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German Pages 245 Year 2007
Karl-Hendrik Magnus Erfolgreiche Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Konsumgüterherstellern
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Karl-Hendrik Magnus
Erfolgreiche Supply-ChainKooperation zwischen Einzelhandel und Konsumgüterherstellern Eine empirische Untersuchung der Händlerperspektive
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Thonemann
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Münster, 2006 D6
. . 1. Au 1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Sabine Schöller Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0644-7
Geleitwort
V
Geleitwort "Wie intensiv und in welchen Bereichen der Supply Chain sollte ich mit meinen Herstellern kooperieren?" Diese und ähnliche Fragen stellen sich fast alle Handelsunternehmen und beschäftigen dabei auch das Top Management. Internationale Initiativen wie ECR (Efficient Consumer Response) und GCI (Global Commerce Initiative) spiegeln die Bedeutung wider, die Unternehmen der Supply-Chain-Kooperation beimessen. Der Grundtenor bei den Händlern ist, dass durch eine Zusammenarbeit mit den Herstellern Effizienzsteigerungen möglich sind, die im Alleingang nicht erreichbar wären. Sieht man jedoch genauer hin, wird deutlich, wie groß die Bandbreite bei der Beurteilung der Kooperation ist. Einige Händler sind nach wie vor skeptisch und nutzen die Potenziale von Kooperationen kaum oder gar nicht, während immer mehr Händler das andere Extrem repräsentieren: Sie betrachten die Kooperation als Allheilmittel und laufen damit Gefahr, bei Kooperationsprojekten unfokussiert vorzugehen; sie investieren viel und erreichen wenig.
Durch die vorliegenden Arbeit ist es gelungen die anhaltende und meist wenig faktenbasierte Diskussion zur Hersteller-Händler Kooperation um einen dringend benötigten theoretisch und empirisch fundierten Beitrag zu ergänzen Das dargestellte Wirkungsmodell wurde auf Basis der organisationstheorethischen Überlegungen zur interorganisationalen Kooperation abgeleitet. Die Überprüfung erfolgte auf Basis einer umfangreichen Stichprobe von Handelsunternehmen und mittels des Partial Least Squares (PLS)-Ansatzes. Die Methodik von PLS ist im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt und wird in der vorliegenden Arbeit umfassend dargestellt.
Die Arbeit enthält viele hoch interessante Resultate und gibt konkrete Hanndlungsempfehlungen zur Ausgestaltung von Supply-Chain-Kooperationen. Es wird empirisch nachgewiesen, dass nicht jede Form der Supply-Chain-Kooperation erfolgssteigernd ist. Daher sind eine differenzierte Betrachtung der Kooperationsmöglichkeiten sowie eine genaue Erfolgsmessung anzuraten. Die Arbeit ist so aufgebaut und geschieben, dass Sie Forschern und Praktikern Freude beim Lesen bereitet.
Prof. Dr. Ulrich Thonemann
Vorwort
VII
Vorwort Die Zeichen stehen auf Kooperation. Bei fast allen Händlern laufen Initiativen zur Zusammenarbeit mit den Herstellern. Doch Vorsicht: Kooperationen führen nicht automatisch zum Erfolg. Zu häufig sind Kooperationen reiner Selbstzweck und dienen primär dazu, von schwachen Leistungen im operativen Tagesgeschäft der Supply Chain abzulenken. Das Management ist deshalb aufgefordert, Ziel und Erfolg einer möglichen Kooperation genau zu definieren. Ein publikumswirksamer Vortrag über die gegenseitige Annäherung zwischen Handel und Konsumgüterherstellern kann der alleinige Zweck der Kooperation nicht sein. Der SupplyChain-Vorstand eines sehr erfolgreichen Handelsunternehmens brachte es im Rahmen der Interviews, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, auf den Punkt: „Dort, wo die Kooperation zum Kaffeeklatsch verkommt und der Erfolg nicht messbar ist, sind wir sehr vorsichtig“. Ich freue mich daher sehr mit dieser Dissertation einen faktenbasierten Beitrag zur Bewertung der Hersteller-Händler-Kooperation zu leisten und die Voraussetzungen einer erfolgreichen Kooperation aufzuzeigen.
Einen sehr großen Anteil an der erfolgreichen Erstellung dieser Dissertation hatte mein Doktorvater Herr Prof. Dr. Ulrich Thonemann, dem ich an dieser Stelle ganz besonders danken möchte. Er hat mich konstruktiv unterstützt, ohne meine gestalterischen Freiräume einzuengen und stand mir jederzeit mit viel Energie und einem stets offenen Ohr als kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung. Einen solch unkomplizierten und intensiven Austausch kann sich jeder Doktorand nur wünschen - vielen Dank dafür! Parallel danke ich Prof. Dr. Gerhard Schewe für die Übernahme des Korefererats, denn insbesondere zur Organisationstheorie und empirischen Methodik habe ich viel von ihm gelernt.
Die Arbeit an dieser Dissertation hat mir gezeigt, dass eine skeptische Überprüfung vieler SupplyChain-Kooperationen sinnvoll ist. Gleichzeitig bin ich aber von einer anderen Kooperation sehr begeistert und möchte diese zur Nachahmung empfehlen. Die vorliegende Dissertation ist Teil eines gemeinsamen Projektes zum Supply-Chain-Management im Einzelhandel zwischen der Unternehmensberatung McKinsey & Company und dem Lehrstuhl von Prof. Thonemann. Diese Kooperation war ein voller Erfolg. Dank der Teilnahme vieler namhafter europäischer Handelsunternehmen und verschiedener Supply-Chain-Experten konnte das bisher wahrscheinlich umfassendste Know How zum Supply Chain Managment im Handel aufgebaut und veröffentlicht werden. Zahlreiche Publikationen in Fach- und Tagespresse haben das Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und viele intensive und noch anhaltende Diskussionen
Vorwort
VIII
ermöglicht. Das im Rahmen der Kooperation entstandene Buch "Supply Chain Excellence im Handel" (Gabler Verlag) wurde nicht nur von Logistikleitern sondern vor allem auch von logistikfremden Handelsvorständen begeistert aufgenommen. Die Dissertation liefert dringend benötigte und spannende empirische Ergebnisse zum Trend der Hersteller-Händler-Kooperation Eine solch erfolgreiche Kooperation zwischen Forschung und Praxis ist nur mit hohen Anstrengungen beider Seiten möglich. Neben Prof. Thonemann, danke ich daher auch herzlich meinen Kollegen Klaus Behrenbeck und Jörn Küpper. Sie haben diese Zusammenarbeit ermöglicht, mich stets gefordert und freundschaftlich unterstützt. Zudem gilt mein Dank Jochen Großpietsch und Markus Leopoldseder, deren Supply Chain Know How mir sehr geholfen und mich immer wieder beeindruckt hat.
Danken möchte ich zudem meiner Freundin Julia und zahlreichen Freunden, die mir kreative Inspirationen abseits von Supply Chain und Laptop gegeben haben. Die exzellenten Rahmenbedingungen für meinen gesamten bisherigen Werdegang haben meine Eltern geschaffen. Sie sind stets meine Vorbilder gewesen und haben mich in meinen Vorhaben ohne Vorbehalt unterstützt. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar und widme Ihnen diese Arbeit.
Karl-Hendrik Magnus
Inhaltsübersicht
IX
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................ XI Abbildungsverzeichnis ...............................................................................................................XV Tabellenverzeichnis ................................................................................................................ XVII Abkürzungsverzeichnis............................................................................................................ XIX 1. Einleitung .................................................................................................................................. 1 1.1
Ausgangssituation............................................................................................................. 1
1.2
Zielsetzung und Gang der Arbeit...................................................................................... 4
1.3
Beitrag zur Forschung ...................................................................................................... 7
2. Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt ..................................... 11 2.1
Einzelhandel und Konsumgüterhersteller....................................................................... 11
2.2
Supply Chain und Supply-Chain-Management .............................................................. 15
2.3
Kooperation und Supply-Chain-Kooperation................................................................. 20
2.4
Supply-Chain-Erfolg ...................................................................................................... 28
3. Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation ............................................... 39 3.1
Ansätze der Neuen Institutionenökonomie..................................................................... 42
3.2
Ergänzende Perspektive: Theorie des Relational View.................................................. 83
3.3
Ergänzende Perspektive: Situative Einflussfaktoren .................................................... 105
3.4
Darstellung des Wirkungsmodells................................................................................ 112
4. Design der empirischen Studie ............................................................................................ 115 4.1
Auswahl von Erhebungsmethode und Erhebungsinstrument ....................................... 115
4.2
Gestaltung des Erhebungsinstruments.......................................................................... 118
4.3
Datenerhebung und Stichprobe .................................................................................... 127
5. Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse............................................................. 133 5.1
Grundlagen des Partial Least Squares (PLS)-Ansatzes ................................................ 133
5.2
Gütebeurteilung und Bewertung von PLS-Pfadmodellen ............................................ 154
5.3
Empirische Ergebnisse ................................................................................................. 165
5.4
Bewertung der Hypothesen .......................................................................................... 182
6. Schlussfolgerungen ............................................................................................................... 187 6.1
Zusammenfassung der Ergebnisse................................................................................ 187
6.2
Fazit und Ausblick für die Forschung zur Supply-Chain-Kooperation........................ 191
6.3
Handlungsempfehlungen für das Supply-Chain-Management im Einzelhandel.......... 197
Anhang ....................................................................................................................................... 203 Literaturverzeichnis.................................................................................................................. 211
Inhaltsverzeichnis
XI
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht ........................................................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis........................................................................................................................ XI Abbildungsverzeichnis ...............................................................................................................XV Tabellenverzeichnis ................................................................................................................ XVII Abkürzungsverzeichnis............................................................................................................ XIX 1. Einleitung .................................................................................................................................. 1 1.1
Ausgangssituation............................................................................................................. 1
1.2
Zielsetzung und Gang der Arbeit...................................................................................... 4
1.3
Beitrag zur Forschung ...................................................................................................... 7
2. Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt ..................................... 11 2.1
Einzelhandel und Konsumgüterhersteller....................................................................... 11 2.1.1 Untersuchungsfeld Einzelhandel .......................................................................... 11 2.1.2 Untersuchungsfeld Konsumgüterhersteller........................................................... 14
2.2
Supply Chain und Supply-Chain-Management .............................................................. 15 2.2.1 Begriffsbestimmung ............................................................................................. 15 2.2.2 Supply-Chain-Management im Einzelhandel....................................................... 17
2.3
Kooperation und Supply-Chain-Kooperation................................................................. 20 2.3.1 Begriffsbestimmung und Kooperationsformen .................................................... 20 2.3.2 Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Herstellern ................... 22
2.4
Supply-Chain-Erfolg ...................................................................................................... 28 2.4.1 Definition und Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs............................ 29 2.4.2 Messung des Supply-Chain-Erfolgs im Einzelhandel .......................................... 31 2.4.2.1 Messung des Outputs 32 2.4.2.2 Messung des Inputs 34 2.4.2.3 Zusammenfassung der drei Kennzahlen zu einer einzigen Erfolgskennzahl 36
3. Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation ............................................... 39 3.1
Ansätze der Neuen Institutionenökonomie..................................................................... 42 3.1.1 Ursprünge und Grundlagen der Neuen Institutionenökonomie ............................ 42 3.1.2 Grundlagen der Transaktionskostentheorie .......................................................... 45 3.1.3 Grundlagen der Principal-Agent-Theorie ............................................................. 48 3.1.4 Grundlagen der Property-Rights-Theorie ............................................................. 52 3.1.5 Kooperation aus Sicht der Neuen Institutionenökonomie .................................... 54 3.1.5.1 Erklärungsansätze aus Sicht der Transaktionskostentheorie 54 3.1.5.2 Erklärungsansätze aus Sicht der Principal-Agent-Theorie 58 3.1.5.3 Erklärungsansätze aus Sicht der Property-Rights-Theorie 61
Inhaltsverzeichnis
XII 3.1.5.4
Wirkungszusammenhang zwischen Kooperation und Erfolg
64
3.1.6 Einflussfaktoren aus Sicht der Neuen Institutionenökonomie.............................. 66 3.1.6.1 Einflussfaktor formelle Governance 67 3.1.6.2 Einflussfaktor kooperationsspezifische Faktoren 72 3.1.6.3 Einflussfaktor Transparenz 75 3.1.7 Defizite der Neuen Institutionenökonomie........................................................... 79 3.2
Ergänzende Perspektive: Theorie des Relational View.................................................. 83 3.2.1 Grundlagen: Resource-based View und Competence-based View ...................... 84 3.2.2 Erklärungsansätze der Kooperation im RBV und CBV ....................................... 87 3.2.3 Kooperation aus Sicht des Relational View ......................................................... 91 3.2.4 Einflussfaktoren aus Sicht des Relational View ................................................... 95 3.2.4.1 Einflussfaktor soziale Netzwerke 95 3.2.4.2 Einflussfaktor Kooperationskompetenz 99 3.2.4.3 Einflussfaktor Zugang zu komplementären Kompetenzen 102
3.3
Ergänzende Perspektive: Situative Einflussfaktoren .................................................... 105 3.3.1 Grundlagen des Situativen Ansatzes .................................................................. 106 3.3.2 Einflussfaktor Verhandlungsmacht..................................................................... 108 3.3.3 Einflussfaktor Komplexität der Supply Chain.................................................... 110
3.4
Darstellung des Wirkungsmodells................................................................................ 112
4. Design der empirischen Studie ............................................................................................ 115 4.1
Auswahl von Erhebungsmethode und Erhebungsinstrument ....................................... 115
4.2
Gestaltung des Erhebungsinstruments.......................................................................... 118 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
4.3
Gewählte Interviewform..................................................................................... 118 Verwendete Skalen ............................................................................................. 118 Operationalisierung des Untersuchungsgegenstands.......................................... 123 Ausgestaltung der Interviews ............................................................................. 126
Datenerhebung und Stichprobe .................................................................................... 127
5. Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse............................................................. 133 5.1
Grundlagen des Partial Least Squares (PLS)-Ansatzes ................................................ 133 5.1.1 Strukturgleichungsmodelle mit latenten Variablen ............................................ 133 5.1.2 Auswahl des Verfahrens zur Modellschätzung .................................................. 139 5.1.3 Der PLS-Algorithmus......................................................................................... 145
5.2
Gütebeurteilung und Bewertung von PLS-Pfadmodellen ............................................ 154 5.2.1 Gütemaße zur Beurteilung des Messmodells...................................................... 155 5.2.2 Gütemaße zur Beurteilung des Strukturmodells................................................. 160 5.2.3 Beurteilung mediierender Effekte im Strukturmodell ........................................ 163
5.3
Empirische Ergebnisse ................................................................................................. 165 5.3.1 Berechnung und Überprüfung des Modells anhand des PLS-Ansatzes ............. 165 5.3.2 Beurteilung des Messmodells ............................................................................. 167 5.3.3 Beurteilung des Strukturmodells ........................................................................ 172
Inhaltsverzeichnis
XIII
5.3.4 Berechnung mediierender Effekte ...................................................................... 178 5.4
Bewertung der Hypothesen .......................................................................................... 182
6. Schlussfolgerungen ............................................................................................................... 187 6.1
Zusammenfassung der Ergebnisse................................................................................ 187
6.2
Fazit und Ausblick für die Forschung zur Supply-Chain-Kooperation........................ 191 6.2.1 Einordnung der gewonnenen Erkenntnisse......................................................... 191 6.2.2 Implikationen für die weitere Forschung............................................................ 196
6.3
Handlungsempfehlungen für das Supply-Chain-Management im Einzelhandel.......... 197
Anhang A: Fragebogen ............................................................................................................. 203 Anhang B: Quadrierte Korrelationen zwischen den Konstrukten....................................... 209 Literaturverzeichnis.................................................................................................................. 211
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1:
Gang der Arbeit .................................................................................................. 7
Abbildung 2-1:
Zentrale Prozesse im Supply-Chain-Management des Einzelhandels.............. 19
Abbildung 2-2:
Kooperationsrichtungen.................................................................................... 21
Abbildung 2-3:
Kooperationsformen und Messung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Hersteller ....................................................................... 27
Abbildung 2-4:
Kennzahlenhierarchie im Supply-Chain-Management des Einzelhandels ....... 30
Abbildung 2-5:
Leistungsdimensionen des Supply-Chain-Erfolgs im SCOR-Modell auf 1. Ebene ............................................................................................................ 31
Abbildung 2-6:
Kundenreaktion bei Regallücken...................................................................... 34
Abbildung 2-7:
Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs im Handel .............................. 36
Abbildung 2-8:
Berechnung der Kennzahl "Supply-Chain-Erfolg"........................................... 38
Abbildung 3-1:
Gegenüberstellung ausgewählter theoretischer Ansätze zur Kooperation........ 39
Abbildung 3-2:
Wirkungsmodell zur Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern......................................................................................................... 41
Abbildung 3-3:
Abgrenzung der theoretischen Ansätze der Neuen Institutionenökonomie...... 45
Abbildung 3-4:
Einflussgrößen der Transaktionskosten ("organizational failure framework")...................................................................................................... 46
Abbildung 3-5:
Klassifizierung der Informationsasymmetrie in der Principal-AgentTheorie .............................................................................................................. 50
Abbildung 3-6:
Einfluss der Spezifität auf die Organisationsform ............................................ 55
Abbildung 3-7:
Erklärungsansätze der Kooperation in der Neuen Institutionenökonomie ....... 65
Abbildung 3-8:
Ableitung der Hypothesen auf Basis der Neuen Institutionen Ökonomie ........ 78
Abbildung 3-9:
Abgrenzung ressourcenorientierter Forschungsansätze.................................... 84
Abbildung 3-10: Aufgabe der Kooperation im Kompetenzmanagement des CBV ..................... 89 Abbildung 3-11: Quellen der relationalen Renten nach DYER/SINGH .......................................... 92 Abbildung 3-12: Ableitung der Hypothesen auf Basis des Relational View ............................. 105 Abbildung 3-13: Ableitung der Hypothesen zu den strukturellen Einflussfaktoren .................. 111 Abbildung 3-14: Operationalisiertes Wirkungsmodell zur Supply-Chain-Kooperation.............. 113 Abbildung 4-1:
Vor- und Nachteile verschiedener Erhebungsformen..................................... 117
Abbildung 4-2:
Skalenniveaus und ihre Eigenschaften ........................................................... 119
Abbildung 4-3:
Ausschnitt aus dem verwendeten Fragebogen................................................ 122
Abbildung 4-4:
Grundgesamtheit und Rücklaufquote der empirischen Untersuchung ........... 129
Abbildung 4-5:
Ausgewählte Charakteristika der Stichprobe.................................................. 131
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5-1:
Aufbau eines Strukturgleichungsmodells mit latenten Variablen .................. 135
Abbildung 5-2:
Gegenüberstellung reflektives und formatives Messmodell........................... 137
Abbildung 5-3:
Vergleich zwischen Kovarianzstrukturanalyse und PLS-Ansatz ................... 144
Abbildung 5-4:
Schematische Darstellung des PLS-Algorithmus ........................................... 147
Abbildung 5-5:
Iterationsschritte des PLS-Algorithmus.......................................................... 153
Abbildung 5-6:
Vorgehen zur Gütebeurteilung des reflektiven Messmodells......................... 159
Abbildung 5-7:
Vorgehen zur Gütebeurteilung des Strukturmodells....................................... 163
Abbildung 5-8:
Moderierender und mediierender Wirkungszusammenhang .......................... 164
Abbildung 5-9:
Darstellung des überprüften Pfadmodells in SmartPLS ................................. 166
Abbildung 5-10: Wirkungsmodell mit signifikanten Pfaden ..................................................... 177 Abbildung 5-11: Mediierende Effekte im Wirkungsmodell ...................................................... 178 Abbildung 5-12: Signifikanztest des "zweistufig mediierenden Effekts" .................................. 180 Abbildung 6-1:
Einflussfaktoren des Supply-Chain-Erfolgs ................................................... 191
Abbildung 6-2:
Schritt für Schritt zu einer erfolgreichen Supply-Chain-Kooperation............ 201
Tabellenverzeichnis
XVII
Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1:
Die zehn größten europäischen Einzelhandelsunternehmen............................. 14
Tabelle 2-2:
Die zehn größten Konsumgüterhersteller der Welt (ohne Tabakunternehmen) .......................................................................................... 15
Tabelle 3-1:
Operationalisierung des Konstrukts "formelle Governance"............................ 72
Tabelle 3-2:
Operationalisierung des Konstrukts "kooperationsspezifische Faktoren" ........ 75
Tabelle 3-3:
Operationalisierung des Konstrukts "Transparenz".......................................... 78
Tabelle 3-4:
Operationalisierung des Konstrukts "soziales Netzwerk" ................................ 99
Tabelle 3-5:
Operationalisierung des Konstrukts "interne Kooperationskompetenz" ........ 102
Tabelle 3-6:
Operationalisierung des Konstrukts "Zugang zu komplementären Kompetenzen"................................................................................................. 105
Tabelle 3-7:
Operationalisierung des Konstrukts "Verhandlungsmacht" ........................... 109
Tabelle 3-8:
Operationalisierung des Konstrukts "Komplexität der Supply Chain"........... 111
Tabelle 4-1:
Operationalisierung von Erfolg und Kooperationsintensität .......................... 124
Tabelle 4-2:
Operationalisierung der Einflussfaktoren ....................................................... 125
Tabelle 5-1:
Notation des Strukturgleichungsmodells ........................................................ 136
Tabelle 5-2:
Indikatorreliabilität und -signifikanz der reflektiven Messmodelle................ 169
Tabelle 5-3:
Indikatorreliabilität und –Signifikanz des formativen Messmodells .............. 169
Tabelle 5-4:
Konvergenzvalidität der Messmodelle ........................................................... 170
Tabelle 5-5:
Diskriminanzvalidität der Messmodelle ......................................................... 171
Tabelle 5-6:
Pfadkoeffizienten und Signifikanz der Kooperationsintensität ...................... 173
Tabelle 5-7:
Pfadkoeffizienten und Signifikanz der Einflussfaktoren ................................ 174
Tabelle 5-8:
Bestimmtheitsmaße der abhängigen Konstrukte ............................................ 175
Tabelle 5-9:
Überprüfung des substanziellen Erklärungsbeitrags....................................... 175
Tabelle 5-10:
Signifikanz der mediierenden Effekte 1 bis 4................................................. 179
Tabelle 5-11:
Signifikanz des 5. mediierenden Effekts ........................................................ 181
Tabelle 5-12:
Berechnung der Gesamteffekte aus direkten und indirekten Effekten ........... 181
Tabelle 5-13:
Zusammenfassende Bewertung der theoretisch abgeleiteten Hypothesen ..... 183
Tabelle 6-1:
Signifikante Gesamteffekte des Wirkungsmodells......................................... 188
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis CAGR
Cumulative Average Growth Rate
CBV
Competence-based View
CCG
Centrale für Coorganisation
CPFR
Collaborative Planning Forecasting and Replenishment
ECR
Efficient Consumer Response
EDI
Electronic Data Interchange
Eds.
Editors
et al.
et alii
f.
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ff.
fortfolgende [Seiten]
FMCG
Fast Moving Consumer Goods
Hrsg.
Herausgeber
IT
Informationstechnologie
Jg.
Jahrgang
NIÖ
Neue Institutionenökonomie
No.
Number
Nr.
Nummer
o. V.
ohne Verfasser
PLS
Partial Least Squares
POS
Point of sale
RBV
Resource-based View
RFID
Radio Frequency Identification
S.
Seite(n)
SCM
Supply-Chain-Management
SCOR
Supply Chain Operations Reference
SKU
Stock Keeping Unit
vgl.
vergleiche
VMI
Vendor Managed Inventory
XIX
Kapitel 1 - Einleitung
1
1. Einleitung Die vorliegende Arbeit untersucht die Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhändlern und Konsumgüterherstellern aus Sicht des Händlers. Auf Basis theoretischer Überlegungen und der bisher größten empirischen Untersuchung zum Supply-Chain-Management im europäischen Handel werden konkrete Handlungsempfehlungen zur Steigerung des Supply-Chain-Erfolgs mittels fokussierter Kooperationen gegeben. In diesem Kapitel wird zunächst die Relevanz der Untersuchung anhand der Ausgangssituation verdeutlicht (Abschnitt 1.1), anschließend der Gang der Arbeit erläutert (Abschnitt 1.2) und der Beitrag, den die Untersuchung zur Forschung leistet, dargestellt (Abschnitt 1.3).
1.1 Ausgangssituation Aufgrund anhaltend niedriger Umsatzmargen vieler europäischer Einzelhändler ist in den vergangenen Jahren die Effizienz der Lieferkette zunehmend in den Fokus des Managements und der betriebswirtschaftlichen Forschung gerückt. Motiviert durch die Erfolgsnachrichten aus anderen Branchen wie beispielsweise der Automobilindustrie versprechen sich die Händler von einem funktionsübergreifenden Supply-Chain-Management niedrigere Kosten und Bestände sowie bessere Leistungen für den Kunden. Ziel des Supply-Chain-Managements ist es, die Güterund Informationsflüsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette so zu gestalten, dass durch eine eng abgestimmte Koordination der einzelnen Prozesse eine höhere Supply-Chain-Leistung und ein dauerhafter Wettbewerbsvorteil erreicht werden.1 In der betriebswirtschaftlichen Forschung konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Supply-Chain-Leistung einen positiven Einfluss
auf
den
Unternehmenserfolg
aufweist.2
So
zeigen
beispielsweise
HARTWIG/RICHTER/SEIDL, dass sich im deutschen Einzelhandel sogar 45 Prozent aller Unterschiede im Unternehmenserfolg auf die Supply-Chain-Leistung zurückführen lassen.3
Der Fokus des modernen Supply-Chain-Managements geht deutlich über die Grenzen des eigenen Unternehmens hinaus: Die Optimierung der gesamten Lieferkette setzt eine interorganisationale Koordination mit den vor- und nachgelagerten Unternehmen der Wertschöpfungskette voraus. Bereits 1994, vor mehr als zehn Jahren, wies eine Studie auf die Bedeutung der Supply-ChainKooperation zwischen Handel und Herstellern hin und quantifizierte das Renditepotenzial
1 2 3
Vgl. Monzka/Trent/Handfield (2002, S. 5 f.). Vgl. D'Avanzo (2003, S. 4). Vgl. Hartwig/Richter/Seidl (2004, S. 4 ff.).
Kapitel 1 - Einleitung
2
einer intensiven Kooperation auf eine um 1,5 bis 2,5 Prozentpunkte höhere Umsatzmarge.4 Diese vom COCA-COLA RETAILING RESEARCH COUNCIL herausgegebene Studie mit dem Titel "Kooperation zwischen Industrie und Handel im Supply Chain Management" wird von vielen Händlern als "Augenöffner" betrachtet und stieß in Europa eine andauernde, lebhafte Debatte über die Supply-Chain-Kooperation an.
Seither hat sich das ehemals angespannte Verhältnis zwischen Händlern und Herstellern gewandelt: beide erachten die Supply-Chain-Kooperation heute als eine Möglichkeit für die Realisierung von Einsparungen und eine Verbesserung ihres Angebots. Welch zentrale Bedeutung die Kooperation mittlerweile einnimmt, spiegelt sich auch in der von Händlern und Herstellern gemeinsam gegründeten Initiative Efficient Consumer Response (ECR) wider: In Arbeitsgruppen und auf Konferenzen tauschen sich hier die Entscheidungsträger aus Konsumgüterindustrie und Handel aus, entwickeln kooperative Konzepte und setzen gemeinsame Standards. Das Thema Kooperation beschäftigt bei Händlern wie Herstellern das Topmanagement. Dies ist aus den Teilnehmerlisten der ECR-Konferenzen deutlich ersichtlich und wird durch die Besetzung des ECR-Vorstands weiter unterstrichen. Diesen übernahmen im Jahr 2005 Hans-Joachim Körber (CEO, Metro) und Thony Ruys (CEO, Heineken) von Terry Leahy (CEO, Tesco) und Franck Riboud (CEO, Danone). Auch in der Fachpresse des Einzelhandels hat sich die Kooperation zu einem der zentralen Themen entwickelt. So wurden in den Zeitschriften "Retail Week" (England), "Points de Ventes" (Frankreich) sowie "Lebensmittel Zeitung" und "Der Handel" (beide Deutschland) seit 1997 jedes Jahr über 140 Beiträge zu ECR und eine Vielzahl weiterer zu einzelnen Kooperationsthemen veröffentlicht.5
Diese hohe Relevanz hat über die letzten Jahre hinweg zu einem deutlich gesteigerten Informationsaustausch zwischen Handel und Herstellern geführt. Der Einsatz von EDI (Electronic Data Interchange) ist für viele Unternehmen zum Standard geworden und neue Plattformen zum Datenaustausch wie GNX6 oder SINFOS7 sowie neue Dienstleister und IT-Systeme sollen einen reibungslosen Datentransfer ermöglichen. Darüber hinaus haben fast alle Händler und Hersteller umfangreiche Pilotprojekte zu kooperativen Konzepten gestartet. Dazu gehören beispielsweise die
4 5 6
7
Vgl. Coca-Cola Retailing Research Group (1994, S. 15). Datenbankrecherche auf Basis von http://www.factiva.com. GNX (GlobalNetXchange LLC) ist ein in den USA ansässiger Dienstleister für den Austausch von handelsreleventan Informationen, der 2000 von acht Einzelhandelunternehmen gegründet wurde. Vgl. www. gnx.com Die SINFOS GmbH ist ein in Deutschland ansässiger Dienstleister zum Austausch von Artikelstammdaten via EDI zwischen Handel und Herstellern. Vgl. www.sinfos.de.
Kapitel 1 - Einleitung
3
gemeinsame Planung mittels CPFR (Collaborative Planning Forecasting and Replenishment) oder die Bestandssteuerung mittels VMI (Vendor Managed Inventory).
Einige Beispiele zur Supply-Chain-Kooperation sind im Folgenden aufgeführt: x
Sainsbury's und Gillette tauschen Supply-Chain-Daten und -Kennzahlen über eine gemeinsame Scorecard aus, die von IBM betrieben wird.8
x
Metro optimiert gemeinsam mit neun Konsumgüterherstellern, darunter Procter&Gamble, Unilever und Johnson&Johnson, die Bestellung, Lieferung und Bestandsführung strategischer Promotions durch CPFR.9
x
Carrefour und Colgate-Palmolive definieren gemeinsame Prozesse, Verantwortlichkeiten und Kennzahlen, um im "Health and Beauty"-Segment die Verfügbarkeit der Produkte zu erhöhen und die Bestände zu reduzieren.10
x
Tesco und Unilever entwickeln gemeinsam regalgerechte Verpackungen, die für die Mitarbeiter der Tesco-Filialen einfach zu öffnen sind, ein schnelles Nachfüllen ermöglichen und die Markenkommunikation von Unilever verbessern.11
Die Erfolge und Potenziale der Supply-Chain-Kooperation werden zum Teil geradezu euphorisch geschildert. So stellten Experten in den vergangenen Jahren Einsparpotenziale von teilweise
über
5 Prozent
der
Endverbraucherpreise
in
Aussicht.12
Hochrechnungen
prognostizierten der Branche, dass in Europa eine Umsatzsteigerung von über 40 Mrd. Euro realisierbar sei, was rund 5 Prozent des Gesamtumsatzes entspräche.13 Tatsächlich wird auf Konferenzen immer wieder von signifikanten Leistungssteigerungen – wie Bestandsreduktionen um 50 Prozent oder Umsatzsteigerungen um 10 Prozent – berichtet.14
Aller Euphorie zum Trotz existieren jedoch auch kritische Stimmen. So weisen einige SupplyChain-Experten und Unternehmensvorstände auf Basis teilweise ernüchternder Ergebnisse beim Rollout der Kooperationsprojekte auf eine mögliche Überbewertung der Supply-ChainKooperation hin.15 Die Lebensmittel Zeitung kommentiert dies: "Renditesteigerungen, wie vor
8 9 10 11 12 13 14 15
Vgl. Belcher (2004). Vgl. Rode (2005a, S. 74). Vgl. Debuchy/Ferry (2004). Vgl. Amos (2005, S. 23 ff.). Vgl. Kämpf/Gienke (2001, S. 1). Vgl. o.V. in Lebensmittel Zeitung (2005). Vgl. zum Beispiel Danninger/Hölderich/Klein (2001, S. 52), Corsten/Pötzl (2000, S. 89 ff.). Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 99 ff.).
Kapitel 1 - Einleitung
4
zehn Jahren vorhergesagt, sind jedenfalls nicht in den Bilanzen angekommen."16 Diese Aussage wirft Fragen auf, die eine auf Fakten basierende Überprüfung und Fokussierung der Diskussion notwendig erscheinen lässt. Zur Beantwortung dieser Fragen soll die vorliegende Arbeit beitragen, deren Zielsetzung und Inhalt im nächsten Abschnitt erläutert werden.
1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit Wie bereits beschrieben erfolgte die Diskussion über die Rolle der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern und ihren Erfolgsbeitrag häufig anhand einzelner Fallbeispiele und ohne umfassende empirische Fakten. Die vorliegende Arbeit soll diese Diskussion um eine theoriebasierte und empirische Untersuchung ergänzen. Ziel ist es, die unterschiedliche Kooperationsintensität der Einzelhändler zu erklären und den Einfluss der Supply-ChainKooperation auf den Supply-Chain-Erfolg und damit auf den Erfolg des Einzelhändlers zu bestimmen. Die Supply-Chain-Kooperation soll dabei aus einer Topmanagementperspektive betrachtet werden. Daher gilt es, dem Management eines Einzelhandelsunternehmens die folgenden drei zentralen Fragen zu beantworten:
1.
Welchen Einfluss hat die Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Konsumgüterherstellern auf den Supply-Chain-Erfolg des Händlers?
2.
Welche Faktoren beeinflussen die Intensität der Supply-Chain-Kooperation und damit den Supply-Chain-Erfolg des Händlers?
3.
Welche Handlungsempfehlungen lassen sich für das Supply-Chain-Management eines Einzelhändlers ableiten?
Ihre theoretische Fundierung erhält die vorliegende Arbeit durch die Untersuchung der organisationstheoretischen Literatur zur Kooperation auf Ansatzpunkte zur Erklärung der SupplyChain-Kooperation,
zu
deren
Einflussgrößen
und
zu
den
hypothetischen
Wirkungszusammenhängen. Anschließend erfolgt die Ableitung eines theoretisch gestützten Wirkungsmodells. Die abschließende Überprüfung dieses Wirkungsmodells durch eine breit angelegte empirische Untersuchung des europäischen Einzelhandels sowie durch eine kausalanalytische Auswertung dient der empirischen Fundierung dieser Arbeit.
16
Rode (2005b, S. 2) in der Lebensmittel Zeitung vom 2.9.2005.
Kapitel 1 - Einleitung
5
Die Arbeit gliedert sich nach der Einleitung in fünf weitere Kapitel (siehe Abbildung 1-1): Das zweite Kapitel legt die begrifflichen Grundlagen dieser Arbeit. Die Untersuchungsfelder Einzelhandel und Konsumgüterhersteller werden definiert und es wird kurz auf die Entwicklungen in diesen Branchen eingegangen. Es folgen die allgemeine Beschreibung der Supply Chain und des Supply-Chain-Managements sowie die konkrete Darstellung des SupplyChain-Managements eines Einzelhändlers. Da der Begriff der Kooperation in Praxis und Forschung
mit
vielfältigen
Bedeutungen
belegt
ist,
erfolgt
eine
Festlegung
des
Begriffsverständnisses für diese Arbeit. Bei der anschließenden Konkretisierung auf die Zusammenarbeit zwischen Handel und Herstellern lassen sich bezüglich der Supply-ChainKooperation zwei Formen unterscheiden: die Kooperation durch Informationsaustausch und die Kooperation durch gemeinsame Prozesse. Eine zentrale Bedeutung kommt in der vorliegenden Arbeit der Definition und der Erfolgsmessung zu. Zum Abschluss dieses Kapitels wird deshalb gezeigt, wie sich Supply-Chain-Erfolg allgemein operationalisieren lässt und welche Kennzahlen und Berechnungsmethode in dieser Arbeit Verwendung fanden.
Das dritte Kapitel beinhaltet die Ableitung von Hypothesen über die Wirkung der Supply-ChainKooperation und der Einflussfaktoren. Hierzu wird zunächst der Argumentation der Neuen Institutionenökonomie
(NIÖ)
gefolgt.
Die
drei
theoretischen
Ansätze
der
NIÖ
(Transaktionskostentheorie, Principal-Agent-Theorie und Property-Rights-Theorie) zeigen, unter welchen Umständen die Kooperation Vorteile gegenüber den alternativen Organisationsformen aufweist. Aufgrund einiger zentraler Kritikpunkte an der NIÖ bezüglich der Erklärung von Supply-Chain-Kooperationen erfolgt eine Erweiterung der Untersuchung um den Relational View. Dieser Ansatz betont im Gegensatz zur NIÖ nicht die Einschränkung opportunistischer Handlungen, sondern stellt die Kooperation als ideosynkratische, wertstiftende Ressource in das Zentrum der Betrachtung. Schließlich erfolgt eine Ergänzung des theoretischen Rahmens um Argumente des Situativen Ansatzes, innerhalb dessen wichtige Kontextvariablen betrachtet werden, die im hier vorliegenden Modell Berücksichtigung finden sollen.
Das vierte Kapitel stellt Ansatz und Vorgehensweise der empirischen Untersuchung vor. Hierzu wird die Wahl der persönlichen Befragung als Erhebungsinstrument begründet, Inhalt und Vorgehen der standardisierten Interviews dargestellt und die Operationalisierung des Untersuchungsgegenstands sowie die dabei verwendeten Skalen erläutert. Abschließend erfolgt die Beschreibung von Umfang und Charakteristika der Stichprobe.
Das fünfte Kapitel beschreibt die verwendete Analysemethode und präsentiert die empirischen Ergebnisse. Für die Berechnung der Wirkungszusammenhänge im Modell wurde der Partial-
6
Kapitel 1 - Einleitung
Least-Squares-(PLS)-Ansatz verwendet. Dieser Ansatz eignet sich insbesondere aufgrund der hier vorliegenden relativ geringen Stichprobenzahl für die Anwendung in dieser Untersuchung. In der Literatur finden sich nur wenige Darstellungen über die Funktionsweise des PLS-Ansatzes und die Vorgehensweise bei der Beurteilung der Ergebnisse. Deshalb wird nach der Beschreibung der Grundlagen von Strukturgleichungsmodellen und der Begründung der Auswahl des PLS-Ansatzes die Funktionsweise des Algorithmus und die verwendeten Gütemaße ausführlich erläutert. Anschließend erfolgt die Güteprüfung der empirischen Daten und die Berechnung der signifikanten Gesamteffekte im Modell unter Anwendung der zuvor erläuterten Vorgehensweise.
Das sechste Kapitel enthält die Schlussfolgerungen, die sich aus der vorliegenden Untersuchung ergeben und beantwortet die drei zu Anfang dieses Abschnitts formulierten Fragen. Zunächst werden die empirischen Ergebnisse zusammengefasst. Dabei wird dargestellt, wie sich die beiden Kooperationsformen (Informationsaustausch und gemeinsame Prozesse) auf den Supply-ChainErfolg auswirken und welche Variablen des Modells darüber hinaus welchen Einfluss auf die Intensität der Kooperation und den Erfolg haben. Die Ergebnisse werden anschließend mit anderen Forschungsergebnissen zur Supply-Chain-Kooperation verglichen und es werden Anstöße für eine weiterführende Forschungsarbeit gegeben. Abschließend erfolgt basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen die Ableitung von Handlungsempfehlungen für das SupplyChain-Management des Einzelhandels. Dazu werden drei prägnante Thesen formuliert.
Kapitel 1 - Einleitung
7
Kapitel 2
Kapitel 3
Supply-ChainKooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
Theoretische Betrachtung der Supply-ChainKooperation
Kapitel 4
Kapitel 5
Design der empirischen Studie
Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
Kapitel 6
Schlussfolgerung
Gliederung 2.1. Auswahl von Ansätze der Neuen 4.1. Einzelhandel und 3.1. InstitutionenKonsumgüterErhebungsökonomie hersteller methode und Erhebungs Ergänzende Supply Chain und 3.2. 2.2. instrument Supply-ChainPerspektive: 4.2. Theorie des Management Gestaltung des Relational View Erhebungs Kooperation und 2.3. instruments 3.3. Supply-Chain Ergänzende 4.3. Perspektive: Datenerhebung Kooperation Situative und Stichprobe Supply-Chain2.4. Einflussfaktoren Erfolg Darstellung des 3.4. Wirkungsmodells
5.1. 5.1. Zusammenfassung Grundlagen des der Ergebnisse Partial Least Squares (PLS) Fazit und Ausblick 5.2. Ansatzes für die Forschung 5.2. Gütebeurteilung zur Supply-ChainKooperation und Bewertung von PLS-Modellen 5.3. Handlungsemp5.3. fehlungen für das Empirische Supply-ChainErgebnisse Management im Einzelhandel
Ziel Schaffung begrifflicher Grundlagen
Ableitung von hypothetischen Wirkungszusammenhängen
Darstellung von Aufbau und Ablauf der empirischen Studie
Erläuterung der Auswertungsmethode und Darstellung der Ergebnisse
Zusammenfassung von Handlungsempfehlungen und Forschungsbedarf
Abbildung 1-1: Gang der Arbeit17
1.3 Beitrag zur Forschung Das Interesse der betriebswirtschaftlichen Forschung am Supply-Chain-Management und insbesondere an der Supply-Chain-Kooperation ist noch jung. Im Vergleich zu anderen Forschungsrichtungen liegt insbesondere im Bereich der empirischen Untersuchungen ein deutlicher Nachholbedarf vor. So konnte beispielsweise GROßPIETSCH bei der Auswertung von sechs Jahrgängen der Zeitschriften "International Journal of Logistics Management" und "Supply Chain Management" nur 20 empirische Arbeiten identifizieren.18 Diese wenigen empirischen Untersuchungen behandeln fast ausschließlich Aspekte der Supply-Chain-Kooperation in anderen Branchen als den in dieser Arbeit betrachteten.19
17 18 19
Eigene Darstellung. Vgl. Großpietsch (2003, S. 12). Vgl. zum Beispiel zur Automobilindustrie Maloni/Benton (2000), zur Elektronik- und Textilindustrie Groves/Valsamakis (1998) oder industrieübergreifend Spekman/Kamauff/Myhr (1998).
Kapitel 1 - Einleitung
8
Auch bei der Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern überwiegen
qualitative
und
fallstudienbasierte
Arbeiten.20
Die
wenigen
empirischen
Untersuchungen hierzu befassen sich meist allgemein mit dem Umsetzungsstand einzelner Aspekte der Supply-Chain-Kooperation und vernachlässigen die Messung des Supply-ChainErfolgs sowie das Aufzeigen von Wirkungszusammenhängen.21 Andere Arbeiten beinhalten nur eine sehr allgemeine Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Kooperationen zwischen Handel und Herstellern22 oder sie konzentrieren sich auf die Perspektive der Hersteller23. Keine dieser Arbeiten umfasst eine erfolgsorientierte Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation aus Sicht des Handels. Die vorliegende Arbeit stellt somit eine wichtige Ergänzung der bisherigen Forschung dar und vermag als bisher einzige die aufgeworfenen Fragen zum Erfolgsbeitrag der Supply-Chain-Kooperation und ihrer Einflussfaktoren zu beantworten.
Hervorzuheben ist dieser Beitrag zur faktenbasierten Untersuchung der Supply-ChainKooperation aufgrund seiner breiten empirischen Basis. In intensiven persönlichen Interviews mit den Supply-Chain-Managern von 33 europäischen Handelsunternehmen konnten jeweils über 150 Datenpunkte zur Bewertung der Supply-Chain-Leistung und der Kooperationsformen erhoben werden. Darüber hinaus ermöglichten die Diskussionen mit den Interviewpartnern einen tiefen Einblick in die Herausforderungen des Supply-Chain-Managements. Die 30 Unternehmen, die schließlich in die quantitative Auswertung einbezogen wurden, vereinigen über 20 Prozent des gesamten europäischen Umsatzes ihres Segments auf sich und schaffen damit die größte empirische Datenbasis zum Supply-Chain-Management im europäischen Einzelhandel.24
Die Ableitung des Wirkungsmodells erfolgt in der vorliegenden Arbeit anhand von drei organisationstheoretischen
Ansätzen.
Basis
bildet
die
Argumentation
der
Neuen
Institutionenökonomie (NIÖ). Die NIÖ und die drei darunter zusammengefassten theoretischen Ansätze (Transaktionskostentheorie, Principal-Agent-Theorie, Property-Rights-Theorie) fanden in der Forschung bereits häufig Verwendung zur Erklärung und Untersuchung einzelner
20 21 22 23 24
Vgl. zum Beispiel Cuthbertson/Collet (2001), Block (2001), Holweg/Disney/Holström,/Smaros (2005), Cotti (2004). Vgl. Gleißner (2000), CCG (2004), Lebensmittel Zeitung/Miebach (2004). Vgl. Stank/Keller/Daugherty (2001), Schmickler (2003). Vgl. Corsten/Kumar (2003), Großpietsch (2003), Völker (2004). Andere Studien wie zum Beispiel der jährliche ECR Report (vgl. CCG (2004)) oder die Untersuchung von Hartwig/Richter/Seidl (2004) erreichen zum Teil deutlich größere Stichproben, indem die Analyse nicht auf Ebene der Unternehmen, sondern der Mitarbeiter durchgeführt wird. Es werden dabei unter Umständen viele Mitarbeiter des gleichen Händlers in die Auswertung einbezogen. Ein solches Vorgehen erschien hier nicht ratsam, da die Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen und nicht die zwischen den Einstellungen verschiedener Mitarbeiter untersucht werden sollten.
Kapitel 1 - Einleitung
9
Kooperationsformen.25 Die vorliegende Arbeit ergänzt die dort gewonnenen Ergebnisse, indem sie insbesondere auch die Schwächen der Neuen Institutionenökonomie bei der Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation adressiert und aufzeigt, welche ergänzenden Erkenntnisse der Relational View liefert.
Ein weiterer wichtiger Beitrag dieser Arbeit zur Forschung besteht in der Anwendung des Partial-Least-Squares-(PLS)-Ansatzes, der eine zunehmende Beachtung in der Literatur erfährt. Die alternative Anwendungsform der Kovarianzstrukturanalyse mittels LISREL ist schon deutlich besser erforscht und kam auch bereits im Bereich der Hersteller-Händler-Kooperation zum Einsatz.26 PLS wurde bisher nicht für die empirische Untersuchungen dieser Kooperation verwendet und auch für die Betrachtung der Supply Chain des Einzelhandels ist keine Anwendung bekannt. Aufgrund seiner deutlich geringeren Mindestanforderungen an die Stichprobenzahl eignet sich dieses Verfahren jedoch sehr gut für die Anwendung im Handel, da es dort bedingt durch die geringe Grundgesamtheit kaum möglich ist, die bei einer Kovarianzstrukturanalyse geforderte Mindeststichprobenzahl zu erreichen. Zudem leistet die Arbeit einen Betrag zur bisher kaum erfolgten Darstellung des Ansatzes in der deutschsprachigen Literatur. Dies geschieht durch eine detaillierte Erläuterung der Funktionsweise des Algorithmus und eine umfassende Vorstellung der geeigneten Gütemaße.
25 26
Vgl. zum Beispiel Friese (1998), Kutschker (1995), Mandelwirth (1996), Hammes (1994), Balling (1997). Vgl. zum Beispiel Schmickler (2003, S. 29 ff.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
11
2. Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt Dieses Kapitel umreißt den Gegenstand der vorliegenden Arbeit und beinhaltet eine Konkretisierung der betrachteten Themenfelder sowie die Definition der zentralen Begriffe. Zunächst werden die betrachteten Branchen – der Einzelhandel und die Konsumgüterhersteller – vorgestellt, anhand derer eine Eingrenzung des Untersuchungsfelds vorgenommen wird (Abschnitt 2.1). Die folgende Erläuterung der Begriffe Supply Chain und Supply-ChainManagement sowie die Beschreibung der Besonderheiten des Supply-Chain-Managements im Einzelhandel konkretisieren den Fokus dieser Arbeit (Abschnitt 2.2). Es folgt eine allgemeine Definition der Kooperation als Grundlage für die Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation. Anschließend
wird
der
Untersuchungsgegenstand
konkretisiert
indem
zwei
konkrete
Ausgestaltungsformen der Supply-Chain-Kooperation unterschieden werden (Abschnitt 2.3). Die Betrachtung des Supply-Chain-Erfolgs und dessen Operationalisierung für den Einzelhandel beschließt dieses Kapitel (Abschnitt 2.4).
2.1 Einzelhandel und Konsumgüterhersteller Untersuchungsobjekt dieser Arbeit ist die Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Konsumgüterherstellern
aus
Sicht
des
Einzelhandels,
welcher
somit
das
primäre
Untersuchungsfeld der vorliegenden Arbeit darstellt. Da sich im Verlauf der Untersuchung jedoch auch relevante Erkenntnisse für die beteiligten Konsumgüterhersteller ergeben, erscheint eine kurze Vorstellung beider Branchen angemessen. 2.1.1
Untersuchungsfeld Einzelhandel
In Anlehnung an MÜLLER-HAGEDORN gelten solche Handelsunternehmen als Einzelhändler27, die Waren und insbesondere bewegliche Sachgüter beschaffen, welche sie selbst nicht be- oder verarbeiten, sondern physisch unverändert in Kleinmengen an die Endverbraucher verkaufen.28 Hieraus ergibt sich eine Abgrenzung des Einzelhandels vom Großhandel, zu dessen Abnehmern nicht wie beim Einzelhandel private Endkonsumenten zählen, sondern vielmehr professionelle Wiederverkäufer wie Einzel- oder Großhändler, institutionelle Haushalte wie zum Beispiel
27 28
Die Begriffe Einzelhändler und Händler sowie Einzelhandel und Handel werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Vgl. Müller-Hagedorn (1998, S. 41).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
12
Krankenhäuser oder andere gewerbliche Verwender.29 In der Literatur wird der Einzelhandel durch verschiedene Typologien umschrieben und kategorisiert, die ähnliche Betriebe zu Betriebsformen und -typen zusammenfassen. Als zentrale Unterscheidungsmerkmale lassen sich hier das angebotene Sortiment (zum Beispiel Lebensmittel, Möbel, Elektrogeräte), die Lage und Einkaufsbequemlichkeit (zum Beispiel Convenience Store, Einkaufszentrum), die Preispolitik (zum Beispiel Discounter, Duty-free-Store), das Servicekonzept (zum Beispiel Fachmarkt, SBWarenhaus) oder die Größe (zum Beispiel Supermarkt, Verbrauchermarkt) anführen.30 Die Betrachtungen der vorliegenden Arbeit befassen sich mit dem Einzelhandel von so genannten schnelldrehenden Konsumgütern bzw. auf den Lebensmittelhandel und Drogeriemärkte beschränkt bleibt.31 Die gewonnenen Erkenntnisse zur Supply-Chain-Kooperation und den Einflussfaktoren des Supply-Chain-Erfolgs sind jedoch auch für andere Betriebsformen relevant.
Nachdem in den 80er Jahren in Europa jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich 5 bis 10 Prozent und somit ein kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen war, befindet sich der europäische Einzelhandel seit Anfang der 90er Jahre in den meisten Ländern in einer Phase der Stagnation (beispielsweise in Deutschland) oder des verminderten Wachstums (beispielsweise in England und Frankreich). So wuchsen die Einzelhandelsumsätze in Deutschland beispielsweise zwischen 1991 und 2002 durchschnittlich nur um 0,8 Prozent.32 Drei zentrale Trends beschreiben die Situation des europäischen Handels: 1) starkes Wachstum preisagressiver Handelsformate, 2) anhaltende Konsolidierung und 3) Globalisierung. Diese Trends werden im Folgenden kurz umrissen: x
Zu 1): Starkes Wachstum erlebten im Gegensatz zum Gesamtmarkt in den letzten Jahren vor allem Handelsformate, die sich als Niedrigpreisanbieter positionieren. Dazu zählen insbesondere die als Discounter bezeichneten Lebensmittelhändler wie Aldi und Lidl, die sich durch ein relativ kleines Sortiment und einen hohen Anteil an Eigenmarken auszeichnen. In Deutschland, dem Ursprungsland dieses Formats, stieg der Marktanteil der Discounter von 1997 bis 2003 von 23 auf 27 Prozent (CAGR 7,6 Prozent).33 In anderen europäischen Ländern ist der Gesamtmarktanteil der Discounter zwar momentan noch geringer, die Wachstumsrate verweist jedoch auf einen ähnlichen Trend: So stieg beispielsweise im gleichen Zeitraum der Marktanteil der Discounter in Spanien von 6 auf
29 30 31 32 33
Vgl. Ahlert (1987, S. 8). Für eine Übersicht über die Betriebstypen des Einzelhandels vgl. Müller-Hagedorn (1998, S. 45). Das Untersuchungsfeld der empirischen Studie wird in Kapitel 4 näher vorgestellt. Vgl. KPMG (2003, S. 10). Vgl. M+M Planet Retail (2005), CAGR ("Cumulative Average Growth Rate") ist die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate.
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt 13 Prozent (CAGR 9,2
(CAGR 23,5 Prozent) Prozent).34
und
in
Frankreich
von
13 7
auf
13 Prozent
Diese Entwicklung resultiert in einem erhöhten Preisdruck, der
wiederum eine Reduktion der Umsatzmargen der klassischen Einzelhändler nach sich zieht.35 x
Zu 2): Die anhaltende Konsolidierung der europäischen Handelslandschaft führt zunehmend
zu
der
Dominanz
einiger
weniger,
international
agierender
Handelsunternehmen. So erwirtschafteten die zehn größten Händler im Bereich Lebensmittel 1990 bereits 44,6 Prozent der Gesamtumsätze; 2005 wird dieser Anteil nach Expertenschätzungen bereits bei über 82,0 Prozent liegen.36 Die zehn größten europäischen Einzelhändler sind in Tabelle 2-1 aufgeführt. x
Zu 3): Neben der Konsolidierung lässt sich ein starker Trend zur Globalisierung erkennen.37 So waren die 250 größten europäischen Händler 1997 in durchschnittlich 4,5 Ländern aktiv, 2003 bereits in 5,5.38 Große Handelsunternehmen wie Metro, Carrefour oder Lidl & Schwartz erwirtschaften mittlerweile zwischen 40 und 50 Prozent ihrer Konzernumsätze außerhalb ihres jeweiligen Herkunftslandes.39 Dieser Trend zum internationalen Wachstum resultiert bei Händlern wie der Metro oder Carrefour darin, dass über 60 Prozent der Marktkapitalisierung auf das erwartete zukünftige Wachstum und nur noch weniger als 40 Prozent auf den aktuellen Unternehmenserfolg zurückzuführen sind.40
34 35 36 37 38 39 40
Vgl. M+M Planet Retail (2005). Vgl. zum Beispiel Hansen/Kliger (2004), Rabattu/Aubin/Azoulay (2004, S. 56 ff.). Vgl. KPMG (2005, S. 38). Vgl. Catoni/Larssen/Naylor/Zocchi (2002). Vgl. Deloitte/Stores (2004, S. 9). Vgl. M+M Planet Retail (2005). Vgl. Catoni/Larssen/Zocchi (2002).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
14
Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Tabelle 2-1:
2.1.2
Unternehmen Carrefour S.A. Metro Group Tesco Plc. REWE-Zentral AG Groupe Auchan ITM Entreprises S.A. (Intermarché) Schwarz-Gruppe Aldi Gruppe Edeka Gruppe Casino S.A.
Ursprungsland Frankreich Deutschland England Deutschland Frankreich Frankreich Deutschland Deutschland Deutschland Frankreich
Umsatz 2004 (inkl. MwSt. in Mrd. Euro) 75,7 60,3 49,7 44,1 38,4 37,4 37,0 32,5 31,6 29,5
Anteil im Ausland (in %) 40,9 45,5 12,5 28,4 44,1 28,5 41,8 32,3 8,0 17,0
Die zehn größten europäischen Einzelhandelsunternehmen41
Untersuchungsfeld Konsumgüterhersteller
Konsumgüterhersteller bzw. -lieferanten42 stellen hauptsächlich Produkte für den privaten Verbrauch wie zum Beispiel Lebensmittel her, die sie bis auf wenige Ausnahmen (Direktvertrieb) über den Handel vertreiben.43 Eine häufig verwendete Klassifizierung der Konsumgüterhersteller erfolgt anhand der Umschlags- oder Drehgeschwindigkeit der hergestellten Artikel im Handel. Während die Produktpalette der Konsumgüterhersteller im Allgemeinen alle Sortimente unabhängig von deren Drehgeschwindigkeit umfasst, produzieren und vertreiben Hersteller so genannter Fast Moving Consumer Goods (FMCG) schnelldrehende Konsumgüter, die insbesondere über den Lebensmitteleinzelhandel auf den Markt gebracht werden. Diese Arbeit betrachtet nur FMCG-Sortimente, es lässt sich jedoch vermuten, dass die gewonnenen Erkenntnisse auch für andere Lieferanten der Händler relevant sind.
Auch die Konsumgüterindustrie steht unter dem Einfluss der oben beschriebenen Trends: Die Konsumenten agieren zunehmend preissensitiv und zeigen eine abnehmende Markentreue und steigende Offenheit gegenüber Eigenmarken des Handels. Gleichzeitig gewinnen die Händler bedingt durch die zunehmende Konsolidierung und Internationalisierung an Größe und Macht. Die Konsumgüterhersteller reagieren auf diese Veränderungen mit intensiven Bemühungen um Kostensenkungen – so haben zum Beispiel die beiden großen Hersteller Nestlé und Unilever seit Anfang der 90er Jahre jeweils mehr als 100 Produktionsstandorte geschlossen.44 Als weitere
41 42 43 44
Vgl, M+M Planet Retail (2005). Die Begriffe Konsumgüterhersteller, Hersteller und Lieferant werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Vgl. Tomczak/Schlögel/Sauer (2003, S. 1163). Vgl. Haden/Sibony/Sneader (2004, S. 1).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
15
Reaktion lässt sich hier ebenfalls eine deutliche Konsolidierung45 erkennen, die sich beispielsweise in der Übernahme von Gillette durch Procter & Gamble Anfang des Jahres 2005 manifestiert. Die wachsende Nachfragemacht des Handels wirkt sich darüber hinaus auf die Einkaufsverhandlungen aus, bei denen der Handel zusätzliche Rabatte oder Marketingaktivitäten verlangt und mit der Auslistung bestimmter Produkte zu Gunsten von Produkten der Wettbewerber oder einer eigenen Handelsmarke droht.46 Gleichzeitig beeinflusst dies auch die Aufgabenverteilung in der Supply Chain: Die klassische "Logistik-Hoheit" wird den Herstellern zunehmend durch den Handel streitig gemacht. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte empirische Studie zeigt, dass Händler im Jahr 2005 bereits 9 Prozent der Waren selbst beim Hersteller abholen ("Abhollogistik") und planen, diesen Anteil bis 2010 auf ca. 23 Prozent auszuweiten, was einem Wachstum von über 150 Prozent entspräche. 47
Rang 1 2 3
Unternehmen Nestlé S.A. Procter & Gamble Co. Unilever Plc.
4 5 6 7 8 9 10
PepsiCo Inc. Tyson Foods Inc. Coca-Cola Co Mars Inc. Sara Lee Corp. L'Oréal SA Groupe Danone
Tabelle 2-2:
Ursprungsland Schweiz USA Großbritannien/ Niederlande USA USA USA USA USA Frankreich Frankreich
Umsatz 2004 in Mrd. Euro 56,2 41,4 40,4 23,6 21,3 17,7 16,0 15,8 14,5 13,7
Die zehn größten Konsumgüterhersteller der Welt (ohne Tabakunternehmen)48
2.2 Supply Chain und Supply-Chain-Management 2.2.1 Die
Begriffsbestimmung Supply
Chain,
Lieferkette
auf
Deutsch,
ist
ein
unternehmensübergreifendes
Organisationsgebilde, das in Anlehnung an die zentrale Definition von HANDFIELD/NICHOLS alle Flüsse von Waren und Informationen, beginnend bei den Rohstoffen bis hin zur Nutzung des Produkts durch den Endverbraucher, umfasst.49 Die Güter- und Informationsflüsse strömen dabei
45
Vgl. Tabelle 2-1.
46
Vgl. Seifert (2003, S. 45). Vgl. auch Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 82). Vgl. Lebensmittel Zeitung (2004). Vgl. Handfield/Nichols (1999, S. 2).
47 48 49
16
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
in beide Richtungen der Supply Chain50, wobei der Fluss vom Rohstofflieferanten in Richtung Endkunden als "downstream" und die entgegengesetzte Richtung vom Endkunden in Richtung Rohstofflieferant als "upstream" bezeichnet wird.51 Eine Supply Chain verbindet zumeist eine Reihe von autonomen Unternehmen miteinander (zum Beispiel Hersteller, Logistikdienstleister, Händler), die zusammen eine vollständige Wertschöpfungskette bilden.
Der Begriff Supply-Chain-Management beschreibt folglich die für eine erfolgreiche Supply Chain notwendigen Aktivitäten der Koordination und Abwicklung des Waren- und Informationsflusses.52 Ziel des Supply-Chain-Managements ist es, durch die optimale Gestaltung der Güter- und Informationsflüsse entlang den einzelnen Prozessstufen der Lieferkette den (End-)Kundennutzen zu steigern (hoher Output) und eine Verbesserung des Kosten-NutzenVerhältnisses durch eine Minimierung des Gesamtaufwandes in der Lieferkette zu erzielen (geringer Input).53 Alle Teile der Supply Chain werden an diesem Ziel bzw. an kompatiblen Detailzielen ausgerichtet um so redundante Aktivitäten und negative gegenseitige Effekte zu vermeiden.54 Supply-Chain-Management wird somit als eine zentrale Koordinationsaufgabe des Unternehmens verstanden, die neben der operativen Abwicklung der Warenströme vor allem auch deren Steuerung und Planung sowie insbesondere auch das Management der Beziehungen zu vorund nachgelagerten Wertschöpfungsstufen beinhaltet.
Diese integrative und interorganisationale Definition des Supply-Chain-Managements grenzt sich damit deutlich von engeren Definitionen der Logistik oder des Logistikmanagements ab, die häufig synonym mit den Begriffen Supply Chain und Supply-Chain-Management verwendet werden. Das klassische Verständnis der Logistik legt einen starken Fokus auf die physischen Prozesse der Warenbewegung und beleuchtet in der Regel nur einzelne Ausschnitte der Wertschöpfungskette.55 Während die Güter- und Informationsflüsse in der Logistik somit weitgehend unabhängig von institutionellen Fragestellungen betrachtet werden, bezieht die moderne Auffassung des Supply-Chain-Managements die Strukturierung und Koordination autonom agierender Unternehmen in einem Wertschöpfungssystem explizit in die Analyse ein. Das Supply-Chain-Management betont somit in Abgrenzung zur Logistik auch den
50 51 52 53 54 55
Vgl. Monzka/Trent/Handfield (2002, S. 4). Vgl. Handfield/Nichols (1999, S. 2 ff.). Vgl. Monzka/Trent/Handfield (2002, S. 5), Simchi-Levi/Kaminsky/Simchi-Levi (2000, S. 1 f.). Vgl. Cooper/Douglas/Labert/Pagh (1997, S. 3), Bechtel/Jayaram (1996), Seuring (2001, S. 20). Vgl. Spekman/Kamauff/Mayhr (1998, S. 54). Vgl. zum Beispiel Müller-Hagedorn (1998, S. 296 ff.), Lindner/Piringer (1990, S. 222).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
17
interorganisationalen Aspekt der Managementaufgabe: "A sustainable supply chain strategy extends the linkages upstream and down".56 2.2.2
Supply-Chain-Management im Einzelhandel
Die vorliegende Arbeit behandelt nicht alle am Wertschöpfungsprozess beteiligten Unternehmen, sondern sie betrachtet nur jenen Ausschnitt der Supply Chain, in dem der Einzelhandel mit seinen Herstellern interagiert. Dabei wird die Perspektive des Handels eingenommen. Eine detaillierte Darstellung
der
Supply-Chain-Prozesse
im
Handel
findet
sich
bei
THONEMANN/BEHRENBECK/KÜPPER/MAGNUS (2005). Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Aufgaben des Supply-Chain-Managements im Einzelhandel deshalb nur kurz anhand einiger zentraler Prozesse an der Schnittstelle zwischen Handel und Herstellern beschrieben werden. Dabei sind folgende Kernprozesse zu betrachten (siehe auch Abbildung 2-1): 1. Eingehende Logistik/Anlieferung: Der Händler erhält die disponierte Ware durch Lieferung an ein Zentrallager, einen so genannten Crossdocking-Punkt,57 oder durch Direktbelieferung an seine Filiale. Die Anlieferung der Ware wird dabei großteils vom Hersteller durchgeführt, wobei sich in den letzten Jahren verstärkt der Trend zeigt, dass Händler
einen
steigenden
Anteil
der
Waren
selbst
beim
Hersteller,
dessen
Konsolidierungslägern oder an den Importhäfen abholen. 2. Zentrallager- und Crossdocking-Prozesse: Nach Anlieferung der Ware wird diese meist in größeren Einheiten (zum Beispiel Paletten) in Zentrallägern eingelagert und anschließend bedarfsorientiert in kleineren Losgrößen für die einzelnen Filialen zusammengestellt (kommissioniert). Eine neuere, bestandslose Form der Abwicklung stellt das Crossdocking dar, bei dem die Ware ohne Einlagerung filialgerecht zusammen- und für die Auslieferung bereitgestellt wird. 3. Auslieferung an die Filialen: Nach filialgerechter Kommissionierung in Zentrallager und/oder Crossdocking-Punkt erfolgt die Auslieferung der Waren an die Filialen in der Regel per Lkw. Je nach Lieferumfang werden meist mehrere Filialen gemäß einem zuvor erstellten Tourenplan angefahren. 4. Filiallogistik: Der Wareneingang in der Filiale umfasst zunächst die Prüfung der Lieferung sowie Umbuchungen im Filialbestand. Anschließend wird die Ware entweder direkt oder nach Zwischenlagerung in einem Filiallager auf die Verkaufsfläche gebracht und dort für den Verkauf vorbereitet (zum Beispiel in die Regale sortiert). 56 57
Vgl. Spekman/Kamauff/Mayhr (1998, S. 54). Ein Crossdocking-Punkt ist ein Ort, dem angelieferte Waren bestandslos umgeschlagen und für die Filialbelieferung vorbereitet werden. Für eine detaillierte Darstellung des Crossdockings vgl. Seifert (2003, S. 140 ff.), Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 70 ff.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
18
5. Bedarfsplanung und -nachbestellung: Basierend auf der Anzahl der verkauften Artikel, der geplanten Marketingaktivitäten und der Erfahrungen aus den Vorjahren erstellt der Händler einen Bedarfsplan. Diese Bedarfsermittlung erfolgt zumeist IT-gestützt mit Hilfe einer entsprechenden Planungssoftware. Je nach ermitteltem Bedarf der Filialen lassen sich zwei Formen der Bestellung bzw. Nachbestellung unterscheiden: Zunächst hat der Händler die Möglichkeit, Waren im eigenen Zentrallager nachzufordern, was eine erneute Kommissionierung und Auslieferung nach sich zieht. Für Artikel ohne Lagerbestand und solche, die der Händler neu in sein Sortiment aufnehmen möchte, erfolgt die Bestellung bzw. Nachbestellung direkt beim Hersteller. 6. Lieferantenauswahl und -management: Die Lieferantenauswahl wird meist durch die Einkaufsabteilung des Händlers und unter Berücksichtigung der jeweils angebotenen Konditionen getroffen. Zunehmend spielen hierbei jedoch auch Supply-ChainManagement-Überlegungen eine Rolle. Wichtig gestalten sich darüber hinaus die Messung und das Management der Supply-Chain-Leistung des Herstellers durch eine Überprüfung relevanter Leistungsaspekte wie beispielsweise Pünktlichkeit, Vollständigkeit und Qualität der Ware sowie bei Bedarf durch das Ergreifen von Gegenmaßnahmen in Form von Sanktionen. 7. Nachschub- und Bestandssteuerung: Eine sehr eng Verzahnung besteht zwischen der Bestellung und Nachbestellung der Waren und der Steuerung der Nachschubprozesse und der Bestandsreichweiten. Der Händler muss dabei unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Rahmenbedingungen wie der erwarteten Nachfrage, den Lieferzeiten, den Lagerkapazitäten und gegebenenfalls den Verfallsdaten den zeitlichen Ablauf und Umfang der Warenflüsse optimal steuern. Ziel dabei ist es, eine Reihe von Trade-offEntscheidungen (zum Beispiel Risiko der Nichtverfügbarkeit von Waren vs. die Höhe der Sicherheitsbestände) so zu optimieren, dass die Ware rechtzeitig im Verkauf ist, keine unnötigen Überbestände aufgebaut werden und die konstante Verfügbarkeit der Produkte gewährleistet bleibt.
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
19
Physischer Warenfluss
Zentrallager-/
2 CrossdockingProzesse
3 Auslieferung an die Filialen
Eingehende Logistik/ Anlieferung
4 Filiallogistik
1 Hersteller
Händler Nachschubund Bestandssteuerung
7
5 Lieferantenauswahl und -management 6
Bedarfsplanung und Nachbestellung
Informationsfluss
Abbildung 2-1: Zentrale Prozesse im Supply-Chain-Management des Einzelhandels58
Die obige Darstellung der Supply-Chain-Prozesse zeigt, dass eine Betrachtung der Supply Chain des Einzelhandels nicht autonom vom Konsumgüterhersteller erfolgen kann, da sich auf fast allen Stufen der Lieferkette Berührungspunkte erkennen lassen. Bei vielen Aufgabenbereichen existiert dabei ein großes Spektrum an möglichen Aufgabenteilungen zwischen Handel und Hersteller, welches von einer unabhängigen, teilweise sogar konfrontativen Interaktion bis hin zu einer engen und umfassenden Kooperation reichen kann. So kann der Händler unter anderem die Bedarfsplanung gemeinsam mit dem Hersteller erstellen, seine Filiallogistik durch eine gemeinsame Festlegung der optimalen Verpackungen beeinflussen oder den Hersteller in seine Bestandssteuerung einbeziehen. Dies sind Beispiele für ein kooperatives Supply-ChainManagement, auf das im nächsten Abschnitt näher eingegangen wird.
58
Eigene Darstellung.
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
20
2.3 Kooperation und Supply-Chain-Kooperation 2.3.1
Begriffsbestimmung und Kooperationsformen
Der Begriff der Kooperation ist in der Literatur auf vielfältige Weise belegt,59 was teilweise an der Vielfältigkeit der Gestaltung und Ausführung der möglichen Kooperationen sowie teilweise an den unterschiedlichen Forschungsinteressen der jeweiligen Autoren liegt.60 Im Folgenden wird auf einige wichtige Merkmale der Kooperation hingewiesen und aus der Literatur eine für diese Arbeit passende Definition des Begriffs abgeleitet.
SMITH/CARROLL/ASHFORD verstehen unter einer Kooperation die Zusammenarbeit zwischen Menschen, Gruppen und Organisationen, die das Ziel eines gemeinsamen Vorteils oder Gewinns hat.61 WÖHE betont, dass es sich bei der Kooperation um eine freiwillige Zusammenarbeit handelt, und dass die Organisationen in ihren nicht in die Kooperation eingebundenen Bereichen eigenständig bleiben.62 In der Kooperation besteht in der Regel keine hierarchische Weisungsbefugnis der eine Organisation über die andere.63 Durch die Zusammenarbeit begeben sich die Partner teilweise in eine wirtschaftliche Abhängigkeit.64 ZENTES/SWOBODA/MORSCHETT zeigen verschiedene Ausgestaltungsformen auf: Die Kooperation kann nur temporär oder auf Dauer angelegt sein, alle oder nur Teile der betroffenen Unternehmen einbeziehen und mit verschiedenen Formalisierungsgraden ausgestaltet sein.65
Die Verwendung des Terminus Allianz erfolgt in der Literatur und insbesondere in der angloamerikanischen Literatur von den meisten Autoren synonym zu dem der Kooperation.66 Die Kooperation muss hingegen vom Netzwerk abgegrenzt werden. Während erstere Formen
59
60 61 62 63 64 65 66
Zum Kooperationsbegriff vgl. zum Beispiel Picot/Reichwal/Wigand (2003, S. 44 und S. 289 und S. 303 ff.), Balling (1998, S. 8 f.), Zentes/Swoboda/Morschett (2003, S. 5 f.), Tietz/Mathieu (1979, S. 9), Schulke (2003, S. 59). Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2003, S. 5), Smith/Carroll/Ahford (1995, S. 10). Vgl. Smith/Carroll/Ahford (1995, S. 10). Vgl. auch Harrigan (1988, S. 205). Vgl. Wöhe (2000, S. 321). Vgl. Sjurts (2000, S. 16). Vgl. Ritter (1998, S. 13). Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2003, S. 5). Vgl. Friese (1998, S. 57 ff.), Zentes/Swoboda/Morschett (2003 S. 5f.), Balling (1998, S. 24f.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
21
bilateraler Zusammenarbeit beschreibt, bezieht sich der Begriff Netzwerk auf die Zusammenarbeit einer Vielzahl rechtlich selbständiger Unternehmen.67
Zur
Charakterisierung
Kooperationsrichtung
der je
Kooperation nach
Stellung
unterscheidet der
die
beteiligten
Literatur
bezüglich
Organisationen
in
der der
Wertschöpfungskette zwischen vertikalen, horizontalen und lateralen (auch: diagonalen) Kooperationen.68 Abbildung 2-2 stellt diese Kooperationsformen grafisch dar.
Kunde Branchenfremdes Unternehmen Vertikal
Horizontal Wettbewerber
Wettbewerber
Lateral
Branchenfremdes Unternehmen Lieferant
Abbildung 2-2: Kooperationsrichtungen69
Der Begriff vertikale Kooperation beschreibt die Zusammenarbeit von Unternehmen aus direkt aufeinander folgenden Stufen der Wertschöpfungskette, die bestimmte gemeinsame Leistungen erbringen und in Teilaufgaben eng miteinander kooperieren, aber dennoch wirtschaftlich und
67
68 69
Vgl. Picot/Reichwal/Wigand (2003, S. 317). In der Literatur liegen zum Teil hiervon abweichende Begriffsauffassungen vor (vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2003 S. 387 ff.)): So definieren zum Beispiel Backhaus/Meyer "strategische Allianzen" als eine horizontal und "strategische Netzwerke" als eine vertikal bzw. diagonal ausgerichtete Kooperationsform (vgl. Backhaus/Meyer (1993, S. 332)). Vgl. Backhaus/Meyer (1993, S. 330 f.), Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 305 f.). In Anlehnung an Bronder/Pritzl (1991, S. 50).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
22
rechtlich selbständig bleiben.70 Die vertikale Kooperation entspricht damit dem in dieser Arbeit untersuchten Kooperationstyp zwischen zwei Unternehmen in der Supply Chain. Horizontale Kooperation bezeichnet die Zusammenarbeit von Unternehmen, die aus der gleichen Branche kommen und auf der gleichen Marktstufe stehen (zum Beispiel Forschungs- und Entwicklungskooperationen).71 Bei lateralen oder diagonalen Kooperationen hingegen arbeiten Unternehmen unterschiedlicher Branchen und unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen zusammen (zum Beispiel Einzelhändler und Softwareunternehmen).72
Zusammenfassend lässt sich für diese Arbeit folgende Definition ableiten: Als Kooperation gilt eine mittel- bis langfristig angelegte freiwillige Zusammenarbeit wirtschaftlich und rechtlich selbständiger Unternehmen, die in Teilen ihrer Geschäftstätigkeit mit dem Ziel eines wirtschaftlichen Vorteils zusammenarbeiten. Die Supply-Chain-Kooperation lässt sich als eine vertikale Ausprägungsform beschreiben, bei der zwei Unternehmen aus aufeinander folgenden Stufen
der
Wertschöpfungskette
(hier
Konsumgüterhersteller
und
Einzelhändler)
zusammenarbeiten. Aufbauend auf diesem Begriffsverständnis wird im Folgenden die SupplyChain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern im Detail analysiert. 2.3.2
Supply-Chain-Kooperation zwischen Einzelhandel und Herstellern
Der folgende Abschnitt beschreibt konkrete Ausgestaltungsformen der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern. Darüber hinaus erfolgt die Ableitung einer geeigneten Operationalisierung, anhand derer die Intensität der Supply-Chain-Kooperation in der empirischen Untersuchung gemessen werden kann und die eine Analyse des Einflusses auf den Supply-ChainErfolg ermöglicht.
Einleitend lassen sich einige konkrete Ausprägungsformen der Supply-Chain-Kooperation an dem Beispiel der Zusammenarbeit des englischen Händlers Sainsbury's mit dem Hersteller Kraft verdeutlichen:73 Zwischen 2000 und 2003 gelang diesen beiden Unternehmen durch drei aufeinander folgende Projekte eine konstante Steigerung der Intensität ihrer Zusammenarbeit. Zu Beginn waren sich beide Unternehmen nicht bewusst, welche Supply-Chain-Daten der Geschäftspartner erhebt und wie diese – auch im Vergleich zum Wettbewerb – sich gestalten. 70 71
72 73
Vgl. Gerybadze (2003, S. 449), Balling (1998, S. 42), Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 305 f.). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 306), Bronder/Pritzl (1991, S. 46). Hamel/Doz/Prahalad bezeichnen diese Kooperationsform als "competitive collaboration". Darunter subsumieren sie Erscheinungsformen wie "joint ventures", "outsourcing agreements", "product licensings", "cooperative research" (vgl. Hamel/Doz/Prahalad (1989, S. 133)). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 306), Bronder/Pritzl (1991, S. 48). Vgl. Winsor/Hicks (2004), Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 112 f.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
23
Auch das Leistungsvermögen und die Pläne des Partners waren zunächst nicht bekannt. Um diese Problematik aufzulösen erhöhten die Unternehmen in einem ersten Schritt daher die Datentransparenz, indem sie beispielsweise Informationen bezüglich der Abverkäufe einzelner Aktionen oder über die Lagerreichweiten beider Parteien elektronisch austauschten. Anhand dieser Informationen ließen sich dann zum Beispiel Menge und Preis von Aktionsangeboten gemeinsam steuern und optimieren. Im zweiten Schritt weiteten Sainsbury's und Kraft ihre Kooperation auf die Logistikprozesse aus. Diese Ausweitung umfasste beispielsweise im Bereich der Frischeartikel die Einführung einer ständigen Messung der Verfügbarkeiten in den Filialen sowie die gemeinsame Etablierung eines optimierten Nachschubprozesses. Im dritten Schritt erfolgte
schließlich
Leistungsmanagement,
der bei
Ausbau dem
der
Zusammenarbeit
gegenseitig
die
zu
einem
Supply-Chain-Leistung
kontinuierlichen verfolgt,
mit
Wettbewerbern verglichen und in gemeinsamen Review-Meetings diskutiert wird. Für diesen Prozess entwickelte Sainsbury's gemeinsam mit dem französischen Händler Carrefour die so genannte Collaborative Performance Management Scorecard. Die Scorecard enthält alle relevanten Daten, Informationen und Kennzahlen und ist für beide Unternehmen zugänlich. Die intensivierte Kooperation zwischen Sainsbury's und Kraft hat in diesem Beispiel die SupplyChain-Leistung positiv beeinflusst: Die Regalverfügbarkeit konnte um 1,1 Prozentpunkte erhöht werden, die Lieferantenleistung (zum Beispiel Auslastungsgrad der Transporteinheiten und Pünktlichkeit) wurde verbessert und der Umsatz konnte aufgrund optimierter Prozesse um 3,8 Prozent gesteigert werden.
Anhand dieses Beispiels lassen sich zwei vorherrschende Kooperationsformen zwischen Handel und Hersteller erkennen: Einerseits die Kooperation durch Informationsaustausch und andererseits die Kooperation durch gemeinsame Prozesse. Sainsbury's und Kraft tauschen Logistikdaten und Leistungskennzahlen aus, um gemeinsam eine Verbesserung ihrer SupplyChain-Leistungen zu erreichen. Darüber hinaus erfolgt eine Verzahnung bisher autonom ablaufender Prozesse wie zum Beispiel die Nachschubsteuerung. Um die Intensität der SupplyChain-Kooperation zu operationalisieren sowie differenziert zu messen und zu untersuchen, erscheint deshalb eine Unterscheidung dieser beiden Kooperationsformen auch für die vorliegenden Arbeit und die empirische Untersuchung sinnvoll.
Kooperation durch Informationsaustausch bedeutet, dass sowohl Händler als auch Hersteller dem Kooperationspartner ihre jeweiligen Daten und Informationen bezüglich der Lieferkette zur Verfügung stellen um die Gesamtleistung der Supply Chain zu steigern. Ähnlich wie Sainsbury's und Kraft haben eine Reihe von Händlern und Herstellern festgestellt, dass beide Parteien wertvolle Informationen besitzen, die dem anderen bisher nicht zugänglich waren oder die mit
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
24
hohem Aufwand erhoben werden müssen.74 Im Folgenden werden drei konkrete Ausprägungsformen dieser Kooperation dargestellt: x
Eine zentrale Spielart dieses Informationsaustausches stellt der standardisierte Austausch von Daten via Electronic Data Interchange (EDI) dar.75 Dabei ermöglichen festgelegte Standards den Austausch elektronischer Daten zwischen Computersystemen und deren Weiterverarbeitung ohne dass es zu einem Medienbruch kommt. Es existieren eine Reihe verschiedener EDI-Nachrichtenformate, wobei die wichtigsten und am weitesten verbreiteten für den Handel die Übertragung von Bestellungen ("ORDERS") und Rechnungen ("INVOIC") sind. Händler und Hersteller arbeiten zurzeit gemeinsam an der Einführung weiterer Nachrichtenformate76, darunter insbesondere der elektronische Lieferschein ("DESADV").77 Über diesen erhält der Händler vorab Informationen über die Zusammensetzung der Lieferung, was es ihm ermöglicht, die nachfolgenden Prozesse bereits im Voraus zu planen. Darüber hinaus kann somit die Wareneingangsprüfung durch einen elektronischen Abgleich zwischen der Lieferung (zum Beispiel mittels Scannen) und dem elektronischen Lieferavis erfolgen.
x
Eine weitere Form des Informationsaustausches ist der Austausch von Supply-ChainKennzahlen. Die ausgetauschten Key Performance Indicators (KPIs) beinhalten insbesondere Daten zur Verfügbarkeit einzelner Sortimente auf den unterschiedlichen Stufen der Lieferkette, zur Planungsgenauigkeit ("forecast accuracy")78 und zur Reichweite der Lagerbestände bzw. den Lagerumschlagsgeschwindigkeiten.79 Der Austausch der Kennzahlen erfolgt meist über so genannte Scorecards, die wie im Beispiel von Sainsbury's und Kraft proprietär entwickelt oder von spezialisierten Dienstleistern wie zum Beispiel GNX (international) oder SINFOS (Deutschland)80 zur Verfügung gestellt und betrieben werden.
x
Neben dem formellen Austausch quantitativer Daten kann zwischen Händler und Hersteller in Form der Zusammenarbeit auf operativer und auf Management-Ebene auch ein Austausch informeller Informationen stattfinden.81 Sainsbury's und Kraft nutzen zum
74 75 76 77 78 79 80 81
Vgl. zum Beispiel Rode (2004). Für eine detaillierte Beschreibung von EDI, der einzelnen Nachrichtenformate und der Funktionsweise vgl. Schneckenberg/Kirschner/Kranke (2003, S. 40). Vgl. Ochs (2004). DESADV steht für Despatch Advice Message. Vgl. Ferry/Debuchy (2004, S. 10). Die Kennzahl "Lagerumschlagsgeschwindigkeit" misst, wie oft der Lagerbestand durch den Umsatz einer Periode verbraucht oder gedreht wird. Die Kennzahl wird in Abschnitt 2.4.2.2 definiert. Vgl. www.gnx.com, www.sinfos.de. Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Großpietsch (2003, S. 38 ff.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
25
Beispiel bereits die erwähnten Review-Meetings zur Diskussion der jeweiligen SupplyChain-Leistung. Auch alltägliche Informationen wie die Ankündigung eines möglichen Lieferverzugs durch den Hersteller oder ein Verbesserungsvorschlag zur Kennzeichnung der gelieferten Logistikeinheiten seitens des Händlers werden auf informeller Ebene ausgetauscht.82
Basierend auf den dargestellten Ausprägungsformen lassen sich für die Messung der Intensität der Kooperation durch Informationsaustausch in der empirischen Untersuchung vier Indikatoren ableiten: die Intensität des Datenaustausches via EDI, die Intensität des Austausches von Leistungskennzahlen (KPIs) und die Intensität der Zusammenarbeit auf operativer sowie auf Topmanagementebene.
Bei der Kooperation durch gemeinsame Prozesse tauschen Handel und Hersteller nicht nur Informationen aus, sondern sie gestalten einzelne Prozesse im Supply-Chain-Management derart, dass diese in Zusammenarbeit zwischen ihren jeweiligen Supply-Chain-Organisationen erfolgen. Dies geschieht zum Beispiel durch den gemeinsamen Ausbau der Bestandssteuerung mittels Vendor Managed Inventory (VMI), den Ausbau der gemeinsamen Nachschubsteuerung mittels Collaborative Planning Forecasting and Replenishment (CPFR) und durch eine gemeinsame langfristige Supply-Chain-Planung. Diese drei Ausprägungsformen werden im Folgenden kurz dargestellt und dienen in der empirischen Untersuchung als Indikatoren zur Messung der Intensität der Kooperation durch gemeinsame Prozesse: x
Bei VMI ist nicht der Händler selbst für die Steuerung seiner Lagerbestände verantwortlich, sondern teilt sich diese Aufgabe mit dem Hersteller bzw. überträgt sie vollständig an diesen.83 Hierzu stellt der Händler dem Lieferanten die relevanten Daten wie Abverkaufsdaten, Ist-Bestände und Kapazitäten in der Regel via EDI zur Verfügung. Der Hersteller ermittelt anhand dieser Daten den optimalen Bestand und sendet diesen wiederum als Bestellvorschlag an den Händler.84 Die Zusammenarbeit geschieht in der Überzeugung,
dass
der
Hersteller
aufgrund
seiner
Kenntnisse
über
das
Abverkaufsverhalten des Artikels und über die erforderlichen Produktions- und
82 83 84
Die Beispiele entstammen den im Rahmen der empirischen Untersuchung durchgeführten Interviews. Für eine detaillierte Darstellung von VMI vgl. Seifert (2004, S. 127 f.), Handfield/Nichols (1999, S. 32), Simchi-Levi/Kaminsky/Simchi-Levi (2000, S. 132). Eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Schritte von VMI geben Senger/Österle am Beispiel der Kooperation von L'Oréal und dm-drogerie markt (vgl. Senger/Österle (2003)).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
26
Logistiksteuerung besser in der Lage ist, einen Teil des Bestandsmanagements durchzuführen, als der Händler allein.85 x
Bei CPFR erarbeiten Händler und Hersteller eine gemeinsame Absatzplanung; in diese werden die auf beiden Seiten verfügbaren Daten einbezogen.86 Basierend auf dieser Prognose werden in mehreren gemeinsamen Prozessschritten die Produktion des Herstellers, die Lieferung an den Händler, der Bestand und die Vermarktung aufeinander abgestimmt. Für das kooperative Vorgehen wurde in den USA vom gemeinsamen Branchenverband der Hersteller und Händler (VICS87) ein neunstufiger CPFR-Prozess entwickelt, der als Standardvorgehensweise bei CPFR angesehen wird.88
x
Einige Händler und Hersteller haben ihre Kooperation soweit ausgebaut, dass sie eine gemeinsame langfristige Supply-Chain-Planung durchführen und dabei auch sensitive Themen wie die langfristige Supply-Chain-Strategie miteinander abstimmen. In diesem Planungsprozess können die zukünftigen Logistikstrukturen wie zum Beispiel Lager- oder Produktionsstandorte des Partners in die eigene Supply-Chain-Strategie einbezogen werden. Eine solch langfristige gemeinsame Planung kommt jedoch nur selten zum Einsatz.89
Voraussetzung für gemeinsame Prozesse von Händler und Hersteller ist, wie der beschriebene Prozess der Bestandssteuerung mittels VMI zeigt, der Austausch relevanter Informationen. Die gemeinsame Bestandssteuerung, aber auch die kooperative Bedarfsplanung oder gemeinsame Langfristplanung, können nur erfolgen, wenn zuvor und während des Prozesses ein Austausch relevanter Informationen stattfindet. Mit anderen Worten: der Grad des Informationsaustauschs zwischen Händler und Hersteller beeinflusst den Grad, in dem diese gemeinsame Prozesse etablieren. Daraus lässt sich die folgende Hypothese zur Intensität der Kooperation ableiten:
Hk:
Je intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch, desto intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
Die Ausgestaltung und Messung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern ist zusammenfassend in Abbildung 2-3 dargestellt:
85 86 87 88 89
Vgl. Seifert (2004, S. 127). Vgl. für eine detaillierte Darstellung von CPFR vgl. Rosenstein/Kranke (2004, S. 34 ff.), Seifert (2004, S. 355 ff.). www.vics.org. Vgl. Treek/Seishoff (2002, S. 148), Rosenstein/Kranke (2004, S. 35). Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 103).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
Kooperationsform
Operationalisierung
Intensität der • Intensität der Nutzung von EDI Kooperation durch • Intensität des Austauschs von Informationsaustausch Supply-Chain-Kennzahlen . • Intensität des operativen Informationsaustauschs Intensität der • Intensität des Informationsaustauschs Supply-Chainauf Top Management Ebene Kooperation Intensität der Kooperation durch gemeinsame Prozesse
• Ausbau von VMI • Ausbau von CPFR • Intensität der gemeinsamen langfristigen Supply-Chain-Planung
27
Abgeleitete Hypothese Kooperation durch Informationsaustausch
+
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Abbildung 2-3: Kooperationsformen und Messung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Hersteller90
Abschließend sei hier kurz auf die Initiative Efficient Consumer Response (ECR) hingewiesen, deren zentrales Ziel in der Intensivierung der Kooperation zwischen Handel und Herstellern liegt und deren Inhalte sich daher zum Teil mit dem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit überschneiden.91 ECR definiert sich als eine "gemeinsame Initiative von Herstellern mit Groß/Einzelhändlern und weiteren Partnern der Versorgungskette mit dem Ziel, durch gemeinsame Anstrengungen die Abläufe zu verbessern und so den Konsumenten ein Optimum an Qualität, Service und Produktvielfalt kostenoptimal bieten zu können."92 Mit dem Ziel, den Austausch zwischen Unternehmergruppen durch gemeinsame Arbeitsgruppen und Konferenzen zu fördern, hat die Initiative verschiedene Kooperationsfelder zwischen Handel und Herstellern institutionalisiert. Durch diese Zusammenarbeit und die dabei definierten Standards sowie die erarbeiteten Konzepte sollen eine Steigerung der Konsumentenzufriedenheit sowie eine Reduzierung der Kosten der Wertschöpfungskette erreicht oder mit anderen Worten die Effizienz der Wertschöpfungskette erhöht werden.93 Die ECR-Initiative hat ihren Ursprung in den USA; 1994 wurden die Initiativen ECR Europe und 1995 ECR Deutschland gegründet.94
90 91 92 93 94
Eigene Darstellung. Für eine detaillierte Darstellung des ECR-Konzepts vgl. Seifert (2003, S. 49 ff.), Kranke (2003, S. 40f.). ECR (2005). Vgl. Zentes (1996, S. 4). Vgl. Seifert (2003, S. 58 ff.).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
28
Das ECR-Konzept unterscheidet zwischen der Supply Side (Angebotsseite) und der Demand Side (Nachfrageseite) und ordnet diesen einzelne Kooperationsfelder zu.95 Die Kooperationsfelder der Demand Side haben das Ziel den Marketingerfolg durch Zusammenarbeit im Category Management, bei der Steuerung von Promotions, der Sortimentsgestaltung oder durch gemeinsame Marktforschungen zu steigern. Die Supply Side umfasst Initiativen zur Verbesserung der Supply-Chain-Leistung. Dazu zählen zum Beispiel ein verstärkter Informationsfluss zwischen Hersteller und Händler, der Ausbau von Crossdocking, die Einführung effizienter und standardisierter Ladeeinheiten, die Verbesserung der Rückverfolgbarkeit der Waren und die Einführung von CPFR.96 Hinzu kommen übergreifende Themen wie die Einführung von EDI oder RFID. Der Fokus dieser Arbeit überschneidet sich teilweise mit den Inhalten der ECRInitiative und insbesondere deren Supply-Side-Projekte. Anders als bei ECR steht hier jedoch nicht die kooperative Umsetzung einzelner Konzepte wie zum Beispiel EDI oder CPFR im Vordergrund.97 Diese werden in der vorliegenden Arbeit lediglich als Ausprägungsmerkmale der Kooperationsintensität betrachtet. Anstatt einzelne Konzepte des kooperativen Supply-ChainManagements näher zu untersuchen, soll versucht werden, allgemein gültige Aussagen über den Einfluss der Kooperation auf den Supply-Chain-Erfolg sowie über die Kooperationsintensität und die den Supply-Chain-Erfolg beeinflussenden Faktoren zu treffen.
2.4 Supply-Chain-Erfolg Wie einleitend dargestellt, ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit den Einfluss der Supply-ChainKooperation auf den Supply-Chain-Erfolg zu analysieren sowie Faktoren zu identifizieren, welche die Intensität der Kooperation und den Erfolg beeinflussen. Der Definition und der Messung des Supply-Chain-Erfolgs kommt deshalb eine zentrale Bedeutung zu. Der folgende Abschnitt befasst sich
mit
der
Erläuterung
des
Begriffsverständnisses
und
zeigt
Möglichkeiten
der
Operationalisierung auf (Abschnitt 2.4.1). Anschließend erfolgt die Beschreibung der konkreten Anwendung auf die Supply Chain des Einzelhandels sowie die Vorstellung der in der vorliegenden Arbeit zur Messung des Supply-Chain-Erfolgs verwendeten Methode (Abschnitt 2.4.2).
95 96 97
Vgl. Seifert (2003. S. 51), CCG (2004, S. 25 ff. und 40 ff.). Vgl. CCG (2004, S. 40 ff.). Einen Überblick über den Umsetzungsstand der im Rahmen von ECR thematisierten Konzepte gibt die jährliche ECR-Studie (vgl. CCG (2004)).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt 2.4.1
29
Definition und Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs
Zielsetzung des Supply-Chain-Managements ist wie bereits definiert die Erfüllung der Konsumentenbedürfnisse bei gleichzeitiger Minimierung des Gesamtaufwandes in der Lieferkette.98 Der Supply-Chain-Erfolg lässt sich demnach als die Effizienz der Supply Chain oder als eine möglichst günstige Output-/Inputrelation definieren. Zieldimensionen sind dabei: x
Output: Befriedigung der Kundenbedürfnisse durch eine bedürfnisgerechte Bereitstellung von Produkten und Serviceleistungen
x
Input: Ressourcenaufwand in der gesamten Supply Chain.99
Die Zielsetzungen des Supply-Chain-Managements und des Supply-Chain-Erfolgs nehmen in dieser Definition eine übergeordnete Perspektive ein, das heißt der Supply-Chain-Erfolg wird nicht für die einzelnen Funktionen wie zum Beispiel Planung oder Lagerlogistik, sondern auf Ebene der gesamten Lieferkette betrachtet. Gesamtoutput und -input bilden damit die oberste Ebene einer Kennzahlenhierarchie.100 Auf den unteren Ebenen sind für die einzelnen Funktionen gegebenenfalls nur einzelne Input- oder Outputgrößen relevant wie zum Beispiel das Erreichen eines vorgegebenen Servicelevels für die Filialbelieferung. Adressat der obersten Ebene ist die Geschäftsführung bzw. das Topmanagement. Adressat der darunter liegenden Ebenen sind Bereichs- oder Abteilungsleiter. Abbildung 2-4 stellt die Kennzahlenhierarchie am Beispiel des Einzelhandels dar. Die darin auf der 1. Ebene verwendeten Kennzahlen werden im folgenden Abschnitt erläutert.
98
Vgl. Cooper/Douglas/Labert/Pagh (1997, S. 3), Seuring (2001, S. 20). Vgl. Spekman/Kaumauff/Myhr (1998, S. 63), Großpietsch (2003, S. 39). 100 Vgl. Reichmann (2001, S. 6 ff.). 99
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
30
Fokus dieser Arbeit
Gegenstand
Adressaten Gesamte Supply Chain • Servicelevel/ Regalverfügbarkeit • Supply-ChainKosten • Gesamtbestand
1. Ebene: Kennzahlen für die gesamte Supply Chain
Lieferantenleistung • Servicelevel gesamt • Logistikkostenanteil • ...
2. Ebene: Kennzahlen je Funktion (Beispiele)
3. Ebene: Detaillierte, funktionale Kennzahlen (Beispiele)
Lieferant • Verursachte Regallücken • Nutzungsgrad EDINachrichten • ...
SupplyChainPlanung • Prognosegenauigkeit • Verursachte Regallücken • ...
Promotion • Regalverfügbarkeit im Aktionsverkauf • Restbestand • ...
Geschäftsführung
Zentrallogistik • Auslastung • Kosten Zentrallogistik • ...
Filiallogistik • Regalverfügbarkeit gesamt • Kosten Filiallogistik • ...
Lager • Pick-Kosten • Lkw-Auslastung • …
Bereichsleiter
Filiale • Regalverfügbarkeit • Nachfüllproduktivität • ...
Abteilungsleiter
Abbildung 2-4: Kennzahlenhierarchie im Supply-Chain-Management des Einzelhandels101
Für die Konzentration auf die Bewertung des Supply-Chain-Erfolgs auf der obersten Ebene in der vorliegenden Arbeit spricht, dass nur hier eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Unternehmen besteht. Die Kennzahlensysteme sind auf den funktionalen Ebenen zum Teil sehr unterschiedlich ausgestaltet. Darüber hinaus muss sich die empirische Studie aus pragmatischen Gründen auf die Erfassung weniger zentraler Kennzahlen beschränken. Ein weiteres zentrales Argument ergibt sich aus der Zielsetzung dieser Arbeit: Eine umfassende Beurteilung des SupplyChain-Erfolgs und des Einflusses der Supply-Chain-Kooperation kann nur dann erfolgen, wenn diese an ihrem Beitrag zum Gesamterfolg des Unternehmens, das heißt auf Basis des Gesamtoutputs und -inputs der Supply Chain gemessen werden.
Zur
Operationalisierung
des
Supply-Chain-Erfolgs
auf
den
einzelnen
Ebenen
der
Kennzahlenhierarchie schlägt das Supply Chain Operations Reference (SCOR) – Modell verschiedene konkrete Leistungsdimensionen und Kennzahlen vor.102 Das SCOR-Modell repräsentiert eine standardisierte Beschreibung der Supply Chain entlang der Kernprozesse
101 102
Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 165). Vgl. Supply Chain Council (2005).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
31
"Source" (Beschaffung), "Make" (Produktion) und "Deliver" (Vertrieb und Auftragsverarbeitung). Dieses Modell gilt als internationaler Standard für die Darstellung der Supply-Chain-Prozesse und die Messung der Supply-Chain-Leistung. Für die Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs auf oberster Ebene (1. Ebene) schlägt das SCOR-Modell die in Abbildung 2-5 dargestellten Leistungsdimensionen vor: Performance Attribute
Performance Attribute Definition
Supply Chain Reliability
The performance of the supply chain in delivering: the correct product to the correct place, at the correct time, in the correct condition and packaging, in the correct quantity, with the correct documentation, to the correct customer.
Supply Chain Responsiveness
The speed at which a supply chain provides products to the customer.
Supply Chain Flexibility
The agility of a supply chain in responding to marketplace changes to gain or maintain competitive advantage.
Supply Chain Costs
The costs associated with operating the supply chain.
Supply Chain Asset Management
The effectiveness of an organization in managing assets to support demand satisfaction. This includes the management of all assets: fixed and working capital.
Output
Input
Abbildung 2-5: Leistungsdimensionen des Supply-Chain-Erfolgs im SCOR-Modell auf 1. Ebene103
Die einzelnen Leistungsdimensionen werden im folgenden Abschnitt auf den Supply-ChainErfolg des Einzelhandels konkretisiert um Kennzahlen für die empirische Messung abzuleiten. 2.4.2
Messung des Supply-Chain-Erfolgs im Einzelhandel
In Anlehnung an die allgemeine Definition des Supply-Chain-Erfolgs ist das Supply-ChainManagement eines Händlers dann erfolgreich, wenn es die Wünsche des Kunden in der Filiale mit möglichst geringem Aufwand in der Lieferkette erfüllt.104 Es gilt daher, die Dimensionen Output (Befriedigung der Kundenbedürfnisse) und Input (Ressourcenaufwand) für das Supply-Chain-
103 104
Supply-Chain Council (2005, S. 17). Zur Definition und Operationalisierung von Supply-Chain-Erfolg Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 18 ff.).
im
Handel
vgl.
auch
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
32
Management im Handel zu konkretisieren um die Messung des Erfolgs in der empirischen Untersuchung durch konkrete Leistungskennzahlen zu ermöglichen. 2.4.2.1
Messung des Outputs
Das Befriedigen von Kundenbedürfnissen im Supply-Chain-Management des Handels bedeutet in Anlehnung an die Definition der Supply Chain Reliability im SCOR-Modell105, dass die richtige Ware in ausreichender Menge am richtigen Ort bzw. an der dafür vorgesehenen Stelle im Regal106 liegen muss, denn der Kunde erwartet, dass das von ihm gewünschte Produkt zum Zeitpunkt seines Einkaufs für ihn bereit steht. Ist dies nicht der Fall, so bleiben die Bedürfnisse des Kunden unzureichend befriedigt. Die Kennzahl mittels derer die Befriedigung der Kundenbedürfnisse
durch
die
Supply
Chain
des
Handels
gemessen
wird,
ist
die
Regalverfügbarkeit, das heißt der Anteil der im Regal für den Kunden verfügbaren Produkte in Prozent aller gelisteten Artikel. In der Literatur wird diese Kennzahl auch als On-shelf Availability (OSA) bezeichnet oder es wird statt der Produktverfügbarkeit der Anteil an Regallücken angegeben und dieser als Out-of-Stock (OOS) bezeichnet.107
Neben der Regalverfügbarkeit sind für den Kunden weitere Leistungsdimensionen relevant, dazu zählen zum Beispiel ausreichend Personal, das ihn kompetent beraten kann, sowie kurze Wartezeiten an der Kasse. Diese Serviceaspekte werden aber nur indirekt durch die SupplyChain-Leistung beeinflusst und erfahren deshalb bei der Erfolgsmessung in dieser Arbeit keine Berücksichtigung. Auch die Attribute "Supply Chain Responsiveness" und "Supply Chain Flexibility" des SCOR-Modells werden nicht separat einbezogen. Diese beeinflussen langfristig ebenfalls die Regalverfügbarkeit und lassen sich somit ebenfalls durch diese übergeordnete Kennzahl erfassen.
An dieser Stelle soll kurz auf den Zusammenhang zwischen der Regalverfügbarkeit und dem Gesamterfolg des Handelsunternehmens hingewiesen werden, da dieser im Gegensatz zu reinen Kosten oder Umsatzkennzahlen nicht direkt ersichtlich ist. Die Regalverfügbarkeit wirkt sich auf den Unternehmenserfolg aus, da nicht verfügbare Produkte zu entgangenem Umsatz für den Händler und damit zu entgangener Umsatzmarge führen. Der Einfluss von OOS auf den Umsatz wurde bereits in verschiedenen empirischen Untersuchungen behandelt.108 So wertete zum
105 106
Vgl. Abbildung 2-5.
Ein Großteil der vom Handel angebotenen Artikel wird in Regalen präsentiert. Das Regal steht hier jedoch auch beispielhaft für alle weiteren Display-Methoden (zum Beispiel Tische, Papp-Aufsteller). 107 Vgl. zum Beispiel Seifert (2004, S. 113). 108 Vgl. zum Beispiel Gruen/Corsten/Bharadwaj (2002), ECR Europe (2003).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
33
Beispiel ANGERER in einer Metaanalyse 15 Studien, die in Summe 661 Handelsfilialen und 71.000 Konsumenten in 29 Ländern erfassen, aus.109 Gemäß seinen Ergebnissen liegt wie in Abbildung 2-6 dargestellt der direkte Umsatzverlust eines Händlers bei 40 Prozent. Dieser entsteht dadurch, dass der Kunde bei Nichtverfügbarkeit des Produkts entweder ganz auf den Kauf verzichtet oder bei einem Wettbewerber kauft. Weitere 15 Prozent der potenziellen Käufer verschieben den Kauf auf einen späteren Zeitpunkt, wodurch ebenfalls ein hohes Umsatzrisiko entsteht. Nur 45 Prozent der Kunden substituieren das nicht verfügbare Produkt durch einen anderen Artikel des gleichen Händlers.110 Zudem zeigt eine Beobachtung des Kundenverhaltens bei Regallücken über längere Zeiträume, dass die Bereitschaft zur Substitution bei wiederholtem Antreffen einer Out-of-Stock-Situation deutlich abnimmt und somit der entgangene Umsatz steigt.111 Insgesamt kann als Faustregel angenommen werden, dass der gesamte Umsatzverlust von Regallücken bei rund 50 Prozent liegt und somit bereits eine um 2 Prozent geringere Regalverfügbarkeit einen Umsatzverlust von rund 1 Prozent ausmacht.112
109
Vgl. Angerer (2004). Detailanalysen zur Substitution zeigen, dass sich die Kunden dabei meist für ein günstigeres Produkt entscheiden, um das Risiko eines Fehlkaufs zu verringern (vgl. Angerer (2004, S. 5)). Dieser Effekt wird hier nicht berücksichtigt. 111 Vgl. ECR Europe (2003). 112 Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 20). 110
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
34
100% 31% 9% 15% 26% 19%
Gewünschtes Kauft Verzichtet Produkt nicht Produkt in auf Einkauf verfügbar anderem Laden
Verschiebt Einkauf
Substituiert mit anderer Marke
Substituiert mit anderem Produkt derselben Marke
Direkter Umsatzverlust der Filiale
Verschiebung mit hohem Verlustrisiko
Substitution (meist mit günstigerem Produkt)
40%
15%
45%
Abbildung 2-6: Kundenreaktion bei Regallücken113
2.4.2.2
Messung des Inputs
Als Aufwand (Input) bezeichnet das SCOR-Modell allgemein die beiden Leistungsdimensionen Supply Chain Costs und Supply Chain Asset Management.114 Die Supply-Chain-Kosten können im Handel als Logistikkosten operationalisiert werden, die für Lager, Transport und zentrale Steuerung
aufgewendet
werden
müssen.115
Diese
Kennzahl
entspricht
einer
Prozesskostengröße116 und umfasst alle Kosten, die nach der Anlieferung der Ware an den Lagerstandort oder den Crossdocking-Punkt des Händlers bis zur Anlieferung der Ware an die Filiale entstehen.117 Die Logistikkosten umfassen Personal- und Sachkosten und werden in Prozent vom Umsatz ausgedrückt.118
113 114 115
In Anlehnung an Angerer (2004, S. 5). Vgl. Abbildung 2-5.
Für eine allgemeine Darstellung der Definition und Messung von Logistikkosten vgl. Lindner/Pringer (1990, S. 227 f.). 116 Zur Prozesskostenrechnung im Handel vgl. Müller-Hagedorn (1998, S. 615 ff.). 117 Die Kosten der Filiallogistik (z.B. Eingangskontrolle, Regalbefüllung) bleiben hier aus Gründen der Vergleichbarkeit der Unternehmen unberücksichtigt, weil diese Kosten nur von wenigen Einzelhändlern quantifiziert werden können. 118 Vgl. Lindner/Pringer (1990, S. 227).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
35
Asset Management umfasst im Handel das Management der Warenbestände in der Lieferkette. Der Gesamtbestand ergibt sich dabei aus der Summe der Bestände in den Lägern und Filialen. Als Kennzahl zur Messung des Gesamtbestands schlägt MÜLLER-HAGEDORN den Lagerumschlag vor. Diese bemisst, wie häufig der Lagerbestand durch den Umsatz innerhalb einer Periode verbraucht oder "gedreht" wird und ist definiert als:119
Umsatz einer Periode Durchschnittlicher Lagerbestand der Periode
.
In Testinterviews, die im Vorfeld der empirischen Untersuchung dieser Arbeit stattfanden,120 zeigte sich hingegen, dass die Messung der Bestandsreichweite in Tagen bei den befragten Händlern wesentlich üblicher ist als die Messung auf Basis einer Periode und sich somit für die empirische Erhebung besser eignet. Die Kennzahl "Bestandsreichweite in Tagen" gibt an, über wie viele Tage hinweg der durchschnittliche Tagesumsatz aus dem durchschnittlichen Bestand gedeckt werden kann und ist definiert als:121 Lagerbesta nd Verbrauch
oder konkreter als
Durchschnittlicher Lagerbestand zu Verkaufspreisen . Durchschnittlicher Umsatz pro Tag
Die abgeleitete Operationalisierung der Leistungsdimensionen Output und Input im SupplyChain-Management des Handels ist in Abbildung 2-7 zusammengefasst:
119
Vgl. Müller-Hagedorn (1998, S. 650). Das Vorgehen der empirischen Erhebung wird in Kapitel 4 detailliert vorgestellt. 121 Vgl. CCG (2001). 120
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
36
Kennzahl
Definition
Messung
Regalverfügbarkeit
Durchschnittliche Anzahl im Regal verfügbarer Artikel Durchschnittliche Anzahl gelisteteter Artikel
in Prozent der gelisteten Artikel
Output
Logistikkosten
Gesamtkosten der Logistik pro Jahr Netto-Jahresumsatz
in Prozent vom Umsatz
• Kosten von der Warenannahme im Lager bis zur Anlieferung der Ware in der Filiale. Eingeschlossen sind somit die Kosten des Lagers, des Transports und der zentralen Steuerung. Ausgeschlossen sind die Kosten der Anlieferung an das Lager bzw. der Abhollogistik sowie die der Streckenbelieferung (Direktbelieferung vom Hersteller zur Filiale). • Der Umsatz wurde auf Basis von Netto-Verkaufspreisen erhoben. Es wurde nur der Umsatz von Produkten berücksichtigt, die über die zentrale Logistik abgewickelt werden. Nicht berücksichtigt ist somit der Umsatz von Produkten mit Streckenbelieferung.
Input
Gesamtbestandsreichweite
Durchschnittlicher Lagerbestand zu Verkaufspreisen Jahresumsatz 365
in (Kalender-)Tagen
Abbildung 2-7: Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs im Handel122
2.4.2.3
Zusammenfassung der drei Kennzahlen zu einer einzigen Erfolgskennzahl
Die Messung des Supply-Chain-Erfolgs in der empirischen Studie erfolgte wie dargestellt anhand einer
Outputgröße
(Regalverfügbarkeit)
und
zwei
Inputgrößen
(Logistikkosten,
Gesamtbestandsreichweite). Für die spätere Auswertung der Wirkungszusammenhänge in Kapitel 5 war es notwendig, diese drei Kennzahlen zu einer einzigen Erfolgskennzahl ("Supply-ChainErfolg") zusammenzufassen um einen eindimensionalen Vergleich der Einzelhandelsunternehmen zu ermöglichen. Eine beispielhafte Frage verdeutlicht diese Notwendigkeit: Ist die Supply Chain von Unternehmen A mit 0,5 Prozent höheren Logistikkosten, fünf Tagen geringerer Bestandsreichweite sowie einer um 2 Prozentpunkte höheren Regalverfügbarkeit erfolgreicher oder weniger erfolgreich als die von Unternehmen B? Um an dieser Stelle einen Leistungsvergleich zu ermöglichen, müssen die drei beschriebenen Kennzahlen zu einer Kennzahl, dem Supply-Chain-Erfolg, aggregiert werden.
122
Eigene Darstellung; für Benchmarkdaten zu den drei im Einzelhandel erhobenen Kennzahlen vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 20).
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
37
Wie in Abbildung 2-7 ersichtlich, lassen sich die drei Erfolgskennzahlen ohne Umformung nicht zusammenfassen. Eine Vergleichbarkeit und damit die mögliche Aggregation der drei Leistungsdimensionen ergeben sich deshalb erst bei der Betrachtung ihres Einflusses auf den Gesamterfolg des Unternehmens. Alle Leistungskennzahlen lassen sich zu diesem Zweck auch monetär als Kosten der Supply Chain darstellen, die in Summe auf den Gesamterfolg wirken.
Für die Inputgrößen Logistikkosten und Gesamtbestand ist eine monetäre Darstellung nahe liegend: Die Logistikkosten werden bereits als Kosten in Prozent vom Umsatz erhoben und auch bezüglich der Gesamtbestandsreichweite liegt die Darstellung als Bestandskosten auf der Hand. Hierzu wird die Bestandsreichweite in den Bestandswert zu Einkaufspreisen überführt und mit dem durchschnittlichen Kapitalkostensatz multipliziert.123 Die Bestandskosten beschreiben somit die Kosten für das im Lagerbestand gebundene Kapital.
Erklärungsbedürftiger ist die monetäre Bewertung der Outputgröße Regalverfügbarkeit. Auch diese lässt sich mit wenigen Rechenschritten als entgangene Bruttomarge und damit als Kostenäquivalent ausdrücken. Hierzu wird zunächst nicht die Regalverfügbarkeit (OSA), sondern die Out-of-Stock-Quote (OOS) betrachtet. Wie in Abschnitt 2.4.2.1 bereits gezeigt, führen rund 50 Prozent Out-of-Stock zu einem entgangenen Umsatz und damit zu einer Reduktion des Ertrags in Höhe der entgangenen Bruttomarge.124 Die Bruttomarge wird auch als Rohertrag oder Bruttoertrag definiert und entspricht dem um den Wareneinstand reduzierten Umsatz.125 Die Outof-Stock-Kosten entsprechen somit dem durch Regallücken verursachten entgangenen Ertrag des Händlers.
Nach dieser Umformung ist der Supply-Chain-Erfolg eine Kennzahl, die aus drei Kostenarten (Out-of-Stock-, Logistik-, Bestandskosten) besteht. Bei der Berechnung des Erfolgs werden diese Kostenarten gleichgewichtet addiert.126 Daher ist der Erfolg umso größer je geringer diese Kennzahl ist. Abbildung 2-8 stellt dar, wie die Berechnung der Kennzahl "Supply-Chain-Erfolg" anhand der drei erhobenen Leistungskennzahlen erfolgt:
123
Die Kapitalkosten sind definiert als durchschnittliche Kosten der Kapitalaufnahme eines Unternehmens für Eigenkapital und Fremdkapital (Weighted Average Cost of Capital) (vgl. Brealey/Myers (2003, S. 222 ff.)) Hier wurde der durchschnittliche Kapitalkostensatz des Handels von 8 Prozent verwendet (vgl. Damodaran (2005)). 124 Die Bruttomarge ist definiert als Verkaufserlöse – Einstandspreis. Es wurde hier die durchschnittliche Bruttomarge des deutschen Lebensmitteleinzelhandels von 23 Prozent verwendet (vgl. Statistisches Bundesamt (1998)). 125 Vgl. Müller-Hagedorn (1998, S. 600 und 656 ff.). 126 Eine höhere Gewichtung einzelner Kostenarten wäre zu begründen, wenn für diese mit zusätzlichen negativen Effekten auf den Erfolg zu rechnen wäre. Hierzu lagen keine Erkenntnisse vor.
Kapitel 2 - Supply-Chain-Kooperation des Einzelhandels als Analyseobjekt
38
Erhobene Kennzahl
Notwendige Transformation der erhobenen Kennzahl
Out-of-StockKosten
Regalverfügbarkeit (OSA) (in Prozent der gelisteten Artikel)
1. Berechnung der Out-of-Stock-Quote (OOS): = 1 - OSA 2. Berechnung des entgangenen Umsatzanteils: = 0,5 [ OOS 3. Berechnung der Out-of-Stock Kosten = Entgangener Umsatz [ Bruttomarge
+
Logistikkosten
Logistikkosten (in Prozent vom Umsatz)
-
+
Bestandskosten
Bestandsreichweite (in Tagen)
=
Supply-ChainErfolg
Berechnung
1. Berechnung Bestandswert = Bestandsreichweite [ durchschnittlicher Umsatz pro Tag zu Einstandspreisen 2. Berechnung der Bestandskosten = Durchschnittlicher Bestandswert zu Einstandspreisen [ Kapitalkostensatz
Abbildung 2-8: Berechnung der Kennzahl "Supply-Chain-Erfolg"127
127
Eigene Darstellung.
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
39
3. Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation In
der
Forschung
findet
sich
eine
Vielzahl
theoretischer
Ansätze
zur
Erklärung
zwischenbetrieblicher Kooperation und zur Untersuchung ihrer Wirkung und Einflussfaktoren. ZENTES/SWOBODA/MORSCHETT deutschsprachigen
zeigen
anhand
betriebswirtschaftlichen
einer
Metaanalyse
Zeitschriften
und
der
führenden
internationalen
General
Management Journals auf, dass im Theoriepluralismus vor allem die Ansätze der Neuen Institutionenökonomie (NIÖ) sowie ressourcenorientierte Ansätze zur Anwendung kommen. Diese werden durch eine Reihe weiterer Ansätze wie den Situativen Ansatz, netzwerkorientierte Ansätze oder die Spieltheorie ergänzt.128
Theorie
Vertreter (Bsp.)
Zentrale Aussage
Eignung für Supply-Chain-Kooperationen zwischen Handel und Herstellern
Neue Institutionenökonomie (NIÖ)
Coase (1937), Williamson (1990)
Kooperation ist unter bestimmten + Analyse der Einflussfaktoren Umständen die effizienteste Organisations- + Breite Anwendung form und sowohl dem Markt als auch der - Vernachlässigung zentraler Aspekte vertikalen Integration überlegen. (z.B. Vertrauen, dauerhafter Austausch)
Ressourcenorientierte Forschung
Wernerfelt (1984), Barney (1991), Prahalad/Hamel (1990)
Kooperation ist eine Möglichkeit externe Ressourcen/Kompetenzen zu internalisieren, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
+ Breite Anwendung - Ursprüngliche Ansätze vernachlässigen Kooperation als eigenständige Ressource + Weiterentwicklung durch Relational View (Dyer/Singh (1998)) beschreiben Zustandekommen "relationaler Renten"
Situativer Ansatz
Pugh/Payne (1977), Staehle (1972)
Die Kooperation ist durch die jeweilige Situation (z.B. Größe, Produkte, Technologie) zu erklären.
+ Berücksichtigung struktureller Einflussfaktoren, die in übrigen Theorien teilweise vernachlässigt werden - Wenige Anwendungen
Netzwerkorientierte Ansätze
Sydow (1992), Picot/Reichwald/ Wigand (2003)
Das Unternehmen und die Akteure sind in ein wachsendes Netzwerk aus interorganisatorischen Beziehungen und Interdependenzen eingebettet.
- Fokus auf multilaterale Beziehungen - Keine einheitliche Theorie - Deskriptive Betrachtung von Netzwerken unter Rückgriff auf andere Theorien (z.B. NIÖ)
Spieltheorie
Von Hippel (1988), Axelrod (1984)
Ein Kooperationspartner kann seinen Nutzen steigern, wenn er die Kooperationsregeln verletzt, während sich der andere partnerschaftlich verhält.
- Fokus nur auf Ja-/Nein-Entscheidung kooperativen Verhaltens - Vernachlässigung der Beziehungen zwischen den Partnern
Industrieökonomik
Bain (1968), Mason (1959)
Zwischenbetriebliche Kooperationen sind durch die Industriestruktur bedingt.
- Betrachtung der Unternehmung und der Kooperation als "Black Box"
Verhaltenswissenschaften/ Interaktionstheorie
Staehle (1999)
Kooperationen sind das Ergebnis psychologischer und soziologischer Prozesse.
- Vernachlässigung ökonomischer Erklärungsansätze
- Starker Fokus auf einzelne, subjektive Entscheider
Abbildung 3-1: Gegenüberstellung ausgewählter theoretischer Ansätze zur Kooperation129
Für die vorliegende Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern bedeutet dies, dass sich verschiedene Ansätze und Blickwinkel zur Betrachtung anbieten. Auf eine umfassende und detaillierte Darstellung der gesamten theoretischen Breite wird
128 129
Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2003, S. 8 ff.). Eigene Darstellung.
40
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
hier verzichtet.130 Abbildung 3-1 beinhaltet stattdessen einen kurzen Überblick über die theoretischen Ansätze, die in der Literatur zur Untersuchung der Kooperation herangezogen werden und zeigt ihre Eignung für die Analyse der Supply-Chain-Kooperation.
Der folgenden theoretischen Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern wird zunächst die Neue Institutionenökonomie zu Grunde gelegt (Abschnitt 3.1), anschließend erfolgt deren Ergänzung durch den Relational View (Abschnitt 3.2) und den Situativen Ansatz (Abschnitt 3.3).
Bedingt durch ihre breite Anwendung sowie die große Zahl zentraler Erkenntnisse bezüglich der Vorteilhaftigkeit von Kooperationen als Organisationsform und deren Einflussfaktoren bietet sich die Neue Institutionenökonomie für die Analyse der Supply-Chain-Kooperation an. Auch die ressourcenorientierten Forschungsansätze und vor allem deren Ausprägung in Form des Relational View eignen sich zur Betrachtung der Kooperation zwischen Herstellern und Händlern, da diese insbesondere auch die von der NIÖ vernachlässigten Aspekte der Beziehung zwischen den Partnern aufgreifen. Wichtige Argumente bezüglich des Einflusses struktureller Aspekte der Supply Chain auf die Kooperation finden sich darüber hinaus auch im Situativen Ansatz. Diese Vorgehensweise, bei der verschiedene theoretische Ansätze auf ihren Erklärungsgehalt untersucht werden, empfiehlt auch SWOBODA, der feststellt, dass ein Theoriepluralismus bei der Analyse der Kooperation unerlässlich ist.131
Ziel der Ausführungen in diesem Kapitel ist die Ableitung eines theoriebasierten Hypothesensystems als Wirkungsmodell, welches den Einfluss der Supply-Chain-Kooperation auf den Supply-Chain-Erfolg beschreibt und die Einflussfaktoren von Kooperationsintensität und Erfolg enthält. Das im Folgenden abgeleitete Wirkungsmodell wird in Abbildung 3-2 dargestellt.
130
Für eine umfassende Darstellung vgl. Swoboda (2003, S. 36ff.). 131 Vgl. Swoboda (2003, S. 37).
der
Kooperation
in
der
betriebswirtschaftlichen
Literatur
132
Eigene Darstellung.
Hypothesen/ Einflussfaktoren des Situativen Ansatzes (Abschnitt 3.3)
Hypothesen/ Einflussfaktoren des Relational View (Abschnitt 3.2)
Hypothesen/ Einflussfaktoren der Neuen Institutionenökonomie (Abschnitt 3.1)
Sortimentskomplexität
Verhandlungsmacht
Zugang zu komplementären Kompetenzen
Kooperationskompetenz
Soziales Netzwerk
Transparenz
Kooperationsspezifische Faktoren
Formelle Governance
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Supply-Chain-Erfolg
Kooperation durch Informationsaustausch
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation 41
Abbildung 3-2: Wirkungsmodell zur Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern132
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
42
3.1 Ansätze der Neuen Institutionenökonomie 3.1.1
Ursprünge und Grundlagen der Neuen Institutionenökonomie
Die Neue Institutionenökonomie (NIÖ) umfasst verschiedene Ansätze, die darum bemüht sind, die Entstehung und Wirkung von Institutionen zu erklären. Im Zentrum der Analyse stehen dabei soziale, politische oder ökonomische Institutionen wie zum Beispiel soziale Konventionen, das Gesetz, das Unternehmen, der Markt oder, wie in der vorliegenden Arbeit, die Kooperation.133 Die verschiedenen Erklärungsmodelle verfolgen das Ziel, die Entwicklung von Institutionen und deren Auswirkungen auf das menschliche Verhalten ökonomisch zu analysieren und darüber hinaus Handlungsempfehlungen zur effizienten Gestaltung von Institutionen zu formulieren.134 Die unter dem von WILLIAMSON geprägten Begriff der New Institutional Economics135 bekannt gewordenen Ansätze stellen bis heute eine der wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsrichtungen dar.
Bei der Neuen Institutionenökonomie handelt es sich nicht um eine in sich geschlossene, eigenständige Wirtschaftstheorie136, sondern vielmehr um einen Pluralismus mehrerer
methodisch verwandter Ansätze, die sich in ihrem Analyseobjekt – der Institution – überschneiden, in anderen Bereichen aber auch ergänzen und unterscheiden.137 Zu den zentralen Ansätzen der NIÖ zählt die in den späteren Ausführungen detailliert dargestellte Transaktionskostenökonomie, der Principal-Agent-Ansatz sowie die Property-Rights-Theorie.138
Den
Grundstein
für
die
Entwicklung
dieser
Schulen
und
damit
für
die
Neue
Institutionenökonomie legte 1937 der spätere Nobelpreisträger RONAL H. COASE mit seinem Aufsatz "The nature of the firm". In diesem Aufsatz stellt COASE die grundlegenden Frage, was unter einer Firma zu verstehen ist und warum Firmen überhaupt existieren.139 Er stieß damit eine Diskussion über die Begründung und die Grenzen und Formen der Institution an, an der sich Ökonomen wie ALCHIAN, DEMSETZ, SIMON oder WILLIAMSON beteiligten.
133
138
Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 44). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 38). Williamson (1975, S. 1). Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 54). Vgl. Williamson (2000, S. 595), Picot/Dietl/Franck (2002, S. 55). Vgl. Abbildung 3-3 sowie die Abschnitte 3.1.2 bis 3.1.4.
139
Vgl. Coase (1937, S. 389).
134 135 136 137
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
43
Die zum damaligen Zeitpunkt vorherrschende Neoklassische Wirtschaftstheorie lieferte keine ausreichenden Erklärungsansätze für die Entstehung von Institutionen und insbesondere der Unternehmung. Sie beurteilt die Koordination von Transaktionen über den Markt als effizienteste Art des Güter- und Leistungsaustausches und betrachtet diese Markttransaktionen als kostenlos.140 Es wird zudem von den Annahmen ausgegangen, dass die Marktteilnehmer vollständig informiert und die Produkte von austauschbarer Qualität sind, keine Kosten für deren Vergleich entstehen und ein Marktgleichgewicht besteht, bei dem die Transaktionen in einer Art "reibungslosem" Vakuum ablaufen.141 Die Existenz einer hierarchischeren Organisationsform wie der Unternehmung oder der zwischenbetrieblichen Kooperation konnte vor dem Hintergrund der kostenlosen Nutzung eines effizienten Marktes nicht erklärt werden.142 COASE argumentierte hingegen, dass die Nutzung des Marktes und seiner Preismechanismen keineswegs kostenlos sei, sondern verschiedene Transaktionskosten bestehen.143 Die Existenz des Unternehmens kann deshalb seiner Ansicht nach damit begründet werden, dass bei gewissen Transaktionen die Kosten der Nutzung des Marktes höher sind als die Kosten der Abwicklung innerhalb des Unternehmens.144 Unternehmensintern müssen beispielsweise nicht für jede einzelne Transaktion formelle Verträge abgeschlossen werden. Auf dem Markt hingegen entstehen bei einem Vertragsabschluss die verschiedensten Transaktionskosten wie Suchkosten, die beim Ermitteln des effizienten Preises anfallen, oder Kosten für die Aushandlung der Verträge.
Neben dem Analyseobjekt der Institution definiert sich die NIÖ auch durch die gleichen
Verhaltensannahmen, die den verschiedenen Ansätzen zu Grunde liegen. Diese Annahmen betreffen die theoretischen Konzepte des methodologischen Individualismus und der begrenzten Rationalität ("bounded rationality") und deren Einfluss auf das Verhalten der Akteure.145 x
Der Erklärungsansatz des methodologischen Individualismus geht grundsätzlich vom individuellen Akteur aus. Institutionen werden darin als das Ergebnis der Summe individueller Handlungen und Entscheidungen angesehen und nicht wie in den soziologischen Ansätzen als Phänomene sozialer Systeme.146
140 141 142 143
144 145 146
Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 68). Vgl. Hobbs (1996, S. 16). Vgl. Eggertsson (1990). Vgl. Coase (1937, S. 390). Der Begriff der Transaktionskosten wurde erstmals im Jahre 1969 von Kenneth J. Arrow eingeführt (vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 42)). Coase selbst bezeichnete diese Kosten vorerst als "cost of using the price mechanism" (vgl. Coase (1937, S. 390)). Vgl. Coase (1937, 390 ff.). Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 37 ff.). Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 6).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
44 x
Begrenzte Rationalität bedeutet, dass der Mensch grundsätzlich versucht rational zu handeln. Aufgrund seiner kognitiven Mängel, also seiner Unfähigkeit alle notwendigen Informationen
zu
erfassen
und
aufgrund
positiver
Transaktionskosten
der
Informationsbeschaffung ist er dazu jedoch nicht in der Lage. Der Akteur ist somit weder allumfassend noch vollständig informiert, wie es in der Neoklassik angenommen wird147 und handelt deshalb begrenzt rational. Aufgrund dieser Einschränkungen muss auch die Zielsetzung der Handlungen eines Individuums angepasst werden. Das Individuum ist nicht mehr wie in der Neoklassik ein Nutzenmaximierer, sondern vielmehr ein "Satisfizierer"148, der bestrebt ist, seinen Eigennutzen unter der Einschränkung begrenzter Rationalität zu maximieren. x
Diese begrenzte Rationalität führt auch zu so genannten unvollständigen Verträgen zwischen den Akteuren. Diese kommen zu Stande, da die Transaktionen und die verursachten Vertragsbeziehungen derart vielschichtig sind, dass sich eine Regelung oder Sanktionierung aller Eventualitäten als unmöglich oder unwirtschaftlich erweist. Positive Transaktionskosten und unvollständige Informationsbeschaffung führen gleichzeitig zu einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den Akteuren.149
x
Unvollständige Verträge und asymmetrische Informationen schaffen Raum für opportunistisches
Handeln150,
das
dadurch
gekennzeichnet
ist,
dass
ein
Transaktionspartner bestrebt ist seinen Nutzen auf Kosten des anderen zu maximieren. Die Ursachen für diesen Opportunismus der Akteure und die Möglichkeiten ihn zu regulieren bilden den zentralen Aspekt der Neuen Institutionenökonomik, auf den im Folgenden detaillierter eingegangen wird.
Abbildung 3-3 fasst das theoretische Fundament der Neuen Institutionenökonomie zusammen und gibt einen Überblick über drei theoretischen Ansätze, die in den folgenden Abschnitten vorgestellt werden.
147
Vgl. Richter/Furubotn (2003, S. 50). Williamson (2000, S. 600). 149 Vgl. Spremann (1990, S. 561 ff.). 150 Vgl. Williamson (1979, S. 234). 148
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
45
Neue Institutionenökonomie Erklärung der Entstehung von Institutionen und der Auswirkungen auf das Handeln der Akteure unter der Annahme von methodologischen Individualismus und begrenzter Rationalität. Transaktionskostentheorie Untersuchungs- • Kosten beim Leistungsaustausch zwischen gegenstand Akteuren • Einflussfaktoren der Transaktionskosten (Spezifität, Unsicherheit, Transaktionsatmosphäre) • Auswirkungen der Organisationsform auf die Höhe der Transaktionskosten Kritikpunkte
• Operationalisierbarkeit • Einperiodizität • Fehlende Analyse sozialer Aspekte
Vertreter (Bsp.)
• Coase (1937) • Williamson (1990)
Principal-Agent-Theorie
Property-Rights-Theorie
• Austauschbeziehung
• Ausgestaltung von
zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer • Auswirkungen von Informationsasymmetrien (Hidden Characteristics, Hidden Action, Hidden Intention) • Handlungsalternativen zur Einschränkung opportunistischen Handelns
Verfügungsrechten und Auswirkungen auf das Verhalten der Akteure • Verdünnte Verfügungsrechte und deren Auswirkungen in Form externer Effekte • Möglichkeiten zur Internalisierung externer Effekte
• Überbewertung von
• Operationalisierbarkeit • Fehlende Analyse von
Opportunismus • Fehlende Analyse sozialer Aspekte
• Ross (1973) • Jensen/Meckling (1976)
Macht
• Coase (1960) • Alchian/Demsetz (1972)
Abbildung 3-3: Abgrenzung der theoretischen Ansätze der Neuen Institutionenökonomie151
3.1.2
Grundlagen der Transaktionskostentheorie
Die Transaktionskostenökonomik wurde maßgeblich von WILLIAMSON152 begründet und betrachtet als Untersuchungsgegenstand die einzelne Transaktion, bei der Verfügungsrechte übertragen werden. Transaktionen bezeichnen die vielfältigen Austauschbeziehungen zwischen den Akteuren (Organisationen und Individuen) eines arbeitsteiligen Wirtschaftssystems,153 die dabei anfallenden Kosten sind Transaktionskosten. Sie entstehen aufgrund unvollständiger und asymmetrisch verteilter Informationen und durch den Verbrauch von Ressourcen während der Abwicklung von Transaktionen. Während WILLIAMSON die Kosten nach dem Zeitpunkt des Anfallens in Ex-ante- (Kosten bis zum Vertragsabschluss) und Ex-Post-Transaktionskosten (Kosten nach Vertragsabschluss) unterteilt154, nimmt PICOT eine Differenzierung nach
Kostenarten vor und unterscheidet dabei Kosten der x 151
Anbahnung (zum Beispiel Recherche, Reisen)
Eigene Darstellung. Vgl. zum Beispiel Williamson (1975), Williamson (1996). 153 Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 67). 154 Vgl. Williamson (1990, S. 22). 152
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
46 x
Vereinbahrung (zum Beispiel Verhandlungen, Vertragsprüfung)
x
Abwicklung (zum Beispiel Prozesssteuerung)
x
Kontrolle (zum Beispiel Qualitäts- und Terminüberwachung)
x
Anpassung (zum Beispiel Zusatzkosten aufgrund nachträglicher Vertragsänderung).155
Die Höhe der Transaktionskosten ist maßgeblich abhängig von der Art der Transaktion und den Eigenschaften der übertragenen Leistung sowie von der zur Abwicklung der Transaktion gewählten Organisationsform.156 Zur Darstellung dieser Zusammenhänge und der einzelnen
Einflussfaktoren der Transaktionskosten hat WILLIAMSON das "organizational failure framework" entwickelt, 157 welches in Abbildung 3-4 dargestellt ist.
Verhaltensannahmen
Transaktionsatmosphäre/ Transaktionshäufigkeit
Begrenzte Rationalität
Umweltfaktoren
Unsicherheit/ Komplexität Informationsverkeilung Spezifität/ Strategische Bedeutung
Opportunismus
Abbildung 3-4: Einflussgrößen der Transaktionskosten ("organizational failure framework")158
Die zentralen Einflussgrößen im Rahmen dieses Modells bilden die Umweltfaktoren Spezifität, strategische Bedeutung, Unsicherheit und Komplexität einerseits und die Verhaltensannahmen Opportunismus
und
begrenzte
Rationalität
andererseits.
Hinzu
kommen
die
Transaktionsatmosphäre, das heißt die Art der Organisation der Transaktion, und ihre Häufigkeit. Da sich die Verhaltensannahmen mit den bereits dargestellten allgemeinen Prämissen der NIÖ decken,159 wird hier nur auf die Umweltfaktoren und die Transaktionsatmosphäre eingegangen:
155
Vgl. Picot (1991), Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 49). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 48). 157 Williamson (1975, S. 40). 158 In Anlehnung an Williamson (1975, S. 40). 159 Vgl. Kapitel 3.1.1. 156
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation x
47
WILLIAMSON misst der Spezifität unter den Einflussfaktoren die wichtigste Rolle zu.160 Sie drückt aus, wie sehr ein Unternehmen bei einer bestimmten Transaktion spezialisiert ist. Ein hoher Spezifikationsgrad besagt, dass ein großer Wertverlust entsteht, wenn die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Ressourcen nicht für die angestrebte Transaktion eingesetzt,
sondern
einer
anderen
Verwendung
zugeführt
werden.161
Ein
Beispiel: Unspezifische Ressourcen wie Standardsoftware bleiben auch nach Beendigung einer
Geschäftsbeziehung
nutzbar.
Eine
Softwarelösung,
die
speziell
auf
die
Anforderungen eines bestimmten Transaktionspartners zugeschnitten ist, kann hingegen nur nach entsprechenden Anpassungen weiterverwendet werden oder ist gar nach Beendigung der Beziehung wertlos. Dabei lassen sich folgende Arten der Spezifität unterscheiden: Spezifität des Standorts, Spezifität des Sachkapitals, Spezifität des Humankapitals sowie zweckgebundener Sachwerte. Letztere sind zwar an sich unspezifisch, würden jedoch nach Beendigung der Geschäftsbeziehung Überkapazitäten darstellen.162 Die Spezifitäten bleiben nicht unbedingt konstant, sondern unterliegen im Laufe einer Vertragsbeziehung oftmals Veränderungen. Wird beispielsweise eine vertragliche Beziehung von einer austauschbaren Markttransaktion in einen langfristigen Vertrag transformiert, bei dem der Partner in spezifische Faktoren investiert, so hat diese Vertragsbeziehung ex post einen spezifischen Charakter erhalten.163 Diese Umwandlung wird als "fundamentale Transformation" bezeichnet.164 Werden hier die getroffenen Verhaltensannahmen zu Grunde gelegt, so kann die dabei entstehende Abhängigkeit opportunistisch
ausgenutzt
Transaktionsbeziehung
werden.165
beeinflusst
auch
Ebenso deren
wie
die
strategische
Spezifität Bedeutung
einer die
Transaktionskosten. Bei Transaktionen von hoher strategischer Bedeutung entstehen bei der Abwicklung auf dem Markt hohe Such-, Verhandlungs- und Absicherungskosten, und das Risiko von Opportunismus seitens des Transaktionspartners steigt. x
Hohe Unsicherheit und Komplexität der Austauschbeziehung führen zu einer höheren Anzahl unvorhersehbarer Änderungen von Terminen, Preisen oder Leistungsumfang, wodurch Modifikationen der Verträge oder Konditionen bedingt werden, die höhere
160 161
162 163 164 165
Vgl. Williamson 1990 (S. 59). Vgl. Klein/Crawford/Alchian (1978, S. 298). Backhaus bezeichnet die Differenz aus erstbester, ursprünglich geplanter Verwendung und der nächst besten Nutzung als Quasi-Rente (vgl. Backhaus (2003, S. 317)). Vgl. Williamson (1990, S. 62). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 51). Vgl. Williamson (1990, S. 61). Für eine detailliertere Betrachtung des Einflusses der Spezifität auf die gewählte Organisationsform vgl. Abschnitt 3.1.6.2.
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
48
Transaktionskosten nach sich ziehen.166 Diese Annahmen gelten jedoch nur für spezifische Transaktionen, da eine unspezifische Leistung auf dem Markt leicht austauschbar ist.167 x
Transaktionshäufigkeit
und
Transaktionsatmosphäre
nehmen
nach
PICOT/REICHWALD/WIGAND eine nachrangige Bedeutung bezüglich der Transaktionskosten ein, beeinflussen aber dennoch maßgeblich die Wahl der Organisationsform.168 Die Häufigkeit weist nur bei hoher Spezifität der Transaktion einen starken Einfluss auf die Transaktionskosten auf169 und stellt die Amortisationszeit fester Strukturen für die Transaktion dar. Je häufiger eine Transaktion stattfindet, desto eher lohnt sich ihre Organisation nicht durch den Markt, sondern durch feste Strukturen, das heißt durch ein Unternehmen oder eine Kooperation. Die Transaktionsatmosphäre bezeichnet schließlich die soziokulturellen und technischen Faktoren, die Einfluss auf die Höhe der Kosten nehmen.170 Sprechen zum Beispiel beide Transaktionspartner die gleiche Sprache und bestehen technische Möglichkeiten zum reibungslosen Austausch von Informationen, so kann dies die Transaktionskosten senken. 3.1.3
Grundlagen der Principal-Agent-Theorie
Das Principal-Agent-Verhältnis beschreibt die Austauschbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.171 Der Auftraggeber (Principal) beauftragt den Auftragnehmer (Agent) mit einer Leistungserstellung. Der Agent erhält zur Realisierung des Auftrags Entscheidungskompetenzen vom Principal.172 Im Verlauf des Austauschverhältnisses trifft der Agent deshalb Entscheidungen, die nicht nur sein eigenes Wohlergehen, sondern auch das des Principals beeinflussen.173 Dem Agent eröffnet sich dabei ein Spielraum für opportunistisches Verhalten, da der Principal aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung nur unvollständig über dessen Verhalten informiert ist.174
166 167 168 169 170 171 172 173 174
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 51), Williamson (1990, S. 68). Vgl. Williamson (1990, S. 68). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 51). Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 72). Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 73). Zur Principal-Agent-Theorie vgl. u.a. Ross (1973), Jensen/Meckling (1976), Richter/Furobotn (2003). Vgl. Richter/Furubotn (2003, S. 174). Vgl. Arrow (1985, S. 37). Vgl. Spremann (1990).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
49
Principal und Agent agieren jeweils als Nutzenmaximierer, die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen.175 Diese verschiedenen Perspektiven verursachen die so genannten Agency-Kosten,
die sich nach JENSEN/MECKLING aus drei Komponenten zusammensetzen:176 x
Überwachungs- und Kontrollkosten des Principals ("monitoring cost")
x
Signalisierungskosten des Agenten ("bonding cost")
x
Verbleibender Wohlfahrtsverlust ("residual loss").
Die Überwachungs- und Kontrollkosten des Principals umfassen alle Aufwendungen für Vorkehrungen, die der Principal vornimmt, damit der Agent die ihm übertragene Aufgabe in seinem
Sinne
erfüllt
(zum
Beispiel
Vertragsabschluss,
Anreizkomponenten).
Die
Signalisierungskosten beinhalten jegliche dem Agenten entstehenden Kosten, die ex ante anfallen und die dem Ziel dienen die Informationsasymmetrie zwischen ihm und dem Principal zu senken (zum Beispiel Garantien oder Marketing). Trotz der Bemühungen von Principal und Agent lassen sich die Informationsasymmetrien nicht vollständig ausräumen und so verbleibt ein Spielraum für opportunistisches Verhalten des Agenten. Daraus resultiert ein verbleibender Wohlfahrtsverlust. Dieser ist definiert als der Nachteil der erreichten "Second-best-Lösung" gegenüber der "Firstbest-Lösung",
die
einen
fiktiven
Idealzustand
eines
vollkommenen
vollkommener Informationssymmetrie im Sinne der Neoklassik
Austausches
bei
darstellt.177
Zwischen den drei genannten Kostenarten bestehen zum Teil Trade-off-Beziehungen: Der Wohlfahrtsverlust lässt sich durch höhere Überwachungs- und Kontrollkosten verringern, wobei diese wiederum durch verstärkte Signalisierungsanstrengungen des Agenten gesenkt werden können.178 Innerhalb dieser Trade-off-Beziehung gilt es jene Organisationsform zu finden, die die Agency-Kosten minimiert.
Wie
einleitend
festgestellt,
herrscht
zwischen
Principal
und
Agent
eine
Informationsasymmetrie, für die sich die in Abbildung 3-5 dargestellte Klassifizierung ergibt:179
175
Vgl. Arrow (1985, S. 37). Vgl. Jensen/Meckling (1976, S. 308 ff.). 177 Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 87). 178 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 56). 179 Eine gute Darstellung der Informationsasymmetrie und ihrer Folgen liefert Spremann (1990). 176
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
50
Hidden Characterstics
Hidden Action
Hidden Intention
Informationsproble m des Principals
Qualitätseigenschaften der Leistung des Vertragspartners unbekannt
Anstrengungen des Vertragspartners nicht beurteilbar
Absichten des Vertragspartners unbekannt
Problemursache
Verbergbarkeit von Eigenschaften
Überwachungskosten/ Überwachbarkeit
Ressourcenabhängigkeit
Nach Vertragsabschluss
Nach Vertragsabschluss
Verhaltensspielraum Vor Vertragsdes Agenten abschluss Problem
Adverse Selektion
Moral Hazard
Hold-up
Art der Problembewältigung
• Beseitigung der
• Interessen-
Interessenangleichung
Informationsasymmetrie durch – Signalling/ Screening – Self-Selection • Interessenangleichung
angleichung • Reduzierung der Informationsasymmetrie (Monitoring)
Abbildung 3-5: Klassifizierung der Informationsasymmetrie in der Principal-Agent-Theorie180
Die einzelnen Formen der Informationsasymmetrie, Hidden Characteristics, Hidden Action und Hidden Intention, und deren Konsequenzen werden im Folgenden näher betrachtet: x
Hidden Characteristics:181 Der Principal kann die Eigenschaften des Agenten und dessen Leistung vor Vertragsabschluss nicht abschließend beurteilen, was zu Hidden Characteristics (versteckten Merkmalen) des Agenten führt. Als Folge besteht die Gefahr der adversen Selektion, also die Auswahl eines eigentlich unerwünschten Vertragspartners. Ein klassisches Beispiel für diesen Zusammenhang umreißt AKERLOF in seinem Artikel "Market for Lemons".182 Darin beschreibt er den Gebrauchtwagenmarkt für Autos, in dem der Principal die reale Qualität eines Autos ex ante nicht kennt. Er geht deshalb von einer durchschnittlichen Qualität aus und passt seine Zahlungsbereitschaft daran an. Anbieter qualitativ hochwertiger Autos erzielen somit keine adäquaten Preise mehr und verringern ihre Aktivitäten in diesem Markt. Am Ende dieses Prozesses, an dem sich diese Anbieter letztendlich aus dem Markt zurückziehen, bricht eben dieser zusammen, und es verbleiben
180
In Anlehnung an Spremann (1990, S. 572), Picot/Dietl/Franck (2002, S. 87). Vgl. zum Beispiel Bamberg/Spremann (1989, S. 9 f.), Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 113). 182 Vgl. Akerlof (1970, S. 489 ff.). 181
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
51
nur noch Anbieter niedrigerer Qualitätsniveaus. Die Principal-Agent-Theorie schlägt zur Lösung dieses Problems so genannte Signalling- oder Screening-Aktivitäten vor.183 Durch diese Aktivitäten lassen sich Informationsasymmetrie reduzieren, indem der Agent seine exakten Leistungseigenschaften bekannt gibt (Signalling) oder der Principal sich detaillierte Informationen über den Agent und seine Leistung verschafft (Screening). Eine weitere Möglichkeit, die Problematik der Hidden Characteristics zu vermeiden, bietet sich in Form von Self-Selection-Verträgen.184 Diese sind so gestaltet, dass der Agent allein durch die Akzeptanz eines solchen Vertrages und der darin festgelegten Konditionen seine Eigenschaften
offen
legt.
Als
häufig
zitiertes
Beispiel
kann
hier
die
vom
Versicherungsnehmer gewählte Selbstbeteiligung bei Versicherungsverträgen angeführt werden, welche sein Schadensrisiko offen legt.185 x
Hidden Action:
186
Im Gegensatz zu den Hidden Characteristics kommt bei der Hidden
Action (verstecktes Handeln) die Problematik der Informationsasymmetrie erst nach Vertragsabschluss zum Tragen. Hidden Action bedeutet, dass der Principal zwar das Ergebnis der Leistung des Agenten, nicht aber dessen tatsächliche Anstrengung beurteilen kann. Er verfügt über keinerlei Informationen hinsichtlich des realen Leistungsvermögens und kann somit nicht entscheiden, ob ein schlechtes Ergebnis durch den Agenten zu verantworten ist oder Umwelteinflüsse die Schuld tragen. Für den Agenten ergibt sich daraus ein moralisches Risiko ("moral hazard")187: Er kann durch opportunistisches Verhalten seine Leistung reduzieren, ohne dass ihm dies nachgewiesen werden kann. Zur Eingrenzung dieses Risikos schlägt die Theorie eine Interessenangleichung und Monitoring-Maßnahmen vor.188 Bei der Interessenangleichung wird die Zielsetzung des Agenten der des Principals gleichgesetzt (zum Beispiel durch eine Erfolgsbeteiligung). Monitoring-Maßnahmen seitens des Principals dienen der Erhebung von Informationen über die tatsächliche Leistung des Agenten anhand von Kontrollen. x
Hidden Intention: 189 Das Problem der Hidden Intention (versteckte Absicht) besteht, wenn der Principal in die Austauschbeziehung investiert hat und durch diese irreversible Vorleistung in die Abhängigkeit des Agenten gerät. Die getätigte Investition ist an die
183 184 185 186 187 188 189
Vgl. Richter/Furubotn (2003, S. 159). Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 92). Vgl. Picot/Reichwal/Wigand (2003, S. 58). Vgl. zum Beispiel Arrow (1985, S. 38 f.), Wenger/Terberger (1988, S. 507), Richter/Furubotn (2003, S. 162 ff.). Vgl. Alchian/Woodward (1988, S. 68). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 58). Vgl. zum Beispiel Alchian/Woodward (1988), Klein/Crawford/Alchian (1978), Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 183).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
52
erwartete Austauschbeziehung geknüpft. Kommt diese nicht oder in anderer Form zu Stande reduziert dies den Wert der getätigten Investition. Die Gefahr der opportunistischen Ausnutzung dieser Abhängigkeit durch den Agenten wird hier als Hold-up bezeichnet.190 Die
Gegenmaßnahme
zur
Hold-up-Problematik
Interessenangleichung zwischen Agent und
Principal.191
besteht
erneut
in
einer
Diese Angleichung kann zum
Beispiel durch langfristige Liefer- und Leistungsverträge oder durch die Schaffung gegenseitiger Abhängigkeiten, zum Beispiel durch die Stellung von Sicherheiten (Pfand) erreicht werden.192 3.1.4
Grundlagen der Property-Rights-Theorie
Im Zentrum der Property-Rights-Theorie stehen Handlungs- und Verfügungsrechte ("property rights") und deren Auswirkung auf das Verhalten der Akteure.193 Gemäß der Property-RightsTheorie wird der Wert eines Gutes nicht nur durch dessen Eigenschaften, sondern maßgeblich auch durch die mit ihm verbundenen Verfügungsrechte bestimmt, an denen sich daher auch das ökonomische Kalkül der Akteure ausrichtet.194 Die Zuordnung von Property Rights legt die Handlungsrechte und -pflichten der begünstigten Akteure fest und schafft Handlungsrestriktionen für diejenigen, die keine Verfügungsrechte am betreffenden Gut besitzen.195 Die an einem Gut bestehenden Verfügungsrechte lassen sich in vier Arten unterteilen:196 x
Nutzung eines Gutes ("usus")
x
Veränderung eines Gutes ("abusus")
x
Aneignung der Erträge eines Gutes ("usus fructus")
x
Das Recht ein Gut zu veräußern ("ius abuntendi").
Sind nicht alle Verfügungsrechte an einem Gut einem Akteur zugeordnet oder sind diese auf mehrere Akteure verteilt, spricht man von einer Verdünnung der Verfügungsrechte. Diese Verdünnung ("attenuation") und ihre Folgen sind die zentralen Untersuchungsgegenstände der Property-Rights-Theorie.197 Bei der Verdünnung der Verfügungsrechte können externe Effekte
190 191 192 193 194 195 196 197
Vgl. Klein/Crawford/Alchian (1978, S. 302). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 59). Vgl. Spreemann (1990, S. 577 f.), Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 59). Vgl. zum Beispiel Coase (1960), Furubotn/Pejovich (1972), Alchian/Demsetz (1973). Vgl. Alchian/Demsetz (1972, S. 783), Woratschek/Roth (2003, S. 148). Vgl. Picot/Rechwald/Wigand (2003, S. 46). Vgl. Furubotn/Pejovich (1972, S. 1140), Alchian/Demsetz (1972, S. 783). Vgl. Furubotn/Pejovich (1972, S. 1140).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
53
entstehen. Das bedeutet, dass positive oder negative Nebenwirkungen aus den Handlungen des Akteurs für einen Dritten bestehen, ohne dass der Akteur dafür bezahlen muss oder eine Entschädigung erhält.198 Sind die Verfügungsrechte nur leicht verdünnt, kommt es möglicherweise zu einem Ausgleich. Bei starker Verdünnung, insbesondere bei vollständig unspezifizierten Verfügungsrechten wie beispielsweise öffentlichen Gütern verhindern prohibitive Verhandlungskosten die Einigung. Es verbleiben externe Effekte, die zu einem Wohlfahrtsverlust führen.199 Ohne Emissionsrechte sind beispielsweise die Verfügungsrechte der Luft unspezifiziert. Jeder kann ohne Kosten Abgase entlassen, was zu einer Beeinträchtigung der Umwelt und anderer Akteure führt. DEMSETZ hat gezeigt, dass durch die Internalisierung der
externen Effekte in die Verfügungsrechte diese unerwünschte Wirkung verhindert werden kann.200 Internalisierung bedeutet, dass der Akteur die Konsequenzen, die sein Handeln für Dritte hat, in seine Entscheidung und damit in seine Kosten-Nutzen-Rechnung einbezieht. So vergibt der Staat zum Beispiel kostenpflichtige Emissionsrechte, die ein Unternehmen für die Emission von Abgasen benötigt. Bei der Identifikation, Zuordnung, Übertragung und Durchsetzung der Verfügungsrechte im Rahmen der Internalisierung entstehen jedoch zum Teil hohe Transaktionskosten.201
Die Existenz der Transaktionskosten ist ein zentrales Element der Property-Rights-Theorie. In einem neoklassischen Modell, bei dem Kommunikation und Information kostenlos sind, würden die Betroffenen trotz verdünnter Verfügungsrechte so lange verhandeln, bis alle Effekte internalisiert sind.202 Den Zusammenhang zwischen Transaktionskosten und Verfügungsrechten beschreibt das Coase-Theorem.203 Demnach ist diejenige Property-Rights-Verteilung effizient, welche die Summe aus Transaktionskosten und externen Effekten minimiert. So lange der Wohlfahrtsverlust aufgrund externer Effekte größer ist als die entstehenden Transaktionskosten, sollten deshalb Handlungs- und Verfügungsrechte derart ausgestaltet werden, dass möglichst vollständige, die Nutzung ökonomischer Ressourcen regelnde Rechtebündel vergeben werden und somit sowohl auf Principal- als auch auf Agent-Seite ein Anreiz für verantwortliche und effiziente Ressourcennutzung entsteht.204
198 199 200 201 202 203 204
Vgl. Kieser (2002, S. 202 f.). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 46). Vgl. Demsetz (1967, S. 351 ff.). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 47). Vgl. De Alessi (1990, S. 8). Vgl. Coase (1960). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 48).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
54 3.1.5
Kooperation aus Sicht der Neuen Institutionenökonomie
Die folgenden drei Abschnitte betrachten die vertikale Kooperation und insbesondere die SupplyChain-Kooperation zwischen dem Händler und seinen Herstellern aus dem Blickwinkel der verschiedenen Ansätze der Neuen Institutionenökonomie. Ziel ist dabei die Ableitung einer Basishypothese, die besagt, welchen Einfluss die kooperative Organisationsform auf den SupplyChain-Erfolg hat. 3.1.5.1
Erklärungsansätze aus Sicht der Transaktionskostentheorie
Die Neue Institutionenökonomie befasst sich wie in Kapitel 3.1.1 dargestellt mit der Wirkung und dem Design von handlungskanalisierenden Institutionen.205 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind die beiden zentralen Institutionen dabei der Markt und die Hierarchie. Einer hierarchischen Organisation entspricht die Integration verschiedener Aufgaben in einem Unternehmen. Markt und Hierarchie stellen die beiden Extremformen des Spielraums zur Gestaltung der Organisationsform dar. Auf dem Markt erfolgt die Transaktion auf Basis des Preismechanismus, in der hierarchischen Organisationsform des Unternehmens auf Weisungen wie jenen der Unternehmensleitung, die die marktliche Koordination ersetzen.206 Neben Markt und vertikaler Integration im Unternehmen existieren auch verschiedene Zwischenformen.207 Im zentralen Ansatz
der
NIÖ,
der
Transaktionskostentheorie,
wird
die
Kooperation
als
hybride
Organisationsform bezeichnet, die sowohl Elemente des Austauschs über den Markt als auch des Austauschs in der Hierarchie aufweist.208 Für die Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern ist vor allem der Vergleich zwischen der Kooperation und dem Markt relevant, da die marktliche Koordination der Ausgangssituation entspricht, in der sich Handel und Hersteller als unabhängige Transaktionspartner gegenüberstehen. Die Entscheidung des Managements über die Koordination der Supply Chain fällt daher meist zwischen der Beibehaltung der marktlichen Koordination und einer Intensivierung der Kooperation. Die Abwägung zwischen Kooperation und vollständiger vertikaler Integration ist in der Praxis von geringerer Bedeutung.
Die zentrale organisationstheoretische Überlegung zur Wahl der Organisationsform ist die Annahme, dass die Akteure die Transaktionskosten der alternativen Organisationsformen bewerten und stets jene Organisationsform wählen, die bei gegebenen Zielen die geringsten
205
Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 42). Vgl. Balling (1998, S. 57). 207 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 52). 208 Vgl. Williamson (1991a, S. 20 und 41). 206
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
55
Kosten verursacht.209 Die Wahl der geeigneten Organisationsform findet dabei stets unter Abwägung der Transaktionskosten im Kontinuum zwischen Markt und Hierarchie statt.210 Die Transaktionskostentheorie beschreibt bei der Kooperation somit den Fall eines simultanen Marktund Hierarchieversagens.211 Die Höhe der Transaktionskosten hängt dabei wie in Kapitel 3.1.2 beschrieben neben den Verhaltensannahmen von den Einflussfaktoren Spezifität und strategische Bedeutung,
Unsicherheit
und
Komplexität
sowie
Transaktionsatmosphäre
und
Transaktionshäufigkeit ab. SWOBODA fasst dies wie folgt zusammen: "Je höher die Spezifität, die Transaktionsunsicherheit und die Transaktionshäufigkeit – und auch die strategische Relevanz – desto höher werden die Transaktionskosten einer Markttransaktion und desto stärker bewegt sich die Transaktion weg vom Markt hin zur Hierarchie."212 Gleichzeitig zeigt er, dass "auf der anderen Seite hohe finanzielle Mittel notwenig sind, um eine eigene Organisation aufzubauen und Markttransaktionen durch Tätigkeiten 'in eigener Regie' aufzubauen."213 Die Kooperation als hybride Organisationsform weist deshalb unter diesen Umständen Vorteile gegenüber dem Markt und der Hierarchie als Koordinationsform auf.214 Die Rolle der einzelnen Einflussfaktoren wird im Folgenden näher betrachtet.
Transaktionskosten Markt
Hybrid
Hierarchie
Spezifität Abbildung 3-6: Einfluss der Spezifität auf die Organisationsform215
209 210 211 212 213 214 215
Vgl. Swoboda (2003, S. 48), Woratschek/Roth (2003, S. 156). Vgl. Williamson (1991b, S. 280 ff.). Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 158). Swoboda (2003, S. 48). Swoboda (2003, S. 48). Vgl. Beck (1998, S. 122 f.). In Anlehnung an Williamson (1991b, S. 284).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
56
WILLIAMSON hat den Zusammenhang zwischen Organisationsform und Spezifität wie in Abbildung 3-6 grafisch dargestellt. Die Grafik zeigt, dass bei steigender Faktorspezifität die kostengünstigste und damit vom Akteur gewählte Organisationsform zunächst der Markt, dann ein Hybrid bzw. die Kooperation und letztendlich die Hierarchie bzw. das integrierte Unternehmen. Die Begründung für diese Reihenfolge liegt im wachsenden Risiko des opportunistischen Verhaltens bei steigender Spezifität: Je höher die Spezifität, desto größer sind auch die Abhängigkeiten vom Transaktionspartner. Diese Abhängigkeiten können ausgenutzt werden, indem der Partner versucht durch Unterinvestition einen höheren Teil der Kooperationsrente für sich zu vereinnahmen. Je höher die Spezifität, desto eher lohnt es sich die Transaktion in einer Hierarchie zu organisieren, um die Möglichkeiten des opportunistischen Verhaltens seitens des Partners einzuschränken.216 Die Kooperation erscheint deshalb bei Leistungen mittlerer Spezifität einerseits als vorteilhaft, da diese Leistungen nicht einfach als Standardleistungen am Markt bezogen werden können, da sie eine Individualisierung voraussetzen bzw. der Markt bei erfolgter Spezialisierung keinen ausreichenden Schutz vor Opportunismus verspricht.217 Andererseits verursacht die vollständige vertikale Integration mit dem Einsatz hierarchischer Kontrollsysteme unnötig hohe Transaktionskosten.218
Dieser
Gruppe
von
Gütern,
also
Leistungen
mittlerer
Spezifität,
ist
auch
die
Austauschbeziehung zwischen Händler und Hersteller in der Supply Chain zuzuordnen. Vorraussetzung für die reibungslose interne Supply Chain des Händlers sind individualisierte Leistungen des Herstellers wie zum Beispiel die Anlieferung an das Zentrallager in vereinbarten Zeitfenstern, die Investition in gemeinsame IT-Systeme zur Datenübertragung oder gar die Lieferung von Waren in individualisierten, an den Regalen des Händlers ausgerichteten Verpackungen. Diese Leistungen haben zum Teil eine Spezifität, die auf dem Markt nicht austauschbar ist, und die getätigten Investitionen führen zu Abhängigkeiten zwischen Hersteller und Händler. Eine vollständige, vertikale Integration durch den Händler oder Hersteller erscheint jedoch nicht notwendig, da der Austausch der individualisierten Leistungen und die Einschränkung der Verhaltensunsicherheit auch durch eine Kooperation der Unternehmen sichergestellt werden kann.
Ebenso wie die Spezifität spricht auch eine steigende strategische Bedeutung für die Abkehr von der marktbasierten Koordination hin zu einer hybriden oder, bei sehr hoher Bedeutung, zu einer
216
Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 157). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 294). 218 Vgl. Bogaschewsky (1995, S. 168), Woratschek/Roth (2003, S. 157). 217
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
57
hierarchischen Organisation. Je höher die Bedeutung der Leistung für den Akteur, desto wirkungsvoller muss die gleich bleibende Qualität dieser Leistung sichergestellt sein, und desto stärker gilt es sich vor dem opportunistischen Verhalten anderer zu schützen. Auch hier erscheint für die Supply Chain eine Kooperation mit langfristigen Verträgen zwischen Händler und Hersteller dem Markt überlegen, da die rechtzeitige und vollständige Lieferung der Güter in der vereinbarten Qualität für Kosten und Umsatz des Händlers von zentraler Bedeutung sind.
Auch eine hohe Umweltunsicherheit und Komplexität der Leistungsbeziehung kann zur Vorteilhaftigkeit einer Kooperation führen. Ein hohes Maß an Unsicherheit führt zu hohen Transaktionskosten, da Maßnahmen zur Informationsbeschaffung und -übertragung notwendig sind; zudem kommt es häufig zu Änderungen von Terminen und Mengen, Konditionen oder Leistungseigenschaften.219
Eine
Kooperation
kann
hier
durch
einen
vereinfachten
Informationsaustausch und feste Vereinbarungen eine Senkung dieser Kosten erreichen. Ein hohes Maß an Unsicherheit und Komplexität können zudem das Risiko nach sich ziehen, dass der Partner die Situation opportunistisch für sich nutzt. Dies ist ein weiteres Indiz für die Vorteilhaftigkeit der Kooperation, da nur diese Organisationsform langfristig eine ausreichende Absicherung der Transaktion ermöglicht.220. Auch bei der Supply Chain des Handels kann von starken Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Nachfrage und der sich daraus ergebenden Schwankungen der benötigten Lieferantenleistung ausgegangen werden. Eine kooperative Organisation erscheint auch hier deshalb vorteilhaft.
Ein zentraler Aspekt der Transaktionsatmosphäre ist die im Rahmen der Transaktion eingesetzte Informations- und Kommunikationstechnik (IuK).221 Aus Sicht der Transaktionskostentheorie kann der intensive Einsatz geeigneter IuK-Techniken zur Reduktion der Transaktionskosten führen und durch eine kooperative Organisationsform begünstigt werden.222 Voraussetzung für den intensiven Einsatz dieser Techniken ist eine enge Verzahnung der Wertschöpfungsstufen, die durch eine Kooperation erreicht werden kann. Darüber hinaus können zwischenbetriebliche Prozesse bei intensiver Kooperation durch die in den letzten Jahren entstandenen technischen Möglichkeiten wie Videokonferenzen oder Electronic Data Interchange (EDI) beschleunigt, vereinfacht und verbessert werden.223 KILIAN/PICOT/NEUBURGER konnten in ihrer empirischen
219
Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 157). Vgl. Sydow (1992, S. 131). 221 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 294 und 323). 222 Vgl. Weber (1999, S. 122 ff.). 223 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 296). 220
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
58
Studie nachweisen, dass EDI "symbiotische Arrangements mit anderen Unternehmen fördert"224 und zu Leistungssteigerungen führt.225 Gerade in der Supply Chain des Handels sprechen die steigenden technischen Möglichkeiten und die Bedeutung von Technologien wie EDI deshalb dafür, diese durch einen kooperativen Datenaustausch und durch gemeinsame Prozesse zu nutzen.
Auch eine zunehmende Häufigkeit der Transaktion hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl der Organisationsform. "Der einmalige Vollzug einer Transaktion ist häufig nur zu höheren Kosten realisierbar, als die wiederholte Durchführung im Rahmen einer längeren Geschäftsbeziehung."226 Dies gilt auch für die Supply Chain des Handels: Statt häufig wiederkehrenden Leistungen (pünktliche Warenlieferung, Austausch von Daten etc.) mit jeweils erneuten Such-, Anbahnungs- und Verhandlungskosten auf dem Markt zu beziehen, bietet sich hier die Kooperation als Organisationsform an.
Zusammenfassend kann folgenden These aufgestellt werden: Die Charakteristika des Leistungsaustausches zwischen Händler und Hersteller (zum Beispiel Spezifität, Unsicherheit, elektronischer Datenaustausch) führen dazu, dass bei einer kooperativen Organisationsform eine höhere Supply-Chain-Leistung des Handels zu vermuten ist, als dies bei einer marktbasierten, unabhängigen Beziehung zu den Lieferanten der Fall ist. 3.1.5.2
Erklärungsansätze aus Sicht der Principal-Agent-Theorie
Die Principal-Agent-Theorie untersucht das Verhältnis zwischen zwei opportunistisch handelnden Parteien und vollzieht damit den Schritt vom zuvor betrachteten, anonymen Markt mit anonymen Transaktionspartnern hin zur Austauschbeziehung zwischen einzelnen Parteien. Der klassische Fokus liegt dabei auf innerbetrieblichen Beziehungen, wobei sich die Theorie jedoch auch auf die Beziehung zwischen Organisationen anwenden lässt.227 In den vergangenen Jahren lieferte die Pricipal-Agent-Theorie hier wichtige Erklärungsbeiträge für die Kooperation zwischen Unternehmen mit gegenseitigen Auftragsbeziehungen.228 Betrachtet werden dabei insbesondere bilaterale, vertikale Systeme auf der Absatzseite.229 Vor allem die Supply-Chain-Beziehungen zwischen Unternehmen und die sich daraus ergebenden Anreizkonflikte stellen den Gegenstand
224 225 226 227 228 229
Kilian/Picot/Neuburger (1994, S. 37). Vgl. Neuburger (1994). Woratschek/Roth (2003, S. 158). Vgl. Jarillo/Ricard (1987, S.88). Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 154). Vgl. zum Beispiel Swoboda (2003, S. 50), Sydow (1992, S. 172), Balling (1998, S. 63).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
59
einer Reihe von Untersuchungen auf Basis der Principal-Agent-Theorie.230 Als Effizienzkriterium für die Wahl der geeigneten Organisationsform gelten hier nicht die Transaktionskosten, sondern die Agency-Kosten.231 Die Principal-Agent-Theorie erklärt das Zustandekommen von Kooperationen deshalb dadurch, dass diese in bestimmten Situationen die Agency-Kosten minimieren.232
Die betrachtete Zusammenarbeit in der Supply Chain kann als Principal-Agent-Beziehung
zwischen Hersteller und Händler interpretiert werden, wobei die Beteiligten sowohl als Principal als auch als Agent auftreten können. So gibt beispielsweise der Hersteller dem belieferten Händler den Auftrag, die Produkte in Übereinstimmung mit den vereinbarten Category-Management-Maßnahmen optimal zu positionieren, zu bewerben, zu verkaufen und auszuzeichnen. Der Händler wiederum erteilt dem Hersteller Aufträge über die Lieferung von bestimmten Bestellmengen zu festgelegten Konditionen (Zeitpunkt, Menge, Qualität etc.). In beiden Situationen führen die Informationsasymmetrien zwischen Hersteller und Händler zu den in Abschnitt 3.1.3 dargestellten Verhaltensunsicherheiten.
Betrachtet man als Beispiel die zur Sicherstellung der vertraglich vereinbarten Qualität notwendige Qualitätsprüfung durch den Hersteller, so lassen sich die Folgen der Informationsasymmetrie gut darstellen:233 Für den Hersteller stellen die Maßnahmen zur Qualitätssicherung zunächst einen Aufwand dar, der ihm keinen unmittelbaren Nutzen stiftet. Durch eine Einschränkung seiner Bemühungen – zum Beispiel durch eine reduzierte Stichprobe – könnte er seinen Nutzen erhöhen, insofern der Händler dies nicht bemerkt. Dies führt jedoch dazu, dass der Händler befürchten muss, dass die von ihm erwartete Qualitätssicherung nicht (ausreichend) erfolgt. Die Unsicherheit des Händlers bezüglich der Fähigkeit des Herstellers, die hinsichtlich Qualität, Termintreue etc. geforderte Leistung zu erbringen, stellt ein Beispiel für Hidden Characteristics dar. Da der Hersteller über die Möglichkeit verfügt, die Qualitätssicherung auf seiner Seite zu reduzieren, kann die Gefahr von Hidden Action und Moral Hazard entstehen. Der Händler hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, ob die Qualitätsprüfung auf Seiten des Herstellers tatsächlich stattgefunden hat. Dies liegt darin begründet, dass entweder die Informationskosten zu hoch sind oder der Hersteller externe Ursachen wie fehlerhafte Rohmaterialien oder mangelnde Qualität der Transportdienstleister als Grund anführt. Der 230
Vgl. zum Beispiel Narayanan/Raman (2000), Lassar/Kerr (1996), Wathne/Heide (2004), Zsidisin/Ellram (2003), Kaluza/Dullnig/Malle (2003). 231 Vgl. Picot/Dietl/Franck (2002, S. 87). 232 Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 154). 233 In Anlehnung an das Beispiel von Kaluza/Dullnig/Malle (2003, S. 29 f.).
60
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
Hersteller könnte jedoch auch gezielt mindere Qualität abliefern, um seinen Nutzen zu erhöhen (Hidden Intention) und die Abhängigkeit des Händlers von seinem Produkt und dessen Qualität ausnutzen (Hold-up). Somit steht der Händler vor dem klassischen Agency-Problem, welches darin besteht, das Verhalten des Agent durch vertragliche und organisatorische Regelungen, Informationsbereitstellung, Kontrolle und Anreiz- bzw. Sanktionsmechanismen derart zu steuern, dass er mit der Erfüllung seiner eigenen Interessen auch die des Principals hinreichend berücksichtigt.234
Die Agency-Kosten lassen sich in der Supply Chain durch eine hybride Organisationsform wie die Kooperation reduzieren.235 PICOT/BÖHME zeigen, dass in einer Kooperation das Verhalten des Agenten sowohl besser zu beobachten als auch zu beeinflussen ist als in der Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Unternehmen am Markt.236 Dies ist durch die Tatsache bedingt, dass die Kontroll- und Anreizmechanismen im Rahmen einer vertraglich ausgestalteten langfristigen Kooperation wirkungsvoller und kostengünstiger sind als im Rahmen einer kurzfristig angelegten Markttransaktion. So lässt sich bei kooperativen und wiederholten Transaktionen der Aufwand des notwendigen Signalisierens deutlich reduzieren. Die Kontrollmechanismen bei einem eng verbundenen Partner sind zum Beispiel aufgrund gemeinsamer IT- und Kennzahlensysteme weitreichender und günstiger als bei unabhängigen Transaktionspartnern. So kann sich der Händler im oben angeführten Beispiel Daten zur Qualität (zum Beispiel in Form der Temperatur von Lebensmitteln während der Lieferung) bereits vor Anlieferung elektronisch übermitteln lassen. Zudem liefert die Kooperation Anreizmechanismen zum zielkonformen Verhalten beider Partner. Dies kann dadurch begründet sein, dass die Kooperation einen langfristigen Nutzenanstieg verspricht und der Partner ihren Fortbestand deshalb nicht riskieren möchte. Weitere mögliche Ursachen sind, dass formelle Anreizmechanismen vereinbart wurden, die Partner nicht übertragbare Investitionen in die Kooperation getätigt haben oder dass die beteiligten Parteien einander nicht enttäuschen möchten. Gleichzeitig kann die Kooperation auch gegenüber der vollständigen hierarchischen Integration überlegen sein, da die innerbetrieblichen Kontrollfunktionen durch marktliche Anreizelemente ergänzt werden.237 So kann beispielsweise der Principal die Opportunitätsneigung des Agenten einschränken, indem er ihm den Wechsel zur Konkurrenz androht.238
234
Vgl. Elschen (1991, S. 1004). Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 154). 236 Vgl. Picot/Böhme (1999, S. 6). 237 Vgl. Sydow (1992, S. 173). 238 Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 154). 235
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
61
Zusammenfassend erscheint auf Basis der Überlegungen zur Agency-Problematik zwischen Hersteller
und
Händler
eine
intensive
Supply-Chain-Kooperation
die
geeignete
Organisationsform, um die Agency-Kosten der Beziehung zu minimieren und den Supply-ChainErfolg zu erhöhen.
3.1.5.3
Erklärungsansätze aus Sicht der Property-Rights-Theorie
Anders als bei der Transaktionskostentheorie und der Principal-Agent-Theorie existiert auf Basis der Property-Rights-Theorie keine theoretisch fundierte Analyse der vertikalen Kooperation.239 Dies bestätigt auch die Literaturanalyse von SWOBODA, in der 42 Artikel aus deutschsprachigen Zeitschriften sowie 15 Dissertationen und Habilitationen zur Kooperationsforschung ausgewertet wurden.240
Während
die
Neue
Institutionenökonomie
im
Allgemeinen
sowie
die
Transaktionskostentheorie und der Principal-Agent-Ansatz im Speziellen in der untersuchten Literatur sehr häufig herangezogen werden, erfolgt die Argumentation weder in einer der Dissertationen noch der Habilitationen und in nur fünf Artikeln auf Basis verfügungsrechtlicher Argumente. Zudem haben diese wenigen Artikel ausschließlich die Kooperationsform des Franchisings zum Gegenstand, während eine Anwendung auf die vertikale Kooperation an keiner Stelle erfolgt.
Eine Kernaussage der Property-Rights-Theorie besagt, dass durch eine Internalisierung externer Effekte, bei der möglichst vollständige Rechtebündel mit der Nutzung einer ökonomischen Ressource verbunden und einem Akteur zugewiesen werden, die entstehenden Wohlfahrtsverluste verringert werden.241 Diese Überlegungen dienen in der Literatur auch als Argumente für Kooperationsvorteile Kooperation.242
bei
Teamarbeit
oder
Teamproduktion
als
Formen
horizontaler
In einem Team herrschen häufig verwässerte Verfügungsrechte, da die Leistung
jedes Einzelnen an der Gesamtleistung nicht zu messen ist.243 Dies eröffnet den einzelnen Teammitgliedern die Möglichkeit für opportunistische Verhaltensweisen wie beispielsweise "Drückebergerei".244 Eine solche Situation lässt sich dadurch verhindern, dass ein Teammitglied
239
Vgl. Meckl/Kubitschek (2000, S. 290). Vgl. Swoboda (2003, S. 38 f.). 241 Vgl. Picot/Dietl/Franck (2992, S. 64) sowie Abschnitt 3.1.3. 240 242
Vgl. Alchian/Demsetz (1972, S. 780), Erlei/Leschke/Sauerland (1999, S. 71). Vgl. Alchian/Demsetz (1972, S. 780), Picot/Dietl/Franck (2002, S. 64), Schreyögg (1988, S. 155 f.). 244 Schreyögg (1988, S. 156). 243
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
62
mit den Verfügungsrechten ausgestattet wird, die anderen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren.245
Die Übertragung der Überlegungen zum Teamverhalten auf die vertikale Kooperation verdeutlicht, dass auch hier die Kooperationspartner Ressourcen in die Partnerschaft einbringen, die erst in der Kooperation ihren vollen Wert realisieren, der somit vom Verhalten der Partner abhängt.246 Dies schafft, wie auch im Team, Raum für opportunistisches Verhalten. Das Ergebnis sind nicht wie im Kern der Property-Rights-Theorie volkswirtschaftliche Wohlfahrtsverluste, sondern
Einbußen
in
Form
von
vergeudeten
Gewinnen
oder
nicht
genutzten
Kooperationspotenzialen.
Als konkretes Beispiel aus der Konsumgüter-Supply-Chain können die verwendeten Produkt- und Transportverpackungen herangezogen werden.247 Handel und Hersteller verfolgen bei der Gestaltung der Verpackungen oft unterschiedliche Interessen. Der Hersteller möchte beispielsweise mit Hilfe einer werbewirksamen Verpackung den Kunden vom Wettbewerber wegund zu seinem Produkt hinlocken. Der Händler hingegen ist an einer Verpackung interessiert, die möglichst wenig Aufwand bei Transport und Regalbefüllung verursacht – sie soll beispielsweise gut stapelbar oder leicht zu öffnen sein. Bei einer distanzierten, austauschbaren Beziehung zwischen Hersteller und Händler ist der Hersteller oft nicht gewillt seine Möglichkeiten zur Gestaltung der Verpackungen entsprechend der Supply Chain und Verkaufsanforderungen des Handels auszunutzen. Er hat weder die Pflicht dazu, da der Händler seinen Gestaltungsspielraum beispielsweise ex ante nicht einschätzen konnte, noch hat er das Recht an den dem Händler entstehenden Vorteilen zu partizipieren. Diese Gefahr des opportunistischen Verhaltens ließe sich durch klare Festlegung dieser Rechte und Pflichten regulieren. Das Ergebnis ist eine auf das Ziel der
kollektiven
Gewinnmaximierung
oder
Agency-Kosten-Minimierung
ausgerichtete
Verwendung der jeweiligen Ressourcen. Im Rahmen einer langfristigen Kooperation sind diese Maßnahmen leichter und kostengünstiger durchzusetzen als bei marktbasierten Transaktionen. Aufgrund angeglichener Zielsetzungen der Partner durch entsprechende Anreizsysteme können sie gegebenenfalls gänzlich vermieden werden. Im vorliegenden Beispiel bedeutet dies, dass der Hersteller einerseits die vertragliche Pflicht hat, seine Verpackungen für die Supply Chain des Händlers zu optimieren und andererseits auch das Recht, an den erreichten Einsparungen und
245
Vgl. Kaulmann (1987, S. 31). Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 150). 247 Das Beispiel stammt aus den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews und wurde dort von mehreren Interviewpartnern thematisiert. Vgl. auch Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 106 ff.). 246
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
63
Umsatzsteigerungen zu partizipieren. Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der Property-RightsTheorie für die Etablierung einer engen Kooperation spricht, ist die Aussicht der Unternehmen auf eine gerechte Aufteilung des gemeinsam geschaffenen Werts.248 Im Gegensatz zur marktbasierten Transaktion kann diese Verteilung bei der Kooperation durch die klare und vollständige Zuordnung der Rechte und Pflichten in einem Kooperationsvertrag sichergestellt werden.
Ein weiteres Beispiel aus der Konsumgüter-Supply-Chain zeigt, dass eine Kooperation nicht nur die vollständige Zuordnung, sondern auch die Umgestaltung bestehender Verfügungsrechte und damit eine Leistungssteigerung bewirken kann: Beim Vendor-Managed-Inventory (VMI) übernimmt der Hersteller teilweise das Management des Lagerbestands beim Händler.249 Hierbei hat der Händler nur noch eingeschränkten Einfluss auf den Bestand der Artikel in seinem Lager, während der Hersteller über die zusätzlichen Rechte verfügt, den Lagerbestand des Händlers zu steuern. Die Übertragung von Rechten geschieht in der Überzeugung, dass der Hersteller aufgrund seiner Kenntnisse über das Abverkaufsverhalten des Artikels und die erforderliche Produktionsund Logistiksteuerung qualifizierter ist, einen Teil des Bestandsmanagements durchzuführen, als der
Händler
allein.250
Durch
diese
Umschichtung
der
Verfügungsrechte
für
das
Bestandsmanagement gelingt es in Kooperationen leichter, eine höhere Prozesseffizienz, niedrigere Transaktionskosten und damit einen Kooperationsgewinn zu erzielen. Beispiele für solche erfolgreichen Kooperationen sind die zwischen Wal-Mart und Procter&Gamble in den USA251 oder die des dm-drogerie markts mit seinen Herstellern252 .
Zusammenfassend liefert die Property-Rights-Theorie im Gegensatz zur Transaktionskostentheorie und der Principal-Agent-Theorie keinen in sich abgeschlossenen Erklärungsansatz für vertikale Unternehmenskooperationen. So stellen HOLSTRÖM/ROBERTS fest, dass die Theorie der Verfügungsrechte
zwar
einen
guten
Ausgangspunkt
für
die
Untersuchung
hybrider
Organisationsformen darstellt, der Horizont des Ansatzes hierzu jedoch einer Erweiterung bedarf.253 Entsprechend findet die Property-Rights-Theorie bei der Analyse von Kooperationen in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur selten Anwendung.254 Zudem ist sie meist auf
248 249 250 251 252 253 254
Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 150). Vgl. zum Beispiel Seifert (2004, S. 127 f.), Handfield/Nichols Levi/Kaminsky/Simchi-Levi (2000, S. 132). Vgl. Seifert (2004, S. 127). Vgl. Simchi-Levi/Kaminsky/Simchi-Levi (2000, S. 133). Vgl. Rodens-Friedrich (1999, S. 209 ff.). Vgl. Holström/Roberts (1998, S. 39). Vgl. Swoboda (2003, S. 39).
(1999,
S.
32),
Simchi-
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
64
horizontale Kooperationen beschränkt.255 Die beschriebenen Beispiele zeigen jedoch, dass auch
verfügungsrechtliche Argumente einen positiven Einfluss auf die Kooperation und den Supply-Chain-Erfolg vermuten lassen. 3.1.5.4
Wirkungszusammenhang zwischen Kooperation und Erfolg
Die vorangegangenen Ausführungen zur Kooperation aus dem Blickwinkel der Neuen Institutionenökonomie haben gezeigt, dass von folgender Annahme ausgegangen werden kann: Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Hersteller beeinflussen den Supply-ChainErfolg positiv. Die Kooperation stellt die effizienteste Form der Transaktion dar, schafft Sicherheit durch den Abbau von Informationsasymmetrien sowie die Beschränkung opportunistischer Verhaltensmuster und ermöglicht im Vergleich zum Markt eine bessere Ausgestaltung der individuellen Rechte und Pflichten. Es lässt sich daher die folgende Basishypothese ableiten:
HBASIS:
Je intensiver die Supply-Chain-Kooperation, desto höher der Supply-Chain-Erfolg.
Abbildung 3-7 fasst die Argumente der einzelnen theoretischen Ansätze der NIÖ zusammen, die zur Ableitung der Basishypothese führen:
255
Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 150).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
65
Transaktionskostentheorie
Principal-Agent-Theorie
Property-Rights-Theorie
Begründung der Kooperation
• Kooperation als
• Kooperation als
• Kooperation nicht im
effiziente (transaktionskostenminimierende) Organisationsform • Kooperation ermöglicht effizientere Absicherung gegenüber opportunistischen Verhalten
effiziente (die AgencyKostenminimierende) Organisationsform • Kooperation ermöglicht bessere Beobachtbarkeit und Beeinflussbarkeit des Verhaltens des Partners
Fokus der PropertyRights-Theorie • Kooperation (als Form der Teamarbeit) ermöglicht die Verankerung von Kontrollrechten und die Internalisierung externer Effekte auf die Partner
Vorteilhaft gegenüber dem Markt wenn...
• Hohe Spezifität der
• Starke Informations-
• Notwendigkeit zur Inter-
ausgetauschten Leistungen und der getätigten Investitionen • Hohe Unsicherheit des Leistungsaustausches • Vorteile durch intensiven Einsatz von IuK-Technologie
asymmetrien • Notwendigkeit zur Einschränkung opportunistischen Verhaltens durch Kontrolle, Anreize
nalisierung externer Effekte • Möglichkeiten zur Steigerung der Kooperationsrente durch kooperative Festlegung von Rechten und Pflichten
Ableitung der Basishypothese
HBASIS:"Je intensiver die Supply-Chain-Kooperation, desto höher der Supply-Chain-Erfolg".
Intensität d. Kooperation
+
Supply-Chain Erfolg
Abbildung 3-7: Erklärungsansätze der Kooperation in der Neuen Institutionenökonomie256
Für die Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern wurden im vorangegangenen Kapitel zwei Kooperationsformen unterschieden: die Kooperation durch Informationsaustausch und die Kooperation durch gemeinsame Prozesse. Die Basishypothese zur Vorteilhaftigkeit der Kooperation muss deshalb auf diese beiden Kooperationsformen konkretisiert werden. Für eine intensive Kooperation durch Informationsaustausch legen die bisherigen Ausführungen zur Transaktionskostentheorie deutlich einen positiven Einfluss auf den Supply-Chain-Erfolg nahe. Der Informationsaustausch senkt die Informationsasymmetrie zwischen Händler und Hersteller und reduziert die Gefahr opportunistischen Verhaltens. Gleichzeitig ermöglichen die gewonnenen Informationen wie zum Beispiel die jeweiligen Supply-Chain-Kennzahlen oder die EDI-Daten eine verbesserte Steuerung der eigenen Supply Chain und sowie die Schaffung einer zusätzlichen Kooperationsrente durch die Ausrichtung am beidseitigen Optimum. Die konkretisierte Basishypothese lautet daher:
HBASIS1:
Je intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch, desto höher der Supply-Chain-Erfolg.
256
Eigene Darstellung.
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
66
Für die Kooperation durch gemeinsame Prozesse erscheint der Einfluss auf den Supply-ChainErfolg weniger eindeutig. Auch hier kann ein positiver Einfluss vermutet werden, da die gemeinsam standardisierten Prozesse wie zum Beispiel eine gemeinsame Absatzprognose die Bereitschaft der Partner zum zielkonformen Handeln steigert und die jeweiligen Kompetenzen synergetisch genutzt werden können. Gleichzeitig geht die Intensivierung der Kooperation durch gemeinsame Prozesse aber auch mit steigenden Kosten einher. So müssen beispielsweise ITSysteme geschaffen werden, die die Prozesse unterstützen, und der Personalbedarf zur Umsetzung der Kooperation steigt. Gelingt es dem Händler nicht Effizienzvorteile aus dieser Kooperation zu realisieren, die den erhöhten Aufwand rechtfertigen, so kann dies auch zu einem negativen Einfluss auf die Supply-Chain-Leistung führen. Hier soll deshalb nur der Einfluss der Kooperation durch gemeinsame Prozesse auf die Supply Chain als Hypothese festgehalten werden, ohne eine Aussage darüber zu treffen, ob dieser positiv oder negativ ist.
HBASIS2:
Intensive Kooperation durch gemeinsame Prozesse beeinflusst den SupplyChain-Erfolg.
3.1.6
Einflussfaktoren aus Sicht der Neuen Institutionenökonomie
In den vorangegangenen Abschnitten wurde der allgemeine Erklärungsbeitrag der Neuen Institutionenökonomie für die Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern dargestellt. Zielsetzung dieser Arbeit ist darüber hinaus die Ableitung konkreter, theoriebasierter Einflussfaktoren dieser Kooperationsintensität und des Supply-Chain-Erfolgs. Die Einflussfaktoren sollten dabei sowohl unternehmensinterne Faktoren beschreiben, die die Intensität der Kooperation und des Erfolgs beeinflussen, als auch Umweltaspekte und Ausgestaltungsformen der Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen erfassen.
Die bisherigen Darstellungen der Neuen Institutionenökonomie legen drei zentrale Einflussfaktoren der Kooperation nahe: 1) Die Etablierung einer formellen Governance, 2) Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren und 3) Transparenz zwischen Händler und Hersteller. Zu diesen drei Einflussfaktoren werden in den folgenden Abschnitten die bisherigen Ausführungen
ergänzt
und
detailliert,
um
konkrete
Hypothesen
zu
den
Wirkungszusammenhängen abzuleiten. Die Argumente und Wirkungszusammenhänge sind anschließend in Abbildung 3-8 zusammengefasst.
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation 3.1.6.1
67
Einflussfaktor formelle Governance
Im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie wurde der Begriff der Governance insbesondere von WILLIAMSON geprägt.257 Er verwendet den Begriff der Governance um eine Koordinationsform von Transaktionen zwischen verschiedenen Akteuren zu beschreiben. Governance ist hier das Regelwerk nach dem sich die Transaktionspartner richten müssen. Markt und Hierarchie stellen dabei alternative und gegensätzliche Formen der Governance dar, die auf Basis der jeweiligen Transaktionskosten ausgewählt werden. Auf dieses Verständnis von Governance als Organisations- oder Koordinationsform wurde in Kapitel 3.1.2, welches sich mit der Transaktionskostenökonomik befasst, detailliert eingegangen.
Verschiedene Autoren haben dieses Verständnis der Governance konkretisiert und auf die individuelle Transaktion angewendet: Über die eigentliche Organisationsform hinaus werden die einzelnen, formellen Maßnahmen und Regeln betrachtet, welche die Zusammenarbeit zwischen zwei Akteuren lenken und ihnen vermitteln, dass diese Zusammenarbeit fair und gleichberechtigt gestaltet ist.258 Als Ziel dieser Mechanismen wird die Herstellung der Verhaltenssicherheit durch Einschränkung opportunistischen Verhaltens verstanden259. Vor dem Hintergrund der PrincipalAgent-Theorie definieren EBERS/GOTSCH die Governance-Mechanismen als Methoden, "die mit ihren Anreiz-, Kontroll- und Informationsfunktionen geeignet erscheinen, eine vertragsgemäße Aufgabenerfüllung durch den Agenten sicherzustellen."260 Angewendet auf die KonsumgüterSupply-Chain stellt sich beispielsweise die Frage, welchen Einfluss die Regulierung der Leistungen und Gegenleistungen in Form von Vertragsstrafen bei verspäteter Lieferung oder in Form von gegenseitiger Leistungskontrolle auf die Bereitschaft zur kooperativen Zusammenarbeit hat und wie dies die erzielte Supply-Chain-Leistung beeinflusst.
WILLIAMSON definiert drei zentrale Attribute der Governance: Intensität der Anreize, Intensität der Kontrolle und vertragliche Ausgestaltung.261 Um den Einfluss der formellen Governance auf die Intensität der Supply-Chain-Kooperation und den Supply-Chain-Erfolg zu untersuchen, bietet sich eine genauere Betrachtung dieser drei Attribute an: x
Intensität der Anreize: Gemäß der Argumentation der Principal-Agent-Theorie entsteht die Gefahr opportunistischen Verhaltens seitens des Transaktionspartners dadurch, dass seine
257
Vgl. zum Beispiel Williamson (1999). Vgl. zum Beispiel Ebers/Gotsch (1999, S. 214), Dyer (1997, S. 537). 259 Vgl. Williamson (1985). 260 Ebers/Gotsch (1999, S. 214). 261 Vgl. Williamson (1999, S. 1090). 258
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
68
Leistungen nicht umfassend beobachtbar sind und bei beiden Partnern jeweils unterschiedliche Zielsetzungen der individuellen Erfolgsmaximierung bestehen.262 Eine zentrale Möglichkeit zur Vermeidung des entstehenden Moral Hazard ist die Einführung von Anreizen, so dass die Erfüllung der individuellen Ziele des Agenten zugleich jenen des Principals dient.263 In der Regel erfolgt dies durch eine vertragliche Ergebnisbeteiligung des Partners. SPREMANN fordert hierzu, dass das Ergebnis vom Partner beeinflussbar sowie ohne
Dissens
von
beiden
Parteien
Wirkungszusammenhänge verständlich sein
beobachtbar müssen.264
sein
muss
und
die
Neben der Zielharmonisierung
führt die Etablierung von Anreizstrukturen auch zu einer Reduktion des Bedarfs an Informationen über die Handlungen und Leistungen des Partners, was wiederum in geringeren Transaktions- oder Agency-Kosten resultiert.265 Sanktionen bei Minderleistung zeigen eine vergleichbare Wirkung wie Anreize in Form einer Erfolgsbeteiligung. Statt positives Verhalten zu belohnen, wird dabei negatives oder opportunistisches Handeln bestraft und somit die Attraktivität des zielkonformen Verhaltens indirekt gesteigert.266 Vertraglich festgelegte Sanktionen stellen somit ebenfalls wirkungsvolle Mittel zur Begrenzung von Opportunismus in Transaktionsbeziehungen dar.267 Darüber hinaus fördern klare und im Vorfeld einmalig definierte Sanktionen die Reduktion der durch Verhandlungen im Schadenfall entstehenden Transaktionskosten. Ebenso lassen sich kleinere Probleme wie geringe Leistungsabweichungen lösen, ohne die Fortführung der gesamten Zusammenarbeit in Frage zu stellen.268 Ingesamt wirkt sich die Herstellung von Verhaltenssicherheit durch Anreizmechanismen somit positiv auf die Bereitschaft zur Zusammenarbeit
und
die
Intensität
der
Kooperation
aus,
da
getätigte
kooperationsspezifische Investitionen besser abgesichert sind und das Vertrauen in den gemeinsamen Kooperationserfolg steigt. x
Intensität
der
Kontrolle:
Kontrolle
und
deren
Umsetzung
in
Form
eines
Kooperationscontrollings bezeichnen im Kontext der Neuen Institutionenökonomie Maßnahmen zur Reduktion von Informationsasymmetrien. Im Gegensatz zur Schaffung von Transparenz zwischen zwei Unternehmen, die vor allem der Reduktion von
262
Vgl. Abschnitt 3.1.4.
263
Vgl. zum Beispiel Harris/Raviv (1979), Spremann (1990). Vgl. Spremann (1990, S. 582). Vgl. Ebers/Gotsch (1999, S. 214). Vgl. Balling (1998, S. 113). Vgl. Johnston/Lawrence (1988, S. 101). Vgl. Bowersox (1990, S. 42).
264 265 266 267 268
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
69
Informationsasymmetrien ex ante, also vor Vertragsabschluss, dient,269 leistet das Controlling ex post einen Beitrag zur Beseitigung von Informationsvorsprüngen und damit zur Herstellung von Verhaltenssicherheit.270 Konkret unterstützt das Controlling der Leistung des Transaktionspartners auch eine Verringerung des Moral Hazard. Somit wird die Leistung ex post durch die gewonnenen Fakten objektiv bewertbar. Je detaillierter das Controlling des Partners, desto geringer ist die Anzahl seiner nicht beobachtbare Leistungen (Hidden Action). Bewertet ein Händler die Supply-Chain-Leistung des Herstellers nur danach, ob ein bestimmtes Produkt geliefert wurde und somit im Lager vorhanden ist, so besteht für den Hersteller die Möglichkeit, das Produkt verspätet, in abweichender Menge oder Qualität zu liefern, ohne dass der Händler dies bemerken oder dieses Verhalten gar Sanktionen nach sich ziehen würde. Erfolgt hingegen bei Anlieferung eine detaillierte Kontrolle aller vereinbarten Eigenschaften der Leistung wie zum Beispiel Termin, Menge und Qualität nimmt der Spielraum für opportunistisches Handeln seitens des Herstellers ab. Anders ausgedrückt verleitet das Wissen über die bestehenden Leistungskontrollen den Transaktionspartner aus Eigeninteresse dazu, sich so zu verhalten, wie sich der Händler dies wünscht.271 Aus Sicht des Händlers führt das Controlling der Supply-Chain-Leistung des Herstellers somit dazu, dass er eher zu einer intensiven Zusammenarbeit bereit sein wird. Neben dem Controlling anhand von "harten" Zahlen und Fakten schlagen WEBER/BACHER/GROLL für die Supply Chain auch ein Controlling der Beziehungsqualität vor.272 Mittels geeigneter Instrumente wie zum Beispiel die Value Balance Card, welche entscheidungrelevante Wertevorstellungen Partner standardisiert erfasst, kann die Beziehungsqualität beurteilt, Erfolg versprechende Kooperationsfelder identifiziert und selektiv in diese investiert werden.273 Auch das qualitative Controlling der Transaktionsbeziehung kann somit bei positivem Ergebnis die Intensität der Kooperation verstärken. Ein Beispiel für ein solches Beziehungscontrolling findet sich bei dem Händler dm-drogerie markt:274 Um die Qualität der Kooperationsbeziehungen mit den Herstellern zu beurteilen, füllen beide Parteien einen Beziehungsfragebogen aus. Ein Vergleich der mit den einzelnen Herstellern bestehenden Beziehungen ermöglicht sodann die Ableitung von individuellen Optimierungs- und Intensivierungspotenzialen. Für jede Form des
269
Vgl. Abschnitt 3.1.6.3.
270
Zur Diskussion der Auswirkungen von Informationsasymmetrien vor und nach Vertragsabschluss vgl. Spremann (1990, S. 566). Vgl. Spremann (1990, S. 571). Vgl. Weber/Bacher/Groll (2002). Vgl. Weber/Bacher/Groll (2002, S. 15). Vgl. Strobel (2002, S. 38 f.).
271 272 273 274
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
70
Controllings ist zu beachten, dass durch die Kontrollbemühungen zusätzliche Transaktionskosten entstehen, die geringer sein müssen als der mit der Kontrolle verbundene Nutzen.275 Ein bestehendes Controllingsystem führt aber gleichzeitig auch zu einer Verringerung der zukünftigen Such- und Informationskosten. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass ein intensives Controlling der Supply-ChainLeistung des Partners die Intensität der Kooperation steigert und sich positiv auf den Supply-Chain-Erfolg auswirkt. x
Vertragliche Ausgestaltung: Formelle und informelle Verträge stellen die Grundlage jeder Transaktionsbeziehung dar. Eine Aufgabe des Vertrags ist es, die Rechte und Pflichten der Transaktionspartner festzuschreiben und ex ante Regeln aufzustellen, die effiziente, schnelle und gerechte Lösungsmöglichkeiten für mögliche Konflikte beinhalten.276 Darüber hinaus bildet ein Vertrag das Grundgerüst der Zusammenarbeit, innerhalb dessen sich die Partner bewegen und auf dessen Basis sie ihre Austauschbeziehung aufbauen können.277 Die Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen hat somit einen maßgeblichen Einfluss auf die Intensität der Kooperation.278 So kann die vertragliche Vereinbarung von Leistungen, Gegenleistungen und Vertragsdauer zur Absicherung kooperationsspezifischer Investitionen führen.279 Wird zum Beispiel ein Hersteller vom Händler zum Zweck des Datenaustauschs dazu aufgefordert in ein vorgegebenes IT-System zu investieren oder sich an dessen Entwicklung zu beteiligen,280 so wird er dieser Kooperation nur zustimmen, wenn der zeitliche Bestand dieses Systems und die Gegenleistungen des Händlers detailliert vertraglich abgesichert sind. Die im Vertrag festgelegten Regeln stellen zielkonformes
Handeln
der
Parteien
sicher
und
geben
den
Vertragspartnern
Verhaltenssicherheit. Auch hier lässt sich deshalb ein positiver Einfluss auf die Intensität der Kooperation und den Supply-Chain-Erfolg vermuten.281
Die dargelegten Ausführungen haben gezeigt, dass Anreize, Kontrolle und vertragliche Regelungen geeignet sind das opportunistische Verhalten in einer Transaktionsbeziehung wirkungsvoll zu reduzieren und Verhaltenssicherheit für die Transaktionspartner herzustellen. Zusammenfassend lässt sich für die intensive Ausgestaltung dieser formellen Governance275 276 277 278 279 280 281
Vgl. Weber/Bacher/Groll (2002, S. 13 f.). Vgl. Bowersox (1990, S. 42), Holtbrügge (2003, S. 883). Vgl. Gulati (1995, S. 87). Vgl. Balling (1998, S. 109 ff.), Holtbrügge (2003, Bronder/Pritzl (1991, S. 51). Vgl. Balling (1998, S. 109 f.). Vgl. Tomczak/Schögel/Sauer (2003, S. 1167). Vgl. Gulati (1995, S. 87).
S.
882),
Gulati
(1995,
S.
87),
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
71
Mechanismen in der Zusammenarbeit zwischen Händler und Hersteller eine positive Wirkung auf die Intensität der Kooperation und auf den Supply-Chain-Erfolg vermuten. Es lassen sich deshalb die folgenden Hypothesen ableiten:
Je intensiver die formelle Governance zwischen Händler und Hersteller, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H1A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H1B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H1C)
Für die empirische Überprüfung der Hypothesen bedarf es einer konkreten Operationalisierung. Diese erfolgt in Anlehnung an die von WILLIAMSON vorgeschlagenen und bereits dargestellten drei Attribute des Konstrukts "formelle Governance", Intensität der Anreize, Intensität der Kontrolle und vertragliche Ausgestaltung:282 x
Die Intensität der Anreize wird durch zwei Indikatoren gemessen: die verwendeten Sanktionssysteme und der Einfluss der Leistung auf die vereinbarten Konditionen. Während die Erfolgsbeteiligung im Supply-Chain-Management mangels gut messbarer und direkt beeinflussbarer Erfolgsgrößen als Indikator der Anreize eher ungeeignet erscheint, setzen manche Händler vertragliche Sanktionen intensiv zur Zielharmonisierung ein. Ein Beispiel für mögliche Sanktionen sind gestaffelte Strafzahlungen bei verspäteter oder qualitativ minderwertiger Lieferung. Neben den Sanktionen kann der Einfluss, den die vom Händler erzielte Supply-Chain-Leistung auf die vereinbarten Konditionen wie Abgabepreise und Rabatte hat, eine weitere Form des Anreizes sein. Während manche Händler neben den üblichen Diskussionen über Abnahmemengen und MerchandisingMaßnahmen auch die Berichte über die erzielte Supply-Chain-Leistung in den Konditionsverhandlungen nutzen, hat die Supply-Chain-Leistung bei anderen Händlern keinen Einfluss auf die mit den Herstellern vereinbarten Konditionen .
x
Die Intensität der Kontrolle wird daran gemessen, wie detailliert und regelmäßig der Händler die Supply-Chain-Leistung seiner Hersteller misst. Auch hier unterscheiden sich die Händler deutlich. Während einige detaillierte Kennzahlen-Kataloge einsetzen, die bei jeder Lieferung überprüft werden, haben andere kaum Transparenz über die Leistung der Hersteller.
x
Die regulierende Wirkung der vertraglichen Ausgestaltung wird daran gemessen, wie detailliert die einzelnen Leistungsbestandteile wie Liefertermin, Lieferdokumente oder Toleranzgrenzen bei der Qualität in den Verträgen geregelt sind.
282
Vgl. Williamson (1999, S. 1090).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
72
Tabelle 3-1 fasst die verwendeten Indikatoren zusammen: Konstrukt
Indikatoren - Intensität der leistungsabhängigen Sanktionen
Formelle Governance
- Einfluss der Lieferantenleistung auf die Konditionen - Intensität des Lieferantencontrollings - Detaillierung der Verträge
Tabelle 3-1:
3.1.6.2
Operationalisierung des Konstrukts "formelle Governance"
Einflussfaktor kooperationsspezifische Faktoren
Der Einfluss der Faktorspezifität auf die Transaktionskosten und auf die Wahl der Organisationsform wurde bereits in Abschnitt 3.1.5.1 dargestellt. WILLIAMSON hält die Faktorspezifität für die zentrale Einflussgröße der Organisationsform283 und zeigt, dass bei zunehmender Spezifität der Leistungen die Vorteilhaftigkeit des Marktes zunächst durch eine hybride Organisationsform wie die Kooperation und später durch die vollständige vertikale Integration im Unternehmen abgelöst wird.284 Durch kooperationsspezifische Investitionen wird zwischen den Partnern eine Abhängigkeit geschaffen, da der Transaktionspartner nach einer spezifischen Investition nur noch durch Inkaufnahme schlechterer Bedingungen gewechselt werden kann. Die Opportunitätskosten der Auflösung der Bindung steigen an. Bei steigender Spezifität der Transaktion sind Risiko und Transaktionskosten der Absicherung in der Kooperation somit geringer als am Markt. "Daher wächst das Interesse der Transaktionspartner [bei steigernder Spezifität] an einer dauerhaften Austauschbeziehung."285
Der von WILLIAMSON dargestellte positive Zusammenhang zwischen der Spezifität der getätigten Investitionen und der Attraktivität der Kooperation gegenüber dem Markt trifft auch auf die Zusammenarbeit zwischen Handel und Herstellern zu. Beide Parteien tauschen zunächst als unabhängige Akteure auf dem Markt Leistungen aus. Zunehmende Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren wie zum Beispiel die Entwicklung und Implementierung gemeinsamer IT-Systeme haben eine positive Auswirkung auf die Attraktivität dieser Kooperation. Die Kooperationspartner zeigen Interesse daran, auf die getätigten Investitionen einen möglichst hohen Nutzen aus der Zusammenarbeit folgen zu lassen. Dieser wird durch einen
283 284
Vgl. Williamson (1999, S. 281). Vgl. Abbildung 3-6 in Abschnitt 3.1.5.1.
285
Vgl. Ebers/Gotsch (199, S. 228).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
73
dauerhaften und intensiven Datenaustausch zwischen den Partnern oder die Ausdehnung der Kooperation auf weitere Bereiche des Supply-Chain-Managements erzielt.
Die Auswirkungen zunehmender Spezifität auf den Supply-Chain-Erfolg sind weniger eindeutig. Zunächst führt die Spezifizierung der Austauschbeziehung bedingt durch die notwendigen Investitionen und durch die entstandene Abhängigkeit benötigten Absicherungsmaßnahmen zu steigenden Supply-Chain-Kosten und einem negativen Einfluss auf den Supply-Chain-Erfolg. Gleichzeitig lässt sich vor dem Hintergrund der Transaktionskostenökonomie jedoch zeigen, dass die geleisteten Investitionen durch die Realisierung von Spezialisierungsvorteilen langfristig zu einer Reduktion der laufenden Kosten führen.286 DYER belegt dies zum Beispiel in seiner Untersuchung der japanischen und amerikanischen Automobilindustrie.287 DYERS Ergebnisse weisen darauf hin, dass die japanischen Hersteller bei höherer Spezifität der gegenseitigen Investitionen niedrigere Transaktionskosten288 realisieren. Dies liegt darin begründet, dass die getätigten Investitionen zu einer engeren Bindung mit stärkerem Informationsaustausch, größerem Vertrauen und erhöhter Transaktionshäufigkeit führen und so den gemeinsamen Transaktionswert steigern.289 Eine positive Erfolgswirkung lässt sich auch am Beispiel der "site specifity" zeigen. So erwirtschaftet Toyota im Vergleich zu General Motors erhebliche Produktivitäts- und Wettbewerbsvorteile, da in Kooperation mit den Zulieferern ein umfangreiches und um neue Produktionstechnologien erweitertes Standortnetzwerk in unmittelbarer Nähe der eigenen Produktionsstätten aufgebaut wurde.290 Den Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren stehen somit langfristige Kostensenkungen und Leistungssteigerungen durch schnellere und effektivere Supply-Chain-Prozesse gegenüber. Eine Abschließende Vermutung über die Wirkungsrichtung lässt sich daher nicht treffen.
Zusammenfassend lässt sich für die intensive Investition in kooperationsspezifische Faktoren seitens der Händler und Hersteller ein positiver Einfluss auf die Intensität der Kooperation und ein Einfluss mit unklarer Wirkungsrichtung auf den Supply-Chain-Erfolg vermuten. Es lässt sich deshalb ein zweiter Hypothesenblock ableiten:
286
Vgl. Ebers/Gotsch (1999, S. 228). Vgl. Dyer (1997). 288 Die Transaktionskosten wurden hier operationalisiert als die Einkaufsproduktivität der Mitarbeiter in den Einkaufsabteilungen der Automobilhersteller (vgl. Dyer (1997, S. 540)). 289 Vgl. Dyer (1997, S. 543 ff.). 290 Vgl. Dyer (1996). 287
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
74
Je höher die Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren, desto... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H2A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H2B)
Die Höhe der Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren beeinflusst den Supply-Chain-Erfolg.
(H2C)
Zur Operationalisierung kann die durch WILLIAMSON erfolgte Unterscheidung von drei Arten der Spezifität herangezogen werden:291 x
Standortspezifität ("site specifity"): Investitionen in ortsgebundene Anlagen
x
Spezifität des Sachkapitals ("physical asset specifity"): Investitionen in spezifische Maschinen und Technologien
x
Spezifität des Humankapitals ("human asset specifity"): Investitionen in spezifische Mitarbeiterqualifikationen.
Die Messung der kooperationsbedingten Standortspezifität für die Konsumgüter-Supply-Chain gestaltet sich schwierig. Die Lage und Ausgestaltung der einzelnen Lagerstandorte wird beispielsweise kaum durch die Kooperation mit einzelnen Herstellern beeinflusst. Die Operationalisierung des Konstrukts "kooperationsspezifische Faktoren" verwendet deshalb nur die Spezifität des Sach- und Humankapitals. Zur Bestimmung der Spezifität des Sachkapitals wird gemessen, wie hoch die Investitionen in kooperationsspezifische IT sind; für die Festlegung der Spezifität des Humankapitals werden die bereitgestellten Personalressourcen und spezifischen Funktionen, die in die Kooperation investiert werden, gemessen. Grundsätzlich lassen sich bezüglich der Bereitschaft der Händler, aus Eigeninitiative in das Zustandekommen und die Ausweitung der Kooperation zu investieren, beträchtliche Unterschiede erkennen. Während manche Händler sich abwartend verhalten, übernehmen andere gezielt die Initiative und investieren Zeit und Geld in die Erarbeitung von Kooperationsvorschlägen und die Ansprache möglicher Kooperationspartner. Die Bereitschaft zur Initiative wurde deshalb als dritter Indikator zur Operationalisierung verwendet. Tabelle 3-2 fasst die verwendeten Indikatoren zusammen:
291
Vgl. Williamson (1985).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
Konstrukt
75
Indikatoren
Kooperationsspezifische Faktoren
- Umfang der Investitionen in kooperationsspezifische IT - Umfang der zur Kooperation bereitgestellten Personalressourcen - Bereitschaft zur Initiative zur Kooperation
Tabelle 3-2:
3.1.6.3
Operationalisierung des Konstrukts "kooperationsspezifische Faktoren"
Einflussfaktor Transparenz
Unter Transparenz wird im allgemeinen Sprachgebrauch neben der Deutlichkeit und der Verstehbarkeit vor allem auch die Durchschaubarkeit von Institutionen verstanden.292 Vor dem Hintergrund der Supply-Chain-Kooperation soll Transparenz als die gegenseitige Offenheit der Unternehmen und das Wissen über die Supply-Chain-Kompetenz, die Supply-Chain-Ziele und die Strukturen der Lieferkette des jeweils anderen verstanden werden.293
Intransparenz führt gemäß der Argumentation der Neuen Institutionenökonomie dazu, dass die Bereitschaft der Akteure zur Kooperation und die Intensität derselben durch geringere Investitionen abgeschwächt werden. Dies liegt darin begründet, dass bezüglich des zukünftigen Verhaltens des Partners Unkenntnis besteht und die Akteure gemäß den Annahmen der Theorie grundsätzlich
opportunistisch
agieren.294
Wie
im
bereits
angeführten
Beispiel
zum
Gebrauchtwagenmarkt ("Market for Lemons") von AKERLOF295 muss ein Unternehmen bei starker Intransparenz ex ante davon ausgehen, dass die Eigenschaften oder Leistungen des potenziellen Partners seine Erwartungen nicht befriedigen oder genau diesen entsprechen, sie aber keinesfalls übertreffen. Die Entscheidung, mit dem Partner einen Vertrag in Form einer langfristigen Kooperation einzugehen, verliert deshalb mit zunehmender Intransparenz an Attraktivität. Intransparenz und Informationsasymmetrien nach Vertragsabschluss können dazu führen, dass die Kooperationsrente durch Minderleistung des Partners zu gering ausfällt, die Kooperation mit dem
292
Vgl. Brockhaus (1999). Hier ist eine klare Abgrenzung von der Kooperation durch Informationsaustausch notwendig, die, wie in diesem Abschnitt gezeigt wird, von dem Grad der Transparenz beeinflusst wird. Die Kooperation durch Informationsaustausch bezeichnet wie in Abschnitt 2.3.2 definiert die tägliche Zusammenarbeit durch den Austausch operativer Supply-Chain-Informationen und elektronischer Daten wie Liefertermin, Lieferumfang oder Leistungskennzahlen. 294 Vgl. Williamson (1975, 7 ff.), Williamson (1979, S. 234), Madhok (2000, S. 77). 295 Vgl. Akerlof (1970). 293
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
76
falschen Vertragspartner intensiviert wird oder es zur Ausnutzung der beschriebenen Abhängigkeiten kommt (Hold-up).296
Ein Beispiel aus der Konsumgüter-Supply-Chain, welches mögliche Auswirkungen von Intransparenzen zwischen Unternehmen auf die Kooperation verdeutlicht, ist die Investition in ein kooperatives Crossdocking.297 Beim Crossdocking werden die Filialen des Händlers von einem Umschlagpunkt aus beliefert, ohne dass die Ware dort zwischengelagert wird. Die Lagerhaltung wird dadurch vermieden, dass Volumen und Zeitpunkt der Lieferung an den Crossdocking-Punkt mit der Auslieferung an die Filialen synchronisiert bzw. genau abgestimmt wird. Bei der stark kooperativen Ausprägung des einstufigen Crossdockings kommissioniert der Hersteller bereits filialgerecht. Er erhält vom Händler die Bestellung pro Filiale, stellt die Ladungsträger filialrein zusammen und sendet diese an den Crossdocking-Punkt. Der Händler muss die verschiedenen Ladungsträger einer Filiale nur noch konsolidieren und ausliefern. Diese Form der Kooperation setzt auf beiden Seiten eine hohe Kompetenz voraus. Der Händler muss am Crossdocking-Punkt eine große Anzahl an Anlieferungen, die Konsolidierung und die Auslieferung in einem sehr kurzen Zeitfenster synchronisieren. Der Hersteller muss die oft kleinteiligen Filialbestellungen verarbeiten, die Sendungen entsprechend konsolidieren und eine genaue Einhaltung des Anlieferungsfensters gewährleisten. Zwischen Herstellern und Händlern herrscht jedoch häufig Intransparenz bezüglich der jeweiligen Kompetenz und wichtiger Kriterien, sodass sich die Bewertung der beidseitigen Vorteilhaftigkeit einer solchen Belieferungsform schwierig gestaltet. So kennen beispielsweise nur 28 Prozent der Händler die Logistikstrukturen wie zum Beispiel Produktions- und Lagerstandorte, Belieferungswege und organisatorische Strukturen ihrer Hersteller.298 Die Eigenschaften des Logistiksystems und die Crossdocking-Kompetenzen des anderen stellen hier daher gute Beispiele für Qualitätsunsicherheiten oder Hidden Characteristics im Sinne der Principal-Agent-Theorie dar.299 Aus Sorge um die Verfügbarkeit der Produkte in den Filialen nehmen deshalb viele Händler bedingt durch mangelnde Transparenz hinsichtlich der tatsächlichen Kompetenzen des Herstellers Abstand vom kooperativen Crossdocking.
Diese Ausführungen lassen erkennen, dass Transparenz zwischen den Unternehmen für die Etablierung
und
für
die
Intensivierung
der
Kooperation
sorgen
kann,
indem
Informationsasymmetrien abgebaut, Vorbehalte ausgeräumt und opportunistisches Verhalten
296
Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 58 f.). Das Beispiel stammt aus den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews und wurde von mehreren Interviewpartnern thematisiert. Vgl. auch Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 70 ff.). 298 Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 106.). 299 Vgl. Spremann (1990 S. 567 f.). 297
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
77
eingeschränkt werden.300 Die Schaffung von Transparenz führt zu Verhaltenssicherheit und übernimmt damit im Konzept der Principal-Agent-Theorie die Rolle des Signallings und Screenings.301 Die eine Partei legt ihre Eigenschaften und Ziele offen und ermöglicht dadurch der anderen eine bessere Informationsbasis für die Entscheidung über die Intensität der zukünftigen Zusammenarbeit. Herrscht Transparenz über die Leistungsfähigkeit, Pläne und Strukturen eines Partners, so steigt die Bereitschaft sich mit diesem auf eine intensive und langfristige Zusammenarbeit einzulassen. Zugleich senkt die Transparenz die Kosten und hat somit eine positive Erfolgswirkung: Für das Signalling sind keine Garantien und kein Marketing notwendig. Darüber hinaus verursachen geringere Informationsasymmetrien niedrigere Überwachungskosten und verringern die Gefahr eine Kooperation mit einem ungeeigneten Partner einzugehen.
Die Bedeutung der Transparenz für die Konsumgüter-Supply-Chain zeigt die folgende Aussage von Zygmund Mierdorf, CEO der Metro AG: "Wir und unsere Partner verstehen heute, dass wir in der Zusammenarbeit nur weiterkommen, wenn wir Transparenz schaffen. Wenn wir die Supply Chain verbessern wollen, müssen wir uns öffnen."302
Zusammenfassend lässt sich für eine hohe Transparenz zwischen Händler und Hersteller eine positive Wirkung auf die Intensität der Kooperation und auf den Supply-Chain-Erfolg vermuten. Es lässt sich deshalb ein dritter Hypothesenblock ableiten:
Je höher die Transparenz zwischen Händler und Hersteller, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H3A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H3B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H3C)
Die Operationalisierung der Transparenz in der Zusammenarbeit zwischen Handel und Hersteller erfolgt anhand der Messung des Informationsgrades beider Partner hinsichtlich ihrer jeweiligen Supply-Chain-Projekte, Pläne und Leistungsfähigkeit. Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Handelsperspektive liegt, definiert die Bereitschaft des Händlers den Hersteller zu informieren sowie den Umfang der vom Hersteller reziprok zur Verfügung gestellten Informationen einen ersten Indikator. Ein weiterer möglicher Indikator für die Transparenz ist der Informationsgrad des Händlers bezüglich der Logistikstrukturen des Herstellers. Während manche
300
Vgl. Picot/Bortenlänger/Röhrl (1997, S. 111). Vgl. Spremann (1990, 578 ff.) spricht in diesem Zusammenhang von "Offenbarung". 302 Rode (2004, S. 1). 301
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
78
Händler die Logistikstandorte ihrer Hersteller genau kennen und wissen, welche Waren sie aus welchen Lagern oder Crossdocking-Punkten des Herstellers beziehen, ist dies bei anderen unbekannt. Tabelle 3-3 fasst die Operationalisierung der Transparenz zusammen. Konstrukt
Indikatoren - Intensität der Information über Leistungsstand und Pläne der Lieferanten - Intensität der Information der Lieferanten über eigenen Leistungsstand und eigene Pläne
Transparenz
- Transparenz der Logistikstrukturen der Lieferanten Tabelle 3-3:
Operationalisierung des Konstrukts "Transparenz"
Abbildung 3-8 fasst die in den vorangegangenen Abschnitten abgeleiteten Einflussfaktoren und Hypothesen über deren Wirkung auf die Kooperation und den Supply-Chain-Erfolg zusammen:
Zentrale Aussagen der NIÖ zur Kooperation Je größer der opportunistische Spielraum der Transaktionspartners, desto höher die Verhaltensunsicherheit und desto geringer die Bereitschaft zur Investition in eine Kooperation. Je höher die Spezifität des Leistungsaustauschs, desto höher die Abhängigkeiten und die Gefahr des Opportunismus und desto größer die Bereitschaft zur Investition in eine Kooperation.
Abgeleitete Einflussfaktoren
• Formelle Governance-Mechanismen
H1
reduzieren durch ihre Anreiz-, Kontroll- und Regulierungsfunktionen die Möglichkeiten des Opportunismus • Die Bereitschaft zur Kooperation und die Leistungsfähigkeit steigen, weil die tatsächliche Leistung des Partners beobachtbar und beeinflussbar wird
• Haben die Kooperationspartner Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren getätigt, möchten sie diese absichern • Die Bereitschaft zur Kooperation steigt, weil in einer langfristigen Zusammenarbeit diese Investitionen besser abgesichert sind • Die Investitionen haben sowohl positiven als auch negativen Einfluss auf den Erfolg.
• Transparenz bezüglich der Kompetenzen, Je größer die Informationsasymmetrien, desto größer die Gefahr opportunistischen Verhaltens und desto geringer die Bereitschaft zur Investition in eine Kooperation.
Abgeleitete Hypothesen
Pläne und Strukturen des Partners schafft Verhaltenssicherheit • Die Bereitschaft zur Kooperation steigt, weil die Partner wissen "worauf sie sich einlassen" • Die Leistungsfähigkeit steigt, weil Such- und Kontrollkosten reduziert und Fehlinvestitionen vermieden werden
Formelle Governance +
Eigene Darstellung.
Supply-ChainErfolg
H2 Intensität d. Kooperation
+
Koop. spezifische Faktoren Supply-ChainErfolg
H3 Intensität d. Kooperation
+ Transparenz +
Abbildung 3-8: Ableitung der Hypothesen auf Basis der Neuen Institutionen Ökonomie303
303
Intensität d. Kooperation
+
Supply-ChainErfolg
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation 3.1.7
79
Defizite der Neuen Institutionenökonomie
Auch die Neue Institutionenökonomie und ihre drei dargestellten Theorien unterstehen der Kritik. Auf sechs zentrale Aspekte dieser Kritik wird im Folgenden detailliert eingegangen: 1. Mangelnde Operationalisierbarkeit 2. Fehlende Berücksichtigung der Produktionskosten 3. Überschätzung der Gefahr des Opportunismus 4. Fehlende Analyse sozialer Aspekte 5. Fehlende Analyse dauerhafter Austauschbeziehungen 6. Fehlende Berücksichtigung von Verhandlungsmacht.
Zu 1.: Die Kritik bezüglich der mangelnden Operationalisierbarkeit richtet sich bei der Transaktionskostenökonomik vor allem auf die schwierige Identifikation und Quantifikation der Transaktionskosten.304 Diese lassen sich oft weder messen noch klar von anderen Koordinationskosten trennen:305 Die Mittel, die beispielsweise ein Unternehmen für die Bewertung seiner Partner oder deren Kontrolle aufwendet, werden kaum erfasst und sind für die Betrachtung in der betriebswirtschaftlichen Forschung unzugänglich. In der Forschung wie auch in der vorliegenden Arbeit werden die Effizienzhypothesen der Transaktionskostentheorie deshalb meist nicht direkt an der Höhe der Transaktionskosten überprüft. Stattdessen wird getestet, inwiefern die abgeleiteten Einflussgrößen zwischen verschiedenen institutionellen Arrangements diskriminieren oder einen Einfluss auf ihren Erfolg haben.306 Die Kritik an der Operationalisierbarkeit richtet sich auch gegen die Principal-Agent-Theorie. Die Verwendung der Agency-Kosten als Effizienzkriterium setzt die Quantifizierung der Wohlfahrtsverluste ("residual loss") voraus. Dies gestaltet sich als unmöglich, da es sich dabei um die Kosten der Realisierung einer "Second-Best-Lösung" im Vergleich zur utopischen "First-Best-Lösung" handelt.307 Auch die Operationalisierung der Property-Rights-Theorie erscheint oft schwierig. Dieser Theorie wird ein zu hohes Maß an Abstraktion sowie die fehlende Erklärung der empirisch beobachteten Vielfalt und Differenziertheit der Verfügungsrechte vorgeworfen.308
Zu 2.: Eine Reihe von Autoren verweisen auf die schwierige Abgrenzung zwischen Transaktionskosten und Produktionskosten bzw. auf die häufige Vernachlässigung des
304
Vgl. zum Beispiel Milgrom/Roberts (1992, S. 33 f.). Vgl. Swoboda (2003, S. 49). 306 Vgl. Williamson (1985, S. 22), Ebers/Gotsch (1999, S. 247). 307 Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 160), Ebers/Gotsch (1999, S. 207). 308 Vgl. Ebers/Gotsch (1999, S. 207). 305
80
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
Einflusses der Produktionskosten auf die Organisationsform.309 Bei der Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern sind Produktionskosten in Sinne von Herstellungskosten nur für die Alternative der vollständigen vertikalen Integration relevant. Die Herstellungskosten können jedoch in der vorliegenden Arbeit, die sich mit der Kooperation als Alternative zur unabhängigen Zusammenarbeit am Markt befasst, unbeachtet bleiben. Die zum Beispiel durch Kommissionierprozesses im Lager oder den Transport entstehenden Kosten des Warenflusses stellen allerdings ebenso wie die Herstellungskosten physische Kosten dar und werden in der Transaktionskostenbetrachtung bei enger Auslegung des Begriffs der Transaktionskosten vernachlässigt. Hier ist deshalb die Ergänzung durch theoretische Ansätze sinnvoll, die nicht nur die Transaktionskosten, sondern allgemeiner den Erfolg oder die Wertschöpfung einer Organisationsform betrachten.
Zu 3.: Ein zentrales Argument der inhaltlichen Kritik an der NIÖ besteht in der Überschätzung
der Gefahr durch Opportunismus.310 Dieses Argument nimmt gleichzeitig eine zentrale Bedeutung für die Untersuchung der Kooperation ein, da die mit dem Opportunismusrisiko einhergehenden Vorsichtsmaßnahmen und die Notwendigkeit von Verhaltenssicherheit gemäß dieser Kritik deutlich überbewertet werden.311 WILLIAMSON argumentiert, dass stets die Möglichkeit opportunistischen Handelns besteht, und dass sich eine Ex-ante-Ermittlung der Frage, wer sich wann opportunistisch verhalten wird, als zu aufwendig gestaltet.312 Daher muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich der Transaktionspartner opportunistisch verhalten wird und somit Maßnahmen zur Vermeidung dieses Verhaltens unausweichlich sind. MADHOK zeigt hingegen, dass es sinnvoller sein kann, nicht von vornherein von einem allgegenwärtigen Opportunismus auszugehen und sich um den Preis höherer Transaktionskosten davor zu schützen, sondern sich auf die Beziehung einzulassen.313 Der Opportunismus lässt sich auch durch eine eben solche enge Beziehung wirksam beschränken: "Opportunism is a variable to be managed, rather than a structural constraint".314 Sich auf das Risiko des Opportunismus einzulassen kann in einzelnen Fällen zu Enttäuschungen führen. In Summe erlaubt dies einem Unternehmen aber den Aufbau von Beziehungen und die Realisierung von Synergien, was bei
309 310 311 312 313 314
Vgl. zum Beispiel Ebers/Gotsch (1999. S. 245 f.). Vgl. zum Beispiel Madhok (2000, S. 76 ff.), Ebers/Gotsch (1999, S. 243 f.). Vgl. zum Beispiel Woratschek/Roth (2003, S. 161), Madhok Bogaschewsky (1995, S. 170). Vgl. Williamson (1985, S. 47 ff.). Vgl. Madhok (2000, 89 f.). Madhok (2000, S. 89).
(2000,
S.
76
ff.),
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
81
einer vollständigen Absicherung nicht möglich gewesen wäre.315 GOSHAL/MORAN beschreiben dies wie folgt: "Because opportunism is difficult to distinguish ex ante from partnership, in an effort to control the former, they will destroy the latter".316 Zudem lässt sich zeigen, dass auch in hierarchischeren Organisationsformen die Gefahr von Opportunismus besteht, denn ebenso wie auf dem Markt weisen die relationalen Verträge der Hierarchie Lücken auf und ermöglichen eigennütziges Verhalten.317
Zu 4.: Ein weiterer Kritikpunkt besteht in der fehlenden Analyse sozialer Aspekte in den Erklärungsansätzen der Neuen Institutionenökonomie.318 Aufgrund der starken Fokussierung auf Aspekte der hoheitlichen und vertraglichen Koordination und deren Schutz vor opportunistischem Verhalten bleiben soziale Komponenten wie persönliche Kontakte oder Vertrauen zwischen den Akteuren oft unbeachtet.319 Diese Argumentation ist eng verbunden mit der Überbewertung des opportunistischen Risikos. Nach Ansicht der Kritiker hängt opportunistisches Handeln nicht primär davon ab, ob der Transaktionspartner hierzu in der Lage ist, sondern ob er so handeln möchte. Eben diese Zielsetzung lässt sich aber nur unzureichend über Governance-Mechanismen beeinflussen, wichtiger ist hier vor allem das Verhältnis der Akteure zueinander.320 Mit Blick auf die Principal-Agent-Theorie führt PERROW an, dass das verwendete Menschenbild zu einseitig sei und es die soziale Strukturiertheit von Organisationen vernachlässigt.321 In Bezug auf die Transaktionskostentheorie argumentieren die Kritiker, dass ein intensives, vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Transaktionspartnern den Opportunismus wirksamer und vor allem mit niedrigeren Transaktionskosten reduziere als die Mechanismen einer formellen Governance.322 POWELL fasst dies zusammen und meint: "An exclusive focus on the transaction – rather than the relationship – as the primary unit of analysis is misplaced".323 Die einzelne Transaktion reicht somit als Analyseobjekt nicht aus, da sie in der Praxis in der Regel in eine soziale Beziehung und eine dauerhafte Zusammenarbeit eingebettet ist.324
315 316 317 318 319 320 321 322 323 324
Vgl. Madhok (2000, S. 89 f.). Goshal/Moran (1996, S. 38). Vgl. Woratschek/Roth (2003, S. 161). Vgl. zum Beispiel Sydow (1992, S. 147 ff.), Sowboda (2003, S. 49). Vgl. zum Beispiel Barney/Hansen (1994), Ring Van de Ven (1992), Madhok (2000, S. 79). Vgl. Madhok (2000, 77 f. und 85 f.). Vgl. Perrow (1986, S. 231 f. und 235). Vgl. zum Beispiel Ring Van de Ven (1992), Dyer (1997). Powell (1990, S. 323). Vgl. Madhok (2000, S. 86).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
82
Zu 5.: Bei der Analyse von Transaktionsbeziehungen mit mehrfachen Vertragsperioden, wie dies bei der Zusammenarbeit zwischen Händler und Hersteller in der Supply Chain der Fall ist, zeigt sich ein weiteres Problem: Die Theorie ist meist auf eine einzige Vertragsperiode ("single period model") beschränkt und es fehlt die Analyse dauerhafter Austauschbeziehungen.325 Die einperiodische Betrachtung einer Agency-Beziehung oder einer Transaktion blendet langfristige Austauschinteressen der Partner aus und berücksichtigt nicht, dass diese zwischen kurzfristigen Interessen und der Attraktivität langfristiger Beziehungen abwägen werden. So würde die allzu rücksichtslose Durchsetzung kurzfristiger Interessen eines Partners zu Lasten des anderen die Fortsetzung der Austauschbeziehung gefährden oder die Konditionen verschlechtern.326 Zudem berücksichtigt
die
Theorie
unzureichend,
dass
langfristige
Austauschbeziehungen
Lernerfahrungen ermöglichen und zu einer wirksamen Sanktionierung opportunistischen Verhaltens im Stande sind.327. GULATI fasst diese Kritik wie folgt zusammen: "Empirical studies on the governance of alliances have unfortunately continued in the transaction cost economics tradition, treating each alliance as independent and considering the activities it includes at the time of its formation as singularly reflecting the transaction costs associated with it. The approach taken is thus static: it specifies the unit of analysis to be each transaction and not the economic relationship and ignores the possibility of social structure resulting from repeated alliances […]."328
Zu 6.: Insbesondere bei der Analyse der vertikalen Kooperation ist darüber hinaus als weiterer Kritikpunkt die fehlende Berücksichtigung der Verhandlungsmacht als ein die beteiligten Akteure und ihre Entscheidungsprozesse beeinflussender Faktor zu erwähnen.329 Während Macht als Möglichkeit zur Ausnutzung von Abhängigkeiten durch opportunistisches Verhalten intensiv betrachtet wird, bleibt Macht in Form von Verhandlungsmacht zur Beeinflussung institutioneller Rahmenbedingungen unbeachtet. Für die Wahl institutioneller Arrangements spielt demnach nicht nur die Effizienz im Sinne von Transaktions- oder Agency-Kosten eine Rolle, sondern auch die bestehende Machtverteilung zwischen den Transaktionspartnern und deren Streben nach Machtausweitung.330
325 326 327 328 329 330
Vgl. Barnea/Haugen/Senbet (1985, S. 27), Fama (1980, S. 304). Vgl. Ebers/Gotsch (1999, S. 223). Axelrod (1984) zeigt dies auf Basis der Theorie des Gefangenendilemmas und verwendet den Ausdruck "tit for tat". Gulati (1998, S. 302 f.). Vgl. Bogaschewsky (1995, S. 171). Vgl. Kieser/Walgenbach (2003, S. 56).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
83
Die in der Kritik angeführten Argumente insbesondere hinsichtlich des Opportunismus, der sozialen Aspekten und der Dauerhaftigkeit sind sehr eng miteinander verknüpft und zeigen, dass die Neue Institutionenökonomie einer Ergänzung bedarf, sollen erfolgreiche Supply-ChainKooperationen zwischen Händlern und Herstellern mit ihr ausreichend erklärt und untersucht werden. Der Ansatz, die Kooperation als eine effiziente Organisationsform zu betrachten, welche einen Schutz vor opportunistischem Verhalten sowie die Absicherung der getätigten Investitionen bietet, greift in dieser Theorie teilweise zu kurz. Die Ergänzung muss daher den ausschließlichen Fokus auf die transaktionkostenminimierende Funktion der Kooperation aufgeben und diese vielmehr als eine Möglichkeit zur gemeinsamen Wertstiftung verstehen. Dieser Ansatz erlaubt eine Untersuchung der Supply-Chain-Kooperation und ihrer Einflussfaktoren nicht nur bezüglich ihrer Transaktionskosteneffizienz, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob sie die Realisierung von Synergien der beiden Partner durch eine positive, vertraute und langfristige Zusammenarbeit ermöglichen. MADHOK fasst dies wie folgt zusammen: "In order to benefit from collaboration, where it is a potentially superior alternative, greater attention needs to be paid towards the relationship process itself, going beyond economizing on (transaction) costs in the context of safeguarding against opportunism […] which in turn requires envisaging in relationships intrinsically as a potential value-bearing asset."331
Die beschriebene notwendige Ergänzung liefert der Relational View, der im folgenden Abschnitt detailliert vorgestellt wird.
3.2 Ergänzende Perspektive: Theorie des Relational View Ausgehend von Arbeiten von SELZNICK332 und PENROSE333 wurden seit Mitte der 80er Jahre in der Literatur verstärkt Ansätze zur Erklärung von Leistungsunterschieden von Unternehmen auf der Grundlage der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen in Unternehmen entwickelt. In den Bereich der ressourcenorientierten Forschung gehören die Arbeiten zum Resource-based View (RBV), zum Competence-based View (CBV), zu dem auch der Kernkompetenzansatz gerechnet wird, und zum später detailliert vorgestellten Relational View. Die Klassifizierung von DUSCHEK/SYDOW verdeutlicht den zentralen Unterschied zwischen Relational View und RBV bzw. CBV. Sie unterteilen die drei Ansätze in "zum einen die primär unternehmensintern orientierten Ansätze des strategischen Managements, wie insbesondere der 331
Madhok (2000, S. 92). Vgl. Selznick (1957). 333 Vgl. Penrose (1959). 332
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
84
'Resource-based View' und der 'Kernkompetenzansatz'334 und zum anderen der im Wesentlichen auf unternehmensübergreifende Beziehungen ausgerichtete 'Relational View' […]"335. Die Abgrenzung der drei Ansätze ist einleitend in Abbildung 3-9 zusammengefasst:
Ressourcenorientierte Forschung Resource-based View (RBV) Untersuchungs- • Erklärung von Unternehmenserfolg gegenstand durch erfolgsrelevante Ressourcen • Identifikation von Kriterien/Eigenschaften erfolgsrelevanter Ressourcen
Competence-based View (CBV)
Relational View
• Erklärung von
• Erklärung von
Unternehmenserfolg durch Ressourcen und Kompetenzen • Dynamische Betrachtung von Unternehmenserfolg • Prozesse der Bildung von Ressourcen/ Kompetenzen
Kritikpunkte
• Tautologie • Statische Betrachtung • Innenorientierung
• Innenorientierung
Unternehmenserfolg auf Basis von interorganisationalen, synergetischen Kopplungen von Ressourcen und Kompetenzen • Ergänzung von transaktionskostentheoretischen und kompetenzbasierten Erklärungsansätzen • Theoriepluralismus
Vertreter
• Penrose (1957) • Selznick (1959) • Wernerfelt (1984) • Barney (1991)
• Prahalad/Hamel (1990) • Sanchez/Heene (19996) • Teece/Pisano/Shuen
• Dyer/Singh (1998) • Gulati (1998, 1999) • Duschek/Sydow (2002)
(1997)
Abbildung 3-9: Abgrenzung ressourcenorientierter Forschungsansätze336
Bevor die detaillierte Darstellung des Relational View und seiner Erkenntnisse über die Kooperation zwischen Handel und Herstellern erfolgt, sollen im folgenden Abschnitt die Grundlagen des RBV und des CBV knapp umrissen werden. 3.2.1
Grundlagen: Resource-based View und Competence-based View
Der Resource-based View (RBV) wurde durch die Arbeit von WERNERFELT begründet und später durch BARNEY, PETERAF und DIERICKX/COOL weiterentwickelt.337 Der RBV fasst das Unternehmen als einmalige, historisch gewachsene Ansammlung von Ressourcen auf, die sich
334 335
Zur Abgrenzung des Kernkompetenzansatzes und des Competence-based View vgl. Abschnitt 3.2.1.
Duschek/Sydow (2002, S. 426). 336 Eigene Darstellung. 337 Vgl. Wernerfelt (1984), Barney (1991), Peteraf (1993), Dierickx/Cool (1989).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
85
sowohl in Art und Umfang als auch in der Kombination der zur Verfügung stehenden Ressourcen unterscheiden.338 Wettbewerbsvorteile einzelner Unternehmen ergeben sich vor diesem Hintergrund aus Effektivitäts- und Effizienzunterschieden bei der unternehmensspezifischen Ressourcenausstattung.339
Die Definition von Ressourcen erfolgt in der Literatur sehr unterschiedlich und die ursprüngliche Ansicht von WERNERFELT, nach der eine Ressource "anything which could be thought of as a strength or weakness of a given firm"340 wurde häufig konkretiesiert, um eine Abgrenzung wettbewerbsrelevanter Ressourcen gegenüber homogen verteilten, frei verfügbaren Inputgütern zu ermöglichen. Solche "crown jewels"341 von Unternehmen können nach BARNEY daher sein: "All assets capabilities, organisational processes, firm attributes, information, knowledge, etc., controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve its efficiency and effectiveness."342
Häufig erfolgt die Charakterisierung der wettbewerbsrelevanten Ressourcen anhand ihrer Eigenschaften: Erfolgsrelevante Ressourcen unterscheiden sich von nicht erfolgsrelevanten dadurch, dass sie wertvoll, selten, schwer imitierbar und eingeschränkt substituierbar sind.343 Wertvoll bedeutet dabei, dass die Ressourcen zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz des Unternehmens
beitragen.
Eine
wertvolle
Ressource
kann
nur
dann
Basis
eines
Wettbewerbsvorteils sein, wenn die Wettbewerber nicht über dieselben Ressourcen verfügen, die Ressource somit selten ist. Auch wenn die seltene Ressource für den Wettbewerber nicht erhältlich ist, so kann sie doch nachgeahmt werden. Dies führt zur Forderung nach einer schweren Imitierbarkeit.
Hierfür
sorgen
so
genannte
Isolationsmechanismen
wie
rechtliche
Einschränkungen (zum Beispiel Patente) oder implizites Wissen.344 Schließlich darf die Ressource nur eingeschränkt substituierbar sein, denn auch wenn die Wettbewerber die Ressourcen nicht erhalten oder imitieren können, besteht immer noch die Gefahr der Substitution, also des Ersatzes durch alternative Ressourcen.
338 339 340 341 342 343 344
Vgl. zum Beispiel Collis/Montgomery (1995, S. 119), Penrose (1959, S. 24). Vgl. Peteraf (1993, S. 180). Wernerfelt (1984, S. 172). Montgomery (1995, S. 256). Barney (1991, S. 101). Vgl. Barney (1991, S. 99). Vgl. Rumelt (1984). Für eine ausführliche Diskussion der Isolationsmechanismen vgl. Freiling (2001, S. 101 ff.).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
86
Zusammenfassend hat der Resource-based View die Grundlage für die Erklärung von Leistungsunterschieden zwischen Unternehmen anhand unterschiedlicher Verfügungsrechte bezüglich wettbewerbsrelevanter Ressourcen geschaffen. Auch der RBV unterlag kritischen Betrachtungen, wobei dabei meist das "Durcheinander" bei der Begriffsbestimmung der Ressourcen,345 der Vorwurf der Tautologie bei der Ex-post-Analyse der Kriterien zur Beschreibung erfolgsrelevanter Ressourcen346, die fehlende Betrachtung von dynamischen Anpassungs-
oder
unternehmensinterne
Der
Veränderungsprozessen347 Ressourcen348
Competence-based
View
sowie
der
ausschließliche
Fokus
auf
des
Resource-based
View
auf,
angeführt werden.
greift
den
Ansatz
Erfolgsunterschiede von Unternehmen auf Basis unternehmensinterner Faktoren zu erklären. Im Gegensatz
zum
RBV
reicht
hier
aber
die
Existenz
und
Verfügbarkeit
von
unternehmensspezifischen Ressourcen nicht aus. Nach dem CBV müssen diese vielmehr durch Handlungen des Unternehmens realisiert werden.349 Die Fähigkeiten hierzu werden als Kompetenzen bezeichnet.350 Eine häufig verwendete Definition der Kompetenz von SANCHEZ/HEENE/THOMAS beschreibt das Leistungsvermögen eines Unternehmens wie folgt: "to sustain the coordinated deployment of assets in ways that help a firm achieve its goals".351
Kompetenzen sind demnach in der Organisation verankert und sind kollektive statt personenbezogene Fähigkeiten.352 Kompetenzen ermöglichen die Erfüllung der Aufgaben eines Unternehmens (statische Betrachtung)353 und ein beständiges Handlungspotenzial im sich verändernden Wettbewerbsumfeld (dynamische Betrachtung).354 Neben den bestehenden
345
Vgl. zum Beispiel Rasche (1994, S. 93). Vgl. Barney (1991). 347 Vgl. Foss (1997, S. 358 f.). 348 Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996), Dyer/Singh (1998). Siehe hierzu auch die Ausführungen in Abschnitt 3.2.3. 346
349 350
351 352 353 354
Vgl. Freiling (2004, S. 6). In der Literatur werden unterschiedliche Begriffe für die Kompetenz verwendet: "core competences" (vgl. Prahalad/Hamel (1990)), "core capabilities" (Leonard/Barton (1992)), "core skills" (Irvin/Michaels (1989)), "invisible assets" (Itami/Roehl (1987)), "strategic capabilities" (Stalk/Evans/Shulman (1992)), "distinctive capabilities" (Lenz (1980)) oder auch "metaskills" (Hitt/Ireland (1985)). Sanchez/Heene/Thomas (1996, S. 8). Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996, S. 8). Vgl. Ritter/Gmünden (2000, S. 341). Vgl. Freiling (2004, S. 6).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
87
Fähigkeiten kommt somit auch der Kompetenz die internen Fähigkeiten kontinuierlich anzupassen und weiterzuentwickeln eine zentrale Rolle bei der Erklärung von Leistungsunterschieden zu.355
Beschränkt
sich
die
Erklärung
der
Leistungsunterschiede
auf
einige
wenige
unternehmensspezifische Kompetenzen, so werden diese als Kernkompetenzen bezeichnet, ein Begriff, der von PRAHALAD/HAMEL in die Managementliteratur eingeführt wurden.356 Kernkompetenzen sind demnach jene Fähigkeiten des Unternehmens, welche Kundennutzen stiften, einzigartig sind und den Zugang zu neuen Märkten ermöglichen.357 Kernkompetenzen sind zudem weniger eine einzelne Fähigkeiten, sondern umfassen die Summe aller Fähigkeiten in einem Unternehmensbereich oder einer Organisationseinheit.358 3.2.2
Erklärungsansätze der Kooperation im RBV und CBV
In den Ausführungen zum Competence-based View liegt ebenso wie beim Resource-based View der Ursprung von wettbewerbsrelevanten Ressourcen und Kompetenzen nur im Unternehmen selbst.359 Einige wenige Autoren haben im Rahmen des CBV die Kooperation als Mittel zum "Ernten" von Vorteilen durch kurzfristige Aneignung und Nutzung der Ressourcen und Kompetenzen des Kooperationspartners gesehen.360
Auf die wachsende Bedeutung von externen Ressourcen und Kompetenzen für den Erfolg eines Unternehmens weisen zum Beispiel HAMEL/DOZ/PRAHALAD und PRAHALAD/HAMEL hin.361 Sie zeigen,
dass
bei
steigender
Komplexität,
technologischem
Fortschritt
und
starkem
Wettbewerbsdruck die Zahl der aus eigenen Ressourcen beherrschbaren Wettbewerbsfelder begrenzt ist und meist nicht alle nötigen Kompetenzen in einem Unternehmen vorhanden sind.362 Es besteht daher die Notwendigkeit zur Kooperation um den eigenen "Wertnutzen" zu steigern ("value appropriation").363
355 356 357 358 359 360 361 362 363
Vgl. Reed/DeFilippi (1990, S. 101). Vgl. Prahalad/Hamel (1990). Vgl. Prahalad/Hamel (1990, S. 82 ff.), Metzenthin (2002, S. 143). Vgl. Von der Oelsnitz (2003). Vgl. Duschek/Sydow (2002, S. 427). Vgl. zum Beispiel Hamel (1991, S. 100), Sanchez/Heene (1996, S. 41 ff.). Vgl. Hamel/Doz/Prahalad (1991), Prahalad/Hamel (1990). Vgl. Prahalad/Hamel (1990, S. 84). Vgl. Hamel (1991, S. 99 f.).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
88
HAMEL betont die Internalisierung von komplementären Kompetenzen und deren Nutzbarmachung ("internalizing the skills of partners").364 Er unterscheidet dabei die zeitlich befristete Nutzung ("quasi internalization"), bei der die Partner ihre Ressourcen und Kompetenzen für die Dauer der Zusammenarbeit einbringen und die vollständige Internalisierung ("de facto internalization"), bei der eine dauerhafte Aneignung der Kompetenzen des Partners und eine Erweiterung des eigenen Kompetenzpools stattfindet.365 Im ersten Fall wird es dem Unternehmen ermöglicht flexibel auf Kompetenzen der Partner zurückzugreifen, für die ein interner Aufbau nicht möglich oder sinnvoll ist. Im zweiten Fall erlaubt der eigene Lernprozess eine Aktivierung der neuen Kompetenzen unabhängig vom Partner. DOZ spricht in diesem Zusammenhang von "learning alliances", bei denen sich die Kooperationspartner die nötigen Einblicke gewähren, um einen internen Aufbau von Ressourcen und Kompetenzen zu ermöglichen.366 Diese Deutung der Kooperation beschränkt sich allerdings auf den kurzfristigen Austausch, während die langfristige gemeinsame Wertgenerierung durch Kooperation vernachlässigt wird.367 DUSCHEK/SYDOW fassen die kompetenzbasierte Betrachtung der Kooperation wie folgt zusammen: "Im Wesentlichen bietet sich einem strategischen Management nach dem Konzept der Kernkompetenzen folglich nur eine tatsächlich Erfolg versprechende Option kompetenzorientierter Kooperation: die lerninduzierte Kooperation im Sinne einer Internalisierung von (Kern-)Kompetenzen der Kooperationspartner. Kooperationen sollten aus der (strategischen) Perspektive des Kernkompetenzansatzes also stets nur als Funktion einer Aneignung fehlender Kompetenzen genutzt werden. […] Es geht im Konzept der Kernkompetenzen nicht darum, Kooperationen "ergebnisorientiert", etwa im Sinne einer Ausweitung der Geschäftstätigkeiten durch die Nutzung komplementärer Ressourcen, zu verstehen."368
Eine weiterer Ansatz der die Quelle von Kompetenzen ausserhalb des Unternehmens sucht geht auf SANCHEZ ET AL. zurück und wird als "Competence-based Strategic Management"369 oder "Open System View"370 bezeichnet. Der Unterschied zu einem Großteil der klassischen Beiträge des CBV besteht darin, dass nicht nur unternehmensinterne Ressourcen und Kompetenzen ("firm specific"), sondern auch externe Ressourcen und Kompetenzen ("firm addressable") in die
364 365 366 367 368 369 370
Vgl. Hamel (1991). Vgl. Hamel (1991, S. 84). Vgl. Doz (1996). Vgl. Rasche (1994, S. 228). Duschek/Sydow (2002, S. 427). Vgl. Sanchez/Heene/Thomas (1996). Vgl. Sanchez/Heene (1996, S. 41).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
89
Überlegungen einbezogen werden.371 Es wird ein Kompetenzmanagement gefordert, dass einen dauerhaften Fit zwischen den internen Möglichkeiten und den externen Chancen des Unternehmens herstellt.372
VON DER OELSNITZ fasst die Auffassung von PRAHALAD ET AL. und SANCHEZ ET AL. in Abbildung 3-10 zusammen und veranschaulicht dabei, dass die Kooperation im CBV nur als eine der möglichen Optionen zum Kompetenzaufbau betrachtet wird. Eine längerfristige Kooperation als eigenständige Quelle gemeinschaftlicher Wertgenerierung wird hingegen nicht thematisiert.
Bestehende Kompetenzen
Marktliche Anforderungen
Festlegung des sachlichen und zeitlichen Kompetenz(entwicklungs)bedarfs
Eruierung der strategischen Optionen zum Kompetenzaufbau
Interne Entwicklung
Externer Erwerb
Kauf
Kooperation
Kapitalisierung der Unternehmenskompetenzen
Abbildung 3-10: Aufgabe der Kooperation im Kompetenzmanagement des CBV373
Der geringe Fokus des RBV und CBV auf die Kooperation und insbesondere auf längerfristige Kooperationen liegt in der oft statischen und protektionistischen Betrachtung der Rolle von erfolgsrelevanten Ressourcen und Kernkompetenzen begründet. Es wird gefordert, dass ein Unternehmen sich möglichst protektionistisch verhalten und keinen freizügigen Handel mit Ressourcen 371
und
Kompetenzen
betreiben
Vgl. Sanchez/Heene (1997, S. 306). Vgl. Von der Oelsnitz (2003, S. 191). 373 In Anlehnung an Von der Oelsnitz (2003, S. 192). 372
soll,
da
die
Weitergabe
derselben
die
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
90 Wettbewerbsfähigkeit
mindert.
Wettbewerber
sowie
vertikal
vor-
oder
nachgelagerte
Unternehmen könnten sich die Kompetenzen des Unternehmens aneignen und diese im Wettbewerb gegen den Kooperationspartner verwenden.374 Im Supply-Chain-Management besteht für den Hersteller zum Beispiel die Gefahr, dass der Handel die Kooperation nutzt um seine eigene Kompetenz in diesem Bereich auszuweiten und durch eine Rückwärtsintegration mit dem Hersteller zu konkurrieren.375 Auf dem Risiko des Know-how-Abflusses beruht auch das Verständnis der Kooperationen als "outlearning" oder "races to learn".376 Gewinner der Kooperation ist demnach, wer sich möglichst schnell möglichst viele Fähigkeiten seiner Partner aneignet und dabei so wenig eigene interne Kompetenzen wie möglich preisgibt. Anschließend sollte die Kooperation aufgelöst werden, da sie ihren Zweck erfüllt hat.377
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Das primäre Ziel des Resource-based View und des Competence-based View ist es, Leistungsunterschiede zwischen Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auf Basis der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Ressourcen und Kompetenzen zu erklären. Weite Teile der Literatur blenden Kooperationen dabei aus oder betrachten diese nur als externe Quellen zur Akquisition von Kompetenzen. Dabei wird der Schutz der eigenen Ressourcen und Kompetenzen betont, die synergetische Wertgenerierung durch den kooperativen Aufbau von Kompetenzen wird hingegen wenig betont. Diese Betrachtungsweise trifft für einen Großteil der Kooperationen im heutigen dynamischen Wettbewerb jedoch nicht zu. Außerdem erfüllt dieses Verständnis der Kooperation nicht die in Abschnitt 3.1.7 geforderte Ergänzung der Neuen Institutionenökonomie, da auch hier eine protektionistische Haltung gegenüber dem Opportunismus eingenommen wird und erneut dauerhafte Formen der Zusammenarbeit unbeachtet bleiben. Es muss daher ein Verständnis entwickelt werden, welches die Chancen der Kooperation nicht nur auf die Realisierung unternehmensindividueller Ziele reduziert, sondern die gemeinsame Wertgenerierung die Beziehung an sich in das Zentrum der Betrachtung stellt und gleichzeitig die Beherrschbarkeit von Risiken berücksichtigt. Dies erfolgt im Relational View, der im folgenden Abschnitt detailliert vorgestellt wird.
374
Vgl. Parkhe (1993, S. 796). Zur vertikalen Kooperation im Allgemeinen vgl. Gerybadze (2003, S. 452). 376 Hamel (1991, S. 85). 377 Vgl. Duschek/Sydow (2002, S. 427). 375
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation 3.2.3
91
Kooperation aus Sicht des Relational View
Der Relational View im engeren Sinne basiert auf der Arbeit von DYER/SINGH aus dem Jahr 1998.378 In der deutschsprachigen Literatur wurden die darin enthaltenen Überlegungen von KÜPPER/FELSCH, DUSCHEK und DUSCHEK/SYDOW aufgegriffen.379 Im weiteren Sinn können auch die Arbeiten von GULATI zum relationalen Ansatz gezählt werden, da auch diese kooperationsbedingte Wettbewerbsvorteile in das Zentrum ihrer Analyse stellen.380
Während im RBV und CBV davon ausgegangen wird, dass die Wettbewerbsvorteile auf den Ressourcen und Kompetenzen beruhen, die das einzelne Unternehmen besitzt, verweist der Relational View darauf, dass diese Ressourcen oftmals die Unternehmensgrenzen überspannen und in interorganisationale Beziehungen eingebunden sind.381 DUSCHEK/SYDOW schreiben: "Aus relationaler Perspektive wird konstatiert, dass die etablierten Ansätze des strategischen Managements zwar sehr wohl analysieren, wie Unternehmungen übernormale Gewinne bzw. Renten
erzielen,
gleichwohl
hierbei
vernachlässigen,
dass
Wettbewerbsvorteile
einer
Unternehmung bzw. die hierfür verantwortlich zeichnenden, distinkten Ressourcen und Kompetenzen oftmals unabdingbar an ein Beziehungsnetzwerk aus Unternehmungen gekoppelt sind, in die das Unternehmen dauerhaft eingebettet ist."382
Der Relational View argumentiert, dass kooperierende Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber den Unternehmen generieren, die keine Kooperationen eingehen, indem sie ihre Ressourcen und Kompetenzen poolen. Kooperationen an sich können demzufolge eine Quelle von Wertsteigerungen sein, die von DYER/SINGH als relationale Renten bezeichnet werden.383 Darunter verstehen sie dauerhaft überdurchschnittliche Gewinne, die nicht von einem Unternehmen allein, sondern nur im Rahmen der Kooperation der Partner erzielt werden können.384 "Demzufolge ist die primäre Analyseebene der Suche nach Wettbewerbsvorteilen nicht mehr die (einzelne) Unternehmung, sondern die Unternehmungskooperation bzw. das Unternehmungsnetzwerk."385 Die relationalen Renten entstehen durch Ressourcen- und
378 379 380 381 382 383
384 385
Vgl. Dyer/Singh (1998). Vgl. Küpper/Felsch (2000), Duschek (1998), Duschek (2002), Duschek/Sydow (2002). Vgl. Gulati (1998), Gulati (1999), Gulati (2000). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 660 f.), Duschek (2002, S. 257). Duschek/Sydow (2002, S. 428). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 661). Diese Bezeichnung ist damit stärker an den mikroökonomisch fundierten RBV als an den eher management- und organisationsprozessorientierten CBV angelehnt (vgl. Duschek/Sydow (2002, S. 428)). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 662). Duschek/Sydow (2002, S. 428).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
92
Kompetenzvorteile der Kooperation und können analog zu den Ressourcen des Unternehmens im RBV nicht kurzfristig vom Wettbewerb imitiert werden. Der Relational View unterstützt somit die in Abschnitt 3.1.5.1 abgeleitete Basishypothese, dass die Intensität der Kooperation einen positiven Einfluss auf den Erfolg hat. Anders als in der Neuen Institutionenökonomie ist die Vorteilhaftigkeit aber nicht auf die Effizienz der Organisationsform zurückzuführen, sondern darauf, dass die Kooperation selbst eine wertstiftende Ressource für die beteiligten Unternehmen ist und so Wettbewerbsvorteile entstehen.
Der Relational View zeigt vier Quellen der relationalen Renten auf. Diese sind ebenso wie ihre konkreten Ausprägungen in Abbildung 3-11 dargestellt:
1. Investitionen in interorganisationale, beziehungsspezifische Ressourcen ("relation-specific assets")
Dauer der investitionsbedingten Absicherung der Kooperation gegenüber opportunistischem Verhalten
2. Austausch von Wissen durch interorganisationale Ressourcen ("interfirm knowledge – sharing routines")
Partnerspezifische Absorptionskompetenz
3. Kopplung komplementärer Ressourcen- und Kompetenzausstattungen ("complementary resources and capabilities")
Fähigkeit potenzielle Kooperationspartner zu identifizieren und zu bewerten
4. Effektive institutionelle Rahmenbedingungen ("effective governance mechanisms")
Umfang der zwischenbetrieblichen Transaktionen
Anreize zur Schaffung von Transparenz und zur Einschränkung opportunistischen Verhaltens
Rolle der organisatorischen und kulturellen Komplementarität bei der Nutzung komplementärer, strategischer Ressourcen Fähigkeit eigenständige Governance Mechanismen zu etablieren, die nicht dem Eingreifen Dritter bedürfen Fähigkeit informelle statt formelle Governance Mechanismen zu etablieren
Abbildung 3-11: Quellen der relationalen Renten nach DYER/SINGH386
Die Quellen decken sich zum Teil mit den im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie identifizierten Einflussfaktoren, zeigen aber auch neue auf. Sie werden daher im Folgenden näher betrachtet:
386
In Anlehnung an Dyer/Singh (1998, S. 663).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
93
Zu 1.: Durch Investitionen in "relation-specific assets" wird die Intensität der Zusammenarbeit verstärkt und eine Reduzierung der Kosten entlang dem Wertschöpfungsprozess ermöglicht.387 Ursache hierfür ist eine bessere Abstimmung und eine Optimierung der gemeinsamen Geschäftsprozesse. Besonders Erfolg versprechend sind nach DYER/SINGH Investitionen in gemeinsame Ressourcen, die eine effektivere und effizientere Interaktion der vor- bzw. nachgelagerten Organisationen der Wertschöpfungskette ermöglichen.388 Die hier beschriebenen "interfirm relation-specific assets" gleichen den in Abschnitt 3.1.6.1 dargestellten Investitionen in kooperationsspezifische Faktoren. Die dort abgeleitete Hypothesen H2A und H2B zur positiven Wirkung der Investition in kooperationsspezifische Faktoren auf die Intensität der Kooperation werden somit ebenso vom Relational View gestützt. Zudem legt der Relational View auch einen positiven Einfluss auf den Erfolg aufgrund der bessern Abstimmung und höheren Effizienz der Prozesse nahe.389
Zu 2.: "Interfirm knowledge-sharing routines" bewirken Wettbewerbsvorteile, indem das ausgetauschte Wissen zu einer Verbreiterung der Wissensbasis führt. Dies ist die Vorraussetzung für die individuelle Generierung neuer Ressourcen, Kompetenzen und Leistungsangebote. Unterstellt wird dabei, dass Kooperationspartner in vielen Fällen die wichtigsten Quellen neuartiger Ideen darstellen, die letztendlich in einer Leistungsinnovation resultieren.390 Kooperationen sind demnach dann besonders erfolgreich, wenn sie den Zugang zu dem in der Branche vorhandenen Wissen ermöglichen. Unterstützung finden die "interfirm knowledgesharing routines" durch Anreize für eine Transparenz der vorhandenen Kompetenzen und Prozesse sowie durch eine partnerspezifische absorptive Kapazität. Die Forderung nach hoher Transparenz und ihre Auswirkungen auf die Kooperation und den Erfolg entsprechen damit den in Abschnitt 3.1.6.1 formulierten Hypothesen H3A bis H3C hinsichtlich der Wirkungsbeziehungen. Auf die partnerspezifische absorptive Kapazität wird in Abschnitt 3.2.4.2 näher eingegangen.
Zu 3.: Die Quelle "Complementary resources/capabilities" betrachtet Wettbewerbsvorteile, die durch eine Verknüpfung komplementärer Ressourcen und Kompetenzen über die Grenze eines Unternehmens hinaus entstehen. Diese Vorteile stellen sich dann ein, wenn die synergetische Nutzung der Ressourcen der individuellen Nutzung der Ressourcen überlegen ist. Vorraussetzung 387
Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 663). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 663); insbesondere wird die Investition in gemeinsame Produktionsstätten, Informations- und Kommunikationstechnologie, Mitarbeiteraustausch und –training und Co-Locations erwähnt. 389 Vgl. Dyer/Singh (1998, S.662 f.). Die Autoren vernachlässigen hier jedoch die kostensteigernde Wirkung der Investitionen in kooperationsspezische Faktoren 390 Vgl. zum Beispiel von Hippel (1988), Powell (1990). 388
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
94
ist, dass die Unternehmen durch die Kooperation Zugang zu komplementären Ressourcen erhalten, auf die sie außerhalb der Kooperation nicht zugreifen könnten.391 Dieser Einflussfaktor wurde bisher nicht betrachtet und wir in Abschnitt 3.2.4.3. näher dargestellt.
Zu 4.: Die "effective governance mechanisms" beeinflussen sowohl die Transaktionskosten als auch die Bereitschaft der Unternehmen zur Kooperation. Die Argumentation des Relational View folgt hier dem bereits detailliert dargestellten Ansatz der Transaktionskostenökonomie und stellt zunächst die Beschränkung von Opportunismus und die Transaktionskosteneffizienz in den Vordergrund. Die Bereitschaft Wissen auszutauschen und in gemeinsame Ressourcen zu investieren wird demnach gemindert, wenn opportunistisches Verhalten der Partner befürchtet wird. Nach DYER/SINGH besteht die Möglichkeit sich durch formelle oder durch informelle Mechanismen – wie zum Beispiel Vertrauen – vor dieser Gefahr zu schützen.392 Die Ausführungen zur formellen Beschränkung decken sich mit dem in den Hypothesen H1A bis H1C festgehaltenen Einfluss der formellen Governance auf die Kooperation und den Erfolg.393 Da die formellen Governance-Formen aber häufig mit hohen Transaktionskosten für die Überwachung des Partners und die Durchsetzung der Vereinbarungen verbunden sind, schlagen DYER/SINGH vor, informelle Governance-Formen, die ohne das Eingreifen Dritter auskommen ("self-enforcing agreements"), zu bevorzugen.394 Dies ist eine der Kernaussagen des Relational View. Als Beispiel für eine informelle Form der Governance wird in der Literatur insbesondere das Vertrauen zwischen den Transaktionspartnern genannt.395 Diese Form der Governance verursacht geringere Vertrags- und Überwachungskosten, da beide Partner von der fairen Verteilung der Kooperationsrente überzeugt sind. Sie ist zudem effektiver, da formelle Mechanismen niemals alle Formen und Möglichkeiten des Opportunismus erfassen können. Sie senkt die Kosten und steigert die Möglichkeiten der flexiblen Anpassung der Vereinbarung, und sie ist zeitlich und technisch nicht begrenzt, sondern stellt die Basis für eine weit reichende und langfristige Zusammenarbeit her.
Bei der Betrachtung der Governance-Mechanismen geht der Relational View noch in einem weiteren
Punkt
über
die
Argumente
der
Transaktionskostenökonomie
hinaus:
In
Übereinstimmung mit verschiedenen anderen Autoren wird der Governance-Struktur neben der effizienten Reduktion des Opportunismus auch eine Rolle bei der Wertgenerierung in der 391
Beispielsweise durch Kauf oder internen Aufbau; vgl. Dyer/Singh (1998, S. 667). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 669). 393 Vgl. Abschnitt 3.1.6.1. 392 394 395
Vgl. Dyer (1997, S. 537). Vgl. zum Beispiel Ring/Van de Ven (1992, S. 483 ff.), Madhok (2000), Dyer/Singh (1998, S. 669 ff.).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
95
Kooperation zugerechnet.396 Insbesondere informelle Formen der Governance wie Vertrauen oder eine gemeinsame Identität in der Kooperation beschränken nicht nur wirkungsvoll die Opportunitätsneigung, sondern stellen darüber hinaus Anreize für Wert steigerndes Verhalten der Partner dar.397 Sie sind bereit, stärker in kooperationsspezifische Faktoren zu investieren sowie vermehrt Wissen auszutauschen und strategische Kompetenzen zu verschmelzen, da sie nicht nur vom nicht opportunistischen, sondern auch vom Wert steigernden Verhalten des jeweiligen Partners überzeugt sind. 3.2.4
Einflussfaktoren aus Sicht des Relational View
Die bisherigen Ausführungen zum Relational View haben gezeigt, dass die aus der Neuen Institutionenökonomie abgeleiteten Wirkungshypothesen bezüglich der kooperationsspezifischen Faktoren, der formellen Governance und der Transparenz auch durch diesen Ansatz gestützt werden. Aufgrund der Verschiebung des Fokus auf die Kooperation als eigenständige wertstiftende Ressource und der näheren Betrachtung der Rolle von Kompetenzen und informellen Aspekten der Kooperationsbeziehung ergeben sich aber auch ergänzende Einflussfaktoren. Diese werden in den folgenden Abschnitten dargestellt. Im Anschluss erfolgt eine Zusammenfassung der Argumente und Wirkungszusammenhänge in Abbildung 3-12. 3.2.4.1
Einflussfaktor soziale Netzwerke
Wie bereits erwähnt ergänzt der Relational View die Ausführungen zur Betrachtung der Kooperation im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie, indem er nicht nur die Effizienz und Wirksamkeit formeller Governance-Strukturen untersucht, sondern vielmehr die informellen Aspekte der Beziehung in die Betrachtung einbindet. Hier nennen DYER/SINGH explizit das Vertrauen398, die persönlichen Kontakte399 und die Reputation400 der Transaktionspartner. Sie charakterisieren diese Aspekte der Beziehung als Formen informeller Governance, die für ihre Durchsetzung kein Eingreifen Dritter bedürfen ("self-enforcing agreements"401). Diese informellen Governance-Formen sind im Relational View den formellen Formen wie detaillierten Verträgen oder Sanktionen überlegen, da sie zum einen eine wirkungsvollere und günstigere
396 397 398 399 400 401
Vgl. zum Beispiel Ring/Van de Ven (1992), Dyer (1997), Madhok (1997), Madhok (2000), Barney (1997). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 670). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 669). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 665). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 671). Dyer/Singh (1998, S. 669).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
96
Beschränkung der Opportunitätsneigung erreichen und zum anderen gleichzeitig Wert steigernde Anreize für beide Transaktionspartner darstellen.402
Auch andere Autoren weisen auf den wichtigen Einfluss dieser "weichen", sozialen Faktoren hin: MADHOK spricht in diesem Zusammenhang vom "social capital" und grenzt dies vom "structural capital" ab, welches der Absicherung gegenüber opportunistischem Verhalten dient.403 Beide können zur Wertsteigerung beitragen, die Fokussierung auf die negativen Verhaltenseigenschaften schöpfen die Kooperationspotenziale aber unzureichend aus, während bei einer positiven Ausrichtung mittels "social capital" geringere Transaktionskosten und höhere Wertschöpfung entstehen.404 "The development of a mutual orientation [through higher social capital] not only restrains the tendency towards opportunistic behaviour, and thus lessens the perceived need to institute costly and elaborate safeguards, as mentioned earlier, but also provides an opportunity to combine resources more productively due to more voluntary and unilateral commitment outside the terms of the contract."405
GULATI verwendet den Begriff des sozialen Netzwerks ("social network") und vertritt die Auffassung, "[strategic alliances] can be defined and shaped by the social networks within most firms are embedded."406 Dem sozialen Netzwerk wird hier ein maßgeblicher Einfluss auf die Entscheidung, Kooperationen einzugehen, und auf den daraus erzielten Erfolg zugerechnet.407 Zur Intensität der Kooperation schreibt GULATI: "Such a social structure can thus enable them to work together closely, if necessary, all without the need for formal hierarchical controls."408 Zum Einfluss auf den Erfolg heißt es dort: "The extend to which an alliance is embedded [in a social network] is likely to influence its performance for several reasons. By being proximately situated in an alliance, the partnering firms are likely to have greater confidence and trust in each other, both because they have greater information and because the network creates a natural deterrence for bad behavior that will damage reputation. Trust not only enables greater exchange of information, it also promotes ease of interaction and flexible orientation on the part of each
402
Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 670 f. ), Abschnitt 3.2.3.
403
Vgl. Madhok (2000, S. 82). Vgl. Madhok (2000, S. 82). Madhok (2000, S. 82). Gulati (1998, S. 295). Vgl. Gulati (1998, S. 298 ff.). Gulati (1998, S. 304).
404 405 406 407 408
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
97
partner. All of these can create enabling conditions under which the success of an alliance is much more likely."409
Hier soll sich an die Darstellung von GULATI angelehnt und die sozialen Beziehungen zwischen Handel und Herstellern als soziales Netzwerk bezeichnet werden. Zusammenfassend lässt sich vermuten, dass die Intensität der Kooperation und der Supply-Chain-Erfolg höher sind, je intensiver dieses soziale Netzwerk ausgestaltet ist. Der abgeleitete Hypothesenblock lautet daher:
Je intensiver das soziale Netzwerk zwischen Händler und Hersteller, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H4A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H4B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H4C)
Die drei Attribute Vertrauen, Reputation und persönliche Kontakte, die von DYER/SINGH erwähnt werden,410 dienen auch zur Operationalisierung des Konstrukts "soziales Netzwerk" und werden deshalb näher erläutert: x
Vertrauen: Der Begriff des Vertrauens wird in der Literatur im Allgemeinen und insbesondere auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur viel diskutiert, definiert und untersucht.411 Ein mögliches Verständnis des Vertrauens liefert RIPPERGER, die Vertrauen definiert als "die freiwillige Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen gegen opportunistisches Verhalten in der Erwartung, dass sich der andere trotz fehlen solcher Schutzmaßnahmen nicht opportunistisch verhalten wird."412 Diese Argumentation beruht auf den in der Neuen Institutionenökonomie festgehaltenen Annahmen über das opportunistische Verhalten. Gelingt es den Transaktionspartnern Vertrauen aufzubauen, so können sie Kontrollmechanismen teilweise einsparen. Dies senkt die Transaktionskosten und steigert den Erfolg.413 Der Relational View löst sich von diesem ausschließlichen Fokus auf die Reduktion opportunistischen Verhaltens. Vertrauen wird dort zum einen als eine Form informeller und sich selbst durchsetzender Governance verstanden und trägt
409
Gulati (1998, S. 308). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 665 ff.). 411 Vgl. zum Beispiel Doney/Cannon (1997, S. 36 f.), Wischermann (2003, S. 88). Für eine Übersicht der Definitionen vgl. Kenning (2002, S. 20 f.). 412 Ripperger (1998, S. 45). 413 Vgl. Balling (1998, S. 122), Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 298), Jarillo (1988, S. 36), Grüninger (2001, S. 68). 410
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
98
zum anderen maßgeblich zur Wertsteigerung durch verstärktes Engagement der Transaktionspartner bei.414 Dieses Verständnis des interorganisationalen Vertrauens teilen auch andere Autoren und betonen die positiven Auswirkungen auf die Reziprozität der Beziehung.415 x
Reputation: Reputation basiert in Abgrenzung zum Vertrauen auf den Erfahrungen Dritter und
ist
somit
die
öffentlich
verfügbare
Information
über
die
bisherige
Vertrauenswürdigkeit.416 Im Rahmen der Anbahnung und Intensivierung der Kooperation ist Reputation von besonderer Bedeutung, insofern keine öffentlich verfügbaren Informationen über die Leistungsfähigkeit des Partners zur Verfügung stehen bzw. die vorhandenen Informationen keine Rückschlüsse auf die Qualität der Leistung zulassen.417 Haben sich Kooperationspartner schon in vergangenen Situationen als vertrauenswürdig erwiesen, so kann davon ausgegangen werden, dass sie ihre erworbene Reputation nicht verlieren wollen und sich auch weiterhin verlässlich verhalten. Auch Reputation wirkt sich somit regulierend auf das opportunistische Verhalten des Transaktionspartners aus418 und verleitet ihn zur Erfüllung der vertraglich zugesicherten Leistungen.419 Wie auch das Vertrauen veranlasst eine positive Reputation die Transaktionspartner darüber hinaus zu stärkerem Engagement.420 GULATI fasst dies wie folgt zusammen: "The greater this reputation, the wider the organization's access to a variety of sources of knowledge, and the richer the collaborative experience, which makes it an attractive partner."421 x
Persönliche Kontakte: Persönliche Kontakte zu den Transaktionspartnern sind sowohl Folge einer intensiven Kooperation als auch Vorraussetzung für die Intensivierung und den Erfolg der Zusammenarbeit. Mit dem persönlichen Kontakt geht zumeist ein Vertrauensverhältnis einher, welches ein reziprok-altruistisches Verhalten der Partner unterstützt, opportunistisches Verhalten beschränkt und beiden einen Anreiz zu hohem Engagement
verleiht.
Darüber
hinaus
senken
persönliche
Kontakte
die
Informationsasymmetrien und Suchkosten, denn die Partner sind so darüber informiert "who knows what and where critical expertise resides within each firm."422 Der Austausch von Know-how und Informationen wird somit verstärkt und beschleunigt. KANTER spricht 414 415 416 417 418 419 420 421 422
Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 669 ff.). Vgl. auch Bradach/Eccles (1989), Powell (1990). Vgl. zum Beispiel Barney (1997), Dyer (1997), Ring/Van de Ven (1992). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 126). Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (2003, S. 126). Vgl. Narayanan/Raman (2000, S. 11). Vgl. Garbe (2000, S. 70). Vgl. Zentes/Swoboda/Morschett (2003, S. 837). Gulati (1998, S. 301). Dyer/Singh (1998, S. 665).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
99
zusammenfassend von "Interpersonal Integration" als Vorraussetzung einer intensiven und erfolgreichen Zusammenarbeit: "Broad synergies born on paper do not develop in practice until many people in both organizations know one another"423 und betont zugleich den schlichtenden Charakter der persönlichen Kontakte: "Many strong interpersonal relationships help resolve small conflicts before they escalate"..424
Tabelle 3-4 fasst die Operationalisierung des sozialen Netzwerks zusammen: Konstrukt
Indikatoren - Intensität des Vertrauens gegenüber den Lieferanten
Soziales Netzwerk
- Reputation des Händlers - Intensität der persönlichen Kontankte im SCM zu den Lieferanten
Tabelle 3-4:
3.2.4.2
Operationalisierung des Konstrukts "soziales Netzwerk"
Einflussfaktor Kooperationskompetenz
Eine zentrale Rolle bei der Etablierung von Kooperationen und der Generierung von relationalen Renten spielen im Relational View die Kompetenzen der beiden Partner. DYER/SINGH weisen darauf hin, dass ohne die geeigneten Kompetenzen weder geeignete Kooperationspartner und Kooperationsfelder identifiziert und bewertet werden können, noch kann das komplementäre Wissen des Partners absorbiert und wertstiftend eingesetzt werden.425 Diese Kompetenzen werden
hier
in
Anlehnung
an
DUSTERS/HEIMERIKS
zusammenfassend
als
Kooperationskompetenz bezeichnet. Die Autoren verstehen darunter "[the] ability of an organization to manage alliances successfully".426 Diese Kompetenzen manifestieren sich in "specific resources or micro-level mechanisms", die in Zusammenhang mit der Identifikation und der Initiierung möglicher Kooperationen sowie der Steuerung einzelner Kooperationen und dem Kooperationsnetzwerk stehen.427 Bezogen auf die Supply-Chain-Kooperation sind die Kooperationskompetenzen demnach jene internen Ressourcen und Mechanismen, die es dem Händler ermöglichen erfolgreiche Kooperationen mit seinen Herstellern aufzubauen und zu managen.
423
Kanter (1994, S. 106). Kanter (1994, S. 106). 425 Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 665 und 667). 426 Duysters/Heimeriks (2002, S. 1). 427 Vgl. Heimeriks (2002, S. 6). 424
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
100
Auch andere Autoren weisen auf den Einfluss dieser Kooperationskompetenz auf die Kooperation und den Kooperationserfolg hin: SIMONIN zeigt, dass der Erfolg von Kooperationen mit zunehmendem "collaborative know how" ansteigt.428 HENKE weist auf den Einfluss von Kooperationsfähigkeiten hin und versteht darunter sowohl koordinierende Handlungen als auch Ressourcen, die mit der Aufgabe des Kooperationsmanagements betraut sind.429 BRUCK zeigt den positiven Einfluss des Allianzmanagements und bezeichnet dieses als Kompetenz.430
Nach DYER/SINGH sind Kooperationskompetenzen wie einleitend dargestellt aus zwei Gründen von
zentraler
Bedeutung
für
die
relationalen
Renten:
Sie
bestimmen
erstens
das
Leistungsvermögen eines Unternehmens, das Wissen, die Ressourcen und Kompetenzen des Partners zu absorbieren.
431
Die Autoren bezeichnen dies als "partner specific absorptive
capacity"432. Unternehmen erkennen oft nicht, mit welchen Partnern sie durch Kooperation gemeinsamen Wert stiften können oder ihre Fähigkeiten reichen für eine kompetente Bewertung des Synergiepotenzials nicht aus.433 Deshalb ist die "ability to identify and evaluate potential complementarities"434 die zweite zentrale Kooperationskompetenz im Relational View.
Der Begriff der Absorptive Capacity, Absorptionskompetenz, wurde von COHEN/LEVINTHAL geprägt und von ihnen als "ability to recognize the value of new information, assimilate it and apply it to commercial ends"435 definiert. ZAHRA/GEORGE konkretisieren dies als Wissen, Kompetenzen, Ressourcen und Prozesse zur Akquisition, Bewertung, Assimilation und Nutzung externer Kompetenzen.436 Das Konstrukt der Absorptionskompetenz findet in der Literatur eine breite Anwendung und dient beispielsweise der Erklärung von Wissenstransfers zwischen Kooperationspartnern437 oder von Wettbewerbsvorteilen im Allgemeinen.438 Im Relational View wird von der partnerspezifischen Absorptionskompetenz gesprochen. Diese drückt aus, inwiefern die Partner 1) überlappende Kompetenzen im Kooperationsbereich entwickelt haben und inwiefern sie 2) Routinen wie persönliche oder IT-gestützte Kommunikation etabliert haben, die
428 429 430 431 432 433 434 435 436 437 438
Vgl. Simonin (1997). Vgl. Henke (2003, S. 63). Vgl. Bruck (1996, S. 240). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 664 f.). Dyer/Singh (1998, S. 665). Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 667 f.). Dyer/Singh (1998, S. 663) Vgl. Cohen/Levinthal (1990, S. 128). Vgl. Zahra/George (2002, S. 185 ff.). Vgl. Mowery/Oxley/Silverman (1996). Vgl. Zahra/George (2002), Todorova/Durisin (2003).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
101
es ihnen ermöglichen das Wissen auszutauschen und sich die Kompetenz des Partners zu nutzen zu machen.439
Zu 1): Ein Beispiel für überlappende Kompetenzen aus der Konsumgüter-Supply-Chain sind die Erfahrungen und Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Kooperation bei der Einführung einer neuen Technologie wie zum Beispiel RFID440 notwendig sind. Nur wenn beide Partner bereits aus Pilotprojekten lernen konnten und ihre internen Prozesse und die IT auf die Einführung von RFID vorbereitet haben, verfügen sie über die notwendige Kompetenz um die gewünschten gemeinsamen Effizienzgewinne zu erzielen.441
Zu 2): Eine zentrale Erkenntnis der Literatur zur Absorptive Capacity besagt, dass das Leistungsvermögen eines Unternehmens Wissen zu absorbieren abhängig ist von der aktuellen, bis zu diesem Zeitpunkt akkumulierten Wissensbasis.442 Unternehmen laufen Gefahr von zukünftigen Entwicklungen ausgeschlossen zu werden, wenn sie nicht die notwendigen internen Prozesse sowie eine ausreichende Wissensbasis aufgebaut haben, die zur Absorption externen Wissens notwendig sind.443 COHEN/LEVINTHAL bezeichnen diesen Effekt als "lock-out"444. Eine zentrale Rolle beim Aufbau und Erhalt von Kooperationskompetenz kommt somit dem Wissensmanagement zu. Wissen muss jedoch nicht nur aufgebaut, sondern es kann auch erodieren. Dies geschieht beispielsweise durch die Abwanderung von Wissensträgern aus dem Unternehmen. Daher bedarf es einer kontinuierlichen Kodifizierung des Wissens und einer Akkumulation auf individueller und unternehmerischer Ebene. Auf individueller Ebene kann dies zum Beispiel durch Schulung und Training geschehen,445 auf unternehmerischer Ebene durch Wissensmanagementsysteme wie zum Beispiel ein Knowledge Warehouse im Intranet. Als weiteres Beispiel für Routinen für die Absorption von Wissen im Supply-Chain-Management lässt sich eine kooperationsfähige IT anführen, die den Datenaustausch via EDI und die direkte interne Weiterverarbeitung der gewonnenen Informationen ermöglicht.
439 440
441 442 443 444 445
Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 665). Radio Frequency Identification. Die RFID-Technologie nutzt Mikrochips, auf denen Informationen über das jeweilige Produkt gespeichert sind. Die gespeicherten Informationen werden via Radiowellen an ein Lesegerät übermittelt. Auf diese Weise lässt sich die Ware ohne Sichtkontakt identifizieren und es lassen sich zusätzliche Informationen übertragen. Der Chip kann damit langfristig den heutigen Strichcode ersetzen. Vgl. Thonemann/Behrenbeck/Küpper/Magnus (2005, S. 191 ff.) Vgl. zum Beispiel Knyphausen-Aufseß (1995, S. 106). Vgl. Joglekar/Bohl/Hamburg (1997, S. 1455). Vgl. Cohen/Levinthal (1990, S. 136). Vgl. Cohen/Levinthal (1990, S. 130) sprechen von "learning to learn".
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
102
Auch bei der Suche und Selektion von Partnern sowie der Bewertung von Synergiepotenzialen benötigt das Unternehmen Kompetenz, um beispielsweise den organisatorischen und kulturellen Fit sowie die technischen Möglichkeiten des Partners zu bewerten.446 Voraussetzung hierfür ist eine hohe Kooperationskompetenz des Managements. Um komplementäre Kompetenzen des Partners zu erkennen, muss das Management über die Fähigkeit verfügen, sowohl die eigenen Stärken und Schwächen zu beurteilen als auch das Kompetenzniveau des Partners einzuschätzen.
Zusammenfassend lässt sich für eine hohe interne Kooperationskompetenz des Händlers eine positive Wirkung auf die Intensität der Kooperation und auf den Supply-Chain-Erfolg vermuten. Es kann daher ein fünfter Hypothesenblock abgeleitet werden:
Je höher die interne Kooperationskompetenz des Händlers, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H5A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H5B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H5C)
Die Operationalisierung des Konstrukts "Kooperationskompetenz" erfolgt hier auf Basis der bisherigen Argumentation anhand der Intensität des internen Wissensmanagements, der Kooperationsfähigkeit des IT-Systems, der Kompetenz der (operativen) Supply-ChainOrganisation und der Kompetenz des Topmanagements.. Die verwendeten Indikatoren sind in Tabelle 3-5 zusammengefasst.
Konstrukt
Indikatoren - Intensität des internen Wissensmanagements im SCM
Kooperationskompetenz
- Kooperationsfähigkeit der IT - Kompetenz der Mitarbeiter der Supply-Chain-Organisation - Supply-Chain-Kompetenz des Topmanagements
Tabelle 3-5:
3.2.4.3
Operationalisierung des Konstrukts "interne Kooperationskompetenz"
Einflussfaktor Zugang zu komplementären Kompetenzen
In Abgrenzung zum RBV und dem CBV führt der Relational View Wettbewerbsvorteile nicht nur auf die internen Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens zurück, sondern sieht insbesondere auch in der synergetischen Verknüpfung komplementärer Kompetenzen
446
Vgl. Kale/Dyer/Singh (2001, 2002).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation verschiedener
Unternehmen
einen
wichtigen
Erfolgsfaktor.447
103 DYER/SINGH
definieren
komplementäre Ressourcen als "distinctive resources of alliance partners that collectively generate greater rents than the sum obtained from individual endowments of each partner".448 Zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen Kooperation ist damit nicht nur, dass die Partner über individuelle Kooperationskompetenz verfügen, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, sondern auch, dass es zum Austausch und Pooling komplementärer Kompetenzen kommt. Dieser Darstellung liegt die Annahme zu Grunde, dass ein synergetisches Zusammenwirken von sich ergänzenden Ressourcen einer individuellen Nutzung der Ressourcenbestände überlegen ist.449
Als Beispiel für die synergetische Wirkung der Kombination von Ressourcen durch eine Kooperation führen DYER/SINGH die gemeinsame Vermarktung von Heißgetränken durch CocaCola und Nestlé an.450 Durch die Kopplung von Coca-Colas Distributionsnetzwerk von Getränkeautomaten und Nestlés Produktkompetenz sowie deren Reputation bei Instantkaffee bzw. -tee konnte ein einzigartiges Netzwerk für die Vermarktung von Heißgetränken entstehen. Zwar verfügten teilweise auch andere Wettbewerber über die Kompetenz ähnliche Getränke zu entwickeln und herzustellen oder sie besaßen ein vergleichbares Distributionsnetzwerk. Kein Unternehmen war jedoch in der Lage eine vergleichbare Kombination der nötigen Ressourcen intern oder durch Kooperation hervorzubringen. Je komplementärer die Kompetenzen der Transaktionspartner, desto eher bietet sich eine intensive Kooperation an.
Komplementären Kompetenzen umfassen sowohl die ergänzenden Fähigkeiten der Partner und die Möglichkeit des Know-how-Austauschs bzw. -Poolings als auch die Verfügbarkeit ergänzender Informationen und Daten. Ein Beispiel aus dem Supply-Chain-Management, bei dem sowohl komplementäres Know-how als auch die ergänzende Informationsausstattung ursächlich für eine Kooperation sind, ist die gemeinsame Bedarfs- und Absatzplanung von Händlern und Herstellern. Statt sich hier nur auf die eigene Planungskompetenz und Datenbasis zu verlassen, bindet zum Beispiel die Metro große Lieferanten wie Procter&Gamble, Henkel oder Unilever aktiv in die Prognoseerstellung ihrer Aktionsangebote ein, um deren ergänzende Kompetenzen und Informationen zu nutzen.451 Diese ergeben sich daraus, dass die Hersteller bei der Beurteilung der zukünftigen Nachfrage nach ihrem Produkt auf breite Erfahrung aus anderen Märkten oder mit ähnlichen Produkten zurückgreifen können. Dieses Wissen kann insbesondere 447 448
Vgl. Abschnitt 3.2.2, Dyer/Singh (1998, S. 660 ff.).
Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 666 f.) 449 Vgl. Duschek (2002, S. 260). 450 Vgl. Dyer/Singh (1998, S. 667). 451 Vgl. Rode (2005a, S. 1).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
104
bei Aktionen oder neu eingeführten Produkten den Kompetenzen des Handels überlegen sein. Zudem verfügt der Hersteller über umfangreiche, historische Daten sowie Konsumententests und Marktforschungsergebnisse für das relevante Produkt. Die komplementären Fähigkeiten und Informationen führten in diesem Beispiel nicht nur zu einer intensiven Kooperation, sondern auch zu einer Steigerung der Supply-Chain-Leistung: Durch die gemeinsame Planung stieg die Warenverfügbarkeit der Metro von 98,8 auf 99,5 Prozent, die Bestandsreichweite wurde von 22,2 auf 18,9 Tage gesenkt und der Umsatz um über 25 Prozent gesteigert.452
Für die betrachtete Supply-Chain-Kooperation zwischen Handel und Herstellern kann zusammenfassend ein positiver Zusammenhang zwischen dem Zugang zu komplementären Kompetenzen und der Intensität der Kooperation sowie dem Supply-Chain-Erfolg vermutet werden. Dies wird im sechsten Hypothesenblock zusammengefasst:
Je intensiver der Zugang zu komplementären Kompetenzen, desto... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H6C)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H6B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H6C)
Ein intensiver Zugang zu komplementären Kompetenzen kann im Einzelhandel angenommen werden, wenn der Hersteller über komplementäre Supply-Chain-Kompetenzen und über Daten verfügt, die für das Supply-Chain-Management des Händlers relevant sind. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews haben gezeigt, dass manche Händler bewusst auf den Kompetenzaufbau und die Datengenerierung in einzelnen Supply-Chain-Funktionen verzichten und stattdessen die Kompetenzen ihrer Hersteller nutzen. Andere wiederum sind bestrebt, ihre Abhängigkeit von den Herstellern zu reduzieren und bauen daher möglichst umfassend eigene Kompetenzen auf. Ähnlich dem Ausmaß der Komplementarität variiert auch die Intensität des Know-how-Austauschs stark: Während einzelne Partner bemüht sind durch gemeinsame Schulungen
und
zusammenzuführen,
Workshops vertreten
die
komplementären
andere
eher
einen
Kompetenzen
auszutauschen
protektionistischen
Ansatz.
und Die
Operationalisierung des Konstrukts "Zugang zu komplementären Kompetenzen" erfolgt deshalb wie in Tabelle 3-6 dargestellt auf Basis der Komplementarität der Lieferantenkompetenz gegenüber jener des Händlers, der Relevanz der Lieferantendaten für die Supply-Chain-Steuerung des Händlers sowie der Intensität des Wissensaustausches.
452
Vgl. Rode (2005a, S. 2).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
Konstrukt
105
Indikatoren
- Komplementarität der Lieferantenkompetenz im SCM Zugang zu komplementären - Relevanz der Lieferantendaten für das SCM des Händlers Kompetenzen - Intensität des Wissensaustausches im SCM Tabelle 3-6:
Operationalisierung des Konstrukts "Zugang zu komplementären Kompetenzen"
Abbildung 3-12 fasst die in den vorangegangenen Abschnitten auf Basis des Relational Views identifizierten Einflussfaktoren und abgeleiteten Wirkungszusammenhänge zusammen: Zentrale Aussagen des Relational View zur Kooperation Je intensiver die "weichen" Governance-Mechanismen ("self-enforcing governancemechanisms"), desto geringer der Opportunismus und desto höher die Wertgenerierung der Kooperation. Je größer die Absorptionskompetenz ("partner specific absorptive capacity") und die Fähigkeit attraktive Partner zu identifizieren und zu bewerten, desto höher die Wertgenerierung der Kooperation.
Je besser sich die Partner durch komplementäre Kompetenzen ("complementary resource endownments") ergänzen, desto höher die Wertgenerierung der Kooperation.
Abgeleitete Hypothesen
Abgeleitete Einflussfaktoren
• Vertrauen, Reputation und persönliche
H4
Kontakte schaffen ein soziales Netzwerk und damit die Basis für eine intensive, synergetische Zusammenarbeit • Soziale Netzwerke sind leistungssteigernd, weil beide Partner ein höheres Engagement erbringen und Konflikte mit weniger Aufwand gelöst werden können
+
Intensität d. Kooperation
Soziales Netzwerk +
Supply-ChainErfolg
H5
• Die kooperationsrelevanten Fähigkeiten des Unternehmens bilden zusammen die Kooperationskompetenz • Die Kooperationskompetenz entscheidet, ob geeignete Partner identifiziert und wie gut deren Kompetenzen genutzt werden können
+
Intensität d. Kooperation
Kooperationskompetenz +
Supply-ChainErfolg
• Der Zugang zu komplementären
H6
Kompetenzen in Form relevanter Daten und komplementärem Know-how steigert das Interesse der Partner an einer intensiven Kooperation • Die symbiotische Ergänzung komplementärer Kompetenzen führt zu einer Leistungssteigerung für beide Partner
Intensität d. Kooperation + Zugang zu kompl. Ressourcen +
Supply-ChainErfolg
Abbildung 3-12: Ableitung der Hypothesen auf Basis des Relational View453
3.3 Ergänzende Perspektive: Situative Einflussfaktoren Bisher konnte gezeigt werden, wie die Wahl der Kooperation als Organisationsform und die Effizienz auf Basis theoretischer Überlegungen der Neuen Institutionenökonomie und des Relational Views erklärt werden können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und inwieweit neben
den
betrachteten
Transaktionskosten,
Agency-Kosten,
Verfügungsrechten
und
Kompetenzen auch situative Aspekte der Unternehmen und der Supply Chain von Bedeutung 453
Eigene Darstellung; zu den zitierten Begriffen vgl. Dyer/Singh (1998).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
106
sind. Dies sind Einflussfaktoren die sich aus der individuellen Situation des Unternehmens ergeben. Mit der Erforschung des Einflusses der situativen Gegebenheiten auf die Organisationsstruktur beschäftigt sich der Situative Ansatz. Dieser wird deshalb im Folgenden kurz vorgestellt und auf den Untersuchungsgegensand dieser Arbeit angewendet. 3.3.1
Grundlagen des Situativen Ansatzes
Ähnlich wie die Neue Institutionenökonomie verfolgt auch der Situative Ansatz das Ziel die Wahl der Organisationsstrukturen und ihre Effizienz zu erklären. Die Basisannahme ist hierbei, dass die Situation, in der sich eine Organisation befindet, deren Strukturen und Ausprägungsformen maßgeblich bestimmt.454 Dieser Zusammenhang zwischen Situation und Strukturen kann durch eine geeignete Operationalisierung und empirische Forschung aufgedeckt werden.
Seinen Ursprung hat der Situative Ansatz in den Versuchen bereits bestehende Theorien empirisch zu belegen. Hierzu gehörte zum Beispiel die Überprüfung des Weberschen Bürokratiekonzepts, welche die Frage aufwarf, ob unterschiedliche Organisationsstrukturen auf unterschiedliche Situationen der Organisation zurückzuführen sind.455 In den 60er und 70er Jahren entstand der Trend die Einflussfaktoren der Organisation mittels großzahliger empirischer Untersuchungen zu identifizieren und zu überprüfen. Die untersuchten Faktoren werden dabei als situative oder strukturelle Einflussfaktoren oder als Kontextvariablen bezeichnet.456 Im Fokus stand zunächst vor allem die Untersuchung jeweils eines einzelnen Einflussfaktors, insbesondere die Unternehmensgröße457 oder die Umwelt.458 Später dehnten PUGH die simultane Untersuchung mehrerer Kontextvariablen
aus.459
ET
AL. die Forschung auf
In der englischsprachigen
Literatur wurde das angewendete Vorgehen als Contingency Approach bezeichnet. In der deutschsprachigen Literatur ist die Übersetzung Kontingenzansatz und vor allem die von STAEHLE eingeführte Bezeichnung Situativer Ansatz zu finden.460
454 455 456 457 458 459 460
Vgl. Stähle (1973), Kieser (1999, S. 169 ff.). Vgl. Kieser (1999, S. 169). Vgl. Kieser (1999, S. 171). Vgl. zum Beispiel Rushing (1966). Vgl. zum Beispiel Burns/Stalker (1961). Vgl. zum Beispiel Pugh/Payne (1977), Pugh/Hickson (1976). Vgl. Staehle (1973).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
107
KIESER umschreibt die Forschungsinhalte des Situativen Ansatzes durch drei zentrale Fragestellungen:461 1. Wie können Organisationsstrukturen beschrieben und operationalisiert werden, um Unterschiede zwischen Organisationsstrukturen in empirischen Untersuchungen aufzeigen zu können? 2. Welche situativen Faktoren oder Einflussgrößen erklären die Unterschiede zwischen Organisationsstrukturen? 3. Welche Auswirkungen haben unterschiedliche Situation-Struktur-Konstellationen auf das Verhalten der Organisationsmitglieder und die Zielerreichung
(Effizienz) der
Organisation?
Diese Fragestellungen lassen sich auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit konkretisieren: Zu 1.: Für die Operationalisierung der Organisationsstruktur verwendet der Situative Ansatz ausschließlich formale Merkmale, die unabhängig von den persönlichen Eigenschaften der Mitarbeiter sind.462 Häufig betrachtete Dimensionen sind Spezialisierung (Arbeitsteilung), Standardisierung
(Regulierung),
Zentralisierung,
Formalisierung,
Konfiguration
und
Koordinationsmechanismen. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchte Kooperation und konkret die Kooperation durch Informationsaustausch sowie die Kooperation durch gemeinsame Prozesse stellen konkrete Ausprägungen dieser formalen Organisationsstrukturen dar.
Zu 2.: Die situativen Gegebenheiten oder Einflussfaktoren werden im Situativen Ansatz als Variablen betrachtet, von denen angenommen wird, dass sie die formale Organisationsstruktur beeinflussen. Anders als die in den vorangegangenen Abschnitten dieser Arbeit abgeleiteten Einflussfaktoren "sind die situativen Einflussfaktoren nicht aus einer Theorie abgeleitet, sondern stützen sich lediglich auf Plausibilitätsannahmen".463 Als situative Einflussfaktoren bezeichnet die
Literatur
sowohl
Dimensionen
der
externen
Situation
(wie
zum
Beispiel
die
Wettbewerbsverhältnisse oder die Kundenstruktur) als auch Dimensionen der internen Situation (wie zum Beispiel die Unternehmensgröße oder das Leistungsprogramm)..464 Eben diese internen Einflussfaktoren zeichneten sich auch in den im Vorfeld dieser Arbeit geführten Experteninterviews
ab.
Als
besonders
wichtige
situative
Eigenschaften
für
die
Organisationsstruktur und die Effizienz der Supply Chain wurden in den Interviews zwei Faktoren
461
Vgl. Kieser (1999: S. 171). Vgl. Kieser (1999, S. 172 f.). 463 Kieser (1999, S. 175). 464 Vgl. Kieser/Walgenbach (2003, S. 44). 462
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
108
genannt: die Verhandlungsmacht der Kooperationspartner und die Komplexität der Supply Chain. Die Einflussfaktoren, die aus der Neuen Institutionenökonomie und dem Relational View abgeleitet wurden, sollen deshalb um diese situativen Faktoren ergänzt werden.
Zu 3.: Die dritte Fragestellung des Situativen Ansatzes bezüglich des Einflusses der Einflussfaktoren auf die Zielerreichung bzw. die Effizienz der Organisationsstruktur wird in dieser Arbeit durch die Untersuchung des Einflusses auf den Supply-Chain-Erfolg beantwortet. 3.3.2
Einflussfaktor Verhandlungsmacht
Die interagierenden Unternehmen in der Supply Chain können sich "auf Augenhöhe" begegnen, es kann aber auch ein mehr oder weniger großes Machtgefälle aufgrund unterschiedlicher Unternehmensgrößen oder anderer Faktoren wie zum Beispiel die Abhängigkeit von Produkten des Partners herrschen. Im Situativen Ansatz stellt die Unternehmensgröße einen zentralen Einflussfaktor der Organisationsstruktur dar.465 KIESER schreibt hierzu: "Die Analyse des Zusammenhangs zwischen Organisationsgröße und Organisationsstruktur ist sozusagen das Paradestück des Situativen Ansatzes."466 Die Neue Institutionenökonomie blendet die Verhandlungsmacht als Einflussfaktor der Organisationsstruktur jedoch weitgehend aus.467 Auch in den Ausführungen zum Relational View und den kompetenzorientierten Ansätzen wird Macht nicht als eigenständige Ressource mit Einfluss auf Verhalten und Erfolg betrachtet.
Der Machtverteilung kommt jedoch bei der Betrachtung der Beziehung zwischen Händler und Hersteller eine zentrale Rolle zu: Abnahmekonditionen, Supply-Chain-Prozesse oder Sortimente sind Bestandteil intensiver Verhandlungen zwischen Händler und Hersteller. Es ist anzunehmen, dass die Ergebnisse dieser Verhandlungen maßgeblich von der Machtverteilung zwischen den Verhandlungspartnern beeinflusst werden. Das Verhältnis zwischen den Unternehmen wird unter Hinweis auf das während der Verhandlungen erfolgende Kräftemessen oft als "Machtkampf"468 bezeichnet. Das folgende Zitat eines Händlers liefert ein gutes Beispiel für die Bedeutung der Verhandlungsmacht: "Das ist kein Theaterdonner mehr, jetzt geht es ums Ganze. Die Frage ist schlicht wer am längeren Hebel sitzt".469
465 466 467 468 469
Einen umfassenden Überblick über die Rolle der Unternehmensgröße im Situativen Ansatz geben Kieser/Kubicek (1992, S. 303). Kieser (1999, S. 176). Vgl. Bogaschewsky (1995, S. 171), Kieser/Walgenbach (2003, S. 56). Vgl. Queck (2004). Vgl. Seidl (2004).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
109
Die Verhandlungsmacht des Händlers gegenüber seinen Herstellern hängt von seiner Größe und dem Absatzvolumen ab. Sie zeigt sich in Form von größerem oder geringerem Einfluss bei den Verhandlungen über Produktpreise und -rabatte sowie der Logistikkonditionen. Des Weiteren ist anzunehmen, dass die Verhandlungsmacht auch einen zentralen Einfluss auf die Intensität der Kooperation ausübt. Dem mächtigen Partner werden seine Bemühungen um eine intensive Zusammenarbeit seltener verwehrt und er kann das andere Unternehmen gegebenenfalls sogar zur Zusammenarbeit zwingen. Ein Beispiel hierfür ist das Vorgehen des deutschen Marktführers Metro bei der Einführung von RFID.470 Das Unternehmen hat 20 Hauptkooperationspartner für die Einführung der neuen Technologie bestimmt, die seit Ende 2004 ihre Lieferungen mit RFIDChips kennzeichnen müssen. Auch bei den übrigen Herstellern gibt die Metro das Tempo bei der gemeinsamen Implementierung vor und droht notfalls mit der Auslistung von Produkten, das heißt der Entfernung aus den Regalen der Metro-Märkte.
Basierend auf der vorangegangen Argumentation kann daher angenommen werden, dass die Verhandlungsmacht des Händlers ein situativer Einflussfaktor mit positiver Wirkung auf die Intensität der Kooperation mit den Herstellern und den Supply-Chain-Erfolg ist. Somit lässt sich ein siebter Hypothesenblock ableiten:
Je größer die Verhandlungsmacht des Händlers, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H7A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H7B)
... höher der Supply-Chain-Erfolg.
(H7C)
Die
Operationalisierung
des
Konstrukts
"Verhandlungsmacht"
erfolgt
anhand
der
Unternehmensgröße des Händlers gemessen an seinem Umsatz und anhand der Einschätzung seiner Verhandlungsmacht, also seines Einflusses auf Konditionen und Prozesse in den SupplyChain-Verhandlungen mit den Herstellern. Dies ist in Tabelle 3-7 dargestellt. Konstrukt
Indikatoren
Verhandlungsmacht
- Umsatz des Händlers (2003) - Machtgefälle bei Supply-Chain-Verhandlungen
Tabelle 3-7:
470
Operationalisierung des Konstrukts "Verhandlungsmacht"
Vgl. Weber (2004).
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
110 3.3.3
Einflussfaktor Komplexität der Supply Chain
Ein weiterer zentraler Einflussfaktor der Organisationsstruktur im Situativen Ansatz ist das Leistungsprogramm des Unternehmens471 oder mit anderen Worten die Art und Vielfalt der angebotenen Produkte. Die Sortimentsunterschiede sind in der Konsumgüterindustrie und im Handel besonders groß. Während Discounter wie Aldi oder Lidl 600 bis maximal 2000 verschiedene Artikel im Angebot haben, ist das Sortiment beim klassischen Supermarkt mit 7000 bis 9000 Artikeln bis zu zehnmal größer.472 Diese Sortimentsunterschiede wirken sich auf die Art und Effizienz der verschiedenen Prozesse der Wertschöpfungskette aus. KLAUS zeigt, dass die Komplexität der Supply Chain mit der Zahl und Variantenvielfalt der Produkte steigt und dass die erhöhte Komplexität zu größerem Informationsbedarf, schwererer Beherrschbarkeit und vor allem zu erhöhten Kosten führt.473
Dieser Zusammenhang lässt sich für die Konsumgüter-Supply-Chain leicht nachvollziehen: Eine höhere Anzahl unterschiedlicher Produkte bedeutet eine größere Anzahl unterschiedlicher Verpackungsformate, Lieferantenvereinbarungen, Lagerprozesse und Distributionswege. Die einzelnen Prozesse sind weniger standardisiert, die Skaleneffekte sind geringer und die Effizienz der Supply Chain nimmt ab. Gleichzeitig steigen der administrative Aufwand, und der Umfang der zur Koordination notwendigen Ressourcen, Kompetenzen und Informationen wächst. Es ist daher zu vermuten, dass der Händler bei steigendem Koordinationsaufwand stärker daran interessiert ist, den Hersteller in diese Aufgaben einzubinden bzw. sogar auf dessen Kompetenzen und Informationen angewiesen ist. Während der Händler bei einem kleinen Sortiment sicher in der Lage ist Absatzplanung und Bestandsmanagement eigenständig zu bewältigen, so ist anzunehmen, dass bei einer hohem Sortimentskomplexität beim Händler eher ein Interesses daran besteht einzelne Aufgaben an den Hersteller zu übertragen und zum Beispiel die Planung mittels CPFR zu erstellen oder VMI-Vereinbarungen für das Bestandsmanagement zu treffen.
Somit lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Komplexität der Supply Chain und der Neigung zur kooperativen Koordination der Prozesse sowie ein negativer Zusammenhang zwischen der Komplexität und dem Supply-Chain-Erfolg vermuten:
471
Vgl. Kieser (1999, S. 175). Vgl. Hansen/Kliger (2004). 473 Vgl. Klaus (2005, S. 365). 472
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
111
Je höher die Komplexität der Supply Chain, desto ... ... intensiver die Kooperation durch Informationsaustausch.
(H8A)
... intensiver die Kooperation durch gemeinsame Prozesse.
(H8B)
... geringer der Supply-Chain-Erfolg.
(H8C)
Die Komplexität der Supply Chain wird maßgeblich durch die Komplexität des Sortiments beeinflusst und soll deshalb anhand dessen Heterogenität operationalisiert werden. Diese wird anhand der Anzahl unterschiedlicher Artikelnummern (SKU)474 gemessen. Dies wird in Tabelle 3-8 zusammengefasst:
Konstrukt
Indikator
Komplexität
- Anzahl Artikelnummern (SKU)
Tabelle 3-8:
Operationalisierung des Konstrukts "Komplexität der Supply Chain"
Abbildung 3-13 fasst die in den vorangegangenen Abschnitten auf Basis des Situativen Ansatzes identifizierten Einflussfaktoren und abgeleiteten Wirkungszusammenhänge zusammen: Zentrale Aussagen des Situativen Ansatzes Die Unternehmensgröße (und die verursachte Verhandlungsmacht) hat einen zentralen Einfluss auf die Organisationsstruktur des Unternehmens.
Abgeleitete Einflussfaktoren der Kooperation
H7
• Die Verhandlungsmacht hat einen positiven Einfluss auf die Intensität der Kooperation
• Die Verhandlungsmacht hat einen positiven
+
positiven Einfluss auf die Intensität der Kooperation • Die Komplexität der Supply Chain hat einen negativen Einfluss auf den Supply-ChainErfolg
+
H8 +
475
SKU = Stock Keeping Unit Eigene Darstellung.
Supply-ChainErfolg Intensität d. Kooperation
Supply-ChainKomplexität
Abbildung 3-13: Ableitung der Hypothesen zu den strukturellen Einflussfaktoren475
474
Intensität d. Kooperation
Verhandlungsmacht
Einfluss auf den Supply-Chain-Erfolg
• Die Komplexität der Supply Chain hat einen Das Leistungsprogramm (Art und Vielfalt der Leistungen) hat einen zentralen Einfluss auf die Organisationsstruktur.
Abgeleitete Hypothesen
-
Supply-ChainErfolg
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation
112
3.4 Darstellung des Wirkungsmodells Auf Basis der Neuen Institutionenökonomie und der Ergänzungen durch Relational View und Situativen Ansatz wurden bisher Einflussfaktoren der Supply-Chain-Kooperation und des SupplyChain-Erfolgs identifiziert, Hypothesen zu deren Wirkung formuliert und Indikatoren zur Operationalisierung
der
Einflussfaktoren
abgeleitet.
Aus
der
Summe
dieser
Wirkungszusammenhänge ergibt sich das theoretisch abgeleitete Wirkungsmodell dieser Arbeit, das in Abbildung 3-2 inklusive der Operationalisierung dargestellt ist. Die empirische Überprüfung dieses Modells erfolgt in Kapitel 5.
476
Eigene Darstellung.
Abbildung 3-14: Operationalisiertes Wirkungsmodell zur Supply-Chain-Kooperation476
Anzahl Artikelnummern (ANZSKU)
Machtgefälle bei Supply-Chain-Verhandlungen (SCMMACH)
Umsatz des Händlers in 2003 (UMS03)
Intensität des Wissensaustauschs im SCM (LIKHTR)
Relevanz der Lieferantendaten für das SCM des Händlers (LIDAT)
Komplementarität der Lieferantenkompetenz im SCM (LIKOMP)
Supply-Chain-Kompetenz des Topmanagements (KOMPM)
Kompetenz der Mitarbeiter der Supply-Chain-Organisation (KOMPA)
Kooperationsfähigkeit der IT (ITDATA)
Intensität des internen Wissensmanagements im SCM (WISSM)
Intensität der persönlichen Kontakte im SCM zu den Lieferanten (PERSK)
Reputation des Händlers (HAVERT)
Intensität des Vertrauens gegenüber den Lieferanten (LIVERT)
Transparenz der Logistikstrukturen der Lieferanten (LILOG)
Intensität der Information der Lieferanten über Leistungsstand und Pläne des Händlers (LIINFR)
Intensität der Informationen über Leistungsstand und Pläne der Lieferanten (LIINF)
Bereitschaft zur Initiative zur Kooperation (KOINIT)
Umfang der zur Kooperation bereitgestellten Presonalressourcen (KOMA)
Umfang der Investitionen in kooperationsspezifische IT (KOITINV)
Detaillierung der Verträge (LIVGE)
Intensität des Lieferantencontrollings (LICON)
Einfluss der Lieferantenleistung auf die Konditionen (LIKOND)
Intensität der leistungsabhängigen Sanktionen (LISANK)
Sortimentskomplexität
Verhandlungsmacht
Zugang zu komplementären Kompetenzen
Kooperationskompetenz
Soziales Netzwerk
Transparenz
Kooperationsspezifische Faktoren
Formelle Governance
Intensität der Nutzung von EDI (EDIORLI)
Supply-Chain-Erfolg
Intensität der gemeinsamen langfristigen Supply-Chain-Planung (LIPLAN)
Ausbau von CPFR (BCPFR05)
Ausbau von VMI (BVMIA05)
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Kooperation durch Informationsaustausch
Intensität des Informationsaustauschs auf Top Management Ebene (KOTMGM)
Intensität des operativen Informationsaustauschs (KOOPER)
Intensität des Austauschs von Supply-Chain-Kennzahlen (KOPKPI)
Kapitel 3 - Theoretische Betrachtung der Supply-Chain-Kooperation 113
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
115
4. Design der empirischen Studie In den vorangegangenen Abschnitten wurden theoriebasierte Hypothesen zur Supply-ChainKooperation
und
zum
Supply-Chain-Erfolg
formuliert
und
die
einzelnen
Variablen
operationalisiert. Diese Hypothesen wurden in einer empirischen Erhebung durch persönliche Interviews unter Verwendung eines standardisierten Fragebogens mittels einer Stichprobe von Handelsunternehmen überprüft. Im folgenden Kapitel wird zunächst die gewählte Erhebungsform des Interviews begründet (Abschnitt 4.1), sodann der Fragebogen, die verwendeten Skalen und der Ablauf der Interviews vorgestellt (Abschnitt 4.2) und abschließend die erhobene Stichprobe beschrieben (Abschnitt 4.3).
4.1 Auswahl von Erhebungsmethode und Erhebungsinstrument Für die vorliegende Untersuchung wurde die Methode der Befragung gewählt. Neben der Befragung
werden
angewendet:
die
in
empirischen
Inhaltsanalyse
Untersuchungen
(auch
als
zwei
weitere
Dokumentenanalyse
Erhebungsmethoden
bezeichnet)
und
die
Beobachtung.477 Beide Instrumente setzen voraus, dass die zu erhebenden Informationen "von außen" messbar oder beobachtbar sind, ohne mit dem Untersuchungsobjekt in direkten Kontakt zu treten. Für die Analyse der Supply-Chain-Kooperation eignen sich diese Erhebungsformen mangels verfügbarer daher Daten nicht. In der Fachpresse und in Unternehmenspublikationen werden zwar häufig einzelne Aspekte des Supply-Chain-Managements und der HerstellerHändler-Kooperation veröffentlicht, eine detaillierte Analyse einzelner Vorgehensweisen und insbesondere des Supply-Chain-Erfolgs ist "outside-in" auf Basis dieser Informationen jedoch nicht möglich.
Zur Durchführung der Befragung wurde das Instrument des persönlichen Interviews gewählt. Alternativen hierzu stellen die telefonische und die schriftliche Befragung dar.478 Die Vor- und Nachteile der einzelnen Erhebungsinstrumente der Befragung sind in Abbildung 4-1 dargestellt. Für die Befragung in Form eines persönlichen Interviews sprach bei der vorliegenden Untersuchung vor allem die erwartete Ausschöpfungsquote bezüglich der Anzahl der Teilnehmer und der beantworteten Fragen. Gerade im Bereich des Einzelhandels, der nur bei wenigen Fragestellungen eine "Outside-in"-Analyse zulässt, erhält das Management üblicherweise eine Fülle verschiedener Fragebögen zugesendet, was bei einer schriftlichen Befragung eine niedrige 477
Vgl. Stier (1996, S. 163), der von Erhebungsformen spricht. Diekmann (1996, S. 371) nennt als vierte Methode die "Verhaltensspuren". 478 Vgl. Stier (1996, S. 173), Diekmann (2002, S. 373).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
116
Rücklaufquote erwarten lässt. Ebenso erschien es unwahrscheinlich, eine repräsentative Anzahl an Supply-Chain-Managern für eine längere telefonische Befragung zu gewinnen. Zudem kann im persönlichen Interview eine vollständigere Beantwortung der Fragen – insbesondere der sensiblen Fragen zu Leistungskennzahlen – erreicht werden, da mögliche Verständnisprobleme oder Vorbehalte bezüglich der Vertraulichkeit der erhobenen Daten im direkten Gespräch adressiert werden können. Die Minimierung unvollständiger Befragungsergebnisse war vor dem Hintergrund einer geringen Grundgesamtheit und einer erwartungsgemäß geringen Stichprobe von besonderer Bedeutung.479 Ein weiterer Vorteil der persönlichen Interaktion bestand in der direkten Plausibilisierung der Angaben des Befragten durch den Interviewer und die Möglichkeit Missverständnisse
auszuräumen,
um
die
Vergleichbarkeit
zwischen
den
einzelnen
Interviewpartnern sicherzustellen. Darüber hinaus boten die Interviews die Möglichkeit, persönliche Kontakte zu den befragten Supply-Chain-Managern aufzubauen. So konnten durch Diskussionen und Vor-Ort-Besichtigungen über die standardisierten Fragen hinaus detailliertere Einblicke in die Herausforderungen und Lösungsansätze im Supply-Chain-Management der einzelnen teilnehmenden Unternehmen gewonnen werden. Die so entstandenen Kontakte erwiesen sich zudem auch hilfreich bei einigen notwendigen Nacherhebungen und Ex-postPlausibilisierungen.
479
Zum Umfang der Grundgesamtheit sowie der Stichprobe vgl. Abschnitt 4.3.
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
117 Gewähltes Erhebungsinstrument
Persönliches Interview
Telefonisches Interview
Schriftliche Befragung
+ Hohe Ausschöpfungsquote
-
Geringe Ausschöpfungsquote
-
Geringe Ausschöpfungsquote
+ Gute Vertrauensbildung
-
Geringe Vertrauensbildung
-
Keine Vertrauensbildung
+ Möglichkeit auch offene Fragen einzuarbeiten
+ Möglichkeit auch offene Fragen einzuarbeiten
-
Ungeeignet für offene Fragen
+ Hohe Eignung für komplexe Fragen
-
-
Geringe Eignung für komplexe Fragen
+ Möglichkeit auf Fragen/Unklarheiten einzugehen
+ Möglichkeit auf Fragen/Unklarheiten einzugehen
+ Nur standardisierte Fragen möglich
-
Hohe Kosten
o Mittlere Kosten
+ Geringe Kosten
-
Hohe Gefahr von Antwortverzerrung
o Mittlere Gefahr von Antwortverzerrung
+ Geringe Gefahr von Antwortverzerrung
Geringe Eignung für komplexe Fragen
Abbildung 4-1: Vor- und Nachteile verschiedener Erhebungsformen480
Ein zentraler Nachteil des persönlichen Interviews ist die Gefahr der Antwortverzerrung durch den interaktiven Kontakt zwischen Interviewer und Interviewpartner. Im Idealfall sollte der Interviewer keinerlei Einfluss auf den Interviewpartner ausüben. Praktisch lässt sich dies kaum vermeiden, so dass die Reaktionen und Antworten des Befragten unter Umständen nicht nur auf den Frageinhalt zurückzuführen sind, sondern auch auf Interaktionen zwischen dem Interviewer und dem Befragten.481 Interviews werden deshalb zu den "reaktiven Messverfahren"482 gezählt, bei denen Erhebungsfehler ("response errors") auftreten können.483 Dies sind zum Beispiel die "Zustimmungstendenz" ("Akquieszens") und die "soziale Erwünschtheit" ("social desirability response
set").484
Diese
Fehler
gilt
es
durch
Standardisierung
und
Design
des
Erhebungsinstruments zu minimieren. Die Fragen wurden daher möglichst klar und neutral
480
In Anlehnung an Großpietsch (2003, S. 116). Vgl. Diekmann (2002, S. 382 ff.). 482 Diekmann (2002, S. 371). 483 Vgl. Stier (1996, S. 187 f.). 484 Vgl. Stier (1996, S. 188), Diekmann (2002, S. 383). 481
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
118
formuliert, alle Interviews wurden vom Autor selbst durchgeführt und bei Ratingskalen wurden die einzelnen Antwortkategorien durch konkrete Beschreibungen charakterisiert.485
4.2 Gestaltung des Erhebungsinstruments Im nachfolgenden Abschnitt wird die Gestaltung des Interviews und des Fragebogens vorgestellt. Der verwendete Fragebogen ist zur Referenz im Anhang dieser Arbeit enthalten. 4.2.1
Gewählte Interviewform
Beim persönlichen Interview sind verschiedene Grade der Standardisierung denkbar.486 So wird beim nicht standardisierten Interview keinerlei Fragebogen verwendet und sowohl die Frageformulierung als auch die Abfolge der Fragen bleiben gänzlich dem Interviewer überlassen. Beim voll standardisierten Interview hält sich der Interviewer hingegen strikt an den vorliegenden Fragebogen, sowohl bezüglich der Formulierung der Fragen und deren Reihenfolge als auch bezüglich der möglichen Antwortkategorien.487 Vorteil des nicht standardisierten Interviews ist die Möglichkeit intensiv auf den Interviewpartner einzugehen. Vorteil des voll standardisierten Interviews ist die hohe Vergleichbarkeit und die leichte Auswertbarkeit.
In der durchgeführten Untersuchung zum Supply-Chain-Management wurde die Form des teilstandardisierten Interviews gewählt. Es wurde ein Fragebogen verwendet, aus dem alle Fragen im Laufe des Interviews mit gleicher Formulierung gestellt wurden. Auch die Antwortkategorien waren bei allen Fragen, die zur Hypothesenprüfung herangezogen wurden, vorgegeben. Die Reihenfolge der Fragen wurde jedoch je nach Interviewsituation variiert. Auf diese Weise wurde ein hohe Vergleichbarkeit und eine einfache Auswertbarkeit der Antworten sichergestellt und gleichzeitig Rücksicht auf den Gesprächsverlauf und die Wünsche des Befragten genommen. 4.2.2
Verwendete Skalen
Alle Fragen, die der Überprüfung der theoretischen Fragestellung dienten, waren als geschlossene Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien formuliert, um eine hohe Vergleichbarkeit zu gewährleisten und die Beantwortungszeit im Interview zu minimieren.488 Lediglich gegen Ende
485
Die Charakterisierung der Antwortkategorien der verwendeten Ratingskalen wird in Abschnitt 4.2 näher erläutert. 486 Vgl. Atteslander/Kopp (1993, S. 152ff.). 487 Vgl. Diekmann (2002, S. 374). 488 Zur Gegenüberstellung von geschlossenen und offenen Fragen vgl. Diekmann (2002, S. 408).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
119
des Interviews bot sich eine offene Frage an, um nicht erhobene Einstellungen des Interviewpartners zu adressieren und die Grundlage für eine weiterführende Diskussion zu legen.
Die Gestaltung der Fragen und Antwortkategorien beeinflusst das Skalenniveau der erhobenen Daten und bestimmt damit maßgeblich die Möglichkeiten der späteren Datenauswertung. Die Messung der Daten kann dabei grundsätzlich anhand vier verschiedener Skalenniveaus erfolgen:489 Nominale und ordinale Skalen gelten als nicht metrisch, das heißt die Abstände sind nicht interpretierbar, Intervall- und Ratioskalen hingegen werden als metrisch bezeichnet. Die Unterschiede der einzelnen Skalenniveaus sind in Abbildung 4-2 zusammengefasst:
Verwendete Skalenniveaus
Zulässige Transformationen
Skalentyp
Anwendung
Beispiele
Nominalskala
Klassifikation von Objekten nach Gleichheit und Verschiedenheit, z.B. mittels Zahlencodes
Eindeutige
Geschlecht, Postleitzahlenbereiche
Ordinalskala
Abbildung von Rangordnungen ohne Interpretation der Abstände
Rangfolge bewahrende (positiv monotone)
Ordinaler Nutzen
Intervallskala
Abbildung von Rangordnungen mit äquidistanten Abständen
Vergleichbarkeit von Differenzen
Temperatur in Celsius oder Fahrenheit
Ratioskala
Absolute Skalierung mit natürlichem Nullpunkt
Aussagen über Verhältnisse
Umsatz, Kosten, Ehedauer
Abbildung 4-2: Skalenniveaus und ihre Eigenschaften490
Im Fragebogen wurden ausschließlich metrische Skalen (Intervallskalen und Ratioskalen) verwendet. Die Erhebung eines Großteils der Fragen bezüglich der Kooperationsindikatoren und
489
Zur Darstellung der Skalenniveaus vgl. zum Beispiel Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 4 ff.), Diekmann (2002, S. 255), Stier (1996, S. 42 ff.). 490 In Anlehnung an Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 4 ff.), Diekmann (2002, S. 255). Diekmann führt zudem ein fünftes Skalenniveau auf: die Absolutskala, die der Ratioskala gleicht mit der Änderung, dass hier auch die Skaleneinheit nicht mehr frei gewählt werden kann (zum Beispiel Häufigkeiten).
120
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
ihrer Einflussfaktoren erfolgte anhand von Intervallskalen, das heißt, die Antwortkategorien wurden durch eine Ratingskala abgebildet (zum Beispiel Frage 50: "In welchem Ausmaß wurde in die Kooperationsfähigkeit der IT mit dem Lieferanten investiert"; Antwortskala von (1) bis (5)). Einige wenige Fragen zur Kooperation wie zum Beispiel hinsichtlich des Nutzungsgrads von EDI in Prozent der Lieferanten wurden ebenso wie die Kennzahlen zum Supply-Chain-Erfolg (zum Beispiel Logistikkosten in Prozent vom Umsatz) mittels einer Ratioskala erhoben.
Das metrische Skalenniveau der Fragen mit Ratingskalen kann in der vorliegenden Untersuchung nicht bewiesen werden, da die Äquidistanz der Antwortkategorien nicht nachweisbar ist. BACKHAUS/ERICHSON/PLINKE/WEIBER schreiben hierzu: "Oftmals werden – auch im vorliegenden Buch Skalen benutzt, von denen man lediglich annimmt, sie seien intervallskaliert. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Ratingskalen: Eine Auskunftsperson ordnet einer Eigenschaft eines Objekts einen Zahlenwert auf einer Skala von 1 bis 7 (oder einen kürzeren oder längeren Skala) zu. Solange die Annahme gleicher Skalenabstände unbestätigt ist, handelt es sich aber streng genommen um eine Ordinalskala."491 Ziel dieser Annahme ist es aussagekräftigere statistische Methoden (wie zum Beispiel den in dieser Arbeit verwendeten Parrtial-Least-Squares-Ansatz) anzuwenden.492 Die vorliegende Arbeit unterstützt die Annahme des metrischen Skalenniveaus mit äquidistanten Skalenabständen, indem bei der verbalen Charakterisierung der einzelnen Antwortkategorien auf gleichmäßige Abstände zwischen den Ausprägungen geachtet wurde.
Der angewendete Fragebogen legt intervallskalierten Fragen eine Ratingskala mit fünf Antwortkategorien zu Grunde. Ziel einer Ratingskala ist es, den Untersuchungsgegenstand auf einem "latenten Kontinuum", das heißt auf einer eindimensionalen Zahlengerade zu positionieren, die als Eigenschaftsdimension verstanden wird.493 Auf diese Weise soll die Ausprägung bzw. der Grad der Ausprägung des untersuchten Merkmals festgestellt werden. Der Befragte wird dabei gebeten, sein subjektives Urteil einer Anzahl fest vorgegebener Kategorien zuzuordnen. Die in der empirischen Forschung verwendeten Ratingskalen unterscheiden sich neben dem bereits beschriebenen Skalenniveau hauptsächlich durch die Anzahl der zur Messung verwendeten Antwortkategorien sowie darin, dass diese Anzahl gerade oder ungerade sein kann.494 Die Empfehlungen zur Anzahl der Antwortkategorien in der Literatur sind vielfältig und zum Teil
491
Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 5). Vgl. Diekmann (2002, S. 256). 493 Vgl. Stier (1996, S. 65). 494 Zur Wahl der optimalen Anzahl und Ausgestaltung der Antwortkategorien vgl. Stier (1996, S. 68 ff.). 492
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
121
widersprüchlich.495 Auch verschiedene empirische Überprüfungen liefern keine allgemein gültigen Aussagen zur optimalen Anzahl.496 Für die vorliegende Untersuchung war eine möglichst einfache Darstellung für die Dauer der Interviews und die Verständlichkeit beim Interviewpartner wichtig. Zudem sollten die einzelnen Antwortategorien durch verbale Umschreibungen konkretisiert werden, weshalb eine zu hohe Anzahl nicht zielführend erschien. Anhand von Testinterviews ließ sich ermitteln, dass fünf Antwortkategorien eine ausreichende Differenzierung und Verständlichkeit erzielen.497 Die Auswahl einer ungeraden Anzahl an Kategorien bietet den Vorteil, dass zwangsläufig eine mittlere Kategorie existiert. Dies verhindert, dass bei einer durchschnittlichen oder mittleren Merkmalsausprägung Unklarheit beim Befragten über die zu wählende Kategorie besteht.498 Das oft kritisierte Problem ungerader Skalen, dass Befragte diese mittlere Kategorie mit "weiß nicht" oder "keine Meinung" assoziieren499, wurde durch die konkrete Hinterlegung dieser Kategorie durch eine Beschreibung oder ein Beispiel gelöst. Die verwendete Messung ist somit ein "forciertes Rating", bei dem der Interviewpartner zu einem Urteil "gezwungen" wird.500 Die eingesetzte Ratingmethode weist damit Ähnlichkeiten zur fünfstufigen Likert-Skala auf, bei der die Kategorien von (1) "lehne stark ab" bis (5) "stimme stark zu" (oder ähnlichen Umschreibungen) reichen.501 Der Unterschied zu dieser Skala besteht darin, dass die Fragen in der vorliegenden Untersuchung nicht in Form von Aussagen, sondern als geschlossene Fragen formuliert sind (zum Beispiel "Wie intensiv ...", "Wie hoch ...").
Bei der konkreten Ausgestaltung der Ratingskala in der vorliegenden Untersuchung wurde stets eine Zunahme der Ausprägung gewählt, so dass die Antwortkategorie (5) das Meiste oder Beste darstellt. Wie das Beispiel in Abbildung 4-3 zeigt erfolgte die Umsetzung im Fragebogen durch eine numerisch-grafische Kombination.502
495 496 497 498 499 500 501 502
Vgl. Jäpel (1984, S. 145). Vgl. Jäpel (1984, S. 146 ff.). Zu dieser Empfehlung kommt auch Rohrmann, der Skalen mit mehr als fünf Kategorien für die "außerakademische" Bevölkerung für ungeeignet hält (vgl. Rohrmann (1978)). Vgl. Jäpel (1984, S. 155). Vgl. zum Beispiel Stier (1996, S. 71). Vgl. Stier (1996, S. 71). Zur Darstellung der Likert-Skala vgl. Diekmann (2002, S. 209 ff.). Die Klassifikation von Ratingskalen bezüglich ihrer äußeren Form in numerisch, grafisch und numerischgrafisch stammt von Guilford (1954).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
122
1
2
3
4
5
48 Inwieweit sind Sie bereit,Initiative bezüglich eines stärkeren Datenaustauschs zu ergreifen? 49
Inwieweit werden Mitarbeiter für die Kooperation mit Lieferanten freigestellt? (z.B. gemeinsame Projektteams, Kooperationsmanager)
Abbildung 4-3: Ausschnitt aus dem verwendeten Fragebogen503
DIEKMANN fordert eine möglichst präzise Ausgestaltung der Antwortkategorien.504 Wie bereits erwähnt erfolgte aus diesem Grund eine Charakterisierung der Kategorien anhand konkreter Beispiele und Beschreibungen. Hierzu wurden dem Interviewpartner zu den Extrema und zum Mittelwert (Kategorien (1), (3) und (5)) Erläuterungen vorgetragen. Für die in Abbildung 4-3 dargestellte Frage 49 zum Umfang der freigestellten Mitarbeiter für die Kooperation lautete die Erläuterung zum Beispiel: (1) "Es gibt keine Mitarbeiter, die dediziert an kooperationsrelevanten Themen arbeiten", (3) "Wir stellen gelegentlich Mitarbeiter für kooperationsrelevante Themen ab" und (5) "Es gibt regelmäßig Projektteams zu kooperationsrelevanten Themen und gegebenenfalls auch die Position eines Kooperationsmanagers". Neben der erwähnten Unterstützung der Äquidistanzvermutung liegt das primäre Ziel dieser Konkretisierung hier in der Gewährleistung der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten durch die Vermeidung von Antwortverzerrungen. ATTESLANDER/KOPP weisen darauf hin, dass das Interview ein "sozialer Vorgang" ist, während dessen der Befragte einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt ist, die Einfluss auf seine Antworten haben (zum Beispiel Sympathie gegenüber dem Interviewer, Kontext des Interviews, Anspruchsniveau des Befragten).505 Dies kann zu Verzerrungen im Interview und unweigerlich zu mangelnder Vergleichbarkeit der gemessenen Daten führen.506 So könnte beispielsweise ein Supply-Chain-Manager, der zum Zeitpunkt des Interviews unter hohem Kostendruck steht, den Umfang der für die Kooperation mit dem Hersteller freigestellten Mitarbeiterressourcen eher unterschätzen, während ein Manager, der eine intensive Kooperation zum zentralen Ziel hat, die Investitionen hierfür möglicherweise überschätzt. Durch die Charakterisierung wurde erreicht, dass unterschiedliche Interviewpartner – gleich in welcher Situation sie sich zum Zeitpunkt des Interviews befinden – die gleichen Antwortkategorien mit den gleichen Merkmalsausprägungen verbinden und ihre Angaben somit vergleichbar sind.
503
Eigene Darstellung. Vgl. Diekmann (2002, S. 411). 505 Vgl. Atteslander/Kopp (1993, S. 147 ff.). Vgl. auch Diekmann (2002, S. 382 ff.). 506 Vgl. Atteslander/Kopp (1993, S. 161). 504
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie 4.2.3
123
Operationalisierung des Untersuchungsgegenstands
Die Gestaltung des Fragebogens und damit des Interviews verfolgt zwei Ziele: 1. Die bestmögliche Abbildung der theoretischen Fragestellung, um eine Überprüfung der Hypothesen zu ermöglichen und 2. die Berücksichtigung der Rahmenbedingungen wie Vertraulichkeit und Kenntnisstand des Befragten sowie der Interviewsituation. STIER schreibt über die Umsetzung der
theoretischen
Fragestellung
im
Interview:
"Ein
Fragebogen
ist
ein
Datenerhebungsinstrument, das aus einer Kollektion von Fragen besteht, mittels derer diejenigen Informationen gewonnen werden sollen, welche gemäß dem 'theoretischen Vorspann' einer empirischen Untersuchung […] benötigt werden. So gesehen ist ein Fragebogen nichts anderes als die 'Übersetzung' der einer Untersuchung zugrunde liegenden Forschungsprobleme in Fragen."507 Für diese Übersetzung wurden die in den vorangegangenen Abschnitten bereits vorgestellten Indikatoren, welche die Konstrukte des Wirkungsmodells operationalisieren, als Fragen formuliert, mit den beschriebenen Messskalen verknüpft und in den Fragebogen aufgenommen.
Tabelle 4-1 und Tabelle 4-2 fassen die Operationalisierung der theoretisch abgeleiteten Konstrukte zusammen. Die erste Tabelle stellt die Operationalisierung des Supply-Chain-Erfolgs sowie der beiden Kooperationsformen dar. In der zweiten werden die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Indikatoren der Einflussfaktoren zusammengefasst. Die Konstrukte wurden in der späteren Auswertung aus Gründen der Darstellbarkeit mit kurzen Bezeichnungen versehen, die ebenfalls in den Tabellen ersichtlich sind. Zudem werden die jeweiligen Skalenniveaus und die erfassten Antwortkategorien bzw. Maßeinheiten dargestellt. Schließlich ist als Referenz zum verwendeten und im Anhang dieser Arbeit dargestellten Fragebogen die Nummer der betreffenden Frage angegeben.
507
Stier (1996, S. 183).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
124
Konstrukt
Supply-ChainErfolg*
Kooperation durch Informationsaustausch
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Indikator
Bezeichnung
Skalen- Antwortniveau kategorien
Regalverfügbarkeit
OSA
Ratio
Logistikkosten
LOGCO
Gesamtbestandsreichweite Intensität der Nutzung von EDI (ORDERS) Intensität des Austauschs von SupplyChain-Kennzahlen Intensität des operativen Informationsaustauschs Intensität des Informationsaustauschs auf Top-Management Ebene Ausbau von VMI
BESTAND EDIORLI
Ausbau von CPFR Intensität der gemeinsamen langfristigen Supply-Chain-Planung
KOKPI
Prozent d. gelisteten Artikel Ratio Prozent v. Umsatz Ratio Tage Ratio Prozent d. Lieferanten Intervall 1 - 5
KOOPER
Intervall 1 - 5
62
KOTMGM
Intervall 1 - 5
61
BVMIA05
Ratio
70
Prozent v. Umsatz BCPFRA05 Ratio Prozent v. Umsatz LIPLAN Intervall 1 - 5
* Das Konstrukt "Supply-Chain-Erfolg" wurde aus den drei assoziierten Indikatoren berechnet und in Prozent vom Umsatz gemessen (vgl. Abschnitt 2.4)
Tabelle 4-1:
Nr. im Fragebogen
Operationalisierung von Erfolg und Kooperationsintensität
76
82 81 44 64
70 63
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
Konstrukt
Indikator
Intensität der leistungsabhängigen Sanktionen Formelle Einfluss der Lieferantenleistung auf die Governance Konditionen Intensität des Lieferantencontrollings Detaillierung der Verträge Umfang der Investitionen in kooperationsspezifische IT KooperationsUmfang der zur Kooperation spezifische bereitgestellten Personalressourcen Faktoren Bereitschaft zur Initiative zur Kooperation Intensität der Information über Leistungsstand und Pläne der Lieferanten Intensität der Information der Transparenz Lieferanten über Leistungsstand und Pläne des Händlers Transparenz der Logistikstrukturen der Lieferanten Intensität des Vertauens gegenüber den Lieferanten Soziales Reputation des Händlers Netzwerk Intensität der persönlichen Kontakte im SCM zu den Lieferanten Intensität des internen Wissensmanagements im SCM Kooperationsfähigkeit der IT KooperationsKompetenz der Supply-Chainkompetenz Organisation Supply-Chain-Kompetenz des Topmanagements Komplementarität der Lieferantenkompetenz im SCM Zugang zu Relevanz der Lieferantendaten für das komplementäre SCM des Händlers n Kompetenzen Intensität des Wissensaustauschs im SCM Umsatz des Händlers (2003) VerhandlungsMachtgefälle bei Supply-Chainmacht Verhandlungen Komplexität Anzahl Artikelnummern (SKU) Tabelle 4-2:
Operationalisierung der Einflussfaktoren
125 Nr. in Fragebogen
Bezeichnung
Skalen- Antwortniveau kategorien
LISANK
Intervall 1 - 5
65
LIKOND
Intervall 1 - 5
66
LICON LIVGE KOITIN
Intervall 1 - 5 Intervall 1 - 5 Intervall 1 - 5
51 67 50
KOMA
Intervall 1 - 5
49
KOINIT
Intervall 1 - 5
48
LIINF
Intervall 1 - 5
53
LIINFR
Intervall 1 - 5
52
LILOG
Intervall 1 - 5
54
LIVERT
Intervall 1 - 5
55
HAVERT PERSK
Intervall 1 - 5 Intervall 1 - 5
56 57
WISSM
Intervall 1 - 5
12
ITDATA KOMPA
Intervall 1 - 5 Intervall 1 - 5
35 13
KOMPM
Intervall 1 - 5
14
LIKOMP
Intervall 1 - 5
58
LIDAT
Intervall 1 - 5
68
LIKHTR
Intervall 1 - 5
59
UMS03 Ratio Euro SCMMACH Intervall 1 - 5
72 60
ANZSKU
78
Ratio
Anzahl
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
126 4.2.4
Ausgestaltung der Interviews
Neben der bestmöglichen Umsetzung der Forschungsfragen bestand das zweite Ziel bei der Gestaltung von Interview und Fragebogen in einer ausreichenden Berücksichtigung der Interviewsituation.
STIER
empfiehlt
hierzu:
"Eine
'korrekte'
Übersetzung
der
Forschungsfragestellung ist zwar die Hauptaufgabe eines Fragebogens, zusätzlich sollte er aber so gestaltet sein, dass er für die Befragten motivierend wirkt und ihre Kooperationsbereitschaft erhöht."508 Dieser Forderung wurde durch zwei Maßnahmen Rechnung getragen: motivierende Gestaltung der Reihenfolge der Fragen und Themenbereiche509 sowie die Beschränkung der notwendigen Interviewdauer.
Der Fragebogen umfasst vier Teile, die, bis auf wenige Ausnahmen, in denen der Interviewpartner einen eigenen Vorschlag zur Agenda des Interviews hatte, in der folgenden Reihenfolge abgearbeitet wurden: 1. Teil: Allgemeine Supply-Chain-Informationen 2. Teil: Supply-Chain-Kooperation 3. Teil: Supply-Chain-Trends und Ausblick 4. Teil: Supply-Chain-Erfolg. Die dargestellte Reihenfolge ermöglichte den Einstieg mit der Abfrage allgemeiner Charakteristika der Supply Chain (zum Beispiel Frage 1: "Wie viele Lagerstandorte betreiben Sie?"), mit dem Ziel, eine Gesprächssituation zu entwickeln und dem Interviewer einen Überblick über die Supply Chain des befragten Unternehmens zu geben. Es folgten die aufwendigeren und komplexeren Fragen zur Supply-Chain-Kooperation und zu den Trends. Erst am Schluss wurden Kennzahlen zur Supply-Chain-Leistung erfragt. Auf diese Weise konnte der bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Kontakt zum Interviewpartner genutzt werden um mögliche Vorbehalte bezüglich der Vertraulichkeit zu adressieren und um die Notwendigkeit der erfolgsbasierten Bewertung der zuvor erfragten Themen darzustellen.
Die Dauer des Interviews wurde zunächst auf maximal 90 Minuten beschränkt. Ein zu langes Interview birgt bei der Anfrage die Gefahr einer zu geringen Teilnehmerquote und kann während des Gesprächs zu einer verringerten Motivation und Antwortqualität oder sogar zu einem Abbruch durch den Interviewpartner führen. Die tatsächliche Dauer der Interviews hat die 90 Minuten aufgrund des Interesses der Befragten jedoch teilweise deutlich überschritten.
508 509
Stier (1996, S. 183). Stier gibt diesbezüglich konkrete Empfehlungen, wie mit "Einleitungsfragen", "Übergangsfragen" und "Filterfragen" der Interviewerfolg gesteigert werden kann (vgl. Stier (1996, S. 184 ff.)).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
127
Die Länge des Interviews und vor allem der Fragebogen und die Konkretisierung der Antwortkategorien wurden in einem Pretest in Form von drei Testinterviews überprüft. Traten in den Testinterviews Verständnisprobleme auf, so wurde die Formulierung einzelner Fragen weiter konkretisiert und vereinfacht. Zudem erfolgte eine Anpassung der Beschreibungen der Antwortkategorien,
wenn
deutlich
wurde,
dass
die
bestehende
Varianz
bei
der
Fragebogenerstellung über- oder unterschätzt wurde. Beispiele hierfür wären das Nichtzutreffen einzelner formulierter Ausprägungen auf befragte Unternehmen oder unzureichende Extrema, die den tatsächlichen Unterschieden zwischen den Unternehmen nicht gerecht wurden.
4.3 Datenerhebung und Stichprobe Die Interviews zur Supply-Chain-Kooperation wurden mit europäischen Handelsunternehmen durchgeführt. Ziel der Erhebung war es, eine möglichst große Stichprobe von Händlern mit vergleichbaren Supply Chains zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde die Untersuchung auf Händler von Fast Moving Consumer Goods eingegrenzt. Beispielhafte FMCG-Sortimente sind Kosmetika,
Wasch-/Putz-/Reinigungsmittel,
Süßwaren,
Tiernahrung,
Dauerbackwaren,
Fertignahrungsmittel, Kaffee/Tee. Diese Artikel weisen in ihren Supply-Chain-Charakteristika wie Verpackungsarten, Größe, Gewicht, und Haltbarkeit eine hohe Vergleichbarkeit auf. Andere Sortimente wie zum Beispiel Textilien, Elektronik- oder DIY-Artikel510 unterscheiden sich von den FMCG-Sortimenten zum Teil deutlich und wurden daher nicht in die Betrachtung einbezogen. Mit der Auswahl vergleichbarer Sortimente ging die Auswahl vergleichbarer Handelsformate einher. Die Untersuchung beschränkte sich auf die zentralen Handelsformate für FMCG-Artikel: den Lebensmitteleinzelhandel und Drogisten. Der Lebensmitteleinzelhandel umfasst dabei die Sub-Formate Discounter, Supermärkte, Verbrauchermärkte, Hypermärkte und Warenhäuser.511 Nicht im Fokus der Untersuchung standen somit insbesondere Textilhändler, Elektronikhändler,
Baumärkte,
Möbelhändler
und
andere
Formate,
deren
Sortimente
hauptsächlich aus andere als FMCG-Produkte enthalten.
Einige Handelsunternehmen betreiben im selben Land mehrere Vertriebsschienen. Die Ansprache der Unternehmen erfolgte deshalb auf Ebene der Vertriebsschienen, sofern diese eigenständige Supply-Chain-Entscheidungen treffen und auf Unternehmensebene, wenn die Entscheidungen zentral getroffen werden. Das Unternehmen Tengelmann betreibt in Deutschland zum Beispiel den Discounter "Plus" und die klassischen Supermärkte "Kaiser's" bzw. "MiniMal". Da sowohl
510
DIY-(Do-It-Yourself)-Artikel bezeichnet die in einem Baumarkt als "Heimwerkerbedarf" angebotene Produktkategorie. 511 Die Sub-Format-Bezeichnungen lehnen sich an die Klassifizierung der Datenbank M+M Planet Retail an.
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
128
Discounter als auch Supermärkte zum Zeitpunkt der Untersuchung über eigenständige SupplyChain-Verantwortung verfügten, wurden diese getrennt angesprochen und, sofern eine Teilnahme erfolgte, als eigenständige Datensätze ausgewertet.
Als Grundgesamtheit ("N") wurden alle Lebensmittelhändler und Drogisten mit einem nationalen Jahresumsatz von mehr als 1,0 Mrd. Euro im Jahr 2004 in die Untersuchung einbezogen. Um die europäische Vielfalt zu berücksichtigen und die Studie auf eine breitere Basis zu stellen, wurden neben Deutschland drei weitere Länder eingebunden: die Niederlande, England und Spanien. Die einzelnen relevanten Unternehmen wurden auf Basis der Datenbank "M+M Planet Retail"512 ermittelt, die den europäischen Standard für Daten zum Einzelhandel darstellt. Insgesamt konnten in den vier Ländern 72 Lebensmittelhändler und Drogisten mit einem ausreichenden Jahresumsatz und eigenständiger Supply-Chain-Verantwortung identifiziert werden.
Innerhalb der selektierten Unternehmen wurde durch einen ersten telefonischen Kontakt der Ansprechpartner identifiziert und in einzelnen Fällen die Untersuchung vorgestellt. Ansprechpartner waren Mitglieder des Topmanagements mit Verantwortung für die gesamte Lieferkette oder ein von diesen bestimmter Vertreter. 56 der 72 Händler wurden anschließend in einem persönlich adressierten Brief und einer Informationsbroschüre zu den Zielen und dem Vorgehen der Untersuchung um eine Teilnahme gebeten. Bei den 16 nicht kontaktierten Unternehmen konnte kein Ansprechpartner identifiziert werden.
Einige
Wochen
nach
der
schriftlichen
Anfrage
erfolgte
die
direkte
telefonische
Kontaktaufnahme mit den Ansprechpartnern. In teilweise zahlreichen Telefonaten wurden Fragen
und
Vorbehalte
Entscheidungsträger Informationsunterlagen
adressiert,
einbezogen,
alternative
Termine
bereitgestellt
Ansprechpartner
koordiniert
(zum
Beispiel
und
bei der
identifiziert, Bedarf
weitere
zusätzliche
Fragebogen
oder
Vertraulichkeitserklärungen). Im Zeitraum von Juli bis November 2004 konnten schließlich 33 Interviews durchgeführt werden, von denen 30 in die Auswertung einbezogen wurden. Die 3 nicht verwendeten Interviews wurden aufgrund unvollständiger Datensätze ausgeschlossen, da hier weder im Gespräch noch als Nachlieferung eine vollständige Beantwortung der Fragen erfolgte.
512
Vgl. M+M Planet Retail (2005).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
129
75
22
53 20
33 3
Anzahl relevante Unternehmen = "N"
Nicht angesprochen (keinen Kontakt identifiziert)
AngeKeine sprochen Teilnahme (Kontakt identifiziert)
Teilnahme
Unvollständige Informationen
30
Teilnahme und ausgewertet = "n"
Abbildung 4-4: Grundgesamtheit und Rücklaufquote der empirischen Untersuchung513
Die Rücklaufquote (vgl. Abbildung 4-4) bezogen auf die ausgewerteten Interviews betrug 42 Prozent der Grundgesamtheit N und 54 Prozent der angesprochenen Unternehmen. Sie liegt damit weit über den Ergebnissen vergleichbarer Untersuchungen514 und kann als exzellent bewertet werden. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war die hohe Relevanz des Themas für die Befragten, die intensiven Bemühungen im Nachgang der Anfrage und die bereits bestehenden persönlichen Kontakte des Lehrstuhls und des Autors zu einzelnen Unternehmen. Als Hauptursachen für die Absage der Teilnahme wurden fehlende Zeit, Sensitivität der erhobenen Daten und grundsätzliche Ablehnung von empirischen Studien angegeben.
Die Stichprobenanzahl von n = 30 ist verglichen mit anderen empirischen Arbeiten relativ gering. Dabei muss jedoch auf die ebenfalls geringe Grundgesamtheit von N = 72 hingewiesen werden. Die Abdeckung von 42 Prozent dieser Grundgesamtheit durch die vorliegende Untersuchung muss daher bei der Aussagekraft der späteren Datenauswertung positiv berücksichtigt werden. Die
513 514
Eigene Darstellung. Vgl. zum Beispiel Schmickler (2001, S. 33 ff.).
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
130
notwendige Größe der Stichprobe für die angewendeten Analyseverfahren wird in Abschnitt 5.1.2 detaillierter vorgestellt.
Abbildung 4-5 stellt einige ausgewählte Charakteristika zur Beschreibung der Stichprobe dar. Die teilnehmenden Unternehmen weisen einen nationalen Durchschnittsumsatz von 3,9 Mrd. Euro auf und repräsentieren mit ihrem europaweiten Gesamtumsatz von 241,4 Mrd. Euro ca. 22 Prozent des gesamten von europäischen Lebensmittelhändlern und Drogisten erzielten Umsatzes. Der nationale Durchschnittsumsatz jener Händler der Grundgesamtheit, die nicht angesprochen wurden oder welche die Teilnahme abgelehnt haben, beläuft sich auf 3,4 Mrd. Euro.515 Die Unternehmensgröße der Teilnehmer liegt damit ca. 13 Prozent über der der Nichtteilnehmer. Eine kritische Selbstselektion lässt sich jedoch aufgrund dieses geringen Unterschieds nicht vermuten.
Die Interviews erfolgten vor Ort beim befragten Unternehmen. Interviewer war dabei in allen Fällen der Autor der vorliegenden Arbeit. 20 der 30 Interviewpartner waren Leiter des SupplyChain-Managements und damit in der Organisation meist eine Ebene unter dem Vorstand angesiedelt. In 8 Unternehmen konnte das verantwortliche Vorstandsmitglied selbst für ein Interview gewonnen werden und in nur 2 Interviews wurde ein Mitarbeiter ohne umfassende Verantwortung für die Supply Chain befragt.
515
Für vier Unternehmen der Grundgesamtheit, die nicht an der Untersuchung teilgenommen haben, war kein nationaler Jahresumsatz 2004 verfügbar. Diese wurden aus der Durchschnittsbildung ausgeschlossen.
Kapitel 4 - Design der empirischen Studie
Umsatz (Anzahl Teilnehmer) 10 (33 %)
13 (43 %)
Handelsformat (Anzahl Teilnehmer)
(in Mrd. Euro) < 2,5 2,5 bis 5,0 > 5,0
• Durchschnitt: 3,9 • Gesamt (national): 117,9 • Gesamt (Europa): 241,4
7 (23 %)
Interviewpartner (Anzahl Teilnehmer) 2 (7 %) 8 (27 %)
20 (67%)
131
Vorstand Leiter Supply-ChainManagement Mitarbeiter Supply-ChainManagement
4 (13%)
14 (47 %)
7 (23%)
Supermarkt/ Discounter Verbraucher-/ Hypermarkt Warenhaus Drogerie
5 (17%) Allgemeine Charakteristika
• Durchschnittliche Anzahl Artikel:
52.163
• Durchschnittliche Sortimentsverteilung Food/Non-Food:
83/27%
• Durchschnittliche Verkaufsfläche (in qm):
3.022
Abbildung 4-5: Ausgewählte Charakteristika der Stichprobe516
516
Eigene Darstellung; die Diagramme summieren sich aufgrund von Rundungsdifferenzen nicht immer zu 100 Prozent.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
133
5. Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Im folgenden Abschnitt werden zunächst die methodischen Grundlagen für die Untersuchung des Wirkungsmodells gelegt. Dazu erfolgt erst eine kurze Einleitung in die Analyse von Strukturgleichungsmodellen. Anschließend wird der Partial-Least-Squares-Ansatz detailliert vorgestellt, seine Auswahl begründet und der verwendete Algorithmus erläutert (Abschnitt 5.1). Aufbauend auf diesen methodischen Grundlagen wird das Vorgehen zur Güteprüfung und Beurteilung der Schätzergebnisse zunächst theoretisch dargelegt (Abschnitt 5.2) und anschließend auf die Ergebnisse der empirischen Untersuchung angewendet (Abschnitt 5.3). Abschließend erfolgt die empirische Bewertung der abgeleiteten Hypothesen sowie des gesamten Wirkungsmodells (Abschnitt 5.4).
5.1 Grundlagen des Partial Least Squares (PLS)-Ansatzes 5.1.1
Strukturgleichungsmodelle mit latenten Variablen
Um das in Kapitel 3 theoretisch abgeleitete Wirkungsmodell zu überprüfen, wird ein Strukturgleichungsmodell mit latenten Variablen verwendet. Strukturgleichungsmodelle zählen in Abgrenzung zu älteren Analyseverfahren wie beispielsweise die lineare Regression oder die Faktoranalyse zu den Analyseverfahren der zweiten Generation.517 Im Gegensatz zu den Verfahren der ersten Generation erlauben diese die simultane Schätzung der Beziehungen zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen auf mehreren Ebenen.518 Diese Form der so genannten multivariaten Analyse hat in der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und gilt mittlerweile für viele Forschungsfragen als Standard.519
Zielsetzung des Strukturgleichungsmodells ist die Überprüfung eines theoretisch abgeleiteten Hypothesensystems oder Wirkungsmodells anhand empirischer Daten. Das Hypothesensystem beinhaltet Vermutungen darüber, wie die einzelnen latenten Variablen (Konstrukte)520 mit einander in Zusammenhang stehen, beschreibt also ihre gegenseitigen Wirkungszusammenhänge. Die beeinflussende Variable wird dabei als unabhängig (exogen) und die beeinflusste Variable als abhängig (endogen) bezeichnet. Darüber hinaus äußert das Hypothesensystem Vermutungen 517
Vgl. Bagozzi/Fornell (1982, S. 5 ff.). Vgl. Gerbing/Anderson (1988, S. 186 ff.). 519 Vgl. Homburg/Pflesser (2000, S. 635), Baumgartner/Homburg (1996, S. 140-141). 520 Die Begriffe "latente Variable" und Konstrukt werden im Folgenden synonym verwendet. 518
134
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
bezüglich der Fragestellung, wie sich nicht direkt messbare latente Variablen durch messbare Indikatoren abbilden lassen. Hierbei stellt die Möglichkeit der Berücksichtigung latenter Variablen ein wesentliches Merkmal der Strukturgleichungsmodelle dar. Diese Konstrukte sind empirisch nicht direkt messbar und werden deshalb über manifeste Variablen, die meist als Indikatoren bezeichnet werden, abgebildet. In der Regel können diese Indikatoren als fehlerbehaftete Messungen der zu Grunde liegenden latenten Variablen betrachtet werden. Um diese Messfehler zu minimieren, ist die Verwendung mehrerer Indikatoren zur Messung eines Konstrukts zu empfehlen, wodurch sich etwaige Verzerrungen durch hohe Messfehler bei einzelnen Indikatoren auffangen lassen.521 Die auf diese Weise operationalisierten latenten Variablen werden anschließend im Strukturgleichungsmodell in Beziehung gesetzt, um ihre hypothetischen Wirkungszusammenhänge zu testen. Das Strukturgleichungsmodell beinhaltet somit sowohl die Überprüfung eines Messmodells mit seinen Messhypothesen als auch gleichzeitig die eines Strukturmodells mit seinen Wirkungshypothesen.522 Abbildung 5-1 stellt dies grafisch dar. Zur Vereinfachung wird darin nur ein einfacher Wirkungszusammenhang abgebildet, indem die Variablen stets entweder unabhängig oder abhängig sind, und nicht wie in mehrstufigen Modellen sowohl von anderen abhängen als auch weitere beeinflussen.523
521
Vgl. Homburg/Dobratz (1998, S. 450). Vgl. Homburg/Hildebrand (1998, S. 18). 523 Wie auch im bereits abgeleiteten Wirkungsmodell dieser Arbeit sind die latenten Variablen in der Praxis oft zugleich abhängige und unabhängige Konstrukte. Das heißt, sie werden von einem oder mehreren Konstrukten beeinflusst und beeinflussen selbst wiederum mindest ein weiteres Konstrukt. 522
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
135
Strukturmodell
į1
Indikator x1
Ȝ11
į2
Indikator x2
Ȝ21
ȟ1
ȗ1
Ȗ11
Ȝ11
Ș1
Indikator x3
ʌ23
Indikator x4
ʌ24
Ȝ21
ȟ2
Ȗ12
Indikator y1
İ1
Indikator y2
İ1
įȟ2 Messmodelle der latenten exogenen Variablen
Messmodell der latenten endogenen Variablen
Abbildung 5-1: Aufbau eines Strukturgleichungsmodells mit latenten Variablen524
Für die Notation von Strukturgleichungsmodellen haben sich einige Abkürzungen weitgehend durchgesetzt, die in Tabelle 5-1 zusammengefasst sind. In den folgenden Formalisierungen werden diese Notationen verwendet und teilweise ergänzt.
524
In Anlehnung an Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 350).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
136
Abkürzung Sprechweise Bedeutung x
-
Indikator-(Mess-)Variable für eine latente exogene Variable
y
-
Indikator-(Mess-)Variable für eine latente endogene Variable
ȟ
Ksi
Latente exogene Variable, die im Modell nicht erklärt wird
Ș
Eta
Latente endogene Variable, die im Modell erklärt wird
Ȗ
Gamma
Pfadkoeffizient zwischen latenten exogenen Variablen
ȕ*
Beta
Pfadkoeffizient zwischen latenten endogenen Variablen
Ȝ
Lamda
Pfadkoeffizient im reflektiven Messmodell (Ladungskoeffizient)
ʌ
Pi
į
Delta
Pfadkoeffizient im formativen Messmodell (Gewichtungskoeffizient) Residualvariable für eine Indikatorvariable x im reflektiven Messmodell oder für eine latente exogene Variable ȟ im formativen Messmodell (Messfehler im exogenen Messmodell)
İ
Epsilon
Residualvariable für eine Indikatorvariable y (Messfehler im endogenen Messmodell)
ȗ
Zeta
Residualvariable für eine latente endogene Variable (Messfehler im Strukturmodell)
* Im dargestellten Pfadmodell nicht abgebildet
Tabelle 5-1:
Notation des Strukturgleichungsmodells525
Das Strukturmodell wird oft auch als inneres Modell bezeichnet und beschreibt die hypothetischen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen latenten Variablen. Formal lässt sich das Strukturmodell wie folgt abbilden:526
(5.1)
Strukturmodell:
Ș1 = Ȗ11 ȟ1 + Ȗ12 ȟ2 + ȗ1
oder allgemein:527
Și
¦Ȗ
ij
ȟ j ȗi .
j
525
In Anlehnung an Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 344 ff.). Zur Notation und zu den Basisgleichungen für das Struktur- und das Messmodell siehe Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 344ff) und Bollen (1989, S. 11ff.). 527 In einem komplexeren Modell mit latenten Variablen, die gleichzeitig unabhängig und abhängig sind, gilt: 526
Ki
¦ E ijK j ¦ J ij [ j ] i . j j
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
137
Das Messmodell drückt die Beziehung zwischen den latenten Variablen und den zugehörigen Indikatoren aus. Dabei muss je nach Richtung der unterstellten Beziehung zwischen Indikator und latenter Variable zwischen formativen und reflektiven Indikatoren bzw. Messmodellen unterschieden werden (siehe Abbildung 5-2).528 Die englischsprachige Literatur verwendet für die jeweiligen Indikatoren gemäß ihrer Wirkungsrichtung oft auch die Bezeichnungen "effect indicators" (reflektive Indikatoren) oder "cause indicators" (formative Indikatoren).529 Ein Messmodell kann stets ausschließlich reflektive oder formative Indikatoren enthalten.
Reflektives Reflektives Messmodell Messmodell
Formale Darstellung
Formatives Formatives Messmodell Messmodell
į1
Indikator x1
Ȝ11
Indikator x2
Ȝ21
ȟ1
Indikator x3
ʌ23
Indikator x4
ʌ 24
įȟ2
ȟ2
į2
Zielsetzung
Minimierung der Residualwerte im äußeren Modell
Minimierung der Residualwerte im inneren Modell
Wirkungsrichtung
Konstrukt wirkt auf die Indikatoren
Indikatoren verursachen das Konstrukt
Änderung des Konstrukts
Verursacht Änderung in allen reflektiven Indikatoren
Verursacht durch Änderung in einzelnen formativen Indikatoren
Korrelation
Hochgradig korrelierte Indikatoren
Indikatoren müssen nicht korreliert sein (können jedoch)
Eliminierung von schwachen Indikatoren
Konstrukt ändert sich inhaltlich kaum
Konstrukt verliert an Aussagekraft, sobald ein Indikator eliminiert wird
Abbildung 5-2: Gegenüberstellung reflektives und formatives Messmodell530
Reflektive Messmodelle werden dann verwendet, wenn die latente Variable ihre zugeordneten Indikatoren verursacht, das heißt, die Indikatoren stellen Repräsentanten des dahinter liegenden Konstrukts dar. Eine Änderung des Konstrukts verursacht somit stets die Änderung aller reflektiven Indikatoren. Demzufolge sind die Indikatoren stark miteinander korreliert, da sie
528
Für eine detaillierte Diskussion reflektiver und formativer Messmodelle siehe Fassott/Eggert (2005), Diamantopoulos/Winklhofer (2001), Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 717ff.), Bollen/Lennox (1991). 529 Vgl. Bollen/Lennox (1991, S. 305f.). 530 Eigene Darstellung.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
138
austauschbare Messungen desselben Konstrukts darstellen.531 Für die spätere Gütebeurteilung bedeutet dies, dass die Elimination schlecht gewählter Indikatoren, die eine geringe Korrelation mit den übrigen Indikatoren aufweisen, das Konstrukt inhaltlich nicht verändert.532 Mathematisch lässt sich das reflektive Messmodell wie folgt ausdrücken:533
(5.2)
Reflektives Messmodell:
oder allgemein:
x1 = Ȝ11 ȟ1 + į1
(exogene Variable)
y1 = Ȝ11` Ș1 + İ1
(endogene Variable)
xi = Ȝij ȟj + įi
(exogene Variable)
yi = Ȝij Șj + İi
(endogene Variable).
Formative Messmodelle liegen dann vor, wenn die Indikatoren die latente Variable verursachen, das heißt, die Indikatoren stellen definierende Eigenschaften des dahinter liegenden Konstrukts dar. Die Änderung eines Indikators führt somit stets zu einer Änderung der latenten Variablen. Der Wert der übrigen Indikatoren muss sich hierbei nicht notwendigerweise ändern. Da keine zwingende Korrelation zwischen den einzelnen Indikatoren vorliegt, bewirkt die Änderung eines Indikators nicht zwingend die Änderung der weiteren. Dies bedeutet gleichzeitig, dass zur Messung der latenten Variablen die Gesamtheit der Indikatoren möglichst vollständig aufgenommen werden muss.534 Im Gegensatz zum reflektiven Messmodell ist die Eliminierung eines formativen Indikators im Zuge der Gütebeurteilung ausgeschlossen, da sich dabei der Inhalt des Konstrukts ändern würde.535 Die Güte von formativen Messmodellen kann somit nur ex ante durch eine besonders sorgfältige Auswahl der Indikatoren sichergestellt werden.536 Die latente Variable kann somit als Linearkombination ihrer Indikatoren ausgedrückt werden:537
(5.3)
531 532 533 534 535 536 537 538
Formatives Messmodell:
ȟ2 = ʌ23 x3 + ʌ24 x4 + įȟ2
(exogene Variable)
Ș2 = ʌ23` y3 + ʌ24` y4 + įȘ2
(endogene Variable)538
Vgl. Fassott/Eggert (2005, S. 37). Vgl. Bollen/Lennox (1991, S. 308). Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 718), Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 346). Vgl. Jarvis/Mackenzie/Podsakoff (2003, S. 200 ff.). Vgl. Diamantopoulos (1999, S. 453 f); Bollen/Lennox (1991, S. 306) schreiben in diesem Zusammenhang: „Omitting an indicator is omitting a part of the construct“. Diamantopoulos/Winklhofer (2001, S. 271ff.) schlagen deshalb eine vierstufige Vorgehensweise zur Entwicklung und Validierung formativer Messmodelle vor. Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 719), Bollen/Lennox (1991, S. 306). In der grafischen Darstellung (Abbildung 5-1) nicht enthalten.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse oder allgemein:
ȟi
¦ʌ
ij
j
Și
¦ʌ y ij
j
5.1.2
x j įȟ i j
İ Și
139 (exogene Variable) (endogene Variable).539
Auswahl des Verfahrens zur Modellschätzung
Zur Schätzung der Strukturgleichungsmodelle mit latenten Variablen bestehen zwei unterschiedliche Ansätze: zum einen die Kovarianzstrukturanalyse, die unter dem Namen der hierzu verbreiteten Software LISREL540 bekannt geworden ist, und zum anderen der 1966 entwickelte Partial-Least-Squares-Ansatz.541 Beide Ansätze werden als Multivariate Verfahren der zweiten Generation bezeichnet.542 Multivariate Verfahren betrachten in Abgrenzung zu den Univariaten Verfahren nicht nur eine isolierte Variable, sondern mehrere Variablen und deren Abhängigkeitsstrukturen zugleich.543 Zu den Multivariaten Verfahren der ersten Generation zählen
strukturprüfende
Verfahren
wie
die
multiple
Regression,
die
multiple
Diskriminanzanalyse, die Varianzanalyse und die Kovarianzanalyse sowie strukturentdeckende Verfahren wie die Faktor- oder die Clusteranalyse.544 Die gemeinsame Basis für die Multivariaten Verfahren der zweiten Generation (PLS, LISREL) stellt die Kanonische Korrelation dar. Bei dieser handelt es sich um die Analyse und Quantifizierung der zwischen zwei Gruppen von Variablen bestehenden Assoziationen.545 Auf diesen Beziehungen zwischen zwei Gruppen von Variablen bauen die Strukturgleichungsmodelle auf. Die einzelnen Gruppen von messbaren Variablen stellen die Indikatoren einer latenten Variablen dar, die im Strukturgleichungsmodell durch hypothetische Wirkungsbeziehungen miteinander verbunden werden. Die Verfahren der zweiten Generation unterscheiden sich nach FORNELL von den Verfahren der ersten Generation darin, dass sie alle der folgenden vier Analysemöglichkeiten umfassen:546 Einbezug von 1) multiplen unabhängigen und abhängigen Variablen, 2) latenten Variablen, 3) Messfehlern und 4) konfirmatorischen Anwendungen. Konfirmatorische Anwendung bezeichnet die statistische Überprüfung der theoretisch formulierten Hypothesen.547
539
In der grafischen Darstellung (Abbildung 5-1) nicht enthalten.
540
Eine alternative Software zur Kovarianzstrukturanalyse ist AMOS. Zu LISREL vgl. Jöreskog/Sörbom (1996), zu AMOS vgl. Arbuckle/Wothke (1999). Vgl. Wold (1966). Vgl. Bagozzi/Fornell (1982, S. 5 ff.). Für eine detaillierte Darstellung der Multivariaten Verfahren vgl. zum Beispiel Stier (1996, S. 237 ff.), Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 7 ff.). Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 8 ff.). Vgl. Fornell (1987, S. 411). Vgl. Fornell (1987, S. 411). Vgl. Fassott (2005, S. 20).
541 542 543 544 545 546 547
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
140
Die Kovarianzstrukturanalyse und LISREL haben sich in den vergangenen Jahren zu einem Quasi-Standard zur Lösung von Strukturgleichungsmodellen entwickelt.548 Der PLS-Ansatz findet hingegen eine deutlich geringere Beachtung.549 Für den deutschsprachigen Raum haben BACKHAUS/BÜSCHGEN am Beispiel des Investitionsgütermarketings die Anteile der verwendeten kausalanalytischen
Verfahren
ermittelt:
In
86 Prozent
der
Anwendungen
wurde
die
Kovarianzstrukturanalyse und in nur 14 Prozent der PLS-Ansatz verwendet.550 Die geringe Verbreitung dieses Ansatzes lässt sich zumindest teilweise auf die Verfügbarkeit von benutzerfreundlichen Softwarepaketen zurückführen. Während für die Kovarianzanalyse eine Reihe von hoch entwickelten Software-Produkten wie LISREL, AMOS oder EQS teilweise frei verfügbar sind, fehlte lange eine solche Weiterentwicklung der ursprünglich von LOHMÖLLER entwickelten
PLS-Software
benutzerfreundlichere
aber
LVPLS.551 noch
im
Erst
in
den
letzten
Entwicklungsstadium
Jahren
befindliche
sind
einige
PLS-Programme
entstanden, die in Beta-Versionen dem Anwender zur Verfügung stehen. Das international am weitesten
verbreitete
ist
das
von
CHIN
entwickelte
Programm
PLS-Graph.552
Im
deutschsprachigen Raum gewinnt die an der Universität Hamburg entwickelte Software SmartPLS an Bedeutung.553
In den letzten Jahren lässt sich trotz der starken Verbreitung der kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodelle eine deutliche Steigerung des Interesses am PLS-Ansatz und an dessen Weiterentwicklung sowie dessen Einsatz zur Schätzung von Kausalmodellen erkennen.554 International nehmen dabei unter den Forschern FORNELL555 (Marketing) und CHIN556 (Wirtschaftsinformatik) eine führende Position ein. Dementsprechend ist auch die Anzahl der Studien in diesen Bereichen deutlich höher als in anderen Forschungsbereichen der Betriebswirtschaftslehre. Während im Bereich der Unternehmenskooperation einige wenige Anwendungen erfolgt sind557, scheint es bisher keine Anwendung im Bereich des Supply-Chain-
548 549 550 551 552 553 554 555 556 557
Vgl. zum Beispiel die Studienanalysen von Krafft/Haase/Siegel (2003, S. 95 f.), Baumgartner/Homburg(1996). Einen Überblick über die Diskussion und Anwendung des PLS-Ansatzes in der deutschsprachigen und internationalen Literatur gibt Fassott (2005, S. 22 f.). Vgl. Backhaus/Büschgen (1998, S. 165). Vgl. Lohmöller (1989). Vgl. zum Beispiel Chin (2001). Vgl. Hansmann/Ringle (2004). Für einen guten Überblick über die internationalen und deutschsprachigen Arbeiten zum PLS-Ansatz vgl. Fassott (2005, S. 22 ff.). Vgl. zum Beispiel Fornell (1987), Fornell/Bookstein (1982), Fornell/Larcker (1981). Vgl. zum Beispiel Chin (1998), Chin/Newsted (1999), Chin/Marcolin/Newsted (2003). Vgl. Fornell/Lorange/Roos (1990), Sarkar/Echambadi/Cavusgil/Aulakh (2001).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
141
Managements zu geben. Im deutschsprachigen Raum unterstreichen die aktuelle Veröffentlichung des
umfangreichen
Sammelbandes
"Handbuch
zur
PLS-Pfadmodellierung"
von
BLIEMEL/EGGERT/FASSOTT/HENSELER (2005) sowie eine Reihe von Kongressen558 die wachsende Bedeutung des PLS-Ansatzes.
Das steigende Interesse am PLS-Ansatz ist auf einige zentrale Unterschiede im Vergleich zur Kovarianzstrukturanalyse zurückzuführen. Je nach Untersuchungsgegenstand des Strukturgleichungsmodells können sich diese Unterschiede als Nachteile der Kovarianzstrukturanalyse gegenüber
dem
PLS-Ansatz
auswirken.559
Kovarianzbasierte
Verfahren
schätzen
die
Modellparameter, indem sie die empirische Kovarianzmatrix der Indikatoren bestmöglich reproduzieren.560 Der PLS-Ansatz hingegen zielt auf die bestmögliche Reproduktion der tatsächlichen Datenstruktur mit ihren Indikatorwerten ab. Die Parameter werden dabei so quantifiziert, dass eine möglichst akkurate Schätzung des Zusammenhangs zwischen den Variablen und somit eine gute Vorhersagequalität erzielt wird. Dies gelingt über eine iterative Minimierung der Fehlerterme im Messmodell sowie im Strukturmodell. Dabei kommen einfache Kleinstquadratschätzungen
zum
Einsatz.561
FORNELL/CHA
sprechen
deshalb
bei
der
Kovarianzstrukturanalyse von einer Parameterorientierung ("parameter-oriented") und beim PLSAnsatz von einer Vorhersageorientierung ("prediction-oriented").562
Die folgenden drei Vorteile des PLS-Ansatzes gegenüber der Kovarianzstrukturanalyse können einen Anlass für dessen Anwendung geben: 1. Stichprobengröße: Bei kovarianzbasierten Verfahren ist der Mindest-Stichprobenumfang für die Erfüllung der Gütekriterien relativ hoch. Die hier angewendeten Gütemaße (FitIndizes) zur Überprüfung der Angleichung des Modells an die Grundgesamtheit reagieren sehr sensibel auf die Stichprobengröße.563 Die untere Grenze für einfache Strukturmodelle
558
Zum Beispiel die PLS-Tagung des Marketing-Lehrstuhls der TU Kaiserslautern in 2004 und der PLSKongress in Berlin 2003. 559 Für detaillierte Gegenüberstellungen der Verfahren siehe zum Beispiel Chin/Newsted (1999, S. 336), Scholderer/Balderjahn (2005). 560 Hierfür stehen verschiedene Algorithmen zur Verfügung wie etwa Maximum Likelihood (ML), Generalized Least Squares (GLS), Weighted Least Squares (WLS) und Unweighted Least Squares (ULS). 561 Siehe Kapitel 5.1.3 für eine detaillierte Darstellung des PLS-Algorithmus. 562 563
Vgl. Fornell/Cha (1994, S. 73 f.). Vgl. Hu/Bentler (1995). Lediglich mit dem ULS-Schätzer lassen sich auch bei kovarianzbasierten Verfahren kleine Stichproben verwenden, da dieser Schätzer keine asymptotischen Eigenschaften der Elemente der Kovarianzmatrix fordert.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
142
mit zwei Konstrukten liegt dabei bereits bei 100 Fällen.564 Der PLS-Ansatz ermöglicht hingegen bereits die Schätzung von Strukturmodellen mit Fallzahlen von 30 oder weniger.565 Dafür existieren zwei Gründe: Die Gütebeurteilung erfolgt teilweise durch so genannte Resampling-Methoden; dabei werden durch geeignete Verfahren wie Bootstrapping oder Jackknifing eine Reihe zufälliger Stichproben aus der tatsächlichen Stichprobe gezogen, um die Signifikanz des Modells zu beurteilen. Außerdem erfolgt beim PLS-Verfahren im Gegensatz zur Kovarianzstrukturanalyse die Schätzung der Parameter derart, dass eine Minimierung der Residualvarianzen erreicht wird. Da nicht versucht wird, die empirische Kovarianzmatrix der Indikatoren zu reproduzieren, ist eine kleinere Stichprobe ausreichend.566 2. Verteilungsannahme: Die gebräuchlichste Schätzmethode innerhalb der Kovarianzstrukturanalyse,
die
Maximum-Likelihood-Methode,
verlangt
eine
Multi-
Normalverteilung der Indikatoren und somit der Stichprobe. Dies führt zu einer stark eingeschränkten Anwendbarkeit, da sich diese Forderung in der empirischen Forschung oft nicht erfüllen lässt.567 Der PLS-Ansatz hingegen beruht auf linearen Regressionen und trifft daher keinerlei Annahmen hinsichtlich der Verteilung der Modellvariablen.568 3. Berücksichtigung formativer Konstrukte: Ein weiterer, häufig angeführter Vorteil von PLS
ist,
dass
der
Einbezug
formativer
Messmodelle
bei
kovarianzbasierten
Strukturgleichungsmodellen nicht bzw. nur eingeschränkt möglich ist.569 Die einzelnen formativen Indikatoren werden hier "über Aufsummieren, Durchschnittsbildung oder eine andere
Berechnungsvorschrift
zusammengefasst"570.
im
Vorfeld
zu
einer
einzigen
Indexvariable
Der Einfluss der einzelnen Indikatoren ist somit nicht ermittelbar.
Dieser Darstellung widersprechen einige Autoren und zeigen, dass auch mittels LISREL formative Messmodelle berücksichtigt werden können.571 Die gängigen Softwareangebote für kovarianzbasierte Strukturgleichungsmodelle ermöglichen jedoch nur den Einbezug
564
565 566 567
568 569 570 571
Vgl. Bollen (1989), Hair/Anderson/Tatham/Black (1998). Die notwendige Stichprobengröße des konkreten Strukturmodells hängt von dem anzuwendenden Schätzverfahren, der Größe des Modells und der Struktur der Kovarianzmatrix ab. Vgl. Chin/Newsted (1999, S. 314), Fornell/Bookstein (1982, S. 443 f.), Bagozzi/Yi (1994, S. 18 f.). Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 721). Scholderer/Balderjahn (2005, S. 94) weisen jedoch darauf hin, dass mit alternativen Schätzverfahren wie Unweighted Least Squares (ULS) auch bei kovarianzbasierten Verfahren wie LISREL eine ausreichende Robustheit erreicht werden kann. Vgl. Fornell/Bookstein (1982, S. 443). Vgl. zum Beispiel Fassott (2005, S. 24f.), Götz/Liehr-Gobbers (2004b, S. 1). Fassott (2005, S. 25). Vgl. Scholderer/Balderjahn (2005, S. 93f.), Jarvis/MacKenzie/Podsakoff (2003).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
143
reflektiver Messmodelle.572 Der PLS-Ansatz und die hierzu verfügbare Software bietet hingegen "einfache und vielfache Möglichkeiten zur Modellierung formativer und reflektiver Konstrukte"573 in einem Strukturgleichungsmodell.
Als Nachteile des PLS-Ansatzes, die für den Einsatz der Kovarianzstrukturanalyse sprechen, lassen sich neben den weniger ausgereiften Softwareprodukten vor allem die Verfügbarkeit globaler Prüfkriterien und die geringere Flexibilität der Modellierung nennen. Aus der expliziten Verteilungsannahme der Kovarianzstrukturanalyse ergibt sich ein deutlich breiteres Angebot an interferenzstatistischen Prüfkriterien und Modelltests als beim verteilungsfreien PLS-Ansatz.574 Die Interferenzstatistik oder "Schließende Statistik" beurteilt die Unsicherheit bei der Beschreibung der Grundgesamtheit durch die vorliegende Stichprobe. Aufgrund der Verteilungsannahme der Kovarianzstrukturanalyse ist es möglich, anhand globaler Gütekriterien die Güte des Gesamtmodells zu beurteilen.575 Als Beispiele sind hier der Chi-Quadrat-Test (Übereinstimmung der Verteilung von Modell und Grundgesamtheit) oder der "Goodness of Fit Index" (Messung der Varianz und Kovarianz der Grundgesamtheit, der das Modell Rechnung trägt) anzuführen.576 Der PLS-Ansatz verfügt mangels Verteilungsannahme nicht über interferenzstatistische, globale Gütemaße, es können aber mittels geeigneter ResamplingVerfahren Standardfehler für die einzelnen Modellparameter berechnet werden.577 Ein weiterer Vorteil der Kovarianzstrukturanalyse wird in den Messmodellen gesehen. Diese ermöglichen es, die wahre Varianz des betrachteten Konstrukts von der Messfehlervarianz zu trennen und die Kausalanalysen im Strukturmodell nur über die wahren Varianzanteile durchzuführen.578 Liegt das primäre Ziel der Forschung in einer unverzerrten Schätzung mit gleichzeitiger Messfehlerkontrolle, sollte deshalb die Entscheidung zu Gunsten der Kovarianzstrukturanalyse fallen. Außerdem fällt die Anpassung des Modells bei unzureichender Güte in der Kovarianzstrukturanalyse leichter. Hier muss zur Verbesserung der Schätzergebnisse lediglich der Stichprobenumfang vergrößert werden, während der PLS-Ansatz darüber hinaus die gleichzeitige Steigerung der Anzahl der Indikatoren je Messmodell fordert.579
572 573 574 575 576 577 578 579
Vgl. Chin/Newsted (1999, S. 310). Fassott (2005, S. 24 f.). Vgl. Scholderer/Balderjahn (2005, S. 91). Vgl. Hahn (2002, S. 100). Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 372 ff.). Vgl. Chin (1998, S. 318 ff.). Vgl. Scholderer/Balderjahn (2005, S. 97). Vgl. Chin/Marcolin/Newsted (2003, S. 205); diese Anforderung wird von Wold (1982, S. 25) als "consistency at large" bezeichnet.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
144 Abbildung
5-3
fasst
die
Unterschiede
zwischen
dem
PLS-Ansatz
und
der
Kovarianzstrukturanalyse zusammen.
Kovarianzstrukturanalyse Kovarianzstrukturanalyse
PLS-Ansatz PLS-Ansatz
Grundlage des Ansatzes
Kovarianzstruktur
Varianzstruktur
Schätzalgorithmus
Meistens "Maximum Likelihood" Schätzung
Mehrere "Kleinste Quadrate"Schätzungen
Verteilungsannahme
Bei "Maximum Likelihood"Schätzung: Parametrisch (MultiNormalverteilung gefordert)
Nichtparametrisch (verteilungsfrei)
Modellbeurteilung
Interferenzstatistische, globale Gütemaße ("Fit-Indizes")
Standardfehler einzelner Parameter durch heuristische ResamplingVerfahren
Beziehungen zwischen Indikator und Konstrukt
Meist nur reflektiv
Formativ und reflektiv
Stichprobengröße
Je nach Komplexität große Stichproben nötig (Minimum ca. 100)
Relativ kleine Stichproben reichen aus (Minimum ca. 30)
Anwendungsfeld
Parametergenauigkeit
Vorhersagegenauigkeit
Software
LISREL, AMOS
PLS-Graph, SmartPLS, LVPLS
Abbildung 5-3: Vergleich zwischen Kovarianzstrukturanalyse und PLS-Ansatz580
Einen abschließenden Vergleich zwischen dem kovarianzbasierten LISREL und PLS formulieren SCHOLDERER/BALDERJAHN wie folgt: "LISREL dient der fehlerkorrigierenden Schätzung und statistischen Prüfung von Modellen ganzer Kovarianzstrukturen, typischerweise auf der Grundlage großer Stichproben und einer überschaubaren Anzahl von Modellvariablen mit wohl definierten Messstrukturen. PLS hingegen ermöglicht die robuste Vorhersage unscharf definierter Kriteriumsvariablen durch unscharf definierte Prädiktorvariablen selbst in Situationen, wo einer großen Anzahl beobachteter Variablen nur eine kleine Stichprobe gegenübersteht."581
Aufgrund der dargestellten Unterschiede zwischen dem PLS-Ansatz und LISREL erscheint für die Schätzung des Wirkungsmodells in der vorliegenden Arbeit die Verwendung des PLSAnsatzes sinnvoll. Insbesondere die Anwendungsmöglichkeit dieses Ansatzes bei vorliegen einer
580 581
In Anlehnung an Chin/Newsted (1999, S. 314), Hahn (2002, S. 107). Scholderer/Balderjahn (2005, S. 98).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
145
geringen Stichprobenanzahl und die fehlende Forderung der Normalverteilung der Rohdaten sprechen in diesem Kontext für PLS. Die Möglichkeit der Berücksichtigung formativer Konstrukte hat für die Auswahl geringere Bedeutung, da – wie später gezeigt wird – alle Konstrukte bis auf eines reflektiv formuliert sind.
Der Stichprobenumfang der durchgeführten Untersuchung liegt wie in Kapitel 4 erläutert bei n = 30. CHIN/NEWSTED empfehlen den Einsatz von PLS ab genau dieser Fallzahl, erwähnen aber auch Anwendungen bei geringeren Stichproben.582 FORNELL/BOOKSTEIN verwenden den PLSAnsatz bereits bei einer Stichprobenzahl von 24, BAGOZZI/YI setzen PLS bei 28 Fällen ein und erwähnen eine Studie von WOLD mit nur zehn Fällen.583 Beim Vergleich mit anderen Studien ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass wie dargestellt die Grundgesamtheit der vorliegenden Stichprobe mit N = 72 sehr klein ist. Eine mögliche Regel zur Bestimmung des minimalen Stichprobenumfangs, die die Größe der Grundgesamtheit nicht berücksichtigt, basiert auf der maximalen Anzahl der latenten unabhängigen Variablen, die auf eine latente abhängige Variable wirken. Der Umfang der Stichprobe sollte demnach fünfmal so hoch wie diese Anzahl sein.584 Für das Wirkungsmodell der vorliegenden Arbeit würde dies einer Stichprobenanzahl von 35 entsprechen.585 Auf Basis dieser Regel, der oben beschriebenen Anwendungen mit Stichproben, die zum Teil Fallzahlen von deutlich unter von 30 aufweisen, und der geringen Grundgesamtheit scheint die hier vorliegende Fallzahl zwar am unteren Ende des benötigten Umfangs zu liegen, jedoch ausreichend für den Einsatz des PLS-Ansatzes zu sein.586
5.1.3
Der PLS-Algorithmus
Der Algorithmus zur Schätzung des PLS-Modells wurde 1966 von WOLD eingeführt587 und von LOHMÖLLER, einem seiner Schüler, in den 80er Jahren weiterentwickelt.588 Die Bezeichnung Partial Least Squares ergibt sich, weil schrittweise für jede latente Variable der Konstruktwert unter der Annahme berechnet wird, dass die übrigen Konstruktwerte bekannt sind. Es wird somit
582 583 584 585 586 587 588
Vgl. Chin/Newsted (1999, S. 314 ff.). Vgl. Fornell/Bookstein (1982, S. 443 f.), Bagozzi/Yi (1994, S. 18 f.). Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 721) verweisen hierzu auf Tabachnik/Fidell (1989) und Gopal/Bostrom/Chin (1992). Im ursprünglichen Wirkungsmodell sind acht unabhängige latente Variablen formuliert (geforderte Stichprobengröße = 40), in der späteren Güteprüfung wird jedoch ein Konstrukt ausgeschlossen. Zumal zwei der verwendeten latenten Konstrukte durch nur einen Indikator gemessen werden und keine Schätzung des Messmodells notwendig machen. Vgl. Wold (1966), Wold (1985). Vgl. Lohmöller (1989).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
146
stets nur ein partieller Teil ("partial") des Modells betrachtet. Darüber hinaus ist das Ziel des Algorithmus die "Fallwerte der Rohdatenmatrix mit Hilfe einer Kleinst-Quadrat-Schätzung ['Least
Squares'],
die
auf
der
Hauptkomponentenanalyse
und
der
kanonischen
Korrelationsanalyse aufbaut, möglichst genau zu schätzen."589
Die Kovarianzstrukturanalyse bezieht in ihre Schätzung alle beobachteten Variablen direkt ein und wählt die Parameter der Mess- und Strukturgleichungsmodelle so, dass die aus dem Modell theoretisch ableitbare Kovarianzmatrix zwischen den manifesten Variablen eine möglichst gute Annäherung an die empirische Kovarianzmatrix darstellt.590 Auf diese Weise erfolgt die Bestätigung eines theoretischen Gesamtmodells. Beim PLS-Ansatz wird hingegen ein Konstrukt nach dem anderen analysiert und schrittweise neue latente Variablenwerte ȟ bzw. Ș berechnet; dies geschieht unter der Annahme, dass die übrigen latenten Variablenwerte des Pfadmodells bekannt sind.591 Das Modell wird dabei so geschätzt, dass die bestmögliche Erklärung der latenten abhängigen Variablen durch die unabhängigen Konstrukte erfolgt.592
Der PLS-Algorithmus verbessert die Schätzwerte für die einzelnen latenten Variablen in einem iterativen Prozess durch eine abwechselnde innere und äußere Approximation. Dies ist notwendig, da jede latente Variable jeweils durch zwei Gleichungssysteme dargestellt wird:593 das Strukturmodell in Gleichung (5.1) und das Messmodell in Gleichung (5.2) oder (5.3). Bei der inneren Approximation werden die Residualvarianzen ȗ im Strukturmodell minimiert, bei der äußeren Approximation jene im Messmodell (į oder İ). In beiden Approximationen, der inneren und äußeren, wird jeweils ein neuer Schätzwert für die Gewichte und die latenten Variablen berechnet.594 Die Iteration wird so lange fortgeführt, bis die Schätzwerte für die latenten Variablen ȟ bzw. Ș aus der inneren und äußeren Approximation ein vorgegebenes Konvergenzkriterium erreichen. Anschließend werden mit diesen Schätzwerten die Parameter (Pfadkoeffizienten) im Strukturmodell berechnet, um eine Überprüfung der einzelnen Wirkungszusammenhänge und eine Beurteilung des Bestimmtheitsmaßes R2 zu ermöglichen. Dies erfolgt durch eine multiple Regressionsanalyse.
589 590 591 592 593 594
Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 408). Vg. Betzin/Henseler (2005, S. 49). Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 60). Vgl. Chin (1998, S. 295 ff.). Vgl. Fornell/Cha (1994, S. 64). Vgl. Henseler (2005. S. 72).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
147
Abbildung 5-4 und die folgenden Ausführungen zum PLS-Algorithmus stellen das Schätzverfahren in Anlehnung an die Ausführungen von GÖTZ/LIEHR-GOBBERS in fünf Schritten vor.595 Die Notation entspricht den in Abbildung 5-1 und in Tabelle 5-1 eingeführten Bezeichnungen.
Iterative Schätzung der latenten Variablen Schritt 1: Initiale Schätzung der Konstruktwerte
Schritt 2: Schätzung der inneren Gewichte Schritt 3: Innere Schätzung der Konstruktwerte
Schritt 4: Schätzung der äußeren Gewichte Schritt 5: Äußere Schätzung der Konstruktwerte
Ausgangslösung: Jede latente Variable wird als beliebige Linearkombination der jeweiligen Indikatorvariablen ausgedrückt Innere Approximation: Minimierung der Varianz der Fehlervariablen ȗ der endogenen Variablen im Strukturmodell
Äußere Approximation: Minimierung der Varianz des Messfehlers į bzw. İ der Indikatorvariablen des exogenen bzw. endogenen Messmodells
Konvergenztest
Schätzung der Pfadkoeffizienten im Strukturmodell durch multiple Regression
Abbildung 5-4: Schematische Darstellung des PLS-Algorithmus596
Ausgangslösung (Schritt 1: Initiale Schätzung der Konstruktwerte): Als Ausgangslösung wird für jede latente Variable ein erster äußerer Schätzwert als beliebige Linearkombination der zugehörigen Indikatoren berechnet. Hierbei wird häufig das Verfahren angewendet, das Gewicht des ersten Indikators auf 1 und die Gewichte der weiteren Indikatoren auf 0 zu setzen.597 Die latente Variable wird mit anderen Worten dem ersten Indikator gleichgesetzt. Formal kann dies für alle latenten Variablen ȟi und Și wie folgt dargestellt werden:598
595
Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 722 ff.); für ergänzende Darstellungen des PLS-Algorithmus siehe auch Betzin/Henseler (2005), Lohmöller (1989, S. 29) oder Chin/Newsted (1999, S. 315 ff.). 596 In Anlehnung an Götz/Liehr-Gobbers (2004a, S. 723). 597 Vgl. Chatelin/Esposito Vinzi/Tenenhaus (2002, S. 9 f.). 598 Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 54).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
148 (5.4)
ȟi
¦w
ij
xj
(exogene Variable)
¦w
ij
yj
(endogene Variable)
j
Și
j
wij:
beliebig gewählter Gewichtungskoeffizient
oder konkreter unter Anwendung des beschriebenen Vorgehens:599 (5.5)
ȟi = x j
(exogene Variable)
Și = yj
(endogene Variable)
j:
kleinster Index der Indikatoren im Messmodell.
Innere Approximation (Schritt 2 und 3): Auf Basis der Ausgangswerte für die latenten Variablen ȟ und Ș erfolgt in Schritt 2 und 3 die innere Approximation. Dabei wird aus dem inneren Modell für jede latente Variable eine Umgebungsvariable als gewichtete Summe der benachbarten latenten Variablen berechnet.600 Ziel der inneren Approximation ist es, den Konstruktwert so zu wählen, dass ȟ und Ș der jeweils "most suitable neighbor"601 der eigenen Umgebung im Strukturmodell wird. Anders ausgedrückt: "Die Umgebungsvariablen dienen als Näherung der LV [Latenten Variablen] aus dem Strukturmodell heraus."602 In der formalen Darstellung unterscheidet sich die Umgebungsvariable von der später berechneten latenten Variablen durch die Kennzeichnung mit einem Sternchen: Die Umgebungsvariablen ȟ* und Ș* sind innere Approximationen der latenten Variablen ȟ und Ș. In die Berechnung der Umgebungsvariablen werden für jede latente Variable jene Konstrukte einbezogen, die im Pfadmodell ihr Vorgänger (unabhängige latente Variablen) oder ihr Nachfolger (abhängige latente Variablen) sind.603 Aufgrund der vereinfachten Darstellung des Pfadmodells in Abbildung 5-1 haben hier die einzelnen latenten Variablen ȟ1, ȟ2 und Ș1 nur Vorgänger oder Nachfolger. Der Fall, in dem eine latente Variable Vorgänger und Nachfolger hat und somit gleichzeitig abhängig und unabgängig definiert ist, wurde nicht dargestellt.
Schritt 2 (Schätzung der inneren Gewichte): Vor der Schätzung des Konstruktwerts als gewichtete Summe der Nachbarn müssen die Gewichtungskoeffizienten (eij) berechnet werden. Dafür stehen drei alternative Vorgehensweisen zur Verfügung: die Vorzeichengewichtung ("Centroid
599
Vgl. Henseler (2005, S. 72). Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 60). 601 Fornell/Cha (1994, S. 65). 602 Betzin/Henseler (2005, S. 61). 603 Vgl. Fornell/Cha (1994, S. 65), Betzin/Henseler (2005, S. 65). 600
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Weighting
Scheme"),
die
Pfadgewichtung
("Path
149 Weighting
Scheme")
und
die
Korrelationsgewichtung ("Factor Weighting Scheme"). Hier wird nur die Vorzeichengewichtung des ursprünglichen Algorithmus von WOLD604 näher betrachtet605, die auch in dieser Arbeit Verwendung findet. Dabei bezeichnet der innere Gewichtungsfaktor eij das Vorzeichen der Korrelationskoeffizienten von im Pfadmodell direkt miteinander verbundenen latenten Variablen. Bei nicht miteinander verbundenen latenten Variablen ist er 0. Dadurch wird sichergestellt, dass nur zusammenhängende Indikatorblöcke in die Betrachtung eingehen und gleichzeitig die Richtung des Einflusses berücksichtigt wird. Bei Verwendung der Vorzeichengewichtung sind die berechneten Gewichte nicht mit den im Anschluss an den Algorithmus berechneten Pfadkoeffizienten im Strukturmodell (Ȗij) zu verwechseln, da es sich nur um die Vorzeichen und nicht wie bei der Pfadgewichtung um provisorische Pfadwerte handelt.606 Formell lässt sich der Gewichtungskoeffizient auf Basis der Vorzeichengewichtung wie folgt darstellen:607
(5.6)
e ij
sgn(cor(ȟ i , ȟ j )) wenn [ i und ȟ j direkt verbunden sind ® sonst ¯0
d ij
sgn(cor(ȟ i , Ș j )) wenn [ i und Ș j direkt verbunden sind ® sonst ¯0
sgn(Zahl):
"Signum-Funktion", die einen Wert liefert, der für das Vorzeichen der Zahl steht. Dabei ist sgn(>1) = 1, sgn(0) = 0 und sgn(< 1) = -1.
cor(ȟi , ȟj), cor(ȟi , Șj): Korrelationskoeffizient von im Pfadmodell direkt miteinander verbundenen latenten Variablen.
Schritt 3 (Innere Schätzung der Konstruktwerte): Auf Basis der Gewichtungskoeffizienten wird nun der Schätzwert für die Umgebungsvariablen ȟi* und Și* als gewichtete Summe der benachbarten latenten Variablen ȟj und Șj berechnet:
604
Vgl. Wold (1985). Bei der Pfadgewichtung wird bei den benachbarten Konstrukten zwischen Vorgänger und Nachfolger unterschieden und daraufhin die Regressionskoeffizienten (Vorgänger) oder die Korrelation (Nachfolger) als Gewichtungskoeffizienten verwendet. Bei der Korrelationsgewichtung werden alle Konstrukte gleich behandelt und die Gewichte entsprechen den Korrelationen. Für eine detaillierten Vergleich der Vorgehensweisen vgl. zum Beispiel Chatelin/Vinzi/Tenenhaus (2002, S. 9) und Betzin/Henseler (2005, S. 62 f.). 606 Vgl. Henseler (2005, S. 73). 607 Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 62). 605
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
150 (5.7)
ȟ *i
1 ¦ e ij ȟ j Ci j
Ș*i
1 ¦ d ij ȟ j Ci j
ȟ i*, Și*:
Umgebungsvariable (= innere Approximation) der latenten Variablen ȟ i und Și
Ci:
Anzahl der mit dem Konstrukt ȟi* bzw. Și* verbundenen latenten Variablen ȟj. Der Faktor 1/Ci dient der Normierung der latenten Variablen.608
Äußere Approximation (Schritte 4 und 5): Im Anschluss an die innere Approximation erfolgt die äußere Approximation, bei der die Gewichte und Konstruktwerte im Messmodell berechnet werden. Dabei wird angenommen, dass die Umgebungsvariable eine Näherung der latenten Variablen aus dem Strukturmodell darstellt, entsprechende Gewichte für das Messmodell gesucht und ein neuer Schätzwert für die latente Variable ermittelt.
Schritt 4 (Schätzung der äußeren Gewichte): Es werden jene Gewichte für die einzelnen Indikatoren gesucht, die gewährleisten, dass die Umgebungsvariable möglichst gut durch die Indikatoren eines Messmodells repräsentiert wird. Dazu werden die Regressionsgleichungen des Messmodells mit den Umgebungsvariablen gelöst und die berechneten Regressionskoeffizienten als Indikatorgewichte verwendet.609 Hier ist zwischen reflektiven und formativen Messmodellen zu unterscheiden. Im reflektiven Messmodell ist das äußere Gewicht Ȝij der Regressionskoeffizient aus der Regression der inneren Schätzgröße für die Umgebungsvariable ȟj* als unabhängiger und den Indikatoren xi als abhängigen Variablen (bei exogenen Modellvariablen) bzw. Șj* und yi (bei endogenen Modellvariablen). Die Indikatoren stellen in dieser Regression die abhängige Variable dar, da hier das Konstrukt auf seine Indikatoren wirkt. In Anlehnung an die allgemeine Darstellung des Messmodells in Formel (5.2) kann dies wie folgt ausgedrückt werden:
(5.8)
608 609
xi = Ȝij ȟj* + įi
(exogene Variable)
yi = Ȝij Șj* + İi
(endogene Variable)
Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 62). Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 64).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Ȝij:
151
Regressionskoeffizient zwischen der latenten Variablen ȟj* bzw. Șj* (Regressor) und dem Indikator xi, yi (Regressand).
Weil Regressor (ȟj* bzw. Șj*) und Regressand (xi bzw. yi) standardisiert sind, entspricht der Regressionskoeffizient deren Kovarianz.610 Auf diese Weise erhalten diejenigen Indikatoren, die sich einen größeren Teil der Varianz mit der latenten Variablen teilen, erwartungsgemäß ein höheres Gewicht.611 Formal lässt sich dies wie folgt darstellen:
(5.9)
Ȝij = cov (xi , ȟj*)
(exogene Variable)
Ȝij = cov (yi , Șj*)
(endogene Variable).
Im formativen Messmodell werden die äußeren Gewichte aus der multiplen Regression der Indikatoren mit der inneren Schätzgröße der Umgebungsvariablen berechnet. Hier ist die innere Schätzgröße die abhängige Variable, da die Indikatoren auf das Konstrukt wirken. In Anlehnung an die Darstellung in Formel (5.3) lässt sich dies wie folgt formalisieren:
(5.10)
[ i*
¦S
ij
x j G[*
(exogene Variable)
¦S
ij
y j GK*
(endogene Variable)612
j
K i*
j
i
i
ʌij:
Regressionskoeffizient zwischen dem Indikator xi bzw. yi (Regressor) und der latenten Variablen ȟj* bzw. Șj* (Regressand).
Durch eine Aneinanderreihung der Spaltenvektoren der Indikatoren xj bzw. yj zu einer Matrix Xj bzw. Yj lässt sich der Regressionskoeffizientenvektor ʌi mittels der Matrixform der multiplen Regression wie folgt darstellen:613
(5.11)
ʌi = (XTj Xj)-1 XTj ȟi* T
-1
T
ʌi = (Y j Yj) Y j Și*
(exogene Variable) (endogene Variable)614
610
Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 272). Vgl. Henseler (2005, S. 73). 612 In der grafischen Darstellung (Abbildung 5-1) nicht enthalten. 611 613 614
Vgl. Henseler (2005, S. 73). In der grafischen Darstellung (Abbildung 5-1) nicht enthalten.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
152 ʌi: T
X j,
Vektor der äußeren Gewichte ʌij Y Tj :
transponierte i x j Matrix der Indikatoren
(XTj Xj)-1 , (YTj Yj)-1:
inverse Matrix von XTj Xj bzw. YTj Yj
Schritt 5 (Äußere Schätzung der Konstruktwerte): Auf Basis dieser Indikatorgewichte erfolgt im letzten Iterationsschritt die Ermittlung neuer Schätzwerte für die latenten Variablen aus dem äußeren Modell. Dabei werden die Schätzwerte ȟ und Ș wie bereits für die Ausgangslösung als Linearkombination
ihrer
Indikatoren
x
und
y
berechnet.
Die
beliebig
gewählten
Gewichtungskoeffizienten der Ausgangslösung werden dabei durch die aus der Optimierung von (5.9) und (5.11) gewonnen äußeren Gewichte Ȝ und ʌ ersetzt. So wird neben der Anpassung an die Indikatoren gleichzeitig auch gewährleistet, dass die latente Variable möglichst gut zu ihren Nachbarn passt, da die verwendeten Indikatorgewichte auf Basis der Umgebungsvariablen bestimmt wurden. Die äußeren Schätzwerte der latenten Variablen lassen sich deshalb wie folgt darstellen:615
(5.12) Reflektives Messmodell:
ȟi
c i ¦ Ȝ ij x j j
Și
c i ¦ Ȝ ij y j j
Formatives Messmodell:
ȟi
c i ¦ ʌ ij x j j
Și
c i ¦ ʌ ij y j j
ci:
Normierungsfaktor der latenten Variablen ȟi bzw. Și.616
Abbildung 5-5 stellt die Iterationsschritte des PLS-Algorithmus (Schritte 2 bis 5) zur Verbesserung der Ausgangslösung aus Schritt 1 grafisch dar:
615 616
Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 61 und 68). Für eine detaillierte Darstellung der Normierung vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 61).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
153
Schritt 5: Äußere Schätzung der Konstruktwerte
Schritt 2: Schätzung der inneren Gewichte
ȟj
xi
Șj
yi Ȝij, ʌji
eij, dij
Schritt 4: Schätzung der äußeren Gewichte
ȟ1, Ș1 ȟ2, Ș2
ȟi*, Și* (Umgebungsvariablen)
...
ȟj, Șj Schritt 3: Innere Schätzung der Konstruktwerte Abbildung 5-5: Iterationsschritte des PLS-Algorithmus617
Konvergenztest: Im Anschluss an Schritt 5 erfolgt ein Konvergenztest. Die Schritte 2 bis 5 werden so lange wiederholt, bis sich keine wesentlichen Änderungen mehr ergeben und somit Konvergenz erreicht ist. Ein häufig verwendetes Konvergenzkriterium ist dabei die Konstanz der vierten Nachkommastelle für die Gewichte der inneren und äußeren Schätzung.618
(5.13)
Œ ȟi - ȟi*Œ2 < k 2
Œ Și - Și*Œ < k
(exogene Variable) (endogene Variable)
k:
Konvergenzkriterium (zum Beispiel 0,0001)
ȟi, Și:
äußere Schätzwerte der latenten Variablen
ȟi*, Și*:
innere Schätzwerte der latenten Variablen (Umgebungsvariablen).
Schätzung der Pfadkoeffizienten: Im Anschluss an die Schätzung der latenten Variablen kann die Berechnung der Pfadkoeffizienten im Strukturmodell erfolgen. Dies geschieht durch eine
617 618
In Anlehnung an Betzin/Henseler (2005, S. 63). Vgl. Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 722).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
154
multiple Kleinst-Quadrat-Regression mit den endogenen Konstrukten Și als abhängigen Variablen und allen Vorgängern ȟj als unabhängigen Variablen. Formell lässt sich dies wie folgt darstellen:619
(5.14)
Ȗij = (ȟjT ȟj)-1ȟjT Și.
Zusammenfassend lässt sich das Schätzverfahren des PLS-Algorithmus gut durch das folgende Zitat von CHIN/MARCOLIN/NEWSTED beschreiben: "The PLS procedure is then used to estimate the latent variables as an exact linear combination of its indicators with the goal of maximizing the explained variance for the indicators and latent variables. Following a series of ordinary least squares analyses, PLS optimally weighs the indicators such that a resulting latent variable estimate can be obtained. The weights provide an exact linear combination of the indicators for forming the latent variable score that is not only maximally correlated with its own set of indicators, as in component analysis, but also correlated with other latent variables according to the structural or theoretical model."620
5.2 Gütebeurteilung und Bewertung von PLS-Pfadmodellen Die Gütebeurteilung von PLS-Pfadmodellen macht es sich zur Aufgabe, eine Aussage darüber zu treffen, inwieweit das gewählte Modell für die Beschreibung der Wirkungen zwischen den beobachteten
Variablen
geeignet
ist.621
Da
der
PLS-Ansatz
im
Gegensatz
zur
Kovarianzstrukturanalyse die Parameter des Modells nicht auf Basis einer ganzheitlichen statistischen Schätzfunktion berechnet, können auch keine statistischen Gütekriterien zur Beurteilung des Gesamtmodells herangezogen werden. Für die Beurteilung einiger Gütekriterien stehen deshalb nur heuristische Verfahren wie die im folgenden Kapitel dargestellten ResamplingTechniken zur Verfügung. Des Weiteren können aufgrund der fehlenden Verteilungsannahme des PLS-Ansatzes nur nicht parametrische, das heißt verteilungsfreie Verfahren, zur Überprüfung der Modellgüte zum Einsatz kommen.622
619
Vgl. Betzin/Henseler (2005, S. 69). Chin/Marcolin/Newsted (1996, S. 26 f.). 621 Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 72). 622 Vgl. Chin/Newsted (1999, S. 328). 620
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
155
Die Überprüfung der Güte eines Wirkungsmodells erfolgt zumeist über einen zweistufigen Prozess, bei dem zunächst die Güte der reflektiven und formativen Messmodelle bewertet wird und anschließend die Beurteilung des Strukturmodells erfolgt.623 5.2.1
Gütemaße zur Beurteilung des Messmodells
Die Literatur schlägt eine Reihe von übereinstimmenden Gütemaßen zur Beurteilung der Güte von Messmodellen vor.624 Von zentraler Bedeutung ist dabei die grundlegende Arbeit von FORNELL/LARCKER.625 Lediglich bei der Strukturierung des Vorgehens zur Güteprüfung und bei der Bezeichnung der einzelnen Gütemaße gehen die Darstellungen auseinander. HULLAND schlägt für die Beurteilung reflektiver Messmodelle die Unterscheidung von drei Arten von Gütekriterien vor: 1.) Indikatorreliabilität ("item reliability"), 2.) Konvergenzvalidität ("convergent validity") und 3.) Diskriminanzvalidität ("discriminant validity").626 Diese Struktur wird im Folgenden aufgegriffen.
Zu 1.) Indikatorreliabilität: Die Indikatorreliabilität gibt an, wie genau die einzelnen Indikatoren das zu Grunde liegende latente Konstrukt messen. Das Gütemaß misst dabei die Varianz des Indikators, die durch die Varianz des latenten Konstrukts erklärt werden kann. Ein Maß hierfür sind die Faktorladungen der einzelnen Indikatoren auf das jeweilige Konstrukt. Dabei wird bei Faktorladungen größer als 0,7 eine positive Indikatorreliabilität angenommen.627 Dies ist dadurch begründet, dass so die gemeinsame Varianz zwischen Indikator und Konstrukt höher ist als die Fehlervarianz.628 Mit anderen Worten lassen sich so mehr als 50 Prozent der Varianz eines Indikators auf das latente Konstrukt zurückführen, da die Ladungen Korrelationen darstellen und somit das Quadrat der Faktorladung der gemeinsamen Varianz entspricht. Der Ausschluss von reflektiven Indikatoren wird in der Literatur erst unterhalb einer Faktorladung von 0,4 gefordert, da es in der Praxis und insbesondere bei neu entwickelten Skalen häufig zu geringeren Faktorladungen kommt.629
623
624 625 626 627 628 629
Vgl. zum Beispiel Fornell/Larcker (1981, S. 45 f.), Götz/Liehr Gobbers (2004a). Die von Ringle (2004) gewählte Reihenfolge, zuerst das Strukturmodell und danach das Messmodell zu beurteilen, erscheint weniger sinnvoll. Auf diese Weise wird eine Aussage über die Wirkungszusammenhänge der Konstrukte getroffen ohne zuvor zu prüfen ob diese treffend operationalisiert wurden. Vgl. zum Beispiel Chin (1998, S. 320 ff.), O'Cass (2002, S. 68 ff.), Ringle (2004), Fornell/Cha (1994, S. 67 ff.), Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005). Vgl. Fornell/Larcker (1981) Vgl. Hulland (1999, S. 198). Vgl. Hulland (1999, S. 198). Vgl. Carmines/Zeller (1979, S. 29) Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 73), Hulland (1999, S. 198).
156
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
Parallel zur Untersuchung der Indikatorreliabilität erfolgt meist auch die Überprüfung der Signifikanz der Faktorladungen.630 Diese erfolgt auf Basis der t-Statistiken, die eine Aussage darüber treffen, auf welchem Signifikanzniveau, das heißt mit welcher Irrtumswahrscheinlichkeit, eine signifikante Wirkung ausgewiesen wird.631 Häufig angewendete Signifikanzniveaus sind 0,01 und 0,05 (Irrtumswahrscheinlichkeit von 1% und 5%) bei bestehenden und bereits überprüften Modellen sowie 0,10 (Irrtumswahrscheinlichkeit von 10%) bei innovativen, bisher nicht überprüften Modellen.632 Für die vorliegende Arbeit erscheint es deshalb sinnvoll ein Signifikanzniveau von mindestens 0,10 zu fordern.
Ebenso wie bei der späteren Bewertung der Signifikanz des Strukturmodells werden die t-Statistiken anhand von so genannten Resampling-Techniken generiert.633 Die bekanntesten Resampling-Techniken sind das bereits erwähnte Jackknifing sowie das Bootstrapping. Die Jackknifing-Methode beruht darauf, die Modellparameter zunächst mit der gesamten Stichprobe zu schätzen und diese anschließend in Teilstichproben zu zerlegen. Dabei ist in jeder Teilstichprobe eine bestimmte Anzahl von Fällen eliminiert. Auf Basis der Varianz zwischen den einzelnen Stichproben kann eine t-Statistik berechnet werden. Die Bootstrapping-Methode generiert aus der Originalstichprobe eine große Anzahl von Teilstichproben durch "Ziehen mit Zurücklegen". Die Bootstrapping-Methode gestaltet sich rechenaufwendiger als das Jackknifing, was bei heutigen Rechnerleistungen jedoch keinen Nachteil mehr darstellt. Für die vorliegende Arbeit empfiehlt sich für das Resampling von Mess- und Strukturmodell die Anwendung der Bootstrapping-Methode, da hierbei die bereits relative kleine Stichprobe nicht weiter verringert wird und das Verfahren einen geringeren Standardfehler als das Jackknifing aufweist.634
Zu 2.) Konvergenzvalidität: Wird eine latente Variable durch mehrere Indikatoren gemessen, so muss von diesen Indikatoren gefordert werden, dass alle den gleichen Sachverhalt messen und somit eine enge inhaltliche Beziehung und damit eine hohe Korrelation aufweisen.635 Ist dies nicht der Fall, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die latente Variable durch die gewählten Indikatoren ausreichend repräsentiert wird. Zur Güteprüfung des Messmodells ist daher die Überprüfung der Konvergenzvalidität notwendig. Diese gibt die Übereinstimmung der Messinstrumente (Indikatoren) an, die den gleichen Sachverhalt (Konstrukt) beschreiben sollen. Das
630 631 632 633 634 635
Vgl. zum Beispiel Bouncken/Koch (2005, S. 300), Amoroso/Cheney (1991, S. 80). Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 73 ff.). Vgl. Böing (2001). Für eine detaillierte Darstellung der Resampling-Techniken vgl. Chin (1998, S. 318 ff.). Vgl. Efron/Tibshirani (1993, S. 145 f.). Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 71).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
157
Ausmaß der Konvergenzvalidität kann durch die von FORNELL/LARCKER eingeführte interne Konsistenz gemessen werden.636 Andere gebräuchliche, in der relevanten Literatur verwendeten Bezeichnungen für die interne Konsistenz sind: Konstruktreliabilität, Faktorreliabilität, Jöreskog's Rho und Composite Reliability.637 Die interne Konsistenz ist definiert als:638 (5.15) Interne Konsistenz =
(¦iȜ ij ) 2 (¦iȜ ij ) 2 ¦ivar(G i ) (¦iȜ ij ) 2 (¦iȜ ij ) 2 ¦ivar(İ i )
(exogene Variable)
(endogene Variable)
Dabei ist Ȝij die Ladung des Indikators i einer latenten Variablen j und į bzw. İ der Messfehler des Indikators. Die interne Konsistenz nimmt Werte zwischen 0 und 1 an. Als ausreichende interne Konsistenz werden in der Literatur Werte von 0,6639 und 0,7640 genannt.
Zwei weitere Gütemaße, die für die Beurteilung der Konvergenzvalidität empfohlen werden, sind die durchschnittlich erklärte Varianz641 und das Cronbachsche Alpha642.
Die durchschnittlich erklärte Varianz (DEV), im Englischen als "Average Variance Extracted (AVE)" bezeichnet, eignet sich ebenfalls als Reliabilitätsmaß für ein latentes Konstrukt und dient gleichzeitig als Basis für die Berechnung der später erläuterten Diskriminanzvalidität. FORNELL/LARCKER begründen die Anwendung der DEV damit, dass die interne Konsistenz zwar die Stärke der Beziehung der einzelnen Indikatoren untereinander beschreibt, aber keine Aussage über die tatsächlich durch sie erklärte Varianz des latenten Konstrukts im Vergleich zu der durch den Messfehler erklärten Varianz zulässt.643 Hierzu muss das Gütemaß auf mehrere Messungen des Konstrukts ausgedehnt werden. Die durchschnittlich erklärte Varianz erfüllt diese Zielsetzung und ist definiert als:644
636 637 638 639 640 641 642 643 644
Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 45), Chin (1998, 320). Vgl. Krafft/Götze/Liehr-Gobbers (2005, S. 74). Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 45); die Notation ist hier für eine endogene latente Variable dargestellt. Vgl. Bagozzi/Yi (1988, S. 82). Vgl. Nunally (1978, S. 245). Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 45 f.). Vgl. Cronbach (1951). Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 45). Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 45); die Notation ist hier für eine endogene latente Variable dargestellt.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
158
2
(5.16) Durchschnittlich erklärte Varianz =
¦Ȝ . Ȝ ¦ ¦ var(G ) i ij
2
i ij
i
¦Ȝ
i
2
i ij
2
¦iȜ ij ¦ivar(İ i ) Für die Gütebeurteilung gilt hier ein Mindestwert von 0.5, den FORNELL/LARCKER wie folgt begründen: "If pvc(Ș) [durchschnittlich erklärte Varianz] is less than 0.5, the variance due to measurement error is larger than the variance captured by the construct Ș, and the validity of the individual indicators, as well as the construct is questionable."645
Das Cronbachsche Alpha ist ein deutlich älteres Gütemaß und wird im Gegensatz zur internen Konsistenz und zur DEV den Reliabilitätsmaßen der ersten Generation zugerechnet. Ähnlich der internen Konsistenz misst auch das Cronbachsche Alpha die Konsistenz der Messung durch die einzelnen Indikatoren. Formell lässt es sich wie folgt ausdrücken:646 (5.17) Į (Cronbachsches Alpha)
=
Nur 1 (N 1) u r
N:
Anzahl der Indikatoren
r:
Inter-Indikator-Korrelation.
Die Interpretation des Į ist ähnlich wie die der internen Konsistenz. Auch hier werden Mindestwerte von 0,6647 und 0,7648 gefordert. Aufgrund einiger Nachteile des Cronbachschen Alphas sollte der internen Konsistenz bei abweichenden Ergebnissen jedoch der Vorrang gegeben werden, da die einzelnen Faktoren hier gleichgewichtet werden, anstatt die aktuellen Faktorladungen zu berücksichtigen, wie dies bei der internen Konsistenz der Falls ist.649 Darüber hinaus hängt beim Cronbachschen Alpha das Ergebnis positiv von der Anzahl der Indikatoren N ab. 650
645
646 647 648 649 650
Fornell/Larcker (1981, S. 45); die Autoren fügen hinzu, dass die durchschnittliche erklärte Varianz im Vergleich zur internen Konsistenz das konservativere Gütemaß ist, da es aufgrund der internen Konsistenz möglich wäre Konvergenzvalidität anzunehmen, obwohl mehr als 50% der Varianz des Konstrukts durch Messfehler bestimmt werden. Vgl. Cronbach (1951). Vgl. McAllister (1995, S. 36). Vgl. Nunally (1978, S. 245). Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 74). Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 74).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Zu
3.)
Diskriminanzvalidität:
Die
159
Diskriminanzvalidität
verschiedenen Konstrukte voneinander abgrenzen
lassen.651
beschreibt,
inwieweit
sich
Es wird gefordert, dass die
Indikatoren eines Konstrukts untereinander stärkere Beziehungen aufweisen als mit den Indikatoren
anderer
Konstrukte
im
gleichen
Kausalmodell.652
Gemessen
wird
die
Diskriminanzvalidität durch die nach ihren Autoren als Fornell/Larcker-Kriterium bezeichnete Forderung, dass die durchschnittlich erfasste Varianz einer latenten Variablen größer ist als jede quadrierte Korrelation dieser latenten Variablen mit einer anderen latenten Variablen im Modell.653 Abbildung 5-6 fasst das vorgestellte Vorgehen zur Güteprüfung des reflektiven Messmodells und die einzelnen Gütemaße zusammen. Gütearten
1.
2.
3.
Indikatorund Indikatorsignifikanz
Konvergenzvalidität
Diskriminanzvalidität
Definition
Verwendete Gütemaße
Anspruchsniveau
Mehr als 50% der Varianz Erklärungsgrad der Indikatordes Indikators sollte durch varianz durch das Konstrukt das Konstrukt erklärt werden
Faktorladung Ȝ > 0,7, Elimination von Indikatoren mit Ladungen Ȝ < 0,4
Signifikanz der Faktorladungen
t-Statistik der Pfadkoeffizienten
Signifikanzniveau mind. 0,10
Interne Konsistenz (IK)
IK > 0,7
Durchschnittlich erklärte Varianz (DEV)
DEV > 0,5
Cronbachsches Alpha
Ȑ > 0,7
Höhere Korrelation der Indikatoren eines Konstrukts als mit Indikatoren anderer Konstrukte im Modell
DEV > quadrierte Korrelationen der latenten Variablen mit anderen latenten Variablen
Erklärungsgrad, wie gut ein Konstrukt durch die ihm zugeordneten Indikatorvariablen gemessen wird
Unterschiedlichkeitsgrad verschiedener Konstrukte in einem Modell
Abbildung 5-6: Vorgehen zur Gütebeurteilung des reflektiven Messmodells654
Die beschriebenen Gütemaße können bei formativen Messmodellen nicht gleichermaßen eingesetzt werden.655 Bei einem formativen Messmodell stellen die Indikatoren keine einzelnen Messungen des latenten Konstrukts, sondern unterschiedliche Faktoren dar, die das Konstrukt verursachen bzw. formen. Die Überprüfung der Konvergenzvalidität anhand der wechselseitigen Korrelation der einzelnen Indikatoren eines Konstrukts untereinander ist hier beispielsweise
651
Vgl. Bagozzi/Philips (1982, S. 449). Vgl. Chin (1998, S. 321). 653 Vgl. Fornell/Larcker (1981, S. 46). 654 In Anlehnung an Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 85). 655 Vgl. Diamantopoulos (1999, S. 453 f.). 652
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
160
ungeeignet. Denn die Indikatoren können miteinander korrelieren, müssen dies aufgrund ihrer getrennten ursächlichen Wirkung für das Konstrukt aber nicht zwingend.656 Aus eben diesem Grund ist auch die Diskriminanzvalidität als geeignetes Gütemaß ausgeschlossen.657 Ebenso widerspricht die Messung der Indikatorreliabilität anhand der Überprüfung der erklärten Indikatorvarianz durch das Konstrukt der Wirkungsrichtung im formativen Messmodell.
Wie später gezeigt wird ist die Gütebeurteilung formativer Messmodelle für die vorliegende Arbeit von geringer Bedeutung. Alle Konstrukte bis auf eines sind reflektiv operationalisiert und das verwendete formative Konstrukt ist eine einfache, aus zwei Indikatoren bestehende Strukturvariable. Eine ausreichende Güte kann dabei angenommen werden, wenn ein theoretisch begründeter Zusammenhang zwischen dem formativ operationalisierten Konstrukt und der abhängigen latenten Variablen empirisch bestätigt werden kann.658 Ähnlich wie bei der Forderung nach
einer
Mindesthöhe
der
Faktorladungen
im
reflektiven
Messmodell
kann
die
Indikatorreliabilität angenommen werden, wenn eine ausreichende Höhe der Gewichte der Indikatoren vorliegt.659 CHIN empfiehlt hier Pfadkoeffizienten ab 0,2 als ausreichend zu betrachten.660 Bei komplexeren formativen Indikatoren werden in der Literatur einige Methoden zur Überprüfung der Güte vorgeschlagen, wie zum Beispiel die Überprüfung der Multikollinearität anhand des Variance Inflation Factors (VIF)661 oder die Überprüfung der Validität durch parallele reflektive und formative Operationalisierung desselben Konstrukts.662 Auf eine ausführliche Darstellung dieser Methoden wird hier verzichtet und auf die entsprechende Literatur verwiesen.663 5.2.2 Die
Gütemaße zur Beurteilung des Strukturmodells Beurteilung
des
Strukturmodells
beinhaltet
eine
Untersuchung
der
einzelnen
Wirkungsbeziehungen im inneren Modell, das heißt des Erklärungsbeitrags der einzelnen unabhängigen Variablen und der Güte der Erklärung der abhängigen Variablen. Die Beurteilung des Strukturmodells umfasst die folgenden drei Schritte: 1.) Ausmaß und Signifikanz der
656 657 658 659 660 661 662 663
Vgl. Diamantopoulos/Winkelhofer (2001, S. 272). Vgl. Jarvis/Mackenzie/Podsakoff (2003, S. 202). Vgl. Fassott/Eggert (2005, S. 41). Vgl. Ringle (2004, S. 22). Vgl. Chin (1998, S. 324 f.) Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 90 f.). Dieses Vorgehen wird als MIMIC-Modell bezeichnet. Vgl. hierzu zum Beispiel Hauser/Goldberger (1971, S. 81 f.), Diamantopoulos/Winklhofer (2001, S. 272 f.). Für eine detaillierte Darstellung der Methoden zur Überprüfung der Güte formativer Messmodelle vgl. Diamantopoulos/Winklhofer (2001, S. 271 ff.), Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 76 ff.).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
161
Pfadkoeffizienten und 2.) Bestimmtheitsmaß sowie 3.) substanzieller Erklärungsbeitrag.664 Die Interpretation der Pfadkoeffizienten und des Bestimmheitsmaßes greifen dabei auf die Gütebeurteilung der klassischen Regression zurück.665 Die Überprüfung des Erklärungsbeitrags ist hingegen eine Weiterentwicklung, die der Besonderheiten des PLS-Ansatzes Rechnung trägt.
Zu 1.) Ausmaß und Signifikanz der Pfadkoeffizienten: Ausgangspunkt für die Beurteilung des Strukturmodells ist die Bewertung von Ausmaß und Signifikanz der einzelnen Pfadkoeffizienten, die den Wirkungszusammenhang zwischen unabhängiger und abhängiger Variable angeben.666 Die Pfadkoeffizienten können dabei analog zu den Regressionskoeffizienten einer multiplen linearen Regression interpretiert werden, bei der die latente endogene Variable den Regressand und die latente exogene Variable den Regressor darstellt. Der Pfadkoeffizient misst den marginalen Effekt der Änderung einer unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable und kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen.667 Dabei ist der Wirkungszusammenhang umso größer, je höher der Pfadkoeffizient ist. Die Signifikanz wird hier ebenso wie die Signifikanz der Pfadkoeffizienten im Messmodell anhand der t-Statistiken aus Resampling-Techniken wie Bootstrapping oder Jackknifing geprüft. Die Bewertung der Pfadkoeffizienten legt die Grundlage für die spätere Beurteilung der Hypothesen: "Pfade, die nicht signifikant sind oder ein der Hypothesengenerierung entgegengesetztes Vorzeichen aufweisen, widerlegen die entsprechend aufgestellten Hypothesen, während signifikante Pfade mit a priori postulierten Vorzeichen die angenommene Beziehung empirisch stützen."668 Handelt es sich wie in der vorliegenden Untersuchung bei den Indikatoren der exogenen Konstrukte um standardisierte manifeste Variablen, so können die Regressionskoeffizienten darüber hinaus miteinander verglichen und Rückschlüsse auf die Wichtigkeit der einzelnen exogenen Konstrukte gezogen werden.669
Zu 2.) Bestimmtheitsmaß: Neben den Pfadkoeffizienten stellt die Beurteilung des Bestimmtheitsmaßes R² der abhängigen Variablen einen zentraler Aspekt der Gütebeurteilung des Strukturmodells dar. Das Bestimmtheitsmaß wird ebenfalls anhand einer multiplen linearen Regression der Variablen berechnet und gibt an, welcher Anteil der Varianz des endogenen Konstrukts durch die exogenen Variablen erklärt wird. R² misst somit die Güte der Anpassung der 664
665 666 667 668 669
In einigen neueren Quellen wird zusätzlich die Prognoserelevanz anhand des Kriteriums Q2 des StoneGeisser-Tests berechnet (vgl. Geisser (1975), Stone (1975)). Die hier verwendete Software SmartPLS wird unterstützt dieses Gütemaß nicht. Vgl. zum Beispiel Backhaus/Erichson/Plinke (2003, S. 46 ff.). Vgl. Chin (1998, S. 316). Vgl. Backhaus/Plinke/Erichson/Weiber (2003, S. 61). Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 83 f.). Vgl. Backhaus/Plinke/Erichson/Weiber (2003, S. 61).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
162
Regressionsfunktion an die empirischen Daten. Dies wird auch als "goodness of fit" bezeichnet.670 Das Bestimmtheitsmaß kann Werte von 0 bis 1 annehmen, wobei ein hohes R² einen hohen Anteil erklärter Varianz an der Gesamtvarianz der abhängigen Variablen angibt. Eine allgemeingültige
Mindestanforderung
an
das
BACKHAUS/ERICHSON/PLINKE/WEBER nicht formuliert
Bestimmtheitsmaß werden.671
kann
nach
Nach einem von CHIN
formulierten Richtwert für seine PLS-Ergebnisse ist ein Bestimmtheitsmaß von 0,67 als "substanziell" zu bezeichnen, während Ergebnisse in Höhe von 0,33 und 0,19 als "durchschnittlich" bzw. "schwach" einzustufen sind.672
Zu 3.) Substanzieller Erklärungsbeitrag: Neben dem Bestimmtheitsmaß R² empfiehlt eine Reihe von Autoren die Änderung des R² bei eingeschlossener und eliminierter unabhängiger Variable zu berechnen.673 Der ermittelte Erklärungsbeitrag misst, ob die unabhängige Variable einen substanziellen Erklärungsbeitrag bezüglich der abhängigen Variablen liefert. Dies wird durch das Gütemaß der Effektstärke f² ausgedrückt:674 (5.18) Effektstärke f² =
2 2 Rincluded Rexcluded . 2 1 Rincluded
Ein Erklärungsbeitrag lässt sich nachweisen, wenn f² > 0 ist. Der Effekt ist umso substanzieller, desto größer das f² ist. Ein häufig zitierter Richtwert zur Effektstärke besagt, dass ein f² von 0,02, 0,15 und 0,35 auf einen "schwachen", "moderaten" oder "substanziellen" Einfluss der unabhängigen auf die abhängige latente Variable hindeutet.675
Das vorgestellte Vorgehen und die Gütemaße zur Beurteilung des Strukturmodells sind in Abbildung 5-7 zusammengefasst:
670 671 672
673 674 675
Vgl. Backhaus/Plinke/Erichson/Weiber (2003, S. 63). Vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber (2003, S. 96). Vgl. Chin (1998, S. 323); Ringle (2004, S. 15) beurteilt diese Richtwerte nach Sichtung einschlägiger Veröffentlichungen als "sehr gute Orientierung zur Beurteilung des Bestimmtheitsmaßes in Partial-LeastSqares-Modellen". Vgl. zum Beispiel Chin/Marcolin/Newsted (2003, S. 211), Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 84). Vgl. Cohen (1988, S. 410 ff.). Vgl. Cohen (1988, S. 410 ff.), Chin (1998, S. 316).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Gütearten
Ausmaß und Signifikanz der Pfadkoeffizienten
1.
163
Definition
Verwendete Gütemaße
Anspruchsniveau
Stärke der Wirkungsbeziehung
Pfadkoeffizienten
Interpretierbar wie Regressionskoeffizienten
Signifikanz der Wirkungsbeziehung
t-Statistik der Pfadkoeffizienten
Signifikanzniveau mind. 0,10
2.
Bestimmtheitsmaß
Anteil der erklärten Varianz der endogenen Variablen
Bestimmtheitsmaß R²
Kein definiertes Minimum, interpretierbar wie bei multipler Regression
3.
Substanzieller Erklärungsbeitrag
Substanzieller Einfluss der exogenen auf die endogenen Variablen
Effektgröße f²
f² > 0 Je höher f², desto höher der Einfluss
Abbildung 5-7: Vorgehen zur Gütebeurteilung des Strukturmodells676
5.2.3
Beurteilung mediierender Effekte im Strukturmodell
Am Anfang dieses Kapitel wurde in Abbildung 5-1 ein Strukturgleichungsmodell dargestellt. Dieses berücksichtigte nur einfache Wirkungszusammenhänge, bei denen unterstellt wurde, dass die unabhängige Variable nur unmittelbar und ohne weitere Einflüsse auf die abhängige Variable wirkt.
Komplexe
Kausalstrukturen
unterscheiden
sich
von
diesen
einfachen
Wirkungsbeziehungen jedoch häufig durch das Auftreten moderierender und mediierender Effekte, die in Abbildung 5-8 dargestellt sind: x
Moderierender Effekt: Die Wirkung der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable wird durch eine oder mehrere moderierende Variablen bestimmt. Die Moderatorvariable ist dabei ebenfalls eine unabhängige Variable, die Richtung und Stärke des Zusammenhangs der anderen Variablen beeinflusst.
x
Mediierender Effekt: Die Wirkung der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable wird durch eine oder mehrere Variablen teilweise oder vollständig vermittelt. Die Wirkung erfolgt somit indirekt über einen Mediator.
676
In Anlehnung an Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 85).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
164
Moderatorvariable Moderierender Effekt Unabhängige Variable
Abhängige Variable
Mediatorvariable Mediierender Effekt
a
Unabhängige Variable
b
c
Abhängige Variable
Abbildung 5-8: Moderierender und mediierender Wirkungszusammenhang677
In dem in dieser Arbeit untersuchten Wirkungsmodell treten mediierende Effekte auf, die im Folgenden nähere Betrachtung finden. Bezüglich der Untersuchung moderierender Effekte wird auf die entsprechende Literatur verwiesen.678
In vielen Strukturgleichungsmodellen werden mediierende Effekte unterstellt, ohne diese explizit zu testen.679 Daraus kann ein Validitätsdefizit des Gesamtmodells und der gewonnenen Erkenntnisse resultieren. Die am meisten beachtete Arbeit zum Test mediierender Effekte stammt von BARON/KENNY aus dem Bereich der sozial-psychologischen Forschung.680 Die Autoren schlagen darin ein dreistufiges Testverfahren zur Überprüfung des mediierenden Effekts vor, dem jedoch in der neueren Literatur die Anwendung des umfassenderen Sobel-Tests681
677
Eigene Darstellung. Für eine detaillierte Betrachtung der Untersuchung moderierender Effekte vgl. Chin/Marcolin/Newsted (2003, S. 193 ff.), Götz/Liehr-Gobbers (2004, S. 724 ff.). 679 Vgl. Eggert/Fassott/Helm (2005, S. 101). 680 Vgl. Baron/Kenny (1986). 681 Vgl. Sobel (1982). 678
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
165
vorgezogen wird.682 EGGERT/FASSOTT/HELM empfehlen diesen Test auch für die Überprüfung mediierender Effekte in PLS-Modellen.683 Der von SOBEL eingeführte Test überprüft die Signifikanz des indirekten Effektes a x b anhand der Testgröße z, welche unter Berücksichtigung der Pfadkoeffizienten a und b sowie der entsprechenden Standardabweichungen für a und b berechnet wird (die Pfadbezeichnungen beziehen sich auf die Notation in Abbildung 5-8). Die Formel hierzu lautet:684
(5.19) Sobel-Test:
z=
aub b 2 u s a2 a 2 u s 2b
.
Die Deutung des z-Werts entspricht jener der t-Statistik. Ist beispielsweise der z-Wert größer als 1,61, so kann auf dem Signifikanzniveau p < 0,10 oder mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von unter 10 Prozent die Nullhypothese verworfen werden, nach der kein indirekter Effekt besteht (a x b = 0) bzw. er vernachlässigbar klein ist. Die Berechnung des Gesamteffekts erfolgt anschließend durch Summieren des signifikanten direkten Effekts und der signifikanten indirekten Effekte: 685
(5.20) Gesamteffekt
= (c + a x b).
5.3 Empirische Ergebnisse 5.3.1
Berechnung und Überprüfung des Modells anhand des PLS-Ansatzes
Zur Schätzung und Überprüfung des Kausalmodells anhand des PLS-Ansatzes wurde die Software SmartPLS (Version 1.1) verwendet.686 Diese deutschsprachige Software der Universität Hamburg weist in der Anwendung deutliche Vorteile gegenüber der im englischsprachigen Raum am weitesten verbreiteten Software PLS-Graph687 auf. Für den Einsatz von SmartPLS sprechen die Möglichkeit Modellschätzung und Güteprüfung in einem Schritt durchzuführen, die übersichtliche Darstellung der Ergebnisse, die sich zur Weiterbearbeitung
682 683 684 685 686
687
Vgl. zum Beispiel Preacher/Hayes (2004, S. 719), Venkatraman (1989, S. 430). Vgl. Eggert/Fassott/Helm (2005, S. 105 f.). Vgl. Sobel (1982). Vgl. Schewe (1993, S. 1011), Venkatraman (1989, S. 430). Vgl. Hansmann/Ringle (2004). Die Software steht unter www.smartpls.de zum Download zur Verfügung. Folgende Einstellungen wurden bei der Berechnung vorgenommen: Gewichtungsschema: Vorzeichengewichtung ("Centroid Weighting Scheme"), Maximale Anzahl Iterationen: 500, Konvergenzkriterium 0,001, Bootstrapping: 100, Ziehungen mit 100 Fällen ohne "Vorabbehandlung" (keine Angleichung von Vorzeichenunterschieden im Messmodell vor Berechnung des Strukturmodells). Vgl. Chin (2001).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
166
einfach in Microsoft Excel überführen lassen, und vor allem die benutzerfreundliche grafische Oberfläche zur Erstellung und Bearbeitung des Modells, die für das verwendete Modell in Abbildung 5-9 dargestellt ist.
Abbildung 5-9: Darstellung des überprüften Pfadmodells in SmartPLS688
Bei der Berechnung des inneren Modells wurde die Vorzeichengewichtung ("Centroid Weighting Scheme") verwendet.
Die Rohdatenmatrix wurde vor der PLS-Schätzung, wie von CHIN/MARCOLIN/NEWSTED empfohlen, mit einem Durchschnitt von 0 und einer Standardabweichung von 1 standardisiert.689 Der Zusatz "Z" am Anfang der Indikatorbezeichnungen in Abbildung 5-9 zeigt an, dass es sich um standardisierte Variablen handelt.
688 689
Eigene Darstellung. Vgl. Chin/Marcolin/Newsted (2003, S. 199).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse 5.3.2
167
Beurteilung des Messmodells
Die Beurteilung der Güte der Messmodelle erfolgt entlang dem in Kapitel 5.2.1 dargestellten Vorgehen in drei Schritten: 1.) Überprüfung der Indikatorreliabilität, 2.) Überprüfung der Konvergenzvalidität und der 3.) Überprüfung der Diskriminanzvalidität.
Für die Überprüfung der Messmodelle ist vorab zu klären, ob diese reflektiv oder formativ operationalisiert wurden. Von den elf im Modell verwendeten Konstrukten sind zwei Einfaktormessungen ("single-item measurement"), für die weder eine Differenzierung zwischen reflektiv und formativ besteht noch eine Güteprüfung auf Ebene des Messmodells erfolgt. Von den verbleibenden neun Konstrukten, die mit mindestens zwei Indikatoren gemessen wurden, sind bis auf das Konstrukt "Verhandlungsmacht" alle reflektiv formuliert. Die Indikatoren sind hier Repräsentanten der latenten Variablen, die sich bei einer Veränderung der latenten Variablen ebenfalls ändern.690 Dies lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Die vier Indikatoren "Einfluss
der
Lieferantenleistung
auf
die
Konditionsvereinbarungen",
"Intensität
der
leistungsgebundenen Sanktionen", "Intensität des Lieferantencontrollings" und "Detaillierung der Verträge" messen jeweils, wie ausgeprägt das Konstrukt "Formelle Governance" ist. Es ist zu erwarten, dass ein Händler mit relativ strengen Governance-Strukturen starke Ausprägungen bei all diesen Indikatoren zeigt, also beispielsweise sowohl intensives Lieferantencontrolling betreibt als auch intensiv Sanktionen einsetzt. Von den einzelnen Indikatoren des reflektiven Messmodells wird deshalb eine starke inhaltliche Beziehung und die Messung des gleichen Sachverhalts erwartet.691 Dies wird im Folgenden durch das in Kapitel 5.2.1 vorgestellte Verfahren zur Gütebeurteilung überprüft.
Die latente Variable "Verhandlungsmacht" ist als einzige im Modell formativ formuliert. Hier sind die beiden Indikatoren "Umsatz" und "Machtgefälle in Supply-Chain-Verhandlungen" nicht repräsentative
Messungen
des
Konstrukts
"Verhandlungsmacht",
sondern
begründende
Einflussfaktoren.692 So führt beispielsweise mehr Umsatz zu einer höheren Verhandlungsmacht eine höhere Macht aber nicht zwangsläufig zu mehr Umsatz. Für das Konstrukt "Verhandlungsmacht" kommt das dargestellte Schema zur Güteprüfung deshalb nicht zum Einsatz. Stattdessen wird aufgrund von ausreichenden Indikatorgewichten und theoretisch
690
Vgl. Jarvis/Mackenzie/Podsakoff (2003, S. 201 f.). Vgl. Fassott/Eggert (2005, S. 37). 692 Vgl. Diamantopoulos/Winkelhofer (2001, S. 269). 691
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
168
formulierten und empirisch überprüften Wirkungsbeziehungen auf die Güte des Messmodells geschlossen.693
Zu 1.) Überprüfung der Indikatorreliabilität: Die Überprüfung der Indikatorreliabilität erfolgt anhand der Höhe der Faktorladung der einzelnen Indikatoren. Dabei liegt eine ausreichende Reliabilität ab 0,7 vor, und ein Ausschluss des Indikators erfolgt bei Ladungen von weniger als 0,4. Für das formative Messmodell wird das Gewicht der Indikatoren überprüft. Dies muss mindestens 0,2 betragen. Im gleichen Schritt erfolgt die Überprüfung der Signifikanz der Pfadkoeffizienten. Hierzu wurden mittels der Resampling-Technik des Bootstrappings die tStatistiken ermittelt. Die Höhe der Faktorladungen/-gewichte, die T-Werte und das sich daraus ergebende Signifikanzniveau sind in Tabelle 5-2 (reflektive Messmodelle) und in Tabelle 5-3 (formatives Messmodell) dargestellt.
693
Vgl. die Ausführungen zur Güteprüfung formativer Messmodelle in Kapitel 5.2.1 und bei Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 76 ff.).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
Konstrukt
Signifikanz T-Wert -Niveau Formelle Governance 0,129 0,37 n.s. LISANK LICON 0,831 11,24 *** LIKOND 0,768 12,34 *** LIVGE 0,674 9,75 *** Kooperationsspezifische KOINIT 0,916 73,46 *** Faktoren KOITIN 0,903 62,30 *** KOMA 0,836 28,20 *** Transparenz LIINF 0,846 35,51 *** LIINFR 0,869 35,10 *** LILOG 0,661 7,72 *** Soziales Netzwerk HAVERT 0,687 4,85 *** PERSK 0,770 9,53 *** LIVERT 0,858 12,70 *** Kooperationskompetenz ITDATA 0,699 7,23 *** KOMPA 0,641 5,31 *** KOMPM 0,767 10,52 *** WISSM 0,867 32,77 *** Komplementäre Kompetenzen LIDAT 0,121 1,86 ** LIKHTR 0,986 0,67 n.s. LIKOMP 0,316 2,51 *** 12,95 *** KOKPI 0,734 Kooperation durch KOTMGM 0,771 13,05 *** Informationsaustausch EDIORLI 0,547 6,47 *** KOOPER 0,781 20,62 *** 7,89 *** 0,604 Kooperation durch gemeinsame BVMIA05 BCPFRA05 0,757 15,08 *** Prozesse LIPLAN 0,854 17,41 *** Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant Tabelle 5-2:
Konstrukt
Indikator
169
Faktorladung
Indikatorreliabilität und -signifikanz der reflektiven Messmodelle
Signifikanz T-Wert -Niveau Verhandlungsmacht SCMMACH 0,518 2,87 *** UMS03 0,728 5,13 *** Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant Tabelle 5-3:
Indikator
Gewicht
Indikatorreliabilität und –Signifikanz des formativen Messmodells
Abgesehen von dem Indikator LISANK ("Intensität der leistungsgebundenen Sanktionen") und den Indikatoren des Konstrukts "Komplementäre Kompetenzen" verfügen alle Indikatoren über eine ausreichende Indikatorreliabilität und eine ausreichende Signifikanz der Pfadkoeffizienten im Messmodell. Der Indikator LISANK wird aufgrund seiner geringen und nicht signifikanten
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
170
Faktorladung aus dem Modell ausgeschlossen. Im Konstrukt "Komplementäre Kompetenzen" weisen zwei der drei Indikatoren eine Faktorladung 0,6)
Interne Konsistenz (>0,7)
Durchschnittlich erklärte Varianz (>0,5)
Formelle Governance
0,676
0,811
0,589
Kooperationsspezifische Faktoren
0,888
0,916
0,784
Transparenz
0,766
0,838
0,636
Soziales Netzwerk
0,743
0,822
0,608
Kooperations-Kompetenz
0,731
0,835
0,562
Komplementäre Kompetenzen
0,506
0,665
0,449
Kooperation durch Informationsaustausch
0,748
0,807
0,514
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
0,583
0,790
0,561
Tabelle 5-4:
Konvergenzvalidität der Messmodelle
Wie die Tabelle zeigt, weist das Konstrukt "Komplementäre Kompetenzen" keine ausreichende Konvergenzvalidität auf, da alle drei Gütemaße verfehlt werden. Bei der "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" wird das geforderte Cronbachsche Alpha zwar knapp verfehlt, die interne Konsistenz und die DEV sind jedoch ausreichend. Aufgrund der in Kapitel 5.2.1 dargestellten Vorteile der internen Konsistenz gegenüber dem Cronbachschen Alpha ist dieser ein höheres Gewicht zuzumessen694 und die Konvergenzvalidität kann hier ebenso wie bei den übrigen Konstrukten als gegeben angesehen werden.
Zu 3.) Überprüfung der Diskriminanzvalidität: Die Überprüfung der Unterschiedlichkeit der Messung der einzelnen Konstrukte erfolgt anhand des Fornell-Larcker-Kriteriums. Demnach muss die DEV größer sein als die maximale quadrierte Korrelation mit den übrigen Konstrukten im
694
Vgl. Krafft/Götz/Liehr-Gobbers (2005, S. 74).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
171
Modell. Beide Werte sind in Tabelle 5-5 dargestellt und die Konstrukte erfüllen das Kriterium wenn der Wert der rechten größer ist als jener der linken Spalte.
Konstrukt
Formelle Governance
Max. quadrierte Korrelation
Durchschnittlich erklärte Varianz
0,508
0,589
Kooperationsspezifische Faktoren
0,581
0,784
Transparenz
0,581
0,636
Soziales Netzwerk
0,524
0,608
Kooperationskompetenz
0,486
0,562
Komplementäre Kompetenzen
0,087
0,449
Kooperation durch Informationsaustausch
0,486
0,514
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
0,476
0,561
Tabelle 5-5:
Diskriminanzvalidität der Messmodelle695
Bei allen Konstrukten ist die DEV größer als die maximale quadrierte Korrelation mit einer anderen latenten Variablen und es kann daher eine ausreichende Unterschiedlichkeit der einzelnen Konstrukte angenommen werden.
Um eine ausreichende Unterschiedlichkeit sicherzustellen, darf die Korrelation der einzelnen Konstrukte nicht zu hoch sein. Dies wurde in Tabelle 5-5 geprüft. Eine zu niedrige Korrelation der Konstrukte untereinander ist jedoch ebenfalls unerwünscht und kann darauf hinweisen, dass das Konstrukt den untersuchten Sachverhalt unzureichend erklärt oder fehlerhaft operationalisiert wurde. Die maximale quadrierte Korrelation und vor allem die Überprüfung der Korrelationsmatrix zeigt, dass für das Konstrukt "Komplementäre Kompetenzen" zwar Diskriminanzvalidität vorliegt, es aber gleichzeitig nur sehr geringe Korrelationen mit allen übrigen unabhängigen und abhängigen Variablen aufweist und deshalb auch hier die Güte dieses Konstrukts angezweifelt werden kann.
Basierend auf der Güteprüfung der Messmodelle erscheint daher der Ausschluss des Konstrukts "Komplementäre Kompetenzen" aus dem Wirkungsmodell notwendig. Zwei von drei Indikatoren weisen bei diesem Konstrukt eine unzureichende Indikatorreliabilität auf, der dritte Indikator ist nicht signifikant, die Konvergenzvalidität ist nicht gegeben und die sehr niedrige Korrelation mit
695
Eine vollständige Übersicht der quadrierten Korrelationen der Konstrukte befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
172
den übrigen Konstrukten weist auf fehlende Zusammenhänge hin. Das Konstrukt scheint somit unpassend operationalisiert worden zu sein und wird daher in der folgende Berechnung und Überprüfung des Strukturmodells nicht weiter berücksichtigt. Die Hypothesen hinsichtlich des Einflusses des Zugangs zu komplementären Kompetenzen auf die Intensität der Kooperation (H6A und H6B) sowie auf den Supply-Chain-Erfolg (H6C) können somit nicht überprüft werden. 5.3.3
Beurteilung des Strukturmodells
Die Beurteilung des Strukturmodells erfolgt entlang dem in Kapitel 5.2.2 dargestellten Vorgehen in drei Schritten: 1.) Überprüfung von Ausmaß und Signifikanz der Pfadkoeffizienten, 2.) Überprüfung des Bestimmtheitsmaßes und 3.) Überprüfung des substanziellen Erklärungsbeitrags.
Zu 1.) Überprüfung von Ausmaß und Signifikanz der Pfadkoeffizienten: Tabelle 5-6 stellt für die Kooperationsintensität die vermutete Wirkungsrichtung, das Ausmaß der direkten Wirkung und deren Signifikanz dar. Wichtig ist hier darauf hinzuweisen, dass es sich dabei nur um die direkten Pfade im Wirkungsmodell handelt. Die abschließende Beurteilung der hypotetischen Wirkungszusammenhänge erfolgt später auf Grundlage der Summe aus direkten und indirekten Effekten.
Wie
die
Ergebnisse
zeigen,
haben
sowohl
die
"Kooperation
durch
Informationsaustausch" als auch die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" einen signifikanten direkten Einfluss auf den Supply-Chain-Erfolg. Die Wirkung des Konstrukts "Kooperation durch Informationsaustausch" mit einem Pfadkoeffizient von 0,481 ist deutlich positiv und bestätigt damit die vermutete Wirkungsrichtung. Für das Konstrukt "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" konnte keine theoretisch basierte Wirkungsrichtung vermutet werden.696 Die Effizienzvorteile gemeinsamer Prozesse sprechen für eine höhere Supply-ChainLeistung und damit für eine positive Wirkungsrichtung. Gleichzeitig sind die gemeinsamen Prozesse meist mit hohen Kosten verbunden, die einen negativen Einfluss auf den Supply-ChainErfolg haben. Die empirischen Ergebnisse bestätigen letztere Vermutung, da das Konstrukt mit einem Pfadkoeffizienten von -0,683 eine stark negative Wirkung auf den Erfolg hat. Die "Kooperation durch Informationsaustausch" weist zudem einen signifikanten und deutlich positiven Effekt auf die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" auf.
696
Vgl. Abschnitt 3.1.5.4.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Wirkung von ... (unabhängiges Konstrukt) Kooperation durch Informationsaustausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse
... auf (abhängiges Konstrukt) Supply-ChainErfolg
173
Signifikanz Vermutete PfadWirkung koeffizient T-Wert -Niveau +
0,481
3,22
***
1)
-0,683
5,07
***
5,14
***
Kooperation durch + 0,416 gemeinsame Prozesse Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant 1) Keine Wirkungsrichtung vermutet Kooperation durch Informationsaustausch
Tabelle 5-6:
Pfadkoeffizienten und Signifikanz der Kooperationsintensität
Tabelle 5-7 zeigt die direkte Wirkung der Einflussfaktoren auf die Kooperationsintensität und den Supply-Chain-Erfolg. Insgesamt erweisen sich 11 der 21 betrachteten Pfade als signifikant mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von unter 10 Prozent. Auf die Interpretation der einzelnen Pfadkoeffizienten wird an dieser Stelle verzichtet und auf die Beurteilung der Gesamteffekte in Abschnitt 5.4 verwiesen.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
174
Wirkung von ... ... auf Signifikanz (unabhängiges (abhängiges Vermutete PfadKonstrukt) Konstrukt) Wirkung koeffizient T-Wert -Niveau Formelle Governance + -0,087 0,90 n.s. Kooperationsspezifische Faktoren + 0,234 1,83 ** Kooperation Transparenz + 0,035 0,40 n.s. durch Soziales Netzwerk + 0,256 1,72 ** InformationsKooperationskompetenz + 0,373 3,16 *** austausch Verhandlungsmacht + 0,290 3,33 *** Sortimentskomplexität + -0,024 0,37 n.s. Formelle Governance + 0,163 1,42 * Kooperationsspezifische Faktoren + 0,037 0,38 n.s. Kooperation Transparenz + 0,151 1,31 * durch Soziales Netzwerk + -0,040 0,59 n.s. gemeinsame Kooperationskompetenz + 0,074 1,15 n.s. Prozesse Verhandlungsmacht + 0,027 0,26 n.s. Sortimentskomplexität + 0,220 2,69 *** Formelle Governance + 0,254 1,58 * Kooperationsspezifische Faktoren 1) -0,600 3,62 *** Transparenz + 0,500 2,14 ** Supply-ChainSoziales Netzwerk + -0,175 0,52 n.s. Erfolg Kooperationskompetenz + 0,246 1,57 * Verhandlungsmacht + -0,037 0,14 n.s. Sortimentskomplexität -0,094 0,82 n.s. Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant 1) Keine Wirkungsrichtung vermutet Tabelle 5-7:
Pfadkoeffizienten und Signifikanz der Einflussfaktoren
Zu 2.) Überprüfung des Bestimmtheitsmaßes R²: Die in Tabelle 5-8 dargestellten Bestimmtheitsmaße sind bei allen drei abhängigen Variablen sehr hoch. Das Modell erklärt 67 Prozent der Varianz der "Kooperation durch Informationsaustausch", 69 Prozent der Varianz der "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" und 42 Prozent der Varianz des Supply-ChainErfolgs. Die unabhängigen Variablen können somit gut durch das überprüfte Wirkungsmodell erklärt werden. Bei Anwendung der von CHIN aufgestellten Richtwerte zur Bewertung des Bestimmtheitsmaßes von PLS-Modellen ist das R² der beiden Konstrukte zur Intensität der Kooperation als "substanziell" und jenes des Erfolgs als "durchschnittlich" zu bewerten.697
697
Vgl. Chin (1998, S. 323).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
Abhängiges Konstrukt
175
R²
Kooperation durch Informationsaustausch
0,667
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
0,694
Supply-Chain-Erfolg
0,417
Tabelle 5-8:
Bestimmtheitsmaße der abhängigen Konstrukte
Zu 3.) Überprüfung des substanziellen Erklärungsbeitrags: Um zu überprüfen, ob die einzelnen unabhängigen Variablen einen substanziellen Erklärungsbeitrag bezüglich der Varianz der drei abhängigen Variablen leisten, erfolgt die Berechnung der Bestimmtheitsmaße unter Einbeziehung und Ausschluss der einzelnen unabhängigen Variablen. Der Erklärungsbeitrag wird durch die in Tabelle 5-9 aufgeführte Effektgröße f² überprüft (mindestens >0, je höher, desto größer der Erklärungsbeitrag). Die Tabelle gibt für jede unabhängige Variable (Zeilen) die Effektgröße der Wirkung auf jede der drei abhängigen Variablen (Spalten) an.
Abhängiges Konstrukt/ f²
Unabhängiges Konstrukt
Formelle Governance
Kooperation durch Kooperation durch Supply-ChainInformationsaustausch gemeinsame Prozesse Erfolg 0,027 0,020 0,033
Kooperationsspezifische Faktoren
0,066
-0,007
Transparenz
0,006
0,013
0,173 0,094
Soziales Netzwerk
0,066
0,010
0,002 0,039
Kooperationskompetenz
0,153
0,016
Verhandlungsmacht
0,147
0,007
0,003
Sortimentskomplexität
0,000
0,072
-0,003
Kooperation durch Informationsaustausch
-
0,176
0,065
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
-
-
0,206
Tabelle 5-9:
Überprüfung des substanziellen Erklärungsbeitrags
Abgesehen von den Wirkungen der Konstrukte "kooperationsspezifische Faktoren" auf die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" und "Sortimentskomplexität" auf den Supply-ChainErfolg zeigen alle unabhängigen Variablen einen positiven Erklärungsbeitrag. Den beiden Pfaden, die hier das Gütemaß verletzen, konnte bereits zuvor keine signifikante direkte Wirkung nachgewiesen werden. Bei Anwendung der von CHIN formulierten Regel, dass ein f² von 0,02, 0,15 und 0,35 einen schwachen, moderaten oder substanziellen Einfluss ausdrückt,698 kann
698
Vgl. Chin (1998, S. 316).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
176
keinem der Konstrukte ein substanzieller Erklärungsbeitrag zugemessen werden. Diese Regel trifft dabei jedoch lediglich eine Aussage über den absoluten Erklärungsbeitrag eines unabhängigen Konstrukts im Wirkungsmodell. Die Anzahl der unabhängigen Konstrukte wird von CHIN nicht berücksichtigt. Bei Modellen mit einer größeren Anzahl unabhängiger Konstrukte, denen jeweils auf Basis der Theorie ein Erklärungsbeitrag unterstellt ist, erscheint die Regel daher als sehr streng. Ein relativ großer bzw. gemäß der Terminologie von CHIN ein moderater Erklärungsbeitrag wird im vorliegenden Modell den Effekten von "Kooperation durch Informationsaustausch" auf die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" sowie den Erfolg von "Kooperationskompetenz"
und
"Verhandlungsmacht"
auf
die
"Kooperation
durch
Informationsaustausch" und von "Kooperationsspezifischen Faktoren" auf den Supply-ChainErfolg zugesprochen.
Die Ergebnisse der Überprüfung des PLS-Pfadmodells sind in Abbildung 5-10 als bewertetes Wirkungsmodell dargestellt, wobei zur Übersichtlichkeit nur die signifikanten Pfade eingezeichnet sind.
699
Eigene Darstellung.
Abbildung 5-10: Wirkungsmodell mit signifikanten Pfaden699
0,22***
Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01
Sortimentskomplexität
0,23*
*
** 26 0,
0,25*
0,50* *
***
0,2 5* -0,6 0
0,3 0,2 7** 9* * **
0,1
Verhandlungsmacht
KooperationsKompetenz
Soziales Netzwerk
Transparenz
Kooperationsspezifische Faktoren
Formelle Governance
Kooperation durch Gemeinsame Prozesse
0,41***
Kooperation durch Informationsaustausch
R² = 0,63
-0,68***
R² = 0,41
Supply-Chain-Erfolg
0,48***
R² = 0,67
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse 177
6*
5* 0,1
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
178 5.3.4
Berechnung mediierender Effekte
Aus dem theoretisch abgeleiteten Wirkungsmodell ergeben sich eine Reihe mediierender oder indirekter Wirkungszusammenhänge. Diese werden im Folgenden auf ihre Signifikanz überprüft um anschließend aus der Summe der signifikanten direkten und indirekten Effekte den Gesamteffekt zu berechnen.
Gesamtmodell
1. mediierender Effekt
Formelle Governance
Kooperationsspezifische Faktoren
Formelle Governance
Kooperation durch Informationsaustausch
Kooperationsspezifische Faktoren
2. mediierender Effekt Formelle Governance
Kooperation durch Informationsaustausch
Kooperationsspezifische Faktoren
Kooperation durch Informationsaustausch
Transparenz Transparenz
Soziales Netzwerk
Soziales Netzwerk
Kooperationskompetenz
Verhandlungsmacht
Transparenz
Supply-Chain-Erfolg Supply-Chain-Erfolg
Kooperationskompetenz
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Verhandlungsmacht
Soziales Netzwerk
Supply-Chain-Erfolg
Kooperationskompetenz
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Verhandlungsmacht
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Sortimentskomplexität Sortimentskomplexität
3. mediierender Effekt
Kooperation durch Informationsaustausch
Kooperationsspezifische Faktoren
Soziales Netzwerk
Supply-Chain-Erfolg
Kooperation durch Informationsaustausch
Soziales Netzwerk
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Sortimentskomplexität
Verhandlungsmacht
Kooperationsspezifische Faktoren
Kooperation durch Informationsaustausch
Transparenz
Supply-Chain-Erfolg
Kooperationskompetenz
Kooperationskompetenz
5. mediierender Effekt Formelle Governance
Transparenz
Transparenz
Verhandlungsmacht
4. mediierender Effekt Formelle Governance
Formelle Governance
Kooperationsspezifische Faktoren
Sortimentskomplexität
Soziales Netzwerk
Supply-Chain-Erfolg
Kooperationskompetenz
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Sortimentskomplexität
Verhandlungsmacht
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Sortimentskomplexität
Abbildung 5-11: Mediierende Effekte im Wirkungsmodell700
Das in Kapitel 3 abgeleitete Gesamtmodell umfasst fünf mögliche mediierende Effekte. Diese sind in Abbildung 5-11 zusammengefasst und beinhalten die: 1. Wirkung der "Kooperation durch Informationsaustausch" über die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" auf den Supply-Chain-Erfolg 2. Wirkung der Einflussfaktoren über die "Kooperation durch Informationsaustausch" auf den Supply-Chain-Erfolg 3. Wirkung der Einflussfaktoren über die "Kooperation durch gemeinsam Prozesse" auf den Erfolg
700
Eigene Darstellung.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
179
4. Wirkung der Einflussfaktoren über die "Kooperation durch Informationsaustausch" auf die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" 5. Wirkung der Einflussfaktoren über die "Kooperation durch Informationsaustausch" und die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" auf den Supply-Chain-Erfolg.
Tabelle 5-10 zeigt für die mediierenden Effekte 1 bis 4 den Wirkungspfad (unabhängiges, mediierendes, abhängiges Konstrukt) und den Pfadkoeffizienten der indirekten Wirkung, der sich aus der Multiplikation der beiden direkten Pfadkoeffizienten berechnet. Zusätzlich erfolgt in den beiden rechten Spalten die Überprüfung der Signifikanz der mediierenden Effekte. Hierzu werden wie in Abschnitt 5.2.3 dargestellt der im Rahmen des Sobel-Tests berechnete z-Werte sowie das ermittelte Signifikanzniveau des indirekten Effekts dargestellt.
Wirkung von ... (unabhängiges Effekt Konstrukt) 1
2
Kooperation durch Informationsaustausch
Supply-ChainErfolg
Signifikanz PfadVermutete Wirkung koeffizient Z-Wert -Niveau +
-0,284
3,47
***
+
-0,042
0,91
n.s.
Kooperationsspezifische Faktoren
1)
0,113
1,45
*
Transparenz
+
0,017
0,29
n.s.
+
0,123
1,58
*
+
0,179
2,37
***
Soziales Netzwerk
Kooperation durch Informationsaustausch
Supply-ChainErfolg
Verhandlungsmacht
+
0,139
2,34
**
Sortimentskomplexität
-
-0,012
0,25
n.s.
Formelle Governance
+
-0,111
1,33
*
Kooperationsspezifische Faktoren
1)
-0,025
0,36
n.s.
+
-0,103
1,09
n.s.
+
0,027
0,32
n.s.
+
-0,051
0,99
n.s.
Verhandlungsmacht
+
-0,018
0,32
n.s.
Sortimentskomplexität
-
-0,150
2,41
***
Formelle Governance
+
-0,036
0,93
n.s.
Kooperationsspezifische Faktoren
+
0,097
1,54
*
+
0,015
0,29
n.s.
+
0,106
1,70
**
+
0,155
2,84
***
Transparenz Soziales Netzwerk Kooperationskompetenz
Transparenz 4
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
... auf (abhängiges Konstrukt)
Formelle Governance
Kooperationskompetenz
3
... über ... (mediierendes Konstrukt)
Soziales Netzwerk Kooperationskompetenz
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Kooperation durch Informationsaustausch
Supply-ChainErfolg
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Verhandlungsmacht
+
0,121
2,80
***
Sortimentskomplexität
+
-0,010
0,25
n.s.
Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant 1) Keine Wirkungsrichtung vermutet
Tabelle 5-10:
Signifikanz der mediierenden Effekte 1 bis 4
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
180
Bei dem 5. mediierende Effekt erfolgt die Wirkung der Einflussfaktoren auf den Erfolg über zwei Mediatoren. Der Sobel-Test kann hingegen nur für die Wirkung über einen Mediator angewendet werden.701 Hier erfolgt deshalb eine Zerlegung dieses "zweistufigen mediierenden Effekts" in zwei separate Effekte. Zu Grunde liegt die Annahme, dass der gesamte mediierende Effekt signifikant ist, wenn dies auf die beiden einzelnen mediierenden Effekte ebenfalls zutrifft. Das in Abbildung 5-12 dargestellte Beispiel verdeutlicht dies: Der indirekte Effekt von "Formeller Governance" (A) über "Kooperation durch Informationsaustausch" (B) und "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" (C) auf den Erfolg (D) wird als signifikant angenommen, wenn sowohl der indirekte Effekt von A auf C (4. mediierender Effekt) als auch jener von B auf D (1. mediierender Effekt) signifikant sind.
5. mediierender Effekt
Signifikanztest
A Formelle Governance
Kooperationsspezifische Faktoren
B Kooperation durch Informationsaustausch
Annahme: AĺBĺCĺD (Effekt 5) ist signifikant, wenn
Transparenz
D Soziales Netzwerk
Kooperationskompetenz
Verhandlungsmacht
Supply-Chain-Erfolg
AĺBĺC (Effekt 4) und
C Kooperation durch gemeinsame Prozesse
BĺCĺD (Effekt 1)
signifikant sind.
Sortimentskomplexität
Abbildung 5-12: Signifikanztest des "zweistufig mediierenden Effekts"702
Pfadkoeffizient des 5. mediierenden Effekts und Signifikanzniveau der Effekte 1 und 4 sind in Tabelle 5-11 dargestellt. Vier der sieben "zweistufig mediierenden Effekte" sind signifikant, die Pfadkoeffizienten sind jedoch erwartungsgemäß gering.
701 702
Vgl. Sobel (1982). Eigene Darstellung.
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse Wirkung von ... (unabhängiges Effekt Konstrukt)
... über ... (mediierendes Konstrukt)
Formelle Governance Kooperationsspezifische Faktoren Transparenz 5
... auf (abhängiges Konstrukt)
Signifikanzniveau Vermutete PfadWirkung koeffizient Effekt 1 Effekt 4
Kooperation durch Informationsaustausch Supply-ChainErfolg
Soziales Netzwerk
+
Kooperationskompetenz
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Verhandlungsmacht
181
Sortimentskomplexität
+
0,025
***
1)
-0,066
***
*
+
-0,010
***
n.s.
+
-0,073
***
**
+
-0,106
***
***
+
-0,082
***
***
-
0,007
***
n.s.
n.s.
Signifikanzniveau: *p < 0,10; **p < 0,05; ***p < 0,01; n.s. = nicht signifikant 1) Keine Wirkungsrichtung vermutet
Tabelle 5-11:
Signifikanz des 5. mediierenden Effekts
Abschließend erfolgt die Berechnung der Gesamteffekte im Wirkungsmodell. Hierzu werden in Tabelle 5-12 die signifikanten direkten Effekte (Pfadkoeffizienten im Wirkungsmodell) und die signifikanten indirekten Effekte summiert.
Wirkung von ... (unabhängiges Konstrukt) Kooperation durch Informationsaustausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse
... auf (abhängiges Konstrukt)
Kooperation durch Informationsaustausch Formelle Governance Kooperationsspezifische Faktoren Transparenz Soziales Netzwerk Kooperationskompetenz Verhandlungsmacht Sortimentskomplexität Formelle Governance Kooperationsspezifische Faktoren Transparenz Soziales Netzwerk Kooperationskompetenz Verhandlungsmacht Sortimentskomplexität Formelle Governance Kooperationsspezifische Faktoren Transparenz Soziales Netzwerk Kooperationskompetenz Verhandlungsmacht Sortimentskomplexität 1) Keine Wirkungsrichtung vermutet
Tabelle 5-12:
Supply-ChainErfolg Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Kooperation durch Informationsaustausch
Signifikante indirekte Effekte Vermutete Direkter GesamtWirkung Effekt Effekt 1 Effekt 2 Effekt 3 Effekt 4 Effekt 5 effekt +
0,481
-0,284
-
-
-
-
0,197
1)
-0,683
-
-
-
-
-
-0,683
+
0,416
-
-
-
-
-
0,416
+
0,234 0,256 0,373 0,290 0,163 0,151 0,220 0,254 -0,600 0,500 0,246 -
-
0,113 0,123 0,179 0,139 -
-0,111 -0,150
0,097 0,106 0,155 0,121 -
-0,066 -0,073 -0,106 -0,082 -
0,234 0,256 0,373 0,290 0,163 0,097 0,151 0,106 0,155 0,121 0,220 0,143 -0,554 0,500 0,050 0,319 0,057 -0,150
+ + + + + +
+ Kooperation durch gemeinsame Prozesse
+ + + + + +
+ 1)
Supply-ChainErfolg
+ + + + -
Berechnung der Gesamteffekte aus direkten und indirekten Effekten
182
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
5.4 Bewertung der Hypothesen Die Bewertung der in Kapitel 4 formulierten Hypothesen erfolgt anhand der Signifikanz und der Wirkungsrichtung der Gesamteffekte im Strukturmodell. Die formulierten Hypothesen zur Wirkung der Kooperation (HBASIS1, HBASIS2, HK) und der Einflussfaktoren (H1 - H8) sind dabei als Alternativhypothesen zur Nullhypothese (H0) zu verstehen.703 Die Nullhypothese nimmt an, dass für das jeweilige Konstrukt kein Wirkungszusammenhang mit der Kooperationsintensität oder dem Supply-Chain-Erfolg besteht. Die Nullhypothese kann verworfen werden, wenn der theoretisch formulierte positive oder negative Wirkungszusammenhang mit ausreichender Güte nachgewiesen wird. Als Gütekriterien findet dabei die Signifikanz der direkten und der indirekten Einflüsse Verwendung. Kann auf Basis der Signifikanz und der Wirkungsrichtung im Pfadmodell die Nullhypothese (kein Wirkungszusammenhang) verworfen werden, so ist dies ein statistisches Argument für das Zutreffen der Alternativhypothese. Es wird deshalb im Folgenden davon gesprochen, dass die Hypothesen "angenommen" oder "verworfen" werden.704 Diese Überprüfung der Hypothesen ist in Tabelle 5-13 zusammengefasst.
703
Hierzu und zu den folgenden Ausführungen zum Hypothesentest vgl. Berenson/Levine/Krehbiel (2004, S. 296 f.). 704 Kann die Nullhypothese nicht verworfen werden, ist es nicht gelungen die Alternativhypothese zu beweisen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass gleichzeitig die Nullhypothese bewiesen wurde; vgl. Berenson/Levine/Krehbiel (2004, S. 297).
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
Hypothese Wirkung von ... Kooperation durch HBASIS1 Informationsautausch Kooperation durch HK Informationsautausch Kooperation durch HBASIS2 gemeinsame Prozesse
... auf
0,197
+
9
angenommen
Kooperation durch gemeinsame Prozesse
0,416
+
9
angenommen
Supply-Chain-Erfolg
-0,683
1)
1)
angenommen
-
+
ʊ
verworfen
0,163
+
9
angenommen
0,143
+
9
angenommen
0,234
+
9
angenommen
0,097
+
9
angenommen
-0,554
1)
9
angenommen
-
+
ʊ
verworfen
0,151
+
9
angenommen
0,500
+
9
angenommen
0,256
+
9
angenommen
0,106
+
9
angenommen
0,050
+
9
angenommen
0,373
+
9
angenommen
0,155
+
9
angenommen
0,319
+
9
angenommen
Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse
Formelle Governance
H1b
Formelle Governance
H1c
Formelle Governance
Supply-Chain-Erfolg
Kooperationsspezifische Faktoren Kooperationsspezifische Faktoren Kooperationsspezifische Faktoren
Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse
H2b H2c H3a
Transparenz
H3b
Transparenz
H3c
Transparenz
H4a
Soziales Netzwerk
H4b
Soziales Netzwerk
H4c
Soziales Netzwerk
H5a H5b H5c H6a H6b H6c
Supply-Chain-Erfolg Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse Supply-Chain-Erfolg Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse Supply-Chain-Erfolg
Kooperation durch Kooperations-kompetenz Informationsautausch Kooperation durch Kooperations-kompetenz gemeinsame Prozesse Kooperations-kompetenz Supply-Chain-Erfolg Komplementäre Kompetenzen Komplementäre Kompetenzen Komplementäre Kompetenzen
H7a
Verhandlungsmacht
H7b
Verhandlungsmacht
H7c
Verhandlungsmacht
H8a
Sortimentskomplexität
H8b
Sortimentskomplexität
H8c
Sortimentskomplexität
Bestätigte Vermutete Wirkungsrichtung? Ergebnis Wirkung
Supply-Chain-Erfolg
H1a
H2a
Signifikanter Gesamteffekt
183
Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse
verworfen 2)
verworfen
Supply-Chain-Erfolg Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse Supply-Chain-Erfolg Kooperation durch Informationsautausch Kooperation durch gemeinsame Prozesse Supply-Chain-Erfolg
verworfen 0,290
+
9
angenommen
0,121
+
9
angenommen
0,057
+
9
angenommen
-
+
ʊ
verworfen
0,220
+
9
angenommen
-0,150
-
9
angenommen
1) Keine Wirkungsrichtung vermutet 2) Konstrukt wurde aufgrund mangelnder Güte des Messmodells ausgeschlossen
Tabelle 5-13:
Zusammenfassende Bewertung der theoretisch abgeleiteten Hypothesen
Kapitel 5 - Methodischer Ansatz und empirische Ergebnisse
184
Im Folgenden werden die einzelnen Hypothesen und die Wirkungszusammenhänge näher betrachtet. Der Bewertung liegt dabei die Höhe des signifikanten Gesamteffekts sowie der Vergleich mit der Höhe der übrigen Wirkungszusammenhänge im Modell zu Grunde. Dieser Vergleich ist möglich, da die Indikatoren des Modells standardisiert und somit die marginalen Einflüsse der unabhängigen auf die abhängigen Variablen, die im Regressionskoeffizient ausgedrückt
werden,
vergleichbar
sind.705
Zur
Vereinfachung
des
Vergleichs
der
Wirkungszusammenhänge werden die Effekte in (relativ) gering, (relativ) moderat und (relativ) hoch eingeteilt. Allgemeingültige Schwellenwerte können dabei nicht herangezogen werden, da diese aufgrund der relativen Betrachtung vom jeweiligen Modell abhängen.706 Hier wurde deshalb über ein Ranking der absoluten Gesamteffekte eine Unterteilung in drei Gruppen vorgenommen. Gemäß diesem Ranking gelten Gesamteffekte im oberen Drittel als hoch, jene im mittleren Drittel als moderat und jene im unteren Drittel als gering. Die Schwellenwerte stellen sich demnach wie folgt dar: hoch >0,260; 0,260 moderat >0,150; gering 0,150. Hypothesen zur Wirkung der Kooperation durch Informationsaustausch (HK, HBasis1): Die Hypothesen bezüglich der positiven Wirkung des intensiven Informationsaustausches auf den Supply-Chain-Erfolg und auf die "Kooperation durch gemeinsame Prozesse" können angenommen werden. Beide Wirkungen sind deutlich signifikant (p