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German Pages 1058 Year 2009
Organische Chemie Grundlagen, Verbindungsklassen, Reaktionen, Konzepte, Molekülstruktur, Naturstoffe Eberhard Breitmaier und Günther Jung
6., überarbeitete Auflage 286 Abbildungen und zahlreiche Formelschemata 133 Tabellen
Thieme Stuttgart · New York Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Breitmaier, E., G. Jung: Organische Chemie (ISBN 9783135415062) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
Anschriften: Dr. Eberhard Breitmaier Professor für Organische Chemie und Instrumentelle Analytik, Universität Bonn Privatanschrift: Engelfriedshalde 46 72076 Tübingen Dr. Günther Jung Professor für Organische Chemie und Biochemie, Universität Tübingen Privatanschrift: Ob der Grafenhalde 5 72076 Tübingen
Umschlagfoto: Sensibilisierte Chemolumineszenz bei der Reaktion von Oxalsäurediester mit Wasserstoffperoxid, durchgeführt und aufgenommen von den Autoren: Bei Zusatz verschiedener fluoreszierender Aromaten oder Heteroaromaten emittiert die Reaktionslösung Licht unterschiedlicher Farbe (Kap. 29.7).
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Vorwort Das Studium der Naturwissenschaften gliedert sich meist in das Grund- und Hauptstudium. Dementsprechend widmet sich der erste Teil dieses Buches (Kapitel 1 - 27) dem Stoff des Grundstudiums der Chemie (Vordiplom, Bachelor). Der zweite Teil (Kapitel 28 - 44) behandelt speziellere Themen des Hauptstudiums (Diplom, Master). Diese Grenzen sollten wegen verschieden akzentuierter Studienplan-Inhalte der Hochschulen und individueller Interessengebiete der Prüfer nicht zu scharf gezogen werden. Das vorliegende, aufgrund seiner Inhalte und Konzeption auch für Studierende anderer Naturwissenschaften (Biochemie, Lebensmittelchemie, Pharmazie, Biologie) an Hochschulen und Fachhochschulen geeignete, seit 30 Jahren bewährte Lehrbuch erscheint nun in der sechsten Auflage gedruckt und, den Zeichen der Zeit folgend, als "e book". Einer Einführung in die Grundlagen der chemischen Bindung und in die KohlenwasserstoffGrundskelette (Alkane, Alkene, Diene, Alkine, Cycloalkane, Aromaten) folgt die Besprechung der elementaren Stoffklassen mit den typischen funktionellen Gruppen. Dazu gehören die Halogenalkane, die Organosauerstoff-Verbindungen wie Alkohole, Ether, Carbonsäuren, Aldehyde, Ketone, Phenole, Chinone, Amine und andere Organostickstoff-Verbindungen sowie Organoschwefel-Verbindungen und Kohlensäure-Derivate. An passenden Stellen eingefügte Kapitel über radikalische, nucleophile und elektrophile Substitutionen, Additionen und Eliminierungen sowie Umlagerungen skizzieren die elementaren organisch-chemischen Reaktionen. Themen wie Aromatizität, Chiralität und Orbitalsymmetrie vermitteln einen das Grund- bzw. BachelorStudium abrundenden Einblick in wichtige Grundkonzepte der organischen Chemie. Der zweite, für das Haupt- bzw. Master-Studium vorgesehene Teil beginnt mit den spektroskopischen Methoden zur Strukturaufklärung sowie den durch Elektronenanregung induzierten Photoreaktionen und ihren präparativen Anwendungen. Es folgen nicht benzoide Aromaten, Organosilicium- und Organometall-Verbindungen, Heteroalicyclen, Heteroaromaten, Farbstoffe und synthetische Polymere als spezielle Stoffklassen. Den Abschluß bilden die aus biologischer und pharmakologischer Sicht bedeutenden Naturstoffklassen. Das sind die Aminosäuren, Peptide und Proteine, Alkaloide, Kohlenhydrate, Nucleoside und Nucleinsäuren, Lipide, Terpene und Steroide. Dabei werden auch einige didaktisch reiz- und sinnvolle, teilweise industriell durchgeführte Synthesen beschrieben. In der vorliegenden Auflage wurden wieder zahlreiche Ergänzungen eingefügt, alle Kapitel überarbeitet und durch Aufnahme weiterer, präparativ relevanter Reaktionen aktualisiert. Den als Synthesereagenzien bedeutenden Organosilicium-Verbindungen sowie den Steroiden widmen sich nun separate Kapitel. Farbgraphiken machen einige Proteinstrukturen anschaulich. Neu ist ein Reaktionsverzeichnis mit Kurzfassungen der Reaktionsgleichungen, geordnet nach NAMEN und Begriffen, das den Überblick und die Prüfungsvorbereitung erleichtern soll. Abbildungen, größere Formelschemata und Tabellen dieses Buches, Molekülmodelle sowie Übungsaufgaben zu den einzelnen Kapiteln werden wie bisher im Internet nach Erteilung eines Passworts durch den Verlag kostenlos zugänglich sein. Unser Dank gilt Studenten, Kollegen sowie Rezensenten für konstruktive Verbesserungsvorschläge, die wir weiterhin gerne entgegennehmen, um sie bei der Vorbereitung einer Neuauflage verarbeiten zu können. Tübingen, im Frühjahr 2009
E. Breitmaier und G. Jung
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VI
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis 1
1.12.1 1.12.2 1.12.3
Chemische Bindung in organischen Molekülen ........................................ 1 Einführung ................................................................... 1 Energie ........................................................................ 1 Atomorbitale ................................................................ 1 s-Orbitale ..................................................................... 2 p-Orbitale ..................................................................... 3 Elektronenspin und PAULI-Prinzip ............................... 4 Elektronenkonfiguration leichter Atome ...................... 4 Molekülorbitale und kovalente Bindung ...................... 5 Arten der chemischen Bindung ................................... 5 Überlappung von Atomorbitalen.................................. 5 σ- und π-Molekülorbitale.............................................. 7 Bindungsdaten............................................................. 8 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs ...... 8 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen .................................................................. 11 CH-Bindungen des Methans ..................................... 11 CC-Einfachbindung ................................................... 12 CC-Doppelbindung.................................................... 12 CC-Dreifachbindung.................................................. 14 Reaktive Zwischenstufen .......................................... 15 Methyl-Radikal........................................................... 15 Methyl-Ionen.............................................................. 16 Carbene..................................................................... 17 Bindung in Ammoniak und Wasser ........................... 18 Polarität kovalenter Bindungen ................................. 18 Elektronegativität ....................................................... 18 Dipolmomente von Molekülen................................... 18 Polarität von Verbindungen ....................................... 19 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen .................................................................. 20 Interionische Wechselwirkung................................... 20 Dipol-Dipol-Wechselwirkung und Wasserstoffbrücken................................................... 20 Ionen-Dipol-Wechselwirkung..................................... 21 VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung ............................. 21 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität ..................................................................... 22 Kristallgitter................................................................ 22 Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit..................... 22 Säuren und Basen, Elektrophile und Nucleophile .... 23
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.4 2.5 2.5.1
Alkane ....................................................................... 24 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur ............ 24 Homologe Reihe und Molekülmodelle der Alkane.... 24 Konstitutionsisomerie ................................................ 26 Nomenklatur .............................................................. 27 Physikalische Eigenschaften..................................... 29 Molekülbau ................................................................ 30 Konformation ............................................................. 30 Industrielle Gewinnung der Alkane ........................... 32 Alkane aus Erdgas, Erdöl und Kohle ........................ 32
1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5 1.6 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.7.4 1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.9 1.10 1.10.1 1.10.2 1.10.3 1.11 1.11.1 1.11.2 1.11.3 1.11.4 1.12
2.5.2 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.7.5 2.7.6
Treibstoffherstellung...................................................33 Darstellung von Alkanen ............................................34 Katalytische Hydrierung der Alkene...........................34 Reduktion von Halogenalkanen.................................34 Alkylierung metallorganischer Verbindungen ............35 KOLBE-Elektrolyse ......................................................36 Reaktionen .................................................................36 Vollständige Oxidation (Verbrennung).......................37 Partielle Oxidation ......................................................38 Autoxidation................................................................38 Photohalogenierung...................................................39 Photosulfochlorierung ................................................40 Nitrierung von Alkanen...............................................40
3 3.1 3.2
Radikalische Substitution .......................................41 Mechanismus der Chlorierung des Methans .............41 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung ............................................................43 Aktivierungsenergie und Reaktionswärme ................43 Startreaktion ...............................................................43 Übergangszustände der Kettenreaktionsschritte.......44 Reaktionsgeschwindigkeit..........................................46 Äußere Einflüsse........................................................46 Geschwindigkeitsbestimmender Schritt der Photohalogenierung...................................................47 Relative Reaktionsgeschwindigkeiten der Photohalogenierung ............................................................48 Regioselektivität der Monohalogenierung..................48 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen ......................49 Relative Stabilität und Energiegehalt.........................49 Modelle zur Erklärung ................................................50 Mechanismen weiterer radikalischer Substitutionen.............................................................51
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6 4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.5 4.5.1
Alkene........................................................................53 Nomenklatur und Konstitutionsisomerie der Alkene ........................................................................53 Geometrie und Molekül-Orbital-Modell ......................54 Relative Konfiguration, Konfigurationsisomerie.........55 (Z,E)-Isomere Alkene .................................................55 Physikalische Eigenschaften von (Z,E)-Isomeren .....56 Darstellung .................................................................57 Pyrolytische Dehydrierung und Spaltung von Alkanen (Cracking).....................................................57 Partielle Hydrierung von Alkinen................................57 Alkenbildende β-Eliminierungen ................................58 Dehalogenierung von 1,2-Dihalogenalkanen ............59 Reduktive Kupplung von Carbonyl-Verbindungen: MCMURRY-Reaktion ...................................................60 Carbonyl-Alkenylierungen..........................................60 Reaktionen .................................................................61 Addition von Wasserstoff (Katalytische Hydrierung).................................................................61
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Inhaltsverzeichnis 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.5.7 4.5.8 4.5.9 4.5.10 4.5.11 4.5.12 4.5.13 4.5.14 4.5.15 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5 7 7.1 7.2 7.3
Addition von Boran (Hydroborierung)........................ 63 Addition von Halogen (Halogenierung) ..................... 63 Elektrophile Addition von Halogenwasserstoff (Hydrohalogenierung)................................................ 64 Elektrophile Addition von Wasser (Hydratisierung)... 64 Elektrophile Addition von Formaldehyd (PRINSReaktion) ................................................................... 65 cis -Dihydroxylierung mit Osmiumtetroxid und Permanganat ............................................................. 65 trans -Dihydroxylierung über Oxirane ....................... 65 1,3-Dipolare Cycloaddition von Ozon (Ozonolyse) ... 66 Radikalische Addition und Substitution ..................... 66 HECK-Reaktion........................................................... 68 En-Reaktion ............................................................... 68 [2+2]-Cycloaddition.................................................... 68 Metathese .................................................................. 68 Dimerisierung, Polymerisation................................... 69 Eliminierung und Addition...................................... 71 Eliminierende Verbindungen, Abgangsgruppen ....... 71 Mechanismen Alken-bildender Eliminierungen......... 71 Dehydratisierung von Alkoholen als monomolekulare β-Eliminierung ............................... 71 Umlagerungen bei Dehydratisierungen..................... 74 Bimolekulare β-Eliminierung (E2-Mechanismus)...... 76 Stereoselektivität Alken-bildender β-Eliminierungen........................................................ 77 E1-Eliminierungen ..................................................... 77 E2-Eliminierungen ..................................................... 77 Elektrophile Addition.................................................. 78 Mechanismus ............................................................ 78 Reaktivität der Alkene................................................ 79 Regioselektivität der Addition .................................... 79 Umlagerungen bei Additionen ................................... 80 Stereoselektivität von Additionen .............................. 81 Diene ......................................................................... 82 Kumulation und Konjugation von Doppelbindungen ...................................................... 82 Struktur des 1,3-Butadiens........................................ 82 Strukturdaten ............................................................. 82 Molekülorbital-Modell, Mesomerie und thermodynamische Stabilität ..................................... 82 Konformation des 1,3-Butadiens ............................... 84 Darstellung................................................................. 85 Synthese konjugierter Diene ..................................... 85 Synthese kumulierter Diene ...................................... 86 Reaktionen konjugierter Diene .................................. 87 Elektrophile 1,2- und 1,4-Addition ............................. 87 Radikalische Addition ................................................ 87 1,3-Dien-Polymerisation ............................................ 88 [4+2]-Cycloaddition (DIELS-ALDER-Reaktion) ............ 88 [4+1]-Cycloaddition.................................................... 88 Alkine ........................................................................ 89 Nomenklatur und Konstitutionsisomerie der Alkine ......................................................................... 89 Molekülgeometrie ...................................................... 89 Eigenschaften............................................................ 89
VII 7.4 7.4.1 7.4.2
7.6
Darstellung ................................................................ 90 Ethin-Synthesen ........................................................ 90 Doppelte Dehydrohalogenierung von Dihalogenalkanen ..................................................... 90 Doppelte Dehalogenierung von Tetrahalogenalkanen ................................................ 91 Alkinylierung von Halogenalkanen............................ 91 Reaktionen ................................................................ 91 CH-Acidität, Bildung von Alkinyliden......................... 91 Hydrierung................................................................. 92 Elektrophile Additionen ............................................. 92 REPPE-Synthesen...................................................... 94 Dimerisierung von Ethin ............................................ 94 Cyclooligomerisierungen........................................... 95 BERGMAN-Cyclisierung von Endiinen ........................ 95 [2+2+1]-Cycloaddition (PAUSON-KHAND-Reaktion) ... 95 Isomerisierungen....................................................... 96 Alkenylierung und Arylierung terminaler Alkine ........ 96 Oxidationen ............................................................... 97 Oxidative Kupplung terminaler Alkine (GLASER-Kupplung) ................................................... 97 Natürliche Alkine ....................................................... 97
8 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.5 8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.6.4 8.6.5 8.6.6 8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3 8.7.4 8.8
Cycloalkane ............................................................. 98 Klassifizierung und Nomenklatur der Cycloalkane ... 98 Physikalische Eigenschaften .................................... 99 Konformation und Stabilität ....................................... 99 Cyclopropan .............................................................. 99 Cyclobutan .............................................................. 100 Cyclopentan ............................................................ 102 Cyclohexan.............................................................. 102 Mittlere und große Ringe......................................... 105 Konfigurationsisomerie der Cycloalkane ................ 105 Cyclopropan, Cyclobutan, Cyclopentan.................. 105 Cyclohexan.............................................................. 106 cis- und trans-Decalin ............................................ 107 Verbrennungswärmen............................................. 108 Cycloalkan-Synthesen ............................................ 108 Dreiring-Synthesen.................................................. 108 Vierring-Synthesen.................................................. 110 Fünfring-Synthesen................................................. 111 Sechsring-Synthesen .............................................. 111 Siebenring-Synthesen............................................. 113 Synthese mittlerer und großer Ringe ...................... 113 Reaktionen .............................................................. 115 Ringöffnungen ......................................................... 116 Ringerweiterungen .................................................. 116 Transannulare Reaktionen mittlerer Ringe ............. 117 Valenzisomerisierungen, Valenztautomere ............ 117 Reizvolle Ringe ....................................................... 118
9 9.1 9.2
Benzen und Aromatizität ...................................... 119 Struktur des Benzens.............................................. 119 Hydrierwärme und Mesomerieenergie des Benzens .................................................................. 121 Valenzstrich-Formeln des Benzens ........................ 122 Molekülorbital-Modell des Benzens ........................ 123 Benzen-Formel........................................................ 124 HÜCKEL-Regel.......................................................... 124 Aromatische Verbindungen, Überblick.................... 126
7.4.3 7.4.4 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.5.6 7.5.7 7.5.8 7.5.9 7.5.10 7.5.11 7.5.12
9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
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VIII
Inhaltsverzeichnis
Benzoide Aromaten............................................... 128 Nomenklatur benzoider Aromaten .......................... 128 Monosubstituierte Benzene..................................... 128 Mehrfach substituierte Benzene.............................. 128 Gewinnung aromatischer Kohlenwasserstoffe........ 129 Aus Steinkohle......................................................... 129 Aus Erdöl ................................................................. 129 Eigenschaften.......................................................... 130 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution .... 130 Elektrophile aromatische Monosubstitution ............ 131 Dipolmomente, Basizität und Reaktivität substituierter Benzene............................................. 131 10.4.3 Induktive Effekte von Substituenten am Benzen-Kern............................................................ 133 10.4.4 Mesomere Effekte von Substituenten am Benzen-Kern............................................................ 134 10.5 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen . 136 10.6 Darstellung von Alkylbenzenen............................... 138 10.6.1 Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS ........................... 138 10.6.2 Transalkylierung und thermodynamische Kontrolle von Alkylierungen..................................... 139 10.6.3 FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung .................................... 141 10.6.4 Reduktion von Alkenylbenzenen............................. 142 10.6.5 Cyclotrimerisierung von Alkinen.............................. 142 10.6.6 Cyclokondensation von Ketonen............................. 142 10.6.7 Alkylbenzen-Synthese nach WURTZ und FITTIG ...... 142 10.6.8 Alkylierung über Arylmagnesiumhalogenide........... 143 10.7 Reaktionen der Alkylbenzene ................................. 143 10.7.1 Halogenierung am Kern und in der Seitenkette ...... 143 10.7.2 Seitenketten-Halogenierung und Benzyl-Radikal ... 143 10.7.3 Triphenylmethyl-Radikal.......................................... 144 10.7.4 Hydrierung und Oxidation........................................ 145 10.8 Darstellung der Alkenylbenzene ............................. 146 10.8.1 Styren-Synthese ...................................................... 146 10.8.2 Alkenylbenzene durch Eliminierung aus Phenylhalogenalkanen und Phenylalkanolen ......... 146 10.8.3 Alkenylbenzene durch Alkylierung mit 1,3-Dienen . 147 10.9 Reaktionen der Alkenylbenzene ............................. 147 10.9.1 Elektrophile Addition an konjugierte Alkenylbenzene................................................................... 147 10.9.2 Radikalische Additionen an Alkenylbenzenen ........ 148 10.9.3 Darstellung ringsubstituierter Alkenylbenzene........ 148 10.10 Darstellung der Alkinylbenzene............................... 148 10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide......................................................... 149 10.11.1 Physikalische Eigenschaften................................... 149 10.11.2 Herstellung der Halogenaromaten .......................... 150 10.11.3 Chemische Eigenschaften von Halogenaromaten (Alkylhalogeniden)................................................... 152 10 10.1 10.1.1 10.1.2 10.2 10.2.1 10.2.2 10.3 10.4 10.4.1 10.4.2
11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.1.6
Substitutionen an Aromaten ................................ 154 Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten ................................................................. 154 π-Komplex, Benzenium-Ion und Energieprofil ........ 154 Nitrierung des Benzens ........................................... 155 Sulfonierung des Benzens ...................................... 156 Halogenierung des Benzens ................................... 157 Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS ........................... 158 Acylierung nach FRIEDEL-CRAFTS............................ 159
11.1.7 11.1.8 11.1.9 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.3 11.3.1 11.3.2 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.5 12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4 12.6
Aktivierende und desaktivierende Substituenten.... 160 Orientierende Effekte .............................................. 161 Darstellung mehrfach substituierter Benzene......... 167 Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten................................................................. 167 Nucleophile Substitutionen an Arylhalogeniden ..... 167 Mechanismus der bimolekularen nucleophilen Substitution am Aromaten....................................... 169 Monomolekulare nucleophile Substitution am Aromaten................................................................. 171 Eliminierungs-Additions-Mechanismus................... 172 Mechanismus der Aminierung des Brombenzens .. 172 Weitere nucelophile Substitutionen an nicht aktivierten Aromaten ............................................... 174 Polycyclische Aromaten ...................................... 175 Nomenklatur polycyclischer Aromaten ................... 175 Bindungszustand und Mesomerie .......................... 176 Gewinnung polycyclischer Aromaten...................... 178 Typische Reaktionen............................................... 178 Elektrophile aromatische Substitutionen des Naphthalens ............................................................ 178 Oxidation des Naphthalens..................................... 180 Reduktion des Naphthalens.................................... 180 Reaktionen des Anthracens und Phenanthrens ..... 180 Enzymatische Epoxidation des Benzo[a]pyrens..... 182 Ring-Synthesen (Benzoanellierungen) ................... 182 Anthrachinon-Synthese........................................... 182 HAWORTH-Synthese von Phenanthren-Derivaten... 183 ELBS-Reaktion ......................................................... 183 DÖTZ-Reaktion ........................................................ 183 Graphit und Fullerene ............................................. 184
Halogenalkane (Alkylhalogenide) ....................... 185 Klassifizierung der Halogenalkane ......................... 185 Eigenschaften ......................................................... 185 Darstellung ............................................................. 186 Radikalische Halogenierung von Alkanen .............. 186 Addition von Halogenwasserstoff an Alkene .......... 187 Addition von Halogen an Alkene............................. 187 Additionen an Diene................................................ 188 Addition von HX und X2 an Alkine........................... 188 Halogenalkene durch Dehydrohalogenierung ........ 188 Radikalische Bromierung in Allyl-Stellung durch N-Bromsuccinimid ................................................... 189 13.3.8 Darstellung von Fluoralkanen ................................. 190 13.3.9 Darstellung von Iodalkanen .................................... 191 13.3.10 Halogenalkane aus Alkoholen ................................ 191 13.3.11 Bromalkane durch HUNSDIECKERDecarboxylierung .................................................... 193 13.3.12 Darstellung und Eigenschaften von Oligohalogenmethanen........................................... 193 13.4 Reaktionen .............................................................. 194 13.4.1 Nucleophile Substitution und Eliminierung in Konkurrenz .............................................................. 194 13.4.2 Nucleophile Substitutionen ..................................... 195 13.4.3 GRIGNARD-Reaktion................................................. 195 13.4.4 CC-Verknüpfungen mit OrganohalogenVerbindungen ........................................................ 196 13 13.1 13.2 13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5 13.3.6 13.3.7
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Breitmaier, E., G. Jung: Organische Chemie (ISBN 9783135415062) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
Inhaltsverzeichnis 14 14.1 14.2 14.2.1 14.2.2 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5 14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3 15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5 15.4.6 15.4.7 15.4.8 15.5 15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.6 15.6.1 15.6.2 15.6.3 15.6.4 15.6.5 15.6.6 15.7 15.7.1 15.7.2 16 16.1 16.2 16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3
Nucleophile Substitution an Aliphaten ............... 198 Übersicht nucleophiler Substitutionen an Aliphaten............................................................. 198 Mechanismen .......................................................... 199 Bimolekularer Mechanismus SN2 ............................ 199 Monomolekularer Mechanismus SN1 ...................... 201 Struktur und Reaktivität ........................................... 203 Effekte der Alkyl-Gruppen ....................................... 203 Effekte der austretenden Gruppe............................ 204 Nucleophilie ............................................................. 205 Lösemittelabhängigkeit............................................ 206 SN1- und SN2-Reaktionen in Konkurrenz ................ 207 Spezielle Substitutionsmechanismen...................... 208 Substitutionen an Allyl-Verbindungen ..................... 208 SNi-Mechanismus .................................................... 209 Reaktivität von Vinyl- und Alkinyl-Verbindungen .... 209 Alkohole und Glykole............................................ 210 Klassifizierung der Alkohole .................................... 210 Nomenklatur ............................................................ 210 Struktur und thermodynamische Eigenschaften ..... 211 Darstellung von Alkoholen....................................... 214 Technische Synthesen von Methanol und Ethanol. 214 Ethanol durch alkoholische Gärung ........................ 214 Hydratisierung von Alkenen .................................... 214 Hydroborierung und Oxidation ................................ 215 Reduktion von Carbonyl-Verbindungen .................. 216 Alkohole aus Carbonyl-Verbindungen und Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARDVerbindungen) ......................................................... 217 Alkohole aus Epoxiden und Alkylmagnesiumhalogeniden ............................................................. 218 Hydrolyse von Halogenalkanen .............................. 218 Darstellung von 1,2-Diolen ...................................... 219 Dihydroxylierung von Alkenen................................. 219 Hydrolyse von Halohydrinen ................................... 219 Bimolekulare Reduktion von Aldehyden und Ketonen ................................................................... 220 Reaktionen der Alkohole ......................................... 220 Alkohole als LEWIS-Basen ....................................... 220 Alkohole als Säuren................................................. 221 Oxidation von Alkoholen.......................................... 221 Veresterung von Alkoholen ..................................... 222 Nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogen ......................................................... 223 Dehydratisierung von Alkoholen.............................. 225 Glykolspezifische Reaktionen ................................. 227 Glykolspaltung ......................................................... 227 Pinakol-Dehydratisierung und Umlagerung ............ 228 Ether........................................................................ 229 Nomenklatur der Ether ............................................ 229 Struktur und physikalische Eigenschaften .............. 230 Darstellung............................................................... 231 Bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen ....... 231 Nucleophile Substitution von Halogenalkanen durch Alkoholate und Phenolate (WILLIAMSON-Synthese) ........................................... 232 Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat.......................................................... 233
IX 16.3.4 16.3.5 16.3.6 16.3.7 16.4 16.4.1 16.4.2 16.4.3 16.5 16.5.1 16.5.2 16.5.3 16.5.4 16.6 16.7 16.7.1 16.7.2 17 17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.5.4 17.5.5 17.5.6 17.5.7 17.5.8 17.5.9 17.6 17.6.1 17.6.2 17.6.3 17.6.4 17.6.5 17.7 17.7.1 17.7.2 17.7.3 17.7.4 17.7.5 17.7.6 17.8 17.8.1
O-Methylierung von Alkoholen und Phenolen durch Diazomethan ................................................. 233 Synthesen von Ethern mit GRIGNARDVerbindungen .......................................................... 234 Alkenylether durch Addition von Alkoholen an Alkine....................................................................... 234 Enolether durch Eliminierung von Alkohol aus Acetalen................................................................... 234 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen)..................... 235 Katalytische Oxidation von Alkenen........................ 235 Eliminierung von Halogenwasserstoff aus Halohydrinen ........................................................... 235 Epxidation von Alkenen mit Peroxycarbonsäuren .. 235 Reaktionen .............................................................. 235 Bildung von Oxonium-Verbindungen ...................... 235 Autoxidation............................................................. 236 Ether-Spaltung ........................................................ 236 Ether-Umlagerungen............................................... 237 Ether als Schutzgruppen......................................... 238 Methylvinylether und Ethylenoxid als Schlüsseledukte der organischen Synthese........... 239 Synthesen mit Methylvinylether .............................. 239 Synthesen mit Oxiran (Ethylenoxid)........................ 239 Carbonsäuren und ihre Derivate ......................... 240 Nomenklatur der Carbonsäuren.............................. 240 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren... 243 Struktur der Carboxy-Gruppe.................................. 243 Carbonsäure-Derivate............................................. 244 Synthese von Carbonsäuren .................................. 244 Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlenmonoxid (Carbonylierung) ........................... 244 Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlendioxid (Carboxylierung)................................ 246 Acylierung von Aromaten mit Säureanhydriden ..... 246 Carbonsäuren durch Oxidation ............................... 247 Hydrolyse von Carbonsäure-Derivaten................... 248 Homologisierung (Kettenverlängerung) von Carbonsäuren.......................................................... 248 Alkylierung von Malonsäureestern.......................... 249 α,β-Ungesättigte Carbonsäuren durch KNOEVENAGEL-Kondensation von Malonsäureestern .......... 250 α,β-Ungesättigte Carbonsäuren durch PERKIN-Reaktion...................................................... 250 Acidität von Carbonsäuren...................................... 251 Dissoziationsgleichgewicht in wäßrigen Lösungen 251 Salze der Carbonsäuren ......................................... 251 Struktur und Modell des Carboxylat-Anions ........... 252 Einflüsse von Substituenten auf die Acidität........... 252 Acidität von Dicarbonsäuren ................................... 254 Reaktionen der Carboxy-Gruppe ............................ 254 Veresterung, Ester, Lactone ................................... 254 Reduktion zu primären Alkoholen ........................... 255 Carbonsäurehalogenierung .................................... 255 Bildung von Säureanhydriden................................. 256 Bildung von Säureamiden....................................... 257 Decarboxylierung .................................................... 257 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden............................................................. 258 Hydrolyse und Perhydrolyse ................................... 258
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X 17.8.2 17.8.3 17.8.4 17.8.5 17.8.6 17.8.7 17.8.8 17.9 17.9.1 17.9.2 17.9.3 17.9.4 17.10 17.10.1 17.10.2 17.11 17.11.1 17.11.2 17.11.3 17.11.4 17.11.5 17.12 17.12.1 17.12.2 17.12.3 17.12.4 17.12.5 18 18.1 18.2 18.3 18.3.1 18.3.2 18.3.3 18.3.4 18.4 18.5 18.5.1 18.5.2 18.5.3 18.6 18.6.1 18.6.2 18.6.3 18.7 18.7.1 18.7.2 18.7.3 18.7.4 18.8 18.8.1
Inhaltsverzeichnis Alkoholyse ............................................................... 259 Ammonolyse und Aminolyse................................... 259 Hydrazinolyse .......................................................... 260 Reaktion mit Hydroxylamin...................................... 260 Reaktion mit Alkaliaziden ........................................ 260 Katalytische Hydrierung (ROSENMUND-Reduktion).. 260 Carbonsäurehalogenide als Reagenzien zur C-Acylierung ............................................................ 261 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern... 261 Esterverseifung........................................................ 261 Ammonolyse (Aminolyse) von Estern ..................... 262 Umesterung ............................................................. 262 Reaktion mit GRIGNARD-Verbindungen ................... 263 Reduktion von Carbonsäureestern ......................... 263 Reduktion zu primären Alkoholen ........................... 263 Reduktive Kupplung (Acyloin-Kondensation).......... 264 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen....................................................... 265 C-Alkylierung von Malonestern ............................... 266 KNOEVENAGEL-Alkenylierung ................................... 266 MICHAEL-Addition..................................................... 266 CLAISEN-Esterkondensation .................................... 267 Intramolekulare Kondensation von Diestern (DIECKMANN-Kondensation)..................................... 267 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten ................................................................. 268 Thermische Decarboxylierung und Cyclokondensation .................................................. 268 Bildung cyclischer Dicarbonsäureimide .................. 269 Reaktionen cyclischer Dicarbonsäureimide ............ 269 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Dienophil.................................................................. 270 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Enophil bei En-Reaktionen...................................... 270 Chiralität ................................................................. 271 Asymmetrische C-Atome und Chiralität .................. 271 Optische Aktivität und spezifische Drehung............ 271 Bezeichnung der absoluten Konfiguration .............. 272 CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ("CIP", (R)- und (S)-Deskriptoren ............................ 272 FISCHER-Konvention (D- und L-Deskriptoren)......... 273 Übersetzung der D,L- in die R,S-Deskriptoren ....... 274 Racemate ................................................................ 275 Bestimmung der absoluten Konfiguration ............... 275 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren ... 276 Zwei verschiedene asymmetrische C-Atome.......... 276 Zwei gleiche asymmetrische C-Atome.................... 277 Enantiomere Cycloalkane ....................................... 278 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome .......... 279 Heteroatome als Asymmetriezentren...................... 279 Axiale Chiralität........................................................ 280 Planare Chiralität und Helicität ................................ 281 Racemat-Trennungen ............................................. 282 Die klassische Methode von PASTEUR .................... 282 Trennung nach Bildung von Diastereomeren ........ 282 Enzymatische Racemat-Trennungen...................... 284 Chromatographische Racemat-Trennungen........... 285 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie........ 285 Prochiralität am tetraedrischen C-Atom .................. 285
18.8.2 18.9 18.9.1 18.9.2 18.9.3
Prochiralität am trigonalen C-Atom ......................... 286 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen..... 287 Inversion, Retention und Racemisierung................ 287 Stereoselektivität, Stereospezifität.......................... 289 Asymmetrische (enantioselektive) Synthesen........ 289
19 19.1 19.2 19.3 19.3.1 19.3.2 19.4 19.4.1 19.4.2 19.5 19.5.1 19.5.2 19.5.3
Substituierte Carbonsäuren................................. 293 Nomenklatur substituierter Carbonsäuren .............. 293 Physikalische Eigenschaften und Acidität .............. 293 Halogencarbonsäuren............................................. 295 Synthesen ............................................................... 295 Reaktionen .............................................................. 297 Hydroxycarbonsäuren............................................. 298 Synthesen ............................................................... 298 Reaktionen .............................................................. 299 Oxocarbonsäuren und ihre Ester............................ 302 Synthesen ............................................................... 302 Reaktionen der Oxocarbonsäuren.......................... 303 Oxo-Enol-Tautomerie des Acetessigesters ............ 306
20 20.1 20.2 20.2.1 20.2.2 20.3 20.4 20.5 20.5.1
Aldehyde und Ketone ........................................... 308 Übersicht ................................................................. 308 Nomenklatur............................................................ 308 IUPAC-Bezeichnungen ........................................... 308 Trivialnamen............................................................ 309 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe ........... 309 Physikalische Eigenschaften .................................. 310 Darstellung von Aldehyden ..................................... 312 Oxidation von Methyl- und HydroxymethylGruppen .................................................................. 312 Überführung der Halomethyl- in die FormylGruppe .................................................................... 313 NEF-Reaktion........................................................... 313 Reduktion von Carbonsäure-Derivaten und Nitrilen ..................................................................... 314 Spaltung von Glykolen und Ozoniden .................... 315 Hydrolyse von Sauerstoff-Heterocyclen ................. 315 Formylierung von Alkenen mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff ...................................................... 315 Formylierung mit Orthoameisensäureestern .......... 316 Formylierung von Aromaten durch Formanilide (VILSMEIER-Formylierung)........................................ 316 Formylierung von Aromaten durch Formylhalogenide.................................................... 317 Formylierung von Aromaten durch Cyanid und Chlorwasserstoff ..................................................... 317 Formylierung von Aromaten durch Chloroform....... 317 Industrielle Verfahren zur Herstellung von Acetund Benzaldehyd .................................................... 318 Darstellung von Ketonen......................................... 318 Oxidation sekundärer Alkohole ............................... 318 Oxidation aktivierter Methylen-Gruppen ................. 319 Bimolekulare Decarboxylierung und Dehydratisierung von Carbonsäuren ...................... 319 Addition von GRIGNARD-Verbindungen an Nitrile.... 319 Acylierung von Dialkylcadmium .............................. 320 Spaltung der Ozonide von Tetraalkylethenen ........ 320 Acylierung von Alkenen .......................................... 320 Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden........................................ 320
20.5.2 20.5.3 20.5.4 20.5.5 20.5.6 20.5.7 20.5.8 20.5.9 20.5.10 20.5.11 20.5.12 20.5.13 20.6 20.6.1 20.6.2 20.6.3 20.6.4 20.6.5 20.6.6 20.6.7 20.6.8
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Breitmaier, E., G. Jung: Organische Chemie (ISBN 9783135415062) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
Inhaltsverzeichnis 20.6.9 20.7 20.8 20.8.1 20.8.2 20.8.3 20.8.4 20.8.5 20.8.6 20.9 20.9.1 20.9.2 20.9.3 20.10 20.10.1 20.10.2 20.10.3 20.10.4 20.10.5 20.10.6 20.10.7 20.10.8 20.10.9 20.10.10 20.10.11 20.10.12 20.10.13 20.11 20.11.1 20.11.2 20.11.3 20.11.4 20.11.5 20.11.6 20.11.7 20.12 21 21.1 21.2 21.3 21.4 21.4.1 21.4.2 21.4.3 21.4.4 21.4.5 21.4.6 21.5 21.5.1
Acylierung von Aromaten durch Nitrile.................... 321 Reaktivität der Carbonyl-Gruppe............................. 321 Reaktionen von Aldehyden und Ketonen mit Basen....................................................................... 322 Bildung von Hydraten .............................................. 322 Bildung von Acetalen und Ketalen .......................... 323 Addition von Hydrogensulfit..................................... 324 Bildung von Iminen mit Ammoniak und primären Aminen..................................................................... 325 Bildung von Hydrazonen, Azinen, Oximen und Semicarbazonen...................................................... 326 Bildung von Enaminen mit sekundären Aminen ..... 327 Reaktionen mit Hydrid-Anionen............................... 328 Reduktion mit komplexen Metallhydriden ............... 328 MEERWEIN-PONNDORF-VERLEY-Reduktion von Ketonen ................................................................... 328 CANNIZZARO-Disproportionierung aromatischer Aldehyde.................................................................. 328 Reaktionen mit Carbanionen und CH-Säuren ........ 329 1,2-Addition von GRIGNARD-Verbindungen ............. 329 Carbonyl-Alkenylierungen ....................................... 330 Aldol-Reaktionen ..................................................... 331 Cyanhydrin-Reaktion ............................................... 333 Benzoin- und STETTER-Reaktion der Arenaldehyde .......................................................... 335 Alkinylierung von Carbonyl-Verbindungen.............. 336 PASSERINI- und UGI-Reaktionen mit Isocyaniden.... 336 Homologisierung von Aldehyden und Ketonen mit Diazomethan...................................................... 337 KNOEVENAGEL-Alkenylierung ................................... 338 PERKIN-Reaktion ...................................................... 338 MANNICH-Reaktion ................................................... 338 BAYLIS-HILLMAN-Hydroxyalkylierung........................ 339 Anellierung von Cycloalkanonen............................. 340 Oxidation und Reduktion der Carbonyl-Gruppe...... 340 Oxidation von Aldehyden ........................................ 340 BAEYER-VILLIGER-Oxidation von Ketonen................ 341 WILLGERODT- UND WILLGERODT-KINDLER-Reaktion von Alkylarylketonen................................................ 341 CLEMMENSEN-Reduktion .......................................... 342 MCMURRY-Reaktion................................................. 342 WOLFF-KISHNER-Reduktion...................................... 343 BAMFORD-STEVENS- und SHAPIRO-Reaktion zur Synthese von Alkenen............................................. 343 CH-Acidität und Keto-Enol-Tautomerie der 1,3-Diketone ............................................................ 344 Phenole und Chinone............................................ 346 Klassifizierung der Phenole..................................... 346 Nomenklatur der Phenole........................................ 346 Physikalische Eigenschaften der Phenole .............. 347 Darstellung von Phenolen ....................................... 349 Technische Phenol-Synthese (HOCK-Prozeß) ........ 349 Hydrolyse von Chlorbenzen-Derivaten ................... 350 Katalytische Oxidation methylierter Aromaten ........ 351 Alkali-Schmelze von Arensulfonaten....................... 351 Phenole aus Arenaminen ........................................ 352 Dienon-Phenol-Umlagerung.................................... 352 Mesomerie und Acidität der Phenole ...................... 352 Mesomerie ............................................................... 352
XI 21.5.2 21.5.3 21.6 21.6.1 21.6.2 21.6.3 21.6.4 21.6.5 21.6.6 21.6.7 21.7 21.8 21.8.1 21.8.2 21.8.3 21.9 21.9.1 21.9.2 21.9.3 21.9.4
Acidität..................................................................... 353 Substituenteneinflüsse auf die Acidität ................... 354 Reaktionen der Phenole.......................................... 355 Veretherung............................................................. 355 Veresterung............................................................. 355 Phenole als Enole ................................................... 356 Oxidation zu Chinonen............................................ 356 Oxidation zu Aroxyl-Radikalen und Peroxiden ....... 357 Elektrophile Substitutionen...................................... 358 BUCHERER-Reaktion der Naphthole ........................ 358 Nomenklatur und einige Eigenschaften der Chinone............................................................ 360 Darstellung von Chinonen....................................... 361 Oxidation von Phenolen und primären aromatischen Aminen ............................................. 361 Oxidation von Arenen.............................................. 362 FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Arenen durch Phthalsäureanhydrid ............................................... 363 Reaktionen der Chinone ......................................... 363 Redoxgleichgewicht Chinon-Hydrochinon .............. 363 Additionen ............................................................... 364 Carbonyl-Reaktionen .............................................. 364 HOOKER-Oxidation................................................... 365
Amine...................................................................... 366 Amine als Derivate des Ammoniaks ....................... 366 Nomenklatur ............................................................ 366 Struktur und physikalische Eigenschaften .............. 368 Geometrie und Molekülorbital-Modell ..................... 368 Inversion von Aminen.............................................. 369 Enantiomere Ammonium-Salze und Amin-N-oxide........................................................... 369 22.3.4 Physikalische Eigenschaften .................................. 370 22.4 Darstellung .............................................................. 372 22.4.1 Alkylierung von Ammoniak...................................... 372 22.4.2 Alkylierung von Kalium-Phthalimid (GABRIELSynthese) ................................................................ 373 22.4.3 Palladium-katalysierte Aminierung von Arylhalogeniden....................................................... 373 22.4.4 Addition von Ammoniak und Aminen an Doppelbindungen ............................................... 374 22.4.5 Addition von Ammoniak und Aminen an Oxiran ..... 374 22.4.6 Reduktion von Nitro-Verbindungen......................... 375 22.4.7 Reduktion von Oximen, Nitrilen und Carbonsäureamiden................................................ 376 22.4.8 Reduktive Aminierung von CarbonylVerbindungen .......................................................... 377 22.4.9 Reduktive Alkylierung von Aminen (LEUCKARTWALLACH-Reaktion .................................................. 378 22.4.10 Synthese primärer Amine durch Umlagerungen..... 378 22.4.11 Synthese von Benzidin-Derivaten durch Benzidin-Umlagerung.............................................. 381 22.5 Basizität................................................................... 382 22.5.1 Basizitätskonstante ................................................. 382 22.5.2 Basizität aliphatischer Amine .................................. 383 22.5.3 Basizität aromatischer Amine.................................. 383 22.5.4 Substituenteneinflüsse auf die Basizität aromatischer Amine ................................................ 384 22.6 Reaktionen .............................................................. 385 22.6.1 Bildung N-substituierter Ammonium-Salze ............. 385 22 22.1 22.2 22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Breitmaier, E., G. Jung: Organische Chemie (ISBN 9783135415062) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
XII 22.6.2 22.6.3 22.6.4 22.6.5 22.6.6 22.6.7 22.6.8 22.6.9
Inhaltsverzeichnis Reaktion mit salpetriger Säure ................................ 385 N-Oxidation.............................................................. 386 N-Halogenierung ..................................................... 387 N-Acylierung ............................................................ 388 N-Alkylierung ........................................................... 389 HOFMANN-Eliminierung von Tetraalkylammoniumhydroxiden ............................................................... 390 COPE-Eliminierung tertiärer Amin-N-oxide .............. 391 Elektrophile Substitution aromatischer Amine ........ 392
23.9
Organostickstoff-Verbindungen .......................... 393 Diazoalkane............................................................. 393 Konstitution und Eigenschaften............................... 393 Darstellung .............................................................. 393 Reaktionen der Diazoalkane ................................... 394 Diazocarbonsäureester ........................................... 397 Bildung..................................................................... 397 Reaktivität................................................................ 398 Diazoketone............................................................. 399 Bildung..................................................................... 399 Reaktivität................................................................ 399 Azoalkan-Derivate ................................................... 400 Klassifizierung und Bildung ..................................... 400 Reaktionen .............................................................. 400 Aryldiazonium-Salze................................................ 402 Radikalische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen.... 402 Darstellung von Halogenaromaten aus Aryldiazonium-Salzen (SANDMEYER-Reaktion) ....... 402 Mercurierung über Aryldiazonium-Salze (NESMEJANOW-Reaktion) ......................................... 403 Arylierung von Aromaten durch AryldiazoniumSalze (GOMBERG-BACHMANN-Reaktion) .................. 403 Ionische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen........... 404 Bildung von Phenolen über Aryldiazonium-Salze... 404 Bildung von Fluorarenen aus Aryldiazoniumtetrafluorboraten (BALZ-SCHIEMANN-Reaktion) ........ 405 Bildung von Arylaziden über Aryldiazonium-Salze . 405 Reduktion von Aryldiazonium-Salzen ..................... 405 Azo-Aromaten, Azo-Kupplung................................. 406 Struktur der Azo-Arene............................................ 406 Darstellung von Azo-Arenen durch Azo-Kupplung . 406 Andere Methoden zur Darstellung aromatischer Azo-Verbindungen................................................... 410 Organostickstoff-Verbindungen, Übersicht ............. 410
24 24.1 24.2 24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.3 24.3.1 24.3.2 24.4 24.4.1 24.4.2 24.5 24.5.1 24.5.2
Organoschwefel-Verbindungen........................... 412 Übersicht, Nomenklatur und Vorkommen ............... 412 Thiole ....................................................................... 412 Darstellung .............................................................. 412 Thermodynamische Eigenschaften......................... 414 Reaktionen .............................................................. 415 Thiophenole............................................................. 416 Darstellung .............................................................. 416 Reaktionen .............................................................. 416 Thioether (Dialkylsulfide)......................................... 417 Darstellung .............................................................. 417 Reaktionen .............................................................. 418 Disulfide................................................................... 419 Darstellung .............................................................. 419 Reaktionen .............................................................. 420
23 23.1 23.1.1 23.1.2 23.1.3 23.2 23.2.1 23.2.2 23.3 23.3.1 23.3.2 23.4 23.4.1 23.4.2 23.5 23.6 23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.7 23.7.1 23.7.2 23.7.3 23.7.4 23.8 23.8.1 23.8.2 23.8.3
24.6 24.7 24.8 24.8.1 24.8.2 24.8.3 24.9 24.9.1 24.9.2 24.10 24.10.1 24.10.2 24.11 24.11.1 24.11.2 24.11.3 24.12 24.12.1 24.12.2 24.12.3
Thioaldehyde, Thioketone, Thioacetale, Thioketale................................................................ 420 Dithiocarbonsäuren, Thiol- und Thionsäuren ......... 421 Sulfoxide (S-Oxide) ................................................. 422 Darstellung .............................................................. 422 Physikalische Eigenschaften .................................. 422 Reaktionen .............................................................. 422 Sulfone (S-Dioxide) ................................................. 425 Darstellung .............................................................. 425 Reaktionen .............................................................. 426 Sulfensäure-Derivate .............................................. 426 Bildung .................................................................... 426 Reaktionen .............................................................. 427 Sulfinsäuren ............................................................ 427 Bildung .................................................................... 427 Stabilität, Acidität, optische Aktivität ....................... 428 Reaktionen .............................................................. 428 Sulfonsäuren ........................................................... 428 Darstellung der Säuren und ihrer Chloride ............. 428 Acidität und Wasserlöslichkeit von Sulfonsäuren ... 430 Reaktionen der Sulfonsäuren und Sulfochloride .... 431
25 25.1 25.2 25.2.1 25.2.2 25.3 25.4 25.5 25.6 25.6.1 25.6.2 25.6.3 25.7 25.7.1 25.7.2 25.7.3 25.8 25.8.1 25.8.2 25.8.3 25.9 25.10 25.11 25.12 25.13
Kohlensäure-Derivate........................................... 433 Kohlensäure ............................................................ 433 Kohlensäurehalogenide .......................................... 433 Phosgen .................................................................. 433 Reaktionen von Phosgen........................................ 434 Kohlensäureesterchloride ....................................... 435 Kohlensäureester .................................................... 436 Carbamidsäure, Urethane....................................... 436 Harnstoffe................................................................ 437 Bildung von Harnstoff.............................................. 437 Reaktionen von Harnstoff ....................................... 438 Alkylharnstoffe......................................................... 439 Guanidin .................................................................. 440 Basizität und Bindungszustand............................... 440 Darstellung .............................................................. 440 Reaktionen .............................................................. 441 Kohlensäurehydrazide ............................................ 441 Semicarbazid........................................................... 442 Carbazide ................................................................ 442 Esterhydrazide der Kohlensäure............................. 442 Azidokohlensäureester ........................................... 442 Thiokohlensäure-Derivate....................................... 443 Dithiokohlensäure-Derivate..................................... 444 Trithiokohlensäure................................................... 444 Carbodiimide ........................................................... 445
26 26.1 26.1.1
Umlagerungen ....................................................... 446 Anionotrope 1,2-Verschiebungen ........................... 446 Allgemeine Mechanismen anionotroper 1,2-Verschiebungen (Sextett-Umlagerungen) ........ 446 1,2-Verschiebungen von C zu C............................. 447 1,2-Verschiebungen von C zu N über Nitrene und Nitrenium-Ionen....................................................... 450 Verschiebungen von C zu O ................................... 451 Kationotrope 1,2-Verschiebungen über Carbanionen............................................................ 452 FAVORSKII-Umlagerung (von C nach C).................. 452 STEVENS-Umlagerung (von N nach C).................... 453
26.1.2 26.1.3 26.1.4 26.2 26.2.1 26.2.2
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Inhaltsverzeichnis 26.2.3 26.3 26.4 26.4.1 26.4.2 26.5 26.5.1 26.5.2 26.5.3 27 27.1 27.2 27.2.1 27.2.2 27.3 27.3.1 27.3.2 27.3.3 27.4 27.4.1 27.4.2 27.4.3 27.4.4 27.4.5 28 28.1 28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.2.5 28.2.6 28.3 28.3.1 28.3.2 28.3.3 28.3.4 28.3.5 28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.5 28.5.1 28.5.2 28.5.3 28.5.4 28.5.5 28.5.6 28.5.7
WITTIG-Umlagerung (von O nach C) ....................... 453 Radikalische 1,2-Verschiebungen........................... 453 Umlagerungen an benzoiden Ringen...................... 454 Umlagerungen vom SE-Typ..................................... 454 Umlagerungen vom SN-Typ..................................... 455 Sigmatrope Umlagerungen ..................................... 456 [1,5]-sigmatrope Verschiebung ............................... 456 COPE-Umlagerung als [3,3]-sigmatrope Verschiebung........................................................... 456 Hetero-COPE-Umlagerungen................................... 457 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen ............................... 458 Phasenbeziehung von p-Orbitalen.......................... 458 Elektrocyclische Reaktionen ................................... 460 Definitionen.............................................................. 460 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für elektrocylische Reaktionen...................................... 462 Cycloadditionen ....................................................... 465 Definitionen.............................................................. 465 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für konzertierte Cycloadditionen ................................... 466 Cycloreversionen..................................................... 469 Sigmatrope Reaktionen........................................... 470 Definitionen.............................................................. 470 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für sigmatrope Reaktionen............................................ 471 Beispiele zu den Auswahlregeln ............................. 474 Inversion und Retention bei sigmatropen Verschiebungen....................................................... 474 En-Reaktion............................................................. 476 Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung .. 478 Überblick.................................................................. 478 UV- und Lichtabsorptions-Spektrometrie ................ 479 Spektralbereich........................................................ 479 Meßmethodik........................................................... 480 Elektronenübergänge in organischen Molekülen.... 481 Chromophore, Auxochrome .................................... 482 Lichtabsorption und Farbe....................................... 484 Anwendungsbereiche.............................................. 485 Infrarotspektroskopie ............................................... 487 Spektralbereich........................................................ 487 Meßmethodik........................................................... 487 Gruppenschwingungen in organischen Molekülen . 488 Fingerabdruck-Bereich des Infrarotspektrums........ 490 Anwendungsbereiche.............................................. 492 RAMAN-Spektroskopie.............................................. 497 RAMAN-Streuung...................................................... 497 RAMAN-Spektrum ..................................................... 497 Anwendung von RAMAN-Spektren........................... 497 Kernmagnetische Resonanz ................................... 499 Kernpräzession und Kernspin-Zustände................. 499 NMR-Spektrometer und NMR-Spektrum ................ 500 Chemische Verschiebungen ................................... 501 Messung chemischer Verschiebungen ................... 501 Integration der Signale und quantitative Analyse.... 503 Konstitutionsmerkmale und ProtonenVerschiebung........................................................... 504 Kopplungskonstanten.............................................. 513
XIII 28.5.8 28.5.9
Strukturmerkmale und Kopplungskonstanten......... 517 Beispiel zur Herleitung der Konstitution aus dem 1H-NMR-Spektrum.................................... 524 28.5.10 Chemische Methoden der Signalzuordnung........... 526 28.5.11 Besondere Meßtechniken ....................................... 527 28.6 Kohlenstoff-13-Resonanz........................................ 531 28.6.1 Wichtigste Meßmethoden ....................................... 531 28.6.2 13C-Verschiebungen ................................................ 536 28.6.3 CH-Kopplungskonstanten ....................................... 538 28.6.4 Beispiel zur Konstitutionsermittlung durch Kohlenstoff-13-Resonanz ............................. 539 28.7 Massenspektrometrie.............................................. 541 28.7.1 Meßmethodik........................................................... 541 28.7.2 Isotopenpeaks ......................................................... 543 28.7.3 Molekül-Peak, Molekül-Ion...................................... 544 28.7.4 Fragment- und metastabile Ionen ........................... 544 28.7.5 Fragmentierungen organischer Molekül-Ionen ....... 545 28.7.6 Erkennung funktioneller Gruppen ........................... 551 28.7.7 Herleitung der Konstitution aus dem Massenspektrum..................................................... 551
29.5.8 29.6 29.6.1 29.6.2 29.7
Photoreaktionen.................................................... 555 Anregung von Photoreaktionen .............................. 555 Energiebedarf.......................................................... 555 Verhalten angeregter Moleküle............................... 555 Photosensibilisierung .............................................. 558 Quantenausbeute.................................................... 559 Blitzlicht-Photolyse .................................................. 560 Präparative Photochemie........................................ 560 Photoinduzierte Einführung funktioneller Gruppen. 560 Photofragmentierungen........................................... 562 Photoisomerisierungen ........................................... 563 Photodehydrocyclisierungen................................... 564 Photoadditionen ...................................................... 565 Photocycloadditionen .............................................. 566 Photooxidation mit und Photoaddition von Sauerstoff ................................................................ 569 Photoreduktionen .................................................... 570 Biologische Photoreaktionen .................................. 571 Sehvorgang ............................................................. 571 Photosynthese......................................................... 572 Chemolumineszenz................................................. 573
30 30.1 30.2 30.2.1 30.2.2 30.2.3 30.3 30.4 30.4.1 30.4.2 30.4.3 30.5 30.5.1 30.5.2 30.5.3 30.6 30.6.1
Nichtbenzoide Aromaten...................................... 575 Übersicht nichtbenzoider Aromaten........................ 575 Cyclopropenium-Kationen....................................... 576 Synthese ................................................................. 576 Molekülorbital-Modell und Strukturmerkmale ......... 576 Reaktivität................................................................ 577 Quadratsäure und Oxokohlenstoff-Dianionen ........ 577 Cyclopentadienid..................................................... 578 Herstellung .............................................................. 578 Strukturmerkmale .................................................... 578 Reaktivität................................................................ 578 Cyloheptatrienium-Kationen.................................... 580 Strukturmerkmale und Formulierung ...................... 580 Herstellungsmethoden ............................................ 581 Reaktivität................................................................ 582 Cyclooctatetraendiid................................................ 583 Bildung..................................................................... 583
29 29.1 29.1.1 29.1.2 29.2 29.3 29.4 29.5 29.5.1 29.5.2 29.5.3 29.5.4 29.5.5 29.5.6 29.5.7
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XIV
Inhaltsverzeichnis
30.6.2 30.6.3 30.7 30.7.1 30.7.2 30.7.3 30.8 30.9 30.9.1 30.9.2 30.9.3 30.10 30.10.1 30.10.2 30.10.3 30.10.4 30.10.5
NMR-Daten.............................................................. 583 Reaktionen .............................................................. 583 Cyclononatetraenid ................................................. 584 Bildung..................................................................... 584 NMR-Daten.............................................................. 584 Reaktionen .............................................................. 584 Vergleich der chemischen Verschiebungen............ 585 Azulen...................................................................... 585 Formulierung und physikalische Eigenschaften ..... 585 Azulen-Synthese ..................................................... 586 Reaktionen .............................................................. 587 Aromatische Annulene ............................................ 587 Definition.................................................................. 587 [10]-Annulen ............................................................ 588 [14]-Annulene .......................................................... 589 [18]-Annulen ............................................................ 591 Heteroüberbrückte [18]-Annulene und höhere Annulene ................................................................. 592 30.11 Natürliche nichtbenzoide Aromaten ........................ 593 30.11.1 Tropolone ................................................................ 593 30.11.2 Azulene.................................................................... 593 30.12 Antiaromatizität........................................................ 593 31 31.1 31.2 31.2.1 31.2.2 31.3 31.3.1 31.3.2 31.3.3 31.3.4 31.3.5 31.3.6 31.4 31.4.1 31.4.2 31.4.3 31.4.4 31.4.5 31.4.6 31.5 32 32.1 32.2 32.2.1 32.2.2 32.3 32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.4 32.4.1 32.4.2 32.4.3
Organosilicium-Verbindungen............................. 595 Organo-Si- und C-Verbindungen im Vergleich ....... 595 Herstellung der Silane ............................................. 596 Halogensilane.......................................................... 596 Alkyl- und Arylsilane ................................................ 597 Nucleophile Substitution am Silicium ...................... 597 Mechanismen .......................................................... 597 Hydrid als Nucleophil............................................... 598 Reaktionen mit Kohlenstoff-Nucleophilen ............... 598 Reaktionen mit Sauerstoff-Nucleophilen................. 598 Reaktionen mit Stickstoff-Nucleophilen................... 600 Desilylierung von Alkinyl- und Arylsilanen .............. 600 Präparative Bedeutung der TrimethylsilylVerbindungen .......................................................... 601 Reagenzien zur Trimethylsilylierung ....................... 601 Trimethylsilylazid als Ersatzreagenz ...................... 601 Silylenolether als Synthesereagenzien ................... 601 IRELAND-CLAISEN-Umlagerung................................. 603 SAKURAI-Reaktion der Allylsilane ............................ 604 PETERSON-Alkenylierung ......................................... 605 Silicone .................................................................... 605 Organometall-Verbindungen................................ 606 Definition und Nomenklatur ..................................... 606 Bindungszustand..................................................... 606 Übersicht.................................................................. 606 Molekülorbital-Modelle ............................................ 607 Eigenschaften metallorganischer Verbindungen .... 608 Alkylmetalle ............................................................. 608 Metallorganische ElektronenmangelVerbindungen .......................................................... 608 GRIGNARD-Verbindungen......................................... 609 Allgemeine Methoden zur Herstellung .................... 609 Reaktion von Kohlenwasserstoff und Metall ........... 609 Reaktion von Halogenalkan und Metall .................. 610 Reaktion von Organometall-Verbindung und Metallhalogenid ....................................................... 610
32.4.4 32.4.5 32.4.6 32.4.7 32.5
Metall-Metall-Austausch.......................................... 611 Halogen-Metall-Austausch...................................... 611 Wasserstoff-Metall-Austausch ................................ 612 Addition von Metallhydriden an Alkene................... 612 Reaktionen von Alkyl- und ArylmetallVerbindungen.......................................................... 612 32.5.1 Reaktion mit Sauerstoff........................................... 612 32.5.2 Reaktion mit Halogen.............................................. 612 32.5.3 Hydrolyse und Alkoholyse....................................... 613 32.5.4 Reaktion mit CH-Säuren ......................................... 614 32.5.5 Reaktionen zwischen OrganometallVerbindungen.......................................................... 614 32.5.6 Reaktion mit Carbonsäurehalogeniden .................. 615 32.5.7 Addition an CC-Doppelbindungen .......................... 615 32.5.8 Addition an CX-Doppelbindungen .......................... 615 32.5.9 Addition an CX-Dreifachbindungen ........................ 617 32.5.10 Nucleophile Öffnung von Oxiran- und Oxetan-Ringen ........................................................ 618 32.5.11 Nucleophile Substitution.......................................... 618 32.6 Übergangsmetall-Aren- und Alken-Komplexe ........ 619 32.6.1 Bindungszustand und Struktur von Metallπ-Komplexen ........................................................... 619 32.6.2 Herstellung und Eigenschaften einiger Übergangsmetall-π-Komplexe ................................ 620 32.6.3 CC-Verknüpfungen mit ÜbergangsmetallKomplexen als Katalysatoren ................................. 622 32.6.4 CX-Verknüpfungen mit Palladium-Komplexen als Katalysatoren .......................................................... 625 32.7 Übergangsmetall-Carben-Komplexe ...................... 626 32.7.1 Konstitution.............................................................. 626 32.7.2 Herstellung .............................................................. 627 32.7.3 Reaktionen .............................................................. 627 32.8 Metallchelate ........................................................... 629 32.8.1 Bauprinzip ............................................................... 629 32.8.2 Metallchelat-Effekt................................................... 630 32.8.3 Metalltemplat-Effekt ................................................ 631 32.8.4 Metallchelate makrocyclischer N4-Liganden........... 631 32.8.5 Bedeutung von Metallchelaten................................ 632 33 33.1 33.2 33.3 33.3.1 33.3.2 33.3.3 33.3.4 33.3.5 33.4 33.4.1 33.4.2 33.5 33.6 33.7 33.8 33.9
Heteroalicyclen...................................................... 634 Übersicht und Ring-Nomenklatur............................ 634 Molekülgeometrie.................................................... 635 Allgemeine Syntheseprinzipien............................... 636 Intramolekulare Cyclisierungen............................... 636 Cycloadditionen....................................................... 638 Ringerweiterung von Carbocyclen durch Stickstoff........................................................ 640 Katalytische Hydrierung von Heteroaromaten........ 640 Carbonyl-Derivatisierung......................................... 641 Funktionelle Reaktionen ......................................... 641 Heteroatom als Nucleophil...................................... 641 Carbonyl-Umpolung durch 1,3-DithianDerivatisierung ........................................................ 641 Ringöffnungen......................................................... 642 Ringöffnende Ringerweiterungen ........................... 643 Additionen an ungesättigte Heteroalicyclen............ 644 Komplexierung durch Kronenether und Cryptanden.............................................................. 644 Mesomerieeffekte und Aromatizität ........................ 645
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Inhaltsverzeichnis Heteroaromaten ..................................................... 646 Nomenklatur und Übersicht der Heteroaromaten ... 646 Monocyclische Heteroaromaten.............................. 646 Benzokondensierte Heteroaromaten ...................... 646 Heterokondensierte Heteroaromaten...................... 649 Tautomerie der Heteroaromaten ............................. 652 Tautomerie ohne Beteiligung von Substituenten .... 652 Tautomerie unter Beteiligung von Substituenten .... 653 Aromatizität und Struktur von FünfringHeteroaromaten....................................................... 656 34.3.1 π-Elektronendichte-Verteilung ................................. 656 34.3.2 Molekülorbital-Modelle............................................. 657 34.3.3 Bindungsausgleich und Mesomerieenergie ............ 658 34.4 Aromatizität und Struktur von SechsringHeteroaromaten....................................................... 658 34.4.1 π-Elektronendichte-Verteilung, Mesomerie und Bindungsausgleich .................................................. 658 34.4.2 Molekülorbital-Modell des Pyridins.......................... 659 34.4.3 Sechsring-Heterocyclen mit zweibindigen Heteroatomen.......................................................... 659 34.5 Synthese monocyclischer FünfringHeteroaromaten....................................................... 660 34.5.1 Allgemeine Methoden.............................................. 660 34.5.2 Spezielle Methoden ................................................. 664 34.6 Synthese benzo-kondensierter FünfringHeteroaromaten....................................................... 666 34.6.1 Benzo[b]furan (Cumaron)........................................ 666 34.6.2 Benzo[b]thiophen (Thionaphthen)........................... 667 34.6.3 Benzo[b]pyrrol (Indol) .............................................. 667 34.6.4 Benzo-1,2-azole (Indazol, Benzoisoxazol, Benzoisothiazol) ...................................................... 668 34.6.5 Benzo-1,3-azole (Benzimidazol, Benzoxazol, Benzothiazol)........................................................... 669 34.6.6 Benzotriazol............................................................. 669 34.6.7 Carbazol .................................................................. 669 34.7 Reaktionen monocyclischer FünfringHeteroaromaten....................................................... 670 34.7.1 Basizität und Reaktionen am nichtbindenden Elektronenpaar ........................................................ 670 34.7.2 Acidität ..................................................................... 671 34.7.3 Dien-Reaktionen...................................................... 672 34.7.4 Elektrophile Substitution.......................................... 673 34.7.5 Nucleophile Substitutionen...................................... 677 34.7.6 Carben-Cycloadditionen.......................................... 677 34.7.7 Ringöffnungen ......................................................... 678 34.7.8 Besondere Reaktionen von Substituenten.............. 679 34.8 Reaktionen benzologer Fünfring-Heteroaromaten.. 680 34.8.1 Prognose ................................................................. 680 34.8.2 Heteroatom-spezifische Reaktionen ....................... 681 34.8.3 Elektrophile Substitutionen...................................... 681 34.8.4 Cycloadditionen ....................................................... 682 34.8.5 Reaktionen der 2- und 3-Hydroxy-Derivate............. 683 34.9 Mesoionische Fünfring-Heteroaromaten................. 684 34.9.1 Mesoionische 1,2,3-Oxadiazol-Derivate ................. 684 34.9.2 Mesoionische Triazol-Derivate ................................ 685 34.9.3 Mesoionische Oxazol- und Thiazol-Derivate .......... 685 34.10 Synthese monocyclischer SechsringHeteroaromaten....................................................... 686 34.10.1 Pyridin...................................................................... 686 34 34.1 34.1.1 34.1.2 34.1.3 34.2 34.2.1 34.2.2 34.3
XV 34.10.2 Phosphor-, Sauerstoff- und Schwefel-Analoge des Pyridins............................................................. 688 34.10.3 Diazine..................................................................... 690 34.10.4 Oxazine und Thiazine ............................................. 691 34.10.5 Triazine.................................................................... 692 34.10.6 Tetrazine.................................................................. 693 34.11 Synthese benzo-kondensierter Pyridine und Azine........................................................................ 693 34.11.1 Chinoline (Benzo[b]pyridine .................................... 693 34.11.2 Isochinoline (Benzo[c]pyridine) ............................... 694 34.11.3 Benzochinoline........................................................ 695 34.11.4 Benzopyridazine...................................................... 696 34.11.5 Chinazoline.............................................................. 696 34.11.6 Chinoxaline und Phenazine .................................... 697 34.11.7 Benzopyrone und Benzopyrylium-Salze................. 697 34.11.8 Phenoxazine und Phenothiazine ............................ 699 34.12 Reaktionen monocyclischer SechsringHeteroaromaten ...................................................... 699 34.12.1 Reaktionen am Imino-Stickstoff .............................. 699 34.12.2 Cycloadditionen....................................................... 701 34.12.3 Nucleophile Additionen, Ringöffnungen, Umheterocyclisierungen.......................................... 702 34.12.4 Nucleophile Substitutionen...................................... 703 34.12.5 Elektrophile Substitutionen...................................... 704 34.12.6 Besondere Reaktionen von Substituenten ............. 706 34.13 Reaktionen benzologer SechsringHeteroaromaten ...................................................... 708 34.13.1 Reaktionen am Ring-Stickstoff................................ 708 34.13.2 Katalytische Hydrierung und oxidative Ringöffnung ............................................................. 708 34.13.3 Nucleophile Additionen ........................................... 708 34.13.4 Nucleophile Substitutionen...................................... 709 34.13.5 Elektrophile Substitutionen...................................... 710 34.13.6 CH-Acidität und andere Reaktionen von Methyl-Gruppen....................................................... 711 34.14 Heterokondensierte Heteroaromaten...................... 712 34.14.1 Heterobicyclen mit Stickstoff als Brückenkopf ........ 712 34.14.2 Purine ...................................................................... 713 34.14.3 Pteridine .................................................................. 715 34.15 Reaktionen heterokondensierter Heteroaromaten . 716 34.15.1 Basizität und Acidität............................................... 716 34.15.2 Ringspaltungen ....................................................... 716 34.15.3 Nucleophile Additionen ........................................... 717 34.15.4 Nucleophile Substitutionen...................................... 718 34.15.5 Elektrophile Substitutionen...................................... 718 34.15.6 CH-Acidität von Methyl-Gruppen ............................ 718 34.16 Höhergliedrige Heterocyclen und Heteroaromaten 718 34.16.1 Ringvinyloge der Fünfring-Heteroaromaten............ 718 34.16.2 Ringvinyloge des Pyridins ....................................... 721 35 35.1 35.1.1 35.1.2 35.2 35.3 35.3.1 35.3.2 35.3.3 35.4
Organische Farbstoffe.......................................... 723 Farbe, Farbstoffe, Pigmente ................................... 723 Absorbiertes Licht und Farbe.................................. 723 Farbstoffe und Pigmente......................................... 723 Bauprinzip von Farbstoffen ..................................... 723 Azofarbstoffe ........................................................... 725 Tautomerie .............................................................. 725 Herstellung .............................................................. 725 Methoden der Textilfärbung mit Azofarbstoffen...... 726 Polymethin-Farbstoffe ............................................. 731
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XVI 35.4.1 35.4.2 35.4.3 35.4.4 35.5 35.5.1 35.5.2 35.5.3
Inhaltsverzeichnis
35.7.3 35.7.4 35.7.5 35.7.6
Bauprinzip................................................................ 731 Ausgewählte Methoden zur Herstellung ................. 732 Anwendung von Polymethin-Farbstoffen ................ 733 Natürliche Polymethin-Farbstoffe............................ 735 Phenyloge Methin- und Azamethin-Farbstoffe........ 736 Übersicht.................................................................. 736 Allgemeine Methoden zur Herstellung .................... 736 Anwendung phenyloger Methin- und AzamethinFarbstoffe................................................................. 740 Natürliche Phenoxazin-Farbstoffe........................... 741 Carbonyl-Farbstoffe................................................. 742 Übersicht.................................................................. 742 Lichtabsorption der Carbonyl-Farbstoffe................. 742 Synthese von Anthrachinon-Farbstoffen................. 744 Indigo-Synthesen..................................................... 746 Textilfärbung mit Indigo- und AnthrachinonDerivaten ................................................................. 747 Höher anellierte Carbonyl-Farbstoffe ...................... 748 Natürliche Carbonyl-Farb- und Wirkstoffe............... 749 Polyaza[18]annulen-Farbstoffe ............................... 750 Bauprinzip ............................................................... 750 Mesomerie der Porphyrine und ihrer Metallchelate ........................................................... 750 Porphyrin-Synthesen............................................... 751 Phthalocyanin-Synthesen........................................ 752 Färbung mit Phthalocyanin-Derivaten..................... 753 Natürliche Porphyrinoide ......................................... 754
36 36.1 36.2 36.2.1 36.2.2 36.2.3 36.2.4 36.2.5 36.2.6 36.2.7 36.2.8 36.3 36.3.1 36.3.2 36.4 36.4.1 36.4.2 36.4.3 36.4.4 36.4.5 36.5 36.5.1 36.5.2 36.5.3 36.5.4 36.5.5 36.5.6 36.6 36.6.1 36.6.2 36.6.3 36.6.4
Synthetische Polymere......................................... 755 Monomere, Oligomere, Polymere ........................... 755 Polymerisationen..................................................... 755 Übersicht.................................................................. 755 Radikalische Polymerisation ................................... 756 Ionische Polymerisation .......................................... 758 Koordinative Polymerisation.................................... 759 Polymerisation durch Alken-Metathese................... 761 Epoxid-Polymerisation............................................. 761 Hetero- und Homopolymere .................................... 761 Uni- und Multipolymere ........................................... 762 Polyadditionen ......................................................... 763 Polyurethane ........................................................... 763 Polyharnstoffe.......................................................... 764 Polykondensationen ................................................ 764 Polyester.................................................................. 764 Polyamide................................................................ 765 Phenoplaste............................................................. 766 Aminoplaste............................................................. 767 Epoxidharze............................................................. 768 Molekülstruktur von Polymeren............................... 768 Mittlere Molekülmasse............................................. 768 Stellungsisomerie .................................................... 769 Verzweigungsgrad................................................... 769 Relative Konfigurationsisomerie von Polyalkenen.. 770 Taktizität von Polyalkanen....................................... 770 Rotationsisomerie.................................................... 771 Anwendungstechnisch relevante Eigenschaften .... 772 Kristallinität .............................................................. 772 Plastizität ................................................................. 774 Elastizität ................................................................. 774 Löslichkeit und Quellbarkeit .................................... 774
35.5.4 35.6 35.6.1 35.6.2 35.6.3 35.6.4 35.6.5 35.6.6 35.6.7 35.7 35.7.1 35.7.2
36.7 36.7.1 36.7.2 36.8 36.8.1 36.8.2 36.8.3 36.8.4 36.8.5 36.8.6 36.9
Reaktionen von Polymeren..................................... 774 Depolymerisationen ................................................ 774 Reaktionen unter Erhaltung der Polymerkette........ 775 Funktionelle Polymere............................................. 776 Ionenaustauscher.................................................... 776 Elektronenaustauscher ........................................... 777 Elektrolumineszente Polymere ............................... 777 Makromolekulare Chelatbildner .............................. 778 Dendrimere.............................................................. 778 Polymere Träger ..................................................... 780 Anwendungsformen der Polymeren ....................... 781
37 37.1 37.2 37.3 37.4 37.4.1 37.4.2 37.5 37.5.1
Aminosäuren ......................................................... 784 Proteinaminosäuren ................................................ 784 Physiologische Bedeutung...................................... 786 Absolute Konfiguration............................................ 786 Physikalische Eigenschaften .................................. 787 Dissoziationsgleichgewichte ................................... 787 Schmelzpunkt und Löslichkeit................................. 789 Chromatographische Trennung .............................. 789 Ionenaustausch-Chromatographie im Aminosäuren-Analysator.................................... 789 Kapillarzonen-Elektrophorese................................. 791 Gaschromatographie............................................... 792 Synthesen ............................................................... 792 STRECKER-Synthese................................................ 792 BUCHERER-Synthese ............................................... 793 ERLENMEYER-Synthese ........................................... 793 Aminierung von α-Halogencarbonsäuren............... 794 Reduktive Aminierung von α-Oxodicarbonsäuren.. 795 α-Aminosäuren aus NAcylaminomalonsäurediestern................................ 795 Enantioselektive Synthese von Aminosäuren ........ 796 Racemattrennung.................................................... 797 Selektive Kristallisation ........................................... 797 Trennung von Diastereomeren ............................... 797 Enzymatische Methoden......................................... 797 Chromatographische Enantiomeren-Analyse......... 799 Reaktionen .............................................................. 799 Bildung von Salzen und Komplexen ....................... 799 Veresterung............................................................. 800 Bildung von Lactamen............................................. 801 N-Alkylierung und N-Arylierung............................... 801 N-Acylierung............................................................ 802 Abbau-Reaktionen und Umfunktionierungen.......... 803 Aminosäure-Derivate als chirale Auxiliare .............. 804
37.5.2 37.5.3 37.6 37.6.1 37.6.2 37.6.4 37.6.3 37.6.5 37.6.6 37.6.7 37.7 37.7.1 37.7.2 37.7.3 37.7.4 37.8 37.8.1 37.8.2 37.8.3 37.8.4 37.8.5 37.8.6 37.8.7 38 38.1 38.2 38.3 38.3.1 38.3.2 38.3.3 38.3.4 38.3.5 38.4 38.4.1 38.4.2
Peptide und Proteine ............................................ 805 Oligo- und Polypeptide............................................ 805 Struktur der Peptidbindung ..................................... 806 Konformation (Sekundärstruktur) von Polypeptid-Ketten.................................................... 806 RAMACHANDRAN-Diagramme................................... 806 α-Helix..................................................................... 808 α-Keratin-Struktur ................................................... 809 β-Faltblatt ................................................................ 811 Physikalische Methoden zur Strukturbestimmung.. 812 Methoden der Peptidsynthese ................................ 813 Knüpfung der Peptidbindung .................................. 813 Schutzgruppen ........................................................ 815
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Inhaltsverzeichnis 38.4.3 38.4.4 38.5 38.5.1 38.5.2 38.5.3 38.5.4 38.6 38.7 38.7.1 38.7.2 38.7.3 38.8 38.8.1 38.8.2 38.8.3 38.8.4
Strategie und Taktik der Peptidsynthese ................ 820 Kombinatorische Synthese...................................... 822 Methoden der Peptid-Sequenzierung ..................... 823 Reinigung von Peptiden .......................................... 823 Selektive Spaltungen von Peptidketten................... 824 Endgruppenanalyse................................................. 825 Schrittweiser Abbau nach EDMAN............................ 826 Modifizierung von Seitenkettenfunktionen .............. 826 Ausgewählte Peptidwirkstoffe ................................. 828 Peptidhormone ........................................................ 828 Peptidantibiotika ...................................................... 832 Peptidtoxine............................................................. 834 Proteine ................................................................... 835 Klassifizierung und Funktion von Proteinen............ 835 Enzymaktivitätsbestimmungen................................ 836 Struktur der Proteine Myoglobin und Lysozym ....... 837 Enzym-Substrat-Wechselwirkung ........................... 839
39 39.1 39.2 39.2.1 39.2.2 39.2.3
Alkaloide................................................................. 842 Herkunft und Gewinnung der Alkaloide................... 842 Übersicht heterocyclischer Alkaloide ...................... 843 Pyrrolidin-, Piperidin- und Pyridin-Alkaloide ............ 843 Tropan-Alkaloide ..................................................... 843 Pyrrolizidin-, Indolizidin- und ChinolizidinAlkaloide .................................................................. 844 Indol-Alkaloide ......................................................... 845 Isochinolin-Alkaloide................................................ 847 Chinolin-Alkaloide.................................................... 850 Isoxazol- und Oxazol-Alkaloide............................... 851 Übersicht nicht heterocyclischer Alkaloide.............. 851 Phenylethylamine .................................................... 851 Amide und Lactame biogener Amine ...................... 852 Cyclopeptid-Alkaloide .............................................. 852 Zur Biogenese der Alkaloide in Pflanzen ................ 853 Aminosäuren als biogenetische Vorstufen der Alkaloide ............................................................ 853 Biogenese der Isochinolin-Alkaloide im Schlafmohn......................................................... 853 Exemplarische Alkaloid-Synthesen......................... 855 Nicotin und Coniin ................................................... 855 Tropan ..................................................................... 856 Tryptamine............................................................... 856 Benzyltetrahydroisochinoline................................... 857
39.2.4 39.2.5 39.2.6 39.2.7 39.3 39.3.1 39.3.2 39.3.3 39.4 39.4.1 39.4.2 39.5 39.5.1 39.5.2 39.5.3 39.5.4 40 40.1 40.1.1 40.1.2 40.2 40.3 40.3.1 40.3.2 40.3.3 40.3.4. 40.3.5 40.4 40.4.1 40.4.2
Kohlenhydrate ....................................................... 858 Bedeutung, Klassifizierung und Nomenklatur der Zucker................................................................ 858 Bedeutung ............................................................... 858 Klassifizierung und Nomenklatur............................. 858 Konstitution, relative und absolute Konfiguration.... 860 Cyclohalbacetal-Formen und Konformation............ 863 Halbacetal-Bildung .................................................. 863 Gleichgewichte der Pyranosen und Furanosen ...... 866 Mutarotation............................................................. 867 Konformation der Pyranosen und anomerer Effekt ....................................................... 868 NMR-Spektroskopie ................................................ 869 Carbonyl-Reaktionen der Kohlenhydrate ................ 870 Kettenverlängerung ................................................. 871 Reduktion zu Polyolen............................................. 872
XVII 40.4.3 40.4.4 40.4.5 40.5 40.5.1 40.5.2 40.5.3 40.5.4 40.6 40.6.1 40.6.2 40.6.3 40.7 40.8 40.8.1 40.8.2 40.9 40.9.1 40.9.2 40.9.3 40.9.4 40.9.5 40.9.6 40.9.7
Oxidation endständiger Gruppen ............................ 873 Glycosidierungen..................................................... 875 Reaktionen mit Thiolen und StickstoffNucleophilen............................................................ 877 Polyol-Reaktionen ................................................... 879 Schutzgruppen für die Hydroxy-Funktionen ........... 879 Oxidation von Hydroxy-Gruppen............................. 881 Nucleophile Substitutionen...................................... 882 Glykolspaltung und andere Abbaureaktionen......... 883 Deoxy-, Amino-, ungesättigte und verzweigte Zucker ................................................... 884 Deoxyzucker............................................................ 884 Aminozucker............................................................ 884 Verzweigte und ungesättigte Zucker....................... 885 Analytik .................................................................... 886 Oligosaccharide....................................................... 887 Disaccharide............................................................ 887 Trisaccharide, Cyclodextrine................................... 889 Polysaccharide ........................................................ 890 Struktur der Cellulose.............................................. 890 Technische Gewinnung und chemische Modifikation der Cellulose ....................................... 890 Stärke, Amylose und Amylopektin .......................... 891 Glycogen ................................................................. 892 Chitin ....................................................................... 893 Heparin, Hyaluronsäure, Chondroitinsulfate........... 893 Inulin und Pektine.................................................... 894
41.6.6 41.7
Nucleoside, Nucleotide, Nucleinsäuren ............. 895 Bauprinzip der Nucleinsäuren................................. 895 Abbau der Nucleinsäuren........................................ 898 Bedingungen der Hydrolyse von Nucleosiden und Nucleotiden ...................................................... 898 Enzymatische Spaltung von Polynucleotiden......... 899 Eigenschaften von Nucleosiden und Nucleotiden .. 899 Eigenschaften der Phosphat-Gruppe...................... 899 Löslichkeit................................................................ 900 Tautomerie-Gleichgewichte .................................... 900 Dissoziationsverhalten von Nucleotiden ................. 901 Bildung von Basenpaaren und Komplementärprinzip .............................................. 901 Die Doppelhelix der DNA ........................................ 902 Detektion der DNA-Denaturierung durch UV-Spektroskopie ................................................... 904 Seltene Basen und RNA-Konformation .................. 906 Replikation der DNA................................................ 907 DNA, RNA und die Biosynthese der Proteine......... 908 Nucleosid- und Nucleotid-Synthesen...................... 909 Synthese von Nucleosiden ..................................... 909 Phosphorylierungen ................................................ 910 Synthese von Nucleotiden ...................................... 912 Synthese von Oligonucleotiden .............................. 913 Phosphorsäuretriester-Methode zur Synthese von Gen-Fragmenten..................................................... 914 Phosphoramidit-Methode an der Festphase........... 915 Telomere und Carcinogene..................................... 916
42 42.1 42.2
Lipide ...................................................................... 917 Klassifizierung der Lipide ........................................ 917 Vorkommen und Isolierung ..................................... 918
41 41.1 41.2 41.2.1 41.2.2 41.3 41.3.1 41.3.2 41.3.3 41.3.4 41.3.5 41.3.6 41.3.7 41.3.8 41.4 41.5 41.6 41.6.1 41.6.2 41.6.3 41.6.4 41.6.5
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XVIII
Inhaltsverzeichnis
42.2.1 42.2.2 42.3 42.4 42.4.1 42.4.2 42.4.3 42.4.4 42.5 42.6 42.6.1 42.6.2 42.6.3 42.7 42.7.1 42.7.2 42.8 42.8.1 42.8.2
Vorkommen ............................................................. 918 Isolierung und Identifizierung .................................. 918 Wechselwirkungen von Lipiden mit Wasser ........... 919 Fettsäuren ............................................................... 920 Vorkommen und Struktur wichtiger Fettsäuren....... 920 Physikalische Eigenschaften................................... 922 Chemische Eigenschaften....................................... 923 Analytik der Fettsäuren ........................................... 925 Wachse.................................................................... 928 Phosphatide, Glycolipide, Aminolipide .................... 929 Phosphatide............................................................. 929 Sphingolipide und Glycolipide ................................. 929 Lipopolysaccharide und Lipoproteine ..................... 931 Lipid-Membranen..................................................... 932 Lipid-Doppelschichten ............................................. 933 Aufbau biologischer Lipid-Membranen.................... 935 Industrielle Synthese von Detergentien .................. 936 Alkylbenzensulfonate .............................................. 936 Langkettige Alkylsulfate und andere Tenside ......... 938
43 43.1 43.1.1 43.1.2 43.1.3 43.2 43.2.1 43.2.2 43.2.3 43.2.4 43.2.5 43.2.6 43.2.7 43.2.8 43.3 43.3.1 43.3.2 43.3.3 43.3.4
Terpene................................................................... 940 Herkunft, Bauprinzip und Biogenese der Terpene.. 940 Begriff, Bauprinzip, Klassifizierung.......................... 940 Vorkommen, Bedeutung.......................................... 941 Biogenese................................................................ 942 Übersicht der Terpene............................................. 944 Hemi- und Monoterpene.......................................... 944 Sesquiterpene ......................................................... 947 Diterpene ................................................................. 949 Sesterterpene .......................................................... 951 Triterpene ................................................................ 951 Tetraterpene (Carotenoide)..................................... 955 Prenylchinone.......................................................... 955 Polyterpene ............................................................. 957 Exemplarische Terpen-Synthesen .......................... 957 Acylische Mono- und Sesquiterpene....................... 957 Cyclische Monoterpene........................................... 959 Hexahydrocannabinol.............................................. 960 Industrielle Synthese des Diterpens Vitamin A ....... 961
44 44.1 44.2 44.3 44.4 44.4.1 44.4.2 44.4.3 44.5 44.6 44.7 44.8 44.8.1 44.8.2
Steroide .................................................................. 964 Stammgerüste und Nomenklatur der Steroide ....... 964 Sterole ..................................................................... 966 Gallensäuren........................................................... 966 Steroidhormone....................................................... 968 Corticosteroide (Pregnane)..................................... 968 Sexualhormone (Pregnan-, Androstan- und Estran-Derivate) ..................................................... 969 Steroid-Duftstoffe (Androst-16-en-Derivate) .......... 970 Herzglycoside.......................................................... 971 Steroidsaponine ...................................................... 972 Steroidalkaloide....................................................... 972 Exemplarische Steroidsynthese.............................. 974 Retrosynthetische Zerlegung des Estrons.............. 974 Synthese des Estronmethylethers .......................... 974 Bibliographie ......................................................... 976 Sachregister........................................................... 980 Verzeichnis der Reaktionen nach NAMEN und Begriffen.................................... 1025
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen 1.1 Einführung Die organische Chemie behandelt Struktur, Synthese und Reaktionen organischer Verbindungen. Organische Verbindungen enthalten hauptsächlich Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor (C,H,O,N,S,P). Sie entstehen häufig beim Zerfall pflanzlicher und tierischer Organismen und sind somit auch Bestandteile des Erdöls und der Steinkohle. Derzeit sind mehr als dreißig Millionen organische Verbindungen dokumentiert, die man in bestimmte Stoffklassen unterteilt. Eine Stoffklasse wird entweder nach dem Vorliegen bestimmter Atomsorten oder nach funktionellen Gruppen bezeichnet, Atomgruppen also, die charakteristische physikalische Eigenschaften und chemische Reaktionen eines Moleküls hervorrufen können. Verbindungen, die nur Kohlenstoff und Wasserstoff enthalten, werden z. B. Kohlenwasserstoffe genannt, und solche mit Amino-Gruppen (−NH2) nennt man Amine. In Molekülen werden die Atome durch Bindungselektronen miteinander verknüpft. Die Art dieser Verknüpfung ist Gegenstand der Theorie der chemischen Bindung. Diese führt zu Molekülmodellen, welche die physikalischen Eigenschaften und die chemischen Reaktionen der Verbindungen erklären.
1.2 Energie Jede chemische Reaktion erfordert oder erzeugt einen bestimmten Betrag an Energie, meist in Form von Wärme. Dieser Energiebetrag wird als Reaktionswärme bezeichnet, in Joule (J) oder Kilojoule (kJ) gemessen und auf ein Mol einer Verbindung (kJ/mol) bezogen. Es ist daher zweckmäßig, Stabilität und Reaktivität einer Verbindung mit Hilfe ihres Inhalts an potentieller Energie zu beschreiben. Je ärmer an potentieller Energie, desto stabiler ist eine Verbindung. Ein Molekül, das aufgrund seiner Struktur oder Zusammensetzung einen Zustand geringer Stabilität, d. h. hoher potentieller Energie besitzt, wird durch Strukturänderung oder chemische Reaktion einen Zustand größerer Stabilität und damit geringerer potentieller Energie anstreben. Potentielle Energien können nicht als Absolutwerte gemessen werden. Differenzen an potentieller Energie sind jedoch meßbar. Geht z. B. Verbindung 1 mit der höheren potentiellen Energie E1 durch chemische Reaktion in Verbindung 2 mit der geringeren potentiellen Energie E2 über, so ist die Differenz ∆E = E1− E2 unter bestimmten experimentellen Voraussetzungen als Reaktionswärme meßbar.
1.3 Atomorbitale Da die Atome im Molekülverband durch Elektronen verknüpft sind, beginnt die Diskussion der chemischen Bindung mit der Beschreibung der Elektronenzustände im Atom. Elektronenstrahlen wie Kathoden- und α-Strahlen verhalten sich unter bestimmten Versuchsbedingungen wie Wellen.
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2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Man kann dies durch Elektronenbeugung und Interferenz nachweisen. Es liegt daher nahe, zu postulieren, daß auch die Elektronen eines Atoms Wellennatur zeigen. Auf diesem Postulat beruht die wellenmechanische Atomtheorie. Ihr fundamentaler mathematischer Ausdruck ist die SCHRÖDINGER-Gleichung. Sie beschreibt die Beziehung der Wellenfunktion ψ eines Elektrons mit seiner Energie. Wendet man diese Gleichung auf die Elektronen eines Atoms an, so ist sie nur für diskrete Energiewerte E1 , E2 , E3 , usw. lösbar. Diese Energieeigenwerte entsprechen den durch die Hauptquantenzahlen n = 1, 2, 3, usw. gekennzeichneten Energiezuständen der Elektronen in einem Atom. Die Anregung eines Elektrons vom energieärmeren Zustand E1 zum energiereicheren Zustand E2 erfordert somit ein durch die Energiedifferenz ∆E = E2 − E1 definiertes Energiequantum, das z. B. durch Strahlungsenergie aufgebracht werden kann. Bei atomaren Vorgängen wie der Elektronenanregung ist die Energie also gequantelt. Löst man die SCHRÖDINGER-Gleichung für ein Elektron und einen bestimmten Energiezustand E1, so erhält man eine Wellenfunktion ψ oder einen aus mehreren Gleichungen für ψ bestehenden Satz von Wellenfunktionen. Die Funktion ψ selbst hat keine anschauliche Bedeutung. Ihr Quadrat ψ2 ist jedoch für einen bestimmten Energiezustand ein Maß für die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons im Atomverband. Für ein Atom und eines seiner Elektronen begrenzt ψ2 einen bestimmten Raum um den Atomkern, in welchem man das Elektron mit größter Wahrscheinlichkeit findet. Diese durch ψ2 beschriebene Ladungsdichteverteilung eines Elektrons um den Atomkern wird als Atomorbital oder Elektronenwolke bezeichnet. Wo die Elektronenwolke am dichtesten ist, hält sich das Elektron am wahrscheinlichsten auf.
1.3.1
s-Orbitale
Umriß und Ausdehnung eines Atomorbitals hängen von der Energie des Elektrons ab und werden durch die ψ2-Funktion beschrieben. Kugelsymmetrische Orbitale mit dem Atomkern als Zentrum werden als s-Orbitale bezeichnet (Abb. 1.1). Man findet das Elektron mit größter Wahrscheinlichkeit in einer Kugel, die den Atomkern eng umhüllt. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron im Kern oder weit entfernt von ihm anzutreffen, ist dagegen sehr gering. Auf dem tiefsten Energiezustand E1 (Hauptquantenzahl n = 1) eines Atoms besetzt ein Elektron das 1s-Orbital. Das 2s-Orbital folgt auf dem zweiten, durch den Energieeigenwert E2 gekennzeichneten Niveau (Abb. 1.2); es umschließt das 1s-Orbital konzentrisch, hat also eine größere räumliche Reichweite.
(a)
(b)
Abb. 1.1. 1s-Orbital, (a) Umriß, (b) Querschnitt
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1.3 Atomorbitale
1.3.2
3
p-Orbitale
Für den Energiezustand E2 (n = 2) gibt es insgesamt vier Atomorbitale. Neben dem kugelsymmetrischen 2s-Orbital erstrecken sich drei Orbitale mit hantelförmigem Umriß entlang den Achsen x,y,z eines rechtwinkligen Koordinatensystems mit dem Atomkern als Ursprung (Abb. 1.2 a-c). Die ψ-Funktionen der p-Orbitale haben demnach je einen positiven und negativen Bereich. Wie der Querschnitt veranschaulicht, findet man das Elektron auf einem px-Orbital mit größter Wahrscheinlichkeit in einem Raum entlang der x-Achse nahe dem Kern. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Kern selbst oder weit von ihm entfernt ist sehr klein. Am Kern hat das Orbital einen Knoten.
(a)
(b)
(d)
(c)
(e)
Abb. 1.2. (a-c) Umrisse der p-Orbitale, (a) px-, (b) py-, (c) pz-Orbital; (d) Querschnitt durch das pz-Orbital; (e) relative Ausdehnung von 2s und 2p-Orbitalen
Die 2p-Orbitale reichen um den Faktor 31/2 weiter als die 2s-Orbitale (Abb. 1.2 e). Untereinander sind die drei p-Orbitale energetisch gleichwertig (Abb. 1.3), d. h. "entartet". Elektronen auf 2pOrbitalen sind etwas energiereicher als solche auf 2s-Orbitalen. Jedoch ist der Energieunterschied zwischen 2s- und 2p-Orbitalen sehr klein im Vergleich zur Differenz zwischen den Energiezuständen E1 und E2 (Abb. 1.3).
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4
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Neben s- und p-Orbitalen gibt es auf den höheren Niveaus E3, E4, usw. noch fünf d- bzw. sieben fOrbitale. Da die meisten organischen Verbindungen nur Elemente der ersten und zweiten Periode (C,H,N,O) enthalten, werden d- und f-Orbitale hier nicht näher besprochen. 2px
E
2py
2pz
E2
2s
1s
E1
Abb. 1.3. Energiezustände E1 und E2, mit 1s-, 2s- und 2p-Orbitalen
1.3.3
Elektronenspin und PAULI-Prinzip
Elektronen besitzen neben ihrer negativen Ladung und ihrem Bahndrehimpuls einen Eigendrehimpuls (Elektronenspin). Ist die Eigenrotation zweier Elektronen gleichsinnig, so sagt man, die Elektronen haben parallelen Spin und symbolisiert diesen Zustand durch zwei gleichgerichtete Pfeile (↑↑). Ist umgekehrt die Eigenrotation zweier Elektronen gegensinnig, so haben diese Elektronen antiparallelen Spin (↑↓). Höchstens zwei Elektronen mit antiparallelem Spin können dasselbe Orbital besetzen (PAULI-Prinzip). Solche Elektronen nennt man gepaart.
1.3.4
Elektronenkonfiguration leichter Atome
Die Verteilung der Elektronen auf den Orbitalen eines Atoms nennt man Elektronenkonfiguration. Diese bezieht sich auf den stabilsten (energieärmsten) Zustand des Atoms, den Grundzustand. Die häufigsten Elemente in organischen Molekülen, nämlich C,H,O,N gehören zu den ersten beiden Perioden. Elektronen dieser Atome besetzen im Grundzustand nur s- und p-Orbitale. Allgemein gelten für die Reihenfolge der Orbital-Besetzung folgende drei Regeln: ̈ ̈ ̈
Zuerst werden die energieärmsten Orbitale besetzt. Die Reihenfolge ist demnach 1s,2s,2p,3s,3p. Nur bis zu zwei Elektronen können ein Orbital besetzen (PAULI-Prinzip). Im Falle der Doppelbesetzung müssen die Spins antiparallel sein. Ist ein Satz entarteter Orbitale verfügbar (z. B. die drei 2p-Zustände, Abb. 1.3), so werden alle Orbitale einzeln belegt, bevor eines doppelt besetzt wird (HUND-Regel, vgl. die Elektronenkonfiguration der Elemente C,H,O in Tab. 1.1).
Die Elektronenkonfiguration eines Atoms (Tab. 1.1) wird durch Angabe der besetzten Orbitale in der Reihenfolge zunehmender Energie dargestellt. Die Besetzungszahl eines jeden Orbitals, 1 oder 2, wird hochgestellt, dabei die 1 meist weggelassen. Bor besitzt z. B. die Elektronenkonfiguration 1s2 2s2 2p, d. h. 1s- und 2s-Orbital sind je doppelt, ein 2p-Orbital ist einfach besetzt.
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1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung
5
Tab. 1.1. Elektronenkonfiguration leichter Atome im Grundzustand Atom 1s
B e s e t z u n g 2s 2px
Symbol 2py
2pz
H
1s
He
1s2
Li
1s2 2s
Be
1s2 2s2
B
1s2 2s2 2p
C
1s2 2s2 2p2
N
1s2 2s2 2p3
O
1s2 2s2 2p4
F
1s2 2s2 2p5 1s2 2s2 2p6
Ne
(1s2 2s2 2px2 2py2 2pz2 )
1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung 1.4.1
Arten der chemischen Bindung
Ionen- und kovalente Bindung sind die Grundtypen der chemischen Bindung. In anorganischen Salzen liegen keine Moleküle, sondern Ionen vor, welche im Kristallgitter durch elektrostatische Kräfte entgegengesetzt geladener Ionen zusammengehalten werden. Natriumchlorid besteht also nicht aus diskreten NaCl-Molekülen, sondern bildet im festen Zustand ein Kristallgitter aus Na+und Cl−-Ionen. Organische Verbindungen existieren dagegen meist als Moleküle, in denen Elektronenpaare zwischen den Atomkernen die chemische Bindung bewirken wie im Wasserstoff-Molekül, in dem ein Elektronenpaar die Wasserstoff-Atome zusammenhält: Elektronenpaar- oder kovalente Bindung H H zwei H-Atome
1.4.2
H H H:H ein H2-Molekül
Überlappung von Atomorbitalen
Unter Zuhilfenahme der Orbitalmodelle entsteht eine kovalente Bindung durch Überlappung von Atomorbitalen. Kommen z. B. zwei Wasserstoff-Atome zusammen, so überlappen sich ihre einfach besetzten 1s-Atomorbitale zu einem doppelt besetzten σ-Molekülorbital, welches im H2Molekül beide H-Kerne umschließt (Abb. 1.4). Die Überlappung zweier s-Atomorbitale zu einem
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6
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
σ-Molekülorbital führt zu einem Energiegewinn. Das H2-Molekül hat eine kleinere potentielle
Energie als zwei Wasserstoff-Atome, es ist stabiler.
(a)
H
(b)
H 74 pm
Abb. 1.4. Molekülorbital des Wasserstoff-Moleküls H2 , (a) Umriß, (b) Querschnitt
Mathematisch ist die Orbital-Überlappung eine Addition und Subtraktion (Linearkombination) der den überlappenden Atomorbitalen zugehörigen Wellenfunktionen ψ1 und ψ2: ψ = N (ψ1 + ψ2)
ψ* = N (ψ1 − ψ2) .
N ist ein Normierungsfaktor. Als Lösung erhält man zwei Molekülorbitale, das bindende energieärmere σ-Orbital und das antibindende energiereichere σ*-Orbital (Abb 1.5). Epot
Eσ*
H
H
1s
1s Eσ
H
H
σ* : antibindend
H
H
σ : bindend
Abb. 1.5. Überlappung der 1s-Orbitale des Wasserstoff-Atoms
Da ψ2 ein Maß für die Elektronendichte-Verteilung um den Atomkern ist, gilt für das bindende Molekülorbital mit der Wellenfunktion ψ ψ2 = [N (ψ1 + ψ2)] 2 = N2 (ψ12 + ψ22 + 2ψ1ψ2)
und für das antibindende ψ*2 = [N (ψ1 − ψ2)] 2 = N2 (ψ12 + ψ2 2 − 2ψ1ψ2) . Die Elektronendichte im bindenden Molekülorbital ist demnach um 2ψ1ψ2 größer als die Summen der atomaren Dichteverteilungen, ψ12 + ψ22. Dieser Zusatzterm 2ψ1ψ2 ist maximal, wo ψ1 und ψ2 selbst am größten sind, d. h. wo die Atomorbitale überlappen, nämlich zwischen den Kernen im Zentrum der Bindung. Dort ist die Elektronenwolke am dichtesten und überkompensiert die elektrostatische Abstoßung der Kerne. Insgesamt führt die Elektronendichte-Verteilung im σ-Molekülorbital zu dem Energiegewinn, auf der die Stabilität des H2-Moleküls relativ zum H-Atom beruht. Im Grundzustand des H2-Moleküls besetzen die beiden Bindungselektronen das bindende σ-Molekülorbital. Eine Hebung dieser Elektronen auf das antibindende σ*-Molekülorbital ist nur durch
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1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung
7
Zufuhr eines entsprechend großen Energiequantums (Eσ∗ − Eσ), z. B. in Form von RÖNTGENStrahlen möglich. Man spricht dann von einer σσ*-Anregung, die eine Spaltung des H2-Moleküls in Atome (H . ) oder Ionen (H+ , H−) auslösen kann.
1.4.3
σ- und π-Molekülorbitale
Bei den Atomen der ersten beiden Perioden (1H bis 19F) können sich nur 1s-, 2s- und 2pAtomorbitale zu Molekülorbitalen überlappen. Je nach Art der Überlappung und der Ausgangsorbitale unterscheidet man zweierlei Molekülorbitale, nämlich σ- und π-Orbitale. σ-Molekülorbitale entstehen nicht nur durch Überlappung von s-, sondern auch durch Endüberlappung von p-Orbitalen. Überlappen z. B. zwei s-Orbitale, so entsteht eine σ-Bindung, wie sie für das H2-Molekül beschrieben wurde (Abb. 1.4). Beim Fluor stehen 2s- und 2p-Orbitale zur Verfügung. Die s-Orbitale sind aber im Grundzustand doppelt besetzt, und die p-Orbitale haben infolge ihrer größerer Reichweiten (Abb. 1.2 e) bessere Überlappungschancen als die s-Orbitale. Infolgedessen entsteht die σ-Bindung im Fluor durch Endüberlappung der 2p-Orbitale (Abb.1.6 a, ppEndüberlappung), und im Fluorwasserstoff durch Endüberlappung des 2p-Orbitals von F mit dem 1s-Orbital von H (Abb. 1.6 b, ps-Überlappung). π-Molekülorbitale resultieren aus der seitlichen Überlappung koaxialer p-Orbitale (Abb 1.7). Doppel- und Dreifachbindungen werden durch die Bildung von π- zusätzlich zu σ-Orbitalen erklärt; sie enthalten außer einer σ-Bindung noch eine bzw. zwei π-Bindungen. Elektronen, die πOrbitale besetzen, nennt man π-Elektronen.
(a) F
F
F
F (b)
F
H
F
H
Abb. 1.6. Überlappung von Atomorbitalen zu σ-Molekülorbitalen in (a) Fluor F2 (pp-Überlappung) und (b) Fluorwasserstoff HF (ps-Überlappung)
z
y
z
x
y
z
x
y
x
Abb. 1.7. Entstehung eines π-Molekülorbitals durch seitliche Überlappung koaxialer p-Orbitale
Allgemein können nur einfach besetzte Atomorbitale zu Bindungsorbitalen überlappen. Doppelt besetzte Atomorbitale sind nicht bindend (n-Orbitale).
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8
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.5 Bindungsdaten Die Theorie der chemischen Bindung, wie sie vorstehend und im folgenden skizziert wird, ist eine Modellvorstellung zur Erklärung experimenteller Tatbestände. Jede kovalente Bindung zwischen Atomen in einem Molekül ist z. B. durch eine Bindungslänge (Atomabstand), eine Bindungsenergie und einen bestimmten Bindungswinkel relativ zu einer anderen Bindung gekennzeichnet. Diese Bindungsdaten sind meßbare Größen, welche der Entwicklung von Bindungsmodellen zugrunde liegen. Die Bindungslänge ist der Abstand zwischen zwei gebundenen Atomkernen. Sie wird durch Elektronen- und Neutronenbeugung sowie andere physikalische Meßmethoden bestimmt und in Nanometer nm (1nm = 10−9 m) oder Picometer pm (1pm = 10−12 m) gemessen. Im H2-Molekül ist der HH-Kernabstand z. B. 0.074 nm oder 74 pm. Da eine Verbindung meist energieärmer, also stabiler ist als ihre atomaren Komponenten, erfordert die Spaltung einer Bindung meist einen bestimmten Betrag an Energie. Dieser Energiebetrag wird als Bindungs- oder Dissoziationsenergie des Moleküls bezeichnet und in kJ/mol gemessen. Bindungsenergien werden mit Hilfe spektroskopischer Verfahren oder aus thermodynamischen Daten (Verbrennungs- oder andere Reaktionswärmen) bestimmt. Sie sind Maßzahlen für die Stärke einer Bindung. So erfordert die Spaltung des H2-Moleküls mehr Energie (436 kJ/mol) als die F2-Dissoziation (155 kJ/mol). Man schließt daraus, daß die HH-Bindung stärker ist. Enthält ein Molekül drei oder mehr Atome, so werden zwei oder mehr Einfach- bzw. Mehrfachbindungen zwischen diesen Atomen notwendig. Zwei Bindungen, die in diesem Fall von einem Atom ausgehen, bilden einen bestimmten Bindungswinkel (0 – 180°). Bindungswinkel können aus Mikrowellenspektren bestimmt werden. Im H2O-Molekül bilden die beiden OH-Bindungen z. B. einen Bindungswinkel von 105°. Daraus folgt u. a., daß die OH-Bindungen nicht durch Überlappung zweier p-Orbitale des Sauerstoff- mit den s-Orbitalen des Wasserstoff-Atoms entstehen, da dies zu einem Bindungswinkel von 90° führen würde (Kap. 1.9).
1.6 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs Im Grundzustand ist die Elektronenkonfiguration des C-Atoms 1s2 2s2 2p2 (Tab. 1.1). Demnach könnten nur die beiden einfach besetzten 2p-Orbitale des Kohlenstoffs mit den Atomorbitalen zweier anderer Atome überlappen. Kohlenstoff wäre zweibindig; der einfachste Kohlenwasserstoff hätte die Summenformel CH2. Dabei würden die beiden CH-Bindungen einen Winkel von 90° einschließen, da die Achsen der p-Orbitale senkrecht aufeinander stehen (Abb. 1.2). Kohlenstoff ist jedoch vierbindig, und der einfachste stabile Kohlenwasserstoff, das Methan, hat die Summenformel CH4. Spektroskopische Messungen zeigen, daß die vier CH-Bindungen des Methans äquivalent sind und sich nach den Ecken eines regelmäßigen Tetraeders ausrichten (Abb. 1.8); alle CH-Atomabstände sind gleich (109 pm); alle CH-Bindungen schließen paarweise einen Winkel von 109°28' ein. Die CH-Bindungen des Methans entstehen daher nicht durch Überlappung der Atomorbitale. Vielmehr muß der Kohlenstoff nicht zwei, sondern vier Überlappungs-, d. h. bindungsfähige Orbitale bereitstellen. Man könnte daher zunächst annehmen, daß im Bindungszustand des C-Atoms ein 2s-Elektron in einen 2p-Zustand gehoben ("promoviert") wird (Abb. 1.9 a).
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1.6 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs
9
Abb. 1.8. Tetraedrische Geometrie des Methan-Moleküls (Stab-, Kugel-Stab- und Kalottenmodell)
Epot
2s2
2px1 2py1 2pz0
"Promotion"
sp3-Hybridisierung
a
b 2s1 2px1
2py1
2pz1
sp3
sp3
sp3
sp3
3
Abb. 1.9. "Promotion" eines 2s-Elektrons in ein 2p-Orbital (a) und sp -Hybridisierung (b)
Nun könnte das C-Atom zwar vier σ-Bindungen bilden, aber diese Bindungen wären nicht gleichwertig, denn drei davon würden einen Winkel von 90° einschließen, was wiederum den experimentellen Tatsachen (Abb. 1.8) widerspricht: Der HCH-Bindungswinkel ist 109°28'. Um diese Unstimmigkeit zwischen Orbitaltheorie und experimentellen Daten zu beseitigen, wurde die Orbitalhybridisierung (PAULING, SLATER) als weiterführende Modellvorstellung entwickelt. Unter Orbitalhybridisierung versteht man die Linearkombination von Wellenfunktionen verschiedener Form, z. B. von s- und p-Funktionen. Anschaulich ist die Hybridisierung eine Kreuzung der Atomorbitale mit symmetrischer Ladungsverteilung zu Hybridorbitalen. Diese Hybridorbitale haben andere Umrisse als die ursprünglichen Atomorbitale. Bei der Hybridisierung von s- und pOrbitalen können sp-, sp2- und sp3-Hybridorbitale entstehen, je nachdem, ob sich ein p-Orbital, zwei oder alle drei p-Orbitale an der Hybridisierung beteiligen. Zwei sp-Hybridorbitale (Abb. 1.10) entstehen durch Kreuzung eines s- und eines p-Orbitals. Die beiden Hybridorbitale haben aufgrund ihrer Herkunft 50 % s- und 50 % p-Charakter; sie erstrekken sich − wie die ursprünglichen p-Orbitale − entlang einer Achse. Senkrecht auf dieser Achse stehen nach wie vor die beiden nicht an der Hybridisierung beteiligten p-Orbitale.
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10
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
(a)
(b)
(c)
Abb. 1.10. sp-Hybridorbitale, (a) hybridisierende s- und p-Atomorbitale, (b) Umrisse der beiden entstehenden sp-Hybridorbitale entlang der x-Achse, (c) verbleibende unhybridisierte p-Orbitale, py und pz
Die Kombination eines s-Orbitals mit zwei p-Orbitalen führt zu drei sp2-Hybridorbitalen (Abb. 1.11). Ein sp2-Hybridorbital hat aufgrund seiner Herkunft 33.3 % s- und 66.7 % p-Charakter. Die drei sp2-Hybridorbitale liegen auf einer Ebene (Koplanarität); ihre Achsen schließen Winkel von 120° ein und bilden die Höhen eines gleichseitigen Dreiecks (Abb. 1.11). Senkrecht auf dessen Ebene steht das an der Hybridisierung unbeteiligte p-Orbital (Abb 1.11).
(a)
(b)
(c)
2
2
Abb. 1.11. sp -Hybridorbitale, (a) hybridisierende Atomorbitale, s, px, py , (b) Umrisse der entstehenden sp 2 Hybridorbitale auf der xy-Ebene, (c) verbleibendes unhybridisiertes pz-Orbital senkrecht zur Ebene der sp Hybridorbitale
Beteiligen sich alle drei p-Orbitale an der Hybridisierung, so entstehen vier energiegleiche sp3Hybridorbitale (Abb. 1.9 b) mit jeweils 25 % s- und 75 % p-Charakter. Die vier sp3-Hybridorbitale erstrecken sich zu den Ecken eines regelmäßigen Tetraeders, wobei sie paarweise einen Winkel von 109°28' einschließen (Abb. 1.12). Tab. 1.2 vergleicht die Eigenschaften der sp-, sp2- und sp3-Hybridorbitale. Man sieht, daß die Hybridorbitale eine größere räumliche Reichweite haben als die s- und p-Atomorbitale, und daß die Reichweite mit zunehmendem p-Charakter wächst. Insofern bieten spx-Hybridorbitale (x = 1,2,3) bessere Überlappungsmöglichkeiten als s- und p-Atomorbitale.
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1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen
11
(a)
(b)
3
3
Abb. 1.12. sp -Hybridorbitale, (a) Darstellung im x,y,z-Koordinatensystem, (b) Umriß eines sp -Hybridorbitals
x
Tab. 1.2. Eigenschaften von sp -Hybridorbitalen hybridisierende Orbitale
Hybridorbitale
Geometrie
Interorbitalwinkel
Charakter %s %p
1s
1p
2 sp
linear
180°
50
2
1.93
1s
2p
3 sp2
eben, trigonal
120°
33.3 66.7
1
1.99
1s
3p
4 sp3
tetraedrisch
109.5°
25
0
2.00
50 75
restliche p-Orbitale
relativer Radius (Bezug: s = 1, p = 1.732)
1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen Postuliert man, daß das Kohlenstoff-Atom Hybridorbitale zur Bildung von σ-Bindungen bereitstellt, so wird die experimentell gefundene Geometrie einfacher organischer Moleküle zwanglos erklärt. Dies soll im folgenden an den Kohlenwasserstoffen Methan, Ethan, Ethen und Ethin gezeigt werden.
1.7.1
CH-Bindungen des Methans
Die tetraedrische Geometrie des Methans (CH4, Abb. 1.8) wird erklärt, indem die vier sp3-Hybridorbitale des Kohlenstoff-Atoms mit vier 1s-Orbitalen des Wasserstoff-Atoms überlappen (Abb. 1.13). Diese Überlappung führt zu vier tetraedrisch angeordneten σ-Molekülorbitalen (σ-MOs).
Abb. 1.13. Entstehung der σ-Bindungen (σ-Molekülorbitale) des Methans
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12
1.7.2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
CC-Einfachbindung
Zu den Besonderheiten des Kohlenstoff-Atoms gehört seine Fähigkeit, auch seinesgleichen zu binden, d. h. CC-Bindungen zu knüpfen. Ethan (H3C−CH3) ist der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Einfachbindung. Auch in diesem Molekül sind alle von den C-Atomen ausgehenden Bindungen tetraedrisch, wie die Molekülmodelle zeigen (Abb. 1.14). Das ergibt sich aus gleichen HCH- und HCC-Bindungswinkeln von 109.5° (Abb. 1.15). Die CH-Bindungen resultieren dann wie beim Methan aus der sp3-s-Überlappung der beteiligten Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atome. Die CC-σ-Bindung entsteht dagegen durch Überlappung zweier, den bindenden C-Atomen zugehörigen sp3-Hybridorbitale, d. h. es bildet sich ein sp3-sp3σ-Molekülorbital. Da die sp3-Hybridorbitale des Kohlenstoffs weiter reichen als die 1s-Orbitale des Wasserstoffs, sind CC-σ-Bindungen länger (154 pm) als CH-σ-Bindungen (109 nm, Abb 1.15).
Abb. 1.14. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethans
H
H 109.5° 109.5° C
154 pm
H
H
C
H
109 pm
H H Bindungslängen, Bindungswinkel
H
H
H
sp3 sp3 C C sp3 σ σ s H H
überlappende Orbitale, σ-Bindungen
Abb. 1.15. Bindungslängen (Atomabstände), Bindungswinkel und σ-Bindungen des Ethans
1.7.3
CC-Doppelbindung
Ethen (Ethylen, H2C=CH2 ) ist der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Doppelbindung, ein ebenes Molekül mit HCH- und HCC-Bindungswinkeln von rund 120°, wie die Molekülmodelle in Abb. 1.16 zeigen.
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1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen
13
Abb. 1.16. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethens
Die Kohlenstoff-Hybridorbitale, welche die Geometrie des Ethens erklären, müssen demnach koplanar sein und einen Interorbitalwinkel von 120° einschließen. Die sp2-Hybridorbitale des Kohlenstoffs erfüllen diese Voraussetzungen. Sie bilden die fünf σ-Bindungen des Ethens (Abb. 1.17): Zwei von den bindenden C-Atomen ausgehende sp2-Hybridorbitale überlappen zur CC-σBindung des Ethens und bilden ein sp2-sp2-σ-Molekülorbital. Die vier an beiden C-Atomen verbleibenden sp2- Hybridorbitale überlappen mit den 1s-Orbitalen von vier Wasserstoff-Atomen zu den vier CH-σ-Bindungen. Liegen alle fünf σ-Bindungen auf einer Ebene (Abb. 1.17 a), so ist zusätzlich eine optimale seitliche Überlappung der nicht hybridisierten 2p-Orbitale beider CAtome möglich (Abb. 1.17 b). Diese Überlappung führt zu einer π-Bindung (Abb. 1.17 c), wobei sich die π-Elektronenwolke über und unter der Molekülebene verteilt. π
H
134 pm
(a) 117.5° C
H
121°
C
H
109 pm H
(b)
H H
C
C
H H
(c)
H H
C
σ
C
H H
π
Abb. 1.17. Ethen-Molekül (a) Geometrie, σ-Bindungsebene (b) überlappende p-Orbitale senkrecht zur Ebene der σ-Bindungen (c) resultierendes π-Molekülorbital
Die CC-Doppelbindung besteht demnach aus einer CC-σ-Bindung (sp2−sp2-Überlappung, sp2−sp2σ-MO) und einer CC-π-Bindung (seitliche p−p-Überlappung, p−p-π-MO). Sie ist kürzer (134 pm) als die CC-Einfachbindung (154 pm). Auch dies leuchtet ein, da sp2-Orbitale nicht ganz so weit wie sp3-Orbitale reichen (Tab. 1.2), und die zur π-Bindung notwendige seitliche Überlappung von p-Orbitalen nur möglich ist, wenn die bindenden C-Atome genügend dicht zusammenrücken.
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14
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Durch die hohe Elektronendichte zwischen den beiden C-Atomen werden die CH-σ-Molekülorbitale etwas abgestoßen, was den HCH-Bindungswinkel geringfügig komprimiert.
1.7.4
CC-Dreifachbindung
Ethin (Acetylen, H−C≡C−H), der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Dreifachbindung, ist ein stabförmiges (lineares) Molekül mit dem HCC-Bindungswinkel 180° (Abb 1.18).
Abb. 1.18. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethins
Die lineare Molekülgeometrie wird erklärt, indem die bindenden C-Atome sp-Hybridorbitale bereitstellen, deren Endüberlappung zu einem σ-Molekülorbital (sp-sp-σ-MO) und damit zur CC-sBindung des Ethins führt. An jedem C-Atom bleibt dann noch ein sp-Orbital, welches mit dem Wasserstoff-1s-Orbital zum CH-σ-Orbital (sp-sp-σ-MO) überlappt. Die seitliche Überlappung der beiden an jedem C-Atom noch verfügbaren 2p-Orbitale (Abb. 1.19) erzeugt zwei π-Molekülorbitale (p-p-π-MO), deren π-Elektronenwolken die CC-σ-Bindung oben und unten sowie vorn und hinten umschließen (Abb. 1.19). (a)
(b)
120 pm
H
C
106 pm
C
H
H
C
C
H
H
C
C
H
H
C
C
H
106 pm
erste π-Bindung
zweite π-Bindung
beide π-Bindungen
Abb. 1.19. Ethin-Molekül, (a) lineare Geometrie und Atomabstände, (b) Überlappung der p-Orbitale zu zwei πMolekülorbitalen
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1.8 Reaktive Zwischenstufen
15
Eine CC-Dreifachbindung besteht also aus einer CC-σ-Bindung und zwei CC-π-Bindungen, welche aus der Überlappung von zwei Paaren senkrecht aufeinander stehender 2p-Orbitale resultieren. Da die Ausdehnung von spx-Hybridorbitalen mit wachsendem s-Charakter abnimmt (in der Folge sp3 > sp2 > sp), werden die CC-Atomabstände mit zunehmender Bindungsordnung (Einfach-, Doppel-, Dreifachbindung) kürzer: C−C : 154 pm 3 3 sp -sp
C≡C : 120 pm sp-sp
C=C : 134 pm 2 2 sp -sp
1.8 Reaktive Zwischenstufen Organische Reaktionen werden über reaktive Zwischenstufen wie Radikale, Ionen und Carbene formuliert. Diese Zwischenstufen können meist nicht isoliert, jedoch oft mit physikalischen Methoden nachgewiesen werden.
1.8.1
Methyl-Radikal
Wird eine σ-Bindung so gespalten, daß beiden Bindungspartnern je ein ungepaartes Elektron zukommt (Homolyse), so entstehen zwei Radikale als Molekülfragmente mit ungepaarten Elektronen. Die Homolyse einer CH-Bindung des Methan-Moleküls liefert z. B. ein Methyl-Radikal (.CH3) und ein Wasserstoff-Radikal (.H, H-Atom): Homolyse
H3C H
H3C
+
H
Methyl-Radikal
Der vom ungepaarten Elektron herrührende Paramagnetismus des Methyl-Radikals läßt sich nachweisen, z. B. durch Elektronenspinresonanz. Spektroskopische Messungen zeigen, daß das Methyl-Radikal eben gebaut ist, wobei die HCH-Bindungswinkel 120° betragen (Abb. 1.20 a). Diese Geometrie paßt zu einem sp2-hybridisierten C-Atom.
50%
H H
H
C
120°
H H
C 50%
(a )
H
(b)
Abb. 1.20. Methyl-Radikal, (a) Skelett, (b) Verteilung des ungepaarten Elektrons
Die CH-Bindungen entstehen durch Überlappung der Kohlenstoff-sp2-Hybridorbitale mit je einem 1s-Orbital der drei H-Atome. Das ungepaarte Elektron besetzt dann das nicht hybridisierte 2pOrbital senkrecht zur CH3-Ebene (Abb. 1.20 b). Diese exponierte Elektronenwolke erklärt die Kurzlebigkeit (etwa 10−8 s), mithin die Reaktivität des Methyl-Radikals.
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1.8.2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Methyl-Ionen
Die Heterolyse des Ethan-Moleküls führt formal zum Methyl-Kation und Methyl-Anion: Heterolyse
H3C CH3 Ethan
+
H3C
Methyl-Kation (ein Carbenium-Ion)
ICH 3 Methyl-Anion (ein Carbanion)
Abb. 1.21 skizziert zusammenfassend die Bildung radikalischer und ionischer Zwischenstufen durch formale homolytische und heterolytische Spaltungen des Methan- und Ethan-Moleküls. Das Methyl-Kation, der einfachste Vertreter der Carbenium-Ionen, ist aufgrund spektroskopischer Messungen eben. Die Molekülorbitale sind also denen des Methyl-Radikals analog (Abb. 1.20 b); jedoch bleiben die p-Orbital-Hälften über und unter der CH3-Ebene unbesetzt. Daher sind Carbenium-Ionen ausgeprägte Elektronen-Akzeptoren (Elektrophile). Nach OLAH unterscheidet man zwei Klassen von Carbokationen: In den ("klassischen") Carbenium-Ionen hat das positiv geladene C-Atom die Koordinationszahl 3 (R3C+); davon unterscheidet man "nichtklassische" Carbokationen mit fünf- oder vierfach koordiniertem positiv geladenem C (R5C+) und bezeichnet diese als Carbonium-Ionen. Methan
CH4 sp3 H −H
H
CH 3
−
Heterolyse − e0
CH 3
sp2
H
sp2
p
H H
C
H
CH 3
Homolyse
+
Heterolyse
−
sp2
H
sp2
p
H H
C
−
:CH 3 Methyl-Anion (Carbanion)
Ionisierung (Reduktion)
Methyl-Radikal
sp2
−H + e0
CH 3
Ionisierung (Oxidation)
Methyl-Kation (Carbenium-Ion)
sp2
−H
CH 3
sp3
sp3
sp3
C
H
sp3
H
H Kation trigonal LEWIS-Säure (Elektrophil)
Radikal trigonal
Heterolyse
H 3C
CH 3
Anion pyramidal LEWIS-Base (Nucleophil)
Homolyse
H3C
CH3
Heterolyse
H3C
CH3
Ethan
Abb. 1.21. Formale Bildung reaktiver Zwischenstufen aus Methan und Ethan
Im Methyl-Anion, dem einfachsten Vertreter der Carbanionen, nimmt man an, daß das C-Atom zur Bindung mit den drei H-Atomen drei sp3-Hybridorbitale bereitstellt. Ein Elektronenpaar besetzt dann das vierte sp3-Hybridorbital (Abb. 1.22). Dieses nichtbindende Elektronenpaar macht das Carbanion zum Elektronendonor (Nucleophil).
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1.8 Reaktive Zwischenstufen
17
C H
H H
Abb. 1.22. Bindungsmodell des Methyl-Anions {ICH3
1.8.3
Carbene
Erhitzt oder bestrahlt man Diazomethan, so entsteht als reaktive Zwischenstufe Carben, das auch als Methylen bezeichnet wird: _ H2C N NI
H 2C:
Diazomethan
Carben (Methylen)
+
N2
Dabei lassen sich zwei Arten (Abb. 1.23) nachweisen, ein energieärmeres Carben mit HCHWinkel von 136° und ungepaarten Elektronen (Triplett-Carben) sowie ein energiereicheres, reaktiveres Carben mit einem HCH-Bindungswinkel von 130° und gepaarten Elektronen (SingulettCarben). E Singulett-Carben (doppelt angeregter Zustand)
S1
Singulett-Carben (angeregter Zustand)
S0
H
p
C
H
H
130°
σ
p
C
H
σ
ca. 35 kJ / mol
Triplett-Carben (Grundzustand)
T1
H
136°
p
C
H
σ
Abb. 1.23. Elektronenzustände des Carbens
Substituierte Carbene R2C: sind hochreaktive Zwischenstufen vieler organischer Synthesen. Aufgrund ihres Elektronensextetts am C-Atom haben sie, wie die Nitrene RN:, ein Elektronendefizit am Zentralatom. Deshalb sind sie starke Elektrophile.
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18
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.9 Bindung in Ammoniak und Wasser Auch für Stickstoff mit der Elektronenkonfiguration 1s22s22p3 und Sauerstoff (1s22s22p4) kann sp3-Hybridisierung der Atomorbitale den Bindungszustand von N und O erklären. So liegen die Bindungswinkel des Ammoniaks (107°) und Wassers (105°) (Abb. 1.24) in der Nähe der tetraedrischen sp3-Interorbitalwinkel (109°28'). NH- und OH-Bindungen in NH3 (pyramidal) und H2O (gewinkelt) resultieren demnach aus sp3-s-Überlappungen. Nichtbindende Elektronenpaare besetzen die restlichen sp3-Hybridorbitale (Abb. 1.24); in Strukturformeln werden sie als Striche oder Doppelpunkte gezeichnet.
O
96 pm
105°
H
101 pm 107°
N
O H
H
H
H
(a)
H
N H
H
H H
(b)
Abb. 1.24. Molekülgeometrie (Atomabstände, Bindungswinkel) von Wasser (a) und Ammoniak (b)
1.10 Polarität kovalenter Bindungen 1.10.1
Elektronegativität
Sind zwei gleiche Atome durch eine kovalente Bindung verknüpft ( H−H, Cl−Cl, H3C−CH3 ), so konzentriert sich das Bindungselektronenpaar im Zentrum der Bindung beider Atome. Sind die verknüpften Atome verschieden (H−Cl, H3C−Cl), so wird die Elektronenwolke unsymmetrisch, da eines der Atome (Cl) die Bindungselektronen stärker anzieht als das andere. Man nennt das Bestreben eines Atoms, Bindungselektronen anzuziehen, Elektronegativität. Im Periodensystem nimmt die Elektronegativität von "links nach rechts" und von "unten nach oben" zu (Tab. 1.3). Die in der organischen Chemie gebräuchlichen PAULING-Elektronegativitäten (Tab. 1.3) beziehen sich auf das elektronegativste Atom Fluor, dem willkürlich der Wert 4 zugeordnet wird. Tab. 1.3. PAULING-Elektronegativitäten einiger Elemente H
2.2
Li
0.97
Na 1.0
1.10.2
C
2.5
N
3.0
O
3.5
F
4.0
Si
1.8
P
2.5
S
2.5
Cl
3.0
Br I
2.8 2.6
Dipolmomente von Molekülen
Sind zwei Atome unterschiedlicher Elektronegativität gebunden, so wird das elektronegativere die Bindungselektronen an sich ziehen. Das Chlor in Chlorwasserstoff verhält sich z. B. so. Die σ-
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1.10 Polarität kovalenter Bindungen
19
Bindung in H−Cl wird dabei polar. Man formuliert dies durch eine negative Polarisierung (δ− oder δ−) an Chlor und eine entsprechend positive (δ+ oder δ+) an Wasserstoff. δ+ δ− H Cl
Der Schwerpunkt der negativen Ladung liegt also nicht mehr im Zentrum der Bindung wie bei einer HH- oder CC-Verknüpfung, sondern näher beim elektronegativeren Atom. Moleküle, welche diese Eigenschaft mit HCl teilen, sind Dipole. Da sie einen negativeren und einen positiveren "Teil" haben, erfahren sie im elektrischen Feld ein als Dipolmoment bezeichnetes Drehmoment µ: δ+ δ− H Cl
µ = e . d [Cm]
µ
e : Elementarladung (in elektrostatischen Einheiten, 1.6 x 10−19 C ; C: Coulomb) d : Abstand zwischen den Atomen unterschiedlicher Elektronegativität (in m)
Dieses bei kleineren Molekülen mit Hilfe der Mikrowellenspektroskopie meßbare und meist in Debye-Einheiten (1D = 3.33x10−30 Cm) angegebene Dipolmoment µ ist ein vom positiven zum negativen Bindungsende gerichteter Vektor. Dipole von Molekülen richten sich im elektrischen Feld von Kondensatoren aus. Somit können Dipolmomente auch größerer organischer Moleküle über Kapazitätsänderungen eines Kondensators gemessen werden. Enthält ein Molekül drei oder mehr Atome unterschiedlicher Elektronegativität, so ist das resultierende, permanente Dipolmoment die Vektorsumme aller Bindungsmomente, wie Abb. 1.25 am Beispiel des Wassers zeigt. Dagegen ist das resultierende Dipolmoment des Methans aus Symmetriegründen null. µ2 µ µ1 H
δ+
O
µ1 µ2
δ− − H δ+
Abb. 1.25. Dipolmoment-Komponenten und resultierendes Dipolmoment des Wassers (µ = 1.86 Debye)
1.10.3
Polarität von Verbindungen
Mit dem Elektronegativitätsunterschied zwischen zwei gebundenen Atomen wächst die Polarität der Bindung. Im Wasserstoff-Molekül (H2) und den Halogen-Molekülen (X2) verdichten sich die Bindungselektronen im Zentrum der Bindung; solche Verbindungen sind unpolar. Die Halogenwasserstoffe (HX) sind dagegen aufgrund des Elektronegativitätsunterschieds von H und X und des daraus resultierenden Dipolmoments polare Moleküle. Unterscheiden sich die Elektronegativitäten zu stark, so bilden sich keine kovalenten Bindungen mehr, sondern Ionen mit EdelgasElektronenkonfiguration, z. B. im Natriumchlorid (Na+Cl−). Die Elementargasmoleküle Wasserstoff (H2) und Chlor (Cl2), die Halogenwasserstoffe (HX) sowie die Alkalimetallhalogenide (Na+X−) sind also typische Vertreter unpolarer, polarer und ionischer Verbindungen. H H Cl Cl kovalent, unpolar
δ+ δ− H Cl kovalent, polar
+
−
Na Cl ionisch
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20
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.11 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen Je nach Temperatur und Druck kann jede Verbindung fest, flüssig oder gasförmig vorkommen. In allen drei Aggregatzuständen hängt die Art der Wechselwirkung zwischen den Molekülen von der Natur der chemischen Bindung ab.
1.11.1
Interionische Wechselwirkung
In ionischen Verbindungen ziehen sich entgegengesetzte geladene Ionen an, und gleich geladene Ionen stoßen sich ab. Diese auf der COULOMB-Kraft K zwischen den Ionenladungen e1 und e2 im Abstand r K =
1 . e1 e2
ε
r2
beruhende elektrostatische Anziehung und Abstoßung nennt man interionische Wechselwirkung. Die Stärke der interionischen Wechselwirkung hängt, wie die Gleichung zeigt, von der Dielektrizitätskonstanten (DK) ε des Mediums ab, in dem sich die Ionen befinden. Eine hohe DK schwächt die interionische Wechselwirkung.
1.11.2
Dipol-Dipol-Wechselwirkung und Wasserstoffbrücken
Bei polaren Molekülen beruht die Wechselwirkung hauptsächlich auf der elektrostatischen Anziehung und Abstoßung entgegengesetzt bzw. gleich geladener Molekülteile. Stäbchenförmige Dipolmoleküle werden sich z. B. bevorzugt so anordnen, daß positive und negative Molekülenden abwechseln (Abb. 1.26). Dies ist ein einfacher Fall der Dipol-Dipol-Wechselwirkung. δ−
δ+
δ+
δ−
δ−
δ+
δ+
δ−
Abb. 1.26. Wechselwirkung stabförmiger Dipol-Moleküle
O
H
O H
H
H _ O _ δ+ H H δ− H O H
Abb. 1.27. Wasserstoffbrücken-Assoziation des Wassers
Viele Dipolmoleküle wie Fluorwasserstoff, Wasser und Ammoniak (HF, H2O, H3N) enthalten ein Wasserstoff-Atom, das an ein elektronegatives Atom (F, O, N) mit nichtbindenden Elektronenpaaren gebunden ist. Das dadurch positiv polarisierte Wasserstoff-Atom kann dann mit den nichtbindenden Elektronenpaaren benachbarter Moleküle wechselwirken, wie Abb. 1.27 am Beispiel des
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1.11 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen
21
Wassers skizziert. Man nennt diese starke Dipol-Dipol-Wechselwirkung WasserstoffbrückenBindung oder Wasserstoffbrücken-Assoziation, da viele Moleküle auf diese Weise zu "Molekülklumpen" assoziieren können. Diese sog. Cluster weisen aufgrund der räumlich gerichteten HBrücken-Bindungen einen hohen Ordnungsgrad in größeren Bezirken auf.
1.11.3
Ionen-Dipol-Wechselwirkung
Löst man eine ionische Verbindung in einem Lösemittel, dessen Moleküle Dipole sind, z. B. in Wasser, so bilden sich durch Wechselwirkung zwischen Ion und Lösemittel-Dipolen hydratisierte Ionen. So umhüllen in wäßriger Lösung von Natrium-Salzen sechs Wasser-Moleküle das NatriumKation oktaedrisch (Koordinationszahl 6) durch Ionen-Dipol-Wechselwirkung (Abb. 1.28). H H
O
H H O δ+ H H δ−
O Na
H H O H H
O
O H H
Abb. 1.28. Solvatation: Hydratation eines Natrium-Ions durch Ionen-Dipol-Wechselwirkung
Diese Hydratation durch Wasser, allgemein die Solvatation durch Lösemittel, beruht auf der Schwächung der interionischen Wechselwirkung durch die hohe Dielektrizitätskonstante polarer Lösemittel. Bei gelösten ionischen Verbindungen ist also neben der interionischen Wechselwirkung auch die Solvatation im Spiel. Die Lösemittelmoleküle werden dabei umso stärker gebunden, je kleiner das Ion und je höher dessen Ladung ist.
1.11.4
VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung
Die mit der Molekülgröße zunehmende Anziehung und Abstoßung zwischen unpolaren Molekülen wird als VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung bezeichnet. Diese rein zwischenmolekularen Kräfte rühren daher, daß ein unpolares Molekül ein momentaner Dipol ist, da die Elektronen des Moleküls ständig in Bewegung sind, so daß innerhalb eines Augenblicks die Elektronenverteilung unsymmetrisch sein kann. Der resultierende kurzlebige Dipol induziert in einem Nachbarmolekül für einen Augenblick ein Dipolmoment. Beide Dipole können dann wechselwirken wie es Abb. 1.26 skizziert. Die Reichweite der Wechselwirkung liegt bei r = 0.3 - 0.6 nm; ihre Stärke nimmt proportional zu r−6 ab. Die Stärke der Wechselwirkung nimmt mit wachsender Polarität der Verbindungen zu, ist daher für ionische Verbindungen am größten. Unter den zwischenmolekularen Kräften sind Wasserstoffbrücken dabei stärker als Dipol-Dipol-, aber schwächer als Ionen-Dipol-Wechselwirkungen. VAN-DER-WAALS-Wechselwirkungen sind am schwächsten.
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.12 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität 1.12.1
Kristallgitter
Man unterscheidet amorphe von kristallinen Verbindungen. Amorph nennt man eine Verbindung, wenn ihre Teilchen im festen Zustand ohne erkennbare Regelmäßigkeit angeordnet sind. In einer kristallinen Verbindung ordnen sich die Ionen oder Moleküle dagegen regelmäßig zu einem Ionen- bzw. Molekülgitter an. Während Ionengitter durch starke COULOMB-Kräfte zusammengehalten werden, wirken in Molekülgittern die weitaus schwächeren Dipol-Dipol- und VAN-DERWAALS-Kräfte. Auf diesen Unterschieden beruhen z. B. die sehr viel höheren Schmelzpunkte ionischer im Vergleich zu kovalenten Verbindungen.
1.12.2
Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit
Die am einfachsten meßbaren physikalischen (thermodynamischen) Eigenschaften einer Verbindung sind Schmelzpunkt, Siedepunkt und Löslichkeit. Der Schmelzpunkt ist die für jede Verbindung charakteristische Temperatur, bei welcher sich feste und flüssige Phase im Gleichgewicht befinden. Bei dieser Temperatur kompensiert die thermische Energie der Teilchen die vom Bindungstyp abhängigen Gitterkräfte. Je größer diese Kräfte sind, desto mehr Energie wird zu ihrer Überwindung notwendig sein. Insofern reflektiert die Höhe des Schmelzpunkts die Stärke der Gitterkräfte. Ionische Verbindungen werden daher sehr hohe Schmelzpunkte aufweisen (Kochsalz, Na+Cl− : 801 °C), polare kovalente erheblich tiefere (Wasser, H2O : 0 °C), und wenn im festen Zustand einer unpolaren Verbindung nur noch VAN-DERWAALS-Kräfte das Gitter zusammenhalten, so wird man einen sehr tiefen Schmelzpunkt messen (Methan, CH4 : −183 °C). Auch der Siedepunkt charakterisiert jede Verbindung. Er ist die Temperatur, bei welcher flüssige und gasförmige Phase im Gleichgewicht sind. Dabei werden die im flüssigen Zustand noch wirkenden Kohäsivkräfte (Wasserstoffbrücken, Dipol-Dipol- und VAN-DER-WAALS-, bei ionischen Verbindungen COULOMB-Kräfte) von der thermischen Energie kompensiert. Deshalb hängt auch der Siedepunkt von der Stärke der Wechselwirkung ab. Ionische Verbindungen haben wieder die mit Abstand höchsten Siedepunkte (Kochsalz: 1465 °C). Polare kovalente Verbindungen zeigen deutlich tiefere Siedpunkte, wobei Wasserstoffbrücken-Bildner wiederum höher sieden (Wasser: 100 °C) als Verbindungen, deren Moleküle nur Dipol-Dipol-Wechselwirkungen eingehen können (Diethylether: 36.5 °C). Am tiefsten sieden unpolare Verbindungen (Methan: −161.5 °C). Da die Siedepunkte exponentiell mit sinkendem Druck fallen, sollten sie nur unter Nennung des herrschenden Drucks angegeben werden. Die erwähnten Siedepunkte wurden z. B. bei Normaldruck (760 Torr = 1.013 bar) gemessen. Während Schmelz- und Siedepunkte Gitter- und Kohäsivkräfte reflektieren, hat die Angabe der Löslichkeit einer Verbindung in einem bestimmten Lösemittel auch praktische Bedeutung, spielen sich doch die meisten Reaktionen der organischen Chemie in Lösung ab. Man muß also vor Ansetzen einer Reaktion wissen, in welchem Lösemittel sich eine Ausgangsverbindung löst und wie gut. Die Löslichkeit einer Verbindung in einem Lösemittel (Wasser, Ethanol) wird in g/100 mL angegeben. Da die Löslichkeit meist stark temperatur-, aber auch leicht druckabhängig ist, muß man die Löslichkeitsangabe auf eine bestimmte Temperatur und einen bestimmten Druck beziehen (meist 20 °C und Normaldruck, 1.013 Bar). Eine Verbindung löst sich in einer anderen umso besser, je ähnlicher die Wechselwirkung in beiden Verbindungen ist. So wird sich ein unpolarer
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1.12 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität
23
Kohlenwasserstoff gut in Tetrachlormethan oder Benzin lösen, aber nicht in Wasser. Dagegen ist Wasser ein gutes Lösemittel für organische Verbindungen, die selbst auch Wasserstoffbrücken bilden können wie z. B. Alkohole. Und für ionische Verbindungen ist Wasser das beste Lösemittel, da es interionische Wechselwirkungen schwächt und die Ionen hydratisiert (Kap. 1.11.3).
1.12.3
Säuren und Basen, Elektrophile und Nucleophile
Sowohl in der anorganischen als auch in der organischen Chemie gibt es chemische Vorgänge, die man als Säure-Base-Reaktionen einstufen kann. Bekanntlich erzeugen Säuren H3O+-Ionen und Basen OH−-Ionen, wenn man sie in Wasser löst: Säure : Base :
+
H2O
H 3O
+
Cl
NH3 +
H 2O
H 4N
+
OH
HCl
Säure-Base-Reaktionen verlaufen aber auch in nicht wäßrigen Medien. LOVRY und BRÖNSTEDT definierten daher eine Säure als Protonendonor und eine Base als Protonenakzeptor. Chlorwasserstoff ist als Protonendonor an sich schon eine Säure, und Ammoniak ist als Protonenakzeptor an sich schon eine Base. Beide reagieren bekanntlich auch ohne Wasser zu Ammoniumchlorid: HCl
+
Protonen-Donor Säure
NH3 Protonenakzeptor Base
H 4N
+
Cl
Ammoniumchlorid Salz
Die umfassendste Definition stammt von LEWIS. Demnach ist jede Verbindung, die ein vakantes Orbital hat und daher ein Elektronenpaar akzeptieren kann, eine Säure (LEWIS-Säure). Jede Verbindung, die indessen über doppelt besetzte Orbitale verfügt und insofern ein Elektronenpaardonor ist, wird als Base (LEWIS-Base) definiert. Protonen und Carbenium-Ionen sind also LEWISSäuren; Wasser, Ammoniak und Carbanionen sind dagegen LEWIS-Basen und reagieren dementsprechend mit LEWIS-Säuren. H
+
_ 2 IOH
_ H 3O
H
+
INH 3
H 4N
+
ICH 3 LEWIS-Base Nucleophil
H3C LEWIS-Säure Elektrophil
H3C CH3
Einige Moleküle können sich je nach Reaktionspartner als LEWIS-Säure und als LEWIS-Base verhalten. Wasser ist ein Beispiel: + H2S
H2O
+ NH3
H 3O
+
SH
(H2O als LEWIS-Base)
H 4N
+
OH
(H2O als LEWIS-Säure)
Aufgrund ihrer vakanten Orbitale greifen LEWIS-Säuren an den Elektronenpaaren von LEWISBasen an. Man bezeichnet LEWIS-Säuren daher auch als elektrophil (Elektrophile), während LEWIS-Basen Reaktionspartner mit vakanten Orbitalen suchen und daher nucleophil (Nucleophile) sind. Demnach sind Carbenium-Ionen und Protonen elektrophile, Carbanionen, Wasser und Ammoniak dagegen nucleophile Reagenzien bzw. Zwischenstufen.
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2 Alkane
2 Alkane 2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur 2.1.1
Homologe Reihe und Molekülmodelle der Alkane
Kohlenwasserstoffe enthalten nur die Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff. Alkane sind gesättigte Kohlenwasserstoffe, in denen nur Einfachbindungen von den C-Atomen ausgehen. Aus Methan als einfachstem Vertreter leitet sich formal durch Einschub weiterer CH2-Gruppen die homologe Reihe der Alkane mit der gemeinsamen Summenformel CnH2n+2 ab (Tab. 2.1). Tab. 2.1. Homologe Reihe der Alkane CnH2n+2 , Bezeichnungen, Schmelz- und Siedepunkte (bei Normaldruck) n
CnH2n+2
Kurzschreibweise
Bezeichnung
Schmp. °C
Sdp.°C
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 20 30 40 50 60
CH4 C2H6 C3H8 C4H10 C5H12 C6H14 C7H16 C8H18 C9H20 C10H22 C11H24 C12H26 C13H28 C14H30 C15H32 C20H42 C30H62 C40H82 C50H102 C60H122
H3C−H H3C−CH3 H3C−CH2−CH3 H3C−(CH2)2−CH3 H3C−(CH2)3−CH3 H3C−(CH2)4−CH3 H3C−(CH2)5−CH3 H3C−(CH2)6−CH3 H3C−(CH2)7−CH3 H3C−(CH2)8−CH3 H3C−(CH2)9−CH3 H3C−(CH2)10−CH3 H3C−(CH2)11−CH3 H3C−(CH2)12−CH3 H3C−(CH2)13−CH3 H3C−(CH2)18−CH3 H3C−(CH2)28−CH3 H3C−(CH2)38−CH3 H3C−(CH2)48−CH3 H3C−(CH2)58−CH3
Methan Ethan Propan Butan Pentan Hexan Heptan Octan Nonan Decan Undecan Dodecan Tridecan Tetradecan Pentadecan Eicosan Triacontan Tetracontan Pentacontan Hexacontan
−183 −183 −190 −138 −130 −95 −90 −59 −54 −30 −26 −10 −6 6 10 36 66 81
−164 −89 −42 0 36 69 98 126 151 174 196 216 230 251 268
Elementarer Baustein der Alkane ist der durch sp3-Hybridisierung des Kohlenstoff-Atoms erklärbare Bindungs-Tetraeder (Kap. 1.7). Methan als einfachstes Alkan ist z. B. ein regelmäßiger Tetraeder mit dem C-Atom im Zentrum und den vier H-Atomen an den Ecken (Abb. 1.8). Zur Formulierung eignen sich verschiedene Darstellungen (Tab. 2.2), je nachdem, ob man auf Kürze, Übersichtlichkeit, Molekülorbitale und Elektronenkonfiguration oder auf den räumlichen Bau Wert legt.
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2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur
25
Tab. 2.2. Formelschreibweisen einfacher Alkane Summenformel
komprimierte Strukturformel
Valenzstrichformel
H Methan
CH 4
H3C H
Elektronenpaarformel
H
H .. H : .. C:H H
H C H H
KeilstrichProjektion *
H H
C
H
H H H Ethan
C2H 6
H3C CH3
H H .. .. H : .. C:C .. : H H H
H C C H H H
C 3H8
H3C CH2 CH3
C
C
H H
H
H H H Propan
H H
H C C C H H H H
H H .. H .. .. H : .. C:C C:H .. : .. H H H
CH 3 H H
C
C
H H
H *
: in ,
: vor ,
: hinter der Zeichenebene
Abb. 2.1. Stab-Modell (links), Kalotten-Modell (Mitte) und Kugel-Stab-Modell (rechts) des Propans, jeweils im gleichen Maßstab
Zur Formulierung von Reaktionsgleichungen genügt meist die komprimierte Schreibweise (Tab. 2.2). Die Keilstrich-Projektion stellt die zur Formulierung einer Reaktion oft wesentliche tetraedrische Bindungsgeometrie des C-Atoms am besten dar. STUART-BRIEGLEB-Kalottenmodelle (Abb. 2.1 Mitte) machen den Umriß des Moleküls, seine räumliche Ausdehnung besonders anschaulich. Zum Studium von Atomabständen und Bindungswinkeln eignen sich zusammenensteckbare DREIDING-Tetraeder-, Stab- oder Kugel-Stab-Modelle (Abb. 2.1). Diese Modelle lassen sich mit PC-Programmen durch "molecular modelling" konstruieren (Abb. 1.8, 1.14, 2.1 und 2.2).
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26
2.1.2
2 Alkane
Konstitutionsisomerie
Kohlenstoff-Ketten bauen das Gerüst der Alkane auf; diese Ketten können verzweigt oder unverzweigt sein. Bereits am Alkan der Summenformel C4H10 läßt sich dies zeigen: Butan besitzt eine unverzweigte Kohlenstoff-Kette und gehört zur homologen Reihe der n-Alkane (Tab. 2.1, Abb. 2.2). Isobutan (oder Methylpropan) mit derselben Summenformel hat eine verzweigte Kohlenstoff-Kette und gehört zu den verzweigten Alkanen (Abb. 2.2). n-Butan und Methylpropan (Isobutan) sind Konstitutionsisomere (Isomere von griech. ισοζ = ähnlich, gleich und µεροζ = Teil); Konstitutionsisomere besitzen dieselbe Summenformel und somit dieselbe Molekülmasse; sie unterscheiden sich jedoch durch ihre Atomverknüpfung (verzweigt oder unverzweigt), die Konstitution. n-Butan ist ein langgestrecktes, Methylpropan ein kompaktes Molekül (Abb. 2.2). CH3
H H H H n-Butan
H C C C C H
H 3C CH2 CH 2 CH3
H H H H
C4H10
H H
C
C
CH3
H Methylpropan (Isobutan)
H C H H H
CH3
H C C C H
H3C CH CH 3
H H H
H H
CH 3 H3C H
C
CH3
Abb. 2.2. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell (von links nach rechts) des Butans (oben) und seines verzweigten Konstitutionsisomers Methylpropan (unten)
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2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur
27
Für die Summenformel C5H12 lassen sich bereits drei Konstitutionsisomere formulieren, n-Pentan, Methylbutan (Isopentan) und Dimethylpropan (Neopentan). CH 3
C5H12
CH 3
H3C CH 2 CH2 CH2 CH 3
H 3C CH CH2 CH 3
n-Pentan
Methylbutan (Isopentan)
H 3C C CH 3 CH3 Dimethylpropan (Neopentan)
Die Anzahl möglicher Konstitutionsisomerer steigt also mit der Zahl der C-Atome. Für C10H22 gibt es 75, für C30H62 schon über vier Millionen Konstitutionsisomere. Konstitutionsisomere zeigen verschiedene physikalische Eigenschaften (Brechungsindizes, Schmelzpunkte, Siedepunkte); man kann sie aufgrund ihrer individuellen Siedepunkte durch Destillation trennen.
2.1.3
Nomenklatur
Die Nomenklatur organischer Verbindungen erfolgt nach den durch IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) festgesetzten Regeln. Tab. 2.1 enthält z. B. die IUPAC-Bezeichnungen der Alkane; ab Pentan gibt der erste Teil des Namens mit lateinischen oder griechischen Silben die Zahl der C-Atome, und die Endung "an" kennzeichnet die Zugehörigkeit zur Familie der Alkane. Zur Benennung isomerer Alkane sind oft die Präfixe n-, iso- und neo- im Gebrauch: n-Alkane besitzen eine unverzweigte (zick-zack-förmige) Anordnung ihrer C-Atome, z. B.: H 3C (CH 2)9 CH 3 n-Undecan
H3C (CH2)4 CH3 n-Hexan
iso-Alkane enthalten eine Methyl-Verzweigung am Kettenende: CH 3
CH3 H3C CH CH3
H 3C CH CH2 CH 2 CH3
Isobutan
Isohexan
neo-Alkane enthalten eine doppelte Methyl-Verzweigung am Kettenende: CH 3
CH 3
H 3C C CH3 CH3 Neopentan
H 3C C CH2 CH2 CH 3 CH3 Neoheptan
Je nach Verzweigungsgrad unterscheidet man primäre (1°), sekundäre (2°) und tertiäre AlkylGruppen (3°) bzw. Kohlenstoff-Atome: CH3 H 3C CH 2
R CH2
H3C CH CH3
primäre (1°)
R CH R
sekundäre (2°) Alkyl-Gruppen
H3C C
R R C
CH 3
R
tertiäre (3°)
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28
2 Alkane
Formale Entfernung eines H-Atoms aus einem Alkan R−H führt zu einer Alkyl-Gruppe R−. Die Bezeichnung ergibt sich aus der des Alkans, in dem die Endung "an" durch "yl" ersetzt wird (Methyl aus Methan, Propyl aus Propan, Neopentyl aus Neopentan, Tab. 2.3). Tab. 2.3. Bezeichnung häufig auftretender Alkyl-Gruppen H3C Methyl-
H 3C CH 2 Ethyl-
H3C CH2 CH 2 Propyl-
H 3C CH 2 CH2 CH2 Butyl-
CH 3
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 Pentyl-
CH3
H 3C CH Isopropyl-
CH 3
H3C CH CH 2 Isobutyl
H 3C CH CH2 CH 2 Isopentyl
H 3C CH 2 CH CH3
H3C C CH2 CH3 Neopentyl-
CH3
sec-Butyl
CH 3
CH3
H 3C CH 2 C CH 3 t-Pentyl-
H 3C C CH3 t-Butyl-
Zur Benennung substituierter Alkane nach IUPAC empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: Man suche die längste Kohlenstoff-Kette mit der höchsten Zahl von Substituenten. CH2 CH3 H3C CH2 CH2 CH2 CH
Die längste C-Kette hat acht C-Atome: Octan ist das Grundskelett
H3C C Br CH2 CH3
Man beziffere die C-Atome so, daß die Substituenten kleinstmögliche Positionsziffern erhalten. 8
7
6
5
CH2 CH3
4
Das Kohlenstoff-Atom mit höchster Substituentenzahl ist C-3 (nicht C-6).
H3C CH2 CH2 CH2 CH H3C 3C Br
CH2 CH3 2
1
Man benenne die Substituenten und gebe ihre Position in der Kette durch die entsprechende Ziffer an. 8
7
6
5
CH2 CH3
4
H3C CH2 CH2 CH2 CH
3-Methyl-
H3C 3C Br
3-Brom-
4-Ethyl-
CH2 CH3 2
1
Man bezeichne die Verbindung so, daß die Substituenten in alphabetischer Folge erscheinen. 3-Brom-4-ethyl-3-methyloctan
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2.2 Physikalische Eigenschaften
29
Zwei, drei, vier, fünf, sechs, ... identische Substituenten an der Kette werden durch die Präfixe di-, tri-, tetra-, penta-, hexa-,... gekennzeichnet. H3C Br H3C CH C CH CH(CH3) 2 Br
2,4-Dibrom-3,3,5-trimethylhexan
CH3
2.2 Physikalische Eigenschaften Alkane sind unpolare Moleküle. Ihr Zusammenhalt in der flüssigen oder festen Phase wird daher nur durch die schwachen VAN-DER-WAALS-Kräfte bewirkt. Da diese mit zunehmender Oberfläche der Moleküle ansteigen, findet man einen stetigen Anstieg der Siedepunkte um 20 - 30 °C bei Verlängerung um eine CH2-Gruppe (Tab. 2.1, Abb. 2.3). Aus demselben Grund zeigt sich ab Butan auch eine stetige Zunahme der Dichte (Abb. 2.3). Dagegen steigen die Schmelzpunkte stufenweise an (Abb. 2.3), wobei n-Alkane mit gerader Anzahl von C-Atomen jeweils höher als erwartet schmelzen. Offensichtlich bilden die "geradzahligen" n-Alkane ein dichter gepacktes Gitter mit stärkeren Gitterkräften.
[°C] 300
0.8 [g/ml]
250
Dichte 0.7
200 150
0.6
100 0.5 Siedepunkt
50
0.4
0 − 50 − 100
Schmelzpunkt
− 150 − 200
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 Anzahl der C-Atome
Abb. 2.3. Beziehung zwischen Kettenlänge, Siedepunkt, Schmelzpunkt und Dichte der n-Alkane
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30
2 Alkane
Verzweigte Alkane bieten aufgrund ihrer im Vergleich zu n-Alkanen kompakteren Konstitution eine kleinere Oberfläche und somit schwächere VAN-DER-WAALS-Wechselwirkungen. Daher sieden verzweigte Alkane tiefer als ihre unverzweigten Isomere. Die Schmelzpunkte verhalten sich uneinheitlich. Grundsätzlich zeigen kugelförmige organische Moleküle wie Methan, Neopentan und Tetramethylbutan neben ihrer im Verhältnis zur Molmasse großen Flüchtigkeit auch sehr dicht beim Siedepunkt liegende Schmelzpunkte. Im Labor lassen sich langkettige n-Alkane (>C7) von ihren verzweigten Isomeren durch Behandeln mit Harnstoff abtrennen. Harnstoff bildet nur mit n-Alkanen kristalline Einschlußverbindungen. Dabei kristallisieren die Harnstoff-Moleküle spiralförmig um das n-Alkan, so daß die Kohlenwasserstoff-Moleküle im Kristallgitter in Röhren liegen. Aufgrund ihrer geringen Polarität lösen sich die Alkane gut in allen nicht oder schwach polaren Lösemitteln (Ether, chlorierte Kohlenwasserstoffe wie Chloroform, Benzen). In stark polaren Lösemitteln wie Wasser oder Dimethylsulfoxid sind Alkane kaum löslich, weil sich keine Solvathülle bilden kann. Da Pentan und Hexan nicht mit Wasser mischbar sind und eine wesentlich geringere Dichte besitzen, werden diese Alkane oft zur Extraktion wenig polarer Verbindungen aus wäßrigen Lösungen benutzt.
2.3 Molekülbau Im Molekülorbital-Modell entstehen die CH-Bindungen der Alkane durch Überlappung der sp3Hybrid-Orbitale des C-Atoms mit den s-Orbitalen des H-Atoms (s-sp3-σ-Orbital, Kap. 1.7.1); die CC-Einfachbindungen bilden sich durch Endüberlappung zweier von beiden Bindungspartnern ausgehenden sp3-Hybrid-Orbitale (sp3-sp3-σ-Molekül-Orbital). Der sp3-Interorbitalwinkel von 109°28' erklärt die tetraedrische Bindungsgeometrie des C-Atoms in den Alkanen. Da Alkane nur CC- und CH-Bindungen enthalten, sind die Bindungswinkel und Atomabstände aller Alkane nahezu identisch. Der CH-Atomabstand ist im Methan 109 pm, in allen anderen Alkanen meist 110 pm. Die CC-Bindungslänge aller Alkane beträgt 154 pm und gleicht damit dem Abstand der C-Atome im Kristallgitter des Diamants. Die HCH-, CCH- und CCC-Bindungswinkel zeigen nur geringe Abweichungen vom Tetraederwinkel 109°28', wenn VAN-DER-WAALSAbstoßungen zwischen benachbarten Atomen wirken. So ist im Propan der CCC-Bindungswinkel auf 112° gespreizt und der HCH-Bindungswinkel am mittleren C-Atom auf 106° komprimiert.
2.4 Konformation Die "freie Drehbarkeit" von CC-Einfachbindungen läßt zunächst beliebig viele räumliche Anordnungen der Atome oder Alkyl-Gruppen eines Alkans zu. Physikalische Messungen zeigen jedoch, daß es energieärmere und energiereichere Atomanordnungen gibt. Der Begriff Konformation faßt alle durch Drehung (Rotation, Torsion) um Einfachbindungen realisierbaren Atomanordnungen einer Verbindung zusammen. Eine diskrete Atomanordnung wird als Konformer oder Rotamer bezeichnet. Zum Zeichnen von Konformeren eignen sich die Keilstrich-, die Sägebock- (seitlicher Anblick) und am besten die NEWMAN-Projektion (frontaler Anblick).
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2.4 Konformation
31
CH 3 H H
H CH 3
H H
C C
CH3
H
H
H
H
H Keilstrich-
H
H
H
H
H
Sägebock-
NEWMANProjektion
Ethan kann zwei Konformere bilden, in denen die CH-Bindungen der beiden Methyl-Gruppen verdeckt (ekliptisch) bzw. gestaffelt (auf Lücke stehend) vorliegen. Die NEWMAN-Projektionen zeigen deutlich, daß der Interplanarwinkel, den die CH-Bindungen an benachbarten C-Atomen einschließen, bei gestaffelter Anordnung 60°, bei ekliptischer dagegen 0° beträgt. HH
H
H
H
HH
ekliptisch, vedeckt (eclipsed) mit viel Torsionsspannung labil
H
H
H
H
H gestaffelt, auf Lücke (staggered) ohne Torsionsspannung stabil
Das ekliptische Konformer „leidet“ wegen der VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung der H-Atome unter einer hohen Torsionsspannung, ist energiereicher und damit labiler als das gestaffelte Konformer ohne diese Torsionsspannung. So gesehen sind Konformere die Rotations-Energiezustände der Alkane. Rotieren die Methyl-Gruppen um die mittlere CC-Bindung aus der energieärmeren spannungsfreien, gestaffelten über eine teilweise verdeckte in die energiereichere ekliptische Anordnung, so muß ein bestimmter Energiebetrag − die Rotationsbarriere − aufgewendet werden, z. B. durch Übertragung kinetischer Energie beim Zusammenstoß mit anderen Molekülen. Die innere Beweglichkeit eines Moleküls infolge der Rotation um Einfachbindungen hängt von der Temperatur, also von der äußeren Moleküldynamik ab. Bei sehr tiefer Temperatur werden die meisten Ethan-Moleküle im Zeitmittel gestaffelt vorliegen. Steigt die Temperatur, so wird die Zahl der Zusammenstöße mit Molekülen genügend hoher kinetischer Energie zunehmen, und die Methyl-Gruppen des Ethans werden durch gestaffelte, windschiefe und ekliptische Konformere rotieren. Wegen der relativ kleinen Rotationsbarrieren (12 kJ/mol) herrscht um die CC-Bindung des Ethans bei Raumtemperatur praktisch freie Drehbarkeit. Stehen größere Gruppen anstelle der H-Atome des Ethans, so erhöht sich die Rotationsbarriere. So bevorzugen 60 % der Butan-Moleküle bei Raumtemperatur das gestaffelte Konformer, in dem die beiden Methyl-Gruppen anti zueinander stehen (Abb. 2.4). Die restlichen Moleküle konzentrieren sich auf teilweise verdeckte und gestaffelte Konformationen, die vor allem aufgrund von VANDER-WAALS-Abstoßungen (sterische Wechselwirkung) eine höhere potentielle Energie besitzen. Abb. 2.4 illustriert dies und erläutert die Bezeichnung der Butan-Konformeren nach der KLYNEPRELOG-Konvention. Die Population der Konformeren hängt im übrigen von der Temperatur ab und folgt einer MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung.
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32
2 Alkane
Die Rotationsbarrieren der n-Alkane (Abb. 2.4) liegen weit unter den für eine Konformerentrennung erforderlichen 85-125 kJ/mol. Im Gegensatz zu Konstitutionsisomeren (z. B. n-Butan und Methylpropan) sind die Konformeren der Alkane (anti- und syn-Butan) nicht isolierbar, sondern nur bei tieferen Temperaturen spektroskopisch nachweisbar. R
RR H
RH
R
R
H
Konformer H
HH
H
H
H
H
RH
H
Epot [kJ/mol]
ϕ = 0°
60°
H
H
H
Interplanarwinkel
RH
R
H
R R
HH
H
R
120°
RR H
H
H
H
HH
H
H
180°
240°
300°
360°
14.3
27.7
3.8 deutsche Bezeichnung
ekliptisch
gestaffelt
teilweise ekliptisch
gestaffelt (anti)
teilweise ekliptisch
gestaffelt
ekliptisch
englische Bezeichnung
fully eclipsed
gauche (skew)
partially eclipsed
fully staggered
partially eclipsed
partially eclipsed
fully eclipsed
+ − synperiplanar + − sp
+ synclinal + sc
+ − antiperiplanar + − ap
− anticlinal − ac
− synclinal − sc
KLYNEPRELOGAbkürzung
+ anticlinal + ac
+ − synperiplanar + − sp
Abb. 2.4. Potentielle Energie und Bezeichnung der Konformeren des n-Butans (R = CH3), die bei Drehung um die C-2−C-3-Bindung entstehen
Längerkettige n-Alkane und ihre Derivate, z. B. die Fettsäuren, sind wegen der Ausbildung geordneter Strukturen im flüssigen und festen Zustand weniger beweglich. Stärkere VAN-DERWAALS-Kräfte führen hier zur Bildung quasi-kristalliner Bezirke, was nicht nur für die Eigenschaften von Schmierölen und Fetten, sondern auch bei der Bildung von Zellmembranen von Bedeutung ist (Kap. 42).
2.5 Industrielle Gewinnung der Alkane 2.5.1
Alkane aus Erdgas, Erdöl und Kohle
Erdgas, Erdöl und Kohle sind neben ihrer Funktion als fossile Energieträger auch die wichtigsten Rohstoffe der industriellen organischen Chemie. Die riesigen Vorkommen entstanden durch anaerobe Zersetzung von Mikroorganismen (Plankton), Pflanzen und Tieren in Seen und Meeren vor über 100 Millionen Jahren. Auf Kohlebasis können Alkane durch katalytische Hochdruck-Hydrierung von Braunkohle ("Kohleverflüssigung", BERGIUS-Verfahren) sowie durch katalytische Niederdruck-Hydrierung von Kohlenmonoxid (FISCHER-TROPSCH-Verfahren) hergestellt werden. Weiterentwicklungen beider Prozesse sind bei Verteuerung und Verknappung des Rohöls von Bedeutung.
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2.5 Industrielle Gewinnung der Alkane
33
Erdgas und Rohöl besitzen je nach Entstehungsweise der verschiedenen Lagerstätten auch eine verschiedene prozentuale Kohlenwasserstoff-Zusammensetzung. Erdgas enthält vorwiegend die tief siedenden Alkane Methan bis Butan. Petroleum enthält neben den höheren Alkanen auch andere flüssige Kohlenwasserstoffe und wird durch Destillation in mehrere Fraktionen nach Siedebereichen getrennt (Tab. 2.4). Tab. 2.4. Erdöl-Fraktionen (Fraktionen nach Siedebereichen) Fraktion
Siedebereich °C
Kohlenwasserstoffe C n
Verwendung
Gasfraktion
< 40
C1 - C6
Treibstoff, Heizgas
Petrolether
30 - 60
C5 - C6
Lösemittel, Benzin
Ligroin
60 - 100
C6 - C7
Kfz-Benzin
Gasolin
40 - 200
C5 - C10
Kfz-Benzin
Kerosin
180 - 230
C11 - C12
Düsentreibstoff
Gasöl (Heizöl)
230 - 300
C13 - C17
Dieselmotoren, Ölbrenner
Schmieröle
300 - 400
C20 - C30
Schmierstoffe
Paraffinwachs
400 - 500
C20 - C30
Vaseline
Asphalt
Destillations-
Polycyclen
Teer zum Straßenbau
Petrolkoks
rückstände
Kohlenstoff
Brennstoff, Elektroden
Eine weitere Trennung der Erdöl-Fraktionen gelingt durch Feindestillation (engere Siedebereiche) oder andere Trennverfahren (Extraktion, Gas-Chromatographie). Da höhere Alkane zahlreiche Isomere mit sehr ähnlichen Siedepunkten bilden, ist eine isomerenfreie Gewinnung nur bei kurzkettigen Alkanen (C1 - C5) möglich. Langkettige Alkane definierter Konstitution müssen daher mit chemischen Verfahren hergestellt werden.
2.5.2
Treibstoffherstellung
Jede Motorart erfordert zum optimalen Betrieb eine ihren Verbrennungeigenschaften angepaßte Treibstoffsorte. Ein Benzin mit einem hohen Prozentsatz an n-Alkanen kann z. B. nicht in hochverdichtenden Motoren verbrannt werden, da es ein verschleißendes "Klopfen" verursacht. Hochverzweigte niedermolekulare Alkane haben wesentlich günstigere Brenneigenschaften. Die Qualität eines Kraftstoffs wird durch seine Octanzahl charakterisiert. Normsubstanz ist 2,2,4Trimethylpentan ("Isooctan") mit der Octanzahl 100, demgegenüber n-Heptan die Octanzahl 0 aufweist. Die Qualität des Kraftstoffs läßt sich durch Zusatz von Isooctan oder Benzen verbessern (Octanzahlen über 90). "Verbleites Benzin" mit dem giftigen und umweltbelastenden Bleitetraethyl als Antiklopfmittel-Zusatz ist nicht mehr im Handel. Motoren mit Abgas-Entgiftung durch Edelmetall-Katalysatoren (Platin auf Keramik) können nur mit "bleifreiem" Benzin betrieben werden, da Blei-Verbindungen als Katalysatorengifte wirken. Durch fraktionierte Destillation des Rohöls kann nur ein Teil der benötigten Treibstoffe bereitgestellt werden. Daher müssen auch höhersiedende Fraktionen des Erdöls mit langkettigen Kohlenwasserstoffen durch verschiedene Crackverfahren in die als Treibstoffe geeigneteren kürzerkettigen Alkan-Gemische übergeführt werden.
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34
2 Alkane
Beim thermischen Cracken werden die Erdölfraktionen bei 470 - 510 °C und Drücken von 20 - 50 bar erhitzt. Dabei entstehen über freie Radikale als Zwischenstufen aus langkettigen Alkanen kürzerkettige Alkane und Alkene. Bei den katalytischen Crack- und Isomerisierungsverfahren werden die Erdölfraktionen bei Temperaturen zwischen 430 und 500 °C und geringem Druck über Aluminiumsilikate mit Salzen seltener Erdmetalle (Zeolith-Katalysatoren) geleitet. Dabei entstehen Benzine mit einem hohen Anteil an verzweigten Alkanen. Das katalytische Cracken verläuft im Gegensatz zum thermischen über Umlagerungen mit Carbenium-Ionen als reaktiven Zwischenstufen.
2.6 Darstellung von Alkanen 2.6.1
Katalytische Hydrierung der Alkene
Alkene addieren in Gegenwart von Metallkatalysatoren (Ni, Pd, Pt) quantitativ Wasserstoff an ihre CC-Doppelbindung. Dabei addiert das H2-Molekül an eine Seite der CC-Doppelbindung. R
Alken
R
C C H
H
R
R
katalytische Hydrierung
R
R C C R H H
R
Alkan
Katalysator-Oberfläche (Katalysator = Ni , Pd oder Pt)
Die katalytische Hydrierung des 2,3-Dimethyl-2-octens liefert z. B. 2,3-Dimethyloctan: H 3C
CH 3
+ H2
C C H 3C
Ni, Pd oder Pt
CH3 H 3C CH CH CH 2 CH2 CH2 CH 2 CH 3
CH 2 CH2 CH2 CH 2 CH 3
CH 3
2,3-Dimethyl-2-octen
2,3-Dimethyloctan
Da es viele Verfahren zur Synthese von Alkenen gibt (Kap. 4.4), ist die katalytische Hydrierung von Alkenen eine präparative Methode zur Darstellung von Alkanen.
2.6.2
Reduktion von Halogenalkanen
Die durch Additions- und Substitutions-Reaktionen gut zugänglichen Halogenalkane können unter Ersatz des Halogens durch Wasserstoff zu Alkanen umgesetzt werden. Hydrolyse von GRIGNARD-Verbindungen Halogenalkane R−X (X = Cl, Br, I) reagieren mit Magnesium zu Alkylmagnesiumhalogeniden. Die Kohlenstoff-Magnesium-Bindung dieser GRIGNARD-Verbindungen wird durch Wasser gespalten, wobei das Proton des Wassers an das negativ polarisierte Kohlenstoff-Atom und das Hydroxid-Anion an das positiv polarisierte Magnesium anlagert. R X
+
δ−
δ−
δ++
R Mg X
wasserfreier Ether
Mg +
H2O
R Mg X R H
+
Mg(OH)X
GRIGNARD-Reagenz Hydrolyse
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2.6 Darstellung von Alkanen
35
So ist 3-Methylpentan aus 1-Brom-3-methylpentan über 3-Methylpentylmagnesiumbromid zugänglich: siedender Ether
CH3 H 5C2 CH CH2 CH 2 Br
+
Mg
CH3
H 5C2 CH CH2 CH 3
− Mg ++ − − OH −
3-Methylpentylmagnesiumbromid
1-Brom-3-methylpentan
CH 3
+ H 2O
H5C2 CH CH2 CH2 Mg Br
3-Methylpentan
− Br
Reduktion von Halogenalkanen durch Zink und Säure Metallisches Zink (Zinkstaub) und Mineralsäuren reduzieren Halogenalkane zu Alkanen: 2R X
+
2 Zn
+
2 HY
2R H
+
ZnX 2
+
ZnY 2
3-Brom-2-methylpentan wird auf diese Weise zu 2-Methylpentan reduziert: CH 3 2 H 3C CH CH CH2 CH 3
+ 2 Zn +
2 HI
CH3
0 °C
2 H3C CH CH 2 CH2 CH3
Br 3-Brom-2-methylpentan
+
ZnBr2
+
ZnI2
2-Methylpentan
Reduktion von Halogenalkanen durch Metallhydride Komplexe Metallhydride wie Lithiumaluminiumhydrid (LiAlH4) oder Natriumborhydrid (NaBH4) reduzieren Halogenalkane in Ether als Lösemittel zu Alkanen. 4R X
+
LiAlH4
4R X
+
NaBH 4
Ether
4R H
+
LiX
+
AlX 3
4R H
+
NaX
+
BX 3
( X = Cl, Br, I )
2-Methyldecan kann demnach aus 1-Brom-2-methyldecan hergestellt werden: CH 3 4 H 3C
(CH2)7
CH CH2 Br
+ LiAlH4
wasserfreier Ether
CH3 4 H 3C (CH2)7 CH CH 3
1-Brom-2-methyldecan
2.6.3
+
LiBr
+
AlBr3
2-Methyldecan
Alkylierung metallorganischer Verbindungen
Metallorganische Verbindungen mit Kohlenstoff-Metall-Bindungen können durch Halogenalkane zu Alkanen alkyliert werden. WURTZ-Synthese Natrium reagiert mit Halogenalkan R−X zunächst zu Alkylnatrium R−Na als Organometallverbindung, die mit einem weiteren Äquivalent Halogenalkan zum symmetrischen Alkan R−R alkyliert wird. R X R Na
+
2 Na + R X
R Na
+
NaX
R R
+
NaX
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36
2 Alkane
Die WURTZ-Synthese des n-Decans gelingt z. B. mit 1-Brompentan: H3C CH 2 CH2 CH 2 CH 2 Br
+
H 3C (CH 2)8 CH 3
2 Na
1-Brompentan
+
2 NaBr
n-Decan
Alkylierung von GRIGNARD-Verbindungen durch Halogenalkane Halogenalkane R−X alkylieren Alkylmagnesiumhalogenide R´−MgX (GRIGNARD-Verbindungen) mit anderem Alkyl-Rest R´ zu unsymmetrischen Alkanen R−R´. R X
+
R´ Mg X
wasserfreier Ether
R R´
+
MgX2
Aus 1-Brom-2-methyldecan als Halogenalkan und Isopropylmagnesiumbromid als GRIGNARDReagenz läßt sich z B. 2,4-Dimethyldodecan darstellen: CH3 H3C (CH2)7 CH CH 2 Br
+ (H3C)2CH Mg Br
CH3 H3C (CH2)7 CH CH2 CH(CH 3)2
Isopropylmagnesiumbromid
1-Brom-2-methyldecan
2.6.4
wasserfreier Ether
+
MgBr2
2,4-Dimethyldodecan
KOLBE-Elektrolyse
Schwieriger zugängliche symmetrische Alkane R−R können durch KOLBE-Elektrolyse der Natrium-, Kalium- oder Calcium-Salze von Carbonsäuren (Kap. 17) mit dem entsprechenden Rest R dargestellt werden. Dabei wird das Carboxylat-Anion zunächst anodisch oxidiert; das entstandene Carboxy-Radikal geht unter Kohlendioxid-Abspaltung (Decarboxylierung) in ein Alkyl-Radikal R. über, das zum Alkan R−R dimerisiert. O 2 R C .. O .. : CarboxylatAnion
Anode (Oxidation) − e0
−
O 2 R C .. O .. CarboxyRadikal
.
Decarboxylierung − 2 CO2
2R
.
AlkylRadikal
Dimerisierung
R R symmetrisches Alkan
2.7 Reaktionen Die "gesättigten" Alkane reagieren selbst bei höheren Temperaturen im Gegensatz zu den "ungesättigten" Alkenen und Alkinen nicht mit konzentrierten Mineralsäuren, Basen, Oxidations- oder Reduktionsmitteln. Die früher wegen ihrer gleichartigen Reaktivität als Paraffine (lat. par affinis = gleich benachbart) bezeichneten Alkane sind wenig reaktive, unpolare, inerte Verbindungen: Typische Alkan-Reaktionen wie die Oxidation und Halogenierung verlaufen bei hohen Temperaturen.
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2.7 Reaktionen
2.7.1
37
Vollständige Oxidation (Verbrennung)
Technisch von Bedeutung ist die Verbrennung der Alkane zur Energiegewinnung. In der Flamme verbrennen Alkane mit Luftsauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser. CH4 2 H 3C CH 3
+ 2 O2 +
7 O2
CO2
+
2 H2O
∆ H = − 883 kJ/mol
4 CO2
+
6 H2O
∆ H = − 1542 kJ/mol
Die exotherme Reaktion liefert eine hohe Reaktionsenthalpie ∆H (Verbrennungswärme). Da das System Energie an die Umgebung abgibt, hat der Betrag von ∆H negatives Vorzeichen. Bei einer endothermen Reaktion nimmt das reagierende System dagegen Energie von der Umgebung auf, so daß ∆H positiv ist. Verbrennungswärmen lassen sich im Kalorimeter messen. Interessant ist ein Vergleich zwischen den Verbrennungswärmen bezogen auf ein mol, ein Gramm, einen Milliliter und den prozentualen Wasserstoffgehalt der n-Alkane nach Tab. 2.5. Tab. 2.5. Vergleich der Verbrennungswärmen ausgewählter n-Alkane Alkan
Formel
kJ / mol
kJ / g
kJ / mL
%H
Methan Ethan Propan Pentan Heptan n-Alkan
CH4 C2H6 C3H8 C5H12 C7H16 H3C−(CH2)n−CH3
883 1542 2204 3510 4814 ---
55 51 50 49 48 47
23 28 29 30 33 35
25.1 20.1 18.3 16.8 16.1 15.6
Die Verbrennungwärme beträgt für Wasserstoff 142 kJ/mol, für Kohlenstoff 34 kJ/mol und 653 kJ/mol pro CH2-Gruppe. Da die Verbrennungswärme vorwiegend aus dem Unterschied der Summe der Bindungsenergien der Edukte und der Produkte herrührt, kann sie aus den bekannten Bindungsenergien der C−H-, O−O-, C=O- und OH-Bindung berechnet werden, wie das Beispiel des Methans zeigt: Reaktionsgleichung Stöchiometrie Energiebilanzen
CH 4 16 g
+ 2 O2 64 g
CO2 44 g
+
2 H 2O 36 g
Energiezufuhr durch Edukte (Dissoziation von Bindungen)
Energiefreisetzung durch Produkte (Bildung von Bindungen)
∆ H positiv 4 x 413 (C−H) = + 1652 kJ/mol 2 x 498 (O−O) = + 996 kJ/mol
∆ H negativ 2 x 803 (C=O) = − 1606 kJ/mol 4 x 463 (O−H) = − 1852 kJ/mol
Somit ergibt sich für die aus den Bindungsenergien berechnete Verbrennungswärme zu ∆Hber. = 1652 + 996 − 1606 − 1852 = − 810 kJ / mol Methan im Vergeich zum kalorimetrisch bestimmten Wert ∆Hexp. = − 883 kJ / mol. Der Mechanismus einer Verbrennung, ihr molekularer Ablauf, ist nicht genau geklärt. Bekannt ist, daß die Verbrennung der Alkane gezündet werden muß, z. B. durch eine Flamme oder einen Funken; bei Raumtemperatur und Normaldruck reagiert eine an sich verbrennungsfähige Mischung aus Alkan und Sauerstoff nicht.
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38
2 Alkane
Bei der Zündung einer Verbrennung wird Energie zugeführt, welche kovalente Bindungen der Edukte spaltet und so reaktive Partikel erzeugt, die mit den Alkanen Folgereaktionen eingehen. Die Zündungsenergie kann in Form von Hitze zugeführt werden. Bei der Zündungstemperatur (Flammpunkt) ist die kinetische Energie der Reaktanten so hoch, daß manche Zusammenstöße zur Bindungsspaltung und Erzeugung reaktiver ungesättigter Partikel führen. Im Falle der Verbrennung handelt es sich dabei um Radikale (Alkyl-Radikale R. , Alkoxy-Radikale R−O . u. a.). Diese Radikale können bei Zusammenstößen mit Alkan- und Sauerstoff-Molekülen neue Bindungen knüpfen und gleichzeitig neue Radikale erzeugen. Jede Neuknüpfung von Bindungen führt zur Energieabgabe in Form von kinetischer Energie oder Licht. Bei der insgesamt exotherm verlaufenden Verbrennung wird mehr Energie abgegeben als verbraucht. Die Hitzeentwicklung führt zu Zusammenstößen genügend hoher Energie, so daß weitere Reaktionen ausgelöst werden. Nach der Zündung und einer kurzen Induktionsperiode laufen die Reaktionen also autokatalytisch ab. Man spricht von einer Kettenreaktion. Kettenreaktionen sind typisch für Alkane.
2.7.2
Partielle Oxidation
Durch unvollständige Oxidation des Methans (Erdgas) mit Luft werden unter kontrollierten Reaktionsbedingungen Ethin, Wasserstoff und Kohlenmonoxid hergestellt. Diese drei Gase werden industriell in großen Mengen verarbeitet. Wasserstoff und Kohlenmonoxid, das "Synthesegas" mit hohem H2-Anteil, bilden sich auch durch katalytische Oxidation des Methans durch Wasser. 6 CH 4 CH4
2.7.3
1500 °C
+ O2 + H 2O
850 °C, Ni-Katalyse
2H C C H 3 H2
+
+
10 H 2
+
2 CO
CO
Autoxidation
Verzweigte Alkane mit tertiären C-Atomen (R3CH) reagieren in Gegenwart von Schwermetallspuren, Bromwassertoff oder bei leicht erhöhter Temperatur mit Luftsauerstoff, der als Biradikal (Triplett-Sauerstoff) vorliegt und sich zwischen die CH-Bindung schiebt. Bei dieser Autoxidation entstehen hochreaktive, teils explosive Alkylhydroperoxide. CH3 H3C C H CH3
+
O2 (Luf t)
140 °C
CH 3
O H H 3C C O CH 3 t-Butylhydroperoxid
n-Alkane neigen kaum zur Autoxidation. Bei verzweigten Alkanen kann die Autoxidation durch Zusatz von Antioxidantien (Inhibitoren) verhindert werden. Antioxidantien fangen die intermediär bei der Autoxidation entstehenden reaktiven Radikale ab. Bekannte Antioxidantien sind z. B. Iodwassertoff, Phenole, aromatische Amine und Organoschwefel-Verbindungen.
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2.7 Reaktionen
2.7.4
39
Photohalogenierung
Selbst gegenüber den reaktiven Halogenen Cl2 und Br2 sind die Alkane im Dunkeln und bei Raumtemperatur inert. Sobald jedoch eine Alkan-Halogen-Mischung entweder mit Licht bestrahlt (Photohalogenierung) oder über 300 °C erhitzt (Gasphasenhalogenierung) oder mit Peroxiden versetzt wird, setzt eine stark exotherme Reaktion ein, wobei ein H (oder mehrere H) des Alkans durch Halogen substituiert wird (Substitution). Dabei entsteht ein Halogenalkan (Alkylhalogenid)) und Halogenwasserstoff, z. B. Brommethan (Methylbromid) aus Methan und Brom: Licht, Hitze oder Peroxide
H H C H
+
Br
H H C Br
Br
+
H
Br
H Brommethan
H
Bei genügend großem Überschuß an Halogen führt die Reaktion nicht nur zur Monosubstitution; durch Polyhalogenierung können im Prinzip alle H-Atome eines Alkans durch Halogen ersetzt werden. So liefert die Photochlorierung des Methans ein Gemisch aus Monochlormethan (CH3Cl, Methylchlorid), Dichlormethan (CH2Cl2, Methylenchlorid), Trichlormethan (CHCl3, Chloroform) und Tetrachlormethan (CCl4, Tetrachlorkohlenstoff). Diese zu den Chloralkanen oder Chlorkohlenwasserstoffen (CKWs) gehörenden Verbindungen werden als vorzügliche − leider auch biologisch schlecht abbaubare und daher vorschriftsmäßig zu entsorgende − Lösemittel verwendet. ∆H [kJ/mol] CH4
+
Cl2
CH3Cl Chlormethan
+
HCl
− 104
CH3Cl
+
Cl2
CH2Cl2 + Dichlormethan
HCl
− 103
CH 2Cl2
+
Cl2
CHCl3 + Trichlormethan
HCl
− 99
CHCl3
+
Cl2
CCl4 + Tetrachlormethan
HCl
− 94
Probleme bei der industriellen Gasphasenchlorierung sind der enge Bereich zwischen Anspringund Zersetzungstemperatur sowie die hohe molare Reaktionswärme ∆H je Chlorierungsstufe. Ferner erfordert der entstehende Chlorwasserstoff (Salzsäure) korrosionsbeständige Werkstoffe. Die Zusammensetzung des Produktgemisches kann durch das Verhältnis der Edukte (Halogen : Alkan) und die Reaktionsdauer gesteuert werden. Beim Eduktverhältnis CH4 : Cl2 = 1 : 1 führt die Gasphasenchlorierung bei 400 °C zur einer Produktzusammensetzung von CH3Cl 37, CH2Cl2 41, CHCl3 19 und CCl4 3 mol%. l2 Überschüssiges Halogen begünstigt die Bildung von Polyhalogenalkanen; kurze Reaktionszeiten favorisieren dagegen die Monosubstitution, da sich zu Beginn der Reaktion viele Alkan- und wenige Halogenalkan-Moleküle im Reaktionsraum befinden. Die Reaktivität der vier Halogene nimmt vom Fluor zum Iod deutlich ab: F2 >> heftige Reaktion
Cl2
> Br2
steuerbare Reaktion
>>
I2 keine Reaktion
Elementares Fluor reagiert mit Alkanen extrem heftig unter Perfluorierung und unkontrollierbarer Bildung von Molekülfragmenten. Verdünnung des Alkan-Fluor-Gemisches mit Stickstoff, niedere
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40
2 Alkane
Fluorkonzentrationen, niedere Drücke und tiefere Temperaturen bewirken eine bessere Kontrolle der Reaktion. Die Chlorierung eines Alkans verläuft meist unproblematisch und gut steuerbar; Bromierungen erfordern drastischere Bedingungen. Iod reagiert nicht direkt mit Alkanen; Iodalkane sind nur durch Umwandlung der funktionellen Gruppen anderer Alkan-Derivate zugänglich. Der Mechanismus einer Photohalogenierung ist eine typische Kettenreaktion (Kap. 3.1). Die Photodissoziation eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Atome (Halogen-Radikale) löst eine Folge von Reaktionen aus, bei denen die reaktionsträgen Alkane über Alkyl-Radikale (R. , daher radikalische Substitution) zu den Produkten Chlorwasserstoff und Halogenalkan abreagieren. Die Chlorierung empfindlicherer Alkane gelingt mit Hilfe von Sulfurylchlorid, SO2Cl2. Auch diese bei moderaten Temperaturen ablaufende Reaktion ist eine radikalische Substitution, welche durch Licht oder Peroxide gestartet wird (Kap. 3.6). O
R H
+
R
hν oder R O 40 - 80 °C
SO2Cl2
R Cl
+
SO2
+
HCl
Ein neueres Verfahren der Oxychlorierung von Alkanen vermeidet die Bildung von Chlorwasserstoff und entsorgt ihn stattdessen. Dabei dient eine Salzschmelze aus Kupfer(II)- und Kaliumchlorid als Chlorlieferant der Alkanchlorierung und als Katalysator zur Regeneration der Schmelze (Oxychlorierung von HCl in der Schmelze durch Luftsauerstoff).
2.7.5
Photosulfochlorierung
In Gegenwart von Basen reagieren Alkane mit Sulfurylchlorid oder einer Mischung aus Schwefeldioxid und Chlor zu Alkansulfonsäurechloriden (Alkylsulfonylchloriden). Die Hydrolyse von Alkylsulfonylchloriden führt zu Alkansulfonsäuren. Langkettige Alkansulfonsäuren sind bedeutende Detergentien. R H
+
SO2
+
Cl2
hν / Base
O R S Cl
+
HCl
O Alkansulfonsäurechlorid
2.7.6
Nitrierung von Alkanen
Die Nitrierung von Alkanen bei höheren Temperaturen mit Salpetersäure oder Distickstofftetroxid führt zu Nitroalkanen (z. B. CH3−NO2, Nitromethan), die als Lösemittel, Zwischenprodukte und Sprengstoffe Verwendung finden. > 400 °C
R H
+
HNO3
R NO2
+
H 2O
Nitroalkan
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3.1 Mechanismus der Chlorierung des Methans
41
3 Radikalische Substitution Eine Reaktionsgleichung beschreibt, welche Produkte (rechts vom Pfeil) aus welchen Edukten (Reaktanden, links vom Pfeil) in welchen stöchiometrischen Verhältnissen entstehen. Diese "Bruttogleichung" gibt keinerlei Aufschluß über den Reaktionsmechanismus. Der Reaktionsmechanismus ist der tatsächliche molekulare Ablauf einer Reaktion von den Edukten über reaktive Zwischenstufen zu den Produkten. Die grundlegenden Reaktionen der organischen Chemie verlaufen nach relativ wenigen, für bestimmte Stoffklassen typischen Mechanismen. Für Alkane typisch ist z. B. die radikalische Substitution (Kürzel SR, S für Substitution, R für radikalisch) deren Mechanismus und Merkmale anhand der Halogenierung des Methans und anderer Alkane im folgenden behandelt werden.
3.1 Mechanismus der Chlorierung des Methans Die in der Gasphase durchgeführte Chlorierung des Methans verläuft über kurzlebige Radikale als reaktive Zwischenstufen. Radikale sind Atome oder Gruppen mit ungepaarten Elektronen, die durch ihren Paramagnetismus nachweisbar sind. Die stöchiometrische Bruttogleichung der Chlorierung des Methans beschreibt zunächst nur, daß aus Methan und Chlor (1 : 1) Chlormethan und Chlorwasserstoff (1 : 1) entstehen. CH 4
+
hν
Cl2
CH3Cl + Chlormethan
HCl
Tatsächlich ist die Chlorierung des Methans ein Zusammenwirken dreier Teilreaktionen, der Startreaktion, den Kettenreaktionen und den Abbruchreaktionen. Startreaktion: Ein Chlor-Molekül spaltet photolytisch oder thermisch in zwei Chlor-Radikale (= Chlor-Atome, Homolyse der Chlor-Chlor-Bindung, Photodissoziation). hν oder hohe Temperatur
Cl2
2 Cl
Die hochreaktiven Cl-Atome (Cl-Radikale, Cl.) lösen eine Folge von zwei Kettenreaktionen aus. Kettenreaktionsschritt 1: Ein Chlor-Atom und ein Methan-Molekül reagieren zu einem Chlorwasserstoff-Molekül und einem Methyl-Radikal. Cl
+
CH4
HCl
+
CH3
Kettenreaktionsschritt 2: Das Methyl-Radikal reagiert mit einem Chlor-Molekül; es entstehen Chlormethan und ein neues Chlor-Atom (Radikal). CH 3
+
Cl2
CH3Cl
+
Cl
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3 Radikalische Substitution
Das in Schritt 2 erzeugte Chlor-Atom reagiert mit einem neuen Methan-Molekül nach Schritt 1 zu Chlorwasserstoff und einem weiteren Methyl-Radikal, das in Schritt 2 erneut Chlormethan und ein Chlor-Atom erzeugt und so die Reaktionskette fortsetzt. Die Spaltung eines einzigen ChlorMoleküls durch ein Lichtquant löst demnach eine Folge von Reaktionen aus (Kettenreaktion). Jeder Kettenreaktionsschritt erzeugt außer einem Produkt (HCl, CH3Cl) ein neues reaktives Radikal (. Cl, . CH3). Unter günstigen Bedingungen kann ein Lichtquant einige tausend Reaktionsfolgen 1 und 2 auslösen. Die Photochlorierung verläuft dann mit einer hohen Quantenausbeute, da ein Lichtquant die Bildung von sehr vielen Chlormethan-Molekülen einleiten kann. Bei kontinuierlicher Prozeßführung (Durchflußreaktoren) und genügend großen Mengen an Edukten kann die Reaktion beliebig lange in Gang gehalten werden. Start und Kette werden besonders prägnant durch das folgende Schema zusammengefaßt: Edukte
Cl2
CH 4
intermediäre Radikale
Cl2
Cl
CH 4 Cl
CH 3
Produkte
Cl2
HCl
CH3
CH3Cl
Cl
HCl
CH3Cl
Jede Reaktionskette endet jedoch irgendwann infolge einer radikalvernichtenden KettenabbruchReaktion, z. B. durch Rekombination, Adsorption, Disproportionierung von Radikalen oder durch Bildung weniger reaktiver Radikale. Rekombination von Radikalen Cl
+
Cl
Cl2
H 3C
+
CH 3
H3C
H 3C CH 3
+
Cl
H3C Cl
Adsorption von Radikalen an der Gefäßwand R
R adsorbiert
Disproportionierung höherer Alkyl-Radikale C2H 5
+
C 2H5
H 3C CH 3
Ethyl-Radikale
+
H2C=CH2
Ethan
Ethen
Reaktionen mit S-Verbindungen (Radikalfänger) unter Bildung wenig reaktiver Radikale R
+
R*SH
RH
+
R*S
Auch nicht produktive Zusammenstöße, bei denen lediglich kinetische in Schwingungs- und Rotationsenergie umgesetzt wird, bremsen die Reaktionsfolge. Nicht produktiv sind ferner Austauschreaktionen, bei denen sich die Edukte zurückbilden: Cl*
+
Cl2
Cl*Cl
+
Cl
CH3*
+
CH4
CH 4*
+
CH 3
Zwar sind alle Einzelschritte exotherm, so daß Wärme frei wird; jedoch müssen die Ansätze der Photochlorierung und Photobromierung ständig belichtet oder erhitzt werden, um gute Ausbeuten
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3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung
43
nach kurzen Reaktionszeiten zu erzielen. Photohalogenierungen können durch Strahlungsintensität und Temperatur sowie durch Inhibitoren geregelt werden. Inhibitoren wie SchwefelVerbindungen, Stickstoffmonoxid, Iod oder der als Biradikal vorliegende Sauerstoff reagieren mit Alkyl-Radikalen zu weniger reaktionsfähigen Radikalen (im Fall von O2 zu AlkylperoxyRadikalen). Auch sie führen zum Kettenabbruch und leiten kurz nach ihrem Zusatz eine Inhibierungsperiode ein, die mit fortschreitendem Abreagieren des Inhibitors abklingt (Abb. 3.1). CH 3
+
O CH3 O Methylperoxy-Radikal
_ _ O _ O _
O2 - Zusatz
% Ausbeute an Chlormethan
Inhibierungsperiode
Zeit
Abb. 3.1. Inhibierung bei Radikal-Reaktionen
3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung 3.2.1
Aktivierungsenergie und Reaktionswärme
Bei energetischen Betrachtungen chemischer Reaktionen ist stets von Reaktionswärme und Aktivierungsenergie die Rede. Die Reaktionswärme ∆H ist der Energieunterschied in kJ/mol zwischen den Energieinhalten der Edukte (Reaktanten) und der Produkte; im Energiediagramm entspricht ∆H dem Unterschied zwischen zwei Energieminima. Die Aktivierungsenergie ∆ΕΑ ist der Energieunterschied in kJ/mol zwischen den Energieinhalten der Edukte (Minimum an potentieller Energie) und einem nach Zusammenstoß der Reaktanten gebildeten Übergangszustand (Maximum an potentieller Energie). ∆ΕΑ ist temperaturabhängig. Bei einer exothermen Reaktion gilt: Epot (Edukte)
> Epot (Produkte) , ∆H negativ
Bei einer endothermen Reaktion gilt umgekehrt: Epot (Edukte)
3.2.2
< Epot (Produkte) , ∆H positiv und ∆H < ∆EA
Startreaktion
Die homolytische Spaltung eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Atome erfordert die Dissoziationsenergie ∆Η der Halogen-Halogen-Bindung. Die Startreaktion ist also endotherm, und die zur Homolyse erforderliche Energie wird durch Bestrahlung (Energie der Photonen) oder Erhitzen (thermische Energie) aufgebracht. ∆Η aller Halogen-Bindungen liegt über 125 kJ/mol (Abb. 3.2).
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44
3 Radikalische Substitution
Daher können bei Temperaturen unter 100 °C infolge unzureichender kinetischer Energie keine Halogen-Radikale erzeugt werden. Eine Kettenstart-Reaktion ist im Dunkeln und bei Raumtemperatur nur über spezielle Ketten-Initiatoren erreichbar. Im Falle einer Homolyse ist die endotherme (positive) Reaktionswärme ∆ΗΑ identisch mit der Bindungsdissoziationsenergie ∆Η und zugleich Aktivierungsenergie ∆ΕΑ. Die Rekombination 2X. zu X2 erfordert keine Aktivierungsenergie und verläuft exotherm (∆Η negativ, ∆ΕΑ = 0, Abb. 3.2). Die individuellen Bindungsdissoziationsenergien ∆Η der Halogene erklären keineswegs die sehr unterschiedlichen Reaktivitäten (F2 >> Cl2 > Br2 >> I2). Trotz relativ ähnlicher ∆Η-Werte ist Fluor extrem reaktiver als Iod. Epot
∆H F−F ∆H Cl−Cl ∆H Br−Br ∆H I−I
2X
= 155 kJ / mol = 243 kJ / mol = 193 kJ / mol
X2
∆H = ∆EA
2X
= 151 kJ / mol
X X Reaktionskoordinate
Abb. 3.2. Radikalische Halogenierung des Methans: Energiediagramm der Startreaktion
3.2.3
Übergangszustände der Kettenreaktionsschritte
Im Kettenreaktionsschritt 1 der Photochlorierung des Methans Cl
+
CH4
HCl
+
CH3
müssen die beiden Reaktanten Methan und Chlor-Atom mit genügend großer kinetischer Energie zusammenstoßen, um die VAN-DER-WAALS-Abstoßungskräfte zwischen ihren Elektronenhüllen zu überwinden. Es liegt also eine Energiebarriere zwischen den Edukten und Produkten dieser Teilreaktion. Diese Aktivierungsenergie ∆ΕΑ ist für Schritt 1 mit 17 kJ/mol relativ klein (Abb. 3.3 a). Die Kollision führt zu einem instabilen, nicht isolierbaren Übergangszustand (Übergangskomplex), in dem eine CH-Bindung des Methans gerade gespalten, während eine H−Cl-Bindung gerade geknüpft wird. Der Übergangszustand ist labil, erscheint daher im Energiediagramm (Abb 3.3 a) auf einem Maximum. H H
H C
H
H Methan mit sp3-hybridisiertem C-Atom
+
Cl
H
H
H
C H Cl
C
H
H
sp2-Übergangszustand mit nicht lokalisiertem ungepaartem Elektron
+
HCl
Methyl-Radikal mit sp2-hybridisiertem C-Atom und einfach besetztem p-Orbital
Zerfällt der Übergangszustand in die Produkte Methyl-Radikal und Chlorwasserstoff, so war der Zusammenstoß produktiv; zerfällt er vor Erreichen des Maximums wieder in die Edukte, so war die kinetische Energie der Kollision nicht ausreichend, der Stoß war unproduktiv.
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3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung
45
Abb. 3.3 a zeigt, daß Kettenreaktionsschritt 1 mit ∆Η = − 4 kJ/mol exotherm ist, d. h. die Produkte energieärmer (thermodynamisch stabiler) sind als die Edukte. Daraus folgt auch, daß die Rückreaktion eine größere Aktivierungsenergie (21 kJ/mol) erfordert als die Hinreaktion (17 kJ/mol). Ferner ist die Rückreaktion mit ∆Η = + 4 kJ/mol endotherm. Das Reaktionsgleichgewicht des Schrittes 1 liegt also auf der Produkt-Seite. Für Kettenreaktionsschritt 2 ergibt sich das Energiediagramm (Abb. 3.3 b) aus dem Energiebedarf für die Cl2-Dissoziation, der Energiefreisetzung durch die Bildung des Chlormethans und einer Aktivierungsenergie von ∆ΕΑ2 = 4.2 kJ/mol. H
H
H +
C
Cl
Cl
H
H H
C Cl Cl H
H sp2, planar
sp2 / sp3 -Übergangszustand mit nicht lokalisiertem ungepaartem Elektron
H3C
+
Cl2
C
Cl
+
Cl
H sp3, tetraedrisch
CH3Cl
+
Cl
Energieverbrauch: ∆H = 243 kJ/mol Energiefreisetzung: ∆H = − 339 kJ/mol Reaktionswärme: ∆H = − 96 kJ/mol
Epot Epot
[ H 3C H Cl ]
Übergangszustand
[ H 3C Cl
Cl ] Übergangszustand
∆EA2
H3C + Cl2 Edukte
∆EA1 = 17 kJ / mol
~ ~
∆H2 = − 96 kJ / mol
CH4 + Cl Edukte
∆H1 = − 4 kJ / mol
CH3 + HCl Produkte
Reaktionskoordinate
(a) Kettenreaktionsschritt 1
H 3C Cl + Cl Produkte
Reaktionskoordinate
(b) Kettenreaktionsschritt 2
Abb. 3.3. Radikalische Chlorierung des Methans: Energiediagramme der Kettenreaktionsschritte 1 und 2 (a) und (b)
Nach Kenntnis aller Teilschritte (Startreaktion und Kettenreaktionen 1 und 2) läßt sich in Abb. 3.4 (S. 46) das Energiediagramm der Gesamtreaktion zusammenfassend darstellen. Man sieht, daß die Startreaktion einen hohen Energiebetrag erfordert, während die Folgeraktionen 1 und 2 in der Kette nur einer geringen Aktivierung bedürfen. Rückreaktionen sind unwahrscheinlich angesichts ungünstig hoher Aktivierungenergien. Die meisten Kettenabbruch-Reaktionen (S. 42) verlaufen indessen sehr leicht, da Kombinationen von Radikalen zu Molekülen nahezu keine Aktivierungsenergie erfordern.
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46
3 Radikalische Substitution
Epot
Cl2
Cl
+ CH4 − HCl
CH3
+ Cl2 − CH3Cl
Cl
∆EA1
∆EA2
∆H1
~ ~
∆H = ∆EA
Startreaktion
Kettenreaktion 1
∆H2
~ ~
Kettenreaktion 2 Reaktionskoordinate
Abb. 3.4. Radikalische Chlorierung des Methans: Energiediagramm der Gesamtreaktion
3.3 Reaktionsgeschwindigkeit 3.3.1
Äußere Einflüsse
Makroskopisch und praktisch ist die Reaktionsgeschwindigkeit die pro Zeiteinheit erzeugte Produktmenge (mol/s). In der Stoßtheorie wird die Reaktionsgeschwindigkeit als die Anzahl produktiver Zusammenstöße pro Zeiteinheit definiert. Sie ist das Produkt dreier Faktoren, deren Größe von den Reaktionsbedingungen, dem Reaktionstyp und der Konstitution der Edukte abhängt: Reaktionsgeschwindigkeit = Energiefaktor x Stoßhäufigkeit x Orientierungsfaktor
Der Energiefaktor wird durch die Reaktionstemperatur sowie die Aktivierungsenergie beeinflußt; er gibt den Bruchteil der Stöße mit genügend hoher Energie. Im Reaktionsgefäß bewegen sich Atome und Moleküle mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Bei jeder Temperatur T1 stellt sich eine mittlere Verteilung der Teilchengeschwindigkeiten ein (MAXWELL-Geschwindigkeitsverteilung, Abb. 3.5). Bei höherer Temperatur T2 findet man eine breitere Streuung der Geschwindigkeiten. Da nur solche Teilchen reagieren, die mindestens eine Energie der Größenordnung von ∆ΕΑ besitzen, erhöht sich die Anzahl produktiver Stöße und damit die Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k ist nach der ARRHENIUS-Gleichung (lg k = A − B/T) eine Funktion des Druckes und der Temperatur. Eine Zunahme der Temperatur um 10 °C steigert
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3.3 Reaktionsgeschwindigkeit
47
die Geschwindigkeitskonstante um Faktor 1.3 bis 5. Wegen des exponentiellen Zusammenhangs zwischen der Temperatur, ∆ΕΑ und der Geschwindigkeitskonstanten k = k0 . e− ∆ΕΑ / kT genügen geringe Temperaturänderungen, um die Zahl produktiver Stöße stark an- oder abschwellen zu lassen. ∆NE
T1
Temperatur T2 > T1
N Anzahl der Moleküle mit einer bestimmten kinetischen Energie
T2
∆Ekin < ∆EA
∆ EA
∆Ekin > ∆EA
∆Ekin
Abb. 3.5. MAXWELL-Geschwindigkeitsverteilung
Die Stoßhäufigkeit hängt von der Edukt-Konzentration, der Geschwindigkeit und Größe der Moleküle ab. Große Moleküle stoßen häufiger zusammen als kleine. Nicht jeder Stoß mit genügend großer Energie (Ekin > ∆ΕΑ) führt zur Reaktion. Bei der Methan-Chlorierung muß z. B. das ChlorAtom direkt auf ein H-Atom des Methans treffen, um ein Eintauchen der Orbitale ineinander und damit eine Reaktion zu ermöglichen. H H
C
H
Cl
H produktiver Stoß - günstig zur gerichteten Bildung einer Bindung
H C H
H Cl
H unproduktiver (elastischer) Stoß ungünstige Orientierung
Diese Zusatzbedingung wird als Orientierungs- oder sterischer Faktor bezeichnet. Im Falle höherer Alkane tragen auch zusätzliche Freiheitsgrade der Molekülbewegung (z. B. Rotation um oder Schwingungen von CC-Bindungen) zum sterischen Faktor bei.
3.3.2
Geschwindigkeitsbestimmender Schritt der Photohalogenierung
Im Falle der Photochlorierung des kleinen kugelförmigen Moleküls Methan fallen Stoßzahl und Orientierungsfaktor weniger ins Gewicht als der Energiefaktor. Daraus ergibt sich, daß der geschwindigkeitsbestimmende Schritt (der langsamste) in der Kettenreaktion derjenige mit der höchsten Aktivierungsenergie ∆ΕΑ ist. Obwohl die Startreaktion den höchsten ∆ΕΑ-Wert erfordert, ist sie nicht geschwindigkeitsbestimmend, da in einer Kette von mehreren hundert Folgereaktionen dieser erste Schritt an Bedeutung verliert. Vielmehr ist bei der Photohalogenierung des Methans die Bildung der Methyl-Radikale, also Schritt 1 geschwindigkeitsbestimmend. Schritt 2 verläuft wieder rasch, da die reaktiven Methyl-Radikale mit allen Halogen-Molekülen ohne größere Aktivierungsenergie zu Halogenmethan und Halogen-Atom abreagieren.
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48
3.3.3
3 Radikalische Substitution
Relative Reaktionsgeschwindigkeiten der Photohalogenierung
Die unter identischen Reaktionsbedingungen (Temperatur, Druck, molares Verhältnis der Edukte) ermittelten Energiewerte aller Teilreaktionen der Photohalogenierung des Methans sind in Tab. 3.1 zusammengestellt. Die Aktivierungsenergien der Startreaktionen (∆ΕΑ1) und die Reaktionswärmen ∆Η1,2 zeigen, daß die Reaktivität in der Folge F2 >> Cl2 > Br2 >> I2 abnimmt. Ein Anstieg von ∆ΕΑ1 verzögert ja zusätzlich den geschwindigkeitsbestimmenden Kettenreaktionsschritt 1. Tab. 3.1. Energiebilanzen der Halogenierung von Methan (∆Η und ∆ΕΑ in kJ/mol) Startreaktion X2
2X
∆EA = ∆H Fluorierung Chlorierung Bromierung Iodierung
+ 155 + 243 + 193 + 151
Kettenreaktionsschritt 1 X
+
∆HCH3-H + 427 + 427 + 427 + 427
CH 4
∆HH−X - 566 - 432 - 365 - 297
CH 3
∆EA1 + 4.2 + 16.8 + 75.4 + 129.9
Kettenreaktionsschritt 2 +
HX
CH 3
∆H1
∆HX−X ∆HCH3-X
- 138.3 - 4.2 + 62.9 + 129.9
+ 155 + 243 + 193 + 151
+
X2
- 453 - 339 - 281 - 222
CH 3X
∆EA2 + + + +
4.2 4.2 4.2 4.2
+
∆H2 - 297 - 96 - 88 - 71
X
Reaktionswärme von 1+2
Reaktionsverlauf
∆H1,2 - 436 - 101 - 25 - 59
heftig stark mäßig keine R.
Tatsächlich verläuft die Fluorierung äußerst heftig und stark exotherm. Eine hohe Dissoziationsenergie erschwert zwar den Start der Chlorierung, aber die Kettenlänge ist dafür relativ groß. Bromierungen lassen sich leichter starten, verlaufen aber über kürzere Reaktionsketten. IodAtome lassen sich am leichtesten erzeugen, aber eine Kettenreaktion kommt nicht in Gang.
3.4 Regioselektivität der Monohalogenierung Die Halogenierung höherer unverzweigter oder verzweigter Alkane führt meist zu einem Gemisch isomerer Monohalogenalkane neben Polyhalogenalkanen. Eine quantitative Analyse der Reaktionsprodukte (Tab. 3.2) zeigt, daß die relativen Ausbeuten der isomeren Produkte nicht der statistisch erwarteten Verteilung entspricht, die von einer gleichen Reaktivität aller H-Atome des Alkans gegenüber Halogen ausgehen würde. Bevorzugt sind vielmehr Substitutionen an tertiären und sekundären C-Atomen zu Lasten der Substitution an Methyl-Gruppen. Demnach kann zwar ein Chlor-Atom alle H-Atome eines Alkans mit gleicher Wahrscheinlichkeit treffen; jedoch sind Zusammenstöße mit H am tertiären C produktiver als mit H am sekundären oder primären C. Zusätzlich zum Energiefaktor spielt hier der Orientierungsfaktor eine wesentliche Rolle. Wird bei einer Reaktion wie der Photochlorierung des Butans (Tab. 3.2) von mehreren möglichen konstitutionsisomeren Produkten (1-Chlorbutan und 2-Chlorbutan) ein Isomer begünstigt (2Chlorbutan, Tab. 3.2), so spricht man von Regioselektivität (bevorzugte Orientierung einer Reaktion, lat. regio = Lage, Richtung). Die Regioselektivität kann in Grenzen durch Wahl der Reaktionsbedingungen gesteuert werden. So bewirkt eine durch Erhöhung der Temperatur erzwungene höhere kinetische Energie der Moleküle im Falle der Chlorierung des Butans auch eine größere Zahl produktiver Zusammenstöße mit den Methyl-H-Atomen, so daß mehr 1-Chlorbutan entstehen wird. Grenzen setzt die Reaktivität des Halogens, wie das Beispiel der Halogenierung des Propans klar macht. So verläuft die Fluorierung auch bei tiefen Temperaturen heftig und unselektiv; die Chlorierung ist bei Raumtemperatur schwach selektiv, die Bromierung auch bei höherer Temperatur hochselektiv zugunsten des 2-Halogenpropans. Iod reagiert überhaupt nicht. Daraus ergibt sich
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3.5 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen
49
die Vorhersage, daß große Reaktivität (∆ΕΑ klein) zu geringer, schwache Reaktivität (∆ΕΑ groß) zu großer Selektivität führt. Tab. 3.2. Orientierung der Monosubstitution höherer Alkane und relative Ausbeuten der Isomeren + Cl2
H 3C CH2 CH3
− HCl
H 3C CH2 CH2 CH 3
CH 3
Cl
H3C CH 2 CH 2 CH2 Cl gefunden: erwartet :
+
1° : 2° ~ 6 : 7 1° : 2° ~ 6 : 2
H 3C CH CH2 CH 3 75 % 40 %
25 % 60 %
Cl 36 % 10 %
64 % 90 %
gefunden: erwartet :
1° : 2° ~ 6 : 15 1° : 2° ~ 6 : 4
+ H3C C CH3
H 3C CH CH2 Cl
− HCl
oder
CH 3
CH3
+ Cl2
H3C CH CH 3
H 3C CH CH3 55 % oder 25 % Cl
+ Cl2 − HCl
+
H3C CH 2 CH 2 Cl 45 % gefunden: 75 % erwartet :
oder
1° : 3° ~ 9 : 5 1° : 3° ~ 9 : 1
3.5 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen 3.5.1
Relative Stabilität und Energiegehalt
Ein Vergleich der Bindungs-Dissoziationsenergien ∆Η zeigt, daß der Energiebedarf zur Homolyse einer CH-Bindung mit zunehmender Alkylierung am C abnimmt: CH3−H 427
>
RCH2−H 406
>
R2CH−H 394
>
R3C−H 381
C−H-Bindung ∆H [kJ/mol]
Folglich bilden sich tertiäre Alkyl-Radikale viel leichter (∆ΕΑ kleiner) als Methyl-Radikale (∆ΕΑ größer). Tertiäre Alkyl-Radikale sind energieärmer und damit stabiler als Methyl-Radikale. Die energiereichen und damit labilen Methyl-Radikale zeigen aber die größte Reaktivität. Insgesamt nimmt mit abnehmender Alkylierung der Radikale die Stabilität ab und die Reaktivität zu. . CH3
12
sehr günstig weniger günstig weniger günstig ungünstig ungünstig ungünstig ungünstig sehr ungünstig
sehr hoch hoch sehr gering sehr gering gering gering hoch gering
mäßig gut gut gut mäßig gering sehr gering gering
klein gewöhnlich
mittel groß
8.6.1
Dreiring-Synthesen
[2+1]-Cycloaddition Die [2+1]-Cycloaddition von in situ erzeugtem Singulett-Carben (Kap. 1.8.3) an eine CCDoppelbindung bewährt sich zur Synthese vieler Cyclopropan-Derivate. Carben-Vorstufen sind Diazomethan (für Carben, :CH2 oder ICH2), Diazoessigester (für :CH−COOR, Alkoxycarbonylcarben) und Chloroform (für :CCl2, Dichlorcarben). Die relative Konfiguration des Alkens (cis-
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8.6
Cycloalkan-Synthesen
109
bzw. trans-) bleibt im Cyclopropan erhalten; aus (Z)- bzw. (E)-Alkenen entstehen cis- bzw. transdisubstituierte Cyclopropane. Die somit stereospezifisch verlaufenden [2+1]-Cycloadditionen mit Carbenen (Kap. 1.8.3) gehören zu den cheletropen Reaktionen, bei denen von einem Atom aus zwei σ-Bindungen zu den Enden einer Doppelbindung oder eines Diens geknüpft (oder gelöst) werden. R
R C C
H
+ H
R
[ ICH2 ] Carben
cis-Alken
R
cis-1,2-Dialkylcyclopropan − N2
ICH 2 N NI Diazomethan
Bicyclo[4.1.0]heptan (Norcaran) läßt sich nach diesem Prinzip aus Cyclohexen und Diiodmethan in Gegenwart von Zink-Kupfer-Pulver aufbauen (SIMMONS-SMITH-Reaktion). Hierbei entsteht die Carben-Zwischenstufe über Iodmethylzinkiodid.
+
Zn / Cu
CH 2I 2
Cyclohexen
CH2I 2 + Zn
I CH2 Zn I
[ ICH2 ]
+ ZnI 2
Iodmethylzinkiodid
Bicyclo[4.1.0]heptan
Das stark gespannte Cyclopropen läßt sich durch [2+1]-Cycloaddition von Carben an Alkine darstellen. R R C C R
+
R
[ ICH2R'2 ] R' R' subst. Cyclopropen
subst. Alkin
Cyclisierung 1,3-bifunktioneller Verbindungen Die reduktive Cyclisierung von 1,3-Dihalogenalkanen mit Zinkstaub führt zu CyclopropanDerivaten (GUSTAFSON-Synthese). Das enstehende Zinksalz läßt sich als Ethylendiamintetraessigsäure-Zink-Chelat (EDTA-Zn) abfangen. Die Synthese des Spiro[2.2]pentans gelingt durch doppelte GUSTAFSON-Synthese. H 2C CH CH2Cl
+ HBr
HOH 2C
C
CH2OH CH2OH
Pentaerythrit
CH2Br
CH2Cl 1-Brom-3-chlorpropan
Allylchlorid
HOH 2C
H2C
PBr 3
BrH 2C BrH 2C
C
+ Zn − ZnBrCl
CH 2Br
+ 2 Zn (EDTA)
CH 2Br
− 2 ZnBr 2
Tetrabromneopentan
Cyclopropan
Spiro[2.2]pentan
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110
8 Cycloalkane
Dreiringe bilden sich auch durch doppelte C-Alkylierung von Malonsäurediethylestern mit 1,2Dihalogenalkanen. Dieses Prinzip ist im Gegensatz zur GUSTAFSON-Synthese auf die Darstellung von Vier-, Fünf- und Sechsringen (aus 1,3-, 1,4- und 1,5-Dihalogenalkanen) übertragbar. Br CH 2 CH 2 Br
+
Na
COOC 2H5 IC H COOC 2H5
− NaBr
COOC2H 5 H 2C C H Br CH COOC2H 5
+ C2H 5ONa
Na _ H 2C C
− C2H 5OH
COOC 2H 5
Br CH2 COOC2H 5
2
− NaBr Decarboxylierung − CO2
CO2H
CO2H
Verseifung − + 2 H2O (OH )
CO2C 2H5
CO2H
− 2 C2H 5OH
CO2C 2H5 Cyclopropan-1,1-dicarbonsäurediethylester
Cyclopropancarbonsäure
8.6.2
Vierring-Synthesen
[2+2]-Cycloaddition Vierringe bilden sich allgemein durch [2+2]-Photocycloaddition von Alkenen (Kap. 4.5.13). Sind die Alkene durch elektronegative Reste (F, CN) substituiert, so gelingt die [2+2]-Cycloaddition auch ohne UV-Bestrahlung in der Hitze. 1,3-Butadien H C CH2 H 2C C H + F 2C CF 2 Tetrafluorethen
Acrylnitril CH CH 2 H F
F F F
1,1,2,2-Tetrafluor3-vinylcyclobutan
CN H2C C H + CN H2C C H
CN
CN H H
H
sowie
CN
CN trans-
H cis-
1,2-Dicyanocyclobutan
Alkylketene dimerisieren spontan durch [2+2]-Cycloaddition zu Cyclobutan-Derivaten. Unsubstituiertes Keten (R = H) cyclodimerisiert unter Beteiligung einer Carbonyl-Gruppe (=C=O) zu dem als Diketen bekannten Oxacyclobutan, einem Konstitutionsisomer des Cyclobutan-1,3-dions. R C C O
R
+
R O C C R Dialkylketen
R
O
R O
R R
Tetraalkylcyclobutan1,3-dion
H 2C C
H2C +
O
CH 2 C
Keten
O
O
O
Diketen
Weitere allgemeine Methoden der Cyclobutan-Synthese sind die doppelte Alkylierung von Malonsäurediestern mit 1,3-Dihalogenalkanen in Analogie zur Cyclopropan-Synthese sowie die Ringerweiterung geeignet substituierter Cyclopropane (Kap. 8.7.2).
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8.6
Cycloalkan-Synthesen
8.6.3
111
Fünfring-Synthesen
Cyclisierung bifunktioneller Verbindungen Die DIECKMANN-Esterkondensation (Kap. 17.11.5) von Hexan-1,6-disäurediester (Adipinsäurediester) in Gegenwart einer starken Base (z. B. Natriumalkoholat) führt zu 2-Alkoxycarbonylcyclopentanon. Aus dieser Schlüsselverbindung können weitere substituierte Cyclopentane dargestellt werden. CH2
CO2C2H 5
C OC H 2 5 O Adipinsäurediethylester
H NaOC2H5
CO2C 2H5
− C2H5OH
O 2-Ethoxycarbonylcyclopentanon
Unter mehreren alternativen Cyclopentan-Synthesen durch Ringschluß bifunktioneller Verbindungen ist die doppelte Alkylierung von Malonsäurediestern mit 1,4-Dihalogenalkanen in Analogie zur Cyclopropan-Synthese (Kap. 8.6.1) von Bedeutung.
Ringerweiterungen, Ringverengungen Cyclopenten-Ringe bilden sich durch thermische Expansion von Vinylcyclopropanen; die Reaktionsbedingungen hängen von den Substituenten ab: LiO 400 °C
Vinylcyclopropan
25 °C
Cyclopenten
2-Vinylcyclopropanolat
LiO
Cyclopenten4-olat
Treibende Kraft ist die Ringspannung des Cyclopropans, wobei sich σ- und π-Bindungen zum weniger gespannten Fünfring reorganisieren (sigmatrope Reaktion). Ringerweiterungen von Cyclobutan-Derivaten (Kap. 8.7.2), Ringverengungen von Cyclohexan-Derivaten (FAVORSKIIUmlagerung, Kap. 26.2.1) sowie die [2+2+1]-Cycloaddition (Kap. 7.5.8) sind weitere Möglichkeiten zur Synthese von Fünfringen.
8.6.4
Sechsring-Synthesen
[4+2]-Cycloaddition Von allen Sechsring-Synthesen ist die [4+2]-Cycloaddition (DIELS-ALDER-Reaktion, Kap. 6.5.4) am vielseitigsten anwendbar. Dabei cycloaddiert ein Alken als Dienophil an ein 1,3-Dien unter Bildung eines Cyclohexens (Addukt). X + 1,3-Dien
X
X oder
Y Dienophil
Y Y Addukt : X,Y-substituiertes Cyclohexen (relative Konfiguration des Dienophils bleibt erhalten)
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112
8 Cycloalkane
Besonders leicht und ergiebig verläuft die [4+2]-Cycloaddition mit Donor-substituierten (elektronenreichen) 1,3-Dienen wie 1-Methoxy-1,3-butadien und Akzeptor-substituierten (elektronenarmen) Dienophilen wie Tetracyanoethen. Andere hochreaktive Dienophile sind Maleinsäureanhydrid, p-Benzochinon, Acetylendicarbonsäurediester und Tetrachlorcyclopropen. O
O H
NC O
H
NC
O
C C
CO2CH 3
CN
p-Benzochinon
Cl
C
CN
Tetracyanoethen
Cl
Cl
CO2CH 3
O
Maleinsäureanhydrid
Cl
C
Acetylendicarbonsäuredimethylester
Tetrachlorcyclopropen
Alternativ gibt es auch DIELS-ALDER Reaktionen mit inversem Elektronenbedarf, bei denen das 1,3-Dien elektronenarm und das Dienophil elektronenreich ist. [4+2]-Cycloadditionen verlaufen nur mit 1,3-Dienen in der s-cis-Konformation. Als wahrscheinlich gilt ein Vierzentren-Mechanismus, bei dem sich die sechs beteiligten π-Elektronen im cyclischen Übergangszustand gleichmäßig verteilen (Kap. 6.5.4). Dabei arrangieren sich 1,3-Dien und Dienophil so, daß die π-Elektronensysteme beider Partner optimal überlappen. Dies erklärt die Stereoselektivität, d. h. die bevorzugte Bildung des endo-Addukts unter milden Bedingungen (kinetische Kontrolle), z. B. bei der [4+2]-Cycloaddition von Maleinsäureanhydrid an Cyclopentadien zu endo-Bicyclo[2.2.1]hept-5-en-2,3-dicarbonsäureanhydrid. O +
1,3-Cyclopentadien
O O Maleinsäureanhydrid
O
O
oder
O
O
O
O O O O
endo- (nach innen) O
O exo- (nach außen)
O
Bicyclo[2.2.1]hept-5-en-2,3-dicarbonsäureanhydrid
Reduktion von Benzen-Derivaten Viele substituierte Cyclohexane werden durch katalytische Hydrierung entsprechend substituierter Benzene hergestellt. Präparative Bedeutung hat die Reduktion von Benzen-Derivaten zu 1,4Cyclohexadienen mit Natrium in flüssigem Ammoniak (BIRCH-Reduktion). C(CH3)3
+ 3 H2 (Pd)
+ 2 Na, + 2 NH3
C(CH3)3
− 2 NaNH2
t-Butylbenzen
t-Butylcyclohexan
Benzen
1,4-Cyclohexadien
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8.6
Cycloalkan-Synthesen
8.6.5
113
Siebenring-Synthesen
COPE-Umlagerung Ein gutes Konzept zur Synthese von Siebenringen ist die COPE-Umlagerung ([3,3]sigmatrope Verschiebung, Kap. 26.5.2) von Divinylcyclopropan (Kap. 8.6.1) zu 1,4-Cycloheptadien; die analoge Reaktionsfolge führt vom Benzen zum 1,3,5-Cycloheptatrien: +
COPE-Umlagerung
[ ICH2 ] Carben aus Diazomethan
1,3,5-Hexadien
+
1,4Cycloheptadien
Divinylcyclopropan
COPE-Umlagerung
[ ICH2 ]
Benzen
Bicyclo[4.1.0]heptadien
1,3,5Cycloheptatrien
[5+2]-Cycloaddition Die Ringspannung des Cyclopropans treibt auch die durch Rhodium(I)-Komplexe katalysierte [5+2]-Cycloaddition von Vinylcyclopropan (C5) und Alkenen (C2) zu Cyclohepten: +
Rh2Cl2(CO)4, ∆
Vinylcyclopropan + Ethen
Cyclohepten
Eine intramolekulare Variante der Reaktion bewährt sich zur Synthese des Bicyclo[5.3.0]decans (Guajan), Grundskelett der Inhaltsstoffe einiger Pflanzenfamilien: Rh2Cl2(CO)4, ∆
1-Cyclopropyl-1,6-heptadien
Bicyclo[5.3.0]2-decen
Ring-Homologisierung Die Homologisierung von Cyclohexanon mit Diazomethan (Methylen-Einschiebung) führt zu Cycloheptanon, aus dem mehrere weitere Cycloheptan-Derivate zugänglich sind. O + Cyclohexanon
8.6.6
CH 2N2
O
− N2
O Cycloheptanon
Cyclooctanon als Nebenprodukt
Synthese mittlerer und großer Ringe
Cyclooligomerisierungen Alkine cyclotrimerisieren zu Benzen-Derivaten und cyclotetramerisieren zu Cyclooctatetraenen (Kap. 7.5.6). 1,5-Cyclooctadien bildet sich durch Cyclodimerisierung des 1,3-Butadiens in Ge-
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114
8 Cycloalkane
genwart von Cobalt-π-Komplexen als Katalysatoren. In Gegenwart von Nickeltetracarbonyl cyclotrimerisiert 1,3-Butadien auch zu trans,trans,trans-Cyclododecatrien (als Nickel-π-Komplex). Co-π-Komplex
Ni(CO4 )
Ni 1,5,9-Cyclododecatrien (als Nickel-π-Komplex)
1,5-Cyclooctadien
Ringschluß-Metathese Die intramolekulare Metathese (Kap. 4.5.14) terminaler Diene eignet sich zur Synthese mittlerer und großer Ringe. Das bei der Ringschluß-Metathese als Nebenprodukt entstehende Ethen entzieht sich dem Gleichgewicht als Gas und hinterläßt das schwerer flüchtige Cycloalken: PR3
Kat.
Kat. =
+
Cl Cl
Ru PR3
R'
Cyclononen
1,10-Undecadien
GROB-Fragmentierung Die GROB-Fragmentierung von 1,3-Diolen und anderen 1,3-disubstuierten Alkanen zu CarbonylVerbindungen (Y = OH) und Alkenen gestattet eine Synthese mittlerer Ringe aus geeignet disubstituierten Bicyclen. 1,5-Dihydroxy-trans-decalin-1-tosylat öffnet sich zum Cyclodec-5-en-1-on. OTs Y
C
C
C
Base
X
Y
−X
C
Y = OH, NR 2 ; X = OTs, Cl, Br, I Ts = p-Toluensulfonyl- (Tosyl) : SO2
+
C
C H
CH3
NaH − TsOH
O
1,5-Dihydroxy-trans-decalin-1-tosylat (Bicyclus)
O trans-Cyclodec-5-en-1-on (Monocyclus)
Cyclisierung bifunktioneller Verbindungen Von den vielen Möglichkeiten zur Synthese mittlerer und großer Ringe durch Cyclisierung bifunktioneller Verbindungen wird eine kleine Auswahl skizziert. intramolekulare GLASER-Kupplung langkettiger Diine Makrocyclische 1,3-Diine bilden sich durch intramolekulare oxidative Kupplung terminaler Diine (Kap. 7.5.12). Cyclotetradeca-1,3-diin entsteht auf diese Weise aus Tetradeca-1,13-diin. Cu2+, Pyridin − 2 H+ , − 2 e0
H
−
H Tetradeca-1,13-diin
Cyclotetradeca-1,3-diin
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8.7
Reaktionen
115
Cyclisierung langkettiger Dinitrile (THORPE-ZIEGLER) α,ω-Dinitrile cyclisieren in Gegenwart starker Basen (Lithiumamide) zu cyclischen Iminonitrilen, die zu Cyclanon-2-carbonsäuren hydrolysiert werden. Letztere decarboxylieren in der Hitze zu den Cyclanonen. CH 2 C N
starke Base in Ether
CH C N
(CH 2) n
+ H 2O (H3O+)
(CH 2) n C NH
CH 2 C N
− NH 3
CH 2
(CH 2) n C O
CH CO2H
+ 2 H2O (H 3O+)
(CH 2) n C O
− 2 NH3
CH 2
cyclisches Iminonitril
α,ω-Dinitril
CH C N
CH 2 Cyclanon-2-carbonsäure
α-Cyanocyclanon
− CO2 (Hitze)
CH 2 Cyclanon (Cycloalkanon)
(CH 2) n C O CH 2
Acyloin-Kondensation langkettiger Dicarbonsäurediester (PRELOG-STOLL) Natrium in siedendem Xylen (Xylol) reduziert α,ω-Dimethylester zu cyclischen Endiolaten, deren Hydrolyse cyclische Acyloine (α-Hydroxyketone, Kap. 17.10.2) ergibt. CO2CH 3
+ 4 Na
(CH 2) n
− 2 NaOCH 3
CO2CH 3
C
O Na −2 NaOH
C
O Na cyclisches Endiolat
α,ω-Dimethylester
OH
CH
+
+ 2 H2O (H3O )
(CH 2) n
(CH2) n C
O
cyclisches Acyloin (α-Hydroxyketon)
Bei der Synthese mittlerer und vor allem großer Ringe durch Cyclisierung bifunktioneller Verbindungen wird meist das Verdünnungsprinzip nach RUGGLI und ZIEGLER angewendet: Die Verwendung hochverdünnter Reaktionslösungen unterdrückt dabei die intermolekulare Polymerisation zugunsten der erwünschten intramolekularen Cyclisierung.
8.7 Reaktionen Abgesehen von den Drei- und Vierringen verhalten sich die Cycloalkane und Cycloalkene wie Alkane und Alkene. Radikalische Substitutionen der Cycloalkane und Additionen an Cycloalkene sind möglich. So ergibt die radikalische Bromierung (Photohalogenierung, Kap. 3) des Cyclohexans Bromcyclohexan, +
Br2
hν Br Bromcyclohexan
und die Addition von Brom an Cyclohexen führt über ein bicyclisches Bromonium-Ion stereospezifisch zum trans-1,2-Dibromcyclohexan (trans-Addition, Kap. 4.5.3): Br + Cyclohexen
Br2
+ Br Br
2
1 2
Br 1 Br Br trans-1,2-Dibromcyclohexan
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116
8 Cycloalkane
Die Reaktivität kleiner Ringe, vor allem des Cyclopropans, wird von der Ringspannung geprägt; Belege hierzu sind einige typische Reaktionen (Öffnungen, Erweiterungen, Isomerisierungen).
8.7.1
Ringöffnungen
Die präparativ bedeutungslose katalytische Hydrierung kleiner Cycloalkane zu den offenkettigen Alkanen spiegelt klar die Ringspannung wider: Während sich Cyclopropan bei moderaten Temperaturen zu Propan hydrieren läßt (Alken-Analogie), erfordern die Hydrierungen der größeren Ringe deutlich höhere Temperaturen. Im Gegensatz zu Alkenen ist Cyclopropan gegenüber Oxidationsmitteln wie KMnO4 stabil.
H2 / Ni , 80 °C
H2 / Ni , 180 °C
H 3C CH2 CH3
H2 / Ni , 300 °C
H3C CH 2 CH2 CH3
H3C CH2 CH2 CH2 CH3
Ringöffnungen (1,3-Additionen) des Cyclopropans gelingen auch mit typischen Elektrophilen wie Brom, Bromwasserstoff und Schwefelsäure. Br
+ Br 2
CH 2 CH 2 CH2 Br 1,3-Dibrompropan
+ H 2 SO4
H 3C CH 2 CH 2 OSO3H 1-Propylhydrogensulfat Br
+ HBr
H 3C Methylcyclopropan
H 3C CH CH 2 CH 3 2-Brombutan (MARKOWNIKOW-Produkt)
Cyclopropyl-Kationen, die bei Reaktionen substituierter Cyclopropane entstehen können, öffnen sich zu mesomeriestabilisierten Allyl-Kationen (Cyclopropyl-Allyl-Umlagerung). So führt die Diazotierung (Kap. 22.6.2) des Aminocyclopropans mit Natriumnitrit in Säure zum Allylalkohol. NH2 H Cyclopropylamin
8.7.2
+ HNO2 − N2 − 2 H2O
+ 2 H 2O
H 2C CH CH 2
H Cyclopropyl-Kation
− H 3O+
Allyl-Kation
H 2C CH CH 2 OH Allylalkohol
Ringerweiterungen
Bei der Reaktion von Aminomethylcyclopropan mit salpetriger Säure (Diazotierung mit Natriumnitrit in saurer Lösung, Kap. 22.6.2) entsteht über das Diazonium-Ion das CyclopropylmethylKation, welches sich unter 1,2-Verschiebung einer Ring-Bindung teilweise zum CyclobutylKation aufweitet (DEMJANOW-Umlagerung). Die nucleophile Addition von Wasser führt dann zu Cyclobutanol neben Hydroxymethylcyclopropan. NH2 CH2 NH2
oder
H
+ HNO2
CH2
− N2 − 2 H2O
+ 2 H2O − H3O+
H CH2 OH
sowie
Hydroxymethylcyclopropan
OH Cyclobutanol
sowie
H2C CH CH 2 CH2 OH 1-Buten-4-ol
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8.7
Reaktionen
117
Ringerweiterungen unter Nutzung der DEMJANOW-Umlagerung von Aminomethyl- und Hydroxymethylcycloalkanen eignen sich zur Synthese von Sieben- und Achtringen. Aus Aminomethylcyclohexan entstehen z. B. Cyclohepten und Cycloheptanol. Cyclohepten − [ H +]
CH2 NH 2
H + HNO2
CH2 CH2
− N2 − 2 H2O
+ 2 H2O
H
− H3O+
CH 2 OH H Cycloheptanol
Die analoge Reaktion cyclischer β-Aminoalkohole zu Cycloalkanonen ist als DEMJANOW-TIFFENEAU-Umlagerung bekannt. Aus 1-Aminomethylcycloheptanol wird z. B. Cyclooctanon. CH2 NH 2
+ HNO2
CH 2
OH
− N2 − 2 H2O
OH
+
−[H ]
CH 2 OH
O
1-Aminomethylcycloheptanol
8.7.3
Cyclooctanon
Transannulare Reaktionen mittlerer Ringe
Aufgrund ihrer Konstitution und Konformation können mittlere Cycloalkan-Ringe diagonal durch den Ring (transannular) reagieren. Ein Beispiel ist die transannulare Hydrid-Verschiebung im protonierten Cyclooctenoxid. Infolgedessen entsteht nicht nur das erwartete trans-1,2-Cyclooctandiol, sondern auch das cis-1,4-Diol. trans-1,2-Cyclooctandiol
H O H
+ H3O+
H 1
6 5
4
3
2
+ H2O
O H
H
− [ H+ ]
OH
H OH
H Hydrid-Verschiebung von C-4 oder C-6 nach C-2
H
OH
CH2
− [ H+ ]
HO
H
H
OH
+ H2O cis-1,4-Cyclooctandiol
8.7.4
Valenzisomerisierungen, Valenztautomere
Kleine Cycloalkane mit Vinyl- oder Allyl-Gruppen lagern sich thermisch zu stabileren Ringen um. Treibende Kraft ist die Ringspannung, wobei sich die Ring-σ- und die Vinyl-π-Bindungen simultan verschieben. Diese als COPE-Umlagerung bekannte [3,3]-sigmatrope Verschiebung wurde bereits als Methode zur Synthese von Siebenringen (Kap. 8.6.5) aus Divinylcyclopropan erwähnt. Entsprechend läßt sich 1,4-Cyclooctadien durch Erhitzen des 1,2-Divinylcyclobutans darstellen. Daneben gibt es in dynamischen Gleichgewichten balancierende COPE-Systeme wie 1,3,5-Cyclo-
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8 Cycloalkane
octatrien mit verschiedenen und Homotropiliden mit identischen Edukten und Produkten, zwischen denen nur kleine Energiebarrieren liegen. COPE-Systeme mit derart fluktuierenden π- und σBindungen bezeichnet man als Valenztautomere. Prominentester Vertreter ist das Bullvalen mit über 106 identischen Valenztautomeren.
1,3,5-Cyclooctatrien
Bicyclo[4.2.0]octa-2,4-dien
schnell
Homotropiliden, ein fluktuierender Kohlenwasserstoff
schnell
Bullvalen, ein fluktuierender Kohlenwasserstoff mit etwa 1.2 x 10 6 identischen Valenzisomeren
8.8 Reizvolle Ringe Reizvolle polycyclische Ringe, von denen abschließend eine Auswahl geboten wird, sind nicht nur für theoretische und physikalisch-chemische Untersuchungen interessant, sondern auch ständige Herausforderungen für organisch-chemische Synthesen. Von vielen Grundskeletten sind Analoga mit Heteroatomen und verknüpften Aromaten bekannt. Andere existieren nur mit stabilisierenden Substituenten. C(CH3) 3
C(CH3) 3
(H 3C) 3C
(H3C) 3C Tetra-t-butyltetrahedran
Prisman
Cuban
Basketan
Asteran
Barellen
Radialen
Hausan
Vogelkäfig
Twistan
Congressan
Dodecahedran
Propellan
Adamantan (Tricyclo[3.3.3.1.13,7]decan) als einfacheres Beispiel ist ein sehr stabiles Molekül mit starrer Konformation, das sich durch Hydrierung und anschließende Isomerisierung des DIELSALDER-Addukts von Cyclopentadien darstellen läßt. AlCl3 (Isomerisierung)
+ 2 H2 (Kat.)
1 9
7
3
5
Dicyclopentadien
Tetrahydrodicyclopentadien
Adamantan
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9.1 Struktur des Benzens
119
9 Benzen und Aromatizität Der Kohlenwasserstoff Benzen (traditionelle Bezeichnung "Benzol") mit der Summenformel C6H6 unterscheidet sich von den bisher besprochenen ungesättigten Verbindungen durch außergewöhnliche, im folgenden behandelte physikalische und chemische Eigenschaften. Man bezeichnet die Summe dieser Eigenschaften als Aromatizität und nennt organische Verbindungen mit Benzenanalogem Verhalten aromatisch.
9.1 Struktur des Benzens Röntgenbeugung und spektroskopische Messungen zeigen, daß die sechs Kohlenstoff-Atome des Benzen-Moleküls ein ebenes regelmäßiges Sechseck bilden. Dabei ist der Abstand zwischen benachbarten Kohlenstoff-Kernen 139 pm, während die CH-Bindungen die von den Alkanen und Alkenen bekannte Länge von 109 pm aufweisen. Alle Bindungswinkel sind 120°. Abb. 9.1 zeigt die Molekülmodelle und skizziert diese Molekülgeometrie.
H 120°
H H
H
120° 139 pm
109 pm
H
H
Abb. 9.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell sowie Bindungslängen und Bindungswinkel des Benzens
Zur Erklärung dieser Geometrie geht man davon aus, daß Kohlenstoff zur Bildung der σBindungen des Benzens sp2-Hybridorbitale betätigt. Das σ-Bindungs-Gerüst des Moleküls mit C−C−C- und C−C−H-Bindungswinkeln von 120° entsteht dann, indem jedes der sechs C-Atome zwei seiner sp2-Hybridorbitale mit denen zweier benachbarter C-Atome überlappt, so daß sich ein ebenes Sechseck von sechs CC-σ-Bindungen ergibt (Abb. 9.2). Das an jedem Ring-C-Atom
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9
Benzen und Aromatizität
verbleibende sp2-Hybridorbital überlappt mit je einem 1s-Orbital eines Wasserstoff-Atoms, so daß sich insgesamt sechs mit den CC-Bindungen koplanare CH-Bindungen bilden. An jedem C-Atom steht zusätzlich ein nicht hybridisiertes, einfach besetztes 2p-Orbital zur Verfügung, das senkrecht auf der Ebene der σ-Bindungen steht. p H
H
H
σ
H
σ
H
H
Abb. 9.2. Benzen-Modell, σ-Bindungen und nicht hybridisierte, koaxiale 2p-Orbitale
Da alle σ-Bindungen des Benzens auf einer Ebene liegen, sind die Achsen aller sechs 2p-Orbitale parallel. Dies schafft die Voraussetzung für eine optimale seitliche Überlappung der 2p-Orbitale zu π-Molekülorbitalen. Nimmt man an, daß die sechs 2p-Orbitale paarweise zu drei π-Bindungen überlappen, so wäre Benzen ein Molekül mit alternierenden CC-Einfach- und Doppelbindungen im Sinne eines 1,3,5-Cyclohexatriens. Längere CC-Einfachbindungen mit dem Abstand 154 pm und kürzere CC-Doppelbindungen mit 134 pm würden sich im Ring abwechseln:
H
C
H C
154 pm
H
C
H
134 pm
C
C C
H
H
Alle CC-Bindungslängen des Benzens sind jedoch gleich (Abb. 9.1), nämlich 139 pm. Benzen ist demnach kein 1,3,5-Cyclohexatrien; alle Versuche, das hypothetische 1,3,5-Cyclohexatrien herzustellen, führen zum Benzen. Man kann in Benzen somit nicht zwischen CC-Einfach- und Doppelbindungen unterscheiden. Das Modell lokalisierter π-Bindungen, wie es für Alkene beschrieben wurde, läßt sich nicht auf Benzen übertragen. Vielmehr muß man sich vorstellen, daß die sechs 2p-Orbitale senkrecht zur Ebene des Kohlenstoffsechsecks gleichmäßig und fortlaufend überlappen. Die drei resultierenden πBindungen sind nicht an bestimmten Kohlenstoffpaaren lokalisiert, sondern die π-Elektronen verteilen sich gleichmäßig über und unter dem Kohlenstoff-Sechseck, wie es Abb. 9.3 skizziert.
π
H
H C H
C C
C C
H C H
H
(a)
(b)
H
H C H
C σ C π
C C
H C H
H
Abb. 9.3. a) Ringförmig überlappende p-Orbitale, b) Bereiche der σ- und π-Bindungen im Benzen
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9.2 Hydrierwärme und Mesomerieenergie des Benzens
121
9.2 Hydrierwärme und Mesomerieenergie des Benzens Benzen ist eine überaus stabile, im Vergleich zu Alkenen und Polyenen sogar reaktionsträge Verbindung. Bekanntlich drückt man die Stabilität einer Verbindung durch ihre Energiedifferenz relativ zu einer sinnvollen Bezugssubstanz aus. Sinnvolle Bezugsverbindungen für Benzen sind Cyclohexen, 1,3-Cyclohexadien und das hypothetische 1,3,5-Cyclohexatrien. Um zu den Energiebeziehungen zwischen Benzen und diesen Verbindungen zu kommen, kann man von den für Cyclohexen, 1,3-Cyclohexadien und Benzen meßbaren Hydrierwärmen ausgehen. Hydriert man Cyclohexen, so wird eine Hydrierwärme von 120 kJ / mol frei. Die Hydrierung ist also exotherm. Für 1,3-Cyclohexadien erwartet man dann die doppelte Hydrierwärme. Experimentell findet man dagegen einen um 8 kJ / mol geringeren Betrag. + H2 (Kat.)
Cyclohexen
+ 2 H2 (Kat.)
Cyclohexan
1,3-Cyclohexadien
∆H = − 120 kJ / mol
Cyclohexan
erwartet ∆H = − 240 kJ / mol gefunden ∆H = − 232 kJ / mol Differenz ∆H = − 8 kJ / mol
Wie bereits gezeigt wurde (Kap. 6.2.2), ist ein konjugiertes Dien (z. B. 1,3-Hexadien) stabiler als das vergleichbare mit isolierten CC-Doppelbindungen (z. B. 1,4- oder 1,5-Hexadien). 1,3Cyclohexadien ist ein weiteres Beispiel eines konjugierten Diens. Seine Hydrierwärme ist kleiner als der erwartete Betrag. Den Unterschied von ∆Hres = − 8 kJ / mol führt man auf die Konjugation der CC-Doppelbindungen zurück. Offenbar ist 1,3-Cyclohexadien um 8 kJ / mol stabiler als ein Dien mit zwei isolierten CC-Doppelbindungen. Der Fehlbetrag von 8 kJ / mol kann daher als ein Maß für die Mesomerie- oder Resonanzenergie des Moleküls genommen werden (Abb. 9.4 a). Wäre Benzen "1,3,5-Cyclohexatrien", so müßte man die dreifache Hydrierwärme des Cyclohexens messen (360 kJ / mol). Der gefundene Betrag (209 kJ / mol) ist dagegen um 151 kJ / mol kleiner (Abb. 9.4 b). "1,3,5-Cyclohexatrien"
Epot
∆Hres = − 151 kJ / mol
1,3-Cyclohexadien ∆Hres = − 8 kJ / mol erwartet : ∆H = − 360 kJ / mol erwartet : ∆H = − 240 kJ/mol
Benzen gefunden :
gefunden : ∆H = − 232 kJ / mol
(a )
Cyclohexan
∆H = − 209 kJ / mol
( b)
Abb. 9.4. Hydrierwärme und Mesomeriestabilisierung (a) des 1,3-Cyclohexadiens (b) des Benzens
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9
Benzen und Aromatizität
Demnach ist Benzen um 151 kJ / mol stabiler, d. h. energieärmer als das hypothetische 1,3,5Cyclohexatrien. Diesen Energieunterschied deutet man als die Mesomerieenergie ∆Hres des Benzens (Abb. 9.4 b). Die im Vergleich zu 1,3-Cyclohexadien extrem große Mesomeriestabilisierung des Benzens wird auf die cyclisch delokalisierten π-Bindungen in diesem Molekül zurückgeführt. Dieser die Aromatizität einer Verbindung offenbar kennzeichnende Bindungszustand wird durch mesomere Valenzstrich-Formeln oder mit Hilfe des Molekülorbital-Modells beschrieben.
9.3 Valenzstrich-Formeln des Benzens Der Zustand eines Moleküls mit lokalisierter Doppelbindung läßt sich durch eine einzige Valenzstrichformel wiedergeben; Ethen ist das einfachste Beispiel, 1,5-Hexadien ein weiteres mit zwei isolierten Doppelbindungen. Ethen
H 2C CH 2
H2C CH CH 2 CH2 CH CH 2
1,5-Hexadien
Für Verbindungen mit konjugierten oder cyclisch konjugierten π-Bindungen wie 1,3-Butadien oder Benzen ist diese Wiedergabe unzulänglich. Benzen hat zwar nur eine Struktur (Abb. 9.1) und einen Bindungszustand, aber dieser kann nicht durch eine Valenzstrichformel, wie z. B. die eines 1,3,5-Cyclohexatriens dargestellt werden. Im Valenzstrich-Formalismus (engl.: valence bond, abgek.: VB) beschreibt man Benzen als ein Hybrid mehrerer energetisch gleichwertiger oder wenig verschiedener mesomerer Grenzformeln, den KEKULÉ- und DEWAR-Formeln (Abb. 9.5), und verbindet diese durch das Mesomeriezeichen ↔ (kein Gleichgewichts-Doppelpfeil). Keine dieser hypothetischen Strichformeln beschreibt für sich allein den Zustand des Benzens, sondern jede trägt zu einem bestimmten Prozentsatz zum Grundzustand des Moleküls bei, die beiden KEKULÉFormeln (Abb. 9.5) beispielsweise zu 70 %. Epot
KEKULÉ-Formeln
DEWAR-Formeln
∆Hres = − 151 kJ / mol
Benzen
Abb. 9.5. Energiebeziehung zwischen Benzen und seinen mesomeren Grenzformeln
Jede mesomere Grenzformel des Benzens ist energiereicher als das Benzen-Molekül. Die Kombination aller mesomerer Grenzformeln ergibt indessen den energieärmeren Zustand des realen Moleküls. Der Energieunterschied zwischen Realmolekül und den mesomeren Grenzformeln, die Mesomerieenergie, ist umso größer, je mehr energetisch gleiche oder ähnliche Grenzformeln beteiligt sind. Im Falle des Benzens beträgt der Energieunterschied zwischen Grenzformeln und Realmolekül 151 kJ / mol (Abb. 9.5). Die DEWAR-Formeln sind etwas energiereicher als die KE-
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9.4
Molekülorbital-Modell des Benzens
123
KULÉ-Formeln; untereinander sind KEKULÉ- und DEWAR-Formeln dagegen energetisch gleich, d. h. entartet (Abb. 9.5). Bemerkenswerterweise lassen sich Valenzisomere des Benzens darstellen. Substituiertes Bicyclo[2.2.0]hexadien (DEWAR-Benzen) und ein Isomer entsteht z. B. durch Cyclotrimerisierung des 3,3-Dimethyl-1-fluor-1-butins bei tiefen Temperaturen. Beim Erhitzen isomerisieren die Primäraddukte jedoch zu den stabileren Benzen-Derivaten. C(CH3)3 3
C
0 °C
(H3C)3C
C F
5
C(CH 3)3 3 C(CH 3)3
C(CH 3)3 (H3C)3C
100 °C
1
C(CH 3)3
F
F F F 1,2,6-Trifluor-3,4,5-tri -t-butylbicyclo[2.2.0]hexa-2,5-dien (ein substituiertes DEWAR-Benzen)
F F
1,2,3-Trifluor-4,5,6-tri- t-butylbenzen
9.4 Molekülorbital-Modell des Benzens Die Anwendung des Molekülorbital-Modells auf das Benzen-Molekül führt zu π-Bindungsorbitalen, welche sich über mehr als zwei C-Atome erstrecken. So ergibt die Linearkombination der ψFunktionen aller sechs koaxialen, in Abb. 9.2 skizzierten 2p-Orbitale des Benzens sechs Molekülorbitale: Drei bindende energieärmere π-Orbitale und drei antibindende energiereichere π*-Orbitale (Abb. 9.6). Die drei bindenden Molekülorbitale sind in Abb. 9.6 b dargestellt. Das energieärmste
(a)
(b)
Abb. 9.6. π- und π*-Molekülorbitale des Benzens: (a) Energiebeziehung und Besetzung im Grundzustand, (b) räumliche Darstellung der besetzten π-Orbitale
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9
Benzen und Aromatizität
dieser π-Molekülorbitale erstreckt sich ringartig über und unter der Ebene des Benzen-Skeletts, wobei es das ganze Molekül umfaßt (Abb. 9.6 b). Im Grundzustand des Benzens besetzen die sechs π-Elektronen die drei bindenden π-Orbitale und führen so zu einer π-Elektronenverteilung über das Molekül, wie sie Abb. 9.7 andeutet.
Abb. 9.7. π-Elektronenverteilung im Benzen
9.5 Benzen-Formel Faßt man die Valenzstrich-Formulierung und das Molekülorbital-Modell zusammen, so kann man den Bindungszustand des Benzens sowohl als Hybrid mesomerer Grenzformeln als auch mit Hilfe delokalisierter π-Molekülorbitale beschreiben. Um beide Modellvorstellungen in einer Formel darzustellen, wird als Benzen-Formel ein regelmäßiges Sechseck mit einem einbeschriebenen Kreis gezeichnet; dieser Kreis soll das delokalisierte π-Elektronensextett symbolisieren. Üblich ist gleichwohl die nicht der Molekülgeometrie entsprechende 1,3,5-Cyclohexatrien-Schreibweise als eine der beiden KEKULÉ-Formeln, weil sich diese am besten zur Formulierung von Reaktionsmechanismen eignen. 6π
oder
üblich:
9.6 HÜCKEL-Regel Mit Hilfe quantentheoretischer Rechnungen läßt sich zeigen, daß ein monocyclisches konjugiertes Polyen besonders stabil ist, wenn es (4N + 2) π-Elektronen enthält. Dabei ist N ganzzahlig, also 0, 1, 2, 3, usw. . Diese HÜCKEL-Regel ist als eine Art HUND-Regel (Kap. 1.3.4) zu verstehen: In einem cyclisch konjugierten m-Ring (Benzen: m = 6) stehen m π-Orbitale zur Verfügung, einschließlich der antibindenden. Von diesen sind die mittleren entartet, nicht dagegen das tiefste und − bei geradzahligem m − das höchste, wie Abb. 9.8 für m = 3 bis m = 8 zeigt. Stehen nun π-Orbitale verschiedener Energie zur Verfügung, so wird das energieärmste zuerst doppelt besetzt. Sind zwei weitere, entartete π-Orbitale verfügbar, so werden zunächst beide einfach, dann doppelt besetzt. Besonders stabil sind jedoch nur solche cyclisch konjugierten Polyene, bei denen alle bindenden π-Orbitale
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9.6
Hückel-Regel
125
doppelt belegt sind, auch die entarteten (Abb. 9.6a und Abb. 9.8). Das führt zu den π-Elektronenzahlen: 2; 2 + 4 = 6; 2 + 4x2 = 10; 2 + 4x3 = 14, usw., oder allgemein (2 + 4N) für N = 0, 1, 2, 3, usw. . Die relativen Energiedifferenzen zwischen den π-Orbitalen der cyclisch konjugierten Polyene lassen sich geometrisch konstruieren: Man zeichnet die regelmäßigen m-Ecke mit einer Spitze nach unten in einen Kreis ein, wie Abb. 9.8 für den Drei-, Vier-, Fünf-, Sechs-, Sieben- und Achtring zeigt. Die Positionen der Ecken ergeben dann für jeden Ring die relativen Energieniveaus ("FROST-MUSULIN-Diagramme").
CyclopropeniumKation m-Eck, m = N (HÜCKEL) π-Elektronen
Cyclobutadien
5 1 6
4 − 4
3 0 2
CyclopentadienidAnion
Benzen
CycloheptatrieniumKation
Cyclooctatetraen
6 1 6
7 1 6
8 − 8
m-Eck, m = N (HÜCKEL) π-Elektronen
Abb. 9.8. Relative π-Orbital-Energieniveaus und ihre Besetzung mit π-Elektronen bei cyclisch konjugierten Polyenen und Polyen-Ionen
Verteilt man die π-Elektronen für jeden Ring nach der HÜCKEL-Regel, so ergibt sich, daß das Cyclopropenium-Kation (N = 0), das Cyclopentadienid-Anion (N = 1), Benzen (N = 1), das Cycloheptatrienium-Kation (N = 1) und das Cyclooctatetraen-Dianion (N = 2) besonders stabil sind, Cyclobutadien und Cyclooctatetraen dagegen nicht (Abb. 9.8). Cyclooctatetraen ist, im Gegensatz zu Benzen, kein ebenes Molekül und kann schon deshalb kein Aromat sein.
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Benzen und Aromatizität
9.7 Aromatische Verbindungen, Überblick Vier herausragende Merkmale kennzeichnen das Benzen: ̈ Es ist ein ebenes Molekül. ̈ Seine π-Bindungen sind konjugiert und cyclisch delokalisiert. ̈ Seine Mesomerieenergie ist außergewöhnlich groß (151 kJ/mol). ̈ Die Anzahl seiner π-Elektronen folgt der HÜCKEL-Regel [6 = (2+4N) für N = 1]. Verbindungen, welche mindestens die ersten drei dieser Eigenschaften mit Benzen teilen, werden als aromatisch definiert. Man unterscheidet dabei vier Klassen: Benzoide, monocyclische nichtbenzoide und polycyclische Aromaten sowie Heteroaromaten, wobei die HÜCKEL-Regel streng genommen nur für benzoide und monocyclische nicht benzoide Aromaten gilt. Benzoide Aromaten (Kap. 9) enthalten den Benzen-Ring als wesentlichen Baustein. Toluen, Brombenzen oder Benzoesäure gehören zu dieser Stoffklasse. CH 3
Toluen
Br
OH
Brombenzen
NO2
Phenol
NH 2
Nitrobenzen
Anilin
CO2H
Benzoesäure
SO3H
Benzensulfonsäure
Nichtbenzoide monocyclische Aromaten (Kap. 30) sind ebene, konjugierte Cyclopolyene, deren πElektronenzahl der HÜCKEL-Regel folgt. Vertreter dieser Klasse sind das Cyclopropenium-Kation, das Cyclopentadienid-Anion, das Cycloheptatrienium-Kation (Abb. 9.8) und das Cyclooctatetraen-Dianion, sowie die Makrocyclen [14]- und [18]-Annulen. Allerdings behindern im [14]Annulen sterische Wechselwirkungen der vier inneren H-Atome Koplanarität und Aromatizität. H
H H H
HH
[14]-Annulen
HH
H H
H
H
H H
H
H
H
H H H
H H
[18]-Annulen
H
H
H
H H
H
H
H
H
H
In kondensierten oder polycyclischen Aromaten (Kap. 12) sind mehrere Benzen-Ringe linear oder gewinkelt aneinander kondensiert ("anneliert" von lat. anulus = Ring). Der einfachste polycyclische Aromat ist das Naphthalen, in dem zwei Benzen-Ringe aneinander gebunden sind.
Naphthalen
Die lineare Kondensation von drei Benzen-Ringen führt formal zum Anthracen, die gewinkelte ("angulare" von lat. angulus = Ecke, Winkel) zum Phenanthren. Ähnlich wie Benzen können polycyclische Aromaten als Hybride mesomerer Grenzformeln geschrieben werden. Dabei kann allerdings nicht mehr jedem Benzen-Ring ein vollständiges π-Elektronensextett zugeordnet wer-
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9.7
Aromatische Verbindungen, Überblick
127
den, und das Ringsystem ist umso energieärmer, je mehr autonome π-Elektronensextetts formuliert werden können (CLAR-Regel). Phenanthren ist demnach stabiler als Anthracen, wie die etwas größere Mesomerieenergie bestätigt (Kap. 12.2).
Anthracen (3 mesomere Grenzformeln mit je einem autonomen π-Elektronensextett)
Phenanthren (4 mesomere Grenzformeln mit je zwei autonomen π-Elektronensextetts)
Aromatische Heterocyclen oder Heteroaromaten, z. B. Furan, Pyrrol, Thiophen und Pyridin (Kap. 34), sind ebene Moleküle mit cyclisch konjugierten π-Bindungen und einem Heteroatom mit nichtbindenden (n-) Elektronenpaaren als Ringglied. Sie zeigen physikalische und chemische Eigenschaften, die denen des Benzens sehr ähnlich sind. Sie können ebenso als Hybride mesomerer Grenzformeln geschrieben werden. Dabei muß man berücksichtigen, daß sich die nElektronenpaare des Heteroatoms an der Mesomerie beteiligen können wie z. B. im Pyrrol, daß ein Heteroatom aber auch π-Elektronenpaare formal übernehmen kann wie z. B. der PyridinStickstoff. Je nach Bindigkeit sind die Heteroatome dann positiv oder negativ geladen. H
H
H
H
H
N _
N
N
N
N
\
/
\
_ S _
Furan
Thiophen
/ mesomere Grenzformeln des Pyrrols
_ N
_ O _
_ N
_ N _
_ N _
_ N _
mit analogen mesomeren Grenzformeln
mesomere Grenzformeln des Pyridins
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10 Benzoide Aromaten
10 Benzoide Aromaten 10.1 Nomenklatur benzoider Aromaten 10.1.1
Monosubstituierte Benzene
Benzoide Aromaten sind substituierte und kondensierte Benzen-Derivate. Zur Nomenklatur monosubstituierter Derivate setzt man die Namen der Substituenten vor die StammgerüstBezeichnung "-benzen". Für "Aminobenzen" und "Hydroxybenzen" werden die Bezeichnungen Anilin bzw. Phenol bevorzugt (Kap. 9.7), weil sich von beiden Verbindungen Stoffklassen mit typischen Eigenschaften ableiten lassen (Aniline und Phenole). Der Phenyl-Rest in monosubstituierten Derivaten wird oft durch −C6H5 , −Ph oder −Φ abgekürzt.
10.1.2
Mehrfach substituierte Benzene
Die relative Stellung zweier gleicher oder verschiedener Substituenten am Benzen-Kern wird durch Positionsziffern oder Präfixe wie ortho (o-) für 1,2-, meta (m-) für 1,3- und para (p-) für 1,4-disubstituierte Benzene angegeben. 1,2-, 1,3- und 1,4-disubstituierte Benzene mit jeweils gleichen Substituenten sind Konstitutionsisomere. Substituenten werden in alphabetischer Folge ihrer Anfangsbuchstaben aufgezählt. Für bekanntere Verbindungen sind Trivialbezeichnungen in Gebrauch, z. B. m-Toluidin anstelle von 3-Aminotoluen. CH3
Br
CH 3
NO2
CH3 1,2-Dimethylbenzen o-Xylen
CH3
NH 2
CH3 1,4-Dimethylbenzen p-Xylen
NH 2 1,4-Diaminobenzen p-Phenylendiamin
Br
CH3
1,2-Dibrombenzen o-Dibrombenzen
1,3-Dimethylbenzen m-Xylen
NO2 1,3-Dinitrobenzen m-Dinitrobenzen
Bei höher substituierten Benzenen ist zur Positionsangabe die kleinstmögliche Zahlenkombination zu wählen. Der Substituent der Stammverbindung belegt die Position 1. F
CO2H
CH 3
NH 2 NO2
CN
O2N
CH 2Br
NO2 F
Stammverbindung
NO2
C 2H 5
2,4-Dinitrofluorbenzen Fluorbenzen
2-Cyano-4-ethylanilin Anilin
NO2 2,4,6-Trinitrotoluen Toluen
F
2-Brommethyl3,5-difluorbenzoesäure Benzoesäure
Aliphatisch aromatische Kohlenwasserstoffe , bei denen Alkyl-, Alkenyl- oder Alkinyl-Substituenten an Benzen-Ringe gebunden sind, nennt man Arene; Cumen, m-Ethyltoluen, Mesitylen und Pseudocumen sind z. B. konstitutionsisomere Arene.
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10.2 Gewinnung aromatischer Kohlenwasserstoffe
CH(CH 3)2
129
CH3
C 2H5
CH3 CH 3
H 3C
CH3 Cumen Isopropyl-
CH 3 CH3
Mesitylen 1,3,5-Trimethylbenzen
m-Ethyltoluen 3-Ethyl-1-methyl-
Pseudocumen 1,2,4-Trimethyl-
H3C
CH3
H3C
CH3
Duren 1,2,4,5-Tetramethyl-
Aliphatisch-aromatische Verbindungen mit längerer Aliphatenkette oder mehr als einem PhenylRest können nach IUPAC als Aliphaten-Derivate bezeichnet werden (Phenylalkane, Phenylalkene, Diphenylalkane, Diphenylalkene, Diphenylethin). Gängiger sind Trivialbezeichnungen wie Styren (früher Styrol) für Phenylethen, Stilben für Diphenylethen und Tolan für Diphenylethin. CH CH CH2
CH CH 2
H
H C
C
C
C
H
3-Phenylpropen Allylbenzen
Phenylethen Styren (Styrol)
Biphenyl
(E)-Diphenylethen trans-Stilben
Terphenyl
C C
C C H
H
(Z)-Diphenylethen cis-Stilben
Phenylethin Ethinylbenzen
Diphenylethin Tolan
CH2
CH2 CH2
Diphenylmethan
1,2-Diphenylethan
10.2 Gewinnung aromatischer Kohlenwasserstoffe 10.2.1
Aus Steinkohle
Die Verkokung der Steinkohle bei Temperaturen von 1 000 – 1 300 °C liefert je nach Lagerstätte und Art der Prozeßführung unterschiedliche Mengen an gasförmigen, flüssigen, teerigen und festen Produkten. Die fraktionierte Destillation und Extraktion des flüssigen Rohteers stellt viele wertvolle aromatische Verbindungen bereit. Große Mengen an Benzen, Toluen, Xylenen und kondensierten Aromaten wie Naphthalen werden auf diese Weise gewonnen. Durch sauere Extraktion können Heterocyclen wie Pyridin, durch basische Extraktion Phenole isoliert werden.
10.2.2
Aus Erdöl
Das für die chemische Industrie wertvolle, leider überwiegend zur Energiegewinnung verbrannte Rohöl enthält je nach Herkunft zahlreiche aromatische Verbindungen. Doch kann der Bedarf an aromatischen Grundstoffen nur durch zusätzliche Cyclisierungen und Dehydrierungen bestimmter Alkan-Fraktionen des Erdöls gedeckt werden. Benzen läßt sich kontinuierlich durch Überleiten
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130
10 Benzoide Aromaten
von n-Hexan über Chrom-Aluminium-Oxide unter Druck und bei hoher Temperatur gewinnen. Mit Hilfe von Platin-Katalysatoren kann Toluen aus n-Heptan durch Cyclisierung und Dehydrierung (Aromatisierung, Dehydrocyclisierung, Platforming-Prozeß) hergestellt werden. CH3 CH3
Cr 2O3 / Al2O3 , 500 °C
CH3
CH 3 Pt , 500 °C
CH3
n-Hexan
n-Heptan
Benzen
Toluen
10.3 Eigenschaften Benzen ist eine farblose, stark lichtbrechende Flüssigkeit mit einem Schmelzpunkt von + 5.5 °C und einem Siedepunkt von 80.1 °C. Diese Daten des Benzens stimmen fast genau mit denen des Cyclohexans als vergleichbarem Cycloalkan (Schmp. 6.4 °C, Sdp. 80.8 °C) überein. Polare Moleküle können mit der π-Elektronenwolke des Benzens in Wechselwirkung treten. Dies zeigt sich daran, daß Benzen und seine Derivate ein wesentlich breiteres Lösungsvermögen als Alkane haben; so ist Benzen mit allen üblichen organischen Lösemitteln vollständig mischbar. Wasser löst sich in Benzen nur zu 1 %. Benzen oder Toluen können u. a. als Schlepper für Wasser bei Azeotropdestillationen dienen. Technisch "reines" Benzen enthält bis zu 0.5 % Thiophen, das sich nur durch chemische Reaktion entfernen läßt. Benzen ist, über längere Zeiträume eingeatmet, sehr toxisch, da es rote Blutkörperchen schädigt. Im Organismus bilden sich ferner Epoxide des Benzens (Arenoxide), die nicht weiter metabolisiert werden und Krebs erzeugen können.
10.4 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution Im Vergleich zu den Alkenen ist das cyclisch konjugierte Ringsystem des Benzens wesentlich stabiler gegenüber chemischen Reagenzien (Tab. 10.1). Die für Alkene typischen Additionen beobachtet man beim Benzen nur vereinzelt. Sehr wenige Alken-Reaktionen, z. B. die Ozonolyse, weisen die Gegenwart dreier Doppelbindungen entsprechend der KEKULÉ-Formel (Kap. 9.3) nach. Tab. 10.1. Reaktivitäten der Alkene und des Benzens Reagenzien Br2 in CCl4, 20 °C HI heiße KMnO4-Lösung H+ oder freie Radikale O3 (Ozon) / Zn, H+ H2 / Pt oder H2 / Ni
Alken-Reaktion
Benzen-Reaktion
1,2-Addition keine 1,2-Addition keine Oxidation keine Polymerisation keine Bildung von Aldehyden oder Ketonen Bildung von Glyoxal Hydrierung bei tiefer Temp. Hydrierung nur bei hoher Temp. und geringem Druck und hohem Druck
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10.4 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution
131
Der aromatische Charakter prägt die Reaktivität des Benzens. Substitutionsreaktionen dominieren. Dieses Verhalten läßt sich mit der starken Neigung des Benzens erklären, sein stabiles πElektronensextett zu bewahren oder nach Störung zu regenerieren (regenerative Reaktivität).
10.4.1
Elektrophile aromatische Monosubstitution
Kraft seines π-Elektronensextetts ist das Benzen-Molekül nucleophil und reagiert deshalb vorwiegend mit Elektrophilen Y+ (Reagenzien mit Elektronen-Defizit, z. B. Kationen). Dabei wird ein H-Atom am Benzen-Ring durch Y ersetzt. Diese elektrophile aromatische Substitution ist die bedeutendste und typischste Reaktion der Aromaten (Kap. 11). Sie beginnt mit einer lockeren Anlagerung des Elektrophils Y+ an die π-Elektronenwolke des Benzens (∆EA klein); aus dem gebildeten π-Komplex entwickelt sich nach Störung des π-Elektronensextetts ein Phenonium-Ion ("σKomplex", ∆EA groß); das mesomeriestabilisierte Phenonium-Ion rearomatisiert unter Deprotonierung über einen π-Komplex zum monosubstituierten Benzen. Y Y
π-Komplex
Y H
Y H
Y
H
σ-Komplex: mesomeriestabilisiertes Phenonium-Ion
H
π-Komplex
Y + Y
+ H
Tab. 10.2 (S. 132) orientiert über Möglichkeiten zur Darstellung substituierter Benzene mit Hilfe der elektrophilen aromatischen Substitution. Die in Tab. 10.2 aufgeführten Katalysatoren sind meist starke LEWIS-Säuren. Manche elektrophile Substitutionen laufen nur mit Aromaten Ar* ab, welche reaktiver (nucleophiler) sind als unsubstituiertes Benzen, weil sie durch elektronenabgebende Gruppen (Elektronenpaar-Donoren wie OH oder NH2) substituiert sind.
10.4.2
Dipolmomente, Basizität und Reaktivität substituierter Benzene
Unsubstituiertes Benzen besitzt aufgrund seiner hexagonalen Symmetrie kein Dipolmoment. Elektronenschub oder -zug der Substituenten induziert jedoch bei monosubstituierten Benzenen unsymmetrische Elektronendichte-Verteilungen und daher Dipolmomente (Tab. 10.3, S. 133). Elektronenabgebende Gruppen [Elektronenpaar-Donoren D, (+)-M-Substituenten] erhöhen die Elektronendichte des Benzen-Rings und damit dessen Nucleophilie gegenüber Elektrophilen. Dies führt zu einer erhöhten Reaktivität bei der Zweitsubstitution (aktivierende Substituenten). Elektronenanziehende Gruppen [Elektronenpaar-Akzeptoren A, (−)-M-Substituenten] vermindern die Elektronendichte des Benzen-Rings und damit dessen Nucleophilie gegenüber Elektrophilen. Bei Zweitsubstitutionen an diesen Aromaten wird die Reaktivität erniedrigt (desaktivierende Substituenten). Betrag und Richtung der Dipolmomente (Tab. 10.3, S. 133) resultieren aus den positiven und negativen induktiven und mesomeren Effekten der Substituenten.
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132
10 Benzoide Aromaten
Tab. 10.2. Darstellung substituierter Arene durch elektrophile aromatische Substitution (Ar = Phenyl und Aryl, A* = Phenyl und Aryl mit aktivierenden Substituenten Reaktion
Reagenz , Katalysator
Elektrophil Y
Produkt
Wasserstoff-Deuterium Austausch
D2 SO4
D
Ar D Deuterioaren
FRIEDEL-CRAFTSAlkylierung
R X / Al C l3
FRIEDEL-CRAFTSAcylierung
R
HOUBEN-HOESCHAcylierung
GATTERMANNFormylierung
O
O
O / Al C l 3
C
Ar R Alkylaren
R Alkyl-Kation
R
X
Ar
C
R Alkylarylketon (Phenon)
Acyl-Kation
O
NH R
R C N / H C l / Al C l 3
Ar*
C
Ar*
C
H
H
O Ar*
C
C
H Arenaldehyd O
Cl
O R2 N C / P O C l 3 H
C
Arenaldehyd
O C O / Al C l 3 / Cu C l / H C l
Formyl-Kation VILSMEIERFormylierung
NH über Ar*
C H
Immonium-Ion GATTERMANN-KOCHFormylierung
C
O
NH H
NH über Ar*
C
R R Alkylarylketon (Phenon)
Alkylimmonium-Ion
H C N / H C l / Al C l 3
C
Ar*
R2N C
C
H Arenaldehyd
H
O REIMER-TIEMANNFormylierung
C H C l3 / KOH
KOLBE-SCHMITTCarboxylierung
C O2 / KOH
BLANCChlormethylierung Hydroxymethylierung MANNICHAminomethylierung Halogenierung
: C C l2
Ar*
H Arenaldehyd
Dichlorcarben
O
O
CH2
O O C O Kohlendioxid
Sulfonierung
H 2 SO4 / SO3 rauchende Schwefelsäure
OH Arencarbonsäure
Ar* C H 2 OH subst. Benzylalkohol
CH2 NR2 Dialkylaminomethyl-Kation
Ar* C H 2 N R 2 subst. Benzyldialkylamin
X Halogenonium-Ion
Ar X Halogenaren
X = C l, B r C l SO3 H
C
C H 2 OH Hydroxymethyl-Kation
X2 / Al X 3 oder Fe X 3
Chlorsulfonierung
Ar*
Ar* C H 2 C l subst. Benzylchlorid
CH2 O / HX O / HNR2
C
CH2 Cl Chlormethyl-Kation
O / H C l / Zn C l2
CH2
C
Ar SO2 C l Arensulfonsäurechlorid
SO2 C l Chlorsulfonium-Ion O O
S
O O
O
Nitrierung
H N O3 / H 2 SO4 Nitriersäure
O N O Nitronium-Ion
Nitrosierung
Na N O2 / H2 SO4
N O Nitrosyl-Kation
Azo-Kupplung
Ar N 2 X Diazonium-Salz
Mercurierung
Hg X 2
S
O
Ar N O 2 Nitroaren Ar* N O Nitrosoaren N
Ar
N N Ar N Diazonium-Kation Hg X
Ar SO3 H Arensulfonsäure
Ar N N Ar* Azoaren (Azo-Farbstoff) Ar H g X , Ar X Halogenaren über Halogenquecksilberaren
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10.4 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution
133
Tab. 10.3. Dipolmomente monosubstituierter Benzene (gemessen in Benzen bei 20 - 25 °C)
Substituent
(+)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(+)-I-
D = OH N(CH3)2 NH2 OCH 3 CH3
1.6 1.6 1.5 1.2 0.4
H
0.0
(−)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(+)-M- , (−)-I(−)-M- , (−)-I(−)-M- , (−)-I(−)-M- , (−)-I(−)-M- , (−)-I(−)-M- , (−)-I-
10.4.3
Dipolmoment
SubstituentenTyp
µ
[Debye]
A = CO2H I Br Cl CO2C 2H5 CHO COCH3 CN NO2
Nucleophilie des Benzen-Kerns
Richtung des Dipolmoments
µ
_ D
µ
1.0 1.3 1.5 1.6 1.9 2.8 2.9 3.9 4.0
A
µ
Induktive Effekte von Substituenten am Benzen-Kern
Die auf unterschiedlichen Elektronegativitäten von Atomen oder Gruppen beruhende Polarisierung von σ-Bindungen wird als induktiver Effekt bezeichnet. Dabei vermindert der stärker elektronegative Substituent die σ-Elektronendichte am weniger elektronegativen Bindungspartner. Der induktive Effekt eines Substituenten wirkt hauptsächlich am Bindungspartner; er klingt mit zunehmender Entfernung rasch ab. Je nachdem, ob der Substituent die σ-Elektronen anzieht oder abstößt, spricht man von Substituenten mit (−)-I-bzw. (+)-I-Effekt (Tab. 10.4). Tab. 10.4. Induktive Effekte von Substituenten am Benzen-Ring δ+ δ− C Y (−) - I -Effekt
C H I -Effekt ~ 0
Substituenten, die σ-Bindungselektronen stärker anziehen als Wasserstoff, sind stärker elektronegativ als H
− NR 3 > −OR 2 > −F > −OR > −NR 2 Halogene Alkinyl- , Aryl- , Alkenyl-Gruppen Nitro- und Sulfonyl-Gruppen
CarbonylGruppen
−F > −Cl > −Br > −I
O
O C > OH
O C > OR
Substituenten, die σ-Bindungselektronen an die RingC-Atome schieben, sind weniger elektronegativ als H
_ N _ R >
_ OI _
Alkyl-Gruppen
C C R > −C 6H 5 > −CR CR 2 O > N O
δ− δ+ C Y (+) - I -Effekt
−C(CH 3)3 > −CH(CH 3)2 > −CH 2CH 3 > −CH 3
S O OH O C > H
O C R
Halogenalkyl−CCl3 > −CHCl2 > −CH 2Cl >> −CH 2CH 2Cl Gruppen
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134
10 Benzoide Aromaten
(+)-I- und (−)-I-Effekte erhöhen bzw. erniedrigen die Basizität (Nucleophilie) des Benzen-Kerns und aktivieren bzw. desaktivieren diesen somit gegenüber Elektrophilen, was zunächst noch keine Vorhersage der Orientierung einer Zweitsubstitution ist.
10.4.4
Mesomere Effekte von Substituenten am Benzen-Kern
Das Dipolmoment einer funktionellen Gruppe hängt davon ab, ob der Substituent an einen Alkyloder Aryl-Rest gebunden ist (Tab. 10.5). Tab. 10.5. Dipolmomente (µ [Debye]) von Substituenten an Ethan und Benzen (Gasphasen-Messungen) Substituent X
C2H 5
X
C 6H5 X
Vergleich
−OH −Cl −Br
1.69 2.05 2.01
1.4 1.7 1.73
µAryl < µAlkyl
−NH2 −OCH 3 −COCH3 −NO2 −CN
1.2 1.22 2.78 3.68 4.0
1.48 1.35 3.0 4.21 4.39
µAryl > µAlkyl
Diese Unterschiede erklärt der mesomere Effekt (konjugativer Effekt, engl. resonance effect) . Darunter versteht man die Polarisierung von π-Bindungen durch Fähigkeit eines Substituenten, Elektronenpaare mit der Doppelbindung eines Alkens bzw. mit dem π-Elektronensextett des Benzens auszutauschen. Eine derartige Wechselwirkung ist möglich, wenn die p-Orbitale der Ring-CAtome mit den Orbitalen der Substituenten überlappen können. Günstige Überlappungsbedingungen sind gegeben, wenn der Substituent ebenfalls p-Orbitale bereitstellt. Mesomere Effekte haben eine größere Reichweite als induktive Effekte.
̈ Mesomerie der Halogenbenzene Die verschiedenen Reaktivitäten und physikalischen Eigenschaften aromatischer und aliphatischer Halogen-Verbindungen lassen sich nur teilweise durch Beteiligung mesomerer Grenzformeln (c), (d) und (e) am Grundzustand des Brombenzens erklären. Diese Grenzformeln berücksichtigen eine Wechselwirkung eines der drei nichtbindenden 3p-Elektronenpaare des Brom-Atoms mit den π-Elektronen des Benzen-Kerns (2p-Elektronen). Allerdings ist der daraus resultierende Doppelbindungsanteil der Kohlenstoff-Brom-Bindung gering. _ IBrI
_ IBrI
_ IBr
_ IBr
_ IBr
_ I BrI
(a )
(b )
(c )
(d )
(e)
Brombenzen
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10.4 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution
135
Infolge dieser Wechselwirkung werden dem Benzen-Kern Elektronen durch Mesomerie zugeführt (+); daher spricht man vom (+)-M-Effekt. Die CCl-Bindungslänge des Chlorbenzens entspricht mit 169 pm der des Chlorethens (169 pm) und ist deutlich kürzer als in Chlorethan (176 pm). Dies ist hauptsächlich die Folge der unterschiedlichen C-Hybridisierung in Vinyl- und Arylhalogeniden einerseits (kompakte sp2-Hybridorbitale) und in Halogenalkanen andererseits (weiter reichende sp3-Hybridorbitale). Der (+)-M-Effekt der Halogene nimmt von Fluor zum Iod ab entsprechend einer zunehmend schlechter werdenden Überlappung der 2p-, 3p-, 4p- und 5p- Halogenorbitale mit den Ring-CAtomen. In der gleichen Folge sinkt der (−)-I-Effekt der Halogene infolge abnehmender Elektronegativitäten. Wegen großer Elektronegativitäten dominiert der (−)-I-Effekt der Halogene über ihrem (+)-M-Effekt [(+)-M < (−)-I]. Daher wirken Halogene insgesamt elektronenanziehend.
Mesomerie aromatischer Amine Die Dipolmomente aromatischer Amine wie Anilin (µ = 1.6 D) sind größer als die aliphatischer Amine (µ = 1.0 – 1.4 D). Wie beim Brom- oder Chlorbenzen kann im Anilin das nichtbindende ("freie") Elektronenpaar auf dem Stickstoff-2p-Orbital mit dem π-Elektronensextett des PhenylRestes wechselwirken: ̈
INH2
INH 2
NH2
NH2
INH 2
NH 2 Anilin
Der (+)-M-Effekt der Amino-Gruppe dominiert [(+)-M > (−)-I]. Somit wirkt die Amino-Gruppe trotz höherer Elektronegativität des Stickstoffs aktivierend, da durch die Elektronenzufuhr die Basizität (Nucleophilie) des Phenyl-Restes erhöht wird. Entsprechend kehrt sich die Richtung des Dipolmomentes gegenüber Chlorbenzen um.
̈ Mesomerie des Nitrobenzens Das Dipolmoment des Nitrobenzens ist beträchlich höher als das eines Nitroalkans. Nitro-Gruppen haben einen sehr großen (−)-I-Effekt, da der Stickstoff aufgrund der semipolaren N−O-Bindung partiell positiv geladen ist. Der große (−)-I-Effekt einer Nitro-Gruppe kooperiert mit einem starken (−)-M-Effekt, da das 2pOrbital des Stickstoffs bei Koplanarität günstig mit dem Phenyl-Kohlenstoff überlappen kann. Die Nitro-Gruppe ist daher stark elektronenziehend [(−)-M und (−)-I], was die Basizität (Nucleophilie) des Phenyl-Restes stark erniedrigt. Im Vergleich zu Anilin kehrt sich die Richtung des hohen Dipolmoments daher um (Tab. 10.5). O
N
O
O
N
O
O
N
O
O
N
O
O
N
O
NO2 Nitrobenzen
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136
10 Benzoide Aromaten
Tab. 10.6 gibt eine Übersicht der positiven und negativen mesomeren Effekte häufiger Substituenten. Mesomere Substituenteneffekte beeinflussen hauptsächlich den Grundzustand des Moleküls. Insgesamt wird das chemische Verhalten substituierter Benzene durch mesomere, induktive und sterische Effekte geprägt.
Tab. 10.6. Substituenten mit (+)-M- und (−)-M- Effekt (+) - M - Substituenten (Elektronenpaar-Donoren)
(−) - M - Substituenten (Elektronenpaar-Akzeptoren)
>
NR' C > R
CR'2 C R
>
O C Cl
O C OR
O
−NR 2 > −OR > −F
C R O
−O
> −OR > −OR2
C H O
−F
> −Cl > −Br > −I
N
> O
>
O
O
S OH > O
S R
>
O C NR2
>
O
C N
>
C O O
>
O
S NR 2 O
10.5 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen Der Substituent eines monosubstituierten Benzens prägt einerseits dessen Reaktivität gegenüber einem Elektrophil. Je nach Wirkung der Substituenteneffekte auf die Nucleophilie des BenzenRings unterscheidet man zwischen aktivierenden und desaktivierenden Substituenten; aktivierende Substituenten sollten die Reaktionsbedingungen mildern, desaktivierende dagegen verschärfen. Unabhängig davon sind Produktverhältnisse von o : m : p = 2 : 2 : 1 (oder 40 : 40 : 20 %) zu erwarten, weil es zum Erstsubstituenten je zwei o- und m-Positionen aber nur eine p-Stellung gibt. Andererseits steuert der Erstsubstituent auch die Regioselektivität der Zweitsubstitution, indem er das Elektrophil in bestimmte Positionen dirigiert; es gibt ortho (o)- und para (p)- sowie meta (m)dirigierende Erstsubstituenten. Experimentelle Resultate vieler elektrophiler Zweitsubstitutionen am Benzen-Kern ordnen die Erstsubstituenten drei Klassen zu: ̈ ̈ ̈
Substituenten, die aktivieren und ortho und para dirigieren (Beispiel: −OH); Substituenten, die desaktivieren und meta dirigieren (Beispiel: −NO2); Substituenten, die desaktivieren und ortho und para dirigieren (Beispiel: −Cl).
Tab. 10.7 gibt eine Übersicht der Klassenzugehörigkeit häufiger Erstsubstituenten in Bezug auf die elektrophile aromatische Zweitsubstitution.
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10.5 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen
137
Eine Methyl-Gruppe dirigiert demnach den Zweitsubstituenten in o- und p-Stellung, eine NitroGruppe dagegen in m-Stellung, wie die Produktverhältnisse bei der Nitrierung des Toluens und Nitrobenzens belegen (vgl. auch Abb. 10.1): NO2
konz. HNO3 , H 2SO4 , 60 °C
CH3
CH 3
konz. HNO3 , H2SO4 , 30 °C
CH 3
CH 3
NO2
O2N
Toluen
NO2 gefunden (statistisch erwartet)
NO2
52 % (40 %)
4 % (40 %)
NO2
konz. HNO3 , H2SO4 , 10 °C
44 % (20 %)
NO2
NO2 O2N
NO2 Nitrobenzen
NO2 gefunden (statistisch erwartet)
6 % (40 %)
93 % (40 %)
1 % (20 %)
Tab. 10.7. Mesomere und induktive Effekte von Erstsubstituenten am Benzen-Ring sehr stark
O
(−) - I , (+) - M
NR 2 ElektronenpaarDonoren
NHR stark
= aktivierende Substituenten:
NH 2 OH OR
= (+) - M - Substituenten mäßig stark
(−) - I < (+) - M
OCOR NHCOR
Kern wird stärker nucleophil schwach
NHCHO C 6H 5 CH 3 CR 3
(+) - I
F (~H) Cl, Br, I CH CH CO2H ElektronenpaarAkzeptoren
schwach
CH CH NO2 COR CHO
= (−) - M - Substituenten
CO2R
= desaktivierende Substituenten: Kern wird weniger nucleophil
(−) - I > (+) - M
CO2H SO3H stark
(−) - I , (−) - M
CN NO2 NH 3
sehr stark
NR 3
(−) - I
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10 Benzoide Aromaten
Abb. 10.1 illustriert den dirigierenden Einfluß einer größeren Anzahl von Erstsubstituenten auf die Nitrierung. Dabei sollen unterschiedliche Pfeillängen die relative Verteilung der regioisomeren Produkte andeuten. OH CH(CH 3)2 CH 2CH 3 NHCOCH 3 CH 3 CH 2CH2NO2 CH2Cl
aktivierend
CH 2NO2
ortho- und para- dirigierend
CHCl2
F Cl Br I
meta- dirigierend COCH 3
desaktivierend CCl3 SO3H CN NO2 N(CH3)3
Abb. 10.1. Dirigierender Einfluß von Erstsubstituenten bei der Nitrierung (Regioselektivität der Nitrierung monosubstituierter Benzene)
10.6 Darstellung von Alkylbenzenen 10.6.1
Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS
Neben der Isolierung aus Steinkohle und Petroleum oder der katalytischen Aromatisierung von Alkanen ist besonders die Alkylierung von Aromaten mit Halogenalkanen, Alkoholen oder Alkenen zur Gewinnung alkylsubstituierter Benzene von Bedeutung. Über die Möglichkeiten zur Darstellung monoalkylsubstituierter Benzene orientiert Tab. 10.8. LEWIS-Säuren als Katalysatoren führen zur Bildung des Elektrophils. Da ein bereits am BenzenRing vorhandener Alkyl-Rest den Kern gegenüber einer weiteren Substitution aktiviert, isoliert
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10.6 Darstellung von Alkylbenzenen
139
man bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen oft Mischungen polysubstituierter Produkte. Um die Reaktion bei der Monosubstitution anzuhalten, setzt man einen Überschuß an Benzen ein. Tab. 10.8. FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen des Benzens
Edukte C6H6 3 C6H6 3 C6H6 C6H6 C6H6 C6H6 C6H6 2 C6H6 C6H6
Katalysator(en)
H5C6−CH2−Cl CHCl3 CCl4 H2C=CH2 H2C=CH2−CH3 H2C=C(CH3)2 C6H12 (Cyclohexen) ClCH2−CH2Cl C6H5−CH=CH2
+ + + + + + + + +
AlCl3 AlCl3 AlCl3 AlCl3, HCl H3PO4 oder HF H2SO4 HF oder H2SO4 AlCl3 AlCl3, HCl
Produkte H5C6−CH2−C6H5 (C6H5)3CH (C6H5)3CCl C6H5−CH2−CH3 C6H5−CH(CH3)2 C6H5−C(CH3)3 C6H5−C6H11 C6H5−CH2−CH2−C6H5 (C6H5)2CH−CH3
Diphenylmethan Triphenylmethan Triphenylchlormethan Ethylbenzen Cumen (Cumol) t-Butylbenzen Cyclohexylbenzen Dibenzyl 1,1-Diphenylethan
Wie einige Methylierungen zeigen, lassen sich Polyalkylbenzene einfach durch einen Überschuß an Elektrophil erhalten. Es ist sogar möglich, in das durch den (+)-I-Effekt stark aktivierte Hexamethylbenzen (hohe Elektronendichte) eine siebte Methyl-Gruppe einzuführen. Man isoliert ein relativ stabiles Phenonium-Salz.
+
H3C Cl
AlCl3
Hexamethylbenzen
10.6.2
CH3 CH3
CH 3 CH 3
CH 3 CH 3 AlCl4
Heptamethylphenonium-Salz
Transalkylierung und thermodynamische Kontrolle von Alkylierungen
FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen sind reversibel. Daher lassen sich Alkyl-Reste von Alkylbenzenen durch Erhitzen in Gegenwart von AlCl3 auf andere Benzen-Kerne übertragen. Erhitzen von Toluen mit AlCl3 führt z. B. zu einer Mischung aus Benzen, Toluen, Xylenen und geringen Mengen höher methylierter Benzene. Unter relativ milden Reaktionsbedingungen sind Alkyl-Gruppen ortho- und para-dirigierend. Bei höherer Temperatur oder in Gegenwart starker LEWIS-Säuren entstehen dagegen bevorzugt die thermodynamisch stabileren meta-substituierten Alkylbenzene: AlCl3 , 0 °C , kinetisch kontrolliert − 3 HCl
+
3 H 3C Cl AlCl3 , 100 °C , thermodynamisch kontrolliert − 3 HCl
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10 Benzoide Aromaten
Bei der Ethylierung des Benzens nach FRIEDEL-CRAFTS bildet sich selbst bei tiefer Temperatur das thermodynamisch stabilere meta-Triethylbenzen.
+
AlCl3 , 0 °C, 24 h
3 H 3C CH 2 Br
Thermodynamischer Kontrolle unterliegt auch die Umwandlung der drei Xylene in Gegenwart von Fluorwasserstoff-Bortrifluorid. Diese katalytische Isomerisierung läßt sich durch 1,2-Methid(Methylcarbanion-) Verschiebungen erklären. CH 3 HF / BF3
HF / BF3
H CH 3
BF 4
H intermediäres Phenonium-Salz bei der 2,3-Methyl-Verschiebung des o-Xylens
Da bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen intermediär Carbokationen auftreten, sind neben den bereits diskutierten Umlagerungen am Ring auch solche in der Seitenkette möglich (Tab. 10.9). Die stabileren tertiären Carbokationen zeigen eine geringere Reaktivität; die primären reagieren rascher mit dem Ring und neigen daher weniger zu Umlagerungen. Umlagerungen sind jedoch auch nach der Kernsubstitution möglich, da diese Alkylierungen reversibel sind. Allgemein treten Disproportionierungen und Umlagerungen am Kern und im Alkyl-Rest in geringerem Umfang ein, wenn nur schwache LEWIS-Säuren als Katalysatoren eingesetzt werden. Dabei gilt folgende Reihung der LEWIS-Säurestärke: AlCl3 > SbCl3 > FeCl3 > SnCl4 > BF3 > ZnCl2 > HF > H2SO4 (wasserfrei) > P2O5 > H3PO4 Tab. 10.9. Umlagerungen der Seitenkette bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen
C 6H6
+
Cl CH 2 CH2 CH3 CH3
C 6H6
+
Cl CH 2 CH CH3
C 6H6
+
HO CH2 C CH3 CH 3
C 6H6
+
Cl C CH 2 CH 3
CH 3
CH 3
AlCl3
AlCl3
BF3 / 60 °C
FeCl3
H5C 6 CH 2 CH2 CH3
+
H5C 6 CH(CH 3)2
CH3 H5C 6 C CH3 CH3 CH3 H5C 6 C CH2 CH3 CH3 CH3 H5C 6 C CH2 CH3 CH3
CH 3 AlCl3
H5C 6 CH CH(CH3)2 CH3
C6H 6
+
Cl CH2 CH 2 CH 2 CH3
AlCl3 / 0 °C
H 5C6 CH2 CH 2 CH 2 CH3
CH3 +
H 5C6 CH CH 2 CH3
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10.6 Darstellung von Alkylbenzenen
141
Probleme stellen sich oft bei der Darstellung vicinal alkylierter Benzene aufgrund sterischer Hinderung. Eine t-Butyl-Gruppe am Benzen-Ring schirmt beide ortho-Stellungen sterisch vor elektrophilen Substitutionen ab. Die raumerfüllende t-Butyl-Gruppe läßt sich gut einführen und durch Umalkylierung leicht entfernen. Auf diesem "Umweg" können auch die sonst schwer zugänglichen 1,2,3-Trialkylbenzene hergestellt werden. C 2H 5
C 2H5 H 3C
CH 3
H3C
(CH3) 3CCl / AlCl 3
CH3
C2H5Cl / AlCl3
t-Butylierung
H 3C
CH 3
Alkylierung
CH3
Umalkylierung
H3C C CH 3
m-Xylen
m-Xylen / AlCl3
H3C
1,2,3-Trialkylbenzen
H 3C C CH3
CH 3
CH3
Zur Synthese des ebenfalls vicinal substituierten 1,2,3,4-Tetramethylbenzens ("Prehnitol") aus dem 1,2,4,5-Tetramethylbenzen ("Durol") nützt man die Reversibilität der Sulfonierung aus. Die Isomerisierung ist als JACOBSEN-Umlagerung bekannt. SO3H H 3C
CH 3
H 3C
CH 3
Sulfonierung
SO3H
H 3C
CH 3
H 3C
CH 3
CH 3
Isomerisierung
H 3C
H 3C
CH 3
CH 3
CH 3 1,2,3,4-Tetramethylbenzen
CH 3
1,2,4,5-Tetramethylbenzen
CH 3
Desulfonierung
Technisch bedeutsam war die Acylierung und Alkylierung zweier Äquivalente des Chlorbenzens mit Trichloracetaldehyd und Schwefelsäure zu 1,1,1-Trichlor-2,2-bis(4-chlorphenyl)ethan, das als hochwirksames aber biologisch schwer abbaubares Insektizid DDT (Abkürzung für "Dichlordiphenyl-β,β,β-trichlorethan") Verwendung fand. O 2
Cl
+
(H 2SO4) , − H2O
Cl3C C
H Cl
H
10.6.3
C
Cl
CCl3 DDT
FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung
Im Gegensatz zur Alkylierung können bei Acylierungen des Benzen-Kerns unter LEWIS-SäureKatalyse (Tab. 10.2, S. 132) keine Umlagerungen eintreten. Deshalb bevorzugt man zur Synthese von Benzenen mit längerem Aliphaten-Rest (Phenylalkane) die Acylierung durch ein Carbonsäurechlorid und anschließende Reduktion des Phenylalkylketons nach WOLFF-KISHNER oder nach CLEMMENSEN (Kap. 20.11). 1. Acylierung
+
Cl
O C CH2 CH 2 CH3
AlCl3 − HCl
Butansäurechlorid (Butyrylchlorid)
O C CH2 CH2 CH 3 Phenylpropylketon (Butyrophenon)
−
+ H2 N−NH2 , OH , 200 °C, − H2O, − N2
O
2. Reduktion
C CH 2 CH2 CH3
WOLF-KISHNER-Reduktion −
+ 2 H + , + 2 e0 , Zn(Hg) / HCl, − H2O
CLEMMENSEN-Reduktion
CH 2 CH 2 CH2 CH 3 Butylbenzen
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142
10.6.4
10 Benzoide Aromaten
Reduktion von Alkenylbenzenen
Da der Benzen-Ring gegenüber der katalytischen Hydrierung stabiler ist als ein Alken, lassen sich Alkenylbenzene selektiv in der ungesättigten Seitenkette zu Alkylbenzenen hydrieren. Bei erhöhten Drucken und Temperaturen wird auch der Ring hydriert, und man erhält Alkylcycloalkane. CH2 CH CH2
+ H2 (Ni), 20 °C, 3 bar
Allylbenzen
10.6.5
CH2 CH2 CH3
CH 2 CH2 CH3
+ 3 H2 (Ni), 130 °C, 120 bar
Propylbenzen
Propylcyclohexan
Cyclotrimerisierung von Alkinen
In Gegenwart spezieller Katalysatoren lassen sich Alkine zu alkylsubstituierten Benzenen cyclotrimerisieren (Kap. 7.5.6). Aus Pentin entsteht auf diese Weise 1,2,4-Tripropylbenzen. Ni(CO) 4
3 HC C CH2 CH2 CH 3 1-Pentin
1,2,4-Tripropylbenzen
10.6.6
Cyclokondensation von Ketonen
Symmetrische Trialkylbenzene wie Mesitylen, entstehen in geringen Ausbeuten durch säurekatalysierte Cyclokondensation von Ketonen. Aus Aceton bildet sich auf diese Weise Mesitylen. CH3 O CH3 H3C
CH 3
CH3 O
O H 3C
konz. H2SO4 , 5 °C
10.6.7
H3C
CH 3
Propanon (Aceton)
CH3
1,3,5-Trimethylbenzen (Mesitylen)
Alkylbenzen-Synthese nach WURTZ und FITTIG
In einer WURTZ-analogen Synthese lassen sich Alkyl- und Arylhalogenide mit Natrium zu alkylierten Aromaten umsetzen. Aus Brombenzen und 1-Brompropan entsteht u. a. Propylbenzen. Br + Br
CH 2 CH 2 CH 3
Na in Ether
CH 2 CH 2 CH3 , Propylbenzen
, H 3C Biphenyl
(CH 2)4 CH3 n-Hexan
Im Gegensatz zur WURTZ-Synthese erhält man bei dieser WURTZ-FITTIG-Synthese vorwiegend das Alkylbenzen; Biphenyl und Alkan sind nur Nebenprodukte. Intermediär tritt ein Phenyl-
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10.7
Reaktionen der Alkylbenzene
143
carbanion auf, welches in einer nucleophilen Substitution mit dem Halogenalkan reagiert. Primäre Alkyl-Gruppen gehen dabei keine Umlagerung ein. Br + 2 Na
+ Br
− NaBr
Na
CH2
CH2
CH3
CH2 CH2 CH 3
− NaBr
Phenylnatrium
10.6.8
Alkylierung über Arylmagnesiumhalogenide
Reaktive Halogenalkane wie Benzylbromid alkylieren Arylmagnesiumhalogenide (aromatische GRIGNARD-Reagenzien). Aus Phenylmagnesiumbromid und Benzylbromid entsteht z. B. Diphenylmethan. MgBr
+
Br
Phenylmagnesiumbromid
Ether
CH2 Benzylbromid
+
CH 2
MgBr2
Diphenylmethan
10.7 Reaktionen der Alkylbenzene 10.7.1
Halogenierung am Kern und in der Seitenkette
Alkylbenzene lassen sich − je nach Reaktionsbedingungen − am Kern elektrophil (Katalysator, Kälte, Kern: KKK) und in der Seitenkette radikalisch substituieren (Siedehitze, Sonnenlicht, Seitenkette: SSS), wie die Chlorierung des Toluens zeigt: CH 2 Cl
CH 3
CH 3
+ Cl2 , Hitze , UV-Licht , − HCl
+ Cl2 , Kälte , AlCl3 als Kat. , − HCl
radikalische Substitution in der Seitenkette
elektrophile Substitution am Ring
α-Chlortoluen (Benzylchlorid)
10.7.2
CH 3 Cl und
o-
Chlortoluen
Cl p-
Seitenketten-Halogenierung und Benzyl-Radikal
Bei der radikalischen Bromierung des Ethylbenzens bildet sich ausschließlich 1-Brom-1-phenylethan. Die Chlorierung liefert zusätzlich etwas 2-Chlor-1-phenylethan, da Chlor-Radikale im Vergleich zu Brom-Radikalen reaktiver und weniger selektiv sind (Kap. 3.4). + Br 2 , hν − HBr
CH2 CH 3
CH CH 3 Br 100 %
+ Cl2 , hν − HCl
CH CH3 Cl 92 %
sowie
CH 2 CH 2 Cl 8%
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144
10 Benzoide Aromaten
Die Beispiele zeigen, daß die α-H-Atome (in Benzyl-Stellung) besonders leicht substituierbar sind. Ein Grund ist die besondere Stabilität des Benzyl-Radikals, wie die Reihung klar macht: C6H 5 CH CH 3 > C 6H5
CH2 > R CH CH CH 2 >> (H 3C)3C > (H 3C)2CH > H 3C CH 2 > H3C > R CH CH
Die mit dem Allyl-Radikal vergleichbare Stabilität des Benzyl-Radikals ist eine Folge seiner Mesomeriestabilisierung: Alle (sp2-hybridisierten) C-Atome des Benzyl-Radikals liegen auf einer Ebene; senkrecht auf dieser Ebene stehen die Achsen der p-Orbitale, so daß im MO-Modell die insgesamt sieben koaxialen p-Orbitale besonders günstig überlappen können. Entsprechend kann man den Zustand des Benzyl-Radikals durch fünf mesomere Valenzstrichformeln beschreiben.
seitiche Überlappung der p-Orbitale des Benzyl-Radikals
mesomere Grenzformeln des Benzyl-Radikals
Da sich diese Elektronendelokalisation bereits im Übergangszustand der Radikalbildung bemerkbar macht, ist die Bindungsdissoziationsenergie für benzyl- und allyl-ständige CH-Bindungen sehr viel kleiner als für primäre Alkyl−CH-Verknüpfungen: CH4 H2C CH CH 3 CH3
10.7.3
−H −H −H
CH3
∆H = 427 kJ / mol
H2C CH CH 2
∆H = 323 kJ / mol
CH2
∆H = 314 kJ / mol
Triphenylmethyl-Radikal
Die Stabilität des Benzyl-Radikals läßt sich erheblich steigern, wenn sich weitere Möglichkeiten zur Delokalisation des ungepaarten Elektrons bieten. Solche bestehen z. B. im TriphenylmethylRadikal, welches von GOMBERG beim erfolglosen Versuch einer WURTZ-Synthese des Hexaphenylethans entdeckt wurde. Dabei löste er Chlortriphenylmethan in Benzen und schüttelte mit Zinkstaub unter Luftausschluß, worauf sich die Lösung gelb färbte. Die Gelbfärbung geht auf die Bildung freier Triphenylmethyl-Radikale zurück: 2 (H 5C6)3CCl + Zn
2 (H5C 6)3C
+ ZnCl2
Das gelbe Triphenylmethyl-Radikal ist nicht nur aufgrund der gegenüber dem Benzyl-Radikal erweiterten Mesomerie besonders stabil, sondern auch wegen der sterischen Abschirmung des zentralen C-Atoms durch die propellerartige Anordnung der Aryl-Reste. Diese PropellerKonformation ist eine Folge der sterischen Wechselwirkung der ortho-H-Atome und verhindert die für eine perfekte Mesomeriestabilisierung erforderliche vollkommene Koplanarität.
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10.7
Reaktionen der Alkylbenzene
145
Unter Luftausschluß und in Benzen-Lösung existiert das Triphenylmethyl-Radikal im Gleichgewicht mit seinem Dimer. Schüttelt man die gelbe Lösung mit Luft, so wird sie farblos, weil sich farblose, stabile Peroxide bilden. Verhindert man weitere Zufuhr von Luft, so färbt sich die Lösung wieder gelb, wenn überschüssiges Dimer erneut zu Triphenylmethyl-Radikalen dissoziiert.
+ O2
2
C O O C
Peroxid
C
C
Triphenylmethyl-Radikal
C H
Dimer
Auch andere Arylmethyl-Radikale zeichnen sich durch eine besondere Stabilität und damit Langlebigkeit in Lösung aus, wie eine kleine Auswahl zeigen soll. CH 3 H3C CH
H3C
C
CH 3
C
CH 3 H3C
2,4,6,2',4',6'-Hexamethyldiphenylmethyl-
10.7.4
Tribiphenylmethyl-
PentaphenylcyclopentadienylRadikal
Difluorenylphenylmethyl-
Hydrierung und Oxidation
Die metallkatalysierte Hydrierung von Alkylbenzenen ist eine Methode zur Darstellung vieler alkylsubstituierter Cyclohexane. H 3C
CH 3
+
3 H2
Pt , Pd oder Ni
CH3
H3C
CH 3
sowie
CH3 trans- und cis-1,4-Dimethylcyclohexan
p-Xylen
Die Oxidation der Seitenkette von Alkylbenzenen führt zu aromatischen Carbonsäuren. Die dazu verwendeten heißen Lösungen von Kaliumpermanganat oder Natriumdichromat in Schwefelsäure (CrO3) oxidieren Benzen-Ringe bei Einhaltung bestimmter Reaktionsbedingungen nicht. CH3
+ 2 CrO3
CO2H +
Cr2O3
+ H2O
Benzoesäure
CH2 CH 2 R +
2 CrO3
CO2H +
HO2C R
+ Cr2O3 + H 2O
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146
10 Benzoide Aromaten
Bei dieser Oxidation werden bevorzugt benzylische C-Atome unter intermediärer Bildung von Alkoholen, Ketonen und Enolen angegriffen. + [O]
H 5C 6 CH 2 CH 2 CH 3
H5C 6 CH CH2 CH 3 OH
+ [O]
H 5C 6 C CH CH 3
H 5C6 C CH 2 CH3
− H2 O
OH
O
1-Phenylpropanol
Keto-Form Enol-Form Propiophenon (Ethylphenylketon)
+ 3 [O]
H5C 6 CO2H
+
HO2C CH 3
Benzoesäure
+
Essigsäure
H 2O
Die besonders aktivierte benzylische CH-Bindung im Triphenylmethan wird bereits durch Luftsauerstoff in CS2-Lösung zum Alkohol oxidiert. Triphenylmethan
(H5C 6C)3C H
O2 in CS2
(H5C 6)3C OH
Triphenylcarbinol
10.8 Darstellung der Alkenylbenzene 10.8.1
Styren-Synthese
Industriell wird das einfachste und wichtigste Alkenylbenzen Styren (Ethenylbenzen, Vinylbenzen, Phenylethen, "Styrol") durch FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierung von Benzen mit Ethen über Ethylbenzen produziert. Ethylbenzen läßt sich bei 600 °C an der Oberfläche eines MischoxidKatalysators (Chrom(III)oxid-Aluminiumoxid) zu Styren dehydrieren. + H2C CH2
10.8.2
H3PO4
FRIEDEL-CRAFTSAlkylierung
Cr 2O3 / Al2O3 , 600 °C
CH2 CH 3
CH CH2
− H2 Dehydrierung
Ethylbenzen
Styren
Alkenylbenzene durch Eliminierung aus Phenylhalogenalkanen und Phenylalkanolen
Die Dehydrohalogenierung von 1-Phenyl-1-halogenalkanen oder die Dehydratisierung entsprechender Alkohole führt zu 1-Phenyl-1-alkenen. Dabei bilden sich bevorzugt (E)-Alkenylbenzene, deren Doppelbindung in Konjugation zum Ring steht. KOH / C2H5OH / Hitze
H5C 6 CH CH2 CH 3 Br
CH 3
− HBr
ZnCl2 / Hitze
H5C 6 CH CH CH 3 OH
− H2O
H 5C6
H5C 6
H
CH 3 H (E)-1-Phenyl-1-propen (viel) H 5C6
H
sowie
CH 3
(E)-2-Phenyl-2-buten
C C H
(Z)-1-Phenyl-1-propen (wenig)
H C C
H 3C
CH 3
sowie
C C
H5C 6
CH 3 C C
H 3C H (Z)-2-Phenyl-2-buten
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10.9 Reaktionen der Alkenylbenzene
10.8.3
147
Alkenylbenzene durch Alkylierung mit 1,3-Dienen
Alkenylbenzene mit alkylischen (isolierten) Doppelbindungen können durch FRIEDEL-CRAFTSAlkylierung von Benzen mit 1,3-Butadien und anderen 1,3-Dienen dargestellt werden. CH 3
H +
H2C CH CH CH2
C C
HF
CH2
H
(E)-1-Phenyl-2-buten (Hauptprodukt)
10.9 Reaktionen der Alkenylbenzene Alkenylbenzene zeigen sowohl typische Benzen-Reaktionen, wie die elektrophile aromatische Substitution, als auch Alken-Reaktionen, wie die elektrophile Addition. Wie bei der katalytischen Hydrierung von Alkenylbenzenen (Kap. 10.6.4) reagiert dabei die Alkenyl-Gruppe immer leichter als der Benzen-Ring. Besonders reaktiv sind konjugierte Alkenyl-Gruppen, wobei sich eine Regioselektion (bevorzugte Orientierung) der Addition ausprägt. CH2 CH R Br
mit Peroxiden: radikalische Addition
β-Bromalkylbenzen
10.9.1
CH CH R + HBr
ohne Peroxide:
CH CH2 R
elektrophile Addition
Alkenylbenzen (Z oder E)
Br α-Bromalkylbenzen
Elektrophile Addition an konjugierte Alkenylbenzene
Die elektrophile Addition an die CC-Doppelbindung verläuft in zwei Stufen unter intermediärer Bildung eines Carbenium-Ions. Br H5C 6 CH CH R + HBr Alkenylbenzen
H5C 6 CH CH 2 R + Br Benzyl-Kation
H 5C6 CH CH2 R α-Bromalkylbenzen
Die leichte Bildung von Carbenium-Ionen aus konjugierten Dienen ist eine Folge der Mesomeriestabilisierung des Übergangszustandes und damit einer geringen Aktivierungsenergie. Das aus Alkenylbenzenen entstehende Benzylcarbenium-Ion ist besonders stabil, da seine positive Ladung im Grundzustand auf fünf mesomere Grenzformeln verteilt werden kann:
mesomere Grenzformeln des Benzyl-Kations
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148
10 Benzoide Aromaten
Bevorzugte Produkte dieser Reaktion sind daher α-Halogenalkylbenzene. Mit diesen α-Halogenalkylbenzenen (z. B. Benzylchlorid) lassen sich andererseits unter sehr milden Bedingungen nucleophile aliphatische Substitutionen vom SN1-Typ (Kap. 14.2.2) durchführen, bei denen die mesomeriestabilisierten Benzylcarbenium-Ionen als Zwischenstufen auftreten.
10.9.2
Radikalische Additionen an Alkenylbenzenen
Bei Additionen an Alkenylbenzenen über freie Radikale tritt bevorzugt das Benzyl-Radikal als mesomeriestabilisierte Zwischenstufe auf (Kap. 10.7.2). Daher findet man als Reaktionsprodukt vorwiegend β-halogensubstituierte Alkylbenzene. Ar
Br
+ Br
CH CH R
Ar
Benzyl-Radikal
10.9.3
Br
+ HBr
CH CH R
− Br
Ar
CH2 CH R
β-Halogenalkylbenzen
Darstellung ringsubstituierter Alkenylbenzene
Unter den zu Ringsubstitutionen erforderlichen scharfen Reaktionsbedingungen würde auch die Alkenyl-Gruppe angegriffen. Deshalb kann die Doppelbindung im Alkyl-Substituenten erst nach einer Ring-Substitution ("KKK"-Reaktion) eingeführt werden (durch "SSS"-Reaktion und nachfolgende β-Eliminierung). Dies wird am Beispiel der 4-Chlorstyren-Synthese aus Ethylbenzen deutlich. Cl CH2 CH3 FeCl3 / Cl2
CH2 CH3
Kälte
"KKK"
Cl2 / hν Hitze "SSS"
Cl 4-Chlor-ethylbenzen
CH CH3
KOH / C 2H 5OH Hitze Eliminierung
Cl
CH CH2 Cl 4-Chlorstyren
α,4-Dichlor-ethylbenzen
10.10 Darstellung der Alkinylbenzene Alkinyl-substituierte Benzene bilden sich durch aufeinanderfolgende Bromierungen und Dehydrobromierungen, wie die Darstellung von Phenylethin aus Styren zeigt.
CH CH2 Ethenylbenzen (Phenylethen, Styren)
+ Br 2
Br CH CH 2 Br
KOH − HBr
Br C CH2
NaNH2 / Hitze − HBr
C C H Ethinylbenzen (Phenylethin)
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10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
149
Die oxidative Dimerisierung terminaler Alkine in Gegenwart von Kupfer(II)-Ionen führt zu Diinen (GLASER-Kupplung). Aus Phenylethin entsteht auf diese Weise Diphenylbutadiin. −
2
C C H
− 2 H+ , − 2 e0 (Cu 2+)
C C C C
− H2O
Diphenylbutadiin
10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide 10.11.1 Physikalische Eigenschaften Monohalogenbenzene (Arylhalogenide) sind aromatisch riechende, ölige, farblose Flüssigkeiten. Sie lösen sich gut in allen gängigen organischen Lösemitteln. Aufgrund ihres wenig polaren Charakters sind Arylhalogenide wasserunlöslich, und besitzen eine höhere Dichte als Wasser. Die vom Fluor- über Chlor- und Brom- zum Iodbenzen ansteigenden Siedepunkte liegen in der Nähe der entsprechenden Hexyl- und Cyclohexylhalogenide. Eine destillative Trennung isomerer o-, m- und p-Dihalogenbenzene ist wegen zu ähnlicher Siedepunkte nicht möglich. p-Dihalogenbenzene schmelzen aufgrund besserer Packungsmöglichkeit im Kristallgitter 70 - 100 °C höher als die o- und m-Isomeren; sie können von den besser löslichen oIsomeren durch fraktionierte Kristallisation getrennt werden. Die Monohalogenbenzene haben erheblich kleinere Dipolmomente als die Halogenalkane (Alkylhalogenide); ihre CX-Bindungslängen gleichen denen der Halogenethene (Tab. 10.10). Tab. 10.10. Bindungslängen (C−Cl) und Dipolmomente ausgewählter Chlor-Verbindungen Chlor-Verbindung
C-Hybridisierung
Chlorethan Chlorethen Chlorethin Chlorbenzen
sp3 sp2 sp sp2
Bindungslänge [pm] 176 169 163 169
Dipolmoment µ [Debye] 2.05 1.44 0.44 1.70
Dies läßt sich durch den (+)-M-Effekt der Halogene und vor allem durch den Hybridisierungswechsel des Kohlenstoff-Atoms erklären. Der tatsächliche Doppelbindungsanteil an den CClBindungen des Chlorbenzens bzw. des Vinylchlorids beträgt nur ungefähr 5 - 6 %. Dipolare Grenzformeln mit partiellen C=X-Doppelbindungen tragen wenig zum Grundzustand dieser Halogenide bei. Stets dominiert der (−)-I-Effekt der Halogen-Atome am Benzen über den (+)-M-Effekt. Daraus resultiert ein Dipolmoment-Vektor vom Kohlenstoff zum Halogen.
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150
10 Benzoide Aromaten
Die elektronischen Effekte der Halogene auf den Benzenring der Monohalogenbenzene lassen sich kurz zusammenfassen: C6H5−F (−)-I- Effekt (+)-M- Effekt C−X- Bindungslänge C=X- Anteil
C6H5−Cl
C6H5−Br
C6H5−I
abnehmend von F zu I, da abnehmende Elektronegativität abnehmend von F zu I, da ungünstigere π-Orbitalüberlappung zunehmend von F zu I, da Volumen des Halogens zunimmt Bindungsenergie nimmt schneller ab als das Ionisationspotential zunimmt immer gilt: (−)-I > (+)-M
10.11.2 Herstellung der Halogenaromaten Substituierte Chlor- und Bromaromaten werden überwiegend durch elektrophile Substitution hergestellt. Folgende Beispiele belegen dies. a) 1,2- und 1,4-Dihalogenbenzene durch elektrophile Halogenierung Br
Br
Cl2 , FeCl3
Br und
Cl
Cl
b) 1,2- und 1,4-Alkylhalogenbenzene durch elektrophile Halogenierung CH3
CH3
Cl2 , FeCl3
CH3 und
Cl
Cl
c) 2,4,6-Tribromphenol durch elektrophile Bromierung OH
OH + 3 Br 2
Br
Br
− 3 HBr
Br
d) Halogennitrobenzene durch elektrophile Nitrierung oder Halogenierung Br
Br
Br
NO2
NO2
NO2
HNO3 , H 2SO4
Br 2 , AlCl3 , Hitze
und
Br 40 %
NO2 60 %
NO2
NO2 Br 2 , Ag 2SO4 , H 2SO4
NO2
Br
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NO2
10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
151
e) o- und p-Alkylhalogenbenzene durch elektrophile Halogenierung; m-Alkylhalogenbenzene über Nitroaren, Anilin, Diazonium-Salz und dessen Reduktion CH3
CH 3
CH 3
HNO3 , H2SO4
Fe , HCl
CH3
CH 3
(CH3 CO) 2 O
CH3
Br 2
H2O
Br NO2
O
NH 2
C
N
O
H
C
CH 3
Br 2 , FeBr 3
CH 3
N
Br NH2
H
CH 3
CH3
HNO2
CH3
CH 3
Br
H3 PO2 (Cu+)
sowie
Br
Br Br p-Bromtoluen
o-Bromtoluen
N Cl N
m-Bromtoluen
f) 1,3,5-Tribrombenzen aus Anilin über Diazonium-Salz und dessen Reduktion NI NH2
NH2 + 3 Br 2
Br
N Br
+ HNO2 , + HCl
Br
Cl Br
+ 2 H+ , + 2 e0
− 2 H2O
− 3 HBr
−
Br
Br
− N2 , − HCl
Br
Br
Br
g) 1,3-Dichlorbenzen über 1,3-Dinitrobenzen, m-Phenylendiamin, dessen Bis-Diazotierung und SANDMEYER-Reaktion des Bis-Diazonium-Salzes NO2
NH2
NO2
Cl
1.) NaNO2 , HCl 2.) CuCl
Fe , HCl
HNO3 , H 2SO4
NH 2
Cl
Die Synthesebeispiele e, f und g zeigen Darstellungen von Halogenaromaten durch Desaminierung von Anilinen über Diazonium-Salze und deren Reduktion bzw. Substitution; DiazoniumSalze entstehen durch Diazotierung von Anilinen mit salpetriger Säure (Kap. 22.6.2, 23.5). X NO2 Halogennitroaren
+ 6 H+ , + 6 e0 − 2 H2O
Reduktion
−
X NH2 Halogenanilin
+ HNO2 , + HCl − 2 H2O
Diazotierung
X N NI Cl Aryldiazonium-chlorid
+ 2 H+ , + 2 e0
−
X H
− N2 , − HCl
Reduktion
Halogenaren
Da die Reaktivität der Halogene in der Reihenfolge F2 >> Cl2 > Br2 >> I2 abnimmt, erfordert die Darstellung von Fluor- und Iodaromaten spezielle Methoden. Iodbenzen kann z. B. durch SAND-
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152
10 Benzoide Aromaten
MEYER-Reaktion des Phenyldiazonium-hydrogensulfats mit Kaliumiodid, BALZ-SCHIEMANN-Reaktion von Phenyldiazonium-tetrafluoroborat hergestellt + KI
N NI HSO4
I
− KHSO4 , − N2
Phenyldiazonium-hydrogensulfat
Iodbenzen + HF , + BF3
N NI Cl
Fluorbenzen durch werden.
Hitze
N NI BF 4
− HCl
F
− N2 , − BF3
Phenyldiazonium-tetrafluoroborat
Fluorbenzen
Beide Reaktionen werden als nucleophile Substitutionen der Diazonium-Gruppe am Aromaten formuliert (Kap. 23.7). Die Darstellung der Diazonium-Salze und ihre anschließende "Verkochung" zu Halogenaromaten wird meist als "Eintopfreaktion" durchgeführt.
10.11.3 Chemische Eigenschaften von Halogenaromaten (Arylhalogeniden) elektrophile Zweitsubstitution In Halogenaromaten desaktiviert das Halogen [(−)-I, (+)-M-Substituent] den Benzen-Ring gegenüber dem elektrophilen Angriff und dirigiert in o- und p-Stellung. Halogenaromaten lassen sich durch elektrophile Substitution halogenieren, nitrieren, sulfonieren und alkylieren. Die Nitrierung des Chlorbenzens gibt z. B. o- und p-Nitrochlorbenzen. Cl [ NO2 ]
Cl
Cl
HNO3 / H2SO4
+
und
− [H+]
o-
O2N
NO2
p-
Nitrochlorbenzen
Metallierung Viele Halogenaromaten lassen sich zu Arylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen) umsetzen. Ihre Reaktionen mit Magnesium erfolgen rasch mit den Iodiden, gut mit den Bromiden und schwer mit den Chloriden; Fluoride reagieren überhaupt nicht [(F) < Cl < Br < I]. Cl
Br
+
Mg
in Tetrahydrofuran
δ++
Cl
δ−
MgBr
δ−
p-Chlorphenylmagnesiumbromid
Die Bildung von Phenyllithium aus Brom- oder Chlorbenzen gelingt in wasserfreiem Ether unter Stickstoff. Br (Cl)
+
2 Li
in Ether − LiBr(Cl)
Li
+ H2O − LiOH
H
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10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
153
Arylmagnesiumhalogenide − die GRIGNARD-Verbindungen aus Halogenaromaten − und Aryllithium-Verbindungen sind vielseitige Reagenzien zur Einführung von Aryl-Resten, u. a. bei der Herstellung von Alkoholen aus Aldehyden und Ketonen (Kap. 15.4.6). Die Reaktion von Halogenalkanen (z. B. 1-Bromhexan) mit Phenylmagnesiumbromid oder Phenyllithium gibt alkylierte Aromaten (z. B. 1-Hexylbenzen) in Analogie zur WURTZ-Synthese der Alkane. Entsprechend lassen sich durch WURTZ-FITTIG-Synthese Aryl- und Alkyl-Gruppen verknüpfen, indem man Halogenaromaten mit Halogenalkan (z. B. R−Br) und Natrium (Metall) umsetzt. Br
+
2 Na
+
Br
R
R
+
2 NaBr
Alkylbenzen
Durch ULLMANN-Reaktion können substituierte Biphenyle aus Aryliodiden und metallischem Kupfer dargestellt werden. NO2
NO2 2
I
+
+
2 Cu
2 CuI
O2N 2,2'-Dinitrobiphenyl
Neuere Methoden der CC-Verknüpfung mit Aromaten sind die HECK-Reaktion (Kap. 4.5.11, 32.6.3) sowie die STILLE- und SUZUKI-Kupplung (Kap. 13.4.4, 32.6.3).
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154
11
Substitutionen an Aromaten
11 Substitutionen an Aromaten 11.1 Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten 11.1.1
π-Komplex, Benzenium-Ion und Energieprofil
Aromatische Verbindungen gehen wegen der Mesomerie und besonderen Stabilität des aromatischen Systems eher elektrophile Substitutionen ein als Additionen, obgleich in beiden Fällen elektrophile Reagenzien angreifen. Beim Zusammenstoß eines Elektrophils Y+ mit dem nucleophilen, elektronenreichen πElektronensextett des Benzens bildet sich zunächst reversibel ein relativ labiler π-Komplex. Dieser gehört zum Typ der Charge-Transfer-Komplexe (charge transfer = Ladungsübertragung). Nach neueren Erkenntnissen kann das Elektrophil auch mit zwei benachbarten C-Atomen des BenzenRings eine Dreizentren-Zweielektronen-Bindung knüpfen. Y
Y + Nucleophil
[Y ]
Y H H π-Komplex
Elektrophil
Das im π-Komplex schwach gebundene Elektrophil Y+ bindet sich in einem zweiten Schritt an ein einzelnes Ring-C-Atom, wobei dieses eine Umhybridisierung von sp2 nach sp3 erfährt. Die vom Elektrophil Y+ in den Kern gebrachte positive Ladung verteilt sich über die verbleibenden fünf sp2-hybridisierten C-Atome. Sämtliche C-Atome bleiben wie im Benzen auf einer Ebene; damit sind die fünf p-Orbitale koaxial und können seitlich überlappen. Es bildet sich ein mesomeriestabilisiertes Phenonium-Kation (Benzenonium-Ion), das weniger treffend auch als σ-Komplex bezeichnet wird. Die Elektronenverteilung im Phenonium-Ion läßt sich durch drei mesomere Valenzstrichformeln beschreiben, nach denen sich die positive Ladung hauptsächlich auf die o- und p-C-Atome verteilt, während die Elektronendichte in m-Stellung zum sp3-Kohlenstoff etwas größer ist. Y
Y H
π-Komplex
H
Y H
Y H
H H σ-Komplex : mesomeriestabilisiertes Phenonium-Ion
Die sp3-Hybridisierung des Y-substituierten Ring-C-Atoms im Phenonium-Ion unterbricht die ursprüngliche cyclische Elektronendelokalisation des Benzen-Kerns. Daher erfordert die Ausbildung des Phenonium-Ions eine sehr hohe Aktivierungsenergie ∆EA2 (Abb. 11.1). Dieser Schritt ist der langsamste und damit geschwindigkeitsbestimmend.
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11.1
Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten
155
Im dritten Schritt deprotoniert eine Base das Phenonium-Ion; die Deprotonierung regeneriert das π-Elektronensextett. Diese wahrscheinlich über einen π-Komplex aus substituiertem Benzen und Proton als Abgangsgruppe verlaufende Rearomatisierung erfordert nur eine geringe Aktivierungsenergie ∆EA3 und verläuft schnell. Gegenüber einer ebenfalls denkbaren Addition der Base ist die Rearomatisierung energetisch bevorzugt und exotherm. Abb. 11.1 skizziert das Energieprofil aller Schritte einer elektrophilen Substitution am Benzen-Ring. Y H B
Y
+B
H
X
H
Y
Y H
H
−H B
H H σ-Komplex : mesomeriestabilisertes Phenonium-Ion
H
keine Addition
Y
+B
Substitution
Epot
∆EA3 ∆EA1
(+)-M]. Dies hat eine höhere Aktivierungsenergie als bei der Nitrierung des Benzens zur Folge.
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11.1
Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten
163
Abb. 11.5 zeigt Valenzstrichformeln und Elektronendichte-Verteilungen dieser Phenonium-Ionen. Zwei dieser Grenzformeln sind ziemlich labil und wären vernachlässigbar, wenn Chlor nur den elektronenziehenden (−)-I-Effekt bewirkte. Chlor kann jedoch auch Elektronen an das π-Elektronensystem des Rings abgeben [(+)-M-Effekt] und seinerseits die positive Ladung aufnehmen. Solche Phenonium-Ionen mit zusätzlicher (+)-M-Stabilisierung können nur im Falle eines o- und p-Angriffs formuliert werden. Diese o- und p-Phenonium-Ionen lassen sich mit vier, die instabileren m-Isomeren nur mit drei Valenzstrich-Formeln beschreiben. Somit wirkt das Halogen in Halogenaromaten insgesamt zwar desaktivierend [(−)-I : Kontrolle der Geschwindigkeit] im Vergleich zu Benzen, aber der (+)-M-Effekt (Kontrolle der Orientierung, Regioselektivität) erniedrigt die Aktivierungsschwelle für einen o- und p-Angriff. Dieses Konzept läßt sich auf alle elektrophilen aromatischen Substitutionen übertragen.
Cl
ortho-Angriff
NO2 H
Cl
Cl
NO2 H
_ I Cl I
NO2 H
_ I Cl I
Cl
_ Cl I
NO2 H
_ Cl I
para-Angriff H NO2
Cl
meta-Angriff
H NO2
Cl
H NO2
H NO2
H NO2
Cl
H NO2
H NO2
Abb. 11.5. Valenzstrichformeln und Elektronendichte-Verteilung der Chlornitrophenonium-Ionen
Nitrierung von Nitrobenzen Die Nitro-Gruppe in Nitrobenzen wirkt als starker (−)-I- und (−)-M-Substituent elektronenziehend. Somit ist bereits die Bildung eines π-Komplexes erschwert, und der ohnehin schwach nucleophile Ring wird durch das Elektrophil nur unter drastischen Reaktionsbedingungen angegriffen. Auch hier werden Reaktionsgeschwindigkeit und Orientierung der Zweitsubstitution von der Bildung des Phenonium-Ions bestimmt. Von den in Abb. 11.6 skizzierten Phenonium-Ionen tragen zwei (o-, p-Isomere) Ladungen mit gleichem Vorzeichen an benachbarten C-Atomen. Wegen dieser energetisch ungünstigen Ladungsverteilung sind diese Formeln praktisch vernachlässigbar. Im m-Isomer verteilt sich die positive Ladung günstiger, was eine gegenüber dem o- und p-Isomer größere Stabilität bedeutet. Da damit auch die Aktivierungsenergie zur Bildung des m-Phenonium-Ions geringer ist, wird dieses bevorzugt gebildet (Abb. 11.7). ̈
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164
11
Substitutionen an Aromaten
Dennoch erfordert die Nitrierung des Nitrobenzens schärfere Bedingungen (rauchende Salpetersäure) als die des unsubstituierten Benzens (Nitriersäure, Kühlung). O
N
O
ortho-Angriff O
N
O
NO2 H
O
O
N
N
O
O
NO2 H
O
O
N
N
O NO2 H
O
para-Angriff H NO2 O
N
O
meta-Angriff
H NO2
H NO2 O
H NO2
N
O
O
H NO2
N
O
H NO2
Abb. 11.6. Valenzstrichformeln (Elektronendichte-Verteilung) der positionsisomeren Phenonium-Ionen bei der Nitrierung des Nitrobenzens
Epot NO2
NO2 H NO2
oder
H NO2 (+ jeweils 2 mesomere Grenzformeln)
∆EA o,p
NO2 (+ 2 mesomere Grenzformeln)
∆EA m
NO2
H
NO2
NO2 Reaktionskoordinate
Abb. 11.7. Energieinhalte regioisomerer Phenonium-Ionen bei der Nitrierung von Nitrobenzen
Der letzte Teilschritt der Nitrierung des Nitrobenzens besteht in der Deprotonierung und Rearomatisierung zum Hauptprodukt 1,3-Dinitrobenzen. O NO2 + [ O=N=O ]
schnell
NO2
π-Komplex
NO2
N
O
langsam
NO2 + BI , − H B
H NO2 3 mesomere Grenzformeln
NO2 1,3-Dinitrobenzen
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11.1
Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten
165
Sonstige Effekte bei Zweitsubstitutionen Auch die orientierende Wirkung anderer Substituenten läßt sich erklären, indem man die stabilisierenden bzw. destabilisierenden Effekte auf die intermediären Phenonium-Ionen vergleicht. Tab. 11.1 gibt eine Übersicht der Erstsubstituenten-Effekte auf die Bildung der Phenonium-Ionen bei der Zweitsubstitution. ̈
Tab. 11.1. Erstsubstituenten-Effekte auf die Ausbildung von Phenonium-Ionen bei der elektrophilen Zweitsubstitution
Erstsubstituent (+)-I , (+)-M (−)-I , (−)-M (−)-I , (+)-M
Aktivierungsenergie zur Bildung des Phenonium-Ions ∆EA ortho , para < ∆EA meta ∆EA meta < ∆EA ortho , para immer (+)-M > (−)-I : ∆EA ortho , para < ∆EA meta Halogene im Grundzustand : (+)-M < (−)-I im Phenonium-Ion : (+)-M > (−)-I
Diese Regeln können sich lockern wie im Falle der reversiblen FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierung und bei Sulfonierungen, wenn man von kinetisch zu thermodynamisch kontrollierten Reaktionen überwechselt. Beispielsweise können unter drastischen Reaktionsbedingungen (höhere Temperaturen) Isomerisierungen eintreten. Ferner wird die Zweitsubstitution monosubstituierter Benzene mit o- und p-dirigierenden Gruppen nie zum statistisch erwarteten o : p-Verhältnis 2 : 1 führen. Abweichungen von diesem Verhältnis können insbesondere sterische Einflüsse und elektrostatische Anziehung oder Abstoßung zwischen Erstsubstituenten auslösen. So nimmt bei der Zweitsubstitution des Brombenzens das o : p-Verhältnis mit zunehmendem Volumen der eintretenden Gruppe ab, z. B. in der Folge Chlorierung, Nitrierung, Bromierung, Sulfonierung. % o-
Chlorierung Nitrierung
Br
Bromierung Sulfonierung FRIEDEL-CRAFTSAcylierung und Alkylierung
% p-
% m-
42
51
7
41 13
59 85
0.2 2
fast ausschließlich p-Produkt
Ebenso nimmt das o : p-Verhältnis mit zunehmender Größe des Erstsubstituenten ab, z. B. bei der Nitrierung von Alkylbenzenen: CH3 1.57
Erstsubstituent o : p-Verhältnis bei der Nitrierung
CH 2 CH 3 0.93
C(CH 3)3 0.22
CH(CH3)2 0.48
Induktive und sterische Effekte sind die Ursache für die Abnahme des o : p-Verhältnisses und den gleichzeitigen Ausbeutezuwachs an m-Produkt aufgrund des zunehmenden (−)-I-Effekts der Erstsubstituenten: Erstsubstituent o : p-Verhältnis bei der Nitrierung m-Produktausbeute
CH 3 1.57 4
CH2Cl 0.75 12
CHCl2 0.53 34
CCl3 0.23 64
CF 3 0 100 %
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166
11
Substitutionen an Aromaten
Mit steigender Anzahl von Methylen-Brücken zwischen funktioneller Gruppe und Benzen-Kern schwindet der Einfluß dieser Gruppe, und die Produktverhältnisse nivellieren sich in Richtung Alkyl-Substituent. Dies wird durch das Produktverhältnis [%] bei der Nitrierung monosubstituierter Benzene deutlich (Tab. 11.2). Tab. 11.2. Regioselektivität der Nitrierung monosubstituierter Benzene (Produktausbeuten in %)
opm-
−NO2
−CH2−NO2
−CH2−CH2−NO2
5 2 93
36 14 50
35 52 13
−COOC2H5 −CH2−COOC2H5
24 4 72
42 47 11
Auch ein Wechsel des Katalysators kann das Isomerenverhältnis erheblich beeinflussen, wie die Darstellung der Dibrombenzene mit AlCl3 und FeCl3 als Katalysator zeigt: Br
Br 2 , AlCl3
% o-
% p-
% m-
8
62
30
13
85
2
Br 2 , FeCl3
Dibrombenzen
Ferner kann eine Temperaturänderung das Isomerenverhältnis verschieben, wie es z. B. bei der Nitrierung der Benzoesäure oder bei der Sulfonierung des Toluens beobachtet wird (Tab. 11.3). Tab. 11.3. Einfluß der Reaktionstemperatur auf die Regioselektivität elektrophiler Substitutionen (Nitrierung der Benzoesäure, Sulfonierung des Toluens)
Reaktion
Temperatur [°C]
Nitrierung von C6H5−COOH
30 −30
Sulfonierung von C6H5−CH3
100 0
o-
Produktausbeute [%] p-
m-
22 14 13 53
2 1 79 43
76 85 8 4
Normalerweise findet man nur bei der reversiblen Sulfonierung und der FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierung starke Temperatur- sowie sterische Einflüsse. Das Lösemittel beeinflußt die Reaktionsgeschwindigkeit mehr als das Isomerenverhältnis. Dies zeigt sich u. a. an der konstanten Produktverteilung bei der Nitrierung von Benzoesäure in unterschiedlichen Nitriermedien: CO2H
HNO3 / H2SO4 HNO3
% o-
% p-
% m-
20
5
75
22
1
77
Nitrobenzoesäure
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11.2
Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten
11.1.9
167
Darstellung mehrfach substituierter Benzene
Der Eintritt einer weiteren Gruppe in ein disubstituiertes Benzen unterliegt dem Einfluß beider Erstsubstituenten. Für derart komplexe Fälle gelten keine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten. Bei der Syntheseplanung kann man sich jedoch an zwei Faustregeln orientieren: ̈ Substituenten mit stark aktivierenden Effekten dominieren über solche mit desaktivierenden oder nur schwach aktivierenden Einflüssen. ̈ Ein dritter Substituent geht nicht in die 2-Stellung 1,3-disubstituierter Benzene. Abb. 11.8 gibt einige Beispiele zur Regioselektivität der elektrophilen Substitution (Nitrierung) unter Einfluß mehrerer Erstsubstituenten; der längste Pfeil markiert die bevorzugte Eintrittsstelle.
CH 3
NO2
CH 3
CH 3
CH 3
Cl
NH2
NH 2
NH 2
NO2
CH 3
OH
Cl
CH 3
CHO
CH 3
NO2
NHCOCH3
CH 3
NO2
Cl
CN Cl
Br
OH CH 3
OCH 3
NO2
OH
SO3H
OH
NO2
NHCOCH 3
Abb. 11.8. Regioselektivität der elektrophilen aromatischen Substitution unter Einfluß mehrerer Erstsubstituenten; der längste Pfeil markiert die bevorzugte Eintrittsstelle
11.2 Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten Wie bei Aliphaten (Kap. 14) findet man bei Benzen-Derivaten nucleophile Substitutionen mit bimolekularen und solche mit monomolekularen Mechanismen. Außerdem kann der Substituentenaustausch auch über eine Folge von Eliminierung und Addition mit Arin-Zwischenstufe ablaufen. Alle drei Mechanismen sind eng mit den chemischen und physikalischen Eigenschaften sowie der Darstellung der vier Halogenbenzene verknüpft.
11.2.1
Nucleophile Substitutionen an Arylhalogeniden
In substituierten Phenyl- und Vinylhalogeniden kann das Halogen durch nucleophile Reagenzien, die unter den Bedingungen einer Alkylhalogenid-Substitution noch gut reagieren, nicht ersetzt werden. Während Chlorbenzen mit Hydroxid als Nucleophil zu Benzylalkohol umgesetzt wird, widersteht Chlorbenzen unter moderaten Bedingungen der analogen Reaktion zum Phenol. CH2 Cl + OH
α-Chlortoluen (Benzylchlorid)
CH 2 OH + Cl
Benzylalkohol
Cl
Chlorbenzen
+
OH
OH
Phenol
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+
Cl
168
11
Substitutionen an Aromaten
Andererseits reagieren Arylhalogenide mit elektronenziehenden und m-dirigierenden Substituenten in o- und p-Stellung zum Halogen unter milden Bedingungen mit Nucleophilen, da solche Gruppen die o- und p-Stellung des aromatischen Ringes positivieren. o- und p-Nitrochlorbenzen werden bereits bei Raumtemperatur (RT) durch Hydroxid als Nucleophil zu den entsprechend substituierten Phenolen umgesetzt: Cl + OH
OH + Cl
RT
NO2
OH + Cl
RT
O2N
NO2
o-Nitrochlorbenzen
Cl + OH
o-Nitrophenol
O2N
p-Nitrochlorbenzen
p-Nitrophenol
Weitere typische nucleophile Substitutionen nitroaktivierter Halogenaromaten machen nicht nur Nitrophenole, sondern auch Thiophenole, Anilin-Derivate und Hydrazine zugänglich: NO2 O2N
OH
NO2
NaOH in H2 O, 80 °C
H2 N
2,4-Dinitrophenol O2N
O2N
SH
NaSH in H2 O
Cl
NO2 2,4-Dinitrochlorbenzen
NH 2
O2N
NH NH 2
2,4-Dinitrophenylhydrazin (H3 C) 2 NH in Ethanol, 25 °C
NO2 2,4-Dinitrothiophenol
NH(CH 3)2 Cl
O2N
NO2 N,N-Dimethyl-2,4-dinitrophenylammoniumchlorid
Gegenüber diesen Reaktionen erfordert die nucleophile aromatische Substitution des Halogens in Chlorbenzen oder m-Nitrochlorbenzen vergleichsweise drastische Reaktionsbedingungen. Cl
+
OH
NaOH, H2O, 350 °C, hoher Druck
Cl
m-Nitrochlorbenzen
+
Cl
OH
+
Cl
Phenol
Chlorbenzen O2N
OH
+
OH
NaOH, H2O, >300 °C, hoher Druck
O2N
m-Nitrophenol
Aufgrund der erforderlichen hohen Temperaturen und Drucke sind solche Reaktionen im Labor nur schwierig realisierbar. Sie werden jedoch bei vielen technischen Synthesen in großen Ansätzen durchgeführt. Die ungewöhnlich schwache Reaktivität nicht aktivierter Halogenaromaten läßt sich erklären: Aryl- und Vinylhalogenide enthalten sp2-hybridisierte C-Atome, was ebenso wie der (+)M-Effekt zu einer stärkeren und kürzeren Bindung des Chlors beiträgt. Vinyl- und Arylhalogenide sind daher wesentlich stabiler als Halogenalkane, bei denen das Halogen weniger stark an ein sp3-C-Atom gebunden ist.
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11.2
Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten
169
Halogenaromaten können nicht wie Halogenalkane die für SN2-Reaktionen (Kap. 14.2.1) erforderlichen Übergangszustände ausbilden, da kein nucleophiler Angriff von einer Rückseite her möglich ist. Auch SN1-Reaktionen (Kap. 14.2.2) sind unwahrscheinlich, da die Mesomerie der Halogenaromaten eine heterolytische Spaltung in Aryl-Kationen und Halogenid-Anionen erschwert. Ein nucleophiler Angriff am halogenierten C-Atom würde zu einer Aufhebung der Aromatizität im Übergangszustand führen und eine entsprechend hohe Aktivierungsenergie zur Umhybridisierung dieses C-Atoms von sp2 nach sp3 erfordern.
11.2.2
Mechanismus der bimolekularen nucleophilen Substitution am Aromaten
Die Beispiele (Kap. 11.2.1) zeigen, daß Halogenaromaten mit Nucleophilen unter milden Bedingungen reagieren, wenn stark elektronenziehende Substituenten wie die Nitro-Gruppe in o- und pStellung zum Halogen stehen. Eine Nitro-Gruppe in m-Stellung zum Halogen aktiviert dagegen nicht. Die Darstellung isomerer Phenole aus o-, p- und m-Nitrochlorbenzenen demonstriert den Mechanismus und den aktivierenden Effekt der Nitro-Gruppe. Diese Reaktion verläuft über zwei Stufen nach einer Kinetik 2. Ordnung. Somit wird sie abgekürzt als SNAr2 klassifiziert. Zunächst bildet sich durch den nucleophilen Angriff des Hydroxid-Ions am chlortragenden CAtom des Nitrochlorbenzens ein mesomeriestabilisiertes Carbanion. O
NO2 Cl
+
OH
N
langsam
O
O Cl OH
N
O
O
Cl OH
N
O Cl OH
O
N
O Cl OH
mesomeriestablisiertes Carbanion
Da dieser Schritt den aromatischen Zustand aufhebt, erfordert er eine hohe Aktivierungsenergie und bestimmt die Geschwindigkeit. In einem schnellen Folgeschritt spaltet das Carbanion ein Chlorid-Ion ab und rearomatisiert auf diese Weise zum Nitrophenol. O
N
O Cl OH
vier mesomere Grenzformeln
NO2 schnell
OH
+
Cl
o-Nitrophenol
Die aus o- und p-Nitrochlorbenzen resultierenden Carbanionen sind stärker stabilisiert, da sie ihre negative Ladung durch Mesomerie über mehr Atome delokalisieren und damit besser verteilen
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170
11
Substitutionen an Aromaten
können (vier Valenzstrichformeln) als das Carbanion des m-Nitrochlorbenzens (drei Grenzformeln) oder des unsubstituierten Chlorbenzens (ebenfalls drei Grenzformeln). Cl
+
OH
Cl OH
langsam
Cl OH
Cl OH drei mesomere Grenzformeln
Cl
+
OH
Cl OH
langsam
NO2
Cl OH
NO2
NO2
Cl OH
NO2
(−)-M-Substituenten in o- und p-Stellung zum Halogen senken die Aktivierungsenergie zur Bildung des Übergangszustands, da sie die Elektronendichte am halogenierten C-Atom erniedrigen. Indem der elektronenanziehende Substituent die negative Ladung des Carbanions teilweise übernimmt, wird diese besser verteilt, was den Übergangszustand stabilisiert. (−)-M-Substituenten erhöhen andererseits die Aktivierungsenergie zur Bildung der Carbanionen und bremsen somit die Reaktion. Sie konzentrieren die negative Ladung im Kern, erschweren einen nucleophilen Angriff am halogenierten C-Atom und destabilisieren den Übergangszustand. Die bei der nucleophilen Substitution (SNAr2) aktivierenden Gruppen desaktivieren bei der elektrophilen aromatischen Substitution. Entsprechend kehren sich bei SNAr2-Reaktionen die in Tab. 10.7 (S. 137) skizzierten Substituenteneffekte auf die Reaktivität um. Von allen SNAr2-aktivierenden Resten hat die Nitro-Gruppe den stärksten Einfluß. Gewichtige mesomere Grenzformeln einiger Carbanionen zeigen, daß der aktivierende Substituent im Übergangszustand stets die negative Ladung des Nucleophils übernimmt (Nu = Nucleophil, X = austretende Gruppe): Nu X
O C
Nu X
O C
O
Nu X
Nu X
CH 3
N
O
C NI _
Zusätzliche Nitro-Gruppen in o- und p-Stellung begünstigen SNAr2-Reaktionen vehement. So kann das 2,4,6-Trinitrochlorbenzen bereits durch Wasser hydrolysiert werden, und das als Reagenz auf Amino-Gruppen benutzte 2,4-Dinitrofluorbenzen (SANGER-Reagenz) reagiert mit primären Aminen rasch unter milden Bedingungen. O O2N
F
NO2 2,4-Dinitrofluorbenzen
+
H2N CH2 C NH 2 Glycinamid
− HF
O O2N
NH CH2 C
NH 2 NO2 N-(2,4-Dinitrophenyl)glycinamid
Im Gegensatz zu SN1-Reaktionen der Halogenalkane hat bei SNAr2-Reaktionen die Art des Halogens kaum einen Einfluß auf die Geschwindigkeit. Nur die Fluoraromaten reagieren etwas rascher
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11.2
Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten
171
aufgrund des starken (−)-I-Effekts von Fluor, der die Elektrophilie des verknüpften C-Atoms erhöht. Eine Gegenüberstellung der drei Typen nucleophiler Substitutionen, SN1 und SN2 (Substrate: Halogenalkane R−X) und SNAr2 (Substrate: Halogenaromaten, Ar−X) faßt die Kennzeichen dieser Reaktionen zusammen (Abb. 11.9). Epot
Epot X
+ [R ]
HO
Epot
X
X Ar
+ OH
OH
C R
C
X + OH
X + OH
Ar
HO
R OH + X
C
+ X
SN2 : Halogenalkan (Alkylhalogenid) bimolekulare, konzertierte Reaktion instabiler Übergangszustand
SN1 : Halogenalkan (Alkylhalogenid) unimolekulare Reaktion Carbenium-Ion als Zwischenstufe
X + OH
Ar
OH + X
SNAr2 : Halogenaren (Arylhalogenid) bimolekulare Reaktion Carbanion als Zwischenstufe
Abb. 11.9. Vergleich der Aktivierungsenergien nucleophiler Substitutionen an Halogenalkanen und Halogenaromaten
Das Lösemittel kann andererseits die Reaktionsgeschwindigkeit entscheidend beeinflussen. So reagieren in Dimethylsulfoxid (DMSO) auch nicht aktivierte Halogenaromaten mit tertiären Alkoxiden. Cl
+
O C(CH 3)3
in (CH3) 2SO − Cl
−
t-Butanolat-Anion
11.2.3
C(CH3)3 O
t-Butylphenylether
Monomolekulare nucleophile Substitutionen am Aromaten
Die aus Aminobenzenen zugänglichen Phenyldiazonium-Salze können mit Nucleophilen unter Stickstoff-Abspaltung reagieren (SANDMEYER-Reaktion), wie einige Beispiele zeigen (Kap. 10.11.2) . NH2 Anilin
HNO2
N2 Phenyldiazonium-Ion
− N2
+ Cl
Phenyl-Kation
−
Cl Chlorbenzen
In unpolaren oder basischen Lösungen kann diese Reaktion auch radikalisch (über PhenylRadikale) ablaufen. In sauren, polaren Lösungen dominiert jedoch der beschriebene ionische Me-
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172
11
Substitutionen an Aromaten
chanismus. Dieser gehört zum Typ einer monomolekularen aromatischen Substitution, da die nach erster Ordnung verlaufende Zersetzung des Phenyldiazonium-Salzes geschwindigkeitsbestimmend ist. Das entstehende Aryl-Kation reagiert demnach in einem schnellen Schritt mit Nucleophilen wie Halogenid-, Hydroxid- oder Alkoxid-Ionen. Heterolytische Spaltungen der CN-Bindung im Diazonium-Salz werden durch elektronenabgebende Gruppen im Phenyl-Rest erleichtert und durch elektronenanziehende erschwert. Die Reaktivität m-substituierter Phenyldiazonium-Salze (Y = meta-Substituent) nimmt in der Folge OH > CH3 > H > Cl > NO2 ab. Y
Y
X
N NI X
+
N2
Die Substituenten OH oder OCH3 wirken in p-Stellung jedoch desaktivierend, da ihr (+)-M-Effekt über den Benzen-Kern eine partielle CN-Doppelbindung zur Diazonium-Gruppe mit (−)-M-Effekt bildet. Diese Mesomerie stabilisiert die Bindung der Diazonium-Gruppe am Benzen-Ring. H3C _ O _
H 3C N NI
O _
N NI _
p-Methoxyphenyldiazonium-Ion
11.3 Eliminierungs-Additions-Mechanismus 11.3.1
Mechanismus der Aminierung des Brombenzens
Die Aminierung des Brombenzens durch Natriumamid in flüssigem Ammoniak als Lösemittel folgt einem Eliminierungs-Additions-Mechanismus. Im ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Schritt bildet sich durch Eliminierung ein Arin (Dehydrobenzen); dabei entzieht das Amid-Ion als starke Base dem Benzen-Ring ein Proton in o-Stellung zum Halogen. H Br
− NH3
+
Br
INH 2
H Brombenzen
Carbanion
− Br
−
Dehydrobenzen (Arin)
Im zweiten schnellen Reaktionsschritt addiert das Amid-Ion an das Arin unter Bildung von Anilin (Addition). NH 2 +
INH 2
NH2
+ NH3 − INH2
Carbanion
Anilin
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11.3
Eliminierungs-Additions-Mechanismus
173
Das kleinste noch stabile Cycloalkin ist Cyclooctin. Das Dehydrobenzen-Intermediat ist somit eine hochreaktive, gespannte Zwischenstufe, deren Dreifachbindung von der in Alkinen üblichen linearen Geometrie abweicht: Die dritte Bindung resultiert aus der seitlichen Überlappung von sp2Hybridorbitalen zweier benachbarter benzoider C-Atome.
:
oder
oder
Im Gegensatz zur rotationssymmetrischen Elektronendichteverteilung in den Molekülorbitalen von Ethin ist beim Dehydrobenzen die seitliche Überlappung der beiden sp2-Orbitale entlang einer der sechs Seiten des Rings und senkrecht zur π-Elektronenwolke gering. Arine lassen sich als starke Dienophile u. a. durch DIELS-ALDER-Reaktion abfangen. Einen weiteren experimentellen Hinweis für den Arin-Mechanismus liefert die Aminierung von 14C-ringmarkiertem Chlorbenzen mit Kaliumamid in Ammoniak. * Cl
* NH2
+ 2 KNH2 in NH3, − 33 °C
*
+
− 2 KCl
* : 14C markiertes Ring-C-Atom
48 %
52 %
NH2
*
Würde die Reaktion den Mechanismen der nucleophilen Substitution (Kap. 11.2) folgen, so entstünde nur ein Reaktionsprodukt, nämlich Anilin mit 14C-markiertem C-1. Die gefundene geringfügige Abweichung vom theoretisch zu erwartenden 50 : 50 Verhältnis für die C-1- und C-2Markierung ist eine Folge des kinetischen Isotopie-Effekts. Solche Isotopie-Effekte treten auf, weil wegen der größeren Masse die Reaktionsgeschwindigkeit an 14C-Atomen etwas geringer ist. Im Falle substituierter Halogenaromaten verlaufen die Eliminierungs- und Additions-Teilschritte immer über das stabilere Carbanion. Abb. 11.10 skizziert die Aminierung von o- und m-Chloranisol, die nur zu einem Reaktionsprodukt führt. In diesem Fall sind die CarbanionenZwischenstufen durch den (−)-I-Effekt der Methoxy-Gruppe stabilisiert. Da dieser induktive Effekt nur über wenige Atome hinweg wirkt, sind Carbanionen mit negativer Ladung nahe der Methoxy-Gruppe etwas stabiler als andere. OCH3 Cl
+ NH 2
OCH3
OCH 3
−
Cl
− NH 3
− Cl
−
OCH3 − Cl
−
Cl
+ NH2 − NH 3
OCH3
−
Cl
o-Chloranisol
m-Chloranisol + NH2
OCH3 H2N
−
OCH 3 + NH 3 − NH 2
−
H 2N
OCH 3
H 2N
m-Methoxyanilin (m-Anisidin) einziges Produkt
OCH3 Cl weniger stabil
Abb. 11.10. Aminierung von o- und m-Chloranisol
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174
11
11.3.2
Substitutionen an Aromaten
Weitere nucelophile Substitutionen an nicht aktivierten Aromaten
Durch Wahl der Reaktionsbedingungen kann man oft denselben Halogenaromaten sowohl nach einem SNAr2 als auch nach dem Arin-Mechanismus zur Reaktion bringen. Viele Phenole und aromatische Amine können auf diese Weise hergestellt werden. Der Arin-Mechanismus erklärt die dabei beobachteten Umlagerungen; deshalb werden diese Reaktionen auch als cine-Substitutionen bezeichnet (griech. κινειν = bewegen). OH 2 H 3C
Cl
+ 2 NaOH (H2O, 340 °C, Druck) − 2 NaCl
H 3C
p-Chlortoluen
OH
+
p-Kresol (50 %)
+ 2 KNH2 (NH3, − 33 °C)
2 H 3C
− 2 KCl
Cl
m-Kresol (50 %)
+
H 3C
+ NaNH2 (NH3, − 33 °C)
H 3CO
− NaI
H3C NH2
H 2N o-Toluidin (50 %)
o-Chlortoluen
H3C
m-Toluidin (50 %)
H 3CO NH2 m-Aminoanisol (m-Anisidin)
I
o-Iodanisol
N(C 2H5)2
Cl −
N(C2H 5)2
+ Li+ N(C2H5) 2 in Ether
2
+
− LiCl
1-Chlornaphthalen
1-(N,N-Diethylamino)naphthalen (40 %)
2-(N,N-Diethylamino)naphthalen (60 %)
Phenyllithium kann auch an nicht substituiertem Fluorbenzen Reaktionen vom Arin-Typ auslösen, wie am Beispiel einer Synthese der Biphenyl-o-carbonsäure klar wird. Im allgemeinen reagieren Arylfluoride jedoch bevorzugt nach dem SNAr2-Mechanismus. F
F
+ C6H5Li in Ether − C6H6
Li
CO2H
+
+ CO2, + [H ]
+ C6H5Li
− LiF
− Li
Li
+
Biphenylo-carbonsäure
Polychlorphenole ("PCP", z. B. 2,4,5-Trichlorphenol) können bei hohen Temperaturen nach SNAr2- oder Eliminierungs-Additions-Mechanismen cyclisieren. Dabei bilden sich u. a. die hochtoxischen, teratogenen, mehrfach chlorierten Dibenzodioxine, darunter das Seveso-Dioxin TCDD. Chlorierte Dibenzodioxine müssen wie viele andere biologisch schwer abbaubare Halogenalkane und Halogenaromaten in besonderen Verbrennungsanlagen entsorgt werden. Cl
Cl
HO
Cl
Cl
Cl
+ Cl
OH
2,4,5-Trichlorphenol
> 300 °C, − 2 HCl
Cl
O
Cl
Cl
O
Cl
2,3,7,8-Tetrachlordibenzo[b,e]-[1,4]dioxin (TCDD)
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12.1 Nomenklatur polycyclischer Aromaten
175
12 Polycyclische Aromaten 12.1 Nomenklatur polycyclischer Aromaten In polycyclischen, auch als kondensiert oder mehrkernig bezeichneten aromatischen Kohlenwasserstoffen sind mehrere Benzen-Ringe aneinander geknüpft. Einfachster Vertreter ist Naphthalen (Tab. 12.1). Es besteht aus zwei Benzen-Ringen, die über eine gemeinsame Bindung (zwei gemeinsame C-Atome) miteinander verknüpft sind. Drei Benzen-Ringe lassen sich linear oder gewinkelt ("angular") verknüpfen ("anellieren", "fusionieren", "kondensieren"), wie die Beispiele Anthracen und Phenanthren (Tab. 12.1) zeigen. Alle polycyclische Aromaten erfüllen wegen des gemeinsamen Strukturelements Benzen die Aromatizitätskriterien. Ihre typische Reaktion ist daher die elektrophile aromatische Substitution. Im Vergleich zu Benzen sind sie jedoch reaktiver und neigen mehr zu Additionen. Für die wichtigsten mehrkernigen Aromaten gelten individuelle Bezeichnungen und eine festgelegte Ring-Bezifferung (Tab. 12.1). Größere Ringsysteme werden als Benzenhomologe angesehen. Positionsziffern oder Buchstaben kennzeichnen verknüpfende C-Atome am Grundskelett, wobei [a] eine 1,2-Fusion (Verknüpfung) und [b] eine 2,3-Fusion bedeuten. Tab. 12.1. Nomenklatur und Ringbezifferung ausgewählter kondensierter Aromaten (Für jeden Aromaten steht nur eine Valenzstrichformel, die den tatsächlichen Bindungszustand des Moleküls nicht wiedergibt)
6 5
7a
7
8a 8
1 2
3
4
5
3a
Inden dinuclear
9
9a 1
8
4b 4a 4
5
8a
4a
1
5
4
Naphthalen dinuclear
Fluoren trinuclear
10 7
6a
11
11a
6
5a
12 5
12a
4a
1 4
7 6b 6a 6
Naphthacen (Tetracen) Benzo[b]anthracen
1 12b
11 12 12a
10a 10
1 12b
4a
8a
1 4
8 5
9 10 10a 1 4b 4a 4
Phenanthren trinuclear gewinkelt kondensiert
8a
4b 5
12
4c 4a
5 4a
1,2-Benzophenanthren Benzo[a]phenanthren
10
10a
9a
9 10 10a
8 4
9
Anthracen trinuclear linear kondensiert 8a
10a
8a
8
8
10 10a 1
12a
4
1
Chrysen Benzo[c]phenanthren
5a 5
3a
Pyren Benzo[d,e,f]phenanthren
12
4
10 10a
4a
12a 4b 12 5 8b 8a 8 9
Triphenylen Benzo[ l ]phenanthren
7 6a 6
12 12a 1 12b 11b
1
11a
5a 5
2b
2a
3a
Benzopyren Benzo[a]pyren
Coronen Hexabenzobenzen
Hexahelicen Phenanthro[a]phenanthren
Die positionsisomeren, an C-1 bzw. C-2 monosubstituierten Naphthalene werden auch als α- und β-Isomere bezeichnet. Naphthalene mit identischen Substituenten in den 1,8- oder 2,6-Stellungen können durch die Präfixe peri- bzw. amphi- gekennzeichnet werden.
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12 Polycyclische Aromaten
12.2 Bindungszustand und Mesomerie Naphthalen als einfachster kondensierter Aromat ist ein ebenes Molekül, wie die Modelle zeigen (Abb. 12.1). Seine σ-Bindungen kommen durch Überlappung der sp2-Hybridorbitale von zehn trigonalen C-Atomen zustande. Durch seitliche Überlappung der senkrecht zur Molekülebene stehenden zehn p-Orbitale resultiert oberhalb und unterhalb der Ebene der C-Atome eine delokalisierte π-Elektronenwolke, die zehn Elektronen enthält (Abb. 12.2). Im Valenzstrich-Formalismus kann Naphthalen als Hybrid dreier mesomerer Grenzformeln a, b und c betrachtet werden.
Abb. 12.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalottenmodell des Naphthalens π
σ
π
(a)
(b)
(c)
(d)
Abb. 12.2. Mesomere Grenzformeln (a - c) und Entstehung des π-Elektronensystems von Naphthalen durch Überlappung koaxialer p-Orbitale (d)
Eine häufig verwendete, die benzoide Struktur des Naphthalens andeutende Formel mit zwei einbeschriebenen Kreisen ist nicht korrekt: Naphthalen hat nur ein vollständiges π-Elektronensextett. oder
nicht korrekt:
Die durch Messung der Verbrennungswärme bestimmte Mesomerieenergie des Naphthalens beträgt 255.6 kJ/mol. Das bedeutet eine Mesomeriestabilisierung von 127.8 kJ/mol pro Ring verglichen mit 150.8 kJ/mol für Benzen. Naphthalen und besonders die höheren Acene sind daher weniger stabil und weniger aromatisch als Benzen. Die geringere Stabilisierung pro Ringeinheit bedeutet andererseits eine Erhöhung der Reaktivität.
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12.2
Bindungszustand und Mesomerie
177
Relative Stabilitäten kondensierter Aromaten lassen sich mit Hilfe der CLAR-Regel vorhersagen, nach der die Polycyclen umso stabiler (energieärmer) sind, je mehr autonome π-Elektronensextetts sie enthalten, wie die Beispiele des Anthracens und Phenanthrens zeigen (Tab. 12.2).
Anthracen (linear anelliert) ein autonomes π-Elektronensextett
Phenanthren (angular anelliert) zwei autonome π-Elektronensextetts
Tab. 12.2. Mesomerieenergien einiger mehrkerniger Aromaten M e s o m e r i e e n e r g i e insgesamt
kcal / mol 36.0 61.0 85.9 99.2 130.0 134.4
Benzen Naphthalen Anthracen Phenanthren Tetracen Chrysen
kJ / mol 150.8 : 255.6 : 360.0 : 415.6 : 544.7 : 563.1 :
1 2 3 3 4 4
= = = = = =
pro Benzen-Ring kJ / mol 150.8 127.8 120.0 138.5 136.2 140.8
Isomere meso-substituierte Pentacene sind weitere Beispiele: stabiler sind die Tautomeren (Isomeren) mit der größeren Anzahl autonomer π-Elektronensextetts. In den Formeln kennzeichnet "b" einen benzoiden Ring mit π-Elektronensextetts, "q" einen chinoiden mit nur zwei konjugierten Doppelbindungen ("q" von englisch "quinone" für Chinon). CH3 q
q
b
CH2 q
q
q
b
OH q
b H H stabil
labil
q
q
b
O q
unbekannt
q
q
b
b
q
H H stabil
Die gegenüber Benzen verkürzten Bindungslängen des Naphthalens und Anthracens spiegeln den höheren Alken-Charakter der C-1−C-2-Bindung in mehrkernigen Aromaten wider. 136 142
136 139
Naphthalen
137 143 140
142
144
140 139
Anthracen Benzen Bindungslängen in pm
134
H2C CH2 Ethen
Dieser Tatsache trägt die Beschreibung des Naphthalens durch die drei Formeln a, b und c (Abb. 12.2) Rechnung, in denen die 1,2-Doppelbindung zweimal und die 1,2-Einfachbindung nur einmal auftritt. Analoge Betrachtungen lassen sich für andere polynucleare Aromaten anstellen. So findet man einen besonders ausgeprägten olefinischen Charakter für die 9,10-Bindung des Phenanthrens.
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178
12 Polycyclische Aromaten
12.3 Gewinnung polycyclischer Aromaten Einige kondensierte Aromaten kommen im Steinkohlenteer und in den Rückständen der ErdölDestillation vor. Naphthalen, Anthracen, Phenanthren und ihre Alkyl-Derivate werden durch "Teerverwertung" in technischem Maßstab gewonnen. Teere (auch die des Tabakrauches) enthalten u. a. mehrere stark carcinogene polycyclische (mehrkernige) Kohlenwasserstoffe, z. B. Benzo[a]pyren (Tab. 12.1). Aus Cycloalkanen oder hydroaromatischen Kohlenwasserstoffen wie Tetralin (Tetrahydronapthalen) lassen sich vollaromatische Ringsysteme durch katalytische Dehydrierungen in Gegenwart von Pt-, Pd- oder Ni-Katalysatoren herstellen. Alternativ kann man auch in der Hitze oder in Gegenwart von Selen, Schwefel oder Disulfiden dehydrieren. Umgekehrt sind viele Hydroaromaten und Polycycloalkane wie die Decaline (Kap. 8.4.3) durch Hydrierung mehrkerniger Aromaten zugänglich. Hydrierung
Hydrierung
Dehydrierung Hydrierung
Decalin (cis- + trans-)
Tetralin
1,4-Dihydronaphthalen
Naphthalen
12.4 Typische Reaktionen 12.4.1
Elektrophile aromatische Substitutionen des Naphthalens
Naphthalen ist aufgrund seiner geringeren Mesomeriestabilisierung leichter substituierbar als Benzen. Dementsprechend läßt sich Naphthalen unter moderaten Bedingungen nitrieren, bromieren, sulfonieren und acetylieren (Abb. 12.3). Die Produkte sind attraktive Edukte industrieller organischer Synthesen. Die Substitution durch ein Elektrophil Y+ ist in α-Stellung energetisch etwas günstiger als in βStellung, wie die mesomeren Valenzstrich-Formeln der intermediären Naphthonium-Ionen zeigen: Y H
Y H
Y H
H
H
α-Substitution
H Aromatizität eines Ringes unversehrt : stabiler
H β -Substitution
Aromatizität beider Ringe gestört : weniger stabil
Y
H
Y
Y
H H
H
H
Die positive Ladung der Naphthonium-Ionen verteilt sich demnach bei α-Substitution günstiger (zwei benzoide Grenzformeln) als bei β-Substitution (eine benzoide Grenzformel). Trotz dieses elektronisch günstigeren α-Angriffs wird oft die Bildung des β-Produkts bevorzugt, besonders
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12.4 Typische Reaktionen
179
wenn raumfüllende Substituenten eingeführt werden, oder wenn bei höherer Reaktionstemperatur substituiert wird. Einige Beispiele zur Herstellung industriell wichtiger Naphthalen-Derivate machen dies deutlich. NO2
HNO3 / H2SO4 50 - 60 °C
Fe / HCl (Reduktion)
α-Nitronaphthalen
NH2
Diazoniumsalze Azofarbstoffe α-Naphthole Nitrile Naphthylhalogenide
α-Naphthylamin
Br
Br 2 / CCl4 Rückfluß ohne Kat.
Alkohole CarbonylVerbindungen
über GRIGNARD-Verbindungen
α-Bromnaphthalen
SO3H Naphthalen
SO3H
konz. H2SO4
α-Naphthol β-Naphthylamin
sowie
reversibel
α-Naphthalensulfonsäure 96 % 15 %
O
C
β-Naphthalensulfonsäure bei 80 °C 4% bei 160 °C 85 %
CH 3
O C
CH3COCl / AlCl3
sowie 1-Acetylnaphthalen
CH 3
2-Acetylnaphthalen bei −15 °C in CS2 25 % Hauptprodukt bei 25 °C in C6H5NO2
75 % Nebenprodukt
Abb. 12.3. Ausgewählte elektrophile Monosubstitutionen des Naphthalens
Zur Vorhersage der Orientierung einer Zweitsubstitution gelten im wesentlichen die Regeln der Zweitsubstitution von Benzen-Derivaten (Kap. 11.1.8), wie drei Beispiele zeigen; dabei deuten Pfeile die bevorzugten Positionen für Zweitsubstitutionen an. D
A D
(A)
Ein aktivierender Donor-Erstsubstituent D mit (+)-M- und/oder (+)-I-Effekt wird eine elektrophile Substitution vorwiegend in dem gleichen Ring dirigieren. Ein desaktivierender Akzeptor-Erstsubstituent A mit (−)-M- und/oder (−)-I-Effekt wird eine elektrophile Substitution überwiegend in den anderen Ring lenken.
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180
12.4.2
12 Polycyclische Aromaten
Oxidation des Naphthalens
Durch katalytische Luftoxidation bei hoher Temperatur läßt sich aus Naphthalen das u. a. zur Herstellung von Polymeren und Chinon-Farbstoffen benötigte Phthalsäureanhydrid gewinnen. O +
9/2 O2
V2O5, 470 °C
O
+
2 CO2
+
2 H2O
O Phthalsäureanhydrid
Chromsäure oxidiert β-alkylsubstituierte Naphthalene zu 1,4-Naphthochinonen. Unter ähnlichen Oxidationsbedingungen wird Toluen zu Benzoesäure oxidiert. Eine weitere Oxidation des 1,4Naphthochinons führt auch hier unter Ringspaltung zu Phthalsäure. O CH 3 +
2 CrO3
starke Oxidationsmittel hohe Temperaturen
CO2H
− Cr 2O3
CO2H O 2-Methyl-1,4-naphthochinon
2-Methylnaphthalen
12.4.3
CH 3
CH3CO2H, 25 °C
Phthalsäure
Reduktion des Naphthalens
Aufgrund der geringeren Mesomerieenergie pro Ring kann ein Ring des Naphthalens chemisch reduziert werden. Die BIRCH-Reduktion mit Natrium in flüssigem Ammoniak führt z. B. zum Isotetralin. Eine vollständige Reduktion beider Ringe erfordert jedoch wie beim Benzen eine metallkatalysierte Hydrierung unter drastischen Bedingungen. Na , (H3C)2CHOH , Rückfluß , 132 °C
1,4-Dihydronaphthalen H2, Ni H2 / Pt oder Ni
Na , C2H5OH , Rückfluß, 78 °C
Hitze , Druck
Tetralin
Naphthalen
und
cis- und trans-Decalin
Na , flüss. NH3 , − 78 °C
Isotetralin
12.4.4
Reaktionen des Anthracens und Phenanthrens
Sowohl beim Anthracen als auch beim Phenanthren sind die meso-Positionen C-9 und C-10 bevorzugte Reaktionszentren, weil dabei zwei Benzen-Ringsysteme erhalten bleiben. Die Oxidation liefert daher 9,10-Chinone, und beide tricyclische Aromaten neigen zu Additionen an den 9,10-
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12.4 Typische Reaktionen
181
Stellungen, wie Bromierungen und katalytische Hydrierungen zeigen. Dabei genügen im Vergleich zu analogen Reaktionen des Naphthalens wesentlich mildere Reaktionsbedingungen. O
H H + 2 Na , + 2 C2H 5OH
+ 3/2 O2 (Dampfphase)
− 2 C2H 5ONa
− H2O
H H 9,10-Dihydroanthracen H H
O 9,10-Anthrachinon O
H H + H 2 , Cu , Cr 2O3
O
+ 2 CrO3 − Cr 2O3
9,10-Dihydrophenanthren
9,10-Phenanthrenchinon
Durch Addition von Brom und nachfolgende Dehydrobromierung lassen sich 9-Bromanthracen und 9-Bromphenanthren herstellen. 9-Bromphenanthren entsteht auch unter den Bedingungen der elektrophilen Halogenierung. Br
Br
H KOH, 100 °C
+ Br 2
− HBr
Br H 9,10-Dibrom-9,10-dihydroanthracen Br
H
9-Bromanthracen Br
Br H
+ Br 2
KOH, 100 °C − HBr
9,10-Dibrom-9,10-dihydrophenanthren
9-Bromphenanthren
+ Br 2 (FeBr 3) , − HBr (Substitution)
Durch [2+4]-Cycloaddition von Dehydrobenzen an die 9,10-Stellung des Anthracens entsteht das pentacyclische Triptycen, wenn man die hochreaktive Dehydrobenzen-Zwischenstufe aus 2Bromfluorbenzen durch Metallierung mit Magnesium in einer Anthracen-Lösung erzeugt. Br F
+ Mg
MgBr F − MgBrF
H
Cl
H Triptycen
H Triptycylchlorid
+
Dehydrobenzen
Am Brückenkopf-C halogenierte Triptycen-Derivate − wie das durch Addition von Dehydrobenzen an 9-Chloranthracen zugängliche Triptycylchlorid − sind viel weniger reaktiv als andere Halogenalkane: Sterische Effekte behindern hier die Bildung des planaren Carbenium-Ions einer SN1-Zwischenstufe und des Übergangszustands einer SN2-Reaktion.
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12 Polycyclische Aromaten
Auch andere Dienophile wie Maleinsäureanhydrid oder p-Benzochinon cycloaddieren an die 9,10Stellung des Anthracens. Entsprechende DIELS-ALDER-Cycloadditionen werden weder bei Benzen noch bei Naphthalen beobachtet. H H
O 9 10
H +
O
O H O
2,3:5,6-Dibenzobicyclo[2.2.2]octan7,8-dicarbonsäureanhydrid
Maleinsäureanhydrid
12.4.5
O O
Enzymatische Epoxidation des Benzo[a]pyrens
Polycyclische Aromaten wie Benzo[a]pyren aus Abgasen, Ruß, Rauch von Zigaretten und Holzkohle werden in der Zelle durch Monooxygenasen epoxidiert. Die nucleophile Addition von Wasser öffnet das Oxiran zum trans-Diol (Kap. 4.5.8). Erneute enzymatische Epoxidation der benachbarten CC-Doppelbindung führt zum Oxirandiol als Carcinogen, an das die Nucleobase Guanin der DNA addiert (Kap. 41.7). Diese Veränderung der DNA entfacht das Wachstum von Tumoren. H 7
O
H
H HO
9
H OH
H HO
H OH H O H
5
Enzym + 1/2 O2
11
3
Enzym + 1/2 O2
+ H2O
1
Benzo[a]pyren
7,8-Epoxybenzo[a]pyren
trans-7,8-Dihydroxybenzo[a]pyren
7,8-Dihydroxy-9,10-epoxybenzo[a]pyren
12.5 Ring-Synthesen (Benzoanellierungen) Polycyclische Aromaten lassen sich überwiegend durch Anbau benzoider Ringe an Arene herstellen. Solche Reaktionsfolgen, die häufig elektrophile Acylierungen einschließen, werden als Benzoanellierungen (von lat. anulus, der Ring) bezeichnet.
12.5.1
Anthrachinon-Synthese
Die in der Farbstoffindustrie benötigten größeren Mengen von Anthrachinon-Abkömmlingen sind durch Oxidation von Anthracen (Kap. 12.4.4) oder durch FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung des Benzens mit Phthalsäureanhydrid über o-Benzoylbenzoesäure zugänglich. O
O O O
+
Acylierung
O H2SO4 oder HF
AlCl3
CO2H
o-Benzoylbenzoesäure
− H2O
O 9,10-Anthrachinon
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12.5
Ring-Synthesen (Benzoanellierungen)
12.5.2
183
HAWORTH-Synthese von Phenanthren-Derivaten
Zur Synthese von Phenanthren nach HAWORTH wird Naphthalen nach FRIEDEL-CRAFTS in α- oder β-Stellung des Naphthalens durch Bernsteinsäureanhydrid acyliert; CLEMMENSEN-Reduktion der Ketosäure mit Zinkamalgam und Salzsäure, anschließende elektrophile Cyclisierung mit Schwefelsäure, erneute CLEMMENSEN-Reduktion und Dehydrierung mit Selen liefert Phenanthren. Über analoge Reaktionsfolgen lassen sich auch substituierte Naphthalene aus Benzen herstellen. O
O +
O
CO2H
AlCl3
CLEMMENSENReduktion
O
12.5.3
CO2H
Zn x Hg , HCl
Acylierung
H 2SO4
Acylierung
Se
Zn x Hg , HCl
Dehydrierung
CLEMMENSENReduktion
O
ELBS-Reaktion
Methylsubstituierte Aromaten wie m-Xylen reagieren nach FRIEDEL-CRAFTS mit Benzoylchlorid in Gegenwart von Aluminiumchlorid zu einer Mischung von Ketonen. Deren Pyrolyse bei 400 °C ergibt durch intramolekulare Redox-Reaktionen und Dehydratisierung mehrkernige Aromaten (ELBS-Reaktion). H 3C C
Cl
+
CH 3
AlCl 3
+ Cl
CH 3
− 2 HCl
C
O
H 3C
O
O
O
− 2 H2O
400 °C
Cu, 380 °C − H2
Pentacen
12.5.4
6,13-Dihydropentacen
DÖTZ-Reaktion
Eine neuere Methode der Benzoanellierung von Aromaten ist die DÖTZ-Reaktion. Edukte sind die aus Chromhexacarbonyl und Aryllithium entstehenden Chrom-Carben-Komplexe (Kap. 32.7), die unter Decarbonylierung Alkine cycloaddieren. Die Primär-Cycloaddukte lagern sich zu den durch die Edukte vorbestimmten Aren-π-Komplexen um (Kap. 32.7.3). Deren Demetallierung setzt das polycyclische Aren frei, im formulierten Beispiel 2,3-Dialkyl-4-methoxy-1-naphthol.
Cr(CO)6
O Li
+ LiC 6 H5 Ether
H5C6
C
Cr(CO)5
OC +
+ (H 3C) 3O BF4
−
OC
CO Cr C
− LiF , − BF3 , − (H 3C) 2O
CO CO OCH3
Chrom-Carben-Komplex
+ R1 C C R2 50 °C , − CO
H3CO
Cr(CO)3 R1 R2 OH
2,3-Dialkyl-4-methoxy-1-naphtholtricarbonylchrom-π-Komplex
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184
12 Polycyclische Aromaten
12.6 Graphit und Fullerene Die natürlich vorkommende Kohlenstoff-Modifikation Graphit kann man als die am höchsten kondensierte aromatische Verbindung ansehen. Graphit wird in Bleistiftminen, als Elektrodenmaterial, Moderator in Kernreaktoren, Schmier- und Korrosionsschutzmittel verwendet. Er bildet ein Schichtgitter (Abb. 12.4 a) und zeigt eine mit den Metallen vergleichbare elektrische Leitfähigkeit, die jedoch wegen der nur innerhalb der Schichten beweglichen π-Elektronen anisotrop (richtungsabhängig) ist. Senkrecht zu den Schichten ist diese Leitfähigkeit um den Faktor 104 geringer. Auch in Benzen und allen mehrkernigen Aromaten läßt sich mit physikalischen Methoden ein anisotroper π-Elektronenstrom nachweisen. Dieser auch ohne angelegte Spannung vorhandene paramagnetische Ringstrom des Benzens ist ein Charakteristikum der Aromaten.
(a)
(b)
Abb. 12.4. (a) Kristallstruktur (Schichtgitter) des Graphits; Schichtabstände: 335 pm; CC-Abstände in den Schichten: 142 pm; (b) Kohlenstoff-Skelett des C60-Fullerens (benzoide CC-Doppelbindungen sind nicht eingezeichnet)
Als vierte Kohlenstoff-Allotrope (Modifikationen neben Ruß, Diamant und Graphit) erscheinen die in Benzen-Lösung weinroten bis braunen, im festen Zustand schwarzen Fullerene mit interessanten Eigenschaften (elektrische Leiter und Supraleiter). Fullerene (C60, C70 und C80) bilden sich bei der Verdampfung von Graphit durch Laserbestrahlung. Die Strukturanalyse ergibt Fußballähnliche Moleküle mit Untereinheiten, in denen fünf benzoide Sechsringe um einen Fünfring kondensiert sind, wie Abb. 12.4 b am Beispiel des C60-Fullerens zeigt. Das kleinste, bisher bekannte Fulleren (C20) enthält nur kondensierte Fünfringe; es bildet sich bei der Debromierung von partiell bromiertem Dodecahedran (Kap. 8.8) in einer Gasentladung. Fullerene lassen sich vielfältig abwandeln und mit funktionellen Gruppen versehen; sie reagieren mit Nucleophilen, Elektrophilen, Radikalen, Oxidations- und Reduktionsmitteln; auch Cycloadditionen gehen sie ein. Durch Verdampfung von Graphit im Lichtbogen oder durch Laser in Gegenwart von Metallkatalysatoren (Fe, Co, Ni) gelingt die Herstellung von Graphit-Monoschichten (Graphen) sowie röhrenförmig gewickelter ein- und mehrwandiger Kohlenstoff-Netze mit Querschnitten von 2.5 nm (innen) bzw. 10 nm (außen) und Längen im Millimeter-Bereich (Kohlenstoff-Nanoröhren, carbon nanotubes, CNTs). Wegen ihrer physikalischen Eigenschaften (metallische Leitfähigkeit, Zugfestigkeit und Elastizität, chemische und thermische Stabilität, Speicherung von Gastmolekülen) und chemischer Funktionalisierbarkeit gewinnen die CNTs als Werkstoffe an Bedeutung.
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13.1 Klassifizierung der Halogenalkane
185
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide) 13.1 Klassifizierung der Halogenalkane Verbindungen R−X, in denen ein Halogen-Atom (X = F, Cl, Br, I) an einen Alkyl-Rest gebunden ist, nennt man Halogenalkane, Halogencycloalkane, Halogenalkene sowie Halogenalkine (Alkyl-, Cycloalkyl-, Alkenyl- und Alkinylhalogenide). Die Nomenklatur der Halogenalkane folgt den besprochenen IUPAC-Regeln (Kap. 2.1.3). Je nach Alkylierungsgrad des halogenierten C-Atoms unterscheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Halogenalkane: RCH2−X primär
R2 CH−X sekundär
R3 C−X tertiär
Alkyl- und Arylhalogenide zeigen sehr unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften. So neigen Halogenalkane zu Eliminierungen und nucleophilen Substitutionen, während Halogenaromaten unter gleichen Reaktionsbedingungen ziemlich stabil sind.
13.2 Eigenschaften Halogenalkane sieden deutlich höher als Alkane mit demselben Kohlenstoff-Gerüst jedoch tiefer als die entsprechenden Alkohole. Die Siedepunkte von Halogenalkanen und Alkanen mit ähnlicher molarer Masse unterscheiden sich dagegen kaum. Ausnahmen sind niedermolekulare Vertreter; niedermolekulare Perfluoralkane sieden trotz ihrer höheren molaren Massen tiefer als Alkane mit gleicher Anzahl von C-Atomen. Die Monohalogenalkane CH3−X (X = F, Cl, Br) sowie C2H5−X (X = F, Cl) sind bei Raumtemperatur gasförmig. Alle anderen Halogenalkane bis C18 sind Flüssigkeiten. Innerhalb homologer Serien steigt die Flüchtigkeit ̈ mit abnehmender molarer Masse des Halogenalkans, ̈ mit abnehmender Größe bzw. molarer Masse des Halogens und ̈ mit zunehmender Verzweigung der Alkyl-Gruppe. Halogenalkane sind polare Moleküle mit Dipolmomenten von µ >> 2 Debye. Von Fluoralkanen zu Iodalkanen nehmen die Dichten zu. Monochlor- und Monofluoralkane sind leichter, Brom- und Iodalkane sowie Polyhalogenalkane dagegen schwerer als Wasser. Halogenalkane lösen sich praktisch nicht in Wasser und sind ausgezeichnete Lösemittel für die meisten organischen Verbindungen. Zur Extraktion und zum Umkristallisieren werden insbesondere Dichlormethan (Methylenchlorid), Trichlormethan (Chloroform) und Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) benutzt. Tetrachlormethan und Trichlorethen werden zur Textilreinigung verwendet. 2-Brom-2-chlor-1,1,1-trifluorethan (Halothan, CF3CHBrCl) dient als Inhalationsnarcoticum.
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186
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
In Fluor-, Chlor-, Brom- und Iodalkanen, -alkenen sowie -alkinen nehmen die Kohlenstoff-Halogen-Bindungslängen mit wachsender Ausdehnung der Halogen-Atomradien zu (Tab. 13.1) . Tab. 13.1. C-Halogen-Atomabstände in Halogenalkanen, -alkenen und -alkinen (in pm)
Halogen-
-alkan
-alken
-alkin
C−F C−Cl C−Br C−I
136 179 195 214
133 172 188 209
130 164 180 199
Die Bindungswinkel (Interorbitalwinkel) an halogensubstituierten sp3-hybridisierten C-Atomen weichen bereits bei Fluoralkanen wie Fluormethan oder Difluormethan vom Tetraederwinkel 109°28' ab. 108.5°
Fluormethan
108.3°
H H C F
F H C F Difluormethan
110.5°
111.9°
H
H
Zeichnet man Energiediagramme für die Rotation der 1,2-Dihalogenethane um deren CC-Bindung (vgl. Butan, Abb. 2.4, S. 32), so findet man je nach Größe und Elektronegativität der beiden Halogene sowie ihrer Stellung relativ zueinander Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, VAN-DERWAALSAbstoßung oder -Anziehung zwischen den Halogen-Atomen. Daher ist beim 1,2-Dichlorethan die windschiefe, beim 1,2-Dibromethan dagegen die anti-Konformation begünstigt. Beim Tetrabrom- und Tetrachlorethan ist das gauche-Konformer um ca. 4 kJ / mol stabiler als die anti-Form. Auch (Z)-1,2-Dichlorethen ist um 2 kJ / mol stabiler als das (E)-Isomer; nur beim 1,2Diiodethen ist das (E)-Alken stabiler. Diese Abweichungen vom "Normalverhalten" der unsubstituierten Alkane sind eine Folge der erwähnten, zur Anziehung führenden Wechselwirkungen zwischen den Halogen-Atomen.
13.3 Darstellung 13.3.1
Radikalische Halogenierung von Alkanen
Tiefsiedende Chloralkane und einige Bromalkane werden industriell überwiegend durch Halogenierung von Alkanen in der Gasphase hergestellt (Photochlorierung oder thermische Chlorierung; Kap. 3.1). Beispiele sind Synthesen der t-Butyl-, Neopentyl-, Allyl- und Benzylhalogenide: (H 3C)3CH (H 3C)4C H2C=CH−CH 3 H5C 6 CH3
Br 2 , hν , 120 °C Cl2 , 300 °C Cl2 (oder Br 2) , 400 °C Cl2 (oder Br 2) , hν , Rückfluß
(H3C)3C Br (H 3C)3C CH 2 Cl H 2C=CH −CH2−Cl (oder Br) H 5C6 CH 2 Cl (oder Br)
Zur Herstellung von Fluor- und Iodalkanen eignen sich andere Verfahren (Kap. 13.3.7, 13.3.8).
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13.3 Darstellung
13.3.2
187
Addition von Halogenwasserstoff an Alkene
Alkene addieren HX unter Bildung von Halogenalkanen (Hydrohalogenierung) je nach Reaktionsbedingungen durch elektrophile Addition (Kap. 4.5.4, 5.4) oder durch Addition über intermediäre Radikale (Kap. 4.5.10). Elektrophile Addition Die in zwei Schritten ablaufende elektrophile Addition an Alkene findet unter Lichtausschluß, bei tiefer Temperatur und in Lösung statt. Dabei addiert das Halogen so an die Doppelbindung, daß als Zwischenstufe das stabilste Carbenium-Ion auftritt (MARKOWNIKOFF-Regel).
̈
X
−
+ [H+]
R CH CH2
R CH CH 3
+ X
R CH CH 3
( X = Cl , Br , I )
̈ Addition über freie Radikale In Gegenwart von Licht, von Peroxiden oder bei höherer Temperatur in der Gasphase addiert das Halogen an das mit mehr H-Atomen verknüpfte C-Atom der Doppelbindung ("anti-MARKOWNIKOFF-Produkte"), weil unter diesen Bedingungen das stabilste Radikal als Intermediat auftritt.
R CH CH2
13.3.3
+X
R CH CH 2
X
+ HX
R CH 2 CH2
X
+
X
( X = Cl, Br )
Addition von Halogen an Alkene
Elektrophile Addition Über einen ionischen Mechanismus, der unter Ausschluß von Licht, bei tiefen Temperaturen und in Lösung abläuft, addieren Br2 oder Cl2 an Alkene. Dabei bilden sich 1,2-Dihalogenalkane.
̈
X C C
+
C C
X2
( X = Cl, Br )
X
Addition von X2 über freie Radikale Bei hohen Temperaturen in der Gasphase konkurrieren radikalische Substitutionen in AllylStellung mit radikalischen 1,2-Additionen.
̈
C C C H
+
X2
Substitution
C C
+
HX
und
C C C
C X
+
X2
Addition
X C C C
H
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X
188
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
13.3.4
Additionen von HX und X2 an Diene
Eine allgemein anwendbare Methode zur Darstellung von Halogenalkanen ist die elektrophile Addition von HX (X = Cl, Br, I) oder X2 (X = Cl, Br) an 1,3-Diene (Kap. 6.5.1). Bei tiefer Temperatur bilden sich dabei vorzugsweise 1,2-, bei höherer dagegen 1,4-Additionsprodukte. + HX
X
X
H3C CH CH CH2
H2C CH CH CH2
+
H3C CH CH CH2
1,2-Addukt + X2
1,4-Addukt
H2C CH CH CH2
+
X X
H2C CH CH CH2 X
X
Dieselben Produkte sind auch durch radikalische Addition von HX oder X2 an konjugierte Diene zugänglich (Kap. 6.5.2).
13.3.5
Additionen von HX und X2 an Alkine
Zur Darstellung von Vinylhalogeniden und 1,1-Dihalogeniden eignen sich elektrophile Additionen von HX an Alkine (Kap. 7.5.3). R C C R
+ HX (HgX 2)
R
X
+ HX , Hitze
RCH C
R CH2 C R
X
X
Die Addition von Halogenen X2 (X = Cl, Br) an Alkine öffnet den Zugang zu 1,2-Dihalogenalkenen und 1,1,2,2-Tetrahalogenalkanen. R C C R
+ X2 (FeX 3)
X
R C C
R
+ X2 (FeX 3)
X
X R C X
X C R X
Chlorethen (Vinylchlorid) und Tetrachlorethan werden (noch in einigen Anlagen) durch Hydrohalogenierung bzw. Halogenierung des Ethins produziert: H C C H + HCl
13.3.6
H2C CH Cl Chlorethen (Vinylchlorid)
H C C H + 2 Cl2
Cl2CH CHCl2 1,1,2,2-Tetrachlorethan
Halogenalkene durch Dehydrohalogenierung
Vinylchlorid und -bromid sowie andere Halogenethene sind durch basenkatalysierte partielle Dehydrohalogenierung von 1,1- oder 1,2-Dihalogenalkanen zugänglich. Industriell wird Vinylchlorid, das Monomer von Polyvinylchlorid (PVC), überwiegend durch thermische, radikalische Dehydrohalogenierung von 1,2-Dichlorethan (EDC) in der Gasphase produziert. Das durch basen-
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13.3 Darstellung
189
katalysierte Dehydrochlorierung von Tetrachlorethan hergestellte Trichlorethen (Trichlorethylen) aus Tetrachlorethan wird als Lösemittel zur Textilreinigung benötigt. CH2 CH 2
+ Cl2
ClCH2 CH 2Cl
500-600 °C − HCl
H 2C CH Cl
Chlorethen (Vinylchlorid)
H 2C CH Br
Bromethen (Vinylbromid)
ClCH CCl2
Trichlorethen (Trichlorethylen)
KOH in Ethanol
BrCH 2 CH 2Br
Cl2CH CHCl2
13.3.7
− HBr Ca(OH) 2 − HCl
Radikalische Bromierung in Allyl-Stellung durch N-Bromsuccinimid
Allylständige CH2-Gruppen können bei mäßigen Temperaturen mit Hilfe von N-Bromsuccinimid (NBS) unter Bestrahlung mit Licht oder in Gegenwart von Peroxiden bromiert werden. 3-Bromcyclohexen und α-Bromtoluen (Benzylbromid) sind so zugänglich: O +
N Br
O CCl4 , Rückfluß
Br
+
H 3-Bromcyclohexen
O
O O
O CH3
+
N Br
N H
CCl4 , Rückfluß
CH2 Br
+
α-Bromtoluen (Benzylbromid)
O
N H O
Diese als WOHL-ZIEGLER-Reaktion bekannte, schonende Allyl-Bromierung mit NBS ist ein Analogon der radikalischen Substitution von Propen durch Cl2 oder Br2 bei hoher Temperatur (Kap. 4.5.10). Peroxide starten dabei eine Kettenreaktion über intermediäre Radikale. Die homolytische Spaltung der N−Br-Bindung des N-Bromsuccinimids führt zum Brom-Radikal; dieses bildet im ersten Schritt der Kettenreaktion mit dem Alken ein Allyl-Radikal, das im zweiten Schritt mit Brom zu Allylbromid und Brom-Radikal abreagiert. (1) (2)
Br
+
R CH2 CH CH R
R CH CH CH R
+ Br2
R CH CH CH R R CH CH CH R
R CH CH CH R +
+ HBr
Br
Br
Infolge der Bildung mesomeriestabilisierter Allyl-Radikale können aus unsymmetrisch substituierten Alkenen isomere Allylbromide entstehen. 1-Buten ergibt z. B. 1-Brom-2-buten als Hauptprodukt neben 3-Brom-1-buten: H3C CH2 CH CH 2
NBS , CCl4 , Peroxide
H3C CH CH CH2 Br 3-Brom-1-buten
sowie
H 3C CH CH CH 2 Br 1-Brom-2-buten (Hauptprodukt) (E + Z)
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190
13.3.8
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Darstellung von Fluoralkanen
Die direkte Fluorierung von Alkanen verläuft stark exotherm und führt zu perfluorierten Verbindungen sowie CC-Spaltungen. Die heftige Reaktion läßt sich durch Tiefkühlung und durch Verdünnung des Fluors mit Helium steuern. Nur wenige einfache Fluoralkane sind durch Addition von Fluorwasserstoff an Alkene zugänglich. Alle anderen Fluoralkane müssen durch spezielle Methoden dargestellt werden. ̈ Fluorierung durch anorganische Fluoride Als Fluorierungsmittel eignen sich einige anorganische Fluoride wie Kobalt(III)-fluorid. Strömt ein Alkan über CoF3, so wird dieses vom Alkan unter Bildung von Fluoralkanen und Flußsäure zu CoF2 reduziert. Das Kobalt(II)-fluorid kann anschließend mit elementarem Fluor zum CoF3 regeneriert werden. CnH2n+2
+
2 (2n+2) CoF 3 2 CoF 2
+
CnF2n+2 + (2n+2) HF + 2 (2n+2) CoF 2
F2
2 CoF 3
̈ Fluorierung durch Halogenaustausch in Halogenalkanen Durch Halogen-Austausch können Chlor- oder Bromalkane bei Einwirkung starker LEWIS-Säuren wie HgF2 oder SbF3 in Fluoralkane übergeführt werden. 2 CH 3Br 3 CCl4
+ +
0 °C
HgF 2
SbCl5
2 SbF 3
3 CCl4
+
SbF 3
SbCl3
+
3 HF
SbCl5
2 CH3F
+
HgBr2
3 CCl2F 2
+
2 SbCl3
3 CFCl3
+
SbCl3
SbF 3
+
3 HCl
Das als Freon-12 bekannte Dichlordifluormethan wurde wegen seiner hohen Verdampfungswärme als Kühlflüssigkeit für Kühlaggregate eingesetzt. Auch als Treib- und Lösemittel in Spraydosen fand es Verwendung, bevor man erkannte, daß alle in die Atmosphäre entweichenden "Fluorchlorkohlenwasserstoffe" ("FCKWs") in einer Photoreaktion Halogen-Radikale freisetzen, die das UV-absorbierende Ozon spalten und so die Ozon-Konzentration in der Stratosphäre vermindern ("Ozonloch"). CCl2F 2 Cl ClO
hν
CClF 2
+
ClO
+
O2
O2 +
Cl
+ O3 +
O
Cl
Höhere Perfluoralkane dienen als chemisch inerte Spezialschmieröle. Der chemikalienresistente und inerte Polymer-Werkstoff Polytetrafluorethen (Teflon, [−CF2−]n, Kap. 4.5.15), wird durch radikalische Polymerisation von Tetrafluorethen großtechnisch erzeugt. Tetrafluorethen entsteht aus Chloroform und Antimontrifluorid über Chlordifluormethan: 3 CHCl3
+
2 SbF 3
2 CHClF 2
SbCl5 700-800 °C
3 CHClF 2
+
2 SbCl3
F 2C CF 2
+
2 HCl
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13.3 Darstellung
191
Die geringe Reaktivität der Polyfluoralkane beruht auf der außerordentlich starken CF-Bindung, was sich in sehr kurzen C−F-Atomabständen (135 pm) äußert. Monofluoralkane zeigen dagegen weitgehend die chemischen Eigenschaften der anderen Halogenalkane und haben C−F-Bindungslängen von 142 pm.
13.3.9
Darstellung von Iodalkanen
Iodalkane sind durch Halogen-Austausch vom Typ der nucleophilen Substitution aus Brom- oder Chloralkanen zugänglich (FINKELSTEIN-Reaktion). R X
+
NaI , Aceton
I
R I
+
X
( X = Cl, Br )
Iodmethan (Methyliodid) als Methylierungsreagenz wird aus dem Carcinogen-verdächtigen Dimethylsulfat und Kaliumiodid hergestellt. (CH 3O)2SO2
+ 2 KI
CaCO3 in H2O
2 CH 3 I
+
K2SO4
13.3.10 Halogenalkane aus Alkoholen Die Darstellung von Halogenalkanen aus Alkoholen ist eine allgemein anwendbare und die bedeutendste Darstellungsmethode. Dabei wird die Hydroxy-Gruppe des Alkohols nucleophil durch ein Halogenid-Anion ersetzt (nucleophile Substitution, SN, Kap. 14). R OH
HX oder PX3
R X
( X = Cl, Br, I )
Halogenierung mit Phosphortribromid und -iodid Phosphortrihalogenide reagieren mit Alkoholen zu Halogenalkanen. 3 R OH 3 R OH
+ +
PBr3 ( P + Br2 ) PI 3 ( P + I 2 )
Pyridin Pyridin
3 R Br
+
H 3PO3
3R I
+
H 3PO3
Zu dieser Reaktion können primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole einschließlich der Cycloalkanole sowie Benzyl- und Allylalkohol eingesetzt werden. Wegen der mäßigen Ausbeuten werden die Chloride nur selten mit PCl3 dargestellt. Halogenierung mit Tetrahalogenmethan und Triphenylphosphan Tetrabrom- und Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) und Triphenylphosphan reagieren nach APPEL mit Alkoholen zu Halogenalkanen, Trihalogenmethan und Triphenylphosphanoxid. R OH
+
CX4
+
P(C 6H5)3 Triphenylphosphan
R X + X = Br , Cl
CHX3
+
O P(C6H 5)3
Triphenylphosphanoxid
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192
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Chlorierung mit Thionylchlorid Thionylchlorid (SOCl2) als Reagenz zur Chlorierung bietet gegenüber PCl3 den Vorteil, daß sich der Reaktionsansatz infolge gasfömiger Nebenprodukte einfacher aufarbeiten läßt. R OH
+
Pyridin (Kat.)
SOCl2
R Cl
+
SO2
+
HCl
Pyridin (C5H5N) beschleunigt die Halogenierung über intermediäre Chlorsulfinsäureester. R OH
R
+ SOCl2 + C 5H 5N
O
S
O
+ C 5H 5NH Cl Cl Chlorsulfinsäureester
R Cl + SO2 + C 5H 5N
+ HCl
Halogenierung mit Halogenwasserstoffen Tertiäre Halogenalkane sind aus den entsprechenden Alkoholen durch Behandlung mit Halogenwasserstoff (HCl, HBr) zugänglich. Die Darstellung primärer Halogenalkane erfordert schärfere Reaktionsbedingungen und wird durch den Zusatz einer LEWIS-Säure wie ZnCl2 erleichtert. Die aus α,ω-Diolen zugänglichen α,ω-Dibromalkane sind wichtige Zwischenprodukte organischer Synthesen. ̈
CH 3 H 3C CH 2 C OH CH 3
+
HCl
OH
+
HBr
0 °C
CH 3 H 3C CH 2 C Cl + CH 3 2-Chlor-2-methylbutan
80 °C
Br
H 2O
+
H2O
Bromcyclohexan HO (CH 2)n OH
+ 2 HBr
135 °C
Br (CH2)n Br α,ω-Dibromalkan
+ 2 H2O
Umlagerungen und Eliminierungen sind Nebenreaktionen. Die relativen Reaktivitäten der Alkohole sinken in der Folge Allyl, Benzyl > tertiär > sekundär > primär.
Die Reaktivitäten der Halogenwasserstoffe nehmen von HI über HBr zu HCl ab. Chlorierungen von Alkoholen durch HCl werden nach RYDON durch Triphenylphosphit katalysiert, das in situ aus Phenol und Phosphortrichlorid entsteht. 3 H5C6 OH
+
PCl3
+
HCl
Phenol
(H5C6O)3 P
+
R OH
(H5C6O)3 P + Triphenylphosphit R Cl
+
3 HCl
(H5C6O)3POH
+
H5C6 OH
Mit Trichloracetonitril können Alkohole sogar bei 0 °C zu Chloralkanen umgesetzt werden. R OH
+
Cl3C C N Trichloracetonitril
NH Cl3C C OR
NH 2 Cl Cl3C C O R
NH 2 Cl3C C + R Cl O Trichloracetamid Chloralkan
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13.3 Darstellung
193
13.3.11 Bromalkane durch HUNSDIECKER-Decarboxylierung Silbersalze langkettiger Carbonsäuren decarboxylieren in der Hitze oder bei UV-Bestrahlung zu langkettigen Bromalkanen (HUNSDIECKER-Decarboxylierung, Kap. 17.7.6). Als Katalysatoren eignen sich Quecksilberoxid und Blei(IV)-acetat. R CH 2 CO2 Ag
+
CCl4 , Hitze
Br2
R CH 2 Br
+
CO2
+
AgBr
Die Bildung des Silberbromids aus Silbercarboxylat und Brom startet eine Kettenreaktion über intermediäre Radikale: Start
R
CO2 Ag
+
Br2
R COOBr +
R COOBr
R COO
R COO
Kette
R
+ R COOBr
AgBr
+
Br
R
+
CO2
R Br
+
R COO
13.3.12 Darstellung und Eigenschaften von Oligohalogenmethanen Oligochlormethane Di-, Tri- und Tetrachlormethan entstehen durch Photochlorierung von Methan. Tetrachlormethan wird industriell auch über Schwefelkohlenstoff erzeugt. Die Chlorierung des Schwefelkohlenstoffs kann durch SbCl5, AlCl3 oder FeCl3 katalysiert werden. ̈
C (Koks) +
2S
CS2
CS2
+
AlCl3
3 Cl2
CCl4
+
S2Cl2
Haloform-Reaktion Eine typische Reaktion von Methylketonen ist die Haloform-Reaktion, bei der durch Einwirkung von Halogenen Cl2, Br2 oder I2 in Natronlauge die farblosen und flüssigen Haloforme, Chloroform (Trichlormethan) und Bromoform (Tribrommethan), sowie das gelbe kristalline Iodoform (Triiodmethan) entstehen. ̈
O R C CH 3
−
+ 3 OH , + 3 Cl 2 − 3 H 2O , − 3 Cl
−
O
+ NaOH
R C
R CO2 Na Carboxylat
CCl3
+
HCCl3 Chloroform
Der "Iodoform-Test" dient als chemischer Nachweis von Methylketonen. Da die Reaktion unter milden Bedingungen Carbonsäuren gibt, nutzt man sie zur Darstellung spezieller Carbonsäuren. Schlüsselschritt ist ein elektrophiler Angriff des Halogens X2 am Enolat-Anion (R = Alkyl). O R C CH 3
−
+ OH , − H2O
O R C CH 2
R C
O
Enolat-Anion
Carbanion
−
+ X2 , − X
O R C CH 2 X
CH _ 2
O R C CX3
+ NaOH
O R C
+ O Na
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HCX3
194
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Dihalogenmethane (Methylenhalogenide) Dibrom- und Diiodmethan lassen sich durch Reduktion (z. B. mit Natriumarsenit) des entsprechenden Haloforms darstellen. ̈
CHI 3 (CHBr3)
+
Na3 AsO3
+
NaOH
CH 2I 2 (CH 2Br2)
+
Na3 AsO4
+
NaI (NaBr)
Dihalogencarbene Chloroform oder Bromoform können bei Einwirkung von Alkalihydroxid durch α-Eliminierung (1,1-Eliminierung) in Dichlorcarben bzw. Dibromcarben übergehen. ̈
CHCl3
+
− H 2O
HO
:CCl3
− Cl
−
:CCl2 Dichlorcarben
Carben-typisch addiert Dichlorcarben an CC-Doppelbindungen unter Bildung von CyclopropanDerivaten ([2+1]-Cycloaddition, Cyclopropanierung, Kap. 8.6.1): C C
+
:CCl2 Cl Cl 1,1-Dichlorcyclopropan
13.4 Reaktionen Halogenalkane und andere organische Halogen-Verbindungen zersetzen sich am glühenden Kupferdraht in der Gasflamme unter Bildung flüchtiger Kupfer(II)halogenide, welche die Flamme blaugrün färben (BEILSTEIN-Probe als Nachweis).
13.4.1
Nucleophile Substitution und Eliminierung in Konkurrenz
Der induktive Effekt des Halogens polarisiert die CX-Bindung im Halogenalkan: Das gebundene C-Atom (C-α) wird elektrophil (δ+), das Halogen (δ−) kann als Halogenid-Anion X− austreten und durch ein Nucleophil ersetzt werden. Kennzeichen eines Nucleophils ist mindestens ein nichtbindendes Elektronenpaar. Nucleophile können Anionen oder Neutralmoleküle sein, die als LEWISBasen dazu neigen, mit den elektrophilen C-α-Atomen der Halogenalkane Bindungen zu knüpfen. Andererseits zieht im Halogenalkan die durch den induktiven Effekt des Halogens an C-α induzierte, positive Partialladung Elektronen von C-β an. Dadurch können die CH-Bindungen an C-β so polarisiert werden, daß ein Proton von C-β unter Alken-Bildung abgespalten wird. H B + X
+
+ harte Base B :
C C
Eliminierung E
H
β
αC C
X
Halogenalkan
+ weiche Base B : Substitution SN
H C C
+
X
B
Nucleophile Substitution und Eliminierung konkurrieren also, wenn Basen (Nucleophile) B− auf ein Halogenalkan (als Elektrophil) einwirken. Welche Reaktion dominiert, folgt aus dem HSABPrinzip (hard soft acid base). Demnach reagieren Nucleophile (LEWIS-Basen) und Elektrophile
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Reaktionen
195
(LEWIS-Säuren) bevorzugt nach der Regel "hart mit hart" und "weich mit weich". Hart sind kompakte Ionen mit hoher Ladungskonzentration wie Acyl-Kationen sowie Protonen als Elektrophile (Säuren) bzw. Hydroxid- und Alkoholat-Ionen als Nucleophile (Basen, Tab. 13.2). Weich sind dagegen polarisierbare, voluminöse Spezies wie das α-C-Atom in Halogenalkanen, Carbene und Carbenium-Ionen als Elektrophile (Säuren) bzw. Alkene, Aromaten, Cyanid- und Carbanionen als typische Nucleophile (Basen). Die aus der Differenz von Ionisationspotential und Elektronenaffinität resultierenden "Härten" nach Tab. 13.2 haben nichts mit der Säure- oder Basenstärke zu tun. Sie ermöglichen nach dem HSAB-Prinzip die Voraussage, daß bei der Reaktion des Nucleophils B mit dem Elektrophil E die B−E-Bindung im Produkt besonders stabil ist, wenn B und E entweder beide hart oder beide weich sind. So kann ein Halogenalkan als weiches Elektrophil durch eine harte Base (B = OH−) als Nucleophil in Konkurrenz zur Substitution auch zum Alken dehydrohalogenieren (Eliminierung); eine weiche Base als Nucleophil (B = CN−) substituiert am weichen, elektrophilen α-C-Atom eines Halogenalkans dagegen ausschließlich zum Nitril (Tab. 13.3). Tab. 13.2. Harte und weiche Nucleophile (LEWIS-Basen) und Elektrophile (LEWIS-Säuren) Nucleophile (LEWIS-Basen) −
Elektrophile (LEWIS-Säuren)
−
−
H2O, HO , ROH, RO , R 2O, CH 3CO2 , −
−
NH 3, RNH2, H2NNH2, NO3 , F , Cl −
−
−
H , R , CN , RNC, CO, C 2H4,C 6H6, −
R2S, RSH, RS , R 3P, (RO)3P, I −
−
ArNH2, C5H 5N(Py ridin), N3 , NO2 , Br
13.4.2
Cu+, Ag+, Pd++, Pt ++, Hg++
weich
−
−
H + (HX), Li+, Na+, K+, Ca++, Mg++, Al+++, Fe+++, BF 3, B(OR)3, AlCl3, SO3, RCO+, CO2
hart
−
R in RX (X = Cl, Br), BH 3, Br2, I 2, ICN, :CR 2, R.
Grenzfälle
Fe++, Zn++, Sn++, Pb++, NO+, R 3C+, C6H 5+, SO2
Nucleophile Substitutionen
Tab. 13.3 (S. 196) orientiert über die vielfältigen Möglichkeiten zur Einführung funktioneller Gruppen durch nucleophile Substitutionen von Halogenalkanen. Fast jedes der resultierenden Produkte ist seinerseits wieder in viele Derivate überführbar, welche die Alkyl-Gruppe des Halogenalkans tragen. Somit sind die aus Alkanen und Alkenen zugänglichen Halogenalkane als Alkylierungsmittel Schlüsseledukte organischer Synthesen.
13.4.3
GRIGNARD-Reaktion
Halogenalkane, Halogenalkene, Halogenalkine und Halogenarene (Arylhalogenide) reagieren mit Magnesium in Ether-Suspension zu Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen), die mit Dialkylmagnesium im SCHLENK-Gleichgewicht vorliegen: δ+ δ−
2 R X
+
2 Mg
Ether
δ− δ++
δ−
2 R Mg X
Alkylmagnesiumhalogenid ( X = Cl , Br , I )
SCHLENKGleichgewicht
δ− δ++ δ−
R Mg R
+
MgX2
Dialkylmagnesium
Diese auch als GRIGNARD-Reaktion bezeichnete Metallierung polt das α-C-Atom vom Elektrophil (δ+) zum Nucleophil (δ−) um. Auf dieser Umpolung beruhen vielseitige präparative Anwendungen der GRIGNARD-Verbindungen als Kohlenstoff-Nucleophile für CC-Verknüpfungen, u. a. zur Synthese von Alkoholen (Kap. 15.4.6).
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196
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Tab. 13.3. Nucleophile Substitution von Halogenalkanen R−X Nucleophil Sauerstoff
Schwefel
OH
Hydroxid
R OH
Kohlenstoff
Alkohol
OH 2
Wasser
R OH
Alkohol
OR'
Alkoxid
R O R'
Ether
OOC R'
Carboxylat
R O CO R'
Ester
SH
Hydrogensulfid
R SH
Thiol
SR'
Thiolat
R S R'
Thioether (Dialkylsulfid)
Dialkylsulfid
R SR'2 X
Sulfoniumsalz
SCN
Thiocyanat (Rhodanid)
R SCN
Alkylthiocyanat
NH2
Amid
R NH2
primäres Amin
NH3
Ammoniak
R NH2
primäres Amin
H 2N R'
primäres Amin
R NH R'
sekundäres Amin
NHR'2
sekundäres Amin
R NR'2
tertiäres Amin
NR'3
tertiäres Amin
R NR'3 X
quartäres Ammoniumsalz
N3
Azid
R N3
Alkylazid
NO2
Nitrit
R NO2
Nitroalkan
C N
Cyanid
R C N
Nitril (Alkylcyanid)
C C H
Ethinylid
R C C H
1-Alkin
C C R'
Alkinylid
R C C R'
Alkin
R'
Carbanion
R R'
Alkan
CH(CO2R')2
Malonsäurediester-Anion
R CH(CO2R')2
R'
Stickstoff
Reaktionsprodukt
S R'
Alkylmalonsäurediester (Malonester-Synthese)
Alkylacetessigester
CH(COCH 3)(CO2R') Acetessigester-Anion
R CH(COCH3)(CO2R')
(Acetessigester-Synthese)
Ar H (AlCl3)
Aren
R Ar
Alkylaren
Halogen
Ι
Iodid
R I
Iodalkan (Alkyliodid)
Phosphor
P(C 6H5)3
Triphenylphosphan
R P(C 6H5)3 X
Alkyltriphenylphosphoniumsalz
13.4.4
CC-Verknüpfungen mit Organohalogen-Verbindungen
Das zum Nucleophil umgepolte C-Atom einer GRIGNARD-Verbindung knüpft mit dem elektrophilen C-Atom einer Organohalogen-Verbindung eine neue CC-Einfachbindung: δ+
R1
δ−
X
Halogenalkan, Halogenalken, Halogenalkin, Halogenaren elektrophiles R1
+
δ−
δ++
δ−
R2 Mg X
in Ether
Alkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Arylmagnesiumhalogenid ( X = Cl , Br , I )
R1 R2
+
MgX2
nucleophiles R2
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Reaktionen
197
Demselben Prinzip folgt die WURTZ-Reaktion zur Synthese von Alkanen aus Halogenalkanen über Alkylnatrium (Kap. 2.6.3). Phenylcyclopentan könnte z. B. entweder aus Bromcyclopentan und Phenylmagnesiumbromid (aus Brombenzen und Magnesium in Ether) oder aus Brombenzen und Cyclopentylmagnesiumbromid (aus Bromcyclopentan und Magnesium) dargestellt werden: Br
+
Bromcyclopentan
− MgBr2
Br Mg
− MgBr2
Phenylmagnesiumbromid
Phenylcyclopentan
Mg Br
+
Cyclopentylmagnesiumbromid
Br Brombenzen
Vinylmagnesiumbromid reagiert mit (Z)-1-Iod-1-octen in Gegenwart von Palladium-Komplexen unter Retention (Erhaltung) der relativen Konfiguration zu (Z)-1,3-Decadien:
(Z)-1-Iod-1-octen
Pd[P(C6H5) 3]
+ Br Mg CH CH 2
I
+
MgBrI
(Z)-1,3-Decadien
Neuere Methoden Palladium(0)-katalysierter CC-Verknüpfungen mit Organohalogen-Verbindungen und Triflaten (Trifluormethansulfonaten) als Elektrophile sind die SUZUKI-Kupplung mit Boronsäuren R1
X
+
Pd(0)-Komplex
R2 B(OH)2
R 1 R2
+
XB(OH)2
Alkenylboronsäure, Arenboronsäure
X = I, Br, OSO2CF3
sowie die STILLE-Kupplung mit Organozinn-Verbindungen (Stannane) über Katalysecyclen, die denen der HECK-Reaktion sehr ähnlich sind (Kap. 32.6.3). R1
X
X = I, Br , OSO2CF3
+
Pd(0)-Komplex
R2 SnR3
R1 R2
+
XSnR3
Stannan R2 = Alkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-
3-Methoxybiphenyl kann z. B. aus m-Bromanisol nach STILLE mit Trimethylphenylstannan und nach SUZUKI mit Phenylboronsäure dargestellt werden in Gegenwart des Palladium(0)-Triphenylphosphan-Komplexes, der im Falle der STILLE-Kuppplung in situ durch Reduktion der Palladium(II)-Salze mit überschüssigem Stannan erzeugt wird. H 3CO
H 3CO Br + m-Bromanisol
(H 3C)3Sn Trimethylphenylstannan
H 3CO
Pd(0)
Pd(0)
STILLE
SUZUKI 3-Methoxybiphenyl
Br + (HO)2B Phenylboronsäure
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198
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
14.1 Übersicht nucleophiler Substitutionen an Aliphaten Bei der nucleophilen Substitution ersetzt das Nucleophil B in einem Substrat (Halogenalkan) einen Substituenten X (z. B. ein Halogen), der als Anion (Nucleofug, z. B. ein Halogenid-Anion) austritt. Je nach Art des Nucleophils (Anion, Neutralmolekül) gibt es drei Möglichkeiten: Substrat
Nucleophil
Produkt
Nucleofug austretende Gruppe z. B. Halogenid-Anion
eintretende Gruppe künftiger Substituent
R X
+
IB
R B
+
X
R X
+
IB
R B
+
X
R X
+
IB H
R BH
+
X
Einfache Substitutionen ohne konkurrierende Eliminierungen, in denen man die drei NucleophilTypen erkennt, sind z. B. die Bildung des Methylcyanids (Acetonitril) aus Iodmethan, des Methylammonium-bromids aus Brommethan, des Chlormethans aus protoniertem Methanol und des Tetramethylammonium-Ions aus dem Trimethylsulfonium-Ion: H 3C
+
IC N
H 3C C N
+
I
H 3C Br
+
INH3
H 3C NH 3
+
Br
H3C OH 2
+
Cl
H 3C Cl
+
H 2O
(H 3C)3S
+
(H3C)4N
+
(H3C)2S
I
IN(CH3)3
Nucleophile Substitutionen sind keineswegs auf Halogenalkane beschränkt; jede AlkylVerbindung mit einer geeigneten Abgangsgruppe X kann mit Nucleophilen reagieren (Tab. 14.1). Besonders gut austretende Gruppen sind Tosylat, Brosylat sowie Onium-Ionen (Tab. 14.1). Solvolysen sind nucleophile Substitutionen, bei denen Lösemittel als Nucleophile wirken. Man unterscheidet dabei je nach Art des Solvens die Hydrolyse (H2O), Methanolyse (Methanol, CH3−OH), Ethanolyse (Ethanol, C2H5−OH), Acetolyse (Essigsäure, CH3−COOH), Formolyse (Ameisensäure, H−COOH), Ammonolyse (NH3) oder Aminolyse (primäre Amine, R−NH2, als Lösemittel und Nucleophile). Wie bei anderen Reaktionstypen hängt die Reaktionsgeschwindigkeit einer nucleophilen Substitution von äußeren Einflüssen wie Temperatur, Konzentration und Lösemittel ab. Struktur und Nucleophilie des angreifenden Agens, Struktur des Substratmoleküls, Basizität der austretenden Gruppe sowie Salzeffekte spielen eine weitere entscheidende Rolle. Zusätzlich komplizieren konkurrierende Eliminierungen eine Analyse der Kinetik und Stereochemie nucleophiler Substitutionen. Dennoch bieten einige Regeln und Beziehungen Orientierungshilfen zur Interpretation von Reaktionsabläufen und bei der Syntheseplanung.
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14.2 Mechanismen
199
Tab. 14.1. Nucleophile Substitutionen verschiedener Alkyl-Verbindungen Alkyl-Verbindung
Nucleophil
Produkt
Nucleof ug
O
O Sulfat
R O S O R
CH 3O
R OCH 3
Methylether
O S O R
O
O O
O R O S
CH 3
Tosylat
H 2O
R OH
Alkohol
HO S
CH 3
O
O
O
O R O S
Br
Brosylat
H 2O
R OH
Alkohol
HO S
Br
O
O Alkohol
HCl (HBr, HI)
R Cl (Br, I)
Halogenalkan
O R O C R'
Ester
H 2O
R OH
Alkohol
R O R'
Ether
HBr
R Br
Bromalkan
HO R'
Oxoniumsalz
H 2O
R OH
Alkohol
R' O R'
Sulfoniumsalz
Br
R Br
Bromalkan
R OH
R' R O R'
H 2O O HO C R'
R' R S
R'
R'
S R'
R NR'3
Ammoniumsalz
OH
R OH
Alkohol
R N N
Diazoniumsalz
H 2O
R OH
Alkohol
NR'3 N 2 + [H ]
14.2 Mechanismen Für eine nucleophile Substitution (SN) gibt es zwei Grenz-Mechanismen: Verläuft sie einstufig nach einem bimolekularen Mechanismus, so folgt sie dem SN2-Mechanismus; SN2 ist die Abkürzung für Substitution (S), nucleophil (N), bimolekular (2). Verläuft sie in zwei Schritten, und ist dabei der erste, geschwindigkeitsbestimmende Schritt monomolekular; so folgt sie dem SN1Mechanismus (S für Substitution, N für nucleophil, 1 für monomolekular).
14.2.1
Bimolekularer Mechanismus SN2
Beim SN2-Mechanismus greift das in die Verbindung eintretende Nucleophil B− direkt am positivierten C-Atom der polarisierten CX-Bindung an. Im Übergangszustand dieser Reaktion (Abb. 14.1, S. 200) knüpft sich die neue B−C-Bindung unter gleichzeitiger Lösung der C−X-Bindung. Dabei liegen die drei an der Substitution unbeteiligten Substituenten trigonal koplanar auf einer Ebene. Zur Erklärung des im Übergangszustand fünffach koordinierten C-Atoms (Abb. 14.1) bietet sich demnach dessen sp2-Hybridisierung an (Kap. 1.6, Abb. 1.11); das senkrecht auf der sp2Ebene stehende, nicht hybridisierte p-Orbital überlappt mit dem Nucleophil B auf der einen und dem Nucleofug X auf der anderen Seite.
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200
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Epot B
C
X
Übergangszustand
∆EA
C
X +B
∆H B
B R
R X
+ X
C
Reaktionskoordinate
Abb. 14.1. Energiediagramm der SN2-Reaktion
Aufgrund des synchronen Verlaufs der SN2 Reaktion hängt die Reaktionsgeschwindigkeit r von der Konzentration beider Reaktionspartner (Halogenalkan als Substrat und Nucleophil) ab; die bimolekulare Reaktion folgt einem Geschwindigkeitsgesetz zweiter Ordnung: rS 2 = N
− dc(Substrat) = k dt
x c(Substrat) x c(Nucleophil)
k ist die spezifische Reaktionsgeschwindigkeitskonstante und wird wie r selbst in mol / Liter x Sekunde angegeben.
Die Bildung jedes einzelnen Moleküls R−B erfordert den Zusammenstoß eines Nucleophils B− mit einem Substrat-Molekül R−X. Verdopplung der Konzentration beider Edukte vervierfacht die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß und damit auch die Reaktionsgeschwindigkeit. Befindet sich bei einer Solvolyse das Nucleophil in sehr hohem molarem Überschuß gegenüber dem Substrat, so geht nur die Konzentration des Substrats in die Geschwindigkeitsgleichung ein, d. h. die nach SN2 ablaufenden Reaktionen folgen einer Kinetik pseudo-erster Ordnung. rS 2 = N
− dc(Substrat) = k´ dt
x c (Substrat)
Stereochemischer Verlauf Betrachtet man den stereochemischen Verlauf der SN2-Reaktion (Abb. 14.2), so ist leicht einzusehen, daß aufgrund sterischer und elektrostatischer Einflüsse das Nucleophil B− eher von der Rückseite als frontal zum Nucleofug angreifen wird.
̈
R
R BI
δ+
+
C R' R"
Nucleophil
Substrat
δ−
X
∆EA groß
δ−
B
C
R δ−
X
B
C
+
X
R'
R' R"
R" Produkt
Nucleofug
Übergangszustand mit elektronischem Ladungsausgleich
Abb. 14.2. Sterischer Verlauf einer SN2-Reaktion
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14.2 Mechanismen
201
Die kinetische Analyse der alkalischen Hydrolyse von Halogenalkanen zu Alkoholen ergibt z. B., daß die Bildung von Methanol aus Brommethan nach 2. Ordnung verläuft (SN2-Mechanismus, Abb. 14.3). H H H HO
δ+
+
C
δ−
δ−
Br
H
δ−
Br
C
HO
H Hydroxid
H
H
+
Br
H
H
Brommethan
C
HO
Methanol
Bromid
Übergangszustand
Abb. 14.3. Alkalische Hydrolyse von Brommethan
Ein Angriff des Nucleophils von der Seite der austretenden Gruppe X wäre wegen der elektrostatischen Abstoßung energetisch ungünstiger. Da somit im Übergangszustand die Konfiguration invertiert (Abb. 14.2), wird die SN2-Reaktion stereospezifisch unter Inversion der absoluten Konfiguration verlaufen, was sich bei Vorliegen verschiedener Substituenten anstelle von H bemerkbar macht (WALDEN-Inversion, Kap. 18.9.1). Umlagerungen des Kohlenstoff-Skeletts werden bei den synchron verlaufenden SN2-Reaktionen nicht beobachtet.
14.2.2
Monomolekularer Mechanismus SN1
Die monomolekulare nucleophile Substitution (SN1) verläuft nach dem in Abb 14.4 gezeichneten Energiediagramm in zwei Schritten: Im ersten Reaktionsschritt bildet sich durch Austritt der Gruppe X unter Mitwirkung der Lösemittelmoleküle ein Carbenium-Ion; der zweite Schritt ist eine schnelle Ionen-Reaktion des elektronenreichen Nucleophils B− mit dem elektronenarmen, planaren Carbenium-Ion zum Produkt R−B. Epot
R
X
Übergangszustand 1
R
B
Übergangszustand 2
∆EA R
(solvatisiert)
+ X + B R
X
∆H R
R
X
R Schritt 1
+ X
R
+ B
B R
B
Reaktionskoordinate
Schritt 2
Abb. 14.4. Energiediagramm der SN1-Reaktion
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202
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Kinetik Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt einer SN1-Reaktion ist die Bildung des CarbeniumIons. Somit hängt die Reaktionsgeschwindigkeit allein von der Substratkonzentration ab. ̈
−
= r SN1
dc(Substrat) = k x c(Substrat) dt
Dieser Substitutionstyp folgt demnach einer Kinetik erster Ordnung; die Änderung der Konzentration des Nucleophils hat keinen Einfluß auf die Geschwindigkeit. Die Bildung von t-Butylalkohol aus t-Butylbromid folgt z. B. einer Kinetik 1. Ordnung (SN1-Mechanismus, Abb. 14.5).
H3C H 3C
2. Schritt schnelle Ionenreaktion
1. Schritt langsame Dissoziation δ+
C
− Br
δ−
−
+ OH
−
(H 3C)3C OH
Br
H3C 2-Brom-2-methylpropan t-Butylbromid
2-Methyl-2-propanol t-Butylalkohol
C a r b e n i u m -I o n positive Ladung auf vakantem p-Orbital
Abb. 14.5. Alkalische Hydrolyse von t-Butylbromid
Eindeutige Ergebnisse sind bei kinetischen Analysen keineswegs die Regel, da bei einer Reaktion oft mehrere Mechanismen konkurrieren können. In solchen Fällen trägt die systematische Variation der Reaktionsbedingungen (Temperatur, Lösemittel, Konzentration der Edukte) zur Klärung der Reaktionsordnung bei. ̈ Stereochemischer Verlauf Geschwindigkeitsbestimmend bei SN1-Reaktionen ist die mit hoher Aktivierungsenergie ∆EA ablaufende Bildung des Carbenium-Ions (Abb. 14.4, 14.5). Wäre der nachfolgende Angriff des Nucleophils B− an beiden freien Seiten des Carbenium-Ions gleich wahrscheinlich, so hätte die Substitution vollständige Racemisierung zur Folge (sowohl Inversion als auch Retention der Konfiguration, Abb. 14.6, Kap. 18.9.1). Dies trifft im Experiment nicht immer zu.
2. Schritt schnelle Ionen-Reaktion von Nucleophil und Carbenium-Ion nicht geschwindigkeitsbestimmend
1. Schritt: Bildung des Carbenium-Ions geschwindigkeitsbestimmend R"
R"
R" R'
R'
R"
R'
langsam
C R Substrat
schnell
+
X R Carbenium-Ion (solvatisiert)
R'
X
Nucleofug
R"
R' C
R
+ IB
R Retention
B und / oder B
C R Inversion
Abb. 14.6. Sterischer Verlauf einer SN1-Reaktion
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14.3 Struktur und Reaktivität
203
Bei Substitutionen an Cycloalkanen ist der sterische Verlauf aufgrund der fixierten Geometrie dieser Verbindungen besonders leicht zu verfolgen, da Inversionen dort auch cis-trans-Konfigurationswechsel auslösen. So führt die nucleophile Substitution des cis-1-Chlor-3-ethylcyclopentans durch Hydroxid unter Inversion der Konfiguration am substituierten C-Atom ausschließlich zum trans-3-Ethylcyclopentanol. Demnach findet eine SN2-Reaktion statt; ein SN1-Mechanismus hätte cis- und trans-3-Ethylcyclopentanol hervorgebracht. HO
+
H
H
SN2 , vollständige Inversion
Cl C2H 5 cis-1-Chlor-3-ethylcyclopentan
HO
H
+ H C2H 5 trans-3-Ethylcyclopentanol
Cl
14.3 Struktur und Reaktivität 14.3.1
Effekte der Alkyl-Gruppen
Die Reaktivität von Alkyl-Verbindungen gegenüber einem bestimmten Nucleophil hängt stark von der Art der Alkyl-Gruppe ab. Bei den SN2-Reaktionen verläuft der rückwärtige Angriff des Nucleophils erwartungsgemäß am besten bei primären Halogenalkanen. Zunehmende Häufung von Alkyl-Gruppen an C-α hemmt die Neigung des Substrats zur SN2-Reaktion. Dagegen sinkt die Tendenz zur SN1-Substitution mit abnehmender Stabilität des intermediären Carbenium-Ions. Zunehmende sterische Behinderung und abnehmende Reaktivität bei SN2: Methyl > primär > sekundär > tertiär >> Vinyl, Aryl Abnehmende Stabilität des Carbenium-Ions und abnehmende Reaktivität bei SN1: tertiär > Benzyl, Allyl >> sekundär > primär > Methyl >> Vinyl, Aryl
Für tertiäre Halogenalkane findet man eine weitere Feinabstufung der Reaktivität in Abhängigkeit von der β-Substitution. Dabei zeigt es sich, daß bei starker Häufung der Alkyl-Substituenten die Bildung des Carbenium-Ions sterische Spannungen abbaut. H 3C CH 2 CH3 H 3C C C Cl
CH3
CH 3 >>
H 3C CH 2 CH 3
H3C CH2 C Cl
>
H3C C Cl CH3
CH 3
Halogen-Atome an Brückenkopfatomen, wie z. B. in Triptycylchlorid oder 1-Chloradamantan, widerstehen der nucleophilen Substitution: wegen der Starrheit dieser Polycyclen kann sich kein planarer Übergangszustand bilden. Cl
Cl Triptycylchlorid
1-Chloradamantan (Adamantylchlorid)
H
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204
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Bei SN1-Reaktionen sind je nach Substrat alle bereits beschriebenen Umlagerungen durch Hydrid-, Alkyl- oder Allyl-Verschiebungen möglich. Zusätzlich eintretende partielle Inversionen bzw. Racemisierungen komplizieren das Bild.
14.3.2
Effekte der austretenden Gruppe
Beim Vergleich der SN1- und SN2-Reaktivitäten der Substrate R−X mit gleichem Alkyl-Rest und variablem X zeigt sich, daß X umso leichter austritt, je schwächer seine Bindung zum α-C-Atom ist. Das voluminöse Iodid-Ion ist z. B. eine gute Abgangsgruppe; Hydroxid- und Alkoxid-Ionen sind dagegen wegen ihrer starken Cα−O-Bindung schlechte Abgangsgruppen; ihr Austritt aus Alkoholen und Ethern wird durch Protonierung am Sauerstoff wesentlich erleichtert, weil dabei die viel leichter abgehenden Moleküle H2O und ROH vorgebildet werden. Besonders leicht können p-Toluensulfonat (Tosylat), p-Brombenzensulfonat (Brosylat) und Trifluormethylsulfonat (Triflat) ausgetauscht werden. Daher benützt man diese Gruppen häufig als Schutzgruppen sowie zu mechanistischen Untersuchungen. O
O
R S O
H3C
O R F 3C S O
R S O
Br
O Brosylat
O Tosylat
O Triflat
Auch β-Substituenten beeinflussen die Reaktivität erheblich. So nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit primärer Halogenalkane mit zunehmender Anzahl β-ständiger Alkyl-Gruppen ab: CH3 H 3C CH 2 Br
>
CH 3
H2C CH2 Br
>
CH 3
HC CH 2
Br
>>
H 3C C CH2
CH 3
Br
CH 3
Der SN1-Mechanismus ist gegen elektronische Einflüsse viel sensibler als gegen sterische. Ionisierungen nach SN1 werden demnach überwiegend durch induktive und mesomere Effekte beeinflußt. Wenn diese Effekte die Elektronendichte am α-Kohlenstoff erhöhen, und so das intermediäre Carbenium-Ion stabilisieren, erleichtern sie die Abdissoziation der austretenden Gruppe. Mit abnehmender Basizität am Heteroatom der CX-Bildung beobachtet man eine zunehmende Reaktivität gegenüber Nucleophilen: O F 3C S O O
O > Br
O
S O
> H 3C
S O
O O H3C C O
> I
> Br
> Cl
> F
>
O >
R 3N
>
R O
>
H O
>
H 2N
In derselben Reihenfolge nimmt die Stärke der korrespondierenden Säuren ab: Trifluormethansulfonsäure > p-Toluensulfonsäure > HI > HBr > HCl > HF >CH3COOH > R−OH > R−NH2
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14.3 Struktur und Reaktivität
205
SN1-Reaktionen werden durch LEWIS-Säuren beschleunigt. Dabei erzeugt man durch Komplexbildung am austretenden Halogenid mit Ag+ oder Hg2+ bzw. SnCl4 einen zusätzlichen Elektronenzug. R Cl
14.3.3
+
schnell
Ag
[ R Cl
langsam
Ag ]
[R ]
− AgCl
+ OH
−
R OH
Nucleophilie
Nucleophilie ist ein Ausdruck für die Fähigkeit eines Nucleophils zur Koordination mit einem elektronenarmen Atom. Dabei stellt das Nucleophil ein Elektronenpaar für die neue Bindung zur Verfügung. In Wasser, Ethanol und wäßrig-organischen Lösemitteln findet man folgende annähernde Reihung der Nucleophilie: SH , CN > I
O > CO32 > N 3 > Br > Cl
NH2 > OH >
> SCN >
>
SO3 Halogenide : Chalcoxide : Ether : Amine :
>
I RSe
Br
> RS
>
Cl
>
Br
> H3C−CO2 >
SO3
> H 2O > ClO4
O2N
NH 2
F
> RO , HSe
> HS
> HO
R2Se > R 2S > R 2O H2N
NH 2 ,
> H3N >
N
>
Jedoch gilt diese Reihenfolge nicht allgemein. So kehrt sie sich für die Halogenide in Dimethylformamid als Lösemittel um: Cl− > Br− > I− (Kap. 14.3.4). Carbanionen mit ihrem nicht-bindenden Elektronenpaar am C-Atom sind ausgesprochen starke Nucleophile: IC NI
,
IC CH
,
IC C R
,
ICH2 CO2CH 3
Sie sind stärker nucleophil als Amid-, Alkoxid- oder Fluorid-Anionen: R3C− > R2N− > RO− > F−. Auch das Hydrid-Anion H−, das z. B. durch LiAlH4 bereitgestellt wird, ist stark nucleophil. Die Geschwindigkeit von SN2-Reaktionen hängt stark von der Art des eintretenden Substituenten ab. Ein Vergleich verschiedener Nucleophile gegenüber einem Halogenalkan zeigt, daß die Reaktivitäten nicht immer mit den Basizitäten gegenüber Protonen einhergehen. Sehr schwache Basen wie I− sind nach dem HSAB-Prinzip (Kap. 13.4.1) gegenüber schwachen Elektrophilen effiziente Nucleophile. Nucleophile gleicher Basenstärke reagieren im SN2-Mechanismus langsamer, wenn sie sterisch behindert sind. Infolge der Inversion am Stickstoff ist Triethylamin ein schwächeres Nucleophil als das starre Amin Chinuclidin. Sperrig substituierte Trialkylamine wie Diisopropylethylamin (DIPEA) reagieren nicht als Nucleophile; sie werden als Protonenakzeptoren (Hilfsbasen), z. B. bei Acylierungen eingesetzt. H5C2
H NI
H5C2
NI
H5C2 Chinuclidin
C2H5 IN
C2H5
C2H5
Triethylamin : Inversion am N-Atom
C2H5 IN
CH(CH3)2
CH(CH3)2 Diisopropylethylamin (DIPEA)
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206
14.3.4
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Lösemittelabhängigkeit
SN1- und SN2-Reaktionen hängen von der Lösemittelpolarität ab. SN1-Reaktionsgeschwindigkeiten spiegeln die Bildungstendenz des Carbokations wider. Die Ionisierung von R−X zu R+ + X− hängt nicht nur von R−X selbst, sondern vor allem von der Fähigkeit des Lösemittels zur Solvatation der Ionen ab. Polare Lösemittel besitzen eine hohe Dielektrizitätskonstante ε. Freie Elektronenpaare und protische Gruppen befähigen sie zur Solvatation. Polare Lösemittel erleichtern die SN1-Reaktion, weil sie die Trennung entgegengesetzter Ladungen durch Ausbildung von Solvathüllen um Carbenium- und Abgangs-Ion fördern. Die Geschwindigkeiten von SN1-Reaktionen nehmen demnach mit der Polarität des Lösemittels zu. Ausnahmen sind die SN1-Reaktionen von Onium-Ionen, z. B. Sulfonium-Ionen; sie verlaufen in polaren Lösemitteln langsamer: R3S
[R ]
+
R2S
Bei SN2-Reaktionen in ausgesprochenen polaren Lösemitteln sind Nucleophil und austretende Gruppe besonders stark solvatisiert und so voneinander abgeschirmt, also weniger reaktiv. Dadurch erhöht sich die Aktivierungsenergie. Zudem wird ein SN2-Übergangszustand aufgrund seiner verteilten Ladung in polaren Lösemitteln wenig stabilisiert. Die Geschwindigkeit typischer SN2-Reaktionen nimmt also mit steigender Lösemittelpolarität ab. Allgemein nimmt die Nucleophilie eines Nucleophils wie X− oder OH− mit abnehmender Solvatisierung zu. Kleinere nucleophile Ionen sind stärker solvatisiert als größere; die Zerstörung ihrer Solvathülle erfordert mehr Energie. Daher nimmt in protischen Lösemitteln (Wasser, Ethanol) die Nucleophilie vom Iodid zum Fluorid ab, weil das voluminöse Iodid die schwächste Hydrathülle besitzt. Umgkehrt ist in aprotischen Lösemitteln (Aceton, Dioxan, Dimethylformamid, abgek. DMF) Chlorid stärker nucleophil als Bromid und Iodid. Einige einfache Beispiele zeigen dies: in CH3OH : langsam
Cl
+
H 3C I
+
OH
+
OH
in DMF : sehr schnell
H3C Cl
+
I
(H3C)3C OH +
X
in H2O / C2H5OH : SN1
(H 3C)3C X
in CH3CO2CH3 : SN 2
in H2O / C2H5OH : SN2
H3C X
in HCO2H : SN 1
H 3C OH
+
X
Als Lösemittel für nucleophile Substitutionen bewähren sich a) protische Lösemittel mit hohem ε : Ammoniak, Wasser, Alkohole, Carbonsäuren; b) aprotische Lösemittel mit hohem ε : Schwefeldioxid, Dimethylsulfoxid, Dimethylformamid, Aceton, Acetonitril, Sulfolan, Nitrobenzen; c) Mischungen von Wasser mit Alkoholen, Aceton, Dioxan, Dimethylformamid.
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14.3 Struktur und Reaktivität
207
Aprotische Lösemittel mit niedrigem ε wie Alkane, Benzen oder Tetrachlormethan eignen sich schlecht als Medien für Substitutionen. Jedoch laufen auch in Tetrachlormethan oder Benzen nucleophile Substitutionen erstaunlich rasch ab, wenn man als Nucleophil Fluorid-Ionen in Form von KF oder Hydroxid als KOH einsetzt, und diese normalerweise in organischen Lösemitteln unlöslichen Verbindungen durch Zusatz von Kalium-spezifischen Komplexbildnern wie Kronenethern in Lösung bringt. Die dadurch bedingte Schwächung der interionischen Kräfte erzeugt hoch reaktive, nicht durch Solvathüllen behinderte ("nackte") Anionen. KF (unlöslich in Chlorof orm) + Kronenether
[Kronenether-K]
+
F
KMnO4 (unlöslich in Benzen) + Kronenether
[Kronenether-K]
+
MnO4
O
O O
O
O
O K
O
(klare Lösung) (v iolette Lösung)
O
O
X
O
O [18]-Krone-6
O
[18]-Krone-6-Kalium-Komplex mit "nacktem" Anion X
Zur Durchführung nucleophiler Substitutionen mit wasserlöslichen Nucleophilen in ZweiphasenReaktionen eignen sich Tetraalkylammonium-Salze mit langkettigen Alkyl-Gruppen als Katalysatoren. Durch ihre positive Ladung und den langen, lipophilen Alkyl-Rest transportieren sie Anionen aus der wäßrigen in eine lipophile Phase, wo diese als Nucleophile mit Substraten reagieren können (Phasentransfer-Katalyse). Die Alkyl-Reste (> C4) am Ammonium-Stickstoff verhindern dabei störende Kationen-Anionen-Wechselwirkungen.
14.3.5
SN1- und SN2-Reaktionen in Konkurrenz
Primäre, sekundäre und tertiäre Halogenalkane zeigen gegensinnige SN1- und SN2-Reaktivitäten: primäre (1°)
sekundäre (2°)
tertiäre (3°) Halogenalkane
Zunahme der SN1-Tendenz Abnahme der SN2-Tendenz
Sekundäre Halogenalkane reagieren im allgemeinen nach beiden Mechanismen, tertiäre überwiegend nach SN1 und primäre bevorzugt nach SN2. Durch Auswahl geeigneter Reaktionsbedingungen läßt sich ein SN1- oder SN2-Mechanismus begünstigen. Dies kann bei einer Syntheseplanung nützen, wenn im speziellen Fall Umlagerungen, Inversionen, Retentionen, Racemisierungen oder Eliminierungen zu verhindern oder erwünscht sind. SN2-Reaktionen werden begünstigt durch hohe Konzentration des Nucleophils, starke Nucleophilie und Lösemittel geringer Polarität. SN1-Reaktionen werden dagegen begünstigt durch geringe Konzentration des Nucleophils, schwache Nucleophilie und hohe Lösemittelpolarität.
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208
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Auch Salze wirken auf die Reaktionsgeschwindigkeit. Ein positiver Salzeffekt wird z. B. bei der Hydrolyse von t-Butylbromid in wäßrigem Aceton nach Zusatz von Natriumperchlorat beobachtet. In diesem Lösemittel hoher Dielektrizitätskonstante nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit mit zunehmender Ionenstärke zu.
14.4 Spezielle Substitutionsmechanismen 14.4.1
Substitutionen an Allyl-Verbindungen
Sowohl bei SN1- als auch bei SN2-Reaktionen sind Allyl- und Propargyl- sowie Benzylhalogenide wesentlich reaktiver als gesättigte Halogenalkane. Ein Grund ist die Mesomerie dieser Verbindungen, welche die Aktivierungsenergie für Substitutionen nach SN1 und SN2 senkt. Wie die Hydrolyse des Allylchlorids als Beispiel zeigt, ist bei SN1 das intermediär entstehende Allyl-Kation mesomeriestabilisiert, und bei SN2 bewirkt der Übergangszustand eine energetisch günstige Ladungsverteilung. mesomeriestabilisiertes Allyl-Kation
H 2C CH CH 2
SN1 − Cl
−
H 2C CH CH 2 H2C CH CH 2 OH
H2C CH CH 2 Cl Allylchlorid (1-Chlor-2-propen)
+ OH
Allylalkohol (2-Propen-1-ol)
δ−Cl
−
H 2C CH CH 2
SN2
δ−OH Übergangszustand mit verteilter Ladung
Wird der normale Ablauf einer Substitution durch sterische Hinderung am allylischen C-Atom gestört, so findet stattdessen oder konkurrierend eine "SN2'-Reaktion" am zugänglicheren terminalen C-Atom der Doppelbindung statt: SN2'
(H 5C2)2NI H
+
SN2' : − Cl
CH3
1-(N,N-Diethylammonium)-2-buten
−
(H5C 2)2N CH2 CH CH CH 3 H
H 2C CH C Cl SN2
H SN2 : − Cl
(H5C 2)2N CH CH CH2
−
H CH3 3-(N,N-Diethylamino)-1-buten
Bei der Solvolyse von α,α-Dimethylallylchlorid beobachtet man keinen normalen SN1-Mechanismus, da neben Solvolyseprodukten auch γ,γ-Dimethylallylchlorid gefunden wird. Hier ereignet sich offensichtlich eine intramolekulare Allyl-Isomerisierung unter "innerer Rückkehr": Cl H 2C CH C CH3 γ
β
α
CH3 3-Chlor-3-methyl-1-buten (α,α-Dimethylallylchlorid)
in H2O / C2H5OH oder CH 3CO2H
H 2C HC
Cl C CH3
"innere Rückkehr"
CH3 Übergangszustand mit verteilter Ladung zwischen Allyl-Kation und Chlorid-Anion
Cl
CH 3 CH 2 CH C γ α β CH 3
1-Chlor-3-methyl-2-buten
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14.4
Spezielle Substitutionsmechanismen
14.4.2
209
SNi-Mechanismus
Bei der Darstellung von Chloralkanen durch nucleophile Substitution der Alkohole mit Thionylchlorid (Kap. 15.6.5) wird ein SNi-Mechanismus diskutiert. Diese Substitution führt im wenig polaren aprotischen Lösemittel 1,4-Dioxan unter Retention der Konfiguration zum Chloralkan. In Pyridin beobachtet man dagegen Inversion nach dem üblichen SN2-Mechanismus. R'
R"
O
C
+
O
Cl
Cl
H
R
S
− HCl
R ' R"
SNi , in Dioxan R'
R" C R
Cl S O O
− SO2 , Retention
SN2 , in Pyridin − SO2 , Inversion
14.4.3
C
Cl
R" C
R" C
Cl
R
R
Cl
R'
R'
R
Reaktivität von Vinyl- und Alkinyl-Verbindungen
Reaktionsträge zeigen sich Halogenalkene (R−CH=CH−X) und Halogenalkine (R−C≡C−X) bei SN1- und SN2-Reaktionen. Aufgrund der elektronenanziehenden Wirkung sp2- und sp-hybridisierter C-Atome erhöht sich zwar die CH-Acidität; andererseits ist die Ausbildung von Übergangszuständen mit partieller positiver Ladung am Kohlenstoff sehr erschwert. Aus demselben Grund zeigen sich auch nicht weiter substituierte (aktivierte) Halogenaromaten gegenüber den meisten Nucleophilen wenig reaktiv. Metallorganische Nucleophile reagieren dagegen mit Halogenalkenen, Halogenalkinen und Halogenaromaten unter milden Bedingungen, teilweise in Gegenwart von Pd(0)-Katalysatoren (Kap. 13.4.4, 32.6.3).
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210
15 Alkohole und Glykole
15 Alkohole und Glykole 15.1 Klassifizierung der Alkohole Ersetzt man ein H-Atom eines Alkans durch eine Hydroxy-Gruppe, so entsteht formal ein Alkohol. Alkohole lassen sich also durch die allgemeine Formel R−OH beschreiben. Dabei ist R eine Alkyl- oder Cycloalkyl-Gruppe. Sitzt die Hydroxy-Gruppe am Benzen-Ring, so handelt es sich um ein Phenol; ist sie mit einem Alken-C-Atom verknüpft, so spricht man von einem Enol. Phenole und Enole zeigen andere Eigenschaften als Alkohole und werden daher getrennt besprochen. CH2 OH
H3C CH2 OH OH H
H
H
H C C H OH
H2C CH CH 2 OH
H3C C
O
Enol (-Form des Acetaldehyds)
Alkohole
OH
OH
Phenole
Man unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole, je nachdem, ob eine, zwei oder drei Alkyl-Gruppen mit dem C-Atom verknüpft sind, das die Hydroxy-Gruppe trägt: H 3C CH 2 CH2 CH2 OH
oder
R CH2 OH
H3C CH2 CH OH CH 3
oder
R CH OH
CH3
sekundärer Alkohol (2°)
R'
CH3 H3C C OH
primärer Alkohol (3°)
R" oder
R C OH
tertiärer Alkohol (3°)
R'
Alkohole mit zwei, drei oder mehr Hydroxy-Gruppen bezeichnet man als Di-, Tri- bzw. Polyole: HO CH 2 CH2 OH
H3C CH CH 2 OH
HO CH2 CH2 CH 2 OH
OH Diole
HO CH2 CH CH 2 OH OH T r i o l (Glycerol)
15.2 Nomenklatur Die IUPAC-Bezeichnung eines Alkohols folgt aus der längstmöglichen, die Hydroxy-Gruppe tragenden Kohlenwasserstoff-Kette. Dabei wird die Endung "ol" an die IUPAC-Bezeichnung des entsprechenden Alkans, Alkens oder Alkins gesetzt und die Stellung der OH-Gruppe in der Kette durch die kleinstmögliche arabische Ziffer gekennzeichnet, z. B.: OH H 3C CH 2 CH2 CH2 CH 3 Pentan
H 3C CH 2 CH2 CH 2 CH 2 OH 1-Pentanol
H3C CH2 CH2 CH CH3 2-Pentanol
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15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften
211
Analog benennt man Cycloalkanole und Bicycloalkanole, z. B.: OH OH Cyclohexan
Cyclohexanol
Bicyclo[2.2.1]heptan
Bicyclo[2.2.1]heptan-2-ol
Bei verzweigten und ungesättigten Alkoholen sowie Cycloalkanolen hat die kleinstmögliche Bezifferung der Stellung einer OH-Gruppe Vorrang gegenüber Alkyl-Gruppen und Mehrfachbindungen, z. B.: 5
4
3
2
1
H3C CH CH 2 CH CH 3 OH CH3 4-Methyl-2-pentanol (nicht 2-Methyl-4-pentanol)
5
4
3
2
1
H2C CH CH 2 CH CH 3 OH 4-Penten-2-ol (nicht 1-Penten-4-ol)
5
4
3
2
1
H3C C C CH CH3 OH 3-Pentin-2-ol (nicht 2-Pentin-4-ol)
H3C
3
OH
1
cis-3-Methylcyclohexanol
(nicht cis-1-Methylcyclohexan-3-ol)
Enthält ein Alkohol zwei oder drei OH-Gruppen, so wird die Nachsilbe -ol durch -diol bzw. -triol ersetzt, z. B.: HO CH 2 CH CH2 OH OH 1,2,3-Propantriol (Glycerol)
H 3C CH CH 2 CH 2 OH OH 1,3-Butandiol
H3C CH CH CH 2 OH OH OH 1,2,3-Butantriol
Anstelle der Alkanol-Bezeichnung nach IUPAC kann man auch von Alkylalkoholen sprechen. Man beginnt dabei mit der Bezeichnung der Alkyl-Gruppe, an welche die OH-Gruppe geknüpft ist, und fügt "...alkohol" hinzu:
CH3 H3C CH CH 3 OH Isopropylalkohol (Isopropanol)
H3C C OH CH3
t-Butylalkohol (t-Butanol)
CH 3 H 3C C CH 2 OH
CH 2 OH
C OH
CH 3
neo-Pentylalkohol
Benzylalkohol (α-Hydroxytoluen)
Triphenylcarbinol
Schließlich können Alkohole formal auch als Methanol- = Carbinol-Derivate betrachtet werden. Hierbei fängt die Bezeichnung mit Anzahl (Di-, Tri-) und Art der Alkyl-Gruppen an, welche die Wasserstoff-Atome des Methanols ersetzen, und endet mit dem Wort "...carbinol". Triphenylcarbinol ist demnach ein Synonym für Triphenylmethanol.
15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften Der aus spektroskopischen Daten zugänglichen Geometrie des Methanol-Moleküls (Abb. 15.1) entnimmt man einen C−O−H-Bindungswinkel von 107°. Demnach wird der Bindungszustand des
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212
15 Alkohole und Glykole
Methanols am besten durch ein sp3-hybridisiertes Sauerstoff-Atom erklärt, um das sich H, CH3 und die n-Elektronenpaare tetraedrisch gruppieren (Abb. 1.24, Ersatz von einem H durch CH3). 143 pm 92 pm
O
107°
δ− −
CH 3
O
δ+
CH 3
δ+ H
H
Abb. 15.1. Geometrie und Polarität des Methanol-Moleküls
Aufgrund der hohen Elektronegativität des Sauerstoffs und dessen kleinem Atomvolumen sind die CO- und besonders die OH-Bindungen von Alkoholen stark polarisiert [(−)-I-Effekt, Abb. 15.1] . Das Wasserstoff-Atom einer Hydroxy-Gruppe ist demnach positiviert, so daß es durch das negativ polarisierte Sauerstoff-Atom eines benachbarten Alkohol-Moleküls angezogen wird: Es bilden sich Wasserstoffbrücken (Abb. 15.2) mit einer "Bindungsenergie" von etwa 21 kJ / mol. Alkohole liegen also assoziiert vor, zumindest im festen und flüssigen Zustand. R
O
H
O
R H
R
O
H
O
H
R
Abb. 15.2. Wasserstoffbrücken-Bindung der Alkohole
Beim Übergang vom flüssigen in den Dampfzustand muß daher zusätzlich Energie aufgebracht werden, um die Wasserstoffbrücken zu brechen. Alkohole zeigen infolgedessen im Vergleich zu den Alkanen, Halogenalkanen und den Ethern sehr hohe Siedepunkte (Beispiele: Dimethylether, H3C−O−CH3: Sdp. −24 °C bei 1011 mbar; Ethanol, H3C−CH2−OH : Sdp. 78.2 °C bei 1011 mbar). Selbst im Dampfzustand können die Alkohol-Moleküle noch etwas assoziieren, so daß man erhebliche Abweichungen vom idealen Gasverhalten findet. Da geradkettige Moleküle eine größere Oberfläche haben und somit stärker wechselwirken können als kugelförmige, zeigen unverzweigte Alkohole etwas höhere Siedepunkte als ihre verzweigten Isomeren: 1-Butanol 2-Methyl-1-propanol
H3C CH2 CH 2 CH2 OH
Sdp. 118 °C (1011 mbar)
H 3C CH CH 2 OH
Sdp. 108 °C (1011 mbar)
CH3
Die gute Wasserlöslichkeit der kürzerkettigen Alkohole (bis Butanol, Tab. 15.1) beruht im wesentlichen darauf, daß die Wasser- und Alkohol-Moleküle auch untereinander Wasserstoffbrücken bilden können. Wird die Alkyl-Gruppe eines Alkohols zu voluminös, so kann sie die Wasserstoffbrücken-Bindung sterisch behindern. Der Siedepunkt dieses Alkohols liegt dann tiefer. Seine Löslichkeit in Wasser nimmt ab, abgesehen davon, daß höhere Alkohole mehr alkanartige Eigenschaften zeigen, also hydrophob sind.
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15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften
213
Nomenklatur und Eigenschaften ausgewählter Alkohole sind in Tab. 15.1 zusammengestellt. Tab. 15.1. Nomenklatur und Eigenschaften einiger Alkohole Klasse
aliphatisch gesättigt
primär
Konstitutionsformel
IUPACBezeichnung
Trivialname -alkohol
H3C OH
Methanol
Methyl-
− 97
64.5
unbegrenzt
H3C CH 2 OH H3C CH2 CH2 OH H3C [CH2] 2 CH 2 OH
Ethanol 1-Propanol
Ethyln-Propyl-
− 115 − 126
78.2 97
unbegrenzt unbegrenzt
1-Butanol
n-Butyl-
− 90
118
7.9
H3C
[CH2] 3 CH 2 OH
1-Pentanol
n-Amyl-
− 78.5
138
2.3
H3C
[CH2] 4 CH 2 OH [CH2] 5 CH 2 OH
1-Hexanol
n-Hexyl-
− 52
156
0.6
1-Heptanol
n-Heptyl-
− 34
176
0.2
[CH2] 6 CH 2 OH [CH2] 8 CH 2 OH
1-Octanol
n-Octyl-
195
0.05
1-Decanol
n-Decyl-
− 15 6
288
unlöslich
2-Propanol
i-Propyl
− 86
82.5
2-Butanol
sec-Butyl-
− 114
99.5
Cyclopentanol
Cyclopentyl-
− 19
140
gut
Cyclohexanol
Cyclohexyl-
24
161
5.7
2-Methyl2-propanol
t-Butyl-
25.5
2-Methyl2-butanol
t-Pentyl-
− 12
H2C CH CH 2 OH
2-Propen-1-ol
Allyl-
− 129
H3C CH CH CH 2 OH
2-Buten-1-ol
Crotyl- (trans-)
CH2 OH
Phenylmethanol
Benzyl-
CH
Diphenylmethanol
Triphenylmethanol
H3C H3C H3C sekundär
H3C CH CH 3 OH H3C CH2 CH CH 3 OH H OH OH
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Löslichkeit g/100g H2O
unbegrenzt 12.5
H CH3 tertiär
H3C C OH CH3 CH3 H3C CH2 C OH
83
102
unbegrenzt
12.5
CH3 aliphatisch ungesättigt primär aliphatischaromatisch primär sekundär
OH
tertiär
C
97
unbegrenzt
118
16.6
− 15
205
4
Benzhydrol (Diphenylcarbinol)
69
298
0.05
Triphenylcarbinol
162.5
unlöslich
OH 1,2-Diole
HO CH2 CH2 OH
1,2-Ethandiol
Ethylenglykol
− 17
197
unbegrenzt
H3C CH CH 2 OH
1,2-Propandiol
Propylenglykol
− 59
188
unbegrenzt
1,2,3-Propantriol
Glycerol
18
290
unbegrenzt
OH 1,2,3-Triole
HO CH2 CH CH 2 OH OH
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214
15 Alkohole und Glykole
15.4 Darstellung von Alkoholen 15.4.1
Technische Synthesen von Methanol und Ethanol
Methanol wird technisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bei hohen Temperaturen und Drükken in Gegenwart von Übergangsmetalloxiden als Katalysatoren hergestellt: CO
+
2 H2
ZnO / Cr 2O3 , Hitze, Druck
H 3C OH
Methanol (Sdp. 64.5 °C bei 1011 mbar) ist ein wichtiges Lösemittel und Zwischenprodukt für organische Synthesen. Orale Aufnahme sowie längeres Einatmen führt zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Krämpfen, Koma, Netzhaut- und Sehnerv-Schäden, die zur Erblindung führen können. Ethanol wird in großem Maßstab durch katalytische Hydratisierung von Ethin zu Acetaldehyd (Kap. 7.5.3) und dessen katalytische Hydrierung hergestellt: H C C H
+
O
HgSO4
H2O
H3C C
+ H2 / RANEY-Ni
H 3C CH 2 OH
H Ethanal
Ethanol
Wie Methanol findet Ethanol als Lösemittel (Sdp. 78.2 °C bei 1011 mbar) und Ausgangsprodukt für organische Synthesen verbreitete Anwendung. Darüberhinaus ist Ethanol die berauschende Komponente alkoholischer Getränke.
15.4.2
Ethanol durch alkoholische Gärung
Bei der alkoholischen Gärung vergärbarer Zucker, z. B. der Glucose (Kap. 40.1.1), in Gegenwart von Hefepilzen entsteht Ethanol, wie eine sehr vereinfachte Bruttogleichung zeigt: Hefe
C6H 12O6 Glucose
2 C 2H5OH Ethanol
+
2 CO2
Nicht nur Früchte können zu Weinen und Weinbrand-Rohprodukten vergoren werden. Auch die in Getreide und Kartoffeln gespeicherten Kohlenhydrate, z. B. die Stärke, lassen sich enzymatisch zu vergärbarer Glucose abbauen (Maische). Darauf beruht die Herstellung von Bieren aus Gerste und Hopfen, sowie die Vergärung von Getreide und Kartoffeln und die anschließende Destillation zu Gin, Whisky oder Wodka mit Ethanol-Gehalten zwischen 35 und 55 %. Alkoholische Getränke besitzen erhebliches Suchtpotential; ihr übermäßiger Konsum führt zur lebensgefährlichen Alkoholintoxikation.
15.4.3
Hydratisierung von Alkenen
Bei der Hydratisierung von Alkenen durch wäßrige Säuren addiert Wasser an ein durch Protonierung entstandenes Carbenium-Ion. Deprotonierung des Oxonium-Ions führt zum Alkohol. + [H+]
C C
C C H
Alken
Carbenium-Ion
+ H2O
C C H2O H Oxonium-Ion
− [H+]
C C HO H Alkohol
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15.4
Darstellung von Alkoholen
215
Durch säurekatalysierte Hydratisierung des 2-Methylpropens kann sich z. B. 2-Methyl-2-propanol (Weg 1) oder 2-Methyl-1-propanol (Weg 2) bilden:
H 3C
Weg 1
H 3C
+ H2O
C CH 3
OH 2
H 3C C CH 2
+
− [H+]
H 3C C CH 3
2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol) OH H 3C C CH 3 CH 3
CH 3
[H ]
H 3C 2-Methylpropen (Isobutylen)
H 3C
H CH C H 3C H
Weg 2
+ H2O
H 3C H 3C
CH CH 2 OH 2
− [H+]
H 3C H 3C
CH CH 2 OH
2-Methyl-1-propanol
Da Weg 1 über das stabilere t-Butyl-Kation verläuft (MARKOWNIKOFF-Regel), führt die Hydratisierung des 2-Methylpropens regioselektiv zu 2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol). Die Hydratisierung von Alkenen läßt sich auch mit Schwefelsäure durchführen, wobei als Zwischenprodukte Alkylhydrogensulfate auftreten, deren Hydrolyse die Alkohole ergibt. Auf diese Weise kann Ethanol aus Ethen hergestellt werden. Infolge der MARKOWNIKOFF-Regel führt die Hydratisierung des Propens mit Schwefelsäure bevorzugt zum 2-Propanol (Weg 1). Entsprechendes gilt für andere terminale Alkene (2-Butanol aus 1-Penten, 2-Pentanol aus 1-Penten). Weg 1
H3C CH CH2 Propen
OSO3H i-Propylhydrogensulfat
+ H 2SO4 Weg 2
15.4.4
+ H2O
H3C CH CH 3
H 3C CH 2 CH2 OSO3H n-Propylhydrogensulfat
H3C CH CH 3
− H2SO4
OH 2-Propanol
+ H2O
H3C CH2 CH 2 OH 1-Propanol
− H2SO4
Hydroborierung und Oxidation
Alkylborane entstehen allgemein durch Addition von Diboran, B2H6, an Alkene, wobei Diboran als Boran (BH3) reagiert. Diese Hydroborierung verläuft wahrscheinlich über einen VierzentrenMechanismus, wobei elektrophile Addition des Bors und nucleophile Addition von Hydrid gleichzeitig erfolgen: R2C CR2 + H BH 2
+ R2C
R2CH CR 2
CR2
BH 2 Alkylboran
(R 2CH CR2
)2 BH
+ R2C
CR2
Dialkylboran
(R2CH CR 2
)3 B
Trialkylboran
Das zunächst entstandene Alkylboran reagiert mit weiterem Alken zum Trialkylboran. Wasserstoffperoxid oxidiert ein Mol Trialkylboran zu drei Mol Alkohol und einem Mol Borsäure: (R 2CH CR2
)3 B
+
3 H 2O2
3 R 2CH CR2 OH
+
B(OH)3
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216
15 Alkohole und Glykole
Die nucleophile Addition des Bors an Alkene wird durch Alkyl-Gruppen sterisch behindert. Daher führt die Hydroborierung der Alkene und die anschließende Oxidation mit H2O2 im Gegensatz zu der direkten unter MARKOWNIKOFF-Orientierung verlaufenden Hydratisierung von Alkanen regioselektiv zu primären oder sekundären Alkoholen. Während z. B. die direkte Hydratisierung des 2Methylpropens bevorzugt t-Butylalkohol ergibt, führt die Hydroborierung dieses Alkens und die anschließende Oxidation zu 2-Methyl-1-propanol: H 3C H
H 3C C CH2 H 3C + H BH2
sterisch günstig
H3C C C H
+ 2 (CH3) 2C
CH2
[(H3C)2CH CH 2
15.4.5
− B(OH) 3
+ 3 H2O
bevorzugt gegenüber sterisch ungünstig
] 3B
H BH2
H 3C
3 (H3C)2CH CH 2 OH
C CH2 H 3C + H2B H
2-Methyl-1-propanol
Reduktion von Carbonyl-Verbindungen
Carbonyl-Verbindungen mit der CO-Doppelbindung als funktioneller Gruppe, z. B. Carbonsäureester (Kap. 17.10.2), Ketone und Aldehyde (Kap. 20.9.1), werden bei der Reaktion mit komplexen Metallhydriden wie Lithiumaluminiumhydrid (Li+[AlH4]−, meist als LiAlH4 formuliert) durch nucleophile Addition eines Hydrid-Anions an das Carbonyl-C-Atom zu Alkoxiden (Alkoholaten) reduziert. Dabei addiert das Hydrid-Anion nucleophil an die Carbonyl-Doppelbindung: _ C OI _
C O
+
_ C OI _
IH
H Alkoxid-Anion (Alkoholat-Anion)
Carbonyl-Mesomerie
Die Aufnahme eines Protons aus Wasser führt zum Alkohol. _ _ C OI
+
H 2O
H
C OH
+
OH
H Alkohol
Primäre Alkohole bilden sich bei der Reduktion von Aldehyden sowie Carbonsäuren oder Carbonsäureestern mit Lithiumaluminiumhydrid in wasserfreiem Ether: O Aldehyd
+
4R C
Li AlH 4
wasserfreier Ether
H
(R CH2 O)4 Al Li − Al(OH) 3 , − LiOH
+ 4 H2O
4 R CH2 OH
− 4 R'OH , − 2 Al(OH) 3 , − 2 LiOH
+ 8 H2O , + LiAlH4
O Carbonsäureester
4R C
+ OR´
Li AlH 4
wasserfreier Ether
primärer Alkohol
H (R C O)4 Al Li OR´
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15.4
Darstellung von Alkoholen
217
Analog entstehen sekundäre Alkohole durch Reduktion von Ketonen mit Lithiumaluminiumhydrid. O 4R C
+
H
wasserfreier Ether
Li AlH4
R´
H
+ 4 H2O
(R C O)4 Al Li
4 R C OH
− Al(OH) 3 , − LiOH
R´
R´ sekundärer Alkohol
Keton
Der Rest R kann nicht nur eine Alkyl- sondern auch eine Aryl-Gruppe sein. So kann man mit Li+[AlH4]− 4-Hydroxybenzaldehyd zu 4-Hydroxybenzylalkohol, 4-Hydroxyacetophenon zu 1-(4Hydroxyphenyl)ethanol reduzieren: O C H
HO
Li AlH4
HO
4-Hydroxybenzaldehyd
15.4.6
CH2 OH
O C CH3
HO
4-Hydroxybenzylalkohol
Li AlH4
4-Hydroxyacetophenon
OH HO
CH CH3
1-(4-Hydroxyphenyl)ethanol
Alkohole aus Carbonyl-Verbindungen und Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen)
Die nucleophile Addition der carbanionisch polarisierten Alkyl-Gruppe eines Alkylmagnesiumhalogenids (GRIGNARD-Verbindung) führt zum Magnesiumhalogenidalkoholat, dessen Hydrolyse einen Alkohol ergibt: _ C OI _
C O
Carbonyl-Verbindung
+
δ− δ++
δ−
−
− Mg 2+ , − X
_ C OI _
R Mg X
+ H2O
R Alkoholat
Alkylmagnesiumhalogenid
− OH
C OH
−
R Alkohol
Dabei gelingt die gezielte Synthese primärer, sekundärer oder tertiärer Alkohole aus Formaldehyd, einem anderen Aldehyd oder einem Keton, jeweils über die entsprechende Magnesiumhalogenidalkoholat-Zwischenstufe. So führt die Reaktion von i-Propylmagnesiumbromid mit Formaldehyd zu 2-Methyl-1-propanol (primärer Alkohol), O H C
+ H
H 3C CH MgBr CH 3
CH2 OMgBr CH CH 3 CH3
+ H2O − Mg 2+ − − OH − − Br
CH2 OH CH CH 3 CH3
mit Benzaldehyd zu 2-Methyl-1-phenylpropanol (sekundärer Alkohol), O C H
+
H 3C CH MgBr CH 3
CH OMgBr CH CH 3 CH3
+ H2O − Mg 2+ − − OH − − Br
CH OH CH CH3 CH 3
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218
̈
15 Alkohole und Glykole
und mit Acetophenon zu 3-Methyl-2-phenyl-2-butanol (tertiärer Alkohol). CH3
O C + H 3C CH MgBr CH3 CH 3
C OMgBr CH CH 3 CH3
15.4.7
+ H2O
CH 3
− Mg 2+ − − OH − − Br
CH 3
C OH CH CH3
Alkohole aus Epoxiden und Alkylmagnesiumhalogeniden
Die nucleophile, ringöffende Substitution des O-Atoms im Oxiran (Epoxid-Ring) durch die AlkylGruppe einer GRIGNARD-Verbindung (Kap. 13.4.3) führt über ein Magnesiumhalogenidalkoholat zum entsprechenden Alkohol: δ− δ++
δ−
R Mg X
R +
C
C O
R
+ H2O
C C
C C
− Mg 2+ − − OH − − X
OMgX
OH
Ethylenoxid verknüpft demnach die 2-Hydroxyethyl-Funktion (−CH2−CH2−OH) mit der AlkylGruppe einer GRIGNARD-Verbindung, z. B.: H3C CH MgBr
+
CH 3 i-Propylmagnesiumbromid
15.4.8
H2C CH 2 O
wasserfreier Ether
H3C CH CH 2 CH 2 OMgBr CH 3
+ H2O
H3C CH CH 2 CH 2 OH
− Mg 2+ − − OH − − Br
CH 3 3-Methyl-1-butanol
Hydrolyse von Halogenalkanen
Die nucleophile Substitution des Halogenid-Anions eines Halogenalkans durch Hydroxid kann zu einem Alkohol führen, insbesondere wenn keine Eliminierung zu Alkenen möglich ist, wie bei der einem SN1-Mechanismus folgenden Hydrolyse des Benzylbromids: CH2 Br
+
OH
SN1
CH2 OH
Benzylbromid
+
Br
Benzylalkohol
Dagegen führt die analoge Reaktion bei t-Butylhalogeniden unter Eliminierung zu 2-Methylpropen, CH3 H3C C Cl CH3
− Cl
CH 3
−
H 3C C CH 3
− [H+]
CH 3 H 2C C CH 3 2-Methylpropen
und primäre Halogenalkane reagieren oft träge mit wäßrigen Alkalihydroxiden.
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15.5 Darstellung von 1,2-Diolen
219
15.5 Darstellung von 1,2-Diolen 15.5.1
Dihydroxylierung von Alkenen
Alkene können durch Permanganat (MnO4−) oder Osmiumtetroxid (OsO4) zu Glykolen dihydroxyliert werden. Die Addition von MnO4− oder OsO4 verläuft von einer Seite über cyclische Ester-Zwischenstufen, die in wäßrigem Medium das 1,2-Diol ergeben. Infolgedessen führt die Hydroxylierung mit MnO4− oder OsO4 bei Cycloalkenen zu den cis-1,2-Diolen (cis-Dihydroxylierung, Kap. 4.5.7), z. B.:
O +
OsO4
Cyclohexen
O O Os O
OH
+ 2 H2O
OH
− H2OsO4
cis-1,2-Cyclohexandiolosmiumsäureester
cis-1,2-Cyclohexandiol
Die Dihydroxylierung von Alkenen gelingt auch über die Oxirane (Epoxide) und deren säurekatalysierte Hydrolyse. Da die nucleophile Addition des Wassers an das protonierte Oxiran von der "Rückseite" erfolgt, führt diese Dihydroxylierung bei Cycloalkenen zum trans-1,2-Diol (transDihydroxylierung, Kap. 4.5.8). So führt die Epoxidation (nach PRILEZHAEV, Kap. 4.5.8, 16.4.3) des Cyclohexens mit einer Peroxycarbonsäure über Cyclohexenoxid (1-Oxabicyclo[4.1.0]heptan) zum trans-1,2-Cyclohexandiol: + H3O+
+ OH2 O Cyclohexenoxid + RCO3H
OH 2 OH
O H + H2O
− RCO2H
− H3O+
OH OH trans-1,2-Cyclohexandiol
Cyclohexen
15.5.2
Hydrolyse von Halohydrinen
Halohydrine, welche durch Addition von hypochloriger oder hypobromiger Säure an Alkene entstehen, können mit Hydroxid als Nucleophil in Glykole übergeführt werden:
R CH CH R
+ HOX ( X = Cl , Br )
Alken (E- oder Z-)
−
R CH CH R X OH Halohydrin
+ HO −
−X
R CH CH R OH OH 1,2-Diol
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220
15 Alkohole und Glykole
Die Synthese des Glycerols (Glycerin) aus Propen über Allylchlorid (radikalische Substitution), Allylalkohol (nucleophile Substitution), und Glycerolchlorhydrin (Addition) nutzt im letzten Schritt die Halohydrin-Hydrolyse im technischen Maßstab: Propen
H3C CH CH 2
Glycerol
CH2 CH CH2 OH
500 - 600 °C , + Cl2
− HCl
+ OH (NaOH) −
+ OH (NaOH)
CH2 CH CH 2
− Cl
Cl Allylchlorid (1-Chlor-2-propen)
15.5.3
OH OH
−
CH 2 CH CH 2
−
+ HOCl
OH Allylalkohol (2-Propen-1-ol)
− Cl
−
CH2 CH CH2 OH OH Cl Glycerolchlorhydrin (3-Chlor-1,2-propandiol)
Bimolekulare Reduktion von Aldehyden und Ketonen
Die Reduktion zweier Moleküle eines Aldehyds oder Ketons mit metallischem Magnesium in Benzen ergibt über ein cyclisches Magnesiumalkoholat symmetrische 1,2-Diole (Pinakole): R
C
R'
R + Mg +
O
C
R'
in Benzen
O
R'
R
R
C C O
Mg
R'
+ 2 H2O − Mg(OH) 2
O
R R R' C C R' HO OH α,β-Diol
2,3-Dimethyl-2,3-butandiol (Pinakol) wird durch diese Pinakol-Reaktion aus Aceton dargestellt: 2 H 3C
C
1.) Mg in Benzen 2.) + 2 H2O , − Mg(OH) 2
CH3
H 3C CH 3 H3C
2,3-Dimethyl-2,3-butandiol
C C CH 3 HO OH
O
15.6 Reaktionen der Alkohole 15.6.1
Alkohole als LEWIS-Basen
Infolge der nichtbindenden Elektronenpaare am Sauerstoff-Atom sind Alkohole Protonenakzeptoren (LEWIS-Basen). Sie werden durch Mineralsäuren zu Alkyloxonium-Salzen protoniert: _H _ R O
+
[H ]
_H R O
Alkyloxonium-Ion
H
So entsteht Ethyloxonium-chlorid durch Einleiten von Chorwasserstoff-Gas in wasserfreies Ethanol: H3C CH2 OH
+
HCl
H3C CH2 OH 2 Cl
Ethyloxonium-chlorid
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15.6 Reaktionen der Alkohole
221
Die meisten Alkyloxonium-Salze sind nur in wasserfreier Lösung beständig und lassen sich nicht rein isolieren.
15.6.2
Alkohole als Säuren
Gegenüber Alkali- und Erdalkalimetallen reagieren Alkohole als Säuren, d. h. unter Bildung von Alkoxiden (Alkanolaten oder Alkoholaten), z. B.: H3C CH2 OH
+
Na
(H 3C)3C OH
+
K
_ _ Na H3C CH2 OI Natriumethanolat _ _ Na (H3C)3C OI Kalium- t-butylalkoholat
+
1/2 H 2
+
1/2 H 2
Alkohole sind jedoch weit schwächere Säuren als Wasser. Die Alkoxide werden daher leicht zu den Alkoholen und Hydroxid hydrolysiert. _ R OI _
+
R OH
H2O
+
OH
Die Acidität von Alkoholen gegenüber Alkali- und Erdalkalimetallen nimmt mit zunehmendem Alkylierungsgrad des Kohlenstoffs, der die Hydroxy-Gruppe trägt, ab, also in der Reihenfolge: H 3C OH
> R CH2 OH
> R 2CH OH
> R3C OH
Mit Methanol reagiert Kalium z. B. explosionsartig, mit t-Butylalkohol dagegen sehr träge. Ein Grund ist, daß der induktive Effekt der Alkyl-Gruppen die Elektronendichte am hydroxylierten CAtom erhöht. Hierdurch wird das Alkoxid-Anion destabilisiert. Darüberhinaus werden mit zunehmender Alkylierung des Hydroxy-substituierten C-Atoms die Reaktionen der OH-Gruppe sterisch erschwert.
15.6.3
Oxidation von Alkoholen
Primäre Alkohole werden durch Oxidationsmittel (Permanganat MnO4− in alkalischer, Dichromat Cr2O72− in saurer Lösung) über die Aldehyde zu den Carbonsäuren oxidiert: R CH 2 OH primärer Alkohol
− 2 [H+] , − 2 e0
−
O R C H Aldehyd
+ 1/2 O2
O R C OH Carbonsäure
Die Aldehyd-Zwischenstufe läßt sich oft durch kontinuierliches Abdestillieren aus der Reaktionslösung gewinnen. Selektive Oxidationen primärer Alkohole zu Aldehyden gelingen mit verschiedenen Reagenzien, z. B. mit Dimethylsulfoxid als Oxidationsmittel in Gegenwart von Oxalsäuredichlorid (SWERN-Oxidation, Kap. 24.8.3).
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222
15 Alkohole und Glykole
Bei der Dehydrierung primärer Alkohole zu Aldehyden durch metallisches Kupfer bei höheren Temperaturen spielen beide Kupferoxide (Cu2O und CuO) die Rolle des Sauerstoff-Überträgers: 2 Cu
+
1/2 O2
Cu
+
1/2 O2
R CH2 OH
+
Cu2O
R CH2 OH
+
CuO
300 - 500 °C
Cu2O
300 - 500 °C
CuO
300 - 500 °C
O R C H
+
2 Cu
+
H2O
300 - 500 °C
O R C H
+
Cu
+
H2O
Sekundäre Alkohole werden zu Ketonen oxidiert: R CH OH
− 2 [H+] , − 2 e0
−
R C O R Keton
R sekundärer Alkohol
Die Oxidation primärer und sekundärer Alkohole ist eine allgemeine Methode zur Darstellung von Carbonyl-Verbindungen (Kap. 20.5.1, 20.6.1).
15.6.4
Veresterung von Alkoholen
Alkohole und Mineral- oder Carbonsäuren reagieren zu Estern, z. B.: H3C CH2 OH
+
Ethanol
HO SO3H
+
HO C CH 3 Essigsäure
O R OH
+
HO C R'
Alkohol
Verseifung
Schwefelsäure
O H3C CH2 OH
Veresterung
Carbonsäure
Veresterung Verseifung
Veresterung Verseifung
O H3C CH2 O S OH
+
H 2O
O Ethylhydrogensulfat (Schwefelsäuremonoethylester) O H3C CH2 O C CH3 Ethylacetat (Essigsäureethylester)
+
H 2O
O R O C
+
H 2O
R' Alkylcarboxylat (Carbonsäureester)
Veresterungen sind reversibel; es stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen den Estern und Wasser einerseits und den Alkoholen und Säuren andererseits ein. Durch wasserbindende Reagenzien (wie H2SO4 und P4O10) oder kontinuierliches Abdestillieren des Reaktionswassers bzw. des Esters, sofern dieser tiefer siedet als Wasser, läßt sich dieses Gleichgewicht zugunsten des Esters verschieben. Die Rückreaktion der Veresterung wird als Verseifung bezeichnet. Veresterung und Verseifung sind säurekatalysierte Reaktionen (Kap. 17.7.1). Einige Carbonsäureester riechen angenehm fruchtartig. Bedeutende Ester anorganischer Säuren sind das cancerogene Methylierungsmittel Dimethylsulfat [(H3CO)2SO2, Schwefelsäuredimethyl-
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15.6 Reaktionen der Alkohole
223
ester], sowie das nicht korrekt als "Nitroglycerin" bezeichnete, hochexplosive, gefäßerweiternd wirkende Glyceroltrinitrat. Die farblose, ölige Flüssigkeit bildet sich bei der Veresterung des Glycerols mit konzentrierter Salpetersäure und Schwefelsäure. Kieselgel saugt Glyceroltrinitrat auf; dabei entsteht der feste, kontrolliert zündbare Sprengstoff Dynamit (NOBEL, 1867). O CH2 HO
OH +
CH CH2
O 3 HO N O
OH
Glycerol
(H2SO4)
O
− 3 H2O
O
CH2 N
O
O N
CH2
CH2 O O
CH
O2NO
O N
ONO2
CH CH2
ONO2
O Glyceroltrinitrat ("Nitroglycerin", ein Ester der Salpetersäure, keine Nitroverbindung)
Salpetersäure
Auch mit Säurehalogeniden bilden Alkohole Ester. Die Charakterisierung von Alkoholen durch Reaktion mit 3,5-Dinitrobenzoylchlorid zu den kristallinen Alkyl-3,5-dinitrobenzoaten (Ester der 3,5-Dinitrobenzoesäure) ist ein Beispiel: NO2
Cl R OH
Base , − HCl
C
+ O
C O
NO2 3,5-Dinitrobenzoylchlorid
15.6.5
NO2
R O
NO2 Alkyl-3,5-dinitrobenzoat
Nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogen
Die Reaktion von Alkoholen mit Halogenwasserstoffen kann unter nucleophiler Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogenid zu Halogenalkanen führen (Kap. 13.3.10), z. B.: H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 OH 1-Pentanol
+
HBr
OH
+
HBr
Cyclohexanol
NaBr , H2SO4 Rückfluß
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 Br 1-Brompentan
HBr-Gas
Br
+
+
H2O
H2O
Bromcyclohexan
Thionylchlorid (SOCl2) sowie Phosphortrihalogenide (PX3 , X = Cl, Br, I) eignen sich zur Überführung von Alkoholen in Halogenalkane, z. B.: 3 H3C CH2 OH
+
PI 3
3 H3C CH2
I
+
P(OH)3
Iodethan (Ethyliodid)
Die nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogenid X− (X = Cl, Br, I) verläuft über ein Carbenium-Ion, von dessen Stabilität die Reaktivität der Alkohole abhängt. Während Allyl- und Benzyl-Kationen mesomeriestabilisiert sind, kommen für eine Stabilisierung der anderen Alkyl-Kationen nur die weit schwächeren induktiven und sterischen Einflüsse in Betracht, deren Wirksamkeit mit zunehmender Alkylierung wächst. Infolgedessen nimmt die Reaktivität von Alkoholen gegen Halogenwasserstoff nach folgender Reihung ab: Allyl-, Benzyl- > tertiär > sekundär > primär
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224
15 Alkohole und Glykole
Ist die Bildung des Carbenium-Ions infolge zu schwacher Stabilisierung erschwert, so erfolgt vorzugsweise SN2-Substitution von der Rückseite in Bezug auf die abgehende Gruppe (H2O). Nach diesem Mechanismus reagieren die meisten primären Alkohole einschließlich Methanol (nicht jedoch Allyl- und Benzylalkohol). H C O H
schnell
C OH
+
HX
X
+
langsam
Alky loxoniumhalogenid
δ−
X
C
δ+
OH 2
X C
+
H 2O
Übergangszustand
Ist das als Zwischenstufe auftretende Carbenium-Ion stabiler, wie es z. B. für Benzyl- und Allylalkohole sowie für tertiäre Alkohole zutrifft, so wird die Dissoziation zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt. Die Substitution verläuft dann nach einem SN1-Mechanismus. −
− H2O langsam
−X schnell
C OH
+
HX
−
+ X
C
C OH2 Oxonium-Ion
C X
Carbenium-Ion
Führt die Abspaltung von Wasser aus einem protonierten Alkohol zu einem weniger stabilen Carbenium-Ion, so kann dieses sich unter Verschiebung einer Alkyl-Gruppe stabilisieren. Entsteht z.B. ein sekundäres Carbenium-Ion in α-Stellung zu einem quartären C-Atom, so wird sich durch 1,2-Alkyl-Verschiebung ein tertiäres, d. h. stabileres Carbenium-Ion bilden: R R C CH R
R
− H2O
R OH 2
R
R C CH R
R C CH R
R weniger stabil
R stabiler
Als Folge dieser WAGNER-MEERWEIN-Umlagerung haben die durch Reaktion von Halogenwasserstoffen mit Alkoholen dargestellten Halogenalkane nicht immer die dem Ausgangs-Alkohol entsprechende Konstitution. Die nucleophile Substitution des 2,2-Dimethyl-3-hexanols durch Chlorwasserstoff führt z. B. überwiegend zu 2-Chlor-2,3-dimethylhexan: −
− Cl schnell
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3
+
HCl
H3C OH
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C OH 2 langsam
WAGNER-MEERWEINUmlagerung
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3 CH3 + Cl
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C
−
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3 Cl CH3 2-Chlor-2,3-dimethylhexan
− H2O
+ Cl
−
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C Cl 3-Chlor-2,2-dimethylhexan
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15.6 Reaktionen der Alkohole
15.6.6
225
Dehydratisierung von Alkoholen
Die Ablösung von Wasser aus einem protonierten Alkohol unter Bildung des Carbenium-Ions kann sowohl eine nucleophile Substitution als auch die Abspaltung eines β-Protons unter Bildung eines Alkens zur Folge haben. −
+ X , SN1 − H2O langsam
+ [H+]
C C
C C
H OH
H OH2
C C H X Halogenalkan
C C H
− [H+] , E1
C C Alken
Dementsprechend ergibt 2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol) bei der Reaktion mit Bromwasserstoff neben 2-Brom-2-methylpropan (t-Butylbromid) bevorzugt Methylpropen (Isobutylen), insbesondere bei höheren Temperaturen: −
+ X , SN1
H 3C H3C C OH H3C
+ [H+]
H 3C H3C C OH 2 H3C
− H2O langsam
H 3C CH 3
H3C H 3C C Br H 3C
C − [H+] , E1
CH3
H3C C CH2 H3C
Da die Bildung des Carbenium-Ions durch Ablösung von Wasser aus einem Molekül des protonierten Alkohols die Geschwindigkeit der Dehydratisierung bestimmt, zumindest bei tertiären und manchen sekundären Alkoholen, spricht man von einer monomolekularen β-Eliminierung (E1Reaktion, Kap. 5.2.1). Tab. 15.2. Dehydratisierungstendenz von Alkoholen Alkohol
CH CH 3 OH CH 3 H 3C C OH CH 3 H3C CH2 CH CH 3 OH H3C CH2 CH 2 CH2 OH
Carbenium-Ion CH 3 C H CH 3 H 3C C CH 3 H3C CH2 C
CH 3
relative Stabilität
Bildungstendenz
groß
groß
mittel
mittel
geringer
klein
sehr gering
sehr klein
H H H3C CH2 CH 2 C H
Alken
CH CH 2
CH 3 H 2C C CH 3 H 3C
Dehydratisierungsbedingungen 90 °C 20 % H2SO4
90 °C 20 % H2SO4
H C C CH3 H
100 °C 60 % H2SO4
H 3C CH 2 CH CH 2
170 °C 90 % H2SO4
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226
15 Alkohole und Glykole
Die Dehydratisierungstendenz der Alkohole nimmt mit zunehmender Stabilität der nach Ablösung von H2O entstehenden Carbokationen zu (primär < sekundär < tertiär < Benzyl-, Allyl-), wie Tab. 15.2 zeigt. Kann die Eliminierung eines β-Protons aus einem Carbenium-Ion von zwei C-Atomen ausgehen, so wird die Orientierung bevorzugt, bei welcher das stabilere Alken entsteht. Stabiler sind höher alkylierte Alkene (SAYTZEFF-Regel, Kap. 5.2.2) oder im Falle von Dienen und Phenylalkenen die konjugierten Verbindungen: +
+
− [H ]
+ [H ]
H3C CH2 CH CH 3 OH 2-Butanol
− H2O
H3C CH2 CH CH 3
H3C CH CH CH3 2-Buten ( E + Z ) höher alkyliert (Hauptprodukt)
− [H ]
CH2 CH CH3
− H2O
OH
H3C CH2 CH CH 2 1-Buten
+
+ [H+]
CH2 CH CH3
+
CH CH CH3
+
CH2 CH CH2
1-Propenylbenzen ( E + Z ) konjugiert (Hauptprodukt)
1-Phenyl-2-propanol
2-Propenylbenzen (Allylbenzen)
Schließlich eliminiert das β-Proton bevorzugt aus dem stabilsten Carbenium-Ion. Führt die Dehydratisierung des protonierten Alkohols zunächst zu einem weniger stabilen Carbenium-Ion, so kann dieses sich unter 1,2-Verschiebung einer Alkyl-Gruppe stabilisieren:
R
+ [H+]
R C CH R R OH
− H2O
1,2-Alkyl-Verschiebung (WAGNER-MEERWEINUmlagerung)
R
o
R C CH R
R
− [H+]
R C CH R R stabiler
R weniger stabil
R
R C C R R
Diese als WAGNER-MEERWEIN-Umlagerung bekannte 1,2-Alkyl-Verschiebung bei der Dehydratisierung von Alkoholen spielt besonders bei Cycloalkanolen eine Rolle, z. B.:
OH H
+ [H+]
CH3
CH3 2,2-Dimethylcyclohexanol
− H2O
CH3 H CH 3
1,2-Methyl-Verschiebung (WAGNER-MEERWEINUmlagerung)
o
H
− [H+]
CH 3 CH 3
CH3
CH3
1,2-Dimethylcyclohexen
Die säurekatalysierte Dehydratisierung von Alkoholen ist eine bewährte Methode zur Synthese von Alkenen (Kap. 4.4.3).
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15.7 Glykolspezifische Reaktionen
227
15.7 Glykolspezifische Reaktionen 15.7.1
Glykol-Spaltung
Die Bindung zwischen den hydroxylierten C-Atomen eines 1,2-Diols kann oxidativ unter Bildung von zwei Carbonyl-Verbindungen gespalten werden, entweder mit Periodsäure, HIO4, (MALAPRADE-Spaltung) oder mit Bleitetraacetat (CRIEGEE-Spaltung): R' R"
C
R
HO OH 1,2-Diol
R"
R'
HI O4 oder (CH3CO2) 4Pb
R C C R*
+
O
O
C
R*
Carbonyl-Verbindungen
Da cis-Glykole leichter gespalten werden als die trans-Isomeren, verläuft die Glykol-Spaltung wahrscheinlich über cyclische Zwischenstufen (cyclische Periodate und Blei(IV)-diolat-diacetat): O O
O IO3H
Pb 2
O
2 CH 3CO2
Die Spaltung eines Glykols mit Bleitetraacetat könnte demnach in drei Schritten ablaufen: C OH
+
C OH
2
Pb(O2C CH 3)4
C O
− CH3CO2H
− Pb (CH3CO2) 2
C O
− CH3CO2H
C O Pb (O2C CH 3)3
C O
C OH
Pb (O2C CH3)2
Bekanntlich bilden sich Glykole durch Dihydroxylierung von Alkenen (Kap. 4.5.7, 4.5.8), entweder mit Permanganat bzw. Osmiumtetroxid, oder über Oxirane. Daher ermöglichen die bei der Glykol-Spaltung entstehenden Carbonyl-Verbindungen nicht nur Rückschlüsse auf die Konstitution des gespaltenen Glykols, sondern auch des hydroxylierten Alkens, z. B.: H 3C H 2C
CH 3 C C
H
CH 2 CH3
a
H CH3 H3C CH2 C C CH2 CH 3 HO OH
trans-3-Methyl-3-hexen a : Dihydroxylierung
b : Glykol-Spaltung
b
H C O H3C CH2 Propanal (Propionaldehyd)
+
CH 3 O C CH 2 CH3 2-Butanon (Ethylmethylketon)
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228
15 Alkohole und Glykole
15.7.2
Pinakol-Dehydratisierung und Umlagerung
Tertiäre 1,2-Diole, die Pinakole (Kap. 15.5.3), werden in Gegenwart von Säuren unter 1,2-AlkylVerschiebung zu Ketonen dehydratisiert: H3C CH 3
+ [H+]
H 3C C C CH 3 HO OH 2,3-Dimethyl-2,3-butandiol (Pinakol) CH3
− H2O
C C CH 3 O CH 3 3,3-Dimethyl-2-butanon (Pinakolon, t-Butylmethylketon) O
+ [H+]
CH3 HOOH
CH 3
H 3C
CH 3
− H2O
CH 3
1,2-Dimethyl1,2-cyclohexandiol
2,2-Dimethylcyclohexanon
Die Pinakol-Umlagerung beginnt mit der Protonierung einer Hydroxy-Gruppe. Das nach Abspaltung von Wasser erzeugte Carbenium-Ion lagert sich unter anionotroper 1,2-Alkyl-Verschiebung zu einem protonierten Keton um. Die 1,2-Alkyl-Verschiebung selbst verläuft nicht unter Bildung eines "freien" Alkyl-Kations, sondern über einen Zwischenzustand, bei dem sich die positive Ladung des Carbenium-Ions auf alle an der Umlagerung beteiligten Atome verteilt.
R OH R C C R HO R
+ [H+]
R OH2 R C C R HO R
− H2O
R R C C R
o
HO R R R C C R HO R
R
− [H+]
R
HO R
R C C R
R C C R O
R
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16.1 Nomenklatur der Ether
229
16 Ether 16.1 Nomenklatur der Ether Die allgemeine Formel der Ether ist R−O−R´. Dabei unterscheidet man zwischen aliphatischen Ethern (R = Alkyl) und den Phenolethern (R = Aryl, R´ = Alkyl oder R = R´ = Aryl). Nach IUPAC benennt man Ether als Alkoxy- oder Aryloxy-Derivate der Alkane, z. B.: H3C CH2 CH O CH 3 CH3
2-Methoxybutan
O CH CH2 CH 3 3-Phenoxypentan CH 2 CH3
Die Trivialnamen beginnen mit den Bezeichnungen der am Sauerstoff gebundenen Alkyl- oder Aryl-Gruppen in der Reihenfolge zunehmender Größe und schließen mit der Endung ..."ether". H3C CH O CH 3 CH3
Methyl-i-propylether (Methylisopropylether)
O CH 2 CH3
Ethylphenylether (Phenetol)
In cyclischen Ethern (Sauerstoff-Heteroalicyclen) schließen sich die Reste R zum Ring. Sie leiten sich formal von den Cycloalkanen ab und werden als Oxiran, Oxetan, Tetrahydrofuran (THF), Tetrahydropyran (THP), Oxepan oder Polymethylenoxide bezeichnet. Oxirane werden auch Epoxide genannt. 2H- und 4H- kennzeichnen im Pyran die Position der Ring-Methylen-Gruppe. 3,4Dihydro-2H-pyran ist ein cyclischer Enolether, 5,6-Dihydro-2H-pyran ein cyclischer Allylether.
Oxiran (Ethylenoxid)
Oxetan (Trimethylenoxid)
O
Tetrahydrofuran (Tetramethylenoxid)
Tetrahydropyran (Pentamethylenoxid)
1 4
1
2 3
4
2H-Pyran
Oxepan (Hexamethylenoxid)
O
O
O
O
O
O
O
1
2 3
4
4H-Pyran
O 1
2 3
3,4-Dihydro-2H-pyran
4
2 3
5,6-Dihydro-2H-pyran
Ersetzt man im Cyclohexan zwei Methylen-Gruppen durch Sauerstoff, so ergeben sich formal die drei isomeren Dioxane. Vom cyclischen Bis-enolether 1,4-Dioxin leitet sich Dibenzo[b,e]1,4-dioxin ab, Stammverbindung des Seveso-Gifts (Kap. 11.3.2). O
O
O O
1,2-Dioxan
1,3-Dioxan
O
O
O
O 1,4-Dioxan
O 1,4-Dioxin
O Dibenzo[b,e]1,4-dioxin
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230
16 Ether
16.2 Struktur und physikalische Eigenschaften Wie Alkohole sind die Ether gewinkelte Moleküle und zeigen Dipolmomente (Kap. 1.10.2) von 1.2 bis 1.3 Debye. Der C−O−C-Bindungswinkel in den Ethern ist 110° und damit gegenüber dem C−O−H-Winkel der Alkohole (107°, Abb. 15.1, Kap. 15.3) etwas aufgespreizt. Abb. 16.1 zeigt Molekülmodelle des Dimethylethers im Vergleich zum konstitutions- und funktionsisomeren Ethanol.
Abb. 16.1. Stab- und Kalottenmodell des Dimethylethers (links) und des konstitutions- und funktionsisomeren Ethanols (Kohlenstoff : schwarz; Sauerstoff : rot; Wasserstoff : weiß)
Die niedermolekularen Ether sind sehr flüchtig (Siedepunkt des Dimethylethers: − 24 °C bei 1011 mbar) und sieden erheblich tiefer als Alkohole vergleichbarer molarer Massen (Siedepunkt des Ethanols: 78.2 °C bei 1011 mbar), da sie keine Wasserstoffbrücken bilden können. Infolge schwacher Dipol-Dipol-Wechselwirkung liegen die Siedepunkte der Ether jedoch geringfügig höher als jene vergleichbarer Alkane. Ether lösen sich kaum in Wasser, jedoch sehr gut in Alkoholen und unpolaren organischen Medien. Sie sind selbst vorzügliche Lösemittel und dienen daher oft zum Extrahieren organischer Verbindungen aus festen Substanzgemischen oder wäßrigen Lösungen (Ausethern). Untereinander können Ether gleicher Summenformel eine spezielle Art der Konstitutionsisomerie aufweisen. Diese sog. Metamerie rührt daher, daß bei gleicher Summenformel verschiedene Alkyl-Gruppen mit dem Ethersauerstoff verknüpft sein können. Für die Summenformel C4H10O können z. B. drei Metamere formuliert werden, nämlich Diethylether, Methyl-n-propylether und Methyl-i-propylether: CH 2 CH3 Diethylether O CH 2 CH3
CH 3 Methyl-n-propylether O CH 2 CH2 CH3
CH 3 Methyl-i-propylether O CH CH3 H 3C
Diese drei Metamere sind ihrerseits Konstitutionsisomere der vier Butanole (1-Butanol, 2-Methylpropanol, 2-Butanol, 2-Methyl-2-propanol).
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16.3 Darstellung
231
16.3 Darstellung 16.3.1
Bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen
Die säurekatalysierte, bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen ist eine auch industriell genutzte Methode zur Darstellung symmetrischer Ether. Als Dehydratisierungsmittel werden u. a. Schwefelsäure und Hydrogensulfate, Bor-, Phosphor- sowie Arsensäure eingesetzt. Bei der Darstellung von Diethylether und Divinylether über β,β'-Dichlordiethylether verwendet man z. B. Schwefelsäure. Diethylether und einige andere Ether werden in technischem Maßstab hergestellt, indem die Alkohol-Dämpfe über heiße Metalloxid-Katalysatoren (Aluminiumoxid, Titandioxid, 200 °C) geleitet werden. 2 H 3C CH 2 OH
2 Cl
CH2 CH2 OH 2-Chlorethanol
H2SO4 , 140 °C
H3C CH2 O CH 2 CH 3 Diethylether
− H2O
H2SO4 , 140 °C − H2O
Cl
(mit Ethen als Nebenprodukt)
CH2 CH2 O CH 2 CH 2 Cl β,β´-Dichlordiethylether
KOH
H2C CH O CH CH2 Divinylether
− 2 HCl
Primärschritt der Dehydratisierung ist ein Protonierungsgleichgewicht: R OH
+
[H ]
R OH2
Bei primären Alkoholen greift dann ein zweites Alkohol-Molekül nucleophil nach einem SN2Mechanismus an: SN2
_ R O _
+
R R O H
R OH _ 2 − H2O
H
R R O
− [H+]
Dagegen neigen protonierte sekundäre und tertiäre Alkohole eher zur Wasserabspaltung unter Bildung von Carbenium-Ionen. Diese deprotonieren dann zu einem Alken, oder ein zweites Alkohol-Molekül addiert nucleophil, aber nun nach einem SN1-Mechanismus: R'
CH 2 CH OH2
R'
− H2O
H
CH2 C H
R
− [H+]
R' C C R
R
Alken
H H
+ I OI R*
R'
CH2
H CH O R R*
− [H+]
R'
CH 2 R
Ether CH O R*
Infolgedessen konkurrieren insbesondere bei der Dehydratisierung sekundärer Alkohole Alkenund Ether-Bildung; tertiäre Alkohole dehydratisieren überwiegend zu Alkenen.
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232
16 Ether
16.3.2
Nucleophile Substitution von Halogenalkanen durch Alkoholate und Phenolate (WILLIAMSON-Synthese)
Ein allgemeiner Weg zu aliphatischen, gemischt aliphatisch-aromatischen und aromatischen Ethern ist die als WILLIAMSON-Synthese bekannte nucleophile Substitution des Halogens in Halogenalkanen (oder Alkylhydrogensulfat in Dialkylsulfaten) durch Alkoholate (R = Alkyl) und Phenolate (R = Aryl): _ _ R OI
Na
δ− δ+
+
R O R'
X R'
+
Na X
X = Cl , Br , I , −O−SO2−OR'
Diese nucleophile Substitution geht am besten mit den Alkoholaten aus sekundären sowie tertiären Alkoholen und mit primären Halogenalkanen (−CH2−X, H3C−X), wobei die Iod- und Bromalkane am reaktivsten sind (I > Br >> F). Beispiele sind die Darstellung des Methyl-i-propylethers aus Natrium-i-propanolat und Methyliodid sowie die industrielle Herstellung des 1,4-Dioxans aus Oxiran und 2-Chlorethanol (Ethylenchlorhydrin) durch intramolekulare WILLIAMSON-Synthese. _ Na (H 3C)2CH OI _ Natrium- i-propanolat
+
(CH3)2CH O CH3 Methyl-i-propylether
I CH 3
O + O Oxiran
OH
NaI O
+ NaOH
HO CH2 CH 2 Cl 2-Chlorethanol (Ethylenchlorhydrin)
+
Cl
−NaCl , − H2O
O 1,4-Dioxan
Sekundäre und tertiäre Halogenalkane eignen sich weniger zur Alkylierung der Alkoholate, da diese als Basen die Halogenalkane zu Alkenen dehydrohalogenieren: H3C CH CH 3
+
H3C CH CH 2
C 2H5O Na
+
C2H 5OH
+
Na X
Br
Die Synthese von Phenolethern aus Phenolen verläuft in alkalischen Lösungen sowohl mit primären Halogenalkanen als auch mit Dialkylsulfaten (Schwefelsäuredialkylestern): OH
+ NaOH , − H2O
O Na
Phenol
+ CH3 I , − Na I
oder
O
+ (H3CO) 2SO2 , − CH3OSO3 Na
Natriumphenolat
CH3
Methylphenylether (Anisol)
Die Darstellung von Diarylethern nach WILLIAMSON aus Arylhalogeniden und Phenolaten gelingt nur in mäßigen Ausbeuten unter schärferen Bedingungen und bei Gegenwart von Katalysatoren: O K
+
Br
Cu , 220 °C , Druck
O
Diphenylether
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16.3 Darstellung
233
Die Reaktion unsymmetrisch substituierter Hydrochinone mit ω,ω'-Dibromalkanen [X−(CH2)n−X , n > 8] in alkalischer Lösung führt zu atropisomeren (Kap. 18.6.2) Hydrochinonpolymethylenethern, sog. Ansa-Verbindungen (lat. ansa = Griff, Henkel):
CH 3 HO
OH
CH 3 +
Br
+ 2 NaOH
(CH 2)12 Br
− NaBr , − 2 H 2O
CH3
Br O Na
O
CH 2 CH3 2-Ethyl-6-methyl1,12-Dibromdodecan hydrochinon
− NaBr
CH 2 CH3
O
O
CH 2 CH 3 2-Ethyl-6-methylhydrochinondodecamethylenether
Der zweite Schritt dieser Reaktion ist eine intramolekulare WILLIAMSON-Synthese. Er muß in verdünnter Lösung durchgeführt werden, um intermolekulare Reaktionen möglichst weitgehend zu unterdrücken (RUGGLI-ZIEGLER-Verdünnungsprinzip). Zur Synthese cyclischer, vor allem makrocyclischer Ether hat sich die intramolekulare MITSUNOBU-Reaktion von Diolen bewährt (Kap. 23.4.2, 32.3.1).
16.3.3
Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat
Die Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat oder Silberoxid bewährt sich besonders zur Darstellung von Ethern mit sekundären und tertiären Alkyl-Gruppen, z. B.: CH3 2 H3C C Cl
CH3 +
CH3
H3C C O C CH3
Ag2CO3
CH3
CH3
+
2 AgCl
+
CO2
CH3
Di-t-butylether
16.3.4
O-Methylierung von Alkoholen und Phenolen durch Diazomethan
Primäre und sekundäre Alkohole können durch Diazomethan in Gegenwart von Tetrafluorborsäure oder Bortrifluoridetherat O-methyliert werden, z. B.: OH
+
CH 2N2
− HBF4 oder F3B +O(C2H5) 2
O CH 3 Methoxycyclohexan
Cyclohexanol
+
N2
BF3-Katalysatoren acidifizieren dabei die OH-Gruppe der Alkohole. Dies erübrigt sich bei den im Vergleich zu Alkoholen stärker saueren Phenolen, die in etherischer Lösung spontan mit Diazomethan zu den Arylmethylethern reagieren: OH + Phenol
CH2N 2
Diethylether
O
CH3
+
N2
Anisol
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234
16 Ether
16.3.5
Synthesen von Ethern mit GRIGNARD-Verbindungen
α-Halogenether lassen sich mit Hilfe von Alkylmagnesiumhalogeniden homologisieren, z. B.: CH 2 Br H 3C CH2 CH 2 O Brommethyl-n-propylether
+
Br Mg CH 2 CH 2 CH 3
− MgBr 2
CH 2 CH 2 CH 2 CH 3 H 3C CH 2 CH 2 O n-Butyl-n-propylether
t-Butylperbenzoat reagiert mit Alkyl- oder Arylmagnesiumhalogeniden zu den entsprechenden t-Butylethern, z. B.:
C
O
O
C(CH3)3
C(CH 3)3
C
O + Br Mg
O
+
O
OMgBr
t-Butylphenylether
+ H2O
CO2H
16.3.6
Mg2
+
+
OH
+
Br
Alkenylether durch Addition von Alkoholen an Alkine
Vinylether werden durch Addition von Alkoholen an Alkine unter Druck in Gegenwart von Alkoholaten als Katalysatoren dargestellt, z. B.: H C C H
16.3.7
+
HOCH 3
CH3O Na , Druck
CH 3 H2C CH O Methylvinylether , ein Enolether
Enolether durch Eliminierung von Alkohol aus Acetalen
Acetale gehen beim Erhitzen in Gegenwart von Katalysatoren (Phosphorsäure, Pt-Asbest) unter Abspaltung eines Äquivalents Alkohol in Enolether über, z. B.: O CH 2 CH 3 H 3C CH 2 CH 2 CH
H3PO4 , Rückfluß , − C2H5OH
O CH 2 CH 3 Butanaldiethylacetal
CH2 CH 3 H3C CH2 CH CH O Ethyl-1-butenylether ( E + Z )
β-Halogenacetale eliminieren zunächst ein Äquivalent Alkohol, dann in alkalischem Medium ein
Äquivalent Halogenwasserstoff. Dabei entstehen die reaktiven Ethinylether: Br
CH 2 CH(OC2H 5)2 Bromacetaldehyddiethylacetal
H3PO4 , Rückfluß , − C2H5OH
Br CH CH OC2H 5 2-Bromvinylethylether
KOH , − HBr
H C C OC2H 5 Ethinylethylether (Ethoxyethin)
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16.4 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen)
235
16.4 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen) 16.4.1
Katalytische Oxidation von Alkenen
Einige Alkene, z. B. Ethen, lassen sich durch Sauerstoff am Silberkontakt in Epoxide überführen: Ag , 260-290 °C
2 H2C CH2
16.4.2
+
O2
2
O Oxiran (Ethylenoxid)
Eliminierung von Halogenwasserstoff aus Halohydrinen
Halohydrine (Kap. 15.5.2) spalten in wäßrig-alkalischer Lösung Halogenwasserstoff ab, so daß Oxirane entstehen: X R CH CH R' OH Halohydrin ( X = Cl , Br )
16.4.3
R
+ NaOH
R' O
− Na X , − H2O
substituiertes Oxiran
Epoxidation von Alkenen mit Peroxycarbonsäuren
Die allgemeinste Methode zur Darstellung von Epoxiden ist die Reaktion von Alkenen mit Peroxysäuren, z. B. Peroxybenzoesäure oder m-Chlorperoxybenzoesäure (PRILEZHAEV-Epoxidation). Nach dem "Butterfly-Mechanismus" addiert das elektrophile Peroxy-O-Atom der Persäure über einen spirocycischen Übergangszustand an die π-Bindung, während die Carbonyl-Gruppe das OHProton übernimmt. Die relative Konfiguration des Alkens bleibt im Oxiran erhalten. C C
O +
O H
C
R
C C
O
O O H
R C
C
O
C
O +
O
H
subst. Oxiran (trans- oder cis-)
Alken Peroxycarbonsäure (E oder Z)
C
R
O
Carbonsäure
16.5 Reaktionen 16.5.1
Bildung von Oxonium-Verbindungen
Infolge der Elektronenpaare am Ether-Sauerstoff sind die Ether Elektronenpaar-Donoren, d. h. LEWIS-Basen. Sie reagieren daher mit Protonen und LEWIS-Säuren wie BF3 zu Oxonium-Salzen: R
R O R
+
HCl
R
R O _ H Cl
R Dialkyloxonium-chlorid
O R
+
BF 3
O _ BF 3 R Bortrifluorid-etherat
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236
16 Ether
Die Oxonium-Salze können ein Alkohol-Molekül (als Abgangsgruppe) abspalten und sind insofern Vorstufen von Alkyl-Kationen: R _ H O
R
O H
+ R
R
Die Donoreigenschaften des Ether-O-Atoms sind auch der Grund für die Bildung von Komplexen zwischen Ethern und GRIGNARD-Verbindungen, die sich ihrerseits sehr gut in Ethern lösen: R'
R O R
16.5.2
Mg X
R O R
Autoxidation
Unter Lichteinwirkung reagieren die Ether mit Luftsauerstoff, der als Biradikal ("Triplett-Sauerstoff") vorliegt, zu Etherhydroperoxiden: R O C H
_ _ _ O _ O
+
R O C O OH Etherhydroperoxid
Etherhydroperoxide sind entweder selbst explosiv, oder sie lagern sich zu hochexplosiven Produkten um. Die Peroxid-Bildung und damit die Explosionsgefahr läßt sich vermeiden, indem man die Ether über Reduktionsmitteln (Na-Amalgam, Zn, Fe2+) aufbewahrt.
16.5.3
Ether-Spaltung
Die Einwirkung starker Säuren führt zur Spaltung der Ether. Zur gezielten Spaltung von Ethern verwendet man meist HBr oder HI: R O R'
+ HX ( X = Br , I )
R'
X
+
R OH
+ HX
R'
X
+
R X
+
H 2O
Auf dieser Ether-Spaltung beruhte die quantitative Bestimmung der Methoxy-Gruppen (z. B. in Naturstoffen) nach ZEISEL: Der Methylether wurde durch Iodwasserstoffsäure gespalten und die dabei entstehende Menge Iodmethan gemessen. R O CH3
+
Rückfluß
HI
R OH
+
CH3
I
Erster Schritt der Ether-Spaltung ist die Bildung des Dialkyloxonium-Salzes: R
R O R
+
O _ H X
HX R
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16.5 Reaktionen
237
Dieses spaltet ein Äquivalent Alkohol ab und geht mit dem Halogenid-Anion unter nucleophiler Substitution in das Halogenalkan über, bei Ethern mit tertiären Alkyl-Gruppen vorwiegend nach einem SN1-, bei Ethern mit primären Alkyl-Gruppen vorwiegend nach einem SN2-Mechanismus: H
SN1 , − ROH
O _ R R
R
−
−
+X
H O R
+X
SN2 , − ROH
R X
X R
Der entstehende Alkohol wird meist ebenfalls in das Halogenalkan übergeführt. Eine weitere Folgereaktion der Ether-Spaltung ist die β-Eliminierung zum Alken, insbesondere bei Ethern mit tertiären Alkyl-Gruppen. 1,4-Dichlorbutan als vielseitiges, bifunktionelles Synthese-Edukt wird industriell durch EtherSpaltung des Tetrahydrofurans mit Chlorwasserstoff hergestellt: O
+ HCl
HO
Tetrahydrofuran
Cl
+ HCl
Cl
4-Chlorbutanol
CH2 CH2 CH 2 CH 2 Cl 1,4-Dichlorbutan
Außer den Halogenwasserstoffsäuren können auch LEWIS-Säuren (BF3, BCl3, BBr3, AlCl3) sowie Triphenyldibromphosphoran [(C6H5)3PBr2] und Pyridinium-chlorid als Reagenzien zur Etherspaltung verwendet werden. N H Cl
16.5.4
Pyridinium-chlorid
Ether-Umlagerungen
Allylalkenylether lagern sich beim Erhitzen in γ,δ-ungesättigte Aldehyde oder Ketone um. Diese zu den [3,3]-sigmatropen Verschiebungen (Kap. 26.5.2, 27.4) gehörende Oxa-COPE-Umlagerung vollzieht sich als CLAISEN-Umlagerung mit Allylphenylethern, wobei das zunächst durch konzertierte (in einem Schritt ablaufende) Verschiebung von σ- und π-Bindungen entstehende Keton als Übergangszustand zum o-Allylphenol rearomatisiert, so daß die Allyl-Gruppe vom Phenoxy-Ozum ortho-C-Atom wandert. R
O
R
Allylalkenylether
CLAISEN Umlagerung
O
o
Oxa-COPE -
O
γ,δ-ungesättigter Aldehyd (R = H) γ,δ-ungesättigtes Keton (R = Alkyl)
O
langsam
o
Allylphenylether
H
Übergangszustand
schnell
OH
o-Allylphenol
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238
16 Ether
Phenolether mit gesättigten O-Alkyl-Gruppen lagern in Analogie zu den O-Acylphenolen (Kap. 21.6.2) bei Gegenwart von LEWIS-Säuren wie AlCl3 zu den p-Alkylphenolen um: R O
AlCl3
R
Alkylphenylether
OH
z. B. R =
CH 2 CH2 CH2 CH 3
p-Alkylphenol
Die WITTIG-Umlagerung von Ethern in Gegenwart sehr starker Basen wie Alkyllithium führt unter 1,2-Verschiebung einer O-Alkyl-Gruppe (vom O- zum C-Atom) zu Alkoholaten: R CH 2 O R'
+
R' _ _ R CH OI
R*Li
Alkylether
Li
+
R* OH
Alkoholat
Mehrere Mechanismen werden diskutiert. So könnte sich das bei der Einwirkung starker Basen entstehende Carbanion durch nucleophilen Angriff an der O-Alkyl-Gruppe unter Bildung eines Alkoxid-Anions stabilisieren. Substituenten, welche wie die Phenyl-Gruppe (R = C6H5) die negative Ladung des intermediären Carbanions durch Mesomerie verteilen, erleichtern die Reaktion. R CH O R' H
− [H+]
R CH _ O R'
_ R CH OI _
o
R'
16.6 Ether als Schutzgruppen Bei der Synthese organischer Verbindungen ist häufig ein Schutz der alkoholischen OH-Gruppe notwendig. Hierzu kann man die Alkohole verethern; jedoch muß nach der Reaktion, für welche ein Schutz der OH-Gruppe erforderlich ist, der Ether auch möglichst leicht und ohne Nebenreaktionen spaltbar sein. Als Schutzgruppen für die OH-Funktion haben sich außer den bereits besprochenen Methylethern die Benzyl-, Trityl- und Trimethylsilylether bewährt, die meist durch Varianten der WILLIAMSON-Synthese dargestellt werden und durch Hydrierung oder Hydrolyse spaltbar sind. Bildung R O Na
+
Cl CH2 C 6H5
− NaCl
Benzylchlorid
R OH
+
Cl C(C6H 5)3 Chlortriphenylmethan
R OH
+
Cl Si(CH3)3 Chlortrimethylsilan
Spaltung R O CH 2 C 6H5
+ H2 / Pt
R OH
+
Benzylether Pyridin − HCl
Triethylamin − HCl
R O C(C6H 5)3
Toluen + H2O
R OH
+
Tritylether
R O Si(CH 3)3 Trimethylsilylether
H 3C C6H 5
HO C(C6H 5)3 Triphenylcarbinol
+ H2O
R OH
+
HO Si(CH3)3 Trimethylsilanol
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Methylvinylether und Ethylenoxid
239
16.7 Methylvinylether und Ethylenoxid als Schlüsseledukte der organischen Synthese Methoxyethen (Methylvinylether) und Oxiran (Ethylenoxid) sind Ausgangsprodukte zur Herstellung zahlreicher technisch bedeutender organischer Verbindungen. Viele wichtige Lösemittel sowie einige Monomere für Polymere sind aus diesen Schlüsselverbindungen zugänglich, wie die folgenden Beispiele (ohne stöchiometrisch korrekte Formulierung der Gleichungen) zeigen sollen.
16.7.1
Synthesen mit Methylvinylether OR
+ ROH
H 3C O CH CH3
+ H2O
Acetaldehydalkylmethylacetal
H3C O
+ X2
X
O H3C O CH2 CH 2 O C
16.7.2
+ HX
CH CH 2
α,β-Dihalogenether
O-Acylglykolmethylether
O H3C C H
+
Acetaldehyd
X H3C O CH CH 2
H3C OH
+ R CO2 H
H3C O CH2 CH 2
X
β-Halogenether
Polymerisation
OCH3 (
R
)n
CH CH2
Polymethoxyethen
Synthesen mit Oxiran (Ethylenoxid) RO CH2 CH2 OH
+ ROH
+ H 2O
HO CH2 CH2 OH
Glykolmonoalkylether
Ethandiol (Glykol) + H2 S
HS CH2 CH2 OH Mercaptoethanol
H2N CH2 CH2 OH
+ HCl
HO CH2 CH2 Cl Ethylenchlorhydrin
O + NH 3
+ HCN
N C CH2 CH2 OH
Aminoethanol
+ HO CH2 CH2 O CH2 CH2 OH Diethylenglykol
O
+
[H ]
Polymerisation +
−
[H oder OH ]
+ HCl
− H2 O − H 2O
Cl
CH 2 CH2 Cl 1,2-Dichlorethan
N C CH CH 2 Acrylnitril
HO (CH2 CH2 O )nCH2 CH2 OH Polyethylenglykol (mit terminalen OH-Gruppen)
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240
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
17 Carbonsäuren und ihre Derivate 17.1 Nomenklatur der Carbonsäuren Die Carboxy-Gruppe (−COOH oder −CO2H) kennzeichnet Carbonsäuren mit den allgemeinen Formeln R−CO2H oder Ar−CO2H; dabei symbolisiert R eine gesättigte oder ungesättigte Alkyloder Cycloalkyl-Gruppe, Ar eine Aryl-Gruppe, z. B. Phenyl- oder Naphthyl-. Eine Di-, Tri-, Tetra- oder Polycarbonsäure enthält zwei, drei, vier oder noch mehr Carboxy-Funktionen. Die IUPAC-Bezeichnung einer Carbonsäure ergibt sich aus der längstmöglichen KohlenstoffKette einschließlich der Carboxy-Gruppe. Dabei fügt man die Endung "-säure" an die Bezeichnung des Alkans, Alkens oder Alkins, von welcher sich die Carbonsäure ableitet. Bei Dicarbonsäuren ist diese Endung "-disäure". Vom Hexan, trans-2-Hexen und 2-Hexin leitet man z. B. durch formalen Ersatz einer bzw. zweier CH3-Gruppen durch −CO2H folgende Mono- bzw. Dicarbonsäuren ab: H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CH3 n-Hexan
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CO2H Hexansäure (Capronsäure)
H 3C
HO2C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CO2H Hexandisäure (Adipinsäure)
HO2C
H C C H CH 2 CH2 CH3 (E)-2-Hexen
HO2C
H C C H CH 2 CH2 CH3 (E)-2-Hexen-1-säure
H3C C C CH 2 CH2 CH3 2-Hexin
H C C H CH 2 CH2 CO2H (E)-2-Hexendisäure
HO2C C C CH2 CH 2 CO2H 2-Hexindisäure
HO2C C C CH2 CH 2 CH 3 2-Hexin-1-säure
Die Stellung einer Alkyl- oder Aryl-Seitenkette oder einer anderen funktionellen Gruppe wird unter Vorrang der Carboxy-Gruppe mit arabischen Ziffern bezeichnet, z. B. im Falle der Halogencarbonsäuren oder des entzündungshemmend und schmerzlindernd wirkenden Ibuprofens: 6
5
4
3
2
CH CO2H
H3C CH CH 2
H3C CH2 CH 2 CH CH CO2H CH 3 Br 2-Brom-3-methylhexansäure
3CH 3
CH3
1
2
1
2-(4-Isobutylphenyl)propansäure (Ibuprofen)
Benzoide Arencarbonsäuren bezeichnet man als Benzoesäuren, z. B.: CO2H
Benzoesäure
CO2H HO 4-Hydroxybenzoesäure
Br
CO2H
HO 3-Brom-4-hydroxybenzoesäure
Gängige Trivialbezeichnungen vieler Carbonsäuren leiten sich von ihrer natürlichen Herkunft ab, wie Tab. 17.1 für einige Vertreter zeigt.
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17.1 Nomenklatur der Carbonsäuren
241
Tab. 17.1. Trivialbezeichnungen und natürliche Herkunft einiger Carbonsäuren Formel
Trivialname
natürliche Herkunft
Ameisensäure
Drüsensekret der Ameise
H 3C CO2H
Essigsäure
Essig
H3C CH2 CH 2 CO2H
Buttersäure
ranzige Butter
Valeriansäure
Baldrian (Valeriana officinalis)
Capronsäure
Ziegenfett [lat. caper = Ziegenbock]
Salicylsäure
Weidenrinde [lat. salix = Weide]
H CO2H
H3C CH2 CH2 CH 2 CO2H H 3C CH 2 CH2 CH2 CH 2 CO2H CO2H OH
Die Position einer weiteren funktionellen Gruppe oder einer Seitenkette wird im Trivialnamen durch griechische Buchstaben gekennzeichnet, wobei man bei dem der Carboxy-Gruppe benachbarten C-Atom mit α beginnt: ε
δ
γ
β
α
H2N CH2 CH2 CH 2 CH 2 CH CO2H NH2
α,ε-Diaminocapronsäure (2,6-Diaminohexansäure, Lysin)
Bei cycloaliphatischen, aromatischen oder heteroaromatischen Säuren setzt man üblicherweise die Endung "-carbonsäure" an die IUPAC-Bezeichnung des die Carboxy-Gruppe(n) tragenden Kohlenwasserstoff-Restes (Tab. 17.2). Die Anwesenheit mehrerer Carboxy-Gruppen wird durch die Vorsilben "di", "tri", "tetra"- usw. gekennzeichnet, ihre Stellung durch die kleinstmöglichen arabischen Ziffern. Bei Ring-Systemen mit definierter Bezifferung hat diese Vorrang (vgl. Naphthalen- und Pyridincarbonsäuren in Tab. 17.2) . Tab. 17.2. Nomenklatur cyclischer Carbonsäuren Stammverbindung
Monocarbonsäure
Dicarbonsäure
CO2H
Cyclobutan
Cyclobutancarbonsäure
1
8 7
2
6
3 4
5
Naphthalen 1
N
2 3
4
Pyridin
CO2H
Naphthalen-2-carbonsäure (2-Naphthoesäure)
CO2H CO2H cis-1,2-Cyclobutandicarbonsäure HO2C
CO2H
2,6-Naphthalendicarbonsäure N
N CO2H Pyridin-3-carbonsäure (Nicotinsäure)
CO2H CO2H
Pyridin-2,3-dicarbonsäure
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242
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Tab. 17.3. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Carbonsäuren Klasse aliphatische gesättigte Monocarbonsäuren
aliphatische ungesättigte Monocarbonsäuren
Konstitutionsformel
Methan-
Ameisen-
H 3C CO2H
Ethan-
Essig-
CH 2 CO2H
Propan-
Propion-
H CO2H H 3C
unbegrenzt
17.7
118
unbegrenzt
1.7
− 22
141
unbegrenzt
1.3
unbegrenzt
1.5
Butan-
Butter-
− 6
144
H 3C
[CH 2] 3 CO2H
Pentan-
Valerian-
− 34
187
3.7
1.6
H 3C
[CH 2] 4 CO2H
Hexan-
Capron-
205
1.0
1.4
H 3C
[CH 2] 6 CO2H
Octan-
Capryl-
− 3 16
239
0.07
1.4
Propen-
Acryl-
12
140
unbegrenzt
5.6
(E)-2-Buten-
Croton-
71.5
189
(Z)-9Octadecen-
Öl-
16
--
unlöslich
H 2C CH CO2H H H 3C C C CO2H H
H 5C6
2.0
Phenylmethan-
Benzoe-
122
249
0.34
6.5
CO2H
2-Hydroxyphenylmethan-
Salicyl(o-Hydroxybenzoe-)
158
--
0.22
1.1
CH 2 CO2H
Phenylethan-
Phenylessig-
76
265
1.56
5.2
H C C H CO2H
(E)-3-Phenyl- trans-Zimtpropen-
135
300
löslich
3.65
Ethandi-
Oxal-
189
Zersetzung
9
5400
5.2
Propandi-
Malon-
136
Zersetzung
74
140
0.2
HO2C CO2H HO2C
8.3
CO2H
OH
aliphatische ungesättigte Dicarbonsäuren
100.5
8 16.6
[CH 2] 2 CO2H
Aren-Monocarbonsäuren
aliphatische gesättigte Dicarbonsäuren
Dissoz. konst. Löslichkeit g/100g H2O k1 x10−5 k2 x10−5
H 3C
C17H 33 CO2H
aliphatischaromatische Monocarbonsäuren
IUPAC-Name Trivialname Schmelzpunkt Siedepunkt ... -säure ... -säure °C °C (1011 mbar)
CH 2 CO2H
HO2C
[CH 2] 2 CO2H
Butandi-
Bernstein-
185
Zersetzung
6
6.4
0.23
HO2C
[CH 2] 3 CO2H
Pentandi-
Glutar-
98
Zersetzung
64
4.5
0.38
HO2C
[CH 2] 4 CO2H
Hexandi-
Adipin-
151
--
2
3.7
0.39
HO2C
[CH 2] 5 CO2H
Heptandi-
Pimelin-
105
--
5
3.1
0.37
HO2C HO2C HO2C
[CH 2] 6 CO2H [CH 2] 7 CO2H [CH 2] 8 CO2H
OctandiNonandiDecandi-
SuberinAzelainSebacin-
144 106 134
----
0.2 0.3 0.1
3.0 2.9 2.6
0.39 0.39 0.4
(E)-2-Butendi- Fumar-
302
Zersetzung
0.7
(Z)-2-Butendi- Malein-
130.5
Zersetzung
CO2H
1,2-Benzendi- Phthal-
231
Zersetzung
CO2H
1,3-Benzendi- Isophthal-
348.5
CO2H
1,4-Benzendi- Terephthal-
300
HO2C
H C C H CO2H H H C C HO2C CO2H
79
96
4.1
1000
0.05
0.7
110
0.4
Sublimation
0.07
24
Sublimation
0.001
29
CO2H
Aren-Dicarbonsäuren
25
HO2C HO2C
3.5
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17.2 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren
243
17.2 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren Im Vergleich zu Alkoholen ähnlicher Molekülgröße zeigen die Carbonsäuren außergewöhnlich hohe Siedepunkte (Tab. 17.3), weil sie in Form von Wasserstoffbrücken-Dimeren existieren. Bestimmt man die molare Masse der niedermolekularen Carbonsäuren nach der DampfdichteMethode, so ergibt sich das Doppelte der molaren Masse. Daraus folgt, daß diese Carbonsäuren selbst im Dampfzustand als cyclische Dimere vorliegen, welche durch zwei Wasserstoffbrücken zusammengehalten werden. Alternativ werden offenkettige Strukturen für die Dimeren diskutiert. O R
H O
C
O C R
O H
O C
O
Carbonsäure-Dimer
H
H
O H
R
O H O
C
R Wasserstoffbrücken zwischen Carbonsäuren und Wasser
Die Carbonsäuren können auch mit anderen zur Assoziation fähigen Molekülen Wasserstoffbrücken bilden, z. B. mit Alkoholen oder Wasser als Lösemittel. Somit beeinflußt die Wasserstoffbrücken-Assoziation nicht nur die Siedepunkte der Carbonsäuren, sondern auch ihre Wasserlöslichkeit (Tab. 17.3). Mit wachsender Größe der Alkyl-Gruppe überwiegt zunehmend deren hydrophobes Verhalten, so daß die Wasserlöslichkeit abnimmt. Die Siedepunkte (Tab. 17.3) steigen mit der Molmasse. Parallel zur Abnahme der Flüchtigkeit ändert sich der Geruch: Ameisen-, Essigund Propionsäure riechen stechend, Butter-, Valerian- und Capronsäure unangenehm schweißartig, die höheren Carbonsäuren sind dagegen fast geruchlos.
17.3 Struktur der Carboxy-Gruppe Elektronen- und Neutronenbeugung sowie mikrowellenspektrometrische Untersuchungen zeigen, daß alle Atome der Carboxy-Gruppe auf einer Ebene liegen, wie die Molekülmodelle illustrieren (Abb. 17.1).
Abb. 17.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell der Essigsäure
Die CO-Doppelbindung ist etwas kürzer (123 pm) als die COH-Bindung (136 pm), und alle Bindungswinkel betragen 120° (Abb. 17.2 a). Das Molekülorbital-Modell der Carboxy-Gruppe entspricht weitgehend dem einer CC-Doppelbindung. Um zu erklären, weshalb die CO-Einfachbindung in der Carboxy-Gruppe kürzer ist (136 pm) als in Alkoholen und Ethern (143 pm), schreibt man der CO-Einfachbindung partiellen π-Charakter zu; das Hydroxy-O-Atom der Carb-
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244
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
oxy-Gruppe nutzt demnach sp2-Hybridorbitale zur Bildung der σ-Bindungen. Die trigonalkoplanaren sp2-Hybridorbitale des Carboxy-C-Atoms überlappen dann mit je einem sp2Hybridorbital der beiden O-Atome und mit einem (sp3-, sp2- oder sp-) Hybridorbital des α-CAtoms. Senkrecht auf dem so entstandenen ebenen σ-Bindungsgerüst stehen die drei p-Orbitale (Abb. 17.2 b); deren seitliche Überlappung führt zur delokalisierten π-Bindung der CarboxyGruppe. Mesomere Grenzformeln beschreiben diese delokalisierte π-Bindung: O
δ−
O
O
C
oder
C O H
C
O H
O H
δ+
π 123 pm
(a)
C
O
O
(b)
C 120°
136 pm
O
C
Cσ O
H
H
π
Abb. 17.2. Carboxy-Gruppe : (a) Geometrie, (b) Überlappung koaxialer p-Orbitale zum delokalisierten π-System
17.4 Carbonsäure-Derivate In Carbonsäure-Derivaten ersetzt ein Halogen oder eine andere Gruppe (außer H, Alkyl oder Aryl) die OH-Funktion. Salze (Carboxylate), Peroxy- oder Persäuren, Carbonsäureanhydride, Diacylperoxide, Ester, Halogenide, Amide, Hydrazide, Azide sowie Hydroxamsäuren sind Beispiele. Tab. 17.4 zeigt allgemeine Formeln dieser Derivate, ihre Beziehung zu den Carbonsäuren sowie die von der Benzoesäure abgeleiteten Vertreter. Carbonsäure-Derivate enthalten die AcylGruppe; einige wirken daher als Acylierungsreagenzien (Kap. 10.6.3, 11.1.6). R
O
O
O Carbonsäure
Carbonsäure-Derivat
C
R
Acyl-Gruppe
C
R
C
X , X = Cl, Br, OR', NH 2
OH
17.5 Synthese von Carbonsäuren 17.5.1
Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlenmonoxid (Carbonylierung)
Bei höheren Temperaturen und Drücken reagiert Kohlenmonoxid mit Alkalihydroxiden zu Formiaten, mit Alkoholaten dagegen zu den Natriumsalzen der Carbonsäuren (Carboxylaten) mit dem Alkyl-Rest des Alkoholats: HO Na
+
CO
RO Na
+
CO
100 °C , Druck 100 °C , Druck
H CO2 Na
Natriumformiat
R CO2 Na
Natriumcarboxylat
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17.5 Synthese von Carbonsäuren
245 Tab. 17.4. Carbonsäure-Derivate
Ersatz von OH O in R C OH durch
allgemeine Formel ( R = Alkyl oder Aryl)
O H O
Bezeichnung
O R C
C R'
R C
O C R' O O
O O R C C R' O O O
OR'
R C OR' O R C
X ( X = F, Cl, Br, I)
X O R C
NH2
NH 2 O NHR'
R C NHR'
N R'
O O
Peroxybenzoesäure Benzoesäureanhydrid
Diacylperoxid
C
Carbonsäureester
O C O CH2 CH 3
Benzoesäureethylester
Carbonsäurehalogenid
O C Cl
Benzoylchlorid
Carbonsäureamid (Carboxamid)
O C NH2
Benzamid
N-Alkylcarbonsäureamid
O C N CH3 H O C N CH3 H3C
N,N-Dialkylcarbonsäureamid
O R C
NR'2
O O C O C C6H 5
Carbonsäureanhydrid
O O C R'
O
O H C O O
Peroxycarbonsäure
H O O O
O
Benzoesäure-Derivat Formel Bezeichnung
R'
C O O
Dibenzoylperoxid
N-Methylbenzamid
N,N-Dimethylbenzamid
NH NH 2
O R C NH NH 2
Carbonsäurehydrazid
O C NH NH 2
Benzhydrazid
NH OH
O R C NH OH
Hydroxamsäure
O C NH OH
Benzhydroxamsäure
Carbonsäureazid
O C N3
Benzoylazid
O
_ N _ N N _
R C N3
Bei noch höheren Temperaturen und Drücken, sowie in Gegenwart von Nickeltetracarbonyl addieren Kohlenmonoxid und Wasser an Alkene unter Bildung gesättigter Carbonsäuren, z. B.: H2C CH2
+
CO
+
H 2O
250 °C , Ni(CO)4 , 150 bar
H3C CH 2 CO2H Propansäure (Propionsäure)
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246
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
17.5.2
Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlendioxid (Carboxylierung)
Kohlendioxid ist ein in Form von "Trockeneis" leicht einsetzbares elektrophiles Reagenz zur Carboxylierung von C-Nucleophilen. Mit Natriumalkinyliden reagiert es z. B. unter Bildung von Alkinsäuren: O R C CI
Na
+
O R C C C O Na
O
C
C O
O
Na-Salz einer Alkinsäure
Die Carboxylierung von Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen) führt bei Raumtemperatur zu Carbonsäuren: (CH3)3C Br + Mg
Ether
CH 3
O
H 3C C MgBr
+
C
O
CH 3
CH 3 O
O
C
CH 3
H 3C C C O
H 3C C CO2H
CH 3 OMgBr
CH 3 2,2-Dimethylpropansäure (Pivalinsäure)
Phenolat (Phenol in alkalischer Lösung) ist wegen des (+)-M-Effekts des Phenolat-O-Atoms in ound p-Stellung nucleophil und läßt sich mit Kohlendioxid als Elektrophil durch elektrophile Substitution zum Natriumsalz der Salicylsäure (2-Hydroxybenzoesäure) carboxylieren (KOLBESCHMITT-Synthese): _ IOl
_ IO
_ IO
_ IO
_ IO O Na
+
H
O
C
C
_ IOI C
O
O
O mesomere Grenzformeln des Phenolat-Anions + NaOH
− H2O
_ IOH
OH CO2 Na Phenol
17.5.3
Natriumsalicylat
Acylierung von Aromaten mit Säureanhydriden
Durch FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Benzen und seinen Derivaten mit cyclischen Dicarbonsäureanhydriden in Gegenwart einer LEWIS-Säure erhält man durch elektrophile Substitution Oxocarbonsäuren (Ketocarbonsäuren), z. B.: O
O +
Benzen
O
AlCl 3
O Bernsteinsäureanhydrid
α C β CH 2 CH 2 CO2H
β-Benzoylpropionsäure (3-Benzoylpropansäure)
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17.5 Synthese von Carbonsäuren
17.5.4
247
Carbonsäuren durch Oxidation
Methyl- und Ethyl-Gruppen am Benzen-Ring lassen sich katalytisch zur Carboxy-Gruppe oxidieren; Toluen- und Ethylbenzen-Derivate ergeben entsprechend substituierte Benzoesäuren: Cl
CH 2 CH3
+
3 O2
Co , Pb , Mn-Acetat , 150-180 °C
CO2H
Cl
p-Chlorethylbenzen
+
CO2 +
H 2O
p-Chlorbenzoesäure
Starke Oxidationsmittel oxidieren Cycloalkene unter Ringöffnung zu Dicarbonsäuren, z. B.: −
+
MnO4 , OH
2 O2
−
CO2H CO2H
Cyclohexen
Adipinsäure
Polycyclische Aromaten oder Heteroaromaten können katalytisch oder durch Oxidationsmittel zu aromatischen oder heteroaromatischen 1,2-Dicarbonsäuren gespalten werden, z. B.:
+
CO2H
V2O5
9/2 O2
+
2 CO2
+
H2O
+
2 CO2
+
H2O
CO2H Phthalsäure
Naphthalen −
+
MnO4 , OH
9/2 O2
−
CO2H CO2H N Pyridin-2,3-dicarbonsäure
N Chinolin
Die Oxidation primärer Alkohole führt über die Aldehyde zu den Monocarbonsäuren, z. B.: CH 3
−
H3C CH2 CH CH2 OH
+ [O] , MnO4 , OH
CH3
−
O
H 3C CH 2 CH C
2-Methyl-1-butanol
2-Methylbutanal
CH3
+ [O]
O
H 3C CH 2 CH C OH 2-Methylbutansäure (α-Methylbuttersäure)
H
Dagegen spalten (sekundäre) Cycloalkanole und Cycloalkanone bei der Oxidation in Dicarbonsäuren. Adipinsäure entsteht auf diese Weise aus Cyclohexanol über Cyclohexanon: + [O]
OH H Cyclohexanol
− H2O
+ 3 [O] , V2O5 , 30 °C
O Cyclohexanon
HO2C
(CH 2)4 CO2H
Adipinsäure (Hexandisäure)
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248
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
17.5.5
Hydrolyse von Carbonsäure-Derivaten
Die Hydrolyse von Estern, Halogeniden, Anhydriden und Amiden kann zur Darstellung der entsprechenden Carbonsäuren herangezogen werden: O Carbonsäureester
+ H2O
R C
Carbonsäurehalogenid
OR'
− R'OH
O
+ H2O
R C
− HX
X
Carbonsäureanhydrid
R
O
O
C
C
O
O R C OH O R C OH
+ H2O
R
O 2R C OH
Auch die Hydrolyse der Nitrile (Alkyl- oder Arylcyanide), R−C≡N, die nach KOLBE aus Halogenalkanen und Cyanid (SN) dargestellt werden, führt über die Säureamide zu Carbonsäuren: + CN
R X
−
−
+ H2O (H3O+)
O R C
R C N
NH 2 Carbonsäureamid
−X
Halogenalkan ( X = Cl, Br, I )
Nitril
O
+ H2O
R C
− NH3
OH
Oxalsäure entsteht z. B. aus Dicyan, Malonsäure aus Cyanessigsäure oder Malonsäuredinitril: N C C N Dicyan
N C CH2 C N Malonsäuredinitril (Malodinitril)
+ 2 H2O (H3O+)
+ H2O (H3O+)
− NH3
+ H2O
NH2
− NH3
O C CH 2 CO2H H 2N Malonsäuremonoamid
C C
−2 NH3
O N C CH 2 C
+ H2O
− NH3
O
HO
+2 H2O
C C NH2 O Oxamid
+ 3 H2O (H3O+)
17.5.6
O
H 2N
OH O Oxalsäure
N C CH2 CO2H Cyanessigsäure
HO2C CH2 CO2H Malonsäure
Homologisierung (Kettenverlängerung) von Carbonsäuren
Carbonsäurehalogenide reagieren mit Diazomethan in Gegenwart von metallischem Silber oder Kupfer unter nucleophiler Substitution des Halogenid-Anions zu Diazoketonen. −
R C X
+
O Carbonsäurehalogenid
ICH 2 N NI
Ag , Cu , − X
R C CH 2 N NI O
Diazomethan
− [H+]
R
_ C CH N NI
O Diazoketon
X = Br, Cl
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17.5 Synthese von Carbonsäuren
249
Die Diazoketone spalten Stickstoff ab unter Bildung von Acylcarbenen, die sich unter 1,2-AlkylVerschiebung in Ketene umlagern (WOLFF-Umlagerung): R
_ C CH N NI
R
− N2
_ C CH
R
o
O C C
O Acylcarben
O
Keten
H
Die Hydrolyse des Ketens führt zu einer Carbonsäure, O R CH C O
+
H 2O
R CH2 C OH
welche gegenüber dem ursprünglich eingesetzten Säurehalogenid um eine CH2-Gruppe länger ist (Homologisierung). Die gesamte Reaktionsfolge ist als ARNDT-EISTERT-Homologisierung bekannt: R C Cl O
17.5.7
R
+ CH2N2
− HCl
_ C CH N NI
− N2
R CH C O
+ H2O
R CH 2 CO2H
O
Alkylierung von Malonsäureestern
Die Methylen-Gruppe der Malonsäure und ihrer Derivate ist CH-acide (Kap. 17.11). Malonsäurediester reagieren daher mit starken Basen wie Natriumethanolat zu mesomeriestabilisierten Carbanionen in Form ihrer Natrium-Salze. Deren Reaktion mit Halogenalkanen führt unter elektrophiler Addition der Alkyl-Gruppe an das Malonat-Anion zum Alkylmalonester. Die Hydrolyse des Alkylmalonesters und die anschließende Decarboxylierung (CO2-Abspaltung) ergibt eine alkylierte Essigsäure. CO2R Malonsäurediester H 2C CO2R + NaOR
R'
X
+
Na
− ROH
CO2R IC H CO2R
CO2R
− NaX
Natrium-Dialkylmalonat
R'
C H CO2R
CO2H
+ 2 H2 O
R'
− 2 ROH
Alkylmalonsäurediester
C H
Hitze − CO2
R'
CH 2 CO2H
CO2H Alkylmalonsäure
Alkylessigsäure
Diese Reaktionsfolge ermöglicht die Einführung der Gruppe −CH2−COOH. 3-Phenylpropansäure (Benzylessigsäure) wird z. B. aus Benzylchlorid und Malonsäurediethylester dargestellt: CH2
Cl +
Na
CO2C2H5 IC H CO2C2H5
Natrium-Diethylmalonat
− NaX
CO2C2H5 1.) Esterhydrolyse
2.) Decarboxylierung
CH 2 C H
CH 2 CH2 CO2H
CO2C2H5 Benzylmalonsäurediethylester
3-Phenylpropansäure
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250
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
α,β-Ungesättigte Carbonsäuren durch KNOEVENAGEL-Kondensation von Malonsäureestern
17.5.8
In Gegenwart starker Basen greifen Dialkylmalonate auch nucleophil am Carbonyl-C-Atom eines Aldehyds oder eines Ketons an. Auf diese Weise entstehen zunächst β-Hydroxyalkylmalonsäurediester, welche leicht zu Alkylidenmalonsäurediestern dehydratisieren (KNOEVENAGEL-Kondensation, Kap. 17.11.2). Die Hydrolyse des Diesters zur Dicarbonsäure und deren Decarboxylierung ergibt eine α,β-ungesättigte Carbonsäure: _ C OI _
C O
CO2R +
H C H CO2R
Carbonyl-Mesomerie
Aldehyd oder Keton Base
H
CO2R
− H2O
C C CO2R
+ 2 H2O
C C
− 2 ROH
CO2R
HO CO2R β-Hydroxyalkylmalonsäurediester
CO2H C C
Hitze − CO2
H C C
CO2H
CO2H
Alkylidenmalonsäurediester
α,β-ungesättigte Carbonsäure
Zimtsäure läßt sich auf diese Weise aus Benzaldehyd und Malonsäurediethylester darstellen: H C O
+
Benzaldehyd
CO2C 2H5
Piperidin
CO2C 2H5
− H2O
H2C
Malonsäurediethylester
H
1.) Esterhydrolyse 2.) Decarboxylierung
CO2C 2H5 C C CO2C 2H5
H C C
CO2H H
Benzylidenmalonsäurediethylester
trans-Zimtsäure (+ cis-Isomer)
Die α,β-ungesättigten Carbonsäuren können katalytisch zu den entsprechenden gesättigten Carbonsäuren hydriert werden. Zimtsäure ergibt dabei 3-Phenylpropansäure.
17.5.9
-Ungesättigte Carbonsäuren durch PERKIN-Reaktion
Benzaldehyd und andere Arenaldehyde reagieren mit Acetanhydrid in Gegenwart von Basen zu α,β-ungesättigten Carbonsäuren. Diese PERKIN-Reaktion ist der KNOEVENAGEL-Kondensation weitgehend analog: Eine α-Methylen-Gruppe des Acetanhydrids greift nucleophil am Carbonyl-C des Arenaldehyds an. Durch Wasserabspaltung aus dem entstandenen β-Hydroxycarbonsäureanhydrid und nachfolgende Hydrolyse erhält man eine α,β-ungesättigte Carbonsäure und Essigsäure. Zimtsäure (Kap. 17.5.8) läßt sich also auch durch PERKIN-Reaktion von Benzaldehyd mit Acetanhydrid darstellen: H + C O
Benzaldehyd
H
O CH 2 C O H3C C O Acetanhydrid
Base
H
O C CH2 C O OH H 3C C O
O − H2O
H
C O C C C CH 3 H O
+ H2O − CH3CO2H
H
CO2H C C H
trans-Zimtsäure (+ cis-Isomer)
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17.6 Acidität von Carbonsäuren
251
PERKIN-Reaktion und KNOEVENAGEL-Kondensation ermöglichen somit die Überführung eines Aldehyds (R−CH=O) in ein Acrylsäure-Derivat (R−CH=CH−COOH). Zur Herstellung γ,δ-ungesättigter Carbonsäuren bewährt sich die IRELAND-CLAISEN-Umlagerung silylierter Carbonsäureallylester (Kap. 31.4.4).
17.6 Acidität von Carbonsäuren 17.6.1
Dissoziationsgleichgewicht in wäßrigen Lösungen
Carbonsäuren sind stärkere Protonendonatoren als Wasser. Löst man sie in Wasser, so stellt sich daher ein dynamisches Dissoziationsgleichgewicht zwischen der Carbonsäure und Wasser einerseits und Carboxylat-Anion und Hydroxonium-Ion andererseits ein: R CO2H + Carbonsäure
H 2O
R CO2 + Carboxylat-Anion
H3O
Wäßrige Carbonsäure-Lösungen reagieren infolgedessen sauer. Die Dissoziationskonstante (Aciditätskonstante) KA ist nach dem Massenwirkungsgesetz der Quotient aus den Konzentrationen der Ionen (R−COO− und H3O+) und undissoziierter Säure (R−COOH); dabei wird die bei verdünnten Lösungen annähernd konstante Wasserkonzentration c(H2O) in die Konstante KA einbezogen. −
KA =
c (RCO2 ) c (H3O+) c (RCO2H)
Im Vergleich zu den Mineralsäuren (Salzsäure, Schwefelsäure) sind Carbonsäuren sehr viel schwächer. Die Dissoziationskonstanten KA unterscheiden sich um mehrere Zehnerpotenzen, z. B.: 8
HCl : KA = 10 ;
17.6.2
.
CH3CO2H : KA = 1.7 10−
5
Salze der Carbonsäuren
Die Neutralisation der Carbonsäuren mit Alkalihydroxiden oder anderen Basen führt zu den entsprechenden Salzen, den Carboxylaten: R CO2H
+
NaOH
R CO2 Na Natriumcarboxylat
+
H2O
Zur Benennung der Salze kann man von den IUPAC-Namen der Säuren ausgehen. Dabei wird die Endung "-säure" durch "-oat" ersetzt. Die Bezeichnung des Salzes einer Carbonsäure kann man auch von der lateinischen Form ihres Trivialnamens (Tab. 17.1 und 17.3) ableiten: H3C CH2 CH 2 CO2H IUPAC : Trivial :
Butansäure Buttersäure ( lat.: acidum butyricum)
H 3C CH 2 CH 2 CO2 Na Natriumbutanoat Natriumbutyrat
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252
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Salze der Ameisen-, Essig- und Propionsäure werden als Formiate, Acetate und Propionate bezeichnet; Palmitate, Stearate und Oleate sind die Salze der Palmitin-, Stearin- und Ölsäure (Kap. 42.4.1). Für Salze cyclischer Dicarbonsäuren ist die Bezeichnung Dicarboxylate üblich, z. B.: CO2H
CO2 K
CO2H
CO2 K
cis-1,2-Cyclobutandicarbonsäure
17.6.3
CO2H
CO2 K
CO2H
Dikalium- cis-1,2-cyclobutandicarboxylat
CO2 K
1,4-Naphthalendicarbonsäure
Dikalium-1,4-naphthalendicarboxylat
Struktur und Modell des Carboxylat-Anions
Durch Messung der Bindungslängen im Natriumformiat mit Hilfe der RÖNTGEN- und Elektronenbeugung ergab sich, daß beide Kohlenstoff-Sauerstoff-Bindungen des Formiat-Anions dieselbe Länge von 127 pm haben. Die beiden CO-Bindungen sind also nicht unterscheidbar; offensichtlich findet ein völliger Ausgleich zwischen der σ- und der π-Bindung statt (Abb. 17.3). π
(a)
R
O
C O
C
oder
C O
O
O
OI
(b)
OI
C O
π
Abb. 17.3. Überlappung koaxialer p-Orbitale zum π-System des Carboxylat-Anions (a) und Mesomerie des Carboxylat-Anions (b)
Carboxylat-C-Atom und die beiden Carboxylat-O-Atome bilden die σ-Bindungen durch Überlappung von sp2-Hybridorbitalen. An jedem der beteiligten Atome verbleibt je ein 2p-Orbital. Diese insgesamt drei 2p-Orbitale überlappen zu einer delokalisierten π-Bindung über und unter der σBindungsebene (Abb. 17.3).
17.6.4
Einflüsse von Substituenten auf die Acidität
Eine Carbonsäure ist umso stärker sauer, je größer der Energiegewinn bei der Abdissoziation des Protons, je stabiler also das Carboxylat-Anion ist. Ein Carboxylat-Anion wiederum ist besonders stabil, wenn die negative Ladung durch eine benachbarte positive stabilisiert wird, z. B. durch induktive oder mesomere Effekte. Bei aliphatischen Carbonsäuren werden daher solche Substituenten die Acidität erhöhen, welche über induktive Effekte die negative Ladung am Carboxylat-C durch eine benachbarte positive
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17.6 Acidität von Carbonsäuren
253
Partialladung stabilisieren. Halogencarbonsäuren sind also stärker sauer als die vergleichbaren unsubstituierten Carbonsäuren (Tab. 17.5). δ−
δ+
O
Cl CH 2 C O
Chloressigsäure: (−)-I-Effekt stabilisiert das Chloracetat-Anion
Die Säurestärke wächst mit zunehmender Anzahl und Elektronegativität der Halogene (Tab. 17.5) und sinkt mit zunehmender Entfernung des Halogens von der Carboxy-Gruppe: γ- und β-Halogencarbonsäuren sind schwächere Säuren als α-Halogencarbonsäuren (Tab. 17.5). Im Gegensatz zu Halogenen destabilisieren Alkyl-Gruppen über induktive Effekte das Carboxylat-Anion. So ist in der homologen Reihe der Alkansäuren die Ameisensäure am stärksten, Essigsäure deutlich schwächer aber etwas stärker als die höheren Homologen (Tab. 17.3).
Tab. 17.5. Aciditätskonstanten einiger Halogencarbonsäuren und substituierter Benzoesäuren −5
Verbindung Essigsäure
H 3C CO2H
Iodessigsäure
ICH 2 CO2H
1.75 67
Bromessigsäure
BrCH 2 CO2H
125
Chloressigsäure
ClCH 2 CO2H
136
Fluoressigsäure
FCH 2 CO2H
260
Dichloressigsäure
Cl2CH CO2H
5530
Trichloressigsäure
Cl3C CO2H
23200
Buttersäure
H 3C CH 2 CH2 CO2H
1.5 139
α-Chlorbuttersäure
H 3C CH 2 CH CO2H
β -Chlorbuttersäure
Cl H 3C CH CH2 CO2H
8.9
Cl CH 2 CH 2 CH2 CO2H Cl
2.96
γ-Chlorbuttersäure
−5
Verbindung
KA x 10
Benzoesäure
KA x 10 6.8
CO2H
p-Nitrobenzoesäure
O2N
CO2H
p-Hydroxybenzoesäure
HO
CO2H
o-Nitrobenzoesäure
CO2H
40 2.9
620
NO2
o-Hydroxybenzoesäure
CO2H
100
OH
Bei substituierten Benzoesäuren und anderen Arencarbonsäuren können neben induktiven auch mesomere Effekte von Substituenten das Carboxylat-Anion stabilisieren. 4-Nitrobenzoesäure ist stärker sauer, 4-Hydroxybenzoesäure dagegen schwächer sauer als Benzoesäure (Tab. 17.5). Der mesomere Effekt (Elektronenzug) der 4-Nitro-Gruppe stabilisiert; dagegen destabilisiert der Elektronenschub der 4-Hydroxy-Gruppe: O
O N
O
C
O HO
O
p-Nitrobenzoesäure: (−)-M-Effekt stabilisiert das p-Nitrobenzoat-Anion
I
C
O p-Hydroxybenzoesäure: (+)-M-Effekt destabilisiert das p-Hydroxybenzoat-Anion
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254
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Steht der Substituent (−NO2, −OH) in o-Stellung zur Carboxy-Gruppe, so wirkt wegen des geringeren Abstandes zusätzlich der induktive Effekt. 2-Nitrobenzoesäure ist daher noch stärker sauer als das p-Isomer, und in 2-Hydroxybenzoesäure (Salicylsäure) dominiert die Stabilisierung durch den induktiven Effekt von OH gegenüber dem destabilisierenden mesomeren Effekt (Tab. 17.5).
17.6.5
Acidität von Dicarbonsäuren
Die Dissoziation von Dicarbonsäuren vollzieht sich stufenweise. Daher mißt man zwei Aciditätskonstanten KA1 und KA2 wie das Beispiel der Oxalsäure zeigt: 1. Stufe :
HO2C CO2H
+
H2O
HO2C CO2
+
H3O
KA1 = 5400
2. Stufe :
HO2C CO2
+
H 2O
O2C CO2
+
H3O
KA2 =
−5
x 10
−5
5.2 x 10
Allgemein gilt für Dicarbonsäuren KA1 > KA2 , da die Dissoziation eines Protons vom Monoanion aus elektrostatischen Gründen mehr Energie erfordert (oder weniger freisetzt) als von der Disäure.
17.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe 17.7.1
Veresterung, Ester, Lactone
Carbonsäuren reagieren mit Alkoholen in Gegenwart katalytischer Mengen einer Mineral- (HCl) oder LEWIS-Säure (BF3) zu Carbonsäureestern und Wasser (Kap. 15.6.4). Die Reaktion ist ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Veresterung (Hinreaktion) und Verseifung (Rückreaktion). O R C + OH Carbonsäure
HO R' Alkohol
Veresterung Verseifung
O R C
+ OR' Carbonsäureester
H2O
Dieses Gleichgewicht unterliegt dem Massenwirkungsgesetz. Die Esterausbeute erhöht sich daher entweder durch Einsetzen eines großen Überschusses an Alkohol bzw. Carbonsäure oder durch kontinuierliche Entfernung des gebildeten Esters bzw. Wassers aus dem Reaktionsgemisch. Das Reaktionswasser läßt sich z. B. durch wasserentziehende Reagenzien (konz. H2SO4 , P4O10) oder durch Abdestillieren eines azeotropen Gemisches aus Wasser und einem organischen Lösemittel als "Schlepper" entziehen (z. B. Toluen oder Chloroform). Die säurekatalysierte Veresterung (und Verseifung) ist meist eine Folge von Gleichgewichtsreaktionen. Dabei wird die Carbonsäure zunächst protoniert und so der nucleophile Angriff eines
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17.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe
255
Alkohol-Moleküls erleichtert. Dieser Angriff führt zu einem Orthocarbonsäuremonoester, welcher nach Protonierung unter Wasserabspaltung und Deprotonierung in den Ester übergeht. O R C OH
OH OH R C R C OH OH protonierte Carbonsäure
O
+ H
OH
R'
R C OH H
O
R' − [H+]
OH Verseifung
Orthocarbonsäuremonoester R C OH
Veresterung
OR' + [H+]
protonierter Ester − [H+]
O R C OR'
OH R C OR'
OH 2
− H2O
OH R C OR'
R C OH OR'
Als Lactone werden "innere Ester" bezeichnet, die durch intramolekulare Dehydratisierung von γund δ-Hydroxycarbonsäuren unter Bildung fünf- und sechsgliedriger Ringe entstehen. γ-Butyround δ-Valerolacton sind typische Beispiele. CO2H OH
− H2O
O
γ-Hydroxybuttersäure (4-Hydroxybutansäure)
17.7.2
− H2O
C O
CO2H OH
γ-Butyrolacton
O
δ-Hydroxyvaleriansäure (5-Hydroxypentansäure)
C
O
δ-Valerolacton
Reduktion zu primären Alkoholen
Carbonsäuren widerstehen der katalytischen Hydrierung, können aber − ebenso wie ihre Ester − mit Lithiumaluminiumhydrid in wasserfreiem Ether oder Tetrahydrofuran über die unter den Reaktionsbedingungen nicht faßbaren Aldehyde zu den primären Alkoholen reduziert werden. O R C
+ IH LiAlH4
OH
17.7.3
H _ R C OI _ OH
+ H 2O − OH
H R C OH OH Aldehyd-Hydrat
− H2 O
+ IH LiAlH 4
H R C O
H _ R C OI _
+ H2O
H prim. Alkoholat
Aldehyd
− OH
R CH 2 OH prim. Alkohol
Carbonsäurehalogenierung
Carbonsäurehalogenide bezeichnet man als Acyl-Derivate (z. B. Acetyl-, Benzoyl-, Propionylhalogenide): O H 3C C Acetyl-
O H 3C CH 2 C Propionyl-
O
O C Benzoyl-Gruppe
H3C C Acetyl-
O H3C CH2 C
Cl
Propionyl-
Cl
O C Cl Benzoylchlorid
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256
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Zur Halogenierung von Carbonsäuren eignen sich Phosphorhalogenide (PCl3, PCl5, POCl3), z. B.: 3
O2N
O C OH
+ PCl3
O C OH
+ PCl5
O C + P(OH)3 Cl Benzoylchlorid (Benzoesäurechlorid) 3
O C + Cl p-Nitrobenzoylchlorid O2N
POCl3
+
HCl
Säurechloride und Bromide in genügender Reinheit entstehen durch Umsetzung der Carbonsäuren mit Thionylchlorid oder Thionylbromid. Diese Reaktion führt zu gasförmigen Nebenprodukten (SO2 und HCl oder HBr), so daß das Säurechlorid oder Bromid als Rückstand verbleibt: O H2C CH C
+ OH
SOCl2
O H 2C CH C + SO2 Cl Acryloylchlorid (Acrylsäurechlorid)
+
HCl
Präparativ sind die überaus hydrolyseempfindlichen Säurehalogenide als Reagenzien zur Darstellung fast aller Carbonsäure-Derivate sowie zur elektrophilen Acylierung von Bedeutung.
17.7.4
Bildung von Säureanhydriden
Die Abspaltung von Wasser aus zwei Molekülen einer Monocarbonsäure in Gegenwart eines wasserbindenden Reagenzes führt zur Bildung eines Carbonsäureanhydrids. Auf diese Weise werden Acetanhydrid und Trifluoracetanhydrid hergestellt: O F 3C C OH
O + HO
C CF 3
P2O5 , − H2O
O O F 3C C O C CF 3
Trifluoracetanhydrid (Trifluoressigsäureanhydrid)
Gemischte Anhydride erhält man durch Reaktion äquimolarer Mengen eines Halogenids der Carbonsäure mit Rest R und eines Alkalisalzes der Carbonsäure mit Rest R´: O
O +
R C X
C R' NaO
− NaX
O O R C O C R'
gemischtes Carbonsäureanhydrid
X = Cl , Br
Dicarbonsäuren wie Bernstein- und Phthalsäure können intramolekular Wasser abspalten und bilden dabei cyclische Säureanhydride: O H2C H2C
C C O
O OH OH
Hitze oder P2O5 − H2O
O C
O
O Bernsteinsäureanhydrid (Succinanhydrid)
C O
O OH
Hitze
OH
− H2O
O O Phthalsäureanhydrid
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17.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe
257
Nur 1,4- oder 1,5-Dicarbonsäuren bilden cyclische Anhydride. Liegen die Carboxy-Gruppen weiter auseinander, so können polymere Anhydride entstehen: O
n
17.7.5
O C (CH 2)x C HO OH x>3
O
O C (CH 2)x C [O O ]n
− n H2O
Bildung von Säureamiden
Carbonsäureamide entstehen über Ammoniumcarboxylate aus Carbonsäuren und Ammoniak: O R C
O +
NH 3
OH
O
Hitze , − H2O
R C O NH 4 Ammoniumcarboxylat
R C NH2 Carbonsäureamid
Die Aminolyse von Carbonsäurehalogeniden oder Anhydriden macht N-Alkylcarbonsäureamide zugänglich (Kap. 17.8.3). Bei Einwirkung stark wasserbindender Reagenzien (Diphosphorpentoxid oder Triphenylphosphan in Tetrachlormethan) dehydratisieren die Säureamide unter Bildung von Nitrilen. 2,4,6-Trimethylbenzonitril wird auf diese Weise dargestellt: CH3 H3C
CH3
O
P2O5 , Hitze
C
− H2 O
NH 2
CH3
C N
H 3C
CH3 2,4,6-Trimethylbenzonitril (Mesitylcyanid)
Als Lactame werden "innere Säureamide" bezeichnet, die durch intramolekulare Dehydratisierung von γ- und δ-Aminocarbonsäuren unter Bildung fünf- und sechsgliedriger Ringe entstehen. γButyro- und δ-Valerolactam sind Beispiele. Aus den heterocyclischen Grundskeletten Pyrrolidin und Piperidin (Kap. 33.1) ergeben sich die Alternativbezeichnungen Pyrrolidin-2-on und Piperidin-2-on. CO2H NH2
− H2O
N
H γ-Butyrolactam (Pyrrolidin-2-on)
γ-Aminobuttersäure (4-Aminobutansäure)
17.7.6
− H2O
C O
CO2H NH 2
δ-Aminovaleriansäure (5-Aminopentansäure)
N
C
O
H δ-Valerolactam (Piperidin-2-on)
Decarboxylierung
Unter Decarboxylierung versteht man die Abspaltung von Kohlendioxid (CO2) aus einer Carbonsäure: R CO2H
R H
+
CO2
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258
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Diese CO2-Eliminierung erfordert bei unsubstituierten Carbonsäuren hohe Temperaturen. Ist das α-C-Atom der Carbonsäure jedoch mit einem elektronenziehenden Substituenten (Halogen, −NO2, −CN, −COOH) verknüpft, so setzt bereits bei moderaten Temperaturen die Decarboxylierung ein: Cl3C CO2H Trichloressigsäure O2N CH2 CO2H
100 - 150 °C
100 - 150 °C
Nitroessigsäure
N C CH2 CO2H
100 - 150 °C
Cyanessigsäure
CO2H
+
CO2
O2N CH 3 Nitromethan
+
CO2
N C CH 3
+
CO2
+
CO2
Acetonitril
100 - 150 °C
R CH CO2H
Cl3C H Chloroform
R CH 2 CO2H
subst. Malonsäure
subst. Essigsäure
Auch das Silbersalz einer Carbonsäure decarboxyliert bei der Reaktion mit einem Halogen unter Bildung des entsprechenden Halogenalkans (HUNSDIECKER-Decarboxylierung): R CO2 Ag
+
Br2
R Br
+
Ag Br
+
CO2
Diese Reaktion eignet sich zur Darstellung schwer zugänglicher Alkyl- oder Cycloalkylhalogenide.
17.8 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden Das Halogenid von Carbonsäurehalogeniden läßt sich als Halogenid-Anion leicht nucleophil substituieren, besonders in Gegenwart einer Base: O R C
+
O
(Base)
H Y
+
R C
X
X = Cl , Br
H X
Y
Diesem Prinzip folgt die Darstellung nahezu aller Carbonsäure-Derivate aus Carbonsäurehalogeniden (Tab. 17.4).
17.8.1
Hydrolyse und Perhydrolyse
Die Hydrolyse von Carbonsäurehalogeniden führt zu den entsprechenden Carbonsäuren, z. B.: O
O C C
O +
2 H 2O
O C C
Cl Cl Oxalylchlorid
+
2 HCl
OH HO Oxalsäure
In Gegenwart einer Base reagieren Säurehalogenide mit konzentrierter WasserstoffperoxidLösung ("Perhydrol") über Peroxycarbonsäuren zu Diacylperoxiden, z. B.: −
O 2
C
(OH )
+ Cl
H2O2
− 2 HCl
O O C
C O O Dibenzoylperoxid
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17.8 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden
259
Diacylperoxide zerfallen beim Erhitzen in Radikale. Sie werden daher als Initiatoren bei radikalischen Vinyl-Polymerisationen verwendet.
17.8.2
Alkoholyse
Alkohole reagieren mit Carbonsäurehalogeniden in Gegenwart einer Base zu Estern: O R C
(Base)
+
HO R'
Cl
O R C OR'
+
H Cl
Mit 3,5-Dinitrobenzoylchlorid lassen sich Alkohole als 3,5-Dinitrobenzoate auskristallisieren (nachweisen) und anhand der charakteristischen Schmelzpunkte identifizieren: O2N
(OH )
C O2N
O2N
−
O +
HO CH 2 CH3
Cl
− HCl
O2N
O C O CH2 CH 3
Ethyl-3,5-dinitrobenzoat (3,5-Dinitrobenzoesäureethylester)
17.8.3
Ammonolyse und Aminolyse
Die Umsetzung von Carbonsäurehalogeniden mit Ammoniak (Ammonolyse) oder primären und sekundären Aminen (Aminolyse) ergibt Carbonsäureamide (Carboxamide): −
O R C
− NH4+ X
+
2 NH 3
+
2 H2N R'
+
2H N
X −
O R C
− R'NH3+ X
X R'
O R C
R'
X
−
− R' 2NH2+ X
O R C NH2
Carboxamid (Carbonsäureamid)
O R C NHR'
N-Alkylcarboxamid
O R C NR'2
N,N-Dialkylcarboxamid
Primäre und sekundäre Amine reagieren z. B. mit Benzoylchlorid in Gegenwart einer Base (OH−, Pyridin) zu den kristallinen Benzamiden (SCHOTTEN-BAUMANN-Benzoylierung). O C
+ Cl
C2H 5 H N C2H 5
(Pyridin) − HCl
O C N C 2H 5 H 5C2 N,N-Diethylbenzamid
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260
17.8.4
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Hydrazinolyse
Durch Reaktion von Hydrazin mit Carbonsäurehalogeniden erhält man Carbonsäurehydrazide; überschüssiges Hydrazin bindet den freigesetzten Chlorwasserstoff als Hydrazinhydrochlorid: O H3C C Cl
17.8.5
+
2 H2N NH2
− H2N
NH3+ Cl
−
O H 3C C
NH NH2 Acethydrazid (Essigsäurehydrazid)
Reaktion mit Hydroxylamin
In Gegenwart einer Base (OH−, Pyridin) reagieren Carbonsäurehalogenide mit Hydroxylamin zu Hydroxamsäuren, die in zwei tautomeren Formen existieren (Hydroxamsäure-Oximino-Tautomerie) und mit Eisen(III)salzen rotviolette Chelate bilden: O R C Cl
+
2 H 2N OH
− HO
+
NH3 Cl
−
OH
O R C NH OH HydroxamsäureTautomer
+++
+ 1/3 Fe
R C N OH OximinoTautomer
H O C Fe/3 N O HydroxamsäureEisen(III)-Chelat R
Diese Reaktion eignet sich zum Nachweis der Carbonsäuren über die mit Thionylchlorid auch im analytischen Maßstab gut darstellbaren Säurechloride.
17.8.6
Reaktion mit Alkaliaziden
Das Azid-Anion, N3−, substituiert das Halogenid-Anion in Säurehalogeniden nucleophil. Dabei entstehen die explosiven Säureazide, z. B.: O C
+
Na
_ _ N _ N N _
O C_ N _ N N _
O
− Na Cl
C
Cl
_ N _ N N _
mesomere Grenzformeln des Benzoylazids
17.8.7
Katalytische Hydrierung (ROSENMUND-Reduktion)
Eine allgemeine Methode zur Darstellung von Aldehyden (R−CH=O) ist die katalytische Hydrierung von Carbonsäurehalogeniden. Als Katalysator dient mit Bariumsulfat desaktiviertes Palladium. Die Desaktivierung unterdrückt eine Weiterreduktion des Aldehyds (Kap. 20.5.4). O C C
O Cl Cl
O o-Phthaloyldichlorid (Phthalsäuredichlorid)
Pd / BaSO4
+
H2
− 2 HCl
C C
H H
O o-Phthaldialdehyd
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17.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern
17.8.8
261
Carbonsäurehalogenide als Reagenzien zur C-Acylierung
In Gegenwart von LEWIS-Säuren als Katalysatoren (AlCl3) reagieren Carbonsäurehalogenide mit aromatischen Kohlenwasserstoffen zu aromatischen Ketonen (Phenonen). Diese Art der elektrophilen Substitution ist als FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung (Kap. 11.1.6) bekannt, z. B.:
C
AlCl3
+
Cl
− HCl
C
O Benzoylchlorid
O Benzophenon
17.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern 17.9.1
Esterverseifung
Sowohl Säuren als auch Basen katalysieren die Esterhydrolyse: Die säurekatalysierte Verseifung ist die Rückreaktion der säurekatalysierten Veresterung (Kap. 17.7.1). Die basenkatalysierte Verseifung von Carbonsäuren verläuft als SN2-Substitution des Hydroxid-Anions am Carbonyl-C unter nachfolgender Spaltung der Acyl-Sauerstoff-Bindung. Bei dieser O-Acyl-Spaltung bleibt die absolute Konfiguration am Alkohol-C-Atom erhalten (Retention). Dies läßt sich an identischen spezifischen Drehungen eines enantiomerenreinen Alkohols (Kap. 18.2) vor Acylierung mit dem Carbonsäurechlorid R−COCl und nach basenkatalysierter Verseifung des resultierenden Esters nachweisen: HO
O H C R' O C
R
+
Verseifung
R
H
O H C O
+
O C
R'
R"
R" − HCl (Base)
Acylierung
H
O R
+
C Cl
HO C
R'
H +
R CO2
R" (S)-Alkohol (R" > R')
HO C
R'
R" (S)-Alkohol
Der (hypothetische) Angriff des Hydroxid-Anions am asymmetrischen Alkoxy-C hätte dagegen die Spaltung der O-Alkyl-Bindung und damit WALDEN-Umkehr der absoluten Konfiguration, (Kap. 18.9.1) zur Folge: R
O H C R' O C R" (S)-Ester
+
OH
WALDEN-Umkehr oder Racemisierung
R CO2
+
H R'
C OH
R" (R)-Alkohol
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262
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Die Verseifung von Fetten, den Glycerolestern (Glyceride) langkettiger Carbonsäuren (Fettsäuren, Kap. 42.4) wie Palmitin-, Stearin- und Ölsäure, mit Natron- bzw. Kalilauge ergibt neben Glycerol die Natrium-Salze dieser Säuren als Kernseife und die Kalium-Salze als Schmierseife, z. B.: O O
H 2C O C
H35C 17
H2C OH
C17H 35 O
C O CH
+
3 NaOH
3 C17H 35 CO2 Na
+
HO CH H2C OH
H 2C O C
C17H 35 Glyceroltristearat
Natriumstearat
Glycerol
Seifen senken die Oberflächenspannung des Wassers und emulgieren Schmutzteilchen durch Bildung von Micellen (Kap. 42.7). Darauf beruht ihre reinigende Wirkung.
17.9.2
Ammonolyse (Aminolyse) von Estern
Nach einem der basenkatalysierten Verseifung analogen Mechanismus (SN2) verläuft die zu Amiden führende Ammonolyse (Aminolyse) der Carbonsäureester mit Ammoniak (Aminen), z. B.: O H3C C OC2H 5 Ethylacetat
17.9.3
+
O H3C C NH2 Acetamid
NH 3
+
C2H 5OH
Umesterung
Unter Umesterung versteht man die Reaktion des Esters R−COOR´ mit einem Alkohol R"−OH unter Bildung des Esters R−COOR" und des Alkohols R´−OH: [H+]
O R C
+
R" OH
O +
R C
OR'
R'
OH
OR"
Die Umesterung ist basen- oder säurekatalysiert und eine Gleichgewichtsreaktion. Säurekatalysiert verläuft sie nach dem für die säurekatalysierte Veresterung und Verseifung beschriebenen Mechanismus (Kap. 17.7.1). Um das Gleichgewicht zugunsten des neuen Esters R−COOR" zu verlagern, muß ein großer Überschuß an Alkohol R"−OH eingesetzt und eines der Reaktionsprodukte (R−COOR" oder R´−OH) durch Destillation oder Fällung der Rückreaktion entzogen werden. Eine Umesterung technischen Maßstabs ist die Herstellung des Polyesters "Dacron" aus Terephthalsäuredimethylester und Glykol. Dabei wird das gebildete Methanol kontinuierlich abdestilliert. O
O n
C H3CO
C
+ OCH3
Terephthalsäuredimethylester (Dimethylterephthalat)
n HO CH 2 CH2 OH
[ HCl ] − 2n CH3OH
O
[
O C C CH2 CH2 O O ]n Polyglykolterephthalat
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17.10 Reduktion von Carbonsäureestern
17.9.4
263
Reaktion mit GRIGNARD-Verbindungen
Der nucleophile Angriff der Alkyl- oder Aryl-Gruppe einer GRIGNARD-Verbindung R"MgX am Carbonyl-Kohlenstoff eines Esters R−COOR´ ergibt zunächst ein Keton: O R C
+
O R C R" Keton
R" Mg X
OR' CarbonsäureAlkylester magnesiumhalogenid
+
R'O
Mg 2
+
+
X
Die anschließende nucleophile Addition eines weiteren Äquivalents Alkylmagnesiumhalogenid an das Keton führt zu einem tertiären Alkohol: R"
O R C
+
R" Mg X
+ H2O
R C R"
R"
O Mg X
R" R C R"
+
OH
+
Mg 2
+
X
OH tert. Alkohol
Diese Reaktionsfolge ist ein Weg zur Synthese tertiärer Alkohole mit Substituenten R und R", welche durch die Edukte R−COOR´ und R"MgX vorgegeben sind. Zur Synthese von 4-Isopropyl4-heptanol geht man z. B. von Isobuttersäureethylester und Propylmagnesiumbromid aus: O (H 3C)2CH C OC2H 5 2-Methylpropansäureethylester (Isobuttersäureethylester)
+ H3C
CH2
O
CH2 MgBr
−
− C2H5O , − Mg
2+
, − Br
(H3C)2CH C
−
CH 2 CH 2 CH3 + H3C
OH (H 3C)2CH C CH 2 CH 2 CH3 CH 2 CH 2 CH3 4-i-Propyl-4-heptanol
CH2 MgBr
O Mg Br
+ H2O −
CH2
− OH , − Mg 2+ , − Br
−
(H 3C)2CH C CH2 CH 2 CH 3 CH2 CH 2 CH 3
17.10 Reduktion von Carbonsäureestern 17.10.1 Reduktion zu primären Alkoholen Carbonsäureester lassen sich im Labormaßstab in guten Ausbeuten mit Lithiumaluminiumhydrid oder Natriumborhydrid zu den primären Alkoholen reduzieren. Bei dieser Reduktion addiert ein Hydrid-Anion zweimal nucleophil an das Carbonyl-C-Atom, zuerst im Ester, dann im intermediären Aldehyd. O + IH R C OR' Carbonsäureester
LiAlH 4 oder NaBH4
H R C O OR'
−
− R'O
H R C O Aldehyd
+ HI
H R C O H
+ H 2O − OH
−
R CH 2 OH prim. Alkohol
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264
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
In technischem Maßstab werden Carbonsäureester bei hohen Temperaturen und Drücken katalytisch zu den primären Alkoholen hydriert, z. B.: O C OC2H 5 2-Methylpropansäureethylester (H 3C)2 CH
+
2 H2
CuO / CuCr 2 O4 , Druck , Hitze
(H 3C)2 CH
CH 2
OH
+
C 2H5OH
2-Methylpropanol
17.10.2 Reduktive Kupplung (Acyloin-Kondensation) Carbonsäureester reagieren mit Natrium in siedendem Toluen oder Xylen zu Acyloinen (αHydroxyketonen). Wahrscheinlich reduziert Natrium die Ester-Funktion zunächst zum NatriumSalz eines Radikal-Anions, das zum Dianion (als Natrium-Salz) dimerisiert. Das nach Abspaltung zweier Äquivalente Alkoholat gebildete Diketon wird mit Natrium zum Dienolat-Dianion reduziert. Dessen Hydrolyse führt zum Bisenol als Tautomer des Acyloins. ONa 2 R C OR' Radikal-Anion
NaO
ONa C C OR' R'O R R
.
O
O C C R R Diketon
− 2 NaOR'
NaO
ONa C C R R
+ 2 Na
+ 2 Na
+ 2 H2O
HO
O 2 R C OR' Carbonsäureester ( R = Alkyl)
H
− 2 NaOH
HO
OH C C R R Bisenol
O C C
R R Acyloin (α-Hydroxyketon)
Mit Trimethylchlorsilan (Kap. 31.2.1) verbessern sich die Ausbeuten erheblich. Als reaktive Zwischenstufe bildet sich dann der isolierbare Bistrimethylsilylenolether (Kap. 31.4.3), der mit wäßriger Säure zum Acyloin hydrolysiert wird. O 2 R C OR'
+ 4 Na, + 4 ClSi(CH3)3 − 4 NaCl, − 2 R'OSi(CH3)3
(CH3)3SiO
OSi(CH3)3 C C R R Bistrimethylsilylenolether
+
+ 2 H2O (H3O ) − 2 (CH3)3SiOH
HO H
O C C
R
R
Die intramolekulare Acyloin-Kondensation von Decandisäurediestern und anderen α,ω-Diestern eignet sich gut zur Synthese von Cycloalkanen mit zehn und mehr Ring-C-Atomen (Kap. 8.6.6).
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17.11 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen
265
17.11 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen Die α-CH-Fragmente von Carbonsäureestern sind schwach sauer; gegenüber sehr starken Basen wie Alkalialkoholaten oder Alkaliamiden in wasserfreien Lösemitteln sind die Carbonsäureester daher Protonendonoren und bilden dabei Carbanionen. Diese α-CH-Acidität von Estern ist eine Folge der Mesomeriestabilisierung der durch Deprotonierung entstehenden Carbanionen, wobei das Carbonyl-O-Atom die negative Ladung unter Bildung eines Enolat-Anions teilweise übernimmt. RO
RO C O
+
RO
_ C OI CI H
IB
C H H
_ C OI _
+
H B
C H
Carbanion
Enolat-Anion
Die α-CH-Acidität ist besonders ausgeprägt bei 1,3-Dicarbonsäurediestern (Malonestern), da in diesen Fällen zwei Carbonyl-O-Atome die negative Ladung des Carbanions übernehmen können. Mit Natriumalkoholaten erhält man z. B. das mesomeriestabilisierte Carbanion im Natriumsalz des Malonsäurediesters.
C O H2C
RO
RO
RO
C O
C OI _
+ NaOR − ROH
RO
H CI C OI _ RO
RO
_ C OI _
RO
C OI _
H C
H C C OI _
RO
_ C OI _
Na
O
oder
H
Na
O
RO
RO
mesomere Grenzformeln des Dialkylmalonat-Anions
Die im Vergleich zu Malonsäurediethylester (pKS = 13.3) erheblich stärkere CH-Acidität des als MELDRUM-Säure bekannten Isopropylidenmalonats (pKS = 4.8) ist wahrscheinlich eine Folge des Sechsring-Sessels dieses cyclischen Esters, der die Bildung des pyramidalen, sp3-hybridisierten carbanionischen C-Atoms (Kap. 1.8.2) erleichtert. MELDRUM-Säure wird aus Malonsäure und Aceton in Eisessig hergestellt und wegen ihrer stärkeren CH-Acidität oft anstelle von Malonsäurediestern als Synthesereagenz eingesetzt. O
O C OH +
H 2C C OH
CH3 O C CH3
− H 2O
Aceton
O C O
H 2C
C C O
O
O Malonsäure
CH3CO2H
CH3 CH3
H
O
CH3 O
O
CH 3
H
Isopropylidenmalonat (MELDRUM-Säure)
Aufgrund ihrer α-CH-Acidität sind Carbonsäureester sowie insbesondere Malonsäurediester und MELDRUM-Säure der elektrophilen Substitution in α-Stellung zu den Carbonyl-Funktionen zugänglich, wie die folgenden als Ester-Kondensationen bzw. Malonester-Synthesen bekannten Reaktionen zeigen. Dabei addiert immer das in situ aus der Deprotonierung des CH-aciden Esters hervorgegangene Carbanion als Nucleophil an ein elektrophiles C-Atom (in Halogenalkan, Carbonyl-Verbindung oder Alken, Kap. 17.11.1 - 17.11.5)
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266
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
17.11.1 C-Alkylierung von Malonestern In Gegenwart äquimolarer Mengen Natriumalkoholat lassen sich Dialkylmalonate durch Halogenalkane in die Alkylmalonsäurediester überführen. Diese C-Alkylierung wurde bereits als Methode zur Darstellung von Carbonsäuren besprochen (Kap. 17.5.7). RO O R'
X
+
Na
CO2R
− Na X
H O
R'
CH
CO2R Alkylmalonsäurediester
RO
17.11.2 KNOEVENAGEL-Alkenylierung Dialkylmalonat-Anionen können nucleophil an das Carbonyl-C eines Aldehyds oder Ketons addieren. Die dabei entstehenden β-Hydroxyalkylmalonsäurediester dehydratisieren unter Bildung der Alkylidenmalonsäurediester. Diese KNOEVENAGEL-Alkenylierung (auch KNOEVENAGEL-Kondensation) ist u. a. eine Methode zur Darstellung α,β-ungesättigter Carbonsäuren (Kap. 17.5.8). CO2R C O
C OI
+
Base
H C H CO2R
Carbonyl-Mesomerie
H C C CO2R
− H2O
C C
CO2R
CO2R Alkylidenmalonsäurediester
HO CO2R
Aldehyd oder Keton
17.11.3 MICHAEL-Addition Als C-Nucleophile können Dialkylmalonate an die elektrophile (aktivierte) Doppelbindung eines Alkens addieren (MICHAEL-Addition). Dabei entstehen C-alkylierte Malonester: CO2R X CH CH 2
X CH CH 2
+
IC H H CO2R C-Nucleophil
aktiviertes (elektrophiles) Alken
CO2R X CH 2
CH 2
C H
CO2R C-alkylierter Malonsäurediester
Acrylsäurenitril (X = CN) ist z. B. ein elektrophiles Alken und addiert Malonsäurediethylester als Nucleophil unter Bildung des β-Cyanoethylmalonsäurediethylesters: IN C CH CH2
_ IN C CH CH2
Acrylnitril (Cyanoethen)
Elektrophil
CO2C2H5 +
H2C
N C CO2C 2H5
β
CH2
α
CH 2
CO2C2H 5 C H
CO2C2H5 β-Cyanoethylmalonsäurediethylester [(2-Cyanoethyl)-malonsäurediethylester]
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17.11 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen
267
17.11.4 CLAISEN-Esterkondensation Genügend starke Basen (OC2H5−, NH2−) abstrahieren auch das α-Proton eines Monoesters unter Bildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions: R H H
O
R O IC C H OR' Carbanion
− R'OH
C C
+
R'O
OR'
R
O C C
H OR' Enolat-Anion
Ein solches Carbanion kann nucleophil am Carbonyl-C eines anderen Ester-Moleküls angreifen. Durch Abspaltung eines Alkoxid-Anions bildet sich ein β-Ketoester (CLAISEN-Esterkondensation). OR'
OR'
R O IC C H OR'
+
R CH 2 C O
R CH2 C CH CO2R'
− R'O
R CH2 C CH CO2R' OI _ R
IOI _ R
β-Ketoester
Der einfachste Fall einer Esterkondensation ist die Reaktion zweier Moleküle Essigsäureethylester zu Acetylessigsäureethylester ("Acetessigester"): OC2H5 H3C
C O
OC2H 5 +
CH 2 H
C O
NaOC2H5 , − C 2H5OH
H3C
CH 2 CO2C2H5
C
O 3-Oxobutansäureethylester (Acetessigester)
Die CH-Acidität der von beiden Carbonyl-Funktionen flankierten CH2-Gruppe des Acetessigesters macht eine intramolekulare Protonenwanderung vom α-C zum Carbonyl-O-Atom möglich. Der β-Ketoester existiert daher als Gleichgewichtsgemisch aus Keto- und Enol-Tautomer (KetoEnol- oder Oxo-Enol-Tautomerie, Kap. 19.5.3): H H H3C
C O
C
C
H H 3C
OC2H 5
O
C O
C _ H
H C
H3C
OC2H 5
O
C
C
C
OC 2H5
O H Enol-Tautomer O
Keto-Tautomer (Oxo-Form)
17.11.5 Intramolekulare Kondensation von Diestern (DIECKMANN-Kondensation) Nach einer der CLAISEN-Kondensation analogen Reaktion cyclisieren vor allem 1,4- und 1,5-Dicarbonsäurediester zu cyclischen fünf- bzw. sechsgliedrigen β-Ketoestern: CH2 CO2R (CH2)n OR C O
+ RO − ROH
CH CO2R _ (CH2)n OR C O
n=3,4
CH CO2R (CH2)n OR C
− RO
CH CO2R (CH2)n C
IOI _
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O
268
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
Die DIECKMANN-Cyclokondensation des Adipinsäurediethylesters führt z. B. zu 2-Ethoxycarbonylcyclopentanon; nach Verseifung dieses β-Ketoesters und Decarboxylierung der β-Ketosäure erhält man Cyclopentanon: CO2C 2H5 CO2H
− CO2C2H 5 CH2 NaOC2H5 , − C2H5OH + H2O (OH ) OC 2H5 − C2H5OH C O O Adipinsäurediethylester 2-Ethoxycarbonylcyclopentanon
− CO2
O
O Cyclopentanon
DIECKMANN-Esterkondensationen bewähren sich zur Synthese substituierter Cyclopentane und Cyclohexane. Bei kleineren und größeren Ringen sind die Ausbeuten deutlich geringer.
17.12 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten 17.12.1 Thermische Decarboxylierung und Cyclokondensation Erhitzt man Dicarbonsäuren HOOC−(CH2)n−COOH, so hängen die Reaktionsprodukte von der Anzahl n der C-Atome zwischen beiden Carboxy-Gruppen ab. Ist n = 0 oder 1, so erfolgt eine thermische Decarboxylierung. Oxalsäure (n = 0) ergibt Ameisensäure, Malonsäure (n = 1) Essigsäure: HO2C CO2H HO2C CH 2 CO2H
190 °C 140 °C
H CO2H
+
CO2
H3C CO2H
+
CO2
Ist n = 2 oder 3, so bilden sich aus den Dicarbonsäuren unter intramolekularer Dehydratisierung fünf- oder sechsgliedrige cyclische Dicarbonsäureanhydride. Bernsteinsäure, Phthalsäure (Kap. 17.7.4) sowie Maleinsäure und Glutarsäure cyclokondensieren beim Erhitzen unter Bildung der cyclischen Anhydride: O H H
C C
C C O
O OH OH
− H2O
CO2H
O C
O Maleinsäureanhydrid
O
OH
O
− H2O
O O Glutarsäureanhydrid
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17.12 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten
269
17.12.2 Bildung cyclischer Dicarbonsäureimide In Analogie zu den Säureamiden (Kap. 17.7.5) bilden sich durch Erhitzen der DiammoniumDicarboxylate cyclische Dicarbonsäureimide, sofern sich zwei oder drei C-Atome zwischen den Carboxy-Gruppen befinden, so daß Fünf- oder Sechs-Ringe entstehen, z. B.: O H 2C H 2C
C C
O
O O O
NH 4
C
100-150 °C
NH
− NH 3 , − H2O
NH 4
C
O
O Diammoniumsuccinat
O NH4
O O
NH4
100-150 °C
NH
− NH 3 , − H2O
O
O Diammoniumphthalat
Succinimid (Bernsteinsäureimid)
Phthalimid
17.12.3 Reaktionen cyclischer Dicarbonsäureimide Carbonsäureimide sind NH-Säuren, da die O-Atome der beiden benachbarten Carbonyl-Gruppen die negative Ladung des durch Deprotonierung entstehenden Imid-Anions übernehmen können. Das Imid-Anion ist also mesomeriestabilisiert: O
O + OH
NH
O
O
−
INI
− H2O
NI
O
O
NI
O
O
mesomere Grenzformeln des Succinimid-Anions
Das bei der Neutralisation von Phthalimid mit KOH entstehende Kaliumphthalimid reagiert mit Halogenalkanen als Stickstoff-Nucleophil zur Einführung der primären Amino-Gruppe (−NH2). Diese GABRIEL-Synthese primärer Amine R−NH2 (Kap. 22.4.2) führt zunächst zum N-Alkylphthalimid, das in Gegenwart von Mineralsäuren zu Phthalsäure sowie dem primären Amin in Form seines Salzes hydrolysiert. Die Freisetzung des primären Amins gelingt besonders gut mit Hydrazin unter Bildung des Phthalsäurehydrazids. O INI
O K
+
X
−KX
R
O Kaliumphthalimid
CO2H
+ 2 H2O
N R
+ CO2H
O N-Alkylphthalimid
H2N R primäres Amin
Die Reaktion von Succinimid mit Brom in wäßriger Natronlauge führt zu N-Bromsuccinimid: O NH O
O +
Br2
+
NaOH
N Br
+
NaBr
+
H2O
O N-Bromsuccinimid
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270
17 Carbonsäuren und ihre Derivate
N-Bromsuccinimid spaltet beim Erhitzen homolytisch Brom ab. Die dabei langsam entstehenden Brom-Radikale substituieren selektiv am Allyl-Kohlenstoff-Atom eines Alkens (NBS-Bromierung nach WOHL-ZIEGLER), z. B.: O H 3C
H C C CO2CH 3 H
+
N Br
O
O
trans-Crotonsäuremethylester
Br H2C
H C C CO2CH3 H
Hitze
+
N H
trans-γ-Bromcrotonsäuremethylester
O
Zudem können mit N-Bromsuccinimid sekundäre Alkohole schonend zu Ketonen oxidiert werden (BARAKAT-Dehydrierung): O
R'
O R'
+
R C OH
N Br
H sek. Alkohol
C O
− HBr
+
R Keton
O
N H O
17.12.4 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Dienophil Maleinsäureanhydrid und seine Analoga wie Maleinsäureimid sind wegen des (−)-M-Effekts der beiden Ring-Carbonyl-Gruppen elektronenarme Dienophile, d. h. sie cycloaddieren an elektronenreiche 1,3-Diene (DIELS-ALDER-Reaktion oder [4+2]-Cycloaddition). Mit 1,3-Butadien entstehen so Tetrahydrophthalsäureanhydrid (Y = O) bzw. Tetrahydrophthalimid (Y = NH, Kap. 6.5.4, 8.6.4): O
O
H +
1,3-Butadien (s-cis-Konformer)
O
O
Y = O , NH
O Y
Y
Y H
H
H O Tetrahydrophthalsäureanhydrid (Y = O) Tetrahydrophthalimid (Y = NH)
17.12.5 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Enophil bei En-Reaktionen Prädestiniert als Enophile zur En-Reaktion (Kap. 4.5.12) sind Verbindungen mit elektronenarmen Doppelbindungen wie Maleinsäureanhydrid, dessen En-Reaktion mit Propen zum Allylbernsteinsäureanhydrid führt: O H
+
Propen
O
O
H
O O Maleinsäureanhydrid
O O
O O Allylbernsteinsäureanhydrid
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18.1 Asymmetrische C-Atome und Chiralität
271
18 Chiralität 18.1 Asymmetrische C-Atome und Chiralität Ein tetraedrisches C-Atom mit vier verschiedenen Substituenten wie C-2 in 2-Butanol (Substituenten: H, CH3, C2H5 und OH) wird traditionell als asymmetrisch bezeichnet. Wie KeilstrichProjektionsformeln des 2-Butanols und Molekülmodelle (Abb. 18.1) zeigen, gibt es infolge des asymmetrischen C-Atoms zwei Isomere, die sich wie Bild und Spiegelbild voneinander unterscheiden, und die nicht zur Deckung gebracht werden können. Diese Spiegelbildisomere nennt man Enantiomere (griech. εναντιοζ = gegenüberliegend; µεροζ = Teil). C 2H5
Spiegelebene C2H 5
C
H H 3C OH Bild
2-Butanol
C H CH 3 HO Spiegelbild
Abb. 18.1. Stab- und Kalottenmodelle der Enantiomeren des 2-Butanols (Kohlenstoff : schwarz; Sauerstoff : rot; Wasserstoff : weiß)
Ein asymmetrisches C-Atom (Asymmetrie- oder stereogenes Zentrum) ist eine, nicht die einzige Voraussetzung für Chiralität ("Händigkeit" im Sinne der Spiegelbildlichkeit von griech. χειρ = Hand, weil sich Enantiomere wie rechte und linke Hand unterscheiden). Jedes Molekül, das mit seinem Spiegelbild nicht deckungsgleich ist, wird als chiral bezeichnet. Die meisten physikalischen Eigenschaften (Brechungsindizes, Molekülspektren, Schmelzpunkte, Siedepunkte) von Enantiomeren sind gleich; Enantiomere unterscheiden sich jedoch durch ihre optische Aktivität.
18.2 Optische Aktivität und spezifische Drehung Unter optischer Aktivität versteht man die Fähigkeit einer Verbindung, die Ebene linear polarisierten Lichts um einen bestimmten Winkel α zu drehen, der in einem Polarimeter gemessen wird. Die spezifische Drehung [α] ist der auf eine bestimmte Konzentration und Schichtdicke bezogene
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272
18 Chiralität
Drehwert; [α]D bedeutet, daß als monochromatische Lichtquelle die D-Spektrallinie des Natriums diente, [α]20, daß die spezifische Drehung bei 20 °C gemessen wurde. [α] = α gemessen 100 [ ° ] lc
l : Schichtdicke in dm c : Konzentration in g / 100 mL
[α] 20 : spezifischer Drehwert , gemessen bei 20 °C, D Lichtquelle : D-Linie des Natrium-Spektrums ( λ = 546.1 nm )
Enantiomere drehen die Ebene linear polarisierten Lichts um denselben Betrag, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, wie die enantiomeren 2-Butanole zeigen. C 2H5 2-Butanol
H 3C
C
C2H 5
H OH
H HO
20
[α] D = + 15°
C
CH 3
20
[α] D = − 15°
18.3 Bezeichnung der absoluten Konfiguration Enantiomere (Spiegelbildisomere) unterscheiden sich durch die absolute Konfiguration der Substituenten am Asymmetriezentrum. Zur Bezeichnung der absoluten Konfiguration asymmetrischer C-Atome mit Hilfe von Stereo-Deskriptoren gibt es die allgemein anwendbare CAHN-INGOLDPRELOG Konvention sowie die traditionelle FISCHER-Konvention.
18.3.1
CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ["CIP", (R)- und (S)-Deskriptoren]
Nach der CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ("CIP") zur Angabe der absoluten Konfiguration durch die Stereodeskriptoren R und S ordnet man den Substituenten am asymmetrischen C-Atom mit Hilfe dreier Regeln Prioritäten (Ränge) zu. (1)
Die Priorität der mit dem asymmetrischen C-Atom verknüpften Atome (erste Sphäre) sinkt mit abnehmender Ordnungszahl (Atommasse bei Isotopen) im Periodensystem, z. B.: H F C
I
Br I > Br > F > H
(2)
Cl
CH3
D
C H
F C H
I I > Cl > C > H
Br Br > F > D > H
Sind zwei oder mehr mit dem asymmetrischen C direkt verknüpfte Atome identisch, so sinkt die Priorität mit abnehmender An- und Ordnungszahl der benachbarten Atome (zweite Sphäre), z. B.: CH 3 CH3 HO C H CH2 CH3 OH > C 2H 5 > CH 3 > H
CH 2Cl H 3C CH 2 C CH 3 H CH2Cl > C 2H 5 > CH 3 > H
H3C C H H C Br CH 2 CH 3 Br > (CH3)2CH > C 2H 5 > H
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18.3 Bezeichnung der absoluten Konfiguration
(3)
273
Doppelt und dreifach gebundene Zweitatome zählen je doppelt bzw. dreifach; eine Aldehyd-Gruppe (−CH=O) hat demnach eine höhere Priorität als eine Alkohol-Funktion (−CH2−OH): O Glyceraldehyd
C
H
HO C H
OH > CH=O > CH2−OH > H
CH2 OH
Nach Kenntnis der Rangordnung aller vier Substituenten um das asymmetrische C-Atom wird das Molekül so betrachtet bzw. gedreht, daß die Gruppe mit geringster Priorität (meist H) hinter der Zeichenebene steht. Nimmt die Priorität der drei höherrangigen Substituenten im Uhrzeigersinn ab (Rechtsfolge), so liegt die R-Konfiguration vor; geschieht dies im Gegenuhrzeigersinn (Linksfolge), so handelt es sich um die S-Konfiguration (R von lat. rectus = recht, richtig, S von lat. sinister = links). Die Enantiomeren des 2-Butanols konkretisieren dies und zeigen auch, daß die physikalische Eigenschaft der Rechts- bzw. Linksdrehung der Ebene linear polarisierten Lichts nicht mit den Deskriptoren R und S der absoluten Konfigurations-Bezeichnung zusammenhängt, R-Konfiguration also nicht rechtsdrehend (+) und S-Konfiguration nicht linksdrehend (−) bedeuten muß. So dreht (R)-2-Butanol nach links [(R)-(−)-2-Butanol], das (S)-Enantiomer dagegen nach rechts [(S)-(+)-2-Butanol]: Abnahme der Priorität im Gegenuhrzeigersinn
C2H 5 C
H OH (S)-2-Butanol H3C
[α] 20 = + 15° D daher (S)-(+)-2-Butanol
C 2H5 C H CH3 HO (R)-2-Butanol
Abnahme der Priorität im Uhrzeigersinn
( c = 10 g / 100 mL in Methanol ) [α] 20 D = − 15° daher (R)-(−)-2-Butanol
Im Falle des Glycerinaldehyds (Glyceraldehyds) dreht das (R)-Enantiomer die Ebene linear polarisierten Lichts nach rechts und das (S)-Enantiomer nach links: CH 2OH H
C O
C
H OH
(R)-(+)-Glyceraldehyd
[α] 25 = + 8.7° D
18.3.2
CH2OH H HO
C
C
H
O (S)-(−)-Glyceraldehyd ( c = 2 g / 100 mL in Wasser ) [α] 20 D = − 8.7°
FISCHER-Konvention (D- und L-Deskriptoren)
Grundlage der FISCHER-Konvention ist die Projektion des Kohlenstoff-Tetraeders in die Ebene (FISCHER-Projektion). Dabei wird der Tetraeder so betrachtet, daß die längste Kohlenstoff-Kette vertikal und die schwerere Alkyl-Gruppe oben steht (Abb. 18.2 a, 2-Butanol, Ethyl oben, Methyl unten). Die horizontal geschriebenen Gruppen (H und OH in Abb. 18.2 a) stehen dann vorne, an der dem Beobachter zugewandten Tetraederkante. Die Keilstrich-Projektion bringt diesen Sachverhalt klarer zum Ausdruck (Abb. 18.2 b) und führt zur FISCHER-Projektion (Abb. 18.2 c), indem die Keilstriche durch einfache Valenzstriche ersetzt werden. Steht in der FISCHER-Projektion (Abb. 18.2 c) die funktionelle Gruppe nach rechts, so liegt das D-Enantiomer vor (D von dextra = rechts); steht die funktionelle Gruppe nach links, so spricht man vom L-Enantiomer (laevus = links).
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274
18 Chiralität
Die FISCHER-Projektionen (Abb. 18.2 c) können innerhalb der Papierebene verschoben werden, ohne daß sich die dargestellte absolute Konfiguration ändert; dagegen würde Herausnahme aus oder Drehung in der Papierebene die absolute Konfiguration ändern. Spiegelebene C 2H5
C2H 5 (a)
HO
H
C2H 5 HO C H CH 3
C 2H5 H C OH
Keilstrich-Projektion
CH3
C2H 5 (c)
Tetraeder (Außenansicht, Tetraederkanten)
OH CH3
CH 3
(b )
H
C 2H5
HO C H
H C OH
CH 3 L-2-Butanol
CH3 D-2-Butanol
FISCHER-Projektion
Abb. 18.2. Bezeichnung der absoluten Konfiguration nach der FISCHER-Konvention (D- und L-2-Butanol); die Verbindungslinien in (a) sind Tetraederkanten und keine Bindungen
18.3.3
Übersetzung der D-,L- in (R)-,(S)-Deskriptoren
Abb. 18.3 illustriert am 2-Butanol, wie die D,L-Konfigurationsangabe nach FISCHER in die R,SBezeichnung nach CAHN-INGOLD-PRELOG übersetzt wird: Man schreibt die ebene FISCHERProjektion (Abb. 18.3 a) in die Keilstrich-Projektion um (Abb. 18.3 b) und dreht dann den Tetraeder so, daß der Substituent geringster Priorität (meist H) hinter der Zeichenebene steht (Abb. 18.3 c). Abb. 18.3 zeigt auf diese Weise für 2-Butanol, daß L- = (S)- und D- = (R)- ist. Dies gilt jedoch nicht allgemein; ersetzt man z. B. im 2-Butanol (Abb. 18.2) Methyl durch Brommethyl (−CH2−Br), so ist das resultierende L-1-Brom-2-butanol wegen Regel (2) der "CIP"-Konvention identisch mit (R)-1-Brom-2-butanol. L-2-Butanol C2H 5 (a)
HO C H CH 3 C2H 5
(b )
(c)
HO C H
D-2-Butanol C 2H5 H C OH CH3
CH3
C 2H5
C 2H5
C
Tetraeder (Außenansicht, Tetraederkanten)
C 2H5 H C OH
CH 3
H OH (S)-2-Butanol H 3C
Spiegelebene
C H CH3 HO (R)-2-Butanol
Keilstrich-Projektion
Keilstrich-Projektion (H hinter der Zeichenebene)
Abb. 18.3. Übersetzung der D,L- in die R,S-Deskriptoren der absoluten Konfiguration
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18.4 Bestimmung der absoluten Konfiguration
18.3.4
275
Racemate
Eine äquimolare Mischung von (R)- und (S)-Enantiomeren wird als racemische Mischung oder Racemat bezeichnet; so bedeutet die Angabe (RS)- oder (DL)- oder (±)-2-Butanol, daß eine racemische Mischung der Verbindung vorliegt. Ein Racemat ist, im Gegensatz zu den beiden Enantiomeren, aus denen es besteht, optisch inaktiv ([α] = 0) und besitzt andere physikalische Eigenschaften (Schmelzpunkt, Dichte, Löslichkeit, Tab. 18.1, S. 277).
18.4 Bestimmung der absoluten Konfiguration Die tatsächliche räumliche Anordnung der Atome eines Enantiomers läßt sich durch RÖNTGENBeugung (Kristallstrukturanalyse mit RÖNTGEN-Diffraktometer, RÖNTGEN-Diffraktometrie) bestimmen. Hierzu ist ein Einkristall erforderlich, der nur aus Molekülen eines Enantiomers besteht. J.M. BIJVOET führte 1951 am Natrium-Rubidium-Tartrat (franz. tartre = Weinstein, daher die Bezeichnung Tartrate für die Salze der Weinsäure) des rechtsdrehenden Enantiomers der Weinsäure eine solche Bestimmung durch. Das Resultat (R,R) wurde 2008 mit modernerem Gerät bestätigt. Die Kenntnis der absoluten Konfiguration dieser einen Verbindung ermöglichte die Zuordnung der absoluten Konfigurationen einer Vielzahl von Verbindungen durch Bestimmung ihrer Konfiguration in Bezug (relativ) zur Weinsäure. COO Na H C OH HO C H COO Rb Natrium-Rubidium-(+)-tartrat
Eine Verbindung A hat dieselbe Konfiguration in Bezug zu einer Verbindung B, wenn sich A ohne Inversion seiner Asymmetrie-Zentren in B umwandeln läßt. So gelingt die Umwandlung der (−)-Weinsäure in (+)-Glyceraldehyd [(+)-Glycerinaldehyd] über eine Folge sterisch einheitlich verlaufender chemischer Reaktionen, bei denen keine der Bindungen am asymmetrischen C-Atom C-2 gebrochen und neu geknüpft wird. Somit besitzt (+)-Glyceraldehyd an C-2 die gleiche (relative) Konfiguration wie (−)-Weinsäure. COOH HO C H H C OH COOH D-(−)-Weinsäure = (S,S)-(−)-Weinsäure
COOH CH=O H C OH CH2OH D-(+)-Glycerinaldehyd = (R)-(+)-Glyceraldehyd
H C OH HO C H COOH L-(+)-Weinsäure = (R,R)-(+)-Weinsäure
CH=O HO C H CH2OH L-(−)-Glycerinaldehyd = (S)-(−)-Glyceraldehyd
Als Spiegelbilder dieser Enantiomeren besitzen rechtsdrehende Weinsäure und linksdrehender Glycerinaldehyd entgegengesetzte absolute Konfigurationen.
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276
18 Chiralität
18.5 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren 18.5.1
Zwei verschiedene asymmetrische C-Atome
Moleküle mit zwei Asymmetrie-Zentren wie 3-Brom-2-butanol bilden vier (22 = 4) Stereoisomere a-d. Aus den Projektionsformeln ergeben sich nach Abb. 18.3 die absoluten Konfigurationen. In Isomer a nehmen z. B. die Prioritäten der Substituenten an beiden asymmetrischen C-Atomen in einer Linksfolge ab, so daß es sich bei a um (2S,3S)-3-Brom-2-butanol handelt: C-1
CH3
C-2
H C OH
C-3
Br C H
C-4
CH3 a (2S,3S)
CH 3 HO C H
CH 3
CH 3
H C OH
HO C H
H C Br
H C Br
Br C H
CH 3 b (2R,3R)
CH 3 c (2S,3R)
CH 3 d (2R,3S)
Bei Aminosäuren und Kohlenhydraten wird die traditionelle FISCHER-Konvention bevorzugt. Kohlenhydrate mit mehreren Asymmetriezentren ordnet man je nach Konfiguration des am höchsten bezifferten und der CH2OH-Gruppe am nächsten liegenden asymmetrischen C-Atoms der DReihe (OH nach rechts) oder der L-Reihe (OH nach links) zu. Glyceraldehyd (Kap. 18.4) sowie die Aldotetrosen Threose und Erythrose (Kap. 40.1.2) sind einfache Beispiele hierzu: CH=O HO C H H C OH CH2OH FISCHER (D,L) CIP (R,S)
a D (2S,3R)
Threose
Erythrose
CH=O
C-1
CH=O
CH=O
H C OH
H C OH
HO C H
C-2
H C OH
HO C H
C-3
HO C H CH2OH b L (2R,3S)
CH2OH c D (2R,3R)
CH 2OH d L (2S,3S)
C-4 Konfiguration an C-3
Die Aldotetrosen a und b sowie c und d sind jeweils ein Enantiomeren-Paar, das man als threoDL-Paar bezeichnet, da jedes Paar für sich eine Bild-Spiegelbild-Beziehung aufweist. In einem Enantiomer mit mehreren Asymmetrie-Zentren sind die Konfigurationen aller asymmetrischer CAtome gegenüber dem Gegen-Enantiomer invertiert. Jede der vier Aldotetrosen ist optisch aktiv. Eine äquimolare Mischung von a und b bzw. c und d ist racemisch und optisch inaktiv. Dabei unterscheiden sich die beiden Racemate durch ihre relative Konfiguration (threo- und erythro-) und zeigen daher verschiedene Schmelzpunkte. Die Konfigurationsbeziehung zwischen den Isomeren a und c (b und d) ist diastereomer, da a und c (b und d) Inversionsisomere ohne Bild-Spiegelbild-Beziehung sind. Auch die Isomeren a und d, b und c sowie b und d sind Diastereomere. Zwei Diastereomere weisen die gleiche Konfiguration an mindestens einem Asymmetriezentrum und zusätzlich die umgekehrte Konfiguration an mindestens einem weiteren Asymmetriezentrum auf. Somit sind Diastereomere verschiedene Verbindungen mit unterschiedlichen physikalischen und ähnlichen chemischen Eigenschaften. Eine äquimolare Mischung zweier Diastereomerer ist kein Racemat. Allgemein werden Stereoisomere als Diastereomere bezeichnet, wenn sie keine Enantiomere sind. Alle Isomere mit zwei und mehr asymmetrischen C-Atomen, die sich durch ihre relative Konfiguration unterscheiden, sind somit auch Diastereomere.
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18.5 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren
277
Für Moleküle mit n verschiedenen asymmetrischen C-Atomen existieren 2n Stereoisomere und 2n/2 Enantiomerenpaare. Aldotetrosen mit zwei asymmetrischen C-Atomen (n=2) bilden somit wie gezeigt vier Stereoisomere, die zwei Enantiomerenpaare sind.
18.5.2
Zwei gleiche asymmetrische C-Atome
Verbindungen mit zwei identischen Asymmetriezentren existieren in zwei Enantiomeren, (RR) und (SS), sowie einer meso-Form, (RS) und (SR) (meso von griech. µεσοζ = Mitte). Meso-Isomere (RS) und (SR) lassen sich aus Symmetriegründen zur Deckung bringen und sind daher keine Enantiomere. Sie unterscheiden sich also sowohl vom (RR)- und (SS)-Enantiomer als auch vom Racemat (DL). Beispiele sind die verschiedenen Weinsäuren in Tab. 18.1. CO2H H C OH
CO2H HO C H H C OH
HO C H
(2S,3S)D-(−)-Weinsäure
CO2H HO C H
H C OH
HO C H
CO2H
CO2H (2R,3R)L-(+)-Weinsäure
CO2H H C OH CO2H
CO2H
(2R,3S)(2S,3R)meso-Weinsäure
Tab.18.1. Physikalische Eigenschaften der Weinsäuren
D-Enantiomer L-Enantiomer DL-Verbindung (Racemat) meso-Isomer
spez. Drehwert (c = 17.4 in H2O) [α] 20 D
Schmelzpunkt [°C]
Dichte bei 20 °C [ g/mL]
Löslichkeit [ g/100 g H2O ]
− 12.7 + 12.7 0 0
171-174 171-174 206 146
1.7598 1.7598 1.788 1.666
139 139 20.6 125
Keilstrich- und NEWMAN-Projektionen der konfigurationsisomeren Weinsäuren illustrieren in Abb. 18.4, daß die Konformere der meso-Weinsäuren im Gegensatz zu denen der Enantiomeren zur Deckung gebracht werden können. 2,4-Dibrom-3-methylpentan besitzt eine ungerade Zahl asymmetrischer C-Atome. Von den drei Asymmetriezentren sind zwei identisch. Daher gibt es zwei meso-Formen (c und d) sowie zwei Enantiomere (a und b); dabei sind die Paare a/c, a/d, b/c, b/d und c/d jeweils Diastereomere. Diastereomere nennt man epimer (Epimere), wenn sie sich in der absoluten Konfiguration nur eines asymmetrischen C-Atoms unterscheiden. So sind a und c Epimere, nicht jedoch b und c. CH 3 H C Br H C CH 3 Br C H CH 3 a aktiv Enantiomer
CH 3 Br C H H 3C C H H C Br CH 3 b aktiv Enantiomer
CH 3 H C Br H C CH 3 H C Br
CH 3 Br C H H 3C C H Br C H
CH 3
CH 3
c inaktiv meso-
d inaktiv meso-
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278
18 Chiralität
OH H HO2C L-(+)-Weinsäure (2R,3R)-
HO
C
C
HO2C
CO2H H
H HO
OH
H C
C H
HO
CO2H
H
CO2H CO2H
H HO
C
C
C
C
C
H OH
HO2C
OH
C
H HO
CO2H
H
HO2C
HO2C H H
HO
HO2C
H
HO2C
OH H
C
HO2C
OH
H
CO2H
H
H HO
C
OH CO2H
OH CO2H OH
H
CO2H
CO2H OH
HO2C H
OH
H
H
HO2C
CO2H
OH CO2H
H
H
H OH
OH
H C
C
H
OH CO2H
OH
HO2C
HO2C
CO2H
OH
meso-Weinsäure (2R,3S)-
H
H
OH H
HO2C
HO2C
H C
OH HO
H
OH CO2H
H
HO2C
OH
HO2C D-(−)-Weinsäure (2S,3S)-
HO
H CO2H
HO2C H HO
OH
OH
C
HO2C
CO2H
H HO
OH
C
C
CO2H H OH
Abb. 18.4. Konformere der drei Weinsäuren
18.5.3
Enantiomere Cycloalkane
Enthalten Cycloalkane zwei identische asymmetrische C-Atome, so bilden die cis-Isomeren mesoFormen, die trans-Isomeren dagegen Enantiomere, wie Abb. 18.5 für 1,2-disubstituierte Cycloalkane sowie für 1,3-disubstituierte Cyclohexane klar macht. Unterscheiden sich die beiden asymmetrischen C-Atome, so gibt es stets cis- und trans-Isomere, die ihrerseits je als ein Paar von Enantiomeren existieren. Beispiele sind die Isomeren des 1-Brom2-methylcyclopropans: H 3C H
H H
Br
Br
H
H
cis-Isomere Enantiomere
H H
CH 3 H
Br H
H H
H CH 3
H H3C
H H
Br H
trans-Isomere Enantiomere
1,3-disubstituierte Cyclobutane und 1,4-disubstituierte Cyclohexane enthalten aus Gründen der Molekülsymmetrie keine asymmetrischen C-Atome und bilden daher nur cis-trans-Isomere.
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18.6 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome
279
cis-
(S,R)
(R,S)
trans-
(R,R)
X 1,2-disubstituiertes Cyclopropan X
X
X
X
X
X
X 1,2-disubstituiertes Cyclobutan X
X
X
X
1,2-disubstituiertes Cyclopentan
1,3-disubstituiertes Cyclohexan
X
X
X
X X
X
X
X
X
X
X
1,2-disubstituiertes Cyclohexan
X
X
X
(S,S)
X
X X
X X
X
X
X
X
X
X X
meso-Formen
X
Enantiomere
X
Abb. 18.5. Meso-Formen und Enantiomere einiger disubstituierter Cycloalkane
18.6 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome 18.6.1
Heteroatome als Asymmetriezentren
Sofern sie vier verschiedene Substituenten binden, verkörpern tetraedrische Heteroatome ebenfalls Asymmetriezentren. Beispiele hierzu sind Silane und Tetraalkylammonium-Salze mit je vier, Amin-N-oxide und Sulfonium-Salze mit je drei verschiedenen Alkyl- oder Aryl-Resten: C6H 5 N
H3C O C 3H7 (S)-Methylphenyl-i-propylamin-N-oxid
H Si H3C C 6H5
S
H3C C 6H5 C 3H7 (S)-Methylphenyl-i-propylsulfonium-Ion
(S)-Methyl-β -naphthylphenylsilan
Auch tertiäre Amine mit drei verschiedenen Substituenten bilden Enantiomere; vierter Substituent ist, wie bei Sulfonium-Ionen, das nichtbindende Elektronenpaar. Die Enantiomeren der TRÖGERBasen mit zwei identischen asymmetrischen N-Atomen lassen sich mit diversen Methoden trennen. N enantiomere TRÖGER-Basen (R = CH3 , OCH3 )
R
N N
N
R
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280
18 Chiralität
Ein Asymmetriezentrum (C- oder Heteroatom) ist eine, aber nicht die einzig mögliche Ursache der Chiralität (Dissymmetrie). Viele Verbindungen, die keine Asymmetriezentren besitzen, können zu optisch aktiven Enantiomeren aufgetrennt werden. Hexachlor- sowie Hexahydroxycyclohexan (Inosit) enthalten zwar keine asymmetrischen C-Atome; jedoch gibt es von beiden Verbindungen Konfigurationsisomere, die als Enantiomerenpaare existieren. Alle Moleküle, die weder Symmetrieebenen, Symmetriezentren noch Drehspiegelachsen besitzen, sind chiral (dissymmetrisch). Fehlen zudem noch Symmetrieachsen Cn, so sind die Moleküle asymmetrisch (ohne Symmetrie). Prinzipiell können bereits vier verschiedene, nicht auf einer Ebene liegende Atome ein chirales Molekül bilden.
18.6.2
Axiale Chiralität
Axiale Chiralität kann in Verbindungen auftreten, die "gestreckte" Tetraeder bilden. Die Strekkung wird in Allenen wie 2,4-Dibrom-2,3-pentadien durch eine gerade Anzahl kumulierter Doppelbindungen realisiert; mit ungerader Anzahl kumulierter Doppelbindungen gibt es dagegen (E,Z)-Isomere wie bei Alkenen. Spirocyclen wie 3,3´-Dibromspiro[3,3]heptan sind bei geeigneter Substitution ebenfalls axial chiral. Br
Chiralitätsachse
CH3
C C C
H 3C
H
Br
H 3C
Br C C C CH 3 Br Br (aR)(aS)2,4-Dibrom-2,3-pentadien
Br
H
Br
Br H
Chiralitätsachse
(aR)(aS)- H 3,3'-Dibromspiro[3,3]heptan
Die absolute Konfiguration axial chiraler Verbindungen läßt sich entweder mit den (aR)/(aS)oder mit den allgemeiner anwendbaren (P)/(M)-Deskriptoren spezifizieren. Dabei steht a vor R und S für axiale Chiralität; P und M stehen für Plus bzw. Minus. Zur Herleitung der (aR)- bzw. (aS)-Deskriptoren wird das Molekül von außen längs der Chiralitätsachse betrachtet; von welcher Seite man das Molekül anblickt, ist ohne Belang. Der nach den CIP-Regeln höherrangige Substituent (Br vor CH3 im Beispiel 2,4-Dibrom-2,3-pentadien), welcher sich dem Betrachter zuwendet, legt den Bezug fest, so daß bei der Bestimmung der Rangfolge die Position des Substituenten höherer Priorität am abgewandten Molekülende entscheidet, ob ein (aR)- oder ein (aS)-Enantiomer vorliegt. Im links skizzierten 2,4-Dibrom-2,3-pentadien als Beispiel beschreibt der Weg vom vorderen Brom (links) über die vordere Methyl-Gruppe zum hinteren Brom (unten) eine Rechtsfolge; demzufolge handelt es sich um das (aR)-Enantiomer. (P)- bzw. (M)-Deskriptoren spezifizieren die absolute Konfiguration aufgrund der räumlichen Anordnung von drei die Atome 1-4 verknüpfenden Bindungen. 3
1 2
(P)-
4
3 2
4 1
4
3
1 2
(M)-
4
3 1
2
Wird die Bindung 1−2 durch eine Rechtsdrehung um die Bindung 2−3 in eine synperiplanare (verdeckte, ekliptische) Anordnung mit der Bindung 3−4 gebracht, so liegt das (P)-Enantiomer vor. Geschieht dasselbe durch eine Linksdrehung, so handelt es sich um ein (M)-Enantiomer.
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18.6 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome
281
Bei Allenen und Spirocyclen verkörpern die höherrangigen Substituenten die Positionen 1 und 4; im 2,4-Dibrom-2,3-pentadien und 3,3'-Dibromspiro[3,3]heptan sind dies die Br-Atome. Eine NEWMAN-Projektion längs der Chiralitätsachse zeigt dann, daß (aR)- identisch mit (M)-2,4-Dibrom-2,3-pentadien ist. Gleiches gilt für 3,3'-Dibromspiro[3,3]heptan. Die (aR)- und (aS)- korrespondieren demnach invers mit den (M)- bzw. (P)-Desriptoren. 4
Br 3
CH3 1
Br
1
Br
2(3)
C CH3
H 3C
Br
3
2
C C C
C C C Br
H
3
1
Br
Br
3
Br
1
Br
CH3
2 1
2
H
4 4 (M)(P)2,4-Dibrom-2,3-pentadien
4
H
1
H3C
CH 3
2
4
Br
H
Br
2(3)
C
Br 4
H
(M)(P)- H 3,3'-Dibromspiro[3,3]heptan
Axial chiral sind ferner Biaryl-Derivate, in denen sperrige o,o'-ständige Substituenten die Rotation der Aryl-Ringe sterisch so behindern, daß sie nicht "durchdrehen", sondern verdrillt bis orthogonal stehen bleiben. Diesen Fall axialer Chiralität bezeichnet man als Atropisomerie. (aR)-/(M)und (aS)-/(P)-Enantiomere (Atropisomere) des 2,2'-Dibrom-6,6'-dimethylbiphenyls und 2,2'-Dihydroxybinaphthyls (BINOL) können mit chromatographischen Methoden getrennt werden.
H3C H3C
3 2
4 1
Br Br 1
Br Br
4
3 2
OH OH
CH 3 CH3
(aR)- = (M)(aS)- = (P)2,2'-Dibrom-6,6'-dimethylbiphenyl
HO HO
(aR)- = (M)-
(aS)- = (P)-
[α] 25 = + 34.3°
[α] 25 = − 33.3° ( c = 1 g / 100 mL in THF)
D
D
2,2'-Dihydroxybinaphthyl (BINOL)
18.6.3
Planare Chiralität und Helicität
Andere Beispiele von Enantiomeren ohne tetraedrische Asymmetriezentren sind 2,2'-Dialkyl-pcyclophane (planare Chiralität) und die Helicene wie Hexahelicen, deren Benzen-Ringe in Rechtsund Linksschrauben-Form (α- oder β-helical) anelliert sind (helicale Chiralität, Helicität). In beiden Fällen gelingt die Spezifikation der absoluten Konfiguration problemlos mit Hilfe (P)- und (M)-Deskriptoren. 1 4
3
R (M)-
2 1
2
R
2,2'-Dialkyl-p-cyclophan
(P)-
β -Helix (M)-
Hexahelicen
3
4
α-Helix (P)-
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282
18 Chiralität
18.7 Racemat-Trennungen Die Trennung einer optisch inaktiven racemischen Mischung in zwei optisch aktive Enantiomere ist schwierig, weil die chemischen und physikalischen Eigenschaften von Enantiomeren identisch sind mit Ausnahme ihres Verhaltens gegenüber polarisiertem Licht (chiroptische Eigenschaften) und anderen chiralen Molekülen.
18.7.1
Die klassische Methode von PASTEUR
L. PASTEUR fand 1848, daß das Natrium-Ammonium-Salz der racemischen Weinsäure zweierlei asymmetrische Kristalle bildet, die sich wie Bild und Spiegelbild unterscheiden. Nach manuellem Sortieren dieser spiegelbildlichen (enantiomorphen, griech. µορϕη = Gestalt) Kristalle im Mikroskop zeigten die wäßrigen Lösungen der beiden Kristallformen spezifische Drehungen der Ebene linear polarisierten Lichts um den gleichem Betrag, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen. Eine Mischung gleicher Anteile beider Lösungen führte zum Verlust der optischen Aktivität. Diese von PASTEUR benutzte mechanische Trennung konnte nur in wenigen anderen Fällen verifiziert werden. Die Lösung eines Racemats kristallisiert höchst selten spontan als Mischung enantiomorpher Kristalle aus. Häufiger, auch technisch, gelingt dagegen die Auskristallisation eines Enantiomers aus übersättigten Lösungen durch Animpfen mit seinen Kristallen.
18.7.2
Trennung nach Bildung von Diastereomeren
Eine allgemein anwendbare Methode der Racematspaltung ist die Überführung der Enantiomeren in Diastereomere sowie deren Trennung und Reinigung durch fraktionierte Kristallisation oder Chromatographie. Anschließende Spaltung der getrennten und gereinigten Diastereomeren liefert die Enantiomere in optisch reiner Form. Die Trennung einer racemischen Säure, einer racemischen Base und eines racemischen Alkohols illustrieren die Methodik. Trennung racemischer Säuren Racemische Säuren wie (±)-Milchsäure (= DL-Milchsäure), lassen sich mit einer enantiomerenreinen (optisch aktiven) Base, z. B. mit den hochtoxischen Alkaloiden (−)-Brucin oder (−)-Strychnin sowie (−)-Chinin oder (−)-Cinchonidin (Kap. 39.2.4, 39.2.6), in zwei diastereomere Salze "(+,−)" und "(−,−)" überführen; aufgrund ihrer unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (Löslichkeit, Schmelzpunkte) können die diastereomeren Salze getrennt werden. Saure Hydrolyse der getrennten Salze gibt die enantiomeren Milchsäuren (Abb. 18.6). ̈
HO
H
H
H
R N
R
N H
R N
N R = OCH3 : (−) - Chinin R = H : (−) - Cinchonidin
H
H
O H R = H : (−) - Strychnin R = OCH3 : (−) - Brucin O
Liefert die erste Trennung noch keine genügend enantiomerenreine Produkte, wird eine zweite Trennung mit einer anderen Base nachgeschaltet.
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18.7 Racemat-Trennungen
283
Den verwendeten natürlich vorkommenden enantiomerenreinen Alkaloiden gemeinsam ist ein im starren Ringsystem inversionsfreies asymmetrisches Stickstoff-Atom, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein Benzen-Ring und asymmetrische C-Atome befinden.
Enantiomere gemischt
CO2H
CO2H
HO C H
H C OH
CH3 CH 3 L-(+)-Milchsäure D-(−)-Milchsäure Racemat in Wasser gelöst Zugabe von (−)-Brucin-Lösung diastereomere Salze Trennung durch fraktionierte Kristallisation
Diastereomere gemischt
Diastereomere getrennt
CO2
CO2
[(−)-Brucin−H]
CH3 +
− [( −)-Brucin−H] Cl
Enantiomere getrennt
−
[(−)-Brucin−H]
H C OH
HO C H
CH 3
+ HCl
+ HCl
CO2H
− [( −)-Brucin−H]+ Cl
−
CO2H
HO C H
H C OH
CH3 enantiomerenreine L-(+)-Milchsäure (S)-(+)-2-Hydroxypropansäure
CH 3 enantiomerenreine D-(−)-Milchsäure (R)-(−)-2-Hydroxypropansäure
Abb. 18.6. Trennung racemischer Säuren mit einer enantiomerenreinen Base über diastereomere Salze
Trennung racemischer Basen Umgekehrt gelingt die Trennung racemischer Basen durch Bildung diastereomerer Salze mit enantiomerenreinen Säuren. ̈
D-Base
D-Base−D-Säure
+ 2 D-Säure
L-Base Racemat
Trennung
D-Base−D-Säure
L-Base−D-Säure
L-Base−D-Säure
Gemisch diastereomerer Salze
getrennte diastereomere Salze
+ HCl + HCl
D-Base−HCl + D-Säure L-Base−HCl
+ D-Säure
getrennte enantiomere Basen (Hydrochloride)
Bewährte und in ausreichender optischer Reinheit verfügbare Säuren sind z.B. (−)-Äpfelsäure, (+)Weinsäure, (−)-Mandelsäure und (+)-Campher-10-sulfonsäure (Kap. 43.3.2). CO2H HO C H CH2 CO2H L-(−)-Äpfelsäure
CO2H
CO2H
H C OH
H C OH
HO C H CO2H L-(+)-Weinsäure
C6H 5 D-(−)-Mandelsäure
SO3H O (+)-Campher-10-sulfonsäure
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284
18 Chiralität
Racemische Alkohole können nach Veresterung zu diastereomeren Estern mit einer enantiomerenreinen Säure getrennt werden. Individuelle Verseifung der getrennten diastereomeren Ester ergibt optisch reine Alkohole, aus denen weitere chirale Verbindungen hergestellt werden können. L - R'
L - R'
C O
D - R OH + 2 L- R−CO2H
D -R
O
D -R
Trennung
L - R'
− 2 H2O
L-R
racemischer Alkohol
− L-R−CO2 Na
O
L - R'
C O
L - R OH
+ Na OH
C O
+ Na OH
C O L-R
O
Gemisch diastereomerer Ester
− L-R−CO2 Na
O
getrennte diastereomere Ester
D - R OH
L - R OH
getrennte enantiomere Alkohole
Alternativ werden racemische Alkohole mit Phthalsäureanhydrid zu racemischen Phthalsäurehalbestern derivatisiert und letztere mit enantiomerenreinen Basen (s. o.) zu den trennbaren diastereomeren Salzen umgesetzt. D-R
O
+ H2O − (−)-Brucin − Phthalsäure
C O DL - R
O DL - R OH
C O
O
+
O Phthalsäureanhydrid
AlkoholRacemat
O
1.) + (−)-Brucin 2.) Trennung
CO2H
CO2 [(−)-Brucin−H] L-R
O
+ H2O − (−)-Brucin − Phthalsäure
C O
racemischer Phthalsäurehalbester
D - R OH
CO2 [(−)-Brucin−H]
L - R OH
getrennte enantiomere Alkohole
getrennte diastereomere Phthalsäurehalbester-( −)-Brucin-Salze
Ähnliche Verfahren gestatten die Trennung racemischer Aldehyde und Ketone, z. B. mit Hilfe enantiomerenreiner Hydrazine über diastereomere Hydrazone.
18.7.3
Enzymatische Racemat-Trennungen
Bestimmte Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilze) und vor allem Enzyme verhalten sich oft unterschiedlich und spezifisch gegenüber Enantiomeren. Acetylierte DL-α-Aminosäuren (Kap. 37.8.5), auch synthetische mit nicht in der Natur vorkommenden Seitenketten, werden z. B. durch das aus Schweinenieren gewonnene Enzym Nierenacylase getrennt. Nierenacylase spaltet NAcetyl-L-aminosäuren bedeutend schneller als die D-Enantiomeren. Aus dem Gemisch wird die noch acetylierte D-Aminosäure durch Extraktion mit einem organischen Lösemittel von der freien, in der Wasserphase verbleibenden L-Aminosäure abgetrennt. CO2 CH NH 3 CH3 DL-Alanin (Racemat)
CO2H H Acylase, + H2O CH N − CH3−CO2H CH 3 C CH3 O N-Acetyl-DL-alanin (Racemat)
CO2 H3N C H CH3 L-Alanin
CO2H +
H C NHCOCH3 CH3 N-Acetyl-D-alanin
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18.8 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie
18.7.4
285
Chromatographische Racemat-Trennungen
Chromatographische Trennverfahren basieren auf der selektiven und reversiblen Adsorption der Enantiomeren an chiralen Adsorbentien, die als stationäre Phasen in der Flüssigkeits- oder Gaschromatographie eingesetzt werden. Unter optimierten Bedingungen tritt ein Enantiomer weniger stark in diastereomere Wechselwirkung mit der stationären Phase und wird somit zuerst eluiert. Die flüssigkeitschromatographische Trennung vieler chiraler Wirkstoffe gelingt in präparativem Maßstab auf Säulen, die mit modifizierten Cyclodextrinen (Kap. 40.8.2) als chiralen Phasen belegt sind. Gaschromatographisch läßt sich an chiralen Phasen auch die absolute Konfiguration und das Enantiomerenverhältnis chiraler Alkohole, Amine, Aminoalkohole und Aminosäureester nach Trifluoracetylierung bestimmen (chirale GC). Manche Racemate lassen sich durch Säulenchromatographie trennen, wobei die Säulen mit Polymeren gepackt werden, an die Enzyme kovalent gebunden sind.
18.8 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie 18.8.1
Prochiralität am tetraedrischen C-Atom
Ein tetraedrisches C-Atom mit drei verschiedenen Substituenten a, b und c ist nicht asymmetrisch; es wird als prochiral bezeichnet. Wandelt sich einer der beiden identischen Substituenten a in d um, so entsteht aus dem prochiralen ein asymmetrisches C-Atom: b
b
a C a
a C d
c prochiral
c asymmetrisch (chiral)
Die Bezeichnung zweier Substituenten am prochiralen C-Atom, z. B. der H-Atome an der prochiralen Methylen-Gruppe des Ethanols, ist nach den CAHN-INGOLD-PRELOG-Regeln pro-R bzw. pro-S. Dabei werden die beiden H-Atome als H' und H" markiert, wobei H' willkürlich die höhere Priorität erhält. OH H'
C H'' CH 3
H' > H''
H3C H''
C
OH
OH
HS C HR CH 3
H'
OH > CH3 > H' : (S)
H' ist also pro-S oder HS
Die beiden H-Atome am prochiralen C des Ethanols, allgemein zwei Gruppen X in R1−CX2−R2, unterscheiden sich durch ihre topographische Lage im Molekül (Topie, Topizität). Die Umgebung des oberen (vorderen) H-Atoms ist im Vergleich zu der des unteren (hinteren) enantiomer. Daher nennt man die identischen Substitutenten eines prochiralen C-Atoms auch enantiotop. CH3
H enantiotope Methylen-H-Atome des Ethanols
HO H 3C
C H
C
H O H H3C
C
H
diastereotope Methylen-H-Atome des Acetaldehyddiethylacetals
OC2H5
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286
18 Chiralität
Enantiotope Gruppen wie die H-Atome des prochiralen Methylen-Fragments in Ethanol können mit den meisten physikalischen Meßmethoden nicht unterschieden werden. Befindet sich die prochirale Gruppe −CX2− jedoch in der Nähe eines (von X aus gesehenen) asymmetrischen C-Atoms, so liegen die beiden identischen Substituenten X in verschiedender Umgebung; sie sind nicht mehr enantiotop, sondern diastereotop und daher mit physikalischen Methoden (NMR-Spektroskopie) unterscheidbar. Bekannte Beispiele sind die O-Methylen-H-Atome der Diethylacetale. Durch Reaktion einer prochiralen Verbindung mit einem chiralen Reagenz werden enantiotope Gruppen am prochiralen C-Atom stets diastereotop. Ein Beispiel ist Verknüpfung des N-Acetyl-2methylalanins (enantiotope Methyl-Gruppen) mit der enantiomerenreinen Aminosäure L-Alanin [(S)-2-Aminopropansäure] zum Dipeptid (diastereotope Methyl-Gruppen). Die Reaktion gelingt mit kondensierenden Reagenzien. enantiotope Methyl-Gruppen
H3C O H 3C C C OH H3C C N H O
diastereotope Methyl-Gruppen
H
+
N-Acetyl-2-methylalanin achiral
H 3C O H H3C C C CH3 N C H 3C C N CO H H 2CH 3 O
− H2O
CH3 H2N C CO2CH3 L-Alaninmethylester chiral
N-Acetyl-2-methylalanyl-L-alaninmethylester chiral
Als homotop (ununterscheidbar) bezeichnet man zwei Substituenten, wenn sie durch Drehung um eine Cn-Achse zur Deckung gebracht werden können. Homotop sind z. B. die Wasserstoff- und Chlor-Atome in (Z)- und (E)-1,2-Dihalogenalkenen. Cl
Cl C C H H
18.8.2
homotope H- und Cl-Atome des (Z)-1,2-Dichlorethens
Prochiralität am trigonalen C-Atom
Auch die trigonale Carbonyl-Gruppe in Aldehyden oder unsymmetrischen Ketonen (Kap. 21) ist prochiral. Entsprechend sind die beiden Seiten der Carbonyl-Bindungsebene nicht identisch; man nennt sie enantiofacial. Zur Unterscheidung blickt man auf die Ebene der Carbonyl-Gruppe und ordnet die Priorität der Substituenten nach den CAHN-INGOLD-PRELOG-Regeln. Sinkt die Priorität im Uhrzeigersinn, so blickt man auf die Re-Seite; eine Abnahme im Gegenuhrzeigersinn kennzeichnet die Si-Seite: O
OH H
C
+ H: M
C
Re
(S)-2-Butanol
Si
M
E
OH
+ :H
C
M
H
E (R)-2-Butanol
E E = C 2H 5 ; M = CH 3
Enantiomerenreine Reagenzien unterscheiden Re- und Si-Seite. So gelingt die Reduktion des Butanons mit einem enantiomeren komplexen Metallhydrid zum (R)-2-Butanol, wenn das Hydrid von der Si-Seite an die Carbonyl-Gruppe addiert.
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18.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
287
18.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen 18.9.1
Inversion, Retention und Racemisierung
̈ Inversion Hat eine Reaktion an einem Asymmetrie-Zentrum den Konfigurationswechsel dieses Atoms zur Folge (R zu S, S zu R oder R,S zu S,R), so spricht man von Inversion. Eine Inversion muß nicht notwendigerweise das Vorzeichen der spezifischen Drehung umkehren, da (R)-Konfiguration nicht rechtsdrehend und (S)-Konfiguration nicht linksdrehend bedeutet. Eine bekannte Inversion ist die WALDEN-Umkehr bei nucleophilen Substitutionen, die nach dem SN2-Mechanismus ablaufen (Kap. 14.2.1). Die Beobachtung der WALDEN-Umkehr bei nucleophilen Substitutionen an enantiomerenreinen Substraten ist somit ein experimenteller Hinweis auf den SN2-Mechanismus. So läßt sich z. B. linksdrehendes enantiomerenreines (R)-(−)-2-Bromoctan unter vollständiger Inversion (SN2) am asymmetrischen Kohlenstoff-Atom mit konzentrierter Natronlauge in rechtsdrehendes, enantiomerenreines (S)-(+)-2-Octanol überführen: C6H 13 (R)-(−)-2-Bromoctan [a]D = − 36°
C
H Br
−
+ OH , − Br
−
C 6H13
SN2
H3C
CH3
(S)-(+)-2-Octanol [a]D = + 10.3°
C
H OH
Retention Vollzieht sich eine Reaktion ohne Konfigurationsumkehr der Asymmetriezentren (R bleibt R, S bleibt S und RS bleibt RS), also unter Erhaltung der absoluten Konfiguration (stereokonservative Reaktion), so spricht man von Retention. Die Derivatisierung des 1-Phenyl-2-propanols zum Tosylat verläuft z. B. unter Retention; dagegen führt die anschließende Substitution des Tosylat-Anions durch Acetat nach SN2 zur vollständigen Inversion, die Hydrolyse des Acetats (Essigsäureesters) erneut zur Retention (Abb. 18.7). ̈
CH 3 CH 2 C O H H
CH 3
SO2Cl , − HCl
+ H3C
keine Inversion, C−O-Bindung bleibt intakt
[α]D = + 33.2° optische Reinheit : 98 %
O
CH 2 C O S
CH 3
O
H
[α]D = + 31.1° enantiomerenrein SN2 , vollständige Inversion C-O-Bindung wird gespalten
+ CH3−CO2
−
− H3 C
SO3
−
O OH CH 2 C CH 3 H [α]D = − 32.2° enantiomerenrein
−
+ OH , − CH3−CO2
−
keine Inversion, C−O-Bindung bleibt intakt
O
C
CH3
CH 2 C CH 3 H [α]D = − 7.1° enantiomerenrein
Abb. 18.7. Nucleophile Substitutionen des 1-Phenyl-2-propanols mit bzw. ohne Konfigurationsumkehr
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288
18 Chiralität
Racemisierung Bei einer Racemisierung führt die chemische Reaktion einer enantiomerenreinen Verbindung zu einem racemischen Gemisch (R wird R,S ; S wird R,S). Mit Racemisierungen ist zu rechnen, wenn enantiomerenreine Verbindungen in Reaktionen verwickelt werden, die unter intermediärer Bildung von Carbenium-Ionen, Carbanionen oder Radikalen an asymmetrischen C-Atomen ablaufen. Je langlebiger das intermediär auftretende Carbenium-Ion ist, desto wahrscheinlicher wird eine vollständige Racemisierung enantiomerenreiner Substrate. SN1-Reaktionen sind deshalb im Gegensatz zu SN2-Reaktionen nicht stereospezifisch. So verläuft die Hydrolyse des enantiomerenreinen α-Chlorethylbenzens über das mesomeriestabilisierte (relativ langlebige) α-PhenylethylKation in wäßrigem Ethanol unter vollständiger Racemisierung: ̈
CH 3
CH 3
60 % C2H5OH / H2O , SN1
C Cl
C OH
H
CH3 sowie HO C
H
enantiomerenreines (R)-α-Chlorethylbenzen
H
Produktverhältnis 1 : 1 vollständige Racemisierung : [α]D = 0°
Weniger stabile (relativ kurzlebige) Carbenium-Ionen werden durch die austretende Gruppe etwas abgeschirmt, so daß ein Angriff des Nucleophils von der Rückseite wahrscheinlicher wird; anstelle vollständiger Racemisierung wird dann teilweise Inversion beobachtet wie bei der Hydrolyse des enantiomerenreinen (R)-3-Chlor-3,7-dimethyloctans: CH 3 (H 3C)2CH
60 % C2H5OH / H2O , SN1
(CH 2)3 C C 2H 5
OH
CH 3 (H 3C)2CH
(CH 2)3 C C2H5 sowie (H 3C)2CH
Cl
(CH 2)3 C C 2H 5
OH
(R)-3-Chlor-3,7-dimethyloctan enantiomerenrein
CH 3
(R)- und (S)-3,7-Dimethyloctan-3-ol Produktmischung geringer Enantiomeren-Reinheit (Inversion und etwa 75 % Racemisierung)
Bei Substitutionen an asymmetrischen Atomen chiraler Moleküle kann man durch Bestimmung der enantiomeren Reinheit (chirale GC oder Drehwertmessungen) und der Reaktionsordnung (kinetische Messungen) Rückschlüsse auf den Mechanismus ziehen. Zum Studium einfacher Austauschraten läßt sich die radioaktive Markierung, beispielsweise mit radioaktivem Iod, heranziehen, wie die unter vollständiger Inversion verlaufende SN2-Reaktion am 2-Iodbutan zeigt: CH3
H3C
I*
+
H H5C 2
C
I
I*
C
H C 2H5
+
I
Die beobachtete Racemisierungsgeschwindigkeit des 2-Iodbutans ist doppelt so groß wie die Einbaurate des radioaktiven Iods, da z. B. 100 Moleküle des (R)-2-Iodbutans vollständig racemisiert sind, wenn davon 50 durch SN2-Reaktion in Moleküle der (S)-Konfiguration übergeführt sind.
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18.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
18.9.2
289
Stereoselektivität, Stereospezifität
Reaktionen, bei denen nicht asymmetrische Edukte in Stereoisomere übergeführt werden, die in gleichen Mengen entstehen, werden als nicht stereoselektiv bezeichnet. Man beobachtet dies normalerweise bei Reaktionen über freie Radikale. Dagegen ist eine Reaktion stereoselektiv, wenn sie aus einem Edukt, das keine Konfigurationsisomere bilden kann, vorwiegend oder ausschließlich ein Stereoisomer produziert. Beispiele sind cis-Hydrierungen von Alkinen, trans-Hydrierungen der Alkine mit Natrium in flüssigem Ammoniak sowie trans-Eliminierungen (E2) von Halogenalkanen. Stereospezifisch ist eine Reaktion, die ein stereochemisch einheitliches Edukt in ein stereochemisch einheitliches Produkt umwandelt. Beispiele sind die elektrophile Addition von Brom an Cycloalkene (mit cis-Konfiguration an der Doppelbindung) zu trans-1,2-Dibromcycloalkanen, die WALDEN-Inversion der SN2-Reaktion, sowie die Dihydroxylierungen von Cycloalkenen mit Osmiumtetroxid oder Peroxiden. Stereospezifisch in Bezug auf die Konfigurationen von Dien und Dienophil sind auch DIELS-ALDER-Reaktionen.
18.9.3
Asymmetrische (enantioselektive) Synthesen
Chirogene Reaktionen, bei denen ein prochirales Edukt in ein chirales Produkt mit einem asymmetrischen C-Atom übergeht, führen in der Regel zum Racemat. ̈ Enantioselektive Reduktionen und katalytische Hydrierungen Lithiumaluminiumhydrid reduziert 2-Butanon zu racemischem 2-Butanol (Kap. 18.8.2), weil das Hydrid-Anion mit gleicher Wahrscheinlichkeit von der Re- und der Si-Seite der CarbonylFunktion angreifen kann. O
OH H
+ H2O
C
+ H:
− OH
CH 3 CH2 CH3
HO
C
Re
Si
+ :H
+ H2O
C H 3C H 3C H 2C
− OH
CH3
H
C 2 H5 (S)-2-Butanol
(R)-2-Butanol
50 %
50 %
Reduziert man jedoch 2-Butanon mit LiAlH4, das durch einen chiralen Liganden wie (aR)-(+)oder (aS)-(−)-BINOL (Kap.18.6.2) komplexiert wird, so entsteht ein Enantiomer im Überschuß; die Reaktion wird enantioselektiv. Geeignet substituierte Alkene enthalten prochirale C-Atome und bieten den Reagenzien enantiofaciale Seiten. Ihre katalytische Hydrierung ist daher chirogen und führt zum Racemat, weil Wasserstoff mit gleicher Wahrscheinlichkeit von der Re- und der Si-Seite der π-Bindung addieren kann. CH3 H
C
Y
+ H2 (Kat.)
C
Re
Si
Y
X (S)-N-Acetylalaninmethylester
C
Y
H
X (R)-N-Acetylalaninmethylester
X X = NHCOCH3
CH 3
+ H2 (Kat.)
Y = CO2CH3
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290
18 Chiralität
Hydriert man jedoch mit chiralen Katalysatoren (enantioselektive Katalyse), z.B. mit Rhodium(I)Chelaten chiraler Diphosphinoethan-Liganden [Bauprinzip: (R)- oder (S)- R2P−CHR'−CH2−PR2], so bildet sich wiederum ein Enantiomer im Überschuß. Hierauf beruht die Herstellung einiger enantiomerenreiner Aminosäuren durch enantioselektive Hydrierung von Acetylaminoacrylsäureestern (Kap. 37.6.7). Die Qualität einer enantioselektiven Reaktion wird durch den Enantiomeren-Überschuß (enantiomeric excess, e.e.) beurteilt: e.e. = % R − % S =
Enantiomeren-Überschuß
[R] − [S] [R] + [S]
100 [%]
Die mit chiralen Hydrierkatalysatoren erzielten Enantiomerenüberschüsse (e.e.) liegen zwischen 80 und 99 %. Enantioselektive Hydrierungen prochiraler CC-Doppelbindungen in homogener Phase gelingen mit Ruthenium-Chelaten axial chiraler Triarylphosphan-Liganden, besonders effizient mit den (aR)- und (aS)-Enantiomeren der BINAP-Ruthenium(II)chlorid-Komplexe (NOYORI-Katalysatoren, NOYORI-Hydrierung). Die Chiralität dieser Liganden prägt den Koordinationsraum des Zentral-Ions, wie die Formelskizze des Acetessigester-Chelats andeutet. Daher verspürt ein die Chlorid-Ionen substituierender, prochiraler Ligand als Substrat (Alken) eine Seitendifferenzierung. Reaktionen (Hydrierungen) in diesem Komplex werden demzufolge diastereoselektiv, so daß die Abtrennung des Katalysator-Enantiomers ein Produkt mit Enantiomerenüberschuß hinterläßt.
PAr2 PAr2
Ar2P Ar2P
O Ar2 P Ru O P O Ar2 O
Ar =
OCH3
H3CO
(aR)-(+)-BINAP
(aS)-(−)-BINAP
(aR)-(+)-BINAP-Ru-Komplex mit Acetessigsäuremethylester
(1,1'-Binaphthalen)-2,2'-diyl-bis(diphenylphosphan)
NOYORI-Hydrierungen des Acetessigsäuremethylesters zum (R)-(+)-3-Hydroxybutansäuremethylester und der 2-(6-Methoxynaphthalen-2-yl)propensäure zum Entzündungshemmer (S)-(−)-Naproxen mit hohen Enantiomerenüberschüssen sind eindrucksvolle Beispiele. Prochirale Alkene ohne koordinationsfähige Gruppen werden mit geringeren Enantiomerenüberschüssen hydriert. O
O
OH OCH3
+ H2
O
OH
(aR)-(+)-BINAP-RuCl2 OCH 3
OCH 3 (R)-3-Hydroxybutansäuremethylester (ee > 98 %)
KetoEnol-Tautomer des Acetessigsäuremethylesters
CH 2 CO2H H3CO
O
CH3 + H2
(aS)-(−)-BINAP-RuX2 X = Carboxylat
H
CO2H
H3CO (S)-(−)-2-(6-Methoxynaphthalen-2-yl)propansäure (Naproxen)
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18.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
291
Enantioselektive Epoxidation Eine auch industriell durchgeführte enantioselektive Oxidation ist die SHARPLESS-Epoxidation der prochiralen CC-Doppelbindung von Allylalkoholen mit t-Butylhydroperoxid in Gegenwart eines chiralen Hilfsreagenzes [(+)- oder (−)-Weinsäurediethylester, komplexiert durch Titantetra-ipropylat]. Addition von der Si-Seite führt zum (S)-Oxiran; von der Re-Seite aus entsteht das (R)Oxiran. ̈
+ [O]
O
H
C
Re
+ [O]
Si H
R (R)-Hydroxymethyloxiran
R
O
H
R = CH 2OH
R (S)-Hydroxymethyloxiran
Zunächst bildet Titantetra-i-propylat mit dem Weinsäureester-Enantiomer einen dimeren, chiralen Komplex. Anschließend substituieren t-Butylhydroperoxid und Allylalkohol die verbliebenen iPropylat-Liganden (1), so daß Titan(IV) geometrisch definiert sowohl den Allylalkohol als auch das epoxidierende Peroxid bindet, wobei es als LEWIS-Säure ein Peroxy-O-Atom komplexiert und dadurch das andere zum Elektrophil polarisiert (2). Das elektrophile Peroxy-O-Atom addiert dann an die CC-Doppelbindung (3); im Komplex entsteht dabei das Oxiran-Enantiomer, während das ehemalige, komplexierte Peroxy-O-Atom eine kovalente Bindung zum Titan(IV) knüpft (4). Die Aufarbeitung in Wasser (5) setzt t-Butylalkohol und das Oxiran-Enantiomer (Glycidol) frei. O * Ti
(2) O
O * O Ti O
(3)
O * O Ti O
(4)
O * O Ti O
O
O + (CH3) 3C−O−OH + H
(1)
(5)
− 2 (CH3) 2CH−OH
OC 2H5 CO2C2H 5
O * OCH(CH 3)2 Ti OCH(CH 3)2
(H 3C)2CHO (H 3C)2CHO
Ti
O O
H5C 2O2C
OH
OCH(CH3)2
O Ti O OCH(CH3)2 O
O Glycidol
OC 2H5
̈ Enantioselektive Synthesen mit chiralen Auxiliaren Bei der Synthese enantiomerenreiner Verbindungen (EPC-Synthese, EPC für enantiomeric pure compounds nach SEEBACH) haben sich chirale Hilfsreagenzien (Auxiliare) bewährt, die man kovalent an ein prochirales Edukt bindet. Die Verknüpfung des Edukts mit dem chiralen Auxiliar senkt die Aktivierungsenergie ∆EA zur Bildung eines der beiden Enantiomeren (Abb. 18.8). Ohne Auxiliar wäre die Aktivierungsenergie zur Bildung beider Enantiomeren gleich (∆EA(R) = ∆EA(S) ), so daß ein Racemat entstünde.
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292
18 Chiralität
Streng genommen sind auxiliar-gesteuerte asymmetrische Synthesen diastereoselektiv. Im Falle eines Auxiliars mit (R)-Konfiguration beträgt der Diasteromerenüberschuß Diastereomeren-Überschuß bei ( R)-Konfiguration des Auxiliars
d.e. = % RR − % SR =
[RR] − [SR] [RR] + [SR]
100 [%] .
Epot ∆∆EA
∆EA(S)
∆EA(R)
Abb. 18.8. Energiediagramm einer auxiliar-gesteuerten asymmetrischen Synthese [Favorisierung des ( R)-Enantiomers]
Edukt−R*
(R*: chirales Auxiliar)
(S)-Enantiomer
(R)-Enantiomer Reaktionskoordinate
Exemplarisch und gut durchschaubar ist ein von TROST gefundenes Prinzip zur auxiliar-gesteuerten asymmetrischen DIELS-ALDER-Reaktion. Chirales Hilfreagenz ist (R)- oder (S)-O-Methylmandelsäure; durch Einbau des (R)-Methylmandeloxy-Restes in 1,3-Butadien entsteht ein "chirales" Dien, in dem die Re-Seite sterisch und durch charge-transfer-Wechselwirkung von PhenylRest und Dien vor der Addition eines Dienophils geschützt wird (Seitendifferenzierung). Das Dienophil addiert dann überwiegend von der Si-Seite. Mit Acrolein als Dienophil ensteht (3S,4S)3-Alkoxy-cyclohexen-4-aldehyd. Da das Primärprodukt die chirale Hilfsgruppe mit (R)-Konfiguration noch enthält, ist die Reaktion diastereoselektiv; der erzielte Diastereomerenüberschuß beträgt d.e. = % SSR − % RRR = 64 % .
H
C
O OR* (3S,4S)3-Alkoxycyclohexen-4-aldehyd 64 % d.e.
+
H C
+ Si
O Acrolein
C
Re O
C
H
C
O H OCH3
C
H
OR* O (3R,4R)-
O (R)-1-O-Methylmandeloxy-1,3-butadien
Ein gutes Auxiliar erzielt gute chemische Ausbeuten, hohe Diastereomerenüberschüsse, läßt sich unter möglichst milden Bedingungen vom Produkt abspalten und zur weiteren Verwendung zurückgewinnen. Von den enantiomerenreinen Naturstoffen abgeleitete Verbindungen wie Aminosäure-Derivate (Kap. 37.6.7, 37.8.7) bieten sich als gut zugängliche Auxiliare an. Die stereochemische Kontrolle der Ausbildung weiterer asymmetrischer Zentren durch sterische und elektronische Faktoren bereits vorhandener Asymmetrie-Zentren ist von grundlegender Bedeutung bei Biosynthesen. So werden die Proteine ausschließlich aus L-Aminosäuren über stereospezifische biochemische Reaktionen aufgebaut. Pflanzen erzeugen bei der Photosynthese nur DGlucose, und nur diese wird im tierischen Organismus metabolisiert, nicht das L-Enantiomer.
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19.1
Nomenklatur substituierter Carbonsäuren
293
19 Substituierte Carbonsäuren 19.1 Nomenklatur substituierter Carbonsäuren Die wichtigsten substituierten Carbonsäuren tragen in α-, β-, γ-, δ-Stellung zur Carboxy-Gruppe Halogene, Hydroxy- oder Amino-Funktionen sowie Oxo-Gruppen. Entsprechend nennt man sie Halogencarbonsäuren (Halogensäuren), Hydroxycarbonsäuren (Hydroxysäuren), Aminosäuren (Kap. 36) und Oxocarbonsäuren (Oxosäuren, früher: Ketosäuren). Die Bezeichnungen substituierter Carbonsäuren leiten sich von denen unsubstituierter Säuren ab (Kap. 17.1). Die Position der Substituenten wird gemäß IUPAC mit arabischen Ziffern angegeben. Bei den Trivialnamen werden stattdessen oft die griechischen Buchstaben α, β, γ, δ,... benützt. Vermieden werden sollte eine Kombination von IUPAC-Bezeichnungen mit α-, β-, γPositionsangaben; so kann β-Brompropionsäure konsequent durch 3-Brompropansäure (jedoch nicht durch β-Brompropansäure) ersetzt werden. 3
2
1
4
3
2
1
H 3C CH CH 2 CO2H
H3C CH CO2H 2-Chlorpropansäure (α-Chlorpropionsäure)
4
OH
F
Cl
5
3-Fluorbutansäure (β-Fluorbuttersäure)
3
2
1
CH2 CH2 C CH 2 CO2H
O
4(1)
CO2H
O
5-Hydroxy-3-oxopentansäure (δ-Hydroxy-β -ketovaleriansäure)
4-Oxocyclohexancarbonsäure (δ-Oxocyclohexancarbonsäure, Cyclohexanon-4-carbonsäure)
Aufgrund ihrer lange bekannten natürlichen Herkunft sind für einige bedeutende Säuren fast nur Trivialnamen in Gebrauch (Bezeichnung des Säure-Anions in eckigen Klammern): H 3C CH CO2H
HO CH2 CH CO2H
H3C C CO2H
OH 2-Hydroxypropansäure (Milchsäure) [Lactat]
OH 2,3-Dihydroxypropansäure (Glycerinsäure) [Glycerat]
O 2-Oxopropansäure (Brenztraubensäure) [Pyruvat]
HO2C CH 2
CH CO2H
OH 2-Hydroxybutandisäure (Äpfelsäure) [Malat]
HO2C CH
CH CO2H
H 3C C CH 2 CH2 CO2H
OH OH 2,3-Dihydroxybutandisäure (Weinsäure) [Tartrat]
O 4-Oxopentansäure (Lävulinsäure) [Lävulat]
19.2 Physikalische Eigenschaften und Acidität Die Einführung von Heteroatomen in Carbonsäuren erhöht deren Polarität; damit verstärken sich die intermolekularen Wechselwirkungen. Somit liegen die Schmelz- und Siedepunkte substituierter Carbonsäuren deutlich höher als die vergleichbarer unsubstituierter Carbonsäuren.
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294
19
Substituierte Carbonsäuren
Die Acidität der Hydroxy-, Oxo- und besonders der α-Halogensäuren ist stärker als die von unsubstituierten Carbonsäuren (Tab. 19.1). Dies läßt sich auf den Elektronenzug des elektronegativen Sauerstoffs der Hydroxy- und Oxo-Gruppe bzw. der Halogen-Substituenten zurückführen. Dieser Effekt stabilisiert die Carboxylat-Anionen durch eine bessere Verteilung ihrer negativen Ladung (Kap. 17.6.4). Tab. 19.1. Substituenteneffekte auf Schmelz- und Siedepunkte sowie Aciditäten ausgewählter Ethanund Propansäuren Schmp. °C
Sdp. °C (1013 mbar)
Aciditätskonstante Ka ( x 10−5 )
Ethan-
16.6
118.0
1.7
Cl CH2 CO2H
Chlorethan-
61.0
189.0
136.0
HO CH2 CO2H
Hydroxyethan-
80.0
100.0
15.0
Oxoethan-
98.0
Zersetzung
47.0
− 22.0
141.0
1.3
2-Chlorpropan- (R,S)
---
185.0
13.2
2-Hydroxypropan- (R,S)
18.0
122.0
14.0
2-Oxopropansäure
14.0
165.0
320.0
Formel H 3C
CO2H
O CH CO2H H 3C CH2 CO2H H 3C CH CO2H
IUPAC-Bezeichnung
Propan-
Cl H 3C CH CO2H OH H 3C C CO2H O
Die Säurestärke der Halogensäuren nimmt mit zunehmendem (−)-I-Effekt (I < Cl ≈ Br < F) und der Anzahl elektronenziehender Substituenten zu. Wächst der Abstand zwischen dem (−)-ISubstituenten und der Carboxy-Gruppe, so verringert sich die Acidität (Tab. 19.2). Tab. 19.2. pK-Werte einiger Halogenalkansäuren in Abhängigkeit vom (−)-I-Substituenten Halogenalkansäuren
pK-Wert
Formel CO2H CO2H CO2H CO2H
2.66 2.86 2.69 3.12
CH2 CO2H Cl2CH CO2H Cl3C CO2H
2.86 1.30 0.65
Cl CH2 CO2H Cl CH2 CH2 CO2H CH2 CH2 CH2 CO2H
2.86 4.08 4.52
Monohalogenethansäuren
F Cl Br I
Mono-, Di-, Trichlorethansäure
Cl
ω-Chloralkansäuren
Cl
CH2 CH2 CH2 CH2
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19.3 Halogencarbonsäuren
295
19.3 Halogencarbonsäuren 19.3.1
Synthesen
α-Halogencarbonsäuren durch α-Halogenierung Carbonsäuren lassen sich in α-Stellung zur Carboxy-Gruppe halogenieren. So werden Essigsäure und Phenylessigsäure durch Chlor im UV-Licht radikalisch zu den α-Halogencarbonsäuren substituiert: ̈
H3C CO2H
+
Cl2
C6H 5 CH 2 CO2H
+
Cl2
hν , Rückfluß
Cl
hν
CH 2 CO2H Chloressigsäure
+
HCl
C 6H5 CH CO2H
+
HCl
Cl
DL-α-Chlorphenylessigsäure
Auch in Gegenwart katalytischer Mengen an rotem Phosphor reagieren Carbonsäuren mit Halogenen (Cl, Br) zu α-Halogencarbonsäuren (HELL-VOLHARD-ZELINSKII-Reaktion): R CH 2 CO2H
+
X2
PX3 oder P
R CH CO2H
+
HX
X
X = Cl , Br
Der Phosphor beschleunigt die Reaktion, indem er mit dem Halogen das Trihalogenid bildet, welches die Carbonsäure zum Säurehalogenid derivatisiert: 2 P + 3 X2
O + 3 R CH 2 C OH
2 PX 3
O 3 R CH 2 C X
PX 3
+
P(OH)3
In Gegenwart von Halogenwasserstoff HX als Protonendonor enolisiert das Säurehalogenid, und das Halogen X2 addiert an die Doppelbindung des Enols: O
+ [H+]
R CH2 C
O H C X
R CH X
H
− [H +]
O H R CH
C
+ X2
X enolisiertes Säurehalogenid
δ−
δ+ O H
Xδ+
X
R CH
C
− HX
O R CH X
C X
X δ−
Das entstandene α-Halogensäurehalogenid reagiert mit einem Molekül Carbonsäure unter Halogen-Austausch zur α-Halogencarbonsäure und dem Säurehalogenid, welches seinerseits wieder in den Reaktionskreislauf eintritt. R CH X
O C X
+
O R CH 2 C OH
R CH X
O + C OH
O R CH2 C X
Bei Ausschluß von Bedingungen, unter denen sich Radikale bilden können, führt die HELLVOLHARD-ZELINSKII-Halogenierung selektiv zur α-Halogencarbonsäure, z. B.: H3C CH2 CH 2 CH 2 CO2H Valeriansäure
+ Br 2 , P , − HBr
Br H3C CH2 CH 2 CH CO2H DL-α-Bromvaleriansäure (R,S)-2-Brompentansäure
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296
19
Substituierte Carbonsäuren
Bromierungen CH-acider 1,3-Dicarbonsäuren, z. B. Malonsäure und deren α-Alkyl-Derivate, gelingen ohne Phosphortribromid (PBr3). Die thermische Decarboxylierung der gebildeten αBromdicarbonsäure führt zur α-Bromcarbonsäure: CO2H
CO2H
+ Br2 , − HBr
R C CO2H
130-150 °C , − CO2
R C CO2H
H
R CH CO2H Br
Br
α-Alkylmalonsäure
α-Brom-α-alkylmalonsäure
α-Bromcarbonsäure
β- und γ-Halogencarbonsäuren aus α,β-ungesättigten Carbonsäuren β-Halogencarbonsäuren entstehen durch elektrophile Addition von Halogenwasserstoff an α,β-ungesättigte Carbonsäuren (Kap. 17.5.8, 17.5.9), z. B.: H3C CH CH CO2H
+
HBr
H3C CH CH2 CO2H Br
(E- oder Z-)-2-Butensäure
(R,S)-3-Brombutansäure
Die selektive β-Bromierung erfolgt aufgrund einer Cβ-Positivierung bei der intermediären Bildung eines mesomeriestabilisierten Oxonium-Carbenium-Ions: OH R CH CH
C OH OH
+
+ [H ]
R CH CH CO2H
R CH CH
+ Br
O
OH
−
C
R CH CH OH
Br
R CH CH2 C
C OH
OH
Br
OH R CH CH
C OH
α,β-Ungesättigte Carbonsäureester können in Allyl-Stellung mit N-Bromsuccinimid selektiv bro-
miert werden (WOHL-ZIEGLER-Bromierung, Kap. 13.3.7). O H3C CH CH CO2CH 3
+
(E- oder Z-)-2-Butensäuremethylester
N Br O
O CCl4 , 25 °C
Br CH2 CH CH CO2CH 3
+
(E- oder Z-)-4-Brom-2-butensäuremethylester
N H O
ω-Halogencarbonsäureester aus Lactonen Wasserfreie Halogenwasserstoffe in alkoholischer Lösung öffnen Lacton-Ringe (cyclische Ester von Hydroxysäuren) unter Bildung von ω-halogensubstituierten Carbonsäureestern: O
O
+ HBr , + C 2H5 OH
O Br
O
CO2C 2H 5
− H2O γ-Butyrolacton (4-Butanolid)
+ HCl , + CH 3OH − H2O
4-Brombutansäureethylester (γ-Brombuttersäureethylester)
δ-Valerolacton (5-Pentanolid)
Cl
CO2CH 3
5-Chlorpentansäuremethylester (δ-Chlorvaleriansäuremethylester)
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19.3 Halogencarbonsäuren
19.3.2
297
Reaktionen
Halogensäuren zeigen sowohl Carbonsäure-spezifische Reaktionen wie Neutralisation, Säurehalogenid-Bildung und Veresterung, als auch die für Halogenalkane typischen Reaktionen wie nucleophile Substitutionen und Eliminierungen. Nucleophile Substitutionen des Halogens in α-Halogencarbonsäuren öffnen den Weg zu α-substituierten Derivaten wie α-Hydroxy-, α-Amino-, αCyanocarbonsäuren und Malonsäuren (Abb. 19.1). Halogenalkan-Reaktionen
Carbonsäure-Derivatisierungen
+ NaOH , − NaCl
R CH2 CH CO2H
Hydrolyse
+ NaOH , − H2O
OH
R CH2 CH CO2 Na
Neutralisation
2-Hydroxyalkansäure
X
+ 2 NH3 , − NH4Cl
R CH2 CH CO2
Natrium-2-halogenalkanoat 2-Halogenalkansäure
Ammonolyse
NH3 2-Aminoalkansäure (Aminosäure)
R CH2 CH CO2H X
+ KCN , − KCl
R CH2 CH CO2H
+
+ R'OH , − H2O [H ]
R CH2 CH CO2R'
Veresterung
X 2-Halogenalkansäureester
KOLBE-Nitrilsynthese
CN
+ SOCl2 , − SO2 , − HCl
2-Cyanoalkansäure − HX
R CH CH CO2H
Säurehalogenierung
Dehydrohalogenierung
2-Alkensäure
R CH2 CH COCl X
2-Halogenalkansäurechlorid
Abb. 19.1. Reaktionen der Halogencarbonsäuren
Präparative Anwendungen sind die Darstellung der Milchsäure, des Alanins und der Methylmalonsäure über 2-Cyanopropansäure aus 2-Brompropansäure, H 3C CH CO2H
+ NaOH , − NaBr
OH
H3C CH CO2H
+ 2 NH3 , − NH4Br
Br
NH2 (R,S)-2-Aminopropansäure (DL-Alanin)
(R,S)-2-Brompropansäure
(R,S)-2-Hydroxypropansäure (DL-Milchsäure)
H3C CH CO2H
+ NaCN , − NaBr
H3C CH CO2H
+ 2 H2O , − NH3
H3C CH CO2H CO2H Methylmalonsäure
CN (R,S)-2-Cyanopropansäure (DL-Methylmalonsäuremononitril)
sowie eine Synthese der α-Aminosäure DL-Leucin durch Ammonolyse der 2-Brom-4-methylpentansäure, dem Decarboxylierungsprodukt der durch Bromierung der Isobutylmalonsäure zugänglichen α-Bromisobutylmalonsäure. CO2H (H 3C)2CH CH2 C CO2H H
+ Br2 − HBr
CO2H (H 3C)2CH CH2 C CO2H Br
130 - 150 °C − CO2
(H3C)2CH CH 2 CH CO2H Br
Isobutylmalonsäure + 2 NH3
− NH4Br
(H3C)2CH CH 2 CH CO2 NH3 DL-Leucin
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298
19
Substituierte Carbonsäuren
19.4 Hydroxycarbonsäuren 19.4.1
Synthesen
α-Hydroxycarbonsäuren durch Cyanhydrin-Synthese Aldehyde können durch Addition von Blausäure in Cyanhydrine (Kap. 20.10.4) übergeführt werden, deren Hydrolyse α-Hydroxycarbonsäuren liefert: H
H
+ HCN
C O
H
+ 2 H2O [H+] , − NH3
C C N
C CO2H
OH
Benzldehyd
OH
DL-Benzaldehyd-cyanhydrin
DL-Mandelsäure
Hydroxylierung von Halogencarbonsäuren In alkalisch wäßriger Lösung lassen sich Halogensäuren durch nucleophile Substitution in Hydroxysäuren umwandeln: H CH 3
CH2
−
C CO2 Na
+ OH , − Br
H
−
CH3 CH 2 C CO2 Na
Br
OH
DL−α-Brombutyrat
DL-α-Hydroxybutyrat
Reduktion von Oxocarbonsäuren Aus Oxosäuren oder Oxosäureestern entstehen durch katalytische Hydrierung in Gegenwart von RANEY-Nickel Hydroxysäuren: O H 3C C CH 2 C
+
H2
O
RANEY-Ni , 100 °C, Druck
H3C CH CH2 C
OC 2H5
O
OC2H 5
OH
Acetessigester
DL-β-Hydroxybuttersäureethylester
REFORMATSKY-Synthese von β-Hydroxycarbonsäureestern Bei der REFORMATSKY-Synthese von β-Hydroxycarbonsäuren reagieren zunächst α-Halogencarbonsäureester mit Zinkstaub in aprotischen Lösemitteln zu Alkylzinkhalogeniden. Diese addieren als C-Nucleophile an Carbonyl-Verbindungen (Aldehyde oder Ketone); durch Hydrolyse der Addukte entstehen β-Hydroxyester. R1 CH CO2R2 +
Zn
in Ether oder Benzen
R1 CH CO2R2 ZnX
X α-Halogencarbonsäureester ( X = Cl , Br , I )
R4
C O
R3
R4
C O
R3
R1 +
δ− CH δ+ ZnX
CO2R2
1,2-Addition
R3 R 1 R4 C CH CO2R2 OZnX
+ H2O − ZnX(OH)
R3 R 1 R 4 C CH CO2R 2 OH β-Hydroxycarbonsäureester
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19.4 Hydroxycarbonsäuren
299
Die 1,2-Addition der Organozink-Verbindung RZnX an die CO-Doppelbindung eines Aldehyds oder Ketons führt in formaler Analogie zur Addition von GRIGNARD-Reagenzien (RMgX) an Carbonyl-Verbindungen zu β-Hydroxycarbonsäureestern. Da die reaktiveren Alkylmagnesiumhalogenide auch an die Ester-Funktion addieren würden, eignen sie sich nicht zur Darstellung von βHydroxyestern. Organocadmium-Verbindungen RCdX sind andererseits gegenüber Aldehyden und Ketonen zu wenig reaktiv. Die REFORMATSKY-Reaktion von Bromessigsäureethylester mit Benzaldehyd führt im "EintopfVerfahren" mit guter Ausbeute zu β-Hydroxy-β-phenylpropionsäureethylester, der unter milden Bedingungen zum α,β-ungesättigten Ester dehydratisiert werden kann: H
H
CH2 CO2C2H 5
C CH2 CO2C 2H5
C CH2 CO2C2H 5
ZnBr
OZnBr
H +
C O
OH
(R,S)-β-Hydroxy-β-phenylpropionsäureethylester [H+]
+ Zn
Br
− H2O
CH2 CO2C2H 5
H
Bromessigsäureethylester
Zimtsäureethylester
C C H
19.4.2
CO2C2H 5
Reaktionen
Neben typischen Reaktionen der Carboxy- und der Hydroxy-Gruppe zeigen Hydroxysäuren charakteristische ambidente Reaktionen, die auf gleichzeitige Anwesenheit von Hydroxy- und Carboxy-Gruppen zurückzuführen sind.
Reaktionen der Hydroxy-Gruppe Säurechloride wie Acetyl- oder Benzoylchlorid acylieren Hydroxysäuren in Gegenwart einer Hilfsbase zur Bindung des freigesetzten Chlowasserstoffs: ̈
O H3C CH CO2 Na
+
C 6H5
C Cl
OH Natriumlactat
+ NaOH
H 3C CH CO2 Na
− NaCl , − H2O
O
Benzoylchlorid
C
O
C6H 5 O-Benzoyl-Natriumlactat
Zur Überführung der Hydroxysäuren oder Hydroxyester in die entsprechenden Oxosäuren bzw. deren Ester kann die Hydroxy-Funktion mit Oxidationsmitteln oxidiert werden, z.B. mit Kaliumpermanganat: R CH OH
(CH2)n CO2H
Hydroxysäure
− 2 [H+] , − 2 e0
−
R C O
(CH2)n CO2H Oxosäure
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300
19
Substituierte Carbonsäuren
β-Hydroxyester werden wesentlich leichter dehydratisiert als Alkohole, da der entstehende α,β-un-
gesättigte Ester mesomeriestabilisiert ist. R R C
CH 2 CO2R'
R
+ [H+]
R C
CH 2 CO2R'
R
− H2 O
R
OH 2
OH
H
R
− [H+]
C C
H C C
CO2R'
R
CO2R'
α,β-ungesättigter Ester
Reaktionen der Carboxy-Gruppe Hydroxysäuren sind aufgrund des (−)-I-Effekts der Hydroxy-Gruppe etwas acider als entsprechende Alkansäuren (Essigsäure: pK = 4.75; Glykolsäure: pK = 3.83; Tab. 19.1). Sie lassen sich auf die übliche Weise mit Alkoholen durch Katalyse mit wasserfreier Mineralsäure verestern. ̈
Ambidente Reaktionen Bei der Reaktion mit Thionylchlorid zur Herstellung von Säurechloriden wird auch die HydroxyGruppe substituiert: O R CH
(CH2)n CO2H
+
2 SOCl2
R CH
OH
2 SO2
+
2 HCl
Cl
Cl
ω-Hydroxycarbonsäure
+
(CH2)n C
ω-Chlorcarbonsäurechlorid
Langkettige α-Hydroxysäuren lassen sich thermisch unter Abspaltung von Kohlenmonoxid und Wasser zu Aldehyden abbauen. R
(CH 2)n
200 °C , CO2-Atmosphäre
* CH CO2H
R
H C O
(CH 2)n
OH
* CO
+
+
H2O
Erhitzt man α-Hydroxycarbonsäuren, so spalten sie Wasser ab. Dabei entstehen durch intermolekulare Cyclodehydratisierung Lactide: OH
O
HO
R
+ H
R
OH
HO
H
∆ , − 2 H2O
H
O
O
O
R
R
H O
O
Lactid (3,6-Dialkyl-2,5-dioxo1,4-dioxan)
β-Hydroxysäuren dehydratisieren intramolekular zu α,β-ungesättigten Carbonsäuren: HO CH 2 CH2
CO2H
β-Hydroxypropionsäure
∆ , − H2O
H 2C CH
CO2H
Acrylsäure
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19.4 Hydroxycarbonsäuren
301
Andererseits bilden γ, δ, ε...-Hydroxysäuren bereits beim gelinden Erhitzen durch intramolekulare Cyclodehydratisierung Lactone (innere Ester, Kap. 17.7.1). Besonders leicht entstehen fünf- und sechsgliedrige Lacton-Ringe: HO
HO
∆ , − H2O
C O
γ-Hydroxybuttersäure (4-Hydroxybutansäure)
∆ , − H2O
C O O
HO
γ-Butyrolacton (4-Butanolid)
HO
C
O
O
δ-Hydroxyvaleriansäure (5-Hydroxypentansäure)
C
O
δ-Valerolacton (5-Pentanolid)
Synthesen und Reaktionen der Lactone α-Lactone können nur mit Hilfe spektroskopischer Methoden in Lösung nachgewiesen werden. βPropiolacton (Karzinogen) sowie γ-Butyrolacton als bedeutende Zwischenprodukte für industrielle Synthesen werden durch [2+2]-Cycloaddition aus Formaldehyd und Keten bzw. durch intramolekulare Cyclodehydrierung aus 1,4-Butandiol hergestellt. H2C O +
ZnCl2 oder BF3
Cu (Kat.) , 200 °C
O
H2C C O
OH
HO
O
− 2 H2
O
O
γ-Butyrolacton (4-Butanolid)
β-Propiolacton (3-Propanolid)
Makrocyclische Lactone (Makrolide) entstehen durch MITSUNOBU-Cyclodehydratisierung der ωHydroxycarbonsäuren mit Azodicarbonsäurediester und Triphenylphosphan (Kap. 23.4.2). Ein Verfahren der Riechstoffindustrie ist die α-Oxidation und Ringerweiterung höhergliedriger Ketone mit Peroxoschwefelsäure (H2SO5): + H2SO5 , − H2SO4
O O
O O
Cyclopentadecanon
O
Exaltolid (15-Pentadecanolid) mit trans-Konfiguration
Der Duftstoff Exaltolid des Angelikawurzelöls ist ein 16-gliedriges Lacton mit stabiler transKonfiguration an der Lacton-Bindung. Kleine Lacton-Ringe besitzen dagegen eine durch die Ringstruktur erzwungene energiereichere cis-Konfiguration. Der Lacton-Ring ist daher besonders bei β-Propiolacton außerordentlich reaktiv; die Lacton-Bindung kann reduktiv sowie mit Mineralsäure, Ammoniak, Cyanid oder Hydrogensulfit gespalten werden. Na / Hg / H2O HCl / CH3OH
O
C O
γ-Butyrolacton (4-Butanolid)
KCN KHSO3 NH3
H3C CH 2 CH 2
CO2H
Butansäure
CH 2
CH 2 CH 2
CO2H
4-Chlorbutansäure
NC CH 2
CH 2 CH 2
CO2 K
4-Cyanobutanoat
HO3S CH 2
CH 2 CH 2
CO2H
4-Sulfobutansäure
HO CH 2
CH 2 CH 2
CONH 2
4-Hydroxybutansäureamid
Cl
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302
19
Substituierte Carbonsäuren
Das durch Ammonolyse des γ-Butyrolactons entstehende γ-Hydroxybuttersäureamid kann zum fünfgliedrigen Lactam (inneres cis-Säureamid) dehydratisiert werden: H HO H2N C O
N
− H2O
C O
γ-Butyrolactam (2-Pyrrolidinon)
Wie die höhergliedrigen Lactone bevorzugen Lactame mit mehr als zehn Ringatomen die stabilere trans-Konfiguration.
19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester 19.5.1
Synthesen
α-Oxocarbonsäuren Die wichtigste α-Oxosäure ist die aus racemischer Weinsäure (Traubensäure) beim Erhitzen („Brenzen“) in Gegenwart von Kaliumhydrogensulfat (KHSO4) durch Dehydratisierung und Decarboxylierung entstehende Brenztraubensäure (BERZELIUS 1835): CO2H
CO2H
CO2H
CH OH
KHSO4
C OH
C O
CH OH
− H2O
CH
CH2
CO2H
CO2H
CO2H Traubensäure
Hydroxymaleinsäure
CO2H − CO2
C O CH3 Brenztraubensäure
Oxalessigsäure
α-Oxosäuren können auch durch Oxidation der α-Hydroxysäuren mit Kaliumpermanganat hergestellt werden: +
H 3C CH CO2H
− 2 [H ] , − 2 e0
−
H 3C C CO2H O
OH Milchsäure
Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure)
Ausgehend von Säurehalogeniden werden nach Substitution des Halogenids durch Cyanid und anschließender Hydrolyse ebenfalls α-Oxosäuren (α-Ketosäuren) hergestellt: O R
C Cl
Carbonsäurechlorid
+ KCN
− KCl
O R
C CN
Acylcyanid
+ 2 H2O
− NH3
O R
C
CO2H α-Oxocarbonsäure
α-Oxosäuren bilden sich auch aus metallierten 1,3-Dithianen und Kohlendioxid (Kap. 33.4.2).
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
303
β-Oxocarbonsäuren
Freie β-Oxosäuren sind unbeständig. So decarboxyliert Acetessigsäure (3-Oxobutansäure) bereits bei Raumtemperatur zu Aceton: 25 °C , − CO2
H3C C CH2 CO2H
H 3C C CH 3 O
O
Bedeutender als die freie Säure ist Acetessigester (Acetylessigsäureethylester, 3-Oxobutansäureethylester), der aufgrund seiner CH-aciden Methylen-Gruppe bzw. seiner Keto-Enol-Tautomerie (Kap. 19.5.3) als Synthesereagenz für viele organische Synthesen Anwendung findet. Acetessigester entsteht durch CLAISEN-Esterkondensation des Essigsäureethylesters mit starken Basen wie Natrium-ethanolat (Kap. 17.11.4). Technisch wird er durch Addition von Ethanol an Diketen hergestellt. Diketen, Dimer des Ketens, entsteht durch katalytische Pyrolyse des Acetons: H3C
Cr , Ni , 180 °C
H2C C O Keten
C O H3C Propanon (Aceton)
C
+
O
H 2C
CH 4
H
H2C
H 2C
+
+ C2H5OH
H 3C
O
C
C
OC 2H5
O O Acetessigester
O Diketen
O
C
H C
γ-Oxocarbonsäuren Die CH-Acidität der β-Oxoester nützt bei der Synthese von γ-Oxosäuren. Dabei wird unter Basenkatalyse die Methylen-Gruppe mit Chloressigsäureethylester alkyliert. Anschließende Verseifung und Decarboxylierung ergibt (aus Acetessigester) γ-Oxopentansäure (Lävulinsäure), die auch aus Rohrzucker (Kap. 40.8.1) durch Erhitzen mit Salzsäure unter Druck entsteht. −
H 3C C CH 2 CO2C 2H5 O
+ C2H5O
− C2H5OH
_ H 3C C CH CO2C 2H5 O
+ Cl
CH 2 − Cl
CO2 C 2H 5 −
H 3C C CH CO2C 2H5 O CH 2 CO2C 2H 5 + 2NaOH
H 3C C CH 2 CH 2 CO2H O
Lävulinsäure (4-Oxopentansäure = γ-Ketovaleriansäure)
19.5.2
* − CO 2
* H 3C C CH CO2H O CH 2 CO2H
+ 2 HCl , − 2 NaCl
− 2 C2H5OH
H 3C C CH CO2 Na O CH 2 CO2 Na
Reaktionen der Oxocarbonsäuren
Thermische Umwandlungen Je nach Position der Oxo-Gruppe entstehen aus Oxosäuren beim Erhitzen Aldehyde, Ketone oder Lactone.
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304
19
Substituierte Carbonsäuren
α-Oxosäuren decarboxylieren beim Erhitzen in wäßriger Säure unter Bildung von Aldehyden: R CH 2
150 °C, verd. H2SO4
C CO2H
− CO2
O
H C O
R CH2
β-Oxosäuren decarboxylieren beim mäßigen Erwärmen unter Bildung von Methylketonen: R CH 2
∆ , − CO2
C CH2 CO2H O
R CH2
C CH 3 O
γ-Oxosäuren cyclisieren beim Erhitzen durch nucleophile Addition der Carboxy-OH-Funktion an das Carbonyl-C-Atom zu Lactolen, die zu ungesättigten Lactonen dehydratisieren. Ungesättigte γLactone sind Teilstrukturen einiger Terpene und Steroide (Kap. 44.5); man bezeichnet diese Verbindungsklasse auch als Butenolide. R HO O C
R HO
C O
O
∆ , − H2O
O
Lactol
R
O
O
und
O
R
O
α,β- und β,γ-ungesättigtes Butyrolacton (Butenolid)
Reduktion Durch katalytische Reduktion können Oxosäuren und Oxoester in Hydroxysäuren übergeführt werden: R CH 2
C (CH 2)n CO2H(R') O
+ H2 (Kat.) oder
Reduktionsmittel
R CH2
CH (CH 2)n CO2H(R') OH
Derivatisierungen Oxosäuren lassen sich verestern, zu Säurehalogeniden derivatisieren sowie als Hydrazone, Oxime oder Semicarbazone isolieren und identifizieren. β-Oxoester wie Acetessigester reagieren mit Hydrazinen über die Hydrazon-Stufe durch Cyclokondensation leicht weiter zum FünfringHeterocyclus Pyrazolon (Kap. 34.5.1). Diese Reaktion findet bei der Herstellung einiger Farbstoffe (Pyrazolon-Farbstoffe) und Pharmaka (Pyramidon, Antipyrin) Anwendung. OC 2H5 O C
O
+ H2N NH R2
OC2H 5 O C
N NH R2
R2 − C2H5OH
O
N
N
− H2O
R1
R1 Hydrazon
R1 5-Pyrazolon (5-Oxo-4,5-dihydropyrazol)
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
305
CH-Acidität der β-Oxocarbonsäureester und Folgereaktionen Präparativ bedeutend sind C-Alkylierungen und Acylierungen der CH-aciden Methylen-Gruppe der β-Oxoester. Wie mit anderen 1,3-Dioxo-Verbindungen können auch KNOEVENAGEL-Alkenylierungen und MICHAEL-Additionen durchgeführt werden. Diese vier für Malonsäurediester typische Reaktionen (Kap. 17.11) sind auf β-Oxoester übertragbar. •
C-Alkylierung von β-Oxoestern mit Halogenalkanen und C-Acylierung mit Carbonsäurehalogeniden: C-Alkylierung + R Br
− Br
+ C2H5O
H3C C CH2 CO2C 2H5
−
− C2H5OH
O
H 3C C CH CO2C 2H5
−
O R α-Alkylacetessigester (2-Alkyl-3-oxobutansäureethylester)
_ H3C C CH CO2C2H 5 O
O
C-Acylierung + C6H5−CO−Cl
− Cl
C
C 6H5
H 3C C CH CO2C 2H5
−
O
α-Benzoylacetessigester (2-Benzoyl-3-oxobutansäureethylester)
•
KNOEVENAGEL-Kondensation mit Aldehyden oder Ketonen: R
CO2C 2H 5
R C OI
C O R
+
R O
Aldehyd oder Keton
•
H C H C
Base
R H R C C CO2C 2H5
R
− H2O
R
HO COCH3
CH3
CO2C2H 5 C C COCH 3
Alkylidenacetessigester
MICHAEL-Addition an aktivierte Doppelbindungen: _ IN C CH CH 2
IN C CH CH 2
Elektrophil
Acrylnitril (Cyanoethen)
CO2C 2H5 +
H 2C
NaOC2H5
β
N C
CH 2
α
CH2
CO2C2H 5 C H
C CH 3
C CH3 O
O
β-Cyanoethylacetessigester
Das in den beiden ersten Reaktionen formulierte Carbanion existiert in Form des Natrium-Salzes, welches sich aus Acetessigester und metallischem Natrium unter Wasserstoff-Entwicklung bildet. Dabei entsteht der ambidente, mesomeriestabilisierte Natriumacetessigester, sowohl Carbanion als auch Enolat-Anion mit konjugierten CC- und CO-π-Bindungen: H 3C C CH 2 C OC 2H5 O
O
+ Na , − 1/2 H2
_ H3C C CH C OC2H 5 O
H 3C C CH C OC 2H5
O
IO _I
Na
O
Natriumacetessigester
Natriumacetessigester bildet mit Säure Acetessigester zurück; dieser liegt als Gleichgewichtsgemisch der tautomeren Oxo- und Enolformen vor.
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306
19
Substituierte Carbonsäuren
Spaltung von β-Oxocarbonsäureestern Ein β-Oxoester ist wesentlich stabiler als die freie β-Oxosäure. Oxoester können aber in wäßrig saurer (85 % H3PO4) oder mäßig basischer Lösung in Methylketone, Alkohole und Kohlendioxid gespalten werden (Keton-Spaltung). Unter diesen Bedingungen wird die Ester-Gruppe hydrolysiert, worauf die entstehende freie Oxosäure decarboxyliert. Alkalihydroxide spalten dagegen in Alkylacetat, Acetat und Alkohol. Da zwei Säuren entstehen, ist diese Reaktion als Säure-Spaltung bekannt. Die Säure-Spaltung wird durch nucleophilen Angriff eines Hydroxid-Ions an der Oxo-Gruppe eingeleitet, was eine Spaltung der C-2−C-3-Bindung zur Folge hat. Keton-Spaltung
H3C C CH2 R
+ H2O [H3O+]
H3C C CH CO2C 2H5 + 2 NaOH
O R
R CH2 CO2 Na
Säure-Spaltung
19.5.3
+
C2H 5OH
+
CO2
O +
H 3C CO2 Na
+
C2H 5OH
Oxo-Enol-Tautomerie des Acetessigesters
Spektroskopische und chemische Untersuchungen zeigen, daß Acetessigester unter normalen Bedingungen ein Gemisch aus 92.5 % Oxo-Form (Acetessigester) und 7.5 % Enol-Form (βHydroxyalkensäureester) ist. Oxo- und Enol-Form sind Tautomere; das sind Isomere, die sich durch die Stellung eines H-Atoms und der π-Bindungen unterscheiden. Beide Tautomere wandeln sich durch Protonenwanderung (Prototropie) ständig ineinander um (dynamisches, prototropes Gleichgewicht, Protonentautomerie). Intermediär treten mesomeriestabilisierte Carbanionen und Enolat-Anionen auf: Anionen des Acetessigesters
mesomeriestabilisiert , ambidente Reaktivität , sowohl Carbanion als auch Enolat-Anion
H H 3C
C O
C _ H
H C
OC2H 5
O
H 3C
C
H IO _I
C
H C
OC 2H5
H 3C
O
C O
C O
C
C
C
OC 2H5
IO _I H
H
H H H 3C
C
OC2H 5
O
Keto-Tautomer (Oxo-Form)
CH-acide 1,3-Dioxo-Verbindung
H3C
C
C
C
OC 2H5
O H Enol-Tautomer O
mit konjugierten Doppelbindungen, stabilisiert durch intramolekulare Wasserstoffbrücke
Das Keto-Tautomer kristallisiert aus Ether-Lösung bei −78 °C; das Enol-Tautomer scheidet sich bei derselben Temperatur als Öl ab, wenn Chlorwasserstoff in eine Dimethylether-Suspension des Natrium-Salzes eingeleitet wird. Beide Tautomere reäquilibrieren bei Raumtemperatur nach kurzer Zeit zum ursprünglichen Gleichgewichtsgemisch, beschleunigt durch Spuren von Säure oder Base. Das prozentuale Verhältnis von Oxo- zur Enol-Form ist lösemittel-, temperatur- und kon-
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
307
zentrationsabhängig. So steigt der Enol-Anteil in lipophilen Solventien (Hexan) auf bis zu 46.4 % und sinkt in protischen polaren Lösemitteln (Wasser) auf 0.4 %. Die verstärkte Enolisierung in unpolaren Medien wird u. a. durch die energetisch günstige intramolekulare Wasserstoffbrücke erklärt. Die Oxo-Enol-Äquilibrierung verläuft allerdings nicht so rasch, daß chemische Analysen durch Abfangen einer Form ein völlig falsches prozentuales Verhältnis ergeben würden. Durch schnelle Titration mit Brom (Addition an die CC-Doppelbindung des Enols) gelingt die quantitative Ermittlung der Gleichgewichtslage. Präziser sind allerdings nicht invasive spektroskopische Methoden (1H-NMR-Spektroskopie, Kap. 28.5.5). Nach diesen Messungen enolisieren Mono-Aldehyde und Ketone nur geringfügig (< 1 ppm). Deutlich höher liegen die Enol-Gehalte der 1,3-DioxoVerbindungen wie Malondialdehyd und Acetylaceton (Tab. 19.3, Abb. 28.21, S. 504). Tab. 19.3. Oxo-Enol-Gleichgewichte von Carbonyl-Verbindungen Carbonyl-Verbindung
O x o - Form
E n o l - Form
CH 3 Aceton
H3C
CH2
C
H3C
0.00025
C
O
OH OC 2H5
OC2H 5
CH 2 C Acetessigester
H3C
CH C O
C
H3C
OH CH 3
CH3
CH 2 C H3C
CH C O
C
8.0
O
C
O
Acetylaceton
Enol-Gehalt [%]
H3C
87.0
O
C OH
O
Den unterschiedlichen Enolisierungsgrad kann man aufgrund der Bindungsenergiedaten verstehen: Bei der Enolisierung des Acetons ändert sich die molare Enthalpie um ∆Hm ≈ + 84 kJ / mol; die Änderung der molaren Entropie (∆Sm) ist dagegen gering; die molare freie Enthalpie ∆Gm sollte somit positiv sein. Experimentell ergibt sich K = 10−6 und ∆Gm = + 34 kJ / mol. Beim Acetessigester enthält die Enol-Form dagegen eine konjugierte Doppelbindung (Zugewinn etwa 17 kJ / mol); zusätzlich stabilisiert eine intramolekulare Wasserstoffbrücke (Zugewinn etwa 25 kJ / mol). Somit beträgt der Enthalpiegewinn bei der Enolisierung etwa 84 − 42 = 42 kJ / mol. Qualitativ-chemische Nachweise der Enol-Form sind die Entfärbung einer Lösung von Brom in Tetrachlormethan oder Ethanol sowie die Bildung eines roten Eisen(III)-Chelates mit Eisen(III)chlorid. H Br H 3C Br C C C OC 2H5 O
H
O
Bromaddukt
H
Br 2 / CCl4
H 3C
C O
C H
H
FeCl3 / C2H5OH
C
OC 2H5
O
Acetessigester
H3C
C
C
C
OC 2H5
O
O Fe _
3 Eisen(III)-Chelat
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20 Aldehyde und Ketone
20 Aldehyde und Ketone 20.1 Übersicht Verbindungen mit der Formyl-Gruppe (−CH=O) bezeichnet man als Aldehyde. Ersetzt man das HAtom der Aldehyd-Funktion durch einen Alkyl- oder Aryl-Rest, so ergibt sich formal ein Keton: O
O R C
R C H Aldehyd (R = Alkyl oder Aryl)
(CH 2)n C O
R Keton (R = gleiche oder verschiedene Alkyl oder Aryl)
Cycloalkanon (Cyclanon) n>1
Im Falle der Ketone können die Reste R zusammen auch einen cycloaliphatischen Ring bilden. Dann handelt es sich um cyclische Ketone oder Cycloalkanone (Cyclanone). Aldehyde und Ketone gehören mit den Carbonsäuren (R−COOH) aufgrund der gemeinsamen Carbonyl-Gruppe (C=O) zu den Carbonyl-Verbindungen. Von den Carbonsäuren unterscheiden sich die Aldehyde und Ketone sehr deutlich durch ihre Reaktivität. Untereinander zeigen sie jedoch weitgehend analoge Reaktionen. Daher sollen sie gemeinsam besprochen werden.
20.2 Nomenklatur 20.2.1
IUPAC-Bezeichnungen
Die IUPAC-Endsilben für Aldehyde und Ketone sind "-al" bzw. "-on", bei Dialdehyden und Diketonen sinngemäß "-dial" bzw. "-dion". Diese Endungen folgen der IUPAC-Bezeichnung des längstmöglichen Alkans, von dem sich der Aldehyd bzw. das Keton herleiten läßt, z. B.: O H 3C CH 2 CH 2 CH 2 CH 3 Pentan
Pentanal O
O
H 3C CH 2 CH 2 C H
O
O
O C CH 2 C
H 3C CH3 2,4-Pentandion
H
Cyclobutanon
CH3
2-Pentanon
C CH 2 CH 2 CH 2 C H
Cyclobutan
O
H 3C CH 2 CH 2 CH 2 C
Pentandial
Die Position von Seitenketten, Substituenten und Mehrfachbindungen wird durch arabische Ziffern gekennzeichnet. Dabei hat die Carbonyl-Gruppe Priorität; sie bekommt also die kleinstmögliche Bezifferung. Infolge ihrer terminalen Stellung steht die Aldehyd-Gruppe stets in Position 1; diese Angabe erübrigt sich in der Bezeichnung: H Br
H Br H 3C
C
CH 2 CH 3 C C
H
CH 3
(2R)-(Z)-2-Brom-4-methyl-3-hexen
H 3C
O CH 2 C H C C H CH 3 C
(5R)-(Z)-5-Brom-3-methyl-3-hexenal
H 3C 6
Br H O C CH 3 5 2 1 4 C C3 H CH 3 C
(5S)-(Z)-5-Brom-3-methyl-3-hexen-2-on
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20.3 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe
20.2.2
309
Trivialnamen
Die Trivialbezeichnungen der Aldehyde werden meist von den (lateinischen) Namen der entsprechenden Carbonsäuren hergeleitet. Sie tragen die Endung "-aldehyd", z. B.: acidum acet icum (Essigsäure) acidum propion icum Benz oesäure p-Tolu ylsäure
Acet aldehyd Propion aldehyd Benz aldehyd p-Tolu aldehyd
Die Trivialnamen der Ketone enden mit "-keton". Die Bezeichnungen der beiden mit der Carbonyl-Gruppe verknüpften Alkyl-Gruppen werden vorangestellt, und zwar in der Reihenfolge zunehmender Größe, z. B.: H3C
H3C C CH3
H3C
C CH2 CH 3
H3C C CH CH 2 O Methylvinylketon (Butenon)
O Methyl-i-propylketon (3-Methylbutanon)
O Methylethylketon (Butanon)
O Dimethylketon, Aceton (Propanon)
CH3 C CH CH 3
Arylketone nennt man Phenone, z. B.: O
O C
O HO
C
C
CH 3 Benzophenon
CH 3
Acetophenon
p-Hydroxyacetophenon
Bezeichnungen ausgewählter Aldehyde und Ketone sowie ihre physikalischen Eigenschaften sind in den Tabellen 20.1 und 20.2 zusammengestellt.
20.3 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe Für das Formaldehyd-Molekül wurde ein H−C−O-Bindungswinkel von 120° und ein CO-Atomabstand von 120 pm bestimmt. Diese der Carboxy-Gruppe (Kap. 17.3) analoge Geometrie wird durch ein entsprechendes Molekülorbital-Modell erklärt: Das Carbonyl-C-Atom nutzt zur Bildung der koplanaren σ-Bindungen mit Sauerstoff, Wasserstoff und den Alkyl-C-Atomen sp2-Hybridorbitale. Über und unter der so gebildeten σ-Bindungsebene führt die seitliche Überlappung der beiden 2p-Orbitale des Carbonyl-C- und des Carbonyl-O-Atoms zur π-Bindung (Abb. 20.1 a). π (a)
C
σ
O
(b)
C OI _
_ C OI _
Carbonyl-Mesomerie
Abb. 20.1. Seitliche Überlappung koaxialer p-Orbitale zur π-Bindung der Carbonyl-Gruppe (a) und mesomere Grenzformeln (b)
Infolge seines (−)-M-Effekts zieht der Carbonyl-Sauerstoff jedoch die π-Elektronen an sich, so daß die Carbonyl-Gruppe polarisiert wird. Im Valenzstrich-Formalismus schreibt man die Carbonyl-
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310
20 Aldehyde und Ketone
Gruppe daher am besten als Hybrid zweier mesomerer Grenzformeln, von denen eine polar ist (Abb. 20.1 b). Die polare Grenzformel erklärt das Dipolmoment aller Carbonyl-Verbindungen sowie die Elektrophilie des Carbonyl-C-Atoms, welcher zahlreiche Reaktionen der Aldehyde und Ketone zugrunde liegen.
Tab. 20.1. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Aldehyde Klasse
Konstitutionsformel
aliphatisch gesättigt
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Methanal
Form-
− 92
Ethanal
CH 2 CHO
Propanal
AcetPropion-
− 121 − 81
− 21 20 49
Butanal
Butyr-
− 99
76
H3C
[CH2] 3 CHO
Pentanal
Valer-
− 91
103
H3C
[CH2] 4 CHO
Hexanal
Capron-
Propenal
Acrolein
− 88
(E)-2-Butenal
Croton-
− 76.5
Propinal
Propiol-
H3C
aliphatisch ungesättigt
CH 2 CH 2 CHO
H 2C CH CHO CHO C C H3C H
Löslichkeit g/100g H2O 55 unbegrenzt 16 7 0.2
128
unlöslich
52
40
104
18
55
löslich
− 56
170
0.3
− 7
197
1.7
(4-Hydroxy-3methoxybenz-, aus Vanille)
80
170
1.0
15
H
H C C CHO CHO
aromatisch
Benz-
CHO
Salicyl-
(2-Hydroxybenz-)
OH CHO
Vanillin
HO OCH3 Dialdehyde aliphatisch
Trivialname -aldehyd
H3C CHO
H CHO H 3C
IUPACBezeichnung
OHC
OHC CHO
Ethandial
Glyoxal
CH 2 CH2 CHO
Butandial
Succindi-
Dialdehyde aromatisch
CHO
1,2-Benzendicarbaldehyd
Phthaldi-
50
löslich
170
löslich
56
50
unlöslich
116
245
unlöslich
CHO CHO
1,4-Benzendicarbaldehyd
Terephthaldi-
OHC
20.4 Physikalische Eigenschaften Infolge der Polarität der Carbonyl-Gruppe wirken zwischen Aldehyd- und Keton-Molekülen starke Dipol-Dipol-Kräfte. Aldehyde und Ketone sieden daher höher als unpolare Verbindungen vergleichbarer Größe (Tab. 20.3).
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20.4 Physikalische Eigenschaften
311
Tab. 20.2. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Ketone Klasse
Konstitutionsformel
aliphatisch gesättigt
H 3C
CO CH 3
Propanon
Aceton (Dimethylketon)
− 94
Löslichkeit g/100g H2O
56
unbegrenzt löslich
CH2 CO CH3
Butanon
Ethylmethylketon
− 86
80
CH2 CO CH3
2-Pentanon
Methylpropylketon
− 78
102
O
Cyclopentanon
− 51
131
wenig löslich
O
Cyclohexanon
− 32
156
9
O
Cycloheptanon
Suberon
− 21
179
wenig löslich
H2C CH CO CH3
3-Buten-2-on
Methylvinylketon
H2C CH CO CH CH2
1,4-Pentadien3-on
Divinylketon
3-Pentin-2-on
Methylethinylketon
O
aliphatischaromatisch
81
löslich
49 (100 mbar)
löslich
75 (95 mbar)
löslich
1-Phenylethanon
Acetophenon (Methylphenylketon)
21
202
unlöslich
1-Phenyl1-propanon
Propiophenon (Ethylphenylketon)
21
218
unlöslich
C
Diphenylmethanon
Benzophenon (Diphenylketon)
48
306
unlöslich
CO CO CH 3
2,3-Butandion
Biacetyl (Diacetyl)
C
CH 3
O C
CH 2 CH3
O
aromatisch
H 3C H 3C CO H 3C CO
Diketone aromatisch
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
H 3C
H C C CO CH3
Diketone aliphatisch
Trivialname
H3C CH 2 cycloaliphatisch gesättigt
aliphatisch ungesättigt
IUPACBezeichnung
CH 2 CO CH 3
[CH 2] 2 CO CH 3 O C
C
2,4-Pentandion Acetylaceton 2,5-Hexandion
Acetonylaceton
Diphenylethandion
Benzil
−
2.4
− 23
95
88
25
139
12.5
194
unlöslich
346
unlöslich
O
Da Wasserstoffbrücken stärker sind als Dipol-Dipol-Kräfte, sieden Aldehyde und Ketone tiefer als die assoziierten Alkohole und Carbonsäuren vergleichbarer molarer Masse (Tab. 20.3). Aldehyde und Ketone können dagegen gemischte intermolekulare Wasserstoffbrücken mit Wasser bilden, manchmal sogar sehr stabile Hydrate (z. B. Trichloracetaldehyd- und Hexafluoraceton-Hydrat). Sie lösen sich dann sehr gut in Wasser. Mit zunehmender Größe der Alkyl-Gruppen nimmt die Wasserlöslichkeit jedoch rasch ab, und aromatische Aldehyde und Ketone sind praktisch wasserunlöslich (Tab. 20.1, 20.2). H Cl3C C OH OH Trichloracetaldehyd-Hydrat (Chloralhydrat)
CF 3 F 3C C OH OH Hexafluoraceton-Hydrat
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312
20 Aldehyde und Ketone Tab. 20.3.Siedepunkte von Verbindungen vergleichbarer Molekülgröße und unterschiedlicher Polarität Konstitutionsformel
IUPAC-Bezeichnung
Molmasse [g/Mol]
Polarität
Siedepunkt °C (1011 mbar)
unpolar
0
H 3C CH 2 CH2 CH 3
Butan
58
H 3C O CH 2 CH 3 O H 3C CH 2 C H O H 3C C CH 3
Methoxyethan
60
Propanal
58
dipolar
49
Propanon
58
dipolar
56
Propanol
60
WasserstoffbrückenBildner
97
Ethansäure
60
WasserstoffbrückenBildner (Dimer)
118
H 3C CH 2 CH2 OH O H 3C C OH
schwach polar
8
Höhere Alkanale und Alkanone der Summenformel CnH2nO bilden ab n = 3 Paare von Konstitutions- und zugleich Funktionsisomeren. Die Molekülmodelle des Propanals (Propionaldehyd) und Propanons (Aceton) in Abb. 20.2 zeigen dies.
(a)
(b)
Abb. 20.2. Stab- und Kalotten-Modelle der Carbonyl-Verbindungen Propanal (a) und Propanon (b)
20.5 Darstellung von Aldehyden 20.5.1
Oxidation von Methyl- und Hydroxymethyl-Gruppen
Methyl-Gruppen an aromatischen und heteroaromatischen Ringen lassen sich leicht zur FormylGruppe oxidieren. 4-Chlortoluen wird durch Chromtrioxid (CrO3) oder Chromylchlorid (CrO2Cl2) in Eisessig zu 4-Chlorbenzaldehyd oxidiert (ETARD-Oxidation). Pyridin-2-carbaldehyd entsteht durch katalytische Oxidation von 2-Methylpyridin (α-Picolin) mit Luftsauerstoff (SAUERMILCHOxidation): V2O5 , MoO3
N
CH 3
+
2-Methylpyridin (α-Picolin)
O2
N
C
O
+
H2O
H Pyridin-2-carbaldehyd
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20.5 Darstellung von Aldehyden
313
Methylketone werden durch Selendioxid zu α-Oxoaldehyden oxidiert (RILEY-Oxidation). Phenylglyoxal kann auf diese Weise aus Acetophenon dargestellt werden: O
O C
C
CH 3
+
SeO2
C
H +
O
Acetophenon
Se
+
H2O
Phenylglyoxal
Die Hydroxymethyl-Gruppe primärer Alkohole wird katalytisch (Cu) durch Luftsauerstoff oder durch Oxidationsmittel (Cr2O7 2− in saurer Lösung) zur Formyl-Gruppe oxidiert: O R C H
Cu oder Cr 2O7 , [H+] 2−
R CH 2 OH
20.5.2
+
[O]
+
H2O
Überführung der Halomethyl- in die Formyl-Gruppe
Die durch BLANC-Reaktion (Tab. 10.2, Kap. 10.4.1) zugänglichen Chlormethyl- oder Brommethylarene werden durch Oxidationsmittel (Dimethylsulfoxid, Mangandioxid, Selendioxid) in die Arenaldehyde übergeführt, z. B.: N C
CH2 Cl
+
O C H 4-Cyanobenzaldehyd
MnO2
[O]
N C
4-Chlormethylbenzonitril
+
HCl
Die KRÖHNKE-Reaktion (Oxidation) von N-Benzylpyridinium-halogeniden (nucleophiles BenzylC-Atom) mit p-Nitroso-N,N-dimethylanilin (elektrophiles Nitroso-N-Atom und Oxidationsmittel) führt zu Nitronen. Durch deren Hydrolyse entstehen substituierte Benzaldehyde: N(CH3) 2
N(CH 3)2 + CH 2Br
CH 2
N
O
NO2
NO2 o-Nitrobenzylbromid
O
N Br
+
N
N C
O H
N(CH3) 2
NO2
− N
N-(o-Nitrobenzyl)pyridiniumbromid
H Br
C
+ H2O (H2SO4 )
−
H
NO2 o-Nitrobenzaldehyd
Nitron NHOH
20.5.3
NEF-Reaktion
Aldehyde können durch die NEF-Reaktion aus primären Nitroalkanen dargestellt werden. Ketone bilden sich entsprechend aus sekundären Nitroalkanen. H R CH2 NO2 primäres Nitroalkan
R
C
O Aldehyd
R R CH NO2 sekundäres Nitroalkan
R R
C
O Keton
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314
20 Aldehyde und Ketone
Dabei wird das α-CH-acide Nitroalkan zunächst durch eine Base zum Nitronat deprotoniert. Doppelte Protonierung der beiden Nitro-O-Atome und anschließende Dehydratisierung führt zur αHydroxynitroso-Verbindung, die unter Säurekatalyse zu Distickstoffmonoxid, Wasser und Carbonyl-Verbindung zerfällt. OH
OH
+
+ [H ]
+ H2O,
OH
+
− [H ]
+
O _ C N O
+
− [H ]
Nitronat
O
OH
+
+ [H ]
C N
OH
C N
α-Hydroxynitroso-Verbindung
( 2 HNO
+ [H ]
20.5.4
OH
− H2O
OH
OH
O
OH
C N
C N
C N
− HNO
N2O + H2O )
H
O
C NO2
C
OH
+
− [H ]
C
CarbonylVerbindung
α-CH-Nitroalkan
Reduktion von Carbonsäure-Derivaten und Nitrilen
Carbonsäurehalogenide lassen sich katalytisch zu Aldehyden hydrieren (Kap. 17.8.7). Um eine weitere Reduktion der Aldehyde zu vermeiden, wird der Katalysator (Pd) mit Bariumsulfat oder Chinolin und Schwefel gebremst (ROSENMUND-Reduktion). Intermediär treten wahrscheinlich Acylpalladiumchloride auf. O R C
+ Pd (BaSO4)
O R C PdCl
Cl
O R C H
+ H2 − Pd , − HCl
Carbonsäure-imidazolide und -anilide werden durch das Hydrid-Anion als Nucleophil in Form komplexer Metallhydride ebenfalls zu Aldehyden reduziert: O R
C
N
N
+
Li H
+
Li H
O
LiAlH 4 , Tetrahydrofuran
R
C
H
+
Li
N
Li
N
N
Carbonsäure-imidazolid O R
C
N
CH 3
O
LiAlH 4 , Tetrahydrofuran
R
C
H
+
CH 3
Carbonsäure-N-methylanilid
Nitrile, die im weitesten Sinne ebenfalls Carbonsäure-Derivate sind, weil ihre Hydrolyse über Carbonsäureamide zu Carbonsäuren führt, können mit Zinn(II)-chlorid in Salzsäure über die Aldimine zu Aldehyden reduziert werden: R C N
+ HCl
Cl R C NH
−
+ 2 H+ , + 2 e0 (SnCl2) − HCl
Imidoylchlorid (Carboximidoylchlorid)
H R C NH
+ H2O (H3O+) − NH3
H R C O
Aldimin
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20.5 Darstellung von Aldehyden
315
Die Reduktion von Nitrilen zu Aldehyden gelingt auch mit komplexen Metallhydriden wie z. B. LiAlH4 und NaBH4.
20.5.5
Spaltung von Glykolen und Ozoniden
Die Spaltung sekundärer Glykole mit Bleitetraacetat in wasserfreiem Benzen führt zu Aldehyden: +
R CH CH R'
− (CH3CO2) 2Pb , − 2 CH3CO2H
(CH 3CO2)4Pb
OH OH
H R C O
H +
C R' O
Alkene können über die Ozonide (Kap. 4.5.9) in Aldehyde übergeführt werden, sofern die olefinischen C-Atome nicht vollständig alkyliert sind (sonst entstehen Ketone); die Weiteroxidation zu Carbonsäuren wird durch Zugabe eines Reduktionsmittels unterbunden. O O
+ O3
R CH CH R'
R
Alken (Z oder E)
20.5.6
O Ozonid
+ H2O , − H2O2
R'
H R C O
H +
C R' O
Hydrolyse von Sauerstoff-Heterocyclen
Die α,α'-Dialkoxy-Derivate von Sauerstoff-Heteroalicyclen reagieren als cyclische Acetale. Ihre säurekatalysierte Hydrolyse führt daher zu Dialdehyden. Succindialdehyd (Butandial) läßt sich auf diese Weise durch Hydrolyse von 2,5-Dimethoxytetrahydrofuran mit verdünnter wäßriger Salzsäure darstellen: H3CO
O
OCH3
+
(HCl)
H2O
2,5-Dimethoxytetrahydrofuran
20.5.7
+ C H O O Butandial (Succindialdehyd) H C
2 CH 3OH
Formylierung von Alkenen mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff
Unter Formylierung versteht man die Einführung der Aldehyd- oder Formyl-Gruppe. Terminale Alkene (Vinyl-Verbindungen) lassen sich z. B. durch Kohlenmonoxid und Wasserstoff in der Hitze katalytisch formylieren: R CH CH2
+
CO
+
H2
[Cr(CO) 4]2
O R CH2 CH 2 C
H
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20.5.8
20 Aldehyde und Ketone
Formylierung mit Orthoameisensäureestern
Orthoameisensäureester reagieren mit Alkylmagnesiumhalogeniden zu Acetalen, die zu den Aldehyden hydrolysiert werden können: R
Mg X
R'O
+
− R'OMgX
CH(OR')2
R
Orthoameisensäuretriester
H R C O Aldehyd
+ H2O (H3O+)
CH(OR')2
− 2 R'OH
Acetal
α-Naphthaldehyd kann z. B. in guter Ausbeute aus α-Naphthylmagnesiumbromid und Ortho-
ameisensäuretriethylester dargestellt werden: MgBr +
H5C 2O
CH(OC 2H5)2
O
C
+
+ H2O (H3 O )
− C2H 5OMgX
− 2 C 2H5OH
α-Naphthylmagnesiumbromid
20.5.9
H
CH(OC2H5)2
α-Naphthaldehyd-diethylacetal
α-Naphthaldehyd
Formylierung von Aromaten durch Formanilide (VILSMEIER-Formylierung)
Donor-substituierte Aromaten und Heteroaromaten lassen sich unter elektrophiler Substitution durch N,N-Dimethylformamid oder N-Alkylformanilide in Gegenwart von Phosphoroxidchlorid formylieren. 4-Methoxybenzaldehyd wird nach dieser VILSMEIER-Formylierung aus Anisol und NMethylformanilid dargestellt: O H C +
H 3CO
(POCl3)
N
O C H
H3CO
H 3C N-Methylformanilid
Anisol
H +
N H3C
p-Methoxybenzaldehyd ( + o-Isomer )
N-Methylanilin
Dabei bilden N-Methylformanilid und POCl3 zunächst ein mesomeriestabilisiertes Carbenium-Ion: Cl
O
R C N H R'
+
POCl3
_R C N
Cl
R'
H
H
R C N
Cl +
O P O Cl
R'
Dieses greift elektrophil an einer aktivierten (nucleophilen) Position des Aromaten an und führt zu einem Primärprodukt, dessen Hydrolyse den Aldehyd und N-Methylanilin-Hydrochlorid ergibt: _ X
Cl + H
_ R C N
H
Cl X
R'
C N H
R
R'
+
− [H ]
Cl X
R
C N H
R'
+ H2O
R
O X
C
+ H
H2N
Cl R
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20.5 Darstellung von Aldehyden
317
20.5.10 Formylierung von Aromaten durch Formylhalogenide Die als GATTERMANN-KOCH-Reaktion bekannte Formylierung von Aromaten durch Kohlenmonoxid und Chlorwasserstoff in Gegenwart einer LEWIS-Säure bewährt sich zur Einführung der Aldehyd-Gruppe in p-Stellung von Alkylbenzenen. Kohlenmonoxid und Chlorwasserstoff reagieren dabei wahrscheinlich als Formylchlorid in einer Art FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung: HCl + CO O +
R
Cl
O
AlCl3 , CuCl
C
R
C
+
HCl
H
H Formylchlorid
Im Gegensatz zum instabilen Formylchlorid ist Formylfluorid relativ stabil und reagiert insbesondere mit Alkylbenzenen in Gegenwart von Bortrifluorid bevorzugt zu p-Alkylbenzaldehyden: O +
R
O
BF3
F C
R
C
+
HF
H
H Formylfluorid
20.5.11 Formylierung von Aromaten durch Cyanid und Chlorwasserstoff Bei der GATTERMANN-Synthese aromatischer Aldehyde werden Blausäure [aus Zn(CN)2 und HCl] und Chlorwasserstoff als Formylierungsreagenzien eingesetzt. Diese bislang wenig untersuchte elektrophile Substitution verläuft wahrscheinlich über ein protoniertes Benzaldimin, das zum Benzaldehyd hydrolysiert wird. RO
+
HCN
+
ZnCl2
HCl
RO
C
NH2 Cl
+ H2O , − NH4Cl
H protoniertes Benzaldimin
O RO
C
H p-Alkoxybenzaldehyd (Hauptprodukt)
Die GATTERMANN-Formylierung eignet sich besonders zur Darstellung von Phenol- sowie Phenoletheraldehyden.
20.5.12 Formylierung von Aromaten durch Chloroform Phenole und einige Heteroaromaten können in alkalischer Lösung durch Chloroform formyliert werden, z. B.: OH
OH CHCl3 , OH
CH 3 4-Methylphenol (p-Kresol)
−
O C
H
CH 3 2-Hydroxy-5-methylbenzaldehyd
_ N _ K Kaliumpyrrolid
CHCl3 , OH
−
N H
C
O
H
Pyrrol-2-carbaldehyd
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20 Aldehyde und Ketone
Diese REIMER-TIEMANN-Formylierung führt auch zu Nebenprodukten. Sie ist ebenfalls eine elektrophile Substitution, wobei das aus Chloroform durch α-Eliminierung in alkalischem Medium entstehende Dichlorcarben :CCl2 elektrophil am Ring angreift: CHCl3 + OH − H2O ,
O
+
− Cl
−
O
ICCl2
O
CCl2 H
O C
+
+ H3O , − 2 HCl
H
R
R
R
R
OH CHCl2
20.5.13 Industrielle Verfahren zur Herstellung von Acet- und Benzaldehyd Die für organische Synthesen wichtigen Schlüsselverbindungen Acetaldehyd und Benzaldehyd werden in technischem Maßstab dargestellt, Acetaldehyd durch katalytische Hydratisierung von Ethin (Kap. 15.4.1), Benzaldehyd durch Chlorierung von Toluen über Benzalchlorid: O CH3 +
2 Cl2
CHCl2
hν , Hitze
− H2O
C
H
− 2 HCl
- 2 HCl
Toluen
CH(OH)2
+ 2 H2O
Benzaldehydhydrat
α,α-Dichlortoluen (Benzalchlorid)
Benzaldehyd
20.6 Darstellung von Ketonen 20.6.1
Oxidation sekundärer Alkohole
Chromtrioxid in Eisessig und mehrere andere Oxidationsmittel oxidieren sekundäre Alkohole zu Ketonen: R 3 R C OH
+
2 CrO3
CH3CO2H
R 3
C O
+
Cr2O3
+
3 H 2O
R
H
Ein milderes Verfahren beruht auf der Redoxreaktion, welche sekundäre Alkohole mit Aceton in Gegenwart von Aluminium-t-butanolat eingehen (OPPENAUER-Oxidation): R R C OH H
+
CH3 O C CH3
Al [OC(CH3) 3]3
CH 3
R C O R
+
HO C CH 3 H
Schließlich können sekundäre Alkohole auch mit N-Bromsuccinimid zu Ketonen dehydriert werden (BARAKAT-Dehydrierung, Kap. 17.12.3).
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20.6 Darstellung von Ketonen
20.6.2
319
Oxidation aktivierter Methylen-Gruppen
Methylen-Gruppen in α-Stellung zu Carbonyl-Gruppen werden durch Selendioxid zu CarbonylGruppen oxidiert. Diese RILEY-Reaktion (Kap. 20.5.1) eignet sich auch zur Darstellung von 1,2Diketonen, z. B.: O +
SeO2
O
1,4-Dioxan
+
Se
+
H2O
O Cyclohexan-1,2-dion
20.6.3
Bimolekulare Decarboxylierung und Dehydratisierung von Carbonsäuren
Flüchtige Carbonsäuren ergeben unter intermolekularer Decarboxylierung und Dehydratisierung Ketone, wenn man sie in Gegenwart von Mangan(II)-oxid auf 300 °C erhitzt: O R C OH + OH
R
MnO , 300 °C
C O
+
CO2
+
H 2O
R
R C O
Ebenso werden die durch Acylierung von Malonsäurediestern (Kap. 17.11, 19.5.2) entstehenden Acylmalonester nach der Esterverseifung schrittweise zu Methylketonen decarboxyliert: O R C C CO2R' R'O2C H Acylmalonsäurediester
+ H2O − R'OH
O R C C CO2R' HO2C H Acylmalonsäuremonoester
O R C CH 3 Methylketon
− CO2
− CO2
O
+ H2O
CH2 CO2R'
− R'OH
R C
O R C CH 2 CO2H
β-Ketoester
20.6.4
β-Ketosäure
Addition von GRIGNARD-Verbindungen an Nitrile
Alkylmagnesiumhalogenide addieren an Nitrile unter Bildung von Iminylmagnesiumhalogeniden, die in saurer Lösung zu Ketonen hydrolysieren: NMgX R C N
+
R' Mg X
R C R' Iminylmagnesiumhalogenid
+ 2 H2O 2+
− Mg − − OH − −X − NH3
O R C R'
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320
20 Aldehyde und Ketone
20.6.5
Acylierung von Dialkylcadmium
Die Reaktion von Carbonsäurehalogeniden mit Dialkyl- oder Diarylcadmium führt unter nucleophiler Substitution von Halogen durch Alkyl oder Aryl zu Ketonen: O 2R C R'
O +
2R C
R' Cd R'
X
+
CdX2
1-Phenyl-2-butanon kann auf diese Weise aus Dibenzylcadmium und Propionylchlorid dargestellt werden: O 2 H3C CH2 C Cl
+
O
− CdCl2
CH 2 Cd CH2
2 H 3C CH 2 C
CH2
1-Phenyl-2-butanon
Die toxischen Organocadmium-Verbindungen sind durch Reaktion von Alkylmagnesiumhalogeniden mit wasserfreiem Cadmiumhalogenid zugänglich: 2 R Mg X
20.6.6
+
Cd X 2
R 2 Cd
+
2 Mg X 2
Spaltung der Ozonide von Tetraalkylethenen
Die Ozonide (Kap. 4.5.9) von Tetraalkylethenen werden zu Ketonen gespalten, entweder durch katalytische Hydrierung oder durch Zinkstaub in Essigsäure: R
R C C R R
20.6.7
+
O3
R R
O O O
R R
R
+ H2
2
− H2O
C O R
Acylierung von Alkenen
Carbonsäurechloride addieren in Gegenwart von LEWIS-Säuren (AlCl3) elektrophil an Alkene unter Bildung von β-Chlorketonen: O +
R C Cl
20.6.8
C C
AlCl3
O C C C Cl
β-Chlorketon
R
Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden
Die elektrophile FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden in Gegenwart einer LEWIS-Säure (Kap. 10.6.3, 11.1.6) ist eine allgemeine Methode zur Darstellung
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20.7 Reaktivität der Carbonyl-Gruppe
321
von Arylketonen, den Phenonen. 2,4-Dihydroxyacetophenon entsteht z. B. aus Resorcin und Acetylchlorid in Gegenwart von wasserfreiem Aluminiumchlorid: CH 3 + HO
O
AlCl3
CH 3
− HCl
Cl C
OH Resorcin
20.6.9
C
O
HO OH 2,4-Dihydroxyacetophenon
Acylierung von Aromaten durch Nitrile
Analog zur GATTERMANN-Formylierung (Kap. 20.5.11) können Phenole und ihre Derivate durch Nitrile in Gegenwart von Chlorwasserstoff und einer LEWIS-Säure, meist ZnCl2, zu Phenonen acyliert werden. Diese HOUBEN-HOESCH-Reaktion verläuft wahrscheinlich ähnlich wie eine FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung unter Bildung des protonierten Ketonimins als Zwischenstufe: NH Cl
+
HO
ZnCl2
R C NH Cl
C
HO
C
NH2 Cl R
R + H2O
RCN
+
− NH4Cl
O
HCl HO
C R
20.7 Reaktivität der Carbonyl-Gruppe Die Carbonyl-Gruppe ist Aldehyden und Ketonen gemeinsam. Ihre Reaktivität beruht auf dem (−)M-Effekt des Carbonyl-O-Atoms, welcher das Carbonyl-C zum elektrophilen Reaktionszentrum polarisiert: C OI _
_ C OI _
Carbonyl-Mesomerie
Infolgedessen verlaufen die meisten Reaktionen der Aldehyde und Ketone unter nucleophiler Addition am Carbonyl-Kohlenstoff: _ Nu
+
C OI _
_ C OI _
_ Nu C OI _
Das Nucleophil B kann neutral oder negativ geladen sein, muß jedoch mindestens ein nicht bindendes Elektronenpaar besitzen. Dies trifft z. B. für Basen im weitesten Sinne (Hydroxid-Anion, Ammoniak, Wasser), Carbanionen und Hydrid-Anionen (in komplexen Metallhydriden) zu.
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322
20 Aldehyde und Ketone
Die nucleophile Addition am Carbonyl-C ist säurekatalysiert; bei der Protonierung wird die Elektrophilie des Carbonyl-C-Atoms durch Kompensation der Basizität des Carbonyl-O-Atoms erhöht: C OI _
+
_ C OI H
C OI H
[H ]
Dagegen wirkt sich eine Kompensation der positiven Ladung am Carbonyl-C (wie etwa der vollständige π-Bindungsausgleich im Carboxylat-Anion) desaktivierend auf die Elektrophilie der Carbonyl-Gruppe aus. Infolgedessen zeigen Aldehyde im Vergleich zu Ketonen mit ihrer zweiten, elektronenschiebenden Alkyl-Gruppe eine erhöhte Reaktivität: O
O R C
m- > p ab (Tab. 21.1). Auch Nitrophenole sind stärker sauer als Phenol (Tab. 21.1), besonders die o- und p-Isomeren. Hier wird die negative Ladung des Phenolat-Anions vorwiegend durch den mesomeren Effekt der Nitro-Gruppe delokalisiert, wie man an den Grenzformeln des 4-Nitrophenolat-Anions erkennt. Di- und Trinitrophenole, z. B. das als Pikrinsäure bekannte 2,4,6-Trinitrophenol, erreichen die Acidität von Mineralsäuren (Tab. 21.1). _ IOI
OH
_
_
OI
OI
− [H+]
NO2
IO _
N _ O _I
IO _
N _ O _I
_ N _ O IO _ _I
mesomere Grenzformeln des 4-Nitrophenolat-Anions
Umgekehrt schwächen Substituenten die Acidität von Phenolen, wenn sie kraft ihres elektronenschiebenden induktiven oder mesomeren Effekts einer Verteilung der negativen Ladung im Phenolat-Anion entgegenwirken. So sind die Kresole schwächere Säuren als Phenol (Tab. 21.1). Entsprechendes gilt für das Hydrochinon, in welchem der mesomere Elektronendruck der p-ständigen OH-Gruppe deren induktiven Elektronenzug übertrifft.
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21.6 Reaktionen der Phenole
355
21.6 Reaktionen der Phenole 21.6.1
Veretherung
Die Veretherung der Phenole gelingt leichter als die der Alkohole. Das gilt auch für die OAlkylierung der Phenolate mit Halogenalkanen nach WILLIAMSON (Kap. 16.3.2): Ar
+ OH
OH
−
− H2O
Ar
+ R−X
_
OI _
R Ar O Alkylarylether
−
−X
Gute Reagenzien zur O-Methylierung sind auch Dimethylsulfat oder Diazomethan, z. B.: O
OH + HO Hydrochinon
O
OCH3
2 H3CO S OCH 3
+
H 3CO Hydrochinondimethylether
O Dimethylsulfat
OH +
ICH2
N NI
+
2 H2O
O
OCH3
Ether
+
Diazomethan
β-Naphthol
+ 2 H3CO S ONa
2 NaOH
N2
Methyl-β-naphthylether
Dagegen gelingt eine Veretherung der Alkohole mit Diazomethan nur in Gegenwart von Bortrifluorid (Kap. 16.3.4). Phenolether können sich in Gegenwart von LEWIS-Säuren zu p-Alkylphenolen umlagern (Kap. 16.5.4).
21.6.2
Veresterung
Mit Säuren, besser mit Säurehalogeniden oder Säureanhydriden, reagieren Phenole zu Arylestern: Ar
OH
+
X
C
R
− HX ( )
O
Ar
O
C
R
X = −OH , −Halogen , −O−CO−R
O
Durch Veresterung der Salicylsäure als Phenol mit Acetanhydrid erhält man z. B. die analgetisch, antipyretisch und antirheumatisch wirkende sowie die Thrombozytenaggregation hemmende Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), ein Arylester der Essigsäure: CO2H OH
O +
O
C CH3 C CH3
O
CO2H O
C
CH 3
O Acetylsalicylsäure
+
H 3C CO2H
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356
21 Phenole und Chinone
Das auf dieselbe Weise zugängliche Phenylacetat lagert sich beim Erhitzen mit einer LEWIS-Säure in (o- und) p-Hydroxyacetophenon um: O
C
CH3
OH
AlCl3 in CS2
o
H3C
O Phenylacetat (Essigsäurephenylester)
( + o-Isomer )
C
O p-Hydroxyacetophenon
Diese auch auf andere Phenolester übertragbare FRIES-Verschiebung (Kap. 26.4.1) verläuft unter Spaltung des Esters und Bildung eines Acylium-Ions, das als Elektrophil in einer FRIEDELCRAFTS-Acylierung weiter reagiert.
21.6.3
Phenole als Enole
Wahrscheinlich aufgrund der Aromatizität des Phenols liegt das Keto-Enol-Tautomerie-Gleichgewicht der meisten Phenole ausschließlich auf der Seite des Enols (Phenols): O
OH
O
H2C
CH 2
Keto-Form
Enol-Form (Phenol)
Keto-Form
Wie alle Enole reagieren Phenole, besonders 1,2-Di- und Polyphenole mit Eisen(III)-Ionen unter Bildung farbiger Komplexe. In 1,3-Diphenolen wie Resorcin und Phloroglucin kann das KetoTautomer dem Gleichgewicht durch Reaktion mit Hydroxylamin als Oxim entzogen werden: O
OH
N
OH
+ 3 H2N−OH
HO
O
OH
O
− 3 H2O
Phloroglucin Trienol-Form
21.6.4
HO
N
N
OH 1,3,5-Cyclohexantriontrioxim
Triketo-Form
Oxidation zu Chinonen
Die Oxidation von Phenolen, z. B. mit Dichromat und Schwefelsäure, führt zu Chinonen. Besonders leicht gelingt die Reaktion mit Hydrochinon: OH HO Hydrochinon
K2Cr 2O7 , H2SO4
O +
2 [H ]
+
2 e0
O p-Benzochinon
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21.6 Reaktionen der Phenole
357
Die Oxidation ist auch möglich, wenn eine oder beide OH-Gruppen durch −NH2 ersetzt sind. Darauf beruht z. B. die Anwendung von p-Aminophenol als photographischer Entwickler: OH
O +
2 Ag
+
2 OH
+
H2N p-Aminophenol
21.6.5
2 Ag
+
H 2O
+
NH 3
O p-Benzochinon
Oxidation zu Aroxyl-Radikalen und Peroxiden
Ist ein Phenol in o- und p-Stellung alkyliert, so führt die Oxidation nicht zum Chinon, sondern über Aroxyl-Radikale zu Peroxiden. So ergibt die Oxidation des 2,4,6-Tri-t-butylphenols mit Silberoxid oder Kaliumhexacyanoferrat(III) in Benzen unter Stickstoff als Schutzgas eine blaue, kristalline, unter Inertgas haltbare Verbindung, der man aufgrund ihres Paramagnetismus die Konstitution eines 2,4,6-Tri-t-butylphenoxyl-Radikals zuschreibt. IOI
OH (H3C)3C
C(CH 3)3
+ Ag 2 O (Benzen , N2)
2
− H2O , − 2 Ag
(H3C)3C
C(CH3)3
2 C(CH 3)3 2,4,6-Tri-t-butylphenoxyl-Radikal
C(CH 3)3 2,4,6-Tri-t-butylphenol
Diese zur Klasse der Aroxyl-Radikale gehörende Verbindung verdankt ihre Stabilität einerseits der sterischen Behinderung eines Angriffs am radikalischen Sauerstoff-Atom, andererseits der Delokalisierung des ungepaarten Elektrons, was sich durch folgende mesomere Grenzformeln zum Ausdruck bringen läßt. IO I
IO I
IO I
IO I
= −C(CH3)3
Mit Luftsauerstoff reagieren die Aroxyl-Radikale unter Bildung gelber Chinolperoxide, z. B.: R
R 2
_ O _
R
R Aroxyl-Radikal (blau)
+
O2
R R R
Luft
O
O
O O R
Chinolperoxid (gelb)
R = −C(CH3)3
R
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358
21 Phenole und Chinone
21.6.6
Elektrophile Substitutionen
Die mesomeren Grenzformeln des Phenols und Phenolats (Kap. 21.5.1) machen klar, daß der (−)M-Effekt des Phenol- bzw. Phenolat-O-Atoms die Elektronendichte in o- und p-Stellung erhöht. Infolgedessen lassen sich Phenole und Phenolate meist unter milderen Bedingungen als Benzen elektrophil substituieren. Als Intermediate treten dabei nicht nur Phenonium-, sondern auch Oxonium-Ionen auf. Beim Phenolat-Anion entstehen entsprechend cyclische, ungesättigte Ketone als rearomatisierungsfähige Zwischenstufen: _ IOI
_
_
OI
_
OI
OI + Y
_
H
OI Y
OH
OH Y
und
und Y H
Y
Tab. 21.2 gibt eine Auswahl der am Phenol möglichen elektrophilen Substitutionen. Die dort zuletzt skizzierte Hydroxymethylierung des Phenols in saurer Lösung beruht auf der Elektrophilie des Carbonyl-C-Atoms im protonierten Formaldehyd: H C O
+
_
C O _
[H ]
H
C O _ H
H
Durch intermolekulare Kondensation der Bis- und Tris(hydroxymethyl)phenole entstehen vernetzte Polymere, die als Phenol-Formaldehyd-Harze oder Bakelite (Kap. 36.4.3) bekannt sind: CH 2 OH
OH HO H 2C
CH2 OH
+
OH
H
− n H2O
CH2
OH H 2C
CH2
CH 2 OH
CH2 CH 2
CH2 OH
21.6.7
OH
Bis- und Tris(hydroxymethyl)phenole
Bakelit-Teilstruktur
BUCHERER-Reaktion der Naphthole
Die als Methode der Phenol-Synthese besprochene Umwandlung der Naphthylamine in Naphthole (BUCHERER-Reaktion) ist reversibel, so daß Naphthole auch in Naphthylamine übergeführt werden können: OH
NHR NaHSO3
+
α-Naphthol
+
R NH2 R = H oder Alkyl
H2O
α-Naphthylamin
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21.6 Reaktionen der Phenole
359
Tab. 21.2. Ausgewählte elektrophile Substitutionen des Phenols Substitution
Elektrophil
Reaktionsbedingungen
Bromierung
Br
Br2 in CS2 , 0 °C
Reaktionsprodukt(e) OH
OH
Br
Br Br OH
Br2 in H 2O , Raumtemperatur Br
Br OH
Sulfonierung
SO3
H2SO4 , 15 °C SO3H OH H 2SO4 , 100 °C
Nitrierung
HO3S OH
NaNO3 , H2SO4 oder HNO3 , H2SO4 , 10 °C
NO2
O2N
OH NO2
NO2 OH
rauchende HNO3 , Raumtemperatur NO2
O2N
OH
OH Nitrosierung
NaNO2 , H 2SO4 , 5-10 °C
NO
H5C2 O
O
O , C 2H5OH , NaOH
NO
ON OH
Carboxylierung (KOLBE-SCHMIDTSynthese)
Formylierung (REIMER-TIEMANNSynthese)
N O
NO
ON
CO2
NaOH , 125 °C , 10 atm.
ICCl2
NaOH , CHCl3 , 65-70 °C
CO2 O
OH
CHCl2
C
O
H Acylierung (FRIES-Verschiebung)
OH
O H3C C
(CH3CO)2O , AlCl3 , CS2
O
OH C
CH3
CH3 OH
Hydroxymethylierung
H C OH
HO H2C
H2C O , Säure
H
CH 2 OH
CH 2 OH Vorstufe der Bakelite
Azo-Kupplung
Ar N N
Ar
N2 , NaOH ,
OH
O
C
Ar
N N
OH
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360
21 Phenole und Chinone
Bei der BUCHERER-Reaktion wird zunächst Hydrogensulfit an die nicht enolische Doppelbindung im Benzen-Ring des Phenols addiert (1). Es entsteht ein Enol im Gleichgewicht mit dem Keton (2). Die nucleophile Addition des Amins an das Carbonyl-C des Ketons führt zum Imin (3,4) im Gleichgewicht mit dem tautomeren Enamin (5). Dieses rearomatisiert unter Eliminierung von Bisulfit zum Naphthylamin (6). OH
OH
(1) + NaHSO3
O (2)
H H
α-Naphthol
H OSO2 Na
H OSO2 Na + R−NH2
(3)
HO NHR
H OSO2 Na
NHR
− H2O
(4)
α-Naphthylamin NHR
(6) − NaHSO3
N
R
(5)
H H
H OSO2 Na
H OSO2 Na
21.7 Nomenklatur und einige Eigenschaften der Chinone Chinone sind Oxidationsprodukte der Phenole und Diphenole. Die Oxidation von Brenzcatechin führt z. B. zum o-Benzochinon, jene des Hydrochinons zum p-Benzochinon (Kap. 21.6.4): O
O o-Benzochinon
p-Benzochinon
O
O
Die o- und p-Chinone sind formal und aufgrund ihrer Reaktivität als gekreuzt cyclisch konjugierte 1,2- und 1,4-Diketone aufzufassen. m- oder 1,3-Chinone existieren nicht. Im 4-Cyclohexen-1,3dion ist z. B. die cyclische Konjugation der Doppelbindungen durch Methylen-Gruppen unterbrochen. Es ist daher kein Chinon, sondern die instabile Diketo-Form des Resorcins: OH
O
O
OH
Diketo-Form (instabil)
Resorcin (Bis-Enol-Form , stabil)
OH
O Monoenol-Form (instabil)
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21.8 Darstellung von Chinonen
361
Zur Nomenklatur der Chinone geht man vom aromatischen Stammskelett aus (Benzo-, Naphtho-, Anthra-), stellt die Positionen der beiden chinoiden Carbonyl-Gruppen im Molekül voran (1,2-, 1,4- bzw. o- oder m-) und schließt mit der Endung "chinon" (Tab. 21.3). Chinoide Sechsringe sind an sich nicht aromatisch, jedoch oft mit benzoiden Ringen verknüpft (kondensiert, anelliert). Chinone kristallisieren meist gelb bis tiefrot (Tab. 21.3) und kommen als farbgebende Teilstrukturen in synthetischen und natürlichen Farbstoffen vor (Kap. 35.6). Tab 21.3. Nomenklatur, Farbe und Schmelzpunkte einiger Chinone Formel
Bezeichnung
Farbe
Schmelzpunkt [°C]
O o-Benzochinon
rot
60 - 70 (Zersetzung)
p-Benzochinon
gelb
116
1,2-Naphthochinon
rot
115
1,4-Naphthochinon
gelb
126
2,6-Naphthochinon
orange
135
9,10-Anthrachinon
gelb
286
9,10-Phenanthrenchinon
orange
209
O O O O O
O
O O O O
O O
O
21.8 Darstellung von Chinonen 21.8.1
Oxidation von Phenolen und primären aromatischen Aminen
Chinone entstehen durch Oxidation entsprechend substituierter Dihydroxyaromaten mit Wasserstoffperoxoid oder Metalloxiden. Hydrochinon wird zu p-Benzochinon (Kap. 21.6.4) oxidiert,
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362
21 Phenole und Chinone
Brenzcatechin zu o-Benzochinon und 2,6-Dihydroxynaphthalen zu 2,6-Naphthochinon: OH +
O
H2O-freier Ether , MgSO4
Ag2O
+
H2O
+
2 Ag
+
H2O
+
PbO
O o-Benzochinon
OH Brenzcatechin OH
O
Benzen
+
PbO2
HO
O 2,6-Naphthochinon
2,6-Dihydroxynaphthalen
1,4-Diamine wie das toxische p-Phenylendiamin lassen sich mit üblichen Oxidationsmitteln glatt zu 1,4-Chinonen oxidieren, wobei p-Chinondiimine als Zwischenstufen auftreten: NH2
− 2 [H+] , − 2 e0
NH
−
HN
H2N p-Phenylendiamin
O
+ 2 H2O , − 2 NH3
O
p-Chinondiimin
p-Benzochinon
p-Benzochinon wird in technischem Maßstab durch Oxidation von Anilin mit Mangan(IV)-oxid und Schwefelsäure dargestellt. Selbst manche Monophenole können mit genügend starken Oxidationsmitteln (Dichromat) zu Chinonen oxidiert werden.
21.8.2
Oxidation von Arenen
Die Oxidation von Arenen, entweder elektrolytisch oder durch Oxidationsmittel wie Chromsäure ist eine allgemeine Methode zur Darstellung von Chinonen der Naphthalen-, Anthracen- und Phenanthren-Reihe, z. B.: O +
2 CrO3
H2SO4
+
Cr2O3
+
H2O
+
Cr2O3
+
H2O
O 1,4-Naphthochinon O O +
2 CrO3
H2SO4
9,10-Phenanthrenchinon
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21.9 Reaktionen der Chinone
21.8.3
363
FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Arenen durch Phthalsäureanhydrid
Linear kondensierte Chinone wie 9,10-Anthrachinon können durch elektrophile Acylierung von Arenen mit Phthalsäureanhydrid hergestellt werden: O
O +
AlCl3 oder H2SO4
O
O
C
H2SO4
HO2C
O
O 9,10-Anthrachinon
Benzophenon-o-carbonsäure
21.9 Reaktionen der Chinone 21.9.1
Redoxgleichgewicht Chinon-Hydrochinon
Die Reduktion von Chinonen führt zu den entsprechenden Diphenolen. p-Benzochinon und Hydrochinon stehen z. B. in einem Redoxgleichgewicht: O
OH
Reduktion
+
2 [H ]
+
2 e0
O
Oxidation
HO Hydrochinon
p-Benzochinon
Die Reaktionsgleichung zeigt, daß die Gleichgewichtskonstante K von der Wasserstoffionen-Konzentration, in wäßrigem Medium also vom pH-Wert abhängt. K =
c (Hydrochinon) +
c (p-Benzochinon) c 2 (H )
oder logarithmiert:
lg K = lg c(Hydrochinon) − lg c(p-Benzochinon) − 2 lg c(H+) = lg c(Hydrochinon) − lg c(p-Benzochinon) + 2 pH
In einer elektrolytischen Zelle führt das Redoxgleichgewicht zu einem reproduzierbaren Redoxpotential. Daher wurde das Chinon-Hydrochinon-Redoxsystem vor Entwicklung der Glaselektrode zur elektrometrischen pH-Messung verwendet (Chinhydron-Elektrode). Die Reduktion des p-Benzochinons (gelb) zu Hydrochinon (farblos) verläuft über eine tiefbraunrote kristalline Zwischenstufe, das Chinhydron. Chinhydron erhält man auch durch Mischung äquimolarer Mengen von p-Benzochinon und Hydrochinon in Alkohol als Lösemittel; es ist ein 1:1-Addukt dieser Komponenten. Die tiefe Farbe (geringe Elektronen-Anregungsenergie und daher langwellige Lichtabsorption) ist die Folge eines Elektronenüberganges vom HydrochinonDianion als Donor zum p-Benzochinon als Akzeptor. Man nennt Addukte mit diesem Merkmal Elektronen-Donor-Akzeptor (EDA)- oder Charge-Transfer (CT)-Komplexe. Elektronen-Akzeptor Elektronen-Donor
O
O O
2 e0
O
2H
Chinhydron Charge-Transfer-Komplex
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364
21 Phenole und Chinone
Das Chinhydron ist die reaktive Zwischenstufe, in der sich der Elektronenaustausch zwischen pBenzochinon und Hydrochinon abspielt. Der Elektronenaustausch vollzieht sich in zwei Schritten über das nachweisbare mesomeriestabilisierte Semichinon-Radikal-Anion: O
O
O
O
−
−
+ e0
+ e0
O
O
p-Benzochinon
21.9.2
O
O
Semichinon-Radikal-Anion
Hydrochinon-Dianion
Additionen
Chinone zeigen die Reaktivität α,β-ungesättigter Ketone und keine Aromatizität. So finden am chinoiden Ring Additionen und Cycloadditionen, jedoch keine elektrophilen Substitutionen statt. Brom addiert z. B. an p-Benzochinon unter Bildung der Stereoisomeren des 2,3,5,6-Tetrabrom1,4-cyclohexandions. O
O
H
+ Br 2
O
O
Br
Br
H
Br
+ Br 2
O
H
Br
H
Br
O
H
Br
und H
H
H H Br Br Br H O O 2,3,5,6-Tetrabrom-1,4-cyclohexandion (Stereoisomere) Br
Gegenüber (elektronenreichen) 1,3-Dienen wie 1,3-Butadien verhält sich p-Benzochinon als (elektronenarmes) Dienophil. Eine [4+2]-Cycloaddition (DIELS-ALDER-Reaktion) ergibt 4a,5,8,8aTetrahydro-1,4-naphthochinon, wobei die cis-Konfiguration der H-Atome an der CC-Doppelbindung des p-Benzochinons erhalten bleibt (Stereospezifität bezüglich des Dienophils). O
O HC HC
8
CH 2 CH 2
5
O
O
21.9.3
8a
6π
+
H
O 1
4a 4
H
O 4a,5,8,8a-Tetrahydro-1,4-naphthochinon
Carbonyl-Reaktionen
Die meisten Reaktionen der Carbonyl-Verbindungen (Kap. 20.7, 20.8) lassen sich auch mit Chinonen durchführen. So ergibt die nucleophile Addition des Hydroxylamins an p-Benzochinon das p-Benzochinondioxim: N
O + O
2 H 2N OH
HO
OH
+
2 H2O
N p-Benzochinondioxim
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21.9 Reaktionen der Chinone
21.9.4
365
HOOKER-Oxidation
Die HOOKER-Oxidation entfernt (formal) ein C-Atom der Seitenkette in 3-Alkyl-2-hydroxy-1,4naphthochinonen: O
O OH
R
H2SO4 , CuSO4 oder KMnO4 , + O2 − CO2 , − H2O
CH 2 R
OH O
O
Bei dieser Reaktion wird der Chinon-Ring zunächst oxidativ gespalten (1). Die Oxidation des entstandenen isolierbaren α-Hydroxyketons führt zum ebenfalls isolierbaren 1,2-Diketon (2). Eine nachfolgende intramolekulare Aldol-Reaktion (3) und Decarboxylierung (4) ergibt nach Aromatisierung bzw. Enolisierung (5) das 1,3,4-Triphenol, welches abschließend zum 1,4-Naphthochinon oxidiert wird (6). O >
O
(1)
OH
s
CH 2 R
CH R
(4)
s
CH R
O O
(5)
O O R
s
O O
(3)
C C C H
OH
HO H
>
− CO2
>
C CO2H H s
O OH
O
s
+ 1/2 O2 , − H 2O
CH CH 2 R
s
HO CO2H
O
(2)
>
CO2H
+ 1/2 O2 , + H2 O
R
(6) + 1/2 O2 , − H2 O
O s
OH
OH OH
R
O
Oxidativ abgespalten wird also nicht die Methylen-Gruppe (markiert durch s), sondern das EnolC-Atom in 2-Stellung des chinoiden Rings (markiert durch ̈).
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366
22 Amine
22 Amine 22.1 Amine als Derivate des Ammoniaks Ersetzt man die H-Atome des Ammoniaks formal durch eine, zwei oder drei Alkyl- bzw. ArylGruppen, so ergeben sich primäre, sekundäre oder tertiäre Amine: NH3 Ammoniak
R NH2 primäres
R NH R sekundäres
NR 3 tertiäres Amin
NH2 primäre
NHR sekundäre
NR 2 tertiäre Amino-Gruppe
Die Alkyl-Gruppen sekundärer oder tertiärer Amine können sich auch zum Ring schließen. Man spricht dann von cyclischen sekundären oder tertiären Aminen, die den Stickstoff-Heteroalicyclen (Kap. 33.1) zugeordnet werden. R
R
R
N
N
N
Aziran
Azetan
Pyrrolidin
N R Piperidin
R = H : sekundäre cyclische Amine ; R = Alkyl : tertiäre cyclische Amine
Di-, Tri-, Tetra- und Polyamine enthalten zwei, drei, vier oder noch mehr Amino-Gruppen im Molekül.
22.2 Nomenklatur Nach IUPAC werden die Amine als Amino-Derivate der Kohlenwasserstoffe (Aminoalkane, Alkylamine, Alkanamine) bezeichnet. Die Position der Amino-Gruppe wird durch arabische Ziffern, ihre Art durch die Präfixe "Amino", "Alkylamino"- und "Dialkylamino"- für primäre, sekundäre und tertiäre Amine gekennzeichnet, z. B.: 1
2
3
4
1
5
H 2N
2
3
4
5
H 3C CH CH CH2 CH3
H3C CH CH CH2 CH 3 CH 3
H 3C
2-Amino-3-methylpentan
N
H
CH 3
2-(N-Methylamino)-3-methylpentan
1
2
3
4
5
H 3C CH CH CH 2 CH 3 N CH3 CH 3 H 3C 2-(N,N-Dimethylamino)-3-methylpentan
Mehrfunktionelle Amine nennt man nach IUPAC Polyamino-Verbindungen, z. B.: 1
2
3
4
5
H3C CH CH CH2 CH 3 H 2N
NH 2
2,3-Diaminopentan
NH2
NH 2 NH 2 cis-1,2-Diaminocyclohexan
H 2N
NH2
1,2,4-Triaminobenzen
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22.2 Nomenklatur
367
Aufgrund ihrer formalen Herkunft von Ammoniak werden einfachere Amine jedoch meist nicht nach IUPAC, sondern als Alkyl-, Dialkyl- und Trialkylamine bezeichnet, z. B.: H 3C NH CH 3 Dimethyl-
H3C NH2 Methyl-
(H3C)3N Trimethylamin
Sind die mit Stickstoff verknüpften Alkyl-Gruppen verschieden, so werden diese nach zunehmender Größe der Endung "-amin" vorangestellt, z. B.: H3C
N CH(CH 3)2 C 2H5
Methylethyl-i-propylamin (mit Asymmetriezentrum am N-Atom)
Phenylamine (Aminoarene) werden meist als Aniline bezeichnet, z. B.: H
CH3 N CH3
N
NH2
CH3 Anilin
N-Methylanilin
N,N-Dimethylanilin
O2N
CH3 N CH3
NH
p-Nitro-N,N-dimethylanilin
Diphenylamin
Aminotoluene sind als Toluidine bekannt: NH2
NH2
NH2
CH3
H 3C CH3 m(3-)
o(2-)
p-Toluidin (4-Methylanilin)
(Poly-) Alkylenpolyamine ist die gängige Bezeichnung für Polyamine, z. B.: H 2N CH 2 CH2 NH2
HN
CH 2 CH2 NH2 CH 2 CH2 NH2
Ethylendiamin (1,2-Diaminoethan)
Diethylentriamin [Bis-(2-aminoethyl)amin]
Entsprechend sind aromatische Diamine auch als Arylendiamine bekannt, z. B.: NH2
NH2
NH2
NH2
H 2N
NH2
NH 2
NH2
H 2N NH2
o(1,2-)
m(1,3-)
p-Phenylendiamin (1,4-Diaminobenzen)
1,2-
1,8-Naphthylendiamin (1,8-Diaminonaphthalen)
Die Tabellen 22.1 (S. 370) und 22.2 (S. 371) enthalten gängige Bezeichnungen weiterer offenkettiger, cyclischer und aromatischer Mono- und Polyamine.
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368
22 Amine
22.3 Struktur und physikalische Eigenschaften 22.3.1
Geometrie und Molekülorbital-Modell
Als Alkyl-Derivate des Ammoniaks sind Amine pyramidale Moleküle, wie die Molekülmodelle des Trimethylamins in Abb.22.1 zeigen.
Abb. 22.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Trimethylamins
Im Vergleich zum H−N−H-Bindungswinkel des Ammoniaks (107°) spreizt sich der C−N−CBindungswinkel des Trimethylamins nur geringfügig auf 108° (Abb. 22.2 a). Diese Bindungswinkel kommen dem Tetraederwinkel von 109.5° sehr nahe. Daher wird angenommen, daß die fünf Valenzelektronen des dreibindigen Stickstoffs in Ammoniak und den Aminen vier sp3-Hybridorbitale besetzen. Drei von diesen sind einfach, eines ist doppelt besetzt (Abb. 22.2 b). Die einfach besetzten sp3-Hybridorbitale können mit s-Orbitalen des Wasserstoffs oder Kohlenstoff-sp3Hybridorbitalen zu σ-Bindungen überlappen (Abb. 22.2 c).
N H 3C 108°
CH3
N
H3C
CH 3 (a)
σ N σ CH3 σ CH 3 (c)
(b)
Abb. 22.2. Trimethylamin (a) Molekülgeometrie, (b) Bindungs-Hybridorbitale des dreibindigen Stickstoff-Atoms, (c) σ-Bindungen und n-Elektronenpaar
Auch das nichtbindende Elektronenpaar besetzt nach Abb. 22.2 ein sp3-Orbital, das mit vakanten Orbitalen überlappen und so eine vierte σ-Bindung bilden kann, z. B. in den TrialkylammoniumIonen (Salze), die bei der Protonierung der Trialkylamine entstehen: H H 3C
σ N σ CH3 σ CH 3
+
H
Br
H 3C
N
CH3
Br
CH3 Trimethylammoniumbromid
Insofern sind die Amine ebenso wie Ammoniak LEWIS-Basen oder Nucleophile.
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22.3 Struktur und physikalische Eigenschaften
22.3.2
369
Inversion von Aminen
In Analogie zu Verbindungen mit asymmetrischem C-Atom bilden Amine mit drei verschiedenen Alkyl-Gruppen am Amino-N (chirale Amine) Enantiomere: R
N
N
R"
R"
R
R'
R'
Enantiomere eines chiralen Trialkylamins
Meist können die Enantiomeren eines chiralen Amins jedoch nicht isoliert werden, da sie bei Raumtemperatur sehr schnell ineinander übergehen. Diese Inversion der Amine läßt sich spektroskopisch nachweisen. Sie verläuft über einen eingeebneten Zwischenzustand, dessen Bildung eine Aktivierungsenergie von etwa 21 kJ / mol erfordert, wie spektroskopische Messungen zeigen. Die thermische Energie der Amin-Moleküle bei Raumtemperatur löst meist schon die Inversion aus, deren Energieprofil in Abb. 22.3 dargestellt ist.
R'
R
R
R N R"
Epot
N
N
∆EA =
R'
R"
R' R"
21 kJ / mol
Abb. 22.3. Energiebarriere der Amin-Inversion
Ist die Inversion dagegen behindert, z. B. durch Einbau des Stickstoffs und seiner Substituenten in ein starres Ring-System, so lassen sich die optisch aktiven Enantiomeren isolieren, wie am Beispiel der TRÖGER-Base gezeigt wurde (Kap. 18.6.1).
22.3.3
Enantiomere Ammonium-Salze und Amin-N-oxide
Während chirale Amine bei Raumtemperatur meist ineinander invertieren, können die Enantiomeren chiraler Ammonium-Salze nicht ohne Spaltung von Bindungen ineinander übergeführt werden: R°
R°
R
N
R"
R"
N
R
R' R' X X Enantiomere eines chiralen Ammonium-Salzes
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370
22 Amine
In der Tat läßt sich Allylbenzylmethylphenylammonium-Iodid in die Enantiomeren auftrennen. Entsprechendes gilt für chirale Amin-N-oxide: O
O R
N
R"
R"
N
R
R'
R'
Enantiomere eines chiralen Amin- N-oxids
22.3.4
Physikalische Eigenschaften
Aufgrund des elektronegativen Amino-N-Atoms sind Amine Dipol-Moleküle. Zwischen den Molekülen tertiärer Amine wirken daher Dipol-Dipol-Kräfte; sekundäre und primäre Amine sind zusätzlich über Wasserstoffbrücken assoziiert: H
R N H
Wasserstoffbrücken primärer Amine
R
H
H N
H
N
R
H
Tab. 22.1. Übliche Bezeichnungen und physikalische Eigenschaften ausgewählter aliphatischer Amine Klasse
Konstitutionsformel
aliphatische Monoamine
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Löslichkeit g/100g H2O
Basizitätskonstante Kb x 10−4
H 3C NH2
Methylamin
− 94
4.4
Dimethylamin
− 96
− 7.5 7.5
unbegrenzt
(H3C)2NH
unbegrenzt
5.1
(H 3C)3N
Trimethylamin
− 117
3
91
0.6
H3C
CH2 NH2
Ethylamin
− 80
17
unbegrenzt
4.7
(H 3C
CH 2)2NH
Diethylamin
− 50
56
löslich
9.5
(H 3C
CH 2)3N
Triethylamin
− 115
90
14
5.5
H3C
CH2 CH2 NH2
n-Propylamin
− 83
49
unbegrenzt
3.8
(H 3C
CH 2 CH 2)2NH CH 2 CH 2)3N
Di-n-propylamin
− 63
110
löslich
8.1
Tri-n-propylamin
− 93
157
löslich
4.5
NH
Aziran (Ethylenimin)
− 74
56
unbegrenzt
NH
Pyrrolidin
− 63
89
unbegrenzt
NH
Piperidin
− 15
106
unbegrenzt
9
117
löslich
120
löslich
196
löslich
(H 3C StickstoffHeteroalicylen
aliphatische Diamine
Bezeichnung
H2N
(CH 2)2 NH2
1,2-Diaminoethan (Ethylendiamin)
H2N
(CH 2)3 NH2
1,3-Diaminopropan (Propylendiamin)
H2N
(CH 2)6 NH2
1,6-Diaminohexan (Hexamethylendiamin)
39
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22.3 Struktur und physikalische Eigenschaften
371
Tab. 22.2. Übliche Bezeichnungen und einige physikalische Eigenschaften ausgewählter Arenamine (Aniline) Klasse
Konstitutionsformel
Monoamine
Bezeichnung
Schmelzpunkt °C
Siedepunkt °C (1011 mbar)
Löslichkeit g/100g H2O
Basizitätskonstante Kb x 10−10
NH 2
Anilin
− 6
184
3.7
4.2
NHCH 3
N-Methylanilin
− 57
196
etwas löslich
7.1
N(CH 3)2
N,N-Dimethylanilin
3
194
1.4
o-Toluidin (2-Methylanilin 2-Aminotoluen)
− 16
200
1.7
2.5
NH2
m-Toluidin
− 31
203
etwas löslich
4.9
NH2
p-Toluidin
44
200
0.7
NH2
o-Chloranilin
− 14
209
0
0.03
NH2
m-Chloranilin
− 10
231
0
0.3
NH2
p-Chloranilin
73
232
0
1.5
NH2
o-Nitroanilin
71
284
0.1
0.00035
NH2
m-Nitroanilin
114
306 (Zersetzung)
0.1
0.032
NH2
p-Nitroanilin
147
332
0.05
0.001
NH2
o-Phenylendiamin
104
257
3
3.2
NH2
m-Phenylendiamin
63
287
25
7.6
NH2
p-Phenylendiamin
146
267
substituierte Monoamine
NH2 CH 3
11
H 3C H 3C
12
Cl
Cl Cl
NO2
O2N O2N
Diamine
NH 2
H 2N H 2N
3.8
110
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372
22 Amine
Infolge ihrer Polarität und Wasserstoffbrücken-Assoziation sieden die Amine höher (Tab. 22.1, 22.2) als weniger polare Verbindungen vergleichbarer molarer Masse, jedoch tiefer als die Alkohole und Carbonsäuren, deren Wasserstoffbrücken stärker sind. Alle niedermolekularen Amine einschließlich der tertiären sind gut wasserlöslich, da sie auch mit Wasser über Wasserstoffbrücken assoziieren können. In weniger polaren Lösemitteln (Alkohole, Ether, Benzen) sind auch die höheren Amine gut löslich, während die Wasserlöslichkeit mit zunehmender Größe der Alkyl-Gruppen abnimmt. Der Geruch niedermolekularer Amine (Methyl- und Ethylamin) ist stechend, Amine mit mittelgroßen Alkyl-Gruppen riechen mehr fischartig bis animalisch.
22.4 Darstellung 22.4.1
Alkylierung von Ammoniak
Die nucleophile Substitution des Halogens in primären und sekundären Alkylhalogeniden durch Ammoniak (nach SN2-Mechanismen) ergibt ein Alkylammonium-Salz, aus dem mit Hilfe einer Base das Amin freigesetzt werden kann: R C
H H Halogenalkan X
+
δ+
X
INH 3
R
δ−
C
+ OH
NH3
R CH2 NH 3 X
− −
− H2O , − X
H H Alkylammonium-Salz
R CH 2 NH2 primäres Amin
Das primäre Amin wird durch überschüssiges Halogenalkan weiter alkyliert, so daß kein einheitliches Amin, sondern ein Gemisch aus primärem, sekundärem, tertiärem Amin und dem Tetraalkylammonium-Salz entsteht: R NH 2
+
R X
R2NH2 X
+ OH
− −
R 2NH sekundäres Amin
−
R3N tertiäres Amin
− H2O , − X
+ OH
R 2NH
+
R X
R 3NH X
R3N
+
R X
R4N X quartäres Ammonium-Salz (Tetraalkylammonium-Salz)
−
− H2O , − X
Bei Ammoniak-Überschuß entstehen vorwiegend primäre Amine. Andererseits substituiert Ammoniak nur primäre und sekundäre Halogenalkane zu Mischungen der Amine; tertiäre Halogenalkane dehydrohalogenieren (nach E1-Mechanismen) in Gegenwart von Ammoniak zu Alkenen. Allyl- und Benzylhalogenide sowie andere primäre Halogenalkane alkylieren Hexamethylentetramin (Urotropin) zu den quartären Urotropinium-Salzen; deren Hydrolyse in ethanolischer Salzsäure gibt die Alkylammonium-Salze der entsprechenden primären Amine (DELÉPINE-Reaktion).
N
N
N
N
N N
Urotropin
+
X CH2 R
N
N
N X
+ 3 H2O
CH2
R
N
CH2 OH
CH2 OH CH2 OH + Folgeprodukte
N
+
X H3N CH2
R
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22.4 Darstellung
373
Tertiäre Halogenalkane eliminieren in Gegenwart von Ammoniak und anderer Basen Chlorwasserstoff; t-Butylamin ist daher nicht durch Ammonolyse von t-Butylchlorid zugänglich: CH3 H2C C
CH 3 H 3C C Cl
+
+
H4N Cl
CH3
NH3
CH3
CH 3
H 3C C NH3 Cl CH3
Halogenaromaten reagieren mit Ammoniak nur, sofern elektronenziehende Substituenten wie Nitro-Gruppen die Ablösung des Halogenid-Anions vom Benzen-Ring begünstigen, z. B.:
O2N
Cl
+
NH3
Cl
+
NH3
NH3 Cl O2N
NO2 2,4-Dinitrochlorbenzen
22.4.2
NH3 Cl
NO2 2,4-Dinitroanilinium-chlorid
Alkylierung von Kalium-Phthalimid (GABRIEL-Synthese)
Die nucleophile Substitution des Halogenids in Halogenalkanen durch Kalium-Phthalimid führt selektiv zu primären Aminen. Dabei entsteht zunächst das Phthaloylamin (N-Alkylphthalimid), aus dem das primäre Amin entweder als Hydrochlorid durch wäßrige Salzsäure oder als Amin durch Hydrazin freigesetzt wird: Druck, Hitze , + 2 H2O , + HX
O N K O Kalium-phthalimid
CO2H + CO2H Phthalsäure
O +
R
X
− KX
N
X H 3N R
R Phthaloylamin O
O + H2N
NH2
NH NH
+
H 2N R
O Phthalsäurehydrazid
22.4.3
Palladium-katalysierte Aminierung von Arylhalogeniden
Nach einem der HECK-Reaktion (Kap. 4.5.11) ähnlichen Katalysecyclus verläuft die BUCHWALDHARTWIG-Reaktion, bei der nahezu beliebig substituierte Arylhalogenide und Triflate in Gegen-
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374
22 Amine
wart von Palladium(II)-Komplexen sowie einer Base (Alkoholate, Lithium-N,N-dialkylamide) durch primäre und sekundäre Amine zu Anilinen aminiert werden: [L2PdCl2] Base
R1
R
X
+
HN
R1
R
N
R = o-, m-, p-Alkyl, Alkoxy-, Amino- ;
22.4.4
+
HX
R2
R2 X = Br, I, OSO2CF3 ;
L = P(C6H5)3 und andere Triarylphosphane
Addition von Ammoniak und Aminen an Doppelbindungen
Durch Addition von Ammoniak, primären oder sekundären Aminen an Alkene unter Druck und in Gegenwart von Kobalt-Salzen als Katalysatoren entstehen primäre, sekundäre und tertiäre Amine: C C
R H N R'
+
Co-Salz , Druck
H C C R
N
R'
Ist die Doppelbindung aktiviert, z. B. durch (−)-M-Effekte von Nitril- oder Carbonyl-Gruppen, so erfordert die Addition von Ammoniak und Aminen weder Druck noch Katalysatoren (MICHAELAddition). So addiert Dimethylamin nucleophil an Acrylnitril unter Bildung des tertiären Amins β(N,N-Dimethylamino)propionitril: H 3C
N_ H
_
H 2C CH C NI
+
H3C
H 2C CH C NI
H 3C Dimethylamin
22.4.5
N CH2 CH2 C N
H3C Acrylnitril
β-(N,N-Dimethylamino)propionitril
Addition von Ammoniak und Aminen an Oxiran
Die nucleophile Addition von Ammoniak, primären oder sekundären Aminen an Oxiran (Ethylenoxid) ergibt β-Aminoethanole (Ethanolamine): R R'
NI
R +
H
H2C CH2 O
NH
R
_
N
_ CH2 CH2 OI
R'
R'
CH2 CH2 OH
R = R' = H : β-AminoR = H , R' = Alkyl : β-(N-Alkylamino)R = R' = Alkyl : β-(N,N-Dialkylamino)ethanol
Reagiert z. B. Ammoniak mit überschüssigem Oxiran, so entsteht Triethanolamin über die Vorstufen 2-Aminoethanol (Ethanolamin) und Bis(2-hydroxyethyl)amin (Diethanolamin): H3N
+
H 2C CH 2 O +
H2N CH2 CH 2 OH
O
CH 2 CH 2 OH HN CH 2 CH 2 OH
2-Aminoethanol (Ethanolamin)
Bis(2-hydroxyethyl)amin (Diethanolamin)
+
O
CH 2 CH2 OH N CH2 CH2 OH CH 2 CH2 OH Tris(2-hydroxyethyl)amin (Triethanolamin)
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22.4 Darstellung
375
Ammoniak und Amine addieren auch an andere Dreiring-Heteroalicyclen, z. B. an Aziran (Aziridin, Ethylenimin): + H 3N
+
+
CH 2 CH2 NH 2 Bis(2-aminoethyl)amin (Diethylentriamin)
(H 3C)2N CH 2 CH2 NH 2
N
2-Amino-1-(N,N-dimethylamino)ethan (N,N-Dimethylethylendiamin)
H
22.4.6
HN
1,2-Diaminoethan (Ethylendiamin)
H
(H3C)2NH
CH 2 CH2 NH 2
H
H2N CH 2 CH2 NH 2
N
N
Reduktion von Nitro-Verbindungen
Die Reduktion der Nitroalkane und Nitroaromaten eignet sich zur Darstellung vieler primärer Amine (Tab. 22.3): Ar NO2
+
3 H2
H2 , Katalysator oder Reduktionsmittel
Ar NH 2
+
2 H2O
Tab. 22.3. Reduktion einiger Nitroverbindungen N i t r o - Verbindung CO2H NO2 o-Nitrobenzoesäure
Reduktionsmittel , Bedingungen
H 2 (Ni) , 100 °C , 50 atm. , verdünnte Essigsäure
NO2
primäres A m i n CO2H NH 2 Anthranilsäure NH 2
Fe , HCl , 100 °C , H2O α-Nitronaphthalen
α-Naphthylamin
NO2
NH 2 SnCl2 , HCl , 60 °C , H2O
F m-Nitrofluorbenzen
F m-Fluoranilin
OH NO2
OH Na2S - Schmelze
o-Nitrophenol H3C CH2 CH CH 3 NO2 2-Nitrobutan
NH 2 o-Aminophenol
LiAlH4 , 33 °C , absoluter Ether
H3C CH2 CH CH 3 NH2 2-Aminobutan
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376
22 Amine
Anilin wird z. B. in technischem Maßstab durch Reduktion von Nitrobenzen mit Eisenspänen (Schrott) in wäßriger Schwefelsäure hergestellt. Das als Nebenprodukt anfallende Eisen(II,III)oxid wird als Pigment verwendet. 4
NO2
+
9 Fe
+
4 H2O
H2SO4
NH2
4
+
3 Fe3O4
Die Reduktion des Nitrobenzens führt nur in sauerer Lösung zum Anilin. Im neutralen Bereich entsteht Phenylhydroxylamin, im alkalischen dagegen das als Hydrazobenzen bezeichnete Diphenylhydrazin. Weitere Zwischenstufen der Reduktion des Nitrobenzens sind Nitroso-, Azoxy- und Azobenzen (Kap. 23.8), wie es das HABERsche Reduktionsschema zusammenfaßt: Ar NO2 Nitrobenzen
Ar
a l k a l i s c h
N
N
O Ar Azoxybenzen
Ar NO Nitrosobenzen
s a u e r
Ar N
N
Ar Azobenzen
Ar NHOH Phenylhydroxylamin
Ar NH NH Ar Hydrazobenzen
22.4.7
n e u t r a l
Ar NH2 Anilin
Reduktion von Oximen, Nitrilen und Carbonsäureamiden
Natrium in Ethanol reduziert die aus Aldehyden und Ketonen zugänglichen Oxime (Kap. 20.8.5) zu primären Aminen, z. B.: H 3C
CH 3 (CH 2)5 C + N OH
4 C 2H5OH
+
4 Na
H3C
(CH2)5 CH CH 3
+
4 C 2H5ONa
+
H2O
NH2 2-Aminooctan
2-Octanonoxim
Die Reduktion von Nitrilen zu primären Aminen gelingt mit Natrium in Ethanol, Lithiumaluminiumhydrid in Ether oder durch katalytische Hydrierung, z. B.: C N CH 3 2-Methylbenzonitril
+
4 [H]
LiAlH4 , abs. Ether
CH2 NH2 CH 3 2-Methylbenzylamin
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22.4 Darstellung
377
Mit Ausnahme der Carbonsäureanilide und Imidazolide (vgl. Aldehyd-Synthesen, Kap. 20.5.4) werden Carbonsäureamide durch Diboran oder komplexe Metallhydride zu primären, sekundären oder tertiären Aminen reduziert: O + 4 [H] R C N R' R' R' = H oder Alkyl
22.4.8
LiAlH4 , abs. Ether
R CH 2
R' N R'
+
H2O
primäres, sekundäres oder tertiäres Amin
Reduktive Aminierung von Carbonyl-Verbindungen
Aldehyde und Ketone kondensieren mit Ammoniak und primären Aminen zu SCHIFF-Basen (Kap. 20.8.4), mit sekundären Aminen zu Enaminen (Kap. 20.8.6). Führt man diese Reaktion in Gegenwart von Wasserstoff und einem Hydrierkatalysator unter Druck durch, so entstehen nach Hydrierung der als Zwischenprodukte auftretenden Imine (SCHIFF-Basen) und Enamine die gesättigten Amine, primäre aus Ammoniak, sekundäre aus primären und tertiäre aus sekundären Ausgangsaminen. Zur Reduktion der Imin-Vorstufen eignen sich auch komplexe Metallhydride. C O
+
H3N
− H2O
Imin
C O
+
H2N R
R C H
+
HN R
H
C NHR sekundäres Amin
R C N R H C
− H2O
H
+ H2 , Ni (Druck)
N-Alkylimin
C O
C NH2 primäres Amin
C NR
− H2O
H
+ H2 , Ni (Druck)
C NH
+ H2 , Ni (Druck)
Enamin
H
C NR 2
C
H H tertiäres Amin
So führt die reduktive Aminierung des Cyclohexanons mit Ammoniak, Ethylamin bzw. Diethylamin selektiv zum primären, sekundären und tertiären Aminocyclohexan (Cyclohexylamin): +
NH3
+
H2
O
+
H 2N C2H5
+
H2
+
HN(C2H5)2
+
H2
O
O
Ni , 8 atm. , 70 °C , Ethanol − H2O
Ni , 8 atm. , 70 °C , Ethanol − H2O
Ni , 100 atm. , 120 °C − H2O
NH 2 Cyclohexylamin
N H C 2H5 N-Ethylcyclohexylamin N C2H 5 C 2H5 N,N-Diethylcyclohexylamin
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378
22 Amine
22.4.9
Reduktive Alkylierung von Aminen (LEUCKART-WALLACH-Reaktion)
Die LEUCKART-WALLACH-Reaktion alkyliert Ammoniak, primäre und sekundäre Amine durch Carbonyl-Verbindungen reduktiv mit Ameisensäure als Reduktionsmittel. Ammoniak in Form von Ammonium-formiat wird z. B. durch Acetophenon zu (racemischem) 1-Phenylethylamin alkyliert. NH2
O CH3
+
CH3
HCO2 NH 4
Acetophenon
+
CO2 + H 2O
DL-1-Phenylethylamin
Formaldehyd und Ameisensäure im Überschuß alkylieren Benzylamin zu N,N-Dimethylbenzylamin. CH3 CH 2 NH2 + 2 HCO2H + 2 HCHO
CH2 N
+ 2 CO2
+ 2 H2O
CH3 Benzylamin
N,N-Dimethylbenzylamin
Wahrscheinlich addiert das Amin (Ammoniak) nucleophil an die Carbonyl-Verbindung; der resultierende α-Aminoalkohol dehydratisiert im sauren Medium zum Immonium-Ion, das durch Ameisensäure über einen sechsgliedrigen Übergangszustand zum Amin reduziert wird: OH
O C
+
H N H
+ [ H +]
C N H α-Aminoalkohol
C
+ HCO2H
C N
− H2O
N
H
H O
− CO2
C H
N H
O
Immonium-Ion
22.4.10 Synthese primärer Amine durch Umlagerungen Carbonsäuren sowie Ketone und einige ihrer Derivate lassen sich durch mehrere Umlagerungen zu primären Aminen abbauen. Die Mechanismen dieser Umlagerungen verlaufen über gleiche oder ähnliche reaktive Zwischenstufen. Der HOFMANN-Abbau baut Carbonsäureamide (Carboxamide) durch Behandlung mit Brom oder Chlor in alkalischer Lösung zu den primären Aminen ab: O R C NH 2 Carbonsäureamid
−
+ 2 OH , + OBr − H2O , − CO3
2−
−
, − Br
R
−
NH2
primäres Amin
Beim LOSSEN-Abbau werden O-Acylhydroxamsäuren durch Erhitzen in alkalischem Medium in primäre Amine übergeführt: O R C N O H C R' O O-Acylhydroxamsäure
+ 3 OH −
−
− R'−CO2 , − H2O , − CO3
2−
R
NH2
primäres Amin
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22.4 Darstellung
379
Die als Ausgangsprodukte benötigten O-Acylhydroxamsäuren werden durch Acylierung der Hydroxamsäuren mit Carbonsäurehalogeniden oder Carbonsäureanhydriden dargestellt: +
entweder
O R C NH OH
O
X
C
O R C N O H C R' O O-Acylhydroxamsäure
(Base) , − HX
R' oder +
O
C R'
Hydroxamsäure
O
C
O
, − R'−CO2H
R'
Unter dem CURTIUS-Abbau versteht man die Thermolyse der Carbonsäureazide in saurer oder alkalischer Lösung zu primären Aminen, Stickstoff und Kohlendioxid. Carbonsäureazide sind durch Reaktion der Carbonsäurechloride mit Natriumazid oder Trimethylsilylazid zugänglich. O + NaN3 oder (H3C) 3SiN3 R C − NaCl oder (H3C) 3SiCl Cl Carbonsäurechlorid
O R C_ N _ N NI Carbonsäureazid
+ H2O
R
− N2 , − CO2
NH 2
primäres Amin
HOFMANN-, LOSSEN- und CURTIUS-Abbau verkörpern Umlagerungen über intermediäre Acylnitrene mit Elektronensextett am Stickstoff-Atom. Die nicht abfangbaren Acylnitrene lagern unter 1,2-Alkyl-Verschiebung zu Isocyanaten um. Ablösung der Abgangsgruppen (Br−, R−CO2− und N2) und 1,2-Alkyl-Verschiebung verlaufen synchron. Alle drei Reaktionen führen zu isolierbaren Isocyanaten. Deren Hydrolyse führt über instabile N-Alkylcarbamidsäuren unter Decarboxylierung zu den primären Aminen. O R C NH 2
O R C N Br H
+ Br 2 − HBr
Carboxamid
+ OH
−
O R C_ N _ Br
− H2O
− Br
O
+ OH
R C
−
− H2O
N O
O R C_ N _ O
C R'
H O
LOSSEN − R'−CO2
C R' O
−
−
HOFMANN
O R C_ N _
CURTIUS − N2
O R C_ N _ N NI Carbonsäureazid
Acylnitren
O-Acylhydroxamsäure
R O C N Isocyanat
R N H
+ H2O
O C
− CO2
OH N-Alkylcarbamidsäure
R
NH2
primäres Amin
Die SCHMIDT-Reaktion der Carbonsäuren mit Stickstoffwasserstoffsäure führt unter Abspaltung von Stickstoff und Kohlendioxid zu primären Aminen: O R C OH
+ HN3 (NaN3 , H2SO4) − N2 , − CO2
R
NH 2
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380
22 Amine
Reaktive Zwischenstufe dieser Reaktion ist ein protoniertes Acylnitren, aus dem durch 1,2-AlkylVerschiebung ein protoniertes Isocyanat hervorgeht, dessen Hydrolyse unter Decarboxylierung zum Alkylammonium-Ion führt. _
+ IN N NI
R
H
O C
R O C_ N N NI H
− N2
R O C N _ H
protoniertes Acylnitren
− H2 O
R O C OH
R
R O C
+ H 2O
O C N H protoniertes Isocyanat
OH 2
H3N
− CO2
R
Alkylammonium-Ion
Dagegen entsteht bei der SCHMIDT-Reaktion von Ketonen mit Stickstoffwasserstoffsäure unter Abspaltung von Stickstoff zunächst ein N-Alkylcarbonsäureamid, dessen Hydrolyse die Carbonsäure und das primäre Amin ergibt: O
+ HN3
R C
− N2
R
O + H2O R C − (H3O+ oder OH ) N R H N-Alkylcarbonsäureamid
R CO2H
+
R NH2
Auch die säurekatalysierte BECKMANN-Umlagerung von Ketoximen führt über N-Alkylcarbonsäureamide zu primären Aminen: [H+]
R C N R OH Ketoxim
O + H2O R C − (H3O+ oder OH ) N R H N-Alkylcarbonsäureamid
R CO2H
+
R NH2
Die Herstellung von ε-Aminocapronsäure als Vorstufe der Synthesefaser Perlon (Nylon-6) über εCaprolactam aus Cyclohexanonoxim ist eine bedeutende industrielle Anwendung der BECKMANNUmlagerung: N
OH
BECKMANNUmlagerung
Cyclohexanonoxim
O
H2SO4
N
H
ε-Caprolactam
+ H2O (H2SO4)
H2N
[CH 2] 5 CO2H
ε-Aminocapronsäure Polykondensation
H N [CH 2] 5 C Perlon
O n
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22.4 Darstellung
381
Als reaktive Zwischenstufen der SCHMIDT-Reaktion von Ketonen (A) sowie der BECKMANN-Umlagerung von Ketoximen (B) agieren Dialkylnitrenium-Ionen. Deren anionotrope 1,2-Akyl-Verschiebung führt zum Carbenium-Ion. Die anschließende Addition von Wasser gibt das N-Alkylcarboxamid, das zur Carbonsäure und zum primären Amin hydrolysiert werden kann. R R C R
A
OH
+ [H+]
_
+ IN N NI
R OH
H
R C O
R C
N _ N NI
R
Keton
R
− H2O
R C
N _ N NI
H
R C
− N2
OH O
OH
R C
+ H2O , − [H+]
R C
N R N R H N-Alkylcarboxamid (Tautomere)
R
SCHMIDT
R C
R C
BECKMANN
N R Carbenium-Ion
N _
Dialkylnitrenium-Ion
+ H2O [H+]
− H2O
R R CO2H Carbonsäure
+
R NH 2
B
R
+ [H+]
R C
R C
N OH Ketoxim
primäres Amin
N OH2
Wie Carbene und Carbenium-Ionen können sich Nitrene und Nitrenium-Ionen durch Verschiebung einer Alkyl-Gruppe vom Kohlenstoff zum benachbarten "Sextett"-Stickstoff stabilisieren: Anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebungen von Acylnitrenen führen zu einem Isocyanat (HOFMANN-, LOSSEN-, CURTIUS-Abbau) und beim protonierten Acylnitren entsprechend zum protonierten Isocyanat (SCHMIDT-Reaktion der Carbonsäuren). Anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebungen der Dialkylnitrenium-Ionen ergeben in Gegenwart von Wasser N-Alkylcarboxamide und schließlich Carbonsäuren sowie primäre Amine (SCHMIDTReaktion der Ketone und BECKMANN-Umlagerung der Ketoxime).
22.4.11 Synthese von Benzidin-Derivaten durch Benzidin-Umlagerung 1,2-Diarylhydrazine (Hydrazobenzene) lagern sich in Gegenwart starker Säuren in die krebserregenden 4,4'-Diaminobiaryle (Benzidine) um, z. B.: [H+]
H2N
NH NH Hydrazobenzen CH 3 NH NH H 3C Hydrazotoluen
NH 2
4,4'-Diaminobiphenyl (Benzidin) CH3
[H+]
H2N
NH 2
H 3C 4,4'-Diamino-2,2'-dimethylbiphenyl ( o-Tolidin )
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382
22 Amine
Primärschritt (1) der Benzidin-Umlagerung ist eine Protonierung des Diarylhydrazins. Die benachbarten positiven Ladungen im diprotonierten Hydrazobenzen begünstigen die Spaltung der N−NBindung (2). In einem π-komplexartigen Donor-Akzeptor-Übergangszustand können die beiden Benzen-Ringe para zu den Amino-Gruppen eine σ-Bindung knüpfen (2). Das dabei entstehende Dikation kann in Fluorsulfonsäure-Schwefeldioxid bei tiefen Temperaturen nachgewiesen werden. Doppelte Deprotonierung und Rearomatisierung ergeben schließlich das Benzidin-Derivat (3). HN
NH
H2N
(1)
NH2
(2)
H
+ 2 [H+]
H 2N
NH 2 H (3)
H 2N
− 2 [H+]
NH 2
22.5 Basizität 22.5.1
Basizitätskonstante
Wie Ammoniak enthalten Amine am Stickstoff ein nichtbindendes Elektronenpaar; sie sind daher nucleophil, also auch Protonenakzeptoren und bilden Ammonium-Ionen: _ NH 3
+
[H ]
NH4
Ammonium-Ion
_ R NH 2
+
[H ]
R NH3
Alkylammonium-Ion
Im Vergleich zu Wasser sind Ammoniak und Amine stärkere Basen und bilden in wäßrigen Mineralsäuren (H3O+X−) deshalb Ammonium-Salze: _ R NH 2
+
H 3O Cl
R NH3 Cl
+
H 2O
Dagegen sind Ammoniak und Amine schwächer basisch als Alkalihydroxide und werden durch diese aus Ammonium-Salzen in Freiheit gesetzt: R NH 3
+
OH
_ R NH 2
+
H 2O
Die Basizität der Amine bezieht sich auf das Ausmaß, mit dem sie in wäßriger Lösung dem Wasser Protonen entziehen und OH−-Ionen erzeugen: _ R NH 2
+
H 2O
R NH3
+
OH
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22.5 Basizität
383
Gleichgewichtskonstante dieser Reaktion ist die Basizitätskonstante Kb : −
Kb =
c(R NH3+) c(OH ) c(R NH2)
Tab. 22.1 und 22.2 enthalten die Basizitätskonstanten einiger Amine. Man sieht, daß aromatische Amine schwächere Basen sind (Kb ≈ 10−9) als aliphatische Amine (Kb ≈ 10−4), die ihrerseits noch stärker basisch sind als Ammoniak (Kb = 1.8 x 10−4).
22.5.2
Basizität aliphatischer Amine
Die im Vergleich zu Ammoniak größere Basizität der aliphatischen Amine beruht auf dem "Elektronendruck" der Alkyl-Gruppen, welcher einerseits das n-Elektronenpaar am Stickstoff zum nucleophilen Angriff am Proton drängt, andererseits die positive Ladung des entstandenen Ammonium-Ions etwas neutralisiert und dieses somit stabilisiert: NI
+
[H ]
N H
R
R
Dementsprechend erhöhen zwei schiebende Alkyl-Gruppen die Basizität sekundärer aliphatischer Amine, die daher stärkere Basen sind als primäre (Tab. 22.1). Tertiäre aliphatische Amine sind indessen schwächer basisch als sekundäre (Tab. 22.1), da die drei Alkyl-Gruppen nicht nur die Solvation behindern, sondern auch das zur Protonierung erforderliche n-Elektronenpaar am Stickstoff-Atom abschirmen.
22.5.3
Basizität aromatischer Amine
Die gegenüber aliphatischen Aminen schwächere Basizität der Aniline (Tab. 22.2) beruht darauf, daß das Elektronenpaar der Anilin-Amino-Gruppe nicht mehr am Stickstoff verfügbar ist, sondern an der Mesomerie des Benzen-Rings teilnimmt. Dies führt zu einer durch zwitterionische Grenzformeln beschriebenen Mesomeriestabilisierung des Anilin-Moleküls: I NH 2
I NH 2
NH2
Anilin
NH2
NH2
NH 3
NH3
Anilinium-Ion
Demgegenüber ist das durch Protonierung entstehende Anilinium-Ion nur ein Hybrid zweier KEKULÉ-Formeln, ohne Möglichkeit einer stabilisierenden Verteilung der positiven Ladung. Da somit die Mesomeriestabilisierung des Anilins größer ist als die des Anilinium-Ions, erfordert die
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384
22 Amine
Protonierung des Anilins mehr Energie als jene des Ammoniaks oder eines primären aliphatischen Amins, wie Abb. 22.4 verdeutlicht. Epot
Ar
NH4
NH 3
∆Hmes (Ar−NH3) < ∆Hmes (Ar−NH2) ∆H1 ∆H2 > ∆H1 NH3 + [H ]
∆Hmes (Ar−NH2)
Ar
NH 2 + [H ]
Abb. 22.4. Mesomeriestabilisierung von Anilin und Anilinium-Ion; Vergleich der Protonierungsenergie von Anilin und Ammoniak
22.5.4
Substituenteneinflüsse auf die Basizität aromatischer Amine
Ein aromatisches Amin ist umso basischer, je mehr sich das n-Elektronenpaar am Amino-N-Atom lokalisiert. Donor-Substituenten D in o- und p-Stellung, deren (+)-M-Effekt Elektronenpaare in den Benzen-Ring schiebt, erhöhen demnach die Basizität. Typische Donor-Substituenten sind z. B. −OH, −OCH3, −NR2 (R = H oder Alkyl), weniger ausgeprägt −CH3. Aus diesem Grund ist pPhenylendiamin basischer als Anilin (Tab. 22.1). I NH 2
NH3 D
D +
D = −OH , −OCH 3 , −NR2 , −CH3 : stärker basisch als Anilin
[H ]
D
D
Andererseits schwächen Akzeptor-Substituenten A die Basizität, da sie über ihren (−)-M-Effekt die Elektronendichte im Benzen-Ring und am Stickstoff senken, das Anilin zusätzlich stabilisieren, das Anilinium-Ion dagegen destabilisieren. Typische Akzeptor-Substituenten sind −NO2, −COOH, −COOR, −COR, −CHO, −CN. 4-Nitroanilin ist deshalb schwächer basisch als Anilin (Tab. 22.1). NH3
I NH 2
A
A +
A
[H ]
A = −NO2 , −CO2H , −CO2R , −COR , −CHO , −CN , −Halogen : schwächer basisch als Anilin
A
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22.6 Reaktionen
385
22.6 Reaktionen 22.6.1
Bildung N-substituierter Ammonium-Salze
Infolge ihrer Basizität bilden die Amine mit Säuren Alkyl- oder Arylammonium-Salze, z. B.: NH2
+
NH3 HSO4
H2SO4
Anilinium-hydrogensulfat (Phenylammonium-hydrogensulfat)
Auch mit stark sauren Phenolen reagieren die Amine zu Salzen. Pikrinsäure (2,4,6-Trinitrophenol) fällt z. B. die Amine aus Lösungen in Ethanol oder Ether als gelbe, kristallisierte Pikrate, die man aufgrund ihrer charakteristischen Schmelzpunkte zur Identifizierung der Amine heranzieht: O2N (H 5C2)3NI
+
HO
NO2
(H 5C2)3NH
O2N Pikrinsäure
Triethylamin
22.6.2
Ethanol
O2N _ IO _
NO2
O2N Triethylammonium-pikrat
Reaktion mit salpetriger Säure
Primäre aliphatische und aromatische Amine reagieren mit Natriumnitrit in saurer Lösung zu Diazonium-Salzen (Diazotierung); als Elektrophil agiert das durch Protonierung der salpetrigen Säure oder aus Distickstofftrioxid gebildete Nitrosonium-Kation (Nitrosyl-Kation +NO): primäres Amin (Nucleophil)
R
NH 2
Nitrosonium-Kation (Elektrophil)
+
H R
N O
N
H
O
O O
N
+
+ [H ]
H
O
salpetrige Säure
N
N
R
−
− H 2O
O
O
H H
− NO2
OH2
+ [H +]
N
R
H − H 2O
OH N
N
O
N O
N
N
N
R = Alkyl oder Aryl
N
R N N
R
mesomere Grenzformeln eines Alkyl- oder Aryldiazonium-Ions
Distickstofftrioxid
Aryldiazonium-Salze Ar−N2+ X− sind isolierbare, vielseitig anwendbare Reagenzien der organischen Synthese (Kap. 23.5- 23.8). Dagegen zersetzen sich die Alkyldiazonium-Salze R−N2+ X− spontan nach ihrer Bildung unter Entwicklung von Stickstoff über intermediäre Carbenium-Ionen in ein Gemisch aus Alkoholen und Alkenen: R NH2
R N N
X
+
H 2O
N2
+
HX
+
R OH
( + Alkene )
Alkyldiazonium-Salz (instabil)
Diese VAN SLYKE-Reaktion wird zur quantitativen Bestimmung primärer aliphatisch verknüpfter Amino-Gruppen durch gasvolumetrische Messung des entwickelten Stickstoffs genutzt.
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386
22 Amine
Die N-Nitrosierung sekundärer aliphatischer und aromatischer Amine mit salpetriger Säure gibt gelbe, ölige, krebserregende N-Nitrosamine, z. B.: H3C N H
+
H3C
NaNO2 , HCl
HNO2
O N N
+
H2O
N N + O N-Nitroso-N-methylanilin
H2O
H3C
H3C
N-Nitrosodimethylamin
N H
+
NaNO2 , HCl
HNO2
H 3C
H3C
Tertiäre aliphatische Amine reagieren mit salpetriger Säure unter Oxidation zu einem Gemisch aus N-Nitrosodialkylaminen, Aldehyden und Ketonen. Tertiäre aromatische Amine werden dagegen am Benzen-Ring elektrophil nitrosiert. Die Nitrosierung des N,N-Dimethylanilins ergibt z. B. pNitroso-N,N-dimethylanilin, eine grüne, kristalline Verbindung. Als Elektrophil fungiert wieder das aus salpetriger Säure entstehende Nitrosonium-Kation. H 3C +
N
N O
− [H+]
H 3C
22.6.3
H3C
NaNO2 , H2SO4
O N
N
H3C p-Nitroso-N,N-dimethylanilin
N -Oxidation
Wasserstoffperoxid und Peroxycarbonsäuren können in situ bei Gegenwart geeigneter Reaktionspartner elektrophilen (atomaren) Sauerstoff mit Elektronensextett abspalten: H O O
O
_ [ OI _ ]
R C
H
H O O
An die Elektronenlücke dieses Sauerstoff-Atoms kann ein Amino-N-Atom nucleophil addieren; dabei entsteht ein Amin-N-oxid: NI
+
_ [ OI _ ]
_
N OI _ Amin-N-oxid
So reagieren einige tertiäre Amine wie Pyridin mit Peroxiden oder Peroxycarbonsäuren zu stabilen Amin-N-oxiden. NI
+
H 2O2
N
_
OI _
+
H2O
Pyridin-N-oxid
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22.6 Reaktionen
387
Oft zersetzen sich die N-Oxide tertiärer Amine beim Erhitzen. Die N-Oxidation sekundärer Amine ergibt unter Tautomerisierung der zunächst entstehenden N-Oxide N,N-Dialkylhydroxylamine: R R
NI
+
H
O R C H O O
R R
− R−CO2H
R R
_
N OI _
N OH
H
sekundäres Amin
Amin- N-oxid
N,N-Dialkylhydroxylamin
Entsprechend bilden sich auch bei der Reaktion von primären Aminen mit Persäuren zunächst NAlkylhydroxylamine, die jedoch meist zu den Nitroalkanen weiteroxidiert werden. R H
NI
+
H
O H R C O O
R
− R−CO2H
+ 2 R−CO3H
N OH
− 2 R−CO2H , − H2O
H
primäres Amin
N-Alkylhydroxylamin
R NO2 Nitroalkan
Die N-Oxidation primärer Amine ist keine allgemeine Methode zur Darstellung von NitroVerbindungen. Nitroalkane werden besser durch radikalische, Nitroaromaten besser durch elektrophile Nitrierung dargestellt.
22.6.4
N-Halogenierung
Primäre und sekundäre aliphatische Amine werden bei der Reaktion mit Natriumhypochlorit oder t-Butylhypobromit in alkalischer Lösung N-halogeniert: R NH 2
+
2 Cl2
NaOH , Cl2 − 2 HCl
Cl R N Cl
N,N-Dichloralkylamin R N H
+
Cl2
R
NaOH , Cl2 − HCl
R N Cl R N-Chlordialkylamin
N-Fluoramine werden als Raketentreibstoffe verwendet. N-Halogenamine explodieren beim Erhitzen; ihre Hydrolyse in wäßriger Säure führt zu Alkylammonium-Salz und Halogen: Cl +
R N
3 HCl
H2O
R NH3 Cl
+
2 Cl2
Cl
N,N-Dichloralkylamin
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388
22.6.5
22 Amine
N-Acylierung
Primäre und sekundäre Amine reagieren in Gegenwart einer Base (z. B. einem tertiären Amin) mit Carbonsäurehalogeniden zu N-Alkyl- bzw. N,N-Dialkylcarbonsäureamiden. N,N-Dimethylformamid (DMF, R´= H, R = CH3) und N,N-Dimethylacetamid (DMA, R = R´= CH3) als Beispiele sind vielseitig anwendbare Lösemittel. O R NH 2
Base
C R'
+ X
R
O N H
+
C R'
R
X
− HX
Base
− HX
R
O N C
H R' N-Alkylcarboxamid R
O N C
R R' N,N-Dialkylcarboxamid
Analog verläuft die Reaktion mit Sulfonsäurehalogeniden, z. B. Benzensulfochlorid unter Bildung von N-Alkyl- bzw. N,N-Dialkylsulfonamiden: O R NH 2
+
Cl
Base
S
− HCl
O O
R N H R
+
Cl
Base
S
− HCl
O
R
O N S
H O N-Alkylbenzensulfonamid R
O N S
R O N,N-Dialkylbenzensulfonamid
Tertiäre Amine wie Triethylamin und Diisopropylethylamin (DIPEA) werden nicht acyliert, aber sie beschleunigen Acylierungen, indem sie Chlorwasserstoff im Trialkylammonium-Salz binden. Aufgrund der benachbarten elektronenziehenden Carbonyl- oder Sulfonyl-Gruppe sind die NHGruppen der N-Alkylamide nicht basisch, sondern sauer. Die nach Deprotonierung hinterbleibenden Amid-Anionen sind mesomeriestabilisiert: R
O N C H R' R
O N S
H
O
+ OH
−
− H2O
+ OH
−
− H2O
R_ O _ C N R' R_ O N _ S O
_
R
O _I _ C N R'
R
O N _ S IOI _
N-Alkylcarbonsäure und -sulfonamide lösen sich daher in wäßrigem Alkalihydroxid unter Salzbildung im Gegensatz zu den N,N-Dialkylamiden, welche kein acides NH bieten. Auf diesem Unterschied beruht die HINSBERG-Trennung primärer, sekundärer und tertiärer Amine: Primäre und sekundäre Amine reagieren mit Benzensulfonylchlorid zu N-Alkylbenzensulfonamiden bzw. N,N-
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22.6 Reaktionen
389
Dialkylbenzensulfonamiden, von denen sich nur die N-Alkylamide in wäßrigem Alkalihydroxid lösen; tertiäre Amine geben keine Benzensulfonamide. Einige Sulfonamide aus 4-(Acetylamino)-benzensulfochlorid wirken als Chemotherapeutika gegen bakterielle Infektionen: O H3C C N H
22.6.6
O
NH2 R
R=
S N O
S
C
R= N
NH Guanidyl-Rest : Sulfaguanidin
H
Thiazolyl-Rest : Sulfathiazol
N -Alkylierung
Halogenalkane alkylieren Amine sukzessive bis zum Tetraalkylammonium-Salz: R NH2
+ R −X
+ R −X
R2NH
− HX
primäres
+ R −X
R3N
− HX
sekundäres
R 4N
X
Tetraalkylammonium-Salz
tertiäres Amin
Die N-Alkylierung verläuft unter nucleophiler Substitution des Halogenids durch das Amin. Ist das Halogenalkan primär, so folgt der Mechanismus dem SN2-Typ: H NI
+
H
H C
X
H
SN2
H H δ+
N
R
H
H X
δ−
C
X
N
C
− HX
H
_
N
H
R
R
R
H C
Die letzte Stufe der N-Alkylierung von Aminen führt zum Tetraalkylammonium-Salz. Man bezeichnet diesen Schritt als Quaternisierung oder erschöpfende Alkylierung. Die erschöpfende Methylierung wird durch Reaktion mit überschüssigem Methyliodid erzielt, z. B.: H3C H 3C CH 2 NI
+
CH3
H 3C H 3C CH 2 N
I
H 3C CH 2
CH 3
I
H 3C CH 2
Diethylmethylamin
Diethyldimethylammonium-iodid
Base
N
+
2 CH 3
I
H
N
− HI
Pyrrolidin
+
CH 3
N
I
H3C
CH3
N-Methylpyrrolidin
I
CH3
N,N-Dimethylpyrrolidinium-iodid
Die N-Methylierung von Aminen gelingt auch mit Diazomethan in Gegenwart von Bortrifluorid: ICH2
N NI
+
R 2N H
BF3
R2N CH3
+
N2
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390
22 Amine
Im Gegensatz zu den unvollständig alkylierten Ammonium-Salzen, aus welchen sich die Amine durch Alkalihydroxid in Freiheit setzen lassen, R3NH X
+
OH
NaOH
R3N
+
H 2O
+
X
werden die Tetraalkylammonium-Ionen von Alkalihydroxiden in der Kälte nicht angegriffen. Mit einer Suspension von Silberoxid in Wasser entsteht jedoch das Tetraalkylammonium-hydroxid, das in wäßriger Lösung verbleibt, während Silberhalogenid (AgX) ausfällt: R4N X
+
AgOH in H2O
OH
R 4N OH
oder Anionen-Austauscher
+
X
Tetraalkylammoniumhydroxid
Der Ionenaustausch von Halogenid gegen Hydroxid läßt sich auch mit Hilfe eines AnionenAustauschers durchführen. Tetraalkylammonium-hydroxide sind bei Raumtemperatur stabil und aufgrund ihres OH−-Ions den Alkalihydroxiden an Basizität ebenbürtig.
22.6.7
HOFMANN-Eliminierung von Tetraalkylammonium-hydroxiden
Die durch erschöpfende Methylierung von Aminen zugänglichen Tetraalkylammonium-hydroxide spalten beim Erhitzen in Wasser in ein tertiäres Amin und ein Alken, z. B.: CH3 CH 2 CH2 N CH3 OH
Hitze
C CH 2
+
N(CH3)3
+
H 2O
H
CH3 (2-Cyclobutylethyl)trimethylammoniumhydroxid
Ethenylcyclobutan (Vinylcyclobutan)
Diese als HOFMANN-Eliminierung bekannte Reaktion verläuft meist als (in Bezug auf OH− und R4N+) bimolekulare β-Eliminierung (E2-Reaktion) eines zum Stickstoff β-ständigen Protons durch das Hydroxid-Anion: _ H OI _
+
β
C
NR3 C
α
Hitze
β
C
α
C
+
H2O
+
INR 3
H
Das Hydroxid-Ion greift umso leichter am β-Proton an, je geringer die sterische Behinderung am β-C-Atom ist. Die Eliminierungstendenz nimmt also mit abnehmender Alkylierung am β-C-Atom zu (−CHR2 60 °C − N2
H 3C
H 3C
C C NI
C C NI H 3C
H 3C
Azobisisobutyronitril ist daher bereits bei tiefen Temperaturen ein Radikalgenerator und eignet sich u. a. zum Starten der radikalischen Polymerisation von Vinyl-Verbindungen R−CH=CH2.
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23.4 Azoalkan-Derivate
401
Azodicarbonsäurediester, z. B. Diethylazodicarboxylat (DEAD) und Triphenylphosphan sind die Reagenzien der MITSUNOBU-Reaktion zur Veresterung und Veretherung (Kap. 19.4.2). Dabei addiert Triphenylphosphan nucleophil an die Azo-Gruppe. Das zwitterionische Phosphoniumhydrazid wird durch die Carbonsäure R1−CO2H protoniert. Nach nucleophiler Substitution des Diethoxycarbonylhydrazins am P-Atom durch den Alkohol R2−OH bildet sich das Alkoxyphosphonium-Carboxylat, das seinerseits durch SN2-Reaktion des Carboxylat-Anions am AlkoxyC-Atom in Triphenylphosphanoxid und Carbonsäureester zerfällt. H5C 2O2C N N CO2C 2H5
Diethylazodicarboxylat (DEAD)
+ P(C6H5) 3
_ _ CO2C 2H5 Phosphonium-Hydrazid H5C 2O2C N N (H5C 6)3P + R1 CO2H + R2 OH
H5C 2O2C N NH CO2C2H 5 (H5C 6)3P
R1 CO2
−
HN CO2C2H5 HN CO2C2H5
(H 5C6)3P OR 2 +
− (H5C6) 3P O
R 1 CO2
Alkoxyphosphonium-Carboxylat
R 1 CO2R 2 Carbonsäureester
Der SN2-Mechanismus im letzten Schritt hat bei enantiomeren Alkoholen eine WALDEN-Inversion der absoluten Konfiguration zur Folge, so daß sich die MITSUNOBU-Reaktion auch zur Umwandlung enantiomerer sekundärer Alkohole ineinander eignet, denn die Esterverseifung ändert nichts an der absoluten Konfiguration. (H 5C6)3P O H + CH 3 CO2 C H5C 6 CH3
− (H5C6) 3P
CH 3 H O C O C H5C 6 CH3
O
(S)-1-Phenylethoxyphosphonium-Acetat
+ H2O (NaOH) − CH3−CO2H
(R)-1-Phenylethylacetat
H OH C H 5C6 CH3
(R)-1-Phenylethanol
Intramolekulare Varianten der MITSUNOBU-Reaktion sind die Synthese makrocyclischer Lactone aus den entsprechenden Hydroxycarbonsäuren sowie makrocylischer Ether aus den entsprechenden Diolen:
O O Undecalacton
DEAD, P(C6H5) 3
CO2H OH
11-Hydroxyundecansäure
OH
DEAD, P(C6H5) 3
O
OH Hexan-1,6-diol
Oxepan
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402
23 Organostickstoff-Verbindungen
23.5 Aryldiazonium-Salze Aren- oder Aryldiazonium-Salze entstehen durch Reaktion primärer aromatischer Amine mit salpetriger Säure (Nitrit in mineralsaurer Lösung); diese Reaktion ist als Diazotierung bekannt. Ar
NH 2
+
HX
Ar
+ HNO2 (NaNO2 , HX)
NH3 X
− 2 H2O
Ar N2 X Aryldiazonium-Salz
Während die Alkyldiazonium-Salze auch bei tiefen Temperaturen quantitativ Stickstoff abspalten (VAN-SLYKE-Reaktion, Kap. 22.6.2), sind Aryldiazonium-Salze verhältnismäßig stabil. Sie lassen sich in manchen Fällen kristallisieren, z. B. als Tetrafluorborate: N 2 BF 4
Phenyldiazonium-tetrafluorborat
Ihre Stabilität verdanken die Aryldiazonium-Salze der Mesomerie des Aryldiazonium-Ions: NI N _
N NI _
N NI
N NI _
N NI _
mesomere Grenzformeln des Phenyldiazonium-Ions
Viele Aryldiazonium-Salze, insbesondere Nitrate und Perchlorate, zerfallen in trockenem Zustand unter Explosion. Bei Synthesen werden daher meist die nach der Diazotierung entstandenen frischen Lösungen der Diazonium-Salze verwendet. Aryldiazonium-Salze können unter Abspaltung von Stickstoff je nach den Reaktionsbedingungen sowohl Aryl-Radikale als auch Aryl-Kationen bilden. Die Folgereaktionen dieser Zwischenstufen ermöglichen zahlreiche Synthesen. Das Diazonium-Ion selbst ist ein Elektrophil und eignet sich insofern zur Einführung der Arylazo-Gruppe Ar−N=N− (Azo-Kupplung, Kap. 23.8).
23.6 Radikalische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen 23.6.1
Darstellung von Halogenaromaten aus Aryldiazonium-Salzen (SANDMEYER-Reaktion)
Aryldiazonium-halogenide reagieren in Gegenwart von Kupfer(I)-halogenid unter Abspaltung von Stickstoff zu Arylhalogeniden. Diese SANDMEYER-Reaktion bewährt sich zur Darstellung von Chlor- und Bromaromaten (Kap. 10.11.2): Ar
N2 X
Cu X
Ar
X
+
N2
X = Cl , Br
Anstelle von Kupfer(I)-halogenid kann auch Kupferpulver verwendet werden (GATTERMANNVariante). Im ersten Schritt der SANDMEYER-Reaktion reduziert Kupfer(I) das Aryldiazonium-Ion zu Stickstoff und Aryl-Radikalen. Bei seiner anschließenden Reaktion mit dem Halogenid-Anion
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23.6 Radikalische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen
403
überträgt das Aryl-Radikal ein Elektron auf das im ersten Schritt entstandene Kupfer(II). Dabei entsteht ein Halogenaromat unter Regeneration von Kupfer(I). Ar
N2 X
+
+
X
+
Cu2
X
+
e0
+
Cu 2
Ar
X
+
Cu
Ar
Cu
Ar
Die SANDMEYER-Reaktion eignet sich gut zur Bromierung und Chlorierung, nicht jedoch zur Fluorierung und Iodierung von Aromaten. Pseudohalogenide wie Cyanide (CN−), Thiocyanate (SCN−) und Nitrite reagieren mit Aryldiazonium-Salzen in Analogie zur SANDMEYER-Reaktion unter Bildung von Cyano-, Thiocyanato- und Nitroaromaten. Eine präparative Anwendung ist die Darstellung des 2-Thiocyanatobenzaldehyds aus o-Nitrobenzaldehyd in drei Stufen: NO2 C
Reduktion Fe2+ , NH3
NH 2
O
C
N2 Cl
O
C
H
H
23.6.2
1.) HCl 2.) NaNO2
SCN
+ Cu SCN
O
− Cu Cl , − N2
H
C
O
H 2-Thiocyanatobenzaldehyd
Mercurierung über Aryldiazonium-Salze (NESMEJANOW-Reaktion)
Phenyldiazonium-Chlorid reagiert mit Quecksilber(II)-chlorid zunächst zum Trichlormercurat(II), welches bei Gegenwart von metallischem Kupfer in Phenylquecksilberchlorid übergeht: N 2 Cl
+
HgCl2
+ 2 Cu
N 2 [ HgCl3 ]
Hg Cl
− 2 Cu Cl
Phenyldiazonium-trichlormercurat
+
N2
Phenylquecksilberchlorid
Auch diese NESMEJANOW-Reaktion verläuft wahrscheinlich über Aryl-Radikale, welche durch reduktive Spaltung der Aryldiazonium-Ionen entstehen.
23.6.3
Arylierung von Aromaten durch Aryldiazonium-Salze (GOMBERG-BACHMANN-Reaktion)
Setzt man der durch Diazotierung entstandenen, zunächst sauren Lösung eines AryldiazoniumSalzes ein Aren zu und stellt den Ansatz dann alkalisch, so bildet sich ein Biaryl: −
Ar
N2 X
X = Cl , Br
+
H Ar´
(OH ) − HX
Ar Ar´ Biaryl
+
N2
Biphenyl (Ar = −C6H5 ) erhält man z. B. durch Reaktion von Phenyldiazoniumchlorid mit Benzen in Gegenwart von Alkalihydroxiden. Diese GOMBERG-BACHMANN-Reaktion ist eine allgemeine Methode zur direkten Verknüpfung aromatischer Ringe; sie läßt sich auch intramolekular durch-
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404
23 Organostickstoff-Verbindungen
führen, so daß sich ein Ring schließt (PSCHORR-Variante der GOMBERG-BACHMANN-Reaktion). Aus 2-Aminodiphenylmethan entsteht z. B. über das Diazonium-Salz Fluoren: Cl N2
1.) HCl 2.) NaNO2
NH 2
−
(OH ) − HCl , − N2
Fluoren
2-Aminodiphenylmethan
Die GOMBERG-BACHMANN-Reaktion verläuft über Aryl-Radikale (Ar .) welche unter den Reaktionsbedingungen (alkalische Lösung) wahrscheinlich durch Spaltung der Diazoanhydride entstehen. Letztere bilden sich in alkalischer Lösung über die Diazonium- bzw. die Diazohydroxide: + 2 OH
2 Ar
N2 X
− HX
−
N OH 2 Ar
N2 OH
2 Ar
Diazonium-hydroxid
N
Diazohydroxid N O N
O N N N Ar Diazoanhydrid
Ar
Ar
+
Aryl-Radikal
Ar
N
Azoxy-Radikal
Die Aryl-Radikale reagieren mit einem Aromaten zu einem mesomeriestabilisierten BiarylRadikal, welches mit dem Azoxy-Radikal Ar−N=N−O. unter Regeneration des Diazohydroxids das Biaryl bildet: H Ar
Ar
+
H
H
Ar
Ar
N O
H + Ar
N
− Ar
N
Ar
N OH
Biaryl
23.7 Ionische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen Die ionische Spaltung von Aryldiazonium-Salzen führt zu Stickstoff und Aryl-Kationen, welche der nucleophilen Substitution durch einen Elektronendonator (Anion, Base) zugänglich sind: Ar
N2
− N2
−
+ IB oder IB
[ Ar ]
Ar
B oder Ar
B
Dieses allgemeine Reaktionsschema liegt den folgenden Reaktionen zugrunde.
23.7.1
Bildung von Phenolen über Aryldiazonium-Salze
Beim Erwärmen ("Verkochen") wäßriger Lösungen von Aryldiazonium-Salzen bilden sich Phenole, Ar−OH. Die Reaktion läßt sich als nucleophile Substitution durch Wasser formulieren: Ar
N2
+ H2O , − N2
+
− [H ]
[ Ar ]
+
OH2
Ar
OH 2
Ar OH Phenol
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23.7 Ionische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen
405
So wird 3-Chlorphenol aus dem durch Reduktion des 3-Chlornitrophenols zugänglichen 3-Chloranilin über dessen Diazonium-Salz dargestellt: 1.) HCl 2.) NaNO2
NH2
OH
− HCl , − N2
Cl 3-Chlorphenyldiazonium-chlorid
Cl 3-Chloranilin
23.7.2
+ H2O , 80 °C
N 2 Cl
Cl 3-Chlorphenol
Bildung von Fluorarenen aus Aryldiazonium-tetrafluorboraten (BALZ-SCHIEMANN-Reaktion)
Erhitzt man Aryldiazonium-tetrafluorborate, so bilden sich Fluoraromaten, wobei ein Fluorid als Nucleophil reagiert: Ar
N2 [BF 4]
Hitze , − N2
[Ar ]
+
F BF 3
Ar
F
+
BF 3
Die Reaktion eignet sich gut zur Darstellung substituierter Fluorbenzene (Kap. 10.11.2), z. B.: Hitze
N 2 [BF 4] Cl 3-Chlorphenyldiazonium-tetrafluorborat
23.7.3
F
+
N2
+
BF 3
Cl 3-Fluorchlorbenzen
Bildung von Arylaziden über Aryldiazonium-Salze
Als Nucleophil kann auch das Azid-Anion die Diazonium-Gruppe von Aryldiazonium-Ionen verdrängen. Dabei entstehen die explosiven Arylazide, welche ihre begrenzte Stabilität einer Mesomerie verdanken: Ar
N2 X
+
− N2 , − Na X
Na N3
Ar _ N _ N NI
Ar N _ N NI _
Ar _ _ N _ N
mesomere Grenzformeln der Arylazide
23.7.4
NI
Reduktion von Aryldiazonium-Salzen
Mit Alkoholen, hypophosphoriger Säure oder komplexen Metallhydriden (Na+[BH4]−) werden Aryldiazonium-Salze Ar−N2+X− zu den entsprechenden Kohlenwasserstoffen Ar−H reduziert. Dabei wirkt das Hydrid-Anion wahrscheinlich als Nucleophil: Ar N 2
+
IH
NaBH4
Ar
H
+
N2
Diese reduktive Spaltung der Aryldiazonium-Salze erlaubt die Entfernung einer Amino-Gruppe aus einem aromatischen Ring. Durch mildere Reduktionsmittel wie Natriumhydrogensulfit oder
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406
23 Organostickstoff-Verbindungen
Zinn(II)-chlorid in saurer Lösung wird die Diazonium-Gruppe −N2+ nicht vom Ring abgespalten, sondern zur Hydrazino-Gruppe −NH−NH2 reduziert. Auf diese Weise gelingt die Darstellung von Arylhydrazinen: NI Ar
N _
Ar
N NI
+
4 [H ]
+
4 e0
Ar
NH NH3 Cl
Arylhydrazin-hydrochlorid
23.8 Azo-Aromaten, Azo-Kupplung 23.8.1
Struktur der Azo-Arene
In Azo-Arenen (Azo-Aromaten, aromatische Azo-Verbindungen) sind zwei Aryl-Gruppen mit der Azo-Gruppe −N=N− verknüpft. Die allgemeine Formel für diese Verbindung ist also Ar−N=N−Ar. Der einfachste Vertreter ist das orange Azobenzen, welches als trans-Isomer isoliert wird und durch Ultraviolett-Bestrahlung in das cis-Isomer mit höherem Schmelzpunkt und Dipolmoment µ, sowie kürzerwelligem Lichtabsorptionsmaximum λmax übergeht (Photoisomerisierung):
trans- Azobenzen µ = 0 Debye ; Schmp. 68 °C λmax = 315 nm
hν
N N
cis - Azobenzen µ = 3.0 Debye ; Schmp. 71.5 °C λmax = 255 nm
N N
Substituierte Derivate des Azobenzens sind als Azo-Farbstoffe bekannt; sie zählen zu den bedeutendsten Farbstoffklassen. Die wichtigste Methode zu ihrer Herstellung ist die Azo-Kupplung.
23.8.2
Darstellung von Azo-Arenen durch Azo-Kupplung
Als Kation ist das Aryldiazonium-Ion elektrophil. Es kann daher mit nucleophilen Aromaten unter Bildung der farbigen Azo-Arene reagieren (kuppeln). Diesen Spezialfall der elektrophilen Substitution nennt man Azo-Kupplung. Ar
Ar Ar N NI
N _ NI
Aryldiazonium-Salz
+
H
_ D
nucleophiler Aromat
Ar
N N D H
+
− [H ]
N N
_ D
Arylazo-Verbindung
Donor-Substituenten D mit (+)-M-Effekt wie −OR und −NR2 (R = H oder Alkyl) drücken ihre nichtbindenden Elektronenpaare in die o-, o´- und p-Stellung und aktivieren dort den Benzen-Ring zum Nucleophil. Daher beobachtet man Azo-Kupplungen meist mit Phenolen, Phenolethern und aromatischen Aminen. Dabei kuppelt das Diazonium-Kation aus sterischen Gründen bevorzugt in p-Stellung zum Substituenten X. Die Azo-Kupplung verläuft in schwach sauren, neutralen oder sehr schwach alkalischen Lösungen. In stark alkalischer wäßriger Lösung reagieren die Aryldiazonium-Salze über Diazonium-
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23.8 Azo-Aromaten, Azo-Kupplung
407
Hydroxide und Diazohydroxide (Kap. 23.6.3) zu den Diazotaten, welche in der Wärme zu den stabileren iso-Diazotaten isomerisieren: Ar
Wärme
Ar
N N
− H2O
OH Diazohydroxid
O Na
Ar
+ NaOH
N N
N N O Na iso-Diazotat
Diazotat
Die cis-trans-isomeren Diazotate sind nicht mehr elektrophil. Daher erfolgt in stärker alkalischen Lösungen keine Azo-Kupplung. Auch in stärker sauren Lösungen unterbleibt meist die AzoKupplung, da unter diesen Bedingungen die (+)-M-Effekte der Substituenten −X infolge Protonierung abgeschwächt werden. Amine bilden z. B. Ammonium-Salze, Phenole und Phenolether Oxonium-Ionen mit starken (−)-I-Effekten: +
_ NR 2
+ [H ]
Ar
+ [H ]
Ar
_ _ OR
Ar
NHR 2
Arylammonium-Ion
Ar
OHR
Aryloxonium-Ion
+
̈ Kupplung mit primären und sekundären aromatischen Aminen Die Kupplung von Diazonium-Ionen an primäre und sekundäre aromatische Amine führt oft nicht direkt zu den Azo-Verbindungen, sondern zu den Diazoamino-Verbindungen oder Diaryltriazenen: Ar´ N N Ar
Diaryltriazen
R
N
Phenyldiazoniumchlorid reagiert z. B. mit Anilin in der Kälte zunächst unter nucleophiler Addition des Amino-N-Atoms an der Diazonium-Gruppe zum isolierbaren farblosen Diazoaminobenzen: _ N N _
N NI
Cl
_ + H 2N
H − HCl
N N N
H
N
Cl
N N H
Diphenyltriazen (Diazoaminobenzen)
Diaryltriazene (Diazoamino-Arene) bilden zwei Tautomere, die sich nachweisen und isolieren lassen, sofern verschieden substituierte Benzen-Ringe an das Triazen-System gebunden sind, z. B.:
N N H3C
N
N N H
H3C
N H
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408
23 Organostickstoff-Verbindungen
Beim Erwärmen in schwach saurer Lösung isomerisieren die Triazene in die AminoazoVerbindungen. Aus Diazoaminobenzen entsteht dann z. B. das gelbe 4-Aminoazobenzen. Diese Umlagerung schließt die Azo-Kupplung ein: H
_ N
N N N
H
Cl
_ NH2
+
N _
− [H+]
N
N N
N
NH2
H
NH 2
4-Aminoazobenzen
̈ Kupplung mit tertiären aromatischen Aminen Bei tertiären aromatischen Aminen ist der nucleophile Angriff des Amino-N-Atoms an der Diazonium-Gruppe durch die N-Alkyl-Gruppen sterisch behindert. Infolgedessen führt die Kupplung direkt zu den Azo-Verbindungen. Ein Beispiel ist die Synthese der 4-(N,N-Dimethylamino)azobenzen-4´-sulfonsäure aus diazotierter Sulfanilsäure und N,N-Dimethylanilin.
O3S + HNO2
NH 3
O3S
O3S
− 2 H 2O
N N O3S
+
N2
diazotierte Sulfanilsäure (Zwitterion)
N N
_ N(CH 3)2
N(CH 3)2
H
NH(CH 3)2 4-(N,N-Dimethylamino)azobenzen-4'-sulfonsäure (Zwitterion)
N,N-Dimethylanilin
Das Natrium-Salz dieser Azo-Verbindung ist als Indikatorfarbstoff "Methylorange" bekannt. Die bei pH > 4.4 gelbe Lösung dieses Salzes schlägt bei Säurezusatz nach rot um. Der Farbumschlag beruht auf der reversiblen Bildung eines mesomeriestabilisierten Zwitterions (Betain). O3S
O3S
O3S
+ [H+]
N N
N N − [H+]
IN(CH3)2
N N
H
H
gelbes Anion pH > 4.4
N(CH 3)2
IN(CH3)2 benzoide Grenzformel
p-chinoide Grenzformel
rotes Zwitterion pH < 3.1
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23.8 Azo-Aromaten, Azo-Kupplung
409
Kupplung mit Phenolen Die Kupplung von Phenolen (Ar−OH) oder Phenolethern (Ar−OR) führt ebenfalls direkt zu AzoVerbindungen. Sie gelingt mit Phenolen besonders leicht in schwach alkalischer Lösung, da dann Phenolate Ar−O− vorliegen. In diesen ist das −O−-Anion ein im Hinblick auf die elektrophile Substitution wirksamerer Elektronendonor als die OH-Gruppe, wie es die mesomeren Grenzformeln beschreiben; während für Phenol die Grenzformeln zwitterionisch sind, sind jene des Phenolats nucleophile Anionen (Kap. 21.5.1). Ein Beispiel einer Azo-Kupplung mit Phenolen ist die Reaktion von diazotierter Sulfanilsäure mit β-Naphthol zu dem Azofarbstoff "β-Naphthylorange" in alkalischer Lösung. ̈
Na
O3S
+
N _ N _ Na
NaOH
N N
_ IO _
diazotierte Sulfanilsäure
Na
O3S
O3S
H H
IO _
N N O
1-Phenylazo-2-naphthol4'-natriumsulfonat (β-Naphthylorange)
Natrium-βnaphtholat
̈ Kupplung mit CH-aciden Verbindungen Aryldiazonium-Salze als Elektrophile reagieren mit Carbanionen CH-acider Carbonyl-Verbindungen. Mit Malonsäurediethylester entsteht Phenylazomalonsäurediethylester, der zum Phenylhydrazon des Mesoxalsäurediethylesters tautomerisiert: H
Ph
Ph N _ N _
+
H C
N N
NaOC 2H5 − HCl
CO2C 2H5
H
Cl
CO2C 2H5
Ph = Phenyl
C
Ph N
CO2C 2H5
N C
H CO2C2H 5 Phenylazomalonsäurediethylester
CO2C2H 5
CO2C 2H 5 Mesoxalsäurediethylesterphenylhydrazon
O C
CO2C2H 5
CO2C 2H 5 Mesoxalsäurediethylester (Oxomalonsäurediester)
Enthält die Phenylazo-Verbindung kein tautomerisierbares H-Atom, so spielt sich die JAPPKLINGEMANN-Reaktion ab. Dabei entfernt sich eine Ester-Funktion im alkalischen Milieu als Kohlendioxid und Alkohol. Das verbleibende mesomeriefähige Carbanion reagiert bei der Aufarbeitung in neutralem bis saurem Medium mit einem Proton zum Arylhydrazon. Ar N N C R
CO2C 2H5
+ OH
E
−
Ar
O
N N
OC 2H5 OH
C R
E
Ar N N
N N C E
− C 2H5OH
+
C E
R
R +
+ H3O
CO2C2H 5
Ar Cl
Ar
− HCl
NaOC 2H5
N _ N _
− CO2
H C R E
E = CO2C2H 5, COCH 3, CN
Arylhydrazon eines α-Ketoesters (E = CO2C2H5) 1,2-Diketons (E = COCH3) α-Ketonitrils (E = CN)
− H2O
Ar N N H
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C E R
410
23 Organostickstoff-Verbindungen
23.8.3
Andere Methoden zur Darstellung aromatischer Azo-Verbindungen
Die Azo-Kupplung als Methode zur Darstellung aromatischer Azo-Verbindungen ist auf Aromaten beschränkt, welche durch elektronenschiebende Gruppen substitutiert sind. Azobenzen selbst läßt sich z. B. nicht durch Kupplung von Phenyldiazonium-Salzen an Benzen darstellen. Es entsteht jedoch bei der Reduktion von Nitrobenzen mit Natriumamalgam oder komplexen Metallhydriden (Li+[AlH4]−), durch Dehydrierung von Hydrazobenzen (1,2-Diphenylhydrazin) oder durch Kondensation von Nitrosobenzen mit Anilin: Hydrazobenzen NH NH − 2 [H+] ,
2
NO2
+ 8 [H+] , + 8 e0
− 2 e0
−
−
Nitrobenzen
N N
− H2O
+
N O
Azobenzen
H 2N
Nitrosobenzen
Anilin
Die allgemeinste Methode zur Darstellung aromatischer Azo-Verbindungen ist neben der AzoKupplung die Kondensation von Nitroso-Verbindungen (Ar−N=O) mit primären aromatischen Aminen (Ar−NH2). Nitrosoaromaten erhält man entweder durch elektrophile Nitrosierung nucleophiler Aromaten (Kap. 22.6.2) oder durch Oxidation von Arylhydroxylaminen, die ihrerseits bei der Reduktion von Nitroaromaten entstehen (Reduktionsschema von Nitrobenzen nach HABER, Kap. 22.4.6). −
Zn , NH4Cl − + 4 [H+] , + 4 e0
Ar
NO2
Nitroaren
Ar
NH OH
Cr 2O72 , H2SO4 − − 2 [H+] , − 2 e0
Arylhydroxylamin
O Ar
N
Nitrosoaren
23.9 Organostickstoff-Verbindungen, Übersicht Organostickstoff-Verbindungen umfassen außer den bisher besprochenen Aminen, Diazo- und Azo-Verbindungen zahlreiche weitere Stoffklassen, darunter auch einige Kohlensäure-Derivate (Kap. 25). Tab. 23.1 gibt eine kleine Auswahl der wichtigsten Vertreter sowie allgemeiner Verfahren zu ihrer Darstellung.
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23.9 Organostickstoff-Verbindungen, Übersicht
411
Tab. 23.1. Organostickstoff-Verbindungen , Übersicht Stoffklasse Nitrate Nitrite
funktionelle Gruppe
Beispiel
Bezeichnung
Allgemeine Darstellungsmethoden
O NO2
H 3C CH 2 O NO2
Ethylnitrat
Veresterung von Salpetersäure
O NO
H 3C CH 2 O NO
Ethylnitrit
Veresterung von salpetriger Säure
H 3C CH 2 CH 2 NO2
NitroVerbindungen
(Ar) R NO2
NitrosoVerbindungen
(Ar) R NO
Nitroalkane : radikalische Nitrierung v. Alkanen
Nitrobenzen
Nitroarene : elektrophile Nitrierung v. Arenen
N
Nitrosobenzen
Reduktion von Nitro-Verbindungen Oxidation von Hydroxylaminen elektrophile Nitrosierung von Arenen
N,N-Dimethylhydroxylamin
Alkyl : COPE-Eliminierung
O (CH 3)2N OH
NH OH
Hydroxylamine
1-Nitropropan
NO2
Phenylhydroxylamin
NH OH Nitrile (Cyanide)
C N
Acetonitril
H3C C N
Benzonitril
C N
Aminosäuren (α-Aminocarbonsäuren)
H3C N C
Methylisocyanid
R NH 2 R NHR R NR 2
H 3C NH 2 (H 3C)2NH (H 3C)3N
Methylamin Dimethylamin Trimethylamin
R CH CO2
H3C CH CO2
Alanin (2-Aminopropansäure)
R CH CO2H
Glycyl-alanin
Kap. 38
N,N-Dimethylacetamid
Kap. 18.7.5 , 18.8.3
NH3
NH 3 H
Peptide, Proteine
N
H
O
O H 2N
C
R
R
C
C
n
Kap. 22.4
X Kap. 37.6.4
+ NH 3 − HX
R CH CO2 NH 3
CH 3 N
CO2H
H O
O Carboxamide
Dehydratisierung von N-Alkylformamiden H POCl 3 R N C + H2O R N C O H
N C
Isonitrile (Isocyanide)
Amine
Aryl : Reduktion von Nitro-Verbindungen KOLBE-Synthese: R CN + X R X + CN Dehydratisierung von Carboxamiden O P2 O5 Ar CN + H 2O Ar C NH 2
N
H 3C
C
N
CH 3
CH 3 R Cyanate Isocyanate Diazoalkane
R
H 3C O C N
H5C 6
N C O IC N N
O C N
Methylcyanat
N C O
Phenylisocyanat
Kap. 22.4.9 , 25.2.2
Diazomethan
Kap. 23.1.2
Phenyldiazonium-chlorid
Kap. 23.5
Azodicarbonsäurediethylester
Kap. 23.4
Azobenzen
Kap. 23.8
CH2 N N
AryldiazoniumSalze
Ar N N X
N N Cl
AzoVerbindungen
N N
CO2C 2H 5 N N H 5C 2O2C
C 6H5 N N
H 5C 6 Hydrazine
Azide
NH NH 2
H 5C 6 NH NH2
Phenylhydrazin
Kap. 23.7.4
NH NH
H 5C 6 NH NH C 6H 5
Hydrazobenzen
Reduktion von Azoarenen
Phenylazid
Kap. 23.7.3
Trimethylsilylazid
(H 3C)3Si
Carbonsäureazid
Kap. 22.4.9
(Ar)R
N3
N N N (H 3C)3Si O R C
N3
Cl
+ NaN3 − NaCl
(H 3C)3Si
N3
N3
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412
24 Organoschwefel-Verbindungen
24 Organoschwefel-Verbindungen 24.1 Übersicht, Nomenklatur und Vorkommen Schwefel folgt in der sechsten Hauptgruppe des Periodensystems dem Sauerstoff. Deshalb lassen sich für die meisten Verbindungen mit bivalentem Sauerstoff (Alkohole, Phenole, Ether, Ketone, Carbonsäuren) entsprechende Schwefel-Analoga formulieren (Tab. 24.1). Anders als Sauerstoff kann Schwefel mit Hilfe seiner 3d-Orbitale auch mehr als bivalent, d. h. in höheren Oxidationsstufen vorliegen. Tetra- bzw. hexavalent ist Schwefel z. B. in den Sulfinsäuren und Sulfoxiden bzw. Sulfonsäuren und Sulfonen. Tab. 24.1 gibt eine Übersicht der wichtigsten Verbindungsklassen mit di-, tetra- und hexavalentem Schwefel, jeweils mit einem Vertreter und dessen Trivialund IUPAC-Bezeichnung. Die flüchtigen Thiole, Thiophenole, Thioether und Thiocarbonsäuren erkennt man an ihrem penetranten Geruch. Alle Organoschwefel-Verbindungen wirken als Katalysatorengifte, was manche organische Synthese erschwert, z. B. in der Petrochemie, da im Erdöl einige schwer abtrennbare Schwefel-Verbindungen vorkommen. Auch der pflanzliche und tierische Organismus produziert Thiole. So entweicht 1-Propanthiol aus frisch geschnittenen Zwiebeln; 2-Furylmethanthiol prägt das Kaffeearoma; 1-Butanthiol schockiert im Skunk-Sekret. Die Mercaptoaminosäure L-Cystein, eine der essentiellen Aminosäuren, ist ein Baustein natürlicher Polypeptide und Proteine. NH3
O H3C CH2 CH 2 CH 2 SH
CH 2 SH
1-Butanthiol
HS CH2 C CO2
2-Furylmethanthiol
Zwitterionen-Form des L-Cysteins
H
24.2 Thiole 24.2.1
Darstellung
Nucleophile Substitution von Halogenalkanen Als Methoden zur Darstellung von Thiolen aus Halogenalkanen eignen sich die nucleophile Substitution des Halogens X durch SH in Form des HydrogensulfidAnions: R X
+
NaSH
SH
R SH
+
X
die Hydrolyse von Alkylthiosulfaten (BUNTE-Salzen): −
R X
+
S2O32
−X
Thiosulfat
R S SO3 BUNTE-Salz
+ H2O
− HSO4
−
R SH
sowie die Reaktion von Schwefel mit Alkylmagnesiumhalogeniden: R X
+
Mg
Ether
R MgX
+ S
R S Mg X
+ [H+]
R SH
+
Mg
2
+
X
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24.2 Thiole
413
Tab. 24.1. Einige Organoschwefel-Verbindungen O-Verbindung allg. Formel Bezeichnung
S-Analogon allg. Formel Bezeichnung
Vertreter Formel
Bezeichnung
H3C SH
Methanthiol (Methylmercaptan)
Alkohol
R SH
Thiol (Mercaptan)
Phenol
Ar
Thiophenol
SH
R O R'
Ether
R S R'
Dialkylsulfid (Thioether)
S CH3
R O OH
Hydroperoxid
R S OH
Sulfensäure (instabil) Sulfensäure-Derivate
R O O R'
Dialkyl- oder Diarylperoxid
R S S R'
R OH
Ar
OH
SH
Phenylthiol (Thiophenol) Methylphenylsulfid (Methylphenylthioether)
NO2 O2N
S Cl
2,4-Dinitrophenylsulfenylchlorid
NO2 Dialkyl- oder Diaryldisulfid
2,2'-Dinitrodiphenyldisulfid
S S O2N
Oxonium-Salz
R 3S
O R C H
Aldehyd
S R C H
O R C R
Keton
R C R
O R C OH
Carbonsäure
R C
R3O X
O HO C OH
X
Sulfonium-Salz
(H5C2)3S S C H
Thioaldehyd
Thioketon
Thiobenzophenon
S Dithiocarbonsäure
SH
H 3C C
Thiolsäure
O H 3C C SC 2H 5
Ethanthiolsäureethylester
S R C OH
Thionsäure
S H 3C C OC 2H 5
Ethanthionsäureethylester
Xanthogensäure (instabil)
S H5C2S C OC2H5
Diethylxanthogenat
Trithiokohlensäure (instabil)
H5C2S C
S HS C OH
SH
S Diethyltrithiocarbonat SC 2H 5 O
O Sulfinsäure
R S OH
H3C CH2 S
−−−
Sulfoxid (S-Oxid)
R S R O
−−−
−−−
R S R
R S OH O
Dimethylsulfoxid CH 3
H3C S CH 3
Dimethylsulfon
O
O −−−
H 3C S
O Sulfon (S-Dioxid)
O −−−
Ethansulfinsäure OH
O
O −−−
Ethanthionthiosäure (Dithioessigsäure)
SH
O R C SH
S
−−−
Thiobenzaldehyd
C
S
HS C
−−−
Triethylsulfoniumiodid
S
S
Kohlensäure
I
O Sulfonsäure
S OH
Benzensulfonsäure
O
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414
24 Organoschwefel-Verbindungen
TSCHUGAJEFF-Reaktion Die Thermolyse von Alkylxanthogenaten wird zur Darstellung mancher Alkene und Thiole aus Alkoholen genutzt: H C
H
+ CS2 , + NaOH
C OH
C
− H2O
C O
C
S
C
− Na I
S Na Natrium-xanthogenat
Alkohol
H
+ R−I
100 - 250 °C
C O
C
O
− C C
S
C
SH
SR
SR Alkylxanthogenat O C S
+
R SH
Addition von H2S an Oxirane, Aziridine und Alkene α-Mercaptoalkohole erhält man bequem durch nucleophile Addition von Schwefelwasserstoff oder Hydrogensulfid an Oxirane: ̈
SH O
+
SH
+
C
H2O
C
+
OH
OH α-Mercaptoalkohol (α-Hydroxythiol)
α-Aminoethanthiol (α-Mercaptoethylamin, Cysteamin) ist dementsprechend durch Addition von Schwefelwasserstoff an Aziran (Ethylenimin) zugänglich: +
N
H 2S
HS CH 2 CH 2 NH2
α-Aminoethanthiol (Cysteamin)
H Aziran
Analog zur Hydratisierung von Alkenen (Kap. 15.4.3) lassen sich tertiäre Thiole durch säurekatalysierte Addition von Schwefelwasserstoff an Alkene des Typs R2C=CH2 darstellen, z. B.: H 3C C CH 2
+
H 2S
(H2SO4)
H 3C
CH3 H3C C
SH
CH3 2-Methylpropan-2-thiol
Thiole können auch aus Thioharnstoff und Trithiocarbonat hergestellt werden.
24.2.2
Thermodynamische Eigenschaften
Schwefel ist voluminöser, weniger elektronegativ und daher ein schwächerer WasserstoffbrückenAkzeptor als Sauerstoff. Wegen ihrer schwächeren H-Brücken-Assoziation sieden Thiole tiefer als vergleichbare Alkohole (CH3OH : 64.5 °C, CH3SH : 5.9 °C, jeweils bei 1011 mbar). Allerdings nimmt dieser Unterschied mit wachsender Kettenlänge der Alkanole und Alkanthiole ab. Die SH-Bindung ist schwächer und länger (133 pm) als die OH-Bindung (96 pm). Infolgedessen ist die Dissoziationsenergie der Thiole kleiner als jene der Alkohole. Thiole sind also stärker sauer (Aciditätskonstante Ka ~ 10−11) als Alkohole (Ka ~ 10−17).
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24.2 Thiole
24.2.3
415
Reaktionen
Thiolat-Bildung ̈ Während die Alkoholate in wäßriger Lösung hydrolysieren (Kap. 15.6.2), reagieren die Thiole bereits mit wäßrigen Alkalihydroxiden zu Thiolaten (Mercaptiden): R SH
+
OH
R S
+
H2O
Thiolat-Anion (Mercaptid-Anion)
Viele Schwermetallmercaptide sind wie die Sulfide in Wasser schwer löslich. Eine charakteristische Reaktion auf Thiole ist z. B. ihre Fällung durch Quecksilber(II)-oxid als Quecksilber (II)mercaptide (Thiolate): 2 R SH
+
HgO
(R S)2 Hg + Quecksilber(II)-thiolat [Quecksilber(II)-mercaptid]
H 2O
Diese Reaktion führte zur Bezeichnung Mercaptane für Thiole (lat. "corpus mercurio aptum").
Oxidation Während die Alkohole durch Oxidation meist in Carbonyl-Verbindungen und praktisch nie in Peroxide übergehen, werden die Thiole sehr leicht, bereits durch Luftsauerstoff, zu den Disulfiden oxidiert: ̈
H R C
OH
− 2 [H+] , − 2 e0
−
R' primärer oder sekundärer Alkohol
O R C R'
Aldehyd oder Keton
H 2R C
− 2 [H+] , − 2 e0
SH
H
−
R C
H S S C R
R'
R' primäres oder sekundäres Thiol
R'
Dialkyldisulfid
Die Reaktion beruht darauf, daß Schwefel mehr zur Oxidation neigt als Kohlenstoff, und daß die S−H-Bindung leichter spaltet (Bindungsenergie 348 kJ / mol) als die O−H-Bindung (463 kJ / mol). So ist z. B. durch Reaktion mit Luft-Sauerstoff die Bildung von Thiolyl-Radikalen möglich, deren Kombination zum Disulfid führt: R S H
+
O O
R S
+
H O O
Thiolyl-Radikal
2R S
HydroperoxyRadikal
R S S R
Die Oxidation ist auch als nucleophile Substitution einer intermediären Sulfensäure denkbar: −
+ R−S
R S H
+
1/2 O2
[ R S OH ] Sulfensäure
− OH
−
R S S R
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416
24 Organoschwefel-Verbindungen
Stärkere Oxidationsmittel (Wasserstoffperoxid, Salpetersäure, Permanganat) führen über Sulfinsäuren oder Disulfone immer zu den Sulfonsäuren: R S H
Disulfid
R S S R
Disulfon
R S S R
Thiol
R S OH
Sulfensäure
R S OH
Sulfinsäure
O O O O
O
O R S OH
Sulfonsäure
O
24.3 Thiophenole 24.3.1
Darstellung
Thiophenole werden meist durch Reduktion der Arylsulfonsäurechloride, O Ar
S Cl
+
6 [H ]
+
LiAlH 4
6 e0
O
Ar SH + Thiophenol
HCl
+
2 H2O
oder der Diaryldisulfide dargestellt. So entsteht o-Aminothiophenol aus o-Chlornitrobenzen und Natriumdisulfid (nucleophile Substitution) über 2,2'-Dinitrodiphenyldisulfid durch dessen Reduktion mit Zink in saurer Lösung: O2N S +
S
14 [H ]
+
NO2 2,2'-Dinitrodiphenyldisulfid
14 e0
Zn , HCl
2
SH
+
4 H2O
NH2 o-Aminothiophenol (als Hydrochlorid)
Auch die Reaktion der Aryldiazonium-Salze mit Hydrogensulfid eignet sich zur Darstellung mancher Thiophenole: Ar
24.3.2
N2
+
SH
Ar
SH
+
N2
Reaktionen
Thiophenole reagieren wie die Thiole und bilden aufgrund ihrer Acidität hydrolysestabile Thiophenolate. In Analogie zu den Phenolen lassen sie sich S-acylieren und S-alkylieren (Kap. 24.4.1). Im Gegensatz zu den Phenolen werden sie durch Luftsauerstoff zu den Diaryldisulfiden oxidiert.
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24.4 Thioether (Dialkylsulfide)
417
24.4 Thioether (Dialkylsulfide) 24.4.1
Darstellung
Alkylierung von Thiolaten In Analogie zur Ether-Synthese nach WILLIAMSON (Kap. 16.3.2) können Thioether durch Alkylierung von Alkalimercaptiden oder Thiophenolaten dargestellt werden. Als Alkylierungsmittel eignen sich die Iodalkane oder Dialkylsulfate, z. B.: H 3C S Na
+
S Na
+
Ι
CH2 CH3
H3C O H3C O
S
H 3C S CH2 CH 3 Ethylmethylsulfid (Ethylmethylthioether)
O O
SCH 3
+
+
Methylphenylsulfid (Methylphenylthioether, Thioanisol)
Na
Na I
O
H3C O
S
O O
Alkylierung von Alkalisulfiden Symmetrische Dialkylsulfide entstehen auch durch doppelte Alkylierung von Alkalisulfiden mit Halogenalkanen in der Hitze: 2R X
+
R S R
K2S
+
2 KX
Addition von Thiolen an Alkene In Gegenwart von Radikalbildnern wie Dibenzoylperoxid addieren Thiole unter anti-MARKOWNIKOFF-Orientierung an Alkene, z. B.: H3C SH
+
Methanthiol
H2C CH CH 2 CN Allylcyanid
hν , Dibenzoylperoxid
H3C S CH 2 CH2 CH2 CN Methyl-3-cyanopropylsulfid
Reduktion von Sulfoxiden Triphenylphosphan oder komplexe Metallhydride reduzieren Sulfoxide zu Sulfiden: O R
S
R
(H5C 6)3P
+
Dialkylsulfoxid
R
Triphenylphosphan
S
R
Dialkylsulfid
+
(H5C 6)3P O Triphenylphosphanoxid
Darstellung von Diarylsulfiden Diarylsulfide entstehen durch elektrophile Substitution unter FRIEDEL-CRAFTS-Bedingungen aus Aromaten und Dischwefeldichlorid: Ar
H
+
S2Cl2
AlCl3
Ar
S Ar
+
2 HCl
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418
24 Organoschwefel-Verbindungen
Auch die (wahrscheinlich nucleophile) Substitution von Aryldiazonium-Salzen durch Sulfide macht einige Diarylsulfide zugänglich: 2 Ar
N2
S2
+
Ar
S Ar
+
2 N2
Darstellung cyclischer Thioether Sulfide können durch Dihalogenalkane zu cyclischen Thioethern alkyliert werden. Aus 1,4Dihalogenalkanen entstehen z. B. Tetrahydrothiophen-Derivate: ̈
R CH CH 2 CH 2 CH R' X X
S2
+
+ R' S 2,5-Dialkyltetrahydrothiophen R
X = Cl , Br
2X
Die den Oxiranen (Epoxiden) analogen Thiirane (Episulfide) entstehen durch Reaktion von Schwefel mit Diazoalkanen, R
_ 2 R2C N NI
+
S
R
+ S R Thiiran (Episulfid)
2 N2
R
oder durch Reaktion von Oxiranen mit Thiocyanat, z. B.:
O
24.4.2
+
SCN
SI O CN I_
S
+
OCN
Reaktionen
Bildung von Trialkylsulfonium-Salzen Durch (erschöpfende) Alkylierung der Thioether mit Halogenalkanen (meist Iodide) erhält man Trialkylsulfonium-halogenide, die den Oxonium-Salzen analog sind: ̈
R
_ S _
R
+
R'
I
_ S R' I R Trialkylsulfonium-iodid R
Enthalten die Trialkylsulfonium-Salze drei verschiedene Alkyl- bzw. Aryl-Gruppen, so lassen sie sich in Enantiomere trennen, z. B.: H 3C S CH CH 3 2 HO2C H2C
H3C H 2C
S CH 3 CH2 CO2H
Enantiomere des Ethyl-carboxymethyl-methylsulfonium-Ions
Der Bindungszustand des trivalenten Schwefels entspricht dem des dreibindigen Stickstoffs in Aminen (Kap. 22.3.1), d. h. das nichtbindende Elektronenpaar besetzt das vierte sp3-Hybridorbital des Schwefels.
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24.5 Disulfide
419
In Analogie zu den Tetraalkylammonium-Salzen (Kap. 22.6.7) reagieren die TrialkylsulfoniumSalze mit Silberhydroxid zu Trialkylsulfonium-Hydroxiden, die beim Erhitzen unter Dehydratisierung in Alkene und Dialkylsulfide zerfallen: H
H
+R I
C C SR
R
S
HO H
+ AgOH
C C
C
− Ag I
R
I
Hitze
C
− H2O , − R2S
S
C C
R R Trialkylsulfonium-hydroxid
Oxidation Die Thioether lassen sich durch Wasserstoffperoxid, Salpetersäure, Permanganat oder Luftsauerstoff über die Sulfoxide (S-Oxide) zu den Sulfonen (S-Dioxiden) oxidieren: ̈
R
+ H2O2 (1 : 1)
S
− H2O
R Dialkylsulfid
R S O
+ H2O2 (Überschuß)
O S
O R Dialkylsulfon
− H2O
R Dialkylsulfoxid
R
̈ Reaktionen von Thiiranen Thiiran reagiert wie Oxiran und ist somit wie dieses ein vielseitiges Reagenz in der organischen Synthese, insbesondere zur Einführung der Ethanthiol-Gruppe: + H2O (H3O+) + ROH (RO-Na+)
S
+ R2NH
HO CH 2 CH2 SH
Thioglykol
RO CH 2 CH2 SH
β-Alkoxyethanthiol β-(N,N-Dialkylamino)ethanthiol
R 2N CH 2 CH2 SH
24.5 Disulfide Allyl-Disulfide und davon abgeleitete Sulfoxide prägen den typischen, lauchig durchdringenden Geruch und Geschmack des Knoblauchs (Allium sativa) und der Zwiebel (Allium cepa). Von den lateinischen Namen dieser Liliengewächse stammt die Bezeichnung Allyl-Gruppe. O S
S
S Diallyldisulfid (Knoblauch)
24.5.1
S
S Diallyldisulfidoxid (Allicin, Knoblauch)
S Allylpropyldisulfid (Zwiebel)
Darstellung
Disulfide entstehen nicht nur durch Oxidation der Thiole (Kap. 24.2.3), sondern auch durch Alkylierung des Disulfid-Anions mit Halogenalkanen: R 2R X R = Alkyl
+
S S
S S
+
2X
R Dialkyldisulfid
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420
24 Organoschwefel-Verbindungen
Die Arylierung von Disulfid wird durch Substituenten begünstigt, welche durch ihren (−)-MEffekt (Kap. 11.2.2) die nucleophile Substitution des Halogens erleichtern. Ein solcher Substituent ist z. B. die Nitro-Gruppe (Kap. 10.4.4): NO2
NO2 O2N
Cl
+
Na2S2
Ethanol , 70 °C
O2N
NO2
S
O2N 2,2',4,4'-Tetranitrodiphenyldisulfid
2,4-Dinitrochlorbenzen
24.5.2
S
− 2 Na Cl
Reaktionen
Disulfide sind erheblich stabiler (Bindungsenergie 306 kJ / mol) als Peroxide (155 kJ / mol). Nur starke Oxidations- oder Reduktionsmittel führen zu einer Spaltung. Die Oxidation von Disulfiden führt über die Disulfone zu Sulfonsäuren (Kap. 24.2.3). Durch Zink in verdünnten Säuren erfolgt Reduktion zu Thiolen: R
S
S
R
+
2 [H ]
+
2 e0
Zn , HCl
2 R SH
Trialkylphosphite, P(OR)3, reduzieren indessen zu Sulfiden: R
S
S
R
+
R
P(OR)3
S
R
+
S P(OR)3
Wasserstoff in Gegenwart von RANEY-Nickel entschwefelt die Disulfide zu Alkanen: R
S
S
R'
+
3 H2
RANEY-Ni
R H
+
R' H
+
2 H2S
Die RANEY-Nickel-Entschwefelung gelingt auch bei Thiolen und Sulfiden: R
S
R'
+
R SH
+
2 H2 H2
RANEY-Ni RANEY-Ni
R H
+
R' H
R H
+
H2S
+
H2S
24.6 Thioaldehyde, Thioketone, Thioacetale, Thioketale Die Reaktion von Aldehyden und Ketonen mit Schwefelwasserstoff führt überwiegend zu 1,3,5Trithiacyclohexan-Derivaten. Thioaldehyde und Thioketone werden am besten durch Thiierung der Carbonyl-Verbindungen mit 2,4-Bis(4-methoxyphenyl)-1,3-2,4-dithiadiphosphetan-2,4-disulfid (LAWESSONS-Reagenz) hergestellt. S
H3CO
O R
C
S
P
P
S
OCH3
S
S
R'
R
C
R'
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24.7 Dithiocarbonsäuren, Thiol- und Thionsäuren
421
Diphosphorpentasulfid in Schwefelkohlenstoff eignet sich gut zur Thiierung der Phenone: S
O C
C
P2 S5 in CS2
Thiobenzophenon
Benzophenon
Thioaldehyde bzw. Thioketone sind wahrscheinlich die Zwischenstufen der Reaktion von Schwefel mit Diazoalkanen zu Thiiranen (Kap. 24.4.1). Mit Thiolen reagieren die Carbonyl-Verbindungen wie mit Alkoholen. Es bilden sich Thioacetale und Thioketale (Kap. 20.8.2), die ebenso wie Acetale und Ketale nur in wäßrig saurer Lösung hydrolysieren. Die Mercaptalisierung zum Schutz und zur Umpolung der Carbonyl-Funktion (Kap. 20.8.2) ist eine nützliche Hilfsreaktion bei vielen Synthesen.
24.7 Dithiocarbonsäuren, Thiol- und Thionsäuren Von den Carbonsäuren leiten sich Thiol-, Thion- und Dithiocarbonsäuren ab, wobei Thiol- und Thionsäuren Tautomere sind: S
O R
R
C
S
C
R
OH Thionsäure
SH Thiolsäure
C
SH Dithiocarbonsäure
Der Carboxylierung von GRIGNARD-Verbindungen durch Kohlendioxid (Kap. 17.5.2) entspricht die Dithiocarboxylierung von Alkylmagnesiumhalogeniden mit Schwefelkohlenstoff (Kohlenstoffdisulfid) zu Dithiocarbonsäuren: S R
MgX
+
C
S
S S
S
S
+ [H+] , wasserfrei
R C
C
SMgX
R
−
− Mg 2+ , − X
C
SH Dithiocarbonsäure
Thiolsäuren und ihre Ester erhält man durch Acylierung von Schwefelwasserstoff bzw. Thiolen: O R
C
+
H2S
Cl
Base − HCl
O R
O
C
R
SH Thiolsäure
C
+
Base
HS R'
− HCl
Cl
O R
C
SR' Thiolsäureester
Die Addition von Thiolen an Ketene liefert ebenfalls Thiolsäureester, die gegenüber Nucleophilen reaktiver sind als Carbonsäureester. Das bei der Fettsäure-Biosynthese aktive Acetyl-Coenzym A ist ein natürlich vorkommendes Thiolessigsäure-Derivat. O C C O Keten
+
HS R
C C SR H Thiolsäureester
O H3C C SH Thiolessigsäure
O H3C C S CoA Acetyl-Coenzym A
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422
24 Organoschwefel-Verbindungen
Thionsäureester und Thioamide erhält man am besten durch Thiierung der Carbonsäureester bzw. der Carboxamide mit LAWESSONS-Reagenz: S
H3CO
O C
R
S
P
P
S
OCH3
S
S
C
OR' (NR'2) Thionsäureester (Thiocarboxamid)
OR' (NR'2)
R
24.8 Sulfoxide (S-Oxide) 24.8.1
Darstellung
Eine allgemeine Methode zur Darstellung der Sulfoxide ist die bereits erwähnte Oxidation von Sulfiden (Kap. 24.4.2), z. B. durch Wasserstoffperoxid. Dabei greift der Sulfid-Schwefel nucleophil an einem der Peroxid-Sauerstoff-Atome an. Durch nachfolgenden Protonenaustausch entsteht das Sulfoxid, ein Schwefel-Analogon der Ketone, wie die mesomeren Grenzformeln zeigen: _ _H _ O _ O
R +
S R Dialkylsulfid
24.8.2
R
_H S _ O _
+
_ _ H IO
S O _
R
H
R
R
− H2O
R
_ S O _
R Dialkylsulfoxid
Physikalische Eigenschaften
Dimethylsulfoxid ("DMSO") und Diethylsulfoxid sind hochsiedende hygroskopische Flüssigkeiten, die als vorzügliche Lösemittel polarer und unpolarer organischer Verbindungen Verwendung finden. Die höheren Sulfoxide sind kristallin. Infolge ihrer pyramidalen Geometrie können Sulfoxide mit verschiedenen Alkyl- oder Aryl-Gruppen in Enantiomere getrennt werden: R'
_ S R
O
O
_ S R' R
enantiomere Sulfoxide
24.8.3
Reaktionen
Spaltung Sulfoxide mit einem H- in β-Stellung zum S-Atom zerfallen beim Erhitzen oder in Gegenwart einer Base unter Bildung eines Alkens: ̈
O C
C
S
R H Sulfoxid
+
OR'
C C Alken
+
[ R SO ]
+
R'
OH
Sulfenat-Anion
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24.8 Sulfoxide (S-Oxide)
423
Kondensation mit Carbonyl-Verbindungen Sulfoxide sind Heteroanaloga der Ketone; dementsprechend verhalten sich α-Methylen- bzw. Methyl-Gruppen der Sulfoxide gegenüber genügend starken Basen (Alkoholate) als CH-Säuren, weil sie mesomeriestabilisierte Carbanionen bilden: ̈
R H H
O C S
+
R O IC S H R'
− R'OH
R'O
R'
R
O C S
H
R'
mesomeriestabilisiertes Carbanion
Diese reagieren als C-Nucleophile mit Carbonyl-Verbindungen. Durch KNOEVENAGEL-Kondensation (Kap. 20.10.9) von Sulfoxiden mit Aldehyden und Ketonen bilden sich Alkenylsulfoxide. R C O
+
R
CH3O Na
H 2C
− H2O
S O
Alkenylsulfoxid
C C S O
R'
R'
Oxidation Wasserstoffperoxid oxidiert Sulfoxide (S-Oxide) zu Sulfonen (S-Dioxiden). In neutralem oder schwach saurem Medium verläuft diese Reaktion wie die Oxidation der Sulfide (s. o.): ̈
R_ _ _H + O S O _ O _ H R Dialkylsulfoxid
R R
S
_ O _ H
R
_ IO _ H
+
O
O
+
S
H2O
R O Dialkylsulfon
In alkalischer Lösung wirkt das Peroxid-Anion als Nucleophil: R S _ O
_ _H IO _ O _
+
R R
R
S _
_ OI _
− OH
−
O OH
R R
O S
O
Stärkere Oxidationsmittel wie siedende Salpetersäure oxidieren die Sulfoxide und Sulfone zu den Sulfonsäuren. Reduktion Die Reduktion der Sulfoxide führt wieder zu den Sulfiden. Als Reduktionsmittel eignen sich komplexe Metallhydride: ̈
R_ _ S R
R +
S _ O
IH
R
_ OH _
− OH
−
R S R
Auch Schwefel reduziert die Sulfoxide und wird dabei zu Schwefeldioxid oxidiert: R 2
R S O
R
+
S
2
S R
+
SO2
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424
24 Organoschwefel-Verbindungen
SWERN-Oxidation Präparativ relevant ist die SWERN-Oxidation primärer und sekundärer Alkohole zu Aldehyden bzw. Ketonen mit Dimethylsulfoxid als Oxidationsmittel, das durch Oxalylchlorid zu SulfoniumIonen (I und II) aktiviert wird. Diese reagieren mit Alkoholen als Nucleophilen zum SulfoniumIon III. Triethylamin deprotoniert das Sulfonium-Ion III zum Sulfonium-Ylid, das unter β-Eliminierung in die Carbonyl-Verbindung (Aldehyd oder Keton) und Dimethylsulfid spaltet. Die unter Kühlung ablaufende Oxidation liefert gasförmige Nebenprodukte, was die Aufarbeitung vereinfacht; im Falle primärer Alkohole unterbleibt die Weiteroxidation der Aldehyde. ̈
O H 3C
O S
H 3C
O
+
O
H 3C
C C Cl
S Cl
O C C
O
H 3C
Cl
H 3C Cl
O O CH3 C C S O Cl
− CO2, − CO, − Cl
H3C
−
Cl
S H3C
Cl
Sulfonium-Ion I
Sulfonium-Ion II
R2 + R1
−
− Cl
C OH H
R2
R2
CH3 C O
+
S
R1
R1 CH3
CH 3
C O
S CH 2
H
+ NR3 − NHR3+
Sulfonium-Ylid
R2 R1
C O H
CH 3 S CH 3
Sulfonium-Ion III
PFITZNER-MOFFAT-Oxidation ̈ Bei der PFITZNER-MOFFATT-Oxidation primärer und sekundärer Alkohole mit Dimethylsulfoxid und Dicyclohexylcarbodiimid (DCC, Kap. 25.13) wirkt ein Acyloxysulfonium-Ion oxidierend. An letzteres addieren Alkohole nucleophil; unter Abspaltung von Dicyclohexylharnstoff entstehen Alkoxysulfonium-Ionen; deren Deprotonierung ergibt einen Aldehyd (R1 = H, R2 = Alkyl oder Aryl), der nicht zur Carbonsäure weiteroxidiert wird, oder ein Keton (R1 = R2 = Alkyl oder Aryl) sowie Dimethylsulfid. Acyloxysulfonium-Ion H+ + N H11C6
H3C
C6H11 C N + O S
CH3
H N H11C6
N
C6H11
O
S(CH3) 2
C H
H
H
, −
+ O CHR1 R2
DCC + DMSO
S(CH3) 2 O CR1 R2 H Alkoxysulfonium-Ion
N N
H11C6 − [H+]
C6H11
C O R1 O
C
R2 Aldehyd oder Keton
+
S(CH3) 2 Dimethylsulfid
̈ PUMMERER-Umlagerung Dialkylsulfoxide mit α-ständigem H-Atom reagieren mit Acetanhydrid zu α-Acetoxythioethern. Bei dieser als PUMMERER-Umlagerung bekannten 1,2-Acetoxy-Verschiebung bildet sich zunächst das im Falle des Dimethylsulfoxids isolierte S-Acetoxysulfonium-Ion, welches zu einem Thia-
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24.9 Sulfone (S-Dioxide)
425
enolacetat deprotoniert; letzteres dissoziiert in ein mesomeriestabilisiertes Carbenium-Kation und ein Acetat-Anion, die zum α-Acetoxydialkylsulfid kombinieren. R
S
CH 2 R'
O Dialkylsulfoxid mit α-H
+ (CH 3CO) 2O − CH 3CO2
R
CH 2 R'
S
−
R +
− [H ]
OCOCH 3
S-Acetoxysulfonium-Ion
CH
S
R
R'
S
CH
R
R'
S
CH
R'
CH 3CO2
OCOCH 3 Thiaenolacetat
OCOCH 3 α-Acetoxydialkylsulfid
R
S
CH
R'
24.9 Sulfone (S-Dioxide) 24.9.1
Darstellung
Oxidation von Sulfiden und Sulfoxiden Die Oxidation von Sulfiden und Sulfoxiden nach Kap. 24.8.1 und 24.8.3 eignet sich zur Darstellung von Sulfonen. ̈
Nucleophile Substitution durch Sulfinate Die nucleophile Substitution des Halogenids von Halogenalkanen durch Sulfinat ergibt ein Sulfon: ̈
+ R SO2 Sulfinat-Anion
R'
X
R SO2 R' Dialkylsulfon
+
X
Halogenaromaten reagieren analog, sofern sie durch (−)-M-Substituenten (−NO2) zur nucleophilen Substitution aktiviert werden. Einführung von Alkyl- und Arylsulfonyl-Gruppen ̈ Alkyl- und Arylsulfonsäurechloride eignen sich zur Einführung von Alkyl- und ArylsulfonylGruppen in Aromaten, entweder durch elektrophile Substitution im Sinne einer Acylierung, Ar H
+
AlCl3
R SO2 Cl
Ar
SO2 R
+
HCl
Sulfonsäurechlorid, R = Alkyl oder Aryl
oder durch Umsetzung mit Arylmagnesiumhalogeniden: Ar
SO2
X
+
Ar SO2 Ar' Diarylsulfon
Ar' MgX
X = Cl , Br
+
MgX2
̈ Radikalische Addition von Sulfonsäurechloriden an Alkene Schließlich addieren Sulfonsäurechloride in Gegenwart eines Radikalinitiators [am besten Kupfer(I)-halogenid] an Doppelbindungen; dabei bilden sich β-Halogensulfone:
C C
+
R SO2
X
Cu X
X = Cl , Br
X C
C
β-Halogensulfon
SO2 R
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426
24 Organoschwefel-Verbindungen
24.9.2
Reaktionen
Die Sulfone zeigen eine den Sulfoxiden weitgehend analoge Reaktivität: In Gegenwart von Alkoholaten spalten sie unter Bildung von Alken, Sulfinat und Alkohol, sofern sie ein β-Proton enthalten: H C
C
+
OR'
+
C C
SO2 R
R SO2 Sulfinat-Anion
+
R' OH
Die α-Methylen-Gruppen sowohl der Sulfoxide (Kap. 24.8.3) als auch der Sulfone sind CH-acide und alkenylieren Carbonyl-Verbindungen nach KNOEVENAGEL zu Alkenylsulfonen: R C O
+
R Alkenylsulfon C C SO2 R'
NaOR"
H 2C
− H2O
SO2 R'
Bei der RAMBERG-BÄCKLUND-Reaktion von α-Halogensulfonen deprotoniert eine Base in α´Stellung zu einem Carbanion, das durch intramolekulare nucleophile Substitution des HalogenidAnions zum faßbaren Episulfon cyclisiert. Dessen cheletrope Schwefeldioxid-Extrusion ergibt ein Alken. X R
CH 2
SO2 CH R'
− [H+]
R
α-Halogensulfon
X _ CH CH R' S O O
Hitze − SO2
H H
−
− X
R C C R' S O O Episulfon
R CH CH R' Alken (E) + (Z)
Sulfone werden zu Sulfonsäuren oxidiert. Gegen komplexe Metallhydride sind sie im Gegensatz zu den Sulfoxiden stabil; Erhitzen mit Schwefel reduziert sie jedoch ebenfalls zu Sulfiden. R
O S
R
R +
S
O
S
+
R
SO2
24.10 Sulfensäure-Derivate 24.10.1 Bildung Sulfensäuren, R−S−OH oder Ar−S−OH, sind an sich instabil. Jedoch entstehen die Sulfensäureoder Sulfenylchloride durch radikalische Substitution aus Alkanen und Schwefeldichlorid: R H
+
SCl2
R S Cl + Alkylsulfenylchlorid
HCl
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24.11 Sulfinsäuren
427
Arensulfenylchloride bilden sich durch Reaktion der Diaryldisulfide mit Chlor in Gegenwart von Eisen oder Eisen(III)-chlorid, z. B.: NO2 O2N
NO2
S NO2
S
+
Fe , FeCl3
Cl2
S Cl
2 O2N
O2N 2,2',4,4'-Tetranitrodiphenyldisulfid
2,4-Dinitrophenylsulfenylchlorid
24.10.2 Reaktionen Die Sulfenylchloride können durch Alkoholyse in die Sulfensäureester, durch Ammono- oder Aminolyse in die Sulfensäureamide übergeführt werden: R S Cl
+
R' OH
R S Cl
+
R' 2H N R'
R S OR' Alkylsulfenat R' R S N R' Sulfenamid
R' = H , Alkyl , Aryl
+
HCl
+
H2NR'2 Cl
Durch Addition von Sulfenylchloriden an Alkene bilden sich β-Chlorthioether: C C
+
R S Cl
Cl
C
C
SR
β -Chlorthioether
24.11 Sulfinsäuren 24.11.1 Bildung Sulfoxylierung von GRIGNARD-Verbindungen Sulfinsäuren, R−SO2H, sind Schwefelanaloge der Carbonsäuren, R−CO2H. In Analogie zur Synthese der Carbonsäuren durch Carboxylierung von GRIGNARD-Verbindungen (Kap. 17.5.2) sulfoxyliert Schwefeldioxid Alkyl- oder Arylmagnesiumhalogenide: ̈
O (Ar) R
MgX
+
S O
O
O (Ar) R S
S O
OMgX
O
+ [H+] , wasserfrei
(Ar) R
−
− Mg 2+ , − X
S
OH Sulfinsäure
Reduktion von Sulfochloriden ̈ Ein weiteres Verfahren zur Darstellung von Sulfinsäuren ist die Reduktion der Sulfochloride durch Sulfit oder Zinkstaub in Wasser, z. B.: 2
SO2 Cl
+
2 Zn
− ZnCl2
SO2
2 2 Zn
+ 2 [H+] , − Zn 2+
2
SO2H
Benzensulfinsäure
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428
24 Organoschwefel-Verbindungen
Die basenkatalysierte Spaltung von Sulfonen (Kap. 24.9.2) führt über Sulfinate ebenfalls zu Sulfinsäuren.
24.11.2 Stabilität, Acidität, optische Aktivität Im Gegensatz zu Sulfensäuren sind Sulfinsäuren stabil, werden jedoch leicht zu Sulfonsäuren oxidiert. Die Aciditäten (Ka ~ 10−2) entsprechen der schwefligen Säure. Wie in Carbonsäuren (Kap. 17.3) sind beide O-Atome infolge von Mesomerie und Protonenaustausch nicht unterscheidbar: O R
O H
S
R O H
O
oder
S
R
O
H
S O
Daher ist der Schwefel in den Sulfinsäuren nicht asymmetrisch. Dies gilt jedoch nicht für die Sulfinsäureester; Benzensulfinsäureethylester läßt sich z. B. in optisch aktive Enantiomere trennen: S
O O C2H 5
S O H5C 2 O
Enantiomere des Benzensulfinsäureethylesters
24.11.3 Reaktionen Wie Carbonsäuren reagieren Sulfinsäuren mit Alkoholen in einer Gleichgewichtsreaktion zu Sulfinsäureestern (R−SOOR´). Metallhydroxide neutralisieren Sulfinsäuren zu den Sulfinaten. Das Sulfinat-Anion reagiert als Nucleophil. Hierauf beruht die bereits erwähnte Darstellung von Sulfonen aus Alkyl- und Arylhalogeniden (Kap. 24.9.1).
24.12 Sulfonsäuren 24.12.1 Darstellung der Säuren und ihrer Chloride Oxidation von Thiolen und Disulfiden Fast alle bisher besprochenen Organoschwefel-Verbindungen können zu Sulfonsäuren oxidiert werden. Die Oxidation von Thiolen oder Disulfiden wird zur Darstellung mancher Sulfonsäuren angewendet. Als Oxidationsmittel eignen sich Permanganat, Dichromat oder Salpetersäure: ̈
S CH 2 CH(CH3)2 (H 3C)2CH CH2 S Di-i-butyldisulfid [Bis(2-methylpropan-1-yl)-disulfid]
+ 10 HNO3 − 10 NO2 , − 4 H2O
2 (H3C)2CH
CH 2 SO3H
2-Methylpropan-1-sulfonsäure
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24.12 Sulfonsäuren
429
Nucleophile Substitution von Halogenid durch Sulfit in Halogenalkanen Die nucleophile Substitution des Halogens in Halogenalkanen durch Sulfit ergibt Alkylsulfonate, aus denen die Sulfonsäuren durch Einleiten von Chlorwasserstoff gefällt werden können, z. B.: ̈
H3C
(CH 2)5 Cl
+
200 °C
Na2SO3
H3C
− NaCl
1-Chlorhexan
+ HCl
(CH 2)5 SO3 Na
H 3C
− NaCl
(CH2)5 SO3H
Hexan-1-sulfonsäure
Addition von Hydrogensulfit an Alkene ̈ Das Hydrogensulfit-Anion addiert an Alkene mit Elektronenakzeptor-Substituenten E. Dabei entstehen Sulfonate: E
E C C
+
H C C SO3
HSO3
E = CO2CH 3 , CN
substituiertes Alkansulfonat-Anion
Diese Reaktion wird zur Herstellung des Feuchthaltemittels Natriumdi-n-octylsulfosuccinat aus Maleinsäuredi-n-octylester und Natriumhydrogensulfit (Bisulfit) angewendet: H
O H O
+
2 H 3C
(CH2)7 OH H
H
O Maleinsäureanhydrid
Octanol
C C
H
CO2C 8H17
+ NaHSO3
H C CO2C 8H17 H C CO2C 8H17
CO2C 8H17
SO3 Na
Maleinsäuredi-n-octylester
Natriumdi-n-octylsulfosuccinat
Sulfochlorierung und Sulfoxidation von Alkanen Technisch werden die Sulfochloride durch licht- oder peroxid-induzierte radikalische Substitution der Alkane mit Chlor und Schwefeldioxid nach dem in Kap. 3.1 skizzierten Mechanismus hergestellt. Die Sulfochlorierung eines Alkans ist nicht selektiv, d. h. man erhält oft ein Gemisch regioisomerer Sulfochloride. Durch Erhitzen mit Wasser können die Sulfochloride zu den Sulfonsäuren hydrolysiert werden: ̈
R SO2 Cl
+
100 °C
H2O
R SO3H
+
HCl
Die radikalische Sulfoxidation der Alkane mit Schwefeldioxid und Sauerstoff führt direkt zu den Sulfonsäuren: R H
+
SO2
+
R SO3H
1/2 O2
Elektrophile Sulfonierung von Aromaten Die meisten Arensulfonsäuren werden durch elektrophile Sulfonierung von Aromaten hergestellt (Kap. 11.1.3): ̈
Ar H
+
SO3
H2S2O7
Ar
SO3H
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430
24 Organoschwefel-Verbindungen
Als Sulfonierungsreagenzien eignen sich rauchende Schwefelsäure (H2SO4 x SO3 oder H2S2O7) und Addukte von LEWIS-Basen wie Pyridin oder 1,4-Dioxan mit Schwefeltrioxid: O
Pyridin-SO3
N
1,4-Dioxan-SO3
O
SO3
SO3
Unter sehr milden Bedingungen gelingt die Sulfonierung von Aromaten mit konz. Schwefelsäure und Thionylchlorid: Ar H
+
H2SO4
+
20 °C
SOCl2
Ar
SO3H
+
SO2
+
2 HCl
Benzensulfonate mit langkettigen Alkyl-Gruppen (C10 - C14) in p-Stellung zum Sulfonat-Rest sind biologisch abbaubare Detergentien (Kap. 42.8). Sie werden durch Sulfonierung der entsprechenden Alkylbenzene hergestellt: H3C
(CH 2)n CH CH 3
1.) + SO3 2.) + NaOH
H 3C
(CH 2)n CH CH 3
− H2O
SO3 Na
n = 7 - 10
̈ Sulfochlorierung von Aromaten Arylsulfonsäurechloride (Sulfo- oder Sulfonylchloride) sind wie die Carbonsäurechloride durch Derivatisierung der Sulfonsäuren mit Thionylchlorid, Phosphorpentachlorid oder Phosphoroxidchlorid zugänglich. Meist werden die Arylsulfonylchloride jedoch direkt durch elektrophile Substitution der Aromaten mit Chlorsulfonsäure dargestellt, z. B.: O H3C
H
+
2 HO S Cl O Chlorsulfonsäure
− HCl
O S Cl
H3C
+
H2SO4
O p-Toluensulfonsäurechlorid ("Tosylchlorid")
24.12.2 Acidität und Wasserlöslichkeit von Sulfonsäuren Die Sulfonsäuren zeigen eine der Schwefelsäure vergleichbare, hohe Acidität und bilden stabile Salze. Trifluormethan- und Pentafluorethansulfonsäuren gehören zu den stärksten organischen Supersäuren. Supersäuren autoprotolysieren; sie sind auch in Abwesenheit von Wasser sehr starke Säuren und zeigen eine mindestens ebenso große Acidität wie die reine Schwefelsäure. Schwefelsäure
2 H2SO4 2 CF 3−SO3H
Trifluormethansulfonsäure Pentafluorethansulfonsäure
2 CF 3−CF 2−SO3H
H3SO4
+
CF 3−SO3H2
HSO4 +
CF 3−CF2−SO3H2
CF3−SO3 +
CF3−CF 2−SO3
Die Salzbildung der Sulfonsäuren mit p-Toluidin zu den scharf schmelzenden p-Toluidiniumsulfonaten ist eine alte Methode zur Charakterisierung von Aminen und Sulfonsäuren: Ar
SO3H
+
H2N
CH3 p-Toluidin
Ar
SO3
H3N
CH3
p-Toluidinium-arylsulfonat
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24.12 Sulfonsäuren
431
Die meisten Sulfonsäuren sind gut wasserlöslich und kristallisieren als stabile Hydrate. Sulfonsäure-Funktionen werden oft zur Erhöhung der Wasserlöslichkeit und als reaktive Gruppen in organische Moleküle eingebaut, z. B. in Farbstoffe.
24.12.3 Reaktionen der Sulfonsäuren und Sulfochloride Derivatisierungen Sulfonsäurechloride erhält man durch Reaktion der Alkalisulfonate mit Phosphorpentachlorid: ̈
3 R SO3 Na
+
PCl5
3 R SO2 Cl + Sulfonsäurechlorid
NaPO3
+
2 NaCl
Aus den Sulfonsäurechloriden lassen sich weitere Sulfonsäure-Derivate darstellen. Die Alkoholyse ergibt Sulfonsäureester, R
SO2 Cl
+
R'
OH
(Base)
R SO2 OR' + Sulfonsäureester
HCl
und die Ammono- bzw. Aminolyse führt zu den bei der HINSBERG-Trennung primärer und sekundärer Amine (Kap. 22.6.5) bereits erwähnten Sulfonamiden: R' (Ar) R
SO2 Cl
+
R'
(Amin-Überschuß oder Base)
H N
(Ar) R SO2 N
− HCl
R'
Sulfonamid
R' = H , Alkyl oder Aryl
R'
Weitere Derivate sind die Sulfhydroxamsäuren und Sulfhydrazide: (Ar) R
SO2 Cl
+
H 2N OH
(Ar) R
SO2 Cl
+
H 2N NH R'
(Base)
− HCl (Base)
− HCl
(Ar) R SO2 NH OH Sulfhydroxamsäure (Ar) R
SO2 NH NH R' Sulfhydrazid
Das cyclische Imid des 2-Carboxybenzensulfonamids ist in Form seines Natriumsalzes als der Süßstoff "Saccharin" bekannt. Es wird aus Toluen durch Sulfochlorierung und Oxidation des als Zwischenstufe gebildeten o-Toluensulfonamids hergestellt: + Cl
CH 3
+ 2 NH3
S 2Cl SO
SO3H
ClO2S Nebenprodukt :
− HCl
CH3
CH3
− NH4 Cl
O
S
O NH2
CH 3 o-Toluensulfonamid
+ 3/2 O2 (KMnO4 ) 35 °C − H2 O
O
S C
O NH2
O − H2 O
OH
O 2-Carboxybenzensulfonamid
O
S
N H O
O + NaOH − H2 O
O S INI Na
O "Saccharin"
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432
24 Organoschwefel-Verbindungen
Ein weiterer Süßstoff ist das als "Calciumcyclamat" bekannte Cyclohexylamid der Schwefelsäure. Es wird durch N-Sulfonierung des Cyclohexylamins durch Chlorsulfonsäure in Gegenwart von Calciumhydroxid hergestellt: NH3+ Cl
−2
6
NH2
+
2 Cl
H
−
N SO 3
2
SO3H
+ Ca(OH) 2
H3N
−2
NH2 , − 2 H2O
H Calciumcyclamat
N SO 3
2 Ca
2
Die aus p-Tosylamid und Hypochlorit zugänglichen N-Chlorsulfonamide wirken antiseptisch: H 3C
+ 2 NH3
SO2 Cl
H3C
− NH4Cl
SO2 NH2 + NaOCl
− NaOH
H SO2 N Cl "Chloramin T" (N-Chlortoluensulfonamid)
+ NaOCl
H3C
− NaOH
Cl SO2 N Cl "Dichloramin T" (N,N-Dichlortoluensulfonamid) H3C
Mehrere Arensulfonamide kommen als antibakterielle Chemotherapeutika mit breitem Wirkungsspektrum zum Einsatz. Einige Sulfonylharnstoffe werden als orale Antidiabetika verabreicht. Nucleophile Austauschreaktionen Nucleophile können die Sulfonsäure-Gruppe substituieren, auch in Aromaten. Beispiele sind außer der bereits erwähnten Darstellung von Phenolen durch Alkalischmelze der Sulfonate (Kap. 21.4.4) ̈
die Bildung von Arylcyaniden aus Sulfonat und Kaliumcyanid, Ar
SO3 K
+
K CN
Ar CN + Arylcyanid (Nitril)
K2SO3
sowie die Bromdesulfonierung, z. B. zur Darstellung des 4-Bromanilins: NH 2 Br
NH 2
SO3 Na 4-Aminobenzennatriumsulfonat
NH 2 − SO3 , − Na Br
+ Br 2
Br
SO3 Na
Br 4-Bromanilin
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25.1 Kohlensäure
433
25 Kohlensäure-Derivate 25.1 Kohlensäure In wäßriger Lösung ist das Gleichgewicht zwischen gelöstem Kohlendioxid und Kohlensäure (H2CO3) zugunsten des Dioxids verschoben: O CO2 (gelöst)
+
H 2O
HO C OH
Das Dissoziationsgleichgewicht der Kohlensäure entspricht dem einer schwachen zweibasigen anorganischen Säure: H2CO3
+
H 2O
HCO3
+
H3O
Ka =
HCO3
+
H2O
CO3 2
+
H3O
Ka =
c
−
(HCO3 ) c (H3O+)
c c
(H2CO3)
−4
~ 2 x 10
−
(CO32 ) c (H3O+)
c
−
(HCO3 )
~
−8
10
Die Kohlensäure läßt sich bei tiefen Temperaturen als Dimethyletherat vom Schmelzpunkt − 47 °C kristallisieren, das sich ab 5 °C zersetzt. Dagegen sind die Halogenide, Ester und Amide der Kohlensäure stabile Verbindungen. Tab. 25.1 stellt bedeutende Kohlensäure- und KohlendioxidDerivate zusammen.
25.2 Kohlensäurehalogenide 25.2.1
Phosgen
Von der Kohlensäure leiten sich zwei Halogenide ab, das nicht korrekt als Chlorameisensäure bezeichnete Kohlensäuremonochlorid, und ein Dichlorid, das Phosgen (Tab. 25.1). Kohlensäuremonochlorid ist nur in Form seiner Ester stabil. Das stabile Phosgen wird durch katalytische Chlorierung des Kohlenmonoxids CO
+
Cl2
O
Aktivkohle , 100 - 150 °C
Cl C Cl
oder durch Reaktion von Tetrachlormethan mit Schwefelsäure / Schwefeltrioxid hergestellt. CCl4
+
H 2SO4
+
SO3
80 °C
O Cl C
+ Cl
2 Cl SO3H Chlorsulfonsäure
Phosgen riecht strohartig, setzt beim Einatmen in Bronchien und Lunge Salzsäure frei, bildet daher Lungenödeme und wurde militärisch als Giftgas eingesetzt.
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434
25 Kohlensäure-Derivate Tab. 25.1. Einige Kohlensäure-Derivate
Stammverbindung Formel Bezeichnung
Derivat Formel
O
O Kohlensäure
HO C
Formel
OH O X C OR O X C X O OR O
Cl C
Kohlensäuredihalogenide
Cl C
Harnstoffe (Kohlensäurediamide)
R2N C NR2
O CH3 O
O (H3C)3C O C O C6H5 O (H3C)2N C N(CH3)2
O NH NH R O R NH NH C OR' O OR' O H2N C OR O H2N C NH NH R Thiokohlensäure (Thion- und OH Thiol-Tautomer)
S
S
O
Hydrazide (Carbazide)
Ph NH NH C
Esterhydrazide (Carbazate)
R NH NH C
NH NH Ph O O C(CH 3)3 O N3 C O C(CH 3)3
X
H2N C
Carbamidsäurehydrazid (Semicarbazid)
H2N C
O C O
25.2.2
t-Butoxycarbonylazid (BOC-Azid)
75 (93.1 mbar)
Ethylurethan
49
Semicarbazid
96
185
73
Thiophosgen
Thioharnstoff
H2N C
182
NH 2 S Xanthogenate
Na
S C O C 2H5
OR R O C N
Natriumethylxanthogenat
Isocyanate
C 6H5 O C N
Phenylisocyanat
Carbodiimide
C 6H11 N C N
Dicyclohexylcarbodiimid
C 6H5 S C N
Phenylisothiocyanat
− 30
163
34
H 11C6
R Schwefelkohlenstoff
40
S
R N C N
S C S
t-Butylcarbazat
164
Cl
Thioharnstoffe
S C
Kohlendioxid
Diphenylcarbazid (Ph = C6H5)
S Cl C
S M
50
NH NH2
NR2 Dithiokohlensäure (Thion- und SH Thiol-Tautomer)
133
O C2H5 O
S
S
Tetramethylharnstoff
O
Carbamidsäureester (Urethane)
Thiokohlensäurehalogenide
X C
R2N C
HO C
76 (1.06 mbar)
t-Butylphenylcarbonat
Guanidin
H 2N C
Kohlensäureesterazide
N3 C
HO C
8
NH2
R NH NH C
OH
− 118
NH Guanidine
NR2
Carbamidsäure
Phosgen
71
Cl
NR R2N C
O
Schmelz Siedepunkt punkt °C °C (1011 mbar)
Kohlensäuremethylesterchlorid (Chlorameisensäuremethylester)
O
Kohlensäureesterhalogenide
Kohlensäureester (Dialkylcarbonat)
RO C
H 2N C
Bezeichnung
Kohlensäuremonohalogenide
X C
OH
Beispiel Bezeichnung
R S C N
Isothiocyanate
221
Reaktionen von Phosgen
In warmem Wasser hydrolysiert Phosgen zu Kohlendioxid und Chlorwasserstoff: O +
Cl C
H2O
CO2
+
2 HCl
Cl
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25.3 Kohlensäureesterchloride
435
Eine technisch bedeutende Reaktion ist die Umsetzung von Phosgen mit primären Aminen zu Isocyanaten. H Cl 3 R NH2
+
− R NH3+ Cl
C O Cl
−
R N C O
+
R NH2
− R NH3+ Cl
−
R N C O
Cl Chlorkohlensäure-N-alkylamid
Isocyanat
Während Isocyanate Schlüsseledukte für organische Synthesen sind, spielen die aus Thiophosgen und primären Aminen zugänglichen Isothiocyanate als mikrobiozide und fungizide pflanzliche Abwehr- und Scharfstoffe eine Rolle, die aus Senfsamen, verschiedenen Kohlarten und Meerrettich durch enzymatische Spaltung von Thioglycosiden wie Sinigrin (Kap. 40.4.4) in Form der Senföle freigesetzt werden. Die bei der Spaltung zunächst entstehenden ThiohydroxamsäureSulfate gehen durch LOSSEN-Umlagerung in die Isothiocyanate über. Allylisothiocyanat (Allylsenföl)
CH2 CH CH2 S C N
n-Butylisothiocyanat (Butylsenföl)
CH 2 CH2 CH2 CH 3 S C N
Viele der nachfolgend besprochenen Kohlensäure-Derivate werden aus Phosgen oder Isocyanaten hergestellt.
25.3 Kohlensäureesterchloride Kohlensäureesterchloride bilden sich aus Phosgen und Alkoholen, wenn man keine Base zur Bindung des entstehenden Chlorwasserstoffs verwendet. O
O +
Cl C Cl
HO R
Cl C
+ HCl O R Kohlensäureesterchlorid (Chlorameisensäureester)
Das als Benzyloxycarbonylchlorid oder Carbobenzoxychlorid bekannte Kohlensäurebenzylesterchlorid (Kap. 25.5) wird durch Einleiten von Phosgen in Benzylalkohol hergestellt. O
O Cl C
+ Cl
HO CH 2
Cl C
+ O
HCl
CH2
Kohlensäurebenzylesterchlorid (Benzyloxycarbonylchlorid)
Kohlensäureesterchloride werden irreführend als Chlorameisensäureester bezeichnet. Korrekterweise sind sie Derivate der Kohlensäure (C-Atom mit vier C−Heteroatom-Bindungen) und nicht der Ameisensäure (Carboxy-C-Atom mit einer C−H- und drei C−Heteroatom-Bindungen); dieser Unterschied der Oxidationsstufe prägt die Reaktivität.
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436
25 Kohlensäure-Derivate
25.4 Kohlensäureester Kohlensäureester oder Dialkylcarbonate erhält man durch Alkoholyse des Phosgens in Gegenwart einer Base (Triethylamin, Pyridin): Cl
O R +
O C
2 R OH
+
2 NR'3
+
O C
Cl
2 R'3NH Cl
O R R = C2H5 : Diethylcarbonat
Kohlensäureester mit verschiedenen Alkoxy-Gruppen entstehen durch Alkoholyse der Kohlensäureesterhalogenide in Gegenwart einer Base. t-Butylphenylcarbonat wird z. B. aus Kohlensäurephenylesterchlorid und t-Butylalkohol in Gegenwart von Chinolin dargestellt: CH 3
CH 3
O
H 3C C OH
+
+
Cl C
N
O
CH 3
O +
H 3C C O C CH 3
Kohlensäurephenylesterchlorid (Chlorameisensäurephenylester)
N
O
H Cl
t-Butylphenylcarbonat
25.5 Carbamidsäure, Urethane Das Monoamid der Kohlensäure ist die an sich instabile Carbamidsäure (Tab. 25.1). Ihr aus Kohlendioxid und Ammoniak entstehendes Ammoniumsalz kann jedoch isoliert werden: NH 2 O C O
+
O C
NH3
+ NH3
OH Carbamidsäure
NH 4
NH 2 O C_ OI _
NH 2 _ _ C IO O
NH2 _ _ C_ IO OI _
+ H2O 60°C
mesomere Grenzformeln des Carbamat-Anions im Ammonium-carbamat
CO32
+
2 NH4
CO2
+
2 NH3
+
H2O
Mit wenig Wasser hydrolysiert Ammoniumcarbamat beim Erhitzen über Ammoniumcarbonat in Kohlendioxid und Ammoniak. Die Ester der Carbamidsäure und ihrer N-Alkyl- oder Aryl-Derivate werden als Urethane bezeichnet. Urethane entstehen durch Ammonolyse der Kohlensäuresterchloride, z. B.: Cl +
O C OC2H 5
2 NH 3
− NH4Cl
NH2 O C OC2H 5
Ethylurethan (Ethylcarbamat)
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25.6 Harnstoffe
437
Durch Aminolyse von Kohlensäurebenzylesterchlorid (Benzyloxycarbonylchlorid) wird die Amino-Funktion von α-Aminosäuren bei Peptidsynthesen geschützt (Kap. 38.4.2). Der so eingeführte N-Benzyloxycarbonyl-Rest (die Z-Schutzgruppe) gehört zu den Urethan-Schutzgruppen: H
O C Cl CH 2
+
O
H
O
H2N C CO2
C NH C CO2
− HCl
CH2
R
O
R
N-Benzyloxycarbonylaminosäure (Anion)
α-Aminosäure (Anion)
N-Alkyl- oder N-Arylurethane erhält man durch Addition von Alkoholen an Isocyanate, z. B.: H O C N
+
N
_ _ C2H 5 HO
O C OC 2H5 Ethyl-N-phenylurethan
Phenylisocyanat
Die Bildung der kristallinen, scharf schmelzenden Alkyl-N-arylurethane aus Arylisocyanaten und Alkoholen eignet sich zur Identifizierung von Alkoholen.
25.6 Harnstoffe Diamide der Kohlensäure (Tab. 25.1) werden als Harnstoffe bezeichnet. Sie sind im Gegensatz zur Carbamidsäure sehr stabil.
25.6.1
Bildung von Harnstoff
Harnstoff entsteht durch Ammonolyse von Phosgen, Kohlensäureesterchloriden (Alkyloxycarbonylchloriden) und Dialkylcarbonaten: Cl Phosgen
O C Cl + 4 NH3
Cl O C OR
NH 2
+ 3 NH3 − NH4Cl , − R OH
Kohlensäureesterchlorid
− 2 NH4Cl
OR
+ 2 NH3
O C
O C
− 2 R−OH
NH 2
OR
Harnstoff
Dialkylcarbonat
Aus Kohlendioxid und Ammoniak entsteht unter Druck ebenfalls Harnstoff über Ammoniumcarbamat (Kap. 25.5) als Zwischenstufe: NH2 O C O
+
2 NH 3
O C
+
H2O
NH2
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438
25 Kohlensäure-Derivate
Eine weitere Harnstoff-Synthese geht aus von Kohlenmonoxid, Schwefel und Ammoniak, wobei Carbonylsulfid, Ammoniumthiocarbamat und Ammoniumisocyanat als Zwischenstufen auftreten: CO
+
S
NH 2
+ NH3
O C S
SH
Carbonylsulfid
NH 2 O C_ SI _
NH 2 _ _ C O S
− H2S − NH3
NH4
H O C N
+ NH3
O C Thiocarbamidsäure
_ O C N _
+ NH3
Ammonium-thiocarbamat
NH4
NH2
Hitze
O C NH2
Ammonium-isocyanat
Harnstoff
Der letzte Schritt, die thermische Umlagerung von Ammonium-isocyanat zu Harnstoff, ist die historische WÖHLER-Synthese der organischen Verbindung Harnstoff aus einem anorganischen Salz. Biologisch entsteht Harnstoff als Hauptabbauprodukt der Stickstoff-Verbindungen im Säugetierorganismus. Er kann aus Urin isoliert werden.
25.6.2
Reaktionen von Harnstoff
Harnstoff-Addukte Harnstoff bildet mit längerkettigen unverzweigten Kohlenwasserstoffen, Halogenalkanen und Fettsäuren Addukte. Diese Reaktion kann zur Trennung der geradkettigen Verbindungen von ihren verzweigten Isomeren herangezogen werden. Wie die RÖNTGEN-Beugung zeigt, betten sich die unverzweigten Kohlenstoff-Ketten in die sechseckigen Kanäle des Harnstoff-Kristallgitters ein. Für verzweigte Verbindungen sind diese Kanäle zu eng. ̈
Hydrolyse In Gegenwart starker Mineralsäuren oder Basen wird Harnstoff beim Erhitzen hydrolysiert: ̈
CO32
+
+ 2 OH
2 NH3
NH2
−
O C
+
+ 2 H3O
CO2
+
2 NH 4
+
H2O
NH2
Harnstoff ist bei Raumtemperatur auch ein schwacher Protonenakzeptor, d. h. eine Base. Das durch Protonierung entstehende, mesomeriestabilisierte Harnstoff-Kation liegt in Uronium-Salzen vor. NH2
NH 2
− H2O
+
O C
H 3O
HO C NH 2
NH2
NH2
NH 2
HO C
HO C NH2
NH 2 HO C
NH 2
NH 2
Reaktion mit salpetriger Säure Wie primäre aliphatische Amine und Säureamide reagiert Harnstoff mit Nitrit in saurer Lösung zu Kohlendioxid, Stickstoff und Wasser. NH2 O C
+ NH2
OH 2O N
CO2
+
2 N2
+
3 H2O
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25.6 Harnstoffe
439
Auf dieser Reaktion beruht eine quantitative Harnstoff-Bestimmung durch gasvolumetrische Messung der freigesetzten Stickstoffmenge (VAN SLYKE-Reaktion, Kap. 22.6.2). Bildung von Ureiden Mit Carbonsäurehalogeniden und Anhydriden sowie mit einigen Estern reagiert Harnstoff zu den als Ureide bezeichneten Acylharnstoffen, z. B.: ̈
O
O +
H 3C C Cl
O
− HCl
C NH 2
O
H3C C N C NH2
H2N
H Acetylharnstoff, ein Ureid
Die Barbitursäure ist ein cyclisches Ureid aus Harnstoff und Malonsäure. Sie leitet sich vom Heteroaromaten Pyrimidin (Kap. 34.10.3) ab und kann, ebenso wie ihre Derivate, TautomerieGleichgewichte eingehen: Oxo-Enol-Tautomere der Barbitursäure O O
O H
N N
H
N
O
N
O
O
H
N N
OH
HO
OH
N
N N
OH
HO
N
OH
H
H Monoenol-Form : 2,4-Dioxo-6-hydroxy-1,2,3,4-tetrahydropyrimidin
Pyrimidin
Barbitursäure ist stärker sauer als Essigsäure. Ihre Acidität beruht auf ihrer Enolisierbarkeit, die bei Ersatz beider Methylen-H-Atome durch Alkyl- oder Aryl-Reste unterbunden wird, so z. B. in den Barbiturat-Schlafmitteln "Luminal" (Phenobarbital, Phenylethylbarbitursäure) und "Barbital" (Diethylbarbitursäure, frühere Bezeichung "Veronal"). Barbitursäure und ihre Derivate werden durch Reaktion von Harnstoff mit den entsprechend substituierten Malonsäurediestern in Gegenwart von Natriumalkoholat hergestellt: O NH 2 O
NH 2
+
H 5C2O H 5C 2O
R
O R'
NaOC 2H 5
O
− 2 C2 H 5OH
H O
N N
R
R' O
R = R' = H : Barbitursäure R = R' = C2H5 : Barbital (Veronal) R = C6H5 , R' = C2H5 : Luminal
H
25.6.3
Alkylharnstoffe
Di- und Tetraalkylharnstoffe entstehen durch Aminolyse des Phosgens. Die Phosgenierung sekundärer Amine führt direkt zu den Tetraalkyl- oder Tetraarylharnstoffen: NR 2
Cl O C
+ Cl
4 HNR 2 R = Alkyl oder Aryl
O C
+
2 H2NR2 Cl
NR 2
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440
25 Kohlensäure-Derivate
Dagegen reagieren primäre Amine mit Phosgen zunächst zu Isocyanaten (Kap. 25.2.2), die jedoch überschüssiges Amin unter Bildung der Dialkylharnstoffe addieren: Cl +
O C Cl
− R−NH3+ Cl
3 HNR2
−
R O C N
_ + R−NH2
NH R O C NH R Dialkylharnstoff
R = Alkyl oder Aryl
Die hier zunächst als Teilreaktion beschriebene Addition von Aminen an Isocyanate ist als solche eine weitere Methode zur Darstellung gemischt substituierter N,N'-Dialkylharnstoffe: NH R
R O C N
+
O C
R' NH2
NH R'
Dialkylharnstoffe entstehen auch durch Addition von Wasser an Carbodiimide (Kap. 25.13).
25.7 Guanidin 25.7.1
Basizität und Bindungszustand
Ersetzt man im Harnstoff die Carbonyl- durch eine Imino-Gruppe, so ergibt sich formal Guanidin, eine der stärksten organischen Basen (pKa = 12.5). N-Alkyl-Gruppen verstärken die Basizität, welche als Folge der Mesomeriestabilisierung des bei der Protonierung entstehenden GuanidiniumKations erklärt wird ("Y-Stabilisierung"): NH 2 HN C
NH2
− H2O
+
H3O
H2N C
NH 2 Guanidin
NH 2 H 2N C
NH2
NH2
NH2
H2N C
H2N C
NH 2 NH2 mesomere Grenzformeln des Guanidinium-Kations
NH2
Demnach sind die CN-Bindungen im Guanidinium-Kation nicht unterscheidbar, was die RÖNTbestätigt: Alle CN-Atomabstände sind gleich (118 pm). Die Guanidino-Gruppe ist eine Seitenketten-Funktion der Aminosäure Arginin (Kap. 38.1).
GEN-Diffraktometrie
25.7.2
Darstellung
Eine technische Synthese des Guanidins geht aus von Calciumoxid (gebrannter Kalk) und Koks; sie liefert zunächst Calciumcarbid (Ethindiid) (1), das bei hohen Temperaturen mit Stickstoff zu Calciumcyanamid (Carbodiimid-Salz, Kap. 25.13) reagiert (2). CaO
+
3C
CaC2
+
N2
1000 °C, − CO 1000 °C, − C
Ca2
IC CI
( CaC2 )
(1)
Ca2
N C N
( CaCN2 )
(2)
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25.8 Kohlensäurehydrazide
441
Weitere Zwischenstufen sind Cyanamid (3) und Dicyanamid (4), welches bei der Reaktion mit Ammoniumnitrat in Guanidiniumnitrat (5) spaltet: CaCN2
+
− CaSO4
H2SO4
NH 2
Hitze
2 N C NH2
(3)
N C NH 2
(4)
HN C NH C N
NH 2
NH 2
HN C
+
2 NH 4NO3
NH C N
25.7.3
NO3
2 H2N C
(5)
NH 2
Reaktionen
Guanidiniumnitrat reagiert mit kalter Schwefelsäure unter Wasserabspaltung zu der SprengstoffKomponente Nitroguanidin: NH 2
H2SO4 (konz.) , − H2O
NO3
H 2N C
NH NO2 HN C
NH 2
NH2 Nitroguanidin
Nitroguanidin kann zu Aminoguanidin reduziert werden: NH NO2 HN C
+
6 [H ]
+
NH NH 2
Zn , CH3CO2H
6 e0
HN C
− 2 H2O
NH 2
NH2 Aminoguanidin
Aminoguanidin kondensiert mit Aldehyden und Ketonen zu kristallinen Guanylhydrazonen und eignet sich daher als Reagenz auf diese Carbonyl-Verbindungen: NH N C NH 2 C N H
R
H 2N HN C O
R
+
C NH
− H2O
H2N
R
R Guanylhydrazon
25.8 Kohlensäurehydrazide Von der Kohlensäure leiten sich drei Hydrazide ab, die Carbamidsäurehydrazide oder Semicarbazide, die Dihydrazide oder Carbazide sowie die Kohlensäureesterhydrazide: NH NH R
NH2 O C NH NH R Semicarbazid
O C NH NH R Carbazid
OR' O C NH NH R Kohlensäureesterhydrazid
Die Bezeichnungen Semicarbazid und Carbazid sind üblich, aber nicht korrekt, da es sich nicht um Kohlensäureazide, sondern um Hydrazide handelt.
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442
25 Kohlensäure-Derivate
25.8.1
Semicarbazid
Semicarbazid entsteht durch kathodische Reduktion von Nitroharnstoff in verdünnter Schwefelsäure. NH2 O C
+
6 [H ]
+
6 e0
Pb-Kathode , H2SO4
NH 2 O C
+
2 H2O
NH NH 2 Semicarbazid
NH NO2
Es reagiert mit Carbonyl-Verbindungen zu kristallinen Semicarbazonen und eignet sich deshalb wie Aminoguanidin zur Charakterisierung von Aldehyden und Ketonen (Kap. 20.8.5).
25.8.2
Carbazide
Carbazide entstehen durch Hydrazinolyse des Phosgens; das auf diese Weise zugängliche Diphenylcarbazid bildet mit Übergangsmetall-Kationen farbige Chelate. Cl
NH NH
O C
+
4 H 2N NH
+
O C
Cl
2 Cl H3N NH
NH NH Diphenylcarbazid
25.8.3
Esterhydrazide der Kohlensäure
Esterhydrazide (andere Bezeichnungen: Carbazate, Alkylhydrazinocarbonate) der Kohlensäure entstehen durch Hydrazinolyse von Alkylphenylcarbonaten, z. B.: O C(CH 3)3
O C(CH3)3
O C
+
O C
H2N NH2
+
HO
NH NH 2
O t-Butylphenylcarbonat
t-Butylhydrazinocarbonat (t-Butylcarbazat)
25.9 Azidokohlensäureester Während das Diazid der Kohlensäure [O=C(N3)2] instabil ist, sind manche Azidokohlensäureester (nicht korrekte Bezeichnung: Azidoameisensäureester) isolierbar, obschon explosiv. Azidokohlensäureester bilden sich durch Nitrosierung der Esterhydrazide mit salpetriger Säure, z. B.: O C(CH 3)3 O C
+ NH NH2
HNO2
− 2 H2O
O C(CH3)3 O C_ N _ NI _ N
O C(CH3)3 O C_ N _ N NI
O C(CH 3)3 O C
_ N _ N NI
t-Butylazidocarbonat (t-Butoxycarbonylazid, "Boc-Azid") mesomere Grenzformeln
Mit t-Butylazidocarbonat (t-Butoxycarbonylazid, "Boc-Azid") wurden Aminosäuren in die N-tButoxycarbonyl-Derivate ("Boc-Aminosäuren") übergeführt, bevor sich Di-t-butylcarbonat und Di-t-butylpyrocarbonat ("Boc-Anhydrid") als bessere, nicht explosive Reagenzien zur Einführung dieser Urethan-Schutzgruppe erwiesen (Kap. 37.8.5, 38.4.2).
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25.10 Thiokohlensäure-Derivate
443
25.10 Thiokohlensäure-Derivate Die nicht beständige Thiokohlensäure existiert in Form einiger Derivate wie Thiophosgen, Thionocarbonate (Thiokohlensäureester), Thioharnstoff, Thiosemicarbazid und Thiocarbohydrazide: OR
Cl
OH
Thiophosgen
NH2
NH 2
Thionocarbonat
NH NH R S C
S C
S C OR
Cl
OH Thiokohlensäure
NH 2
S C
S C
S C
Thioharnstoff
NH NH R
NH NH 2 Thiosemicarbazid
Thiocarbohydrazid
Das flüssige, toxische Thiophosgen bildet sich aus Schwefelkohlenstoff und Chlor. Es reagiert mit 1,2-Diolen in Gegenwart von 4-N,N-Dimethylaminopyridin als Hilfsbase zu cyclischen Thionocarbonaten. Diese fragmentieren nach COREY-WINTER mit Trialkylphosphiten in der Hitze zu Alkenen, Kohlendioxid und Trialkylthiophosphaten. Dabei addiert Trialkylphosphit nucleophil an das S-Atom zum 1,3-Dioxolan-2-S-ylid, das nach Abspaltung von Trialkylthiophosphat über 1,3Dioxolan-2-carben mit Trialkylphosphit ein 1,3-Dioxolan-2-ylid ergibt. Die syn-Eliminierung von Kohlendioxid und Trialkylphosphit führt schließlich zum Alken. O S P(OCH 3)3
O
O
S
O
P(OCH 3)3
O
− S P(OCH3) 3
O
+ P(OCH3) 3
O
1,3-Dioxolan-2-S-ylid
O
Carbena-1,3-dioxolan
1,3-Dioxolan-2-ylid
− CO2 , − P(OCH3) 3
+ P(OCH3) 3
O
OH
− 2 HCl
S
P(OCH 3)3
Cl +
OH
O
S Cl
Thionocarbonat
Thioharnstoff bildet sich aus Cyanamid und Schwefelwasserstoff unter Druck: N C NH 2
+
NH 2
Druck
H 2S
S C NH 2
Er ist wie Harnstoff mesomeriestabilisiert und steht im Tautomerie-Gleichgewicht mit der Isothioharnstoff-Form: NH 2
NH 2 _ IS _ C NH 2
S C NH 2
NH2 _ IS _ C NH2
NH HS C NH 2 Isothioharnstoff
mesomere Grenzformeln des Thioharnstoffs
Thioharnstoff und Isothioharnstoff sind Schwefel-Nucleophile; sie reagieren daher mit Halogenalkanen zu S-Alkylisothiuronium-Halogeniden:
R
X
+
NH 2 _ HS _ C NH
Isothioharnstoff-Tautomer
NH 2
R X
S C
NH 2
R S C
NH 2
NH2
R S C
NH 2
NH2
mesomere Grenzformeln des S-Alkyliosthiuronium-Ions
NH2
R S C
O2N _ IO _
NH2
NO2
O2N S-Alkylisothiuronium-pikrat
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444
25 Kohlensäure-Derivate
Ist bei dieser Reaktion Pikrinsäure zugegen, so entstehen durch Ionenaustausch die gelben, kristallinen S-Alkylisothiuronium-Pikrate zum Nachweis und zur Charakterisierung der Halogenalkane.
25.11 Dithiokohlensäure-Derivate Auch die Dithiokohlensäure ist nur in Form einiger Derivate beständig, z. B. in Form ihres Anhydrids Schwefelkohlenstoff, oder als Ester, den Xanthogensäuren und deren Salzen, den Xanthogenaten: SH
_ SI _
SH
S C
S C S
OH Dithiokohlensäure
S C OR Xanthogensäure
Schwefelkohlenstoff
M
S C OR Xanthogenat
Schwefelkohlenstoff, das Schwefel-Analogon des Kohlendioxids, ist eine leicht entflammbare, tief siedende, farblose und stark lichtbrechende Flüssigkeit, die sich als Lösemittel für wenig polare organische Verbindungen eignet. Er bildet sich aus den Elementen bei hoher Temperatur (900 °C), oder aus Methan und Schwefeldampf in Gegenwart von Aluminiumoxid: CH 4
+
4S
750 °C , Al2O3
CS2
+
2 H 2S
Salze der Xanthogensäure entstehen durch Addition von Alkoholaten an Schwefelkohlenstoff: S Na S C S
+
Na
S C
O CH 2 CH3
O CH 2 CH 3 Natrium-ethylxanthogenat
Ethylxanthogenat und seine höheren Alkylhomologen zersetzen sich beim Erhitzen unter Bildung von Ethen bzw. Alkenen (TSCHUGAJEFF-Reaktion, Kap. 24.2.1).
25.12 Trithiokohlensäure Im Gegensatz zur Thio- und Dithiokohlensäure ist die Trithiokohlensäure bis etwa 80 °C stabil. Ihr Ammoniumsalz entsteht aus Schwefelkohlenstoff und Ammoniumhydrogensulfid in absolutem Ethanol bei 0 °C. S S C S
+
NH 4 SH
NH 4
S C SH Ammoniumhydrogentrithiocarbonat
Der Monoethylester bildet sich aus Schwefelkohlenstoff und Ethanthiol in wäßriger Natronlauge: SH S C S
+
HS CH 2 CH3
S C S CH 2 CH3 Monoethyltrithiocarbonat
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25.13 Carbodiimide
445
25.13 Carbodiimide Carbodiimide gehören als Stickstoff-Analoga des Kohlendioxids wie Isocyanate und Isothiocyanate zu den Heterocumulenen: N C NH2 Cyanamid
N C N
S C N
R O C N
O C O
Diarylcarbodiimid
Isothiocyanat
Isocyanat
Kohlendioxid
Ar
R N C N
HN C NH
Ar
R
Carbodiimid
R
Dialkylcarbodiimid
Carbodiimid und Cyanamid stehen in einem spektroskopisch nachweisbaren Tautomerie-Gleichgewicht, das sich bei Dialkyl- oder Diarylcarbodiimiden nicht einstellen kann. Diaryl- oder Dialkylcarbodiimide gewinnt man technisch durch bimolekulare Decarboxylierung von Isocyanaten in Gegenwart von Phospholinoxid als Katalysator, Ar +
N C O
(Kat.)
O C N
Ar N C N
+
Kat. = Phospholinoxid
CO2
Ar
Ar
P O
R
durch Oxidation von N,N'-Dialkylthioharnstoffen mit Quecksilber(II)-oxid,
R
H
H
N
N
C
R R
+
HgO
N C N
+
HgS
+
H2O
R
S
sowie durch Dehydratisierung tosylierter Harnstoffe in Gegenwart starker Basen wie Diisopropylethylamin (DIPEA). Umgekehrt addieren Carbodiimide leicht Wasser unter Bildung der N,N'-Dialkylharnstoffe, z. B.: R N C N R
+
H2O
RHN
C O
NHR
R= Dicyclohexylharnstoff
Daher sowie zwecks Carboxy-Aktivierung werden Dicyclohexylcarbodiimid (abgek. "DCC") und insbesondere Diisopropylcarbodiimid ("DIC") als Kupplungsreagenzien bei Veresterungen und Polypeptid-Synthesen verwendet (Kap. 38.4.1).
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446
26 Umlagerungen
26 Umlagerungen Umlagerungen (Symbol: Reaktionspfeil mit Schleife) sind Reaktionen bzw. Teilreaktionen, bei denen Bindungen gelöst und neu geknüpft werden, so daß sich die Konstitution ändert (Isomerisierungen). Zahlreiche Umlagerungen sind als 1,2-Verschiebungen von Alkyl-, Aryl-Resten oder Bindungen zu verstehen. Je nachdem, ob die wandernde Gruppe sich als Anion, Kation oder Radikal verschiebt, spricht man von Anionotropie, Kationotropie oder radikalischen Umlagerungen.
26.1 Anionotrope 1,2-Verschiebungen Die weitaus meisten Umlagerungen lassen sich in die anionotropen 1,2-Verschiebungen einordnen. Anionotrope 1,2-Verschiebungen gehen aus von reaktiven Zwischenstufen, bei denen ein Atom (C, N oder O) ein Elektronendefizit (Elektronensextett) aufweist. Carbenium-Ionen, Carbene, Nitrenium-Ionen, Nitrene sowie Oxenium-Ionen sind solche reaktive Zwischenstufen.
26.1.1
Allgemeine Mechanismen anionotroper 1,2-Verschiebungen (Sextett-Umlagerungen)
Elektronensextett am C (Carbenium-Ionen, Carbene) Viele Umlagerungen werden durch labile Carbenium-Ionen (Elektronensextett am C) ausgelöst, die sich unter 1,2-Alkyl-Anionotropie in stabilere Carbenium-Ionen umlagern: ̈
R
R
C C
1
o
C C
2
1
2
Auch Acylcarbene lagern sich durch 1,2-Anionotropie in Ketene um: O
_ C CH
H o
O C C
R Acylcarben
R
Keten
Die mehr aus didaktischen Gründen formulierten Ionen bzw. Carbene treten nicht frei auf; experimentelle Befunde weisen vielmehr darauf hin, daß bereits die Abgangsgruppe X einen cyclischen Übergangszustand hinterläßt, in dem sich die ursprüngliche Bindung unter gleichzeitiger Knüpfung der neuen löst: R
X
C C
− XI
R
C C
R
C C
Entsprechendes gilt auch für die folgenden 1,2-Verschiebungen von oder zu Heteroatomen.
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26.1 Anionotrope 1,2-Verschiebungen
447
Elektronensextett am N (Nitrenium-Ionen, Nitrene) Nitrenium-Ionen und Acylnitrene sind Intermediate mit Elektronensextett am Stickstoff. Sie lagern sich unter 1,2-Alkyl-Anionotropie in Carbenium-Ionen bzw. Isocyanate um: R
_ C N
_ C NI
C N R Carbenium-Ion
R Dialkylnitrenium-Ion
O
R
o
o
O C N R Isocyanat
R Acylnitren
Elektronensextett am O (Oxenium-Ionen) Oxenium-Ionen als Intermediate mit Elektronensextett und Koordinationszahl 2 am O-Atom lagern sich unter 1,2-Alkyl-Anionotropie zu stabileren Carbenium-Ionen um: R
R
R C OI _
o
R
_I C O R Carbenium-Ion
R Oxenium-Ion
Bei allen 1,2-Verschiebungen ist die relative Stabilität der Ionen und Radikale treibende Kraft der Umlagerung (tertiär > sekundär > primär), z. B.: H 3C
H
H3C C C H 3C
CH 3
sekundäres Carbenium-Ion
o
H3C
CH3 C C H
H3C
CH3
tertiäres Carbenium-Ion
Die Wanderungstendenz der Gruppe R ist umso größer, je besser der cyclische Zwischenzustand stabilisiert wird. Gegenüber Alkyl-Gruppen und Wasserstoff wandern z. B. Aryl-Gruppen bevorzugt, weil der cyclische Übergangszustand mesomeriestabilisiert ist, wie das Beispiel des intermediären Phenonium-Ions bei anionotropen 1,2-Phenyl-Verschiebungen zeigt. Entsprechende Formulierungen gelten auch für Carbanionen und Radikale.
26.1.2
1,2-Verschiebungen von C zu C WAGNER-MEERWEIN-Umlagerung
Das im ersten Schritt elektrophiler Additionen sowie von E1- und SN1-Reaktionen gebildete Carbenium-Ion kann sich durch 1,2-Alkyl-Verschiebung stabilisieren. Bei diesen WAGNER-
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448
26 Umlagerungen
MEERWEIN-Umlagerungen (Kap. 5.2.2, 15.6.5, 15.6.6) entstehen umgelagerte Substitutionsprodukte oder Alkene: R 1 OH
R1
+ [H+]
C C C R2
− H2O
R3
R1 o
C C C R2
C C C R2
R3
R3 β-Eliminierungen
Substitutionen + H2O
−
+
− [H ]
+
− [H ]
+X
R2 = H
+
− [H ]
+
− [H ]
R3 = H
R1 OH R1
X R1
C C C R2
C C C R2
C C
R3
R3
R3 umgelagerter Alkohol
R1
C
C C R2 C
umgelagertes Halogenalkan
umgelagerte Alkene
Pinakol-Umlagerung Die Pinakol-Umlagerung alkyl-substituierter 1,2-Diole (Mechanismus: Kap. 15.7.2) führt zu Ketonen: R OH
C C OH
R
+ [H+]
R
o
C C
− H2O
OH
H
R
− [H+]
C C
C C O
O
Aldehyd-Keton-Isomerisierung Der Pinakol-Umlagerung nahe steht die säurekatalysierte Isomerisierung von Aldehyden (R4 = H) in Ketone und von Ketonen (R4 = Alkyl) in isomere Ketone, wobei zwei Mechanismen nachgewiesen wurden: R4
R2
C C R1
R2
C R3
R4
C
R1
+ [H+]
R2 O
C
o
R4
R3
R1
OH
o
C OH
R3
R4
R2 o
R2 R3 C
R4 C R1
C R3
o
R1
C
R4
− [H+]
R2 OH
C
R1
C
R3
O H
Auch α-Hydroxyaldehyde und Ketone können unter 1,2-Alkyl-Verschiebung isomerisieren: R1
R2
C OH
R3
O
R3
[H+]
o
C
R2
C OH
R1
C O
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O
26.1 Anionotrope 1,2-Verschiebungen
449
DEMJANOW-Umlagerung Die nach Diazotierung primärer Amino-Gruppen in α-Stellung zum oder am Cycloalkan-Ring verbleibenden Carbenium-Ionen neigen zu 1,2-Alkyl-Verschiebungen unter Beteiligung von RingCC-Bindungen. Diese DEMJANOW-Umlagerung kann präparativ zu Ringerweiterungen (Kap. 8.7.2) und Ringverengungen genutzt werden. Ringerweiterung: ̈
OH + H2O , − [H+] + HX + HNO2
CH2 NH 2
1
CH2
2
o
2
1
− 2 H2O − N2 − −X
Cyclopentanol
CH 2 − [H+]
Cyclopenten
Ringverengung: + H2O , − [H+]
NH2
+ HX + HNO2
2 2
o
1
CH 2
CH 2 OH Hydroxymethylcyclobutan
1
− 2 H2O − N2 − −X
− [H+]
CH 2 Methylencyclobutan
WOLFF-Umlagerung Die WOLFF-Umlagerung der aus α-Diazoketonen entstehenden Acylcarbene zu Ketenen ist eine präparative Methode zur Homologisierung von Carbonsäuren (Kap. 17.5.6): ̈
O R
C Cl
O
+ CH2N2
− N2
R
O
C
R
C
CH N2 _
_ CH
Acylcarben
α-Diazoketon
o
H O C C R Keten
Benzil-Benzilsäure-Umlagerung Aryl-substituierte 1,2-Diketone (Benzil) lagern sich nach nucleophiler Addition des HydroxidAnions an eines der Carbonyl-C-Atome unter 1,2-Aryl-Anionotropie in α,α-Diaryl-α-hydroxycarbonsäuren (Benzilsäuren) um: ̈
Ar
Ar
C C O
O
Ar = −C6H5 : Benzil
+ OH
−
Ar
o
HO C C IOI
HO
Ar O
Ar
_ IO _
C C Ar O
IOI
Ar
C C Ar O
OH
Benzilsäure (als Salz)
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450
26 Umlagerungen
Dienon-Phenol-Umlagerung Die säurekatalysierte 1,2-Alkyl-Anionotropie der 4,4-Dialkylcyclohexa-2,5-dienone zu 3,4-Dialkylphenolen eignet sich zur Darstellung spezieller Phenole (Mechanismus: Kap. 21.4.6): O
OH o
R
26.1.3
R
R
R
1,2-Verschiebungen von C zu N über Nitrene und Nitrenium-Ionen
Anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebungen von Nitrenium-Ionen und Acylnitrenen wurden bereits als Methoden zur Darstellung von primären Aminen und Carboxamiden besprochen (Kap. 22.4.10), so daß eine zusammenfassende Formulierung genügt. HOFMANN-Abbau von Carboxamiden LOSSEN-Abbau von Hydroxamsäuren CURTIUS-Abbau von Carbonsäureaziden HOFMANN-, LOSSEN- und CURTIUS-Umlagerung führen über die den Acylcarbenen analogen Acylnitrene zu Isocyanaten, deren Hydrolyse primäre Amine ergibt: O R C 1 2 NH 2
Carboxamid
HOFMANN
+ Br 2 , − 2 HBr
O R C 1 2NH OH
LOSSEN
− H2O
Hydroxamsäure
O R C _ 1 2N _
CURTIUS
− N2
Acylnitren
1
2
R
O C N
O R C_ 1 2N _ N NI Carbonsäureazid
R
N H O C OH
+ H2O
Isocyanat
− CO2
N-Alkylcarbamidsäure
R
NH2
primäres Amin
K.F. SCHMIDT-Reaktion von Carbonsäuren Bei der SCHMIDT-Reaktion von Carbonsäuren mit Stickstoffwasserstoffsäure lagert ein intermediäres protoniertes Acylnitren durch anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebung in ein protoniertes Isocyanat um: R
O C OH
+ HN3 , + [H+]
− H2O , − N2
R 1 O C2 NI H
protoniertes Acylnitren
o
1
2
R
O C N H protoniertes Isocyanat
+ H2O
− CO2
H 3N
R
AlkylammoniumIon
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26.1 Anionotrope 1,2-Verschiebungen
451
K.F. SCHMIDT-Reaktion von Ketonen, BECKMANN-Umlagerung von Ketoximen Intermediat der SCHMIDT-Reaktion von Ketonen mit Stickstoffwasserstoffsäure ist ein Dialkylnitrenium-Ion, das durch anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebung in ein Carbenium-Ion übergeht. Dessen Hydrolyse führt zu einem N-Alkylcarboxamid. Bei der BECKMANN-Umlagerung bildet sich das intermediäre Dialkylnitrenium-Ion durch Protonierung der Ketoxime. ̈
K.F. SCHMIDT + HN3 , + [H+]
R
R C
− H2O , − N2
O
1
R
R C
R
+ [H+]
R C
R C
2
N
− H2O BECKMANN
N OH
+ 2 H2O
1
o
− H3O+
2
N R
Dialkylnitrenium-Ion
O
1
R C
2
N R H
Carbenium-Ion
N-Alkylcarboxamid
NEBER-Umlagerung von Ketoxim-Tosylaten Die NEBER-Umlagerung der Ketoximtosylate zu α-Aminoketonen folgt nicht dem allgemeinen Schema der 1,2-Alkyl-Verschiebungen von C nach N: Das nach Deprotonierung des Ketoximtosylats gebildete Carbanion addiert nucleophil am Imino-N-Atom und drückt ein Tosylat-Anion aus dem Molekül. Das isolierbare Azirin wird zum α-Aminoketon hydrolysiert. ̈
H H R1
C
1
C N2
H
−
+ RO
R2
− R−OH
O
R1
C
R2
1
C N2
SO3
O
SO2
SO2
CH3 Ketoxim-tosylat
CH 3
26.1.4
R1
o
−
1
+ H2O
R2
R1
CH
N2
−
2
Azirin
1
R2
C
NH2
O
α-Aminoketon
CH3
Verschiebungen von C zu O
Hydroperoxid-Umlagerungen ̈ Prominentes Beispiel einer Hydroperoxid-Umlagerung unter 1,2-Aryl-Verschiebung von C nach O über ein mesomeriestabilisiertes Phenonium-Ion als cyclischem Übergangszustand (Kap. 21.4.1) ist die HOCK-Synthese des Phenols und des Acetons: Ar
R1 C O R2
O H
Ar _ R 1 1C O _
R2
2
R1 o
Ar
C O R2
1
2
OH
+ 2 H2O
Ar
R1 C O
− H3O+
1
2
R2 Halbketal
R1 C O R2
Keton
+
HO Ar Phenol
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452
26 Umlagerungen
BAEYER-VILLIGER-Oxidation Wesentlicher Schritt der BAEYER-VILLIGER-Oxidation von Ketonen mit Peroxycarbonsäuren zu Carbonsäureestern (Kap. 20.11.2) ist eine anionotrope 1,2-Alkyl-Verschiebung vom ehemaligen Carbonyl-C zum ehemaligen Peroxy-O:
̈
O Keton
R'
R
C
O
+
C
O
O
R
_ IOI
− [H+]
R'
H
O R
1
C
O
− R´ −CO2
C R
O
O
−
R
C 1
O R 2
2
Carbonsäureester
Peroxycarbonsäure
26.2 Kationotrope 1,2-Verschiebungen über Carbanionen Bei den weniger häufigen kationotropen 1,2-Verschiebungen bildet sich zunächst ein Carbanion, das sich durch 1,2-Verschiebung eines Alkyl- oder Aryl-Kations stabilisiert: R H
C1 C 2
26.2.1
R
− [H+]
R
_ C1 C 2
o
R _ C1 C 2
o
C 1 C2
Folgereaktionen
FAVORSKII-Umlagerung (von C nach C)
Bei der FAVORSKII-Umlagerung der α-Halogenketone deprotoniert ein Alkoholat-Ion als Base in α'-Stellung zum Carbanion, während das α-Halogen als Halogenid-Anion abdissoziiert und dort eine Elektronenlücke hinterläßt, die das Carbanion schließt. Resultat ist ein Ringschluß zum Cyclopropanon-Intermediat. Nucleophile Addition eines Alkoholat-Anions am Carbonyl-C führt zum umgelagerten Ester. R R _ R C C C R Cl O −
+ R'O
− Cl
−
o
R
R
R
R O
−
+ R'O
R R R'O
R
R _ OI _
R C _
R
R'O
− R' −OH
H Rα R α' R C C C R Cl O
+ R'OH
R α-Halogenketon
umgelagerter Ester
R C H
R C R C
O −
− R'O
R C R CO2R'
Die FAVORSKII-Umlagerung der α-Halogencycloalkanone verengt Ringe, was vor allem zur Darstellung von Fünf- aus Sechsringen präparativ genutzt wird.
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26.3 Radikalische 1,2-Verschiebungen
453
Aus α-Chlorcyclohexanon entsteht z. B. Cyclopentancarbonsäureester: H _
Cl
−
_ IO _
O
O − Cl
−
−
O
OR
C OR
+ RO
o
− R−OH
+ RO
−
− RO
+ R−OH
O
CO2R
Cl Cyclopentancarbonsäureester
α-Chlorcyclohexanon
26.2.2
STEVENS-Umlagerung (von N nach C)
Bei der STEVENS-Umlagerung wird ein quartäres Ammonium-Ion zum Stickstoff-Ylid deprotoniert. Fördernd wirkt dabei ein Elektronenakzeptor E in α-Stellung zum N-Atom. Die kationotrope 1,2Verschiebung einer N-Alkyl-Gruppe im Ylid führt zum umgelagerten tertiären Amin. Formal könnte sich letzteres auch durch anionotrope 1,2-Verschiebung über ein Immonium-Ion bilden. R 2
E
CH 2
1
N R R
R
+ NH 2
E
− NH 3
1
CH _
o
N R
E
2
CH
2
R R
R
R
quartäres Ammonium-Ion
1
N _
umgelagertes tertiäres Amin
Stickstoff-Ylid
O E = R
26.2.3
C , RO2C − , N
C−
R = −CH2−CH=CH 2 (Allyl) , −CH2−C6H5 (Benzyl) , −CH(C6H5)2 (Benzhydryl)
WITTIG-Umlagerung (von O nach C)
In Analogie zur STEVENS-Umlagerung werden Allyl- und Benzylether durch starke Basen zu Carbanionen deprotoniert, die unter kationotroper 1,2-Verschiebung der O-Alkyl-Gruppe in Alkoholate übergehen. WITTIG-Umlagerungen (Kap. 16.5.4) eignen sich zur Darstellung sekundärer und tertiärer Alkohole mit Alkenyl- und Aryl-Resten. R
2
Base , − [H+]
1
CH2 O
R
1
2
R'
o
CH O _
R
R'
R'
Carbanion
Ether , R = Alkenyl oder Aryl
_1 2 CH OI _
Alkoholat
26.3 Radikalische 1,2-Verschiebungen Radikalische 1,2-Verschiebungen folgen formal den aniono- und kationotropen Mechanismen: R
X
C1 C 2
− [X ]
R
C1 C 2
R
o
C 1 C2
R
o
C1 C 2
Folgereaktionen
Es gibt Anhaltspunkte für alternative Radikal-Mechanismen anionotroper 1,2-Verschiebungen. So verläuft die STEVENS-Umlagerung einiger Tetraalkylammonium-Ionen aufgrund spektroskopi-
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454
26 Umlagerungen
scher Befunde (NMR) über ein intermediäres, mesomeriestabilisiertes Radikal-Anion und das (wandernde) Alkyl-Radikal. Dieses Radikal-Paar entsteht durch Homolyse des Stickstoff-Ylids: R E
2
CH 2
1
N R R
quartäres Ammonium-Ion
+ NH 2
R
R E
2
_ CH
− NH3
1
E
N R
2
CH _
1
N R
E
R
R
2
CH
1
R o
N _ R
R
2
CH R
Radikal-Paar im Lösemittelkäfig
Stickstoff-Ylid
E
1
R
N _ R
umgelagertes tertiäres Amin
26.4 Umlagerungen an benzoiden Ringen Substituierte benzoide Aromaten gehen eine Reihe von Reaktionen ein, bei denen sich Substituenten von einer Ringposition in eine andere oder von der Seitenkette in den Ring verschieben. Die meisten dieser Umlagerungen sind Wanderungen eines von der Seitenkette abgelösten Elektrophils nach dem Muster intermolekularer elektrophiler Substitutionen (SE) mit der üblichen o : pProduktverteilung.
26.4.1
Umlagerungen vom SE -Typ
JACOBSEN-Umlagerung von Polyalkylaromaten Bei der JACOBSEN-Umlagerung hat die Sulfonierung eines Polyalkylaromaten die Verschiebung einer Alkyl-Gruppe als Elektrophil im Ring zur Folge (Kap. 10.6.2): SO3H H 3C
CH 3
H 3C
CH 3
+
H 3C
H 2SO4
o
SO3
H 3C
CH3 CH 3
FRIES-Umlagerung von Acylphenolen Die durch LEWIS-Säuren katalysierte FRIES-Umlagerung von O-Acylphenolen durch AcylWanderung (Acyl als Elektrophil) in o- und p-Acylphenole eignet sich zur Darstellung zahlreicher Phenone (Kap. 21.6.2):
̈
O
C
R
o
O
OH
OH
AlCl3
R
sowie C
C
R
O O-Acylphenol
O
p-Hydroxyphenon
o-Hydroxyphenon
In der Kälte bildet sich (kinetisch kontrolliert) überwiegend das p-Produkt, während in der Wärme oft das durch Chelatbildung mit der LEWIS-Säure stabilisierte o-Isomer dominiert. Phenolether-Umlagerung ̈ Die durch LEWIS-Säuren katalysierte Umlagerung von Phenolethern durch Alkyl-Wanderung (Alkyl als Elektrophil) führt überwiegend zum p-Produkt: O
R
OH
AlCl3
o
R Phenolether
OH sowie R
p-Alkylphenol
o-Alkylphenol
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26.4 Umlagerungen an benzoiden Ringen
455
Diaryltriazen-Arylazo-Umlagerung Die Diaryltriazen-Arylazo-Umlagerung ist ein wesentlicher Schritt der Azo-Kupplung primärer und sekundärer aromatischer Amine (Phenyldiazonium-Ion als Elektrophil, Kap. 23.8.2): ̈
R N
R N
N
Ar
[ H +]
N
o
Ar Diaryltriazen
N
H
N
p-Aminoazobenzen
FISCHER-HEPP-Umlagerung von N-Nitrosoanilinen N-Nitrosoaniline lagern sich bei Gegenwart von Säuren unter Wanderung des Nitrosyl-Kations als Elektrophil zu p-Nitroso-N-alkylanilinen um.
̈
R N
R O
N
[ H +]
o
N O
N-Nitrosoanilin
H
N p-Nitrosoanilin
HOFMANN-MARTIUS-Umlagerung von Anilinium-Salzen Mono- und Dialkylaniliniumchloride lagern sich bei höheren Temperaturen überwiegend in die pAlkylaniline um. Dabei spielt ein zunächst abgespaltenes Chloralkan die Rolle des Elektrophils. ̈
R N
H
[ H +]
NH2
o
R N-Alkylanilin
p-Alkylanilin
̈ Benzidin-Umlagerung von Diarylhydrazinen Die bereits skizzierte Benzidin-Umlagerung der 1,2-Diarylhydrazine (Benzidine) verläuft intramolekular über einen π-Komplex aus einer nucleophilen und einer elektrophilen Anilin-Hälfte (Mechanismus: Kap. 22.4.11). NH NH
o
Hydrazobenzen (Diphenylhydrazin)
26.4.2
H2N
NH2
( sowie Isomere )
Benzidin (4,4'-Diaminobiphenyl)
Umlagerungen vom SN -Typ
SOMMELET-HAUSER-Umlagerung Die SOMMELET-HAUSER-Umlagerung quartärer Benzyl- oder Benzhydrylammonium-Ionen konkurriert mit der STEVENS-Umlagerung (Kap. 26.2.2). Sie wird als eine intramolekulare nucleophile
̈
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456
26 Umlagerungen
aromatische Substitution durch ein terminales Carbanion über einen fünfgliedrigen Übergangszustand beschrieben: H C _
CH 2
NR 2
−
CH2
o
ICH 2
CH 3 + H2 N
NR 2
H _ CH 2 NR 2
− NH 3
CH 2
NR 2 CH 3
Methyldialkylbenzylammonium-Ion
CH3
(2-Methylbenzyl)N,N-dialkylamin
CH2 NR2
̈ WALLACH-Umlagerung von Azoxybenzen Schlüsselschritt der säurekatalysierten WALLACH-Umlagerung von Azoxybenzenen in 4-Hydroxyazobenzene ist wahrscheinlich der nucleophile Angriff von Hydroxid (oder Wasser) in p-Stellung zur Azo-Gruppe: _ IO _
N
Ar
H
Ar
N
O
N
+
+ H3O
H
N
Ar
N N
− H2O
Ar N
+
− [H ]
N
_ + IOH _ HO H
OH
Azoxybenzen
4-Hydroxyazobenzen
26.5 Sigmatrope Umlagerungen Bei den in Kap. 27 näher besprochenen sigmatropen Verschiebungen reorganisieren sich benachbarte Einfach- und Doppelbindungen in einer Einschritt-Reaktion.
26.5.1
[1,5]-sigmatrope Verschiebung
Die thermische Umlagerung des 1-Methylcyclopentadiens in das 2-Methyl-Derivat ist ein typisches Beispiel einer [1,5]-H-Verschiebung: H 5
H
4 1 3
5
Hitze
o
CH 3
2
1-Methylcyclopentadien
26.5.2
H 1
CH 3
2-Methylcyclopentadien
COPE-Umlagerung als [3,3]-sigmatrope Verschiebung
Unter [3,3]-sigmatropen Verschiebungen versteht man die thermisch induzierte Reorganisation eines 1,5-Dien-Systems über zwei intermediäre Allyl-Radikale (daher "3,3"). R
R
R
R
o 1,5-Dien
umgelagertes 1,5-Dien
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26.5 Sigmatrope Umlagerungen
457
Diese COPE-Umlagerung der 1,5-Diene fand viele reizvolle Anwendungen, u. a. bei der Synthese des 1,4-Cycloheptadiens aus Divinylcyclopropan (Kap. 8.6.5). Ist R ≠ H (z. B. Phenyl oder Acyl), so sind Ausgangs- und Umlagerungsprodukt verschieden; die Umlagerung gibt sich an der Konstitution des Produkts zu erkennen. Ist dagegen R = H, so sind Ausgangs- und Endprodukt identisch; die Umlagerung ist chemisch nicht nachweisbar (entartete COPE-Umlagerung), z. B.:
1,5-Hexadien
Homotropiliden
Die Kernresonanzspektroskopie zeigt jedoch, daß bei höheren Temperaturen (100 - 200 °C) die Isomerisierung mit großer Frequenz erfolgt (103 mal pro Sekunde und schneller). Solche Moleküle mit fluktuierenden σ - und π -Bindungen nennt man Valenztautomere. Bekannte Beispiele sind außer Homotropiliden die Polycyclen Bullvalen (Kap. 8.7.4) und Hypostrophen:
Hypostrophen
26.5.3
Hetero-COPE-Umlagerungen
Die Oxa-COPE-Umlagerung der Allylvinylether führt zu γ,δ-ungesättigten Carbonyl-Verbindungen (R = H : Aldehyde) oder Ketonen (R = Alkyl oder Aryl : Ketone): R
R Hitze
O
O
o
γ,δ-ungesättigte CarbonylVerbindung
Allylalkenylether
Bei der CLAISEN-Umlagerung der Allylphenylether (Kap. 16.5.4) entsteht unter Mitwirkung einer benzoiden π-Bindung durch eine Art Oxa-COPE-Umlagerung intermediär ein Cyclohexadienon, das zum o-Allylphenol rearomatisiert:
Hitze
O
O
o
HO
H
Allylphenylether
o-Allylphenol
Auch andere [3,3]-sigmatrope Verschiebungen unter Mitwirkung von C-Heteroatom-Doppelbindungen sind bekannt, z. B. die Indol-Synthese nach FISCHER (Kap. 34.6.3) oder die DiazaCOPE-Umlagerung arylsubstituierter 2,5-Diaza-1,5-hexadiene: Ar1
N
Ar2
Ar1
N
Ar2
Ar1
N
Ar2
Ar1
N
Ar2
1,3,4,6-Tetraaryl-2,5-diaza-1,5-hexadiene (Diimine aus 1,2-Diaryl-1,2-diaminoethan und Arenaldehyd)
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458
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen 27.1 Phasenbeziehung von p-Orbitalen Bekanntlich lassen sich die Elektronenzustände in Atomen und Molekülen als stehende Wellen deuten (Kap. 1.3). Das Quadrat der Wellenfunktion Ψ beschreibt dabei den als Orbital bezeichneten Aufenthaltsbereich der Elektronen. Die Überlappung von Atomorbitalen führt zu Bindungsorbitalen. Dabei überlappen s-Orbitale wegen ihrer Kugelsymmetrie ohne Vorzugsrichtung zu σOrbitalen. Dagegen können die hantelförmigen p-Orbitale (Kap. 1.3.2) mit ihren Enden oder Seiten überlappen. Im ersten Fall entstehen σ-, im zweiten π-Bindungsorbitale (Kap. 1.4.3). Zusätzlich spielt bei der Überlappung von p-Orbitalen noch deren Phasenbeziehung eine Rolle. Wie stehende Sinuswellen haben die p-Orbitale je eine Knotenebene, die den negativen vom positiven Bereich der Ψ-Funktion trennt. Wie stehende Sinuswellen mit zeitgleichen Bereichen positiver und negativer Amplitude (Abb. 27.1 a) bezeichnet man p-Orbitale mit gleicher Vorzeichensymmetrie als in Phase oder symmetrisch. Überlagert man Sinuswellen entgegengesetzter Phase, so erfolgt Auslöschung (Abb. 27.1 b). Dagegen führt die Interferenz bei gleicher Phase zur Verdoppelung der Amplitude (Abb. 27.1 a). Ähnlich überlappen zwei p-Orbitale gleicher Phase zu einem bindenden, solche entgegengesetzter Phase zu einem antibindenden π-Molekülorbital, z. B. im Ethen (Abb. 27.2 a und b).
(a)
(b)
+
+ −
+
−
+ −
−
+
+
+ −
−
+ −
+
+
+ −
−
+ −
Abb. 27.1. Phasenbeziehung zweier stehender Sinuswellen: (a) Bei symmetrischer Phase führt die Überlagerung zur Verdoppelung der Amplitude; (b) bei antisymmetrischer Phase führt die Interferenz zur Auslöschung
Im Grundzustand des Ethens besetzen beide π-Elektronen das bindende π-Orbital (Abb. 27.2). Ethen hat demnach die π-Elektronenkonfiguration π2. Durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht
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27.1 Phasenbeziehung von p-Orbitalen
459
wird ein π-Elektron auf den antibindenden π*-Zustand angeregt (ππ*-Übergang, Abb. 27.2), so daß die energetisch labilere Elektronenkonfiguration π1π*1 entsteht. E
(b)
π∗ antisymmetrisch
π∗
antibindend
ππ* - Übergang
π
(a)
Grundzustand
symmetrisch
bindend
Überlappungsart
Molekül-Orbitale
π angeregter Zustand
Abb. 27.2. Phasenbeziehung zweier koaxialer p-Orbitale : (a) Die Überlappung zweier koaxialer p-Orbitale mit gleicher Phase führt zum bindenden π-Molekülorbital, z. B. des Ethens. (b) Die Überlappung zweier koaxialer p-Orbitale mit antisymmetrischer Phase führt zum antibindenden π*-Molekülorbital, das nur im angeregten Zustand besetzt ist
In konjugierten Polyenen sind vier oder mehr p-Orbitale an der Bildung von π-Bindungen beteiligt. Durch Überlappung von vier p-Orbitalen entstehen z. B. im 1,3-Butadien zwei bindende und zwei antibindende π-Orbitale. Das energetisch günstigste dieser π-Orbitale resultiert aus vier pOrbitalen gleicher Symmetrie, das energetisch ungünstigste dagegen aus vier paarweise antisymmetrischen p-Orbitalen (Abb. 27.3, Abb. 6.1, 6.2, S. 83). E
π∗
π∗
π∗
π∗
antibindende Molekülorbitale
ππ* - Übergang
π
π
π
π
bindende Molekülorbitale
Überlappungsart
Grundzustand
1. angeregter Zustand
Abb. 27.3. Überlappungsmöglichkeiten der pz-Orbitale in 1,3-Butadien, resultierende π-Molekülorbitale und deren Besetzung im Grund- und ersten angeregten Zustand
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460
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Nur die symmetrischsten Überlappungen der Atom- oder Hybridorbitale führen nach diesen Betrachtungen zu energiearmen bindenden Molekülorbitalen. WOODWARD, HOFFMANN, FUKUI und LONGUET-HIGGINS entwickelten diesen Gedankengang weiter zu dem Konzept, daß bei konzertierten Reaktionen, in deren Verlauf mehrere Bindungen gleichzeitig gelöst und gebildet werden, die Orbitalsymmetrie den Ablauf und die Orientierung der Reaktion steuert. Gut untersuchte Beispiele konzertierter Reaktionen sind neben Cycloadditionen die elektrocyclischen und sigmatropen Reaktionen, die man unter dem Begriff der pericyclischen Reaktionen zusammenfaßt.
27.2 Elektrocyclische Reaktionen 27.2.1
Definitionen
1,3,5-Hexatriene isomerisieren unter Einwirkung von Wärme oder Licht zu 1,3-Cyclohexadienen: R
R
R
R 1,3,5-Hexatrien 6 π-Elektronen (k = 6)
1,3-Cyclohexadien 4 π-Elektronen
Entsprechend können 1,3,5,7-Octatetraene in 1,3,5-Cyclooctatriene übergehen: R
R
R
R 1,3,5,7-Octatetraen 8 π-Elektronen (k = 8)
1,3,5-Cyclooctatrien 6 π-Elektronen
Bei diesen Umwandlungen schließt sich zwischen den Enden eines offenkettigen Polyens mit k πElektronen ein Ring mit (k − 2) π-Elektronen. Solche Reaktionen und ihre Umkehrungen nennt man elektrocyclisch. Auch die Öffnungen (Cycloreversionen) mancher Cycloalkene zu Polyenen sind demnach elektrocyclische Reaktionen, z. B. von Cyclobuten zu 1,3-Butadien. R R
R R Cyclobuten 2 π-Elektronen
1,3-Butadien 4 π-Elektronen (k = 4)
Elektrocyclische Reaktionen verlaufen stereospezifisch. So ergibt die thermische Cyclisierung (∆) des (Z,E)-2,4-Hexadiens (Z)-3,4-Dimethylcyclobuten (und umgekehrt). (Z)-3,4-Dimethylcyclo-
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27.2 Elektrocyclische Reaktionen
461
buten entsteht aber auch bei der Bestrahlung von (E,E)-2,4-Hexadien mit ultraviolettem Licht (hν), während dieses Dien beim Erhitzen in (E)-3,4-Dimethylcyclobuten übergeht (Abb. 27.4). CH3 (Z,E) -2,4-Hexadien
∆
H 3C
CH3 (Z) -3,4-Dimethylcyclobuten
CH3 hν
CH3 ∆
(E,E) -2,4-Hexadien
H 3C
(E) -3,4-Dimethylcyclobuten
CH3 CH3
Abb. 27.4. Orientierung thermischer (∆) und photochemischer (hν) elektrocyclischer Reaktionen isomerer 2,4Hexadiene
(E,Z,E)-2,4,6-Octatrien cyclisiert thermisch zu (Z)-5,6-Dimethyl-1,3-cyclohexadien, photochemisch dagegen zum (E)-Isomer, das thermisch wiederum nur aus (E,Z,Z)-2,4,6-Octatrien entsteht (Abb. 27.5). CH3 ∆
(E,Z,E) -2,4,6-Octatrien
CH3
CH3
(Z) -5,6-Dimethyl1,3-cyclohexadien
CH3 hν
CH3 (E,Z,Z) -2,4,6-Octatrien
CH3
∆
CH3
(E) -5,6-Dimethyl1,3-cyclohexadien
CH3
Abb. 27.5. Orientierung thermischer und photochemischer elektrocyclischer Reaktionen isomerer 2,4,6Octatriene
Diese Beispiele zeigen, daß der sterische Verlauf elektrocyclischer Reaktionen (1) (2)
von der Anzahl der Doppelbindungen im Polyen und von der Reaktionsführung (thermisch oder photochemisch) abhängt.
Bei der Isomerisierung der offenkettigen zur cyclischen Verbindung (und umgekehrt) können sich die Substituenten A, B, C und D gegen- oder gleichsinnig drehen.
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462
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Man spricht daher von disrotatorischen oder konrotatorischen Isomeriebeziehungen (Abb. 27.6).
A
B C
disrotatorisch (gegensinnige Drehung)
A
A
B C
B C
B C
D
B
C
A
D
B
C
D
A
C
B
D
D
konrotatorisch (gleichsinnige Drehung)
A
A D
A
C
B
D
D
Abb. 27.6. Konrotatorische und disrotatorische Isomeriebeziehungen bei elektrocyclischen Reaktionen
27.2.2
WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für elektrocyclische Reaktionen
Die neue σ-Bindung des Cycloalkans entsteht aus zwei π-Elektronen des Polyens. Zur Klärung der Frage, welche π-Elektronen die σ-Bindung schließen, wurde aufgrund quantenmechanischer Überlegungen zunächst zweierlei postuliert: (1) (2)
Thermische elektrocyclische Reaktionen gehen aus vom höchsten besetzten MolekülOrbital des Grundzustandes von Polyen bzw. Cycloalken. Photochemische elektrocyclische Reaktionen gehen aus vom tiefsten nicht besetzten Molekül-Orbital der angeregten, d. h. antibindenden Zustände von Polyen bzw. Cycloalken.
Die thermische Cyclisierung von 1,3-Dienen zu Cyclobutenen geht nach Postulat (1) vom höchsten besetzten Molekül-Orbital (Abb. 27.3) aus. Drehen sich die endständigen p-Orbitale (mit den Substituenten) konrotatorisch, so kommen Orbitallappen gleicher Phase zur Überlappung (Abb. 27.7 a), und nach Kap. 27.1 entsteht ein bindendes Molekül-Orbital (abgek. MO). Drehen sich die endständigen p-Orbitale dagegen disrotatorisch, so gelangen Orbitallappen entgegengesetzter Phase zur Überlappung (Abb. 27.7 b), und es entsteht ein antibindendes MO.
konrotatorisch
(a)
disrotatorisch
bindend
(b)
antibindend
Abb. 27.7. Konrotatorische (a) und disrotatorische (b) Drehung der endständigen p-Orbitale bei der thermischen Cyclisierung von 1,3-Butadienen
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27.2 Elektrocyclische Reaktionen
463
Die in Abb. 27.4 skizzierte Orientierung der thermischen Isomerisierung von 2,4-Hexadienen zu Cyclobutenen folgt z. B. aus einer konrotatorischen Drehung der Substituenten. ∆ , konrotatorisch
H 3C
H 3C
CH 3
H3C (Z,E) -
H 3C
(Z) -
∆ , konrotatorisch
CH3
H 3C CH 3 (E) 3,4-Dimethylcyclobuten
(E,E) 2,4-Hexadien
Die Photocyclisierung von 1,3-Dienen geht nach Postulat (2) vom tiefsten unbesetzten MO (Abb. 27.3) aus. Eine σ-Bindung kann wiederum nur entstehen, wenn Orbitallappen gleichen Vorzeichens überlappen, die endständigen p-Orbitale sich also disrotatorisch drehen (Abb. 27.8).
konrotatorisch
(a)
disrotatorisch
antibindend
(b)
bindend
Abb. 27.8. Konrotatorische (a) und disrotatorische Drehung (b) der endständigen p-Orbitale bei der Photocyclisierung von 1,3-Butadienen
Orbitalsymmetrie-Betrachtungen erlauben somit die Voraussage, daß die Photocyclisierung des (E,E)-2,4-Hexadiens zu (Z)-3,4-Dimethylcyclobuten führt: H 3C
hν , disrotatorisch
CH3
(E,E) -2,4-Hexadien
H 3C
CH 3
(Z) -3,4-Dimethylcyclobuten
Entsprechende Überlegungen führen zu den in Abb. 27.9 (S. 464) entwickelten Vorhersagen zur Orientierung der elektrocyclischen Reaktionen von 1,3,5-Trienen zu 1,3-Cyclohexadienen (vgl. auch Abb. 27.5). Abb. 27.9 erklärt, weshalb die Cyclisierung des (E,Z,E)-2,4,6-Octatriens thermisch zum cis-5,6-Dimethyl-1,3-cyclohexadien, photochemisch dagegen zum trans-Isomer führt. ∆
disrotatorisch
H3C
H 3C
hν
CH 3
konrotatorisch
H 3C
CH 3 cis-5,6-Dimethyl1,3-cyclohexadien
CH 3
H3C
CH3 trans-5,6-Dimethyl1,3-cyclohexadien
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464
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
E
hν
konrotatorisch
antibindend
π-π*-
bindend
Übergang
∆
disrotatorisch
(a)
(b)
Abb. 27.9. (a) Molekül-Orbitale von 1,3,5-Trienen und ihre Besetzung im Grund- und ersten angeregten Zustand. (b) Bei der thermischen Cyclisierung von 1,3,5-Trienen führt die disrotatorische Drehung der p-Orbitale des Grundzustandes zur σ-Bindung. Die entsprechende Photoreaktion geht vom tiefsten antibindenden MO aus. Dabei führt die konrotatorische Drehung der p-Orbitale zur σ-Bindung
Tab. 27.1 faßt die Ergebnisse in Form der WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für elektrocyclische Reaktionen zusammen. Tab. 27.1. WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für elektrocyclische Reaktionen
Polyen
Cyclopolyen
Anzahl k der π-Elektronen im Polyen
Orientierung der elektrocyclischen Reaktion thermisch aus Grundzustand
photochemisch (aus 1. angeregtem Zustand)
4 (4n , n = 1)
konrotatorisch
disrotatorisch
6 (4n+2 , n = 1)
disrotatorisch
konrotatorisch
8 (4n , n = 2)
konrotatorisch
disrotatorisch
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27.3 Cycloadditionen
465
Diese Regeln erklären z. B. die Stereospezifität der Photocyclisierungen von 2,3-Dihydrooxepin, 1-(1-Cyclohexenyl)cyclohexen und (Z)-Stilben: H
H hν , disrotatorisch
X
4
1
O
( X = H , Cl )
2
H
H 2,3-Dihydrooxepin
5
3
7
O
X
6
cis-2-Oxabicyclo[3.2.0]hept-6-en
hν , disrotatorisch
H H
H H
cis-Bis-(tetramethylen)cyclobuten
1-(1-Cyclohexenyl)cyclohexen
9
hν , disrotatorisch
1 4b 5
(Z) -Stilben
10
4a
H H
4
(E) -4a,4b-Dihydrophenanthren
27.3 Cycloadditionen 27.3.1
Definitionen
Reaktionen, bei denen zwei π-Bindungen zweier ungesättigter Moleküle unter Bildung zweier neuer σ-Bindungen einen Ring schließen, bezeichnet man als Cycloadditionen. Bekannte Beispiele sind die Entstehung von Cyclobutanen durch Cyclodimerisierung von Alkenen (Kap. 4.5.13) oder die DIELS-ALDER-Reaktion von Dienen mit Alkenen zu Cyclohexenen (Kap. 6.5.4): π2s + π2s-Cycloaddition
+ 2π -
π4s + π2s-Cycloaddition hν
2π -
Elektronen
Cycloaddition
+
Cycloreversion
4π -
2π -
Elektronen
Zur genaueren Bezeichnung von Cycloadditionen stellt man die Art des Molekül-Orbitals, nämlich π, vor die Anzahl der beteiligten π-Elektronen. Die Cyclodimerisierung des Ethens ist demnach eine [π2 + π2]-, die DIELS-ALDER-Reaktion eine [π4 + π2]-Cycloaddition. Auch die relative räumliche Lage der Orbitale nimmt Einfluß auf die Knüpfung oder Lösung von Bindungen: Die gebildeten oder die geöffneten σ-Bindungen (letztere bei Cycloreversionen, den Umkehrungen von Cycloadditionen) können auf der gleichen oder der entgegengesetzten Seite des reagierenden π-Systems liegen.
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466
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Im ersten Fall wird die Reaktion suprafacial und durch einen nachgestellten Index s gekennzeichnet im Gegensatz zu einem antarafacialen Prozeß mit Index a.
C
C
C
π2s
π4s
σ-Bindungen schließen sich von derselben Seite : supra (facial)
C
π2a
π4a
σ-Bindungen schließen sich von entgegengesetzten Seiten : antara (facial)
Die vollständige Bezeichnung der Cyclodimerisierung des Ethens ist demnach [π2s + π2s], die der DIELS-ALDER-Reaktion [π4s + π2s]. Beide Cycloadditionen sind supra-supra-Prozesse.
27.3.2
WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für konzertierte Cycloadditionen
Bei einer konzertierten Cycloaddition entstehen zwei neue σ-Bindungen durch Überlappung der pOrbitale beider Reaktionspartner. Zur Frage, welche π-Orbitale wechselwirken, gibt es wiederum quantenmechanisch begründbare Postulate: (1) (2)
(3) (4)
Bei thermischen Cycloadditionen reagiert ein Cycloadditions-Partner aus dem höchsten besetzten Molekül-Orbital des Grundzustands. Da dieses Orbital bereits besetzt ist, kann sich eine neue σ-Bindung nur durch Wechselwirkung mit einem vakanten Orbital des anderen Reaktionspartners bilden. Dabei wird das energieärmste, also das tiefste unbesetzte Molekül-Orbital bevorzugt. Erlaubt sind konzertierte Cycloadditionen, bei denen die π-Molekül-Orbitale beider Edukte mit gleicher Vorzeichensymmetrie, d. h. in Phase wechselwirken. Photocycloadditionen gehen vom höchsten besetzten Molekül-Orbital im angeregten Zustand eines der Reaktionspartner aus.
Die thermische Cycloaddition zweier Moleküle Ethen ist somit als Überlappung des besetzten bindenden π-Molekül-Orbitals des einen mit dem leeren antibindenden π*-Orbital des anderen Moleküls zu verstehen. Wie Abb. 27.10 zeigt, führt eine konzertierte supra-supra-Verknüpfung zweier Moleküle Ethen zu einer antibindenden Wechselwirkung. Die thermische [π2s + π2s]-Cycloaddition ist daher symmetrie-verboten. Eine supra-antara-Verknüpfung, also die [π2s + π2a]Cycloaddition könnte dagegen konzertiert zu zwei neuen σ-Bindungen führen. Die Reaktion zum Cyclobutan wäre zwar symmetrie-erlaubt, ist jedoch aus geometrischen Gründen schwierig.
π*-Orbital
π-Orbital supra-supra [π2s + π2s] antibindend
antara-supra [π2a + π2s] bindend
Abb. 27.10. Orbitalsymmetrie bei der thermischen Cycloaddition zweier Moleküle Ethen. Symmetrie-erlaubt aber geometrisch schwierig ist nur die [π2a + π2s]-Cycloaddition
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27.3 Cycloadditionen
467
Die konzertierte [π2s + π2s]-Photocycloaddition zweier Moleküle Ethen ist symmetrie-erlaubt. Nach (2) und (4) überlappt dabei das höchste besetzte Orbital eines angeregten Ethen-Moleküls mit dem tiefsten unbesetzten Orbital des zweiten Ethens. Somit überlappen zwei π*-Orbitale (Abb. 27.2). Diese Wechselwirkung ist bindend (Abb. 27.11), weil Orbitalbereiche gleicher Vorzeichensymmetrie überlappen. π* (höchstes besetztes Orbital im angeregten Zustand)
π* (tiefstes unbesetztes Orbital im angeregten Zustand) supra-supra [π2s + π2s] bindend
Abb. 27.11. Orbitalsymmetrie bei der Photocycloaddition zweier Moleküle Ethen. Symmetrie-erlaubt und geometrisch möglich ist die [π2s + π2s]-Cycloaddition
Bei der thermischen [π4 + π2]-Cycloaddition von 1,3-Dienen an Alkene können sich die beiden neuen σ-Bindungen durch zwei supra,supra-Überlappungen bilden (Tab. 27.2): a) b)
Das höchste besetzte π-Orbital des Ethens überlappt mit dem tiefsten unbesetzten π*Orbital des 1,3-Diens (Abb. 27.12 a). Das höchste besetzte π-Orbital des 1,3-Diens überlappt mit dem tiefsten unbesetzten π*Orbital des Ethens (Abb. 27.12 b).
Entsprechende Symmetrie-Betrachtungen lassen sich auf die [4+2]-Photocycloaddition übertragen (Abb. 27.12 c, d). Es ergibt sich, daß in den angeregten Zuständen nur supra-antara-Cycloadditionen symmetrie-erlaubt sind (Tab. 27.2, S. 468).
π* Butadien
π* Ethen
π* Butadien
π* Ethen
π Ethen supra-supra [π4s + π2s]
π Butadien supra-supra [π4s + π2s]
π* Ethen antara-supra [π4a + π2s]
π* Butadien antara-supra [π4a + π2s]
(a)
(b)
(c)
(d)
Abb 27.12. Orbitalsymmetrie bei der thermischen (a,b) und photochemischen (c,d) [4+2]-Cycloaddition. Symmetrie-erlaubt sind die thermische supra-supra- [π4s + π2s]- und die photochemische antara-supra- [π4a + π2s]Cycloaddition
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468
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen Tab. 27.2. WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für konzertierte Cycloadditionen
[m + n] - Cycloaddition
a)
thermisch aus Grundzustand verboten
photochemisch aus angeregtem Zustand
erlaubt
erlaubt
verboten
+ m=2,n=2 m+n=4 (allgemein : m + n = 4q b) für q = 1)
π2a + π2a antara - antara
π2s + π2a supra - antara
π2s + π2s supra - supra
π2a + π2s antara - supra
π4a + π2s antara - supra
π4s + π2s supra - supra
π4s + π2a supra - antara
π4a + π2a antara - antara
+ m=4,n=2 m+n=6 (allgemein : m + n = 4q + 2 b) für q = 1) a)
m und n sind die Anzahlen der π-Elektronen beider Edukte ; .
b)
q ist eine ganze Zahl, z. B. q = 1, 2, 3 .
Die Stereospezifität thermischer DIELS-ALDER-Reaktionen folgt aus den WOODWARD-HOFFDa diese Cycloaddition nach Abb. 27.12 und Tab. 27.2 nur bei suprafacialer Anordnung von Dien und Dienophil im Übergangszustand abläuft, bleibt die relative Konfiguration beider Edukte im Cycloaddukt erhalten. MANN-Regeln:
Epot
1,3-Dien
Dienophil
1,3-Dien
Dienophil
1,3-Dien
Dienophil
LUMO
HOMO
oder
normale (a )
neutrale DIELS-ALDER-Reaktion (b)
inverse (c )
Abb. 27.13. Energiebeziehungen der Molekül-Orbitale von Dien und Dienophil bei normalen (a), neutralen (b) und inversen (c) DIELS-ALDER-Reaktionen
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27.3 Cycloadditionen
469
Orbitalsymmetrie-Betrachtungen werden oft im HOMO-LUMO-Jargon beschrieben; dabei bezeichnet man das höchste besetzte Molekülorbital als HOMO von "highest occupied molecular orbital", das tiefste unbesetzte Molekülorbital entsprechend als LUMO von "lowest unoccupied molecular orbital". Verschiedene relative HOMO-LUMO-Energiebeziehungen von Dien und Dienophil kennzeichnen z. B. die drei Typen der DIELS-ALDER-Reaktion: Bei einer neutralen DIELS-ALDER-Reaktion unterscheiden sich die HOMO-LUMO-Abstände von Dien und Dienophil kaum (Abb. 27.13 b). Bei der besonders häufigen normalen DIELS-ALDER-Reaktion wechselwirkt das HOMO eines elektronenreichen 1,3-Diens mit dem LUMO eines elektronenarmen Dienophils (Abb. 27.13 a). Bei einer DIELS-ALDER-Reaktion mit inversem Elektronenbedarf überlappt dagegen das HOMO eines elektronenreichen Dienophils mit dem LUMO eines elektronenarmen 1,3Diens (Abb. 27.13 c). Donor- oder (+)-M-Substituenten (z. B. Methoxy) machen elektronenreich, Akzeptor- oder (−)-M-Substituenten (z. B. Carbonyl) machen elektronenarm.
27.3.3
Cycloreversionen
Konzertierte Cycloadditionen können reversibel sein. Die Rückreaktionen bezeichnet man als Cycloreversionen. Cyclobutan könnte z. B. eine Cycloreversion unter Bildung zweier Moleküle Ethen eingehen. Nach Tab. 27.2 müßten sich hierbei zwei σ-Bindungen suprafacial lösen. Man spricht daher von einem retro- [π2s + π2s] oder einem [σ2s + σ2s]-Prozeß: R2 R2
R1
R2
[σ2s + σ2s]
R1
R2
R2 +
R1
oder
+
R1
R2
R1
R1
Der analoge Vorgang führt bei Cyclobuten-Derivaten zu Alken und Alkin. Ein experimentelles Beispiel ist die stereospezifische Photocycloreversion von (Z)- und (E)-Tricyclo[6.4.0.02,7]-1dodecen zu den Cycloalkeninen entsprechender Konfiguration: 3
12 1
11
2
8
10 9
4 7
H H (Z) -
1 8
hν [σ2s + σ2s]
1
2
8
7
5 6
(Z) hν [σ2s + σ2s]
2 7
1
8
2
7
H H (E) -
(E) -
Tricyclo[6.4.0.0 2,7]-1-dodecen
7-Cyclododec-en-1-in
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470
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Die Umkehrung der [4+2]-Cycloaddition wird Retro-DIELS-ALDER-Reaktion genannt. Man kann diese Cycloreversion durch das Kürzel [π4s + π2s] kennzeichnen. Ein Beispiel ist der thermische Zerfall des cis-9-Methyl-1,2,3,4,5,8,9,10-octahydronaphthalen-1-ons mit cis-ständigen Substituenten an den Brückenkopf-C-Atomen (C-9 und C-10). Das trans-Isomer könnte keine Symmetrieerlaubte [π4s + π2s]-Cycloreversion eingehen. H 3C
− [ π4s + π2s ]
+
CH3 6 7
10
H cis-
CH3
O 3-Methyl-2cyclohexenon
1,3-Butadien
9 1
H
O
9-Methyl-1,2,3,4,5,8,9,10-octahydronaphthalen-1-on
O
trans-
27.4 Sigmatrope Reaktionen 27.4.1
Definitionen
Die intramolekulare Wanderung eines mindestens von einer π-Bindung flankierten Substituenten R innerhalb eines Alkens oder Polyens unter gleichzeitiger Verschiebung der π-Bindung(en) bezeichnet man als sigmatrope Reaktion: R
1
C (C
C )n
1
sigmatrope Reaktion
o
(C
R
C )n C
Alkene und Diene können [1,3]-, [1,5]- und [3,3]-sigmatrope Verschiebungen eingehen: R
R
R
1
3 2
1
3
1
3 2
2
[1,3]-sigmatrope Reaktion eines Alkens
1
R
2
5
R
4 3
1
R
2
[1,5]-sigmatrope Reaktion eines 1,3-Diens
5 4
3
[3,3]-sigmatrope Reaktion eines 1,5-Diens
[3,3]-sigmatrope Verschiebungen sind als COPE-, Diaza-COPE-, Oxa-COPE- sowie CLAISENUmlagerung bekannt (Kap. 8.7.4, 26.5).
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27.4 Sigmatrope Reaktionen
471
Sigmatrope Reaktionen können nach zwei stereochemischen Alternativen ablaufen, nämlich suprafacial und antarafacial, wie die [1,5]-Verschiebung eines Wasserstoff-Atoms zeigt: Bei der suprafacialen Verschiebung liegen Ausgangs- und Endposition des wandernden H-Atoms auf derselben Seite des Molekülgerüstes. Im entgegengesetzten Fall, einer antarafacialen Verschiebung, wandert das H-Atom von der Oberseite im Edukt zur Unterseite im Produkt. H suprafaciale [1,5]-Verschiebung
A
BC
H
D
A
BC
D
A
B C
D
H antarafaciale [1,5]-Verschiebung
A
BC
D
H
27.4.2
WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für sigmatrope Reaktionen
Wie bereits formuliert, ist die wandernde Gruppe R im Übergangszustand durch eine Art Dreizentren-Bindung an Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung geknüpft. Zur Beschreibung des Übergangszustandes geht man von drei Voraussetzungen aus: (1)
(2) (3)
Die wandernde R-Gruppe und das π-System werden im Übergangszustand als Radikalpaar betrachtet. Gleichwohl verläuft die Verschiebung konzertiert, also nicht unter intermediärer Bildung und Rekombination von freien Radikalen. Im Übergangszustand liegt das π-System als Allyl- oder vinyloges Allyl-Radikal vor. Zur Überlappung gelangen jeweils das höchste besetzte Molekül-Orbital der wandernden (radikalischen) Gruppe R und des Allyl-Radikals. Da diese beiden Orbitale jeweils einfach besetzt sind, liefern sie zusammen das bindende Elektronenpaar.
Daraus ergibt sich die Frage, welches das höchste besetzte Molekül-Orbital eines Allyl-Radikals ist. Die drei Molekül-Orbitale des Allyl-Systems entstehen durch Überlappung dreier benachbarter p-Orbitale (Abb. 27.14). E antibindend
nicht bindend
bindend Kation Radikal Anion im Grundzustand
Abb. 27.14. Linearkombinationen der Atom-Orbitale des C-Atoms zu den Molekül-Orbitalen des Allyl-Systems und Elektronenkonfiguration im Allyl-Kation, Allyl-Radikal und Allyl-Anion
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472
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Überlappen die p-Orbitale mit gleicher Vorzeichensymmetrie, so resultiert das bindende MolekülOrbital. Überlappen sie mit benachbart-entgegengesetzter Phase, so entsteht das antibindende Molekül-Orbital. Beteiligt sich das mittlere p-Orbital nicht an der Überlappung, so ergibt sich ein nicht bindendes Molekül-Orbital mit einem Knoten ( ) am mittleren Kohlenstoff-Atom (Abb. 27.14) und dem Energieinhalt eines isolierten p-Orbitals. Dieses nicht bindende Orbital ist im Allyl-Kation vakant, im Anion doppelt und im Radikal einfach besetzt (Abb. 27.14). Für vinyloge Allyl-Radikale entstehen die nicht bindenden Molekül-Orbitale analog (Abb. 27.15): Zur Überlappung kommen nur p-Orbitale entgegengesetzter Phase an ungeradzahligen CPositionen. p-Orbitale geradzahliger C-Atome beteiligen sich nicht; dort bilden sich Knoten ( ).
2
2
1
4
2
1
3
Allyl-
5
4
6
1
1,3-Pentadienyl-
7
1,3,5-Heptatrienyl-Radikal
Abb. 27.15. Symmetrie nicht bindender Molekül-Orbitale des Allyl-Radikals und seiner Vinylogen
Soll die sigmatrope Reaktion thermisch, also vom Grundzustand ausgehend erfolgen, so ist wie bei den anderen konzertierten Reaktionen die Symmetrie des höchsten besetzten Molekül-Orbitals im Allyl-π-System entscheidend. Ist die Anzahl der π-Bindungen des Allyl-Systems gerade, so haben die endständigen p-Orbitale gleiche Vorzeichensymmetrie (Abb. 27.15). Eine Dreizentrenbindung zwischen Allyl-System und wandernder Gruppe R (z. B. einem H-Atom) wäre von derselben Seite aus möglich, da Orbitallappen gleicher Phase überlappen könnten (Abb. 27.16 b). Eine suprafaciale [1,5]-sigmatrope Verschiebung ist also symmetrie-erlaubt (Tab. 27.3).
4 2
2 1
H
4 2
3
1
H
5
6 1
H
antarafacial
suprafacial
antarafacial
(a )
(b)
(c )
7
Abb. 27.16. Erhaltung der Orbitalsymmetrie im Übergangszustand sigmatroper H-Verschiebungen. (a) Die antarafaciale [1,3]-Verschiebung ist symmetrie-erlaubt aber geometrisch schwierig. (b) Die suprafaciale [1,5]-Verschiebung ist symmetrie-erlaubt und geometrisch möglich. (c) Die antarafaciale [1,7]-Verschiebung ist symmetrie-erlaubt und geometrisch weniger erschwert als die antarafaciale [1,3]-Verschiebung
Ist die Anzahl der π-Bindungen des Allyl-Systems dagegen ungerade, so haben die endständigen p-Orbitale im nicht bindenden Zustand entgegengesetzte Vorzeichensymmetrie (Abb. 27.15). Das
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27.4 Sigmatrope Reaktionen
473
s-Orbital eines Wasserstoff-Atoms könnte also nur von der Oberseite des einen zur Unterseite des anderen Radikal-Endes überlappen (Abb. 27.16 a und c). Symmetrie-erlaubt wäre somit eine antarafaciale [1,3]- oder [1,7]-sigmatrope Verschiebung (Tab. 27.3). Diese würde aber eine Verdrillung des Allyl-π-Systems erfordern und ist im Falle des Dreikohlenstoff-Gerüstes geometrisch unwahrscheinlich. Dagegen ist die symmetrie-erlaubte [1,7]-Verschiebung geometrisch möglich. Tab. 27.3. WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für sigmatrope Verschiebungen symmetrie-erlaubte Orientierungen sigmatrope Reaktion
i
j
[1,3] -
1
3
4 (q=1)
antara
supra
[1,5] -
1
5
6 (=4+2) (q=1)
supra
antara
[1,7] -
1
7
8 (=4x2) (q=2)
antara
supra
[3,3] -
3
3
6 (=4+2) (q=1)
supra - supra antara - antara
antara - supra supra - antara
4q
antara - supra supra - antara
supra - supra antara - antara
4q+2
supra - supra antara - antara
antara - supra supra - antara
i+j
[i, j] -
thermisch aus Grundzustand
photochemisch aus angeregtem Zustand
Die Regeln in Tab. 27.3 gelten für sigmatrope Verschiebungen aus dem Grundzustand; sie kehren sich wie bei den Cycloadditionen und elektrocyclischen Reaktionen für Photoreaktionen um. Im Übergangszustand einer [3,3]-sigmatropen Reaktion wechselwirken zwei Allyl-Radikale so, daß zwei Dreizentren-Bindungen entstehen. Diese bilden sich entweder durch supra-supra- oder antara-antarafacial-Überlapppung der nicht bindenden Allyl-Orbitale (Abb. 27.17). Die relative Symmetrie der nichtbindenden Molekül-Orbitale beider π-Systeme dirigiert demnach auch alle [i,j]-sigmatrope Verschiebungen (i und j sind größer als 1 wie im Beispiel mit i = j = 3).
oder
supra - supra
antara - antara
Abb. 27.17. Erhaltung der Orbitalsymmetrie im Übergangszustand [3,3]-sigmatroper Verschiebungen : Sowohl die supra-supra-, als auch die antara-antara-Überlappung der nichtbindenden Molekül-Orbitale zweier AllylRadikale ist symmetrie-erlaubt
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474
27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
27.4.3
Beispiele zu den Auswahlregeln
Die Voraussage, daß [1,3]-sigmatrope Verschiebungen unmöglich, [1,5]-Verschiebungen dagegen symmetrie-erlaubt sind, zeigt sich an vielen Beispielen. So ist 5-Methylen-1,3-cyclohexadien eine stabile Verbindung, weil ihre Aromatisierung zu Toluen eine [1,3]-sigmatrope Verschiebung wäre: CH 3
CH 2
Beim Erhitzen von 7,8-Dideutero-1,3,5-cyclooctatrien verteilt sich das Deuterium nur auf die CAtome 3, 4, 7 und 8, wie es [1,5]-Verschiebungen entspricht. Reversible [1,3]-Verschiebungen über das isomere 1,3,6-Cyclooctatrien würden das Deuterium auf alle Positionen verteilen: D
[1,5] - D
D
(D)
(D)
(D)
(D)
[1,3] - D
(D)
(D)
(D)
(D) D
(D)
D
D
(D)
(D)
(D)
(D) (D)
(D)
Thermische [1,5]-Verschiebungen von Pentadienen, wie die des 1,1-Dideutero-1,3-pentadiens, [1,5] - D
D2C
CH 3
D 2HC
CH 2
sind nach Tab. 27.3 suprafaciale Synchronprozesse und verlaufen daher stereospezifisch. Dies zeigt sich am Beispiel der stereospezifischen Thermolyse des 2-Deutero-6-methyl-2,4-octadiens: H 3C H5C 2
H 3C H5C 2
H 3C
D H
Hitze
HD H 3C
H H 5C 2 H3C D
H5C 2 Hitze
H 3C
H 3C
H D H3C
(2E,4Z) -2-Deuterio-6-methyl-2,4-octadien (Konformere)
27.4.4
Inversion und Retention bei sigmatropen Verschiebungen
Wandert bei der sigmatropen Verschiebung nicht Wasserstoff, sondern Kohlenstoff, so gibt es im Übergangszustand zwei Möglichkeiten der Orbital-Überlappung:
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27.4 Sigmatrope Reaktionen
(1)
475
Überlappt im Übergangszustand ein s-Orbital, so wird das wandernde C-Atom vor und nach der Verschiebung über denselben Orbital-Bereich gebunden. Alle Bindungen bleiben dann auf der gleichen Seite des wandernden C-Atoms. Die Verschiebung verläuft also unter Retention der Konfiguration (Abb. 27.18).
2
2 1
3
[1,3]-Alkyl-Verschiebung antarafacial
4 1
5
[1,5]-Alkyl-Verschiebung suprafacial
Abb. 27.18. Erhaltung der Orbitalsymmetrie im Übergangszustand [1,3]- und [1,5]-sigmatroper Allyl-Verschiebungen. Bei Beteiligung eines s-Orbitals ist die antarafaciale [1,3]- und die suprafaciale [1,5]-Verschiebung symmetrie-erlaubt. In beiden Fällen bleibt die Konfiguration am wandernden C erhalten (Retention)
(2) Enthält das wandernde C-Atom ein zugängliches p-Orbital, wie z. B. in Alkyl-Radikalen, so kann sich auch dieses am Übergangszustand beteiligen, sofern sperrige Substituenten sterisch nicht im Wege stehen. Bekanntlich liegen im p-Zustand Orbitallappen entgegengesetzten Vorzeichens auf gegenüberliegenden Seiten eines C-Atoms. Daraus folgt, daß bei Teilnahme eines p-Orbitals am Übergangszustand die Konfiguration des wandernden C-Atoms wie bei SN2-Reaktionen invertiert (Abb. 27.19).
1
[1,3]-Alkyl-Verschiebung suprafacial
3
1
5
[1,5]-Alkyl-Verschiebung antarafacial
Abb. 27.19. Bei Beteiligung eines p-Orbitals des wandernden C-Atoms sind die suprafaciale [1,3]- und die antarafaciale [1,5]-Verschiebung symmetrie-erlaubt. In beiden Fällen erfolgt Inversion der Konfiguration am wandernden Kohlenstoff
[1,3]- und [1,5]-Verschiebungen lassen keine Verdrillung des π-Gerüstes zu, so daß antarafaciale Überlappungen behindert sind. Symmetrie-erlaubt und geometrisch möglich sind also suprafaciale [1,3]- sowie [1,5]-Alkyl-Verschiebungen, [1,3]-Wanderungen unter Beteiligung von p-Orbitalen und Inversion, [1,5]-Wanderungen unter Beteiligung von s-Orbitalen und Retention. Für [1,3-]Alkyl-Verschiebungen kehren sich die Auswahlregeln in Tab. 27.3 demnach um.
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27 Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen
Unter den wenigen bekannten thermischen [1,3]-Alkyl-Verschiebungen zeigt die Thermolyse von 6-Acetyl-7-deuterobicyclo[3.2.0]hepten Inversion an C-7: Aus dem Edukt mit Acetyl-Gruppe und Deuterium auf entgegengesetzten Seiten von C-6 und C-7 entsteht ein Bicyclo[2.2.1]hepten, bei dem Acetyl-Gruppe und Deuterium auf derselben Seite (exo) von C-6 und C-7 stehen: 7 4
5 1
H D
2 6 7
O
O C
4
5
1
3
1
2
300 °C
3
H
CH 3
H
6 7
H
6-Acetoxy-7-deuteriobicyclo[3.2.0]hept-2-en (Acetoxy und D entgegen)
O
2
6
O C CH 3 D
5
3
4
H
H
O CH3 C D O
2-Acetoxy-3-deuteriobicyclo[2.2.1]hept-5-en (Acetoxy und D zusammen, exo, exo)
Daß [1,5]-Alkyl-Verschiebungen unter vollständiger Retention der Konfiguration am wandernden C ablaufen, zeigt die thermische Umlagerung des (Z)- und (E)-Isomers von 6,9-Dimethylspiro[4,4]nona-1,3-dien zu den Dimethylbicyclo[4.3.0]nonadienen gleicher Konfiguration: H 3C 1
6
2
7 5
(Z) - 6,9-Dimethylspiro[4.4]nona-1,3-dien
8
3
9
4
H 3C [1,5] - C - Verschiebung
1
5
3
6
H3C
[1,5] - H - Verschiebung
3
H
H 9
Primärprodukt
27.4.5
CH3
2
4
H
H
1
CH 3
2
5
6
H [1,5] - H - Verschiebung
4
H 3C (Z) - 6,9-Dimethylbicyclo[4.3.0]nona-1(2),4(5)-dien (Hauptprodukt)
1
CH3
2 3
5 4
H 3C
En-Reaktion
Bei der En-Reaktion (Kap. 4.5.12) handelt es sich um eine intermolekulare [1,5]-sigmatrope HVerschiebung. Dabei addiert ein Alken mit allylständigem H-Atom (En) an eine elektronenarme Doppelbindung (Enophil). Enophil
X
Y
X
H
H
En
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Breitmaier, E., G. Jung: Organische Chemie (ISBN 9783135415062) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
27.4 Sigmatrope Reaktionen
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En und Enophil bilden dabei einen bootförmigen pericyclischen Übergangszustand, an dem sich zwei σ-Elektronen der CH-Einfachbindung und die vier π-Elektronen der beiden Doppelbindungen beteiligen. Demnach ist die En-Reaktion ein [σ2s + π2s + π2s]-Prozeß. LUMO (En)
H
H
HOMO (Enophil)
Als Folge dieses konzertierten Ablaufs wird die absolute Konfiguration eines Asymmetriezentrums im En auf das Addukt übertragen. Daher führt die En-Reaktion des (R)-3-Phenyl-1-butens mit Maleinsäureanhydrid zu (R)-5-Phenyl-4-hexen-1,2-dicarbonsäureanhydrid: O + H5C 6 H 3C
H
O
O
H
H 5C6
O
(R) -3-Phenyl1-buten
O
Maleinsäureanhydrid
CH 3
O
(R) - 5-Phenyl-4-hexen1,2-dicarbonsäureanhydrid
Als gute Enophile gelten Carbonyl-Verbindungen (R2C=O) und Singulett-Sauerstoff (O=O im Gegensatz zum Biradikal .O−O., dem Triplett-Sau