Iphigenie auf Tauris. Erläuterungen und Materialien. (Lernmaterialien) 9783804417946, 3804417949 [PDF]


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German Pages 131 Year 2003

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Table of contents :
Königs Erläuterungen: Johann Wolfgang von Goethe - Iphigenie auf Tauris (Team PDFWriters)......Page 1
Vorwort......Page 5
Biografie......Page 7
Zeitgeschichtlicher Hintergrund......Page 15
Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken......Page 3
Entstehung und Quellen......Page 26
Inhaltsangabe......Page 45
Aufbau......Page 53
Personenkonstellation und Charakteristiken......Page 59
Sachliche und sprachliche Erläuterungen......Page 71
Stil und Sprache......Page 91
Interpretationsansätze......Page 95
Themen und Aufgaben......Page 103
Rezeptionsgeschichte......Page 107
Materialien......Page 121
Literatur......Page 125
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Iphigenie auf Tauris. Erläuterungen und Materialien. (Lernmaterialien)
 9783804417946, 3804417949 [PDF]

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Zitiervorschau

Königs Erläuterungen und Materialien Band 15

Erläuterungen zu

Johann Wolfgang von Goethe

Iphigenie auf Tauris von Rüdiger Bernhardt

Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte Neuere und Neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des In- und Auslandes, arbeitete in Schulbuchverlagen und an Theatern. Er veröffentlichte u. a. Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und zur Literatur in europäischen Künstlerkolonien, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Seit 1994 ist er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee.

3. Auflage 2005 ISBN 3-8044-1794-9 © 2003 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Johann Wolfgang von Goethe Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk

2

Inhalt Vorwort ............................................................... 1. 1.1 1.2 1.3

Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk ................................................. Biografie ................................................................ Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken ........................................

5

7 7 15 21

2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

Textanalyse und -interpretation ........................ Entstehung und Quellen ........................................ Inhaltsangabe ........................................................ Aufbau .................................................................. Personenkonstellation und Charakteristiken .......... Sachliche und sprachliche Erläuterungen ............... Stil und Sprache ..................................................... Interpretationsansätze ...........................................

26 26 45 53 59 71 91 95

3.

Themen und Aufgaben ....................................... 103

4.

Rezeptionsgeschichte .......................................... 107

5.

Materialien .......................................................... 121 Literatur .............................................................. 125

3

4

Vorwort

Vorwort Eine schöne Frau aus fürstlichem Haus und mit göttlichen Beziehungen wird nicht wie vorgesehen als Opfer getötet, sondern von der Göttin Diana als Priesterin zu Barbaren auf eine Insel entführt, wo sich der dort herrschende König für sie begeistert, sie bei ihm auch unbewusst Erwartungen weckt, sich aber entzieht. Das erzürnt den König und führt beinahe zur Katastrophe; die wird durch geschickte Argumentation der nicht nur schönen, sondern auch klugen Iphigenie und Versöhnungsbereitschaft aller Beteiligten verhindert. Goethes Iphigenie kann tödlich erscheinende Bedrohungen entschärfen; das unterscheidet sie von ihren antiken Vorbildern. Der spannende Inhalt prägt eines der berühmtesten Schauspiele der Weltliteratur. Es entstand während Goethes erstem Weimarer Jahrzehnt nach 1775, reflektiert Weimarer Erfahrungen, Konflikte und die Freundschaft zu Charlotte von Stein: „(...) war Charlotte von Stein eine Iphigenie, die sich wie in Goethes Drama Thoas verweigerte und diesen doch immer wieder anzog?“1 Goethe beendete das Stück während seiner ersten Italienreise. Iphigenie auf Tauris zeugt schon zeitlich durch die Entstehungsgeschichte vom Übergang der literarischen Epochen der Aufklärung, des Sturm und Drang zur Klassik, vom Wechsel des Titanischen und Aufbegehrenden der Stürmer und Dränger zu abgeklärter Reife und idealen Vorstellungen der Klassiker. Es ist auch eine Veränderung der sozialen Ansprüche des Sturm und Drang zu Gunsten individueller menschlicher Größe und Toleranz. Das wird im Personenverzeichnis deutlich: Die Stücke des Sturm und Drang verzeichnen sozial abseits Stehende – Bauern und Zigeuner im Götz, Bürger von Brüssel und Volk 1

Koopmann, S. 7.

Vorwort

5

Vorwort im Egmont –, in der Iphigenie auf Tauris sind königlich-göttliche Personen und ihre Vertreter am Werk. Das Stück in seiner endgültigen Fassung erschien 1787, im gleichen Jahr wie Schillers Don Carlos, Mozarts Don Giovanni, Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (3. Teil) und Kants Kritik der praktischen Vernunft. Diese Werke orientieren sich wie das Goethes auf Selbstbestimmung des Menschen und seine Befreiung aus schicksalhaften Ordnungen. Die Rücksicht auf den anderen Menschen ist der aufklärerische Kern des Stückes: Das individuelle Handeln sollte zur Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung werden. Das weist auf Immanuel Kants kategorischen Imperativ hin, ohne dass sich Goethe Kants Denken besonders genähert hätte. Als „Entsagung“ wurde Iphigenies individuelle Handlung bezeichnet: „Entsagung öffnet dann den Weg in das Wirken für das Ganze. Ihr Werk ist Festigkeit, Reinheit, Schonung, Liebe, Stille. Sie gibt dem unbestimmten Streben Begrenzung.“2 Diese Beschränkung, hier ein anderer Begriff für Kompromiss, betrifft alle Gestalten des Stückes und ist eine wesentliche Botschaft, die von dem Stück ausgeht. Diese Erläuterungen wollen eine übersichtliche Einführung, verständliche Erklärungen, Ansätze zur Interpretation und zum Verständnis des heute noch aktuellen Ideengehalts und eine Orientierung für die kaum überschaubare Sekundärliteratur geben. Textausgaben der Iphigenie auf Tauris für den Schulgebrauch gibt es preiswert in den Königs Lektüren (Bange Verlag, Hollfeld, Nr. 3015), in Reclams Universal-Bibliothek (Reclam, Stuttgart, Nr. 81) u. a. Um mit verschiedenen Ausgaben arbeiten zu können, wird nach Verszahlen zitiert, die in der Regel ausgewiesen sind. 2

6

Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing – Goethe – Novalis – Hölderlin. Leipzig und Berlin: Verlag B. G. Teubner, 1939 (11. Auflage), S. 258. Vorwort

1.1 Biografie

1.

Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie Ort

1749

Frankfurt a. M. Johann Wolfgang Goethe wird am 28. August als Sohn des Kaiserlichen Rates Dr. jur. Johann Kaspar Goethe, Sohn eines Schneiders, und Katharina Elisabeth, geb. Textor, Tochter des Schultheißen, in Frankfurt am Main, im Haus „Zu den drei Leiern“ am Großen Hirschgraben geboren. Die Familie ist wohlhabend; der Reichtum stammt vom Großvater. 1 Frankfurt a. M. Schwester Cornelia Friderike Christiana Goethe geboren. 4 Frankfurt a. M. Die Großmutter Goethe schenkt den Kindern zu Weihnachten ein Puppentheater, das von großer Bedeutung für Goethe wird und auch in seine Werke eingeht. Frankfurt a. M. Während der französischen Be- 10–14 setzung Frankfurts besucht Goethe das französische Theater und hat erste Berührungen mit der Welt der Schauspieler.

1750 1753

1759 – 1763

Ereignis

Alter

Jahr

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

7

1.1 Biografie

Ort

1765 –1768

Goethe studiert die Rechte, 16–19 hört Vorlesungen zur Literatur, lernt Gellert und Gottsched, der 1734 Racines Iphigenie übersetzt hatte, kennen. Freundschaft mit Ernst Wolfgang Behrisch (Prinzenerzieher und Hofrat in Dessau) und Liebe zu Käthchen Schönkopf, der Tochter eines Zinngießers. Leipzig Eröffnung des neuen festen 17 Theaterbaus mit Johann Elias Schlegels Hermann, unter den Zuschauern Goethe. Frankfurt a. M. Goethe kommt nach einem 19 Blutsturz krank nach Hause. Er liest Wieland, Shakespeare, Klopstock u. a. Straßburg April: setzt sein Rechts- 20–22 studium fort, schließt es als Lizenziat der Rechte ab, was ihm ermöglicht, als Advokat zugelassen zu werden. Er lernt Herder und Dichter des Sturm und Drang (Jung-Stilling, Heinrich Leopold Wagner, Jakob Michael Reinhold Lenz) kennen. Im Straßburger Kreis werden ihm Pindar, Homer, die

1766

1768

1770 –Aug. 1771

8

Ereignis

Alter

Jahr

Leipzig

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie

Jahr

1770

1771

1772

Ort

Ereignis

englische Dichtung, voran Shakespeare, Ossian und Oliver Goldsmith, nahe gebracht. Herder weist ihn auf Hamann und die Volkspoesie hin. Er begeistert sich für das Straßburger Münster. Sesenheim Besuche bei Friederike Brion. Er verliebt sich in die Pfarrerstochter von Sesenheim, am 7. August ohne Erklärung Abschied. Frankfurt a. M. 14. August: Rückkehr nach Hause Frankfurt a. M. 14. Oktober: Goethe und Freunde feiern mit „großem Pomp“ Shakespeares Namenstag; er hält seine Rede Zum Schäkespears Tag. Wetzlar Mai: Praktikant am Reichskammergericht; verliebt sich in Charlotte Buff. Der Selbstmord des Studienkollegen Jerusalem (30. Oktober 1772) geht in den Roman Die Leiden des jungen Werther ein. Ende der juristischen Tätigkeit Goethes. Seine juristischen Examina waren wichtig für die Tätigkeit in Weimar.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

Alter

21 21 22

22

23

9

1.1 Biografie

Ereignis

Alter

Frankfurt a. M. Rückkehr nach Hause. Frankfurt a. M. Knebel vermittelt Goethes Bekanntschaft mit dem Erbprinzen Karl August von Weimar; Klopstock besucht Goethe. Nach dem Erscheinen des Romans Die Leiden des jungen Werther wird Goethe berühmt. 1775 Frankfurt a. M. Liebe und Verlobung mit Lili Schönemann, brieflich sich äußernde Liebe zur Gräfin Auguste von Stolberg, die er nie sehen Schweiz wird. Erste Reise in die Schweiz. 1775 Frankfurt/ Abreise am 30. 10., nachdem Weimar Karl August am 3. 9. die Regierung angetreten hat, Ankunft am 7. 11. 1776 Weimar 11. Juni: Geheimer Legationsrat mit Sitz und Stimme im Geheimen Conseil und 1200 Taler Gehalt im Jahr, tritt am 25. Juni in den Staatsdienst. Liebe zu Charlotte von Stein. Aufgaben bei Hofe, lädt Herder nach Weimar ein. Die Herders kommen. 1777/78 Harz, Berlin Harzreise, Reise nach Berlin.

23 25

Jahr 1772 1774

10

Ort

26

26

26

28

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie

Jahr

Ort

Ereignis

1779

Weimar

14. Februar: Beginn mit der Prosafassung der Iphigenie auf Tauris. Beendet am 28. März. 6. April: Erste Aufführung der Iphigenie auf Tauris mit Corona Schröter als Iphigenie und Goethe als Orest. 5. September: Goethe wird zum Geheimen Rat ernannt. Zweite Reise. Naturwissenschaftliche Studien. Er wird geadelt, zu seinen bisherigen Aufgaben kommt die Leitung der Finanzkammer hinzu. Goethes Vater stirbt. Goethe entdeckt den Zwischenkieferknochen beim Menschen. Goethe besucht erstmals ein Kurbad. Verlagsvertrag über eine achtbändige Werkausgabe Goethe’s Schriften mit dem Verleger Göschen. Sommer in Karlsbad. Heimlich flieht er von dort nach Italien. Er kommt am 29. Oktober in Rom an.

1781 1782

Schweiz Weimar Weimar

1784

Weimar

1785

Karlsbad

1786

Weimar

1786

Karlsbad Italien

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

Alter 29

30 30 32 33

35

36 37

37

11

1.1 Biografie

Jahr

Ort

Ereignis

Alter

Rom

1788

1789 1790

1791

1792 –1793 1794 1797 1799

12

Als „Maler Philipp Möller (Filippo Miller) aus Leipzig“ trägt er sich in die Bevölkerungsliste ein. Er wohnt bei dem Maler Tischbein und muss mit bescheidenen Verhältnissen vorlieb nehmen. Weimar Rückkehr. Er lernt Christiane 39 Vulpius kennen, verliebt sich in sie und lebt von nun an zum Entsetzen des Weimarer Adels mit ihr zusammen. Weimar Sohn August geboren, stirbt 1830 40 in Rom und wird dort beerdigt. Italien März bis Juni die zweite Italienreise. Nach Schlesien in der Begleitung Karl Augusts, 41 der als General in Preußens Diensten steht, zu preußischen Truppenmanövern. Weimar 1791–1817 Direktor des Hofthe- 42 aters, Materialsammlung zur Farbenlehre. Frankreich Feldzug. Teilnahme an der Bela- 43–44 gerung von Mainz. Weimar, Jena Beginn der Freundschaft und 45 des Briefwechsels mit Schiller. 48 Schweiz Dritte Reise. Weimar Dezember: Schiller siedelt von 50 Jena nach Weimar über.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.1 Biografie

Jahr

Ort

1805

Weimar

1806

1807 1809

1814 1816

Ereignis

9. Mai: Tod Schillers. Freundschaft mit Zelter. Jena Schlacht bei Jena und Auerstedt: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation geht unter; die preußisch-sächsische Armee wird geschlagen. Die Franzosen plündern Weimar, Goethes Haus bleibt dank des Einsatzes von Christiane verschont. Allerdings bedrohen ihn französische Marodeure, die von Christiane und einem im Haus befindlichen Flüchtling hinausgejagt werden. Am 19. Oktober lässt sich Goethe mit Christiane trauen. Weimar Tod der Herzogin Anna Amalia. Liebe zu Minna Herzlieb. Jena, Weimar Goethe schließt im Oktober den Roman Die Wahlverwandtschaften ab, dessen Druck noch während der Arbeit begonnen wird. Rhein und Reisen. Liebe zu Marianne von Main Willemer. Weimar 6. Juni: Tod Christianes.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

Alter 55 57

58 60

65 66

13

1.1 Biografie

Jahr

Ort

Ereignis

1823

Weimar

Johann Peter Eckermann besucht Goethe. Er wird Mitarbeiter und Nachfolger Riemers. Reise nach Marienbad und Eger. Verliebt sich in Ulrike von Levetzow. Der Großherzog Karl August stirbt am 14. Juni. Tod Goethes am 22. März in seinem 83. Lebensjahr.

Marienbad; Eger

14

1828

Weimar

1832

Weimar

Alter 74

78 82

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund Am 11. Dezember 1774 lud der junge schneidige Offizier Carl Ludwig von Knebel in Frankfurt Goethe zu seinem Erbprinzen Karl Au- Karl August von Sachsen-Weimar und Eisenach gust von Sachsen-Weimar und Eisenach ein. Aus den ersten Gesprächen mit diesem über Mösers Patriotische Phantasien wurde ein neues Leben. Am 7. November 1775 kam Goethe in Weimar an; ein dank der Herzoginmutter Anna Amalia musenfreundlicher Hof empfing ihn. Für Karl August war der neue Mann in Weimar ein trinkfester Kumpan, mit dem man sich auf den Markt stellen und mit den Peitschen knallen konnte, bis die Anwohner taub und entkräftet in die Knie sanken. Der Hofdame von Göchhausen ließen sie die Schlafzimmertür zumauern; sie war die Bedeutendste und Klügste der Weimarer Frauen, aber klein, hässlich und verwachsen. Trotz der bösen Streiche schrieb sie Goethes Urfaust ab; sonst wäre der Text verloren gewesen. Jagd, Eislaufen, Baden im Winter und Sommer, Wandern, Reiten, Schießen, Fechten, Tanzen und Trinken waren die hauptsächlichen Beschäftigungen. Das lustige Leben des Herzogs und seines jungen Dichterfreundes erzürnte selbst den entfernt wohnenden Klopstock. Er schrieb einen energischen Brief, auf den Goethe schroff antwortete. Goethes Verwaltungsarbeit, seine amtlichen Entscheidungen, die ihn voll beschäftigten, und sein Alltag wurden oft hinter dem Bild des Dichters versteckt. Zehn Jahre später, am 3. September 1786, brach Goethe aus Karlsbad heimlich nach Italien auf. Die Flucht war der Bruch mit Frau von Stein. Das war der zeitliche Umkreis, in dem sich Goethes Leben während der Entstehung der Iphigenie auf Tauris vollzog.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

15

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund Goethe hatte bei seinem Eintritt in Weimar keine entsprechenden Kenntnisse der Verwaltungsarbeit. Er entschied sich von Anfang an zumeist konservativ und gegen Reformbemühungen. Er setzte sich für die Weimarer Ordnung ein, ergriff in Zensurfragen die Partei Karl Augusts oder entschied selbst noch schärfer. Der gleiche Goethe, der eine Kindsmörderin in der Dichtung als Opfer der gesellschaftlichen Zustände vorführte, entschied sich für die Todesstrafe, wenn ihm im Geheimen Conseil ähnliche Fälle vorgelegt wurden und er als hoher Beamter juristisch, nicht poetisch zu entscheiden hatte. Das galt vor allem für den Fall der Kindsmörderin Anna Catharina Höhn, einer ledigen Magd aus Tannroda. Sie hatte am 11. April 1783, unverheiratet, ihren Sohn kurz nach der Geburt getötet. Die gerichtlichen Verhandlungen zogen sich in den Spätherbst hinein; am 28. November 1783 wurde das Todesurteil vollstreckt: Die Höhn wurde auf dem Markt von Weimar enthauptet. Entschieden hatte das Todesurteil der 34jährige Minister Goethe. Am 4. November hatte er an die Akten geschrieben, „dass auch nach meiner Meinung rätlicher sein mögte die Todesstrafe beizubehalten“3. Goethes Urteil erscheint flüchtig, als habe er die Akten und die anderen Meinungen nicht gelesen.4 Da lag Iphigenie auf Tauris in Prosa vor; Menschenopfer waren ihr Thema, das Ziel ihre Verhinderung. Die Voraussetzung für Menschlichkeit in Iphigenie auf Tauris ist Ungehorsam gegen die Götter und Ungehorsam gegen die Götter die Macht. Dem Prometheus steht ein und die Macht scheiternder Werther gegenüber, der Iphigenie ein scheiternder Tasso. Werther und Tasso sind Geschöpfe der Wirklichkeit, Prometheus und Iphigenie sind Entwürfe, Bilder und entlehnt aus dem Mythischen. Sie alle sind Spiegelungen Goethes. Sie entsprechen einerseits dem Goethe 3 4

16

Damm, S. 81 ff.; Wilson, S. 7 f. „Das Schockierende ist die Lässigkeit, mit der er (...) sein Ja zur Todesstrafe gibt.“ ebd., S. 90. 1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund der politischen Alltäglichkeit in Weimar und andererseits Goethes utopischen Entwürfen. Die utopische und letztlich einmalige Handlung des Stückes entsprach einerseits den geistigen Entwürfen des klassischen Idealismus und führte zur ästhetischen Vollkommenheit, brachte aber andererseits für Leser und Zuschauer ein Wohlgefallen im Sinne Winckelmanns, der die „edle Einfalt und stille Größe“ als Wesen des antiken Griechentums bezeichnete (Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, 1755). Iphigenies Lösung konnte nur Ausnahme sein, allenfalls geistige Orientierung, nie aber praktische Empfehlung. Die Menschen sind dem Schicksal unterworfen und ausgesetzt, das von den Göttern bestimmt wird, solange es von den Menschen nicht durchschaut wird. Allerdings vermögen die Menschen „das Unmögliche“ (vgl. Das Göttliche, 1783), wenn sie als Helden leben. Iphigenie fragt berechtigt, ob das nur den Männern zusteht oder nicht auch die Frau dieses Recht hat: „Hat denn zur unerhörten Tat der Mann / Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches / Nur er an die gewalt’ge Heldenbrust?“ (V. 1892 ff.) Tugendhaftigkeit und Sittlichkeit wurden der Iphigenie zugeordnet, nicht aber Sinnlichkeit und körperliche Liebe. Iphigenie ist „ein asexueller Frauentyp (...), der die Ambivalenz meistern kann, welche Zwietracht zwischen den Geschlechtern sät, oder ein Typ, der sogar frei von dieser Ambivalenz ist“5. Das Schauspiel enthält von Goethe Erlebtes, das zum Ideal stilisiert wurde. Goethe hat das gegenüber Eckermann treffend beschrieben:

5

Eissler, Bd. 1, S. 368 ff.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

17

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund „Meine ‚Iphigenie’ und mein ‚Tasso’ sind mir gelungen, weil ich jung genug war, um mit meiner Sinnlichkeit das Ideelle des Stoffes durchdringen und beleben zu können. Jetzt in meinem Alter wären so ideelle Gegenstände nicht für mich geeignet, und ich tue vielmehr wohl, solche zu wählen, wo eine gewisse Sinnlichkeit bereits im Stoffe liegt.“6 In einer Zeit, in der Goethe täglich als Staatsbeamter mit Widrigkeiten konfrontiert wurde und in der ihm die Erfüllung seiner persönlichen Wünsche und Neigungen versagt blieb, entwarf er als Gegenbild das Ideale, das ihm später zu vollkommen erschien. Schiller dagegen sah in der Iphigenie romantische Momente, weil die Empfindung vorherrsche. Deshalb sei Goethes Stück „keineswegs so klassisch und im antiken Sinne (...), als man vielleicht glauben möchte“7. Andererseits war für ihn das Schauspiel höchste Kunst im Dienst einer sittlichen Idee. Wurden die Weimarer Erlebnisse in dem Schauspiel verwendet, so erfuhr es seine besondere Prägung durch die Beziehung Goethes zu Charlotte von Stein. VorVorbild der Iphigenie war bild der Iphigenie war die Frau von Frau von Stein Stein. Die Macht, die Goethe von dieser Frau ausgehen spürte, erklärte er durch „Seelenwanderung“, denn „wir waren einst Mann und Weib“8. Die ethischen Vorstellungen Charlotte von Steins waren im höfischen Kodex erstarrt und mit moralisierenden Belehrungen verbunden. Ihre Briefe an Goethe sind nicht erhalten – sie forderte sie nach dem Zerwürfnis mit Goethe zurück –, aber Goethes Briefe 6 7 8

18

Eckermann, S. 446. Ebd., S. 549. Goethe an Wieland im April 1776. In: Wolfgang Goetz: Goethe. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten. Berlin: Propyläen-Verlag, 1938 (21.–40. Tausend), S. 109. Goethes Briefe sind in einer Vielzahl von Ausgaben nachlesbar. Es werden deshalb von nun an oftmals nur Daten der Briefe angegeben, um in den verschiedenen Ausgaben nachschlagen zu können. 1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund lassen Rückschlüsse zu. In denen aus der Zeit um 1776 dachte der Dichter erstmals über die Iphigenie nach. Indem Goethe sich von dem höfischen Kodex nur im amtlichen Wirken einengen ließ, war es ihm als Dichter möglich, „wahr zu sein und gut und böse wie die Natur“9. Diese Unterscheidung war Charlotte von Stein nicht möglich. Es entstand allmählich eine Mauer zwischen Goethe und Charlotte von Stein. Grund dafür war die nicht gelebte Sinnlichkeit zwischen beiden, die Goethe wünschte, zu der aber die Stein nicht bereit war. Frau von Stein war in ihren Standesschranken gefangen, auch wenn sie sich relativ freizügig bewegen durfte. Goethe ist die andere Lebensmöglichkeit, die für die Stein den Ausbruch aus der Befangenheit, aber auch den sozialen Absturz bedeutet hätte. Deshalb bekannte sie sich nicht öffentlich zu ihrer Liebe zu Goethe. Als Goethe seine Sinnlichkeit schließlich mit der vitalen Christiane Vulpius auslebte, war die Stein erzürnt, denn so bekam sie die von ihr ausgeschlagene Möglichkeit vorgelebt. Goethe nannte sein Schauspiel ein „Schmerzenskind“. Er hat unter den Ereignissen, die er in das poetische Gewand kleidete, gelitten. Das betraf nicht die mythischen Ereignisse, die sich von denen in Euripides’ Iphigenie bei den Taurern kaum unterschieden. Es waren die privaten Erlebnisse Goethes, die schmerzlich und während der Arbeit am Stück immer wieder gegenwärtig waren, vor allem die unerfüllte Liebe zu Charlotte von Stein. Im Frühjahr 1776 war Goethe ein Getriebener und Gepeinigter. Zwar gab es im März 1776 ein Erlebnis mit Corona Schröter, die 1779 die Iphigenie spielte, aber anstatt Goethe zu beruhigen, machte sie ihm sein Leiden noch deutlicher. An Charlotte von Stein schrieb er am 25. 3. 1776: „Die Schröter ist ein Engel – wenn mir doch Gott so ein Weib bescheren wollte, dass ich euch könnt in Frieden lassen – 9

Goethe am 22. Februar 1776 an Lavater, der sich ernsthaft um Goethes Lebenswandel Sorgen gemacht hatte. In: Wolfgang Goetz: Goethe. S. 109.

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

19

1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund doch sie sieht dir nicht ähnlich genug.“10 Auf Goethes Anregung hin bat Herzog Karl August 1776 die Schauspielerin, dem Weimarer Liebhabertheater zur Verfügung zu stehen. In Italien fand Goethe zu neuer Kunst, In Italien fand Goethe zu neuer sein Kunstbedürfnis hatte sich veränKunst dert, beeinflusst durch die „Bildwerke der Antike“: „Nun bildete sich der Ton schnell unter seinem zauberkräftigen Willen; in rascher Fülle drängten sich die Werke des Meisters, Iphigenie und Tasso und die Römischen Elegien“11. – Goethes Römische Elegien sind als Variante und Ergänzung zur Iphigenie auf Tauris mitzudenken. Aufgeklärtes Leben spielte sich zwischen tätigem Sein und sinnlicher Erfüllung ab und projizierte beides in die Literatur.

10 Ernst Hartung (Hrsg.): Alles um Liebe. Goethes Briefe aus der ersten Hälfte seines Lebens. München-Ebenhausen: Wilhelm Langewiesche-Brandt, 1906, S. 172. 11 Franz Mehring: Johann Wolfgang Goethe (1899). In: Gesammelte Schriften, hrsg. von Thomas Höhle u. a., Band 10, Berlin: Dietz Verlag, 1961, S. 57.

20

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken

1.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken 1771 1773 1774 1775 1777 1779

1780/81

1786

Erste Fassung des Götz von Berlichingen Götz von Berlichingen erscheint, Arbeit am Urfaust Clavigo, Die Leiden des jungen Werther(s) Stella, Arbeit am Egmont begonnen Wilhelm Meister begonnen Goethe diktiert vom 14. Februar bis zum 28. März die erste Fassung der Iphigenie auf Tauris, eine Prosafassung, seinem Diener Seidel. Diese Fassung ist verloren gegangen. Überliefert ist eine Abschrift von fremder Hand. Sie wird erst 1854 veröffentlicht. Eine zweite Prosafassung entsteht 1781. Diese Fassung wird 1839 veröffentlicht. 6. April: Uraufführung der ersten Prosafassung im herzoglichen Liebhabertheater im hauptmannischen Haus in Weimar Korrekturen und Umarbeitungen, darunter eine Versfassung in freien Jamben (Jamben mit variabler Hebungszahl) von Lavater, die lange für eine Bearbeitung Goethes (Zweitfassung) gilt (Erstdruck 1883). Als daraus 1785 im Schwäbischen Museum Auszüge veröffentlicht werden, steht unter dem Titel: Szenen aus Iphigenie in Tauris, Einem ungedruckten Traurspiel von Göthe. Ende August: Auf Herders Rat beginnt Goethe die Prosafassung in Jamben umzuschreiben. Zuerst liest er die Elektra des Sophokles, worauf ihm die Zeilen seiner Iphigenie „höckerig, übelklingend und unlesbar“ werden (Brief an Herder, Ende Au-

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

21

1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken

1787

1787

1789

1790 1793

1795/97 1797 1800

gust 1786). Er bittet Herder, der sich ebenfalls in Karlsbad aufhält, „um eine Lektion“, damit „ich aber nicht zu weit gehe und Maß und Ziel festgesetzt werde“. 10. Januar: „Hier folgt denn also das Schmerzenskind, denn dieses Beiwort verdient Iphigenia aus mehr als einem Sinne.“ (Italienische Reise) Diese dritte Fassung, nunmehr in Jamben mit dem Titel Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel erscheint im 3. Band der achtbändigen Ausgabe Goethe’s Schriften. Goethe hatte sie aus Italien an Herder geschickt mit der Bitte, Verbesserungen vorzunehmen. Römische Elegien, Torquato Tasso Besprechung der Iphigenie durch Schiller: „Man findet hier die imponierende große Ruhe, die jede Antike so unerreichbar macht, die Würde, den schönen Ernst, auch in den höchsten Ausbrüchen der Leidenschaft“12. Venezianische Epigramme. Faust (Fragment), Die natürliche Tochter Übersetzung der Iphigenie Goethes ins Englische, 1818 ins Neugriechische und ins Schwedische, 1822 ins Tschechische, 1828 ins Italienische Herausgabe der Horen, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Xenien (im Musenalmanach für 1797) Balladenjahr, Hermann und Dorothea Uraufführung der Iphigenie auf Tauris (Versfassung) am 7. Januar in Wien auf Veranlassung Kaiser Franz II. (als Franz I. Kaiser von

12 Friedrich Schiller: Kritische Übersicht der neuesten schönen Literatur der Deutschen. In: Angst, S. 58.

22

1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken

Österreich). Die Aufführung fand anlässlich der Ankunft des Erzherzogs Palatin und seiner Frau aus St. Petersburg statt. Ein zeitgenössisches Journal bietet eine gute Beschreibung des Bühnenbildes, der Inszenierung und der Intentionen des Dichters.13 1802 Am 15. Mai wird das Stück in der Einrichtung und Bearbeitung Schillers in Weimar aufgeführt. Goethe nimmt an den Proben nicht teil. Auch später steht er Aufführungen zurückhaltend gegenüber. 1806 Abschluss von Faust. Erster Teil 1808 Pandora 1809 Wahlverwandtschaften, Beginn mit der Arbeit an Dichtung und Wahrheit, Arbeit an der Farbenlehre (erschienen 1810) 1811–1814 Arbeit an Dichtung und Wahrheit (Bände 1–4) 1825 7. November: Zu Goethes fünfzigjährigem Dienstjubiläum findet im Weimarer Hoftheater eine festliche Aufführung der Iphigenie (Versfassung) statt. Goethe bleibt bis in den dritten Akt. Große Feierlichkeiten in Weimar („zweihundert Gedecke im großen Saale des Stadthauses“14) und eine Ehrenmedaille des Großherzogpaars für Goethe 1829 Uraufführung von Faust. Erster Teil in Braunschweig

13 Vgl. Journal des Luxus und der Moden. Februar 1800, S. 80–83. In: Angst, S. 59 ff. 14 Bode, Band 3, S. 206. 1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

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1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken Goethes Neigungen zu mythischen Gestalten und antiken Autoren sind leicht festzustellen: 1773 entstand das PrometheusFragment, das Unterschiede zur Ode zeigt. Das Fastnachtsspiel Satyros oder Der vergötterte Waldteufel (1773) „hat zahlreiche – zumeist ironische – Anklänge an das PrometheusThema.“15 Parallel dazu verstärkte sich die Beschäftigung mit der griechischen Antike zu dieser Zeit. 1778 wurden die Epen Homers von Bodmer übertragen, Goethes Freund Graf Stolberg übersetzte die Ilias im gleichen Jahr und bald darauf erschien die maßstabsetzende Übersetzung der Odyssee von Johann Heinrich Voss. Übersetzungen von Sophokles (1781 von Georg Christoph Tobler) und anderer antiker Autoren reicherten das Bild an. Goethes Farce Götter, Helden und Wieland (1773), auf dem weimarischen Hoftheater 1773 mit der Musik von Anton Schweitzer uraufgeführt und durch J. M. R. Lenz 1774 gegen Goethes Absicht veröffentlicht, wurde das erste Zeugnis für die Beschäftigung Goethes mit einer „antiken Tragödie wie für seine lebenslange, von Hochachtung geprägte Beziehung zu Euripides“16. Goethes Neigung zu kraftvollen mythischen Gestalten wurde in dieser Farce deutlich und blieb in den folgenden Jahren erhalten. Euripides wirft Wieland in Goethes Farce vor, er sei „Dichter auf unsern Trümmern“17. Goethe orientierte sich durch Euripides, dann an Herkules auf eine von Wieland unterschiedene AntikeAntike-Rezeption Rezeption. Während Wieland in der Farce die Tugend suchte, nahm Herkules Tugend für sich und seine Zeit in Anspruch: „(...) mich dünkt, bei uns wohnte sie, 15 Volker Riedel: Antike. In: Goethe-Handbuch Band 4/1. Personen, Sachen, Begriffe, hrsg. von Hans-Dietrich Dahnke und Regine Otto. Stuttgart, Weimar 1998, S. 57. 16 Ebd. 17 Goethe: Götter, Helden und Wieland. Eine Farce. In: Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1964, Bd. 5, S. 188. Im weiteren Verlauf wird diese Ausgabe zitiert mit BA und Bandnummer, also hier BA 5.

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1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

1.3 Angaben und Erläuterungen zu den Werken Halbgöttern und Helden“18. Mit dem 1778 entstandenen Monodrama Proserpina deuteten sich Veränderungen in Goethes Verhältnis zur Antike an: Aus dem prometheischen, titanischen Trotz des Sturm und Drang wurde tantalidisches, göttliches Leid der Klassik. Die Familiengeschichte der Tantaliden, also auch Iphigenies, wird von Proserpina bei einer Auflistung von bestraften Verwandtenmördern erwähnt: „Sklavin des Schicksals! – Ach, das fliehende Wasser möcht ich dem Tantalus schöpfen! mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! für gereiztes Verlangen gestraft! – In Ixions Rad möcht ich eingreifen und Einhalt tun seinem Schmerz. Aber was vermögen wir Götter über die ewige Qualen!“19 Szenerie und Proserpinas Beschreibung der „tiefen Haine“ lassen die Nähe zur bald darauf entstehenden Iphigenie auf Tauris erkennen. Parallel dazu wurden, auch unter dem Einfluss Herders, die Konturen eines idealisierten Griechenbilds und veredelter mythischer Gestalten entwickelt. Vor allem aber verwendete Goethe in seiner ersten Fassung der Iphigenie die gleiche rhythmische Prosa wie in Proserpina. Iphigenies Eröffnungsmonolog ist dem Text der Proserpina ähnlich. Für Goethe waren antike Themen präsent.

18 Ebd., S. 193. 19 Goethe: Proserpina. In: BA 5, S. 336. 1. Johann Wolfgang von Goethe: Leben und Werk

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2.1 Entstehung und Quellen

2.

Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen Goethe äußerte sich in den Tag- und Jahresheften. Annalen zurückhaltend über die Entstehung des Stückes. Unter dem Absatz „Bis 1780“ findet sich der Vermerk: „Bei Gelegenheit eines Liebhabertheaters und festlicher Tage wurden gedichtet und aufgeführt: Lila, Die Geschwister, Iphigenia, Proserpina“20. Der Hinweis auf das Liebhabertheater Liebhabertheater ist ernst zu nehmen. Im Absatz „1787 bis 1788“ wird noch lapidarer mitgeteilt: „Von Ausführung des Einzelnen findet sich viel in den zwei Bänden der Italienischen Reise. Iphigenie ward abgeschlossen, noch vor der sizilianischen Fahrt.“21 Der Weimarer Hof wollte anlässlich der Geburt einer Prinzessin ein mit einer weiblichen Hauptfigur besetztes Stück haben. Es war für die Feier des ersten Kirchganges der Herzogin vorgesehen. Goethes berühmtes Stück über Humanität und Entsühnung war „von vornherein als Festspiel für eine in französisch-höfischen Formen denkende Gesellschaft gedacht“22. Die Idee zur Iphigenie auf Tauris entstand vermutlich 1776, wie aus einer Riemer diktierten Notiz Goethes hervorgeht.23 Goethe wurde zu diesem Zeitpunkt, wenn auch nicht widerspruchsfrei, in die Oberschicht des Fürstentums aufge20 Goethe: Tag- und Jahreshefte. In: BA 16, S. 9 und ders.: Annalen oder Tag- und Jahreshefte von 1749 bis 1822. In: Sämtliche Werke. Vollständige Ausgabe von Karl Goedeke. 11. Band, Stuttgart 1874 (Cotta), S. 226. 21 Ebd., S. 12 und 228. 22 Robert Petsch: Wesen und Formen des Dramas. Allgemeine Dramaturgie. Halle: Max Niemeyer Verlag, 1945 (Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 29. Bd.), S. 238. – Diese Untersuchung ist in Bibliotheken oder Antiquariaten zugänglich und eine hilfreiche Anleitung zur Untersuchung des Aufbaus von Dramen. 23 Friedrich Wilhelm Riemer: Mitteilungen über Goethe. Band 2, Berlin 1841, S. 83.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen nommen. Er löste Verwaltungsaufgaben, lernte regieren und war bei Rekrutenaushebungen dabei, die Entwürfe zur Iphigenie im Gepäck. Goethe hatte zu dieser Zeit bereits Kenntnisse der griechischen Mythologie; das gehörte zur Allgemeinbildung und war für die Zeitgenossen selbstverständlich. Dass er sich des Stoffes bediente, entsprach seinen Kenntnissen und der Methode, bevorzugt „gegebenen Stoff“ zu verwenden.24 Da seien Fakten und Charaktere vorhanden; der Dichter brauche nur Weniges von sich hinzuzutun. „Wie oft ist nicht die Iphigenie gemacht, und doch sind alle verschieden; denn jeder sieht und stellt die Sachen anders, eben nach seiner Weise.“25 Vertiefte Kenntnisse der antiken Mythologie und der Iphigeniegestaltungen standen ihm in der Entstehungszeit nach eigener Erinnerung nicht zur Verfügung. Hätte er sie gehabt, „so wäre das Stück ungeschrieben geblieben“26. Er hatte sich ausführlich mit Shakespeare beschäftigt, mit Folgen für den Götz von Berlichingen. Spuren dieser Beschäftigung sind auch in der Iphigenie auf Tauris zu finden: Der Wahnsinn des Orest ähnelt dem der Ophelia in Shakespeares Hamlet; Orests Muttermord erinnert an Hamlets Onkelmord. Wenn Orest Iphigenie als „Schöne Nymphe“ (V. 1201) anspricht, ist das der Anrede Hamlets an Ophelia ähnlich: „Nymphe, schließ / In dein Gebet all meine Sünden ein!“ (Hamlet III, 1) Im Januar 1776 überreichte Goethe als Bauer verkleidet auf dem Schloss der Steins Großkochberg, das lag im Herzogtum Sachsen-Gotha, im Ausland, seinem Herzog ein Gedicht, scheinbar von diesem Bauern geschrieben. Es enthält neben der Betrachtung des Bauernstandes27 die früheste Huldigung 24 25 26 27

Eckermann, S. 63. Ebd. Friedenthal, S. 282. Goethe setzte sich für eine Entlastung der Bauern ein; er wurde auch beim Herzog deshalb vorstellig. Aber seine Entwürfe trafen auf Schwierigkeiten und scheiterten. Vgl. Pierre-Paul Sagave: Ideale und Erfahrungen in der politischen Praxis Goethes im ersten Weimarer Jahrzehnt. In: Goethe-Jahrbuch, 33. Band, Weimar 1976, S. 111 ff.

2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen an Charlotte von Stein: „Dies reich ich Euch im fremden Land, / Bliebe auch übrigens gern unbekannt. / Zieht ein und nehmet Speis und Kraft / Im Zauberschloss in der Nachbarschaft, / Wo eine gute Fee regiert, / Die einen goldnen Zepter führt / Und um sich eine kleine Welt / Mit holdem Blick beisammenhält.“28 Die einem fiktiven „Seb. Simpel“ zugesprochenen Verse beschreiben bei aller Schlichtheit ein Iphigenien-Modell: Der unbekannt bleibende Sprecher im fremden Land empfiehlt eine Fee (Göttin), die die kleine Welt beherrscht. Vom 14. April 1776 stammt das Gedicht An Charlotte von Stein, das verwirrte lyrische Subjekt sieht sich auch als Bruder der Bedichteten: „Ach, du warst in abgelebten Zeiten / Meine Schwester oder meine Frau (...). Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,/ Richtetest den wilden irren Lauf, / Und in deinen Engelsarmen ruhte / Die zerstörte Brust sich wieder auf.“29 Ähnliche Worte findet der vom Wahnsinn genesende Orest gegenüber Iphigenie (V. 1341 ff.). Vom 14. Februar bis 28 März 1779 wurde der erste Prosaentwurf niedergeschrieben. Die Entstehung bedrückte Goethe und machte ihm „den Kopf ganz wüst“ (An Charlotte von Stein am 14. Februar): Einmal schrieb er, dass er mit seiner „Menschenglauberei“ (die Soldaten aus der Menge herausklauben) fertig sei, „Mein Stück rückt!“ (An Charlotte von Stein am 1. März). Am nächsten Tag teilte er mit: „Knebeln können Sie sagen, dass das Stück sich formt und Glieder kriegt. Morgen hab ich die Auslesung (Rekrutenaushebung, R.B.), dann will ich mich in das neue Schloss sperren und einige Tage an meinen Figuren posseln“ (An Charlotte von Stein am 2. März). In „dem ruhigen und überlieblichen“ Dornburger Schloss (3./ 4. März) ging die Arbeit voran, hätte er die „schönen Tage“

Die früheste Huldigung an Charlotte von Stein

28 Goethe: Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn. In: BA 2, S. 207 f. 29 Goethe: An Charlotte von Stein. In: ebd., S. 210 f.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen nicht gehabt, „so wäre das Ei halb angebrütet verfault“ (An Knebel am 5. März 1779). Diese Fassung „ist der Höhepunkt der Goethe‘schen Antikebegegnung in den ersten Weimarer Jahren“30. Während der Arbeit erlebte er die Die Strumpfwirker in Apolda Strumpfwirker in Apolda, dem einzigen Industriestandort des Herzogtums. In Apolda war es schon 1760 und 1773 zu Auseinandersetzungen gekommen. Zuletzt hatte man Husaren zur Niederschlagung eingesetzt. Verleger stellten den Strumpfwirkern Garn zur Verfügung und verkauften anschließend die Strümpfe. Die Verleger verdienten ein Mehrfaches von dem, was ein Minister wie Goethe bekam (Goethe bekam 1.200 Taler, die Verleger verdienten 5.000 Taler; die Wirker bekamen 78 Taler im Jahr, die Spinnerinnen 2131). Goethe war entsetzt: „Leben aus der Hand in den Mund.“32 An Charlotte von Stein schrieb er am 6. März die oft zitierten Worte: „Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolda hungerte“. Eine soziale Wirklichkeit drängte ins Bild, mit der die königlichen Gestalten seines Schauspiels nichts zu tun hatten, für die er aber als Minister zuständig war. Am 8. März teilte Goethe dem Herzog aus Buttstädt seine Erfahrungen bei der Rekrutenaushebung ironisch mit und bemerkte: „Übrigens lass ich mir von allerlei erzählen, und alsdenn steig ich in meine alte Burg der Poesie und koche an meinem Töchtergen.“ (Goethe an den Herzog Karl August, 8. März 1779.) Das „Töchtergen“ war Iphigenie. Alles in allem

30 Riedel 2000, S. 159. 31 Vgl. zu diesen Angaben und zur Gesamtsituation: W. Daniel Wilson: Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München: dtv, 1999, S. 141. 32 Friedenthal, S. 241. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen prägte „eine gedrückte Gemütsstimmung“33 den Dichter, an der vor allem der Weimarer Alltag, die gescheiterte Erziehung des Herzogs und eine allgemeine Resignation („Die Umstände erziehen alle Menschen, und man mache was man will, die verändert man nicht,“ schrieb er am 8. März 1779 an den Herzog.) Anteil hatten. Iphigenie erscheint als „ein Teil des Dichters, aber als ein artifizieller, herausgestellter, grundsätzlich andersartiger, der bildbar war, so dass sich auf ihn ansonsten unerfüllbare Hoffnungen und Sehnsüchte konzentrieren ließen, der allerdings auch seine eigenen Wege gehen würde und sich dabei zwangsläufig vom Schöpfer entfernen musste.“34 Den vierten Akt schrieb Goethe an einem einzigen Tage. Am 28. März 1779 schloss er das Stück im Gartenhaus ab. Die fertigen Akte wurden Freunden wie dem Herzog und Knebel vorgelesen, danach las Knebel sie Herder und dem Kammerherrn von Seckendorf vor. Das Stück war in einer Zeit heftiger Betriebsamkeit entstanden; Goethe war viel unterwegs, beim Straßenbau und mit der Kriegskommission. Statt am Schreibtisch entstanden die Szenen im zermürbenden Alltag des Ministers, der in den Wirtshäusern der Dörfer und Städte wohnte. Ohne den ständigen Blick auf diese Erfahrungen ist das Stück nicht zu verstehen: Es wurde der ideale Gegenentwurf zu Der ideale Gegenentwurf zu einer einer misslichen Wirklichkeit. Goethe misslichen Wirklichkeit spürte, dass diesen Verhältnissen ein harmonischer Text wie ein Spiegel entgegengehalten werden musste. Karl Theodor von Dalberg, dem späteren Kurfürsten von Mainz und Freund der Schwägerin Schillers Caroline von Wolzogen, wollte er „mündlich meine Bedenklichkeiten“ sa33 Bernd Leistner: Spielraum des Poetischen. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1985, S. 17. 34 Werner 1984, S. 133.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen gen (Brief vom 21. Juli 1779). Ein Jahr später wurde die Distanz noch größer: „Meine Iphigenie mag ich nicht gern, wie sie jetzo ist, mehrmals abschreiben lassen und unter die Leute geben, weil ich beschäftiget bin, ihr noch mehr Harmonie im Stil zu verschaffen und also hier und da dran ändere.“ (Brief an Johann Kaspar Lavater vom 13. Oktober 1780).35 Dass das Stück zum Vers tendierte, wurde in der Fassung in freien Jamben deutlich, die Lavater 1781 nach der ihm von Knebel geliehenen Abschrift der Urfassung anfertigte.36 Goethe arbeitete indessen weiter an seiner Prosafassung; die Versifizierung Lavaters kannte er nicht. Während eines Kuraufenthaltes in Karlsbad (24. Juli bis 28. August 1786) wurde das Stück in Verse umgeschrieben. Goethe las es am 22. August 1786 dem Herzog und seiner Begleitung vor: „Dem Herzog ward’ s wunderlich dabei zu Mute. Jetzt da sie in Verse geschnitten ist, macht sie mir neue Freude, man sieht auch eher, was noch Verbesserung bedarf. Ich arbeite dran und denke morgen fertig zu werden.“ Wieder war es Charlotte von Stein, der er, wie hier am 23. August 1786, über die Umarbeitung berichtete. Nach der Beendigung der Überarbeitung sollte für beide ein neues Leben beginnen, das er als Utopie im gleichen Brief entwarf: „(...) dann werde ich in der freien Welt mit Dir leben, und in glücklicher Einsamkeit, ohne Namen und Stand, der Erde näher kommen, aus der wir genommen sind.“ Es verging „ein völliges Vierteljahr“, genauer: fünf Monate, ehe Goethe am 10. Januar den Abschluss in der Italienischen 35 Die Handschriften der ältesten Fassung des Stückes hatten ein typisch deutsches Schicksal: Die in Straßburg liegende ging mit der Bibliothek in Flammen auf, während die Deutschen die Stadt im Krieg 1870/71 bombardierten, die in Dessau liegende, von Lavater dem Fürsten von Anhalt-Dessau geschenkt, zählt zu den Kriegsverlusten des Zweiten Weltkriegs. 36 Diese Fassung taucht bis zum heutigen Tage auch in seriösen Dokumentationen als eine Fassung Goethes auf. Das liegt daran, dass Jakob Baechtold sie in Goethes Iphigenie in vierfacher Gestalt aufnahm. Die Fassung kommt aber für die Textgeschichte nicht in Betracht; die Weimarer Ausgabe bringt sie als Anhang zum Lesartenapparat der Prosafassung. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen Reise niederschrieb.37 Die endgültige Fassung in fünffüßigen Jamben entstand während dieser Reise: „(...) sogar Iphigenien nehm’ ich noch auf die Reise mit“, hatte er an Frau von Stein am 1. September 1786 geschrieben. Aus der „poetischen Prosa“ in Herder hatte ihm geraten, das Stück Jamben konsequent aus der „poetischen Prosa“ in Jamben zu übertragen. Auf der italienischen Reise sah er ein Bild einer Heiligen Agathe in Bologna. In sein Tagebuch schrieb Goethe am 19. Oktober 1786, Raffael habe „ihr eine gesunde sichere Jungfräulichkeit gegeben, doch ohne Kälte und Rohheit“. Ihr werde er im Geiste seine Iphigenie vorlesen und meine „Heldin nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte“38. Während dieser Begegnung kam Goethe auch der Einfall zu einer Iphigenie in Delphi; eine Inhaltsskizze trug er in sein Tagebuch ein: „Indessen sind Iphigenie, Orest und Pylades gleichfalls zu Delphi angekommen. Iphigeniens heilige Ruhe kontrastiert gar merkwürdig mit Elektrens irdischer Leidenschaft, als die beiden Gestalten wechselseitig unerkannt zusammentreffen.“39 Während der Umarbeitung in Verse kamen keine dramaturgischen Veränderungen hinzu. Aber es veränderten sich Akzentsetzungen. Sie fallen beim Parzenlied auf. 1779 hatte es geheißen: „In meiner Jugend sang ’s eine Amme uns Kindern vor.“ Die Formulierung „uns Kindern“ stand auch 1781. Erst in der endgültigen Fassung von 1787 wurde aus dem unbestimmten „uns Kindern“ das sehr bestimmte und die Situation des Stückes reflektierende „In unsrer Jugend sang ’s die Amme mir / Und den Geschwistern vor“ (V. 1724 f.). Bei der Erinnerung an von den Parzen beschriebene Verdammte hieß es 37 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 322 (10. Januar). 38 Ebd., S. 266 (19. Oktober). 39 Ebd., S. 267 (19. Oktober).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen 1779: „(...) aus der Tiefe dampft ihnen des Riesen erstickter Mund gleich andern Opfern ein leichter Rauch“. So blieb es 1781. Erst 1787 trat eine neue Formulierung ein: „Aus Schlünden der Tiefe / Dampft ihnen der Atem / Erstickter Titanen / Gleich Opfergerüchen, / Ein leichtes Gewölke.“ (V. 1749 ff.) Die mythische Ordnung war wieder hergestellt: Die Titanen wurden von den Göttern verbannt. Der 4. Auftritt des 4. Aktes in der Prosafassung unterscheidet sich in der Motivation und Gesprächsführung von dem der endgültigen Versfassung. Der 6. und 7. Auftritt des 5. Aktes der Prosafassung wurde in der Versfassung zu einem Auftritt zusammengezogen. Wortänderungen wurden vorgenommen, Riesen wurden zu Titanen, „ewig“ bekam eine endgültige Bedeutung. Beschreibungen der Gestalten veränderten sich: In der Versfassung bezeichnet Orest Iphigenie als „Heilige“ (V. 2119), in der ersten Prosafassung stand diese ungewöhnliche Bezeichnung für die heidnische Priesterin nicht. Aber inzwischen hatte Goethe Charlotte von Stein zur Idealgestalt erhoben und sie in seinen Briefen als „Heilige“ bezeichnet. Immer mehr wurde die Versfassung auch zur Erinnerungsarbeit über die gescheiterte Beziehung zwischen Goethe und Frau von Stein.40 Goethe lebte in Rom bei dem Maler Tischbein. Der schrieb an Lavater: „Da sitzet er nun jetzo und arbeitet des Morgens, um seine Iphigenia fertig zu machen, bis um 9 Uhr, dann gehet er aus und siehet die großen hiesigen Kunstwerke.“41 In Rom las Goethe das Stück deutschen Künstlern vor. Tischbein und Moritz waren darunter. Die Zuhörer „konnten sich in den ruhigen Gang nicht gleich finden; doch verfehlten die edlen und reinen Stellen nicht ihre Wirkung.“42 Sie hatten einen Götz von Berlichingen erwartet und hörten von einer Iphigenie 40 Vgl. dazu auch: Koopmann, S. 88 f. 41 Wolfgang Goetz: Goethe. S. 157. 42 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 321. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen auf Tauris, einer Insel, auf der um Menschlichkeit gerungen wurde. „Sie wollen Altdeutsches – er Klassisches, und Antike brauchen sie nicht, die haben sie um sich her.“43 Am 10. Januar 1787 schickte Goethe die Handschrift an Herder. Auch Philipp Seidel, der Vertraute, Agent, Sekretär und Diener, bekam aus Italien den Text. Es kam zum Disput zwischen Goethe und seinem Diener, Seidel44 fand nicht alle Überarbeitungen gut. Goethe gab ihm Recht. Um der Kunst und des Handwerks willen habe er sich entschlossen, das Stück umzuarbeiten. Dabei verlören einzelne Szenen, aber als Ganzes dürfte es gewonnen haben.45 Die endgültige Versfassung Goethes hatte noch Härten und Brüche der Prosafassung, die dem Stoff angemessen waren, weil Reste der im Reich von Barbaren spielenden Handlung blieben. Neben Charlotte von Stein hatten auch Einfluss anderer Frauen auf die andere Frauen Einfluss auf die Gestalt Gestalt Iphigenies Iphigenies, so die Schauspielerin Corona Schröter („ein Engel“), eine sinnliche Variante der Frau, und Goethes Schwester Cornelia (1750–1777), deren Tod ihm ein Verlust war, der ihm aber, wie er in Briefen mitteilte, ungelegen kam. Die Bruder-Schwester-Beziehung des Stücks ist ein Spiegel von Goethes Beziehung zu Cornelia. Nur war Cornelia kaum mit Iphigenie zu vergleichen. Zwar wurde Goethe von seiner Schwester wie von einem Magneten angezogen, aber er fühlte sich auch als ihr Herr und behandelte sie so. Von Cornelia könnte die Asexualität Iphigenies stammen. Die Schwester ekelte sich vor dem Geschlechtsakt. Für Iphigenie 43 Friedenthal, S. 315. 44 Philipp Friedrich Seidel, Goethes Kammerdiener und Sekretär (bis 1810), wurde am 7. April 1755 als Sohn eines Spenglers in Frankfurt am Main geboren. Goethes Mutter nahm ihn in ihr Haus. Als Siebzehnjähriger hatte er sein erstes großes literarisches Erlebnis: Er schrieb die erste Fassung des Götz ab. Seidel starb am 19. 11. 1820. – Er genoss größtes Vertrauen: Als Goethe nach Italien floh, wies er Seidel an, alle Briefe an ihn zu öffnen und zu erledigen. 45 Vgl. dazu: Friedenthal, S. 239.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen war es kein Problem mehr; sie kennt keine Sexualität. Sie ist nur Priesterin. Goethes Freund Karl Philipp Moritz – Goethes Freund Karl Philipp wenige Tage vor Goethe in Rom angeMoritz kommen – hatte durch seinen Weggang nach Rom eine „Herzensfreundin“, die Frau des Bergrats Standke, betrübt, Goethe fand sich in seiner Flucht vor Frau von Stein bestätigt. So lässt sich das „Schmerzenskind (...) aus mehr als einem Sinne“ verstehen. Die Erinnerung beim Abschluss hatte weniger formale Gründe als persönliche. Das Stück habe ihn „beschäftigt und gequält. Es ist nicht das erste Mal, dass ich das Wichtigste nebenher tue, und wir wollen darüber nicht weiter grillisieren und rechten“46. Goethes entscheidende Eintragung über die Fertigstellung der Iphigenie auf Tauris in der Italienischen Reise (10. Januar 1787) lautete: „Hier folgt denn also das Schmerzenskind, denn dieses Beiwort verdient ‚Iphigenia’ aus mehr als einem Sinne.“ Anteil am Abschluss hatte Moritz. Er hatte festgestellt, dass es eine Rangordnung der Silben gibt, aus der sich auch die Länge und Kürze der Silben ergebe.47 Goethe pflegte Moritz vierzig Tage, als dieser sich den Arm gebrochen hatte, und lernte dabei. Am 13. Januar 1787 schickte Goethe das Stück mit einem ausführlichen Brief an Herder: „Hier, lieber Bruder, die Iphigenia (...). Du hast nun auch hier einmal wieder mehr, was ich gewollt, als was ich getan habe! Wenn ich nur dem Bilde, das Du Dir von diesem Kunstwerke machtest, näher 46 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 322. 47 „Es ist auffallend, dass wir in unserer Sprache nur wenige Silben finden, die entschieden kurz oder lang sind. Mit den anderen verfährt man nach Geschmack oder Willkür. Nun hat Moritz ausgeklügelt, dass es eine gewisse Rangordnung der Silben gebe und dass die dem Sinne nach bedeutendere gegen eine weniger bedeutende lang sei und jene kurz mache, dagegen aber auch wieder kurz werden könne, wenn sie in die Nähe von einer andern gerät, welche mehr Geistesgewicht hat.“ Goethe: Italienische Reise, BA 14, S. 321. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen gekommen bin. Denn ich fühlte wohl bei Deinen freundschaftlichen Bemühungen um dieses Stück, dass Du mehr das daran schätzest, was es sein könnte, als was es war.“48 Für die klassische deutsche Dramatik entstand mit Iphigenie auf Tauris ein maßstabsetzendes BeiMaßstabsetzendes Beispiel spiel, das Drama des Sturm und Drang wurde zum klassischen Drama und gleichzeitig wurde die Tür zur Moderne aufgestoßen. Goethe sah einen „Teil der Wirkung“ auf Gestalten zurückgehen, die für das Personenensemble wichtig waren, ohne selbst aufzutreten: „(...) auch die Kühneren jenes Geschlechts, Tantalus, Ixion, Sisyphus, waren meine Heiligen. (...) ich bemitleidete sie, ihr Zustand war von den Alten schon als wahrhaft tragisch anerkannt, und wenn ich sie als Glieder einer ungeheuren Opposition im Hintergrunde meiner ‚Iphigenie’ zeigte, so bin ich ihnen wohl einen Teil der Wirkung schuldig, welche dieses Stück hervorzubringen das Glück hatte.“49 Ein Erfolg war der Druck des Stückes nicht. Als der Verleger Georg Joachim Göschen die Schriften Goethes zwischen 1787 und 1790 veröffentlichte, wurden neben 536 Exemplaren der ersten vier Bände der Werkausgabe 312 Exemplare der Einzelausgabe von Iphigenie auf Tauris verkauft. Die Auflage aber betrug 3.000 Exemplare. Die Entstehungsgeschichte wäre ohne Goethes zweiten Plan unvollständig. Wo die entsühnten Geschwister mit ihrem Freund Pylades nach der Abfahrt aus Tauris angekommen sind und ihre humanen Entwürfe verwirklicht haben, ist nicht bekannt und wird nicht einmal hypothetisch erwähnt. Während Goethe die Versfassung der Iphigenie auf Tauris beendete, 48 Wolfgang Goetz: Goethe. S. 166. 49 Goethe: Dichtung und Wahrheit. Aus meinem Leben. In: BA 13, S. 688.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen trug er sich mit dem Gedanken zu eiIphigenie auf Delphos ner Iphigenie auf Delphos. Ihre erste Erwähnung findet sich im Tagebuch der italienischen Reise für Frau von Stein. Am 18. Oktober 1786 hatte er im Halbschlaf den Einfall. „Es gibt einen fünften Akt und eine Wiedererkennung, dergleichen nicht viel sollen aufzuweisen sein.“50 Bei der Ausarbeitung des Tagebuchs zur Italienischen Reise wurde dem Plan ausführlich Raum gegeben. Elektra hofft, Orest werde das Bild der taurischen Diana nach Delphi bringen. Durch Zufälle und Irrtümer kommt es fast so weit, dass Iphigenie von Elektra mit „demselbigen Beil“, das so viel Unheil im Hause des Tantalus angerichtet hat, erschlagen wird. Gerettet wird Iphigenie, weil „eine glückliche Wendung dieses letzte schreckliche Übel von den Geschwistern abwendet. Wenn diese Szene gelingt, so ist nicht leicht etwas Größeres und Rührenderes auf dem Theater gesehen worden.“51 Es haben sich keine Manuskripte erhalten. Noch im Alter bedauerte Goethe, dass seine Iphigenie in Delphi ungeschrieben geblieben war. Das Stück schrieb 1941 erst Gerhart Hauptmann; für ihn gab es in dieser Zeit keine glückliche Wendung, sondern es war gemeinsam mit Hauptmanns anderen Stücken zum Atridenstoff (Agamemnons Tod, Elektra, Iphigenie in Aulis) die Beschäftigung mit einer Barbarei, in der man nur Schlächter oder Geschlachteter sein konnte. Rettung gab es keine, also wurde wieder das mythische Schicksal bemüht. Goethe hat den Tantalidenmythos im Tantalidenmythos im Alter Alter nochmals aufgenommen, so als nochmals aufgenommen habe er den Unzulänglichkeiten (s. S. 101 f.) Abschließendes hinzuzufügen. Erinnerungen an die Iphigenie sind im Faust II zu finden. In der Szene „Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta“, in der Helena auftritt, wird 50 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 134. 51 Ebd., S. 267. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen eine typische griechische Dramensituation benutzt, die bereits in Iphigenie auf Tauris variiert worden war: „Hain vor Dianens Tempel“. Der Auftritt Helenas mit dem „Chor gefangener Trojanerinnen“ ist eine Variation nach Euripides’ Troerinnen. Helena erscheint wie die sinnliche Variante zur geistigen Iphigenie in Goethes antiker Welt. Die Uraufführung der 1. Prosafassung Uraufführung der 1. Prosafand am 6. April 1779 statt. Das Stück fassung am 6. April 1779 wurde in einem Zimmer des Posthalters Hauptmann an der Esplanade in Weimar uraufgeführt52: Die Freunde waren begeistert, Luise von Göchhausen (1752–1807) hatte Goethe in ihrem „Leben noch nicht so schön gesehen“(Brief an Goethes Mutter vom 12. April 1779), der Leibarzt des Herzogs Christoph Wilhelm Hufeland (1762– 1836) glaubte gar, „einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit in einem Manne als damals an Goethe.“53 Die Leistungen der Schauspieler bei der ersten Aufführung beschrieb Eduard Devrient so: „Corona Schröter spielte die Iphigenie, ganz in Goethes Intention, Knebels würdige Haltung und Deklamation als Thoas wurde gerühmt, Prinz Constantin spielte den Pylades, Goethe den Orest mit etwas überpathetischer Deklamation und allzu heftigen, eckigen Bewegungen, wie sie Dilettanten und Anfängern eigen sind.“54 52 Ein Exemplar des Textes, der dabei gesprochen wurde, schenkte Goethe anlässlich der Aufführung Karl Ludwig von Knebel. Diese Abschrift ist nicht identisch mit der ersten Niederschrift Goethes. Durch diese Abschrift lernten Goethes Freunde Johann Caspar Lavater und Barbara Schultheß das Stück kennen. Vgl. dazu: Karl-Heinz Hahn und Eva Beck: Zu einer Handschrift der Iphigenie in Prosa. In: Goethe-Jahrbuch, 29. Band, Weimar 1972, S. 261 ff. 53 Vgl. Christoph Wilhelm Hufelands Erinnerungen. In: August Diezmann: Goethe und die lustige Zeit in Weimar. Leipzig 1857, S. 178. 54 Eduard Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Berlin: Henschel, 1967, Bd. I, Anmerkung S. 610.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen Das Schauspiel wurde am 12. April in Ettersburg ein zweites Mal gespielt. Die Aufführung wurde von Musik des Kapellmeisters Ernst Wilhelm Wolf begleitet. Bei der dritten Aufführung am 12. Juli in Ettersburg spielte der Herzog den Pylades. Georg Melchior Kraus malte die Szene, als Iphigenie ihren wiedergefundenen Bruder in die Arme schließen will. Es wurde ein berühmtes Bild mit Corona Schröter und Goethe. Die Aufführung wurde nochmals am 30. 1. 1781 wiederholt. Goethe hatte vor der Uraufführung Knebel beauftragt, dem Prinzen Konstantin die Rolle zu erläutern. Aber „Constantin war als tatkräftiger, tatendurstiger Held eine eklatante Fehlbesetzung. Ein verwunderlicher Fehlgriff Goethes, der ihn sonst doch nicht sehr männlich fand. Für spätere Aufführungen fand der Dichter die richtige Besetzung in Karl August, dessen Rollenverständnis er sehr lobte.“55 Die Kritiker ließen wenig Gutes an Constantin und sahen in Pylades’ listigen Einfällen nur Lügen Constantins, ohne zu bedenken, dass „der Gebrauch einer List gegen höchst inhumane Todesdrohung“ durchaus angemessen ist und dramaturgisch das Stück scheiterte, „würde Pylades gleich die Wahrheit sagen“56. Die Uraufführung der Versfassung Uraufführung der Versfassung fand 1800 im Wiener Burgtheater statt. 1800 im Wiener Burgtheater 1802 spielte Iffland das Schauspiel im neu erbauten Schauspielhaus in Berlin. Er hatte seine Ablehnung von 1785 überwunden: „(...) ich finde nicht, was man davon sagte! Seinwollende griechische Simplizität, die oft in Trivialität ausartet; sonderbare Wortfügung, seltsame Wortschaffung und statt Erhabenheit oft solche Kälte als die, womit die Ministerialrede beim Bergbau zu Ilmenau geschrieben ist.“57 55 Volker L. Sigismund: Ein unbehauster Prinz – Constantin von Sachsen-Weimar (1758–1793), der Bruder des Herzogs Carl August. In: Goethe-Jahrbuch, hrsg. von Karl-Heinz Hahn. 106. Band, Weimar 1989, S. 258. 56 Ebd. 57 Bode, Bd. 1, S. 317. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen Goethe schenkte Georg Wilhelm Krüger 1827 ein Exemplar der Jubiläumsausgabe der Iphigenie auf Tauris von 1825, ließ auf den Deckel in Goldschrift pressen „Herrn Krüger, dem bewunderungswürdigen Orest“ – Orest war früher Goethe selbst gewesen – und schrieb als Widmung hinein: „Was der Dichter diesem Bande / Glaubend, hoffend anvertraut, / Werd im Kreise deutscher Lande / Durch des Künstlers Wirken laut. / So im Handeln, so im Sprechen / Liebevoll verkünd es weit: / ‚Alle menschliche Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit.’“58 Der Stoff spielt in Griechenland vor 2500 Jahren. Veränderungen im Welt- und Menschenbild kündigten eine Krise der wirtschaftlich und kulturell blühenden Stadtstaaten an. Aber es gingen auch zukunftsträchtige Veränderungen vor sich wie die Selbstbestimmung, die sich die Menschen errangen. Protagoras von Abdera (etwa 480–410 v. d. Z.) war es, der mit seinem Homo-Mensura-Satz „Der Mensch ist das Maß (der Maßstab) aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nicht seienden, dass sie nicht sind“ den neuen Zustand beschrieb. Es ist der Zustand der Iphigenie Goethes. Protagoras war es auch, der an den Göttern zweifelte: „Ob es Götter gibt und wie sie sind, weiß ich nicht“, und deshalb aus Athen vertrieben wurde. Er hatte auf Euripides wesentlichen Einfluss. Von Euripides‘ Iphigenie in Aulis (405 v. d. Z.) ist nur der Schluss erhalten geblieben. Der Seher Kalchas erklärt die Windstille für die griechischen Schiffe als Strafe gegen Agamemnon, weil er eine „herrliche Hindin“ der Göttin Artemis/Diana gejagt habe. Die Griechen, zum Kriege gegen Troja ausgezogen, sitzen „ohne Ziel und Fahrt müßig in Aulis“59. Um die Windstille 58 Goethe: An Georg Wilhelm Krüger. In: BA 2, S. 283 und 750 f. 59 Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Bd. 1, Leipzig: Insel-Verlag, 1965, S. 337.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen aufzuheben, fordert der Seher Kalchas von Agamemnon, seine Tochter Iphigenie zu opfern. Agamemnon, ganz Feldherr, beugt sich dem Spruch des Sehers und lässt Klytämnestra (griech.: Klytaim(n)estra), seine Frau, und die Tochter Iphigenie ins Lager nach Aulis kommen, um Iphigenie vorgeblich mit Achill zu verheiraten. Iphigenie nimmt um der Griechen willen ihr Schicksal als Opfer auf sich: „Auf mir ruht jetzt jedes Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt der Flotte und der Fall Trojas, auf mir die Ehre der griechischen Frauen. Alles dieses werde ich mit meinem Tode schirmen.“60 Artemis entführt sie während der Opferung. Das Fragment Iphigenie in Aulis des Euripides Euripides und sein Stück Iphigenie bei den Taurern sind wesentliche stoffliche Vorlagen Goethes. Iphigenies Rettung nach Tauris ist die Voraussetzung für Euripides’ Drama Iphigenie bei den Taurern (413 v. d. Z.). Es ist Euripides’ Erfindung, die entführte Tochter Agamemnons mit der Priesterin auf Tauris, die ursprünglich eine Personifikation der Artemis war, gleichzusetzen. Bei Euripides werden die Götter menschlich; Iphigenie wird nicht geopfert. Durch die Göttin Athene wird Thoas befohlen, Iphigenie und Orest ziehen zu lassen. Für Euripides ist wichtig, dass Orest seine Taten als Verstoß gegen eine sittliche Ordnung begreift und mit seinen Taten Buße tun will. Götter und Menschen werden in Orests Vorstellung ähnlich: „(...) auch die Götter, die der Mensch allweise nennt, / Sind lügenhaft, beschwingten Traumgebilden gleich. / In allem, ob es göttlich, ob es menschlich sei, / Herrscht viel Verwirrung; überall ist Kummer nur.“61 Iphigenie wird nach ihrer Priesterschaft bei den Taurern Artemispriesterin in Brauron auf Attika. Hier zeigt man auch 60 Ebd., S. 346. 61 Euripides: Iphigenie bei den Taurern. Deutsch von J. J. C. Donner. Leipzig: Reclam, 1926 (Universal-Bibliothek Nr. 737), S. 28. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen ihr Grab und erinnert sich der Reste des Mythos, indem Menschen durch einen kleinen ungefährlichen Schnitt am Hals bluteten und zum Opfer wurden. Ursprünglich war Iphigenie wohl eine vorgriechische Göttin, die mit Artemis gleichgesetzt wurde. Auf dem Geschlecht Iphigenies, den Tantaliden, ruht ein Götterfluch, weil der Ahnherr Tantalus die Götter provoziert hat. Er hat seinen Sohn Pelops geschlachtet und den Göttern als Essen vorgesetzt, um ihre Allwissenheit zu prüfen. Das bedeutete Aufbegehren gegen göttliche Allmacht und Zweifel an göttlichem Allwissen. Die Götter erkannten den Betrug und erweckten Pelops wieder zum Leben. Auch soll Tantalus den Göttern Nektar und Ambrosia gestohlen und den Menschen gebracht haben. Tantalus’ Strafen dafür sind bis zum heutigen Tage als „Tantalusqualen“ sprichwörtlich geblieben: In der Unterwelt steht er bis zu den Hüften, nach anderen Berichten bis zum Kinn im Wasser. Will er aber trinken, weicht das Wasser zurück. Über ihm hängen köstliche Früchte, versucht er nach ihnen zu greifen, um seinen Hunger zu stillen, bläst sie der Wind davon. Schließlich hat er ständig Angst, ein über ihm hängender Felsen könnte herabstürzen. Aus dem Fluch, der auf den Tantaliden liegt (s. S. 46 ff.), entsteht eine zunehmende Vermenschlichung der Familienmitglieder, die in Iphigenie ihren Höhepunkt erlebt. 1825 verdichtet Goethe diesen Vorgang in eine Widmung, in der es am Ende heißt: „Alle menschliche Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit.“(s. Zitat S. 40) Zum Thema von Goethes Iphigenie geStoff der Tantaliden hört der gesamte Stoff der Tantaliden, auf die Iphigenie mehrfach zu sprechen kommt (u. a. ausführlich V. 315 ff.). Orest sieht die Vorfahren in seiner Hadesvision vor sich (V. 1223 ff. und 1258 ff.). Nach Tantalus wird sein Sohn Pelops, der Herr über die nach ihm benannte Peloponnes wurde, schuldig, indem er durch Betrug die Kö-

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2. Textanalyse und -interpretation

2.1 Entstehung und Quellen nigstochter Hippodamien gewinnt, seine Gegner ermordet – den König Stymphalos hackt er in Stücke und verstreut seine Glieder – und Vertraute vernichtet. Seine Söhne Thyest(es) und Atreus bringen gemeinsam mit ihrer Mutter Hippodamia den Halbbruder Chrysippos um. Als Pelops von Hippodamia diesen Sohn verlangt, den er zu seinem Nachfolger machen will, begeht Hippodamia Selbstmord. Zwischen Atreus und Thyest bleibt es nicht bei der Eintracht. Thyest verführt die Frau des Atreus, wird aus dem Land vertrieben und erzieht einen Sohn des Atreus als eigenen, um ihn zum Mord an Atreus anzustiften. Das wird entdeckt, aber Atreus erkennt zu spät, dass es sein Sohn ist, der auf seinen Befehl „gemartert stirbt“. Atreus schlachtet die Söhne des Thyest und setzt sie ihm als Mahl vor. Er heiratet die Tochter des Thyest, Pelopeia, deren Sohn Aigisth(os) aber nicht von Atreus, sondern von Thyest ist: Aigisthos ist Sohn und Enkel zugleich. Von Atreus ausgeschickt, Thyest zu ermorden, erkennt er in ihm seinen Vater (und Großvater), erschlägt Atreus und später dessen Sohn Agamemnon, den Vater Iphigenies (siehe auch S. 46 ff. und S. 60). Quelle für Goethe war neben Racines Quelle für Goethe war Racines Andromache die Iphigenien-Tragödie (Iphigenie bei den Taurern) des Euripides, Andromache und die IphigenienTragödie des Euripides auf die auch Racine zurückging. Bei Euripides gab es ausschließlich Barbaren, anders konnte der Grieche Nichtgriechen nicht bezeichnen. Sie zu betrügen war Verpflichtung der Griechen und durchaus richtig. Orest war sein Held; Iphigenie half ihm mit Lug und Trug. Rettung kam schließlich von den Göttern. Das brachte auch eine andere Gewichtung mit sich. Bei Euripides tritt Iphigenie im letzten Auftritt nicht auf; sie ist mit dem Bild der Artemis/Diana auf der Flucht. Alle Konflikte wurden durch den Eingriff der Göttin Athene gelöst. Bei Goethe tritt an die Stelle der Athene 2. Textanalyse und -interpretation

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2.1 Entstehung und Quellen Iphigenie selbst und bestimmt die Prinzipien zukünftiger Beziehungen zwischen Griechen und Taurern: „Ein freundlich Gastrecht walte / Von dir zu uns (...)“ (V. 2153 f.). Im Unterschied zu Euripides wird Goethes Orest durch „reine Menschlichkeit“ entsühnt. Er wird nicht zum Dieb eines Götterbildes. Iphigenies Menschlichkeit wirkt nicht direkt auf Orests Heilung ein, sondern Iphigenie wendet sich an die Götter, deren Macht Orests persönliche Schuld auslöste. Orests Verbrechen, der Muttermord, gehört in eine Welt gegensätzlicher Moralsysteme, durch die seine Tat „zugleich gerechtfertigt und verurteilt, gewollt und bereut“ werden kann, „ihren Urheber in tiefste Verzweiflung stürzt, aus der er ‚mit freiem Herzen’ (V. 1342) hervorgeht“62. Euripides hatte den Muttermord Orests ambivalent beurteilt. Selbst in der Kritik an den Göttern konnte sich Goethe auf ihn berufen. Dennoch veränderte Goethe den Stoff entscheidend. Die poetische Vollkommenheit wurde mit der Lösung aller Konflikte erkauft. Goethe hat Racines Andromache (1667) vor Augen gehabt. Andromache ist ein Beispiel dafür, wie alle Konflikte ineinander greifen und in einer gemeinsamen Katastrophe gelöst werden. Lediglich Andromache legt ihren Handlungen eine sittliche Lauterkeit und Würde zu Grunde, die an den Charakter der Iphigenie Goethes erinnert. Wie diese Orest will Andromache ihren Sohn retten und dem Andenken an ihren Mann Hektor treu bleiben. Schon bei Racine wurde dem antiken Stoff ein völlig neues Moment beigegeben: Die Menschen werden von der Idee einer sittlichen Freiheit und unabhängig von den Göttern geleitet; der Mensch wird zum Urheber seiner Entschlüsse.

62 Werner 1984, S. 147.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.2 Inhaltsangabe

2.2 Inhaltsangabe Vorgeschichte: Die Handlung um Iphigenie ist der letzte Teil eines Fluches, der von den Göttern gegen die Familie des Tantalus ausgestoßen wurde. Insofern kann man das Schauspiel auch als den letzten Akt einer welthistorischen Welthistorische AuseinandersetAuseinandersetzung zwischen Menzung zwischen Menschen und schen und Göttern lesen. Iphigenie, Göttern von ihrem Vater Agamemnon, König und Oberbefehlshaber der griechischen Flotte, auf dem Weg in den Trojanischen Krieg zum Opfer bestimmt, weil das Orakel es befahl, wurde von der Göttin Diana gerettet, durch eine Hirschkuh ersetzt und in ein barbarisches Land entführt. Warum Diana über Agamemnon erzürnt gewesen ist, lässt Goethe offen: Neben der „herrlichen Hindin“ (Gustav Schwab), die Agamemnon verbotenerweise gejagt haben soll, hatte Agamemnon der Diana einst die schönste Frucht versprochen, die in seinem Reich zu finden sei. Im gleichen Jahr wurde Iphigenie geboren, die er der Göttin aber vorenthielt und die sie sich nun zur Priesterin holte. Nach dem siegreich beendeten Trojanischen Krieg kehrt Agamemnon in sein Königreich Mykene zurück, die Seherin Kassandra als Kriegsbeute mit sich führend. Er und seine Geliebte Kassandra werden von seiner Frau Klytämnestra und deren Geliebten Aigisthos erschlagen. Klytämnestra erklärt es in Äschylos’ Agamemnon (458 v. d. Z.) als gerechte Vergeltung für die geopferte Iphigenie. Orest muss nun seinerseits den Fluch erfüllen, der auf der Familie lastet, und zwiespältige Vergeltung üben: Er tötet die Mutter und verfällt, von den Erinnyen (Rachegöttinnen) verflucht, in Wahnsinn. Apollo verspricht Erlösung 2. Textanalyse und -interpretation

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2.2 Inhaltsangabe von der Schuld des Muttermordes und aus dem Wahnsinn, wenn er die Schwester von Tauris nach Griechenland bringe (vgl. V. 2113 ff.). Orest muss annehmen, es sei damit das Bild der Schwester Apolls – Diana – gemeint, das er aus dem Tempel der Barbaren entführen solle, denn vom Aufenthalt seiner eigenen Schwester Iphigenie auf Tauris kann er nichts wissen. Aber der Gott, dem der Aufenthalt Iphigenies bekannt ist, kann sich mit seinem Spruch auch auf Orests Schwester beziehen. Aus der ungeheuerlichen und spektaFamiliengeschichte der Tantaliden kulären Familiengeschichte der Tantaliden stammt der Stoff des Stückes. Iphigeniens Schicksal vom nicht vollzogenen Opfer bis zur Rolle der Priesterin auf Tauris bringt eine Art Abschluss und Lösung des Fluches der Tantaliden mit sich. Der Götterliebling Tantalus, der die Götter zu prüfen versucht hatte und dafür grausam bestraft wurde, löste den Fluch der Götter, damit Tantalus’ Schicksal und das aller folgenden Generationen dieser Familie aus.

Der Fluch der Tantaliden Es ist einer der spannendsten und folgenreichsten Kriminalfälle von der Antike bis in die Gegenwart. In der Tabelle stehen die einander in direkter Linie folgenden Herrscher der Tantaliden (s. auch S. 60). Ausgewählt wurde jeweils das Verbrechen, das zu neuem und verstärkendem Fluch führt. 1. Generation Der Ahnherr Tantalus

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schlachtet seinen Sohn Pelops und setzt ihn seinem Freunde Zeus und den übrigen Göttern vor. Diese merken das Verbre-

2. Textanalyse und -interpretation

2.2 Inhaltsangabe

chen. Tantalus wird bestraft mit ewigen Qualen und dem FLUCH der Götter. 2. Generation Sein Sohn Pelops

3. Generation Sein Sohn Atreus

wird durch die Götter wieder lebendig gemacht. Er bringt seinen Schwiegervater und seinen Helfer Myrtilos um. Später hackt er den König von Arkadien in Stücke, so wie es ihm durch Tantalus geschehen war. FLUCH des Schwiegervaters Oinomaos.

schlachtet die Söhne seines Bruders Thyestes und setzt sie diesem als Speise vor. Wird von Aigisthos getötet. FLUCH des Thyestes.

4. Generation Sein Sohn Agamemnon tötet den ersten Mann seiner späteren Frau Klytämnestra und beider Kind. Er ist bereit, seine Tochter Iphigenie der Göttin Diana/Artemis zu opfern. Stirbt durch den Sohn Thyestes‘ Aigisthos, und Klytämnestra. FLUCH des Thyestes.

2. Textanalyse und -interpretation

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2.2 Inhaltsangabe

5. Generation Sein Sohn Orest

tötet seine Mutter Klytämnestra und deren Geliebten Aigisthos, der auch sein Großonkel und Onkel ist, da Sohn des Thyestes und dessen eigener Tochter. FLUCH der Erinnyen. Zum Zeitpunkt der Tat hat Orest keine Kinder; der Fluch kann sich nicht fortsetzen. Auch über Iphigenie gibt es keine Fortsetzung. Damit wird ihre Lösung des Fluches zu einem ausgesprochen moralischen Vorgang.

Die fünf Generationen (s. auch S. 60) wirken wie eine fünfaktige Tragödie des Fluchs der Tantaliden, deren letzter Akt die Lösung des Fluchs darstellt. Der Fluch wird durch Kindesmord ausgelöst und die Morde und Opfer der Tantaliden konzentrieren sich auf die Kinder der Familie (von Pelops bis zu Iphigenie). Da Orest noch keine Kinder hat und auch unverheiratet ist, als er auf Tauris gefangen genommen wird, könnte der Fluch mit ihm und seinem Tod zu Ende gehen. 1. Aufzug: Auf Tauris ist Iphigenie Priesterin der Diana. Über die Skythen herrscht König Thoas. Diesen hat Iphigenie als Priesterin überzeugen können, die Menschenopfer, die zuvor Diana gebracht worden sind, abzuschaffen. Obwohl sie Anerkennung und Zuneigung gefunden hat, sehnt sie sich nach ihrer Heimat Grie-

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2. Textanalyse und -interpretation

2.2 Inhaltsangabe chenland und ihrer Familie. Sie weiß nicht, dass inzwischen der Fluch, der auf der Familie des Tantalus lastet, weitere Wirkung getan hat (Agamemnon ermordet, Klytämnestra getötet). Thoas ist vereinsamt. Er hat seinen Sohn im Kampf verloren, sich aber dafür gerächt und einen Sieg über seine Feinde errungen. Aus dem Krieg zurückkehrend begehrt er Iphigenie, die er schon lange liebt, einmal mehr zur Frau (Iphigenie: „Oft wich ich seinem Antrag mühsam aus.“, V. 155). Sie weigert sich trotz aller Zureden des Vertrauten Arkas. Iphigenie gesteht Thoas ihre Herkunft aus verfluchtem Geschlecht, um sich endlich vor seinem Eheverlangen zu retten: „Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.“ (V. 306) Thoas kündigt auf Iphigenies Ablehnung an, die Menschenopfer wieder einzuführen und zwei Fremde, die auf der Insel gelandet sind, dafür vorzusehen. Das aber sind, Iphigenie Orest und Pylades als weiß es noch nicht, ihr Bruder Orest Menschenopfer und dessen Freund Pylades. 2. Aufzug: Orest sieht sich dem Tode nah und damit weiter verflucht. Pylades indessen will noch nicht ins Schattenreich, das Reich der Toten, eintreten und sinnt auf Rettung. Im Gespräch beider erinnert man sich an die Vergangenheit. Pylades versucht, Orest von der Last des Fluchs zu befreien: „Die Götter rächen / Der Väter Missetat nicht an dem Sohn“ (V. 713 f.). Durch Pylades und Orest erfährt Iphigenie vom Ausgang des Trojanischen Krieges und dem Tod ihres Vaters sowie ihrer Mutter. Auch von ihrem vermeintlichen Tod als Opfer erfährt sie von Pylades, der nicht weiß, wen er vor sich hat, aber Iphigenies Anteilnahme spürt.

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2.2 Inhaltsangabe 3. Aufzug: Iphigenie löst im Heiligtum Dianens Orests Fesseln. Orest bestätigt ihr nochmals die Wirkungen des Fluchs. Sie ist über diese Unerbittlichkeit erschüttert: „So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch / Mit vollen wilden Händen ausgesät!“ (V. 968 f.). Die Geschwister erkennen sich, nachdem Orest seinen berühmten Satz gesprochen hat: „(...) zwischen uns / Sei Wahrheit! / Ich bin Orest!“ (V. 1080 ff.) Iphigenies Flehen zu Diana, den Bruder zu retten, findet eine erste Erfüllung: Orest erwacht „aus seiner Betäubung“ (V. 1257) und verliert seinen Wahn (V. 1258 ff.). Ihm erscheinen die Tantaliden, „ein versammelt Fürstenhaus“ (V. 1270), als Befreiung vom Fluch erlöstes und vom Fluch befreites Geschlecht. Orest sieht sich ebenfalls erlöst, die Eumeniden ziehen zum Tartarus und „schlagen hinter sich / Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu“ (V. 1361). Pylades drängt auf schnelle Flucht. 4. Aufzug: Iphigenie betet zu den „Himmlischen“ (V. 1369) und erfleht einen Freund in der Stunde der Not. Gleichzeitig lehnt sie Lügen ab. Die Gefahr vergrößert sich, als Arkas in Thoas’ Namen auf Beschleunigung des Opfers drängt. Iphigenie versucht, mit einer List den Bruder und Pylades zu retten und das Orakel Apolls zu erfüllen: Sie verkündet, das Bild der Göttin sei durch einen Mörder besudelt worden, der „nah verwandtes Blut“ vergossen habe (V. 1432). Das ist ein Hinweis auf Orest. Sie eile, um (...) an dem Meere / Der Göttin Bild mit frischer Welle netzend, / Geheimnisvolle Weihe zu begehn“ (V. 1437 ff.). Aber beim Nachdenken über die Flucht mit dem

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2. Textanalyse und -interpretation

2.2 Inhaltsangabe Götterbildnis verstärken sich die Zweifel, ob dieser Weg richtig ist, denn sie würde „auch Menschen hier“ auf Tauris verlassen, die sie schätzt, wie Thoas und Arkas. In einem großen Monolog, dem sich das Parzenlied (V. 1726 ff.) anschließt, wägt sie alle Entscheidungen ab, auch die, an den Hass der Titanen auf die olympischen Götter anzuknüpfen, seien doch die Götter unberechenbar und selbstherrlich. Damit aber wäre die Verfluchung der Tantaliden eine Willkür des obersten Gottes. Geholfen hätten ihr neben Diana vor allem Menschen wie Thoas, „(d)em ich mein Leben und mein Schicksal danke“ (V. 1711). Im Parzenlied erinnert sie den Sturz der Titanen, die Tantalusqualen und die Unerbittlichkeit der Götter, deren Flüche nicht mit Recht verbunden sind, denn die Verdammten harren „vergebens, / Im Finstern gebunden, / Gerechten Gerichtes“ (V. 1741 ff.). 5. Aufzug: Arkas beargwöhnt gegenüber Thoas die Gefangenen und die Priesterin. Thoas wird zweifelnd. Als er Iphigenie zum Opfer drängt, beruft die sich auf das Gebot, „(d)em jeder Fremde heilig ist“ (V. 1836). Als Thoas sie als Priesterin zum Opfer zu zwingen versucht, beruft sie sich auf ihre Entscheidungsfreiheit: „Ich bin so frei geboren als ein Mann“ (V. 1858). Da Orest und Pylades drängen, das Bild der Göttin zu rauben, tritt Iphigenie, unfähig zur Lüge, vor König Thoas hin und gesteht ihm den beabsichtigten Betrug. Sie vertraut seiner edlen Gesinnung. Thoas scheint dem zu entsprechen. Inzwischen stehen sich aber Griechen und Skythen kampfbereit gegenüber. Orest fordert Thoas auf, ihm einen Gegner für den Zweikampf zu geben. Iphigenie greift wiederum beruhigend und schlichtend ein: „Lasst die Hand / Vom Schwerte!“ (V. 2065 f.). Sie 2. Textanalyse und -interpretation

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2.2 Inhaltsangabe erreicht von Thoas die Erlaubnis zur Rückkehr in ihre Heimat, Orest und Pylades dürfen sie begleiDas Orakel erfüllt sich ten. Das Orakel erfüllt sich, indem Orest nun seine Schwester und nicht das Bildnis der Schwester Apolls aus Tauris führt. Diese Wandlung geschieht schnell und überraschend. Sie ist nicht die Folge eines Kampfes, wie ihn Männer pflegen, sondern der gewaltlosen Tat Iphigenies, die überzeugend wirkt und Thoas sogar zu einem segnenden Abschied überredet. Zwischen Griechen und Taurern soll in Zukunft „ein freundlich Gastrecht“ (V. 2153) walten. Statt Thoas’ männlicher Liebe will sie in ihm die Vaterähnlichkeit („wie mir mein Vater war“, V. 2156) ehren. (Dass bei dieser Erklärung die Zwiespältigkeit Agamemnons mitgedacht werden muss, der seine Tochter Iphigenie zu opfern bereit war und seine Frau mit Kassandra betrog, wird in Interpretationen grundsätzlich übersehen.) Entsagung trifft alle, den Barbaren Thoas am heftigsten. Er verliert die Priesterin, die geliebte Frau, den gefangenen Prinzen Orest samt Partner sowie die allumfassende Macht des Herrschers. Von Menschenopfern ist keine Rede mehr, indessen gibt es keinen Hinweis, wie sich Thoas nach Iphigeniens, Orests und Pylades’ Weggang verhalten wird. Zwar hat er das Schlusswort „Lebt wohl!“, aber das sagt nichts über Wiederbegegnung, freundliches Gastrecht oder gar Humanisierung auf Tauris aus.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.3 Aufbau

2.3 Aufbau Seit den griechischen Dramatikern und der Poetik des Aristoteles (330 v. d. Z.) hat sich die Struktur des klassischen Schauspiels kaum geändert. Sie wird auch als „geschlossene Form“ bezeichnet: „In der Tat bietet Goethes Iphigenie auf Tauris ein klassisches Beispiel für eine von der Idee her organisierte, harmonisch ‚geschlossene’ dramatische Form. Das Stoffliche ist so weit in den Hintergrund oder an die Seite gedrängt, dass sich das Ideelle gegen dessen Widerstände durchsetzen kann.“63. Die aristoteliEinheit der Handlung, des Ortes schen Bedingungen der Einheit der und der Zeit Handlung, des Ortes und der Zeit werden genutzt. Wenn Goethe die Iphigenie auf der fiktiven Insel Tauris spielen lässt, wird in dem Inselcharakter diese Geschlossenheit bestätigt. Wenn Iphigenie die Werbung des Königs im gleichen Augenblick zurückweist, in dem zwei Fremde auf Tauris gefangen werden, wurde die Einheit der Zeit gesucht. Die Figuren sind geradezu symmetrisch geordnet, wie es oft in antiken Dramen zu finden ist. Zwei Zweiergruppen stehen sich gegenüber: Thoas und Arkas einerseits, Orest und Pylades andererseits. Dabei sind die Begleiter ihren Herrschern stets untergeordnet. Beiden Gruppen geht es um Iphigenie; ihr Unterschied besteht in den Interessen. Thoas begehrt sie als Frau, Orest sucht Hilfe bei der Schwester. Der Dramentheoretiker Gustav Freytag hat im 19. Jahrhundert eine Norm entwickelt. Der Versuch mündete in einem Dreieck, dem Freytag einen „pyramidas Freytag’sche Dramendreieck dalen Bau“ bescheinigte. Der gilt allerdings nur für das „Zieldrama“, nicht für das „analytische 63 Werner 1984, S. 135. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.3 Aufbau Drama“. Goethes Iphigenie ist ein vollkommenes Muster dieser Struktur. Gustav Freytag rechnete Goethes Iphigenie auf Tauris zu den Meisterwerken in der „Handhabung dieser dramatischen Einheit“ und erklärte das dadurch, dass Goethe „an die Bühne gedacht“ habe (Gustav Freytag: Die Technik des Dramas. Leipzig: S. Hirzel, 31876, S. 38 f.). Die Fünfzahl der Akte entspricht den fünf Stadien der Handlung, wobei eine symmetrische Anlage zwischen Steigerung (1., 2.) und Fall (4., 5.) vorhanden ist: 1. Einleitung mit erregendem Moment – 2. Steigerung – 3. Höhepunkt mit tragischen und retardierenden Momenten – 4. Fall / Umkehr – 5. Katastrophe / Lösung mit dem Moment der letzten Spannung.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.3 Aufbau

Der Aufbau der Iphigenie 3. Aufzug Höhepunkt, Peripetie, unerwartete Wendung Orest und Iphigenie erkennen einander. Orest ist dem Wahnsinn verfallen, aber er kann durch Iphigenie geheilt werden. Iphigenie begreift, dass sie sich in einen schwierigen Konflikt begibt, bei dem sie sich zwischen dem Bruder und dem vertrauten und edlen Thoas entscheiden muss. 2. Aufzug Steigerung: erregende Momente Verhandlungen

4. Aufzug retardierende (verzögernde) Momente, Umkehr der Handlung

Iphigenie erfährt vom Untergang Trojas und dem Tod ihres Vaters. Orest sieht sich dem Tantalidenfluch verfallen. Nun wird die Zeit nach dem Trojanischen Krieg bekannt.

Iphigenie soll die Opferung Orests beschleunigen, da Thoas Verdacht schöpft. Sie schwankt, ob sie Thoas betrügen oder ihm die Wahrheit sagen soll. Das sind deutlich retardierende Momente. Thoas hat wie Iphigenie zwei Entscheidungsmöglichkeiten.

1. Aufzug Exposition Durch Iphigenie erfährt man von der Lage vor dem Trojanischen Krieg. Iphigenie ist Priesterin der Diana. Sie fühlt sich auf Tauris gefangen. Thoas kennt ihre Herkunft nicht. Um sich vor seinem Heiratsantrag zu schützen, gibt sie sich als Tantalidin zu erkennen. Thoas betrachtet das als Ausflucht und befiehlt, die von ihr abgeschafften Menschenopfer wieder einzuführen.

2. Textanalyse und -interpretation

5. Aufzug Katastrophe, Lösung Thoas erkennt den geplanten Betrug. Er zwingt Iphigenie zur Entscheidung. Diese vertraut der Menschlichkeit Thoas‘; Iphigenie sagt Thoas die Wahrheit. Orest will den Weg in die Freiheit erkämpfen. Aber Iphigenie befiehlt, die Hand vom Schwert zu nehmen. Thoas lässt die Griechen ziehen, Iphigenie hofft auf gegenseitige Gastfreundschaft.

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2.3 Aufbau Die aristotelische und klassische Dramenstruktur ist in Goethes Schauspiel an der Dreieinheit (Ort, Zeit, Handlung) der Antike zu erkennen. Was für die Dramenstruktur zutrifft, lässt für die Einheit der Handlung Fragen offen. Betrachtet man Iphigenies Aufbegehren gegen den Tantalidenfluch im Zusammenhang mit dem gesamten, im Stück umfangreich erinnerten Geschehen seit Tantalus, erscheint das geschlossene fünfaktige Schauspiel Goethes insgesamt als der letzte Akt einer antiken Familiengeschichte, deren fünf Generationen fünf Akte einer Tragödie repräsentieren. Das Stück ist dadurch auch ein Vorläufer der modernen Enthüllungsdramen, wie sie seit Hebbel und vor allem Henrik Ibsen an der Tagesordnung waren. Goethes Genialität bestand darin, dass er das Muster der vorbildhaften Dramenstruktur seit der Antike und der französischen Klassik bediente, gleichzeitig aber eine ungeheuer moderne Form des Dramas ankündigte. Die „Achse des Stückes“ In der Italienischen Reise beschreibt Goethe, dass die Malerin Angelika Kauffmann (1741–1807) nach seiner Iphigenie ein Bild malen wolle: „Den Moment, da sich Orest in der Nähe der Schwester und des Freundes wiederfindet. Das, was die drei Personen hintereinander sprechen, hat sie in eine gleichzeitige Gruppe gebracht und jene Worte in Gebärden verwandelt (...). Und es ist wirklich die Achse des Stückes.“64 Es handelt sich um die 3. Szene des 3. Auftritts. Orest ist geheilt, Iphigenie bittet die Götter um die Lösung des Fluchs, Pylades drängt auf schnelle Flucht. Die Lösung des Fluches erscheint möglich, weil die Parallelität zwischen den göttlichen Geschwistern Apollo und Diana mit den irdischen Geschwistern 64 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 374.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.3 Aufbau Orest und Iphigenie ahnbar wird. Die Szene wird beherrscht von einer ungetrübten Verbundenheit der drei Griechen. Tischbein nahm in sein Bild Goethe in der Campagna diese Szene als Bildzitat auf: Neben einem umgestürzten Obelisken, Hinweis auf das ägyptische Altertum, liegt ein Basrelief (Flachrelief), das die Erkennungsszene zwischen Iphigenie, Orest und Pylades abbildet. Goethe fand das Porträt „glücklich“, – im Gegensatz zu einem Gemälde, das Angelika Kauffmann von ihm malte –, ging jedoch nicht auf das Bildzitat ein. Innerhalb des dramatischen Aufbaus spielen die Gedichte, Gebete und Lieder Iphigenies eine organisierende Rolle, vor allem das Parzenlied. Die Parzen Parzenlied (griech.: Moiren) wurden erstmals von Hesiod erwähnt und waren als Lebens- und Schicksalsgöttinnen wichtig; verantwortlich für das menschliche Leben und Sterben. Aber es sind auch die Göttinnen des Frühlings, des Sommers und des Herbstes. – Die Parzen sind Töchter von Zeus und der Tochter des Uranos Themis; ihr Gegenstück sind die Horen. Nach einer anderen Version zählen sie zu den älteren Göttern vor den Olympiern. Goethe benutzt diese Lesart, denn die Parzen leiden bei ihm „mit dem edeln Freunde“ Tantalus, der von Zeus verbannt wurde, also vor Zeus im Zeitalter der Titanen agierte. Die Verse leben von strenger Rhythmik. Ihr Klang erinnert durch die Alliterationen, oft verbunden mit Assonanzen (Menschengeschlecht, halten – Herrschaft – Händen, Gäste geschmäht und geschändet, gebunden Gerechten Gerichtes, Gleich Opfergerüchen, ein leichtes Gewölke, wenden die Herrscher Ihr segnendes, ganzen Geschlechtern u. a.) an eine Gruppe marschierender Priester. Diese Stabreime der Konsonanten oder Binnenreime der Vokale waren in der Prosafassung des Stücks ebenso wenig vorhanden wie der mehrfache Einsatz 2. Textanalyse und -interpretation

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2.3 Aufbau von ewigen. Das erschien nur in der beiläufigen Verwendung „ewig wohl sein“. Mit dem Lied entsteht für Iphigenie die Alternative, gegen die Götter in titanischem Aufbegehren sich durchzusetzen, sich dem Hass der „alten Götter“ anzuschließen und sich auf die Seite der Titanen zu schlagen. Zwischen Iphigenies Monolog vor dem Parzenlied und dem Parzenlied ist die Verbindung das Wort „ewig“, das ebenfalls nicht in der Prosafassung stand. Der „ewige“ Fluch der Gestraften (V. 1694) bekommt seinen Gegenpol durch die „ewigen Feste“ (V. 1745) der Götter. Das Gleichgewicht wird erhalten durch die „Herrschaft / In ewigen Händen“ (V. 1728 f.).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Das Personenensemble ist klar organisiert. Es hat zudem eine ausgeprägte soziale Kontur: Alle PerAlle Personen des Stückes aus sonen des Stückes kommen nach heudem Hochadel tigem Verständnis aus dem Hochadel; sie stammen aus Herrscherhäusern oder sind, das trifft für Arkas zu, mit einem solchen vertraut. Im Zentrum steht die Titelfigur Iphigenie, die „Königstochter“ (V. 434) von Mykene, Schwester des Thronfolgers Orest und Cousine Pylades’ ist. In anderen Überlieferungen ist sie Pylades’ Schwägerin. Iphigenie steht in parallelen Beziehungen. Dabei entsprechen Orest und Thoas einander: der Bruder und der mögliche Ehemann; beiden hilft Iphigenie. Der eine wird gerettet, der andere wird ein aufgeklärter Fürst. Auf der Ebene darunter entsprechen sich Pylades und Arkas; sie sind den männlichen Figuren zugeordnet, aber sie sind auch Vermittler zwischen Iphigenie und den Herrschern. Sie halten dramaturgisch die Handlung in Bewegung. Zum Verständnis der Handlung und der Figurenkonstellationen ist die Kenntnis vom Stammbaum der Tantaliden (vgl. auch S. 42 f. und 46 ff. dieser Erläuterung) von Gewinn:

2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Stammbaum der Tantaliden65 Tmolos, König von Lydien oder Zeus ∞ Pluto, Tochter des Kronos Tantalus, König von Sipylos ∞ die Pleiade Dione, Tochter des Atlas 1. Astyoche ∞ Pelops ∞ 2. Hippodamia Broteas Niobe (in Stein verwandelt) (Tochter des Königs Önomaus, den Pelops tötete) (nach ihm die Peloponnes benannt) Chrysippos

Atreus

Thyest

∞ 1. Kleola

∞ 2. Aerope

Pleisthenes (I) Agamemnon Menelaos Anaxibia (König von Mykene) (König von Sparta) ∞



Klytämnestra Iphigenie

Elektra

Orest

Helena

Pelopia (Tochter)

Tantalus Pleisthenes (II) Aigisthos (= Sohn und Enkel von Thyest)

∞ Strophius Pylades

65 Übersichten und Lexika der Antike sind zahlreich; alle bieten eine Auswahl aus einer Vielzahl vorhandener Möglichkeiten. Gründlich, vielfältig und belegt sind die Darstellungen in: Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. rowohlts deutsche enzyklopädie, Bd. 115/116, Reinbek bei Hamburg, erstmals 1955.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Iphigenie ist die Tochter Agamemnons und Klytämnestras, somit die Schwester Orests und Elektras. Iphigenie wurde an einem wesentlichen Punkt aus dem Geschehen genommen. Sie kennt den Aufbruch der Griechen nach Troja, bis sie in Aulis der Göttin Diana geopfert wurde. Es ist jene Phase in der Weltgeschichte, in der die mythischen Bilder in die Geschichtsschreibung übergehen. Der Trojanische Krieg spielt an der Grenze von Mythos und Geschichte eine entscheidende Rolle. Sie kommt aus dem mythischen Raum, in dem Götter und Menschen miteinander verkehrten (Parisurteil als Kriegsursache). Sie tritt auf Tauris in die Geschichte ein; die Götter haben sich von den Menschen zurückgezogen. Dreimal wird an den Mythos erinnert: Iphigenie erzählt Thoas vom Fluch der Atriden, Orest berichtet vom Muttermord als Folge des Fluchs, Iphigenie erinnert sich an die Parzen und ihren sowie Orests Ahnherrn. Alle drei Berichte betreffen die furchtbare Gewalt des Mythos, aber alle drei Berichte betreffen Vergangenheit. Der Mythos hat an Gewalt verloren; der letzte ernsthaft Betroffene ist Orest. Von der Göttin zur Priesterin gemacht, hat nun Thoas Iphigenie selbstbewusst gemacht, denn er möchte sie zu seiner Königin erheben, obwohl er ihre Herkunft nicht kennt. Dass sie „Fürstin“ (V. 1824) ist, betont sie. Andererseits ist Iphigenie als Priesterin der Diana fast selbst zur Göttin aufgestiegen: So wie diese Göttin Iphigenie rettete, rettet sie nun Menschen vor der Opferung. Das ist Goethes Leistung: Iphigenie tritt an die Stelle Iphigenie tritt an die Stelle der der Göttin „und vertraut der Wahrheit Göttin 66 in ihr selbst, in des Menschen Brust“ , wie Hegel schreibt. Iphigenie vertritt eine vollkommene Idee der Toleranz. Durch ihre Menschlichkeit wird Thoas ebenfalls 66 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Bd. I, Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1965, S. 225. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken für menschliches Verhalten gewonnen. Nur ist die Haltung des Barbarischen und Unmenschlichen Thoas bereits zuvor fremd; er ist schon vor Iphigenies Wirken von einer ähnlich vollkommenen Menschlichkeit, nur mit anderem Götterauftrag. Dass er ein roher Wilder sei, wie die Sekundärliteratur oft verkündet, ist eine Unterstellung, die durch den Text, außer durch ironische Selbstbezichtigungen (Thoas bezeichnet sich „Als einen erdgebornen Wilden“, V. 501, später als „Barbar“, V. 1938), nicht bestätigt wird. Goethe verdrängt während der Arbeit an diesem Schauspiel die unerfüllte Liebe zu Charlotte von Stein; sie behelligt ihn nicht mehr. So kann Iphigenie zur Inkarnation „reiner Menschlichkeit“ werden. Die Gestalt wird ohne ihren ursprünglichen Hintergrund, der nur noch rudimentär im Text zu erkennen ist, widerspruchsfrei und edel. Aber sie wird, auch für Goethe selbst, „zunehmend utopisch“67. Orest ist Iphigenies Bruder und als Sohn Agamemnons Thronfolger von Mykene. Er wurde in tragische Schuld verstrickt und irrt als Muttermörder umher: Er musste die Mutter strafen, nachdem sie den Vater ermordet hatte; hätte er es nicht getan, wäre es eine Pflichtverletzung des Thronfolgers gewesen. Er musste sich dem im Mythos verwurzelten Familienfluch unterwerfen. Wie er sich auch entscheidet, er gerät in Schuld. Orest befindet sich in einer ausgesprochen tragischen Verwicklung. So ist der Wahnsinn eine glückliche Fügung, die die Schuld verdrängt. Die Heilung vom Wahn durch Iphigenie rechtfertigt Orests Handlungen. – Er kann

Thronfolger von Mykene und Muttermörder

67 Hans-Jürgen Geerdts: Johann Wolfgang Goethe. Leipzig: Reclam, 1972, S. 137.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken unter Menschen zurückkehren, obwohl er sich schon mit dem Totenreich abgefunden hatte. Durch die Begegnung mit der sich befreienden Iphigenie wird Orest aus den Wahnvorstellungen befreit und wieder lebensfähig. Nach gerade erfolgter Heilung kann sich Orest auch geistig aus dem mythischen Denken lösen: „Es löset sich der Fluch, mir sagt ’s das Herz. / Die Eumeniden ziehn, ich höre sie, / Zum Tartarus und schlagen hinter sich / Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu.“ (V. 1358 ff.) Diese Verse führen semantisch von Orest weg: ziehen zum, hinter sich, fernab. Es wird ein Prozess der Heilung gezeigt. Orest hatte reale Schuld auf sich laden müssen. Daraus ist ein Leidensdruck entstanden, der ihn in den Wahnsinn und in Todessehnsucht getrieben hat. Höhepunkt ist die Hades-Vision („Komm, folge mir ins dunkle Reich hinab!“, V. 1234). Orest tritt in den geschichtlichen Raum ein, nachdem er geheilt den mythischen verlassen hat. Die Heilung des Orest ist Metapher der Selbstgesundung Goethes. Der Wahnsinn Orests ist die Folge des Fluchs, der auf den Tantaliden liegt. Er ist aber auch die Folge übersteigerter Einbildungskraft, die zu Verblendung und Wahn führte. Es ist Goethes Problem auf der italienischen Reise und seine Methode danach: Einbildungskraft und Gefühle werden zurückgedrängt, um „das Objekt so rein als nur zu tun wäre in mich aufzunehmen“68. Dieser Vorgang, das Gefühl durch Vernunft zu ersetzen, verschafft einen veränderten Umgang mit der Wirklichkeit. Goethe ging während der italienischen Reise dazu über. Orest gesteht den Taurern das legitime Recht am Götterbild der Diana zu. Damit erkennt er sie als gleichberechtigte Partner an. Orest hat damit auch gegen das Bild gearbeitet, das Thoas von den Griechen entwirft: „Der Grieche wendet oft 68 Goethe: Annalen 1789. In: BA 16, S. 13. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken sein lüstern Auge / Den fernen Schätzen der Barbaren zu, / Dem goldnen Felle, Pferden, schönen Töchtern“ (V. 2102 ff.). Zwar trägt sich Orest mit dem Gedanken des Raubes, der ihm im griechischen Tempel eingegeben wurde, daraus entsteht eine Selbstbefreiung, die die Folge von Ehrlichkeit und Vertrauen ist. Das wird ihm im taurischen Tempel offenbar. Orest wird so zum ersten Gefolgsmann der edlen Menschlichkeit Iphigenies und beschleunigt Thoas’ Bereitschaft, die Griechen ziehen zu lassen. Orest ist vor der Krönung zum König („Mir auf das Haupt die alte Krone drücke!“, V. 2139) auch der standesgemäße Verhandlungspartner für Thoas. – Er kommt aus der antiken Tragödie und tritt in das moderne Schauspiel ein. Goethe schrieb mit seiner Iphigenie auf Tauris keine Tragödie, sondern ein Schauspiel. Der Unterschied ist beträchtlich. Beim Übergang von der antiken TraÜbergang von der antiken Tragögödie zum modernen Schauspiel domidie zum modernen Schauspiel niert nicht mehr das Schicksal, sondern die menschliche Entscheidung. Dabei steht Iphigenie auch bei Goethe bis zum Beginn des 5. Aktes vor einem tragischen Konflikt, der auch ein gesellschaftlicher zwischen Griechen und Barbaren ist: Sie kann die Rettung des Bruders betreiben, also seine Flucht und den Diebstahl des Götterbildes, oder Thoas die Wahrheit sagen, womit sie den Bruder der Opferung aussetzt. Iphigenie ist fast bis zum Schluss bereit, der familiären Bindung zu gehorchen und Thoas zu belügen. Goethes Iphigenie ist die Verbindung von Antikem und Modernem und die Aufhebung des Antiken im Erstrebten, das auch als Zukünftiges oder besser als Utopisches bezeichnet werden kann. Antik ist sie durch die Geradlinigkeit des Aufbaus, die auch die antiken Drei-Einheiten bedient. Antik ist das Schauspiel auch durch die Klarheit der Figurenanlagen. Aber die Charaktere der Figuren sind modern, die Humanität

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Iphigenies ebenso wie die Kompromissfähigkeit Pylades’, die Toleranz des Griechen Orest gegenüber den Skythen ebenso wie das staatspolitische Denken Thoas’. Thoas, als „schnellfüßig“ bezeichnet69, war ein Sohn des Dionysos und der Ariadne. Sein Volk waren die Taurier, weil Osiris einst Stiere (tauroi) ins Joch gespannt und das Land gepflügt hatte. Der König von Tauris, HerrKönig von Tauris scher über die Skythen, kommt aus einem Kriege siegreich nach Hause. Er hat das Reich seiner Feinde zerstört und seinen letzten Sohn, den die Feinde töteten, gerächt. Nun muss er diesen Sieg in praktische Politik für sein Volk verwandeln. Thoas schließt sich Iphigenies Prinzipien der Menschlichkeit an. Das fällt ihm nicht schwer, weil er schon vor der Begegnung mit Iphigenie ein menschlicher Herrscher ist und deshalb auch ihre Priesterschaft in seinem Lande angenommen hat. Iphigenie löst Thoas aus den Verpflichtungen der Göttin. Das kann sie unbeschwert tun, da die Göttin sie selbst vom Opfer zur Priesterin gemacht hat. So hat sich auch Goethe nach seinem Eintritt in die Weimarer Regierung und Verwaltung bemüht, aus dem Herzog Karl August einen aufgeklärten Fürsten, einen guten Herrscher zu machen. Das ist ihm unterschiedlich gelungen; der Erfolg war immer abhängig von der subjektiven Bereitschaft des Herzogs, also letztlich doch von seiner absolutistisch gehandhabten Macht. So gelangen Goethe manche Veränderung der Administration, aber keine grundsätzlich anderen Bedingungen. Ja, er unterwarf sich selbst mehrfach der üblichen Machtausübung und praktizierte sie. 69 Die mythologische Biografie Thoas’ ergibt sich aus Beschreibungen bei Euripides, Apollonios Rhodios, Eustathios und Apollodoros. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Iphigenie und Thoas sind von vornherein einer Meinung, weil sie beide nicht mehr töten wollen. Aber das ist der Ausnahmefall unter Herrschern, der sich nur in der Kunst abspielt. In der Wirklichkeit sieht sich Goethe tagtäglich mit den willkürlichen Maßnahmen einer nicht-aufgeklärten Verwaltung im Herzogtum konfrontiert und verzweifelt daran, obwohl er selbst an dieser Verwaltung gehörigen Anteil hat. Da war ihm das eigene Wohlergehen weit näher als der Einsatz für den unbekannten Namenlosen. Thoas ist der aufgeklärte Fürst, den Der aufgeklärte Fürst die klassische deutsche Literatur hervorgebracht hat. Nichts will er für sich, sondern alles für sein Volk, mit dem er sich in Übereinstimmung weiß: „Ein jeder sinnt, was künftig werden wird“ (V. 242). Er trägt Iphigenie die Ehe an. Diesen Wunsch hatte er privat stets, aber nun ist er gesellschaftlich erforderlich: „(...) ich hoffe, dich, / Zum Segen meines Volks und mir zum Segen / Als Braut in meine Wohnung einzuführen.“ (V. 248 ff.) Sein Handeln wird von den gesellschaftlichen Notwendigkeiten bestimmt. Damit repräsentiert er bürgerliches aufgeklärtes Denken und modernes Geschichtsbewusstsein. Iphigenie dagegen nutzt den Mythos und argumentiert auch mit seinem Fluch gegen diese Werbung: „Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.“ (V. 306) Thoas als „Wilden“ in der EntstehungsThoas als „Wilder“ zeit zu bezeichnen, war nicht abwertend, sondern Ausdruck natürlicher Schönheit und einer anderen Lebensführung. Lediglich in den Augen der Missionare waren die Ungläubigen „Wilde“. Alexander von Humboldt sah in der Behandlung der „Wilden“ durch die Missionare Missbrauch und Verstoß gegen den Anstand (Die Wiederentdeckung Amerikas). In den Geschichtsschreibungen der Antike waren die Wilden offen, opferbereit, gastfreundlich, mutig und treu,

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken vor allem aber lebten sie im Einklang mit der Natur. In Euripides’ Iphigenie bei den Taurern antwortet Thoas auf Iphigenies Mitteilung, die griechischen Fremdlinge seien Muttermörder: „O Phöbos! Auch kein Wilder hätte das gewagt.“ (Euripides, Iphigenie bei den Taurern, V. 1128) Iphigenie hatte Thoas entgegengehalten: „Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht“, Goethe lässt ihn antworten: „Ich bin ein Mensch“ (V. 503). Der Wilde ist der Mensch in der Geschichte, während die Priesterin gottähnlich im Mythos ist. Pylades ist ein Neffe Agamemnons und Menelaos’, Sohn ihrer Schwester Anaxibia. Dadurch ist er der Vetter Orests, Iphigenies und Elektras. In Euripides’ Iphigenie bei den Taurern wird Pylades im Personenverzeichnis als Freund Freund Orests Orests bezeichnet. Orest sieht in Pylades jedoch die Zukunft seines Hauses: „Und wirst du nun gerettet, blühn dir Kinder auf / Von meiner Schwester, welche dir ich anvermählt“70. Pylades ist hier mit Elektra verheiratet und damit Orests Schwager. Nichts davon bei Goethe. Er ist ledig und ungebunden, mit Orest befreundet und begleitet ihn als Ratgeber auf dem Weg, die „Schwester“ zu rauben. Dadurch kann sich, wenn auch mehr ahnbar als beweisbar, eine stille Neigung zwischen Iphigenie und Pylades entwickeln. Sie ist in der Prosafassung des Schauspiels noch spürbar, kaum mehr in der endgültigen Versfassung. Iphigenie ist lediglich im Gefühl höchsten Glücks und Elends auf der Suche nach einem Partner: „Wo bist du, Pylades? / Wo find ich deine Hülfe, teurer Mann?“ – Goethe hat alles aus dem Text getilgt, was auf eine weibliche Anziehung Iphigenies und eine 70 Euripides: Iphigenie bei den Taurern. Leipzig: Reclam 1926, S. 32 f. (V. 671 f.). 2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken verborgene Leidenschaft weist (4. Auftritt des 4. Aktes). In dem Gespräch zwischen Iphigenie und Pylades in der Prosafassung gibt dieser ihr Verhaltensmaßregeln, wie der Raub der Statue und die eigene Befreiung sich vollziehen sollte. Iphigenie antwortet, den starken Mann bewundernd: „Hör ich dich, o Teurer, so wendet meine Seele, wie eine Blume der Sonne sich nachwendet, deinen fröhlichen, mutigen Worten sich nach. O eine köstliche Gabe ist des Freundes tröstliche Rede, die der Einsame nicht kennt; denn langsam reift in seinem Busen verschlossen Gedank’ und Entschluss, den die glückliche Gegenwart des Liebenden leicht entwickelt. Doch zieht, wie schnelle leichte Wolken über die Sonne, mir noch eine Bänglichkeit vor der Seele vorüber.“71 Die Einsamkeit Iphigenies scheint hier aufgehoben zu sein und die Freundschaft steigert sich zur Neigung. Die Veränderungen in der Versfassung sind quantitativ gering, aber qualitativ wichtig. Es fehlen die genauen Bezüge auf Iphigenie, statt „meine Seele“ steht nun „die Seele“. Aus der konkreten Situation des Freundes Pylades wird die allgemeine Situation eines Freundes: „Vernehm ich dich, so wendet sich, o Teurer, / Wie sich die Blume nach der Sonne wendet, / Die Seele, von dem Strahle deiner Worte / Getroffen, sich dem süßen Tone nach. / Wie köstlich ist des gegenwärt’gen Freundes / Gewisse Rede, deren Himmelskraft / Ein Einsamer entbehrt und still versinkt. / Denn langsam reift, verschlossen in dem Busen, / Gedank’ ihm und Entschluss; die Gegenwart / Des Liebenden entwickelte sich leicht.“72

71 Goethe: Iphigenie auf Tauris. Erste Prosafassung. In: BA 7, S. 623 (Hervorhebungen, R. B.). 72 Goethe: Iphigenie auf Tauris. Versfassung. In: ebd., S. 690 f. (V. 1619 ff.)

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2. Textanalyse und -interpretation

2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken Die wenigen Worte, die fehlen, entindividualisieren Iphigenie. Pylades ist in der Dramaturgie des Stückes der Gegenentwurf zu Orest: So wie dieser sich durch Fluch und Schuld kurz vorm Tode sieht, ist Pylades ein hoffnungsfroher, einfallsreicher und optimistischer Mensch. Arkas ist der Vertraute des Königs Thoas und Der Vertraute des Königs Thoas auch der Überbringer seiner Nachrichten. Noch ehe der König selbst seinen Heiratsantrag vorbringt, bespricht Arkas ihn mit Iphigenie. Er geht in seinem Dienst für Land und König auf. Er redet kaum von sich, sondern meist vom „Wir“. Er ist wie Pylades ein Verstandesmensch, der sich durch Klugheit und schnelle Beobachtungsgabe auszeichnet. Pylades und er sind die Strategen der feindlichen Parteien. Er hat zudem klare Wertvorstellungen, die Staatsräson, Pflichterfüllung und Dankbarkeit für soziale Bindungen an oberster Stelle einordnen. Er ist auch der Sicherheitsverantwortliche des Landes: „Verwirrt muss ich gestehn, dass ich nicht weiß, / Wohin ich meinen Argwohn richten soll.“ (V. 1767 f.); Gerüchte werden bei ihm gesammelt, Krankheiten sorgfältig analysiert („jenes Mannes Wahnsinn“) und auch die Landesverteidigung von Tauris liegt in seiner Hand. Ihn als Sendboten in untergeordneter Funktion abzutun geht an seiner Rolle in der Figurenkonstellation vorbei. Er nutzt seine Macht nie, um die Politik Thoas’ zu unterlaufen, und ist für einen aufgeklärten Fürsten der ideale Partner. Er ist so, wie Goethe wahrscheinlich bei einem aufgeklärten Fürsten gern gewesen wäre.

2. Textanalyse und -interpretation

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2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Iphigenie Orest

Thoas

(wird vom göttlichen Fluch entsühnt)

(verzichtet auf göttliche Menschenopfer)

Pylades (Stratege des Angriffs auf das Götterbild)

Arkas (Stratege der Verteidigung Tauris’)

Die eigentlichen Initiatoren der Hand-

Pylades und Arkas als eigentliche lung sind die Vertrauten der WidersaInitiatoren der Handlung

cher: Pylades und Arkas. Sie selbst treten, da sie die Beauftragten ihrer Herrscher sind, miteinander nicht in Kontakt und verlassen die Bühne, wenn sie ihren Herrschern die Botschaften überbracht haben, ohne sich gegenseitig wahrzunehmen (5. Aufzug, 5. Auftritt).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Bei den folgenden Erklärungen mythologischer Namen wurde bevorzugt Karl Philipp Moritz’ Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten (1791) herangezogen, da er sich darin mehrfach auf einen „neueren Dichter“ beruft, mit dem er Goethe meinte, und seine Erklärungen auch jenes Wissen darstellen, das für die Zeitgenossen gültig und das Wissen Goethes war, der sich mit Moritz 1786 in Rom befreundete. Das entscheidende Lexikon der Goethe-Zeit war Hederichs Mythologisches Lexikon. Goethes Umgang mit mythologischen Namen und Ereignissen ist aufschlussreich für die Kenntnisse, die Goethe dem zeitgenössischen Publikum und Iphigenie in ihren Bekenntnissen dem Barbaren Thoas zumutete. Besonders Iphigenies Darstellung der Tantaliden, in der ohne Namensnennung auf die Söhne von Pelops, Atreus und Thyest verwiesen wird, war nur bei genauer Kenntnis des Mythos verständlich. Iphigenie (Titel): Die so genannte Taurische Göttin (Dea Taurica) ist der Beiname von Diana (Artemis), die „in der Göttin stillem Heiligtum“ (V. 3) angebetet wird. Ihre Priesterin ist Iphigenie, Tochter des Königs von Mykene und Befehlshaber der Achaier Agamemnon und der Klytämnestra. (Nach einer anderen Genealogie ist sie eine Tochter des Theseus und der Helena und wurde von Klytämnestra an Kindes statt angenommen.) Sie sollte in Aulis Diana (Artemis) geopfert werden, wurde aber von dieser gerettet. Die Göttin machte sie zur Priesterin (nach Euripides), nach einer anderen Version wurde sie unsterblich. Nach Hesiod wurde sie zur Göttin Hekate. Ursprünglich war Iphigenie eine chthonische Naturgottheit,

2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen die als menschenschlachtende Todesgöttin bekannt war, eine „finstere jungfräuliche Göttin der Trauer“73. Tauris (Titel): In der Antike war es der Name für die Halbinsel Krim. Von dorther kamen im Gegensatz zu Griechenland die Barbaren, zu denen auch die aus der Kolchis gehören (mythischer Stoffkreis der Medea), ebenfalls am Schwarzen Meer. Es sind mehrere Mythen, die sich überlagern, vor allem aber der der Tantaliden mit Iphigenie und der des Goldenen Vlieses mit Jason und Medea. Die Bezeichnung „auf Tauris“ weist aus, dass Goethe sich die Landschaft als Insel vorstellte. Schauspiel: Grundbegriff der Dramatik. Er enthält ein bürgerliches Element. Oper, Tragödie und Trauerspiel blieben hohen, das Lustspiel sozial niederen Figuren vorbehalten. Durch Diderot, Gottsched74 und Lessing wurde das Schauspiel den neu eintretenden bürgerlichen Schichten geöffnet. Das Schauspiel war üblicherweise mit einer die Konflikte zur allgemeinen Zufriedenheit beendenden Lösung verbunden. 1. Aufzug der Göttin stilles (V. 3): Iphigenie nennt die Göttin nicht. Erst später erfährt der Leser/Hörer, dass es sich um Diana (griech. Artemis) handelt. Der Tempel liegt in einem dichten Hain (Wald; mhd.: „hagen“). Iphigenie betritt Hain und Tempel mit 73 Liselotte Blumenthal: Iphigenie von der Antike bis zur Moderne. In: Natur und Idee. Andreas Wachsmuth zugeeignet. Weimar 1966, S. 10. 74 In Gottscheds Kritischer Dichtkunst (1729) wurden literarische Nachahmungen abgelehnt, die „der Natur nicht ähnlich“ sind. Der Dichtung „ganzer Wert entsteht von der Ähnlichkeit“; was nicht „der gesunden Vernunft genüge, „das kann nicht für vollgültig genommen werden“. Weil die Welt aufgeklärter als früher sei, dürfe nichts durch Wunder erklärt werden, sondern durch die Natur: „Man schaue auf die Natur, und dieser folge man: denn das dringt am tiefsten in die Gemüter, was sie einsehn.“ Damit gab Gottsched dem bürgerlichen Denken Raum und dem Schauspiel eine Chance. Indem Goethe nicht mehr Götter (Wunder) bemühte, sondern Iphigenie (gesunde Vernunft) die Lösung vollbrachte, entsprach er dieser Bestimmung eines Schauspiels.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Schauder: Diana ist nicht nur Göttin der Jagd, des Zaubers und der Keuschheit, sondern auch Todesgöttin. Sie ist Apolls (der vielseitigste Gott der Griechen als Sonnengott, Gott der Medizin, Dichtung, Mathematik u. v. a.) Zwillingsschwester, deshalb die Mondgöttin. Ihre Attribute sind Bogen und Pfeil. Apolls berühmtestes Heiligtum stand in Delphi; sein dortiges Orakel war das einflussreichste der griechischen Geschichte. Entsprechend dieser Bedeutung mussten Orest und Pylades auch diesem Orakel („Apoll / Gab uns das Wort“ V. 610 f.) unbedingt Glauben schenken. Ein hoher Wille (V. 8): Diana hat Iphigenie vom Opferaltar entführt und nach Tauris als ihre Priesterin gebracht. Diana konnte auch die Macht der Aphrodite (Venus), also die Liebe, nichts anhaben, weil sie von Zeus (Jupiter) den jungfräulichen Stand auf Dauer erbeten hatte. Wenn sich Iphigenie Thoas gegenüber auf ihre Priesterschaft beruft und damit auf ihre Jungfräulichkeit, um seinem Eheantrag zu entgehen, beruft sie sich auf göttliche Bestimmung. Seele (V. 12 und öfter): Das Wort wird im 1. Aufzug oft verwendet und bestimmt den Konflikt zwischen Iphigenie und Thoas. Bekannt ist vor allem der Vers: „Das Land der Griechen mit der Seele suchend“ (V. 12). Arkas kritisiert, Iphigenie sei „wie mit Eisenbanden (...) die Seele / Ins Innerste des Busens“ (V. 72 f.) geschmiedet. Dann beruft sich Arkas aber auch zweimal auf die „Seele fest“ (V. 186, 206) des Thoas. – Seele galt als im Lebendigen tätige Kraft, die vom Organismus trennbar ist und die immateriellen Vorgänge genauso bestimmt, wie das Organische von Naturgesetzen bestimmt wird. Andererseits bezeichnete man als Seele die Kraft für die psychischen und vegetativen Vorgänge. Die Folge war schon bei Plato und Aristoteles die Vorstellung von mindestens zwei Teilen der 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Seele, die miteinander in Spannung geraten. Der eine Teil, die unsterbliche Seele, sei der Sitz der immateriellen Vorgänge, der andere Teil der Ursprung der organischen Vorgänge. Legt man diese Unterscheidung Goethes Schauspiel auf, so spricht Iphigenie immer von ihrer Seele als etwas Geistigem, während Thoas’ Seele „fest und unbeweglich“ (V. 206) ganz säkular auf Besitz und Macht gerichtet ist. Tochter Zeus’ (V. 43): Diana ist die Tochter Jupiters (Zeus) und der „sanften Latona“ (Moritz, Götterlehre), der Titanin Leda. Verfolgt und verdammt von Juno (Hera), der Frau Jupiters, die einen Drachen auf sie ansetzte und ihr die Erde verbot, brachte Latona auf der Insel Delos, die als schwimmendes Eiland nicht als Erde galt, die Zwillinge Diana und Apoll zur Welt. Agamemnon (V. 45): König von Mykene und Oberbefehlshaber der Achaier (die Griechen der mykenischen Periode), Bruder des Menelaos und Vater Iphigenies, Orests und Elektras. Er führte das griechische Heer und die Flotte gegen Troja, brachte aus diesem Krieg die Seherin Kassandra mit nach Hause und wurde mit ihr von Klytämnestra und ihrem Geliebten Aigisthos erschlagen. Troja (V. 47): Stadt im nordwestlichen Kleinasien. Sie war der Schauplatz des in Homers Ilias geschilderten Trojanischen Krieges und wurde um 1184 v. d. Z. zerstört. Der Anlass des Krieges war der Raub der Helena, der Schwester Klytämnestras, Schwägerin Agamemnons und Tante Iphigenies, durch den trojanischen Prinzen Paris. Im zehnten Jahr des Krieges wurde Troja durch die List des Odysseus, der das Trojanische Pferd erdachte, von den Griechen erobert. Troja und der Trojanische Krieg sind für die europäische Kunst- und Kulturentwicklung folgenreiche Ereignisse gewesen und haben sich

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen in einer Fülle von Behandlungen, Zitierungen und Wendungen bis in die Gegenwart erhalten. Die Gattin (V. 49): Agamemnons Frau und Iphigenies Mutter ist Klytämnestra. die schönen Schätze (V. 50): Es sind nicht die Reichtümer Mykenes gemeint. Das entspräche nicht dem Denken Iphigenies. Deutlich wird das durch den Vergleich der ersten Prosafassung, wo noch „schöner Schatz“ stand, ein mehrdeutiger Begriff, der in der letzten Versfassung ersetzt wurde durch „Elektren und den Sohn, / Die schönen Schätze“ (V. 49 f.). Der Begriff korrespondiert mit den „Geliebten“ im gleichen Monolog. Er wird mehrfach wiederholt und stets auf „Vater, Mutter und Geschwister“ (V. 80) bezogen. Ist dagegen materieller Reichtum gemeint, wird von den „königlichen Gütern“ oder „Reichtum“, nicht von Schätzen, gesprochen (V. 220). Goethes Festspiel Pandora bestätigt die Bedeutung des Häuslich-Privaten: Die „Abendasche“, die die Glut am häuslichen Herd nicht ausgehen lässt, ist „heil’ger Schatz“ (Pandora, V. 161). neue Siege (V. 57): Iphigenie ist vor Beginn des Trojanischen Krieges nach Tauris gebracht worden, sie trifft Orest mehr als zehn Jahre später wieder. Der Trojanische Krieg ist beendet. Thoas war an ihm nicht beteiligt; die Skythen waren Stämme, von denen einige sesshaft, andere nomadisierend lebten und die als Reitervolk gefürchtet waren. Ein Skythe war der Lehrer des Herakles im Bogenschießen und sie galten als Abkömmlinge des Herakles. Einer der drei Söhne, die Herakles mit einer schlangenschwänzigen Frau hatte, Skythes, wurde der Ahnherr der skythischen Könige, die ihre Kriege vor allem in Vorderasien und gegen die Perser führten. Dass allerdings Thoas vom Trojanischen Krieg wusste, wird in den Reaktionen erkennbar, die auf Iphigenies Geständnisse folgen. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Lethe (V. 113): Es ist der Fluss des „Vergessens“ (griech. Lethe), die anderen Gewässer (Acheron, Styx u. a.) der Unterwelt sind schrecklich. Wer ins Totenreich kam, musste aus ihm trinken, um die Sorgen und den Kummer des Lebens zu vergessen. Darauf bezieht sich auch „gleich einem Schatten“ (V. 109), denn im Totenreich gab es nur Schatten in „jenen grauen Tagen“ (V. 112), die Unterwelt dachten sich die Griechen als farblos und dämmerig. Skythe (V. 164): Herodot (484–425 v. d. Z.), der das Land der Skythen besuchte, beschreibt sie. Sie unternahmen von ihren Siedlungsgebieten in Südrussland aus Plünderungszüge. Seit dem 6. Jahrhundert v. d. Z. wurden sie sesshaft. Die Griechen, die die nördlich und östlich des Schwarzen Meeres wohnende Völkerschaften als Skythen bezeichneten, standen mit ihnen in Handelskontakt. Tantalus, Pelops, Thyest, Atreus (V. 306 ff.): wichtige Gestalten aus dem Tantalidengeschlecht. Tantalus war ein Sohn des Zeus und der Nymphe Pluto; er war zur Tafel der Götter zugelassen. Er und sein Geschlecht wurden von den Göttern verflucht und verfolgt, weil Tantalus übermütig seinen Sohn Pelops geschlachtet und den Göttern als Speise vorgesetzt hatte, um ihre Allwissenheit zu prüfen. Die Götter durchschauten die Tat und erweckten Pelops wieder zum Leben. Tantalus wurde zu ewiger Qual verdammt. – Nach anderer Überlieferung stahl Tantalus für die Menschen die Götterspeise Ambrosia, informierte die Menschen über die Gespräche der Götter und wurde dafür bestraft. Goethe lässt im Unklaren, welches der Verbrechen Tantalus’ Grund für die Strafe war. Orakelsprüche (V. 314): Göttersprüche, die in einem Heiligtum gegeben werden, wo man sich Antworten auf Fragen an den jeweiligen Gott erhoffte. Der wichtigste Orakelgott war Apoll,

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen der vor allem in Delphi wirkte. Es war der religiöse Mittelpunkt der griechischen Welt. Des großen Donnrers / Jovis (Gen. von Jupiter) (V. 321 und 324): Jupiter (griech. Zeus) war zuerst der Gott des Regens und des Gewitters, dann der oberste Gott. Als Vater der Götter und Menschen war er die Verkörperung der rechtlichen Ordnung. Das Zeichen seiner Macht wurde der Donnerkeil, eine Doppelaxt aus Feuerstein. Tartarus (V. 325): Er ist die Wohnung der Nacht, der Wohnort Plutos und ein finsterer Strafenort in der Unterwelt. Er ist so weit von der Erde wie die Erde vom Himmel entfernt. Hier hielt Zeus auch die Titanen, Sisyphus und Tantalus gefangen. Der Tartarus wird vom Fluss Pyriphlegethon (Feuerstrom) umflossen. Titanen (V. 328): Sie gelten als das älteste griechische Göttergeschlecht, sechs Söhne und sechs Töchter der Mutter Gäa (Erde), das von seinem Vater Uranos (Himmel) im Erdinneren festgehalten wurde. Der jüngste Titan Kronos, Herrscher der Titanen, entmannte den Vater. In dem Kampf mit den jüngeren olympischen Göttern, den Kroniden unter Zeus, unterlagen die Titanen und wurden im Tartarus eingeschlossen. Zu ihnen gehörten Okeanos, Iapetos, Themis, Kronos, Hyperion, Prometheus und andere. Trotz und Unbändigkeit zeichneten sie aus. Önomaus, Hippodamia (V. 339): Önomaus, Sohn des Kriegsgottes Ares, war der König von Pisa in Elis. Er zwang alle Freier seiner Tochter Hippodamia zu einem Wagenrennen, bei dem er sie überholte und tötete. Seine Pferde waren vom Winde gezeugte Stuten und schneller als die aller Bewerber. Gründe für die Morde war ein Orakel, das ihn vor seinem 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Schwiegersohn warnte, und seine eigene Liebe zu der Tochter weissagte. Erst Pelops bezwang ihn durch eine List, indem er die Nägel an der Achse des Wagens durch Wachs ersetzen ließ, das in der Sonne schmolz. zu dem ersten Sohn (V. 342): Dieser Sohn Pelops’ mit der Nymphe Astyoche, einer Danaide, ist Chrysippos. Er wurde der Geliebte des Laios, der ihn nach Theben entführte. Hippodamia, die erst Atreus und Thyest zum Mord an ihm überreden wollte, brachte Chrysippos schließlich mit dem Schwert des Laios um. Laios wurde der Vater von Ödipus. In der Prosafassung Goethes stand „Chrysipp an Namen“. Gebieten Atreus und Thyest der Stadt (V. 360): Atreus hatte nach dem Tod Chrysippos Zuflucht in Mykene gesucht und war, nach dem Tode des Herrschers, zum König gewählt worden. „Thyest war ihm dahin gefolgt und nahm am Glücke des Atreus teil.“ (Moritz, Götterlehre) Atreus sollte Mykene gegen die Herakliden schützen. Eine andere Version besagt, Atreus und Thyest wurden gemeinsam von den Mykenern gewählt und es entspann sich ein furchtbarer Kampf zwischen beiden, wer als König gekrönt werden sollte. Er begann damit, dass Thyest „seines Bruders Bette (entehrte), indem er mit der Aerope, des Atreus Gattin, zwei Söhne erzeugte“ (Moritz, Götterlehre). Des Bruders Bette (V. 363): Die Gattin des Atreus war Aerope. Sie war die Mutter Agamemnons, Menelaos’ und Anaxibias, also die Großmutter Iphigenies und Pylades’ (Sohn der Anaxibia). Nachdem Atreus von Aeropes Ehebruch mit Thyest erfuhr, vertrieb er Thyest aus dem Reich und ließ Aerope ins Meer stürzen. Dem Bruder einen Sohn entwandt (V. 366): Thyest hatte Pleisthenes, den Sohn des Atreus mit Kleola, die nach der

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Geburt gestorben war, bei sich als seinen Sohn erzogen und ihn mit „Wut gegen den Atreus seine Seele erfüllt“ (Moritz, Götterlehre), um Atreus zu töten. Atreus erkannte den Anschlag und ließ Pleisthenes hinrichten. Zu spät erfuhr er, dass er damit den eigenen Sohn hingerichtet hatte. In der Prosafassung nannte Goethe den Sohn „Plisthenes“. Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleise (V. 391): Nach einem Bericht soll Helios nach diesen grauenhaften Ereignissen seinen Wagen umgedreht haben. Der Sonnengott Helios fuhr täglich mit dem vierspännigen Sonnenwagen über den Himmel. Nach einem anderen Bericht war der Wechsel der Richtung ein Signal von Zeus für Atreus: Als Thyest sich zum König Mykenes aufgeschwungen hatte, war es ein Zeichen, dass Betrug dahinter steckte. Die Sonne ging rückwärts. Zeus kehrte dieses einzige Mal die Gesetze der Natur um, die bis dahin unabänderlich gewesen waren. Helios wendete seine Pferde gegen die Morgendämmerung. Die Sonne ging im Osten unter. Atreus bestieg wieder den Thron und verbannte Thyest. der schönsten Frau (V. 414): Die schönste, aber treulose Frau war Helena, Tochter des Zeus und der Leda, Klytämnestras Schwester, die Gattin des spartanischen Königs Menelaos und die Tante Iphigenies. Sie wurde vom trojanischen Prinzen Paris entführt. Dieser hatte sich von Aphrodite bestechen lassen. Im Streit der Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite hatte er diese zur schönsten Göttin erklärt und ihr den Apfel als Zeichen des Sieges überreicht, weil sie ihm die schönste Frau versprochen hatte. Aulis (V. 419): Hafenstadt Böotiens, in der sich die Flotte der Griechen gegen Troja sammelte. Hier vollzogen sich Opferung

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen und Rettung Iphigenies. Euripides behandelt die Vorgänge in der Iphigenie in Aulis, die Friedrich Schiller 1788 übersetzte. Kalchas (V. 423): Priester des Apoll, Seher und Vogelschauer (Deuter von Vogelflügen). Er galt als wichtiger Weissager vor und während des Trojanischen Krieges. Er starb vor Kummer, als er in einem Seherwettstreit überwunden wurde. geerbtes Recht / An Jovis Tisch (V. 499 f.): Thoas setzt sein Wissen um die Tantaliden nach Iphigenies Ablehnung seines Eheantrags verbittert, ironisch und sarkastisch ein. Tantalus saß am Tisch der Götter. Seit er bestraft wurde, hatte keiner der Nachkommen mehr solche Nähe zu den Göttern, vielmehr waren sie alle göttlichem Fluch verfallen. Das „geerbte Recht“ der Iphigenie war dieser Fluch. Du hast Wolken (V. 538): Iphigenies Monolog ist rhythmisch frei, meist vierhebig. Er unterscheidet sich deutlich von der sonstigen Rede und bekommt dadurch den Charakter eines Gebetes. 2. Aufzug Apollen (V. 563): Apollon ist der Sohn Zeus’ und der Leto; er ist der Zwillingsbruder der Artemis und gilt als Repräsentant einer jüngeren Götterwelt, die im Gegensatz zur archaischen Mütterwelt (Erinnyen) eine Vaterwelt ist. Er gilt als Gott des Lichtes, als Todesgott der Männer und Gott der Weisheit, der Heilkunst und der Künste. Heilig war ihm der Schwan, der sterbend herrlich gesungen haben soll. Sein Heiligtum ist Delphi. Rachegeister (V. 564): Die aus der Unterwelt stammenden drei Erinnyen oder Eumeniden (römisch: Furien) verfolgten Ver-

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen wandtenmord und bestraften ihn. Sie verkörperten das „schlechte Gewissen“ und wurden nicht wie andere Götter verehrt. Sie wurden mit Schlangenhaaren, Fackeln und Geißeln dargestellt. Kein Tummelplatz für Larven (V. 588): Man war in der Antike der Meinung, dass die Bösen zur Strafe für ihre Vergehen ruhelos und ziellos auf der Erde umherirrten, zur Abschreckung der anderen. Man nannte diese Irrenden „Larven“ (Lemuren). Vgl. dazu Lessings Abhandlung Wie die Alten den Tod gebildet (1769). durch die verworrnen Pfade ... wieder aufzuwinden (V. 598 ff.): Die Verse erinnern an Theseus, der durch das Aufwickeln des Ariadnefadens aus dem Labyrinth des Minotaurus zurückfand. Höllengeister (V. 629): Es gab in der Antike keine Hölle; sie ist ein Begriff aus der christlichen Vorstellungswelt und ist für Pylades eigentlich nicht verfügbar. Orkus (V. 636): römisch für Hades, ursprünglich Gott der Unterwelt und Herr der Toten, später auch Bezeichnung für den Ort der Abgeschiedenen. Eine Wiederkehr von dort war nicht möglich. Bringst du die Schwester zu Apollen hin (V. 722): Bei Euripides soll Orest im Auftrag Apolls das Bild der Schwester nach Athen bringen. Goethe ersetzt Athen durch das Ziel Delphi. In der Prosafassung wird der Name der Göttin genannt: „Apoll gebeut dir, vom taurischen Gestad’ Dianen, die geliebte Schwester, nach Delphos hinzubringen“. In der Versfassung ist nur noch von der „Schwester“ die Rede, was den Konflikt (es gibt zwei Schwestern: Diana und Iphigenie) und seine spätere Lösung deutlich werden lässt.

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Ulyssen (V. 762): Ulyss: lateinischer Name für Odysseus, den König von Ithaka. Er ist einer der wichtigsten Strategen im Trojanischen Krieg, gilt als listenreich und diplomatisch, und irrt nach dem Ende des Krieges zehn Jahre auf dem Mittelmeer umher. Er ist insgesamt zwanzig Jahre von seiner Heimat Ithaka abwesend. In der Mythenrezeption nimmt er einen außergewöhnlichen Platz ein, Exilschicksale wurden bis in die Gegenwart mit ihm in Verbindung gebracht. Andererseits ist er in Dantes Göttlicher Komödie der zu neuen Ufern Aufbrechende, der das antike Weltbild verlässt und im Unbekannten der modernen Renaissancewelt willentlich scheitert. fremdes, göttergleiches Weib (V. 772): Pylades weiß nicht, dass die Priesterin Iphigenie ist. Aber er hat erfahren, dass sie nicht von Tauris ist und durch ihre Priesterschaft göttergleich wirkt. Amazonen (V. 777): Sie waren ein kriegerisches Frauenvolk, das auf Seiten der Trojaner am Trojanischen Krieg teilnahm. Ihre Königin Penthesilea wurde von Achill getötet. Söhne des Adrasts (V. 824): Pylades beginnt eine Lügengeschichte im Stil des Odysseus. Orest hatte Pylades eine Szene zuvor schon mit Odysseus verglichen. Dennoch ist die Geschichte, die Pylades entwirft, aufschlussreich. Sein Vater sei Adrast von Kreta, er werde Cephalus genannt, der Älteste der Söhne – er meint Orest – sei Laodamas. Die Geschichte ist geschickt, denn sie benutzt den Trojanischen Krieg, von dessen Ausbruch Iphigenie noch weiß, über dessen Verlauf sie aber keine Kenntnisse hat. Der wirkliche Adrast führte ein trojanisches Hilfsheer und fiel, nachdem Menelaos zögerte, unter den Händen Agamemnons. (Adrast bot Menelaos „volle Lösung von Erz und Gold aus dem Schatze meines Vaters“

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen (Gustav Schwab), wenn er ihn am Leben ließe.) Iphigenies Vater wurde so zum Mörder von Cephalus und Laodamas’ Vater. Doch verändert Pylades die Geschichte, lässt den Vater aus dem Trojanischen Krieg heimkehren und erst danach friedlich sterben. Als es zwischen den drei Söhnen Adrasts zum Streit um das Erbe kam, erschlug Laodamas (Orest) den mittleren Sohn. Cephalus (Pylades) bekommt so die Möglichkeit, in der Auseinandersetzung um das Erbe Orest eine Blutschuld aufzubürden, weil er einen Bruder erschlug. Iphigenie erfährt erstmals vom Fall Trojas und erfleht Aufklärung. Pylades berichtet ihr von der Ermordung ihres Vaters. Nun sind die beiden scheinbar gleichgestellt: Beider Väter – Agamemnon und Adrast – waren Gegner im Trojanischen Krieg, aber beider Väter sind tot. Barbaren (V. 862): Alle Nichtgriechen wurden von den Griechen als Barbaren bezeichnet. seinem schönen Freunde (V. 863): Achill war der tapferste Held der Griechen; Iphigenie wurde unter dem Vorwand, mit ihm vermählt zu werden, nach Aulis gerufen. „Sein schöner Freund“ Patroklos fiel durch Hektors Hand vor Troja, Achill tötete in seinem Kummer über den Tod des Geliebten Hektor. Bald darauf wurde er von Paris durch einen Pfeilschuss in die Ferse getötet; es war die einzige Stelle, wo er verwundbar war. In einer anderen Version des Mythos heiratete Iphigenie Achill. Palamedes, Ajax Telamons (V. 865): Palamedes galt als kluger Krieger: Er erfand das Würfelspiel, das Alphabet, die Maße, Waagen und anderes. Er wurde vom listigen Odysseus fälschlicherweise des Verrats bezichtigt und vom Heer zu Tode gesteinigt. (Über seinen Tod gibt es mehrere unterschied-

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen liche Versionen; immer aber war Odysseus an ihm beteiligt.) – Nach dem Tod Achills brach Streit um seine Waffen aus. Die Griechen sprachen sie Odysseus zu, worüber Ajax, nach Achill „der Tapferste unter den Griechen (...) aus Missmut sich selbst entleibte“ (Moritz, Götterlehre). Ägisth (V. 881): griech. Aigisthos. Von Thyest in Blutschande mit seiner Tochter Pelopeia gezeugter Sohn, der Atreus tötete, mit Klytämnestra die Ehe brach und mit ihr Agamemnon ermordete. Orest tötete ihn deshalb. – Seine Sonderstellung in der Genealogie der Tantaliden ergibt sich daraus, dass er sowohl Sohn des Thyest als auch sein Enkel ist. diese Gräuel melde (V. 889): Pylades’ Schilderung der Ermordung Agamemnons folgt Äschylos’ Totenopfer, V. 978 ff. 3. Aufzug Vatergötter (V. 942): Die Haus- und Familiengötter waren in der Nähe des Herdfeuers aufgestellt. Avernus (V. 980): Ein kreisförmiger Kratersee in Kampanien, „über dem kein Vogel fliegen konnte“ (Moritz, Götterlehre). Nach römischer Vorstellung war es ein Gift aushauchender See und der Eingang zur Unterwelt. So haben mich die Götter (V. 1003): Orests Bericht seines Muttermordes entspricht wiederum dem Totenopfer des Äschylos sowie den Elektra-Dramen des Euripides und Sophokles. Strophius (V. 1010): war ein Verbündeter des Atreus, der die Schwester Agamemnons, Anaxibia, heiratete, dadurch „Schwäher“ (Schwager) Agamemnons wurde, und mit ihr Pylades zeugte. Bei ihm wuchs Orest auf und es entstand die sprichwörtliche Freundschaft zwischen Orest und Pylades, die nach

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen dieser Version Cousins sind. Strophius regierte über Krisa am Fuße des Parnassos. stiefgewordnen Mutter (V. 1035): Durch ihre Ehe mit Ägisth wurde Klytämnestra dazu; ihre leiblichen Kinder waren nun Stiefkinder. Es zeigt, wie beherrschend in diesen Ehen der Mann war. der Nacht uralten Töchtern, (...) Von dem ein alter Fluch (...) (V. 1054 und 1068): Gemeint sind die Erinnyen (Furien) Alekto, Tisiphone und Megära, die sowohl Schicksalsgöttinnen als auch die Töchter der Nacht sind. Sie wurden als Töchter des Uranos von der Erde verbannt, nachdem sie aus den Blutstropfen entstanden waren, die flossen, als Kronos mit einer steinernen Sichel das männliche Glied des Uranos abschnitt. Wie sie entstanden auch einige Nymphen aus diesem Blut. Acheron (V. 1062): Der Fluss umgibt die Unterwelt, er fließt „mit den Seufzern der Sterbenden“ (Moritz, Götterlehre). Die Toten müssen ihn im morschen Boot des Fährmanns Charon überfahren und kehren danach niemals wieder in die Oberwelt zurück. Erfüllung, schönste Tochter (V. 1094): Die Göttin der Gnade Charis wird angerufen; sie ist die Tochter des Zeus und der Eurynome, Tochter des Ozeans. Daraus wurden bei Homer zwei Göttinnen. Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt (V. 1098) waren sie deshalb, weil sie von den Athenern als zwei Jahreszeiten betrachtet wurden. Schließlich wurden daraus die drei Grazien (Charitinnen) Aglaja, Thalia und Euphrosyne. Man flehte um ihre Gunst, ihnen huldigten Künste und Wissenschaften, „bei jedem frohen Gastmahl waren sie die Losung“ (Moritz, Götterlehre). Gorgone (V. 1162): Die Gorgonen waren die Kinder einer blutschänderischen Beziehung zwischen den Geschwistern Porkys 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen und Ceto, Nachkommen des Pontus, und gehörten, neben anderen Ungeheuern aus dieser Verbindung, zu den dämonischen Frauengestalten mit glühenden Augen, Schlangenhaaren und der Fähigkeit, den Menschen, der sie anblickte, in Stein zu verwandeln. Aus dem Blut der Gorgone Medusa, der Perseus das Haupt abgeschlagen hatte, sprang der geflügelte Pegasus, das göttliche Pferd der Poesie, hervor. Kreusas Brautkleid (V. 1176): Medea, die Frau Jasons und beteiligt am Raub des Goldenen Vlieses, schickte Kreusa, der neuen Geliebten Jasons, der Tochter Kreons von Korinth, ein vergiftetes Kleid, in dem diese verbrannte. Hier wird der zweite große Mythenkreis, der der Argonauten, mit dem der Tantaliden in Beziehung gebracht. Herkules (V. 1178): griech.: Herakles, der tatenreichste Held der griechischen Antike, wurde durch eine List überwältigt, indem er ein Nessushemd (Nessos war ein von Herakles getöteter Centaur) anzog und dadurch so gequält wurde, dass er sich auf dem Berge Öta verbrannte, um seinen Qualen zu entgehen. Aus diesem Tod stieg Herakles zu den Göttern des Olymp empor und wurde mit Hebe, der Göttin der ewigen Jugend, vermählt. Lyäens Tempel (V. 1188): Lyän oder Lyäos, der Sorgenlösende, war der Beiname des Weingotts Dionysos. vom Parnass die ew’ge Quelle (V. 1197): Im Gebirge Parnassos liegt Delphi, das Zentrum Apolls. Die Musen hielten sich gern dort auf. Es entspringt der kastalische Quell, der seinen Ursprung einem Hufschlag des Pegasus verdankt. Die Quelle war den Musen geweiht und wurde in der Literatur, von Goethes Wilhelm Meister bis zu Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel, als Ausgangspunkt und Zentrum aller Kunst betrachtet.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Nymphe (V. 1201): Nymphen, meist Töchter des Zeus, waren in der Antike niedere Gottheiten wie Quell- und Bergnymphen. Goethe hat hier wahrscheinlich nicht an die antiken Nymphen gedacht, sondern sich des Begriffs bedient, wie ihn Shakespeare in Hamlet verwendete, der die schöne Ophelia als „Nymphe“ bezeichnete und die Bedeutung schillernd werden ließ. Zu Goethes Zeit wurde es auch verächtlich verwendet für Dirne. Orest scheint sich unsicher zu sein, wen er wirklich vor sich hat. Noch einen! (V. 1258): Orest gibt nun den gleichen Familienbericht, den man von Iphigenie her schon kennt (Vgl. V. 306 ff.). Wenn aber Orest aus Lethes Fluten „den letzten kühlen Becher der Erquickung“ verlangt, bedeutet das, nach seinem Bericht wird alles vergessen sein. Parze (V. 1340): Es ist ursprünglich eine Geburtsgöttin, später wurde sie verdreifacht und zu Schicksalsgöttinnen (griech.: Moiren). Sie knüpften den Lebensfaden, nahmen Maß und durchschnitten ihn wieder. Vgl. auch unten (V. 1720). 4. Aufzug Denken die Himmlischen (V. 1369 ff.): Erneut wird der jambische Rhythmus verlassen und durch freie Rhythmen ersetzt, die durch die Daktylen wie ein Gebet klingen. Der Göttin Bild (V. 1438): Bei Euripides sollen auch Orest und Pylades im Meer entsühnt werden, günstige Gelegenheit zur Flucht. Zur Felseninsel (V. 1609): Damit ist Delphi, Apolls Heiligtum, gemeint, das sich Goethe als Insel vorstellte, wie es in seinen Überlegungen zu einer Fortsetzung des Dramas Iphigenie auf Delphos deutlich wird. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Parzen (V. 1720 ff.): Die unerbittlichen Parzen (griech.: Moiren) waren Lebens- und Schicksalsgöttinnen, die es auch in germanischen Mythen gab: Die drei Schicksalsgöttinnen stehen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind auch die Dreifaltige Mondgöttin; deshalb erscheinen sie in weißer Kleidung und der Leinenfaden ist ihnen heilig. „Die Parzen bezeichnen die furchtbare, schreckliche Macht, der selbst die Götter unterworfen sind, und sind doch weiblich und schön gebildet, spinnend und in den Gesang der Sirenen stimmend.“ (Moritz, Götterlehre) Das Parzenlied erinnert an Herders Übersetzungen aus der Edda in den Stimmen der Völker in Liedern, aber auch an die Goethe’schen Hymnen der frühen achtziger Jahre. Des Parzenliedes „Metrum beeinflusste wahrscheinlich, vielfach variiert, die in feierlichem Tone gehaltenen Monologe der Iphigenie.“75 5. Aufzug meiner Ahnherrn rohe Hand (V. 1790): Thoas macht auf den entscheidenden Unterschied zu Iphigenie aufmerksam. Beide sind intellektuell, ethisch und auch politisch, was ihre Kenntnisse und Einschätzungen des Weltgeschehens betrifft, weitgehend gleich. Ihre Herkunft ist unterschiedlich. Stammt Iphigenie aus Tantalus’ Geschlecht, das mit den Göttern tafelte und verkehrte, so sind Thoas’ Vorfahren wilde Skythen. Seine Entwicklung zu einem menschenfreundlichen König, der auch Menschenopfern mindestens zwiespältig gegenübersteht, ist ein weit größerer Schritt zur Humanität als Iphigenies Anspruch aus der Sicherheit einer Diana-Priesterin. Bemerkenswert dabei ist, dass Iphigenie als Priesterin und als Unbekannte Einfluss auf Thoas hatte. Der Königstochter Iphigenie 75 Vgl. Goethe: Poetische Werke. BA 7, S. 947 (Erläuterungen).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen befiehlt der König Thoas wie einem Lehnsherrn. Iphigenie fragt ihn deshalb erstaunt: „Der Unbekannten Wort verehrtest du, / Der Fürstin willst du rasch gebieten?“ (V. 1823 f.) Thoas verlässt die Position des aufgeklärten Fürsten und wird wieder zum absolutistischen Herrscher eines „alt Gesetz“ (V. 1831). seine Gegenwart bleibt unbefleckt (V. 1815): Goethe verwendet den Begriff der „Gegenwart“ oft, er gehört zu seinen Lieblingswörtern, vor allem in Italien, so auch bei der Betrachtung der Bilder Mantegnas. In den Briefen an die Frau von Stein fällt häufig das Wort „Gegenwart“, aber auch im Stück. Goethe versteht unter „Gegenwart“ nicht die durch Illusion geschaffene Gegenwart, sondern immer die wahre Gegenwart, das tatsächliche Ereignis ohne Effekte. Im zitierten Beispiel bedeutet es soviel wie seine „gegenwärtige Persönlichkeit“. Allein e u c h leg ich ’s auf die Knie! (V. 1916): Erscheint wie eine homerische Redewendung. Es bedeutet, den Göttern eine Entscheidung zu überlassen. Verdirb uns – wenn du darfst (V. 1936): Diese weltberühmte Aufforderung Iphigenies ist tatsächlich eine Zumutung. Sie zwingt Thoas, den ethischen Grundsätzen Iphigenies zu folgen und sein eigenes ethisches Programm aufzugeben, das immerhin davon ausging, die aggressiven Griechen von seinem Taurien fern zu halten. Thoas reagiert ausgesprochen sensibel darauf und voller Ironie: Er soll als „roher Skythe, der Barbar“ (V. 1937), der Iphigenie längst ebenbürtig ist, größere ethische Leistungen vollbringen als die Tantaliden, die hoch gelobten griechischen Repräsentanten? Eigentlich ist von nun an Thoas der moralisch Überlegene: Er hat nichts zu sühnen, nichts zu verbergen und auch keine Interpretationen göttlicher Orakel zu geben. Er kann ein schlichter, aber kluger und edler Mensch sein. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen Der rasche Kampf (V. 2067): Die Einheit der Handlung wird auf geniale Weise erreicht. Obwohl sich grundsätzliche Dinge gelöst haben, der Fluch hat keine Wirkung mehr, Orest ist entsühnt, mit den Tauriern wird es wahrscheinlich gute Beziehungen geben, hat sich nichts an der grundsätzlichen historischen und gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Frau geändert. Iphigenie hatte eingangs (V. 23 ff.) darüber geklagt, fast mit den gleichen Worten schließt sie nun die Handlung ab: „Allein die Tränen (...) der verlassnen Frau / Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt / Von tausend durchgeweinten Tag- und Nächten.“ (V. 2069 ff.). Goethe allerdings ist der Dichter, der nicht mehr schweigt und das Problem benennt. Dem goldnen Felle (V. 2104): Gemeint ist das Goldene Vlies, so stand es auch in der Prosafassung. – Es ist eine weitere Anspielung auf die Fahrt der Argonauten, wo Jason mit Herakles und Odysseus das Goldene Vlies (Fell) aus Kolchis raubte. Kolchis lag in der Nähe Tauriens. Die Mythen sind sich nahe. Du Heilige (V. 2119): Orest beschreibt seine Schwester in einem christlichen Sinne. In dem Wort werden die verschiedenen ethischen Ansichten punktuell zusammengefasst. Iphigenie ist in ihrer Ehrlichkeit und Menschlichkeit eine Gestalt, die sowohl antiken als auch christlichen Werten entspricht. Die herausragende Bedeutung des Begriffs „Heilige“ wird daran erkennbar, dass in seinem Umfeld mehrfach das zugehörige Attribut „heil’ge“ verwendet wird (V. 2127, 2131).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.6 Stil und Sprache

2.6 Stil und Sprache Das Schwanken zwischen Prosa und Schwanken zwischen Prosa Versen, wie es die Entstehungsgeund Versen schichte der Iphigenie erkennen lässt, war typisch für die Zeit. Lessing hatte in Abwehr eines falschen Pathos, das durch Gottsched und die Bevorzugung des Alexandriners unabsichtlich und wider bessere Absicht verbreitet worden war, vorwiegend in seinen Dramen die Gestalten Prosa reden lassen. Er kehrte im Nathan dem Weisen zum Jambus zurück, den er im Kleonnis-Fragment und anderen Texten 1758 verwendete, nachdem er sich schon 1755 für den reimfreien Jambus (Blankvers) entschieden hatte.76 Schiller ging den gleichen Weg im Don Carlos und Goethe „genügte die frühere prosaische Behandlung seiner Iphigenie und des Tasso so wenig, dass er sie im Lande der Kunst selbst sowohl dem Ausdruck als der prosodischen Seite nach durchweg zu jener reineren Form umschmolz, durch welche diese Werke immer von neuem zur Bewunderung hinreißen“77. Bei der Umarbeitung in die endgültige jambische Fassung war Karl Philipp Moritz für Goethe ein entscheidender Helfer. Dessen Versuch einer deutschen Prosodie78 (1786) sei ein „Leitstern“79 gewesen, vermittelt während des täglichen Um76 Gemeinhin wird der reimlose, fünffüßige Jambus und seine Verwendung in Deutschland erstmals mit Lessings Nathan der Weise in Verbindung gebracht. Allerdings war er schon 1748 von Johann Elias Schlegel, danach von Wieland, von Klopstock im Salomo, bei Gotter und anderen verwendet worden. Goethe wollte ihn 1765 im 5. Akt des Belsazar, dem ältesten Zeugnis seiner dramatischen Versuche, verwenden, die anderen Akte dichtete er in Alexandrinern. Er hat am 6. Dezember 1765 an seine Schwester Cornelia geschrieben: „Dieses Schwester, ist / Das Versmaß, das der Brite braucht, wenn er / Auf dem Kothurn im Trauerspiele geht.“ 77 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Band II, Berlin und Weimar: Aufbau Verlag, 1965, S. 376. 78 Prosodie (griech: Beigesang) ist die Lehre von der Quantität (Länge und Kürze) und dem Akzent (Betonung) der Silben. Siehe auch Fußnote 80. 79 Goethe: Italienische Reise. BA 14, S. 321. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.6 Stil und Sprache gangs miteinander in Rom. Dabei ging es Moritz um den Wert der Silben: „Ich habe es versucht, die prosodischen Regeln unsrer Sprache, welche bisher von unsern guten Dichtern, größtenteils bloß nach einem natürlichen Gefühl des Richtigen, beobachtet worden sind, in ein System zu ordnen.“80 Gemeinhin versuchte man zu dieser Zeit, auf die deutsche Literatur den Rhythmus der griechischen aufzulegen. Das bedeutete, sie nach Längen und Kürzen, nicht aber nach Hebungen und Senkungen zu messen. Für Moritz war die Silbenlänge samt ihrer Bewertung im Vers mit Inhalten verbunden. Eine entscheidende Feststellung zum Jambus, den Goethe in seiner Iphigenie dann verwendete, lautete bei Moritz: „In diesen beiden einfachen Versetzungen (–∪ oder ∪–; Trochäus oder Wälzer und Jambus oder Schleuderer, R.B.) liegen im Grunde alle übrigen Silbenmaße, sie mögen so zusammengesetzt sein, wie sie wollen, wie in ihrem Keime verborgen. Jede Zusammenstellung von Silben ist entweder jambisch oder trochäisch; neigt sich entweder zum Fall oder zum Sprunge.“81 In dem ersten Monolog Iphigenies findet sich die berühmte Formulierung, die in der ersten Prosafassung noch ungelenk klingt: „(...) mein Verlangen steht hinüber nach dem schönen Land der Griechen“. Es wurde daraus: „Das Land der Griechen mit der Seele suchend“ (V. 12). Es ist ein Vers in Vers in sprachlicher sprachlicher Vollkommenheit; er beVollkommenheit kommt einen außergewöhnlichen Klang beim Sprechen: Der jambische Fünfheber führt von a- und iAssonanzen (das Land, Griechen mit) zu einer s-Alliteration (Seele suchend). Er suggeriert vollkommene sprachliche Schönheit. Es sei an dieser Stelle ein Wort zu Iphigenies Sprache gesagt. 80 Karl Philipp Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie. Vorbericht. In: ders.: Werke, 3. Band, Frankfurt am Main: Insel-Verlag, 1981, S. 472. 81 Ebd., S. 494.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.6 Stil und Sprache Sie unterliegt wie der gesamte Text der metrischen Gestaltung durch den Jambus. Dennoch hat Iphigenie mehr Möglichkeiten als andere Gestalten zur Verfügung. Einmal darf sie als Einzige ritualisiert sprechen (I, 4, V. 538 ff.; IV, 1, V. 1365 ff.; IV, 5, V. 1726 ff.) und den Jambus verlassen, auch trochäisch geprägte Maße nutzen, die an Beschwörungsformeln erinnern: „O enthalte vom Blut meine Hände! / Nimmer bringt es Segen und Ruhe.“ (V. 549 f.) Es ist ein Zugeständnis an die Priesterin, die singt und betet. Zum anderen hat sie zu ihrem Schutz nur das Wort zur Verfügung: „Ich habe nichts als Worte, und es ziemt / Dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten.“(V. 1863 f.) Dadurch setzt sie aber ihre Worte sehr viel selbstbewusster ein als die Männer, selbst in Situationen, die ihr psychisch alles abverlangen wie ihr Geständnis: „Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.“ Thoas antwortet überrascht: „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus“ (V. 306, Hervorhebung R. B.). Eine auffällige sprachliche Besonderheit des Stückes ist, dass es wichtige Textpassagen enthält, die bis zu ihrer Realisierung in Monolog oder Gespräch von den Gestalten verdrängt oder verheimlicht wurden. Das betrifft schon den ersten Monolog Iphigenies, entspricht die kritische Betrachtung ihrer Situation doch nicht der dienstbaren Priesterin. Immerhin kann das noch überlesen werden, weil sie bald danach ganz ähnlich im Gespräch mit Arkas antwortet. Aber deutlich treten derartige schwierige Sprechsituationen ein bei Iphigenies Geständnis ihrer Herkunft (V. 306 ff.), Orests Entdeckung seiner Identität gegenüber Iphigenie (V. 1080 ff.), Orests Traumvision (V. 1258 ff.) und Iphigenies Erinnerung an das Parzenlied (V. 1694 ff.). Diese Textstellen haben durchweg einen imperativischen Gestus. Zu den sprachlichen Besonderheiten des Textes gehört die „Stichomythie“, bei der Goethe EuripiStichomythie des folgt. Es ist das/die für antike Trauer2. Textanalyse und -interpretation

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2.6 Stil und Sprache spiele typische dramatische Wechselgespräch/Schlag-Wechselrede82, verwirklicht als konsequenter Wechsel von Rede und Gegenrede, Satz und Gegensatz. Die Stichomythie wechselt mit umfangreichen Redepartien, sie dient der schnellen Information und der Steigerung von Leidenschaften. Allerdings hat Goethe sie weit weniger verwendet als Euripides. Er setzte sie dort ein, wo Iphigenie die schnelle Information sucht, in Gesprächen mit Arkas (I, 2; IV, 2) über Thoas’ Werbung und Opferpraktiken, im Gespräch mit Thoas über die Frauen (I, 4) und im Gespräch mit Pylades (IV, 4) über eine eventuelle Flucht: Immer ist Iphigenie beteiligt.

82 Robert Petsch: Wesen und Formen des Dramas. Allgemeine Dramaturgie. Halle (Saale): Max Niemeyer Verlag, 1945 (s. Fußnote 22). S. 393 f.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.7 Interpretationsansätze

2.7 Interpretationsansätze Goethe verwendete Namen der römischen Antike, die mit griechischen wechseln (Jupiter/Jovis – Die römische Antike Zeus). Die römische Antike begeisterte Goethe, und Winckelmann vermittelte sie ihm als Urbegriff der Schönheit. Vorbilder waren jedoch griechische Schauspiele. In Aischylos’ Agamemnon wurde Iphigenie auf göttliche Weisung geopfert. Die Iphigenie bei den Taurern des Euripides (etwa 412 v. d. Z. in Athen aufgeführt) wurde vom göttlichen Schicksal bestimmt, aber vor der Opferung gerettet. Die Macht hatten in beiden Stücken die Götter. Bei Goethe bestimmte Iphigenie ihr Schicksal selbst, wobei das Untergang oder Rettung bringen konnte: Die Macht hatte sich zum Individuum verlagert und die Bedeutung der Götter aufgehoben. Die Idealität der Gestalten verhindert sinnliche Lebensfülle. Die Reinheit und Größe des Denkens verdrängt das befreiende Ausleben der Menschen. Goethes Werk arbeitet mit einem barbarischen antiken Mythos; in Anlehnung an Goethes „verteufelt human“, mit dem er sein Werk bedachte, wurde der Mythos als „verteufelt inhuman“ bezeichnet.83 Erst wenn man sich das bewusst macht und die antiken Beispiele einbezieht, wird deutlich, „welche gewaltige Arbeit zur Modernisierung, d. i. in diesem Falle zur Humanisierung und Idealisierung“84, Goethe geleistet hat. In Euripides‘ Iphigenie bei den Taurern war Iphigenie keine human argumentierende Priesterin, sondern listenreich ersinnt sie den Diebstahl des Götterbildes, belügt Thoas u. a. Der Konflikt wird durch das Eingreifen der Götter gelöst. „Übernationale Humanität war dem griechischen Drama noch fremd.“85 83 Liselotte Blumenthal: Iphigenie von der Antike bis zur Moderne. In: Natur und Idee. Andreas Wachsmuth zugeeignet. Weimar 1966, S. 10. 84 Werner 1984, S. 138 f. 85 Ebd., S. 140. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.7 Interpretationsansätze Die Humanisierung des Mythos geschah unter dem Einfluss einer widrigen Gegenwart, die Goethe erlebte. Hans Mayer hat eine interessante Lesart des Satzes „Es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolda hungerte“ (Brief an Charlotte von Stein vom 6. März 1779) angeboten. Für ihn wird in Goethes Iphigenie auf Tauris das mythische Schicksal überwunden durch den „fürstlich-bürgerlichen Kompromiss“ und das Einverständnis unter Herrschenden, also unter Gleichen. „Gilt solche Wahrheit auch zwischen der Herrschaft und der Knechtschaft? Es wäre denkbar, dass Goethes berühmter Brief an Charlotte von Stein, geschrieben in Apolda am 6. März 1779, eben diesen Sachverhalt meinte.“86 Strumpfwirker störten die Verständigung unter Gleichen. Der Satz ist offenkundig weniger interessant für Goethes soziales Verständnis, mehr für die ausgewählte Person. Nicht von Iphigenie ist die Rede, sondern von Thoas, nicht von der Humanität, sondern von den sozialen Verhältnissen auf Tauris. Thoas’ Herrschaft ist gekennzeichnet durch Gesetze und Gesetzestreue und durch Entscheidungen zum „Segen“ seines Volkes. Wenn Thoas früher die Menschenopfer befahl, so tat er das „unbefangen in dem Glauben“, sein gutes Recht durchzusetzen. Nun aber rückten neue Kräfte in den Blick: Die Bauern schienen nach 1789 außer Kontrolle geraten zu sein; die Textilarbeiter wurden von den Weimarer Ministern „sansculottes“ genannt87. Das wies auf Revolution. Goethes Iphigenie kam ohne sie aus; Einsicht in Vernunftgründe und die Kraft ihrer individuellen Menschlichkeit waren die aufklärerische Methode, sich gegen die gesellschaftlichen Zwänge,

Humanisierung des Mythos

86 Mayer: Der eliminierte Mythos, S. 253. – Vgl. mit ähnlicher These: Fritz Hackert: Iphigenie auf Tauris. In: Goethes Dramen. Hrsg. von Walter Hinderer, Stuttgart: Reclam, 1980, S. 149. 87 Wilson, S. 152. Sansculottes (franz.): „ohne (Knie-)Hosen“, Bez. für Revolutionär (der Frz. Revolution).

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2. Textanalyse und -interpretation

2.7 Interpretationsansätze kommend aus Gesetz, Religion und traditioneller Norm, zur Wehr zu setzen. Das Problem der Freiheit und des Problem der Freiheit menschlichen Handelns wird von allen Gestalten des Stückes bedacht und ist eine moderne Zutat zum antiken Stoff. Iphigenie beschreibt in ihrem Eröffnungsmonolog eine Zwangslage, die ihr nur geringe Handlungsfreiheit und diese nur innerhalb ihrer priesterlichen Aufgaben lässt. Sie hat kaum Sorgen damit, da sie, wenn auch widerwillig, die Forderungen der Göttin erfüllt: „Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe“ (V. 8). Damit kann sie die Werbung Thoas’ ablehnen: „So ruf ich alle Götter und vor allen / Dianen, die entschlossne Göttin, an, / Die ihren Schutz der Priesterin gewiss / Und Jungfrau einer Jungfrau gern gewährt.“ (V. 197 ff.) Die Dialektik triumphiert: Die Unfreiheit, in der sie sich als Priesterin gegenüber der Göttin befindet, verhilft ihr zur Freiheit als Frau, die sich nicht binden will. Iphigenie löst sich schließlich aus dem Schutz der Determination und findet zu einer aus eigenem Denken begründeten Entscheidungsfreiheit, wodurch sie anfälliger und hilfloser wird. Als Thoas das alte Gesetz der Menschenopfer wieder anwenden, also entstandene Freiheiten einschränken will, stellt Iphigenie ihre Erfahrung („(...) folgsam fühlt’ ich immer meine Seele / Am schönsten frei“, V. 1827 f.) und das von daher begründete Gebot entgegen: „Thoas: Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir. Iphigenie: Wir fassen ein Gesetz begierig an, Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient. Ein andres spricht zu mir, ein älteres, Mich dir zu widersetzen: das Gebot, Dem jeder Fremde heilig ist.“ (V. 1831 ff., Hervorhebung R. B.) 2. Textanalyse und -interpretation

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2.7 Interpretationsansätze Gesetz (politische Macht) und Gebot (göttliche Handlungsanleitung) umgeben das Wort „Leidenschaft“. Beide stehen in unauflöslicher Spannung dazu. Freiheit als Leidenschaft ist nur im Rahmen der herrschenden Normen möglich, soll sie nicht in Anarchie umschlagen. Iphigenies Familie hat sich von Leidenschaften bestimmen lassen und ihre scheinbaren Freiheiten ausgelebt: Hass, Neid, Begier (V. 334) führten zu Verrat, Mord und Rache. Deshalb ist sie aus den Machtsystemen der irdischen Macht (Orest herrscht nicht über Mykene, wie er eigentlich müsste) und der göttlichen Ordnung (die Familie leidet unter einem Fluch, sie sitzt nicht am Tische des Zeus) ausgeschlossen worden. Diese Unabhängigkeit ermöglicht Iphigenie die Freiheit der individuellen Entscheidung. Im antiken Mythos bestimmten Götter das eherne Schicksal. Sie beherrschten die Welt und nach ihrem Sieg über die vorolympischen Ordnungen auch diese.88 Bei Goethe nimmt der zur Selbstbestimmung fähige Mensch Selbstbestimmung sein Schicksal in die Hand und vertraut dem Menschen. Iphigenie könnte als Priesterin dem fatalistischen Schicksalsglauben ohne Komplikationen folgen. Da sie aber selbst gerettet worden ist, indem eine Göttin den mythischen Opferritus aufgehoben hat, überwindet sie die Versuchung, sich dem Schicksal zu fügen, und begibt sich in Gefahr. Das Stück beschreibt den Übergang vom ehernen Schicksal, dem man nur mit „Gewalt und List“ (V. 2142) entgehen kann, zur freien Gewissensentscheidung des Menschen („Wahrheit dieser hohen Seele“, V. 2143) als Voraussetzung für eine humane irdische Ordnung, deren wesentliche Kennzeichen unter anderem „reines, kindliches Vertrauen“ (V. 2144) 88 Die vorolympischen Götter waren Kinder von Gaia und Uranos; es waren die Titanen: Kronos und seine Schwester Rheia übernahmen die Herrschaft, nachdem Kronos seinen Vater entmannt hatte. Weitere Titanen waren Hyperion, Okeanos, Mnemosyne, Themis und Prometheus; ein von Goethe ebenfalls bevorzugter Themenkreis. Er kannte sich in der antiken Hierarchie aus, bevor er sich mit dem Iphigenie-Stoff beschäftigte.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.7 Interpretationsansätze und „ein freundlich Gastrecht“ (V. 2153) werden sollen. Die Schlussszene (5. Aufzug, 6. Auftritt) steht im Zeichen unterschiedlicher Freiheits-Vorstellungen: Orest will um seine Freiheit kämpfen, Thoas setzt die „alte Sitte“ dagegen. Es setzt sich Iphigenies Vorstellung von der „edlen Tat“ (V. 2149) durch, in die Freiheit entlassen zu werden, aber die „alte Freundschaft“ (V. 2173), das bedeutet vor allem gegenseitige Rücksichtnahme, zu wahren. Goethe war durch seinen Zeichenlehrer Oeser (1717–1799) während der Leipziger Studienzeit auch mit den Ideen Johann Joachim Winckelmanns (1717–1768) bekannt geworden; Oeser war Winckelmanns Lehrer. Goethe bewunderte Winckelmann.89 Dessen Ansichten gipfelten im Schlagwort von der „edlen Einfalt und stillen Größe“. Für Winckelmann waren in diesem Ideal gleichermaßen Schönheit und Polisdemokratie verwirklicht. Daraus folgerte er, Kunst könne erzieherisch wirken. Goethes Iphigenie auf Tauris wurde von Winckelmanns Ideen geprägt: im Thema (es geht um Menschlichkeit und den eigenen Entschluss dazu), in der Handlungsführung (das Stück läuft ruhig und wenig aufregend, also „still“, ist argumentativ gefügt, nicht handlungsorientiert) und in den ethischen Qualitäten (die Menschen denken „sittlich“, also „edel“ und geradlinig, also in „Einfalt“, das bedeutet Einfachheit). Das wird etwa in Orests Abkehr von der Lüge erkennbar (vgl. III, 1.), wenn er erklärt, „zwischen uns / Sei Wahrheit“. Aus den Vorstellungen Goethes von der Antike, wie sie von Winckelmann vorbereitet wurden, Begriff der Humanität entstand der Begriff der Humanität. Er wurde zum wichtigsten Begriff der deutschen Klassik. Iphigenie und Humanität sind bei Goethe fast Synonyme ge89 Vgl. Alfred Jericke: Einige Betrachtungen über den Kontakt zwischen Oeser und Goethe mit Bezug auf Winckelmann. In: Beiträge der Winckelmann-Gesellschaft, Band 7, Stendal 1977, S. 36 ff. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.7 Interpretationsansätze worden. Iphigenie verkündet durch Selbstbehauptung und Selbstbestimmung ihr Humanitätsideal, das an die Geschichtlichkeit des Menschen, nicht an den Mythos gebunden ist. Für die zeitgenössische Aufnahme war das Verhältnis zwischen Iphigenie und Thoas ein aktuelles. Man debattierte um den aufgeklärten Fürsten, mit dem man gern die Humanitätsvorstellungen verbunden hätte. 1784 hatte Immanuel Kant in seiner Antwort auf die Frage Was ist Aufklärung? die bekannte Maxime geprägt: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Kant konzentrierte sich in seiner Schrift auf die Behandlung der Religion, weil dort besonders Herrschaft und Unterdrückung zum Ausdruck kämen, bei den Künsten und Wissenschaften hätten die Beherrscher kein Interesse, „den Vormund über ihre Untertanen zu spielen“90. Als Beispiel beschreibt er einen Fürsten, der bei Kant deutlich die Züge Friedrich des II. von Preußen trägt; bei Goethe heißt er Thoas: „Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, dass er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regierung, entschlug und jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen.“91

90 Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? In: Ausgewählte kleine Schriften. Leipzig o. J. (Taschenausgabe der „Philosophischen Bibliothek“ Heft 24), S. 7. 91 Kant, ebd.

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2. Textanalyse und -interpretation

2.7 Interpretationsansätze Das Schauspiel ist Spiegelung des Spiegelung des Goethe’schen Goethe’schen Lebens, was bis zu PersoLebens nenentsprechungen getrieben werden kann: Thoas ist der Herzog, Iphigenie die Frau von Stein, Goethe Orest und Knebel könnte Pylades sein. Fragen bleiben: Sieht man Goethe als Orest, wäre es die geschwisterliche Liebe, die als altes Thema aus der inzestuösen Bindung an Cornelia erinnert wird.92 Oder ähnelt Goethe doch eher Thoas, dem sich die geliebte Frau verweigert? Derartige Verkleidungen und Symbolik waren üblich. Goethe pflegte sie auch in seinem Tagebuch: Frau von Stein erhielt seit 1776 das Zeichen der Sonne ⊕, Karl August wurde Jupiter, die Gräfin von Werthern Venus usw.93 Orest-Goethe ist in Zwänge auf/in Tauris-Weimar geraten, indem er sich als Opfer eines edlen, aber barbarischen ThoasKarl-August sieht und von einer reinen, aber sinnlich zurückhaltenden Iphigenie-Charlotte geopfert werden soll. Der Weltmann Pylades-Knebel, der „Urfreund“, wie ihn Goethe 1817 nannte, schafft die Lösung, die letztlich ein ausgeklügelter Kompromiss ist. „Pylades ist der Repräsentant der Zivilisation, der Macht, geistiger Bruder des Antonio im Tasso, nicht der ‚schönen Seele’ Iphigenie oder des romantisch fühlenden, empfindsamen Orest.“94 Traditionell gilt das Stück als Gipfelwerk der deutschen Klassik, weil es in Inhalt, Gehalt und Form vollkommen erscheint. Trotzdem hatte schon Goethe Zweifel daran: Er wusste um das „Unzulängliche“ des Werkes. Friedrich Wilhelm Riemer überlieferte eine Äußerung vom 20. 7. 1811: „Das Unzulängliche ist produktiv. Ich schrieb meine Iphigenia aus einem 92 Vgl. dazu Eissler, S. 368–391, der die geschwisterliche Beziehung „eindeutig“ für „die Hauptangelegenheit des ganzen Stückes“ hält. 93 Vgl. Koopmann, S. 94. 94 Renato Saviane: Egmont, ein politischer Held. In: Goethe-Jahrbuch, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, 104. Band der Gesamtfolge, Weimar 1987, S. 48. 2. Textanalyse und -interpretation

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2.7 Interpretationsansätze Studium der griechischen Sachen, das aber unzulänglich war. Wenn es erschöpfend gewesen wäre, so wäre das Stück ungeschrieben geblieben.“95 Unklar ist, was Goethe meinte: Spielte er auf die barbarischen Elemente des antiken Mythos an? Meinte er, die fürchterlichen Vernichtungsszenerien des Trojanischen Krieges und seiner Folgen hätten keinen Raum für Iphigenies Humanität gelassen?

95 Friedrich Wilhelm Riemer: Mitteilungen über Goethe, Band 2. Berlin 1841, S. 716.

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2. Textanalyse und -interpretation

3. Themen und Aufgaben

3.

Themen und Aufgaben

1) Thema: Warum wurde das Stück so bekannt? Verfolgen Sie den Stoff durch die Jahrtausende und gehen Sie auf die Unterschiede zwischen Euripides’ Tragödie und Goethes Schauspiel ein. Benutzen Sie dazu Iphigenies Schlussworte (V. 2151 ff.). Wieso gilt Goethes Stück als vollkommenes Kunstwerk? Welche Lösungen, Kompromisse und Verluste sind erkennbar?

Lösungshilfe s. S. 44, 53 ff.,92

2) Thema: Schauspiel oder Trauerspiel? Gehen Sie von der Gattungsbezeichnung aus, erklären Sie sie von Iphigenies Eröffnungsmonolog (V. 1 ff.) her. Beschreiben Sie die tragischen Situationen des Stücks. Wie wird Humanität in dem Stück verdächtig? Iphigenie und Thoas haben unterschiedliche Vorstellungen, wie ihr Gespräch (V. 226 ff.) ausweist.

Lösungshilfe s. S. 61 ff., 72

3) Thema: Die Menschenopfer (V. 926 ff.) Arkas beschreibt Iphigenies Rolle auf Tauris (V. 93 ff.). Wieso konnte Iphigenie auf Tauris die Menschenopfer abschaffen?

Lösungshilfe s. S. 16 f., 87 f.

3. Themen und Aufgaben

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3. Themen und Aufgaben

Wodurch sind ihre Priesterschaft, ihre ideale Ethik und ihr Einfluss gefährdet? Welche „Menschenopfer“ aus Goethes Zeit müssen mitgedacht werden?

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4) Thema: Die Humanität in Iphigenie auf Tauris Stellen Sie am Beispiel von Iphigenies Monologen (V. 538 ff., V. 926 ff.) ihre Humanitätsvorstellungen dar. Wodurch unterscheidet sich ihre Humanität von Mythos und bisheriger Geschichte? Wie stehen Humanität und freie Willensentscheidung zueinander?

Lösungshilfe s. S. 42 ff., 97 f.

5) Thema: Die Heilung des Orest Verfolgen Sie Orests Heilung im Text (V. 1257 ff.). Warum wird Orest das Werkzeug der Götter? Beschreiben Sie den „Fluch“. Was geschieht und was sieht Orest in der Hades-Vision (V. 1258 ff.)? Wieso kann man die Heilung des Orest als Versuch der Selbstgesundung Goethes betrachten? Was bewirkt die Heilung bei Orest für die Handlung?

Lösungshilfe s. S. 46 ff., 62 ff., 101

3. Themen und Aufgaben

3. Themen und Aufgaben

Erklären Sie Goethes Verse: „Alle menschliche Gebrechen / Sühnet reine Menschlichkeit.“96, die er als Widmung in ein Exemplar des Stücks schrieb. 6) Thema: Ideelle Gewinne und Verluste Beschreiben Sie Iphigenies Menschenideal und Toleranzauffassung, ihre Vorstellung vom aufgeklärten Fürsten und ihr Wahrheitsempfinden. Vergleichen Sie diese Entwürfe mit der von Goethe erlebten Wirklichkeit. Wieso konnte der Gedanke entstehen (s. S. 114 f.: Harry Graf Kesler), das Stück habe in Deutschland politische Literatur verdrängt?

Lösungshilfe s. S. 15 ff., 61 f., 65 ff.

7) Thema: Ist es ein Stück der unerfüllten Liebe? Beschreiben Sie Goethes unerfüllte, weil sinnlich nicht befriedigte Liebe zu Charlotte von Stein. Versuchen Sie, die Gefühlsbeziehungen Iphigenies zu Thoas, Orest und Pylades zu beschreiben. Wie würden Sie diese Gefühle bezeichnen? Vergleichen Sie Goethes Römische Elegien mit der Iphigenie auf Tauris unter dem Aspekt der sinnlichen Liebe.

Lösungshilfe s. S. 18 ff.

96 Goethe: An Georg Wilhelm Krüger. In: BA 2, S. 283 und 750 f. 3. Themen und Aufgaben

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3. Themen und Aufgaben

Worin besteht der Einfluss Charlotte von Steins auf die Gestaltung der Iphigenie? 8) Thema: Aufgeklärte Herrscher und Fürstenerziehung Was verstand und versteht man unter einem „aufgeklärten Fürsten“? Beschreiben Sie Goethes Verhältnis zum Herzog und seine Erziehungsabsicht. Die moralische Qualität der Klassik wird in Iphigenies Monolog (V. 1503 ff.) deutlich: „Doppelt wird mir der Betrug verhasst.“ Erklären Sie ihr ethisches Prinzip.

Lösungshilfe s. S. 16 f., 59 ff., 100

9) Thema: Humanität heute Lösungshilfe Hat das Menschenbild aus Goethes s. S. 96 ff., 116 ff. Iphigenie Gültigkeit erreicht? Wie lebensund weltfremd oder lebensnah und alltagsbrauchbar ist Iphigenies Wahrheitsliebe? War oder ist Iphigenies Verhalten nur in einer Kunstwelt und unter sozial Gleichgestellten möglich? Wie verhält sich das aufklärerisch-klassische Menschenbild zu heutigen ethischen Prinzipien? Wie verhalten sich Entsagung und Erwartung an das „freundlich Gastrecht“ der Zukunft zueinander?

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3. Themen und Aufgaben

4. Rezeptionsgeschichte

4.

Rezeptionsgeschichte

Neben großer Zustimmung zu dem Stück wurde die Rezeption auch durch Gegenbilder geprägt. Gegenbilder Friedrich Müller, genannt Maler Müller (1749–1825), schrieb nach 1780 eine Iphigenie (erst 1969 veröffentlicht), die „ein Gegenbild zu Goethes Stück“97 sein wollte. Er gestaltete „das Missverhältnis zwischen einer undurchschaubaren göttlichen Vorsehung und dem planenden Verstand und leidenschaftlichen Gefühl des Menschen“98. Lösung der Konflikte und Erlösung der Verfluchten gab es wiederum nur durch die Göttin Diana als Dea ex machina (Göttin aus der Maschine). Ein Gegenbild wollte auch Kleists Penthesilea (1808) sein. Die Antike erschien als blutrünstiges Zeitalter, die überragende Frau als Vernichterin. Dass Goethe sich nicht mit dem Stück anfreunden konnte, war kein Wunder. Der berühmte Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel lobte Goethes Schauspiel mit überschwänglichen Worten und dass Goethe „bloß äußerliche Göttermaschinerie“, wie sie bei Euripides vorhanden war, „in Subjektives, in Freiheit und sittliche Schönheit“ gewandelt habe.99 Die Selbstbestimmung Iphigenies aus ihrem Charakter heraus fand er als „ein echt poetisches Musterbild eines Schauspiels“.100 Sein Lob galt der Idealität der Charaktere: Da sei Goethes Iphigenie „vortrefflich und dennoch, im eigentlichsten Sinne genommen, nicht dramatisch lebendig und bewegt“101. Schlichter hieß das, Hegel fand Goethes Werk trotz allen Lobes eher langweilig. Der Dichter wusste darum und fand Erklärungen dafür: „Hier 97 Riedel 2000, S. 173. 98 Ebd. 99 G. W. F. Hegel: Werke, Bd. 13. Frankfurt am Main 1970, S. 297. 100 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1965, Bd. 2, S. 556. 101 Ebd., S. 532. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Tasso zu geben; allein wie oft? Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publikum findet sie langweilig. Sehr begreiflich. Die Schauspieler sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und das Publikum ist nicht geübt, sie zu hören.“102 Die Zeitgenossen reagierten gegensätzlich auf das Stück. Der Schweizer Johann Jakob Bodmer, Dichter, Ästhetiker, Literaturkritiker und Professor, schrieb an den Pfarrer Schinz, einen Schwager Lavaters, am 9. August 1780: „Ich habe sie verschlungen, denn ich muss sie nachmittags zurückgeben. Die Ökonomie davon ist sehr gezwungen. Der Poet hilft sich durch Soliloquien (Selbstgespräche, R. B.). Die Personen sind sentimentale Leute wie in dem Pult des Dichters. Thoas hat die sanfte, langsame, nachgebende Seele eines alten Mannes; er ist erzörnt ohne Taten, verlangt Iphigenies Hand ohne Liebe. Iphigenia verrät ihm die Anschläge des Bruders aus Redlichkeit und Abscheu vor Falschheit und Lügen. Mit Reden voll Weisheit und Gerechtigkeit bewegt sie den König, dass er ihr vergönnt, mit seinem Segen dem Bruder zu folgen. Die Erkenntnis des Bruders und der Schwester geschehn ohne Wärme.“103 Bodmer hat das Urteil mehrfach wiederholt, er hielt das Stück für schlechter als das Schlechteste von Senecas Trauerspielen104. Ebenfalls 1780 (24. Oktober) schrieb Friedrich Heinrich Jacobi an Johann Jakob Wilhelm Heinse über eine Lesung Knebels aus der Iphigenie: „Nach unserm einhelligen Urteil ist das Ganze ziemlich weit unter Goethens früheren Arbeiten. Ich hatte Kopfschmerzen 102 Eckermann, S. 182. 103 Bode, Bd. 1, S. 259. 104 „Es fehlt überall an Ausführung und Ausbildung“ und es herrsche „Dunst oder Falschheit“. 25. Januar 1782.

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4. Rezeptionsgeschichte

4. Rezeptionsgeschichte und war zerstreut; und da ich das Stück nicht selbst gelesen, sondern nur lesen gehört habe, so kann ich mich um so weniger auf mein Urteil verlassen. Wie ich von Knebel verstanden zu haben meine, hält es Goethe für sein bestes.“105 Das Stück war von Beginn an für die Bühnen kein wirklicher Erfolg. Als Einzelausgabe bei Cotta blieb es unverkauft liegen und war noch Anfang des 20. Jahrhunderts beim Verlag zu haben.106 Das Stück kam in der Endfassung in Endfassung in Weimar erst 1802 Weimar erst 1802, bearbeitet und inszeauf der Bühne niert von Schiller, auf die Bühne. Goethe hatte das Stück ganz dem Freunde überlassen. Er weigerte sich, irgendetwas mit dem Stück noch zu schaffen zu haben: „Mit der Iphigenie ist mir unmöglich etwas anzufangen; wenn Sie nicht die Unternehmung wagen, die paar zweideutigen Verse korrigieren und das Einstudieren dirigieren wollen, so glaube ich nicht, dass es gehen wird (...).“107 Goethe schickte am 19. Januar 1802 Schiller das Stück mit Zurückhaltung und Vorsicht: „Hiebei kommt die Abschrift des gräzisierenden Schauspiels. Ich bin neugierig, was Sie ihm abgewinnen werden. Ich habe hie und da hineingesehen, es ist ganz verteufelt human. Geht alles halbweg, so wollen wirs versuchen: Denn wir haben doch schon öfters gesehen, dass die Wirkungen eines solchen Wagestücks für uns und das Ganze inkalkulabel sind.“108 Schillers Kritik war grundsätzlich; er Schillers Kritik wollte kürzen, es sei „zu viel moralische Kasuistik“ in dem Stück, deshalb müsste man „die sittli105 Bode, Bd. 1, S. 262. 106 Friedenthal, S. 461 f. 107 Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Hrsg. von Hans Gerhard Gräf und Albert Leitzmann. Leipzig: Insel, 1964, 3. Auflage, Band 2, S. 406. 108 Ebd., S. 389. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte chen Sprüche selbst und dergleichen Wechselreden etwas“109 einschränken. Schiller hatte auf das Publikum und seine Konventionen Rücksicht zu nehmen. Das wollte unterhalten werden, und zwar durch spannende Ereignisse, nicht durch moralische Diskurse, die das verhinderten, worauf sich das Publikum eingerichtet hatte: Menschenopfer, Kämpfe, möglicherweise noch wirksame Auseinandersetzungen zwischen dem männlichen König und der weiblichen Priesterin, Raub eines Heiligtums. Schiller stellte das dem Freunde am Beispiel Orests dar. Er war die aufregendste Gestalt des mythischen Geschehens und hatte auch das spannendste Schicksal. Schiller schrieb am 22. Januar 1802 an Goethe: „Orest selbst ist das Bedenklichste im Ganzen; ohne Furien ist kein Orest, und jetzt, da die Ursache seines Zustands nicht in die Sinne fällt, da sie bloß im Gemüt ist, so ist sein Zustand eine zu lange und zu einförmige Qual, ohne Gegenstand; hier ist eine von den Grenzen des alten und neuen Trauerspiels.“110 Schiller wünschte, durch Götter und Geister mehr Bewegung auf die Bühne zu bringen und den Fluch der Tantaliden szenisch „in die Sinne“ fallen zu lassen. Sollte Goethe keine Lösung dafür haben, – er hatte keine –, empfahl Schiller dringlich, die Szenen Orests zu verkürzen: Man höre zwar von manchen Ereignissen, aber man sehe nichts. Thoas und seine Taurier wären geeignete Personen, um das dramatische Interesse zu beleben. Den Barbaren galt Schillers Fürsorge, nicht der edlen Iphigenie. Es sei „nichts Sinnliches vorhanden“111; die äußere Handlung sei zu gering, verschwinde gänzlich und gehe „hinter den Kulissen“ vor sich. Das sei der „eigene Charakter dieses Stücks“, den man erhalten müsse. „(...) das Sinnli109 An Goethe vom 22. Januar 1802. In: ebd., S. 392. 110 Ebd. 111 Ebd.

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4. Rezeptionsgeschichte che muss immer dem Sittlichen nachstehen; aber ich verlange auch nur so viel von jenem, als nötig ist um dieses ganz darzustellen“112. Das war eine scharfe Kritik, Goethe reagierte nicht. Als am 31. März 1827 Georg Wilhelm Krüger vom Königlichen Theater (Berlin) in Goethes Iphigenie auf Tauris auf Empfehlung von Zelter als Gast den Orest spielte, verzichtete Goethe auf die Teilnahme an der Aufführung. Er hatte bis dahin noch keine gelungene Aufführung seines Stückes gesehen. Krüger wurde mit großem Beifall bedacht, August von Goethe berichtete seinem Vater noch am gleichen Abend darüber. Zu Eckermann sagte Goethe am folgenden Tage in diesem Zusammenhang: „Das Stück hat seine Schwierigkeiten. Es ist reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Dass aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt ’s.“113 Zurückhaltend beurteilten die Romantiker das Schauspiel. August Wilhelm Schlegel vertrat in den August Wilhelm Schlegel Vorlesungen zur Dramatik den Standpunkt: „Man muss wohl eingestehn, dass Goethe zwar unendlich viel dramatisches aber nicht eben so viel theatralisches Talent besitzt. Ihm ist es weit mehr um die zarte Entfaltung als um rasche äußre Bewegung zu tun; selbst die milde Grazie seines harmonischen Geistes hielt ihn davon ab, die starke demagogische Wirkung zu suchen. ‚Iphigenia auf Tauris’ ist zwar dem griechischen Geiste verwandter, als vielleicht irgend ein vor ihr gedichtetes Werk der Neueren, aber es ist nicht sowohl eine antike Tragödie als Widerschein derselben, Nachgesang: die gewaltsamen Katastrophen jener stehen hier nur in der Ferne als Erinnerung, und alles löst sich leise im Innern der Gemüter auf.“114 112 Ebd., S. 393. 113 Eckermann, S. 301. 114 August Wilhelm von Schlegel: Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. Band II. Bonn und Leipzig: Kurt Schroeder Verlag, 1923, S. 298. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte Zu einem Gegenentwurf kam es durch Franz Grillparzers Trilogie Das Goldene Vlies. Zwischen den Themenkreisen der Tantaliden und der Argonauten bestehen Zusammenhänge. 1821 bekannte Grillparzer sich in einem Brief an den Grafen Brühl sowohl zur Vorbildlichkeit der Iphigenie Goethes als auch zur Distanz von ihr. Er beschrieb sein Goldenes Vlies als „aus Grundsatz gewagte, aber vielleicht hie und da doch zu weit getriebene Abweichung von der Art, wie man seit Goethes Iphigenie griechische Stoffe behandeln zu müssen glaubt“115. Die beiden Stücke gehören „durch ihre offenbare Gegensätzlichkeit zusammen, wobei ihr innerstes geistiges Verbindungsglied mit Goethes – dann allerdings sinnverwandeltem – Wort vom ‚verteufelt Humanen’ benannt werden kann.“116 Die Jungdeutschen hatten mit Goethe wenig im Sinn; sie betrachteten ihn und sein Werk als eine vergangene Kunstperiode. Der Philosoph Kuno Fischer machte 1888 den „christlichen Charakter“ in der Iphigenie aus. Damit erklärte er, dass „unter seiner Gewalt alle erotischen Gefühle schweigen, und auch den König in seiner Werbung nicht bestimmen, geschweige mit sich fortreißen“117. Fischer spürte, dass in dem Stück kein erotisches Moment war. Ähnlich hielt Hermann Hettner es für „ein höchst merkwürdiges Zusammentreffen, dass die Entstehung von Lessings Nathan dem Weisen und die erste Entstehung von Goethes Iphigenie fast in dasselbe Jahr fällt: Nathan, der lehrhafte Abschluss der religiösen Aufklärung; Iphigenie, die reife Frucht des neuen Zeitalters, die schöne und naturwüchsige Blüte der reinen und harmonischen Humanitätsidee.“118 115 Franz Grillparzer: An den Grafen Brühl. 22. August 1821. In: ders.: Sämtliche Werke. Hrsg. von Peter Frank und Karl Pörnbacher, IV. Band, München o. J., S. 272. 116 Hans-Georg Werner: Verteufelt human. Etwas über den Zusammenhang zwischen Goethes Iphigenie und Grillparzers Goldenem Vlies. In: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins. Hrsg. von Herbert Zeman. Wien 1982/1983/1984, Band 86/87/88, S. 259. 117 Kuno Fischer: Goethe-Schriften. 1. Reihe Bd. 1, Heidelberg 1890, 2. Auflage, S. 19 f. 118 Hettner, Bd. II, S. 373.

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4. Rezeptionsgeschichte Gleichzeitig befand sich der deutsche Naturalismus Naturalismus seit Ende der siebziger Jahre auf seinem Weg durch die Institutionen. Es wurden wenige Werke Goethes dabei in die Traditionsbildung und Programmatik aufgenommen, sporadisch und zögernd. Der Goethe antik-hellenistischer Inhalte und Strukturen, der Goethe der Iphigenie auf Tauris, fand keine Gnade. Einer der geistigen Väter des Naturalismus allerdings, der Philosoph und Kunstrichter Hippolyte Taine (1828–1891), feierte in seiner Philosophie der Kunst (1882) Goethes Schauspiel als ein modernes Kunstwerk, über das sich nichts stelle. Schon die Prosafassung sei schön gewesen, aber die durchgängige Verwendung von Rhythmus und Metrum habe ein unvergleichliches Kunstwerk geschaffen, in dem sich Iphigenie als eine majestätische Jungfrau und Wohltäterin der Menschen erhebe.119 Am 31. August 1944 hatte das Staatstheater Dresden mit Goethes Iphigenie auf Tauris seinen Spielplan beendet; am 1. September 1944 sind die deutschen Theater zwangsweise geschlossen worden und mussten der Kriegswirtschaft dienen. Das Stück war für ein faschistisches Theaterleben umgedeutet worden. Iphigenie war zur Inkarnation eines „unter dem christlichen Schicksal erworbenen Seelenreichs des deutschen Menschen“ geworden.120 Nach 1945 widmete man sich dem Schauspiel kaum, das Thema allerdings wurde genutzt. Es entstanden Iphigenie-Dramen (Gerhart Hauptmann, Ilse Langner, Hans Schwarz u. a.), denen gemeinsam war, dass sie eine dunkle Welt schilderten, aus der sie dennoch Hoffnung zu gewinnen versuchten.121

119 In den von den Brüdern Hart herausgegebenen Deutschen Monatsblättern (1878) wurde Taine den jungen Naturalisten vorgestellt. Deutsch erschien die Philosophie der Kunst erst 1902. 120 Vgl. Rudolf Ibel: Goethe. In: Weltschau der Dichter. Jena: Dieterich, 1943, S. 105. 121 Vgl. dazu Riedel 2000, S. 320. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte 1949 erschien Ilse Langners Klytämnestra. Es ist eine Antwort auf Goethe, denn die von ihm verkündete Menschlichkeit war ausgeblieben. Der schlimmstmögliche Gegensatz war eingetreten. Schlimmer noch, edle Menschen wie Iphigenie wurden dem „bösen Krieg“ geopfert, eine 1949 aktuell wirkende Meinung: „Geopfert ward die Braut nach Priesters Wunsch, / Der Vater selbst, der König gab sie preis / Für gute Abfahrt in den bösen Krieg.“122 Eine Erlösung vom Fluch schien nicht in Sicht; neue Morde setzten die Familiengeschichte fort. Elektra beschwört Hass und Rache, denn „Agamemon, / Deine Tochter hat dich nicht gerettet, / Iphigenie ward der höhre Preis. / Grauen packt mich vor der Rache Pflichten.“123 Goethes Schauspiel war immer in den In den Lehrplänen der Schulen Lehrplänen der Schulen zu finden, es bestimmte Aufsatzthemen und feierliche Abschlussreden. Allerdings gab es auch dabei warnende Stimmen: Wer mit seiner Begeisterung die Schüler anzustecken vermöge, könne in der Prima die Iphigenie lesen, „so unzugänglich sie auch Primanern zu sein pflegt. Jedem anderen ist es zu widerreden.“124 Beim einfachen Volk war das Stück weniger bekannt und noch weniger beliebt. Ein Tiroler Deutschlehrer beschrieb um 1840 das Schauspiel so: „Mei wisst ’s wohl: Der Goethe ist halt a Fack g’wöst und was ist dös an der Iphigenie? Der Thoas hat sie halt heiraten wöll’n, sie hat’n aber nit g’mögt und nachher hat er a Weil brummelt und hat sie endlich laffen lassen. Ist lei nix dahinter als a narret’s G’röd.“125 Entschiedene Einwände hatte Harry Graf Kessler gegen Goethes Iphigenie. In einem Gespräch mit Gerhart Hauptmann 122 Ilse Langner: Klytämnestra. Tragödie, Berlin 1949, S. 8. 123 Ebd., S. 127. 124 Martin Havenstein: Die Dichtung in der Schule. o. O. 1925. Vgl. dazu Wolfgang Leppmann: Goethe und die Deutschen. Vom Nachruhm eines Dichters. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1962 (Sprache und Literatur 3), S. 180 ff. 125 Ebd., S. 160, nach: Adolf Pichler: Aus meiner Zeit.

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4. Rezeptionsgeschichte meinte er, es habe um 1780 einen „Knick in der deutschen Literatur“ gegeben. Er habe zur klassischen Epoche Goethes geführt und „sei doch zum großen Teil durch die unumgängliche Rücksicht auf die Gefühle und Gesinnungen des Weimarer Hofes verursacht worden und habe uns um die bürgerliche und politische Dichtung betrogen, auf die wir nach solchen Anfängen (Kessler meint die sozialen Einstellungen Lessings, Schillers ‚Räuber’ und Goethes ‚Clavigo’, R. B.) Anspruch hatten; dafür seien die historischen Dramen Schillers oder der ‚Wilhelm Meister’ kein voller Ersatz.“126 Mit Goethes Iphigenie hatte der naturalistische Gerhart Hauptmann frühzeitig nichts im Sinn. Selbst auf seiner Italienischen Reise (1897) empfand er nichts für das Stück: „Die reine (ruhige), farb- und geschmacklose ‚Schönheit’ Winckelmanns, der Goethe in Iphigenie sich bedenklich nähert, ist nicht die des Dramatikers noch die meine. Ich bin unten am Meer gewesen: Dort ist das Drama.“127 Gerhart Hauptmann Hier klingt die naturalistische Ablehnung Goethes nach. Wesentlich wurde Gerhart Hauptmanns intensiver Umgang mit Goethes Werk in späterer Zeit: „Es gibt kaum ein wichtiges Goethewerk, das Hauptmann nicht zu imitieren versucht hat: (...) die Zurücknahme der Iphigenie auf Tauris in einer archaisierenden Iphigenie in Delphi“128. Hauptmanns Aufnahmen der Goethe’schen Themen und Stoffe gingen von einem gescheiterten humanistischen Entwurf in der Iphigenie auf Tauris aus. Gerhart Hauptmann schrieb seine Iphigenie in Delphi (1941) in einem barbarischen Zeitalter, in 126 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918–1937. Hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt a. M.Leipzig: Insel, 1996, S. 540. 127 Gerhart Hauptmann: Italienische Reise 1897. Tagebuchaufzeichnungen. Hrsg. von Martin Machatzke. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Propyläen, 1976, S. 78. 128 Hans Mayer: Goethe. Hrsg. von Inge Jens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999, S. 374. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte dem man sich nur mit barbarischen Mitteln helfen konnte. Es wurde eine Welt des blutigen Infernos, die Hauptmann zeichnete. In ihr herrschten die undurchschaubaren Mächte des Schicksals. Selbst Iphigenies freiwilliger Opfertod beeinflusst die unerbittlich ablaufenden Vorgänge nicht. Orest wird in Iphigenie in Delphi am Ende „frei von jedweder Schuld“ gesprochen. Iphigenie aber hat sich in eine Schlucht gestürzt und Pyrkon, Oberpriester des Apoll, erklärt im Gegensatz zu Goethes Stück: „Doch wer zum Opfer einmal ausersehen / von einer Gottheit – ob es auch so scheint, / er habe ihrem Spruche sich entwunden –: / die Moiren halten immer ihn im Blick / und bringen, wo er dann auch sich versteckt, / an den gemiednen Altar ihn zurück. / Der Spruch von Delphi, der allmächtige, / bestimmte dieser Priesterin dereinst / den Opfertod! Und Pythos hohen Spruch / vermochte selbst die Göttin nicht zu brechen, / Apollons bleiche Schwester Artemis.“129 Noch radikaler auf die Verhältnisse einer unmenschlichen Welt im 20. Jahrhundert reagierte Heiner Müller Heiner Müller. Müller entheroisierte die Helden der Antike. Seine Gestalten operieren mit Sätzen, „in denen Goethe’sche Aussagen zum idealischen Entwurf eines klassisch-humanistischen Menschenbildes gleichsam umgekehrt und damit ausgehöhlt werden“130. In Müllers Philoktet (1965) werden Zitate aus Goethes Iphigenie auf Tauris polemisch aufgegriffen. Beide Handlungen stammen aus dem gleichen Mythenkreis des Trojanischen Kriegs. Neoptolemos, der Sohn Achills, soll erneuten Verrat verantworten, wehrt sich 129 Gerhart Hauptmann: Iphigenie in Delphi. In: Sämtliche Werke (Centenarausgabe). Hrsg. von Hans-Egon Hass. Bd. 3, Berlin: Propyläen, 1996, S. 1090. 130 Bernd Leistner: Zum Goethe-Bezug in der neuern DDR-Literatur. In: Weimarer Beiträge. Berlin und Weimar 1977, Heft 5, S. 87.

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4. Rezeptionsgeschichte aber gegenüber Philoktet mit den Worten: „Nicht länger mag ich lügen. Hör die Wahrheit.“131 Das ist eine Variante des zum Zitat geronnenen Ausspruchs Orests „Zwischen uns / Sei Wahrheit! / Ich bin Orest!“ (V. 1080 ff.): Philoktet wird trotz des Wahrheitswillens ermordet. Ähnliche Entsprechungen sind zahlreich. Müllers Vorhaben ist deutlich: Weder die antike Literatur noch die klassischen Entwürfe haben Menschlichkeit als praktizierten ethischen Wert des alltäglichen Lebens zu entwickeln vermocht. Menschlichkeit ist nach wie vor eine Frage des philosophischen Diskurses geblieben und hat in der sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit immer mehr an Bedeutung verloren. Noch rigoroser beschrieb Heiner Müller die Tantaliden (Elektratext 1969). Müller reduzierte die Geschichte der Tantaliden auf eine Abfolge von Verbrechen: „schlachten, bestrafen, Raub, verfluchen, töten, erschlägt, Beil, Schwert“ sind die wichtigsten Wörter des programmatischen Textes.132 Von Iphigenies Rettung und ihrem Dienst als Priesterin ist keine Rede. Müller war die Humanität der deutschen Klassik verdächtig, weil sie die deutschen Verbrechen des 20. Jahrhunderts nicht verhindert hatte. Auch Heiner Müllers Gegenspieler Peter Hacks Peter Hacks nahm Goethes Iphigenie auf Tauris auf. Er sah in Goethe sein Vorbild, beschäftigte sich in Dutzenden von Essays mit ihm, schrieb seine Stücke weiter oder neu (Pandora, Das Jahrmarktsfest von Plundersweilern) und widmete eines seiner erfolgreichsten Stücke Goethe selbst: Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe. Goethe war sein fortwährendes Thema. Die Iphigenie passte nicht in sein Konzept. Denn ähnlich wie Heiner Müller 131 Heiner Müller: Philoktet. In: Heiner Müller: Mauser. Texte 6. Berlin: Rotbuch, 1978, S. 24. 132 Heiner Müller: Elektratext (1969). In: Heiner Müller: Theaterarbeit. Texte 4. Berlin: Rotbuch, 1975, S. 119. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte musste Hacks zugeben, dass „Klytämnestra Recht hatte (...). Der originale Mythos endet billigerweise mit der Schlachtung des Orest durch seine wieder ins Leben gebrachte Schwester Iphigenie“133. Die Version von Orests Entsühnung und Iphigenies Rettung sei eine „Propagandafassung, in die Welt gesetzt von Ideologen der Männerherrschaft. Für sie war der Muttermörder eine Art patriarchalischer Revolutionär.“134 Peter Hacks rechnete die Familiengeschichte Iphigenies ähnlich wie Heiner Müller auf, um eine Utopie entgegenzusetzen, in der nicht mehr gemordet würde. Durch Tantalos, Pelops, Atreus, Agamemnon und Orest „ereigneten sich die Schlachtung und Verspeisung von 6 Knaben, der Diebstahl 1 goldenen Hundes und 1 goldenen Lammes, 2 der klassischen und beispielgebenden Fälle von Homosexualität, 2 Schändungen von Töchtern durch ihre Väter, 1 Vatermord, 1 Muttermord, 1 Gattenmord, 1 Tochtermord, nicht zu rechnen Selbstmorde, Ehebrüche und minder intime Bluttaten unter Verwandten zweiten oder noch entfernteren Grades. Solche Vorfälle heimeln auch den modernen Leser an und gewähren ihm Befriedigung.“135 Der Iphigenien-Stoff ist einer der wirkungsvollsten Stoffe der deutschen Literatur; er wurde auch verdeckt weitergeführt. Kaum einer wird ihn auf den ersten Max Frischs Roman Homo faber Blick in Max Frischs Roman Homo faber (1957) vermuten; aber er ist enthalten. Der in freier Willensentscheidung agierende Mensch Goethes ist zu dem „machenden“ Menschen (Homo faber) geworden. Walter Faber kehrt an die Stelle antiker Mythen zurück, von New 133 Peter Hacks: Iphigenie oder: Über die Wiederverwendung von Mythen. In: ders.: Die Maßgaben der Kunst. Gesammelte Aufsätze 1959–1994. Hamburg: Nautilus, 1996, S. 62. 134 Ebd. 135 Ebd., S. 63 f.

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4. Rezeptionsgeschichte York über Paris und Rom nach Athen, nachdem er in Rom bereits den Kopf einer schlafenden Erinnye gesehen hat. Seine Tochter wird seine Geliebte; das erinnert an Thyest. Faber hat ihren Tod auf dem Gewissen wie Agamemnon Iphigenies; er tritt in dessen Rolle ein. Als er in der Badewanne liegt und nur die Mutter seiner Tochter und Geliebten in der Nähe weiß, sieht er sich wie Agamemnon: Hanna „könnte ohne weiteres eintreten, um mich von rückwärts mit einer Axt zu erschlagen“136. Selbst erfahrene Techniker, wie Faber einer ist, werden noch vom Mythos, vom Schicksal beherrscht. Goethes Entwurf, in freier Willensentscheidung Schuld zu entsühnen und aus dem Mythos auszutreten, wird auch bei Frisch ad absurdum geführt. Es gibt keinen deutschen Dichter der Gegenwart, bei dem Texte so viele Überarbeitungen zu tragen haben wie bei dem Georg-Büchner-Preisträger 2000 Volker Volker Braun Braun. Jeder Text gilt im Augenblick seiner Rezeption und ändert sich in der zeitlichen Bewegung. Die Bewegung und die Veränderung sind für Braun das Gültige. Er hat eine Iphigenie in Freiheit geschrieben (entstanden 1987–1991, uraufgeführt 1992). Braun interessierte nicht der Humanismus, der nur für einen „kleinen Kundenkreis“ sei und „Versöhnung“ nur zeitweise bringe, dann gehe die Vernichtung weiter („Zwischen uns sei Wahrheit! wessen Wahrheit.“137). Die insulare Idyllik Iphigenies, in der sie ihre Menschlichkeit üben kann, ist zerstört. Den eröffnenden Monolog Iphigeniens bei Goethe variieren die Verse Brauns:

136 Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht. Berlin: Volk und Welt, 1973, S. 156. 137 Volker Braun: Iphigenie in Freiheit. In: Texte in zeitlicher Folge. Band 10. Halle: Mitteldeutscher Verlag, 1993, S. 136. 4. Rezeptionsgeschichte

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4. Rezeptionsgeschichte „Hier ist der Hain der Göttin: kahle Bäume / Und Lethe unser Flüsschen stinkt zum Himmel / Könnt ich vergessen, wo ich war und bin. / Ich trug sie froh im Busen, meine Wahrheit / Meinen Besitz auf dieser warmen Bühne / Die Lösung nur für mich und nicht für alle.“138 Der klassische Humanismus habe nichts bewirkt; die Orte, die die Diskussionen um Goethes Iphigenie begleiteten, werden aufgenommen und durch einen weiteren ergänzt: „HIER IST APOLDA. / TAURIS. / KOREA.“139 Nun gehe alles auf eine globale Revolution zu, die zwischen dem Menschen und der Natur stattfinde. Keine Iphigenie helfe mehr; klassische Überredungskunst habe keine Chance mehr. Als „Anmerkung“ gibt er seiner Iphigenie in Freiheit mit: „Die Frage aller Fragen: nach der friedlichen anderen Arbeit, die vertagt scheint / die verschärft wird durch den Auftritt des alten Personals im neuen Tauris; was Thoas macht, wird die Erfahrung lehren.“140 Der zentrale Gedanke von Heiner Müller bis Volker Braun ist, dass sich Humanität ohne eine nicht-entfremdete und allen Menschen zugängliche Arbeit nicht bilde.

138 Ebd. 139 Ebd., S. 137. 140 Ebd., S. 144.

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Mindestens zwei sehr unterschiedliche, geradezu gegensätzliche Deutungen haben sich bei Inszenierungen gebildet, denen in ihrer Unterschiedlichkeit gemeinsam ist, dass sie mit der klassischen Humanität nur wenig anzufangen wissen. 1966 inszenierte Gerhard F. Hering am Landestheater in Darmstadt das Schauspiel so, dass die Kritik ihm bescheinigte, modern und ungriechisch zu sein. Statt in einen Hain trat Iphigenie in ein röhrenähnliches Gebilde, das wie eine Gruft wirkte. Aus ihr befreit Iphigenie nicht nur sich, sondern aus ihr hinaus führt sie den Bruder und dessen Freund. Das gelingt ihr nicht als Priesterin, sondern als ein junges, vom Leben noch nicht ernsthaft gestörtes Mädchen, „ein Iphigenerl fast“: „Ungriechisch und modern – Hering hat das große Thema in der ‚Iphigenie’ freigelegt: den Sieg der Lebenskräfte über die Verzweiflung am Leben. Das Drama des ‚Sittlichen’ ist in dieser Inszenierung ein sinnlich erfassbares Drama konkreter einfacher Gefühle. Die Humanität als Nebenprodukt der Liebe (...).“141 1993 inszenierte Lutz Graf am Leipziger Schauspielhaus eine erschreckende Iphigenie auf Tauris, in der die postulierte Menschlichkeit mit perverser Machtausübung in Widerspruch geriet. An die Stelle des „stillen Heiligtums“ der Diana trat ein grauenhaftes Verließ mit verschlossenen Toren, blutverschmierten Wänden und verbranntem Tempelboden. Die Aufführung endete mit Iphigenies Klage, nach dem Tode der Männer, im Liede gepriesen, blieben: „Allein die Tränen, die unendlichen, / Der überbliebnen, der verlassnen Frau / Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt...“; ihr Aufruf 141 Georg Hensel in: Theater heute VIII, 10, S.33 f., zit. nach: Angst, S. 81. 5. Materialien

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5. Materialien „Lasst die Hand / Vom Schwerte!“ verklang ungehört. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: „Letztlich bleibt es nicht bei Goethes Regiehinweis der ‚bloßen Schwerter’, die Waffen tun ihr tödliches Werk. Inmitten dieser Männerwelt Susanne Steins Iphigenie unglaublich facettenreich in der Opfer- wie Täterrolle und ein schroffer Pol des Zweifels. Ein Konfliktpotential wie die Selbstbestimmung des Individuums tritt durch sie zugleich zwingend als Emanzipationsproblem vor Augen. So, wenn sie mit Fäusten und Kreideschrift die – vorweggenommene – Revolutionsforderung ‚Liberté, Egalité, Fraternité!’ an die Eisenbanden zu schlagen beginnt und mitten im Begriff der Brüderlichkeit erlahmt. So, wenn sie der Regie folgend die Szenen mit dem taurischen Königsboten Arkas in suggestivem Partnerspiel mit Guido Lambrecht zu einem flammenden Gleichnis der Lust auf das verführerisch Andere und der Aversion gegen das Fremde im Anderen ausformt.“142 Diese Inszenierung negierte nicht nur Goethes Entwurf einer erlösenden Menschlichkeit aus der Erfahrung einer unmenschlichen Wirklichkeit heraus, sondern billigte auch den Göttern der Iphigenie des Euripides keine Erlösungsvorgänge zu. Am Ende stand nicht die Vision einer menschlichen Versöhnung, sondern die Wirklichkeit gegenseitiger Vernichtung. Oft geraten die Deutungen der Iphigenie Goethes dabei selbst wieder zum literarischen Werk wie in Helmut Koopmanns Goethe und Frau von Stein: „In ‚Iphigenie’ tauchen alte Motive auf: so das der geliebten Schwester, der inzestuösen Bindung, wie sie sich schon in der aller ersten Phase der Liebesbeziehung zu Charlotte finden. Erscheint Goethe als der gerettete Orest? Ist das Verhältnis zwischen ihm und Charlotte hinübergespiegelt in die brüderlich-schwesterliche 142 Elisabeth Peuker: Pol des Zweifels in der Männerwelt. In: Mitteldeutsche Zeitung (Halle) vom 3. November 1993.

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5. Materialien Beziehung zwischen Orest und Iphigenie? Oder ist Goethe Thoas, dem sich Iphigenie verweigert? ‚Mein Schicksal ist an deines fest gebunden’, sagt Iphigenie zu Thoas – dieser Satz steht so oder so ähnlich dutzendfach in Goethes Briefen an Charlotte von Stein. Aber auch hier ist das Gelebte transzendiert. Goethes Verhältnis zu Frau von Stein, die Liebesbeziehung zwischen ihnen findet sich, verdeckt und verfremdet, in ‚Iphigenie’ als gleichsam mythisches Geschehen. Ein Spiel mit Masken, was die Wirklichkeit angeht, und doch in höherem Sinne richtig.“143 Immer neue Versuche wurden gemacht, der überzeitlich wirkenden sprachlichen Schönheit des Schauspiels neue Reize abzugewinnen, „das entfernte Pathos erhabener Dialoge“ zu portionieren und sei es durch „Komik, Slapstick und Geschwindigkeit“.144 Die „Freien Komödianten“ (Halle) inszenierten eine Iphigenie nach Goethe, ein wenig Euripides und in ihrer eigenen Fassung: „Eingetreten in die Geschichte wechseln hastige Gesten, schnelle Sprache und leicht überdehnte Komik in distanzierte Stille. Die Geschichte gehört der Geschichte. Opfer gibt es nur noch ohne Priester, Altäre und Götter. (...) Der große Konflikt der Iphigenie wird reduziert auf jungmädchenhafte Unentschlossenheit. Wirklich gelungen pubertär ersetzt Tamara S. Müller einen der Angelpunkte in Goethes ‚Iphigenie’ durch den kokettierenden Singsang ‚Ich gehe jetzt – ich komme gar nicht mit’. Schon vorher wurden große Szenen in Bewegung und Gestik verwandelt. Iphigenie und Orest erlaufen, ein Kreuz beschreibend, Erkenntnis, bis sich beide als Bruder und Schwester in der Mitte treffen. Dann werden Rührseligkeiten in getriebener Sprache gewechselt, die eher gestisch als wörtlich verstanden werden können.“145 143 Koopmann, S. 136. 144 Thomas Altmann: Menschen ohne Götter und Ideale. Tom Wolter erzählt Iphigenie auf Tauris neu. In: Mitteldeutsche Zeitung (Halle) vom 28. April 2001. 145 Ebd. 5. Materialien

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5. Materialien Menschliche Bewährung, das Gespräch als konfliktlösendes Mittel, der Ausgleich unterschiedlicher Lebensgewohnheiten, Traditionen und historischer Erfahrungen und vieles andere sind Vermittlungen, die Goethes Schauspiel Iphigenie auf Tauris neben seiner sprachlichen Schönheit zu einem Wertekanon der Menschlichkeit machen, der als Maßgabe zur Anwendung steht.

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Literatur 1. Textausgaben und Dokumente Textausgaben für den Schulgebrauch gibt es preiswert in den Königs Lektüren (Bange Verlag, Hollfeld, Nr. 3015), in Reclams Universal-Bibliothek (Reclam, Stuttgart, Nr. 81) u. a. Um mit verschiedenen Ausgaben arbeiten zu können, wird nach Versen zitiert, die in der Regel ausgewiesen sind. Textgrundlage dieser Erläuterung ist die Ausgabe des Bange Verlags von 1998. Baechtold, Jakob (Hrsg.): Goethes ‚Iphigenie auf Tauris’ in vierfacher Gestalt. Freiburg/Br. und Tübingen: Mohr, 1883. Bode, Wilhelm (Hrsg.): Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen, Bd.1–3, Berlin und Weimar: Aufbau, 1979. (Diese in mehreren Ausgaben vorhandene Briefsammlung ist ein unersetzliches Hilfsmittel.) Düntzer, Heinrich (Hrsg.): Die drei ältesten Bearbeitungen von Goethes ‚Iphigenie’. Stuttgart und Tübingen: Cotta, 1854. Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823–1832. Berlin: Aufbau-Verlag, 1962. Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. 2 CDs. Hamburg: Deutsche Grammophon, 1997. Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Reclam Klassiker auf CD-ROM (1) Nr. 12, Ditzingen: Reclam, 1998. Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Sprechplatten CD DGG, ADD, 57 (vgl. auch: www.jpc-buch.de/ 7993851.htm). Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Hörbuch: Edition Mnemosyne 2002.

Literatur

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Literatur Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. In: Goethe. Poetische Werke, Bd. 7, bearbeitet von Angelika Jahn. (Berliner Ausgabe = BA.), Berlin: Aufbau-Verlag, 1963. Götting, Franz (Hrsg.): Chronik von Goethes Leben. Leipzig: Insel, 1957. (Übersichtliche und handliche Auflistung der Ereignisse, Begegnungen und Werke) Hartung, Ernst (Hrsg.): Alles um Liebe. Goethes Briefe. München-Ebenhausen: Wilhelm Langewiesche-Brandt, 1906. Herwig, Wolfgang (Hrsg.): Goethes Gespräche, Bd. 1–5 (Biedermann’sche Ausgabe). München: dtv, 1998. Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder Mythologische Dichtungen der Alten. In: ders.: Werke. Hrsg. von Horst Günther. Frankfurt am Main: Insel, 21993, 2. Band, S. 609–842. Steiger, Robert und Angelika Reimann (Hrsg.): Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik. Bd.1–8. München und Zürich, 1982–1996. Trunz, Erich (Hrsg.): Goethes Werke, Bd. 5 (Hamburger Ausgabe), München: Beck, 9., neu bearbeitete Aufl. 1981. (Sehr gut und ausführlich kommentierte Ausgabe, die mit der Berliner Ausgabe (BA Bd. 7) zu vergleichen ist, nach der im vorliegenden Text häufig zitiert wird. Neben Entstehungsgeschichte werden vor allem Beziehungen zu anderen Werken und Textüberlieferungen mitgeteilt.) 2. Lernhilfen und Kommentare für Schüler Angst, Joachim und Fritz Hackert: Johann Wolfgang Goethe. ‚Iphigenie auf Tauris’. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1993. (Gut ausgewählte Dokumentensammlung zu Stoff (Mythos), Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, ausführliche Erläuterung sprachlicher Besonderheiten; Dokumente aus dem Umfeld des Schauspiels)

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Literatur

Literatur Bernhardt, Rüdiger: Johann Wolfgang von Goethe. ‚Iphigenie auf Tauris’. Hollfeld: C. Bange Verlag (Königs Erläuterungen und Materialien Bd. 15), 2001. (Ausführlicherer und sehr viel umfangreicherer Vorläufer des vorliegenden Buches) Brinckschulte, Eva: Johann Wolfgang von Goethe. ‚Iphigenie auf Tauris’. Hollfeld: C. Bange Verlag (Königs Erläuterungen und Materialien Bd. 15), 1998 (7. Auflage). (Früher Vorgänger des vorliegenden Buches) Holst, Günther: Goethe, ‚Iphigenie auf Tauris’. (Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas). Frankfurt a. M.: Diesterweg, 1986 (6. Auflage). Müller, Udo: Lektürehilfen Johann Wolfgang von Goethe, ‚Iphigenie auf Tauris’. Stuttgart; Dresden: Klett, 1992 (5. Auflage). Nagl, Bernhard: Johann Wolfgang von Goethe: ‚Iphigenie auf Tauris’. Text und Materialien. Stuttgart: Klett, 1984 (Klettbuch 3528). Sack, Volker: Gegenbilder. Johann Wolfgang von Goethe: ‚Iphigenie’, Friedrich Hebbel: ‚Maria Magdalena’, Stuttgart: Klett, 1995. Woesler, Winfried: Johann Wolfgang von Goethe: ‚Iphigenie auf Tauris’. Nachwort und Kommentar. Paderborn/Wien/Zürich: Schöningh, 1980. 3. Sekundärliteratur Adorno, Theodor W.: Zum Klassizismus von Goethes ‚Iphigenie’. In: ders.: Noten zur Literatur IV, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974. Boerner, Peter: Johann Wolfgang von Goethe. (rowohlts monographien 50577). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1999 (33. Auflage).

Literatur

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Literatur Borchmeyer, Dieter: Johann Wolfgang von Goethe. ‚Iphigenie auf Tauris’. In: Deutsche Dramen. Interpretationen zu Werken von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hrsg. von Harro Müller-Michaelis, Bd. 1, Frankfurt a. M.: Athenäum, 1981, S. 52–86. Borchmeyer, Dieter: Iphigenie auf Tauris. In: Goethes Dramen. Interpretationen. Hrsg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1992, S. 117–157. Dahnke, Hans-Dietrich: Im Schnittpunkt von Menschheitsutopie und Realitätserfahrung: ‚Iphigenie auf Tauris’. In: Johann Wolfgang Goethe. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München, 1982 (Text + Kritik. Sonderband), S. 110–129. Damm, Sigrid: Christiane und Goethe. Frankfurt a. M.: Insel Verlag, 1998. (Inzwischen auch als Taschenbuch) Eissler, Kurt R.: Goethe. Eine psychoanalytische Studie 1775– 1786, hrsg. von Rüdiger Scholz, 2 Bände, München: dtv, 1987. (Materialreiche Deutung von Goethes Leben und Werk im ersten Weimarer Jahrzehnt, seit 1963 in den USA bekannt) Fischer, Ernst: Goethe der große Humanist. In: ders: Dichtung und Deutung. Wien: Globus, 1953. Friedenthal, Richard: Goethe. Sein Leben und seine Zeit. München: R. Piper & Co, 1963. (Sehr populäre, gründliche und weit verbreitete Biografie, die zuverlässig ist, allerdings keine richtige Bibliografie für die Weiterarbeit oder Überprüfung bietet.) Geerdts, Hans-Jürgen: Johann Wolfgang Goethe. Leipzig: Reclam (Universal-Bibliothek Bd. 77), 1972. Gräf, Hans Gerhard: Goethe über seine Dichtungen, Bd. 5, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening, 1906. Hackert, Fritz: Iphigenie auf Tauris. In: Goethes Dramen. Neue Interpretationen. Hrsg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam, 1980, S. 144–168.

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Literatur

Literatur Hacks, Peter: Iphigenie oder: Über die Wiederverwendung von Mythen (1963). In: ders.: Die Maßgaben der Kunst. Gesammelte Aufsätze 1959–1994. Hamburg: Nautilus, 1996. Hettner, Hermann: Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. 2 Bände, Berlin: Aufbau ,1961. (Diese in mehreren Ausgaben verbreitete alte Literaturgeschichte ist eine zuverlässige historische Darstellung der Goethe-Zeit und verwendet vor allem zahlreiche Dokumente im Original.) Höfer, Anja: Johann Wolfgang von Goethe. (dtv portrait). München: dtv, 1999. (Eine kurze, übersichtliche und leicht verständliche Einführung in Leben und Werk.) Jauß, Hans Robert: Racines und Goethes ‚Iphigenie’. Mit einem Nachwort über die Partialität der rezeptionsästhetischen Methode. In: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. Hrsg. von Rainer Warning. München: Fink, 1975, S. 353–400. Koopmann, Helmut: Goethe und Frau von Stein. Geschichte einer Liebe. München: C. H. Beck, 2002. Leistner, Bernd: Im Zeichen des großen Anspruchs. Goethes Entwicklung zum Weimarer Klassiker. In: ders.: Spielraum des Poetischen. Berlin und Weimar: Aufbau, 1985. Lösch, Michael: Who’s who bei Goethe. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998. Mayer, Hans: Der eliminierte Mythos in Goethes ‚Iphigenie auf Tauris’. In: ders.: Das unglückliche Bewusstsein. Zur deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine. Frankfurt am Main 1986, Berlin und Weimar: Aufbau, 1990. (Alle Arbeiten Hans Mayers sind ungemein anregend und geistvoll geschrieben. Allerdings wird ein hohes Wissen vorausgesetzt.) Mayer, Hans: Goethe. Hrsg. von Inge Jens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999.

Literatur

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Literatur Mehring, Franz: Johann Wolfgang Goethe (1899). In: Gesammelte Schriften, hrsg. von Thomas Höhle u. a., Band 10, Berlin: Dietz, 1961. Rasch, Wolfdietrich: Goethes ‚Iphigenie auf Tauris’ als Drama der Autonomie. München: C. H. Beck, 1979. Riedel, Volker: Antikerezeption in der deutschen Literatur vom Renaissance-Humanismus bis zur Gegenwart. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler, 2000. Riedel, Volker: Goethe und Homer. In: Wiedergeburt griechischer Götter und Helden. Homer in der Kunst der Goethezeit. Katalog. Hrsg. im Auftrag der Winckelmann-Gesellschaft von Max Kunze. Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 1999, S. 243–259. Rohmer, Rolf: Klassizität und Realität in Goethes Frühweimarer Dramen (besonders ‚Iphigenie auf Tauris’). In: Goethe-Jahrbuch, 93. Band, Weimar: Hermann Böhlaus Nachf., 1976, S. 38 ff. Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Bd. 1. Leipzig: Insel, 1965. Werner, Hans-Georg: Text und Dichtung – Analyse und Interpretation. Berlin und Weimar: Aufbau, 1984 (darin: Goethes Iphigenie und die Antinomien eines idealen Humanitätskonzepts, S. 128–164). Wilson, W. Daniel: Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar. München: dtv, 1999. (Eine polemische, aber interessante Schrift gegen die Vorbildlichkeit des klassischen Weimar. Sie stellt vor allem die amtlichen Handlungen Goethes dar. Das Buch hat Aufsehen erregt.) Witte, Bernd und Mauro Ponzi (Hrsg.): Goethes Rückblick auf die Antike. Beiträge des deutsch-italienischen Kolloquiums, Rom, 1998. Berlin, 1999. (Darin kann Sibylle Schönborns Aufsatz ‚Vom Geschlechterkampf zum symbolischen Geschlechtertausch’ anregen.)

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Literatur

Literatur Filmmaterial: 1964 Iphigenie auf Tauris. München: Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Regie: Hanns Korngiebel. 1966 Iphigenie auf Tauris. Salzburger Gesamtaufnahme (1957). Inszenierung: Leopold Lindtberg. 1968 Iphigenie auf Tauris. Verfilmung für das Fernsehen (ARD). Regie: Hans Hartleb. 1969 Iphigenie auf Tauris. Verfilmung für das Fernsehen (DFF der DDR). Regie: Wolfgang Langhoff.

Literatur

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