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Reinheit und Gefährdung Mary Douglas Einleitung
Thesen der Religionswissenschaft über primitive Religionen im 19. Jahrhundert Entstehung aus Furcht Zusammenhang mit Unreinem und Hygiene Furcht vor Übertretung Furcht hemmt Verstand Grund für Unreinheitsvorstellungen neuere Ansichten Furcht spielt oft keine Rolle in primitiven Religionen Moment der Hygiene bestätigt Reinheit und Unreinheit Schmutz ist nichts absolutes sondern ein Verstoss gegen die Ordnung Beseitigung von Schmutz ist eine positive Handlung, um die Umwelt zu organisieren Meiden von Schmutz ist der Versuch, eine Verbindung zwischen Form und Funktion zu schaffen Vereinheitlichung der Erfahrungen zwei Ebenen der Verunreinigunsvorstellungen Versuch der Menschen, gegenseitig aufeinander einzuwirken; Erhalten eines Moralkodex Schützen der idealen gesellschaftlichen Ordnung durch Androhen von Gefahren bei Übertretungen Beeinflussen anderer eigene Angst vor Übertretungen symbolischer Ausdruck für soziale Ordnung Zusammenhang der Unreinheitsvorstellungen mit "grossen Frage der Philosophie" Ordnung - Unordnung ≈ Sein und Nichtsein ≈ Gestaltetes und Ungestaltetes ≈ Leben und Tod Vorgehensweise/Voraussetzungen Interpretieren der Reinheitsvorschriften im Gesamtkontext aller Gefahren, die im "Universum" einer religiösen Gemeinschaft möglich sind
Kräfte und Gefahren Verhältnis von Ordnung und Unordnung Ordnung = Einschränkung Unordnung = Unlimitiertheit Unordnung zerstört Strukturen, enthält aber auch unendliches Potential für neue Strukturen Unordnung ist zugleich Gefahr und Kraft Anerkennen des potentiellen Moments der Unordnung im Ritual (absichtlicher) Verlust der Kontrolle über sich selbst vorstossen in ungeordnete Bereiche des Geistes (absichtlich) sich der Kontrolle der Gesellschaft entziehen Vorstossen über die Grenzen der Gesellschaft hinaus Ordnung ist jederzeit bedroht Ansichten über Menschen in marginalen Zuständen
Übergangsstatus, zweideutig, gefährlich, ausserhalb/am Rand des sozialen Systems Zustand kann von Menschen in marginalen Zuständen selbst nicht geändert werden, sondern nur durch Menschen die ihren Platz in der Gesellschaft haben Gefahr des Übergangs wird durch Ritual eingeschränkt (Bsp. Initiationsriten etc.) Beispiele: ungeborene Kinder Menstruationsblut ( hätte ein Mensch werden können ist ein "ungeborener Toter") ehemalige Sträflinge Patienten einer Psychiatrie Marginaler Status ruft überall auf der Welt die gleichen Reaktionen hervor und diese Reaktionen werden in den marginalen Riten bewusst zum Ausdruck gebracht (ABER: nicht alle Gesellschaften sehen Dasselbe als marginal an: ungeborenes Kind hat nicht überall einen marginalen Status)
Kräfte: Wechselwirkungen zwischen Form und Formlosigkeit Herausfinden aller möglicher Gefahrenquellen einer Gesellschaft, um die Besonderheit der Gefahr der Verunreinigung herauszufinden Unglücksfälle (Dürre, Flut, Krankheiten…) sind auf der Welt überall die gleichen, die Erklärungen dafür unterscheiden sich aber oft menschliches Handeln als Grund für Unglück untersuchen aller Kräfte, die eine Intervention in das Schicksal anderer erlauben Klassifizierung der Kräfte innere Kräfte aus der Psyche des Handelnden oft als unbewusst und unkontrollierbar/nur begrenzt kontrollierbar betrachtet Äussere Kräfte äussere Symbole (Sprüche, Flüche…) bewusst (Benutzung der Symbole kann nicht aus Versehen passieren) beteiligte Person ist in einer nicht akzeptierten gesellschaftlichen Position Kraft zerstört das gesellschaftliche System beteiligte Person ist in einer akzeptierten gesellschaftlichen Position Kraft dient der Absicherung sozialer Strukturen Verunreinigung lässt sich nicht in diese Klassifizierungen einordnen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Positionen und Kräften These: Autoritätspersonen in akzeptierten gesellschaftlichen Positionen üben geordnete, bewusste, äusserliche Kräfte aus (Form); gesellschaftlich nicht akzeptierte Personen üben unkontrollierte, unbewusste und gefährliche Kräfte aus (Ungeformtes) soziales Schauspiel: Bewusstsein der Menschen für ihre soziale Rolle entsprechendes Verhalten
ABER: z.T. unterschiedliche Ansichten über die Struktur innerhalb einer Gesellschaft Kommunikationsproblem Lösung durch Zeremonien, Worte, Gesten Gefahr sind v.a. Menschen mit definiertem Platz in der Gesamtgesellschaft aber mit undefiniertem/zweideutigen Status in Subsystem der Gesellschaft (Bsp. Familie) Position des Menschen ist gefährlicher als seine tatsächlichen Absichten
Hexerei Hexereibeschuldigungen immer gegen: Menschen mit einem definierten Platz in einem der Subsysteme oder im Gesamtsystem, aber mit eine undefinierten Platz in einem anderen Subsystem Menschen in ungeordnete Bereiche des sozialen Lebens in Bereichen, die nicht politisch geordnet wurden Menschen in den Zwischenräumen der Machtstruktur Gemeinsamkeit Hexerei - Verunreinigungen: kommen aus dem ungeordneten Bereich und greifen die Ordnung an Erweiterung der These: Kräftetriade geformte Kräfte, die von Repräsentanten der geformten Struktur ausgehen ↓ ungeformte Kräfte, die von Personen in Zwischenpositionen ausgehen ↓ Kräfte, die nicht von Menschen Ausgehen sondern von der Struktur Probleme der These Zuschreibung von Zauberei (bewusste, geformte Kraft!) zu Personen in Zwischenpositionen Zuschreibung von unbewussten Kräften zu Autoritätspersonen Zuschreibung von kontrollierten und unkontrollierten Kräften zu ein und derselben Person auch unbewusste Kräfte können als gerechtfertigt anerkannt werden Gründe für die Probleme mystische Kräfte sind sehr komplex Gesellschaftssysteme sind sehr komplex schwach ausgeprägte Hierarchie und Machtpositionen in profanen Gesellschaften Machtsicherung durch andere Mittel Zauberei bewusste, kontrollierte Kraft These: nur in Schlüsselpositionen der sozialen Struktur Realität: Zauberei in Schlüsselpositionen ABER auch in Zwischenräumen der sozialen Struktur Auflösung dieses Widerspruchs unbeständige politische Systeme mit dauernder Konkurrenz um Autoritätspositionen Zauberei kann missbraucht werden kann von jedem zu jedem Zweck ausgeführt werden, der sie richtig anwendet
Zauberei in Zwischenpositionen nur dort, wo die Autoritätspositionen schwach ausgeprägt sind durch Zauberei erworbene Autorität ist wiederum gefährdet durch niederere Zauberer (ABER: niederere Positionen ≠ undefinierte Positionen Zauberei ist rechtmässig!)
Weitere Klassifikationsmöglichkeiten spiritueller Kräfte versagende Kräfte - erfolgreiche Kräfte Zauberkraft kann versagen und als Argument gegen den Zauberer verwendet werden baraka, mana, germanischer Glücks-Glauben mit Erfolgserwartung Trennung von Politik und Religion Politische Positionen nicht mittels spiritueller Kräfte behalten sondern mittels profaner Kräfte spirituelle Kräfte nur bei Priestern, die sich aus profaner Welt zurückziehen Gemeinsamkeiten von baraka und Hexerei Zuschreibung post festum (nach dem Geschehen) Verstärkung des Rufs als Hexer/Person mit baraka mit jedem zugeschriebenen Geschehen Rückkopplungseffekt unfreiwillige, unbewusste Kräfte Gemeinsamkeiten von baraka und Verunreinigung materielle Übertragung, Ansteckung Zusammenfassung Glaube an spirituelle Kräfte immer im Zusammenhang mit Sozialstruktur vom sozialen Gefüge losgelöste spirituelle Kräfte nur dort, wo das System selbst unstrukturiert ist, die legitime Autorität ständig angezweifelt wird oder wenn die einander bekämpfenden Segmente eines akephalen politischen Systems sich einigen Unreinheit gehören nicht zu bestimmten Positionen sondern zu System an und für sich bestraft Übertretungen und Verletzungen der Ordnung Verunreinigung ist nur dort eine Gefahr, wo es Strukturen gibt