalten werden. Im Rahmen der Gütekriterien der zweiten Generation liegen die Konstruktreliabilität von 0,561 und die DEV mit 0,230 unter den geforderten Werten von 0,6 bzw. 0,5. Eine Elimination der Indikatoren REACTCOST1, REACTCOST2 und REACTCOST3

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

215

erbringt jedoch für beide Maße keine deutliche Verbesserung, sodass auf eine Elimination dieser Indikatoren verzichtet wird. Das RMR-Maß liegt hingegen nur leicht über dem empfohlenen Wert von 0,1. Allgemein kann von einer akzeptablen Validität des Konstrukts ‚Wiederaufnahmekosten’ ausgegangen werden (vgl. Tabelle 62). Variablenlabel

Variable

Wahrgenommene Wiederaufnahmekosten

REACTCOST1

0,364

REACTCOST2

0,224

REACTCOST3

0,319

REACTCOST4

0,706

REACTCOST5 Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,760

Globale Kriterien

GFI: 0,993

Tabelle 62: Quelle:

Indikatorreliabilität

Konstruktreliabilität

DEV

0,561

0,230

0,604 Erklärter Varianzanteil: 54,27% AGFI: 0,979

Cronbachsches Alpha: 0,779 RMR: 0,107

NFI: 0,983

Gütemaße des Konstrukts Wiederaufnahmekosten Eigene Darstellung.

Nach der Elimination des revers gemessenen Indikators ALTATTR1 („Alles in allem sind Ihre Angebote für mich günstiger als jene bei anderen Verkehrsdienstleistern.“) haben sich in der Validierung des Konstrukts ‚Attraktivität der Alternativen’ gute Werte für die Gütemaße der ersten und zweiten Generation ergeben. Bis auf die Reliabilität des Indikators ALTATTR6 von knapp unter 0,4 und der DEV von 0,407 sind alle Güteanforderungen erfüllt (vgl. Tabelle 63). Variablenlabel

Variable

Attraktivität der Alternativen

Explorative Faktorenanalyse Globale Kriterien Tabelle 63: Quelle:

Indikatorreliabilität

ALTATTR2

0,636

ALTATTR3

0,760

ALTATTR4

0,645

ALTATTR5

0,703

ALTATTR6

0,381

Konstruktreliabilität

DEV

0,767

0,407

KMO: 0,805

Erklärter Varianzanteil: 69,55%

Cronbachsches Alpha: 0,887

GFI: 0,997

AGFI: 0,990

RMR: 0,100

Gütemaße des Konstrukts Attraktivität der Alternativen Eigene Darstellung.

NFI: 0,995

216

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Das Konstrukt ‚Variety Seeking’ setzt sich nach der Beseitigung des revers gemessenen Indikators VARSEEK1 („Ich bleibe lieber bei einer Firma, als etwas Neues und Unsicheres auszuprobieren.“) aus fünf Items zusammen. Dabei weisen die Gütemaße der ersten Generation durchweg gute Werte auf. Auch die Beurteilung der Kriterien der zweiten Generation fällt, bis auf die deutliche Unterschreitung des Grenzwerts der DEV mit einem Wert von 0,326, positiv aus (vgl. Tabelle 64). Da mit der geringen DEV jedoch nur ein Gütemaß die jeweiligen Anforderungen nicht erfüllt, kann die bestehende Konstruktstruktur mit fünf Indikatoren bestehen bleiben. Variable

Variety Seeking

Variablenlabel

Indikatorreliabilität

VARSEEK2

0,532

VARSEEK3

0,681

VARSEEK4

0,571

VARSEEK5

0,636

VARSEEK6 Explorative Faktorenanalyse Globale Kriterien Tabelle 64: Quelle:

Konstruktreliabilität

DEV

0,703

0,326

0,460

KMO: 0,844

Erklärter Varianzanteil: 65,03%

Cronbachsches Alpha: 0,864

GFI: 0,998

AGFI: 0,993

RMR: 0,085

NFI: 0,996

Gütemaße des Konstrukts Variety Seeking Eigene Darstellung.

Nach der Beseitigung des Indikators SWEXP4 („Wie oft haben Sie in den letzten 3 Jahren zwischen vergleichbaren Angeboten/Verträgen gewechselt?“, Antwortmöglichkeiten von 0 bis 6) ergibt sich für das Konstrukt ‚Wechselerfahrungen’ eine Lösung mit drei Indikatoren. Alle Gütemaße der ersten Generation weisen gute Werte auf, sodass von einer hinreichend guten Messung gesprochen werden kann. Von den Gütemaßen der zweiten Generation unterschreitet die DEV mit einem Wert von 0,474 nur knapp den geforderten Wert von 0,5, was als nicht kritisch eingeschätzt wird. Auch hier konnten aufgrund der geringen Indikatorenanzahl keine globalen Gütemaße der zweiten Generation bestimmt werden (vgl. Tabelle 65).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Variablenlabel

Variable

Wechselerfahrungen

Indikatorreliabilität

SWEXP1

0,599

SWEXP2

0,652

SWEXP3 Explorative Faktorenanalyse

KMO: 0,726

Globale Kriterien

GFI: -

217

Konstruktreliabilität

DEV

0,727

0,474

0,799 Erklärter Varianzanteil: 78,66% AGFI: -

Cronbachsches Alpha: 0,863 RMR: -

NFI: -

Legende: -: nicht anwendbar Tabelle 65: Quelle:

Gütemaße des Konstrukts Wechselerfahrungen Eigene Darstellung.

Für eine Beurteilung der Trennschärfe aller Messmodelle ist die Diskriminanzvalidität heranzuziehen. Dazu werden die bivariaten Korrelationen der Konstrukte geprüft. Für alle Konstrukte ist die Diskriminanzvalidität entsprechend dem FornellLarcker-Kriterium gegeben. Damit ist die Gütebeurteilung der Messmodelle abgeschlossen. Im folgenden Abschnitt wird die Einschätzung der Güte des Strukturmodells vorgenommen. Die Diskussion der zentralen Befunde und die damit verbundene Hypothesenprüfung in Abschnitt 6.2.4 folgt der vorangehenden Prüfung, inwieweit das tatsächliche Rückkehrverhalten von den generellen bzw. spezifischen Wiederaufnahmebereitschaften der Kunden beeinflusst wird. 6.2.3.2 Beurteilung des Strukturmodells Für die Schätzung des Strukturmodells des Verkehrsdienstleisters wurde ebenfalls die Software SmartPLS verwendet. Innerhalb des Bootstrapping-Verfahrens zur Schätzung der Signifikanzen wurden alle 1.095 Beobachtungen einbezogen, die in 500 Ziehungen analysiert wurden. Wie in Abschnitt 5.1.3 gefordert, werden folgende Kriterien auf ihren Erfüllungsgrad geprüft, um die Güte des Strukturmodells zu überprüfen: Bestimmtheitsmaß, Pfadkoeffizienten, Effektgröße und Stone-GeisserKriterium. In der Tabelle 66 sind die Ergebnisse für die Bestimmtheitsmaße der jeweiligen endogenen Konstrukte aufgeführt. Es wird deutlich, dass die beiden zentralen Konstrukte der generellen und spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft mit 0,340 und 0,205 gute Werte erzielt haben, während andere Konstrukte wie z. B. wahrgenommene Verhaltenskontrolle oder Stabilität nur ein geringes Bestimmtheitsmaß aufweisen. Eine hohe bzw. sehr hohe Erklärungsgüte weisen zudem die Konstrukte ‚Commitment’, ‚Kontrollierbarkeit’, ‚Attraktivität der Alternativen’ und ‚Wechselerfahrungen’ auf.

218

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Bestimmtheitsmaß R2

Abhängige Variable Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

0,340

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

0,205

Commitment

0,276

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,053

Stabilität

0,051

Kontrollierbarkeit

0,462

Attraktivität der Alternativen

0,271

Wechselerfahrungen

0,189

Tabelle 66: Quelle:

Ergebnisse für die Bestimmtheitsmaße Eigene Darstellung.

Im Anschluss an die Schätzung der Bestimmtheitsmaße erfolgt die Prüfung der Hypothesen anhand der Höhe und Signifikanz der Pfadkoeffizienten. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 67 zusammengefasst. Hypothese

Befund

H1b (+)

9

GWAB Æ SWAB

0,171 ***

5,868

H2a (+)

9

Zufriedenheit Æ GWAB

0,068 **

1,743

H2b (+)

9

Zufriedenheit Æ Commitment

0,528 ***

22,289

H2c (+)

9

Commitment Æ GWAB

0,222 ***

6,987

H2d (+)

9

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Æ GWAB

0,180 ***

5,326

H2e (+)

9

Kundenwissen Æ GWAB

0,060 **

2,096

H2f (+)

9

Kundenwissen Æ wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,231 ***

7,540

H3a (-)

n.s.

Lokus (Unternehmen) Æ GWAB

H3b (+)

9

Lokus (Unternehmen) Æ Stabilität

H3c (+)

9

Lokus (Unternehmen) Æ Kontrollierbarkeit

H3d (-)

9

Stabilität Æ GWAB

H3e (+)

9

Kontrollierbarkeit (Unternehmen) Æ GWAB

H4a (-)

9

Wiederaufnahmekosten Æ GWAB

-0,201 ***

6,875

H4b (-)

9

Attraktivität der Alternativen Æ GWAB

-0,106 ***

3,277

H4c (+)

9

Variety Seeking Æ Wechselerfahrungen

0,436 ***

16,908

H4d (+)

9

Variety Seeking Æ SWAB

0,293 ***

8,728

H4e (+)

9

Wechselerfahrungen Æ GWAB

0,078 ***

2,432

Wirkungszusammenhang

Fortsetzung auf der nächsten Seite

Pfadkoeffizient

-0,041 0,229 ***

t-Wert

0,877 6,607

0,681 ***

35,383

-0,292 ***

10,747

0,106 ***

2,807

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

219

Fortsetzung H4f (+)

9

Wechselerfahrungen Æ Attraktivität der Alternativen

0,521 ***

21,945

H4g (+)

9

Wechselerfahrungen Æ SWAB

0,189 ***

4,972

H5a (+)

n.s.

H5b (+)

f.

H5d (+)

n.s.

Kundenalter Æ GWAB

-0,010

0,423

Haushaltseinkommen Æ GWAB

-0,037 *

1,557

0,014

0,631

Häufigkeit der Kundenabwanderung Æ GWAB

Legende: 9: Hypothese bestätigt n.s.: Befund nicht signifikant f.: Hypothese falsifiziert Signifikanzniveaus: *: p0,10 **: p0,05 ***: p0,01 (zweiseitiger Test) Tabelle 67: Quelle:

Ergebnisse der Hypothesenprüfung für den Verkehrsdienstleister Eigene Darstellung.

Insgesamt können 18 der 22 aufgestellten Hypothesen des Kausalmodells bestätigt werden. Drei Hypothesen erweisen sich als nicht signifikant. Eine Hypothese wird aufgrund des Hypothesen-konträren Vorzeichens falsifiziert. Allerdings erweisen sich zwei der drei nicht-signifikanten Hypothesen zumindest in der Richtung als hypothesenkonform (H3a, H5d). Im Abschnitt 6.2.4 werden die Ergebnisse der Parameterschätzung detailliert beschrieben, sodass im Folgenden lediglich eine Darstellung der weiteren Gütekriterien des Strukturmodells erfolgt. Für die Effektgröße f2 der erklärenden Variablen wurden die folgenden Resultate ermittelt. GWAB Variablen

2

R

2

incl.

R

excl.

SWAB f

2

Zufriedenheit

0,340

0,338

0,003

Commitment

0,340

0,310

0,045

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,340

0,317

0,035

Kundenwissen

0,340

0,340

0,000

2 incl.

R2excl.

f2

0,205

0,204

0,001

0,208

-0,004

R

Stabilität

0,340

0,262

0,118

Lokus

0,340

0,340

0,000

Kontrollierbarkeit

0,340

0,336

0,006

Wiederaufnahmekosten

0,340

0,307

0,050

Attraktivität der Alternativen

0,340

0,333

0,011

0,205 0,205

0,141

0,081

0,340

0,338

0,003

0,205

0,186

0,024

Variety Seeking Wechselerfahrungen

Legende: R2incl.: Bestimmtheitsmaß mit dem Konstrukt, R2excl.: Bestimmtheitsmaß ohne das Konstrukt, f2: Effektgröße Tabelle 68: Quelle:

Ergebnisse zur Prüfung der Effektgröße des Verkehrsdienstleisters Eigene Darstellung.

220

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Die Variablen Commitment, wahrgenommene Verhaltenskontrolle, Stabilität und Wiederaufnahmekosten weisen jeweils einen moderaten Einfluss (f2 > 0,02) auf die Erklärung der GWAB auf. Die Stabilität zeigt dabei mit einem Wert von 0,118 den größten Effekt auf die GWAB. Nicht substanzielle Einflüsse auf die GWAB gehen hingegen von den Konstrukten ‚Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung’, ‚Kundenwissen’, ‚Lokus’, ‚Kontrollierbarkeit’, ‚Attraktivität der Alternativen’ und ‚Wechselerfahrungen’ aus. In Bezug auf die SWAB weisen die Konstrukte Variety Seeking und Wechselerfahrungen moderate Effekte auf die Erklärung der abhängigen Variable auf. Zur Schätzung der Prognoserelevanz der reflektiven Konstrukte wird das StoneGeisser-Kriterium (Q2) herangezogen. Analog zum Vorgehen bei den VerlagshausDaten werden Variablen wie Kundenalter, Einkommen, Lokus und spezifische Wiederaufnahmebereitschaft nicht berücksichtigt. Die in Tabelle 69 berichteten Befunde belegen, dass alle Werte über dem geforderten Maß von 0 liegen. Damit kann von der Prognoserelevanz des Modells ausgegangen werden.711 Variablen (Total)

SSO

SSE

Attraktivität der Alternativen

5.475,00

4.521,10

1-SSE/SSO 0,17

Commitment

2.190,00

1.737,69

0,21

Kontrollierbarkeit

2.190,00

1.358,89

0,38

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

4.380,00

3.456,23

0,21

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

2.190,00

2.099,39

0,04

Stabilität

3.285,00

3.205,53

0,02

Wechselerfahrungen

3.285,00

2.840,70

0,14

Legende: SSE: Summe der quadrierten Residuen, SSO: Summe der quadrierten Beobachtungen Tabelle 69: Quelle:

Output der Blindfolding-Prozedur zur Bestimmung des Stone-Geisser-Kriteriums Eigene Darstellung.

Mit der Prüfung der Bestimmtheitsmaße, der Höhe und Signifikanz der Pfadkoeffizienten, der Effektgröße und des Stone-Geisser-Kriteriums ist die Gütebeurteilung des Strukturmodells abgeschlossen. Es wird deutlich, dass die Gütemaße die gute Eignung des Strukturmodells zur Überprüfung der a priori postulierten Hypothesen belegen. Im nächsten Abschnitt wird geprüft, welchen Einfluss die validierten Konstrukte generelle und spezifische Wiederaufnahmebereitschaft auf das tatsächliche Wiederaufnahmeverhalten von abgewanderten Kunden des Verkehrsdienstleisters ausüben. Hier711

Für die Blindfolding-Prozedur wurden erneut 500 Samples mit 1.095 Fallwerten in PLS herangezogen.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

221

zu werden die Daten zuerst auf Multikollinearität geprüft und ausgewählte deskriptive Befunde berichtet. Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung und fokussierte Interpretation der Ergebnisse der Logistischen Regression. 6.2.3.3 Ergebnisse der Logistischen Regression Im Rahmen des Rückgewinnungsexperiments konnten von 1.095 Probanden 167 abgewanderte Kunden zur Wiederaufnahme eines Vertrages mit dem Verkehrsdienstleister motiviert werden. Damit sind die beiden Gruppen der Rückkehrer und NichtRückkehrer ungleich groß, sodass aufgrund einer möglichen Verzerrung der Ergebnisse eine Anpassung der beiden Datensätze (15,3% Rückkehrer zu 84,7% NichtRückkehrern) vorgenommen wird. Für diese Arbeit wird der Datensatz der NichtRückkehrer von 928 auf 167 Probanden reduziert. Dabei wurden, um die Unabhängigkeit der Schätzung von der Auswahl des Nicht-Rückkehrer-Datensatzes hin überprüfen zu können, drei neue Datensätze über Zufallsauswahl gebildet.712 Die Abbildung 36 verdeutlicht die Aufteilung des ursprünglichen Datensatzes. 167 Rückkehrer

928 NichtRückkehrer

1.095 Probanden

Abbildung 36: Quelle:

Ist-Situation nach der Rückgewinnung

Neuer Datensatz für die Logistische Regression

167 NichtRückkehrer Drei zufällig ausgewählte Stichproben aus dem Datensatz von 928 Nicht-Rückkehrern

Aufteilung des ursprünglichen Datensatzes für die Logistische Regression Eigene Darstellung.

Die Hypothesen H1a und H1c wurden auf Grundlage dieser Datensätze überprüft.713 Im Folgenden berichteten Modell der Logistischen Regression stellen die generelle und spezifische Wiederaufnahmebereitschaft die unabhängigen Variablen dar, während die abhängige Variable das binäre Datum Rückkehr/Nicht-Rückkehr des Kunden ist.714

712

Insgesamt wurde drei Mal eine Zufallsstichprobe („mit Zurücklegen“) aus der Ursprungsdatei der 928 Nicht-Rückkehrer gezogen. Diese drei Zufallsstichproben wurden jeweils einzeln in die Logistische Regression einbezogen. Die hier aufgeführten Ergebnisse beziehen sich auf die erste Zufallsstichprobe. Die Ergebnisse der anderen beiden Stichproben sind damit weitestgehend vergleichbar. 713 Nach der Identifikation möglicher Ausreißer wurden zwei Fälle aus dem Datensatz gelöscht, sodass in dem im Weiteren berichteten Datensatz 165 Rückkehrer und 167 Nicht-Rückkehrer enthalten sind. 714 Die beiden unabhängigen Variablen wurden mit ihren Faktorwerten in die Logistische Regressionsrechnung integriert (Rückkehr = 1, Nicht-Rückkehr = 0).

222

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Die Schätzung des logistischen Modells hat folgende Globalmaße für das Gesamtmodell ergeben715: Kriterien

Werte

Einschätzung

Devianz (-2LL)

419,606 (df = 329)

Signifikanz erfüllt, p  0,10

Likelihood-Ratio-Test

40,321; p < 0,000

Erfüllung des Kriteriums

McFaddens R

0,006

Geforderter Wert von 0,20 nicht erreicht

Cox & Snells R2

0,115

Geforderter Wert von 0,20 nicht erreicht

Nagelkerkes R2

0,154

Geforderter Wert von 0,20 nicht erreicht

Hosmer-Lemeshow-Test

7,757 (p = 0,458)

geringer 2-Wert erfüllt

2

Legende: df: degrees of freedom (Freiheitsgrade) p: Signifikanzniveau Tabelle 70: Quelle:

Zentrale Gütemaße der Logistischen Regression (Variante 1) Eigene Darstellung.

Im Einzelnen zeigen die Globalmaße eine nur mäßige Anpassungsgüte des Modells. Insbesondere das Pseudo-Bestimmtheitsmaß McFadden R2 liegt deutlich unter dem akzeptablen Wert von 0,2. Hingegen indiziert der Hosmer-Lemeshow-Test eine hohe Anpassungsgüte des Modells. Insgesamt wird mit dem Logistischen Regressionsmodell nur ein geringer Anteil der Varianz aufgedeckt. Gleichwohl ist das Modell als signifikant einzuschätzen, was durch den Wert des Likelihood-Quotienten deutlich wird. Bei der Betrachtung der weiteren Gütekriterien lässt sich feststellen, dass diese akzeptable Ergebnisse aufweisen. Die Klassifikationsmatrix weist eine Trefferquote von 64,76% aus. Danach wurden die Rückkehrer zu 70,91% richtig klassifiziert, d. h., es existieren noch weitere Faktoren, die Einfluss auf die Rückkehr abgewanderter Kunden haben und die durch die beiden Variablen im Modell nicht abgedeckt sind. Der Vergleich der Trefferquote mit dem „maximum chance criterion“ fällt positiv aus, da die Trefferquote von 64,76% höher als das MCC von 50,30% ist (vgl. Tabelle 71).

715

Zu den Schwellenwerten der Gütekriterien vgl. Abschnitt 5.3.2.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

223

Vorhergesagt Rückkehr Beobachtet

0 = Nein

Rückkehr

Prozentsatz der Richtigen

1 = Ja

0 = Nein

98

69

58,68

1 = Ja

48

117

70,91

Gesamtprozentsatz

64,76

Legende: Der Trennwert lautet 0,500 Tabelle 71: Quelle:

Klassifikationsmatrix der Logistischen Regression Eigene Darstellung.

Nach der Beurteilung der globalen Gütemaße gilt es, eine Analyse der Regressionskoeffizienten hinsichtlich Signifikanz, Richtung und relativer Bedeutung vorzunehmen. Entsprechend den a priori postulierten Hypothesen wurden nur zwei Variablen in die logistische Regressionsrechnung einbezogen. In Tabelle 72 werden die Ergebnisse des Modells berichtet. Variable

Regressionskoeffizient

Standardfehler

WaldStatistik

df

Sig.

Exp(B)

GENREACT

0,849

0,147

33,173

1

0,000

2,338

SPREACT

-0,121

0,122

0,990

1

0,320

0,886

Konstante

-0,195

0,123

2,509

1

0,113

0,823

Legende: df: degrees of freedom (Freiheitsgrade), Sig.: Signifikanzniveau (zweiseitiger Test) Tabelle 72: Quelle:

Regressionskoeffizienten, Wald-Statistik und Signifikanzen Eigene Darstellung.

Wie die Regressionskoeffizienten zeigen, geht von der generellen Wiederaufnahmebereitschaft ein hoch signifikanter positiver Einfluss auf die abhängige Variable aus ( = 0,849; p  0,0005). Das heißt, je größer die GWAB ausfällt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Proband der Gruppe der Rückkehrer angehört. Damit ist die Hypothese H1a bestätigt. Dagegen verdeutlicht der zweite Regressionskoeffizient, dass die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft keinen signifikanten Einfluss auf die Wiederaufnahmewahrscheinlichkeit hat ( = -0,121; p  0,16).716 Die Hypothese H1c, dass die spezifische Wiederaufnahmebereitschaft positiv auf die Rückkehrwahrscheinlichkeit einwirkt, konnte somit nicht bestätigt werden. Die Richtung des Regressionskoeffizienten deutet tendenziell sogar auf eine negative Beziehung zwischen der

716

Die aufgeführten Ergebnisse sind der ersten Zufallsstichprobe entnommen. Zwei weitere zufällig gezogene dabei eingesetzte Stichproben von je 334 Probanden bestätigen jedoch die genannten Resulte.

224

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

SWAB und dem Wiederaufnahmeverhalten hin. Kunden mit einer hohen Ausprägung der Variablen SWAB sind somit eher der Gruppe der Nicht-Rückkehrer zuzuordnen. Ein erster Erklärungsansatz für das unerwartete Ergebnis kann in der Höhe des Rückgewinnungsangebots liegen, die experimentell das Wiederaufnahmeverhalten beeinflusst hat. Demnach könnten Kunden mit hohen Ansprüchen an das Unternehmen deutlich weniger häufig zurückgekehrt sein, da ihnen das Angebot mit einem monetären Äquivalent von ca. 10 Euro nicht attraktiv genug erschien. Über einen Mittelwertvergleich wurde ergänzend geprüft, ob sich die Rückkehrer von den Nicht-Rückkehrern hinsichtlich der Höhe der spezifischen Wiederaufnahmebereitschaft signifikant unterscheiden. Dabei konnte festgestellt werden, dass es keine signifikanten Unterschiede in den Mittelwertnennungen gibt.717 Um von der SWAB potenziell auf das Wiederaufnahmeverhalten schließen zu können, sind ggf. weitere Faktoren wie z. B. die Erfüllung der SWAB bzw. die Höhe des Rückgewinnungsangebots einzubeziehen. Da hier sämtliche Angebote einen ähnlichen monetären Wert aufweisen, konnte diese ergänzende Prüfung im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht vorgenommen werden. Über die postulierten Zusammenhänge hinaus wurde im Rahmen einer explorativen Betrachtung eine zweite Schätzung aller unabhängigen Konstrukte und ihres Einflusses auf das Wiederaufnahmeverhalten in einem erweiterten Logistischen Regressionsmodell vorgenommen, um mögliche weitere Effekte bestimmen zu können (Schätzung 2).718 Vorab wurden die Konstrukte auf Multikollinearität geprüft. Eine Überprüfung der Korrelationsmatrix hat gezeigt, dass zwar statistisch signifikante Korrelationen zwischen einzelnen unabhängigen Konstrukten bestehen, diese aber nicht als substanziell anzusehen sind. Es zeigt sich, dass lediglich die vier Konstrukte ‚Commitment’, ‚Lokus’, ‚Kontrollierbarkeit’ und ‚Wechselerfahrungen’ mit anderen Konstrukten substanziell korrelieren, d. h. eine bivariate Korrelation von größer 0,5 aufweisen.719 Der Test auf Autokorrelation über den Durbin/Watson-Test für die Gesamtstichprobe von 1.095 Probanden hat ergeben, dass keine Autokorrelation zwischen den Residuen der unabhängigen Variablen vorliegt.720 Erneut erweist sich die generelle Wiederaufnahmebereitschaft als der nachhaltigste Faktor, der das Wieder717

Der Mann-Whitney-U-Test weist ein Signifikanzniveau von p < 0,944 (zweiseitiger t-Test) auf. Damit ergeben sich keine Gruppenunterschiede bzgl. der Höhe der SWAB. 718 Die Ergebnisse der Schätzung 2 mit allen Konstrukte können für die erste Zufallsstichprobe bei der Verfasserin angefragt werden. Vgl. Fußnote 717. 719 Die vollständige Darstellung der Korrelationsmatrix der Konstrukte kann bei der Verfasserin angefragt werden. 720 Koeffizienten um den Wert 2 sprechen von geringer Autokorrelation zwischen den Residuen.

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

225

aufnahmeverhalten erklärt. Die generelle Wiederaufnahmebereitschaft hat einen hochsignifikanten, positiven Einfluss auf das Rückkehrverhalten ( = 0,934; p  0,0005). Darüber hinaus üben die Konstrukte Lokus (hier: Unternehmen, = 0,400; p  0,05), Kundenwissen ( = 0,205; p  0,10) und Wiederaufnahmekosten ( = 0,195; p  0,10) einen signifikanten, positiven Einfluss auf das Wiederaufnahmeverhalten aus. Negativ auf das Kundenverhalten wirkt die Stabilität (der Abwanderungsgründe) ( = -0,234; p  0,10). Diese Resultate können als erster Anhaltspunkt dafür dienen, welche zusätzlichen Faktoren in ein modifiziertes Modell zur Erklärung des Wiederaufnahmeverhaltens früherer Geschäftsbeziehungen aufgenommen werden könnten. In einer Studie zur Rückkehr von Mobilfunkkunden haben die Faktoren des Variety Seeking, Involvement, Kundenalters und die Kundenzufriedenheit mit der Geschäftsbeziehung einen signifikanten Einfluss auf das Wiederaufnahmeverhalten ausgeübt.721 In der vorliegenden Arbeit konnten diese Befunde nicht gestützt werden, denn die Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung ( = 0,046, p = 0,785) und das Variety Seeking ( = -0,091; p = 0,547) erwiesen sich für das Logistische Regressionsmodell als nicht signifikant.

721

Vgl. Homburg/Hoyer/Stock (2006), S. 18-21.

226

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

6.2.4 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse Die Analyse der Bestimmtheitsmaße des Strukturmodells hat ergeben, dass die erklärte Varianz der zentralen abhängigen Konstrukte der GWAB und SWAB mit Werten von 0,340 bzw. 0,205 gute Werte aufweist. Jedoch zeigen die Maße auch, dass darüber hinaus weitere Bestimmungsfaktoren existieren. Leider konnten auch für den Verkehrsdienstleister nicht alle Hypothesen geprüft werden. So musste auf die Prüfung der Hypothese H5c (Kundenabwesenheitsdauer Æ GWAB) verzichtet werden, da anders als im Fall des Verlagshauses keine Daten zur Kundenabwesenheit vorlagen. Im Rahmen der Hypothesenprüfung wurden 18 von 22 Hypothesen des Kausalmodells bestätigt. Die einzelnen Ergebnisse der Parameterschätzung der drei Dimensionen und zusätzlichen soziodemografischen Daten und Beziehungsdimensionen werden nun im Weiteren diskutiert. Innerhalb der Kundenmotivationen weisen die Konstrukte Commitment (H2c: = 0,222; p  0,01) und wahrgenommene Verhaltenskontrolle (H2d: = 0,180; p  0,01) die stärksten positiven Einflüsse auf die GWAB auf. Je verbundener also ein Kunde mit dem Unternehmen ist bzw. je stärker er seine eigenen Handlungen meint beeinflussen zu können, desto höher ist seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen. Die Zufriedenheit mit der früheren Geschäftsbeziehung ist zwar ebenfalls signifikant, weist jedoch nur einen sehr niedrigen Pfadkoeffizienten auf (H2a: = 0,068; p  0,05). Darüber hinaus wirkt die Zufriedenheit v. a. indirekt über das Commitment auf die GWAB ein (H2b: = 0,528; p  0,01). Somit ist der Kundenzufriedenheit auch an dieser Stelle eine wichtige, aber in erster Linie indirekte, Bedeutung zuzuschreiben. Das Kundenwissen trägt nur wenig zur Erklärung der GWAB bei (H2e: = 0,060; p  0,05). Demnach beeinflusst ein höheres Wissen über den Markt und den Verkehrsdienstleister zwar die Bereitschaft zur Wiederaufnahme, hat aber im Vergleich zu anderen Faktoren nur eine nachrangige Bedeutung. Bezieht man jedoch die indirekte Wirkung des Konstrukts ‚Kundenwissen’ über die wahrgenommene Verhaltenskontrolle mit ein (H2f: = 0,231; p  0,01), zeigt sich insgesamt ein sehr substanzieller Effekt des Kundenwissens auf die GWAB. Von den drei Abwanderungsattributionen hat die Stabilität die stärkste Wirkung auf die GWAB (H3d: = -0,292; p  0,01). Somit reduziert auch hier – wie im Falle der Verlagskunden – die Wahrnehmung stabiler Abwanderungsgründe die Bereitschaft zur Wiederaufnahme. Die Hypothesen zur Wirkung des Lokus (H3a, H3b und H3c) konnten in zwei Fällen bestätigt werden. Der Verursacher einer Abwanderung (hier: Unternehmen) hat keine signifikante Wirkung auf die GWAB (H3a: = -0,041; n.s.).

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

227

Somit ist die Hypothese H3a nicht bestätigt, weist aber über die Richtung des Pfadkoeffizienten auf einen tendenziell negativen Zusammenhang hin. Danach reduziert die Zuschreibung des Abwanderungsgrunds auf das Unternehmen die generelle Bereitschaft zur Wiederaufnahme. Für Unternehmen können diese Attributionszuschreibungen eine wichtige Rolle einnehmen, da die GWAB ausschlaggebend für das tatsächliche Wiederaufnahmeverhalten ist. Der Lokus hat jedoch – ähnlich wie beim Verlagshaus – eine hohe Bedeutung auf die anderen beiden Dimensionen der Attributionen, und wirkt damit über diese mediierenden Faktoren indirekt auf die GWAB. Danach zeigt die Hypothese H3b einen hohen positiven Einfluss des Lokus auf die Stabilität der Abwanderungsgründe (H3b: = 0,229; p  0,01). Je stärker die Abwanderungsentscheidung also auf das Unternehmen bezogen wird, desto stabiler werden die Abwanderungsgründe wahrgenommen. Der Befund der Hypothese H3c zeigt einen noch stärkeren Einfluss des Lokus auf die Kontrollierbarkeit der Abwanderungsgründe. Der Effekt des Konstrukts Lokus auf die Kontrollierbarketi weist darauf hin, dass bei einem ausgeprägten Lokus (hier: Unternehmen) das Ausmaß der Kontrollierbarkeit höher ausfällt (H3c: = 0,681; p  0,01). Die Kontrollierbarkeit hat auf die GWAB (H3e: = 0,106; p  0,01) einen positiven Einfluss. Danach fällt die generelle Wiederaufnahmebereitschaft von Kunden höher aus, bei denen das Unternehmen Kontrolle über die Abwanderungsgründe hat. Der negative Effekt der Stabilität dürfte nach Ansicht der Verfasserin den positiven Effekt der Kontrollierbarkeit auf die GWAB überlagern, sodass von einer Reduzierung der kausalen Beziehung auf die GWAB ausgegangen werden kann, wenn der Lokus des Abwanderungsgrunds auf das Unternehmen bezogen wird.722 Die Analyse der Pfadkoeffizienten innerhalb der Dimensionen des Wettbewerbs und des explorativen Verhaltens verdeutlicht, dass die GWAB durch die Faktoren der Wiederaufnahmekosten (H4a: = -0,201; p  0,01) und der Wechselerfahrungen (H4e: = 0,078; p  0,01) beeinflusst wird. Allerdings fällt der Pfadkoeffizient der Wechselerfahrungen mit 0,078 vergleichsweise niedrig aus. Auch die Attraktivität der Alternativen trägt zur Erklärung der GWAB bei (H4b: = -0,106; p  0,01). Danach gilt hypothesenkonform, dass mit Zunahme der Attraktivität der Alternativen die Bereitschaft zur Wiederaufnahme sinkt. Sowohl das (intrinsisch motivierte) Variety Seeking (H4d: = 0,293; p  0,01) als auch die Wechselerfahrungen (H4g: = 0,189; p  0,01) üben einen hohen positiven Einfluss auf die SWAB aus. Somit gilt, dass mit zunehmendem Wunsch nach Abwechslung bzw. umfassenderen Wechselerfahrungen die

722

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 7.3.

228

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

Erwartungen an das Unternehmen hinsichtlich der Rückgewinnungsaktivitäten zunehmen. Die Analyse der Wirkungsbeziehungen der soziodemografischen Variablen hat ergeben, dass vom Kundenalter kein signifikanter Einfluss auf die GWAB ausgeht (H5a: = -0,010; n.s.). Die postulierte positive Wirkungsbeziehung des Haushaltseinkommens auf die GWAB wurde falsifiziert, wobei dieser Befund nur schwach signifikant ist (H5b: = -0,037; p  0,10). Demnach muss bei zunehmendem Haushaltseinkommen mit einer sinkenden GWAB gerechnet werden.723 Ein erster Erklärungsansatz kann darin liegen, dass sich bei höherem Einkommen andere Transportwege für die Reisen anbieten (z. B. Business Class-Flüge), evtl. auch weniger gereist wird und somit die Vergünstigungen des Abonnements keine Relevanz für den Kunden haben, sodass sich seine Bereitschaft für einen neuen Vertrag reduziert. Im Rahmen weiterer Beziehungsdimensionen wurde die Wirkung der Häufigkeit der Kundenabwanderung auf die GWAB untersucht. Hier konnte keine signifikante Wirkung festgestellt werden (H5d: = 0,014; n.s.). Danach hat die Anzahl der Kündigungen des Vertrags in der Vergangenheit keinen Einfluss auf die Bereitschaft zur Wiederaufnahme. Die Logistische Regression hat ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Vertrag bei dem Verkehrsdienstleister erneut abzuschließen, im Wesentlichen durch die GWAB beeinflusst wird. Kunden, die eine hohe GWAB aufweisen, haben somit – wie postuliert – eine hohe Wahrscheinlichkeit, zum Unternehmen zurückzukehren. Dieser Befund hat nur vorläufigen Charakter. Zukünftige Beiträge sollten der Frage gewidmet sein, welche weiteren Einflussgrößen des Rückkehrverhaltens existieren. Auch der nicht-signifikante Effekt der SWAB auf das Rückkehrverhalten bedarf zusätzlicher Analysen. 6.3 Zusammenfassende Betrachtung beider Unternehmensstudien Zunächst soll eine Schilderung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Teilstudien erfolgen, bevor in Unterabschnitt 6.3.3 detailliert auf die Hypothese H6 eingegangen wird, nach der die Wiederaufnahmebereitschaften (GWAB und SWAB) der beiden Unternehmen unterschiedlich hoch sind. In der folgenden Abbildung 37 sind die Wirkungsbeziehungen sowohl für das Verlagshaus als auch den Verkehrsdienstleister grafisch dargestellt. Im Anschluss daran werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Mess- und Strukturmodelle ausführlich beschrieben.

723

Eine Untersuchung im Bankenbereich hat dagegen einen positiven Zusammenhang zwischen Einkommen und WAB erbracht. Vgl. Michalski (2002), S. 160-167.

Abbildung 37: Quelle:

B

0,171*** (0,189***)

Attraktivität der Alternativen

0,071** (0,078***)

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,251*** (0,293***)

0,411*** (0,521***)

-0,223*** (-0,201***)

0,025 (0,060**)

0,125*** (0,231***)

0,252*** (0,222***)

0,047 (0,068*)

A

-0,030 (-0,106***)

0,128*** (0,180***)

0,082** (-0,041)

Lokus

Spezifische Wiederaufnahmebereitschaft

0,434*** (0,171***)

0,408*** (0,681***)

C

Wiederaufnahmeverhalten

Weitere Beziehungsdimensionen

Soziodemografische Daten

Legende: Die jeweils oben aufgeführten Pfadkoeffizienten mit den Signifikanzniveaus entsprechen denen des Verlagshauses, die in Klammern gesetzten sind dem Verkehrsdienstleister zuzuordnen.

0,095*** (0,106***)

Kontrollierbarkeit

Generelle Wiederaufnahmebereitschaft

-0,319*** (-0,292***)

Stabilität

0,148*** (0,229***)

Empirische Ergebnisse der Strukturgleichungsanalyse für beide Unternehmen Eigene Darstellung.

Variety Seeking

0,390*** (0,436***)

Wechselerfahrungen

Wiederaufnahmekosten

Kundenwissen

Commitment

0,417*** (0,528***)

Generelle Zufriedenheit

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

229

230

Empirische Bestimmung der Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen

6.3.1 Gemeinsamkeiten der beiden Teilstudien Die Operationalisierung der Messmodelle beider Unternehmen hat sehr große Übereinstimmungen aufgezeigt. Trotz einiger, eher vernachlässigbarer Unterschiede in den Indikatorreliabiltäten sind die Messmodelle beider Unternehmen identisch operationalisiert worden. Die im Modell betrachteten Konstrukte konnten alles in allem valide gemessen werden und weisen zudem eine hinreichende nomologische Validität auf. Daher ist es möglich, eine Analyse und einen Vergleich der beiden Strukturgleichungsmodelle vorzunehmen. Auch in der Schätzung der Strukturmodelle wurden weitestgehend sehr ähnliche Befunde festgestellt. Der Vergleich der Bestimmtheitsmaße zeigt eine große Übereinstimmung bei den Variablen der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, der Stabilität und den Wechselerfahrungen. Jedoch unterscheiden sich die Bestimmtheitsmaße der beiden Konstrukte der Wiederaufnahmebereitschaften hinsichtlich ihrer Höhe.724 Bei dem Vergleich der Effektgröße wird deutlich, das für beide Untersuchungen dieselben Variablen moderate Einflüsse bei der Erklärung der GWAB bzw. der SWAB zeigen. Insbesondere das Commitment, die wahrgenommene Verhaltenskontrolle, die Stabilität und die Wiederaufnahmekosten üben einen moderaten Einfluss auf die GWAB aus, während das Variety Seeking und die Wechselerfahrungen die SWAB in moderater Weise bestimmen. Darüber hinaus können die Höhe und Signifikanzen der Pfadkoeffizienten zum Vergleich beider Branchen herangezogen werden. Die Tabelle 73 weist den direkten Vergleich der Wirkungsbeziehungen des Verlagshauses und des Verkehrsdienstleisters im Detail aus, die für beide Teilstudien sehr ähnlich ausgefallen sind. Verlagshaus

Verkehrsdienstleister

Wirkungsbeziehungen

Pfadkoef- t-Wert fizient

Pfadkoef- t-Wert fizient

H1b

GWAB Æ SWAB

0,434***

10,077

0,171***

5,868

H2b

Zufriedenheit Æ Commitment

0,417***

11,470

0,528***

22,289

Hypothese

H2c

Commitment Æ GWAB

0,252***

6,055

0,222***

6,987

H2d

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Æ GWAB

0,128***

3,154

0,180***

5,326

Fortsetzung auf der nächsten Seite

724

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 6.3.2.

Schlussfolgerungen und Ausblick

231

Fortsetzung H2f

Kundenwissen Æ Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

0,125***

H3b

Lokus Æ Stabilität

0,148***

2,924

0,229***

6,607

H3c

Lokus Æ Kontrollierbarkeit

0,408***

8,791

0,681***

35,383

H3d

Stabilität Æ GWAB

-0,319***

8,209

-0,292***

10,747

H3e

Kontrollierbarkeit Æ GWAB

0,095**

2,345

0,106***

2,807

H4a

Wiederaufnahmekosten Æ GWAB

-0,223***

5,054

-0,201***

6,875

H4c

Variety Seeking Æ Wechselerfahrungen

0,390***

9,860

0,436***

16,908

H4d

Variety Seeking Æ SWAB

0,251***

5,679

0,293***

8,728

H4e

Wechselerfahrungen Æ GWAB

0,071**

1,782

0,078***

2,432

H4f

Wechselerfahrungen Æ Attraktivität der Alternativen

0,411***

10,839

0,521***

21,945

H4g

Wechselerfahrungen Æ SWAB

0,171***

3,323

0,189***

4,972

H5d

Abwanderungshäufigkeit Æ GWAB

-0,039

1,244

0,014

0,631

2,562

0,231***

7,540

Legende: Signifikanzniveaus: *: p