Interregionale Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie : eine empirische Analyse 9783835054073, 3835054074 [PDF]

Preliminary; Einleitung; Basiskonzepte und Indikatoren zur Erfassung von Wissen und Wissensspillovers; Europäische High

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Interregionale Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie : eine empirische Analyse
 9783835054073, 3835054074 [PDF]

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Zitiervorschau

Thomas Scherngell Interregionale Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT

Thomas Scherngell

Interregionale Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie Eine empirische Analyse

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Wien und Wirtschaftsuniversität Wien, 2006

1. Auflage August 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Viktoria Steiner Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0732-1

Vorwort Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit interregionalen Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie. Wissensspillovers rückten in den letzten Jahren aufgrund ihrer großen Bedeutung für ökonomisches Wachstum immer stärker ins Zentrum des Erkenntnisinteresses der Wirtschaftsgeographie. Die Geographie von Wissensspillovers ist jedoch noch weitgehend unerforscht. Durch die Analyse europäischer High-Tech Patentzitierungen wird in dieser Arbeit die Spur, die Wissensspillovers hinterlassen, verfolgt und damit die geographische Dimension dieser zu erfassen versucht. Mein besonderer Dank gilt o. Univ. Prof. Dr. Manfred M. Fischer für seine umfassende inhaltliche und methodische Unterstützung. Ich möchte mich zudem bei o.Univ. Prof. Mag. Dr. Helmut Wohlschlägl für wertvolle Anregungen bedanken. Die zur Durchführung dieser Studie notwendigen Daten wurden vom Institut für Wirtschaftsgeographie und Geoinformatik der Wirtschaftsuniversität Wien zur Verfügung gestellt. Ich widme dieses Buch meinen Eltern, Johann und Sabine Scherngell, und bedanke mich für ihre Unterstützung. Ganz besonders möchte ich mich auch bei Frau B.S. Yu Hou für ihre Zuneigung und ihren emotionalen Beistand bedanken. Für die technische Unterstützung bedanke ich mich herzlichst bei Mag. Katarina Kobesova. Ohne ihre umfassende Programmiertätigkeit für die verwendete Datenbank wäre die Durchführung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Für weitere technische und fachliche Hilfestellungen bedanke ich mich bei MMag. Eva Maria Jansenberger, Werner Loidhold und MMag. Martin Reismann. Ich hoffe, mit dieser Arbeit einen Beitrag zur Erforschung der Geographie sowie zur messtechnischen Erfassung und Modellierung von Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie zu leisten.

Thomas Scherngell

V

Inhalt Vorwort................................................................................................................................V Inhalt.................................................................................................................................VII Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................... IX Tabellenverzeichnis ....................................................................................................... XIII 1 Einleitung........................................................................................................................1 2 Basiskonzepte und Indikatoren zur Erfassung von Wissen und Wissensspillovers ...........................................................................................................7 2.1 Wissen und Wissensproduktion ...............................................................................7 2.2 Patente als Indikator zur Messung von Wissen......................................................18 2.3 Technologische Wissensspillovers.........................................................................34 2.4 Patentzitierungen als Indikator zur Messung von Wissensspillovers ....................40 3 Europäische High-Tech Patente und Patentzitierungen – Eine explorative Analyse ..........................................................................................................................47 3.1 Abgrenzung des Untersuchungsraums und der High-Tech Industrie ....................47 3.2 Europäische High-Tech Patente – Datendeskription und geographische Verteilung...............................................................................................................60 3.3 Europäische High-Tech Patentzitierungsflüsse......................................................81 4 Europäische High-Tech Patentzitierungen – Eine explanatorische Analyse .......111 4.1 Der Case-Control-Matching Ansatz.....................................................................112 4.2 Das Modell Interregionaler Patentzitierungen .....................................................118 4.3 Sektorale räumliche Interaktionsmodelle............................................................129 5

Zusammenfassung und Ausblick.............................................................................135

Literatur ...........................................................................................................................141 Anhang..............................................................................................................................149

VII

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Begriffshierarchie von Wissen, Information und Daten ......................................................8 Abb. 2: Vier Arten der Wissenstransformation ..............................................................................15 Abb. 3: Die Wissensspirale.............................................................................................................16 Abb. 4: Patentanmeldungen am EPO von 1978 bis 2004...............................................................21 Abb. 5: Die Vertrags- und Erstreckungsstaaten des EPO...............................................................22 Abb. 6: Das EPO im Gefüge nationaler und internationaler Patentämter.......................................22 Abb. 7: Titelblatt einer europäischen Patentschrift.........................................................................25 Abb. 8: Verfahren zur Anmeldung eines EPO-Patents...................................................................28 Abb. 9: Beispiel einer Patentzitierung ............................................................................................42 Abb. 10: Zitierungen erster und zweiter Ordnung ............................................................................43 Abb. 11: Das Untersuchungsgebiet und dessen regionale Gliederung .............................................50 Abb. 12: EPO-High-Tech Patente nach Anmeldejahr (1985 – 2002)...............................................63 Abb. 13: EPO-High-Tech Patente pro High-Tech Sektor ................................................................64 Abb. 14: Verteilung regionaler High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985 – 2002) ..................................................................................................................................66 Abb. 15: Boxplot zur Verteilung regionaler High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985 – 2002).....................................................................................................................67 Abb. 16: Geographische Verteilung von High-Tech EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten High-Tech Patenten (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) .....................................................68 Abb. 17: Geographische Verteilung von Pharmazeutik-EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten PharmazeutikPatenten..............................................................................................................................71 Abb. 18: Geographische Verteilung von Elektronik-EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten ElektronikPatenten..............................................................................................................................72 Abb. 19: Geographische Verteilung von Computer- und Büromaschinen- EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Computer- und Büromaschinen-Patenten ..........................................................................73

IX

Abb. 20: Geographische Verteilung von Luft- und Raumfahrt-EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Luft- und Raumfahrt-Patenten ...........................................................................................74 Abb. 21: Moran-Scatterplot zur High-Tech Patentaktivität in europäischen Regionen (1985-2002) .......................................................................................................................79 Abb. 22: Lokale räumliche Autokorrelation der High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985-2002) .......................................................................................................80 Abb. 23: Durchschnittlich erhaltene und gemachte Zitierungen von High-Tech Patenten (1985 – 2002).....................................................................................................................84 Abb. 24: Frequenz interregionaler Patentzitierungen (vertikale Achse) versus Anzahl der Zitierungen (horizontale Achse) ........................................................................................86 Abb. 25: Verteilung von rückwärts gerichteten Zitierungslags nach dem Anteil der Zitierungen.........................................................................................................................88 Abb. 26: Verteilung von rückwärts gerichteten Zitierungslags nach dem Anteil der Zitierungen (kumuliert)......................................................................................................88 Abb. 27: Verteilung von vorwärts gerichteten Zitierungslags nach deren Anteil an den Zitierungen für ausgewählte Kohorten zitierter Patente ....................................................89 Abb. 28: Interregionale High-Tech Wissensspillovers in Europa (1985-2002): A. Spillover generierende Regionen, B. Spillover absorbierende Regionen (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ....................................................................92 Abb. 29: Interregionale High-Tech Wissensspillovers in Europa (1985-2002) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ....................................................................95 Abb. 30: Mittlere Luftliniendistanz der Zitierungen einer Region (gesamte regionale erhaltene und gemachte Zitierungen).................................................................................96 Abb. 31: Durchschnittlich erhaltene Patentzitierungen pro zitiertem Patent in den vier High-Tech Sektoren...........................................................................................................97 Abb. 32: Durchschnittlich gemachte Patentzitierungen pro zitierendem Patent in den vier High-Tech Sektoren...........................................................................................................98 Abb. 33: Verteilung der rückwärts gerichteten Zitierungslags in den vier High-Tech Sektoren .............................................................................................................................99 Abb. 34: Interregionale Wissensspillovers in der pharmazeutischen Industrie Europas (1985-2002) .....................................................................................................................100 Abb. 35: Interregionale Wissensspillovers in der elektronischen Industrie und Kommunikation in Europa (1985-2002)..........................................................................101

X

Abb. 36: Interregionale Wissensspillovers in der Computer- und BüromaschinenIndustrie Europas (1985-2002) ........................................................................................102 Abb. 37: Interregionale Wissensspillovers in der Luft- und Raumfahrt Europas (19852002) ................................................................................................................................103 Abb. 38: Globale räumliche Autokorrelation von erhaltenen und gemachten regionalen High-Tech Patentzitierungen für verschiedene Nächste-Nachbarn Gewichtsmatrizen ............................................................................................................106 Abb. 39: Moran-Scatterplots zur Patentzitierungsaktivität, A. Erhaltene Zitierungen, B. Gemachte Zitierungen......................................................................................................107 Abb. 40: Lokale räumliche Autokorrelation der High-Tech Patentzitierungsaktivität in europäischen Regionen, A. Erhaltene Zitierungen, B. Gemachte Zitierungen................108 Abb. 41: Beispiel für ein Originalpatent mit einem dazu gehörigen zitierenden Patent und einem Kontrollpatent .......................................................................................................113 Abb. 42: Test der geographischen Lokalisierung von Patentzitierungen .......................................115

XI

Tabellenverzeichnis Tab. 1:

Zwei verschiedene Wissensarten .......................................................................................10

Tab. 2:

IPC-Sektionen....................................................................................................................29

Tab. 3:

Aufschlüsselung einer IPC-Klasse nach verschiedenen Ebenen .......................................30

Tab. 4:

Stärken und Schwächen von Patentdaten als Messgröße für Wissensproduktion .............34

Tab. 5:

Transferkanäle für Wissensspillovers ................................................................................37

Tab. 6:

Durchschnittliche Anzahl an Zitierungen pro Patentanmeldung (1999) ...........................46

Tab. 7:

Anzahl der Regionen nach NUTS-Ebenen in den untersuchten Ländern..........................48

Tab. 8:

Ober- und Untergrenze der mittleren Bevölkerungszahl von NUTS-Regionen ................50

Tab. 9:

Klassifizierung von 22 ISIC-Industriesektoren nach ihrer Technologieintensität.............54

Tab. 10: Anteil der High-Tech Exporte an den gesamten Exporten in ausgewählten Ländern (1990-2000) .........................................................................................................56 Tab. 11: Anteil der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung (in %) in den untersuchten Ländern im Vergleich zu USA und Japan (1996-2001) ...............................57 Tab. 12: High-Tech IPC-Klassen (3-Steller-Ebene) ........................................................................61 Tab. 13: Benötigte Informationen über ein Patent ...........................................................................61 Tab. 14: Deskriptive Statistiken zu regionalen High-Tech Patenten in Europa (1985-2002) .......................................................................................................................64 Tab. 15: Jarque-Bera-Tests der regionalen High-Tech Patente in Europa (1985-2002) ..................66 Tab. 16: Top 25 Regionen der High-Tech Patentaktivität in Europa (1985-2002) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ....................................................................69 Tab. 17: High-Tech Patentaktivität (1985-2002) in europäischen Ländern.....................................70 Tab. 18: Herfindal-Indizes für vier High-Tech Sektoren .................................................................75 Tab. 19: Globale räumliche Autokorrelation der High-Tech Patentaktivitäten in Europa (1985-2002) .......................................................................................................................77 Tab. 20: Deskriptive Statistik über Patentzitierungen zwischen 188 europäischen Regionen [zitierte Patente 1985-1997, zitierende Patente 1990-2002] (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006) ...................................................................................85 Tab. 21: Jarque-Bera-Tests von High-Tech Patentzitierungen zwischen europäischen Regionen (1985-2002) .......................................................................................................86 XIII

Tab. 22: Zitierende Patente (1985-1997) und erhaltene Zitierungen in den Untersuchungsländern .......................................................................................................90 Tab. 23: Gemachte und erhaltene Zitierungen in den Untersuchungsländern .................................91 Tab. 24: Wissensflüsse der Top-25-Regionen der High-Tech Patentaktivität in Europa (1985-2002) .......................................................................................................................94 Tab. 25: Sektorale Zitierungsmatrix ................................................................................................99 Tab. 26: Sektorale High-Tech Patentzitierungen in Europa...........................................................104 Tab. 27: Globale räumliche Autokorrelation der Patentzitierungszuflüsse und -abflüsse in europäischen Regionen (1985-2002) ...............................................................................105 Tab. 28: Deskriptive Statistiken zu den Kontrollsamples (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ..........................................................................................................114 Tab. 29: Test der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierten High-Tech Patenten (Originalpatente) mit zitierenden High-Tech Patenten und „Kontrollpatenten“ (1990er und 1995er Sample) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ...................116 Tab. 30: Test der geographischen Lokalisierung von High-Tech Patentzitierungen in ausgewählten Regionen (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) ...........................117 Tab. 31: Das Modell Interregionaler Patentzitierungen – Poisson Modellspezifikation und Negativ-Binomial Modellspezifikation (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006) [N=35,156 Observationen; asymptotische Standardfehler in Klammer] .........................................................................................................................127 Tab. 32: Sektorale räumliche Interaktionsmodelle im Vergleich zum Interaktionsmodell der gesamten High-Tech Industrie [N=35.156 Observationen; asymptotische Standardfehler in Klammer] ............................................................................................131

XIV

1

Einleitung

Wissensspillovers rückten in den letzten Jahren stärker ins Zentrum des Erkenntnisinteresses der Wirtschaftsgeographie, insbesondere im Kontext der neuen Wachstumstheorie (vgl. beispielsweise, Romer 1990, Krugman 1991). Die Globalisierung der Weltwirtschaft, kürzere Produktlebenszyklen und der rasante technologische Wandel erhöhen den Druck auf Unternehmungen, im Innovationswettbewerb zu bestehen. Aufgrund der Komplexität des Innovationsprozesses sind Unternehmungen gezwungen, neben dem unternehmensinternen Wissen externes Wissen für den eigenen Produktionsprozess zu verwenden. Technologie- und Innovationspolitiken zahlreicher nationaler und supranationaler Regierungen zielen daher in verstärktem Maß darauf ab, Wissensspillovers zu stimulieren und adäquate Rahmenbedingungen für eine möglichst breite Wissensdiffusion zu ermöglichen (Fischer 2001a). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in diesem Kontext mit räumlichen Wissensspillovers zwischen europäischen Regionen. Räumliche Spillovers sind externe Effekte zwischen Einheiten eines räumlich definierten Systems, wobei diese Effekte unentgeltlich sind, oder ein geringerer Preis als deren Wert dafür bezahlt wird (vgl., beispielsweise, Karlsson und Manduchi 2001). Innerhalb der unterschiedlichen Arten von Spillovereffekten kommt jenen, die im Zusammenhang mit Wissensproduktion und Innovation entstehen, eine besondere Bedeutung zu. Diese entgeltlosen Wissenstransfers bzw. technologischen Externalitäten werden in der Literatur als technologische Wissensspillovers bezeichnet und stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Die Betrachtung wird auf Wissensspillovers in der High-Tech Industrie eingeschränkt, da neues technologisches Wissen eine besondere Rolle in diesen Industrien spielt, und Wissensexternalitäten daher weiter verbreitet sind als in anderen Industrien (Bernstein und Nadiri 1988). Zielsetzung der Arbeit ist erstens die Erfassung der geographischen Verbreitung von Wissensproduktion und Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie, wobei die Messung des Einflusses der Separationsvariablen geographische Distanz und Ländergrenzen auf die Intensität der Wissensspillovers im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht. Zweitens sollen potentielle Unterschiede in der Stärke des Einflusses von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf intrasektorale Wissensspillovers in den betrachteten High-Tech Sektoren identifiziert werden. In der Literatur besteht zwar breite Einigkeit darüber, dass Wissensspillovers zwischen Individuen, Unternehmen oder Regionen auftreten, die Limitierung von Wissensspillovers durch geographische Distanz ist jedoch umstritten (vgl., beispielsweise, Jaffe 1989, Romer 1990, Fischer 2001a, Karlsson und Manduchi 2001, Karlsson, Flensburg und Hörte 2004). „A fundamental question by the research of knowledge spillovers is whether these spillovers are spatially bounded or not” (Karlsson und Manduchi 2001, S. 111). Ob Ländergrenzen eine signifikante Barriere für technologische Wissensspillovers in der High-Tech Industrie darstellen, ist eine im Kontext der Vereinheitlichung der 1

europäischen Technologiepolitik bzw. der Schaffung eines europäischen Innovationssystems zentrale Fragestellung (Rodrigues 2003). .UXJPDQ  6   PHLQW ³.QRZOHGJH ÀRZV « DUH LQYLVLEOH WKH\ OHDYH QR SDSHU WUDLOE\ZKLFKWKH\PD\EHPHDVXUHGDQGWUDFNHG´'LHVH$UEHLWSUlVHQWLHUWHLQHQ$QVDW] EHL GHP :LVVHQVVSLOORYHUV GXUFK GLH 6SXU GLH VLH LQ )RUP YRQ 3DWHQW]LWLHUXQJHQ KLQWHUODVVHQ HUIDVVEDU VLQG XQG LP 6SH]LHOOHQ GLH QRFK ZHLWJHKHQG XQHUIRUVFKWH UlXPOLFKH 'LPHQVLRQYRQ:LVVHQVVSLOORYHUVLQ(XURSDDQDO\VLHUWZHUGHQNDQQ'LH(UIRUVFKXQJGHU UlXPOLFKHQ:LVVHQVVSLOORYHUV]ZLVFKHQGHQ5HJLRQHQHUIROJWLP$OOJHPHLQHQDXIGHUJHoJUDSKLVFKHQ $JJUHJDWLRQVHEHQH YRQ 18765HJLRQHQ GHU (XURSlLVFKHQ 8QLRQ 'DV 8QWHUVXFKXQJVJHELHWXPIDVVWGLHHQWVSUHFKHQGHQ18765HJLRQHQGHU(8/lQGHU RKQH 0DOWDXQG=\SHUQ VRZLHGLH/lQGHU6FKZHL]1RUZHJHQ%XOJDULHQXQG5XPlQLHQ=XU (UIDVVXQJYRQ:LVVHQVVSLOORYHUVZHUGHQPatentzitierungenYRQDP(XURSlLVFKHQ3DWHQWDPW (32 DQJHPHOGHWHQ3DWHQWHQKHUDQJH]RJHQ$P(32YHU|IIHQWOLFKWH3DWHQWGRNXPHQWHHQWKDOWHQ5HIHUHQ]HQE]Z=LWLHUXQJHQDXI3DWHQWGRNXPHQWHYRQIUKHUDQJHPHOGHWHQ3DWHQWHQ DXIGHUHQ:LVVHQGDVQHXDQJHPHOGHWH3DWHQWDXIEDXWÄ«NQRZOHGJHÀRZVGRVRPHWLPHV OHDYHDSDSHUWUDLOLQWKHIRUPRIFLWDWLRQVLQSDWHQWV³ -DIIH7UDMWHQEHUJXQG+HQGHUVRQ 6 (VZLUGDUJXPHQWLHUWGDVV3DWHQW]LWLHUXQJHQDXIIUKHUHQWZLFNHOWHV:LVVHQ YHUZHLVHQGDVLQLUJHQGHLQHU)RUPQW]OLFKIUGDVQHXH3DWHQWZDUXQGGDPLWLQGLNDWLYIU :LVVHQVVSLOORYHUVVLQG

Vor dem Hintergrund der formulierten Zielsetzungen bietet sich eine Gliederung der Arbeit in drei Hauptkapitel an. Um in den Themenkreis einsteigen zu können, ist es in der Einleitung (Kapitel 1) zunächst notwendig, einige zentrale Begriffsdefinitionen darzulegen sowie die Forschungsfragen der Arbeit präzise zu spezifizieren und die methodische Vorgehensweise darzustellen. Kapitel 2 rückt die Basiskonzepte von Wissen und Wissensspillovers und Indikatoren zu deren Erfassung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Bevor man sich mit Wissensspillovers beschäftigt, muss Wissen definiert werden (Subkapitel 2.1). Wissen ist kontextualisierte Information, d.h. es umfasst den zweckgebundenen, systematischen Einsatz von Informationen, der zu Entscheidungen oder menschlichen Handlungen führt. Informationen können als Nachrichten bezeichnet werden, die in Form eines Dokuments, eines Kommunikationsmediums oder verschiedener Speichermedien übertragen werden und anhand bestimmter Musters oder Codes wieder erkennbar sind (Davenport und Prusak 2000). Information wird in dieser Arbeit mit explizitem Wissen gleichgesetzt. Explizites Wissen ist jenes Wissen, das eindeutig durch bestimmte Codes mittelbar ist. Im Gegensatz dazu bezeichnet implizites Wissen jene Wissenskomponente, die in Individuen inkorporiert ist (Fischer 2001a). Beide Wissensarten sind von zentraler Bedeutung für die unternehmerische Wissensbasis (Maskell und Malmberg 1999). Im Anschluss wird der Wissensproduktionsprozess in Unternehmen erörtert, der vor allem durch Transformation von nicht kodifiziertem zu kodifiziertem Wissen vorangetrieben wird. Subkapitel 2.2 diskutiert Patente als Indikator zur Erfassung von Wissensproduktion. Patente stellen eine reichhaltige Datenquelle für die Innovationsforschung dar (vgl., 2

beispielsweise, Griliches 1990, Archibugi 1992, Jaffe, Trajtenberg und Henderson 1993, Narin 1993, Geroski 1995, Maurseth und Verspagen 2002, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005 und 2006). Patente spiegeln Inventionen mit hoher Kommerzialisierungswahrscheinlichkeit wieder, da bei solchen ein besonderes Interesse seitens des/der Erfinder/s nach rechtlichem Schutz für das neue Wissen besteht (vgl., beispielsweise, Archibugi 1992). Die weiteren Vorteile des Indikators liegen in der breiten Verfügbarkeit über längere Zeitperioden sowie der Aggregation nach technischen Feldern der International Patent Classification (IPC). Es wird ein Überblick über das Patentwesen und das Patent gegeben und das internationale technologische Klassifikationssystem (IPC) für Patente dargestellt. Zudem werden die Stärken und Schwächen von Patenten als Indikator zur Messung von Wissensproduktion erörtert. Subkapitel 2.3 stellt Wissensspillovers in den Mittelpunkt der Ausführungen. Die Idee, dass Wissensspillovers Innovationen stimulieren und damit eine wichtige Komponente für die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit sind, findet sich bereits bei Marshall (1890) und später bei Schumpeter (1912). Nach einer Definition von Wissensspillovers folgt eine Diskussion verschiedener Kanäle für Wissensflüsse. Nachfolgend werden verschiedene Konzeptionen zur Erfassung von Wissensspillovers beschrieben. Subkapitel 2.4 behandelt Patentzitierungen, den in der vorliegenden Arbeit verwendeten Indikator zur Erfassung von Wissensspillovers. Patentzitierungen stellen einen relativ neuen Indikator der Innovationsforschung dar. Dies ist damit zu erklären, dass erst mit der Entwicklung neuer Informationstechnologien bzw. im Zuge der digitalen Verfügbarkeit von Patentdaten eine entsprechende Verwendung ermöglicht wurde. Es wird erörtert, wie eine Patentzitierung zustande kommt und welche Probleme sich dadurch in der empirischen Analyse ergeben könnten. Zudem werden verschiedene Arten von Patentzitierungen vorgestellt. Kapitel 3 umfasst eine umfangreiche explorative Datenanalyse von High-Tech Patenten und High-Tech Patentzitierungen in europäischen Regionen. Diese soll einerseits Anstöße für die nachfolgenden explanatorischen Analysen bieten, andererseits im Kontext der Forschungsfragen erste Ergebnisse hinsichtlich der geographischen Dimension von Wissensspillovers liefern. Um die explorative Datenanalyse durchführen zu können, ist es zunächst notwendig, in Subkapitel 3.1 den Untersuchungsraum genau zu spezifizieren und darzustellen, wie der Hochtechnologiesektor abgegrenzt wird. Zur Spezifikation der HighTech Industrie wird auf die Klassifikation von Hatzichronoglou (1997) zurückgegriffen, die Branchen der International Standard Industrial Classification (ISIC) auf Basis ihrer direkten und indirekten Wissensintensität kategorisiert. Hochtechnologie inkludiert demnach die ISIC-Sektoren Luft- und Raumfahrt (ISIC 3845), Computer und Büromaschinen (ISIC 3825), Elektronik und Kommunikation (ISIC 3832) und Pharmazeutik (ISIC 3522). In Subkapitel 3.2 werden schließlich die Ergebnisse einiger deskriptiver und explorativer Datenanalysen der europäischen High-Tech Patente dargestellt und interpretiert. Hierbei wird zunächst der Aufbau der verwendeten Datenbasis von der Bestellung der Daten bis zu 3

den einzelnen Datenbereinigungsschritten beschrieben. Zur Definition des Datensatzes ist es notwendig, Klassen der internationalen Patentklassifikation (IPC) zu den vier HighTech-ISIC-Klassen zuzuordnen. Zu diesem Zweck wird auf eine Konkordanztabelle von Verspagen, Moergastel und Slabbers (1994) zurückgegriffen, die eine Zuweisung von IPC-Klassen zu ISIC-Klassen (Rev. 2) enthält. Für die entsprechenden IPC-Klassen werden am EPO zwischen 1985 und 2002 angemeldete Patente verwendet. Bei den weiteren explorativen Analysen steht insbesondere die räumliche Dimension der europäischen High-Tech Patente im Vordergrund, die sowohl durch Kartendarstellungen als auch durch räumlich-statistische Ansatz erfasst wird. Neben der geographischen Verteilung der Patente interessiert im Kontext der vorliegenden Arbeit insbesondere die Ausprägung als auch die geographische Verteilung der in den Patenten enthaltenen Patentzitierungen. Subkapitel 3.3 beschreibt zunächst die Konstruktion der regionalen Patentzitierungsmatrix, die alle Zitierungsflüsse zwischen den Regionen des Untersuchungsraums beinhaltet. Im Anschluss wird mit Hilfe dieser Matrix analysiert, wo die Patentzitierungsflüsse hin fließen, und aufgezeigt, welche Regionen wie viele Wissensflüsse generieren bzw. absorbieren. Mit Hilfe einer netzwerkanalytischen Visualisierung der Zitierungen können Wissenshubs unter den Regionen des Untersuchungsraums identifiziert werden. Kapitel 4 stellt schließlich aufbauend auf der explorativen Datenanalyse aus Kapitel 3 die explanatorische Analyse von High-Tech Patentzitierungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. In Subkapitel 4.1 wird zunächst getestet, ob Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie geographisch lokalisiert sind. Hierbei wird auf die von Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) entwickelte Methodologie des „Case-ControlMatching“ Ansatzes zurückgegriffen. Dieser vergleicht die Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierenden Patenten mit korrespondierenden zitierten Patenten mit der Wahrscheinlichkeit der Ko-Lokalisierung von zufällig ausgewählten „Kontrollpatenten“ mit diesen zitierten Patenten. Die „Kontrollpatente“ müssen derselben technologischen Klasse und derselben zeitlichen Periode wie das zitierte Patent angehören. Eine höhere geographische Ko-Lokalisierung bei den Zitierungspatentpaaren als bei den „Kontrollpatentpaaren“ wird als Beleg für geographische Lokalisierungseffekte von Wissensspillovers interpretiert. Mit Hilfe des „Case-Control-Matching“ Ansatzes kann zwar die geographische Lokalisierung von Wissensspillovers festgestellt werden, jedoch gibt der Ansatz keinen Aufschluss darüber, wie stark explizit der negative Effekt von geographischer Distanz und Ländergrenzen auf Wissensspillovers ist. Zudem können andere Separationsvariablen nicht berücksichtigt werden. In Subkapitel 4.2 wird daher angelehnt an Fischer, Scherngell und Jansenberger (2006) im Modell Interregionaler Patentzitierungen versucht, explizit den Einfluss von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf Wissensspillovers zu messen. Da es sich bei Patentzitierungsdaten um räumliche Interaktionsdaten handelt, eignet sich hierzu das Instrumentarium der räumlichen Interaktionsmodellierung. Räumliche Interaktionsmodelle wurden zur Modellierung von Daten, die sich auf Paare von diskreten Punkten (Orte oder Regionen) im geographischen Raum beziehen, 4

entwickelt. Sie stellen Dyaden von Regionen (jeweils Paare von Quell- und Zielregionen) in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Zur Modellierung werden drei verschiedene Typen von explanatorischen Variablen herangezogen: Quell- und zielspezifische Variablen sowie solche, die die Separation zwischen Quell- und Zielregion messen (Fischer 2000). Im Modell Interregionaler Patentzitierungen werden interregionale Wissensspillovers in Abhängigkeit von geographischer Distanz und von Ländergrenzen modelliert. Bei alleiniger Betrachtung der geographischen Distanz könnte der Einfluss technologischer Distanz überdeckt werden. Daher wird modellendogen die technologische Distanz zwischen zwei Regionen kontrolliert. Zusätzlich soll der Einfluss von Sprachraumgrenzen auf interregionale Wissensspillovers erfasst werden. Subkapitel 4.3 erfasst abschließend mit Hilfe von sektoralen räumlichen Interaktionsmodellen potentielle Unterschiede hinsichtlich der Stärke des Effekts der Separationsvariablen in den vier untersuchten High-Tech Sektoren. Hierzu werden entsprechend der betrachteten High-Tech Sektoren vier sektorale räumliche Interaktionsmodelle geschätzt (Pharmazeutik, Elektronik und Kommunikation, Computer und Büromaschinen sowie Luftund Raumfahrt). Es kann angenommen werden, dass etwa in der elektronischen Industrie der Einfluss der geographischen Distanz geringer ist als in anderen Industrien. Abgerundet wird die Arbeit durch eine Zusammenfassung und einen Ausblick (Kapitel 5). Hier werden die wesentlichen Forschungsergebnisse sowie die wichtigsten Politikempfehlungen im Überblick dargestellt.

5

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Basiskonzepte und Indikatoren zur Erfassung von Wissen und Wissensspillovers

Wissen ist der zentrale Produktionsfaktor für die ökonomische Leistungserstellung in Unternehmungen. Der Gedanke, dass Wissen und Wissensspillovers für den Erfolg von Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, ist keineswegs neu. Schumpeter (1912) erkannte auf neuem Wissen basierende Innovationen als Triebfeder der Wirtschaftsdynamik. Aufgrund der schwierigen Konzeptualisierung von Wissen und der mangelnden Verfügbarkeit von Daten blieb dieser Produktionsfaktor in der Wirtschaftsforschung jedoch lange Zeit unterrepräsentiert. Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren gab es einen starken Anstieg an Forschungsarbeiten, die Wissen als zentralen Produktionsfaktor betrachten (vgl., beispielsweise, Freeman 1990, Lundvall 1995, Maskell und Malmberg 1999, OECD 2000, Fischer 2001a). Im Folgenden wird zunächst Wissen definiert und dargestellt, welche Arten von Wissen zu unterscheiden sind. Im Anschluss werden Patente als Indikator zur Messung von Wissen beschrieben. Aufgrund der breiten Verfügbarkeit über längere Zeiträume und der detaillierten Aggregation nach technischen Feldern sind Patente ein prominenter Indikator in der empirischen Innovationsforschung. Danach werden Wissensspillovers in den Mittelpunkt der Ausführungen gestellt. Es wird dargestellt, über welche Kanäle Wissensspillovers übertragen werden können und welche Konzepte zur Messung es gibt. Abgeschlossen wird dieses Kapitel durch eine ausführliche Diskussion von Patentzitierungen, die in dieser Arbeit als Indikator für Wissensspillovers herangezogen werden.

2.1 Wissen und Wissensproduktion Bevor man sich mit Wissen bzw. Wissensspillovers auseinandersetzen kann, ist es notwendig, Wissen zu definieren bzw. gegenüber verwandten Begriffen abzugrenzen. Zudem sollen verschiedene Typen von Wissen charakterisiert werden. Eine Definition von Wissen Es finden sich in der Literatur zahlreiche, jedoch oft nicht eindeutige und kontroversielle Definitionen von Wissen (vgl., beispielsweise, Polanyi 1967). Eine adäquate Definition von Wissen erreicht man durch eine Abgrenzung von Wissen zu Information. Information ist eine „ … message, usually in the form of a document or an audible or visible communication“ (Davenport und Prusak 2000, S. 2). Zentrales Element von Information ist die Wiedererkennbarkeit anhand eines bestimmten Musters oder Codes. Der verwendete Code ist für einen Benutzer der Information innerhalb eines bestimmten Kontextes von Bedeutung. Ordnet dieser eine Information in seinen Erfahrungskontext

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ein, spricht man von Wissen. Wissen kann demnach als kontextuelle Information definiert werden. Es ist die Summe aller individuellen Erfahrungen, Wertvorstellungen und Fachkenntnisse, die als Strukturrahmen zur kontextuellen Einordnung neuer Informationen dienen. Somit umfasst Wissen den zweckgebundenen, systematischen Einsatz von Informationen, der zu Entscheidungen oder menschlichen Handlungen führt (vgl., unter anderem, Polanyi 1967, Saviotti 1988, Nonaka und Takeuchi 1995, Howells 1996, Davenport und Prusak 2000, Bodendorf 2003, Gertler 2003, OECD 2004). In dieser Arbeit steht das technologische Wissen einer Regional- oder Volkswirtschaft im Mittelpunkt der Betrachtung. Technologisches Wissen ist jenes Wissen, das in der Produktion bzw. bei der ökonomischen Leistungserstellung angewendet wird. Technologie bezeichnet den Stand des technologischen Wissens, unter technologischem Wandel ist demnach die Erweiterung dieses Wissens in Form neuer Produkte oder verbesserter Produktionssysteme und Organisationstechniken zu verstehen. Abb. 1: Begriffshierarchie von Wissen, Information und Daten vernetzt, kontextabhängig, kognitive Handlungsmuster

Wissen Kontext

Information Semantik

Daten

isoliert, kontextunabhängig, Einzelsymbole, Syntax

Quelle: adaptiert nach Bodendorf (2003)

Neben Wissen und Information ist auch der Begriff Daten zu definieren. Daten sind eine Menge an Zeichen oder Symbolen, die durch gezielte Strukturierung (Datenaufbereitung) zu Information werden (Bodendorf 2003). Abb. 1 zeigt die Begriffshierarchie von Daten, Information und Wissen. Daten werden aus Zeichen nach definierten Syntaxregeln gebildet. Sie werden zu Information, wenn diese mit einem Begriff oder einer Vorstellung aus der realen Welt assoziiert werden. Wissen entsteht wiederum durch Verknüpfung von Informationen bzw. durch die vernetzte Einordnung in den subjektiven Erfahrungskontext. Explizites und implizites Wissen Ein zentrales Element von Wissen ist, dass es sich um keine homogene Größe handelt, sondern verschiedene Typen von Wissen existieren. Eine besonders wichtige Kategorisierung von Wissen ist die Unterscheidung von implizitem Wissen (tacit 8

knowledge) und explizitem Wissen (vgl., unter anderem, Polanyi 1967, Nelson und Winter 1982, Dosi et.al. 1990, Freeman 1990, Lundvall 1995, Nonaka und Takeuchi 1995, Edquist 1997, Fischer 2001a). Im Kontext der Abgrenzung von Wissen, Information und Daten kommt explizites Wissen dem Begriff der Information sehr nahe bzw. wird bei manchen Autoren mit diesem gleichgesetzt. Explizites Wissen ist jenes Wissen, das sich verbalisieren lässt und eindeutig durch bestimmte Codes mittelbar ist. Man spricht daher auch von kodifiziertem Wissen. Es stellt somit nach Polanyi (1967) jenen Teil des Wissens dar, der in abstrakter Form vorhanden ist (beispielsweise in Form von Publikationen, Bauplänen oder Patenten etc). Explizites Wissen kann aufgrund der Kodifizierung leicht artikuliert, über verschiedene Kanäle transferiert und auf entsprechenden Speichermedien gespeichert werden. In den meisten Fällen tritt es in Form von strukturierten und formatierten Daten auf, die in der Folge von einem Nutzer für bestimmte Zielsetzungen verarbeitet und interpretiert werden können (OECD 2004). Im Gegensatz zu explizitem Wissens bezeichnet tacit knowledge bzw. implizites Wissen jenen Teil des Wissens, welches in Individuen inkorporiert und nicht kodifiziert ist. „Tacit knowledge is personal, context-specific, and therefore hard to formalize and communicate“ (Nonaka und Takeuchi 1995, S. 59). Zahlreiche Aspekte und Facetten von implizitem Wissen können nicht unmittelbar erfasst und durch Codes übermittelt werden. Polanyi (1967, S. 4) meint in diesem Zusammenhang: „We know more than we can tell …“. Daher ist implizites Wissen “… acquired via the informal take-up of learned behaviour and procedures” (Howells 1996, S. 91). Maskell und Malmberg (1999) gehen noch einen Schritt weiter und meinen, dass implizites Wissen nur in der Praxis durch prozedurales Lernen und Ausprobieren produziert werden kann. Im Unterschied zu explizitem Wissen ist implizites Wissen also nur schwer oder gar nicht transferierbar bzw. kodifizierbar. Tacit knowledge schließt sowohl Wissen als auch Können (know-how) ein und ist damit eng mit Lernen verknüpft. Im Zentrum steht das unbewusste, latente Erfahrungswissen, welches bei Routinehandlungen und Entscheidungssituationen verwendet wird. Polanyi (1967) gliedert zudem implizites Wissen in zwei verschiedene Bewusstseinskategorien. Das unterstützende Bewusstsein ist Hintergrundwissen, also latentes, im Unterbewusstsein erworbenes Wissen, auf das sich die jeweilige Person unterbewusst verlässt. Das zentrale Bewusstsein hingegen ist jenes Wissen, auf das die volle Aufmerksamkeit konzentriert wird (Polanyi 1967, Howells 1996). Wird etwa von einer Person ein Nagel in die Wand geschlagen, so stellt das Gefühl des Hammers in der Hand das unterstützende Bewusstsein dar, die Konzentration auf den Nagel das zentrale Bewusstsein. Zusammengenommen sind zentrales und unterstützendes Bewusstsein essentieller Bestandteil bei der Erfassung von tacit knowledge und ermöglichen eine funktionale, systematische Beurteilung einer Situation durch ein Individuum (Howells 1996). Tab. 1 gibt einen Überblick über die zentralen Merkmale der beiden Wissensarten.

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Tab. 1: Zwei verschiedene Wissensarten Implizites Wissen

Explizites Wissen

Erfahrungswissen (inkorporiert)

Rationales Wissen

Simultanes Wissen

Sequentielles Wissen

Analoges, praktisches Wissen

Digitales Wissen

Zentrales und Transferierbares unterstützendes Bewusstsein Wissen Wissen und Können

Eindeutig kodifiziertes Wissen

Quelle: adaptiert nach Nonaka und Takeuchi (1995, S. 61)

Bei einer Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen ist zudem festzuhalten, dass „… most shared knowledge is seldom completely tacit or completely codified (i.e., explicit). In most cases a piece of knowledge can be located between these two extremes“ (Fischer 2001a, S. 205). Je niedriger der Grad der Kodifizierung von Wissen ist, desto schwieriger ist es für Individuen sowie auch für Unternehmen dieses Wissen anzuwenden (Howells 1996). „Learning by Doing“, „Learning by Using“ und „Learning to Learn“ sind essentielle Prozeduren zur Adoption von implizitem Wissen. Eine nach dem Grad der Kodifizierung alternative Typisierung von Wissen erscheint sinnvoll, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedliche Übertragbarkeit verschiedener Wissensarten. Lundvall und Johnson (1994) schlagen in diesem Kontext eine Wissenstaxonomie vor, die vier verschiedene Wissensarten unterscheidet: •

Know-what (Gewusst-Was),



Know-why (Gewusst-Warum),



Know-how (Gewusst-Wie),



Know-who (Gewusst-Wer).

Gewusst-Was bezieht sich auf Tatsachenwissen und hat ähnliche Eigenschaften wie explizites Wissen bzw. Information (etwa „Wien ist die Hauptstadt von Österreich“). Diese Wissenskategorie kann über Daten und Zeichen eindeutig übertragen werden. In bestimmten Berufskategorien müssen die handelnden Personen über ein besonders umfassendes Tatsachenwissen verfügen (etwa Juristen oder Mediziner). Gewusst-Warum ist das Wissen über Gesetze, Normen und Prinzipien bestimmter Prozesse in der Natur oder der Gesellschaft, das in der Regel aus wissenschaftlichen Erkenntnissen resultiert. Diese Wissensart ist in zahlreichen industriellen Branchen, insbesondere in der chemischen und elektronischen Industrie, die Basis für die weiterführende technologische Entwicklung bzw. Voraussetzung zur Durchführung betrieblicher F&E-Aktivitäten. Rascher Zugang zu Gewusst-Warum Komponenten führt zu rascherem technologischem 10

Fortschritt und reduziert die Fehleranfälligkeit von Prozeduren, die im Rahmen von Inventionsaktivitäten eine Rolle spielen. Die Produktion dieser Wissensart findet in den meisten Fällen in Forschungslabors oder Universitäten statt. Daher müssen Unternehmungen zur Anzapfung dieser Wissenskomponenten mit diesen Einrichtungen in Kontakt treten. Dies kann etwa über gemeinsame Projekte oder die Einstellung entsprechender Fachkräfte geschehen. Know-how ist jene der vier Wissenskategorien, die vom Charakter her tacit knowledge am nächsten kommt. Es bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, bestimmte Tätigkeiten auszuführen, und auf Routinen, die bei unternehmerischen Prozessen jeglicher Art angewendet werden. Beispiele wären sowohl ein Personalchef, der bei der Einstellung eines neuen Mitarbeiters auf sein know-how zurückgreift, als auch ein Facharbeiter, der eine komplexe Maschine bedient. Know-how spielt daher eine Rolle in der ökonomischen Leistungserstellung von Unternehmen. Typischerweise wird know-how unternehmensintern aufgebaut und ist Bestandteil des unternehmensinternen Wissenpools. Aufgrund des steigenden Komplexitätsgrads der Wissensbasis von Unternehmen spielen Kooperationen und gemeinsame Aktivitäten von Unternehmen und Institutionen eine zentrale Rolle bei der Adoption von know-how Komponenten. Dies zeigt sich auch an der zunehmenden Bildung von industriellen Unternehmensnetzwerken, die den teilnehmenden Akteuren Kombinations- und Austauschmöglichkeiten von know-how bieten (Lundvall und Johnson 1994). Vor diesem Hintergrund gewinnt daher auch das Gewusst-Wer an Bedeutung. Der Trend zu einer breiteren Wissensbasierung der Ökonomie, in der ein neues Produkt oft eine Kombination mehrerer Technologien darstellt, macht den Zugang zu mehreren verschiedenen Wissensquellen immer wichtiger. Know-who umfasst in diesem Zusammenhang Informationen darüber, wer etwas Bestimmtes weiß oder wer weiß, wie etwas Bestimmtes zu tun ist. Hierzu zählen auch soziale Kompetenzen, die eine Kommunikation mit verschiedenen Experten ermöglichen. Die Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen und die Differenzierung in die vier Wissensarten know-what, know-why, know-how und know-who ist im Kontext dieser Arbeit wichtig, da unterschiedliche Rahmenbedingen bei Übertragung und Reproduktion dieser Wissenskategorien gegeben sind. Die Kosten der Übertragung von explizitem Wissen sind weitaus geringer als die Reproduktion von Tacit Knowledge. Explizites Wissen ist daher eher Gegenstand von Wissensspillovers als implizites Wissen. Die Kostenunterschiede bei der Übertragung entstehen im ökonomischen Sinne durch unterschiedliche Gutseigenschaften dieser Wissensarten. Wissen und öffentliche Gutseigenschaften In der Ökonomie werden Güter, die nach Verwendung durch einen Benutzer von Dritten ohne Wertminderung und zusätzliche Kosten wieder verwendet werden können, als öffentliche Güter bezeichnet. Öffentliche Güter sind demnach nicht rivalisierend und nicht ausschließbar. Aufgrund der Nicht-Ausschließbarkeit sind Spillovereffekte solcher Güter 11

zu anderen Nutzern leicht möglich, d.h. die Güter werden von Akteuren, die diese nicht produziert haben, zu ihrem eigenen Nutzen (beispielsweise für die ökonomische Leistungserstellung) verwendet, ohne etwas dafür zu bezahlen. Bestimmte Wissenskomponenten haben öffentliche Gutseigenschaften und weisen damit ein immanentes Potential für Spillovers auf. So verfügt explizites Wissen über Gutseigenschaften, die jenen öffentlicher Güter sehr nahe kommen (etwa Ergebnisse der Grundlagenforschung in Form von Publikationen oder in Form von Patentdokumenten). Implizites Wissen ist zwar ebenfalls grundsätzlich nicht rivalisierend, jedoch teilweise ausschließbar, da es von Dritten aufgrund mangelnder Kodifizierung nicht verwendet werden kann. In der Literatur wird oft eine zusätzliche Wissenskategorisierung nach verschiedenen Öffentlichkeitsgraden angeboten. Diese Wissenskategorien spielen bei der Wissensproduktion sowie bei der Entstehung von Wissensspillovers eine unterschiedliche Rolle. Die meisten Autoren unterscheiden in diesem Kontext drei verschiedene Wissenskategorien (vgl., unter anderem, Salter 1969, Nelson 1987, Smith 1994): •

das allgemeine wissenschaftliche Wissen (allgemeines technologisches Wissen),



das sektor- oder produktspezifische technologische Wissen,



das unternehmensspezifische technologische Wissen.

Das allgemeine technologische Wissen hat den höchsten Öffentlichkeitsgrad. Diese Wissenskategorie bezieht sich oft auf Ergebnisse der Grundlagenforschung von Universitäten, außeruniversitären Forschungsinstituten und auch Unternehmungen. Neues allgemeines technologisches Wissen induziert insbesondere die Entwicklung von radikalen Innovationen, die im Gegensatz zu inkrementellen Innovationen über mehrere technologische Pfade bzw. Wirtschaftssektoren hinweg wirken. Da dieses Wissen meist explizit und öffentlich vorliegt (beispielsweise in Form von Publikationen, Patenten oder neuen Produkt und Prozessbeschreibungen) können leichter Wissensspillovers auftreten bzw. es besteht relativ einfach die Möglichkeit der Verwertbarkeit für mehrere Nutzer (Smith 1994). Die zweite Kategorie, das sektor- oder SURGXNWVSH]L¿VFKH WHFKQRORJLVFKH :LVVHQ, ist innerhalb einer bestimmten Branche oder Produktgruppe nicht ausschließbar, jedoch über die Branchen- bzw. Produktgruppengrenzen hinweg schon. Wissensspillovers ¿QGHQ GDKHU QXU LQQHUKDOE GHU MHZHLOLJHQ %UDQFKH E]Z 3URGXNWJUXSSH VWDWW 6HNWRU RGHU SURGXNWVSH]L¿VFKHV WHFKQRORJLVFKHV :LVVHQ NDQQ GHVKDOE %XFKDQDQ   IROJHQG DOV &OXEJXW EH]HLFKQHW ZHUGHQ (U GH¿QLHUW &OXEJWHU DOV *WHU GLH HLQJHJUHQ]WHQ gIIHQWOLFKNHLWVJUDG DXIZHLVHQ E]Z QXU LQQHUKDOE HLQHU EHVWLPPWHQ *UXSSLHUXQJ GHQ &KDUDNWHU HLQHV |IIHQWOLFKHQ *XWV HUIOOHQ DX‰HUKDOE GLHVHU *UXSSLHUXQJ MHGRFK DOV SULYDWHV *XW FKDUDNWHULVLHUW VLQG 'LH 1HXH ,QQRYDWLRQV|NRQRPLH EHWRQW LQ GLHVHP =XVDPPHQKDQJ GDVV ,QGXVWULHQ RIW VSH]L¿VFKHV WHFKQRORJLVFKHV Wissen teilen, beispielsweise die gemeinsame Verwendung von Materialien oder 3URGXNWLRQVWHFKQRORJLHQ1HOVRQ  EH]HLFKQHWGLHVDOVGDVJHQHULVFKH1LYHDXHLQHU

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Technologie, was in weiterer Folge das von Dosi (1982) vorgeschlagene Konzept der technologischen Trajektorien unterstützt. Unternehmensspezifisches Wissen hat den geringsten Öffentlichkeitsgrad und ist als quasiprivates Gut zu bezeichnen. Unternehmen tendieren dazu, gewisse Technologien zu verwenden, die Basis ihrer Wettbewerbsposition sind und nur unternehmensintern verstanden werden. Man spricht in diesem Zusammenhang vom internen Wissenspool eines Unternehmens. Der sehr spezifische Charakter dieser Wissensart umfasst nicht nur technisches Wissen, sondern auch soziale Routinen und Fertigkeiten im Umgang mit dem internen Wissenspool und der Integration dieses Wissens in den Produktionsprozess. Dazu gehören firmeninterne Managementsysteme, Produktionsroutinen, die spezielle Verwendung von Maschinen und Informationssystemen oder firmeninterne Weiterbildungsinitiativen. Hinsichtlich des Öffentlichkeitsgrades ist diese Wissensform zwar ebenfalls nicht ausschließbar, jedoch ist sie für andere Unternehmen nicht relevant. Die Erträge aus der unternehmensspezifischen Wissensproduktion können daher auf einzelbetrieblicher Ebene vollständig vom Unternehmen appropriiert werden (Smith 1994). Für die unternehmerische Wettbewerbssituation sind sowohl implizite als auch explizite Wissenskomponenten relevant. Maskell und Malmberg (1999) betonen die Wichtigkeit einer entsprechenden Adoptionsfähigkeit von explizitem Wissen, um dieses mit dem internen impliziten Wissen kombinieren zu können und damit die weitere Herausbildung besonderer firmenspezifischer bzw. firmeninterner Fähigkeiten zu stimulieren. Wissensproduktion und die Kodifizierung von implizitem Wissen Die meisten Autoren beziehen sich beim Konzept der Wissensproduktion auf technologisches Wissen und technische Inventionen als Output eines interaktiven Wissensproduktionsprozesses. „Knowledge can be regarded as an economic output in the form of a production blueprint but knowledge is also an input required to produce new blueprints” (OECD 2000, S. 21). Eine der zentralen Komponenten von in neuen Innovationen resultierenden Wissensproduktionsprozessen ist, dass dieser selbst auf dem Input von Wissen in Form von technischen oder organisatorischen Fähigkeiten basiert. „In this sense, it recalls a corn-economy in which corn produces corn“ (OECD 2000, S. 21). In der Literatur finden sich zwei verschiedene Perspektiven der Wissensproduktion. Die eine betrachtet die Wissensproduktion als separaten Prozess, der in einem eigenen Wissenssektor stattfindet. Die andere Perspektive sieht Wissensproduktion inkorporiert in alle Aktivitäten des Produktionsprozesses. Erstere geht demnach von einer bewussten, letztere von einer unbewussten Wissensproduktion aus. Diese Unterscheidung wird in neueren Forschungsarbeiten zunehmend kritisiert, da die Grenze zwischen diesen beiden Wissensproduktionsarten verschwimmt. Man geht davon aus, dass die unternehmerische Wissensproduktion eine Kombination aus bewusst durchgeführten Forschungsaktivitäten oder Weiterbildungsaktivitäten der Mitarbeiter und den kontinuierlich auftretenden neuen 13

Erfahrungen im Produktionsprozess sowie sonstigen unternehmerischen Aktivitäten ist (OECD 2000). Wissensproduktion ist eine Aktivität, die sehr stark durch Unsicherheit geprägt ist und sich dadurch kennzeichnet, dass zur rationalen Entscheidungsfindung notwendige Informationen nicht explizit vorhanden sind (Dosi und Orsengio, 1988). Unternehmungen entwickeln zur Handhabung dieser Situation von Unsicherheit bei der Wissensproduktion interne Prozeduren und Routinen bei der Suche nach Problemlösungen. Diese internen Routinen entstehen wiederum durch Interpretation und aus der Erfahrung vergangener Verhaltensweisen bei der Wissensproduktion, wobei diese kontinuierlich solange verbessert bzw. reproduziert werden, bis diese effizient erscheinen (vgl., beispielsweise, Nelson und Winter, 1982). Die Wissensproduktion ist somit stark vom Erfolg bzw. Misserfolg früherer Wissensproduktionsprozesse beeinflusst und steht zudem immer im Kontext der vom Unternehmen wahrgenommenen Marktsituation. Erweisen sich neue Herangehensweisen in der Praxis als ineffizient, werden diese wieder verworfen. In manchen Fällen der Wissensproduktion kann eine neue Innovation das vorhandene Produktionssystem vollkommen ersetzen. Solche Basisinnovationen können zur Reorganisation ganzer Branchen oder Industriezweige führen (Schumpeter 1912). Diese Fälle sind jedoch die Ausnahme. Meistens ist die Wissensproduktion ein kontinuierlicher Prozess, der durch inkrementelle Innovation gekennzeichnet ist, jedoch trotzdem zu einer ständigen Erweiterung und Erneuerung der firmeninternen Wissensbasis sowie auch der externen Beziehungen führt (Maskell und Malmberg 1999). Die Produktion von Wissen ist pfadabhängig (vgl., beispielsweise, Freeman 1990, Lundvall 1995, Maskell und Malmberg 1999, Fischer 2001a). So knüpfen Aktivitäten der Wissensproduktion in der Regel an vorhergehende Forschungsaktivitäten an, da Unternehmungen und auch Forschungsinstitutionen dazu neigen, aus der Menge neuer Erkenntnisse jene weiterzuverfolgen und zu verfeinern, die eine Implementierung in die bereits vorhandenen Routinen des Unternehmens, dem internen Wissenspool, erlauben. Durch diese Pfadabhängigkeit der Wissensproduktion entsteht die Kumulierung ähnlich gerichteten Wissens. Pfadabhängigkeit kann jedoch langfristig in Bezug auf die Entwicklung und Übernahme neuer Problemlösungen außerhalb der bevorzugten technologischen Trajektorien auch hemmend wirken, da nur schwer frühere erfolgreiche Gewohnheiten und Routinen abgelegt bzw. „verlernt“ werden. Nonaka und Takeuchi (1995) zeigen auf, dass es schwierig ist, erfolgreich angewendete Praktiken und Gewohnheiten aufzugeben, sogar wenn sie eine Barriere für die zukünftige Leistungsfähigkeit des Unternehmens darstellen. So können Unternehmen durch frühere Erfolge und Erfahrungen daraus in pfadabhängige Lock-In Situationen geraten. In solche können unter bestimmten Umständen ganze Branchen oder Industrien hineinfallen, bis die Anwendung einer neuen Basisinnovation diesen „Bann“ bricht.

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Wissensproduktion ist ein sehr ressourcenintensiver Prozess, obwohl neues Wissen sehr oft als Nebenprodukt diverser Aktivitäten innerhalb des Unternehmens entsteht (Maskell und Malmberg 1999). Lernen aus Erfahrung und durch Wiederholung (trial und error) bringen inkrementelle Verbesserungen der unternehmerischen Wissensbasis, die über die Zeit akkumulieren und schrittweise zu einer erheblichen Aufwertung des firmeninternen Wissensstands führen. So können beispielsweise zu optimistisch gewählte Strategien bei der Produktion und Distribution eines Produkts durch realistischere Pläne ersetzt werden, oder es werden übersehene Marktchancen in einer Zeitperiode in der nächsten nicht mehr übergangen, obwohl die Analyse der Marktsituation hinsichtlich Kundenpräferenz, Einzugsgebiet und anderen Merkmalen dieselbe bleibt. Zur Wissensproduktion in einem Unternehmen tragen alle unternehmerischen Aktivitäten bei. Wissen ist daher ein Input, der sich von den anderen Komponenten des Produktionsprozesses durch seine Sparsamkeit auszeichnet, da der Gebrauch von Wissen nie dessen Bestand verringert. Zudem hat der Prozess der Wissensproduktion keine Obergrenze. Unternehmen besitzen jeweils nur ein kleines Fragment von dem Wissen, was sie als nützlich und wertvoll für den Produktionsprozess empfinden würden (Lundvall 1994). Abb. 2: Vier Arten der Wissenstransformation zu

implizitem Wissen

explizitem Wissen

implizitem Wissen

Sozialisation: Erfahrungswissen Wertvorstellungen

Externalisierung: konzeptionelles Wissen

explizitem Wissen

Internalisierung: prozedurales Wissen

Kombination: systematisches Wissen

von

Quelle: leicht adaptiert nach Nonaka und Takeuchi (1995, S. 72)

Nonaka und Takeuchi (1995) stellen ein Gerüst vor, das die verschiedenen Arten der unternehmerischen Wissensproduktion enthält (vgl. Abb. 2). Diese beziehen sich auf operationale Interaktionen zwischen den verschieden Wissenstypen innerhalb eines Unternehmens. Die Wandlung von implizitem zu neuem implizitem Wissen (Sozialisierung) ist ein Prozess des Erfahrungsaustausches und des gegenseitigen Anlernens technischer Fähigkeiten, wodurch neues implizites Wissen entsteht. Die Wandlung von implizitem zu explizitem Wissen (Externalisierung) generiert konzeptionelles Wissen durch Kodifizierung von implizitem Wissen. Die Wandlung von explizitem zu explizitem Wissen (Kombination) verknüpft verschiedene explizite Wissenskomponenten, um den systematischen Wissensbestand zu erhöhen. Die Wandlung von explizitem zu implizitem Wissen (Internalisierung) hängt stark mit unternehmerischen

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Lernprozessen zusammen, mit welchen neues prozedurales Wissen generiert wird (Fischer 2001a). Eine besonders wichtige Rolle für die unternehmerische Wissensproduktion nimmt die Kodifizierung von Wissen ein, also die Transformation von implizitem in explizites Wissen (Externalisierung) (vgl., beispielsweise, Howells 1996, Cowan and Foray 1997, Gertler 2003, OECD 2004). Der Prozess der Kodifizierung kann in drei Hauptmerkmale gegliedert werden (Cowan und Foray 1997): Erstens, mit Anwendung von Metaphern und Analogien lernen Mitarbeiter bestimmte Zielsetzungen durch Phantasie und Symbole intuitiv verstehen, womit die Kreativität gesteigert werden soll. Analogien und Metaphern zeigen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Ideen auf und weisen damit auf die Grenzen und Widersprüche des Auftrags hin. Zweitens geht neues kodifiziertes Wissen grundsätzlich vom Individuum aus. Durch Interaktionen in Gruppen und Dialoge über gemachte Erfahrungen und Beobachtungen wird die Transformation des impliziten persönlichen Wissens in explizites unternehmerisches Wissen ermöglicht. Drittens ist die Konstruktion von logischen Modellen, die keine Widersprüche enthalten und durch eine systematische Sprache artikuliert werden, zur leichteren Artikulation von implizitem Wissen zentraler Bestandteil der Externalisierung. Abb. 3: Die Wissensspirale Dialog Externalisierung

Sozialisation

Erfahrungsaustausch, Lernen durch Interaktion

Verbindung von explizitem Wissen

Internalisierung

Kombination

Learning by doing Quelle: leicht adaptiert nach Nonaka und Takeuchi (1995, S. 71)

Technologische Neuerungen, wie Fortschritte in der Kommunikationsübertragung sowie neue Informationstechnologien, tragen zu einer leichteren Übertragung von implizitem Wissen bei und senken die Kosten der Kodifizierung (Fischer 2001a). Auch hier verdeutlicht sich aufgrund der zeitlichen Relation zwischen den drei Komponenten der Externalisierung die Pfadabhängigkeit von Wissensproduktion.

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Wie die komplexen Prozesse der Wissensproduktion zu Inventionen führen, lässt sich durch die Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi (1995) graphisch darstellen (vgl. Abb. 3). Dies ist ein dreidimensionaler Prozess, was das Modell der Spirale treffend darstellt. Die Wissensspirale bezieht sich auf das (eventuell mehrmalige) Ablaufen der vier Formen der Wissensschaffung (Sozialisation, Externalisierung, Internalisierung und Kombination, vgl. Abb. 2). Wie in einer lernenden Organisation werden erreichte Resultate nach jedem Teilziel kritisch betrachtet und korrigiert bzw. verbessert, so dass man mit perfektionierten Zielvorgaben die Arbeit der nächsten Teilphase aufnehmen kann. Das bedeutet, man arbeitet die vier Formen der Wissensumwandlung einzeln ab, fasst das Erreichte in Worte und reflektiert, ob sie die Vorgaben erfüllt haben. Daraus entstehen neue Einsichten oder neue Fragen, die weitere Aktivitäten auf der nächsten Stufe (Umwandlungsform) anstoßen können. Die Region als zentraler Ort der Wissensproduktion Die meisten Arbeiten zur Erklärung der räumlichen Dimension von Wissensproduktion gehen von der Region (verstanden als subnationale Raumeinheit) als zentralem Ort zur Generierung von Wissen aus (vgl., beispielsweise, Maskell und Malmberg 1999, Cooke 2001, Fischer 2001a, Lagendijk 2001). „Due to changes in industrial organisation, notably the rising importance of networking and learning, the region has come to be seen as a highly appropriate level for knowledge production” (Lagendijk 2001, S. 81). Unternehmen erhalten ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Interaktionen mit lokalen Ressourcen und Kapazitäten, die auf vier Komponenten basieren (Maskell und Malmberg 1999): •

die regionale Infrastruktur,



die regional verfügbaren natürlichen Ressourcen,



das spezifisch-institutionelle Gefüge der Region,



das in der Region anzapfbare Wissen.

Im Kontext des Übergangs zu einer wissensbasierten Ökonomie, in der Lernen eine wesentliche Rolle spielt, stellt die Region die fundamentale Einheit zur Konstruktion einer effektiven Zuliefererstruktur dar, die notwendig ist, um im Innovationswettbewerb bestehen zu können. Diese jüngere Fokussierung auf die Region kann auf zwei Schlüsselfaktoren zurückgeführt werden. Erstens stellen Regionen die natürliche ökonomische Basis für Unternehmen dar, die von externen Effekten (Spillovers) profitieren und eine dynamische Spezialisierung innerhalb von Netzwerken anstreben. Solche Unternehmen erlangen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch den Zugriff auf die lokale Wissensbasis und den lokalen Arbeitsmarkt sowie durch die enge Kooperation mit anderen Unternehmen. In diesem Zusammenhang spielt nicht nur die infrastrukturelle Ausstattung der Region eine wichtige Rolle, sondern auch die Qualität des sozialen Umfeldes im Hinblick auf die Etablierung von gegenseitigem Vertrauen zwischen Kooperationspartnern, das zentral für Innovation und Lernen ist (Lagendijk 2001). Die Einbettung des Unternehmens in lokale Netzwerke hilft diesem die 17

Komplexität und Unsicherheit beim Wissensproduktionsprozess zu reduzieren und erleichtert den Austausch von nicht-kodifiziertem Wissen (Maskell und Malmberg 1999). Zweitens tragen veränderte Bedingungen für den Produktionsprozess zur höheren Bedeutung der Region als Ort der Wissensproduktion bei. Kooperationen zwischen Unternehmen werden deswegen wichtiger, da die Komplexität des Produktionsprozesses angestiegen ist und Unternehmen dazu tendieren, alles auszulagern, was nicht in der Kernkompetenz des Unternehmens liegt. Unternehmen sind zudem zunehmend auf eine optimale Qualität von externen Faktoren angewiesen, insbesondere hinsichtlich des Arbeitsmarktes sowie institutioneller und technologischer Bedingungen. Diese Qualität bezeichnet Storper (1997) als Meta-Leistungsvermögen einer Region. In diesem Kontext steigt die Bedeutung der Region als „… a site of important stocks of relational assets“ (Storper 1997, S. 44). „Thus, to summarise, it is in two main respects that the region emerges as an essential site of economic development, and, more specifically, of knowledge production. Firstly, because processes of externalisation and networking have fostered the region as essential economic base, or milieu, for business development. Secondly, the region itself has become the locus of society-based learning capacities that help to improve and sustain its competitive position” (Lagendijk 2001, S. 81).

2.2 Patente als Indikator zur Messung von Wissen Patente stellen eine reichhaltige Datenquelle für die empirische Innovationsforschung dar (vgl., beispielsweise, Griliches 1990, Archibugi 1992, Jaffe, Trajtenberg und Henderson 1993, Narin 1993, Geroski 1995, Jaffe und Trajtenberg 2002, Maurseth und Verspagen 2002, Bottazzi und Peri 2003, Verspagen und Schoenmakers 2004, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005 und 2006). Patente werden auch in der vorliegenden Arbeit zur Messung von Wissen herangezogen. Patentrechtliche Normen schaffen einen Markt für neues Wissen, wobei Eigentumsrechte dem Wissensproduzenten ermöglichen, zumindest teilweise das Problem der Nicht-Ausschließbarkeit von Wissen zu beheben. Zudem wird durch die Veröffentlichung der Patentschriften eine breitere Diffusion des neuen Wissens erreicht (Geroski 1995). Dieses Kapitel diskutiert, warum Patente geeignete Indikatoren zur Erfassung von Wissen und Wissensproduktion sind. In diesem Zusammenhang wird zunächst das europäische Patentamt (EPO) und dessen Entwicklung vorgestellt, da für die Datenanalysen in Kapitel 3 und Kapitel 4 EPO-Patente der High-Tech Industrie verwendet werden. Im Anschluss folgt ein detaillierter Überblick über das Patentwesen und das Verfahren zur Erteilung eines Patents am EPO. Danach wird das internationale technologische Klassifikationssystem für Patente (IPC) eingeführt und dessen Funktion erörtert. Abschließend werden die Stärken und Schwächen von Patenten als Indikator zur Erfassung von Wissensproduktion diskutiert.

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Das Patent Ein Patent ist ein temporäres Monopol zur kommerziellen Nutzung einer neu entwickelten Erfindung. Es ist ein vom Staat oder für Vertragsstaaten eines übernationalen Patentamtes (z.B. EPO oder WIPO) erworbenes Schutzrecht für das neu produzierte Wissen (vgl., beispielsweise, OECD 1994). „In particular, patents are designed to create a market for knowledge by assigning propriety property rights to innovators which enable them to overcome the problem of non-excludability while, at the same time, encouraging the maximum diffusion of knowledge by making it public“ (Geroski 1995, S. 97). Mit der Verleihung des Patentschutzes wird versucht, dem Problem des öffentlichen Gut Charakters von Wissen (vgl. Subkapitel 2.1) zu begegnen. Es besteht in diesem Kontext ein Marktversagen, da Produzenten von öffentlichen Gütern Spillovers produzieren, wodurch der freie Markt nicht den entsprechenden Anreiz bietet, weiter dieses Gut zu produzieren (vgl., beispielsweise, Griliches 1990, Geroski 1995, Fischer 2001a, Jaffe, Trajtenberg und Fogarty 2002, Blind und Thumm 2004, OECD 2004). Die Einführung des Patentwesens sollte den geeigneten Rechtsrahmen darstellen, um einen Anreiz für Investitionen in die Wissensproduktion zu schaffen. Innovatoren sollte es ermöglicht werden, von dem neu produzierten Wissen stärker zu profitieren. Neben der Schutzfunktion für geistiges Eigentum sollen durch die Veröffentlichung von detaillierten Patentdokumenten Wissensflüsse und somit neue Innovationen stimuliert werden (Griliches 1990). Geroski (1995) weist darauf hin, dass die Zielsetzung oft nicht erreicht werden kann, da manche Großunternehmen das Patentrecht ausnutzen, um gezielt Inventionen in bestimmten Forschungsfeldern zu verhindern. Insbesondere in der pharmazeutischen Industrie waren in den letzten Jahren Fälle zu beobachten, in denen transnationale Unternehmen ganze technologische Felder mit Patenten blockierten, um Konkurrenten von Erfindungstätigkeit in diesem technologischen Bereich abzuhalten (Blind und Thumm 2004). Zum anderen wird des Öfteren versucht, die Schutzfunktion eines Patents zu untergraben, indem eine sehr ähnliche Erfindung „um ein Patent herum“ entwickelt wird. In solchen Fällen wird versucht, durch Patentzitierungen das Schutzrecht für das neue Patent zu limitieren (vgl. Subkapitel 2.4). Ursprung eines Patents ist immer eine Erfindung. Eine solche muss auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und darf sich für einen Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben. Jedes Patent darf nur eine neue Erfindung enthalten (EPO 2005). Rechtlich gesehen verleiht das Patent dem Patentanmelder (in den meisten Fällen ein Unternehmen) ein Ausschließungsrecht (d.h. ein so genanntes „negatives Recht“), mit dem der Patentanmelder andere Akteure von der kommerziellen Nutzung und des Weiterverkaufs der neuen Erfindung ausschließen kann. Dieses Ausschließungsrecht ist sowohl zeitlich als auch territorial begrenzt. Für das europäische Patent (also Patente, die nach dem Europäischen Patentübereinkommen 1973 am EPO erteilt wurden) ist das

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Schutzrecht für 20 Jahre ab dem Zeitpunkt der Anmeldung gültig. Hinsichtlich der territorialen Begrenzung gilt das Schutzrecht für jene Vertragsstaaten des EPO, für die vom Anmelder ein solches beantragt wurde. Das europäische Patent gewährt dem Patentanmelder vom Tag der Bekanntmachung der Erteilung in jedem Vertragsstaat dieselben Rechte, die ihm ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent gewähren würde (EPO 2005). Der Patentanmelder ist rechtlich der Inhaber des Patents, d.h. er ist Besitzer aller Rechte an diesem neu produzierten Wissen. In Europa ist der Patentanmelder in den meisten Fällen ein Unternehmen, das als Arbeitgeber eines Erfinders das Patent einreicht. In den USA melden des Öfteren auch Universitäten Patente an. Der Patentinhaber kann Dritten durch Lizenzvergabe ein Nutzungsrecht an der neuen Erfindung einräumen. Alle Patentanmeldungen müssen früher oder später veröffentlicht werden. In einigen Staaten erfolgt die Veröffentlichung erst mit Erteilung des Patents, am europäischen Patentamt bereits bei der Patentanmeldung. Beide Arten von Patentveröffentlichungen (noch nicht erteilte Patentanmeldungen und erteilte Patente) werden in die diversen Patentdatenbanken eingespeist. Ab dem Zeitpunkt der Erstanmeldung eines Patents in einem Land (Prioritätsdatum) erhält der Patentanmelder das Prioritätsrecht, d.h. er hat gegenüber jeder später angemeldeten gleichen Invention den Vorrang hinsichtlich des beantragten Schutzrechts. Danach bleibt ein Jahr Zeit (Prioritätsjahr), um in anderen Vertrags- oder Erstreckungsstaaten parallele Patentanmeldungen derselben Erfindung vorzunehmen, deren zeitlicher Schutz sich bis zum Prioritätsdatum zurück erstreckt. Daher muss mit der Erstanmeldung das Patent nicht sofort in allen Ländern, in welchen ein Schutz der neuen Erfindung angestrebt wird, angemeldet werden. Das Prioritätsrecht erteilt somit potentiellen Patentschutz in vielen Ländern. Für den Patentanmelder hat dies unter anderem den Vorteil, dass mehr Zeit für die Auswahl der Länder verbleibt, in welchen eine Anmeldung betriebswirtschaftlich als sinnvoll erachtet wird. Zudem können zwischenzeitlich aufgefundene oder neu recherchierte Dokumente in die Beschreibung eingebaut und damit die Erfindung besser im Kontext des aktuellen Standes der Technik eingeordnet werden. Das Europäische Patentamt (EPO) Das EPO wurde am 7. Oktober 1977 mit Inkrafttreten des Europäischen Patenübereinkommens gegründet, das auf der Münchner Konferenz über die Einführung des europäischen Patenterteilungsverfahrens basiert. Die Annahme der ersten Patentanmeldungen erfolgte am 1. Juni 1978. Bis heute sind am EPO bereits mehr als eine Million Patentanmeldungen eingegangen. Die Zentrale des EPO befindet sich in München, weitere Dienststellen gibt es in Den Haag (Patentrecherche und Datenbanken), Berlin, Brüssel und Wien (EP0 2004b). Das EPO wurde mit dem Bestreben errichtet, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Erfindungsschutzes zwischen europäischen Staaten zu verstärken. Mit dem europäischen

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Patentübereinkommen wurde ein Rahmen geschaffen, der einen einheitlichen Schutz in mehreren oder allen Vertrags- und Erstreckungsstaaten ermöglicht und gleichzeitig eine einheitliche Behandlung und Auslegung der Vorschriften des Patenterteilungsverfahrens gewährleistet. Bei der Gründung des EPO rechnete man mit nicht mehr als 40.000 Anmeldungen pro Jahr. Inzwischen wurde diese Zahl bei weitem überschritten. 2004 gingen etwa 180.000 Anmeldungen am EPO ein. Aufgrund des enorm hohen Arbeitsaufwandes durch den stetigen Anstieg der Patentanmeldungen musste die Anzahl der Mitarbeiter (2005 etwa 6.000) erhöht und die IT-Infrastruktur massiv ausgeweitet werden. Abb. 4 zeigt die Entwicklung der eingegangenen Patentanmeldungen am EPO von 1978 bis 2004. Der starke Anstieg ist durch den rasanten technischen Fortschritt und den zunehmenden internationalen Innovationswettbewerb in den letzen 20 Jahren zu erklären. Ein wirksamer Patentschutz wird unter diesen Bedingungen für zahlreiche Unternehmungen zum Schlüsselfaktor, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können. Abb. 4: Patentanmeldungen am EPO von 1978 bis 2004 200 180

Patentanmeldungen (in tausend)

160 140 120 100 80 60 40 20 0 2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

1994

1993

1992

1991

1990

1989

1988

1987

1986

1985

1984

1983

1982

1981

1980

1979

1978

Quelle: EPO (2004a)

Das EPO erteilt Patente an Vertragsstaaten, die das Europäische Patentübereinkommen unterzeichnet haben. Angesichts des wachsenden Interesses an der Erlangung von Patentschutz in mittel- und osteuropäischen Ländern im Zuge der Erweiterung der EU bestand das Bestreben seitens der alten Vertragsstaaten, das Übereinkommen auf die Erweiterungsländer auszudehnen. Lettland war unter den 10 Ländern, die am 1.5.2004 der EU beitraten, das letzte Land, das im Juli 2005 das Europäische Patentübereinkommen unterzeichnete. Norwegen, das bis jetzt noch nicht Mitglied war, hat inzwischen einen entsprechenden Beitrittsantrag gestellt. 21

Abb. 5: Die Vertrags- und Erstreckungsstaaten des EPO

Vertragsstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Monaco, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Lettland, Türkei, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern

Erstreckungsstaaten: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Serbien und Vertragsstaaten

Montenegro

Erstreckungsstaaten

Quelle: adaptiert nach EPO (2004b), Macon AG (Geodaten)

Abb. 6: Das EPO im Gefüge nationaler und internationaler Patentämter USPTO

WIPO JPO . . .

Invention

Möglichkeit der Anmeldung

NPO (Prioritätsanmeldung)

Möglichkeit der Nennung von Staaten, für die Patenschutz erstrebt wird.

GPO

EPO BPO

BPO EPO GPO JPO NPO USTPO WIPO

Britisch Patent Office European Patent Office German Patent Office Japanese Patent Office Ein nationales Patentamt United States Patent and Trademark Office World Intellectual Property Organization

. . .

Quelle: adaptiert in Anlehnung an EPO (2004b)

Mit Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroaten, Mazedonien sowie Serbien und Montenegro hat das EPO bilaterale Abkommen geschlossen, die es ermöglichen, den 22

Schutz, den ein europäisches Patent gewährt, auf diese Staaten zu erstrecken. Abb. 5 stellt die Vertrags- und Erstreckungsstaaten des europäischen Patentübereinkommens im Überblick dar. Nachdem das EPO auch Mitglied der PCT ist, können am WIPO eingereichte Patentanmeldungen auch Schutz am EPO und damit in den Vertrags- und Erstreckungsstaaten des EPO beantragen. Abb. 6 zeigt in diesem Zusammenhang die Stellung des EPO im Gefüge nationaler und internationaler Patentämter. Voraussetzungen zur Erteilung eines Patents am EPO Ein Patent kann nur für neue Inventionen erteilt werden, welche sich deutlich vom vorhandenen Stand der Technik abheben, auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Aus der Rechtssprechung des europäischen Patentübereinkommens von 1973, das mit wenigen Modifikationen bis heute gilt, geht hervor, dass es sich bei einem Patent um ein technisches Schutzrecht handelt. Für die Patentfähigkeit einer technischen Erfindung sind drei Kriterien Voraussetzung (Europäisches Patentübereinkommen, Artikel 52): •

Neuheit Die Invention muss neu sein, d.h. sie darf vor der Anmeldung noch nicht veröffentlicht oder so benutzt worden sein, dass eine unbestimmte Anzahl von Personen Kenntnis von ihr bekommen konnten. Dabei gibt es keine räumlichen oder zeitlichen Beschränkungen. Der Grund für diesen restriktiven Neuheitsbegriff liegt in der engen Interpretation des Schutz- bzw. des Ausschließlichkeitsrechts. Wer bei den heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien solche bereits öffentlich zugänglichen technischen Anwendungen zum Patent anmeldet, verdient nicht mehr eine „Belohnung“ durch die Gewährung eines Ausschließlichkeitsrechts. Anmelder müssen daher darauf achten, dass eine Erfindung vorher nicht in Vorträgen dargelegt, nicht in Fachaufsätzen beschrieben und nicht auf Messen ausgestellt wurde. Nach dem Anmeldetag beim Patentamt sind Veröffentlichungen dagegen nicht mehr neuheitsschädlich.



Erfinderische Tätigkeit Die Erfindung muss eine gewisse „Erfindungshöhe“ aufweisen, d.h. eine Leistung ist nur patentfähig, wenn diese über das hinausgeht, was jedem durchschnittlichen Fachmann bei herkömmlicher Arbeitsweise geläufig ist, bzw. die Erfindung darf sich nicht naheliegend aus dem Stand der Technik zum Zeitpunkt des Anmeldetages ergeben. Durch diese hohe Anforderung an die Patentfähigkeit wird erreicht, dass nur technische Erfindungen mit einem bestimmten Wert zum Patent führen, wobei erfinderische Tätigkeiten klar von Entdeckungen abzugrenzen sind. Unter einer Entdeckung ist das Auffinden bis dato unbekannter, aber in der Natur vorhandener Gesetzmäßigkeiten, Eigenschaften oder Erscheinungen zu verstehen. Es handelt sich dabei um eine bloße Beschreibung von Gegebenheiten der Natur. Eine Erfindung dagegen ist das Bereitstellen einer zweckgerichteten Lösung für ein bestimmtes 23

Problem mit Hilfe technischer Mittel. In Bezug auf geistiges Eigentum fallen Entdeckungen in das Urheberrecht, für solche gibt es daher keinen Patentschutz. •

Gewerbliche Anwendbarkeit Mit dem Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit wird bezweckt, dass Wissensproduktion in erster Linie in Hinblick auf die ökonomische Verwertbarkeit in nutzbringender Weise betrieben werden soll. Ökonomisch nicht realisierbare Phantasievorschläge oder technische Neuerungen, die keine sinnvolle ökonomische Verwertung versprechen, sind nicht patentfähig.

Michel und Bettels (2003) weisen darauf hin, dass die Überprüfung der Neuheit auf Basis umfangreicher Literatur und Patentrecherche noch relativ eindeutig ist. Beim Kriterium der erfinderischen Höhe ist die Sache jedoch komplizierter und oft schwer abzuschätzen. Was als naheliegend für einen Experten zu bewerten ist, lässt sich schwierig festzustellen. Es finden sich zudem an verschiedenen Patentämtern unterschiedliche Zugangsweisen zu diesem Problem. So ist es etwa in Deutschland bedeutend schwieriger eine positive Beurteilung dieses Kriteriums zu erreichen als beispielsweise in Großbritannien. Im Extremfall kann es vorkommen, dass ein Patentantrag, welches in einem Land zugelassen wurde, an einem anderen Patentamt aufgrund des Kriteriums der Erfindungshöhe abgelehnt wird. Nicht patentfähig sind (Europäisches Patentübereinkommen, Artikel 52): •

Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden,



ästhetische Formschöpfungen (beispielsweise Geschmacksmuster),



Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche und geschäftliche Tätigkeiten,



Datenverarbeitungsprogramme (beispielsweise Software),



Wiedergabe von Informationen (beispielsweise Tabellen, Formulare, ...),



Erfindungen, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen,



Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) und Tierarten,



perpetuum mobile (Verfahren, die den Naturgesetzen widersprechen).

Bei der Einreichung des Patents muss der/die Erfinder/in bekannt gegeben werden. Erfinderin oder Erfinder ist, wer wesentlich zur Lösung des in der Einreichungsschrift dargestellten technischen Problems beigetragen hat. Man unterscheidet – je nach Anzahl der beteiligten Personen – die Alleinerfinderin bzw. den Alleinerfinder und die Erfindergemeinschaft, die aus mehreren Inventoren besteht. Haben mehrere Personen maßgeblich, d.h. auch konzeptionell, an der Erfindung mitgewirkt, so sind sie Miterfinderinnen und Miterfinder. Bei einer Erfindergemeinschaft werden, so weit keine anderen Vereinbarungen getroffen wurden, gleiche Anteile an der Erfindung angenommen. Erfinderinnen und Erfinder haben in jedem Fall das Recht, in der Patentschrift genannt zu werden (EPO 2004c).

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Das EPO-Patentdokument Nachdem ein Patent zur Anmeldung an einem Patentamt zugelassen wurde, wird ein umfangreiches Patentdokument erstellt und öffentlich zugänglich gemacht. Ein Patentdokument weist für die gesamte empirische Innovationsforschung und für die vorliegende Arbeit wertvolle Informationen auf . Abb. 7: Titelblatt einer europäischen Patentschrift

Quelle: EPO (2006)

Abb. 7 ist ein Beispiel für die erste Seite eines Patentdokuments. Es handelt sich um eine europäische Patentschrift (siehe Punkt (12)), zugelassen am europäischen Patentamt (19) mit der Publikationsnummer EP-0701201B1 (11). Unter (45) ist das genaue Veröffentlichungsdatum eingetragen, (21) und (22) nennen Anmeldenummer und Anmeldetag. Bei (51) findet sich die Information über die technologische Klassifikation des Patents nach der International Patent Classification (IPC). Dieses Patent ist der technologischen Klasse G06F-9/44 zugeordnet, die „Arrangements for executing specific 25

programmes“ umfasst (WIPO 2005) (Eine umfassende Diskussion der IPC folgt in diesem Kapitel). (54) ist der Titel der Invention in allen offiziellen Sprachen des EPO (Englisch, Deutsch und Französisch). Das vorliegende Patent erteilt entsprechenden Schutz für „Verfahren zur Verwaltung dynamischer Objekte in einer objektorientiert programmierten Einrichtung“. Der untere Teil des Patentdokuments enthält die entsprechenden Information über die benannten Vertragsstaaten (84), das Prioritätsdatum (30), die Veröffentlichung der Anmeldung (43), den Patentinhaber inklusive der geographischen Lokalisierung (73), die Inventoren und deren geographische Lokalisierung (72) sowie die Entgegenhaltungen (56). Entgegenhaltungen sind Zitierungen auf früher erteilte Patente, auf welchen das neu produzierte Wissen für dieses Patent beruht (zur Diskussion der Aussage und Funktion von Patentzitierungen vgl. Subkapitel 2.4). In diesem Fall wird ein anderes europäisches Patent mit der Publikationsnummer „EP-A-0405829“ und ein am Patentamt Großbritanniens gewährtes Patent mit der Publikationsnummer „GB-A-2266172“ zitiert. Es ist festzuhalten, dass Abb. 7 lediglich die erste Seite eines umfangreichen Patentdokuments darstellt. Die nachfolgenden Seiten der Patentschrift enthalten eine sehr detaillierte Beschreibung der jeweiligen Erfindung. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil des neu produzierten Wissens öffentlich gemacht und von anderen Innovatoren für ähnliche oder weitere Erfindungen herangezogen werden kann. Die Darstellung erfolgt in der Regel sowohl durch eine umfangreiche verbale Beschreibung als auch durch zahlreiche technische Skizzen. Das Patentierungsverfahren am EPO Prinzipiell sind Verfahren zur Erteilung von Patenten Angelegenheiten der einzelnen Staaten. Nur in jenen Staaten, wo ein Patent erteilt worden ist, gibt es auch entsprechenden Patentschutz. Die verschiedenen Patentierungsverfahren sind je nach Staat unterschiedlich hinsichtlich der zu bezahlenden Gebühren und sonstigen Kosten der Bearbeitung, jedoch folgen im Allgemeinen alle einem gewissen Grundschema. Nach der Einreichung beim jeweiligen Patentamt kommt es zunächst zu einer Prüfung der Erfindung auf Patentwürdigkeit. Dabei werden die vorher diskutierten Kriterien Neuheit, erfinderische Höhe und gewerbliche Anwendbarkeit ausführlich überprüft und bewertet. Werden die Kriterien in ausreichendem Maße erfüllt, kommt es zur Veröffentlichung der Patentanmeldung. Innerhalb einer bestimmten Frist nach der Veröffentlichung der Anmeldeschrift besteht die Möglichkeit des Einspruchs gegen die Erteilung des Patents. Erfolgt kein Einspruch, wird das Patent umgehend erteilt. Ist ein Patent einmal erteilt, kann dieses nur mehr durch eine Nichtigkeitsklage rückgängig gemacht werden. Ein Patent muss nach einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht werden. Dieser ist bei den meisten Patentierungsverfahren 18 Monate nach der Erstanmeldung. In Österreich, wie in einigen anderen Staaten, erfolgt die Veröffentlichung erst nach der Erteilung des Patents. Dies kann durchaus von Bedeutung sein, denn es besteht ein wesentlicher schutzrechtlicher Unterschied zwischen Patentanmeldung und Erteilung des Patents (BMBWK, 2003). Der Zeitpunkt kann auch deswegen entscheidend sein, da ab diesem die

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Konkurrenz genügend Wissen haben könnte, um Varianten von diesem Patent zu erfinden (Geroski, 1995). Am EPO läuft das Patentierungsverfahren im Detail wie folgt ab: Am Anfang eines Verfahrens steht immer ein Antrag auf Erteilung eines Patents durch den Patentanmelder. Dem Antrag müssen Unterlagen beigefügt werden, in denen die neue Erfindung so umfangreich beschrieben ist, dass die entsprechenden Sachverständigen sie mit diesen Unterlagen nachvollziehen können. Eine unvollständige Anmeldung kann nachträglich nicht ergänzt, sondern nur neu eingereicht werden (unter nochmaliger Bezahlung der entsprechenden Gebühren). Es kann nichts nachgeschoben werden, was die ursprüngliche Offenbarung des Erfindungsgegenstandes verändert oder erweitert. Es ist also für den Patenanmelder dringend notwendig, erhebliche Sorgfalt bei der Anfertigung seiner Unterlagen aufzuwenden, um Mängel oder Fehler in der Anmeldung von vornherein zu vermeiden. Neben der Beschreibung sind selbsterklärende und eindeutig lesbare Skizzen oder Figuren anzufertigen. Die Skizzen dienen lediglich der Verdeutlichung und dem besseren Verständnis des beschreibenden Textes. Zudem müssen alle Patentansprüche angegeben werden (EPO 2004c). Als nächster Schritt folgt die Öffentlichkeitsprüfung der Anmeldeschrift. Hierbei wird der Antrag zunächst hinsichtlich der Einhaltung der geforderten formalen Vorschriften überprüft. Im Anschluss erfolgt die Klassifizierung der Patentanmeldung zu einem technischen Fachgebiet, d.h. es wird ein Code der IPC durch einen Prüfer des Patentamts für die Anmeldung vergeben. Die Zuordnung ist nicht sehr einfach, da die IPC-Klassen auf den unteren Ebenen sehr eng gefasst sind (eine detaillierte Diskussion des IPC folgt in diesem Kapitel). Anschließend folgt die Prüfung, ob der angemeldete Gegenstand grundsätzlich nicht patentfähig ist, d.h. ob die Erfindung einer der in Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens genannten nicht patentierfähigen Gegenständen entspricht. Ist die Anmeldung aufgrund dieses Artikels a priori nicht auszuschließen, kann der Patentanmelder einen Recherche- oder Prüfungsantrag stellen. Die Wartezeit ist in diesem Fall auf sieben Jahre begrenzt. Wird innerhalb dieses Zeitraums der entsprechende Antrag nicht gestellt, gilt die Patentanmeldung (trotz der vorher entrichteten Jahresgebühren) als zurückgenommen. Wird ein Prüfungs- und Rechercheantrag vom Patentanmelder gestellt, erfolgt die umfangreiche Prüfung des Patents auf seine Patentfähigkeit hinsichtlich der diskutierten Kriterien der Patentierbarkeit. Hierbei werden zunächst zur Beurteilung der Patentfähigkeit in Frage kommende Publikationen recherchiert, wobei überwiegend in früheren Patentschriften und in geringerem Ausmaß in sonstiger Literatur gesucht wird. Ein Rechercheantrag wird erst in Gang gesetzt, wenn die entsprechende Gebühr bezahlt wurde. Die Prüfung wird von Prüfern des EPO bearbeitet, die jeweils für spezifische Fachgebiete zuständig sind. Für dieses Fachgebiet steht dem Prüfer eine exakte, auf dieses Fachgebiet zugeschnittene Sammlung von Büchern, Zeitschriften und patentamtlichen Veröffentlichungen aus der ganzen Welt zur Verfügung. Dieses umfassende Material wird 27

vom Prüfer verwendet, um die Kriterien der Neuheit und der Erfindungshöhe bewerten zu können. Es ist essentielle Entscheidungsgrundlage dafür, ob ein Patent gewährt wird oder nicht. Ist die Prüfung und die entsprechende Recherche durch das EPO abgeschlossen, wird ein Prüfungsbescheid erstellt. Aus dem Prüfungsbescheid kann der Anmelder entnehmen, ob das Patent grundsätzlich patentfähig ist. Der Prüfungsbescheid enthält entweder einen Patenterteilungsbeschluss oder Zurückweisungsbeschluss (mit Begründung). Ist das Patent erteilt, kann jeder andere innerhalb von drei Monaten Einspruch erheben. Im Einspruchsverfahren kann das Patent entweder aufrechterhalten, widerrufen oder in beschränkter Form aufrechterhalten werden. Abb. 8 stellt den zeitlichen Ablauf des Verfahrens im Überblick dar. Abb. 8: Verfahren zur Anmeldung eines EPO-Patents

Priorität (national oder EPO)

Jahre seit Priorität 1 Prioritätsjahr

2

3

4

5

EPO Patenterteilung nach 2-4 Jahren

EPO Publikation nach 15 Monaten

Quelle: OECD (1994), EPO (2004c)

Wurde ein Patent am EPO gewährt, ist es möglich, eine Patentanmeldung über europäische Grenzen hinaus mittels der "Patent Cooperation Treaty" (PCT) einzureichen. Dieser Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens wurde von 185 Vertragsstaaten unterzeichnet und erlaubt daher mit einer einzigen Anmeldung ein Patent auch in mehreren außereuropäischen Ländern geltend zu machen. Die Anmeldung erfolgt bei der World Intellectual Property Organization (WIPO) in Genf oder bei den zugehörigen regionalen Patentämtern. Auch bei den meisten nationalen Patentämtern ist die Einreichung einer PCT-Anmeldung möglich. Der Vorteil des PCTVerfahrens liegt in der internationalen Recherche nach ähnlichen Patenten, die dem Anmelder Auskunft darüber gibt, ob es überhaupt Sinn macht, die Anmeldung in den einzelnen Staaten weiterzuführen, oder ob dort dem Patent vereinzelte Schutzrechte 28

entgegenstehen. Die endgültige Benennung der Länder erfolgt nach 30 Monaten ab dem Prioritätstag im Gegensatz zu 12 Monaten (Prioritätsjahr) bei nationalen und regionalen Patentanmeldungen. Das Klassifikationssystem IPC Patente lassen sich hinsichtlich ihrer technischen Ausführung in verschiedene technische Klassen einteilen. Zur Aufgliederung der am EPO eingegangenen Patentanmeldungen nach technischen Klassen wird die IPC herangezogen. Das IPC-System ist eine international abgestimmte hierarchische Klassifikation von technischen Bereichen, die sich nicht überlappen. Es basiert auf dem Straßburger Abkommen über die Internationale Patentklassifikation, das zwar bereits im Jahre 1971 entwickelt wurde, aber erst im Jahre 1995 in Kraft trat. Eine eigene Versammlung, zu der alle Mitgliedsstaaten einen Vertreter entsenden, ist eine wichtige Institution des Abkommens zur ständigen Weiterentwicklung der IPC. Die IPC wird durch die WIPO veröffentlicht und in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Sie wird in englischer und französischer Sprache herausgegeben. Am 01.01.2006 wurde die Version IPC7 von der Version IPC8 abgelöst. Bei den Revisionen kann es zu Umgruppierungen oder zur Erstellung neuer Gruppen kommen, jedoch werden alte Patente nicht neu zugeordnet. Die Revisionen sollen sicherstellen, dass die Technologiefelder immer nach den neuesten Erkenntnissen eingeteilt werden. Mithilfe der „Revision Concordance List“ des WIPO kann nachvollzogen werden, welche Änderungen bei der jeweiligen Revision vorgenommen wurden. Von einigen Autoren und Forschungsangestellten wird kritisiert, dass die Zeitspanne von fünf Jahren zu groß ist, um entsprechende Aktualität zu gewährleisten. Tab. 2: IPC-Sektionen Sektion A

Bezeichnung Täglicher Lebensbedarf

B

Arbeitsverfahren

C

Chemie

D

Textilien und Papier

E

Bauwesen

F

Maschinenbau, Beleuchtung, Beheizung und Waffen

G

Physik

H

Elektrizität

Quelle: WIPO (2005)

Das Klassifikationssystem IPC wird von annähernd 90 Staaten, dem EPO und der WIPO verwendet. Die internationale Patentklassifikation ist in fast 76.000 Untergliederungen eingeteilt. Das Symbol für jede Unterteilung besteht jeweils aus arabischen und römischen 29

Ziffern. Die Patentämter indexieren bei der Zuordnung alle Patentanmeldungen und Patenterteilungen mit dem entsprechenden Symbol. Mittlerweile werden ungefähr 95 % der von allen weltweit veröffentlichten Patentschriften anhand des IPC indexiert (WIPO, 2005). Die IPC spielen beim Patentierungsverfahren bzw. der Überprüfung eines Patents auf Patentfähigkeit eine wichtige Rolle. Die einzelnen Prüfungsabteilungen sind nach IPCSchema organisiert, so dass ein Prüfer für eine oder mehrere dieser Klassen zuständig ist und einen hohen Sachverstand in diesem Bereich aufweist. Dies soll eine bestmögliche Prüfung der Erfindung auf hohem Niveau sicherstellen. Das IPC-System ist sehr detailliert in zahlreiche technische Bereiche strukturiert. Es besteht auf der ersten Ebene aus acht Sektionen, die weiter in 118 Klassen auf der zweiten Ebene und 628 Subklassen auf der dritten Ebene untergliedert werden. Auf der vierten bzw. der fünften Ebene folgen 6.871 Hauptgruppen bzw. 75.324 Subgruppen. Tab. 2 enthält die acht Sektionen des IPC-Systems. Die Einteilung von Patenten nach ihren technischen Bereichen entstand aus der Notwendigkeit, eine hohe Anzahl von Patentschriften zu verwalten. Das IPC-System dient der leichteren Archivierung der Patente und gewährleistet einen schnellen Zugriff auf die Dokumente. Die Klassifikation dient in diesem Kontext als Suchwerkzeug. Das Patentklassifikationssystem kann demnach eingesetzt werden, um in einem bestimmten Forschungsfeld den Stand der Technik zu ermitteln. Tab. 3: Aufschlüsselung einer IPC-Klasse nach verschiedenen Ebenen Ebene

Code

Inhalt

Sektion

H

Elektrizität

Klasse

H03

Grundlegende elektronische Schaltkreise

Subklasse

H03C

Modulation

Hauptgruppe

H03C/3

Winkelmodulation

Subgruppe

H03C1/3/10 Winkelmodulation mittels variablem Widerstand

Quelle: WIPO (2005)

Will beispielsweise ein Unternehmen der elektronischen Industrie über den neuesten Stand der Technik im Forschungsfeld „Winkelmodulation mittels variablem Widerstand“ Bescheid wissen, kann es einfach über die Suche nach der entsprechenden Subgruppe (in diesem Fall H03C/3/10, vgl. Tab. 3) alle Patente dieser Subgruppe abfragen bzw. über die entsprechende Publikationsnummer Einsicht in die Patentschrift nehmen. Der Vorteil liegt darin, dass nicht alle Patente recherchiert werden müssen, sondern die benötigten Patente einfach herausgefunden werden können.

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Was messen Patente? Patente werden als Indikator von zahlreichen Wissenschaftlern für Forschungsarbeiten der empirischen Innovationsforschung verwendet (vgl., unter anderem, Narin, Carpenter und Perry 1981, Mansfield 1986, Griliches 1990, Archibugi 1992, OECD 1994, Geroski 1995, Autant-Bernard 2001, Caniels 2001, Jaffe und Trajtenberg 2002, Maurseth und Verspagen 2002, Fischer und Varga 2003, Blind und Thumm 2004, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005, 2006). Der große Wert von Patenten als Datenquelle ergibt sich aus den zahlreichen Informationen, die ein Patentdokument aufweist, nachdem ein Patent zur Anmeldung zugelassen wurde (vgl. Abb. 7). Es enthält unter anderem Informationen über die Erfindung selbst, über die technologische Klasse der Erfindung (IPC-Code), über den/die Inventor/en (inklusive der geographischen Lokalisierung), über die Organisation (inklusive der geographischen Lokalisierung), die die Schutzrechte an der neuen Erfindung erworben hat, sowie über die technologischen Vorgänger des Patents (in Form von Patentzitierungen). Nachdem die Einreichung einer Patentanmeldung mit erheblichen Kosten und zeitlichen Aufwand verbunden ist, stellen Patente in der Regel Erfindungen mit ökonomischer Verwertbarkeit dar. Damit erfassen Patente eher „… technological rather than scientific activities“ (Archibugi 1992, S. 357). Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass die Patentierneigung von Universitäten deutlich geringer als von Unternehmungen ist. Ausgehend von den Informationen, die eine Patentschrift enthält, kann man sich ein gutes Bild über die Ausprägung und Verteilung von F&E-Aktivitäten verschaffen. Da die Daten auch eine zeitliche Dimension (Prioritätsdatum, Anmeldedatum, Publikationsdatum) enthalten, lässt sich gut die Dynamik in bestimmten Forschungsfeldern beobachten und welche Akteure den technologischen Wandel in diesem Forschungsfeld vorantreiben. Das Prioritätsdatum liegt zeitlich gesehen der Invention am nächsten und eignet sich daher am besten zur Erfassung des Zeitpunktes der Wissensproduktion. Durch Angabe der genauen Adresse der Inventoren und der Anmelder des Patents im Patentdokument wird die Erforschung räumlicher Muster der Wissensproduktion möglich. Da sowohl für den/die Inventor/en als auch für den Patentanmelder die geographische Lokalisierung angegeben wird, sind bei räumlichen Analysen von Patenten prinzipiell zwei Möglichkeiten der Zuordnung von Patenten zu Raumeinheiten gegeben, nämlich einerseits auf Basis der Wohnadresse des/der Erfinder/s, andererseits auf Basis der angegebenen Adresse des Patentanmelders. In neueren Studien wird des Öfteren eine geographische Zuordnung (Geokodierung) auf Basis der Wohnadresse des/der Erfinder/s bevorzugt, da der Patentanmelder in vielen Fällen ein Mehrbetriebsunternehmen ist, das bei der Angabe der Adresse oft die Adresse des Hauptfirmensitzes auswählt. Will man jedoch den Ort der Wissensproduktion möglichst genau lokalisieren, eignet sich eher die Wohnadresse der Inventoren (vgl., beispielsweise, Maurseth und Verspagen 2002, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Neben räumlichen und zeitlichen Analysen sind aufgrund der Zuordnung jedes Patents zu einem technologischen Feld durch Vergabe eines IPC-Codes auch detaillierte 31

Branchenanalysen möglich. So kann beispielsweise die Inventionstätigkeit von Unternehmen eines bestimmten Sektors in bestimmten technologischen Feldern untersucht werden. In Kombination mit der geographischen Dimension kann auch die Patentaktivität verschiedener Raumeinheiten nach technischen Feldern klassifiziert oder die Patentaktivität einzelner Unternehmungen hinsichtlich ihres technologischen Profils analysiert werden (Griliches 1990, Archibugi 1992). Patente enthalten zudem Patentzitierungen auf früher angemeldete Patente. Wenn ein Patent ein anderes Patent zitiert, bedeutet dies, dass das zitierte Patent bereits existierendes, früheres Wissen repräsentiert, auf welchem das zitierende Patent aufbaut. Der Patentanmelder hat die rechtliche Verpflichtung, das gesamte Wissen, auf welchem die neue Erfindung aufbaut, bekannt zu geben. In diesem Kontext sind Patentzitierungen ein direkter Indikator für Wissensspillovers. Eine ausführliche Diskussion von Patentzitierungen folgt in Subkapitel 2.4. Zusammenfassend lassen sich folgende Möglichkeiten der Analyse von Patendaten für die empirische Innovationsforschung nennen: •

Untersuchung der Patentaktivitäten nach verschiedenen Typen von Anmeldern (Unternehmen, Gruppen von Unternehmen, Universitäten, etc.),



Untersuchung der Patenaktivitäten von verschiedenen Raumeinheiten (Regionen, Länder, Gruppen von Ländern),



Untersuchung der zeitlichen Entwicklung der Patentaktivitäten,



Untersuchung der Patentaktivitäten in bestimmten technologischen Feldern,



Untersuchung von Wissensspillovers mithilfe von Patentzitierungen.

Diese Möglichkeiten sind untereinander kombinierbar. So könnte man beispielsweise die Patentaktivitäten von Österreich von 1990 bis 2000 im technologischen Feld der IPCSubklasse H03C („Winkelmodulation“) betrachten. Hierbei ist anzumerken, dass derartige Analysen erst mit dem Fortschritt von Informations- und Kommunikationstechnologien technisch ermöglicht wurden, da dadurch einerseits Patentdokumente digital verfügbar gemacht, andererseits die entsprechenden Zugriffsprozeduren auf Patentdatenbanken entwickelt werden konnten. Nichtsdestotrotz weisen Patentdaten bestimmte Schwächen auf, die bei der Analyse berücksichtig werden müssen. Im Konkreten sind vier verschiedene Hauptdefizite von Patentdaten zu nennen: Erstens erfüllen nicht alle neuen Erfindungen die Kriterien der Patentierbarkeit. Dies stellt vor allem im Bereich der Softwareindustrie ein Problem dar, in der neue Entwicklungen relativ rasch voranschreiten, jedoch für Software oder Programmcodes kein Patent angemeldet werden kann. Es kann nur patentiert werden, wenn es Bestandteil eines technischen Prozesses oder Produktes ist (OECD 1994). Weist etwa eine Region

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besonders viele Softwarefirmen auf, wird die Inventionskapazität dieser Region durch Patente nicht adäquat abgebildet. Zweitens ist die Einreichung eines Patents immer eine strategische Entscheidung, d.h. ein Erfinder entscheidet sich nicht zwangsläufig dafür, eine Erfindung patentieren zu lassen. Das kann daran liegen, dass die Erfindung von anderen ohnehin nicht verwendet werden kann und daher keinen Patentschutz benötigt. In vielen Fällen stellen auch die hohen Kosten der Anmeldung eines Patents eine Barriere dar. Das bedeutet, dass Patente nur einen Teilausschnitt der gesamten Wissensproduktion repräsentieren. Forschungen von Mansfield (1986) ergaben, dass etwa 66 bis 87% aller patentierbaren Erfindungen auch tatsächlich patentiert werden. Branchen mit sehr kurzen Produktlebenszyklen weisen eine geringere Patentierneigung als andere Branchen auf, da der Zeitraum der Patenanmeldung im Verhältnis zur Geschwindigkeit des technologischen Wandels zu lange ist. Daher bevorzugen Unternehmen in diesen Branchen des Öfteren, ihre Erfindung durch Geheimhaltung zu schützen. In der chemischen und pharmazeutischen Industrie ist der Patentschutz jedoch ein sehr probates Mittel, da die chemische Zusammensetzung eines Produkts spätestens nach der Markteinführung von Konkurrenten nachvollzogen werden kann (OECD 1994). Diese chemische Zusammensetzung könnte in der Folge von diesen verwendet werden, wenn kein Patentschutz für diese Erfindung besteht. Demzufolge muss bei Ländervergleichen hinsichtlich der Patentaktivität, aufgrund der unterschiedlichen Patentneigung verschiedener Branchen, auch die jeweilige Branchenstruktur des Landes in Betracht gezogen werden. Drittens ist die Unterschiedlichkeit der Kosten und der Anmeldeverfahren an den einzelnen Patentämtern zu berücksichtigen. Dieses Problem kann man umgehen, indem man beispielsweise ausschließlich auf europäische Patente zurückgreift. Viertens geben Patentschriften keinen Aufschluss über die Qualität bzw. den ökonomischen Wert einer Invention. Bei Ländervergleichen wird bei einer reinen Aufsummierung aller angemeldeten Patente oft unterstellt, dass alle Patente den gleichen Wert haben. Der Wert von Patenten kann jedoch mitunter sogar innerhalb einer Subklasse stark differieren (Archibugi 1992). Trotz dieser vorhandenen Schwächen, die bei der Interpretation jeder empirischen Untersuchung mit Patenten berücksichtigt werden müssen, überwiegen die beträchtlichen Stärken, die Patente als geeigneten Indikator erscheinen lassen. „In spite of all the difficulties, patents statistics remain a unique resource for the analysis of the process of technical change. Nothing else comes close in the quantity of available data, accessibility, and the potential industrial, organizational, and technological detail” (Griliches 1990, S. 1702). Jacobson und Philipson (1996) weisen zudem darauf hin, dass Patente, insbesondere in Verbindung mit anderen Indikatoren der Innovationsforschung, wertvoll sind und eine gute Analyse von Wissensproduktion ermöglichen. Tab. 4 fasst die wesentlichen Stärken und Schwächen von Patenten als Indikator für Wissensproduktion zusammen.

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Tab. 4: Stärken und Schwächen von Patentdaten als Messgröße für Wissensproduktion Stärken

Schwächen •



Erfassen am unmittelbarsten den Output von Inventionstätigkeit



Datenverfügbarkeit über längere Zeiträume mit • genauer Datumsangabe



Klassifikation nach technischen Feldern





Geographische Zuordnung durch Angabe der Adresse von Inventor/in und Anmelder

Unterschiedliche Anmeldeprozeduren an verschiedenen Patentämtern





Ausweisung technologischer Vorgänger in Form von Patentzitierungen

Differierende Wichtigkeit verschiedener Patente



Elektronische Recherchemöglichkeit durch Abfragesprachen

Nicht alle Erfindungen erfüllen die Kriterien der Patentfähigkeit Unterschiedliche Patentierneigung von Unternehmen und Branchen

Quelle: adaptiert nach OECD (1994)

2.3 Technologische Wissensspillovers Wissensspillovers rückten in den letzten Jahren stärker ins Zentrum des Erkenntnisinteresses, vor allem im Kontext der neuen Wachstumstheorie. In dieser wird untersucht, welchen Einfluss technologischer Fortschritt auf die Produktivitätsentwicklung einer Regional- oder Volkswirtschaft hat, wobei der Prozess der Entwicklung neuer Produkte und Produktionsverfahren endogen modelliert wird (Romer 1990, Grossman und Helpman 1991). Eine zentrale Rolle für die Erklärung der Produktivitätsentwicklung spielen Wissensspillovers. Es wird angenommen, dass die Wissensproduktion eines Akteurs positive externe Effekte auf andere Unternehmen bewirkt. Die Idee, dass Wissensspillovers Innovation stimulieren und von zentraler Bedeutung für die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit sind, findet sich bereits bei Marshall (1890) und Schumpeter (1912). Nach Marshall (1890) treten die wichtigsten Spillovereffekte innerhalb von Industriesektoren auf und bewirken die Herausbildung industrieller Cluster. Der ökonomische Erfolg von Industrieclustern (wie etwa im Silicon Valley) führte in der Wirtschaftsgeographie zu einem gesteigerten Forschungsinteresse und einem enormen Anstieg von wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Themenkreis. Bei der Erforschung der Determinanten industrieller Cluster sind in zahlreichen Forschungsarbeiten Wissensspillovers als wesentlichste Determinante vorgeschlagen worden (vgl., beispielsweise, Krugman 1991). Wissensspillovers – Definition und Einführung Als Spillovers gelten im Allgemeinen jene aus den Aktivitäten eines Wirtschaftssubjektes bei anderen Wirtschaftssubjekten resultierenden Wirkungen, die nicht über einen

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Preismechanismus gesteuert werden. Spillovers können daher auch als Externalitäten oder externe Effekte bezeichnet werden. Diese Externalitäten können positiv sein, d.h. der Empfänger zieht einen Nutzen daraus, oder negative Auswirkungen auf den Empfänger haben. Technologische Wissensspillovers sind in diesem Kontext positive externe Effekte der Prozesse der Wissensproduktion, d.h. bestimmte Unternehmen profitieren von Prozessen und Ergebnissen der Wissensproduktion anderer Akteure (Unternehmen oder Forschungseinrichtungen), wobei diese Effekte unentgeltlich sind, oder ein geringerer Preis als deren Wert dafür bezahlt wird (vgl., unter anderem, Romer 1990, Caniels 2000, Karlsson und Manduchi 2001, Jaffe und Trajtenberg 2002, Maurseth und Verspagen 2002, Fischer und Varga 2003, Karlsson, Flensburg und Hörte 2004). „Knowledge spillovers may be defined to denote the benefits of knowledge to firms or individuals, not responsible for the original investment in the creation of this knowledge” (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006, S. 287). Treten technologische Wissensspillovers zwischen diskreten räumlichen Einheiten (z.B. Regionen) eines räumlich definierten Systems auf, spricht man von räumlichen Spillovers. Räumliche technologische Wissensspillovers sind somit in dieser Arbeit als positive externe Effekte der Wissensproduktion in einer räumlichen Einheit auf die Wissensproduktion in einer anderen räumlichen Einheit definiert. In dieser Studie werden die entsprechenden räumlichen Einheiten durch 188 europäische Regionen repräsentiert (vgl. Subkapitel 3.1). Wissensspillovers treten auf, weil das von einem Unternehmen oder einer anderen Organisation neu produzierte Wissen nicht vollkommen vom Wissensproduzenten vereinnahmt werden kann (Wissen hat teilweise den Charakter eines öffentlichen Guts, vgl. Subkapitel 2.1). „The basic idea here is that the creation of new knowledge by one firm has positive external effects on the knowledge production activities of other firms, either because knowledge cannot be kept secret, or because patents do not guarantee full protection from imitation “ (Karlsson und Manduchi 2001, S. 110). A priori könnte man daraus folgern, dass Wissensspillovers ein „Leck“ im Produktionssystem eines Unternehmens darstellen, in der Realität sind sie jedoch eine sine-qua-non Bedingung für ökonomisches Wachstum und die Generierung von neuem Wissen (vgl., unter anderem, Romer 1990). Nach Cohen und Levinthal (1989, S. 571) inkludieren Wissensspillovers "… any original, valuable knowledge generated in the research process which becomes publicly accessible, whether it be knowledge fully characterising an innovation, or knowledge of a more intermediate nature". Hinsichtlich der Art der Wissensgenerierung resultieren Wissensspillovers mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Grundlagenforschung, aber auch aus der angewandten Forschung und der Produktentwicklung (Karlsson, Flensburg und Hörte 2004). Im Kontext von Wissensspillovers zwischen Firmen ist es wichtig, zwischen intra- und intersektoralen Spillovereffekten zu unterscheiden (Feldman und Audretsch 1999,

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Karlsson und Manduchi 2001). Es stellt sich die Frage, ob eine bestimmte Branchenzusammensetzung das Ausmaß von Wissensspillovers beeinflusst. In der Literatur finden sich zwei verschiedene Strömungen hinsichtlich der Beurteilung dieser Frage. Das so genannte Marshall-Arrow-Romer Modell (MAR) erklärt, dass die Konzentration eines bestimmten Industriezweigs in einer Region für Unternehmen derselben Industriebranche intrasektorale Wissensspillovers hervorruft (Glaeser et al. 1992). Die Basishypothese ist, dass Wissensspillovers in erster Linie zwischen Unternehmen derselben Branche stattfinden. Eine alternative Sichtweise geht auf Jacobs (1969) zurück. Er geht davon aus, dass mehrere verschiedenartige Wissensquellen in einer Region Spillovereffekte und Innovation fördern bzw. intersektorale Wissensspillovers dominieren. Der Austausch von komplementärem Wissen zwischen Unternehmen verschiedener Branchen führt zu steigenden Skalenerträgen von neuem Wissen. Die Frage, ob Wissensspillovers technologischen Trajektorien folgen oder nicht, wird in der vorliegenden Arbeit empirisch getestet (vgl. Subkapitel 4.4). Die gewonnenen Ergebnisse zeigen, dass Wissensflüsse wahrscheinlicher zwischen technologisch nicht weit voneinander entfernten Unternehmen auftreten und unterstützen somit das MAR-Modell. Kanäle für Wissensspillovers Es gibt verschiedene Kanäle, über die Wissen fließt. Grob unterscheidet man zwischen in Sachgütern oder Arbeitskräften inkorporierten (embodied oder tangible) Wissensspillovers und immateriellen (disembodied oder intangible) Wissensspillovers (vgl. Tab. 5). Beide Arten von Wissensspillovers sind von großer Bedeutung bei der Wissens- und Technologiediffusion in einer Regional- oder Volkswirtschaft. Embodied Wissensspillovers beziehen sich beispielsweise auf den Ankauf von technologieintensiven Maschinen für den Produktionsprozess, den Handel und Transfer von Gütern oder auf die Mobilität von Arbeitskräften, die ihr Wissen in das neue Unternehmen mitbringen. Griliches (1979) spricht in diesem Zusammenhang vom Konzept der „rent spillovers“. Eine wichtige Rolle spielt auch die Mobilität von Arbeitskräften zwischen Forschungsinstitutionen und dem Unternehmenssektor sowie innerhalb der Unternehmen selbst. Die Mobilität von Arbeitskräften ist deswegen eine wichtige Komponente, da damit in erster Linie auch nicht-kodifizierte Wissenskomponenten übertragen werden. Geroski (1995) verdeutlicht am Beispiel der Halbleiterindustrie in den USA der 1960er Jahre, dass die durch die liberale Arbeitsmarktpolitik stimulierte Mobilität der Arbeitskräfte zu einer schnellen und breiten Wissensdiffusion sowie zu zahlreichen Unternehmensneugründungen führte. Disembodied Wissensspillovers werden über „nicht greifbare“ Kanäle übertragen. Sie fließen etwa über die gegenseitige technische Unterstützung von Unternehmen bei ähnlichen Produktionsprozessen (beispielsweise gemeinsame Projekte bzw. Nutzung von

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Computer-Aided Manufacturing Systemen), über Beschreibungen von neuen Produkten oder Produktionsprozessen, über Publikationen oder über Patente. Solche immateriellen Spillovereffekte können aber auch als „Nebenprodukt“ von Übernahmen oder Unternehmensfusionen entstehen. Griliches (1979) bezeichnet diese Art der Wissensspillovers als „pure spillovers“. Keller (2004) bietet eine ähnliche Taxonomie von Wissensspillovers. Er unterscheidet zwischen aktiven und passiven Wissensspillovers, wobei seine Klassifikation auf verschiedenen Transfermechanismen basiert. Der Ansatz unterscheidet Handel, ausländische Direktinvestitionen, Kommunikation, wissenschaftliche Publikationen und Patente. Spillovers werden als aktiv bezeichnet, wenn dem Empfänger eine „Blaupause“ des neuen Wissens zur Verfügung steht (zum Beispiel in Form eines Patents). Bei passiven Spillovers kann der Empfänger bestimmte Elemente des neuen Wissens sofort anwenden (zum Beispiel Handel mit intermediären Gütern). Aktive Spillovers entsprechen nach der Klassifikation von Keller (2004) damit disembodied Wissensspillovers, passive hingegen embodied Wissensspillovers. Tab. 5:

Transferkanäle für Wissensspillovers Transferkanäle embodied

disembodied



Mobilität von Arbeitskräften



wissenschaftliche Publikationen



Handel von technologieintensivem Equipment (Demonstrationseffekte)



Patente



Kommunikation

vertikale Verflechtungen



gemeinsame Projekte, gemeinsame Benutzung von Maschinen, …



Quelle: Griliches (1979), Geroski (1995)

Das Ausmaß, inwieweit ein Unternehmen Wissen über diese verschiedenen Kanäle absorbieren kann, hängt besonders von der eigenen Innovationskapazität, der Art des Wissens (kodifiziert oder nicht kodifiziert) und anderen Faktoren ab (Geroski 1995). Cohen und Levinthal (1989) meinen, dass hierbei sowohl die kognitiven Fähigkeiten des Unternehmens als auch dessen Bereitschaft, die Kosten der Wissensadoption in Kauf zu nehmen, wichtig sind. Das bedeutet, es muss ein ökonomischer Nutzen für den Empfänger des Wissens gegeben sein (Döring und Schellenbach 2004). Konzepte zur Messung von Wissensspillovers Wissensspillovers sind messtheoretisch nur äußerst schwierig systematisch und konsistent erfassbar. Nachdem Wissensspillovers nicht direkt beobachtbar sind, sind messbare Belege über das Ausmaß und die Bedeutung dieser nur sehr schwer zu erbringen. Krugman (1991) meint, dass Ökonomen davon absehen sollten, zu versuchen, Wissensspillovers empirisch zu erfassen. „… Knowledge flows are invisible, they leave no paper trails by which may 37

be measured and tracked“ (Krugman 1991, S 53). Der Ansatz von Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) zeigt jedoch auf, dass Wissensspillovers Spuren in Form von Patentzitierungen hinterlassen können. Die letzten Jahre brachten auch durch andere Messansätze erhebliche Fortschritte hinsichtlich der messtechnischen Erfassung und Modellierung von Wissensspillovers. Es lassen sich verschiedene Messkonzepte von Wissensspillovers unterscheiden, die sich durch eine bestimmte Art der Erfassung und durch bestimmte methodische Ansätze auszeichnen. Ein zentraler Messansatz, der in der Literatur oft als „Paper-Trail-Studien“ bezeichnet wird, geht auf Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) zurück. Dieser Ansatz wird auch in der vorliegenden Arbeit zur Realisierung der Forschungsfragen herangezogen. Patentzitierungen werden hierbei als direkter Indikator für Wissensspillovers betrachtet (vgl. Subkapitel 2.4 für eine ausführliche Diskussion von Patentzitierungen). Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) verwendeten Patentzitierungen im Rahmen eines „Case-Control-Matching“ Ansatzes. Diese Methode vergleicht die Wahrscheinlichkeit der geographischen Lokalisierung in derselben Region von einander zitierenden Patentpaaren (ein Patentpaar besteht demnach aus einem zitierenden und einem zitierten Patent) und „Kontrollpatenten“, die in derselben technologischen Klasse und zeitlichen Periode wie das zitierte Patent liegen, jedoch selbst keine Zitierungen aufweisen. Nachdem die „Kontrollpatente“ die existierende geographische Verteilung der Wissensproduktion auf derselben technologischen Aggregationsebene abbilden, wird eine höhere geographische Übereinstimmung bei den Zitierungspatentpaaren als bei den „Kontrollpatenten“ als Beleg für geographische Lokalisierungseffekte von Wissensspillovers interpretiert. Weitere Untersuchungen verwendeten Patentzitierungen als direkten Indikator für Wissensspillovers, um den Einfluss verschiedener Merkmale auf die Spilloverintensität oder die geographische Dimension von Wissensspillovers zu erfassen (vgl., beispielsweise, Maurseth und Verspagen 1998, Maurseth und Verspagen 2002, Verspagen und Schoenmakers 2004, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Ein anderer prominenter Ansatz versucht über die Schätzung einer Produktionsfunktion von Wissen den Einfluss von Wissensspillovers auf die Wissensproduktion in Unternehmen zu erfassen, wobei die Wissensproduktion von Ausgaben für Forschung und Entwicklung, vom existierenden Wissensbestand des Unternehmens und von externen Wissensquellen abhängt. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass durch Schätzung der Wissensproduktionsfunktion der Einfluss von externem Wissen auf die Wissensproduktion festgestellt werden kann. Die Problematik liegt in der Wahl einer geeigneten räumlichen Aggregationsebene, ob und wie räumliche Effekte berücksichtigt werden und wie der Output von regionaler Wissensproduktion operationalisiert wird (in der Regel durch Patentanmeldungen). Trotz dieser Schwächen gibt es einige empirisch sauber durchgeführte Studien, die diesen Ansatz verfolgen und darauf hindeuten, dass Wissensspillovers geographisch limitiert sind (vgl., beispielsweise, Anselin, Varga und Acs 2000, Bottazzi und Peri 2003, Fischer und Varga 2003). Ein weiteres Messkonzept baut auf der Idee auf, dass Wissen in erster Linie in den Köpfen von Personen inkorporiert ist. Daher wird die Mobilität von Arbeitskräften, und hierbei 38

insbesondere die von Forschungspersonal und Wissenschaftlern, betrachtet. Ein Beispiel ist die Studie von Zucker, Darby und Armstrong (1994), die die Mobilität von Forschungspersonal im Biotechnologiesektor Kaliforniens untersucht. Es zeigt sich, dass zahlreiche Biotechnologieunternehmen Wissen gewinnen konnten, indem sie führende Wissenschaftler dieser Disziplin („star scientists“) von den umliegenden Universitäten anwarben, wobei diese ihre Kontakte zur jeweiligen Universität aufrechterhielten. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, dass die Lokalisierung von „star scientists“ in der Biotechnologie in den USA ein wichtiger Faktor für die Standortsuche neuer Biotechnologiefirmen ist. Almeida (1996) verfolgt diesen Ansatz in einer Untersuchung über den Einfluss der Mobilität von Ingenieuren in der Halbleiterindustrie auf das Muster von Patentzitierungen. Es wurde festgestellt, dass starke Effekte von Wanderungsbewegungen der Ingenieure auf Zitierungsmuster vorhanden sind bzw. die Wanderung dieser Individuen die Entwicklung der Halbleiterindustrie mitbestimmt. Coe und Helpman (1995) verfolgen einen Ansatz, der in erster Linie im Zusammenhang mit inter-industriellen und internationalen Wissensspillovers steht. Sie betonen jene Verflechtungen zwischen Unternehmen und Industrien, die durch internationale Kundenund Zuliefererbeziehungen entstehen. Bei diesem Ansatz ist demnach der Handel mit Gütern der Hauptkanal für Wissensspillovers. Coe und Helpman (1995) definieren den ausländischen Wissensbestand eines Unternehmens als die Summe der Wissensbestände der Handelspartner dieses Unternehmens, gewichtet nach den jeweiligen Handelsanteilen. Die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen, dass der Wissensbestand ausländischer Handelspartner einen signifikant positiven Effekt auf die gesamte Faktorproduktivität eines Unternehmens ausübt, was die Existenz internationaler Wissensspillovers impliziert. Branstetter (2001) weist jedoch darauf hin, dass aufgrund der technologischen Heterogenität von internationalen Handelspartnern dieser Messansatz auf der Ebene von Länderdaten zu verzerrten Ergebnissen führen kann. Er zeigt hingegen, dass ausländisches Wissen im Vergleich zu jenem Wissen, das dem nationalen oder regionalen Umfeld entstammt, eine geringere Rolle spielt, bzw. intranationale Wissensspillovers bedeutender sind als internationale Wissensspillovers (dies bestätigt auch die vorliegende Untersuchung, vgl. Subkapitel 4.3) In dieser Arbeit wird ein konzeptioneller Analyserahmen gewählt, der dem ersten Messansatz folgt, indem Patentzitierungen als Indikator herangezogen werden und damit eine direkte Messung von Wissensspillovers angestrebt wird. Sie nimmt somit methodologische Elemente von früheren Forschungsarbeiten auf, die ebenfalls Patentzitierungen als Indikator für Wissensspillovers verwendeten (vgl., beispielsweise, Jaffe, Trajtenberg und Henderson 1993, Jaffe und Trajtenberg 2002, Maurseth und Verspagen 2002, Thompson 2004, Thompson und Fox-Kean 2005). Die räumliche Dimension von Wissensspillovers In neoklassischen Wachstumstheorien wird davon ausgegangen, dass Wissen sofort räumlich diffundiert bzw. keine geographische Barriere für Wissensspillovers gegeben ist. Dies ist aufgrund der Eigenschaften von neuem Wissen (vgl. Subkapitel 2.1) jedoch eine 39

sehr kühne Annahme (Caniels 2000). „The tacit character of much of the new knowledge implies that the potential for knowledge spillovers varies considerably over space” (Karlsson, Flensburg und Hörte 2004, S. 8). Implizites Wissen verlangt in der Regel nach persönlichen face-to-face Kontakten, um es übertragen zu können, denn die Adoption von komplexem Wissen funktioniert nur durch Lernen. Nachdem face-to-face Kontakte über längere Distanzen zeit- und kostenaufwendig sind, liegt es nahe, anzunehmen, dass Wissensspillovers geographisch limitiert sind. Wendet man diese Einsichten auf regionalwirtschaftliche Wachstumstheorien an, wird klar, dass die traditionelle neoklassische Sichtweise nicht zutrifft. „Tacit knowledge will be kept in firms, so knowledge will stay with one geographical location and not diffuse easily” (Caniels 2002, S.8). Ansätze der neuen Wirtschaftsgeographie, die aus Kritik an der traditionellen neoklassischen Sichtweise entstanden sind, betonen daher stärker die zentrale Rolle von leichter über kleinere räumliche Distanzen fließenden Wissensspillovers für ökonomisches Wachstum (Krugman 1991). Diese Schlüsselrolle von lokalisierten Wissensspillovers in theoretischen Arbeiten der neuen Wirtschaftsgeographie führte zu einem Anstieg an ökonometrischen und empirischen Studien, die den Einfluss von geographischer Distanz auf Wissensspillovers untersuchen. Diese Studien profitieren von der gestiegenen Verfügbarkeit und der digitalen Bearbeitungsmöglichkeit großer Datenmengen, wie etwa von Patenten, Ausgaben für F&E oder Forschungspersonaldaten (vgl., beispielsweise, Jaffe, Trajtenberg, und Henderson 1993, Caniels 2000, Funke und Niebuhr 2000, Autant-Bernard 2001, Wallsten 2001, Echeverri-Carroll 2001, Bottazzi und Peri 2003, Maurseth und Verspagen 2002, Audretsch und Feldman 2004, Fischer, Scherngell, und Jansenberger 2006). Trotz der empirischen Studien bestehen nach wie vor unterschiedliche Ansichten darüber, wie stark bzw. ob Wissensspillovers überhaupt räumlich beschränkt sind. Breschi und Lissoni (2001, S. 976) weisen darauf hin, dass „… the role of geographical distance in the economics of knowledge transmission … is still rather controversial”.

2.4 Patentzitierungen als Indikator zur Messung von Wissensspillovers Wissensspillovers sind messtheoretisch nur schwierig systematisch erfassbar (vgl. Subkapitel 2.3). Die letzten Jahre brachten jedoch erhebliche Fortschritte bei der messtechnischen Erfassung von Wissensspillovers. Diese Arbeit verwendet zur Bearbeitung der Forschungsfragen einen Messansatz, der Patente als Indikator zur Messung von neuem Wissen (vgl. Subkapitel 2.2) und Zitierungen in Patenten als Indikator für Wissensspillovers betrachtet. Was ist eine Patentzitierung? Patente enthalten Referenzen in Form von Zitierungen auf früher angemeldete Patente (vgl. Abb. 7). Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) entdeckten Patentzitierungen zur

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Erfassung von Wissensflüssen. Wissensflüsse „… do sometimes leave a paper trail, in the form of citations in patents“ (Jaffe, Trajtenberg und Henderson 1993, S. 578). Es wird argumentiert, dass Patentzitierungen in einem Patent auf ältere Patente verweisen, die in irgendeiner Form nützlich für das neue Patent waren, und damit indikativ für Wissensspillovers sind. Der Unterschied von Patentzitierungen zu Zitierungen von Publikationen in wissenschaftlichen Texten liegt darin, dass Patentzitierungen eine wichtige rechtliche Funktion zur Feststellung des früheren Wissens, auf welchem die neue Erfindung basiert, darstellen und somit den Geltungsbereich der Eigentumsrechte, die für das neue Patent vergeben werden, einschränken. „Patent citations serve an important legal function, since they delimit the scope of the property rights awarded by a patent“ (Jaffe und Trajtenberg 2002, S. 53). Wenn ein Patent A ein anderes, früher angemeldetes Patent B zitiert, bedeutet dies, dass Patent B bereits existierendes, früheres Wissen repräsentiert, auf welchem Patent A aufbaut. Die Patentzitierung schränkt somit den Geltungsbereich von Patent A ein. „The chief legal purpose of the patent references is to indicate which parts of the described knowledge are claimed in the patent, and which parts have been claimed earlier in other patents“ (Maurseth und Verspagen 2002, S. 534). Abb. 9 zeigt ein Beispiel einer Patentzitierung aus dem Bereich der elektronischen Industrie. Der Patentanmelder hat die rechtliche Verpflichtung, das gesamte Wissen, auf welchem die neue Erfindung aufbaut, bekannt zu geben. Die letztendliche Entscheidung, welches Patent zitiert wird, obliegt dem Patentprüfer des Patentamts, der das entsprechende Expertenwissen auf dem technologischen Gebiet, dem das Patent zuzuordnen ist, aufweist (Jaffe und Trajtenberg 2002). Die Vorgehensweise bei der Prüfung und beim möglicherweise notwendigen Hinzufügen von Patentzitierungen durch den Beamten des Patentamts ist an verschiedenen Patentämtern unterschiedlich und wird im Anschluss diskutiert. Den Rahmen für die Suche nach früherem, bereits patentiertem Wissen bildet das IPCSystem. Das Europäische Patentamt (EPO) ordnet nach diesem Klassifikationssystem jedes Patent zu einer sehr spezifischen technologischen Klasse zu (vgl. Subkapitel 2.2). Damit sind die Patentzitierungsflüsse, wie auch die Patente selbst, engen technologischen Bereichen zuzuordnen. Das Beispiel aus Abb. 9 veranschaulicht eine Zitierung eines Patents des Unternehmens Philips Electronics N.V. aus den Niederlanden, das ein Patent des Unternehmens Ascom Business AG in der Schweiz zitiert. Philips Electronics N.V. ist eines der weltweit führenden Elektronikunternehmen, Ascom Business AG ist ein internationaler Zulieferer von Telekommunikationsdiensten, integrierten Stimm- und Daten-Kommunikationstools und kabellosen Sicherheitslösungen von Netzwerken. Bei der im Patent geschützten Erfindung von Philips Electronics N.V. handelt es sich um ein „FunkKommunikationssystem mit verteilten Feststationen“. Die Erfindung von Ascom Business AG, die von Philips Electronics N.V. zitiert wird, ist eine nach der „DECT-Norm (Digital Enhanced Cordless Telecommunications) arbeitende Schnurlos-Telefonanlage“. Die Firma 41

Philips Electronics N.V. verwendete also von der Firma Ascom Business AG produziertes Wissen über kabellose Technologien zur Entwicklung einer kabellosen Lösung für Funkkommunikationssysteme. Abb. 9: Beispiel einer Patentzitierung Zitierendes Patent Publikationsnr.: Publikationsdatum:

EP0717575 06.11.1996

Erfindung:

Radio Communications systems with remote base stations

Anmelder:

Philips Electronics N.V.

IPC:

H04Q7/30

Referenzen:

EP0562494, EP0539265

Zitierung

Spillover

Zitiertes Patent Publikationsnr.: Publikationsdatum:

EP0562494 21.06.1995

Erfindung:

Cordless telephone arrangement working according to DECT-norm

Anmelder:

Ascom Business AG

IPC:

H04Q7/04

Referenzen:

EP0233963

Quelle: EPO (2006)

Nachdem die beiden Patentdokumente aus Abb. 9 die Lokalisierung der Erfinder der beiden Patente aufweisen, kann mit dieser Patentzitierung der Wissensspillover räumlich erfasst werden. Es handelt sich in diesem Beispiel um einen intrasektoralen Spillover, da beide Patente derselben technologischen Klasse zugeordnet sind (H04Q/7 entspricht der Hauptgruppe „Selecting arrangements to which subscribers are connected via radio links or inductive links“, H04 ist die Klasse „Electric Communication Technique“). Der Zitierungslag beträgt in diesem Fall 17 Monate. Als Zitierungslag wird jene Zeitperiode

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bezeichnet, die zwischen der Veröffentlichung des zitierten bis zur Veröffentlichung des zitierenden Patents liegt. Abb. 10: Zitierungen erster und zweiter Ordnung Zitierende Patente, 2. Ordnung

Zitierende Patente, 1. Ordnung („Kinder“)

Ursprungspatent

Zitierte Patente, 1. Ordnung („Eltern“)

Zitierte Patente, 2. Ordnung Zitierungsfluss

Quelle: adaptiert nach Jaffe und Trajtenberg (2002)

Ein Patent kann mehrere Zitierungen auf andere Patente enthalten. Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) bezeichnen die zitierenden Patente eines bestimmten Patents als „Kinder“ dieses Patents, jene Patente, die es selbst zitiert, als „Eltern“. Zudem kann man von einem Patent ausgehend zwischen Zitierungen erster Ordnung, Zitierungen zweiter Ordnung etc. unterscheiden. Das Beispiel aus Abb. 9 wäre eine Zitierung erster Ordnung. Das Patent der Firma Ascom Business AG zitiert ebenfalls ein Patent (EP0233963). Diese Zitierung wäre aus der Sicht des Patents der Firma Philips Electronics N.V eine Zitierung zweiter Ordnung. Mit der Betrachtung von Zitierungsflüssen über mehrere Patente hinweg kann somit sehr gut die Entwicklung innerhalb einer technologischen Klasse betrachtet werden. Zudem kann man die Anzahl der zitierenden Patente eines Patents heranziehen, um die relative Wichtigkeit einer Erfindung zu messen. Jaffe und Trajtenberg (2002) zeigen damit, dass Patente von Universitäten eine höhere Breitenwirkung haben als Patente von Unternehmungen. Abb. 10 stellt beispielhaft die Relation von zitierenden und zitierten Patenten erster bzw. zweiter Ordnung zum Ursprungspatent dar.

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Schwächen von Patentzitierungen als Indikator für Wissensspillovers Patentzitierungen weisen, wie alle anderen Indikatoren der Innovationsforschung auch, bestimmte Limitierungen auf. Zunächst ist festzuhalten, dass Patentzitierungen dieselben Schwächen haben wie Patente im Allgemeinen. Erstens erfüllen nicht alle neuen Erfindungen die Kriterien der Patentierbarkeit. Zweitens entscheidet sich ein Erfinder nicht zwangsläufig dafür, eine Erfindung patentieren zu lassen. Patente stellen daher nur ein Subset aller Erfindungen dar (vgl. Subkapitel 2.2). Neben diesen Schwächen ist klar festzustellen, dass mithilfe von Patentzitierungen nur bestimmte Typen von Wissensspillovers erfasst werden können, nämlich jene zwischen patentierten Inventionen. Außerdem können ausschließlich disembodied Wissensspillovers erfasst werden. Damit wird das tatsächliche Ausmaß von Wissensspillovers unterschätzt. “Other channels of knowledge transfers are not captured by patent citations, such as, for example, interfirm transfer of knowledge embodied in skilled labour; knowledge flows between customers and suppliers; knowledge exchange at conferences and trade fairs, etc.” (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006, S. 290). In Studien, die Patentzitierungen als Indikator für Wissensspillovers verwenden, ist daher klar darzulegen, dass nur spezifische Spillovereffekte erfasst werden. Daneben repräsentieren Patentzitierungen nicht immer das, was in der vorliegenden Arbeit als Wissensspillover definiert wurde. Dies trifft dann zu, wenn die entsprechende Zitierung vom Beamten des Patentamts hinzugefügt wurde und der Erfinder des Patents sich dieses bereits vorhandenen Wissens nicht bewusst war. Dadurch entsteht ein gewisses „Rauschen“ in Patentzitierungsdaten, wobei Thompson (2004) zeigt, dass für bestimmte Forschungsfragen dieses Problem bei Verwendung eines entsprechend großen Datensamples abgedämpft werden kann. Untersuchungen von Jaffe, Trajtenberg und Fogarty (2000), Alcacer und Gittelman (2004) und Criscuolo und Verspagen (2005) erforschten das Ausmaß dieses „Rauschens“. Jaffe, Trajtenberg und Fogarty (2000) versuchten über eine Befragung von Erfindern herauszufinden, wie viele Erfinder von patentierten Inventionen in Verbindung mit den Erfindern eines zitierten Patents standen. „Overall, the results confirm that citations can be interpreted as providing a (noisy) signal of spillovers“ (Jaffe und Trajtenberg 2002, S. 394). Eine Analyse der Befragungsergebnisse ergab, dass die Wahrscheinlichkeit eines „wahren“ Wissensspillovers bei Vorhandensein einer Zitierung deutlich höher als bei keiner Zitierung ist. Nichtsdestotrotz wurden zahlreiche Zitierungen festgestellt, die nicht mit Spillovers korrespondieren. Daraus ist zu folgern, dass Patentzitierungen mehr auf der Ebene von Organisationen, Industriebranchen oder Regionen als auf der individuellen Ebene indikativ für Wissensspillovers sind (Jaffe, Fogarty und Banks 1998). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Alcacer und Gittelman (2004, S.2), deren „… results do not change the presumption that patents trace out knowledge flows: inventors face strong legal pressures to reveal all they know, and citations do contain a signal of knowledge flows”.

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Neben dieser Schwäche ist weiters hinzuzufügen, dass ein Großteil der Zitierungen Selbstzitierungen sind. Eine Selbstzitierung ist durch die Identität von Anmelder des zitierten und des zitierenden Patents gekennzeichnet. Selbstzitierungen müssen daher bei Patentzitierungsanalysen zur Erfassung von Wissensspillovers ausgeschlossen werden, da Spillovers als externe Effekte zwischen Unternehmen definiert sind, jedoch Selbstzitierungen Wissensflüsse innerhalb von Unternehmen abbilden. Anwendungen von Patenzitierungsdaten in der empirischen Innovationsforschung Patentzitierungen stellen einen relativ neuen Indikator der Innovationsforschung dar, was damit zusammenhängt, dass erst mit der Entwicklung neuer Informationstechnologien und der digitalen Verfügbarkeit von Patentdaten eine entsprechende Verwendung der Patentzitierungsdaten möglich wurde. Die erste Anwendung von Patentzitierungsdaten findet sich bei Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) (vgl. Subkapitel 2.3). Mit dem Ansatz von Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) zeigen Almeida (1996) und Almeida und Kogut (1997) mithilfe von Patentzitierungsdaten aus der Halbleiterindustrie, dass Klein- und Start-up-Unternehmen stärker als große Unternehmen in regionale Netzwerke verankert sind bzw. die lokale Wissensbasis für diese eine größere Rolle spielt (vgl. Subkapitel 2.3). Maurseth und Verspagen (2002) verwenden einfache Regressionsmodelle, um den Einfluss verschiedener Variablen auf die Zitierungsintensität zwischen europäischen Regionen zu messen. Die Ergebnisse weisen auf die Existenz geographischer Barrieren für Wissensspillovers hin. Zudem wurde festgestellt, dass technologische Nähe zwischen zwei Regionen die Wahrscheinlichkeit von Patentzitierungen zwischen diesen beiden Regionen erhöht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Verspagen und Schoenmakers (2004) bei der Analyse von Patentzitierungsdaten europäischer multinationaler Unternehmen. Paci und Batteta (2003) analysieren 1,3 Millionen Patentzitierungen europäischer Unternehmen zur Erfassung von technologischen Netzwerken in verschiedenen Branchen. Verspagen und de Loo (1999) verwenden Patentzitierungen zur Erforschung der Dynamik intersektoraler Spillovereffekte. Singh (2003) zieht Patentzitierungsdaten heran, um internationale Unternehmensnetzwerke zu identifizieren. Die durchschnittliche Häufigkeit von Zitierungen an verschiedenen Patentämtern Es zeigen sich an verschiedenen Patentämtern deutlich differierende Häufigkeiten der durchschnittlichen Zitierungen pro Patent. Die größten internationalen Patentämter sind das EPO, das USPTO (United States Patent and Trademark Office) und das JPO (Japanese Patent Office). Diese Patentämter erhalten weltweit etwa 90% aller Patentanmeldungen. Tab. 6 enthält die durchschnittliche Anzahl an Patentzitierungen pro Patentanmeldung an verschiedenen Patentämtern im Jahre 1999. Für das JPO stehen keine entsprechenden Daten zur Verfügung. Vergleicht man das USPTO und das EPO miteinander, fällt auf, dass die Patentanmeldungen am USPTO im Durchschnitt ungefähr dreimal so viele 45

Patentzitierungen aufweisen als jene am EPO. Die durchschnittliche Zitierungsintensität am deutschen und britischen Patentamt liegt etwa im Bereich jener des EPO. Dies deutet auf ähnliche Routinen beim Zitieren von anderen Patenten in Europa bzw. an europäischen Patentämtern hin, während zum USPTO eine relative große Diskrepanz besteht. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, dass Anmelder in den USA bei Einreichung eines Patents verpflichtet sind, eine Liste mit dem Stand der Technik im jeweiligen technologischen Feld bekannt zu geben. Diese rechtliche Vorgabe, die bei Nicht-Erfüllung zur Zurückweisung des Patents führen kann, hat zur Folge, dass Patentanmelder am USPTO kein Risiko eingehen möchten und daher eher mehr zitieren, als tatsächlich notwendig wäre. „Therefore, what happens on the part of the applicants is that, rather than running the risk of filing an incomplete list of references, they tend to quote each and every reference even if it is only remotely related to what is to be patented” (Michels und Bettels 2001, S. 192). Der Patentbeamte entfernt von diesen Zitierungen in der Regel keine mehr und übernimmt diese ohne Korrekturen in die Liste der Referenzen auf. Manche Forscher kritisieren in diesem Zusammenhang, dass Patente mit einer Referenzliste von über 100 Referenzen nicht mehr sinnvoll verwendet werden können. Tab. 6: Durchschnittliche Anzahl an Zitierungen pro Patentanmeldung (1999) Patentamt EPO USPTO GPO BPO EPO USPTO

durchschnittliche Patentzitierungen 4,37 12,96 3,98 3,87 Europäisches Patentamt

United States Patent and Trademark Office

GPO

German Patent Office

BPO

British Patent Office

Quelle: Michels und Bettels (2001)

Im Gegensatz zum USPTO steht es dem Anmelder am EPO frei, eine Zitierung anzugeben, jedoch wird jede Zitierung genau überprüft bzw. im jeweiligen technologischen Feld intensiv der Stand der Technik recherchiert und entsprechende Zitierungen durch den Beamten hinzugefügt. Die Praxis am JPO ähnelt jener des EPO, allerdings werden Patentzitierungen des JPO nicht veröffentlicht. Insgesamt ist daraus zu schließen, dass bei Verwendung von EPO-Patentzitierungsdaten das „Rauschen“ in den Daten deutlich geringer als bei USPTO-Zitierungen ist.

46

3

Europäische High-Tech Patente und Patentzitierungen – Eine explorative Analyse

Kapitel 3 verwendet High-Tech Patentdaten bzw. High-Tech Patentzitierungsdaten zur explorativen Analyse der europäischen Wissensproduktion und interregionaler Wissensspillovers zwischen europäischen Regionen. Die Ergebnisse sollen einerseits Anstöße für nachfolgende explanatorische Analysen geben (Kapitel 4), andererseits im Kontext der Forschungsfragen erste Hinweise bezüglich der geographischen Dimension von Wissensspillovers liefern. Um die explorative Datenanalyse durchführen zu können, ist es zunächst notwendig, den Untersuchungsraum und den Hochtechnologiesektor genau abzugrenzen. Im Anschluss daran werden bestimmte Eigenschaften der High-Tech Patentdaten durch deskriptive Analysen aufgezeigt. Die geographische Dimension wird durch räumlich-statistische Verfahren erforscht und durch Kartendarstellungen visualisiert. Abschließend wird sowohl die Ausprägung als auch die geographische Verteilung der in den Patenten enthaltenen Patentzitierungen zwischen den Regionen des Untersuchungsgebiets analysiert. Dies soll bereits erste Antworten darauf geben, ob Wissensspillovers geographisch lokalisiert sind oder nicht.

3.1

Abgrenzung des Untersuchungsraums und der High-Tech Industrie

Bevor interregionale Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie konkret gemessen werden können, ist es notwendig, das zugrunde liegende Raumsystem und dessen regionale Gliederung präzise abzugrenzen. Zudem muss definiert werden, welche Branchen zur High-Tech Industrie zu zählen sind. Abgrenzung des Raumsystems Das Untersuchungsgebiet dieser Arbeit ist Europa, wobei im gegenständlichen Fall die Länder der EU-25 (ohne Malta und Zypern) sowie Schweiz, Norwegen, Bulgarien und Rumänien herangezogen werden. Die Definition der weiteren regionalen Untergliederung dieser Länder basiert auf der Nomenclature des Unites Territoriales Statistiques (NUTS) der Europäischen Kommission. NUTS ist eine systematische, hierarchische regionale Gebietsgliederung der Europäischen Union. Die NUTS-Systematik der Gebietseinheiten wurde Anfang der 1980er Jahre von Eurostat im Auftrag der Europäischen Kommission entwickelt, einerseits für Zwecke der Regionalstatistik, andererseits um gezielt Fördermittel für strukturschwache Regionen zu verteilen bzw. die Förderung strukturschwacher NUTS-Regionen zu koordinieren. Obwohl das Klassifikationssystem seit 1988 in der Gesetzgebung der Gemeinschaft angewendet wird, wurde eine entsprechende Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates erst im Jahr 2003 erlassen. Die Verordnung soll sicherstellen, dass die fortlaufenden Veränderungen in den Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten von statistischer Seite 47

möglichst reibungslos bewältigt und mitgetragen werden, ohne dass es dabei zu nennenswerten Abstrichen an der Verfügbarkeit und Vergleichbarkeit regionalstatistischer Daten kommt. Angesichts des anstehenden Erweiterungsprozesses der EU gewinnt dieses Ziel zusätzlich an Bedeutung (Eurostat 2005). Die neueste Revision der NUTS-Systematik ist durch verschiedene räumliche Aggregationsebenen charakterisiert. Die oberste Ebene (NUTS-0) entspricht den Ländern der EU sowie der EFTA-Länder (Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz) als auch der EU-Beitrittskandidaten (Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Türkei). Die nächste darunterliegende Ebene (NUTS-1) unterteilt das Gebiet der untersuchten Länder in 92 Regionen, es folgen 280 Regionen der Ebene NUTS-2 und 1326 Regionen der Ebene NUTS-3 (vgl. Tab. 7). Unterhalb der NUTS-Regionen sind zusätzlich zwei Ebenen der lokalen Gebietseinheiten (LAU 1 und LAU 2) definiert, die in der Regel mit Gemeinden korrespondieren. Tab. 7:

Anzahl der Regionen nach NUTS-Ebenen in den untersuchten Ländern

Code AT BE BG CH CZ DE DK EE ES FI FR GR HU IE IT LT LU LV NL NO PL PT RO SE SI SK UK Gesamt

Land (Ebene NUTS-0) Österreich Belgien Bulgarien Schweiz Tschechische Republik Deutschland Dänemark Estland Spanien Finnland Frankreich Griechenland Ungarn Irland Italien Litauen Luxemburg Lettland Niederlande Norwegen Polen Portugal Rumänien Schweden Slowenien Slowakei United Kingdom

Quelle: Eurostat (2005a)

48

NUTS-1 3 3 2 1 1 16 1 1 7 2 9 4 3 1 5 1 1 1 4 1 6 3 1 1 1 1 12 92

NUTS-2 9 11 6 7 8 41 1 1 19 5 26 13 7 2 21 1 1 1 12 7 16 7 8 8 1 4 37 280

NUTS-3 35 43 28 26 14 439 15 5 52 20 100 51 20 8 103 10 1 6 40 19 45 30 42 21 12 8 133 1326

Als Verwendungszweck der NUTS-Systematik nennt Eurostat (2005) folgende Bereiche: •

Erfassung und Harmonisierung regionalstatistischer Daten in der Gemeinschaft: Im Laufe der 1970er Jahre ist man in den einzelnen Statistikbereichen schrittweise dazu übergegangen, anstelle fachspezifischer Gebietsaufteilungen (wie z. B. nach Agrar- oder Verkehrsregionen) die NUTS-Systematik zu verwenden. Die NUTS dient außerdem als Bezugsrahmen für die regionalwirtschaftliche Gesamtrechnung (beispielsweise des Bruttoregionalprodukts).



Erstellung sozioökonomischer Analysen der Regionen: Die NUTS-Systematik ermöglicht Größenvergleiche zwischen Regionen und bietet gleichzeitig mehrere IU$QDO\VH]ZHFNHQXW]EDUH.ODVVL¿NDWLRQVHEHQHQ:LHEHUHLWVDXIGHUYRQ der Kommission durchgeführten Brüsseler Konferenz für Regionalwirtschaft festgestellt wurde, beziehen sich die Mitgliedstaaten bei der Durchführung regionalpolitischer Maßnahmen in der Regel auf NUTS-2-Regionen und erachten GLHV DOV GLH JHHLJQHWH (EHQH IU GLH$QDO\VH UHJLRQDOHU 3UREOHPH 1876 VROO dann herangezogen werden, wenn es um die Untersuchung gemeinschaftsspezi¿VFKHU UHJLRQDOHU 3UREOHPH JHKW ZLH HWZD XP GLH$XVZLUNXQJHQ GHU =ROOXQLRQ und der wirtschaftlichen Integration auf die dem Staatsgebiet unmittelbar nachJHRUGQHWHQ *HELHWVHLQKHLWHQ 'LH (EHQH 1876 HLJQHW VLFK IU VSH]L¿VFKH :LUWVFKDIWVGLDJQRVHQRGHU]XUJHQDXHQ(LQJUHQ]XQJGHU*HELHWHLQGHQHQUHJLRnDOSROLWLVFKH0D‰QDKPHQHUIRUGHUOLFKVLQG



Gestaltung der Regionalpolitik innerhalb der Gemeinschaft: Bei der Feststellung der Förderungswürdigkeit im Rahmen der Strukturfonds wurden die Regionen mit Entwicklungsrückstand (Ziel-1-Fördergebiete) auf Basis von NUTS-2 bestimmt. Die Fördergebiete für die anderen prioritären Ziele sind zum überwiegenden Teil anhand der Ebene NUTS-3 festgelegt worden. Für den periodischen Bericht über die sozioökonomische Lage und Entwicklung der Regionen, den die Kommission für regionale Entwicklung alle drei Jahre erstellt, diente bisher die Ebene NUTS-2.

Trotz des Bestrebens, Regionen vergleichbarer Größe ein und derselben NUTS-Ebene zuzuordnen, gibt es auf den einzelnen Ebenen nach wie vor Gebietseinheiten, die sich hinsichtlich der Fläche, der Bevölkerungszahl, der Wirtschaftskraft oder der Stellung in der Verwaltungshierarchie sehr deutlich voneinander unterscheiden. Die flächenmäßig größten Regionen der NUTS-2-Ebene befinden sich in Schweden und Finnland (Övre Norrland mit 154.310 km² und Pohjois-Suomi mit 133.580 km²). Bei den Bevölkerungszahlen sind teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen festzustellen: Auf der Ebene NUTS-1 sind Nordrhein-Westfalen (Deutschland) und NordOvest (Italien) die bevölkerungsreichsten Regionen (18 bzw. 15 Millionen Einwohner), während Åland (Finnland) mit 25.000 Einwohnern die niedrigste Bevölkerungszahl aufweist. Auf der Ebene NUTS-2 haben Île-de-France (Frankreich) und Lombardia (Italien) eine Einwohnerzahl von 11 bzw. 9 Millionen, während in 13 Regionen jeweils weniger als 300.000 Menschen leben. Tab. 8 zeigt die von der NUTS-Verordnung festgelegten Ober- und Untergrenzen der Durchschnittsgröße der NUTS-Regionen hinsichtlich der Bevölkerungszahl. 49

Tab. 8: Ebene NUTS-1 NUTS-2 NUTS-3

Ober- und Untergrenze der mittleren Bevölkerungszahl von NUTS-Regionen Obergrenze 7.000.000 3.000.000 800.000

Untergrenze 3.000.000 800.000 150.000

Quelle: Eurostat (2005a)

Abb. 11 stellt die in der vorliegenden Arbeit gewählte regionale Gliederung der untersuchten Länder dar. Die Regionen entsprechen der NUTS-2-Ebene der regionalen Klassifikation für die Länder Österreich, Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien. Für die anderen Länder musste aus datentechnischen Gründen die NUTS-0-Ebene herangezogen werden1. Einige Regionen wurden aufgrund ihrer geringen Größe mit umliegenden Regionen zusammengefasst. Damit ergibt sich ein Raumsystem mit n = 188 Regionen. Die detaillierte Auflistung der Regionen findet sich im Anhang. Abb. 11: Das Untersuchungsgebiet und dessen regionale Gliederung

Quelle: Macon AG (Geodaten)

1

50

Die Zuordnung der Patente zu den Regionen erfolgte mit Hilfe einer von Eurostat (2001) zur Verfügung gestellten Konkordanztabelle zwischen Postleitzahlen und NUTS-Regionen, die jedoch keine Informationen für die osteuropäischen Länder sowie für die Schweiz, Norwegen und Irland enthält.

Die Bedeutung von High-Tech Industrien Zur Analyse von Wissensspillovers in Europa wurden in der vorliegenden Arbeit High-Tech Industrien gewählt, da diese am intensivsten Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten ausüben und daher besonders die Generierung von Spillovereffekten stimulieren (Bernstein und Nadiri 1988). Zudem spielen High-Tech Unternehmen sowohl aus ökonomischer als auch aus gesellschaftlicher Perspektive eine zentrale Rolle. Der Alltag rund um den Globus ist ohne die Errungenschaften der HighTech Industrie nicht mehr vorstellbar. Vom selbstverständlichen Umgang mit Computer und Internet (inklusive der dazu notwendigen Software und Hardware) bis zur mobilen Kommunikation (per Mobiltelefonie oder per Personal Digital Assistant) wird das moderne Leben geprägt. High-Tech ist beispielsweise in der Medizintechnik oder bei der Verkehrssicherheit heutzutage essentieller Bestandteil. Der Erfolg eines High-Tech Unternehmens hängt sehr stark von ständigen Neuerungen bezüglich Produkttechnologie, Produktangebot, Produktionsprozessen und Geschäftsmodellen ab. Die Chance, von einer Innovation zu profitieren, währt in den allermeisten Fällen aufgrund der immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen nur sehr kurze Zeit. Schnelle Markteinführung und Marktdurchdringung sind daher vor dem Hintergrund ständig steigender Kundenerwartungen von entscheidender Bedeutung (Dicken 2003). Ursache und Wirkung der Globalisierung lassen sich an keinem anderen Beispiel so gut wie an der High-Tech Industrie nachvollziehen. Die Globalisierung der Weltwirtschaft und der immer schneller vor sich gehende technologische Wandels ist von High-Tech Unternehmen geprägt und wird durch solche vorangetrieben (vgl., unter anderem, Castells 1985, Dicken 2003) „Technology is one of the most important processes underlying the globalization of economic activity“ (Dicken 2003, S. 85). Technologieintensive Unternehmungen innovieren mehr, erschließen neue Märkte und verwenden verfügbare Ressourcen effektiver und zahlen in der Regel höhere Gehälter für ihre Mitarbeiter. „HighTechnology industries are those expanding most strongly in international trade and their dynamism helps to improve performance in other sectors (spillover)” (Hatzichronoglou 1997, S. 4). Die zentralen generischen Technologien, die für die Entstehung von High-Tech Unternehmungen von großer Bedeutung waren, sind vor allem Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Mit modernster IKT wurden zum einen die Voraussetzungen für den von High-Tech Unternehmen benötigten, globalen Austausch von Information geschaffen. Zum anderen sind die Unternehmen des High-Tech Sektors auch diejenigen, die mit Hilfe der von ihnen entwickelten Technologien den „Marktplatz Erde“ am weitesten erschlossen haben. Insbesondere die seit den 1970er Jahren einsetzende Verschränkung von neuen Übertragungstechnologien und weiterentwickelten Mikroprozessoren führte zum Wechsel von analogen zu digitalen Systemen der Informationsverarbeitung. Solche Systeme werden insbesondere in High-Tech Unternehmungen verwendet, da diese sehr wichtig sind, um schnell und flexibel neue Produkte auf den Markt bringen zu können (Dicken 2003).

51

Abgrenzung von High-Tech Branchen für die vorliegende Arbeit Um interregionale Wissensspillovers zwischen High-Tech Unternehmungen analysieren zu können, müssen jene Branchen identifiziert werden, „… which are most technologyintensive, through criteria allowing the construction of special internationally harmonized classifications (Hatzichronoglou 1997, S. 4). Das größte Problem bei der Klassifikation von Branchen nach ihrer Technologieintensität ist die Auffindung von geeigneten Indikatoren. „What is High-Technology? Most of the issues involved in deciding whether to classify an industry as high-tech concern finding a proxy for technology“ (EcheverriCarrol 2001, S. 154). Die Schwierigkeiten kommen daher, dass es unterschiedliche Konzepte gibt, Technologie zu definieren. Im Allgemeinen wird Technologie assoziiert mit neuen Produkten oder Prozessen, wissensintensiven Dienstleistungen, hoch qualifizierten Arbeitskräften, modernen Maschinen und Equipment oder Investments in Forschung und Entwicklung (Castells 1985). Ein weiteres Problem besteht darin, dass einerseits Technologieproduzenten, andererseits Technologienutzer der Kategorie HighTech zugeordnet werden könnten. Darüber hinaus wird immer ein gewisser Grad an Subjektivität und Beliebigkeit bei der Wahl eines geeigneten Schwellenwertes zwischen Hoch- und Niedertechnologie bestehen bleiben (Hatzichronoglou 1997). Die vorliegende Arbeit verwendet eine Definition von High-Tech Industrien, die auf Hatzichronoglou (1997) zurückgeht und von der OECD verwendet wird. Diese Klassifikation baut auf der International Standard Industrial Classification (ISIC) für Branchen und auf der Standard International Trade Classification (SITC) für Produkte bzw. Produktgruppen auf. ISIC ist eine Standardklassifikation ökonomischer Aktivitäten auf verschiedenen Aggregationsebenen. Die Kategorien auf der untersten Ebene (VierSteller-Ebene) sind danach abgegrenzt, was in den meisten Ländern die gebräuchliche Kombination von industriellen Aktivitäten an den nationalen statistischen Ämtern darstellt. Die über der Vier-Steller-Ebene liegenden Gruppen und Divisionen entstehen durch Kombination der untersten Ebene nach den Kriterien Produktionsorganisation und Finanzierung. Die SITC klassifiziert Produkte nach der Art der verwendeten Materialen und nach der Art des Gebrauchs des Produkts. ISIC und SITC wurden von den statistischen Abteilungen der Vereinten Nationen erstellt, um Vergleichsanalysen des internationalen Handels zu ermöglichen. Die meisten Länder sowie auch die EU haben ihre Klassifikationen bis heute mit der ISIC bzw. der STIC in Einklang gebracht, wodurch diese Klassifikationen als international übliche Standards zu betrachten sind. UN (2005) stellt die vollständige Liste der ISIC-Branchen und SITC-Produkte zur Verfügung. Die Kategorisierung von ISIC und SITC nach Technologieintensität von Hatzichronoglou (1997) ist ein Konzept, das eine Weiterentwicklung früherer Klassifikationskonzepte darstellt. Die frühen analytischen Arbeiten der OECD zur Klassifikation von Sektoren nach ihrer Technologieintensität basierten auf dem US-amerikanischen Schema, welches auf die OECD-Mitgliedsstaaten angewendet wurde. Die Übernahme diese Schemas wurde jedoch zunehmend kritisiert, da dieser Ansatz die US-amerikanische Industriestruktur auf die anderen OECD-Länder extrapolierte. 1984 wurde eine erste eigene Klassifikation entwickelt. Diese basierte auf der direkten F&E-Intensität, gemessen durch die gesamten 52

F&E-Ausgaben an der Bruttowertschöpfung, gewichtet nach Sektor und Land. Daraus resultierte eine Kategorisierung der ISIC-Branchen in Hoch-, Mittel- und Niedertechnologie. Die Limitierungen bestanden darin, dass sektoral disaggregierte Daten nicht vollständig vorhanden waren. Zehn Jahre nach Veröffentlichung dieser Klassifikationsversion wurde daher eine neues Schema angestrebt, das neue technologische Entwicklungen berücksichtigt, indem aktuellere Datengrundlagen zu F&E herangezogen werden, inklusive verschiedener Aspekte von Technologiediffusion. Die von Hatzichronoglou (1997) rekonfigurierte Klassifizierung zieht nicht nur den Level der technologischen Intensität einer Branche heran, sondern auch den Ankauf von technologieintensiven Zwischengütern und Dienstleistungen. Die Klassifikation wurde von der OECD gemeinsam mit Eurostat in Auftrag gegeben, um ein gegenüber der vorangehenden Klassifikation verbessertes Instrumentarium zur Analyse des internationalen Handels einzurichten. Die direkte F&E-Intensität wird bei der Klassifizierung von Hatzichronoglou (1997) über zwei Indikatoren erfasst. Die beiden Indikatoren wurden für alle 22 Industriesektoren der ISIC (Rev. 2) erstellt. Der erste Indikator ist der Anteil der F&E-Ausgaben aller Unternehmen in einem Sektor an der gesamten Produktionsmenge. Der zweite setzt den Anteil der gesamten F&E-Ausgaben aller Unternehmen in einem Sektor in Relation zur Bruttowertschöpfung. Die indirekte F&E-Intensität ergibt sich aus der Summe der am inländischen Markt gekauften F&E und der aus dem Ausland importierten F&E in Form intermediärer Zwischen- und sonstiger Güter. Durch Exporte von Branchen, die F&E betreiben, wandern Produkte und mit ihnen auch die entsprechende Technologie zu anderen Industrien und Ländern (Hatzichronoglou 1997). Empfängerbranchen von solchen Produkten oder Dienstleistungen verwenden diese wiederum als Input für eigene F&E-Aktivitäten. Die Kalkulation dieser indirekten F&E-Intensität wurde mit Hilfe von sektoralen InputOutput-Matrizen durchgeführt. Die detaillierte methodische Darstellung des Verfahrens findet sich bei Hatzichronoglou (1997). Die Kalkulation der indirekten F&E-Intensität zeigte, dass Industrien, die selbst mehr eigenständige F&E betreiben, auch mehr externe F&E in Form von intermediären Gütern ankaufen. Insgesamt ist festzustellen, dass die indirekte F&E-Intensität die Gruppenzugehörigkeit eines Industriesektors nicht besonders stark beeinflusst, jedoch kann diese das Ranking innerhalb der jeweiligen Gruppen verändern (Hatzichronoglou, 1997). Die Indikatoren für die direkte und die indirekte F&E-Intensität wurden zunächst für den Zeitraum von 1973 bis 1992 berechnet, die endgültige Klassifikation basiert schließlich aufgrund der konsistenteren Datenlage auf Daten von 1980 bis 1990. Die Klassifikation nach dieser Methode führte zu einer Kategorisierung der 22 ISIC-Industriesektoren in die Kategorien Hochtechnologie, Mittelhochtechnologie, Mittelniedertechnologie und Niedertechnologie. Die Schwellenwerte zwischen den einzelnen Gruppen wurden so gewählt, dass die entsprechenden Industrien aufgrund der berechneten 53

Technologieintensität über einen längeren Zeitraum (1980-1992) in derselben Gruppe zu finden sind. Kritisch zu betrachten ist das relativ hohe Aggregationsniveau, wodurch bestimmte Produktgruppen zusammengeworfen werden, die unterschiedliche Technologien bzw. unterschiedliches Wissen benötigen. Tab. 9 stellt die Klassifizierung der 22 ISIC-Industriebranchen nach Hatzichronoglou (1997) im Überblick dar. Tab. 9:

Klassifizierung von 22 ISIC-Industriesektoren nach ihrer Technologieintensität

Technologieintensität

Branche

ISIC-Kategorie (Rev.2)

Computer und Büromaschinen

3825

Elektronik und Kommunikation

3832

Hochtechnologie

Mittelhochtechnologie

Pharmazeutische Industrie

3522

Luft- und Raumfahrt

3845

Chemische Industrie

351, 352 (ohne 3522)

Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung

383 (ohne 3832)

Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen

3843

Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik

3856

Nicht-elektrische Maschinen Sonstiger Fahrzeugbau Buntmetalle u.ä. Gummi- und Plastikprodukte

Mittelniedertechnologie

372 355, 356

Herstellung von Schmuck, sonstige Erzeugnisse

39

Herstellung von Metallerzeugnissen

371

Metallerzeugung und -bearbeitung Mineralölverarbeitung Nichtmetallische mineralische Produkte Schiffsbau

Niedertechnologie

382 (ohne 3825) 3842, 3844, 3849

381 351, 354 36 3841

Ernährungsgewerbe und Tabak

31

Herstellung von Möbel und Holzverarbeitung

33

Papiergewerbe

34

Textil- und Bekleidungsindustrie

32

Quelle: Hatzichronoglou (1997)

Wie aus Tab. 9 ersichtlich, sind die vier Sektoren Computer und Büromaschinen, Elektronik und Kommunikation, Pharmazeutische Industrie sowie Luft- und Raumfahrt

54

der Kategorie Hochtechnologie zugeordnet. Es handelt sich um jene Industriegruppen, die sowohl hinsichtlich der direkten als auch der indirekten Technologieintensität die höchsten Indikatorenwerte aufweisen. Die höchste Technologieintensität von allen Sektoren zeigt die Luft- und Raumfahrt. Zur Gruppe der Mittelhochtechnologie gehören die Industrien der Fahrzeugherstellung, der Herstellung von Instrumenten jeglicher Art und die chemische Industrie. In der Gruppe Mittelniedertechnologie sind metallerzeugende und verarbeitende Industrien vorherrschend, sowie die Mineralölverarbeitung, der Schiffsbau und die Herstellung von Gummi, Plastik und Schmuck enthalten. Papiergewerbe, Textilindustrie, Ernährungsindustrie und Möbelherstellung zählen zur Niedertechnologie. Zur Abgrenzung von High-Tech Patenten müssen demnach jene technologischen IPCKlassen identifiziert werden, die mit den ISIC-Branchen Computer und Büromaschinen, Elektronik und Kommunikation, Pharmazeutische Industrie sowie Luft- und Raumfahrt korrespondieren. Die genaue Spezifikation folgt in Subkapitel 3.2 bei der Beschreibung des Aufbaus der Datenbasis. High-Tech Industrien in Europa High-Tech Unternehmen spielen sowohl eine zentrale Rolle für den ökonomischen Strukturwandel und ökonomisches Wachstum als auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Die führenden Industrienationen der Welt sind gekennzeichnet durch einen hohen Anteil der High-Tech Industrie an der gesamten industriellen Produktion. Im internationalen Vergleich mit den USA und Japan weist die EU generell einen Rückstand bei High-Tech Industrien auf. Dies zeigt sich etwa bei Betrachtung des Anteils der HighTech Exporte an den gesamten Exporten (Tab. 10) oder des Anteils der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung (Tab. 11). Die europäische Wirtschaft hat sich – mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands – eher auf mittlere und ausgereifte Technologien spezialisiert. Es dominieren Industrien wie Fahrzeug- und Maschinenbau sowie auch einige Bereiche der chemischen Industrie. Bei Biotechnologien, Pharmazeutik und der Mikroelektronik sind die meisten europäischen Länder nicht so stark vertreten. Insbesondere im Bereich der Informationstechnologien besitzen die europäischen Länder großen Nachholbedarf . Bei Betrachtung von High-Tech Handelsbilanzen verzeichnet die EU bei High-Tech Produkten ein hohes Handelsbilanz-Defizit. Im Jahr 2001 haben die EU-15-Länder HighTech Produkte im Wert von 218,6 Milliarden Euro importiert, dagegen lediglich Güter im Wert von 195,5 Milliarden Euro exportiert (Commission of the European Communities 2005). Daraus resultiert ein High-Tech Handelsbilanzdefizit von 23 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu erzielt beispielsweise Japan im selben Jahr im High-Tech Bereich einen Handelsbilanzüberschuss von etwa 39 Milliarden Euro. In den USA überwiegt zwar ebenfalls der Import den Export, jedoch blieb das Handelsbilanzdefizit mit zehn Milliarden Euro deutlich hinter jenem der EU-15-Länder zurück (Commission of the European Communities 2005).

55

Analysiert man den Anteil der High-Tech Exporte an den gesamten Exporten zeigt sich ein ähnliches Bild. Die EU-25 exportierten mit 21,4% an den gesamten Exporten im Jahr 2000 erheblich weniger High-Tech Güter als Japan (27%) oder die USA (30%) (vgl., Tab. 10) (Eurostat 2005b). Auch hinsichtlich des Anteils der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung liegt die EU hinter USA und Japan zurück. 2001 beträgt der Anteil der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung in den EU-15 etwa 14%, während der Anteil in den USA und in Japan schon 1999 etwa 19 bzw. 23% ausmacht (vgl. Tab.11) (Commission of the European Communities 2005). Tab. 10:

Anteil der High-Tech Exporte an den gesamten Exporten in ausgewählten Ländern (1990-2000) 1990

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000

3,9

4,1

4,2

5,1

5,6

5,5

6,3

6,6

7,1

7,9

8,7

Dänemark

10,0

9,8

9,9

9,2

9,7

10,0

7,7

11,8

12,5

13,9

14,4

Deutschland

10,7

11,6

11,2

11,3

11,7

11,6

11,7

12,5

13,2

14,2

16,1

Frankreich

16,7

19,7

19,5

19,2

19,5

19,3

19,3

21,8

22,9

24,0

25,5

Großbritannien

18,6

18,3

18,0

19,5

20,4

21,8

21,8

24,6

26,5

27,3

28,9

Irland

28,7

27,0

25,3

27,4

29,7

35,0

36,7

37,5

37,7

39,4

40,5

Italien

7,1

7,5

7,8

7,8

7,6

7,4

7,2

6,9

7,4

7,5

8,5

10,2

10,5

11,3

13,5

13,2

15,0

15,4

18,7

19,7

21,9

22,8 14,0

Belgien

Niederlande Österreich

7,2

8,0

7,9

8,3

9,2

10,3

10,2

9,9

10,2

11,9

Portugal

3,5

3,2

3,1

2,4

3,3

4,6

3,6

3,6

4,0

4,4

5,6

Finnland

6,4

6,1

7,6

9,3

10,8

12,6

14,1

16,4

19,4

20,7

23,5

Schweden

11,4

11,7

11,8

11,3

11,1

12,7

14,4

15,5

16,4

17,8

18,7

EU-25

-

-

-

-

-

-

-

-

-

20,4

21,4

EU-15

14,3

15,5

15,4

15,1

15,1

15,6

15,6

17,2

18,3

19,5

20,6

USA

25,4

26,1

26,6

25,9

26,3

25,9

26,4

27,5

28,8

30,1

30,0

Japan

23,3

23,3

23,2

23,6

24,5

25,3

24,9

25,0

24,7

25,1

27,0

Quelle: Eurostat (2005b)

Hinsichtlich des Bestandes von High-Tech Industrien lassen sich jedoch nicht nur Unterschiede zwischen Europa, USA und Japan feststellen, sondern es gibt auch erhebliche Disparitäten zwischen den einzelnen Ländern in Europa. Ein Vergleich der europäischen Länder in Bezug auf das Wachstum und der Beschäftigung in den High-Tech Sektoren macht Unterschiede deutlich. Für die High-Tech Sachgütererzeugung reichen die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der realen Bruttowertschöpfung im Zeitraum 1988-2000 von 0,6% in Spanien bis zu fast 15% in Irland (Europäische Kommission 2002). Der deutliche Abstand Irlands ist durch die massiven ausländischen Direktinvestitionen in diesen Sektoren zu erklären. Auch eine Reihe anderer Länder zeigen eine klar über dem EU-Durchschnitt liegende Entwicklung. Dazu gehören Finnland, Portugal, Norwegen, die Niederlande, Luxemburg, Belgien, Deutschland und Dänemark. 56

Auf der anderen Seite entwickelte sich die High-Tech Sachgütererzeugung in Spanien, Italien, Schweden, der Schweiz und im Vereinigten Königreich wesentlich ungünstiger (Europäische Kommission 2002). Tab. 11: Anteil der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung (in %) in den untersuchten Ländern im Vergleich zu USA und Japan (1996-2001) Code

Land

1996

1997

1998

1999

2000

2001

AT BE

Österreich Belgien

10,63 10,03

10,97 10,68

11,87 11,51

11,05 11,68

11,30 12,44

11,50 13,09

BG

Bulgarien

-

-

-

-

-

8,60

CH

-

20,96

21,71

21,68

22,04

22,65

CZ

Schweiz Tschechische

DE

Deutschland

-

-

-

-

3,90

4,00

9,47

9,83

9,82

10,66

11,43

11,89

11,83

12,54

13,18

14,39

14,27

14,98

-

-

-

-

-

-

5,86

6,19

6,51

6,20

6,20

6,31

DK

Dänemark

EE

Estland

GR

Griechenland

ES

Spanien

7,74

7,19

6,80

6,76

6,64

6,50

FI

Finnland

19,01

20,06

20,78

21,82

23,74

24,88

FR

Frankreich

15,55

16,36

16,44

16,70

17,84

18,33

HU

Ungarn

-

-

-

-

14,30

16,00

IE

Irland

28,50

29,87

31,03

30,60

30,17

30,58

IT

Italien

8,68

8,93

8,95

9,07

9,79

9,85

LT

Litauen

-

-

-

-

8,10

8,10

LU

Luxemburg

2,65

2,75

2,95

3,18

3,08

3,15

LV

Lettland

-

-

-

2,80

-

-

NL

Niederlande

10,62

11,32

11,03

10,87

11,89

12,06 10,30

NO

Norwegen

-

-

5,90

7,00

6,70

PL

Polen

-

-

-

-

5,70

-

PT

Portugal

5,52

6,00

6,17

5,98

6,26

6,46

RO

Rumänien

-

-

-

-

-

5,20

SE

Schweden

16,77

16,96

17,47

18,87

15,97

15,88 13,30

SI

Slowenien

-

-

-

11,70

12,60

SK

Slowakei

-

-

-

-

5,60

5,20

UK

United Kingdom

14,51

15,28

16,71

18,12

17,95

18,79

EU-15

11,70

12,20

12,52

13,13

13,70

14,14

JP

Japan

16,74

16,75

17,82

18,65

-

-

US

USA

21,62

21,82

22,09

23,02

-

-

Quelle: Commission of the European Communities (2005)

57

Betrachtet man den Anteil der High-Tech Exporte (Tab. 10) zeigt sich die führende Position Irlands. 40,5% der Exporte Irlands waren im Jahr 2000 Hochtechnologieexporte. In den letzten 15 bis 20 Jahren hat Irland eine beachtliche High-Tech Industrie entwickelt, wovon ein großer Teil im Bereich der Informationstechnologie und der Telekommunikation angesiedelt ist. Im Jahr 2002 exportierte Irland Software im Wert von mehr als neun Milliarden Euro. Dies bedeutet, dass Irland noch vor den USA der weltgrößte Exporteur von Software ist. Heute sind etwa 30.000 Iren in rund 800 HighTech Unternehmen beschäftigt. Der Aufstieg Irlands zum Hochtechnologieland wurde durch die Deregulierung des Telekommunikationsmarkts gefördert. Der Wirtschaftsboom wurde zudem von der Ansiedlung und Gründung von insgesamt 400 Unternehmen aus dem Elektroniksektor begleitet (Europäische Kommission 2002). An zweiter Stelle beim Anteil der High-Tech Exporte an den gesamten Exporten rangiert Großbritannien (28,9%), gefolgt von Frankreich (25,5%), Finnland (23,5%) und den Niederlanden (22,8%). Deutschland exportierte im Jahr 2000 im Vergleich zu diesen Ländern relativ wenig Hochtechnologie und lag mit 16,5% unter dem Durchschnitt der EU-25 Länder. Österreich ist mit einer High-Tech-Exportquote von 14,5% ebenfalls unter dem Durchschnitt zu finden. Auffallend ist das starke Wachstum des Anteils der High-Tech Exporte an den gesamten Exporten in Finnland in den Jahren zwischen 1990 und 2000. Im Jahr 1990 liegt der Anteil lediglich bei 6,4% und somit klar unter dem Durchschnitt der EU-15 Länder, im Jahr 2000 ist Finnland mit 23,5% klar über dem Durchschnitt der EU-25 Länder. Finnland erzielte somit den höchsten Zuwachs (17,5 Prozentpunkte) der europäischen Länder bei den HighTech Exporten, was sich in erster Linie auf die starken Investitionen und Fortschritte im Bereich der Telekommunikation zurückzuführen lässt (Eurostat 2005b). Tab. 11 stellt den Anteil der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung (in %) in den untersuchten Länder im Überblick dar. Auch hier zeigt sich die führende Position Irlands in Europa. 30,5% der gesamten Bruttowertschöpfung entfallen in Irland im Jahre 2001 auf die Hochtechnologie. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass Irland 1998 bereits einen Wert von 31,3% aufweist und damit zwischen 1998 und 2001 ein negatives Wachstum zu verzeichnen hatte. Im Jahre 2001 liegt Finnland mit 24,8% an zweiter Stelle bezüglich des Anteils der Hochtechnologie an der gesamten Bruttowertschöpfung. Dies verdeutlicht ebenfalls den Aufstieg Finnlands in den letzen 15-20 Jahren zu einem der führenden Hochtechnologieländer Europas. Es folgen die Schweiz (22,6%), die vor allem aufgrund des hohen Anteils der pharmazeutischen Industrie einen hohen Wert aufweist, Großbritannien (18,8%) und Frankreich (18,3%). Deutschland und Österreich rangieren mit 11,9 bzw. 11,5% unter dem Durchschnitt der EU-15-Länder (14,1%). Einen vergleichsweise hohen Anteil mit 16,0% weist Ungarn auf. Es liegt damit klar über dem Durchschnitt der EU-15 Länder und ist das beste der 2004 zur EU beigetretenen Länder. An zweiter Stelle der zur EU beigetretenen Länder liegt Slowenien, das mit einem Anteil von 13,3% nur knapp unter dem Durchschnitt der EU-15 Länder zu finden ist. Auf den 58

hinteren Rängen liegen die anderen osteuropäischen Länder sowie Spanien, Italien, Portugal und Griechenland. Neben einer länderweisen Analyse der Ausprägung der High-Tech Industrie in Europa ist auch eine Betrachtung der führenden europäischen High-Tech Regionen im Kontext der Themenstellung von Interesse. In Deutschland lässt sich bezüglich der High-Tech Industrie ein Nord-Süd-Gefälle feststellen. So findet sich ein hohe Zahl an High-Tech Betrieben und High-Tech Beschäftigten in den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern. Insgesamt ist in Deutschland aber eine stärkere räumliche Streuung der Betriebe als beispielsweise in den USA oder Großbritannien zu beobachten. Am ehesten entspricht der Raum München und Umgebung einem kleinen High-Tech Cluster. München beherbergt zahlreiche Firmensitze internationaler Großunternehmen, die in forschungsintensiven Sektoren tätig sind, wobei sich insbesondere aus dem Bereich der elektronischen Industrie, dem Fahrzeugbau und der Luft- und Raumfahrt zahlreiche Unternehmen angesiedelt haben. Wichtige Determinanten dafür waren das Vorhandensein von gut ausgebildetem Personal, das zu einem Großteil aus den Münchner Universitäten abgeschöpft wurde, sowie von zahlreichen militärischen Einrichtungen und den damit verbundenen höheren F&E-Ausgaben (Sternberg 1995). Weitere deutsche Regionen, die einen hohen Anteil an Hochtechnologie aufweisen, sind die Gebiete um Stuttgart und Karlsruhe sowie die Region Rheinhessen-Pfalz. In Großbritannien stechen zwei Regionen mit einigen High-Tech Unternehmen hervor. Das Gebiet zwischen London und Cardiff, der so genannte „Western Crescent“ hat deutlich höhere Beschäftigungsquoten im High-Tech Sektor als der Rest Großbritanniens. Der „Western Crescent“ stellt ein klassisches Beispiel für eine von der Politik geplante regionale Veränderung dar. Im Speziellen hat die Ansiedlung von Rüstungsindustrie zahlreiche, im Rüstungsgeschäft tätige Firmen angezogen. Die zweite ausgeprägte HighTech Region in Großbritannien ist das Gebiet rund um Cambridge (die Region East Anglia). Im Gegensatz zum „Western Crescent“ ist die Entwicklung dieser Region zur High-Tech Region vorwiegend auf die Universität Cambridge zurückzuführen, aus der zahlreiche der High-Tech Industrie zuzurechnende Spin-off Unternehmen hervorgegangen sind. Nach der Etablierung der ersten Spin-offs investierten Anfang der 1990er Jahre zunehmend auch multinationale Konzerne in der Region. Die Beschäftigten in der Region sind relativ gleichmäßig auf die Bereiche Elektrotechnik, Instrumente, Hardware, Software und Biotechnologie verteilt. In Frankreich zählen das Gebiet rund um Paris (Île-de-France) sowie Toulouse und Grenoble zu den High-Tech Regionen. In allen drei Regionen finden sich zahlreiche Betriebe und Beschäftige im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Weitere ausgeprägte HighTech Regionen gibt es in Europa in der Umgebung von Stockholm und Helsinki (Telekommunikation) sowie in den Niederlanden die Region Noord-Brabant (Elektronikindustrie).

59

3.2

Europäische High-Tech Patente – Datendeskription und geographische Verteilung

Im Zentrum dieses Subkapitels steht eine explorative Datenanalyse von europäischen High-Tech Patentdaten. Nachstehend wird zunächst der Aufbau der Datenbasis von der Bestellung der Daten bis zur Datenbereinigung beschrieben. Danach folgen einige deskriptive Analysen zur Charakterisierung der High-Tech Patentdaten, bevor durch Kartendarstellungen und räumliche Statistiken die geographische Dimension der Patentdaten beschrieben wird. Aufbau der Datenbasis Der Aufbau bzw. die Aufbereitung der für die vorliegende Arbeit notwendigen Datenbasis bedurfte der Entwicklung eines Datenbankmodells für eine Oracle-Datenbank und der Programmierung zahlreicher Abfrageprozeduren, die eine effiziente Extraktion der entsprechenden Data-Marts ermöglichen. Nachdem der Untersuchungsraum definiert und die High-Tech Industrie abgegrenzt wurde (vgl. Subkapitel 3.1), sowie der Indikator Patentzitierungen zur Messung von Wissensspillovers als geeignet erachtet wurde (vgl. Subkapitel 2.2 bzw. Subkapitel 2.4), können die entsprechenden EPO Patentdaten identifiziert werden. Um High-Tech Patente von sonstigen Patenten abgrenzen zu können, ist es in einem ersten Schritt notwendig, die technischen Felder der IPC zu den vier ISICSektoren der High-Tech Industrie (Pharmazeutik, Computer und Büromaschinen, Elektronik und Kommunikation, Luft- und Raumfahrt) zuzuordnen. Zu diesem Zweck wird auf eine von Verspagen, Moergastel und Slabbers (1994) entwickelte Konkordanztabelle zurückgegriffen, die eine Zuweisung von IPC-Klassen auf der 3-Steller Ebene zu 22 ISIC-Klassen vornimmt. Aus dieser Konkordanztabelle ergeben sich 55 IPCKlassen, die mit den vier ISIC-Sektoren der High-Tech Industrie korrespondieren und damit für die Identifikation von High-Tech Patenten relevant sind (vgl. Tab. 12). Als zeitlicher Rahmen für die Untersuchung wird die Periode vom 1. Jänner 1985 bis zum 31. Dezember 2002 herangezogen, d.h. es werden jene Patente für die Untersuchung verwendet, deren Publikationsdatum in diesem Zeitraum liegt. Mit diesen Spezifikationen können am EPO die Patentdokumente jener Patente eindeutig identifiziert werden, die einer der 55 High-Tech IPC-Klassen zugeordnet sind, ein entsprechendes Publikationsjahr im Untersuchungszeitraum aufweisen sowie einen Patentanmelder mit Sitz im Untersuchungsraum haben (EU-25-Länder exklusive Malta und Zypern, inklusive Bulgarien, Norwegen, Rumänien und Schweiz, vgl. Abb. 11). Die Informationen, die für die einzelnen Patente bzw. für einen Datensatz benötigt werden, um die Forschungsfragen behandeln zu können, sind in Tab. 13 enthalten. Um die geographische Dimension der Patentaktivitäten zu erfassen, ist die Anschrift des Erfinders von höchster Relevanz.

60

Tab. 12: High-Tech IPC-Klassen (3-Steller-Ebene) ISIC-Code

Industriesektor

IPC-Subklasse*

3522

Pharmazeutik

A61J, A61K, C07B, C07C, C07D, C07F, C07G, C07H, C07J, C07K, C12N, C12P, C12S

3825

Computer und Büromaschinen

B41J, B41L, G06C, G06E, G06F, G06G, G06J, G06K, G06M G11B, G11C

3832

Elektronik und Kommunikation

G08C, G09B, H01C, H01L, H01P, H01Q, H03B, H03C, H03D, H03F, H03G, H03H, H03J, H03K, H03L, H04A, H04B, H04G, H04H, H04J, H04K, H04L, H04M, H04N, H04Q, H04R, H04S, H05K

3845

Luft- und Raumfahrt

B64B, B64C, B64D, B64F, B64G

*für eine detaillierte Darstellung der entsprechen IPC-Subklassen vgl. Anhang Quelle: Verspagen, Moergastel und Slabbers (1994)

Tab. 13: Bezeichnung des Feldes in der Datenbank PN PD

Benötigte Informationen über ein Patent Bedeutung Veröffentlichungsnummer Veröffentlichungsdatum

AP

Anmeldedatum

PR

Prioritätsdatum

EC

Klassifikation (IPC)

ET

Englischer Titel

IN

Name des Erfinders

PA

Name des Patentanmelders

INA

Anschrift des Erfinders

PAA

Anschrift des Patentanmelders

INC

Land des Erfinders

PAC

Land des Anmelders

CT

Zitierte Patente

Quelle: EPO (Patendaten)

Diese Spezifikationen resultieren in einem Grunddatensatz von 177.424 Patenten. Die Datensätze liegen in Rohform lediglich als Text (ASCII-Format) vor. Daher müssen spezielle Einleseprozeduren der Textfiles in eine Oracle-Datenbank programmiert werden. Zur Entwicklung eines Gerüsts für das Einlesen der Quelldaten in eine Oracle-Datenbank

61

wird ein relationales Datenbankdesigns (Entity Relationship Model) verwendet, das die komplexen Relationen zwischen den einzelnen Tabellen definiert. Dies ist notwendig, da die Datenbank zahlreiche Attribute enthält, die 1:n-Beziehungen aufweisen (beispielsweise kann ein Patent mehrere Inventoren haben). Das detaillierte relationale Datenbankdesign findet sich im Anhang. Nachdem die Patente entsprechend des relationalen Datenbankdesigns in eine OracleDatenbank transferiert sind, müssen die Daten mit diversen Zusatzinformationen versehen werden, die in den Patendaten selbst nicht enthalten sind. Die zentrale Aufgabe im Kontext der Untersuchung von Wissensspillovers zwischen europäischen Regionen ist die Zuordnung der Patente zu den NUTS-Regionen des Untersuchungsraums, da die Patente selbst zwar die Adresse des Anmelders und der/s Erfinder/s, jedoch keine Information über die entsprechende NUTS-Region enthalten. Die Zuordnung der Patente zu den Regionen erfolgt auf Basis des Wohnsitzes der Inventoren. Diese ist einer Zuordnung auf Grundlage der Adresse des Patentanmelders vorzuziehen, da Unternehmen ein Patent oft dem Firmenhauptsitz zuweisen, der jedoch weit vom Ort der Wissensproduktion entfernt sein kann. Mit der Zuordnung auf Basis des Wohnsitzes der Inventoren sollte eine möglichst genaue Erfassung des Ortes der Wissensproduktion erreicht werden. Bei Patenten mit mehreren Inventoren in verschiedenen Regionen erfolgt eine anteilsmäßige Zuordnung des Patents2. Die automatisierte Zuordnung der 331.234 Inventoren erfolgt mithilfe einer von Eurostat (2001) entwickelten Konkordanztabelle zwischen NUTS-Regionen und Postleitzahlen. In den Originaldaten sind die Namen der Patentanmelder nicht immer einheitlich geschrieben. So wird etwa der Name „Siemens“, manchmal aber der Name „Siemens AG“ verwendet, wobei jedoch ein und derselbe Patenanmelder gemeint ist. In einer umfassenden Datenbereinigung sind daher redundante Namen von Patentanmeldern zu entfernen. Neben datenbanktechnischen Gründen ist dies notwendig, um später so genannte Selbstzitierungen identifizieren zu können (vgl. Subkapitel 3.3). Die Bereinigung der 23.548 Patentanmelder erfolgt manuell. Deskriptive Statistiken über High-Tech Patente in Europa Mithilfe von SQL-Abfragen können nach Aufbau der Datenbasis die entsprechenden DataMarts für verschiedene deskriptive und explorative Analysen extrahiert werden. Der gesamte eingelesene Datensatz umfasst 177.424 europäische High-Tech Patente mit 331.234 Inventoren, 23.548 Patentanmeldern und 210.667 Zitierungen. Abb. 12 zeigt zunächst die Entwicklung der High-Tech Patentanmeldungen am EPO nach dem Anmeldejahr. Es ist ein deutlicher Anstieg der Patentaktivität festzustellen. Besonders stark ist dieser zwischen 1987 und 1990 und nach 1995. Insgesamt wird die zunehmende

2 Bei der anteilsmäßigen Zuordnung wird jeder Inventor mit dem Anteil 1/p , p ∈ Ζ einer Region zugeordnet, wobei p

die Anzahl der Inventoren eines Patents ist.

62

Bedeutung von High-Tech Industrien in den letzten 20 Jahren ersichtlich. Der starke Anstieg ist weiters durch den zunehmenden internationalen Innovationswettbewerb, der vor allem die High-Tech Industrie betrifft, bzw. den rasanten technologischen Wandel in diesen Industrien zu erklären. Ein wirksamer Patentschutz ist offensichtlich für zahlreiche High-Tech Unternehmen ein Schlüsselfaktor im Innovationswettbewerb. Abb. 12: EPO-High-Tech Patente nach Anmeldejahr (1985 – 2002) 25

Patente [in1,000]

20

15

10

5

0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Anm e lde jahr

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Hinsichtlich der Verteilung der High-Tech Patentanmeldungen auf die vier High-Tech Sektoren ist festzustellen, dass die pharmazeutische Industrie sowie der Sektor Elektronik und Kommunikation deutlich die höchste Patentaktivität aufweisen (vgl. Abb. 13). Im Jahr 1999 sind im Sektor Elektronik und Kommunikation erstmals mehr Patente als in der pharmazeutischen Industrie angemeldet worden. Ein wesentlicher Faktor hierfür ist das starke Wachstum der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ab Mitte der 1990er Jahre. IKT sind heute als Schlüsseltechnologie für fast alle Industriesektoren zu betrachten, insbesondere im Bereich der Mikroelektronik und der Telekommunikation. Aufgrund dieser Entwicklung nehmen offensichtlich immer mehr Unternehmen der elektronischen Industrie das Schutzrecht neuer Erfindungen durch Patente in Anspruch. Im Sektor Computer und Büromaschinen ist die Patentaktivität generell niedriger, was zu einem Großteil daran liegt, dass Software nicht patentierbar ist. Jedoch ist die Anzahl der Patente auch in diesem Sektor ab dem Jahr 1997 angestiegen. Eine deutlich geringere Patentaktivität zeigt der Sektor Luft- und Raumfahrt. In diesem Sektor ist es aufgrund der sehr speziellen Anwendungen neuer Erfindungen aus strategischen Gründen nicht notwendig, jede neue Erfindung patentieren zu lassen.

63

Abb. 13: EPO-High-Tech Patente pro High-Tech Sektor 10

Patente [in 1,000]

9

Pharmazeutik Computer und Büromaschinen

8

Elektronik und Kommunikation

7

Luf t- und Raumfahrt

6 5 4 3 2 1 0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Anm e lde jahr

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Mit Zuordnung der 177.424 Patente zu den n = 188 Regionen des Untersuchungsraums (vgl. Subkapitel 3.1 bzw. Anhang) können verschiedene räumliche Analysen vorgenommen werden. Im Kontext der vorliegenden Arbeit bzw. der in Kapitel 4 angestrebten Modellierung von Wissensflüssen sind insbesondere die geographische Verteilung der Patente und die Ausprägung dieser Verteilung von Interesse. Tab. 14:

Deskriptive Statistiken zu regionalen High-Tech Patenten in Europa (1985-2002) Regionale High-Tech Patente

Mittelwert Median Varianz Standardabweichung Variationskoeffizient Minimum Maximum Spannweite Interquartilsbereich Schiefe Kurtosis

887,35 268,22 3.250.938,26 1.803,03 203,19 2,27 15.365,01 15.362,74 829,51 4,71 28,81

Anteil der regionalen High-Tech Patente an den gesamten High-Tech Patenten 0,53 0,16 1,16 1,08 203,19 0,01 9,21 9,20 0,49 4,71 28,81

Regionale High-Tech Patente pro Einwohner* 0,37 0,15 0,28 0,52 139,63 0,01 3,31 3,30 0,38 2,75 9,16

*Anmerkung: ergibt sich durch Division der High-Tech Patente einer Region durch deren Einwohnerzahl. Quelle: EPO (Patentdokumente)

64

Tab. 14 enthält einige deskriptive Statistiken über die regionalen Patentanmeldungen, den Anteil der regionalen Patentanmeldungen an den gesamten Patentanmeldungen und die regionalen Patentanmeldungen pro Einwohner. Die durchschnittliche Anzahl regionaler High-Tech Patentanmeldungen in den Regionen des Untersuchungsgebiets beträgt 887,35 Patente pro Region, der Median liegt mit einem Wert von 268,22 weit darunter. Varianz, Standardabweichung und insbesondere der Variationskoeffizient von 203,19 deuten auf eine stark um den Mittelwert gestreute Verteilung hin. Der geringste Wert der regionalen High-Tech Patentanmeldungen beträgt 2,27 (Puglia, Italien), der höchste Wert 15.365,01 (Île-de-France, Frankreich). Die regionalen Patentanmeldungen sind stark rechtsschief verteilt, der Wert für die Schiefe beträgt 4,71. Der Wert für die Kurtosis ist 28,81 und weist auf eine steilgipfelige Verteilung hin. Der Mittelwert des Anteils der regionalen High-Tech Patentanmeldungen an den gesamten High-Tech Patentanmeldungen beträgt 0,53. Auf die Region mit den meisten Patenten (Île-de-France, Frankreich) entfallen allein 9,21% aller regionalen High-Tech Patentanmeldungen. Betrachtet man die regionalen High-Tech Patentanmeldungen pro Einwohner ist erwartungsgemäß eine geringere Streuung festzustellen (der Variationskoeffizient beträgt 139,63), auch die Werte für Schiefe und Kurtosis sind geringer. Der Maximalwert beträgt 3,31 Patente pro Einwohner, wobei aufgrund der hohen Einwohnerzahl nicht mehr Île-de-France den höchsten Wert aufweist, sondern die Region Noord-Brabant (Niederlande). Aufgrund der nicht adäquaten Beschreibung der Daten, die bei Division der Patentanmeldungen durch die Einwohnerzahl einer Region entsteht, wird für die weitere Analyse der Anteil der regionalen High-Tech Patente an den gesamten High-Tech Patenten herangezogen3. Die deskriptiven Statistiken aus Tab. 14 verdeutlichen die starke Streuung um den Mittelwert der regionalen Verteilung von High-Tech Patenten in europäischen Regionen. Die Statistiken für Schiefe und Kurtosis weisen darauf hin, dass diese sehr weit von einer Normalverteilung entfernt sind. Zur Überprüfung auf Normalverteilung von Datenreihen gibt es zahlreiche Teststatistiken. In dieser Arbeit wird der Jarque-Bera-Test verwendet, der wie folgt definiert ist:

2 ( K − 3) ¸· , n§ JB = ¨ S 2 + ¸ 6 ¨© 4 ¹

(1)

wobei 6 ein Maß für die Schiefe, . ein Maß für die Kurtosis und n die Anzahl der Regionen ist (hier n = 188).

3 Die Division der Patentanmeldungen durch die Einwohnerzahl führt dazu, dass Regionen mit sehr geringer

Einwohnerzahl einen hohen Anteil erreichen, wie beispielsweise die Region Pohjois-Suomi im Norden Finnlands.

65

Tab. 15:

Jarque-Bera-Tests der regionalen High-Tech Patente in Europa (1985-2002) Anteil der regionalen High-Tech Patente an den gesamten HighTech Patenten

Regionale High-Tech Patente JB

6.836,592

6.836,444

0,000

0,000

p-Wert (Signifikanz) Quelle: EPO (Patentdokumente)

Tab. 15 gibt die Jarque-Bera-Statistiken für die regionalen High-Tech Patente in europäischen Regionen wieder. Es bestätigt sich die Annahme, dass die regionalen HighTech Patentanmeldungen bei weitem keiner Normalverteilung entsprechen. Die Werte von 6.836,6 bzw. 6.826,5 sind sehr groß, die Irrtumswahrscheinlichkeit ist kleiner als 1%. Es ist anzunehmen, dass dies auf die sehr hohe Anzahl an Regionen mit wenigen Patenten zurückzuführen ist, während einige wenige Regionen sehr viele Patente haben. Diese Vermutung wird durch eine Darstellung der Daten im Histogramm (Abb. 14) und im Boxplot (Abb. 15) bestätigt. Abb. 14: Verteilung regionaler High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985 – 2002)

Anzahl der Regionen

75

50

25

9.00

9.50

8.50

7.50

8.00

6.50

7.00

6.00

5.50

4.50

5.00

4.00

3.50

3.00

2.00

2.50

1.50

0.50

1.00

0.00

0

Anteil an europäischen High-Tech Patenten

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Das Histogramm aus Abb. 14 zeigt, dass mehr als zwei Drittel der Untersuchungsregionen einen Anteil von unter 1% an den europäischen High-Tech Patenten haben. Bei 99 Regionen liegt der Anteil unter 0,2%, nur 25 haben einen Anteil von mehr als 1%. 66

Der Boxplot aus Abb. 15 visualisiert die stark nach unten gestauchte Verteilung regionaler High-Tech Patente. Ein Boxplot ist ein geeignetes Instrumentarium zur graphischen Darstellung einer Reihe numerischer Daten. Es können damit übersichtlich verschiedene Maße der zentralen Tendenz, Streuung und Schiefe und insbesondere die Stauchung einer Verteilung visualisiert werden. Im vorliegenden Fall liegen bis zum 75% Quartil die Anteile der regionalen High-Tech Patentanmeldungen unter 0,5%. Der Median (fett hervorgehoben) liegt sehr nahe dem 25% Quartil. Abb. 15:

Boxplot zur Verteilung regionaler High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985 – 2002)

6 2

4

Oberbayern

0

Anteil an europäischen High-Tech Patenten

8

Île-de-France

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Die geographische Verteilung von High-Tech Patentanmeldungen in europäischen Regionen Bei der Verteilung der europäischen High-Tech Patentanmeldungen handelt es sich um eine stark rechtschiefe Verteilung, die keiner Normalverteilung folgt. Die meisten Regionen melden wenig High-Tech Patente an, einige wenige Regionen jedoch sehr viele. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf welche der Untersuchungsregionen sich die High-Tech Patentaktivität konzentriert. Abb. 16 visualisiert die geographische Verteilung von High-Tech Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten High-Tech Patenten. Es zeigt sich ein klares Zentrum-PeripherieGefälle hinsichtlich des Anteils der Regionen des Untersuchungsraums an der europäischen High-Tech Patentaktivität. Die Klassifizierung der Regionsanteile wurde nach natürlichen Unterbrechungen in vier Klassen vorgenommen. 67

Abb. 16:

Geographische Verteilung von High-Tech EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten High-Tech Patenten (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

Anteil an europäischen High-Tech Patenten (natürliche Klassenbreiten) 0 – 0,40 [131 Regionen] 0,41 – 1,25 [37 Regionen] 1,26 – 2,37 [11 Regionen] mehr als 2,37 [9 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Die ost-, süd- und nordeuropäischen Regionen gehören alle zur Klasse jener Regionen, deren Anteil an den europäischen High-Tech Patenten unter 0,4% liegt (mit Ausnahme von Comunidad de Madrid in Spanien, Lazio in Italien und Pohjois-Suomi mit der Stadt Oulo in Finnland). Nur neun Regionen, alle relativ im Zentrum Europas gelegen, zählen zur Klasse mit einem Anteil von über 2,37%. Mit Abstand den höchsten Anteil hat Île-deFrance (9,21%) vorzuweisen. An zweiter Stelle folgt Oberbayern mit einem Anteil von 6,76%. In dieser Klasse finden sich zudem die Regionen Schweiz (4,49%), Noord-Brabant (4,46%), Darmstadt (3,52%), Düsseldorf (2,87%), Lombardei (2,83%), Köln (2,72%) und Rheinhessen-Pfalz (2,41%). In der Klasse von 1,26 bis 2,37% gibt es nur geringfügig mehr Regionen als in der Klasse über 2,37%, wobei diese ebenfalls im Zentrum Europas angesiedelt sind. In Tab. 16 sind die Top 25 europäischen Regionen hinsichtlich ihres Anteils an der High-Tech Patentaktivität aufgelistet. Der gesamte Anteil der Top 25 Regionen beträgt fast 65%.

68

Tab. 16:

Top 25 Regionen der High-Tech Patentaktivität in Europa (1985-2002) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

NUTS Code

Region

FR10 DE21 CH00 NL41 DE71 DEA1 IT20 DEA2 DEB3 SE01 FR71 DK00 DE11 FI16 DE12 UKH1 DE30 UKI2 DE13 DE25 UKH2 UKJ2 DEF0 FR82 UKH3 Summe

Île-de-France Oberbayern Schweiz Noord-Brabant Darmstadt Düsseldorf Lombardei Köln Rheinhessen-Pfalz Stockholm Rhône-Alpes Dänemark Stuttgart Uusimaa Karlsruhe East Anglia Berlin London-Region Freiburg Mittelfranken Bedfordshire & Hertfordshire Surrey Schleswig-Holstein/Hamburg Provence-Côte d'Azur Essex

Anteil an europäische n High-Tech Patenten 9,21 6,76 4,49 4,46 3,52 2,87 2,83 2,72 2,41 2,28 2,18 1,93 1,91 1,83 1,78 1,76 1,65 1,52 1,45 1,31 1,31 1,27 1,22 1,03 1,02 64,72

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Neben der regionalen Betrachtung kann auch eine Differenzierung der Patentaktivität nach einzelnen Ländern vorgenommen werden (vgl. Tab. 17). Den höchsten Anteil an den europäischen High-Tech Patenten von 1985 bis 2002 weist Deutschland auf. 35,3% aller europäischen High-Tech Patente stammen von Patentanmeldern, die ihren Sitz in Deutschland haben. Es folgen Frankreich und Großbritannien mit 16,1 bzw. 15,02%. Sehr wenige High-Tech Patente wurden von den 2004 zur EU beigetretenen osteuropäischen Ländern, von Rumänien und Bulgarien sowie von den südeuropäischen Ländern Portugal, Spanien und Griechenland angemeldet. Italien weist einen relativ hohen Wert auf, der jedoch nahezu ausschließlich auf die Patentaktivität in den Regionen Lombardei und Piemonte zurückzuführen ist. Österreich liegt mit 2.599 angemeldeten High-Tech Patenten 69

hinter ähnlich großen Ländern, wie Belgien, Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Schweden und der Schweiz. Tab. 17:

High-Tech Patentaktivität (1985-2002) in europäischen Ländern

Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Großbritannie Irland Italien Lettland Litauen Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Schweden Schweiz Slowakei Slowenien Spanien Tschechien Ungarn Gesamt

High-Tech Patente Anzahl Anteil in % 3.435 1,94 67 0,04 3.266 1,84 62.574 35,27 10 0,01 5.604 3,16 28.622 16,13 130 0,07 26.641 15,02 636 0,36 11.168 6,29 8 0,00 5 0,00 50 0,03 12.183 6,87 267 0,15 2.599 1,46 46 0,03 82 0,05 6 0,00 9.921 5,59 7.956 4,48 35 0,02 89 0,05 1.756 0,99 116 0,07 152 0,09 177.424 100,00

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Sektorale Verteilung der High-Tech Patente in europäischen Regionen

Im Zusammenhang mit der Analyse der gesamten High-Tech Patentanmeldungen in europäischen Regionen interessiert, ob sich Unterschiede in der Patentintensität hinsichtlich der vier High-Tech Sektoren feststellen lassen. Abb. 17 stellt die regionale Verteilung von Patenten der pharmazeutischen Industrie, gemessen als Anteil an den gesamten Pharmazeutik-Patenten dar. 70

Abb. 17: Geographische Verteilung von Pharmazeutik-EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Pharmazeutik-Patenten Anteil an europäischen Pharmazeutik-Patenten (natürliche Klassenbreiten) 0 – 0,47 [142 Regionen] 0,48 – 1,46 [31 Regionen] 1,47 – 2,47 [7 Regionen] mehr als 2,47 [8 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Patente der pharmazeutischen Industrie sind stark in deutschen Regionen vertreten. Die Hälfte der acht Regionen der Klasse mit einem Anteil von mehr als 2.47% sind Regionen aus Deutschland (Darmstadt, Rheinhessen-Pfalz, Köln und Düsseldorf). Oberbayern und Noord-Brabant, die beim Anteil der gesamten High-Tech Patente noch führend waren, sind bei der pharmazeutischen Industrie nicht mehr ganz vorne zu finden. Die anderen vier Regionen der Klasse mit einem Anteil von mehr als 2,47% sind Île-de-France, Dänemark, Schweiz und Lombardei. Sehr wenige Patentanmeldungen der Pharmazeutik finden sich mit einem Anteil von weniger als 0,48% in den ost-, süd- und nordeuropäischen Regionen. Im Sektor Elektronik und Kommunikation ist die Region Oberbayern die führende Region mit einem Anteil von über 10%. In der Klasse mit einem Anteil von mehr als 2,70% sind in diesem Fall auch die nördlichen Regionen Stockholm (Schweden) und Uusimaa (Finnland) anzutreffen. Dies ist primär auf die relative Stärke dieser Regionen im Bereich der Kommunikationstechnologie zurückzuführen. Für Finnland ist hierbei insbesondere das Unternehmen Nokia mit Sitz in Helsinki zu nennen, für Schweden das Unternehmen Ericsson mit Sitz in Stockholm. Ebenfalls der Klasse mit mehr als 2,70% zuzurechnen sind 71

die Regionen Île-de-France, Noord-Brabant (Niederlande) und die Schweiz. Neben Oberbayern sind von den deutschen Regionen auch Mittelfranken und Stuttgart in der dieser Klasse vertreten (vgl. Abb. 18). Dies verdeutlicht die gute Stellung Süddeutschlands, insbesondere Bayerns, in diesem Sektor. Abb. 18: Geographische Verteilung von Elektronik-EPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Elektronik-Patenten Anteil an europäischen Elektronik-Patenten (natürliche Klassenbreiten) 0 – 0,59 [150 Regionen] 0,60 – 1,95 [28 Regionen] 1,96 – 2,70 [3 Regionen] mehr als 2,70 [7 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Im Bereich des Sektors Computer und Büromaschinen zeigt sich im Vergleich zu den anderen Industrien eine schwächere Position der deutschen Regionen. Nur Oberbayern findet sich in dieser Industrie bei den führenden Regionen der Klasse mit über 2,47% (vgl. Abb. 19). Die meisten Patentanmeldungen bei Computer und Büromaschinen stammen aus der Region Noord-Brabant (Niederlande). Der hohe Wert in dieser Region geht zu einem Großteil auf die Firma Royal Philips Electronics mit Sitz in Eindhoven und deren Zulieferer zurück. Bei Computer und Büromaschinen hat mit East-Anglia eine Region aus Großbritannien eine sehr hohe Anzahl an Patenten in diesem Sektor vorzuweisen. Die Etablierung von East-Anglia als eine der international führenden High-Tech Regionen hängt besonders mit der Universität Cambridge zusammen. Die ansässige Wirtschaft profitiert von der engen Zusammenarbeit mit der Universität. Im Gebiet des so genannten 72

„Cambridge Technopole“, das die Stadt Cambridge und deren Hinterland in einem Radius von ungefähr 30 km einschließt, haben mehr als 3.500 High-Tech Unternehmungen ihren Sitz. Zahlreiche Patentanmeldungen aus diesem Sektor liegen zudem in Île-de-France, der Lombardei und der Schweiz vor. Abb. 19 skizziert die Verteilung von Computer- und Büromaschinen-Patenten in europäischen Regionen. Abb. 19:

Geographische Verteilung von Computer- und BüromaschinenEPO-Patenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Computer- und BüromaschinenPatenten

Anteil an europäischen Computer- und Büromaschinen-Patenten (natürliche Klassenbreiten) 0 – 0,50 [143 Regionen] 0,51 – 1,45 [29 Regionen] 1,46 – 2,47 [9 Regionen] mehr als 2,47 [6 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Hinsichtlich der Patentanmeldungen im Bereich der Luft- und Raumfahrt ist eine eindeutige Führungsposition französischer Regionen festzustellen (vgl. Abb. 20). Die drei führenden Regionen sind Île-de-France, Midi-Pyrénées und Provence-Côte d'Azur. Ihre relative Stärke ist durch die Ansiedlung großer Luftfahrtunternehmen, wie etwa Airbus in Toulouse (Midi-Pyrénées), zu erklären. Ebenfalls zahlreiche Patente in diesem Sektor sind in Oberbayern angemeldet. Île-de-France ist die einzige Region, die bei allen vier HighTech Sektoren unter den führenden Regionen zu finden ist, und unterstreicht damit ihre Stärke als High-Tech Region in Europa.

73

Abb. 20:

Geographische Verteilung von Luft- und Raumfahrt-EPOPatenten in europäischen Regionen (1985-2002), gemessen als Anteil an den gesamten Luft- und Raumfahrt-Patenten

Anteil an europäischen Luft- und Raumfahrt Patenten (natürliche Klassenbreiten) 0 – 0,42 [137 Regionen] 0,43 – 1,44 [39 Regionen] 1,45 – 4,44 [7 Regionen] mehr als 4,44 [5 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Räumliche Clusterung der High-Tech Patentaktivität in Europa

Aus Abb. 16 ist eine deutliche Ballung der High-Tech Patentaktivität im Zentrum Europas ersichtlich, während in den peripheren Regionen verhältnismäßig wenig High-Tech Patente zwischen 1985 und 2002 angemeldet wurden. Wie stark die räumliche Konzentration der High-Tech Patentanmeldungen über die Regionen ist, lässt sich durch einen räumlichen Konzentrationsindex messen. Ein geeignetes Maß hierfür ist der Herfindal-Index, der sich wie folgt definiert:

n

Hs = 1+

74

ln ¦ ais2 i =1

ln n

,

für i = 1, …, n = 188

(2)

wobei Hs den Wert des Herfindal-Index für den Sektor s darstellt und ais die Anzahl der Patente im Sektor s und der Region i. Ein Wert von 1 würde eine vollständige Konzentration der Patente eines Sektors in einer Region bedeuten, ein Wert von 0 eine gleichmäßige Verteilung der Patente über alle Regionen. Tab. 18 enthält die HerfindalIndizes für die vier High-Tech Sektoren und den gesamten High-Tech Sektor. Tab. 18:

Herfindal-Indizes für vier High-Tech Sektoren

Sektor

Herfindal - Index

Luft- und Raumfahrt

0,398

Computer und Büromaschinen

0,390

Elektronik und Kommunikation

0,388

Pharmazeutische Industrie

0,336

High-Tech Sektor

0,365

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Tab. 18 zeigt, dass es keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der räumlichen Konzentration der sektoralen Patentanmeldungen in den Regionen des Untersuchungsraums gibt. Alle vier Sektoren, wie auch der gesamte High-Tech Sektor, weisen Indexwerte zwischen 0,33 und 0,40 auf. Dies bedeutet, dass eine räumliche Konzentration sektoraler High-Tech Patentanmeldungen in europäischen Regionen gegeben ist. Die Ergebnisse gehen damit konform mit früheren empirischen Befunden von Caniels (2000). Am stärksten ist die räumliche Konzentration erwartungsgemäß in der Luft- und Raumfahrt, in der nur sehr wenige Regionen mehrere Patente anmelden (Île-deFrance, Midi-Pyrénes, Provence-Cote d´Azur und Oberbayern) Das Auftreten räumlicher Cluster und die Lokalisierung dieser kann detaillierter mit Hilfe von Methoden der räumlichen Datenanalyse gemessen werden. Es kann überprüft werden, ob Variablenwerte im Raum zufällig verteilt oder räumlich korreliert sind. Sind Variablenwerte räumlich korreliert, spricht man in der Literatur von räumlicher Autokorrelation (vgl., beispielsweise, Anselin 1988, Anselin und Bera 1998, Fischer 2001b). Zur Feststellung von räumlicher Autokorrelation in der europäischen High-Tech Patentaktivität können verschiedene Maße der räumlichen Autokorrelation herangezogen werden. Prinzipiell ist zwischen lokalen und globalen räumlichen Autokorrelationsmaßen zu unterscheiden. Globale räumliche Autokorrelationsmaße testen, ob alle Beobachtungen eines Datensatzes räumlich autokorreliert sind. Lokale räumliche Autokorrelationsmaße messen dagegen für jede Raumeinheit das Ausmaß der räumlichen Clusterung von ähnlichen Werten in der Nachbarschaft. Durch Visualisierung von lokalen räumlichen Auto korrelationsstatistiken in Kartenform können räumliche Cluster adäquat veranschaulicht werden.

75

Um globale oder lokale räumliche Autokorrelation zu messen, muss das zu Grunde liegende Raumsystem mathematisch repräsentiert werden. Zur Repräsentation des Raumes wird eine räumliche Gewichtsmatrix W verwendet, die die Nachbarschaftsbeziehungen eines Raumsystems in Form einer symmetrischen (n, n)-Matrix abbildet. Ein Element wij der Matrix W definiert die Nachbarschaft zwischen zwei Regionen i und j. Zur Spezifikation und Konstruktion der räumlichen Gewichtsmatrix ist ein Nachbarschaftskriterium zu wählen. Grundsätzlich kann zwischen kontiguitätsbasierten und distanzbasierten Nachbarschaftskriterien unterschieden werden. Kontiguitätsbasierte Kriterien definieren Raumeinheiten als Nachbarn, wenn diese eine gemeinsame Grenze aufweisen:

­1 falls i und j eine gemeinsame Grenze aufweisen (i ≠ j ) wij = ® ¯0 sonst.

(3)

Wendet man Gleichung (3) nur jeweils auf die unmittelbar benachbarten Regionen an, spricht man von Nachbarschaft 1. Ordnung. Bei der Nachbarschaft 2. Ordnung werden nicht nur die direkt angrenzenden Regionen in Betracht gezogen, sondern auch die Nachbarn der Nachbarn. Nach diesem Schema können auch höhere Ordnungen der Nachbarschaften gebildet werden (Anselin 1988). Bei distanzbasierten räumlichen Gewichtsmatrizen wird Nachbarschaft als Funktion der Distanz dij zwischen zwei diskreten Punkten (beispielsweise Zentroide oder Städte), die die Raumeinheiten i und j repräsentieren, gemessen. Zwei Raumeinheiten sind nach dieser Spezifikation benachbart, wenn diese innerhalb einer vorher definierten kritischen Distanz d liegen:

­1 falls d ij < d wij = ® ¯0 sonst.

(4)

Eine weitere Spezifikationsmöglichkeit der räumlichen Gewichtsmatrix besteht darin, jeder Raumeinheit die nächsten q-Nachbarn zuzuordnen.

­°1 falls dij ≤ diq( i ) wij = ® °¯0 sonst, wobei q( i) der q-nächste Nachbar von i ist.

76

(5)

Tab. 19: Globale räumliche Autokorrelation der High-Tech Patentaktivitäten in Europa (1985-2002) Räumliche Gewichtsmatrix

Moran’s I Statistik (Signifikanz)

Kontiguitätsmatrix 1. Ordnung

0,101 (0,015)*

2. Ordnung

0,037 (0,126)

3. Ordnung

0,018 (0,231)

Nächste-Nachbarn-Matrix q=5

0,103 (0,002)*

q=6

0,085 (0,005)*

q=7

0,069 (0,011)*

q=8

0,050 (0,032)*

q=9

0,054 (0,017)*

q = 10

0,046 (0,028)*

q = 11

0,047 (0,042)*

q = 12

0,036 (0,042)*

q = 13

0,039 (0,028)*

q = 14

0,041 (0,018)*

q = 15

0,042 (0,141)

Distanzbasierte Gewichtsmatrix 50 km

0,039 (0,151)

100 km

0,054 (0,023)*

150 km

0,046 (0,045)*

200 km

0,038 (0,095)

250 km

0,029 (0,124)

300 km * signifikant auf 5% Niveau

0,023 (0,135)

Zur Identifikation von globaler räumlicher Autokorrelation in der regionalen High-Tech Patentaktivität in Europa wird in der vorliegenden Arbeit die Moran’s I Statistik verwendet:

77

n

Moran´s I =

n

n¦¦ wij ( xi − x ) ( x j − x ) i =1 j =1 n n

n

¦¦ w ¦ ( x − x ) ij

i =1 j =1

,

(6)

2

i

i =1

wobei n die Anzahl der Raumeinheiten (hier n = 188), xi die Beobachtung der Variable X in der Region i, xj die Beobachtung der Variable X in der Region j und x der Mittelwert der Variable X ist. Im vorliegenden Fall ist die zu untersuchende Variable X der Anteil der regionalen High-Tech Patentaktivität an den gesamten High-Tech Patenten. Tab. 19 enthält die entsprechenden Moran’s I Statistiken für verschiedene Spezifikationen der räumlichen Gewichtsmatrix. Für die meisten Spezifikationen kann schwache, aber deutlich signifikante räumliche Autokorrelation festgestellt. Den höchsten Moran’s I Wert (0,103) sowie die höchste Signifikanz (0,002) erhält man bei Verwendung der NächsteNachbarn-Matrix mit fünf Nachbarn (q = 5). Die Ergebnisse zeigen, dass High-Tech Patenanmeldungen in europäischen Regionen im Raum nicht unabhängig voneinander auftreten. Zur Identifizierung von lokaler räumlicher Autokorrelation dient der Moran-Scatterplot. Im Moran-Scatterplot wird für jede Region der Durchschnitt der beobachteten Werte einer Variable in benachbarten Regionen dem Wert dieser Variable in der Region selbst gegenübergestellt (vgl., beispielsweise, Anselin 1988). In diesem Fall werden im MoranScatterplot an der horizontalen Achse die standardisierten regionalen Anteile an den gesamten High-Tech Patentanmeldungen aufgetragen, an der vertikalen Achse die standardisierten durchschnittlichen Anteile an europäischen High-Tech Patenten in den benachbarten Regionen. Der durchschnittliche Anteil L an europäischen High-Tech Patenten in den benachbarten Regionen einer Region i ergibt sich aus

n

Li = ¦ wij a j

(7)

­°1 falls dij ≤ diq( i ) mit wij = ® °¯0 sonst,

(8)

j =1

und q = 5, aj bezeichnet den Anteil an europäischen High-Tech Patenten in der Region j. Abb. 21 stellt die errechneten Li-Werte für die regionale High-Tech Patentaktivität im Moran-Scatterplot den regionalen High-Tech Patentanmeldungen gegenüber. Der Scatterplot ermöglicht das Auffinden von signifikanten lokalen räumlichen Clustern (Anselin, 1988).

78

Abb. 21: Moran-Scatterplot zur High-Tech Patentaktivität in europäischen Regionen (1985-2002) 3,00 Anteil an europäischen High-Tech Patenten der benachbarten Regionen (Nächste-Nachbarn-Matrix mit q = 5)

Low-High

High-High

2,00 Karlsruhe

1,00

0,00 Oberbayern Île-de-France

-1,00

-2,00

Low-Low Low-Low -3,00 -2,00 0,00

High-Low

2,00

4,00

6,00

8,00

10,00

Anteil an europäischen High-Tech Patenten (standardisiert)

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Zur Erstellung des Moran-Scatterplots aus Abb. 21 wurden für jede Region i an der Ordinate die errechneten standardisierten Li-Werte und an der Abszisse die jeweiligen regionalen High-Tech Patente aufgetragen. Es ermöglicht eine einfache Klassifizierung der Regionen in die Kategorien Low-Low, Low-High, High-Low und High-High nach ihrer Lage innerhalb einer der vier Quadranten des Scatterplots. Ist eine Region im HighHigh- Quadrant bedeutet dies, dass diese Region eine hohe Anzahl an High-Tech Patenten aufweist und in der Nachbarschaft von Regionen mit ebenfalls hoher Patentaktivität liegt. Die meisten Regionen befinden sich im vorliegenden Fall im Low-Low-Quadrant. Demnach gibt es zahlreiche Regionen mit einer geringen Anzahl an High-Tech Patenten, deren Nachbarn ebenfalls wenige High-Tech Patente aufweisen. Einige Regionen sind auch im High-High-Quadranten lokalisiert. Der Moran-Scatterplot zeigt zudem, dass es einen Ausreißer (Île-de-France) im High-Low-Quadranten gibt, der selbst die höchste High-Tech Patentaktivität aufweist, jedoch in der Nachbarschaft von Regionen liegt, die eine deutlich niedrigere Anzahl an High-Tech Patenten haben. Um darzustellen, welchem

79

Quadranten die einzelnen Regionen angehören, bietet sich eine Visualisierung in Kartenform an (vgl. Abb. 22). Abb. 22: Lokale räumliche Autokorrelation der High-Tech Patente in europäischen Regionen (1985-2002) Lokale räumliche Autokorrelation der regionalen High-Tech Patentaktivitäten Low-Low [109 Regionen] Low-High [37 Regionen] High-Low [13 Regionen] High-High [29 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Aus der Karte in Abb. 22 ist deutlich das Auftreten von lokalen Clustern hinsichtlich der High-Tech Patentaktivität in europäischen Regionen ersichtlich. Im Zentrum Europas befindet sich ein Cluster mit Regionen hoher High-Tech Patentaktivität, der von Regionen mit ähnlich vielen High-Tech Patentanmeldungen umgeben ist. Zu diesem Cluster gehören zahlreiche süddeutsche Regionen, Regionen im Südosten Frankreichs sowie die Lombardei in Italien und die Schweiz. Regionen, die ebenfalls zur High-High-Kategorie gehören, liegen im Süden Großbritanniens, in den Niederlanden, in Norddeutschland sowie im Süden Finnlands. In den peripheren Gebieten ist eine Clusterbildung von Regionen mit niedriger High-Tech Patentaktivität festzustellen. Die Ergebnisse der räumlichen Autokorrelationsmaße verdeutlichen allgemein, dass regionale High-Tech Patentanmeldungen in europäischen Regionen im Raum nicht unabhängig voneinander auftreten. Dies könnte Ausdruck der Existenz von

80

Wissensspillovers zwischen benachbarten Regionen sein. Um dies zu überprüfen, werden im nachfolgenden Kapitel europäische High-Tech Patentzitierungsflüsse, die zur Erfassung interregionaler Wissensspillovers herangezogen werden, räumlich analysiert. Des Weiteren wird die regionale Zitierungsmatrix beschrieben, die in Kapitel 4 im Mittelpunkt der explanatorischen Analyse stehen wird.

3.3

Europäische High-Tech Patentzitierungsflüsse

Neben der geographischen Verteilung von High-Tech Patenten interessiert im Kontext der vorliegenden Arbeit insbesondere die geographische Dimension der High-Tech Patentzitierungen. Nachfolgend steht eine explorative Datenanalyse der Zitierungen im Mittelpunkt der Betrachtung, die, neben der Erfassung der Geographie, Anstöße für die explanatorischen Analysen in Kapitel 4 geben soll. Es erfolgt zunächst eine detaillierte Beschreibung der Konstruktion des Patentzitierungsdatensatzes und danach die Charakterisierung der Patentzitierungen durch deskriptive Statistiken. Im Anschluss wird analysiert, wo die Patentzitierungsflüsse hin fließen, und aufgezeigt, welche Regionen wie viele Wissensflüsse generieren bzw. absorbieren. Mit Hilfe einer netzwerkanalytischen Darstellung der Zitierungsflüsse können Wissenshubs unter den Regionen des Untersuchungsraums visualisiert und identifiziert werden. Zudem soll festgestellt werden, ob auch hinsichtlich der Patentzitierungsintensität räumliche Cluster auftreten. Konstruktion der regionalen Patentzitierungsmatrix

Mit den Zitierungen jedes in der Datenbank enthaltenen Patents wird zunächst eine Basistabelle erstellt, die einander zitierende Patentpaare enthält. Eine Patentzitierung besteht, wie bereits dargelegt, immer aus zwei Patenten, einem zitierenden und einem zitierten Patent. Die Daten über diese Beziehung treten in Form von „gemachten“ Zitierungen auf, d.h. ein Patent enthält Verweise auf ältere Patente. Zur Identifizierung der Wissensflüsse benötigt man daher einen Vektor mit zitierenden Patenten sowie einen Vektor mit den dazugehörenden zitierten Patenten. Dies verlangt im Hinblick auf die Datenverarbeitung nach einem schnellen Zugang zum gesamten Datensatz bzw. nach effizienten Datenextraktionsalgorithmen, da die Suche nach Zitierungen nicht über die Patentnummer des zitierenden, sondern nur über die Patentnummer des zitierten Patents durchgeführt werden kann. Mit SQL-Operationen kann die Basistabelle konstruiert werden. Sie enthält in der ersten Spalte einen Vektor mit den Publikationsnummern der zitierten Patente und in der zweiten Spalte einen Vektor mit den korrespondierenden Publikationsnummern der zitierenden Patente (der Wissensfluss erfolgt vom zitierenden zum zitierten Patent, vgl. Subkapitel 2.4). Nachdem ein Patent mehrere Inventoren besitzen kann, ist es möglich, dass manche Kombinationen öfter als einmal in der Basiszitierungstabelle auftreten. Die Zitierungstabelle wird so erstellt, dass jede Inventorkombination einer Zitierung gezählt wird. Diese Methode wird als Full-Counting bezeichnet (Verspagen und Schoenmakers

81

2000, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Andere Handhabungen wären die anteilsmäßige Zuordnung von multiplen interregionalen Inventorteams oder, wie es das USTPO praktiziert, die alleinige Berücksichtigung des erstgenannten Inventors. Die Full Counting Methode zählt beispielsweise bei einem Patent mit drei Inventoren in drei verschiedenen Regionen, das ein Patent mit zwei Inventoren in zwei verschiedenen Regionen zitiert, sechs Zitierungen. Diese Methode überschätzt das Ausmaß der Wissensspillovers, während die Herangehensweise der USTPO es unterschätzt (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005). In dieser Arbeit wird die Full Counting Methode bevorzugt, da sie nur ganzzahlige Werte produziert und somit eher der Natur von Patentzitierungen entspricht. Da für jedes Patent bzw. für jede Publikationsnummer die jeweilige NUTS-Region bekannt ist (vgl. Subkapitel 3.2), kann durch Kombination der Basiszitierungstabelle mit der Information über die regionale Zuordnung jedes Patents eine regionale Zitierungsmatrix (cij) erstellt werden, die die Frequenzen interregionaler Patentzitierungen enthält. Die regionale Zitierungsmatrix steht in weiterer Folge sowohl im Zentrum der deskriptiven Analyse dieses Subkapitels als auch im Mittelpunkt der explanatorischen Analyse von Wissensflüssen in Kapitel 4. Die regionale Zitierungsmatrix (cij) beinhaltet alle Zitierungsflüsse zwischen den n = 188 Regionen, d.h. sie berücksichtigt auch Regionspaare, die sich einander nicht zitieren, und ist demnach eine (n, n)-Matrix mit 35.344 Zellen. (cij) enthält in den Zeilen die i = 1, ..., n = 188 Regionen der zitierten Patente (d.h. die Ursprungsregionen der Spillovers), die Spalten repräsentieren die j = 1, ..., n = 188 Regionen der zitierenden Patente (d.h. die Wissensspillovers absorbierenden Regionen). Die Konstruktion von (cij) basiert auf den Zitierungen in allen 177.424 Patenten. 101.247 (57,06%) davon weisen eine Zitierung auf, die restlichen 76.177 (42,93%) werden vom Datensatz entfernt. Die 101.247 Patente generieren 210.667 Zitierungen. Die Matrix ist quadratisch, jedoch nicht symmetrisch, d.h. cij ≠ cji. Die Fokussierung der weiteren Analyse auf die regionale Zitierungsmatrix (cij) verschiebt den Blickwinkel der Betrachtung weg von der Dyade zitierendes Patent - zitiertes Patent auf die Dyade zitierende Region – zitierte Region (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Dies ist von Vorteil, da Jaffe, Fogarty und Banks (1998) darauf hinweisen, dass Patentzitierungen eher auf der Ebene von Organisationen, Industriebranchen oder Regionen als auf der individuellen Ebene indikativ für Wissensspillovers sind (vgl. Subkapitel 2.4). Zur Konstruktion der Matrix (cij) ist es notwendig, eine umfangreiche Bereinigung der Zitierungen vorzunehmen: (i) Patentzitierungsanalysen

unterliegen dem Problem, dass die Daten zeitlich abgeschnitten sind (aus der Zeitreihenanalyse bekannt als Trunkation-Problem) (Hall, Jaffe und Trajtenberg 2002, Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Patente verschiedenen Alters sind in unterschiedlichem Ausmaß mit diesem Problem behaftet. Solche, die beispielsweise erst 2002 angemeldet wurden, haben bei weitem noch nicht ihr volles Zitierungspotential erreicht und können von Patenten, die nach 2002 angemeldet und daher nicht im Datensatz enthalten sind, noch zitiert werden. Zur

82

Lösung dieses Problems werden in der vorliegenden Arbeit die durchschnittlich gemachten und erhaltenen Zitierungen pro Jahr analysiert (vgl. Abb. 23). Hinsichtlich der durchschnittlich gemachten Zitierungen (mit Selbstzitierungen) kann festgestellt werden, dass diese bis 1990 ansteigen und danach relativ stabil zwischen 1,6 bis 1,8 Zitierungen pro Patent liegen. Dies ist damit zu erklären, dass Patente, deren Anmeldung vor 1990 erfolgte, einige ältere Patente zitieren, deren Anmeldung vor 1985 datiert. Diese zitierten Patente liegen jedoch nicht im Untersuchungszeitraum und sind daher nicht im Datensatz enthalten. Betrachtet man die durchschnittlich erhaltenen Zitierungen pro Patent (mit Selbstzitierungen), zeigt sich bis 1997 ein relativ stabiler Wert zwischen 2,2 bis 2,4 Zitierungen pro Patent. Danach fällt der Wert bis 2002 steil ab, da „junge“ Patente erst nach 2002 (d.h. außerhalb des Untersuchungszeitraums) weitere Zitierungen erhalten werden. Damit kann nur ein bestimmter „Lebensabschnitt“ eines Patents erfasst werden. Es erscheint daher sinnvoll, die zitierten Patente auf die Jahre 1985 bis 1997 und die zitierenden Patente auf die Jahre 1990 bis 2002 zu limitieren, sowie für alle Patente ein 5-Jahres Zitierungsfenster zu wählen. Es werden demgemäß nur jene Zitierungen betrachtet, die innerhalb von fünf Jahren nach der Anmeldung erfolgt sind. Für die Wahl des 5-Jahres-Zitierungsfensters spricht auch die durchschnittliche Zeitdauer (in Jahren), die von der Anmeldung eines Patents bis zu dessen Zitierung vergeht. Der so genannte durchschnittliche Zitierungslag beträgt 4,62 Jahre für alle Zitierungen. Dies führt zunächst zu einem reduzierten Sample mit 155.462 Zitierungen, produziert von 68.814 zitierenden Patenten. (ii) Das reduzierte Sample mit 155.462 Zitierungen enthält jedoch noch Selbstzitierungen.

Eine Selbstzitierung bezeichnet eine Identität des Anmelders von zitiertem und zitierendem Patent. Aufgrund der Definition von Wissensspillovers als Externalitäten in der Wissensproduktion (vgl. Subkapitel 2.3) können Selbstzitierungen nicht als Indikator für Spillovereffekte herangezogen und müssen vom Datensatz entfernt werden. 36,8% des reduzierten Samples von 155.462 Patentzitierungen sind Selbstzitierungen Die Identifikation von Selbstzitierungen erfolgte auf Basis von Abfragen über die Identität des Anmelders von zitierendem und zitiertem Patent. Diese Vorgehensweise kann nicht vollständig alle Selbstzitierungen ausschließen, da damit keine Beziehungen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen berücksichtigt werden. Eine umfassende Analyse der Mutter-Tochter Beziehungen von Unternehmen über den gesamten Untersuchungszeitraum wäre jedoch bei weitem zu aufwändig, um eine solche innerhalb der vorliegenden Untersuchung durchführen zu können. Abb. 23 verdeutlicht die durchwegs geringere Zitierungsintensität hinsichtlich der erhaltenen und gemachten mittleren Zitierungen bei Entfernung der Selbstzitierungen. Die mittlere Zitierungsintensität für die gemachten Zitierungen liegt bei etwa 1,4 Zitierungen pro zitierendem Patent, jene für die erhaltenen Zitierungen bei etwa 2,0 Zitierungen pro zitiertem Patent. Der starke Abfall der erhaltenen Zitierungen nach 1997 ist durch das oben beschriebene Problem zu erklären, dass nur ein bestimmter „Lebensabschnitt“ eines Patents untersucht werden kann. Die Bereinigung des Samples mit 155.462 Zitierungen um die Selbstzitierungen führt 83

schließlich zu einem endgültigen Sample mit 98.191 Zitierungen, das durch 36.460 zitierende und 26.511 zitierte Patente generiert wird. Abb. 23:

Durchschnittlich erhaltene und gemachte Zitierungen von High-Tech Patenten (1985 – 2002)

3

2,5

Mittlere Zitierungen

2

1,5

1

0,5

Gemacht Erhalten Erhalten [ohne Selbstzitierungen] Gemacht [ohne Selbstzitierungen]

0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Publikationsjahr

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Das bereinigte Sample mit 98.191 Patentzitierungen wird schließlich zur Konstruktion der Matrix (cij) herangezogen. Durch Identifikation der NUTS-Regionen der einander zitierenden Patentpaare können die entsprechenden Zitierungsfrequenzen zwischen allen n = 188 Regionen ermittelt werden. Deskriptive Statistiken zu High-Tech Patentzitierungen in Europa

Tab. 20 enthält als Grundlage einige deskriptive Statistiken zur regionalen Zitierungsmatrix (cij) mit 98.191 Zitierungen. Der Mittelwert der Anzahl der Zitierungen zwischen allen Regionen beträgt 2,77, die Standardabweichung ist relativ groß (16,23). Etwa zwei Drittel aller Regionspaare (23.688 von 35.344 Paaren) zitieren einander nicht, d.h die Matrix enthält 23.688 Beobachtungen mit cij = 0, bzw. nur 11.656 Beobachtungen mit cij – 1.

84

Tab. 20: Deskriptive Statistik über Patentzitierungen zwischen 188 europäischen Regionen [zitierte Patente 1985-1997, zitierende Patente 1990-2002] (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006) Anzahl der Zitierungen

Mittelwert

Standardabweichung

Min

Max

Anzahl der Beobachtungen*

Alle Zitierungen

98.191

2,77

16,23

0

1.408

35.344

Intraregionale Zitierungen

11.371

60,48

152,05

0

1.408

188

Interregionale Zitierungen

86.820

2,46

11,14

0

351

35.156

National

25.341

6,41

20,02

0

351

3.952

International

61.479

1,97

9,31

0

290

31.204

86.820

7,57

18,49

1

351

11.468

Positive Interregionale Zitierungen

* Elemente der regionalen Zitierungsmatrix (cij) Quelle: EPO (Patentdokumente)

Der Mittelwert für alle interregionalen Zitierungen liegt bei 2,46. Für jene Paare, die mindestens eine Zitierung aufweisen (d.h., wenn man die Elemente mit cij = 0 exkludiert), beträgt der Mittelwert 7,57. Die Statistiken aus Tab. 20 implizieren zudem, dass nationale Zitierungen häufiger als internationale Zitierungen getätigt werden. Der Mittelwert für nationale interregionale Zitierungen ist 6,41, jener für internationale interregionale 1,97. Dies ist bereits ein erstes Indiz dafür, dass Ländergrenzen eine wesentliche Barriere für Wissensspillovers darstellen (siehe Darstellung der Forschungsfragen in Kapitel 1). Etwa 11,5% aller Zitierungen sind Zitierungsflüsse innerhalb einer Region (intraregionale Zitierungsflüsse), d.h. sie sind an der Hauptdiagonale der regionalen Zitierungsmatrix konzentriert. Die deskriptiven Statistiken aus Tab. 20 und die große Anzahl einander nicht zitierender Regionspaare deuten auf eine extrem schiefe Verteilung der Patentzitierungen hin. Zur Überprüfung auf Normalverteilung wird die Jarque-Bera-Teststatistik (vgl. Gleichung (1)) verwendet. Tab. 21 präsentiert die Werte und Signifikanzen der Jarque-Bera-Tests für alle Zitierungen und für die interregionalen Zitierungen. Der Test ergibt für beide Variablen extrem hohe Werte und unterstreicht die Vermutung einer sehr schiefen Verteilung.

85

Jarque-Bera-Tests von High-Tech Patentzitierungen zwischen europäischen Regionen (1985-2002)

Tab. 21:

Alle Zitierungen JB

Interregionale Zitierungen

6.084.509.255,45

87.163.891,23

0,000

0,000

p-Wert (Signifikanz) Quelle: EPO (Patentdokumente)

Die sehr schiefe Verteilung der Patentzitierungen ist in erster Linie auf die große Anzahl an Beobachtungen mit cij = 0 zurückzuführen. Betrachtet man den Wert der Jarque-BeraStatistik für die interregionalen Zitierungen aus Tab. 21 zeigt sich ein etwas geringerer Wert für die Jarque-Bera-Statistik, da bei Inkludierung der intraregionalen Zitierungen einige sehr hohe Werte hinzukommen, die eine noch stärkere Schiefe erzeugen. Der maximale Wert der intraregionalen Zitierungsfrequenzen beträgt 1.408 (Zitierungen innerhalb der Region Île-de-France), der maximale Wert der interregionalen Zitierungsfrequenzen liegt im Vergleich dazu bei 351 (Patente aus der Region Düsseldorf, die Patente aus der Region Köln zitieren). Abb. 24: Frequenz interregionaler Patentzitierungen (vertikale Achse) versus Anzahl der Zitierungen (horizontale Achse)

25 20 15 10 5

Quelle: EPO (Patentdokumente)

86

211-220

201-210

191-200

181-190

171-180

161-170

151-160

221 und mehr

Anzahl an Zitie runge n

141-150

131-140

121-130

111-120

101-110

81-90

91-100

71-80

61-70

51-60

41-50

31-40

21-30

0-10

0 11-20

Frequenz interregionaler Zitierungen [in 1,000]

30

Eine graphische Darstellung der regionalen Zitierungsfrequenzen lässt erkennen, dass sich die meisten Regionen weniger als zehnmal zitieren und danach die Zitierungsfrequenz sehr stark abfällt, d.h. die Frequenz an Patentzitierungen sinkt stetig mit größerer Intensität der Zitierungslinks (vgl. Abb. 24). Zudem wird die stark rechtsschiefe Verteilung der Beobachtungen verdeutlicht. Nur 90 der 35.344 Regionspaare weisen 100 oder mehr Zitierungen auf. 33.426 Regionspaare (94,57%) zitieren einander weniger als elfmal, d.h. für 33.426 Beobachtungen der Matrix (cij) gilt cij † 10. Nur 5,43% (1.918 Regionspaare) weisen einen Wert von cij > 10 auf und lediglich 0,91% (322 Regionspaare) einen Wert von cij > 50. Zitierungslags

Als Zitierungslag bezeichnet man den Zeitraum (in Jahren) zwischen dem Anmeldejahr eines zitierenden Patents und dem Anmeldejahr eines entsprechenden zitierten Patents (Hall, Jaffe und Trajtenberg 2002). Der mittlere Zitierungslag beträgt 4,62 Jahre für alle Zitierungen und 4,96 Jahre für die Zitierungen der regionalen Zitierungsmatrix (cij). Der höhere Zitierungslag für die Zitierungen aus der Matrix (cij) gegenüber allen Zitierungen ist durch die Entfernung der Selbstzitierungen zu erklären. Eine Selbstzitierung wird häufiger schneller als eine normale Zitierung getätigt. Der durchschnittliche Zitierungslag von 4,96 Jahren für die Zitierungen der regionalen Zitierungsmatrix (cij) bestätigt die adäquate Wahl des 5-Jahres-Zitierungsfensters zur Konstruktion von (cij). Man kann bei Zitierungslags zwischen einer vorwärts und rückwärts gerichteten Betrachtungsweise unterscheiden (Hall, Jaffe und Trajtenberg 2002). Die rückwärts gerichtete Betrachtungsweise ist aus der Perspektive des zitierenden Patents und liegt daher in der Vergangenheit des Anmeldejahrs des zitierenden Patents. Die vorwärts gerichtete Betrachtungsweise ist aus Sicht des zitierten Patents und liegt daher in einem jüngeren Zeitraum als das Anmeldejahr des zitierten Patents (Hall, Jaffe und Trajtenberg 2002). Analysen von vorwärts gerichteten Zitierungslags eignen sich besonders für den Vergleich unterschiedlicher Kohorten von zitierten Patenten (vgl. Abb. 27). Abb. 25 zeigt zunächst die rückwärts gerichteten Zitierungslags für die interregionalen Patentzitierungen aus der Matrix (cij), Abb. 26 für die entsprechenden kumulierten Patentzitierungen. Abb. 25 verdeutlicht, dass die meisten Zitierungen zwischen dem ersten und dem fünften Jahr getätigt werden. 63,21% aller Zitierungen beziehen sich auf zitierte Patente, die zwei bis fünf Jahre vor dem zitierenden Patent angemeldet wurden. 4,51% davon erfolgen im ersten Jahr, 14,20% im zweiten Jahr nach der Anmeldung des Patents. 25,59% der Zitierungen verweisen auf ein zitiertes Patent, dessen Anmeldejahr mehr als fünf Jahre vor dem des zitierten Patents liegt. Betrachtet man die Verteilung der rückwärts gerichteten Zitierungslags nach ihrem Anteil an den kumulierten Zitierungen ist festzustellen, dass etwa 92% der Zitierungen innerhalb der ersten sieben Jahre nach der Anmeldung des zitierten Patents stattfinden.

87

Abb. 25: Verteilung von rückwärts gerichteten Zitierungslags nach dem Anteil der Zitierungen 20 18 16

Zitierungen in %

14 12 10 8 6 4 2 0 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Lag in Jahre n

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Abb. 26: Verteilung von rückwärts gerichteten Zitierungslags nach dem Anteil der Zitierungen (kumuliert) 100 90

Zitierungen in % (kumuliert)

80 70 60 50 40 30 20 10 0 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Lag in Jahre n

Quelle: EPO (Patentdokumente)

88

10

11

12

13

14

15

16

17

Abb. 27 zeigt die Verteilung von vorwärts gerichteten Zitierungslags für ausgewählte Kohorten der zitierten Patente nach ihrem Anteil an den Zitierungen. Vergleicht man die Zitierungslags für die drei Kohorten 1985, 1990 und 1995, ist zu erkennen, dass sich die Ausprägung der Zitierungslag über diesen Zeitraum nur gering verändert hat. Bei allen drei untersuchten Kohorten steigt zunächst der Anteil der Zitierungen bis zum vierten Jahr und fällt danach relativ stark ab. Abb. 27: Verteilung von vorwärts gerichteten Zitierungslags nach deren Anteil an den Zitierungen für ausgewählte Kohorten zitierter Patente 25 1995 1990

20

Zitatierungen in %

1985 15

10

5

0 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Lag in Jahre n

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Die Geographie von interregionalen High-Tech Patentzitierungen in Europa

Nach der deskriptiven Beschreibung der Matrix (cij) besteht im Kontext der Forschungsfragen vor allem großes Interesse an einer Untersuchung der räumlichen Dimension der Patentzitierungen. Hierbei soll insbesondere untersucht werden, welche Länder/Regionen die meisten Wissensspillovers generieren bzw. absorbieren und wo die Wissensflüsse im Untersuchungsraum zu finden sind. Tab. 22 gibt zunächst einen Überblick über die Anzahl der zitierten Patente sowie die erhaltenen Zitierungen der Länder des Untersuchungsraums.

89

Tab. 22: Zitierende Patente (1985-1997) und erhaltene Zitierungen in den Untersuchungsländern Land

Anzahl der zitierten Patente

Anteil an den zitierten Patenten in %

Erhaltene Zitierungen pro zitiertem Patent

Deutschland

8.197

30,92

4,59

Großbritannien

4.663

17,59

3,33

Frankreich

4.154

15,67

3,53

Niederlande

1.816

6,85

3,09

Schweiz

1.572

5,93

2,77

Schweden

1.296

4,89

3,22

Finnland

1.052

3,97

3,07

Dänemark

907

3,42

2,39

Belgien

562

2,12

4,45

Österreich

284

1,07

4,22

Andere

2.007

7,57

3,56

Gesamt

26.511

100,00

3,71

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Mit Abstand die meisten zitierten Patente weist Deutschland auf (30,92%). An zweiter Stelle liegen jeweils Großbritannien und Frankreich. Betrachtet man den Anteil der erhaltenen Zitierungen pro zitiertem Patent, liegt ebenfalls Deutschland mit 4,59 Zitierungen an erster Stelle. An zweiter Stelle folgen Belgien und Österreich mit 4,45 bzw. 4,22 Zitierungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass beide Länder eine verhältnismäßig geringe Anzahl an zitierten Patenten aufweisen, jedoch erhalten diese Patente vergleichsweise viele Zitierungen. Tab. 23 erfasst das Verhältnis von gemachten und erhaltenen Zitierungen in den Untersuchungsländern. Auf Deutschland entfallen sowohl die meisten erhaltenen als auch die meisten gemachten Zitierungen. Das Verhältnis zwischen gemachten und erhaltenen Zitierungen drückt aus, ob ein Land mehr Wissensflüsse absorbiert als generiert hat. Ein Wert größer als 1 bedeutet, dass das betreffende Land mehr Wissensflüsse absorbiert als generiert hat. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass die meisten Länder ähnlich viele Wissensflüsse absorbieren wie sie generieren.

90

Tab. 23: Gemachte und erhaltene Zitierungen in den Untersuchungsländern

Belgien Bulgarien Dänemark

Gemachte Zitierungen pro erhaltener Zitierung

Gemachte Zitierungen

Erhaltene Zitierungen

Anzahl

%

Anzahl

%

2,95 0,01

2.801 13

2,85 0,01

1,08

2.896 14

1,03

2.148

2,19

2.171

2,21

0,99

32.238

32,84

37.585

38,28

0,86

3

0,00

1

0,00

3,00

3.768

3,84

3.229

3,29

1,17

13.250

13,50

14.659

14,93

0,90

29

0,03

42

0,04

0,69

21.655

22,05

15.544

15,82

1,39

Irland

266

0,27

258

0,26

1,03

Italien

5.632

5,74

5.004

5,10

1,13

Lettland

0

0,00

4

0,00

0,00

Litauen

0

0,00

1

0,00

0,00

Luxemburg

6

0,01

4

0,00

1,50

Niederlande

5.462

5,56

5.617

5,72

0,97

Norwegen

109

0,11

201

0,20

0,54

Österreich

998

1,02

1.198

1,22

0,83

Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien

Polen

21

0,02

25

0,03

0,84

Portugal

41

0,04

36

0,04

1,14

Rumänien

5

0,01

3

0,00

1,67

Schweden

3.905

3,98

4.174

4,25

0,94

Schweiz

4.956

5,05

4.352

4,43

1,14

Slowenien

38

0,04

65

0,07

0,58

Slowakei

3

0,00

32

0,03

0,09

668

0,68

1020

1,04

0,65

Tschechien

25

0,03

87

0,09

0,29

Ungarn

55

0,06

65

0,07

Gesamt

98.191

100,00

98.191

100,00

0,85 1,00

Spanien

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Nach dieser kurzen Betrachtung der Länder soll im Folgenden der Schwerpunkt auf die räumliche Verteilung von High-Tech Patentzitierungen in europäischen Regionen gelegt werden. Die Karten aus Abb. 28 visualisieren die interregionalen Wissensspillovers der Matrix (cij) nach der Summe der in einer Region generierten bzw. absorbierten Spillovers. ci • bezeichnet die Summe der generierten Wissensflüsse einer Region i, was der Zeilensumme für i aus der Matrix (cij) entspricht: n

ci• = ¦ cij

für i = 1, …, n = 188; j = 1, …, n = 188; i ≠ j

(9)

j =1

91

Abb. 28:

Interregionale High-Tech Wissensspillovers in Europa (19852002): A. Spillover generierende Regionen, B. Spillover absorbierende Regionen (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

A. Spillover generierende Regionen Anzahl der erhaltenen Zitierungen 0 – 700 [115 Regionen] 701 – 2.500 [50 Regionen] 2.501 – 6.000 [14 Regionen] mehr als 6.000 [9 Regionen]

B. Spillover absorbierende Regionen Anzahl der gemachten Zitierungen 0 – 700 [118 Regionen] 701 – 2.500 [45 Regionen] 2.501 – 6.000 [16 Regionen] mehr als 6.000 [9 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

92

c• j ist die Summe der absorbierten Wissensflüsse einer Region j, wobei man c• j durch Bildung der Spaltensumme für eine Region j in der Matrix (cij) erhält:

n

c• j = ¦ cij

für i = 1, …, n = 188; j = 1, …, n = 188; i ≠ j

(10)

i =1

Aus Abb. 28 geht hervor, dass jene Regionen die meisten Wissensspillovers generieren bzw. absorbieren, die auch bei der High-Tech Patentaktivität die höchsten Werte aufweisen (vgl. Abb. 16 und Tab. 16). Die Regionen mit der höchsten Zitierungsintensität sind Île-de-France, Oberbayern, Schweiz, Noord-Brabant, Darmstadt, Düsseldorf, Lombardei, Köln und Rheinhessen-Pfalz. Insgesamt zeigt sich in Europa ein klares Zentrum-Peripherie-Gefälle bezüglich der Zitierungsintensität. Die peripheren Regionen weisen eine deutlich geringere Zitierungsintensität als die Regionen im Zentrum Europas auf. Zudem kann man wie bei der High-Tech Patentaktivität erkennen, dass auch bei der Zitierungsintensität einige wenige Regionen viele Zitierungen machen bzw. erhalten und die Mehrzahl der Regionen wenige Zitierungen machen bzw. erhalten. Weiters ist festzustellen, dass Karte A (Spillover generierende Regionen) und Karte B (Spillover absorbierende Regionen) aus Abb. 28 sehr ähnlich sind. Demzufolge generiert eine Region Wissensspillovers etwa in dem Ausmaß wie sie Wissensspillovers absorbiert. Bei beiden Darstellungen fallen die meisten Regionen in dieselbe Klasse. Ausnahmen sind beispielsweise die Regionen Barcelona und Brandenburg, die deutlich mehr Wissen generieren als absorbieren. Tab. 24 enthält die jeweiligen ci • - und c• j - Werte der Top-25-Regionen der europäischen High-Tech Patentaktivität aus Tab. 16. Île-de-France weist nicht nur die meisten erhaltenen, sondern auch die meisten gemachten Zitierungen auf. An zweiter Stelle rangiert die Schweiz. Bei den generierten Wissensspillovers ( ci • ) folgt an der dritten Stelle die Region Darmstadt, bei den absorbierten ( c• j ) die Region Düsseldorf. Betrachtet man das Verhältnis zwischen erhaltenen und gemachten Zitierungen, fällt auf, dass die meisten Werte in der Nähe von 1 liegen. Das bedeutet, die generierten Wissensspillovers entsprechen in etwa der Häufigkeit der absorbierten Wissensspillovers. Die Region Surrey (Großbritannien) stellt hierbei mit einem Wert von 1,63 eine Ausnahme dar. Surrey hat bedeutend mehr Wissensspillovers generiert als absorbiert. Den geringsten Wert (0,62) verbucht die Region Schleswig-Holstein/Hamburg, die deutlich mehr Wissensflüsse anziehen als generieren konnte. Betrachtet man die erhaltenen Zitierungen pro Patent, sticht die Region Bedfordshire hervor, die mit 1,42 Zitierungen pro Patent mit Abstand den höchsten Wert erreicht.

93

Tab. 24: Wissensflüsse der Top-25-Regionen der High-Tech Patentaktivität in Europa (1985-2002) Anteil an der europäischen High-Tech Patentaktivität

Zitierungen

ci •

Rang

c• j

Rang

Verhältnis von erhaltenen und gemachten Zitierungen

Erhaltene Zitierungen pro Patent

Île-de-France

9,21

6.698

1

7.048

1

0,95

0,44

Oberbayern

6,76

3.344

4

3.277

7

1,02

0,30

Schweiz

4,49

4.956

2

4.856

2

1,02

0,66

Noord-Brabant

4,46

1.739

16

1.728

15

1,01

0,23

Darmstadt

3,52

4.438

3

3.948

5

1,12

0,76

Düsseldorf

2,87

3.164

5

4.322

3

0,73

0,66

Lombardia

2,83

2.873

8

2.540

8

1,13

0,61

Köln

2,72

2.903

7

3.986

4

0,73

0,64

Rheinhessen-Pfalz

2,41

2.513

9

2.447

9

1,03

0,63

Stockholm

2,28

1.771

15

1.885

12

0,94

0,47

Rhone-Alpes

2,18

1.492

20

1.401

19

1,06

0,41

Dänemark

1,93

2.148

11

1.926

11

1,12

0,67

Stuttgart

1,91

1.102

23

1.130

23

0,98

0,35

Uusimaa

1,83

1.819

14

1.603

16

1,13

0,60

Karlsruhe

1,78

2.101

12

2.171

10

0,97

0,71

East Anglia

1,76

2.073

13

1.787

14

1,16

0,70

Berlin

1,65

1.262

22

1.264

21

1,00

0,46

London Region

1,52

1.582

19

1.420

18

1,11

0,63

Freiburg

1,45

1.713

17

1.504

17

1,14

0,71

Mittelfranken

1,31

1.375

21

1.031

24

1,33

0,63

Bedfordshire

1,31

3.107

6

3.375

6

0,92

1,43

Surrey

1,27

2.199

10

1.351

20

1,63

1,04

Schleswig-Holstein

1,22

748

24

1.213

22

0,62

0,37

Provence-CA

1,03

684

25

897

25

0,76

0,40

Essex

1,02

1.637

18

1.879

13

0,87

0,96

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Nach der Analyse der aggregierten ausgehenden und eingehenden Wissensflüsse für jede Region stellt sich die Frage, wo diese Wissensflüsse lokalisiert sind. Mit Hilfe von netwerkanalytischen Software-Tools lassen sich die Patentzitierungsflüsse visualisieren. Abb. 29 stellt die 98.191 Patentzitierungen der Matrix (cij) in Form eines Netzwerks, das auf die Regionen des Untersuchungsraums projiziert wurde, dar.

94

Abb. 29: Interregionale High-Tech Wissensspillovers in Europa (1985-2002) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

6.000 Zitierungen erhalten 3.000 Zitierungen erhalten

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

In der Karte aus Abb. 29 wird eine Zitierung durch eine Linie dargestellt, die jeweils zwei Regionen miteinander verbindet. Die Knotengröße korrespondiert mit der Anzahl der erhaltenen Zitierungen einer Region. Über die Richtung des Wissensflusses kann keine Aussage getroffen werden, eine Linie besagt lediglich, dass eine Verbindung zwischen zwei Regionen besteht. Die High-Tech Wissenslandschaft in Europa stellt sich so dar, dass im Zentrum Europas eine sehr dichte Struktur der Wissensflüsse zu beobachten ist. Die peripheren Regionen sind nur in geringem Ausmaß an Zitierungslinks in andere Regionen beteiligt, d.h. man kann wieder eine klares Zentrum-Peripherie-Gefälle erkennen. Die meisten Wissensflüsse finden sich innerhalb des Dreiecks Südwestdeutschland, Norditalien und Nordfrankreich. 95

Sehr dichte Verbindungen gibt es auch nach Großbritannien sowie in etwas geringerem Maße nach Dänemark, Südschweden (vor allem Stockholm und Malmö) und Südfinnland (vor allem Helsinki). Südliche und westliche Regionen Frankreichs zeigen im Vergleich zu Zentralfrankreich eine geringere Zitierungsdichte. Die zentralen Wissenshubs in der europäischen Wissenslandschaft sind die Regionen Île-de-France, Oberbayern, Schweiz, Darmstadt, Düsseldorf und Lombardei, die auch untereinander starke Verflechtungen aufweisen. Österreich ist noch am stärksten mit Wien/Niederösterreich vertreten, insgesamt jedoch relativ schwach. Abb. 30:

Mittlere Luftliniendistanz der Zitierungen einer Region (gesamte regionale erhaltene und gemachte Zitierungen)

Mittlere Distanz der Zitierungen in km 0 – 400 [66 Regionen] 401 – 800 [85 Regionen] 801 – 1.200 [27 Regionen] mehr als 1.200 [10 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Der Mittelwert der Luftliniendistanen (in km) der Wissensflüsse zwischen allen Regionspaaren beträgt 793,21 km. Betrachtet man die Größe der untersuchten Länder ist dies ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die Mehrzahl der Wissensflüsse innerhalb eines Landes stattfinden. Die größte Entfernung zwischen zwei Regionen, die einander zitieren, beträgt 3674,07 km (Lissabon in Portugal und Pohjois-Suomi in Finnland), die geringste Entfernung 18,57 km (Vlaams Brabant und Brabant Wallon in Belgien). Abb. 30 zeigt die durchschnittliche Luftliniendistanz in km aller erhaltenen und gemachten Zitierungen einer Region. Es zeigt sich sehr deutlich, dass die mittlere Distanz der Patentzitierungen für zentral gelegene Regionen geringer ist. Deutsche und nordostfranzösische Regionen

96

sowie die Schweiz haben eine mittlere Luftliniendistanz der ein- und ausgehenden Wissensflüsse von weniger als 400 km. Da in diesem Raum die Zitierungsaktivität am höchsten ist, deutet dies ebenfalls bereits auf geographische Lokalisierungseffekte von Wissensflüssen hin. Die sektorale Verteilung von interregionalen High-Tech Patentzitierungen in Europa

Nach der regionalen Betrachtung von High-Tech Patentzitierungen liegt im Folgenden der Fokus auf einer Analyse der Patentzitierungen in den vier untersuchten High-Tech Sektoren. Abb. 31 zeigt die durchschnittlichen sektoral aggregierten erhaltenen Zitierungen pro zitiertem Patent, Abb. 32 die durchschnittlich gemachten Zitierungen pro zitierendem Patent. Abb. 31: Durchschnittlich erhaltene Patentzitierungen pro zitiertem Patent in den vier High-Tech Sektoren 3,0

Mittlere erhaltene Zitierungen pro zitiertem Patent

2,5

2,0

1,5

1,0 Pharmazeutik 0,5

Computer & Büromaschinen Electronik & Kommunikation Luf t- und Raumf ahrt

0,0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Anm e lde jahr

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Die höchste sektorale Zitierungsintensität hinsichtlich der durchschnittlich erhaltenen Zitierungen hat die pharmazeutische Industrie. Zwischen 1985 und 1997 erhalten die zitierten Patente dieser Industrie etwa 2,5 Zitierungen von später angemeldeten Patenten. Die elektronische Industrie liegt bis 1990 gemeinsam mit dem Sektor Computer und Büromaschinen an zweiter Stelle. Nach 1990 nähert sich die Zitierungsintensität der elektronischen Industrie jener der pharmazeutischen Industrie an bzw. überholt diese im Jahre 1995. Dies ist mit der dynamischen Entwicklung der elektronischen Industrie, vor allem im Bereich der Mikroelektronik, mit Beginn der 1990er Jahre zu erklären. Die Zitierungsintensität in der Luft- und Raumfahrt ist sehr schwankend, liegt jedoch über den 97

gesamten Zeitraum unter den drei anderen High-Tech Industrien. Der Abfall in der Zitierungsintensität aller vier Sektoren nach 1997 ist mit dem in Subkapitel 3.2 beschriebenen Truncation-Problem zu erklären, d.h. die Patente dieses Zeitabschnitts haben das volle Zitierungspotential nicht erreicht bzw. werden in Zukunft noch Zitierungen erhalten. Betrachtet man die durchschnittlichen gemachten Zitierungen (Abb. 32) zeigt sich ebenfalls, dass Patente der Pharmazeutik am meisten zitieren, gefolgt von jenen von Computer und Büromaschinen sowie Elektronik und Kommunikation. Luft- und Raumfahrt liegt wiederum an letzter Stelle. Die vergleichsweise niedrigere Zitierungsintensität in der Elektronik und Kommunikation bei den gemachten Zitierungen ist darauf zurückzuführen, dass manche Patente dieser Industrie, die Schlüsseltechnologien enthalten, offensichtlich sehr viele Zitierungen erhalten, während die Patente selbst nicht so viele Zitierungen machen. Abb. 32:

Durchschnittlich gemachte Patentzitierungen pro zitierendem Patent in den vier High-Tech Sektoren

2,5

Mittlere gemachte Zitierungen pro zitierendem Patent

2

1,5

1 Pharmazeutik Computer & Büromaschinen

0,5

Elektronik & Kommunikation Luf t- und Raumf ahrt 0 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Anm e lde jahr

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Abb. 33 zeigt die Verteilung der rückwärts gerichteten Zitierungslags in den vier High-Tech Sektoren. Der durchschnittliche Zitierungslag für Computer und Büromaschinen beträgt 4,41 Jahre, für die pharmazeutische Industrie 4,45 Jahre, für Elektronik und Kommunikation 4,71 Jahre sowie für die Luft- und Raumfahrt 5,40 Jahre. Dies lässt vermuten, dass im Bereich Computer und Büromaschinen Wissen am schnellsten diffundiert. Es ist zudem zu erkennen, dass bei Computer und Büromaschinen ein hoher Anteil der Zitierungen bereits im zweiten und dritten Jahr nach der Anmeldung

98

des zitierten Patents erfolgt. In der elektronischen Industrie werden die meisten zitierten Patente im vierten Jahr nach der Anmeldung zitiert, in der pharmazeutischen Industrie erst im fünften Jahr, obwohl der durchschnittliche Zitierungslag in der pharmazeutischen Industrie geringer ist als in der elektronischen Industrie. Abb. 33: Verteilung der rückwärts gerichteten Zitierungslags in den vier HighTech Sektoren 25 Pharmazeutik Computer & Büromaschinen Elektronik & Kommunikation

Anteil der Zitierungen in %

20

Luf t- und Raumf ahrt

15

10

5

0 0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Lag in Jahre n

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Neben der regionalen Zitierungsmatrix kann eine sektorale Zitierungsmatrix zur Erfassung sektoraler Wissensflüsse erstellt werden. Tab. 25 zeigt die sektoralen Patentzitierungen zwischen den vier untersuchten High-Tech Sektoren, wobei die Zeilen die Empfänger und die Spalten die Produzenten der Patentzitierungen enthalten. Tab. 25: Sektorale Zitierungsmatrix Luft- und Raumfahrt Luft- und Raumfahrt Pharmazeutik Computer und Büromaschinen Elektronik und Kommunikation Summe

Pharmazeutik

Computer und Büromaschinen

Elektronik und Kommunikation

Summe

579

0

1

11

591

0

62.286

46

35

62.367

6

50

5.442

1.093

6.591

12

48

1.121

27.461

28.642

597

62.384

6.610

28.600

98.191

Quelle: EPO (Patentdokumente)

99

Aus Tab. 25 wird deutlich, dass die Anzahl der intersektoralen Zitierungen extrem gering ist. 97,53% aller Zitierungen sind intrasektoral und befinden sich auf der Hauptdiagonale der sektoralen Zitierungsmatrix. Lediglich zwischen den Sektoren Computer und Büromaschinen sowie Elektronik und Kommunikation sind einige Patentzitierungsflüsse festzustellen. Technologische Nähe spielt offensichtlich eine wesentliche Rolle für Wissensspillovers. Wie stark der Einfluss von technologischer Nähe auf Wissensspillovers ist wird in Kapitel 4 genauer auf der Ebene von IPC-Subklassen getestet. Abb. 34:

Interregionale Wissensspillovers in der pharmazeutischen Industrie Europas (1985-2002)

4.000 Zitierungen erhalten 2.000 Zitierungen erhalten

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Um darzustellen, auf welche Regionen des Untersuchungsraums Wissensspillovers einer bestimmten Industrie konzentriert sind, eignet sich wiederum eine Visualisierung intrasektoraler Patentzitierungen in Form einer Netzwerkdarstellung. Abb. 34 zeigt die interregionalen Wissensspillovers in der pharmazeutischen Industrie. Es lässt sich im Vergleich zur gesamten High-Tech Industrie (Abb. 29) eine noch stärkere Ballung im Zentrum Europas feststellen. Île-de-France (Frankreich) nimmt in der pharmazeutischen 100

Industrie vergleichsweise nicht so einen großen Stellenwert ein, ebenso die Regionen Stockholm (Schweden) und Helsinki (Finnland). Die höchste Zitierungsintensität findet sich in den Regionen Köln, Düsseldorf, und Darmstadt in Deutschland, in der Region Schweiz sowie in den südöstlichen Regionen Großbritanniens (London, Essex, East Anglia, Bedfordshire und Surrey). Die höchste Zitierungsintensität in der Pharmazeutik besteht zwischen Köln und Düsseldorf (insgesamt 604 Zitierungen). In den anderen Industrien weisen Köln und Düsseldorf deutlich geringere Zitierungsintensitäten auf (16 Zitierungen in der Elektronik und Kommunikation, 14 bei Computer und Büromaschinen und keine in der Luft- und Raumfahrt). Dies unterstreicht die Dominanz der pharmazeutischen Industrie in der Region, die Standort einiger transnationaler Konzerne dieser Branche ist (beispielsweise des Unternehmens Bayer). Abb. 35:

Interregionale Wissensspillovers in der elektronischen Industrie und Kommunikation in Europa (1985-2002)

2.000 Zitierungen erhalten 1.000 Zitierungen erhalten

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

101

Abb. 35 stellt die interregionalen Wissensspillovers im Sektor Elektronik und Kommunikation dar. Die Regionen Köln, Düsseldorf, Darmstadt und Schweiz spielen in dieser Industrie nicht mehr eine so starke Rolle wie in der Pharmazeutik. Die größte Zitierungsintensität entfällt auf die Regionen Île-de-France und Oberbayern (245 Zitierungsflüsse). Zahlreiche Zitierungen weisen zudem die Regionen Noord-Brabant (Niederlande, Sitz der Firma Royal Phillips Electronics), Bedfordshire (Großbritannien) und Surrey (Großbritannien) auf. Im Vergleich zur pharmazeutischen Industrie finden sich in der elektronischen Industrie auch deutlich mehr Patentzitierungsflüsse Richtung Finnland und Schweden. Abb. 36:

Interregionale Wissensspillovers in der Computer- und Büromaschinen- Industrie Europas (1985-2002)

1.000 Zitierungen erhalten 500 Zitierungen erhalten

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Abb. 36 visualisiert die interregionalen Wissensflüsse im Sektor Computer und Büromaschinen. In diesem Sektor sind, wie schon bei der elektronischen Industrie, die Regionen Oberbayern und Île-de-France am stärksten vertreten. Eine sehr hohe Intensität haben auch die Regionen Schweiz, Bedfordshire und Noord-Brabant. Die höchste 102

Zitierungsintensität findet sich wieder zwischen Oberbayern und Île-de-France (70 Zitierungen). Die Karten aus Abb. 34, Abb. 35 und Abb. 36 unterstreichen zudem, dass der Sektor Computer und Büromaschinen räumlich deutlich stärker mit der elektronischen als mit der pharmazeutischen Industrie korrespondiert. Zwischen den Sektoren Computer und Büromaschinen sowie Elektronik und Kommunikation sind auch die meisten intersektoralen Wissensspillovers zu beobachten (vgl. Tab. 25). Abb. 37:

Interregionale Wissensspillovers in der Luft- und Raumfahrt Europas (1985-2002)

200 Zitierungen erhalten 100 Zitierungen erhalten

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

Betrachtet man schließlich die Wissensflüsse in der Luft- und Raumfahrt (Abb. 37), zeigt sich insgesamt eine deutlich geringere Anzahl an Zitierungen als in den anderen Sektoren. Die Zentren der Zitierungsintensität in diesem Sektor finden sich eindeutig in Frankreich in den Regionen Île-de-France, Midi-Pyrénes und Provence-Cote d´Azur. Stark vertreten sind auch die deutschen Regionen Hamburg und Oberbayern. Diese Struktur ist durch den Sitz großer Konzerne der Luft- und Raumfahrt in diesen Regionen zu erklären

103

(beispielsweise die Firma Airbus in Toulouse und Hamburg oder die European Aeronautic Defense and Space Company in München und Île-de-France). Abb. 34, Abb. 35, Abb. 36 und Abb. 37 verdeutlichen die unterschiedliche räumliche Ausprägung der Patentzitierungsflüsse in den vier untersuchten High-Tech Sektoren. In allen Karten lässt sich eine regionale Konzentration der Zitierungsintensität feststellen. Die sektorale Verteilung von High-Tech Patentzitierungen in europäischen Ländern

Neben einer regionalen Analyse erscheint eine kurze länderweise Betrachtung der sektoralen Patentzitierungen interessant (vgl. Tab. 26). Hinsichtlich der sektoralen Verteilung von Patentzitierungen auf die untersuchten Länder ist eine Konzentration auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien in allen vier High-Tech Sektoren zu beobachten. Frankreich steht bei Luft- und Raumfahrt an erster Stelle, Deutschland in den anderen drei High-Tech Sektoren. Tab. 26: Sektorale High-Tech Patentzitierungen in Europa Pharmazeutische Computer und Elektronik und Luft- und Industrie Büromaschinen Kommunikation Raumfahrt gemachte erhaltene gemachte erhaltene gemachte erhaltene gemachte erhaltene Zitierungen Zitierungen Zitierungen Zitierungen Zitierungen Zitierungen Zitierungen Zitierungen Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien

1.552

2,9

1.428

2,7

201

2,0

258

2,3

659

1,9

691

2,0

14

1,7

7

0,9

13

0,0

17

0,0

3

0,0

0

0,0

5

0,0

8

0,0

0

0,0

0

0,0

1.919

3,6

1.916

3,6

104

1,0

120

1,1

434

1,2

340

1,0

6

0,8

10

1,3

17.758 33,2

17.223

32,3

3.149 30,8

3.091

27,4

10.979

31,1

10.112

29,0

224

28,8

185

24,3

3

0,0

3

0,0

2

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

532

1,0

527

1,0

303

3,0

198

1,8

3.671

10,4

3.589

10,3

18

2,3

15

2,0

8.700 16,3

1.914 18,7

31,4

8.225

15,4

0,1

41

0,1

9.603 17,9

10.202

19,2

39

2.056

18,2

5.430

15,4

5.200

14,9

255

32,9

240

0,1

14

0,1

26

0,1

15

0,0

0

0,0

0

0,0

1.371 13,4

1.808

16,0

4.035

11,4

5.160

14,8

135

17,4

177

23,2 0,2

6

Irland

198

0,4

228

0,4

53

0,5

64

0,6

129

0,4

124

0,4

2

0,2

2

Italien

3.325

6,2

3.643

6,8

491

4,8

669

5,9

1.385

3,9

1.613

4,6

33

4,3

41

5,3

Lettland

14

0,0

3

0,0

0

0,0

2

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

Litauen

1

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

Luxemburg

7

0,0

2

0,0

9

0,1

2

0,0

3

0,0

13

0,0

0

0,0

0

0,0

Niederlande

2.536

4,7

2.426

4,6

1.373 13,4

1.743

15,5

3.137

8,9

3.131

9,0

17

2,1

15

2,0

Norwegen

129

0,2

111

0,2

26

0,2

16

0,1

120

0,3

82

0,2

0

0,0

0

0,0

Österreich

833

1,6

757

1,4

153

1,5

177

1,6

482

1,4

372

1,1

8

1,0

10

1,3

Polen

34

0,1

26

0,0

0

0,0

0

0,0

5

0,0

6

0,0

0

0,0

0

0,0

Portugal

47

0,1

53

0,1

3

0,0

2

0,0

3

0,0

13

0,0

2

0,2

0

0,0

Rumänien

1

0,0

3

0,0

2

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

Schweden

1.556

2,9

1.537

2,9

560

5,5

511

4,5

3.330

9,4

3.098

8,9

24

3,1

26

3,3

Schweiz

3.708

6,9

4.056

7,6

434

4,2

478

4,2

1.098

3,1

1.077

3,1

18

2,3

26

3,3

33

0,1

19

0,0

2

0,0

2

0,0

5

0,0

0

0,0

0

0,0

0

0,0

Slowakei

55

0,1

41

0,1

2

0,0

5

0,0

12

0,0

11

0,0

2

0,2

0

0,0

776

1,5

656

1,2

57

0,6

60

0,5

237

0,7

193

0,6

20

2,5

10

1,3

Tschechien

86

0,2

61

0,1

5

0,0

2

0,0

9

0,0

2

0,0

2

0,2

0

0,0

Ungarn Gesamt

64

0,1

61

0,1

11

0,1

5

0,0

72

0,2

27

0,1

0

0,0

0

0,0

53.520

100

53.520

100

11.591

100

11.591

100

35.261

100

35.261

100

776

100

776

100

Slowenien Spanien

Quelle: EPO (Patentdokumente)

104

Räumliche Clusterung der High-Tech Patentzitierungsaktivität in Europa

Die Analyse der räumlichen Konzentration von Patentzitierungen in europäischen Regionen (Tab. 18) sowie die Visualisierung der Patentzitierungen (Abb. 29) lassen das Auftreten räumlicher Cluster der Patentzitierungsaktivität vermuten. Im Zentrum Europas sind Cluster mit hoher Zitierungsaktivität zu erwarten. Tab. 27:

Globale räumliche Autokorrelation der Patentzitierungszuflüsse und -abflüsse in europäischen Regionen (1985-2002) Moran’s I Statistik für die erhaltenen Zitierungen ci • (Signifikanz)

Moran’s I Statistik für die gemachten Zitierungen c• j (Signifikanz)

1. Ordnung

0,209 (0,000)*

0,211 (0,002)*

2. Ordnung

0,061 (0,042)*

0,059 (0,046)*

3. Ordnung

0,019 (0,247)

0,013 (0,295)

q=5

0,258 (0,000)*

0,248 (0,000)*

q=6

0,225 (0,000)*

0,224 (0,000)*

q=7

0,181 (0,000)*

0,187 (0,000)*

q=8

0,133 (0,000)*

0,137 (0,000)*

q=9

0,131 (0,000)*

0,142 (0,000)*

q = 10

0,120 (0,000)*

0,121 (0,000)*

q = 11

0,117 (0,000)*

0,116 (0,000)*

q = 12

0,103 (0,000)*

0,101 (0,000)*

q = 13

0,101 (0,000)*

0,098 (0,000)*

q = 14

0,100 (0,000)*

0,097 (0,000)*

q = 15

0,095 (0,000)*

0,092 (0,000)*

50 km

0,081 (0,000)*

0,077 (0,000)*

100 km

0,078 (0,000)*

0,075 (0,002)*

150 km

0,076 (0,001)*

0,077 (0,023)*

200 km

0,051 (0,001)*

0,048 (0,051)

250 km

0,054 (0,016)*

0,048 (0,027)*

0,052 (0,002)*

0,063 (0,001)*

Räumliche Gewichtsmatrix Kontiguitätsmatrix

Nächste-Nachbarn-Matrix

Distanzbasierte Gewichtsmatrix

300 km * signifikant auf 5% Niveau

105

Wie bei der Analyse der High-Tech Patente bieten sich die Methoden der räumlichen Datenanalyse an, um zu testen, ob die Patentzitierungsaktivität räumlich korreliert ist und signifikante räumliche Cluster feststellbar sind. Tab. 27 zeigt für verschiedene Spezifikationen der räumlichen Gewichtsmatrix die nach Gleichung (6) berechneten Moran’s I Statistiken, wobei die zu untersuchende Variable X diesmal die Summe der erhaltenen bzw. der gemachten Patentzitierungen einer Region darstellt. Die Werte zeigen deutlich auf, dass sowohl die Summe der erhaltenen als auch die der gemachten Zitierungen signifikant räumlich autokorreliert ist. Die Ergebnisse für verschiedene Gewichtsmatrizen bei gemachten und erhaltenen Zitierungen sind sehr ähnlich. Die höchsten Moran’s I Werte finden sich bei einer Spezifikation der Nächste-NachbarnMatrix mit fünf Nachbarn (q = 5). Abb. 38 verdeutlicht, dass eine höhere Anzahl der Nachbarn bei Verwendung von Nächste-Nachbarn-Matrizen zu kleineren Moran’s I Werten führt. Daraus kann man ableiten, dass die Zitierungsverflechtungen vor allem mit den umliegenden Regionen am größten sind. Abb. 38: Globale räumliche Autokorrelation von erhaltenen und gemachten regionalen High-Tech Patentzitierungen für verschiedene NächsteNachbarn Gewichtsmatrizen 0.30 Sum m e der erhaltenen Zitierungen pro Region

Moran´s I Wert

0.25

Sum m e der gem achten Zitierungen pro Region

0.20 0.15 0.10 0.05

0.00 5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Anzahl der Nachbarn

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Zur Feststellung lokaler räumlicher Autokorrelation hinsichtlich der Patentzitierungsintensität wird wiederum der Moran-Scatterplot (vgl. Gleichungen (7) und (8)) verwendet. Abb. 39 zeigt die entsprechenden Moran-Scatterplots für die Summe der erhaltenen und der gemachten Patentzitierungen. Es zeigt sich, dass zahlreiche Regionen

106

mit einer geringen Patentzitierungsintensität Patentzitierungsintensität aufweisen. Abb. 39:

A

Nachbarn

mit

ebenfalls

wenig

Moran-Scatterplots zur Patentzitierungsaktivität, A. Erhaltene Zitierungen, B. Gemachte Zitierungen 5,00

Erhaltene Zitierungen in benachbarten Regionen (standardisiert, Nächste -Nachbarn-Matrix mit q = 5)

Low-High

High-High

4,00 Karlsruhe

3,00

2,00

1,00

0,00

-1,00

Île-de-France Low-Low

-2,00 -2,00

High-Low

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

Erhaltene Zitierungen (standardisiert)

B Gemachte Zitierungen in benachbarten Regionen (standardisiert, Nächste -Nachbarn-Matrix mit q = 5)

5,00 Low-High

High-High

4,00 Karlsruhe

3,00

2,00 1,00

0,00

-1,00

Île-de-France Low-Low

-2,00 -2,00

High-Low

0,00

2,00

4,00

6,00

8,00

Gemachte Zitierungen (standardisiert)

Quelle: EPO (Patentdokumente)

107

Abb. 40:

Lokale räumliche Autokorrelation der HighTech Patentzitierungsaktivität in europäischen Regionen, A. Erhaltene Zitierungen, B. Gemachte Zitierungen

A. Lokale räumliche Autokorrelation, erhaltene Zitierungen Low-Low [108 Regionen] Low-High [37 Regionen] High-Low [14 Regionen] High-High [29 Regionen]

B. Lokale räumliche Autokorrelation, gemachte Zitierungen Low-Low [103 Regionen] Low-High [38 Regionen] High-Low [16 Regionen] High-High [31 Regionen]

Quelle: EPO (Patentdokumente); Macon AG (Geodaten)

108

Die Zuordnung jeder Region zu einem Quadranten im Moran-Scatterplot ermöglicht die Erfassung räumlicher Cluster durch eine Visualisierung in Kartenform. Abb. 40 zeigt die Regionen bezüglich ihrer Lage in den Quadranten der Moran-Scatterplots aus Abb. 39. Sowohl bei den erhaltenen als auch bei den gemachten Zitierungen lassen sich Cluster der Patentzitierungsaktivität feststellen, wobei im sich Zentrum Europas Regionen mit hoher Zitierungsaktivität finden, in der Peripherie Regionen mit niedriger Zitierungsintensität. 29 bzw. 31 Regionen sind bei den erhaltenen bzw. den gemachten Zitierungen im High-HighQuadranten. Die meisten dieser Regionen sind in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien oder Norditalien gelegen. Regionen mit hoher Zitierungsaktivität, deren Nachbarn jedoch wenig Zitierungen erhalten/machen (Quadrant High-Low), treten vergleichsweise selten auf (16 bzw. 14 Regionen). Ein Beispiel dafür wären Île-de-France oder Oberbayern, die deutlich mehr Zitierungen machen und erhalten als ihre Nachbarregionen. Mit Abstand die meisten Regionen sind dem Low-Low-Quadranten zuzuordnen, d.h. die Mehrzahl der Regionen macht und erhält wenig Zitierungen und liegt in der Nachbarschaft von Regionen, die ebenfalls eine geringe Zitierungsintensität aufweisen. Im Low-Low-Quadranten sind periphere europäische Regionen vorherrschend.

109

4

Europäische High-Tech Patentzitierungen – Eine explanatorische Analyse

In der Literatur besteht breite Einigkeit darüber, dass Wissensspillovers zwischen Individuen, Unternehmen oder Regionen auftreten (vgl. Subkapitel 2.1 und Subkapitel 2.3) (vgl., beispielsweise, Romer 1990, Fischer 2001a, Karlsson und Manduchi 2001, Karlsson, Flensburg und Hörte 2004). Jedoch ist die Frage, ob der Raum eine signifikante Barriere für Wissensspillovers darstellt, bzw. Wissensspillovers geographisch lokalisiert sind oder nicht, weitgehend umstritten (vgl., beispielsweise, Karlsson und Manduchi 2001, Maurseth und Verspagen 2004). Die Schwierigkeit der empirischen Erfassung von Wissensspillovers (vgl. Subkapitel 2.3) ist die Erklärung dafür, dass sich bis vor kurzem nur wenige empirische Studien mit dieser Thematik beschäftigten. Einige Autoren gehen aufgrund der Eigenschaften von Wissen (vgl. Subkapitel 2.1) davon aus, dass „… knowledge spillovers tend to be geographically bounded within the region where the new economic knowledge was created” (Feldman und Audretsch 1999, S. 410). Empirische Forschungsarbeiten, die diese Sicht unterstreichen, finden sich bei Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) und Feldman (1994). Andere Autoren hingegen meinen, dass diese Hypothese aufgrund der Entwicklung neuer IKT und der zunehmenden Globalisierung der Weltwirtschaft nicht zutrifft (vgl., beispielsweise, O´Brien 1992, Cairncross 1997). Dieses Kapitel versucht die Rolle des geographischen Raums bei Wissensspillovers empirisch zu erfassen und damit die oben beschriebenen umstrittenen Standpunkte aufzulösen. Die in Kapitel 3 vorgenommenen deskriptiven und räumlichen Datenanalysen von High-Tech Patenten und High-Tech-Patentzitierungen deuten bereits darauf hin, dass Wissensspillovers geographisch lokalisiert sind bzw. der geographische Raum eine Barriere für Wissensspillovers darstellt. Weiters kann angenommen werden, dass Wissensspillovers wahrscheinlicher innerhalb eines Landes als über Ländergrenzen hinweg auftreten. Da es sich bei Patentzitierungen bzw. Wissensspillovers um räumliche Interaktionen handelt, d.h. um Beobachtungen, die sich auf zwei diskrete Punkte im Raum beziehen, bietet sich das Instrumentarium der räumlichen Interaktionsmodellierung zur Erklärung der Patentzitierungsflüsse an. Räumliche Interaktionsmodelle wurden zur Analyse und Prognose räumlicher Interaktionen zwischen verschiedenen Standorten bzw. Regionen entwickelt und gehören zum methodischen Standardinstrumentarium der Wirtschaftsgeographie (etwa bei der Modellierung und Prognose von Migrations- oder Verkehrsströmen) (Fischer 2000). Vor Durchführung der räumlichen Interaktionsanalyse wird zunächst in Subkapitel 4.1 der von Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) vorgestellte „Case-Control-Matching“ Ansatz angewendet, um das Ausmaß der geographischen Lokalisierung von 111

Wissensspillovers in Ländern und Regionen zu erfassen. Der Ansatz vergleicht die Wahrscheinlichkeit der geographischen Lokalisierung von Patentpaaren, die einander zitieren, und ausgewählten „Kontrollpatenten“, die in derselben technologischen Klasse und zeitlichen Periode wie das zitierte Patent liegen. In Subkapitel 4.2 soll danach im Modell Interregionaler Patentzitierungen konkret die Stärke des Einflusses von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf Wissensspillovers gemessen werden. Hierbei werden mit Hilfe von räumlichen Interaktionsmodellen interregionale Patentzitierungen in Abhängigkeit von geographischer Distanz modelliert. Da bei alleiniger Betrachtung der geographischen Distanz der Einfluss technologischer Distanz überdeckt werden könnte, wird zudem modellendogen die technologische Distanz zwischen zwei Regionen kontrolliert (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Subkapitel 4.3 versucht abschließend mit Hilfe von sektoralen räumlichen Interaktionsmodellen potentielle Unterschiede hinsichtlich der Stärke des Effekts der erklärenden Variablen in den vier untersuchten High-Tech Sektoren zu identifizieren. Es kann angenommen werden, dass etwa in der elektronischen Industrie der Einfluss der geographischen Distanz geringer ist als in der pharmazeutischen Industrie. Subkapitel 4.1 lehnt sich stark an Fischer, Scherngell und Jansenberger (2005) an, Subkapitel 4.2 an Fischer, Scherngell und Jansenberger (2006).

4.1

Der Case-Control-Matching Ansatz

Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) verwendeten erstmals Patentzitierungen zur Untersuchung der geographischen Lokalisierung von Wissensspillovers in den USA. Der von ihnen entwickelte „Case-Control-Matching“ Ansatz vergleicht die Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierenden Patenten mit entsprechenden zitierten Patenten (Original- bzw. Ursprungspatente) mit der Wahrscheinlichkeit der KoLokalisierung von zufällig ausgewählten „Kontrollpatenten“ mit diesen zitierten Patenten. Die ausgewählten „Kontrollpatente“ müssen in derselben technologischen Klasse und derselben zeitlichen Periode wie das zitierte Originalpatent liegen. Zudem dürfen sie selbst keine Zitierungen auf diese Patente aufweisen. Mit dem Sample der „Kontrollpatente“ soll die existierende geographische Verteilung der Wissensproduktion einer Industrie abgebildet werden. Eine höhere geographische Übereinstimmung bei den Zitierungspatentpaaren als bei den „Kontrollpatentenpaaren“ wird daher als Beleg für geographische Lokalisierungseffekte von Wissensspillovers interpretiert. Agrawal, Cockburn und McHale (2003, S. 10) begründen die Notwendigkeit der Verwendung von „Kontrollpatenten”, da „… patent citations will tend to be co-located with the original inventions even in the absence of knowledge spillovers when inventive activity in particular technological areas is clustered geographically”. Die Lokalisierung von Wissensspillovers kann daher über ein höheres Ausmaß der Ko-Lokalisierung von Patentzitierungspaaren identifiziert werden, als es aufgrund der gegebenen geographischen Konzentration der Inventionsaktivität in diesem Sektor zu erwarten wäre.

112

Die Konstruktion der Kontrollsamples

Um den „Case-Control-Matching“ Ansatz durchführen zu können, müssen entsprechende Kontrollsamples durch folgende Arbeitsschritte konstruiert werden: (i) Auswahl eines Vektors mit Originalpatenten (zitierte Patente), die alle in einem

bestimmten Jahr angemeldet wurden. (ii) Hinzufügen des Vektors mit den entsprechenden zitierenden Patenten, die die

Originalpatente zitieren. Wird ein Originalpatent von mehreren Patenten zitiert, erfolgt eine zufällige Auswahl des jeweiligen zitierenden Patents (iii) Extrahierung

eines gleichlangen Vektors mit „Kontrollpatenten“. Für jedes Originalpatent wird ein „Kontrollpatent“ gesucht, das dieselbe technologische IPC-Subklasse und dasselbe Anmeldejahr wie das zitierte Patent aufweist und weder das zitierende noch das Originalpatent zitiert. Treffen diese Prämissen auf mehrere Patente zu, wird jenes Patent als „Kontrollpatent“ ausgewählt, dessen Anmeldedatum am nächsten dem Anmeldedatum des Originalpatents liegt.

Abb. 41:

Beispiel für ein Originalpatent mit einem dazu gehörigen zitierenden Patent und einem Kontrollpatent

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Für die vorliegende Arbeit werden in Anlehnung an Fischer, Scherngell und Jansenberger (2005) zwei Kontrollsamples herangezogen. Das erste Sample enthält im Jahr 1990

113

angemeldete, das zweite im Jahr 1995 angemeldete Originalpatente, wobei das 1990er Sample insgesamt 2.118, das 1995er Sample 1.814 Originalpatente umfasst. Die geringere Anzahl an Originalpatenten für das 1995er Sample ergibt sich dadurch, dass weniger „Kontrollpatente“ gefunden werden konnten, die alle Kriterien erfüllen. Abb. 41 zeigt ein Beispiel für ein Originalpatent aus dem 1995er Sample mit dem dazu gehörigen zitierenden Patent und dem entsprechenden „Kontrollpatent“. Die drei Patente sind sowohl hinsichtlich der technologischen IPC-Sektion als auch hinsichtlich der Branche des Patentanmelders dem Sektor Elektronik & Kommunikation angehörig. Das Originalpatent und das „Kontrollpatent“ weisen die IPC-Subklasse H03M auf, die zur Klasse „elektronische Basiskreisläufe“ gehört. Das zitierende Patent gehört zur Klasse der „elektronischen Kommunikationstechnik“ (H04L). Die drei Patente sind jeweils von großen transnationalen Unternehmen der elektronischen Industrie angemeldet worden (Siemens AG, Philips Electronics bzw. SGS Microelectronics). Tab. 28 enthält einige deskriptive Statistiken zur Beschreibung der beiden Kontrollsamples. Die Statistiken weisen keine wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Samples aus. Es ist deutlich zu erkennen, dass die meisten Zitierungen innerhalb der selben IPC-Subklasse erfolgen, die mittleren erhaltenen Zitierungen betragen 1,94 bzw. 1,95 Zitierungen pro zitiertem Patent. Tab. 28:

Deskriptive Statistiken zu den Kontrollsamples (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

Sample von Originalpatenten

Patente (Anzahl)

Gesamte Zitierungen

Selbstzitierungen [%]

Selbe IPC-Subklasse mit zitierendem Patent [%]

Mittlere erhaltene Zitierungen

Mittlerer Zitierungslag

1990er Kohorte

2.118

2.362

31,75

76,54

1,94

4,45

1995er Kohorte

1.814

2.387

31,84

77,13

1,95

4,57

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Test der geographischen Lokalisierung von Wissensspillovers

Nach Konstruktion der Kontrollsamples kann der Test auf geographische Lokalisierung durchgeführt werden. Formal ausgedrückt misst der Lokalisierungstest, ob die Nullhypothese (vgl. Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) H0: P(citation) = P(control)

oder die Alternativhypothese Ha: P(citation) > P(control)

zutrifft, wobei P(citation) die Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung des Originalpatents mit dem zitierendem Patent und P(control) entsprechend die 114

Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung des Originalpatents mit dem „Kontrollpatent“ ist. Der Lokalisierungstest wird im vorliegenden Fall sowohl auf der Ebene der Regionen als auch auf der Ebene der Länder des Untersuchungsraums vorgenommen. Abb. 42 stellt das Schema des Tests graphisch dar. Abb. 42:

Test der geographischen Lokalisierung von Patentzitierungen Zitierendes Patent

KontrollPatent

f1

f2

Originalpatent f1

Frequenz der geographischen Ko-Lokalisierung des zitierenden Patents mit dem Originalpatent

f2

Frequenz der geographischen Ko-Lokalisierung des „Kontrollpatents“ mit dem Originalpatent

[Nullhypothese: f1 = f2; Alternativhypothese: f1 > f2]

Die Überprüfung, ob die Frequenzen der geographischen Lokalisierung zwischen zitierendem Patent und Originalpatent bzw. zwischen „Kontrollpatent“ und Originalpatent unterschiedlich sind, erfolgt mit Hilfe einer Students-t-Teststatistik. Im vorliegenden Fall definiert sich diese Teststatistik als (vgl. Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005)

Pˆ (citation) − Pˆ (control)

t= 1 n

{Pˆ (citation) ª¬1 − Pˆ (citation)º¼ + Pˆ (control) ª¬1 − Pˆ (control)º¼}

,

(11)

wobei Pˆ (citation) bzw. Pˆ (control) die entsprechenden Schätzer sind, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens geographischer Ko-Lokalisierung in P(citation) bzw. P(control) schätzen. Ein signifikanter Wert für t bedeutet, dass die Originalpatente mit ihren zitierenden Patenten signifikant öfter geographisch koinzidieren als es aufgrund der geographischen Ko-Lokalisierung von Originalpatenten mit den dazugehörigen „Kontrollpatenten“ zu erwarten wäre. Tab. 29 stellt die entsprechenden t-Statistiken für die 1990er und 1995er Kontrollsamples im Überblick dar.

115

Tab. 29:

Test der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierten High-Tech Patenten (Originalpatente) mit zitierenden High-Tech Patenten und „Kontrollpatenten“ (1990er und 1995er Sample) (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) 1990er Kohorte

Anzahl an Zitierungen

1995er Kohorte

2.362

2.387

60,1

61,2

Ko-Lokalisierung [%] (ohne Selbstzitierungen)

36,6

35,9

Ko-Lokalisierung mit Kontrollpatenten [%]

21,9

25,4

t-Statistik (mit Selbstzitierungen)

28,12 (p = 0,000)

25,31 (p = 0,000)

t-Statistik (ohne Selbstzitierungen)

8,68 (p = 0,000)

6,01 (p = 0,000)

36,7

37,0

13,7

14,8

5,2

5,4

t-Statistik (mit Selbstzitierungen)

27,08 (p = 0,000)

24,93 (p = 0,000)

t-Statistik (ohne Selbstzitierungen)

7,91 (p = 0,000)

8,27 (p = 0,000)

Geographische Ko-Lokalisierung auf Ebene der Länder Ko-Lokalisierung [%] (mit Selbstzitierungen)

Geographische Ko-Lokalisierung auf Ebene der Regionen Ko-Lokalisierung [%] (mit Selbstzitierungen) Ko-Lokalisierung [%] (ohne Selbstzitierungen) Ko-Lokalisierung mit Kontrollpatenten [%]

Quelle: EPO (Patentdokumente)

Die Ergebnisse des „Case-Control-Matching“ Ansatzes unterstreichen eindeutig die Wahrscheinlichkeit der geographischen Lokalisierung von Wissensspillovers. Beim 1990er Sample trifft auf der Länderebene bei etwa 37% der Zitierungen eine Ko-Lokalisierung mit dem Originalpatent zu, bei etwa 14% auf der regionalen Ebene. Im Gegensatz dazu sind nur etwa 22% der entsprechenden „Kontrollpatente“ im selben Land bzw. nur etwa 5% in der selben Region lokalisiert wie das Originalpatent. Die Ergebnisse für das 1995er Sample sind ähnlich und zeigen in dieselbe Richtung. Die Vermutung der geographischen Lokalisierung aufgrund dieser Anteilswerte bestätigt sich bei Betrachtung der Ergebnisse des Students-t-Test. Sowohl für das 1990er als auch für das 1995er Kontrollsample sind die errechneten Students-t-Statistiken bei beiden räumlichen 116

Aggregationsebenen (Länderebene und Regionsebene) signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierten Patenten mit zitierenden Patenten signifikant größer ist, als es aufgrund der räumlichen Ko-Lokalisierung mit den ausgewählten „Kontrollpatenten“ zu erwarten wäre. Damit wird die Annahme, dass Wissensspillovers räumlich lokalisiert sind, unterstützt. Bereinigt man die beiden Stichproben um Selbstzitierungen, wird der Lokalisierungseffekt erwartungsgemäß geringer, ist aber immer noch vorhanden und höchst signifikant. Neben dem globalen Test kann zusätzlich gemessen werden, ob die Stärke der geographischen Lokalisierung für verschiedene Regionen variiert (vgl. Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005). Hierzu wird dasselbe Verfahren verwendet, jedoch nur für Kontrollsamples mit Originalpatenten aus einer bestimmten Region. Da im 1990er bzw. 1995er Kontrollsample manche Regionen sehr selten oder gar nicht auftreten, muss dieser Vorgang auf jene Regionen reduziert werden, die ausreichend Originalpatente des t-Tests aufweisen. In Tab. 30 sind die errechneten Ergebnisse des Lokalisierungstests für jene Regionen eingetragen, die in den beiden Stichproben mit genügend Zitierungen vertreten waren. Der stärkste Lokalisierungseffekt ergibt sich für die Region Île-de-France. Einen hohen t-Wert weisen auch die Regionen Schweiz und Darmstadt auf, niedrigere aber signifikante Werte die Regionen Oberbayern, Köln und Bedfordshire. Tab. 30: Test der geographischen Lokalisierung von High-Tech Patentzitierungen in ausgewählten Regionen (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2005) Ko-Lokalisierung Ko-Lokalisierung Zitierungen mit Kontrollpatenten mit zitierenden (ohne [%] Patenten [%] Selbstzitierungen)

t-Statistik

1990

1995

1990

1995

1990

1995

1990

1995

Île-de-France

130

197

27,9

28,4

13,9

8,6

3,30

6,05

Oberbayern

82

88

12,1

10,2

2,4

2,4

2,22

1,51

Schweiz

73

81

17,8

28,3

9,5

6,1

1,51

3,81

Lombardia

68

43

26,4

16,2

7,3

11,6

3,38

0,70

Noord-Brabant

65

14

24,6

7,1

13,8

7,1

1,72

0,00

Darmstadt

53

76

11,3

28,9

0,2

3,9

1,93

3,95

Köln

38

47

10,5

8,5

2,6

0,0

1,35

2,06

Bedfordshire

36

13

46,1

23,0

5,5

0,0

3,21

1,89

Anmerkung: Hervorgehobene Werte sind auf 5% Niveau signifikant

Quelle: EPO (Patentdokumente)

117

Die Ergebnisse des „Case-Control-Matching“ Ansatzes unterstützen klar die Annahme der geographischen Lokalisierung von High-Tech Wissensspillovers in Europa. Thompson und Fox-Kean (2005) weisen jedoch darauf hin, dass dieser Ansatz verfälschte Ergebnisse erzeugen könnte, da das Klassifikationssystem der Patentämter nicht systematisch mit industriellen Aktivitätsgruppen korrespondiert. Dies kann dazu führen, dass zitierte Patente nicht in derselben Branche angesiedelt sind wie die zugeordneten „Kontrollpatente“. Im Folgenden wird explizit die Stärke des Einflusses der geographischen Distanz auf Wissensspillovers durch eine räumliche Interaktionsanalyse zu erfassen versucht.

4.2

Das Modell Interregionaler Patentzitierungen

Da es sich bei Patentzitierungsdaten um Interaktionsdaten handelt, d.h. um Daten, die sich auf zwei diskrete Punkte (beispielsweise Regionen) im geographischen Raum beziehen, bietet sich zur Modellierung der interregionalen Patentzitierungsflüsse in Abhängigkeit geographischer Distanz das Instrumentarium der räumlichen Interaktionsmodellierung an. Räumliche Interaktionsmodelle wurden entwickelt, um räumliche Interaktionen zwischen räumlichen Einheiten zu modellieren. Allgemein können räumliche Interaktionen als Bewegungen im geographischen Raum zwischen bestimmten Akteuren und bestimmten Gelegenheiten bezeichnet werden (Fischer 2000). Diese Bewegungen können beispielsweise Arbeitspendelfahrten sein, wobei in diesem Fall die Pendler die relevanten Akteure und die Arbeitsplätze die relevanten Gelegenheiten darstellen. Andere Beispiele für räumliche Interaktionen wären Migration von Personen oder Transportfahrten von Transportunternehmen. Im vorliegenden Fall sind die Interaktionen durch Patentzitierungen erfasste Wissensspillovers. Hierbei sind die Inventoren der zitierten Patente die relevanten Akteure der Interaktion, die Empfänger des neuen Wissens die relevanten Gelegenheiten4. Räumliche Interaktionsmodelle weisen bestimmte Grundcharakteristika auf: Die Modellierung der Interaktionen basiert einerseits auf Variablen, die Quell- und Zielregion der Interaktion charakterisieren (quell- bzw. zielspezifische Faktoren), und andererseits auf solchen, die die Separation zwischen Quell- und Zielregion messen (Separationsvariablen). Je nach Fragestellung bzw. theoretischem Hintergrund müssen geeignete Quell-, Ziel- und Separationsvariablen spezifiziert werden (vgl., beispielsweise, Robinson 1998, Fischer 2000). Quell- bzw. Zielvariablen können als Gewichte für Quell- bzw. Zielregion interpretiert werden, die den Umfang der potentiell möglichen Interaktionen zwischen zwei Regionen beschreiben (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Im Falle von

4

Für eine weiterführende Diskussion der räumlichen Interaktionsmodellierung und verschiedener Typen räumlicher Interaktionsmodelle vgl., beispielsweise, Fischer (2000).

118

Arbeitspendelbewegungen könnte beispielsweise die Wohnbevölkerung als Quellvariable und die Anzahl der Arbeitstätten als Zielvariable herangezogen werden. Im Mittelpunkt der Interaktionsmodellierung stehen die Separationsvariablen. Zur Erfassung der Separation zwischen zwei Raumeinheiten können unterschiedlichste Separationsmaße herangezogen werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen physischen bzw. absoluten und relativen Distanzkonzepten (Robinson 1998). Bis in die 1950er Jahre dominierten in der Geographie ausschließlich physische Distanzkonzepte, die die Separation zweier Raumeinheiten in absoluten Angaben (beispielsweise Kilometer oder Meter) messen. Nach 1950 fanden auch relative Distanzkonzepte zunehmende Anwendung. Relative Distanzkonzepte wären beispielsweise die Zeitdistanz, die ökonomische Distanz oder die soziale Distanz (Robinson 1998). Um das Instrumentarium der räumlichen Interaktionsmodellierung auf den Untersuchungsgegenstand High-Tech Patentzitierungen anwenden zu können, müssen adäquate Quell-, Ziel- und Separationsvariablen spezifiziert werden. Im Folgenden steht die konkrete Modellspezifikation des Modells Interregionaler Patentzitierungen im Zentrum der Betrachtung. Modellspezifikation

Es sollen interregionale High-Tech Patentzitierungen mit der Zielsetzung modelliert werden, den Einfluss von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf Wissensspillovers zwischen europäischen Regionen zu messen. Im vorliegenden Raumsystem mit n = 188 Regionen (vgl. Subkapitel 3.1) stellen die beobachteten Zitierungen cij zwischen jedem (i, j)-Regionspaar die Realisierungen einer Zufallsvariable Cij dar, wobei i die zitierte und j die zitierende Region bezeichnet. Die Realisierungen von Cij hängen von einem Mittelwert μij ab, das den systemischen Part des Modells darstellt. Man kommt damit zu einem allgemeinen Modell (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006)

Cij = μij + ε ij ,

i œ j; i, j = 1, ..., n

(12)

wobei E[Cij ] = μij . ε ij ist ein Störterm, der sich ebenfalls auf die (i, j)-Regionspaare bezieht. Ein passendes Modell für μij ist das räumliche Interaktionsmodell:

μij = Ai B j Fij .

i œ j; i, j = 1, ..., n

(13)

Modell (13) benötigt die Auswahl einer Quellfunktion A, einer Zielfunktion B und einer Separationsfunktion F. Die Spezifikation von Quell- und Zielfunktion erfolgt Fischer, Scherngell und Jansenberger (2006) folgend durch eine Potenzfunktion:

119

Ai = A(ai , α1 ) = aiα1 ,

i = 1, ..., n

(14)

B j = B(b j , α 2 ) = bαj 2 ,

j = 1, ..., n

(15)

wobei α1 und α 2 zu schätzende Parameter sind. ai und bj sind die entsprechenden Variablen für Quell- bzw. Zielregion. In der vorliegenden Studie wird – wie in Fischer, Scherngell und Jansenberger (2006) – der quellspezifische Faktor ai durch die Anzahl der zwischen 1985 und 1997 angemeldeten Patente in der wissensproduzierenden Region i gemessen, der zielspezifische Faktor bj durch die Anzahl der zwischen 1990 und 2002 angemeldeten Patente in der wissensabsorbierenden Region j. Die unterschiedliche Auswahl der entsprechenden Jahre für Quell- bzw. Zielfaktor ergibt sich aus dem Trunkation-Problem von Patenzitierungsdaten (vgl. Subkapitel 3.3). Das Produkt Ai Bj in (13) kann als das Ausmaß der potentiellen Wissensflüsse zwischen den Regionen i und j interpretiert werden. Fij ist eine multivariate Separationsfunktion, die im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht und folgendermaßen spezifiziert ist (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006): ªK º Fij = exp « ¦ β k dij( k ) » , ¬ k =1 ¼

i œ j; i, j = 1, ..., n

(16)

wobei d ij( k ) die k = 1, … K Separationsmaße zwischen den Regionen i und j sind. β k sind unbekannte zu schätzende Parameter, die den Effekt der Separationsvariablen auf die Interaktionswahrscheinlichkeit messen. Im Modell Interregionaler Patentzitierungen werden vier Separationsvariablen betrachtet (d.h. es gilt K = 4): die geographische Distanz ( d ij(1) ), die Existenz von Ländergrenzen ( d ij( 2) ), die Existenz von Sprachraumgrenzen ( d ij(3) ) und die technologische Distanz ( d ij( 4) ). d ij(1) misst die geographische Distanz zwischen zwei Regionen i und j. Zur Abbildung der geographischen Distanz wird die sphärische Luftliniendistanz herangezogen, da für Wissensspillovers andere Distanzkonzepte, wie Zeitdistanz oder Transportkosten, nicht sinnvoll sind. d ij(1) repräsentiert somit die sphärische Luftliniendistanz in Kilometer zwischen den ökonomischen Zentren5 der Regionen i und j. Bei Ermittlung der entsprechenden Luftliniendistanzen zwischen zwei ökonomischen Zentren ist die Krümmung der Erdoberfläche zu berücksichtigen (Hake, Grünreich und Meng 2002). Die entsprechende Distanz wird daher wie folgt berechnet:

5

Die ökonomischen Zentren der Regionen werden als Referenz verwendet, da angenommen wird, dass im ökonomischen Zentrum die Unternehmen lokalisiert sind. Alternativ könnten auch die geometrischen Zentroide des jeweiligen Polygons einer Region herangezogen werden.

120

°­

ªSIN(ψ i ) SIN(ψ j ) +

º °½ »¾ , ¬ COS(ψ i ) COS(ψ j ) COS(ζ j - ζ i ) ¼ °¿

d ij(1) = R ® ARCCOS «

°¯

i œ j; i, j = 1, ..., n

(17)

wobei ψ i bzw. ψ j die Breitengrade der ökonomischen Zentren der Regionen i bzw. j angeben, ζ i bzw. ζ j die entsprechenden Längengrade6. R bezeichnet den Äquatorradius (6378.137 Kilometer), d.h. die Formel bedient sich approximativ einer Einheitskugel. d ij( 2) ist eine Dummy-Variable und erfasst die Existenz einer Ländergrenze zwischen zwei Regionen i und j:

­0 falls i und j im selben Land liegen (i ≠ j ) dij(2) = ® ¯1 sonst.

(18)

Mit der Spezifikation von d ij(2) und der Schätzung des entsprechenden Parameters kann festgestellt werden, ob die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Wissensspillovers zwischen zwei Regionen i und j an Ländergrenzen signifikant abnimmt oder nicht. Bei einem negativen Vorzeichen für den Parameter und entsprechender Signifikanz kann davon ausgegangen werden, dass Ländergrenzen eine Barriere für Wissensspillovers darstellen bzw. die nationale Maßstabsebene von Innovationssystemen dominant ist. Neben der Überprüfung des Einflusses von Ländergrenzen zwischen europäischen Regionen wird zusätzlich der Einfluss gemeinsamer Sprachräume untersucht. Ob die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Wissensspillovers zwischen zwei Regionen i und j an Sprachraumgrenzen7 signifikant abnimmt oder nicht, wird durch Hinzufügen einer weiteren Dummy-Variable d ij(3) zur multivariaten Separationsfunktion aus (16) erfasst. ­0 falls i und j im selben Sprachraum liegen (i ≠ j ) ¯1 sonst.

d ij(3) = ®

(19)

Die explorative Datenanalyse aus Subkapitel 3.3 deutet darauf hin, dass neben geographischer auch technologische Distanz eine wesentliche Rolle für die Intensität von Wissensspillovers spielt. Bei alleiniger Betrachtung der geographischen Distanz in der

6

Zur genauen Definition von geographischer Breite und Länge vgl. Hake, Grünreich und Meng (2002).

7

Einen gemeinsamen Sprachraum bilden die Regionen von Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz, einen weiteren jene von Irland und Großbritannien, einen dritten die Länder Slowakei und Tschechien, einen vierten die Regionen von Spanien und Portugal sowie einen fünften die Regionen von Dänemark, Schweden und Norwegen. Südbelgische Regionen werden zum französischen Sprachraum gezählt. Ansonsten sind die Sprachraumgrenzen mit Ländergrenzen ident.

121

Interaktionsanalyse könnte daher der Einfluss technologischer Distanz überdeckt werden (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Aus diesem Grund wird die technologische Distanz zwischen zwei Regionen modellendogen kontrolliert. Die technologische Distanz zwischen zwei Regionen i und j wird durch einen technologischen Proximitätsindex sij gemessen. Der Index wird in Anlehnung an Maurseth und Verspagen (2002) konstruiert. Ausgangspunkt ist eine sektorale Zitierungsmatrix Z, die die sektoralen Zitierungsintensitäten zwischen den g, p = 1, …, l = 55 IPC-Klassen der Hochtechnologie beschreibt (vgl. Tab 12). Ein Element Zgp dieser Matrix bezeichnet den Zitierungsfluss von Patenten der IPC-Klasse g zu Patenten der IPCKlasse p. Durch Division aller Elemente von Z durch die Spaltensumme erhält man die Matrix z:

zgp =

Z gp

.

l

¦Z

für g, p = 1, …, l = 55

(20)

gp

g =1

Die Matrix z beschreibt somit die Verteilung der erhaltenen Spillovers einer IPC-Klasse von anderen IPC-Klassen. Weiters erhält man für jede Region i den Anteil an Patenten der IPC-Klasse g an den gesamten Patenten dieser Region i durch

ηig =

aig

,

l

für g = 1, …, l = 55

(21)

¦ aig g =1

wobei aig die Anzahl der Patente einer Region i und einer IPC-Klasse g ist. Zwischen zgp und ηig werden die Korrelationskoeffizienten ρig für jede Region und jede IPC-Klasse herangezogen8. Der Anteil der Patente in einer Region i und einer IPC-Klasse g an den Patentanmeldungen dieser IPC-Klasse g im gesamten Untersuchungsraum ergibt sich aus

χig =

aig

.

n

für i = 1, …, n = 188

(22)

¦a

ig

i =1

8

Es wird der Korrelationskoeffizient von Pearson verwendet, der ein dimensionsloses Maß für den Grad des linearen Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalen ist (zur Definition vgl. Robinson 1998).

122

Die Korrelationskoeffizienten Sij zwischen allen ρig und χ ig messen somit das Ausmaß der Wahrscheinlichkeit, dass Region i von Region j zitiert wird, in Anbetracht der sektoralen Struktur der Patentanmeldungen in der Region i und der Region j sowie der sektoralen Patentzitierungsintensitäten (Maurseth und Verspagen 2002). Sij hat theoretische Grenzen von [-1,1]. Ein Wert von -1 bedeutet, dass die technologische Kompatibilität zwischen zwei Regionen i und j sehr gering ist. Ein Wert von 1 hingegen drückt eine perfekte technologische Korrelation und damit eine sehr hohe Zitierungswahrscheinlichkeit zwischen zwei Regionen i und j aus. Durch die Berechnung der ersten Potenzen aller Sij gelangt man zum technologischen Proximitätsindex sij , der theoretische Grenzen von [0,1] aufweist. Je näher der Wert bei 1 ist, desto näher liegen zwei Regionen i und j im technologischen Raum beieinander. sij misst die technologische Proximität zwischen allen (i, j) Regionspaaren, wobei der Index aufgrund seiner Konstruktion nicht symmetrisch ist, d.h. es gilt sij ≠ s ji .

Integriert man (13)-(16) in (12) kommt man zur folgenden Spezifikation des räumlichen Interaktionsmodells: ªK º Cij = aiα1 bαj 2 exp « ¦ β k dij( k ) » + ε ij . ¬ k =1 ¼

i œ j; i, j = 1, ..., n

(23)

Zur Anpassung des Modells aus (23) an die Patentzitierungsdaten müssen die unbekannten Parameter α1 und α 2 sowie β k (hier K = 4) geschätzt werden. Modell (23) lässt sich log-additiv in Form von K

log Cij = α1 log ai + α 2 log b j + ¦ β k dij( k ) + uij ,

i œ j; i, j = 1, ..., n

(24)

k =1

wobei uij = log ε ij ,

(25)

mit u ∼ & (0, σ 2 I )

(26)

darstellen ( σ 2 bezeichnet die Fehlervarianz, I die Einheitsmatrix), um im Anschluss die Parameter durch eine OLS-Regression (einfache kleinste Quadrate) der Beobachtungen cij von Cij auf ai , bj und dij zu schätzen. Diese Vorgehensweise weist jedoch methodische Probleme auf. Bei Patentzitierungsdaten handelt es sich um diskrete Zählungen von Ereignissen, d.h. eine Zählung kommt durch 123

Realisierung eines Ereignisses, in diesem Fall einer Patentzitierung, zu Stande. Zählungen haben die Eigenschaft, dass sie immer ganzzahlig (diskret) sind und keine negativen Werte annehmen können. Eine OLS-Schätzung jedoch “… appears to suffer from least squares and Gaussian assumptions that ignore the true integer nature of the flows and approximate a discrete-valued process by an almost certainly misrepresentative distribution. As a result, least squares estimates and their standard errors can be seriously distorted” (Fischer und Reismann 2002, S. 209). Zudem tritt bei cij = 0 das Problem auf, dass der Logarithmus von 0 nicht definiert ist9. In diesem Kontext erscheint die Annahme einer Poisson Verteilung der Realisierungen von Cij eine adäquatere Herangehensweise (vgl., beispielsweise, Bailey und Gatrell 1995, Cameron und Trivedi 1998). Die Poisson Spezifikation

Eine geeignete Wahl eines stochastischen Prozesses zur Modellierung diskreter Ereignisse ist die Poisson Verteilung. „The benchmark model for count data is the Poisson distribution“ (Cameron und Trivedi 1998, S. 3). In diesem Fall werden die Beobachtungen von Cij als Poisson verteilt angenommen mit der Dichte (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006) exp ( − μij ) μijij c

f ª¬Cij = cij Ai , B j , Fij º¼ =

cij !

,

(27)

wobei E ¬ªcij Ai , B j , Fij ¼º = exp ¬ªlog A(ai , α1 ) + log B(b j , α 2 ) + log F (dij , β ) ¼º

(28)

mit dij = (dij(1) ,..., d ij( K ) ) und β = ( β1 , ..., β K ) , E[.] bezeichnet den Erwartungswert. Spezifikation (22) ist die exponentiale Mittelwertsfunktion, μij ist eine deterministische Funktion von Ai, Bj und Fij. Eine Eigenschaft der Poisson Modellspezifikation ist die restriktive Annahme der Gleichheit von Erwartungswert und Varianz (Equidispersion): V ª¬cij Ai , B j , Fij º¼ = E ª¬ cij Ai , B j , Fij º¼ = μ ij .

(29)

Die Poisson Spezifikation des räumlichen Interaktionsmodells zeigt einige Vorzüge. Der Fall cij = 0 stellt ein natürliches Ergebnis der Poisson Spezifikation dar, womit das Problem der fehlenden Definition des Logarithmus von 0 nicht mehr gegeben ist. Die ganzzahlige Natur der Patentzitierungsflüsse wird durch die Poisson Verteilung adäquat abgebildet. Als problematisch an der Poisson Spezifikation könnte sich jedoch die 9 Die regionale Zitierungsmatrix [c ] enthält 23,688 Observationen (etwa 67%) mit c = 0 (vgl. Subkapitel 3.3). ij ij

124

restriktive Annahme der Gleichheit von Erwartungswert und Varianz erweisen (Cameron und Trivedi 1998). Zur Schätzung des Modells mit Poisson Spezifikation wird der Maximum Likelihood Schätzer verwendet10. Die Negativ-Binomial Spezifikation

„One reason for the failure of the Poisson regression is unobserved heterogeneity which contributes to additional randomness“ (Cameron und Trivedi 1998, S. 96). Unbeobachtete Heterogenität kann dazu führen, dass die Annahme der Identität von Varianz und Erwartungswert nicht mehr zutrifft. Ist die Varianz größer als der Erwartungswert, spricht man von Überstreuung (Overdispersion)11 (Cameron und Trivedi 1998). „Overdispersion may result from neglected or unobserved heterogeneity that is inadequately captured by the covariates in the conditional mean function” (Cameron und Trivedi 1998, S. 96). Das Vorhandensein von Überstreuung im Poisson Modell führt zur Unterparametrisierung aufgrund der Unterschätzung der wahren Varianzen der Parameter und ihrer möglichen Verzerrungen. Zur Modellierung der unbeobachteten Heterogenität wird das Poisson Modell durch Einführung eines stochastischen, multiplikativen Heterogenitätsterms exp(ξij) erweitert. Durch Integration von exp(ξij) in (28) kommt man zur Negativ-Binomial Spezifikation (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006): cij ∼ Poisson ( μ ij* ) ,

(30)

wobei

μij* = exp ¬ªlog A(ai , α1 ) + log B (b j , α 2 ) + log F (dij , ȕ ) + ξij ¼º = = exp ¬ªlog A(ai , α1 ) + log B(b j , α 2 ) + log F ( dij , ȕ ) ¼º exp(ξij ),

(31)

und exp(ξij ) ∼ Gamma (δ −1 , δ ).

(32)

Wenn exp(ξij) Gamma verteilt und unabhängig von den erklärenden Variablen ist, hat cij eine Negativ-Binomial Verteilung (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006):

10 Für eine detaillierte Darstellung der Maximum Likelihood Schätzung vgl. Fischer, Scherngell und Jansenberger (2006). 11 Die Poisson Spezifikation impliziert für sich, dass die unkonditionale Varianz größer ist als der unkonditionale

Erwartungswert, womit Überstreuung nicht modelliert werden kann.

125

Γ (cij + δ −1 ) f ¬ªCij = cij Ai , B j , Fij , δ ¼º = Γ (cij + 1)Γ (δ −1 )

δ −1

§ δ −1 · ¨¨ −1 ¸ ¸ © μij + δ ¹

cij

§ μij · , ¨¨ −1 ¸ ¸ © μij + δ ¹

(33)

wobei Γ (.) die Gamma-Funktion bezeichnet, δ den Dispersionsparameter mit δ ≥ 0 . Je größer δ ist, desto größer ist die Überstreuung. Diese Modifikation lässt den Mittelwert unverändert, jedoch ändert sich die Varianz. Damit wird Überstreuung im Modell zugelassen.

V (cij ) = E {V (cij | μij* )} + V { E (cij | μij* )} = E ( μij* ) + V ( μij* ) = μij (1 + δ μ ij ).

(34)

Zur Parameterschätzung kann wiederum die Maximum Likelihood Schätzung mit Hilfe von Newton-Raphson Verfahren verwendet werden (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006). Schätzergebnisse des Modells Interregionaler Patentzitierungen

Tab. 31 fasst die Maximum Likelihood Schätzergebnisse des Modells Interregionaler Patentzitierungen mit Poisson und Negativ-Binomial Spezifikation zusammen (Gleichung (27)-(28) bzw. (33) mit (31)-(32))12. Die Poisson Maximum Likelihood Schätzer finden sich in der ersten Spalte von Tab. 31. Standardfehler werden statt t-Statistiken dargestellt, um einen Vergleich mit den Negativ-Binomial Schätzern der zweiten Spalte zu ermöglichen. Die Werte der Standardfehler weisen durchwegs auf eine korrekte Spezifikation der Varianzfunktion hin. Alle Parameterschätzungen sind höchst signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%. Der Schätzwert δˆ zeigt, dass die Poisson Spezifikation zu verwerfen ist. Um die Signifikanz von δˆ zu testen, wird ein Likelihood Ratio Test herangezogen, wobei die Nullhypothese H0: δˆ = 0 geprüft wird. Der Likelihood Ratio Test ist wie folgt definiert (Long und Freese 2001):

L

2

= 2 (ln L NBRM − L PRM ) ,

(35)

wobei L NBRM die log-Likelihood des Negativ-Binomial Modells und L PRM die log-Likelihood des Poisson Modells darstellt. Der erhaltene Wert für L 2 beträgt 29.256,12 und weist eine Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1% auf. Daraus folgt, dass aufgrund der Existenz von Überdispersion die Negativ-Binomial Modellspezifikation

12 Die Schätzung der Modelle erfolgte in der vorliegenden Arbeit mit der Software Stata 8.2

126

bevorzugt werden muss, was mit der unbeobachteten Heterogenität zwischen den (i, j)-Regionspaaren zusammenhängt. Diese konnte mit der Einführung des stochastischen Parameters exp(ξij) aus (32) modelliert werden. Die Annahme der Gleichheit von Varianz und Erwartungswert der Poisson Verteilung ist zu restriktiv, um die Patentzitierungsflüsse adäquat zu beschreiben. Tab. 31: Das Modell Interregionaler Patentzitierungen – Poisson Modellspezifikation und Negativ-Binomial Modellspezifikation (Fischer, Scherngell und Jansenberger 2006) [N=35.156 Observationen; asymptotische Standardfehler in Klammer] Poisson Spezifikation Log-Likelihood {Korr (cij, prognostiziert. cij)}2

-51.801,10

Negativ-Binomial Spezifikation -37.235,05

0,686

0,783

307.522,81

30.552,12

Quellvariable [α1]

0,833*** (0,002)

0,915*** (0,006)

Zielvariable [α2]

0,858*** (0,002)

0,885*** (0,006)

Geographische Distanz [ß1]

-0,270*** (0,005)

-0,321*** (0,014)

Ländergrenzen [ß2]

-0,050*** (0,007)

-0,533*** (0,046)

Sprachraumbarrieren [ß3]

-0,238*** (0,014)

-0,031*** (0,043)

Technologische Distanz [ß4]

-0,928*** (0,032)

-1,219*** (0,130)

-9,061*** (0,056)

-9,097*** (0,167)



0,725 (0,014 )

Wald Statistik Unabhängige Variablen

Konstante Dispersionsparameter [δ ]

Anmerkung: Die abhängige Variable ist der beobachtete Patentzitierungsfluss zwischen zwei Regionen i und j des Untersuchungsraums. Alle metrischen unabhängigen Variablen sind als natürlicher Logarithmus ausgedrückt, um den Einfluss von Ausreißern zu reduzieren. Die Quell-, Ziel- und Separationsfunktion sind entsprechend der Gleichungen (14), (15) bzw. (16) spezifiziert. Die Quellvariable ist die Anzahl der zwischen 1985 und 1997 angemeldeten Patente in Region i, die Zielvariable ist die Anzahl der zwischen 1990 und 2002 angemeldeten Patente in Region j. Die geographische Distanz bezeichnet die sphärische Luftliniendistanz zwischen den ökonomischen Zentren der Regionen i und j. Ländergrenzen und Sprachraumbarrieren sind Dummy-Variablen, die 0 gesetzt werden, wenn ein Wissensfluss zwischen zwei Regionen i und j innerhalb eines Landes bzw. Sprachraums verbleibt, und 1 gesetzt werden, wenn ein Wissensfluss eine Länder- bzw. Sprachraumgrenze überschreitet. Die technologische Distanz ist gemessen als 1 − sij , wobei sij die technologische Proximität zwischen zwei Regionen i und j ist. *** signifikant

bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%.

127

Betrachtet man die Wald Statistik, zeigt sich bei einem Wert von 30.552,12 ebenfalls ein deutlicher Anstieg der Signifikanz bei der Negativ-Binomial Spezifikation im Vergleich zur Poisson Spezifikation (307.522,81). Die Wald Statistik testet, ob die unabhängigen Variablen im räumlichen Interaktionsmodell signifikant von 0 verschieden sind (Long und Freese 2001). Die Stärke der Effekte der erklärenden Variablen sind im Negativ-Binomial Modell insgesamt etwas höher als im Poisson Modell. Da das Negativ-Binomial Modell eine zusätzliche Varianzquelle erlaubt, sind auch die geschätzten Standardfehler größer. Daher sind die Schlussfolgerungen etwas weniger präzise, jedoch ist die Richtung der Effekte bei beiden Modelltypen gleich. Die Ergebnisse des Modells Interregionaler Patentzitierungen zeigen einen signifikant negativen Effekt der geographischen Distanz auf Wissensspillovers in der High-Tech Industrie, d.h. Wissensspillovers zwischen Regionen verringern sich signifikant mit zunehmender Distanz zwischen diesen. Das Schätzergebnis von βˆ1 = -0,321 bedeutet, dass für zusätzliche 100km zwischen zwei Regionen i und j der mittlere (i, j)Patentzitierungsfluss um 27,5% zurückgeht13. Wissensspillovers zwischen High-Tech Unternehmen in Europa sind somit durch die geographische Distanz limitiert. Der negative Effekt der geographischen Distanz ist jedoch geringer als jener von Ländergrenzen. βˆ2 = -0,525 verdeutlicht, dass die Existenz einer Ländergrenze zwischen zwei Regionen i und j die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Wissensspillovers deutlich verringert. Dieses Ergebnis unterstützt die zentrale Stellung der nationalen Maßstabsebene von räumlichen Innovationssystemen (vgl., beispielsweise, Fischer 2001a). Den deutlich stärksten negativen Einfluss auf die Wissensspilloverintensität zwischen High-Tech Unternehmen hat die technologische Distanz ( βˆ4 = -1,219 ). Wissensflüsse zwischen zwei Regionen i und j nehmen deutlich mit höherer technologischer Proximität zu und tendieren dazu, bestimmten technologischen Trajektorien zu folgen. Dieser empirische Befund unterstreicht damit das Konzept der technologischen Trajektorien von Dosi (1982). Danach bilden sich durch kognitive Suchheuristiken für Problemlösungen (technologische Paradigmen) häufig dominante technologische Trajektorien heraus, die verstärkt durch technologiespezifische Lerneffekte die Richtung des technologischen Wandels prägen. Innerhalb dieser Suchheuristiken spielen Routinen und Faustregeln eine wichtige Rolle, die aus Erfahrung und Lernen entstehen. Der negative Effekt von technologischen Trajektorien ist, dass sich Unternehmen – und damit auch Regionen – in technologische Sackgassen hineinmanövrieren könnten (so genannte Lock-in Effekte), aus denen sie später nur schwer herauskommen (Fischer 2001a). (1)

13 Dies ergibt sich nach Long und Freese (2001) aus 100

wobei X die Matrix der erklärenden Variablen und

128

φ( d

(1) ij

)

E ª¬cij X , dij

+ φ º¼ − E ª¬cij X , dij(1) º¼ (1)

E ª¬cij X , dij

º¼

= 100 [exp(βˆ1 φ( d ) ) − 1],

die Veränderung der Einheit von d

(1)

ij

(1) ij

ist.

Sprachraumbarrieren sind im Vergleich zu den anderen Separationsvariablen – obwohl signifikant – nur eine sehr geringe Barriere für Wissensspillovers. Die Parameterschätzungen für Quell- und Zielvariable (α1 und α2) liegen entsprechend der Erwartungen nahe dem Wert 1. Je mehr Patente in Quell- bzw. Zielregionen angemeldet sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Patentzitierungen zwischen zwei Regionen i und j. Insgesamt zeigen die Ergebnisse des Modells Interregionaler Patentzitierungen, dass High-Tech Wissensspillovers zwischen europäischen Regionen durch geographische Distanz limitiert werden. Die Existenz von Ländergrenzen zwischen zwei Regionen vermindert ebenfalls signifikant die Wahrscheinlichkeit von Wissensflüssen zwischen diesen. Der negative Effekt der geographischen Distanz ist geringer als der Einfluss von Ländergrenzen. Dies unterstreicht die Bedeutung nationaler Innovationssysteme im europäischen Kontext. Den deutlich stärksten negativen Effekt auf die Intensität von Wissensspillovers hat die technologische Distanz zwischen zwei Regionen. Es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Wissensspillovers entlang technologischer Trajektorien.

4.3

Sektorale räumliche Interaktionsmodelle

Neben der Untersuchung des Einflusses von geographischer Distanz und Ländergrenzen auf Wissensspillovers in der gesamten High-Tech Industrie ist es von Interesse, potentiell auftretende sektorale Unterschiede zwischen den vier betrachteten High-Tech Sektoren (pharmazeutische Industrie, Elektronik und Kommunikation, Computer und Büromaschinen sowie Luft- und Raumfahrt, vgl. Subkapitel 3.1) zu identifizieren. Es ist davon auszugehen, dass geographische Distanz und Ländergrenzen unterschiedlich starke Effekte auf die jeweilige intrasektorale Spilloverintensität haben. Um den Einfluss der Separationsvariablen auf Wissensspillovers innerhalb der vier betrachteten High-Tech Sektoren erfassen zu können, müssen sektorale räumliche Interaktionsmodelle geschätzt werden. Im Gegensatz zum Modell aus Tab. 31 werden anstatt der gesamten beobachteten High-Tech Patentzitierungen jeweils nur intrasektorale Patentzitierungen innerhalb der vier High-Tech Sektoren als zu erklärende Variable herangezogen. Im Kontext der vorliegenden Spezifikation von High-Tech Industrie sind daher vier separate räumliche Interaktionsmodelle für jeden Sektor zu schätzen. Die größte Anzahl an intrasektoralen Zitierungen ist in der pharmazeutischen Industrie zu finden. 62.286 der 98.191 Patentzitierungen sind Zitierungen innerhalb der pharmazeutischen Industrie. Auf den Sektor Elektronik und Kommunikation entfallen 27.461 Patentzitierungen, 5.442 auf den Sektor Computer und Büromaschinen. Die mit Abstand wenigsten Zitierungen beziehen sich auf Patentpaare, die der Luft- und Raumfahrt angehören (579 Zitierungen). Die Anzahl der intersektoralen Zitierungen zwischen den vier High-Tech Sektoren ist sehr gering (2,46% aller Zitierungen).

129

Die Modellspezifikation der sektoralen Modelle erfolgt wie beim gesamten High-Tech Modell nach Gleichung (23), wobei in diesem Fall jeweils die intrasektoralen Patentzitierungen die Beobachtungen der abhängigen Zufallsvariable Cij darstellen. Aufgrund der in Subkapitel 4.2 erörterten methodischen Probleme bei einer OLS Schätzung wird auch bei den sektoralen räumlichen Interaktionsmodellen die Poisson- und die Negativ-Binomial Spezifikation aus den Gleichungen (27)-(28) bzw. (33) mit (31)-(32) zur Schätzung der Parameter für Quell-, Ziel- und Separationsvariablen verwendet. Schätzergebnisse der sektoralen räumlichen Interaktionsmodelle interregionaler Patentzitierungen

Tab. 32 enthält die Parameterschätzungen und Modellgütemaße der sektoralen räumlichen Interaktionsmodelle mit Negativ-Binomial Spezifikation. Wie beim Modell für die gesamte High-Tech Industrie ist bei allen sektoralen räumlichen Interaktionsmodellen eine Negativ-Binomial Spezifikation gegenüber einer Poisson Spezifikation zu bevorzugen. Aufgrund unbeobachteter Heterogenität zwischen den (i, j)-Regionspaaren ist die Poisson Spezifikation nicht geeignet. Die Annahme der Gleichheit von Erwartungswert und Varianz ist zu restriktiv, um die intrasektoralen Patentzitierungsflüsse adäquat zu beschreiben. Im sektoralen Modell für die pharmazeutische Industrie bilden die 62.286 intrasektoralen Patentzitierungen des Sektors Pharmazeutik die Realisierungen der abhängigen Zufallsvariable Cij, in jenem für Elektronik und Kommunikation die 27.461 Patentzitierungen innerhalb dieses Sektors, bei Computer und Büromaschinen die entsprechenden 5.442 intrasektoralen Patentzitierungen und bei Luft- und Raumfahrt die 579 intrasektoralen Patentzitierungsflüsse. Mit Ausnahme der Sprachraumbarrieren im Modell für Computer und Büromaschinen und in jenem für Luft- und Raumfahrt sind alle Parameterschätzungen signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%. Bei Computer und Büromaschinen und Luft- und Raumfahrt ist generell eine schlechtere Modellgüte hinsichtlich der Standardfehler festzustellen. Die höheren Standardfehler in diesen beiden Modellen sind durch die bereits sehr hohe Anzahl an Null-Interaktionen zu erklären. Im Sektor Computer und Büromaschinen zitieren einander 30.934 der 35.156 Regionspaare nicht (im Vergleich zu 23.688 in der gesamten High-Tech Industrie). Beim Sektor Luft- und Raumfahrt sind es sogar 35.100 Regionspaare, die keine einander zitierende Patente aufweisen. Dies bedeutet, dass die 579 beobachteten Zitierungen innerhalb des Sektors Luft- und Raumfahrt sich lediglich auf 56 Regionspaare beziehen. Diese extrem hohe Anzahl an Null-Interaktionen führt zu sehr großen Standardfehlern, womit eine präzise Interpretation der Schätzer nicht möglich ist. Nichtsdestotrotz sind die Schätzer signifikant (die Wald Statistik beim Modell für Computer und Büromaschinen bzw. Luft- und Raumfahrt beträgt 5.688,69 bzw. 591,75 bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%).

130

Tab. 32: Sektorale räumliche Interaktionsmodelle im Vergleich zum Interaktionsmodell der gesamten High-Tech Industrie [N=35.156 Observationen; asymptotische Standardfehler in Klammer] Negativ-Binomial Spezifikation Pharmazeutische Industrie

Elektronik und Kommunikation

Computer und Büromaschinen

Luft- und Raumfahrt

-37.235,05

-23.031,88

-15.554,23

-6.930,87

-1.394,05

0,783

0,753

0,727

0,682

0,642

Wald Statistik

30.552,12

17.703,56

12.569,15

5.688,69

591,75

Quellvariable [α1]

0,915*** (0,006)

0,865*** (0,010)

1,003*** (0,013)

0,911*** (0,018)

0,787*** (0,054)

Zielvariable [α2]

0,885*** (0,006)

0,855*** (0,009)

0,948*** (0,012)

0,850*** (0,018)

0,744*** (0,053)

Geographische Distanz [ß1]

-0,321*** (0,014)

-0,630*** (0,014)

-0,106*** (0,025)

-0,555*** (0,039)

-0,230*** (0,121)

Ländergrenzen [ß2]

-0,533*** (0,046)

-0,736*** (0,067)

-0,703*** (0,088)

-0,533*** (0,046)

-1,034*** (0,411)

Sprachraumbarrieren [ß3]

-0,031*** (0,043)

-0,188*** (0,064)

-0,223*** (0,084)

-0,214*** (0,114)

-0,035*** (0,399)

Technologische Distanz [ß4]

-1,219*** (0,130)

-2,307*** (0,207)

-1,481*** (0,247)

-3,931*** (0,412)

-7,029*** (1,706)

Konstante

-9,097*** (0,167)

-6,223*** (0,263)

-14,552*** (0,218)

-11,566*** (0,320)

-13,471*** (0,961)

0,725 (0,014)

0,484 (0,024)

0,492 (0,030)

0,554 (0,059)

2,929 (0,139)

High-Tech Gesamt Log-Likelihood {Korr (cij, prognostiziert. cij)}2

Dispersionsparameter [δ ]

Anmerkung: Die abhängige Variable für das gesamte High-Tech Modell ist der beobachtete Patentzitierungsfluss zwischen zwei Regionen i und j des Untersuchungsraums. Die abhängige Variable in den sektoralen räumlichen Interaktionsmodellen ist der jeweils beobachtete intrasektorale Patentzitierungsfluss innerhalb der vier High-Tech Sektoren zwischen zwei Regionen i und j des Untersuchungsraums. Alle metrischen unabhängigen Variablen sind als natürlicher Logarithmus ausgedrückt, um den Einfluss von Ausreißern zu reduzieren. Die Quell-, Ziel- und Separationsfunktion sind entsprechend der Gleichungen (14), (15) bzw. (16) spezifiziert. Die Quellvariable ist die Anzahl der zwischen 1985 und 1997 angemeldeten Patente in Region i, die Zielvariable ist die Anzahl der zwischen 1990 und 2002 angemeldeten Patente in Region j. Die geographische Distanz bezeichnet die sphärische Luftliniendistanz zwischen den ökonomischen Zentren der Regionen i und j. Ländergrenzen und Sprachraumbarrieren sind Dummy-Variablen, die 0 gesetzt werden, wenn ein Wissensfluss zwischen zwei Regionen i und j innerhalb eines Landes bzw. Sprachraums verbleibt, und 1 gesetzt werden, wenn ein Wissensfluss eine Länder- bzw. Sprachraumgrenze überschreitet. Die technologische Distanz ist gemessen als 1 − sij , wobei sij die technologische Proximität zwischen zwei Regionen i und j auf Basis von 55 IPC-Klassen und der sektoralen Zitierungsintensitäten der Regionen ist (vgl. Gleichungen (20), (21) bzw. (22)). *** signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1%.

131

Das zentrale Ergebnis der sektoralen räumlichen Interaktionsanalyse ist, dass die geographische Distanz im Sektor Elektronik und Kommunikation den weitaus geringsten negativen Effekt auf intrasektorale Wissensspillovers aufweist ( βˆ1 = -0,106 ). Der Schätzer ist zwar signifikant, jedoch hat die geographische Distanz in der elektronischen Industrie einen deutlich geringeren Effekt als in der gesamten High-Tech Industrie und den anderen betrachteten High-Tech Sektoren. Der geographische Distanzeffekt ist etwa dreimal so groß wie jener für die gesamte High-Tech Industrie und fast sechsmal so groß wie jener für die pharmazeutische Industrie. Der geringere negative Effekt der geographischen Distanz in der elektronischen Industrie hängt mit dem verstärkten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in diesem Sektor zusammen. IKT vereinfachen in der elektronischen Industrie offensichtlich Delokalisierungsprozesse der Wissensproduktion. Ländergrenzen jedoch sind in der elektronischen Industrie – wie in der gesamten High-Tech Industrie – ebenfalls eine wesentliche Barriere für interregionale Wissensflüsse. Der negative Effekt von Ländergrenzen auf Wissensspillovers ist signifikant stärker als im Modell für die gesamte High-Tech Industrie. Für die pharmazeutische Industrie lässt sich der stärkste negative Effekt der geographischen Distanz auf die intrasektorale Spilloverintensität feststellen. Der Schätzer von βˆ1 = -0,630 fällt deutlich höher aus als im Gesamtmodell. Daraus ist zu folgern, dass für zusätzliche 100km Luftliniendistanz zwischen zwei Regionen i und j der mittlere (i, j)Patentzitierungsfluss innerhalb der pharmazeutischen Industrie um 56,3% zurückgeht. Technologische Wissensspillovers der pharmazeutischen Industrie sind damit im Vergleich zur gesamten High-Tech Industrie und zu den anderen Sektoren stärker durch geographische Distanz limitiert. Wie beim Gesamtmodell für die High-Tech Industrie ist der negative Effekt von Ländergrenzen auf die Spilloverintensität größer als jener der geographischen Distanz, jedoch ist der Unterschied zwischen den beiden Separationsvariablen deutlich geringer. Hinsichtlich des sektoralen räumlichen Interaktionsmodells für Computer und Büromaschinen ist hervorzuheben, dass dies der einzige Sektor ist, in dem der negative Effekt durch die geographische Distanz höher ist als jener von Ländergrenzen. Geographische Distanz stellt eine wesentlich größere Barriere für interregionale Wissensspillovers dar als im Modell für die gesamte High-Tech Industrie. Der Einfluss von Ländergrenzen hingegen entspricht jenem des Gesamtmodells. Wie zu erwarten ist der Einfluss der technologischen Distanz in den sektoralen Modellen stärker ausgeprägt als im Gesamtmodell für die High-Tech Industrie, da bei ausschließlicher Betrachtung von intrasektoralen Patentzitierungen, die technologische Distanz zwischen zwei Regionen noch stärker zum Ausdruck kommt. Mit Abstand am stärksten ist der Einfluss der technologischen Distanz im Sektor Luft- und Raumfahrt. Dies verdeutlicht die geringe technologische Kompatibilität dieser Industrie mit den anderen Industriesektoren.

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Im sektoralen räumlichen Interaktionsmodell für Luft- und Raumfahrt zeigt sich weiters die größte Diskrepanz zwischen dem gemessenen Effekt für die geographische Distanz und jenem für Ländergrenzen. Der Schätzer für Ländergrenzen im Modell für Luft- und Raumfahrt ist mehr als viermal so groß wie jener für die geographische Distanz. Dies bedeutet, dass die meisten Wissensspillovers Ländergrenzen nicht überschreiten, innerhalb eines Landes jedoch die geographische Distanz nicht so eine große Rolle spielt.

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5 Zusammenfassung und Ausblick Wissensspillovers rückten in den letzten beiden Jahrzehnten stärker ins Zentrum des Erkenntnisinteresses der Wirtschaftsgeographie, da diese eine wesentliche Rolle für wirtschaftliches Wachstum spielen (vgl., beispielsweise, Romer 1990, Krugman 1991). Die fortschreitende Globalisierung und kürzere Produktlebenszyklen erhöhen den Druck auf Unternehmungen, im Innovationswettbewerb zu bestehen. Aufgrund der zunehmenden Komplexität des Innovationsprozesses sind Unternehmungen bei der Wissensproduktion neben der internen unternehmerischen Wissensbasis auch auf externe Wissensspillovers angewiesen. Technologie- und Innovationspolitiken, die heute zentraler Bestandteil moderner Wirtschaftspolitiken sind, zielen daher in verstärktem Maß darauf ab, Wissensflüsse innerhalb des Innovationssystems zu stimulieren und geeignete Rahmenbedingungen für eine möglichst breite Technologiediffusion zu schaffen (Fischer 2001a). Wissensspillovers sind externe Effekte in der Wissensproduktion, für die der Empfänger des Wissens nichts oder einen geringeren Preis als deren Wert bezahlt. Finden diese Externalitäten zwischen Akteuren aus verschiedenen Einheiten eines räumlich definierten Systems statt, spricht man von räumlichen Wissensspillovers (vgl. Subkapitel 2.3). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit räumlichen Wissensspillovers in der High-Tech Industrie zwischen europäischen Regionen. Der Fokus auf High-Tech Industrien wird gewählt, da neues technologisches Wissen eine besondere Rolle in diesen Industrien spielt, und Wissensexternalitäten daher weiter verbreitet sind als in anderen Industrien (Bernstein und Nadiri 1988). “Knowledge flows … are invisible, they leave no paper trail by which they may be measured and tracked” (Krugman 1991, S. 53). Diese Arbeit verdeutlicht, dass Wissensspillovers durchaus eine Spur in Form von Zitierungen in Patenten hinterlassen können. Zielsetzung der Arbeit ist einerseits die Erfassung der geographischen Verbreitung von Wissensspillovers in der europäischen High-Tech Industrie durch eine explorative räumliche Datenanalyse von High-Tech Patentzitierungen (vgl. Kapitel 3). Andererseits soll untersucht werden, ob Wissensspillovers durch bestimmte Separationseffekte limitiert sind (vgl. Kapitel 4). Von besonderem Interesse sind hierbei Effekte der geographischen Distanz und von Ländergrenzen. Insbesondere die Frage, ob geographische Distanz eine signifikante Barriere für Wissensspillovers darstellt, ist in der Literatur umstritten (vgl., beispielsweise, Jaffe 1989, Romer 1990, Fischer 2001a, Karlsson und Manduchi 2001, Karlsson, Flensburg und Hörte 2004). „A fundamental question by the research of knowledge spillovers is whether these spillovers are spatially bounded or not” (Karlsson und Manduchi 2001, S. 111). Weiters sollen potentielle Unterschiede in der Stärke des Einflusses von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf intrasektorale Wissensspillovers in verschiedenen High-Tech Sektoren identifiziert werden.

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Es gibt unterschiedliche Konzepte zur Messung von Wissensspillovers (vgl. Subkapitel 2.3). Diese Arbeit verfolgt einen Messansatz, der Patentzitierungen als Indikator für Wissensspillovers betrachtet. Eine Patentzitierung ist eine Referenz in einem Patentdokument auf ältere Patente, deren Wissen in die Entwicklung der neuen Erfindung eingeflossen ist (vgl. Subkapitel 2.4). Patente sind trotz vorhandener Schwächen adäquate Indikatoren, da sie am unmittelbarsten die Ergebnisse von Inventionsprozessen repräsentieren (vgl. Subkapitel 2.2). Patentdaten haben den Vorteil, dass sie eine breite Verfügbarkeit über längere Zeitperioden aufweisen sowie nach technischen Feldern (IPC) aggregiert sind. Ein Patentdokument bietet essentielle Information zur Bearbeitung der Forschungsfragen. Insbesondere die geographische Lokalisierung des Erfinders und die Informationen über die technologischen Vorgänger des Patents in Form von Patentzitierungen sind von zentraler Bedeutung. Patentzitierungen erfassen nur bestimmte Arten von Wissensspillovers, nämliche jene zwischen patentierten Inventionen, d.h. das Ausmaß der tatsächlichen Spilloverintensität wird unterschätzt. Umgekehrt können Zitierungen auftreten, ohne dass vorher ein Spillover stattgefunden hat. Dies kann der Fall sein, wenn der zuständige Patentbeamte Zitierungen älterer Patente hinzufügt, der Erfinder des neuen Patents jedoch das Wissen aus diesen Patenten nicht verwendet hat. Durch diese Schwächen entsteht ein gewisses „Rauschen“ bei der Analyse von Patentzitierungsdaten, wobei Thompson (2004) darauf hinweist, dass die Verzerrungen bei Verwendung eines entsprechend großen Datensamples gedämpft werden können. Der in der vorliegenden Arbeit verwendete Patentdatensatz zur Erfassung von Wissen bzw. Wissensspillovers in Europa umfasst 177.424 Patente. Es handelt sich um europäische Patente der High-Tech Industrie, die zwischen 1985 und 2002 angemeldet wurden (vgl. Subkapitel 3.2). Europäische Patente sind Patentanmeldungen, dessen Patentanmelder in einem der EU-25-Ländern (ohne Malta und Zypern) oder den Ländern Schweiz, Norwegen, Bulgarien oder Rumänien sitzt. High-Tech Industrie inkludiert Hatzichronoglou (1997) folgend die ISIC-Branchen (Rev. 2) Luft- und Raumfahrt (ISIC 3845), Computer & Büromaschinen (ISIC 3825), Elektronik & Kommunikation (ISIC 3832) und Pharmazeutik (ISIC 3522) (vgl. Subkapitel 3.1). Mit Hilfe einer von Verspagen, Moergastel und Slabbers (1994) entwickelten Konkordanztabelle, die eine Zuweisung von IPC-Klassen zu ISIC-Klassen (Rev. 2) enthält, können High-Tech Patente identifiziert werden. Zur Erfassung der regionalen Verteilung der Patente in Europa wird das Untersuchungsgebiet in 188 NUTS-Regionen unterteilt (generell NUTS-2 Regionen, vgl. Subkapitel 3.1, Anhang). Die regionale High-Tech Patentaktivität zeigt ein klares Zentrum-Peripherie-Muster. Die ost-, süd- und nordeuropäischen Regionen weisen einen Anteil von unter 0,4% an den gesamten europäischen High-Tech Patenten auf. Nur 11 Regionen, die alle relativ im Zentrum Europas liegen, haben einen Anteil von über 2%. Mit Abstand den höchsten Anteil hat Île-de-France (9,21%), an zweiter Stelle liegt 136

Oberbayern mit einem Anteil von 6,76%. Messungen zur lokalen räumlichen Autokorrelation verdeutlichen das Auftreten von lokalen Clustern hinsichtlich der HighTech Patentaktivität. Im Zentrum Europas findet sich ein Cluster mit Regionen hoher High-Tech Patentaktivität, die von Regionen mit ähnlich vielen High-Tech Patentanmeldungen umgeben sind (vgl. Subkapitel 3.2). Zur Erfassung der geographischen Dimension von Wissensspillovers in Europa stehen in der weiteren Betrachtung die in den High-Tech Patenten enthaltenen Patentzitierungen im Zentrum des Erkenntnisinteresses (vgl. Subkapitel 3.3). Die regionale Zitierungsmatrix beinhaltet 98.191 Patentzitierungen zwischen den 188 Regionen des Untersuchungsraums. Sie enthält in den Zeilen die Regionen der zitierten Patente (die Ursprungsregionen der Spillovers) sowie in den Spalten die Regionen der zitierenden Patente (die Empfängerregionen der Spillovers). Selbstzitierungen (Identität des Anmelders des zitierten und des zitierenden Patents) wurden vom Datensatz entfernt, weil diese im Sinne der Definition von Spillovers als Externalitäten nicht zu deren Erfassung verwendet werden können. Da nur ein bestimmter „Lebensabschnitt“ eines Patents betrachtet werden kann, wurden zudem die zitierten Patente auf die Jahre 1985 bis 1997 und die zitierenden Patente auf die Jahre 1990 bis 2002 limitiert sowie für alle Patente 5-Jahres Zitierungsfenster gewählt (vgl. Subkapitel 3.3). Eine große Anzahl der Regionspaare zitieren einander nicht (23.688 Paare). Dies deutet auf eine extreme schiefe Verteilung der Patentzitierungen hin, was durch einen JarqueBera-Test auf Normalverteilung bestätigt wird. 33.426 von 35.156 Regionspaaren zitieren sich weniger als zehnmal, danach fällt die Zitierungsfrequenz sehr stark ab. Die höchste Anzahl an interregionalen Zitierungen findet sich von der Region Düsseldorf zur Region Köln (351 Zitierungen). Hinsichtlich der geographischen Dimension der 98.191 Patentzitierungen zeigt sich im Zentrum Europas eine sehr hohe Intensität an Wissensflüssen. Ein Großteil ist innerhalb des Dreiecks Süd-Westdeutschland, Norditalien und Nordfrankreich lokalisiert. Eine hohe Anzahl an Wissensflüssen gibt es auch in den Südosten Großbritanniens sowie nach Dänemark, Südschweden (Stockholm und Malmö) und Südfinnland (Helsinki). Die peripheren Regionen Europas sind nur in geringem Ausmaß an Zitierungslinks in andere Regionen beteiligt. Die explorative Datenanalyse in Kapitel 3 deutet darauf hin, dass Wissensspillovers geographisch lokalisiert sind. In Kapitel 4 wird konkret die Stärke und die Signifikanz der geographischen Distanz als Barriere für Wissensspillovers gemessen. Zudem wird getestet, ob Wissensspillovers an Ländergrenzen signifikant abnehmen oder nicht. Im Rahmen eines von Jaffe, Trajtenberg und Henderson (1993) entwickelten „Case-Control-Matching“ Ansatzes kann die Annahme der Lokalisierung von Wissensspillovers unterstützt werden (vgl. Subkapitel 4.1). Der Ansatz vergleicht die Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierenden und zitierten Patenten mit der Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zufällig ausgewählten „Kontrollpatenten“ mit diesen zitierten Patenten. Die „Kontrollpatente“ müssen derselben technologischen Klasse und derselben zeitlichen Periode wie das zitierte Patent angehören und dürfen selbst keine Zitierungen aufweisen. Eine höhere geographische Ko-Lokalisierung bei den 137

Zitierungspaaren als bei den „Kontrollpatentenpaaren“ wird als Beleg für geographische Lokalisierungseffekte von Wissensspillovers interpretiert. Die Ergebnisse des „CaseControl-Matching“ Ansatzes unterstreichen eindeutig die Annahme der geographischen Lokalisierung von Wissensspillovers. Sowohl auf Länderebene als auch auf Ebene der 188 Regionen des Untersuchungsraums konnte eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit der geographischen Ko-Lokalisierung von zitierten Patenten mit ihren zitierenden Patenten festgestellt werden, als es aufgrund der räumlichen Ko-Lokalisierung mit den ausgewählten „Kontrollpatenten“ zu erwarten wäre. Nachdem der „Case-Control-Matching“ Ansatz keinen Aufschluss darüber gibt, wie stark der Lokalisierungseffekt von Wissensspillovers ist, wird in Subkapitel 4.2 im Modell Interregionaler Patentzitierungen explizit der Einfluss von geographischer Distanz und von Ländergrenzen auf Wissensspillovers gemessen. Da es sich bei Patentzitierungen um Interaktionen handelt, wird das Instrumentarium der räumlichen Interaktionsmodellierung verwendet. Zur Modellierung werden bei räumlichen Interaktionsmodellen in der Regel quell- und zielspezifische Variablen sowie solche, die die Separation zwischen Quell- und Zielregion messen, herangezogen (Fischer 2000). Im Modell Interregionaler Patentzitierungen wird die Separation durch die sphärische Luftliniendistanz zwischen den ökonomischen Zentren der Regionen, durch die Existenz von Länder- und Sprachraumgrenzen und durch die technologische Distanz erfasst. Technologische Distanz wird modellendogen kontrolliert, da Effekte der geographischen Distanz Effekte der technologischen Distanz zwischen zwei Regionen überlagern könnten. Aufgrund der ganzzahligen Natur von Patentzitierungen und der Verletzung der Normalverteilungsannahme bei OLS wird eine Poisson- bzw. Negativ-Binomial Spezifikation des räumlichen Interaktionsmodells gewählt. Die Ergebnisse des Modells Interregionaler Patentzitierungen zeigen, dass geographische Distanz eine signifikante Barriere für Wissensspillovers darstellt. Wissensspillovers zwischen Regionen verringern sich signifikant mit zunehmender Distanz zwischen diesen, wobei für zusätzliche 100km zwischen zwei Regionen i und j der mittlere (i, j)-Patentzitierungsfluss um 27,5% zurückgeht. Der negative Effekt der geographischen Distanz ist jedoch geringer als jener von Ländergrenzen. Die Existenz einer Ländergrenze zwischen zwei Regionen vermindert signifikant die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Wissensspillovers zwischen diesen. Dieser Befund unterstützt die Wichtigkeit der nationalen Maßstabsebene von räumlichen Innovationssystemen (vgl. Fischer 2001a). Den stärksten negativen Effekt auf Wissensspillovers zwischen Unternehmen der High-Tech Industrie hat die technologische Distanz. Wissensspillovers verlaufen verstärkt entlang von technologischen Trajektorien. Subkapitel 4.3 verdeutlicht, dass es beträchtliche sektorale Unterschiede in diesem Befund gibt. Die Ergebnisse sektoraler räumlicher Interaktionsmodelle für die vier untersuchten High-Tech Industrien (pharmazeutische Industrie, Elektronik und Kommunikation, Computer und Büromaschinen sowie Luft- und Raumfahrt) zeigen einen weitaus geringeren negativen Effekt der geographischen Distanz auf Wissensspillovers innerhalb des Sektors Elektronik und Kommunikation. Dies hängt offensichtlich mit dem verstärkten 138

Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der elektronischen Industrie zusammen. Am stärksten ist der Einfluss der geographischen Distanz in der pharmazeutischen Industrie. Computer und Büromaschinen ist der einzige Sektor, in dem der negative Effekt der geographischen Distanz größer ist als jener von Ländergrenzen. Im Sektor Luft- und Raumfahrt kann ein besonders starker negativer Einfluss von Ländergrenzen auf Wissensspillovers innerhalb dieses Sektors festgestellt werden. Ausblickend kann festgestellt werden, dass eine weitere Vereinheitlichung der europäischen Technologiepolitik notwendig ist, um ein europäisches Innovationssystem voran zu treiben. Auf europäischer Ebene scheint insbesondere die Stimulierung transnationaler Kooperationen von Bedeutung, um eine breitere Wissensdiffusion zu erzielen. Weitere Forschungsarbeiten sind zudem zur methodischen Weiterentwicklung der hier vorgestellten Modelle notwendig.

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148

Anhang Liste der untersuchten Regionen Land Österreich

Belgien

Bulgarien Schweiz Tschechien Deutschland

Nuts-Code AT11 AT12/AT13 AT21 AT22 AT31 AT32 AT33 AT34 BE10 BE21 BE22 BE23 BE24 BE25 BE31 BE32 BE33 BE34 BE35 BG00 CH00 CZ00 DE11 DE12 DE13 DE14 DE21 DE22 DE23 DE24 DE25 DE26 DE27 DE30 DE40 DE71 DE72 DE73 DE80 DE91 DE92 DE50/DE93 DE94 DEA1 DEA2 DEA3 DEA4 DEA5

Region Burgenland Niederösterreich/Wie Kärnten Steiermark Oberösterreich Salzburg Tirol Vorarlberg Bruxelles-Capital Antwerpen Limburg (B) Oost-Vlaanderen Vlaams Brabant West-Vlaanderen Brabant Wallon Hainaut Liège Luxembourg (B) Namur Bulgaria Switzerland Czech Republic Stuttgart Karlsruhe Freiburg Tübingen Oberbayern Niederbayern Oberpfalz Oberfranken Mittelfranken Unterfranken Schwaben Berlin Brandenburg Darmstadt Gießen Kassel MecklenburgBraunschweig Hannover Lüneburg/Bremen Weser-Ems Düsseldorf Köln Münster Detmold Arnsberg

Land

Dänemark Estland Spanien

Finnland

Frankreich

Nuts-Code DEB1 DEB2 DEB3 DEC0 DED1 DED2 DED3 DEE1 DEE2 DEE3 DE60/DEF0 DEG0 DK00 EE00 ES11/ES12/ES13 ES21 ES22/ES23/ES24 ES30 ES41 ES42 ES43 ES51 ES52 ES61 ES62 FI13 FI14 FI15 FI16 FI17 FR10 FR21 FR22 FR23 FR24 FR25 FR26 FR30 FR41 FR42 FR43 FR51 FR52 FR53 FR61 FR62 FR63 FR71

Region Koblenz Trier Rheinhessen-Pfalz Saarland Chemnitz Dresden Leipzig Dessau Halle Magdeburg SchleswigThüringen Denmark Estland Galicia/Asturias Pais Vasco Aragon/La Madrid Castilla y León Castilla-la Mancha Extremadura Cataluña Valenciana Andalucia Región de Murcia Itä-Suomi Väli-Suomi Pohjois-Suomi Uusimaa Etelä-Suomi Île de France Champagne-Ardenne Picardie Haute-Normandie Centre Basse-Normandie Bourgogne Nord - Pas-de-Calais Lorraine Alsace Franche-Comté Pays de la Loire Bretagne Poitou-Charentes Aquitaine Midi-Pyrénées Limousin Rhône-Alpes

149

Forts.

Land

Griechenland Ungarn Irland Italien

Litauen Luxembourg Lettland Niederlande

Norwegen Polen Portugal Rumänien Schweden

150

Nuts-Code FR72 FR81 FR82 GR00 HU00 IE00 IT11 IT12 IT13 IT20 IT31 IT32 IT33 IT40 IT51 IT52 IT53 IT60 IT71 IT72 IT80 IT91 IT92 IT93 ITA0 ITB0 LT00 LU00 LV00 NL11 NL12 NL13 NL21 NL22 NL23 NL31 NL32 NL33 NL34 NL41 NL42 NO00 PL00 PT11/PT12/PT14/PT15 PT13 RO00 SE01 SE02 SE04

Region Auvergne Languedoc Côte d'Azur Greece Hungary Ireland Piemonte Valle d'Aosta Liguria Lombardia Trentino Veneto Friuli-Venezia Emilia-Romagna Toscana Umbria Marche Lazio Abruzzo Molise Campania Puglia Basilicata Calabria Sicilia Sardegna Lithuania Luxembourg Latvia Groningen Friesland Drenthe Overijssel Gelderland Flevoland Utrecht Noord-Holland Zuid-Holland Zeeland Noord-Brabant Limburg (NL) Norway Poland rural Portugal Lisbon Region Romania Stockholm Östra Sydsverige

Land

Slovenien Slovakei Grossbritannien

Nicht inkludiert

Nuts-Code SE06 SE07 SE08 SE09 SE0A SI00 SK00 UKC1 UKC2 UKD1 UKD2 UKD3 UKD4 UKD5 UKE1 UKE2 UKE3 UKE4 UKF1 UKF2 UKF3 UKG1 UKG2 UKG3 UKH1 UKH2 UKH3 UKI1/UKI2 UKJ1 UKJ2 UKJ3 UKJ4 UKK1 UKK2 UKK3 UKK4 UKL1 UKL2 UKM1 UKM2 UKM3 UKM4 UKN0

Region Norra Mellersta Norrland Övre Norrland Småland med Västsverige Slovenija Slovakia Tees Valley Northumberland Cumbria Cheshire Gr. Manchester Lancashire Merseyside East Riding North Yorkshire South Yorkshire West Yorkshire Derbyshire & Leicestershire Lincolnshire Herefordshire Shropshire & West Midlands East Anglia Bedfordshire. Essex London Region Berkshire Surrey Hampshire Kent Gloucestershire Dorset Cornwall Devon West Wales East Wales NE Scotland Eastern Scotland SW Scotland Highlands Northern Ireland

ES53 ES70 FI20 FR83 PT20 PT30

Baleares Canares Aland Corse Acores Madeira

Liste der High-Tech IPC-Patentklassen Luft- und Raumfahrt B 64: B64B:

Aircraft; Aviation; Cosmonautics Lighter-than-air aircraft (ground installations for aircraft in general B64F)

B64C:

Aeroplanes; Helicopters (air-cushion vehicles B60V)

B64D:

Equipment for fitting in or to aircraft; Flying suits; Parachutes; Arrangements or mounting of power plants or propulsion transmissions

B64F:

Ground or aircraft-carrier-deck installations

B64G:

Cosmonautics; Vehicles of Equipment there for

Computer & Büromaschinen B 41: B41J:

Printing; Lining Machines; Stamps Typewriters; Selective printing mechanisms, i.e. Mechanisms printing otherwise than from a form; Correction of typographical errors

B41L:

Apparatus of devices for manifolding, duplicating, or printing for office or other commercial purposes; Addressing machines or like series-printing machines

G 06: G06C:

Computing; Calculating; Counting Digital computers in which all the computation is effected mechanically

G06E:

Optical computer devices

G06F:

Electrical digital data processing

G06G:

Analogue computers

G06J:

Hybrid computing arrangements

G06K:

Recognition of data; Presentation of data; Record carriers; Handling record carriers

G06M:

Counting mechanisms; Counting of objects not otherwise provided for

G 11:

Information storage

G11B:

Information storage based of relative movement between record carrier and transducer

G11C:

Static stores

G 08: G 08 C:

Signalling Transmission systems for measured values, control or similar signals

151

G 09: G09B:

Educating; Cryptography; Display; Advertising; Seals Educational or demonstration appliances; Appliances for teaching, or communicating with, the blind, deaf or mute; Models; Planetaria; Globes; Maps; Diagrams

Elektronik & Kommunikation H 01:

Basic electric elements

H01C:

Resistors

H01L:

Semiconductor devices; Electric solid state devices not otherwise provided for

H01P:

Waveguides; Resonators, lines, or other devices of the waveguide type

H01Q:

Aerials

H 03: H03B:

Basic electronic circuitry Generation of oscillations, directly of by frequency-changing, by circuits employing active elements which operate in a non-switching manner; Generation of noise by such circuits

H03C:

Modulation

H03D:

Demodulation of transference of modulation from one carrier to another

H03F:

Amplifiers

H03G:

Control of amplification

H03H:

Impedance networks, e.g. resonant circuits; Resonators

H03J:

Tuning resonant circuits; Selecting resonant circuits

H03K:

Pulse technique

H03L:

Automatic control, starting, synchronisation, or stabilisation of generators of electronic oscillations or pulses

H 04:

Electric communication technique

H04B:

Transmission

H04H:

Broadcast communication

H04J:

Multiplex communication

H04K:

Secret communication; Jamming of communication

H04L:

Transmission of digital information, e.g. Telegraphic communication

H04M:

Telephonic communication

H04N:

Pictorial communication e.g. Television

H04Q:

Selecting

H04R:

Loudspeakers, microphones, gramophone pick-ups or like acoustic electromechanical transducers; Dead-aid sets; Public address systems

152

H04S:

H 05: H05K:

Stereophonic systems

Electric techniques not otherwise provided for Printed circuits; Casings or constructional details of electric apparatus; Manufacture of assemblages of electrical components

Pharmazeutik A 61: A61J:

Medical of veterinary science; Hygiene Containers specially adapted for medical or pharmaceutical purposes; Devices or methods specially adapted for bringing pharmaceutical products into particular physical or administering forms; Devices for administering food or medicines orally; Baby comforters; Devices for receiving spittle

A61K:

C 07:

Preparations for medical, dental, or toilet purposes

Organic chemistry

C07B:

General methods of organic chemistry; Apparatus there for

C07C:

Acyclic or carbocyclic compounds

C07D:

Heterocyclic compounds

C07F:

Acyclic, carbocyclic, or heterocyclic compounds containing elements other than carbon, hydrogen, halogen, oxygen, nitrogen, sulphur, selenium, or tellenium

C07G:

Compounds of unknown constitution

C07H:

Sugars, Derivatives thereof; Nucleosides; Nucleotides; Nucleic acids

C07J:

Steroids

C07K:

Peptides

C12:

Biochemistry; Beer; Spirits; Wine; Vinegar; Microbiology; Enzymology; Mutation or genetic engineering

C12N: C12P:

Micro-organisms or enzymes, compositions thereof Fermentation of enzyme-using processes to synthesise a desired chemical compound or composition or to separate optical isomers from a racemic mixture

C12S:

Processes using enzymes or micro-organisms to liberate, separate or purify a pre-existing compound or Composition

153

Relationales Basis-Datenbankmodell (Entity-Relationship-Model) CC PRD

PN

Patents by Classes

PN AID

Previous Publications

Name

Primärschlüssel

PN

Postcode Applicant

PD

City

Patent

AD

AID

Country IID

PN

ET

Nuts citing

cited

Patents by Inventors

IID Name

Citation

PN

CitPN

Inventor

Postcode City Country Nuts

Anmerkung: Die Kästchen repräsentieren Tabellen, die ovalen Felder die dazugehörigen Spalten Legende: AD Applications Date AID Applicant ID CC Class Code CitPN Cited Publication Number ET English Title IID Inventor ID PD Publication Date PN Publication Number PRD Priority Date

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