Pflegeplanung fur Menschen mit Demenz: Einfach, echt und individuell planen und schreiben, 2. aktualisierte Auflage 389993220X, 9783899932201 [PDF]


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Table of contents :
Inhalt......Page 6
Danksagung......Page 10
Einleitung......Page 12
1 Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern......Page 14
1.1 Definition »Demenz «......Page 15
1.2.1 Arten von Demenzerkrankungen......Page 17
1.3 Symptome einer Demenz......Page 18
1.4 Diagnostik einer Demenz......Page 22
1.5 Senile Demenz vom Alzheimer Typ ( SDAT)......Page 24
1.6.1 Der Mini- Mental Status Test ( MMST)......Page 25
1.6.2 Die Fast-Skala......Page 27
1.6.3 Dementia Care mapping ( DCM)......Page 29
1.6.4 Die Cohen- Mansfield Skala......Page 31
1.6.5 Weitere Einschätzungsinstrumente......Page 34
2 Lebenswelten von Menschen mit Demenz......Page 38
2.1 Bedürfnisse......Page 39
2.2 Elemente der Identität......Page 49
2.3.1 Die acht Stufen des menschlichen Lebenszyklus......Page 50
2.4 Das psychobiografische Pflegemodell Böhms......Page 57
2.5.1 Die Methode der Validation nach Feil......Page 61
2.5.3 Ziele der Validation nach Feil......Page 62
2.5.5 Arten der Validation nach Feil......Page 63
2.5.6 Die vier Stadien der Desorientiertheit......Page 66
2.5.7 Die Validationstechniken......Page 70
2.6 Die Dokumentation der Validation......Page 74
2.7 Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood......Page 77
2.7.1 Der Begriff »Personsein«......Page 78
2.7.2 Die Bedürfnisse ( Positive Personenarbeit 1)......Page 79
2.7.3 Konsequenzen für den Pflegealltag ( Positive Personenarbeit 2)......Page 80
2.7.5 Tür öffnende Handlungsempfehlungen des KDA......Page 82
2.8 Mäeutik und Erlebnisorientierte Pflege......Page 83
2.8.1 Ich- Erleben und Benehmen/ Verhalten in der Demenz......Page 85
2.8.2 Vorgehensweise in der Mäeutik......Page 86
2.9 Basale Stimulation......Page 87
in der Pflege – Die Sinne erwecken!......Page 88
2.9.2 Maßnahmen der Basalen Stimulation......Page 89
2.9.3 Konsequenzen für die Dokumentation......Page 90
3.2 Die Kommunikation verbessern......Page 92
3.3 Grundannahmen des NLP......Page 93
3.4 Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht......Page 97
3.5 Sinneswahrnehmung und Repräsentationssystem......Page 99
4 Biografie......Page 103
4.2 Die Wirkung von Biografiearbeit......Page 104
4.3 Verschriftlichung der Biografiearbeit......Page 105
4.4 Erhebung der Biografie......Page 107
4.4.2 Formular für die Erhebung einer Biografie......Page 115
4.4.3 »Was seht Ihr, Schwester?« – Ein Gedankenanstoß......Page 120
5.1 Das Wort »Pflege «......Page 122
5.2 Der Pflegeprozess......Page 124
5.4 Die Pflegeanamnese......Page 126
5.4.1 Der Beobachtungsprozess......Page 128
5.4.2 Das Formular für die Pflegeanamnese......Page 130
5.5 Die Pflegeplanung......Page 140
5.5.1 Die Beschreibung einer pflegerelevanten Situation......Page 141
5.5.2 Ressourcen......Page 145
5.5.3 Das TUM- Prinzip......Page 147
5.5.4 Pflegediagnosen......Page 148
5.6 Die konkrete Pflegeplanung......Page 149
5.6.1 Formulierung eines Ist-Zustandes/einer Pflegediagnose......Page 150
5.6.2 Formulierung von Zielen oder Lösungen......Page 151
5.6.3 Formulierung von Maßnahmen......Page 153
5.6.4 Die Auswertungsspalte/ Evaluation......Page 155
5.6.5 Der Umfang einer Pflegeplanung......Page 156
5.7.1 Funktion und Aufgabe des Pflegeberichts in der Pflege von Menschen mit Demenz......Page 157
5.7.2 Das Schema innerhalb des Pflegeberichts......Page 158
5.7.3 Was und wie wird dokumentiert?......Page 159
6.1 Der Begriff »Pflegemodell«......Page 161
6.2 Das konzeptionelle Modell der FEDL ( Fähigkeiten und existenzielle Erfahrungen des Lebens)......Page 162
6.2.1 Struktur des Modells......Page 163
6.3.2 Das Pflegeverständnis in der Pflege von alten Menschen......Page 165
6.3.5 Das Alter......Page 166
6.4.1 Vorbemerkungen......Page 167
6.4.2 Die Unterschiede zwischen FEDL und AEDL......Page 170
6.5 Die fähigkeitsbezogene Sichtweise und ihre Konsequenzen für die Pflege......Page 173
7.1 Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung......Page 175
7.2 Kleine Fallbeispiele......Page 231
7.3 Einzelne Pflegeplanungsbeispiele......Page 265
Nachwort......Page 334
Literatur......Page 336
Register......Page 339
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Pflegeplanung fur Menschen mit Demenz: Einfach, echt und individuell planen und schreiben, 2. aktualisierte Auflage
 389993220X, 9783899932201 [PDF]

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Zitiervorschau

Barbara Messer

Mit diesem Buch wird das wesentlich leichter: Es bietet viele Hinweise zur Bio­ grafiearbeit, gibt wichtige Impulse zur Schulung der eigenen Beobachtungsgabe und zeigt schließlich den Transfer zur Pflegeplanung. Diese lässt sich tatsäch­ lich leichter und aussagekräftiger schreiben, als viele Pflegekräfte glauben. Die 2. Auflage des Buches bietet noch umfangreichere Beispiele aus der Pfle­ geplanung. Unterschiedlichste Formulierungen geben Impulse für die tägliche Arbeit und zeigen ganz eindeutig: Eine gute, lesbare und individuelle Pflegepla­ nung ist machbar, ohne dass das mehr Zeit kostet. »Das Lesen des Buches bereitet Freude und geht flott voran. Es ist verständlich geschrieben und animiert zum Weiterlesen. Schlussendlich kann dieses Werk allen in der Altenpflege Tätigen empfohlen werden.« (Zeitschrift für Wundheilung)

Die Autorin Barbara Messer ist examinierte Altenpflegerin mit 15-jähriger Pflegepraxis und arbeitete als Pflegedienstleitung. Neben ihrem Bachelor of Business Admini­ stration verfügt sie u.a. über Ausbildungen im Sozialmanagement, in der Va­ lidation und in der systemischen Strukturaufstellung. Sie ist NLP-Master und Trainerin, Trainerin für Suggestopädie und ganzheitliches Lernen sowie Traine­ rin und Beraterin für pflegerische Themen. Seit 2005 arbeitet sie mit Sandra Masemann unter dem Namen Masemann & Messer GbR in den Be­ reichen Training & Beratung für die Pflege, Unter­ nehmenskultur, Team- und Personalentwicklung, Unternehmenstheater und »Train the Trainer«.

ISBN 978-3-89993-220-1

9 783899 932 2 01

Messer · Pflegeplanung für Menschen mit Demenz

Die Lebenswelt von Menschen mit Demenz ist zentraler Inhalt dieses Buches. Es geht darum, diese Lebenswelt so zu erfassen, dass die anschließende Pflege­ planung dem Klienten und seinen Bedürfnissen gerecht wird.

Pflegeplanung für Menschen mit Demenz Einfach, echt und individuell planen und schreiben

2., aktualisierte Auflage

Barbara Messer

Pflegeplanung für Menschen mit Demenz

Barbara Messer

Pflegeplanung für Menschen mit Demenz Einfach, echt und individuell planen und schreiben 2., aktualisierte Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-89993-220-1

Anschrift der Autorin: Barbara Messer Hirtenstr. 20 30974 Wennigsen

Barbara Messer, Bachelor of Business Administration, ist examinierte Altenpflegerin mit 15-jähriger Pflegepraxis, Ausbildungen im Sozialmanagement, Pflegedienstleitung, Validation, systemische Strukturaufstellungen etc., NLP-Master und NLP-Trainerin. Seit 1999 ist sie selbstständige Trainerin und Beraterin für pflegerische Themen, Trainerin für Suggestopädie und ganzheitliches Lernen. Seit 2005 arbeitet sie mit Sandra Masemann unter dem Namen Masemann & Messer GbR in den Bereichen Training & Beratung für die Pflege, Unternehmenskultur, Team- und Personalentwicklung, Theaterpädagogik, Unternehmenstheater und »Train the Trainer«

© 2009 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde. Gestaltung: Titelbild: Satz: Druck und Bindung:

Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Gerald Lachmann PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza

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Inhalt Danksagung ............................................................................................................

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Einleitung .............................................................................................................

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1

2

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern ........................................................................................... 1.1 Definition »Demenz« ................................................................................ 1.2 Einteilung demenzieller Erkrankungen ..................................................... 1.2.1 Arten von Demenzerkrankungen .............................................................. 1.2.2 Demenzähnliche Zustandsbilder ............................................................... 1.3 Symptome einer Demenz ......................................................................... 1.4 Diagnostik einer Demenz ........................................................................ 1.5 Senile Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT) ............................................... 1.6 Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz ......... 1.6.1 Der Mini-Mental Status Test (MMST) .......................................................... 1.6.2 Die Fast-Skala ............................................................................................ 1.6.3 Dementia Care Mapping (DCM) ................................................................ 1.6.4. Die Cohen-Mansfield Skala ........................................................................ 1.6.5 Weitere Einschätzungsinstrumente ...........................................................

13 14 16 16 17 17 21 23 24 24 26 28 30 33

Lebenswelten von Menschen mit Demenz .............................................. 2.1 Bedürfnisse ............................................................................................... 2.2 Elemente der Identität ............................................................................. 2.3 Der Ansatz von Erikson ............................................................................. 2.3.1 Die acht Stufen des menschlichen Lebenszyklus ...................................... 2.4 Das psychobiografische Pflegemodell Böhms ........................................... 2.5 Validation nach Feil ................................................................................... 2.5.1 Die Methode der Validation nach Feil ........................................................ 2.5.2 Das Validationsverständnis nach Feil ......................................................... 2.5.3 Ziele der Validation nach Feil .................................................................... 2.5.4 Die zehn Grundsätze der Validation nach Feil ........................................... 2.5.5 Arten der Validation nach Feil ................................................................... 2.5.6 Die vier Stadien der Desorientiertheit ....................................................... 2.5.7 Die Validationstechniken ........................................................................... 2.6 Die Dokumentation der Validation ............................................................ 2.7 Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood ........................................... 2.7.1 Der Begriff »Personsein« ............................................................................ 2.7.2 Die Bedürfnisse (Positive Personenarbeit 1) .............................................. 2.7.3 Konsequenzen für den Pflegealltag (Positive Personenarbeit 2) ................. 2.7.4 Anforderungen an die Pflegekräfte ........................................................... 2.7.5 Tür öffnende Handlungsempfehlungen des KDA ...................................... 2.7.6 Konsequenzen für die Dokumentation ......................................................

37 38 48 49 49 56 60 60 61 61 62 62 65 69 73 76 77 78 79 81 81 82

6

Inhalt

2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3

Mäeutik und Erlebnisorientierte Pflege ..................................................... Ich-Erleben und Benehmen/Verhalten in der Demenz ............................. Vorgehensweise in der Mäeutik ................................................................. Konsequenzen für die Dokumentation ...................................................... Basale Stimulation® ................................................................................... Basale Stimulation® in der Pflege – Die Sinne erwecken! .......................... Maßnahmen der Basalen Stimulation® ...................................................... Konsequenzen für die Dokumentation ......................................................

82 84 85 86 86 87 88 89

3

Mehr 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Verständnis für Demenzkranke durch NLP ..................................... Definition NLP ........................................................................................... Die Kommunikation verbessern ............................................................... Grundannahmen des NLP ......................................................................... Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht Sinneswahrnehmung und Repräsentationssystem ....................................

91 91 91 92 96 98

4

Biografie ......................................................................................................... 4.1 Möglichkeiten der Biografiearbeit ............................................................. 4.2 Die Wirkung von Biografiearbeit ............................................................... 4.3 Verschriftlichung der Biografiearbeit ......................................................... 4.4 Erhebung der Biografie ............................................................................. 4.4.1 Generelle Hinweise für die Erhebung einer Biografie ............................... 4.4.2 Formular für die Erhebung einer Biografie ............................................... 4.4.3 »Was seht Ihr, Schwester?« – Ein Gedankenanstoß ....................................

102 103 103 104 106 114 114 119

5

Grundlagen des Pflegeprozesses ............................................................... 5.1 Das Wort »Pflege« ...................................................................................... 5.2 Der Pflegeprozess ...................................................................................... 5.3 Die Pflegedokumentation .......................................................................... 5.4 Die Pflegeanamnese .................................................................................. 5.4.1 Der Beobachtungsprozess ......................................................................... 5.4.2 Das Formular für die Pflegeanamnese ..................................................... 5.5 Die Pflegeplanung ..................................................................................... 5.5.1 Die Beschreibung einer pflegerelevanten Situation .................................. 5.5.2 Ressourcen ................................................................................................ 5.5.3 Das TUM-Prinzip ....................................................................................... 5.5.4 Pflegediagnosen ........................................................................................ 5.6 Die konkrete Pflegeplanung ...................................................................... 5.6.1 Formulierung eines Ist-Zustandes/einer Pflegediagnose ............................ 5.6.2 Formulierung von Zielen oder Lösungen ................................................... 5.6.3 Formulierung von Maßnahmen ................................................................. 5.6.4 Die Auswertungsspalte/Evaluation ............................................................. 5.6.5 Der Umfang einer Pflegeplanung .............................................................. 5.7 Der Pflegebericht ...................................................................................... 5.7.1 Funktion und Aufgabe des Pflegeberichts in der Pflege von Menschen mit Demenz .............................................................................................. 5.7.2 Das Schema innerhalb des Pflegeberichts ................................................ 5.7.3 Was und wie wird dokumentiert? ..............................................................

121 121 123 125 125 127 129 139 140 144 146 147 148 149 150 152 154 155 156 156 157 158

Inhalt

6

7

Das Pflegemodell der FEDL ......................................................................... 6.1 Der Begriff »Pflegemodell« ......................................................................... 6.2 Das konzeptionelle Modell der FEDL (Fähigkeiten und existenzielle Erfahrungen des Lebens) ............................................... 6.2.1 Struktur des Modells ................................................................................. 6.3 Grundannahmen des Modells ................................................................... 6.3.1 Pflege als Dienstleistung ........................................................................... 6.3.2 Das Pflegeverständnis in der Pflege von alten Menschen ......................... 6.3.3 Die Umwelt ............................................................................................... 6.3.4 Der Mensch ............................................................................................... 6.3.5 Das Alter ................................................................................................... 6.3.6 Gesundheit und Krankheit ........................................................................ 6.4 Die »Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (FEDL) ...... 6.4.1 Vorbemerkungen ....................................................................................... 6.4.2 Die Unterschiede zwischen FEDL und AEDL ............................................ 6.5 Die fähigkeitsbezogene Sichtweise und ihre Konsequenzen für die Pflege

160 160

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz .................... 7.1 Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung ............................................. 7.2 Kleine Fallbeispiele .................................................................................... 7.3 Einzelne Pflegeplanungsbeispiele .............................................................. 7.3.1 FEDL »Kommunikation« ............................................................................ 7.3.2 FEDL »Orientierung« ................................................................................. 7.3.3 FEDL »Bewegung« ..................................................................................... 7.3.4 FEDL »Pflegen und Kleiden« ..................................................................... 7.3.5 FEDL »Essen und Trinken« ......................................................................... 7.3.6 FEDL »Ausscheidung« ................................................................................ 7.3.7 FEDL »Ruhen, Schlafen und Wachsein« .................................................... 7.3.8 FEDL »Aktivieren – Anregen« ................................................................... 7.3.9 FEDL »Beschäftigung« ................................................................................ 7.3.10 FEDL »Zufriedenheit und Emotionalität« ................................................... 7.3.11 FEDL »Sicherheit« ...................................................................................... 7.3.12 FEDL »Soziale Bereiche und Beziehungen« ................................................ 7.3.13 FEDL »Existenzielle Erfahrungen des Lebens« ...........................................

174 174 230 264 264 267 277 282 293 298 302 305 311 312 326 328 329

161 162 164 164 164 165 165 165 166 166 166 169 172

Nachwort

............................................................................................................. 333

Literatur

............................................................................................................. 335

Register

............................................................................................................. 338

7

8

Nimm meine Hand und halte sie halte sie, während ich hier liege und doch ganz woanders bin Ich spüre Deine Wärme, sie ist wie eine Brücke zu Dir Ich bin in einem fernen Land, in einem anderen Stück Folge mir, doch weiß ich nicht Dir den Weg zu zeigen Klein bin ich, jung, schön und glücklich. Ich laufe, renne, bin daheim Doch Du weißt das nicht, Du sitzt nur da und wunderst Dich warum »die Alte« dort im Bett nichts macht und einfach an die Decke starrt.

9

Danksagung Diese Neuauflage ist mit der Hilfe und Offenheit vieler Menschen entstanden, ihnen allen gilt mein großer Dank. Viele, viele TeilnehmerInnen aus den verschiedensten Trainings und Beratungssituationen haben mich beeinflusst und angeregt. Sie haben ihre Beispiele mitgebracht und kritisch diskutiert. Genau diese kritische Diskussion bringt meine Gedanken und Kenntnisse zur Pflegeplanung weiter voran. Frau Hartmann und Schwester Kerstin aus dem Kreisaltersheim Helpsen, die sich für das Titelfoto zur Verfügung stellten, möchte ich auch nach Jahren noch Danke sagen, denn ich freue mich jedes Mal wieder über das schöne Foto. Auch nach vielen Jahren denke ich immer noch an den netten Moment zurück, in dem das Foto gemacht wurde. Ein spezieller Dank geht an die MitarbeiterInnern der AWO-Residenz Sehnde, die aktiv ihre Fallbeispiele eingebracht haben. Insbesondere Bettina Krischok und Marianne Nikolajew. Claudia Flöer, die wie immer eine wunderbare Lektorin war, danke ich für ihre stete Motivation. Sandra Masemann gilt mein weiterer Dank, denn sie begleitet nun seit einiger Zeit meine Gedanken zum Pflegeprozess und zum Pflegemodell der FEDL sehr kritisch und förderlich. Durch ihre Kompetenz und Anwesenheit sind die Gedanken wesentlich runder und greifbarer geworden und sie hat im Januar 2007 dem TUM-Prinzip seinen Namen gegeben. Wennigsen, im Februar 2009

Barbara Messer

10

»Liebe ist das Einzige, was mehr wird, wenn wir es verschwenden« (Ricarda Huch)

Dieses Buch widme ich meiner Großmutter Dorothea Gottschalk

11

Einleitung »Man sieht nur mit dem Herzen gut.« Antoine de Saint Exupéry Während eines Inhouse-Trainings ergab sich folgender Dialog: »Frau Messer, wir möchten noch etwas zu den Formulierungen machen. Also, dass wir leicht formulieren können!« »Ok, das machen wir. Haben Sie ein Beispiel, mit dem Sie anfangen wollen?« »Ja. Die Situation, wenn ein Bewohner ›ungehalten‹ ist.« »Ungehalten? Was genau meinen Sie? Was genau passiert bzw. macht der Bewohner oder die Bewohnerin?« »Naja, das ist unterschiedlich. Sie schlägt oder haut, schimpft auch. Wir können das ja nicht schreiben, dann werten wir.« »Moment mal. Das sehe ich ganz anders. Wenn wir nennen, was wirklich passiert, was geschieht, dann werten wir nicht. Wir beschreiben lediglich. Wenn ich jedoch den Begriff »ungehalten« verwende, bleibe ich ungenau und jeder hier in der Runde kann darunter etwas anderes verstehen.« Kurze Zeit später steht folgender Textauszug an der Wand: »Frau XY reagiert Ø bei jedem 2. Hereinsetzen oder Herausnehmen des Gebisses mit ablehnendem Verhalten. Sie schiebt erst die Hände der PK weg, stößt dann die Arme weg, haut evtl. und sagt Sätze wie: »Du alte Sau«. Das Beispiel macht deutlich, wie schwer es ist, einfach eine Tatsache zu beschreiben. Hinter diesem Zögern, einfach aufzuschreiben, was wahrzunehmen ist, steckt vielleicht die Angst der Pflegekräfte, etwas aufzudecken, was sie nicht heilen oder ändern können und was ihnen vermutlich Probleme bereitet. Ebenso schwierig ist es, diesen vielen, teilweise sehr intensiven Gefühlen zu begegnen. Das erfordert eine professionelle Persönlichkeit, die gleichzeitig sensibel und empathisch ist, persönlich klar, sozusagen mit allen Wassern gewaschen. Das erfordert manchmal auch einen Moment der Zeit und Ruhe. Seien wir ehrlich: Gibt es solche Momente noch genug? Es ist doch offensichtlich, dass die Bewohnerin im Beispiel massive Angst und Panik verspürt. Vermutlich hat sie eine Missbrauchserfahrung hinter sich, die sich in ihre jetzige Lebensituation immer wieder hereindrängt. Dazu später mehr. Ich glaube, dass in der Pflege von Menschen mit Demenz der einfachste Weg jener ist, sich genau dem Thema zu stellen, mit dem der oder die Betroffene gerade »unterwegs« ist. Tun wir das nicht, orientieren wir uns eher am Unwesentlichen. Ebenso gilt es, der Person mit wirklicher Nähe und Tiefe zu begegnen.

12

Einleitung

Genau diesen Prozess kennen wir aus unserem Leben doch nur zu gut. Wenn wir ein aktuelles Thema haben, wie z. B. starke Sorge, ist genau dieses der zentrale Aspekt unseres Lebens in dieser Zeit. Unter diesem Aspekt sehen wir dann die Welt. Es ist speziell in Pflegesituationen eine besondere Herausforderung, genau diese Nähe in professioneller Weise zu gestalten. Denn es sind viele Menschen mit vielen Schicksalen, denen wir begegnen und kaum ein wirkliches Problem können wir lösen. Aber wir können anwesend und präsent sein. So verfolge ich mit diesem Buch u. a. folgende Ziele:

   

Sensibilisierung für die Lebenswelt von Menschen mit Demenz Formulierungshilfen Vorstellen des TUM-Prinzips Schatztruhe für Gedanken und Ideen

Die Formulierungen der Fallbeispiele sind bewusst so umfangreich ausgewählt, damit Sie daraus viele Anregungen bekommen. »Wir müssen Demenzkranken offen und einfühlsam begegnen«, sagte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen anlässlich des Welt-Alzheimer-Tages. »Berührungsängste verliert am ehesten, wer über die Krankheit redet, sich informiert und auf die Betroffenen zugeht. Wir dürfen nie vergessen: Auch schwer Demenzkranke können immer noch Lebensfreude und Glück empfinden und am Alltagsleben teilhaben. Es sind manchmal die ganz einfachen Dinge des Lebens, die zählen. Wir können den Erkrankten glückliche Momente schenken, zum Beispiel bei gemeinsamen Spaziergängen in der Natur, beim Sportschau-Gucken oder beim Blättern in Fotoalben.«1

1

http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Kategorien/Presse/pressemitteilungen,did=112952.html

13

1

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Jedes Krankheitsbild, jede Diagnose beeinflusst den betroffenen Menschen. Das fängt bei der Grippe an und wird stärker, je drastischer eine Erkrankung mit all ihren Symptomen in sein Leben eingreift. Die Krankheit ist das eine, das andere ist das innere Erleben. Bei Menschen mit Demenz treffen wir vielfach auf folgende Situation: Ein alter Mensch zeigt ein »sonderbares« Verhalten (legt vielleicht Zeitungen in den Kühlschrank oder vergisst den Weg zur aktuellen Wohnung oder nutzt Gegenstände anders). Wird dieser Mensch zum Hausarzt gebracht, wird nach wie vor schnell eine Diagnose wie HOPS und Alzheimer Demenz gestellt. Somit ist das Verhalten »krank«. Es gibt eine Erklärung. Wer Glück hat, bekommt eine wirklich klare Diagnose. Im Alltag des Betroffenen und seiner primären Bezugspersonen, wie z. B. nahe Angehörige, Nachbarn, etc., machen sich nun Verwirrung und Unsicherheit breit. Alle müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen und das fällt vielen Menschen einfach schwer. Die Reaktionen der Umwelt auf Menschen mit Demenz sind zum Teil haarsträubend, sie reichen vom Überversorgen, Ignorieren bis hin zum Stigmatisieren. Stefan Beyer, Autor des Buches »Demenz ist anders«, beschreibt, wie Bekannte auf die demenzielle Erkrankung seiner Mutter reagierten: »Wir haben uns überlegt, deine Mutter nicht mehr im Heim zu besuchen. Sie erkennt uns ja doch nicht mehr und erinnert sich nachher auch nicht mehr an unseren Besuch, also hat sie nichts mehr davon.« »Leute, die sie von früher kennen, würden doch sagen, ihr Leben ist nichts mehr wert.« »Sie ist wie ein kleines Kind, nur mit dem Unterschied, dass sie sich quasi zurückentwickelt, während aus Kindern noch etwas wird.« »Man kann sich ja doch nicht mehr mit ihr unterhalten« Jemand sagte zu ihrem Tod: »Sie ist jetzt endgültig gegangen, eigentlich war sie ja schon vorher mehr oder weniger gegangen.«2 Ich kenne aus Schulungen Aussagen, die mir kalte Schauer den Rücken herunterlaufen lassen. Da ist die Rede davon, dass sich »diese Menschen« unmöglich verhalten, zu nichts mehr in der Lage sind, die Pflegekräfte provozieren, weil sie z. B. den ganzen Tag Sachen hin- und herräumen, ungehalten sind oder oder gar nach Hause wollen … All das sind gerontopsychiatrische

2

Beyer, S.: Demenz ist anders. Balance buch + medien verlag, Bonn 2007

14

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Verhaltensweisen, die aus Krankheitsbildern entstehen. Unter dem Begriff gerontopsychiatrische Pflege wird »seit den 70er Jahren eine spezielle Fachrichtung der geriatrischen Pflege ab dem 60. Lebensjahr verstanden … Es handelt sich um die Pflege von geistes- und gemütskranken alten Menschen.«3 Häufige Krankheitsbilder sind hier Depressionen, Delir, Demenz, Schizophrenie und andere psychische und psychiatrische Erkrankungen. Viele alte Menschen weisen eine Multimorbidität auf: Eine Reihe von Symptomen tritt gleichzeitig auf, vermischt sich und ist kaum voneinander zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Auswirkung einer oft recht trüb und reizlos gestalteten Heimumgebung Verhaltensweisen, Merkmale und Reaktionen hervorrufen kann, die denen eines demenziellen Syndroms verblüffend ähneln. Für den Alltag und hier speziell für die Einschätzung des Klienten innerhalb des Pflegeprozesses ist es von ungeheurer Wichtigkeit, Symptome genau zu betrachten und ihre Zusammenhänge mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zu kennen. Im nächsten Schritt muss ein versierter Facharzt hinzugezogen werden, um eine genaue Diagnose zu erhalten. Dieses Buch beschäftigt sich mit Menschen mit Demenz. Dazu noch ein paar Zahlen und Daten:  »Im statistischen Mittel stellt sich bei etwa jedem dritten Menschen, der ein Alter von 65 Jahren erreicht, im weiteren Altersverlauf eine Demenz ein.«4  »Demenzen befallen Männer und Frauen gleichen Alters mit ähnlich hoher Wahrscheinlichkeit. Dennoch sind weitaus mehr Frauen erkrankt als Männer. Das hat seinen Grund vor allem in der unterschiedlichen Lebenserwartung. Frauen werden im Durchschnitt einige Jahre älter als Männer und sind deshalb in den höchsten Altersgruppen, in denen das Krankheitsrisiko steil zunimmt, viel zahlreicher vertreten. Das bringt es mit sich, dass etwa 70% der Demenzerkrankungen auf die Frauen und nur 30% auf die Männer entfallen.«5  »In Deutschland gibt es etwa eine Million Patienten (Alzheimer Krankheit). Die Zahl der Erkrankten wird künftig zunehmen, weil immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen.«6

1.1

Definition »Demenz«

»Demenz« stammt aus dem Lateinischen und lässt sich etwa übersetzen als »ohne Verstand« oder »Der Geist ist weg«. … »Gemeint ist aber eine organisch bedingte, chronische, (bis jetzt) meistens nicht heilbare, allgemeine Hirnleistungsschwäche, verbunden mit Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen« (Kostrzewa 2008). Viele gebräuchliche Definitionen von Demenz erscheinen wie negative Etikettierungen und viele Laien, aber auch alternde Menschen, machen sich eine falsche Vorstellung davon, was es heißt, an einer Demenz zu leiden.

3 4 5 6

Höwler, E.: Gerontopsychiatrische Pflege. Brigitte Kunz Verlag, Hagen, 2000 www.wikipedia.de Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.: Selbsthilfe Demenz. Das Wichtigste. Die Epidemiologie der Demenz. Berlin, 2006 Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.: Das Wichtigste über die Alzheimer Krankheit. 12. aktualisierte Auflage, Berlin

Definition »Demenz«

Die folgenden Definitionen leuchten die Thematik weiter aus: Eine Demenz ist eine »komplexe neuropsychologische Störung, die auf jeden Fall eine Gedächtnisstörung einschließt, zusätzlich jedoch mindestens eine weitere Beeinträchtigung im Bereich der höheren kortikalen Funktionen aufweist, also z. B. eine Aphasie, Apraxie, Agnosie oder eine Störung der Exekutivfunktionen (Handlungs- und Planungskompetenz).« So steht es im Diagnoseglossar der amerikanischen Psychiatervereinigung. Hier wird die Definition noch um die Aussage erweitert, dass die kognitive Beeinträchtigung in ihrer Summe zu einer Abnahme der Kompetenz im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens führen muss; erst dann liegt eine diagnostische Voraussetzung für eine Demenz vor. Bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht zu lesen: Eine Demenz ist »eine erworbene globale Beeinträchtigung der höheren Hirnfunktion einschließlich des Gedächtnisses, der Fähigkeit, Alltagsprobleme zu lösen, sensomotorischer und sozialer Fertigkeiten der Sprache und Kommunikation, sowie der Kontrolle emotionaler Reaktionen, ohne Bewusstseinsstörung. Meist ist der Verlauf progredient (fortschreitend), nicht notwendigerweise irreversibel.« »Demenz wird den psychiatrischen Störungen zugeordnet. Die derzeit verwendeten klinischen Diagnoseinstrumente – DSM-IV 7 und ICD-10 8 – beschreiben als wesentliches Merkmal einer Demenz die Abnahme multipler kognitiver Funktionen, in deren Folge es zur Beeinträchtigung der selbstständigen Bewältigung beruflicher und/oder alltäglicher Anforderungen kommt. Darüber hinaus listet die ICD-10 affektive Symptome und Verhaltensauffälligkeiten sowie eine Beeinträchtigungsdauer auf die Aktivitäten des täglichen Lebens von mindestens sechs Monaten auf« (vgl. Wagner 2002; Popp 1999). Im Einzelnen definiert ICD-10 Demenz als »ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störungen vieler kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom kommt bei der Alzheimer Krankheit, bei zerebrovaskulären Störungen und bei anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen. Während die ICD-10-Definition Demenz als einen fortschreitenden oder irreversiblen Verlauf beschreibt, hält die DSM-IV-Definition die Prognose offen, so dass reversible Verläufe mit eingeschlossen werden. Der Begriff Demenz ist hier wesentlich weiter gefasst und wird so der Vielgestaltigkeit der Demenz eher gerecht. Laut DSM-IV ist das Hauptkennzeichen einer Demenz »die Entwicklung multipler kognitiver Defizite, wobei eine Gedächtnisstörung und mindestens eine der folgenden kognitiven Einbußen vorhanden sein müssen: Aphasie9, Apraxie10, [Agnosie11] oder

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10

11

Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen Internationale Klassifikation psychischer Störungen Störung beim Benennen von Objekten und Personen, Störungen der Spontansprache (bezogen auf Phonologie und Semantik), des Sprachverständnisses und des Nachsprechens (vgl. Piesbergen 2005) Beeinträchtigung der Ausführung motorischer Fähigkeiten und damit Ungeschicklichkeit im Umgang mit Alltagsaufgaben (vgl. Schröder 2003. In: Coester 2004) Agnosie bezeichnet die Unfähigkeit, wahrgenommene Gegenstände, Gesichter etc. richtig zuzuordnen und zu erkennen (vgl. Schröder 2003. In: Coester 2004).

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

eine Beeinträchtigung der Exekutivfunktion12. Die kognitiven Defizite müssen eine Verschlechterung gegenüber einem vormals höheren Leistungsniveau darstellen« (Pietsch 2004, S. 3).

Eine Demenz (lat. dementia »ohne Geist«) ist ein Defizit in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten, die zu einer Beeinträchtigung von sozialen und beruflichen Funktionen führt und fast immer, aber nicht ausschließlich, mit einer diagnostizierbaren Erkrankung des Gehirns einhergeht.

Vor allem sind das Kurzzeitgedächtnis, ferner das Denkvermögen, die Sprache und die Motorik, nur bei einigen Formen auch die Persönlichkeitsstruktur betroffen. Maßgeblich ist der Verlust bereits erworbener Fähigkeiten im Unterschied zur angeborenen Minderbegabung (Oligophrenie). Heute sind verschiedene, aber nicht alle Ursachen von Demenzen geklärt, und einige Formen können in einem gewissen Umfang behandelt werden, d. h. die Symptome können im Anfangsstadium einer Demenz verzögert werden. Die am häufigsten auftretende Form der Demenz, aber bei weitem nicht die einzige, ist die Alzheimer-Krankheit. Eine Demenz kann auf ganz verschiedenen Ursachen beruhen, für die Therapie ist die Klärung dieser Unterscheidungsmerkmale sehr wichtig.

1.2

Einteilung demenzieller Erkrankungen

»Das Unverständnis bezüglich des Krankheitsbildes Demenz rührt … daher, dass es die Demenz nicht gibt, sondern eine Fülle von verschiedenen Krankheitsbildern, die unter diesem Begriff subsumiert werden« (Kostrzewa 2008, S. 19). So muss also von einer demenziellen Symptomatik gesprochen werden. In der Vergangenheit wurden die verschiedenen Demenzformen in primäre und sekundäre Demenzformen eingeteilt. Davon geht man derzeit ab, da im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) von einer Unterscheidung abgesehen wird. 1.2.1

Arten von Demenzerkrankungen

Dementia seniles (Altersrückbildung des Gehirns) ist eine senile Hirnleistungsschwäche, die primär durch hirnorganische Veränderungen hervorgerufen wird. Demenzen vom Alzheimer Typ (SDAT) sind am häufigsten (ca. 70% aller Demenzen). Weitere Formen sind die vaskuläre Demenz durch Arteriosklerose der Hirngefäße (ca. 25% aller Demenzen), die Multiinfarktdemenz (MID) als Folge von Durchblutungsstörungen oder kleineren Schlaganfällen, sowie die Demenz bei Parkinsonsyndrom. Seltener treten auf: die Picksche Krankheit (Stirnhirnatropie), Chorea Huntington (Veitstanz), Demenz nach Reanimation oder nach Blutung zwischen den beiden inneren Hirnhäuten. 12

Beeinträchtigung der handlungsassoziierten Fähigkeiten wie z. B. abstraktes Denken, Antrieb, Handlungsplanung, Weiter- und Ausführung von Handlungen, Aufmerksamkeit, Flexibilität (vgl. Piesbergen 2005)

Symptome einer Demenz

1.2.2

Demenzähnliche Zustandsbilder

 Akuter Verwirrtheitszustand (Delir)  Pseudodemenz bei Depressionen (sieht aufgrund einer extremen Apathie einer Demenz sehr ähnlich)

 Demenzähnliche Bilder bei akutem exogenem Reaktionstyp (Delir, Dämmerzustand, akuter Korsakow)

1.3

Symptome einer Demenz

Der Beginn einer demenziellen Erkrankung verläuft schleichend. Die ersten Auffälligkeiten entstehen im Bereich der kognitiven Störungen: eine zunehmende Vergesslichkeit mit eingeschränkter Merkfähigkeit stehen oft an erster Stelle. Dies ist die Zeit der vielen Merkzettel, die die Betroffenen überall anbringen. »Es ist richtig, dass im Laufe der Demenzerkrankung aus medizinischer Sicht gewisse Strukturen im Gehirn zunehmend geschädigt werden. Wir beobachten, wie insbesondere die kognitiven Leistungen nachlassen. Der Betroffene kann nicht mehr so gut begrifflich denken und sich entsprechend äußern, er ist örtlich und zeitlich nicht mehr »realitätsgerecht« orientiert, und vor allem das Gedächtnis funktioniert immer weniger gut« (Beyer 2007, S. 13). Demenzerkrankungen bestehen aus der Bündelung von verschiedenen Symptomen zu Syndromen. »Selbst die Alzheimer-Demenz, die vermutlich größte Untergruppe der Demenzformen, stellt keine einheitliche Krankheit dar, sondern scheint nach neueren Forschungsergebnissen wiederum ein Sammelbegriff verschiedener sich ähnelnder Unterformen zu sein (vgl. Hoyer in: Maciejewski et al. 2001).« Es wäre aber falsch, den Menschen mit Demenz nur noch über seine Symptome wahrzunehmen. Egal, welches der vielen möglichen Symptome er aufweist, er ist immer noch ein kompletter, individueller und vor allem: wunderbarer Mensch. Nach wie vor muss der Blick auf die ganze Person, auf den Menschen gerichtet sein.

Bei den Symptomen der Demenz unterscheidet man zwischen Primärsymptomen und Sekundärsymptomen. Primärsymptome sind die, die durch die Demenz unmittelbar verursacht werden; Sekundärsymptome sind Folgeerscheinungen im Rahmen einer demenziellen Erkrankung. Leitsymptom ist die Gedächtnisstörung, die je nach Dauer und Schwere der Erkrankung mehr oder weniger stark ausgeprägt ist.

Böhmer stellt diese Symptome in Anlehnung an Haffner/Meier (1993, S. 138 ff.) folgendermaßen zusammen: »Primärsymptome der Demenz:  Gedächtnisstörung (Amnesie)  Merkfähigkeitsschwäche  Konzentrationsstörung

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

     

Desorientierung in der Zeit, im Raum, im Ort und zur Person Sprachstörung (Aphasie) Wahrnehmungsstörung (Agnosie) Störung von (motorischen) Handlungsabläufen (Apraxie) Störung des abstrakten Denkens (Abstraktionsfähigkeitsverlust) Störung der Urteilskraft (Assessment-Störung)

Sekundärsymptome der Demenz:  Persönlichkeitsstörungen  Depression  Angst  Wahnvorstellungen  psychische und motorische Unruhe  Aggressivität  Apathie und Indifferenz  Perseverationen (Hängenbleiben an einem Gedanken bzw. dessen ständige sprachliche Wiederholung)  Urin- und Stuhlinkontinenz  Stimmungsschwankungen (affektive Störung)«13

Merke: Die Primärsymptome stehen für die Auswirkung der Krankheit Die Sekundärsymptome stehen für die Reaktion des Betroffenen auf seine Krankheit.

Ich teile die Ansicht, dass »ein Teil der sekundären Symptome durch uns Begleiter, durch Angehörige, durch Mitbewohner und durch die Gestaltung des Umfeldes wesentlich beeinflusst werden kann« (Kostrzewa 2008, S. 21). Als eine weitere Orientierung kann eine Demenz nach Schweregraden eingeteilt werden: »Eine brauchbare Einschätzung der einzelnen Schweregrade einer Demenz (z. B. die senile Demenz vom Alzheimer Typ, kurz: SDAT, wie auch die Multiinfarktdemenz, kurz: MID) liefert das DSM-IV« (Pipam 2005, S. 172 f.). Leichte Demenz: Die Fähigkeit unabhängig zu leben, mit entsprechender persönlicher Hygiene und intaktem Urteilsvermögen, ist erhalten, Arbeit und soziale Aktivitäten sind deutlich beeinträchtigt. (Mini-Mental-Statuswerte 21–24) Mittelschwere Demenz: Die selbstständige Lebensführung ist nur mit Schwierigkeiten möglich, ein gewisses Maß an Betreuung/Aufsicht ist erforderlich. (MMS-Werte 11–20) Schwere Demenz: Die Patienten benötigen kontinuierliche Betreuung, eine Aufrechterhaltung auch nur minimaler persönlicher Hygiene ist nicht mehr möglich. Symptome wie Inkohärenz und Mutismus sind häufig. (MMS-Werte 10 und weniger)« (Kostrzewa 2008, S. 20).«

13

Böhmer, M.: Erfahrungen sexualisierter Gewalt in der Lebensgeschichte alter Frauen. Mabuse Verlag, Frankfurt 2000

Symptome einer Demenz

Bei Erich Grond (2009) finden wir noch eine weitere Einteilung der kognitiven Symptome: »Gedächtnisstörungen: 1. Frischgedächtnis- oder Merkstörungen Der Kranke  kann sich nichts mehr merken;  vergisst, verliert, verlegt Sachen, lernt nichts Neues mehr;  fragt oder erzählt dauernd dasselbe, ruft ständig um Hilfe;  streitet seine Vergesslichkeit ab, verheimlicht Versagen oder baut eine Fassade auf, weil er sich für gesund hält;  ist in der Fremde verwirrt, stellt sich nicht um und irrt herum;  klammert sich an Angehörige an oder läuft ihnen nach;  begreift seine Fehler und reagiert aggressiv oder zieht sich depressiv zurück. Der Betroffene gerät in zunehmende Regression in die Kindheit. Er verliert Zeitgefühl und Realitätsbezug. 2. Altgedächtnis- oder Erinnerungsstörungen Der Kranke  kann sich kaum an die zuletzt erlebten Jahre erinnern;  findet die passenden Worte nicht (amnestische Aphasie);  sorgt nicht mehr für sich in den AEDL, vernachlässigt Wohnung und Wäsche, verliert die Selbstkritik und verwahrlost;  erkennt Partner und Kinder nicht mehr, vergisst sich selbst;  spricht mit Verstorbenen, verwechselt Gegenwart mit der Vergangenheit (Zeitverschränkung) und lebt in seiner eigener Welt. Im Spätstadium hat er seine Biografie bis auf einzelne, emotional bedeutsame Erlebnisse verloren, kann sich aber noch deutlich an die Kindheit erinnern und sich wie als Kind verhalten. Auch andere kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Flexibilität nehmen ab.

Zu den kognitiven Symptomen gehören die sechs Denk-Ausfälle (A), die schwanken:  Amnesie (Gedächtnisstörungen),  Apraxie (Handlungsunfähigkeit),  Aphasie (Wortfindungsstörungen),  Agnosie (Störung des Erkennens),  Abstraktions- (Rechen-) und  Assessmentstörung (Urteilsstörung).

… Verhaltensstörungen finden sich bei 70 bis 90% der Kranken mit Alzheimer. Die Angaben, wie sich Verhaltensstörungen verteilen, schwanken erheblich. Wingenfeld & Schnabel führten 2002 an:  Depressivität 70%,  Angst und Schreien 60%,  Aggressionen 50%,

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20

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

 Wahnvorstellungen und Halluzinationen 35%,  Umherlaufen 20%. Die Verminderung der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens zeigt sich in mindestens einem der folgenden Merkmale nach ICD-10:  Emotionale Labilität,  Reizbarkeit,  Apathie,  vergröbertes Sozialverhalten. Verhaltensauffälligkeiten oder herausforderndes Verhalten (ver)stören pflegende Angehörige und beruflich Pflegende (auch in den Heimen) mehr als kognitive Ausfälle. Dazu gehören:  Unruhe wie dranghaft ängstlich-unruhiges Umherlaufen kann bei jedem zweiten Demenzerkrankten, besonders in der Abenddämmerung (sun-downing), auftreten.  Hinlaufen, Wandern oder zielloses nächtliches Umherirren stört, wenn der Kranke »nach Hause oder zur Arbeit will«, er Traum und Realität nicht unterscheidet, tagsüber zu wenig beschäftigt wird, Angst oder Schmerzen hat oder sterben will.  Schreien, Rufen, lautes Klagen oder stöhnende Lautäußerungen können mit dem Schweregrad der Demenz zunehmen.  Aggressionen, Wutausbrüche, impulsives, enthemmtes, zerstörerisches Verhalten oder körperliche Gewalt gegen andere werden am besten durch die Cohen-Mansfield-Skala (siehe unten) erfasst.  Schlafstörungen wie z. B. Schlaf-Umkehr (tags schläfrig, nachts hellwach) bei etwa jedem zweiten Demenzerkrankten kann auch die Folge mangelnder Ermüdung tagsüber sein.  Antriebsstörungen wie Interesse- und Ausdrucksverlust können bei jedem Dritten im frühen und mittleren Stadium auftreten. Apathie ist bei schwerer Demenz häufig. Als organische Persönlichkeitsveränderungen werden apathisch-verlangsamte, distanzlos-geschwätzige oder unbeherrscht-enthemmte Personen beschrieben.  Epileptische Anfälle bei etwa jedem zehnten Kranken, bei vaskulärer Demenz häufiger als bei Alzheimer-Demenz, bedeuten Sturzgefahr.  Dranginkontinenz mit imperativem Harndrang tritt im mittleren Stadium bei zwei Drittel und bei schwerer Demenz bei jedem Kranken auf, wenn das Miktionszentrum z. B. im Stirnhirn geschädigt ist.  Verstopfung hat jeder zweite Demenzerkrankte, weil er weniger Durst hat, weniger isst oder mit Anticholinergika behandelt wird. Die Folge sind Kotsteine, die zum Stuhlschmieren führen. Stuhl- oder neurogene fäkale Inkontinenz ist Absetzen von geformtem Stuhl nach dem Essen oder nach heißen Getränken, weil der Kranke den durch die Mastdarmfüllung ausgelösten Defäkationsreflex nicht mehr unterbrechen kann.  Kleinschrittiger, schlurfender Gang wird oft durch Neuroleptika verursacht (bei Morbus Parkinson, bei Lewy-Körper- und vaskulärer Demenz, bei Alzheimer im Spätstadium) und fördert Bettlägerigkeit und Stürze. Psychiatrische Begleitsymptome  Angst bis zur Panikreaktion tritt bei fast jedem Demenzerkrankten auf. In den frühen Phasen etwas häufiger als später. Der Demenzerkrankte hat Angst, schwer krank zu werden, allein zu sein, sich außer Haus zu verlaufen oder zu verarmen. Die angstauslösende Demenz reduziert gleichzeitig die Fähigkeit, sich der Angst zu stellen.

Diagnostik einer Demenz

 Depressive Verstimmung mit Rückzugsneigung infolge Überforderung ist in den ersten Jahren  

der Demenz häufig. Schlafstörungen, Rückzug, Verlangsamung und Unruhe können nicht nur der Depression, sondern auch der Demenz zugeordnet werden. Halluzinationen, Bestehlungs- oder Beeinträchtigungswahn sind bei jedem Dritten zu beobachten. Optische Halluzinationen (bei etwa 15 bis 35% der schwer Demenzerkrankten) sind oft angstbedingt und können zu aggressivem Verhalten führen. Verkennungen (Fehlidentifikationen) treten bei jedem Vierten auf und können unruhig machen. Die Betroffenen halten Personen im Fernsehen für real (TV-Sign), Bekannte für einen Doppelgänger (Capgras-Syndrom) oder den Partner für eine fremde Person und erkennen sich selbst nicht mehr im Spiegel (Mirror-Sign) oder sehen andere Personen im Raum.«

Ich zähle die Symptome und möglichen Verhaltensweisen so detailliert auf, um Ihre Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit zu schulen. Die Symptome und möglichen Verhaltensweisen bieten eine wichtige Orientierung: Wenn Sie die Symptome einer Demenz für die Pflegeplanung nutzen, können Sie ahnen, wie es sich wohl anfühlt, ein Betroffener zu sein:  Wie fühlt es sich an, Gegenstände nicht mehr erkennen und nutzen zu können? Vor allem, wenn man z. B. gerade Hunger oder Durst hat und die Utensilien vor sich nicht nutzen kann.  Wie fühlt es sich an, nicht das sagen zu können, was man gern sagen möchte?  Wie fühlt es sich an, wenn man vieles vergisst, sehr häufig Sachen verlegt, Fehler macht, etwas nicht mehr weiß, was man immer wusste?  Wie reagieren andere Menschen? (Beyer 2007, S. 39 f.) Viele Möglichkeiten und Kompetenzen verschwinden. Es gibt aber auch vieles, was bleibt und sogar neu hinzukommt. »Arbeiten wir vordergründig mit klinischen Diagnosen, wie z. B. Morbus Alzheimer, geben wir lediglich kausale Erklärungen, die den alten Menschen auf seine Defizite festlegen. Psychobiografische Pflege ist bemüht, sich in die Welt der Gefühle zu begeben (Thymopsyche) und die Welt der Dinge (Noopsyche) nachgeordnet wahrzunehmen. Mit dieser Denkweise können wir in der Pflege auf eine positive Veränderung der Verhaltensauffälligkeiten hinwirken,« schreiben Mitarbeiter des Haus Dorothee in Jevenstadt in ihrer Broschüre »Aufleben statt Aufheben«. Die Welt der Gefühle und die Welt der Dinge (ich verstehe darunter auch die »Themen«, mit denen der Betroffene aktuell beschäftigt ist) ist anders als die Welt der Diagnose. Ich habe hier ganz speziell eine Dame vor Augen, die auch im Kapitel mit den Beispielen immer wieder auftaucht. Ihre Diagnose lautet »Demenz«. Ihre Gefühle sind jedoch sehr präsent und deutlich. So sitzt sie nahezu jeden Tag vor ihrem Zimmer auf einem kleinen Sofa, mal in Alltagskleidung, mal im Nachthemd, und beobachtet das Geschehen um sich herum. Sie kommentiert die Menschen, die an ihr vorbeigehen. Zu jedem kann sie etwas sagen. Sie ist lebendig, nimmt Kontakt auf, setzt ihre »alte Tätigkeit«, Kundenkontakt zu halten, weiter fort. Wenn ihr etwas nicht gefällt, dann sagt sie es sofort.

1.4

Diagnostik einer Demenz

Gerontopsychiatrische Symptome ähneln sich häufig und deshalb ist es wichtig, eine klare Diagnose zu erhalten. Ein wesentlicher Punkt dabei ist die rasche Differenzierung zwischen einer Demenz und einer Pseudodemenz, einem vorübergehenden Delir oder einer Depression.

21

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Nichtsdestotrotz ist diese Frühdifferenzierung nicht der einzige Grund für eine Diagnose. Schlussendlich ist sie wichtig, um eine evtl. Heilung oder Verbesserung zu erreichen. Aber leider »wird die Diagnose einer Demenz und speziell der Alzheimer-Demenz zumeist gar nicht oder zu spät gestellt. … Je früher die Diagnose einer Demenz gestellt und mit einer entsprechenden Behandlung begonnen wird, desto effektiver lässt sich die Krankheit behandeln und verlangsamen« (Schröder 2000, S. 27)

Wichtig ist eine frühe Diagnostik auch deshalb, damit nicht vorschnell ein Stempel aufgedrückt wird, der nicht passt, nach dem sich aber die ganze weitere Behandlung und Pflege richtet.

Eine korrekte Diagnostik ist eine Voraussetzung dafür, um die ca. 15% der Fälle mit behandelbaren Demenzen zu erkennen. Eine frühzeitige Demenz-Diagnose erlaubt  es dem Klienten, seine Situation, Einschränkungen und Veränderungen besser zu verstehen, seine Zukunft besser zu planen und Gefahren zu vermeiden;  es der Familie, den Klienten besser zu verstehen, die Zukunft besser zu planen, optimale Hilfe zu organisieren und sich selber auf die Krankheit einzustellen;  es dem Arzt, einen optimalen Behandlungsplan zu erstellen, Begleiterkrankungen zu behandeln und präventive Maßnahmen vorzuschlagen. Für eine adäquate Diagnose liegen verschiedene Instrumente vor, die jedoch in der Praxis bei ein und demselben Menschen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Im diagnostischen Prozess werden Informationen aus dem sozialen, ökologischen, psychologischen und physiologischen Bereich erhoben und berücksichtigt. Dies ist eine Aufgabe für einen Neurologen und/oder Psychiater, die normale Hausarztpraxis ist hier überfordert.

Für eine Diagnose nach dem DSM-IV sind folgende Kriterien verbindlich: A. Entwicklung multipler kognitiver Defizite, die sich zeigen in: 1. einer Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses 2. mindestens eine der folgenden kognitiven Störungen: – Aphasie – Apraxie – Agnosie – Störungen der Ausführungsfunktionen, d. h. des Planens, Organisierens, Einhaltens einer Reihenfolge und des Abstrahierens B. Die kognitiven Defizite beeinträchtigen bedeutsame soziale und berufliche Funktionen und verschlechtern deutlich das frühere Leistungsniveau.

Für Pflegende stehen auf der einen Seite die Diagnose und ihre Symptome, auf der anderen Seite aber Fragen, wie es dem Betroffenen geht, wie sich die Symptome anfühlen und was die Einschränkungen mit dem Menschen machen.

Senile Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT)

1.5

Senile Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT)

Der Arzt Alois Alzheimer gab der Krankheit ihren Namen. Er behandelte und sezierte später eine 56 Jahre alte, an Desorientiertheit, Aphasie, Wahn und unberechenbarem Verhalten erkrankte Patientin. Was er fand, war eine diffuse Atrophie (Schrumpfung) des gesamten Gehirns. Nach Alzheimer wurde diese Demenzform bis in die 1970er Jahre als »präsenile Demenz vom Alzheimer Typ« bezeichnet. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigten Alzheimers Annahme und stellten keinen Unterschied zwischen der sogenannten »senilen Demenz« und der späten Alzheimerschen Krankheit fest. Seither ist es üblich, alle Demenzformen, die neuropathologisch durch das Auftreten von senilen Plaques, neurofibrillären Bündeln und durch granuvaskuläre Degeneration charakterisiert sind, als Morbus Alzheimer zu bezeichnen. Tabelle 1: Stadien der Alzheimer Krankheit. Stadium

Beschreibung

sehr geringe Störung (Defizite werden nur von den Betroffenen selbst registriert.)

   

Geringe Störung (kann noch überspielt oder vertuscht werden.)

   

Mäßige Störung

 

Mittelschwere Störung (Beginn der Demenz)



  

Schwere Störung

   

Leichte Gedächtnisstörungen (Verlegen von Dingen, Vergessen von Namen bekannter Personen). Wortfindungsstörungen. Keine Beeinträchtigung des beruflichen und sozialen Lebens. Gedächtnisstörungen bei Untersuchungen nicht sichtbar nachweisbar. Stärkeres Nachlassen der Merkfähigkeit. Versagen bei beruflichen Anforderungen. Verstärkt Probleme in unbekannten Situationen. Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen testpsychologisch nachweisbar. Schlecht informiert über aktuelles Geschehen. Probleme beim Planen und Lösen schwieriger Aufgaben (Umgang mit Geld, Einkaufen, Verreisen). Unfähigkeit, sich an wichtige Dinge des täglichen Lebens zu erinnern (Namen von Angehörigen, Adressen, eigene Telefonnummer). Probleme bei der Auswahl geeigneter Kleidungsstücke. U. U. Vernachlässigung der Körperpflege. Auf fremde Hilfe angewiesen. Gelegentlich keine Erinnerung an den Namen des Partners. Keine bewusste Wahrnehmung der Umwelt. Vollständige Abhängigkeit von fremder Hilfe (auch beim An- und Auskleiden und bei der Körperpflege). U. U. Kontrollverlust bei den Ausscheidungsvorgängen.

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24

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Stadium

Beschreibung

Sehr schwere Störung

   

1.6

Extreme Verminderung des Wortschatzes mit weitgehendem Verlust der Sprachfähigkeit. Verlust der Gehfähigkeit und Probleme beim Sitzen. Verlust der Fähigkeit zu lächeln. Häufig Inkontinenz.

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

Die Diagnostik der Demenz gehört in die Hände eines Facharztes oder einer entsprechenden Klinik. Laut der Website www.psychiatriegespraech.de sind das:  Klinische (neurologisch-psychiatrische Untersuchung, Verlaufsbeobachtung), Diagnostik  Testpsychologische Diagnostik  Diagnostik durch bildgebende Verfahren (Computertomographie, Kernspintomographie)  Genetische Diagnostik  Laborchemische Diagnostik14 »Überhaupt ist eine gute Demenz-Diagnostik nicht »aus der Hüfte« zu bewerkstelligen, sondern nur durch akribisches Zusammentragen eigenanamnestischer und insbesondere auch fremdanamnestischer Details, penible allgemein-körperliche, neurologische und psychopathologische Untersuchungen …« (Schröder 2000, S. 28) In der Pflege ist es doch etwas einfacher. Zum einen können Pflegekräfte einen Kontakt zur Fachärztin herstellen und diese um eine adäquate Diagnostik bitten. Zum anderen haben sie die Möglichkeit, bestimmte Erlebnisse und Ereignisse um die Demenz herum einzuschätzen. Im pflegerischen Alltag gibt es noch andere Instrumente, von denen ich zwei hier vorstellen möchte. Allerdings liegen sie – auch wenn sie erhältlich und von Dokumentationsfirmen hergestellt werden – nicht unbedingt im Verantwortungsbereich einer Pflegekraft. 1.6.1

Der Mini-Mental Status Test (MMST)

Dieser Test erfasst Angaben des Klienten aus den Bereichen Gedächtnis, Orientierung und visuokonstruktorischen Fähigkeiten. Zweck des Tests ist die Quantifizierung und Verlaufsbestimmung der kognitiven Fähigkeiten. Für die Anamnese der Gedächtnisleistung und des Orientierungsvermögens kann der MMST eingesetzt werden. Bei einem Punktwert unter 24 geht der Arzt in der Regel davon aus, dass eine demenzielle Erkrankung vorliegt.15

14 15

http://www.psychiatriegespraech.de/psychische_krankheiten/demenz/demenz_diagnostik.php Maciejewski, B. et al.: Qualitätshandbuch Leben mit Demenz. Köln 2001.

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

MINI MENTAL STATE Name:

Datum:

Untersucher: Maximum

Score

Orientierung: Zeitlich:

Welches Jahr Welche Jahreszeit Welches Datum Welcher Tag Welcher Monat

5

( )

Örtlich:

Welcher Staat Welches Land Welche Stadt Welches Krankenhaus Welches Stockwerk

5

( )

3

( )

Merkfähigkeit: Nennen von drei unabhängigen Objekten

Eine Sekunde pro Objekt. Darauf werden alle drei Objekte abgefragt. Pro richtige Antwort ein Punkt. Solange wiederholen, bis sich der Patient die Worte gemerkt hat. Anzahl der Versuche angeben (6 x …)

Aufmerksamkeit und Rechnen: 100-7 (93, 86, 79, 72, 65) alternativ (wenn vom Patienten bevorzugt): rückwärts buchstabieren: Woche

5

( )

Abrufen: Frage nach den drei Objekten. Ein Punkt pro Wiedergabe.

3

( )

Sprache: Benennen von zwei Gegenständen (Stift, Uhr)

2

( )

Wiederholen der Wortkombination: »Keine Unds, Wenns oder Abers«

1

( )

Befolgen eines dreiteiligen Auftrages: Ein Punkt pro Teilaufgabe

3

( )

Lesen und Befolgen des Auftrages: Schließen Sie die Augen

1

( )

Schreiben eines Satzes:

1

( )

Abzeichnen der Figur:

1

( )

(gescored wird die Anzahl der in der richtigen Reihenfolge genannten Buchstaben)

Nehmen Sie das Blatt Papier, falten Sie es in der Mitte und legen Sie es auf den Boden.

Maximum 30 Score:

Satz:

25

26

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Hinweise der Autoren: Der MMST ist grundsätzlich in zwei Hauptbereiche eingeteilt. Bereich 1 erfordert verbale Antworten und deckt Orientierung, Gedächtnis und Aufmerksamkeit ab. Die maximale Punktezahl beträgt 21. Bereich 2 beurteilt die Fähigkeit zu benennen, verbale und schriftliche Aufträge zu befolgen, spontan einen Satz zu schreiben und ein zusammengesetztes Polygon nachzuzeichnen. Die maximale Punktezahl für diesen Bereich beträgt 9. Gesamtscore: 30 Zu beachten ist ausdrücklich, dass der Patient sich nicht gestresst fühlt, dass das Testen ausreichend erklärt wird, der Patient motiviert wird, ihm ein Erfolg vorausgesagt wird und keinerlei Druck ausgeübt wird. Probleme durch Störungen der Sinnesorgane müssen einkalkuliert bzw. korrigiert werden. Der Test erfordert ca. 10 Minuten und ist von den Autoren auf Validität und Reliabilität geprüft.

 Ein Score < 24 lässt Abbau vermuten.  Ein Score < 20 ist praktisch nur bei Dementen zu erheben. Im Alltag kann der MMST gut genutzt werden. Er ist eine Möglichkeit, sich der Beschreibung der einzelnen Verhaltensweise zu nähern und das ist schließlich eines der Ziele der Pflegeplanung.

1.6.2 Die Fast-Skala

Die Fast-Skala (Functional Assessment Staging) ist eine Skala zur Bestimmung des Schweregrades und wurde von dem Amerikaner Reisberg entwickelt. Zum einen kann der Schweregrad einer Demenz nach FAST (funktional assessment stages = auf Leistung bezogene festgelegte Stadien) bestimmt werden und zum anderen kann bei einer diagnostizierten Alzheimer-Erkrankung das Stadium erkannt werden, in dem sich der Bewohner/Klient befindet. Tabelle 2: Die Fast-Skala (Hafner & Meier 1998). Reisbergklasse

Leitsymptome

Wahrscheinliche Verlaufszeit

Schweregrade

Leistungsfähigkeit

Sozialmedizinische Konsequenzen

I

Keine Symptome

Gute Prognose

Normales Altern

Erwachsener

Aktivierung

II

Vergesslichkeit

Gute Prognose

Normales Altern

Erwachsener

Aktivierung, beruhigendes Gespräch

䉴䉴

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

Reisbergklasse

Leitsymptome

Wahrscheinliche Verlaufszeit

Schweregrade

Leistungsfähigkeit

Sozialmedizinische Konsequenzen

III

Versagen bei komplexeren Aufgaben in Beruf und Gesellschaft, z. B. Reisen an einen neuen Ort

7 Jahre

Leicht

Adoleszenz

Faktischer Rückzug aus überfordernden Aufgaben

IV

Benötigt Hilfe bei schwierigen Aufgaben des täglichen Lebens, z. B. Buchhaltung, Einkaufen, Einladungen

2 bis 4 Jahre

Leicht

8- bis 12jähriger

Überwachte Selbstständigkeit, Finanzüberwachung

V

Benötigt Hilfe bei der Wahl der Kleidung und beim Entscheid zum Baden

1 bis 3 Jahre

Mittelschwer

5- bis 10jähriger

Organisierter Tagesablauf, Teilzeithilfe (ambulant, Familie) Tagespflege, Umgebungsmaßnahmen

VIa b c d e

Hilfe beim Ankleiden Hilfe beim Baden Hilfe bei der Toilette Urininkontinenz Stuhlinkontinenz

5 Monate 5 Monate 5 Monate 4 Monate 10 Monate

Schwer

5-jähriger 4-jähriger 4-jähriger 3-jähriger 2-jähriger

Ganztägige Hilfe und Betreuung (ambulant und Familie) oder Hospitalisation; Hilfe an Betreuer

VIIa b c d e f

Sprechvermögen 6 Worte Kann nicht mehr sprechen Kann nicht mehr gehen Kann nicht mehr sitzen Kann nicht mehr lachen Kann nicht mehr den Kopf halten

12 Monate 18 Monate 12 Monate 12 Monate 18 Monate Unbestimmt

Sehr schwer

1-jähriger 1-jähriger 1-jähriger Kleinkind Kleinkind Säugling

Langzeitpflege

Es gibt Formulare mit der FAST-Skala von bekannten deutschen Pflegedokumentationsherstellern. Ich persönlich verwende sie selten, weil sie sehr defizitorientiert sind und die jeweiligen Verhaltensarten nur sehr kurz und allgemein beschreiben.

27

28

Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

1.6.3

Dementia Care mapping (DCM)

Das Dementia Care Mapping stammt aus England. Es wurde von Tom Kitwood an der Universität Bradford entwickelt und von Christian Müller-Hergl nach Deutschland gebracht. Beim Dementia Care Mapping handelt es sich um eine Evaluationsmöglichkeit der Lebensqualität von Demenzerkrankten, die nicht an die Kompetenz eines Facharztes gebunden ist.

DCM ist ein Beobachtungsverfahren, bei dem die Perspektive und das Wohlbefinden des Klienten im Vordergrund stehen, diese werden abgebildet.

»Die Grundlage des DCM ist die Werteorientierung der »personenzentrierten Pflege« oder »Positiven Personenarbeit« nach Tom Kitwood. So kann mit dem DCM eingeschätzt werden, inwiefern bestimmte Maßnahmen, Bedingungen der Umgebung oder Verhaltensweisen der Pflegenden zum Wohlbefinden beitragen oder eher schädlich sind. Dies gilt als Kriterium für die Qualität der Pflege. Die Beobachtung erfolgt nach bestimmten Regeln und wird in einer Kodierung festgehalten« (Stuhlmann 2004, S. 141). Beobachtet werden: 24 Verhaltenskategorien (»Behaviour Category Cading«, BCC). Das relative Wohlbefinden (Well or Ill-Being, WIB) Positive Ereignisse (Positive Event Recording, PER) Personale Detraktionen (Personal Detraction Coding, PDC). Personale Detraktionen sind Handlungen, die die Anerkennung des Gegenübers als Persönlichkeit mildern. Das sind z. B. Handlungen und Verhalten wie »Betrügen, Infantilisieren, Einschüchtern, Überholen, Verbannen, Ignorieren, Zwingen, Vorenthalten, Herabsetzen und verächtlich machen. Diese Art der Interaktion untergräbt das Personsein. Sie ist würdelos und schmälert das Wohlbefinden.«16

   

Aufbauend auf einem personenzentrierten Verständnis von Demenz nehmen geschulte DCMBeobachter (Mapper) am Leben von Menschen mit Demenz teil und versuchen, einen Tag lang »in ihren Schuhen«17 zu gehen und ihr Handeln und Befinden in der Einrichtung zu beschreiben. Mit dem DCM-Verfahren wird gemessen, inwiefern sich bestimmte Maßnahmen in einer Einrichtung auf die Klienten auswirken, ob sie ihnen gut tun oder nicht. Wenn also Musiktherapie und Validation erprobt werden, können die Mitarbeiter anhand der DCM-Ergebnisse erkennen, ob sich die Menschen dabei wohl fühlen oder nicht. Gleichzeitig kann das DCM auch eingesetzt werden, wenn ein Klient mehr und mehr abbaut, sich zurückzieht oder vielleicht unter starken Aggressionen leidet. Die Ergebnisse der Beobachtungen können dabei helfen, die Gründe für das veränderte Verhalten herauszufinden und die Förderung, Pflege und Begleitung für diesen Menschen verbessern.

16

17

Arbeiterwohlfahrt Senioren- und Sozialzentrum gemeinnützige GmbG Sachsen-West. Gerontopsychiatrisches Konzept. http:// www.awo-sachsen-west.de/index.php?id=437 Kuratorium Deutsche Altershilfe: Well-Being Pattern/«Wie geht es Ihnen?«. Köln, 2005

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

DCM berücksichtigt folgende Verhaltenskategorien:  Essen und Trinken  Teilnahme an einem Spiel  Schlafen oder Dösen  Völlig in sich gekehrt und sozial nicht einbezogen sein  Aufgeregt oder ärgerlich sein und Stress haben  Versuch der Kontaktaufnahme ohne Antwort  Teilnahme an einer religiösen Aktivität  Teilnahme an einer gymnastischen Übung  Selbstpflege  Pflege erhalten  Beschäftigung mit (Haus-)Arbeit  Beschäftigung mit Medien  Unabhängiges Gehen/Stehen/Fortbewegen  Mit sich selber oder einer eingebildeten Person sprechen Die Beobachtungen werden in ein spezielles Beobachtungsprotokoll eingetragen, der Umgang und das Verfahren gehört also unbedingt in die Hände einer dafür geschulten Person. Es geht hierbei nicht primär um die Einschätzung von Einzelpersonen, sondern um Zusammenhänge zwischen Erleben und Qualität sowie Wirkung der Pflege. Dabei sollten das Team und die Einrichtung mit einbezogen werden. Es geht bei der Beobachtung nicht um oberflächliche Wahrnehmung und Deutung, sondern um feinfühliges Beobachten des Klienten (z. B. Lächeln, zufriedener Gesichtsausdruck, entspannte Unterhaltung, Zeichen der Zuneigung und des Selbstrespekts, Heiterkeit, Unbehagen, Kummer, Langeweile, Ärger, Stress, Angst, Überforderung etc.). Ein Verfahren wie das DCM kann bei einem Klienten für größtmögliches Wohlbefinden sorgen, vorausgesetzt, die Pflegekräfte wenden es kenntnisreich an, denn letztlich ist das DCM eine Fremdwahrnehmung und als solche natürlich sehr abhängig von der sensiblen Beobachtung des »Mappers« und seiner eigenen Reflexionsfähigkeit. Allerdings sind die Ergebnisse keine »knallharten Fakten«, sondern zum Teil subjektive Wahrnehmungen. »Die große Schwierigkeit und Herausforderung besteht darin, die Gefühle, Stimmungen und Handlungsweisen von Menschen zu verstehen, die sich dazu nicht verlässlich äußern können; besonders auch dann, wenn biografische Daten kaum vorhanden sind oder wenig darüber aussagen, wie die Person vor Eintreten der kognitiven Behinderung ihr Leben betrachtete, Gefühle und Werte zum Ausdruck brachte und wie die Persönlichkeit akzentuiert war. Die Schwierigkeiten nehmen zu mit schwerer Demenz durch die Entkopplung von Handlung und Bedeutung sowie von Affekt und konventionellem Äußerungsmodus« (Müller-Hergl 2002). Es entsteht somit die Notwendigkeit, durch Beobachten Wohlbefinden, Affekte, Vorlieben und Abneigungen zu »übersetzen« oder zu »rekonstruieren«, anhand des von Behinderung und Institutionalisierung bereits überformten Ausdrucks, der Körpersprache, der Interaktionsweisen sowie der Tätigkeiten und Aktivitäten. Es handelt sich demnach um nachempfundenes, eingefühltes Wohlempfinden einer Person mit Demenz durch einen beobachtenden Dritten« (Bartholomeyczik & Halek 2004).

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Konsequenzen, Wahrnehmungen und Erkenntnisse aus einer DCM-Erhebung gehören unbedingt in die Pflegeplanung. Genau dort können die Entdeckungen nutzbar gemacht werden. Kritischer bin ich, wenn es um Zielformulierungen anhand der DCM-Ergebnisse geht. Oft steht bei einer Pflegeplanung »Herr XY soll das und das können«, oder »sich wohl fühlen«. Mit den genauen Ergebnissen des DCM-Verfahrens können Pflegende feststellen, dass sie für die tatsächliche individuelle Qualität der jeweiligen Maßnahme verantwortlich sind. Der Klient wird jedoch einzelne Anregungen auch immer wieder unterschiedlich aufnehmen oder umsetzen. Das DCM-Verfahren, die Gedanken und Kriterien dazu ermöglichen den Pflegekräften sehr genaue Kriterien für eine indviduelle Pflegeplanung zum ganz eigenen »Wohlbefinden«. Graham Stokes hat kürzlich festgestellt, dass Menschen mit Demenz sich wie »Barometer der Pflegequalität, die sie erfahren«, verhalten (KDA 2005). Wir können uns nicht zu 100 Prozent in die Welt des anderen hineinbegeben und spüren, was er fühlt. Wir können jedoch durch genaues Zuhören und Beobachten erfahren, was sein Bedürfnis oder Gefühl ist. Hier helfen uns unter anderem unsere Erfahrung als Mensch und Pflegekraft, aber auch die Spiegelneuronen. »Jegliche Wahrnehmung eines Vorgangs bei einer anderen Person kann in unserem Gehirn die Spiegelneuronen zum »Feuern« bringen. Sogar dann, wenn wir uns die betreffende Handlung nur vorstellen. Fachlich ausgedrückt stehen wir in neurobiologischer Sensation miteinander. Die Spiegelneuronen sind demnach der Schlüssel dafür, dass »wir die Absicht fremder Aktionen verstehen«. Sie helfen deshalb einem Menschen, sich in jemand anderen hineinzuversetzen und an seinen Gefühlen Anteil zu nehmen, um entsprechende Reaktionen des anderen vorherzuplanen.«18 1.6.4

Die Cohen-Mansfield Skala

Eine weitere Möglichkeit, das Verhalten von Menschen mit Demenz zu erfassen, ist die CohenMansfield Skala. Die amerikanische Forscherin Jiska Cohen-Mansfield führte verschiedene Studien zu bestimmten Verhaltensweisen bei Menschen mit Demenz durch. Dabei stellte sie folgende Verhaltensweisen in den Fokus ihrer Betrachtungen:  körperlich aggressives Verhalten,  körperlich nicht aggressives Verhalten,  verbal agitiertes Verhalten und  Verstecken bzw. Horten von Gegenständen Cohen-Mansfield ist der Ansicht, dass es nicht ausreicht, »die Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen aufzuzeichnen, sondern die Gründe für das Auftreten herauszufinden. Die Fragen nach den Ursachen, ob unbefriedigte Bedürfnisse oder Stress diese Verhaltensweisen provozieren und ob sie durch veränderte Umweltbedingungen beeinflusst werden können, vermag bisher kein Instrument zu beantworten.«19 Deshalb sollte im Pflegealltag natürlich genau beobachtet werden,

18

19

Masemann, S.; Messer, B.; Lass mich dein Spiegel sein. In: Praxis Schule 5–10. Bildungshaus Schulbuchverlage, Braunschweig, 2008, Heft 3/Juni 2008 Bartholomeyczik, S.; Halek, M. (Hrsg.): Assessmentinstrumente in der Pflege. Schlütersche, Hannover 2004

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

bevor eine Situation beurteilt wird: Woher kommt das Verhalten? Welche Ursachen kann es geben? Die Cohen-Mansfield Skala wird in vielen deutschen Altenpflegeeinrichtungen verwendet und wird u. a. von Pflegesatzkommissionen empfohlen. Durch die Erfassung von Verhaltensweisen ist die Skala auch bei der Pflegebedürftigkeitsbegutachtung wichtig. Tabelle 3: Cohen-Mansfield Agitation Inventory. Modifizierte Version der Hamburger Rahmenvereinbarung »Stationäre Dementenbetreuung.« Name des Bewohners: Name des Untersuchers: Datum: Nr. Verhalten

nie

weniger als 1 x pro Woche

1x oder 2 x pro Woche

mehrmals pro Woche

1x mehroder mals 2x täglich täglich

mehrmals in der Std.

1

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3

4

5

6

7

1

Schlagen (auch sich selbst)

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2

Treten

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3

Anfassen anderer (mit schmutzigen Händen)

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4

Stoßen anderer (mit Gefahr von Stürzen)

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5

Werfen mit harten Gegenständen

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Beißen

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7

Kratzen/Kneifen

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8

Bespucken anderer

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Sich selbst verletzen (heiße Getränke usw.)

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10

Zerreißen von Kleidungsstücken oder Zerstören des eigenen oder fremden Eigentums

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11

Sexuelle Annäherungsversuche (körperlich)

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12

Eindringen in fremde Räume, Liegen in fremden Betten

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m

m

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m

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

Nr. Verhalten

nie

weniger als 1 x pro Woche

1x oder 2 x pro Woche

mehrmals pro Woche

1x mehroder mals 2x täglich täglich

mehrmals in der Std.

1

2

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4

5

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7

13

Inadäquates Ausziehen (oder Anziehen)

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14

Gefährdung durch Weglaufen

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»Absichtliches« Fallen

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16

Essen oder trinken ungeeigneter Substanzen

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Nahrungsverweigerung

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18

Urinieren/Einkoten in den Wohnräumen (nicht als Folge der Inkontinenz)

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19

Verstecken/Verlegen und/oder Sammeln von Gegenständen aus fremden Zimmern

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20 Ausführen von Manierismen (Klopfen, Klatschen usw.)

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22 Anhaltendes Schreien

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23

Abweichende Vokalisation (Fluchen, verbale Aggressivität, wiederholte Fragen oder Klagen, ungewöhnliche Geräuschproduktion wie Stöhnen oder eigenartiges Lachen usw.)

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24

Gefährden anderer durch Fehlhandlungen (Zerren aus dem Bett durch die Bettgitter usw.)

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Ständiges, nicht beeinflussbares Suchen nach Zuwendung oder Hilfe

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Intensive Beweglichkeit, extrem aufdringlich oder störend, verbal nicht beeinflussbar

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

Ich weise darauf hin, dass »das Instrument in einem anderen Kontext (für die gezielte Erfassung agitierter Verhaltensweisen) und nicht zu diesem Zweck entwickelt worden ist. Werden agitierte Verhaltensweisen als Kriterien für die Pflegebedürftigkeit gesehen, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese auf eine Vielzahl von Ursachen zurückgeführt werden können. … Für die Pflege ist entscheidend, wie auf ein bestimmtes Verhalten bedarfsgerecht reagiert werden kann.« (Bartholomeyczik & Halek 2004). Auffälliges Verhalten kann nach Cohen-Mansfield auch Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse sein. 1.6.5

Weitere Einschätzungsinstrumente

Es gibt noch weitere Einschätzungsinstrumente, die ich allen empfehle, die sich mit den Formulierungen in der Pflegeplanung schwer tun. Diese Instrumente geben immer wieder Anregungen, was bei Menschen mit Demenz »normal« ist und somit auch ganz einfach beschrieben und erfasst werden darf. Auf den Internetseiten des KDA (www.kda.de) wird u. a. auf die Christian-Doppler-Klinik in Salzburg verwiesen. Dort werden im Bereich Assessment noch weitere Formulare und Instrumente verwendet. Im Folgenden finden Sie z. B. eine Skala zur Beurteilung von möglichen Verhaltenspathologien bei der Alzheimer Erkrankung. BEHAVE-AD: Eine Skala zur Beurteilung von Verhaltenspathologie bei der Alzheimerschen Demenz (Reisberg, 1987) (Deutsche Übersetzung von B. Kofler 1989) NAME: Bewertungsperiode:

Anzahl Wochen:

Gesamtwert:

Teil 1: Symptomatologie A: Paranoide Ideen und Wahnvorstellungen 1. »Leute stehlen mir Sachen« – Ideen (0) Nicht vorhanden (1) Leute verstecken Sachen (2) Leute kommen ins Haus und verstecken oder stehlen Sachen (3) Patient/in spricht mit diesen Leuten oder hört ihnen zu 2. »Mein Heim ist nicht mein Heim« – Ideen (0) Nicht vorhanden (1) Überzeugung vorhanden (Möchte packen, um nach Hause zu fahren, Klagen »ich möchte nach Hause«) (2) Versuch das Haus zu verlassen, um nach Hause zu gehen (3) Reagiert mit Gewalt, wenn gehindert wegzugehen 3. Partner (oder andere Pflegeperson) ist ein Betrüger« – Ideen (0) Nicht vorhanden (1) Überzeugung vorhanden (2) Überzeugung verbunden mit Ärger (3) Gewaltanwendung gegen Partner oder Pflegeperson

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

4. »Verlassenwerden«-Ideen (z. B. Abschieben an eine Institution) (0) Nicht vorhanden (1) Verdacht vorhanden (2) Vorwurf einer Verschwörung den Pat. zu verlassen oder institutionalisieren (3) Vorwurf des unmittelbar bevorstehenden Verlassens 5. »Untreue-Ideen« (0) Nicht vorhanden (1) Überzeugung, dass Partner und/oder Kinder und/oder andere Pflegeperson untreu sei (2) Ärger wegen angeblicher Untreue (3) Gewalt wegen angeblicher Untreue 6. »Misstrauen/Paranoia« (anderer Art als oben) (0) Nicht vorhanden (1) Misstrauisch (versteckt Sachen an schwer entdeckbaren Stellen) (2) Paranoid (fixe Vorstellung von Misstrauen und/oder Ärger deswegen) (3) Gewalt deswegen Unspezifisch?: Beschreiben: 7. Wahnideen (andere als oben) (0) Nicht vorhanden (1) Wahnhaft (2) Verbaler emotionaler Ausdruck von Wahnideen (3) Physische Aktionen oder Gewalt als Ergebnis von Wahnideen Unspezifisch?: Beschreiben: B. Halluzinationen 8. Visuelle Halluzinationen (0) Nicht vorhanden (1) Vage: nicht klar definiert (2) Klar definierte Wahnvorstellungen von Objekten oder Personen (3) Verbale oder physische Aktionen oder emotionale Reaktionen 9. (0) (1) (2) (3)

Olfaktorische Halluzinationen Nicht vorhanden Vage, nicht klar definiert Klar definiert Verbale oder physische Aktionen oder emotionale Reaktionen

10. Haptische Halluzinationen (0) Nicht vorhanden (1) Vage, nicht klar definiert (2) Klar definiert (3) Verbale oder physische Aktionen oder emotionale Reaktionen

Pflegerische Einschätzungsinstrumente für Menschen mit Demenz

Eine weitere Möglichkeit ist es, das Sozialverhalten intensiver einzuschätzen. Auch das folgende Formular wird in der Christian-Doppler Klinik in Salzburg verwendet: Sozialverhalten (SVS)-Skala (0–28 Punkte) NAME: Bewertungsperiode:

Anzahl Wochen:

Gesamtwert:

A. Aggression 0 = Bedroht Patienten oder Personal tätlich oder verbal 1 = Stört oft mit Rufen oder Schreien 2 = Reagiert mit lautem Schimpfen oder aggressivem Verhalten auf nicht ganz adäquates Verhalten von Mitpatienten 3 = Beklagt sich über Mitpatienten 4 = Bringt Verständnis auf für Mitpatienten, auch wenn Verhalten nicht immer korrekt ist B. Kommunikation 0 = Völlig teilnahmslos, kein Blickkontakt 1 = Regelmäßiger Blickkontakt 2 = Formelle Gesprächsfloskeln sind erhalten in bestimmten, häufig normierten Gesprächssituationen (Begrüßung, Visite) 3 = Kann seine Bedürfnisse verbal oder mit Gesten klar äußern 4 = Beginnt Gespräche mit Mitpatienten oder Personal C. Reaktion auf Umwelt 0 = Reagiert nur auf starke taktile Reize 1 = Reagiert auf Wort oder klare Gesten 2 = Befolgt einfache verbale oder nonverbale Anweisungen 3 = Befolgt komplizierte, konkrete Anweisungen 4 = Reagiert adäquat auf nicht konkrete Gespräche wie Witze oder Schilderungen von Traurigem D. Beschäftigung 0 = Völlig apathisch oder auch tagsüber schlafend 1 = Nur während unmittelbarer Zuwendung (z. B. während des Essens oder der Körperpflege) aktiv 2 = Spontanaktivität beschränkt sich weitgehend auf automatische, mechanische Abläufe (Nesteln, Gegenstände bearbeiten) 3 = Kann sich für kurze Zeit sinnvoll beschäftigen (Lesen, Spielen, Hobby) 4 = Unterhält sich tagsüber durch sinnvolle Beschäftigung (Radio hören, Lesen, Hobby) E. Mitbeteiligung 0 = Reagiert kaum auf Mitpatienten oder meidet Umgang mit diesen 1 = Reagiert positiv auf Mitpatienten 2 = Verrichtet gelegentlich Handreichungen oder verbale Hilfe für Mitpatienten 3 = Sucht regelmäßig Gesellschaft mit Mitpatienten 4 = Kümmert sich regelmäßig um bestimmte Mitpatienten, hilft diesen F. Nachtverhalten 0 = Nachts störend, mehr als tagsüber 1 = Nachts weniger störend als tagsüber 2 = Nur mit Mitteln nachts ruhig 3 = Ganze Nacht ruhig 4 = Teilt sich die Nacht selbstständig ein, auch nachts rücksichtsvoll

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Grundlegende Informationen zu den gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern

G. Stimmung 0 = Unfähig, Stimmung auszudrücken 1 = Äußert fast nur Traurigkeit oder Unzufriedenheit 2 = Weint oft, ist meist traurig oder unzufrieden 3 = Gelegentlich inadäquat traurig oder unzufrieden gestimmt oder Stimmung von überwiegend inadäquater Euphorie geprägt 4 = Meist adäquate Stimmung Total Punkte SVS: ………

Es geht bei diesem Formular nicht primär um die erreichte Punktzahl, sondern darum, Anregungen für Formulierungen und Beschreibungen von Verhaltensweisen zu bekommen. Zudem werden Sie bei der Arbeit mit diesen Skalen feststellen, dass es sich bei angeblich »auffälligen Verhaltensweisen« oft um ganz normale Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz handelt.

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2

Lebenswelten von Menschen mit Demenz

In diesem Kapitel geht es schwerpunktmäßig darum,  die eigene Achtung und Kenntnis der Lebenswelt von Menschen mit Demenz zu erweitern,  an die Vielfalt der verschiendenen Welten zu glauben, sie zu erahnen und  um die Weiterentwicklung von Gedanken zur Pflegeplanung.

Die Lebenswelt von Menschen mit Demenz ist zentraler Inhalt dieses Buches. Es geht darum, diese Lebenswelt soweit als möglich zu erfassen und zu beschreiben, um dann die Pflege und den Alltag so zu gestalten, dass der Klient die größtmögliche Lebensqualität erlebt. Dazu müssen Brücken gebaut werden: von unserer eigenen Welt in die jeweilige Welt der Klientin. Um diese Brücken zu finden und zu benutzen, gebe ich auf den folgenden Seiten einige Hinweise, Theorien und Haltungen, die ich für wesentlich halte. »Demenz allein muss für die Menschen kein furchtbares Unglück sein, wenn Milieu und Beziehung stimmen und sich entsprechend dem Menschen anpassen (der dies selbst nicht mehr kann). Es gibt genügend Beispiele von Menschen, die der Demenz zum Trotz relativ glücklich gelebt haben«, schreibt Christian Müller-Hergl im 4. Altenbericht (S. 178). Wie ist die Welt eines Menschen mit Demenz? Wie erlebt er sie? Was nehmen Pflegende und Begleitende davon wahr, um eine adäquate Pflege zu gestalten und eine weitgehende Lebensqualität zu erreichen?  »Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich vieles vergesse, sehr häufig Dinge verlege, mich vertue, Fehler mache, etwas nicht mehr weiß, was ich immer wusste, etwas, was ich wissen müsste?  Wie werden die anderen Menschen darauf reagieren?  Wie hätte ich gerne, dass die anderen Menschen darauf reagieren?  Wie fühlt es sich an, mich an diese Veränderung meiner Fähigkeiten zu gewöhnen?  Wenn ich mir vorstelle, demenzkrank zu werden: Was fände ich schlimm daran? Was wäre für mich das Schlimmste daran?  Wenn ich mir vorstelle, demenzkrank zu werden: Würde sich etwas daran auch positiv anfühlen? Hätte es auch Vorteile?  Wie würde es sich anfühlen, wenn die Realität oft mit Bestandteilen meiner Wünsche, Befürchtungen und Erinnerungen verschmilzt?  Wie fühlt es sich an, wenn andere das, was für mich real ist, nicht sehen können und meine Wahrheit bestreiten?  Wie fühlt es sich an, wenn andere meine Realität anerkennen und mir helfen, mich an meiner Realität zu orientieren?  Wenn ich die Körperhaltung einer bestimmten dementen Person, die ich betreue, einnehme und ihre Art, sich zu bewegen, nachahme, wie fühlt sich das an? Was könnte diese Person brauchen?« (Beyer 2007, S. 39–40) Lassen Sie diese Gedanken und Anregungen bitte ein wenig auf sich wirken. Sie geben Pflegekräften und Begleitenden viele Anhaltspunkte, wie sie sich – anders als über die Haltung

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

»Demenz ist Defizit« – dem alten Menschen mit Demenz nähern können. Sie können tatsächlich »in den Schuhen des Anderen« gehen und aus dieser Sicht in die Welt gucken und fühlen. Da man bei der Kontakt- und Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz häufig im »Dunkeln« tappt und sich dadurch Missverständnisse bis hin zu Verletzungen ergeben, kann man, neben der eigenen Kompetenz und Intuition, die Erkenntnisse und/oder Erklärungen anderer nutzen. Jeder Mensch hat eine individuelle Wahrnehmung der Umwelt, obwohl er mit anderen zusammenlebt, vielleicht sogar in ein und demselben Raum arbeitet oder verwandt ist. Kein Mensch erlebt genau dasselbe wie der andere.

2.1

Bedürfnisse

Menschen sind stark geprägt durch ihre Bedürfnisse und ihre Motivation und Triebe. In der Pflege ist es üblich, sich primär den körperlichen Bedürfnissen zu widmen, für die psychosozialen blieb und bleibt wenig Zeit. Sie werden auch nicht immer erfasst und mit geeigneten Pflegemaßnahmen befriedigt. Um sie entdecken, ist ein zweiter Blick, ein genaueres Beobachten und Spüren erforderlich. Es ist zwingend notwendig, nicht von den eigenen Bedürfnissen auszugehen. Dazu ein Beispiel aus einer Grundlagenschulung mit Teilnehmern aus der Pflege und Hauswirtschaft: Wir sprachen über das Bedürfnis »zu Hause zu sein«. Eine Teilnehmerin erzählte, wie wichtig es ihr ist, dass um sie herum Ordnung ist, dass alle Rücksicht aufeinander und auf die Bedürfnisse der anderen nehmen. Eine andere Teilnehmerin widersprach: Für sie ist es unglaublich entspannend, die Füße auf den Tisch zu legen. Die Kunst besteht also darin, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und von denen der Klienten abzulösen.

Pflegekräften sollte Folgendes in der Pflege von Menschen mit Demenz wichtig sein:  Seien Sie wachsam für die möglichen Bedürfnisse der Klienten.  Versuchen Sie, das Verhalten von Klienten auch als Wunsch nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu verstehen, also als Handlung zu deuten.  Entdecken Sie Fähigkeiten und Ressourcen, wo Sie vorher Defizite in »unsinnigen Handlungen« gesehen haben.  Tolerieren Sie Bedürfnisse und ermöglichen Sie ihre Befriedigung. Dazu ist es auch erforderlich, sich mit Ihren eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen und mögliche Bedürfniskonflikte (z. B. zwischen Klient und Pflegekraft) wahzunehmen und zu klären.

Tom Kitwood sagt ganz deutlich, dass »ein Mensch ohne … Befriedigung [der Bedürfnisse] nicht einmal minimal als Person funktionieren kann« (Kitwood 2000, S. 121). In der Pflegewissenschaft findet sich recht vieles und auch Kontroverses zum Thema Bedürfnisse: »Die Frage, ob menschliche Bedürfnisse universal und objektiv sind, ist eine entscheidende und hat viele Gelehrtendebatten ausgelöst. Einige Autoren vertreten die These, dass sich die individuellen Bedürfnisse insbesondere in bezug zum jeweiligen Lebensabschnitt, sowohl in der Art wie auch in der Qualität, erheblich voneinander unterscheiden« (Fortin 1999, S. 55). Bedürfnisse bilden die Grundlage von Pflegemodellen, wie z. B. dem Modell der Bedürfnisse von Virginia Henderson oder dem Modell der fördernden Prozesspflege von Monika Krohwinkel.

Bedürfnisse

Das Modell von Maslow ist eines von vielen, jedoch sehr populär. Auch nach vielen Jahren orientiere ich mich immer wieder daran. »Maslows (1954) fruchtbare Arbeit über Motivation und Persönlichkeit z. B. bildete das kontextuale Fundament für die Entwicklung seines hierachischen Modells der menschlichen Bedürfnisse« (Fortin 1999, S. 61). Nach Abraham Maslow sind wir Zeit unseres Lebens damit beschäftigt, unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Maslow hält die Befriedigung der Bedürfnisse für die Weiterentwicklung eines Menschen für wichtiger als ihre Frustration.20 Bedürfnispyramide nach Maslow: »1. Körperliche Bedürfnisse: Körperliche Bedürfnisse sind auf Essen, Trinken, Luft, Schlaf und Sexualität gerichtet. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist Voraussetzung für das Überleben 2. Bedürfnis nach Sicherheit: Stabilität, Schutz und Ordnung sind die Schlüsselworte auf dieser Stufe 3. Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung: Um Liebe und Zuneigung zu erhalten, suchen wir die Gesellschaft anderer Menschen. Jeder möchte sein Leben gerne mit einem Partner teilen und intime Beziehungen mit ihm haben. Wir schließen uns einem Verein, einer Gruppe oder einer Bürgerinitiative an, um unser Bedürfnis nach Kontakt zu befriedigen. Erst wenn dies geschehen ist, können wir Wärme und Zuneigung geben und empfangen 4. Bedürfnis nach Anerkennung und Respekt: Maslow unterscheidet zwischen der Achtung, die andere uns entgegen bringen, und der Selbstachtung. Die eine ist von der anderen abhängig. Ohne Respekt anderer Menschen ist es sehr schwierig, Selbstachtung zu empfinden 5. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: Selbstverwirklichung ist die höchste Entwicklungsstufe und bedeutet den vollständigen Gebrauch aller Talente und Fähigkeiten. Wer alles erreicht hat, was er in materieller, gesellschaftlicher und geistiger Hinsicht erreichen kann, hat »sich selbst verwirklicht« (Kors & Seumke 1997, S. 34 f.). Die ersten drei Stufen in der Pyramide (und auch Teile der vierten) werden auch als Defizitbedürfnisse bezeichnet. Diese Bedürfnisse müssen befriedigt sein, damit ein Mensch zufrieden ist. Sind sie aber erfüllt, hat der Betreffende keine weitere Motivation mehr, sie zu befriedigen (wenn man nicht mehr durstig ist, wird man auch nicht mehr trinken). Wenn Sie sich die erste Stufe der Bedürfnispyramide ansehen, werden Sie feststellen, dass fast alle alten, von Demenz betroffenen Menschen einige der grundlegenden Bedürfnisse nicht mehr selbst erfüllen können:  Oft erkennen sie ihren Wohnraum nicht als ihren eigenen an. Speziell in der stationären Pflege.  Sie haben kaum die Möglichkeit, ihre Sexualität auszuleben und zu befriedigen.  Ihre Gesundheit wird zunehmend eingeschränkt.  …

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Scharb, B.: Spezielle validierende Pflege. Springer Verlag, Wien, New York 1999

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Pflegende sollten sich in der Kunst der Bedürfniserkennung auskennen. »Die Pflegepersonen haben zu lernen, sich die Bedürfnisse zur Lebenszufriedenheit (wobei jeder Mensch nur für seine eigene Lebenszufriedenheit zuständig ist) so unterschiedlich zu gestalten, wie es die Gesichter dieser Menschen auch sind« (Böhm 1988. S. 119). Es gibt einen Zusammenhang zwischen Bedürfnissen und Aggression. Hier möchte ich kurz das Modell der »Gewaltfreien Kommunikation« nach Marshall Rosenberg erwähnen. Marshall Rosenberg, ein amerikanischer Psychologe, studierte bei Carl Rogers. Die Gewaltfreie Kommunikation hat ihre Wurzeln in der wertschätzenden, kooperativen Praxis. Sie ist verwandt mit der Familienkonferenz von Thomas Gordon und dient der Mediation, der Vermittlung bei Konflikten. »Wenn wir uns ärgern, ist es ein Zeichen, dass sich ein wichtiges Bedürfnis bei uns meldet« (Gens 2007, S. 47). Menschen können ihre Bedürfnisse oft verständlich ausdrücken. Gelingt das nicht, schieben sich »ungute« Gefühle darüber und man macht die »Anderen« dafür verantwortlich, dass ein Bedürfnis unerfüllt bleibt. Gerade Menschen mit Demenz, bei denen die kognitive Fähigkeit oder auch die Sprache eingeschränkt sind, können ihre Bedürfnisse oft nicht verbal und/oder klar und deutlich ausdrücken. Sie sind dann auf einen Impuls von außen angewiesen. Denn: »1. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse des Menschen: Bedürfnis kommt von Bedarf, es ist also das, was jeder Mensch braucht: Nahrung, Schutz, Autonomie, Sicherheit, Kommunikation, Nähe, Aufmerksamkeit, Wertschätzung usw. Da alle Menschen auf der Welt dieselben Bedürfnisse haben, gelten sie in der Gewaltfreien Kommunikation als unhinterfragbar. Bedürfnisse sind nie negativ, sie dienen der Erhaltung und Entwicklung des Lebens. 2. Jede Handlung inkl. des sprachlichen Ausdrucks des Menschen ist der jeweils mehr oder weniger gelungene Versuch, ein Bedürfnis zu befriedigen. … Gewalt ist damit der tragische Ausdruck eines Bedürfnisses. 3. Menschen handeln deshalb für sich (für ihr Bedürfnis) und nicht gegen andere.« (Gens 2007, S. 11) Damit meine ich, dass Pflegende u. a. darauf achten sollten, dass sie das Verhalten und Bestreben eines Menschen mit Demenz so wahrnehmen und deuten, dass sie die dahinter liegenden Bedürfnisse erkennen. Dazu zwei Beispiele:  Eine Hausgemeinschaftsbewohnerin wertet Pflegekräfte und Mitbewohner ab: »Na, da kommt ja die Dicke!« – »Guck mich nicht so unfreundlich an!« – »Du hast ja gar keine Ahnung!« Auf den ersten Blick könnte man meinen, diese Bewohnerin sei »schroff«. Hinter ihren Äußerungen liegt aber ihr Bedürfnis, ihren Status als Frau »R« aufrechtzuhalten. Vermutlich hat sie ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Bestätigung ihrer Person.  Eine alte Frau fragt bei allen Kontakten mit den Pflegekräften: »Wie lange bin ich schon hier?« – »Was kommt als nächstes?« – »Was machst Du jetzt?« Damit möchte sie niemanden nerven, was jedoch angesichts der Intensität und Häufigkeit der Fragen vorkommen kann. Die alte Frau hat aber wahrscheinlich ein intensives Bedürfnis nach Sicherheit. Vermutlich

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hat sich in ihrer eigenen Welt vieles verändert, sie verfügt über wenig Informationen, was ihre neue Umgebung und ihr derzeitiges Leben angeht. Durch die demenzielle Symptomatik werden die Bedürfnisse unklar oder verschlüsselt ausgedrückt. Pflegende erkennen die Bedürfnisse nicht auf den ersten Blick. Teilweise werden Bedürfnisse auch so geäußert, dass Pflegende sie nicht gleich verstehen können. Dann kann die helfende Frage sein: »Was hat er/sie für sich zu erreichen versucht?« Allerdings stehen Pflegekräften bei der verstehenden Wahrnehmung der Klientenbedürfnisse die eigenen Bedürfnisse im Weg. Ein Beispiel: Eine Pflegekraft erarbeitet die Pflegeplanung für eine alte Frau mit Demenz im Bereich der Körperpflege. Das Thema ist, dass die Bewohnerin  von sich aus keine eigene Körperpflege durchführt;  ca. 1 x täglich keine Körperpflege möchte. Sie reagiert mit Ablehnung auf das Angebot der Pflegekraft, jetzt gewaschen zu werden;  sich unter verbaler Anleitung Gesicht, Hände, Oberkörper vorne am Waschbecken sitzend wäscht. Anmerken möchte ich, dass diese Pflegekraft die einzige ist, die die Bewohnerin auch noch am Abend von Kopf bis Fuß wäscht. Alle anderen führen eine knappe Teilwaschung (Gesicht, Hände, Intimbereich) durch. Die Pflegekraft berichtete mir auch, dass sie selber mindestens zweimal am Tag duscht, bei Bedarf auch häufiger. Ich habe daraus den Rückschluss gezogen, dass sie ihr ausgeprägtes Reinlichkeitsbedürfnis auf die Bewohnerin übertragen hat. Das Bedürfnis der Bewohnerin, sich so gut wie gar nicht zu waschen, konnte die Pflegekraft kaum erkennen. Sie stand sich selber im Weg. Nachfolgend zähle ich Bedürfnisse auf, deren Befriedigung für die Klienten immens wichtig sind. Quellen dafür finden sich bei Autoren wie Kitwood, Maslow, Feil und Scharb und vielen anderen. Wichtig ist, dass Klienten mit ihren Handlungen ihre Bedürfnisse befriedigen möchten – auch wenn diese Handlungen für Pflegekräfte nicht oder nicht sofort durchschaubar sind. Hier kommt eine Auflistung von menschlichen Bedürfnissen, die Sie immer wieder zur Hand nehmen können: Abwechslung, Aktivität, Akzeptanz, Aufmerksamkeit, Ausgewogenheit, Austausch, Authentizität, Autonomie, Beständigkeit, Bewegung, Bildung, Effektivität, Ehrlichkeit, Einfühlung, Entspannung, Entwicklung, Feiern, Freiheit, Freude/Spaß, Frieden, Geborgenheit, Gemeinschaft, Gesundheit, Glück, Harmonie, Identität, Initiative, Inspiration, Integrität, Intensität, Kongruenz, Kontakt, Kraft, Kreativität, Kultur, Lebensfreude, Liebe, Menschlichkeit, Mitgefühl, Nähe, Natur, Offenheit, Ordnung, Originalität, Respekt, Ruhe, Schutz, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Selbstverwirklichung, Sexualität, Sicherheit, Sinn, Spiritualität, Struktur, Unterstützung, Verantwortung, Verbundenheit, Vergnügen, Verständigung, Vertrauen, Wahrgenommen werden, Wärme, Wertschätzung, Zentriertheit, Zugehörigkeit.21

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Quelle: Gens, K.-D.: Mit dem Herzen hört man besser. Junfermann, Paderborn 2007

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Das Grundbedürfnis, sich sicher und geborgen zu fühlen. Halt und Orientierung im Leben, Sicherheit, Gewissheit, Vertrauen, Sorglosigkeit, Geborgenheit, Schutz und Stabilität geben uns das Gefühl des »Sich-sicher-Fühlens«. Das Gegenteil: Angst, Unsicherheit, Sorge, Unklarheit. Maslow beschreibt das Sicherheitsbedürfnis als ein Bedürfnisensemble, das immer dann auftaucht, wenn die physiologischen Bedürfnisse (Bewegung, Körperkontakt, Essen, Schlafen, Wärme, Sinneseindrücke, Freisein von Angst, Bedrohung und Chaos) relativ gut befriedigt sind.22 Das individuelle Sicherheitsbedürfnis ist unglaublich vielfältig. So ist es z. B. absolut üblich, dass Teilnehmerinenn immer wieder den gleichen Sitzplatz bei Ein- oder Zweitagesveranstaltungen einnehmen. Der bekannte Platz, die vertrauten Nachbarinnen bieten Sicherheit. Andere Menschen gehen niemals ohne Handy oder Geldbörse aus dem Haus – und beides hat seinen festen Platz. Sicherheit vermittelt die Gardine, die nachts einen Spalt breit geöffnet ist, die leise Musik zum Einschlafen, das Buch auf dem Nachttisch. Alle Menschen sehnen sich nach Geborgenheit, nach Wärme, Schutz, nach einem umfassenden Gefühl des »Sich-angenommen-Fühlens«, nach liebevollem Körperkontakt, nach zärtlicher Berührung und Sprache, nach dem Gefühl von Sicherheit und Liebe. Kitwood nennt das Bedürfnis nach Liebe ein »allumfassenden Bedürfnis« und weist weiter auf Frena Gray-Davidson hin. »Sie stellt fest, dass Menschen mit Demenz oft ein unverhülltes und beinahe kindliches Verlangen nach Liebe haben. Unter Liebe versteht sie eine großzügige, verzeihende und bedingungslose Annahme, ein emotionales Geben von ganzem Herzen, ohne die Erwartung einer direkten Belohnung« (Kitwood 2000, S. 121). Das Wort Liebe wird in unserer Kultur und Gesellschaft häufig sehr begrenzt benutzt. Meist wird die Liebe zwischen Paaren und in Familien benannt. Die Liebe zum Leben, zu anderen Menschen, taucht oft erst im Kontext des jeweiligen Glaubens auf, nicht unbedingt als eine Grundvoraussetzung des menschlichen Seins und als Basis des sozialen Leben und Erlebens. Aber jeder Mensch möchte geliebt werden, möchte zuhause sein, irgendwo hingehören. Das Grundbedürfnis, Status und Prestige zu besitzen. Das ist das Bedürfnis, Anerkennung für die eigene Rolle, für die eigene Kompetenz zu bekommen. Die Autorität, die man im Leben hatte, z. B. in der Arbeit oder in der Familie, soll erhalten und akzeptiert werden. Dieses Bedürfnis wird auch beeinflusst durch den Stand, die soziale Herkunft, Prägung und die individuellen Werte. Es drückt sich in der Sprache aus, wird durch Kleidung, Autos, Handys und andere Utensilien vermittelt. Bei alten Damen ist es manchmal die Handtasche, in der die ganze Identität steckt.

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Messer, B.: Tägliche Pflegeplanung in der stationären Altenpflege. Schlütersche, Hannover 2001

Bedürfnisse

Der Status zeigt sich auch daran, wer man war, was einen ausmachte, worauf man stolz ist, was man erreicht hat. Im Alltag wird der Status ständig zwischen den Menschen ausgehandelt. Dem sozialen Handeln und Erleben liegen Status und Rollen zugrunde. »Status Hoch oder Niedrig, das scheint ein Grundmuster der Gesellschaft zu sein. Reiche und Arme, Herrschende und Beherrschte, Ehrenwerte und Minderwertige gibt es ja bekanntlich überall. Die Verhaltensforschung hat darauf hingewiesen, dass wir uns auch im persönlichen Verhalten an der Vertikalen, am hohen bzw. niedrigen Status orientieren und körperlich signalisieren, wo wir uns selbst einordnen: oben, um über den Schwierigkeiten zu stehen, oder unten, um bloß kein Gegner zu sein.« (Batz & Schroth 1983, S. 126) Menschliches Handeln erfolgt stets in sozialen Rollen. »Meist erfüllen wir mehrere Rollen. Wir sind z. B. Lehrer, zugleich Ehemann und Vater, aber auch wieder Sohn und Nachbar. Jeder dieser Rollen sind unterschiedliche Erwartungen zugeschrieben, die variieren können. Neben dem Ausfüllen dieser Rollen sind wir permanent damit beschäftigt, uns darzustellen. Hierfür greifen wir auch zum größten Teil auf Rollenerwartungen und Rollenannahmen zurück, die uns bekannt sind.« (Masemann & Messer 2009) Aber das ist auch dann der Fall, wenn wir in der Erinnerung leben und den Bezug zur aktuellen Gegenwart bruchstückhaft erleben. So sind überall alte Menschen mit Demenz anzutreffen, die intensiv in früheren Rollen leben, wie z. B. Mutter, Mann, Vater, Kollege, etc. Genau hier finden sich konkrete Ansatzpunkte, um Kontakt, Nähe und Beziehungen zum alten Menschen herzustellen. Wir können den jeweiligen Status einen Menschen stärken, ihn in seinem Person-sein-Gefühl stärken, wenn wir in Kontakt und Kommunikation mit ihm an seine frühere Identität und Rolle erinnern. Als Vater, Mutter, Kind, Zugehörigem zu einem Ort, einer Region, als Angehöriger eines Berufes. Wenn diese oder ganz andere positiv besetzte Selbstbilder aktiviert werden, fördern wir angenehme Gefühle und Erinnerungen. Dies wirkt sich positiv auf die Verfassung des Betroffenen aus. Erwin Goffman (2003) sagt, dass das Handeln stets in sozialen Rollen erfolgt und dass die Selbstdarstellung des Einzelnen nach vorgegebenen Regeln ein notwendiges Element menschlichen Lebens ist. An dieser Selbstdarstellung hängt auch die Rangordnung, der Status. Mal ist er hoch, dann wieder niedrig, je nachdem, wo wir uns gerade befinden. »Status: (sozialer Status) Grad der sozialen Wertschätzung der Position eines Individuums oder einer Gruppe in der unter spezif. Wertgesichtspunkten entwickelten Rangordnung. (»Prestige«) eines sozialen Systems. Er wird durch persönliche Eigenschaften (Begabungen), v. a. jedoch durch Merkmale wie Einkommen, Herkunft, Bildung, Beruf sowie S.-Symbole (Besitzgegenstände, Titel) bestimmt.«23 Vieles an Statuszuschreibungen ist unausgesprochen. So ist klar, dass der Reiche meist auch ein neues, großes Auto vor der Tür hat und viel in der Welt herumreist. Wer in der Natur ohne Zelt und Spirituskocher überleben kann, hat einen höheren Status, als jemand, der sich im Wald überhaupt nicht auskennt. Wissen, Fähigkeiten, Möglichkeiten, Geld, Herkunft, Kultur, auch das Geschlecht sorgen für die Statuszuschreibung. Es gibt immer wieder Irritationen bis

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Brockhaus, Band 13. Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 1999

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hin zu globalen Kriegen und Konflikten, wenn z. B. Statuszuschreibungen, die von einer kleinen Gruppe aufgestellt werden, von der Mehrheit nicht akzeptiert werden. So ist es auch kein Wunder, dass Bewohner sich um den besten Nachtisch oder überhaupt um den Platz im Speisesaal streiten. Pflegende können den Menschen mit Demenz Gutes tun, wenn sie ihren Status stärken und ihr Bedürfnis nach Status und Anerkennung erkennen und befriedigen.



Stärken Sie die bisherige gesellschaftliche oder private Rolle, z. B. die Aufgabe im Beruf oder Alltag mit Sätzen wie: – Sie haben doch Ihr Tun gehabt, mit den vielen Kinderm! – Was für eine Aufgabe! Bei der Feuerwehr zu sein! – So lange haben Sie Ihre Arbeit durchgeführt, so fleißig und treu! – Sie können stolz auf Ihre Kinder sein! Das war eine große Aufgabe, in den ganzen Jahren, die Kinder groß zu ziehen. – Sie haben zuhause die Hosen angehabt! – Bewundernswert! Was Sie alles geleistet haben!

Hierzu ein ganz aktuelles Beispiel aus einer Schulung zum Thema »Pflege von Menschen mit Demenz«: Eine der Heimbewohnerinnen möchte immer wieder den Bus nach X. nehmen. Sie sitzt mit Jacke, Tasche etc. am Ausgang der Einrichtung und fragt die vorbeikommenden Menschen, wann denn der nächste Bus fährt. Erklärungen zur Wetterlage und zum Fahrplan bringen nichts. Im Rollenspiel arbeiten wir diverse Möglichkeiten der Reaktion durch. Die Variante eines älteren männlichen Pflegers beeindruckte mich enorm und ich möchte sie hier anführen: »Guten Tag, Frau Müller! Sie wollen nach X.?« (Hier ist schon eine positive Bewunderung in der Sprache) »Das ist ja beachtlich! Sie wollen sich allein auf den Weg machen?! Und Sie sehen so gut aus, haben Sie etwas Besonderes vor? Wartet da jemand auf Sie, für den Sie sich so hübsch gemacht haben?« Die alte Dame erhält hier Anerkennung, Bewunderung. Das schmeichelt und weckt positive Gefühle. Statt nun los zu wollen, schwelgt sie in ihren Erinnerungen. Zurückgesetzt und traurig würde sie sich bei folgender Reaktion fühlen: »Ach, der Bus ist schon weg«, oder: »Der Bus fährt heute nicht mehr« Das Grundbedürfnis, produktiv zu sein und gebraucht zu werden. Wir alle möchten etwas leisten, Anerkennung dieser Leistung und dadurch auch Anerkennung unserer Person erhalten. Wir wollen gebraucht werden, in Freundschaft und Beziehung, in Familie und Arbeit. Unser gesamtes »aktives« Leben besteht aus dem Bestreben, solche anerkannten Leistungen zu vollbringen.24

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Scharb, B.: Spezielle validierende Pflege. Springer Verlag, Wien, New York 1999

Bedürfnisse

Bei alten Menschen, die ein untätiges Leben führen oder erleben und nicht mehr orientiert sind, kann es passieren, dass sie sich aus der tristen, reizlosen Umgebung, in der sie sich überflüssig fühlen, zurückziehen und eine Zeitreise antreten – in die Jahre, in denen sie aktiv und produktiv waren; in denen sie etwas bedeuteten. Vielleicht wird in vielen der Handlungen, die Pflegekräfte scheinbar als »unsinnig« einordnen, eine alte Tätigkeit oder Handlung wiederbelebt.

Halten wir uns vor Augen, wie der Alltag der alten Frauen und Männer früher aussah, wird schnell klar, womit sie sich geschätzt, produktiv und wichtig erleben können. »Die alten Frauen im gerontopsychiatrischen Pflegeheim waren alle älter als 80 Jahre. Seit ihrer Jugendzeit wurden sie sozialisiert in einem traditionellen Muster: Zuhause war der Platz der Frau: zu Hause sein und für andere sorgen, das war gutes Verhalten. Ihr Leben wurde daher auch von diesem Gedanken bestimmt. Ihre Aufgabe, ihr Leben war es, zu Hause zu sein für andere. Ob sie es gut fand oder nicht, danach wurde sie nicht gefragt: Sie war zu Hause, so sollte es sein« (Bosch 1998, S. 59–61)

Ausnahmen gibt es immer: Akademikerinen, Ordensfrauen, Schwule und Lesben (die offen oder verdeckt gelebt haben), Künstlerinnen, Menschen in der Stadt, Menschen auf dem Lande, etc. Hinweise auf mögliche Bedürfnisse gibt es viele:  Sätze wie »Ich muss jetzt nach Hause, die Kleinen warten schon …«  Sätze wie »Lassen Sie mich durch, meine Kollegen warten auf mich …«  Bewegungen und ausgeführte Aufgaben wie Wischen, Räumen, etc., aber auch Kontrollieren, Leiten und Führen, Agieren und Interagieren  Verwendung von Kleidung, Material und Gegenständen, bzw. die Verwendung anderer Gegenstände  … Der Alltag von Männern bestand vielfach aus Arbeit und Vereinsleben. Die Familie war nachrangig. Häufig waren sie aktive Soldaten. Daraus erschließen sich viele Aktionen, um einem alten, demenziell erkrankten Menschen das Gefühl zu geben, wichtig und bedeutsam zu sein, mit dem, was er oder sie tut. Ich werde nie die ehemalige Schuhverkäuferin vergessen, die ihr Zimmer gleich neben der Pflegedienstleitung hatte, auf die ich wartete. Es war eine »feine« Frau, die mich dort auf dem Flur ansprach und auf meine Schuhe deutete. Vor ihrem Zimmer standen etliche Schuhpaare und sie sagte zu mir: »Sie haben aber schöne Schuhe, möchten Sie mal näherkommen? Was für eine Größe tragen Sie denn? – Oh, sehr groß! Da muss ich mal schauen, was ich da habe …« Und so ging es noch minutenlang weiter, bis ich mich kurz darauf im Zimmer der PDL wiederfand, um eine Schulung zu besprechen. Das Grundbedürfnis, spontane Gefühle auszudrücken. Gefühl oder Fühlen bezeichnet:  eine Emotion, einen psychophysiologischen Prozess mit subjektivem Gefühlserleben und Änderung der Verhaltensbereitschaft  eine Sensibilität (Medizin), in Physiologie und Wahrnehmungspsychologie den »fünften Sinn«, das Fühlen

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

 eine Art »vager Ahnung«, eine Eingebung bzw. Intuition  »ein Gefühl für etwas haben«, eine Fähigkeit bzw. Kompetenz Suche ich in Pflegefachbüchern nach dem Wort »Gefühl«, finde ich dazu nichts bzw. wenig. Das ist umso ungewöhnlicher, als doch fast alle Pflegenden z. B. Wohlgefühl schenken bzw. haben wollen. Aber auch in jungen Jahren verfügen wir nicht alle über die Gabe, unsere Gefühle deutlich und neutral zu kommunizieren. »Manche Menschen haben niemals eine persönliche »Gefühlssprache« entwickelt, mittels derer sie das Spektrum ihres Erlebens umfassen könnten« (Kitwood 1997, S. 118) Rosenberg zitiert den Psychoanalytiker Rollo May und der schlägt vor, dass »der reife Mensch die Fähigkeit entwickelt, Gefühle in genauso viele Nuancen, starke und leidenschaftliche oder feinere und gefühlvollere, zu differenzieren, wie sie auch in den unterschiedlichen Musikpassagen einer Symphonie vorkommen«. Für viele von uns jedoch sind die Gefühle, mit Mays Worten ausgedrückt, »so begrenzt wie die Töne eines Hornbläsers« (Rosenberg 2002, S. 51).

Gerade im Erleben der Demenz spielen Gefühle eine große Rolle. Sie sind unmittelbar da, tauchen auf, ohne sich großartig anzukündigen. Zumindest für den Betrachter. Der Betroffene fühlt sicherlich intensiv und auch länger. »Die demente Person spürt Gefühle und drückt sie mit Mimik, Gestik, Körperhaltung und Verhalten aus, wenn sie die Wort nicht findet« (Grond 2003, S, 31).

Wir wissen, dass bei der Kontaktaufnahme zu Demenzkranken auch die Gefühle des Pflegenden eine ebenso starke Rolle spielen, wie die des Klienten. Konzepte wie Mäeutik und Validation beruhen auf der Wahrnehmung und Achtung der Gefühle – auf beiden Seiten. Ein Beispiel: Ich durfte während eines Trainings »Pflegeplanung für Menschen mit Demenz« eine Hausgemeinschaft besichtigen. Um die Frühstückszeit tauchte ich dort plötzlich in der Wohnküche auf. Für viele der demenziell erkrankten Bewohner war ich eine neue, unbekannte Person. Nicht aber für eine kleine Frau, die im Morgenmantel umherlief, mit strahlenden Augen alle Menschen in ihrer Umgebung ansah, jeden berührte. Auch mich und obwohl sie mich nicht kannte, näherte sie sich mir zügig und direkt und flüsterte mir ins Ohr. »Und Du bist auch lieb«, sagte sie und lächelte. Sie handelte und fühlte vollkommen spontan. Es gibt natürlich auch die eher unangenehmen Gefühle. Kitwood beispielsweise führt hier die Domäne des »negativen« Erlebens an, die ich sehr aussagekräftig finde. Sie gibt mir Erklärungen für die Ursache von spontanen, ungebremsten und starken Gefühlen.  »Angst vor dem Verlassensein  Angst vor dem Kontrolliertwerden – Gefühl des Verfolgtseins  Angst vor Erniedrigung – Gefühl der Bedrohung  Gefühl der Absonderlichkeit  Gefühl des Gefangenseins – Panik  Gefühl des Ausgeschlossenseins – Trauer  Frustation über Schwächen

Bedürfnisse

      

Trauer über den Verlust des Familienlebens Angst, eine Last zu sein Frustation über den Verlust von Fähigkeiten Wut über die Demenz Wut über die Reaktion anderer Gefühl der Nutzlosigkeit und Wertlosigkeit Gefühle der Bestürzung« (Kitwood 1997, S. 119)

Diese kleine Auflistung zeigt deutlich, wie viele Gefühle gibt. Wir sind sehr davon beeinflusst, unsere Gefühle auszudrücken, uns anderen Menschen gegenüber mitzuteilen. Gefühle sind nicht eindeutig, sondern verworren. Sie sind nicht einfach, sondern komplex. Sie sind nicht nur hell und erhellend, sondern haben ihre Schatten und ihre Schwärze. Meist sind sie wie Eisberge, bei denen man nur einen kleinen Teil sieht, der größere ist unter Wasser verborgen. Gefühle begleiten uns schon, bevor wir auf der Welt sind, immer und überall. Der Gefühlsausdruck findet intensiv über den Körper statt. Er reagiert schneller als unser Verstand. Wir werden beispielsweise rot, bevor wir wissen, das wir verlegen sind. Im Laufe des Erwachsenwerdens verlernen wir den unmittelbaren Gefühlsausdruck. Bestimmte Gefühle werden aufgrund von allgemeingültigen Regeln unterdrückt. Lautes Lachen oder Weinen in einem vornehmen Restaurant, in einer ernsthaften Besprechung oder im Zugabteil gelten als unerwünscht. Es ist nicht immer leicht, die eigenen Gefühle zu verstehen, sie angemessen zu äußern, zu kontrollieren, wenn es notwendig ist. Der Umgang mit den eigenen Gefühlen trägt dazu bei, sich besser verstehen zu lernen. Unverstandene Gefühle können krank machen. Unangenehme, schmerzliche Gefühle sind leichter zu ertragen, wenn sie ausgedrückt werden können. Das ist ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir natürlich auch die Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen sollten, wenn wir nicht demenziell erkrankt sind. Gefühle können über uns kommen, wir können sie aber auch auslösen. »Ich glaube, wir gestalten in jedem Moment unsere Gefühle selbst – durch unsere Gedanken. Wenn Sie sich gerade an Ihren letzten wunderschönen Urlaub erinnern, fühlen Sie sich wahrscheinlich wohl und fröhlich – wenn Sie an den letzten Konflikt mit einem Kollegen denken, ist die Gefühlslage wohl eher bedrückend. Wie wir uns fühlen, hängt also sehr von der Art zu denken ab, davon, welche Bedeutung wir den Geschehnissen geben« (Gens 2007, S. 36). Wie aber gehen wir mit Gefühlen um? Wenn wir uns beispielsweise über etwas sehr ärgern, tut es uns gut, zu fluchen, zu schimpfen, mit dem Bein aufzustampfen, zu schreien, jemanden anzurufen und ihm den Grund des Ärgers mitzuteilen. Gefühle wie Freude und Glück teilen wir gern, um sie so noch intensiver wahrzunehmen. Im hohen Alter wird der Filter, der zwischen Ich und Über-Ich in der Kindheit installiert worden ist, durchlässig; die Gefühle dringen häufig direkt hinaus. Auch dann, wenn die alten Menschen dazu erzogen wurden, Gefühle nicht zu zeigen, wollen angesichts des Lebensendes viele Gefühle – die evtl. angestaut und jahrzehntelang unterdrückt worden sind – hinaus. Das geschieht auch auf direktem, unverblümten Wege. Dies betrifft besonders die Urgefühle wie Liebe, Angst, Hoffnung, Freude.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Ein Gefühl ist oft da: Das typische Gefühl »Ich möchte nach Hause« ist sicherlich allen bekannt. »Das Gefühl, sich nicht zu Hause zu fühlen, äußert sich vor allem in der ständigen Auseinandersetzung mit dem Thema »nach Hause wollen«. Genau wie früher haben diese Frauen das Gefühl, zu Hause sein zu müssen. Sie sehnen sich nach dem Alten und Vertrauten; sie sind auf der Suche nach dem Zuhause, sie befinden sich auf dem Weg nach Hause, sie haben Angst, nicht rechtzeitig zu Hause zu sein, sie begreifen nicht, dass sie nicht nach Hause dürfen. Dadurch entstehen Trauer, Ärger und manchmal auch Aggressionen.« (Bosch 1998, S. 60)

2.2

Elemente der Identität

Ein weiterer Ansatz, um die Lebenswelt von alten Menschen mit Demenz besser zu verstehen, sie sich intensiver vorzustellen, ist der über die Elemente der Identität. Dazu gehören Fragen, wie: »Wer ist der Klient, mit dem wir es jeden Tag zu tun haben?« – »Was ist er für ein Mensch?« – »Was ist er für eine Identität?« Kors & Seunke verstehen unter Identität das Selbstbild, die Summe aller Verhaltensweisen, Fertigkeiten, Kenntnisse, Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale, die einen Menschen von einem anderen unterscheiden.25

Es gibt viele Elemente der Identität, einige der bedeutendsten:  Eigentum, Wohlstand  Arbeit  Religion  Erfahrung, Wissen und Ausbildung  Werte und Normen  Das Äußere  Körperliche, psychische und geistige Gesundheit  Das soziale Umfeld

Berücksichtigen wir bei der Pflege und dem geplanten Pflegeprozess diese Aspekte des Menschen, den wir pflegen, so wächst die Chance, eine größtmögliche individuelle und zufriedenstellende Pflege zu geben und zu gestalten. Es gibt derzeit eine Fülle von Ansätzen, eine Pflege für Menschen mit Demenz zu gestalten. Neue Konzepte, Kenntnisse und Haltungen kommen dazu. Es gibt immer mehr Menschen, die sich dem Thema »Pflege von Menschen mit Demenz« stellen, ihre Kompetenz und Leidenschaft einbringen. Täglich gibt es im Internet neue Seiten, neue Fachjournale entstehen, Wettbewerbe werden ausgeschrieben, etc. Hier ein paar der Gedanken und Konzepte, die für mich eine Bedeutung haben und die ich Ihnen ans Herz legen möchte. Sie berühren mich zum Teil selber sehr intensiv und sie sind auch Stützpfeiler meines Pflegemodells der FEDL: Es sind die Modelle von Erik Erikson, Erich Böhm und Naomi Feil.

25

Kors, B.; Seunke, W.: Gerontopsychiatrische Pflege. Ullstein Mosby, Berlin, Wiesbaden 1997

Der Ansatz von Erikson

2.3

Der Ansatz von Erikson

Erik Erikson war ein weltbekannter Wissenschaftler und Psychotherapeut, der am 15. Juni 1902 in der Nähe von Frankfurt geboren wurde und, ohne ein Hochschulstudium absolviert zu haben, Professor einer amerikanischen Elite-Universität, vielfacher Ehrendoktor und PulitzerPreisträger wurde. Mit 25 Jahren gelangte er, eher zufällig, in den Wiener Kreis um Sigmund Freud. Erikson prägte im Laufe der Jahre Begriffe wie z. B. »Lebenszyklus«, »Urvertrauen« oder »Identitätskrise«, die mittlerweile ganz selbstverständlich im allgemeinen Wortschatz zu finden sind. Der Geist der Integration und Versöhnung ist bestimmend für Eriksons Werk und Leben. Er wollte Gemeinsamkeiten herausstellen zwischen unterschiedlichsten Standpunkten und Ideen, zwischen verschiedenen Menschen und Weltanschauungen; dabei bereiste er viele Länder, folgte vielen Spuren und Themen. Durchgängig war, dass er immer wieder die Psychoanalyse mit anderen Disziplinen wie Pädagogik, Kulturanthropologie, Soziologie, Geschichte, Literaturwissenschaften und der Theologie verband, überall suchte er Verbindungen. 2.3.1

Die acht Stufen des menschlichen Lebenszyklus

Eriksons Werke sind allgemein faszinierend, speziell für die Altenpflege bekommt sein Modell der Persönlichkeitsentwicklung – Die acht Stufen des menschlichen Lebenszyklus – eine besondere Bedeutung. Mir selber hat es gerade im Nachhinein manche scheinbar »eingefahrere« Pflegesituation verständlich gemacht. Ich hielt quasi den Schlüssel des Erkennens in der Hand. Seit seiner psychoanalytischen Ausbildung in Wien war die Beschäftigung mit den typischen Stationen und Krisen des menschlichen Lebensweges eines der Hauptinteressengebiete Eriksons. Sein Acht-Phasen-Konzept des »Lebenszyklus« ist bis auf den heutigen Tag eines der bekanntesten Entwicklungsmodelle in der modernen Psychologie.

Ausgangspunkt ist die fundamentale Entdeckung Freuds, wie konflikthaft die Entwicklung des Menschen von früher Kindheit an verläuft: »Denn der Mensch muss, um im psychologischen Sinne am leben zu bleiben, unaufhörlich … Konflikte lösen, genauso wie sein Körper unaufhörlich gegen physische Dekompensation kämpfen muss.«

Freud sah in den ungelösten Konflikten der Kindheit die Quelle der Neurose, wodurch der Begriff »Konflikt« eher einen negativen, pathologischen Beigeschmack bekam. Andererseits stärken geglückte Konfliktlösungen Initiative und Selbstvertrauen und bringen die Persönlichkeitsentwicklung überhaupt erst voran. Angesichts immer wieder neuer Probleme, Aufgaben und Entscheidungen ist das menschliche Dasein bis zum Tod in ständiger Veränderung begriffen. Man kann nicht einfach die Lebensprobleme und Krisen des Erwachsenen als eine bloße Widerspiegelung kindlicher Erfahrungen und Ängste auffassen. Es war Erikson, der als Erster die klassische psychoanalytische Entwicklungstheorie über das Jugendalter hinaus ausdehnte und ein Gesamtmodell des Lebensweges entwarf, wonach sich dem Einzelnen in acht großen Entwicklungskrisen von der Geburt bis zum Tode Grundaufgaben, Grundprobleme

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

menschlicher Existenz stellen. Diesen Phasen gab er Überschriften, die möglichst prägnant Chancen und Risiken eines Lebensabschnitts bezeichnen sollten.26 Seine Absicht war es unter anderem, die Bedeutung der Lebensgeschichte für den Menschen darzulegen. Diese Erkenntnis und Ansichten finden wir heute in vielen Texten zur Bedeutung der Biografiearbeit in der Altenpflege wieder. Erikson ging davon aus, dass jedem Entwicklungsschritt unseres Lebens eine spezielle Lebensaufgabe zugeordnet ist, deren Lösung oder Scheitern für unser weiteres Leben entscheidend ist. Nach Erikson sind wir er zeitlebens bemüht, diese Lebensaufgaben zu lösen. Tabelle 4 gibt einen Überblick über diese Aufgaben und stellt kurz die Konsequenzen vor, wenn sie nicht bewältigt werden. Betrachten wir dieses Modell genauer, lässt sich daraus sehr viel Verständnis für das alltägliche Handeln von Menschen mit Demenz gewinnen. Tabelle 4: Die Lebensaufgaben nach Erikson. Stadium

Aufgabe

Misslingen der Aufgabe

1. Frühkindliches Alter

Grundlegendes Vertrauen, Vertrauen lernen

Misstrauen »Ich bin nicht lebenswert«

2. Kindheit

Regeln befolgen lernen, Selbstkontrolle

Scham, Schuldgefühl, Selbstvorwürfe

3. Adoleszenz

Identität finden Abnabelung von den Eltern

Unsicherheit, unklare Rollen »Ich bin nur jemand, wenn ich geliebt werde«

4. Erwachsene

Intimität lernen, Verantwortung für Gefühle, Misserfolge und Erfolge übernehmen

Isolation, Abhängigkeit

5. Lebensmitte

Neue Aktivitäten entwickeln, wenn die alten Rollen überholt sind

Stagnation, Festhalten an alten Rollen

6. Alter

Das Leben resümieren, innere Stärke, Integrität finden

Verzweiflung »Ich könnte ebenso gut tot sein«

2.3.1.1

Frühe Kindheit

Erikson spricht in dieser Phase von Urvertrauen, worunter er eine auf die Erfahrungen des ersten Lebensjahres zurückgehende Einstellung zu sich selbst und zu Welt verstehen möchte. »Mit Vertrauen meine ich das, was man im allgemeinen als ein Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens kennt, und zwar in bezug auf die Glaubwürdigkeit anderer wie die Zuverlässigkeit seiner selbst.«27

26 27

Conzen, P.: Erik H. Erikson. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln 1996 Erikson, E.: Identität und Lebenszyklus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1973

Der Ansatz von Erikson

Kommt ein Kind zur Welt, ist normalerweise die allererste und intensivste Beziehung die zur Mutter. Meist ist die Beziehung eng, ganz unmittelbar und geprägt durch eine körperliche, liebevolle Berührung und Erfahrung. Für das Kind, das noch kein Zeitgefühl hat, sich Situationen nicht logisch erklären kann, scheint dieser Zustand immerwährend. Die Welt ist in Ordnung.

Dann kommen die ersten Störungen, die Mutter verschwindet für eine geraume Zeit und das Kind bleibt zurück. Jetzt ist es Aufgabe des Kindes zu lernen, dass die Mutter immer wieder zurückkommt, es muss Vertrauen aufbauen und sich das Wissen erwerben, dass die Mutter es nicht im Stich lässt. Wenn dieses Kind aber nicht erlebt, dass die geliebte Person wiederkommt, wenn es »weggelegt« wird, barsch der Brust entzogen wird etc., dann wird hier der Same für ewiges Misstrauen gelegt. Hat ein Mensch nie gelernt zu vertrauen, so lebt er ein Leben lang mit dem Misstrauen, bzw. es taucht immer wieder auf. Wir alle kennen Klienten, die sich nicht sicher sind, ob das Portemonnaie nicht doch gestohlen worden ist; ob man »der nebenan trauen darf« etc. 2.3.1.2

Kindheit

Erikson nennt die nächste Entwicklungsaufgabe die »Initiative des Schuldgefühls«. Es finden drei Entwicklungsschübe statt: 1. Das Kind lernt, sich freier und kraftvoller zu bewegen und gewinnt dadurch ein weiteres, ja wie es scheint, ein unbegrenztes Tätigkeitsfeld; 2. Sein Sprachvermögen vervollkommnet sich soweit, dass es sehr viel verstehen und fragen kann, aber auch um so mehr missversteht; 3. Sprache und Bewegungsfreiheit zusammen erweitern seine Vorstellungswelt, sodass es sich vor seinen eigenen, halb geträumten, halb gedachten Bildern ängstigt. Kinder sind nun erstmals in der Lage, sich für konkrete Aufgaben zu engagieren, Pläne zu verfolgen, eigene Ziele zu verwirklichen – eine Verhaltensqualität, die in den Identifikationen und Rollenspielen dieser Entwicklungsphase in höchst fantasievoller Weise zum Ausdruck kommt. Parallel bildet sich nun das Gewissen heran, jenes spezifisch menschliche Organ der Selbstbeobachtung, das alles spontane Handeln überwacht und einschränkt. Wird die kindliche Initiative durch übermäßige Schuldgefühle zu sehr abgeschnürt, können daraus lebenslange neurotische Hemmungen resultieren.28 Dies Kinderalter ist u. a. davon geprägt, die Blasen- und Schließmuskelfunktion zu trainieren, sie unter Kontrolle zu bringen. Hört das Kind, wenn es z. B. ab und zu »in die Hose macht« ein: »Pfui, das macht man nicht!« oder bekommt es dafür etwas auf die Finger, stellt sich das »Schuldgefühl des Unschuldigen« ein.

28

Conzen, P.: Erik H. Erikson. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln 1996

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Erlebt ein Kind, dass alles, was es tut, falsch, schlecht und böse ist, so werden in ihm die Scham- und Schuldgefühle übermächtig und begleiten es ein Leben lang. Lesen wir Lebensgeschichten, dann wissen wir, dass viele Menschen sehr früh zur »Trockenheit« erzogen wurden, weil die Windeln jetzt für das kleine Geschwisterchen gebraucht wurden, weil es beim Einnässen geschlagen wurde, weil es die Finger – bei Androhung von Strafe – über der Bettdecke halten musste, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn alte Menschen mit Kot schmieren oder sich unendlich schämen, wenn sie eingenässt haben. Ursachen und Gründe für dieses Verhalten finden wir in der Kindheit der Person.

»Im Stadium der späten Kindheit beginnen wir auf unsere Weise unseren ›Rucksack‹ zu packen, den wir ein Leben lang mitschleppen: voll mit unbewältigten Schuldgefühlen, gegenüber unseren Eltern, unseren Partnern, unseren Kindern, den Patienten, den Kollegen; am falschen Ort zur falschen Zeit bei der falschen Person falsch gehandelt zu haben. Die Einflüsse der unterschiedlichen Sozialisation aus der Kindheit bei Gepflegten und Pflegenden – wie etwa unterschiedliche Moralbegriffe und ethische Einstellungen – sind oft sehr gegensätzlich und können zu erheblichen Konflikten im Pflegealltag führen« (Scharb 1999).

2.3.1.3

Adoleszenz

Dieser Phase kommt in unserem Leben eine große Bedeutung zu: Wir gewinnen eine neue Identität, wir lösen uns aus dem Elternhaus. Das Jugendalter, die Pubertät wird sehr intensiv erlebt, ein Experimentieren findet statt, es beginnt der Übergang in die selbstverantwortliche Identität des Erwachsenen, eine schwierige Aufgabe. »Die Adoleszenz wird eingeleitet durch den Hormonschub zu Beginn der Pubertät. Innerhalb kürzester Zeit »schießt« der Körper in die Höhe. Das Wachstum der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale und die erste Menstruation bzw. Pollution führen zu einem konkreteren Erleben der eigenen geschlechtlichen Identität. Diese neuen Körpererfahrungen können Quelle von Stolz und Autonomie sein. Man fühlt sich kraftvoll, attraktiv, bei den Gleichaltrigen angesehen. Andererseits verunsichern tatsächliche oder vermeintliche körperliche Mängel (das hässliche Gesicht, der zu kleine Busen), verborgene Ekelgefühle vor körperlich-triebhaften Dingen oder die Unzufriedenheit mit der eigenen Geschlechtsrolle die Identität des Pubertierenden … Die Bindung an die Eltern und deren Wertewelt ist fragwürdig geworden, auf der anderen Seite verfügt man noch nicht über eine sichere Position. Gerade weil aktuelle Schwierigkeiten nun stark wunde Punkte der Vergangenheit anrühren, reagieren junge Menschen besonders empfindlich. Eine harmlose Bemerkung des Lehrers oder ein geringfügiger Streit mit den Eltern kann jetzt als katastrophal kränkend erlebt werden. Dies mündet in eine Rollenverwirrung hinein, wie sie für Erikson die Gefahr dieses Stadiums darstellt: Man weiß nicht, wer man ist, was man wert ist, was man will, fühlt sich in einsamen Weltschmerzstimmungen beschämt, isoliert und missverstanden, zweifelt am Sinn des Daseins. Solche Stimmungen, wie sie wohl jeder junge Mensch durchlebt, fallen umso nachhaltiger aus, je ungefestigter die Identität durch frühere Konflikte ist. Das seit früher Kindheit tiefverwurzelte Gefühl, ungeliebt und überflüssig zu sein, wird durch Misserfolge in Schule oder Berufsausbildung verstärkt …

Der Ansatz von Erikson

Von daher ist die Grundfrage, ob der junge Mensch in dieser labilen Phase von seiner Umwelt ausreichend gestützt wird. Kann er auf seine Eltern rechnen, wird sein Ich durch Erfolge in der Schule und Ausbildung gestärkt, hat er genügend Rückhalt in der Gleichaltrigengruppe?«29 In dieser Phase tut es der Entwicklung der Identität gut, wenn ein Jugendlicher spürt: »Egal was ich mache, ich darf rebellieren, ich darf so sein, wie ich bin, meine Eltern lieben mich.« Steht die familiäre Liebe und Anerkennung dagegen auf wackligen Beinen, häufig mit dem vielen von uns bekannten Satz: »So lange Du Deine Füße noch unter meinen Tisch stellst, hast Du zu tun, was ich sage.«, fehlt der nötige Rückhalt, fehlt die Anerkennung und damit auch das Selbstvertrauen. Die Generation, die heute alt ist, hat noch ganz andere Dinge erlebt: Sie musste als Jugendliche in den Krieg, sie musste – selber noch jung – für eine Schar an Geschwistern sorgen, Mutterrollen übernehmen, kannte keine freie Berufswahl, es ging alles sehr schnell mit dem Erwachsenwerden, dem »Vernünftigwerden«. In solch einer Zeit – oder bei unsicherer Liebe im Elternhaus – wird dem Jugendlichen die Rebellion zu riskant, er traut sich nicht kämpfen, denn er hat ja die Liebe der Eltern dabei zu verlieren. Somit kommt die Angst, dass er dann allein sein und er wird immer das tun, was Vater und Mutter (später andere Autoritäten) von ihm erwarten. Es findet keine ausreichende Emanzipation statt, er wird in seinem Leben ohne Autorität unsicher sein: »Wir nabeln uns niemals ab. Wir lernen nie, was es heißt, ohne unsere Familie zu existieren, ohne ein Zuhause, ohne unsere Beine, im Rollstuhl, ganz allein. Wir definieren uns immer nur in Abhängigkeit von anderen. Das ist jene Art von alten Frauen, die sich an ihre Kinder, an die Nachbarn, an das Personal des Pflegeheims klammern. Sie werden zur Märtyrerin, klagen über ihre Wehwehchen und Schmerzen, geben der Welt Kunde von ihren organischen Beschwerden: ›Der Kopf tut mir weh, mein Magen schmerzt, mein Rücken tut weh.‹ Sie jammern: ›Eine Mutter kann zehn Kinder groß ziehen, aber von den zehn kümmert sich nicht eines um die Mutter.‹«30 2.3.1.4

Erwachsenenalter

Das Erwachsenenalter ist geprägt dadurch, das der junge Erwachsene zu sich gefunden hat. Je mehr das Ich-sein erlebt wird, desto eher ist ein Erwachsener in der Lage, sich einem anderen Menschen hinzugeben, ohne ein Verlust des Ichs befürchten zu müssen. Wahre Intimität entsteht und ist möglich dort, wo »die gegenseitige Bezogenheit zweier reifer Menschen, wie sie über ein bloß sexuelles Interesse oder eine rein erotische Faszination hinausgeht«.31

29 30 31

Conzen, P.: Erik H. Erikson. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln 1996 Feil, N.: Validation. Verlag Altern & Kultur, Wien 1990 Conzen, P.: Erik H. Erikson. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin, Köln 1996

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Aufgaben im Erwachsenenalter sind:  Eigenverantwortliche Rollenübernahme  Wahl eines Partners  Abstimmung des eigenen Lebensrhythmus’ auf die Einstellungen und Gewohnheiten des anderen  Veränderte Beziehungen zu Eltern und Freunden gestalten  Bindungen gestalten

Werden diese Aufgaben nicht gelöst, nicht richtig gestaltet, so tritt schnell das Gegenteil ein. Isolierung tritt auf, die Unfähigkeit, sich auf tiefe Beziehungen einzulassen und die damit einhergehende Angst, allein und unerkannt zu bleiben. Diese Isolierung kann auch sehr verhalten und leise auftreten, es können Symptome sein wie schüchterne Zurückgezogenheit, Empfindungen von Leere und Distanz dem anderen Geschlecht gegenüber. Hier hinein gehört auch die Unfähigkeit, über die eigenen Gefühle zu sprechen und dies auch beim anderen wahrzunehmen. Sind wir uns aber unserer eigenen Person sicher, so hängt unsere Fähigkeit zu lieben nicht davon ab, ob wir zurück geliebt werden, denn wir wissen tief in uns, dass wir es überleben, zurückgewiesen zu werden. Wir haben unsere eigene Identität. »Wenn wir aber bei der Erfüllung unserer früheren Aufgaben versagt haben, werden wir keine Intimität erlangen. Wenn wir uns als Kind nie zugetraut haben, die Hände von der Lenkstange des Fahrrades zu nehmen, wie können wir uns dann zutrauen, die inneren Schläge des Erwachsenenalters auszuhalten? … Wir werden isoliert und bürden uns eine neue Last auf, die wir bis ins hohe Alter mitschleppen müssen. Wir werden zu Einsiedlern. Im Altersheim sitzen wir abseits.«32 2.3.1.5

Lebensmitte

Erikson sieht als eine der Hauptaufgaben unseres Lebens die Elternschaft an, das Interesse daran, die nächste Generation zu gründen und in ihr weiterzuleben. Ich kann mich an einige alte Frauen aus dem pflegerischen Alltag erinnern, die mit der Geburt und ganz speziell mit früheren Fehlgeburten beschäftigt waren. Häufig dann, wenn sie ein verändertes Körpergefühl im Unterleib hatten, z. B. bei Verstopfung. In einer solchen Situation kann ein »altes Lebensthema« wieder aufbrechen.

In der Phase der Lebensmitte zeigt sich unser Älterwerden, die Falten werden tiefer, die Haare grauer. In unseren Lebenswegen tauchen Schicksale auf, wir erleben Verluste, Trennungen, Probleme aller Art. Alte Rollen werden überholt (Kindererziehung, Berufstätigkeit) und neue können übernommen werden. Hier gilt es zu akzeptieren, dass wir im Begriff sind, älter zu werden, dass unser Leben endlich ist. Unsere Chance ist es, uns weiter zu bewegen, nicht an dem Althergebrachten »kleben« zu bleiben, neue Türen zu öffnen.

32

Feil, N.: Validation. Verlag Altern & Kultur, Wien 1990

Der Ansatz von Erikson

Sind wir allerdings von klein an auf Perfektion und Angst vor Kontrollverlust konditioniert, dann fällt es uns unglaublich schwer, unsere tiefen Gefühle und unseren Kummer jemanden mitzuteilen. »Wie können wir die Wunden der Lebensmitte durchstehen? Ohne den Partner sind wir niemand; ohne Job sind wir nichts; ohne Brust sind wir geschlechtslos. Um zu überleben, leugnen wir das Ausmaß unserer Verluste. Wir können nicht das Risiko eingehen, neue Verhaltensweisen zu lernen, darum halten wir an den alten, ausgedienten Rollen fest. Ein Witwer lehnt jede neue Beziehung ab, niemand ist ihm gut genug. Ein Musikliebhaber weigert sich ein Hörgerät zu kaufen, es ist zu teuer. Ein Topmanager macht sich über einen Volontärjob lustig, seine Zeit ist teures Geld wert … Eine Hand wird zum Baby für eine Frau, die Mutter bleiben muss, ein Medikamentenwagen wird für den Bauern zum Traktor, mit dem er sein Feld pflügen möchte. Diese sehr alten Menschen müssen an ihren Berufen festhalten, sie haben sonst nichts zu tun. Sie sind darin eingesperrt, weil sie nur einen Schlüssel besitzen.«33 2.3.1.6

Hohes Alter

Der ältere Mensch steht im hohen Alter vor der Aufgabe, den eigenen Lebensweg abzurunden, darauf zurückzublicken. Es kommt ihm zu, aus der Fülle seiner Erfahrungen und Erinnerungen ein Gefühl individueller Ganzheit und Sinnhaftigkeit herauszubilden.

Ziele und Aufgaben dieser Phase sind:  Vertrauen in das Leben (nach Erikson eine Art von »Glauben«)  Ich-Integrität entwickeln  Innere Abgeklärtheit erlangen  Das individuelle Leben zum Abschluss bringen  Der Grundangst des Alters ins Auge blicken  Das Leben zu resümieren (»Ich kann akzeptieren, was ich bin, was ich war und nicht war«)

Laut Erikson macht sich Resignation und Verzweiflung breit, wenn eine solche positive Bilanz fehlt. Diese kann sich vielfältig zeigen: in Trauer, Bitterkeit, psychosomatischen Beschwerden, hypochondrischen Befürchtungen; einem resignierten Gefühl, die Zeit vertan zu haben und Wichtiges versäumt zu haben. Man möchte noch einmal ganz von vorn anfangen, um neuen Sinn zu spüren, Glaube, Ideale, Freundschaft und Liebe neu zu erleben. Die Erkenntnisse und Gedanken Eriksons gehören zum einen zum Validationsverständnis nach Feil. Zum anderen können diese Erkenntnisse eine große Hilfe in der pflegerischen Arbeit sein. Mit diesem Wissen lässt sich Verhalten von Menschen mit Demenz besser verstehen, ihre Antriebe, Bedürfnisse, ihre Eigenarten, ihre Prägung und Werte.

33

Feil, N.: Validation. Verlag Altern & Kultur, Wien 1990

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

2.4

Das psychobiografische Pflegemodell Böhms

Die Schriften von Erwin Böhm waren die ersten Bücher, die ich mir nach meiner Ausbildung gekauft habe. Böhm hat mich mit seinen Gedanken wach und kritisch gemacht. Ich betrachte ihn als eine wesentlich Quelle der Biografiearbeit. Sein Ansatz vom »Pflegen mit der Hand in der Hosentasche« ist eine Wurzel meines FEDL-Modells. Nachdem ich Erwin Böhm einmal persönlich erlebt habe, wurden seine Gedanken und Annahmen noch weitaus plastischer als vorher. Er ist eine unverzichtbare Basis der jetzigen Altenpflege und beschäftigt sich nunmehr seit 40 Jahren mit der Pflege verhaltensauffälliger Menschen. Um seine Ideale verwirklichen zu können, erstellte er als erster Pflegeforscher ein Pflegemodell für psychisch veränderte Betagte. Erwin Böhm, geboren 1940, war Krankenpfleger, Unterrichtspfleger, schließlich Oberpfleger im Psychiatrischen Krankenhaus Wien und Pflegedienstleiter der Abteilung »Übergangspflege« beim Kuratorium für psychosoziale Dienste in Wien. Seit 1994 ist er Fortbildungsbeauftragter des Österreichischen Krankenanstaltenverbundes. Drei Begriffe sind mit seiner Arbeit verknüpft: 1. Die biografisch orientierte Re-Aktivierende Pflege, 2. Die Übergangspflege 3. Psychobiografisches Pflegemodell mit der Pflegediagnose. Böhm ist Autor einiger Fachbücher und wurde für seine Verdienste um die Krankenpflege mit mehreren Auszeichnungen geehrt.

»Wir alle sind zum Leben, zum Wiederaufleben und Lebendig-sein und nicht zum Aufheben in einer bestimmten Institution geschaffen.«

Mit diesem Leitsatz hat Erwin Böhm in der Altenpflege viel Staub aufgewirbelt, denn damit stellt er die bisher übliche somatisch orientierte Sichtweisen in Frage. Er entwickelte ein spezifisches Pflegekonzept, das als Beziehungspflege oder auch Seelenpflege therapeutisch, symptomlindernd, bzw. heilend wirksam ist. Mit seinen Gedanken gibt er seit vielen Jahren der Altenpflege eine neue Richtung, die vielen im Alltag gar nicht bewusst wird. Auch die Biografiearbeit ist ohne die Erkenntnisse und Äußerungen Böhms kaum denkbar. »Zuerst muss die Seele bewegt werden«, forderte er bereits vor vielen Jahren und revolutionierte mit seinem Lebenswerk die Pflege und Betreuung verwirrter alter Menschen.

Das psychobiografische Pflegemodell Böhms

Auf den Punkt gebracht orientiert sich das psychobiografische Pflegemodell an den gefühlsmäßigen (emotionalen) und triebhaften Bedürfnissen des Menschen, der an Demenz erkrankt ist. »Grundprinzip ist, die thymopsychische Biografie als Ausgangspunkt der vorhandenen Probleme zu sehen (Thymopsyche = Gefühlsanteil der Seele). Innerhalb des Pflegemodells wird die Krankheit eher als seelisches Problem verstanden, das aus der jeweiligen Biografie des Menschen erwachsen ist.«34 »Er bezieht Biographie, Prägung, Herkunft, sowie Werte und Normen der zu Pflegenden in den Pflegeprozess ein. Bewohner und Patienten sollen über die Ansprache ihres Altzeitgedächtnisse wieder reaktiviert werden. Dass heißt, dass ihre Wertvorstellungen, Gewohnheiten und Bedürfnisse individuell erfasst und in den Pflegeprozess integriert werden. In der gerontopsychiatrischen Pflege ist es häufig so, dass alte verwirrte Menschen oftmals in der Vergangenheit leben; sie können die Realität nicht immer erkennen oder sie können sie sich nicht immer erklären. Sie sind beispielsweise noch in ihrem alten, früher ausgeübten Beruf, oder sie leben noch in ihren damaligen Rollen weiter, verbunden mit den Erlebnissen aus der alten Zeit. Sie sind weiterhin geprägt durch ihre Biografie. Durch ihre eigene Biografie, durch ihren Lebenslauf, aber auch durch den Lebenslauf dieser Generation. Diese biografische Begebenheiten müssen ernstgenommen werden, müssen beachtet werden, sonst kann ein demenzkranker Menschen nicht richtig zu verstanden werden. Weiterhin müssen auch Prägungen wie z. B. Autoritätsdenken, Schulbildung, berufliche Vergangenheit, regionale Herkunft (z. B. Land, Stadt – Stadtteil) mit in die Pflege einbezogen werden. Erst wenn wir dies alles von einem Menschen wissen, finden wie die richtigen, die geeigneten Maßnahmen, um ihn weitgehend so zu pflegen und betreuen, dass er sich wirklich wohlfühlt. Dazu gehören u. a. Anregungen, einen alten Menschen über sein Altzeitgedächtnis zu aktivieren. Dieses kann z. B. ein Gesprächsthema sein: (Wie haben Sie denn früher ihre Kinder satt machen können, obwohl so wenig zu essen da war? Was gab es denn bei Ihnen Sonntags zu essen? Und wie war das mit der Wäsche?) Hier kann es häufig helfen, neugierig zu fragen. Gleichzeitig können Beschäftigungen angeboten werden, die an das frühere kompetente Handeln erinnern. Verwirrte Menschen, die über die Sprache nicht mehr zu erreichen sind, reagieren eher auf Berührungen, Töne und Stimmungen. Viel positive Stimulation kann über das Berühren von Gegenständen, Tieren, Menschen erreicht werden, ebenso so wie über die Stimulation des Geruchssinnes. Wer hat nicht bei dem Geruch von Weihnachtsbäckerei angenehme Erinnerungen? Ähnlich ist es mit Düften von Waschmitteln, Seife, Parfümen, Blumen u. ä. Diese Liste ist unbegrenzt zu erweitern.«35

34 35

Maciejewski, B. et al.: Qualitätshandbuch Leben mit Demenz. Köln 2001 Messer, B.: Keine unüberwindbare Hürde. In: Heim und Pflege 8/2001

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Ein Hauptziel von Erwin Böhm ist es, dass die alten Menschen am Leben teilhaben können (Reaktivierendes Pflegekonzept). Eine ausschließlich versorgende Pflege (Warm-SattSauber) fördert dagegen den Rückzug und die Regression alter Menschen, indem sie sie zunehmend schwächer, abhängiger und hilfloser macht.

Regression ist ein auf Sigmund Freud zurückzuführender Terminus, er beschreibt die Rückkehr und das Zurückgreifen auf Gewohnheiten aus der Vergangenheit. Die pflegerische Forderung besteht daher in der Aussage, dass zuerst die Seele des alten Menschen bewegt werden muss und nicht wie üblich, die Beine. Dies geschieht in der FEDL »Anregung/Aktivierung«, bei der genau herausgefunden und beobachtet wird, wie ein Mensch anregbar ist, wo seine persönliche Motivation, seine Beweggründe für etwas liegen. Der alte Mensch muss für sich einen Sinn oder ein Motiv sehen können, um in der Folge seine Beine freiwillig zu bewegen. Er braucht ein »Wozu« und »Wohin«. Somit wird er morgens aufstehen, sich umkleiden, oder sich für den Tag stärken wollen. All das wird er aber nur dann machen, wenn er ein Lebensmotiv hat.

Das Lebensmotiv eines alten Menschen ist in seiner Prägungsgeschichte aufgehoben und kann darum wieder geborgen werden. Wir re-aktivieren das, was schon einmal da war. Daraus folgt für die alltägliche Pflege: Die Pflegenden setzen die Impulse, die einen Menschen wieder zum Leben erwecken.

Dies hat unter anderem Auswirkungen auf die Zielformulierungen (siehe dort). Die gesetzten Impulse sollen den alten Menschen bewegen, ihn in seiner Ich-Wichtigkeit bestärken. Weiterhin ist wichtig, dass die Beziehung in den Mittelpunkt der pflegerischen Arbeit gestellt wird. Dadurch tritt ein wesentliches Merkmal in der Vordergrund, das von Böhm stark beabsichtigt worden ist: die Menschenwürde. Böhm sagt, dass die Haltung der Pflegekraft die Handlung bestimmt. Die eigene Persönlichkeit der Pflegenden ist somit das wichtigste Mittel der Pflegearbeit. Denn die Sichtweise der Pflegenden bestimmt die Pflegeform und die Haltung, den Ausdruck der Pflegenden. Jeder Pflegende ist daher selbst gefragt und herausgefordert, nach eigenem Gewissen und eigenen Wertvorstellungen zu handeln. Durch das Verstehen der Lebensgeschichte des Betroffenen verändert der Pflegende seine Toleranzgrenze, seine Sichtweise zu bestimmten »Pflegeproblemen« und somit seine Pflege. Im Sinne einer verstehenden Pflege führt der Weg über die Beziehungsfähigkeit des Pflegenden zur individuellen Biografie des Bewohners. Die Pflege nach Böhm kann in voller Gänze ausgeführt werden, es arbeiten immer mehr Einrichtungen nach seinem Verständnis, vorzugsweise in Österreich, aber auch in Deutschland.

Das psychobiografische Pflegemodell Böhms

Allerdings lassen sich viele seiner bedeutsamen Erkenntnis in andere Pflegekonzepte und in ein persönliches Pflegeverständnis integrieren. Sie führten u. a. zum Pflegemodell der FEDL. Das Pflegeverständnis nach Böhm hat keine umsorgende Pflege zur Folge, sondern eine Förderpflege, ohne zu überfordern. Böhm ist überzeugt davon, dass jeder Mensch den Willen hat, sich selbst zu fördern, um gesund zu werden bzw. zu bleiben. Dies wird dann möglich, wenn die Pflege durch negative oder positive Zuwendung gestaltet wird, wenn unter Berücksichtigung des Altzeitgedächtnisses und der gezielten Reaktivierungsphasen gepflegt wird.

Bei den Reaktivierungsphasen bei alten Menschen mit Demenz muss folgenden Fragen nachgegangen werden:  Wo und wie können wir den alten Menschen in seiner momentanen Situation erreichen?  Wie waren die lebenspraktischen Fähigkeiten?  Wie und wo hat der Mensch gelebt?  Wie ist die Sozialisation verlaufen?  Welche wichtigen Ereignisse haben sich in seinem Leben ereignet?

Böhm unterscheidet in seinem Modell verschiedene Stufen der Erreichbarkeit oder Interaktionsstufen, in denen sich ein Mensch befinden kann. In der Pflege soll nun der Mensch mit Demenz solch einer Stufe zugeordnet werden. Diese Einteilung in Stufen ist ähnlich wie bei Feil mit dem Ziel verbunden, besser zu wissen, was der Betroffene erlebt, wie es geht, wo er sich befindet, über welche Kompetenzen etc. er verfügt. Absicht dieser Einteilung ist es auch:  den Menschen auch psychisch zu erreichen,  ihn besser zu verstehen,  Regression zu verhindern,  entsprechende Fördermaßnahmen anbieten zu können,  bei pathologischen Abbauprozessen wenigstens symptomlindernd pflegen zu können und, natürlich, reaktivierend eingreifen zu können.

In Einrichtungen, die nach dem Modell Böhm arbeiten, werden die Stufen für jeden Klienten erhoben, um seine individuelle Situation zu erfassen. Reaktivieren 1: Sozialisation, historische, regionale Geschichte und Zeitgeist Reaktivieren 2: Mutterwitz je nach Region, ironischer Witz, Dialekt und Muttersprache Reaktivieren 3: Emotionale Grundbedürfnisse, höhere Akkus der Seele Reaktivieren 4: Prägung, Aphorismen, bestimmte Verhaltensmuster, Milieusprache, Sprüche der Region, Arbeiter, Bürger etc.; Was macht mich wichtig? Was erregt mich? Wie mache ich was nach meinem Stil? Reaktivieren 5: Höhere oder niedere Triebe und Motive Reaktivieren 6: Intuition, Aberglaube, Volksbrauchtum und Religion Reaktivieren 7: Urkommunikation

Um Pflegesituationen richtig und genau zu erfassen, spricht Böhm auch von einer Pflegediagnose. Erst wenn alles erhoben ist, ist eine gründliche Einschätzung der Situation möglich. Eine Pflegediagnose nach Böhm ist abhängig von:

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der ärztlichen Diagnose; der Pflegeanamnese; dem Patienten/Klientenstatus (psychisch, physisch und sozial); dem differentialdiagnostischen Ausgang (gezielte Vorbereitung auf die Entlassung nach einer Adaptionszeit durch den Übergangspfleger. Die »Ich-Identität« wird zu Hause her- und die weitere Versorgung sichergestellt. Der Übergangspfleger führt ca. 25 Besuche zu Hause durch, um Coping- beziehungsweise Daseinsbewältigungsstrategien mit seinem Klienten zu suchen. Darüber hinaus führt der Übergangspfleger sogenannte Entlastungsgespräche mit seinem Klienten und/oder mit den Angehörigen durch); die Biografieerhebung, -arbeit.

Abschließend ist zu sagen, dass es niemals möglich ist, die Gesamtheit der Aussagen Böhms auf wenige Zeilen hinunterzubrechen. Dafür verweise ich gern auf seine Bücher. Dennoch ist es mir wichtig, seine Gedanken bei Pflegenden immer wieder zu »reaktivieren«. Für mich sind diese Gedanken nicht mehr aus meinen tiefen Verständnis der Altenpflege wegzudenken.

2.5

Validation nach Feil

Mit der Methode der Validation kam ich 1993 anlässlich einer kleinen Informationsveranstaltung mit Naomi Feil in Berlin zum ersten Mal in Kontakt. Ich war von Anfang an fasziniert von der Tiefe der Begegnungen. 1996 entschloss ich mich, bei ihr und ihrer Tochter Vicky de KlerkRubin die Ausbildung zum Validationsworker® zu absolvieren. Danach begleitete mich die Methode und das Verständnis der Validation bis heute, wobei ich allerdings einen gewissermaßen geteilten Standpunkt vertrete:

 

Die Validation lebt primär durch den, der sie anwendet. Validation ist eine von vielen Methoden und Ansätzen, die wir in unserem imaginären »Pflegerucksack« auf unserem Rücken haben.

Das Verständnis der Validation hat mir bisher in vielen pflegerischen Situationen die Augen geöffnet und ein neues Handlungsfeld gezeigt. Im Folgenden zitiere ich Texte aus meinen Seminarunterlagen und aus den beiden Büchern, die Naomi Feil geschrieben hat, ergänzt um neue Gedanken. 2.5.1

Die Methode der Validation nach Feil

Naomi Feil wurde 1932 in München geboren. Als sie vier Jahre alt war, floh ihre Familie aus Nazi-Deutschland und Naomi Feil wuchs im Montefiore-Altersheim in Cleveland, Ohio, auf, in dem ihre Eltern als Heimleiter arbeiteten. 1956 erwarb sie ihren Masters Degree an der Columbia University, New York School of Social Work (Thema: »Gruppenarbeit mit alten Menschen«). Anschließend leitete sie einige die Abteilung für Gruppenarbeit im Bird S. Coler-Spital, New York. 1963 kehrte sie an das Montefiore-Heim zurück. Als Gruppenarbeiterin und Assistenzprofessorin an der Schule für angewandte Sozialwissenschaften, Case Western Reserve University, Cleveland, Ohio, entwickelte Naomi Feil zwischen 1963 und 1980 die Validations-Methode.

Validation nach Feil

Sie versucht mit dieser Methode, den Grund für die Desorientierung zu verstehen, einen Rückzug in die Vergangenheit des Klienten zu verhindern sowie ein dauerhaftes Abtauchen in das von ihr so genannte »Stadium des Vegetierens« zu vermeiden. Dabei bedient sie sich aus anderen Bereichen:  Von Carl Rogers übernahm sie das Prinzip der einfühlsamen Grundhaltung in der Gesprächsführung, die Emphatie, auch zum Teil das Spiegeln;  Aus dem NLP (Neurolinguistisches Programmieren) übernahm sie Ansätze der Ansprechbarkeit über die bevorzugten Sinneskanäle und die Absicht, einen Validationskontakt zu beenden, sodass der Klient ein angenehmes, ein schönes Empfinden hat.  Erik Erikson lieferte eine Erklärung für das Verhalten vieler alter, desorientierter Menschen. Sie setzte dem Modell der Lebensstufen noch etwas hinzu: Sehr hohes Alter: Aufgabe: die Vergangenheit zu verarbeiten; Misslingen der Aufgabe: Vegetieren 2.5.2

Das Validationsverständnis nach Feil

 Validation akzeptiert Menschen so, wie sie sind.  Validation bedeutet, die Gefühle anderer Menschen anzuerkennen, ihnen die Gewissheit zu geben, dass ihre Gefühle wahr sind.

 Validation unterstützt Pflegende/Betreuende beim Umgang mit einem sehr alten, desorientierten Menschen, der seinen Gefühlen freien Lauf lässt.

 Validation kann die auslösenden Ursachen der Gefühle erklären.  Validation ist eine Kommunikationsform und Therapie.  Validation kann helfen, mit sehr alten, verwirrten Personen in Verbindung zu treten und zu bleiben.

 Validation bietet einfache, praktische Techniken an, die helfen, die Würde der Verwirrten wiederherzustellen.

 Durch Validation bekommen verwirrte, sehr alte Menschen jemanden, der ihnen mit Einfühlung zuhört; jemanden, der sie nicht verurteilt, sondern ihre Sicht der Realität akzeptiert. 2.5.3

Ziele der Validation nach Feil

Laut Feil gibt es folgende Ziele der Validation:  Wiederherstellen des Selbstwertgefühls.  Reduktion von Stress.  Rechtfertigung des gelebten Lebens.  Lösen der unausgetragenen Konflikte aus der Vergangenheit.  Reduktion chemischer und physikalischer Zwangsmittel.  Verbesserung der verbalen und nonverbalen Kommunikation.  Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. Es gibt in der Validation bestimmte Grundvoraussetzungen und Grundannahmen, die bezeichnend für das Verständnis sind.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

2.5.4

1. 2. 3. 4.

5. 6. 7. 8. 9.

10.

Die zehn Grundsätze der Validation nach Feil

Alle Menschen sind einzigartig und müssen als Individuen behandelt werden. Alle Menschen sind wertvoll, ganz egal, in welchem Ausmaß sie verwirrt sind. Es gibt einen Grund für das Verhalten von verwirrten, sehr alten Menschen. Verhalten in sehr hohem Alter ist nicht nur eine Folge anatomischer Veränderungen des Gehirns, sondern das Ergebnis einer Kombination von körperlichen, sozialen und psychischen Veränderungen, die im Laufe eines Lebens stattgefunden haben. Sehr alte Menschen kann man nicht dazu zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Verhalten kann nur dann verändert werden, wenn die betreffende Person dies will. Sehr alte Menschen muss man akzeptieren, ohne sie zu beurteilen. Zu jedem Lebensabschnitt gehören bestimmte Aufgaben. Wenn man diese Aufgaben nicht im jeweiligen Lebensabschnitt schafft, kann das zu psychischen Problemen führen. Wenn das Kurzzeitgedächtnis nachlässt, versuchen ältere Erwachsene, ihr Leben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, indem sie auf frühere Erinnerungen zurückgreifen. Schmerzliche Gefühle, die ausgedrückt, anerkannt und von einer vertrauten Pflegeperson validiert werden, werden schwächer. Schmerzliche Gefühle, die man ignoriert und unterdrückt, werden immer stärker. Einfühlung/Mitgefühl führt zu Vertrauen, verringert Angstzustände und stellt die Würde wieder her.

2.5.5

Arten der Validation nach Feil

Die Validation nach Feil teilt sich m. E. auf in verschiedene Unteraspekte, denn nicht jede Interaktion zwischen Klient und Pflegekraft ist eine Validation nach Feil. Sie ist häufig lediglich eine Form davon, wie z. B.:  die validierende Grundhaltung,  das validierende Gespräch und  die klassische Validation nach Feil mit ihren Techniken. Die validierende Grundhaltung zeigt die Haltung der Pflegekraft an. Sie akzeptiert grundsätzlich die Erlebenswelt des Klienten und diskutiert nicht auf der logischen Ebene mit ihm. Das validierende Gespräch ist geprägt durch eine Grundhaltung in der Gesprächsführung, die die Pflegekraft einnimmt. Hierzu gehören Elemente wie Empathie und Rapport, das bevorzugte sensorische System, verbale Techniken. Empathie – Zu den Grundvoraussetzungen einer validierenden Interaktion oder Begegnung gehören unbedingt Empathie wie auch tiefe Akzeptanz und Respekt für das Gegenüber. D. h. konkret: sich in die Gefühlswelt des anderen einzufühlen, ohne dabei mitzuleiden. Dies ist erforderlich, um die Gefühle des Klienten zu verstehen und eine ähnliche Spannung oder Energie aufzubauen.

Wir kennen dieses sehr gut, wenn wir uns z. B. mit einem sehr nahestehenden Menschen unterhalten, der uns von seinem Kummer erzählt. Dann brechen wir auch nicht ein lautes Gelächter aus, sondern hören zu und nehmen häufig die Grundstimmung seiner »Geschichte« auf. Wir stellen uns stimmungsmäßig auf ihn ein, ohne dass wir selber Kummer haben.

Validation nach Feil

Wichtig ist: Wir fühlen mit, aber wir leiden nicht mit.

Das Wort »Rapport« (frz. Beziehung) beschreibt eine angenehme, vertrauensvolle, verständnisvolle Atmosphäre; einen besonders guten Kontakt zwischen zwei Menschen aufgrund von Gemeinsamkeiten. Der Aufbau des Rapports ist ein bedeutender und notwendiger Grundstein für die Entwicklung einer guten Kommunikation und die Basis aller erfolgreich angewandten verbalen und nonverbalen validierenden Kommunikationstechniken. Der erfolgreiche Aufbau und die Qualität des Rapports hängen davon ab, wie gut Veränderungen in der sensorischen Aktivität der Klientin beobachtet und angemessen beantwortet werden. Diese Beobachtungen und die Reaktion darauf müssen entsprechend trainiert werden.36 Das bevorzugte sensorische System ist ein weiterer Baustein des validierenden Gesprächs. Um zu wissen, wie der Klient die Informationen und Reize aus der Umwelt verarbeitet, ist es sinnvoll, sein bevorzugtes sensorisches System zu kennen. Diese Erkenntnis entstammt dem NLP (siehe auch in Kapitel 3). Jeder Mensch erlebt die reale Welt aufgrund seiner subjektiven Erfahrungen anders als ein anderer. Wie der Mensch sieht, riecht, hört, fühlt und schmeckt – alles das nimmt er auf seine persönliche Art und Weise wahr. So existiert auch in jedem Kopf ein anderes Abbild der tatsächlichen Welt und der Erinnerungen.

Die fünf Sinnessysteme Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken sind Filter, durch die wir die Eindrücke der Umwelt erleben und sortieren. Sie werden auch Repräsentationssysteme genannt. Darunter versteht man die Art und Weise, wie Informationen im Gehirn in einem oder mehreren der fünf Sinneskanäle verschlüsselt werden.

Die innere Repräsentation der äußeren Welt, der eigenen Lebensgeschichte, der eigenen Werte und Normen ist bei jedem Menschen unterschiedlich und prägt die individuelle innere Wahrnehmung. Jedes Erlebnis kann innerlich in Bildern, Gefühlen, Geräuschen, Tönen, Formen, Farben etc. repräsentiert werden. Wie diese Repräsentationen gestaltet sind, welche Sinneswahrnehmungen innerlich besonders stark oder schwach vertreten sind – dies ist von Person zu Person unterschiedlich. Hinweise dazu erhalten wir einmal über die Wörter, die ein Mensch bevorzugt verwendet. Erkennen wir daraus das System, ist es uns ein Leichtes, darauf mit den eigenen Worten und Themen zu reagieren. Menschen, die bevorzugt visuell wahrnehmen, gebrauchen Wörter wie sehen, visualisieren, zielen, verschwommen, hell, Einblick, Einsicht, Perspektive, scheinen, reflektieren, Anschauung, Aspekt, abzielen, klar, blau, beobachten, Blick, starren, zeigen, vorstellen, bezeichnen, klarmachen, durchblicken, vorhersehen, Ausblick, Horizont, Bild, ausschauen, farbig, illustrieren, Aussicht, überwachen, offenbaren, dunkel. Oder sprechen davon, dass etwas »gut aussieht«,

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Scharb, B.: Spezielle validierende Pflege. Springer Verlag, Wien, New York 1999

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

dass sie »Licht in die Angelegenheit bringen« wollen, dass etwas »sonnenklar« ist, dass sie auf etwas »zurückschauen«. Menschen, die bevorzugt auditiv sind, nutzen Wörter wie abstimmen, ankündigen, hören, sprechen, lärmen, Akzent, Rhythmus, laut, Ton, Geräusch, monoton, erwähnen, nachfragen, stimmen, bemerken, Musik, verstärken, rufen, schreien, klatschen, behaupten, bekannt machen, erklären, fragen, Gerücht, hörbar, klingen, kommentieren, verkünden, murmeln, Rede, rufen, schweigen, leise, Stichwort. Oder aber sie treffen Aussagen wie »Auf der gleichen Wellenlänge«, »das klingt gut« und »Wort für Wort«. Menschen, die bevorzugt kinästhetisch sind, nutzen dagegen Wörter wie warm, weich, zusammenkommen, vergleichen, glatt, rau, scharf, schneiden, schwer, schlüpfrig, abschneiden, aktiv, anstrengen, kontrollieren, dicht, fest, packend, handhaben, glauben, gehen, gefallen, umgehen mit, drücken, Angriff, schieben, Stress, greifbar, folgen, fühlbar, erfassen, empfinden und Ausdrücke wie »Das fühlt sich gut an« – »Das liegt auf der Hand«. Eine Auswahl der Wörter der Menschen, die bevorzugt olfaktorisch, gustatorisch sind: schmecken, sauer, riechen, Geschmack, würzig, bitter, salzig, süß, duftend, frisch, verraucht, parfümiert, erfrischend, saftig, Würze, stechend, Geruch, verräuchert, riechen, fad, stinkig, scharf, aromatisch, appetitlich, geschmackvoll, köstlich, vollmundig, süßlich, ätzend, wittern, wohlschmeckend. Ausdrücke wie: »Das riecht gut«. »Den kann ich nicht riechen«. »Auf den Geschmack kommen«.37 Menschen, die in ihren Gesprächen auf derselben Ebene der Sinneswahrnehmung sind, verstehen sich gegenseitig gut. Andersherum: Menschen mit unterschiedlich bevorzugten sensorischen System, haben oftmals das Gefühl, aneinander vorbeizureden. Sie nehmen Dinge anders wahr und verwenden ein scheinbar ganz anderes Vokabular. Dazu ein Beispiel: Ein Mann und eine Frau sind miteinander im Gespräch. Sie schildert ihm etwas sehr Persönliches. Da sie stark visuell geprägt ist, schaut sie ihn während des Gesprächs direkt an. Er dagegen ist stark auditiv geprägt und schaut weg, um besser zuhören zu können. Irgendwann sagt sie frustriert im Gespräch: »Du hörst mir nicht zu, Du guckst mich ja gar nicht an.«

Im validierenden Gespräch bietet das Wissen um das bevorzugte sensorische System eine Fülle an Reaktionsmöglichkeiten:  Verwendet der Klient »visuelle« Wörter, dann tun Sie das auch. Stellen Sie entsprechende Fragen: »Wie hat sie denn ausgeschaut?« – »War sie groß?« – »Was hat sie denn angehabt?«  Verwendet der Klient »auditive« Wörter, dann lauten Ihre Fragen: »Was war das für ein Geräusch?« – »Wie hat es sich angehört?«  Verwendet der Klient »kinästhetische« Wörter, können Sie fragen: »Wie fühlt es sich an?« – »Was haben Sie da gespürt?«

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Sawitzki, E. R.: NLP für den Alltag. Gabal Verlag, Offenbach 1995

Validation nach Feil

Im validierenden Gespräch kommt auch die Spiegeltechnik zum Tragen. Zum Gleichklang in der Sprache – also zum verbalen Gleichklang – kommt auch der Gleichklang in Körperhaltung, Mimik und Gestik, Atmung, im Tempo der Bewegungen und der Stimmqualität. Spiegeln ist keineswegs ein schieres Nachäffen, sondern eine Form, einen Gleichklang herzustellen. Möglich ist dies – wie gesagt – mit der Sprache, der Tonalität, den Bewegungen, dem Rhythmus usw. Eine weitere Grundlage im validierenden Gespräch sind verbale Techniken wie das Zusammenfassen und Wiederholen des Gesagten. Dabei geht es um das Zusammenfassen von Inhalten, die der Klient gesagt hat, und auch um das, was hinter seiner Aussage steht sowie um das Wiederholen bestimmter Schlüsselwörter. Eine weitere verbale Technik sind W-Fragen: Wer, Was, Wann, Wo, Wie, Womit. Fragen Sie aber niemals nach dem Warum, denn diese Frage provoziert beim Klienten eine Erklärung, und diese Erklärung kann er meist nicht geben. Die Gefahr, dass er sich fühlt, als würde er »vorgeführt«, ist sehr groß. Es gibt noch weitere verbale Techniken, deren Auflistung jedoch die Zielsetzung dieses Buches sprengen würde.

Im validierenden Gespräch gibt es noch ein wesentliches Element: Es geht darum, Lösungsmöglichkeiten aus der Vergangenheit zu suchen, um Gegenwärtiges zu bewältigen. Damit ist gemeint, dass die Klienten in ihrer Vergangenheit schon vieles erlebt haben, dass sie für vielerlei Probleme Lösungen gefunden haben – sonst wären sie nicht so alt geworden. Unsere Aufgabe ist es, sie wieder an diese Ressourcen zu erinnern, sodass sie für das Heute evtl. Lösungen finden können.

2.5.6

Die vier Stadien der Desorientiertheit

Naomi Feil unterscheidet vier Stadien der Desorientierung. Diese Stadien sind als Orientierung zu verstehen, um die Situation und das Erleben der Klienten zu erklären. Sie geben natürlich, wenn sie regelmäßig erhoben und evaluiert werden, einen gewissen Verlauf vor. 2.5.6.1

Die vier Abschnitte der Aufarbeitungsphase des Lebens

Sehr alte Menschen, die die Notwendigkeit wichtiger Lebensaufgaben in früheren Abschnitten ihres Lebens bewusst nicht wahrgenommen oder verweigert haben, befinden sich nun in einer Periode ihres Lebens, in der sie das dringende Bedürfnis haben, eben diese unerledigten Aufgaben zu erfüllen, damit sie in Ruhe sterben können. Sie durchleben für gewöhnlich vier Stadien der Aufarbeitungsphase: 1. Mangelhafte/unglückliche Orientierung 2. Zeitverwirrtheit 3. Sich wiederholende Bewegungen 4. Vegetieren/Vor-sich-hin-Dämmern Mit jedem Stadium nimmt der körperliche Verfall zu, und es kommt zu einem Rückzug ins Innere. Es ist oft sehr schwer, hochbetagte verwirrte Menschen einer dieser Kategorien zuzu-

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

ordnen, da diese Menschen häufig zwischen den Stadien hin- und herwechseln. Jede Person ist einzigartig; es kann daher keine allgemein gültige Formel für ihre Zuordnung geben. Stadium 1: Mangelhafte/unglückliche Orientierung Personen in diesem Stadium halten an den gesellschaftlich vorgeschriebenen Rollen fest, mit einer Ausnahme: Sie haben das Bedürfnis, alte Konflikte in verkleideter Form zu äußern, indem sie Personen der Gegenwart als »Symbole« für Personen der Vergangenheit verwenden. Gefühle werden geleugnet, sehr wichtig sind Sprache, Verstand und rationales Denken. Mangelhaft/unglücklich orientierte Personen schätzen ein klares Urteil und Kontrolle. Berührungen und Blickkontakt weisen sie oft zurück. Sie kennen die Uhrzeit, denken Dinge zu Ende, stellen Dinge an ihren Platz und halten Ordnung. Wenn man sie bei einer Gedächtnislücke o. Ä., bei einer Geschichte oder beim Verwechseln von Personen erwischt, sind sie beschämt. Sie fühlen sich oft alt und überflüssig, fassen dies als Strafe für früheres Verhalten auf. Sie fühlen sich verbittert, ungeliebt und allein. Jetzt, im hohen Alter, fühlen sie sich bestohlen, in der Kindheit fühlten sie sich von den Geschwistern, den Eltern ihrer Würde beraubt. Um sich zu rechtfertigen oder um ihre starken Emotionen zu leugnen, beschuldigen sie die anderen und projizieren ihre tief liegenden Ängste auf andere, um ihr inneres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Sie müssen sich selbst verteidigen, sie brauchen ihre Verhüllungen, ihr »Schutzschild«, ihre Würde. Nur so können sie ihre Gefühle ausdrücken, ohne sich dem grellen Licht der Realität auszusetzen. Sie brauchen eine vertrauensvolle Beziehung zu einer fürsorglichen, respektvollen Autorität, die ihnen widerspricht, die sie versteht und nicht beurteilt. Körperliche Merkmale: Die Augen sind klar und fokussiert. Die Muskeln sind gespannt. Das Kinn ist nach vorn geschoben. Die Menschen sitzen oder stehen mit gefalteten Armen. Die Bewegungen ihres Körpers sind zielgerichtet. Ihre Stimmen sind schrill, jammernd oder rau. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist größtenteils in Ordnung, obwohl es manchmal aussetzt. Sie können noch lesen und schreiben. Ihre kognitiven Fähigkeiten sind erhalten, sie erkennen z. B. auch die Uhrzeit. Sie leiden manchmal unter Inkontinenz. Psychische Merkmale: Sie haben in ihrer langen Krankengeschichte keinen Hinweis auf eine geistige Krankheit und führten für gewöhnlich ein relativ produktives Leben. Sie haben bestimmte Lebensaufgaben nicht lösen können, und sie haben den letzten Abschnitt des Lebens, die Aufarbeitungsphase, erreicht. Sie müssen bestimmte Gefühle, die sie während ihres Lebens unterdrückt hatten, herauslassen. Sie wollen und können der unangenehmen Gegenwart nicht die Stirn bieten und leugnen daher auch ihre Verluste. Sie vermeiden Intimität und wollen auch nicht berührt werden. Sie klammern sich an das Hier und Jetzt. Sie haben Angst, die Kontrolle über ihre Körperfunktionen zu verlieren. Sie haben Angst, die Kontrolle über ihre geistigen Funktionen zu verlieren. Sie fürchten sich vor Veränderungen und passen sich nur schwer einer neuen Umgebung an. Sie wollen ein gewohntes Verhalten nicht ändern und reagieren daher auch nicht auf Verhaltenstraining. Sie halten an vertrauten Methoden, mit etwas fertig zu werden, fest. Sie versuchen, weiterhin Kontrolle auszuüben und leugnen, dass sie sie verloren haben. Sie widersetzen sich Veränderungen. Konfrontationen erschrecken sie. Sie wollen nicht analysiert werden. Sie wollen keine Einsicht in ihr Inneres. Sie suchen die Zustimmung der Pflegenden. Sie empfinden Erleichterung durch Validation.

Validation nach Feil

Stadium 2: Zeitverwirrtheit Das zunehmende Schwinden des Seh-, Hör- und Bewegungsvermögens, des Tast-, Geschmackssinns sowie der kognitiven Fähigkeiten erleichtern den Rückzug. Zeitverwirrte Menschen können die Verluste nicht mehr leugnen, sich nicht mehr an die Realität klammern; sie versuchen nicht mehr, sich an eine chronologische Ordnung zu halten und ziehen sich zurück. Sie verlieren die Gegenwart aus den Augen und spüren ihrer Lebenszeit nach. Gehirnschäden beeinträchtigen die Kontrollzentren; zeitverwirrte Menschen verlieren die Selbstkontrolle, das Kommunikationsvermögen, die Fähigkeit zu sozialem Verhalten; sie halten sich nicht mehr an Bekleidungsregeln oder soziale Konventionen. Es fehlt ihnen an Anregung durch andere, weil sie oft ignoriert werden oder isoliert sind. Zeitverwirrte Menschen kehren zu grundlegenden, universellen Gefühlen zurück: Liebe, Hass, Trauer, Angst vor Trennung, Streben nach Identität. Körperliche Merkmale: Die Muskeln sind gelockert, die Bewegungen langsam und graziös. Sie wandern oft ziellos umher. Ihre Augen sind klar, aber nicht auf irgendetwas gerichtet. Es hat den Anschein, als würden sie ins Leere schauen, obwohl es Zeichen des Erkennens gibt, wenn sie eine Pflegeperson direkt anschauen. Sie atmen langsam. Ihre Stimmen sind leise. Sie verwenden oft ihre Hände, um ihre Gefühle zu zeigen. Ihre Schultern sind oft vorn-übergebeugt, was dazu führt, dass sie schlurfend gehen. Sie sind für gewöhnlich inkontinent. Psychische Merkmale: Sie können das Personal und oft auch ihre Angehörigen nicht erkennen. Sie vergessen Namen und verwechseln Personen der Gegenwart mit Personen der Vergangenheit. Sie haben ein sehr schlechtes Kurzzeitgedächtnis, aber sie erinnern sich lebhaft an Dinge, die sehr weit zurückliegen. Sie ziehen sich aus der Wirklichkeit zurück, um der Langeweile und dem ereignislosen Alltag zu entgehen. Sie durchleben bekannte Szenen aus der Vergangenheit, die sie mit allen Kräften zu lösen versuchen. Sie ersetzen Personen durch Dinge. Sie sind nicht in der Lage, Dinge einer Kategorie oder einer Klasse zuzuordnen. Sie können manchmal noch lesen, aber sie haben vergessen, wie man schreibt. Ihre Aufmerksamkeit lässt nach sehr kurzer Zeit nach. Sie erinnern sich an bekannte Lieder, aber sie können nicht mehr in der richtigen Tonlage singen. Sie können keine Spiele mehr spielen, die Regeln haben, z. B. Bingo. Sie sind nicht mehr fähig, ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie sprechen sehr frei über ihr Bedürfnis nach Liebe und anderen Gefühlen. Sie sehen keinen Grund, den Wünschen der Pflegepersonen nachzukommen und missachten Regeln. Sie reagieren auf Augenkontakt, Berührung und Intimität/große Nähe. Sie besitzen immer noch eine Art intuitive Weisheit. Sie erkennen ehrlich gemeinte Sorge. Sie haben zu den Betreuern, die mit ihnen streiten oder ihnen nur scheinbar zustimmen, kein Vertrauen Stadium 3: Sich wiederholende Bewegungen Menschen, die im 2. Stadium ihre Gefühle nicht verarbeiten können, indem sie diese jemanden mitteilen, der sie validiert, ziehen sich häufig in Bewegungen und Klänge zurück, um unbewältigte Konflikte der Vergangenheit zu lösen.

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Jeder Mensch ist geprägt von den Vorstellungen, die seine Eltern von schlechtem Benehmen hatte. In hohem Alter ist er weise genug, diese Gefühle auszudrücken, um seine Konflikte zu lösen. Scham, Schuldgefühle, sexuelle Wünsche oder Wut waren ein Leben lang unterdrückt, versteckt, streng unter Kontrolle. Jahrzehnte später, im hohen Alter, kommen sie ans Tageslicht. Lebenslang eingesperrte Gefühle brechen nun heraus, der Stöpsel ist weg. Im 3. Stadium wird die Sprache unverständlich; sie dient dem sinnlichen Vergnügen, das durch Zunge, Zähne und Lippen erzeugte Klänge bereiten. Manche Menschen transportieren sich mit Körperbewegungen in die Vergangenheit. Im hohen Alter »verrichten« sie die gleiche Arbeit, die sie ihr ganzes Leben lang getan haben, jetzt tun sie es, um die freudlose Gegenwart zu ertragen. Das Bewusstsein der schmerzlichen Realität bewirkt einen weiteren Rückzug in die Vergangenheit. Körperliche Merkmale: Die Menschen bewegen sich rhythmisch hin und her oder tanzen, singen, können aber keine Sätze bilden. Sie bilden summende, schnalzende oder stöhnende Geräusche. Die Muskeln sind entspannt. Die Menschen bewegen sich graziös, sind sich ihrer Bewegungen aber nicht bewusst. Die Augen sind häufig geschlossen oder der Blick ist nicht zielgerichtet. Sie weinen häufig. Ihre Finger und Hände trommeln, schlagen, knöpfen Jacken u. ä. unaufhörlich auf und zu. Sie gehen auf und ab, wiederholen einen Klang und/oder eine Bewegung immer wieder. Ihre Atmung ist gleichmäßig, rhythmisch und ruhig. Ihre Stimme ist tief und melodisch. Es gibt Augenblicke außergewöhnlicher Stärke, wenn sie das Bedürfnis nach Liebe äußern oder wütend sind. Sie sind mit beiden Händen gleich geschickt, wenn sie sich von Zwängen befreien. Sie können aber weder schreiben noch lesen. Sie können Kinderlieder vom Anfang bis zum Ende singen. Sie sind inkontinent. Psychische Merkmale: Mangels Praxis schwindet das Bedürfnis zu sprechen. Permanente Bewegungen halten die Person am Leben, schaffen Vergnügen, kontrollieren die Angst, mildern Langeweile und sichern Existenz; Denkvermögen und der Wunsch danach sind verschwunden. Sich wiederholende Klänge stimulieren, beruhigen und helfen, Gefühle zu verarbeiten. Wenn diese Menschen motiviert werden, können gefestigte soziale Rollen wiederhergestellt werden. Es kommt zu einem zunehmenden Verlust des Selbstbewusstseins und Körperbewusstseins im Raum. Werden die Menschen nicht motiviert, verschließen sie sich vor äußeren Stimuli. Sie haben aber durchaus Energie zum Tanzen und Singen, weniger dagegen zum Denken und Sprechen. Ihre Konzentrationsspanne ist kurz und sie können sich nicht auf mehr als ein Ding oder eine Person gleichzeitig konzentrieren. Sie antworten nicht, außer bei Stimulation durch Körpernähe, fürsorglicher Berührung, Stimme und Blickkontakt. Sie ziehen sich in Isolation und Eigenstimulanz zurück. Sie besitzen die Fähigkeit, ungelöste Konflikte durch Bewegungen zu klären und erinnern sich an frühere Erfahrungen. Es ist möglich, Sprache und rationales Denken in beschränktem Maße wiederherstellen. Eine Kommunikation mit anderen ist aber nur in einer liebevollen, validierenden und ehrlichen Beziehung möglich. Sie können nicht nach den Regeln spielen, sind ungeduldig, verlangen sofortige Befriedung ihrer Bedürfnisse Stadium 4: Vegetieren In diesem Stadium verschließt sich der alte Mensch völlig vor der Außenwelt und gibt das Streben, sein Leben zu verändern, auf. Der eigene Antrieb ist minimal; gerade ausreichend, um zu überleben. Sicherlich ist der Begriff »Vegetieren« aus heutiger Sicht nicht mehr ganz akzeptabel. Wir dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass er schon vor einigen Jahrzehnten geprägt wurde.

Validation nach Feil

Körperliche Merkmale: Die Augen sind meist geschlossen, der Blick ist leer und ungerichtet. Die Muskeln sind schlaff, sodass diese Menschen im Sessel sitzen oder in embryonaler Haltung im Bett liegen. Sie haben kein oder wenig Körperbewusstssein und bewegen sich kaum merklich. Psychische Merkmale: Sie erkennen keinen nahen Angehörigen, zeigen kaum Gefühle und initiieren keinerlei Aktivitäten. Es gibt kein Mittel, um herauszufinden, ob sie etwas verarbeiten 2.5.7

Die Validationstechniken

In der klassischen Validation nach Feil kommen Techniken zum Tragen, die vielleicht auf den ersten Blick seltsam anmuten. Sie werden aber dann lebendig, wenn sie innerhalb der Validationsausbildung erlernt, geübt und praktisch angewendet werden. Ein roter Faden für den möglichen Verlauf einer Validation sieht folgendermaßen aus: 1. Zentrieren, Luft holen, Klarheit bekommen, eigene Gefühle klären, neutral werden 2. Fragen, Wiederholen, Essenz ansprechen 3. Bevorzugtes Sinnesorgan ansprechen/verwenden 4. Nach dem Extrem fragen, mit der Absicht: »Luft rauszulassen«, danach 5. Nach dem Gegenteil fragen, z. B. über das Erinnern 2.5.7.1

Zentrieren

Um sich zu zentrieren, auf die Mitte zu besinnen, müssen Sie sich auf ihren Atem konzentrieren, was nichts anderes heißt, als ruhig ein- und auszuatmen. So gelingt es Ihnen, möglichst viel Ärger und Frustration herauszulassen. So öffnen Sie sich für die Gefühle der Menschen, mit denen Sie in Verbindung kommen wollen. Beginnen Sie jede Validationssitzung mit dieser Übung. Sie müssen Ihre eigenen Gefühle sozusagen »weglegen«, wenn Sie einer anderen Person einfühlend zuhören wollen. 2.5.7.2

Fragen stellen

Verwenden Sie eindeutige, nicht wertende Wörter, um Vertrauen herzustellen: Menschen, die gerade ihr Leben aufarbeiten, wollen ihre Gefühle nicht verstehen. Sie interessieren sich nicht dafür, warum sie sich so und nicht anders verhalten. Wenn man sie mit ihren Gefühlen konfrontiert, ziehen sie sich zurück. Wenn Sie mit ihnen erfolgreich kommunizieren wollen, dürfen Sie sie nichts fragen, das sie unter Druck setzt. Deshalb also nicht nach dem »Warum« fragen, sondern Tatsachenfragen stellen: Wer, Was, Wo, Wann und Wie? 2.5.7.3

Wiederholen/Zusammenfassen

Für Menschen in der Aufarbeitungsphase ist es oft ein Trost, ihre Worte noch einmal von anderen zu hören. Wiederholen bedeutet, dass Sie den Sinn dessen, was der Klient gesagt hat, noch einmal wiedergeben und dabei möglichst dieselben Schlüsselwörter verwendet. Beachten Sie dabei auch den Klang der Stimme und die Sprachmelodie.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

2.5.7.4

Extreme setzen

Fordern Sie die Person auf, bei einer Beschwerde an die schlimmste Möglichkeit zu denken. Wenn die Person jetzt an den schlimmsten Fall denkt, drückt sie ihre Gefühle intensiver aus und empfindet dadurch Erleichterung. 2.5.7.5

Sich das Gegenteil vorstellen

Sich das Gegenteil vorzustellen führt oft dazu, dass man sich an eine bereits bekannte Lösung für das Problem erinnert. Vorausgesetzt, der sehr alte Mensch vertraut Ihnen. 2.5.7.6

Erinnern

Die Erforschung der Vergangenheit führt dazu, dass man bereits bekannte Methoden zur Lösung eines Problems wieder einsetzt. So kann auch ein verwirrter Mensch mit einem aktuellen Problem leichter umgehen. Es ist für jemanden, der schon sehr alt ist, ziemlich schwierig, einen neuen Weg zur Lösung eines Problems zu finden. Eine validierende Pflegeperson kann einem Klienten dabei helfen, eine alte, bewährte Methode zu entdecken, wie sich aktueller Stress bekämpfen lässt. Hinweis: Sich das Gegenteil vorstellen und das Erinnern werden zusammen eingesetzt. 2.5.7.7

Ehrlichen, engen Augenkontakt halten

Sehr alte Menschen im Stadium der Zeitverwirrtheit und der Sich-wiederholenden-Bewegungen fühlen sich geliebt und sicher, wenn Sie ihnen durch engen Augenkontakt Anteilnahme vermitteln. Sogar ältere Leute, die nicht mehr so gut sehen, können den konzentrierten Blick einer validierenden Pflegerin fühlen, die ihnen direkt in die Augen sieht. 2.5.7.8

»Mehrdeutigkeit«

Setzen Sie bestimmte Fürwörter ein, die mehrere Lösungen zulassen. Zeitverwirrte Menschen verwenden oft Wörter, die für andere keinen Sinn ergeben. Sie verständigen sich auch oft ohne Worte, was das Verstehen sehr schwierig macht. Wenn Sie aber Mehrdeutigkeit zulassen, können Sie oft mit zeitverwirrten Menschen kommunizieren, auch wenn Sie nicht verstehen, was sie sagen. Verwenden Sie Wörter wie »Er«, »Sie«, »Es«, »Etwas« oder »Jemand«. 2.5.7.9

Sanft und liebevoll sprechen

Ungeduldiges oder unfreundliches Sprechen führt bei Verwirrten oft dazu, dass sie zornig werden oder sich zurückziehen. Hohe, sanfte Klänge sind schlecht zu hören. Es ist daher wichtig, dass Sie mit einer klaren, sanften und liebevollen Stimme sprechen. Oft führt das dazu, dass Erinnerungen an eine geliebte Person wieder wach werden und das hilft dabei, Stress abzubauen. 2.5.7.10 Beobachten, Bewegungen und Gefühle der Person spiegeln

Viele alte verwirrte Menschen (im 2. oder 3. Stadium) teilen ihre Gefühle oft ohne jede Hemmung mit. Um mit ihnen in Verbindung zu treten, ist es wichtig, ihre typischen körperlichen Merkmale zu kennen und auch die Art, wie sie sich bewegen. Um ihre Körperhaltung genau

Validation nach Feil

nachahmen zu können, müssen Sie folgende Einzelheiten genau betrachten: Augen, Gesichtsmuskeln, Atmung, Veränderungen in der Hautfarbe, Kinn, Unterlippe, Hände, Bauch; wie sie im Stuhl sitzen, wo sie die Füße hat sowie den allgemeinen Zustand der Muskeln. Wenn die Person, die validiert wird, auf und ab geht, gehen auch Sie auf und ab. Wenn die jeweilige Person heftig atmet, atmen auch Sie heftig. Wenn Sie es mit der richtigen Anteilnahme machen, kann das Spiegeln sehr viel dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen. Es ermöglicht Ihnen, die Gefühlswelt von zeitverwirrten Personen zu betreten, und eine Beziehung herzustellen. 2.5.7.11 Zusammenhang zwischen Verhalten und Bedürfnis

Setzen Sie das Verhalten des Menschen in Beziehung zu jenem menschlichen Grundbedürfnis, das nicht erfüllt wird. Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, geliebt und umsorgt zu werden, tätig und nützlich zu sein und ihre tiefen Gefühle jemanden mitzuteilen, der mit Anteilnahme zuhört. Wenn sehr alte Menschen schlagen, auf- und abgehen, reiben oder klopfen, kann eine validierende Pflegeperson diese Arten von Verhalten einem der drei Grundbedürfnisse zuordnen: 1. sich sicher/geschützt/geliebt zu fühlen; nützlich zu sein 2. spontane Gefühle ausdrücken können und gehört zu werden. (Wiederaufnehmen von Bewegungen, die mit der Arbeit verbunden sind.) 3. das Bedürfnis, eigene Gefühle auszudrücken. 2.5.7.12 Bevorzugtes Sinnesorgan

Die meisten Menschen bevorzugen ein bestimmtes Sinnesorgan. Wenn Sie das kennen, können Sie leichter Vertrauen aufbauen, weil Sie die Sprache dieser Person verstehen. 2.5.7.13 Berühren

Auch alte Menschen haben das Bedürfnis, die Gegenwart eines anderen Menschen zu spüren. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Personen, die sie ihr Leben lang gekannt haben und solchen, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Um mit ihnen zu kommunizieren, müssen Sie in ihre Welt eintreten und sie so berühren, wie sie von einer geliebten Person berührt worden sind:  Leichte, kreisförmige Bewegungen mit der Handfläche auf der oberen Wange stimulieren das »Von-einer-Mutter-umhegt-Seins«.  Mit den Fingerspitzen leicht kreisen und dabei sanft auf den Hinterkopf drücken; stimuliert die Gefühle des »Vom-Vater-umhegt-Seins«.  Entlang der Wange mit der Handfläche streichen, mit dem kleinen Finger unter dem Ohrläppchen, mit beiden Händen eine sanfte Streichbewegung den Kiefer entlang, stimuliert Gefühle des »Ehepartners/Geliebten«, eine sexuelle Beziehung.  Kleine kreisförmige Bewegungen mit gekrümmten Fingern auf dem Nacken, mit beiden Händen, stimulieren Gefühle des »Vater- oder Muttersein«, das Berühren eines Kindes.  Mit den beiden Händen die Schultern und den oberen Teil des Rückens reiben, stimuliert das Gefühl, »ein Bruder/Schwester oder guter Freund zu sein«.  Die Waden leicht mit den Fingerspitzen berühren, erinnern an das Versorgen von Tieren. Bitte beachten Sie, dass Menschen nicht immer berührt werden möchten.

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2.5.7.14 Musik einsetzen

Wenn die Wörter verschwinden, kehren gut bekannte, früh gelernte Melodien wieder zurück. Menschen im 3. Stadium sprechen oft ein paar Worte, nachdem sie ein bekanntes Lied gesungen haben. Musik gibt Menschen im 2. und 3. Stadium Energie. Techniken für Stadium 1: mangelhafte/unglückliche Orientierung Zentrieren. Verwenden Sie Fragen nach: »Wer, was, wo, wann, wie«. Formulieren Sie um und verwenden Sie dabei den bevorzugten Sinneskanal. Verwenden Sie Polaritäten, fragen Sie nach dem Extrem. Ermuntern Sie, sich das Gegenteil vorzustellen, sich zu erinnern. Techniken für Stadium 2: Zeitverwirrtheit Zentrieren. Fragen Sie nach: »Wer, was, wo, wann, wie«. Formulieren Sie um und verwenden Sie dabei den bevorzugten Sinneskanal. Verwenden Sie Polaritäten, fragen Sie nach dem Extrem. Halten Sie Blickkontakt und sprechen Sie sanft und liebevoll. Beobachten Sie. Spiegeln Sie. Reagieren Sie mit Gefühl auf die Emotionen des Betroffenen. Verwenden Sie mehrdeutige Wörter: »Er, sie, es, etwas, jemand«. Suchen Sie einen Zusammenhang zwischen Verhalten und den Bedürfnissen. Verwenden Sie Musik Techniken für Stadium 3: Sich wiederholende Bewegungen Zentrieren. Fragen Sie: »Wer, was, wann, wo und wie«. Formulieren Sie um, wiederholen sie, verwenden Sie den bevorzugten Sinneskanal. Polarität: Fragen Sie nach dem Extrem. Berühren Sie und halten Sie Blickkontakt. Sprechen Sie mit ruhiger, klarer, fürsorglicher Stimme. Beobachten Sie die Emotionen. Passen Sie sich den Gefühlen der Betroffenen an. Verwenden Sie Mehrdeutigkeit und unbestimmte Personalpronomen. Suchen Sie einen Zusammenhang zwischen Verhalten und Bedürfnissen. Setzen Sie Musik ein. Spiegeln Sie. Techniken für Stadium 4: Vegetieren Zentrieren. Berühren. Blickkontakt. Aufrichtige, fürsorgliche Stimme. Mehrdeutige Pronomen. Stellen Sie einen Bezug zwischen Verhalten und Bedürfnissen her. Verwenden Sie Musik. Es ist immer sinnvoll, sich den Techniken schrittweise und einzeln zu nähern. Viele Pflegekräfte sagen zu Recht: »Das mache ich doch schon jahrelang!« Viele dieser Techniken sind uns in Fleisch und Blut übergegangen, wir führen sie bereits intuitiv aus. So wie alles in der Welt einer beständigen Veränderung unterworfen ist, so wird sich auch die Validation, wie sie von Naomi Feil vorgesehen war, weiter verändern. Aus anderen Formen wird etwas hinein fließen und umgekehrt. Jede Pflegekraft verändert die Validation für sich selber. Jeder validierende Kontakt zum Klienten ist anders, weil natürlich jede Begegnung und jeder Mensch anders ist. Es ist immer die Frage, die wir uns als professionelle Pflegekraft bei jeder neuen Information, bei jedem neuen Ansatz sowie bei Veränderungen stellen sollten: »Gefällt es mir? Macht es für mich und meine Arbeit Sinn? Was passt davon zu mir? Was glaube ich und möchte ich übernehmen? Wie kann ich es erlernen und mit meinem bisherigen Können und wissen verknüpfen?«

Die Dokumentation der Validation

2.6

Die Dokumentation der Validation

Da Validation Arbeit und Pflege am und mit dem Klienten ist, sollten Sie sich wie immer im Pflegeprozess die Mühe machen, die Validationsinteraktionen zu dokumentieren. Viele der für den validierenden Ansatz notwendigen Informationen können Sie schon mit der Biografieerhebung und der Pflegeanamnese erheben. Natürlich ist hier der Pflegebericht zu erwähnen, in den natürlich Verläufe und Erkenntnisse eingeschrieben werden können. Konkrete Informationen, die die Validation und deren Verlauf und Ergebnis direkt betreffen, können Sie auf evtl. selbst erstellten Formularen dokumentieren, die sich zum Beispiel an der Abbildung 1 orientieren. Das Formular ist angelehnt an das Arbeitsblatt von Naomi Feil und kann unter www.masemann-und-messer.com im Internet heruntergeladen werden.

Arbeitsplan für individuelle Validation Datum:

Validations-Anwender

Name des Klienten: Stadium d. Desorientierung: (Mangelhaft orientiert, zeitverwirrt, sich wiederholende Bewegungen, Vegetieren) Kontaktzeit:

Minuten/Tag:

Tage/Woche:

Verbale Validation: Diskussionsthema:

Unbewältigte Lebensaufgabe:

Bevorzugtes Sinnesorgan:

Antrieb/Bedürfnisse:

Abb. 1: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Klient reagiert mit Ablehnung auf:

Klient reagiert positiv auf:

Anzeichen von Stimmungen sind:

Welche Symbole verwendet der Klient:

Validationstechniken, die meist erfolgreich sind:

Nonverbale Validation: Aufgabenorientierte Bewegungen (Backen, Falten, Mixen etc.):

Sich wiederholende Bewegungen zur Anpassung und Spiegelung:

Lieder:

Passende Berührungen:

Validations-Techniken:

Abb. 1: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

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Die Dokumentation der Validation

Setzen Sie den Klienten neben: Ermutigen Sie ihn zu (singen, sprechen, bewegen, berühren etc.):

Erforderliches Material (VA-Schürze, Sitzsack, Ball, Töpfe etc.):

Lebensgeschichte und grundlegendes Verhalten Name des Bewohners: Wichtige Bemerkungen:

Informationen über Person: Alter, Geschlecht, Nationalität, Geburtsort, berufliche Laufbahn, Kinder etc.: (siehe auch Biografieerhebungsbogen)

Informationen über die Gesundheit: Med. Diagnose; Dauer v. Krankenhausaufenthalten, körperliche Verluste:

Medikation:

Familiärer Hintergrund: Sozio-ökonomischer Hintergrund, enge familiäre Beziehungen, Namen:

In diesem Heim: Freunde, Aktivitäten, Entwicklung, Verhältnis zum Personal, Verhalten in der Nacht im Vergleich zum Tag, Essverhalten:

Abb. 1: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

Verhaltensmuster: Gewöhnliche Reaktion auf Krisen, Verluste. Typische Beziehungen, Körperliches Verhalten: Muskeln, Bewegung im Raum Blickkontakt, Reaktion auf Berührungen:

Typisches emotionales Verhalten Drückt Gefühle aus? Leugnet Gefühle? Welches sind die häufigsten Gefühle? (Wut, Liebe, Angst, Trauer):

Stadium der Desorientierung: Mangelhaft orientiert? Zeitverwirrt? Sich wiederholende Bewegungen? Vegetieren? Psychotisches Verhalten? Bewegt sich zwischen zwei Stadien?

Anwendung von Validation Individuell? In der Gruppe? Führen Sie Einzelheiten an. Welche Rolle? Welche Sitzordnung?:

Datum der Erstellung:

V/A:

Abb. 1: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

2.7

Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood

In seinem Werk stellt Tom Kitwood einen Ansatz in der Pflege von Menschen mit Demenz vor, der neu anmuten mag und in Großbritannien gar als revolutionär eingeschätzt wird. Mittlerweile hat sich der Ansatz weitaus mehr verbreitet und wird auch von Institutionen wie dem Kuratorium Deutsche Altershilfe in Köln empfohlen. Im Kern geht es bei der Demenz um das Personsein des Menschen. Und dies gilt nicht nur für den Klienten sondern auch für die Angehörigen und diejenigen, die pflegen und betreuen. Kitwood gibt Antwort auf die Frage: »Was heißt es, eine Person zu sein?«

Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood

Seine Hypothese lautet, dass eine konstruktive, positive Arbeit an und mit Menschen mit Demenz ihr Personsein – entsprechend dem Grad der Krankheitsentwicklung – erhalten und bewahren kann. Im Vordergrund stehen unter anderem die Bedürfnisse des Klienten, aber auch gesellschaftskritische Gedanken. Kitwood sieht das Thema Demenz als ein gesellschaftliches und sagt, wie auch Müller-Hergl, dass die Pflege von Menschen mit Demenz eine der anspruchvollsten Aufgaben ist, die es im Leben gibt und die eine Gesellschaft zu vergeben hat. 2.7.1

Der Begriff »Personsein«

Mit dem Begriff des Personseins beschäftigt sich die Menschheit in Religion und Wissenschaft schon lange, in den unterschiedlichsten Kontexten wird der Begriff allerdings jeweils anders verwandt. Für die Pflege von Menschen mit Demenz ist die Auslegung des Begriffes aus der Sozialpsychologie von besonderem Interesse: Dort wird Personsein vor allem mit Begriffen wie Integrität, Stabilität des Selbstwertgefühls, Selbstachtung und Ausfüllen sozialer Rollen in einer Gruppe in Zusammenhang gebracht. Kitwood (1999) kommt zu folgender Definition: »Personsein ist ein Stand oder Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Beziehung uns sozialem Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und Vertrauen« und verweist auf verschiedene Veröffentlichungen, in denen gesagt wird, dass Menschen mit Demenz den gleichen Wert haben, die gleichen Bedürfnisse und die gleichen Rechte haben, wie alle anderen auch. In seiner Arbeit über Demenz hat Kitwood eine Sichtweise des Personseins zu entwickeln versucht, die zumindest vier Hauptkategorien erfüllt: 1. Sie muss unsere moralischen Verpflichtungen erkennen lassen. 2. Sie muss gültig sein im Sinne einer Psychologie, die sich auf Erfahrung, Handeln und Spiritualität konzentriert. 3. Sie muss die Pflegepraxis erhellen. 4. Sie muss in vollem Umfang im Einklang mit den gut fundierten Ergebnissen der Neurowissenschaft stehen. Die Konsequenzen für die Pflege sind vielfältig, allen voran steht die Öffnung für neue Gedanken und Wahrnehmung. Eine Erläuterung aus dem KDA-Handbuch Leben mit Demenz macht dieses deutlich: »Häufig wird über Menschen mit Demenz gesagt, dass »sie sich verlieren« oder dass sich »ihre Persönlichkeit verändert«. Natürlich gibt es physiologisch bedingt einen Verlust von Fähigkeiten. Wenn ein ehemals sehr beherrschter oder ruhiger Mensch aber plötzlich Wutausbrüche zeigt, so glaubt seine Umwelt oft, dass er nicht mehr er selbst ist, seine Persönlichkeit also verloren hat. Kitwood interpretiert solch ein Verhalten anders: Wutausbrüche können als psychische Abwehrreaktion gedeutet werden. Denn ein Mensch mit Demenz hat natürlich – vor allem in der Anfangsphase der Krankheit – selbst Angst vor dem Verlust seiner Fähigkeiten, weiß oft gar nicht, wie ihm geschieht. Auch könnte es sich bei diesem Menschen um jemanden handeln, der seine Gefühle immer zurückgehalten hat, und jetzt brechen sie aus. Diesbezüglich kann man nach Kitwood sogar von einer Kontinuität der Persönlichkeit sprechen: Die Merkmale einer Person treten nur deutlicher zum Vorschein. Es handelt sich also nicht um den Verlust ihrer Persönlichkeit.« Wichtig ist Kitwood, den Menschen nicht als Objekt, sondern als Subjekt zu sehen, ihn in seiner ganzen Individualität und mit seinen vorhandenen Ressourcen zu betrachten.

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2.7.2

Die Bedürfnisse (Positive Personenarbeit 1)

Unüblich und umso wichtiger für die eigene Entwicklung der pflegerischen Persönlichkeit ist der Gedanke, dass alles, was ein Menschen mit Demenz tut oder sagt, einen – meist tiefer liegenden, manchmal verborgenen – Sinn hat. Der nächste Schritt ist dann, dieses Verhalten zu verstehen, und nicht, wie leider vielfach immer noch üblich, es zu sanktionieren, zu unterbinden oder einfach auszuhalten. Dem Umfeld des Klienten kommt die besondere Aufgabe zu, die Bedürfnisse zu erkennen, die evtl. mit diesem Verhalten ausgedrückt werden. Das Erleben der Person lebt vom relativen Wohlbefinden. Dieses Wohlbefinden kann in drei Hauptkategorien eingeteilt werden: 1. Jeder Mensch muss vermittelt bekommen, das er etwas wert ist, für andere zählt. Wer vermittelt dies einem Menschen mit Demenz? 2. Das Ich entwickelt sich und wird erhalten durch eigenes Tun. Was kann und darf ein Mensch mit Demenz tun, in welche Aktivitäten wird er eingebunden? 3. Jeder Mensch braucht Hoffnung und Urvertrauen. Wer vermittelt einem Dementen das Gefühl, dass es gut ist, dass für alles gesorgt ist, dass Umwelt und Beziehungen sicher sind und ein gnädiger Gott auf den Menschen wartet? (Schindler 2003) Im NLP (siehe Kapitel 3) heißt es: »Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht.« Daraus folgt für den Pflegealltag und den Kontakt zu Menschen mit Demenz, dass sich die Bedürfnisse von Menschen mit und ohne Demenz nicht großartig voneinander unterscheiden. Sie variieren lediglich in Ausdruck und Ausdrucksstärke. Mögliche grundlegende Bedürfnisse sind laut Kitwood und Müller Hergl:  Die Liebe. Die Liebe wird als zentrales psychologisches Bedürfnis gesehen. Das heißt genau: Bedingungsloses, großzügiges, versöhnliches Annehmen des Anderen ohne Erwartung einer Gegenleistung.  Das Verlangen nach Trost. Der Wunsch nach Trost, nach Zuwendung, nach behutsamer körperlicher Nähe bis hin zum »Halten« (das als Orientierung gebend empfunden werden kann).  Das Verlangen nach primärer Bindung, das durch anklammerndes Verhalten, »Hinterherlaufen« und ständiges Rufen ausgedrückt werden kann.  Das Verlangen in eine Einbindung in kleine Gruppen. Ein uns bekanntes familiäres Gefühl: mit anderen zu arbeiten, gemeinsam zu entspannen, für andere innerhalb der Gruppe wichtig zu sein.  Das Verlangen nach Arbeit. Unsere Bestätigung geschieht vielfach durch die Arbeit. Dazu gehört das Ausüben vertrauter Tätigkeiten, die an frühere Lebens- und Arbeitsgewohnheiten anknüpfen.  Das Verlangen nach Identität. Das ist das Wissen, wer man ist. Dazu gehört die Kontinuität der Vergangenheit mit der ständigen Verbindung zum Jetzt.

Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood

2.7.3

Konsequenzen für den Pflegealltag ( Positive Personenarbeit 2)

Auf der Grundlage dieser Bedürfnisse, die sich auch bei Maslow und Scharb finden, lassen sich folgende Forderungen an den Kontakt und den Umgang von Menschen mit Demenz ableiten (Müller-Hergl und Kitwood sprechen hier von positiver Personenarbeit 2): 1. Erkennen und Anerkennen: Der Faktor »Zeit« sollte bei der Kommunikation mit Menschen mit Demenz berücksichtigt und eingeplant werden. Worte sollten immer mit klaren, eindeutigen Gesten unterstrichen werden. Auch die innere Haltung spielt ein Rolle, denn der Klient spürt sehr wohl das »Gefühl zwischen den Zeilen«. Riesner erweitert: »Erkennen und Anerkennen der Person mit Demenz als wertschätzende Haltung äußert sich u. a. durch respektvolles Grüßen, durch Zuhören oder auch durch Blickkontakt. Erkennen und Anerkennen kann nie nur verbal geschehen, kann aber sehr wohl wortlos erfolgen.«38 2. Ver- und Aushandeln: Ziel der Pflege und Begleitung sollte sein, den Betroffenen möglichst Kontrolle über seine Situation zu ermöglichen; ist dies nicht möglich, so sollte verhandelt werden, dass die Perspektive aller Beteiligten zum Ausdruck kommen. Dies ist speziell im Hinblick auf Vorlieben und Wünsche wichtig, die vielleicht nicht gleich in den Alltag integrierbar sind. Riesner: »Ver- und Aushandeln von gemeinsamen Aktionen beinhaltet das Erfragen von Wünschen, lässt der Person mit Demenz die Wahlmöglichkeit, auf das Angebot einzugehen oder nicht, und ermöglicht hierdurch ein angemessenes Maß an Kontrolle für die Person mit Demenz. Ver- und Aushandeln berücksichtigt die Geschwindigkeit, in der die Person mit Demenz Informationen verarbeitet, sowie Unsicherheiten und Ängste.«39 3. Zusammenarbeit: Der Alltag sollte geteilt werden, die einzelnen Tätigkeiten, Ereignisse und Pflegehandlungen sollten gemeinsam ausgeführt werden. Ziel dabei ist höchste Selbstständigkeit des Klienten. Wo Handlungen unterbrochen sind, sollte das alte Programm durch eine gute »Bewegungsanleitung« wieder eingeschaltet werden. Riesner: »Zusammenarbeit erfolgt im gemeinsamen Tun, lässt Pflege nicht als etwas erscheinen, was an einer passiven anderen Person getan wird, sondern beinhaltet aktives, gemeinsames Gestalten der Tätigkeit, lässt Initiativen und Fähigkeiten des anderen zu. Zusammenarbeit ist auch die gemeinsame Arbeit im Haushalt, im Garten oder in einer Werkstatt.«40 4. Zwecklosigkeit und Spiel: Da der Pflegealltag häufig mit zweckgebundenen Aufgaben angefüllt ist (Körperpflege, Toilettengänge, etc.) signalisiert ein absichtsloses Beieinandersitzen, dass eine persönliche Bindung da ist. Spielt man zusammen, sitzt man beieinander, so heißt dass: »Ich bin gern in Deiner Gegenwart.« 5. Basale Stimulation®/Timalation: Mit Methoden und Pflegetechniken der Basalen Stimulation® können die Sinne angeregt werden. Müller-Hergl: »Sie ehren den Menschen damit« (»timao«, griechisch = ich ehre Dich)43 Allerdings ist eine Reizüberflutung (Essen, Fernsehen, laute Gespräche) zu vermeiden. Riesner: »Timalation ist auf sinnliche Zuwendung ausgerichtet. Das Kompositum wird gebildet aus dem Griechischen timao und dem Lateinischen stimulatio. Timao steht für Handlungen, deren Hintergrund Ehrerbietung und Würdigung des 38 39 40

KDA – Landesinitiative Demenz-Service NRW: »Wie geht es Ihnen?« Köln, 2002 ebd. ebd.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

anderen bedeutet, stimulatio verweist auf Bedeutungen wie Anregung, Reiz. Es handelt sich also um das Hervorrufen, Anregen angenehmer Sinneswahrnehmungen durch Düfte, Stoffe, Farben, Musik u. a. um die Person mit Demenz zu würdigen und ihr Freude zu bereiten.«41 6. Feiern und sich freuen: Anspannungen entsehen erst gar nicht, wenn eine Atmosphäre von Freude und Humor zu spüren ist. Das Lachen über sich gehört ebenso dazu wie das gemeinsame Feiern, bei dem ein gleichwertiges Miteinander erlebt wird. 7. Entspannung: Durch die hohen Ansprüche der aktivierenden Pflege und dem Aktionismus, in den viele Pflegkräfte verfallen, wird manchmal sogar zu viel aktiviert. Es geht aber laut Kitwood darum, auch Gefühle der »Leere« oder »schlechte Stimmungen« gemeinsam auszuhalten. Hier ist die Pflegekraft für den Menschen mit Demenz eine wichtige Stütze, wenn sie Rückzug und Inaktivität zulässt, unter Umständen auch körperliche Nähe gibt, um entspannen zu können. 8. Validation: »Validation bedeutet Bestätigung und Wertschätzung der Gefühlswelt einer Person. Über die Gefühlsebene wird ein Zugang zu dem Erleben und Verhalten von Personen mit Demenz gefunden. Jedes Verhalten hat seine Bedeutung, die über den Zugang der Validation erfahren werden kann. Validation stärkt die sicheren Bindungsanteile durch Wahrnehmen und Akzeptieren der Person, so wie sie ist.« (Stuhlmann 2004, S. 143) 9. Holding: Das Holding ist ein sicherer psychischer Raum, in dem wir uns gehalten wissen. Wesentliches Merkmal des Holding ist der Körperkontakt, das Halten und Bergen des anderen, so wie wir es bei unseren Kindern kennen. »Halten schafft einen sicheren psychologischen Raum, in dem traumatische Erlebnisse, Verletzungen oder Konflikte nach außen gebracht werden können und von der haltenden Person mitgetragen werden. Wut und Aggression kann herausgelassen werden und sich auflösen, weil die haltende Person da bleibt und sich nicht abwendet.« (Stuhlmann 2004, S. 143) 10. Faciliation: kommt aus dem Englischen und bedeutet: »etwas erleichtern, ergänzen, unterstützen«. In diesem Zusammenhang ist damit gemeint, evtl. abgebrochene Handlungen des Klienten so zu ergänzen, dass bei ihm das Gefühl auftritt, zum Ziel gekommen zu sein, es selbst getan zu haben. Pflegende sollten aufmerksam die Gestik des Klienten beobachten – hierunter finden sich auch Gesten der Hilflosigkeit – und diese dann so fortzuführen, dass der Klient wieder weitermachen kann 11. Interaktion durch Symbole: Symbole und Rituale festigen unseren Alltag. So ist zum Beispiel das Ausleben der Religion, aber auch Malen, Musik, Singen etc. eine Möglichkeit, seelisches Empfinden auszudrücken. Erinnerungen werden geweckt, intensive Kontakte zu anderem werden wahrgenommen und nicht zuletzt können Alltagsabläufe »angefüllt, vertieft und beherzt« werden.

41

ebd.

Die personenzentrierte Pflege nach Kitwood

2.7.4

Anforderungen an die Pflegekräfte

Um diesen Wünschen, Gedanken und professionellen Ansprüchen gerecht zu werden, empfiehlt es sich als Pflegekraft, folgendes »Rüstzeug« in die Begegnung mitzubringen:  Innere Ruhe  Empathie  Flexibilität  Stabilität  Ungezwungenheit in der Kontaktaufnahme  Belastbarkeit Das sind sehr hohe Ansprüche, doch gibt es laut KDA eine Abkehr vom derzeit alltäglich empfundenen Stress in der Pflege von Menschen mit Demenz: »Innere Ruhe, Stabilität und Belastbarkeit werden in dem Maße steigen, in dem sich die Rahmenbedingungen für Pflege und Hauswirtschaft in den Pflegeeinrichtungen oder in ambulanten Diensten verändern. Pflegemitarbeiter berichten, dass sie sich selber durch eine Veränderung der Strukturen im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen in einer Art und Weise erlebt haben, die sie früher nicht für möglich gehalten hätten. Indem man sich mit der Herausforderung Demenz oder Depression kreativ auseinander setzt, entspannt man sich selbst und lernt Dinge hinzu, von denen man gar nicht wusste, dass man sie in sich trägt. Das wirkt sich auch positiv auf das eigene Privatleben aus. Man kommt nicht mehr so erschöpft von der Arbeit, man hat mehr Kraft für den Partner, die Familie und für Freunde. Die Arbeit mit demenziell erkrankten Menschen, Menschen mit Depressionen und psychischen Veränderungen führt so auch zu persönlichen Entwicklungs- und Reifeprozessen.«42 2.7.5

Tür öffnende Handlungsempfehlungen des KDA

Aus den oben angeführten Überlegungen heraus empfiehlt das KDA folgende »Tür öffnende« Handlungsempfehlungen: »1. Akzeptiere den Menschen, so wie er ist. 2. Lass den Klienten seinen eigenen Willen behaupten und seine Gefühle ausdrücken. 3. Biete dem Klienten Nähe und Wertschätzung 4. Gib ihm die Möglichkeit, Selbstachtung zu erleben. 5. Fördere seinen sozialen Kontakte 6. Biete dem Klienten die Möglichkeit, vertrauten Beschäftigungen nachzugehen und sein Leben so normal wie möglich zu gestalten. 7. Stimuliere seine Sinne und lass ihn genießen und entspannen. 8. Arbeite mit Humor. 9. Schaffe eine sichere und fördernde Umgebung.«43

42 43

ebd. ebd.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

2.7.6

Konsequenzen für die Dokumentation

Aus den bislang skizzierten Inhalten ergeben sich folgende Konsequenzen für die Pflegedokumentation und Pflegeplanung:  Einschätzung des möglichen Ausdrucks von Bedürfnissen (Pflegeanamnese und Pflegeplanung). Beschreiben Sie hier eher das Verhalten als es vorschnell zu deuten.  Reaktion des Klienten auf das Verhalten und die Maßnahmen der Pflegekraft, speziell bei den Handlungen und Haltungen der positiven Personenarbeit: Erkennen und Anerkennen; Verund Aushandeln; Zusammenarbeit; Zwecklosigkeit und Spiel; Basale Stimulation®; Feiern und sich Freuen; Entspannung; Validation; Holding; Faciliation; Symbolische Interaktion.  Beschreibung dessen, was dem Klienten gut tut und was nicht.  Wie zeigt sich der eigene Wille des Klienten? Ist dieser gedeutet?  Wie sucht und gibt der Klient Nähe, wie reagiert er auf Nähe?  Was sind vertraute Beschäftigungen, wo können soziale Kontakte gefördert werden?  Wie und wobei reagiert der Klient auf Humor?  Wie reagiert er auf Holding?  Wie reagiert er auf Basale Stimulation® ?

2.8

Mäeutik und Erlebnisorientierte Pflege

1997 tauchten die Begriffe »Mäeutik« und »Erlebnisorientierte Pflege« erstmals auf und wurden sogleich positiv aufgenommen. Cora van der Kooij, eine Krankenschwester und Historikerin aus den Niederlanden, entwickelte diese Konzepte der Pflege, indem sie verschiedene Gedanken und Ansätze der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz verknüpfte. Das mäeutische Konzept ist keine neue Methode. Es geht vielmehr darum, Pflegekräfte im Kombinieren und Anwenden bestehender Herangehensweisen zu unterstützen. Die verschiedenen Methoden und Herangehensweisen (Realitätsorientierungstraining, Validation, Sinnesaktivierung, Reminiszenz) werden im mäeutischen Konzept integriert. Sowohl das Erleben des Klienten als auch das der Pflegekräfte steht im Mittelpunkt.In der Erlebnisorientierten Pflege nach dem mäeutischen Konzept ist der Kontakt und die Begegnung zwischen Pflegekraft und Bewohner Ausgangspunkt und Ziel. Der Begriff »Mäeutik« findet sich im Griechischen bei Sokrates und bedeutet dort so viel wie »Geburtshilfe leisten, erlösen, befreien«44 In der Pflege bedeutet Mäeutik ein pädagogisches Verfahren, mit dem ein Lernprozess in Gang gesetzt wird. In diesem Fall der Lernprozess, dass sich die Pflegekräfte ihrer eigenen Möglichkeiten bewusst werden. Dabei geht van der Kooij davon aus, dass die Pflegenden prinzipiell wissen, was sie für ihre Pflege brauchen und wie ihr Handlungsspielraum aussieht, allerdings ist ihnen das oft nicht bewusst. Van der Kooij spricht von »Intuition«, die wir durch unsere berufliche und private Lebenserfahrung erlangt haben und die wir durch den Prozess der Mäeutik bewusst erleben. Unsere Intuition, unser gefühlsmäßiges Pflegewissen wird dabei mit Worten, Begriffen und theoretischen Ansätzen untermauert und theoretisch fundiert.

44

Maciejewski, B. et al.: Qualitätshandbuch Leben mit Demenz. Köln 2001

Mäeutik und Erlebnisorientierte Pflege

Erlebnisorientierte Pflege ist jedoch mehr als normale Intuition. »Erlebnisorientierte Pflege beginnt mit der Frage, wer der Bewohner ist, was er erlebt und was er empfindet. Danach wird versucht, den Kontakt so zu gestalten, dass sich der Bewohner verstanden fühlt. Denn genau das ist der Moment, in dem er in der Lage ist, mit der Pflegenden «mitzumachen». Das tut er erst, wenn sie zuvor zuvor selbst in seine eigene Erlebenswelt «hineingetreten» sind. Er öffnet sich für ihre Vorschläge, Wünsche und Ideen (meistens möchte man doch, dass er etwas Bestimmtes tut!) und lässt sich dann von ihnen versorgen. Er hat den Mut, sich ihnen anzuvertrauen. Erlebnisorientierte Pflege ist also ein neuer Begriff, mit dem festgehalten werden kann, was man beinahe verloren hätte: das Bewusstsein, dass Pflege immer voraussetzt, sich in die zu betreuende Person hineinzuversetzen« (van der Kooij 2007, S. 36) Mich fasziniert insbesondere bei der erlebnisorientierten Pflege in der Mäeutik die Unterscheidung zum problemgesteuerten Pflegeprozess. Es heißt bei van der Kooij: »Das Besondere an dieser Methodik ist also, dass sie sich nicht an Problemen orientiert, sondern an Pflegebedürfnissen und positiven Kontaktmomenten« (ebd., S. 37) Van der Kooij geht von zwei Erlebenswelten aus: 1. die der Bewohner und 2. die der Pflegenden Beide haben in der Erlebnisorientierten Pflege einen wichtigen Platz. Nehmen wir das Beispiel der Kontaktaufnahme zum Menschen mit Demenz: Hier spielen die Gefühle des Klienten und die der Pflegekraft eine Rolle, denn sie stehen in einer Wechselwirkung. Absicht der Mäeutik ist es, diese gefühlsmäßige Wechselwirkung zu erreichen, indem sich die Erlebenswelt des Klienten mit der der Pflegekraft verbindet. Um dieses Vorgehen wissenschaftlich zu begründen, bediente sich van der Kooij der Theorie über Stress, Coping und Adaption von Rose Marie Dröes. Van der Kooij erklärt: »Die Theorie macht Aussagen darüber, wie Lebenskrisen infolge chronischer Krankheiten – zum Beispiel Demenz – verarbeitet werden:  Stress: Spannung, die entsteht, wenn das emotionale Gleichgewicht gestört wird.  Coping: der Versuch, den Stress zu meistern  Adaption: Anpassung bzw. gelungenes Coping Gesunde Pflegende kennen chronische Krankheiten und die damit verbundenen Verluste und Behinderungen meist nicht aus eigener Erfahrung, haben aber Veränderungen und Lebenskrisen erlebt. Ob diese Veränderungen nun willkommen waren oder nicht, ob sie positiv oder negativ einzustufen sind – sie erfordern jeweils eine Anpassung und führen beinahe unumgänglich zu Störungen des emotionalen Gleichgewichts, die sehr schnell Stress verursachen. Man bemüht sich darum, in ein neues Gleichgewicht zu finden. Das gilt auch für denjenigen, der in einer stationären Pflegeeinrichtung aufgenommen wird. … Auf der Theorie von Stress, Coping und Adaption aufbauend entwickelte Rose Marie Dröes ein Modell der psychosozialen Hilfestellung für Demenzkranke. Sie betont, dass die Tatsache, an einer Demenzerkrankung zu leiden, an sich wenig über die Art und Weise aussagt, wie Menschen sich

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

benehmen werden. Großen Einfluss auf das Verhalten hat jedoch das Verhalten der Pflegenden, Angehörigen und Bewohner sowie materielle Umstände und finanzielle Möglichkeiten.«45 2.8.1

Ich-Erleben und Benehmen/Verhalten in der Demenz

Van der Kooij geht, ähnlich wie der niederländische Psychologe Rien Verdult, davon aus, dass die Demenz in Phasen erlebt wird und dass Menschen mit Demenz diese ganz unterschiedlich wahrnehmen. Ähnlich wie bei Feil gibt es in der Mäeutik auch ein Schema, mit dem das IchErleben der Klienten eingeteilt wird. Van der Kooij orientierte sich dabei an Verduld, der die drei Phasen folgendermaßen benannte: 1. bedroht, 2. verirrt und 3. versunken. Diese Einteilung soll dem Menschen nicht den Stempel eines ganz bestimmten Kriteriums oder einer Stufe aufdrücken. Sie dient dazu, sich das Erleben besser vorstellen zu können. So können die Merkmale eines bestimmten Stadiums – ähnlich wie bei der Bradenskala – verglichen und eher eingeschätzt werden. Van der Kooij spricht dabei von einer »pragmatischen Zustandbeschreibung des Demenzkranken für die Pflegenden«46 und hat die oben genannten drei Phasen um eine Phase erweitert: Das Schema »Ich-Erleben und Benehmen (das niederländische Wort für ›Benehmen‹ bedeutet auch ›Verhalten‹) in der Demenz« 1. Bedrohtes Ich (Der Klient befindet sich im Hier und Jetzt) 2. Verirrtes Ich (Der Klient wechselt zwischen dem Hier und Jetzt und der inneren Welt) 3. Verborgenes Ich (Der Klient befindet sich in zeitloser innerer Welt) 4. Versunkenes Ich (Der Klient befindet sich in innerer Welt) Werfen wir einen weiteren Blick auf das Gefühlsleben der Klienten: Sie verlieren durch die Demenz einen Teil ihrer kognitiven Fähigkeiten. Die Gefühle liegen häufig offen da. Gefühle der Liebe, der Hoffnung, der Angst, das Gefühl der Unsicherheit, das Gefühl der Scham, der Trauer, Hoffnung etc. Die Klienten erleben diese Gefühle im Alltag; zugleich sind sie damit beschäftigt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Eines davon ist das Bedürfnis, sich zu behaupten, sich als Person zu fühlen. Dabei hilft dem Klienten das Festhalten an Gewohnheiten, Ritualen, Absprachen und festgelegten Vorgehensweisen. Cora van der Kooij sagt, ähnlich wie Feil, dass es sich hierbei zum Teil um ausweichende Strategien handelt, die wir alle kennen. Beispiele:  Eine Bewohnerin versteckt schmutzige Wäsche und beschuldigt anschließend andere, diese Wäsche gestohlen oder verschmutzt zu haben.  Sie haben bei einem überstürzten Aufbruch zur Arbeit Ihr Portemonnaie vergessen und beschuldigen anschließend ein Familienmitglied, es verlegt zu haben.

45 46

Schindler, U.: Die Pflege dementiell Erkrankter neu erleben. Vincentz Verlag, Hannover 2001 ebd.

Mäeutik und Erlebnisorientierte Pflege

Das Benehmen des Demenzkranken ist eine Wiedergabe der Art und Weise, wie sein Umfeld auf ihn reagiert und mit ihm umgeht. Wenn er spürt, dass Freunde, Familienmitglieder und Pflegende ihn abweisen, ausschließen und selber verunsichert sind, reagiert er böse oder zeigt ein Benehmen, das in Trauer oder Angst seinen Ursprung findet. Zeigt man Verständnis für seine Unsicherheit, fühlt er sich geborgen. 47 2.8.2

Vorgehensweise in der Mäeutik

In der Mäeutik geht es darum, den Kontaktmoment zum Klienten und die dann entstehende Wechselwirkung der Gefühle zwischen ihm und der Pflegekraft wirken und spüren zu lassen.

Konkret sieht das so aus: 1. Langsame Annäherung. 2. Sie stimmen sich auf den Klienten (seine Gefühle) ein. 3. Sie stellen eine gefühlsmäßige Verbindung her. Dazu werden Sie sich Ihrer eigenen Gefühle bewusst, die bei Ihnen in dieser Situation hervorgerufen werden. Dabei fragen Sie sich, auf welche Gefühle das Verhalten des Klienten zurückzuführen ist. 4. Sie folgen dem Klienten in seine Welt, validieren ihn oder setzen Grenzen, je nach Intuition und Situation. 5. Sie setzen andere Möglichkeiten wie Validation, Reminiszenz, Realitätsorientierung, Basale Stimulation®, Sinnesaktivierung usw. ein.

Fazit: Sie verlassen sich auf Ihr eigenes Gefühl!!

Das Mäeutische Konzept hat seine Wurzeln in der Validation nach Feil. Es teilt mit der Validation viele Grundsätze, weicht aber auch in vielem von der Validation ab. Im Gegensatz zur Validation geht van der Kooij davon aus, dass:  Menschen mit Demenz Gefühle nicht immer äußern;  manche Gefühlsausbrüche auf die gerontopsychiatrischen Krankheitsbilder zurückzuführen sind;  ein einschränkender Betreuungsansatz in manchen Situationen angebracht ist;  nicht alle Menschen mit Demenz Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit verarbeiten, die sie bisher verdrängt haben. Für van der Kooij gibt es auch eine unvollendete Vergangenheit, denn niemand kann alles verarbeiten, was im wiederfahren ist.48

47 48

ebd. ebd.

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

2.8.3

Konsequenzen für die Dokumentation

Die Dokumentation der Pflege nach dem mäeutischen Konzept ist Bestandteil der Basisschulung zur Mäeutik. Dort wird erlernt mit den einzelnen Bestandteilen der Dokumentation umzugehen, so z. B. der Nutzen und die Handhabung des 14-seitigen Beobachtungsbogens.

Das Prinzip der Dokumentation sieht wie folgt aus: 1. Informationssammlung anhand speziellem Beobachtungsbogen und einer Biografieerhebung 2. Erarbeitung einer Charakteristik (z. B.: Verhalten, Erscheinungsbild etc.) 3. Fallbesprechung (um auch die positiven Aspekte des Klienten wahrzunehmen und festzuhalten) 4. Entwicklung einer Umgangsempfehlung, die auch in der Pflegeplanung stattfinden kann.

Zu betonen ist, dass in den Niederlanden eine andere Form der Pflegedokumentation üblich ist. Jetzt gilt es in den Einrichtungen, die nach dem Mäeutik-Konzept arbeiten, konzeptionelle Inhalte zu transformieren.

2.9

Basale Stimulation®

Basale Stimulation® in der Pflege ist ein Konzept, das ursprünglich von dem Sonderpädagogen und heilpädagogischem Psychologen Prof. Dr. Andreas Fröhlich entwickelt wurde. Gemeinsam mit der Krankenschwester und Diplompädagogin Christel Bienstein wurde dieses Konzept in den 1980er Jahren in die Erwachsenenpflege übertragen und hat sich mittlerweile in vielen Bereichen der Pflege etabliert. Zentrale Aufgabe der Basalen Stimulation® ist es, das Leben für Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen, mit hohem Alter etc. lebbar und spürbar zu machen; ihre Fähigkeiten zu fördern und ihnen bekannte, elementare Wahrnehmungserfahrungen zu ermöglichen. Fröhlich entwickelte in den 1970er Jahren ein neues Konzept zur Förderung schwerst mehrfach behinderter Kinder, da die damalige Versorgung dieser Kinder sehr unbefriedigend war. Er war der Überzeugung, dass auch schwerstbehinderte Kinder erlebnis- und wahrnehmungsfähig sind, dass auch sie über psychosoziale Kompetenzen verfügen – auch wenn Außenstehende dies kaum registrieren können. Gleichzeitig verspüren diese Kinder ein elementares Bedürfnis nach Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation, können dieses Bedürfnis aber nur schwer selbstständig erfüllen. Die Konsequenzen dieser sensorischen Deprivation können für die Betroffenen zusätzliche Wahrnehmungsstörungen und eine psychosoziale Isolation mit allen Formen des Hospitalismus bedeuten. Wenn diese Kinder aber tatsächlich etwas wahrnehmen können, so sind sie auch kommunikationsfähig, nur muss die gemeinsame Form der Kommunikation Elemente enthalten, die die Kinder bereits wahrgenommen und kennen gelernt haben, sonst würden sie damit überfordert. Mit einem entwicklungsorientierten Ansatz hat Fröhlich also den Kindern voraussetzungslose Wahrnehmungserfahrungen angeboten, die an sehr frühe, zumeist vorgeburtliche Erfahrungen

Basale Stimulation®

anknüpfen: ein Spüren der Körpergrenzen, ein Sich-in-Bewegung-erleben, eine Lageveränderung im Raum oder auch das Entdecken des Inneren durch Vibrationen (somatische, vestibuläre, vibratorische Erfahrungen). Fröhlich entdeckte, dass die Kinder darauf reagierten. Er konnte so eine elementare Kommunikation entwickeln, die Kinder in ihrem Erleben begleitet und ihre Fähigkeiten fördert. 2.9.1

Basale Stimulation® in der Pflege – Die Sinne erwecken!

Bienstein und Fröhlich übertrugen die oben genannten Gedanken gemeinsam in die Erwachsenenpflege und stellten fest, dass das Konzept der Basalen Stimulation® bei schwerst beeinträchtigten Erwachsenen genauso Anwendung finden kann (die professionelle Pflege wurde dabei durch Fröhlichs pädagogischen Ansatz sehr bereichert). Sie entdeckten, dass apallische und komatöse Menschen ebenso das elementare Bedürfnis nach Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation verspüren, dabei in ihrem Erleben aber stark beeinträchtigt sind und sich ohne gezielte Anregung weitere Schädigungen einstellen können. In der Pflege von Menschen mit Demenz können Pflegende die Basale Stimulation® sehr gut einsetzen. Wer z. B. bei der Körperpflege bewusst unterschiedliche Reize einsetzt, hilft dem Betroffenen, Körper und Umwelt besser wahrzunehmen (etwa durch leichten Druck beim Einseifen, abwechselnden Gebrauch von Schwämmen und Waschlappen, Abtrocknen mit unterschiedlich weichen Handtüchern, Einreiben, Massieren, Einkleiden mit gut sitzenden Textilien, Verwendung aus dem Altzeitgedächtnis bekannter Pflegedüfte und Utensilien). Sind jedoch die Sinne zum Teil eingeschränkt, besteht die Gefahr der Isolation und Reizarmut, Verlust der Orientierung. Menschen nehmen ihre Umgebung auf Dauer nur wahr, wenn ihre körperlichen Sinne wechselnd gereizt werden. Dieses Wissen hat sich noch nicht überall in der Pflege durchgesetzt. So gibt es noch immer Klienten, die viel zu weich gelagert werden, stundenlang einen zusammengerollten Waschlappen in den Händen halten (müssen), über 24 Stunden im Bett liegen und gegen die meist weiße Zimmerdecke schauen. »Dufterlebnisse« sind Uringeruch, der Schweiß der Pflegekräfte und natürlich der Geruch von Desinfektionsmitteln. Hinweise auf Reizarmut finden sich vielfach:  Nestelbewegungen (Bettdecke, Kleidung, etc.)  Reiben und Kratzen der eigenen Haut, des eigenen Körpers  Schaukeln/Hin- und Herwiegen des Oberkörpers Die Basale Stimulation® lässt sich wunderbar und inspirierend mit der Biografiearbeit verbinden. Dazu ist es erforderlich, »genauere Informationen darüber zu erhalten, wie der Mensch im sinnlichen Umgang mit sich und den Dingen seine individuellen Erfahrungen erworben hat. Hierbei geht es um die Frage, wie sich seine Sinneserfahrungen und seine Sinnlichkeit in der Biografie niedergeschlagen haben und er seine »Sinnesbiografie« pflegt.« (Buchholz & Schürenberg 2003, S. 97) Erinnerungen können aufgefrischt und angeregt werden – die Biografie liefert die einfachen Ideen und Kreationen. Mittels Basaler Stimulation – und natürlich vielem mehr – lassen sich Brücken in die Vergangenheit schlagen. In die Zeiten der Lebensgeschichte, die von persön-

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

licher Bedeutung sind, die angenehm sind und intensiv waren. »Brücken in die Vergangenheit lassen sich besonders über den Geschmacks-, Tast- und Geruchssinn schlagen. Samt und Seide verführen zu Berührungen, Kölnisch Wasser und Mottenkugeln riechen vertraut, auf Himbeeren und Zimtsterne reagieren die Geschmacksnerven« (Osborn, Schweitzer & Trilling in: Buchholz & Schürenberg 2003). In der Pflege berühren wir viel, täglich und intim. Die Berührung hat in der Basalen Stimulation eine zentrale Rolle. Wir berühren mit den Händen, mit dem Körper, mit dem Herzen. Dabei geht es nicht primär um den Aspekt der Körperpflege, sondern um die Stärkung des Personseins, des Ichs. »Basale Stimulation® will den pflegebedürftigen Menschen Berührungen mit sich, den Pflegenden und anderen sie umgebende Personen ermöglichen. Mit und ohne Hände sollen sie ihr eigenes Leben, sowie die aktuelle, sie umgebende belebte und unbelebte Umwelt »begreifen« können.« (Buchholz & Schürenberg 2003) Wir berühren bewusst und nicht »nebenbei«, wir kombinieren die Berührung mit anderen Maßnahmen, die den Klienten berühren, wie einem Duft, einer Frage, einer Erinnerung. Auch Gegenstände zeigen ihre Wirkung. Aus diesem Grunde nenne ich ein Beispiel, das ich in Seminaren immer wieder anrege: Bei Menschen, die nicht mehr selbst kochen, rufen eine Handvoll ungewaschener Kartoffeln, ein Bund Karotten mit Grün, ein paar rohe Bratwürste oder ein Stück Hefe intensive Erinnerungen hervor. (Buchholz & Schürenberg 2003) Das heißt konkret, dass gerade die alten Menschen, die ihre Zeit im Bett verbringen (müssen), sehr wohl mit den unterschiedlichsten Gegenständen stimuliert werden dürfen und sollen. Das sollte mehr sein als ein Igelball oder eingerollter Waschlappen oder gar Schaumstoff, der schon recht »käsig« riecht. 2.9.2

Maßnahmen der Basalen Stimulation®

Herbert Mück (www.alzheimerforum.de/3/1/6/10/bsbd.html) spricht von den vielfältigen und einfach zu verwirklichen Möglichkeiten der Basalen Stimulation®: »Körperstimulation:  Deutlicher Druck bei der Körperpflege (Waschen, Abtrocknen, Einreiben, Massieren); Richtung: vom Körperstamm zur Peripherie  Erweitertes Reizangebot durch Wechsel der Wassertemperatur, verschieden harte Waschlappen, Schwämme und Handtücher, diverse Waschzusätze  Förderung der Körperwahrnehmung durch gut sitzende und vollständige Kleidung (einschließlich Unterwäsche) Anregung des Gleichgewichtssinnes:  Schaukeln im Schaukelstuhl  gemeinsames Ausführen rhythmischer Bewegungen (z. B. Tanzschritte)  Wiegen des Kranken im Arm des Betreuers

Basale Stimulation®

Haptische Stimulation (Tast- und Greifsinn):  «Begreifen” unterschiedlicher Materialien  Hände unter fließendes Wasser halten  Sich selbst eincremen Vibratorische Anregung:  Halten einer elektrischen Zahnbürste, eines Elektrorasierers oder ähnlich vibrierender Gegenstände mit der Hand Orale Stimulation: (Besonders wichtig für Patienten, die parenteral ernährt werden, aber auch für Personen mit Schluckstörungen, um deren Gefühl für den Mundbereich zu fördern und zu erhalten)  Regelmäßiges Bestreichen von Lippen, Zähnen, Zunge und einem Teil des Gaumens mit den Fingern oder einem großen Wattetupfer (z. B. bei der Mundpflege)  Fördern von Lutsch- und Schluckbewegungen durch harte Brotrinden, Bratenkruste oder Kaugummi Olfaktorische Stimulation: (Vertraute Gerüche fördern die Erinnerung!)  Körperpflege mit Parfum, Deo oder Rasierwasser, das dem Kranken lieb und vertraut ist  Anregung des Geruchssinnes durch Blumen, ätherische Öle und Essensdüfte. Sie überdecken den mitunter typischen Geruch der Betreuungseinrichtung und verbessern so die Atmosphäre. Visuelle Stimulation:  Mobiles, Poster und Bilder mit kräftigen Farben sowie leicht erkennbaren Motiven  Fotos aus dem Privatleben des Patienten. Schon ein einziger Gegenstand, der ins Blickfeld gerückt wird, kann den Tag des Kranken verändern!« Die Kreativität kennt keine Grenzen. Allerdings sollten Reize wohldosiert werden. Für den Anfang genügen erfahrungsgemäß täglich ein oder zwei Maßnahmen für jeweils 15 Minuten. (Hertmayer 1996) 2.9.3

Konsequenzen für die Dokumentation

Selbstverständlich haben die Maßnahmen der Basalen Stimulation® ihren Platz in der Pflegeplanung, sie werden mit Art, Menge, Ablauf, Mitteln, Materialien und Zusätzen beschrieben, mit Zeitpunkt und durchführender Kraft. Wichtig kann es sein, den bevorzugten Sinneskanal zu erfahren, um diesen und die anderen gezielt zu stimulieren. Ebenso wichtig ist es, bei der Biografie auf die Lebensgewohnheiten des Klienten zu schauen, wie er gelebt und sich gepflegt hat. Auch hierzu gibt es viele Hinweise. Mit den folgenden Fragen (angelehnt an Bienstein) – und ähnlichen – können viele Informationen über den Klienten in Erfahrung gebracht werden:  Welche Person/en sollte/n unbedingt bei Ihnen sein, wenn Sie schwer krank sind?  Welche Person sollte dann auf keinen Fall in Ihrer Nähe sein?

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Lebenswelten von Menschen mit Demenz

                    

Was sind Sie für ein Typ; eher ruhig, lebendig, unternehmungslustig, melancholisch …? Haben Sie Tageszeiten, an denen Sie Ruhezeiten unbedingt einhalten möchten? Was für einen Tagesrhythmus haben Sie? Welche Dinge machen Sie besonders gern? Was möchten Sie überhaupt nicht tun? Sind Sie Rechts- oder Linkshänder? Sind Sie ein Bewegungsmensch; beobachten Sie die Dinge lieber oder hören Sie lieber zu? Welche Berührung haben Sie sehr gern, welche verleiht Ihnen Sicherheit/Geborgenheit? Welche Berührung mögen Sie nicht? Was trinken Sie gern? Was trinken Sie überhaupt nicht gern? (Wichtig bei Menschen aus anderen Kulturen) Was essen Sie gern? (Auch dann, wenn Sie krank sind?) Was essen Sie überhaupt nicht gern? Welche Geräusche, Musik hören Sie gern? (Welche Musik lässt Sie sich wohlfühlen, z. B. beim Baden; gibt es Lieblingsmusik, die Sie hören möchten, wenn Sie sich nicht wohl fühlen und sich nicht mehr äußern können?) Was hören Sie überhaupt nicht gern? Berühren Sie bestimmte Materialien gern? Was fassen Sie nicht gern an? Was riechen Sie gern? Was riechen Sie überhaupt nicht gern? Welche Farbe sehen Sie gern, welche Farbe regt Sie an, schenkt Ihnen Geborgenheit? Wovon fühlen Sie sich abgestoßen?

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3

Mehr Verständnis für Demenzkranke durch NLP

Für mich geht es schon lange nicht mehr ohne! Das NLP – Neurolinguistisches Programmieren – ist nicht nur nur ein Kommunikationsmodell, sondern auch ein Lebensprinzip oder zumindest eine menschliche Grundhaltung dem Leben gegenüber.

3.1

Definition NLP

»Die Abkürzung NLP steht für Neuro-Linguistisches Ptrogrammieren, d. h. es geht um Erkenntnisse der Gehirnforschung (Neuro), der Sprachwissenschaft (Linguistik) und der Kognitions- bzw. Verhaltenswissenschaften (Programmieren). Daraus wurde ein Kommunikationsmodell entwickelt, das sowohl im beruflichen als auch im privaten Alltag, verblüffende Wirkung erzielt.  Der neurologische Aspekt bedeutet, dass NLP sich mit dem Nervensystem und den Funktionsweise des Gehirns beschäftigt.  Die Sprache spiegelt unsere Denkstrukturen wider, da wir Sprache zum Denken benutzen, um z. B. Ordnung und Strukturen zu schaffen.  Mit Programmieren ist das geplante, bewusste, zielgerichtete Handeln gemeint. Im NLP wird davon ausgegangen, dass Handeln nicht automatisch oder vorbestimmt abläuft, sondern dass es gestaltbar und somit auch veränderbar ist.«49

3.2

Die Kommunikation verbessern

Wie kann die Kommunikation50 mit demenziell erkrankten Menschen mittels des Neurolinguistischen Programmieren (NLP) verbessert werden? Die folgenden Grundannahmen aus dem NLP bringen einen stark fähigkeits- und ressourcenorientierten Ansatz in die Pflege von Menschen mit Demenz:  Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht.  Jeder Mensch ist einzigartig und hat sein eigenes Modell der Welt. Diese beiden Annahmen lassen das Verhalten von Menschen mit Demenz in einem positiven Licht erscheinen. Ziel der folgenden Erläuterungen, die einige Aspekte aus dem NLP aufgreifen, ist es, Chancen und Möglichkeiten der eigenen Person und Haltung im Kontakt zu Menschen mit Demenz wahrzunehmen und umzusetzen.

49 50

Feustel, B.; Komarek, I.: NLP-Trainingsprogramm. Südwestverlag, München, 2006 ebd.

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Mehr Verständnis für Demenzkranke durch NLP

Neuro steht für die Prozesse, die in unserem Körper und seinem Austausch mit der Umwelt bzgl. des Denkens und der Wahrnehmung über die Sinne stattfinden. Linguistisch steht dafür, dass unser Denken über die Sprache den Körper verlässt. Unsere Sprache drückt unsere gedanklichen Muster und Vorgänge aus. »Linguistik« steht gleichfalls für unsere kommunikativen Prozesse. Programmieren steht für die unterschiedlichen Prozesse oder Möglichkeiten und Wege, wie wir unsere Gedanken, Erfahrungen und Handlungen wählen und organisieren. Programmieren wird auch vom Begriff »Verhalten« abgeleitet: Wie programmiert uns unser Verhalten, nach welchem inneren Programm verhalten wir uns, agieren in der Welt und im Kontakt mit anderen?

Die Amerikaner Richard Bandler (Sprachwissenschaftler) und John Grinder (Psychologe) wollten bei herausragenden Therapeuten die Muster erkennen, die diese so erfolgreich machten. Sie entwickelten daraus ein Modell, das Menschen die Möglichkeit und das Wissen dafür gibt, effektiv, direkt und intensiv zu kommunizieren. Außerdem stellten sie fest, dass die herausragenden Therapeuten einen Rahmen steckten, in dem Raum für persönliche Veränderungen und Steigerung der Lebensfreude ist. Dem NLP liegen einige Grundannahmen zugrunde, die ich Ihnen auszugsweise vorstellen möchte.

3.3

Grundannahmen des NLP

1. Menschen reagieren auf ihre Abbildung der Realität, nicht auf die Realität selbst. Die Landkarte ist nicht die Welt! Wir alle haben verschiedene Karten, innere Abbildungen von der Welt, mit deren Hilfe wir uns in ihr orientieren. Keine dieser Karten stellt die Welt vollständig und akkurat dar. Speziell in der Pflege von Menschen sind genau diese anderen Landkarten das Spannende. Es sind ja nicht nur andere Länder, in denen die Betroffene gerade ist, es sind ja auch andere Zeiten. Bestimmt fallen Ihnen jetzt beim Lesen viele Menschen ein, die an anderen Orten und in anderen Zeiten zu sein scheinen. Mit Landkarte sind jedoch nicht nur die Zeitreisen gemeint. Diese Annahme gilt für uns alle. Wenn ich sage »Sonnenuntergang« oder »Finanzkrise«, haben Sie sicherlich alle eine andere Vorstellung und ein anderes Gefühl dazu. Das Verhalten eines Menschen richtet sich nach seinem (internen) Modell der Welt und nicht danach, wie die Welt da draußen »wirklich« ist. 2. Geist und Körper sind Teile des gleichen kybernetischen Systems – sie beeinflussen sich gegenseitig. Was mental geschieht, also in der Vorstellung und in den Gedanken, geschieht auch im und mit dem Körper. Jeder unterscheidbare Bewusstseinszustand korrespondiert mit einem ebenfalls unterscheidbaren körperlichen Zustand. Im NLP spricht man von der jeweiligen Physiologie des Klienten und meint damit seinen momentanen Bewusstseins- und körperlichen Zustand.

Grundannahmen des NLP

Dies wird mir immer wieder sehr deutlich, wenn ich bei mir selber darauf achte, wie intensiv z. B. Erinnerungen in mir sind. Farben, Bilder, Gespräche, Gefühle, Gerüche – alles ist noch da und kann jederzeit angeregt werden. An diesem Bewusstseinszustand setzt die Fähigkeit »Anregung – Aktivierung« der FEDL an. Es geht darum, die innere Wahrnehmung, das innere Bewusstsein anzuregen, damit dann auch der Körper in die Anregung kommt. Wir können als Pflegende ganz bewusst innere Bilder und inneres Erleben anregen. Durch einfache Sätze wie »Wenn die Erntezeit kam, dann war auch immer jede Menge zu tun« –»Erinnern Sie sich noch an das Kleid, das Sie bei Ihrer Hochzeit trugen?« – »«Ach ja, Berlin, die vielen Straßen und die vielen Menschen«. … 3. Die Bedeutung Deiner Kommunikation ist die Reaktion, die Du bekommst. Kommunikation hat nichts mit der Absicht des Kommunizierenden zu tun, und auch nicht damit, die richtigen Worte sagen zu können. Kommunikation hat etwas damit zu tun, ein bestimmtes Erlebnis im Zuhörer zu erzeugen und eine bestimmte Reaktion von ihm zu erhalten.51 Oder anders gesagt: Wir kommunizieren, um von unserem Gegenüber, z. B. der Kollegin, der Klientin, eine gewünschte Reaktion zu erhalten. Bleibt diese aus, so ist unsere eigene Botschaft nicht angekommen. Anstatt nun negativ darauf zu reagieren (z. B. dem anderen die Schuld zu geben, zu resignieren), ist es doch weitaus sinnvoller, das eigene Verhalten – speziell in der Kommunikation – zu ändern. Ein Klassikerbeispiel aus der Pflege: Eine Pflegekraft möchte eine bewegungseingeschränkte alte Frau im Bett beim Positionswechsel unterstützen. Sie sagt, in dem Moment, in dem sie die Frau berührt und z. B. auf die Seite legen will: »Keine Angst, Sie fallen nicht raus!« Was bleibt hängen, bzw. kommt an? Angst und Rausfallen! Was könnte sie stattdessen sagen: »Frau Müller, ich halte Sie jetzt fest und lege Sie vorsichtig auf Ihre rechte Seite. Sehen Sie, hier bin ich.« Das hört sich nicht nur anders an, das kommt auch ganz anders an. 4. »Widerstand« ist eine Aussage über den Therapeuten, nicht über den Klienten. Dieser Satz bezieht sich nicht nur auf das Können des Therapeuten und auf seine Verantwortlichkeit für das tatsächliche Eintreten der angestrebten Veränderungen beim Klienten. Dieser Satz gilt für jeden, der kommuniziert. In Verbindung mit »Die Bedeutung Deiner Kommunikation …« bedeutet diese Grundannahme Folgendes: Der einfachste Weg, jemanden so zu ändern, wie ich ihn haben will, besteht darin, dass ich mich selbst so lange verändere, bis der andere »wie von allein« so wird, wie ich das möchte. Das gilt auch für das Verhalten von Therapeuten ihren Klienten gegenüber. Anders und vor allem provokant gesagt: Widerstand ist eine Aussage über die Pflegekraft (oder auch Trainerin, Dozentin, etc.) und nicht über die Bewohnerin oder Patientin. Widerstand resultiert nicht aus der »Bösartigkeit« des Gegenübers, sondern ist ein Hinweis auf einen fehlenden Rapport, der durch erneutes Herstellen von Rapport ausgeräumt werden kann.

51

ebd.

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Mehr Verständnis für Demenzkranke durch NLP

Unsere Pflege, unsere Beziehungsgestaltung, unsere Kommunikation, unser ganzes Angebot für den alten Menschen mit Demenz, sollte schlicht und einfach so sein, dass es für ihn in seiner Lebenssituation annehmbar ist. Ein Beispiel: Eine alte Dame mit Demenz wehrt sich dagegen, dass ich ihr das Gebiss herausnehmen will. Fazit aus oben Gesagtem: Nicht sie ärgert mich, weil sie vermeintlich »aggressiv« ist, sondern ich ärgere sie. Denn ich tue ja etwas, was sie gar nicht möchte. Nicht die Teilnehmer in einer Schulungsveranstaltung sind schuld, wenn sie etwas nicht verstehen. Es liegt an mir, einen Inhalt so zu vermitteln, dass er annehmbar wird und verständlich ist. Diese Grundannahme ist hilfreich für das DCM-Verfahren, zeigt es doch zum Teil auf, was »ankommt« und ob es gut tut. 5. So etwas wie »Fehler« oder »Versagen« gibt es nicht – es gibt nur Feedback52 (Rückmeldungen). Jede Reaktion und jedes Ergebnis kann als Feedback und Lernmöglichkeit genutzt werden. Als Feedback geben Reaktionen wichtige Hinweise darüber, ob ein Lösungsweg geeignet ist oder nicht. Feedback lädt dazu ein, neue Wege zu suchen. In dieser Annahme steckt für uns Pflegekräfte der Reiz, dass wir bei alten Menschen »nicht immer gleich gut ankommen«. Wir haben vielleicht eine Stimmung, eine Haltung, einen Glaubenssatz (Toilettenpapierrollen gehören nicht auf den Nachtschrank), die vom Gegenüber als unangenehm oder unerwünscht wahrgenommen wird. Das bedeutet aber nicht, dass unsere »Pflegemaßnahme« und die Art und Weise, wie wir sie ausgeführt haben, ein »Fehler« ist, sie passte hier vielleicht gerade nicht hin. 6. Wenn etwas nicht funktioniert, mach etwas anderes!53 Eine der wesentlichsten Annahmen im NLP. Sie weist darauf hin, dass wir nicht auf dem »Holzweg« weitergehen, sondern – endlich – etwas anderes machen. Wie oft versuchen Pflegekräfte, einen Bewohner abends zu waschen und ihn auszuziehen. Er aber möchte das nicht. Er möchte seine Ruhe, noch einmal zur Toilette und sich dann warm und geborgen in sein Bett legen – mit all seinen Sachen. Aber immer wieder wird er überredet und nie will er. Es ist Zeit für etwas anderes! Ein weiteres Beispiel: Über einige Monate hinweg sprach ich als junge Altenpflege-Schülerin eine ehemalige Oberstudienrätin sehr höflich und förmlich an. Ich dachte, das wäre der richtige Weg. Sie ging sehr aufrecht, mit wenig bewegtem Gesicht, zwischen den Wohnbereichen, im Treppenhaus, etc. hin und her. Sie selber sagte kein Wort außer: »Da dissel da dissel, da dissel da du.« Dazu bewegte sie die Arme rhythmisch mit. Ich habe es so erlebt, dass sie mir mit den Armen bei einer Bewegung immer sehr nahe kam, ich hatte ziemliche Angst vor ihr – als Neuling! Irgendwann sprach ich länger mit einem Kollegen darüber und versuchten daraufhin etwas anderes. Ich griff den Rhythmus des »Da dissel da dissel, da dissel da du« auf und begrüßte sie damit. Und ab dann guckte sie mich an und lächelte manchmal sogar – je nachdem, wie echt ich damit war.54 52 53 54

Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin Masemann, S.; Messer, B.: Improvisation und Storytelling in Training und Unterricht. Beltz Weiterbildung, Weinheim, 2009 Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin

Grundannahmen des NLP

7. Menschen treffen innerhalb ihres Modells von der Welt grundsätzlich die beste ihnen subjektive Wahl. Wenn Menschen andere und angemessene Möglichkeiten für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung hätten, würden sie vieles von dem nicht tun, was manchmal aus reiner Bosheit zu geschehen scheint (Trageser 2000). Da erfahrungsgemäß Menschen mit Demenz wegen ihrer Erkrankung recht wenig Wahlmöglichkeiten haben, sollten wir einen Rahmen und ein Milieu schaffen, in dem sie sich handlungsfähig fühlen und aus einem Repertoire an Möglichkeiten wählen dürfen. Hiermit ist jetzt primär etwas Organisatorisches gemeint. Natürlich ist es sinnvoll, z. B. einem alten Menschen mit Demenz zwei Kleidungsstücke zu zeigen, aus denen er wählen kann. Ich meine aber noch etwas anderes. Die alten Menschen mit Demenz sind alt, sie haben eine ungeheure Portion an Lebenserfahrung. Ihnen macht so leicht keiner etwas vor. In ihrem ganzen langen Leben haben sie schon viele Verhaltensmöglichkeiten gehabt, sich schon viele tausende Male für oder gegen etwas entschieden. Es besteht hier die Möglichkeit, durch Validation, Kontakt, Empathie und eine passende Frage, genau die alten Kompetenzen und Wahlmöglichkeiten anzuregen und sie dem Betroffenen deutlich machen. 8. Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine positive Absicht. Dieses ist eine der Hauptwurzeln des FEDL-Modells. Die Annahme, dass alles eine Fähigkeit ist, bringt den Aspekt der Kompetenz und Fülle in das Menschenbild. Wenn wir davon ausgehen, dass hinter einem »schädigenden« Verhalten eine positive Absicht liegt, wird vieles einfacher. Diese Annahme hilft uns, in scheinbar unlösbaren Situationen Lösungen zu finden. 9. Für jedes Verhalten gibt es einen Kontext, in dem es sinnvoll oder nützlich sein kann.55 Gelernt ist gelernt, d. h., jedes Verhalten hat irgendwann zum gewünschten Erfolg geführt. Ziel ist es, zusätzlich zu diesem Verhalten mehr Wahlmöglichkeiten zu entwickeln. Auch diese Annahme hat für mich eine hohe Schlüsselfunktion für die Pflege. Zum einen, weil hier der direkte Weg zur Biografiearbeit gegangen werden kann. Zum anderen, um ein bestimmtes Verhalten zu verstehen. Beispiel: Als Kleinkind lerne ich z. B., dass ich von meinen Eltern eine besondere Anerkennung bekomme, wenn ich »brav« bin. Ich mucke nicht auf, willige in das ein, was gewünscht wird, erfülle die Vorgaben und Norm. Vielleicht mache ich mich zusätzlich besonders schutzbedürftig, ängstlich und hilflos. Dafür bekomme ich im Austausch Liebe. Wenn ich als Erwachsener später Anerkennung möchte, falle ich leicht in dieses gewohnte Verhalten hinein. Ich bin »brav«, erhebe nicht die Stimme, fordere nichts, nehme, was kommt. Für mein Gegenüber, z. B. eine Vorgesetzte, kann genau dieses Verhalten unsinnig sein. Sie wundert sich, warum ich z. B. nicht laut deutlich meine Wünsche und Bedürfnisse äußern kann.

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Stahl, T.: Neurolinguistisches Programmieren. Was es kann, wie es wirkt und wem es hilft. Mannheim 1996

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Mehr Verständnis für Demenzkranke durch NLP

Ähnlich kann es natürlich Menschen mit Demenz gehen. Sie zeigen – gerade in ihrer demenziellen Symptomatik – Verhaltensweisen wie  Nahrungsmittel verstecken  Zu den kleinen Kindern nach Hause wollen  Zur Arbeit müssen  Etwas mit den Händen bearbeiten  … Das können wir nicht immer im aktuellen Kontext als sinnvoll erachten. Nehmen wir jedoch an, dass genau dieses Verhalten einmal sehr sinnvoll und notwendig war, bekommt es auch im Jetzt einen Sinn. Da es sich um ein ehemals sehr wichtiges oder sinnvolles Verhalten handelt, sollte es ruhig auch einbezogen und bestätigt werden. 10. Menschen verfügen schon über alle Ressourcen (innere Fähigkeiten und äußeres Verhalten), die sie brauchen, um die von ihnen angestrebten Veränderungen zu erreichen! 56 Was sie brauchen, ist die Möglichkeit, sie so zu organisieren, dass sie zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort Zugang zu ihnen haben. Und dass sie überhaupt ihre Ressourcen im richtigen Moment zur Verfügung haben, bzw. sie in optimaler Weise einsetzen können. Natürlich ist auch hier der Bezug zur Pflege von Menschen mit Demenz ganz nah. Unsere Aufgabe ist es, die Fähigkeiten/Ressourcen zu erkennen und einen Rahmen bzw. eine solche Anregung zu gestalten, dass sie dem alten Menschen zur Verfügung stehen, dass er sie selber nutzen kann. Auch hier ist der unmittelbare Bezug zur personstärkenden Biografiearbeit wesentlich. Zusätzlich findet sich hier die Überzeugung, dass es sich bei den Fähigkeiten um Ressourcen handelt und nicht um Probleme. Hier kommen noch ein paar NLP-Appetithappen:  Kommunikation geschieht über den Austausch sinnlicher Erfahrungen. Man kommuniziert immer auf mehreren Sinneskanälen gleichzeitig.  Veränderungen müssen nicht über das Bewusstsein laufen.  Individuen haben zwei Ebenen der Kommunikation, die bewusste und die unbewusste.  Das Unbewusste ist mächtiger und zuverlässiger als der bewusste Verstand.  Die Basis für wirksame Kommunikation ist der Rapport. Rapport heißt, dem anderen in seinem Modell der Welt zu begegnen.  Es gibt keine Probleme, sondern nur Entwicklungsmöglichkeiten.

3.4

Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht

Was heißt das konkret und wie können wir von dieser Aussage in der Pflege profitieren? Im Kern sagt der Satz, dass jeder Mensch aus einer guten Absicht heraus handelt. Nur haben wir als Pflegende nicht immer verstanden, wie die gute Absicht zu erkennen ist.

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Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin

Hinter jedem noch so problematischen Verhalten steckt eine gute Absicht

Ein Beispiel: Eine alte Dame hängt ihre bereits verwendeten, mit Urin durchnässten Inkontinenzeinlagen zum Trocknen auf die Heizung; sie zeigt keine Einsicht in Erklärungen der Pflegekräfte; trotz Wegnahme der Inkontinenzeinlagen führt sie das Verhalten mehrmals täglich durch. Was könnte aber ihre gute Absicht sein? Sie nutzt ihre alte Kompetenz, »ihre Wäsche und Hausarbeit« zu erledigen, wie sie es viele Jahre in ihrem Leben getan hat. Sie ist mit der Bearbeitung oder Beseitigung einer »Ungeschicklichkeit« oder »Unpässlichkeit« beschäftigt und sucht selber eine Lösung. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, das deutlich macht, dass eine Sache immer zwei Seiten hat. Diese Erkenntnis kann uns Pflegenden helfen, Ressourcen und Fähigkeiten dort zu sehen, wo wir sie niemals vermutet hätten. Wir können also viele Situationen im Sinne des Klienten betrachten. Handlungen, die problemorientiert und ausweglos wirkten, erhalten dann oft einen positiven Sinn. Doch zurück zu den Wurzeln und der Entwicklung des NLP: Bandler und Grinder stießen auf eine grundlegende Erkenntnis, die auch für die Pflege wesentlich ist: Alle Therapeuten, deren Arbeit sie untersuchten, hatten immer und ausschließlich einen guten und intensiven Kontakt zu ihren Klienten. Da die Pflege immer auch Beziehungspflege ist, können wir diesen Ansatz, dessen sich auch die Validation nach Feil bedient, für die tägliche Pflegearbeit nutzbar machen. Er betrifft den Rapport, d. h. die gute, wechselseitige Beziehung zueinander. Rapport ermöglicht uns, eine Brücke zu einer anderen Person (und deren Weltbild oder Lebenswelt) zu schlagen, wir nehmen quasi teil am (Er-)leben der anderen Person. Dies ist besonders dort notwendig, wo die andere Person, also der Klient, häufig auf unsere Art und Weise der Beziehungsgestaltung angewiesen ist und wo auch die verbale Sprache in den Hintergrund tritt. Rapport oder Empathie sind absolut notwendig, um eine Atmosphäre von Vertrauen, Zuversicht und Beteiligung aufzubauen, innerhalb der Menschen so agieren können, wie sie möchten, nämlich frei und natürlich. Woher wissen wir, ob Menschen im Rapport miteinander sind? Die Kommunikation scheint zu fließen, Körpersprache, Atmung und Tonart sind aufeinander abgestimmt. Häufig haben beide Partner die gleiche Körperhaltung; Gestik, Augenkontakt und Atmung sind aufeinander abgestimmt. Ein Rapport bleibt dann oft oberflächlich, wenn er ausschließlich durch Spiegelung »hergestellt« wird. Ausschlaggebend für die Qualität des Rapport ist die »innere Haltung«. Tiefergehend heißt dass, dass die Pflegekraft den Menschen mit Demenz würdigt, speziell das, was er glaubt und erlebt. Ebenfalls gehört ein Einfühlen in seine Situation, seine Werte, seine Fähigkeiten sowie seine Identität dazu. Tiefe, grundlegende Herzlichkeit sollte zu spüren sein. Nur so kann ein Rapport »echt« sein.

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Der Rapport zwischen Pflegekraft und Klient sollte immer von der Pflegekraft ausgehen. Sie stellt sich auf den Klienten ein, schafft eine Atmosphäre von tiefer Zustimmung und Beziehung. Es ist von außen sofort zu erkennen, ob Menschen im Rapport miteinander sind, oder ob dieser gebrochen ist. Eine Voraussetzung ist allerdings auch die persönliche Klarheit der Pflegekraft. Ist sie selber in Übertragungen und Konflikten verstrickt, nimmt der Klient dies natürlich auch wahr.

Bezogen auf die Pflege stecken in den oben genannten Erkenntnissen nutzbare Ansatzpunkte für das Selbstmanagement einer Pflegekraft und auch für die Fähigkeit, das eigene Handeln stets zu reflektieren. Sie muss wissen, dass sie diejenige ist, die etwas in ihrem Verhalten ändern sollte, wenn sie nicht den gewünschten Erfolg wahrnimmt.

3.5

Sinneswahrnehmung und Repräsentationssystem

Wie sprechen wir Menschen an? Wie erfahren wir unsere Umwelt? Wir nutzen unsere Sinne. »Der elementarste Zugang zu einer Person erfolgt unmittelbar über ihre Möglichkeiten der sinnlichen Wahrnehmung – die fünf Sinne sind die Tore zur Umwelt« (Stuhlmann 2004, S. 80). Jeder Mensch erlebt die reale Welt aufgrund seiner subjektiven Erfahrungen. Wie er also sieht, riecht, hört, fühlt und schmeckt, nimmt er auf seine persönliche Art und Weise wahr. Er wird nur das verarbeiten und erinnern, was er mit diesen Sinnen aufgenommen hat. »Umgekehrt können über die Sinne auch diese Erinnerungen wieder belebt werden. Auch die Steuerung innerer Prozesse – der Verarbeitung des Erlebens und des Verhaltens – ist daran gebunden. Gespeicherte Erfahrungen können durch Gedanken, Vorstellungen und innere Bilder, also von innen heraus, aktiviert werden« (Stuhlmann 2004, S. 81). Die innere Repräsentation der äußeren Welt, aber auch der eigenen Lebensgeschichte, seiner Werte und Normen ist bei jedem Menschen unterschiedlich und prägt die innere Landkarte. Jedes Erlebnis kann innerlich in Bildern, Gefühlen, Geräuschen, Tönen, Formen, Farben etc. repräsentiert werden. Wie diese Repräsentationen gestaltet sind, welche Sinneswahrnehmungen besonders stark oder schwach vertreten sind, ist individuell unterschiedlich.57 Alle Menschen benutzen ständig drei Repräsentationssysteme (visuell, auditiv und kinästhetisch). In der Regel bevorzugen wir eines der Repräsentationssysteme, vorzugsweise in Stresssituationen und auch, wenn wir uns Dinge vorstellen. John Grinder und Richard Bandler machten sich an einem Tag auf den Weg, um eine Gestalttherapiegruppe zu leiten. Richard lachte darüber, dass jemand gesagt hatte: »Ich sehe, was Du sagst.« »Nimm das mal wörtlich«, sagte er. »Was könnte er möglicherweise meinen!« »Tja«, sagte John, »lass es uns wörtlich nehmen; ich vermute, es bedeutet, dass Menschen sich Bilder machen von der Bedeutung der Wörter, die Du benutzt.«58

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Messer, Barbara. 100 Tipps für die Validation, Brigitte Kunz Verlag. Schlütersche Verlagsgesellschaft. Hannover, 2007 Feustel, B.; Komarek, I.: NLP-Trainingsprogramm. Südwest Verlag, 2006, München

Sinneswahrnehmung und Repräsentationssystem

Beispiel: Eine Kollegin berichtete mir von einem ganz besonderen Sonnenuntergang. Sie dachte dabei – auf Nachfrage – an ihren neuen Lebenspartner, den sie an diesem Abend kennengelernt hatte. Ich nahm ihre Schilderung ganz anders wahr und dachte an eine ganz spezielle Situation in einem kleinen Hafen, wo ich abends gesessen und den Fischern zugesehen hatte. Zwei ganz unterschiedliche Assoziationen. Wenn wir an das denken, was wir sehen, hören und fühlen, schaffen wir diese Ansichten, Klänge und Gefühle mit unseren eigenen Möglichkeiten, basierend auf unseren eigenen Lebenshintergründen, unseren eigenen Landkarten. Dies ist bei einem Menschen mit Demenz, der häufig Situationen aus dem Langzeitgedächtnis nacherlebt, ebenso. Er sieht die Personen oder Dinge, hört oder fühlt sie, schmeckt oder riecht sie. Alle Menschen nutzen ihre Sinne – äußerlich –, um die Welt wahrzunehmen und – innerlich –, um die Erfahrungen wieder zu repräsentieren. Ein Beispiel: Ein alter Mensch, der eine Situation aus der Vergangenheit nacherlebt, wird eine Szene oder den Kontakt mit einer Person entweder  vor seinen Augen haben, sich ein Bild davon machen,  im Dialog mit einer Person sein, Geräusche und Klänge hören,  die Situation, den Kontakt, den anderen Menschen fühlen, einen ganz spezifischen Geruch in der Nase haben oder einen Geschmack. Ein anderes Beispiel macht dieses noch deutlicher: Denken Sie einmal an Ihren ersten Schultag … Was kam zuerst? Ein Bild, ein Geräusch oder ein Gefühl? Je nach Erinnerung sind sie ein visueller, auditiver oder kinästhetischer Mensch bzw. jemand, der diese unterschiedlichen Repräsentationssysteme bevorzugt nutzt. Vor kurzem sagte eine alte, desorientierte Person zu mir, als wir einige Minuten auf dem Flur ihres Wohnbereiches auf und ab gingen: »Das sättigt so.« Sie hatte offensichtlich genug vom Umhergehen und mir war klar, dass sie bevorzugt kinästhetisch wahrnimmt. Warum sie genug hatte, war zunächst zweitrangig. In der Pflege von Menschen mit Demenz ist diese Kenntnis der Repräsentationssysteme äußerst nützlich: Sie können den alten Menschen in seinem bevorzugten Repräsentationssytem ansprechen und ihn damit anregen, sich innere Bilder zu machen. Sie geben dem anderen Menschen »Futter« oder »Stoff« für seine inneren Vorstellungen, Erlebnisse oder eben Bilder. Dies geschieht automatisch, da Menschen angefüllt sind mit Ereignissen und Erinnerungen; sie brauchen nur angestupst zu werden und schon kommen die »Bilder ins Laufen«. Dies gelingt, indem Sie Wörter und Begriffe verwenden, die den entsprechenden Sinn ansprechen. Hier finden Sie eine Aufzählung von Wörtern und Begriffen, die von den jeweiligen Typen bevorzugt verwendet werden: Visueller Typ: Schauen, sehen, betrachten, beobachten, so betrachtet, so gesehen, keine Vorstellung haben, Überblick, Durchblick, Einblick, Blickwinkel, Perspektive; mir geht ein Licht auf, ich habe die

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Mehr Verständnis für Demenzkranke durch NLP

Sache durchschaut, ich bin im Bilde, das sehe ich nicht so, das sieht gut aus, das sehe ich anders, das muss ich erst mal anschauen, über den Tellerrand sehen, das sticht mir ins Auge, das kann ich mir vorstellen, das geht über meinen Horizont, das sieht gut so aus, darf ich Ihnen mal was zeigen, im Hinblick auf, Blicke sagen alles, sichtlich, übersehen, am Horizont, transparent, klar, nachsehen, scheinbar, ins Auge fassen, ausmalen, die Augen offen halten, schwarz sehen, verschwommen, leuchtend, strahlend59, einleuchtend, offensichtlich, klar, in einem anderen Licht sehen, Aspekt, Einsicht, Absicht, schleierhaft, trüb, düster, strahlend, glänzend, aufblitzen, ausmalen, scharf, unscharf, Farbe, grau in grau, rosarote Brille, unter die Lupe nehmen, ins Augen fallen, Erleuchtung … Auditiver Typ:60 Reden, diskutieren, hört sich gut an, die Macht des Wortes, mir tun die Ohren weh, das spricht mich an, erklär mir das, ich erinnere mich, etwas versprechen, das ist ein Wort, ein Mann ein Wort, das lässt sich gut hören, klingt gut, Ohrenschmaus, mit Ach und Krach, ich kann das nicht mehr hören, erzähl doch mal, ich höre mir das mal an, Rasselbande, hör zu, mach deine Ohren auf, da klingelt es bei mir, wie Musik in den Ohren, Vorschlag machen, jetzt krachts, tratschen, es ist unüberhörbar, bin ganz Ohr, lass mich ausreden, es rauscht im Blätterwald, es knistert, erzähl mir nichts, leise treten, es klingelt, wer sagt das, ich komme nie zu Wort, sagen, fragen, schwatzen, das stimmt, Zustimmung, sich einstimmen, Harmonie, klingen, Einklang, Anklang, Ausklang, das schreit zum Himmel, Echo, Widerhall, Donnerwetter, es macht klick, eine leise Ahnung, in den höchsten Tönen, sang- und klanglos, einen Marsch blasen, die Stimme der Vernunft … Kinästhetischer Typ:61 Fühlen, spüren, packen, in den Griff bekommen, das empfinde ich anders, das ist etwas Handfestes, das kann ich begreifen, nimms leicht, Mitgefühl, das ist ein heißer Typ, wie ein Stich ins Herz, das schlägt mir auf den Magen, das fühlt sich gut an, zarter Mensch, davor graust mir, zum Kotzen, ich glaub mich tritt ein Pferd, rumhängen, durchhängen, das ist ja zum Haare raufen, damit gehts mir nicht gut, das bricht mir das Herz, hier muss sich was bewegen, zum dahinschmelzen, er ist ein kalter Typ, gefühlvoll, es läuft mir heiß und kalt runter, kuschelig, Kribbeln im Bauch, das macht mir Kopfschmerzen, das geht mir auf die Nerven, das liegt mir im Blut, das macht mich an, warmherzig, er hat Fingerspitzengefühl …62 Begriff, das liegt auf der Hand, schwerfällig, leichtsinnig, hart, anpacken, zugreifen, niedergeschlagen, prickelnd, in der Hitze des Gefechts, schweißtreibend, auf etwas stoßen, heiß auf etwas, kalt lassen, das kratzt mich nicht, es juckt mich in den Fingern, handhaben, Belastung, Erleichterung, umfassend, überstürzt, aufbauen, raue Sitten, beißend, Ansporn, im Handumdrehen, Auftreten, eintreten … Olfaktorisch-gustatorische Sprachformen:63 Dufte, mir stinkt es, das schmeckt mir (nicht), das riecht nach …, ich hab die Schnauze voll, Geschmack, durchkauen, fad, anrüchig, etwas wittern, Schnüffler, Spürnase, sauer, bitter, süß, die Nase rümpfen, ein gefundenes Fressen, ein Leckerbissen …

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Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin Feustel, B.; Komarek, I.: NLP-Trainingsprogramm. Südwest Verlag, 2006, München Forum für Metakommunikation. Manual NLP-Practitioner-Ausbildung, 1988, Berlin Buchholz, T.; Schürenberg, A.: Lebensbegleitung alter Menschen. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, 2003

Sinneswahrnehmung und Repräsentationssystem

Ein Beispiel: Eine alte Frau spricht davon, dass sie zu ihrer Mutter (die aber schon verstorben ist) möchte. Kennen wir ihren bevorzugten Sinneskanal, so können wir Fragen nach dem derzeitigen Erleben stellen: Bei visuellen Menschen: Wie sieht Ihre Mutter denn aus? Was hat sie für Kleidung an? Wie sind ihre Haare? Was gibt es noch zu sehen? Ist es hell, ist es dunkel? Welche Farbe haben ihre Augen? Etc. Bei auditiven Menschen: Wie spricht die Mutter? Was sagt sie? Ist es laut, ist es leise? Etc. Bei kinästhetischen Menschen: Wie fühlt sich die Mutter an? Wie warm ist ihre Haut? Bei olfaktorisch-gustatorischen Menschen: Wonach riecht sie? Mit einer solchen Frage regen Sie das innere Erleben der Person an, sie braucht dazu nicht verbal zu antworten. Sie können davon ausgehen, dass sie gewisse Situationen oder Erinnerungen durchlebt, nacherlebt; dass sie – in diesem Beispiel – in ihrer Wahrnehmung bei der Mutter ist, sie fühlt, riecht, spürt, sie vor sich sieht oder ihre Stimme hört. Die Klientin »tagträumt« sozusagen das, was sie spüren möchte. Erlebt habe ich dieses ganz konkret mit einer alten Dame, die seit Monaten ihr Leben im Bett verbracht hatte. Sie sprach nicht mehr aktiv, öffnete aber bei guter Tagesform und intensiver Pflege ihre Augen. Als ich erfuhr, dass sie früher Krankenschwester an der Charité in Berlin gewesen war, eröffnete sich mir eine Menge an Möglichkeiten, sie anzuregen. Ich wandte mich ihr zu und sprach in ruhigen, klaren Sätzen von Berlin: »Der Blick auf das große Gebäude der Charité, die vielen Stockwerke, ganz in der Nähe das Brandenburger Tor, das Geräusch der SBahn, die Arbeit als Krankenschwester, die Begegnungen mit anderen Menschen …« Für mich als Pflegekraft ist entscheidend, ob ich mir eine ähnliche Situation vorstellen kann. Ist dies der Fall – und das ist es bei den Themen »Mutter, Kinder, nach Hause …« nahezu immer –, so nehme ich das, was ich davon weiß, spreche es aus oder formuliere es in einer Frage.

Fazit: Bestimmte Bereiche aus dem NLP haben großen Nut zen für die Pflege:  Menschen, die evtl. aus ihrer Desorientiertheit heraus »unlogisch handeln«, tun dies mit guter Absicht; dem sollten wir auf die »Spur« kommen.  Rapport heißt, wirklich intensive Beziehung zum anderen ist die Basis für gute Pflege.  Unsere fünf Sinne bestimmen unsere Wahrnehmung; diese kann angeregt werden, um das Entstehen von inneren Bildern beim Klienten zu unterstützen.

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Biografie

Biografie ist eines der Schlagwörter unserer Zeit geworden, denn die Beschäftigung mit der Lebensgeschichte der Klienten dient dem Kennen lernen und Verstehen des Klienten und ist unverzichtbarer Bestandteil der Lebensbegleitung und Pflege älterer Menschen. »Lebewesen zu sein bedeutet, einen eigenen unverwechselbaren Lebenslauf zu entwickeln. Dieser beginnt mit der Befruchtung und endet in einer unverwechselbaren Art zu sterben. Auf diesem Kontinuum des Lebens ist die Einzigartigkeit des Menschen geprägt von der Vielfalt und der Vielzahl seiner gemachten Erfahrungen. Die Rückschau des Menschen auf sein eigenens Leben findet jedoch stets aus seiner aktuellen Situation heraus statt, die wiederum Einfluss nimmt auf seine Lebensgeschichte. Eine Biografiearbeit, welche die spirituellen, seelischen, geistigen sowie sinnlich körperlichen Aspekte des Menschen berücksichtigt, erschließt alle Dimensionen des Menschseins und hilft Pflegenden beim verstehenden Umgang mit alten Menschen« (Buchholz & Schürenberg 2003, S. 88). Biografiearbeit in der Pflege ist nicht nur eine Wissenssammlung über das Leben eines Klienten, sondern eine grundlegende Haltung ihm gegenüber. Die Grundhaltung ist geprägt von Offenheit, Wertschätzung und Neugier dem Klienten gegenüber. Biografisch zu arbeiten bedeutet, gegenüber der Fülle von Erinnerungen, Erlebnissen, Prägungen und Lebenserfahrungen eines Klienten aufmerksam zu sein und diese in die alltäglichen handlungen einfließen zu lassen. Es bedeutet aber auch, Respekt zu haben vor dem, was wir Jüngeren nicht kennen oder erfahren haben. Vielfach treffe ich Pflegekräfte an, die davon berichten, dass eine Klientin zu ihrer Biografie nichts erzählen will. Dazu habe ich mindestens zwei Antworten: 1. Allein der Hinweis, dass der Betroffenene nichts berichten möchte, ist ein Hinweis zur Biografie und zur Haltung dazu. Immer gibt es das Geburtsjahr und immer gibt es den Geburtsort. Und dann habe ich ja noch meine Kenntnisse, die ich selber erweitern kann. Wie war es nämlich 1934 in Verden an der Aller, was ist dort in den nächsten 20 Jahren passiert? Wie wurde gelebt? Welche Werte, Ereignisse und Traditionen hat es gegeben? … 2. Was haben Sie selber von sich erzählt? Vielfach ist doch so, dass die Pflegekraft dazu neigt, die Klientin zur Biografie zu befragen, womöglich gleich mit dem Formular in der Hand. Das lädt wenig ein, ins Erinnern zu kommen. Zugleich hält sich die Pflegekraft selber sehr zurück. Ganz andere Ergebnisse kommen zu Tage, wenn die Pflegekraft etwas sehr Persönliches von sich erzählt.

Die Wirkung von Biografiearbeit

4.1

Möglichkeiten der Biografiearbeit

Die Arbeit an der Biografie, am Lebensweg ist Basis und Wurzel vieler Pflegekonzepte (Validation, Böhms Pflegemodell, Mäeutik, 10-Minuten-Aktivierung, FEDL-Modell, etc.). Biografiearbeit praktisch werden zu lassen heißt, viele Möglichkeiten auszuschöpfen:  Angehörigenarbeit  Erinnerungsgruppen  Aktivierende Angebote  Lebensalben schreiben  Lebensgeschichten schreiben  Einbeziehung in den Pflegealltag (frühere Gewohnheiten einbeziehen: Zeit zur Unterstützung beim Waschen, Schlafengehen, Aufstehen, Essen und Trinken, Kleiden etc.)  Integration in Alltagstätigkeiten  Umgebungsgestaltung  Besuche von Ausstellungen, Museen  Anlegen von Familien- oder Sozialstammbäumen  Basale Stimulation®  Gruppenaktivitäten aller Art  Validationsgruppen  Beschäftigung und Themen für Menschen, die dauerhaft im Bett liegen  u. a.

4.2

Die Wirkung von Biografiearbeit

Biografiearbeit ist unerlässlich – und das nicht nur in der Pflege. Wir möchten unseren persönlichen Lebensweg meistern, aus der Vergangenheit lernen, damit wir unsere individuelle Zukunft gestalten können. Wir selber lernen auch unserem bisherigen Leben. Nicht ohne Grund boomt der Markt beim Thema »Familienaufstellungen«. Viele wollen eigene Lebensprobleme und -themen bearbeiten. Wir wissen, was nicht geklärte Konflikte für Folgen haben können. Wir leben in einer Zeit, in der es viele Ansätze, Therapie und Erkenntnisse dazu gibt. Es ist bekannt, dass die Bearbeitung von Traumata Erleichterung bringt. Das Anliegen, den persönlichen Lebensweg zu klären, ist für professionell Pflegende eine Grundvorausetzung. »Kommunikation, Gesundheit und Flexibilität sind Werte, die in diesem Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewinnen. Weltweite Vernetzung, Geschwindigkeit, Ökonomie und Ökologie verlangen Teamfähigkeit, schnelles Erfassen und Verarbeiten unterschiedlichster Informationen, emotionale Intelligenz, systemische Kompetenz und innere Balance, kurzum: ein hohes Maß an persönlicher Entwicklung« (Isert & Rentel 2000, S. 11) In der Begleitung und Pflege der alten Menschen geht es natürlich um verschiedene Aspekte der Biografiearbeit. Wesentliches Ziel und Hauptanliegen der Biografiearbeit sehe ich hier: »Der Kern der Biografiearbeit besteht in der Erhaltung und Stärkung der Identität. Die Identität eines Menschen umfasst alle Merkmale einer Person, ob angeboren oder erworben. Innere Werte, Eigenschaften und Fähigkeiten oder Wissen gehören ebenso dazu, wie äußere Merkmale der Herkunft oder des Aussehens. Die Möglichkeit, sich dieser Merkmale bewusst zu werden, sich der Bausteine der Identität erinnern und mitteilen zu können, formt das Selbstbild.

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Biografie

Die Identität wird zusammengehalten von der erinnerten, erzählbaren oder anders zum Ausdruck gebrachten Lebensgeschichte: »Ich bin die gleiche Person in ganz verschiedenen Situationen und zu verschiedenen Zeiten meines Lebens.« Dadurch kann Kontinuität hergestellt werden, auch wenn Erinnerungslücken dies scheinbar unmöglich machen. So wird es auch möglich, Kompetenzen aus der Lebensgeschichte neu zu erleben, z. B. in Gesprächen über Situationen und Ereignisse, in denen Belastungen ausgehalten und relative Lebenssouveränität auch unter schwierigen Bedingungen (Lagerhaft, Krieg, Gefangenschaft, Flucht, Vertreibung, Misshandlung u. a. ) gewahrt werden konnte. Die Tatsache, dies alles überwunden und überlebt zu haben, ist ein Hinweis auf eigene Stärken, der auch Hoffnung zur Bewältigung der gegenwärtigen Probleme geben kann« (Stuhlmann 2004, S. 75) Effekte des biografischen Arbeitens: Emotional:  Erinnerungen an schöne, aktive Zeiten: Wiederleben positiver Gefühle  Aufarbeitung konflikthafter Erlebnisse  Stärkung des Selbstwertgefühls und der Identität  Angst, Unruhe und Rastlosigkeit können reduziert werden Kognitiv:  Stärkung der Konzentrations- und Kommunikationsfertigkeit  Aktivieren von Reservekapazitäten  Themen werden vielfältiger, auch Details werden erinnert Sozial:  Sich eingebunden fühlen in eine Gruppe  Andere Bewohner (Klienten) besser kennen, Nähe herstellen  Pflegende nehmen die Bewohner eher in ihrer Ganzheit wahr, nicht nur als »Bündel von Defiziten«  Spaß und Kreativität werden gefördert  Der eigene Horizont erweitert sich durch die Beschäftigung mit der Geschichte anderer Menschen  Pflegende können auf der Basis der Biografie symbolhafte Äußerungen besser verstehen und einordnen  Es können individuell angepasste Beschäftigungsangebote gemacht werden  Es werden leichter Beziehungen aufgebaut, Wertschätzung entwickelt sich

4.3

Verschriftlichung der Biografiearbeit

Die erhobenen Daten, Informationen, Erfahrungen und Erinnerungen werden aufgeschrieben und können dann die professionelle Pflege und den Umgang miteinander beeinflussen. Die Erhebung der biografisch relevanten Informationen muss und kann nicht nur abgefragt werden. Vieles lässt sich nur aus dem genauen Beobachten des Klienten ablesen. Besuche in Wohnungen alter Menschen sind Besuche in wahren Fundgruben von Erinnerungen. Jedes Zimmer

Verschriftlichung der Biografiearbeit

ist voll mit Erinnerungen, jedes altes Kleidungsstück, Küchengerät, Buch oder Foto könnte – wenn es spräche – ganze Geschichten erzählen. Es liegt an uns, was alles wir wahrnehmen und beobachten. Berücksichtigt werden sollten dabei folgende Gedanken: Möchte ich selber zu meinem Leben befragt werden und wenn ja, wie? Gibt es außer dem Klienten Angehörige, die Fragen beantworten können, die etwas wissen? Wie verschaffe ich mir einen Überblick über die Zeitgeschichte und die damaligen Themen? Es muss nicht alles erfasst werden. Was Ihnen jedoch wesentlich scheint, um den Betroffenen zu verstehen und seine Person zu stärken, sollten Sie sammeln. Es sollte dann nachgetragen werden, sodass dieses Wissen auch für andere Kolleginnen zur Verfügung steht. Im Grunde geht es darum, ein wenig »Sherlock Holmes« zu spielen. Sherlock Holmes, der berühmte Held des Autors Arthur Conan Doyle, dürfte einer der fähigsten Menschenbeobachter aller Zeiten gewesen sein. Er nutzte sein Beobachtungsvermögen für unglaubliche, interessante und wertvolle Schlussfolgerungen. So wird in einem der Bücher geschildert, wie leicht Sherlock Holmes allein aus dem Anblick eines Menschen darauf schließen konnte, was er in seinem Leben bislang getan hatte. So wusste Sherlock sehr genau, dass ein Fremder »irgendwann körperliche Arbeit geleistet hat, dass er Schnupftabak benutzt, dass er ein Freimaurer ist, dass er in China gewesen ist und dass er in der letzten Zeit ziemlich viel geschrieben hat …« Das Erstaunen der Anwesenden war Holmes natürlich gewiss. Woher wusste der Detektiv all dies? Die einfache Antwort: »… Ihre Hände, lieber Herr. Ihre rechte Hand ist fast eine Nummer größer als ihre linke Hand. Sie haben damit gearbeitet und die Muskeln sind stärker entwickelt.« »… Na, gut, aber der Schnupftabak und die Freimaurerei?« »… Sie haben einen Anstecker mit Winkelmaß und Zirkel.« »Ah, ja, selbstverständnlich, ich habe das vergessen. Und das Schreiben?« »Was sonst folgt aus der rechten, auf fünf Zoll so strahlend sauberen Manschette und der linken mit dem glatten Flecken neben dem Ellbogen, wo Sie sich am Schreibtisch aufstützen?« »Auch gut, aber China?« »Der Fisch, den Sie knapp über Ihrem Handgelenk haben tätowieren lassen, kann nur in China gemacht worden sein … und darüber hinaus sehe ich eine chinesische Münze am Plättchen Ihrer Uhrkette hängen, … das macht die Sache noch einfacher.« …!« (Barker 2001)

Tipps:      

Halten Sie nicht nur negative, sondern auch angenehme Erinnerungen und Ereignisse fest. Geben Sie dem Klienten niemals das Gefühl, dass er ausgefragt wird. Wahren Sie die Verschwiegenheit gegenüber Dritten. Beobachten Sie. Nehmen Sie wahr, was Sie sehen. Seien Sie respektvoll und achtsam gegenüber dem Gehörten und den Erinnerungen des Klienten.

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Biografie

4.4

Erhebung der Biografie

Es ist leider sehr üblich, dass die Angehörigen beim Einzug einen »Biografiebogen« in die Hand bekommen, wenn der Heimbewohner »keine Angaben zur Biografie machen möchte«. Die Pflegekräfte möchten recht schnell Gewohnheiten, bedeutsame Lebensereignisse und vieles Wichtiges zur Biografie zusammentragen. Und sie möchten die Angehörigen auch mit einbinden. Aber:  Die Kinder kennen ihre Eltern »nur« als Eltern, sie kennen nicht die Prägezeit der ersten Jahre.  Sie sind »blind« für die heiklen Themen in der Familie, sie werden vielleicht Familiengeheimnisse wie z. B. eine Fehlgeburt, ein gestorbenes Geschwisterkind, eine Vergewaltigung, eine Armutsphase oder heimliche Liebschaft nicht preisgeben.  Sie tragen zum Teil (meistens ist es so) noch ungeklärte Konflikte mit ihren Elternteilen mit sich herum.  … Somit sind ihre Äußerungen nicht neutral! Doch viele Pflegekräfte fragen sich: »Wie soll ich denn etwas auf dem Biografiebogen eintragen, wenn die Klientin gar nicht spricht?« Da antworte ich immer: »Jede Menge!« Dazu ein Beispiel aus einer stationären Einrichtung: Es galt, für eine 96-jährige Bewohnerin die Pflegeplanung zu erstellen. Ich war schon stutzig, weil es außer dem Geburtsort keinen weiteren Hinweis gab. Auf mein Nachfragen konnte einer der Pfleger eine Angabe zu einer bedeutsamen Reise von ihr machen, mehr Infos gab es nicht. Auch nicht zu ihrem Beruf o. ä. Später in ihrem Zimmer fand ich eine Fülle an Informationen: Jede Menge Bücher mit hochwertiger und klassischer Literatur. Vier Fotos von Segelbooten, beim Umdrehen gab es auf der Rückseite Hinweise auf die jeweilige Reise mit dem Boot. Fotos einer Norwegenreise. Es gibt sehr viel zu beobachten, wahrzunehmen, zu reagieren. Am sinnvollsten ist es, selber etwas beizutragen und ein Thema anzuschneiden und so gemeinsam ins Erinnern zu gelangen. Beispiel: »Gestern habe ich das Faschingskostüm für meine Tochter fertig gemacht. Wie haben Sie denn früher Fasching gefeiert?« Eine besondere Freude macht mir die Suche nach Gegenständen, die als Zeitzeugen betrachtet werden können. Daran knüpfe ich dann mit meinen Fragen, aber auch mit der Kenntnis über die jeweilige bedeutsame Zeit, an. Es können in jedem Fall folgende Informationen erhoben werden:  Familiäre Situation und regionale Herkunft  Schulbildung, Ausbildung, ausgeübter Beruf, bzw. Hauptaufgabe im Leben, Tagesgestaltung  Sprache (Dialekt, Fremdsprachen)  Verhaltensweisen und Traditionen, Rituale  Prägende Ereignisse  Werte und Glaubenssätze  Gesundheitsgeschichte  …

Erhebung der Biografie

»Nur wer sich erinnern kann, weiß, wer er ist. In unserer Lebensgeschichte und in den Geschichten unseres Lebens finden wir die Wurzeln für Selbstvertrauen und Individualität. Lässt das Gedächtnis alter Menschen so nach, dass sie ihren Alltag nur noch mit fremder Hilfe bewältigen können, brauchen sie auch Unterstützung bei ihrem Bemühen, sich ihrer Identität zu vergewissern.« (Osborn et al. 1997) Es geht also darum, das Wissen um die Biografie des Klienten in den Pflegealltag hineinzunehmen und es dort nutzbar zu machen. Das Sammeln biografisch relevanter Informationen lässt dann das Verständnis zu, wenn Lebensgewohnheiten des Klienten nicht aus sich heraus verständlich sind. Beispiel: Eine 86-jährige Klientin lebte in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin, in der noch die OriginalEinrichtung vorhanden waren, die sie mit ihrem Mann zum Zeitpunkt der Eheschließung (ca. 1920) gekauft hatte. Es gab zwei Kinder, der Mann lebte nicht mehr. Die Klientin hatte nach den Kriegsjahren den Fischstand in der Markthalle ihres Viertels selbstständig weitergeführt. Das hieß: Aufstehen um 4 Uhr früh, bei Wind und Wetter mit dem Karren zum Großmarkt am Alexanderplatz, Stand bestücken, Kinder zur Schule bringen, Fische verkaufen, zwischendurch kochen etc. Heizmaterial war knapp und teuer. Warmes Wasser galt als Luxus. So war es kein Wunder, dass die Klientin in einer – für die Pflegekraft – sehr kalten Wohnung lebte. Sie war es gewohnt, in Kälte und Feuchtigkeit zu wohnen. Zudem war sie ein sparsamer Mensch, der die Verwendung jedes Kohlenbriketts sorgsam überlegte. Für uns Pflegekräfte war es wichtig, uns in die Gewohnheiten und Werte der Klientin hineinzuversetzen, um sie nicht abzuwerten oder misszuverstehen. Beim Stichwort »Biografie« äußern sich viele Pflegekräfte sehr kritisch. Sie betrachten das Sammeln von Informationen als »Ausfragen«, beschweren sich über die Zeit, die diese Arbeit kostet oder finden es schlicht »zu intim«. Das ist eine mögliche Sicht der Dinge. Die andere ist die, dass die biografische Grundhaltung eine ganzheitliche Pflege von alten Menschen überhaupt erst ermöglicht. Sie bereichert uns Jüngere, indem wir etwas aus der Vergangenheit erfahren. Wir können durch unsere Haltung, durch Gesprächsthemen und Anregungen versuchen, der Person einen Teil ihrer Individualität zu erhalten oder wiederzugeben. Gerade in der Pflege von Menschen mit Demenz ist die Biografie oft unentwirrbar eng mit dem Klienten verwoben. Er lebt inmitten seiner Erinnerungen, Prägungen und Gewohnheiten, er erhält seine Werte aufrecht. »Sie lehnt die Mundpflege ab – ist aggressiv« Diese Aussage, die ich oft in unseren Schulungen höre, möchte ich hier aufgreifen. Denn hinter der Ablehnung bestimmter Pflegetätigkeiten können eine oder mehrere existenzielle Erfahrungen stecken. »Einige der alten Frauen, die uns in der Pflege begegnen, sind Frauen, die im Zweiten Weltkrieg in den ehemals deutsch besetzten Ländern gelebt haben und später vertrieben, umgesiedelt wurden oder ausgewandert sind und Frauen jeglicher Herkunft, die aus den unterschiedlichen Gründen in Konzentrationslager verschleppt wurden. Bei all diesen Frauen ist zu bedenken, dass sie sexualisierte männliche Gewalt erlebt haben können.« (Böhmer 2000)

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Biografie

Derzeit tauchen dazu Veröffentlichungen auf, die sich auch in Filmen wiederspiegeln und das damalige Grauen in Auszügen abbilden. Von daher wird es mehr und mehr thematisiert. Mit ist es es ein sehr großes Anliegen, mit dem Umgang an den Beispielen in unseren Schulungen und in diesem Buch dazu beizutragen, dass es Pflegekräften gelingt, zum Wort vom »Ablehnen von Körperpflege« einen anderen Zugang zu bekommen. »Wir müssen heute davon ausgehen, dass mindestens zwei Millionen Frauen vergewaltigt wurden (allein in Berlin mindestens 100.000). Etwa 300.000 Frauen wurden schwanger und mindestens jede Zehnte hat diese Schwangerschaft ausgetragen« (aus: Emma 2005, S. 81). Nehmen wir allein diesen Aspekt als Lösung, um Verständnis für angespannte oder »gestörte« Beziehungen bei Klientinnen zu akzeptieren. Vielleicht auch ein Grund, warum Besuche ausbleiben. Helke Sander, eine Filmemacherin, berichtet: »Es wurden sehr viele junge Mädchen vergewaltigt. Ich sprach mit vielen, die damals 13, 14 Jahre alt waren und keine Ahnung hatten, was mit ihnen geschah. Bei vielen führte das dazu, dass sie später nie mehr mit einem Mann schlafen konnten und »Abscheu gegen den sexuellen Akt überhaupt« entwickelten. Normalerweise haben diese Mädchen mit niemandem darüber sprechen können. Viele machten Selbstmord oder wurden zum Selbstmord gezwungen. Die damals schon erwachsenen Frauen berichten nahezu übereinstimmend von den Schwierigkeiten mit ihren Verlobten oder Ehemännern oder auch Vätern nach den Vergewaltigungen. Viele litten mehr unter den Vorwürfen oder auch Drohungen ihrer eigenen Männer als unter den Vergewaltigern, zu denen sie keine Beziehungen hatten. Gerade von den nächsten Angehörigen wurde den Frauen Mitgefühl oft verweigert. Eine Vergewaltigung galt als Makel, auch wenn eingesehen wurde, dass die Frauen dem nicht entgehen konnten … Sehr viele Frauen hatten eine Amenorrhoe, das heißt, sie hatten keine Periode mehr, oft jahrelang. An diesen Frauen wurde mit allen möglichen Medikamenten experimentiert« (Sander 2005, S. 83) Neben den Vergewaltigungen gab es die »Massenprostitutionen« im amerikanischen Sektor. In der täglichen Pflege kann bei solchen Klientinnen durchaus die Erinnerung an Vergangenes ausgelöst werden. Umso wichtiger ist es, achtsam mit dem Verhalten dieser Klientinnen umzugehen. Martina Böhmer spricht vom posttraumatischen Belastungssyndrom bei alten Frauen in der Pflege. Sie benennt viele Merkmale, die natürlich auch andere Ursachen haben können. »Erzählungen oder Bemerkungen wie nachfolgende: »schreckliche« Erlebnisse, besonders nach Kriegsende, in der Kindheit, in der Ehe Angst vor »den Russen« und Soldaten, sich verstecken müssen vor ihnen Schwierigkeiten mit dem heimkommenden Ehemann, strenge oder idealisierte »liebe« Väter Frühe Heirat, Auszug aus dem Elternhaus Das Verhältnis zum Ehemann »das war nicht so, wie es sein sollte« »Wie Männer eben so sind« Dass die Ehe nicht gut war, ohne weitere Erklärungen geben zu wollen Dass Sex nie Spaß gemacht hat, »ich war froh, als das vorbei war« oder »zum Glück bin ich aus dem Alter jetzt raus!«  Frühere Suizidversuche  Frühere psychiatrische Behandlungen  Kinder verloren zu haben, Schuldgefühle gegenüber eigenen Kindern (da sie ihre Kinder als »Ergebnisse« von Vergewaltigungen unter Umständen ablehnten)  Sich schuldig fühlen

       

Erhebung der Biografie

Reaktionen auf die Heimeinweisung oder Veränderungen im Umfeld der Alten im Heim, zum Beispiel:  Plötzliches verwirrtes Verhalten (Durchgangssyndrom)  Völlige Gleichgültigkeit der neuen Situation gegenüber  Angst- und Panikzustände  Übererregbarkeit  Unsicherheit  Entscheidungsunfähigkeit  Hoffnungslosigkeit  Fluchtverhalten  Halluzinationen  Wahnvorstellungen  Apathie  Depression  Zwangshandlungen  Suizidale Handlungen oder Ankündigungen suizidaler Absichten  Nahrungsverweigerung  Schuldzuweisungen an sich und andere  Soziales Isolieren auf der Station  Autoaggressives Verhalten  Verminderte bis gar keine Reaktionen auf Reize, wie zum Beispiel Ansprache  Teilnahmslosigkeit  Wahrnehmungsstörungen  Sexuelle Hyperaktivität  Regressives Verhalten Reaktion auf Pflegende, zum Beispiel:  Ängstliche Erwartungshaltung  Keine eigenen Bedürfnisse artikulierend  Abwehrhaltung, besonders gegen männliche Pflegende  Völlig angepasstes Verhalten, alles tun, was Pflegende wollen  Völlige Vereinnahmung der Pflegenden  Grenzenlosigkeit, auch im sexuellen Bereich  Veränderungen in Mimik, Gestik, Körperhaltung, Motivation bei bestimmten Pflegepersonen  Regressives Verhalten« (Böhmer 2000, S. 115–117) Ich möchte anregen, die Pflegesituation vieler alter Frauen genau unter diesem Aspekt noch einmal genau zu betrachten. »Reaktionen auf Pflegemaßnahmen, zum Beispiel:  Nicht vorhandene Schamgrenze  Apathisches Alles-über-sich-ergehen-lassen  Antriebsarmut  Regressives Verhalten  Schreinen, um-sich-schlagen, weinen, erstarren, einschlafen etc., insbesondere bei folgenden Pflegemaßnahmen: – Mundpflege – Waschen des Gesichts – Waschen und Versorgung im Genitalbereich

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Biografie

– – – – – – – – – – – –

Sich vom Pflegenden wegdrehen zu müssen (Rücken zuwenden) Gebadet werden (besonders bei männlichen Pflegenden) Verabreichung von Vaginalzäpfchen Verabreichnung rektaler Abführmaßnahmen (Zäpfchen, Klistier, Einlauf, Darmrohr) Ausräumen des Enddarmes mit dem Finger (der Pflegeperson)(leider oft unnötig praktizierte Maßnahme, die verordnungs- und aufklärungspflichtig ist!) Rektale Infusionen Legen und Tragen eines Dauerkatheters Körperpflege allgemein (besonders bei männlichen Pflegenden) Bettdecke aufschlagen An- und Auskleiden Verabreichung von Medikamenten Fixierungsmaßnahme, besonders im Bett

Sonstige Verhaltensweisen und somatische Symptome, die an frühere sexualisierte männliche Gewalt denken lassen können:  Abends nicht ins Bett gehen wollen  Nur mit offener Tür oder Licht schlafen  Sich zu anderen HeimbewohnerInnen/MitpatientInnen ins Bett legen  Ständiges Klingeln nach dem Pflegepersonal ohne erkennbaren Grund  Nicht allein sein wollen/können  Stetiges Verlangen nach der Mutter  Stuhl- und Harninkontinnez ohne pathologische Ursache  Eigenes digitales Ausräumen  Kotschmieren (Regression oder aus Scham, um Pflege zu vermeiden)  Übelkeit/Erbrechen bei Mundpflege  Würgegefühle  Belegte und/oder leise Stimme  Kopfschmerzen ohne pathologische Ursachen  Bauch-, Unterleibsschmerzen ohne pathologische Ursachen  Ekzeme, Hautallergien  Asthma  Atemnot ohne pathologische Ursache  Hormonelle Störungen  Stoffwechselstörungen  Vaginalentzündungen  Ständige innere und körperliche Unruhe  Alpträume  Blutzuckerentgleisungen  Stark schwankende Blutdruckwerte, Atem- und Pulzfrequenzen  Schlafstörungen jeglicher Art  Tabletten-, Nikotin-, Alkoholabusus (Böhmer 2000, S.117–118) Männer64 haben andere und auch ähnliche Erlebnisse gehabt, mit denen sie nicht nur im Alter zu tun haben. Die älteren Männer waren fast alle noch als Soldaten im Krieg und dort oft

64

vgl. Messer, B.: Tägliche Pflegeplanung in der ambulanten Altenpflege. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2003

Erhebung der Biografie

lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt. Auch Männer wurden sexuell missbraucht, bzw. haben sexuell missbraucht. Ein Mann, den ich bei den Fallbeispielen beschrieben habe, hat Schreckliches in Rußland erlebt. Möglicher Leitfaden für die Erhebung von biografisch relevanten Informationen. Die folgendenden Fragen sollen Ihnen Anregungen geben, wonach Sie fragen können, oder was Sie natürlich einfach als Gedankenanstoß für eine Gedanken- und Erinnerungsreise nutzen können. Kindheit:  Wie war die Beziehung zu den Urgroßeltern? Gibt es Erinnerungen? Was wurde gemeinsam erlebt?  Wie war die Beziehung zu den Großeltern? Gibt es Erinnerungen? Was wurde gemeinsam erlebt? Wie waren die Begegnungen? Hat man in einem Haushalt gelebt?  Gab es Geschwister?  Wie waren die Beziehungen zu den Geschwistern?  Was wurde gemeinsam mit den Geschwistern erlebt?  Wie waren die Kinderzimmer? Wie haben die Geschwister geschlafen?  Wie war die Beziehung zur Mutter?  Was wurde mit der Mutter gemeinsam erlebt?  Wie wurde die Zeit mit der Mutter verbracht?  Wie war die Beziehung zum Vater?  Was wurde mit dem Vater gemeinsam erlebt?  Wie wurde die Zeit mit dem Vater verbracht?  Mit wie viel Personen wurde im Elternhaus gelebt?  Wie sah das Elternhaus aus?  Was gab es für besondere Erinnerungsgegenstände? Möbel?  Wie war die Stimmung zuhause?  Was gab es für wichtige Regeln?  Wie sah die Umgebung des Elternhauses aus?  Wie war der Ort, was gab es dort?  Was wurde alltags für Kleidung getragen?  Was wurde sonntags für Kleidung getragen?  Welche Aufgaben oder Arbeiten mussten zuhause von den Kindern ausgeführt werden?  Ging man zur Kirche?  In welche?  Wie wurde die Religion im Alltag gelebt?  Gab es ein Lieblingskleidungsstück als Kind?  Mit welchem Spielzeug wurde gespielt?  Wo wurde am liebsten gespielt?  Was gab es für Spielkameraden, für Freunde?  Was hat man mit den Freunden erlebt?  Gab es einen Spitznamen?  Gab es einen Kosenamen?  Wie war die Schule?  Wie war der Weg zur Schule?  Was war alles im Ranzen?  Gab es Lieblingslehrer?

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Biografie

                

Gab es Lieblingsfächer? Was trug man am Tag der Einschulung? Was war in der Schultüte? Neben wem hat man in der Schule gesessen? Was hat man nach der Schule gemacht? Wo ist man schwimmen gegangen? Welche Ausflüge wurden gemacht? Wie wurden Geburtstage gefeiert? Wie sah man als Kind aus? Welche Kleidung wurde meistens getragen? Welche Frisur wurde getragen? Welche Streiche wurden gespielt? Was gab es für Strafen? Von welchem Beruf wurde als Kind geträumt? Welche Tiere gab es im Haus oder Hof? Wurde auch geschlachtet? …

Jugendzeit:  Wann genau war die Jugendzeit?  Auf welche Schule wurde gegangen?  Wie lange wurde zur Schule gegangen?  Mit wem wurde zusammen zur Schule gegangen?  Mit welchen Freunden wurde zusammen zur Schule gegangen?  Wie sah ein typischer Schultag aus?  Was waren die Lieblingsfächer?  Welches Fach wurde überhaupt nicht gemocht?  Wie waren die Lehrer?  Was wurde in der Pause alles gemacht?  Was gab es als Pausenbrot?  Wie war der Schulweg?  Gab es Schulkleidung?  Wie sah der Klassenraum aus?  Wie waren die Noten?  Was wurden für Streiche gemacht?  Wurde bei Arbeiten geschummelt? Wie?  Was wurde nach der Schule gemacht?  Welche Aufgaben mussten zuhause übernommen werden?  Was wurde in der Freizeit gemacht?  Welche Hobbys gab es in der Zeit?  Gab es Idole?  Welche Musik wurde gehört?  Was gab es für Freunde?  Wer bekam den ersten Kuss?  Welche Erinnerungen gibt es an die Zeit der »ersten Liebe«?  Wie war die Tanzstundenzeit?  Was wurde für Kleidung getragen?  Was war schick?

Erhebung der Biografie

                  

Wann musste man abends zuhause sein? Welche Lieblingsbücher gab es? Welche Reisen und Ausflüge wurden gemacht? Wie wurde die Kriegszeit erlebt? Was gab es für politische Ereignisse? Was passierte im Ort zu Beginn des Krieges? Wie war die Lebensmittelsituation? Won welchem Beruf hat man geträumt? Welche Lehre oder Ausbildung wurde gemacht? Welche Freuden gab es? Was wurde mit den Freunden unternommen? Wie wurde der Samstagabend verbracht? Welche Sport wurde getrieben? Welche Erinnerungen gibt es an Jugendvereinigungen? Gab es Menschen, die einen besonders geprägt haben? Hatte man ein Fahrrad oder ein ähnliches Fortbewegungsmittel? Wie sah es aus? Wie war jetzt die Beziehung zu den Eltern? …

Erwachsenenzeit:  In welcher Prägungszeit begann das Erwachsenenleben?  Wovon war der Alltag bestimmt?  Was waren die vorherrschenden Ereignisse?  Womit war man beschäftigt?  Wie wurde der Beginn des Krieges erlebt?  Wie wurde der Krieg erlebt?  Wie wurde das Ende des Krieges erlebt?  Welche bedeutsamen Erinnerungen gibt es an die Kriegszeit?  Wie wurde die Ernährung gemeistert?  Wie war der Bezug zur Heimat?  Wie war die Beziehung zu den Eltern? Lebten diese noch?  Wie war die Beziehung zu den Geschwistern?  Wie wurde die Liebste/der Liebste gefunden und umworben?  Wie wurde die eigene Familie gegründet?  Wie waren die ersten gemeinsamen Jahre?  Wie wurde die Geburt des ersten Kinder erlebt?  Wie die nächsten Geburten?  Was wurde gearbeitet?  Wie sah der Alltag aus?  Welche Werte wurden in der Familie gelebt?  Welche Freunde hatte man und was erlebte man mit ihnen?  Wie war das Klima in der Familie?  Welche wichtigen Aufgaben gab es zuhause zu erledigen?  Welche Hobbys gab es?  Wie wurde die Religion gelebt?  Wie wurde gewohnt? Wie sah die eigene Wohnung, das eigene Haus aus?  Welche Regeln gab es in der Familie?

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Biografie

 Worauf wurde Wert gelegt?  Welche Rituale gab es?  … 4.4.1

Generelle Hinweise für die Erhebung einer Biografie

Verantwortungsbereich: Verantwortliche Pflegefachkraft, Pflegedienstleitung, FachpflegeBezugspersonen, Pflegefachkräfte, Pflegekräfte. Zeitpunkt: Das Ausfüllen des Biografiebogens und die Erhebung der Daten geschieht sensibel und achtsam. Der Bogen ist deshalb auch nicht sofort in den ersten Tagen des Pflegebeginns fertig. Stecken Sie sich einen realistischen Zeitrahmen. 4.4.2

Formular für die Erhebung einer Biografie

Es gibt von vielen Dokumentationsherstellern verschiedene Formulare, es ist gut diese regelmäßig zu sichten und eines daraus zu wählen, das zum Pflegeverständnis der Einrichtung passt, das praktikabel und sinnvoll erscheint. Mittlerweile greifen einige Einrichtungen zu der Möglichkeit, sich Formulare selber zu erstellen. Abbildung 2 zeigt ein Beispiel, das unter www.masemann-und-messer.com im Internet heruntergeladen werden kann. Kurzerhebung der Biografie Name: Geburtsort:

Region:

Eltern – Beruf des Vaters: Beruf/Aufgabenfeld der Mutter: Kindheit: Stellung in der Geschwisterreihe: Gab es Geschwister mitzuversorgen?: Besondere Persönlichkeitseigenschaften/Eigenarten:

Abb. 2: Formular zur Biografie-Erhebung.

䉴䉴

Erhebung der Biografie

Begabungen: praktisch/hauswirtschaftlich/handwerklich/theoretisch/sozial/pädagogisch/politisch:

Vorlieben als Kind:

Essen/Naschen/Trinken:

Gerüche/Düfte (Erinnerungen daran!):

Akustisch/Musik/Gesang:

Visuell:

Tastsinn: z. B. Streicheln von Tieren, bes. Vorlieben, z. B. Handwerk, »Matschen« etc.:

Pflichten: Zu Hause:

Schule:

Lehrzeit:

Sonstiges:

Freiheiten: Was war erlaubt:

Was war verboten:

Abb. 2: Formular zur Biografie-Erhebung.

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115

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Biografie

Erziehung: Allgemein:

Religiös:

Hobbys/Engagement:

Leben die Geschwister noch/gibt es Kontakte:

Wann sind die Eltern gestorben:

Angenehme Erinnerungen:

Unangenehme Erinnerungen:

Jugend: Berufswahl: Freie Entscheidung?: Freiheiten:

Pflichten/Aufgaben:

Idole/Schwärmereien:

Kirchliches/politisches/sportliches/soziales Engagement

Schulabschluss: Gab es Freude am Beruf:

Abb. 3: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

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Erhebung der Biografie

Erste Liebe:

Erwachsenenalter: Tätigkeit/Aufgabe/Beruf:

Heirat/Lebensgemeinschaft:

Kinder:

Fehlgeburten: Gestorbene Kinder: Beziehung zu anderen:

Gesundheitliche Einschränkungen:

Freizeit:

Abneigungen:

Glauben/Politik/Sport/Soziales:

Alter: Wegfall/Aufgabe folgender Rollen und Aufgaben:

Neue Aufgaben:

Neue Rollen:

Abb. 3: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

䉴䉴

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118

Biografie

Lebensbilanz:

Besonderheiten im Alter/in der jetzigen Lebenssituation:

Was war Ihre glücklichste Zeit?

Was war besonders schlimm?

Was gibt es noch?:

Unterschrift der aufnehmenden Person:

Datum:

Abb. 3: Arbeitsplan für eine individuelle Validation.

In den folgenden Spalten können Bestandteile aus der Lebensgeschichte eingetragen werden. Gerade die immer wieder auftauchenden »Geschichten, Erlebnisse« stehen im Vordergrund, sie sind immer noch lebendig! 1. Kindheit

0 1 2 3 4 5 6

2. Jugend/junges Erwachsenenalter

3. Erwachsenenalter

4. Alter/derzeitige Lebenssituation

Erhebung der Biografie

4.4.3

»Was seht Ihr, Schwester?« – Ein Gedankenanstoß

Das folgende Gedicht ist ein guter Gedankenanstoß zur Bedeutsamkeit der Biografie: Was seht Ihr, Schwester? Schwester, was seht Ihr, was seht Ihr? Was seht Ihr, wenn Ihr mich anseht? Eine verbitterte, verwirrte alte Frau, nicht sehr weise, unsicher in ihrem Verhalten, ihren Bewegungen, mit leeren, weitblickenden Augen. Eine Frau, die beim Essen sabbert. Eine Frau, die keine Antwort gibt, wenn Du mit lauter Stimme sagst: Ich möchte, dass Sie es versuchen! Sie scheint Dinge um sie herum nicht zu bemerken. Sie scheint immer etwas zu vermissen, verloren zu haben, einen Strumpf, einen Schuh oder irgend etwas anderes. Sie lässt Dich tun, was Du willst, ob sie will oder nicht. Mit Baden und Füttern wird der Tag ausgefüllt. Ist es das, was Du denkst, was Du siehst? Dann öffne Deine Augen, Schwester1 Du siehst mich gar nicht! Oft will erzählen, wer ich bin, auch wenn ich hier so still sitze, gewöhnt an Deine Befehle, Deinen Willen über mich ergehen zu lasse, alles schlucke. Ich will erzählen, wer ich bin, auch wenn ich hier so still sitze, gewöhnt an Deine Befehle, Deinen Willen über mich ergehen lasse, alles schlucke. Ich bin ein kleines Kind, eines von zehn Kindern, mit Vater und Mutter, Brüdern und Schwestern, die einander lieb haben. Ein junges Mädchen von 16 Jahren mit Flügeln an den Füßen, träumend, dass es bald einen Liebhaber finden wird oder treffen. Eine Braut schon mit 20 Jahren – mein Herz macht einen Sprung, wenn ich an den Treueschwur denke, den ich versprach zu halten. Mit 25 Jahren habe ich eigene Kinder, die mich brauchen, die ich beschützen muss. – Glückliches Zuhause! – Eine Frau von 30 Jahren, meine Kinder werden nun schnell groß. Sie gehen dauernde Bindungen ein. Mit 40 Jahren, meine Söhne sind nun erwachsen und wollen eigene Wege gehen. Aber mein Mann ist noch bei mir und nimmt mir die große Traurigkeit. Mit 50 Jahren, wieder spielen Kinder um mich herum; wir lieben sie, und sie lieben uns. Schwere Tage kommen über mich. Mein Mann stirbt.

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Biografie

Ich sehe in die Zukunft. Es schaudert mich vor Angst und Schrecken. Meine Kinder sind mit ihrem eigenen Leben und der Erziehung ihrer eigenen Kinder beschäftigt. Ich denke an die Jahre und die Liebe, die ich erlebt habe. Nun bin ich eine alte Frau. Die Natur ist grausam. Sie scheint sich über das Alter lustig zu machen. Der Körper ist verschrumpelt, Anmut und Kraft sind dahin. Da, wo früher ein Herz war, ist jetzt ein Stein. Aber im Innern dieser alten Hülle wohnt immer noch das junge Mädchen. Und jetzt und immer wieder schwillt mein mitgenommenes Herz. Ich denke an die Freude, ich denke an den Schmerz, und ich liebe das Leben, immer, immer wieder. Ich denke an die wenigen Jahre, die zu schnell vergangen sind. Ich nehme die nackte Tatsache hin – nichts kann immer dauern! Schwester, öffne die Augen! Öffne sie und sieh! Schau nicht auf irgendeine unsichere alte Frau. Schau ganz genau – schau mich an! (Text einer 99-jährigen Frau aus Schottland)

121

5

Grundlagen des Pflegeprozesses

In diesem Kapitel gebe ich einen kurzen Überblick über das Thema Pflegeprozess mit all seinen Begriffen. Hinzu kommen Besonderheiten der Dokumentation für die Pflege von Menschen mit Demenz. Wer sich intensiver informieren möchte, sei an dieser Stelle an die beiden Grundlagenbücher von mir verwiesen. Wir haben es beim Pflegeprozess mit Begriffen wie »Pflege, Pflegeprozess, Pflegedokumentation, Pflegeplanung« zu tun, die ich nun zunächst definiere.

5.1

Das Wort »Pflege«

Beim Begriff »Pflege« beschränke ich mich auf einige wenige Definitionen, um anschließend die Bedeutung für den Alltag in der Pflege von Menschen mit Demenz darzustellen. Definition der Pflege des International Council of Nurses ICN (Deutsche Übersetzung konsentiert von DBfK, ÖGKV und SBK): »Pflege (1) umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung« (Original unter http://www.icn.ch/definition. htm). »Pflege ist Lebenshilfe und eine für die Gesellschaft notwendige Dienstleistung. Sie befasst sich mit gesunden und kranken Menschen aller Altersgruppen. Pflege leistet Hilfe zur Erhaltung, Anpassung oder Wiederherstellung der physischen, psychischen und sozialen Funktionen des Lebens.«65 »Die einzigartige Aufgabe der Krankenpflege ist es, dem Einzelnen, krank oder gesund, bei der Durchführung jener Tätigkeiten zu helfen, die zur Gesundheit oder Rekonvaleszenz (oder zum friedlichen Tod) beitragen, die er ohne Hilfe selbst durchführen würde, wenn er die dazu notwendige Kraft, den Willen oder das Wissen hätte. Dies ist auf eine Weise zu tun, die dem Patienten die schnellstmögliche Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit erlaubt.«66

65 66

WHO Regionalbüro Europa: Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung 1986 Steppe, H.: Pflegemodelle in der Praxis. 2. Folge: Virginia Henderson. In: Die Schwester/der Pfleger 7/1990

122

Grundlagen des Pflegeprozesses

»Die direkte Pflege befasst sich mit allen menschlichen Bedürfnissen und mit Lebensbereichen, welche mit Gesundheit, Krisensituationen, Krankheit, Behinderung und Sterben zu tun haben, und nicht nur mit erkrankten Organismen. Sie hilft Individuen und Gruppen, mit Krankheit, Krisen und Behinderung und mit deren Therapie und Pflege umzugehen und sie zu bewältigen. Pflege bemüht sich, Gesundheit zu fördern, zu erhalten und wiederherzustellen. Sie versucht, Krankheit und Behinderung vorzubeugen und zu deren Heilung beizutragen.«67

Meine Definition von Pflege: Pflege ist eine Dienstleistung, die gezielt Aufgaben in der Interaktion mit pflegebedürftigen Menschen ausübt. Es ist dabei einerlei, ob die Pflegebedürftigkeit kurz- oder langfristig besteht. Es ist die Absicht der Pflege, dass die betroffenen Menschen über größtmögliche Selbstständigkeit als Person und in ihrer unmittelbaren Umwelt, sowie über Lebensqualität und Zufriedenheit verfügen können. Pflegekräfte nutzen für diese Aufgabe alle Sinne, um ein möglichst weitreichendes Spektrum an Möglichkeiten zu schaffen. Pflege hat als oberstes Ziel, dem Pflegebedürftigen eine solche Anregung und Unterstützung zu geben, dass er in der Lage ist, etwas für sich zu tun, wieder selbst in seinem Sinne für sich zu sorgen. Pflege ist nicht nur Handwerk, sondern auch Beziehung und Arbeit mit Kräften und Fähigkeiten.

Pflege ist mehr als ein Ansatz, eine Maßnahme oder Versorgung bei einer Krankheit. Pflege ist eine sehr viele Aspekte des menschlichen Seins berührende Tätigkeit, in deren Mittelpunkt die Menschen stehen: Klient und die Pflegekraft. Pflege findet immer im sozialen Kontext des zu Pflegenden statt. Bezugspersonen des Klienten sind meist mit einbezogen, ebenso die soziale Situation. Je nach Menschenbild, Kompetenzstufe der Pflegekraft, Kontext etc. kommen anderen Haltungen in der Pflege zum Vorschein. Letzendlich entscheiden viele Faktoren über das Wirken der Pflege. Jede Pflegekraft entscheidet jeden Tag aufs Neue, was sie aus der Pflege macht. Bedürfnisse, Fähigkeiten, Gefühle, Einschränkungen, regionale Einwirkungen, biografisches Geprägt-Sein, die Auswirkung und das Erleben der existenziellen Erfahrungen fließen auf beiden Seiten in die Pflege mit ein. In der Pflege von alten Menschen steht nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern der Mensch mit seinem gesamten Leben, seiner Vergangenheit und Zukunft, seiner Biografie, seinen Werten und Wünschen. Meist wohnt der zu Pflegende dort, wo er gepflegt wird. Pflegende sind also auch Gast in seinem Haus und sei es auch das Zimmer im Altenpflegeheim. Pflege von alten Menschen mit Demenz bezieht den gesamten Menschen ein, die Gesundheit, das Leben und den Alltag. Das Verständnis, dass eine Pflegekraft von der Pflege hat, wird auch gebildet von ihren Werten und Gedanken sowie Prägungen zum Menschenbild, zur Umwelt, zur Medizin, zur Soziologie, Psychologie und der eigenen Erfahrung (beruflich und privat).

67

Käppeli, S.: Pflege und Pflegetheorien. In: Krankenpflege 1/1998

Der Pflegeprozess

Patricia Benner spricht von Pflegekompetenzstufen. Diese machen deutlich, dass pflegerisches Wissen, Intuition, Erfahrungen und Kompetenz mit dem »Berufsalter« wachsen. Mit 50 Lebensjahren blicken Pflegende anders auf Situationen als mit 19 Jahren.

5.2

Der Pflegeprozess

Jeder Bewohner eines Altenpflegeheims, jeder zu Pflegende ist eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Er kann also nicht – wie das bei Pflegeplanungen im Krankenhaus geschieht – auf bestimmte Krankheitsbilder oder Symptome reduziert werden. Assessments bei alten Menschen mit Pflegebedarf zeigen eine Mischung aus Altsein, Altersgebrechlichkeit und Symptomen einzelner Krankheiten sowie individueller Lebensprägung. Die Pflegeplanung kann hier nicht nur Symptome herausgreifen. Der Mensch und seine gesamte Lebenssituation (in diesem Fall das Alter) stehen im Vordergrund der Pflege. Jeder Austausch zwischen Pflegekraft und Klient ist eine Beziehung zwischen zwei Persönlichkeiten. Geprägt ist diese Beziehung durch das individuelle Schicksal und die möglicherweise eingeschränkten Fähigkeiten des Klienten. Klient und Pflegekraft sind Partner in der Pflege. Zwischen diesen Partnern gibt es während des Pflegeprozesses einen Austausch von Erfahrungen und Informationen. Die Pflegekraft sorgt dafür, dass der Klient sich als Gestalter seines Lebens erleben kann. Sie unterstützt, berät und fördert den Klienten, um Lösungen zu verwirklichen. Es ist die Aufgabe der Pflegekraft, die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen des Klienten richtig zu erfassen. Sie muss davon ausgehen, dass dem Klienten alle Fähigkeiten und Ressourcen innewohnen, die er für die Gestaltung oder Veränderung seines Lebens braucht. Pflegekräfte geben dem Klienten dort Unterstützung, wo er sie braucht, um seine Fähigkeiten und Ressourcen wiederzuerlangen.68 Pflegekräfte müssen aber nicht nur den Klienten, sondern auch sich selbst beobachten. Wenn sie merken, dass sie den Klienten und seine Umgebung nicht mehr unvoreingenommen annehmen können, müssen sie für Klärung sorgen oder gar die Pflege an eine Kollegin weitergeben.

Für das Pflegeverständnis in der Altenpflege heißt das: Der Pflegeprozess ist ein bewegliches, offenes System, in dessen Mittelpunkt der Klient und seine Lebenswelt stehen. Der Klient erteilt den Auftrag, er äußert Bedürfnisse. Pflegekräfte handeln erst, wenn sie einen klaren Auftrag des Klienten bzw. seiner primären Bezugsperson erhalten haben.

Die Professionalität der Pflegekraft lässt sie bei jedem Schritt des Pflegeprozesses zwischen aktueller Fachlichkeit und Lebenssituation sowie Lebenszufriedenheit des Klienten abwägen. Pflege innerhalb des Pflegeprozesses muss sich feinfühlig an immer wieder verändernde

68

http://de.wikipedia.org/wiki/Pflegeplanung

123

124

Grundlagen des Pflegeprozesses

Bedingungen, Situationen, Bedürfnisse und Ereignisse anpassen. Deshalb ist die Struktur des Pflegeprozess so wichtig.

1. Informationssammlung/ Assessment 6. Beurteilung der Wirkung der Pflege auf den Klienten

2. Pflegediagnostik – Beschreibung pflegerelevanter Situationen

3. Festlegung der Pflegeziele

5. Durchführung der Pflege 4. Planung der Pflegemaßnahmen

Abb. 4: Pflege als Prozess.

Die Pflegeplanung ist ein Instrument zur konkreten Umsetzung des Pflegeprozesses. Sie wird für jeden Klienten individuell erstellt. Die Pflege/-maßnahmen werden geplant und schriftlich festgehalten. Es wird also im Vorhinein genau beschrieben, was gemacht werden soll. Am Ende der Pflegeplanung steht eine Beschreibung jener Pflegeinterventionen, die die größtmögliche Pflege und Lebensqualität unter Beachtung hoher Fachlichkeit und weitgehender Selbstbestimmung des Klienten anschaulich und durchführbar darstellt.

Pflege geschieht im Prozess, in einem kreativen Prozess. »Ich als Mensch bin es, der etwas verändern kann: Es ist meine Art zu leben, die etwas bewirken kann, die Art und Weise, in der ich da bin, mich bewege, in der ich arbeite, pflege, in der ich, um mit Florence Nightingale zu sprechen, Pflege als Kunst ausübe. Dies alles bedeutet, dass ich es bin, der diesen kreativen Prozess lebendig machen kann …«69

69

Juchli, L.: Heilen. Kreuz Verlag, Stuttgart 1993

Die Pflegeanamnese

Dies ist die Kompetenz einer Pflegekraft. Im Alltag handeln hochkompetente und erfahrene Pflegekräfte in den unterschiedlichsten Situationen richtig, sie benutzen ihre Intuition, Erfahrung, Wissen, ihre Beobachtung und ihren gesunden Menschenverstand um schnell und gut auch im Sinne des Klienten zu handeln.70 Zur Pflegeplanung finden Sie im Kapitel 7 wesentlich mehr, vor allem viel Neues.

5.3

Die Pflegedokumentation

Der Begriff Pflegedokumentation enthält zwei Wörter, wovon die »Pflege« bereits oben definiert wurde. »Dokumentation« meint zunächst Zusammenstellung, Ordnung und Nutzbarmachung von Dokumenten und (…) Materialien aller Art.71 Dahinter steht die Annahme, dass sich die Pflege dokumentieren lässt. Das ist tatsächlich der Fall, wenn es um bestimmte Ereignisse, Tatsachen, Vorgänge und speziell messbare Daten geht. Zwischenmenschliches, Beziehungen und Gefühle zu dokumentieren, ist eine erhebliche schwerere Aufgabe, aber durchaus eine, die zu bewältigen ist. Denken Sie an Therapeuten, die nach einer Sitzung mit dem Klienten Wesentliches festhalten, um sich vor der nächsten Sitzung daran zu orientieren.

Die Pflegedokumentation soll vor allem ein Hilfsmittel sein. Sie können darin einen Großteil der wesentlichen Informationen zu einem Klienten haben, mit denen Sie ihn gut versorgen und gut mit anderen zusammen arbeiten können. Eine gute Pflegedokumentation dient also auch der transparenten Kommunikation.

In meinem Buch »Tägliche Pflegeplanung in der stationären Pflege« sind viele Grundlagen zur Pflegedokumentation aufgeführt. Hier folgen einige wesentliche Punkte in Kürze: Es gibt die Pflegedokumentation in den verschiedensten Ausführungen, auch EDV-unterstützte. Maßgeblich für den effektiven und sinnvollen Umgang mit der Pflegedokumentation ist die Zusammenstellung der Formulare. So hat das Formular der Dokumentation einen besonderen Stellenwert in der Pflegeplanung für Menschen mit Demenz. Ebenso wichtig ist die Erhebung der Biografie. Dazu finden Sie im Kapitel Biografiearbeit viele Anregungen.

5.4

Die Pflegeanamnese

Die Pflegeanamnese ist das Kernstück der Pflegeplanung und ein bedeutendes Einschätzungsinstrument innerhalb des dokumentierten Pflegeprozesses.

70 71

Messer, B.: Tägliche Pflegeplanung in der ambulanten Pflege. Schlütersche, Hannover 2003 Duden: Fremdwörterlexikon. Mannheim 1990

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126

Grundlagen des Pflegeprozesses

An diesem Punkt besteht die Möglichkeit, den Menschen mit Pflegebedarf umfassend einzuschätzen. Der Klient hat zugleich die Möglichkeit, seine Sicht der Situation einzubringen. In der Pflegeanamnese können Gewohnheiten gesammelt werden, ihre wichtigste Aufgabe ist es aber, die Pflegediagnostik voranzutreiben. Hier werden die Fähigkeiten des Klienten beobachtet, erfragt und beurteilt. Hier wird der individuelle Pflegebedarf und die Formulierung einer Pflegediagnose geklärt.

Im Krankenhaus wird die Pflegeanamnese als Informationssammlung genutzt, für Pflegesituationen, die wenige Tage dauern. Der Fokus liegt hierbei auf den Selbstpflegegewohnheiten. Anamnese ist zum einen die »Vorgeschichte einer Krankheit nach Angaben des Kranken«.72 In dieser Definition wird der Vorgang »Anamnese« auf die Vergangenheit gerichtet. Der Kranke selbst gibt Auskunft. Eine andere Definition setzt den Aspekt der pflegerischen Situation hinzu: »Die Pflegeanamnese umfasst ein systematisches und zielgerichtetes Gespräch, in dem die Pflegende in aktiver Zusammenarbeit mit dem Patienten alle für die individuelle Pflege wichtigen Fakten sammelt.«73 Arets betont, dass es sich bei der Pflegeanamnese um ein Instrument handelt, das eine individuelle Pflege ermöglicht: »Die Pflegeanamnese ist ein umfassender Akt, innerhalb dessen beobachtet, erfragt, gedeutet, eingeschätzt und Informationen gesammelt werden. Sie besteht aus einer gekonnten Gesprächsführung, einer beginnenden Beziehung zur Klientin und ihren Bezugspersonen, der Erhebung von Gewohnheiten, Fähigkeiten und Bedürfnissen, Einschränkungen, Erwartungen und Wünschen sowie einer Betrachtung der Gesamtsituation. Dabei werden Aspekte aus der Vergangenheit sowie die derzeitige Situation eingeschätzt. Sie wird dokumentiert innerhalb eines eigens dafür angelegten Formulars, innerhalb dessen sich das Pflegeverständnis der durchführenden Pflegekraft wiederspiegelt.«74 Die Pflegeanamnese ist also nicht ausschließlich ein punktuelles Verfahren, sondern ein dynamischer Prozess. Die Erstellung der Pflegeanamnese ist ohne die Mitwirkung des Klienten unmöglich. Er ist Dreh- und Angelpunkt des Tuns und der Einschätzung. Allerdings hängt es von Alter, Einschränkung, Krankheit und allgemeiner Situation ab, inwieweit verbale Kommunikation und damit Einschätzung möglich ist. Es gibt Situationen, in denen der Klient nicht mehr hundertprozentig orientiert ist. Ist dies oder eine andere Einschränkung der Fall, wird von der Pflegefachkraft empathisches Beobachten, Deuten und Fragen verlangt. Dies umso mehr, je weniger der Klient sprechen kann. Auch wenn der Klient Äußerungen tätigt, die nicht der Wahrnehmung der Pflegefachkraft entsprechen, ist sensible Deutung und Beobachtung gefragt.

72 73 74

Duden: Fremdwörterlexikon. Mannheim 1990 Arets et al.: Professionelle Pflege. Huber Verlag, Bern 1999 ebd.

Die Pflegeanamnese

Dazu ein Beispiel: Eine 88-jährige Klientin wurde im Zuge des Erstgesprächs in ihrer Wohnung aufgesucht. Dort wurden die ersten Daten und Informationen gesammelt. Der Pflegefachkraft fiel sofort auf, dass die Klientin ein Flüssigkeitsdefizit aufwies. Sie nahm Merkmale wahr (Mundtrockenheit beim Sprechen, trockene Haut und Zunge, keinerlei Gläser oder andere Hinweise auf Trinkgefäße u. ä.). Die Klientin beantwortete die Frage nach den Trinkgewohnheiten mit dem Satz: »Ich trinke genug«. Hier zeigte sich ein Widerspruch, der häufig anzutreffen ist. Es gilt also, bei der Erstellung der Pflegeanamnese genau zu deuten, was hinter den Aussagen steckt. Dies geschieht selbstverständlich sachlich und wertneutral. Das Gleiche gilt für die Aussagen von pflegenden Bezugspersonen. 5.4.1

Der Beobachtungsprozess

Vielfach wird gesagt, dass eine Pflegeanamnese nicht erhoben werden kann, wenn sich der Klient nicht mehr äußert. Aber gerade dann, wenn keine Informationen gegeben werden können, müssen sie doch gesammelt werden, um den Menschen in seiner Fülle und Ganzheit zu verstehen! Die Fähigkeit zur Beobachtung ist eine Grundvorausetzungen für den pflegerischen Beruf. Beobachtet werden können u. a. Gesichtsausdruck, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Körperlage, Haut/Hautfärbung, Gang, Gemütsstimmung, Körpergröße, Ernährungszustand, Sprachliche Äußerungen und Gesprächsverhalten, Umgebung. Gesichtsausdrücke lassen sich unterscheiden: ängstlich, verwirrt, abwesend, erschrocken, verzweifelt, erwartungsvoll, hoffend, traurig, gelöst, verschlossen, schmerzverzerrt, ausgetrocknet, müde, verlebt, abgekämpft, heiter, teilnahmslos, leuchtend, vertrauensvoll, ernst, seriös, verkrampft, aggressiv, u. a.75 Es liegt an der Pflegefachkraft, so genau wie möglich zu beobachten. Es gibt noch einen anderen Glaubenssatz, der sich im Zusammenhang mit der Pflegeanamnese hartnäckig hält:»Ich muss doch den Bewohner/Patienten erst einmal gut kennen, dann kann ich erst etwas schreiben!« Es ist aber genau andersherum: Wer die Pflegeanamnese erarbeitet, lernt den Klienten kennen. 1. Nutzen Sie das Erstgespräch: Es ist absolut notwendig, dass die künftige Bezugs-Pflegefachkraft den Klienten zuhause besucht, um erste Eindrücke zu sammeln, Vertrauen herzustellen, Fragen zu beantworten und die Biografiearbeit zu beginnen. Hier erfahren kompetente Pflegefachkräfte bereits vieles über die aktuelle Lebens- und Pflegesituation des Klienten. Dieser Besuch kann auch im Krankenhaus oder in der REHA-Einrichtung stattfinden, aus der der Klient kommen wird. Einige Informationen aus dem Erstgespräch kommen gleich in die Pflegeanamnese, in den Biografiebogen oder auf das extra dafür geschaffene Formular.

75

Gültekin, J.; Liebchen, A.: Pflegevisite und Pflegeprozess. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2003

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128

Grundlagen des Pflegeprozesses

2. Nehmen Sie bewusst wahr: Ab dem Moment, zu dem direkter Kontakt zum Klienten besteht, kann die Pflegekraft wahrnehmen. Es können tatsächlich sämtliche Fähigkeiten eingeschätzt werden. Egal, nach welchem Pflegemodell die Pflegeanamnese gestrickt ist, die Kriterien können Sie als Checkliste im Kopf haben, um den Klienten danach zu beobachten. Hierbei helfen auch Einträge im Pflegebericht, die Beobachtungen der ersten Stunden dokumentieren. Eine kleine Auswahl möglicher Wahrnehmungen:  Die Stimmung und Motivation zum Einzug, zum Beginn des Pflegeauftrages  Die Kommunikationsfähigkeit  Die Orientierungsfähigkeit  Die Bewegungsfähigkeit  Die Fähigkeiten, sich zu pflegen, zu kleiden, zu essen und zu trinken  Die Fähigkeit, Kontakte und Beziehungen zu pflegen und einzugehen  Die Fähigkeit, auszuscheiden  Mögliche Risiken, wie Dekubitus, Sturz, Mangel- oder Fehlernährung, Flüssigkeitsdefizit, etc.  … 3. Führen Sie ein Risikoassessment durch: Nicht erst die Einführung und Umsetzung der Expertenstandards hat gezeigt, wie erleichternd ein schnelles und recht präzises Risikoassessment ist. Für die Erfassung potenzieller Risiken bieten sich diverse Assessmentinstrumente an:  Einschätzung der Bewegungsfähigkeit bzw. des Risikos von Kontrakturen  Einschätzung des Dekubitusrisikos, z. B. mit der Bradenskala  Einschätzung des Sturzrisikos mittels Bearbeitung der intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren  Einschätzung der Risikofaktoren für eine Harninkontinenz  Einschätzung von Schmerzen mittels Schmerzskalen  Einschätzung des Ernährungsstatus (des Risikos einer Mangelernährung und/oder Dehydration)  Erhebungsinstrumente zur Unterscheidung einer Depression von einer Demenz  … Risikoassessment und Pflegeanamnese gehören zusammen. Beispiel: Frau K.  FEDL sich pflegen und kleiden: Sie geht gern in Hausschuhen, die schief abgelaufen sind und riemenlos sind.  FEDL Ausscheiden: Sie klingelt nicht, wenn sie zur Toilette geht, versucht es allein. Ø 1 x tgl. eine Urinlache neben der Toilette. Beides sind Hinweise auf Sturzrisikofaktoren!

Die Pflegeanamnese ist die Basis für das weitere Vorgehen innerhalb des Pflegeprozesses. Sie ist nie wirklich fertig! Die zu Beginn des Pflegeprozesses erhobenen Daten und Informationen können sehr wohl und sinnvoll durch ständige Beobachtung aktualisiert werden. Die Pflegeanamnese macht die Situation auch für Außenstehende transparent.

Die Pflegeanamnese

4. Beziehen Sie Bezugspersonen mit ein: Bei der Informationssammlung sind oft die primären Bezugspersonen anwesend, die vorher einen großen Teil der Pflege geleistet haben. Sie sind wesentliche, wenn nicht sogar die zentralen Bezugspunkte oder gar das »Lebenselixier« des Klienten. Sie müssen mit einbezogen werden, aber dies muss stets mit Vorsicht geschehen. Bezugspersonen sind häufig  liebend und sorgend,  fürsorglich und verängstigt,  erschöpft und ausgebrannt,  mit schlechtem Gewissen unterwegs, da sie ihren Angehörigen nun »abgeben«,  kontrollierend, »ob alles richtig gemacht wird«,  unglaublich traurig, dass ihre Kompetenz oder Kraft nicht mehr reicht,  allein und  überfordert. Damit sind sie kaum in der Lage, objektiv zu sein. Wenn der langjährige Lebenspartner in eine Pflegeeinrichtung einzieht, kann das als Amputation wie auch als Erleichterung empfunden werden. Auch wenn es eine Verstandesentscheidung war, dass die geliebte Person nun in ein Altenpflegeheim einzieht, so muss das Herz noch lange nicht Ja sagen. Kurzum: Primäre Bezugspersonen handeln und fühlen gegenüber dem Klienten stark subjektiv. Sie geben Informationen über die Pflegesituation nicht in der fachlichen Form, wie eine Pflegefachkraft dies tun kann. Das hat neben vielem anderen zur Folge, dass man im Bereich des Pflegeassessments die Schilderungen, Daten, Angaben und Informationen von Angehörigen/Bezugspersonen auch als solche benennen muss. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: 1. Die Äußerungen werden auf ihre Wahrheit, Bedeutung oder Relevanz hin (über-) prüft. 2. Die Bezugspersonen werden als Quelle der Informationen benannt. Die Pflegeanamnese ist eines der aufschlussreichsten Formulare und Informationslieferanten für eine genaue Pflegeplanung, denn sie » muss so beschaffen sein, dass eine fremde Pflegefachkraft, die nicht aus der Einrichtung kommt (z. B. eine Pflegefachkraft des Medizinischen Dienstes), sich ein zutreffendes Bild über die Situation eines Menschen machen kann und danach pflegen könnte – ohne das ein Schaden für den Betroffenen entsteht …«76 Es ist wichtig, dass Pflegeanamnese und Pflegeplanung eng miteinander korrespondieren. Das erleichtert die Einschätzung des Pflegebedarfs. 5.4.2

Das Formular für die Pflegeanamnese

Abbildung 5 zeigt eine Pflegeanamnese anhand des FEDL-Modells. Sie wirkt auf den ersten und auch vielleicht zweiten Blick sehr umfangreich. Hat man sich allerdings einmal in die Systematik eingelesen, ist sie eine gute Basis für die anschließende Pflegeplanung, weil in ihr schon viele Formulierungen stecken, die in der Pflegeplanung verwendet werden können.

76

Sowinski et al.: Organisation und Stellenbeschreibung in der Altenpflege. Köln 2000

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Grundlagen des Pflegeprozesses

Pflegeanamnese vom:

Name:

Blatt Nr.:

Fähigkeiten und Existenzielle Erfahrungen (FEDL) 1.) Fähigkeit zu kommunizieren: Die Fähigkeit, zu kommunizieren, verbal und nonverbal, sich mündlich und schriftlich mitzuteilen; Mimik, Gestik, Wahrnehmungsvermögen in Bezug auf Hören, Sehen, Gesichtsfeld, Hilfsmittel und deren Umgang damit. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Kommunikation auszudrücken. Sehen:

䊐 reagiert mit den Augen auf

wie folgt:

䊐 blinzelt bei Verstehen

䊐 verfolgt Bewegungen mit den Augen

䊐 Liest Schrift

䊐 nutzt Brille o. ä.:

䊐 hält Augen verschlossen

䊐 hält Augen auch bei Kontakt verschlossen

䊐 glasiger Blick

䊐 stellt Augenkontakt her

Weiteres: Hören:

䊐 reagiert auf Geräusche mit Kopfdrehen/-neigen 䊐 gibt an zu hören

䊐 nutzt Hörhilfen

䊐 gibt an, Stimmen oder Geräusche zu hören 䊐 versteckt Hörgerät

䊐 nutzt Hörgerät

䊐 verfolgt Geräusche/Gespräche wie folgt: 䊐 Weiteres: Sprechen:

䊐 spricht von sich aus

䊐 spricht nach Anregung

䊐 äußert sich verständlich 䊐 drückt Bedürfnis nach verbaler Kommunikation aus 䊐 wiederholt gerne folgende Laute: 䊐 Weiteres: Sprache ist:

䊐 verständlich

䊐 offen

䊐 leise

䊐 laut

䊐 verwaschen

䊐 undeutlich: 䊐 verwendet folgende Schlüsselwörter: Verständigung:

䊐 agiert mit Mimik und Gestik: 䊐 teilt sich durch

䊐 teilt sich durch Schrift mit mit

䊐 berührt bei Kontaktaufnahme andere Menschen Muttersprache: 䊐 Weiteres: Kommunikationsverhalten:

Körpersprache/Gestik: Körpersprache/Mimik: Hören

Bemerkungen:

Sprechen

Bemerkungen:

Sehen

Bemerkungen:

Nonverbale Kommunikation Bemerkungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

䉴䉴

Die Pflegeanamnese

Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

2.) Fähigkeit, sich zu orientieren: Die Fähigkeit, orientiert zu sein, zur Person, Situation, Zeit und Raum; sowie die Fähigkeit, das Gedächtnis zu nutzen und die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, Hilfsmittel zu nutzen. Orientierung Zeitlich Örtlich Zur eigenen Person Zu anderen Personen Situativ Gedächtnis Konzentration Orientierungsbedürfnis wird folgendermaßen ausgedrückt: Orientierungshilfen, folgende werden genutzt: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

3.) Fähigkeit, sich zu bewegen: Die Fähigkeit, sich zu bewegen, eine gewünschte oder notwendige Veränderung der Körperhaltung einzunehmen, die Fähigkeiten mit Hilfsmitteln umzugehensie zu nutzen sowie evtl. Gefahren durch unzureichende Bewegung. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Bewegung auszudrücken, auszuleben. Globale Bewegungsbeschreibung:

Kopf/Schulter Arme Hände Brustkorb/Rumpf/Bauch Becken Beine/Knie Füße Gesamtbewegungen Bewegung im Liegen Aufstehen/Hinsetzen Sitzen Stehen Gehen Transfer Gebrauch von Gehhilfen Umgang mit evtl. Rollstuhl Bemerkungen:

Spezielle Mikrobewegungen: 䊐 Kopf

䊐 Hals/Nacken

䊐 Rücken

䊐 Brustkorb/Bauch

䊐 Arme/Hände

䊐 Schulter

䊐 Unterleib/Gesäß

䊐 Beine/Knie

䊐 Füße

䊐 Weitere Eigenbewegungen

Sturzrisiko: Dekubitusrisiko: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Die Pflegeanamnese

4.) Fähigkeit, vitale Funktionen aufrechtzuerhalten: Die Fähigkeit, ausreichend zu atmen und die eigenen vitalen Funktionen aufrechtzuhalten, Atemverhalten: Husten, Verschleimung, Infekte, Atemstörungen; Kreislauf, Durchblutung, RR, Puls, Temperaturregelung, Fieber, Transpiration, Schwitzen, Frieren Vitalfunktion, Beschreibung: Atmung Puls Blutdruck Wärmeregulation Stoffwechsel Blutzucker Sonstiges

Spezielle Gewohnheiten:

Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

5.) Fähigkeit, sich zu pflegen und zu kleiden: Die Fähigkeit, indiv. Körperpflege sowie An- und Auskleiden, incl. Kleiderauswahl auszuführen. Hautzustand, Hautpflege, Kosmetika, Einschränkung b. d. Durchführung, Mund-, Nasen-, Augen-, Nagel-, Haar-, Intimpflege. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Sauberkeit, Gepflegtsein und Erscheinungsbild auszudrücken, die Fähigkeit, dieses auszuleben. Motivation/Sinn Körperpflege Dusche/Vollbad Mund-/Zahnpflege Rasur Haarpflege Fingernagelpflege Kosmetik An- und Auskleiden Kleiderauswahl Hautzustand: Sonstiges: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

6.) Fähigkeit zu essen und zu trinken: Die Fähigkeit, essen u. trinken zu können; d. h. eine bedarfsgerechte Auswahl d. Menge u. d. Zusammensetzung d. Nahrung, d. Vorbereitung d. Nahrungsaufnahme (z. B. Körperhygiene, angemessene Körperhaltung), die Nachbereitung d. Nahrungsaufnahme (Mundhygiene) vornehmen. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Essen und Trinken auszudrücken, auszuleben Ernährungsstatus Nahrungsaufnahme Trinken Sonstiges: Kostform:

䊐 Vollkost

䊐 Diätkost:

䊐 Schonkost

䊐 hochkalorische Kost

䊐 Diabeteskost 䊐 vegetarisch

䊐 sonstiges Darreichungsform:

䊐 normal 䊐 gabelweich 䊐 Fleisch passiert 䊐 alles passiert 䊐 bissfest

Vorlieben Abneigungen Ernährungszustand: 䊐 gut 䊐 kachektisch 䊐 adipös 䊐 exsikkiert Appetit: 䊐 gut 䊐 befriedigend 䊐 mäßig 䊐 schlecht Trinkmenge derzeit tgl. Ø

ml

Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

7.) Fähigkeit, auszuscheiden: Die Fähigkeit, kontinent zu sein, auszuscheiden; Kontinenz, Inkontinenz. Die Fähigkeit, dass Bedürfnis, auszuscheiden, auszudrücken oder auszuleben. Urinausscheidung Stuhlausscheidung Umgang mit Hilfsmitteln 䊐 zeigt Harndrang an durch: 䊐 zeigt Stuhldrang an durch: Kontinenzprofile:

䊐 unabhängig erreichte Kontinenz

䊐 abhängig erreichte Kontinenz

䊐 unabhängig kompensierte Kontinenz 䊐 abhängig kompensierte Inkontinenz

䊐 nicht kompensierte Kontinenz.

䊐 Obstipationsneigung: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Die Pflegeanamnese

8.) Fähigkeit, zu ruhen, zu schlafen und wach zu sein: Die Fähigkeit zu schlafen und wach zu sein; Individuelle Schlafgewohnheiten, Schlaf-, Wachrhythmus, Schlafqualität, -dauer, -zeiten, Unterstützung z. B. d. Medikamente, Schlafritual. Die Fähigkeit, das eigene Schlafbedürfnis auszudrücken, auszuleben. Schlafen nachts Schlafen tagsüber Wachsein Schlaf:

䊐 schläft fest und tief

䊐 schläft nach Schlafunterbrechungen wieder ein

䊐 gestaltet Einschlafzeit nach eigenen Wünschen 䊐 holt bei Bedarf Hilfe 䊐 Morgenmensch

䊐 Abendmensch

Schlafrhythmus: 䊐 geht mit Unterbrechungen wie folgt um: Rituale: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

9.) Fähigkeit, sich zu aktivieren, anzuregen: Die Fähigkeit, Einsicht und das Interesse, sich zu aktivieren. Die Möglichkeiten, sich zu aktivieren und fördern, sich anzuregen, Anregung zu erfahren und wahrzunehmen Wahrnehmung Anregung Bewusstsein Wahrnehmung:

䊐 reagiert auf verbale Ansprache

䊐 reagiert auf Töne, Geräusche, Musik

䊐 reagiert auf taktile Reize

䊐 reagiert auf Licht

䊐 reagiert auf Gerüche

䊐 reagiert auf Stimmungen im Raum

䊐 reagiert auf Geschmack

䊐 reagiert auf:

䊐 Stimuliert sich selber mit: Nimmt bevorzugt folgende Reize wahr: 䊐 Reagiert mit »Verschlossenheit«/Rückzug auf 䊐 Macht einen wachen Eindruck bei: Sonstiges Grundmotivation, zur Aktivierung/Anregung: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

10.) Fähigkeit, sich sinnvoll zu beschäftigen: Die Fähigkeit, sich innerhalb des Tages individuell sinnvoll zu beschäftigen, eigenen Vorlieben und Interessen nachzugehen, Umgang mit Hilfsmitteln, Hobbys, Interessen, Aktivitäten alleine/mit Anderen, Wünsche, Möglichkeiten, Außenaktivitäten. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Beschäftigung und Aktion auszudrücken, auszuleben. 䊐 beschäftigt sich selber

䊐 äußert den Wunsch nach Beschäftigung

䊐 beschäftigt sich mit:

䊐 nutzt Hilfsmittel:

䊐 gestaltet Tagesablauf selbst 䊐 bevorzugt Beschäftigung: 䊐 alleine

䊐 zu zweit

䊐 in kleinen Gruppen

䊐 in großen Gruppen

Sonstiges: Hobbys/frühere Interessen: Haushaltstätigkeiten: Frühere berufliche Tätigkeiten: Jetzige Möglichkeiten, sich sinnvoll zu beschäftigen: 䊐 Handarbeiten 䊐 Kochen/Mahlzeiten zubereiten 䊐 Zeitung 䊐 Computer/Internet

䊐 Backen

䊐 Fernsehen

䊐 Radio

Möglichkeiten bei langer Zeit im Bett sich zu beschäftigen Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

11.) Fähigkeit, zufrieden sein zu können und zur Emotionalität: Die Fähigkeit, zufrieden zu sein, Ausdruck von Gefühlen, Behagen, Unbehagen; die Möglichkeiten, ein zufriedenes Gefühl zu empfinden oder Missbehagen ausdrücken zu können. Krisen, Einschränkungen, Wünsche, Probleme, Vorlieben, Ausdruck von Sexualität etc. 䊐 äußert auf Nachfragen Zufriedenheit 䊐 drückt Gefühle wie folgt aus: 䊐 wirkt in sich ruhend, zufrieden (Merkmale bei nonverbaler Äußerung beschreiben): 䊐 äußert verbal Unzufriedenheit: 䊐 drückt Unzufriedenheit folgendermaßen aus: 䊐 fühlt sich wohl mit:

䊐 reagiert auf Wünsche an ihn/sie mit Ungeduld

drückt Schamgefühl wie folgt aus: 䊐 schneller Stimmungswechsel 䊐 wünscht von gleichgeschlechtlichen Pflegepersonen versorgt zu werden 䊐 Ausleben von Sexualität wie folgt 䊐 drückt Zärtlichkeiten wie folgt aus: 䊐 Rückzug: 䊐 Sehnsucht nach: Sonstiges: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Die Pflegeanamnese

12.) Fähigkeit, für eine sichere Umgebung zu sorgen: Die Fähigkeit, die eigene Sicherheit richtig einzuschätzen und für diese zu sorgen. Sichere Lebensführung, Schutz vor Gefahren, die Fähigkeit, das Bedürfnis nach Sicherheit auszudrücken, auszuleben. 䊐 achtet auf eigene Sicherheit wie folgt 䊐 drückt Wunsch/Bedürfnis nach Sicherheit aus 䊐 fordert Hilfe an 䊐 Vertraut Pflegekräften Gefahrensituationen (Selbst- u. Fremdgefährdung) Med.-Einnahme: Sinn wird gesehen

䊐 ja

䊐 nein

䊐 Med.-Einnahme wird abgelehnt, weil: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

13.) Fähigkeit, soziale Bereiche und Beziehungen aufrechtzuerhalten und zu gestalten: Die Fähigkeit, soziale Beziehungen aufzunehmen, zu halten oder auch anzunehmen; Ausprägung der Integrität in die Gemeinschaft, in ein soziales Umfeld. Aufrechterhaltung von Beziehungen, Angehörigen, Freunde, Bekannte, Aktivitäten, Einschränkungen, Probleme, Isolation, Einsamkeit. Die Fähigkeit, das Bedürfnis nach sozialer Integrität auszuleben, auszudrücken. Die Integration der Lebensform mit evtl. primären Bezugspersonen und deren evtl. Anliegen Erläuterungen zur IST-SITUATION; Kurzbeschreibung des sozialen Netzwerks (wichtige Bezugspersonen, räumliche Nähe und Verfügbarkeit, Häufigkeit von Kontakten, Verknüpfung untereinander):

Lebensgestaltung mit primärer Bezugsperson: 䊐 zieht sich zurück 䊐 meidet Kontakt zu vertrauten Menschen 䊐 verletzt Grenzen anderer Menschen 䊐 pflegt Freundschaften 䊐 »kümmert« sich um andere Klienten 䊐 sucht Kontakt zu

䊐 wünscht sich Informationen über soziales Umfeld

䊐 telefoniert gerne

䊐 nutzt Unterstützung

䊐 kommuniziert gerne

䊐 Einzelgänger

䊐 möchte ab und zu Kontakt

䊐 Gruppenmensch

Sonstiges: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

14.) Fähigkeit, mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umzugehen: Die Fähigkeit, sich mit den die Existenz gefährdenden Erfahrungen (z. B. Angst, Isolation, Ungewissheit, Sterben und Tod, Verlust von Unabhängigkeit, Schmerz, Hoffnungslosigkeit) und die Existenz fördernde Erfahrungen (Integration, Sicherheit, Hoffnung, Lebensfreude) auseinander zu setzen. Kulturgebende Erfahrungen, Weltanschauung, Glaube, Religionsausübung, erlebte Biografie. Lebensaufgabe: das leben zu resümieren und innere Stärke zu gewinnen. 䊐 Besondere Lebensgeschichtliche Erfahrungen, die in der heutigen Lebenssituation immer wieder auftauchen (siehe auch Biografie) 䊐 Fördernde Erfahrungen und deren Auswirkung: 䊐 Gefährdende Erfahrungen und deren Auswirkung: 䊐 Kulturgebundene Erfahrungen und deren Auswirkungen: 䊐 Wünsche und Erwartungen: 䊐 Einstellung zu Pflege/Therapie/aktivierender Pflege: 䊐 Lebenssinngebende Gewohnheiten:

Schmerzen:

䊐 Nein

Angst:

䊐 äußert verbal Angst

䊐 Gelegentlich

䊐 Häufig

Weiter siehe Schmerzdokumentation

䊐 äußert nonverbal Angst

䊐 Angst vor:

䊐 Äußert Lebensmut

䊐 zeigt Vertrauen 䊐 zeigt Hoffnung 䊐 spricht über Probleme und Sorgen 䊐 zeigt Offenheit 䊐 Nimmt Unterstützung an Sonstiges: Spezielle Gewohnheiten: Pflegediagnosen/ Pflegephänomene: Spätere Ergänzungen:

Unterschrift, Datum

Pflegefachkraft

Ggf. Unterschrift primäre Bezugsperson Abb. 5: Pflegeanamnese anhand der FEDL.

Unterschrift Klientin

Die Pflegeplanung

5.5

Die Pflegeplanung

»Oh je! Die Pflegeplanung!« Diesen Ausruf kennen Sie sicherlich sehr gut. Aber nähern wir uns dem Gegenstand doch mit einer guten Definition:

Pflegeplanung ist in erster Linie ein analytischer Prozess. Die Situation des Klienten wird hinsichtlich der Bestimmung und Klärung des Pflegebedarfes und zur möglichen Verbesserung der Situation erfasst und analysiert. Es werden Interventionen geplant und organisiert, die den Klienten befähigen, sich selbst soweit wie möglich in einen ressourcereichen Zustand zu bringen, damit er größtmögliche Handlungskompetenzen für sich nutzen kann. Zusätzlich zu dieser Anregung der Selbstpflegefähigkeit wird eine evtl. (teilweise) Übernahme von Pflegeund Betreuungshandlungen geplant. Am Ende der Pflegeplanung steht eine Beschreibung jener Pflegeintervention, die die größtmögliche Pflege und Lebensqualität unter dem Aspekt hoher Fachlichkeit und weitgehender Selbstbestimmung des Klienten anschaulich und durchführbar darstellt.

Es ist spannend zu sehen, in welcher Tradition wir stehen, wenn wir auf die Geschichte zur Pflegeplanung schauen – hier ein paar Auszüge:  »Die Ursprünge der Pflegeplanung liegen in den USA der fünfziger Jahre, zahlreiche Pflegetheoretikerinnen wie Hildegard Peplau, Ida Jean Orlando, Ernestine Wiedenbach oder Virginia Henderson waren an dieser Entwicklung sehr interessiert und beteiligt  1960 erschienen die ersten Fachartikel über die Pflegeplanung  Die systematische Einführung in amerikanischen Kliniken erfolgte ab 1970.  Kurze Zeit später erreichte diese Idee Großbritannien. Dort erschien 1979 das erste Lehrbuch zur Pflegeplanung.  Im deutschsprachigen Raum übernimmt Liliane Juchli bereits 1974 das auf Henderson basierende Konzept in ihr Pflege-Lehrbuch  1981 erschien das erste spezielle deutschsprachige Buch zur Pflegeplanung von Fiechter/Meier  Seit den 1990er Jahren setzt sich die Pflegeplanung auch in der deutschen Pflegepraxis zunehmend durch. Monika Krohwinkel trägt mit ihrer Forschungsstudie zur Versorgung nach einem Schlaganfall (Apoplex) wesentlich dazu bei.  Die Qualitätsmaßstäbe der gesetzlichen Pflegeversicherung machten Pflegeplanung ab 1995 zum State of the Art der pflegerischen Arbeitsvorbereitung.«77 Dennoch ist die Pflegeplanung nach wie vor ein Schreckgespenst. Diese Schwierigkeiten mit der Pflegeplanung beruhen meiner Meinung nach auf drei wesentlichen Ursachen: 1. Die Pflegeplanung kommt aus der Krankenpflege. 2. Die Pflegeplanung wird in der Ausbildung zu theoretisch-schematisch gelehrt. 3. Die Forderungen des MDK für die Pflegeplanung sorgen für Verwirrung. 1. In der Krankenpflege finden Pflegekräfte ganz andere Bedingungen und Situationen vor, als in der Altenpflege. Klinikpatienten sind nur kurze Zeit im Krankenhaus. In dieser Zeit orientiert sich die Pflegeplanung natürlich an der Erkankung und ihren Folgen.

77

wikipedia.org/wiki/Pflegeplanung

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Grundlagen des Pflegeprozesses

2. Die Pflegeplanung wird an diversen Ausbildungsstätten immer wieder anders aufbereitet. Mal sind es die A(B)EDL®- oder ATL-Modelle und die Theorie wird oft auf die Struktur der Anamnese beschränkt. Zusätzlich sind die angefertigten Pflegeplanungen recht umfangreich, schließlich sollen die Schüler auch das Formulieren üben. Allerdings beziehen diese Pflegeplanungen den typischen Alltag nicht immer mit ein. Stattdessen werden Problemsituationen schematisch aufbereitet und eingeübt. Es geht um den Lern- und Übungseffekt, mit der Praxis hat das eher wenig zu tun. Es wäre sicherlich sinnvoller, wenn verschiedene Formen der Pflegeplanung vorgestellt und die Analyse- und Diagnosefähigkeiten der Schülerinnen gefördert würden. 3. Pflegeplanung und der MDK Aussagen von Heimaufsicht und MDK werden oftmals falsch interpretiert bzw. widersprechen sich. Mittlerweile werden Pflegeplanung eher für den MDK geschrieben als für die Klienten. Viele Pflegekräfte sind so verunsichert, dass sie sich eher Gedanken zur Form der Pflegeplanung machen als zu ihrem Inhalt. Es gibt die erstaunlichsten Interpretationen der Anforderungen von MDK und Heimaufsicht. Hier ein paar aus Inhouse-Schulungen der letzten Wochen:  »Zu jeder AEDL ein Problem und dazu eine Ressource.«  »Gefühle dürfen nicht benannt werden, die können nicht überprüft werden.«  »Erhaltung von Ressourcen oder Fähigkeiten dürfen keine Ziele sein.«  »Es muss immer Fern- und Nahziele geben.«  »Jede Maßnahme muss planbar sein können78 (speziell bei EDV-gestützter Dokumentation).« So widersprüchlich wie die Meinungen der MDK-Gutachter sind, so zaghaft ist dann der Schreib- und Denkfluss bei der Pflegekraft. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, um den Pflegekräften den Alltag leichter zu machen. So stelle ich zunächst eines ganz klar: Pflegeplanungen werden nicht für den MDK geschrieben. Sie werden für die Klientin und ihre Lebens- bzw. Pflegesituation geschrieben. 5.5.1

Die Beschreibung einer pflegerelevanten Situation

Jeder Versuch einer Problem- oder Ressourcenbestimmung ist eine intensive Wertung, die von der eigentlichen Aufgabe, die pflegerelevante Situation zu beschreiben, ablenkt. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Trennung und Zusortierung, aber nicht auf die Wahrnehmung und Beschreibung. Seit langem verfechte ich drei grundlegende Annahmen zur Vereinfachung der Pflegeplanung: 1. Beschreiben Sie statt zu interpretieren Es ist wesentlicher leichter, eine Situation zu beschreiben, als sie zu interpretieren bzw. zu werten. Selbst die scheinbar schwer zu formulierenden Situationen werden einfach und normal, wenn Sie sie schlicht und neutral beschreiben.

78

Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e. V. (MDS), Essen, 2005

Die Pflegeplanung

Eine Beschreibung: Jeden Morgen zum Ende der Ganzkörperwäsche weint Fr. S. 5 bis 10 Minuten, es scheint ihr schwerzufallen, damit aufzuhören. Auf Nachfrage erzählt sie, dass sie sich um ihren Sohn sorgt, er sei noch so klein. Bleibt man einen Moment bei ihr und legt ihr den Arm um die Schultern, tröstet sie das. Wenn der Sohn meist donnerstags zu Besuch da war, weint sie auch beim Schlafengehen. Eine Interpretation: »Frau S. ist traurig!« 2. Beobachten Sie und nehmen Sie wahr Eine genaue Beobachtung ist immer möglich, auch am absoluten Anfang einer Pflegebeziehung. Verhalten, Fähigkeiten, Risiken, Bedürfnisse und Kompetenzen (und vieles mehr) lassen sich von der ersten Sekunde an wahrnehmen und beobachten. Wir stellen in einem Rollenspiel eine alte Dame dar, die gerade auf dem Wohnbereich eingezogen ist. Wir zeigen Ausschnitte aus dem, was sie tut:  Sie geht, im Morgenmantel gekleidet, zwischen ihrem Zimmer und dem Flur auf und ab.  Sie guckt sich die Möbel, Türen, Bilder etc. in ihrer Umgebung an.  Sie nestelt an einer Inkontinenzvorlage, die aus ihrer Tasche lugt.  Sie geht leicht schwankend ohne Hilfsmittel, hält sich an Handläufen, Stuhllehnen etc. fest.  Sie guckt bei Ansprache durch Pflegekräfte weg und weicht aus, indem sie weitergeht.  Sie spricht von sich aus keinen Menschen in ihrer Umgebung an. Allein bei diesen kurzen Episoden fallen schon jede Menge Informationen ins Auge. Wir erhalten deutliche Hinweise zur Bewegungsfähigkeit. Wir erfahren, dass sie wegen ihrer vorhandenen Sehfähigkeit ihre Umgebung wahrnimmt, sich sogar dafür zu interessieren scheint. Sie nutzt Inkontinenzhilfsmittel, scheint aber noch nicht sehr kontaktfreudig, sondern eher zurückhaltend zu sein. Sie als Pflegekraft haben die Fähigkeit, die Klientin zu beobachten. Dabei helfen Ihnen Kriterien wie die »roten Fäden« in den verschiedensten Pflegemodellen. So z. B. die Lebensaktivitäten oder Fähigkeiten eines Menschen. Dies ist gerade zu Beginn der Pflege eine wesentliche Hilfe. Später im Pflegeprozess beschreiben Sie das, was Sie oder auch andere wahrnehmen können. 3. Beenden Sie das Problem-Ressource-Dilemma Ob eine Situation, die Pflege erfordert, ein Problem, eine Ressource oder Fähigkeit ist, liegt oftmals in der Sichtweise der Pflege(-fach)kraft. Es ist entscheidend, welche der vielen Informationen ausgewählt wird. Es ist mir seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn als Pflegefachkraft ein hohes Anliegen, dass Menschen mit Pflegebedarf individuell wahrgenommen und gepflegt werden. Dabei halte ich es nach wie vor für schlecht, wenn Pflegende die »Problembrille« aufhaben. Wo auch immer ich in Kontakt zu den verschiedensten Versionen von Pflegeplanungen komme, erlebe ich die massive Trennung in »Problem und Ressource«. Das bedeutet, dass zunächst das Problem und dann die Ressource dazu gesucht werden.

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Beispiel aus einer Pflegebedarfserhebung: Problem, Bedürfnis

Fähigkeiten/Hilfen

Zeitweise Urininkontinent.

Kann klingeln und Urinflasche verlangen.

Kann komplexen Situationen nicht folgen.

Kann Sätze verstehen und sich mitteilen.

Beispiel eines Pflegeplans: Problem, Bedürfnis

Fähigkeiten/Hilfen

Kann Essen nicht allein anrichten.

Nahrungsaufnahme selbstständig.

Kann aufgrund der Lähmung Körperpflege nicht selbst durchführen.

Führt Mundpflege selbst durch. Rasiert sich selbst. Wäscht sich Oberkörper ohne Hilfe.

(vgl. Krohwinkel 2007) Als Konsequenz ergibt sich, dass der Mensch primär auf Probleme hin »besichtigt« wird. Die Suche nach Ressourcen fällt so naturgemäß schwerer. In diesem Moment beginnt die große Wertung und die Situation eines alten Menschen wird geteilt in  Gut und Schlecht  Positiv und Negativ  Schwarz und Weiß  Problem und Ressource Die Pflegekräfte werden durch diese Trennungsvorgabe nahezu gezwungen zu werten, welche der Eigenarten oder Verhaltensmuster der betroffenen Person »gut« oder »schlecht« sind. Das heißt auch, dass sich ihr erst gerade geformter »ganzheitlicher« Blick auf den betroffenen Menschen massiv zertrennt. Dieses Zerlegen in »Gut« und »Schlecht« seitens der Pflegefachkraft ist ein sehr subjektiver Prozess. Er hängt stark vom Kenntnisstand der Pflegefachkraft bei den jeweiligen Themen der Klientin sowie ihrer Vorannahmen und Prägungen ab. Ein weiterer erschwerender Faktor liegt in der zusätzlichen Denkarbeit. Die Pflegefachkraft darf den Klienten nicht einfach »nur« beschreiben, sie muss jeden Punkt, jedes Merkmal, Symptom oder Phänomen werten, trennen und dann in den Zusammenhang Problem-Ressource stellen. Das fordert vom Denkprozess einiges an Unterbrechungen. Man kommt beim Denken sozusagen ins Stocken. Daraus entstehen Schwierigkeiten: 1. Menschen werden problemorientiert wahrgenommen. Sie erleben eine Verstärkung ihrer Probleme. 2. Der Blick auf eine womöglich positive Absicht wird verschleiert. Im NLP heißt es: »Hinter jedem Verhalten steckt eine positive Absicht«. Diese Absicht gilt es in den Pflegebeziehungen immer wieder zu entdecken.

Die Pflegeplanung

3. Das »Problem-Ressource- Dilemma« mündet oft in eine aufgeblasene Formulierungsstruktur. Jedes Problem erhält ein Ziel und eine Maßnahme; parallel dazu werden für die Ressourcen Ziele gesucht und Maßnahmen geplant. Oft sind aber Problem und Ressource ein- und dasselbe. 4. Die Pflegekraft entscheidet, ob sie aus einer Sache ein Problem oder eine Fähigkeit/Ressource macht. Nahezu aus allen Pflegephänomenen können Ressourcen oder Probleme gemacht werden – es kommt auf die Formulierung und Sichtweise an. 5. Es tritt eine Problemphysiologie auf: Gerade Pflegekräfte mit einem Helfersyndrom sind eilig dabei und widmen sich mit Hingabe der vermeintlichen Problembeseitigung. Mit den Pflegediagnosen kommt hier allerdings Bewegung ins Spiel. »Auch wenn man keine Pflegediagnose verwendet, ist die Beurteilung der Situation eines Klienten ein diagnostischer Prozess«, schreibt Christine Sowinski vom KDA, das sich vehement für die Verbreitung der Pflegediagnosen einsetzt. Der Begriff »Problem« reizt mich seit längerem. Sehen wir uns die Vor- und Nachteile dieses Begriffs an: Was könnten Vorteile sein, in der Pflegeplanung mit dem Begriff Problem umzugehen?  Sie machen die Klientin untertan, indem Sie eine gewisse Form der »Hilflosigkeit« angeben. Das schafft eine Machtposition und damit eine Stärkung der Kompetenz von Pflegekräften.  Sie ermöglichen gleich eine Vielzahl an Maßnahmen, die zur Problemlösung verordnet werden können.  Probleme schüchtern ein, machen Angst und lassen manchen Menschen in eine Starre verfallen. Damit ist eine Klientin allein durch die Problemhaltung »ruhiggestellt«.  Sie sind ein recht einfaches Modell, um Pflegeplanungen zu schreiben. Was könnten Nachteile sein, in der Pflegeplanung mit dem Begriff Problem umzugehen?  Die Erkennung von pflegerelevanten Situationen wird schnell einseitig.  Klientinnen fallen bei der Problemhaltung eher in eine Angstposition mit entsprechender Ohnmacht und Hilflosigkeit.  Wenn erst Probleme erfasst werden, ist diese Sicht bei der Betrachterin und/oder Pflegekraft die vorherrschende Sicht. Anschließend zusortierte Ressourcen oder Fähigkeiten haben dann wenig Chancen.  Eine Aufteilung in Probleme und Ressourcen wirkt einer ganzheitlichen Sichtweise und generell wertschätzenden Haltung entgegen. Sie teilt in »Schwarz/Weiß« und bringt zur Beobachtung und einhergehender Analyse noch die notwendige Sortierung dazu. Es ist eine der Hauptaufgaben von Pflege- und Pflegefachkräften, die kleinen, mittleren und auch großen Probleme von Menschen mit Pflegebedarf zu lösen. So steht es in fast jedem Lehrbuch. Wenn die Lösung von Problemen in den Kompetenz- und Lösungsbereich der Pflegekraft fällt, ist das möglich. Anzuzweifeln ist, was dann als tatsächlich gelöstes Problem gilt. Sicher ist das oft bei untenstehenden »Problemen« oder Pflegebedarfssituationen zu erreichen.  Fieber  Durchfall  Leichte bis mittelschwere Schmerzen  Bewegungseinschränkungen  …

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Beachten Sie bitte, dass die vermeintlichen Problemlösungen meist im somatischen Bereich liegen. Handelt es sich hingegen um primäre Symptome der Demenz, wie parzielle Desorientiertheit, können Pflegekräfte meist gar nichts bewirken. Sie können im Bereich der sekundären Symptome Erleichterung und Linderung schaffen. Hierzu gibt es konkrete Ansatzpunkte. Ebenso können sie die Person stärken, sich als Menschen, als »ich« zu fühlen. Aber das sind keine Probleme, sondern Situationen, die bei der Erkrankung einfach normal sind. Im geistig-seelischen Bereich verbleibt die Lösung immer bei der Klientin. Pflegekräfte können sie unterstützen, um eigene Lösungen zu entwickeln, wenn diese gewünscht sind. Ganz klar, die Traurigkeit einer Klientin, dass sie z. B. nicht mehr in ihrem eigenen Zuhause lebt, können Pflegekräfte nicht beseitigen und auch nicht lösen. Selbstverständlich können sie trösten und Möglichkeiten anbieten, noch etwas anderes als Trauer zu erleben und wahrzunehmen. Wer aber als Pflegekraft meint, ein seelisches Problem einer Klientin lösen zu wollen, überfordert sich. Damit wird die Pflegesituation überfrachtet und die Pflegeplanung wird zum puren Stress. Wer den Pflegekräften die Verantwortung zur Problemlösung schon in der Ausbildung eintrichtert, fördert diese Selbstüberschätzung, die auf Dauer Folgen für die Pflegekraft und die Klienten haben. Dies sind nicht selten Burn-out und/oder starke Übertragungen in Pflegebeziehungen. Es ist eine Anmaßung, Lebensprobleme von anderen Menschen lösen zu wollen. In anderen beruflichen Feldern, wie z. B. dem Coaching oder der Supervision, obliegt es immer der Klientin, eine Lösung zu finden. Der Coach schlägt lediglich Wege zur Lösung vor, mehr nicht. In dem Moment, wo ein Coach sich zu stark macht, drängt er das Anliegen der Klientin in den Hintergrund. Vor kurzem nannte mir eine Kollegin folgenden Satz: »Wo ich meine Aufmerksamkeit hinwende, das verstärkt sich.« Wenn wir also unsere Aufmerksamkeit auf ein unerwünschtes Verhalten richten, dann wird sich dieses verstärken. Wenn wir jedoch unsere Aufmerksamkeit auf etwas Positives, schon Erreichtes, Angenehmes richten, dann verstärkt sich dieses ebenfalls. 5.5.2

Ressourcen

Wenn wir Lebenssituationen meistern, aus Erfahrung lernen, etwas anders machen, unsere Fähigkeiten vielfältig nutzen, wieder gesund werden, oder Vorhandenes alternativ nutzen können – dann greifen wir auf unsere Ressourcen zurück. Ressourcen sind Potenziale, Quellen, aus denen wir schöpfen können. Im Prinzip sind Ressourcen natürlich auch unsere ganzen Fähigkeiten, oder eben die Möglichkeiten, unsere Fähigkeiten zu nutzen. Ressourcen können materieller, energetischer, geistiger oder spiritueller Natur sein. Wir entdecken sie in unserem Fühlen und Denken, unseren Fähigkeiten, unserem Körper, unserer Identität. Um uns herum erleben wir Ressourcen in der Natur, in der Nahrung, in all den Dingen, die uns umgeben und natürlich im Austausch mit anderen, im Geben und Empfangen, in der Zugehörigkeit und in der Beziehung. Das eine wirkt auf das andere. Die Verbindungsstelle liegt in unserer Wahrnehmung und Interpretation sowie in unserem Ausdruck und Handeln.

Die Pflegeplanung

Dies alles ist sehr individuell und unterschiedlich. Es ist geprägt durch die Herkunft des Einzelnen, durch das, was er erlebte, was ihm wichtig ist. Tabelle 5 zeigt die Unterscheidung zwischen persönlichen und sozialen Ressourcen. Tabelle 5: Persönliche und soziale Ressourcen. Persönliche Ressourcen 





 

Persönlichkeitsmerkmale wie z. B.: gesundes Selbstwertgefühl, Erfahrungen, die ich mir zunutze machen kann. Eigenschaften und Haltungen, Mut, Glaube, Spiritualität, Kreativität und Flexibilität Kognitive Kräfte wie z. B. Verstandeskräfte, Bewusstsein, Intelligenz, Wahrnehmung, Gedächtnis und Orientierung, Erkennen, Denken und Urteilen Gemütskräfte umschreiben die Gesamtheit an Grundstimmungen, Antrieben und Lebensgefühlen. Die Wahrnehmung der individuellen Erlebniswelt mit ihren dazugehörenden Gefühlen Schöpferische und kreative Kräfte und Fähigkeiten Spirituelle Kräfte

Soziale Ressourcen 





Soziale Ressourcen wie z. B. die sozialen Beziehungen zu anderen Menschen, soziales Netz Ökologische Ressourcen wie z. B. Wirkkräfte aus der Natur, aber auch Ressourcen aus der technischen Umgebung wie z. B. Wohnraum, Infrastruktur Materielle Güter wie Geld, angemessene Wohnumgebung, Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten von Pflegeleistungen, Hilfsmitteln etc.

Eine Pflegekraft hat zum einen die Chance, selbst die kleinsten Fähigkeiten und Ressourcen wahrzunehmen; auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass sie diese falsch einschätzt.

Die grundlegende Frage ist, für wen ein Problem – oder: »Pflegebedarfssituation« – tatsächlich ein Problem ist. Für wen ist die genannte Ressource eine Ressource? Wird die Antwort von einer Pflegekraft bestimmt, wird automatisch gewertet. Beispiel: Eine ältere Klientin lehnte die tägliche Ganzkörperpflege ab. Da sie in ihrer Sprach- und Orientierungsfähigkeit eingeschränkt war, sagte sie nicht: »Nein, ich möchte das nicht«, sondern bewegte sich entsprechend ablehnend. Wenn sie von einer Pflegekraft ins Bad begleitet wurde und dort die Waschutensilien gerichtet wurden, zeigte sie körperliche Unruhe an. Begann die Pflegekraft mit dem Ausziehen der Klientin, um ihr das Gesicht oder den Oberkörper zu waschen, schob die Klientin den Arm der Pflegekraft nachdrücklich weg. Mit der Sichtweise »Problem/Ressource« würde Folgendes formuliert: Problem: »Verweigerung« der Körperpflege. Gleichzeitig ist das aber genau die Ressource, denn die Klientin konnte ihrem Wunsch, die Körperpflege selbst zu übernehmen, Ausdruck verleihen.

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Es geht gerade in der Pflege von in ihren Fähigkeiten sehr eingeschränkten oder auch alten Menschen nicht darum, Probleme zu sammeln.

Angesichts eines ganzheitlichen Pflegeverständnisses halte ich eine andere Form der Beschreibung von Pflegebedarfssituationen für sinnvoll – gerade im Kontext von ganzheitlicher Pflege und ganz besonders in der Pflege von Menschen mit Demenz. Es geht um das TUM-Prinzip. 5.5.3

Das TUM-Prinzip

Das TUM-Prinzip entstand aus der Beschäftigung mit den Pflegediagnosen und natürlich durch das Schreiben von mehr als 30 Pflegeplanungen pro Jahr. Sandra Masemann gab ihm dann den Namen. TUM steht für: T= Titel U= Ursache M= Merkmal Ist eine Pflegeplanung so aufgebaut, ist eine Situation mit folgenden »Hilfsfragen« zu umschreiben: Titel: Worum geht es? Die Nennung eines griffigen, leicht verständlichen Titels macht auf dem Pflegeplanungsblatt schnell deutlich, worum es geht. Ursache: Warum ist das so? Die Frage nach dem Warum klärt die Ursache und legitimiert damit so manche Pflegesituation. Ein klarer, effektiver Schritt in der Pflegediagnostik. Merkmale: Woran merke ich das? Hier werden einfach die Anzeichen, die Merkmale beschrieben. Im Prinzip wird hier die Situation einfach und neutral beschrieben. Die gesamten Fallbeispiele in diesem Buch sind jetzt nach diesem TUM-Prinzip aufgeführt. Natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, wie z. B.die Pflegediagnosen der NANDA. Eine Pflegediagnose ist die allgemeingültige Beschreibung und vor allem die Beurteilung eines pflegerelevanten Zustandes oder Sachverhalts, den der Klient hinsichtlich einer notwendigen und realistischen Veränderung erlebt. Zu Grunde liegt die nach Ursachen und systemischen Zusammenhängen suchende Unterscheidung bestimmter Merkmale, die durch Einschränkungen in der Gesamtsituation des Klienten und seines Umfeldes entstanden sind.

Die Pflegeplanung

Tabelle 6: Beispiel für das TUM-Prinzip. Pflegerische Ist-Situation

Ziele/Lösungen

Maßnahmen

T: Wertende Sprache U: vermutlich Statusdenken, evtl. nachlassende Urteilsfähigkeit durch Demenz M: In 85%– 95% aller Situationen bewertet Frau XY Menschen und Situationen in ihrem Umfeld negativ (z. T. abwertend z. B. »Die ist aber dick«, »Guck nicht so blöd!«, »Blöde Kuh«). Sie selbst wünscht höfliche Ansprache. Ihr Sprachstil ist barsch (kurz, laut, befehlend) Vermutung aufgrund biografischer Kenntnis: Sie ist evtl. früher ähnlich behandelt worden und möchte sich »aufwerten« durch »Abwerten«. Bei validierender Gesprächsführung gibt sie kurzfristig Gefühle preis.





5.5.4





Sie erfährt Achtung und Respekt. Ihr Status »Arztgattin« ist gestärkt und geachtet. Bei Verletzung der Grenzen anderer nimmt sie Hinweise zur Verhaltensänderung an.

 





Bewohnerin mit »Frau Dr.« ansprechen (TestphaseStatus fördern) Sehr höflich ansprechen. In Gesprächen mit ihr Komplimente (Aussehen, Kleidung, Geschmack, etc.) machen, (wenn man mit ihr allein ist) Ihr gegenüber Themen und Kompetenzen stärken, auf die sie stolz ist (Mann, Haare, Kinder, Reisen). Wenn sie andere Bew. verletzt, die sich nicht wehren können, Frau XY bitten, aufzuhören.

Pflegediagnosen

Den Pflegediagnosen liegt ein ähnlicher Aufbau zu Grunde: 1. Pflegediagnosetitel: »Um welches Problem geht es?« Der Pflegediagnosetitel stellt klar und präzise die Reaktion des Klienten auf ein Gesundheitsproblem/Lebensprozess dar. Im Allgemeinen stammt der Pflegediagnosetitel aus der Liste der von der NANDA anerkannten Pflegediagnosen. Da die Pflegediagnostik sich jedoch im Stadion der Entwicklung befindet, sind nicht alle Reaktionen der Klienten klar definiert. 2. Beeinflussende, ätiologische Faktoren: »Welches sind die Ursachen oder beeinflussenden Faktoren des Problems?« Dieser Teil der pflegediagnostischen Aussage beinhaltet eine kurze Beschreibung der möglichen Ursache (Ätiologie) oder der Faktoren, die die Entstehung des Problems gefördert/beeinflusst haben. Er wird im Allgemeinen durch den Ausdruck »beeinflusst durch (b/d)« eingeleitet Der Ausdruck »beeinflusst durch« kann durch die Abkürzung »b/d« abgekürzt werden. Carpenito (1995) unterscheidet vier Kategorien bei den beeinflussenden, ätiologischen Faktoren:  Pathophysiologische Faktoren (biologische und psychologische), wie z. B. der Verlust eines Körperteils oder kognitive Beeinträchtigungen.  Behandlungsbedingte Faktoren, wie z. B. Extension/Gipsverbände oder eine schmerzhafte Behandlung.  Situationsbedingte Faktoren (durch die Umgebung oder Person bedingt), wie z. B. Stress, Kleidung, feuchte Körperoberfläche oder Schlafunterbrechung.  Alters- und entwicklungsbedingte Faktoren, wie z. B. geringerer Nährstoffbedarf oder Verlust der Hautelastizität.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

Die Auswahl der richtigen beeinflussenden, ätiologischen Faktoren ist für die Formulierung einer diagnostischen Aussage von entscheidender Bedeutung, weil die pflegerischen Interventionen und Maßnahmen auf eben diese beeinflussenden, ätiologischen Faktoren bzw. die Ätiologie abgestimmt werden. 3. Kennzeichen: »Wie kann ich das Vorliegen des Problems genau betrachten?« Der dritte Bestandteil von diagnostischen Aussagen sind die Kennzeichen. Als Kennzeichen gelten die subjektiven und objektiven Daten, die zur Identifizierung eines bestimmten Problems führen. Die NANDA unterscheidet Haupt- und Nebenkennzeichen. Kennzeichen werden durch die Formulierung »angezeigt durch« eingeleitet, diese Bezeichnung kann durch »a/d« abgekürzt werden (vgl. Collier, McCash & Bartram 1998). In Kurzform kann das folgendermaßen in der sogenannten PÄS-Struktur zusammengebracht werden (siehe Tabelle 7). Tabelle 7: Die PÄS-Struktur. P = Pflegediagnose

Was ist das Problem oder die Situation?

Ä = Ätiologie

Warum besteht dieses Problem oder diese Situation?

S = Symptom oder Merkmal

Wie zeigt sich dieses Problem?

Eine andere Variante ist das PESR-Format. Es entstammt auf den ersten Blick der Grundsatzstellungsnahme Pflegeprozess und Dokumentation des MDK, auf den zweiten Blick stellt sich heraus, dass es der Art und Weise der Pflegediagnostik entnommen ist. Es bedeutet im Detail: P = Problem E = Einflussfaktoren S = Symptome R = Ressource Eine vollständige Problem(- oder Pflegebedarfs)beschreibung besteht aus den Elementen: 1. Was ist das Problem (P-Teil)? 2. Was sind die Einflussfaktoren für dieses Problem (Ursache, etiology), womit hängt es zusammen (E-Teil)? 3. Wie zeigt/äußert sich das Problem (Symptom) konkret, Beobachtungen oder Aussagen des Pflegebedürftigen (S-Teil) 4. Welche Ressourcen sind beim Pflegebedürftigen und seiner sozialen Umgebung vorhanden?79

5.6

Die konkrete Pflegeplanung

Es ist an dieser Stelle sinnvoll, sich den Pflegeplanungsbogen noch einmal genau vor Augen zu halten. Was wird wo und wie dokumentiert? In der ersten Spalte des Pflegeplanungsbogens sind selbstverständlich Datum und Nummer der Beschreibung, der Pflegeplanung, festzuhalten. Eine chronologische Durchnummerierung auf dem Pflegeplanungsblatt sorgt auch bei längeren Pflegesituationen für Übersichtlichkeit. Dann kann eine Pflegekraft auch innerhalb des Pflegeplanungsbogen Hinweise auf aktuelle Beschreibungen angeben, z. B. bei einer Evaluation. 79

MDS: Grundsatzstellungnahme Pflegeprozess und Dokumentation. Essen 2005

Die konkrete Pflegeplanung

5.6.1

Formulierung eines Ist-Zustandes/einer Pflegediagnose

Hier kommt das TUM-Prinzip zum Tragen. Sie können also die Merkmale angeben, wobei Ihre Beschreibung so genau wie möglich sein sollte. Je genauer Sie Ihre Beobachtungen beschreiben, desto einfacher machen Sie es sich! Welches Verhalten oder welche Reaktion tritt wann in welcher Form und wie oft auf? Tabelle 8: Präzise Angaben zum Verhalten oder Reaktion. Möglichkeiten und Kriterien

Beispiele Hier werden die jeweiligen Fähigkeiten genau beschrieben

Messbare Daten:

     

Aussagen der Klientin Zitieren Sie Aussagen der Klientin. Das macht vieles genau deutlich und Sie brauchen nicht zu werten.



 

Eindeutig beobachtbare Tatsachen

Risikofaktoren Es ist sinnvoll, individuelle Risikofaktoren aufzuschreiben, damit entsprechend dazu Maßnahmen ausgewählt werden können. Bleibt es bei solch knappen Beschreibungen wie »Dekubitusgefahr« oder »Sturzgefahr« fehlt sehr viel. Beispiel: Es sind andere Maßnahmen erforderlich, wenn es sich um intrinsische oder extrinsische Risikofaktoren handelt Darstellung von scheinbar Widersprüchlichem

Durchschnittliche Trinkmengen, BMI, Gewicht, etc. Zurückgelegte Meter Stuhlganghäufigkeiten Vitalwerte Häufigkeiten Etc. Ø jeden 2. Morgen sagt sie zur PK, wenn diese ihr Unterstützung bei der Körperflege anbieten will: »Ich bin schon fertig – habe alles allein gemacht.« Bei der Intimpflege sagt Herr K. jedes Mal: »Fass mich doch fester an und legt dich mal zu mir!« In der Nacht kommt Frau G. Ø 4 Mal und sagt ungefähr: »Sie kommen wieder, mach die Tür zu.« Anschließend in ihrem Zimmer stellt sie den Stuhl von innen vor die Tür.

Fähigkeiten wie: Isst mundgerecht vorbereitete Nahrung selbst  Wäscht unter Anleitung Gesicht und Hände selbst  Wählt unter bereitgehaltener Kleidung ein Teil aus  Wendet sich bei Hilfewunsch an Pflegekräfte 

Genaue Benennung von Risikofaktoren für Harninkontinenz  Dekubitusgefahr  Sturzgefahr  Mangel- oder Fehlernährung  Schmerzen, etc. 

Tipp: Nutzen Sie die Risikofaktoren, die Sie z. B. im Assessment (Bradenskala etc.) erfasst haben. Übertragen Sie diese einfach.

Beschreiben Sie schlicht und einfach die Situationen, die Sie als widersprüchlich bezeichnen würden, z. B.:  Frau S. geht ab ca. 16.30 auf dem Wohnbereich auf und ab, jeder Pflegekraft erzählt sie, »dass ihre Tochter nie mehr zu Besuch komme«. Die Tochter kommt zur Zeit 4 x die Woche zu Besuch.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

Beschreiben Sie einfach, was zu beoachten und was genau wahrzunehmen ist. Ein Beispiel: Titel: Flüssigkeitsdefizit Ursache: Beeinträchtigte Orientierung Merkmale: Trinkmenge liegt lt. Einfuhrbilanz bei Ø 600 ml, trockene Haut und Schleimhäute, konzentrierter Uringeruch. Frau M. äußert auf Nachfragen, dass sie mindestens drei Wasserflaschen täglich trinkt. Mineralwasserkiste reicht aber momentan über zwei Wochen. Fr. M. ist in der Lage, aus vorbereitetem Glas selbst zu trinken Generell lässt sich sagen, dass es gut ist, eine klare Überschrift zu finden, sodass Kollegen sofort informiert sind, um was es bei dieser Schilderung geht. Weiter ist zu beachten, dass bei der Situationsbeschreibung Genauigkeit, Ursachenforschung und neutrale, weitgehend sachliche Formulierung an erster Stelle stehen.

Ursachenforschung

Genauigkeit

neutrale Beschreibung

Abb. 6: Worauf beim Formulieren zu achten ist.

5.6.2

Formulierung von Zielen oder Lösungen

Die Formulierung von Zielen ist für viele ein schwieriges Unterfangen. Das liegt auch daran, dass sie durch die Forderung nach aktivierender Pflege gesetzlich gefordert sind. Daraus folgern viele Pflegefachkräfte, sie müssten sich nun hohe Ziele stecken. Wie sieht es aber im Alltag in der Pflege von Menschen mit Demenz aus? Sie möchten häufig etwas ganz anderes als die Pflegekräfte:  Sie möchten nach Hause.  Sie möchten in ihren Bedürfnissen und Antrieben verstanden werden.  Sie möchten geliebt und anerkannt werden.  Sie möchten keine Körperpflege, sie möchten ihre Kleidung abends anbehalten.  Sie möchten herumlaufen, ihrem Bewegungsdrang Raum geben.  Sie möchten »kramen« und »suchen« etc.  Sie möchten nichts trinken. Spricht man nun nicht von einem »Ziel«, sondern von einer »Lösung«, so ist das wesentlich realitätsnäher. Wenn also in der Pflegeplanung nach Zielen gefragt wird, geht es darum, eine Lösung zu finden und diese verständlich und überprüfbar zu formulieren. Die Pflegekraft muss sich auf den Klienten einlassen und sein Verständnis von Lebensqualität zulassen. Seine Einstellungen, Erwartungen und Wünsche sowie Ziele sollen mit einfließen.

Die konkrete Pflegeplanung

Ziele werden in einem Spannungsfeld formuliert    

Wünsche des Klienten Lebensqualität Größtmögliche Selbstständigkeit Wahrnehmung und weitgehend geförderte Fähigkeiten

Idealziel Gewünschter Zustand …



Größtmögliche pflegerische Fachlichkeit

Abb. 7: Spannungsfeld der Ziele.

Beachten Sie bei der Formulierung und der Festsetzung von Zielen:  Sie sollen sinnvoll, realistisch sein.  Sie müssen, soweit möglich, mess- und überprüfbar sein. (Es werden also Kriterien aufgeführt, anhand derer die Ziele überprüft werden können: Äußerungen, Messgrößen, Merkmale, etc.)  Sie werden (weitgehend) aus der Sicht des Klienten formuliert.  Sie werden positiv formuliert (so schwer das im Einzelfall sein mag). Die positive Formulierung ist wichtig, weil sie den richtigen Fokus setzt. Ein Beispiel: Bei einer Brandschutzübung sagt die Feuerwehr: »Bitte laufen Sie im Ernstfall alle durch die rechte Tür nach draußen«. Sie könnte auch sagen: »Bitte nicht nach links laufen«. Das hat aber eine andere Wirkung, es bleibt nämlich das Wort links hängen, obwohl rechts gemeint war. Das gilt natürlich auch für pflegerische Situationen. Die Beschreibung der Lösung muss eindeutig formuliert sein.  Es wird der gewünschte, mögliche Zustand beschrieben.  Die Formulierungen sollen verständlich und nachvollziehbar sein.  Die Formulierungen orientieren sich am Klienten und seiner individuellen Situation. Keine Pauschalformulierungen!  Es kann eine Unterscheidung in Nah- und Fernlösungen geben. Ebenso gut kann es auch mehrere Lösungen für eine Situation geben, da Pflege und Menschen facettenreich sind.

Die Qualität von Zielen liegt auf drei Ebenen: 1. Einer Verbesserung des Zustandes, der Selbstpflegefähigkeit. 2. Einer Erhaltung der jetzigen Situation, der jetzigen Selbstpflegefähigkeit. 3. Einer Linderung der jetzigen Situation, einer Linderung der jetzigen Selbstpflegeeinschränkung. Je genauer die Ziele formuliert sind, desto klarer und individueller können Maßnahmen zugeordnet werden. Das heißt auch, dass Ziele nicht als Maßnahmen formuliert werden sollten.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

Tabelle 9: Zielformulierungen. Ungeschickte Formulierung von Zielen

Günstigere Formulierungen

Feinmotorik fördern

Feinmotorik ist weiterhin vorhanden (Bew. greift z. B. sicher einen Becher, knöpft Jacke zu)

Sicherheit vermitteln

Bew. sagt, dass er sich sicher fühlt. Fr. K. erfährt Sicherheit.

Wohlbefinden erhalten

Bew. sagt, dass er sich wohl fühlt. Hr. O. erfährt Bestätigung und Zuwendung.

Normale Körpertemperatur herstellen

Körpertemperatur 36,9° Grad rektal

Anmerkung: Hier steht die Handlung im Vordergrund. Es soll etwas gefördert, vermittelt, erhalten oder hergestellt werden.

Anmerkung: Hier steht der Zustand, der erreicht werden soll, im Vordergrund.

An dieser kleinen Auswahl wird deutlich, dass es einen großen Unterschied zwischen den Zielen des Klienten und den Zielen der Pflegekraft gibt. Hier stellt sich meiner Meinung nach die Frage: Gibt es ausschließlich Ziele für die Klienten? Wer sagt, dass die Klienten alles erreichen müssen, wenn sie aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit doch gar nicht mehr viel verändern können? Muss sich nicht dann viel eher die Pflegekraft andere Ziele setzen? Sind die Zielformulierungen in der Pflegeplanung wirklich immer für die Klienten oder gibt es auch Ziele für Pflegekräfte? Wie zum Beispiel:  Ein Bedürfnis zu erkennen.  Eine Möglichkeit zu finden, einen Klienten zu Körperpflege/Nahrungsaufnahme/Flüssigkeitsaufnahme/Kleidungswechsel/etc. zu bewegen.  Ursachen für Verhalten zu erkennen.  Abläufe so zu gestalten, dass Klienten sie »wiedererkennen«.  Möglichkeiten finden, damit der Klient sich zu Hause fühlt.  Möglichkeiten zum Zugang zu finden.  Den Tagesablauf so zu gestalten, dass er förderlich und entspannend zugleich ist. Das Maß der Ziele liegt genau zwischen dem Wunsch und der individuellen Lebensqualität der Klienten und der Fachlichkeit. 5.6.3

Formulierung von Maßnahmen

Die Maßnahmen geben konkret an, was zu tun ist. Eine Seminarteilnehmerin verglich die Maßnahmen einmal mit einem Kochrezept. Dort wird ganz genau angegeben, wovon man wie viel nimmt, in welcher Reihenfolge etc. So sollte es auch mit den Maßnahmen innerhalb der Pflegeplanung sein.

Die konkrete Pflegeplanung

Die Auswahl der Maßnahmen bestimmt die Pflegequalität. Die Maßnahmen müssen sich an den neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen und an den Wünschen und Bedürfnissen des Klienten orientieren.

Die von einer Pflegekraft ausgewählten Maßnahmen sollen den Klienten so unterstützen, dass er die bestmöglichen Voraussetzungen für die Ausübung seiner Selbstpflege hat. Sichten Sie alle Informationen sowie Gewohnheiten des Klienten. Beziehen Sie ihn und seine soziale Situation unbedingt mit ein! Selbstverständlich sollte jede Maßnahme mit dem Klienten und seinen primären Bezugspersonen abgesprochen sowie auf ihre realistische Umsetzung hin evaluiert werden. »Wichtig ist bei diesem Schritt, dass in der praktischen Durchführung die Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen und der Bezugsperson berücksichtigt werden; sie werden dementsprechend in die Pflegeplanung einbezogen. Des Weiteren müssen auch die vorgefundenen Umgebungsverhältnisse bei der Planung der Pflegemaßnahmen berücksichtigt werden.«80 Beschreiben Sie die gewählten Maßnahmen so genau wie möglich: Wer macht was, wann, wie oft, wo und wie? Beachten Sie auch Folgendes:  Genaue Lokalisation  Spezielle Mittel  Ggf. Anzahl der Personen, die daran beteiligt sind  Benötigte Hilfsmittel  Art, Vorgangsweise und zeitliche Abstände (Wann? Wie oft? Welche Seite? Wo genau auf dieser Seite? Wie viel? Wie lange?)  Wer (Klient, Pflegekräfte, Angehörige) führt welche Maßnahmen aus? Wenn Sie Maßnahmen beschreiben, dann müssen Sie auch die Art der Maßnahmen unterscheiden. Alle Pflegemaßnahmen sind Hilfeleistungen und werden unterteilt:

 »Unterstützung: Eine Unterstützung liegt dann vor, wenn der Pflegebedürftige grundsätzlich



80

zur selbstständigen Erledigung einer Verrichtung in der Lage ist, jedoch zur Vorbereitung, Durchführung oder Nachbereitung ergänzende Hilfeleistungen der Pflegeperson benötigt. Die Unterstützung kann Teil der aktivierenden Pflege sein (Bereitstellen von Waschwasser, Waschlappen reichen, Auswahl geeigneter Kleidungsstücke etc.) Teilweise Übernahme: Eine teilweise Übernahme der Verrichtung liegt dann vor, wenn eine Hilfe zur Vollendung einer teilweise selbstständig erledigten Verrichtung benötigt wird. Eine teilweise Übernahme des Waschens liegt z. B. dann vor, wenn Gesicht und Körper selbstständig gewaschen werden, für das Waschen der Füße und Beine aber die Hilfe einer Pflegeperson benötigt wird. Auch wenn eine Verrichtung begonnen, aber z. B. wegen Erschöpfung abgebrochen wird, kann eine teilweise Übernahme der Verrichtung notwendig werden. Die teilweise

MDS: Grundsatzstellungnahme Pflegeprozess und Dokumentation. Essen 2005.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

 

Übernahme kann Bestandteil der aktivierenden Pflege sein. Sie ist dann darauf gerichtet, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzuerlernen oder nicht vorhandene Fähigkeiten zu entwickeln. Vollständige Übernahme: Eine vollständige Übernahme liegt dann vor, wenn die Pflegeperson die Verrichtung selbst ausführt und der Pflegebedürftige sich dabei passiv verhält, ohne einen eigenen Beitrag zur Verrichtung zu leisten. Anleitung: Eine Anleitung ist dann erforderlich, wenn die Pflegeperson bei einer korrekten Verrichtung den Ablauf der einzelnen Handlungsschritte oder den ganzen Handlungsablauf lenken oder demonstrieren muss. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Pflegebedürftige trotz vorhandener motorischer Fähigkeiten eine konkrete Verrichtung nicht in einem sinnvollen Ablauf durchführen kann. Zur Anleitung gehört auch die Motivierung des Antragstellers bzw. Pflegebedürftigen zur selbstständigen Übernahme der regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens.«81

Vielfach finden sich in Pflegeplanungen die erstaunlichsten Umschreibungen für die Bezeichnung von Selbstständigkeit bzw. eingeschränkter Selbstständigkeit. Machen Sie damit Schluss und verwenden Sie die Begriffe klar und eindeutig.

 Selbstständig: »Fähigkeit zur selbstständigen Versorgung/Durchführung von Verrichtungen in einem Bereich, keine Hilfsperson und keine Hilfsmittel erforderlich.«

 Bedingt selbstständig: »Fähigkeit zur selbstständigen bzw. unabhängigen Versorgung mit





einer oder mehreren Einschränkungen in einem Bereich; Hilfsmittel/Vorrichtungen sind vorhanden und werden genutzt; der Pat. benötigt mehr Zeit als üblich für die Verrichtung; bewältigt sie aber mit Mühe. Ggf. bestehen Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit den einzelnen Verrichtungen; in der Regel ist eine Hilfsperson erforderlich.« Teilweise selbstständig: »Fähigkeit zur selbstständigen Versorgung/Verrichtung ist eingeschränkt; Einzelverrichtungen werden unvollständig ausgeführt. Eine Hilfsperson ist zur Anleitung bei der Vorbereitung und Durchführung von Verrichtungen bzw. zu ihrer zeitweisen Übernahme erforderlich.« Unselbstständig: »Fähigkeit zur selbstständigen Versorgung/Verrichtung ist nicht vorhanden. Hilfestellung ist in allen Phasen der Versorgung/Verrichtung erforderlich.«

5.6.4

Die Auswertungsspalte/ Evaluation

Ein Pflegeplanungsbogen sollte auf jeden Fall eine Möglichkeit zur Evaluation haben. Hier wird dokumentiert (im Sinne einer Auswertung innerhalb des Pflegeprozesses), ob die Pflegemaßnahmen zum gewünschten Erfolg geführt haben oder ob der gewünschte Zustand erreicht worden ist. Ist das gewünschte Ziel nicht erreicht, muss sofort reflektiert werden, woran das liegt. Die Reflexions- oder Auswertungsphase dient der Erfolgskontrolle. Damit wird der Weg des Pflegeprozesses wieder ein Stück weitergegangen. Mit einer konsequenten Auswertung verbunden ist die Möglichkeit zur Qualitätssicherung Eine Möglichkeit der Reflexion findet häufig schon vorher im Alltag statt: Während der Pflege und

81

zit n. König, J.: Der MDK – Mit dem Gutachter eine Sprache sprechen. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2007.

Die konkrete Pflegeplanung

Begleitung wird die Situation beobachtet und Wichtiges im Pflegebericht niedergeschrieben. Zum Zeitpunkt der Pflegeplanung ist es innerhalb der Evaluation sinnvoll, sich folgende Fragen zu stellen:  Ist das gesetzte Ziel oder der gewünschte Zustand erreicht oder nicht? Warum?  Waren ausreichend Informationen vorhanden? Fehlt noch ein wichtiger Hinweis?  Wie reagiert der Klient auf die verschiedenen Maßnahmen?  Welche Wirkung hatte die Pflege?  Wie fühlen sich Klient und Angehörige derzeit?  Sind Veränderungen in den Fähigkeiten, Bedürfnissen, Ressourcen, Problemen des Klienten und Angehörigen aufgetreten?  Wie hat sich die Beziehung zwischen Klient, Pflegekräften und Angehörigen entwickelt?



Setzen Sie sich regelmäßige Termine zur Auswertung. Halten Sie kurz fest, dass Sie auswerten, aber noch keine Maßnahmen verändern! (Beispiel: »12.5.02: Fr. M. wäscht jetzt das Gesicht unter Anleitung, Maßnahmen weiter so wie bisher. B.M.«)  Wenn Sie wegen der Auswertung eine neue Pflegeplanung schreiben werden, geben Sie einen Hinweis (Beispiel: »Flüssigkeitsdefizit immer noch groß, siehe unter Punkt 3, FEDL »Essen und Trinken«).  Setzen Sie Ihr Handzeichen hinter die Auswertung und bemühen Sie sich um regelmäßige Einträge.  Bestimmte Ziele oder Lösungen können schneller evaluiert werden als andere. Beachten Sie dies bei der Evaluation! 

5.6.5

Der Umfang einer Pflegeplanung

Die Frage nach dem Umfang einer Pflegeplanung ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Die Pflegeplanung erfüllt verschiedene Funktionen. Eine ist sicherlich die Planung der Pflege, sie individuell an der Situation des Klienten auszurichten; eine andere ist es aber auch, den Pflegebedarf immer wieder deutlich zu machen. Um einen roten Faden in der Pflegeplanung zu haben, bietet sich folgende Vorgehensweise an. 1. Einschätzung über Pflegeanamnese 2. Pflegeplanung für die Bereiche:  Die FEDL, aus der die Haupteinschränkung kommt (Bei Menschen mit Demenz die FEDL »Orientierung«).  Sich Pflegen und Kleiden (Kriterien für Pflegeleistungen).  Essen und Trinken (Kriterien für Pflegeleistungen).  Ausscheidung (Kriterien für Pflegeleistungen).  Bewegung (Kriterien für Pflegeleistungen).  Bei Bedarf mehr, z. B. Aspekte wie Anregung/Aktivierung, Emotionalität, Existenzielle Erfahrungen, etc. Es ist ein Trugschluss, dass wenige Sätze auf einem Pflegeplanungsblatt weniger Arbeit bedeuten. Bei der Beschreibung von Situationen geht es darum, sie ganz eindeutig darzustellen, sodass eine andere Pflegefachkraft sofort ausreichend informiert ist. Die Maßnahmen müssen

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Grundlagen des Pflegeprozesses

gut ausgewählt werden und für eine Verbesserung der Situation sorgen. Deshalb ist es sehr wichtig, genau zu sein. Beispiel: Folgende »Problembeschreibung«: Kreislaufprobleme: (Steht original so in einer Pflegeplanung zur Fähigkeit »Vitale Funktionen« und wurde vom MDK als richtig und gut bewertet). Eine Situation sollte aber genau beschrieben werden! Also: Wie genau sehen diese »Kreislaufprobleme« denn aus? Was genau ist die Situation? Gibt es bedrohliche Situationen? Gibt es durchschnittliche Werte? Wodurch werden die Kreislaufprobleme begründet? usw. Für jede AEDL oder FEDL eine eigene Pflegeplanung? Immer wieder höre ich von Seminarteilnehmerinnen, dass der MDK vor Ort gefordert hat, für jede AEDL oder FEDL eine Pflegeplanung zu schreiben. Dies ist sicherlich auch in der Ausbildung gut und richtig, um sich im Formulieren zu üben. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Herangehensweise für die Pflegeplanung von pflegerischen Situationen in der Pflege sinnvoll ist. Wir begegnen dort Menschen, die ein Leben gelebt haben, die individuelle Menschen sind. Einige Menschen werden sehr alt oder meistern Einschränkungen oder Krankheiten mit Bravour. Warum sollte man für diese Menschen eine Pflegeplanung anlegen, wenn sie doch in bestimmten Bereichen problemfrei leben? Wird hier nicht eine Pflegekraft anmaßend, weil sie überall etwas verbessern, verändern will oder gar überall Probleme sieht?

5.7

Der Pflegebericht

Der Pflegebericht ist wohl das Formular, dass im Laufe eines Tages am häufigsten zur Hand genommen wird, hier finden die meisten Eintragungen statt. Der Pflegebericht ist zugleich jenes Blatt, aus dem die Pflegekräfte viele Informationen über die Pflegesituation bekommen. 5.7.1

Funktion und Aufgabe des Pflegeberichts in der Pflege von Menschen mit Demenz

Der Pflegebericht erfüllt mehrere Aufgaben und Funktionen, die ich im Folgenden nur auszugsweise aufführe. Weiterführende Hinweise können meinen beiden Grundlagenwerken entnommen werden. Tabelle 10 zeigt die Funktion und Aufgabe des Pflegeberichts speziell im Zusammenhang mit der Pflege von Menschen mit Demenz.

Der Pflegebericht

Tabelle 10: Funktion und Aufgabe des Pflegeberichts in der Pflege von Menschen mit Demenz. Ursachenforschung

Herausfinden von Ursachen

Im Pflegebericht wird eine Ursachenforschung beschrieben, bzw. dazu angeregt.



In der täglichen oder regelmäßigen Pflege geschehen Ereignisse, die notiert werden. Dabei sollte hinterfragt werden, wodurch sie ausgelöst wurden, was der Auslöser war/ist. Dies ist dann wichtig, wenn Phänomene das erste Mal auftreten. Beispiel: Eine 86-jährige Dame lehnt sozusagen von heute auf morgen die Medikamenteneinnahme ab. Jetzt sollte genau dokumentiert werden, was passiert ist; hat sie z. B. gesagt: »Ich nehme das nicht, ich will nicht vergiftet werden« oder sind ihr die Tabletten evtl. zu dick und somit zu schwer zu schlucken? Oder erkennt sie die Tabletten nicht? Die Pflegekraft, die den Eintrag macht, sollte ggf. gemachte Beobachtungen in Zusammenhang mit dem Ereignis dokumentieren. Handelt es sich um einen Verdacht oder eine Vermutung, so sollte dieses gekennzeichnet sein.



Tritt in der Pflege des Klienten oder in der Beziehung zum ihm oder seinem sozialen Umfeldes eine Veränderung im Sinne von Wirkung der Pflege statt, dann wird dies dokumentiert. Beispiel: Tag XY, 8.10 Uhr. Frau M. war heute in der Lage, nach vorgemachter Handlung und Anreichen des Waschlappens, ihr Gesicht unter Anleitung zu waschen. B. M. Dies ist eine Auswertung für den Wunsch: »Klientin wäscht ihr Gesicht, Oberkörper vorne und Hände unter Anleitung selber.« So kann in kleinen, alltäglichen Schritten festgestellt werden, ob die Gestaltung der Pflege einen sinnvollen Weg geht.

Auswirkung der Pflegewirkung Innerhalb des Pflegeprozesses findet ein kontinuierliches Beobachten und Wahrnehmen der Pflegewirkung statt.





5.7.2

Das Schema innerhalb des Pflegeberichts

Bei Überprüfungen von Pflegeberichten stellt sich häufig ein Dokumentieren in unzusammenhängenden Einzelsätzen heraus. Es zeigen sich Lücken und unlogische Schilderungen. Das muss nicht so sein. Tabelle 11 gibt eine Orientierung und ermöglicht die sinnvolle Platzierung von Einträgen. Bei dieser Darstellung geht es mir darum, das Prinzip des Pflegeberichts deutlich zu machen. Wird diese Reihenfolge eingehalten, wird ein prozesshaftes Wahrnehmen und Berichten eher möglich, wobei der letzte Schritt, die Ergebnisbeschreibung, nicht immer positiv sein kann. Hier kann es sich um ein eher unschönes Ereignis wie eine Krankenhausaufenthalt oder ähnliches handeln. Wichtig ist, dass problematische Situationen so lange mit Maßnahmen versehen und dokumentiert werden, bis die Situation sich wieder zum Guten gewendet hat.

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Grundlagen des Pflegeprozesses

Tabelle 11: Grundschema der Reihenfolge der Eintragungen im Pflegebericht. 1. Ereignis oder Situationsbeschreibung Ein Problem tritt auf Beispiel 1: Tag XY 8.20 Uhr: »Frau XY schiebt zu Beginn der Intimpflege meine Hand weg und sagt: »Lass mich in Ruhe« Beispiel 2: 7.15 Uhr: Habe Herrn K liegend auf dem Fußboden gefunden, er äußert Schmerzen an der Hüfte, Vitalzeichen gemessen, Schwester L. dazugeholt, Herrn K auf Wolldecke gerollt und zugedeckt. Krankentransport und Tochter informiert.

2. Aktion/Intervention, Maßnahme oder Handlung der Pflegekraft Nach Wahrnehmen der Situation handelt die Pflegekraft, dieses dokumentiert sie. Beispiel 1: Habe ruhig die Handlung unterbrochen und sie in den Arm genommen, habe gesagt: »Das ist schon ein komisches Gefühl. Oder?«, bin für einige Minuten aus dem Zimmer gegangen. Beispiel 2: 7.30 Uhr: Krankenwagen ist da, Überleitungsbogen und Chipkarte mitgegeben, Tochter fährt auch zum Krankenhaus XY.

3. Ergebnis: Wie ist die Situation jetzt, nach der Durchführung von verschiedenen Maßnahmen? Ergebnis beschreiben: Beispiel 1: 8.35 Uhr 2. Versuch, finde Frau XY am Kleiderschrank, sie sucht sich Kleidung aus. Ich bitte Frau XY, sich selber im Intimbereich zu wachen, führe ihre Hand dabei. Intimpflege so möglich. Anschließend zieht sie sich unter Anleitung an. Beispiel 2: 13.30 Uhr. Anruf von Krankenhaus XY, Herr K bleibt dort, er hat eine Hüftfraktur. Tochter holt Kleidung etc. am Nachmittag.

5.7.3

Was und wie wird dokumentiert?

Die Anlässe von Einträgen in den Pflegebericht können sich an Folgendem orientieren:  Benennung von ungewöhnlichen Situationen, Andeutung von Problemen mit Nennung der durchgeführten Reaktion, bzw. Maßnahme der Pflegekraft mit Wirkungsbeschreibung.  Beschreibung des Verlaufs und der Wirkung der Pflege. Ein Eintrag findet somit täglich und vor allem zeitnah statt. Die Dokumentation muss möglichst unmittelbar nach dem Ereignis – oder juristisch ausgedrückt: »ohne schuldhaftes Zögern« – stattfinden. Eintragungen die verspätet vorgenommen werden, sind problematisch, weil die Gefahr wächst, dass Werte vergessen oder (fingiert/erfunden) werden. (vgl. Henke 2000)  Eintragung von erkennbaren Pflegewirkungen bezogen auf die Pflegeziele. Beispiel: »Frau M. hat heute während der Körperpflege im Bad das Gesicht und den Oberkörper vorne unter

Der Pflegebericht

 



Anleitung gewaschen. Laut eigener Aussage ist sie sehr stolz darauf und möchte es morgen früh wieder probieren.« Bei Eintragungen ist zu überlegen, ob sie Anlass eines neuen Pflegeziels sein sollten. Das heißt, ein direkter Transfer der Situationsbeschreibung auf den Pflegeplanungsbogen, einer evtl. jetzt gestellten Pflegediagnose ist hier angezeigt. Gleichwertige Berücksichtigung von körperlichen, psychischen und sozialen Fakten. Im Pflegebericht spiegelt sich das Pflegeverständnis der Pflegekräfte wider. Versteht man einen Menschen ganzheitlich, dann sind Einträge zu den Bereichen Körper, Geist und Seele zu berücksichtigen. Die Anhäufung von Einträgen um die allseits »beliebten« Themen und Ereignisse wie z. B. Abführen, Schmerzen, Kontakt zu Hausärzten, etc. bringen ein körper- und defizitorientiertes Verständnis zum Ausdruck. Eintragung von Mehr- oder Minderleistungen (auch nicht erbrachte Leistungen mit Nennung des Grundes).

Anforderungen an die Eintragungen:  Eintragungen sollten kurz und präzise sein.  Eintragungen sollten nur aus Fakten, nicht aus Interpretationen bestehen.  Eintragungen sollten möglichst Eigenaussagen des Klienten enthalten.  Eintragungen sollten leserlich und mit Kugelschreiber gemacht werden.  Verständnis: Versteht der Leser das, was der Verfasser gemeint hat?



Nummerieren Sie alle Blätter. Kennzeichnen Sie wichtige Hinweise, wenn jeden Tag Einträge gemacht werden und dadurch mehr Text zusammenkommt. Sie können dazu mit einem Textmarker bestimmte Textabschnitte kennzeichnen, oder in einer gesonderten Spalte neben den Text ein Ausrufzeichen oder ein kleines Symbol setzen.  Einigen Sie sich im Team auf Abkürzungen und hinterlegen Sie diese schriftlich, das spart Zeit. 

Generelle Hinweise zum Pflegebericht:  Verantwortungsbereich: Verantwortliche Pflegefachkraft, Pflegedienstleitung, FachpflegeBezugspersonen, Pflegefachkräfte, Pflegekräfte  Zeitpunkt: So zeitnah wie möglich.

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6

Das Pflegemodell der FEDL

6.1

Der Begriff »Pflegemodell«

Es sind verschiedene Pflegetheorien/-modelle entwickelt worden und es werden in Zukunft sicherlich noch mehr werden. Hinlänglich bekannt sind Pflegemodelle von Nancy Roper, Liliane Juchli, Monika Krohwinkel, Dorothea Orem oder Virginia Henderson. Im deutschsprachigen Raum finden jene Pflegetheorien/-modelle Beachtung und Anwendung, die sich an den Bedürfnissen des Menschen orientieren. So z. B. die 14 Grundbedürfnisse des Menschen von Virginia Henderson, die 12 Lebensaktivitäten von Nancy Roper (LA), die 12 Aktivitäten des täglichen Lebens von Liliane Juchli (ATL) und die 13 Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens von Monika Krohwinkel (AEDL) bzw. ihr Nachfolger, die Aktivitäten, Beziehungen und existenziellen Erfahrungen des Lebens (ABEDL®). »Ein Pflegemodell ist eine vereinfachte und anschauliche Darstellung der gesamten Pflegewirklichkeit mit ihren Bereichen, Strukturen und Verlaufsformen. Die Darstellung kann z. B. durch prägnante Begriffe, Diagramme oder Grafiken vorgenommen werden. Im Pflegemodell werden die Komponenten Mensch, Gesellschaft, Gesundheit und Umwelt berücksichtigt.«82 Ein Modell oder eine Theorie betrachtet immer nur einen Ausschnitt der Realität. Das bedeutet in der pflegerischen Realität, dass sich Theorien und Modelle überschneiden können. Es ist von entscheidender Bedeutung, für welchen Bereich oder Ausschnitt der Pflege ein bestimmtes Modell/eine Theorie »erdacht« oder »entwickelt« wird:  Für welche Bereiche trifft die Theorie/das Modell zu? (Kranken- oder Altenpflege, Pflege von Menschen mit Behinderungen, Psychiatrische Pflege, Kinderkrankenpflege, Ambulante Pflege, Intensivpflege etc.)  Wie lange dauern die Beziehungen von Klient und Pflegekraft?  Was ist die Absicht oder der Auftrag der Pflege?  Welche einschränkende oder fördernde Rahmenbedingungen gibt es? Zur Kennzeichnung und Überprüfung) der unterschiedlichen Theorien/Modelle werden vier Komponenten gefordert: 1. Mensch und Gesellschaft 2. Gesundheit und Krankheit 3. Umwelt 4. Pflege, Pflegeverständnis und Pflegeprozess

82

Bienstein, C.: Hautpflege und Körperwahrnehmung, in: Bienstein, C.; Schröder, G.; Braun, M.; Neander, K.-D.: Dekubitus, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1997

Das konzeptionelle Modell der FEDL

6.2

Das konzeptionelle Modell der FEDL (Fähigkeiten und existenzielle Erfahrungen des Lebens)

Mittlerweile arbeitet eine ganze Reihe von Einrichtungen nach dem Modell der FEDL. Gewachsen sind die Hauptgedanken des Modells in den Jahren seit 1997 und noch einmal in 2008. Meine Ausbildung zur Altenpflegerin in den 80er Jahren und die nachfolgenden Berufsjahre haben mir viele Kontakte und Arten des Zusammenlebens mit sehr alten Menschen ermöglicht. Das Modell der FEDL ist in einem kontinuierlichen Prozess entstanden. Stark beeinflusst durch meine Arbeits- und Lernjahre, durch unzählige Pflegeerlebnisse. Mein Interesse galt dabei der individuellen Ausprägung der dem Menschen gegebenen Fähigkeiten. Dies geschah – soweit möglich – aus der Sicht der betroffenen Personen. Nehme ich bei einem alten Menschen die Fähigkeiten bzw. das Potenzial wahr und versetze ich mich in die betreffende Person hinein, sieht eine Situation plötzlich ganz anders aus (siehe Tabelle 12). Tabelle 12: Defizit- bzw. Fähigkeitsorientierte Sichtweise. Defizitsichtweise bzw. Orientierung an Pflegeproblemen

Fähigkeitsorientierte Sichtweise





Eine alte Dame hängt ihre bereits verwendeten, mit Urin durchnässten Inkontinenzeinlagen zum Trocknen auf die Heizung; sie zeigt keine Einsicht in Erklärungen der Pflegekräfte; trotz Wegnahme der Inkontinenzeinlagen durch Pflegekräfte führt sie das Verhalten mehrmals täglich durch.



Eine alte Dame nutzt ihre alte Kompetenz, »ihre Wäsche und Hausarbeit« zu erledigen, so wie sie es viele Jahre in ihrem Leben getan hat. Sie ist mit der Bearbeitung oder Beseitigung einer »Ungeschicklichkeit« oder »Unpässlichkeit« beschäftigt und sucht selber eine Lösung.

Das Pflegeverständnis der FEDL:  Es wird das wahrgenommen, was (noch) vorhanden ist.  Es geht darum, so zu pflegen, wie der Klient sich pflegen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte.  Erforderlich ist es, sich in die Person, die durch Pflege Unterstützung erhält, hineinzuversetzen.  Eine Deutung der Situation sollte weitgehend frei von den eigenen Wünschen und Bedürfnissen der Pflegekraft sein.

Speziell den letzten Punkt möchte ich an einem der arbeitsreichsten Beispiele deutlich machen: der Ganzkörperpflege. Es gibt viele Klienten, die keine tägliche Ganzkörperpflege wünschen. Pflegekräfte beschreiben diese Situation oft als problematisch. Begründung: Sie selber duschen auch täglich, gehen also von ihren eigenen Bedürfnissen aus, nicht von denen des Klienten. Dabei ist mittlerweile – speziell im Hinblick auf die individuelle Dekubitusprophylaxe – bekannt, dass häufige und routinemäßige Ganzkörperwaschungen nicht bei allen Klienten angezeigt sind. Außerdem: Früher badete oder duschte man viel seltener als heute.

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Das Pflegemodell der FEDL

Im Modell der FEDL werden Situationen, Verhalten und Äußerungen unter dem fähigkeitsorientierten Blickwinkel wahrgenommen. Dieser fähigkeitsorientierte Blick basiert auf einer hohen Neutralität. Ich schaue den Menschen an und beobachte, was vorhanden ist. Verhalten, Gewohnheiten, Ausdruck von Bedürfnissen werden genau unter diesem Aspekt gesehen. Die Fähigkeiten stehen im Vordergrund. »Die Fähigkeiten beziehen sich auf die Begabung oder Kapazität einer Person, etwas zu können: im Leben zu bestehen. Mit anderen Worten: Fähigkeiten geben einen Einblick in die Möglichkeiten, die der Mensch zum biologischen, psychologischen und sozialen Funktionieren hat: Sie geben an, was er alles kann bzw. das, was er in der Lage ist zu tun.  Biologische Fähigkeiten Dies sind u. a. die Fähigkeiten zur Bewegung, Ruhe, Aktivität, Ausscheidung und zur Aufnahme von Sauerstoff, Flüssigkeit und Nahrung  Psychologische Fähigkeiten Damit sind u. a. die Fähigkeiten zum Denken, Entwickeln, Wahrnehmen und zum Verarbeiten von Stress gemeint. Dabei kann eine deutliche Überlappung zwischen biologischen und psychologischen Fähigkeiten bestehen, z. B. bei der Wahrnehmung  Soziale Fähigkeiten Beispiele dafür sind die Fähigkeiten, sich Veränderungen der sozialen Umgebung anzupassen oder Beziehungen zu beginnen, fortzusetzen und zu beenden«83 6.2.1

Struktur des Modells

Die menschlichen Fähigkeiten werden bei den FEDL folgendermaßen eingeteilt, um wieder eine ganzheitliche Betrachtung zu ermöglichen. 1. Die Fähigkeit »Kommunikation« Die Fähigkeit zu kommunizieren, verbal und nonverbal; der Umgang mit Hilfsmitteln für die Bereiche Sehen, Hören, Sprechen; Wahrnehmen sowie das Interesse zu kommunizieren. 2. Die Fähigkeit »Orientierung« Die Fähigkeit orientiert zu sein: zur Person, zur Situation, zu Zeit und Raum; die Fähigkeit, das Gedächtnis zu aktivieren, es in seiner eigentlichen Funktion zu nutzen; die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. 3. Die Fähigkeit »Bewegung« Die Fähigkeit sich zu bewegen, eine gewünschte oder notwendige Veränderung der Körperhaltung einzunehmen; die Fähigkeit, mit evtl. Hilfsmitteln umzugehen; evtl. Gefahren durch zu wenig Bewegung/Mobilität. 4. Die Fähigkeit »Vitale Funktionen« Die Fähigkeit, die vitalen Funktionen ausreichend aufrechtzuerhalten: Atmung, Blutdruck, Temperatur etc.

83

Arets et al.: Professionelle Pflege. Huber Verlag, Bern 1999.

Das konzeptionelle Modell der FEDL

5. Die Fähigkeit »Pflegen und Kleiden« Die Fähigkeit sich zu pflegen und zu kleiden, der Grad der selbstständigen Ausführung; Gebrauch von Hilfsmitteln; die Fähigkeit, Kleidung auszuwählen; das individuelle Bedürfnis nach Sauberkeit, Gepflegt-sein und einem adretten Erscheinungsbild. 6. Die Fähigkeit »Essen und Trinken« Die Fähigkeit zu essen und zu trinken; die Gewohnheiten; der Umgang mit Hilfsmitteln; Vorlieben, Abneigungen; das Bedürfnis nach Essen und Trinken; der Grad der selbstständigen Nahrungs- bzw. Flüssigkeitsaufnahme. 7. Die Fähigkeit »Ausscheidung« Die Fähigkeit auszuscheiden, kontinent zu sein; Umgang und Notwendigkeit von Hilfsmitteln, Gewohnheiten und Bedürfnisse 8. Die Fähigkeit »Ruhen und Schlafen« Die Fähigkeit, den individuellen Schlafgewohnheiten und -bedürfnissen nachzugehen; SchlafWachrhythmus; Schlafqualität, -dauer, -zeiten, -unterstützung (z. B. durch Rituale oder Medikamente). 9. Die Fähigkeit »Aktivieren – Anregen« Die Fähigkeit/das Bedürfnis Anregungen wahrzunehmen und/oder zu entwickeln; Möglichkeiten und Ausprägung der eigenen Aktivierung/Anregung; Aktivierung nicht primär im sportlichen Sinne, sondern als Aktivierung des Inneren, um das Äußere in Bewegung zu bringen. 10. Die Fähigkeit »Beschäftigung« Die Fähigkeit, sich im eigenen, individuellen Sinne sinnvoll zu beschäftigen, eigenen Vorlieben und Interessen nachzugehen; Umgang mit Hilfsmitteln; Fähigkeit zur sinnvollen Tagesstrukturierung. 11. Die Fähigkeit »Zufriedenheit und Emotionalität« Die Fähigkeit, zufrieden leben zu können, individuell zufrieden zu sein; Ausdruck von Gefühlen, Behagen, Unbehagen; die Möglichkeit, Zufriedenheit empfinden oder Missbehagen ausdrücken zu können; Sexualität; Fähigkeit, der eigenen Person und eigenen Seele Ausdruck zu geben, sie zu spüren und wahrzunehmen. 12. Die Fähigkeit »Sicherheit« Die Fähigkeit, für die eigene Sicherheit oder die anderer sorgen zu können; Gefahren- und Risikoeinschätzung; Umgang mit Hilfsmitteln; bei Bedarf die hauswirtschaftliche Versorgung. 13. Die Fähigkeit »Soziale Bereiche und Beziehungen« Die Fähigkeit, sich als soziales Wesen in einem System zu erleben, eine eigene gewünschte Rolle zu leben, ein Teil des Ganzen zu sein. 14. Die Fähigkeit »Existenzielle Erfahrungen des Lebens« (nach Krohwinkel) Existenz gefährdende Erfahrungen; Existenz fördernde Erfahrungen; Erfahrungen, die die Existenz fördern oder gefährden. Existenzielle Erfahrungen sind Erfahrungen, die den Kern der Person berühren. Sie können durch einschneidende Erlebnisse, aber auch durch normale Alltagsereignisse ausgelöst werden. Sie machen nach meinem Verständnis die ganze Person

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Das Pflegemodell der FEDL

aus, ihr Innerstes, die eigene Menschlichkeit oder das eigene Menschsein im eigenen Lebenslauf. Existenzielle Erfahrungen können unverhofft auftreten, durch ein »Erinnern« kommen sie wieder zutage und werden noch einmal in ihrer Bedeutung erspürt. Es gibt existenzielle Erfahrungen, die für bestimmte Menschengruppen gemeinsam gelten. Ebenso gibt es Erfahrungen, die nur eine Person betreffen. Nach Krohwinkel sind existenzielle Erfahrungen:  Die Existenz gefährdende Erfahrungen wie Verlust von Unabhängigkeit, Sorge/Angst, Misstrauen, Trennung, Isolation, Ungewissheit, Hoffnungslosigkeit, Schmerzen, Sterben  Die Existenz fördernde Erfahrungen wie Wiedergewinnung von Unabhängigkeit, Zuversicht/ Freude, Vertrauen, Integration, Sicherheit, Hoffnung, Wohlbefinden  Erfahrungen, die die Existenz fördern oder gefährden: Kulturgebundene Erfahrungen wie Weltanschauung, Glauben und Religionsausübung, lebensgeschichtliche Erfahrungen

6.3

Grundannahmen des Modells

6.3.1

Pflege als Dienstleistung

Pflege ist eine Dienstleistung, die Aufgaben in der Interaktion mit pflegebedürftigen Menschen gezielt ausübt. Es ist dabei einerlei, ob die Pflegebedürftigkeit kurz- oder langfristig besteht. Es ist die Absicht der Pflege, dass die betroffenen Menschen über größtmögliche Selbstständigkeit als Person und in der unmittelbaren Umwelt, über Lebensqualität und Zufriedenheit verfügen können. Pflegekräfte nutzen für diese Aufgabe alle Sinne, um ein möglichst weitreichendes Spektrum an Möglichkeiten zu schaffen. Pflege hat als oberstes Ziel, dem Pflegebedürftigen eine solche Anregung und Unterstützung zu geben, dass er in der Lage ist, etwas für sich zu tun, wieder selbst in seinem Sinne für sich zu sorgen. Pflege kann Liebe sein, Professionalität, Sorge, Beratung, Gespräch, Berührung und Kooperation. Pflege ist neutral und grenzüberschreitend. Pflege ist Bewusstsein und Arbeit. Pflege ist Veränderung, kann Veränderung bewirken. Man kann auch sagen: Es gibt keine Pflege, sondern Pflegende (auf allen Ebenen der Profession). 6.3.2

Das Pflegeverständnis in der Pflege von alten Menschen

Jeder Austausch zwischen Pflegekraft und Klient vollzieht sich in einer bestimmten Atmosphäre oder Stimmung, die, zusätzlich zur Einschränkung der Fähigkeiten des Klienten, auf der Begegnung von zwei Persönlichkeiten beruht. Zwischen beiden gibt es während des ganzen Pflegeprozesses einen subtilen, meist unbewussten Austausch von Erfahrungen und Informationen. Die Pflegekraft sorgt mit ihrer ganzen Person dafür, dass der Klient sich als Gestalter seines Lebens erleben kann. Dies kann geschehen, indem die Pflegekraft den Klienten dort unterstützt, anleitet, berät und fördert, wo es gilt, Lösungswege zu erfahren und zu verwirklichen. So können neue Wege gegangen werden.

Grundannahmen des Modells

Echte Pflege geht nicht ohne Vertrauen und Wohlwollen. Je offener der Austausch ist, gerade in der Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz, desto mutiger und sicherer kann der Klient seine Wege gehen und weiterleben oder in Frieden Abschied nehmen. 6.3.3

Die Umwelt

Von Geburt an wird jeder Mensch durch den direkten Kontakt zu anderen Menschen geprägt. Erst sind es die Eltern, dann die Geschwister, Großeltern, Freunde und Kollegen. Der Mensch wächst in ein soziales Netz hinein, übernimmt Rollen und wird dabei zu einem individuell kompetenten, sich in der Umwelt zurechtfindenden Mitglied der Gesellschaft. Dies ist der Prozess der Sozialisation. Er bewirkt, dass der Mensch sein Leben als sinnvoll und positiv erlebt. Die Umwelt wirkt mit negativen und positiven Einflüssen auf den Menschen ein, sie ist in der Biografie eines Menschen spürbar. Einflussreiche Kriterien sind hier auch Familie, sozialer Stand, Religion oder geografische Bedingungen. Die unmittelbare Umwelt des Menschen ist seine persönliche Umwelt, die er zum Teil mit geschaffen und gestaltet hat: seine Bezugspersonen, seine Familie oder Wahlfamilie; der Platz zum Leben und Wohnen. Demnach ist jeder Mensch, auch der Klient, immer im Zusammenhang mit anderen, meist ihm nahestehenden Menschen und deren Befindlichkeiten und Fähigkeiten zu sehen. Die Umwelt wirkt in allen Lebenslagen auf ihn ein. 6.3.4

Der Mensch

Der Mensch ist eine perfekte Organisation von Körper, Seele und Geist. Er beginnt als Zellhaufen und kann über 100 Jahre alt werden. Der Mensch ist ein systemisches Wesen, wird ein Teil berührt und/oder verändert, so hat das Einfluss auf den ganzen Menschen. Im Laufe seines Lebens prägt er in enger Beziehung zur unmittelbaren Umgebung sein Leben. Er verändert sich, eignet sich Meinungen, Verhaltensweisen, geistige und körperliche Fähigkeiten an. Der Mensch ist ein Beziehungswesen, er lebt in Kontakt zu anderen und reagiert auf sie. Er nimmt sich als Individuum wahr. Er pflegt seinen Lebensstil und seine Lebensführung – es sei denn, seine Fähigkeiten hindern ihn daran, weil sie eingeschränkt sind oder weil die Umwelt nachteilig auf ihn einwirkt. Menschen verstehen einander besser, wenn sie verstehen und erkennen, wenn sie jeweils die Welt, ihre Person und Situation wahrnehmen. Das verlangt von Menschen die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Interpretation. 6.3.5

Das Alter

Ein alter Mensch hat andere Perspektiven als ein junger Mensch, weil viele Jahre an Lebensprägung hinter ihm liegen. Die Pflege und Begleitung alter Menschen reagiert nicht nur auf Krankheit oder Gesundheit, sondern auf den Menschen an sich. Ein Mensch kann alt sein und gesund, aber dennoch in bestimmten Bereichen auf Unterstützung angewiesen. Alter ist keine Krankheit, sondern eine Phase des Lebens.

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Das Pflegemodell der FEDL

Alte Menschen sind die Summe ihres Lebens, sie sind voller Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse. Sie haben Situationen erlebt und Erfahrungen gemacht, die die Jüngeren nicht unbedingt kennen können. Alte Menschen sind eine Symbiose aus Körper, Geist, Seele und gelebtem Leben. Sie haben sich ihr ganzes Leben lang entwickelt und ihre Eigenart ausgebildet. Dabei durchliefen und durchlaufen sie Lebensphasen, in denen sie bestimmte Aufgaben bewältigt haben oder diese Bewältigung später, im Alter, leisten (Erik Erikson). Die Altenpflege hat den Auftrag, diese Einzigartigkeit eines Menschen in ihrer Gesamtheit zu respektieren und leben zu lassen. Nicht das Alter hat einen Menschen zu dem gemacht, was er ist, sondern das Leben. 6.3.6

Gesundheit und Krankheit

Der Übergang von Gesundheit zu Krankheit oder von Krankheit zu Gesundheit ist fließend und individuell. Keiner der beiden Zustände ist konstant. Die Art, wie Menschen Krankheit und Gesundheit erleben, ist an die unmittelbare Umwelt gebunden und wird als individuelle Erfahrung mit all ihren Symptomen, Kennzeichen und Merkmalen wahrgenommen. Krankheit ist das Erleben bestimmter, zumeist festgelegter Zustände. Gesundheit ist das Gefühl und Erleben, nicht krank zu sein, im Besitz aller Fähigkeiten zu sein oder mit eingeschränkten Fähigkeiten komplikationsfrei und zufrieden – in großer Unabhängigkeit von anderen und der Umwelt – zu leben, den Alltag wie gewohnt zu meistern. Gesundheit ist mehr »als die Abwesenheit von Krankheit«, das individuelle Verständnis von Gesundheit nimmt Einfluss auf die Lebensführung. Gesundheit zu erlangen oder zu erhalten, ist eine Lebensaufgabe.

6.4

Die »Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (FEDL)

6.4.1

Vorbemerkungen

Ich hatte das Glück, schon im Vorpraktikum, in der Ausbildung selber und in den ersten Monaten nach der Ausbildung zur Altenpflegerin mit Menschen zusammenzukommen, die mir ein sehr positives Bild der Pflege, speziell der Altenpflege, vermittelten. Die Arbeitsatmosphäre war geprägt von Feingefühl, Achtung und Respekt gegenüber den alten Menschen. Mir wurde früh vermittelt, dass es durchaus möglich ist, die eingetretenen Pflegepfade zu verlassen und neue, kreative Wege zu gehen, um Bewohner individuell in ihrer Persönlichkeit begreifen und zu pflegen. Diesen Ansatz erlebte ich ganz intensiv in einem Wohnbereich mit schwer demenzkranken Bewohnern. In den weiteren Jahren war meine Arbeit darauf ausgerichtet, mein Repertoire an praktischen und nicht praktischen Tätigkeiten zu erweitern, um Sicherheit in der Pflege und Versorgung von alten Menschen zu bekommen. Mittlerweile festigte sich in der Altenpflege der Wunsch

Die »Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (FEDL)

nach aktivierender, ganzheitlicher oder auch rehabilitierender Pflege. Das sind u. a. die Ziele, mit denen ich in meiner Pflegeausbildung groß geworden bin. Mit der Einführung der Pflegeversicherung begann ich, vermehrt Leitungsfunktionen zu übernehmen und richtete mein Augenmerk auch auf jene übergreifenden Aufgaben, die außerhalb der direkten Pflege lagen. Eine Aufgabe – innerhalb der Entwicklung des Pflegeprozesses – war die Umsetzung eines Pflegemodells, die ich in mehreren Heimen und einer Sozialstation durchführte. Durch Gespräche mit Fachkollegen, Diskussionen während meiner Schulungen und letztendlich beim Schreiben dieser Buches wurde mir bewusst, dass das Pflegemodell der »Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen« (AEDL) von Monika Krohwinkel weiter entwickelt werden kann. Dieses Pflegemodell begleitete mich in den vergangenen Jahren sehr intensiv. In mehreren Einrichtungen der stationären Altenpflege habe ich dieses Pflegemodell und den Ansatz der fördernden Prozesspflege eingeführt und umgesetzt. Krohwinkel aktualisierte ihr Modell der fördernden Prozesspflege als System, um eine stärkere Gewichtung der Grundsätze von Pflegeverständnis, Haltung und pflegerischem Handeln für Gestaltung, Qualität und Erfolg der Pflege zu erreichen und spricht nunmehr von den ABEDL®. Damit greift sie wiederholt etwas auf, was wir in der Pflege brauchen: Das Verständnis, dass wir in einem sehr komplexen System pflegen, in das nicht einfach 13 Lebensaktivitäten einbezogen werden. Denn dagegen hat sich Monika Krohwinkel in ihrer konzeptionellen Arbeit immer gewandt – z. B. mit der Definition der existenziellen Erfahrungen als eigener Kategorie. Neue Aspekte sind:

 Verstärkung der Aspekte Beziehung, Kontinuität, Kontakte und Begleitung in existenziellen Erfahrungen und Krisen

 Schwerpunkt auf der Abbildung dieser zentralen Aspekte in der Pflegeprozessplanung und dokumentation Monika Krohwinkel hat inzwischen ein spezielles Pflegedokumentationssystem für ihr Modell konzipiert. Es soll die Nachvollziehbarkeit des Pflege- und Begleitungsprozesses erhöhen und durch geeignete Strukturvorgaben in den Formularen und Dateien eine fachlich geeignete und zeitsparende Umsetzung unterstützen. Mich hat das AEDL-Modell von Anfang an fasziniert, da es der Pflegekraft sehr viel Spielraum lässt, um den alten Menschen zu betrachten. In den 1980er und 1990er Jahren passten Krohwinkels Gedanken in die Zeit. Die Altenpflege wechselte von der »Warm-Satt-Sauber-Pflege« auf ein neugieriges, wachsames und wissenshungriges Feld. Der Aspekt und die Einbeziehung von »existenziellen Erfahrungen« sind aus der Pflege alter Menschen nicht mehr wegzudenken. Dies hat für erhebliche Verbesserungen der Pflegequalität gesorgt, ganz besonders im Bereich der Pflege von Menschen mit Demenz.

Mit dem FEDL-Modell gebe ich Pflegekräften klare, leicht zu durchschauende Strukturen und eindeutige Begrifflichkeiten. Der Auftrag von Pflege, speziell in der Altenpflege, sollte es sein, Fähigkeiten zu erkennen, richtig einzuschätzen und zu fördern.

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Das Pflegemodell der FEDL

Da es sich häufig, angesichts der Multimorbidität von vielen pflegebedürftigen alten Menschen, um sehr eingeschränkte Fähigkeiten handelt, ist es eine Aufgabe der Pflege, diese Fähigkeiten durch genaues Beobachten zu erfassen. So wird der pflegebedürftige Mensch von Beginn an positiv gesehen. Es wird nicht sofort geschaut, wo Pflegeprobleme sind, sondern wo Fähigkeiten vorhanden, aber eingeschränkt sind. Beispiel: Ein Bewohner mit starken Einschränkungen in der Fähigkeit, sich zu bewegen, zu essen und zu sprechen, ist nicht mehr in der Lage, unter Anleitung zu essen. Er kann nicht sagen, was er essen möchte, geschweige denn die Gabel selbst zum Munde führen. Aber er kann die Fähigkeit haben, mir während des Essen-Anreichens zu zeigen, dass es ihm schmeckt: durch herzhaften Appetit, durch ein Lächeln oder durch einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Das sind eindeutige Fähigkeiten, die Pflegekräften helfen, einen Menschen in seinen positiven Anteilen und Fähigkeiten wahrzunehmen. Als Pflegekraft habe ich die Möglichkeit, diesen Menschen genau so zu nehmen, wie er ist. Und dieses auch einfach so benennen. Für das obige Beispiel ergeben sich folgende Fähigkeiten:  Er kaut und schluckt.  Er hält Augenkontakt.  Er spricht mit Mimik und Gestik.  Er stellt eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Pflegekraft her.  Er strahlt Ruhe aus. Es kommt auf den Maßstab an, mit dem ich messe. Fähigkeiten müssen nicht erst Probleme werden, damit Pflegende merken, dass sie eingeschränkt sind. Es reicht einfach, dass zu benennen, was da ist – im Sinne von vorhanden und wahrnehmbar. Eine der wesentlichsten Bereicherungen war mir die Aussage von Erwin Böhm: »Erst muss die Seele bewegt werden, dann der Mensch.« Dieser Ansatz sorgte unter anderem für die FEDL »Anregen – Aktivieren«. Weil ich genau darauf abziele, den inneren Kern des Menschen (seine Seele) anzuregen. Wenn der Mensch in sich eine Anregung erfährt, gelangt diese Energie oder dieser Impuls auch je nach seinem Zustand in seinem äußeren Körper. Dann ist auch äußere Anregung/Aktivierung möglich. Während meiner Ausbildung zum NLP-Pracitioner lernte ich das Reframing kennen. Hierher stammt der Ansatz, Ereignissen und Symptomen einen neuen »Rahmen« zu geben, sie anders zu betrachten als gewohnt.84 Scheinbar unsinnige Handlungen, wie z. B. Herumwischen, »ungeeignete« Dinge in den Mund stecken, einen Mann unter dem Bett vermuten etc. sind eine Frage der Sichtweise. Im Herzen des Reframings liegt die Unterscheidung zwischen Verhalten und Absicht: Zwischen dem, was man tatsächlich tut, und dem, was man eigentlich durch dieses Verhalten zu erreichen versucht. Diesen Gedanken möchte ich für die Pflege und Begleitung alter Menschen aufgreifen. Wir können hier Handlungen einen neuen Rahmen, sprich: Deutung, geben. So kann die Äußerung, unter dem Bett sei ein Mann, auch bedeuten, dass die Klientin Angst hat und nicht allein sein 84

O’Connor, J.; Seymour, J.: Neurolinguistisches Programmieren: Gelungene Kommunikation und persönliche Entfaltung. VAK Verlag für Angewandte Kinesiologie GmbH, Freiburg 1995.

Die »Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (FEDL)

möchte. Wenn wir im Kontext der Betrachtung von Lebenssituationen von alten Menschen das Reframing anwenden, gelingt uns etwas Besonderes: Wir entlasten ihn und uns. Es sind dann nicht unbedingt Probleme vorhanden, sondern neue Formen, Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten. »Jedem schmerzhaften, schädigenden und sogar gedankenlosen Verhalten lag in der Situation, in der es sich ursprünglich entwickelte, eine positive Absicht zugrunde. Schlagen dient der Abwehr von Gefahr. Sich-Verstecken dient dazu, dass man sich sicher fühlt.«85 Aus der Arbeit mit Systemen und systemischen Strukturaufstellungen nehme ich einige Ansätze mit. Zum einen die Erkenntnis, dass wir auf eine meist sehr verdeckte Art und Weise mit unserem bisherigen Leben und den Traditionen und Bindungen in unseren Familien (über Generationen) tief verbunden sind. So fanden Wissenschaftler heraus, dass Lebensereignisse sozusagen genetisch gespeichert werden und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. So lassen sich bei den Nachkommen von Holocaust-Opfern noch Spuren des erlittenen Leidens finden. Handelt es sich z. B. um eine Familienaufstellung, kommt ein faszinierendes Phänomen zum Vorschein. Da kann sich beispielweise ein Neffe plötzlich wie magisch zu seinem Onkel hingezogen fühlen, der schon vor vielen Jahren im Krieg gefallen ist. Aufstellungen zeigen: Wer mit jemand anderem innerlich stark verbunden ist, hat oft im eigenen Leben ähnliche Gefühle und ein ähnliches Schicksal wie dieser Vorfahre. Dies ist tatsächlich eine der bedeutsamsten Entdeckungen: Kinder übernehmen Gefühle und Verhalten von früheren Familienmitgliedern. An diesen Gefühlen und Verhaltensweisen halten sie oft ein Leben lang fest.« (Ulsamer, 1999, S. 16) In Anbetracht der Lebenserfahrung und des teilweise hohen Alters der Klienten sollte es für Pflegekräfte selbstverständlich sein, die Aktivitäten und Handlungen ihrer Klienten als »eine richtige Entscheidung« anzusehen. Unter dem Motto: »Sie werden schon wissen, was sie tun«, sollten sie den alten verwirrten und desorientierten Menschen Vertrauen schenken. Hier gilt selbstverständlich die Einschränkung, dass diese Entscheidungen nicht den Betroffenen und/ oder andere gefährden. 6.4.2

Die Unterschiede zwischen FEDL und AEDL

Bei der Beschreibung der Situationen, Merkmale, Fähigkeiten und Symptome wird auf die Trennung in Probleme und Ressourcen verzichtet. Damit wird es einfacher, auch jene Klienten zu beschreiben, die man noch nicht lange kennt. Die Pflegeplanung beginnt mit ganz einfachen Fragen:  Was ist beim Klienten vorhanden?  Was zeigt er verbal oder nonverbal an Fähigkeiten?  Was kann er noch?  Wie macht/führt er … aus?  Wie zeigt sich welche Fähigkeit?

85

Ebd.

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Das Pflegemodell der FEDL

Diese Art der Beobachtung basiert auf einer neutralen und wertschätzenden Grundhaltung. Die Fragen sollen dabei nicht dem Klienten gestellt werden, sondern als Leitfragen für die Pflegefachkraft dienen. 6.4.2.1 Die FEDL »Zufriedenheit und Emotionalität«

Ein Ansatz des FEDL-Modells ist der Aspekt der individuellen Zufriedenheit und des spezifischen Ausdrucks von Gefühlen. Für viele Pflegekräfte steht die individuelle Zufriedenheit der Bewohner im Mittelpunkt ihrer pflegerischen Arbeit. Genau hier setzen Ansätze wie das DCMVerfahren nach Tom Kitwood an. Dies ist auch in nahezu jedem Pflege- oder Einrichtungsleitbild verankert. Gleichzeitig betrachten viele Pflegende ihre Arbeit als »Gefühlsarbeit«. Während meiner pflegerischen Berufstätigkeit konnte ich beobachten, dass viele, selbst schwer pflegebedürftige Menschen, eine ganz eigene Form der Zufriedenheit empfanden, obwohl das auf den ersten Blick eigentlich gar nicht möglich schien. Andere wiederum waren unzufrieden, obwohl die Rahmenbedingungen sehr gut waren. Wieder andere alte Menschen brachten ihren Unwillen über ihre derzeitige Situation zum Ausdruck. Sie suchten nach einer bestimmten Art von Zufriedenheit, die sie nicht erlangen konnten. Zufriedenheit ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens und das Ziel vieler Bestrebungen, wobei die Zufriedenheit ein höchst individuelles Gut ist. Unsere eigenen Aspekte von Zufriedenheit werden geprägt durch die jeweilige soziale und kulturelle Herkunft. Auch religiöse Aspekte spielen hier eine Rolle. Der eine ist bereits zufrieden, wenn er sich mit einem guten Buch gemütlich auf dem Sofa ausstrecken kann. Der andere ist erst dann zufrieden, wenn er einen möglichst schwierigen Berggipfel erfolgreich bestiegen hat. Jeder Mensch setzt in seinem Leben selbst die Schwerpunkte und bestimmt damit seine Möglichkeiten, zufrieden sein zu können. Zufriedenheit ist sehr eng an das Ausleben und Ausdrücken von individuellen Gefühlen und Emotionen gekoppelt. Wer seinen Gefühlen nicht in dem Maße Ausdruck verleiht, wie er möchte, wer Emotionen seiner unmittelbaren Umgebung nicht mitteilen kann, kann nur schwer zufrieden sein. Als Validationsworker® durfte ich u. a. die Gefühlswelt alter, verwirrter Menschen erahnen und berühren. Ich spürte, dass es eine zentrale Aufgabe von alten Menschen ist, ihre Gefühle und ihre Empfindungen auszudrücken; sei es durch Zärtlichkeit oder durch Aggression. Sie wollen – wenn auch vielleicht nur kurzfristig – zufrieden sein, oder sich ausdrücken. Viele Jahre später, durch eigene sehr intensive und persönliche Erfahrungen im Zuge meiner NLP-Ausbildungen, der eigenen Supervision und nicht zuletzt bei der Arbeit mit systemischen Strukturaufstellungen, wurde mir immer wieder deutlich, wie wesentlich uns unsere Emotionen beschäftigen, wie stark sie unsere Person ausmachen und unsere Sicht auf die Welt bestimmen. Es ist eine zentrale Aufgabe im Leben jedes Menschen, authentisch zu leben. Sich mit diesen Aspekten der Pflege in unseren Beziehungen und Kontexten als Menschen auseinanderzusetzen, bringt uns wirkliche Tiefe. Diese Tiefe zu halten, dafür zu sorgen, dass sie in Pflegebeziehungen entsteht, ist eine kostbare Aufgabe.

Die »Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (FEDL)

In dieser FEDL ist auch die ganze Welt der Sexualität einbezogen. Intimität und sexueller Kontakt ist ein sehr menschliches Bedürfnis. »Sexualität im Alter und vor allem bei Menschen mit Demenzerkrankungen ist in unserer Gesellschaft kaum ein Thema. Wenn doch, dann wird sie häufig als pathologisches Verhalten im Sinne einer »Verhaltensstörung« gesehen und auf den Bereich der Genitalität reduziert« (Gatterer 2008, S. 7). Natürlich brauchen gerade Menschen mit Demenz Zuneigung, feste Beziehungen, Nähe, Zärtlichkeit und auch Berührungen. Und dazu gehört auch Sex: »Manche Erkrankte können nicht mehr ausreichend auf die sexuellen Bedürfnisse anderer eingehen und spüren, dass sich ihre eigene Sexualität verändert. Bei einigen bleibt das bisherige Verlangen nach Sexualität erhalten, andere haben sogar ein gesteigertes sexuelles Bedürfnis. Manche Demenzkranke dagegen verlieren gänzlich das Interesse. Auch unpassendes Sexualverhalten ist möglich. So kann das Demenzleiden beispielsweise zu einer sexuellen Enthemmung führen.« (Gatterer 2008, S. 8). Obwohl das Thema immer noch ein Tabu ist, greife ich es in Schulungen bewusst auf. Denn auch hier gilt: Es kann einfach beschrieben werden – und Lösungen gibt es ebenfalls. 6.4.2.2 Die FEDL »Orientierung«

Die ursprüngliche AEDL »Kommunizieren« ist mit den Inhalten Kommunikation, Ausdruck von Gefühlen sowie Orientierung sehr umfangreich. So bleibt unklar, welche Pflegeprobleme hier behandelt werden sollen. Daher entwarf ich die FEDL »Orientierung«. Viele alte Menschen sind mehr oder weniger in ihrer Orientierung eingeschränkt. Zur FEDL »Orientierung« gehören daher die Auswirkungen von demenziellen Symptomen und den damit zusammenhängenden Fähigkeiten und Bedürfnissen. Es geht z. B. um die Suche nach alten Rollen, nach Integrität und Identität. Es geht um die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse wie produktiv zu sein, gebraucht zu werden, geliebt zu werden, Status und Prestige zu haben. Daraus ergeben sich die unterschiedlichsten Ansätze für die Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz. Innerhalb dieser FEDL gibt es enge Zusammenhänge mit den Erlebnissen und Erfahrungen aus der FEDL »Existenzielle Erfahrungen des Lebens«. 6.4.2.3 Die FEDL »Aktivieren – Anregen«

Diese FEDL wirft einen Blick auf die inneren Antriebe (Fleiß, Pflicht, Religiosität, Solidarität, Ehrgeiz, Nähe etc.), auf die innere Welt und ihre Erreichbarkeit.86 Gemeint ist nicht die klassische »Krankenmobilisation«, sondern die Beschäftigung mit dem, »was in Gang gebracht werden soll«. Die Notwendigkeit von aktivierender Pflege gilt nicht nur für eine FEDL. In diese FEDL ist daher auch die Vielfalt an Anregbarkeit integriert. Es geht hier um mehr als um eine rehabilitative Anregung. Es geht um Anreize wie Spaß und Spiel, geistige Herausforderungen, Impulse, die den Menschen neugierig machen, ihn tatsächlich innen wie außen in Bewegung bringen.

86

Messer 2007

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172

Das Pflegemodell der FEDL

»Eine Aktivierung des Kranken und die Anregung zur Selbstständigkeit sind auch Bestandteil vieler Pflegetheorien. Im Allgemeinen wird unter aktivierender Pflege das Bemühen verstanden, dass der zu Pflegende zumindest Teile der eigenen Pflege und täglichen Aufgaben wieder selbst übernimmt. Hier liegt ein rehabilitativer Anteil von Pflege. Bei näherem Hinsehen fällt jedoch auf, dass in der Praxis ein eher mechanistisches Verständnis von Aktivierung vorzuherrschen scheint, es ist oft auf rein körperliche Dislokation beschränkt. Andere Bereiche, die Menschen dazu bringen könnten, selbst wieder aktiv zu werden – Anreize von außen, geistige Herausforderungen, Kontakte und Spaß –, spielen kaum eine Rolle.«87 6.4.2.4 FEDL und AEDL im Vergleich Die Aktivitäten, Beziehungen und existenziellen Erfahrungen des Lebens (AEDL) nach Monika Krohwinkel

Die Fähigkeiten und existenziellen Erfahrungen des Lebens (FEDL) nach Barbara Messer

Kommunizieren

Kommunikation Orientierung

Sich bewegen

Bewegung

Vitale Funktionen aufrechterhalten

Vitale Funktionen Aktivieren – Anregen

Sich pflegen Sich kleiden

Pflegen und Kleiden

Ausscheiden

Ausscheidung

Essen und trinken

Essen und Trinken

Ruhen, schlafen, sich entspannen

Ruhen und Schlafen

Sich beschäftigen, lernen, entwickeln Die eigene Sexualität leben

Beschäftigung Zufriedenheit und Emotionalität

Für eine sichere und fördernde Umgebung sorgen

Sicherheit

Soziale Kontakte und Beziehungen aufrechthalten können

Soziale Bereiche und Beziehungen

Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen

Existenzielle Erfahrungen des Lebens

6.5

Die fähigkeitsbezogene Sichtweise und ihre Konsequenzen für die Pflege

Die FEDL verändern den Pflegeprozess: Die Pflegekraft betrachtet den alten Menschen hinsichtlich seiner Fähigkeiten. Situationen werden im Sinne von Fähigkeiten (eingeschränkt oder nicht) eingeschätzt. Daraus folgt eine Pflegediagnose auf der Basis der Fähigkeiten des Klienten:

87

Zegelin, A.: Festgenagelt sein – Der Prozess des Bettlägerigwerdens. Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, 2005, S. 155.

Die fähigkeitsbezogene Sichtweise und ihre Konsequenzen für die Pflege

 Der Klient wird als gleichwertiger Partner und nicht als Mensch mit Defiziten wahrgenommen.

 Die Pflege wird an die Situation des Klienten angepasst.  Die Pflegemaßnahmen werden gezielt ausgesucht. So werden Pflegemaßnahmen weggelas-

  

88 89 90

sen, die der Klient selber durchführen kann. Dazu ist es notwendig, das genaue Ausmaß der Fähigkeiten zu kennen. – Beispiel: Bei den AEDL heißt es: »Selbstpflegedefizit Körperpflege. Die Person ist nicht in der Lage, ihre gewohnte und gewünschte Form der Körperpflege durchzuführen.« Bei den FEDL lautet es hingegen: »Klient … genießt es, die … zu waschen, zu baden, das warme Wasser etc. …; nimmt Anleitung/Unterstützung/Hilfestellung/Hilfsmittel an; führt nach Handlungsimpuls/Bewegungsanbahnung Handlung durch; führt Teilwaschung (…) durch; äußert Wünsche; Wasch-Selbstpflegegewohnheiten sind bekannt; wäscht mit angereichtem Waschlappen …«88 Der Klient empfindet das Wahrnehmen seiner Fähigkeiten als eine Möglichkeit, in der Pflege »mitentscheiden zu können«, dadurch kann für ihn Qualität in seiner Pflegesituation entstehen.89 Was in anderen Kontexten von Pflegeprozessen (siehe die Beispiele oben) als Problem wahrgenommen wird, ist nach dem Modell der FEDL häufig eine Fähigkeit. Ein Wechsel von Problem zu Fähigkeit ermöglicht mehr Verständnis für die Situation des Klienten. Dadurch kann die Pflegekraft auf »Erziehungsmaßnahmen« und »Verhaltensregulierungen« verzichten. Die Toleranz steigt.90 – Ein Beispiel: Ein ältere Klientin lehnt die tägliche Ganzkörperpflege ab. Da sie in ihrer Sprach- und Orientierungsfähigkeit eingeschränkt ist, bringt sie statt eines »Nein, ich möchte das nicht« eine Bewegung zum Ausdruck: Immer wenn sie von einer Pflegekraft ins Bad begleitet wird und dort die Waschutensilien gerichtet werden, zeigt sie körperliche Unruhe an. Wenn die Pflegekraft mit dem Ausziehen der Klientin beginnt und ihr das Gesicht oder den Oberkörper waschen möchte, schiebt die Klientin den Arm der Pflegekraft vehement weg. Daraus kann folgendes Problem formuliert werden: »Verweigerung der Körperpflege«. Nach dem Verständnis von Pflege über das Modell der FEDL wird daraus: »Klientin drückt ihren Wunsch von Körperpflege nonverbal aus.«

vgl. Swoboda, B.: Pflegeplanung. Vincentz Verlag, Hannover 2002. vgl. Schwerdt, R.: Gute Pflege. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2002. vgl. Igl, G.; Schiemann, D.; Gerste, B.: Qualität in der Pflege. Schattauer Verlag, Stuttgart 2002.

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7

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

7.1

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

Die folgenden Fallbeispiele und Formulierungen sind echt. Zum Teil lagen mir detaillierte Informationen vor, zum Teil auch nur Auszüge. Alle Fallbeispiele stammen also mitten aus dem pflegerischen Alltag, so ist auch normal, dass sich nicht bei jedem Fallbeispiel Diagnosen finden. 1. Frau N.

Pflegestufe II Ehrenamtlicher Betreuer Diagnose: Delir bei Demenz Informationen zur Biografie – auszugsweise (Ausfüller: Neffe) Jahrgang 1925, geboren in Klein-Mausdorf (Kreis Danzig) Vater ist im Krieg gefallen, die Mutter in den 1960er Jahren gestorben 4 Geschwister: 2 Brüder, 2 Schwestern Berufstätigkeit: Verkäuferin (Bäckerei) Sie war verheiratet, der Ehemann ist 1986 gestorben Zwei Kinder, W. und U.; der Sohn ist tot, die Tochter lebt in Sachsen Frau N. hat in Klein Mausdorf bei Danzig gelebt. Ist im Zuge der Flüchtlingstrecks nach Görlitz gezogen, hat dort bis 1988 gelebt und ist dann nach Hannover gezogen. Prägende Ereignisse War im Krieg 4 Tage verschüttet, wohnte 40 Jahre in Görlitz Wichtige frühere Werte Pünktlichkeit und Ordentlichkeit waren ihr besonders wichtig Ev. lutherisch Sie fuhr gern Fahrrad Sonstiges Hat sich früher mit Haushalt, Bewegung und Spazierengehen beschäftigt Guckte TV, spielte und sammelte nicht Lieblingsessen: Fleisch mit Kartoffeln, Abneigung gegen Reis War früher eher schlank Hat geraucht und raucht heute noch Neigte bei Kontakten eher zu Distanz, ließ Körperberührungen ungern zu

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

Pflegeanamnese

FEDL Kommunikation Sehen: uneingeschränkt, stellt bei Kontakt Augenkontakt her Hören: rechtes Ohr fast taub, hört lauter und deutlich Gesprochenes Sprechen: spricht von sich aus, unterhält sich in kurzen Sätzen, hat eine »freche« – mutige Ansprache, verständlich Verständigung: Agiert mit Mimik und Gestik, laute Ansprache mit tiefer Stimme, wenn sie etwas möchte. Erzählt immer »die gleichen Geschichten«, erzählt viel von ihrer Kindheit. Körpersprache ist lebhaft, teilweise angespannt. FEDL Orientierung Zeitlich: Eingeschränkt, bei guter Tagesform zeitlich orientiert, nimmt verbale Hinweise zur Tageszeit kurzfristig an. Teilt Tag von sich aus nicht in Zeitabschnitte ein, überblickt kaum Zeitspannen, kennt eigenes Geburtsdatum Örtlich: Eingeschränkt, ist bei guter Tagesform örtlich orientiert. Erkennt ihr Zimmer, findet markante Orte auf dem Wohnbereich wie z. B. Raucherecke von sich aus Zur Person: Reagiert auf ihren Namen, erkennt sich im Spiegel und auf aktuellen Fotos, erkennt vertraute PK nicht vom Namen her wieder, sondern von der Art. Reagiert zeitweise besser auf ihren Vornamen als Nachnamen. Erkennt eigenen Besitz, erkennt Angehörige (Betreuer) Zur Situation:

Tagesformabhängig, unterbricht Handlungen, wie z. B. Selbstpflege nach wenigen Augenblicken wieder. Nutzt verbale und nonverbale Anleitung, um unterbrochene Handlungen weiter zu führen. Sie kommt auf Pflegekräfte zu, wenn sie etwas nicht weiß oder Hilfe möchte. Sie geht in andere Bewohnerzimmer, holt sich Gegenstände ins Zimmer, von denen sie denkt, dass es ihre seien. Konzentration wechselhaft, interessen- und tagesformabhängig.

FEDL Bewegung Bewegt sich uneingeschränkt, ist jedoch bewegungsarm. Liegt tagsüber viel auf dem Bett oder auf der Coach. In allen Gliedmaßen Mikro- und Makrobewegungen. Führt kraftvolle Bewegungen aus, langsame Gangart, gebeugte Körperhaltung. Läuft von sich aus auf dem Wohnbereich herum, bewegt sich auch nachts im Liegen. Laut Bradenskala 20 Punkte, kein Dekubitusrisiko FEDL Vitale Funktionen Atmung durch jahrelanges Rauchen eingeschränkt. Atmung geräuschlos. Stabile Vitalzeichen, benennt mögliches Unwohlsein. FEDL Pflegen und Kleiden Führt von sich aus keine eigene Körperpflege durch, zeigt keine Motivation und Interesse.

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Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

Wäscht unter Anleitung (tagesformabhängig) Teilbereiche selber, verwendet Utensilien zur Körperpflege nicht sinngemäß, wäscht ohne Anleitung dieselbe Körperstelle mehrfach hintereinander. Wechselt verschmutzte Kleidung, trägt auch nicht situationsgerechte Kleidung, zieht sich selbst aus. Akzeptiert insgesamt die Übernahme von Körperpflege und An-/Auskleideleistungen durch Pflegekräfte Extrem trockene Haut, blasse Hautfarbe. Trägt gern helle Kleidung, freundliche Farben FEDL Essen und Trinken Isst und trinkt tagesformabhängig mundgerechte, bzw. bereitgestellte Speisen und Getränke. Unterbricht Vorgang des Essens immer wieder, vergisst vermutlich, wie es weiter geht. BMI? Isst bereitgestellte Portionen auf, benennt Hunger und Appetit, schluckt sicher, isst bei Mahlzeiten gern am Tisch, isst auch gern allein. Isst gern Kuchen, Süßes und Fruchtiges. Mag keine kalten Speisen und kalten Getränke. Isst Ø 2 Eiweißportionen am Tag. Trinkt von sich aus wenig, mag sehr gern Kaffee (in Zusammenhang mit Zigarette) trinken FEDL Ausscheidung Benennt bevorstehenden Harn- und Stuhldrang (wendet sich an PK, fragt z. B. wo die Toilette ist) in ca. 50% aller Situationen, scheidet dann entweder in Toilette oder Inko-Slip aus. Sie führt einen Toilettengang bei guter Tagesform allein aus, wechselt dann keine verschmutzte Vorlage, bzw. entsorgt diese. Sonst unter Anleitung. Kontinenzprofil: zwischen unabhängiger Kontinenz und abhängig kompensierter Inkontinenz, tagsformabhängig. Bekommt Diuretika. Stuhlgang täglich. FEDL Ruhen, Schlafen und Wachsein Wacht gegen 9.00/9.30 Uhr morgens auf, mag dann noch lange im Bett liegen bleiben. Durchschlafstörungen, wacht oft nachts auf, wird bei Kontrollgängen wach, schläft nach nächtlichem Toilettengang nicht sofort ein. Läuft auch in der Nacht herum, geht dann in andere Zimmer, legt sich dann auch in andere Betten, sucht auch nachts Zigaretten. Gestaltet Einschlafzeit nach eigenen Wünschen, schläft nicht vor 21.30 Uhr ein. FEDL Aktivieren – Anregen Reagiert positiv auf auditive Reize (Musik, flotte, klare Ansprache) Nimmt Stimmungen im Raum wahr. Schafft sich selber Anregung/Energie über Gespräche, kommentiert z. B. Aussehen und Verhalten von Mitbewohnern und Pflegekräften. Sie zeigt deutlich, wenn sie in Ruhe gelassen werden möchte, reagiert z. B. mit Rückzug. Ist innerlich sehr angeregt, wenn sie in Gespräche aus/über ihre Kindheit und Heimat angesprochen wird Sie regelt ihre Angeregten und Rückzugsphasen selber und nach außen verständlich. Mit der Aussicht auf eine Zigarette lässt sie sich zu allem motivieren, anregen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

FEDL Beschäftigúng Sie hört viel CD-Musik in ihrem Zimmer, nimmt gelegentlich an Angeboten des Hauses teil. Sie wirkt, als sei mit ihrer Beschäftigung und Tagesgestaltung zufrieden. Ist phasenweise in ihrem Zimmer und in der Sitzecke, bzw. »rauchtechnisch« im Garten. Früher ist sie viel Rad gefahren und war am Arbeitsplatz mit vielen Menschen zusammen. Bei angenehmer Beschäftigung, ist sie bis zu 20 Minuten konzentriert. FEDL Zufriedenheit und Emotionalität Emotionaler Ausdruck ist uneingeschränkt, sie drückt Gefühle und Stimmungen spontan, unvermittelt und direkt aus. Sie wirkt zufrieden (Lachen, Lächeln, zeigt dann Zuneigung und Freundlichkeit), drückt Bedürfnisse und Wünsche direkt aus, achtet auf deren Erfüllung. Schnelle Stimmungswechsel. Keine Hinweise auf sexuelle Wünsche oder Bedürfnisse. Sie ist freundlich und lebenslustig. FEDL Sicherheit Holt Hilfe, indem sie auf den Flur geht und um Hilfe ruft, bzw. kommt auf Pflegekräfte zu. Regelt ihre formalen persönlichen Angelegenheiten nicht, hat Betreuer dafür. Sucht Sicherheit, z. B. Bettatmosphäre, Nähe von PK, vertraut PK und auch fremden Menschen bei Ansprache, die ihr zusagt. Sie nimmt vorbereitete Medikamente im Beisein von PK ein, jedoch ungern FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen Sie hat Kontakt zu ihrem Betreuer, der pflegt die Intensität des Kontaktes. Die Tochter lebt weiter entfernt, Geschwister leben nicht mehr. Sie hat keine Freunde. Sie ist viel allein, sitzt bei leichten Kontaktwünschen auf dem Sessel vor ihrem Zimmer, geht auch weiter – bei Wunsch – in den lebendigeren Teil des Wohnbereichs. Stellt Kontakt zu anderen Bewohnern nach Wunsch her. Pflegt einfache, liebevolle und direkte Kontakte zu den PK. FEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens Äußert Lebensmut, zeigt Vertrauen. Äußert Ängste verbal/nonverbal, wenn sie welche hat. Sie möchte lt. eigener Aussage, »trotz ihrer Defizite vollwertig behandelt und gepflegt werden«. Sie ist lt. eigener Aussage »froh im Heim zu sein«, zeigt Freude, wenn sich PK um sie kümmern. Lebenssinn gibt ihr vermutlich: Die Mahlzeiten, die gemeinsamen Momente des »Rauchens«, Schlafen und Rückzug im Bett, Kontakte zu PK und anderen Bewohnern. Gelegentliche Schmerzen beeinträchtigen nicht die Lebensqualität.

177

2.

FEDL: Kommunikation T: Ansprache, spezielle U: Evtl. Gewohnheit, demenzielle Symptomatik

1.







T: Orientierung, eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik

M: Zeitliche Orientierung eingeschränkt, bei guter Tagesform zeitlich orientiert, nimmt verbale Hinweise zur Tageszeit kurzfristig an.











Sie nimmt weiterhin Hilfe und Unterstützung von PK an. Sie nimmt weiterhin Hinweise zur zeitlichen Orientierung an. Sie nutzt weiterhin den Sessel vor ihrer Tür als »Zimmererkennung«. Sie erkennt sich weiterhin im Spiegel und auf Fotos, reagiert auf ihren Namen.

Sie erhält alle gewünschten Informationen. Sie erfährt Respekt, Achtung und Zuneigung, wenn sie kommuniziert. Sie erfährt Kontakt, wenn sie es wünscht. Sie erfährt, dass ihr Verhalten toleriert und akzeptiert wird.

Ziele/Lösungen

FEDL Orientierung

M: Frau N. spricht mehrfach tgl. in brummender, scheinbar mürrischer, sehr tiefer Stimme. Unbekannte könnte sie damit »verschrecken«: »MMMMH; komm ma her …!« Hat etwas »frech-Aufforderndes« in ihrer Art zu sprechen. Spricht auch z. T. negativ über andere: »Was hat die für einen dicken Hintern. Ich bin schön schlank!« Sie hört nicht sofort jedes Wort, wenn sie angesprochen wird. Stellt intensiven Augenkontakt her, hält diesen. Deutliche Körpersprache.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

















Sessel bleibt vor der Tür. Persönliche Gegenstände und Einrichtung im Zimmer werden bei Gesprächen im Zimmer durch PK bestätigt und erinnert. PK geben Hinweise auf Tageszeit mit dazugehörender Aktivität (z. B. Mittagessen). Wenn sie auf dem Wohnbereich begleitet wird, weisen PK auf Piktogramme und Einrichtungen mit Funktionen hin.

PK und andere sprechen sie mit lauter, deutlicher und tiefer Stimme an, dabei immer Augenkontakt herstellen. Selber mit ihr einen ähnlich direkten Ton sprechen, verbales Verhalten »spiegeln«. Mit ihr Gespräche über Lieblingsthemen führen (Kindheit, Heimat). Mit Humor auf die »Bewertungen« reagieren.

Maßnahmen

178 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

M: Situationsgerechtes Verhalten tagesformabhängig; unterbricht Handlungen, wie z. B. Selbstpflegetätigkeiten, nach wenigen Augenblicken. Nutzt verbale und nonverbale Anleitung, um unterbrochene Handlungen weiterzuführen. Sie kommt auf Pflegekräfte zu, wenn sie etwas nicht weiß oder Hilfe möchte. Konzentration wechselhaft, interessenund tagesformabhängig.

T: Unterbrechung von Handlungen U: Demenzielle Symptomatik, eingeschränkte Konzentration und Motivation

Zur Person: reagiert auf ihren Namen, erkennt sich im Spiegel und auf aktuellen Fotos, erkennt vertraute PK nicht vom Namen her wieder, sondern an der Art. Reagiert zeitweise besser auf ihren Vornamen. Erkennt eigenen Besitz, erkennt Angehörige (Betreuer).

Teilt Tag von sich aus nicht in Zeitabschnitte ein, überblickt kaum Zeitspannen. Örtliche Orientierung eingeschränkt, ist bei guter Tagesform örtlich orientiert. Erkennt ihr Zimmer, findet markante Orte auf dem Wohnbereich wie z. B. Raucherecke von sich aus









Sie wendet sich weiterhin an PK Sie nutzt Anleitung weiterhin, bzw. zeigt durch Verhalten an, wie diese aussehen kann. Sie verwendet ausgewählte Utensilien sinngemäß.

Sie erkennt weiterhin PK als solche, wendet sich an diese.









Wenn sie Hilfe- oder kontaktsuchend auf dem Wohnbereich herum geht, verbal und nonverbal Hilfe anbieten Bei Handlungen, wie z. B. Selbstpflegetätigkeiten, in klaren Einzelschritten verbal anleiten, entsprechendes Utensil in die Hände geben und gewünschte Handlung vormachen. Evtl. sich im Gegenzug von ihr helfen lassen, um Gleichgewicht herzustellen.

Einmal pro Tagesschicht im Zimmer mit ihr gemeinsam ein Foto anschauen, über sie und die damalige Situation auf dem Foto sprechen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

179

5.

T: Eigentumsverwechslung von Gegenständen U: Demenzielle Symptomatik

4.







T: Sturzgefahr U: Desorientiertheit, Gangunsicherheit

M: Frau N. führt Bewegungen aus, hat eine langsame Gangart, gebeugte Körperhaltung. Läuft von sich aus auf dem Wohnbereich herum, findet sich dort nicht immer zurecht. Sturzgefahr, wenn sie versucht, allein einen Toilettengang durchzuführen. Mehrere Stürze in der Vergangenheit.









Sie ist sturzfrei bzw. Sturzrisiko ist reduziert. Sie akzeptiert das Tragen eines Hüftprotektorengürtels, bzw. Hose. Sie ruft bei Bedarf um Unterstützung, sodass sie beim Gehen begleitet werden kann. Sie nutzt weiterhin Handlauf und andere Haltemöglichkeiten.

Andere Bewohner können das Verhalten einschätzen. Sie akzeptiert eine »Nein« von anderen Bewohnern. Sie wendet sich ihren eigenen Gegenständen und Besitztümern zu.

Ziele/Lösungen

FEDL Bewegung

M: Sie geht in andere Bewohnerzimmer, holt sich Gegenstände ins Zimmer, die sie für ihr Eigentum hält. Dies verärgert zum Teil andere Bewohner.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Gespräch mit ihr über ihre Risikofaktoren. Mit ihr gemeinsam überlegen, wie z. B. ein Sturz beim Toilettengang oder beim Aufstehen verhindert werden kann. Sie selber Ideen entwickeln lassen. Ihr die Hüftprotektoren zeigen, vielleicht Zettel aufhängen, auf denen steht, dass sie beim Gehen, Stehen und Umsetzen Hilfe anfordern möchte. Generell sie tagsüber alle 2 Stunden zur Toilette begleiten, auch nach ihrem Wunsch in die Gemeinschaftsräume oder in ihren Sessel auf dem Flur begleiten. Nachts 2 x zur Toilette begleiten. Sie am Bewegungsprogramm des Wohnbereichs teilnehmen lassen, z. B. Tanzen und/oder Gymnastik.

Wenn sie sich auf dem Flur, bzw. in den Gemeinschaftsräumen des Wohnbereichs aufhält, wird sie hinsichtlich des Aufsuchens anderer Zimmer beobachtet. Wenn sie in ein anderes Zimmer geht, sie begleiten, und von der Heimat sprechen, oder davon, wie »schön es ist, wenn alles da ist«. Sie langsam ins eigene Zimmer geleiten, und an ihre eigenen Gegenstände und Erinnerungen heranführen. Evtl ihre Lieblingsmusik anmachen. Wenn es zu Eskalationen mit anderen Bewohnern kommt, die beiden auseinander halten und durch eine 2. PK einen der persönlichen Gegenstände aus ihrem Zimmer holen.

Maßnahmen

180 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

6.







T: Eigene Körperpflege eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik, geringe Motivation

M: Frau N. ist körperlich in der Lage, sich selber zu waschen, hat jedoch kaum Motivation dazu. Bei guter Tagesform wäscht sie unter verbaler und nonverbaler Anleitung Gesicht, Oberkörper vorn, Hände und Arme. Ca. 2 x die Woche lehnt sie die Körperpflege ab, möchte dann auch im Nachthemd bleiben.



FEDL Pflegen und Kleiden

Wenn man Frau N. auf ihr mögliches Sturzrisiko anspricht, weiß sie davon nichts. Sie scheint die Gefahr nicht einzuschätzen. Sei nutzt zum Teil Handlauf und andere Haltemöglichkeiten.

Sie führt weiterhin Teilbereiche der Körperpflege unter Anleitung durch: Gesicht, Hände, Arme, Oberkörper vorn. Sie führt die Intimpflege unter Anleitung selber durch. Sie nimmt weiterhin Anleitung (verbal/ nonverbal) und Unterstützung durch PK an. Sie erfährt Anerkennung und Beachtung ihrer Wünsche.



















Ihr morgens nach dem Wachwerden eine Körperpflege im Badezimmer anbieten. Es wird ihre jeweilige spätere Aufstehzeit beachtet und nach erfolgreichem Abschluss der Körperpflege eine gemeinsame Zigarette angeboten/versprochen. Die Körperpflege sitzend vor dem Waschbecken durchführen. Alle Utensilien bereitlegen. sie bitten, sich zu waschen, in Einzelschritten anleiten, je nach Tagesform gewünschte Handlung vormachen. Ihr ermöglichen, sich den Intimbereich selber zu waschen, z. B. indem die Hand der PK beim Waschen über ihrer liegt, so hat sie das Gefühl, dass sie sich selber berührt, nicht jemand anderes. Ruhige, langsame Vorgehensweise, Hektik und eigene Unruhe vermeiden. Wenn sie sich nicht selber wäscht, behutsam die Körperpflege für sie durchführen. Morgens zusätzlich Anleitung zur Mundpflege und zum Haare kämmen. Abends kleine Teilwaschung auch im Bad, ebenso anleiten.

Betreuer über Sturzrisiko informieren, auf Möglichkeiten und Folgen hinweisen. Hausarzt über Sturzrisiko informieren, Medikation hinsichtlich Nebenwirkungen überprüfen lassen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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Pflegerische Ist-Situation

Wenn sie keine Körperpflege möchte, lehnt sie diese deutlich ab: schiebt Hände weg, äußert sich verbal, bis hin zum Schlagen der PK, wenn diese nicht sofort mit der Übernahme der Körperpflege aufhört. Mundpflege und Haarekämmen führt sie u. A. bei guter Tagesform durch.

T: An- und auskleiden, eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik, geringe Motivation M: Wechselt verschmutzte Kleidung, trägt auch nicht situationsgerechte Kleidung, zieht sich selbst aus, jedoch nicht an. Akzeptiert insgesamt die Übernahme An-/ Auskleideleistungen durch Pflegekräfte. Ca. 2 x die Woche lehnt sie ein morgendliches Anziehen ab, möchte dann im Nachthemd bleiben. Obwohl im Laufe des Tages immer wieder ein Ankleiden angeboten wird, lehnt sie dieses ab. Deckt sich mit Wolldecke, die auf ihr Flursofa gelegt worden ist, zu. Trägt gern helle Kleidung, freundliche Farben.

Nr.

6.

7.







Sie ist nach ihren Wünsche gekleidet. Sie ist zieht sich weiterhin selber aus, bzw. unter Anleitung. Sie führt bei guter Tagesform kleine Aktivitäten der Selbstpflege im Bereich An- und Auskleiden aus.

Ziele/Lösungen

















Morgens vor der Körperpflege mit ihr vor dem Kleiderschrank Kleidung auswählen. Diese nach der Körperpflege einzeln anreichen, sodass sie sich selber anziehen kann; wenn sie das nicht tut, übernimmt Pk das Ankleiden. Wenn sie das Ankleiden ablehnt, eine Wolldecke auf das Sofa legen. Im Laufe des Vormittages Ankleiden immer wieder anbieten. Abends Anleitung zum Auskleiden, falls Bedarf, sonst allein ausziehen lassen und mit ihr gemeinsam Schmutzwäsche auswählen.

Sie beim Waschen der Hände anleiten, nach jeder Mahlzeit und nach jedem Toilettengang. Intimpflege nach Bedarf, evtl. nach jedem Toilettengang. Wenn sie möchte, einmal die Woche ein Vollbad vor dem Schlafen geben. Oder Duschen, je nach Bewohnerwunsch.

Maßnahmen

182 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

9.

8.

M: Frau N. trinkt Ø 1000–1200 ml täglich, ausschließlich unter Anleitung und bei Impulsgabe. Von sich aus lässt sie alle Getränke stehen. Sie trinkt gern Malzbier und Säfte.

T: Flüssigkeitsdefizit U: Demenzielle Symptomatik, mangelndes Durstgefühl

M: BMI 24,8. Sie isst von sich aus keine Mahlzeiten auf, lässt mehr als 1 x tgl. eine Portion über, isst am liebsten in ihrem Zimmer am Tisch, bzw. vor dem Zimmer. Sie nimmt unter Anleitung mundgerecht vorbereitete Mahlzeiten zu sich. Sie isst auch ohne Anleitung, dann dauern die Mahlzeiten bis zu 1 Stunde und länger. So zählt sie z. B. die Kartoffeln mehrfach auf dem Teller – dies kann bis zu 30 Minuten dauern. Unterbricht ohne Anleitung Mahlzeiten, lässt diese dann stehen. Mag gern Süßes, aber auch Herzhaftes.

T: Ernährung, eingeschränkt U: Reduzierter Appetit, demenzielle Symptomatik

FEDL Essen und Trinken













Tägliche Trinkmenge liegt bei 1200– 1500 ml. Sie ist weiterhin motiviert, bei Anleitung und Impulsgabe zu trinken. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt.

BMI bleibt bei 24. Sie isst weiterhin unter Anleitung ihre Mahlzeiten auf. Sie äußert auf Nachfragen Zufriedenheit über ihre Mahlzeiten.

















Sie wird bei allen Besuchen und Kontakten zum Trinken aufgefordert, angeleitet. Mindestens tagsüber jede Stunde, in der Nacht 2 bis 3 x. Zur Motivation auch gemeinsam etwas trinken. Trinkmenge wird dokumentiert. Lt. ärztlicher Anordnung erhält sie 500 ml Sterofundin s.c., wenn die Trinkmenge geringer als 750 ml tgl. ist. Lieblingsgetränke wie Saft und Malzbier anbieten. Mit Betreuer evtl. die Finanzierung von Malzbier regeln.

Sie bekommt alle Mahlzeiten mundgerecht vorbereitet in ihrem Zimmer serviert (Frühstück, Mittag, Abendbrot, zuzüglich 3 Zwischenmahlzeiten). Sie wird von PK an Tisch geführt und erhält dort eine verbale Anleitung und kontinuierliche Impulsgabe. Der Speiseplan der kommenden Woche wird mit ihr besprochen, sodass sie das Gefühl hat, wählen zu können. Wenn sie das Essen lange stehen lässt, immer wieder zwischendurch aufwärmen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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Pflegerische Ist-Situation

FEDL Ausscheidung T: Eingeschränkte Kontinenz U: Demenzielle Symptomatik, situative Desorientiertheit M: Frau N. benennt bevorstehenden Harnund Stuhldrang (wendet sich an PK, fragt z. B., wo die Toilette ist) in ca. 50% aller Situationen, scheidet dann entweder in Toilette oder Inko-Slip aus. Sie führt einen Toilettengang bei guter Tagesform allein aus, wechselt keine verschmutzte Vorlage bzw. entsorgt diese. Sonst unter Anleitung. Sie findet die Toilette in ihrem Zimmer bei guter Tagesform allein. Frau N. wehrt sich häufig gegen die Unterstützung bei der Ausscheidung durch PK. Sie scheint Angst zu haben, oder sich zumindest unwohl dabei zu fühlen. Kontinenzprofil: zwischen unabhängiger Kontinenz und abhängig kompensierter Inkontinenz, tagsformabhängig, bekommt Diuretika. Stuhlgang täglich, normal fest.

Nr.

10.











Kontinenzprofil: … Sie führt weiterhin Toilettengänge allein aus. Sie findet eine Lösung, wo sie die verschmutzen Vorlagen hin tun kann. Sie erfährt Sicherheit und Achtung bei der Unterstützung. Kontinenzprofil: unabhängig erreichte Kontinenz bei guter Tagesform.

Ziele/Lösungen













Miktionsprotokoll 2 Wochen lang, danach die Unterstützung beim Toilettengang neu planen. Ansonsten tagsüber zu folgenden Zeiten einen Toilettengang anbieten/ durchführen: ca. 8:00 Uhr, ca. 9:30 Uhr, ca. 11:30, ca. 13:00 Uhr, ca. 15:00 Uhr, ca. 17:00 Uhr, ca. 19:30. In der Nacht ca. 23:00 Uhr, ca. 2:00 Uhr, ca. 5:00 Uhr. Sie freundlich bitten, dass man ihr helfen möchte, vorsichtige, ruhige Bewegungen, immer im Blickfeld bleiben, sodass sie sich sicher fühlt. Bei den Toilettengängen leitet PK an, oder sie übernimmt Teilbereiche, wie Intimpflege, An- und Auskleiden, etc. Bewohner trägt als Inkontinenzhilfsmittel: »Pull Ons« am Tage und in der Nacht. Hierzu muss sie jedes Mal motiviert werden, da sie das Tragen ablehnt. Z. B. die Vorteile aufzeigen.

Maßnahmen

184 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

11.

M: Reagiert positiv auf auditive Reize (Musik, flotte, klare Ansprache). Nimmt Stimmungen im Raum wahr. Schafft sich selber Anregung/Energie über Gespräche, kommentiert z. B. Aussehen und Verhalten von Mitbewohnern und Pflegekräften. Sie zeigt deutlich, wenn sie in Ruhe gelassen werden möchte, reagiert z. B. mit Rückzug. Ist innerlich sehr angeregt, wenn sie auf ihre Kindheit und Heimat angesprochen wird. Sie regelt ihre Rückzugsphasen selber und nach außen verständlich. Mit der Aussicht auf eine Zigarette lässt sie sich zu allem motivieren.

T: Achtsamer Umgang mit der eigenen Anregung U: eigene Motivation und eigener Antrieb

FEDL Aktivieren-Anregen







Sie erfährt Beachtung ihrer Wünsche Sie erfährt Beachtung und Anregung ihrer Persönlichkeit. Zigaretten wirken weiterhin stark anregend und motivierend.









Sie bei den meisten Kontakten stärken, mit Themen, die Bedeutung für sie haben (Heimat, Verkaufstätigkeit, Musikgeschmack, Warmherzigkeit und Humor, Selbstpflege, etc. Auf ihre Wünsche nach Rückzug und Aktivierung achten, auch bestätigen: »Gut, dass Sie so auf sich achten!«, »Nach getaner Tat ist gut ruhen!«, »Eile mit Weile.«, etc. Bewusst über ihre Erinnerungsgegenstände und Fotos sprechen, wenn sie das möchte. Weiterhin die Zigarette als Ritual und auch Motivation verwenden.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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FEDL Sicherheit T: Medikamenteneinnahme, ungewünscht, eingeschränkt U: Eingeschränkte Motivation, evtl. Angst, demenzielle Symptomatik M: Frau N. möchte keine Medikamente einnehmen, sieht die Notwendigkeit nicht ein, lehnt die Einnahme mehr als 1 x tgl. ab.

FEDL Existenzielle Erfahrungen

12.

13.

T: Unklare Schmerzen U: Diagnostik durch Hausarzt (Anmerkung: die ist nicht in der Doku vermerkt) M: Frau N. klagt gelegentlich über Schmerzen.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Sie differenziert Schmerzqualitäten. Schmerzen sind bei Bedarf unter 2/10 NRS.

Medikamenteneinnahme ist gewährleistet. Sie erfährt Sicherheit bei der Medikamenteneinnahme. Sie erhält Informationen, warum sie die Medikamente nehmen soll, Wirkung, Grund etc.

Ziele/Lösungen











Einschätzen der Schmerzen bei Bedarf, bzw. Auftauchen mit NRS. Danach Info an Hausarzt, zwecks Neuüberprüfung der Medikamente Ausprobieren von nicht-medikamentöser Schmerztherapie. Z. B. Wärmekissen, Einreibungen, Singen, etc.

Hausarzt wird gebeten, Verabreichungsform und Dosis der Medikamente noch einmal zu überprüfen, vielleicht lässt sich dort etwas kürzen oder vereinfachen. Sie bekommt morgens und abends ihre Medikamente von der PK verabreicht. Freundlich wird der Grund und die Wirkung erklärt. Evtl. wird eine Zigarette in Aussicht gestellt. Bei Ausdruck von Sorge, Angst oder Ablehnung der Medikamenten-Einnahme validierender Umgang: »Das ist schon komisch, wenn man da was nehmen soll und gar nicht weiß, was das ist«, »Wie gut, dass Sie kontrollieren, man weiß ja nie!«, »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«

Maßnahmen

186 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

14.

M: Frau N. reagiert mit Ablehnung und Abwehr auf die Übernahme von Tätigkeiten bei der Körperpflege durch PK, ebenfalls auf Unterstützung beim Ausscheiden. Sie sucht wenig Nähe, mag keinen Körperkontakt, ist vom Typ eher rau. Sie vertraut fast immer den PK.

T: Verdacht auf posttraumatisches Syndrom U: Evtl. Gewalt – oder Missbrauchserfahrung, bzw. Angstauslösendes Erlebnis in der Vergangenheit (vielleicht die Zeit, in der sie verschüttet war.) 



Sie erfährt Sicherheit und Akzeptanz. Sie nimmt Geborgenheit an, vertraut PK weiterhin.







Bei allen Handlungen, die auf Körpernähe abzielen, liebevoll und ruhig bleiben. Im Blickfeld bleiben. Benennen, dass es gut ist, auf sich aufzupassen und vorsichtig zu sein. Aktion dann unterbrechen. Sie so viel wie möglich allein machen lassen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung 187

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Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

2. Herr M.

Laut Hausarzt im Aufnahmebogen: Desorientierung und Demenz Aus dem Krankenhaus: frische LWK 1-Fraktur Laut Sohn hat er eine Makuladegeneration (re. Auge) Informationen zur Biografie – auszugsweise Vater hatte ebenfalls einen Doktortitel, 2 Schwestern, eine lebt nicht mehr. Heimatort Berlin, gelebt in Oranienburg, Neustadt, Cloppenburg, seit 1990 in der Nähe von Hannover Stadtbaurat, Architekt, in Berlin, Lüneburg, Cloppenburg Verheiratet seit 1944 bis 1989, verwitwet Drei Kinder, 2 Töchter, einen Sohn, viele Enkelkinder Auf die Kinder ist er sehr stolz, erzählt bei Kontakten zu Pflegekräften davon Prägende Ereignisse War in russischer Kriegsgefangenschaft, hat im letzten Kriegsjahr geheiratet Hat den »Kessel« bei Stalingrad durch Ausfliegen überlebt Wichtige frühere Werte Pünktlichkeit, Disziplin, Sparsamkeit Er war kein praktizierender Christ Er hat früher gejoggt und geschwommen Er neigte eher zu Distanz Bezüglich des Themas Berührungen sind sich die Kinder unsicher, sie denken »eher gern«. Sonstiges Er ging früher gern spazieren und führte handwerkliche Dinge am Haus durch. Er interessierte sich für Politik und die Familie Guckt gern TV Er trägt zwei Ringe, und hat immer Wert auf eine gepflegtes, akkurates Äußeres gelegt Mag Hausmannskost und Fisch Mag keine süßen Hauptmahlzeiten Um sich zu entspannen, mag er Dunkelheit und Ruhe Er hatte eine Bandscheiben OP vor 30 Jahren

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

Pflegeanamnese

FEDL Kommunikation Sprache ist zeitweise verwaschen, tagesformabhängig. Agiert mit Mimik und Gestik (Augen zukneifen, Stirnrunzeln bei Ablehnung: Grinsen bei Freude. Er schreibt nicht. Teilt sich durch Sprechen mit, sagt was er möchte und was nicht, ist dabei gut verständlich. Verfolgt Menschen und Ereignisse in seiner unmittelbaren Umgebung. Zeigt Humor von sich aus. Trägt keine Brille. Er gibt an, alles zu hören, lt. PK und Kindern gibt es Einschränkungen beim Hören. Körpersprache mehr im Gesicht, kaum im Körper. Sucht von sich aus nicht die Kommunikation mit anderen Bewohnern. Unklare Diagnose im Bereich der Augen. FEDL Orientierung Zeitlich: Er weiß Uhrzeit, richtet sich nach Uhrzeiten (Mahlzeiten). Örtlich: Er weiß, dass er im Heim lebt, findet sein Zimmer, etc. Zur Person: Er hält PK auseinander, erkennt sie, macht auf Anfragen Aussagen zu seiner Person. Äußert viele Informationen aus seiner Berufstätigkeit Situativ: Er fordert bei Bedarf Hilfe an. Weiß oft die Abläufe im Bereich der Körperpflege und Ausscheiden nicht. Altzeitgedächtnis gut erhalten, ruft alles ab. Konzentration bis zu 10 Minuten. Sucht Orientierung, deshalb ist er wohl auch oft im Zimmer, Fasssadenverhalten. Orientierungshilfen: Er nutzt Uhren, Piktogramme auf dem Wohnbereich. Er findet sein Zimmer aufgrund der eigenen Möbel. FEDL Bewegung Kopf/Schulter: Arme und Hände: Brustkorb/Rumpf/ Bauch/Becken: Beine/Knie/Füße:

Uneingeschränkt beweglich. Zielgerichtete Bewegungen, greift sicher zu. dreht sich max. 90 Grad zur Seite, langsame Bewegungen. Knie anwinkeln möglich, Beine strecken macht er kaum im Liegen. Fußgelenke beweglich.

Insgesamt unsichere Bewegungen (Sturzängste aufgrund mehrerer Stürze. Insgesamt langsame Bewegungen, schlaffer Bewegungstonus, wirkt schlapp. Aufsetzen, Umsetzen macht er in langsamen Bewegungen selber. Geht mit Rollator allein, überschätzt sich dabei, bzw. Mikro- und Makrobewegungen im Liegen. Bradenskala: 20 Punkte (geringes Risiko). FEDL Vitale Funktionen Atmung und alle Vitalzeichen im Normbereich, unaufällig. Achtet selber auf Überforderung, achtet auf Schonung, ist dadurch nicht überanstrengt.

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190

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

FEDL Pflegen und Kleiden Zeigt keine Motivation zur eigenen Körperpflege (»Mach ich selbst, mach ich später, habe ich schon gemacht«). Wenn Körperpflege und An- oder Auskleiden angeboten wird, nimmt er sie an. Wäscht sich auch unter Anleitung nicht selber (»Ich habe mich schon gewaschen«), dito Anoder Auskleiden. Zieht sich von sich aus nicht an oder aus. Äußert keinerlei Wünsche zum Kleiden oder Pflegen. Laut Tochter duscht er gern am Wochenende. War früher sehr akkurat und gepflegt. Hautzustand: trockene Haut. FEDL Essen und Trinken Isst und trinkt mundgerecht zubereitete Mahlzeiten selber. Schneidet kein Fleisch selber, dito Brote schmieren. Äußert er Wünsche. Legt Wert auf regelmäßige Mahlzeiten, fragt auch nach. Trinkverhalten: Trinkt von sich aus ca. 1,5 Liter täglich. Lieblingsgetränk ist Wasser, trinkt gern abends ein Bier. BMI: liegt bei … Er ist schlank. FEDL Ausscheidung Kontinenzprofil: Abhängig kontinent, er nimmt Hilfe beim Toilettengang an, geht auch allein zur Toilette (mehrfach pro Schicht). Trägt eine Inkontinenzhose, die manchmal nass ist, wenn er den Toiliettengang selber macht. Erhöhte Sturzgefahr beim Toilettengang, da er beim Wasserlassen steht, Gefahr von Urinlachen auf dem Boden, bzw. wackeliges Stehen. Geht nachts allein zur Toilette. Stuhlgang täglich (trinkt Buttermilch). FEDL Ruhen, Schlafen und Wachsein Nimmt sich sehr viel Ruhezeit, liegt auch vormittags auf dem Bett. Nachts wird er lediglich durch Toilettengänge wach, schläft mit Nachtmedikation gut. Geht gern gegen 19 Uhr ins Bett. FEDL Aktivieren – Anregen: Er ist sehr angeregt, wenn er über seinen früheren Beruf spricht. Seine Werte sind Pünktlichkeit, Fleiß, Disziplin, wenn diese erfüllt sind, ist er auch agiler. Kontakt zu ihm wichtigen Menschen regen ihn an, Mimik ist dann intensiv. Anregung klappt gut über Anäherung über Gespräche (speziell über Thema Architektur/Bauen) Zeigt freudigen Stolz über Erfolg der Kinder, erzählt davon von sich aus. FEDL Beschäftigung Er guckt gern TV, hält sich ansonsten aus dem Wohnbereich heraus. Frühere Interessen: Politik, Handwerken im Haus, Familie. Er benennt kein Beschäftigungsdefizit, wirkt zufrieden. Ist gern in seinem Zimmer. Mag gern Ruhe um sich herum.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

FEDL Zufriedenheit und Emotionalität Er hält Menschen auf Distanz, bis auf Familienangehörige und bekannte PK. Er drückt Gefühle und Stimmungen über Sprache und Mimik deutlich/verständlich aus. Er wirkt insgesamt zufrieden, er achtet darauf, dass seine Bedürfnisse erfüllt sind; z. B.: »So möchte ich nicht geweckt werden!« Grundstimmung ist Distanz wahren, bei sich sein. Zeigt Humor. Sexuelle Bedürfnisse bisher nicht zu erkennen, bekommt z. T. eine Erektion bei der Intimpflege Gibt Zärtlichkeit: streichelt PK z. B. über die Wange. FEDL Sicherheit Sturzgefährdet, verkennt diese. Er hat seiner Tochter seine Vollmachten überlassen, wirkt dabei vertrauensvoll in die Situation. Nimmt Medikamente im Beisein der PK: FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen Er bekommt mehrfach die Woche Besuch von seiner Familie, diese Besuche genießt er. Er hat noch eine Lebensgefährtin, die ihn besucht. Er nimmt keinen Kontakt zu anderen Heimbewohnern auf. FEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens Scheint mit seinem Heimeinzug zufrieden zu sein, signalisiert keine Ängste oder Traurigkeit. Erzählt bei Anfrage von sich. War in russischer Kriegsgefangenschaft.

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2. 



T: Sturzgefahr U: Unsicherheit beim Toilettengang, evtl. fehlende Haltemöglichkeit



FEDL Bewegung

M: Sprache ist zeitweise verwaschen, tagesformabhängig Agiert mit Mimik und Gestik (Augen zukneifen, Stirnrunzeln bei Ablehnung, Grinsen bei Freude). Er schreibt nicht. Teilt sich durch Sprechen mit, sagt, was er möchte und was nicht, ist dabei gut verständlich. Verfolgt Menschen und Ereignisse in seiner unmittelbaren Umgebung. Zeigt Humor von sich aus. Er gibt an, alles zu hören, lt. PK gibt es Einschränkungen. Körpersprache mehr im Gesicht, kaum im Körper. Sucht von sich aus nicht die Kommunikation mit anderen Bewohnern.



T: Kommunikationsverhalten U: Diagnose Demenz, vermutlich Gewohnheit Unklare Diagnose im Bereich Augen. 



FEDL Kommunikation

1.

Er kennt seine Sturzrisikofaktoren und Maßnahmen, um selber Stürze zu vermeiden. Er nutzt für jeden Toilettengang Unterstützung beim Gehen und evtl. Stehen.

Er fühlt sich verstanden, benennt dieses auf Nachfragen. Er erlebt sich weiterhin als geschätzten Gesprächspartner (Erhalt seiner jetzigen Fähigkeiten in der Kommunikation). Hörfähigkeit ist abgeklärt. Er äußert Bedürfnisse und Wünsche weiterhin, erfährt, dass es sich lohnt.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.















Beratungsgespräch ihm über seine Risikofaktoren, evtl. Sohn hinzuziehen. Mit Hausmeister und ihm ein Gespräch vereinbaren, indem die beiden zusammen aus handwerklicher Sicht einen neuen Haltegriff im Bad planen.

Weiterhin bei allen Kontakten verbal und nonverbal mit ihm kommunizieren. Ihn anschauen, laut und deutlich sprechen. Seine Lieblingsthemen aufgreifen (alte Werte, Kinder, Stolz auf Beruf). Ihn einladen, schrittweise mehr mit anderen Bewohnern zusammen zu erleben. Ärztliche Untersuchung des Hörvermögens organisieren, vorher Absprache mit ihm und seinen Kindern. Wenn er nicht möchte, später erneut versuchen. Ihm humorvoll, auch mit einem echten Witz begegnen. Auf seine Witze, z. B. »vom Waschen wird die Haut dünn« mit Humor reagieren.

Maßnahmen

192 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

M: Zeigt keine Motivation zur eigenen Körperpflege (»Mach ich selbst, mach ich später, habe ich schon gemacht«). Wenn Körperpflege angeboten wird, nimmt er sie an. Wäscht sich auch unter Anleitung nicht selber (»Ich habe mich schon gewaschen«). Zieht sich von sich aus nicht an oder aus. Äußert keinerlei Wünsche zum Kleiden oder Pflegen. Laut Tochter duscht er gern am Wochenende. War früher sehr akkurat und gepflegt.



T: Körperpflege, eingeschränkt U: geringe Motivation, eingeschränkte Merkfähigkeit 







FEDL Pflegen und Kleiden

M: Insgesamt unsichere Bewegungen (Sturzängste aufgrund mehrerer Stürze, langsame Bewegungen, schlaffer Bewegungstonus, wirkt schlapp. Aufsetzen, Umsetzen macht er in langsamen Bewegungen selber. Geht mit Rollator allein, überschätzt sich dabei. Erhöhte Sturzgefahr beim Toilettengang, da er beim Wasserlassen steht. Gefahr von Urinlachen auf dem Boden, bzw. wackeliges Stehen. Geht nachts allein zur Toilette. Er nimmt weiterhin die Körperpflege durch PK an. Er äußert darüber Zufriedenheit. Körperpflege ist nach seinen Wünschen gestaltet, z. B. zügig.

Individuelle Festhaltemöglichkeit im Stehen in der Toilette wird gefunden. Sturzrisikofaktoren sind reduziert.



























Morgens nach 10:00 Uhr Begleitung ins Bad zur Körperpflege. Er hat vorher gefrühstückt. Komplette Übernahme der Körperpflege durch PK, er sitzt am Waschbecken und darf genießen. Incl. Gebisspflege – Gebiss liegt 10 Minuten in Reinigungslösung, danach wieder reinsetzen). Mund ausspülen macht er unter Anleitung selber. Haare kämmen und rasieren (trocken) durch PK. Zügige Vorgehensweise. Abends Teilwaschung am Waschbecken durch PK, Gesicht, Hände, Intimbereich. Hände waschen nach Toilettengang durch PK, bei jedem Mal Duschen komplette Übernahme 1 x am Wochenende. Pflege der Beine und Füße mit Nivea Milch morgens und abends. Testphase: Nassrasur wegen trockener Haut, ebenfalls wegen Olivenölzusatz beim waschen. Vorher Gespräch mit Sohn/Tochter.

Ihn bitten, jedes Mal zu bitten, wenn er zum Bad gehen möchte, dann begleitet ihn PK. Teilnahme am Sturzpräventionsprogamm auf dem Wohnbereich, 2 x die Woche. Tagsüber mehrfach Begleitung beim Toilettengang anbieten, (siehe FEDL Ausscheidung). Ihm immer die Klingel zur Verfügung stellen. Nachts 3 Kontrollgänge, ebenso Begleitung zu Toilettengängen anbieten.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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5.

4.

Nr.

T: Zubereitung der Mahlzeiten, leicht eingeschränkt U: Evtl. eingeschränkte Motivation, oder leichte demenzielle Symptomatik

FEDL Essen und Trinken

M: Herr M. zeigt keinerlei Interesse oder Motivation zum An- oder Auskleiden. Kleidet sich auch unter Anleitung nicht an oder aus. Äußert keine Kleidungswünsche. Legt sich mindestens 3 x die Woche angekleidet abends ins Bett, möchte sich dann auch nicht mehr ausziehen lassen. Trägt gern T-Shirts, Polo-Shirts mit Kragen.

T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Geringe Motivation, eingeschränkte Merkfähigkeit

Hautzustand: trockene Haut. Es besteht die Vermutung, dass ihm die Übernahme der Körperpflege gefällt, er es evtl. als Zuneigung und Erfahrung menschlicher Wärme versteht.

Pflegerische Ist-Situation















Er ist motiviert, sich die Brote selber zuzubereiten, bzw. Fleisch o. ä. zu schneiden. Er isst weiterhin mundgerecht zubereitete Mahlzeiten selber. Er ist weiterhin in einem guten Ernährungsstatus. Er trinkt weiterhin Ø 1,5 Liter täglich.

Er ist nach seinen Wünschen gekleidet, äußert Zufriedenheit über seine Bekleidung und sein Äußeres. Er ist motiviert, sich aktiver am eigenen An- bzw. Auskleiden zu beteiligen, z. B. Oberteile selber knöpfen, über den Kopf ziehen, Hose knöpfen, etc. Er erfährt Achtung und Respekt, wenn er z. B. sich nicht ausziehen will.

Ziele/Lösungen















Ihm den Speiseplan eine Woche im Voraus zeigen, Essen auswählen lassen. Ihm die Mahlzeiten so anrichten, dass er Brote selber schmieren kann, ausprobieren. An seine alten Kompetenzen erinnern. Wenn er dies mehrfach nicht möchte, wieder mundgerecht vorbereitete Mahlzeiten servieren. Ihn in das Esszimmer einladen. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, mit ähnlich gebildeten Menschen zusammen zu sitzen.

Nach der morgendlichen Körperpflege die Kleidung mit ihm gemeinsam am Kleiderschrank auswählen. Ihn dann im Bad die Kleidungsstücke einzeln anreichen. Hier Ressource Humor einbinden, bzw. Disziplin nutzen: »Müßiggang ist aller Laster Anfang«, »Ein schlafender Fuchs fängt kein Huhn«, etc. Wenn er nicht mag, wird der von der PK komplett angezogen, zwischendurch immer wieder motiviert, sich selber anzukleiden. Abends beim Ins-Bett-Bringen ähnlich, zwischen Übernahme und Anleitung variieren. Wenn er abends schon angezogen auf dem Bett liegt und so bleiben möchte, später erneut versuchen.

Maßnahmen

194 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

6.





T: Kontinenz, leicht eingeschränkt U: Evtl. demenzielle Symptomatik, eingeschränkte Merkfähgkeit

M: Kontinenzprofil: abhängig kontinent, nimmt Hilfe beim Toilettengang an, geht auch allein zur Toilette (mehrfach pro Schicht), trägt Inkontinenzhose, die manchmal nass ist, wenn er den Toilettengang selber macht. Stuhlgang täglich, (trinkt Buttermilch). Versuche mit Urinflasche schlugen bisher fehl (kennt vielleicht Ablauf nicht).



FEDL Ausscheidung

Trinkverhalten: Trinkt von sich aus ca. 1,5 Liter täglich. Lieblingsgetränk ist Wasser, trinkt gern abends ein Bier.

M: BMI: 27. Isst und trinkt mundgerecht zubereitete Mahlzeiten selber. Schneidet kein Fleisch selber, dito Brote schmieren. Isst lieber im Zimmer, kommt manchmal in den Speisesaal. Äußert Wünsche. Legt Wert auf regelmäßige Mahlzeiten, fragt auch nach.

Kontinenzprofil bleibt weiterhin abhängig kontinent bzw. unabhängig kontinent. Er geht weiterhin allein zur Toilette, holt Hilfe ausschließlich zur Sturzprävention. Er. nutzt ggf. eine Urinflasche in der Nacht.















Mit ihm über den Zusammenhang von Sturz gefahr und Toilettengang allein sprechen. Ihn bitten, zu klingeln Mit ihm ein Miktionsprotokoll anlegen, ihn bitten, das von seiner Seite aus so genau wie möglich zu führen, wenn er mag. Zweck: bevorzugte Toilettengangszeiten erkennen. Begleitung beim Toilettengang anbieten: Morgens um 7:00 Uhr, 9:00 Uhr, ca. 11:00 Uhr, ca. 13:00 Uhr, ca. 15:00 Uhr, ca. 17:00 Uhr, ca. 19:00 Uhr, ca. 21:00 Uhr. Ihn zur Verwendung von Inkontinenzprodukten beraten, vielleicht reicht auch eine sehr kleine Vorlage, speziell für Männer. Ihm den Umgang damit aufzeigen, Entsorgung im Bad bereitstellen. Gespräch durch männliche PK. Auch den Umgang mit der Urinflasche zeigen. In der Nacht 2 bis 3 Toilettengänge anbieten.

Servieren von 3 Haupt- und 3 Zwischenmahlzeiten im Zimmer. Weiterhin Getränke bereitstellen, Trinkverhalten beobachten.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung 195

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Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3. Frau K.

Pflegestufe I Diagnose: Demenz Informationen zur Biografie – auszugsweise (vom Sohn ausgefüllt) Jahrgang 1938. Geburtsort: Haimar, Verwitwet, einen Sohn, dieser hat die komplette Vollmacht Sie hatte eine besondere Beziehung zu den Schwestern Berufstätigkeit: Haushaltshilfe im Privathaushalt und auf einem Gut, auch bei mehreren Bauern gearbeitet. Berufstätigkeit bei größerer Firma, 3 Jahre, danach Hausfrau und Mutter. Heirat im Jahre 1958. Sie war im Dorf sehr beliebt und sehr kontaktfreudig. Vor Ihrer Erkrankung war sie offen und aufgeschlossen. Prägende Ereignisse Als wichtiges Erlebnis wird vom Sohn der Tod des Ehemannes angegeben. Wichtige frühere Werte Ordnung im Haus, Hof und Garten, Sauberkeit und Ordentlichkeit. Einrichtung war immer sauber. Kleidung war immer sauber und gebügelt. Wäsche wurde vorher gestärkt. Pünktliche Einnahme der Mahlzeiten. Ev.lutherisch. Sie hat sich immer viel bewegt in Haus und Garten. Sie hat Nähe gegeben und konnte sie gut nehmen. Sie hat andere, vertraute Menschen (Freuden, Familie, Bekannte) gern berührt. Hat sich früher intensiv mit Haushalt, Gartenarbeit, Kochen und Backen, Spazieren gehen und Bewegung beschäftigt. Keine Haustiere. Sie war im Landfrauenverein, schrieb Tagebuch und backte gern Torten. Drehte sich abends die Haare auf Lockenwickler. Sie ging selten zum Friseur, nur bei besonderen Anlässen. Sonstiges Riecht gern Blumen. Sie sammelt Sticker, Aufkleber, Blümchenaufkleber und Liebesmarken. Spielte gern »Mensch ärgere dich nicht« Guckte TV; las Zeitung und Zeitschriften. Lieblingskleidung: Kittel, weiße Bluse mit Brosche. Eigene Krankheiten wurden eher ignoriert nach dem Motto »Schmerz kommt & Schmerz geht«. Ging fast nie zum Arzt, nur in Notfällen, wenn es überhaupt nicht mehr ging.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

Pflegeanamnese

FEDL Kommunikation Sehen: Reagiert mit Augenkontakt auf Ansprache, verfolgt Umgebung mit den Augen, trägt keine Brille, scheint alles zu sehen. Hören: Hört gut, reagiert auf Ansprache und Geräusche in der Umgebung Sprechen: Spricht nach Anregung, spricht abgehackt in kurzen Sätzen. Spricht verständlich. Spricht von sich aus niemanden an. Mimik: Lächelt bei Unsicherheit: unsicherer Gesichtsausdruck, guckt um sich, etc. Aphasie: Setzt Gehörtes nicht in Handlung um. Hört anderen zu, spricht selber in Gesprächen mit anderen kaum. FEDL Orientierung Zeitlich: Hat selber keine erkennbare Tagesstruktur, nimmt zeitliche Hinweise von anderen, z. B. PK an, nutzt keine Hilfsmittel wie Uhren Örtlich: Erkennt ihr Bett, sonst keine örtliche Orientierung erkennbar, findet auch nicht ihr Zimmer. Zur Person: Orientiert sich an Arbeitskleidung der PK; trennt diese damit von den Mitbewohnern. Erkennt sich im Spiegel und auf Fotos, reagiert auf ihren Namen. Zur Situation: Verkennt mindestens die Hälfte aller Situationen, ahmt viel nach, beginnt nicht von sich aus, führt Handlungen nicht selber durch, orientiert sich an anderen Bewohnern. Verwendet Utensilien z. T. unter Anleitung sinngemäß – speziell beim Essen. Merkt sich eben Gesagtes nicht. Konzentration: Abhängig von der Aktivität: 5 bis 10 Minuten Bitte nachtragen: Gedächtnis (Altzeit und Jetzt) Nutzt manchmal Orientierungshilfen wie Name an ihrer Tür. Fähigkeit Bewegung Sehr mobil, geht sicher, keinerlei Bewegungseinschränkungen. Geht schnell. Greift sicher und fest zu. Keine Kontrakturen o. ä. Führt Mikro- und Makrobewegungen selber durch. Bradenskala: 17 Pkt. (geringes Risiko) Braucht keine Gehhilfen. FEDL Vitale Funktionen Uneingeschränkt, nicht schnell erschöpft, auch wenn sie schnell geht. FEDL Pflegen und Kleiden In der Vergangenheit folgende Gewohnheiten: Abends Haare auf Lockenwickler drehen, Körperpflege am Waschbecken, Duschen morgens. Unter Anleitung und mit Hilfe akzeptiert sie die Körperpflege durch PK. Unter verbaler und nonverbaler Anleitung wäscht sie kleine Teilbereiche des Körpers selber (Gesicht, Hände), Mundpflege. Wenn sie sich selber wäscht, beginnt sie im Intimbereich.

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198

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

Bei bereitgehaltener Kleidung (z. B. zwei Blusen) äußert sie Wünsche. Hebt beim An- und Auskleiden unterstützend die Arme, zieht unter Anleitung etwas Kleidung an und aus, knöpft z. B. Knöpfe etc. FEDL Essen und Trinken BMI: 30, übergewichtig. Isst unter Anleitung und kontinuierlicher Impulsgabe mundgerecht vorbereitete Nahrung selber, guckt z. T. anderen Bewohnern etwas ab. Hält zugeteilte Essensportion ein. Trinkt u. Anleitung Ø 1,5 Liter, trinkt alles, was ihr zugeteilt wird. Isst normale Kost. Mag Apfelsaft, Mineralwasser. Möchte einen festen Platz beim Essen, legte früher Wert auf feste Essenszeiten. FEDL Ausscheidung Kontinenzprofil: Abhängig erreichte Kontinenz – nicht kompensierte Inkontinenz: Sie legt ca. 2 bis 3 x tgl. die nasse Vorlage weg, lässt Harn dort laufen, wo sie ist. Nimmt aber auch Toilettengänge an, scheidet dann auf Toilette aus. Bekommt zurzeit eine Wassertablette (Indikation unklar). Zeigt keinen bevorstehenden Toilettengang an, scheidet aus, ohne darauf sichtlich zu reagieren. Stuhlgang 1 x täglich, normal fest. Zeigt kein Schamgefühl, wenn PK beim Toillettengang dabei ist. FEDL Ruhen, Schlafen und Wachsein Schläft gut (tief und fest) nach Unterbrechungen wieder ein. Macht nach Frühstück und Mittag ein Schläfchen (im Bett). FEDL Aktivieren – Anregen Passiver Typ, agiert wenig von sich aus. Werte: Ordnungsliebe und Haushalt. Geruchssinn ist gut aktiv bei Parfümdüften. Sie wirkt oft nachdenklich. Nimmt bevorzugt Musik und Singen wahr. Wenn es zu viele Menschen werden, bei viel Hektik um sie herum reagiert sie mit Unsicherheit, Verwirrung. Hat ein Bedürfnis nach Aktivität, arbeitet z. B. im Zimmer (zieht Wäsche ab, faltet Handtücher). Wichtiger Antrieb von früher: Bewegung und Ordnung, Pflicht erfüllen. FEDL Beschäftigung Sie nimmt an Angeboten des Hauses teil: Gymnastik, Singen, etc. Liegt viel auf dem Bett (bei Wunsch danach guckt sie sich hilfesuchend um, da sie wohl nicht weiß, wie sie zum Bett kommt). Sitzt mit anderen Bewohnern zusammen, hört denen zu. Macht Beobachtungen, sitzt einfach da, wirkt dabei zufrieden. Schaut Fernsehen nur dann, wenn es angeschaltet wird.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

FEDL Zufriedenheit und Emotionalität Wirkt bei »Nachdenklichkeit« auch traurig. Insgesamt wirkt sie zufrieden und in sich ruhend. Lächelt bei Berührung (in den Arm nehmen, streicheln) berührt von sich aus andere Menschen nicht. Keine sexuellen Bedürfnisse zu erkennen. Sie äußert kaum eigene Bedürfnisse. FEDL Sicherheit Gefahren scheint sie nicht mehr einzuschätzen, nimmt Medikamente nicht selber. Nutzt Klingel nicht, weiß vermutlich nicht, wie diese geht. Drückt Bedürfnis nach Sicherheit aus: Möchte nicht allein im Zimmer sein (bei Alleinsein ist sie oft aus dem Zimmer gegangen). Mag gern eine überschaubare Zahl an ruhigen Menschen um sich herum. Beschäftigt sich überhaupt nicht mit ihren persönlichen Angelegenheiten wie Geld oder Post oder Papiere. FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen Beginnt Freundschaften zu anderen Heimbewohnern zu knüpfen, ihr Bruder lebt hier, den sie erkennt. Zeigt keine Distanz zu PK. Kinder kommen 1 bis 2 x die Woche. Hat ein ausgewogenes Verhältnis von Alleinsein und Zeiten von Kontakt. FEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens Grundhaltung: Sie nimmt vieles einfach hin. Signalisiert gelegentlich Angst vor dem Alleinsein. Schmerzen nicht vorhanden. Es ist ihr wohl nicht bewusst, dass sie im Heim lebt. Hat in der Vergangenheit den Verlust des Ehemannes betrauert (2006)

199

Zur Situation: Verkennt mindestens die Hälfte aller Situationen, ahmt viel nach, beginnt nicht von sich aus, führt Handlungen nicht selber durch, orientiert sich an anderen Bewohnern. Verwendet Utensilien z. T. unter Anleitung sinngemäß – speziell beim Essen. Merkt sich eben Gesagtes nicht. Dadurch ist sie in ihrer Selbstpflege sehr stark eingeschränkt.

Zur Person: Orientiert sich an Arbeitskleidung der PK; trennt diese damit von den Mitbewohnern. Erkennt sich im Spiegel und auf Fotos, reagiert auf ihren Namen.

Örtliche Orientierung: Erkennt ihr Bett, sonst keine örtliche Orientierung erkennbar, nutzt manchmal Namensschild an Zimmertür.









T: Orientierung, eingeschränkt U: Demenzielle Erkrankung

M: Zeitliche Orientierung: Hat selbst keine erkennbare Tagesstruktur, nimmt zeitliche Hinweise von anderen, z. B. PK, an, nutzt keine Hilfsmittel wie Uhren etc.



FEDL Orientierung

1. Sie nimmt weiterhin Hilfe und Unterstützung von PK an. Sie nutzt weiterhin Namensschild an Zimmertür und erkennt ihr Bett. Sie guckt weiterhin bei anderen Verhalten ab. Sie erkennt sich weiterhin im Spiegel und auf Fotos, reagiert auf ihren Namen. Sie erfährt die Beachtung ihrer nonverbalen und verbalen Signale (speziell wenn sie Hilfe möchte).

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



















PK nehmen engmaschigen Kontakt zu ihr auf. Mindestens viertelstündlichen Kontakt in Sitzecke, wenn sie tagsüber im Zimmer ist, ca. stündlich. PK tragen weiterhin Dienstkleidung. Namensschild vergrößern. Bei allen begleitenden Wegen im Haus/Wohnbereich auf Orientierungshilfen hinweisen. Bei Kontakten Hinweise auf Tageszeit geben. PK achten auf Mimik und Gestik, um Stimmungen zu erkennen Hohe Regelmäßigkeit der Mahlzeiten und aller pflegerischen Vorgänge: Wecken: 7:30 Uhr. Frühstück: 8:00 – 8:30 Uhr Frühstück, dann Schläfchen, Wecken dann gegen 11:30 Uhr. Mittagessen um 12:00 – 12:45 Uhr, dann Mittagsschlaf, zwischendurch Toilettengang. Wecken zum Kaffee, Kaffee von 15:15 Uhr – 15:45 Uhr, bleibt dann in Sitzecke bis Abendbrot: 18:00 Uhr Abendbrot. Ins Bett gehen gegen 19:30 Uhr, dann noch TV-gucken. Alle Maßnahmen werden verbal in einfachen kurzen Sätzen angeleitet, und vorgemacht, auch die Verwendung von Utensilien. Testphase: Bestärken ihres Personseins: Gespräche über ihr früheres Leben und ihre Kompetenzen führen. Ergebnis und Verhalten dokumentieren. Zeitpunkt: zwischen Kaffee und Abendbrot.

Maßnahmen

200 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

2.

M: Trinkt u. Anleitung Ø 1,5 Liter, trinkt alles, was ihr zugeteilt wird. Mag Apfelsaft, Mineralwasser, trinkt jedoch nicht von sich aus.

T: Gefahr eines Flüssigkeitsdefizites U: Eingeschränktes Durstgefühl, derzeitige Einnahme einer Wassertablette, bedingt durch die demenzielle Symptomatik

M: BMI: 30, übergewichtig. Isst unter Anleitung und kontinuierlicher Impulsgabe mundgerecht vorbereitete Nahrung selbst, guckt z. T. anderen Bewohnern etwas ab. Hält zugeteilte Essensportion ein. Isst normale Kost Möchte einen festen Platz beim Essen, legte früher Wert auf feste Essenszeiten.

T: Nahrungsaufnahme, eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik

FEDL Essen und Trinken













Trinkmenge mindestens 1,8 Liter täglich. Sie trinkt weiterhin, was ihr bereitgestellt wird. Sie äußert bei Nachfragen Zufriedenheit über ihre Getränkeauswahl.

BMI liegt bei 28. Sie isst weiterhin unter Anleitung und bei Impulsgabe mundgerecht zubereitete Nahrung. Sie holt sich weiterhin Hilfe, indem sie bei anderen Bewohnern abguckt.













Sie erhält zu allen Mahlzeiten ein Glas mit Wasser und/oder Apfelsaft bereitgestellt. Impulsgabe und Anleitung durch PK. 6 x tgl. Bei allen Besuchen in ihrem Zimmer (z. B. beim Liegen, beim Toilettengang, etc.) wird ihr ein Getränk gereicht. Ca. 12 x tgl. Es steht in ihrem Zimmer auf dem Nachtschrank immer ein gefülltes Wasserglas.

Sie erhält 3 Hauptmahlzeiten und 3 Zwischenmahlzeiten. Testphase: Sie sitzt am Tisch mit BewohnerInnen, die ihre Brote selber »schmieren«, so kann sie dort abgucken, wie es geht. Zusätzlich gibt PK Impulse. Ist das tagesformabhängig nicht möglich, wird die Mahlzeit mundgerecht vorbereitet. Tägliche Kalorienmenge verteilt auf 6 Mahlzeiten.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

201

Nimmt auch Toilettengänge mit PK an, scheidet dann auf Toilette aus. Bekommt zurzeit eine Wassertablette (Indikation unklar). Zeigt bevorstehenden Toilettengang an oder nicht. Scheidet z. T. aus, ohne darauf sichtbar zu reagieren. Stuhlgang 1 x täglich, normal fest. Zeigt kein Schamgefühl, wenn PK beim Toilettengang dabei ist.











T: Eingeschränkte Kontinenz U: Demenzielle Symptomatik, Wassertablette

M: Kontinenzprofil: Abhängig erreichte Kontinenz – nicht kompensierte Inkontinenz, je nach Tagesform. Sie legt ca. 2 bis 3 x tgl. die nasse Vorlage weg (verbirgt diese z. T.), lässt Harn dort laufen, wo sie ist. Geht auch im Zimmer allein zur Toilette.



FEDL Ausscheidung

4. Indikation für Wassertablette ist geklärt. Kontinenzprofil abhängig erreichte Kontinenz mindestens 2 x morgens, 2 x nachmittags, 1 x nachts. Sie geht auch weiterhin allein zur Toilette. Weiterhin täglich Stuhlgang. Kontinenzsituation ist genau diagnostiziert. Ihre Anzeichen, dass sie zur Toilette muss, werden noch früher erkannt.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Erstellen eines Miktionsprotolls über 14 Tage. Planung der Toilettengangsbegleitung danach. Testphase: Weglassen der Inkontinenzhose sowie der Strumpfhose (Tragen lassen von langen Strümpfen). Hausarzt um Überprüfung der Indikation der Wassertablette bitten. Urologische Untersuchung organisieren (Harnverhalt, Restharn, etc.). PK begleiten sie zur Toilette: Ca. 7:30 Uhr, nach dem Frühstück ca. 9:00 Uhr, vor dem Mittagessen ca. 11:30 Uhr. Vor dem Mittagsschlaf ca. 13:00 Uhr, vor dem Kaffe ca. 15:15 Uhr. Ca. 16:00 Uhr, ca. 17:30 Uhr, nach dem Abendbrot ca. 18:15 Uhr. Beim Ins Bett bringen ca. 19.30 Uhr. Dann 21:30 Uhr. Ca. 23:30 Uhr. Ca. 2:00 Uhr. Ca. 4:30 Uhr letzter Besuche, die Vorlage kontrollieren, wenn sie tief schläft, schlafen lassen.

Maßnahmen

202 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

6.

5.

M: Frau K. gibt von sich aus, außer dem »sich Hinlegen wollen«, keine Bedürfnisse an. Sie war früher ein sehr aktiver Mensch und hat sich in Haus und Garten viel beschäftigt. Dies kann sie jetzt nicht mehr. Ihre Werte sind u. a. Sauberkeit, Pflichterfüllung und Ordnung, sowie Regelmäßigkeit. Sie war eine wichtige Person in der Familie; Hüterin von Haus und Hof.

T: Stärkung des Personseins U: Kann nicht wie früher ihre Werte und Aktivitäten leben und erfahren

FEDL Aktivieren – Anregen

M: Individueller Sturzrisikofaktor: veränderte Sensibilität, Verkennung von Situationen/Beeinträchtigung der Kognition (Diagnose) Demenz). Spezielles Sturzrisiko beim Toilettengang: Aus- und Ankleiden sowie Ausrutschen im eigenen Urin. Hier noch keine Stürze, Stürze auch vorher nicht bekannt. Ansonsten hält sie beim Transfer etc. gut fest. Holt bei Bedarf Hilfe.

T: Sturzrisiko U: Evtl. Grunderkrankung Morbus Parkinson (laut Angehörigen in der Biografie)

FEDL Bewegung















Sie erfährt Stärkung ihres Personseins . Sie erlebt die Stärkung und Beachtung ihrer Werte. Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen sind für sie gefunden.

Sie bleibt weiterhin sturzfrei. Diagnose und Medikation ist neu überprüft. Sie geht so oft wie möglich mit Begleitung zur PK. An- und Auskleiden ist in »einem Rutsch« möglich.



















PK sprechen bei Kontakten ihre Werte an. Z. B: »Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss essen, was übrig bleibt«; »Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nie auf morgen«; »Wie die Arbeit, so der Lohn. Fleiß bringt Brot, Faulheit Not«; »Was sind Sie für eine ordentliche Frau!«; »Alles ist bei Ihnen so schön gerichtet«, etc. Situationsgerechtes Ansprechen ihrer Kompetenzen. Z. B.: »Wie haben Sie es in schweren Zeiten geschafft, ihre Familie satt zu bekommen?«; »Bei mir zuhause sieht es aus wie bei Hempels untern Sofa. Können Sie mir sagen, wie ich meine Kinder zur Ordnung kriege?«, etc. Auf dem Wohnbereich Haushaltstätigkeiten für sie suchen, ebenso im Garten.

Beratungsgespräch mit den Angehörigen über Sturzrisiko, speziell Anschaffung von einfacher Kleidung und offener Hüftprotektorenhose. Siehe Maßnahme: FEDL Ausscheidung Testphase: Erinnerungszettel an Badezimmertür, damit sie eine PK ruft. Wenn sie in den öffentlichen Bereichen des Wohnbereiches ist, beobachten, ob sie hilfesuchend guckt, dann zur Toilette begleiten. Einfache Unterkleidung, siehe FEDL Kleiden und Pflegen. Testphase: Sturzgürtel ausprobieren.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

203

M: Frau K. war früher sehr kontaktfreudig und liebevoll, gern berührte sie anderen Menschen im Kontakt. Sie nimmt Nähe und Berührung von PK an, drückt aktiv (bis auf den Wunsch, sich hinlegen zu wollen) keine Bedürfnisse aus. Sie wirkt in sich ruhend und zufrieden, bis auf leicht nachdenkliche Stimmungen.



T: Erfahrung als liebevoller Mensch U: Lebt nicht mehr so, wie sie früher gelebt hat, durch demenzielle Diagnostik ist ihr Handlungsradius eingeschränkt. 



FEDL Zufriedenheit und Emotionalität

7. Sie erfährt Zuwendung, Nähe und Bestätigung ihrer Person. Sie erfährt, dass sie wichtig ist und gemocht wird. Sie drückt weiterhin Zufriedenheit und »In-sich-Ruhen aus«.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.







Bei allen Kontakten: Sie liebevoll, lächelnd anschauen, sie am Oberarm o. ä. Körperstellen berühren. Je nach Situation Wertschätzung und Nähe ausdrücken, ihr zeigen und sagen, dass man sie mag. Z. B. »Es ist immer schön hier bei Ihnen im Zimmer«, »Ich bin so gern in Ihrer Nähe«, etc. Wenn sie zufrieden im Zimmer oder auf dem Wohnbereich sitzt, dieses verbal bestätigen, z. B. »Jeder Vogel hat sein Nest lieb.«; »Gut Dinge will weil haben.«; »Nach getaner Arbeit ist gut ruhen.«

Maßnahmen

204 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

4. Herr X.

Wohnform: Einzelzimmer, Pflegeheim Pflegestufe 1 Ärztliche Diagnose: Z. n. Hüft OP; AVK der unteren Extremitäten, Gonarthrose rechts; Hypertonie, KHK, Hypercholesterinämie, perizöse Anämie, Nierenveränderung mit Zysten, Schlafstörungen, chronische Verwirrtheit. Medikamente: Unat 10 mg; Adumbran 10 mg; Captohexal 25 mg; Ivel; Molsihexal ret. 8 mg; Norvasc 5 mg; Tebonin spezial 80 mg; Tramadol ret. 50 mg Zocor 5 mg; Risperdal 1 mg. Bedarfsmedikamente: Laxoberal Informationen zur Biografie 88 Jahre, geboren in Brockau, Breslau verheiratet Justizangestellter am Amtsgericht. Gründungsmitglied der … »Ritterschaft« und Faschingsgesellschaft; 10 Jahre Seniorenbeauftragter beim Roten Kreuz in K. Prägende Ereignisse Herr X. steht immer noch unter dem Einfluss des Zweiten Weltkriegs. Er ist mit seinen Gedanken sehr oft in der Kriegszeit; das zeigt sich an Aussagen und Situationen. Bittet man ihn bspw., ein wenig zu warten, antwortet er: »Ich warte hier solange, bis ich den Befehl zum Abmarsch erhalte.« Herr X. war Oberleutnant, hatte große Verantwortung an der Front – dann schwere Verwundung; Flucht der ganzen Familie nach Westdeutschland

205

2.



T: Verbale Kommunikation, beeinträchtigt U: Anamnestische Aphasie



T: Örtliche Orientierung, eingeschränkt U: Chronische Verwirrtheit

M: Herr X. äußert ca. 1 x tgl., nicht zu wissen, wo er ist. Er denkt oft, dass er in einer Kur- oder Urlaubseinrichtung ist und anschließend wieder nach Hause kommt. Er nutzt großflächige Orientierungshilfen und fragt PK bei Unsicherheiten.



FEDL Orientierung

M: Redefluss ist unterbrochen, wenn das passende Inhaltswort fehlt. Herr X. verwendet dann Umschreibungen oder andere Wörter. Er ist motiviert, weiter verbal zu kommunizieren. Er äußert seine Bedürfnisse und Gefühle, sucht mit Gestik Kontakt zur Kommunikation. Er gibt durch Kopfnicken etc. an, dass er sich verstanden fühlt.



FEDL Kommunikation

1.

Er erhält wichtige örtliche Informationen. Er schätzt seinen Ort richtig ein.

Er gibt weiterhin an, dass er sich verstanden fühlt. Er äußert weiterhin seine Gefühle, Bedürfnisse, etc.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.





















Zimmer wird in Absprache mit Bew. mit persönlichen Einrichtungsgegenständen eingerichtet (Fotos, Bilder, Landkarten). Zimmer wird von außen mit großem Foto o. ä. gekennzeichnet, sodass er es sofort erkennen kann. Im Haus/Wohnbereich immer dieselben Wege gehen. Den Wohnbereich mit großflächigen Orientierungshilfen versehen (Schrift/Bild). Hausprospekt zur Verfügung stellen. In Gesprächssituationen und bei Kontakten auf den Ort und die Situation hinweisen.

Kommunikation in entspannter Atmosphäre führen, in Ruhe sprechen lassen. Je nach Ziel des Gesprächs (therapeutischer Natur oder Stärkung des Kontakts und der Beziehung) mit dem vorsichtigen Nennen von evtl. gesuchten Wörtern helfen, oder nicht. Ihn häufig zum Sprechen animieren, bevorzugte Gesprächsthemen (Arbeit, Familie, Frau etc.) auf greifen. Logopädische Therapie veranlassen.

Maßnahmen

206 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

4.

3.



T: Bewegung eingeschränkt U: Kriegsverletzung (Durchschuss der Hüfte) und Zustand nach Oberschenkelhalsfraktur rechts.

M: Herr X. geht mit Gehstock oder PK Strecken im Haus, dabei ist er weitgehend schmerzfrei (erhält Medikamente). Er ist frei von Kontrakturen.









FEDL Bewegung

M: Herr X. fragt tagsüber ca. 2 x pro Stunde nach der Uhrzeit, nutzt eigene Uhr nicht. Fragt ca. 5 x tgl. nach seiner Frau und/ oder Mutter, weiß nicht, was mit ihr ist. Erkennt vermutlich seine persönliche, aktuelle Situation nicht. Zeitweise reagiert er mit Unruhe (Sprache, Gestik, Bewegunge, etc.), wenn er der Meinung ist, nach Hause zu müssen, da seine Familie auf ihn wartet. Wendet sich dann hilfesuchend an PK.

T: Orientierung, eingeschränkt U: Chronische Verwirrtheit

Er geht weiterhin mit Stock auf dem Wohnbereich. Er bleibt frei von Kontrakturen.

Er nutzt Informationen zu seiner Situation nach Bedarf. Er äußert auf Nachfragen Sicherheit. Er erhält alle für ihn wichtigen Informationen.























Bewegungsverhalten beobachten, ggf. Arzt informieren. Ihn mehrfach täglich, ca. 7–8 Mal auf dem Wohnbereich beim Gehen begleiten. Gehstock immer in Reichweite stellen. Tägliche Bewegungsübungen in Form von Sitzgymnastik der BT. Ihn in alle Bewegungsabläufe einbeziehen, wenig abnehmen, Erschöpfungsanzeichen beachten.

Validierende Grundhaltung. Auf Nachfragen mit Gefühl und Bestätigung reagieren. Thema »Frau«/ »Mutter« in Gesprächsinhalten aufgreifen, mit Fotos o. ä. Erinnerung intensivieren. Evtl. sanft an der Realität orientieren (Stimmungsabhängig): Abhängig davon, was er wissen möchte. Klare Bezugspersonen anbieten. Bei Äußerungen, dass er nach Hause möchte, über »Zuhause« sprechen: »Was müssen Sie dort tun?«; »Wie ist es zuhause?«; »Was ist das Besondere am Zuhause?« dann langsam ins Zimmer begleiten, an dieses Zimmer erinnern, evtl. mit Ehefrau telefonieren lassen. »Zuhausegefühl« fördern, offene Türen, bequeme Kleidung, Berücksichtigung von Wünschen und Bedürfnissen etc. Beobachten verbaler und nonverbaler Zeichen, in Zusammenhang mit einem Bedürfnis bringen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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207

6.

T: Sturzrisiko U: Risikofaktoren wie Bewegungseinschränkungen, teilweise Desorientiertheit

5.

M: Chronisch hoher Blutdruck, mit der Gefahr einer hypertensiven Krise, deren Frühwarnzeichen Herr X. wahrnimmt



T: Gefahr einer hypertensiven Krise U: Hypertonie











Hypertensive Krise wird rechtzeitig erkannt. Er schätzt weiter die Frühanzeichen richtig ein. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt. Stabile Kreislaufverhältnisse (RR-Werte unter 145 mmHG diastolischer Wert).

Er bleibt sturzfrei. Er holt weiterhin Hilfe bei Bedarf und nimmt weiterhin Hilfe an.

Ziele/Lösungen

FEDL Vitale Funktionen

M: Herr X. geht mit Gehstock und PK mehrere Meter, dabei erschöpft er, schwankt dann z. B. Er fordert Hilfe zum Gehen an, dito Transfer. Akzeptiert das Tragen von Hüftprotektorhosen.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.





















3 x tgl. RR nach ärztlicher Anordnung, bei Bedarf mehr. Bei hohen Werten Arzt informieren (über 150 mmHG diastolischer Wert). Kochsalzarme Kost Ø FEDL »Essen und Trinken« 1 x wöchtl. mit ihm über mögliche Frühwarnzeichen einer hypertensiven Krise, bzw. Anzeichen eines wohlgeformten Blutdrucks sprechen (Kopf schmerzen, verschwommenes Sehen, Unruhe, Schwindel, Übelkeit, etc.). Medikamentengabe n. ärztlicher Anordnung.

Beratungsgespräch mit ihm und Angehörigen, Information über Risikofaktoren geben, Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen geben: weiterhin Tragen von Hüftprotektorhose, Begleitung beim Gehen und Transfer, bzw. Aufstehen/Hinsetzen. Ihn mehrfach täglich, ca. 7–8 Mal auf dem Wohnbereich beim Gehen begleiten. Gehstock immer in Reichweite stellen. Tägliche Bewegungsübungen in Form von Sitzgymnastik der BT. Für nächtliche Wege Rollator ans Bett stellen, Umgang einüben (Häufigkeit). Ihn bitten zu klingeln, damit er begleitet werden kann. Hausarzt informieren, zwecks Abklärung möglicher Medikamentennebenwirkungen.

Maßnahmen

208 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

8.

7.



T: Körperpflege, eingeschränkt U: Situative Verkennung, Bewegungseinschränkungen

M: Herr X. wäscht u. A. bzw. nach Impulsgabe Gesicht, Oberkörper vorn, Arme, Beine bis zum Schienbein. Bei Ablaufveränderungen in der Körperpflege gerät er durcheinander. Rasieren und Haarekämmen bei angereichten Utensilien und mit verbaler Anleitung möglich, dito Mundpflege.







FEDL Pflegen und Kleiden

M: Herr X. beginnt schnell zu frieren, diese äußert er verbal.

T: Frösteln, schnelles Frieren U: Hypertonie, KHK

Er äußert Zufriedenheit über die durchgeführte Körperpflege. Er führt weiterhin eine Körperpflege u. A. durch.

Er äußert weiterhin Wärmeunterschiede. Er fühlt sich warm, äußert dieses auf Nachfragen.



























Morgendliche Unterstützung und teilweise Durchführung der Körperpflege gegen 7.15 h am Waschbecken (nach Standard Nr.) Utensilien bereitlegen, verbal anleiten, die Körperpflege durchzuführen, evtl. durch Impulsgabe unterstützen. PK führen Waschen und Pflegen des Rückens, der Unterschenkel und Füße durch. Eincremen des Körpers mit … -Milch. Utensilien für Rasur und Haare kämmen anreichen. Mundpflege, Anleitung und Unterstützung (tagesformabhängig) morgens bei der Körperpflege, dann nach den Mahlzeiten (5 x tgl.). Abends Unterstützung zur Teilwäsche am Waschbecken. Intimpflege b. B. ca. 2 x tgl. 1 x wöchtl. Vollbad, meist später Nachmittag mit Fichtennadelzusatz.

Ausreichende Kleidung, siehe FEDL »Pflegen und Kleiden«, Nr. 9 Ihn bei Kontakten nach Wärmegefühl fragen, nonverbale Zeichen beachten. Bewegung fördern, siehe FEDL »Bewegung«, Nr. 4. Nachts warme Bettdecke, evtl. Überdecke, Wunsch erfragen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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209

11.

10.

T: Kleiden, eingeschränkt U: Situative Verkennung, Bewegungseinschränkungen

9.

M: Herr X. trinkt aus bereitgestelltem Glas Ø 1500–1800 Flüssigkeit.

T: Risiko Flüssigkeitsdefizit U: Reduziertes Durstgefühl 





T: Nahrungsaufnahme, eingeschränkt U: Situative Verkennung, Bewegungseinschränkungen

M: Herr X. isst mundgerecht vorbereitete Mahlzeiten mit Impulsgabe selber. BMI 24. Wählt aktiv Gerichte aus.









Er trinkt weiterhin aus dem Glas. Trinkmenge: 1800 ml.

Er isst weiterhin mundgerecht vorbereitete Mahlzeiten. Er wählt weiterhin Gerichte aus und äußert Wünsche.

Er zieht sich weiterhin zum großen Teil an und aus. Er nimmt die Unterstützung der Pflegekräfte an. Er äußert Zufriedenheit mit seinem Aussehen.

Ziele/Lösungen

FEDL Essen und Trinken

M: Herr X. zieht sich bei Impulsgabe und Anleitung Unterhemd, Hemd, Unterhose und Hose an und aus. An die Füße reicht er nicht heran. Er wählt Kleidung aus, wenn diese gezeigt wird, äußert Wünsche, trägt gern korrekte Kleidung.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

























Ca. 10–12 Mal tgl. Flüssigkeiten (Wasser, Saft, etc.) in Glas einschenken, zum Trinken anregen. In der Nacht bei den Kontrollgängen, einen Schluck zu trinken abieten.

5 x tgl. Bereitstellung der Mahlzeiten, mundgerecht vorbereiten. Bei guter Tagesform versuchen, dass er sich z. B. ein Brot selber belegt. (3 Hauptmahlzeiten, 3 Zwischenmahlzeiten). Nach Wünschen fragen, Speiseauswahl für den nächsten Tag besprechen. Ballaststoffreiche Ernährung. Ihn je nach Wunsch am festen Stammplatz im Speisezimmer sitzen lassen, oder im Zimmer servieren.

Morgens vor der Körperpflege mit ihm zum Schrank gehen, Kleidungsvorschläge machen, ihn auswählen lassen (warme Kleidung vorschlagen). Nach der Körperpflege Anreichen der Kleidung in sinnvoller Reihenfolge, während er auf Stuhl sitzt, verbal anleiten, ggf. Impuls geben. Ihn sich so weit wie möglich allein anziehen lassen. PK ziehen Socken und Schuhe an, helfen bei bestimmten Kleidungsprozessen. Abends Unterstützung und Anleitung beim Ausziehen auf der Bettkante. Tagsüber warme Strickjacke bereit legen.

Maßnahmen

210 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

13.

12.

M: Stuhlfrequenz alle 2 – 3 Tage Ø. Herr X. äußert verbal, dass er Stuhlgang hatte, Unterhose ist leicht verschmutzt.

T: Obstipationsgefahr U: Bewegungseinschränkung, Medikamentennebenwirkungen, reduzierte Darmperistaltik

M: Herr X. zeigt Harn- und Stuhldrang an, findet Toilette öfter nicht. Nutzt z. T. Urinflasche. In der Nacht findet er die Toilette nicht gleich, reagiert spät mit Toilettengang, nässt dann z. T. im Zimmer ein, was ihm sehr unangenehm ist. (Benutzung der Klingel zurzeit nicht möglich (Ø FEDL »Existenzielle Erfahrungen). Kontinenzprofil: abhängig erreichte Kontinenz abhängig, kompensierte Inkontinenz



T: Ausscheiden, unsicher U: Zeitweise Desorientiertheit











FEDL Ausscheidung

Wohlgeformter Stuhlgang alle 2 bis 3 Tage. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt Er benennt bevorstehenden Stuhlgang bzw. dass er welchen hatte.

Kontinenzprofil: abhängig erreichte Kontinenz. Er zeigt weiterhin Harn- und Stuhlgang an, gibt PK weiterhin Bescheid. Er nimmt weiterhin Hilfe an.

Zeit zum Stuhlausscheiden geben. Ruhig vor der Tür stehen bleiben. Tägliches Nachfragen nach Stuhlgang, bzw. Sichtung von Stuhlgangspuren in der Unterhose, bzw. Vorlage. Nach ärztlicher Anordnung Laxoberalgabe bei drei Tagen ohne Stuhlgang.











Förderung einer ausgewogenen Ernährung Ø FEDL »Essen und Trinken« (Flüssigkeit 1500–1800 ml, Weizenkleie, Obst). Ihm isometrische Bauchübungen zeigen, mit ihm durchführen oder Colon-Selbst-Massage. Gleich morgens bei der Körperpflege Auf Toilettenwunsch sofort reagieren.

Miktionsprotokoll inkl. Auswertung die nächsten 2 Wochen. Auch im gemeinamen Gespräch mit ihm. Er wird zu Toilettengängen begleitet: Ca. 7:00 Uhr, ca. 9:00 Uhr, ca. 11:30 Uhr, ca. 13:00, ca. 14:30 Uhr, ca. 16:30, ca. 17:00, ca. 19:30 Uhr, ca. 22:30. In der Nacht einmal gegen 1:00–2:00 Uhr. Incl. evtl. Vorlagenwechsel und Intimpflege. Anerkennung schenken, wenn er sich »gemeldet« hat. Beratungsgespräch bzgl. Inkontinenzvorlagen, evtl. mit Ehefrau vorbereiten, diese führt dann das Gespräch. Toilette hell ausleuchten, markant und großflächig markieren. Bei nächtlichem Wasserlassen im Zimmer, ruhig die Verschmutzung beseitigen, Hilfe anbieten.















Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

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211

15.

M: Herr X. benutzt Rufanlage nicht, da er glaubt, dass diese ein Sprengsatz ist. Das Aufleuchten der roten Lampe an der Zimmerwand wird von ihm als Zünden des Sprengsatzes interpretiert.

T: Nacherleben von Kriegssituationen U: Situative Desorientiertheit

FEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens 







T: Beschäftigungsdefizit U: Eingeschränkte Orientierung

M: Herr X. äußert, dass er sich beschäftigen möchte, schlägt von sich aus nichts vor. Hat von früher Interessen und liest Zeitung, TV und Radio. Nimmt an Aktivitäten des Hauses teil, wenn er dorthin begleitet wird. Tochter oder Ehefrau stehen täglich für Spaziergang zur Verfügung.



FEDL Beschäftigung

14.

Er fühlt sich sicher und angstfrei. Er drückt seine Ängste aus und fühlt sich dabei ernst genommen. Er hat die Chance, alte, evtl. unbearbeitete Erlebnisse zu bearbeiten.

Er erlebt seinen Tageablauf als sinnvoll. Äußert dieses auf Nachfragen. Er fühlt sich in seinen Kompetenzen gestärkt.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.























Ihn in solchen Situation ernst nach der damaligen Situation befragen: »Was ist passiert?«; »Wie haben Sie sich damals gefühlt?«; »Was haben Sie dann gemacht? Was kam danach?« Bei ihm bleiben, Sicherheit durch Nähe geben. Alternative zur Klingel suchen, z. B. echte Glocke, Ruffinger o. ä. Therapeuten hinzuziehen, der dieses Erlebnis mit ihm »bearbeitet«. In der Nacht kleines Licht brennen lassen, die Tür einen Spalt offen lassen. Mit anderen Bewohnern zusammenbringen, die ähnliches erlebt haben. Wenn er orientierte Phasen hat, die Funktion der Klingel erklären.

Ihn in einem Gespräch evtl. mit Ehefrau befragen, was er gern tun möchte, dieses realisieren. Kurzes Gespräch, bzw. Nachfrage bei ihm mehrfach die Woche wiederholen. Teilnahme an Hausveranstaltungen und Gruppen – ermöglichen (Weinfest, Singstunde, etc.). Tägliches Spaziergehen ermöglichen. Angehörige anerkennen, dafür dass sie diese Aufgabe so kontinuierlich anbieten. Beschäftigungen, die an frühere Tätigkeiten erinnern, anbieten: Schreibarbeiten, alten Menschen helfen, lesen, Rechtsauskünfte geben. Gesprächsthemen über Ritter, Fasching, DRK – anbieten. Dieses mindestens einmal am Tag ansprechen, alte Kompetenzen bestärken.

Maßnahmen

212 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

17.

16.

M: Herr X. äußert große Angst vor dem Alleinsein, speziell am Morgen und zum Abend hin und in der Nacht. Er sucht aktiv den Kontakt zum Pflegepersonal und anderen Bewohnern. Fragt mehrfach tgl. nach seiner Frau, diese kommt tgl. Die Töchter mehrmals wöchentlich.

T: Angst vor dem Alleinsein U: vermutlich Unsicherheit, Erinnerungen, Ängste

M: Herr X möchte seit seinem Einzug nach Hause, er denkt, er sei hier zur Kur. Er äußert große Sehnsucht nach seiner Frau und dem gemeinsamen Leben mit ihr in seiner alten Wohnung. Er empfindet Erleichterung durch Gespräche und macht sich verständlich.

T: »Nach Hause-Wunsch« U: Demenzielle Diagnostik













Er fühlt sich sozial integriert. Er erfährt sich als liebenswerten Menschen und nimmt Nähe zu anderen Menschen wahr. Er kennt Möglichkeiten, mit seiner Angst umzugehen, z. B. spricht er darüber.

Er spricht weiterhin über seine Gefühle und den Verlust. Er fasst Vertrauen in die derzeitige Situation. Er entwickelt ein »Zuhause-Gefühl« für sein jetziges Leben.



















Nähe aktiv gestalten, Bindung zulassen. Er darf jederzeit in der Nähe seiner Bezugspflegekräfte oder auch anderer Bewohner sein. Nachts Tür offen lassen, kleines Licht anlassen. Mit Gefühl und Empathie auf seine Angstäußerungen reagieren, nicht beschwichtigen, sondern validierend antworten; z. B.: »Ja, es ist schon schwer, allein zu sein:«; »Sie sind traurig, weil Sie allein sind? Kommen Sie, wir bleiben ein Weilchen zusammen …«

Bezugspflege mit hohem Vertrauen und Nähe. Ihn und Ehefrau in Pflege und Begleitung einbeziehen. Z. B. Besuche jederzeit ermöglichen, gemeinsame Aktivitäten durchführen, etc. Zimmer persönlich und heimelig gestalten, alte Erinnerungen präsent anbringen, in Kontakten darauf zurückgreifen. Ihn aktiv in die Gemeinschaftsflächen des Hauses integrieren, ihm feste Rollen zugestehen. Ihn in seinen alten Kompetenzen (Justizangestellter) stärken. »Ja, Sie wussten schon wo es lang geht«, »Sie haben lange für Recht und Ordnung gesorgt« Mit anderen Bewohnern aktiv zusammenbringen, häusliche Situationen gestalten, gemeinsame Themen installieren

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung 213

214

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

4. Frau P.

Sie wohnt derzeit in einer betreuten Wohngemeinschaft. Pflegestufe I, Höherstufungsantrag läuft. Ärztliche Diagnosen: Mamma-CA seit 1999, Amputation der rechten Brust. Fortschreitende Demenz mit örtlicher, zeitlicher und situativer Desorientiertheit Wortfindungsstörungen Arterielle Hypertonie, Strumadiffus, latente Hyperthyreose Medikamente: Dytide H: 1-0-0, Lisihexal 5 mg 1-0-0, Tamoxifen20: 0-1-0, Eunerpan 10 mg: 0-0-1, Paracetamol 500 bei Bedarf max. 3 x 1 Informationen zur Biografie Geboren im Februar 1918, in Breslau Familienstand: verwitwet 30 Jahre in ihrer Kirchengemeiden tätig. Prägendes Ereignis Gewalterlebnisse auf der Flucht im Krieg. Jetzige Situation Frau P. hat eine Tochter, die Kontakte gestalten sich schwierig, da sie zum Teil selber unter starken psychischen/sozialen Problemen leidet. Frau P. ist deswegen immer wieder sehr traurig, weint teilweise. Trotz vieler Bemühungen, auch der Betreuerin, hat es die Tochter bisher nur ein Mal geschafft, ihre Mutter zu besuchen.

2.

M: Frau P. trägt seit Einzug in die WG eine Brille, die sie mehrfach am Tage verlegt, was sie nicht zu stören scheint. Sie erkennt lt. eigener Aussage alles für sie Wesentliche im näheren Umfeld. Äußert keinen Leidensdruck.

T: Sehen, eingeschränkt U: Unklar, Gewohnheit

M: Frau P. teilt sich gern anderen mit, so auch Personen im TV, von denen sie sich angesprochen fühlt. Bei guter Tagesform ist sie zu verstehen. Häufig starke Wortfindungsstörungen mit unterstreichenden Gesten. Sie scheint keinen Leidensdruck zu haben, nutzt Augenkontakt zur Kommunikation. Durch das Leben in einer Wohngemeinschaft sind viele Gesprächsgelegenheiten möglich.



T: Kommunizieren, verbal, beeinträchtigt U: Demenzerkrankung (Veränderungen des ZNS)











FEDL Kommunikation

1.

Sie trägt bei Wunsch Brille. Sie findet Brille an Stammplätzen wieder.

Sie drückt sich nach ihren Wünschen aus. Sie fühlt sich verstanden, äußert dies auf Nachfragen. Sie äußert Wohlbefinden und Sicherheit. Sie teilt sich weiterhin anderen Menschen gegenüber gerne mit.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



























Stammplätze für Brille ausmachen, diese dort bei ??? ablegen. Brillenhalsband ausprobieren. Brille bei Bedarf reinigen. Halbjährliche Augenarztkonsultation.

Augenkontakt herstellen, auf Gestik und Mimik (nonverbale Signale) achten. Ruhe ausdrücken, ungestresste Haltung, sie ausreden lassen. Wichtige Gegenstände und Utensilien in Reichweite stellen. Bei Ankündigung von Stress mit dem Vorschlagen von ähnlichen Wörtern oder Gegenständen Unterstützung geben. Schlüsselwörter erkennen und verwenden. Vergewissern, ob nonverbale Mitteilungen verstanden worden sind, nicht voreilig urteilen. Mit einfachen, klaren, positiv formulierten Wörtern und Sätzen sprechen. Erfolgreiche Kommunikation dokumentieren In Gegenwart von ihr so kommunizieren, dass sie alles verstehen kann.

Maßnahmen

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

215

4.

FEDL Orientierung

3.

M: Frau P. zeigt 2 – 3 x wöchtl., meist nachmittags, den Drang/das Bedürfnis, woanders hin zu wollen. Sie zieht sich einen Mantel an und geht hinaus. (Ziel: alte Wohnung, Freunde, Friseur). Ihr Betreuer hat erlaubt, sie gehen zu lassen, wenn möglich mit Begleitung.

T: Weglauftendenz U: Situative Desorientiertheit, zeitweise

M: Frau P. erinnert sich bei guter Tagesform an gestrige Ereignisse. Sie gibt verbale Hinweise, dass sie ihre derzeitige Situation erkennt. Sie führt unter Anleitung Handlungen aus, muss die Dinge/Utensilien sehen. Handlungen werden unvollständig durchgeführt, häufig in falscher Reihenfolge, sie holt sich nonverbal Hilfe ein. Frau P. erkennt vertraute Personen wieder.

T: Eingeschränkte Orientierung U: Demenzerkrankung

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Der Zeitpunkt des »Wegwollens« wird rechtzeitig wahrgenommen. Sie hat das Gefühl, sich frei bewegen zu können. Möglichkeit ist gefunden, dass sie meist in der Wohnung bleibt.

Sie fühlt sich sicher und geschützt. Sie nutzt räumliche und personelle Orientierungshilfen. Sie ist weiterhin bemüht, Handlungen durchzuführen.

Ziele/Lösungen

































1 x tgl. Spaziergang durchführen. Auf Anzeichen von besonderer Unruhe achten, wenn möglich, dann in aktive Beschäftigung einbinden. Wenn sie sich nicht umstimmen lässt, durch Zivi begleiten lassen. In ein Gespräch über ihr Ziel einbinden (Was möchte sie tun, wie ist es zuhause, was ist passiert etc.). Steckbrief« erstellen, der bei längerer Abwesenheit an die Polizei weitergereicht wird. Situation dokumentieren. Name und Telefonnummer in Kleidung einnähen. Kontaktbereichsbeamten einladen, Situation schildern.

Vor allen Handlungen Augenkontakt herstellen, dann verbale und taktile Informationen geben. Gewünschte Handlungen vormachen, gewohnte Utensilien verwenden, diese anschauen lassen und in die Hände geben. Abläufe gleich gestalten, gleiche Reihenfolge etc. Immer wieder (wenn Bew. bei einer Handlung ins Stocken gerät) freundlich Hilfe anbieten. In kurzen, melodischen Sätzen sprechen. Bew. positiv für ihr Tun bestärken (Lob, Körperkontakt). Mit ihr gemeinsam Alltagstätigkeiten durchführen. Im Alltag verschiedene Orientierungshilfen ausprobieren und bei positiver Reaktion verwenden. Tagesform beachten, Besonderheiten dokumentieren.

Maßnahmen

216 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz



T: Veränderter Blutdruck U: Artielle Hypertonie

M: Frau P. neigt zu Bluthochdruck, der aber lt. Arzt gut eingestellt ist. Unselbstständige Medikamenteneinnahme durch situative Desorientiertheit. Medikamente werden eingenommen, oft unter Anleitung.



FEDL Vitale Funktionen

5.









12 Monate später Weglauftendenz: Frau P. zeigt am Nachmittag verstärkt, sonst regelmäßig, 5-6 x tgl. Unruhe und will gehen. Nunmehr ist bekannt, dass sie früher abends noch spazieren ging und Gemeindebriefe austrug. Frau P. verfügt über eine gute Kondition. Amtsrichterlicher Beschluss liegt vor, zeitweise die Wohnungstür der WG zu verschließen.

4a.

RR-Werte im Normbereich (vom Arzt festgelegt). Sie lebt komplikationsfrei. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt.

Sie fühlt sich sicher. Sie fühlt sich frei. Sie erträgt das kurzfristige Verschließen der Tür, kompensiert Unruhe.

























Richten und Vergabe der Medikamente 3 x tgl. Kontakt zu Hausarzt halten. Bei Bedarf Messen der Vitalfunktionen. Auf Frühwarnzeichen von zu hohem Blutdruck achten (Kopfschmerzen, Rötung des Gesichts, Augenflimmern, Ohrensausen, Übelkeit, Schwindel, Bewusstseinstrübung, Herzschmerzen, etc.). Kochsalzarme Diät bereiten. Bewegung fördern, z. B. durch die tgl. Spaziergänge.

Tägliche Spaziergänge durchführen, sodass sie sich bewegen und erschöpfen kann. Sie tagsüber beobachten; wenn sie Anzeichen gibt, hinauszuwollen, entweder als Hand-in-HandBegleitung mitgehen, validieren oder Beschäftigung anbieten (dies kann gut etwas mit Papieren – ähnlich Gemeindebriefen – zu tun haben). Bei Übergabezeiten oder mehrfachem Verlassen der WG kurzfristig und freundlich die Wohnungstür verschließen, darauf hinweisen, dass »sie hier noch gebraucht wird«. Verschließen etc. dokumentieren

Zuhausegefühl fördern durch: feste Bezugspersonen, häusliche Atmosphäre, eigene Gegenstände, Themen eines häuslichen Alltags, Einbinden in Alltagshandlungen. Situation dokumentieren, speziell die erfolgreichen Interventionen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

217

6a

FEDL Pflegen und Kleiden

6.

12 Monate später Ablehnung der Körperpflege, häufig Frau P. lehnt 4 – 5 x die Woche und 2 – 3 x tgl. die Unterstützung/Übernahme der Körperpflege ab. Bei Kontakt mit größeren Wassermengen (Dusche, Badewanne, Haare waschen) beginnt sie laut zu schreien. Sie schiebt Hände der PK weg, wenn diese sie waschen wollen. Nimmt selbst nur bei sehr guter Tagesform (3 – 4 x wöchentlich) kleines Waschen vor. Wehrt sich auch bei starker Verkotung, etc.

M: Frau P. führt eigene Körperpflege morgens im Bad durch, sie wäscht Gesicht und Hände. Unterstützung und Anleitung werden sehr oft (nahezu täglich) von ihr abgelehnt. Bei Duschen nimmt sie Unterstützung an. Teilweise starker Körpergeruch. Bei guter Tagesform ist Mund- und Zahnpflege unter Anleitung möglich. Frau P. scheint mit ihrer Form der Körperpflege zufrieden zu sein, da sie keine Hilfe anfordert, was sie sonst tut. Cremt sich selber das Gesicht mit Niveacreme ein, Haarekämmen unselbstständig.

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Eingeschränkte Motivation

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Sie fühlt sich bei der Körperpflege sicher. Sie erkennt die Handlung – Körperpflege – wieder. Sie lässt bei guter Tagesform Teilwaschungen zu.

Sie stimmt dem Duschen 3 x wöchtl. zu. Überforderung wird rechtzeitig erkannt. Sie erfährt, dass sie Hilfe anfordern kann.

Ziele/Lösungen



























PK gehen ruhig auf sie zu, schaffen gemeinsames Erlebnis vorher, z. B. Kaffee im Bett trinken, Plaudern etc. Warme Raumatmosphäre, Utensilien richten. Zur Körperpflege an das Waschbecken geleiten, ihr einzelne Utensilien (Waschlappen) in die Hand geben und mit der eigenen Hand führen. Bei der Körperpflege nur die unbedingt notwendigen Regionen (Gesicht, Achsel, Hände, Intimbereich, Füße) waschen, sie immer bekleidet lassen. Wenn sie abwehrt, freundlich bleiben, Kontakt halten, in andere Aktivitäten übergehen, Körperpflege später erneut versuchen.

Wenn sie morgens wach, freundlich Hilfe anbieten, nicht drängeln, fordern, diskutieren. Bei guter Tagesform wird ein Duschen angeboten, öfters nach dem Frühstück. Wenn Unterstützung und Anleitung gegeben wird, dann siehe unter FEDL »Orientierung«, Nr. 1. Unterstützung zum Duschen 3 x wöchtl. 1 x tgl. morgens Anleitung und Unterstützung zur Körperpflege am Waschbecken. 1 x tgl. Abends Anleitung und Unterstützung zur Körperteilwäsche am Waschbecken. Das Gesicht mit Nivea eincremen lassen. Vollständige Übernahme des Frisierens 2 x tgl. Morgens, nach Mittagsruhe, Spiegel halten lassen.

Maßnahmen

218 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Evtl. situative Desorientiertheit

8.

M: Frau P. wählt Kleidung selbst aus, kleidet sich teilweise unselbstständig. Bei guter Tagesform führt sie kleine An- oder Auskleidebewegungen u. A. aus, nimmt diese auch an. Teilweise ungewöhnliche Kleidungszusammenstellungen.

12 Monate später: Mundpflege, erschwert Nahezu täglich lehnt Frau P. die Mundpflege sowie das Aus- und Einsetzen der Zahnprothese ab. Sie hat sehr berührungsempfindliche Zähne, lehnt auch Zahnarztbesuche ab.

M: Frau P. findet häufig den Becher zum Mundspülen nicht, hat sie diesen in der Hand, beginnt sie gleich, den Mund zu spülen. Sie lehnt das Tragen einer Teilprothese ab, räumt diese in den Schrank. Tragen einer Zahnprothese wird abgelehnt, sie legte diese gleich beim ersten Mal weg.

T: Mundpflege, eingeschränkt U: Evtl. situative Desorientiertheit

7a.

7.



















Sie fühlt sich in ihrer Selbstpflege gestärkt und unterstützt. Sie wählt weiterhin Kleidung aus. Sie nimmt weiter Anleitung an. Sie führt weiterhin kleine Bewegungen und Tätigkeiten beim An- und Auskleiden durch.

Sie lässt die Mundpflege zu. Sie lernt Mundausspülen mit Zahnspüllösung kennen. Sie übernimmt die Prothesenpflege/Einund Aussetzen selber.

Gesunde Mundschleimhaut. Sie spült weiter den Mund.

























Morgens mit ihr zum Kleiderschrank gehen und sie bei der Kleiderauswahl unterstützen, ggf. Schmutzwäsche entsorgen. Nach der Körperpflege, die Kleidung in günstiger Reihenfolge anreichen, anziehen (v. Ü.). Abends ausziehen, v. Ü. Sie dabei so viel wie möglich selbst tun lassen. Bei Spaziergängen etc. Mantel anziehen, gemeinsam mit Bew. aus ihrem Schrank nehmen, wieder hineinhängen.

PK geben ihr die Prothese in die Hand und unterstützen sie beim Ein-/bzw. Aussetzen. Wenn sie dies ablehnt, akzeptieren und evtl. zum späteren Punkt noch einmal probieren. Mundspül-/Zahnpflegespülung anbieten, damit Mundpflege erleichtern (3 – 4 x tgl.), evtl. mit sehr weicher Zahnbürste Mund ausbürsten lassen. Halbjährlich Besuch von Zahnärztin erbitten, mit Vertrauensperson dabei.

PK führen sie nach den Mahlzeiten ins Bad, zeigen ihr den Becher, weiter Anleitung zur Mundpflege, mind. 4 x tgl. (z. B. nach den Mahlzeiten). 1 x tgl. Inspektion der Mundhöhle. Mundpflegeutensilien immer am gleichen Platz (Waschbeckenrand im eigenen Zimmer) stehen lassen. Halbjährliche Zahnarztkonsultation.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

219

FEDL Essen und Trinken

9.

FEDL Ausscheidung

10.

T: Unsichere Toilettenbenutzung U: eingeschränkte Orientierung, evtl. Unsicherheit

12 Monate später: Frau P. steht oft vom Tisch auf, ohne zu essen (3 – 4 x tgl.) Sie verkennt Essbares, schneidet z. B. das Gefäß vom Heringssalat mit dem Messer durch. Trinkt ausschließlich nach Aufforderung, bevorzugt warme Getränke.

9a.

M: Frau P. zeigt guten Appetit, isst die angebotenen Mahlzeiten auf, nimmt mundgerecht vorbereitete Nahrung zu sich. Selbst unter Anleitung bereitet sie sich keine Mahlzeiten selber zu, setzt Utensilien und Materialien unsachgemäß ein, verzettelt sich in der Aktion, wirkt dann unglücklich. Gewicht stabil.

T: Essen und Trinken, eingeschränkt U: Situative Desorientiertheit

Pflegerische Ist-Situation

Nr.























Sie bleibt kontinent. Sie nutzt Toilette etc. sinngemäß und findet diese bei Bedarf. Sie fühlt sich unterstützt, holt bei Bedarf Hilfe.

Sie erkennt Mahlzeiten. Sie isst geeignete Nahrungsmittel. Gewicht bleibt stabil. Trinkmenge: täglich 1000 ml.

Gewicht bleibt stabil. Sie isst weiterhin mundgerecht vorbereitete Kost. Sie äußert weiterhin ihre Bedürfnisse. Sie erkennt Essutensilien und benutzt diese.

Ziele/Lösungen































Neue Kennzeichnung der Toilette probieren, evtl. gemeinsam. Erkennungsmerkmal aussuchen. Täglich mehrfach den Weg zur Toilette gemeinsam gehen. Sie in der Nacht den bekannten Plastikeimer benutzen lasen, evtl. in Nachtstuhl integrieren. Beratend zur Seite stehen, Verhalten und Fähigkeit beobachten, ggf. dokumentieren.

Sie bei allen Mahlzeiten anleiten und unterstützen, indem eine Pflegekraft bei ihr sitzt. Sie einer orientierten Person gegenüber setzen. Tagsüber jede halbe Stunde warmes Getränk anbieten, evtl. als gemeinsame Trinkpause. Gegenüber bei der Verwendung von Essbestecken und Nahrungsmitteln beobachten, erst eingreifen, wenn Gefahr gegeben ist.

5 x tgl. Mahlzeiten bereitstellen, so wenig wie möglich vorbereiten, gemeinsam mit ihr zubereiten. Bei Anzeichen von Überforderung Maßnahme – Mahlzeiten vorbreiten – übernehmen. 5 x tgl. zum Essen anleiten. Vorlieben beachten. Ca. halbstündlich (tagsüber) zum Trinken anregen, frische Getränke bereitstellen. Gespräche über Nahrungsmittel, Kochrezepte etc. führen.

Maßnahmen

220 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

10a.

M: Frau P. ist mehrfach tgl. urin- und stuhlinkontinent. Sie uriniert auch im Stehen, z. B. auf dem Flur. Der blaue Eimer wird morgens vor dem Bett ausgekippt, sie »versteckt« Kot in den Schuhen unter der Heizung o. Ä. (fraglich, ob sie es als Kot erkennt). Sie zeigt ein auffallend großes Schamgefühl bei der Unterstützung beim Toilettengang. Zieht Hose nur minimal herunter, äußert dabei Frieren.

12 Monate später: T: Verkennung von Stuhlgang U: eingeschränkte Orientierung, evtl. Unsicherheit

M: Frau P. ist überwiegend kontinent, findet aber sehr häufig die Toilette – trotz Kennzeichnung – nicht. Sie sucht sich dann andere Ort zum Ausscheiden, nachts z. B. eine Blumenvase oder einen vertrauten blauen Plastikeimer. Tagsüber zeigt sie Harn- und Stuhldrang durch motorische Unruhe an. Sie bittet selten um Hilfe.











Sie erfährt Achtung und Sicherheit/Kein Anlass für Scham. Pflegekräfte erkennen Ausscheidebedarf rechtzeitig. Verkotung ist weitgehend reduziert. Sie fühlt sich bei Toilettengängen sicher. Sie wäscht sich selber den Intimbereich.











Blauer Eimer am Bett wird leise frühmorgens von Nachtwache entleert. Hausarzt wird über Stuhlinkontinenz informiert, vielleicht hilft Laxoberal oder ähnliches. Weibliche Pflegekräfte gehen mit ihr alle 2 Stunden zur Toilette, lassen sie dort, wenn möglich, allein. Ihr wird der Umgang mit den Inkontinenzeinlagen bei jedem Toilettengang gezeigt, sie wird in der Verwendung angeleitet. Bei starker Stuhlverschmutzung werden ihr die Waschutensilien in die Hand gegeben, und die Pflegekraft reinigt sie vorsichtig, erklärt dabei, was sie tut. Maßnahme wird sofort bei Abwehr unterbrochen. Wenn möglich erreichen, das sie sich selber den Intimbereich wäscht.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

221

12.

M: Frau P. ist stark selbstgefährdet, wenn sie die Wohngemeinschaft verlässt; es besteht die Gefahr des Verirrens, speziell im Straßenverkehr. Tagesformabhängig holt sie Hilfe oder nicht.

T: Gefahr der Selbstgefährdung U: Situative und örtliche Desorientiertheit

FEDL Sicherheit 









T: Bedürfnis nach Körperkontakt U: Unbefriedigtes Bedürfnis, Sehnsucht

M: Frau P. drückt ihre Wünsche und Bedürfnisse teilweise unselbstständig aus, teilweise nonverbal oder auf Nachfragen. Sie wünscht sich häufigen Körperkontakt und möchte »gebraucht werden«. Dies drückt sie stark aus. Sie pflegt auf liebevolle Weise den Kontakt zu anderen Menschen, gibt angemessen Zärtlichkeit.



FEDL Zufriedenheit und Emotionalität

11.

Sie fühlt sich sicher im Straßenverkehr. Ihr Weggehen wird rechtzeitig bemerkt. Sie kennt Möglichkeiten, Hilfebedarf zu signalisieren

Sie empfindet ein größtmögliches Maß an Zufriedenheit. Sie fühlt sich verstanden und wohl, äußert dieses auf Nachfragen Sie fühlt sich »gebraucht« und »nützlich-wertvoll«.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Sie auf ihre Motivation, hinauszugehen, hin beobachten Sie auf ihren Wegen außerhalb der WG begleiten (Zivi etc.) siehe FEDL »Orientierung«, Nr. 2 Möglichkeiten, Hilfe zu holen, ausprobieren (rufen, auf jemanden zugehen, Notruf etc.). Im Hilfebedarfsfall liebevoll und ruhig Hilfestellung geben, Situation dokumentieren. Ihr alle notwendigen Dinge zeigen. Adresse in Handtasche und Mantel geben.

Beziehungspflege durch vertraute Pflegepersonen. Gestik und Mimik genau beobachten, Grundgefühl und Bedürfnis erspüren. Bei Kontakt zu ihr Körperkontakt herstellen und halten, mit Zuwendung und Gefühl reagieren. Körperkontakt zu anderen Bewohnern tolerieren, sofern von diesen akzeptiert. Sie intensiv in das Leben der WG einbeziehen, vornehmlich bei Haushaltstätigkeiten. Ihr wichtige Aufgaben zumuten, ihre Leistung, Wichtigkeit, Persönlichkeit und Anwesenheit betonen. Ihr häufiger sagen, das man sie schätzt, dieses auch zeigen.

12 Monate später Siehe FEDL »Orientierung



























Maßnahmen

222 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

13.

M: Frau P. hat Kontakt zu Nachbarn und Bekannten sowie zu ihrer Schwester, zeigt Motivation und Eigeninitiative, diese Kontakte zu pflegen, z. T. ist sie aber stark eingeschränkt; z. B. Erinnern an Besuche, Telefonieren etc. nicht möglich.



T: Beziehungspflege eingeschränkt U: Situative und örtliche Desorientiertheit 



FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen Sie lebt ihre Kontakte und Beziehungen nach Wunsch aus. Sie nimmt weiterhin Hilfe an. Sie nimmt am gesellschaftlichen Leben der WG teil und bringt sich aktiv ein.









Bezugspflegekräfte pflegen Kontakte zur ihr zu Bekannten, halten Besuchstermine fest, erinnern sie daran. Sie beim Telefonieren unterstützen, evtl. mit ihr Postkarten oder kleine Briefe schreiben. Bei evtl. Konflikten mit Bekannten zur Seite stehen Jeden Tag in das Leben der WG einbeziehen, sinnvolle Aufgaben übergeben

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung 223

224

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

5. Herr V.

Ärztliche Diagnosen: Synkope und Kollaps, Alzheimer Demenz, Zustand nach TIA, Aneurysmablutung, Epilepsie Pflegeanamnese

AEDL Kommunikation Sprechen: Spricht klar und deutlich. Hören: Scheint häufig inhaltlich Gesagtes nicht zu verstehen, fragt dann nach. Hören gut, spricht nicht von sich aus, unterhält sich gern mit Tischgemeinschaft. Sehen: Trägt Brille mit dicken Gläsern. AEDL Bewegung Geht schwankend, inner- und außerhalb des Hauses, unsicher. Möchte keine Gehhilfe, Arme über Kopf heben nicht möglich, sonst tagesformabhängig alle Bewegungen möglich. Steigt keine Treppen. Keine Kontrakturen. AEDL Vitale Funktionen Neigt zu sehr hohem RR, RR-Werte schwankend, (Med. Gabe ist nach RR-Werten festgelegt). Atmung kräftig, hohes Wärmebedürfnis, mag es warm. AEDL Pflegen und Kleiden Vergisst bei der Körperpflege, was er machen soll, führt diese von sich aus nicht aus. Unter Anleitung kann er den ganzen Körper bis auf Rücken selber waschen. Geschmeidige Haut, reizfrei. Mundpflege, Rasieren u. Kämmen u. A. Trägt gern warme Kleidung, adrettes Äußeres, Erkennt verschmutzte Kleidung nicht, zieht sich selber in ungeschickter Reihenfolge an. Wenn Kleidung angereicht wird, dann zieht er sich selber an. AEDL Essen und Trinken Schmiert Brote selber, ist mit Messer und Gabel. Vergisst zu trinken und zu essen. Mag keinen Käse. BMI 29. Trinkt Ø 1,5 bis 2 Liter u. A. Isst gern in Gesellschaft Anderer. AEDL Ausscheidung Komplett kontinent, findet jedoch Toilette nicht, holt sich dann Hilfe bei PP. Führt allein ab, Kontrolle daher nicht möglich/Kotspuren in Unterhose. AEDL Ruhen, Schlafen und Wachsein Schläft nach nächtlichen Toilettengängen gleich wieder ein, leichter Schlaf, tagsüber kein Schläfchen. AEDL Beschäftigung Liest gern (Zeitungen, Heimatzeitungen, Bücher), Spazierengehen, geselliger Typ, mag die Nordsee (hat Haus auf Norderney).

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

AEDL Sicherheit Ist zur Person orientiert, zeit-, örtlich und situativ eingeschränkt orientiert. Ordnet Tageszeit und Mahlzeiten nicht zu. Verläuft sich inner- u. außerhalb des Hauses. Wenn er Situationen nicht einschätzen kann, holt er Hilfe, nimmt gern Hilfe an. Regelt pers. Angelegenheiten nicht mehr selber (Tochter). Sturzgefahr, alle 4 bis 5 Monate ein Epileptischer Anfall. AEDL Soziale Bereiche und Beziehungen Bevorzugt männliche Pflegekräfte, akzeptiert mittlerweile auch weibliche. Ist ein geselliger Mensch, fühlt sich allein im Zimmer wohl. Ist sehr höflich, unterhält sich z. B. bei Mahlzeiten mit anderen Heimbewohnern. Guten Kontakt zu seinen Töchtern. AEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens Er sagt, dass er ein glückliches Leben hatte (Ehe, Hobbys, Arbeit). Er macht einen zufriedenen Eindruck, auch bei Nachfragen. Wenn er aufgrund der Demenz überfordert ist, reagiert er manchmal mit Wutausbruch. Er braucht ruhige, vorsichtige Ansprache und Pflege.

225

2.

AEDL Bewegung

1.

M: RR-Wert häufig hoch, aber auch schwankend, Hausarzt hat ab bestimmten RRWert Medikamentengabe verordnet. Herr V. fühlt sich bei höheren RR-Werten wohl.

T: Massive RR-Wert Schwankungen U: Diagnosebedingt (Synkope und Kollaps, Alzheimer Demenz, zustand nach TIA, Aneurysmablutung, Epilepsie)

AEDL Vitale Funktionen

M: Geht schwankend, inner- und außerhalb des Hauses, unsicher. Nutzt Handläufe und Haltegriffe. Möchte keine Gehhilfe. Bisher hier im Hause ein Sturz bei einem epileptischen Anfall (keine Sturzfolgen), benennt keine Angst vor Stürzen. Lehnt Gymnastikangebote etc. vom Hause ab. Holt bei Bedarf Hilfe. Umgebung sicher.

T: Unsicherer Gang, Sturzgefahr U: Evtl. Schwindel, Gleichgewichtsstörungen.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Der Zusammenhang zwischen RRWerten und Gleichgewichtsstörungen ist festgestellt. Er stellt unterschiedliche Qualitäten von RR-bedingten Wohlfühlen fest und benennt diese.

Sicherer Gang mit Rollator. Er holt weiterhin Hilfe. Er geht weiterhin allein und hält sich an Haltemöglichkeiten fest. Gleichgewichtsstörungen sind reduziert.

Ziele/Lösungen



















Hausarzt wird über wechselnde RR-Werte und Gleichgewichtsstörungen informiert und gebeten, Maßnahmen zur genauen Diagnostik zu betreiben. Mehrfach gezieltes Nachfragen zu seinem Befinden, Äußerungen in Zusammenhang mit gemessenen RR-Werten bringen. Mindestens 1 x tgl. RR-Messen, bei Bedarf öfter. Med.-gabe n. ärztl. Anordnung.

Beratungsgespräch mit ihm und Töchtern über die Verbesserung des Sturzrisikos mittels Verwendung von Rollator und Teilnahme an Gymnastik. Verordnung von Physiotherapie (speziell Gleichgewichtsschulung und Training Rollator) anregen. Ebenso über Gleichgewichtsschwankungen sprechen, evtl. Medikamentenänderung durch den Arzt. Bei Kontakt auf Haltemöglichkeiten hinweisen. Tgl. RR-Kontrolle, bei Bedarf öfter. Gehverhalten beobachten, Besonderheiten dokumentieren.

Maßnahmen

226 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

4.

3.

M: Trinkt bereitgestellte Flüssigkeiten aus. Bei mehrfacher Anleitung über 24 Stunden kommt er auf Ø 1,5 bis 2 Liter. Trinkt auch allein im Zimmer.

T: Gefahr eines Flüssigkeitsdefizits U: Unklar, evtl. eingeschränktes Durstgefühl

AEDL Essen und Trinken 







T: Körperpflege, leicht eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik

M: Vergisst bei der Körperpflege, was er machen soll, führt diese von sich aus nicht aus. Unter Anleitung kann er den ganzen Körper bis auf Rücken selbst waschen. Geschmeidige Haut, reizfrei. Mundpflege, Rasieren und Kämmen u. A.



AEDL Pflegen und Kleiden

Er trinkt weiterhin 1,5 bis 2 Liter. Er trinkt weiterhin aus bereitgestellten Gefäßen.

Er wäscht weiterhin u. A. seinen Körper bis Rücken, ebenso Zahn- und Mundpflege. Weiterhin guter Hautzustand. Er nimmt weiterhin Hilfe an.

















PK erinnern bei allen Kontakten und zu allen Mahlzeiten ans Trinken und stellen Flüssigkeit bereit. Lieblingsgetränke reichen (Apfelsaft, Milch, Kaffee, schwarzer Tee …). Trinkmenge 1 x in der Woche kontrollieren. An heißen Tagen mehr Flüssigkeit reichen.

Ins Bad Begleiten, morgens gegen 7:30 Uhr bis 8:00 Uhr. Zur kompletten Körperpflege anleiten, dabei Utensilien in die Hände geben, Rücken waschen durch PK, inkl. Eincremen des Rückens mit hauseigener Hautlotion. Anleitung zur Mundpflege, Haare kämmen und rasieren 1 x morgens 1 wöchtl. Duschen, morgens oder abends, inkl. Eincremen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung

䉴䉴

227

6.

T: Übergewicht U: Starke Motivation

5.

M: Komplett kontinent, findet jedoch Toilette nicht, holt sich dann Hilfe bei PK. Führt allein ab, Kontrolle daher nicht möglich, Kotspuren in Unterhose.

T: Findet Toilette nicht U: Örtliche Orientierung, eingeschränkt.

AEDL Ausscheidung

M: BMI 30. Schmiert Brote selber, isst mit Messer und Gabel. Vergisst zu essen, weiß nicht, wann Mahlzeiten sind. Mag keinen Käse. Er fragt um Hilfe, wenn er den Speisesaal nicht findet (mehrfach tgl.).

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Stuhlgangfrequenz ist bekannt. Er geht weiterhin selber zur Toilette. Geeignetes Hilfsmittel zum Erkennen der Toilette ist gefunden.

BMI bei 29 (Fernziel 28). Er isst weiterhin mit Messer und Gabel, bereitet Brote selber. Er nutzt weiterhin die Hilfe durch PK.

Ziele/Lösungen























PK bitten Zivi, ein Schild an die Badtür zu hängen (im Gespräch gemeinsam ein Symbol überlegen) bis Mitte des Monats. Morgens vor der Körperpflege einen Toilettengang anbieten, ansonsten den Weg zur Toilette zeigen, wenn er suchend auf dem Flur steht. Beim abendlichen Bereitlegen der Kleider auf Kotspuren in Unterhose achten.

Er bekommt einen übersichtlich geschriebenen Zettel mit den Mahlzeitenzeiten im Zimmer. Er wird zu allen Mahlzeiten in den Speisesaal begleitet. Frühstück und Abendbrot so weit vorbereiten, dass er allein schmieren kann. Normales Mittagessen hinstellen, damit er mit Messer und Gabel essen kann, bzw. Mahlzeiten selber klein schneiden muss. 3 Hauptmahlzeiten und 1 x Kaffee am Nachmittag. Mit ihm über früheres Wohlfühlgewicht sprechen. In der Küche fettreduziertes Essen bestellen. In der Nacht eine Zwischenmahlzeit anbieten (Joghurt, Banane, vielleicht ein Brot). 1 x mtl. Wiegen.

Maßnahmen

228 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

8.

7.

M: Ist zur Person orientiert, zeitlich, örtlich und situativ eingeschränkt orientiert. Ordnet Tageszeit und Mahlzeiten nicht zu. Verläuft sich inner- u. außerhalb des Hauses. Wenn er Situationen nicht einschätzen kann, holt er Hilfe, nimmt gern Hilfe an.

T: Leichte Desorientiertheit U: Demenz

AEDL Sicherheit



T: An- und Auskleiden, eingeschränkt möglich U: Evtl. demenzielle Symptomatik M: Trägt gern warme Kleidung, mag adrettes Äußeres. Erkennt verschmutzte Kleidung nicht, zieht sich selber in falscher Reihenfolge an. Wenn Kleidung angereicht wird, zieht er sich dementsprechend an. Trägt auch gern eine Mütze. Wenn Kleidung im Zimmer herumliegt, zieht er diese von sich aus in falscher Reihenfolge an.













AEDL Pflegen und Kleiden

Er Er Er Er

findet sich im Haus besser zurecht. nutzt Hilfsmittel, wie z. B. Uhren. bleibt zu seiner Person orientiert. nimmt weiterhin Hilfe an, holt diese.

Sein Äußeres ist nach seinen Wünschen und Gewohnheiten. Er zieht sich weiterhin unter Anleitung an und aus. Er äußert auf Nachfragen Wohlbefinden.















Im Haus werden die Wege besser kenntlich gemacht, z. B. Ausschilderungen zu den Räumen (Zivi, 1 € Jobber) Im Zimmer großen Zettel mit Aktivitäten und Zeiten der Mahlzeiten aufhängen, dazu eine große Uhr. Über sein Leben und biografisch interessante Dinge (Segeln, etc. Fotos anschauen) sprechen, alte Kompetenzen erwähnen. Biografiebogen mit ihm erarbeiten.

Abends gemeinsames Aussuchen und Bereitlegen der Kleidung, diese über Nacht verschließen. Morgens nach der Körperpflege Kleidungsstücke einzeln anreichen und ggf. beim Anziehen unterstützen. Abends zum Auskleiden anleiten, Schmutzwäsche aus dem Zimmer nehmen. Wenn er schon mit Kleidung im Bett liegt, ihn bitten, noch einmal aufzustehen und sich auszuziehen.

Von der Pflegeanamnese zur Pflegeplanung 229

230

Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

7.2

Kleine Fallbeispiele

Nun folgen kleinere, aber wichtige Fallbeispiele. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind in Schulungs- und Beratungssituationen entstanden. 1. Stationäre Pflege, Herr P.

Allgemeinzustand reduziert, COPD, Alkoholabusus, Schwerhörigkeit, Vorhofflattern, Adenom, Schilddrüsenhyperthyreose, Demenz, Bradyarrhythmia absoluta, LWS-Syndrom, Fußarthrose, Prostatahypertrophie, Hypercholesterinämie, Gastritis, Gichtanfall, Hemiparese links.

M: Arme uneingeschränkt beweglich, jedoch kraftlos, kann sich z. B. kaum aufstützen. Fällt im Liegen und Sitzen zur linken Seite. Das rechte Bein wird vernachlässigt, keine Bewegung, hängt schlapp. Kann selten (max. jeden 6. Tag) allein auf Bettkante sitzen. Kann nicht mehr gehen und stehen, auch mit Unterstützung nicht (seit Klinikaufenthalt). Ist motiviert, sich zu bewegen. Herr P. liegt oder sitzt mehrere Stunden am Tag: Bett, Rollstuhl. Er fährt bei guter Tagesform selber mit dem Rollstuhl und führt im Liegen kleine Mikrobewegungen aus.



T: Bewegungseinschränkung U: Diagnosebedingt (z. B. Alkoholabusus, Demenz, Schlaganfall, Kraftlosigkeit, muskuläre Schwäche, Gleichgewichtsstörungen) 



FEDL Bewegung

1. Er sitzt 2 x tgl. bis zu 4 Stunden im Rollstuhl. Er steht mit Hilfe. Er bleibt weiter motiviert.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.









Weiterhin KG verordnen lassen, Ärztin informieren, was sie aufschreiben soll. Transfer mit und ohne Lifter: Wenn er gut stehen kann, dann mit 2 PK, sonst mit 1 PK und Lifter/ Stehlifter. Ø 10 x pro Schicht, tagsüber An Tagen, an denen er nicht allein fahren kann (keine Kraft in den Beinen hat), ca. 50% aller Tage, wird er im Rollstuhl gefahren: zu allen Mahlzeiten, zur Beschäftigung, zur Toilette. Ihn für seine Bewegungsbemühungen, wie z. B. Stehen, loben.

Maßnahmen

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

231

3.

T: Dekubitusrisiko U: Druckeinwirkung, Bewegungseinschränkung, bedingt durch stundenlanges Liegen oder Sitzen.

2.

M: Wenn PK nach Klingeln nicht unverzüglich kommen, versucht er sich, sich allein umzusetzen, stürzte dabei Ø mehr als 2 x im Halbjahr. Er wurde immer wieder darüber informiert, dass er sich nicht allein umsetzen soll, je nach Alkoholgehalt beachtet er dies oder nicht. Trägt zur Zeit keine Hüftprotektorhose.

T: Sturzgefahr U: Ungeduld, Überschätzung und Kraftlosigkeit, Halbseitenlähmung

M: Herr P. führt im Liegen kleine Mikrobewegungen aus. Lt. Nortonskala 22 Pkt. Er liegt auf einer Würfelmatratze. Bei Sitzphasen ab 4 Stunden bekommt er am Gesäß Hautrötungen. Trockene Haut, an den Fersen spezielle Hautirritationen. Hat mehrfach tgl. Eiweiß. Bisher dekubitusfrei.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Er stürzt nicht. Er wartet, bis Hilfe da ist. Steigerung der Bewegung/Muskelkraft siehe Punkt 1.

Er bleibt dekubitusfrei. Komplikationen, wie z. B. Hautrötungen, werden rechtzeitig erkannt.

Ziele/Lösungen



















Siehe Maßnahmen Punkt 1, Kräftigung PK versuchen so schnell wie möglich zur Klingel zu gehen. Beratungsgespräch für Bewohner und Sohn: über individuelles Sturzrisiko und entsprechende Maßnahmen informieren. Hüftprotektorhose anziehen lassen. Mindestens 2 x tgl. darüber informieren, dass er warten soll, bis PK kommen.

Er bleibt weiter auf Würfelmatratze liegen. PK achten darauf, dass Sitzphasen nicht länger als 2 Stunden dauern. WBL besorgt Verordnung über Gelkissen, das dann in den Rollstuhl gelegt wird. Hautbeobachtung: Gesäß bei allen Toilettengängen, b. B. Kompressionstest.

Maßnahmen

232 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

2.

1.

M: Ø Trinkmenge liegt bei 1500 ml, ohne Anregung trinkt er nicht. Trinkt von sich aus Bier und Fanta, sonst nur mit Anregung. Wenn er stark zittert, kann er den Becher etc. nicht halten.

T: Gefahr von Flüssigkeitsdefizit U: Zittern, Schwäche

M: Herr P. trägt kein Gebiss, kaut von daher kaum. Er zittert so stark und ist schwach (speziell nach mehr als einem Bier), dass er das Besteck nicht halten kann. Tassen etc. schwappen über. Er führt Hände nicht zum Mund, hängt schief am Tisch. BMI war im Mai 25,9. Fähigkeit zu essen phasenweise eingeschränkt (abhängig von Bier und Stimmungen), ¼ des Monats wie oben beschrieben. Bei guter Tagesform isst er mundgerecht vorbereitete Nahrung, ohne Anleitung. Zum Abendbrot bringt der Sohn »Leckereien« mit (Tomate, Fisch, etc.).

T: Nahrungsaufnahme eingeschränkt U: Zittern, Schwäche,

FEDL Essen und Trinken









Er trinkt weiterhin 1500 ml. Er trinkt weiterhin aus bereitgestelltem Becher. Er trinkt weiter unter Anleitung.

Er ist weiter bei guter Tagesform mundgerecht vorbereitete Nahrung selber (so oft wie möglich).











Anreichen von Flüssigkeit (Schnabelbecher mit Strohhalm) ca. 5 x pro Schicht tagsüber, nachts 2 x. Bei starkem Zittern Trinken angeben. Bier wird geöffnet und Strohhalm reingestellt. 3 x tgl.

Er erhält 3 x tgl. mundgerecht vorbereitete Hauptund 2 Zwischenmahlzeiten. Passierte Kost, cholesterinarme Diät. Bei schlechter Tagesform wird er angeleitet, motiviert, immer wieder ermuntert und schlussendlich wird Essen dann angereicht. Oder die Mahlzeit wird weggestellt und später erneut angeboten. Zum Abendbrot bekommt er Weißbrot mit Margarine, sodass mitgebrachte Beilagen vom Sohn aufgelegt werden können. Sohn reicht Abendbrot an.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

233

Insgesamt isst er viel durcheinander, hat eigenen gefüllten Kühlschrank. Klagt Ø 1 x die Woche über Übelkeit.



M: Herr P. hat eine ärztlich verordnete cholesterinarme Diät. Diese wird von der Küche angeboten. Er hält sich bis aufs Abendbrot daran, denn dann bringt der Sohn individuell gewünschte Spezialitäten mit. 



T: Verhalten bei Diät U: Eingeschränkte Motivation

2. Er merkt rechtzeitig, bevor ihm übel ist, dass er zu viel durcheinander gegessen hat. Er akzeptiert, dass Pflegekräfte Zusatzessen aus Kühlschrank einteilen. Cholesterinwerte sind im Toleranzbereich, sodass er die individuelle Abendmahlzeit verträgt.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.









Cholesterinwerte messen lassen. Ärztin gibt Toleranzwerte an. Medikamentengabe nach ärztlicher Anordnung. Beratungsgespräch mit Sohn und Bewohner über neue Regelung der mitgebrachten Lebensmittel. Dabei wird festgelegt, dass Lebensmittel, die zu Übelkeit führen, im Kühlschrank der PK aufbewahrt und auch zugeteilt werden.

Maßnahmen

234 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

FEDL Kommunikation

1.

M: Frau B. benennt durchschnittlich alle 10 bis 15 Minuten Gegenstände mit anderen Namen, wirkt dabei unglücklich. Sie versucht immer wieder, das richtige Wort zu finden. Nimmt verbale Anregungen von PK an, wenn diese z. B. das Wort nennen. Sie wirkt dann erleichtert und greift das Wort gleich auf. Frau B. spricht von sich aus andere Menschen an, ist dabei gut zu verstehen. Sie hört eher zu, als sich selbst mitzuteilen. Sie trägt eine Brille, setzt diese selber auf (schläft damit).

T: Wortfindungsstörungen, zeitweise U: Sprachstörung

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

2. Stationäre Pflege, Frau B.







Sie teilt sich weiterhin mit. Sie nutzt weiterhin die Hilfestellungen der PK, wie z. B. Worte nennen. Sie genießt weiterhin die Gespräche mit anderen.

Ziele/Lösungen







Gespräche über Lieblingsthemen führen (Auto Blumen, Kinder, Haushaltsführung, etc.) Ihr ermöglichen, in der Gegenwart der Pflegekräfte zu sein. Wenn sie Wortfindungsfindungsstörungen zeigt, ihr die Wort nennen, die sie sucht.

Maßnahmen

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

235

3.

FEDL Orientierung

2.



T: Bewegungseinschränkung bei schmerzhaften Bewegungen U: Rheuma und weitere Diagnosen, starke Schmerzen 













Schmerzlinderung soweit wie möglich (unter NRS 3/10). Sie läuft weiterhin auf dem Wohnbereich herum. Sie bewegt weiterhin Beine und Füße nahezu uneingeschränkt. Beweglichkeit in den Fingern ist gesteigert.

Sie holt sich weiterhin Orientierung. Sie äußert weiterhin ihre Empfindungen. Sie führt weiterhin unter nonverbaler Anleitung Maßnahmen durch. Sie erfährt Selbstachtung.

Ziele/Lösungen

FEDL Bewegung

M: Frau B. holt sich Orientierung, indem sie andere nachahmt, oder ihnen hinterhergeht, fragt, um Hilfe bittet etc. Sie führt unter nonverbaler Anleitung Maßnahmen durch, handelt bei guter Tagesform situationsgerecht. Sie scheint bewusst mitzubekommen, dass sie immer mehr Orientierung verliert (Weinen, Äußerungen: »Was ist mit mir los?«, etc.) Räumliche u. zeitliche Orientierung nicht zu erkennen. Sie reagiert auf ihren Namen, erkennt PK nicht persönlich, aber in ihrer Funktion (sind Ansprechpartner). Bei vielen ihrer Handlungen denkt sie, sie hätte diese schon ausgeführt, obwohl das nicht stimmt.

T: Stark eingeschränkte Orientierung U: Demenz

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



















Einschätzung der Schmerzqualität mit Schmerzskala. Ärztin ansprechen wegen Verordnung Ergound Physiotherapie. Förderung der Bewegung bei allen Pflegehandlungen, auch kleine Bewegungen für die Hände (z. B. Binden wickeln, abwaschen, etc.).

Nachdenken über räumliche Orientierungshilfen (z. B. Bild von Auto an Zimmertür). Wenn sie sich an PK wendet, ihr bewussten Kontakt geben. Bei Möglichkeit verbale Orientierungshilfen geben Ihr in der Pflege die gewünschten Handlungen vormachen und verbal anleiten. Wenn sie denkt, sie hätte etwas schon durchgeführt, was jetzt gewünscht wird, immer erneut versuchen, es durchzuführen. In Gesprächen ihre ehemaligen Kompetenzen stärken (Hausfrau, Mutter, etc.) und in Handlungen einbinden.

Maßnahmen

236 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

4.

T: Dekubitusgefahr U: Bewegungseinschränkung im Liegen M: Frau B. hat lt. Nortonskala 25 Pkt und führt im Liegen kaum erkennbare Bewegungen durch, legt sich auch nach durchgeführter Positionierung immer wieder auf den Rücken. Sie liegt auf Würfelmatratze. Hatte in der Vergangenheit einen Dekubitus, der hier wieder abheilte. Sie hat eine Pergamenthaut, bekommt im Liegen nach ca. 1 Stunden eine Hautrötung.

M: Frau B. bewegt ihre Beine und Füße fast uneingeschränkt, hebt Arme brusthoch. Beweglichkeit in den Fingern durch Rheumaknötchen verlangsamt und schmerzhaft. Sie läuft mehrere Stunden lang auf dem Wohnbereich, führt im Liegen kaum sichtbare Bewegungen durch, liegt nur auf Rücken.







Sie liegt auf einer Matratze, auf der sie keine Hautrötungen bekommt. Sie bleibt dekubitusfrei. Gewebetoleranz ist gesteigert.











Ärztin wegen neuer Matratze ansprechen, im Haus fragen, evtl. Tauschen. Im Liegen diverse Mikrolagerungen durchführen, z. B. kleine Handtücher. Wenn sie diese Positionsunterstützung wieder entfernt, Lagerung mit schiefer Ebene probieren. Positionsunterstützung dokumentieren. Steigerung der Eiweiß- und Vitaminzufuhr (Absprache mit Küche). Hautkontrolle des Gesäßes bei der Inkontinenzversorgung, Ø 3 x pro Schicht. Bewegungsförderung siehe Pkt. 1.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

237

6.

T: Sturzgefahr U: Risikofaktoren: Nebenwirkungen von BTM-Gabe, Orientierungslosigkeit, Bewegungseinschränkung, teilweise ohne Schuhe gehen.

5.

M: Frau B. äußert Wünsche zur Körperpflege, badet sehr gern, wäscht sich unter Anleitung Hände und Gesicht (tagesformabhängig). Sucht gemeinsam mit PK Kleidung für den nächsten Tag aus. Jeden Tag ist sie morgens gegen 6:00 Uhr (laut Nachtwache auch 4:00 bis 5:00 Uhr) schon angezogen, sagt, sie hätte sich schon gewaschen (Handtücher und Waschlappen sind aber trocken).

T: Eingeschränkte Körperpflege und Kleiden U: Situative Desorientiertheit

FEDL Pflegen und Kleiden

M: Besondere Gefahrensituationen sind bei ihr Ausrutschen in Urinpfützen, häufig nachts zwischen 2:00 und 6:00 Uhr, denn dann läuft sie barfuß auf dem Wohnbereich oder im Zimmer herum. Ansonsten hat sie einen aufrechten, sicheren Gang, sucht sich Halt. Sie ist bisher hier 1 x nachts gestürzt, hat dann auch Hilfe durch Rufen geholt.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Sie wäscht sich weiter unter Anleitung Hände und Gesicht. Sie nimmt Hilfestellung zur Körperpflege an.

Sie ist sturzfrei. Sturzfolgen sind reduziert. Sie macht sich weiterhin bemerkbar.

Ziele/Lösungen

















Gegen 7:30 Uhr – 8:00 Uhr wird eine komplette Körperpflege durchgeführt. Waschhandlungen vormachen, Zeit geben, loben. Wenn sie selber nicht mehr weiter weiß, übernimmt PK komplett. Incl. Haarpflege und Mundpflege. Vollbad mindestens 1 x wöchtl. auch nach Wunsch, abends, dabei Fingernagelpflege. Ausziehen abends komplett durch PK, wenn sie müde und erschöpft ist.

Festes Schuhwerk tragen lassen, wenn sie barfuß angetroffen wird, ihr sofort Schuhe anziehen. Beobachtung von möglichen Medikamentennebenwirkungen und Gangverhalten. Hausarztkonsil wegen Optimierung der Medikamente (inkl. Überprüfung der Nebenwirkungen), Verordnung von Trochanterschutzhosen. Tochter wird über Sturzrisiko informieren, sie die Hosen kaufen lassen In der Nacht mindestens 3 Kontrollgänge.

Maßnahmen

238 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

9.

8.

7.

M: Sie äußert ihre Wünsche, isst mundgerecht vorbereitete Mahlzeiten unter Anleitung (verbal/nonverbal). BMI liegt bei 24,7. Sie isst auch gern zwischendurch etwas in der Küche. Erinnert Abläufe der Nahrungsaufnahme durch Beobachten.

T: Nahrungsaufnahme eingeschränkt U: Situative Desorientiertheit, geringe Motivation zum Trinken

FEDL Essen und Trinken

M: Am ganzen Körper reißt die Haut leicht ein. Trockene Haut. Neigung zu Ulcus cruris.

T: Gefahr von Hautverletzungen U: Pergamenthaut

M: Sie zieht sich bei guter Tagesform unter verbaler und nonverbaler Anleitung die Kleidung an, diese muss in der richtigen Reihenfolge angerecht werden.

T: Eingeschränktes An- und Auskleiden U: Situative Desorientiertheit

FEDL Pflegen und Kleiden













BMI/Gewicht bleiben stabil, BMI 25. Eiweiß und Vitaminzufuhr ist gesteigert (Dekubitusgefahr), liegt bei …kcal. Sie isst weiterhin mundgerecht zubereitete Nahrung unter Anleitung.

Haut ist ausreichend gefettet, elastisch. Verletzungen wurde vorgebeugt.

Sie zieht sich weiter unter Anleitung an, wenn Kleidung in der richtigen Reihenfolge angereicht wird.

























3 tgl. mundgerechtes Vorbereiten von 3 Hauptmahlzeiten und 3 x Zwischenmahlzeiten. Sie wird bei allen Mahlzeiten von PK angeleitet (verbal/ nonverbal). Sie so hinsetzen, dass sie sich bei anderen Bewohnern etwas abgucken kann. Spezialbesteck besorgen . 1 x monatlich Gewichtskontrolle (BMI Erhebung). Küche wegen gesteigerter Eiweiß- und Vitaminzufuhr ansprechen.

Nur weiche Handtücher verwenden. Durchführung evtl. ärztlicher Anordnungen wie z. B. Beine wickeln. Einreiben mit Linola Fett und Bepanthen Lotion, 1 x tgl. Beobachtung des Hautzustandes.

Abends gemeinsam Kleidung für den nächsten Tag auswählen. Nach der morgendlichen Körperpflege beim Ankleiden Kleidung in der richtigen Reihenfolge angeben. Komplette Übernahme durch PK. Abends komplettes Ausziehen durch PK.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

239

11.

T: Gefahr eines Flüssigkeitsdefizits U: Geringe Motivation

10.

M: Kontinenzprofil: Unabhängig erreichte Kontinenz: Sie geht selber zur Toilette, scheidet dort aus, nutzt aber auch Papierkorb. Frau B. trägt Vorlage (Mini) entfernt diese mehrfach tgl. und verteilt sie im Zimmer (auf Tisch, in Schränke, etc.). Wenn sie kleine Vorlagen nicht trägt, ist die Hose nass. Wenn sie sehr beschäftigt ist, z. B. raucht, vergisst sie die Dringlichkeit des Toilettengangs. Sie nimmt Stuhldrang wahr, äußert diesen, geht dann zur Toilette. In der Nacht scheidet sie bevorzugt auf Fußböden und im Flur aus, hinterlässt Pfützen.



T: Leicht eingeschränkte Kontinenz U: Demenzielle Symptomatik, leichte Inkontinenz 









Geeignetes Ausscheidegefäß als Alternative zum Papierkorb wird gefunden. Sie geht weiterhin allein zur Toilette. Sie nimmt weiterhin Hilfe an, wenn sie welche braucht. Kontinenzprofil weiterhin: unabhängig erreichte Kontinenz

Sie trinkt weiterhin 1200 bis 1500 ml tgl. Sie trinkt immer, wenn man ihr das Glas reicht.

Ziele/Lösungen

FEDL Ausscheidung

M: Frau B. trinkt, wenn man ihr »das Glas reicht«. Dauert ca. 5 bis 6 Minuten. Trinkt Ø 1200 bis 1500 ml.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

















Tagsüber 5 x pro Schicht wird sie zur Toilette begleitet, dort zum Toilettengang aufgefordert, inkl. Anleitung zum Wechsel der kleinen Vorlage. Im Team wird überlegt, ihr einen Emailleeimer zum Wasserlassen zur Verfügung zu stellen. Vorlagen dezent wegräumen, wenn sie herumliegen. Medikamentenumstellung zur Förderung der Nachtruhe bei gleichzeitiger Steigerung der Kontrollgänge in der Nacht, mindestens alle 2 Stunden. Beim nächtlichen Wasserlassen auf Fluren etc. Ort reinigen, erneuten Toilettengang anbieten, neue Vorlage einlegen, ins Bett bringen. Verhalten dokumentieren.

Tagsüber Ø alle 1,5 Stunden etwas zu trinken anbieten, ganzen Becher austrinken lassen. Bei nächtlichen Kontrollgängen Getränk anreichen.

Maßnahmen

240 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

T: Desorientiertheit U: Vermutlich Demenz

1.

M: Frau G. reagiert auf ihren Namen, benennt Schwiegertochter mit ihrem Namen. Es ist nicht wahrzunehmen, ob sie PK also solche erkennt. Vermutlich nimmt sie ihre Familienangehörigen als solche wahr. Sie gibt keine sichtbaren Hinweise auf ihr Befinden. Ist zeitlich eingeschränkt orientiert, fragt z. B. nach. Es ist nicht einzuschätzen, ob sie weiß, wo sie ist. Fragt: »Wo gehen wir denn hin?« Bahnt tagesformabhängig Handlungen an, speziell beim Essen. Ansonsten scheint sie viele Situationen nicht einzuschätzen. »Was wollen wir denn hier?« Nutzt bei Interesse Erinnerungsvermögen, erinnert sich z. B. an Ereignisse und Gespräche mit PK.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Demenz Inkontinenz

3. Ambulante Pflege, Frau G.







Sie reagiert weiterhin mit Erkennen auf ihren Namen. Sie zeigt weiterhin Teilnahme in Situationen, fragt z. B. nach. Sie erhält Informationen über ihre jeweilige Situation, fühlt sich damit sicher.

Ziele/Lösungen





Über alle anstehenden Pflegetätigkeiten einzeln informieren. Hinweise auf Tageszeiten geben, speziell an Mahlzeiten festmachen. Tagesformabhängig über ihr »Gemüsegeschäft« sprechen, oder andere Erinnerungen von früher.

Maßnahmen

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

241

T: Unbefriedigende häusliche Situation (subjektive Wahrnehmung der verantwortl. PK) U: Frau G. lebt in der eigenen Wohnung (Durchgangswohnung). Sohn, Schwiegertochter, Enkelsohn mit Familie. Ehefrau des Enkelsohns und Schwiegertochter sind verantwortlich für Finanzen und Absprachen. Es gibt keine gesetzliche Betreuung. Angesehene, wohlhabende Familie, steht unter Druck, da Schwiegertochter und Schwiegerenkeltochter Frau G. nicht mehr um sich haben möchten (Begründung: persönliche Verletzungen im Vorfeld, familiäre Spannungen). Sohn und Enkelsohn geben sie auf keinen Fall in eine stationäre Einrichtung (Versprachen dies dem Vater auf dem Sterbebett).

2.

M: Frau G. erhält über Stunden keinen Kontakt oder Flüssigkeit von der Familie, sieht z. B. im Dunkeln ihr bereitgestelltes Essen nicht. Beratungssituationen (taktvoll) haben bisher keinen erkennbaren Erfolg gehabt. Frau G. kann sich zur Gesamtsituation nicht äußern. Von früher ist bekannt, dass sie sich die Nähe von Sohn und Enkelsohn wünscht.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.













Verantwortliche Familienangehörige sind sich ihrer Aufgabe bewusst. Familienangehörigen fühlen sich frei und entscheiden sich freiwillig, sie zu versorgen oder sie woanders leben zu lassen. Wenn sie sich entscheiden, verantwortungsvoll für Frau G. da zu sein, nutzen sie Beratung und setzen vorgeschlagene Maßnahmen um. Angehörige sind motiviert, sich mehr und nachweisbarer um Frau G. zu kümmern, oder sie sind bereit, mehr Einsätze zu finanzieren. Die Angehörigen sind über den aktuellen Stand von Pflegenotwendigkeiten informiert und handeln bei Notwendigkeit. Familie hat auf Seiten der Sozialstation eine feste Ansprechpartnerin.

Ziele/Lösungen











Pflegedienstleitung bittet die verantwortlichen Angehörigen um ein Gespräch: Themen im Gespräch: derzeitige Pflegesituation mit entsprechenden Maßnahmen. Ziel der Pflege zuhause in der Wohnung ist, dass die Pat. keinen Schaden erleidet. Es werden die möglichen Leistungen der Sozialstation vorgestellt (z. B. Besuche Zivi, etc.) PK besprechen einmal die Woche die Pflegesituation mit Ansprechpartner, beziehen deren Wünsche mit ein. Die Pflege wird gemeinsam geplant. Die Familie erhält Informationen, was sie tun kann (z. B. nächtliche Druckentlastung zur Dekubitusprophylaxe), um die Pat. zu stützen, bzw. wo sie mehr Leistungen der Sozialstation nutzen. Wenn anschließend Unklarheiten sind, bzw. Pflegesituationen unzureichend sind, dann wird dieses dokumentiert. In der Station wird überlegt, dass es eine Bezugspflegekraft gibt, die als Hauptansprechpartnerin gilt. Es wird eine Pflegeplanung erstellt, an die sich die anderen halten.

Maßnahmen

242 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

M: Der Körper ist insgesamt steif, Frau G. kann sekundenweise mit Unterstützung stehen. Kann treten, Beine im Sitzen und Liegen bewegen. In den Fingern/bzw. Händen Kontrakturen, bewegt die Hände leicht miteinander. Bewegt Arme leicht bei Anleitung maximal brusthoch, sonst nicht; bis auf Situationen, in denen sie schlägt, dann hat sie kraftvolle, energische Bewegungen Hals, Schultern sehr steif, dreht gesamten Oberkörper. Bei Wohlgefühl, bei etwas, was sie kennt und in angenehmer Erinnerung (z. B. Singen) hat, ist sie kurzzeitig (wenige Sekunden) locker/entspannt/gelöst. Bewegt Beine im Liegen übers Bettgitter. Kann über mehrere Stunden (2 bis 3 bis 4 Stunden) im Rollstuhl sitzen, neigt zum Herunterrutschen.

T: Bewegungseinschränkung – Versteifung U: Unklar, evtl. starke Versteifung, massiv verlangsamt, vermutlich Angst

Sie war schon mehrfach zur Kurzzeitpflege, war danach reger, Wundheilung abgeschlossen, verbesserte Bewegungsfähigkeit, etc. Die Familie ist auch nach außen hin nicht für einen liebevollen Umgang bekannt. Es liegt keine akute Gefährdung vor.









Entspannungsphasen sind mehr als 1 Minute, und mehr als 1 x pro Einsatz. Sie bewegt weiterhin Arme und Beine beim Treten. Sie kann weiterhin sekundenweise mit Unterstützung stehen. Sie nutzt die KG-Übungen.









Hausarzt wegen KG-Verordnung ansprechen, evtl. Ergotherapie. Wenn PK Pat. in eine entspannte Situation bringen möchte, dann zum Singen auffordern, oder an angenehme Erinnerung (Kuchen backen, Handarbeiten, Gemüse verkaufen, etc.) erinnern und dann Bewegung durchführen. Ereignis mit Thema sowie Verhalten dokumentieren. Beim Transfer, wenn sie es zulässt, sie sekundenweise auf Füße stellen, sie dabei fest halten. PK fahren Pat. mit Rollstuhl in der Wohnung herum.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

243

T: Dekubitusgefahr U: Hohe Scherkräfte, Bewegungseinschränkungen

4.

M: Hat lt. Nortonskala 15 Pkt. Hohe Druckeinwirkung auf dem Gesäß durch stundenlanges Sitzen oder Liegen. Zeigt gelegentlich Hautrötungen, die nach Druckentlastung wieder verschwinden. Legt sich immer wieder auf Rücken. Hat keine Wechseldruckmatratze, oder andere Weichlagerungsmatratze. (Laut Schwiegertochter kommt bald eine Wechseldruckmatratze). Erhält von 19:00 Uhr bis 9:00 Uhr keine Druckentlastung oder Positionierung, da Angehörige dies nicht übernehmen.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.









Sie bleibt dekubitusfrei. Hautrötungen werden rechtzeitig erkannt und verschwinden weiterhin sofort bei Druckentlastung. Sie erhält tagsüber eine regelmäßige Druckentlastung von max. 3 Stunden. Angehörigen sind bereit, nachts bis zu 2 x eine Druckentlastung im Liegen vorzunehmen.

Ziele/Lösungen











Beratungsgespräch durch die Pflegedienstleitung und/oder Bezugspflegekraft über notwendigen Positionswechsel durch Angehörige, ebenso hochwertige Eiweiß- und Vitaminversorgung, evtl. Ernährungsberaterin hinzuziehen. PK führen bei allen Einsätzen eine Hautbeobachtung des Gesäßes durch. Positionierung im Liegen mittels schiefer Ebene, Wolldecke unter Matratze. Hautpflege mittels normaler Körperlotion 1 x tgl. sonst kein Cremen etc. Bei Sitzen im Rollstuhl sitzt sie auf Gelkissen, dieses über Hausarzt erneuern lassen.

Maßnahmen

244 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau H. spricht andere Menschen in Rollen aus der Vergangenheit an, sagt z. B. »Mama« zu PK. Reagiert derzeit nicht mehr auf ihren Namen, aber bei Ansprache von Familienangehörigen auf Vornamen und Du. Lässt alles mit sich machen, sagt:»Ja, ist gut!« Keine Hinweise auf zeitliche/örtliche Orientierung. Scheint keine Situationen einzuschätzen, wirkt dabei entspannt und zufrieden. Wirkt abwesend, braucht z. T. mehrere Minuten, um aufmerksam oder wach zu werden.



T: Desorientiertheit, eingeschränkt U: Demenz









FEDL Orientierung

1. Sie ist während der Pflegeeinsätze wach und aufmerksam. Sie erfährt Interesse an ihrer Person. Sie erhält Informationen über das, was um sie herum ist. Sie wirkt weiter zufrieden und entspannt bei der Pflege. Sie erfährt Liebe und Zuwendung.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Demenz Zustand nach Sturz

4. Ambulante Pflege, Frau H.













Pflegeeinsatz erst nach 10:00 Uhr, sodass sie lange schlafen kann. (Stärkung alter Gewohnheit). Verbale Ansprache und auch über Berührung, Bezug auf sie als Person, Tagesereignisse und Fridolin (Plüschtier) nehmen. Verschiedene Reize geben (über das Hören, Fühlen, Sehen, etc.). Bei allen Pflegetätigkeiten über alle durchzuführenden Maßnahmen informieren. PK stellen vertrauensvolle, familiäre Atmosphäre her. Gespräche führen, dabei die Liebe zwischen Kind und Mutter nennen. Vielleicht das Lied »Kommt ein Vogel geflogen« ausprobieren. Muttergefühl stärken durch leichtes Streicheln auf der Wange

Maßnahmen

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

245

3

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Situative Verkennung, Desorientiertheit

2

M: Frau H. bewegt von sich aus den rechten Arm geringfügig. Linker Arm ist schlaff (Kein Schlaganfall lt. Hausarzt), insgesamt schlaffe Haltung, greift nicht gezielt zu. Im Liegen keine erkennbaren Bewegungen. Sitzt 3 bis 4 Minuten, ist dann schwach. Nach Krankenhausaufenthalt (wegen Sturz) ist ihre Bewegungsfähigkeit sehr reduziert. KG wird vom Hausarzt nicht verordnet.

T: Bewegungseinschränkungen U: Zustand nach Sturz

FEDL Bewegung

M: Wenn Übernahme der Körperpflege sehr liebevoll geschieht, lässt sie diese über sich ergehen. Derzeit keine verbalen oder nonverbalen Hinweise auf Zufriedenheit, lächelt jedoch oft hinterher. Sie führt selber aktiv keine Körperpflege durch, reagiert auch unter Anleitung nicht. Reagiert mit Angst (sagt: »Aua« und versteift sich), geschmeidiger Hautzustand.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.















Sie bewegt weiterhin rechten Arm. Sie bleibt frei von Kontrakturen. Sie ist in ihrer Körperwahrnehmung gefördert.

Geschmeidige Haut bleibt. Sie lächelt weiterhin nach Durchführung der Körperpflege, bzw. sogar währenddessen. Angehörige äußern Zufriedenheit über die Qualität der Körperpflege durch Pflegekräfte. Sie erfährt weiterhin Zuwendung durch liebevolle Übernahme der Körperpflege.

Ziele/Lösungen











Beratung der Angehörigen über Möglichkeiten, die jetzige Bewegung zu fördern (z. B. Aus dem Bett setzen, Aktivieren, Positionieren, etc.). Bei der Pflege den ganzen Körper durchbewegen, z. B. den Arm hochheben, Beine aufstellen. Beim Transfer kurz stehend halten, etc.

Morgens komplette Übernahme der Körperpflege durch PK mit Assistenz Angehöriger, gegen 10:00 Uhr/10:15 Uhr, montags, mittwochs, freitags. Reihenfolge: Auf Toilettenstuhl setzen: OK. Im Sitzen waschen, zeitgleich Fußbad. Unterkörper im Bett liegend waschen. Eincremen mit NiveaLotion, Deo, Gesichtscreme. Mundpflege mit Kompresse. Sehr ruhig vorgehen, sanft sprechen, in ihrem Blickfeld bleiben, sagen, was als nächstes getan wird.

Maßnahmen

246 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

5.

4.

M: Zurzeit gibt sie keine verbalen oder nonverbalen Hinweise auf bevorstehende Ausscheidungen. Wenn sie auf dem Toilettenstuhl sitzt, scheidet sie Urin aus, danach im Liegen nochmals Urinabgang. Keine Obstipation. Reagiert mit Beine verschließen wollen auf Intimpflege, nimmt sonst alle Maßnahmen bei der Ausscheidungsunterstützung an/hin. Neigt zu Hautpilzen im Intimbereich.

T: Ausscheidung, veränderte U: Fortschreitende Demenz

FEDL Ausscheidung

M: Frau H. hat lt. Bradenskala 16 Pkt. Führt im Liegen kaum sichtbare Lageveränderungen durch. Neigt zu Dekubitus Stadium 1 und Hautrötung, speziell im Steiß-/Analfaltenbereich. Liegt auf ADM, benennt keinen Druckschmerz. Unklare Eiweiß- und Vitaminzufuhr (durch Angehörige). Angehörige wissen um Wichtigkeit von Positionswechsel. Allerdings hohe Scherkäfte im Liegen durch hohes Kopfteil.

T: Dekubitusgefahr/Dekubitusrisiko U: Hohe Bewegungseinschränkung

















Sie bleibt weiter obstipationsfrei. Gesundes Hautmilieu im Intimbereich. Sie scheidet weiterhin auf Toilettenstuhl aus. Sie geht weiterhin so entspannt mit der Versorgung um. Angehörige leisten weiterhin dieses hohe Ausmaß an Unterstützung.

Angehörige führen weiterhin Positionswechsel durch. Eiweiß- und Vitaminzufuhr ist gesteigert. Sie ist dekubitusfrei.













Sie wird täglich auf Toilettenstuhl gesetzt, 3 x durch Pk, sonst durch Angehörige. Versorgung mit Inkontinenzhosen durch Angehörige, 3 x die Woche durch PK. Mehrfach tgl. Intimpflege durch Angehörige Spezielle Hautpflege im Intimbereich 3 x wöchtl. durch PK, sonst durch Angehörige mit Penaten Soft. PK stehen für Beratung zur Verfügung.

3 x wöchtl. speziell b. d. Körperpflege Hautbeobachtung der gefährdeten Regionen, speziell Steiß, inkl. Dokumentation. Beratungsangebot an Angehörige. Maßnahmen, die Angehörige durchführen sollten: Kopfteil so flach wie möglich stellen, um Scherkräfte zu reduzieren. Tagsüber alle 2 Stunden 30° Seite im Wechsel. Kein Cremen des Gesäßes. Ernährungsberatung, Steigerung der Eiweiße und Vitamine.

Kleine Fallbeispiele 247

FEDL Orienierung

1.

M: In festen Abläufen, wie z. B. Pflegeablauf, findet er sich zurecht. Präzise Anweisungen (Pause, kurze Sätze) setzt er um. Stellt vertrauensvolle Beziehungen und Situationen zu PK her, hier verwischt vermutlich die Grenze, da er Pflegekräfte gern berührt. Wünscht evtl. auch wieder jung und kompetent zu sein. Zum Ort orientiert. Zeitlich wechselnde Orientierung, da ihm Hinweise von außen fehlen (z. B. Tagesstruktur). In ca. 50% der Alltagssituationen handelt er von sich aus, bzw. situationsgerecht. Führt Handlungen von sich aus nicht zu Ende. Er ist nicht mehr in der Lage, seine Gesamtsituation zu regeln ( FEDL Sicherheit).

T: Zeitweise Desorientierung U: Nicht benannt, da Hausarzt nicht diagnostizieren möchte (trotz mehrfacher Bitte durch PDL)

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Geboren 1921 Diabetes Mellitus

5. Ambulante Pflege, Herr L.











Betreuungssituation ist geklärt. Er erlebt eine verlässliche Tagesstruktur und orientiert sich an dieser. Er stellt weiterhin vertrauensvolle Beziehungen her. Er bleibt zum Ort orientiert. Er erfährt Wertschätzung und Stärkung seiner Person.

Ziele/Lösungen















Feste Bezugspflegekräfte (max. 4 bis 5). Einsätze und Abläufe sind immer ähnlich, derselbe Zeitpunkt 6:30 Uhr. Bei den Pflegeeinsätzen alles auf einfache Weise verbal anleiten; wenn er dann etwas nicht umsetzt, Impulsgebung, z. B. Material in die Hand geben. Im Kontakt mit ihm auf seine Gesprächsthemen eingehen, er schlägt immer Themen vor. Sich ehrlich mitteilen. Bewusst Zuwendung geben. In Gesprächen bewusst seine alten Kompetenzen stärken, z. B. Marinetätigkeit, auf See sein. Beim Herumgehen in der Wohnung die Räume und Gegenstände mit ihren Funktionen benennen. PDL bittet Hausarzt erneut um genaue Diagnostik.

Maßnahmen

248 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

2.

M: Bisher sind keine Stürze bekannt, lehnt Gehhilfen ab. Geht allein in der Wohnung, schwankt dabei stark, geht auch im Dunkeln (findet evtl. Lichtschalter nicht)

T: Sturzrisiko U: Probleme mit Körperbalance und Gleichgewicht, Gangveränderungen, eingeschränkte Bewegungsfähigkeit, reduzierte Kraft in den Beinen beim Aufstehen, chronische Erkrankung durch Kriegsverletzung, verspätetes Losgehen beim Toilettengang, Desorientiertheit, Psychopharmaka.

M: Oberkörper frei beweglich, geht schwankend in der Wohnung, steht allein sehr langsam aus dem Sessel auf, speziell wenn ihm das Gesäß vom Sitzen drückt. Steht selten frei, hält sich sofort fest, lehnt Stock etc. ab. Sitzt fast ausschließlich den ganzen Tag im Sessel. Nächtliches Bewegungsverhalten ist nicht bekannt. Frei von Kontrakturen. Hat lt. Bradenskala 20 Punkte, also kein Dekubitusrisiko.

T: Bewegungseinschränkung U: Kriegsverletzung (schon immer Hinken beim Gehen, evtl. Durchschuss Bein)

FEDL Bewegung



















Räume sind automatisch beleuchtet. Stürze werden rechtzeitig bemerkt. Er nimmt Hilfsmittel zum Gehen an, bzw. ist über Vorteile einer Gehhilfe informiert. Person ist gefunden, von der er Rat annimmt (z. B. Schwester Gabi).

Er bleibt weiter frei von Kontrakturen. Oberkörper bleibt weiter frei beweglich. Er geht weiterhin allein mit Haltemöglichkeiten. Er kann weiterhin allein über Stunden sitzen. Er ist weiterhin dekubitusrisikofrei.

















Beratungsgespräch mit den Angehörigen bzgl. Lichtsensoren (Bewegungsmelder), Anschaffung Notrufanlage; Verwendung der Gehhilfe, Finanzierung von weiteren Einsätzen, Tragen von Hüftprotektorhosen etc. Verschiedene Gehhilfen mal ausprobieren. Z.B: Vierpunktstock. Vielleicht kann Gehhilfe biografisch aufgewertet werden (mit altem Mützenband des Matrosen o. ä.) Hausarzt um KG-Verordnung bitten, zum Kraftund Gleichgewichtsstraining. Bewegungsförderung, siehe oben Leitung nimmt Kontakt zu Firma auf, die geeignete Hüftprotektorhosen vertreibt, bittet Angehörige um Anschaffung.

Bewegungsverhalten beobachten, speziell, dass er bei Druckschmerz aufsteht. Ihn weiter ermuntern, mit seinem Kissen kleine Sitzveränderungen vorzunehmen. PK gehen viel mit ihm, da Wohnung sehr weitläufig ist. Pflegeabläufe so gestalten, dass er sich so viel wie möglich bewegt (z. B. selber waschen).

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

249

Keine Stolperfallen in der Wohnung. Erschrickt sich, wenn er beim Gehen keinen Halt findet, sich z. B. vergreift Er trägt sicheres Schuhwerk. Angehörigen bekommen möglichen Sturz nur mit, wenn sie in der Wohnung sind.

FEDL Sicherheit

3.

4

M: Herr L. lebt allein in der Wohnung, kennt die Versorgung durch die Sozialstation schon länger durch seine Frau. Er hat keinen Zugriff auf sein Geld, ein Sohn regelt seine Angelegenheiten. Es gibt zurzeit noch keine Betreuung, hier gibt es Scheu, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Herr L. bräuchte mehr Unterstützung, auch mehr Tagesstruktur, bzw. Kontakte. Familie, inkl. Enkel und Urenkel, wohnen im Haus, zeigen sich wenig, übernehmen einen Einkauf pro Woche. Lebensgefährtin kocht, bringt das Essen runter. Familie hat bisher bei einem notwendigen Handlungsbedarf erst nach mehrfachen Beratungsgesprächen gehandelt. Herr L. äußert verschlüsselt, dass er mehr Kontakte und Besuche haben möchte.

T: Ungeklärte Situation mit den Angehörigen U: Differenz zwischen Ist-Situation Wunschsituation

Pflegerische Ist-Situation

Nr.





Betreuung ist geregelt. Angehörige sind über den höheren Pflege- und Betreuungsbedarf informiert und wissen um ihre Möglichkeiten.

Ziele/Lösungen





Leitung initiiert Beratungsgespräche, derzeit aktuell über Betreuung. Berät Familie über weitere Möglichkeiten der Versorgung. Steht mit Rat und Tat zur Seite, stellt auch Kontakte zur Gruppe pflegender Angehöriger her. Bietet intensiv Unterstützung an, auch einfach anzurufen.

Maßnahmen

250 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Herr M. kennt seine Kinder und bekannte Pflegepersonen, findet sich im Hause noch nicht überall zurecht, erkennt aber sein Zimmer wieder. Hält sich zurzeit auf seinem Wohnbereich auf. Verlegt mehrfach wöchtl. Dinge wie z. B. Schlüssel. Mit Anleitung verwendet er Utensilien sinngemäß. Zeitliche Orientierung eingeschränkt, kennt und gestaltet von sich aus den Tagesablauf nicht. Übernimmt z. T. Aktivitäten der Selbstpflege von sich aus. Er reagiert auf seinen Namen, erkennt sich auf Fotos etc.



T: Eingeschränkte Orientierung U: Zerebraler Insult 





FEDL Orientierung

1. Er erkennt weiterhin Familienangehörige und Personal. Er ist weiterhin bemüht, sich selbst zu pflegen/den Tag zu gestalten. Er kennt alle Wege im Hause. Er verwendet weiterhin Utensilien sinngemäß.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Osteoporose WS, beidseitige primäre Cox Arthrose, Schmerzsyndrom bei Polyathrose, Zerebraler Insult

6. Stationäre Pflege, Herr M.









Bezugspflege, so weit wie möglich Für Aktivitäten der Selbstpflege loben, anerkennen. 1 x in der Woche alle Wege und Örtlichkeiten des Hauses zeigen, dabei dieselben Wege gehen. Bei Bedarf Wege im Haus zeigen.

Maßnahmen

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

251

3.

FEDL Bewegung

2.

M: Wenn Herr M. angeleitet wird, wäscht er sich komplett allein, ohne Anleitung hört er sofort auf, lässt Körperteile aus. Rasieren und Haarpflege selbst, unter Anleitung. Trockene Haut.



T: Leichtes Selbstpflegedefizit, Körperpflege U: Kognitive Einschränkung. 













Er wäscht sich weiterhin unter Anleitung selber. Er äußert auf Nachfragen Zufriedenheit mit seiner Körperpflege. Rasieren und Haarpflege weiterhin unter Anleitung.

Er geht weiterhin sicher mit Rollator. Er geht und steht sicher. Er bewegt sich weiterhin selber im Liegen. Er geht weiterhin im Hause hin und her. Er bleibt frei von Kontrakturen.

Ziele/Lösungen

FEDL Pflegen und Kleiden

M: Mit Rollator geht er sicher im Hause. Stehen und Sitzen allein möglich. Geht schrittweise im Zimmer. Alle Bewegungen werden langsam durchgeführt. Arme kopfhoch hebbar. Bewegt sich beim Liegen im Bett, dreht sich etc. Keine Dekubitusgefahr. Kann sich im Sitzen bücken, greift fest und sicher zu.

T: Eingeschränkte Bewegung U: Diagnosebedingt

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



























Morgens Anleitung am Waschbecken zur Körperpflege, ggf. unterstützen. Bei Bedarf Intimbereich nachwaschen. Fragen, ob er eingecremt werden möchte, dieses dann ausführen. Eincremen des ganzen Körpers mit Lotion (W/Ö). Selbstständiges Kämmen und Rasieren ermöglichen. Abends dito Teilwaschung am Waschbecken 1 x wöchtl. vormittags duschen. Fußpflege alle 5 bis 6 Wochen. Fingernägel schneiden durch PK bei Bedarf, meist 1 x die Woche. Friseur alle 5 bis 6 Wochen.

Ihn motivieren, am Bewegungsangebot des Hauses teilzunehmen. Ihn motivieren, sich viel zu bewegen (z. B. Wege im Hause), dafür loben. Mehrfach tgl. für Bewegung loben. Bei Unterstützung in der Selbstpflege diese so gestalten, dass er sich so viel wie möglich bewegt, z. B. Arme heben.

Maßnahmen

252 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

4.

3.

M: Durchschnittliche Trinkmenge 1 Flasche Wasser, abends Tee, Kaffee. Wenn er angeleitet bzw. erinnert wird, trinkt er 1,5 bis 2 Liter tgl.

T: Gefahr Flüssigkeitsdefizit U: Vergesslichkeit und mangelndes Durstgefühl

FEDL Essen und Trinken

M: Herr M. möchte nicht tgl. die Kleidung wechseln, möchte gern auch Unterwäsche über mehrere Tage tragen. Er nimmt morgendliche Vorschläge zum Wäschewechsel und auch zur Kleiderauswahl von PK an. Er achtet darauf, dass er sich in seiner Kleidung wohl fühlt. Er zieht sich unter Anleitung und mit leichter Unterstützung an und aus.

T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Kognitive Einschränkung.











Er trinkt weiterhin 1,5 bis 2 Liter tgl. Er trinkt weiterhin unter Anleitung.

Er zieht sich weiterhin mit Anleitung und leichter Unterstützung an und aus. Er achtet weiterhin darauf, dass er sich in seiner Kleidung wohl fühlt. Wenn Kleidung verschmutzt, nimmt er notwendigen Wäschewechsel vor.















PK. führen Einfuhrliste. Bei allen Kontakten wird er motiviert, angeleitet zu trinken. Trinken bereitstellen. Nach Lieblingsgetränken fragen, diese anschließend anbieten.

PK hält morgens Kleidung bereit, so dass er auswählen kann. Auf verschmutzte Kleidung hinweisen, oder je nach Stimmung abends heraus nehmen, ihn wechseln lassen. Beim An- und Auskleiden anleiten und unterstützen (jeweils morgens und abends).

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

253

6.

FEDL Ausscheidung

5.

M: Lt. ärztlicher Anordnung bekommt er tgl. Laxoberal, Stuhlganghäufigkeit derzeit nicht erkennbar, da er allein abführt.

T: Obstipationsgefahr U: Nebenwirkung des Durogesic-Pflasters

M: Vermutlich vergisst er die Toilettengänge oder braucht sehr viel Zeit vom Wahrnehmen des Harndranges bis zur Toilette. Tagsüber meist unabhängig erreichte Kontinenz, bzw. unabhängig kompensierter Inkontinenz. Seit seinem Einzug ist er in der Nacht leicht inkontinent, Vorlage nass. Mehrfach wöchtl. auch tagsüber, beginnende nicht kompensierte Inkontinenz Er geht dennoch tags und nachts zur Toilette. Bisher keine Stuhlinkontinenz erkennbar.

T: Leichte Inkontinenz U: Evtl. Überforderung, situative Verkennung

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Stuhlganghäufigkeit ist bekannt. Tgl. normal fester Stuhlgang (keine Obstipation).

Er geht weiterhin selber zur Toilette. Er akzeptiert weiterhin Vorlagen. Er ist mit Toilettentraining kontinent, hält dauerhaft Kontinenzprofil unabhängig erreichte Kontinenz.

Ziele/Lösungen

















Während der Begleitung zu den Toilettengängen wird auf die Stuhlgangfrequenz und -qualität geachtet. Nach tgl. Stuhlgang fragen. Gabe der ärztlich verordneten Medikamente dokumentieren. Stuhlgang wird dokumentiert. Ballaststoffreiche Kost anbieten, Bewegungsförderung ermöglichen.

Beratung über Möglichkeiten seine Kontinenz zu halten, z. B. Hilfsmittel, Unterstützung durch PK, Beratung wenn möglich durch männlichen Pfleger. Ab heute pro Schicht 3 x Unterstützung bei den Toilettengängen (inkl. evtl. Vorlagenwechsel) anbieten, Verhalten beobachten und dokumentieren. Nach der morgendlichen Körperpflege eine Vorlage anlegen. Ansonsten auf die Vorlagen im Badezimmer hinweisen.

Maßnahmen

254 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

9.

8.

7.

M: Herr M. ist vor kurzem hier eingezogen, hat wenig Kontakte, war vorher im Haus XY (anderes Haus des Trägers). Lebt sehr zurückgezogen. Es gibt wenige Informationen zu seiner Biografie und Lebenssituation.

T: Neue Lebensform U: evtl. Unsicherheit

M: Herr M. lebt von seiner Ehefrau getrennt. Bisher hat er darüber noch nie gesprochen, spricht viel über seine Schwiegertochter. (Diese meldet sich wegen des gleichen Nachnamens mit Vor- und Nachnamen am Telefon). Manchmal zeigt er eine traurige Grundstimmung.

T: Trennung von Ehefrau U: Trennungswunsch der Ehefrau

M: Herr M. bekommt nach ärztlicher Anordnung ein Durogesic-Pflaster. Auf Nachfragen äußert er ab und zu Schmerzen, gibt in seinem Verhalten, speziell zur Bewegung, keine Hinweise auf Schmerzen.

T: Starke Schmerzen U: Diagnosebedingt

FEDL Existenzielle Erfahrungen des Lebens













Er knüpft Kontakte hier im Haus. Er fühlt sich mit der Zeit hier »zuhause«. Er bekommt Vertrauen zu PK.

Er weiß, dass er sich bei evtl. Gesprächsbedarf an PK wenden kann.

Schmerzen bleiben erträglich, unter 2/10 NRS. Er erfährt, dass er bei stärkeren Schmerzen Hilfe bekommt.















Er wird in der nächsten Zeit überwiegend von denselben PK versorgt, diese signalisieren Interesse an seiner Person. Es werden Gespräche angeregt, über Themen, die er möglicherweise interessant findet, dabei auch von sich selber erzählen. PK motivieren ihn, am Angebot des Hauses teilzunehmen.

PK stehen für Gespräche zur Verfügung, bieten diese an. PK ermöglichen Teilnahme an Männergruppen im Hause (z. B. Skatabend).

Gabe der ärztlichen Medikation nach ärztlicher Anordnung. Auf Schmerzäußerungen befragen und beobachten. Besonderheiten dokumentieren (Schmerzskala, Schmerztagebuch, Pflegebericht).

Kleine Fallbeispiele 255

2.

FEDL Kommunikation

1.

M: Ist meist (mehr als 90%) zu ihrer Person orientiert. Örtlich leicht eingeschränkt orientiert, holt sich bei Bedarf Hilfe. Kennt Zimmer, gewohnten Spaziergang, bekannte Wege im Haus, etc.

T: Leichte Orientierungseinschränkungen U: Diagnosebedingt

FEDL Orientierung

M: Frau A. äußert Bedürfnisse und Wünsche klar und deutlich in ruhiger Umgebung; bei Unruhe, Überforderung und Stress reagiert sie mit Wortfindungsfindungen, Weinen, etc. Nutzt vorgesprochene Wörter.

T: Eingeschränkte Kommunikation U: Demenzielle Symptomatik

Pflegerische Ist-Situation

Nr.

Ehemalige Radiusfraktur, arterielle Hypertonie, Kompensierte Niereninsuffizienz, Demenz vom Alzheimer Typ, beide Seiten TEP

7. Stationäre Pflege, Frau A.











Sie ist weiter zu ihrer Person orientiert und erhält Informationen zur Person. Sie findet sich weiterhin im Haus zurecht. Sie orientiert sich weiterhin an Tageszeiten (Mahlzeiten). Sie holt sich weiterhin Unterstützung von Mitarbeitern des Hauses.

Sie drückt weiterhin Bedürfnisse und Wünsche bei ruhiger Umgebung klar und deutlich aus.

Ziele/Lösungen





















Mit ihr über sie sprechen, ihr Leben, ihre Kompetenzen und Interessen. Bei Gruppenaktivitäten sich gegenseitig vorstellen lassen. Erinnerungsarbeit leisten (Wohnort, ehemalige Beschäftigungen etc.). Bei Kontakten Hinweise auf Tageszeit/Mahlzeiten geben (z. B. »In einer Stunde gibt es Mittag«). Wenn sie nicht zurecht kommt, zu den Wegen im Hause begleiten, z. B. Weg in den Speisesaal. Ihr freundlich Hilfe anbieten, betonen, dass man gern hilft.

Klar und deutlich reden. Zuhören, Ruhe bewahren, Ruhe ausstrahlen. Hetze in der Versorgung vermeiden. Bei Wortfindungsstörungen entsprechende Wörter vorgeben.

Maßnahmen

256 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

3.

M: Frau A. nutzt den Rollator für Strecken außerhalb ihres Zimmers, im Zimmer geht sie ohne, ruht sich bei Spaziergängen nach ca. 50 Metern auf der Sitzfläche aus. Sicheres Gangbild, bisher keine Stürze beim Laufen. Zum Teil gehen die Familienangehörigen mit ihr spazieren. Aufgrund der eingeschränkten Beweglichkeit im Hüftgelenk, fällt ihr das Aufstehen schwer, holt Schwung, kommt nicht immer allein hoch.



T: Leicht eingeschränktes Gehen, aufsitzen U: Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk 



FEDL Bewegung

Kennt bei guter Tagesform grob die Tageszeit, bringt aber mal den Abend und den Morgen durcheinander (ca. 1 – 2 die Woche). Fragt nach den Mahlzeiten, orientiert sich daran. Nutzt Utensilien sinngemäß. Handelt nicht immer situationsgerecht, bspw. Essensvermischung. Sie bleibt weiter sturzfrei (ist frei von Stürzen). Sie geht weiterhin sicher mit ihrem Rollator. Sie nutzt Impulsgabe beim Aufstehen durch PK. 





Wenn zeitlich möglich, Spaziergänge mit ihr machen. Bei Kontakt Gangbild beobachten, ggf. unterstützen. Unterstützung beim Aufstehen, wenn sie in einem tiefen Sessel oder Stuhl sitzt, dito beim Aufstehen von der Toilette, ca. 10 bis 15 x tgl.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

257

6.

5.

FEDL Vitale Funktionen

4.

 



T: Selbstpflegedefizit Körperpflege U: Situative und kognitive Überforderung

M: Ohne Anleitung würde sie die Körperpflege sofort unterbrechen und warten, bzw. sitzen bleiben und nichts tun. Sie wäscht u. A. Gesicht, Hände und Oberkörper, dito Mundpflege und Haarekämmen.











Sie ist motiviert, ihre Intimpflege durchzuführen. Sie wäscht weiterhin u. A. Gesicht, Hände und Oberkörper, Mundpflege und Haarekämmen. Sie äußert auf Nachfrage, ein sauberes, gepflegtes Gefühl zu haben.

Sie vertraut weiterhin dem Personal. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt.

Zu hohe RR-Werte werden rechtzeitig wahrgenommen. RR-Werte max. 150/100. Sie äußert Sicherheit und Wohlbefinden.

Ziele/Lösungen

FEDL Pflegen und Kleiden

M: Sie hat keine Einschätzung und Kenntnis über ihre Medikamente, sie vertraut den PK, dass sie ihr das richtige Medikament geben.

T: Unselbstständige Medikamenteneinnahme U: Bedingt durch nachlassende Gedächtnisleistung, kognitive Überforderung

M: RR-Messen ist fast nicht möglich, wenn RR-Werte sehr hoch, da Frau A. so stark zittert. Sie lässt sich durch liebevolle Zuwendung und Zärtlichkeit beruhigen.

T: Bluthochdruck, U: Diagnosebedingt, speziell bei Aufregung

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



















Gegen 7:30 Uhr – 8:30 Uhr Anleitung zum Gesicht, Oberkörper vorn und Hände waschen am Waschbecken im Bad, Utensilien werden angereicht. Dann Rücken waschen durch PK. Anleitung zur Intimpflege und »Nachwaschen« durch PK. Komplette Übernahme der Körperpflege des Unterkörpers, Eincremen mit Körperlotion. Anreichen eines Kammes, inkl. Kämmen der Haare auf der Kopfrückseite. Anleitung zur Mund- und Zahnpflege, Utensilien anreichen, morgens 1 x, abends 1 x, bei Bedarf öfter.

Medikamente werden von PK, bestellt, gestellt, kontrolliert und zum richtigen Zeitpunkt verabreicht. Bei evtl. Nachfragen Information über Medikamente geben. Besonderheiten dokumentieren, ggf. Info an Arzt.

Bei Aufregung sofortiges RR-Messen, inkl. Gabe von Bedarfsmedikation (siehe Mediblatt). Bei Aufregung beruhigen, angemessene Zärtlichkeiten (Küsschen, Streicheln, etc.) liebevoll mit ihr sprechen. Bei Besonderheiten Arzt informieren.

Maßnahmen

258 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

8.

7.

M: BMI liegt bei 29, derzeit leichte Gewichtszunahme. Isst mundgerecht zubereitete Nahrung selber, isst Portionen immer auf. Sie mischt Zutaten zusammen, z. B. kippt sie Pudding in Suppe. Ø Trinkmenge liegt bei ca. 1500 ml. Schenkt sich selbst nichts zu trinken ein, trinkt nicht von sich aus. Trinkt lieber warme als kalte Getränke. Bekleckert Kleidung mehrfach am Tag bei den Mahlzeiten.



T: Essen, eingeschränkt, Übergewichtig U: Bedingt durch Koordinationsstörungen und Vergesslichkeit 









FEDL Essen und Trinken

M: Frau A. versteckt zur Nacht ihre Zahnprothese, verkramt sie meist im Bett, Nachtschrank, o. Ä. Sie vertraut PK, wenn diese die Zahnprothese über Nacht im Bewohnerzimmer auf den Schrank im Becher legen.

T: Verschwinden der Zahnprothese U: Unklar

Sie reicht nicht an Unterkörper und Rücken heran, genießt die Übernahme der Körperpflege durch PK. Es stört sie, wenn sie ungepflegt ist.

Sie isst weiterhin mundgerecht zubereitete Nahrung. BMI bei 28(Nahziel). BMI liegt bei 27 (Fernziel). Sie akzeptiert das Tragen von Servietten.

Zahnprothese steht bei Bedarf zur Verfügung. Sie akzeptiert weiterhin das Aufbewahren der Zahnprothese »an einem sicheren Ort« durch PK.





















3 x tgl. mundgerechte Zubereitung von Hauptmahlzeiten, Portionen kleiner als bisher gestalten. 1 x tgl. Zwischenmahlzeit (Kaffee, Kekse, 2 x wöchtl. Kuchen). Zwischendurch Obst und Joghurt anbieten. Beaufsichtigung und ggf. Anleitung zum Mittagessen im Speisesaal. Zu jeder Mahlzeit »Umhänge. Oder Ansteckservietten« tragen lassen. anbieten.

Abendliches Suchen der Zahnprothese mit ihr. Nach der abendlichen Mundpflege wird die Zahnprothese im Becher auf den Schrank gestellt. Sie wird noch einmal gezeigt, sodass sie weiß, dass diese da ist.

Abends eine komplette Übernahme der Teilwaschung am Waschbecken. 1 x die Woche Duschen nach Standard, inkl. Haarewaschen, Fingernagelpflege Fußpflege durch externe Fußpflege.

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

259

11.

10.

T: Gefahr eines Flüssigkeitsdefizits U: Geringe Motivation

9.



T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Kognitive Überforderung, Bewegungseinschränkung 



FEDL Pflegen und Kleiden







T: Leichte beginnende Urininkontinenz U: Bewegungseinschränkung, teilweise Erschöpfung, Motivation

M: Frau A. geht bei guter Tagesform allein zur Toilette, erreicht diese nicht immer rechtzeitig, hat dann eine nasse Vorlage. Entfernt Vorlage und geht danach ohne Vorlage weiter. Sie akzeptiert Unterstützung von PK. Reinigt sich nach Stuhlausscheidung unzureichend. Hat tgl. Stuhlgang.





Sie ist mit ihrem Äußeren und ihrer Erscheinung zufrieden, äußert dieses auf Nachfragen. Sie wählt weiterhin Kleidung aus. Sie zieht sich weiter in kleinen Bereichen an und aus.

Sie geht weiterhin allein zur Toilette, nimmt Unterstützung an. Sie erinnert sich nach dem Toilettengang an bereitgelegte Vorlage, die sie dann verwendet. Sie empfindet ein sauberes gepflegtes Gefühl. Sie Führt weiterhin tgl. ab.

Sie trinkt weiterhin 1500 bis 2000 ml.

Ziele/Lösungen

FEDL Ausscheidung

M: Ø Trinkmenge liegt bei ca. 1500 ml. Schenkt sich selbst nichts zu trinken ein, trinkt nicht von sich aus. Trinkt lieber warme als kalte Getränke.

Pflegerische Ist-Situation

Nr.



















Morgens vor dem Schrank zwei Kleidungsvarianten zeigen, auswählen lassen. Morgens nach Vorbereitung der Kleidung Anleiten zum Anziehen einfacher Kleidungsstücke, das restliche Anziehen wird komplett von PK übernommen. Abends ausziehen durch PK.

Miktionsprotokoll. Tagsüber 3 x pro Schicht anbieten von Toilettengang, oder sie gerade aufsuchen, wenn sie gehen will, sie wird allein auf der Toilette gelassen, PK steht vor der Tür und passt Moment ab, dann Anleitung zur Intimpflege und Vorlagenwechsel, inkl. teilweiser Übernahme bei Bedarf. Anleitung zum Händewaschen. Einen Ort festlegen, wo sie sich Vorlagen hinlegen kann. In der Nacht 3 x Begleitung, tlw. Übernahme bei Toilettengang, öfter in ihr Zimmer kommen, um einen wachen Moment zu erwischen

Tagsüber pro Schicht ca. stündlich Getränke bereitstellen, anleiten zu trinken. Nachts bei Bedarf, da sie schläft, Trinken nach Toilettengang anbieten.

Maßnahmen

260 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

12.

M: Frau A. schläft nach nächtlichen Störungen wieder ein, schläft auch mal am Vormittag, schläft durchschnittlich 10 bis 11 Stunden. Hat Bedarfsmedikation bei Einschlafstörungen.

T: Guter Schlaf U: ausgeprägte Schlaffähigkeit

FEDL Ruhen, Schlafen und Wachsein

M: Von sich aus zieht sie sich in »falscher« Reihenfolge an, lässt Kleidungsstücke weg, zieht Kleidung über Nachthemd etc. Wählt aus bereitgehaltener Kleidung aus. Sie ist sehr bemüht, sich in kleinen Schritten an- und auszukleiden, hebt unterstützend die Beine und Arme an. An- und Auskleiden der Unterkörperbekleidung durch eingeschränkte Hüftbewegung nicht möglich. Legt Wert auf ein gepflegtes, hübsches Äußeres, knöpft schief.





Weiterhin 10 bis 11 Stunden Schlaf. Sie schläft nach Störungen weiterhin wieder ein. 





3 x nächtliche Kontrollgänge, inkl. Toilettengang, siehe Ausscheidung. Schlafverhalten auf Auffälligkeiten hin beobachten.

Kleidungszustand dezent überprüfen, ggf. korrigieren (z. B. falsch geknöpft, etc.).

Kleine Fallbeispiele

䉴䉴

261

14.

FEDL Beschäftigung

13.

M: Frau A. verhält sich öfter in Kontakten mit Männern klassisch »weiblich«: wartet, z. B. beim Tanzen, auf Aufforderung, macht bei Gruppenaktivität auch Witze über Liebe, Sexualität etc. mit. Spricht aktiv über ihre Mutterrolle, die guten und schweren Zeiten als Mutter. Trauert manchmal um ehemaligen Lebensgefährten (spricht gern über den Spanier!)

T: Klassisches ehemals »typisches« weibliches Verhalten, Erinnerung an Mutterrolle und Liebesleben U: Gewohnheit, Bedürfnis danach

FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen

M: Sie nimmt gern an Veranstaltungen und Gruppenaktivitäten des Hauses teil. Hält sich gern beim begleitenden Dienst auf. Sonst sitzt sie gern vor dem TV, »kramt« im Zimmer herum, geht gern spazieren (immer dieselbe Runde). Sie singt gern. Hat sich früher um die Versorgung ihrer Familie gekümmert, Ernte, Garten, Einkochen.

T: Leichtes Beschäftigungsdefizit U: Ursache unklar, evtl. Unsicherheit oder Bewegungseinschränkung

Pflegerische Ist-Situation

Nr.











Sie erinnert sich weiter gern an Zeiten der aktiven Mutterschaft und als Lebensgefährtin zurück. Sie fühlt sich in ihrem weiblichem Verhalten bestätigt.

Sie erfährt Lebensfreude. Sie nutzt weiterhin das Angebot des Hauses. Sie beschäftigt sich weiterhin im Zimmer, z. B. mit TV oder »Kramen«.

Ziele/Lösungen













Diese Erinnerungen weiterhin fördern (begleitender Dienst und auch Pflege), in Gesprächen und Aktivitäten, Fotos, etc. Bei Kontakten Komplimente aussprechen.

Wird von PK an die jeweilige Veranstaltung erinnert und abgeholt. Sie nimmt 2 x die Woche an der Gruppe für »Menschen mit Demenz« teil. In Gesprächen und Aktivitäten ihre alte »Hausfrau- und Familienkompetenz« anregen.: »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, »Ich frage mich, wie Sie das früher alles so geschafft haben.« Auch über Ernte, Garten etc. sprechen. Wenn Zeit ist, gemeinsame Spaziergänge durchführen.

Maßnahmen

262 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

16.

15.



T: Geselliger Mensch U: ausgeprägte, nicht eingeschränkte Fähigkeit, Ausleben von Kontaktwunsch

M: Hat guten und warmherzigen Kontakt zu Angehörigen und auch Mitarbeitern des Hauses. Sie wird traurig, wenn andere Bewohner sie »bevormunden« oder negativ ansprechen. Sie nimmt gern am geselligen Leben des Hauses teil, will informiert sein. Drückt Freude über geselliges Beisammensein aus (verbal, lächelt, strahlendes Gesicht).







FEDL Soziale Bereiche und Beziehungen

M: Sie holt Hilfe über lautes Rufen und durch Verlassen des Zimmers. Ihr Zimmer ist in der Nähe des Dienstzimmers, sie wird schnell gehört. Erklärungen zur Nutzung der Kingelanlage werden gleich wieder vergessen, nicht umgesetzt.

T: Nichtnutzen der Klingel U: Erkennt die Funktion der Rufanlage nicht

Sie hat Möglichkeiten, die Traurigkeit schnell zu verarbeiten. Sie genießt und nutzt weiterhin die Geselligkeit im Hause.

Sie holt im Notfall/Bedarfsfall weiter Hilfe. Sie erfährt darüber Sicherheit.











Sie zu allen gesellschaftlichen Aktivitäten des Hauses begleiten. In der Pflegebeziehung zu ihr wird ein freundschaftlicher Aspekt gepflegt. Besuche der Angehörigen jederzeit ermöglichen, PK pflegen guten Kontakt zu den Angehörigen (informieren diese z. B. über Termine, sodass sich Veranstaltungen des Hauses nicht mit Besuchen überschneiden).

Während des Dienstes auf Geräusche aus ihrem Zimmer achten. Nachfragen, wenn sie vor ihrer Tür steht.

Kleine Fallbeispiele 263

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

FEDL Kommunikation

M: Frau L. schreit den Tag über Ø 5 – 6 Stunden. Sie bezieht Wörter und Sätze, die sie gerade hört, ein. Sie hält sich im Foyer auf. Lässt sich selten durch Berührung und Kontakt beruhigen. Sie scheint es nicht zu mögen, wenn man ebenfalls schreit, bzw. hoch und laut singt (spiegeln).

T: Intensives Schreien/Singen U: Demenzielle Symptomatik, Aphasie

M: Frau B. zeigt Abneigung durch Mimik, Gestik und Lautstärke beim Sprechen. Ihre Sprechweise wird nicht sofort verstanden, sie zeigt »Ja« und »Nein« durch Nicken und Kopfschütteln an. Wohlbefinden wird über Mimik, z. B. Lächeln, ausgedrückt. Hört zu, hält Augenkontakt, dabei Verständnisqualität unklar.

T: Eingeschränkte verbale Äußerung U: Bedingt durch Demenz

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation

7.3.1













Sie erfährt Sicherheit und Vertrauen. Es wird eine Kontakt- oder Kommunikationsform gefunden, wie sie auch andere Formen des Ausdrucks nutzt. Sie erfährt persönliche Bestätigung.

Abneigungen und Vorlieben sind bekannt. Vermeidung von Tätigkeiten, die Abneigung hervorrufen. Sie erfährt die Beachtung ihrer Wünsche (»Ja« und »Nein-Signale« werden von PK verstanden).

Ziele/Lösungen















Verhalten genau erfassen. Sie hält sich dort auf, wo sie sein möchte. Falls Besucher oder andere Bewohner irritiert sind, werden diese beraten und Ihnen Tipps im Umgang mit ihr gegeben. Bei jedem Kontakt, auch Vorbeigehen im Foyer freundlich auf sie zugehen, ihr die Hand geben oder Hand auf Schulter legen, sie liebevoll anschauen und etwas zu ihr sagen. Z. B. »Wie schön Sie zu sehen«, oder »Wie gut, dass Sie hier sind, Frau L.«

Innerhalb der Pflege und des Kontaktes genau beobachten, was sie mag und was nicht. Auf feine Signale in der Mimik achten Fragen und Anliegen so formulieren, dass sie mit »Ja« oder »Nein« antworten kann. Augenkontakt herstellen, halten.

Maßnahmen

Hier folgen nun Einzelsituationen von Pflegeplanungsbeispielen, wobei sich die Sammlung an den FEDL orientiert.

7.3

264 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau M. findet sich in ihrer näheren Umgebung zurecht, insgesamt erkennt sie kleine Gegenstände aber schlecht. Sie hat eine Brille, verlegt diese häufig am Tage. Setzt Brille auf, wenn diese gefunden und gereicht wird.

T: Sehen, eingeschränkt U: Grauer Star

M: Frau K. antwortet nicht immer passend; Redefluss ist unterbrochen, wenn das passende Inhaltswort fehlt, Frau K. bildet inhaltsarme »Redefloskeln«, sie ist motiviert zu sprechen, sucht aktiv das Gespräch mit Bewohnern und Personal.

T: Verbale Kommunikation, beeinträchtigt U: Anamnestische Aphasie











Brille steht bei Bedarf zur Verfügung. Sie findet sich in ihrer näheren Umgebung zurecht, erkennt persönlich wichtige Dinge.

Sie fühlt sich verstanden. Sie ist weiter motiviert zu sprechen. Sie empfindet ihr Bedürfnis nach Kommunikation befriedigt.































Halb- oder vierteljährliche Augenarztbesuche anregen, begleiten. Brille morgens reinigen (Brillenputztuch) und zum aufsetzen anreichen. Täglich mehrmals auf Brille und deren Verbleib achten, b. B. evtl. gemeinsam suchen. Festen Platz für die Brille vereinbaren. Sehverhalten beobachten, Besonderheiten dokumentieren, Arzt informieren.

Kommunikation in entspannter Atmosphäre führen, in Ruhe sprechen lassen. Je nach Ziel des Gesprächs (therapeutischer Natur oder Stärkung des Kontakts und der Beziehung) mit dem vorsichtigen Nennen von evtl. gesuchten Wörtern helfen, oder nicht. Häufig zum Sprechen animieren, bevorzugte Gesprächsthemen (Krankenpflege, Arbeit etc.) aufgreifen. Logopädische Therapie veranlassen. Gespräche zu anderen Bewohnern durch räumliche Nähe ermöglichen, Sitzecke/Wohnbereich etc.

In der Pflege klare, eindeutige Bezugspersonen zuordnen, wobei jeder Mitarbeiter sie und die entsprechende Ansprache kennen sollte. Das Pflege- oder Betreuungspersonal bleibt sichtbar, so hat sie immer einen Ansprechpartner. Bewusst am Vor- und /oder Nachmittag eine Snoezelenmöglichkeit geben, wenn nicht möglich, dann in reizarmen Raum bewusst Klänge und Musik hören. Beratung der Betroffenen. Information an Fachhärztin.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

265

M: Frau B. scheint Gesagtes aufgrund kognitiver Einschränkungen manchmal nicht zu verstehen. In Gesprächen antwortet sie Fragen häufig mit »Ja, ja« oder; »Wenn Sie meinen« oder Floskeln. Kurze Gespräche sind möglich, sie lächelt dabei viel. Sie geht fragend auf andere Menschen zu, ist sehr höflich, spricht flüssig.

T: Verbale Kommunikation, beeinträchtigt U: Demenzielle Symptomatik

M: Frau J. kommuniziert stark nonverbal, wendet sich mit Gesten und Augenkontakt an PK. Es ist unklar, ob sie Gesagtes versteht, denn meistens bahnt sie anschließend keine Handlung an oder setzt Gesagtes um. In Gesprächen wiederholt Frau J. Aussagen der PK (auch aus TV etc.), bildet eigenständig keine Sätze, beantwortet keine Fragen. Sie wiederholt Sätze, bis sie etwas Neues gehört hat, reagiert mit Gefühl auf Fragen und Gesagtes (Weinen, Lachen, Körperkontakt). Sie hält Augenkontakt, stellt diesen her.

T: Verbale Kommunikation, eingeschränkt U: Aphasie bei Demenz

Lt. Augenarzt keine Verbesserung der Situation.

Pflegerische Ist-Situation











Sie erhält alle für sie wichtigen Informationen. Sie fühlt sich verstanden und ernst genommen. Sie erfährt Bestätigung ihrer Person, ihres »Ich-Seins«.

Sie fühlt sich verstanden. Sie erhält alle für sie wichtigen Informationen.

Ziele/Lösungen



























Direkt ansprechen, Augenkontakt herstellen, halten. Fragen klar und ruhig beantworten. Validierende Grundhaltung, mit Gefühl und Emphatie reagieren, Lächeln erwidern. Ihre Fähigkeit und Freude am Vorlesen für andere fördern, durch Anbieten von Möglichkeiten. In den Pflegealltag das Singen und Sprechen von Gedichten integrieren.

Bei Kommunikationsbeginn Augenkontakt herstellen, halten Ruhig, klar und mit kurzen Sätzen ansprechen. Ja/Nein-Fragen stellen, sodass sie evtl. nicken o. ä. reagieren kann. Versuchen, auf ihr Tempo einzugehen, z. B. beim Umherlaufen. Gespräche mit Gesten und passendem Gesichtsausdruck unterstreichen. Gespräche klar beginnen, klar enden lassen.

Persönliche Dinge immer an die ihr gewünschten Plätze legen. Brillentrageband ausprobieren. Räume, in denen sie sich aufhält, gut beleuchten.

Maßnahmen

266 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Ist zur eigenen Person, bis auf Zeitsprünge orientiert. Erkennt vertraute PK jedoch nicht beim Namen. Erkennt eigene Bekannte wieder, auch mit Namen. Wechselnd zum Raum orientiert, weiß z. T., dass sie in einem Altenheim ist oder im Krankenhaus ist, findet oft dahin, wo er hin will, z. B. zu seiner Schwester. Findet sich als »alter Jäger« im Jahresverlauf zurecht, bringt Tageszeiten erfassbar durcheinander, überspielt dieses bis zu einem bestimmten Punkt. Er findet sich in vielen Alltagssituationen nicht zurecht, weiß z. B. die Reihenfolge nicht, lehnt Anleitungen meistens (verbale und nonverbale Ablehnung) ab. Wendet sich bei Hilfebedarf bis auf »Essensuchen« nicht an andere. 









T: Eingeschränkte Orientierung U: Diagnose Demenz Er erhält Hinweise zur eigenen Person (bleibt zur eigenen Person orientiert). Er erfährt Bestätigung seiner alten Kompetenz. Er nutzt weiterhin Hinweise zum Ort. Er nimmt bei Bedarf Hinweise zur Zeit an. Anleitung und Unterstützung sind so gestaltet, dass er sie annimmt,(Stärken seiner Kompetenz.

Ziele/Lösungen

FEDL »Orientierung«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.2















Ihn immer mit »Du« und »Hinni« ansprechen. Seine Kompetenzen Jäger, Bauer und Brandmeister direkt betonen. Etwas Persönliches von sich erzählen. Ihn bei Bedarf zu den Hinweisen zu Ort und Zeit führen, z. B. Infotafel. Anleitung/Unterstützung wie folgt: im Zimmer bleiben, ihn beginnen lassen, kleine Hinweise geben oder Utensilien bereitlegen. Beziehungsebene: Vertraut, kumpelhaft, als wenn man ihn schon lange kennt. Bei Krisenhaften Situationen, das Thema/Situation herunterspielen, ihn glauben lassen, dass es seine Idee war. Dabei über etwas sprechen, was ihm angenehm ist.

Maßnahmen

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

267

M: Frau B äußert sich selten zur eigenen Person, macht tlw. Angaben aus dem Altzeitgedächtnis. Bei guter Tagesform reagiert sie positiv auf ihren Namen. Pflege- und Betreuungsmitarbeiter werden selten erkannt, allerdings vertraut sie ihnen.

T: Desorientierung zur Person, stark U: Demenzielle Symptomatik

M: Frau X. ist in der Wohnung orientiert, erkennt Ehemann u. Tochter. Wechselnde Akzeptanz der Pflegekräfte, denkt oft, dass »Unbekannte etwas von ihr wollen«, sie drängen würden. Schätzt eingeschränkte Selbstpflege falsch ein. Antriebsreduziert, bahnt keine Selbstpflege an. Wenn sie Utensilien in der Hand hat und angeleitet wird, führt sie Selbstpflege z. T. durch und verwendet Utensilien sinngemäß. Zeitliche Orientierung stark eingeschränkt, vergisst kürzlich Erlebtes oft und schnell, auch Pflegeeinsätze.

T: Orientierung unterschiedlich eingeschränkt U: Demenz und Flüssigkeitsdefizit

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation



















Sie fühlt sich sicher. Vertrauen bleibt erhalten. Sie nimmt Hinweise und Anleitung von Pflegekräften und Fahrdienst weiter an. Sie erkennt sich wieder.

Sie bleibt örtlich orientiert. Sie erkennt weiterhin Ehemann u. Tochter. Sie akzeptiert Pflegeeinsätze, erkennt bei guter Tagesform PK wieder (oder eben in der Funktion als Mitarbeiter der Sozialstation). Sie verwendet weiter Utensilien sinngemäß. Sie gibt während des Kontaktes Hinweise auf zeitliche Orientierung.

Ziele/Lösungen























Bezugspflegekräfte, Fahrdienstmitarbeiter etc. tragen Namensschilder oder wiedererkennbare Anstecker, stellen sich bei Kontakt immer vor. Anregung des Altzeitgedächtnis durch Reminiszieren. In der Tagespflege an alte Zeiten und Themen erinnern, Handlungen, Rituale, Haushalt und Fotos, nach ihren Erlebnissen fragen, darauf eingehen. Persönliche Fotos anschauen. Persönlich wichtige Kleidungs- und Schmuckstücke tragen lassen, siehe FEDL »Pflegen und Kleiden« Sie mit ihrem Namen ansprechen

Während der Pflege Hinweise zur örtlichen/häuslichen Orientierung geben (z. B. »Wir gehen jetzt ins Bad«). Dito Hinweise auf Familienangehörige geben (z. B. »Dort sitzt Ihr Mann«). Eine überschaubare Menge an PK kommt zum Einsatz, diese tragen Dienstkleidung mit Logo XY. Die PK geben Hinweise auf den eigenen Namen und auf ihre Funktion. Während der Pflege immer die geeigneten Utensilien einsetzen. Bei allen Einsätzen Hinweise zur Zeit geben.

Maßnahmen

268 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau C. reagiert auf ihren Namen, erkennt ihren Sohn, kann »DRK« einordnen, kennt Wohnung, Ort und Umgebung aber nicht, unterscheidet Tag und Nacht, sonst kaum zeitlich Orientierung zu erkennen. Tagesformabhängig vergisst sie eben Gesagtes oder Getanes sofort wieder. Lebt zum Teil in anderer Zeit/ Vergangenheit. Denkt z. B., dass gleich Besuch bekommt, möchte sich dann nicht anziehen. Verwendet Utensilien nach Anleitung richtig, ohne Anleitung werden diese versteckt »ungünstig« verwendet, Selbstgefährdung etc. Sie lässt sich mit Schokolade »motivieren«.

T: Orientierung eingeschränkt U: Alzheimer-Demenz

Ambulante Pflege

M: Es gibt wenig Anzeichen, dass Frau B. ihre jetzige Situation richtig einschätzt. Sie handelt fast ständig nach ihren Gewohnheiten aus Zeiten, in denen sie Not und Hunger hatte. Allerdings wendet sie sich bei Unklarheit an andere (Mitarbeiter etc.). Sie erlebt lt. ihrer Äußerungen und Verhaltensweisen häufig Situationen aus dem Langzeitgedächtnis, hat dabei eine zufriedene Grundstimmung.

T: Situative Desorientiertheit U: Demenzielle Symptomatik

















Sie vertraut weiter dem DRK, erkennt das Symbol +. Sie reagiert weiter auf ihren Namen und erkennt ihren Sohn. Ursachen für mögliches ablehnendes Verhalten sind bekannt. Sie nutzt weiterhin Anleitung bei der Verwendung von Utensilien. Sie lässt sich weiter mit Schokolade motivieren.

Sie erlebt angenehme Erinnerungen nach. Sie nimmt Achtung und Respekt wahr. Sie erhält Informationen zur Jetzt-Zeit.





















Weiterhin Dienstkleidung sichtbar tragen. Bezugspflege mit max. 5 PK, sich mit Namen vorstellen/ Workout. Sie immer mit Namen ansprechen, auf Lieblingsthemen hinweisen. PK beobachten ihr Verhalten im Zusammenhang mit pflegerischen Tätigkeiten oder Gesprächsinhalten und dokumentieren. Bei der Verwendung von Utensilien immer anleiten (verbal/nonverbal). Einsatz von Schokolade, siehe FEDL »Pflegen und Kleiden«.

Ruhige, validierende Grundhaltung. Konkret auf ihre Themen eingehen, z. B.: »Was genau gab es denn da? Wie sah es dort aus, wie fühlte sich das an …« Die Situation nebenbei in die Gespräche einfließen lassen. Ihr innerhalb der Alltagsgestaltung Möglichkeiten zur taktilen Stimulierung geben; Material, das sie aus der Biografie kennt, gern in die Hände nimmt. Gewohnheiten anerkennen, respektieren, sie darin bestärken (»Sie sind aber fleißig …«)

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

269

M: Frau C. reagiert mit Aufmerksamkeit auf ihren Namen. Nimmt Tochter als bekannte Person wahr. Erkennt nicht alle Utensilien und benutzt diese z. T. falsch. Ist sehr mit sich selber beschäftigt (spricht vor sich, telefoniert …). Scheint Situationen selten richtig einzuschätzen. Keine zeitliche und örtliche Orientierung erkennbar.

T: Hohe Desorientiertheit U: Demenz

M: Frau Z. ist zeitlich, örtlich, situativ und zur Person wenig orientiert, lebt oft in der Vergangenheit, meint, »mitten in der Nacht aufs Feld zu müssen«. Sie verlässt gern die Wohnung über die Balkontür. Sie reagiert mit Erkennen auf ihren Vornamen/Mädchennamen, erkennt sich im Spiegel. Sie weiß um die Funktion/Rolle von PK (Bezugspflegekräfte) und verwendet Utensilien unter Anleitung sinngemäß. Führt Handlungen u. A. bei eindeutigen Hinweisen sinngemäß durch, jedoch ohne eigenen Impuls.

T: Desorientiertheit U: Alzheimer Demenz

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation





















Sie reagiert weiter auf ihren Namen. Sie erkennt weiterhin Tochter als vertraute Person. Kleine Reste von situativer Orientierung bleiben, sie findet sich unter Anleitung in Situationen zurecht. Es werden mehr Bedürfnisäußerungen erkannt als jetzt (Ziel für PK).

Sie erfährt sich in ihrer Identität bestätigt. Sie führt weiterhin ihre gewohnten Tätigkeiten durch. Selbstgefährdung ausgeschlossen. Sie verwendet weiterhin Utensilien sinngemäß. Sie führt weiterhin Handlungen u. A. durch. Situation des »Haustürabschließens« ist geklärt.

Ziele/Lösungen

























Bei allen Kontakten mit Vornamen ansprechen. Bei Ansprachen Körperkontakt vermeiden. Besuche von Tochter zu allen Zeiten ermöglichen. Die Leistungen der Tochter anerkennen, damit sie weiter so oft zu Besuch kommt. Unangenehme Tatsachen und Neuigkeiten gegenüber der Bewohnerin zurückhalten. Pflege- und Alltagstätigkeiten immer wieder ähnlich gestalten, siehe PP in den anderen FEDL, vor allen Maßnahme informieren (verbal und nonverbal). Einsatz der Utensilien »vormachen«, dann in die Hand geben.

Validierende Grundhaltung, auf ihr jeweiliges Erleben eingehen: »Sie haben zu tun und die Arbeit ruft«, »wie fleißig Sie sind«, etc. Während der Pflege Hinweise auf Zeit, Ort, Person und Situation geben. Zu allen Handlungen verbal und nonverbal anleiten, dabei entsprechende Utensilien in die Hand geben. Fachpflegebezugsperson führt bis zum … ein Beratungsgespräch mit ihr und den Angehörigen über die Möglichkeit der Tagespflege. Hier wird auch besprochen, wie damit umgegangen wird, dass sie teilweise bei eigenem Wunsch nicht aus der Wohnung heraus kann Feste Bezugspersonen. Während der Pflege Gespräche über ihre früheren Handlungen und Kompetenzen führen.

Maßnahmen

270 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau O. behält eben Erlebtes oder Gesagtes in 50% aller Situationen nicht in Erinnerung, bzw. fragt schnell nach. Ebenfalls fragt sie intensiv nach Zeit und Ort, wendet sich dann suchend und fragend an PK. Sie überspielt z. T. Gedächtnislücken.

T: Gedächtnisstörungen U: Beginnende Demenz

Dadurch ist sie in ihrer Selbstpflege nahezu komplett eingeschränkt. Äußert verbal keine Wünsche und Bedürfnisse, nonverbal selten.





Sie erhält Informationen zur Zeit und zum Ort. Sie fragt weiter nach, wenn sie etwas nicht erinnert.



















Im Umgang mit ihr ruhig vorgehen, eindeutige Hinweise und Anweisungen geben. Kein Zeitdruck, geduldiges häufiges Erklären und Wiederholen. In Gesprächen und bei Kontakten deutliche Hinweise auf Zeit und Ort geben. Dafür sorgen, dass im Zimmer und im Wohnbereich sichtbar Uhren, Datums- und Ortsangaben hängen. Mit ihr gemeinsam persönliche »Eselsbrücken« erstellen (Kalender, Notizzettel, Foto, Knoten im Taschentusch, etc.), gemeinsam daran erinnern, diese zu nutzen. Hier können auch persönlich biografisch relevante Erinnerungen genutzt werden. Klare Tages- und Wochenstrukturierung. An Erinnerungsgruppen, Biografierunden etc. teilnehmen lassen, 10-Minuten-Aktivierung, etc. Aufgaben und Tätigkeiten anbieten, die an ihre früheren Kompetenzen (Haushalt, Garten, Landwirtschaft) anknüpfen. Diese Werte bestätigen, z. B.: »Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nie auf morgen«, etc.

PK beachten Verhalten, Mimik und Gestik der Bewohnerin, auch im Hinblick auf eigenes Tun. Erkenntnisse und Zusammenhänge dokumentieren.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

271

M: Frau W. ist zur Person tlw. desorientiert, erkennt Tochter, spricht PK mit »Schwester« an, reagiert mit Erkennen auf ihren Namen. Holt Hilfe bei PKk durch Rufen etc. Zur Situation: nutzt nach genauer Anleitung Utensilien, z. B. Waschlappen. Insgesamt vermutet sie, dass sie nicht zuhause ist, geht über viele Stunden auf dem Wohnbereich herum, wechselt Zimmer, bleibt dort 3 – 4 Min., geht dann raus, ruft «Schwester« (über Stunden). Zeitliche Orientierung nicht einzuschätzen. Starker Fokus auf PK, reagiert kaum erkennbar auf die anderen Bewohner.

T: Desorientiertheit U: Diagnose Demenz

M: Frau H. beantwortet alle Fragen, die ihr gestellt werden, überspielt Gedächtnis- oder Erinnerungslücken gezielt mit Bemerkungen. Nennt auf Nachfragen keine Zeit (guckt auf Uhr) oder kein Datum, nennt Jahreszeit. Weiß auf Nachfragen nicht, wo sie ist. Nennt wichtige Informationen zu ihrer Person. Macht aktiv und tagesformabhängig gern beim Gedächtnistraining mit. Sie erkennt ihr Zimmer.

















T: Orientierung, kaum eingeschränkt U: Beginnende Demenz

Sie holt sich weiterhin Impulse v. anderen Menschen, »guckt ab«. Sie nimmt weiterhin Anleitung der PK an und nutzt diese. Sie holt sich weiterhin Infos und Hilfe. Sie erkennt weiterhin ihre Tochter und reagiert auf ihren Namen.

Sie geht weiterhin gern zum Gedächtnistraining. Sie nennt weiterhin wichtige Informationen zu ihrer Person, erfährt Bestätigung ihrer Person. Sie geht weiterhin gekonnt mit Gedächtnis- und Erinnerungslücken um. Sie erhält Hinweise zur örtlichen Orientierung.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation























Bei allen Kontakten zu Zeiten, Tageszeit und Aktivität (Hinweis auch auf Jahreszeit geben) informieren. In der Pflege gewünschte Handlungen vormachen, verbal und nonverbal anleiten. Über Kontakt zu anderen Bewohnern das »Abgucken« ermöglichen. Auf sie zugehen, Hilfe anbieten und nachfragen. Wenn sie um Hilfe bittet, für sie da sein, Wunsch erfüllen. Bezugspflegefachkraft plant mit begl. Dienst Therapie.

Teilnahme am Gedächtnistraining ermöglichen. Persönliche Orientierungshilfen ausprobieren, z. B. Bild an Zimmertür, persönliche Dinge. Ihr zu verstehen geben, dass »man etwas vergessen hat«, »nicht alles beisammen hat«, etc. sie damit entlasten. In Kontakten, bei Pflege, auf dem Flur etc., Hinweise zum Ort und zur Zeit geben. Sie als Person bestätigen: »Ach, Frau … Sie sind so ein warmherziger Mensch.«, »Bei Ihnen ist alles so gepflegt.«, etc.

Maßnahmen

272 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau F. ist zur Person orientiert, findet sich im Zimmer zurecht, guckt zur Uhr, fragt nach der Zeit, weitere zeitliche Orientierung scheint für sie nicht mehr wichtig zu sein. Handelt nicht mehr immer situationsgerecht, verwendet Utensilien nicht sinngemäß. Sie nimmt Anleitung an, bittet um Hilfe.

T: Eingeschränkte Orientierung U: Morbus Parkinson, Demenz

M: Orientierung zur Situation: Antwortet zu aktuellen Ereignissen. Herr M. scheint Situationen einzuschätzen, da er meist situationsgerecht handelt. Verwendet Utensilien sinngemäß. Zur eigenen Person uneingeschränkt orientiert, weiß, dass PK Pflegekräfte sind, kennt deren Namen aber nicht. Weiß meist, wo er ist, fragt jedoch tagesformabhängig nach. Erkennt von innen sein Zimmer. Scheint Hinweise auf Zeit (z. B. Dekoration oder Mahlzeitennennung) zu nutzen, ist zeitlich nicht immer orientiert, z. B. bei früher Dunkelheit. Ist verwundert, wenn seine Annahme (z. B. Tageszeit) nicht mit Aussage der PK übereinstimmt, fühlt sich »veräppelt«. Reagiert mit Stress und Verwunderung auf Folgen eingeschränkter Orientierung.

T: Desorientiertheit U: Demenzerkrankung













Sie bittet weiter um Hilfe. Sie bleibt zu ihrer Person orientiert. Sie nutzt weiter Unterstützung und Anleitung, um Alltagssituationen zu bewältigen.

Er bleibt weiterhin zur Situation orientiert. Er nutzt weiterhin Orientierungshinweise von außen. Er bringt weiterhin Verwunderung, Stress etc. zum Ausdruck.















Immer Funkfinger tragen lassen, Telefon in Nähe stellen. Gespräche über sich selber und ihre Lieblingsthemen führen, mit Fragen aktivieren, über ihre Kompetenz »Schneiderin« sprechen. Uhren, Kalender etc. sichtbar in Nähe anbringen. In Einzelschritten anleiten, entsprechende Utensilien anreichen.

Orientierungshilfen geben (Dekoration, Hinweise auf Situationen, Zeiten, Ereignisse, Tagesgeschehen) verbal und nonverbal. Wenn er Orientierungslücken hat, verbal und nonverbal anleiten, sich zurechtzufinden. Wenn er Stress oder Verwunderung zeigt, ihn damit annehmen, als »OK« befinden. »Hat alles seine Zeit«, »Jeder Vogel hat sein Nest lieb«. Ihn dann »tun« lassen. Ihm gegenüber selber Hinweise geben, »das man etwas vergessen hat«, oder »heute ganz flusig im Kopf ist«, etc.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

273

T: Eingeschränkte Orientierung U: Nicht diagnostiziert M: Langzeitgedächtnis (Kindheit und Jugend) von Frau B. ist anregbar, Zeiten danach unterschiedlich erinnert. Ist bei guter Tagesform zu ihrer Familie orientiert. Reagiert auf ihren Namen, sonst wenig Orientierung zur Person erkennbar. Sie gibt PK eine andere Rolle, z. B. Dienstpersonal. Findet nicht alle Wege im Haus, findet eher selten ihr Zimmer. Sie denkt vermutlich, dass sie in einem Hotel ist. Zeitliche Orientierung nicht erkennbar, jedoch unterscheidet sie Hell und Dunkel. Räumliche Orientierungshilfen werden nicht genutzt. Verwendet Utensilien erst nach Anleitung. Sie hat ein großes Vertrauen in Pflegekräfte, sie lässt Hilfe zu. 













T: Orientierung eingeschränkt U: Diagnose Demenz M: Frau M. findet Fahrstuhl (wohnt vis à vis Fahrstuhl) oder andere Wege im Hause nicht, weiß sich zu helfen, fragt nach, auch nach Uhrzeit, Aktivitäten. Sie macht nichts außer der Reihe. Sie regelt ihre persönlichen Dinge nicht selber, dies machte früher immer der Mann, jetzt die Tochter. Sie wirkt in ihrer eingeschränkten Orientierung sicher, wenn alles so bleibt wie es ist. Sie ist zu ihrer Person orientiert. Sie reagiert weiter auf ihren Namen. Sie erinnert sich weiter an Ereignisse aus dem Langzeitgedächtnis, erfährt dafür Bestätigung und Kompetenz. Sie erkennt bei Wegen im Hause, wo sie gerade ist. Sie behält ihr Grundvertrauen den PK gegenüber.

Sie bleibt zu ihrer Person orientiert, sie erfährt Bestätigung ihrer Person und ihrer Kompetenz. Sie erfährt, dass alles wie »gewohnt« ist. Sie fragt weiterhin um Hilfe, bleibt aktiv.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



















Bei allen Pflegetätigkeiten Gespräche führen, an Vergangenheit erinnern. Mit Namen ansprechen. Entlasten: »Manchmal weiß man gar nicht, wo man ist!« Sie bei allen Handlungen verbal und nonverbal anleiten, Utensilien in die Hände geben. Sie zu allen Wegen im Hause begleiten, ihr zeigen wo sie ist. Im Kontakt auf sie eingehen, auf ihre Wünsche eingehen. Ihre Gefühle bestätigen: »Sie sind in Sorge!«, »Was man hat, das hat man!«, etc. Wenn Zeit ist, sich mit ihr beschäftigen.

Mit Namen ansprechen, Umgebung so belassen, wie sie ist. Dinge müssen ganz kurz vorher genannt werden, immer in der richtigen Reihenfolge. Bezugsbewohner von ihr bitten, sie z. B. zum Essen zu begleiten. Sonst Bewohner anleiten, wo sie langgehen kann. Evtl. begleiten Wenn Sie um Hilfe bittet, bestätigen, dass »das eine gute Entscheidung« sei.

Maßnahmen

274 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau R. handelt nicht situationsgerecht, sie »wurschtelt« dauerhaft bei Alltagshandlungen und beschäftigt sich dabei gern mit den Händen. Scheint keine Zusammenhänge zu erkennen und wiederholt eben Gehörtes, bis sie einen neuen Satz hört (von PK, Mitbewohnern, TV, etc.). Vertraut anderen Menschen, auch Fremden. Frau C. setzt auch nach Anleitung nichts erkennbar um. Übernahme von Pflegehandlungen ist dann möglich, wenn sie abgelenkt ist. Hohe Ansprechbarkeit auf Nähe und Zuwendung.

T: Desorientierung, stark U: Demenzerkrankung











Sie lebt sicher. Sie lebt ihren Beschäf tigungsdrang aus. Sie nimmt Kontakt und Anerkennung wahr. Pflegehandlungen sind möglich. Vertrauen bleibt erhalten.





















Bezugspflege (wichtig!) Gefährliche Gegenstände entfernen. Nahezu ständige Beaufsichtigung durch PK (sofern möglich, abhängig von Personaldecke). Geeignete Gegenstände (Kramschachteln, Haushaltsgegenstände etc.) und Beschäftigung anbieten, mehrfach täglich. Bei Pflegehandlungen durch »Wurschteln« und/ oder Beschäftigung ablenken. Bei guter Tagesform sinngemäßes Utensil (z. B. Waschlappen) in die Hände geben. PK geben viel verbale und nonverbale Zuwendung. Im Kontakt ruhig und sanft bleiben. Verschiedene Stimulierungen anbieten, z. B: Singen, leichte Musik, Basale Stimulation®. Ergebnisdokumentation. WBL führt mit Sozialarbeiter Gespräch über andere beschützendere und fördernde Wohnform, Tochter dann einbeziehen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

275

M: Herr V. zeigt wechselnde Konzentration, im Kontakt mit seinen Kindern zum Teil orientiert, sonst chronisch desorientiert (räumlich, zeitlich, situativ). Erkennt sein Zimmer, reagiert auf seinen Namen. Führt Alltagshandlungen/Selbstpflege nur aus, wenn die PK dabei ist. Er reagiert positiv auf Humor, dabei wirkt er motiviert.

T: Orientierung, beeinträchtigt U: Demenzerkrankung

M: Frau Z. erkennt ihr Zimmer, akzeptiert dies nicht immer als ihres. Weste wird als persönliches Eigentum erkannt, alles andere »gehört mir nicht«. Eingeschränkter Tag/Nachtrhythmus, fragt ca. 5 x tgl. nach Uhrzeit. Hinweise und Äußerungen, dass sie stark im Langzeitgedächtnis lebt, z. B.: »Ich bleibe noch solange, wie Krieg ist«. Sie reagiert auf ihren Namen mit Erkennen/ Handlung. Frau Z. ist meist in der Lage, sich selber zu pflegen, wobei sie oft oberflächlich ist.

















T: Orientierung, stark eingeschränkt U: Diagnose Demenz

Er führt Handlungen unter Anleitung aus. Er erkennt weiterhin seine Kinder, evtl. seine Ehefrau. Er erkennt weiterhin sein Zimmer und findet dieses selber. Ansprechbarkeit auf Humor bleibt.

Sie erkennt ihr Zimmer und persönliche Dinge. Geeignete Orientierungshilfen sind gefunden (NZ). Sie nutzt Orientierungshilfen (FZ). Sie pflegt sich weiterhin, nimmt z. T. Hilfe an.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



























Bezugspflege: bei fast allen Handlungen Anleitung (verbal/nonverbal) geben und bei ihm bleiben. Utensilien aus dem Altzeitgedächtnis verwenden. Im Zimmer Bilder von Ehefrau und Kindern aufhängen, tägliche Gespräche über Ehefrau und Kinder führen: »Wissen Sie noch?« Gemeinsamkeiten mit der Ehefrau fördern, Besuche anregen. Zimmertür mit Fotos aus seiner Jugend oder Kindheit versehen. In Gesprächen und Anleitungen persönliche und witzig-fröhliche Redewendungen verwenden, z. B. Wortspielereien, Satzketten. Witz des Tages erzählen.

Beobachten, auf was sie positiv in ihrem Zimmer reagiert, dies gezielt einsetzen; z. B. Fotos. Ihre Persönlichkeit durch Gespräche und Aktivitäten, die an früher erinnern, stärken. Mit ihr und ihren Angehörigen über alte Erinnerungsgegenstände und Möbel sprechen (Gespräch führt WBL). Tag und Nacht trennen durch Kleidung, Lichtwechsel, Musik, Betthupferl > Maßnahmen ausprobieren, Ergebnis dokumentieren; Maßnahme je 4 x ausprobieren. Selbstpflegeunterstützung in den anderen FEDL. 3 x wöchtl. Teilnahme an »Beschäftigungsgruppe und 3 x wöchtl. Teilnahme an Validationsgruppe. Validierende Grundhaltung. Bei bei Alltagshandlungen Utensilien in die Hände geben und gewünschte Handlungen vormachen, dabei deutlich verbal anleiten.

Maßnahmen

276 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

FEDL »Bewegung«

M: Lt. Bradenskala 17 Punkte. Frau H. zeigt bei Druckbelastung keine Hautrötung, auch nach 3 Stunden nicht, stark gefährdete Stellen: Fersen, Gesäß, Schulter, Ohren. Liegt auf WDM (Wechseldruckmatratze), 4-stündl. Positionswechsel ist gewährleistet. Bewegung ist sehr stark eingeschränkt, kaum Eigenbewegung (bewegt Kopf minimal). Druckschmerz wird verbal geäußert. Familie ist aktiv in der Dekubitusprophylaxe engagiert, nimmt Beratung an, setzt diese positiv um.

T: Dekubitusgefahr U: Hohe Druckbelastung bei eingeschränkter Beweglichkeit

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation

7.3.3







Unterstützung der Familie bleibt weiterhin so intensiv. Druckschmerz wird weiterhin wahr genommen (Nachfrage, Mimik). Sie bleibt dekubitusfrei.

Ziele/Lösungen













2 x tägl. Positionswechsel durch PK Morgens nach der Körperpflege ca. 8:30 und 9:30 Uhr, abends gegen ca. 17:30 Uhr, Lagerung 30°, Seite. Restliche Positionswechsel werden von Töchtern ausgeführt. Beratung der Familie bei Bedarf, z. B. über Positionen. Morgens tägl. Kontrolle der WDM Einstellung. Bei Positionswechseln hinsichtlich Druckschmerz befragen, sodass ihre Wahrnehmung diesbezüglich gefördert wird.

Maßnahmen

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

277

M: Bisher war Herr N. hier im Hause sturzfrei. Er steht nicht allein auf, wartet immer auf Unterstützung, geht immer mit Begleitung und Rollator/Rollstuhl vor sich herschiebend.

T: Sturzgefahr U: Risikofaktoren Nebenwirkungen von Medikamenten, Hypertonie, Unsicherheit beim Bewegen, speziell Gehen, leichte Seheinschränkungen

M: Bis auf Hände und Arme (nicht zielgerichtete Bewegungen) keine Makrobewegungen im Körper (war früher Boxer). Herr K. setzt Anleitung zur Bewegung nicht erkennbar um. Wenn Bewegungen von PK übernommen werden, spannt/sperrt er sich dagegen, hält sich fest, etc. Sitzt sicher im Therapiestuhl über einige Stunden, bewegt diesen nicht fort. Geht mit KG und Hilfsmittel (siehe unten). Es ist unklar, ob er Angst bei Übernahme von Bewegung durch PK verspürt (hat diesbezüglich früher Ängste gehabt). Ist frei von Kontrakturen.















Er bleibt sturzfrei. Er wartet immer weiterhin auf Begleitung. Er geht weiterhin mit Rollator /bzw. Rollstuhl vor sich herschiebend.

Er bewegt weiterhin Arme und Hände. Er sitzt weiterhin sicher im Rollstuhl. Er erfährt Sicherheit bei der Bewegungsübernahme durch PK. Feinmotorik in den Händen ist gefördert. Er erhält Hinweise zu den Bewegungsabläufen, erfährt dadurch Sicherheit. Gelenke blieben frei beweglich.



T: Bewegungseinschränkung U: Unklar, evtl. demenzielle Symptomatik 

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



















Er wird bei allen Wegen und Gängen begleitet (z. T. auch durch Ehefrau), nutzt dabei Rollator oder schiebt den Rollstuhl vor sich her. Wird auf Wunsch auch in Rollstuhl gesetzt. Er und seine Ehefrau erhalten (bei Bedarf) eine Beratung über weitere Maßnahmen der Sturzprophylaxe. Weiterhin genaue Beachtung der Nebenwirkung von Medikamenten durch PK und Hausarzt, ggf. Änderung.

Ihm bei allen pflegerischen Tätigkeiten Möglichkeiten zum selber Bewegen unter Anleitung geben (z. B. Hände selbst waschen, selbst essen lassen). Kleine Gegenstände anfassen lassen, etwas zum Anfassen in die Hände geben lassen. Testphase: Boxhandschuhe an- und ausziehen lassen. Transfer (komplette Übernahme mit Lifter und 2 PK) je Tagesschicht ca. 6 x. Sicherheit geben durch Augenkontakt, Informationen über bevorstehende Handlungen, Festhalten ermöglichen, beim Liftertransfer z. B. Hand auf Rücken legen lassen). Beim Liftertransfer und beim Sitzen im Rollstuhl darauf achten, dass er Bodenkontakt hat. Mobilisation in Rollstuhl: 2 x tgl. 3 Stunden durch PK. Er sitzt dann unter Beaufsichtigung im Aufenthaltsraum, bis auf die Zeiten, zu denen seine Ehefrau da ist.

Maßnahmen

278 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Bradenskala 16 Pkt. Herr O. hatte bisher auch Dekubitus (Außenknöchel). Entwickelt bei Auf lagedruck keine Hautrötungen, äußert keinen Druckschmerz, führt keine erkennbaren Mikrobewegungen im Liegen aus. Liegt auf ADM. Eiweißversorgung hoch durch Sondenkost.

T: Dekubitusgefahr hoch, U: Bewegungseinschränkung, reduzierte Wahrnehmung des Körpers

M: Derzeitig stark eingeschränkte Bewegungsfähigkeit. Kopf ist beweglich, er greift mit Händen, bewegt Unterarme im Sitzen sowie im Liegen, starke Steifheit in Oberkörper und Unterleib. Kleine Bewegungen in den Füßen, wippt damit auf und ab. Ganz kleine Bewegung in den Beinen. Parkinsonbedingte Versteiftheit in den Beinen. Steht bei Liftertransfer nicht auf Füßen. Bewegung im Liegen: Mikrobewegung in Händen, sonst nichts. Bei Entspannung und bei Information ist passives Bewegen der Beine möglich. Tagesformabhängig stundenlanges Sitzen im Pflegerollstuhl möglich. Er signalisiert Unsicherheit bei Bewegungen.

T: Bewegungseinschränkung U: Vermutliche starke Veränderung durch Morbus Parkinson und Demenz, Medikamentennebenwirkungen

















Er bleibt dekubitusfrei. Gewebetoleranz bleibt so hoch. Er erhält Hinweise über sein Körperschema.

Bei Entspannung sind passive Bewegungen weiter möglich Er bewegt aktiv unter Anleitung die Beine. Er kann weiterhin zwei Stunden sitzen. Beweglichkeit im Kopf, in Füßen, Händen und Armen bleibt. Er ist in seiner Körperwahrnehmung gefördert.

























1 x tgl. Überprüfung der ADM. Ernährung und Flüssigkeit siehe FEDL »Essen und Trinken«. Positionierung im Bett: alle 2 Stunden 30° Seite und Rücken im Wechsel. Nicht länger als 2 Stunden ohne Unterbrechung im Rollstuhl sitzen lassen. Druckentlastung durch Gelkissen in Rollstuhl. Bewegungsförderung, siehe oben. Hautbeobachtung von Gesäß und Fersen beim Positionswechsel und der Inkoversorgung.

Passives Durchbewegen der kleinen und großen Gelenke bei der Körperpflege durch PK im Liegen. Nach der Körperpflege Basale Stimulation® durch Bürste oder Schwamm. Feinmotorik dadurch anregen, dass er Gegenständen in den Händen hat, z. B. Igelball, Alltagsgegenstände. Testphase: Gegenstände im Bett (oder Rollstuhl) zur Verfügung stellen. KG-Therapeut zeigt der PK Übungen, die sie anschließend auch in die Pflege einbauen. Bei anstehenden Bewegungen darüber informieren. Morgens und nachmittags für je 2 Stunden in den Pflegerollstuhl setzen, Tisch davor. Auf den Marktplatz setzen, in die Nähe anderer Bewohner. Oder mit Ehefrau in seinem Zimmer sitzen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

279

Ressourcen:  Folgende Bewegungsfähigkeit:  Intakte Haut  Kontinenz  Äußerungen von Druckschmerz  Nimmt Nahrung mit ausreichender Kalorienzahl zu sich

M: Haut, Farbe, Zustand (Bläschen, Läsionen), Veränderungen, Blutdruck, Puls, etc.

T: Dekubitusgefahr 91 U: Bettlägerigkeit, Alter, Kachexie, Übergewicht, Schwitzen, Fieber, schlaffe Muskulatur, Bewegungseinschränkungen, Immobilität/Lähmungen, Multiple Sklerose, Diabetes, periphere arterielle Verschlusskrankheit, harte Unterlage, Schmerzempfinden eingeschränkt, Bewusstseinseinschränkung, Dehydration, Beta-Blocker, Eiweißdefizit, Vitamindefizit, etc.

Neutrales Beispiel:

Pflegerische Ist-Situation







Er bleibt dekubitusfrei. Er setzt Maßnahmen der Dekubitusprophylaxe um. Andere an der Pflege Beteiligten sind über das Dekubitusrisiko informiert und wenden prophylaktische Maßnahmen an.

Ziele/Lösungen





























Einschätzung des Dekubitusriskos nach BradenSkala o. Ä., bei Pflegebeginn und bei Veränderungen des Risikos. Sofortige konsequente Druckentlastung der gefährdeten Körperregionen. Zu Bewegung ermuntern und anregen. Häufiger Positionswechsel nach individuellem Bewegungsplan. Weichlagerung oder Superweichlagerung bei Bedarf. Evtl. Spezialbett oder Wechseldruckmatratze. Auswahl der Lagerungshilfsmittel nach Zielen, Möglichkeiten der Eigenbewegung des Klienten, gefährdeten Körperstellen, Gewicht des Klienten. Krümel und Falten in der Unterlage vermeiden. Beachten, dass durch die jeweilige Position Ernährung, Atmung, Ausscheidung, Kommunikation nicht behindert werden. Schulung/Beratung des Klienten und seiner primären Bezugspersonen. Information an das interdisziplinäre Team über das individuelle Dekubitusrisiko und die Maßnahme der Prophylaxe. Alle Bewegungen reibungs- und scherkräftearm ausführen.

PC 30 V am Steiß und Gesäß (speziell zum Schutz vor Urin und Stuhl), versuchsweise an Knöchel und Fersen. 2 x tgl. Basale Stimulation®, Förderung des Körperschemas durch Vibrationsmassage.

Maßnahmen

280 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

92

91









Frei bewegliche Gelenke. Er ist motiviert, sich zu bewegen. Er führt Bewegungsübungen durch/ unter Anleitung durch. Er steht sekundenweise auf den Füßen.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006 Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

M: Bewegungseinschränkung, folgende Bewegungen sind möglich Bestimmte Gelenke sind frei beweglich Schmerzarme/-freie Bewegungen Ist motiviert sich zu bewegen

T: Gefahr von Kontrakturen 92 U: Bewegungsmangel, Anspannung, Angst, Bettlägerigkeit, Fixierungen, Verletzungen, Schmerzen, Schonhaltung, Narben, Lähmungen, gekrümmte Haltung aufgrund psychosozialer Faktoren oder kognitiver Defizite, etc.

Neutrales Beispiel































Einschätzung der Bewegungsfähigkeit, Beobachtung der Bewegungsfähigkeit. Zu allen Bewegungen anregen, motivieren, ggf. anleiten oder/und unterstützen. 1 bis 2 x tgl. passive und wenn möglich aktive Bewegungsübungen (v. a. auch der kleinen Gelenke) durchführen. 1 bis 2 x tgl. Muskeltraining (v. a. auch der Muskeln an Händen und Füßen). Passives Durchbewegen der Gelenke. Falls er im Bett liegt, mindestens alle 2 Stunden aktive und geeignete Positionswechsel durchführen. Einsatz von Hilfsmitteln: Kissen, Fußstützen, Strickleiter, Greifgeräte, Schaumstoffbälle, Bettbogen. Lagerung der Gelenke in physiologischer Mittelstellung. Keine Superweichlagerung. Streichung der Muskelantagonisten. Schmerzverhalten beobachten.

Haut trocken halten. Ausgewogene Ernährung. Regelmäßige Hautbeobachtung der gefährdeten Hautregionen (Zeitpunkte bitte festlegen). Anregung der Seele und des Gemütes.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele 281

FEDL »Pflegen und Kleiden«

M: Herr P. hat biografisch wenig/kaum Körperpflege betrieben.

T: Starke Ablehnung von Körperpflege U: Situative Verkennung, traumatische Angst (Herr P. lebt viel in der Vergangenheit, meist Krieg)

Ambulante Pflege

M: Er lehnt Körperpflege ab, ist vermutlich nicht in der Lage, den Vorgang der Körperpflege zu erkennen und durchzuführen. Er schlägt mit den Armen nach der PK, ruft laut.

T: Ablehnung von Körperpflege U: evtl. Überforderung

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation

7.3.4

















Er erfährt Sicherheit, Achtung und Respekt. Körperhygiene 3 x wöchentlich ist gewährleistet (auf minimale Körperpflege reduziert). Schwiegertochter steht weiterhin als zweite Person bei der Körperpflege zur Verfügung

Er führt kleine eigene Körperpflege durch, u. A. Ursachen für Verhalten sind bekannt. Pflegekunde lässt Körperpflege (teilweise) zu. Akzeptanz seiner Wünsche. Kompromissfindung zwischen seinen Wünschen und einem minimalem Anspruch an eine partielle Körperpflege.

Ziele/Lösungen



















Primary nursing. PK geben bei allen Kontakten zu verstehen, dass er geschätzt wird. Greifen im Gespräch persönlichkeitsstärkende Themen auf (Beruf, Heimat, Rolle in der Familie und im Chor) Vollständige Übernahme der Körperpflege im Bett; er sollte auf der Bettkante gestützt sitzen. Mit einer PK und der Schwiegertochter Körperpflege, inkl. Rasur, Mundpflege. Ruhig mit ihm sprechen, im Blickfeld bleiben. Klare einfache

Bezugspflege, 3 Bezugspflegekräfte (2 davon männliche PK). Gespräch mit Ehefrau über mögliche Gründe des Klienten, solche Ablehnung zu zeigen. PK vermuten bisher an Trauma gebundene Ängste. Morgens von Mo – So wird die Körperpflege im Bad vorbereitet, nach dem Toilettengang wird er vor das Waschbecken gesetzt. PK bleibt immer im Blickfeld und spricht mit weicher, ruhiger Stimme. PK führt mit der eigenen Hand die Hand des Kunden, so wird er nur durch sich berührt. Körperpflege wird reduziert auf Gesicht, Hände, Intimbereich, evtl. alle paar Tage auch auf die Füße. Wenn Kunde mehr an Körperpflege zulässt, werden mehr Körperteile gewaschen. Duschen bei guter Tagesform.

Maßnahmen

282 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau E. führt Körperpflege in Teilbereichen unter Anleitung aus, tagesformabhängig, (Gesicht, Hände). Waschen findet dabei in unzusammenhängender Reihenfolge statt, z. B. erst Intimbereich, dann Gesicht, etc.

T: Körperpflege eingeschränkt U: Desorientiertheit

Zu diesem Klienten findet sich in der FEDL »Emotionalität/Zufriedenheit« eine weitere Pflege.

Wenn PK Körperpflege beginnt (die Herr P. nicht selbst ausführen kann) wehrt er mit Händen ab, verschließt Körper mit Armen. Er schreit, ruft und schimpft, ist sehr obszön, macht sexuelle Anspielungen während der ganzen Körperpflege. Er spricht z. B. von »Läusen auf der Haut«. Durch Abwehren und seine Kontrakturen ist eine Übernahme der Körperpflege allein nicht möglich. Er wird gern im Intimbereich gewaschen (reagiert mit geöffneten Beinen). Er ist nach zwei Tagen stark verschmutzt. Herr P. macht generell einen zufriedenen Eindruck Die Körperpflege dauert lange, aufgrund von Abwehr/Kontrakturen. Teilweise reagiert Herr P. positiv (Aufmerksamkeit, Augenkontakt, tiefere Atmung) auf alte Marschlieder.









Sie wäscht u. A. Gesicht, Hände und Oberkörper vorn. Sie ist soweit angeregt, dass sie sich Gesicht etc. selber wäscht. Sie erkennt in Teilbereichen das »Waschen« wieder. Sie lebt ihr Bedürfnis nach »Zuhause« aus.





















Bezugspflegekraft beobachtet, ob es Zeitpunkte im Tagesablauf gibt, wo sie sich besser konzentrieren kann (meist morgens). Ruhige Umgebung schaffen. Alte Utensilien (Langzeitgedächtnis) wie z. B. Kernseife etc. bereitlegen. Sie vor das Waschbecken setzen (Hocker). In Einzelschritten, auch durch vorgemachte Handlungen, anleiten. Waschlappen in die Hand geben, ebenso Zahnputzbecher, Kamm etc.

Waschbewegungen. Intimbereich wird ebenfalls zügig gewaschen. (siehe FEDL »Zufriedenheit und Emotionalität«). Pflegeabläufe werden immer wieder an Tagesform angepasst, vorher verbale Info über Ablauf. PK versuchen bei der Körperpflege Marschlieder o. ä. zu spielen/singen, damit er sich wohl fühlt. Gute Beobachtung von Gestik und Mimik, bei Veränderung Maßnahme unterbrechen und Ablauf mit ihm abstimmen und vorher beruhigen. Zum Abschluss der Pflege erhält er einen Bonbon, nettes erprobtes Ritual.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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283

M: Wenn Frau X. motiviert ist, wäscht sie sich bis auf den Rücken unter Anleitung selbst; dito abtrocknen. Wenn sie nicht motiviert ist, lehnt sie die Pflege verbal ab, geht nicht ins Bad, lässt sich nicht anfassen. Haar- und Mundpflege unter Anleitung möglich, wenn Utensilien angereicht werden. Nach dem Waschen jedes Körperteils nimmt sie sich eine 5-6 Atemzüge lange Erholungspause, dadurch Zeitverzögerung. Haarwäsche wird durch die Tochter durchgeführt.

T: Selbstpflegedefizit Körperpflege U: Situative Verkennung

Ambulante Pflege

Gefahr der Vernachlässigung der Körperpflege und dadurch Ablehnung durch andere Heinbewohner. Ca. jeden 2. Tag möchte Frau E. während des Waschens »nach Hause, zu meinen Kindern«, sie ist dann sehr ausdrucksstark, geht bis auf die Straße. Durch Validation ist ein »Zurückholen« möglich, dadurch verlängert sich die Körperpflege auf bis zu 45 Minuten.

Pflegerische Ist-Situation











Sie wäscht sich weiterhin u. A. in Teilbereichen selber. Sie ist jeden Tag zur Körperpflege motiviert . Sie nimmt sich weiterhin notwendige Erholungspausen. Sie hat saubere, gepflegte Fingernägel. Sie fühlt sich in ihren Wünschen respektiert.

Ziele/Lösungen

























Pflegeeinsatz um 6:15 Uhr, leises Wecken (ins Ohr flüstern). Verbal und nonverbal motivieren, ins Bad zu gehen: »Morgenstund hat Gold im Mund«, etc. Nach Toilettengang auf Toilettendeckel setzen (Handtuch auf Deckel). Anleiten, das Nachthemd auszuziehen. PK bereitet Waschbecken u. Utensilien vor. PK gibt Utensilien in die Hand, leitet sie zur Körperpflege an, inkl. Abtrocknen. Auf Pausen achten! Rücken wird von PK gewaschen. PK cremt d. gesamten Körper mit Lotion XY ein. Anleitung zum Kleiden geben, Kleidungsstücke einzeln anreichen. Wenn sie die Körperpflege ablehnt, dieses akzeptieren und dokumentieren; Leistungen beim nächsten. Einsatz wieder anbieten.

Restliche Körperpflege durch PK (v. Ü.) inkl. Mundpflege, eincremen, etc. Abends Teilwaschung am Waschbecken, ca. 21:00 Uhr, anleiten, etc. Wenn sie während der Körperpflege »nach Hause« möchte, fragen: »Was müssen Sie dort tun?« »Was ist mit Ihren Kindern?« und Sie begleiten, z. B. zu den Kinderfotos im Zimmer, über die Kinder sprechen. Bei Bedarf Lied »Kommt ein Vogel geflogen …« singen. Wenn sie entspannter ist, wieder ins Bad gehen, mit kurzer Teilwaschung weitermachen.

Maßnahmen

284 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau D. wäscht/putzt mit Waschlappen das Umfeld, aber nicht sich selbst. Auch unter Anleitung führt sie keine Körperpflege durch. Sie legt Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild (Kleidung, hochwertige Kosmetika), genießt das Waschen, wohl auch die Berührung und Zuwendung, die sie dabei erhält.

T: Eigenständige Körperpflege beeinträchtigt U: Demenzielle Symptomatik, Schlaganfall mit linksseitiger Beeinträchtigung (Schwäche linker Arm und Bein, Linksdrall; Greifen bei linker Hand noch vorhanden)

Schneiden der Finger- und Fußnägel unselbstständig. Sie möchte ausschließlich Palmolive Duschgel nehmen (wird von der Tochter gekauft).







Sie genießt weiterhin die Körperpflege durch PK. Sie äußert auf Nachfragen Zufriedenheit über gepflegtes Erscheinungsbild. Sie hat Kompensationsmöglichkeiten für ihren »Wunsch, zu putzen«.





















Übernahme der kompletten Körperpflege am Waschbecken, gegen 8:00 Uhr morgens. Übernahme der Prothesen- und Mundpflege durch PK. Während der Körperpflege wird ihr Wert »Sauberkeit« gestärkt: »Was sind Sie doch für eine ordentliche Frau!«, etc. Hände waschen tagsüber nach den Toilettengängen durch PK. Abends Teilwaschung am Waschbecken durch PK (Gesicht, Hände, Intimbereich). 1 x wöchtl. Duschen.

Freitags Wechsel von Handtuch und Waschlappen (oder bei Verschmutzung) Donnerstags Fingernägel schneiden. Nach dem Ankleiden, Haarbürste in die Hand geben, vorm Spiegel bürsten lassen, ggf. nachbürsten, vorher Handtuch auf die Schultern legen. Komplimente für gutes Aussehen machen

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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285

M: Sie führt von sich aus keine Körperpflege durch. Unter sprachlicher Anleitung führt sie Waschen des Gesichtes der Hände, Arme und Oberkörper vorn durch.

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Demenzielle Symptomatik, Vergesslichkeit, koordiniert die Abläufe nicht, erkennt diese nicht immer

M: Frau W. läuft schon früh (vor 6:00 Uhr) ausgezogen und ungewaschen umher. Intimbereich ist gerötet. Wäscht Teilbereiche unter Anleitung selbst. Nimmt abendliche Körperpflege gut an, genießt es.











T: Körperpflege, eingeschränkt U: Vergisst Abläufe der Körperpflege aufgrund von Demenz

Sie führt weiterhin die Pflege von Gesicht, Händen und Armen nach sprachlicher Anleitung durch. Sie lässt die restliche Körperpflege durch Pflegekräfte zu.

Sie akzeptiert die teilweise Übernahme der Körperpflege durch PK. Sie wäscht sich weiterhin in Teilbereichen unter Anleitung selber (Gesicht, Hände, Oberkörper vorn). Sie äußert Zufriedenheit über ihre Körperpflege, benennt dies z. B. auf Nachfragen.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation























1 x tgl. Anleitung zur Körperpflege am Waschbecken, morgens gegen 8.30 Uhr. Utensilien zeigen, in die Hand geben und verbal anleiten. Dann Übernahme der Körperpflege durch PK. Abends Teilwaschung (Gesicht, Hände, Intimbereich) am Waschbecken, auch hier anleiten, ansonsten durch PK. Zur Mundpflege nach allen 3 Mahlzeiten anleiten, bzw. Durchführung durch PK. 1 x wöchtl. Vollbad anbieten.

Morgens, gegen 5:45 Uhr das Zimmer aufsuchen (Tasse Kaffe?), ihr eine kleine Körperpflege (Gesicht, Hände, Pflegen des Intimbereiches anbieten). Anschließend ankleiden. Großteil der Körperpflege findet abends statt. Zeitlich kontinuierliche Abläufe (tgl. ca. 18:30 Uhr) Körperpflege unter verbaler Anleitung durch PK. Dabei verbal in Einzelschritten zum Waschen von Gesicht, Händen und Oberkörper vorn anleiten. Bei guter Tagesform auch den Intimbereich selbst waschen lassen. Mundpflege unter Anleitung anbieten und durchführen: Morgens vor oder nach dem Frühstück, mittags nach dem Essen, abends nach dem Abendbrot. Hände waschen und Intimpflege nach den Toilettengängen durchführen, immer erst anleiten, wenn sie selber keine Handlung anbahnt, führt PK die Maßnahme durch. 1 x wöchtl. ein Vollbad anbieten, wenn sie es möchte, abends. Friseurtermin nach Bedarf anbieten.

Maßnahmen

286 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Wenn Pflegekräfte Frau B. Unterstützung bei der Körperpflege an bieten, lehnt sie diese ab z. B.: »Ich mache das später.« Bei zügiger klarer Anleitung geht sie mit ins Bad und lässt sich pflegen. Das Verhalten wechselt phasenweise. U. A. wäscht sie max. Gesicht, putzt Zähne, keine weitere eigene Initiative. An Tagen mit geringer Motivation zur Körperpflege hilft die »Belohnung Schokolade«. Sie erträgt Übernahme der Körperpflege, wenn diese schnell ist, sie über jeden Schritt informiert ist. Beim Duschen hat sie Angst vor dem »Kasten«: »Ich will da nicht rein«.

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Ablehnung, situative Verkennung

Ambulante Pflege

M: Durch eine sehr strenge Erziehung und schlechte sexuelle Erlebnisse in der Vergangenheit lehnt Frau K. die Intimpflege häufig ab, sie wirkt dabei sehr ängstlich, z. T. reagiert sie mit abwehrenden Verhalten. Dies tritt vermehrt bei Stuhlverschmutzung auf.

T: Ablehnung der Intimpflege U: Angst, Panik, Trauma

















Sie lässt weiterhin Körperpflege zu. Sie wäscht sich weiterhin das Gesicht, und putzt Zähne u. A. Alternative zum Duschen ist gefunden. Sie erfährt Sicherheit und Vertrauen bei der Körperpflege.

Sie vertraut den PK. Sie nimmt den Unterschied zwischen Intimpflege und früheren Erlebnissen wahr. Sie ist motiviert, die Intimpflege selber durchzuführen. Sie fühlt sich sicher.





















Bezugspflege durch weibliche PK. Beratungsgespräch mit dem Sohn. Ziel: Er versteht, dass bei seiner Mutter Panik auslöst, wenn sie geduscht wird und akzeptiert einen Kompromiss, bzw. sieht von seinem Wunsch ab. Morgens gegen 7:45 Uhr Wecken, Utensilien im Bad vorbereiten. Mit klaren Worten anleiten, mit ins Bad zu kommen. Nach dem Toilettengang anleiten, sich das Gesicht zu waschen. Danach komplette Übernahme der Körperpflege durch PK, zügiges Waschen. Bei guter Tagesform anleiten, sich weitere Körperteile zu waschen, mit »Schokolade« locken.

Körperpflege durch weibliche PK. Position wählen, in der sie die Intimpflege selbst, zumindest vom Ansatz her, durchführen kann. Dazu anleiten, sie halten, Utensilien anreichen. Ist sie dazu nicht in der Lage, führt die PK sehr zügig und vorsichtig die Intimpflege durch. Wehrt sie ab, vorsichtig nachlassen. Später erneut versuchen. Durchführung der Intimpflege auf ein kurzes Ausmaß reduzieren. Sicheren Kontakt bei der Intimpflege geben, auf nonverbale Signale achten. Bei Unwirksamkeit der o. g. Maßnahmen evtl. eine andere Körperhaltung oder Ort ausprobieren.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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287

M: Frau O. wäscht Gesicht, Oberkörper vorn und Arme unter Anleitung selber. Manchmal (tagesformabhängig) fängt sie schon allein an, zieht sich dann auch schon an, sodass

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Kognitive Einschränkungen, Bewegungen fallen z. T. schwer

M: Wenn Frau C. zur Körperpflege angeleitet wird, bejaht sie, setzt sie jedoch nicht um. Maßnahmen der Körperpflege werden so gut wie immer abgelehnt. Sie schreit und schlägt beim Duschen und Haarewaschen. Sie nimmt unter Anleitung die Zahnprothese heraus. Starke Abwehrhaltung beim Einsetzen der Zahnprothese. Sie setzt Anleitung nicht sinngemäß um.

T: Ablehnung von Körperpflege, eingeschränkte Körperpflege U: Situative Desorientiertheit bei demenzieller Symptomatik, Angst

Ambulante Pflege

Der Sohn möchte, dass die Mutter geduscht wird. Frau B. lässt sich nicht von männlichen Pflegekräften pflegen, reagiert mit Angst oder Ablehnung.

Pflegerische Ist-Situation

















Sie wäscht weiterhin unter Anleitung Oberkörper vorn, Gesicht und Arme. Sie bemüht sich weiterhin, auch schon allein anzufangen, erfährt darüber Stärkung des Selbstwertgefühls. Sie führt weiterhin Mundpflege unter Anleitung durch. Sie erfährt Körperpflege als Genuss.

Sie fühlt sich sicher und in ihren Wünschen respektiert. Sie nimmt die Übernahme der Körperpflege durch andere an. Sie führt teilweise Selbstpflege unter verbaler und nonverbaler Anleitung durch Ihre Körperpflegegewohnheiten sind aus der Biografie bekannt.

Ziele/Lösungen





















Morgens ca. alle 20 bis 30 Minuten gucken, ob sie schon wach ist, dann Anleitung, Unterstützung und teilweise Übernahme der Körperpflege. Körperpflege wird vor dem Waschbecken im Bad durchgeführt, sie sitzt dabei oder steht. Anleiten zum Waschen von Gesicht, Oberkörper vorn und Armen, restliche Körperpflege wird durch PK übernommen. Anleitung zur Mundpflege.

Validierende Grundhaltung: »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«; »Sie sind immer auf der Hut.«, »Das macht Ihnen Angst!?«, etc. Immer im Blickfeld bleiben. Sanft und liebevoll sprechen. Gleich bleibender Pflegeablauf durch PK Genauen Pflegeablauf festlegen. Auf Duschen verzichten. Zum Haarewaschen anderen Ablauf ausprobieren, eigene Vorgehensweise und Verhalten der Klientin beobachten und dokumentieren. Evtl. Friseurbesuch ausprobieren. Während der Pflege über frühere »Körperpflegegewohnheiten« sprechen.

Während der Körperpflege loben, anerkennen, Vertraulichkeit herstellen; »Schön ist es hier bei Ihnen.« »Ich hab immer so viel zu tun und bin den ganzen Tag unterwegs, aber hier bei Ihnen – da ist es so sicher und ruhig«, etc.

Maßnahmen

288 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau P. zeigt über Mimik Befinden über die komplette Übernahme der Körperpflege. Diese scheint ihr nicht zu gefallen (sie ist unruhig, brummt, verzieht das Gesicht, verkrampft). In der Badewanne ist sie entspannt und ruhig. Sie hat sich früher nicht eingecremt (Biografie). Reagiert mit stärkerem Brummen auf männl. PK.

T: Körperpflege, eingeschränkt U: Bedingt durch starke Bewegungseinschränkung u. situative Verkennung

PK nicht restliche Körperpflege übernehmen können. Wäscht sich z. T. sehr oberflächlich. Lehnt mehrfach wöchtl. Übernahme der Körperpflege durch andere ab. Mundpflege unter Anleitung möglich. Sagt z. B.: »Ich will keinem zur Last fallen.« Sie mag es gern, eingecremt zu werden.







Sie teilt weiterhin ihr Befinden bei der Körperpflege über Mimik, Brummen und Gestik mit. Der Genuss durch Baden ist vermehrt. Sie erfährt die Beachtung ihrer Wünsche bei der Körperpflege.





























Weibliche PK. Möglichst mehr als 1 x wöchtl. baden, evtl. auch abends. Sonst komplette Übernahme der Körperpflege im Bett durch PK, zwischen 10:00 und 111:00 Uhr mit bewohnereigener Seife, inkl. Mundpflege und Kämmen. Nicht eincremen. Abends geg. 19:00 Uhr Teilwaschung im Bett inkl. Mundpflege durch PK. Pk achten bei der Körperpflege auf Gestik, Mimik, Brummen – Verstärken der Handlung bei Anzeichen von Wohlbefinden. Maniküre bei Bedarf durch PK. Pediküre durch offizielle Fußpflege. Kämmen nach jeder Positionierung.

Haarekämmen auf Wunsch durch PK. Abends Teilwaschung am Waschbecken, Anleitung zum Waschen von Gesicht und Oberkörper. Intimpflege wird durch PK übernommen. 1 x wöchtl. Duschen komplette Übernahme durch PK, inkl. Haarewaschen. 2 x tgl. Eincremen mit Lotion. Maniküre durch PK; Pediküre durch Podologen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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M: Frau M. lehnt generell Körperpflege ab, sagt z. B.: »Hab ich schon alles gemacht«, schlägt auch, wenn der Wunsch nicht beachtet wird; wirft nassen Waschlappen ins Wasser, zieht Stöpsel raus, etc. 











Sie erfährt um die Körperpflege herum Entspannung (atmet ruhig, Gesicht ist entspannt, sagt Danke, guckt ruhig, bewegt den Kopf weniger, lächelt, sagt: »Sie sind lieb«, etc.). Sie lässt weiterhinx tgl. Intimpflege im Liegen zu. Sie erkennt/erfährt Sicherheit und Abläufe b. d. Körperpflege.

Wenn PK vor dm Aufstehen da ist, lässt sie weiterhin Körperpflege zu. Sie führt weiterhin u. A. eigene Körperpflege durch. Sie nimmt Hinweise zu nassen Pants an und lässt dann Intimpflege zu. Ursachen oder Prinzipien sind bekannt und können somit berücksichtigt werden.

Ziele/Lösungen

T: Unlust zur Körperpflege, Angst und Abwehr U: Lehnt Wasser ab, evtl. demenzielle Symptomatik (ist vom Hausarzt nicht diagnostiziert)

M: Frau T. zeigt unterschiedliches Verhalten: Vor 7.00 Uhr morgens ist sie an ca. 4 Tagen die Woche noch im Bett, lässt sich dann leicht zur Körperpflege anleiten. An anderen Tagen ist sie auch um 6.50 Uhr schon auf und angezogen, sagt dann: »Ich bin schon gewaschen.« Aufgrund von Inkontinenz wäre Intimpflege jeden Tag notwendig. Wenn sie selbst sieht, dass Pants nass sind, lässt sie Intimpflege zu. Ohne Anleitung übernimmt sie keine eigene Körperpflege, führt jedoch unter Anleitung Körperpflege durch. Sie bedankt sich bei Pflegekräften für Hilfen.

T: Wunsch nach minimaler Körperpflege U: Vermutlich situative Verkennung und bio grafische Gewohnheit

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation















Testphase: minimale Körperpflege (unter der Brust, Intimbereich) 2 x tgl. unauffällig im Zuge des An- und Auskleidens. Nicht im Badezimmer und nicht mit nassem Waschlappen. Z. B. beim Toilettenstuhl, der am Bett steht. Verhalten tgl. dokumentieren. Dabei liebevoll und ruhig sprechen, immer im Blickfeld bleiben. Haarewaschen beim Friseur. Gebisspflege mehrfach anbieten, z. B. morgens und abends. Ablehnung akzeptieren.

PK kommt weiterhin früh (meist 6:45/6:50 Uhr) und achtet auf mögliche Aufstehprinzipien. Ins Bad führen, Durchführung der Körperpflege wie folgt: – PK bereitet Utensilien am Waschbecken vor. – Anleiten zum Ausziehen, sich mit Waschlappen waschen und abtrocknen. – PK übernimmt Rückenwaschen und Intimpflege, inkl. Hautbeobachtung und Intertrigorprophylaxe, ggf. abtrocknen durch PK. Wenn sie bereits wach und angezogen ist, weist PK freundlich daraufhin, dass Intimpflege doch »schön« wäre. PK dokumentiert Verhalten und Hinweise auf Aufstehursachen.

Maßnahmen

290 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Herr H. lehnt lautstark notwendigen Wäschewechsel ab, verweist auf zu viel Arbeit für den Sohn. Mehrfach die Woche ist Unterwäsche mit Kot verschmutzt, dies stört ihn auf Anfrage nicht. Verbale Ablehnung teilweise mit Worten wie »Scheiße«. Nimmt Wäschewechsel hin.

T: Wäschewechsel wird abgelehnt U: Sparsamkeit

Ambulante Pflege

Z. T. starker Körpergeruch durch Schwitzen, Haut an Haut, tlw. Urin. Andere Bewohner signalisieren nicht, dass der Geruch sie stört. Ähnliches Verhalten bei Zahn- und Haarpflege. »Ich will kleinen Pfleger« – (Lehnt generell Pflege von Männern ab). Es gibt Situationen, in denen tlw. Körperpflege möglich ist: ruhige Ansprache, tlw. Intimpflege im Liegen, im Blickfeld sein. Sie bedankt sich hinterher jedes Mal.

Sie lässt sich weiterhin bei der Körperpflege locken (Brille, anschließendes Essen). Sie erfährt die Beachtung ihrer Wünsche. Sie erfährt Vertrauen und Sicherheit.

Fernziele: Tgl. Wäschewechsel findet ohne »Schimpfen« statt.  Er ist über Vorteile einer sauberen Gesäßregion und über die Gefahr einer Hautschädigung informiert«. 

Nahziel:  Täglicher Wäschewechsel ist sichergestellt.























»Beliebteste PK« führt mit ihm und seinen Angehörigen ein klärendes Beratungsgespräch über das Wäschewechseln. Sohn sollte dem Vater gegenüber immer wieder deutlich machen, dass er gern die Wäsche macht. Dies kann PK im Gespräch aufgreifen: »Das macht er gern für seinen Vater, Sie waren doch auch für ihn da!« PK bittet vor dem Gang ins Bad darum, dass er frische Wäsche aus dem Schrank nimmt; tut er es nicht, macht es die PK. Situation anschließend dokumentieren. PK weist einfach darauf hin, dass es nicht gut, wenn die Hose »schmutzig” ist, die Haut werde davon Reizungen erhalten.

Wenn sie bei der eigenen Körperpflege aktiv mitmacht, sofort loben und bestätigen. Körperpflege wird ausschließlich durch weibliche MA angeboten; Wenn Männer, dann nur die, die sie derzeit akzeptiert. Gespräch mit der Tochter suchen und von Testphase berichten. Bei den Kontakten während der Körperpflege direkt in ihr Blickfeld treten liebevoll und ruhig mit ihr sprechen. Einfache Anweisungen geben, gewünschte Handlungen vormachen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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Unter Anleitung zieht er sich sehr langsam an, Ø 20 Minuten Zeitbedarf.

M: Herr Dr. S kleidet sich durchschnittlich 4 – 5 tgl. an/aus/um, meist unvollständig und in ungewöhnlicher Reihenfolge. Er nimmt Hilfe von PK an. Ca. 4 x tgl. hat er nasse Unterkörperbekleidung (zieht meist vorher die Inko-einlagen heraus) durch Urin lassen. Er äußert sich wenig zu Bekleidungsvorschlägen, möchte jedoch tgl. sein Sakko tragen. Er legt Wert auf ordentliche Kleidung.

T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Desorientiertheit, Apraxie

M: Frau A. trägt am liebsten alte, verbrauchte Kleidung, die auch verdreckt und voll uriniert ist und wechselt diese so selten wie möglich. Im Zimmer hat sie sehr viel schöne, neue Kleidung, die sie nicht trägt. Hinweise zum notwendigen Kleidungswechsel nimmt sie nicht an. Trägt nasse Kleidung, trocknet diese auf der Heizung und zieht sie am nächsten Tag wieder an.













T: Tragen von verschmutzter und stark riechender Kleidung U: Demenzielle Symptomatik

Er ist weiterhin motiviert, sich zu kleiden. Er ist mit seiner Bekleidung zufrieden. Er nimmt weiter Hilfe an, lässt Kleidungswechsel zu. Wohlbefinden und trockene Kleidung.

In Ausnahmesituationen nimmt sie weiterhin Hinweise an, sich umzuziehen, z. B. Arztbesuch Sie behält ihr gesundes Selbstbewusstsein bzgl. ihrer Kleidung.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation















Kleidungsstücke werden einzeln angereicht, zum Anziehen anleiten. Zieht er sich nicht selbst an, so übernimmt dies die PK. Wenn er aus seinem Zimmer kommt, dezent den Sitz seiner Kleidung überprüfen, ggf. freundlich richten/beim Richten unterstützen.

Nach dem Duschen sofort Kleidungswechsel durchführen. Bett 1 x wöchtl. nach dem Duschen beziehen. Bei verschmutzter Kleidung geben die PK Hinweise und schlagen einen Kleidungswechsel vor. »Man hat doch sein Tun.«, »Weh der Frau, die nicht im Falle der Not ihren Mann zu stehen vermag.« »Gut, dass Sie so aufpassen, man weiß nie!«. An ihre frühere Kompetenz als Hausfrau erinnern: »Jeder Vogel hat sein Nest lieb.« »Sie waren doch immer so fleißig und ordentlich, helfen Sie mir schnell. Ich hab so viel zu tun!« Mehrere Kleider und Kleidungsstücke zur Auswahl liegen lassen. Bei Bedarf Betreuerin hinzuziehen, Beratungsgespräch.

Maßnahmen

292 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau F. trinkt ca. 1200–1300 ml pro Tag, lehnt die 2. Tasse Kaffee/Getränk ab. Zwischen den Mahlzeiten verlangt sie keine Getränke. Trinkt gern Buttermilch, Pflaumensaft. Wenn sie mehr trinkt muss sie öfter zur Toilette, was sie laut eigener Aussage stört.



Trinkmenge mind. 1500 ml pro Tag Sie akzeptiert 2. Glas/Tasse pro Schicht



T: Verminderte Flüssigkeitszufuhr U: Gewohnheit (Laut eigener Aussage hat sie früher auch wenig getrunken), Vermeidung von Toilettengängen

Sie ist nach ihren Wünschen gekleidet. Sie öffnet und schließt Verschlüsse. Sie zieht vorbereitete Oberbekleidungsstücke an/aus.

Ziele/Lösungen

FEDL »Essen und Trinken«







Pflegerische Ist-Situation

7.3.5

M: Frau K. äußert keine Kleidungswünsche, bahnt kein An- oder Auskleiden an. Von sich aus zieht sie Kleidungsstücke in ungünstiger Reihenfolge an, weiß oft nichts mit den Kleidungsstücken anzufangen. Sie bevorzugt bequeme Hosen und bunte Blusen.

T: An- und Auskleiden, eingeschränkt U: Situative Desorientiertheit Morgens vor der Körperpflege Kleidungsvorschläge machen, je 2 Kleidungsstücke zur Auswahl zeigen, fühlen lassen. PK reichen Kleidungsstücke einzeln in der richtigen Reihenfolge an und fordern freundlich zum Anziehen auf. Erfolgt keine Reaktion, zieht die PK sie an. Ausziehen abends im Bett, meist durch PK, da Bew. sehr erschöpft ist. Sehr sensibel auf abwehrendes Verhalten reagieren, da sie auch hierbei »alten« Erinnerungen nachspürt. Bei Abwehr Handlung unterbrechen, später erneut versuchen. Evtl. in Tageskleidung schlafen lassen, sodass sie sich sicher und geborgen fühlt.















Erklären, dass häufige Toilettengänge nichts Negatives sind (»Wir helfen Ihnen gern dabei«). Lieblingsgetränke anbieten (Pflaumensaft verdünnen). Den Vormittag über mindestens 800 ml anbieten, damit sie tagsüber ausscheidet. dDieses Vorgehen erklären Gleich morgens zum Aufstehen ein Glas Wasser anbieten. Kompott anbieten. Zu jeder Mahlzeit ein Glas … anbieten. Gemeinsame Trinkpausen durchführen.

Maßnahmen









Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

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M: Frau M. bevorzugt ausschließlich kalte Mahlzeiten, nimmt im Laufe des Tages viele kleine Mahlzeiten zu sich. Sie bereitet sich kleine Brotmahlzeiten o. Ä. zu., isst auch mundgerecht vorbereitete Nahrung/ Kaltmahlzeiten. Bevorzugt Süßspeisen. Frau M. signalisiert einen starken Bewegungsdrang während der Mahlzeiten, sitzt ungern am Tisch. Gewicht: 55 kg.

T: Spezielle Mahlzeitenform U: vermutlich Gewohnheit

M: Frau N. äußert auch auf Nachfrage kein Durstgefühl, mehrfach tgl. lehnt sie das Trinken von bereitgestellten Flüssigkeiten ab. Wird Flüssigkeit angereicht, wird diese meist ausgespuckt. Tgl. Ø Trinkmenge ca. 500 ml, inkl. Kaffee. Körperliche Fähigkeiten lassen das Trinken aus einem Glas zu.























T: Trinkmenge, gering U: Mangelndes Durstgefühl, eingeschränkte Motivation

Sie erhält Mahlzeiten nach Wunsch. Sie isst weiterhin mundgerecht vorbereitete Nahrung. Gewicht 57 kg. Ausgewogene Ernährung.

Lieblingsgetränke und bevorzugte Trinkgefäße sind bekannt. Sie sieht Vorteile der erhöhten Trinkzufuhr ein, sie ist darüber informiert. Hausarzt äußert sich zu einer empfohlenen Trinkmenge. Sie trinkt weiterhin aus Glas. Tägl. Trinkmenge 1200 ml (FZ). Tägl. Trinkmenge 900 ml (NZ) Sie nimmt Trinken als etwas angenehmes wahr.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



























Mit Hausarzt oder Ernährungsberaterin ausgewogene Mahlzeiten zusammenstellen, ca. 1500 bis 1800 kcal. 7 x tgl. abwechslungsreiche kleine kalte Mahlzeiten (Salat, Rohkost, Obst, Brot- und Quarkspeisen, etc.) reichen. Auch Süßspeisen. Zu allen kleinen Mahlzeiten Getränke reichen. Eine entspannte und angenehme Atmosphäre bei Tisch schaffen. Wenn sie aufsteht, gewähren lassen, Essen in die Hand geben. 1 x monatlich wiegen. Nährstoffbedarf und Ernährungsstatus per BMI (Body Mass Index) 1 x mtl. feststellen.

Sie und ihre Angehörige nach früheren Gewohnheiten fragen, evtl. auf alten Fotos nachschauen. Lieblingsgetränke und besondere Trinkgefäße (Langzeitgedächtnis – Emaillebecher, Weinglas etc.) anbieten. Einfuhr bilanzieren. Getränke immer in Reichweite stellen. PK führt Gespräch mit Hausarzt, welche Trinkmenge er akzeptabel findet. Gemeinsame Trinkpausen (tagsüber ca. stündlich anbieten) durchführen. Wenn möglich, Beratungsgespräch über Trinkgewohnheiten führen.

Maßnahmen

294 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: BMI: 35,8, Gewichtsabnahme seit Einzug. Zu jeder Mahlzeit »stürzt« Frau Q. an den Tisch, isst mit den Händen und schlingt. Sagt: »Ist alles meins.« Nimmt alles, was sie erreicht, erbricht direkt am Tisch und isst das Erbrochene. Sie kaut wenig. Hat sie eine Mahlzeit beendet, fragt sie nach der nächsten, spricht viel über Essen. Essen und Mahlzeiten bestimmen den Tagesablauf. Ist die Mahlzeit aufgegessen, sagt sie »Ist alle« und wirkt zufrieden. Isst gern Fisch.



T: Spezielles Essverhalten U: Früheres »Hungerleiden«, demenzielle Symptomatik, z. B. eingeschränkte Urteilsfähigkeit und eingeschränktes Sättigungsgefühl

















M: Frau B. sammelt und hortet seit Jahren Lebensmittel, wobei sie nicht mehr wahrzunehmen scheint, ob diese verschimmelt sind oder nicht. Sie nimmt Lebensmittel von anderen Tellern, holt sich Essensreste aus Mülleimern, sammelt diese oder nimmt sie mit nach Hause. Gefahr der Vergiftung.

T: Verkennung und Horten von Lebensmitteln U: Alte Gewohnheit und situative Desorientiertheit

Sie freut sich weiterhin auf die Mahlzeiten. Mahlzeiten strukturieren weiterhin ihren Tagesablauf. BMI liegt zwischen 33 und 35. Sie zeigt weiterhin Zufriedenheit über beendete Mahlzeiten, sagt z. B. »Ich bin fertig!« Sie beschäftigt sich weiterhin mit dem Thema Essen (Gespräche, Kompetenzen). Erbrechen ist vermindert durch Dosierung der Mahlzeiten.

Sie fühlt sich sicher und hat das Gefühl, für Notzeiten »vorgesorgt« zu haben. Sie nimmt unterstützende Hilfe von Mitarbeitern an. Ihr stehen ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, sie weiß, wo sie etwas zu essen bekommen kann.

































Reduzierung der Mahlzeiten: Frühstück: 1 Brötchen und Obst Zwischenmahlzeit: z. B. Joghurt, Obst Mittag: 1 Portion in eigenen Schälchen Nachmittag: 1 Stück Kuchen auf ihren Teller Abend: 1 Scheibe Schwarzbrot, 2 x Aufschnitt Spätmahlzeit: Schokolade Frühstück ca. 9:30 Uhr allein, abends isst sie vor den anderen, ca. 17:30 Uhr. 1 – 2 x tgl. Gespräch über Mahlzeiten, Rezepte etc. sprechen, sie zur Zubereitung fragen. Möglichst Fisch reichen. 1 x mtl. Gewichtskontrolle, BMI errechnen.

Während der Mahlzeiten anleiten, sodass sie nicht dazu kommt, von anderen Tellern zu essen. In ihrer Handtasche und auch an anderen Plätzen trockene, evtl. gut verpackte (z. B. eingeschweißte) Nahrungsmittel zur Verfügung stellen. Schränke etc. im Tageshaus zugänglich machen, sodass sie dort sammeln und nachgucken kann. Beim Sammeln von Nahrungsmitteln nicht korrigierend eingreifen, evtl. gemeinsames Sortieren anbieten. Dabei freundlich auf die evtl. »vergammelten« Nahrungsmittel hinweisen. Werden diese aussortiert, Ersatz anbieten. Enge Absprache über Situation mit Angehörigen, sodass keine Scham entsteht.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

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T: Gefahr der Aspiration94 U: Veränderter Bewusstseinszustand, Übelkeit, Medikamentennebenwirkungen, psychischem Druck, erhöhter Magendruck, Lähmungen, Schluckbeschwerden, eingeschränkte Schluckfähigkeit, Husten und Würgen beim Schlucken, verminderter Hustenreflex, vermehrter Speichelfluss, Folgen eines Schlaganfalls oder anderer Erkrankungen wie z. B. MS oder Morbus Parkinson, etc.

Ein neutrales Beispiel

Ressourcen: Lieblingsspeisen, Essgewohnheiten, Fähigkeit zu essen, etc.

M: BMI unter XY. Überlassen von Mahlzeiten, Ablehnen von Essen/Nahrungsaufnahme, veränderte Verdauung, veränderte Vitalzeichen, Essmengen, etc.

T: Appetitlosigkeit93 U: Körperliche Erkrankung, psychische Erkrankung, Anzeichen von Erschöpfung, Übelkeit, Aufstoßen, Blähungen, Völlegefühl, Schluckstörungen, Schmerzen, Stress, Depression, Gefühl der Lustlosigkeit, demenzielle Symptomatik, Medikamentennebenwirkungen, Angst, Sorgen, etc.

Ein neutrales Beispiel

Pflegerische Ist-Situation















Klient ist aspirationsfrei. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt. Klient schluckt und hustet.

Ursachen für Appetitlosigkeit sind bekannt. Klient zeigt Interesse am Essen. Klient äußert Lieblingsspeisen: BMI ist bei …

Ziele/Lösungen







































Bei der Nahrungsaufnahme den Oberkörper hochlagern, bzw. Klienten sitzen lassen. Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme geben. Getränke andicken. Klienten viel Zeit zum Essen und Trinken geben. Auf korrekten Sitz der Zahnprothese achten. Konsistenz der Nahrung überprüfen, geeignete Kost anbieten. Klient bitten, beim Essen nicht zu sprechen. Nach der Mahlzeit Mundpflege durchführen

Nicht zum Essen zwingen. Arzt konsultieren. Ruhige Atmosphäre schaffen, ohne Störungen durch pflegerische Maßnahmen während des Essens. Wunschkost anbieten. Klienten wenn möglich an der Zubereitung der Mahlzeit beteiligen (wenn gewünscht). Zimmer vor dem Essen lüften. Freundliche, normale Tischsituation herstellen. Auf geeignete Tischnachbarn achten. Zeit geben zum Essen. Evtl. gemeinsam essen Angehörige bitten, Lieblingsspeisen mitzubringen und auch zum Essen dazubleiben.

Maßnahmen

296 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

93, 94, 95









Klient trinkt … ml täglich Ursachen der Exsikkose sind bekannt. Klient ist motiviert, mehr zu trinken. Komplikationen werden rechtzeitig erkannt.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

Ressourcen:  Erkennt die Bedeutung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr  Trinkt selber  Etc.

M: Hautturgor, Vitalzeichen, veränderte Urinausscheidung, trockene Schleimhäute, rissige Lippen, rauhe borkige Zunge, Schleimhautläsionen. Sprechstörungen. Tief liegende Augen, Schwäche, Benommenheit, Verwirrtheit, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Krämpfe, Veränderung der Bewusstseinslage, Gewicht, plötzlicher Gewichtsverlust. Ø getrunkene Flüssigkeitsmenge, Trinkverhalten, etc.

T: Exsikkose95 U: Verminderte Flüssigkeitsaufnahme (mangelndes Durstgefühl, Angst vor Harninkontinenz, Schmerzen, Schluckstörungen, Unkenntnis über Flüssigkeitsbedarf, Getränke nicht erreichbar, Vergesslichkeit) Flüssigkeitsverlust (Diarrhö, Erbrechen, starke Blutungen, starkes Schwitzen, zu heiße trockene Umgebung, hohes Fieber, Katheter, Medikamente), etc.

Ein neutrales Beispiel

Ressourcen:  Kann schlucken und husten  Ist (zweitweise) orientiert  Kennt die Gefahr der Aspiration  Primäre Bezugspersonen sitzen bei der Nahrungsaufnahme dabei





















Wunschgetränke anbieten, vorzugsweise Wasser, Tee (begrenzt Kaffee, Schwarztee, Alkohol, Limonaden). Bei hypotoner Dehydration Brühe oder salzhaltige Getränke. Getränke in Reichweite stellen. Biografisch ansprechendes Trinkgefäß wählen (aus dem Altzeitgedächtnis des Klienten). Nie zu viele Flaschen auf dem Nachttisch bereitstellen. Über Hilfsmittel zum Trinken informieren, anbieten, ausprobieren, z. B. Strohhalm. Zum Gebrauch der Hilfsmittel anleiten. Klienten beraten. Gemeinsame Trinkpausen durchführen, Zuprosten, etc. Flüssigkeitszufuhr dokumentieren.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele 297



M: Ca. 1 x tgl. geht Frau S. auf Toilette (an Spuren im Toilettenraum zu erkennen), scheidet dort aus, wechselt dort nicht immer die verschmutzte Inkontinenzhose, oder räumt diese in ihren Schrank. Meist ist sie nach Toilettengang an Händen, Gesäß, Kleidung und Gesicht verschmutzt. Wenn sie die Toilette nicht findet, oder nicht daran denkt, scheidet sie in die Inko-Hose aus. Überwiegend lehnt sie einen Wechsel der InkoHose ab. Bei guter Tagesform geht sie zur Toilette mit, im Raum selber reagiert sie mit 











T: Stuhl- und Harnkontinenz U: Vermutlich durch Diagnose Demenz

Profil: Nicht kompensierte Inkontinenz.

M: Herr M. uriniert in Ecken auf Fluren und in Mülleimer. Vermehrte Unruhe, zieht Hose auch im Gang runter, nestelt an Hose; Fingerklopfen z. B. auf Tisch und an Türen, Umherlaufen, in alle Zimmer gehen; weiß mit dem WC nichts anzufangen. Nässt nachts ein. Nimmt Hilfe jedoch Hilfe von PK an.



Sie lässt mindestens 1 x tgl. einen Inkontinenzhosenwechsel zu, gern mehr. Sie vertraut weiterhin den Präsenzkräften. Sie geht weiterhin selber zur Toilette. Sie wäscht sich ab und zu die verschmutzten Hände im Feudeleimer. Sie versteckt weiterhin die verschmutzten Hosen. Sie erfährt positive Bestätigung für ihr Handeln.

Er findet das WC, erkennt dieses Er uriniert in dafür vorgesehene Gefäße Es ist ein geeignetes Ausscheidungsgefäß gefunden, was er benutzt. Profil: abhängig kompensierte Inkontinenz



T: Harninkontinenz U: Findet vermutl. aufgrund örtlicher Desorientiertheit (demenzbedingt) Demenz das WC nicht 

Ziele/Lösungen

FEDL »Ausscheidung«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.6



























Tagsüber alle 2 Stunden einen gemeinsamen Weg zur Toilette anbieten. Da sie selber trotz Anleitung die Hose nicht hinunterzieht, wird dieses sensibel durch Präsenskraft getan, bei massiver Abwehr (z. B. Schlagen, Weglaufen, Schreien) wird unterlassen. Später erneuter Versuch. Wenn sie die verschmutzte Hose versteckt, als Hausfrau bestätigen. Versorgung überwiegend durch Präsenzkräfte. Zur Nutzung des Feudeleimers ermuntern. Wenn Toilettengang möglich, dann komplette Übernahme der Inkontinenzversorgung inkl. Wechsel und Intimpflege, Händewaschen, Kleidung richten. Testphase: Nachts einen Eimer zur Verfügung stellen. Ergebnis dokumentieren.

Das WC kennzeichnen (dunkler WC-Sitz: Versuch), Licht im Bad. Eimer in Ecken stellen, bei Unruhe zum WC führen, anleiten und unterstützen. »Mobihose« tags und nachts. Toilettengänge tagsüber alle 2 St. anbieten, durchführen. In der Nacht gegen 23:00 Uhr und 3:00 Uhr. Miktionsprotokoll für 2 Wochen führen, anschließend bevorzugte Ausscheidezeiten für begleitete Toilettengänge nutzen. Intertrigoprophylaxe 3 x tgl. Intimpflege bei Bedarf.

Maßnahmen

298 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Es gibt keine Anzeichen, dass Frau U. Stuhl- oder Harndrang spürt. Wenn sie liegt, oder an die Vorlage kommt, zerpflückt sie diese. Sie scheidet viel und bevorzugt im Liegen aus. Nach der Mittagspause im Bett nimmt sie trotz vorherigem Toilettengang Kot aus der Vorlage und isst diesen. Dieses Verhalten zeigt sie immer nach dem Abführen. Kontinenzprofil: Abhängig kompensierte Inkontinenz.

T: Kotschmieren U: Demenzielle Symptomatik, evtl. Scham bei Inkontinenz, Apraxie

Ablehnung/Abwehr auf das Berühren der Hose etc. durch PK. Wechsel dann nicht möglich. Kontinenzprofile: Zwischen nicht kompensierter Inkontinenz und abhängig kompensierter Inkontinenz. Zeigt Scham oder Bedauern über Situation, wenn sie sie wahrnimmt oder damit konfrontiert wird. Waschen der verschmutzten Hände mittels Feudeleimer, der herumsteht und von ihr so genutzt wird.









Abführen der Bewohnerin wird rechtzeitig erkannt. Alternative zum Kotschmieren ist gefunden. Sie bleibt frei von Obstipation. Sie nimmt weiterhin Unterstützung bei der Ausscheidung an.

















Prophylaxe: stuhlregulierende Maßnahmen (z. B. Leinsamen, Lactulose), Bewegungsreize anbieten (Wiegen, Schaukeln), Hautstimulation durch Basale Stimulation®. Mittagspause: Die nächsten 2 Wochen erhält sie zwischen Mittagspause und Mittagsschlaf einen Toilettengang. Ist dieser erfolglos, wird sie mir Vorlage ins Bett gelegt. Während der Übergabe, sofern organisatorisch möglich, alle 5 Min. eine Kontrolle im Zimmer. Material zur Beschäftigung geben, z. B. leeren Kopfkissenbezug mit 7 Bällen, alte Strümpfe. Ansonsten pro Schicht 3 x Vorlagenwechsel und vollständige Übernahme der Intimpflege durch PK, ebenso Versuch, sie auf Toilettenstuhl zu setzen. Führen eines Miktionsprotokolls, danach Planung des Kontinenztrainings. Evtl. genauere Diagnostik durch Urologin/Gynäkologin. Bei Auftreten von Kotschmieren: Keine negativen Reaktionen zeigen, denn die können zur Ablehnung der Körperreinigung führen. Nach Erkennen des Kotschmierens eine kleine Moment einlegen/

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

299

Risikofaktoren für eine Harnkontinenz sind: Personenbezogene Risikofaktoren: Belastungen des Beckenbodens, z. B. bei Übergewicht, Schwangerschaft oder chronischen Husten. Bestimmte Erkrankungen, Einnahme spezieller Medikamente (z. B. Diuretika, Antidepressiva, Neuroleptika, Opiate). Harnwegsinfekt. Zu hohe oder zu geringe Flüssigkeitsaufnahme. Vergrößerung der Prostata, Obstipation. Frauen sind bis zu 4 x häufiger von Harninkontinenz betroffen. Das Lebensalter der Person: Einbußen im Bereich der körperlichen und kognitiven Fähigkeiten, Multimorbidität, Immobilität, Demenz, spezielle chronische Erkrankungen. Im Alter oft ein komplexes Bündel an Ursachen. Ein höheres Lebensalter ist lediglich der Hinweis auf ein mögliches Risiko.

T: Harninkontinenz96 U: Seit wann liegen Symptome vor? Wie spricht Klientin über Situation? Werden Hilfsmittel verwendet?

Neutrales Beispiel

Pflegerische Ist-Situation













Kontinenzprofil ist bestimmt. Art der Inkontinenz ist bekannt. Komplikationen und Folgeschäden sind erkannt/verhindert. Sie führt unter Anleitung/allein Toilettengänge durch. Sie nutzt Vorlagen/Hilfsmittel. Sie gibt bevorstehenden Harndrang an.

Ziele/Lösungen

























Führen eines Miktionsprotokolls Evtl. genauere Diagnostik durch Urologin/Gynokologin. Ggf. weiterführende Untersuchungen (Restharnbestimmung, etc.). Hilfestellung für den Weg zur Toilette geben. Über Hilfsmittel informieren, verschiedene Einlagen zur Probe tragen lassen/anbieten Zuwendung geben, Vertrauen, Pflege evtl. durch gleichgeschlechtliche PK. Toilettentraining. Beckenbodengymnastik. Unterstützung bei Bedarf: Wechsel von Inkontinenzhilfsmitteln, Intimpflege, etc. Flüssigkeitszufuhr. Beratung anbieten. Biografiearbeit. Z. B. Toilette so kennzeichnen, dass sie an früher erinnert.

nach draußen gehen und »tief Luft holen/bis 10 zählen«, sich auf bevorstehende Reinigung einstellen. Sie positiv darauf aufmerksam machen, dass eine Reinigung jetzt bestimmt angenehm sein. Freundlich und liebevoll an sie herantreten. Keinen Widerstand durch dominantes, strafendes, herablassendes oder hektisches Verhalten provozieren.

Maßnahmen

300 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

98

97

96

Kontinenzförderung:  Angemessene Kleidung, die sich leicht öffnen lässt.  Auswahl geeigneter Hilfsmittel bereitstellen, Umgang trainieren.  Weg zur Toilette gut kennzeichnen, evtl. mit Bildsymbolen versehen.  Toilettentür deutlich kennzeichnen.  Saubere, warme gut belüftete Toilette.  Toilettensitz in passender Höhe, gute Haltmöglichkeiten anbringen.  Beckenbodentraining.  Haupttrinkmenge vor 16:00 Uhr.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006 Fillibeck, H.: Förderung der Harnkontinenz – der fünfte nationale Expertenstandard für die Pflege liegt vor. Erschienen in: ProAlter 2/06. KDA, Köln, 2006 Messer, B.: Die nationalen Expertenstandards im Pflegealltag. Schlütersche, Hannover, 2007

Ressourcen:  Klientin führt allein/unter Anleitung Toilettengänge durch  Klientin gibt bevorstehenden Harndrang an  Klientin wünscht Unterstützung, nimmt diese an

M: z. B. häufige Toilettengänge, Verstecken verunreinigter Wäsche, unruhiges Verhalten, auffälliger Geruch, Hautveränderungen im Intimbereich, oder auch Stürze97, Sammeln von Stoffen, Tüchern, Servietten, etc. Mögliche Symptome: Unwillkürlicher Harnverlust bei körperlicher Betätigung, unwillkürlicher Harnverlust einhergehend mit Harndrang, verzögerter Beginn der Miktion, ständiger Harnabgang, Harntröpfeln, das Gefühl der nicht vollständig entleerten Blase, Brennen beim Wasserlassen) 98

Umweltbezogene Risikofaktoren: Erreichbarkeit von Toiletten (z. B. weite Wege, unbezwingbare Treppen, schlechte Beschilderung, unklare Kennzeichnung); Nutzbarkeit von Toiletten (z. B. ungeeignete Sitzhöhe, fehlende oder unbenutzbare Haltegriffe, ungeeignete Beleuchtung, abstoßender hygienischer Zustand); Zugänglichkeit von Toiletten (z. B. ungeeignete Türgriffe, zu schwere oder zu enge Türen, Hindernisse);

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

301

Komplikationen werden rechtzeitig erkannt.



M: Frau V. benutzt »Ausflüchte« (Vermutung) wie Schwindel, Kopf- oder Rückenschmerzen etc., hat jedoch normale Vitalzeichen. Wenn sie länger als 10:00 Uhr im Bett bleibt, besteht die Gefahr, dass sie für diesen Tag nicht mehr aufstehen will. 





T: »Möchte morgens nicht aufstehen« U: Laut Biografie hat sie immer lange bis ca. 9.30 Uhr geschlafen. Verkennt Tageszeit aufgrund des demenziellen Syndroms

Sie ist motiviert, spätestens gegen 10 Uhr aufzustehen. Sie fühlt sich ernst genommen bzw. verstanden (und äußert dieses auf Nachfragen). Sie erfährt Akzeptanz und Respekt auch für ihren Status, ein Zimmermädchen gehabt zu haben, die die Sachen für sie vorbereitet hat.

Ziele/Lösungen

FEDL »Ruhen, Schlafen und Wachsein«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.7





Er geht weiterhin aktiv mit seiner Ausscheidung um. Er nimmt weiterhin Hilfe an. Er kennt Sinn und Zweck des InkoMaterials, kennt Plätze zum Entsorgen.



T: Harninkontinenz U: Diagnose Inkontinenz, situative Verkennung

M: Herr X, geht mehrfach tgl. allein zur Toilette, genaue Handlung/Ablauf unklar, da er dies allein durchführt. Entsorgt der Inko-Materialien nicht sinngemäß. Bei Toilettengang mit Begleitung durch PK unterschiedlicher Erfolg beim Wasserlassen. Er nimmt Hilfe/Unterstützung von PK an. Vermehrte Harnausscheidung durch Diuretika.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation PK leiten an und unterstützen ihn alle 2 Std. beim Toilettengang. Dabei Umgang mit Inko-Material aufzeigen, zur Ver wendung anleiten. Mülleimer zeigen, ihn die Einlage selber entsorgen lassen. Nachts Begleitung wie oben zur Toilette durch PK. Um ca. 23:45 Uhr und 5:30 Uhr Versorgung mit … Einlage. 1 x tgl. morgens auf Anzeichen von Austrocknung achten, 1 x wöchtl. wiegen.









Freundlich im Zimmer begrüßen, Uhrzeit benennen (später als 9:30 Uhr). Kaffee am Bett reichen, dabei an die Bettkante setzen und mit ihr plaudern, danach zum Aufstehen bitten. Evtl. hier mit ihr »handeln«. Alternativ oder ergänzend: Sie um 9:30 Uhr mit einem Kaffee wecken: »Es ist alles gerichtet, wir warten auf Sie«. Gespräche führen (über Familie, auf Gesprächsrituale eingehen).

Maßnahmen













Maßnahmen

302 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau D. steht Ø jede Nacht gegen 3:00 Uhr auf, zieht sich an und geht zielstrebig auf den Flur, spricht vor sich hin. Z. B.: »Ich will nach Hause, muss für meinen Mann kochen …« Signalisiert Eile, schnelle Schritte, schnelle Atmung. Wenn PK auf sie zugeht, berichtet sie von Sorgen, Ärger und früheren Erlebnissen mit ihrem Mann. Bei Ernstnehmen der Gefühle, signalisiert sie Erleichterung, z. B. atmet leichter, offene Augen, geht (meist) auf Vorschlag der PK ein. Z. B. Nähe bei einem gemeinsamen Kaffee.

T: Nach Hause Wollen, nachts U: Eingeschränkte Orientierung, Ausleben von Gefühlen wie Sorge, Angst

M: Frau K. ist ca. jede 3. Nacht unruhig, reagiert mit »Nesteln« an PEG-, DK-Schlauch oder Einlage, schmiert mit Kot, oder wackelt am Bettseitenteil, sodass evtl. die Zimmermitbewohnerin aufwacht.

T: Nächtliche Unruhe U: Situative Desorientiertheit, Tag-Nacht-Umkehr









Sie drückt weiterhin ihre Gefühle aus, erzählt davon. Sie geht weiterhin auf Vorschläge von PK ein, das »Losgehen« wird von PK wahrgenommen – mögliche Gefahrensituationen werden rechtzeitig erkannt.

Ursachen für Verhalten sind bekannt. Sie schläft durch, ist morgens ausgeschlafen.





















Ausstattung mit Klingelmatte, etc. (Funksender). Erhöhte Aufmerksamkeit der NW gegen 3 Uhr nachts. Wenn sie auf den Flur kommt, begleitet sie eine PK im gleichen Tempo, ermöglicht ihr damit »Auslaufen«. Fragt nach Situationen, auch von früher: »Was müssen Sie denn machen – was gibt es zu tun?« »Was hat denn Ihr Mann gemacht?«, etc. Eingehen auf die Gefühle/Antriebe wie Sorge und Angst, Mitgehen. Wenn Gefühl »ausgelaufen ist« ,Gemeinsamkeit, Nähe herstellen, vielleicht mit ihr gemeinsam etwas tun, demnächst ins Bett bringen.

Verhalten/Unruhe in Zusammenhang mit anderen Ereignissen stellen, z. B. Teegabe über Sonde, notwendiger Stuhldrang, Wachheit, situative Desorientiertheit, Langeweile etc.). Zu-Bett-Geh-Zeit in den späteren Abend legen, angenehmes Abenderlebnis verschaffen (Nachtcafé, Geschichten, Sitzecke Wohnbereich, Dämmerschoppen, etc.) Für die Nacht etwas in die Hände geben, sodass sie etwas anfassen kann. Evtl. große Kissenschlange, um sie sich spüren zu lassen. Nächtliche Kontrollgänge alle 2 Stunden, bei Unruhe dableiben (sofern Nachtdienstsituation dies hergibt) , Körperkontakt, Singen, Nähe etc.). Zur Beruhigung kleines Licht anlassen, beruhigende Düfte in Aromalampe (Lavendel, o. ä.).

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

303

M: Herr L. legt sich nachts in andere Betten, hat auch Durchschlafstörungen – fast jede Nacht. Z. T. wird er bei der nächtlichen Inko-Versorgung wach, steht anschließend auf und wird dann in einem anderen Bett gefunden. Bei Hinweisen, dass »dies« nicht sein Bett sei, reagiert er mit verbaler und nonverbaler Abwehr/Ablehnung. Er schläft ca. 5 Std. ruhig in der Nacht. 



Er schläft nachts in seinem Zimmer. Er schläft nach der nächtlichen InkoVersorgung weiter. Schlafphase erhöht auf 6 Stunden. Er fühlt sich sozial integriert.



T: Nächtliches Herumirren U: Starke Desorientiertheit 

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



















Schlafenszeit auf 21:30 Uhr legen. Abends Nachtcafé anbieten oder Beschäftigung, die ihm zusagt. Kontakte zu anderen Bewohnern herstellen, speziell abends. WBL spricht mit Hausarzt über pflanzliche oder medikamentöse Unterstützung. Abend- und Einschlafrituale schaffen (Gebet, Lied, Schoppen, Likör etc.) auf Wirksamkeit hin überprüfen. Schlafverhalten beobachten und dokumentieren. Freundlich ansprechen, wenn er in einem anderen Bett liegt. Ihm Kontakt und Sicherheit geben. Sofern es keinen anderen stört, ihn in diesem Bett liegen lassen. Bett oder Sofa in der Nähe der Nachtwachen (Gemeinschaftsbereich) zur Verfügung stellen, ihn dort schlafen lassen. Nächtliche Inko-Versorgung minimal ausführen, erst zum »Ins-Bett-Bringen« dann evtl. erst wieder frühmorgens. Geeignetes Inko-Material verwenden.

Maßnahmen

304 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

FEDL »Aktivieren – Anregen«

M: Seit ca. 2 Monaten zeigt Frau W. wechselnde starke Wahnvorstellungen. In der Wohnung sieht sie z. B. Tiere, Personen, einen dicken Mann mit Messer. In der Vergangenheit lebte sie mit Tieren, hatte viele Gäste in ihrem Hotel. Während Kontakt und Pflege tauchen bestimmte Personen, wie z. B. Babys auf, sie wechselt dann zur Situationen aus der Vergangenheit. Wenn PK Tiere oder Personen heraus bittet, sind diese auch weg. Während der Pflegehandlungen unterbricht sie, da sie z. B. nach den Tieren greift. Wenn man ihr nicht zustimmt, oder wenn die PK oft wechseln (Einsatz), steigt ihre verbale und nonverbale Ablehnung (Aggression).

T: Wahnvorstellungen U: Ursache evtl. Stress vor Neurologenbesuch, Med.-Wirkung Flüssigkeitsdefizit

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation

7.3.8













Sie schätzt die Personen und Tiere ein, ordnet diese zu. Sie erfährt Sicherheit und Vertrauen von Seiten der PK. Sie toleriert den Einsatz von insgesamt 4 PK. Sie greift weiterhin auf ihre Vergangenheit zurück. Zeiten von Wahnvorstellungen sind reduziert. Genaue Diagnostik und Therapie ist gewährleistet.

Ziele/Lösungen













PK achtet auf korrekte Med.-Einnahme und dreiwöchentlichen Neurologenbesuch. PK nehmen Äußerungen über die Halluzinationen ernst, vor allem die dahinter liegenden Ängste. Es werden keine Gegenargumente gesucht. Bei Ängsten verständnisvoll reagieren, z. B.: »Da kann einem angst und bange werden.« »Manchmal ist es ganz schön schwer.« »Und Sie machen sich jetzt Sorgen, ob alles gut wird?« etc. Es werden 4 PK eingesetzt, die alle gleich oft da sind, neue PK werden eingearbeitet. Es gibt einen klaren Ablauf der Vorgehensweise bei den Einsätzen, diese werden jedes Mal vorher in Ruhe erklärt. Sie hat die Namen aller Mitarbeiter, die zu ihr kommen, auf dem Tisch neben der DokuMappe liegen. PK fragen zu Themen (positiv), die für sie eine Bedeutung haben, aus der Vergangenheit, regen Gespräch und Erinnerung an. Während der Pflege über reale Dinge wie Wetter, ihre Kleidung etc. sprechen. Ihre Kompetenz und Person bestärken.

Maßnahmen

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

305

M: Frau K. bekommt wenig intensive, wohltuende Reize, sie erlebt die Pflege evtl. stark auf das Körperliche bezogen. Hören und Gehen ist eingeschränkt. Beeinträchtigung des Körpergefühls durch PEG-Sonde und DK (Schläuche aus und in den Körper). 







T: Ganzheitliche Wahrnehmung, eingeschränkt U: Hirnorganisches Psychosyndrom Sie erhält über alle 5 Sinne wohltuende Stimulierung. Sie spürt alle 5 Sinne. Sie erlebt mehrfach tgl. beruhigende und anregende Stimulation. Ganzheitliches Wohlgefühl.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



























Bei der Körperpflege werden ätherische Öle verwendet: Morgens anregend, z. B. Orange, Mandarine, Limone etc.; abends Lavendel o. ä. Morgens erhält sie eine belebende Ganzkörperwaschung, oder Massage der Füße mit duftendem Körperöl. Im Laufe des Vormittags bewusstes Musik hören und/oder gemeinsames Singen, nicht in großen Gruppen, evtl. im Zimmer. Zwischendurch Betrachtung von Bildern, Blumen, Garten- oder Naturbüchern, etc. ermöglichen, gern mit Pflegekraft 4 – 5 x tgl. Auftragen von Parfüm › ritualisieren. Nach Mittagspause kurze Fußmassage. Snoezelenmöglichkeiten geben. Abends Dämmerschoppen, gemeinsames Singen anbieten. Zur Nacht beruhigende Ganzkörperwaschung im Bett, verschiedene Wickel oder ASE durchführen. Mehrmals täglich validieren (Erinnern, Singen, etc.). Mehrmals tgl. bewussten Augenkontakt herstellen, Hand berühren, etc. Unterschiedliche Materialien (Haushalt, Pflege, Garten, Stoffe, etc.) in Hände geben, sodass sie zum Fühlen animiert wird. In der Nacht Duftlampe und evtl. visuelle Reize schaffen durch sich bewegende Lampe.

Maßnahmen

306 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

99















Ausmaß der Bewusstseinsstörung ist bekannt. Genaues Ausmaß einer Gefährdung für den Klienten ist bekannt. Komplikationen sind rechtzeitig erkannt. Klient erfährt Sicherheit. Klient erhält Reize aus der Umgebung.

Möglichkeiten der Motivation sind gefunden. Sie orientiert sich weiter an Dingen, die sie sieht.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

M: Zeitpunkt und Verlauf der Bewusstseinsstörung, akut oder schleichend, Benommenheit, Schläfrigkeit. Augen offen. Ansprache, Schmerzen, Sprache, etc., Wahrnehmungsstörungen, Sprachweise, Vitalzeichen

T: Bewusstseinstörungen 99 U: Schlaganfall, Vergiftungszeichen, Stoffwechselentgleisung, Hirntumor, Medikamentennebenwirkungen, Demenzerkrankungen, Delir, psychische Erkrankung, Flüssigkeitsdefizit, Dehydration, Halluzinationen, Schock, Krampfanfälle, Durchblutungsstörungen, sonstiges

Neutrales Beispiel

M: Frau B. ist an vielem interessiert, allerdings beobachtet sie die Dinge eher, als dass sie aktiv wird. Sie sitzt viel und beobachtet das Geschehen um sie herum. Sie bleibt bei Aufforderungen (egal ob bei Beschäftigung oder auch Unterstützung zur Pflege) zurückhaltend, freundlich, macht die Handlungen nach. Sie orientiert sich vermutlich an etwas, was sie sehen kann. Sie handelt nicht von allein. Ausgeprägter kinästhetischer Sinn, sie fasst gern Dinge an, kramt herum.

T: Motivation, eingeschränkt U: Auswirkungen der demenziellen Symptomatik





























Sturzprophylaxe. Info an Hausarzt/Neurologen. Klient immer ansprechen. Mögliche Schmerzen beachten. Basale Stimulation® – gezielte Stimulation. Vitalzeichenkontrolle. Nähe und Sicherheit vermitteln durch häufige Kontakte und Berührungen. Intimsphäre beachten. Reizüberflutung vermeiden. Beratung, wie primäre Bezugspersonen eingebunden werden können. Biografiearbeit.

Alle gewünschten Dinge demonstrieren. Wenn möglich, die dazugehörenden Materialien in die Hände geben. Mit Sätzen wie: »Schauen Sie mal …« »Darf ich Ihnen das zeigen …?« oder »Möchten Sie mal sehen, wie …?« zum Handeln auffordern (z. B. beim Essen, Pflege, bei der Beschäftigung o. ä. Themen aufgreifen, die im Langzeitgedächtnis noch aktiv sind, darüber anregen, aktivieren.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

307

M: Es ist für Frau U. wichtig, pünktlich zu essen, Pflege zu erhalten, den Sitzplatz vor der Toilette zu bekommen. Darüberhinaus zeigt sie kein Interesse. Bei Einladung zu Aktivitäten des Hauses sagt sie: »Nein«, »Ich habe Angst« oder: »Ich will nicht«. Sie geht dann nicht mit.

T: Interessenlosigkeit, teilweise U: Depression

M: Frau J. reagiert stark mit ihrem kinästhetischen Sinn, sie berührt gern Dinge, bewegt sich gern.

T: Unausgeglichene Reizstimulierung U: Eingeschränkter Lebensradius

Ressourcen:  Klient ist für längere Zeit ansprechbar  Ursachen sind bekannt  Klient antwortet sinnvoll auf Fragen  Klient entscheidet sich für oder gegen etwas  Klient drückt Wünsche und Bedürfnisse aus

Pflegerische Ist-Situation











Gründe für den Rückzug sind bekannt. Sie erlebt positive Dinge im Alltag. Sie erfährt Zuwendung, Akzeptanz und Wertschätzung. Sie fühlt sich sicher bzw. erfährt Sicherheit und Vertrauen

Sie erhält wohlausgewogene Stimulierung über alle Sinne.

Ziele/Lösungen





















Bezugspflege (wichtig!). WBL regt Neurologen-Psychiaterkonsil an. Bei Pflegehandlungen und Kontakten Gespräche und Lieblingsthemen anbieten, führen. Loben und anerkennen, wenn sie etwas selbst gemacht hat (z. B. bei der Selbstpflege), darauf hinweisen, was sie noch kann und Vorteile der Selbstpflege aufzeigen. Wenn sie etwas selber macht, in ihrer Nähe bleiben, so erfährt sie Zuwendung.

Morgendliche Körperpflege durch Düfte anreichern (Orange, Lavendel). Zwischendurch tagsüber stimulieren mit Musik, gemeinsam gesungenen Liedern, Düften, Parfümen, ruhiger, klassischer Musik. Bei starker Unruhe Gegenstände und unterschiedliche Materialien in die Hände geben, sodass sie sich damit beschäftigen kann: Fokus liegt auf der Stimulierung des taktilen Sinnes. Zum Ausruhen Fußmassagen ausprobieren (wohltuende Öle). Visuellen Sinn mit Bildern stimulieren, Bilder anschauen, Blumen betrachten, bewusst gemeinsam etwas anschauen.

Maßnahmen

308 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

100











Somatische Ursachen sind bekannt und behoben. Klient erlebt soziale Kontakte. Klient erfährt Sicherheit und Vertrauen. Klient ist medikamentös gut eingestellt, kennt Zweck der Medikamente und nimmt diese selbstständig, nach Anleitung, etc. Klient weiß und akzeptiert, dass er Dinge wahrnimmt, die andere nicht wahrnehmen.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

Ressourcen:  Klient kennt die Situation.  Klient teilt sich mit.  Klient geht mit Halluzinationen erfahren und sicher um.  Soziales Umfeld, primäre Bezugsperson geht erfahren mit der Situation um, kennt Handlungsstrategien.  Gute Medikamententherapie.

M: Klient hört nicht vorhandene Stimmen oder Geräusche. Erteilen die Stimmen Befehle? Klient sieht nicht vorhandene Personen oder Gegenstände. Nimmt Klient Berührung, Druck, Schmerz ohne vorhandenen Grund wahr? Nimmt der Klient nicht vorhandene Gerüche wahr? Fühlt sich der Klient durch die Halluzinationen bedroht? Sonstiges?

T: Halluzinationen100 U: Schizophrenie, Delir, Psychose, Epileptischer Anfall, Migräneanfall, Dehydration, Schlafmangel/ -entzug, Medikamentennebenwirkungen, etc.

Neutrales Beispiel

Sie liegt mehrere Stunden angezogen auf dem Bett, das Gesicht zur Wand gedreht.





























Sicherheit vermitteln durch Nähe, Bezugspflege, vertrauensvolle Gespräche und Gesten, Bindung und Beziehung, kontinuierliche Abläufen, etc. Hausarzt/Neurologenkonsil. Medikamente nach Anordnung verabreichen, über Wirkung aufklären, evtl. mit primärer Bezugsperson. Kurze Gespräche führen. Ängste aussprechen lassen. Stressursachen ermitteln. Nicht überfordern oder ängstigen. Über unverfängliche Dinge sprechen. Fragen, was die Stimmen sagen. Klient in akuter Situation nicht berühren. Bei entstehender Angst beim Klienten bleiben. Primäre Bezugspersonen mit einbeziehen, beraten, etc.

2 – 3 x wöchtl. Einzeltherapie durch BT, z. B. Lebensbuch schreiben. Sicherheit geben durch verlässliche Zusagen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

309

M: Frau A. äußert verbal: »Ich möchte im Zimmer bleiben«, wenn sie zu Angeboten des Hauses eingeladen wird. Körpersprache signalisiert Traurigkeit (Kopf hängen, Gesichtszüge nach unten). Keine eigenen Gesprächsinitiativen. Nach kleinen Aktivitäten, wie z. B. Essen, möchte sie sich sofort wieder hinlegen. Liegt tagsüber viel auf dem Bett. Auf Nachfragen zu ihrer Stimmung dreht sie den Kopf weg, beschwichtigt. 









T: Starker Rückzugswunsch U: evtl. Gewohnheit oder Ängste, Unsicherheiten (überspielt?) Sie zeigt Interesse an den Aktivitäten des Hauses. Sie fühlt sich mit ihrem Rückzugswunsch akzeptiert. Sie erfährt »kleine« Kontakte als angenehm, fühlt sich sicher dabei. Sie erfährt, dass Gespräche mit Pflegekräften angenehm sind (sie fasst Vertrauen). Geeignete Anregung (Antrieb) ist gefunden.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation















Bezugspflege. Bei den Versorgungen wird sie in Gesprächsthemen verwickelt, die ihr zusagen. Positive Reaktionen mit dem Thema dokumentieren. Zu Aktivitäten des Hauses einladen, Rückzug akzeptieren. Über frühere Pflichten, Wünsche, Tätigkeiten, Lebensprägung sprechen, als Möglichkeit der Anregung nutzen. Patenbewohner finden. Mit anderen Bewohnern aus ihrem Heimat- und Lebensort zusammenbringen, z. B. zu Mahlzeiten.

Maßnahmen

310 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau M. geht kurzfristig dem Beschäftigungsangebot des Hauses nach, bei ausdauernden Tätigkeiten reagiert sie mit Aufstehen und Herumgehen. Frühere Interessen waren Garten, Reisen, Kochen,

T: Beschäftigungsdefizit U: Eingeschränkter Lebensradius durch demenzielle Diagnostik

Wechselndes Verhalten: Sitzt, steht auf (zu gewohnten Zeiten) will arbeiten, schafft es nicht. Weint bitterlich, zittert, wirkt verzweifelt. Trägt immer Handtasche bei sich. Nimmt Trost an, lässt Zuwendung zu.

M: Seit ca. ¼ Jahr ist Frau H. nicht mehr Hausfrau. Sie schafft es nicht mehr, in der Hausgemeinschaft hausfrauliche Aufgaben zu erledigen, spürt eigene Defizite.











T: Massive Hilflosigkeit und verzweifelte Trauer über Verlust ehemaliger Beschäftigung U: Massive demenzielle Symptomatik und Verlust der Tagesstruktur

Sie erlebt den Tagesablauf als sinnvoll. Geeignete Tätigkeiten/Beschäftigungen sind gefunden.

Ihr Status als Hausfrau wird geachtet und »geehrt«. Sie erfährt Trost und Zuwendung, nimmt diesen weiterhin gern an. Kompensationsmöglichkeiten sind gefunden.

Ziele/Lösungen

FEDL »Beschäftigung«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.9















Während der Pflege Gespräche über frühere Themen anbieten, sofern Konzentration dies zulässt. Tagsüber Material zur Verfügung stellen (z. B. Haushaltsgegenstände, Kochutensilien), sie in die Blumenpflege einbeziehen. Mitarbeiter des Sozialen Dienstes/der Beschäftigungstherapie bieten kurzfristige Aktivitäten an. Wenn sie sich selber Beschäftigungen sucht, wie z. B. Kramen, Suchen, Sortieren), gewähren lassen.

Tätigkeiten, die sie ausführen kann, bestärken, z. B. Kartoffelschälen, Apfelmus kochen, Besteck abtrocknen und dafür loben. Kleine Aufgaben geben. Bei großem Kummer Fotoalben etc. anschauen und lieb in den Arm nehmen. Sie darüber hinaus am Tage für ihre Kompetenz bestätigen, sie um Rat fragen, ihre Nähe suchen.

Maßnahmen

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele 311

M: Wechselhaftes Schreien, 5 – 6 Std. am Tag oder 2 – 3 Std. am Nachmittag, tagesform- und Umgebungsabhängig. Schreit bei ruhiger Umgebung weniger/nicht. »Schnappt« Informationen aus der Umgebung auf, bezieht diese vermutlich negativ auf sich, schreit dann. Bei Kontakt/Nähe der PK wird Frau I. ruhig, lacht z. B., schreit beim Weggehen erneut. Schreit in ganzen Sätzen, über sich: »Ich bin die Elfriede …«, und »ahhhh.« Inhalte ihres Schreiens sind oft ihr Mann, Heiraten etc. Schreit auch, wenn andere Bewohner z. B. ihre Tasse nehmen, oder sich in ihrer Nähe aufhalten, speziell ihr gegenüber sitzen. Bei Nachfrage gibt Frau I. kaum passende Antworten. Kann selber nicht weggehen, wenn es ihr unangenehm wird.







T: Extremes Schreien U: Demenzielle Symptomatik bei Demenz, Desorientiertheit Vermutlich: evtl. früherer Missbrauch Sie hat so oft wie möglich ein ruhiges Umfeld, wenn sie es wünscht (b. B.) Unruhe in Umfeld wird rechtzeitig war genommen und sie erfährt Alternative. Sie erfährt Sicherheit, Nähe, Zuwendung und positive Bestätigung ihrer Person.

Ziele/Lösungen

FEDL »Zufriedenheit und Emotionalität«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.10







Wenn sich Unruhe im Umfeld anbahnt, ihr einen alternativen Platz anbieten, ebenso bei Schreien. Wenn möglich, mehrfach pro Std. Nähe, Kontakt über Berührung, Augenkontakt und Ansprache geben, auch etwas Liebevolles zu ihr sagen, z. B. Komplimente, ihr Harmoniebedürfnis nutzen. An Gesprächsgruppen/»10-Min. Aktivierung« zum Thema Männer, Liebe, Heirat etc. teilnehmen lassen, sodass sie sich z. B. mit dem Thema beschäftigen kann.

Maßnahmen

312 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau K. wirkt ruhig u. ausgeglichen, wenn sie sich in Ruhe gelassen fühlt; sie reagiert aufbrausend, wenn Pflegekräfte etwas gegen ihren Willen tun. Lehnt sie eine Handlung oder einen Kontakt ab, reagiert sie, indem sie mit der Hand nach der betreffenden Pflegekraft schlägt. Bei der Durchführung der Intimpflege reagiert sie min. jedes 2. Mal, indem sie nach den PK schlägt.

T: Stimmungsschwankungen U: Hirnorganisches Psychosyndrom

M: In Situationen von Bedrängnis (z. B. Fragen nicht beantworten können, etwas nicht sagen können, Hilflosigkeit) reagiert Herr B. mit »sich selber schlagen« und Selbstbeschimpfungen »Ich bin so blöd«. PK werden lediglich am Oberarm fest angefasst. Bei verbalen Hinweisen von PK wie z. B. »Schlagen Sie sich nicht«, hört er auf. Er verletzt sich selber nicht, hämmert z. B. mit den Fäusten auf den Kopf

T: Treten und Schlagen U: Unklar, vermutlich Vorerfahrungen















Sie fühlt sich in ihren Wünschen respektiert. Sie fühlt sich wohl und sicher.

Er verletzt sich weiterhin nicht. Überforderungssituationen sind vermieden z. B. einfache Fragen stellen. Es gibt Alternativen für seine Energie (Schlagen Treten). Er erfährt Anerkennung. Er hat Möglichkeiten, seine Energie auszudrücken.

























Bezugspflege durch weibliche PK. Pflege und Pflegehandlungen werden mit besprochen, sodass sie das Gefühl hat, die Pflege und den Alltag maßgeblich mitzubestimmen. PK spüren nach, welche Stimmung sie selber ausstrahlen und klären ggf. eigene Stimmungsschwankungen vor dem Kontakt. Mit echtem Vertrauen und Nähe begegnen. Kein Verhalten »aufdrücken« oder durchsetzen, eigenen Willen lassen. Bei abwehrendem Verhalten: sich als PK kurzfristig zurückziehen, eigene Abwehr klären, Pflegehandlung erneut versuchen. Ruhe und Vertrauen ausstrahlen. Niemals Verhalten nachtragen, z. B. wenn sie schlägt, eher im eigenen Verhalten nach Ursachen oder Auslösern suchen.

Überforderungen vermeiden, wenige Reize auf einmal, eine Tätigkeit zur Zeit, »Ja/Nein-Fragen« stellen, Pausen machen. Je nach Tagesform seine Lieblingsmusik anstellen. In den nächsten 4 Wochen Alternativen ausprobieren (Boxsack, dickes Kissen etc.), an denen er seine Energie abreagieren kann. Reaktionen beschreiben In Kontakt und Gespräch auf seine Kompetenz, und Liebenswertes seiner Person hinweisen. Selbstvorwürfe entkräften, z. B. » Das geht mir auch oft so, das ich das bestimmte Wort nicht finde.«

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

313

M: Frau M. äußert mehrfach tgl., dass sie ihr jetziges Leben als nutzlos empfindet, in Gesprächen nennt sie keine klaren Gründe. Sie sagt z. B.: »Ich fühle mich abgeschoben und sinnlos.«

T: Gefühl von Nutzlosigkeit U: Auswirkungen der demenziellen Symptomatik

M: Ø jeden zweiten Tag zum Mittag entblößt Herr Y. seinen Unterleib, sagt dazu: » Jetzt können die Weiber was erleben«. Wenn PK ihn anziehen wollen, kneift er diese in die Brust. Keine männlichen PK vorhanden. Reaktionen der orientierten Bewohner: Scham. Reaktion der anderen Bewohner: unterschiedlich, die einen schauen etc., die anderen zeigen Scham, Angst, etc.













T: Öffentliches Entkleiden des Geschlechtsteils U: Vermutlich Provokation, aktive Sexualität, situative Verkennung

Sie fühlt sich ernst genommen und aufgehoben. Sie sieht/empfindet Hoffnung im jetzigen Leben. Sie drückt ihre Gefühle aus.

Rahmenbedingungen (Eignung des Aufenthaltsortes) sind zu überprüfen mit dem Betreuer. Er erfährt Beachtung und Anerkennung. Möglichkeiten der sexuellen Entspannung und Aktivität sind gefunden.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

























Vertrauen durch Bezugspflege herstellen. In Gesprächen über »Sinnlosigkeit« nicht beschwichtigen, sondern mit Trost und Nähe zur Seite stehen, nachfühlen, mitfühlen. Möglichkeiten bieten, sich im Alltag positiv zu erleben › FEDL »Beschäftigung«. Halt durch Kontakt zu anderen Bewohnern geben, z. B. Zimmer-Mitbewohnerin. In der Erinnerungsarbeit angenehme Situationen und Gefühle wachrufen, diese intensiv nacherleben lassen. Vermitteln, dass man sie mag und schätzt. Evtl. Pastor o. ä. hinzuziehen.

PK stellt Kontakt zum Betreuer her, berät hinsichtlich anderer Unterbringung in der männlichen PK und Bewohner sind. Mit Betreuer über Finanzierung einer Sexualbegleiterin sprechen, ebenso Anschaffung von Sexheften und Sexfilmen. Unterschiedlich auf Verhalten reagieren: Z. B. forsche Ansprache »Den kennen wir schon«; keine Beachtung schenken, o. ä. Benennung seiner Manneskraft: »Was für ein Mann!«, etc. Ihn mit anderen, desorientierten Bewohnern an einen Tisch setzen, Er guckt sich Sexfilme und Sexhefte am Vormittag in seinem Zimmer an, wird dabei in Ruhe gelassen. Wenn sich orientierte Bewohner massiv gestört fühlen, sie sich einen anderen Platz suchen lassen.

Maßnahmen

314 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Herr W. spricht über seine sexuelle Vergangenheit, gibt an, die PK »schön zu finden«, »wird an frühere Freundin erinnert«. Bei der Intimpflege bittet er um mehr Berührungen als notwendig, fordert PK z. T. auf: »Küss mich doch mal« etc. Herr W. hat zurzeit keine Möglichkeit, seine Sexualität aktiv auszuleben. Er akzeptiert verbal und nonverbal gesetzte Distanz der PK. Seine Finanzsituation ist schwach. Seine Mutter befürwortet keine Prostituierten oder Sexualbegleiterbesuche.

T: Sexualität, unausgelebt U: Starke/massive Einschränkungen der Selbstpflege

Ambulante Pflege

M: Frau A. geht, (über viele Stunden) hinter PK her, bittet um Hilfe und möchte in deren Gegenwart bleiben. Nimmt zwischendurch teilweise Beschäftigung an. Bevorzugt Mitbewohner mit ähnlichen Bildungs- und kulturellem Hintergrund. PK erfahren die Situation zum Teil als anstrengend, da die Frau A. über viele Stunden Nähe und Aufmerksamkeit sucht. Sie erfährt vermutlich keine Bestätigung ihrer Kompetenz. Sie beschäftigt sich tgl. mit Tagebuchschreiben, wirkt dabei entspannt und zufrieden.

T: Starker Wunsch nach Zuwendung U: Unklar, vermutlich demenzielle Symptomatik























Er erfährt Anerkennung in seiner Männlichkeit. Er respektiert weiterhin der Grenzen von Pflegekräften. Er sieht Möglichkeiten seine (Lebens)situation positiv zu ändern. Er äußert Zufriedenheit über seine Sexualität. Die Mutter akzeptiert Wünsche und Bedürfnisse des Sohnes.

Sie erfährt Wertschätzung und Bestätigung ihrer Kompetenz. PK nehmen Anstrengung rechtzeitig wahr und können sich darauf einstellen. Sie erfährt Zuwendung und Nähe. Sie beschäftigt sich weiterhin kurzfristig/phasenweise. Sie schreibt weiter Tagebuch. Sie erfährt Bindung und Sicherheit.























PDL führt Beratungsgespräch (auch bei Pflegevisite) über seine Situation und diverse Möglichkeiten. Termin festlegen. Mitarbeiter, die sich in dieser Pflegesituation sehr unwohl fühlen, kommen hier nicht zum Einsatz. Männliche PK sprechen mit ihm während der Pflege über seine erlebte sexuelle Vergangenheit, bestätigen seine Männlichkeit. Weibliche PK bringen Wertschätzung und Respekt sowie gesunde individuelle Distanz zum Ausdruck. PDL spricht mit Mutter, um diese auf Möglichkeiten des Auslebens der Sexualität hinzuweisen, z. B. seine alten Filme, Hefte und den Besuch einer Sexualbegleiterin.

Testphase: Klavierspiel ermöglichen, bzw. andere Bewohner unterrichten lassen. Stärkung ihres Status. Im Status bestätigen, zu Themen ihres Studienwunsches fragen, sich selber im Status unter sie stellen. Thema Dresden anregen, z. B. Fotobücher etc. PK achten besonders auf ihre Geduld, wechseln sich mit Kollegen ab. Gehen nach den tatsächlichen Pflegemaßnahmen aus dem Zimmer – ohne schlechtes Gewissen. Mitarbeiter sind ehrlich zu einander, teilen ihre Befindlichkeiten mit, auch wenn sie einen Abstand zu dieser Bewohnerin brauchen. Sie darin bestätigen, dass sie Tagebuch schreibt.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

315

T: Hypochondrisches Verhalten 101 U: Möglicherweise Demenz. Zu Beginn der Erkrankung meist mit depressiver Verstimmung verknüpft Depressive Störungen: Hypochondrisches Verhalten häufig mit Somatisierungstendenzen wie unklare Schmerzsyndrome, Schlaflosigkeit, Schwindel, Steigerung bis zum hypochondrischen Wahn möglich;



M: Ø 2 die Woche verlässt Frau Y. das Haus und geht in Richtung ihrer alten Wohnung (wenige Straßen entfernt), sie wurde bisher immer von Tochter gebracht oder von PK gefunden. Bisher keine Stürze, geht mit Rollator. Vor dem Verlassen des Hauses signalisiert sie »ich will nach Hause« (verbal/nonverbal), starkes Unwohlsein. Teilweise hinterher entspannter, oder auch »Wieder weg wollen«. Tochter hat Betreuung. Sagt: »Wir können sie nur laufen lassen«, ist jedoch ängstlich, dass etwas passiert. Frau Y. ist tagesformabhängig bei längeren Strecken erschöpft. Verlassen des Hauses ist auf verschiedenen Wegen möglich. Wenn sie kurz draußen ist, z. B. auf Bank vor dem Hause sitzt, oder kurz in Begleitung mit MA spazieren geht, bleibt sie da.













T: »Nach Hause Wunsch« U: Situativ eingeschränkte Orientierung

Klient nimmt Phasen wahr, in denen die Aufmerksamkeit auf andere Themen als der eigene Gesundheitszustand gerichtet ist. Das hypochondrische Verhalten ist reduziert. Klient hat Kompensationsmöglichkeit entdeckt.

Sie hat das Gefühl (verbal und nonverbal überprüfbar), ihren Freiheitsdrang auszuleben. Rechtliche Sicherheit des Hauses, der MA und der Bewohnerin ist geklärt. »Raus-Geh-Wunsch« wird rechtzeitig erkannt. Beziehung Tochter – MA ist stark und offen.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation



















Beobachten und Erfassen: hypochondrisches Verhalten; verstärkende Bedingungen wie Überoder Unterforderung, Vereinsamung, Heimeinweisung herausfinden und möglichst beseitigen. Bei jeder Änderung der Beschwerden Information an Facharzt. Vertrautes, sicheres Umfeld schaffen, regelmäßige und klare Abläufe, feste Bezugspersonen.

Beratungsgespräch in den nächsten 7 Tagen mit PDL/HL und Fachpflegeperson über mögliche Folgen des »Nach-Haus- Wollens« und jetzt durchzuführende Schritte. Für Sicherheit sorgen: Zettel mit Anschrift in Tasche/Jackentasche; Foto und Personenbeschreibung an Polizei. Evtl. Kontaktaufnahme mit Kontaksicherheitsbeamten. Einsatz von Funkbenachrichtigung, bzw. Funkortung. Wenn sie das Haus verlässt, weiß man, wo sie ist. MA beobachten ihr Verhalten, immer, wenn sie im Haus oder Zimmer ist und/oder PK in der Nähe ist. Wenn sie Unruhe signalisiert – sofern personell abzudecken – kurzen Spaziergang durchführen, bis sie erschöpft ist. Danach in ihr Zimmer geleiten, in dem sie sich wohl fühlt. PDL/HL nimmt Kontakt zum Amtsgericht auf und klärt rechtliche Lage in den nächsten 5 Tagen. Sämtliche Beratungs- und andere Leistungen, sowie Verhalten der Bewohnerin, eigene Maßnahmen/Interventionen, Erfolge/Misserfolge dokumentieren.

Maßnahmen

316 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

101













Größtmögliche Freiheit bei größtmöglicher Schadensbegrenzung. Stimmung baut sich weiter so auf, dass sie rechtzeitig erkannt wird. Er beschäftigt sich eher mit Gegenständen als mit Menschen. Er akzeptiert den »menschenleeren« Flur. Er erlebt Situationen in denen er sich als »Ich« erfährt. Es werden Möglichkeiten gefunden, dass er sich »frei« fühlt, z. B. Spaziergänge.

Klient nimmt eigene persönliche Ressourcen nach Anregung wahr, erlebt sich in seiner Person positiv gestärkt.

Angelehnt an: Höft, B.: Pyschosoziale Arbeitshilfen. Psychiatrie-Verlag, Bonn, 2003

M: Stimmungsaufbau mit immer stärker und lauter werdendem Singen, Übergang zum Brüllen. Dann Zähne zeigen bis hin zum Schlagen (Spucken, Würgen, mit Stock schlagen, Wasser ins Gesicht gießen, etc.) von Menschen und Gegenständen. Verhalten ist vermutlich bewusst und unbewusst.

T: Stark herausforderndes Verhalten U: Vermutlich Hirntumor Stimmungsschwankungen

M: Ständige Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer körperlichen Erkrankung zu leiden, dabei ängstliche Selbstbeobachtung von Körperfunktionen oder Organsystemen, z. B. Ausscheidungsfunktionen, Puls, Haut. Die Krankheitsfurcht kann sich im hypochondrischen Wahn bis zur Gewissheit steigern, unheilbar krank oder entstellt zu sein. Häufig gleichzeitiges Auftreten von Somatisierungstendenzen (Klagen über körperliche Beschwerden, die keine organische Grundlage haben).

Schizophrene Psychosen: Eher selten in Form bizarrer Wahnideen; Abhängigkeitserkrankungen: gelegentlich in Verbindung mit depressiver Stimmung





















Bei ersten Anzeichen des Stimmungsaufbaus, in leeren Flur lenken, andere Bewohner vom Gang fernhalten und ihn sich ausleben lassen. Schlafen lassen, auch tagsüber. »Ich-Bestätigung« durch Nennen seines Namens, Schlüsselthemen (z. B. Vater Kapitän, Erfindung, etc.) bei allen Kontakten. Situativ angepasste Spaziergänge anbieten, auch Familienangehörige einbinden. In der Anfangsphase des Summens ein Bier anbieten. Verhalten dokumentieren.

In Einzelgesprächen einen sachlich-beruhigenden Umgang schaffen, Konfrontationen vermeiden, höflich sein. Einzelgespräche durch Bezugspersonen. In Gruppenangebote einbeziehen, biografieorientiert. Information und Beratung der Angehörigen. Medikamentengabe nach ärztlicher Anordnung.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

317

M: Frau E. sagt, dass sie in ihrer Ehe betrogen wurde, dass ihre Kindheit schön war. Derzeit ist sie glücklich darüber, dass ihre Kinder sie besuchen. Sie sucht bewusst bei PK Anerkennung für ihre Tätigkeiten. Bei fehlender Anerkennung reagiert sie mit immer lauter werdendem Gesang, Klopfen auf den Tisch, Kippeln mit dem Stuhl, »Totstellen«. Bei scheinbarer Bevorzugung anderer Bewohner drückt sie verbal Unzufriedenheit aus. 





Sie erfährt bewusst/gezielt Anerkennung von PK im Sinne der »Ich-Wichtigkeit«. Sie erfährt Trost, wenn sie unglücklich ist. Familie ist über die Situation und Anerkennungswunsch ihrer Mutter informiert. (Familienmitglieder sind motiviert, ihre Mutter mindestens alle 2 Monate zu besuchen).

PK geben für alle ihre Tätigkeiten Anerkennung: z. B. »Das haben Sie schön gemacht!«, oder Komplimente: »Sie sehen heute hübsch aus!« Humor: z. B. kleiner Wortwitz im Gespräch, etc.  Wenn sie traurig ist: zuhören, bei ihr verweilen können, trösten, körperliche Berührung wie Hand halten, in den Arm nehmen, etc.  Möglichkeiten geben, damit sie anderen Bewohnern helfen kann, entsprechende Aufgaben zuweisen.  Beratungsgespräch der Kinder durch Pflegedienstleiter (Erklärung Pflegekonzept von Erwin Böhm und dessen Möglichkeiten) über Situation der Mutter.  Kinder evtl. zu häufigeren Besuchen, Telefonaten, Postkarten motivieren. Gesprächsverlauf dokumentieren, Ergebnis sichern.





T: Wunsch nach Zuwendung U: Bedingt durch Enttäuschung; es gab Selbsttötungsversuche, deshalb pflegebedürftig

Beschäftigungen anbieten, in denen er sich als »Mann« bestätigt fühlt und ausleben kann. Auch an Gartenarbeit beteiligen.

Maßnahmen 

Ziele/Lösungen

Unterschiedlich auslösende Situationen. Herr P. geht zu jeder Tür und versucht sie zu öffnen und reagiert erstaunt auf offene Türen. Bei mehr als 2 bis 3 geschlossenen Türen steigert er sein Verhalten (Treten, an Griff rütteln). Er sucht bei Angriffen immer eine schwächere Personen aus und »visiert« diese vorher an. Vermutlich unterschiedliche biografisch bedingte Ursachen. Er zeigt außerhalb des Hauses ein ausgeglichenes und friedliches Verhalten. Zeigt Ø 2 bis 3 tgl. meist ab mittags Reue, wenn er einen anderen Menschen verletzt hat.

Pflegerische Ist-Situation

318 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz



M: Frau U. ist sehr selbstbestimmt, lässt sich von anderen nichts sagen, beschwert sich Ø 8 x tgl. über andere Bewohner und PK. Sie lässt niemanden in ihr Zimmer, hält es unter Verschluss. Weist anderen Sitzplätze etc. zu. Sie passt sich an Vorgaben der Betreuerin an, sonst nimmt sie kaum Hinweise zur Selbstpflege an. Ihren Unwillen äußert sie über sehr lautes Schreien, Rufen, kommt anderen Menschen dann sehr nahe. Vermutlich reagiert sie mit »Trotz« oder »Schmollen« auf »Nicht einsehen können« ihres Verhaltens. Sie führt bei allen Unterstützungen zur Pflege »Regie«: Sie teilt PK ein, in jene, die sie mag und jene, die sie nicht mag. An manchen Tagen sucht sie Nähe, möchte in den Arm genommen werden. Sie »hamstert« Nahrungsmittel und spart für schlechte Zeiten. Frau U. wendet sich gern an Schwester P., signalisiert ihr gegenüber Vertrauen. 





T: Hohes Misstrauen U: Unklar, demenzielle Symptomatik Sie erfährt Zuwendung, auch wenn sie PK vorher mit ihrem Verhalten verletzt hat. Sie erfährt eine sehr ähnliche Behandlung von allen PK (das heißt, Absprachen werden eingehalten). Sie hat weiterhin das Gefühl, die »Regie« über ihre Selbstpflege zu haben. Sie ist motiviert, Hinweise und Vorschläge von Pflegekräften anzunehmen.



















Pflege mit einer Fachpflegebezugsperson Bestimmte PK steht für Gespräche und Verantwortlichkeiten zur Verfügung. Alle PK orientieren sich an der jetzt festgelegten Pflegeplanung, speziell im Bereich der Körperpflege. PK loben Bewohner, geben Anerkennung, sagen Dank für Ihre »Mithilfe«, geben darüber Wertschätzung zum Ausdruck. Wenn sie laut wird, bleiben PK ruhig, lassen dieses über sich ergehen. Bei starker Lautstärke wird sie gebeten, wieder ins Zimmer zu gehen, damit andere sich nicht gestört fühlen. Wenn Hinweise auf bestimmte Selbstpflegetätigkeiten gegeben werden, dann in ruhigem Ton mit nachvollziehbaren Argumenten. Ihre Haltung »Ich weiß das besser« akzeptieren. In vertrauensvollen Gesprächen schrittweise mehr über ihre Biografie erfahren, evtl. »Nichterzählen« akzeptieren. Mit Misstrauen validierend umgehen: »Gut, wenn man aufpasst – man weiß ja nie!«, »Sie passen lieber auf?« »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« »Sie haben die Hosen an«, etc.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

319

M: Herr T. besteht auf einem von ihm explizit festgelegten Tagesrhythmus, Pünktlichkeit ist sehr wichtig, speziell morgens. War kaufmännischer Angestellter, spricht viel von seiner Kopfverletzung (Krieg). Ist sehr unzufrieden mit Arzt, Apotheke, Therapie und Medikamenten. Wenn eine Sache nicht so ist, wie er möchte, dann »ist der ganze Tag gelaufen«. Er sucht das Vertrauen eher bei männlichen PK: Die Gesamtsituation macht ihn unzufrieden, er teilt sich darüber mit, macht klare Ansagen. Dabei sind Wahrheit und Unwahrheit oft verdreht. Er sagt immer: »Ich kann nicht mehr«.

T: Hohe Unzufriedenheit U: Evtl. biografisch bedingt, Ängste, Sorgen, Unmut

M: Herr P. schreit, ruft und schimpft, ist sehr obszön, macht sexuelle Anspielungen während der ganzen Körperpflege. Er wird gern im Intimbereich gewaschen (reagiert mit geöffneten Beinen). Gibt der PK gern einen Handkuss.











T: Ausleben der Sexualität, vermutlich eingeschränkt U: Situative Verkennung, teilweise Desorientiertheit, Bewegungseinschränkungen, Ortsfixierung

Seinem Wunsch nach Pünktlichkeit wird entsprochen. Er drückt weiterhin seine Meinung und seine Unzufriedenheit aus, teilt sich mit und fühlt sich damit ernst genommen. Er signalisiert weiterhin Vertrauen zu männlichen PK.

Seine Wünsche nach gelebter Sexualität sind bekannt. Er hat Möglichkeiten, im Rahmen seiner Möglichkeiten sexuell aktiv zu sein.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation















Männliche Bezugspflegekräfte. Einhaltung seiner Zeitwünsche und persönlichen Rahmenbedingungen (z. B. Schuhe anziehen mit Schuhlöffel, obwohl er das noch könnte). Bei jedem Kontakt zuhören, Zustimmung signalisieren, sodass er sich ernst genommen fühlt. Seine Sorgen verbal aufgreifen, validieren, etc.

Männliche PK wird als Vertrauensperson zur Verfügung gestellt und stellt einen Kontakt her, indem über »Männerdinge« gesprochen wird. Diese männliche PK bietet ihm verschiedene Möglichkeiten zur sexuellen Aktivität an (Sexhefte, Sexfilme, Besuch Sexualbegleiterin, etc.) Entsprechendes wird veranlasst. Bewusst Rückzugsmöglichkeiten geben. PK bedanken sich für Handkuss. PK gehen mit Erektion bei der Intimpflege validierend um: »Ihnen fehlt Ihre Frau?« »Sie sind ja ein ganz prächtiger Mann« »Sie sind ein leidenschaftlicher Mann.« »Sie haben Lust?«, etc.

Maßnahmen

320 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

102













Depressionen sind rückläufig. Ursachen der Depressionen sind erkannt. Klient ist mit Medikamenten gut eingestellt. Klient unterscheidet in verschieden Stimmungsqualitäten. Klient ist aktiv/nimmt an Aktivitäten teil, führt seine Aufgaben durch. Klient hat ein ausgewogenes Selbstwertgefühl.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

Ressourcen:  Klient hat Strategien zur Bewältigung  Klient spricht über seine Situation  Klient holt bei Bedarf Hilfe/Unterstützung  Primäre Bezugspersonen stehen zur Verfügung  Klient interessiert sich für …

M: Misstrauen, Verdächtigungen, pessimistische Zukunftssicht, Verarmungsgefühl, Schuldgefühl, Todeswunsch, Suizidalität, Suizidversuch in der Vorgeschichte, Gefühle (leere und Sinnlosigkeit, Wert- und Nutzlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Abhängigkeit von anderen Personen), Interessenlosigkeit, Gleichgültigkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Angst, Wahn, Halluzinationen, Schlafstörungen, Grübelzwang, Denkhemmung, verlangsamte Sprache, verlangsamte Bewegungen, Antriebslosigkeit, schnelle Ermüdbarkeit, Leistungsrückgang, Libidooder Potenzstörungen, Essstörungen, Obstipation, Schwitzen, leidender Gesichtsausdruck, Druck- und Engegefühl in Brust- und Halsbereich, Gesichtsschmerzen, schwere Glieder, sonstiges

T: Depression 102 U: Sind Depressionen diagnostiziert? Wenn ja, wie lange schon? Welche Medikamente nimmt der Klient ein? Stress, belastende Lebensumstände, ungelöste psychische Konflikte, somatische Erkrankung, etc.?

Neutrales Beispiel























Bezugspflege, Kontinuität in der Pflegebeziehung. Geborgenheit vermitteln: Gesten, Stimme, Nähe, gemeinsames Tun, usw. Verständnis zeigen. Klient in den aktiven Alltag einbeziehen. Ansichten und Meinungen des Klienten nicht bewerten. Fähigkeiten, Persönlichkeit und Einzigartigkeit des Klienten hervorheben. Dem Klienten Möglichkeiten geben, diese täglich zu erfahren. Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme beobachten, ggf. unterstützen. Primäre Bezugspersonen beraten und einbeziehen. Medikamente nach Anordnung geben. Evtl. angeordnete Therapien durchführen. Andere Therapien (Psychotherapie, Ergotherapie, etc.) anregen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

321

M: Auf Handlungen, die Herrn S. nicht gefallen (Wecken zur falschen Zeit, Auskleiden bei starker Verkotung, etc.), reagiert er mit körperlicher Abwehr, schlägt z. B.: mit dem Arm nach der PK. Manchmal nach 10-30 Minuten oder Personalwechsel eine positive Veränderung/ Nachlassen der Abwehrhaltung.

T: Stimmungsschwankungen, bis hin zu Aggression (Herausforderndes Verhalten) U: Beginnende demenzielle Symptomatik

M: Herr G. bringt in Zeiten hoher Anspannung verbal sexuelle Wünsche gegenüber den Pflegekräften zum Ausdruck. Primär bei der Intimpflege, gerade dann, wenn die Tochter nicht zugegen ist. Er lehnt die Pflege durch männliche Pflegekräfte ab. Herr G. ist durch ein Leben in einer Pfarrersfamilie geprägt.

T: Verbaler Ausdruck von sexuellen Wünschen U: ausgedrücktes Bedürfnis, eingeschränkt ausgelebte Sexualität

Ambulante Pflege

Pflegerische Ist-Situation









Situation von Abwehr werden rechtzeitig erkannt. Er fühlt sich in seinen Wünschen respektiert.

Er ist in der Lage, seine Sexualität auszuleben, ohne Pflegekräfte zu verletzten/zu verunsichern. Sexuelle Wünsche können kompensiert werden.

Ziele/Lösungen













Bei Ansprache auf nonverbale/verbale Signale achten. Bei Anbahnung von Spannung verändert Pflegekraft die Handlungen, lässt ihn in Ruhe, evtl. zweiter Versuch.

Pflegekräfte beobachten den Zusammenhang von Umgebung, Situation und Auftreten des Verhaltens. Tritt die verbale Äußerung auf, so wird die Pflegehandlung kurz unterbrochen und ihm mitgeteilt, dass sein Verhalten unerwünscht ist. Möglichkeiten zum Ausleben seiner sexuellen Wünsche werden mit ihm besprochen, z. B. das Ansehen von Filmen oder Heften. Er wird auf keinen Fall für sein Verhalten verurteilt. Pflegehandlungen wie z. B. Intimpflege werden zu einem späteren Zeitpunkt, oder mit klaren, zügigen Bewegungen durchgeführt oder er wird angeregt, sich im Intimbereich selber zu waschen.

Maßnahmen

322 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Ca. 5 – 6 Stunden steht Frau Z. aufgeregt auf dem Wohnbereich und auf der Treppe, geht schnell hinaus. Auf Nachfrage äußert sie, dass sie hinaus will: »Ich habe etwas Zuhause zu erledigen!« Beim »Zurückholen« wirkt sie niedergeschlagen, traurig; versucht es bald darauf erneut. Tochter ist Betreuerin, hat bisher noch keine klare Aussage gemacht, wie bei einem Verlassen des Hauses vorgegangen werden soll.

T: Nach Hause-Wunsch U: Demenzielle Symptomatik, teilweise situative Desorientiertheit

M: Frau O. ist zur Situation und Ort nicht orientiert, sie möchte nach Hause, verlässt oft das Haus (3 – 4 x tgl.) Teilweise verwendet sie dafür ein Fahrrad, bei schönem Wetter möchte sie fast immer nach Hause. Bisher halfen längere Gespräche oder auch Ablenkung. Frau O. findet sich außerhalb des Wohnbereiches nicht zurecht. Bestimmte persönliche Gegenstände (Kleider, Fotos) werden erkannt.

T: Nach Hause-Wunsch, stark U: Eingeschränkte Orientierung







Tochter gibt schriftlich klare Aussage. Sie akzeptiert stundenweise Therapieangebot des Hauses. Sie erfährt Wertschätzung und Akzeptanz.

Fernziel: Sie nimmt ihr Zimmer als Zuhause an.









Bewegungsdrang wird gefahrlos ausgelebt. Auslösende Faktoren sind bekannt. Möglichkeiten zum »Hierbleiben« sind gefunden. PK nehmen Signale des »Nach-Hausewollens« rechtzeitig wahr.

























WBL und PDL sprechen mit der Tochter und bitten um schriftliche Anordnung, wie mit dem Verlassen des Hauses umgegangen werden darf (Z. B.: Darf sie das Haus auf eigenen Wunsch verlassen oder sollen die PK sie bei akuter Gefahr einer Selbstgefährdung auf jeden Fall zurückholen?) Sturzrisiko einschätzen, entsprechenden Maßnahmen einleiten (siehe FEDL »Bewegung«) Am Sportprogramm teilnehmen lassen. 5 x wöchtl. Teilnahme an BT. Beim Weggehen liebevoll ansprechen, ruhig zuhören und ihre Aufgabe, ihren Antrieb bestätigen; z. B.: »Gut, dass Sie sich kümmern« o. ä. Über die zu erledigenden Aufgaben sprechen. Validation.

Tagesform und Verhalten beobachten, Besonderheiten dokumentieren, speziell auf das Verhalten »Nachhause wollen« > mögliche Ursachen. Wenn erkannt wird, dass sie nach Hause möchte, ein kleines Stück begleiten, fragen: »Was gibt es Zuhause zu tun?«, evtl. sensiblen Körperkontakt anbieten. Zimmer mit persönlichen Gegenständen einrichten, in Krisensituationen mit ihr anschauen/anfassen. Darüber sprechen. Möglichkeiten zur aktiven Bewegung auf dem Wohnbereich finden. Rechtssicherheit vom Betreuer holen.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

323

M: Frau H. äußert Gefühle wie Unbehagen, Lustlosigkeit, zeigt kein/selten Interesse an Aktivitäten um sie herum, reagiert mit Sorge auf ihre Familie und Situation, wirkt verzagt, hilfslos, mutlos. Dies ist so an Ø 4 Tagen die Woche mehr als 3 Stunden insgesamt, sie nimmt Trost und Zuwendung an.

T: Depressive Stimmung U: Affektlabilität bei Demenz

Fast immer ermüdet sie nach 10 Minuten und geht mit der PK zurück. Minutenweise hilft die Erklärung, dass der Vater versorgt wird. Langsames, sicheres Gangbild, sie bleibt auf dem Gelände.



M: Zwischen 10 und 100 x tgl. geht Frau W. mit erklärenden Worten durch den Flur/verlässt den Wohnbereich. Sie möchte nach Hause, ihren Vater pflegen und lässt sich kaum davon abbringen.













T: Wunsch nach Hause zu gehen U: Eingeschränkte Orientierung

Sie erlebt Phasen von positiver Stimmung. Sie erfährt Stärkung ihrer Person und Kompetenz. Sie nimmt weiterhin Trost und Zuwendung an.

Verlassen des Hauses wird sofort erkannt > Chip im Schuh Sie erfährt Bestätigung/ Achtung für ihre Sorge um den Vater. Sie weiß, dass sie alles richtig gemacht hat. Sie ist sicher.

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

















In Gesprächen positive Erinnerungsinhalte und positive soziale Erfahrungen wachrufen,. Entsprechende Handlungen anbieten (Haushalt, Sorge für andere, z. B. vorlesen, Hand halten, etc.) Ihr Aussehen (Kleidung, Augen, Frisur, Schmuck) mehrfach täglich lobend erwähnen. Den Alltag klar und strukturiert gestalten, ihr Zeit geben, sich im Alltag zurechtzufinden (keinen Zeitdruck aufbauen). In Gruppenaktivitäten auf dem Wohnbereich einbinden (10-Minuten-Aktivierung, Erinnerungsgruppe, Kegeln und Ausflüge, etc.) Einzelgespräche bewusst gestalten, durch Begleitenden Dienst 1 x wöchtl. 30 Minuten, durch Bezugspflegekraft 2 x die Woche ca. 15 Minuten. In Gesprächen auf möglichen Todeswunsch achten.

Wenn das »Nach-Hause-Wollen« erkannt wird, validierend begleiten; z. B.: Gespräch über Vater führen > kinästhetischen Sinn ansprechen. Wenn wenig Zeit/Personal ist, darauf verweisen, dass der Vater schon versorgt worden ist, dies erleichtert häufig (Sorge um Vater war zum Teil eine unangenehme Pflicht). Achtung: Notlösung! Sie bekommt einen elektrischen Chip in den Schuh, sodass ein Verlassen des Hauses sofort erkannt wird.

Maßnahmen

324 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau J. weint sehr oft (3 – 4 x tgl.), besonders stark, wenn die Töchter zu Besuch waren. Sie weint, wenn andere Bewohner sie auf ihre Töchter ansprechen. Klassische Tröstungs- und Beruhigungsversuche sind wenig erfolgreich.

T: Unglücklichsein, zeitweise U: evtl. Affektlabilität, Traurigkeit, fehlender Mut, Gefühle auszudrücken 





Sie empfindet Trost. Sie fühlt sich respektiert und ernst genommen. Sie sieht Veränderungsmöglichkeiten für die Situation.















Bei Traurigkeit emphatisch reagieren, Gefühle ernst nehmen und bestätigen, z. B.: »Ja, es ist schwer, wenn einem die Tochter fehlt.« »Sie sehen traurig aus, kommen Sie, wir setzen uns einen Moment zusammen hin« »Was ist passiert?« »Sind Sie traurig wegen Ihrer Tochter? Vermissen Sie sie?« Danach kurz Kontakt halten, berühren. Bilder von den Töchtern betrachten. Vielleicht gibt es Dinge (Pullover, Tuch, Parfüm etc.), die an die Tochter erinnern und Trost und Nähe spenden, dann diese zur Verfügung stellen. Nicht wegreden, oder oberflächlich trösten, denn die Traurigkeit muss aus ihr heraus. Bei Traurigkeit in gemeinsame Aktion, evtl. auch mit anderen Bewohnern umlenken.

Ihr gegenüber insgesamt und für jede Dienstschicht die Ansprechpartner nennen. Evtl. kleines Schaubild mit Fotos der entsprechenden Mitarbeiter in ihr Zimemr hängen. Beratung der Angehörigen, diese z. B. bitten, ebenfalls an Gemeinschaftsaktivitätend es Hauses teilzunehmen. In Absprache mit Fachärztin Medikamnentengabe.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele 325

Wenn sie tagsüber in ihrem Zimmer ist, bleibt sie dort 3 – 4 Min., geht dann raus, ruft »Schwester« (über Stunden).

M: Frau J. vermutet, dass sie hier im Altenheim nicht zuhause ist. Sie geht über viele Stunden auf dem Wohnbereich herum, von Zimmer zu Zimmer, findet ihres nicht. Dadurch fühlen sich andere, speziell orientierte, Bewohner gestört.

T: Herumgehen auf dem Wohnbereich U: Demenzielle Symptomatik

M: Frau W. interessiert sich nicht mehr für persönliche Dinge, wie z. B. Post. Sie übernimmt keine Verantwortung für Ihr Geld etc., der Sohn erledigt diese Angelegenheiten. Er darf alles entscheiden, die PK sollen ihn in allen Dingen fragen. Frau W. hat keinen Überblick über ihre Medikamente, lässt sich diese geben. Sie holt Hilfe über »Rufen«, klingelt nicht.









Sie bleibt mehr als 10–15 min. im Zimmer, beschäftigt sich dort zufriedenstellen, empfindet dieses Zimmer als ihr Zuhause. Der geeignete WB ist gefunden, auf dem sie sich frei bewegen kann.

Sie nimmt weiterhin die Medikamente. Sie erhält das richtige Medikament zur richtigen Zeit. Sohn übernimmt weiterhin die Aufgabe, für Ihre Angelegenheiten zu sorgen. Sie fühlt sich sicher und versorgt, äußert dieses auf Nachfragen.



T: Eingeschränkte persönliche Sorge U: Eingeschränkte Orientierung 

Ziele/Lösungen

FEDL »Sicherheit«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.11















Beratungsgespräch mit der Tochter, über die Möglichkeiten, sie kurzzeitig im Zimmer zu beschäftigen. Ausprobieren. Ebenso mit der Tochter darüber sprechen, dass die Mutter sich auf einem geschützten Wohnbereich wohler fühlen würde, da sie dort mehr Akzeptanz für ihr Verhalten erleben würde. Über den Tag verteilt, mehrfach pro Stunde ins Zimmer geleiten, dort etwas für sie »zu tun« herrichten, bzw. diverse Tätigkeiten anbieten, Reaktion beschreiben. Tagsüber in Bereiche des Wohnbereiches bringen, wo andere Bewohner sind, bzw. auf den »Marktplatz« vor dem Dienstzimmer, wo sie Ansprechpartner hat. An allen geeigneten Beschäftigungsangeboten teilnehmen lassen.

Medikamentengabe nach ärztlicher Anordnung, Arztinfo bei Besonderheiten. Ca. 1 x mtl. Anruf bei Sohn, um Anliegen der Bewohnerin zu klären. Mehrfach tgl. und nachts Kontrolle (nachts 3 bis 4 x) in ihrem Zimmer.

Maßnahmen

326 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

M: Frau B. verlässt auf der Suche nach Nahrungsmitteln und dem Ausleben alter Gewohnheiten für Stunden das Haus, die Tochter ist nicht immer zuhause. Frau B. nimmt mehrfach wöchentlich verdorbene Nahrungsmittel aus öffentlichen Abfalleimern oder Mülltonnen. Sie findet den Weg nach Hause nicht mehr.



T: Selbstgefährdung U: Sammeln verdorbener Nahrungsmittel und Verlassen der häuslichen Umgebung. 









M: Frau J. ist in ihrer Sicherheit stark eingeschränkt, sie erkennt die richtige Dosierung ihrer Medikation nicht, erledigt keine Behörden- und Geldgeschäfte mehr. Sie schätzt Situationen nicht mehr ein. Es liegt keine aktive Selbst- und Fremdgefährdung vor. Sie nimmt gern Hilfe und Unterstützung an.

T: Unsichere Lebensführung U: Starke Desorientiertheit

Sie erleidet keinen Schaden und lebt in sicherer Umgebung. Sie fühlt sich ernst genommen. Tochter findet eine Lösung, mit der sie sich wohlfühlt.

Sie erfährt eine sichere Lebensführung. Betreuungsangelegenheiten sind in ihrem Sinne geregelt. Sie erhält verbale und nonverbale Informationen über alle sie betreffenden Dinge, sofern sie davon nicht überfordert ist.























Klärungsgespräche mit Tochter über andere Wohnformen (siehe FEDL »Soziale Bereiche und Beziehungen«). Kennzeichnung aller Kleidungsstücke mit Namen und Anschrift/Telefonnummer. Tochter bitten, das nähere Umfeld öfter durch Spaziergänge zu erkunden, auf prägnante visuelle Dinge hinweisen. Eselsbrücken bauen lassen. Genügend haltbare Nahrungsmittel vom Tageshaus mitgeben, sodass sie keine »suchen muss«.

Wohnbereichsleitung/Bezugspflegekraft halten guten Kontakt zu Töchtern, die die Betreuungsaufgaben übernommen haben. PK verabreichen Medikamente, halten offenen Kontakt zu Ärzten und Fachärzten. PK informieren verbal und nonverbal über wichtige Dinge (z. B. Speiseplan, private Post, Veranstaltungseinladungen etc.). Vor allen Handlungen informieren. Alte Handtasche zur Verfügung stellen, evtl. auch Börse mit »altem« Geld. Ausführung ärztlicher Anordnungen.

Mehrfach täglich, auch im Vorbeigehen validieren. Ihr Gefühl, »hier nicht zuhause zu sein«, benennen, liebevoll einen Moment begleiten, z. B.: »Da kommt man sich ganz verloren vor.« »Ein Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach«, etc.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele 327

M: Frau J. pflegt derzeit aktiv keine sozialen Beziehungen außerhalb des Hauses. Sie wendet sich an Pflegekräfte und z. T. auch an andere Bewohner. Wohl fühlt sie sich in Gegenwart der Töchter.

T: Pflege von sozialen Beziehungen, stark eingeschränkt U: Demenz und eingeschränkte Kommunikation

M: Frau M. fragt mehrfach tgl. nach ihren Kindern und warum sie hier wäre, wieso ihre Kinder sie hierher gebracht haben usw. Sie macht dabei einen verzweifelten Eindruck. Die Kinder kommen einmal die Woche zu Besuch.











T: Sehnsucht nach Kindern U: Bedürfnis, in der Nähe der Kinder zu sein, Unsicherheit

Sie empfindet sich als soziales Wesen/ sie fühlt sich sozial integriert. Sie erfährt Unterstützung beim Pflegen ihrer sozialen Kontakte.

Sie erfährt Achtung gegenüber ihren Gedanken. Sie wird ihren Gefühlsdruck los. Sie spricht ihre Sorgen weiter aus.

Ziele/Lösungen

FEDL »Soziale Bereiche und Beziehungen«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.12



























Wohnbereichsleitung/Bezugspflegekraft pflegt Kontakt zu Töchtern (persönlich, telefonisch). Sie bitten die Töchter mehrmals wöchentlich um einen Anruf bei der Mutter, gibt Beratung, wie ein Telefongespräch trotz eingeschränkter Kommunikation geführt werden kann. In alle geeigneten Gruppenangebote und Veranstaltungen integrieren und begleiten. Stammplatz beim Essen/im Wohnbereich anbieten, neben Bewohnern, die ihr sympathisch sind. Bezugspflege. Töchter werden animiert, abwechselnd zu kommen. Evtl. Patenschaft (anderer Bewohner) im Hause anregen. Fotos von Familienangehörigen im Zimmer präsent aufhängen. Gespräche über Familie etc. führen. Ggf. Einzelbetreuung durch sozialen Dienst anregen.

PK reagieren mit Gefühl und Verständnis auf die Äußerungen. Das Thema Kinder wird vielfältig aufgegriffen: »Was ist mit den Kindern?« »Wie war es damals, als die Kinder klein waren?« »Was war das schönste Erlebnis mit den Kindern?« »Was haben Sie als besonders schön in Erinnerung?« »Wie war es, als die Kinder groß waren?« PK schauen gemeinsam mit ihr Fotos an, singen Lieder und geben menschliche Wärme. Akzeptieren und Trauer begleiten (Verlustgefühl ist nicht lösbar für die PK).

Maßnahmen

328 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz









Tochter findet eine Lösung, mit der sie sich wohlfühlt. Tochter fühlt sich mit ihren Sorgen ernst genommen. Tochter nutzt das Beratungsangebot des Tageshauses. Angehörige fühlen sich entlastet.



M: Herr L. sammelt und hortet Lebensmittel, Zeitungen, wäscht seine Kleidung fast nie. Er geht ungern auf andere Menschen zu, zeigt nonverbal hohe Konzentrationsschwäche. Pflege ist erschwert, da er wenig eigene Leistung wie z. B. Verbandmaterial besorgt. 



T: Spezielle Lebensform U: Unklar, vermutlich demenzielle Symptomatik

Ambulante Pflege Fernziel: Er nimmt Beratung zur Hygiene an und setzt vorgeschlagene Maßnahmen nach 1 – 2 Tagen um. Nahziel: Er ist über verschiedene Wahlmöglichkeiten in seiner Situation informiert und fühlt sich handlungsfähig. Er bestimmt weiter sein Leben und seine Situation.

Ziele/Lösungen

FEDL »Existenzielle Erfahrungen des Lebens«

Pflegerische Ist-Situation

7.3.13

M: Pflegende Angehörige sind überlastet mit der Gefahr der unzureichenden Hilfestellung für Frau B. Durch häufiges stundenlanges Verschwinden von Frau B. fühlt sich die betreuende Tochter stark verunsichert. Angehörige können Frau B. derzeit nicht mehr ohne Betreuung in Ruhe zu Hause lassen, sie fühlen sich dadurch zunehmend belastet.

T: Angehörige, überfordert U: Ängste, berechtigte Sorgen und Überforderung durch eingeschränkte Orientierung der Klientin Verantwortliche PK hält verlässlichen Kontakt zu Angehörigen. Einladung zu den Angehörigenveranstaltungen. Pflegekräfte/Sozialarbeiterin führt im Beratungsgespräch weitere Hilfs- und Finanzierungsmöglichkeiten an. Mitarbeiter stehen auch bei kurzen Kontakten – wenn möglich – für Gespräche zur Verfügung.







Bezugs-PK führen Gespräche, speziell zur Hygiene und Maßnahmen der Selbstpflege. Dabei werden ihm mögliche Vor- und Nachteile aufgeführt sowie seine Möglichkeiten. PK geben gezielt konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Diese sollten einfach umzusetzen sein. Teilweise Bestätigung seiner Werte wie Sparsamkeit. »Was man hat, das hat man.« »Viele Körnlein machen einen Haufen«, etc.

Maßnahmen









Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

329

M: Nervosität, Anspannung (eingeschränkte Fähigkeit, sich zu entspannen), erhöhter Muskeltonus, Tremor, angespannte Gesichtsmuskulatur, Erstarrung, Mimik, Verstummen, Sprachlosigkeit, unkontrollierte Bewegungen mit Händen, Füßen, Armen, Auf- und Abgehen, planlose Aktivitäten, Redefluß, Fragen stellen, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, gestörte – eingeschränkte Wahr-

T: Angst U: Körperliche Krankheiten, Schmerzen, Bedrohung der eigenen Person oder des Selbstbildes, Bedrohung der Lebenssituation, der Angehörigen, Sorgen, Konflikte, Probleme, Angstübertragung durch andere z. B. primäre Bezugspersonen, Phobien, etc.

Neutrales Beispiel













Klient kennt Angstursachen. PK kennt Angstursachen. Klient lernt und beherrscht Bewältigungsstrategien. Klient teilt sich im Gespräch mit, spricht über seine Angst.























Vitale Funktionen sichern. Ruhe vermitteln, ausstrahlen. Wertschätzende Gesprächsführung, Gesprächbereitschaft mehrfach nahebringen, signalisieren. Nähe vermitteln durch häufigen Kontakt. Angst einstufen als leicht, mäßig, schwer, Panik. Evtl. auf einer Skala von 1 bis 10 einstufen lassen (wenn Klient orientiert ist). Feste Bezugspersonen anbieten. Mögliche Angstursachen beseitigen. Sicherheit vermitteln durch: Nähe, Wärme, Licht, Kontakt, Gesellschaft, Toleranz, Halten, Beziehung, etc. Weitere Belastungen vermeiden. Klient mit angenehmen Dingen entaspannen, ablenken.

Tgl. Einsatzsituation wird genau wahrgenommen und dokumentiert, bei konkreten Anzeichen von Gefährdung wird PDL informiert. PK versuchen die Situation ertragen, auch Wertschätzung zu zeigen.





Er lehnt Besuche ab, ist skeptisch bei neuen Mitarbeitern des Pflegedienstes. Vorgeschlagene Aktivitäten zur Selbstpflege werden sehr verzögert durchgeführt, deshalb ist Beratung selten möglich. Das Haus ist mit alten Zeitungen bis auf 30 cm breite Wege vollgestellt. Herr W. hat bisher keine konkreten Maßnahmen zur Veränderung durchgeführt. Er bezahlt die Pflege privat. Er lässt niemanden, außer die Mitarbeiter des Pflegedienstes, ins Haus. Das selbstbestimmte Leben in seinem Haus hat einen sehr hohen Stellenwert für ihn. Wirkliche Gefährdungen seiner Situation werden rechtzeitig erkannt, dann nimmt er Hilfe an. Er vertraut weiterhin den MA. Er erfährt Akzeptanz.

Maßnahmen

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation

330 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

103













Ursachen für Schmerzen sind bekannt. Klient differenziert Schmerzqualitäten. Klient nutzt Schmerzskala/Schmerztagebuch Klient bittet um Unterstützung, nimmt diese an. Klient versteht Schmerzen und Schmerzursache, nutzt Erläuterungen dazu. Klient kennt schmerzauslösende Faktoren und meidet sie.

Orientiert sich an: Jordan, A. L.: Checklisten Pflegeplanung. Elsevier, München, 2006

M: Schmerzäußerungen:  Klient äußert Schmerzen von sich aus  Gibt Schmerzen erst auf Nachfragen an  Zeigt Schmerzen nonverbal an: (Erhöhter Muskeltonus, Zittern, Grimassen, Schonhaltung, Schweiß, angespannter Gesichtsausdruck etc.)

T: Schmerzen103 U: Ort, Zeit, Erkrankungen benennen

Neutrales Beispiel

Mögliche Ressourcen:  Spricht über Ängste/Angst  Tauscht sich mit Bezugspersonen aus  Holt sich Hilfe/Unterstützung  Hat Bewältigungstrategien

nehmung, fixierte Wahrnehmung, Schlafstörungen, Essstörungen, erhöhte Pulsfrequenz, erhöhter RR, erhöhte Atemfrequenz, Hyperventilation, Atemnot, Herzrhytmusstörungen, Schweißausbrüche, erweiterte Pupillen, Blässe, Schwindel, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Harndrang, Würgegefühl, Gefühl der Hilfslosigkeit, Machtlosigkeit, Wehrlosigkeit, Unzulänglichkeit, gesteigerte wachsamkeit, bebende Stimme, aggressives/ autoaggressives Verhalten, Suizidgefahr





























Klient Schmerzen mit Schmerzskala einschätzen lassen, wenn möglich. Klient auf nonverbale Hinweise zu Schmerzen beobachten. Bei alltäglichen Verrichtungen unterstützen, alle Pflegemaßnahmen in Ruhe durchführen. Hausarzt oder Facharztkonsil. Sicherheit vermitteln, Vertrauen schaffen, Verständnis zeigen, Ängste und Schmerzäußerungen ernst nehmen.

Gemeinsamkeit ehrstellen, Augenkontakt, Singen, in den Alltag mitnehmen, Aufgaben geben. Klient vor allen Pflegehandlungen informieren. im Blickfeld bleiben. Für Entspannung sorgen. Wichtige Bezugspersonen ermitteln und benachrichtigen. Bei Bedarf Schmerzlinderung. Für eine angenehme Atmosphäre sorgen. Im Gespräch an jetzige und frühere Bewältigungsstrategien erinnern. Erinnern an »gute Zeiten«.

Einzelne Pflegeplanungsbeispiele

䉴䉴

331

















 



Klient kennt schmerzlindernde Maßnahmen und wendet sie an/unter Anleitung an. Schmerzen sind unter 3/NRS Klient ist schmerzfrei.





Schmerzbeschreibung: Lokalisation, Ausstrahlung, Intensität, chronisch oder akut, periodisch wiederkehrend, blitzartig. Art des Schmerzes: Lokalisierbar? Diffus? Bohrend? Stechend? Klopfend? Scharf? Dumpf? Brennend? Ziehend? Krampfartig? Beklemmend? Schneidend? Reißend? Hämmernd? Begleitsymptome: Schwellung? Rötung? Phantomschmerzen Auftritt der Schmerzen: Tageszeit, nach bestimmtem Ereignis, Ruhe – Bewegung – Belastung Strategien des Klienten zur Erleichterung: Ablenkung, Beschäftigung, Medikamente, Bewegungs- und Lageveränderungen, etc. Strategien des Klienten zur Verschlimmerung der Schmerzen: innere Anspannung, Angst, Sorge, Depression, Verwirrtheit, sonstiges Viralzeichen: Hinweise im Verhalten, in der Mimik, in der Gestik, in der Körpersprache Werte der NRS (Numerischen Rating Skala)

Ziele/Lösungen

Pflegerische Ist-Situation





























Schmerzhadfte therapeutische oder pflegerische Maßnahmen auf ein vertretbares Minimum reduzieren – evtl. vorher gezielte Medikamentengabe. Medikamentengabe nach ärztlicher Anordnung. Beruhigende, leicht massiereden Waschungen – wenn diese gut tun. Entspannende Bäder – wenn diese gut tun. Ablenkende Beschäftigung finden. Schmerzlindernde Lagerung oder Ruhigstellung. Evtl. Kälte- oder Wärmeanwendung. Evtl. Massagen, Berührung und Kontakt in die Pflegehandlungen einbeziehen. Klient (und primäre Bezugspersonen) über das Schmerzgeschehen informieren. Klient zu Schmerzbewältigungsstrategien anleiten: Entspannung, Musik, Phantasiereisen, gelenkte Imaginationen. Andere Therapien verordnen lassen, wenn diese indiziert sind: Akupunktur, Homöopathie, Elektrotherapie, Psychotherapie. Auf Nebenwirkungen von analgetischen Maßnahmen und Medikamenten achten: Obstipation, Übelkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, Sedierung, Magengeschwür, allergische Reaktionen, Ödeme, Depression. Auf Sammeln von Schmerzmitteln achten. Anregung und Aktivierung individuell planen.

Maßnahmen

332 Beispiele für Pflegeplanungen bei Menschen mit Demenz

333

Nachwort 1983 habe ich meine ersten Eindrücke in der stationären Altenpflege sammeln dürfen:  »Barbara, kommst Du mit pötten?«  Montags haben die Männer Abführtag, die werden dann Dienstag gebadet. Und am Dienstag haben die Frauen Abführtag, die werden dann Mittwoch gebadet.  4-Bett-Zimmer, 4 alte Frauen sitzen neben ihrem Bett auf dem Nachtstuhl, vor ihnen das ausgeklappte Brett des Nachttisches, wo das Frühstück (1 Scheibe Weißbrot als Klappstulle mit 2 Schnabelbechern daneben – der eine mit Kaffee gefüllt, der andere mit Milchsuppe – flüssigem Pudding.) Sie sitzen dort alle gebisslos und im Flügelhemd.  Zum Sterben in den leeren Raum der Altentagesstätte, neben unserem Wohnbereich, alle Stunde schaute dort eine Schwester vorbei.  Die Stationsleitung hatte immer Recht.  Wer weg wollte, wurde mit einem Stecklaken oder mit Haldol fixiert. Und heute: Ich betrete eine Hausgemeinschaft, entspannte Ruhe, einige Bewohner sitzen um den Tisch herum, sind mit leichten Hausarbeiten beschäftigt. Eine Bewohnerin liegt im Nachhemd auf dem Sofa in der Wohnküche. Ein alter Mann läuft ziellos auf dem Flur herum, überall darf er hin, alles darf berührt werden. Es duftet nach Puffern… Wie viele von Ihnen habe ich diese Veränderungen erlebt, die unsere Altenpflegelandschaft »durchgemacht« hat. Es geht – auch wenn es eindeutig immer noch viel zu wenig kompetente Pflegekräfte gibt – aufwärts. Mit den Ansprüchen und mit den »Vorzeigeobjekten«. Es gibt aber auch immer noch Einrichtungen, wo ich mit Tränen und geballter Faust das Haus verlasse. Ich möchte nicht unken und nicht »schwarz malen«, auf keinen Fall – das tut der Altenpflege nicht gut. Unbedingt erforderlich ist die Erhöhung der Pflegekraftzahlen. Unbedingt zu erhöhen ist die Pflegekompetenz und auch das Selbstbewusstsein auf Seiten der Pflegekräfte. Aber – der unglaublich oft gehörte Satz: »Wir haben keine Zeit« – macht mich wütend. Es ist immer die gleiche Zeit, sie wird natürlich durch mehr Menschen geteilt. Das ist auch klar. Ich denke nach wie vor, dass natürlich die Verbesserung der Pflege durch massive externe Veränderungen ausgeführt werden kann. Jedoch auch im Kleinen. Im Alltag, in der Wärme und in der Toleranz den alten Menschen gegenüber. Ich kann als Pflegekraft meine Sprache und meine Wertehaltung ändern, sodass ich mit wenig viel bewirke. Gute Konzepte, realistischer Blick und sensible, klare Pflegekräfte bringen große Erfolge. Ohne Biografiearbeit und Kenntnis von Biografiearbeit geht gar nichts. Ebenso auch nicht ohne persönliche Klarheit und bei Bedarf auch einer Supervision, wenn »ich mal nicht klar komme«. In diesem Sinne möchte ich daran erinnern, dass manches anders ist, als wir denken …

334

Nachwort

Der Plätzchendieb Eines Nachts wartete eine Frau am Flughafen. Ihre Maschine ging erst in ein paar Stunden. So besorgte sie sich ein Buch und eine Tüte Plätzchen und zog sich in einen ruhigen Winkel zurück. Sie war in die Lektüre vertieft und sah doch, wie sich der Mann neben ihr mit beispielloser Frechheit ein paar Kekse aus der Tüte fischte, die zwischen ihnen stand. Sie ignorierte es, um eine Szene zu vermeiden. Sie las und knabberte und behielt die Uhr im Blick, während sich der dreiste »Plätzchendieb« weiter an ihrem Vorrat vergriff. Von Minute zu Minute wuchs ihr Zorn, und sie dachte: »Wäre ich nicht so nett, würde ich ihm eins aufs Auge geben.« Jedes Mal, wenn sie in die Tüte gegriffen hatte, griff auch er hinein. Als nur noch ein einziges Plätzchen übrig war, fragte sie sich, was er jetzt wohl tun würde. Er lächelte nervös, angelte den letzten Keks aus der Tüte und brach ihn in der Mitte durch. Den einen Teil reichte er ihr, den anderen schob er sich selbst in den Mund. Unwirsch nahm sie ihre Hälfte entgegen und dachte: »Oh Mann! Der Typ hat vielleicht Nerven. Und unverschämt ist er auch noch. Ja, nicht einmal dankbar ist er mir!« Noch nie war sie so verärgert gewesen, und als ihr Flug endlich aufgerufen wurde, seufzte sie erleichtert auf. Sie suchte ihre Siebensachen zusammen und machte sich auf den Weg zum Gate, ohne den »undankbaren Dieb« auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie stieg ins Flugzeug ein und ließ sich in ihren Sitz fallen. Dann zog sie das Buch heraus, dass sie fast ausgelesen hatte. Doch als sie in ihre Tasche griff, blieb ihr vor Schreck fast die Luft weg, denn da lag ihre Plätzchentüte unversehrt drin! »Wenn meine hier sind«, stöhnte sie verzweifelt, »dann waren die anderen seine, und er hat sie mit mir geteilt«. Doch es war zu spät, um sich zu entschuldigen, da half alles nichts. Jetzt stand sie selbst als dreiste, undankbare Diebin da!« (Canfield & Hansen 2001)

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Register ABEDL® 140, 160, 167 Adaption 83 Adoleszenz 50, 52 AEDL 160 Aggression 19 f., 40, 323 Agnosie 19 Aktivieren 171 Alleinsein, Angst vor dem 213 Alter 165 Altgedächtnis- oder Erinnerungsstörungen 19 Alzheimer-Demenz 20 Alzheimer Typ 23 Amnesie 19 An- und auskleiden, eingeschränkt 183 Angehörige, überfordert 329 Angst 19 f., 330 –, und Abwehr 291 Anleitung 154 Anregen 171 Antriebsstörungen 20 Apathie 20 Aphasie 19 Appetitlosigkeit 297 Aspiration, Gefahr der 297 Assessment 33 –, störung 19 ATL 160 –, -Modelle 140 Aufarbeitungsphase 65 Ausgang, differentialdiagnostischer 60 Äußerung, eingeschränkte verbale 265 Basale Stimulation® 79, 86 Bedürfnis 38 –, -pyramide 39 Beeinträchtigungswahn 21 Begleitsymptome, psychiatrische 20 Beobachtungsprozess 127 Berühren 71 Beschäftigungsdefizit 213 –, leichtes 263 Bestehlungswahn 21 Bewegung, eingeschränkt 207 Bewegungseinschränkung – Versteifung 243 Bewusstseinstörungen 307 Beziehungspflege, eingeschränkt 223 Biografie 102 –, -arbeit 56

Cohen-Mansfield Skala 30 Coping 83 Dekubitusrisiko 233 Dementia Care mapping 28 Demenz 14 –, Symptome einer 17 Depression 321 Depressivität 19 Differenz zwischen Ist-Situation Wunschsituation 251 Dranginkontinenz 20 Eigentumsverwechslung von Gegenständen 181 Einschätzungsinstrumente 33 Emotionalität 170 Empathie 62 Entspannung 80 Epileptische Anfälle 20 Erfahrungen, existenzielle 122 Erinnern 70 Erlebenswelten 83 Ernährung, eingeschränkt 183 Erstgespräch 127 Erwachsenenalter 53 Erwachsenenzeit 113 Essverhalten, spezielles 295 Evaluation 154 Existenzielle Erfahrungen des Lebens 163 Exsikkose 297 Faciliation 80 Fähigkeiten –, biologische 162 –, psychologische 162 –, soziale 162 Fast-Skala 26 FEDL-Modell 56 Flüssigkeitsdefizit 183 Flüssigkeitszufuhr, verminderte 293 Frösteln, schnelles Frieren 209 Gedächtnisstörungen 19 Gefühle 45 Geschlechtsteil, öffentliches Entkleiden des 315 Gesichtsausdrücke 127 Gespräch, validierendes 65 Gesundheit und Krankheit 166

Register

Gewalt, sexualisierte männliche 107 Gleichgewichtssinn, Anregung des 88 Grundannahme 92 Halluzinationen 20 f., 308 Harninkontinenz 299 Häusliche Situation, unbefriedigende 243 Hilfeleistungen 153 Hilflosigkeit, massive 311 Hinlaufen 20 Holding 80 ICD-10 15, 20 Ich –, -Erleben 84 –, bedrohtes 84 –, verborgenes 84 –, verirrtes 84 –, versunkenes 84 Identität 48 Interessenlosigkeit, teilweise 308 Intimpflege, Ablehnung der 287 Jugendzeit 112 Kinder, Sehnsucht nach 329 Kindheit 51, 111 Kleiden, eingeschränkt 211 Kleidung, verschmutzte und stark riechende 293 Klingel, Nichtnutzen der 263 Kommunikation, gewaltfreie 40 Kommunizieren, verbal 215 Kontaktmomente, positive 83 Kontinenz, eingeschränkte 185 Kontrakturen, Gefahr von 280 Körperkontakt, Bedürfnis nach 223 Körperpflege –, Ablehnung der, häufig 219 –, Ablehnung von 283 –, eigene, eingeschränkt 181 –, eingeschränkt 209 –, minimale 291 –, Unlust zur 291 Körperstimulation 88 Kotschmieren 299 Kriegssituationen, Nacherleben von 213 Krise, hypertensive 209 Lebensaktivitäten 160 Lebensform, spezielle 329 Lebensführung, unsichere 327 Lebensmitte 54

Lebensmittel, Verkennung und Horten von 295 Lebensmotiv 58 Lebensprobleme 144 Lebensweg 49 Lebenswelten 37 Leitfaden 111 Liebe 42 Lösungen 150 Mäeutik 82 Mahlzeitenform, spezielle 295 Maßnahmen 152 MDK 140 Mehrdeutigkeit 70 Mensch 165 Mini-Mental Status Test (MMST) 24 Missbrauchserfahrung 11 Misstrauen, hohes 319 Motivation, eingeschränkt 307 Multimorbidität 14 Mundpflege, eingeschränkt 219 Mutterrolle und Liebesleben, Erinnerung an 263 Nach Hause-Wunsch 213 Nach Hause Wollen, nachts 303 Nahrungsaufnahme, eingeschränkt 211 NANDA 147 NLP 91 Nutzlosigkeit, Gefühl von 315 Obstipationsgefahr 211 Orientierung 171 –, eingeschränkt 201 Parkinson 20 PÄS-Struktur 148 Personenarbeit, positive 28, 79 Persönliche Sorge, eingeschränkte 327 Personsein 76 –, Stärkung des 203 Pflege 121 –, erlebnisorientierte 82 –, personenzentrierte 28 –, personenzentrierte, nach Kitwood 76 –, -anamnese 125 –, -bericht 156 –, -diagnosetitel 147 –, -dokumentation 125 –, -modell 38, 160 – –, psychobiografisches 56 –, -planung 139 –, -prozess, problemgesteuerter 83 –, -verständnis 123, 164

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–, – ganzheitliches 146 Problem 140 –, -Ressource-Dilemma 141 –, beschreibung 156 Prozess, analytischer 139 Rapport 63 Regression 19 Reizstimulierung, unausgeglichene 308 Reminiszenz 82 Repräsentationssystem 63, 98 Ressource 140 Risikoassessment 128 Risiko Flüssigkeitsdefizit 211 Rollen, soziale 43 Rucksack 52 Rückzugswunsch, starker 311 Schlaf, guter 261 Schlafstörungen 20 Schmerzen 20, 330 Schreien 19, 20 –, extremes 313 –, /Singen, intensives 265 Schuldgefühl 51 Sehen, eingeschränkt 215, 265 Selbstgefährdung 327 –, Gefahr der 223 Selbstpflegefähigkeit 139 selbstständig 154 –, bedingt 154 –, teilweise 154 Sexualität, Ausleben der 321 Sinnessysteme 63 Sinneswahrnehmung 98 Situation, pflegerelevante 140 Soziale Beziehungen, Pflege von 329 Spätstadium 19 f. Spiegelneuronen 30 Spiegeltechnik 65 Status 42 Stimmungsschwankungen 313, 323 Stress 83 Strukturaufstellung, systemische 169 Stuhl- und Harnkontinenz 299 Stuhlgang, Verkennung von 221 Sturzgefahr 181 Symptomatik, demenzielle 41 Symptome, kognitive 19 Syndrom, posttraumatisches 187 System 169 –, sensorisches 63

Techniken, verbale 65 Treten und Schlagen 313 TUM-Prinzip 146 Übernahme –, teilweise 153 –, vollständige 154 Umfang 155 Umherlaufen 20 Umwelt 165 Ungeklärte Situation mit den Angehörigen 251 Unglücklichsein, zeitweise 325 Unruhe 20 –, nächtliche 303 unselbstständig 154 Unterbrechung von Handlungen 179 Unterstützung 153 Unzufriedenheit, hohe 321 Validation nach Feil 60 Validationstechnik 69 Verhalten –, herausforderndes 20 –, hypochondrisches 316 –, klassisches ehemals »typisches« weibliches 263 –, stark herausforderndes 316 Verhaltensauffälligkeiten 20 Verhaltenskategorien 29 Verkennungen 21 Verschriftlichung 104 Verstimmung, depressive 21 Verstopfung 20 Vertrauen 50 Wahnvorstellungen 20, 305 Wahrnehmung 38 –, ganzheitliche, eingeschränkt 307 Wäschewechsel wird abgelehnt 291 Weglauftendenz 217 Wohlbefinden 78 Wohnbereich, Herumgehen auf dem 327 Wortfindungsstörungen 235 Wünsche, sexuelle 323 Zahnprothese, Verschwinden der 259 Zentrieren 69 Ziele 150 –, Spannungsfeld der 151 Zufriedenheit 170 Zuwendung, Wunsch nach 319

Barbara Messer

Mit diesem Buch wird das wesentlich leichter: Es bietet viele Hinweise zur Bio­ grafiearbeit, gibt wichtige Impulse zur Schulung der eigenen Beobachtungsgabe und zeigt schließlich den Transfer zur Pflegeplanung. Diese lässt sich tatsäch­ lich leichter und aussagekräftiger schreiben, als viele Pflegekräfte glauben. Die 2. Auflage des Buches bietet noch umfangreichere Beispiele aus der Pfle­ geplanung. Unterschiedlichste Formulierungen geben Impulse für die tägliche Arbeit und zeigen ganz eindeutig: Eine gute, lesbare und individuelle Pflegepla­ nung ist machbar, ohne dass das mehr Zeit kostet. »Das Lesen des Buches bereitet Freude und geht flott voran. Es ist verständlich geschrieben und animiert zum Weiterlesen. Schlussendlich kann dieses Werk allen in der Altenpflege Tätigen empfohlen werden.« (Zeitschrift für Wundheilung)

Die Autorin Barbara Messer ist examinierte Altenpflegerin mit 15-jähriger Pflegepraxis und arbeitete als Pflegedienstleitung. Neben ihrem Bachelor of Business Admini­ stration verfügt sie u.a. über Ausbildungen im Sozialmanagement, in der Va­ lidation und in der systemischen Strukturaufstellung. Sie ist NLP-Master und Trainerin, Trainerin für Suggestopädie und ganzheitliches Lernen sowie Traine­ rin und Beraterin für pflegerische Themen. Seit 2005 arbeitet sie mit Sandra Masemann unter dem Namen Masemann & Messer GbR in den Be­ reichen Training & Beratung für die Pflege, Unter­ nehmenskultur, Team- und Personalentwicklung, Unternehmenstheater und »Train the Trainer«.

ISBN 978-3-89993-220-1

9 783899 932 2 01

Messer · Pflegeplanung für Menschen mit Demenz

Die Lebenswelt von Menschen mit Demenz ist zentraler Inhalt dieses Buches. Es geht darum, diese Lebenswelt so zu erfassen, dass die anschließende Pflege­ planung dem Klienten und seinen Bedürfnissen gerecht wird.

Pflegeplanung für Menschen mit Demenz Einfach, echt und individuell planen und schreiben

2., aktualisierte Auflage