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German Pages 1017 Year 2005
Organische Chemie
Thieme
Organische Chemie Grundlagen, Stoffklassen, Reaktionen, Konzepte, Molekülstruktur Eberhard Breitmaier und Günther Jung 5. überarbeitete Auflage
286 Abbildungen und zahlreiche Formeln 129 Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Anschriften: Dr. Eberhard Breitmaier Professor für Organische Chemie und Instrumentelle Analytik, Universität Bonn Privatanschrift: Engelfriedshalde 46 72076 Tübingen Dr. Günther Jung Professor für Organische Chemie und Biochemie, Universität Tübingen Privatanschrift: Ob der Grafenhalde 5 72076 Tübingen
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich
Umschlag: Chemilumineszenz bei der Oxidation des 3-Aminophthalsäurehydrazid (Abschn. 29.7). Die von den Autoren durchgeführte Reaktion „zündet“ unmittelbar nach Zugabe des Eisen(III)-Komplexes (Hämin) als Katalysator im Becherglas innerhalb des vom Magnetrührer erzeugten Rührwirbels Kugel-Stab-Molekülmodell des Tetrapeptids Ala-Gly-Ala-Gly als a-Helix (Abschn. 37.3.2)
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1978, 2005 Georg Thieme Verlag, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart Printed in Germany Druck: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, 97199 Ochsenfurt-Hohestadt ISBN 3-13-541505-8
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Vorwort Das Studium der Naturwissenschaften gliedert sich meist in das Grundstudium bis zum Vordiplom und das Hauptstudium bis zum Diplom. Dementsprechend widmet sich der erste Teil dieses Buches (Kapitel 1 - 27) dem Stoff des Grundstudiums mit Haupt- und Nebenfach Chemie. Der zweite Teil (Kapitel 28 - 42) behandelt speziellere Themen des Hauptstudiums. Das vorliegende, aufgrund seiner Inhalte und Konzeption auch für Studierende anderer Naturwissenschaften (Biochemie, Lebensmittelchemie, Pharmazie, Biologie) an Hochschulen und Fachhochschulen geeignete Lehrbuch erscheint nun in der fünften Auflage. Einer Einführung in die Grundlagen der chemischen Bindung und in die KohlenwasserstoffGrundskelette (Alkane, Alkene, Diene, Alkine, Cycloalkane, Aromaten) folgt die Besprechung der elementaren Stoffklassen mit den typischen funktionellen Gruppen. Dazu gehören die Halogenalkane, die Organosauerstoff-Verbindungen wie Alkohole, Ether, Carbonsäuren, Aldehyde, Ketone, Phenole, Chinone, Amine und andere Organostickstoff-Verbindungen sowie Organoschwefel-Verbindungen und Kohlensäure-Derivate. An passenden Stellen eingefügte Kapitel über radikalische, nucleophile und elektrophile Substitutionen, Additionen und Eliminierungen sowie Umlagerungen skizzieren die elementaren organisch-chemischen Reaktionen. Themen wie Aromatizität, Chiralität und Orbitalsymmetrie vermitteln einen das Grundstudium abrundenden Einblick in einige Grundkonzepte der organischen Chemie. Der zweite, für das Hauptstudium vorgesehene Teil beginnt mit den spektroskopischen Methoden zur Strukturaufklärung sowie den durch Elektronenanregung oft induzierten Photoreaktionen und ihren präparativen Anwendungen. Es folgen nicht benzoide Aromaten, OrganometallVerbindungen, Heteroalicyclen, Heteroaromaten, Farbstoffe und synthetische Polymere als spezielle Stoffklassen. Den Abschluß bilden die aus biologischer und pharmakologischer Sicht bedeutenden Naturstoffklassen. Das sind die Aminosäuren, Peptide und Proteine, Alkaloide, Kohlenhydrate, Nucleoside und Nucleotide, Lipide, Terpene und Steroide. Dabei werden auch einige didaktisch sinnvolle, teilweise industriell durchgeführte Synthesen skizziert. Bei der Bearbeitung der fünften Auflage wurden zahlreiche Ergänzungen eingestreut, zur Kenntnis gekommene Fehler korrigiert und einige Kapitel durch Aufnahme weiterer, präparativ bedeutender Reaktionen aktualisiert. Zusätzliche Molekülmodelle, z B. konfigurationsisomerer Alkene, Konformerer des 1,3-Butadiens, von Carbonyl-Verbindungen und Aminen, der c-Helix und d-Faltblatt-Konformation von Proteinsequenzen sowie der DNA-Doppelhelix und ihrer Basenpaare veranschaulichen grundlegende Molekül- und Raumstrukturen. Eingearbeitet wurden u. a. Abschnitte über aktuelle Methoden der heteronuclearen 2D-NMR-Spektroskopie (Kap. 28), Chemi- und Biolumineszenz (Kap. 29), Azacyclobutadien und Diazepine (Kap. 32, 33), Peptidwirkstoffe und Proteinsynthesen (Kap. 37), Lipopolysaccharide und Lipoproteine (Kap. 41). Abbildungen, größere Formelschemata und Tabellen dieses Buches, Molekülmodelle sowie Übungsaufgaben zu den einzelnen Kapiteln werden wie bisher im Internet nach Erteilung eines Passworts durch den Verlag kostenlos zugänglich sein. Unser Dank gilt einigen Studenten, Kollegen und Rezensenten für nützliche Korrekturhinweise und gute Verbesserungsvorschläge, die wir weiterhin gerne entgegennehmen, um sie bei der Vorbereitung einer Neuauflage verarbeiten zu können. Tübingen, im Februar 2005
E. Breitmaier und G. Jung
s
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5 1.6 1.7
1.11.3 1.11.4 1.12 1.12.1 1.12.2 1.12.3
Chemische Bindung in organischen Molekülen ..... 1 Einführung..................................................................... 1 Energie .......................................................................... 1 Atomorbitale .................................................................. 1 s-Orbitale....................................................................... 2 p-Orbitale....................................................................... 3 Elektronenspin und PAULI-Prinzip ................................. 4 Elektronenkonfiguration leichter Atome ........................ 4 Molekülorbitale und kovalente Bindung........................ 5 Arten der chemischen Bindung..................................... 5 Überlappung von Atomorbitlen ..................................... 5 u- und r-Molekülorbitale ............................................... 7 Bindungsdaten .............................................................. 8 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs........ 8 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen.................................................................... 11 CH-Bindungen des Methans....................................... 11 CC-Einfachbindung..................................................... 12 CC-Doppelbindung ..................................................... 12 CC-Dreifachbindung ................................................... 14 Reaktive Zwischenstufen ............................................ 15 Methyl-Radikal ............................................................ 15 Methyl-Ionen ............................................................... 16 Carbene....................................................................... 17 Bindung in Ammoniak und Wasser............................. 18 Polarität kovalenter Bindungen................................... 18 Elektronegativität......................................................... 18 Dipolmomente von Molekülen .................................... 18 Polarität von Verbindungen......................................... 19 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen.................................................................... 20 Interionische Wechselwirkung .................................... 20 Dipol-Dipol-Wechselwirkung und Wasserstoffbrükken............................................................................... 20 Ionen-Dipol-Wechselwirkung ...................................... 21 VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung............................... 21 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität .. 22 Kristallgitter.................................................................. 22 Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit ...................... 22 Säuren und Basen, Elektrophile und Nucleophile ...... 23
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.6
Alkane......................................................................... 24 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur.............. 24 Homologe Reihe und Molekülmodelle der Alkane ..... 24 Konstitutionsisomerie.................................................. 26 Nomenklatur................................................................ 27 Physikalische Eigenschaften ...................................... 29 Molekülbau.................................................................. 30 Konformation............................................................... 30 Industrielle Gewinnung der Alkane ............................. 32 Alkane aus Erdgas, Erdöl und Kohle .......................... 32 Treibstoffherstellung.................................................... 33 Darstellung von Alkanen ............................................. 34
1.7.1 1.7.2 1.7.3 1.7.4 1.8 1.8.1 1.8.2 1.8.3 1.9 1.10 1.10.1 1.10.2 1.10.3 1.11 1.11.1 1.11.2
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.7.5 2.7.6
Katalytische Hydrierung der Alkene ............................34 Reduktion von Halogenalkanen ..................................34 Alkylierung metallorganischer Verbindungen..............35 KOLBE-Elektrolyse........................................................36 Reaktionen...................................................................36 Vollständige Oxidation (Verbrennung) ........................37 Partielle Oxidation........................................................38 Autoxidation .................................................................38 Photohalogenierung.....................................................39 Photosulfochlorierung ..................................................40 Nitrierung von Alkanen ................................................40
3 3.1 3.2
Radikalische Substitution.........................................41 Mechanismus der Chlorierung des Methans...............41 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung ..............................................................43 Aktivierungsenergie und Reaktionswärme..................43 Startreaktion.................................................................43 Übergangszustände der Kettenreaktionsschritte ........44 Reaktionsgeschwindigkeit ...........................................46 Äußere Einflüsse .........................................................46 Geschwindigkeitsbestimmender Schritt der Photohalogenierung ..............................................................47 Relative Reaktionsgeschwindigkeiten der Photohalogenierung ..............................................................48 Regioselektivität der Monohalogenierung ...................48 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen ........................49 Relative Stabilität und Energiegehalt...........................49 Modelle zur Erklärung..................................................50 Mechanismen weiterer radikalischer Substitutionen.....................................................................51
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6
4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Alkene .........................................................................53 Nomenklatur und Konstitutionsisomerie der Alkene ...53 Geometrie und Molekül-Orbital-Modell........................54 Relative Konfiguration, Konfigurationsisomerie...........55 (Z,E)-Isomere Alkene...................................................55 Physikalische Eigenschaften von (Z,E)-Isomeren.......56 Darstellung...................................................................57 Pyrolytische Dehydrierung und Spaltung von Alkanen (Cracking) ......................................................57 Partielle Hydrierung von Alkinen .................................57 Alkenbildende d-Eliminierungen..................................58 Dehalogenierung von 1,2-Dihalogenalkanen ..............59 Reduktive Kupplung von Carbonyl-Verbindungen: MCMURRY-Reaktion .....................................................60 Carbonyl-Alkenylierungen ...........................................60 Reaktionen...................................................................61 Addition von Wasserstoff (Katalytische Hydrierung).........................................................................61 Addition von Boran (Hydroborierung)..........................63 Addition von Halogen (Halogenierung) .......................63
Aus E. Breitmaier, G. Jung: Organische Chemie (ISBN 3-13-541505-8) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
Inhaltsverzeichnis
4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.5.7 4.5.8 4.5.9 4.5.10 4.5.11 4.5.12 4.5.13 4.5.14 4.5.15 5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5 6 6.1
Elektrophile Addition von Halogenwasserstoff (Hydrohalogenierung) ................................................. 64 Elektrophile Addition von Wasser (Hydratisierung) .... 64 Elektrophile Addition von Formaldehyd (PRINSReaktion) ..................................................................... 65 cis -Dihydroxylierung mit Osmiumtetroxid und Permanganat............................................................... 65 trans -Dihydroxylierung über Oxirane ......................... 65 1,3-dipolare Cycloaddition von Ozon (Ozonolyse) ..... 66 Radikalische Addition und Substitution....................... 66 HECK-Reaktion ............................................................ 68 En-Reaktion................................................................. 68 [2+2]-Cycloaddition ..................................................... 69 Metathese.................................................................... 69 Dimerisierung, Polymerisation .................................... 69 Eliminierung und Addition ....................................... 71 Eliminierende Verbindungen, Abgangsgruppen ......... 71 Mechanismen Alken-bildender Eliminierungen .......... 71 Dehydratisierung von Alkoholen als monomolekulare d-Eliminierung .......................................... 71 Umlagerungen bei Dehydratisierungen ...................... 74 Bimolekulare d-Eliminierung (E2-Mechanismus) ....... 76 Stereoselektivität Alken-bildender dEliminierungen............................................................. 77 E1-Eliminierungen....................................................... 77 E2-Eliminierungen....................................................... 77 Elektrophile Addition ................................................... 78 Mechanismus .............................................................. 78 Reaktivität der Alkene ................................................. 79 Regioselektivität der Addition...................................... 79 Umlagerungen bei Additionen..................................... 80 Stereoselektivität von Additionen................................ 81
6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4 6.5.5
Diene........................................................................... 82 Kumulation und Konjugation von Doppelbindungen.................................................................... 82 Struktur des 1,3-Butadiens ......................................... 82 Strukturdaten............................................................... 82 Molekülorbital-Modell, Mesomerie und thermodynamische Stabilität .................................................. 82 Konformation des 1,3-Butadiens................................. 84 Darstellung .................................................................. 85 Synthese konjugierter Diene....................................... 85 Synthese kumulierter Diene........................................ 86 Reaktionen konjugierter Diene.................................... 87 Elektrophile 1,2- und 1,4-Addition............................... 87 Radikalische Addition.................................................. 87 1,3-Dien-Polymerisation.............................................. 88 [4+2]-Cycloaddition (DIELS-ALDER-Reaktion).............. 88 [4+1]-Cycloaddition ..................................................... 88
7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.4.1
Alkine.......................................................................... 89 Nomenklatur, Konstitutionsisomerie ........................... 89 Molekülgeometrie........................................................ 89 Eigenschaften ............................................................. 89 Darstellung .................................................................. 90 Ethin-Synthesen.......................................................... 90
6.2 6.2.1 6.2.2
VII
7.4.2
Doppelte Dehydrohalogenierung von Dihalogenalkanen........................................................................ 90 7.4.3 Doppelte Dehalogenierung von Tetrahalogenalkanen........................................................................ 91 7.4.4 Alkinylierung von Halogenalkanen ............................. 91 7.5 Reaktionen.................................................................. 91 7.5.1 CH-Acidität, Bildung von Alkinyliden .......................... 91 7.5.2 Hydrierung .................................................................. 92 7.5.3 Elektrophile Addition ................................................... 92 7.5.4 REPPE-Synthesen ....................................................... 94 7.5.5 Dimerisierung von Ethin.............................................. 94 7.5.6 Cyclooligomerisierungen ............................................ 95 7.5.7 BERGMAN-Cyclisierung von Endiinen.......................... 95 7.5.8 [2+2+1]-Cycloaddition (PAUSON-KHAND-Reaktion)..... 95 7.5.9 Isomerisierungen ........................................................ 96 7.5.10 Alkenylierung und Arylierung terminaler Alkine.......... 96 7.5.11 Oxidative Kupplung terminalerAlkine (GLASERKupplung).................................................................... 97 7.5.12 Oxidative Spaltungen.................................................. 97 7.6 Natürliche Alkine ......................................................... 97 8 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.4 8.4.1 8.4.2 8.4.3 8.5 8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.6.4 8.6.5 8.6.6 8.7 8.7.1 8.7.2 8.7.3 8.7.4 8.8
Cycloalkane ............................................................... 98 Klassifizierung und Nomenklatur der Cycloalkane..... 98 Physikalische Eigenschaften ...................................... 99 Konformation und Stabilität......................................... 99 Cyclopropan................................................................ 99 Cyclobutan ................................................................ 100 Cyclopentan .............................................................. 102 Cyclohexan ............................................................... 102 Mittlere und große Ringe .......................................... 105 Konfigurationsisomerie der Cycloalkane .................. 105 Cyclopropan, Cyclobutan, Cyclopentan ................... 105 Cyclohexan ............................................................... 106 cis- und trans-Decalin .............................................. 107 Verbrennungswärmen .............................................. 108 Cycloalkan-Synthesen .............................................. 108 Dreiring-Synthesen ................................................... 108 Vierring-Synthesen ................................................... 110 Fünfring-Synthesen .................................................. 111 Sechsring-Synthesen................................................ 111 Siebenring-Synthesen .............................................. 113 Synthese mittlerer und großer Ringe........................ 113 Reaktionen................................................................ 115 Ringöffnungen........................................................... 116 Ringerweiterungen.................................................... 116 Transannulare Reaktionen mittlerer Ringe............... 117 Valenzisomerisierungen, Valenztautomere.............. 117 Reizvolle Ringe ......................................................... 118
9 9.1 9.2
Benzen und Aromatizität........................................ 119 Die Struktur des Benzens ......................................... 119 Hydrierwärme und Mesomerieenergie des Benzens........................................................................... 121 Valenzstrich-Formeln des Benzens.......................... 122 Molekülorbital-Modell des Benzens.......................... 123 Benzen-Formel ......................................................... 124 Die HÜCKEL-Regel..................................................... 124 Aromatische Verbindungen, Überblick ..................... 126
9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
Aus E. Breitmaier, G. Jung: Organische Chemie (ISBN 3-13-541505-8) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
VIII
10 10.1 10.1.1 10.1.2 10.2 10.2.1 10.2.2 10.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4 10.5 10.6 10.6.1 10.6.2 10.6.3 10.6.4 10.6.5 10.6.6 10.6.7 10.6.8 10.7 10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.8 10.8.1 10.8.2 10.8.3 10.9 10.9.1 10.9.2 10.9.3 10.10 10.11 10.11.1 10.11.2 10.11.3
Inhaltsverzeichnis
Benzoide Aromaten ................................................ 128 Nomenklatur benzoider Aromaten ............................ 128 Monosubstituierte Benzene ...................................... 128 Mehrfach substituierte Benzene ............................... 128 Gewinnung aromatischer Kohlenwasserstoffe ......... 129 Aus Steinkohle .......................................................... 129 Aus Erdöl................................................................... 129 Eigenschaften ........................................................... 130 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution...... 130 Elektrophile aromatische Monosubstitution .............. 131 Dipolmomente, Basizität und Reaktivität substituierter Benzene .................................................... 131 Induktive Effekte von Substituenten am BenzenKern........................................................................... 133 Mesomere Effekte von Substituenten am BenzenKern........................................................................... 134 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen ... 136 Darstellung von Alkylbenzenen ................................ 138 Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS ............................ 138 Transalkylierung und thermodynamische Kontrolle von Alkylierungen...................................................... 139 FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung...................................... 141 Reduktion von Alkenylbenzenen .............................. 142 Cyclotrimerisierung von Alkinen ............................... 142 Cyclokondensation von Ketonen .............................. 142 Alkylbenzen-Synthese nach WURTZ und FITTIG ....... 142 Alkylierung über Arylmagnesiumhalogenide ............ 143 Reaktionen der Alkylbenzene ................................... 143 Halogenierung am Kern und in der Seitenkette........ 143 Seitenketten-Halogenierung und Benzyl-Radikal..... 143 Triphenylmethyl-Radikal ........................................... 144 Hydrierung und Oxidation ......................................... 145 Darstellung der Alkenylbenzene ............................... 146 Styren-Synthese........................................................ 146 Alkenylbenzene durch Eliminierung aus Phenylhalogenalkanen und Phenylalkanolen...................... 146 Alkenylbenzene durch Alkylierung mit 1,3-Dienen ... 147 Reaktionen der Alkenylbenzene ............................... 147 Elektrophile Addition an konjugierte Alkenylbenzene .................................................................... 147 Radikalische Additionen an Alkenylbenzenen.......... 148 Darstellung ringsubstituierter Alkenylbenzene ......... 148 Darstellung der Alkinylbenzene ................................ 148 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide................................................................. 149 Physikalische Eigenschaften .................................... 149 Herstellung der Halogenaromaten............................ 150 Chemische Eigenschaften von Halogenaromaten (Alkylhalogeniden)..................................................... 152
11.1.7 11.1.8 11.1.9 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.3 11.3.1 11.3.2
12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.5 12.5.1 12.5.2 12.5.3 12.5.4 12.6 13 13.1 13.2 13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4 13.3.5 13.3.6 13.3.7 13.3.7 13.3.8 13.3.9 13.3.11 13.3.12
11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.1.6
Substitutionen an Aromaten.................................. 154 Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten................................................................... 154 r-Komplex, Benzenium-Ion und Energieprofil.......... 154 Nitrierung des Benzens............................................. 155 Sulfonierung des Benzens........................................ 156 Halogenierung des Benzens..................................... 157 Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS ............................ 158 Acylierung nach FRIEDEL-CRAFTS ............................. 159
13.4 13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4
Aktivierende und desaktivierende Substituenten ..... 160 Orientierende Effekte................................................ 161 Darstellung mehrfach substituierter Benzene .......... 167 Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten .................................................................. 167 Nucleophile Substitutionen an Arylhalogeniden....... 167 Mechanismus der bimolekularen nucleophilen Substitution am Aromaten ........................................ 169 Monomolekulare nucleophile Substitution am Aromaten .................................................................. 171 Eliminierungs-Additions-Mechanismus .................... 172 Mechanismus der Aminierung des Brombenzens.... 172 Weitere nucelophile Substitutionen an nicht aktivierten Aromaten................................................. 174 Kondensierte Aromaten......................................... 175 Klassifizierung und Nomenklatur.............................. 175 Bindungszustand und Mesomerie ............................ 176 Gewinnung polycyclischer Aromaten ....................... 178 Typische Reaktionen kondensierter Aromaten ........ 178 Elektrophile aromatische Substitutionen des Naphthalens.............................................................. 178 Oxidation des Naphthalens ...................................... 180 Reduktion des Naphthalens ..................................... 180 Reaktionen des Anthracens und Phenanthrens....... 180 Ring-Synthesen kondensierter Aromaten ................ 182 HAWORTH-Synthesen von Phenanthren-Derivaten .. 182 Anthrachinon-Synthese ............................................ 182 ELBS-Reaktion........................................................... 183 DÖTZ-Reaktion .......................................................... 183 Graphit und Fullerene ............................................... 184 Halogenalkane (Alkylhalogenide) ......................... 185 Klassifizierung........................................................... 185 Eigenschaften ........................................................... 185 Darstellung ............................................................... 186 Radikalische Halogenierung von Alkanen................ 186 Addition von Halogenwasserstoff an Alkene............ 187 Addition von Halogen an Alkene .............................. 187 Additionen an Diene ................................................. 188 Addition von HX und X2 an Alkine ............................ 188 Halogenalkene durch Dehydrohalogenierung.......... 188 Radikalische Bromierung in Allyl-Stellung durch NBromsuccinimid ........................................................ 189 Darstellung von Fluoralkanen................................... 190 Darstellung von Iodalkanen ...................................... 191 Halogenalkane aus Alkoholen.................................. 191 Bromalkane durch HUNSDIECKERDecarboxylierung...................................................... 193 Darstellung und Eigenschaften von Oligohalogenmethanen .................................................................. 193 Reaktionen................................................................ 194 Nucleophile Substitution und Eliminierung in Konkurrenz................................................................ 194 Nucleophile Substitutionen ....................................... 196 GRIGNARD-Reaktion .................................................. 196 CC-Verknüpfungen mit OrganohalogenVerbindungen ......................................................... 196
Aus E. Breitmaier, G. Jung: Organische Chemie (ISBN 3-13-541505-8) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
Inhaltsverzeichnis
14 14.1 14.2 14.2.1 14.2.2 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5 14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3
Nucleophile Substitution an Aliphaten................. 198 Übersicht nucleophiler Substitutionen an Aliphaten . 198 Mechanismen............................................................ 199 Bimolekularer Mechanismus SN2.............................. 199 Monomolekularer Mechanismus SN1........................ 201 Struktur und Reaktivität............................................. 203 Effekte der Alkyl-Gruppen......................................... 203 Effekte der austretenden Gruppe.............................. 204 Nucleophilie............................................................... 205 Lösemittelabhängigkeit ............................................. 206 SN1- und SN2-Reaktionen in Konkurrenz .................. 207 Spezielle Substitutionsmechanismen ....................... 208 Substitutionen an Allyl-Verbindungen....................... 208 SNi-Mechanismus ...................................................... 209 Reaktivität von Vinyl- und Alkinyl-Verbindungen ...... 209
15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5 15.4.6
Alkohole und Glykole ............................................. 210 Klassifizierung der Alkohole...................................... 210 Nomenklatur.............................................................. 210 Struktur und thermodynamische Eigenschaften....... 211 Darstellung von Alkoholen ........................................ 214 Technische Synthesen von Methanol und Ethanol .. 214 Ethanol durch alkoholische Gärung.......................... 214 Hydratisierung von Alkenen ...................................... 214 Hydroborierung und Oxidation .................................. 215 Reduktion von Carbonyl-Verbindungen.................... 216 Alkohole aus Carbonyl-Verbindungen und Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARDVerbindungen)........................................................... 217 Alkohole aus Epoxiden und Alkylmagnesiumhalogeniden............................................................... 218 Hydrolyse von Halogenalkanen ................................ 218 Darstellung von 1,2-Diolen........................................ 219 Dihydroxylierung von Alkenen .................................. 219 Hydrolyse von Halohydrinen ..................................... 219 Bimolekulare Reduktion von Aldehyden und Ketonen ..................................................................... 220 Reaktionen der Alkohole........................................... 220 Alkohole als LEWIS-Basen......................................... 220 Alkohole als Säuren .................................................. 221 Oxidation von Alkoholen ........................................... 221 Veresterung von Alkoholen....................................... 222 Nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogen........................................................... 223 Dehydratisierung von Alkoholen ............................... 225 Glykolspezifische Reaktionen................................... 227 Glykolspaltung........................................................... 227 Pinakol-Dehydratisierung und Umlagerung.............. 228
15.4.7 15.4.8 15.5 15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.6 15.6.1 15.6.2 15.6.3 15.6.4 15.6.5 15.6.6 15.7 15.7.1 15.7.2 16 16.1 16.2 16.3 16.3.1 16.3.2
Ether ......................................................................... 229 Nomenklatur.............................................................. 229 Struktur und physikalische Eigenschaften................ 230 Darstellung ................................................................ 231 Bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen ......... 231 Nucleophile Substitution von Halogenalkanen durch Alkoholate und Phenolate (WILLIAMSONSynthese) .................................................................. 232 16.3.3 Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat .................................................................... 233
IX
16.3.4 O-Methylierung von Alkoholen und Phenolen durch Diazomethan................................................... 233 16.3.5 Synthesen von Ethern mit GRIGNARDVerbindungen............................................................ 234 16.3.6 Alkenylether durch Addition von Alkoholen an Alkine ........................................................................ 234 16.3.7 Enolether durch Eliminierung von Alkohol aus Acetalen .................................................................... 234 16.4 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen)....................... 235 16.4.1 Katalytische Oxidation von Alkenen ......................... 235 16.4.2 Eliminierung von Halogenwasserstoff aus Halohydrinen .................................................................... 235 16.4.3 Oxidation von Alkenen mit Peroxysäuren ................ 235 16.5 Reaktionen................................................................ 235 16.5.1 Bildung von Oxonium-Verbindungen........................ 235 16.5.2 Autoxidation .............................................................. 236 16.5.3 Ether-Spaltung .......................................................... 236 16.5.4 Ether-Umlagerungen ................................................ 237 16.6 Ether als Schutzgruppen .......................................... 238 16.7 Methylvinylether und Ethylenoxid als Schlüsseledukte der organischen Synthese ............................ 239 16.7.1 Synthesen mit Methylvinylether................................ 239 16.7.2 Synthesen mit Oxiran (Ethylenoxid) ......................... 239 17 17.1 17.2 17.3 17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.4 17.5 17.5.1 17.5.2 17.5.3 17.6 17.6.1 17.6.2 17.6.3 17.7 17.7.1 17.7.2 17.7.3 17.7.4 17.8 17.8.1 17.8.2 17.9 17.9.1 17.9.2 17.9.3
Chiralität................................................................... 240 Asymmetrische C-Atome und Chiralität.................... 240 Optische Aktivität und spezifische Drehung ............. 240 Bezeichnung der absoluten Konfiguration................ 241 CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ("CIP", R und S) ........................................................ 241 FISCHER-Konvention (D und L) ................................. 242 Übersetzung der D,L- in die R,S –Bezeichnung....... 244 Racemate.................................................................. 242 Bestimmung der absoluten Konfiguration ................ 244 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren..... 245 Zwei verschiedene asymmetrische C-Atome ........... 245 Zwei gleiche asymmetrische C-Atome ..................... 246 Enantiomere Cycloalkane......................................... 247 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome............ 248 Asymmetrische Heteroatome ................................... 248 Axiale Chiralität ......................................................... 249 Planare Chiralität und Helicität ................................. 249 Racemat-Trennungen............................................... 250 Die klassische Methode von PASTEUR ..................... 250 Trennung nach Bildung von Diastereomeren .......... 250 Enzymatische Racemat-Trennungen ....................... 252 Chromatographische Racemat-Trennungen ............ 253 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie ......... 253 Prochiralität am tetraedrischen C ............................. 253 Prochiralität am trigonalen C .................................... 254 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen....... 255 Inversion, Retention und Racemisierung ................. 255 Stereoselektivität, Stereospezifität ........................... 257 Asymmetrische (enantioselektive) Synthesen.......... 257
18 18.1 18.2 18.3 18.4
Carbonsäuren und ihre Derivate........................... 260 Nomenklatur der Carbonsäuren ............................... 260 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren .... 263 Struktur der Carboxy-Gruppe ................................... 263 Carbonsäure-Derivate .............................................. 264
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X
18.5 Synthese von Carbonsäuren .................................... 264 18.5.1 Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlenmonoxid (Carbonylierung)......................................... 264 18.5.2 Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlendioxid (Carboxylierung) ............................................. 266 18.5.3 Acylierung von Aromaten mit Säureanhydriden ....... 266 18.5.4 Carbonsäuren durch Oxidation................................. 267 18.5.5 Hydrolyse von Carbonsäure-Derivaten .................... 268 18.5.6 Homologisierung (Kettenverlängerung) von Carbonsäuren ........................................................... 268 18.5.7 Alkylierung von Malonsäureestern............................ 269 18.5.8 c,d-Ungesättigte Carbonsäuren durch KNOEVENAGEL-Kondensation von Malondäureestern........ 270 18.5.9 c,d-Ungesättigte Carbonsäuren durch PERKINReaktion .................................................................... 270 18.5.10 i,f-Ungesättigte Carbonsäuren durch IRELANDCLAISEN-Umlagerung ................................................ 271 18.6 Acidität von Carbonsäuren........................................ 271 18.6.1 Dissoziationsgleichgewicht in wäßrigen Lösungen .. 271 18.6.2 Salze der Carbonsäuren ........................................... 272 18.6.3 Struktur und Modell des Carboxylat-Anions ............. 272 18.6.4 Einflüsse von Substituenten auf die Acidität............. 273 18.6.5 Acidität von Dicarbonsäuren..................................... 274 18.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe.............................. 274 18.7.1 Veresterung, Ester, Lactone ..................................... 274 18.7.2 Reduktion zu primären Alkoholen............................. 275 18.7.3 Carbonsäurehalogenierung ...................................... 276 18.7.4 Bildung von Säureanhydriden................................... 276 18.7.5 Bildung von Säureamiden......................................... 277 18.7.6 Decarboxylierung ...................................................... 278 18.8 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden............................................................... 278 18.8.1 Hydrolyse und Perhydrolyse..................................... 278 18.8.2 Alkoholyse................................................................. 279 18.8.3 Ammonolyse und Aminolyse .................................... 279 18.8.4 Hydrazinolyse............................................................ 280 18.8.5 Reaktion mit Hydroxylamin ....................................... 280 18.8.6 Reaktion mit Alkaliaziden.......................................... 280 18.8.7 Katalytische Hydrierung (ROSENMUND Reduktion) ... 280 18.8.8 Carbonsäurehalogenide als Reagenzien zur CAcylierung ................................................................. 281 18.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern .... 281 18.9.1 Esterverseifung ......................................................... 281 18.9.2 Ammonolyse (Aminolyse) von Estern....................... 282 18.9.3 Umesterung............................................................... 282 18.9.4 Reduktion zu primären Alkoholen............................. 283 18.9.5 Reaktion mit GRIGNARD-Verbindungen..................... 283 18.10 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen ................................................................. 284 18.10.1 C-Alkylierung von Malonestern................................. 284 18.10.2 KNOEVENAGEL-Alkenylierung..................................... 284 18.10.3 MICHAEL-Addition ...................................................... 285 18.10.4 CLAISEN-Esterkondensation ...................................... 285 18.10.5 Intramolekulare Kondensation von Diestern (DIECKMANN-Kondensation) ...................................... 286 18.11 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten................................................................... 287 18.11.1 Thermische Decarboxylierung und Cyclokondensation............................................................. 287 18.11.2 Bildung cyclischer Dicarbonsäureimide.................... 287
Inhaltsverzeichnis
18.11.3 Reaktionen cyclischer Dicarbonsäureimide ............. 287 18.11.4 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Dienophil ........................................................................ 289 18.11.5 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Enophil bei En-Reaktionen .................................................... 289 19 19.1 19.2 19.3 19.3.1 19.3.2 19.4 19.4.1 19.4.2 19.5 19.5.1 19.5.2 19.5.3
Substituierte Carbonsäuren .................................. 290 Nomenklatur substituierter Carbonsäuren................ 290 Physikalische Eigenschaften und Acidität................ 290 Halogencarbonsäuren .............................................. 292 Synthesen ................................................................. 292 Reaktionen................................................................ 294 Hydroxycarbonsäuren .............................................. 295 Synthesen ................................................................. 295 Reaktionen................................................................ 296 Oxocarbonsäuren und ihre Ester.............................. 299 Synthesen ................................................................. 299 Reaktionen der Oxocarbonsäuren ........................... 300 Oxo-Enol-Tautomerie des Acetessigesters.............. 303
20 20.1 20.2 20.2.1 20.2.2 20.3 20.4 20.5 20.5.1
Aldehyde und Ketone............................................. 305 Übersicht................................................................... 305 Nomenklatur.............................................................. 305 IUPAC-Bezeichnungen............................................. 305 Trivialnamen ............................................................. 306 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe............. 306 Physikalische Eigenschaften .................................... 308 Darstellung von Aldehyden....................................... 309 Oxidation von Methyl- und HydroxymethylGruppen .................................................................... 309 Überführung der Halomethyl- in die FormylGruppe ...................................................................... 310 NEF-Reaktion ............................................................ 311 Reduktion von Carbonsäure-Derivaten und Nitrilen. 311 Spaltung von Glykolen und Ozoniden ...................... 312 Hydrolyse von Sauerstoff-Heterocyclen ................... 312 Formylierung von Alkenen mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff ............................................................... 313 Formylierung mit Orthoameisensäureestern ............ 313 Formylierung von Aromaten durch Formanilide (VILSMEIER-Formylierung) ......................................... 313 Formylierung von Aromaten durch Formylhalogenide ................................................................ 314 Formylierung von Aromaten durch Cyanid und Chlorwasserstoff ....................................................... 314 Formylierung von Aromaten durch Chloroform ........ 315 Industrielle Verfahren zur Herstellung von Acetund Benzaldehyd ...................................................... 315 Darstellung von Ketonen .......................................... 316 Oxidation sekundärer Alkohole................................. 316 Oxidation aktivierter Methylen-Gruppen................... 316 Bimolekulare Decarboxylierung und Dehydratisierung von Carbonsäuren ....................................... 316 Addition von GRIGNARD-Verbindungen an Nitrile ..... 317 Acylierung von Dialkylcadmium................................ 317 Spaltung der Ozonide von Tetraalkylethenen .......... 318 Acylierung von Alkenen ............................................ 318 Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden ......................................................................... 318 Acylierung von Aromaten durch Nitrile ..................... 318
20.5.2 20.5.3 20.5.4 20.5.5 20.5.6 20.5.7 20.5.8 20.5.9 20.5.10 20.5.11 20.5.12 20.5.13 20.6 20.6.1 20.6.2 20.6.3 20.6.4 20.6.5 20.6.6 20.6.7 20.6.8 20.6.9
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Inhaltsverzeichnis
20.7 20.8
Reaktivität der Carbonyl-Gruppe .............................. 319 Reaktionen von Aldehyden und Ketonen mit Basen ........................................................................ 319 20.8.1 Bildung von Hydraten................................................ 320 20.8.2 Bildung von Acetalen und Ketalen............................ 320 20.8.3 Addition von Hydrogensulfit ...................................... 322 20.8.4 Bildung von Iminen mit Ammoniak und primären Aminen ...................................................................... 322 20.8.5 Bildung von Hydrazonen, Azinen, Oximen und Semicarbazonen ....................................................... 323 20.8.6 Bildung von Enaminen mit sekundären Aminen....... 324 20.8.7 Bildung von Silylenolethern mit Trialkylchlorsilanen. 325 20.9 Reaktionen mit Hydrid-Anionen ................................ 325 20.9.1 Reduktion mit komplexen Metallhydriden ................. 325 20.9.2 MEERWEIN-PONNDORF-VERLEY-Reduktion von Ketonen ..................................................................... 326 20.9.3 CANNIZZARO-Disproportionierung aromatischer Aldehyde ................................................................... 326 20.10 Reaktionen mit Carbanionen und CH-Säuren .......... 327 20.10.1 1,2-Addition von GRIGNARD-Verbindungen............... 327 20.10.2 Carbonyl-Alkenylierungen......................................... 327 20.10.3 Aldol-Reaktion........................................................... 329 20.10.4 Cyanhydrin-Reaktion................................................. 330 20.10.5 Benzoin- und STETTER-Reaktion der Arenaldehyde.................................................................... 331 20.10.6 Alkinylierung von Carbonyl-Verbindungen................ 332 20.10.7 Homologisierung von Aldehyden und Ketonen mit Diazomethan ............................................................. 333 20.10.8 KNOEVENAGEL-Alkenylierung..................................... 333 20.10.9 PERKIN-Reaktion........................................................ 334 20.10.10MANNICH-Reaktion..................................................... 334 20.10.11BAYLIS-HILLMAN-Hydroxyalkylierung ......................... 335 20.10.11ROBINSON-Anellierung von Cycloalkanonen ............. 335 20.11 Oxidation und Reduktion der Carbonyl-Gruppe ....... 336 20.11.1 Oxidation von Aldehyden .......................................... 336 20.11.2 BAEYER-VILLIGER-Oxidation von Ketonen ................. 336 20.11.3 WILLGERODT- UND WILLGERODT-KINDLER-Reaktion von Alkylarylketonen ................................................. 337 20.11.4 CLEMMENSEN-Reduktion............................................ 337 20.11.5 MCMURRY-Reaktion .................................................. 338 20.11.6 WOLFF-KISHNER-Reduktion ....................................... 338 20.11.7 BAMFORD-STEVENS- und SHAPIRO-Reaktion ............. 338 20.12 CH-Acidität und Keto-Enol-Tautomerie der 1,3Diketone .................................................................... 339 21 21.1 21.2 21.3 21.4 21.4.1 21.4.2 21.4.3 21.4.4 21.4.5 21.4.6 21.5 21.5.1 21.5.2 21.5.3
Phenole und Chinone ............................................. 341 Klassifizierung der Phenole ...................................... 341 Nomenklatur der Phenole ......................................... 341 Physikalische Eigenschaften der Phenole................ 342 Darstellung von Phenolen......................................... 344 Technische Phenol-Synthese (HOCK-Prozeß).......... 344 Hydrolyse von Chlorbenzen-Derivaten ..................... 345 Katalytische Oxidation methylierter Aromaten.......... 346 Alkali-Schmelze von Arensulfonaten ........................ 346 Phenole aus Arenaminen.......................................... 347 Dienon-Phenol-Umlagerung ..................................... 347 Mesomerie und Acidität der Phenole........................ 347 Mesomerie................................................................. 347 Acidität....................................................................... 348 Substituenteneinflüsse auf die Acidität ..................... 349
XI
21.6 21.6.1 21.6.2 21.6.3 21.6.4 21.6.5 21.6.6 21.6.7 21.7 21.8 21.8.1 21.8.2 21.8.3 21.9 21.9.1 21.9.2 21.9.3 21.9.4 22 22.1 22.2 22.3 22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4 22.4 22.4.1 22.4.2 22.4.3 22.4.4 22.4.5 22.4.6 22.4.7 22.4.8 22.4.9 22.4.10 22.5 22.5.1 22.5.2 22.5.3 22.5.4 22.6 22.6.1 22.6.2 22.6.3 22.6.4 22.6.5 22.6.6
Reaktionen der Phenole ........................................... 350 Veretherung .............................................................. 350 Veresterung .............................................................. 350 Phenole als Enole..................................................... 351 Oxidation zu Chinonen ............................................. 351 Oxidation zu Aroxyl-Radikalen und Peroxiden ......... 352 Elektrophile Substitutionen ....................................... 353 BUCHERER-Reaktion der Naphthole.......................... 353 Nomenklatur und einige Eigenschaften der Chinone ............................................................. 355 Darstellung von Chinonen ........................................ 356 Oxidation von Phenolen und primären aromatischen Aminen .................................................... 356 Oxidation von Arenen ............................................... 357 FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Arenen durch Phthalsäureanhydrid................................................. 358 Reaktionen der Chinone ........................................... 358 Redoxgleichgewicht Chinon-Hydrochinon................ 358 Additionen ................................................................. 359 Carbonyl-Reaktionen ................................................ 359 HOOKER-Oxidation .................................................... 360 Amine ....................................................................... 361 Amine als Derivate des Ammoniaks......................... 361 Nomenklatur.............................................................. 361 Struktur und physikalische Eigenschaften................ 363 Geometrie und Molekülorbital-Modell....................... 363 Inversion von Aminen ............................................... 364 Enantiomere Ammonium-Salze und Amin-N-oxide.. 364 Thermodynamische Eigenschaften .......................... 365 Darstellung................................................................ 367 Alkylierung von Ammoniak ....................................... 367 Alkylierung von Kalium-Phthalimid (GABRIELSynthese).................................................................. 368 Addition von Ammoniak und Aminen an Doppelbindungen ................................................................. 368 Addition von Ammoniak und Aminen an Oxiran....... 369 Reduktion von Nitro-Verbindungen .......................... 370 Reduktion von Oximen, Nitrilen und Carbonsäureamiden ...................................................................... 371 Reduktive Aminierung von CarbonylVerbindungen............................................................ 372 Reduktive Alkylierung von Aminen (LEUCKARDTWALLACH-Reaktion.................................................... 372 Synthese primärer Amine durch Umlagerungen ...... 373 Synthese von Benzidin-Derivaten durch BenzidinUmlagerung .............................................................. 376 Basizität..................................................................... 377 Basizitätskonstante................................................... 377 Basizität aliphatischer Amine.................................... 378 Basizität aromatischer Amine ................................... 378 Substituenteneinflüsse auf die Basizität aromatischer Amine ....................................................... 379 Reaktionen................................................................ 380 Bildung N-substituierter Ammonium-Salze............... 380 Reaktion mit salpetriger Säure ................................. 380 N-Oxidation ............................................................... 381 N-Halogenierung....................................................... 382 N-Acylierung ............................................................. 383 N-Alkylierung............................................................. 384
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XII
Inhaltsverzeichnis
22.6.7 HOFMANN-Eliminierung von Tetraalkylammoniumhydroxiden................................................................. 385 22.6.8 COPE-Eliminierung tertiärer Amin-N-oxide................ 386 22.6.9 Elektrophile Substitution aromatischer Amine .......... 387 23 23.1 23.1.1 23.1.2 23.1.3 23.2 23.2.1 23.2.2 23.3 23.3.1 23.3.2 23.4 23.4.1 23.4.2 23.5 23.6 23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.7 23.7.1 23.7.2 23.7.3 23.7.4 23.8 23.8.1 23.8.2 23.8.3 23.9 24 24.1 24.2 24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.3 24.3.1 24.3.2 24.4 24.4.1 24.4.2 24.5 24.5.1 24.5.2 24.6
Organostickstoff-Verbindungen............................ 388 Diazoalkane .............................................................. 388 Konstitution und Eigenschaften ................................ 388 Darstellung ................................................................ 388 Reaktionen der Diazoalkane..................................... 389 Diazocarbonsäureester............................................. 392 Bildung ...................................................................... 392 Reaktivität.................................................................. 393 Diazoketone .............................................................. 394 Bildung ...................................................................... 394 Reaktivität.................................................................. 394 Azoalkan-Derivate..................................................... 395 Klassifizierung und Bildung....................................... 395 Reaktionen ................................................................ 395 Aryldiazonium-Salze ................................................. 397 Radikalische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen ..... 397 Darstellung von Halogenaromaten aus Aryldiazonium-Salzen (SANDMEYER-Reaktion) ............... 397 Mercurierung über Aryldiazonium-Salze (NESMEJANOW-Reaktion) ....................................................... 398 Arylierung von Aromaten durch AryldiazoniumSalze (GOMBERG-BACHMANN-Reaktion).................... 398 Ionische Spaltung von Aryldiazonium-Ionen ............ 399 Bildung von Phenolen über Aryldiazonium-Salze .... 399 Bildung von Fluorbenzen aus Aryldiazoniumtetrafluoroboraten (BALZ-SCHIEMANN-Reaktion)........ 400 Bildung von Arylaziden über Aryldiazonium-Salze... 400 Reduktion von Aryldiazonium-Salzen....................... 400 Azo-Aromaten, Azo-Kupplung .................................. 401 Struktur der Azo-Arene ............................................. 401 Darstellung von Azo-Arenen durch Azo-Kupplung... 401 Andere Methoden zur Darstellung aromatischer Azo-Verbindungen .................................................... 405 Organostickstoff-Verbindungen, Übersicht............... 405
Organoschwefel-Verbindungen ............................ 407 Übersicht, Nomenklatur und Vorkommen................. 407 Thiole......................................................................... 407 Darstellung ................................................................ 407 Thermodynamische Eigenschaften .......................... 409 Reaktionen ................................................................ 410 Thiophenole .............................................................. 411 Darstellung ................................................................ 411 Reaktionen ................................................................ 411 Thioether (Dialkylsulfide) .......................................... 412 Darstellung ................................................................ 412 Reaktionen ................................................................ 413 Disulfide..................................................................... 414 Darstellung ................................................................ 414 Reaktionen ................................................................ 415 Thioaldehyde, Thioketone, Thioacetale, Thioketale......................................................................... 415 24.7 Dithiocarbonsäuren, Thiol- und Thionsäuren ........... 416 24.8 Sulfoxide (S-Oxide)................................................... 417 24.8.1 Darstellung ................................................................ 417
24.8.2 24.8.3 24.9 24.9.1 24.9.2 24.10 24.10.1 24.10.2 24.11 24.11.1 24.11.2 24.11.3 24.12 24.12.1 24.12.2 24.12.3
Physikalische Eigenschaften .................................... 417 Reaktionen................................................................ 417 Sulfone (S-Dioxide)................................................... 420 Darstellung................................................................ 420 Reaktionen................................................................ 421 Sulfensäure-Derivate ................................................ 421 Bildung ...................................................................... 421 Reaktionen................................................................ 422 Sulfinsäuren .............................................................. 422 Bildung ...................................................................... 422 Stabilität, Acidität, optische Aktivität ......................... 423 Reaktionen................................................................ 423 Sulfonsäuren............................................................. 423 Darstellung der Säuren und ihrer Chloride............... 423 Acidität und Wasserlöslichkeit von Sulfonsäuren..... 425 Reaktionen der Sulfonsäuren und Sulfochloride...... 426
25 25.1 25.2 25.2.1 25.2.2 25.3 25.4 25.5 25.6 25.6.1 25.6.2 25.6.3 25.7 25.7.1 25.7.2 25.7.3 25.8 25.8.1 25.8.2 25.8.3 25.9 25.10 25.11 25.12 25.13
Kohlensäure-Derivate............................................. 428 Kohlensäure.............................................................. 428 Kohlensäurehalogenide............................................ 428 Phosgen.................................................................... 428 Reaktionen von Phosgen ......................................... 429 Kohlensäureesterchloride......................................... 430 Kohlensäureester...................................................... 430 Carbamidsäure, Urethane ........................................ 431 Harnstoffe ................................................................. 432 Bildung von Harnstoff ............................................... 432 Reaktionen von Harnstoff ......................................... 433 Alkylharnstoffe .......................................................... 434 Guanidin.................................................................... 435 Basizität und Bindungszustand ................................ 435 Darstellung................................................................ 435 Reaktionen................................................................ 436 Kohlensäurehydrazide.............................................. 436 Semicarbazid ............................................................ 437 Carbazide.................................................................. 437 Esterhydrazide der Kohlensäure .............................. 437 Azidokohlensäureester ............................................. 437 Thiokohlensäure-Derivate ........................................ 438 Dithiokohlensäure-Derivate ...................................... 439 Trithiokohlensäure .................................................... 439 Carbodiimide............................................................. 440
26 Umlagerungen......................................................... 441 26.1 Anionotrope 1,2-Verschiebungen............................. 441 26.1.1 Allgemeine Mechanismen anionotroper 1,2Verschiebungen (Sextett-Umlagerungen)................ 441 26.1.2 1,2-Verschiebungen von C zu C............................... 442 26.1.3 1,2-Verschiebungen von C zu N über Nitrene und Nitrenium-Ionen ................................................. 445 26.1.4 Verschiebungen von C zu O..................................... 446 26.2 Kationotrope 1,2-Verschiebungen über Carbanionen ..................................................................... 447 26.2.1 FAVORSKII-Umlagerung (von C nach C) ................... 447 26.2.2 STEVENS-Umlagerung (von N nach C) ..................... 448 26.2.3 WITTIG-Umlagerung (von O nach C) ........................ 448 26.3 Radikalische 1,2-Verschiebungen............................ 448 26.4 Umlagerungen an benzoiden Ringen....................... 449 26.4.1 Umlagerungen vom SE-Typ ...................................... 449 26.4.2 Umlagerungen vom SN-Typ ...................................... 450
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26.5 Sigmatrope Umlagerungen ....................................... 451 26.5.1 [1,5]-sigmatrope Verschiebung ................................. 451 26.5.2 COPE-Umlagerung als [3,3]-sigmatrope Verschiebung .................................................................. 451 26.5.3 Hetero-COPE-Umlagerungen .................................... 452 27 27.1 27.2 27.2.1 27.2.2 27.3 27.3.1 27.3.2 27.3.3 27.4 27.4.1 27.4.2 27.4.3 27.4.4 27.4.5 28 28.1 28.2 28.2.1 28.2.2 28.2.3 28.2.4 28.2.5 28.2.6 28.3 28.3.1 28.3.2 28.3.3 28.3.4 28.3.5 28.4 28.4.1 28.4.2 28.4.3 28.5 28.5.1 28.5.2 28.5.3 28.5.4 28.5.5 28.5.6 28.5.7 28.5.8 28.5.9 28.5.10 28.5.11 28.6
Orbitalsymmetrie bei konzertierten Reaktionen.. 453 Phasenbeziehung von p-Orbitalen ........................... 453 Elektrocyclische Reaktionen ..................................... 455 Definitionen ............................................................... 455 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für elektrocylische Reaktionen ................................................................ 457 Cycloadditionen......................................................... 460 Definitionen ............................................................... 460 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für konzertierte Cycloadditionen......................................................... 461 Cycloreversionen ...................................................... 464 Sigmatrope Reaktionen............................................. 465 Definitionen ............................................................... 465 WOODWARD-HOFFMANN-Regeln für sigmatrope Reaktionen ................................................................ 466 Ausgewählte Beispiele zu den Auswahlregeln ......... 469 Inversion und Retention bei sigmatropen Verschiebungen.............................................................. 469 En-Reaktion............................................................... 471 Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung .... 473 Überblick ................................................................... 473 UV- und Lichtabsorptions-Spektrometrie.................. 474 Spektralbereich ......................................................... 474 Meßmethodik............................................................. 475 Elektronenübergänge in organischen Molekülen ..... 476 Chromophore, Auxochrome...................................... 477 Lichtabsorption und Farbe ........................................ 479 Anwendungsbereiche ............................................... 480 Infrarotspektroskopie................................................. 482 Spektralbereich ......................................................... 482 Meßmethodik............................................................. 482 Gruppenschwingungen in organischen Molekülen... 483 Fingerabdruck-Bereich des Infrarotspektrums ......... 485 Anwendungsbereiche ............................................... 487 RAMAN-Spektroskopie ............................................... 492 RAMAN-Streuung ....................................................... 492 RAMAN-Spektrum....................................................... 492 Anwendung von RAMAN-Spektren ............................ 492 Kernmagnetische Resonanz..................................... 494 Kernpräzession und Kernspin-Zustände .................. 494 NMR-Spektrometer und NMR-Spektrum .................. 495 Chemische Verschiebungen ..................................... 496 Messung chemischer Verschiebungen..................... 496 Integration der Signale und quantitative Analyse ..... 498 Konstitutionsmerkmale und ProtonenVerschiebung ............................................................ 499 Kopplungskonstanten ............................................... 508 Strukturmerkmale und Kopplungskonstanten........... 512 Beispiel zur Herleitung der Konstitution aus dem 1H-NMR-Spektrum .................................................... 519 Chemische Methoden der Signalzuordnung ............ 521 Besondere Meßtechniken ......................................... 522 Kohlenstoff-13-Resonanz ......................................... 526
XIII
28.6.1 Wichtigste Meßmethoden ......................................... 526 28.6.2 13C-Verschiebungen.................................................. 531 28.6.3 CH-Kopplungskonstanten......................................... 533 28.6.4 Beispiel zur Konstitutionsermittlung durch Kohlenstoff-13-Resonanz..................................................... 534 28.7 Massenspektrometrie ............................................... 536 28.7.1 Meßmethodik ............................................................ 536 28.7.2 Isotopenpeaks........................................................... 538 28.7.3 Molekül-Peak, Molekül-Ion ....................................... 538 28.7.4 Fragment- und metastabile Ionen............................. 539 28.7.5 Fragmentierungen organischer Molekül-Ionen......... 540 28.7.6 Erkennung funktioneller Gruppen............................. 546 28.7.7 Herleitung der Konstitution aus dem Massenspektrum ................................................................... 546 29 29.1 29.1.1 29.1.2 29.2 29.3 29.4 29.5 29.5.1 29.5.2 29.5.3 29.5.4 29.5.5 29.5.6 29.5.7
Photoreaktionen...................................................... 550 Grundbegriffe ............................................................ 550 Energiebedarf von Photoreaktionen......................... 550 Verhalten angeregter Moleküle ................................ 550 Photosensibilisierung................................................ 553 Quantenausbeute ..................................................... 554 Blitzlicht-Photolyse.................................................... 555 Präparative Photochemie ......................................... 555 Photoinduzierte Einführung funktioneller Gruppen... 555 Photofragmentierungen ............................................ 557 Photoisomerisierungen ............................................. 558 Photodehydrocyclisierungen .................................... 559 Photoadditionen........................................................ 560 Photocycloadditionen................................................ 561 Photooxidation mit und Photoaddition von Sauerstoff ........................................................................... 564 29.5.8 Photoreduktionen...................................................... 566 29.6 Biologische Photoreaktionen .................................... 567 29.6.1 Sehvorgang............................................................... 567 29.6.2 Photosynthese .......................................................... 567 29.7 Chemilumineszenz ................................................... 568 30 30.1 30.2 30.2.1 30.2.2 30.2.3 30.3 30.3.1 30.3.2 30.3.3 30.4 30.4.1 30.4.2 30.4.3 30.5 30.5.1 30.5.2 30.5.3 30.6 30.6.1 30.6.2 30.6.3 30.7
Nichtbenzoide Aromaten ....................................... 570 Übersicht................................................................... 570 Cyclopropenium-Kationen ........................................ 570 Synthese ................................................................... 570 Molekülorbital-Modell und Strukturmerkmale ........... 571 Reaktivität ................................................................. 572 Cyclopentadienid ...................................................... 572 Herstellung................................................................ 572 Strukturmerkmale...................................................... 572 Reaktivität ................................................................. 573 Cyloheptatrienium-Kationen ..................................... 575 Strukturmerkmale und Formulierung ........................ 575 Herstellungsmethoden.............................................. 575 Reaktivität ................................................................. 576 Cyclooctatetraendiid ................................................. 577 Bildung ...................................................................... 577 NMR-Daten ............................................................... 578 Reaktionen................................................................ 578 Cyclononatetraenid................................................... 578 Bildung ...................................................................... 578 NMR-Daten ............................................................... 579 Reaktionen................................................................ 579 Vergleich der chemischen Verschiebungen ............. 579
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XIV
Inhaltsverzeichnis
30.8 30.8.1 30.8.2 30.8.3 30.9 30.10 30.10.1 30.10.2 30.10.3 30.11 30.11.1 30.11.2 30.11.3 30.11.4 30.12 30.12.1 30.12.2 30.12.3 30.12.4
Azulen ....................................................................... 580 Formulierung und physikalische Eigenschaften ....... 580 Azulen-Synthese....................................................... 581 Reaktionen ................................................................ 582 Definition aromatischer Annulene............................. 582 [10]-Annulen.............................................................. 583 Stabilität..................................................................... 583 Synthese überbrückter [10]-Annulene ...................... 583 Aromatizität des 1,6-Methano-[10]-annulens............ 584 [14]-Annulene............................................................ 584 Sterische Spannung von [14]-Annulenen ................. 584 Synthese des [14]-Annulens vom Pyren-Typ ........... 584 Synthese überbrückter [14]-Annulene ...................... 585 Aromatizität der [14]-Annulene ................................. 585 [18]-Annulen.............................................................. 586 Konformationen......................................................... 586 Synthese ................................................................... 586 Aromatizitätskriterien................................................. 587 Heteroüberbrückte [18]-Annulene und höhere Annulene ................................................................... 587 30.13 Natürliche nichtbenzoide Aromaten.......................... 588 30.13.1 Natürliche Tropolone................................................. 588 30.13.2 Azulene natürlicher Herkunft..................................... 588 30.14 Antiaromatizität ......................................................... 588
31 31.1 31.2 31.2.1 31.2.2 31.3 31.3.1 31.3.2 31.3.3 31.4 31.4.1 31.4.2 31.4.3 31.4.4 31.4.5 31.4.6 31.4.7 31.5 31.5.1 31.5.2 31.5.3 31.5.4 31.5.5 31.5.6 31.5.7 31.5.8 31.5.9 31.5.10 31.5.11 31.6 31.6.1 31.6.2
Organometall-Verbindungen ................................. 590 Definition und Nomenklatur....................................... 590 Bindungszustand ...................................................... 590 Übersicht ................................................................... 590 Molekülorbital-Modelle .............................................. 591 Eigenschaften metallorganischer Verbindungen...... 592 Alkylmetalle ............................................................... 592 Metallorganische Elektronenmangel-Verbindungen. 592 GRIGNARD-Verbindungen .......................................... 593 Allgemeine Methoden zur Herstellung...................... 593 Reaktion von Kohlenwasserstoff und Metall............. 593 Reaktion von Halogenalkan und Metall .................... 594 Reaktion von Organometall-Verbindung und Metallhalogenid ......................................................... 594 Metall-Metall-Austausch............................................ 595 Halogen-Metall-Austausch........................................ 595 Wasserstoff-Metall-Austausch .................................. 596 Addition von Metallhydriden an Alkene..................... 596 Reaktionen von Alkyl- und ArylmetallVerbindungen............................................................ 596 Reaktion mit Sauerstoff............................................. 596 Reaktion mit Halogen................................................ 596 Hydrolyse und Alkoholyse......................................... 597 Reaktion mit CH-Säuren ........................................... 598 Reaktionen zwischen Organometall-Verbindungen . 598 Reaktion mit Carbonsäurehalogeniden .................... 599 Addition an CC-Doppelbindungen ............................ 599 Addition an CX-Doppelbindungen ............................ 599 Addition an CX-Dreifachbindungen .......................... 601 Nucleophile Öffnung von Oxiran- und OxetanRingen....................................................................... 602 Nucleophile Substitution ........................................... 602 Organosilicium-Verbindungen .................................. 603 Vergleichender Überblick.......................................... 603 Herstellung der Halogensilane.................................. 605
31.6.3 Reaktion der Halogensilane ..................................... 605 31.6.4 Präparative Bedeutung einiger OrganosiliciumVerbindungen ........................................................... 607 31.6.5 Silicone ..................................................................... 609 31.7 Metall-r-Komplexe.................................................... 610 31.7.1 Bindungszustand und Struktur von SandwichKomplexen ................................................................ 610 31.7.2 Herstellung und Eigenschaften einiger Übergangsmetall-r-Komplexe.......................................... 610 31.7.3 Präparative Bedeutung von Übergangsmetallr-Komplexen ............................................................ 613 31.8 Metallchelate............................................................. 615 31.8.1 Bauprinzip ................................................................. 615 31.8.2 Metallchelat-Effekt .................................................... 616 31.8.3 Metalltemplate-Effekt ................................................ 617 31.8.4 Metallchelate makrocyclischer N4-Liganden ............ 618 31.8.5 Bedeutung von Metallchelaten ................................. 618 32 32.1 32.2 32.3 32.3.1 32.3.2 32.3.3 32.3.4 32.3.5 32.4 32.4.1 32.4.2 32.5 32.6 32.7 32.8 32.9 33 33.1 33.1.1 33.1.2 33.1.3 33.2 33.2.1 33.2.2 33.3 33.3.1 33.3.2 33.3.3 33.4 33.4.1 33.4.2 33.4.3
Heteroalicyclen ....................................................... 620 Übersicht und Ring-Nomenklatur ............................. 620 Molekülgeometrie ..................................................... 620 Allgemeine Syntheseprinzipien ................................ 622 Intramolekulare Cyclisierungen ................................ 622 Cycloadditionen ........................................................ 624 Ringerweiterung von Carbocyclen durch Stickstoff.. 625 Katalytische Hydrierung von Heteroaromaten ......... 626 Carbonyl-Derivatisierung .......................................... 626 Funktionelle Reaktionen ........................................... 627 Heteroatom als Nucleophil ....................................... 627 Carbonyl-Umpolung durch 1,3-DithianDerivatisierung.......................................................... 627 Ringöffnungen .......................................................... 628 Ringöffnende Ringerweiterungen............................. 629 Additionen an ungesättigte Heteroalicyclen ............. 629 Komplexierung durch Kronenether und Cryptanden ....................................................................... 630 Mesomerieeffekte und Aromatizität.......................... 631 Heteroaromaten ...................................................... 632 Definition, Nomenklatur, Übersicht ........................... 632 Monocyclische Heteroaromaten............................... 632 Benzokondensierte Heteroaromaten........................ 632 Heterokondensierte Heteroaromaten ....................... 635 Tautomerie der Heteroaromaten .............................. 638 Tautomerie ohne Beteiligung von Substituenten ..... 638 Tautomerie unter Beteiligung von Substituenten ..... 638 Aromatizität und Struktur von FünfringHeteroaromaten........................................................ 642 r-Elektronendichte-Verteilung.................................. 642 Molekülorbital-Modelle.............................................. 643 Bindungsausgleich und Mesomerieenergie ............. 644 Aromatizität und Struktur von SechsringHeteroaromaten........................................................ 644 r-Elektronendichte-Verteilung, Mesomerie und Bindungsausgleich.................................................... 644 Molekülorbital-Modell des Pyridins........................... 645 Sechsring-Heterocyclen mit zweibindigen Heteroatomen ...................................................................... 645
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33.5 33.5.1 33.5.2 33.6 33.6.1 33.6.2 33.6.3 33.6.4 33.6.5 33.6.6 33.6.7 33.7 33.7.1 33.7.2 33.7.3 33.7.4 33.7.5 33.7.6 33.7.7 33.7.8 33.8 33.8.1 33.8.2 33.8.3 33.8.4 33.8.5 33.9 33.9.1 33.9.2 33.9.3 33.10 33.10.1 33.10.2 33.10.3 33.10.4 33.10.5 33.10.6 33.11 33.11.1 33.11.2 33.11.3 33.11.4 33.11.5 33.11.6 33.11.7 33.11.8 33.12 33.12.1 33.12.2 33.12.3
Synthese monocyclischer FünfringHeteroaromaten ........................................................ 646 Allgemeine Methoden ............................................... 646 Spezielle Methoden................................................... 650 Synthese benzo-kondensierter FünfringHeteroaromaten ........................................................ 652 Benzo[b]furan (Cumaron).......................................... 652 Benzo[b]thiophen (Thionaphthen) ............................ 653 Benzo[b]pyrrol (Indol)................................................ 653 Benzo-1,2-azole (Indazol, Benzoisoxazol, Benzoisothiazol)........................................................ 654 Benzo-1,3-azole (Benzimidazol, Benzoxazol, Benzothiazol)............................................................. 655 Benzotriazol............................................................... 655 Carbazol .................................................................... 655 Reaktionen monocyclischer FünfringHeteroaromaten ........................................................ 656 Basizität und Reaktionen am nichtbindenden Elektronenpaar.......................................................... 656 Acidität....................................................................... 657 Dien-Reaktionen ....................................................... 658 Elektrophile Substitution............................................ 659 Nucleophile Substitutionen ....................................... 663 Carben-Cycloadditionen ........................................... 663 Ringöffnungen........................................................... 664 Besondere Reaktionen von Substituenten ............... 665 Reaktionen benzologer Fünfring-Heteroaromaten ... 666 Prognose ................................................................... 666 Heteroatom-spezifische Reaktionen......................... 667 Elektrophile Substitutionen ....................................... 667 Cycloadditionen......................................................... 668 Reaktionen der 2- und 3-Hydroxy-Derivate .............. 669 Mesoionische Fünfring-Heteroaromaten .................. 670 Mesoionische 1,2,3-Oxadiazol-Derivate ................... 670 Mesoionische Triazol-Derivate.................................. 671 Mesoionische Oxazol- und Thiazol-Derivate ............ 671 Synthese monocyclischer SechsringHeteroaromaten ........................................................ 672 Pyridin ....................................................................... 672 Phosphor-, Sauerstoff- und Schwefel-Analoge des Pyridins...................................................................... 674 Diazine ...................................................................... 676 Oxazine und Thiazine ............................................... 677 Triazine...................................................................... 678 Tetrazine ................................................................... 679 Synthese benzo-kondensierter Pyridine und Azine.. 679 Chinoline (Benzo[b]pyridine ...................................... 679 Isochinoline (Benzo[c]pyridine) ................................. 680 Benzochinoline.......................................................... 681 Benzopyridazine........................................................ 682 Chinazoline................................................................ 682 Chinoxaline und Phenazine ...................................... 683 Benzopyrone und Benzopyrylium-Salze................... 683 Phenoxazine und Phenothiazine .............................. 685 Reaktionen monocyclischer SechsringHeteroaromaten ........................................................ 685 Reaktionen am Imino-Stickstoff ................................ 685 Cycloadditionen......................................................... 687 Nucleophile Additionen, Ringöffnungen, Umheterocyclisierungen ................................................. 688
XV
33.12.4 33.12.5 33.12.6 33.13 33.13.1 33.13.2 33.13.3 33.13.4 33.13.5 33.13.6 33.14 33.14.1 33.14.2 33.14.3 33.15 33.15.1 33.15.2 33.15.3 33.15.4 33.15.5 33.15.6 33.16 33.16.1 33.16.2 34 34.1 34.1.1 34.1.2 34.2 34.3 34.3.1 34.3.2 34.3.3 34.4 34.4.1 34.4.2 34.4.3 34.4.4 34.5 34.5.1 34.5.2 34.5.3 34.5.4 34.6 34.6.1 34.6.2 34.6.3 34.6.4 34.6.5 34.6.6 34.6.7 34.7 34.7.1 34.7.2
Nucleophile Substitutionen ....................................... 689 Elektrophile Substitutionen ....................................... 690 Besondere Reaktionen von Substituenten ............... 692 Reaktionen benzologer SechsringHeteroaromaten ........................................................ 694 Reaktionen am Ring-Stickstoff ................................. 694 Katalytische Hydrierung und oxidative Ringöffnung. 694 Nucleophile Additionen ............................................. 694 Nucleophile Substitutionen ....................................... 695 Elektrophile Substitutionen ....................................... 696 CH-Acidität und andere Reaktionen von MethylGruppen .................................................................... 697 Heterokondensierte Heteroaromaten ....................... 698 Heterobicyclen mit Stickstoff als Brückenkopf.......... 698 Purine........................................................................ 699 Pteridine .................................................................... 701 Reaktionen heterokondensierter Heteroaromaten ... 702 Basizität und Acidität................................................. 702 Ringspaltungen ......................................................... 702 Nucleophile Additionen ............................................. 703 Nucleophile Substitutionen ....................................... 704 Elektrophile Substitutionen ....................................... 704 CH-Acidität von Methyl-Gruppen.............................. 704 Höhergliedrige Heterocyclen und Heteroaromaten.. 704 Ringvinyloge der Fünfring-Heteroaromaten ............. 704 Ringvinyloge des Pyridins......................................... 707 Organische Farbstoffe ........................................... 709 Farbigkeit von Verbindungen.................................... 709 Absorbiertes Licht und Farbe.................................... 709 Farbstoffe und Pigmente .......................................... 709 Bauprinzip von Farbstoffen....................................... 709 Azofarbstoffe............................................................. 711 Tautomerie................................................................ 711 Herstellung................................................................ 711 Methoden der Textilfärbung mit Azofarbstoffen ....... 712 Polymethin-Farbstoffe............................................... 717 Bauprinzip ................................................................. 717 Ausgewählte Methoden zur Herstellung................... 718 Anwendung von Polymethin-Farbstoffen ................. 719 Natürliche Polymethin-Farbstoffe ............................. 721 Phenyloge Methin- und Azamethin-Farbstoffe ......... 722 Übersicht................................................................... 722 Allgemeine Methoden zur Herstellung...................... 722 Anwendung phenyloger Methin- und AzamethinFarbstoffe.................................................................. 726 Natürliche Phenoxazin-Farbstoffe ............................ 727 Carbonyl-Farbstoffe .................................................. 728 Übersicht................................................................... 728 Lichtabsorption der Carbonyl-Farbstoffe .................. 728 Synthese von Anthrachinon-Farbstoffen .................. 730 Indigo-Synthesen...................................................... 732 Textilfärbung mit Indigo- und AnthrachinonDerivaten................................................................... 733 Höher anellierte Carbonyl-Farbstoffe ....................... 734 Natürliche Carbonyl-Farbstoffe................................. 735 Polyaza[18]annulen-Farbstoffe................................. 736 Bauprinzip ................................................................ 736 Mesomerie der Porphyrine und ihrer Metallchelate............................................................. 736
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XVI
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34.7.3 34.7.4 34.7.5 34.7.6
Porphyrin-Synthesen ................................................ 737 Phthalocyanin-Synthesen ......................................... 738 Färbung mit Phthalocyanin-Derivaten ...................... 739 Natürliche Porphyrinoide........................................... 740
35 35.1 35.2 35.2.1 35.2.2 35.2.3 35.2.4 35.2.5 35.2.6 35.2.7 35.2.8 35.3 35.3.1 35.3.2 35.4 35.4.1 35.4.2 35.4.3 35.4.4 35.4.5 35.5 35.5.1 35.5.2 35.5.3 35.5.4 35.5.5 35.5.6 35.6 35.6.1 35.6.2 35.6.3 35.6.4 35.7 35.7.1 35.7.2 35.8 35.8.1 35.8.2 35.8.3 35.8.4 35.9
Synthetische Polymere .......................................... 741 Monomere, Oligomere, Polymere............................. 741 Polymerisationen....................................................... 741 Übersicht ................................................................... 741 Radikalische Polymerisation..................................... 742 Ionische Polymerisation ............................................ 744 Koordinative Polymerisation ..................................... 745 Polymerisation durch Alken-Metathese .................... 747 Epoxid-Polymerisation .............................................. 747 Hetero- und Homopolymere...................................... 747 Uni- und Multipolymere ............................................. 748 Polyadditionen........................................................... 749 Polyurethane ............................................................. 749 Polyharnstoffe ........................................................... 750 Polykondensationen.................................................. 750 Polyester ................................................................... 750 Polyamide ................................................................. 751 Phenoplaste .............................................................. 752 Aminoplaste .............................................................. 753 Epoxidharze .............................................................. 754 Molekülstruktur von Polymeren ................................ 755 Mittlere Molekülmasse .............................................. 755 Stellungsisomerie...................................................... 755 Verzweigungsgrad .................................................... 756 Relative Konfigurationsisomerie von Polyalkenen ... 756 Taktizität von Polyalkanen ........................................ 756 Rotationsisomerie ..................................................... 758 Anwendungstechnisch relevante Eigenschaften...... 759 Kristallinität................................................................ 759 Plastizität................................................................... 760 Elastizität................................................................... 760 Löslichkeit und Quellbarkeit...................................... 761 Reaktionen von Polymeren....................................... 761 Depolymerisationen .................................................. 761 Reaktionen unter Erhaltung der Polymerkette.......... 761 Funktionelle Polymere .............................................. 762 Ionenaustauscher ..................................................... 762 Elektronenaustauscher ............................................. 763 Polymere Träger ....................................................... 763 Makromolekulare Chelatbildner ................................ 765 Anwendungsformen der Polymeren ......................... 765
36 36.1 36.2 36.3 36.4 36.4.1 36.4.2 36.5 36.5.1
Aminosäuren ........................................................... 768 Proteinaminosäuren.................................................. 768 Physiologische Bedeutung ....................................... 770 Absolute Konfiguration.............................................. 770 Physikalische Eigenschaften .................................... 771 Dissoziationsgleichgewichte ..................................... 771 Schmelzpunkt und Löslichkeit .................................. 773 Chromatographische Trennung ................................ 773 Ionenaustausch-Chromatographie im Aminosäuren-Analysator..................................................... 773 36.5.2 Kapillarzonen-Elektrophorese................................... 775 36.5.3 Gaschromatographie ................................................ 776
36.6 36.6.1 36.6.2 36.6.4 36.6.3 36.6.5 36.6.6 36.6.7 36.7 36.7.1 36.7.2 36.7.3 36.7.4 36.8 36.8.1 36.8.2 36.8.3 36.8.4 36.8.5 36.8.6 36.8.7 37 37.1 37.2 37.3 37.3.1 37.3.2 37.3.3 37.3.4 37.3.5 37.4 37.4.1 37.4.2 37.4.3 37.4.4 37.5 37.5.1 37.5.2 37.5.3 37.5.4 37.6 37.7 37.7.1 37.7.2 37.7.3 37.8 37.8.1 37.8.2 38 38.1 38.2 38.2.1 38.2.2 38.2.3
Synthesen ................................................................. 776 STRECKER-Synthese ................................................. 776 BUCHERER-Synthese................................................. 777 ERLENMEYER-Synthese ............................................. 777 Aminierung von c-Halogencarbonsäuren ................ 778 Reduktive Aminierung von c-Oxodicarbonsäuren ... 779 c-Aminosäuren aus NAcylaminomalonsäurediestern ................................. 779 Enantioselektive Synthese von Aminosäuren .......... 780 Racemattrennung ..................................................... 781 Selektive Kristallisation ............................................. 781 Trennung von Diastereomeren................................. 781 Enzymatische Methoden .......................................... 781 Chromatographische Methoden ............................... 783 Reaktionen................................................................ 783 Bildung von Salzen und Komplexen......................... 783 Veresterung .............................................................. 784 Bildung von Lactamen .............................................. 785 N-Alkylierung und N-Arylierung ................................ 785 N-Acylierung ............................................................. 786 Abbau-Reaktionen und Umfunktionierungen ........... 787 Aminosäure-Derivate als chirale Auxiliare................ 788 Peptide und Proteine.............................................. 789 Klassifizierung und Nomenklatur.............................. 789 Struktur der Peptidbindung....................................... 790 Konformation (Sekundärstruktur) von PolypeptidKetten........................................................................ 790 RAMACHANDRAN-Diagramme .................................... 790 c-Helix ...................................................................... 792 c-Keratin-Struktur ..................................................... 793 d-Faltblatt.................................................................. 795 Physikalische Methoden zur Strukturbestimmung ... 796 Methoden der Peptidsynthese.................................. 797 Knüpfung der Peptidbindung .................................... 797 Schutzgruppen.......................................................... 799 Strategie und Taktik der Peptidsynthese.................. 804 Kombinatorische Synthese....................................... 806 Methoden der Peptid-Sequenzierung....................... 807 Reinigung von Peptiden ........................................... 807 Selektive Spaltungen von Peptidketten.................... 807 Endgruppenanalyse.................................................. 809 Schrittweiser Abbau nach EDMAN ............................. 809 Modifizierung von Seitenkettenfunktionen................ 810 Ausgewählte Peptidwirkstoffe................................... 812 Peptidhormone ......................................................... 812 Peptidantibiotika ....................................................... 816 Peptidtoxine .............................................................. 818 Proteine..................................................................... 819 Klassifizierung von Proteinen ................................... 819 Struktur der Proteine Myoglobin und Lysozym ........ 820 Alkaloide .................................................................. 826 Herkunft und Gewinnung der Alkaloide.................... 826 Übersicht heterocyclischer Alkaloide........................ 827 Pyrrolidin-, Piperidin- und Pyridin-Alkaloide ............. 827 Tropan-Alkaloide....................................................... 827 Pyrrolizidin-, Indolizidin- und ChinolizidinAlkaloide ................................................................... 828
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Inhaltsverzeichnis
38.2.4 38.2.5 38.2.6 38.3 38.3.1 38.3.2 38.3.3 38.4 38.4.1 38.4.2 38.5 38.5.1 38.5.2 38.5.3 38.5.4 39 39.1 39.1.1 39.1.2 39.2 39.3 39.3.1 39.3.2 39.3.3 39.3.4. 39.3.5 39.4 39.4.1 39.4.2 39.4.3 39.4.4 39.4.5 39.5 39.5.1 39.5.2 39.5.3 39.5.4 39.6 39.6.1 39.6.2 39.6.3 39.7 39.8 39.8.1 39.8.2 39.9 39.9.1 39.9.2 39.9.3 39.9.4 39.9.5 39.9.6
Indol-Alkaloide........................................................... 829 Isochinolin-Alkaloide ................................................. 831 Chinolin-Alkaloide ..................................................... 834 Übersicht nicht heterocyclischer Alkaloide ............... 835 Phenylethylamine...................................................... 835 Amide und Lactame biogener Amine........................ 836 Cyclopeptid-Alkaloide................................................ 836 Zur Biogenese der Alkaloide in Pflanzen.................. 837 Aminosäuren als biogenetische Vorstufen der Alkaloide.................................................................... 837 Biogenese der Isochinolin-Alkaloide im Schlafmohn ......................................................................... 837 Exemplarische Alkaloid-Synthesen .......................... 839 Nicotin und Coniin ..................................................... 839 Tropan ....................................................................... 840 Tryptamine ................................................................ 840 Benzyltetrahydroisochinoline .................................... 841 Kohlenhydrate ......................................................... 842 Bedeutung, Klassifizierung und Nomenklatur der Zucker ....................................................................... 842 Bedeutung................................................................. 842 Klassifizierung und Nomenklatur .............................. 842 Konstitution, relative und absolute Konfiguration ..... 844 Cyclohalbacetal-Formen und Konformation ............. 847 Halbacetal-Bildung .................................................... 847 Gleichgewichte der Pyranosen und Furanosen........ 850 Mutarotation .............................................................. 851 Konformation der Pyranosen und anomerer Effekt ......................................................................... 852 NMR-Spektroskopie .................................................. 853 Carbonyl-Reaktionen der Kohlenhydrate.................. 854 Kettenverlängerung................................................... 855 Reduktion zu Polyolen .............................................. 856 Oxidation endständiger Gruppen.............................. 857 Glycosidierungen ...................................................... 859 Reaktionen mit Thiolen und StickstoffNucleophilen.............................................................. 861 Polyol-Reaktionen ..................................................... 863 Schutzgruppen für die Hydroxy-Funktionen ............. 863 Oxidation von Hydroxy-Gruppen............................... 865 Nucleophile Substitutionen ....................................... 866 Glykolspaltung und andere Abbaureaktionen........... 867 Deoxy-, Amino-, ungesättigte und verzweigte Zucker ....................................................................... 868 Deoxyzucker ............................................................. 868 Aminozucker.............................................................. 868 Verzweigte und ungesättigte Zucker ........................ 869 Trennmethoden......................................................... 870 Oligosaccharide ........................................................ 871 Disaccharide.............................................................. 871 Trisaccharide, Cyclodextrine..................................... 873 Polysaccharide.......................................................... 873 Struktur der Cellulose................................................ 874 Technische Gewinnung und chemische Modifikation der Cellulose......................................... 874 Stärke, Amylose und Amylopektin ............................ 875 Glycogen ................................................................... 876 Chitin ......................................................................... 877 Heparin, Hyaluronsäure, Chondroitinsulfate............. 877
XVII
39.9.7 Inulin und Pektine ..................................................... 878 40 40.1 40.2 40.2.1 40.2.2 40.3 40.3.1 40.3.2 40.3.3 40.3.4 40.3.5 40.3.6 40.3.7 40.3.8 40.4 40.5 40.6 40.6.1 40.6.2 40.6.3 40.6.4 40.6.5
Nucleoside, Nucleotide, Nucleinsäuren ............... 879 Bauprinzip der Nucleinsäuren .................................. 879 Abbau der Nucleinsäuren ......................................... 882 Bedingungen der Hydrolyse von Nucleosiden und Nucleotiden........................................................ 882 Enzymatische Spaltung von Polynucleotiden........... 883 Eigenschaften von Nucleosiden und Nucleotiden.... 883 Eigenschaften der Phosphat-Gruppe ....................... 883 Löslichkeit ................................................................. 884 Tautomerie-Gleichgewichte ...................................... 884 Dissoziationsverhalten von Nucleotiden................... 885 Bildung von Basenpaaren und Komplementärprinzip........................................................................ 885 Die Doppelhelix der DNA.......................................... 886 Detektion der DNA-Denaturierung durch UVSpektroskopie ........................................................... 889 Seltene Basen und RNA-Konformation.................... 890 Replikation der DNA ................................................. 891 DNA, RNA und die Biosynthese der Proteine .......... 892 Nucleosid- und Nucleotid-Synthesen ....................... 893 Phosphorylierungen.................................................. 893 Synthese von Nucleosiden ....................................... 895 Synthese von Nucleotiden........................................ 896 Synthese von Oligonucleotiden ................................ 897 Phosphorsäuretriester-Methode zur Synthese von Gen-Fragmenten....................................................... 897
41 41.1 41.2 41.2.1 41.2.2 41.3 41.4 41.4.1 41.4.2 41.4.3 41.4.4 41.5 41.6 41.6.1 41.6.2 41.6.3 41.7 41.7.1 41.7.2 41.8 41.8.1 41.8.2
Lipide........................................................................ 899 Klassifizierung der Lipide.......................................... 899 Vorkommen und Isolierung....................................... 900 Vorkommen............................................................... 900 Isolierung und Identifizierung.................................... 900 Wechselwirkungen von Lipiden mit Wasser............. 901 Fettsäuren................................................................. 902 Vorkommen und Struktur wichtiger Fettsäuren ........ 902 Physikalische Eigenschaften .................................... 904 Chemische Eigenschaften........................................ 905 Analytik der Fettsäuren............................................. 907 Wachse ..................................................................... 910 Phosphatide, Glycolipide, Aminolipide ..................... 911 Phosphatide .............................................................. 911 Sphingolipide und Glycolipide .................................. 911 Lipopolysaccharide und Lipoproteine....................... 913 Lipid-Membranen...................................................... 914 Lipid-Doppelschichten .............................................. 915 Aufbau biologischer Lipid-Membranen..................... 917 Industrielle Synthese von Detergentien.................... 918 Alkylbenzensulfonate................................................ 918 Langkettige Alkylsulfate und andere Tenside........... 920
42 42.1 42.1.1 42.1.2 42.1.3 42.2 42.2.1 42.2.2 42.2.3
Terpene und Steroide............................................. 922 Herkunft, Bauprinzip und Biogenese der Terpene ... 922 Begriff, Bauprinzip, Klassifizierung ........................... 922 Vorkommen, Bedeutung ........................................... 923 Biogenese ................................................................. 924 Übersicht der Terpene .............................................. 926 Hemi- und Monoterpene ........................................... 926 Sesquiterpene........................................................... 928 Diterpene................................................................... 930
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XVIII
42.2.4 42.2.5 42.2.6 42.2.7 42.3 42.3.1 42.3.2 42.3.3 42.4 42.5 42.5.1 42.5.2 42.5.3 42.5.4 42.5.5 42.5.6 42.6
Inhaltsverzeichnis
Triterpene.................................................................. 932 Tetraterpene (Carotenoide) ...................................... 935 Prenylchinone ........................................................... 937 Polyterpene ............................................................... 938 Ausgewählte Terpen-Synthesen............................... 938 Acylische Mono- und Sesquiterpene ........................ 938 Cyclische Monoterpene ............................................ 940 Industrielle Synthese des Diterpens Vitamin A......... 941 Stammgerüste und Nomenklatur der Steroide ......... 944 Übersicht der Steroidwirkstoffe ................................. 945 Sterole ....................................................................... 945 Gallensäuren............................................................. 947 Steroidhormone......................................................... 948 Herzglycoside............................................................ 950 Steroidsaponine ........................................................ 951 Steroidalkaloide......................................................... 951 Exemplarische Steroidsynthese ............................... 952
Kurzbibliographie ................................................... 953 Sachregister ............................................................ 957 Verzeichnis der Namen-Reaktionen ..................... 998
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen 1.1 Einführung Die organische Chemie behandelt Struktur, Synthese und Reaktionen organischer Verbindungen. Organische Verbindungen enthalten hauptsächlich Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor (C,H,O,N,S,P). Sie entstehen häufig beim Zerfall pflanzlicher und tierischer Organismen und sind somit auch Bestandteile des Erdöls und der Steinkohle. Derzeit sind mehr als fünfzehn Millionen organische Verbindungen dokumentiert, die man in bestimmte Stoffklassen unterteilt. Eine Stoffklasse wird entweder nach dem Vorliegen bestimmter Atomsorten oder nach funktionellen Gruppen bezeichnet, Atomgruppen also, die charakteristische physikalische Eigenschaften und chemische Reaktionen eines Moleküls hervorrufen können. Verbindungen, die nur Kohlenstoff und Wasserstoff enthalten, werden z. B. Kohlenwasserstoffe genannt, und solche mit Amino-Gruppen (/NH2) nennt man Amine. In Molekülen werden die Atome durch Bindungselektronen miteinander verknüpft. Die Art dieser Verknüpfung ist Gegenstand der Theorie der chemischen Bindung. Diese führt zu Molekülmodellen, welche die physikalischen Eigenschaften und die chemischen Reaktionen der Verbindungen erklären.
1.2 Energie Jede chemische Reaktion erfordert oder erzeugt einen bestimmten Betrag an Energie, meist in Form von Wärme. Dieser Energiebetrag wird als Reaktionswärme bezeichnet, in Joule (J) oder Kilojoule (kJ) gemessen und auf ein Mol einer Verbindung (kJ/mol) bezogen. Es ist daher zweckmäßig, Stabilität und Reaktivität einer Verbindung mit Hilfe ihres Inhalts an potentieller Energie zu beschreiben. Je ärmer an potentieller Energie, desto stabiler ist eine Verbindung. Eine Substanz, die aufgrund ihrer Struktur oder ihrer Zusammensetzung einen Zustand geringer Stabilität, d. h. hoher potentieller Energie besitzt, wird durch Strukturänderung oder chemische Reaktion einen Zustand größerer Stabilität und damit geringerer potentieller Energie anstreben. Potentielle Energien können nicht als Absolutwerte gemessen werden. Differenzen an potentieller Energie sind jedoch meßbar. Geht z. B. Verbindung 1 mit der höheren potentiellen Energie E1 durch chemische Reaktion in Verbindung 2 mit der geringeren potentiellen Energie E2 über, so ist die Differenz FE = E1/"E2 unter bestimmten experimentellen Voraussetzungen als Reaktionswärme meßbar.
1.3 Atomorbitale Da die Atome im Molekülverband durch Elektronen verknüpft sind, beginnt die Diskussion der chemischen Bindung mit der Beschreibung der Elektronenzustände im Atom. Elektronenstrahlen wie Kathoden- und c-Strahlen verhalten sich unter bestimmten Versuchsbedingungen wie Wellen.
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2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Man kann dies durch Elektronenbeugung und Interferenz nachweisen. Es liegt daher nahe, zu postulieren, daß auch die Elektronen eines Atoms Wellennatur zeigen. Auf diesem Postulat beruht die wellenmechanische Atomtheorie. Ihr fundamentaler mathematischer Ausdruck ist die SCHRÖDINGER-Gleichung. Sie beschreibt die Beziehung der Wellenfunktion { eines Elektrons mit seiner Energie. Wendet man diese Gleichung auf die Elektronen eines Atoms an, so ist sie nur für diskrete Energiewerte E1 , E2 , E3 , usw. lösbar. Diese Energieeigenwerte entsprechen den durch die Hauptquantenzahlen n = 1, 2, 3, usw. gekennzeichneten Energiezuständen der Elektronen in einem Atom. Die Anregung eines Elektrons vom energieärmeren Zustand E1 zum energiereicheren Zustand "E2 erfordert somit ein durch die Energiedifferenz FE = E2 /"E1 definiertes Energiequantum, das z. B. durch Strahlungsenergie aufgebracht werden kann. Bei atomaren Vorgängen wie der Elektronenanregung ist die Energie also gequantelt. Löst man die SCHRÖDINGER-Gleichung für ein Elektron und einen bestimmten Energiezustand E1, so erhält man eine Wellenfunktion { oder einen aus mehreren Gleichungen für {"bestehenden Satz von Wellenfunktionen. Die Funktion { selbst hat keine anschauliche Bedeutung. Ihr Quadrat {2 ist jedoch für einen bestimmten Energiezustand ein Maß für die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons im Atomverband. Für ein Atom und eines seiner Elektronen begrenzt {2 einen bestimmten Raum um den Atomkern, in welchem man das Elektron mit größter Wahrscheinlichkeit findet. Diese durch {2 beschriebene Ladungsdichteverteilung eines Elektrons um den Atomkern wird als Atomorbital oder Elektronenwolke bezeichnet. Wo die Elektronenwolke am dichtesten ist, hält sich das Elektron am wahrscheinlichsten auf.
1.3.1
s-Orbitale
Umriß und Ausdehnung eines Atomorbitals hängen von der Energie des Elektrons ab und werden durch die {2-Funktion beschrieben. Kugelsymmetrische Orbitale mit dem Atomkern als Zentrum werden als s-Orbitale bezeichnet (Abb. 1.1). Man findet das Elektron mit größter Wahrscheinlichkeit in einer Kugel, die den Atomkern eng umhüllt. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron im Kern oder weit entfernt von ihm anzutreffen, ist dagegen sehr gering. Auf dem tiefsten Energiezustand E1 (Hauptquantenzahl n = 1) eines Atoms besetzt ein Elektron das 1s-Orbital. Das 2s-Orbital folgt auf dem zweiten, durch den Energieeigenwert E2 gekennzeichneten Niveau (Abb. 1.2); es umschließt das 1s-Orbital konzentrisch, hat also eine größere räumliche Reichweite.
(a)
(b)
Abb. 1.1. 1s-Orbital, (a) Umriß, (b) Querschnitt
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1.3 Atomorbitale
1.3.2
3
p-Orbitale
Für den Energiezustand E2 (n = 2) gibt es insgesamt vier Atomorbitale. Neben dem kugelsymmetrischen 2s-Orbital erstrecken sich drei Orbitale mit hantelförmigem Umriß entlang den Achsen x,y,z eines rechtwinkligen Koordinatensystems mit dem Atomkern als Ursprung (Abb. 1.2 a-c). Die {-Funktionen der p-Orbitale haben demnach je einen positiven und negativen Bereich. Wie der Querschnitt veranschaulicht, findet man das Elektron auf einem px-Orbital mit größter Wahrscheinlichkeit in einem Raum entlang der x-Achse nahe dem Kern. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Kern selbst oder weit von ihm entfernt ist sehr klein. Am Kern hat das Orbital einen Knoten.
(a)
(b)
(d)
(c)
(e)
Abb. 1.2. (a-c) Umrisse der p-Orbitale, (a) px-, (b) py-, (c) pz-Orbital; (d) Querschnitt durch das pz-Orbital; (e) relative Ausdehnung von 2s und 2p-Orbitalen
Die 2p-Orbitale reichen um den Faktor 31/2 weiter als die 2s-Orbitale (Abb. 1.2 e). Untereinander sind die drei p-Orbitale energetisch gleichwertig (Abb. 1.3), d. h. "entartet". Elektronen auf 2pOrbitalen sind etwas energiereicher als solche auf 2s-Orbitalen. Jedoch ist der Energieunterschied zwischen 2s- und 2p-Orbitalen sehr klein im Vergleich zur Differenz zwischen den Energiezuständen E1 und E2 (Abb. 1.3).
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4
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Neben s- und p-Orbitalen gibt es auf den höheren Niveaus E3, E4, usw. noch fünf d- bzw. sieben fOrbitale. Da die meisten organischen Verbindungen nur Elemente der ersten und zweiten Periode (C,H,N,O) enthalten, werden d- und f-Orbitale hier nicht näher besprochen. 2px
E
2py
2pz
E2 2s
1s
E1
Abb. 1.3. Energiezustände E1 und E2, mit 1s-, 2s- und 2p-Orbitalen
1.3.3
Elektronenspin und PAULI-Prinzip
Elektronen besitzen neben ihrer negativen Ladung und ihrem Bahndrehimpuls einen Eigendrehimpuls (Elektronenspin). Ist die Eigenrotation zweier Elektronen gleichsinnig, so sagt man, die Elektronen haben parallelen Spin und symbolisiert diesen Zustand durch zwei gleichgerichtete Pfeile (‹‹). Ist umgekehrt die Eigenrotation zweier Elektronen gegensinnig, so haben diese Elektronen antiparallelen Spin (‹fi). Höchstens zwei Elektronen mit antiparallelem Spin können dasselbe Orbital besetzen (PAULI-Prinzip). Solche Elektronen nennt man gepaart.
1.3.4
Elektronenkonfiguration leichter Atome
Die Verteilung der Elektronen auf den Orbitalen eines Atoms nennt man Elektronenkonfiguration. Diese bezieht sich auf den stabilsten (energieärmsten) Zustand des Atoms, den Grundzustand. Die häufigsten Elemente in organischen Molekülen, nämlich C,H,O,N gehören zu den ersten beiden Perioden. Elektronen dieser Atome besetzen im Grundzustand nur s- und p-Orbitale. Allgemein gelten für die Reihenfolge der Orbital-Besetzung folgende drei Regeln: ̈ ̈ ̈
Zuerst werden die energieärmsten Orbitale besetzt. Die Reihenfolge ist demnach 1s,2s,2p,3s,3p. Nur bis zu zwei Elektronen können ein Orbital besetzen (PAULI-Prinzip). Im Falle der Doppelbesetzung müssen die Spins antiparallel sein. Ist ein Satz entarteter Orbitale verfügbar (z. B. die drei 2p-Zustände, Abb. 1.3), so werden alle Orbitale einzeln belegt, bevor eines doppelt besetzt wird (HUND-Regel, vgl. die Elektronenkonfiguration der Elemente C,H,O in Tab. 1.1).
Die Elektronenkonfiguration eines Atoms (Tab. 1.1) wird durch Angabe der besetzten Orbitale in der Reihenfolge zunehmender Energie dargestellt. Die Besetzungszahl eines jeden Orbitals, 1 oder 2, wird hochgestellt, dabei die 1 meist weggelassen. Bor besitzt z. B. die Elektronenkonfiguration 1s2 2s2 2p, d. h. 1s- und 2s-Orbital sind je doppelt, ein 2p-Orbital ist einfach besetzt.
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1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung
5
Tab. 1.1. Elektronenkonfiguration leichter Atome im Grundzustand Atom 1s
B e s e t z u n g 2s 2px
Symbol 2py
2pz
H
1s
He
1s2
Li
1s2 2s
Be
1s2 2s2
B
1s2 2s2 2p
C
1s2 2s2 2p2
N
1s2 2s2 2p3
O
1s2 2s2 2p4
F
1s2 2s2 2p5 1s2 2s2 2p6
Ne
(1s2 2s2 2px2 2py2 2pz2 )
1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung 1.4.1
Arten der chemischen Bindung
Ionen- und kovalente Bindung sind die Grundtypen der chemischen Bindung. In anorganischen Salzen liegen keine Moleküle, sondern Ionen vor, welche im Kristallgitter durch elektrostatische Kräfte entgegengesetzt geladener Ionen zusammengehalten werden. Natriumchlorid besteht also nicht aus diskreten NaCl-Molekülen, sondern bildet im festen Zustand ein Kristallgitter aus Na+und Cl/-Ionen. Organische Verbindungen existieren dagegen meist als Moleküle, in denen Elektronenpaare zwischen den Atomkernen die chemische Bindung bewirken wie im Wasserstoff-Molekül, in dem ein Elektronenpaar die Wasserstoff-Atome zusammenhält: Elektronenpaar- oder kovalente Bindung H H zwei H-Atome
1.4.2
H H H:H ein H2-Molekül
Überlappung von Atomorbitalen
Unter Zuhilfenahme der Orbitalmodelle entsteht eine kovalente Bindung durch Überlappung von Atomorbitalen. Kommen z. B. zwei Wasserstoff-Atome zusammen, so überlappen sich ihre einfach besetzten 1s-Atomorbitale zu einem doppelt besetzten u-Molekülorbital, welches im H2Molekül beide H-Kerne umschließt (Abb. 1.4). Die Überlappung zweier s-Atomorbitale zu einem
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
u-Molekülorbital führt zu einem Energiegewinn. Das H2-Molekül hat eine kleinere potentielle Energie als zwei Wasserstoff-Atome, es ist stabiler.
(a)
H
(b)
H
74 pm
Abb. 1.4. Molekülorbital des Wasserstoff-Moleküls H2 , (a) Umriß, (b) Querschnitt
Mathematisch ist die Orbital-Überlappung eine Addition und Subtraktion (Linearkombination) der den überlappenden Atomorbitalen zugehörigen Wellenfunktionen {1 und {2: { = N ({1 + {2)
{* = N ({1 / {2) .
N ist ein Normierungsfaktor. Als Lösung erhält man zwei Molekülorbitale, das bindende energieärmere u-Orbital und das antibindende energiereichere u*-Orbital (Abb 1.5). Epot
Eu*
H
H
1s
1s Eu
H
H
u* : antibindend
H
H
u : bindend
Abb. 1.5. Überlappung der 1s-Orbitale des Wasserstoff-Atoms
Da {2 ein Maß für die Elektronendichte-Verteilung um den Atomkern ist, gilt für das bindende Molekülorbital mit der Wellenfunktion {" {2 = [N ({1 + {2)] 2 = N2 ({12 + {22 + 2{1{2)
und für das antibindende {*2 = [N ({1 / {2)] 2 = N2 ({12 - {2 2 / 2{1{2) . Die Elektronendichte im bindenden Molekülorbital ist demnach um 2{1{2 größer als die Summen der atomaren Dichteverteilungen, {12 + {22. Dieser Zusatzterm 2{1{2 ist maximal, wo {1 und {2 selbst am größten sind, d. h. wo die Atomorbitale überlappen, nämlich zwischen den Kernen im Zentrum der Bindung. Dort ist die Elektronenwolke am dichtetsten und überkompensiert die elektrostatische Abstoßung der Kerne. Insgesamt führt die Elektronendichte-Verteilung im u-Molekülorbital zu dem Energiegwinn, auf der die Stabilität des H2-Moleküls relativ zum H-Atom beruht. Im Grundzustand des H2-Moleküls besetzen die beiden Bindungselektronen das bindende u-Molekülorbital. Eine Hebung dieser Elektronen auf das antibindende u*-Molekülorbital ist nur durch
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1.4 Molekülorbitale und kovalente Bindung
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Zufuhr eines entsprechend großen Energiequantums (Eu,"/"Eu), z. B. in Form von RÖNTGENStrahlen möglich. Man spricht dann von einer uu*-Anregung, die eine Spaltung des H2-Moleküls in Atome (H . ) oder Ionen (H+ , H/) auslösen kann.
1.4.3
- und -Molekülorbitale
Bei den Atomen der ersten beiden Perioden (1H bis 19F) können sich nur 1s-, 2s- und 2pAtomorbitale zu Molekülorbitalen überlappen. Je nach Art der Überlappung und der Ausgangsorbitale unterscheidet man zweierlei Molekülorbitale, nämlich u- und r-Orbitale. u-Molekülorbitale entstehen nicht nur durch Überlappung von s-, sondern auch durch Endüberlappung von p-Orbitalen. Überlappen z. B. zwei s-Orbitale, so entsteht eine u-Bindung, wie sie für das H2-Molekül beschrieben wurde (Abb. 1.4). Beim Fluor stehen 2s- und 2p-Orbitale zur Verfügung. Die s-Orbitale sind aber im Grundzustand doppelt besetzt, und die p-Orbitale haben infolge ihrer größerer Reichweiten (Abb. 1.2 e) bessere Überlappungschancen als die s-Orbitale. Infolgedessen entsteht die u-Bindung im Fluor durch Endüberlappung der 2p-Orbitale (Abb.1.6 a, pp-Endüberlappung), und im Fluorwasserstoff durch Endüberlappung des 2p-Orbitals von F mit dem 1s-Orbital von H (Abb. 1.6 b, ps-Überlappung). r-Molekülorbitale resultieren aus der seitlichen Überlappung koaxialer p-Orbitale (Abb 1.7). Doppel- und Dreifachbindungen werden durch die Bildung von r- zusätzlich zu u-Orbitalen erklärt; sie enthalten außer einer u-Bindung noch eine bzw. zwei r-Bindungen. Elektronen, die rOrbitale besetzen, nennt man r-Elektronen.
(a) F
F
F
F (b)
F
H
F
H
Abb. 1.6. Überlappung von Atomorbitalen zu u-Molekülorbitalen in (a) Fluor F2 (pp-Überlappung) und (b) Fluorwasserstoff HF (ps-Überlappung)
z
y
z
x
y
z
x
y
x
Abb. 1.7. Entstehung eines r-Molekülorbitals durch seitliche Überlappung koaxialer p-Orbitale
Allgemein können nur einfach besetzte Atomorbitale zu Bindungsorbitalen überlappen. Doppelt besetzte Atomorbitale sind nicht bindend (n-Orbitale).
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.5 Bindungsdaten Die Theorie der chemischen Bindung, wie sie vorstehend und im folgenden skizziert wird, ist eine Modellvorstellung zur Erklärung experimenteller Tatbestände. Jede kovalente Bindung zwischen Atomen in einem Molekül ist z. B. durch eine Bindungslänge (Atomabstand), eine Bindungsenergie und einen bestimmten Bindungswinkel relativ zu einer anderen Bindung gekennzeichnet. Diese Bindungsdaten sind meßbare Größen, welche der Entwicklung von Bindungsmodellen zugrunde liegen. Die Bindungslänge ist der Abstand zwischen zwei gebundenen Atomkernen. Sie wird durch Elektronen- und Neutronenbeugung sowie andere physikalische Meßmethoden bestimmt und in Nanometer nm (1nm = 10/9 m) oder Picometer pm (1pm = 10/12 m) gemessen. Im H2-Molekül ist der HH-Kernabstand z. B. 0.074 nm oder 74 pm. Da eine Verbindung meist energieärmer, also stabiler ist als ihre atomaren Komponenten, erfordert die Spaltung einer Bindung meist einen bestimmten Betrag an Energie. Dieser Energiebetrag wird als Bindungs- oder Dissoziationsenergie des Moleküls bezeichnet und in kJ/mol gemessen. Bindungsenergien werden mit Hilfe spektroskopischer Verfahren oder aus thermodynamischen Daten (Verbrennungs- oder andere Reaktionswärmen) bestimmt. Sie sind Maßzahlen für die Stärke einer Bindung. So erfordert die Spaltung des H2-Moleküls mehr Energie (436 kJ/mol) als die F2-Dissoziation (155 kJ/mol). Man schließt daraus, daß die HH-Bindung stärker ist. Enthält ein Molekül drei oder mehr Atome, so werden zwei oder mehr Einfach- bzw. Mehrfachbindungen zwischen diesen Atomen notwendig. Zwei Bindungen, die in diesem Fall von einem Atom ausgehen, bilden einen bestimmten Bindungswinkel (0 – 180°). Bindungswinkel können aus Mikrowellenspektren bestimmt werden. Im H2O-Molekül bilden die beiden OH-Bindungen z. B. einen Bindungswinkel von 105°. Daraus folgt u. a., daß die OH-Bindungen nicht durch Überlappung zweier p-Orbitale des Sauerstoff- mit den s-Orbitalen des Wasserstoff-Atoms entstehen, da dies zu einem Bindungswinkel von 90° führen würde (Abschn. 1.9).
1.6 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs Im Grundzustand ist die Elektronenkonfiguration des C-Atoms 1s2 2s2 2p2 (Tab. 1.1). Demnach könnten nur die beiden einfach besetzten 2p-Orbitale des Kohlenstoffs mit den Atomorbitalen zweier anderer Atome überlappen. Kohlenstoff wäre zweibindig; der einfachste Kohlenwasserstoff hätte die Summenformel CH2. Dabei würden die beiden CH-Bindungen einen Winkel von 90° einschließen, da die Achsen der p-Orbitale senkrecht aufeinander stehen (Abb. 1.2). Kohlenstoff ist jedoch vierbindig, und der einfachste stabile Kohlenwasserstoff, das Methan, hat die Summenformel CH4. Spektroskopische Messungen zeigen, daß die vier CH-Bindungen des Methans äquivalent sind und sich nach den Ecken eines regelmäßigen Tetraeders ausrichten (Abb. 1.8); alle CH-Atomabstände sind gleich (109 pm); alle CH-Bindungen schließen paarweise einen Winkel von 109°28' ein. Die CH-Bindungen des Methans entstehen daher nicht durch Überlappung der Atomorbitale. Vielmehr muß der Kohlenstoff nicht zwei, sondern vier Überlappungs-, d. h. bindungsfähige Orbitale bereitstellen. Man könnte daher zunächst annehmen, daß im Bindungszustand des C-Atoms ein 2s-Elektron in einen 2p-Zustand gehoben ("promoviert") wird (Abb. 1.9 a).
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1.6 Hybridisierung der Atomorbitale des Kohlenstoffs
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Abb. 1.8. Tetraedrische Geometrie des Methan-Moleküls (Stab-, Kugel-Stab- und Kalottenmodell)
Epot sp3-Hybridisierung
Promotion
a 2s2
2px1
2py1
2pz0
b 2s1
2px1
2py1
2pz1
sp3
sp3
sp3
sp3
3
Abb. 1.9. Promotion eines 2s-Elektrons in ein 2p-Orbital (a) und sp -Hybridisierung (b)
Nun könnte das C-Atom zwar vier u-Bindungen bilden, aber diese Bindungen wären nicht gleichwertig, denn drei davon würden einen Winkel von 90° einschließen, was wiederum den experimentellen Tatsachen (Abb. 1.8) widerspricht: Der HCH-Bindungswinkel ist 109°28'. Um diese Unstimmigkeit zwischen Orbitaltheorie und experimentellen Daten zu beseitigen, wurde die Orbitalhybridisierung (PAULING, SLATER) als weiterführende Modellvorstellung entwickelt. Unter Orbitalhybridisierung versteht man die Linearkombination von Wellenfunktionen verschiedener Form, z. B. von s- und p-Funktionen. Anschaulich ist die Hybridisierung eine Kreuzung der Atomorbitale mit symmetrischer Ladungsverteilung zu Hybridorbitalen. Diese Hybridorbitale haben andere Umrisse als die ursprünglichen Atomorbitale. Bei der Hybridisierung von s- und pOrbitalen können sp-, sp2- und sp3-Hybridorbitale entstehen, je nachdem, ob sich ein p-Orbital, zwei oder alle drei p-Orbitale an der Hybridisierung beteiligen. Zwei sp-Hybridorbitale (Abb. 1.10) entstehen durch Kreuzung eines s- und eines p-Orbitals. Die beiden Hybridorbitale haben aufgrund ihrer Herkunft 50 % s- und 50 % p-Charakter; sie erstrekken sich / wie die ursprünglichen p-Orbitale / entlang einer Achse. Senkrecht auf dieser Achse stehen nach wie vor die beiden nicht an der Hybridisierung beteiligten p-Orbitale.
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
(a)
(b)
(c)
Abb. 1.10. sp-Hybridorbitale, (a) hybridisierende s- und p-Atomorbitale, (b) Umrisse der beiden entstehenden sp-Hybridorbitale entlang der x-Achse, (c) verbleibende unhybridisierte p-Orbitale, py und pz
Die Kombination eines s-Orbitals mit zwei p-Orbitalen führt zu drei sp2-Hybridorbitalen (Abb. 1.11). Ein sp2-Hybridorbital hat aufgrund seiner Herkunft 33.3 % s- und 66.7 % p-Charakter. Die drei sp2-Hybridorbitale liegen auf einer Ebene (Koplanarität); ihre Achsen schließen Winkel von 120° ein und bilden die Höhen eines gleichseitigen Dreiecks (Abb. 1.11). Senkrecht auf dessen Ebene steht das an der Hybridisierung unbeteiligte p-Orbital (Abb 1.11).
(a) 2
(b)
(c) 2
Abb. 1.11. sp -Hybridorbitale, (a) hybridisierende Atomorbitale, s, px, py , (b) Umrisse der entstehenden sp 2 Hybridorbitale auf der xy-Ebene, (c) verbleibendes unhybridisiertes pz-Orbital senkrecht zur Ebene der sp Hybridorbitale
Beteiligen sich alle drei p-Orbitale an der Hybridisierung, so entstehen vier energiegleiche sp3Hybridorbitale (Abb. 1.9 b) mit jeweils 25 % s- und 75 % p-Charakter. Die vier sp3-Hybridorbitale erstrecken sich zu den Ecken eines regelmäßigen Tetraeders, wobei sie paarweise einen Winkel von 109°28' einschließen (Abb. 1.12). Tab. 1.2 vergleicht die Eigenschaften der sp-, sp2- und sp3-Hybridorbitale. Man sieht, daß die Hybridorbitale eine größere räumliche Reichweite haben als die s- und p-Atomorbitale, und daß die Reichweite mit zunehmendem p-Charakter wächst. Insofern bieten spx-Hybridorbitale (x = 1,2,3) bessere Überlappungsmöglichkeiten als s- und p-Atomorbitale.
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1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen
11
(a)
(b)
3
3
Abb. 1.12. sp -Hybridorbitale, (a) Darstellung im x,y,z-Koordinatensystem, (b) Umriß eines sp -Hybridorbitals
x
Tab. 1.2. Eigenschaften von sp -Hybridorbitalen hybridisierende Orbitale
Hybridorbitale
Geometrie
Interorbitalwinkel
Charakter %s %p 50
1s
1p
2 sp
linear
180°
50
1s
2p
3 sp2
eben, trigonal
120°
33.3 66.7
1s
3p
4 sp3
tetraedrisch
109.5°
25
75
restliche p-Orbitale
relativer Radius (Bezug: s = 1, p = 1.732)
2
1.93
1
1.99
0
2.00
1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen Postuliert man, daß das Kohlenstoff-Atom Hybridorbitale zur Bildung von u-Bindungen bereitstellt, so wird die experimentell gefundene Geometrie einfacher organischer Moleküle zwanglos erklärt. Dies soll im folgenden an den Kohlenwasserstoffen Methan, Ethan, Ethen und Ethin gezeigt werden.
1.7.1
CH-Bindungen des Methans
Die tetraedrische Geometrie des Methans (CH4, Abb. 1.8) wird erklärt, indem die vier sp3-Hybridorbitale des Kohlenstoff-Atoms mit vier 1s-Orbitalen des Wasserstoff-Atoms überlappen (Abb. 1.13). Diese Überlappung führt zu vier tetraedrisch angeordneten u-Molekülorbitalen (u-MO's).
Abb. 1.13. Entstehung der u-Bindungen (u-Molekülorbitale) des Methans
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1.7.2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
CC-Einfachbindung
Zu den Besonderheiten des Kohlenstoff-Atoms gehört seine Fähigkeit, auch seinesgleichen zu binden, d. h. CC-Bindungen zu knüpfen. Ethan (H3C/CH3) ist der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Einfachbindung. Auch in diesem Molekül sind alle von den C-Atomen ausgehenden Bindungen tetraedrisch, wie die Molekülmodelle zeigen (Abb. 1.14). Das ergibt sich aus gleichen HCH- und HCC-Bindungswinkeln von 109.5° (Abb. 1.15). Die CH-Bindungen resultieren dann wie beim Methan aus der sp3-s-Überlappung der beteiligten Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atome. Die CC-u-Bindung entsteht dagegen durch Überlappung zweier, den bindenden C-Atomen zugehörigen sp3-Hybridorbitale, d. h. es bildet sich ein sp3-sp3u-Molekülorbital. Da die sp3-Hybridorbitale des Kohlenstoffs weiter reichen als die 1s-Orbitale des Wasserstoffs, sind CC-u-Bindungen länger (154 pm) als CH-u-Bindungen (109 nm, Abb 1.15).
Abb. 1.14. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethans
H
H 109.5° C
154 pm
H
H
109.5°
C
H
109 pm
H H Bindungslängen, Bindungswinkel
H
H H sp3 sp3 C C sp3 u u s H H
überlappende Orbitale, u-Bindungen
Abb. 1.15. Bindungslängen (Atomabstände), Bindungswinkel und u-Bindungen des Ethans
1.7.3
CC-Doppelbindung
Ethen (Ethylen, H2C=CH2 ) ist der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Doppelbindung, ein ebenes Molekül mit HCH- und HCC-Bindungswinkeln von rund 120°, wie die Molekülmodelle in Abb. 1.16 zeigen.
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1.7 Kovalente Bindung in einfachen organischen Molekülen
13
Abb. 1.16. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethens
Die Kohlenstoff-Hybridorbitale, welche die Geometrie des Ethens erklären, müssen demnach koplanar sein und einen Interorbitalwinkel von 120° einschließen. Die sp2-Hybridorbitale des Kohlenstoffs erfüllen diese Voraussetzungen. Sie bilden die fünf u-Bindungen des Ethens (Abb. 1.17): Zwei von den bindenden C-Atomen ausgehende sp2-Hybridorbitale überlappen zur CC-uBindung des Ethens und bilden ein sp2-sp2-u-Molekülorbital. Die vier an beiden C-Atomen verbleibenden sp2- Hybridorbitale überlappen mit den 1s-Orbitalen von vier Wasserstoff-Atomen zu den vier CH-u-Bindungen. Liegen alle fünf u-Bindungen auf einer Ebene (Abb. 1.17 a), so ist zusätzlich eine optimale seitliche Überlappung der nicht hybridisierten 2p-Orbitale beider CAtome möglich (Abb. 1.17 b). Diese Überlappung führt zu einer r-Bindung (Abb. 1.17 c), wobei sich die r-Elektronenwolke über und unter der Molekülebene verteilt. r
H
134 pm
(a) 117.5° C
H
121°
C
H
109 pm H
(b)
H H
C
C
H H
H
(c)
C
u
H
C
H H
r
Abb. 1.17. Ethen-Molekül (a) Geometrie, u-Bindungsebene (b) überlappende p-Orbitale senkrecht zur Ebene der u-Bindungen (c) resultierendes r-Molekülorbital
Die CC-Doppelbindung besteht demnach aus einer CC-u-Bindung (sp2/sp2-Überlappung, sp2/sp2u-MO) und einer CC-r-Bindung (seitliche p/p-Überlappung, p/p-r-MO). Sie ist kürzer (134 pm) als die CC-Einfachbindung (154 pm). Auch dies leuchtet ein, da sp2-Orbitale nicht ganz so weit wie sp3-Orbitale reichen (Tab. 1.2), und die zur r-Bindung notwendige seitliche Überlappung von p-Orbitalen nur möglich ist, wenn die bindenden C-Atome genügend dicht zusammenrücken.
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1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Durch die hohe Elektronendichte zwischen den beiden C-Atomen werden die CH-u-Molekülorbitale etwas abgestoßen, was den HCH-Bindungswinkel geringfügig komprimiert.
1.7.4
CC-Dreifachbindung
Ethin (Acetylen, H/C»C/H), der einfachste Kohlenwasserstoff mit einer CC-Dreifachbindung, ist ein stabförmiges (lineares) Molekül mit dem HCC-Bindungswinkel 180° (Abb 1.18).
Abb. 1.18. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell des Ethins
Die lineare Molekülgeometrie wird erklärt, indem die bindenden C-Atome sp-Hybridorbitale bereitstellen, deren Endüberlappung zu einem u-Molekülorbital (sp-sp-u-MO) und damit zur CC-sBindung des Ethins führt. An jedem C-Atom bleibt dann noch ein sp-Orbital, welches mit dem Wasserstoff-1s-Orbital zum CH-u-Orbital (sp-sp-u-MO) überlappt. Die seitliche Überlappung der beiden an jedem C-Atom noch verfügbaren 2p-Orbitale (Abb. 1.19) erzeugt zwei r-Molekülorbitale (p-p-r-MO), deren r-Elektronenwolken die CC-u-Bindung oben und unten sowie vorn und hinten umschließen (Abb. 1.19). (a)
(b)
120 pm
H
C
106 pm
C
H
H
C
C
H
H
C
C
H
H
C
C
H
106 pm
erste r-Bindung
zweite r-Bindung
beide r-Bindungen
Abb. 1.19. Ethin-Molekül, (a) lineare Geometrie und Atomabstände, (b) Überlappung der p-Orbitale zu zwei rMolekülorbitalen
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1.8 Reaktive Zwischenstufen
15
Eine CC-Dreifachbindung besteht also aus einer CC-u-Bindung und zwei CC-r-Bindungen, welche aus der Überlappung von zwei Paaren senkrecht aufeinander stehender 2p-Orbitale resultieren. Da die Ausdehnung von spx-Hybridorbitalen mit wachsendem s-Charakter abnimmt (sp3 > sp2 > sp), werden die CC-Atomabstände mit zunehmender Bindungsordnung (Einfach-, Doppel-, Dreifachbindung) kürzer: C/C : 154 pm 3 3 sp -sp
C»C : 120 pm sp-sp
C=C : 134 pm 2 2 sp -sp
1.8 Reaktive Zwischenstufen Organische Reaktionen werden über reaktive Zwischenstufen wie Radikale, Ionen und Carbene formuliert. Diese Zwischenstufen können meist nicht isoliert, jedoch oft mit physikalischen Methoden nachgewiesen werden.
1.8.1
Methyl-Radikal
Wird eine u-Bindung so gespalten, daß beiden Bindungspartnern je ein ungepaartes Elektron zukommt (Homolyse), so entstehen zwei Radikale als Molekülfragmente mit ungepaarten Elektronen. Die Homolyse einer CH-Bindung des Methan-Moleküls liefert z. B. ein Methyl-Radikal (.CH3) und ein Wasserstoff-Radikal (.H, H-Atom): Homolyse
H3C H
H3C
+
H
Methyl-Radikal
Der vom ungepaarten Elektron herrührende Paramagnetismus des Methyl-Radikals läßt sich nachweisen, z. B. durch Elektronenspinresonanz. Spektroskopische Messungen zeigen, daß das Methyl-Radikal eben gebaut ist, wobei die HCH-Bindungswinkel 120° betragen (Abb. 1.20 a). Diese Geometrie paßt zu einem sp2-hybridisierten C-Atom.
50%
H H
H
C
H
120°
H
C 50%
(a )
H
(b)
Abb. 1.20. Methyl-Radikal, (a) Skelett, (b) Verteilung des ungepaarten Elektrons
Die CH-Bindungen entstehen durch Überlappung der Kohlenstoff-sp2-Hybridorbitale mit je einem 1s-Orbital der drei H-Atome. Das ungepaarte Elektron besetzt dann das nicht hybridisierte 2pOrbital senkrecht zur CH3-Ebene (Abb. 1.20 b). Diese exponierte Elektronenwolke erklärt die Kurzlebigkeit (ca. 10/8s), mithin die Reaktivität des Methyl-Radikals.
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1.8.2
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
Methyl-Ionen
Die Heterolyse des Ethan-Moleküls führt formal zum Methyl-Kation und Methyl-Anion: Heterolyse
+
H3C CH3
H3C
Ethan
Methyl-Kation (ein Carbenium-Ion)
ICH 3 Methyl-Anion (ein Carbanion)
Abb. 1.21 skizziert zusammenfassend die Bildung radikalischer und ionischer Zwischenstufen durch formale homolytische und heterolytische Spaltungen des Methan- und Ethan-Moleküls. Das Methyl-Kation, der einfachste Vertreter der Carbenium-Ionen, ist aufgrund spektroskopischer Messungen eben. Die Molekülorbitale sind also denen des Methyl-Radikals analog (Abb. 1.20 b); jedoch bleiben die p-Orbital-Hälften über und unter der CH3-Ebene unbesetzt. Daher sind Carbenium-Ionen ausgeprägte Elektronen-Akzeptoren (Elektrophile). Nach OLAH unterscheidet man zwei Klassen von Carbokationen: In den ("klassischen") Carbenium-Ionen hat das positiv geladene C-Atom die Koordinationszahl 3 (R3C+); davon unterscheidet man "nichtklassische" Carbokationen mit fünf- oder vierfach koordiniertem positiv geladenem C (R5C+) und bezeichnet diese als Carbonium-Ionen. Methan
CH4 sp3 H /H
H
CH 3
/
/""e0
CH 3
sp2
H
sp2
p
H H
C
H
CH 3
Homolyse
+
Heterolyse
/
sp2
H
sp2
p
H H
C
/
:CH 3 Methyl-Anion (Carbanion)
Ionisierung (Reduktion)
Methyl-Radikal
sp2
/H -""e0
CH 3
Ionisierung (Oxidation)
Methyl-Kation (Carbenium-Ion)
sp2
/H
Heterolyse
CH 3
sp3
sp3
sp3
C
H
sp3
H
H Kation trigonal LEWIS-Säure (Elektrophil)
Radikal trigonal
Heterolyse
H 3C
CH 3
Anion pyramidal LEWIS-Base (Nucleophil)
Homolyse
H3C
CH3
Heterolyse
H3C
CH3
Ethan
Abb. 1.21. Formale Bildung reaktiver Zwischenstufen aus Methan und Ethan
Im Methyl-Anion, dem einfachsten Vertreter der Carbanionen, nimmt man an, daß das C-Atom zur Bindung mit den drei H-Atomen drei sp3-Hybridorbitale bereitstellt. Ein Elektronenpaar besetzt dann das vierte sp3-Hybridorbital (Abb. 1.22). Dieses nichtbindende Elektronenpaar macht das Carbanion zum Elektronendonor (Nucleophil).
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1.8 Reaktive Zwischenstufen
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C H
H H
Abb. 1.22. Bindungsmodell des Methyl-Anions
1.8.3
Carbene
Erhitzt oder bestrahlt man Diazomethan, so entsteht als reaktive Zwischenstufe Carben, das auch als Methylen bezeichnet wird: _ H2C N NI
H 2C:
Diazomethan
Carben (Methylen)
+
N2
Dabei lassen sich zwei Arten (Abb. 1.23) nachweisen, ein energieärmeres Carben mit HCHWinkel von 136° und ungepaarten Elektronen (Triplett-Carben) sowie ein energiereicheres, reaktiveres Carben mit einem HCH-Bindungswinkel von 130° und gepaarten Elektronen (SingulettCarben). E Singulett-Carben (doppelt angeregter Zustand)
S1
Singulett-Carben (angeregter Zustand)
S0
H
p
C
H
H 130°
u
p
C
H
u
ca. 35 kJ / mol
Triplett-Carben (Grundzustand)
T1
H 136°
p
C
H
u
Abb. 1.23. Elektronenzustände des Carbens
Substituierte Carbene R2C: sind hochreaktive Zwischenstufen vieler organischer Synthesen. Aufgrund ihres Elektronensextetts am C-Atom haben sie, wie die Nitrene RN:, ein Elektronendefizit am Zentralatom. Deshalb sind sie starke Elektrophile.
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18
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.9 Bindung in Ammoniak und Wasser Auch für Stickstoff mit der Elektronenkonfiguration 1s22s22p3 und Sauerstoff (1s22s22p4) kann sp3-Hybridisierung der Atomorbitale den Bindungszustand von N und O erklären. So liegen die Bindungswinkel des Ammoniaks (107°) und Wassers (105°) (Abb. 1.24) in der Nähe der tetraedrischen sp3-Interorbitalwinkel (109°28'). NH- und OH-Bindungen in NH3 (pyramidal) und H2O (gewinkelt) resultieren demnach aus sp3-s-Überlappungen. Nichtbindende Elektronenpaare besetzen die restlichen sp3-Hybridorbitale (Abb. 1.24); in Strukturformeln werden sie als Striche oder Doppelpunkte gezeichnet.
O
96 pm
H
101 pm
N
O
105°
H
107°
H
N H
H
H
H H
(a)
H
H
(b)
Abb. 1.24. Molekülgeometrie (Atomabstände, Bindungswinkel) von Wasser (a) und Ammoniak (b)
1.10 Polarität kovalenter Bindungen 1.10.1
Elektronegativität
Sind zwei gleiche Atome durch eine kovalente Bindung verknüpft ( H/H, Cl/Cl, H3C/CH3 ), so konzentriert sich das Bindungselektronenpaar im Zentrum der Bindung beider Atome. Sind die verknüpften Atome verschieden (H/Cl, H3C/Cl), so wird die Elektronenwolke unsymmetrisch, da eines der Atome (Cl) die Bindungselektronen stärker anzieht als das andere. Man nennt das Bestreben eines Atoms, Bindungselektronen anzuziehen, Elektronegativität. Im Periodensystem nimmt die Elektronegativität von "links nach rechts" und von "unten nach oben" zu (Tab. 1.3). Die in der organischen Chemie gebräuchlichen PAULING-Elektronegativitäten (Tab. 1.3) beziehen sich auf das elektronegativste Atom Fluor, dem willkürlich der Wert 4 zugeordnet wird. Tab. 1.3. PAULING-Elektronegativitäten einiger Elemente H
2.2
Li
0.97
Na 1.0
1.10.2
C
2.5
N
3.0
O
3.5
F
4.0
Si
1.8
P
2.5
S
2.5
Cl
3.0
Br I
2.8 2.6
Dipolmomente von Molekülen
Sind zwei Atome unterschiedlicher Elektronegativität gebunden, so wird das elektronegativere die Bindungselektronen an sich ziehen. Das Chlor in Chlorwasserstoff verhält sich z. B. so. Die u-
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1.10 Polarität kovalenter Bindungen
19
Bindung in H/Cl wird dabei polar. Man formuliert dies durch eine negative Polarisierung (f/ oder f/) an Chlor und eine entsprechend positive (f+ oder f+) an Wasserstoff. f- f/ H Cl
Der Schwerpunkt der negativen Ladung liegt also nicht mehr im Zentrum der Bindung wie bei einer HH- oder CC-Verknüpfung, sondern näher beim elektronegativeren Atom. Moleküle, welche diese Eigenschaft mit HCl teilen, sind Dipole. Da sie einen negativeren und einen positiveren "Teil" haben, erfahren sie im elektrischen Feld ein als Dipolmoment bezeichnetes Drehmoment o: f- f/ H Cl
o""""= e . d [Cm]
e : Elementarladung (in elektrostatischen Einheiten, 1.6 x 10/19 C ; C: Coulomb) d : Abstand zwischen den Atomen unterschiedlicher Elektronegativität (in m)
Dieses bei kleineren Molekülen mit Hilfe der Mikrowellenspektroskopie meßbare und meist in Debye-Einheiten (1D = 3.33x10/30 Cm) angegebene Dipolmoment o ist ein vom positiven zum negativen Bindungsende gerichteter Vektor. Dipole von Molekülen richten sich im elektrischen Feld von Kondensatoren aus. Somit können Dipolmomente auch größerer organischer Moleküle über Kapazitätsänderungen eines Kondensators gemessen werden. Enthält ein Molekül drei oder mehr Atome unterschiedlicher Elektronegativität, so ist das resultierende Dipolmoment die Vektorsumme aller Bindungsmomente, wie Abb. 1.25 am Beispiel des Wassers zeigt. o4 o o3 H
f+
O
o3 o4
f/"/ H f+
Abb. 1.25. Dipolmoment-Komponenten und resultierendes Dipolmoment des Wassers (o = 1.86 Debye)
1.10.3
Polarität von Verbindungen
Mit dem Elektronegativitätsunterschied zwischen zwei gebundenen Atomen wächst die Polarität der Bindung. Im Wasserstoff-Molekül (H2) und den Halogen-Molekülen (X2) verdichten sich die Bindungselektronen im Zentrum der Bindung; solche Verbindungen sind unpolar. Die Halogenwasserstoffe (HX) sind dagegen aufgrund des Elektronegativitätsunterschieds von H und X und des daraus resultierenden Dipolmoments polare Moleküle. Unterscheiden sich die Elektronegativitäten zu stark, so bilden sich keine kovalenten Bindungen mehr, sondern Ionen mit EdelgasElektronenkonfiguration, z. B. im Natriumchlorid (Na+Cl/). Die Elementargasmoleküle Wasserstoff (H2) und Chlor (Cl2), die Halogenwasserstoffe (HX) sowie die Alkalimetallhalogenide (Na+X/) sind also typische Vertreter unpolarer, polarer und ionischer Verbindungen. H H Cl Cl kovalent, unpolar
f- f/ H Cl kovalent, polar
+
/
Na Cl ionisch
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20
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.11 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen Je nach Temperatur und Druck kann jede Verbindung fest, flüssig oder gasförmig vorkommen. In allen drei Aggregatzuständen hängt die Art der Wechselwirkung zwischen den Teilchen von der Natur der chemischen Bindung ab.
1.11.1
Interionische Wechselwirkung
In ionischen Verbindungen ziehen sich entgegengesetzte geladene Ionen an, und gleich geladene Ionen stoßen sich ab. Diese auf der COULOMB-Kraft K zwischen den Ionenladungen e1 und e2 im Abstand r K =
1 . e1 e2
g
r2
beruhende elektrostatische Anziehung und Abstoßung nennt man interionische Wechselwirkung. Die Stärke der interionischen Wechselwirkung hängt, wie die Gleichung zeigt, von der Dielektrizitätskonstanten (DK) g des Mediums ab, in dem sich die Ionen befinden. Eine hohe DK schwächt die interionische Wechselwirkung.
1.11.2
Dipol-Dipol-Wechselwirkung und Wasserstoffbrücken
Bei polaren Molekülen beruht die Wechselwirkung hauptsächlich auf der elektrostatischen Anziehung und Abstoßung entgegengesetzt bzw. gleich geladener Molekülteile. Stäbchenförmige Dipolmoleküle werden sich z. B. bevorzugt so anordnen, daß positive und negative Molekülenden abwechseln (Abb. 1.26). Dies ist ein einfacher Fall der Dipol-Dipol-Wechselwirkung. f/
f-
f-
f/
f/
f-
f-
f/
Abb. 1.26. Wechselwirkung stabförmiger Dipol-Moleküle
O
H
O H
H
H _ O _ f+ H H f/ H O H
Abb. 1.27. Wasserstoffbrücken-Assoziation des Wassers
Viele Dipolmoleküle wie Fluorwasserstoff, Wasser und Ammoniak (HF, H2O, H3N) enthalten ein Wasserstoff-Atom, das an ein elektronegatives Atom (F, O, N) mit nichtbindenden Elektronenpaaren gebunden ist. Das dadurch positiv polarisierte Wasserstoff-Atom kann dann mit den nichtbindenden Elektronenpaaren benachbarter Moleküle wechselwirken, wie Abb. 1.27 am Beispiel des
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1.11 Interionische und intermolekulare Wechselwirkungen
21
Wassers skizziert. Man nennt diese starke Dipol-Dipol-Wechselwirkung WasserstoffbrückenBindung oder Wasserstoffbrücken-Assoziation, da viele Moleküle auf diese Weise zu "Molekülklumpen" assoziieren können. Diese sog. Cluster weisen aufgrund der räumlich gerichteten HBrücken-Bindungen einen hohen Ordnungsgrad in größeren Bezirken auf.
1.11.3
Ionen-Dipol-Wechselwirkung
Löst man eine ionische Verbindung in einem Lösemittel, dessen Moleküle Dipole sind, z. B. in Wasser, so bilden sich durch Wechselwirkung zwischen Ion und Lösemittel-Dipolen hydratisierte Ionen. So umhüllen in wäßriger Lösung von Natrium-Salzen sechs Wasser-Moleküle das NatriumKation oktaedrisch (Koordinationszahl 6) durch Ionen-Dipol-Wechselwirkung (Abb. 1.28). H H
O
H H O f+ H H f/
O Na
H H O H H
O
O H H
Abb. 1.28. Solvatation: Hydratation eines Natrium-Ions durch Ionen-Dipol-Wechselwirkung
Diese Hydratation durch Wasser, allgemein die Solvatation durch Lösemittel, beruht auf der Schwächung der interionischen Wechselwirkung durch die hohe Dielektrizitätskonstante polarer Lösemittel. Bei gelösten ionischen Verbindungen ist also neben der interionischen Wechselwirkung auch die Solvatation im Spiel. Die Lösemittelmoleküle werden dabei umso stärker gebunden, je kleiner das Ion und je höher dessen Ladung ist.
1.11.4
VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung
Die mit der Molekülgröße zunehmende Anziehung und Abstoßung zwischen unpolaren Molekülen wird als VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung bezeichnet. Diese rein zwischenmolekularen Kräfte rühren daher, daß ein unpolares Molekül ein momentaner Dipol ist, da die Elektronen des Moleküls ständig in Bewegung sind, so daß innerhalb eines Augenblicks die Elektronenverteilung unsymmetrisch sein kann. Der resultierende kurzlebige Dipol induziert in einem Nachbarmolekül für einen Augenblick ein Dipolmoment. Beide Dipole können dann wechselwirken wie es Abb. 1.26 skizziert. Die Reichweite der Wechselwirkung liegt bei r = 0.3 - 0.6 nm; ihre Stärke nimmt proportional zu r/6 ab. Die Stärke der Wechselwirkung nimmt mit wachsender Polarität der Verbindungen zu, ist daher für ionische Verbindungen am größten. Unter den zwischenmolekularen Kräften sind Wasserstoffbrücken dabei stärker als Dipol-Dipol-, aber schwächer als Ionen-Dipol-Wechselwirkungen. VAN-DER-WAALS-Wechselwirkungen sind am schwächsten.
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22
1 Chemische Bindung in organischen Molekülen
1.12 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität 1.12.1
Kristallgitter
Man unterscheidet amorphe von kristallinen Verbindungen. Amorph nennt man eine Verbindung, wenn ihre Teilchen im festen Zustand ohne erkennbare Regelmäßigkeit angeordnet sind. In einer kristallinen Verbindung ordnen sich die Ionen oder Moleküle dagegen regelmäßig zu einem Ionen- bzw. Molekülgitter an. Während Ionengitter durch starke COULOMB-Kräfte zusammengehalten werden, wirken in Molekülgittern die weitaus schwächeren Dipol-Dipol- und VAN-DERWAALS-Kräfte. Auf diesen Unterschieden beruhen z. B. die sehr viel höheren Schmelzpunkte ionischer im Vergleich zu kovalenten Verbindungen.
1.12.2
Schmelzpunkt, Siedepunkt, Löslichkeit
Die am einfachsten meßbaren thermodynamischen Eigenschaften einer Verbindung sind Schmelzpunkt, Siedepunkt und Löslichkeit. Der Schmelzpunkt ist die für jede Verbindung charakteristische Temperatur, bei welcher sich feste und flüssige Phase im Gleichgewicht befinden. Bei dieser Temperatur kompensiert die thermische Energie der Teilchen die vom Bindungstyp abhängigen Gitterkräfte. Je größer diese Kräfte sind, desto mehr Energie wird zu ihrer Überwindung notwendig sein. Insofern reflektiert die Höhe des Schmelzpunkts die Stärke der Gitterkräfte. Ionische Verbindungen werden daher sehr hohe Schmelzpunkte aufweisen (Kochsalz, Na+Cl/ : 801 °C), polare kovalente erheblich tiefere (Wasser, H2O : 0 °C), und wenn im festen Zustand einer unpolaren Verbindung nur noch VAN-DERWAALS-Kräfte das Gitter zusammenhalten, so wird man einen sehr tiefen Schmelzpunkt messen (Methan, CH4 : /183 °C). Auch der Siedepunkt charakterisiert jede Verbindung. Er ist die Temperatur, bei welcher flüssige und gasförmige Phase im Gleichgewicht sind. Dabei werden die im flüssigen Zustand noch wirkenden Kohäsivkräfte (Wasserstoffbrücken, Dipol-Dipol- und VAN-DER-WAALS-, bei ionischen Verbindungen COULOMB-Kräfte) von der thermischen Energie kompensiert. Deshalb hängt auch der Siedepunkt von der Stärke der Wechselwirkung ab. Ionische Verbindungen haben wieder die mit Abstand höchsten Siedepunkte (Kochsalz: 1465 °C). Polare kovalente Verbindungen zeigen deutlich tiefere Siedpunkte, wobei Wasserstoffbrücken-Bildner wiederum höher sieden (Wasser: 100 °C) als Verbindungen, deren Moleküle nur Dipol-Dipol-Wechselwirkungen eingehen können (Diethylether: 36.5 °C). Am tiefsten sieden unpolare Verbindungen (Methan: /161.5 °C). Da die Siedepunkte exponentiell mit sinkendem Druck fallen, sollten sie nur unter Nennung des herrschenden Drucks angegeben werden. Die erwähnten Siedepunkte wurden z. B. bei Normaldruck (760 Torr = 1.013 bar) gemessen. Während Schmelz- und Siedepunkte Gitter- und Kohäsivkräfte reflektieren, hat die Angabe der Löslichkeit einer Verbindung in einem bestimmten Lösemittel auch praktische Bedeutung, spielen sich doch die meisten Reaktionen der organischen Chemie in Lösung ab. Man muß also vor Ansetzen einer Reaktion wissen, in welchem Lösemittel sich eine Ausgangsverbindung löst und wie gut. Die Löslichkeit einer Verbindung in einem Lösemittel (Wasser, Ethanol) wird in g/100 mL angegeben. Da die Löslichkeit meist stark temperatur-, aber auch leicht druckabhängig ist, muß man die Löslichkeitsangabe auf eine bestimmte Temperatur und einen bestimmten Druck beziehen (meist 20 °C und Normaldruck, 1.013 Bar). Eine Verbindung löst sich in einer anderen umso besser, je ähnlicher die Wechselwirkung in beiden Verbindungen ist. So wird sich ein unpolarer
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1.12 Physikalische Eigenschaften, Acidität und Basizität
23
Kohlenwasserstoff gut in Tetrachlormethan oder Benzin lösen, aber nicht in Wasser. Dagegen ist Wasser ein gutes Lösemittel für organische Verbindungen, die selbst auch Wasserstoffbrücken bilden können wie z. B. Alkohole. Und für ionische Verbindungen ist Wasser das beste Lösemittel, da es interionische Wechselwirkungen schwächt und die Ionen hydratisiert (Abschn. 1.11.3).
1.12.3
Säuren und Basen, Elektrophile und Nucleophile
Sowohl in der anorganischen als auch in der organischen Chemie gibt es chemische Vorgänge, die man als Säure-Base-Reaktionen einstufen kann. Bekanntlich erzeugen Säuren H3O+-Ionen und Basen OH/-Ionen, wenn man sie in Wasser löst: Säure : Base :
+
H2O
H 3O
+
Cl
NH3 +
H 2O
H 4N
+
OH
HCl
Säure-Base-Reaktionen verlaufen aber auch in nicht wäßrigen Medien. LOVRY und BRÖNSTEDT definierten daher eine Säure als Protonendonor und eine Base als Protonenakzeptor. Chlorwasserstoff ist als Protonendonor an sich schon eine Säure, und Ammoniak ist als Protonenakzeptor an sich schon eine Base. Beide reagieren bekanntlich auch ohne Wasser zu Ammoniumchlorid: HCl
+
Protonen-Donor Säure
NH3 Protonenakzeptor Base
H 4N
+
Cl
Ammoniumchlorid Salz
Die umfassendste Definition stammt von LEWIS. Demnach ist jede Verbindung, die ein vakantes Orbital hat und daher ein Elektronenpaar akzeptieren kann, eine Säure (LEWIS-Säure). Jede Verbindung, die indessen über doppelt besetzte Orbitale verfügt und insofern ein Elektronenpaardonor ist, wird als Base (LEWIS-Base) definiert. Protonen und Carbenium-Ionen sind also LEWISSäuren; Wasser, Ammoniak und Carbanionen sind dagegen LEWIS-Basen und reagieren dementsprechend mit LEWIS-Säuren. H
+
_ 2 IOH
_ H 3O
H
+
INH3
H 4N
+
ICH3 LEWIS-Base Nucleophil
H3C LEWIS-Säure Elektrophil
H3C CH3
Einige Moleküle können sich je nach Reaktionspartner als LEWIS-Säure und als LEWIS-Base verhalten. Wasser ist ein Beispiel: + H2S
H2O
+ NH3
H 3O
+
SH
(H2O als LEWIS-Base)
H 4N
+
OH
(H2O als LEWIS-Säure)
Aufgrund ihrer vakanten Orbitale greifen LEWIS-Säuren an den Elektronenpaaren von LEWISBasen an. Man bezeichnet LEWIS-Säuren daher auch als elektrophil (Elektrophile), während LEWIS-Basen Reaktionspartner mit vakanten Orbitalen suchen und daher nucleophil (Nucleophile) sind. Demnach sind Carbenium-Ionen und Protonen elektrophile, Carbanionen, Wasser und Ammoniak dagegen nucleophile Reagenzien bzw. Zwischenstufen.
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2 Alkane
2 Alkane 2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur 2.1.1
Homologe Reihe und Molekülmodelle der Alkane
Kohlenwasserstoffe enthalten nur die Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff. Alkane sind gesättigte Kohlenwasserstoffe, in denen nur Einfachbindungen von den C-Atomen ausgehen. Aus Methan als einfachstem Vertreter leitet sich formal durch Einschub weiterer CH2-Gruppen die homologe Reihe der Alkane mit der gemeinsamen Summenformel CnH2n+2 ab (Tab. 2.1). Tab. 2.1. Homologe Reihe der Alkane CnH2n+2 , Bezeichnungen, Schmelz- und Siedepunkte (bei Normaldruck) n
CnH2n+2
Kurzschreibweise
Bezeichnung
Schmp. °C
Sdp.°C
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 20 30 40 50 60
CH4 C2H6 C3H8 C4H10 C5H12 C6H14 C7H16 C8H18 C9H20 C10H22 C11H24 C12H26 C13H28 C14H30 C15H32 C20H42 C30H62 C40H82 C50H102 C60H122
H3C/H H3C/CH3 H3C/CH2/CH3 H3C/(CH2)2/CH3 H3C/(CH2)3/CH3 H3C/(CH2)4/CH3 H3C/(CH2)5/CH3 H3C/(CH2)6/CH3 H3C/(CH2)7/CH3 H3C/(CH2)8/CH3 H3C/(CH2)9/CH3 H3C/(CH2)10/CH3 H3C/(CH2)11/CH3 H3C/(CH2)12/CH3 H3C/(CH2)13/CH3 H3C/(CH2)18/CH3 H3C/(CH2)28/CH3 H3C/(CH2)38/CH3 H3C/(CH2)48/CH3 H3C/(CH2)58/CH3
Methan Ethan Propan Butan Pentan Hexan Heptan Octan Nonan Decan Undecan Dodecan Tridecan Tetradecan Pentadecan Eicosan Triacontan Tetracontan Pentacontan Hexacontan
/183 /183 /190 /138 "/130 /95 /90 /59 /54 /30 /26 /10 /6 6 10 36 66 81
/164 /89 /42 0 36 69 98 126 151 174 196 216 230 251 268
Elementarer Baustein der Alkane ist der durch sp3-Hybridisierung des Kohlenstoff-Atoms erklärbare Bindungs-Tetraeder (Abschn. 1.7). Methan als einfachstes Alkan ist z. B. ein regelmäßiger Tetraeder mit dem C-Atom im Zentrum und den vier H-Atomen an den Ecken (Abb. 1.8). Zur Formulierung eignen sich verschiedene Darstellungen (Tab. 2.2), je nachdem, ob man auf Kürze, Übersichtlichkeit, Molekülorbitale und Elektronenkonfiguration oder auf den räumlichen Bau Wert legt.
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2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur
25
Tab. 2.2. Formelschreibweisen einfacher Alkane Summenformel
komprimierte Strukturformel
Valenzstrichformel
H Methan
CH 4
H3C H
Elektronenpaarformel
H
H .. H : .. C:H H
H C H H
KeilstrichProjektion *
H H
C H H
H H Ethan
C2H 6
H3C CH3
H H .. .. H : .. C:C .. : H H H
H C C H H H
C 3H8
H3C CH2 CH3
C C
H H
H CH 3
H H H Propan
H H
H C C C H H H H
H H .. H .. .. H : .. C:C C:H .. : .. H H H
H H
C C
H H
H *
: in ,
: vor ,
: hinter der Zeichenebene
Abb. 2.1. Stab-Modell (links), Kalotten-Modell (Mitte) und Kugel-Stab-Modell (rechts) des Propans, jeweils im gleichen Maßstab
Zur Formulierung von Reaktionsgleichungen genügt meist die komprimierte Schreibweise (Tab. 2.2). Die Keilstrich-Projektion stellt die zur Formulierung einer Reaktion oft wesentliche tetraedrische Bindungsgeometrie des C-Atoms am besten dar. STUART-BRIEGLEB-Kalottenmodelle (Abb. 2.1 Mitte) machen den Umriß des Moleküls, seine räumliche Ausdehnung besonders anschaulich. Zum Studium von Atomabständen und Bindungswinkeln eignen sich zusammenensteckbare DREIDING-Tetraeder-, Stab- oder Kugel-Stab-Modelle (Abb. 2.1). Diese Modelle lassen sich mit PC-Programmen durch „molecular modelling“ konstruieren (Abb. 1.8, 1.14, 2.1 und 2.2).
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2.1.2
2 Alkane
Konstitutionsisomerie
Kohlenstoff-Ketten bauen das Gerüst der Alkane auf; diese Ketten können verzweigt oder unverzweigt sein. Bereits am Alkan der Summenformel C4H10 läßt sich dies zeigen: Butan besitzt eine unverzweigte Kohlenstoff-Kette und gehört zur homologen Reihe der n-Alkane (Tab. 2.1, Abb. 2.2). Isobutan (oder Methylpropan) mit derselben Summenformel hat eine verzweigte Kohlenstoff-Kette und gehört zu den verzweigten Alkanen (Abb. 2.2). n-Butan und Methylpropan (Isobutan) sind Konstitutionsisomere; Konstitutionsisomere besitzen dieselbe Summenformel, unterscheiden sich jedoch durch ihre Atomverknüpfung (verzweigt oder unverzweigt), die Konstitution. n-Butan ist ein langgestrecktes, Methylpropan ein kompaktes Molekül (Abb. 2.2). CH3
H H H H n-Butan
H C C C C H
H 3C CH2 CH 2 CH3
H H H H
C4H10
H H
C C
CH3
H Methylpropan (Isobutan)
H C H H H
CH3
H C C C H
H3C CH CH 3
H H H
H H
CH 3 H3C H
C CH3
Abb. 2.2. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell (von links nach rechts) des Butans (oben) und seines verzweigten Konstitutionsisomers Methylpropan (unten)
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2.1 Homologe Reihe, Konstitution, Nomenklatur
27
Für die Summenformel C5H12 lassen sich bereits drei Konstitutionsisomere formulieren, n-Pentan, Methylbutan (Isopentan) und Dimethylpropan (Neopentan). CH 3
C5H12
CH 3
H3C CH 2 CH2 CH2 CH 3
H 3C CH CH2 CH 3
n-Pentan
Methylbutan (Isopentan)
H 3C C CH 3 CH3 Dimethylpropan (Neopentan)
Die Anzahl möglicher Konstitutionsisomerer steigt also mit der Zahl der C-Atome. Für C10H22 gibt es 75, für C30H62 schon über vier Millionen Konstitutionsisomere. Konstitutionsisomere zeigen verschiedene physikalische Eigenschaften (Brechungsindizes, Schmelzpunkte, Siedepunkte); man kann sie aufgrund ihrer individuellen Siedepunkte durch Destillation trennen.
2.1.3
Nomenklatur
Die Nomenklatur organischer Verbindungen erfolgt nach den durch IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) festgesetzten Regeln. Tab. 2.1 enthält z. B. die IUPAC-Bezeichnungen der Alkane; ab Pentan gibt der erste Teil des Namens mit lateinischen oder griechischen Silben die Zahl der C-Atome, und die Endung "an" kennzeichnet die Zugehörigkeit zur Familie der Alkane. Zur Benennung isomerer Alkane sind oft die Präfixe n-, iso- und neo- im Gebrauch: ̈" n-Alkane besitzen eine unverzweigte (zick-zack-förmige) Anordnung ihrer C-Atome, z. B.: H 3C (CH 2)9 CH 3 n-Undecan
H3C (CH2)4 CH3 n-Hexan
̈
iso-Alkane enthalten eine Methyl-Verzweigung am Kettenende: CH3
̈"
CH 3
H3C CH CH3
H 3C CH CH2 CH 2 CH3
Isobutan
Isohexan
neo-Alkane enthalten eine doppelte Methyl-Verzweigung am Kettenende: CH 3
CH 3
H 3C C CH3
H 3C C CH2 CH2 CH 3 CH3 Neoheptan
CH3 Neopentan
Je nach Verzweigungsgrad unterscheidet man primäre (1°), sekundäre (2°) und tertiäre AlkylGruppen (3°) bzw. Kohlenstoff-Atome: CH3 H 3C CH 2
R CH2
H3C CH CH3
primäre (1°)
R CH R
sekundäre (2°) Alkyl-Gruppen
H3C C
R R C
CH 3
R
tertiäre (3°)
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28
2 Alkane
Formale Entfernung eines H-Atoms aus einem Alkan R/H führt zu einer Alkyl-Gruppe R/. Die Bezeichnung ergibt sich aus der des Alkans, in dem die Endung "an" durch "yl" ersetzt wird (Methyl aus Methan, Propyl aus Propan, Neopentyl aus Neopentan, Tab. 2.3). Tab. 2.3. Bezeichnung häufig auftretender Alkyl-Gruppen H3C Methyl-
H 3C CH 2 Ethyl-
H3C CH2 CH 2 Propyl-
H 3C CH 2 CH2 CH2 Butyl-
CH 3
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 Pentyl-
CH3
H 3C CH Isopropyl-
CH 3
H3C CH CH 2 Isobutyl
H 3C CH CH2 CH 2 Isopentyl
H 3C CH 2 CH CH3
H3C C CH2 CH3 Neopentyl-
CH3
sec-Butyl
CH 3
CH3
H 3C CH 2 C CH 3 t-Pentyl-
H 3C C CH3 t-Butyl-
Zur Benennung substituierter Alkane nach IUPAC empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: " ̈
Man suche die längste Kohlenstoff-Kette mit der höchsten Zahl von Substituenten. CH2 CH3 H3C CH2 CH2 CH2 CH
Die längste C-Kette hat acht C-Atome: Octan ist das Grundskelett
H3C C Br CH2 CH3
" ̈
Man beziffere die C-Atome so, daß die Substituenten kleinstmögliche Positionsziffern erhalten. 8
7
6
5
CH2 CH3
4
Das Kohlenstoff-Atom mit höchster Substituentenzahl ist C-3 (nicht C-6).
H3C CH2 CH2 CH2 CH H3C 3C Br CH2 CH3
" ̈
2
1
Man benenne die Substituenten und gebe ihre Position in der Kette durch die entsprechende Ziffer an. 8
7
6
5
CH2 CH3
4
H3C CH2 CH2 CH2 CH
3-Methyl-
3-Brom-
4-Ethyl-
H3C 3C Br CH2 CH3
" ̈"
2
1
Man bezeichne die Verbindung so, daß die Substituenten in alphabetischer Folge erscheinen. 3-Brom-4-ethyl-3-methyloctan
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2.2 Physikalische Eigenschaften
̈"
29
Zwei, drei, vier, fünf, sechs, ... identische Substituenten an der Kette werden durch die Präfixe di-, tri-, tetra-, penta-, hexa-,... gekennzeichnet. H3C Br H3C CH C CH CH(CH3) 2 Br
2,4-Dibrom-3,3,5-trimethylhexan
CH3
2.2 Physikalische Eigenschaften Alkane sind unpolare Moleküle. Ihr Zusammenhalt in der flüssigen oder festen Phase wird daher nur durch die schwachen VAN-DER-WAALS-Kräfte bewirkt. Da diese mit zunehmender Oberfläche der Moleküle ansteigen, findet man einen stetigen Anstieg der Siedepunkte um 20 - 30 °C bei Verlängerung um eine CH2-Gruppe (Tab. 2.1, Abb. 2.3). Aus demselben Grund zeigt sich ab Butan auch eine stetige Zunahme der Dichte (Abb. 2.3). Dagegen steigen die Schmelzpunkte stufenweise an (Abb. 2.3), wobei n-Alkane mit gerader Anzahl von C-Atomen jeweils höher als erwartet schmelzen. Offensichtlich bilden die "geradzahligen" n-Alkane ein dichter gepacktes Gitter mit stärkeren Gitterkräften.
[°C] 300
0.8 [g/ml]
250
Dichte ̈
200
̈
̈
Æ Æ
0.7
0.6
Æ
̈
100
Æ Æ
50
0.5 Siedepunkt
Æ
̈
0
0.4
Æ Æ
/ 50 Æ
/ 100
/ 200
̈ Æ
Æ Æ
̈
̈
Æ
̈ ̈
̈
̈
Æ
̈
150
/ 150
̈
̈
Schmelzpunkt Æ
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 Anzahl der C-Atome
Abb. 2.3. Beziehung zwischen Kettenlänge, Siedepunkt, Schmelzpunkt und Dichte der n-Alkane
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30
2 Alkane
Verzweigte Alkane bieten aufgrund ihrer im Vergleich zu n-Alkanen kompakteren Konstitution eine kleinere Oberfläche und somit schwächere VAN-DER-WAALS-Wechselwirkungen. Daher sieden verzweigte Alkane tiefer als ihre unverzweigten Isomere. Die Schmelzpunkte verhalten sich uneinheitlich. Grundsätzlich zeigen kugelförmige organische Moleküle wie Methan, Neopentan und Tetramethylbutan neben ihrer im Verhältnis zur Molmasse großen Flüchtigkeit auch sehr dicht beim Siedepunkt liegende Schmelzpunkte. Im Labor lassen sich langkettige n-Alkane (>C7) von ihren verzweigten Isomeren durch Behandeln mit Harnstoff abtrennen. Harnstoff bildet nur mit n-Alkanen kristalline Einschlußverbindungen. Dabei kristallisieren die Harnstoff-Moleküle spiralförmig um das n-Alkan, so daß die Kohlenwasserstoff-Moleküle im Kristallgitter in Röhren liegen. Aufgrund ihrer geringen Polarität lösen sich die Alkane gut in allen nicht oder schwach polaren Lösemitteln (Ether, chlorierte Kohlenwasserstoffe wie Chloroform, Benzen). In stark polaren Lösemitteln wie Wasser oder Dimethylsulfoxid sind Alkane kaum löslich, weil sich keine Solvathülle bilden kann. Da Pentan und Hexan nicht mit Wasser mischbar sind und eine wesentlich geringere Dichte besitzen, werden diese Alkane oft zur Extraktion wenig polarer Verbindungen aus wäßrigen Lösungen benutzt.
2.3 Molekülbau Im Molekülorbital-Modell entstehen die CH-Bindungen der Alkane durch Überlappung der sp3Hybrid-Orbitale des C-Atoms mit den s-Orbitalen des H-Atoms (s-sp3-u-Orbital, Abschn. 1.7.1); die CC-Einfachbindungen bilden sich durch Endüberlappung zweier von beiden Bindungspartnern ausgehenden sp3-Hybrid-Orbitale (sp3-sp3-u-Molekül-Orbital). Der sp3-Interorbitalwinkel von 109°28' erklärt die tetraedrische Bindungsgeometrie des C-Atoms in den Alkanen. Da Alkane nur CC- und CH-Bindungen enthalten, sind die Bindungswinkel und Atomabstände aller Alkane nahezu identisch. Der CH-Atomabstand ist im Methan 109 pm, in allen anderen Alkanen meist 110 pm. Die CC-Bindungslänge aller Alkane beträgt 154 pm und gleicht damit dem Abstand der C-Atome im Kristallgitter des Diamants. Die HCH-, CCH- und CCC-Bindungswinkel zeigen nur geringe Abweichungen vom Tetraederwinkel 109°28', wenn VAN-DER-WAALSAbstoßungen zwischen benachbarten Atomen wirken. So ist im Propan der CCC-Bindungswinkel auf 112° gespreizt und der HCH-Bindungswinkel am mittleren C-Atom auf 106° komprimiert.
2.4 Konformation Die "freie Drehbarkeit" von CC-Einfachbindungen läßt zunächst beliebig viele räumliche Anordnungen der Atome oder Alkyl-Gruppen eines Alkans zu. Physikalische Messungen zeigen jedoch, daß es energieärmere und energiereichere Atomanordnungen gibt. Der Begriff Konformation faßt alle durch Drehung (Rotation, Torsion) um Einfachbindungen realisierbaren Atomanordnungen einer Verbindung zusammen. Eine diskrete Atomanordnung wird als Konformer oder Rotamer bezeichnet. Zum Zeichnen von Konformeren eignen sich die Keilstrich-, die Sägebock- (seitlicher Anblick) und am besten die NEWMAN-Projektion (frontaler Anblick).
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2.4 Konformation
31
CH3
CH 3 H H
H CH 3
H H
C C
H H
H
H
H
H
H
H
H
H Keilstrich-
Sägebock-
NEWMANProjektion
Ethan kann zwei Konformere bilden, in denen die CH-Bindungen der beiden Methyl-Gruppen verdeckt (ekliptisch) bzw. gestaffelt (auf Lücke stehend) vorliegen. Die NEWMAN-Projektionen zeigen deutlich, daß der Interplanarwinkel, den die CH-Bindungen an benachbarten C-Atomen einschließen, bei gestaffelter Anordnung 60°, bei ekliptischer dagegen 0° beträgt. HH
H
H
H
HH
ekliptisch, vedeckt (eclipsed) mit viel Torsionsspannung labil
H
H
H
H
H gestaffelt, auf Lücke (staggered) ohne Torsionsspannung stabil
Das ekliptische Konformer „leidet“ wegen der VAN-DER-WAALS-Wechselwirkung der H-Atome unter einer hohen Torsionsspannung, ist energiereicher und damit labiler als das gestaffelte Konformer ohne diese Torsionsspannung. So gesehen sind Konformere die Rotations-Energiezustände der Alkane. Rotieren die Methyl-Gruppen um die mittlere CC-Bindung aus der energieärmeren spannungsfreien, gestaffelten über eine teilweise verdeckte in die energiereichere ekliptische Anordnung, so muß ein bestimmter Energiebetrag / die Rotationsbarriere / aufgewendet werden, z. B. durch Übertragung kinetischer Energie beim Zusammenstoß mit anderen Molekülen. Die innere Beweglichkeit eines Moleküls infolge der Rotation um Einfachbindungen hängt von der Temperatur, also von der äußeren Moleküldynamik ab. Bei sehr tiefer Temperatur werden die meisten Ethan-Moleküle im Zeitmittel gestaffelt vorliegen. Steigt die Temperatur, so wird die Zahl der Zusammenstöße mit Molekülen genügend hoher kinetischer Energie zunehmen, und die Methyl-Gruppen des Ethans werden durch gestaffelte, windschiefe und ekliptische Konformere rotieren. Wegen der relativ kleinen Rotationsbarrieren (12 kJ/mol) herrscht um die CC-Bindung des Ethans bei Raumtemperatur praktisch freie Drehbarkeit. Stehen größere Gruppen anstelle der H-Atome des Ethans, so erhöht sich die Rotationsbarriere. So bevorzugen 60 % der Butan-Moleküle bei Raumtemperatur das gestaffelte Konformer, in dem die beiden Methyl-Gruppen anti zueinander stehen (Abb. 2.4). Die restlichen Moleküle konzentrieren sich auf teilweise verdeckte und gestaffelte Konformationen, die vor allem aufgrund von VANDER-WAALS-Abstoßungen (sterische Wechselwirkung) eine höhere potentielle Energie besitzen. Abb. 2.4 illustriert dies und erläutert die Bezeichnung der Butan-Konformeren nach der KLYNEPRELOG-Konvention. Die Population der Konformeren hängt im übrigen von der Temperatur ab und folgt einer MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung.
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32
2 Alkane
Die Rotationsbarrieren der n-Alkane (Abb. 2.4) liegen weit unter den für eine Konformerentrennung erforderlichen 85-125 kJ/mol. Im Gegensatz zu Konstitutionsisomeren (z. B. n-Butan und Methylpropan) sind die Konformeren der Alkane (anti- und syn-Butan) nicht isolierbar, sondern nur bei tieferen Temperaturen spektroskopisch nachweisbar. R
RR H
RH
R
R
H
RH
R
H
R
RR H
Konformer H
HH
H
H
H
H
RH
H
Interplanarwinkel
Epot [kJ/mol]
l"?"2fl
60°
H
H
H
R
HH
H
R
120°
H
H
H
HH
H
H
180°
240°
300°
360°
14.3
27.7
3.8
deutsche Bezeichnung
ekliptisch
gestaffelt
teilweise ekliptisch
gestaffelt (anti)
teilweise ekliptisch
gestaffelt
ekliptisch
englische Bezeichnung
fully eclipsed
gauche (skew)
partially eclipsed
fully staggered
partially eclipsed
partially eclipsed
fully eclipsed
+ / synperiplanar + / sp
+ synclinal + sc
+ / antiperiplanar + / ap
/ anticlinal / ac
/ synclinal / sc
KLYNEPRELOGAbkürzung
+ anticlinal + ac
+ / synperiplanar + / sp
Abb. 2.4. Potentielle Energie und Bezeichnung der Konformeren des n-Butans (R = CH3), die bei Drehung um die C-2/C-3-Bindung entstehen
Längerkettige n-Alkane und ihre Derivate, z. B. die Fettsäuren, sind wegen der Ausbildung geordneter Strukturen im flüssigen und festen Zustand weniger beweglich. Stärkere VAN-DERWAALS-Kräfte führen hier zur Bildung quasi-kristalliner Bezirke, was nicht nur für die Eigenschaften von Schmierölen und Fetten, sondern auch bei der Bildung von Zellmembranen von Bedeutung ist Abschn. 41).
2.5 Industrielle Gewinnung der Alkane 2.5.1
Alkane aus Erdgas, Erdöl und Kohle
Erdgas, Erdöl und Kohle sind neben ihrer Funktion als fossile Energieträger auch die wichtigsten Rohstoffe der industriellen organischen Chemie. Die riesigen Vorkommen entstanden durch anaerobe Zersetzung von Mikroorganismen (Plankton), Pflanzen und Tieren in Seen und Meeren vor über 100 Millionen Jahren. Auf Kohlebasis können Alkane durch katalytische Hochdruck-Hydrierung von Braunkohle ("Kohleverflüssigung", BERGIUS-Verfahren) sowie durch katalytische Niederdruck-Hydrierung von Kohlenmonoxid (FISCHER-TROPSCH-Verfahren) hergestellt werden. Weiterentwicklungen beider Prozesse sind bei Verteuerung und Verknappung des Rohöls von Bedeutung.
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2.5 Industrielle Gewinnung der Alkane
33
Erdgas und Rohöl besitzen je nach Entstehungsweise der verschiedenen Lagerstätten auch eine verschiedene prozentuale Kohlenwasserstoff-Zusammensetzung. Erdgas enthält vorwiegend die tief siedenden Alkane Methan bis Butan. Petroleum enthält neben den höheren Alkanen auch andere flüssige Kohlenwasserstoffe und wird durch Destillation in mehrere Fraktionen nach Siedebereichen getrennt (Tab. 2.4). Tab. 2.4. Erdöl-Fraktionen (Fraktionen nach Siedebereichen) Fraktion
Siedebereich °C
Kohlenwasserstoffe C n
Verwendung
Gasfraktion
< 40
C1 - C6
Treibstoff, Heizgas
Petrolether
30 - 60
C5 - C6
Lösemittel, Benzin
Ligroin
60 - 100
C6 - C7
Kfz-Benzin
Gasolin
40 - 200
C5 - C10
Kfz-Benzin
Kerosin
180 - 230
C11 - C12
Düsentreibstoff
Gasöl (Heizöl)
230 - 300
C13 - C17
Dieselmotoren, Ölbrenner
Schmieröle
300 - 400
C20 - C30
Paraffinwachs
400 - 500
C20 - C30
Schmierstoffe
Asphalt
Destillations-
Polycyclen
Teer zum Straßenbau
Petrolkoks
rückstände
Kohlenstoff
Brennstoff, Elektroden
Vaseline
Eine weitere Trennung der Erdöl-Fraktionen gelingt durch Feindestillation (engere Siedebereiche) oder andere Trennverfahren (Extraktion, Gas-Chromatographie). Da höhere Alkane zahlreiche Isomere mit sehr ähnlichen Siedepunkten bilden, ist eine isomerenfreie Gewinnung nur bei kurzkettigen Alkanen (C1 - C5) möglich. Langkettige Alkane definierter Konstitution müssen daher mit chemischen Verfahren hergestellt werden.
2.5.2
Treibstoffherstellung
Jede Motorart erfordert zum optimalen Betrieb eine ihren Verbrennungeigenschaften angepaßte Treibstoffsorte. Ein Benzin mit einem hohen Prozentsatz an n-Alkanen kann z. B. nicht in hochverdichtenden Motoren verbrannt werden, da es ein verschleißendes "Klopfen" verursacht. Hochverzweigte niedermolekulare Alkane haben wesentlich günstigere Brenneigenschaften. Die Qualität eines Kraftstoffs wird durch seine Octanzahl charakterisiert. Normsubstanz ist 2,2,4Trimethylpentan ("Isooctan") mit der Octanzahl 100, demgegenüber n-Heptan die Octanzahl 0 aufweist. Die Qualität des Kraftstoffs läßt sich durch Zusatz von Isooctan oder Benzen verbessern (Octanzahlen über 90). „Verbleites Benzin“ mit dem giftigen und umweltbelastenden Bleitetraethyl als Antiklopfmittel-Zusatz ist nicht mehr im Handel. Motoren mit Abgas-Entgiftung durch Edelmetall-Katalysatoren (Platin auf Keramik) können nur mit "bleifreiem" Benzin betrieben werden, da Blei-Verbindungen als Katalysatorengifte wirken. Durch fraktionierte Destillation des Rohöls kann nur ein Teil der benötigten Treibstoffe bereitgestellt werden. Daher müssen auch höhersiedende Fraktionen des Erdöls mit langkettigen Kohlenwasserstoffen durch verschiedene Crackverfahren in die als Treibstoffe geeigneteren kürzerkettigen Alkan-Gemische übergeführt werden.
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34
2 Alkane
Beim thermischen Cracken werden die Erdölfraktionen bei 470 - 510 °C und Drücken von 20 - 50 bar erhitzt. Dabei entstehen über freie Radikale als Zwischenstufen aus langkettigen Alkanen kürzerkettige Alkane und Alkene. Bei den katalytischen Crack- und Isomerisierungsverfahren werden die Erdölfraktionen bei Temperaturen zwischen 430 und 500 °C und geringem Druck über Silicat-Aluminiumoxid-Katalysatoren geleitet. Dabei entstehen Benzine mit einem hohen Anteil an verzweigten Alkanen. Das katalytische Cracken verläuft im Gegensatz zum thermischen über Umlagerungen mit Carbenium-Ionen als reaktiven Zwischenstufen.
2.6 Darstellung von Alkanen 2.6.1
Katalytische Hydrierung der Alkene
Alkene addieren in Gegenwart von Metallkatalysatoren (Ni, Pd, Pt) quantitativ Wasserstoff an ihre CC-Doppelbindung. Dabei addiert das H2-Molekül an eine Seite der CC-Doppelbindung. R
Alken
R
katalytische Hydrierung
R
R
H
H
R
R C C R H H
C C
R
Alkan
Katalysator-Oberfläche (Katalysator = Ni , Pd oder Pt)
Beispiel: H 3C
CH 3
H 3C
CH3
Ni, Pd oder Pt + H2
C C
H 3C CH CH CH 2 CH2 CH2 CH 2 CH 3
CH 2 CH2 CH2 CH 2 CH 3
CH 3
2,3-Dimethyl-2-octen
2,3-Dimethyloctan
Da es viele Verfahren zur Synthese von Alkenen gibt (Abschn. 4.4), ist die katalytische Hydrierung von Alkenen eine präparative Methode zur Darstellung von Alkanen.
2.6.2
Reduktion von Halogenalkanen
Die durch Additions- und Substitutions-Reaktionen gut zugänglichen Halogenalkane können unter Ersatz des Halogens durch Wasserstoff zu Alkanen umgesetzt werden. ̈"""Hydrolyse von GRIGNARD-Verbindungen Halogenalkane R/X (X = Cl, Br, I) reagieren mit Magnesium zu Alkylmagnesiumhalogeniden. Die Kohlenstoff-Magnesium-Bindung dieser GRIGNARD-Verbindungen wird durch Wasser gespalten, wobei das Proton des Wassers an das negativ polarisierte Kohlenstoff-Atom und das Hydroxid-Anion an das positiv polarisierte Magnesium anlagert. wasserfreier Ether
R X
+
f/
f/
f++
R Mg X
R Mg X
Mg +
H2O
R H
+
Mg(OH)X
GRIGNARD-Reagenz Hydrolyse
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2.6 Darstellung von Alkanen
35
Beispiel: siedender Ether
CH3 H 5C2 CH CH2 CH 2 Br
+
CH3
H 5C2 CH CH2 CH 3
/ Mg ++ / /"OH / /"Br
3-Methylpentylmagnesiumbromid
1-Brom-3-methylpentan
CH 3
+ H 2O
H5C2 CH CH2 CH2 Mg Br
Mg
3-Methylpentan
̈"""Reduktion von Halogenalkanen durch Zink und Säure Metallisches Zink (Zinkstaub) und Mineralsäuren reduzieren Halogenalkane zu Alkanen: 2R X
+
2 Zn
+
2 HY
2R H
+
ZnX 2
+
ZnY 2
Beispiel: CH 3
CH3
0 °C
2 H 3C CH CH CH2 CH 3
+ 2 Zn +
2 HI
2 H3C CH CH 2 CH2 CH3
Br 3-Brom-2-methylpentan
+
ZnBr2
+
ZnI2
2-Methylpentan
̈"""Reduktion
von Halogenalkanen durch Metallhydride Komplexe Metallhydride wie Lithiumaluminiumhydrid (LiAlH4) oder Natriumborhydrid (NaBH4) reduzieren Halogenalkane in Ether als Lösemittel zu Alkanen. Ether
4R X
+
LiAlH4
4R H
+
LiX
+
AlX 3
4R X
+
NaBH 4
4R H
+
NaX
+
BX 3
( X = Cl, Br, I )
Beispiel: CH 3 4 H 3C
(CH2)7
CH CH2 Br
+ LiAlH4
wasserfreier Ether
CH3 4 H 3C (CH2)7 CH CH 3
1-Brom-2-methyldecan
2.6.3
+
LiBr
+
AlBr3
2-Methyldecan
Alkylierung metallorganischer Verbindungen
Metallorganische Verbindungen mit Kohlenstoff-Metall-Bindungen können durch Halogenalkane zu Alkanen alkyliert werden. ̈"""WURTZ-Synthese
Natrium reagiert mit Halogenalkan R/X zunächst zu Alkylnatrium R/Na als Organometallverbindung, die mit einem weiteren Äquivalent Halogenalkan zum symmetrischen Alkan R/R alkyliert wird. R X R Na
+
2 Na + R X
R Na
+
NaX
R R
+
NaX
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36
2 Alkane
Beispiel: H3C CH 2 CH2 CH 2 CH 2 Br
+
H 3C (CH 2)8 CH 3
2 Na
1-Brompentan
+
2 NaBr
n-Decan
̈"""Alkylierung
von GRIGNARD-Verbindungen durch Halogenalkane Halogenalkane R/X alkylieren Alkylmagnesiumhalogenide R´/MgX (GRIGNARD-Verbindungen) mit anderem Alkyl-Rest R´ zu unsymmetrischen Alkanen R/R´. wasserfreier Ether
R X
+
R´ Mg X
R R´
+
MgX2
Beispiel: CH3 + (H3C)2CH Mg Br
1-Brom-2-methyldecan
2.6.4
CH3
wasserfreier Ether
H3C (CH2)7 CH CH 2 Br
H3C (CH2)7 CH CH2 CH(CH 3)2
Isopropylmagnesiumbromid
+
MgBr2
2,4-Dimethyldodecan
KOLBE-Elektrolyse
Schwieriger zugängliche symmetrische Alkane R/R können durch KOLBE-Elektrolyse der Natrium-, Kalium- oder Calcium-Salze von Carbonsäuren mit dem entsprechenden Rest R dargestellt werden. Dabei wird das Carboxylat-Anion zunächst anodisch oxidiert; das entstandene CarboxyRadikal geht unter Kohlendioxid-Abspaltung (Decarboxylierung) in ein Alkyl-Radikal R. über, das zum Alkan R/R dimerisiert. O 2 R C .. O .. : CarboxylatAnion
Anode (Oxidation) /"e0
/
O 2 R C .. O .. CarboxyRadikal
.
Decarboxylierung / 2 CO2
2R
.
AlkylRadikal
Dimerisierung
R R symmetrisches Alkan
2.7 Reaktionen Die "gesättigten" Alkane reagieren selbst bei höheren Temperaturen im Gegensatz zu den "ungesättigten" Alkenen und Alkinen nicht mit konzentrierten Mineralsäuren, Basen, Oxidations- oder Reduktionsmitteln. Die früher wegen ihrer gleichartigen Reaktivität als Paraffine (par affinis = gleich benachbart) bezeichneten Alkane sind wenig reaktive, unpolare, inerte Verbindungen: Typische Alkan-Reaktionen wie die Oxidation und Halogenierung verlaufen bei hohen Temperaturen.
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2.7 Reaktionen
2.7.1
37
Vollständige Oxidation (Verbrennung)
Technisch von Bedeutung ist die Verbrennung der Alkane zur Energiegewinnung. In der Flamme verbrennen Alkane mit Luftsauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser. CH4 2 H 3C CH 3
+ 2 O2 +
7 O2
CO2
+
2 H2O
F H = /""883 kJ/mol
4 CO2
+
6 H2O
F H = /""1542 kJ/mol
Die exotherme Reaktion liefert eine hohe Reaktionsenthalpie FH (Verbrennungswärme). Da das System Energie an die Umgebung abgibt, hat der Betrag von FH negatives Vorzeichen. Bei einer endothermen Reaktion nimmt das reagierende System dagegen Energie von der Umgebung auf, so daß FH positiv ist. Verbrennungswärmen lassen sich im Kalorimeter messen. Interessant ist ein Vergleich zwischen den Verbrennungswärmen bezogen auf ein Mol, ein Gramm, einen Milliliter und den prozentualen Wasserstoffgehalt der n-Alkane nach Tab. 2.5. Tab. 2.5. Vergleich der Verbrennungswärmen ausgewählter n-Alkane Alkan
Formel
kJ / mol
kJ / g
kJ / mL
%H
Methan Ethan Propan Pentan Heptan n-Alkan
CH4 C2H6 C3H8 C5H12 C7H16 H3C/(CH2)n/CH3
883 1542 2204 3510 4814 ---
55 51 50 49 48 47
23 28 29 30 33 35
25.1 20.1 18.3 16.8 16.1 15.6
Die Verbrennungwärme beträgt für Wasserstoff 142 kJ/Mol, für Kohlenstoff 34 kJ/Mol und 653 kJ/Mol pro CH2-Gruppe. Da die Verbrennungswärme vorwiegend aus dem Unterschied der Summe der Bindungsenergien der Edukte und der Produkte herrührt, kann sie aus den bekannten Bindungsenergien der C/H-, O/O-, C=O- und OH-Bindung berechnet werden, wie das Beispiel des Methans zeigt: Reaktionsgleichung Stöchiometrie Energiebilanzen
CH 4 16 g
+ 2 O2 64 g
CO2 44 g
+
2 H 2O 36 g
Energiezufuhr durch Edukte (Dissoziation von Bindungen)
Energiefreisetzung durch Produkte (Bildung von Bindungen)
F H positiv 4 x 413 (C/H) = + 1652 kJ/mol 2 x 498 (O/O) = + 996 kJ/mol
F H negativ 2 x 803 (C=O) = / 1606 kJ/mol 4 x 463 (O/H) = / 1852 kJ/mol
Somit ergibt sich für die aus den Bindungsenergien berechnete Verbrennungswärme zu FHber. = 1652 + 996 / 1606 / 1852 = /"810 kJ / Mol Methan im Vergeich zum kalorimetrisch bestimmten Wert FHexp. = /"883 kJ / Mol. Der Mechanismus einer Verbrennung, ihr molekularer Ablauf, ist nicht genau geklärt. Bekannt ist, daß die Verbrennung der Alkane gezündet werden muß, z. B. durch eine Flamme oder einen Funken; bei Raumtemperatur und Normaldruck reagiert eine an sich verbrennungsfähige Mischung aus Alkan und Sauerstoff nicht.
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38
2 Alkane
Bei der Zündung einer Verbrennung wird Energie zugeführt, welche kovalente Bindungen der Edukte spaltet und so reaktive Partikel erzeugt, die mit den Alkanen Folgereaktionen eingehen. Die Zündungsenergie kann in Form von Hitze zugeführt werden. Bei der Zündungstemperatur (Flammpunkt) ist die kinetische Energie der Reaktanten so hoch, daß manche Zusammenstöße zur Bindungsspaltung und Erzeugung reaktiver ungesättigter Partikel führen. Im Falle der Verbrennung handelt es sich dabei um Radikale (Alkyl-Radikale R. , Alkoxy-Radikale R/O . u. a.). Diese Radikale können bei Zusammenstößen mit Alkan- und Sauerstoff-Molekülen neue Bindungen knüpfen und gleichzeitig neue Radikale erzeugen. Jede Neuknüpfung von Bindungen führt zur Energieabgabe in Form von kinetischer Energie oder Licht. Bei der insgesamt exotherm verlaufenden Verbrennung wird mehr Energie abgegeben als verbraucht. Die Hitzeentwicklung führt zu Zusammenstößen genügend hoher Energie, so daß weitere Reaktionen ausgelöst werden. Nach der Zündung und einer kurzen Induktionsperiode laufen die Reaktionen also autokatalytisch ab. Man spricht von einer Kettenreaktion. Kettenreaktionen sind typisch für Alkane.
2.7.2
Partielle Oxidation
Durch unvollständige Oxidation des Methans (Erdgas) mit Luft werden unter kontrollierten Reaktionsbedingungen Ethin, Wasserstoff und Kohlenmonoxid hergestellt. Diese drei Gase werden industriell in großen Mengen verarbeitet. Wasserstoff und Kohlenmonoxid bilden sich auch durch katalytische Oxidation des Methans durch Wasser. 1500 °C
6 CH 4
2H C C H
+ O2
+
10 H 2
+
2 CO
850 °C, Ni-Katalyse
CH4
2.7.3
3 H2
+ H 2O
+
CO
Autoxidation
Verzweigte Alkane mit tertiären C-Atomen (R3CH) reagieren in Gegenwart von Schwermetallspuren, Bromwassertoff oder bei leicht erhöhter Temperatur mit Luftsauerstoff, der als Biradikal (Triplett-Sauerstoff) vorliegt und sich zwischen die CH-Bindung schiebt. Bei dieser Autoxidation entstehen hochreaktive, teils explosive Alkylhydroperoxide. CH3 H3C C H CH3
140 °C
+
O2 (Luf t)
CH 3
O H H 3C C O CH 3 t-Butylhydroperoxid
n-Alkane neigen kaum zur Autoxidation. Bei verzweigten Alkanen kann die Autoxidation durch Zusatz von Antioxidantien (Inhibitoren) verhindert werden. Antioxidantien fangen die intermediär bei der Autoxidation entstehenden reaktiven Radikale ab. Bekannte Antioxidantien sind z. B. Iodwassertoff, Phenole, aromatische Amine und Organoschwefel-Verbindungen.
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2.7 Reaktionen
2.7.4
39
Photohalogenierung
Selbst gegenüber den reaktiven Halogenen Cl2 und Br2 sind die Alkane im Dunkeln und bei Raumtemperatur inert. Sobald jedoch eine Alkan-Halogen-Mischung entweder ̈ mit Licht bestrahlt oder ̈" über 300 °C erhitzt oder ̈" mit Peroxiden versetzt wird, setzt eine vielfach heftige Reaktion ein, wobei ein H (oder mehrere H) des Alkans durch Halogen substituiert wird (Substitution). Dabei entsteht ein Halogenalkan (Alkylhalogenid)) und Halogenwasserstoff, z. B. Brommethan (Methylbromid) aus Methan und Brom: Licht, Hitze oder Peroxide
H H C H
+
Br
H
Br
H C Br
+
H
Br
H Brommethan
H
Bei genügend großem Überschuß an Halogen führt die Reaktion nicht nur zur Monosubstitution; durch Polyhalogenierung können im Prinzip alle H-Atome eines Alkans durch Halogen ersetzt werden. So liefert die Photochlorierung des Methans ein Gemisch aus Monochlormethan (CH3Cl, Methylchlorid), Dichlormethan (CH2Cl2, Methylenchlorid), Trichlormethan (CHCl3, Chloroform) und Tetrachlormethan (CCl4, Tetrachlorkohlenstoff). Diese zu den Chloralkanen oder Chlorkohlenwasserstoffen (CKWs) gehörenden Verbindungen werden als vorzügliche / leider auch biologisch schlecht abbaubare und daher vorschriftsmäßig zu entsorgende / Lösemittel verwendet. CH4
+
Cl2
CH3Cl Chlormethan
+
HCl
CH3Cl
+
Cl2
CH2Cl2 + Dichlormethan
HCl
CH 2Cl2
+
Cl2
CHCl3 + Trichlormethan
HCl
CHCl3
+
Cl2
CCl4 + Tetrachlormethan
HCl
Die Zusammensetzung des Produktgemisches kann durch das Verhältnis der Edukte (Halogen : Alkan) und die Reaktionsdauer gesteuert werden. Überschüssiges Halogen begünstigt die Bildung von Polyhalogenalkanen; kurze Reaktionszeiten favorisieren dagegen die Monosubstitution, da sich zu Beginn der Reaktion viele Alkan- und wenige Halogenalkan-Moleküle im Reaktionsraum befinden. Die Reaktivität der vier Halogene nimmt vom Fluor zum Iod deutlich ab: F2 >> heftige Reaktion
Cl2
> Br2
steuerbare Reaktion
>>
I2 keine Reaktion
Elementares Fluor reagiert mit Alkanen extrem heftig unter Perfluorierung und unkontrollierbarer Bildung von Molekülfragmenten. Verdünnung des Alkan-Fluor-Gemisches mit Stickstoff, niedere Fluorkonzentrationen, niedere Drücke und tiefere Temperaturen bewirken eine bessere Kontrolle der Reaktion. Die Chlorierung eines Alkans verläuft meist unproblematisch; Bromierungen erfordern drastischere Bedingungen. Iod reagiert nicht direkt mit Alkanen; Iodalkane sind nur durch Umwandlung der funktionellen Gruppen anderer Alkan-Derivate zugänglich.
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40
2 Alkane
Der Mechanismus einer Photohalogenierung ist eine typische Kettenreaktion (Abschn. 3). Die Photodissoziation eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Atome (Halogen-Radikale) löst eine Folge von Reaktionen aus, bei denen die reaktionsträgen Alkane über Alkyl-Radikale (R. , daher radikalische Substitution) zu den Produkten Chlorwasserstoff und Halogenalkan abreagieren. Die Chlorierung empfindlicherer Alkane gelingt mit Hilfe von Sulfurylchlorid, SO2Cl2. Auch diese bei moderaten Temperaturen ablaufende Reaktion ist eine radikalische Substitution, welche durch Licht oder Peroxide gestartet wird (Abschn. 3.6). O
R
hp oder R O 40 - 80 °C
R H
2.7.5
+
SO2Cl2
R Cl
+
SO2
+
HCl
Photosulfochlorierung
In Gegenwart von Basen reagieren Alkane mit Sulfurylchlorid oder einer Mischung aus Schwefeldioxid und Chlor zu Alkansulfonsäurechloriden (Alkylsulfonylchloriden). Die Hydrolyse von Alkylsulfonylchloriden führt zu Alkansulfonsäuren. Langkettige Alkansulfonsäuren sind bedeutende Detergentien. R H
+
SO2
+
Cl2
hp / Base
O R S Cl
+
HCl
O Alkansulfonsäurechlorid
2.7.6
Nitrierung von Alkanen
Die Nitrierung von Alkanen bei höheren Temperaturen mit Salpetersäure oder Distickstofftetroxid führt zu Nitroalkanen (z. B. CH3/NO2, Nitromethan), die als Lösemittel, Zwischenprodukte und Sprengstoffe Verwendung finden. > 400 °C
R H
+
HNO3
R NO2
+
H 2O
Nitroalkan
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3.1 Mechanismus der Chlorierung des Methans
41
3 Radikalische Substitution Eine Reaktionsgleichung beschreibt, welche Produkte (rechts vom Pfeil) aus welchen Edukten (Reaktanden, links vom Pfeil) in welchen stöchiometrischen Verhältnissen entstehen. Diese "Bruttogleichung" gibt keinerlei Aufschluß über den Reaktionsmechanismus. Der Reaktionsmechanismus ist der tatsächliche molekulare Ablauf einer Reaktion von den Edukten über reaktive Zwischenstufen zu den Produkten. Die grundlegenden Reaktionen der organischen Chemie verlaufen nach relativ wenigen, für bestimmte Stoffklassen typischen Mechanismen. Für Alkane typisch ist z. B. die radikalische Substitution, deren Mechanismus und Merkmale anhand der Halogenierung des Methans und anderer Alkane im folgenden behandelt werden.
3.1 Mechanismus der Chlorierung des Methans Die in der Gasphase durchgeführte Chlorierung des Methans verläuft über kurzlebige Radikale als reaktive Zwischenstufen. Radikale sind Atome oder Gruppen mit ungepaarten Elektronen, die durch ihren Paramagnetismus nachweisbar sind. Die Bruttogleichung der Chlorierung des Methans beschreibt zunächst nur, daß aus Methan und Chlor (1 : 1) Chlormethan und Chlorwasserstoff (1 : 1) entstehen. CH 4
+
hp
Cl2
CH3Cl + Chlormethan
HCl
Tatsächlich ist die Chlorierung des Methans ein Zusammenwirken dreier Teilreaktionen, der Startreaktion, den Kettenreaktionen und den Abbruchreaktionen. ̈" Startreaktion: Ein Chlor-Molekül spaltet photolytisch oder thermisch in zwei Chlor-Radikale (= Chlor-Atome, Homolyse der Chlor-Chlor-Bindung, Photodissoziation). hp oder hohe Temperatur
Cl2
2 Cl
Die hochreaktiven Cl-Atome (Cl-Radikale, Cl.) lösen eine Folge von zwei Kettenreaktionen aus. ̈" Kettenreaktionsschritt 1: Ein Chlor-Atom und ein Methan-Molekül reagieren zu einem Chlorwasserstoff-Molekül und einem Methyl-Radikal. Cl
̈
+
CH4
HCl
+
CH3
Kettenreaktionsschritt 2: Das Methyl-Radikal reagiert mit einem Chlor-Molekül; es entstehen Chlormethan und ein neues Chlor-Atom (Radikal). CH 3
+
Cl2
CH3Cl
+
Cl
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42
3 Radikalische Substitution
Das in Schritt 2 erzeugte Chlor-Atom reagiert mit einem neuen Methan-Molekül nach Schritt 1 zu Chlorwasserstoff und einem weiteren Methyl-Radikal, das in Schritt 2 erneut Chlormethan und ein Chlor-Atom erzeugt und so die Reaktionskette fortsetzt. Die Spaltung eines einzigen ChlorMoleküls durch ein Lichtquant löst demnach eine Folge von Reaktionen aus (Kettenreaktion). Jeder Kettenreaktionsschritt erzeugt außer einem Produkt (HCl, CH3Cl) ein neues reaktives Radikal (. Cl, . CH3). Unter günstigen Bedingungen kann ein Lichtquant einige tausend Reaktionsfolgen 1 und 2 auslösen. Die Photochlorierung verläuft dann mit einer hohen Quantenausbeute, da ein Lichtquant die Bildung von sehr vielen Chlormethan-Molekülen einleiten kann. Bei kontinuierlicher Prozeßführung (Durchflußreaktoren) und genügend großen Mengen an Edukten kann die Reaktion beliebig lange in Gang gehalten werden. Start und Kette werden besonders prägnant durch das folgende Schema zusammengefaßt: Edukte
Cl2
CH 4
intermediäre Radikale
Cl2
Cl
CH4
CH 3
Produkte
Cl2
Cl
HCl
CH3
CH 3Cl
Cl
HCl
CH3Cl
Jede Reaktionskette endet jedoch irgendwann infolge einer radikalvernichtenden Ketten-Abbruchreaktion, z. B. durch Rekombination, Adsorption, Disproportionierung von Radikalen oder durch Bildung weniger reaktiver Radikale. ̈"
Rekombination von Radikalen Cl
̈
+
Cl
Cl2
H 3C
+
CH 3
H 3C CH 3
H3C
+
Cl
H3C Cl
Adsorption von Radikalen an der Gefäßwand R
̈
Radsorbiert
Disproportionierung höherer Alkyl-Radikale C2H 5
+
C 2H5
H3C CH 3
Ethyl-Radikale
̈
+
H2C=CH2
Ethan
Ethen
Reaktionen mit S-Verbindungen (Radikalfänger) unter Bildung wenig reaktiver Radikale R
+
R*SH
RH
+
R*S
Auch nicht produktive Zusammenstöße, bei denen lediglich kinetische in Schwingungs- und Rotationsenergie umgesetzt wird, bremsen die Reaktionsfolge. Nicht produktiv sind ferner Austauschreaktionen, bei denen sich die Edukte zurückbilden: Cl*
+
Cl2
Cl*Cl
+
Cl
CH3*
+
CH4
CH4*
+
CH 3
Zwar sind alle Einzelschritte exotherm, so daß Wärme frei wird; jedoch müssen die Ansätze der Photochlorierung und Photobromierung ständig belichtet oder erhitzt werden, um gute Ausbeuten
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3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung
43
nach kurzen Reaktionszeiten zu erzielen. Photohalogenierungen können durch Strahlungsintensität und Temperatur sowie durch Inhibitoren geregelt werden. Inhibitoren wie SchwefelVerbindungen, Stickstoffmonoxid, Iod oder der als Biradikal vorliegende Sauerstoff reagieren mit Alkyl-Radikalen zu weniger reaktionsfähigen Radikalen (im Fall von O2 zu AlkylperoxyRadikalen). Auch sie führen zum Kettenabbruch und leiten kurz nach ihrem Zusatz eine Inhibierungsperiode ein, die mit fortschreitendem Abreagieren des Inhibitors abklingt (Abb. 3.1). CH 3
+
O CH3 O Methylperoxy-Radikal
_ _ O _ O _
O2 - Zusatz
% Ausbeute an Chlormethan
Inhibierungsperiode
Zeit
Abb. 3.1. Inhibierung bei Radikal-Reaktionen
3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung 3.2.1
Aktivierungsenergie und Reaktionswärme
Bei energetischen Betrachtungen chemischer Reaktionen ist stets von Reaktionswärme und Aktivierungsenergie die Rede. Die Reaktionswärme FH ist der Energieunterschied in kJ/mol zwischen den Energieinhalten der Edukte (Reaktanten) und der Produkte; im Energiediagramm entspricht FH dem Unterschied zwischen zwei Energieminima. Die Aktivierungsenergie FGC ist der Energieunterschied in kJ/mol zwischen den Energieinhalten der Edukte (Minimum an potentieller Energie) und einem nach Zusammenstoß der Reaktanten gebildeten Übergangszustand (Maximum an potentieller Energie). FGC ist temperaturabhängig. Bei einer exothermen Reaktion gilt: Epot (Edukte)
> Epot (Produkte) , FH negativ
Bei einer endothermen Reaktion gilt umgekehrt: Epot (Edukte)
3.2.2
< Epot (Produkte) , FH" positiv und FH" < FEA
Startreaktion
Die homolytische Spaltung eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Atome erfordert die Dissoziationsenergie FJ" der Halogen-Halogen-Bindung. Die Startreaktion ist also endotherm, und die zur Homolyse erforderliche Energie wird durch Bestrahlung (Energie der Photonen) oder Erhitzen (thermische Energie) aufgebracht. FJ" aller Halogen-Bindungen liegt über 125 kJ/mol (Abb. 3.2).
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44
3 Radikalische Substitution
Daher können bei Temperaturen unter 100 °C infolge unzureichender kinetischer Energie keine Halogen-Radikale erzeugt werden. Eine Kettenstart-Reaktion ist im Dunkeln und bei Raumtemperatur nur über spezielle Ketten-Initiatoren erreichbar. Im Falle einer Homolyse ist die endotherme (positive) Reaktionswärme FJC identisch mit der Bindungsdissoziationsenergie FJ und zugleich Aktivierungsenergie FGC. Die Rekombination 2X. zu X2 erfordert keine Aktivierungsenergie und verläuft exotherm (FJ negativ, FGC = 0, Abb. 3.2). Die individuellen Bindungsdissoziationsenergien FJ der Halogene erklären keineswegs die sehr unterschiedlichen Reaktivitäten (F2 >> Cl2 > Br2 >> I2). Trotz relativ ähnlicher FJ-Werte ist Fluor extrem reaktiver als Iod. Epot
FH F/F FH Cl/Cl FH Br/Br FH I/I
2X
= 155 kJ / mol = 243 kJ / mol = 193 kJ / mol
X2
FH = FEA
2X
= 151 kJ / mol
X X Reaktionskoordinate
Abb. 3.2. Radikalische Halogenierung des Methans: Energiediagramm der Startreaktion
3.2.3
Übergangszustände der Kettenreaktionsschritte
Im Kettenreaktionsschritt 1 der Photochlorierung des Methans Cl
+
CH4
HCl
+
CH3
müssen die beiden Reaktanten Methan und Chlor-Atom mit genügend großer kinetischer Energie zusammenstoßen, um die VAN-DER-WAALS-Abstoßungskräfte zwischen ihren Elektronenhüllen zu überwinden. Es liegt also eine Energiebarriere zwischen den Edukten und Produkten dieser Teilreaktion. Diese Aktivierungsenergie FGC ist für Schritt 1 mit 17 kJ/mol relativ klein (Abb. 3.3 a). Die Kollision führt zu einem instabilen, nicht isolierbaren Übergangszustand (Übergangskomplex), in dem eine CH-Bindung des Methans gerade gespalten, während eine H/Cl-Bindung gerade geknüpft wird. Der Übergangszustand ist labil, erscheint daher im Energiediagramm (Abb 3.3 a) auf einem Maximum. H H
H C
H
H Methan mit sp3-hybridisiertem C-Atom
+
Cl
H
H
H
C H Cl
C
H
H
sp2-Übergangszustand mit nicht lokalisiertem ungepaartem Elektron
+
HCl
Methyl-Radikal mit sp2-hybridisiertem C-Atom und einfach besetztem p-Orbital
Zerfällt der Übergangszustand in die Produkte Methyl-Radikal und Chlorwasserstoff, so war der Zusammenstoß produktiv; zerfällt er vor Erreichen des Maximums wieder in die Edukte, so war die kinetische Energie der Kollision nicht ausreichend, der Stoß war unproduktiv.
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3.2 Energetische Betrachtung der Photohalogenierung
45
Abb. 3.3 a zeigt, daß Kettenreaktionsschritt 1 mit FJ = / 4 kJ/mol exotherm ist, d. h. die Produkte energieärmer (thermodynamisch stabiler) sind als die Edukte. Daraus folgt auch, daß die Rückreaktion eine größere Aktivierungsenergie (21 kJ/mol) erfordert als die Hinreaktion (17 kJ/mol). Ferner ist die Rückreaktion mit FJ = + 4 kJ/mol endotherm. Das Reaktionsgleichgewicht des Schrittes 1 liegt also auf der Produkt-Seite. Für Kettenreaktionsschritt 2 ergibt sich das Energiediagramm (Abb. 3.3 b) aus dem Energiebedarf für die Cl2-Dissoziation, der Energiefreisetzung durch die Bildung des Chlormethans und einer Aktivierungsenergie von FGC4 = 4.2 kJ/mol. H
H
H +
C
Cl
Cl
H
H H C
C Cl Cl H
H sp2, planar
sp2 / sp3 -Übergangszustand mit nicht lokalisiertem ungepaartem Elektron
H3C
+
Cl2
Cl
+
Cl
H sp3, tetraedrisch
CH3Cl
+
Cl
Energieverbrauch: FH = 243 kJ/mol Energiefreisetzung: FH = / 339 kJ/mol Reaktionswärme: FH = / 96 kJ/mol
Epot
[ H 3C Cl
Cl ] Übergangszustand
FEA2
Epot [ H 3C H Cl ]
Übergangszustand
H3C + Cl2 Edukte
FEA1 = 17 kJ / mol
~ ~
FH2 = / 96 kJ / mol
CH4 + Cl Edukte
FH1 = / 4 kJ / mol
CH3 + HCl Produkte Reaktionskoordinate
(a) Kettenreaktionsschritt 1
H 3C Cl + Cl Produkte Reaktionskoordinate
(b) Kettenreaktionsschritt 2
Abb. 3.3. Radikalische Chlorierung des Methans: Energiediagramme der Kettenreaktionsschritte 1 und 2 (a) und (b)
Nach Kenntnis aller Teilschritte (Startreaktion und Kettenreaktionen 1 und 2) läßt sich in Abb. 3.4 (S. 46) das Energiediagramm der Gesamtreaktion zusammenfassend darstellen. Man sieht, daß die Startreaktion einen hohen Energiebetrag erfordert, während die Folgeraktionen 1 und 2 in der Kette nur einer geringen Aktivierung bedürfen. Rückreaktionen sind unwahrscheinlich angesichts ungünstig hoher Aktivierungenergien. Die meisten Kettenabbruch-Reaktionen verlaufen indessen sehr leicht, da Kombinationen von Radikalen zu Molekülen nahezu keine Aktivierungsenergie erfordern.
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46
3 Radikalische Substitution
Epot
+ CH4
Cl2
Cl
/ HCl
+ Cl2
CH3
/ CH3Cl
Cl
FEA1
FEA2
FH1
~ ~
FH = FEA
Startreaktion
Kettenreaktion 1
FH2
~ ~
Kettenreaktion 2 Reaktionskoordinate
Abb. 3.4. Radikalische Chlorierung des Methans: Energiediagramm der Gesamtreaktion
3.3 Reaktionsgeschwindigkeit 3.3.1
Äußere Einflüsse
Makroskopisch und praktisch ist die Reaktionsgeschwindigkeit die pro Zeiteinheit erzeugte Produktmenge (mol/s). In der Stoßtheorie wird die Reaktionsgeschwindigkeit als die Anzahl produktiver Zusammenstöße pro Zeiteinheit definiert. Sie ist das Produkt dreier Faktoren, deren Größe von den Reaktionsbedingungen, dem Reaktionstyp und der Konstitution der Edukte abhängt: Reaktionsgeschwindigkeit = Energiefaktor x Stoßhäufigkeit x Orientierungsfaktor
Der Energiefaktor wird durch die Reaktionstemperatur sowie die Aktivierungsenergie beeinflußt; er gibt den Bruchteil der Stöße mit genügend hoher Energie. Im Reaktionsgefäß bewegen sich Atome und Moleküle mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Bei jeder Temperatur T1 stellt sich eine mittlere Verteilung der Teilchengeschwindigkeiten ein (MAXWELL-Geschwindigkeitsverteilung, Abb. 3.5). Bei höherer Temperatur T2 findet man eine breitere Streuung der Geschwindigkeiten. Da nur solche Teilchen reagieren, die mindestens eine Energie der Größenordnung von FGC besitzen, erhöht sich die Anzahl produktiver Stöße und damit die Reaktionsgeschwindigkeit mit der Temperatur. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante k ist nach der ARRHENIUS-Gleichung (lg k = A / B/T) eine Funktion des Druckes und der Temperatur. Eine Zunahme der Temperatur um 10 °C steigert
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3.3 Reaktionsgeschwindigkeit
47
die Geschwindigkeitskonstante um Faktor 1.3 bis 5. Wegen des exponentiellen Zusammenhangs zwischen der Temperatur, FGC und der Geschwindigkeitskonstanten k = k0 . e/"FGC / kT genügen geringe Temperaturänderungen, um die Zahl produktiver Stöße stark an- oder abschwellen zu lassen. FNE
T1
Temperatur T2 > T1
N Anzahl der Moleküle mit einer bestimmten kinetischen Energie
T2
FEkin < FEA
EA
FEkin > FEA
Ekin
Abb. 3.5. MAXWELL-Geschwindigkeitsverteilung
Die Stoßhäufigkeit hängt von der Edukt-Konzentration, der Geschwindigkeit und Größe der Moleküle ab. Große Moleküle stoßen häufiger zusammen als kleine. Nicht jeder Stoß mit genügend großer Energie (Ekin > FGC) führt zur Reaktion. Bei der Methan-Chlorierung muß z. B. das ChlorAtom direkt auf ein H-Atom des Methans treffen, um ein Eintauchen der Orbitale ineinander und damit eine Reaktion zu ermöglichen. H
H H C
H
Cl
H produktiver Stoß - günstig zur gerichteten Bildung einer Bindung
H C H
Cl
H unproduktiver (elastischer) Stoß ungünstige Orientierung
Diese Zusatzbedingung wird als Orientierungs- oder sterischer Faktor bezeichnet. Im Falle höherer Alkane tragen auch zusätzliche Freiheitsgrade der Molekülbewegung (z. B. Rotation um oder Schwingungen von CC-Bindungen) zum sterischen Faktor bei.
3.3.2
Geschwindigkeitsbestimmender Schritt der Photohalogenierung
Im Falle der Photochlorierung des kleinen kugelförmigen Moleküls Methan fallen Stoßzahl und Orientierungsfaktor weniger ins Gewicht als der Energiefaktor. Daraus ergibt sich, daß der geschwindigkeitsbestimmende Schritt (der langsamste) in der Kettenreaktion derjenige mit der höchsten Aktivierungsenergie FGC ist. Obwohl die Startreaktion den höchsten FGC-Wert erfordert, ist sie nicht geschwindigkeitsbestimmend, da in einer Kette von mehreren hundert Folgereaktionen dieser erste Schritt an Bedeutung verliert. Vielmehr ist bei der Photohalogenierung des Methans die Bildung der Methyl-Radikale, also Schritt 1 geschwindigkeitsbestimmend. Schritt 2 verläuft wieder rasch, da die reaktiven Methyl-Radikale mit allen Halogen-Molekülen ohne größere Aktivierungsenergie zu Halogenmethan und Halogen-Atom abreagieren.
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48
3.3.3
3 Radikalische Substitution
Relative Reaktionsgeschwindigkeiten der Photohalogenierung
Die unter identischen Reaktionsbedingungen (Temperatur, Druck, molares Verhältnis der Edukte) ermittelten Energiewerte aller Teilreaktionen der Photohalogenierung des Methans sind in Tab. 3.1 zusammengestellt. Die Aktivierungsenergien der Startreaktionen (FGC3) und die Reaktionswärmen FJ3.4 zeigen, daß die Reaktivität in der Folge F2 >> Cl2 > Br2 >> I2 abnimmt. Ein Anstieg von FGC3 verzögert ja zusätzlich den geschwindigkeitsbestimmenden Kettenreaktionsschritt 1. Tab. 3.1. Energiebilanzen der Halogenierung von Methan (FJ" und FGC in kJ/mol) Startreaktion X2
2X
FEA = FH Fluorierung Chlorierung Bromierung Iodierung
+ 155 + 243 + 193 + 151
Kettenreaktionsschritt 1 X
+
FHCH3-H + 427 + 427 + 427 + 427
CH4
FHH/X - 566 - 432 - 365 - 297
CH3
FEA1 + 4.2 + 16.8 + 75.4 + 129.9
Kettenreaktionsschritt 2 +
HX
CH 3
FH1
FHX/X FHCH3-X
- 138.3 - 4.2 + 62.9 + 129.9
+ 155 + 243 + 193 + 151
+
X2
- 453 - 339 - 281 - 222
CH3X
FEA2 + + + +
4.2 4.2 4.2 4.2
+
FH2 - 297 - 96 - 88 - 71
X
Reaktionswärme von 1+2
Reaktionsverlauf
FH1,2 - 436 - 101 - 25 - 59
heftig stark mäßig keine R.
Tatsächlich verläuft die Fluorierung äußerst heftig und stark exotherm. Eine hohe Dissoziationsenergie erschwert zwar den Start der Chlorierung, aber die Kettenlänge ist dafür relativ groß. Bromierungen lassen sich leichter starten, verlaufen aber über kürzere Reaktionsketten. IodAtome lassen sich am leichtesten erzeugen, aber eine Kettenreaktion kommt nicht in Gang.
3.4 Regioselektivität der Monohalogenierung Die Halogenierung höherer unverzweigter oder verzweigter Alkane führt meist zu einem Gemisch isomerer Monohalogenalkane neben Polyhalogenalkanen. Eine quantitative Analyse der Reaktionsprodukte (Tab. 3.2) zeigt, daß die relativen Ausbeuten der isomeren Produkte nicht der statistisch erwarteten Verteilung entspricht, die von einer gleichen Reaktivität aller H-Atome des Alkans gegenüber Halogen ausgehen würde. Bevorzugt sind vielmehr Substitutionen an tertiären und sekundären C-Atomen zu Lasten der Substitution an Methyl-Gruppen. Demnach kann zwar ein Chlor-Atom alle H-Atome eines Alkans mit gleicher Wahrscheinlichkeit treffen; jedoch sind Zusammenstöße mit H am tertiären C produktiver als mit H am sekundären oder primären C. Zusätzlich zum Energiefaktor spielt hier der Orientierungsfaktor eine wesentliche Rolle. Wird bei einer Reaktion wie der Photochlorierung des Butans (Tab. 3.2) von mehreren möglichen konstitutionsisomeren Produkten (1-Chlorbutan und 2-Chlorbutan) ein Isomer begünstigt (2Chlorbutan, Tab. 3.2), so spricht man von Regioselektivität (bevorzugte Orientierung einer Reaktion). Die Regioselektivität kann in Grenzen durch Wahl der Reaktionsbedingungen gesteuert werden. So bewirkt eine durch Erhöhung der Temperatur erzwungene höhere kinetische Energie der Moleküle im Falle der Chlorierung des Butans auch eine größere Zahl produktiver Zusammenstöße mit den Methyl-H-Atomen, so daß mehr 1-Chlorbutan entstehen wird. Grenzen setzt die Reaktivität des Halogens, wie das Beispiel der Halogenierung des Propans klar macht. So verläuft die Fluorierung auch bei tiefen Temperaturen heftig und unselektiv; die Chlorierung ist bei Raumtemperatur schwach selektiv, die Bromierung auch bei höherer Temperatur hochselektiv zugunsten des 2-Halogenpropans. Iod reagiert überhaupt nicht. Daraus ergibt sich die Vorhersage, daß
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3.5 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen
49
große Reaktivität (FGC klein) zu geringer, schwache Reaktivität (FGC groß) zu großer Selektivität führt. Tab. 3.2. Orientierung der Monosubstitution höherer Alkane und relative Ausbeuten der Isomeren Cl
+ Cl2
H 3C CH2 CH3
/"HCl
gefunden: erwartet :
H3C CH 2 CH 2 Cl 45 % 75 %
+
H3C CH 2 CH 2 CH2 Cl
+
CH 3
/"HCl
gefunden: erwartet :
H 3C CH CH2 CH 3
25 % 60 %
75 % 40 %
gefunden: erwartet :
1° : 2° ~ 6 : 15 1° : 2° ~ 6 : 4
+ H3C C CH3
H 3C CH CH2 Cl
/"HCl
oder
CH 3
CH3
+ Cl2
H3C CH CH 3
1° : 2° ~ 6 : 7 1° : 2° ~ 6 : 2
Cl
+ Cl2
H 3C CH2 CH2 CH 3
H 3C CH CH3 55 % oder 25 %
Cl 36 % 10 %
64 % 90 %
oder
1° : 3° ~ 9 : 5 1° : 3° ~ 9 : 1
3.5 Relative Stabilität von Alkyl-Radikalen 3.5.1
Relative Stabilität und Energiegehalt
Ein Vergleich der Bindungs-Dissoziationsenergien FJ" zeigt, daß der Energiebedarf zur Homolyse einer CH-Bindung mit zunehmender Alkylierung am C abnimmt: CH3/H 427
>
RCH2/H 406
>
R2CH/H 394
>
R3C/H 381
C/H-Bindung FH" [kJ/mol]
Folglich bilden sich tertiäre Alkyl-Radikale viel leichter (FGC kleiner) als Methyl-Radikale (FGC größer). Tertiäre Alkyl-Radikale sind energieärmer und damit stabiler als Methyl-Radikale. Die energiereichen und damit labilen Methyl-Radikale zeigen aber die größte Reaktivität. Insgesamt nimmt mit abnehmender Alkylierung der Radikale die Stabilität ab und die Reaktivität zu. . CH3
/OR 2 > "/F > /OR > "/NR 2 Halogene Alkinyl- , Aryl- , Alkenyl-Gruppen Nitro- und Sulfonyl-Gruppen
CarbonylGruppen
"/F > /Cl > "/Br > /I
O
O C > OH
O C > OR
Substituenten, die u-Bindungselektronen an die RingC-Atome schieben, sind weniger elektronegativ als H
_ N _ R >
_ OI _
Alkyl-Gruppen
C C R > /C 6H 5 > /CR CR 2 O > N O
f/ fC Y (-) - I -Effekt
"/C(CH 3)3 > /CH(CH 3)2 > "/CH 2CH 3 > /CH 3
S O OH O C > H
O C R
Halogenalkyl"/CCl3 > /CHCl2 > "/CH 2Cl >> /CH 2CH 2Cl Gruppen
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134
10 Benzoide Aromaten
(-)-I- und (/)-I-Effekte erhöhen bzw. erniedrigen die Basizität (Nucleophilie) des Benzen-Kerns und aktivieren bzw. desaktivieren diesen somit gegenüber Elektrophilen, was zunächst noch keine Vorhersage der Orientierung einer Zweitsubstitution ist.
10.4.4
Mesomere Effekte von Substituenten am Benzen-Kern
Das Dipolmoment einer funktionellen Gruppe hängt davon ab, ob der Substituent an einen Alkyloder Aryl-Rest gebunden ist (Tab. 10.5). Tab. 10.5. Dipolmomente (o [Debye]) von Substituenten an Ethan und Benzen (Gasphasen-Messungen) Substituent X
C2H 5
X
C 6H5 X
Vergleich
/OH /Cl /Br
1.69 2.05 2.01
1.4 1.7 1.73
oAryl < oAlkyl
/NH2 /OCH 3 /COCH3 /NO2 /CN
1.2 1.22 2.78 3.68 4.0
1.48 1.35 3.0 4.21 4.39
oAryl > oAlkyl
Diese Unterschiede erklärt der mesomere Effekt (konjugativer Effekt, engl. resonance effect) . Darunter versteht man die Polarisierung von r-Bindungen durch Fähigkeit eines Substituenten, Elektronenpaare mit der Doppelbindung eines Alkens bzw. mit dem r-Elektronensextett des Benzens auszutauschen. Eine derartige Wechselwirkung ist möglich, wenn die p-Orbitale der Ring-CAtome mit den Orbitalen der Substituenten überlappen können. Günstige Überlappungsbedingungen sind gegeben, wenn der Substituent ebenfalls p-Orbitale bereitstellt. Mesomere Effekte haben eine größere Reichweite als induktive Effekte.
̈ Mesomerie der Halogenbenzene Die verschiedenen Reaktivitäten und physikalischen Eigenschaften aromatischer und aliphatischer Halogen-Verbindungen lassen sich nur teilweise durch Beteiligung mesomerer Grenzformeln (c), (d) und (e) am Grundzustand des Brombenzens erklären. Diese Grenzformeln berücksichtigen eine Wechselwirkung eines der drei nichtbindenden 3p-Elektronenpaare des Brom-Atoms mit den r-Elektronen des Benzen-Kerns (2p-Elektronen). Allerdings ist der daraus resultierende Doppelbindungsanteil der Kohlenstoff-Brom-Bindung gering. _ IBrI
_ IBrI
_ IBr
_ IBr
_ IBr
_ I BrI
(a )
(b )
(c )
(d )
(e)
Brombenzen
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10.4 Benzen-Derivate durch elektrophile Substitution
135
Infolge dieser Wechselwirkung werden dem Benzen-Kern Elektronen durch Mesomerie zugeführt (-); daher spricht man vom (-)-M-Effekt. Die CCl-Bindungslänge des Chlorbenzens entspricht mit 169 pm der des Chlorethens (169 pm) und ist deutlich kürzer als in Chlorethan (176 pm). Dies ist hauptsächlich die Folge der unterschiedlichen C-Hybridisierung in Vinyl- und Arylhalogeniden einerseits (kompakte sp2-Hybridorbitale) und in Halogenalkanen andererseits (weiter reichende sp3-Hybridorbitale). Der (-)-M-Effekt der Halogene nimmt von Fluor zum Iod ab entsprechend einer zunehmend schlechter werdenden Überlappung der 2p-, 3p-, 4p- und 5p- Halogenorbitale mit den Ring-CAtomen. In der gleichen Folge sinkt der (/)-I-Effekt der Halogene infolge abnehmender Elektronegativitäten. Wegen großer Elektronegativitäten dominiert der (/)-I-Effekt der Halogene über ihrem (-)-M-Effekt [(-)-M < (/)-I]. Daher wirken Halogene insgesamt elektronenanziehend.
̈ Mesomerie aromatischer Amine Die Dipolmomente aromatischer Amine wie Anilin (o = 1.6 D) sind größer als die aliphatischer Amine (o = 1.0 – 1.4 D). Wie beim Brom- oder Chlorbenzen kann im Anilin das nichtbindende ("freie") Elektronenpaar auf dem Stickstoff-2p-Orbital mit dem r-Elektronensextett des PhenylRestes wechselwirken: INH2
INH 2
NH2
NH2
INH 2
NH 2 Anilin
Der (-)-M-Effekt der Amino-Gruppe dominiert [(-)-M > (/)-I]. Somit wirkt die Amino-Gruppe trotz höherer Elektronegativität des Stickstoffs aktivierend, da durch die Elektronenzufuhr die Basizität (Nucleophilie) des Phenyl-Restes erhöht wird. Entsprechend kehrt sich die Richtung des Dipolmomentes gegenüber Chlorbenzen um.
̈ Mesomerie des Nitrobenzens Das Dipolmoment des Nitrobenzens ist beträchlich höher als das eines Nitroalkans. Nitro-Gruppen haben einen sehr großen (/)-I-Effekt, da der Stickstoff aufgrund der semipolaren N/O-Bindung partiell positiv geladen ist. Der große (/)-I-Effekt einer Nitro-Gruppe kooperiert mit einem starken (/)-M-Effekt, da das 2pOrbital des Stickstoffs bei Koplanarität günstig mit dem Phenyl-Kohlenstoff überlappen kann. Die Nitro-Gruppe ist daher stark elektronenziehend [(/)-M und (/)-I], was die Basizität (Nucleophilie) des Phenyl-Restes stark erniedrigt. Im Vergleich zu Anilin kehrt sich die Richtung des hohen Dipolmoments daher um (Tab. 10.5). O
N
O
O
N
O
O
N
O
O
N
O
O
N
O
NO2 Nitrobenzen
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136
10 Benzoide Aromaten
Tab. 10.6 gibt eine Übersicht der positiven und negativen mesomeren Effekte häufiger Substituenten. Mesomere Substituenteneffekte bestimmen hauptsächlich den Grundzustand des Moleküls. Das chemische Verhalten substituierter Benzene wird durch mesomere, induktive und auch sterische Effekte geprägt.
Tab. 10.6. Substituenten mit (-)-M - und (/)-M- Effekt (-) - M - Substituenten (Elektronenpaar-Donoren)
(/) - M - Substituenten (Elektronenpaar-Akzeptoren) O
/NR 2 > /OR > /F
>
NR' C > R
CR'2 C R
> H
O C Cl
O C OR
O
O
C R O
/O
/F
> /OR
> /OR2
> /Cl > /Br > /I
C
N
> O
>
>
O C NR2
O >
O O
O
S OH >
S R
O
O
C
>
C N
>
S NR 2 O
10.5 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen Der Substituent eines monosubstituierten Benzens prägt einerseits dessen Reaktivität gegenüber einem Elektrophil. Je nach Wirkung der Substituenteneffekte auf die Nucleophilie des BenzenRings unterscheidet man zwischen aktivierenden und desaktivierenden Substituenten. Andererseits steuert der Erstsubstituent auch die Regioselektivität der Zweitsubstitution, indem er das Elektrophil in bestimmte Positionen dirigiert; es gibt ortho (o)- und para (p)- sowie meta (m)dirigierende Erstsubstituenten. Experimentelle Resultate vieler elektrophiler Zweitsubstitutionen am Benzen-Kern ordnen die Erstsubstituenten drei Klassen zu: ̈ ̈ ̈
Substituenten, die aktivieren und ortho und para dirigieren (Beispiel: /OH); Substituenten, die desaktivieren und meta dirigieren (Beispiel: /NO2); Substituenten, die desaktivieren und ortho und para dirigieren (Beispiel: /Cl).
Tab. 10.7 gibt eine Übersicht der Klassenzugehörigkeit häufiger Erstsubstituenten in Bezug auf die elektrophile aromatische Zweitsubstitution. Eine Methyl-Gruppe dirigiert demnach den Zweitsubstituenten in o- und p-Stellung, eine NitroGruppe dagegen in m-Stellung, wie die Nitrierungsprodukte des Toluens und Nitrobenzens zeigen (vgl. auch Abb. 10.1):
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10.5 Regioselektivität elektrophiler Zweitsubstitutionen
NO2
konz. HNO3 , H2SO4 , 60 °C
CH3
137
CH3
konz. HNO3 , H2SO4 , 30 °C
CH3
CH3
NO2
O2N NO2
gefunden (statistisch erwartet)
NO2
52 % (40 %)
4 % (40 %)
NO2
konz. HNO3 , H2SO4 , 10 °C
44 % (20 %)
NO2
NO2
NO2
O2N NO2
gefunden (statistisch erwartet)
6 % (40 %)
93 % (40 %)
1 % (20 %)
Tab. 10.7. Mesomere und induktive Effekte von Erstsubstituenten am Benzen-Ring sehr stark
O
(/) - I , (-) - M
NR2 ElektronenpaarDonoren
NHR stark
NH2 OH
= (-) - M - Substituenten
OR = aktivierende Substituenten:
mäßig stark
(/) - I < (-) - M
OCOR NHCOR
Kern wird stärker nucleophil
NHCHO schwach
C 6H5 CH3
(-) - I
CR3
F (~H) Cl, Br, I
(/) - I > (-) - M
CH CH CO2H ElektronenpaarAkzeptoren
schwach
CH CH NO2 COR CHO
= (/) - M - Substituenten
CO2R
= desaktivierende Substituenten:
CO2H
(/) - I , (/) - M
SO3H
Kern wird weniger nucleophil
stark
CN NO2 NH3
sehr stark
(/) - I
NR3
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138
10 Benzoide Aromaten
Abb. 10.1 illustriert den dirigierenden Einfluß einer größeren Anzahl von Erstsubstituenten auf die Nitrierung. Dabei sollen unterschiedliche Pfeillängen die relative Verteilung der regioisomeren Produkte andeuten.
OH CH(CH 3)2 CH 2CH 3 NHCOCH 3 CH 3 CH 2CH2NO2 CH2Cl
aktivierend
CH 2NO2
ortho- und para- dirigierend
CHCl2
F Cl Br I
meta- dirigierend COCH 3
desaktivierend CCl3 SO3H CN NO2 N(CH3)3
Abb. 10.1. Dirigierender Einfluß von Erstsubstituenten bei der Nitrierung (Regioselektivität der Nitrierung monosubstituierter Benzene)
10.6 Darstellung von Alkylbenzenen 10.6.1
Alkylierung nach FRIEDEL-CRAFTS
Neben der Isolierung aus Steinkohle und Petroleum oder der katalytischen Aromatisierung von Alkanen ist besonders die Alkylierung von Aromaten mit Halogenalkanen, Alkoholen oder Alkenen zur Gewinnung alkylsubstituierter Benzene von Bedeutung. Über die Möglichkeiten zur Darstellung monoalkylsubstituierter Benzene orientiert Tab. 10.8. LEWIS-Säuren als Katalysatoren führen zur Bildung des Elektrophils. Da ein bereits am Benzen-
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10.6 Darstellung von Alkylbenzenen
139
Ring vorhandener Alkyl-Rest den Kern gegenüber einer weiteren Substitution aktiviert, isoliert man bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen oft Mischungen polysubstituierter Produkte. Um die Reaktion bei der Monosubstitution anzuhalten, setzt man einen Überschuß an Benzen ein. Tab. 10.8. FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen des Benzens
Edukte C6H6 3 C6H6 3 C6H6 C6H6 C6H6 C6H6 C6H6 2 C6H6 C6H6
Katalysator(en)
H5C6/CH2/Cl CHCl3 CHCl4 H2C=CH2 H2C=CH2/CH3 H2C=C(CH3)2 C6H12 (Cyclohexen) ClCH2/CH2Cl C6H5/CH=CH2
+ + + + + + + + +
AlCl3 AlCl3 AlCl3 AlCl3, HCl H3PO4 oder HF H2SO4 HF oder H2SO4 AlCl3 AlCl3, HCl
Produkte H5C6/CH2/C6H5 (C6H5)3CH (C6H5)3CCl C6H5/CH2/CH3 C6H5/CH(CH3)2 C6H5/C(CH3)3 C6H5/C6H11 C6H5/CH2/CH2/C6H5 (C6H5)4CH/CH3
Diphenylmethan Triphenylmethan Triphenylchlormethan Ethylbenzen Cumen (Cumol) t-Butylbenzen Cyclohexylbenzen Dibenzyl 1,1-Diphenylethan
Wie einige Methylierungen zeigen, lassen sich Polyalkylbenzene einfach durch einen Überschuß an Elektrophil erhalten. Es ist sogar möglich, in das durch den (-)-I-Effekt stark aktivierte Hexamethylbenzen (hohe Elektronendichte) eine siebte Methyl-Gruppe einzuführen. Man isoliert ein relativ stabiles Phenonium-Salz.
AlCl3
+
CH 3 CH 3
CH 3 CH 3
H3C Cl
AlCl4
Hexamethylbenzen
10.6.2
CH3 CH3
Heptamethylphenonium-Salz
Transalkylierung und thermodynamische Kontrolle von Alkylierungen
FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen sind reversibel. Daher lassen sich Alkyl-Reste von Alkylbenzenen durch Erhitzen in Gegenwart von AlCl3 auf andere Benzen-Kerne übertragen. Erhitzen von Toluen mit AlCl3 führt z. B. zu einer Mischung aus Benzen, Toluen, Xylenen und geringen Mengen höher methylierter Benzene. Unter relativ milden Reaktionsbedingungen sind Alkyl-Gruppen ortho- und para-dirigierend. Bei höherer Temperatur oder in Gegenwart starker LEWIS-Säuren entstehen dagegen bevorzugt die thermodynamisch stabileren meta-substituierten Alkylbenzene: AlCl3 , 0 °C , kinetisch kontrolliert / 3 HCl
+
3 H 3C Cl AlCl3 , 100 °C , thermodynamisch kontrolliert / 3 HCl
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140
10 Benzoide Aromaten
Bei der Ethylierung des Benzens nach FRIEDEL-CRAFTS findet man bei tiefer Temperatur das thermodynamisch stabilere meta-Triethylbenzen. AlCl3 , 0 °C, 24 h
+
3 H 3C CH 2 Br
Thermodynamisch kontrolliert ist auch die Umwandlung der drei Xylene in Gegenwart von Fluorwasserstoff-Bortrifluorid. Diese katalytische Isomerisierung läßt sich durch 1,2-Methid(Methylcarbanion-) Verschiebungen erklären. CH 3 HF / BF3
HF / BF3
H CH 3
BF 4
H intermediäres Phenonium-Salz bei der 2,3-Methyl-Verschiebung des o-Xylens
Da bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen intermediär Carbokationen auftreten, sind neben den bereits diskutierten Umlagerungen am Ring auch solche in der Seitenkette möglich (Tab. 10.9). Die stabileren tertiären Carbokationen zeigen eine geringere Reaktivität; die primären reagieren rascher mit dem Ring und neigen daher weniger zu Umlagerungen. Umlagerungen sind jedoch auch nach der Kernsubstitution möglich, da diese Alkylierungen reversibel sind. Allgemein treten Disproportionierungen und Umlagerungen am Kern und im Alkyl-Rest in geringerem Umfang ein, wenn nur schwache LEWIS-Säuren als Katalysatoren eingesetzt werden. Dabei gilt folgende Reihung der LEWIS-Säurestärke: AlCl3 > SbCl3 > FeCl3 > SnCl4 > BF3 > ZnCl2 > HF > H2SO4 (wasserfrei) > P2O5 > H3PO4
Tab. 10.9. Umlagerungen der Seitenkette bei FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierungen AlCl3
C 6H6
+
H5C 6 CH 2 CH2 CH3
Cl CH 2 CH2 CH3 CH3
C 6H6
+
Cl CH 2 CH CH3
C 6H6
+
HO CH2 C CH3 CH 3
C 6H6
+
Cl C CH 2 CH 3
CH 3
CH 3
AlCl3
+
H5C 6 CH(CH 3)2
CH3 H5C 6 C CH3 CH3
BF3 / 60 °C
CH3 H5C 6 C CH2 CH3 CH3
FeCl3
CH3 H5C 6 C CH2 CH3 CH3
CH 3 AlCl3
H5C 6 CH CH(CH3)2 CH3 C6H 6
+
Cl CH2 CH 2 CH 2 CH3
AlCl3 / 0 °C
H 5C6 CH2 CH 2 CH 2 CH3
CH3 +
H 5C6 CH CH 2 CH3
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10.6 Darstellung von Alkylbenzenen
141
Probleme stellen sich oft bei der Darstellung vicinal alkylierter Benzene aufgrund sterischer Hinderung. Eine t-Butyl-Gruppe am Benzen-Ring schirmt beide ortho-Stellungen sterisch vor elektrophilen Substitutionen ab. Die raumerfüllende t-Butyl-Gruppe läßt sich gut einführen und durch Umalkylierung leicht entfernen. Auf diesem „Umweg“ können auch die sonst schwer zugänglichen 1,2,3-Trialkylbenzene hergestellt werden. C 2H 5
C 2H5 H 3C
CH 3
H3C
(CH 3) 3CCl / AlCl 3
CH3
C2H5Cl / AlCl3
t-Butylierung
H 3C
CH 3
Alkylierung
m-Xylen
m-Xylen / AlCl3
H3C
CH3
Umalkylierung
H3C C CH 3
1,2,3-Trialkylbenzen
H 3C C CH3
CH 3
CH3
Zur Synthese des ebenfalls vicinal substituierten 1,2,3,4-Tetramethylbenzens ("Prehnitol") aus dem 1,2,4,5-Tetramethylbenzen ("Durol") nützt man die Reversibilität der Sulfonierung aus. Die Isomerisierung ist als JACOBSEN-Umlagerung bekannt. SO3H H 3C
CH 3
H 3C
CH 3
Sulfonierung
SO3H
H 3C
CH 3
H 3C
CH 3
CH 3
Isomerisierung
H 3C
CH 3
Desulfonierung
H 3C
CH 3
CH 3
CH 3 1,2,3,4-Tetramethylbenzen
CH 3 1,2,4,5-Tetramethylbenzen
Technisch bedeutsam war die Acylierung und Alkylierung zweier Äquivalente des Chlorbenzens mit Trichloracetaldehyd und Schwefelsäure zu 1,1,1-Trichlor-2,2-bis(4-chlorphenyl)ethan, das als hochwirksames aber biologisch schwer abbaubares Insektizid DDT (Abkürzung für "Dichlordiphenyl-d,d,d-trichlorethan") Verwendung fand. O 2
Cl
+
(H 2SO4) , / H2O
Cl3C C
H Cl
H
10.6.3
C
Cl
CCl3 DDT
FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung
Im Gegensatz zur Alkylierung können bei Acylierungen des Benzen-Kerns unter LEWIS-SäureKatalyse (Tab. 10.2, S. 132) keine Umlagerungen eintreten. Deshalb bevorzugt man zur Synthese von Benzenen mit längerem Aliphaten-Rest (Phenylalkane) die Acylierung durch ein Carbonsäurechlorid und anschließende Reduktion des Phenylalkylketons nach WOLFF-KISHNER oder nach CLEMMENSEN (Abschn. 20.11). 1. Acylierung
+
Cl
O C CH2 CH 2 CH3
O
AlCl3 /"HCl
Butansäurechlorid (Butyrylchlorid)
C CH2 CH2 CH 3 Phenylpropylketon (Butyrophenon)
/
+ H2 N/NH2 , OH , 200 °C, / H2O, /"N2
O 2. Reduktion
C
WOLF-KISHNER-Reduktion /
CH 2 CH2 CH3
+ 2 H + , + 2 e0 ". Zn(Hg) / HCl, / H2O
CLEMMENSEN-Reduktion
CH 2 CH 2 CH2 CH 3 Butylbenzen
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142
10.6.4
10 Benzoide Aromaten
Reduktion von Alkenylbenzenen
Da der Benzen-Ring gegenüber der katalytischen Hydrierung stabiler ist als ein Alken, lassen sich Alkenylbenzene selektiv in der ungesättigten Seitenkette zu Alkylbenzenen hydrieren. Bei erhöhten Drucken und Temperaturen wird auch der Ring hydriert, und man erhält Alkylcycloalkane. CH2 CH CH2
+ H2 (Ni), 20 °C, 3 bar
Allylbenzen
10.6.5
CH2 CH2 CH3
CH 2 CH2 CH3
+ 3 H2 (Ni), 130 °C, 120 bar
Propylbenzen
Propylcyclohexan
Cyclotrimerisierung von Alkinen
In Gegenwart spezieller Katalysatoren lassen sich Alkine zu alkylsubstituierten Benzenen cyclotrimerisieren (Abschn. 7.5.6). Aus Pentin entsteht auf diese Weise 1,2,4-Tripropylbenzen. Ni(CO) 4
3 HC C CH2 CH2 CH 3 1-Pentin 1,2,4-Tripropylbenzen
10.6.6
Cyclokondensation von Ketonen
Symmetrische Trialkylbenzene wie Mesitylen, entstehen in geringen Ausbeuten durch säurekatalysierte Cyclokondensation von Ketonen. Aus Aceton bildet sich auf diese Weise Mesitylen. CH3 O CH3 H3C
CH 3
CH3 O
O H 3C
konz. H2SO4 , 5 °C
CH 3
Propanon (Aceton)
10.6.7
H3C
CH3
1,3,5-Trimethylbenzen (Mesitylen)
Alkylbenzen-Synthese nach WURTZ und FITTIG
In einer WURTZ-analogen Synthese lassen sich Alkyl- und Arylhalogenide mit Natrium zu alkylierten Aromaten umsetzen. Aus Brombenzen und 1-Brompropan entsteht u. a. Propylbenzen. Na in Ether
Br + Br
CH 2 CH 2 CH 3
CH 2 CH 2 CH3 , Propylbenzen
, H 3C Biphenyl
(CH 2)4 CH3 n-Hexan
Im Gegensatz zur WURTZ-Synthese erhält man jedoch bei dieser WURTZ-FITTIG-Synthese vorwiegend das Alkylbenzen; Biphenyl und Alkan sind nur Nebenprodukte. Intermediär tritt ein Phenyl-
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10.7
Reaktionen der Alkylbenzene
143
carbanion auf, welches in einer nucleophilen Substitution mit dem Halogenalkan reagiert. Primäre Alkyl-Gruppen gehen dabei keine Umlagerung ein. / NaBr
+ Br
Br + 2 Na
CH2
Na
CH2
CH3
CH2 CH2 CH 3
/ NaBr
Phenylnatrium
10.6.8
Alkylierung über Arylmagnesiumhalogenide
Reaktive Halogenalkane wie Benzylbromid alkylieren Arylmagnesiumhalogenide (aromatische GRIGNARD-Reagenzien). Aus Phenylmagnesiumbromid und Benzylbromid entsteht z. B. Diphenylmethan. Ether
MgBr
+
Br
Phenylmagnesiumbromid
CH 2
CH2 Benzylbromid
+
MgBr2
Diphenylmethan
10.7 Reaktionen der Alkylbenzene 10.7.1
Halogenierung am Kern und in der Seitenkette
Alkylbenzene lassen sich / je nach Reaktionsbedingungen / am Kern elektrophil (Katalysator, Kälte, Kern: KKK) und in der Seitenkette radikalisch substituieren (Siedehitze, Sonnenlicht, Seitenkette: SSS), wie die Chlorierung des Toluens zeigt: CH 2 Cl
CH 3
CH 3
+ Cl2 , Hitze , UV-Licht , /"HCl
+ Cl2 , Kälte , AlCl3 als Kat. , /"HCl
radikalische Substitution in der Seitenkette
elektrophile Substitution am Ring
c-Chlortoluen (Benzylchlorid)
10.7.2
CH 3 Cl und
o-
Chlortoluen
Cl p-
Seitenketten-Halogenierung und Benzyl-Radikal
Bei der radikalischen Bromierung des Ethylbenzens bildet sich ausschließlich 1-Brom-1-phenylethan. Die Chlorierung liefert zusätzlich etwas 2-Chlor-1-phenylethan, da Chlor-Radikale im Vergleich zu Brom-Radikalen reaktiver und weniger selektiv sind (Abschn. 3.4). + Br 2 , hp """/"HBr
CH2 CH 3
CH CH 3 Br 100 %
+ Cl2 , hp """/"HCl
CH CH3
sowie
CH 2 CH 2 Cl
Cl 92 %
8%
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144
10 Benzoide Aromaten
Die Beispiele zeigen, daß die c-H-Atome (in Benzyl-Stellung) besonders leicht substituierbar sind. Ein Grund ist die besondere Stabilität des Benzyl-Radikals, wie die Reihung klar macht: C6H 5 CH CH 3 > C 6H5
CH2 > R CH CH CH 2 >> (H 3C)3C > (H 3C)2CH > H 3C CH 2 > H3C > R CH CH
Die mit dem Allyl-Radikal vergleichbare Stabilität des Benzyl-Radikals ist eine Folge seiner Mesomeriestabilisierung: Alle (sp2-hybridisierten) C-Atome des Benzyl-Radikals liegen auf einer Ebene; senkrecht auf dieser Ebene stehen die Achsen der p-Orbitale, so daß im MO-Modell die insgesamt sieben koaxialen p-Orbitale besonders günstig überlappen können. Entsprechend kann man den Zustand des Benzyl-Radikals durch fünf mesomere Valenzstrichformeln beschreiben.
seitiche Überlappung der p-Orbitale des Benzyl-Radikals
mesomere Grenzformeln des Benzyl-Radikals
Da sich diese Elektronendelokalisation bereits im Übergangszustand der Radikalbildung bemerkbar macht, ist die Bindungsdissoziationsenergie für benzyl- und allyl-ständige CH-Bindungen sehr viel kleiner als für primäre Alkyl/CH-Verknüpfungen: CH4 H2C CH CH 3 CH3
10.7.3
/"H /"H /"H
CH3
FH = 427 kJ / mol
H2C CH CH 2
FH = 323 kJ / mol
CH2
FH = 314 kJ / mol
Triphenylmethyl-Radikal
Die Stabilität des Benzyl-Radikals läßt sich erheblich steigern, wenn sich weitere Möglichkeiten zur Delokalisation des ungepaarten Elektrons bieten. Solche bestehen z. B. im TriphenylmethylRadikal, welches von GOMBERG beim erfolglosen Versuch einer WURTZ-Synthese des Hexaphenylethans entdeckt wurde. Dabei löste er Chlortriphenylmethan in Benzen und schüttelte mit Zinkstaub unter Luftausschluß, worauf sich die Lösung gelb färbte. Die Gelbfärbung geht auf die Bildung freier Triphenylmethyl-Radikale zurück: 2 (H 5C6)3CCl + Zn
2 (H5C 6)3C
+ ZnCl2
Das gelbe Triphenylmethyl-Radikal ist nicht nur aufgrund der gegenüber dem Benzyl-Radikal erweiterten Mesomerie besonders stabil, sondern auch wegen der sterischen Abschirmung des zentralen C-Atoms durch die propellerartige Anordnung der Aryl-Reste. Diese PropellerKonformation ist eine Folge der sterischen Wechselwirkung der ortho-H-Atome und verhindert die für eine perfekte Mesomeriestabilisierung erforderliche vollkommene Koplanarität.
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10.7
Reaktionen der Alkylbenzene
145
Unter Luftausschluß und in Benzen-Lösung existiert das Triphenylmethyl-Radikal im Gleichgewicht mit seinem Dimer. Schüttelt man die gelbe Lösung mit Luft, so wird sie farblos, weil sich farblose, stabile Peroxide bilden. Verhindert man weitere Zufuhr von Luft, so färbt sich die Lösung wieder gelb, wenn überschüssiges Dimer erneut zu Triphenylmethyl-Radikalen dissoziiert.
+ O2
2
C O O C
Peroxid
C
C
Triphenylmethyl-Radikal
C H
Dimer
Auch andere Arylmethyl-Radikale zeichnen sich durch eine besondere Stabilität und damit Langlebigkeit in Lösung aus, wie eine kleine Auswahl zeigen soll. CH 3 H3C CH
H3C
C
CH 3
C
CH 3 H3C
2,4,6,2',4',6'-Hexamethyldiphenylmethyl-
10.7.4
Tribiphenylmethyl-
Difluorenylphenylmethyl-
PentaphenylcyclopentadienylRadikal
Hydrierung und Oxidation
Die metallkatalysierte Hydrierung von Alkylbenzenen ist eine Methode zur Darstellung vieler alkylsubstituierter Cyclohexane. Pt , Pd oder Ni
H 3C
CH 3
+
3 H2
CH3
H3C
CH 3
sowie
CH3 trans- und cis-1,4-Dimethylcyclohexan
p-Xylen
Die Oxidation der Seitenkette von Alkylbenzenen führt zu aromatischen Carbonsäuren. Die dazu verwendeten heißen Lösungen von Kaliumpermanganat oder Natriumdichromat in Schwefelsäure (CrO3) oxidieren Benzen-Ringe bei Einhaltung bestimmter Reaktionsbedingungen nicht. CH3
+ 2 CrO3
CO2H +
Cr2O3
+ H2O
Benzoesäure
CH2 CH 2 R +
2 CrO3
CO2H +
HO2C R + Cr2O3 + H 2O
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146
10 Benzoide Aromaten
Bei dieser Oxidation werden bevorzugt benzylische C-Atome unter intermediärer Bildung von Alkoholen, Ketonen und Enolen angegriffen. + [O]
+ [O]
H 5C 6 CH 2 CH 2 CH 3
H5C 6 CH CH2 CH 3 OH
H 5C 6 C CH CH 3
H 5C6 C CH 2 CH3
/ H2 O
OH
O
1-Phenylpropanol
Keto-Form Enol-Form Propiophenon (Ethylphenylketon)
+ 3 [O]
H5C 6 CO2H
+
HO2C CH 3
Benzoesäure
+
H2O
Essigsäure
Die besonders aktivierte benzylische CH-Bindung im Triphenylmethan wird bereits durch Luftsauerstoff in CS2-Lösung zum Alkohol oxidiert. Triphenylmethan
O2 in CS2
(H5C 6C)3C H
(H5C 6)3C OH
Triphenylcarbinol
10.8 Darstellung der Alkenylbenzene 10.8.1
Styren-Synthese
In der Industrie wird das einfachste und wichtigste Alkenylbenzen Styren (Vinylbenzen, "Styrol") durch FRIEDEL-CRAFTS-Alkylierung von Benzen mit Ethen über Ethylbenzen produziert. Ethylbenzen läßt sich bei 600 °C an der Oberfläche eines Chrom(III)-/Aluminiumoxid-Katalysators zu Styren dehydrieren. H3PO4
FRIEDEL-CRAFTSAlkylierung
10.8.2
Cr 2O3 / Al2O3 , 600 °C
CH2 CH 3
+ H2C CH2
CH CH2
/ H2 Dehydrierung
Ethylbenzen
Styren
Alkenylbenzene durch Eliminierung aus Phenylhalogenalkanen und Phenylalkanolen
Die Dehydrohalogenierung von 1-Phenyl-1-halogenalkanen oder die Dehydratisierung entsprechender Alkohole führt zu 1-Phenyl-1-alkenen. Dabei bilden sich bevorzugt (E)-Alkenylbenzene, deren Doppelbindung in Konjugation zum Ring steht. KOH / C2H5OH / Hitze
H5C 6 CH CH2 CH 3 Br
CH 3
/"HBr
ZnCl2 / Hitze
H5C 6 CH CH CH 3 OH
/"H2O
H 5C6
H5C 6
H
H CH 3 (E)-1-Phenyl-1-propen (viel) H 5C6
H
H5C 6 sowie
CH 3
(E)-2-Phenyl-2-buten
C C H
(Z)-1-Phenyl-1-propen (wenig)
H C C
H 3C
CH 3
sowie
C C
CH 3 C C
H 3C H (Z)-2-Phenyl-2-buten
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10.9 Reaktionen der Alkenylbenzene
10.8.3
147
Alkenylbenzene durch Alkylierung mit 1,3-Dienen
Alkenylbenzene mit alkylischen (isolierten) Doppelbindungen können durch FRIEDEL-CRAFTSAlkylierung von Benzen mit 1,3-Butadien und anderen 1,3-Dienen dargestellt werden. CH 3
H +
C C
HF
CH2
H2C CH CH CH2
H
(E)-1-Phenyl-2-buten (Hauptprodukt)
10.9 Reaktionen der Alkenylbenzene Alkenylbenzene zeigen sowohl typische Benzen-Reaktionen, wie die elektrophile aromatische Substitution, als auch Alken-Reaktionen, wie die elektrophile Addition. Wie bei der katalytischen Hydrierung von Alkenylbenzenen (Abschn. 10.6.4) reagiert dabei die Alkenyl-Gruppe immer leichter als der Benzen-Ring. Besonders reaktiv sind konjugierte Alkenyl-Gruppen, wobei sich eine Regioselektion (bevorzugte Orientierung) der Addition ausprägt. mit Peroxiden:
CH2 CH R Br d-Bromalkylbenzen
10.9.1
ohne Peroxide:
CH CH2 R
CH CH R + HBr radikalische Addition
elektrophile Addition
Alkenylbenzen (Z oder E)
Br c-Bromalkylbenzen
Elektrophile Addition an konjugierte Alkenylbenzene
Die elektrophile Addition an die CC-Doppelbindung verläuft in zwei Stufen unter intermediärer Bildung eines Carbenium-Ions. Br H5C 6 CH CH R + HBr Alkenylbenzen
H5C 6 CH CH 2 R + Br Benzyl-Kation
H 5C6 CH CH2 R c-Bromalkylbenzen
Die leichte Bildung von Carbenium-Ionen aus konjugierten Dienen ist eine Folge der Mesomeriestabilisierung des Übergangszustandes und damit einer geringen Aktivierungsenergie. Das aus Alkenylbenzenen entstehende Benzylcarbenium-Ion ist besonders stabil, da seine positive Ladung im Grundzustand auf fünf mesomere Grenzformeln verteilt werden kann:
mesomere Grenzformeln des Benzyl-Kations
Bevorzugte Produkte dieser Reaktion sind daher c-Halogenalkylbenzene. Mit diesen c-Halogenalkylbenzenen (z. B. Benzylchlorid) lassen sich andererseits unter sehr milden Bedingungen nuc-
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148
10 Benzoide Aromaten
leophile aliphatische Substitutionen vom SN1-Typ (Abschn. 14.2.2) durchführen, bei denen die mesomeriestabilisierten Benzylcarbenium-Ionen als Zwischenstufen auftreten.
10.9.2
Radikalische Additionen an Alkenylbenzenen
Bei Additionen an Alkenylbenzenen über freie Radikale tritt bevorzugt das Benzyl-Radikal als mesomeriestabilisierte Zwischenstufe auf (Abschn. 10.7.2). Daher findet man als Reaktionsprodukt vorwiegend d-halogensubstituierte Alkylbenzene. Br
+ Br
Ar
CH CH R
Ar
Benzyl-Radikal
10.9.3
Br
+ HBr
CH CH R
/ Br
Ar
CH2 CH R
d -Halogenalkylbenzen
Darstellung ringsubstituierter Alkenylbenzene
Da unter den zu Ringsubstitutionen erforderlichen scharfen Reaktionsbedingungen auch die Alkenyl-Gruppe angegriffen würde, kann die Doppelbindung im Alkyl-Substituenten erst nach einer Ring-Substitution ("KKK"-Reaktion) eingeführt werden (durch "SSS"-Reaktion und nachfolgende d-Eliminierung). Dies wird am Beispiel der 4-Chlorstyren-Synthese aus Ethylbenzen deutlich. Cl CH2 CH3
FeCl3 / Cl2 Kälte "KKK"
CH2 CH3
Cl2 / hp" ""Hitze "SSS"
Cl
CH CH3
KOH / C 2H 5OH Hitze Eliminierung
Cl c,4-Dichlor-ethylbenzen
4-Chlor-ethylbenzen
CH CH2 Cl 4-Chlorstyren
10.10 Darstellung der Alkinylbenzene Alkinyl-substituierte Benzene bilden sich durch aufeinanderfolgende Bromierungen und Dehydrobromierungen, wie die Darstellung von Phenylethin aus Styren zeigt. + Br 2
CH CH2 Ethenylbenzen (Phenylethen, Styren)
Br
KOH
CH CH 2 Br
/ HBr
Br C CH2
NaNH2 / Hitze / HBr
C C H Ethinylbenzen (Phenylethin)
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10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
149
Die oxidative Dimerisierung terminaler Alkine in Gegenwart von Kupfer(II)-Ionen führt zu Diinen. (GLASER-Kupplung). Aus Phenylethin entsteht auf diese Weise Diphenylbutadiin. /
/ 2 H+ , / 2 e0 (Cu 2+)
2
C C H
C C C C
/ H2O
Diphenylbutadiin
10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide 10.11.1 Physikalische Eigenschaften Monohalogenbenzene (Arylhalogenide) sind aromatisch riechende, ölige, farblose Flüssigkeiten. Die vom Fluor- über Chlor- und Brom- zum Iodbenzen ansteigenden Siedepunkte liegen in der Nähe der entsprechenden Hexyl- und Cyclohexylhalogenide. Eine destillative Trennung isomerer o-, m- und p-Dihalogenbenzene ist wegen zu ähnlicher Siedepunkte nicht möglich. Durch fraktionierte Kristallisation gelingt jedoch eine Trennung. Die p-Halogenbenzene schmelzen aufgrund besserer Packungsmöglichkeit im Kristallgitter 70 - 100 °C höher als die o- und m-Isomeren. Während sich Monohalogenbenzene in allen üblichen organischen Lösemitteln gut lösen, können die p-Dihalogenbenzene von den besser löslichen o-Isomeren durch fraktionierte Kristallisation getrennt werden. Aufgrund ihres wenig polaren Charakters sind Arylhalogenide wasserunlöslich, und besitzen eine höhere Dichte als Wasser. Die Monohalogenbenzene haben erheblich kleinere Dipolmomente als die Alkylhalogenide; ihre CX-Bindungslängen gleichen denen der Halogenethene (Tab. 10.10). Tab. 10.10. Bindungslängen und Dipolmomente ausgewählter Chlor-Verbindungen
Chlor-Verbindung
C-Hybridisierung
Chlorethan Chlorethen Chlorethin Chlorbenzen
sp3 sp2 sp sp2
Bindungslänge [pm] 176 169 163 169
Dipolmoment
[Debye]
2.05 1.44 0.44 1.70
Dies läßt sich durch den (-)-M-Effekt der Halogene und vor allem durch den Hybridisierungswechsel des Kohlenstoff-Atoms erklären. Der tatsächliche Doppelbindungsanteil an den CClBindungen des Chlorbenzens bzw. des Vinylchlorids beträgt nur ungefähr 5 - 6 %. Dipolare Grenzformeln mit C=X-Bindungen tragen wenig zum Grundzustand dieser Halogenide bei. Stets dominiert der (/)-I-Effekt der Halogen-Atome am Benzen über den (-)-M-Effekt. Daraus resultiert ein Dipolmoment-Vektor vom Kohlenstoff zum Halogen.
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150
10 Benzoide Aromaten
Die elektronischen Effekte der Halogene in der Reihe der Monohalogenbenzene lassen sich wie folgt zusammenfassen: C6H5/F (/)-I-Effekt (-)-M-Effekt C/X-Bindungslänge C=X-Anteil
C6H5/Cl
C6H5/Br
C6H5/I
abnehmend, da abnehmende Elektronegativität abnehmend, da ungünstigere r-Orbitalüberlappung zunehmend, da Volumen des Halogens zunimmt Bindungsenergie nimmt schneller ab als das Ionisationspotential zunimmt Immer gilt: (/)-I > (-)-M
10.11.2 Herstellung der Halogenaromaten Substituierte Chlor- und Bromaromaten lassen sich durch elektrophile Substitution herstellen, wie folgende Beispiele zeigen. a) 1,2- und 1,4-Dihalogenbenzene Br
Br
Br
Cl2 , FeCl3
und Cl
Cl
b) 1,2- und 1,4-Alkylhalogenbenzene CH3
CH3
Cl2 , FeCl3
CH3 und
Cl
Cl
c) 1,2-, 1,4- und 1,3-Alkylhalogenbenzene CH3
CH 3 HNO3 , H2SO4
CH 3 Fe , HCl
CH3 (CH3 CO) 2 O
CH 3
CH3
Br 2
H2O
Br
Br NO2 Br 2 , FeBr 3
CH 3
NH 2
O
C
N
CH 3 CH3
H
O
C
N
NH2
H
CH 3
HNO2
CH3
CH 3
Br
H3 PO2 (Cu+)
sowie
Br
Br o-Bromtoluen
Br p-Bromtoluen
m-Bromtoluen
N Cl N
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10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
151
d) 1,3,5-Tribrombenzen NI NH2
NH2 + 3 Br 2
Br
N Br
+ HNO2 , + HCl
Cl Br
Br
+ 2 H+ , + 2 e0
/"2 H2O
/ 3 HBr
/
Br
Br
"""/"N2 ,"/"HCl
Br
Br
Br
e) 2,4,6-Tribromphenol OH
OH Br
+ 3 Br 2
Br
/ 3 HBr
Br
f) 1,3-Dichlorbenzen NO2
NH2
Cl 1.) NaNO2 , HCl 2.) CuCl
Fe , HCl
HNO3 , H 2SO4
NO2
NH 2
Cl
g) Halogennitrobenzene Br
Br
Br
NO2
NO2
NO2
HNO3 , H 2SO4
Br 2 , AlCl3 , Hitze
und
Br NO2 60 %
40 %
NO2
NO2 Br 2 , Ag 2SO4 , H 2SO4
NO2
Br
NO2
Die Synthesebeispiele c, d und f zeigen Darstellungen von Halogenaromaten mit Hilfe der Desaminierung von Anilinen über Diazonium-Salze; Diazonium-Salze entstehen durch Diazotierung von Anilinen mit salpetriger Säure (Abschn. 22.6.2). + 6 H+ , + 6 e0
NO2
""""""/"2 H2O
/
+ HNO2 , + HCl
NH2
( C6H 5 N2 Cl "+ Phenyldiazonium-chlorid
N NI Cl /"2 H2O
Da die Reaktivität der Halogene in der Reihenfolge F2 >> Cl2 > Br2 >> I2 abnimmt, erfordert die Darstellung von Fluor- und Iodaromaten spezielle Methoden. Iodbenzen kann z. B. durch SAND-
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152
10 Benzoide Aromaten
MEYER-Reaktion des Phenyldiazonium-hydrogensulfats mit Kaliumiodid, BALZ-SCHIEMANN-Reaktion von Phenyldiazonium-tetrafluoroborat hergestellt + KI
N NI HSO4
I
/"KHSO4 ,"/"N2
Phenyldiazonium-hydrogensulfat
Iodbenzen + HF , + BF3
N NI Cl
Fluorbenzen durch werden.
Hitze
N NI BF 4
/"HCl
F
/"N2 , "/ BF3
Phenyldiazonium-tetrafluoroborat
Fluorbenzen
Beide Reaktionen werden als nucleophile Substitutionen der Diazonium-Gruppe am Aromaten formuliert (Abschn. 23.7). Die Darstellung der Diazonium-Salze und ihre anschließende "Verkochung" zu Halogenaromaten wird meist als "Eintopfreaktion" durchgeführt.
10.11.3 Chemische Eigenschaften von Halogenaromaten (Arylhalogeniden) elektrophile Zweitsubstitution In Halogenaromaten desaktiviert das Halogen [(/)-I, (-)-M-Substituent] den Benzen-Ring gegenüber dem elektrophilen Angriff und dirigiert in o- und p-Stellung. Halogenaromaten lassen sich durch elektrophile aromatische Substitution halogenieren, nitrieren, sulfonieren und alkylieren. Die Nitrierung des Chlorbenzens gibt z. B. o- und p-Nitrochlorbenzen. Cl
Cl
HNO3 / H2SO4
+
[ NO2 ]
Cl und
/ [H+]
o-
NO2
O2N
p-
Nitrochlorbenzen
Metallierung Viele Halogenaromaten lassen sich zu Arylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen) umsetzen. Ihre Reaktionen mit Magnesium erfolgen rasch mit den Iodiden, gut mit den Bromiden und schwer mit den Chloriden; Fluoride reagieren überhaupt nicht [(F) < Cl < Br < I]. ̈"
Cl
Br
+
Mg
f--
in Tetrahydrofuran
Cl
f/
MgBr
f/
p-Chlorphenylmagnesiumbromid
Die Bildung von Phenyllithium aus Brom- oder Chlorbenzen gelingt in wasserfreiem Ether unter Stickstoff. + H2O
in Ether
Br (Cl)
+
2 Li
/ LiBr(Cl)
H
Li / LiOH
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10.11 Eigenschaften und Darstellung der Arylhalogenide
153
Arylmagnesiumhalogenide / die GRIGNARD-Verbindungen aus Halogenaromaten / und Aryllithium-Verbindungen sind vielseitige Reagenzien zur Einführung von Aryl-Resten, u. a. bei der Herstellung von Alkoholen aus Aldehyden und Ketonen (Abschn. 15.4.6). Die Reaktion von Halogenalkanen (z. B. 1-Bromhexan) mit Phenylmagnesiumbromid oder Phenyllithium gibt alkylierte Aromaten (z. B. 1-Hexylbenzen) in Analogie zur WURTZ-Synthese der Alkane. Entsprechend lassen sich durch WURTZ-FITTIG-Synthese Aryl- und Alkyl-Gruppen verknüpfen, indem man Halogenaromaten mit Halogenalkan (z. B. R/Br) und Natrium (Metall) umsetzt. Br
+
2 Na
+
Br
R
R
+
2 NaBr
Alkylbenzen
Durch ULLMANN-Reaktion können substituierte Biphenyle aus Aryliodiden und metallischem Kupfer dargestellt werden. NO2
NO2 2
I
+
2 Cu
+
2 CuI
O2N 2,2'-Dinitrobiphenyl
Neuere Methoden der CC-Verknüpfung mit Aromaten sind die HECK-Reaktion (Abschn. 4.5.10) sowie die STILLE- und SUZUKI-Kupplung (Abschn. 13.4.4).
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154
11
Substitutionen an Aromaten
11 Substitutionen an Aromaten 11.1 Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten 11.1.1
-Komplex, Benzenium-Ion und Energieprofil
Aromatische Verbindungen gehen wegen der Mesomerie und besonderen Stabilität des aromatischen Systems eher elektrophile Substitutionen ein als Additionen, obgleich in beiden Fällen elektrophile Reagenzien angreifen. Beim Zusammenstoß eines Elektrophils Y+ mit dem nucleophilen, elektronenreichen rElektronensextett des Benzens bildet sich zunächst reversibel ein relativ labiler r-Komplex. Dieser gehört zum Typ der Charge-Transfer-Komplexe (charge-transfer = Ladungsübertragung). Nach neueren Erkenntnissen kann das Elektrophil auch mit zwei benachbarten C-Atomen des BenzenRings eine Dreizentren-Zweielektronen-Bindung knüpfen. Y
Y + Nucleophil
[Y ]
Y H H r"- K o m p l e x
Elektrophil
Das im r-Komplex schwach gebundene Elektrophil Y+ bindet sich in einem zweiten Schritt an ein einzelnes Ring-C-Atom, wobei dieses eine Umhybridisierung von sp2 nach sp3 erfährt. Die vom Elektrophil Y+ in den Kern gebrachte positive Ladung verteilt sich über die verbleibenden fünf sp2-hybridisierten C-Atome. Sämtliche C-Atome bleiben wie im Benzen auf einer Ebene; damit sind die fünf p-Orbitale koaxial und können seitlich überlappen. Es bildet sich ein mesomeriestabilisiertes Phenonium-Kation (Benzenonium-Ion), das weniger treffend auch als u-Komplex bezeichnet wird. Die Elektronenverteilung im Phenonium-Ion läßt sich durch drei mesomere Valenzstrichformeln beschreiben, nach denen sich die positive Ladung hauptsächlich auf die o- und p-C-Atome verteilt, während die Elektronendichte in m-Stellung zum sp3-Kohlenstoff etwas größer ist. Y
H Y H
r-Komplex
Y
Y H
H
H H u-Komplex : mesomeriestabilisiertes Phenonium-Ion
Die sp3-Hybridisierung des Y-substituierten Ring-C-Atoms im Phenonium-Ion unterbricht die ursprüngliche cyclische Elektronendelokalisation des Benzen-Kerns. Daher erfordert die Ausbildung des Phenonium-Ions eine sehr hohe Aktivierungsenergie FEA2 (Abb. 11.1). Dieser Schritt ist der langsamste und damit geschwindigkeitsbestimmend.
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11.1
Mechanismus elektrophiler Substitutionen an Aromaten
155
Im dritten Schritt deprotoniert eine Base das Phenonium-Ion; die Deprotonierung regeneriert das r-Elektronensextett. Diese wahrscheinlich über einen r-Komplex aus substituiertem Benzen und Proton als Abgangsgruppe verlaufende Rearomatisierung erfordert nur eine geringe Aktivierungsenergie FEA3 und verläuft schnell. Gegenüber einer ebenfalls denkbaren Addition der Base ist die Rearomatisierung energetisch bevorzugt und exotherm. Abb. 11.1 skizziert das Energieprofil aller Schritte einer elektrophilen Substitution am Benzen-Ring. H
Y
Y H B
+B
H
X
Y
Y
H
H
H B
H H u-Komplex : mesomeriestabilisertes Phenonium-Ion
H keine Addition
Y
+B
Substitution
Epot
FEA3 FEA1
300 °C, hoher Druck
O2N
m-Nitrophenol
Aufgrund der erforderlichen hohen Temperaturen und Drucke sind solche Reaktionen im Labor nur schwierig realisierbar. Sie werden jedoch bei vielen technischen Synthesen in großen Ansätzen durchgeführt. Die ungewöhnlich geringe Reaktivität nicht aktivierter Halogenaromaten läßt sich erklären: ̈" Aryl- und Vinylhalogenide enthalten sp2-hybridisierte C-Atome, was ebenso wie der (-)M-Effekt zu einer stärkeren und kürzeren Bindung des Chlors beiträgt. Vinyl- und Arylhalogenide sind daher wesentlich stabiler als Halogenalkane, bei denen das Halogen weniger stark an ein sp3-C-Atom gebunden ist.
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11.2
Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten
̈"
̈
169
Halogenaromaten können nicht wie Halogenalkane die für SN2-Reaktionen (Abschn. 14.2.1) erforderlichen Übergangszustände ausbilden, da kein nucleophiler Angriff von einer Rückseite her möglich ist. Auch SN1-Reaktionen (Abschn. 14.2.2) sind unwahrscheinlich, da die Mesomerie der Halogenaromaten eine heterolytische Spaltung in ArylKationen und Halogenid-Anionen erschwert. Ein nucleophiler Angriff am halogenierten C-Atom würde zu einer Aufhebung der Aromatizität im Übergangszustand führen und eine entsprechend hohe Aktivierungsenergie zur Umhybridisierung dieses C-Atoms von sp2 nach sp3 erfordern.
11.2.2
Mechanismus der bimolekularen nucleophilen Substitution am Aromaten
Die Beispiele (Abschn. 11.2.1) zeigen, daß Halogenaromaten mit Nucleophilen unter milden Bedingungen reagieren, wenn stark elektronenziehende Substituenten wie die Nitro-Gruppe in o- und p-Stellung zum Halogen stehen. Eine Nitro-Gruppe in m-Stellung zum Halogen aktiviert dagegen nicht. Die Darstellung isomerer Phenole aus o-, p- und m-Nitrochlorbenzenen demonstriert den Mechanismus und den aktivierenden Effekt der Nitro-Gruppe. Diese Reaktion verläuft über zwei Stufen nach einer Kinetik 2. Ordnung. Somit wird sie abgekürzt als SNAr2 klassifiziert. Zunächst bildet sich durch den nucleophilen Angriff des Hydroxid-Ions am chlortragenden CAtom des Nitrochlorbenzens ein mesomeriestabilisiertes Carbanion. O
NO2 Cl
+
OH
N
O
O
N
Cl OH
langsam
O
O
N
Cl OH
O Cl OH
O
N
O Cl OH
mesomeriestablisiertes Carbanion
Da dieser Schritt den aromatischen Zustand aufhebt, erfordert er eine hohe Aktivierungsenergie und bestimmt die Geschwindigkeit. In einem schnellen Folgeschritt spaltet das Carbanion ein Chlorid-Ion ab und rearomatisiert auf diese Weise zum Nitrophenol. O
N
O Cl OH
vier mesomere Grenzformeln
NO2 schnell
OH
+
Cl
o-Nitrophenol
Die aus o- und p-Nitrochlorbenzen resultierenden Carbanionen sind stärker stabilisiert, da sie ihre negative Ladung durch Mesomerie über mehr Atome delokalisieren und damit besser verteilen
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170
11
Substitutionen an Aromaten
können (vier Valenzstrichformeln) als das Carbanion des m-Nitrochlorbenzens (drei Grenzformeln) oder des unsubstituierten Chlorbenzens (ebenfalls drei Grenzformeln). Cl
+
OH
Cl OH
langsam
Cl OH
Cl OH
drei mesomere Grenzformeln Cl
+
OH
Cl OH
langsam
NO2
NO2
Cl OH
Cl OH
NO2
NO2
(/)-M-Substituenten in o- und p-Stellung zum Halogen senken die Aktivierungsenergie zur Bildung des Übergangszustands, da sie die Elektronendichte am halogenierten C-Atom erniedrigen. Indem der elektronenanziehende Substituent die negative Ladung des Carbanions teilweise übernimmt, wird diese besser verteilt, was den Übergangszustand stabilisiert. (/)-M-Substituenten erhöhen andererseits die Aktivierungsenergie zur Bildung der Carbanionen und bremsen somit die Reaktion. Sie konzentrieren die negative Ladung im Kern, erschweren einen nucleophilen Angriff am halogenierten C-Atom und destabilisieren den Übergangszustand. Die bei der nucleophilen Substitution (SNAr2) aktivierenden Gruppen desaktivieren bei der elektrophilen aromatischen Substitution. Entsprechend kehren sich bei SNAr2-Reaktionen die in Tab. 10.7 (S. 137) skizzierten Substituenteneffekte auf die Reaktivität um. Von allen SNAr2-aktivierenden Resten hat die Nitro-Gruppe den stärksten Einfluß. Gewichtige mesomere Grenzformeln einiger Carbanionen zeigen, daß der aktivierende Substituent im Übergangszustand stets die negative Ladung des Nucleophils übernimmt (Nu = Nucleophil, X = austretende Gruppe): Nu X
O C
Nu X
O C
O
Nu X
Nu X
CH 3
N
O
C NI _
Zusätzliche Nitro-Gruppen in o- und p-Stellung begünstigen SNAr2-Reaktionen vehement. So kann das 2,4,6-Trinitrochlorbenzen bereits durch Wasser hydrolysiert werden, und das als Reagenz auf Amino-Gruppen benutzte 2,4-Dinitrofluorbenzen (SANGER-Reagenz) reagiert mit primären Aminen rasch unter milden Bedingungen. O O2N
F
+
H2N CH2 C NH 2
NO2 2,4-Dinitrofluorbenzen
Glycinamid
/"HF
O O2N
NH CH2 C
NH 2 NO2 N-(2,4-Dinitrophenyl)glycinamid
Im Gegensatz zu SN1-Reaktionen der Halogenalkane hat bei SNAr2-Reaktionen die Art des Halogens kaum einen Einfluß auf die Geschwindigkeit. Nur die Fluoraromaten reagieren etwas rascher
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11.2
Mechanismen nucleophiler Substitutionen am Aromaten
171
aufgrund des starken (/)-I-Effekts von Fluor, der die Elektrophilie des verknüpften C-Atoms erhöht. Eine Gegenüberstellung der drei Typen nucleophiler Substitutionen, SN1 und SN2 (Substrate: Halogenalkane R/X) und SNAr2 (Substrate: Halogenaromaten, Ar/X) faßt die Kennzeichen dieser Reaktionen zusammen (Abb. 11.9). Epot
Epot X
+ [R ]
HO
Epot
X
X Ar
+ OH
OH
C
R
C
X + OH
X + OH
Ar
HO
R OH + X
SN1 : Halogenalkan (Alkylhalogenid) unimolekulare Reaktion Carbenium-Ion als Zwischenstufe
C
X + OH
+ X
SN2 : Halogenalkan (Alkylhalogenid) bimolekulare, konzertierte Reaktion instabiler Übergangszustand
Ar
OH + X
SNAr2 : Halogenaren (Arylhalogenid) bimolekulare Reaktion Carbanion als Zwischenstufe
Abb. 11.9. Vergleich der Aktivierungsenergien nucleophiler Substitutionen an Halogenalkanen und Halogenaromaten
Das Lösemittel kann andererseits die Reaktionsgeschwindigkeit entscheidend beeinflussen. So reagieren in Dimethylsulfoxid (DMSO) auch nicht aktivierte Halogenaromaten mit tertiären Alkoxiden. in (CH3) 2SO
Cl
+
O C(CH 3)3
/ Cl
/
t-Butanolat-Anion
11.2.3
C(CH3)3 O
t-Butylphenylether
Monomolekulare nucleophile Substitutionen am Aromaten
Die aus Aminobenzenen zugänglichen Phenyldiazonium-Salze können mit Nucleophilen unter Stickstoff-Abspaltung reagieren (SANDMEYER-Reaktion), wie einige Beispiele zeigen (Abschn. 10.11.2) . NH2 Anilin
HNO2
N2 Phenyldiazonium-Ion
/ N2
+ Cl
Phenyl-Kation
/
Cl Chlorbenzen
In unpolaren oder basischen Lösungen kann diese Reaktion auch radikalisch ablaufen. In sauren, polaren Lösungen dominiert jedoch der beschriebene ionische Mechanismus. Dieser gehört zum
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172
11
Substitutionen an Aromaten
Typ einer monomolekularen aromatischen Substitution, da die nach erster Ordnung verlaufende Zersetzung des Phenyldiazonium-Salzes geschwindigkeitsbestimmend ist. Das entstehende ArylKation reagiert demnach in einem schnellen Schritt mit Nucleophilen wie Halogenid-, Hydroxidoder Alkoxid-Ionen. Heterolytische Spaltungen der CN-Bindung im Diazonium-Salz werden durch elektronenabgebende Gruppen im Phenyl-Rest erleichtert und durch elektronenanziehende erschwert. Die Reaktivität m-substituierter Phenyldiazonium-Salze (Y = meta-Substituent) nimmt in der Folge OH > CH3 > H > Cl > NO2 ab. Y
Y
X
N NI X
+
N2
Die Substituenten OH oder OCH3 wirken in p-Stellung jedoch desaktivierend, da ihr (-)-M-Effekt über den Benzen-Kern eine partielle CN-Doppelbindung zur Diazonium-Gruppe mit (/)-M-Effekt bildet. Diese Mesomerie stabilisiert die Bindung der Diazonium-Gruppe am Benzen-Ring. H3C _ O _
H 3C N NI
O _
N NI _
p-Methoxyphenyldiazonium-Ion
11.3 Eliminierungs-Additions-Mechanismus 11.3.1
Mechanismus der Aminierung des Brombenzens
Die Aminierung des Brombenzens durch Natriumamid in flüssigem Ammoniak als Lösemittel folgt einem Eliminierungs-Additions-Mechanismus. Im ersten und geschwindigkeitsbestimmenden Schritt bildet sich durch Eliminierung ein Arin (Dehydrobenzen); dabei entzieht das Amid-Ion als starke Base dem Benzen-Ring ein Proton in o-Stellung zum Halogen. H Br
/"NH3
+
Br
/"Br
/
INH 2
H Brombenzen
Carbanion
Dehydrobenzen (Arin)
Im zweiten schnellen Reaktionsschritt addiert das Amid-Ion an das Arin unter Bildung von Anilin (Addition). NH 2 +
INH 2
NH2
+ NH3
/"""INH2
Carbanion
Anilin
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11.3
Eliminierungs-Additions-Mechanismus
173
Das kleinste noch stabile Cycloalkin ist Cyclooctin. Das Dehydrobenzen-Intermediat ist somit eine hochreaktive, gespannte Zwischenstufe, deren Dreifachbindung von der in Alkinen üblichen linearen Geometrie abweicht: Die dritte Bindung resultiert aus der seitlichen Überlappung von sp2Hybridorbitalen zweier benachbarter benzoider C-Atome.
:
oder
oder
Im Gegensatz zur rotationssymmetrischen Elektronendichteverteilung in den Molekülorbitalen von Ethin ist beim Dehydrobenzen die seitliche Überlappung der beiden sp2-Orbitale entlang einer der sechs Seiten des Rings und senkrecht zur r-Elektronenwolke gering. Arine lassen sich als starke Dienophile u. a. durch DIELS-ALDER-Reaktion abfangen. Einen weiteren experimentellen Hinweis für den Arin-Mechanismus liefert die Aminierung von 14C-ringmarkiertem Chlorbenzen mit Kaliumamid in Ammoniak. * Cl
* NH2
+ 2 KNH2 in NH3, / 33 °C
*
+ / 2 KCl
* : 14C markiertes Ring-C-Atom
48 %
52 %
NH2
*
Würde die Reaktion den Mechanismen der nucleophilen Substitution (Abschn. 11.2) folgen, so entstünde nur ein Reaktionsprodukt, nämlich Anilin mit 14C-markiertem C-1. Die gefundene geringfügige Abweichung vom theoretisch zu erwartenden 50 : 50 Verhältnis für die C-1- und C-2Markierung ist eine Folge des kinetischen Isotopie-Effekts. Solche Isotopie-Effekte treten auf, weil wegen der größeren Masse die Reaktionsgeschwindigkeit an 14C-Atomen etwas geringer ist. Im Falle substituierter Halogenaromaten verlaufen die Eliminierungs- und Additions-Teilschritte immer über das stabilere Carbanion. Abb. 11.10 skizziert die Aminierung von o- und m-Chloranisol, die nur zu einem Reaktionsprodukt führt. In diesem Fall sind die CarbanionenZwischenstufen durch den (/)-I-Effekt der Methoxy-Gruppe stabilisiert. Da dieser induktive Effekt nur über wenige Atome hinweg wirkt, sind Carbanionen mit negativer Ladung nahe der Methoxy-Gruppe etwas stabiler als andere. OCH3 - NH2
Cl
OCH3
OCH 3
/
Cl
/"NH 3
/ Cl
/
OCH3 / Cl
/
- NH2
Cl
/"NH 3
OCH3
/
Cl
o-Chloranisol
m-Chloranisol - NH2
OCH3 H2N
/
OCH 3 + NH 3 /"NH 2
/
H 2N
OCH 3
H 2N
m-Methoxyanilin (m-Anisidin) einziges Produkt
OCH3 Cl weniger stabil
Abb. 11.10. Aminierung von o- und m-Chloranisol
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174
11
11.3.2
Substitutionen an Aromaten
Weitere nucelophile Substitutionen an nicht aktivierten Aromaten
Durch Wahl der Reaktionsbedingungen kann man oft denselben Halogenaromaten sowohl nach einem SNAr2 als auch nach dem Arin-Mechanismus zur Reaktion bringen. Viele Phenole und aromatische Amine können auf diese Weise hergestellt werden. Der Arin-Mechanismus erklärt die dabei beobachteten Umlagerungen; deshalb werden diese Reaktionen auch als cine-Substitutionen bezeichnet (griechisch mkpgkp = bewegen). OH + 2 NaOH (H2O, 340 °C, Druck)
2 H 3C
Cl
/ 2 NaCl
H 3C
p-Chlortoluen
OH
+
p-Kresol (50 %) + 2 KNH2 (NH3, / 33 °C)
2 H 3C
/ 2 KCl
Cl
m-Kresol (50 %)
+
H 3C H 2N o-Toluidin (50 %)
o-Chlortoluen
H3C
H3C NH2 m-Toluidin (50 %)
+ 2 NaNH2 (NH3, / 33 °C)
H 3CO
H 3CO
/ 2 NaI
I
NH2 m-Aminoanisol (m-Anisidin)
o-Iodanisol
N(C 2H5)2
Cl + Li
+/
2
N(C2H 5)2
N(C2H5) 2 in Ether
+
/ LiCl
1-Chlornaphthalen
1-(N,N-Diethylamino)naphthalen (40 %)
2-(N,N-Diethylamino)naphthalen (60 %)
Phenyllithium kann auch an nicht substituiertem Fluorbenzen Reaktionen vom Arin-Typ auslösen, wie am Beispiel einer Synthese der Biphenyl-o-carbonsäure klar wird. Im allgemeinen reagieren Arylfluoride jedoch bevorzugt nach dem SNAr2-Mechanismus. CO2H
Li F
F
+ C6H5Li in Ether /"C6H6
/"LiF
+
+ CO2, + [H ]
+ C6H5Li
/"Li
Li
+
Biphenylo-carbonsäure
Polychlorphenole ("PCP", z. B. 2,4,5-Trichlorphenol) können bei hohen Temperaturen nach SNAr2- oder Eliminierungs-Additions-Mechanismen cyclisieren. Dabei bilden sich u. a. die hochtoxischen, teratogenen, mehrfach chlorierten Dibenzodioxine, darunter das Seveso-Dioxin TCDD. Chlorierte Dibenzodioxine können wie viele andere biologisch schwer abbaubare Halogenalkane und Halogenaromaten nur in besonderen Verbrennungsanlagen entsorgt werden. Cl
Cl
HO
Cl
Cl
Cl
+ Cl
OH
2,4,5-Trichlorphenol
> 300 °C, / 2 HCl
Cl
O
Cl
Cl
O
Cl
2,3,7,8-Tetrachlordibenzo[b,e]-[1,4]dioxin (TCDD)
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12.1 Klassifizierung und Nomenklatur
175
12 Kondensierte Aromaten 12.1 Klassifizierung und Nomenklatur In kondensierten, auch als mehrkernig oder polycyclisch bezeichneten aromatischen Kohlenwasserstoffen sind mehrere Benzen-Ringe aneinander geknüpft. Einfachster Vertreter ist Naphthalen (Tab. 12.1). Es besteht aus zwei Benzen-Ringen, die über eine gemeinsame Bindung (zwei gemeinsame C-Atome) miteinander verknüpft sind. Drei Benzen-Ringe lassen sich linear oder gewinkelt ("angular") kondensieren ("anellieren"), wie die Beispiele Anthracen und Phenanthren (Tab. 12.1) zeigen. Alle kondensierten Aromaten erfüllen wegen des gemeinsamen Strukturelements Benzen die Aromatizitätskriterien. Ihre typische Reaktion ist daher die elektrophile aromatische Substitution. Im Vergleich zu Benzen sind sie jedoch reaktiver und neigen mehr zu Additionen. Für die wichtigsten mehrkernigen Aromaten gelten individuelle Bezeichnungen und eine festgelegte Ring-Bezifferung (Tab. 12.1). Größere Ringsysteme werden als Benzenhomologe angesehen. Positionsziffern oder Buchstaben kennzeichnen verknüpfende C-Atome am Grundskelett, wobei [a] eine 1,2-Fusion (Verknüpfung) und [b] eine 2,3-Fusion bedeuten. Tab. 12.1. Nomenklatur und Ringbezifferung ausgewählter kondensierter Aromaten (Für jeden Aromaten steht nur eine Valenzstrichformel, die den tatsächlichen Bindungszustand des Moleküls nicht wiedergibt) 8a
7a 6 5
7
8
1 2
3
4
5
3a
Inden dinuclear
9
9a 8
1
8a
8a
5
8
9
1
4
5
10
4
4a
Naphthalen dinuclear
Fluoren trinuclear
10 7
6a
11
11a
12a 12
6
5a
5
4a
1 4
1
8a 5
4b 4a 4
Phenanthren trinuclear gewinkelt kondensiert
8a
4b 5
12
4c 4a
5 4a
1,2-Benzophenanthren Benzo[a]phenanthren
4a
9 10 10a 1
9 10 10a
8
1 12b 4
7 6b 6a 6
Naphthacen (Tetracen) Benzo[b]anthracen
12b
11 12 12a
10a 10
10a
Anthracen trinuclear linear kondensiert 8a
10a
9a
1
8
4b 4a 4
8
10 10a 1
12a
4
1
Chrysen Benzo[c]phenanthren
5a 5
3a
Pyren Benzo[d,e,f]phenanthren
12
4
10 10a
4a
12a 4b 12 5 8b 8a 8 9
Triphenylen Benzo[ l ]phenanthren
7 6a 6
12 12a 1 12b 11b
1
11a
5a 5
2b
2a
3a
Benzopyren Benzo[a]pyren
Coronen Hexabenzobenzen
Hexahelicen Phenanthro[a]phenanthren
Die positionsisomeren, an C-1 bzw. C-2 monosubstituierten Naphthalene werden auch als c- und d-Isomere bezeichnet. Naphthalene mit identischen Substituenten in den 1,8- oder 2,6-Stellungen können durch die Präfixe peri- bzw. amphi- gekennzeichnet werden.
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176
12 Kondensierte Aromaten
12.2 Bindungszustand und Mesomerie Naphthalen als einfachster kondensierter Aromat ist ein ebenes Molekül, wie die Modelle zeigen (Abb. 12.1). Seine u-Bindungen kommen durch Überlappung der sp2-Hybridorbitale von zehn trigonalen C-Atomen zustande. Durch seitliche Überlappung der senkrecht zur Molekülebene stehenden zehn p-Orbitale resultiert oberhalb und unterhalb der Ebene der C-Atome eine delokalisierte r-Elektronenwolke, die zehn Elektronen enthält (Abb. 12.2). Im Valenzstrich-Formalismus kann Naphthalen als Hybrid dreier mesomerer Grenzformeln a, b und c betrachtet werden.
Abb. 12.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalottenmodell des Naphthalens r
u
r (a)
(b)
(c)
(d)
Abb. 12.2. Mesomere Grenzformeln (a - c) und Entstehung des r-Elektronensystems von Naphthalen durch Überlappung koaxialer p-Orbitale (d)
Eine häufig verwendete, die benzoide Struktur des Naphthalens andeutende Formel mit zwei einbeschriebenen Kreisen ist nicht korrekt: Naphthalen hat nur ein vollständiges r-Elektronensextett.
oder
nicht korrekt:
Die durch Messung der Verbrennungswärme bestimmte Mesomerieenergie des Naphthalens beträgt 255.6 kJ/mol. Das bedeutet eine Mesomeriestabilisierung von 127.8 kJ/mol pro Ring verglichen mit 150.8 kJ/mol für Benzen. Naphthalen und besonders die höheren Acene sind daher weniger stabil und weniger aromatisch als Benzen. Die geringere Stabilisierung pro Ringeinheit bedeutet andererseits eine Erhöhung der Reaktivität.
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12.2
Bindungszustand und Mesomerie
177
Relative Stabilitäten kondensierter Aromaten lassen sich mit Hilfe der CLAR-Regel vorhersagen, nach der die Polycyclen umso stabiler (energieärmer) sind, je mehr autonome r-Elektronensextetts sie enthalten, wie die Beispiele des Anthracens und Phenanthrens zeigen (Tab. 12.2).
Anthracen (linear anelliert) ein autonomes r-Elektronensextett
Phenanthren (angular anelliert) zwei autonome r-Elektronensextetts
Tab. 12.2. Mesomerieenergien einiger mehrkerniger Aromaten M e s o m e r i e e n e r g i e insgesamt
pro
Benzen-
Ring kcal / mol 36.0 61.0 85.9 99.2 130.0 134.4
Benzen Naphthalen Anthracen Phenanthren Tetracen Chrysen
kJ / mol 150.8 : 255.6 : 360.0 : 415.6 : 544.7 : 563.1 :
1 2 3 3 4 4
kJ / mol 150.8 127.8 120.0 138.5 136.2 140.8
= = = = = =
Isomere meso-substituierte Pentacene sind weitere Beispiele: stabiler sind die Tautomeren (Isomeren) mit der größeren Anzahl autonomer r-Elektronensextetts. In den Formeln kennzeichnet "b" einen benzoiden Ring mit r-Elektronensextetts, "q" einen chinoiden mit nur zwei konjugierten Doppelbindungen ("q" von englisch "quinone" für Chinon). CH3 q
q
b
CH2 q
q
q
b
OH q
b H H stabil
labil
q
q
b
O q
unbekannt
q
q
b
b
q
H H stabil
Die gegenüber Benzen verkürzten Bindungslängen des Naphthalens und Anthracens spiegeln den höheren Alken-Charakter der C-1/C-2-Bindung in mehrkernigen Aromaten wider. 136 142
136
137 143
140 134
139
Naphthalen
140
142
144
139
Anthracen Benzen Bindungslängen in pm
H2C CH2 Ethen
Dieser Tatsache trägt die Beschreibung des Naphthalens durch die drei Formeln a, b und c (Abb. 12.2) Rechnung, in denen die 1,2-Doppelbindung zweimal und die 1,2-Einfachbindung nur einmal auftritt. Analoge Betrachtungen lassen sich für andere polynucleare Aromaten anstellen. So findet man einen besonders ausgeprägten olefinischen Charakter für die 9,10-Bindung des Phenanthrens.
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178
12 Kondensierte Aromaten
12.3 Gewinnung polycyclischer Aromaten Einige kondensierte Aromaten kommen im Steinkohlenteer und in den Rückständen der ErdölDestillation vor. Naphthalen, Anthracen, Phenanthren und ihre Alkyl-Derivate werden durch "Teerverwertung" in technischem Maßstab gewonnen. Teere (auch die des Tabakrauches) enthalten u. a. mehrere stark carcinogene polynucleare Kohlenwasserstoffe, z. B. Benzo[a]pyren (Tab. 12.1). Aus Cycloalkanen oder hydroaromatischen Kohlenwasserstoffen wie Tetralin lassen sich vollaromatische Ringsysteme durch katalytische Dehydrierungen in Gegenwart von Pt-, Pd- oder NiKatalysatoren herstellen. Alternativ kann man auch in der Hitze oder in Gegenwart von Selen, Schwefel oder Disulfiden dehydrieren. Umgekehrt sind viele Hydroaromaten durch Hydrierung mehrkerniger Aromaten zugänglich. Hydrierung
Hydrierung
Dehydrierung Hydrierung
Decalin (cis- + trans-)
Tetralin
1,4-Dihydronaphthalen
Naphthalen
12.4 Typische Reaktionen kondensierter Aromaten 12.4.1
Elektrophile aromatische Substitutionen des Naphthalens
Naphthalen ist aufgrund seiner geringeren Mesomeriestabilisierung leichter substituierbar als Benzen. Dementsprechend läßt sich Naphthalen unter moderaten Bedingungen nitrieren, bromieren, sulfonieren und acetylieren (Abb. 12.3). Die Produkte sind attraktive Edukte industrieller organischer Synthesen. Die Substitution durch ein Elektrophil Y+ ist in c-Stellung energetisch etwas günstiger als in dStellung, wie die mesomeren Valenzstrich-Formeln der intermediären Naphthonium-Ionen zeigen: Y H
Y H
Y H
H
H
c-Substitution H Aromatizität eines Ringes unversehrt : stabiler
H
d -Substitution
Aromatizität beider Ringe gestört : weniger stabil
Y
Y H
Y H H
H H
Die positive Ladung der Naphthonium-Ionen verteilt sich demnach bei c-Substitution günstiger (zwei benzoide Grenzformeln) als bei d-Substitution (eine benzoide Grenzformel). Trotz dieses elektronisch günstigeren c-Angriffs wird oft die Bildung des d-Produkts bevorzugt, besonders
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12.4 Typische Reaktionen kondensierter Aromaten
179
wenn raumfüllende Substituenten eingeführt werden, oder wenn bei höherer Reaktionstemperatur substituiert wird. Einige Beispiele zur Herstellung industriell wichtiger Naphthalen-Derivate machen dies deutlich. NH2
NO2 HNO3 / H2SO4 50 - 60 °C
Diazoniumsalze Azofarbstoffe c-Naphthole Nitrile Naphthylhalogenide
Fe / HCl (Reduktion)
c-Nitronaphthalen
c-Naphthylamin
Br
Br 2 / CCl4 Rückfluß ohne Kat.
Alkohole CarbonylVerbindungen
über GRIGNARD-Verbindungen
c-Bromnaphthalen
SO3H Naphthalen
SO3H
konz. H2SO4
c-Naphthol d-Naphthylamin
sowie
reversibel
c-Naphthalensulfonsäure 96 % 15 % O
C
d-Naphthalensulfonsäure bei 80 °C 4% bei 160 °C 85 %
CH 3
O C
CH3COCl / AlCl3
sowie 1-Acetylnaphthalen
CH 3
2-Acetylnaphthalen bei /15 °C in CS2 25 % Hauptprodukt bei 25 °C in C6H5NO2
75 % Nebenprodukt
Abb. 12.3. Ausgewählte elektrophile Monosubstitutionen des Naphthalens
Zur Vorhersage der Orientierung einer Zweitsubstitution gelten im wesentlichen die Regeln der Zweitsubstitution von Benzen-Derivaten (Abschn. 11.1.8), wie drei Beispiele zeigen; dabei deuten Pfeile die bevorzugten Positionen für Zweitsubstitutionen an. D
A D
(A)
Ein aktivierender Donor-Erstsubstituent D mit (-)-M- und/oder (-)-I-Effekt wird eine elektrophile aromatische Substitution vorwiegend in dem gleichen Ring dirigieren. Ein desaktivierender Akzeptor-Erstsubstituent A mit (/)-M- und/oder (/)-I-Effekt wird eine elektrophile aromatische Substitution überwiegend in den zweiten Ring lenken.
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180
12.4.2
12 Kondensierte Aromaten
Oxidation des Naphthalens
Durch katalytische Luftoxidation bei hoher Temperatur läßt sich aus Naphthalen das u. a. zur Herstellung von Polymeren und Chinon-Farbstoffen benötigte Phthalsäureanhydrid gewinnen. O V2O5, 470 °C
+
O
9/2 O2
+
2 CO2
+
2 H2O
O Phthalsäureanhydrid
Chromsäure oxidiert d-alkylsubstituierte Naphthalene zu 1,4-Naphthochinonen. Unter ähnlichen Oxidationsbedingungen wird Toluen zu Benzoesäure oxidiert. Eine weitere Oxidation des 1,4Naphthochinons führt auch hier unter Ringspaltung zu Phthalsäure. O CH 3 +
2 CrO3
starke Oxidationsmittel hohe Temperaturen
CO2H
/ Cr 2O3
CO2H O 2-Methyl-1,4-naphthochinon
2-Methylnaphthalen
12.4.3
CH 3
CH3CO2H, 25 °C
Phthalsäure
Reduktion des Naphthalens
Aufgrund der geringeren Mesomerieenergie pro Ring kann ein Ring des Naphthalens chemisch reduziert werden. Die BIRCH-Reduktion mit Natrium in flüssigem Ammoniak führt z. B. zum Isotetralin. Eine vollständige Reduktion beider Ringe erfordert jedoch wie beim Benzen eine metallkatalysierte Hydrierung unter drastischen Bedingungen. Na , (H3C)2CHOH , Rückfluß , 132 °C
1,4-Dihydronaphthalen H2, Ni H2 / Pt oder Ni
Na , C2H5OH , Rückfluß, 78 °C
und Hitze , Druck
Tetralin
Naphthalen
cis- und trans-Decalin
Na , flüss. NH3 , / 78 °C
Isotetralin
12.4.4
Reaktionen des Anthracens und Phenanthrens
Sowohl beim Anthracen als auch beim Phenanthren sind die meso-Positionen C-9 und C-10 bevorzugte Reaktionszentren, weil dabei zwei Benzen-Ringsysteme erhalten bleiben. Die Oxidation
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12.4 Typische Reaktionen kondensierter Aromaten
181
liefert daher 9,10-Chinone, und beide tricyclische Aromaten neigen zu Additionen an den 9,10Stellungen, wie Bromierungen und katalytische Hydrierungen zeigen. Dabei genügen im Vergleich zu analogen Reaktionen des Naphthalens wesentlich mildere Reaktionsbedingungen. O
H H + 2 Na , + 2 C2H5OH
+ 3/2 O2 (Dampfphase)
/ 2 C2H5ONa
/" H2O
H H 9,10-Dihydroanthracen H H
O 9,10-Anthrachinon
H
O
O
H + H2 , Cu , Cr 2O3
+ 2 CrO3 /""Cr 2O3
9,10-Dihydrophenanthren
9,10-Phenanthrenchinon
Durch Addition von Brom und nachfolgende Dehydrobromierung lassen sich 9-Bromanthracen und 9-Bromphenanthren herstellen. 9-Bromphenanthren entsteht auch unter den Bedingungen einer elektrophilen aromatischen Halogenierung. Br
Br
H KOH, 100 °C
+ Br 2
/"HBr
Br H 9,10-Dibrom-9,10-dihydroanthracen H Br
9-Bromanthracen Br
Br H KOH, 100 °C
+ Br 2
/"HBr
9,10-Dibrom-9,10-dihydrophenanthren
9-Bromphenanthren
+ Br 2 (FeBr 3) , / HBr (Substitution)
Durch [2+4]-Cycloaddition von Dehydrobenzen an die 9,10-Stellung des Anthracens entsteht das pentacyclische Triptycen, wenn man die hochreaktive Dehydrobenzen-Zwischenstufe aus 2Bromfluorbenzen in einer Anthracen-Lösung erzeugt. Br F
+ Mg
MgBr F / MgBrF
H
Cl
H Triptycen
H Triptycylchlorid
+
Dehydrobenzen
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12 Kondensierte Aromaten
Am Brückenkopf-C halogenierte Triptycen-Derivate / wie das durch Addition von Dehydrobenzen an 9-Chloranthracen zugängliche Triptycylchlorid / sind viel weniger reaktiv als andere Halogenalkane: Sterische Effekte behindern hier die Bildung des planaren Carbenium-Ions einer SN1-Zwischenstufe und des Übergangszustands einer SN2-Reaktion. Auch andere Dienophile wie Maleinsäureanhydrid oder p-Benzochinon cycloaddieren an die 9,10Stellung des Anthracens. Entsprechende DIELS-ALDER-Cycloadditionen werden weder bei Benzen noch bei Naphthalen beobachtet. H H
O H +
O O O
O H
O Maleinsäureanhydrid
2,3:5,6-Dibenzobicyclo[2.2.2]octan7,8-dicarbonsäureanhydrid
12.5 Ring-Synthesen kondensierter Aromaten 12.5.1
HAWORTH-Synthesen von Phenanthren-Derivaten
Zur Synthese von Phenanthren nach HAWORTH wird Naphthalen nach FRIEDEL-CRAFTS in c- oder d-Stellung des Naphthalens durch Bernsteinsäureanhydrid acyliert; CLEMMENSEN-Reduktion der Ketosäure mit Zinkamalgam und Salzsäure, anschließende elektrophile Cyclisierung mit Schwefelsäure, erneute CLEMMENSEN-Reduktion und Dehydrierung mit Selen liefert Phenanthren. Über analoge Reaktionsfolgen lassen sich auch substituierte Naphthalene aus Benzen herstellen. O O +
O
AlCl3 Acylierung
CO2H
CO2H
Zn x Hg , HCl CLEMMENSENReduktion
O Acylierung
12.5.2
Se
Zn x Hg , HCl
Dehydrierung
CLEMMENSENReduktion
H2SO4
O
Anthrachinon-Synthese
Die in der Farbstoffindustrie benötigten größeren Mengen von Anthrachinon-Abkömmlingen sind durch Oxidation von Anthracen (Abschn. 12.4.4) und durch FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung des Benzens mit Phthalsäureanhydrid über o-Benzoylbenzoesäure zugänglich.
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12.5
Ring-Synthesen kondensierter Aromaten
183
O
O
H2SO4 oder HF
AlCl3
+
O
O
Acylierung
/"H2O
CO2H
O
O 9,10-Anthrachinon
o-Benzoylbenzoesäure
12.5.3
ELBS-Reaktion
Methylsubstituierte Aromaten wie m-Xylen reagieren nach FRIEDEL-CRAFTS mit Benzoylchlorid in Gegenwart von Aluminiumchlorid zu einer Mischung von Ketonen. Deren Pyrolyse bei 400 °C ergibt durch intramolekulare Redox-Reaktionen und Dehydratisierung mehrkernige Aromaten (ELBS-Reaktion). H3C C
Cl
CH 3
+
H 3C
AlCl3
+ Cl
O
CH3
/ 2 HCl
C O
O
O
/"4 H2O
400 °C
Cu, 380 °C / H2
Pentacen
12.5.4
6,13-Dihydropentacen
DÖTZ-Reaktion
Eine neuere Methode der Anellierung von Aromaten ist die DÖTZ-Reaktion. Edukte sind die aus Chromhexacarbonyl und Aryllithium entstehenden Chrom-Carben-Komplexe. Diese cycloaddieren nach Decarbonylierung Alkine. Die Primär-Cycloaddukte lagern sich über Vinylketen und Dienon-Komplexe zu den 1,4-Dihydroxyaren-Komplexen um. Demetallierung setzt das polycyclische Aren frei. O Li
Ether
Cr(CO)6 + LiC6H 5
H5C 6
C
+ (H3C) 3O+ BF4
Cr(CO)5
/
/ LiF , / BF3 , / (H3C) 2O
OCH3 Cr(CO)5 Chrom-Carben-Komplex + R C C R / CO
OCH 3
OCH3
R
R Cr(CO) 3
Cr(CO) 3
HO R 1-Methoxy-4-hydroxynaphthalen-Komplex
O
R
Dienon-Komplex
OCH3 R (OC) 3Cr
O
C
H3CO
R R Cr (CO)4
R
Vinylketen-Komplex
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184
12 Kondensierte Aromaten
12.6 Graphit und Fullerene Die Kohlenstoff-Modifikation Graphit kann man als die am höchsten kondensierte aromatische Verbindung ansehen. Graphit bildet ein Schichtgitter (Abb. 12.4 a) und zeigt eine mit den Metallen vergleichbare elektrische Leitfähigkeit, die jedoch wegen der nur innerhalb der Schichten beweglichen r-Elektronen anisotrop ist. Senkrecht zu den Schichten ist diese Leitfähigkeit um den Faktor 104 geringer. Auch in Benzen und allen mehrkernigen Aromaten läßt sich mit physikalischen Methoden ein anisotroper r-Elektronenstrom nachweisen. Dieser auch ohne angelegte Spannung vorhandene paramagnetische Ringstrom des Benzens ist ein Charakteristikum der Aromaten.
(a)
(b)
Abb. 12.4. (a) Kristallgitter (Schichtgitter) des Graphits; (b) Kohlenstoff-Skelett des C60-Fullerens (benzoide CCDoppelbindungen sind nicht eingezeichnet)
Als vierte Kohlenstoff-Allotrope (Modifikationen neben Ruß, Diamant und Graphit) erscheinen die in Benzen-Lösung weinroten bis braunen, im festen Zustand schwarzen Fullerene mit interessanten Eigenschaften (elektrische Leiter und Supraleiter). Fullerene (C60, C70 und C80) bilden sich bei der Verdampfung von Graphit durch Laserbestrahlung. Die Strukturanalyse ergibt Fußballähnliche Moleküle mit Untereinheiten, in denen fünf benzoide Sechsringe um einen Fünfring kondensiert sind, wie Abb. 12.4 b am Beispiel des C60-Fullerens zeigt. Das kleinste, bisher bekannte Fulleren (C20) enthält nur kondensierte Fünfringe; es bildet sich bei der Debromierung von partiell bromiertem Dodecahedran in einer Gasentladung. Fullerene lassen sich vielfältig abwandeln und mit funktionellen Gruppen versehen; sie reagieren mit Nucleophilen, Elektrophilen, Radikalen, Oxidations- und Reduktionsmitteln; auch Cycloadditionen gehen sie ein.
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13.1 Klassifizierung
185
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide) 13.1 Klassifizierung Verbindungen R/X, bei denen ein Halogen-Atom (X = F, Cl, Br, I) an einen Alkyl-Rest gebunden ist, nennt man Halogenalkane, Halogencycloalkane, Halogenalkene sowie Halogenalkine (Alkyl-, Cycloalkyl-, Alkenyl- und Alkinylhalogenide). Die Nomenklatur der Halogenalkane folgt den besprochenen IUPAC-Regeln (Abschn. 2.1.3). Je nach Alkylierungsgrad des halogenierten CAtoms unterscheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Halogenalkane: RCH2/X primär
R2 CH X sekundär
R3 C X tertiär
Alkyl- und Arylhalogenide zeigen sehr unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften. So neigen Halogenalkane zu Eliminierungen und nucleophilen Substitutionen, während Halogenaromaten unter gleichen Reaktionsbedingungen ziemlich stabil sind.
13.2 Eigenschaften Halogenalkane sieden deutlich höher als Alkane mit demselben Kohlenstoff-Gerüst jedoch tiefer als die entsprechenden Alkohole. Die Siedepunkte von Halogenalkanen und Alkanen mit ähnlicher molarer Masse unterscheiden sich dagegen kaum. Ausnahmen sind niedermolekulare Vertreter; niedermolekulare Perfluoralkane sieden trotz ihrer höheren molaren Massen tiefer als Alkane mit gleicher Anzahl von C-Atomen. Die Monohalogenalkane CH3/X (X = F, Cl, Br) sowie C2H5/X (X = F, Cl) sind bei Raumtemperatur gasförmig. Alle anderen Halogenalkane bis C18 sind Flüssigkeiten. Innerhalb homologer Serien steigt die Flüchtigkeit ̈ mit abnehmender molarer Masse des Halogenalkans, ̈ mit abnehmender Größe bzw. molarer Masse des Halogens und ̈ mit zunehmender Verzweigung der Alkyl-Gruppe. Halogenalkane sind polare Moleküle mit Dipolmomenten von o » 2 Debye. Von Fluoralkanen zu Iodalkanen nehmen die Dichten zu. Monochlor- und Monofluoralkane sind leichter, Brom- und Iodalkane sowie Polyhalogenalkane dagegen schwerer als Wasser. Halogenalkane lösen sich praktisch nicht in Wasser und sind ausgezeichnete Lösemittel für die meisten organischen Verbindungen. Zur Extraktion und zum Umkristallisieren werden insbesondere Dichlormethan (Methylenchlorid), Trichlormethan (Chloroform) und Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) benutzt. Tetrachlormethan und Trichlorethen werden zur Textilreinigung verwendet. 2-Brom-2-chlor-1,1,1-trifluorethan (Halothan, CF3CHBrCl) dient als Inhalationsnarcoticum.
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186
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
In Fluor-, Chlor-, Brom- und Iodalkanen, -alkenen sowie -alkinen nehmen die Kohlenstoff-Halogen-Bindungslängen mit wachsender Ausdehnung der Halogen-Atomradien zu (Tab. 13.1) . Tab. 13.1. C-Halogen-Atomabstände in Halogenalkanen, -alkenen und -alkinen (in pm)
Halogen-
-alkan
-alken
-alkin
C/F C/Cl C/Br C/I
136 179 195 214
133 172 188 209
130 164 180 199
Die Bindungswinkel (Interorbitalwinkel) an halogensubstituierten sp3-hybridisierten C-Atomen weichen bereits bei Fluoralkanen wie Fluormethan oder Difluormethan vom Tetraederwinkel 109°28' ab. 108.5°
Fluormethan
108.3°
H H C F
F H C F Difluormethan
110.5°
111.9°
H
H
Zeichnet man Energiediagramme für die Rotation der 1,2-Dihalogenethane um deren CC-Bindung (vgl. Butan, Abb. 2.4, S. 32), so findet man je nach Größe und Elektronegativität der beiden Halogene sowie ihrer Stellung relativ zueinander Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, VAN-DERWAALSAbstoßung oder -Anziehung zwischen den Halogen-Atomen. Daher ist beim 1,2-Dichlorethan die windschiefe, beim 1,2-Dibromethan dagegen die anti-Konformation begünstigt. Beim Tetrabrom- und Tetrachlorethan ist das gauche-Konformer um ca. 4 kJ / mol stabiler als die anti-Form. Auch (Z)-1,2-Dichlorethen ist um 2 kJ / mol stabiler als das (E)-Isomer; nur beim 1,2Diiodethen ist das (E)-Alken stabiler. Diese Abweichungen vom "Normalverhalten" der unsubstituierten Alkane sind eine Folge der erwähnten, zur Anziehung führenden Wechselwirkungen zwischen den Halogen-Atomen.
13.3 Darstellung 13.3.1
Radikalische Halogenierung von Alkanen
Tiefsiedende Chloralkane und einige Bromalkane werden industriell überwiegend durch Halogenierung von Alkanen in der Gasphase hergestellt (Photochlorierung oder thermische Chlorierung; Abschn. 3.1). Beispiele sind Synthesen der t-Butyl-, Neopentyl-, Allyl- und Benzylhalogenide: Br 2 , hp", 120 °C
(H 3C)3CH
(H3C)3C Br Cl2 , 300 °C
(H 3C)4C H2C=CH/CH 3
(H3C)3C CH 2 Cl Cl2 (oder Br 2) , 400 °C
H2C=CH /CH2/Cl (oder Br)
Cl2 (oder Br 2) , hp", Rückfluß
H5C 6 CH3
H5C6 CH 2 Cl (oder Br)
Zur Herstellung von Fluor- und Iodalkanen eignen sich andere Verfahren (Abschn. 13.3.8, 13.3.9).
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13.3 Darstellung
13.3.2
187
Addition von Halogenwasserstoff an Alkene
Alkene addieren HX unter Bildung von Halogenalkanen. Die dabei möglichen Mechanismen / elektrophile Addition oder Addition über freie Radikale / wurden in Abschn. 4.5.4, 4.5.10 und 5.4 besprochen. Elektrophile Addition Die in zwei Schritten ablaufende elektrophile Addition an Alkene findet unter Lichtausschluß, bei tiefer Temperatur und in Lösung statt. Dabei addiert das Halogen so an die Doppelbindung, daß als Zwischenstufe das stabilste Carbenium-Ion auftritt (MARKOWNIKOFF-Regel).
̈
X
/
+ [H+]
+ X
R CH CH2
R CH CH 3
R CH CH 3
( X = Cl , Br , I )
̈ Addition über freie Radikale In Gegenwart von Licht, von Peroxiden oder bei höherer Temperatur in der Gasphase addiert das Halogen an das mit mehr H-Atomen verknüpfte C-Atom der Doppelbindung ("anti-MARKOWNIKOW-Produkte"), weil unter diesen Bedingungen das stabilste Radikal als Intermediat auftritt. +X
R CH CH2
13.3.3
+ HX
R CH CH 2
X
R CH 2 CH2
X
+
X
( X = Cl, Br )
Addition von Halogen an Alkene
Elektrophile Addition Über einen ionischen Mechanismus, der unter Ausschluß von Licht, bei tiefen Temperaturen und in Lösung abläuft, addieren Br2 oder Cl2 an Alkene. Dabei bilden sich 1,2-Dihalogenalkane.
̈
X C C
+
X2
C C
( X = Cl, Br )
X
Addition von X2 über freie Radikale Bei hohen Temperaturen in der Gasphase konkurrieren radikalische Substitutionen in AllylStellung mit radikalischen 1,2-Additionen.
̈
Substitution
C C C
+
X2
C C
HX
X
X
Addition
und
C C C
C H
+
+
X2
C C C X
H
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188
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
13.3.4
Additionen von HX und X2 an Diene
Eine allgemein anwendbare Methode zur Darstellung von Halogenalkanen ist die elektrophile Addition von HX (X = Cl, Br, I) oder X2 (X = Cl, Br) an 1,3-Diene (Abschn. 6.5.1). Bei tiefer Temperatur bilden sich dabei vorzugsweise 1,2-, bei höherer dagegen 1,4-Additionsprodukte. X
+ HX
X
H3C CH CH CH2 H2C CH CH CH2
+
H3C CH CH CH2
1,2-Addukt
1,4-Addukt
+ X2
H2C CH CH CH2
+
X X
H2C CH CH CH2 X
X
Dieselben Produkte sind auch durch radikalische Addition von HX oder X2 an konjugierte Diene zugänglich (Abschn. 6.5.2).
13.3.5
Additionen von HX und X2 an Alkine
Zur Darstellung von Vinylhalogeniden und 1,1-Dihalogeniden eignen sich elektrophile Additionen von HX an Alkine (Abschn. 7.5.3). R
+ HX (HgX 2)
R C C R
X
+ HX , Hitze
RCH C
R CH2 C R X
X
Die Addition von Halogenen X2 (X = Cl, Br) an Alkine öffnet den Zugang zu 1,2-Dihalogenalkenen und 1,1,2,2-Tetrahalogenalkanen. + X2 (FeX 3)
X
R C C R
R
+ X2 (FeX 3)
C C R
X R C
X
X
X C R X
Chlorethen (Vinylchlorid) und Tetrachlorethan werden durch Hydrohalogenierung bzw. Halogenierung des Ethins technisch hergestellt: H C C H + HCl
13.3.6
H2C CH Cl Chlorethen (Vinylchlorid)
H C C H + 2 Cl2
Cl2CH CHCl2 1,1,2,2-Tetrachlorethan
Halogenalkene durch Dehydrohalogenierung
Vinylchlorid und -bromid sowie andere Halogenethene sind durch partielle Dehydrohalogenierung von 1,1- oder 1,2-Dihalogenalkanen zugänglich. Vinylchlorid ist das Monomer des synthetischen Polymers Polyvinylchlorid (PVC). Trichlorethen (Trichlorethylen) wird zur Textilreinigung als Lösemittel technisch hergestellt.
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13.3 Darstellung
189
KOH
H3C CHCl2 oder ClCH2 CH 2Cl
/ HCl
H 2C CH Cl
Chlorethen (Vinylchlorid)
H 2C CH Br
Bromethen (Vinylbromid)
ClCH CCl2
Trichlorethen (Trichlorethylen)
KOH in Ethanol
BrCH 2 CH 2Br
/ HBr
Ca(OH) 2
Cl2CH CHCl2
13.3.7
/ HCl
Radikalische Bromierung in Allyl-Stellung durch N-Bromsuccinimid
Allylständige CH2-Gruppen können bei mäßigen Temperaturen mit Hilfe von N-Bromsuccinimid (NBS) unter Bestrahlung mit Licht oder in Gegenwart von Peroxiden bromiert werden. 3-Bromcyclohexen und c-Bromtoluen (Benzylbromid) sind so zugänglich: O +
N Br
O CCl4 , Rückfluß
Br
+
H 3-Bromcyclohexen
O
O
O CH3
+
N Br
N H
O CCl4 , Rückfluß
CH2 Br
+
c-Bromtoluen (Benzylbromid)
O
N H O
Diese als WOHL-ZIEGLER-Reaktion bekannte, schonende Allyl-Bromierung mit NBS ist ein Analogon der radikalischen Substitution von Propen durch Cl2 oder Br2 bei hoher Temperatur (Abschn. 4.5.10). Peroxide starten dabei eine Kettenreaktion über intermediäre Radikale. Die homolytische Spaltung der N/Br-Bindung des N-Bromsuccinimids führt zum Brom-Radikal; dieses bildet im ersten Schritt der Kettenreaktion mit dem Alken ein Allyl-Radikal, das im zweiten Schritt mit Brom zu Allylbromid und Brom-Radikal abreagiert. (1) (2)
Br
+
R CH2 CH CH R
R CH CH CH R
+ Br2
R CH CH CH R R CH CH CH R
R CH CH CH R +
+ HBr
Br
Br
Infolge der Bildung mesomeriestabilisierter Allyl-Radikale können aus unsymmetrisch substituierten Alkenen isomere Allylbromide entstehen. 1-Buten ergibt z. B. 1-Brom-2-buten als Hauptprodukt neben 3-Brom-1-buten: H3C CH2 CH CH 2
NBS , CCl4 , Peroxide
H3C CH CH CH2 Br 3-Brom-1-buten
sowie
H 3C CH CH CH 2 Br 1-Brom-2-buten (Hauptprodukt) (E + Z)
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190
13.3.8
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Darstellung von Fluoralkanen
Die direkte Fluorierung von Alkanen verläuft stark exotherm und führt zu perfluorierten Verbindungen sowie CC-Spaltungen. Die heftige Reaktion läßt sich durch Tiefkühlung und durch Verdünnung des Fluors mit Helium steuern. Nur wenige einfache Fluoralkane sind durch Addition von Fluorwasserstoff an Alkene zugänglich. Alle anderen Fluoralkane müssen durch spezielle Methoden dargestellt werden. Fluorierung durch anorganische Fluoride Als Fluorierungsmittel eignen sich einige anorganische Fluoride wie Kobalt(III)-fluorid. Strömt ein Alkan über CoF3, so wird dieses vom Alkan unter Bildung von Fluoralkanen und Flußsäure zu CoF2 reduziert. Das Kobalt(II)-fluorid kann anschließend mit elementarem Fluor zum CoF3 regeneriert werden. ̈
CnH2n+2
+
2 (2n+2) CoF3 2 CoF 2
+
CnF2n+2 + (2n+2) HF + 2 (2n+2) CoF 2
F2
2 CoF3
Fluorierung durch Halogenaustausch in Halogenalkanen Durch Halogen-Austausch können Chlor- oder Bromalkane bei Einwirkung starker LEWIS-Säuren wie HgF2 oder SbF3 in Fluoralkane übergeführt werden. ̈
2 CH 3Br
+
0 °C
HgF 2
3 CCl4
+
2 SbF 3
3 CCl4
+
SbF 3
SbCl3
+
3 HF
SbCl5 SbCl5
2 CH3F
+
HgBr2
3 CCl2F 2
+
2 SbCl3
3 CFCl3
+
SbCl3
SbF 3
+
3 HCl
Das als Freon-12 bekannte Dichlordifluormethan wurde wegen seiner hohen Verdampfungswärme als Kühlflüssigkeit für Kühlaggregate eingesetzt. Auch als Treib- und Lösemittel in Spraydosen fand es Verwendung, bevor man erkannte, daß alle in die Atmosphäre entweichenden "Fluorchlorkohlenwasserstoffe" ("FCKWs") in einer Photoreaktion Halogen-Radikale freisetzen, die das UV-absorbierende Ozon spalten und so die Ozon-Konzentration in der Stratosphäre vermindern ("Ozonloch"). CCl2F 2 Cl ClO
hp
+ O3 +
O
CClF2
+
Cl
ClO
+
O2
O2 +
Cl
Der chemisch inerte Polymer-Werkstoff Polytetrafluorethen (Teflon, [/CF2/]n), wird durch radikalische Polymerisation von Tetrafluorethen großtechnisch erzeugt. Tetrafluorethen entsteht aus Chloroform und Antimontrifluorid über Chlordifluormethan: 3 CHCl3
+
2 SbF 3
2 CHClF 2
SbCl5 700-800 °C
3 CHClF 2
+
2 SbCl3
F 2C CF 2
+
2 HCl
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13.3 Darstellung
191
Teflon wird als Werkstoff für Pumpen und Laborgeräte sowie zur Beschichtung von Töpfen und Pfannen verwendet. Höhere Perfluoralkane dienen als chemisch inerte Spezialschmieröle. Die geringe Reaktivität der Polyfluoralkane beruht auf der außerordentlich starken CF-Bindung, was sich in sehr kurzen C/F-Atomabständen (135 pm) äußert. Monofluoralkane zeigen dagegen weitgehend die chemischen Eigenschaften der anderen Halogenalkane und haben C/F-Bindungslängen von 142 pm.
13.3.9
Darstellung von Iodalkanen
Iodalkane sind durch Halogen-Austausch vom Typ der nucleophilen Substitution aus Brom- oder Chloralkanen zugänglich (FINKELSTEIN-Reaktion). NaI , Aceton
R X
+
I
R I
+
X"""""""
( X = Cl, Br )
Iodmethan (Methyliodid) als Methylierungsreagenz wird aus dem Carcinogen-verdächtigen Dimethylsulfat und Kaliumiodid hergestellt. (CH3O)2SO2
+ 2 KI
CaCO3 in H2O
2 CH 3 I
+
K2SO4
13.3.10 Halogenalkane aus Alkoholen Die Darstellung von Halogenalkanen aus Alkoholen ist eine allgemein anwendbare und die bedeutendste Darstellungsmethode. Dabei wird die Hydroxy-Gruppe des Alkohols nucleophil durch ein Halogenid-Anion ersetzt (nucleophile Substitution, SN, Abschn. 14). HX oder PX3
R OH
R X
( X = Cl, Br, I )
Halogenierung mit Phosphortribromid und -iodid Phosphortrihalogenide reagieren mit Alkoholen zu Halogenalkanen. ̈
Pyridin
3 R OH
+
PBr3 ( P + Br2 )
3 R Br
+
H 3PO3
3R I
+
H 3PO3
Pyridin
3 R OH
+
PI 3 ( P + I 2 )
Zu dieser Reaktion können primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole einschließlich der Cycloalkanole sowie Benzyl- und Allylalkohol eingesetzt werden. Wegen der mäßigen Ausbeuten werden die Chloride nur selten mit PCl3 dargestellt.
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192
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Umsetzung mit Thionylchlorid Thionylchlorid (SOCl2) als Reagenz zur Chlorierung bietet gegenüber PCl3 den Vorteil, daß die Reaktionsmischung sich infolge gasfömiger Nebenprodukte einfacher aufarbeiten läßt. Pyridin (Kat.)
R OH
+
SOCl2
R Cl
+
SO2
+
HCl
Pyridin (C5H5N) beschleunigt die Halogenierung über intermediäre Chlorsulfinsäureester. R
R OH + SOCl2 + C5H5N
O
S
O
+
C5H5NH Cl
R Cl + SO2 + C5H5N
+ HCl
Cl Chlorsulfinsäureester
Halogenierung mit Halogenwasserstoffen Tertiäre Halogenalkane sind aus den entsprechenden Alkoholen durch Behandlung mit Halogenwasserstoff (HCl, HBr) zugänglich. Die Darstellung primärer Halogenalkane erfordert schärfere Reaktionsbedingungen und wird durch den Zusatz einer LEWIS-Säure wie ZnCl2 erleichtert. Die aus c,y-Diolen zugänglichen c,y-Dibromalkane sind wichtige Zwischenprodukte organischer Synthesen. CH 3
CH 3
0 °C
H3C CH2 C OH
+
HCl
H3C CH2 C Cl
CH 3
+
H 2O
+
H2O
CH 3 2-Chlor-2-methylbutan 80 °C
OH
+
HBr
Br Bromcyclohexan
HO (CH2)n OH
+ 2 HBr
135 °C
Br (CH 2)n Br c,y-Dibromalkan
+ 2 H 2O
Umlagerungen und Eliminierungen sind Nebenreaktionen. Die relativen Reaktivitäten der Alkohole sinken in der Folge Allyl, Benzyl > tertiär > sekundär > primär.
Die Reaktivitäten der Halogenwasserstoffe nehmen von HI über HBr zu HCl ab. Chlorierungen von Alkoholen durch HCl werden nach RYDON durch Triphenylphosphit katalysiert, das in situ aus Phenol und Phosphortrichlorid entsteht. 3 H5C 6 OH
+
PCl3
+
HCl
Phenol
(H 5C6O)3 P
+
R OH
(H 5C6O)3 P + Triphenylphosphit R Cl
+
3 HCl
(H 5C6O)3POH
+
H5C 6 OH
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13.3 Darstellung
193
Mit Trichloracetonitril können Alkohole sogar bei 0 °C zu Chloralkanen umgesetzt werden. R OH
+
NH Cl3C C OR
Cl3C C N Trichloracetonitril
NH 2 Cl Cl3C C O R
NH 2 + R Cl Cl3C C O Trichloracetamid Chloralkan
13.3.11 Bromalkane durch HUNSDIECKER-Decarboxylierung Silbersalze langkettiger Carbonsäuren decarboxylieren in der Hitze oder bei UV-Bestrahlung zu langkettigen Bromalkanen (HUNSDIECKER-Decarboxylierung). Als Katalysatoren eignen sich Quecksilberoxid und Blei(IV)-acetat. CCl4 , Hitze
R CH 2 CO2 Ag
+
Br2
R CH 2 Br
+
CO2
+
AgBr
Die Bildung des Silberbromids aus Silbercarboxylat und Brom startet eine Kettenreaktion über intermediäre Radikale: Start
R
CO2 Ag
+
Br2
R COOBr +
R COOBr
R COO
R COO Kette
R
+ R COOBr
AgBr
+
Br
R
+
CO2
R Br
+
R COO
13.3.12 Darstellung und Eigenschaften von Oligohalogenmethanen Oligochlormethane Di-, Tri- und Tetrachlormethan entstehen durch Photochlorierung von Methan. Tetrachlormethan wird industriell auch über Schwefelkohlenstoff erzeugt. Die Chlorierung des Schwefelkohlenstoffs kann durch SbCl5, AlCl3 oder FeCl3 katalysiert werden. AlCl3
C (Koks) +
2S
CS2
CS2
+
CCl4
3 Cl2
+
S2Cl2
Haloform-Reaktion Eine typische Reaktion von Methylketonen ist die Haloform-Reaktion, bei der durch Einwirkung von Halogenen Cl2, Br2 oder I2 in Natronlauge die farblosen und flüssigen Haloforme, Chloroform (Trichlormethan) und Bromoform (Tribrommethan), sowie das gelbe kristalline Iodoform (Triiodmethan) entstehen. O R C CH 3
/
O
+ 3 OH .""+ 3 Cl2 / 3 H2O , / 3 Cl
/
R C CCl3
+ NaOH
R CO2 Na Carboxylat
+
HCCl3 Chloroform
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194
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Der "Iodoform-Test" dient als chemischer Nachweis von Methylketonen. Da die Reaktion unter milden Bedingungen Carbonsäuren gibt, nutzt man sie zur Darstellung spezieller Carbonsäuren. Schlüsselschritt ist ein elektrophiler Angriff des Halogens X2 am Enolat-Anion (R = Alkyl). O R C CH3
/
+ OH , / H 2O
O R C CH2
O R C CH _ 2
Enolat-Anion
Carbanion
/
+ X2 , / X
O R C CH 2 X
O + NaOH R C CX3
O R C
+
HCX3
O Na
̈ Dihalogenmethane (Methylenhalogenide) Dibrom- und Diiodmethan lassen sich durch Reduktion (z. B. mit Natriumarsenit) des entsprechenden Haloforms darstellen. CHI 3 (CHBr3)
+
Na3 AsO3
+
CH 2I 2 (CH 2Br2)
NaOH
+
Na3 AsO4
+
NaI (NaBr)
Dihalogencarbene Chloroform oder Bromoform können bei Einwirkung von Alkalihydroxid durch c-Eliminierung (1,1-Eliminierung) in Dichlorcarben bzw. Dibromcarben übergehen.
CHCl3
+
/ H2O
HO
:CCl3
/ Cl
/
:CCl2 Dichlorcarben
Carben-typisch addiert Dichlorcarben an CC-Doppelbindungen unter Bildung von CyclopropanDerivaten ([2+1]-Cycloaddition, Cyclopropanierung, Abschn. 8.6.1): C C
+
:CCl2 Cl Cl 1,1-Dichlorcyclopropan
13.4 Reaktionen 13.4.1
Nucleophile Substitution und Eliminierung in Konkurrenz
Der induktive Effekt des Halogens polarisiert die CX-Bindung im Halogenalkan: Das gebundene C-Atom (C-c) wird elektrophil (f+), das Halogen (f/) kann als Halogenid-Anion X/ austreten und durch ein Nucleophil ersetzt werden. Kennzeichen eines Nucleophils ist mindestens ein nichtbindendes Elektronenpaar. Nucleophile können Anionen oder Neutralmoleküle sein, die als LEWISBasen dazu neigen, mit den elektrophilen C-c-Atomen der Halogenalkane Bindungen zu knüpfen.
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13.4
Reaktionen
195
Tab. 13.2. Nucleophile Substitution von Halogenalkanen R/X Nucleophil Sauerstoff
Schwefel
OH
Hydroxid
R OH
OH 2
Wasser
R OH
Alkohol
OR'
Alkoxid
R O R'
Ether
OOC R'
Carboxylat
R O CO R'
Ester
SH
Hydrogensulfid
R SH
Thiol
SR'
Thiolat
R S R'
Thioether (Dialkylsulfid)
Dialkylsulfid
R SR'2 X
Sulfoniumsalz
Thiocyanat (Rhodanid)
R SCN
Alkylthiocyanat
NH 2
Amid
R NH 2
primäres Amin
NH 3
Ammoniak
R NH 2
primäres Amin
H 2N R'
primäres Amin
R NH R'
sekundäres Amin
NHR'2
sekundäres Amin
R NR'2
tertiäres Amin
NR'3
tertiäres Amin
R NR'3 X
quartäres Ammoniumsalz
N3
Azid
R N3
Alkylazid
NO2
Nitrit
R NO2
Nitroalkan
C N
Cyanid
R C N
Nitril (Alkylcyanid)
C C H
Ethinylid
R C C H
1-Alkin
C C R'
Alkinylid
R C C R'
Alkin
R'
Carbanion
R R'
Alkan
CH(CO2R')2
Malonsäurediester-Anion
R CH(CO2R')2
R'
S R'
SCN
Stickstoff
Kohlenstoff
Reaktionsprodukt
CH(COCH 3)(CO2R') Acetessigester-Anion Ar
H (AlCl3)
R CH(COCH 3)(CO2R')
Alkohol
Alkylmalonsäurediester (Malonester-Synthese)
Alkylacetessigester (Acetessigester-Synthese)
Aren
R Ar
Alkylaren
Halogen
K
Iodid
R I
Iodalkan (Alkyliodid)
Phosphor
P(C 6H 5)3
Triphenylphosphan
R P(C 6H 5)3 X
Alkyltriphenylphosphoniumsalz
Andererseits zieht im Halogenalkan die durch den induktiven Effekt des Halogens an C-c induzierte, positive Partialladung Elektronen von C-d an. Dadurch können die CH-Bindungen an C-d so polarisiert werden, daß ein Proton von C-d unter Alken-Bildung abgespalten wird. H
+ harte Base B :
H B + X
+
C C
Eliminierung E
d
cC C
X
H
+ weiche Base B :
C C Substitution SN
+
X
B
Halogenalkan
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196
13 Halogenalkane (Alkylhalogenide)
Nucleophile Substitution und Eliminierung konkurrieren also, wenn Basen (Nucleophile) B/ auf ein Halogenalkan (als Elektrophil) einwirken. Welche Reaktion dominiert, folgt aus dem HSABPrinzip (hard soft acid base): Demnach reagieren Basen (Nucleophile) und Säuren (Elektrophile) bevorzugt nach der Regel "hart mit hart" und "weich mit weich". Hart sind kompakte Ionen mit hoher Ladungskonzentration wie Acyl-Kationen und Protonen als Elektrophile (Säuren) bzw. Hydroxid- und Alkoholat-Ionen als Nucleophile (Basen). Weich sind dagegen polarisierbare, voluminöse Spezies wie Halogenalkane, Carbene und Carbenium-Ionen als Elektrophile (Säuren) bzw. Alkene, Aromaten, Cyanid- und Carbanionen als typische Nucleophile (Basen). So wird ein Halogenalkan mit einer harten Base (B = OH/) bevorzugt zum Alken dehydrohalogenieren (Eliminierung), durch ein weiches Nucleophil (B = CN/) dagegen bevorzugt (zum Nitril) substituiert.
13.4.2
Nucleophile Substitutionen
Tab. 13.2 orientiert über die vielfältigen Möglichkeiten zur Einführung funktioneller Gruppen durch nucleophile Substitutionen von Halogenalkanen. Fast jedes der resultierenden Produkte ist seinerseits wieder in viele Derivate überführbar, welche die Alkyl-Gruppe des Halogenalkans tragen. Somit sind die aus Alkanen und Alkenen zugänglichen Halogenalkane als Alkylierungsmittel Schlüsseledukte organischer Synthesen.
13.4.3
GRIGNARD-Reaktion
Halogenalkane, Halogenalkene, Halogenalkine und Halogenarene (Arylhalogenide) reagieren mit Magnesium in Ether-Suspension zu Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen), die mit Dialkylmagnesium im SCHLENK-Gleichgewicht vorliegen: f+ f/
2 R X
f/ f++
Ether
+
2 Mg
f/
2 R Mg X
SCHLENKGleichgewicht
Alkylmagnesiumhalogenid ( X = Cl , Br , I )
f/ f++ f/
R Mg R
+
MgX2
Dialkylmagnesium
Diese Metallierung polt das c-C-Atom vom Elektrophil (f+) zum Nucleophil (f/) um. Auf dieser Umpolung beruhen vielseitige präparative Anwendungen der GRIGNARD-Verbindungen im Bereich der CC-Verknüpfungen, u. a. zur Synthese von Alkoholen (Abschn. 15.4.6).
13.4.4
CC-Verknüpfungen mit Organohalogen-Verbindungen
Das zum Nucleophil umgepolte C-Atom einer GRIGNARD-Verbindung reagiert mit dem elektrophilen C-Atom einer Organohalogen-Verbindung unter Knüpfung einer neuen CC-Einfachbindung: f+
R1
f/
X
Halogenalkan, Halogenaren, Halogenalkin, Halogenaren elektrophiles R1
+
f/
f++
f/
in Ether
R2 Mg X
R1 R2
+
MgX2
Alkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Arylmagnesiumhalogenid ( X = Cl , Br , I ) nucleophiles R2
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13.4
Reaktionen
197
Demselben Prinzip folgt die WURTZ-Reaktion zur Synthese von Alkanen aus Halogenalkanen über Alkylnatrium (Abschn. 2.6.3). Phenylcyclopentan könnte z. B. entweder aus Bromcyclopentan und Phenylmagnesiumbromid (aus Brombenzen und Magnesium in Ether) oder aus Brombenzen und Cyclopentylmagnesiumbromid (aus Bromcyclopentan und Magnesium) dargestellt werden: Br
+
Bromcyclopentan
/ MgBr2
Br Mg
/ MgBr2
Phenylmagnesiumbromid
Phenylcyclopentan
Mg Br
+
Cyclopentylmagnesiumbromid
Br Brombenzen
Neuere Methoden Palladium(0)-katalysierter CC-Verknüpfungen mit Organohalogen-Verbindungen und Triflaten (Trifluormethansulfonaten) als Elektrophile sind die SUZUKI-Kupplung mit Boronsäuren Pd(0)-Komplex
R1
X
R 1 R2
R2 B(OH)2
+
+
XB(OH)2
Alkylboronsäure, Arenboronsäure
X = I, Br, OSO2CF3
sowie die STILLE-Kupplung mit Organozinn-Verbindungen (Stannane) über Katalysecyclen, die denen der HECK-Reaktion (Abschn. 4.5.11) sehr ähnlich sind. Pd(0)-Komplex
R1
X
X = I , Br , OSO2CF3
R1 R2
R2 SnR3
+
+
XSnR3
Stannan R2 = Alkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-
3-Methoxybiphenyl kann z. B. aus m-Bromanisol nach STILLE mit Trimethylphenylstannan und nach SUZUKI mit Phenylboronsäure dargestellt werden in Gegenwart des Palladium(0)-Triphenylphosphan-Komplexes, der im Falle der STILLE-Kuppplung in situ durch Reduktion der Palladium(II)-Salze mit überschüssigem Stannan erzeugt wird. H 3CO
H 3CO
H 3CO Br +
m-Bromanisol
(H 3C)3Sn
Pd(0)
Pd(0)
STILLE
SUZUKI
Trimethylphenylstannan
Br + (HO)2B
3-Methoxybiphenyl
Phenylboronsäure
Die SUZUKI-Kupplung bewährt sich zur stereoselektiven Darstellung konjugierter Polyene unter Erhaltung der relativen Konfiguration beider Edukte (Retention). Die Synthese des Bombykols, Sexuallockstoff des Seidenspinner-Weibchens (Bombyx mori), gelingt z. B. durch SUZUKI-Kupplung des (E)-1-Iod-1-undecen-11-ols mit (Z)-1-Pentenyl-1-boronsäure: HO
I (E)-1-Iod-1-undecen-11-ol
Pd(0)
+
(HO)2B (Z)-1-Pentenyl1-boronsäure
HO
/ I B(OH) 2 Bombykol
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198
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
14.1 Übersicht nucleophiler Substitutionen an Aliphaten Bei der nucleophilen Substitution ersetzt das Nucleophil B in einem Substrat (Halogenalkan) einen Substituenten X (z. B. ein Halogen), der als Anion (Nucleofug, z. B. ein Halogenid-Anion) austritt. Je nach Art des Nucleophils (Anion, Neutralmolekül) gibt es drei Möglichkeiten: Substrat
Nucleophil
Produkt
Nucleofug
eintretende Gruppe künftiger Substituent
austretende Gruppe z. B. Halogenid-Anion
R X
+
IB
R B
+
X
R X
+
IB
R B
+
X
R X
+
IB H
R BH
+
X
Einfache Substitutionen ohne konkurrierende Eliminierungen, in denen man die drei NucleophilTypen erkennt, sind z. B. die Bildung des Methylcyanids (Acetonitril) aus Iodmethan, des Methylammonium-bromids aus Brommethan, des Chlormethans aus protoniertem Methanol und des Tetramethylammonium-Ions aus dem Trimethylsulfonium-Ion: H 3C
+
IC N
H 3C C N
+
I
H 3C Br
+
INH3
H 3C NH 3
+
Br
H3C OH 2
+
Cl
H 3C Cl
+
H2O
(H 3C)3S
+
(H3C)4N
+
(H3C)2S
I
IN(CH3)3
Nucleophile Substitutionen sind keineswegs auf Halogenalkane beschränkt; jede AlkylVerbindung mit einer geeigneten Abgangsgruppe X kann mit Nucleophilen reagieren (Tab. 14.1). Besonders gut austretende Gruppen sind Tosylat, Brosylat sowie Onium-Ionen (Tab. 14.1). Solvolysen sind nucleophile Substitutionen, bei denen Lösemittel als Nucleophile wirken. Man unterscheidet dabei je nach Art des Solvens die Hydrolyse (H2O), Methanolyse (Methanol, CH3/OH), Ethanolyse (Ethanol, C2H5/OH), Acetolyse (Essigsäure, CH3/COOH), Formolyse (Ameisensäure, H/COOH), Ammonolyse (NH3) oder Aminolyse (primäre Amine, R/NH2, als Lösemittel und Nucleophile). Wie bei anderen Reaktionstypen hängt die Reaktionsgeschwindigkeit einer nucleophilen Substitution von äußeren Einflüssen wie Temperatur, Konzentration und Lösemittel ab. Struktur und Nucleophilie des angreifenden Agens, Struktur des Substratmoleküls, Basizität der austretenden Gruppe sowie Salzeffekte spielen eine weitere entscheidende Rolle. Zusätzlich komplizieren konkurrierende Eliminierungen eine Analyse der Kinetik und Stereochemie nucleophiler Substitutionen. Dennoch bieten einige Regeln und Beziehungen Orientierungshilfe bei der Interpretation des Reaktionsverlaufs.
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14.2 Mechanismen
199
Tab. 14.1. Nucleophile Substitutionen verschiedener Alkyl-Verbindungen Alkyl-Verbindung
Nucleophil
Produkt
Nucleof ug
O
O Sulfat
R O S O R
CH3O
R OCH3
Methylether
O S O R
O
O O
O R O S
CH3
Tosylat
H2O
R OH
Alkohol
HO S
CH3
O
O O
O
R O S
Br
Brosylat
H2O
R OH
Alkohol
O
HO S
Br
O Alkohol
HCl (HBr, HI)
R Cl (Br, I)
Halogenalkan
O R O C R'
Ester
H2O
R OH
Alkohol
R O R'
Ether
HBr
R Br
Bromalkan
HO R'
Oxoniumsalz
H2O
R OH
Alkohol
R' O R'
Sulfoniumsalz
Br
R Br
Bromalkan
R OH
R' R O R'
H2O O HO C R'
R'
R' R S
S R'
R' R NR'3
Ammoniumsalz
OH
R OH
Alkohol
R N N
Diazoniumsalz
H2O
R OH
Alkohol
NR'3 N2 + [H ]
14.2 Mechanismen Für nucleophile Substitutionen (SN) gibt es zwei Grenz-Mechanismen. Einerseits können sie einstufig nach einem bimolekularen Mechanismus verlaufen, den man als SN2 bezeichnet; SN2 ist die Abkürzung für Substitution (S), nucleophil (N), bimolekular (2). Andererseits können sie auch zweistufig ablaufen; dabei ist der erste, geschwindigkeitsbestimmende Schritt monomolekular; daher spricht man vom SN1-Mechanismus (S für Substitution, N für nucleophil, 1 für monomolekular).
14.2.1
Bimolekularer Mechanismus SN2
Beim SN2-Mechanismus greift das in die Verbindung eintretende Nucleophil B/ direkt am positivierten C-Atom der polarisierten CX-Bindung an. Im Übergangszustand dieser Reaktion (Abb. 14.1) ist die neue Bindung BC fast geknüpft und die frühere Bindung CX nahezu gelöst. Während der Bildung von B/C unter gleichzeitiger Lösung von C/X liegen die drei an der Substitution unbeteiligten Substituenten auf einer Ebene.
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200
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Epot B
C
X
Übergangszustand
FEA
C
X +B
FH
B
R X
B R
+ X
C
Reaktionskoordinate
Abb. 14.1. Energiediagramm der SN2-Reaktion
Aufgrund des synchronen Verlaufs der SN2 Reaktion hängt die Reaktionsgeschwindigkeit r von der Konzentration beider Reaktionspartner (Halogenalkan als Substrat und Nucleophil) ab; die bimolekulare Reaktion folgt einem Geschwindigkeitsgesetz zweiter Ordnung: rS 2 = N
dc(Substrat) /""""""""""""""" = k dt
x c(Substrat) x c(Nucleophil)
k ist die spezifische Reaktionsgeschwindigkeitskonstante und wird wie r selbst in mol / Liter x Sekunde angegeben.
Die Bildung jedes einzelnen Moleküls R/B erfordert den Zusammenstoß eines Nucleophils B/ mit einem Substrat-Molekül R/X. Verdopplung der Konzentration beider Edukte vervierfacht die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß und damit auch die Reaktionsgeschwindigkeit. Befindet sich bei einer Solvolyse das Nucleophil in sehr hohem molarem Überschuß gegenüber dem Substrat, so geht nur die Konzentration des Substrats in die Geschwindigkeitsgleichung ein, d. h. die nach SN2 ablaufenden Reaktionen folgen einer Kinetik pseudo-erster Ordnung. dc(Substrat) /""""""""""""""" = k´ dt
rS 2 = N
x c (Substrat)
Stereochemischer Verlauf Betrachtet man den stereochemischen Verlauf der SN2-Reaktion (Abb. 14.2), so ist leicht einzusehen, daß aufgrund sterischer und elektrostatischer Einflüsse das Nucleophil B/ eher von der Rückseite als frontal zum Nucleofug angreifen wird. ̈
R
R BI
f+
+
C R' R"
Nucleophil
Substrat
f/
X
FEA groß
f/
B
C
R f/
X
B
C
+
X
R'
R'
R" R"
Produkt
Nucleofug
Übergangszustand mit elektronischem Ladungsausgleich
Abb. 14.2. Sterischer Verlauf einer SN2-Reaktion
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14.2 Mechanismen
201
Die kinetische Analyse der alkalischen Hydrolyse von Halogenalkanen zu Alkoholen ergab z. B., daß die Bildung von Methanol aus Brommethan nach 2. Ordnung verläuft (SN2-Mechanismus, Abb. 14.3). H H H HO
f+
+
C
f/
f/
Br
HO
H
f/
C
H Hydroxid
H
H Br
HO
C
+
Br
H
H
Brommethan
Methanol
Bromid
Übergangszustand
Abb. 14.3. Alkalische Hydrolyse von Brommethan
Ein Angriff des Nucleophils von der Seite der austretenden Gruppe X wäre wegen der elektrostatischen Abstoßung energetisch ungünstiger. Da somit im Übergangszustand die Konfiguration invertiert (Abb. 14.2), wird die SN2-Reaktion stereospezifisch unter Inversion der Konfiguration verlaufen (WALDEN-Inversion, Abschn. 17.10.1). Umlagerungen des Kohlenstoff-Skeletts werden bei den synchron verlaufenden SN2-Reaktionen nicht beobachtet.
14.2.2
Monomolekularer Mechanismus SN1
Die monomolekulare nucleophile Substitution (SN1) verläuft nach dem in Abb 14.4 gezeichneten Energiediagramm in zwei Schritten: Im ersten Reaktionsschritt bildet sich durch Austritt der Gruppe X unter Mitwirkung der Lösemittelmoleküle ein Carbenium-Ion; der zweite Schritt ist eine schnelle Ionen-Reaktion des elektronenreichen Nucleophils B/ mit dem elektronenarmen, planaren Carbenium-Ion zum Produkt R/B. Epot
R
X
Übergangszustand 1
R
B
Übergangszustand 2
FEA R
(solvatisiert)
+ X + B R
X
FH R
R
X
R Schritt 1
+ X
R
+ B
B R
B
Reaktionskoordinate
Schritt 2
Abb. 14.4. Energiediagramm der SN1-Reaktion
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202
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Kinetik Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt einer SN1-Reaktion ist die Bildung des CarbeniumIons. Somit hängt die Reaktionsgeschwindigkeit allein von der Substratkonzentration ab. ̈
dc(Substrat) /""""""""""""""" = k dt
r = SN1
x c(Substrat)
Dieser Substitutionstyp folgt demnach einer Kinetik erster Ordnung; die Änderung der Konzentration des Nucleophils hat keinen Einfluß auf die Geschwindigkeit. Die Bildung von t-Butylalkohol aus t-Butylbromid folgt z. B. einer Kinetik 1. Ordnung (SN1-Mechanismus, Abb. 14.5).
H 3C H 3C
2. Schritt schnelle Ionenreaktion
1. Schritt langsame Dissoziation
f+
C
/ Br
f/
/
- OH
/
(H 3C)3C OH
Br
H 3C 2-Methyl-2-propanol t-Butylalkohol
2-Brom-2-methylpropan t-Butylbromid C a r b e n i u m -I o n positive Ladung auf vakantem p-Orbital
Abb. 14.5. Alkalische Hydrolyse von t-Butylbromid
Eindeutige Ergebnisse sind bei kinetischen Analysen keineswegs die Regel, da bei einer Reaktion oft mehrere Mechanismen konkurrieren können. In solchen Fällen trägt die systematische Variation der Reaktionsbedingungen (Temperatur, Lösemittel, Konzentration der Edukte) zur Klärung der Reaktionsordnung bei. ̈ Stereochemischer Verlauf Geschwindigkeitsbestimmend bei SN1-Reaktionen ist die mit hoher Aktivierungsenergie FEA ablaufende Bildung des Carbenium-Ions (Abb. 14.4, 14.5). Wäre der nachfolgende Angriff des Nucleophils B/ an beiden freien Seiten des Carbenium-Ions gleich wahrscheinlich, so hätte die Substitution vollständige Racemisierung zur Folge (Inversion und Retention der Konfiguration, Abb. 14.6, Abschn. 17.10.1). Dies trifft im Experiment nicht immer zu.
2. Schritt schnelle Ionen-Reaktion von Nucleophil und Carbenium-Ion nicht geschwindigkeitsbestimmend
1. Schritt: Bildung des Carbenium-Ions geschwindigkeitsbestimmend R" R"
R" R'
R'
R"
R'
langsam
C R Substrat
schnell
+
X
R'
X
C
+ IB R Carbenium-Ion (solvatisiert)
Nucleofug
R"
R'
R
R Retention
B und / oder B
C R Inversion
Abb. 14.6. Sterischer Verlauf einer SN1-Reaktion
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14.3 Struktur und Reaktivität
203
Bei Substitutionen an Cycloalkanen ist der sterische Verlauf aufgrund der fixierten Geometrie dieser Verbindungen besonders leicht zu verfolgen, da Inversionen dort auch cis-trans-Konfigurationswechsel auslösen. So führt die nucleophile Substitution des cis-1-Chlor-3-ethylcyclopentans durch Hydroxid unter vollständiger Inversion der Konfiguration am substituierten CAtom zum trans-3-Ethylcyclopentanol. Demnach fand eine SN2-Reaktion statt; ein SN1Mechanismus hätte cis- und trans-3-Ethylcyclopentanol hervorgebracht. H HO
H
SN2 , vollständige Inversion
+ Cl C2H 5 cis-1-Chlor-3-ethylcyclopentan
HO
H
+ H C2H 5 trans-3-Ethylcyclopentanol
Cl
14.3 Struktur und Reaktivität 14.3.1
Effekte der Alkyl-Gruppen
Die Reaktivität von Alkyl-Verbindungen gegenüber einem bestimmten Nucleophil hängt stark von der Art der Alkyl-Gruppe ab. Bei den SN2-Reaktionen verläuft der rückwärtige Angriff des Nucleophils erwartungsgemäß am besten bei primären Halogenalkanen. Zunehmende Häufung von Alkyl-Gruppen an C-c hemmt die Neigung des Substrats zur SN2-Reaktion. Dagegen sinkt die Tendenz zur SN1-Substitution mit abnehmender Stabilität des intermediären Carbenium-Ions. Zunehmende sterische Behinderung und abnehmende Reaktivität bei SN2: Methyl > primär > sekundär > tertiär >> Vinyl, Aryl Abnehmende Stabilität des Carbenium-Ions und abnehmende Reaktivität bei SN1: tertiär > Benzyl, Allyl >> sekundär > primär > Methyl >> Vinyl, Aryl
Für tertiäre Halogenalkane findet man eine weitere Feinabstufung der Reaktivität in Abhängigkeit von der d-Substitution. Dabei zeigt es sich, daß bei starker Häufung der Alkyl-Substituenten die Bildung des Carbenium-Ions sterische Spannungen abbaut. H 3C CH 2 CH3 H 3C C C Cl
CH3
CH 3 >>
H 3C CH 2 CH 3
H3C CH2 C Cl
>
H3C C Cl CH3
CH 3
Halogen-Atome an Brückenkopfatomen, wie z. B. in Triptycylchlorid oder 1-Chloradamantan, widerstehen der nucleophilen Substitution: wegen der Starrheit dieser Polycyclen kann sich kein planarer Übergangszustand bilden. Cl
Cl Triptycylchlorid
1-Chloradamantan (Adamantylchlorid)
H
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204
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Bei SN1-Reaktionen sind je nach Substrat alle bereits beschriebenen Umlagerungen durch Hydrid-, Alkyl- oder Allyl-Verschiebungen möglich. Zusätzlich eintretende partielle Inversionen bzw. Racemisierungen komplizieren das Bild.
14.3.2
Effekte der austretenden Gruppe
Beim Vergleich der SN1- und SN2-Reaktivitäten der Substrate R/X mit gleichem Alkyl-Rest und variablem X zeigt sich, daß X umso leichter austritt, je schwächer seine Bindung zum c-C-Atom ist. Das voluminöse Iodid-Ion ist z. B. eine gute Abgangsgruppe; Hydroxid- und Alkoxid-Ionen sind dagegen wegen ihrer starken Cc/O-Bindung schlechte Abgangsgruppen; ihr Austritt aus Alkoholen und Ethern wird durch Protonierung am Sauerstoff wesentlich erleichtert, weil dabei die viel leichter abgehenden Moleküle H2O und ROH vorgebildet werden. Besonders leicht können p-Toluensulfonat (Tosylat), p-Brombenzensulfonat (Brosylat) und Trifluormethylsulfonat (Triflat) ausgetauscht werden. Daher benützt man diese Gruppen häufig als Schutzgruppen sowie zu mechanistischen Untersuchungen. O
O
R S O
H3C
O R F 3C S O
R S O
Br
O Brosylat
O Tosylat
O Triflat
Auch d-Substituenten beeinflussen die Reaktivität erheblich. So nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit primärer Halogenalkane mit zunehmender Anzahl d-ständiger Alkyl-Gruppen ab: CH 3
CH3 H 3C CH 2 Br
>
H2C CH2 Br
>
CH 3
HC CH 2
Br
>>
H 3C C CH2
CH 3
Br
CH 3
Der SN1-Mechanismus ist gegen elektronische Einflüsse viel sensibler als gegen sterische. Ionisierungen nach SN1 werden demnach überwiegend durch induktive und mesomere Effekte beeinflußt. Wenn diese Effekte die Elektronendichte am c-Kohlenstoff erhöhen, und so das intermediäre Carbenium-Ion stabilisieren, erleichtern sie die Abdissoziation der austretenden Gruppe. Mit abnehmender Basizität am Heteroatom der CX-Bildung beobachtet man eine zunehmende Reaktivität gegenüber Nucleophilen: O F 3C S O O
O > Br
O
S O
> H 3C
S O
O O H3C C O
> I
> Br
> Cl
> F
>
O >
R 3N
>
R O
>
H O
>
H 2N
In derselben Reihenfolge nimmt die Stärke der korrespondierenden Säuren ab: Trifluormethansulfonsäure > p-Toluensulfonsäure > HI > HBr > HCl > HF >CH3COOH > R/OH > R/NH2
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14.3 Struktur und Reaktivität
205
SN1-Reaktionen werden durch LEWIS-Säuren beschleunigt. Dabei erzeugt man durch Komplexbildung am austretenden Halogenid mit Ag+ oder Hg2+ bzw. SnCl4 einen zusätzlichen Elektronenzug. langsam
schnell
R Cl
14.3.3
+
Ag
[ R Cl
Ag ]
+ OH
/
[R ]
/ AgCl
R OH
Nucleophilie
Nucleophilie ist ein Ausdruck für die Fähigkeit eines Nucleophils zur Koordination mit einem elektronenarmen Atom. Dabei stellt das Nucleophil ein Elektronenpaar für die neue Bindung zur Verfügung. In Wasser, Ethanol und wäßrig-organischen Lösemitteln findet man folgende annähernde Reihung der Nucleophilie: SH .""CN > I
O > CO32 > N3 " > Br > Cl
NH 2 > OH >
> SCN >
>
SO3
I
Halogenide :
RSe
Chalcoxide :
>
Br
> RS
>
Cl
>
Br
> H3C/CO2 >
SO3
> H 2O > ClO4
O2N
NH2
F
> RO , HSe
> HS
> HO
R 2Se > R2S > R2O
Ether : Amine :
H 2N
NH2 ,
> H 3N >
N
>
Jedoch gilt diese Reihenfolge nicht allgemein. So kehrt sie sich für die Halogenide in Dimethylformamid als Lösemittel um: Cl/ > Br/ > I/ (Abschn. 14.3.4). Carbanionen mit ihrem nicht-bindenden Elektronenpaar am C-Atom sind ausgesprochen starke Nucleophile: IC NI
,
IC CH
,
IC C R
,
ICH2 CO2CH 3
Sie sind stärker nucleophil als Amid-, Alkoxid- oder Fluorid-Anionen: R3C/ > R2N/ > RO/ > F/. Auch das Hydrid-Anion H/, das z. B. durch LiAlH4 bereitgestellt wird, ist stark nucleophil. Dagegen hängt die Geschwindigkeit von SN2-Reaktionen sehr stark von der Art des eintretenden Substituenten ab. Ein Vergleich verschiedener Nucleophile gegenüber einem Halogenalkan zeigt, daß die Reaktivitäten nicht immer mit den Basizitäten gegenüber Protonen einhergehen. Sehr schwache Basen wie I/ sind nach dem HSAB-Prinzip (Abschn. 13.4.1) gegenüber schwachen Elektrophilen durchaus wirksame Nucleophile. Nucleophile gleicher Basenstärke reagieren im SN2-Mechanismus langsamer, wenn sie sterisch behindert sind. Infolge der Inversion am Stickstoff ist Triethylamin ein schwächeres Nucleophil als das starre Amin Chinuclidin. H 5C2
H NI
H5C 2
NI
H5C 2 Chinuclidin
C2H 5 IN
C 2H 5
C 2H5
Triethylamin : Inversion am N-Atom
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206
14.3.4
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Lösemittelabhängigkeit
SN1- und SN2-Reaktionen hängen von der Lösemittelpolarität ab. SN1-Reaktionsgeschwindigkeiten spiegeln die Bildungstendenz des Carbokations wider. Die Ionisierung von R/X zu R+ + X/ hängt nicht nur von R/X selbst, sondern vor allem von der Fähigkeit des Lösemittels zur Solvatation der Ionen ab. Polare Lösemittel besitzen eine hohe Dielektrizitätskonstante g. Freie Elektronenpaare und protische Gruppen befähigen sie zur Solvatation. Polare Lösemittel erleichtern die SN1-Reaktion, weil sie die Trennung entgegengesetzter Ladungen durch Ausbildung von Solvathüllen um Carbenium- und Abgangs-Ion fördern. Die Geschwindigkeiten von SN1-Reaktionen nehmen demnach mit der Polarität des Lösemittels zu. Ausnahmen sind die SN1-Reaktionen von Onium-Ionen, z. B. Sulfonium-Ionen; sie verlaufen in polaren Lösemitteln langsamer: R3S
[R ]
+
R2S
Bei SN2-Reaktionen in ausgesprochenen polaren Lösemitteln sind Nucleophil und austretende Gruppe besonders stark solvatisiert und so voneinander abgeschirmt, also weniger reaktiv. Dadurch erhöht sich die Aktivierungsenergie. Zudem wird ein SN2-Übergangszustand aufgrund seiner verteilten Ladung in polaren Lösemitteln wenig stabilisiert. Die Geschwindigkeit typischer SN2-Reaktionen nimmt also mit steigender Lösemittelpolarität ab. Allgemein nimmt die Nucleophilie eines Nucleophils wie X/ oder OH/ mit abnehmender Solvatisierung zu. Kleinere nucleophile Ionen sind stärker solvatisiert als größere; die Zerstörung ihrer Solvathülle erfordert mehr Energie. Daher nimmt in protischen Lösemitteln (Wasser, Ethanol) die Nucleophilie vom Iodid zum Fluorid ab, weil das voluminöse Iodid die schwächste Hydrathülle besitzt. Umgkehrt ist in aprotischen Lösemitteln (Aceton, Dioxan, Dimethylformamid, abgek. DMF) Chlorid stärker nucleophil als Bromid und Iodid. Einige einfache Beispiele zeigen dies: in CH3OH : langsam
Cl
+
H 3C I
in DMF : sehr schnell
+
I
(H3C)3C OH +
X
H3C Cl
in H2O / C2H5OH : SN1
(H 3C)3C X
+
OH
+
OH
in CH3CO2CH3 : SN 2
in H2O / C2H5OH : SN2
H3C X
in HCO2H : SN 1
H 3C OH
+
X
Als Lösemittel für nucleophile Substitutionen bewähren sich a) protische Lösemittel mit hohem g: Ammoniak, Wasser, Alkohole, Carbonsäuren; b) aprotische Lösemittel mit hohem g: Schwefeldioxid, Dimethylsulfoxid, Dimethylformamid, Aceton, Acetonitril, Sulfolan, Nitrobenzen; c) Mischungen von Wasser mit Alkoholen, Aceton, Dioxan, Dimethylformamid.
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14.3 Struktur und Reaktivität
207
Aprotische Lösemittel mit niedrigem g wie Alkane, Benzen oder Tetrachlormethan eignen sich schlecht als Medien für Substitutionen. Jedoch laufen auch in Tetrachlormethan oder Benzen nucleophile Substitutionen erstaunlich rasch ab, wenn man als Nucleophil Fluorid-Ionen in Form von KF oder Hydroxid als KOH einsetzt, und diese normalerweise in organischen Lösemitteln unlöslichen Verbindungen durch Zusatz von Kalium-spezifischen Komplexbildnern wie Kronenethern in Lösung bringt. Die dadurch bedingte Schwächung der interionischen Kräfte erzeugt äusserst reaktive, nicht durch Solvathüllen behinderte ("nackte") Anionen. KF (unlöslich in Chlorof orm) + Kronenether
[Kronenether-K]
+
F
KMnO4 (unlöslich in Benzen) + Kronenether
[Kronenether-K]
+
MnO4 """"""(v iolette Lösung)
O O
O O
O
O K
O
(klare Lösung)
O
O
O [18]-Krone-6
X O
O [18]-Krone-6-Kalium-Komplex mit "nacktem" Anion X
Zur Durchführung nucleophiler Substitutionen mit wasserlöslichen Nucleophilen in ZweiphasenReaktionen eignen sich Tetraalkylammonium-Salze als Katalysatoren. Durch ihre positive Ladung und den langen, lipophilen Alkyl-Rest transportieren sie Anionen aus der wäßrigen in eine lipophile Phase, wo diese als Nucleophile mit Substraten reagieren können (PhasentransferKatalyse). Die Alkyl-Reste (>C4) am Ammonium-Stickstoff verhindern dabei störende KationenAnionen-Wechselwirkungen.
14.3.5
SN1- und SN2-Reaktionen in Konkurrenz
Primäre, sekundäre und tertiäre Halogenalkane zeigen gegensinnige SN1- und SN2-Reaktivitäten: primäre (1°)
sekundäre (2°)
tertiäre (3°) Halogenalkane
Zunahme der SN1-Tendenz Abnahme der SN2-Tendenz
Sekundäre Halogenalkane reagieren im allgemeinen nach beiden Mechanismen, tertiäre überwiegend nach SN1 und primäre bevorzugt nach SN2. Durch Auswahl geeigneter Reaktionsbedingungen läßt sich ein SN1- oder SN2-Mechanismus begünstigen. Dies kann bei einer Syntheseplanung nützen, wenn im speziellen Fall Umlagerungen, Inversionen, Retentionen, Racemisierungen oder Eliminierungen zu verhindern oder erwünscht sind. SN2-Reaktionen werden begünstigt durch hohe Konzentration des Nucleophils, starke Nucleophilie und Lösemittel geringer Polarität. SN1-Reaktionen werden dagegen begünstigt durch geringe Konzentration des Nucleophils, schwache Nucleophilie und hohe Lösemittelpolarität.
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208
14 Nucleophile Substitution an Aliphaten
Auch Salze wirken auf die Reaktionsgeschwindigkeit. Ein positiver Salzeffekt wird z. B. bei der Hydrolyse von t-Butylbromid in wäßrigem Aceton nach Zusatz von Natriumperchlorat beobachtet. In diesem Lösemittel hoher Dielektrizitätskonstante nimmt die Reaktionsgeschwindigkeit mit zunehmender Ionenstärke zu.
14.4 Spezielle Substitutionsmechanismen 14.4.1
Substitutionen an Allyl-Verbindungen
Sowohl bei SN1- als auch bei SN2-Reaktionen sind Allyl- und Propargyl- sowie Benzylhalogenide wesentlich reaktiver als gesättigte Halogenalkane. Ein Grund ist die Mesomerie dieser Verbindungen, welche die Aktivierungsenergie für Substitutionen nach SN1 und SN2 senkt. Wie die Hydrolyse des Allylchlorids als Beispiel zeigt, ist bei SN1 das intermediär entstehende Allyl-Kation mesomeriestabilisiert, und bei SN2 bewirkt der Übergangszustand eine energetisch günstige Ladungsverteilung. mesomeriestabilisiertes Allyl-Kation
H 2C CH CH 2
SN1 / Cl
/
H 2C CH CH 2 H2C CH CH 2 OH
H2C CH CH 2 Cl Allylchlorid (1-Chlor-2-propen)
- OH
Allylalkohol (2-Propen-1-ol)
f/Cl
/
H 2C CH CH 2
SN2
f/OH Übergangszustand mit verteilter Ladung
Wird der normale Ablauf einer Substitution durch sterische Hinderung am allylischen C-Atom gestört, so findet stattdessen oder konkurrierend eine "SN2'-Reaktion" am zugänglicheren terminalen C-Atom der Doppelbindung statt: SN2' : / Cl
SN2'
(H 5C2)2NI
+
1-(N,N-Diethylammonium)-2-buten
/
(H5C 2)2N CH2 CH CH CH 3 H
CH3
H 2C CH C Cl
H SN2
H SN2 : / Cl
(H5C 2)2N CH CH CH2
/
H CH3 3-(N,N-Diethylamino)-1-buten
Bei der Solvolyse von c,c-Dimethylallylchlorid beobachtet man keinen normalen SN1-Mechanismus, da neben Solvolyseprodukten auch i,i-Dimethylallylchlorid gefunden wird. Hier ereignet sich offensichtlich eine intramolekulare Allyl-Isomerisierung unter "innerer Rückkehr": Cl H 2C CH C CH3 i
d
c
CH3 3-Chlor-3-methyl-1-buten (c.c-Dimethylallylchlorid)
in H2O / C2H5OH oder CH3CO2H
H 2C
Cl "innere Rückkehr"
HC
C CH3
CH3 Übergangszustand mit verteilter Ladung zwischen Allyl-Kation und Chlorid-Anion
Cl
CH 3 CH 2 CH C i c d CH 3
1-Chlor-3-methyl-2-buten
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14.4
Spezielle Substitutionsmechanismen
14.4.2
209
SNi-Mechanismus
Bei der Darstellung von Chloralkanen durch nucleophile Substitution der Alkohole mit Thionylchlorid wird ein SNi-Mechanismus diskutiert. Diese Substitution führt im wenig polaren aprotischen Lösemittel 1,4-Dioxan unter Retention der Konfiguration zum Chloralkan. In Pyridin beobachtet man dagegen Inversion nach dem üblichen SN2-Mechanismus. R'
R"
O O
C
+
Cl
Cl
H
R
S
/ HCl
R ' R"
SNi , in Dioxan
R'
R" C R
Cl S O O
R' C
/"SO2 , Retention
R" Cl
14.4.3
R" C
Cl
R
R
SN2 , in Pyridin / SO2 , Inversion
Cl
R'
C R
Reaktivität von Vinyl- und Alkinyl-Verbindungen
Reaktionsträge zeigen sich Halogenalkene (R/CH=CH/X) und Halogenalkine (R/C»C/X) bei SN1- und SN2-Reaktionen. Aufgrund der elektronenanziehenden Wirkung sp2- und sp-hybridisierter C-Atome erhöht sich zwar die CH-Acidität; andererseits ist die Ausbildung von Übergangszuständen mit partieller positiver Ladung am Kohlenstoff sehr erschwert. Aus demselben Grund zeigen sich auch nicht weiter substituierte (aktivierte) Halogenaromaten gegenüber den meisten Nucleophilen wenig reaktiv. Metallorganische Nucleophile reagieren dagegen mit Halogenalkenen, Halogenalkinen und Halogenaromaten unter milden Bedingungen, teilweise in Gegenwart von Pd(0)-Katalysatoren (Abschn. 13.4.4).
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210
15 Alkohole und Glykole
15 Alkohole und Glykole 15.1 Klassifizierung der Alkohole Ersetzt man ein H-Atom eines Alkans durch eine Hydroxy-Gruppe, so entsteht formal ein Alkohol. Alkohole lassen sich also durch die allgemeine Formel R/OH beschreiben. Dabei ist R eine Alkyl- oder Cycloalkyl-Gruppe. Sitzt die Hydroxy-Gruppe am Benzen-Ring, so handelt es sich um ein Phenol; ist sie mit einem Alken-C-Atom verknüpft, so spricht man von einem Enol. Phenole und Enole zeigen andere Eigenschaften als Alkohole und werden daher getrennt besprochen. CH2 OH
H3C CH2 OH
H
H
H C C
OH H
H2C CH CH 2 OH
H
O
OH
Enol (-Form des Acetaldehyds)
Alkohole
OH
OH
H3C C
Phenole
Man unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole, je nachdem, ob eine, zwei oder drei Alkyl-Gruppen mit dem C-Atom verknüpft sind, das die Hydroxy-Gruppe trägt: H 3C CH 2 CH2 CH2 OH
oder
R CH2 OH
H3C CH2 CH OH CH 3
oder
R CH OH
CH3
sekundärer Alkohol (2°)
R'
CH3 H3C C OH
primärer Alkohol (3°)
R" oder
R C OH
tertiärer Alkohol (3°)
R'
Alkohole mit zwei, drei oder mehr Hydroxy-Gruppen bezeichnet man als Di-, Tri- bzw. Polyole: HO CH 2 CH2 OH
H3C CH CH 2 OH
HO CH2 CH2 CH 2 OH
OH Diole
HO CH2 CH CH 2 OH OH T r i o l (Glycerol)
15.2 Nomenklatur Die IUPAC-Bezeichnung eines Alkohols folgt aus der längstmöglichen, die Hydroxy-Gruppe tragenden Kohlenwasserstoff-Kette. Dabei wird die Endung "ol" an die IUPAC-Bezeichnung des entsprechenden Alkans, Alkens oder Alkins gesetzt und die Stellung der OH-Gruppe in der Kette durch die kleinstmögliche arabische Ziffer gekennzeichnet, z. B.: OH H 3C CH 2 CH2 CH2 CH 3 Pentan
H 3C CH 2 CH2 CH 2 CH 2 OH 1-Pentanol
H3C CH2 CH2 CH CH3 2-Pentanol
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15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften
211
Analog benennt man Cycloalkanole und Bicycloalkanole, z. B.: OH OH Cyclohexan
Cyclohexanol
Bicyclo[2.2.1]heptan
Bicyclo[2.2.1]heptan-2-ol
Bei verzweigten und ungesättigten Alkoholen sowie Cycloalkanolen hat die kleinstmögliche Bezifferung der Stellung einer OH-Gruppe Vorrang gegenüber Alkyl-Gruppen und Mehrfachbindungen, z. B.: 5
4
3
2
1
5
H3C CH CH 2 CH CH 3 CH3 OH 4-Methyl-2-pentanol (nicht 2-Methyl-4-pentanol)
4
3
2
1
H2C CH CH 2 CH CH 3 OH 4-Penten-2-ol (nicht 1-Penten-4-ol)
5
4
3
2
1
H3C C C CH CH3 OH 3-Pentin-2-ol
H3C
3
OH
1
cis-3-Methylcyclohexanol (nicht cis-1-Methylcyclohexan-3-ol)
(nicht 2-Pentin-4-ol)
Enthält ein Alkohol zwei oder drei OH-Gruppen, so wird die Nachsilbe -ol durch -diol bzw. -triol ersetzt, z. B.: HO CH 2 CH CH2 OH OH 1,2,3-Propantriol (Glycerol)
H 3C CH CH 2 CH 2 OH OH 1,3-Butandiol
H3C CH CH CH 2 OH OH OH 1,2,3-Butantriol
Anstelle der Alkanol-Bezeichnung nach IUPAC kann man auch von Alkylalkoholen sprechen. Man beginnt dabei mit der Bezeichnung der Alkyl-Gruppe, an welche die OH-Gruppe geknüpft ist, und fügt "...alkohol" hinzu:
CH3 H3C CH CH 3 OH
i-Propylalkohol
H3C C OH CH3
t-Butylalkohol
CH 3 H 3C C CH 2 OH
C OH
CH 2 OH
CH 3
neo-Pentylalkohol
Benzylalkohol
Triphenylcarbinol
Schließlich können Alkohole formal auch als Methanol- = Carbinol-Derivate betrachtet werden. Hierbei fängt die Bezeichnung mit Anzahl (Di-, Tri-) und Art der Alkyl-Gruppen an, welche die Wasserstoff-Atome des Methanols ersetzen, und endet mit dem Wort "...carbinol". Triphenylcarbinol ist demnach ein Synonym für Triphenylmethanol.
15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften Der aus spektroskopischen Daten zugänglichen Geometrie des Methanol-Moleküls (Abb. 15.1) entnimmt man einen C/O/H-Bindungswinkel von 107°. Demnach wird der Bindungszustand des
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212
15 Alkohole und Glykole
Methanols am besten durch ein sp3-hybridisiertes Sauerstoff-Atom erklärt, um das sich H, CH3 und die n-Elektronenpaare tetraedrisch gruppieren (Abb. 1.24, Ersatz von einem H durch CH3). 143 pm 92 pm
O 107°
f/"/
CH 3
f-
O
CH 3
f- H
H
Abb. 15.1. Geometrie und Polarität des Methanol-Moleküls
Aufgrund der hohen Elektronegativität des Sauerstoffs und dessen kleinem Atomvolumen sind die CO- und besonders die OH-Bindungen von Alkoholen stark polarisiert [(/)-I-Effekt, Abb. 15.1] . Das Wasserstoff-Atom einer Hydroxy-Gruppe ist demnach positiviert, so daß es elektronisch durch das negativ polarisierte Sauerstoff-Atom eines benachbarten Alkohol-Moleküls angezogen wird: Es bilden sich Wasserstoffbrücken (Abb. 15.2) mit einer "Bindungsenergie" von etwa 21 kJ / mol. Alkohole liegen also assoziiert vor, zumindest im flüssigen Zustand. R
R H O
O H
H O
O H
R
R
Abb. 15.2. Wasserstoffbrücken-Bindung der Alkohole
Beim Übergang vom flüssigen in den Dampfzustand muß daher zusätzlich Energie aufgebracht werden, um die Wasserstoffbrücken zu brechen. Alkohole zeigen infolgedessen im Vergleich zu den Alkanen, Halogenalkanen und den Ethern sehr hohe Siedepunkte (Beispiele: Dimethylether, H3C/O/CH3: Sdp. /24 °C bei 1011 mbar; Ethanol, H3C/CH2/OH : Sdp. 78.2 °C bei 1011 mbar). Selbst im Dampfzustand können die Alkohol-Moleküle noch etwas assoziieren, so daß man erhebliche Abweichungen vom idealen Gasverhalten findet. Da geradkettige Moleküle eine größere Oberfläche haben und somit stärker wechselwirken können als kugelförmige, zeigen unverzweigte Alkohole etwas höhere Siedepunkte als ihre verzweigten Isomeren: 1-Butanol 2-Methyl-1-propanol
H3C CH2 CH 2 CH2 OH
Sdp. 118 °C (1011 mbar)
H 3C CH CH 2 OH
Sdp. 108 °C (1011 mbar)
CH3
Die gute Wasserlöslichkeit der kürzerkettigen Alkohole (bis Butanol, Tab. 15.1) beruht im wesentlichen darauf, daß die Wasser- und Alkohol-Moleküle auch untereinander Wasserstoffbrücken bilden können. Wird die Alkyl-Gruppe eines Alkohols zu voluminös, so kann sie die Wasserstoffbrücken-Bindung sterisch behindern. Der Siedepunkt dieses Alkohols liegt dann tiefer. Seine Löslichkeit in Wasser nimmt ab, abgesehen davon, daß höhere Alkohole mehr alkanartige Eigenschaften zeigen, also hydrophob sind.
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15.3 Struktur und thermodynamische Eigenschaften
213
Nomenklatur und Eigenschaften ausgewählter Alkohole sind in Tab. 15.1 zusammengestellt. Tab. 15.1. Nomenklatur und Eigenschaften einiger Alkohole Klasse
aliphatisch gesättigt
primär
Konstitutionsformel
IUPACBezeichnung
Trivialname -alkohol
H3C OH
Methanol
Methyl-
/ 97
64.5
unbegrenzt
H3C CH 2 OH H3C CH2 CH2 OH H3C [CH2] 2 CH 2 OH
Ethanol 1-Propanol
Ethyln-Propyl-
/ 115 / 126
78.2 97
unbegrenzt unbegrenzt
1-Butanol
n-Butyl-
/ 90
118
7.9
H3C
[CH2] 3 CH 2 OH
1-Pentanol
n-Amyl-
/ 78.5
138
2.3
H3C
[CH2] 4 CH 2 OH [CH2] 5 CH 2 OH
1-Hexanol
n-Hexyl-
/ 52
156
0.6
1-Heptanol
n-Heptyl-
/ 34
176
0.2
[CH2] 6 CH 2 OH [CH2] 8 CH 2 OH
1-Octanol
n-Octyl-
195
0.05
1-Decanol
n-Decyl-
/ 15 6
288
unlöslich
2-Propanol
i-Propyl
/" 86
82.5
2-Butanol
sec-Butyl-
/ 114
99.5
Cyclopentanol
Cyclopentyl-
/ 19
140
gut
Cyclohexanol
Cyclohexyl-
24
161
5.7
2-Methyl2-propanol
t-Butyl-
25.5
2-Methyl2-butanol
t-Pentyl-
/ 12
H2C CH CH 2 OH
2-Propen-1-ol
Allyl-
/ 129
H3C CH CH CH 2 OH
2-Buten-1-ol
Crotyl- (trans-)
CH2 OH
Phenylmethanol
Benzyl-
CH
Diphenylmethanol
Triphenylmethanol
H3C H3C H3C sekundär
H3C CH CH 3 OH H3C CH2 CH CH 3 OH H OH OH
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Löslichkeit g/100g H2O
unbegrenzt 12.5
H CH3 tertiär
H3C C OH CH3 CH3 H3C CH2 C OH
83
102
unbegrenzt
12.5
CH3 aliphatisch ungesättigt primär aliphatischaromatisch primär sekundär
97
unbegrenzt
118
16.6
/ 15
205
4
Benzhydrol (Diphenylcarbinol)
69
298
0.05
Triphenylcarbinol
162.5
OH
tertiär
C
unlöslich
OH 1,2-Diole
HO CH2 CH2 OH
1,2-Ethandiol
Ethylenglykol
/ 17
197
unbegrenzt
H3C CH CH 2 OH
1,2-Propandiol
Propylenglykol
/ 59
188
unbegrenzt
1,2,3-Propantriol
Glycerol
18
290
unbegrenzt
OH 1,2,3-Triole
HO CH2 CH CH 2 OH OH
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15 Alkohole und Glykole
15.4 Darstellung von Alkoholen 15.4.1
Technische Synthesen von Methanol und Ethanol
Methanol wird technisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bei hohen Temperaturen und Drükken in Gegenwart von Übergangsmetalloxiden als Katalysatoren hergestellt: CO
+
2 H2
ZnO / Cr 2O3 , Hitze, Druck
H3C OH
Methanol ist ein wichtiges Lösemittel und Zwischenprodukt für organische Synthesen. Sein Genuß sowie das längere Einatmen seiner Dämpfe (Sdp. 64.5 °C bei 1011 mbar) kann zur Erblindung führen. Ethanol wird in großem Maßstab durch katalytische Hydratisierung von Ethin zu Acetaldehyd (Abschn. 7.5.3) und dessen katalytische Hydrierung hergestellt: O
HgSO4
H C C H
+
H2O
+ H2 / RANEY-Ni
H3C C
H 3C CH 2 OH
H Ethanal
Ethanol
Wie Methanol findet Ethanol als Lösemittel (Sdp. 78.2 °C bei 1011 mbar) und Ausgangsprodukt für organische Synthesen verbreitete Anwendung. Darüberhinaus ist Ethanol der berauschende Bestandteil alkoholischer Getränke.
15.4.2
Ethanol durch alkoholische Gärung
Bei der alkoholischen Gärung vergärbarer Zucker, z. B. der Glucose, in Gegenwart von Hefepilzen entsteht Ethanol, wie eine sehr vereinfachte Bruttogleichung zeigt: Hefe
C6H 12O6 Glucose
2 C 2H5OH Ethanol
+
2 CO2
Nicht nur Früchte können zu Weinen und Weinbrand-Rohprodukten vergoren werden. Auch die in Getreide und Kartoffeln gespeicherten Kohlenhydrate, z. B. die Stärke, lassen sich enzymatisch zu vergärbarer Glucose abbauen. Darauf beruht die Herstellung von Bieren aus Gerste und Hopfen, sowie die Vergärung von Getreide und Kartoffeln und die anschließende Destillation zu Gin, Whisky oder Wodka mit Ethanol-Gehalten zwischen 35 und 55 %. Übermäßiger Konsum alkoholischer Getränke führt zur lebensgefährlichen Alkoholintoxikation.
15.4.3
Hydratisierung von Alkenen
Bei der Hydratisierung von Alkenen durch wäßrige Säuren addiert Wasser an ein durch Protonierung entstandenes Carbenium-Ion. Deprotonierung des Oxonium-Ions führt zum Alkohol. + [H+]
C C
H Alken
/ [H+]
+ H2O
C C Carbenium-Ion
C C
C C
H2O H Oxonium-Ion
HO H Alkohol
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15.4
Darstellung von Alkoholen
215
Durch säurekatalysierte Hydratisierung des 2-Methylpropens kann sich z. B. 2-Methyl-2-propanol (Weg 1) oder 2-Methyl-1-propanol (Weg 2) bilden:
H 3C
Weg 1
OH 2
+ H2O
H 3C
H 3C C CH 2
+
/ [H+]
H 3C C CH 3
C CH 3
2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol) OH H 3C C CH 3
CH 3
CH 3
[H ]
H 3C H 3C
H CH C H 3C H
Weg 2
2-Methylpropen (Isobutylen)
+ H2O
H 3C
/ [H+]
H 3C CH CH 2 OH
CH CH 2 OH 2 H 3C
H 3C 2-Methyl-1-propanol
Da Weg 1 über das stabilere t-Butyl-Kation verläuft (MARKOWNIKOFF-Regel), führt die Hydratisierung des 2-Methylpropens regioselektiv zu 2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol). Die Hydratisierung von Alkenen läßt sich auch mit Schwefelsäure durchführen, wobei als Zwischenprodukte Alkylhydrogensulfate auftreten, deren Hydrolyse die Alkohole ergibt. Auf diese Weise kann Ethanol aus Ethen, 2-Propanol aus Propen hergestellt werden. Infolge der MARKOWNIKOFF-Regel führt die Hydratisierung des Propens mit Schwefelsäure bevorzugt zum 2-Propanol (Weg 1). Weg 1
+ H2O
H3C CH CH 3
H3C CH CH2 Propen
OSO3H i-Propylhydrogensulfat
+ H 2SO4
OH 2-Propanol
+ H2O
Weg 2
H 3C CH 2 CH2 OSO3H n-Propylhydrogensulfat
15.4.4
H3C CH CH 3
/ H2SO4
H3C CH2 CH 2 OH 1-Propanol
/ H2SO4
Hydroborierung und Oxidation
Alkylborane entstehen allgemein durch Addition von Diboran, B2H6, an Alkene, wobei Diboran als Boran (BH3) reagiert. Diese Hydroborierung verläuft wahrscheinlich über einen VierzentrenMechanismus, wobei elektrophile Addition des Bors und nucleophile Addition von Hydrid gleichzeitig erfolgen: R2C CR2 + H BH 2
+ R2C
R2CH CR 2 BH 2
CR2
+ R2C
(R 2CH CR2
Alkylboran
CR2
)2 BH
(R2CH CR 2
Dialkylboran
)3 B
Trialkylboran
Das zunächst entstandene Alkylboran reagiert mit weiterem Alken zum Trialkylboran. Wasserstoffperoxid oxidiert ein Mol Trialkylboran zu drei Mol Alkohol und einem Mol Borsäure: (R 2CH CR2
)3 B
+
3 H 2O2
3 R 2CH CR2 OH
+
B(OH)3
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216
15 Alkohole und Glykole
Die nucleophile Addition des Bors an Alkene wird durch Alkyl-Gruppen sterisch behindert. Daher führt die Hydroborierung der Alkene und die anschließende Oxidation mit H2O2 im Gegensatz zu der direkten unter MARKOWNIKOFF-Orientierung verlaufenden Hydratisierung von Alkanen regioselektiv zu primären oder sekundären Alkoholen. Während z. B. die direkte Hydratisierung des 2Methylpropens bevorzugt t-Butylalkohol ergibt, führt die Hydroborierung dieses Alkens und die anschließende Oxidation zu 2-Methyl-1-propanol: H 3C H
H 3C sterisch günstig
C CH2 H 3C + H BH2
+ 2 (CH3) 2C
CH2
[(H3C)2CH CH 2
H3C C C H
H 3C
15.4.5
/ B(OH) 3
+ 3 H2O
bevorzugt gegenüber sterisch ungünstig
] 3B
H BH2
3 (H3C)2CH CH 2 OH
C CH2 H 3C + H2B H
2-Methyl-1-propanol
Reduktion von Carbonyl-Verbindungen
Carbonyl-Verbindungen mit der CO-Doppelbindung als funktioneller Gruppe, z. B. Carbonsäureester, Ketone und Aldehyde, werden bei der Reaktion mit komplexen Metallhydriden wie Lithiumaluminiumhydrid (Li+[AlH4]/, meist als LiAlH4 formuliert) durch nucleophile Addition eines Hydrid-Anions an das Carbonyl-C-Atom zu Alkoxiden (Alkoholaten) reduziert. Dabei addiert das Hydrid-Anion nucleophil an die Carbonyl-Doppelbindung: _ C OI _
C O
+
_ C OI _
IH
H Alkoxid-Anion (Alkoholat-Anion)
Carbonyl-Mesomerie
Die Aufnahme eines Protons aus Wasser führt zum Alkohol. _ C OI _
+
H 2O
H
C OH
+
OH
H Alkohol
Primäre Alkohole bilden sich bei der Reduktion von Aldehyden sowie Carbonsäuren oder Carbonsäureestern mit Lithiumaluminiumhydrid in wasserfreiem Ether: O Aldehyd
+
4R C
Li AlH 4
wasserfreier Ether
H
(R CH2 O)4 Al Li + 4""H2O"""""""/ Al(OH) 3 , / LiOH
4 R CH2 OH
/"4 R'OH , / 2 Al(OH) 3 , / 2 LiOH
+ 8 H2O , + LiAlH4
O Carbonsäureester
4R C
+ OR´
Li AlH 4
wasserfreier Ether
primärer Alkohol
H (R C O)4 Al Li OR´
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15.4
Darstellung von Alkoholen
217
Analog entstehen sekundäre Alkohole durch Reduktion von Ketonen mit Lithiumaluminiumhydrid. O 4R C
H
wasserfreier Ether
+
Li AlH4
R´
H
+ 4""H2O
(R C O)4 Al Li
4 R C OH
/ Al(OH) 3 , / LiOH
R´
R´ sekundärer Alkohol
Keton
Der Rest R kann nicht nur eine Alkyl- sondern auch eine Aryl-Gruppe sein. So kann man mit Li+[AlH4]/ 4-Hydroxybenzaldehyd zu 4-Hydroxybenzylalkohol, 4-Hydroxyacetophenon zu 1-(4Hydroxyphenyl)ethanol reduzieren: O C H
HO
Li AlH4
HO
4-Hydroxybenzaldehyd
15.4.6
CH2 OH
O C CH3
HO
4-Hydroxybenzylalkohol
Li AlH4
4-Hydroxyacetophenon
OH HO
CH CH 3
1-(4-Hydroxyphenyl)ethanol
Alkohole aus Carbonyl-Verbindungen und Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen)
Die nucleophile Addition der carbanionisch polarisierten Alkyl-Gruppe eines Alkylmagnesiumhalogenids (GRIGNARD-Verbindung) führt zum Magnesiumhalogenidalkoholat, dessen Hydrolyse einen Alkohol ergibt: _ C OI _
C O
Carbonyl-Verbindung
+
f/ f--
f/
/
/"Mg 2+ , / X
_ C OI _
R Mg X
+ H2O
R Alkoholat
Alkylmagnesiumhalogenid
/ OH
C OH
/
R Alkohol
Dabei gelingt die gezielte Synthese primärer, sekundärer oder tertiärer Alkohole aus Formaldehyd, einem anderen Aldehyd oder einem Keton, jeweils über die entsprechende Magnesiumhalogenidalkoholat-Zwischenstufe. So führt die Reaktion von i-Propylmagnesiumbromid ̈"mit Formaldehyd zu 2-Methyl-1-propanol (primärer Alkohol), O H C
+ H2O
+ H
H 3C CH MgBr CH 3
CH2 OMgBr CH CH 3 CH3
̈
/ Mg 2+ / / OH / /""Br
CH2 OH CH CH 3 CH3
mit Benzaldehyd zu 2-Methyl-1-phenylpropanol (sekundärer Alkohol), O C H
+ H2O
+
H 3C CH MgBr CH 3
CH OMgBr CH CH 3 CH3
/ Mg 2+ / / OH / /""Br
CH OH CH CH3 CH 3
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218
̈
15 Alkohole und Glykole
und mit Acetophenon zu 3-Methyl-2-phenyl-2-butanol (tertiärer Alkohol). CH3
O C + H 3C CH MgBr CH3 CH 3
C OH
/ Mg 2+ / / OH / /""Br
CH CH 3 CH3
15.4.7
CH 3
+ H2O
C OMgBr
CH CH3 CH 3
Alkohole aus Epoxiden und Alkylmagnesiumhalogeniden
Die nucleophile, ringöffende Substitution des O-Atoms im Oxiran (Epoxid-Ring) durch die AlkylGruppe einer GRIGNARD-Verbindung führt über ein Magnesiumhalogenidalkoholat zum entsprechenden Alkohol: f/ f--
f/
R Mg X
R +
C
C O
R
+ H2O
C C
C C
/ Mg 2+ / / OH / /""X
OMgX
OH
Ethylenoxid verknüpft demnach die 2-Hydroxyethyl-Funktion (/CH2/CH2/OH) mit der AlkylGruppe einer GRIGNARD-Verbindung, z. B.: wasserfreier Ether
H3C CH MgBr
+
CH 3 i-Propylmagnesiumbromid
15.4.8
H2C CH 2 O
+ H2O
H3C CH CH 2 CH 2 OMgBr CH 3
H3C CH CH 2 CH 2 OH
/ Mg 2+ / / OH / /""Br
CH 3 3-Methyl-1-butanol
Hydrolyse von Halogenalkanen
Die nucleophile Substitution des Halogenid-Anions eines Halogenalkans durch Hydroxid kann zu einem Alkohol führen, insbesondere wenn keine Eliminierung zu Alkenen möglich ist, wie bei der einem SN1-Mechanismus folgenden Hydrolyse des Benzylbromids: CH2 Br
+
OH
SN1
CH2 OH
Benzylbromid
+
Br
Benzylalkohol
Dagegen führt die analoge Reaktion bei t-Butylhalogeniden unter Eliminierung zu 2-Methylpropen, CH3 H3C C Cl CH3
/"Cl
/
CH 3 H 3C C
CH 3
/"]H+]
H 2C C CH 3
CH 3 2-Methylpropen
und primäre Halogenalkane reagieren oft träge mit wäßrigen Alkalihydroxiden.
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15.5 Darstellung von 1,2-Diolen
219
15.5 Darstellung von 1,2-Diolen 15.5.1
Dihydroxylierung von Alkenen
Alkene können durch Permanganat (MnO4/) oder Osmiumtetroxid (OsO4) zu Glykolen dihydroxyliert werden. Die Addition von MnO4/ oder OsO4 verläuft von einer Seite über cyclische EsterZwischenstufen, die in wäßrigem Medium das 1,2-Diol ergeben. Infolgedessen führt die Hydroxylierung mit MnO4/ oder OsO4 bei Cycloalkenen zu den cis-1,2-Diolen (cis-Dihydroxylierung, Abschn. 4.5.7), z. B.:
+
OsO4
O O Os O O
OH
/ H2OsO4
cis-1,2-Cyclohexandiolosmiumsäureester
Cyclohexen
OH
+ 2 H2O
cis-1,2-Cyclohexandiol
Die Dihydroxylierung von Alkenen gelingt auch über die Oxirane (Epoxide) und deren säurekatalysierte Hydrolyse. Da die nucleophile Addition des Wassers an das protonierte Oxiran von der "Rückseite" erfolgt, führt diese Dihydroxylierung bei Cycloalkenen zum trans-1,2-Diol (transDihydroxylierung, Abschn. 4.5.8). So führt die Epoxidation (Abschn. 4.5.8, 16.4.3) des Cyclohexens mit einer Peroxycarbonsäure über Cyclohexenoxid (1-Oxabicyclo[4.1.0]heptan) zum trans-1,2-Cyclohexandiol: + H3O+
+ OH2 O Cyclohexenoxid + RCO3H
OH 2 OH
O H + H2O
/ RCO2H
/ H3O+
OH OH trans-1,2-Cyclohexandiol
Cyclohexen
15.5.2
Hydrolyse von Halohydrinen
Halohydrine, welche durch Addition von hypochloriger oder hypobromiger Säure an Alkene entstehen, können mit Hydroxid als Nucleophil in Glykole übergeführt werden: /
+ HOX
R CH CH R ( X = Cl , Br )
Alken (E- oder Z-)
+ HO
R CH CH R X OH Halohydrin
/
/X
R CH CH R OH OH 1,2-Diol
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220
15 Alkohole und Glykole
Die Synthese des Glycerols (Glycerin) aus Propen über Allylchlorid (radikalische Substitution), Allylalkohol (nucleophile Substitution), und Glycerolchlorhydrin (Addition) nutzt im letzten Schritt die Halohydrin-Hydrolyse im technischen Maßstab: Propen
H3C CH CH 2
Glycerol
CH2 CH CH2 OH
500 - 600 °C , + Cl2
"/ HCl
+ OH (NaOH) /
+ OH (NaOH)
CH2 CH CH 2
/ Cl
Cl Allylchlorid (1-Chlor-2-propen)
15.5.3
OH OH
/
/"Cl
/
+ HOCl
CH 2 CH CH 2
/
CH2 CH CH2
OH Allylalkohol (2-Propen-1-ol)
OH OH Cl Glycerolchlorhydrin (3-Chlor-1,2-propandiol)
Bimolekulare Reduktion von Aldehyden und Ketonen
Die Reduktion zweier Moleküle eines Aldehyds oder Ketons mit metallischem Magnesium in Benzen ergibt über ein cyclisches Magnesiumalkoholat symmetrische 1,2-Diole (Pinakole): R
C
R
R' + Mg +
O
C
in Benzen
R'
O
R'
R
R
C C O
R'
R R
+ 2 H2O / Mg(OH) 2
O
R' C C R' HO OH c,d-Diol
Mg
2,3-Dimethyl-2,3-butandiol (Pinakol) wird auf diese Weise aus Aceton dargestellt:
2 H 3C
C
1.) Mg in Benzen 2.) + 2 H2O , / Mg(OH) 2
CH3
H 3C CH 3 H3C
2,3-Dimethyl-2,3-butandiol
C C CH 3 HO OH
O
15.6 Reaktionen der Alkohole 15.6.1
Alkohole als LEWIS-Basen
Infolge der nichtbindenden Elektronenpaare am Sauerstoff-Atom sind Alkohole Protonenakzeptoren (LEWIS-Basen). Sie werden durch Mineralsäuren zu Alkyloxonium-Salzen protoniert: _H R O _
+
[H ]
_H R O
Alkyloxonium-Ion
H
Ethyloxonium-chlorid entsteht z. B. durch Einleiten von Chorwasserstoff-Gas in wasserfreies Ethanol: H3C CH2 OH
+
HCl
H3C CH2 OH 2 Cl
Ethyloxonium-chlorid
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15.6 Reaktionen der Alkohole
221
Die meisten Alkyloxonium-Salze sind nur in wasserfreier Lösung beständig und lassen sich nicht rein isolieren.
15.6.2
Alkohole als Säuren
Gegenüber Alkali- und Erdalkalimetallen reagieren Alkohole als Säuren, d. h. unter Bildung von Alkoxiden (Alkanolaten oder Alkoholaten), z. B.: H3C CH2 OH
+
Na
(H 3C)3C OH
+
K
_ H3C CH2 OI _ Na Natriumethanolat _ (H3C)3C OI _ Na Kalium- t-butylalkoholat
+
1/2 H 2
+
1/2 H 2
Alkohole sind jedoch weit schwächere Säuren als Wasser. Die Alkoxide werden daher leicht zu den Alkoholen und Hydroxid hydrolysiert. _ R OI _
+
R OH
H2O
+
OH
Die Acidität von Alkoholen gegenüber Alkali- und Erdalkalimetallen nimmt mit zunehmendem Alkylierungsgrad des Kohlenstoffs, der die Hydroxy-Gruppe trägt, ab, also in der Reihenfolge: H 3C OH
> R CH2 OH
> R 2CH OH
> R3C OH
Mit Methanol reagiert Kalium z. B. explosionsartig, mit t-Butylalkohol dagegen sehr träge. Ein Grund ist, daß der induktive Effekt der Alkyl-Gruppen die Elektronendichte am hydroxylierten CAtom erhöht. Hierdurch wird das Alkoxid-Anion destabilisiert. Darüberhinaus werden mit zunehmender Alkylierung des Hydroxy-substituierten C-Atoms die Reaktionen der OH-Gruppe sterisch erschwert.
15.6.3
Oxidation von Alkoholen
Primäre Alkohole werden durch Oxidationsmittel (Permanganat MnO4/ in alkalischer, Dichromat Cr2O72/ in saurer Lösung) über die Aldehyde zu den Carbonsäuren oxidiert: / 2 [H+] , / 2 e0
R CH 2 OH primärer Alkohol
/
O R C H Aldehyd
+ 1/2 O2
O R C OH Carbonsäure
Die Aldehyd-Zwischenstufe läßt sich oft durch kontinuierliches Abdestillieren aus der Reaktionslösung gewinnen. Selektive Oxidationen primärer Alkohole zu Aldehyden gelingen mit verschiedenen Reagenzien, z. B. mit Dimethylsulfoxid als Oxidationsmittel in Gegenwart von Oxalsäuredichlorid (SWERN-Oxidation, Abschn. 24.8.9).
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222
15 Alkohole und Glykole
Bei der Dehydrierung primärer Alkohole zu Aldehyden durch metallisches Kupfer bei höheren Temperaturen spielen beide Kupferoxide (Cu2O und CuO) die Rolle des Sauerstoff-Überträgers: 2 Cu
+
1/2 O2
Cu
+
1/2 O2
R CH 2 OH
+
Cu2O
300 - 500 °C
Cu2O
300 - 500 °C
CuO O
300 - 500 °C
R C
+
2 Cu
+
H2O
+
Cu
+
H2O
H O
300 - 500 °C
R CH 2 OH
+
R C
CuO
H
Sekundäre Alkohole werden zu Ketonen oxidiert: / 2 [H+] , / 2 e0
R CH OH
/
R C O R Keton
R sekundärer Alkohol
Die Oxidation primärer und sekundärer Alkohole ist eine allgemeine Methode zur Darstellung von Carbonyl-Verbindungen (Abschn. 20.5.1, 20.6.1).
15.6.4
Veresterung von Alkoholen
Alkohole und Mineral- oder Carbonsäuren reagieren zu Estern, z. B.: O
Veresterung
H3C CH2 OH
+
Ethanol
H3C CH2 OH
R OH
Alkohol
HO SO3H
Verseifung
Schwefelsäure
+
+
O HO C CH 3 Essigsäure
Veresterung
O HO C R'
Veresterung
Carbonsäure
Verseifung
Verseifung
H3C CH2 O S OH
+
H 2O
O Ethylhydrogensulfat (Schwefelsäuremonethylester) O H3C CH2 O C CH3 Ethylacetat (Essigsäureethylester)
+
H 2O
O R O C
+
H 2O
R' Alkylcarboxylat (Carbonsäureester)
Veresterungen sind reversibel; es stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht zwischen den Estern und Wasser einerseits und den Alkoholen und Säuren andererseits ein. Dieses Gleichgewicht läßt sich durch kontinuierliches Abdestillieren des Reaktionswassers, zugunsten der Ester verschieben. Die Rückreaktion der Veresterung wird als Verseifung bezeichnet. Veresterung und Verseifung sind säurekatalysierte Reaktionen (Abschn. 18.7.1). Einige Carbonsäureester riechen angenehm fruchtartig. Bedeutende Ester anorganischer Säuren sind das cancerogene Methylierungsmittel Dimethylsulfat [(H3CO)2SO2, Schwefelsäuredimethyl-
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15.6 Reaktionen der Alkohole
223
ester], sowie das nicht korrekt als "Nitroglycerin" bezeichnete, hochexplosive, gefäßerweiternd wirkende Glyceroltrinitrat. Es bildet sich bei der Veresterung des Glycerols mit konzentrierter Salpetersäure und Schwefelsäure. Kieselgel saugt Glyceroltrinitrat auf; dabei entsteht der feste, kontrolliert zündbare Sprengstoff Dynamit (NOBEL, 1867). O CH2 HO
OH +
CH CH2
O 3 HO N
Glycerol
N
/ 3 H2O
O
OH
CH2
O
(H2SO4)
O
O
O N
CH2
CH2 O O
CH
O2NO
O N
ONO2
CH CH2
ONO2
O Glyceroltrinitrat ("Nitroglycerin", ein Ester der Salpetersäure, keine Nitroverbindung)
Salpetersäure
Auch mit Säurehalogeniden bilden Alkohole Ester. Die Charakterisierung von Alkoholen durch Reaktion mit 3,5-Dinitrobenzoylchlorid zu den kristallinen Alkyl-3,5-dinitrobenzoaten (Ester der 3,5-Dinitrobenzoesäure) ist ein Beispiel: NO2
NO2
Cl R OH
Base , / HCl
C
+
R O C
O
O
NO2 3,5-Dinitrobenzoylchlorid
15.6.5
NO2 Alkyl-3,5-dinitrobenzoat
Nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogen
Die Reaktion von Alkoholen mit Halogenwasserstoffen kann unter nucleophiler Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogenid zu Halogenalkanen führen, z. B.: NaBr , H2SO4 Rückfluß
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 OH 1-Pentanol
+
HBr
OH
+
HBr
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 Br 1-Brompentan
+
H2O
HBr-Gas
Cyclohexanol
Br
+
H2O
Bromcyclohexan
Thionylchlorid (SOCl2) sowie Phosphortrihalogenide (PX3 , X = Cl, Br, I) eignen sich zur Überführung von Alkoholen in Halogenalkane, z. B.: 3 H3C CH2 OH
+
PI 3
3 H3C CH2
I
+
P(OH)3
Iodethan (Ethyliodid)
Die nucleophile Substitution der Hydroxy-Gruppe durch Halogenid X/ (X = Cl, Br, I) verläuft über ein Carbenium-Ion, von dessen Stabilität die Reaktivität der Alkohole abhängt. Während Allyl- und Benzyl-Kationen mesomeriestabilisiert sind, kommen für eine Stabilisierung der anderen Alkyl-Kationen nur die weit schwächeren induktiven und sterischen Einflüsse in Betracht, deren Wirksamkeit mit zunehmender Alkylierung wächst. Infolgedessen nimmt die Reaktivität von Alkoholen gegen Halogenwasserstoff nach folgender Reihung ab: Allyl-, Benzyl- > tertiär > sekundär > primär
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224
15 Alkohole und Glykole
Ist die Bildung des Carbenium-Ions infolge zu schwacher Stabilisierung erschwert, so erfolgt vorzugsweise SN2-Substitution von der Rückseite in Bezug auf die abgehende Gruppe (H2O). Nach diesem Mechanismus reagieren die meisten primären Alkohole einschließlich Methanol (nicht jedoch Allyl- und Benzylalkohol). H C O H
schnell
C OH
+
HX
X
+
f/
langsam
X
Alky loxoniumhalogenid
C
f+
OH 2
X C
+
H 2O
Übergangszustand
Ist das als Zwischenstufe auftretende Carbenium-Ion stabiler, wie es z. B. für Benzyl- und Allylalkohole sowie für tertiäre Alkohole zutrifft, so wird die Dissoziation zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt. Die Substitution verläuft dann nach einem SN1-Mechanismus. /
"/ H2O langsam
/X schnell
C OH
+
HX
/
-""X
C
C OH2 Oxonium-Ion
C X
Carbenium-Ion
Führt die Abspaltung von Wasser aus einem protonierten Alkohol zu einem weniger stabilen Carbenium-Ion, so kann dieses sich unter Verschiebung einer Alkyl-Gruppe stabilisieren. Entsteht z.B. ein sekundäres Carbenium-Ion in c-Stellung zu einem quartären C-Atom, so wird sich durch 1,2-Alkyl-Verschiebung ein tertiäres, d. h. stabileres Carbenium-Ion bilden: R
R
"/ H2O
R
R C CH R
R C CH R
R C CH R
R OH 2
R weniger stabil
R stabiler
Als Folge dieser WAGNER-MEERWEIN-Umlagerung haben die durch Reaktion von Halogenwasserstoffen mit Alkoholen dargestellten Halogenalkane nicht immer die dem Ausgangs-Alkohol entsprechende Konstitution. Die nucleophile Substitution des 2,2-Dimethyl-3-hexanols durch Chlorwasserstoff führt z. B. überwiegend zu 2-Chlor-2,3-dimethylhexan: /
/ Cl schnell
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3
+
HCl
H3C OH
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C OH 2 langsam
WAGNER-MEERWEINUmlagerung
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3 CH3 -" Cl
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C
/
CH3 H3C C CH CH 2 CH2 CH3 Cl CH3 2-Chlor-2,3-dimethylhexan
"/ H2O
-" Cl
/
CH 3 H 3C C CH CH2 CH2 CH 3 H 3C Cl 3-Chlor-2,2-dimethylhexan
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15.6 Reaktionen der Alkohole
15.6.6
225
Dehydratisierung von Alkoholen
Die Ablösung von Wasser aus einem protonierten Alkohol unter Bildung des Carbenium-Ions kann sowohl eine nucleophile Substitution als auch die Abspaltung eines d-Protons unter Bildung eines Alkens zur Folge haben. /
+ X , SN1
C C
"/ H2O langsam
+ [H+]
C C
C C
C C
H OH
H OH2
H
H X Halogenalkan / [H+] , E1
C C Alken
Dementsprechend ergibt 2-Methyl-2-propanol (t-Butylalkohol) bei der Reaktion mit Bromwasserstoff neben 2-Brom-2-methylpropan (t-Butylbromid) bevorzugt Methylpropen (Isobutylen), insbesondere bei höheren Temperaturen: /
+ X , SN1
H 3C H3C C OH H3C
+ [H+]
H 3C H3C C OH 2 H3C
"/ H2O langsam
H 3C CH 3
H3C H 3C C Br H 3C
C / [H+] , E1
CH3
H3C C CH2 H3C
Da die Bildung des Carbenium-Ions durch Ablösung von Wasser aus einem Molekül des protonierten Alkohols die Geschwindigkeit der Dehydratisierung bestimmt, zumindest bei tertiären und manchen sekundären Alkoholen, spricht man von einer monomolekularen d-Eliminierung (E1Reaktion). Tab. 15.2. Dehydratisierungstendenz von Alkoholen Alkohol
CH CH 3 OH CH 3 H 3C C OH CH 3
Carbenium-Ion CH 3 C H CH 3 H 3C C CH 3
relative Stabilität
Bildungstendenz
groß
groß
mittel
mittel
CH 3 H3C CH2 CH CH 3 OH H3C CH2 CH 2 CH2 OH
H3C CH2 C
CH CH 2
CH 3 H 2C C CH 3 H 3C
Dehydratisierungsbedingungen 90 °C 20 % H2SO4
90 °C 20 % H2SO4
geringer
klein
H C C CH3 H
100 °C 60 % H2SO4
sehr gering
sehr klein
H 3C CH 2 CH CH 2
170 °C 90 % H2SO4
H H H3C CH2 CH 2 C H
Alken
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226
15 Alkohole und Glykole
Die Dehydratisierungstendenz der Alkohole nimmt mit zunehmender Stabilität der nach Ablösung von H2O entstehenden Carbokationen zu (primär < sekundär < tertiär < Benzyl-, Allyl-), wie Tab. 15.2 zeigt. Kann die Eliminierung eines d-Protons aus einem Carbenium-Ion von zwei C-Atomen ausgehen, so wird die Orientierung bevorzugt, bei welcher das stabilere Alken entsteht. Stabiler sind höher alkylierte Alkene (SAYTZEFF-Regel, Abschn. 5.2.2) oder im Falle von Dienen und Phenylalkenen die konjugierten Verbindungen: +
/ [H ]
+
+ [H ]
H3C CH 2 CH CH 3 OH 2-Butanol
/ H2O
H3C CH2 CH CH 3
H3C CH CH CH 3 2-Buten ( E + Z ) höher alkyliert (Hauptprodukt)
+
CH2 CH CH3
/ H2O
OH
H3C CH 2 CH CH 2 1-Buten
/ [H ]
+ [H+]
CH2 CH CH3
+
CH CH CH3
+
CH2 CH CH2
1-Propenylbenzen ( E + Z ) konjugiert (Hauptprodukt)
1-Phenyl-2-propanol
2-Propenylbenzen (Allylbenzen)
Schließlich eliminiert das d-Proton bevorzugt aus dem stabilsten Carbenium-Ion. Führt die Dehydratisierung des protonierten Alkohols zunächst zu einem weniger stabilen Carbenium-Ion, so kann dieses sich unter 1,2-Verschiebung einer Alkyl-Gruppe stabilisieren:
R
+ [H+]
R C CH R R OH
/ H2O
1,2-Alkyl-Verschiebung (WAGNER-MEERWEINUmlagerung)
R
o
R C CH R
R
/ [H+]
R C CH R R stabiler
R weniger stabil
R
R C C R R
Diese als WAGNER-MEERWEIN-Umlagerung bekannte 1,2-Alkyl-Verschiebung bei der Dehydratisierung von Alkoholen spielt besonders bei Cycloalkanolen eine Rolle, z. B.:
OH
+ [H+]
CH 3 H
CH 3 2,2-Dimethylcyclohexanol
/ H2O
CH 3 H CH 3
1,2-Methyl-Verschiebung (WAGNER-MEERWEINUmlagerung)
/ [H+]
H
o
CH 3
CH 3 CH 3
CH 3 1,2-Dimethylcyclohexen
Auf die Bedeutung der Dehydratisierung von Alkoholen als Methode der Alken-Synthese wurde in Abschn. 4.4.3 hingewiesen.
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15.7 Glykolspezifische Reaktionen
227
15.7 Glykolspezifische Reaktionen 15.7.1
Glykol-Spaltung
Die Bindung zwischen den hydroxylierten C-Atomen eines 1,2-Diols kann oxidativ unter Bildung von zwei Carbonyl-Verbindungen gespalten werden, entweder mit Periodsäure, HIO4, (MALAPRADE-Spaltung) oder mit Bleitetraacetat (CRIEGEE-Spaltung): R' R"
R'
HI O4 oder (CH3CO2) 4Pb
R C C R*
C
R
HO OH 1,2-Diol
R" +
O
O
C
R*
Carbonyl-Verbindungen
Da cis-Glykole leichter gespalten werden als die trans-Isomeren, verläuft die Glykol-Spaltung wahrscheinlich über cyclische Zwischenstufen (cyclische Periodate und Blei(IV)-diolat-diacetat): O
O Pb 2
IO3H O
2 CH 3CO2
O
Die Spaltung eines Glykols mit Bleitetraacetat könnte demnach in drei Schritten ablaufen: C OH
+
C OH
2
Pb(O2C CH 3)4
C O
/"CH3CO2H
/ Pb (CH3CO2) 2
C O
/"CH3CO2H
C O Pb (O2C CH 3)3
C O
C OH
Pb (O2C CH3)2
Bekanntlich bilden sich Glykole durch Dihydroxylierung von Alkenen (Abschn. 4.5.6, 4.5.7), entweder mit Permanganat bzw. Osmiumtetroxid, oder über Oxirane. Daher ermöglichen die bei der Glykol-Spaltung entstehenden Carbonyl-Verbindungen nicht nur Rückschlüsse auf die Konstitution des gespaltenen Glykols, sondern auch des hydroxylierten Alkens, z. B.:
H 3C H 2C
CH 3 C C
H
CH 2 CH3
a
H CH3 H3C CH2 C C CH2 CH 3 HO OH
trans-3-Methyl-3-hexen a : Dihydroxylierung
b : Glykol-Spaltung
b
H
CH 3 C O
H3C CH2 Propanal (Propionaldehyd)
+
O C CH 2 CH3 2-Butanon (Ethylmethylketon)
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228
15 Alkohole und Glykole
15.7.2
Pinakol-Dehydratisierung und Umlagerung
Tertiäre 1,2-Diole, die Pinakole (Abschn. 15.5.3), werden in Gegenwart von Säuren unter 1,2Alkyl-Verschiebung zu Ketonen dehydratisiert: H3C CH 3
+ [H+]
H 3C C C CH 3 HO OH 2,3-Dimethyl-2,3-butandiol (Pinakol) CH3
/ H2O
C C CH 3 O CH 3 3,3-Dimethyl-2-butanon (Pinakolon, t-Butylmethylketon) O
+ [H+]
CH3 HOOH
CH 3
H 3C
CH 3
/ H2O
CH 3
1,2-Dimethyl1,2-cyclohexandiol
2,2-Dimethylcyclohexanon
Die Pinakol-Umlagerung beginnt mit der Protonierung einer Hydroxy-Gruppe. Das nach Abspaltung von Wasser erzeugte Carbenium-Ion lagert sich unter anionotroper 1,2-Alkyl-Verschiebung zu einem protonierten Keton um. Die 1,2-Alkyl-Verschiebung selbst verläuft nicht unter Bildung eines "freien" Alkyl-Anions, sondern über einen Zwischenzustand, bei dem sich die positive Ladung des Carbenium-Ions auf alle an der Umlagerung beteiligten Atome verteilt.
R OH R C C R HO R
+ [H+]
R OH2 R C C R HO R
/ H2O
R R C C R
o
HO R R R C C R HO R
R
/ [H+]
R
HO R
R C C R
R C C R O
R
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16.1 Nomenklatur
229
16 Ether 16.1 Nomenklatur Die allgemeine Formel der Ether ist R/O/R´. Dabei unterscheidet man zwischen aliphatischen Ethern (R = Alkyl) und den Phenolethern (R = Aryl, R´ = Alkyl oder R = R´ = Aryl). Nach IUPAC benennt man Ether als Alkoxy- oder Aryloxy-Derivate der Alkane, z. B.: H3C CH2 CH O CH 3 CH3
2-Methoxybutan
O CH CH2 CH 3 3-Phenoxypentan CH 2 CH3
Die Trivialnamen beginnen mit den Bezeichnungen der am Sauerstoff gebundenen Alkyl- oder Aryl-Gruppen in der Reihenfolge zunehmender Größe und schließen mit der Endung ..."ether". H3C CH O CH 3 CH3
Methyl-i-propylether (Methylisopropylether)
O CH 2 CH3
Ethylphenylether (Phenetol)
In cyclischen Ethern (Sauerstoff-Heteroalicyclen) schließen sich die Reste R zum Ring. Sie leiten sich formal von den Cycloalkanen ab und werden als Oxiran, Oxetan, Tetrahydrofuran, Tetrahydropyran, Oxepan oder Polymethylenoxide bezeichnet. Oxirane werden auch Epoxide genannt. 2H- und 4H- kennzeichnen im Pyran die Position der Ring-Methylen-Gruppe. 3,4-Dihydro-2Hpyran ist ein cyclischer Enolether, 5,6-Dihydro-2H-pyran ein cyclischer Allylether.
Oxiran (Ethylenoxid)
Oxetan (Trimethylenoxid)
O
Tetrahydrofuran (Tetramethylenoxid)
Tetrahydropyran (Pentamethylenoxid)
O
O 1 4
1
2 3
4
2H-Pyran
O
O
O
O
Oxepan (Hexamethylenoxid) O
O 1
2 3
4
4H-Pyran
1
2 3
3,4-Dihydro-2H-pyran
4
2 3
5,6-Dihydro-2H-pyran
Ersetzt man im Cyclohexan zwei Methylen-Gruppen durch Sauerstoff, so ergeben sich formal die drei isomeren Dioxane. Vom cyclischen Bis-enolether 1,4-Dioxin leitet sich Dibenzo[b,e]1,4-dioxin ab, Stammverbindung des Seveso-Gifts (Abschn. 11.3.2). O
O
O O
1,2-Dioxan
1,3-Dioxan
O
O
O
O 1,4-Dioxan
O 1,4-Dioxin
O Dibenzo[b,e]1,4-dioxin
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230
16 Ether
16.2 Struktur und physikalische Eigenschaften Wie Alkohole sind die Ether gewinkelte Moleküle und zeigen Dipolmomente (Abschn. 1.10.2) von 1.2 bis 1.3 Debye. Der C/O/C-Bindungswinkel in den Ethern ist 110° und damit gegenüber dem C/O/H-Winkel der Alkohole (107°, Abb. 15.1, Abschn. 15.3) etwas aufgespreizt. Abb. 16.1 zeigt Molekülmodelle des Dimethylethers im Vergleich zum konstitutions- und funktionsisomeren Ethanol.
Abb. 16.1. Stab- und Kalottenmodell des Dimethylethers (links) und des konstitutions- und funktionsisomeren Ethanols (Kohlenstoff : schwarz; Sauerstoff : grau; Wasserstoff : weiß)
Die niedermolekularen Ether sind sehr flüchtig (Siedepunkt des Dimethylethers: / 24 °C bei 1011 mbar) und sieden erheblich tiefer als Alkohole vergleichbarer molarer Massen (Siedepunkt des Ethanols: 78.2 °C bei 1011 mbar), da sie keine Wasserstoffbrücken bilden können. Infolge schwacher Dipol-Dipol-Wechselwirkung liegen die Siedepunkte der Ether jedoch geringfügig höher als jene vergleichbarer Alkane. Ether lösen sich kaum in Wasser, jedoch sehr gut in Alkoholen und unpolaren organischen Medien. Sie sind selbst vorzügliche Lösemittel und dienen daher oft zum Extrahieren organischer Verbindungen aus festen Substanzgemischen oder wäßrigen Lösungen (Ausethern). Untereinander können Ether gleicher Summenformel eine spezielle Art der Konstitutionsisomerie aufweisen. Diese sog. Metamerie rührt daher, daß bei gleicher Summenformel verschiedene Alkyl-Gruppen mit dem Ethersauerstoff verknüpft sein können. Für die Summenformel C4H10O können z. B. drei Metamere formuliert werden, nämlich Diethylether, Methyl-n-propylether und Methyl-i-propylether: CH 2 CH3 Diethylether O CH 2 CH3
CH 3 Methyl-n-propylether O CH 2 CH2 CH3
CH 3 Methyl-i-propylether O CH CH3 H 3C
Diese drei Metamere sind ihrerseits Konstitutionsisomere der vier Butanole (1-Butanol, 2-Methylpropanol, 2-Butanol, 2-Methyl-2-propanol).
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16.3 Darstellung
231
16.3 Darstellung 16.3.1
Bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen
Die säurekatalysierte, bimolekulare Dehydratisierung von Alkoholen ist eine auch industriell genutzte Methode zur Darstellung symmetrischer Ether. Als Dehydratisierungsmittel werden u. a. Schwefelsäure und Hydrogensulfate, Bor-, Phosphor- sowie Arsensäure eingesetzt. Bei der Darstellung von Diethylether und Divinylether über d,d'-Dichlordiethylether verwendet man z. B. Schwefelsäure. Diethylether und einige andere Ether werden in technischem Maßstab hergestellt, indem die Alkohol-Dämpfe über heiße Metalloxid-Katalysatoren (Aluminiumoxid, Titandioxid, 200 °C) geleitet werden. H2SO4 , 140 °C
2 H 3C CH 2 OH
H3C CH2 O CH 2 CH 3 Diethylether
/ H2O
(mit Ethen als Nebenprodukt)
H2SO4 , 140 °C
2 Cl
CH2 CH2 OH 2-Chlorethanol
KOH
Cl
/ H2O
CH2 CH2 O CH 2 CH 2 Cl d,d´-Dichlordiethylether
H2C CH O CH CH2 Divinylether
/ 2 HCl
Primärschritt der Dehydratisierung ist ein Protonierungsgleichgewicht: R OH
+
[H ]
R OH2
Bei primären Alkoholen greift dann ein zweites Alkohol-Molekül nucleophil nach einem SN2Mechanismus an: SN2
_ R O _
+
R R O H
R OH _ 2 / H2O
H
/""[H+]
R R O
Dagegen neigen protonierte sekundäre und tertiäre Alkohole eher zur Wasserabspaltung unter Bildung von Carbenium-Ionen. Diese deprotonieren dann zu einem Alken, oder ein zweites Alkohol-Molekül addiert nucleophil, aber nun nach einem SN1-Mechanismus: H R'
CH 2
R'
/ H2O
CH2
CH OH2
/ [H+]
R' C
C H
R
C R
R
Alken
H H
+ I OI R*
R'
CH2
H CH O R* R
/ [H+]
R'
CH 2 R
Ether CH O R*
Infolgedessen konkurrieren insbesondere bei der Dehydratisierung sekundärer Alkohole Alkenund Ether-Bildung; tertiäre Alkohole dehydratisieren überwiegend zu Alkenen.
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232
16 Ether
16.3.2
Nucleophile Substitution von Halogenalkanen durch Alkoholate und Phenolate (WILLIAMSON-Synthese)
Ein allgemeiner Weg zu aliphatischen, gemischt aliphatisch-aromatischen und aromatischen Ethern ist die als WILLIAMSON-Synthese bekannte nucleophile Substitution des Halogens in Halogenalkanen (oder Alkylhydrogensulfat in Dialkylsulfaten) durch Alkoholate und Phenolate: _ _ R OI
Na
f/ f-
+
X R'
R O R'
+
Na X
X = Cl , Br , I , /O/SO2/OR'
Diese nucleophile Substitution geht am besten mit den Alkoholaten aus sekundären sowie tertiären Alkoholen und mit primären Halogenalkanen (/CH2/X, H3C/X), wobei die Iod- und Bromalkane am reaktivsten sind (I > Br >> F). Beispiele sind die Darstellung des Methyl-i-propylethers aus Natrium-i-propanolat und Methyliodid sowie die technische Herstellung des 1,4-Dioxans aus Oxiran und 2-Chlorethanol (Ethylenchlorhydrin) über eine intramolekulare WILLIAMSONSynthese. _ Na (H 3C)2CH OI _ Natrium- i-propanolat
I CH 3
+
(CH3)2CH O CH3 Methyl-i-propylether O
O Oxiran
+
OH
O
+ NaOH
HO CH2 CH 2 Cl 2-Chlorethanol (Ethylenchlorhydrin)
NaI
+
Cl
/NaCl , / H2O
O 1,4-Dioxan
Sekundäre und tertiäre Halogenalkane eignen sich weniger zur Alkylierung der Alkoholate, da diese als Basen die Halogenalkane zu Alkenen dehydrohalogenieren: H3C CH CH 3
+
H3C CH CH 2
C 2H5O Na
+
C2H 5OH
+
Na X
Br
Die Synthese von Phenolethern aus Phenolen verläuft in alkalischen Lösungen sowohl mit primären Halogenalkanen als auch mit Dialkylsulfaten (Schwefelsäuredialkylestern): + NaOH , / H2O
O ""Na
OH Phenol
CH3
+ CH3 I , / Na I " oder
O
+ (H3CO) 2SO2 , / CH3OSO3 Na
Natriumphenolat
Methylphenylether (Anisol)
Die Darstellung von Diarylethern nach WILLIAMSON aus Arylhalogeniden und Phenolaten gelingt nur in mäßigen Ausbeuten unter schärferen Bedingungen und bei Gegenwart von Katalysatoren: O "K
+
Br
Cu , 220 °C , Druck
O
Diphenylether
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16.3 Darstellung
233
Die Reaktion unsymmetrisch substituierter Hydrochinone mit y,y'-Dibromalkanen [X/(CH2)n/X , n > 8] in alkalischer Lösung führt zu atropisomeren (Abschn. 17.7.2) Hydrochinonpolymethylenethern, sog. Ansa-Verbindungen (lat. ansa = Henkel):
CH 3
CH 3
HO
OH
+
Br
(CH 2)12 Br
CH3
Br O Na
+ 2 NaOH
O
/ NaBr
O
O
/ NaBr , / 2 H 2O
CH 2 CH3 2-Ethyl-6-methyl1,12-Dibromdodecan hydrochinon
CH 2 CH3
CH 2 CH 3 2-Ethyl-6-methylhydrochinondodecamethylenether
Der zweite Schritt dieser Reaktion ist eine intramolekulare WILLIAMSON-Synthese. Er muß in verdünnter Lösung durchgeführt werden, um intermolekulare Reaktionen möglichst weitgehend zu unterdrücken (RUGGLI-ZIEGLER-Verdünnungsprinzip).
16.3.3
Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat
Die Veretherung von Halogenalkanen mit Silbercarbonat oder Silberoxid bewährt sich besonders zur Darstellung von Ethern mit sekundären und tertiären Alkyl-Gruppen, z. B.: CH3 2 H3C C Cl CH3
CH3 +
Ag2CO3
CH3
H3C C O C CH3 CH3 CH3
+
2 AgCl
+
CO2
Di-t-butylether
16.3.4
O-Methylierung von Alkoholen und Phenolen durch Diazomethan
Primäre und sekundäre Alkohole können durch Diazomethan in Gegenwart von Tetrafluorborsäure oder Bortrifluoridetherat O-methyliert werden, z. B.: /
HBF4 oder F3B "+O(C2H5) 2
OH
+
CH 2N2
O CH 3 Methoxycyclohexan
Cyclohexanol
+
N2
BF3-Katalysatoren acidifizieren dabei die OH-Gruppe der Alkohole. Dies erübrigt sich bei den im Vergleich zu Alkoholen stärker sauren Phenolen, die in etherischer Lösung spontan mit Diazomethan zu den Arylmethylethern reagieren: OH
Diethylether
+ Phenol
O
CH2N 2
CH3
+
N2
Anisol
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234
16 Ether
16.3.5
Synthesen von Ethern mit GRIGNARD-Verbindungen
c-Halogenether lassen sich mit Hilfe von Alkylmagnesiumhalogeniden homologisieren, z. B.: CH 2 Br H 3C CH2 CH 2 O Brommethyl-n-propylether
+
Br Mg CH2 CH 2 CH 3
/ MgBr 2
CH 2 CH 2 CH 2 CH 3 H 3C CH 2 CH 2 O n-Butyl-n-propylether
t-Butylperbenzoat reagiert mit Alkyl- oder Arylmagnesiumhalogeniden zu den entsprechenden t-Butylethern, z. B.: C(CH3)3 C
O
O
C(CH 3)3
C
O + Br Mg
O
+
O
OMgBr
t-Butylphenylether
+ H2O
CO2H
16.3.6
Mg2
+
+
OH
+
Br
Alkenylether durch Addition von Alkoholen an Alkine
Vinylether werden durch Addition von Alkoholen an Alkine unter Druck in Gegenwart von Alkoholaten als Katalysatoren dargestellt, z. B.: CH3O Na , Druck
H C C H
16.3.7
+
HOCH 3
CH 3 H2C CH O Methylvinylether , ein Enolether
Enolether durch Eliminierung von Alkohol aus Acetalen
Acetale gehen beim Erhitzen in Gegenwart von Katalysatoren (Phosphorsäure, Pt-Asbest) unter Abspaltung eines Äquivalents Alkohol in Enolether über, z. B.: O CH 2 CH 3
H3PO4 , Rückfluß , / C2H5OH
H 3C CH 2 CH 2 CH O CH 2 CH 3 Butanaldiethylacetal
CH2 CH 3 H3C CH2 CH CH O Ethyl-1-butenylether ( E + Z )
" d-Halogenacetale eliminieren zunächst ein Äquivalent Alkohol, dann in alkalischem Medium ein
Äquivalent Halogenwasserstoff. Dabei entstehen die reaktiven Ethinylether: H3PO4 , Rückfluß , / C2H5OH
Br
CH 2 CH(OC2H 5)2 Bromacetaldehyddiethylacetal
Br CH CH OC2H 5 2-Bromvinylethylether
KOH , / HBr
H C C OC2H 5 Ethinylethylether (Ethoxyethin)
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16.4 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen)
235
16.4 Darstellung von Epoxiden (Oxiranen) 16.4.1
Katalytische Oxidation von Alkenen
Einige Alkene, z. B. Ethen, lassen sich durch Sauerstoff am Silberkontakt in Epoxide überführen: Ag , 260-290 °C
2 H2C CH2
16.4.2
+
2
O2
O Oxiran (Ethylenoxid)
Eliminierung von Halogenwasserstoff aus Halohydrinen
Halohydrine (Abschn. 15.5.2) spalten in wäßrig-alkalischer Lösung Halogenwasserstoff ab, so daß Oxirane entstehen: X OH Halohydrin ( X = Cl , Br )
16.4.3
R
+ NaOH
R CH CH R'
/ Na X , / H2O
R' O
substituiertes Oxiran
Oxidation von Alkenen mit Peroxysäuren
Die allgemeinste Methode zur Darstellung von Epoxiden ist die Reaktion von Alkenen mit Peroxysäuren, z. B. Peroxybenzoesäure oder m-Chlorperoxybenzoesäure (PRILEZHAEV-Epoxidation). Nach dem „Butterfly-Mechanismus“ addiert das elektrophile Peroxy-O-Atom der Persäure über einen spirocycischen Übergangszustand an die r-Bindung, während die Carbonyl-Gruppe das OHProton übernimmt. Die relative Konfiguration des Alkens bleibt im Oxiran erhalten. C
O +
C
O H
R C
C
O
C
O
R C
C
O H
C
O
O +
O
H
Alken Peroxycarbonsäure (E oder Z)
subst. Oxiran (trans- oder cis-)
C
R
O
Carbonsäure
16.5 Reaktionen 16.5.1
Bildung von Oxonium-Verbindungen
Infolge der Elektronenpaare am Ether-Sauerstoff sind die Ether Elektronenpaar-Donoren, d. h. LEWIS-Basen. Sie reagieren daher mit Protonen und LEWIS-Säuren wie BF3 zu Oxonium-Salzen: R
R O R
+
HCl
R
R O _ H
Cl
R Dialkyloxonium-chlorid
O R
+
BF 3
O _ BF 3 R Bortrifluorid-etherat
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236
16 Ether
Die Oxonium-Salze können ein Alkohol-Molekül (als Abgangsgruppe) abspalten und sind insofern Vorstufen von Alkyl-Kationen: R _ H O
R
O H
+ R
R
Die Donoreigenschaften des Ether-O-Atoms sind auch der Grund für die Bildung von Komplexen zwischen Ethern und GRIGNARD-Verbindungen, die sich ihrerseits sehr gut in Ethern lösen: R'
R O R
16.5.2
Mg X
R O R
Autoxidation
Unter Lichteinwirkung reagieren die Ether mit Luftsauerstoff, der als Biradikal („Triplett-Sauerstoff“) vorliegt, zu Etherhydroperoxiden: R O C H
_ _ _ O _ O
+
R O C O OH Etherhydroperoxid
Etherhydroperoxide sind entweder selbst explosiv, oder sie lagern sich zu hochexplosiven Produkten um. Die Peroxid-Bildung und damit die Explosionsgefahr läßt sich vermeiden, indem man die Ether über Reduktionsmitteln (Na-Amalgam, Zn, Fe2+) aufbewahrt.
16.5.3
Ether-Spaltung
Die Einwirkung starker Säuren führt zur Spaltung der Ether. Zur gezielten Spaltung von Ethern verwendet man meist HBr oder HI: R
+ HX
O R'
+ HX
R'
X
+
R OH
R'
X
+
R X
( X = Br , I )
+
H 2O
Auf dieser Ether-Spaltung beruhte die quantitative Bestimmung der Methoxy-Gruppen (z. B. in Naturstoffen) nach ZEISEL: Der Methylether wurde durch Iodwasserstoffsäure gespalten und die dabei entstehende Menge Iodmethan gemessen. R
Rückfluß
O CH3
+
HI
R OH
+
CH3
I
Erster Schritt der Ether-Spaltung ist die Bildung des Dialkyloxonium-Salzes: R
R O R
+
O _ H
HX
X
R
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16.5 Reaktionen
237
Dieses spaltet ein Äquivalent Alkohol ab und geht mit dem Halogenid-Anion unter nucleophiler Substitution in das Halogenalkan über, bei Ethern mit tertiären Alkyl-Gruppen vorwiegend nach einem SN1-, bei Ethern mit primären Alkyl-Gruppen vorwiegend nach einem SN2-Mechanismus: H
SN1 , / ROH O _ R
R
R
/
/
+X
H
+X
SN2 , / ROH O R
R X
X R
Der entstehende Alkohol wird meist ebenfalls in das Halogenalkan übergeführt. Eine weitere Folgereaktion der Ether-Spaltung ist die d-Eliminierung zum Alken, insbesondere bei Ethern mit tertiären Alkyl-Gruppen. 1,4-Dichlorbutan als Edukt der Nylon-Synthese wird in technischem Maßstab durch EtherSpaltung des Tetrahydrofurans mit Chlorwasserstoff hergestellt: O
+ HCl
HO
Cl
+ HCl
Cl Tetrahydrofuran
4-Chlorbutanol
CH2 CH2 CH 2 CH 2 Cl 1,4-Dichlorbutan
Außer den Halogenwasserstoffsäuren können auch LEWIS-Säuren (BF3, BCl3, BBr3, AlCl3) sowie Triphenyldibromphosphoran [(C6H5)3PBr2] und Pyridinium-chlorid als Reagenzien zur Etherspaltung verwendet werden. N H Cl
16.5.4
Pyridinium-chlorid
Ether-Umlagerungen
Allylalkenylether lagern sich beim Erhitzen in i,f-ungesättigte Aldehyde oder Ketone um. Diese zu den [3,3]-sigmatropen Verschiebungen (Abschn. 26.5.2) gehörende Oxa-COPE-Umlagerung vollzieht sich als CLAISEN-Umlagerung mit Allylphenylethern, wobei das zunächst durch konzertierte Verschiebung von u- und r-Bindungen entstehende Keton als Übergangszustand zum oAllylphenol rearomatisiert, so daß die Allyl-Gruppe vom Phenoxy-O- zum ortho-C-Atom wandert. R
O
R
i,f-ungesättigter Aldehyd (R = H) i,f-ungesättigtes Keton (R = Alkyl)
Allylalkenylether
CLAISEN Umlagerung
O
o
Oxa-COPE -
O
O
langsam
o
schnell
OH
H Allylphenylether
Übergangszustand
o-Allylphenol
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238
16 Ether
Phenolether mit gesättigten O-Alkyl-Gruppen lagern in Analogie zu den O-Acylphenolen (Abschn. 21.6.2) bei Gegenwart von LEWIS-Säuren wie AlCl3 zu den p-Alkylphenolen um: R O
AlCl3
R
OH
z. B. R =
CH 2 CH2 CH2 CH 3
p-Alkylphenol
Alkylphenylether
Die WITTIG-Umlagerung von Ethern in Gegenwart sehr starker Basen wie Alkyllithium führt unter 1,2-Verschiebung einer O-Alkyl-Gruppe (vom O- zum C-Atom) zu Alkoholaten: R CH 2 O R'
+
R' _ _ R CH OI
R*Li
Alkylether
Li
+
R* OH
Alkoholat
Mehrere Mechanismen werden diskutiert. So könnte sich das bei der Einwirkung starker Basen entstehende Carbanion durch nucleophilen Angriff an der O-Alkyl-Gruppe unter Bildung eines Alkoxid-Anions stabilisieren. Substituenten, welche wie die Phenyl-Gruppe (R = C6H5) die negative Ladung des intermediären Carbanions durch Mesomerie verteilen, erleichtern die Reaktion. / [H+]
R CH _ O R'
R CH O R' H
_ R CH OI _
o
R'
16.6 Ether als Schutzgruppen Bei der Synthese organischer Verbindungen ist häufig ein Schutz der alkoholischen OH-Gruppe notwendig. Hierzu kann man die Alkohole verethern; jedoch muß nach der Reaktion, für welche ein Schutz der OH-Gruppe erforderlich ist, der Ether auch möglichst leicht und ohne Nebenreaktionen spaltbar sein. Als Schutzgruppen für die OH-Funktion haben sich außer den bereits besprochenen Methylethern die Benzyl-, Trityl- und Trimethylsilylether bewährt, die meist durch Varianten der WILLIAMSON-Synthese dargestellt werden und durch Hydrierung oder Hydrolyse spaltbar sind. Bildung R O Na
+
Cl CH2 C 6H5
/ NaCl
Benzylchlorid
Spaltung + H2 / Pt
+
Cl C(C6H 5)3 Chlortriphenylmethan
/ HCl
R O C(C6H 5)3
+
Cl Si(CH3)3 Chlortrimethylsilan
/ HCl
R O Si(CH 3)3 Trimethylsilylether
H 3C C6H 5 Toluen
+ H2O
R OH
+
Tritylether
Triethylamin
R OH
+
Benzylether Pyridin
R OH
R OH
R O CH 2 C 6H5
HO C(C6H 5)3 Triphenylcarbinol
+ H2O
R OH
+
HO Si(CH3)3 Trimethylsilanol
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Methylvinylether und Ethylenoxid
239
16.7 Methylvinylether und Ethylenoxid als Schlüsseledukte der organischen Synthese Methoxyethen (Methylvinylether) und Oxiran (Ethylenoxid) sind Ausgangsprodukte zur Herstellung zahlreicher technisch bedeutender organischer Verbindungen. Viele wichtige Lösemittel sowie einige Monomere für Polymere sind aus diesen Schlüsselverbindungen zugänglich, wie die folgenden Beispiele (ohne stöchiometrisch korrekte Formulierung der Gleichungen) zeigen sollen.
16.7.1
Synthesen mit Methylvinylether OR
+ ROH
O H3C C H
+ H2O
H 3C O CH CH3
H3C OH
+
Acetaldehydalkylmethylacetal
Acetaldehyd
X H3C O CH CH 2
H3C O
+ X2
X
+ HX
H3C O CH2 CH 2
CH CH 2
c,d-Dihalogenether
O
(
H3C O CH2 CH 2 O C O-Acylglykolmethylether
16.7.2
OCH3
Polymerisation
+ R CO2 H
X
d-Halogenether
R
)n
CH CH2
Polymethoxyethen
Synthesen mit Oxiran (Ethylenoxid) + ROH
+ H 2O
RO CH 2 CH 2 OH
HO CH 2 CH 2 OH
Glykolmonoalkylether
Ethandiol (Glykol) + H2 S
+ HCl
+ HCl
HS CH2 CH2 OH
HO CH 2 CH 2 Cl
Mercaptoethanol
Ethylenchlorhydrin
O + NH 3
/ H2 O
Cl
CH 2 CH 2 Cl 1,2-Dichlorethan
/ H 2O
+ HCN
N C CH2 CH2 OH
H 2N CH2 CH2 OH
N C CH CH 2
Aminoethanol
Acrylnitril
+ HO CH 2 CH 2 O CH 2 CH 2 OH Diethylenglykol
O
+
[H ]
Polymerisation +
/
[H oder OH ]
HO (CH 2 CH 2 O )nCH2 CH2 OH Polyethylenglykol (mit terminalen OH-Gruppen)
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240
17 Chiralität
17 Chiralität 17.1 Asymmetrische C-Atome und Chiralität Ein tetraedrisches C-Atom mit vier verschiedenen Substituenten wird als asymmetrisch bezeichnet. Wie das Beispiel des 2-Butanols zeigt, gibt es dann zwei Isomere, die sich wie Bild und Spiegelbild voneinander unterscheiden und nicht zur Deckung gebracht werden können, wie die Molekülmodelle zeigen (Abb. 17.1). Diese Spiegelbildisomere werden als Enantiomere bezeichnet. Spiegelebene C2H 5 H3C
C 2H5
C
H OH Bild
2-Butanol
C H CH3 HO Spiegelbild
Abb. 17.1. Stab- und Kalottenmodelle der Enantiomeren des 2-Butanols (Kohlenstoff : schwarz; Sauerstoff : grau; Wasserstoff : weiß)
Ein asymmetrisches C-Atom ist eine, nicht die einzige Voraussetzung für Chiralität (vom griechischen Wort für Händigkeit, weil sich Enantiomere wie rechte und linke Hand unterscheiden). Jedes Molekül, das mit seinem Spiegelbild nicht deckungsgleich ist, wird als chiral bezeichnet. Die meisten physikalischen Eigenschaften (Siedepunkte, Schmelzpunkte, Brechungsindizes) von Enantiomeren sind gleich; Enantiomere unterscheiden sich jedoch durch ihre optische Aktivität.
17.2 Optische Aktivität und spezifische Drehung Unter optischer Aktivität versteht man die Fähigkeit einer Verbindung, die Ebene linear polarisierten Lichts um einen bestimmten Winkel c zu drehen, der in einem Polarimeter gemessen wird. Die spezifische Drehung [c] ist der auf eine bestimmte Konzentration und Schichtdicke bezogene
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17.3 Bezeichnung der absoluten Konfiguration
241
Drehwert. [c]D bedeutet, daß als monochromatische Lichtquelle die D-Spektrallinie des Natriums diente, [c]20, daß die spezifische Drehung bei 20 °C gemessen wurde. l : Schichtdicke in dm c : Konzentration in g / 100 mL
[c] = c"gemessen 100 [ ° ] lc
[c] 20 : spezifischer Drehwert , gemessen bei 20 °C, D Lichtquelle : D-Linie des Natrium-Spektrums ( n = 546.1 nm )
Enantiomere drehen die Ebene linear polarisierten Lichts um denselben Betrag, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen, wie die enantiomeren 2-Butanole zeigen. C 2H5 2-Butanol
H 3C
C
C2H 5
H OH
H HO
C
CH 3
20
[c] D = / 15°
20
[c] D = + 15°
17.3 Bezeichnung der absoluten Konfiguration Enantiomere (Spiegelbildisomere) unterscheiden sich durch die absolute Konfiguration der Substituenten am asymmetrischen C-Atom. Zur Bezeichnung der absoluten Konfiguration asymmetrischer C-Atome gibt es die allgemein anwendbare CAHN-INGOLD-PRELOG Konvention sowie die traditionelle FISCHER-Konvention.
17.3.1
CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ("CIP", R und S)
Nach der CAHN-INGOLD-PRELOG-Konvention ("CIP") zur Angabe der absoluten Konfiguration ordnet man den Substituenten am asymmetrischen C-Atom mit Hilfe dreier Regeln Prioritäten zu. (1)
Die Priorität der mit dem asymmetrischen C-Atom verknüpften Atome (erste Sphäre) sinkt mit abnehmender Ordnungszahl (Atommasse bei Isotopen) im Periodensystem, z. B.: H F C
I
Br I > Br > F > H
(2)
Cl
CH3
D
C H
F C H
I I > Cl > C > H
Br Br > F > D > H
Sind zwei oder mehr mit dem asymmetrischen C direkt verknüpfte Atome identisch, so sinkt die Priorität mit abnehmender An- und Ordnungszahl der benachbarten Atome (zweite Sphäre), z. B.: CH 3 CH 3 HO C H CH 2 CH3 OH > C2H 5 > CH 3 > H
CH 2Cl H 3C CH2 C CH3 H CH 2Cl > C 2H5 > CH 3 > H
H 3C C H H C Br CH 2 CH 3 Br > (CH3)2CH > C2H5 > H
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242
17 Chiralität
(3)
Doppelt und dreifach gebundene Zweitatome zählen je doppelt bzw. dreifach; eine Aldehyd-Gruppe (/CH=O) hat demnach eine höhere Priorität als eine Alkohol-Funktion (/CH2/OH): O Glyceraldehyd
C
H OH > CH=O > CH2/OH > H
HO C H CH2 OH
Nach Bestimmung der Prioritätenfolge um das asymmetrische C-Atom wird das Molekül so betrachtet bzw. gedreht, daß die Gruppe mit geringster Priorität (meist H) hinter der Zeichenebene steht. Sinkt dann die Priorität der Substituenten im Uhrzeigersinn (Gegenuhrzeigersinn), so liegt die R-Konfiguration (S-Konfiguration) vor; R folgt aus lat. rectus = rechts, S aus lat. sinister = links. Die Enantiomeren des 2-Butanols verdeutlichen dies und zeigen, daß die Rechts- bzw. Linksdrehung der Ebene linear polarisierten Lichts nicht mit der absoluten KonfigurationsBezeichnung zusammenhängt, R-Konfiguration also nicht rechtsdrehend (+) und S-Konfiguration nicht linksdrehend (/) bedeuten muß. So dreht (R)-2-Butanol nach links [(R)-(/)-2-Butanol], das (S)-Enantiomer dagegen nach rechts [ (S)-(+)-2-Butanol]: Abnahme der Priorität im Gegenuhrzeigersinn
C2H 5 C
C 2H5
H OH (S)-2-Butanol
C H CH3 HO (R)-2-Butanol
[c] 20 = + 15° D
[c] 20 D = / 15°
H3C
daher (S)-(+)-2-Butanol
Abnahme der Priorität im Uhrzeigersinn
( c = 10 g / 100 mL in Methanol )
daher (R)-(/)-2-Butanol
Im Falle des Glycerinaldehyds (Glyceraldehyds) dreht das (R)-Enantiomer nach rechts und das (S)-Enantiomer nach links: CH 2OH H C O
17.3.2
C
H OH
CH2OH H HO
C
H C
(R)-(+)-Glyceraldehyd
O (S)-(/)-Glyceraldehyd
[c] 25 = + 8.7° D
[c] 20 D = / 8.7°
( c = 2 g / 100 mL in Wasser )
FISCHER-Konvention (D und L)
Grundlage der FISCHER-Konvention ist die Projektion des Kohlenstoff-Tetraeders in die Ebene (FISCHER-Projektion). Dabei wird der Tetraeder so betrachtet, daß die längste Kohlenstoff-Kette vertikal und die schwerere Alkyl-Gruppe oben steht (Abb. 17.2 a, 2-Butanol, Ethyl oben, Methyl unten). Die horizontal geschriebenen Gruppen (H und OH in Abb. 17.2 a) stehen dann vorne, an der dem Beobachter zugewandten Tetraederkante. Die Keilstrich-Projektion bringt diesen Sachverhalt klarer zum Ausdruck (Abb. 17.2 b) und führt zur FISCHER-Projektion (Abb. 17.2 c), indem die Keilstriche durch einfache Valenzstriche ersetzt werden. Steht in der FISCHER-Projektion (Abb. 17.2 c) die funktionelle Gruppe nach rechts, so liegt das D-Enantiomer vor (D von dextro = rechts); steht die funktionelle Gruppe nach links, so spricht man vom L-Enantiomer (levo = links).
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17.3 Bezeichnung der absoluten Konfiguration
243
Die FISCHER-Projektionen (Abb. 17.2 c) können innerhalb der Papierebene verschoben werden, ohne daß sich die dargestellte absolute Konfiguration ändert; dagegen würde Herausnahme aus oder Drehung in der Papierebene die absolute Konfiguration ändern. Spiegelebene C 2H5
C2H 5 (a)
HO
H
C2H 5 HO C H CH 3
C 2H5 H C OH
Keilstrich-Projektion
CH3
C2H 5 (c)
Tetraeder (Außenansicht, Tetraederkanten)
OH CH3
CH 3
(b )
H
C 2H5
HO C H
H C OH
CH 3 L-2-Butanol
CH3 D-2-Butanol
FISCHER-Projektion
Abb. 17.2. Bezeichnung der absoluten Konfiguration nach der FISCHER-Konvention (D- und L-2-Butanol); die Verbindungslinien in (a) sind Tetraederkanten und keine Bindungen
17.3.3
Übersetzung der D,L- in die R,S -Bezeichnung
Abb. 17.3 illustriert am 2-Butanol, wie die D,L- Konfigurationsangabe nach FISCHER in die R,SBezeichnung nach CAHN-INGOLD-PRELOG übersetzt wird: Man schreibt die ebene FISCHERProjektion (Abb. 17.3 a) in die Keilstrich-Projektion um (Abb. 17.3 b) und dreht dann den Tetraeder so, daß der Substituent geringster Priorität (meist H) hinter der Zeichenebene steht (Abb. 17.3 c). Abb. 17.3 zeigt auf diese Weise für 2-Butanol, daß L- = (S)- und D- = (R)- ist. Dies gilt jedoch nicht allgemein; ersetzt man z. B. im 2-Butanol (Abb. 17.2) Methyl durch Brommethyl (/CH2/Br), so ist das resultierende L-1-Brom-2-butanol wegen Regel (2) der "CIP"-Konvention identisch mit (R)-1-Brom-2-butanol. L-2-Butanol C2H 5 (a)
HO C H CH 3
C2H 5 (b )
(c)
HO C H
D-2-Butanol C 2H5 H C OH CH3
CH3
C 2H5
C 2H5
C
Tetraeder (Außenansicht, Tetraederkanten)
C 2H5 H C OH
CH 3
H OH (S)-2-Butanol H 3C
Spiegelebene
C H CH3 HO (R)-2-Butanol
Keilstrich-Projektion
Keilstrich-Projektion (H hinter der Zeichenebene)
Abb. 17.3. Übersetzung der D,L- in die R,S-Bezeichnung der absoluten Konfiguration
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244
17 Chiralität
17.3.4
Racemate
Eine äquimolare Mischung von (R)- und (S)-Enantiomeren wird als racemische Mischung oder Racemat bezeichnet; so bedeutet die Angabe (RS)- oder (DL)- oder (±)-2-Butanol, daß eine racemische Mischung der Verbindung vorliegt. Ein Racemat ist, im Gegensatz zu den beiden Enantiomeren, aus denen es besteht, optisch inaktiv ([c] = 0) und besitzt andere physikalische Eigenschaften (Schmelzpunkt, Dichte, Löslichkeit, Tab. 17.1, S. 246).
17.4 Bestimmung der absoluten Konfiguration Die tatsächliche räumliche Anordnung der Atome eines Enantiomers läßt sich durch RÖNTGENBeugung (Kristallstrukturanalyse mit RÖNTGEN-Diffraktometer, RÖNTGEN-Diffraktometrie) bestimmen. Hierzu ist ein Einkristall erforderlich, der nur aus Molekülen eines Enantiomers besteht. J.M. BIJVOET führte erstmals 1951 am Natrium-Rubidium-Salz des rechtsdrehenden Enantiomers der Weinsäure eine solche Bestimmung durch. Die Kenntnis der absoluten Konfiguration dieser einen Verbindung ermöglichte dann die Zuordnung der absoluten Konfigurationen einer Vielzahl von Verbindungen durch Bestimmung ihrer relativen Konfiguration zur Weinsäure. COO Na H C OH HO C H COO Rb Natrium-Rubidium-(+)-tartrat
Eine Verbindung A hat dieselbe relative Konfiguration wie eine Verbindung B, wenn sich A ohne Inversion seiner Asymmetrie-Zentren in B umwandeln läßt. So gelingt die Umwandlung der (/)Weinsäure in (+)-Glyceraldehyd [(+)-Glycerinaldehyd] über eine Folge sterisch einheitlich verlaufender chemischer Reaktionen, bei denen keine der Bindungen am asymmetrischen C-Atom C-2 gebrochen und neu geknüpft wird. Somit besitzt (+)-Glyceraldehyd die gleiche relative Konfiguration wie (/)-Weinsäure an C-2. COOH H C OH HO C H COOH L-(+)-Weinsäure
COOH CH=O HO C H CH2OH L-(/)-Glycerinaldehyd = (S)-(/)-Glyceraldehyd
HO C H H C OH COOH D-(/)-Weinsäure
CH=O H C OH CH2OH D-(+)-Glycerinaldehyd = (R)-(+)-Glyceraldehyd
Als Spiegelbilder dieser Enantiomeren besitzen rechtsdrehende Weinsäure und linksdrehender Glycerinaldehyd entgegengesetzte absolute Konfigurationen.
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17.5 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren
245
17.5 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren 17.5.1
Zwei verschiedene asymmetrische C-Atome
Moleküle mit zwei Asymmetrie-Zentren wie 3-Brom-2-butanol bilden vier (22 = 4) Stereoisomere a-d. Aus den Projektionsformeln ergeben sich nach Abb. 17.3 die absoluten Konfigurationen. In Isomer a nehmen z. B. die Prioritäten der Substituenten an beiden asymmetrischen C-Atomen in einer Linksfolge ab, so daß es sich bei a um (2S,3S)-3-Brom-2-butanol handelt: C-1
CH3
C-2
H C OH
C-3 C-4
Br
C H
CH3 a (2S,3S)
CH 3 HO C H
CH 3
CH 3
H C OH
H C Br
H C Br
CH 3 b (2R,3R)
CH 3 c (2S,3R)
HO C H Br
C H
CH 3 d (2R,3S)
Bei Aminosäuren und Kohlenhydraten wird die traditionelle FISCHER-Konvention bevorzugt. Kohlenhydrate mit mehreren Asymmetriezentren ordnet man je nach Konfiguration des am höchsten bezifferten und der CH2OH-Gruppe am nächsten liegenden asymmetrischen C-Atoms der DReihe (OH nach rechts) oder der L-Reihe (OH nach links) zu. Glyceraldehyd (Abschn. 17.4) sowie die Aldotetrosen Threose und Erythrose sind einfache Beispiele hierzu: Threose CH=O HO C H H C OH CH2OH FISCHER (D,L) CIP (R,S)
a D (2S,3R)
Erythrose
C-1
CH=O
CH=O
H C OH
H C OH
HO C H
C-2
H C OH
HO C H
C-3
HO C H CH2OH b L (2R,3S)
CH2OH c D (2R,3R)
CH=O
CH 2OH d L (2S,3S)
C-4 Konfiguration an C-3
Die Aldotetrosen a und b sowie c und d sind jeweils ein Enantiomeren-Paar, das man als threoDL-Paar bezeichnet, da jedes Paar für sich eine Bild-Spiegelbild-Beziehung aufweist. In einem Enantiomer mit mehreren Asymmetrie-Zentren sind die Konfigurationen aller asymmetrischer CAtome gegenüber dem Gegen-Enantiomer invertiert. Jede der vier Aldotetrosen ist optisch aktiv. Eine äquimolare Mischung von a und b bzw. c und d ist racemisch und optisch inaktiv. Dabei unterscheiden sich die beiden Racemate durch ihre relative Konfiguration (threo- und erythro-) und zeigen daher verschiedene Schmelzpunkte. Die Konfigurationsbeziehung zwischen den Isomeren a und c (b und d) ist diastereomer, da a und c (b und d) Inversionsisomere ohne Bild-Spiegelbild-Beziehung sind. Auch die Isomeren a und d, b und c sowie b und d sind Diastereomere. Zwei Diastereomere weisen die gleiche Konfiguration an mindestens einem Asymmetriezentrum und zusätzlich die umgekehrte Konfiguration an mindestens einem weiteren Asymmetriezentrum auf. Somit sind Diastereomere verschiedene Verbindungen mit unterschiedlichen physikalischen und ähnlichen chemischen Eigenschaften. Eine äquimolare Mischung zweier Diastereomerer ist kein Racemat. Allgemein werden Stereoisomere als Diastereomere bezeichnet, wenn sie keine Enantiomere sind. Alle Isomere mit zwei und mehr asymmetrischen C-Atomen, die sich durch ihre relative Konfiguration unterscheiden, sind somit auch Diastereomere.
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246
17 Chiralität
Für Moleküle mit n verschiedenen asymmetrischen C-Atomen existieren 2n Stereoisomere und 2n/2 Enantiomerenpaare. Aldotetrosen mit zwei asymmetrischen C-Atomen (n=2) bilden somit wie gezeigt vier Stereoisomere, die zwei Enantiomerenpaare sind.
17.5.2
Zwei gleiche asymmetrische C-Atome
Verbindungen mit zwei identischen Asymmetriezentren existieren in zwei Enantiomeren, (RR) und (SS), sowie einer meso-Form, (RS) und (SR) (meso von griech. oguqu = Mitte). MesoIsomere (RS) und (SR) lassen sich aus Symmetriegründen zur Deckung bringen und sind daher keine Enantiomere. Sie unterscheiden sich also sowohl vom (RR)- und (SS)-Enantiomer als auch vom Racemat (RS). Ein Beispiel sind die verschiedenen Weinsäuren in Tab. 17.1. CO2H
CO2H
H C OH
HO C H
HO C H
H C OH
CO2H
(2R,3R)L-(+)-Weinsäure
CO2H
HO C H
H C OH
HO C H
CO2H
(2S,3S)D-(/)-Weinsäure
CO2H
H C OH CO2H
CO2H
(2R,3S)(2S,3R)meso-Weinsäure
Tab.17.1. Physikalische Eigenschaften der Weinsäuren spez. Drehwert [c] 20 (c = 17.4 in H 2O) D
Schmelzpunkt [°C]
Dichte bei 20 °C [ g/mL]
Löslichkeit [ g/100 g H2O ]
/ 12.7 + 12.7 0 0
171-174 171-174 206 146
1.7598 1.7598 1.788 1.666
139 139 20.6 125
D-Enantiomer L-Enantiomer DL-Verbindung (Racemat) meso-Isomer
Keilstrich- und NEWMAN-Projektionen der konfigurationsisomeren Weinsäuren illustrieren in Abb. 17.4), daß die Konformere der meso-Weinsäuren im Gegensatz zu denen der Enantiomeren zur Deckung gebracht werden können. 2,4-Dibrom-3-methylpentan besitzt eine ungerade Zahl asymmetrischer C-Atome. Von den drei Asymmetriezentren sind zwei identisch. Daher gibt es zwei meso-Formen (c und d) sowie zwei Enantiomere (a und b); dabei sind die Paare a/c, a/d, b/c, b/d und c/d jeweils Diastereomere. Diastereomere nennt man epimer (Epimere), wenn sie sich in der absoluten Konfiguration nur eines asymmetrischen C-Atoms unterscheiden. So sind a und c Epimere, nicht jedoch b und c. CH 3 H C Br H C CH 3 Br
C H CH 3
a aktiv Enantiomer
CH 3 Br
C H
H 3C C H H C Br CH 3
b aktiv Enantiomer
CH 3
CH 3 H C Br H C CH 3 H C Br
Br
C H
H 3C C H Br
C H
CH 3
CH 3
c inaktiv meso-
d inaktiv meso-
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17.5 Verbindungen mit mehreren Asymmetriezentren
247
OH H
OH OH
HO2C
HO
H CO2H
HO2C
OH CO2H
HO2C
H
HO2C
H H
H
OH
L-(+)-Weinsäure HO2C H HO
C
C
HO2C H HO
OH
OH
H HO
CO2H H
C
HO2C
H
D-(/)-Weinsäure
CO2H
H HO
CO2H C
C
HO2C
C
H
CO2H CO2H
HO2C H
C
H OH
HO2C
OH
H
CO2H
H
HO2C
H
HO2C
OH CO2H
CO2H CO2H OH
OH
CO2H OH
HO2C
H
OH
C
OH
OH CO2H
OH CO2H
H
H HO
H
OH
C
H
OH H
HO2C
HO2C
OH CO2H
OH HO
H
C
H HO
C
H C
H
OH
H
H
meso-Weinsäure HO2C H HO
C
C
OH H
HO2C H HO
CO2H
H C
C
HO2C
CO2H
H HO
OH
C
C
CO2H H OH
Abb. 17.4. Konformere der drei Weinsäuren
17.5.3
Enantiomere Cycloalkane
Enthalten Cycloalkane zwei identische asymmetrische C-Atome, so bilden die cis-Isomeren mesoFormen, die trans-Isomeren dagegen Enantiomere, wie Abb. 17.5 (S. 248) für 1,2-disubstituierte Cycloalkane sowie für 1,3-disubstituierte Cyclohexane klar macht. Unterscheiden sich die beiden asymmetrischen C-Atome, so gibt es stets cis- und trans-Isomere, die ihrerseits je als ein Paar von Enantiomeren existieren. Beispiele sind die Isomeren des 1-Brom2-methylcyclopropans: H 3C H
H
Br
Br
H
H
H
H H
cis-Isomere Enantiomere
CH 3 H
Br H
H H
H CH 3
H H3C
H H
Br H
trans-Isomere Enantiomere
1,3-disubstituierte Cyclobutane und 1,4-disubstituierte Cyclohexane enthalten aus Gründen der Molekülsymmetrie keine asymmetrischen C-Atome und bilden daher nur cis-trans-Isomere.
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248
17 Chiralität
cis-
trans-
(S,R)
(R,S)
(R,R)
(S,S)
X 1,2-disubstituiertes Cyclopropan
X
X
X
X
X
X
X
X 1,2-disubstituiertes Cyclobutan
X
X
X
X
X X
1,2-disubstituiertes Cyclopentan
X
X
X X
X
X X
X
X
1,2-disubstituiertes Cyclohexan
X
X X
X
X
X
X 1,3-disubstituiertes Cyclohexan
X
X
X
X
X
X X
meso-Formen
X
Enantiomere
X
Abb. 17.5. Meso-Formen und Enantiomere einiger disubstituierter Cycloalkane
17.6 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome 17.6.1
Asymmetrische Heteroatome
Anstelle eines asymmetrischen C-Atoms kann ein asymmetrisches Heteroatom treten. Beispiele hierzu sind Silane und Tetraalkylammonium-Salze mit je vier, Amin-N-oxide und SulfoniumSalze mit je drei verschiedenen Alkyl- oder Aryl-Resten: C6H 5 N
H3C O C 3H7 Methylphenyl-i-propylamin- N-oxid
H Si H3C C 6H5
S
H3C C6H 5 C 3H 7 Methylphenyl-i-propylsulfonium-Ion
Methyl-d-naphthylphenylsilan
Auch tertiäre Amine mit drei verschiedenen Substituenten bilden Enantiomere. Die Enantiomeren der TRÖGER-Basen mit zwei identischen asymmetrischen N-Atomen lassen sich mit diversen Methoden trennen. N enantiomere TRÖGER-Basen (R = CH3 , OCH3 )
R
N N
N
R
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17.6 Enantiomere ohne asymmetrische C-Atome
249
Ein asymmetrisches C- oder Heteroatom ist eine, aber nicht die einzig mögliche Ursache der Chiralität (Dissymmetrie). Alle Moleküle, die weder Symmetrieebenen, Symmetriezentren noch Drehspiegelachsen besitzen, sind chiral (dissymmetrisch). Fehlen zudem noch Symmetrieachsen Cn, so sind die Moleküle asymmetrisch (ohne Symmetrie). So gibt es viele Verbindungen, die, obwohl sie keine Asymmetriezentren besitzen, doch optisch aktive Enantiomere bilden. Hexachlor- sowie Hexahydroxycyclohexan (Inosit) enthalten zwar keine asymmetrischen C-Atome; jedoch gibt es von beiden Verbindungen Konfigurationsisomere, die als Enantiomerenpaare existieren.
17.6.2
Axiale Chiralität
Axiale Chiralität kann in Verbindungen auftreten, die "gestreckte" Tetraeder bilden. Die Strekkung wird z. B. in Allenen durch eine gerade Anzahl kumulierter Doppelbindungen realisiert; mit ungerader Anzahl kumulierter Doppelbindungen gibt es dagegen (E,Z)-Isomere. Spirocyclen sind bei geeigneter Substitution ebenfalls axial chiral. Br
Br H
Br H3C
H
H3C
CH 3
Br C C C CH3 Br
C C C Br
2,4-Dibrom-2,3-pentadien
Br
Br H
H 3,3'-Dibromspiro[3,3]heptan
Axial chiral sind ferner Biaryl-Derivate, in denen sperrige o,o'-ständige Substituenten die Rotation der Aryl-Ringe sterisch so behindern, daß sie orthogonal oder zumindest verdrillt stehen bleiben. Diesen Fall axialer Chiralität bezeichnet man als Atropisomerie. Enantiomere (Atropisomere) des 2,2'-Dibrom-6,6'-dimethylbiphenyls und 2,2'-Dihydroxybinaphthyls können z. B. getrennt werden.
H 3C H3C
Br Br
Br Br
CH3 CH3
2,2'-Dibrom-6,6'-dimethylbiphenyl
17.6.3
OH OH
HO HO
2,2'-Dihydroxybinaphthyl
Planare Chiralität und Helicität
Andere Beispiele von Enantiomeren ohne tetraedrische Asymmetriezentren sind 2,2'-Dialkyl-pcyclophane (planare Chiralität) und die Helicene wie Hexahelicen, deren Benzen-Ringe in Linksund Rechtsschrauben-Form (helical) anelliert sind (helicale Chiralität, Helicität)).
R R 2,2'-Dialkyl-p-cyclophan
Hexahelicen
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250
17 Chiralität
17.7 Racemat-Trennungen Die Trennung einer optisch inaktiven racemischen Mischung in zwei optisch aktive Enantiomere ist schwierig, weil die chemischen und physikalischen Eigenschaften von Enantiomeren identisch sind mit Ausnahme ihres Verhaltens gegenüber polarisiertem Licht (chiroptische Eigenschaften) und anderen chiralen Molekülen.
17.7.1
Die klassische Methode von PASTEUR
L. PASTEUR fand 1848, daß das Natrium-Ammonium-Salz der racemischen Weinsäure zweierlei asymmetrische Kristalle bildet, die sich wie Bild und Spiegelbild unterscheiden. Nach manuellem Sortieren dieser spiegelbildlichen (enantiomorphen) Kristalle im Mikroskop zeigten die wäßrigen Lösungen der beiden Kristallformen spezifische Drehungen der Ebene linear polarisierten Lichts um den gleichem Betrag, aber mit entgegengesetztem Vorzeichen. Eine Mischung gleicher Anteile beider Lösungen führte zum Verlust der optischen Aktivität. Diese von PASTEUR benutzte mechanische Trennung konnte nur in wenigen anderen Fällen verifiziert werden. Die Lösung eines Racemats kristallisiert höchst selten spontan als Mischung enantiomorpher Kristalle aus. Häufiger, auch technisch, gelingt dagegen die Auskristallisation eines Enantiomers aus übersättigten Lösungen durch Animpfen mit seinen Kristallen.
17.7.2
Trennung nach Bildung von Diastereomeren
Eine allgemein anwendbare Methode der Racematspaltung ist die Überführung der Enantiomeren in Diastereomere sowie deren Trennung und Reinigung durch fraktionierte Kristallisation oder Chromatographie. Anschließende Spaltung der getrennten und gereinigten Diastereomeren liefert die Enantiomere in optisch reiner Form. Die Trennung einer racemischen Säure, einer racemischen Base und eines racemischen Alkohols illustrieren die Methodik. Trennung racemischer Säuren Racemische Säuren wie (±)-Milchsäure (= DL-Milchsäure), lassen sich mit einer enantiomerenreinen (optisch aktiven) Base, z. B. mit den toxischen Alkaloiden (/)-Brucin oder (/)-Strychnin aus dem Brechnußbaum sowie (/)-Chinin oder (/)-Cinchonidin aus der Chinarinde, in zwei diastereomere Salze "(+,/)" und "(/,/)" überführen; aufgrund ihrer unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften (Löslichkeit, Schmelzpunkte) können die diastereomeren Salze getrennt werden. Saure Hydrolyse der getrennten Salze gibt die enantiomeren Milchsäuren (Abb. 17.6).
HO
H
H
H
R N
R
N H
R N
N R = OCH3 : (/) - Chinin R = H : (/) - Cinchonidin
H
H
O H R = H : (/) - Strychnin R = OCH3 : (/) - Brucin O
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17.7 Racemat-Trennungen
251
Liefert die erste Trennung noch keine enantiomerenreinen Produkte, wird eine zweite Trennung mit einer anderen Base nachgeschaltet. Den verwendeten natürlich vorkommenden enantiomerenreinen Alkaloiden gemeinsam ist ein im starren Ringsystem inversionsfreies asymmetrisches Stickstoff-Atom, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein Benzen-Ring und asymmetrische C-Atome befinden.
CO2H
Enantiomere gemischt
CO2H
HO C H
H C OH
CH3 CH 3 L-(+)-Milchsäure D-(/)-Milchsäure Racemat in Wasser gelöst Zugabe von (/)-Brucin-Lösung diastereomere Salze Trennung durch fraktionierte Kristallisation
Diastereomere gemischt
CO2
CO2
[(/)-Brucin/H] Diastereomere getrennt
CH 3
CH3 / [( /)-Brucin/H]+ Cl
Enantiomere getrennt
/
[(/)-Brucin/H]
H C OH
HO C H
+ HCl
+ HCl
CO2H
/ [( /)-Brucin/H]+ Cl
/
CO2H
HO C H
H C OH
CH3 enantiomerenreine L-(+)-Milchsäure (S)-(+)-2-Hydroxypropansäure
CH 3 enantiomerenreine D-(/)-Milchsäure (R)-(/)-2-Hydroxypropansäure
Abb. 17.6. Trennung racemischer Säuren mit einer enantiomerenreinen Base über diastereomere Salze
Trennung racemischer Basen Umgekehrt gelingt die Trennung racemischer Basen durch Bildung diastereomerer Salze mit enantiomerenreinen Säuren. Bewährte und in ausreichender optischer Reinheit zugängliche Säuren sind z. B. (/)-Äpfelsäure, (/)-Mandelsäure, (+)-Weinsäure, (+)-Campher-10-sulfonsäure und (+)3-Bromcampher-10-sulfonsäure. ̈
D-Base L-Base Racemat
+ 2 D-Säure
D-Base/D-Säure L-Base/D-Säure Gemisch diastereomerer Salze
Trennung
D-Base/D-Säure L-Base/D-Säure
getrennte diastereomere Salze
+ HCl + HCl
D-Base/HCl +"""D-Säure L-Base/HCl
+ D-Säure
getrennte enantiomere Basen (Hydrochloride)
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252
17 Chiralität
Racemische Alkohole können nach Veresterung zu diastereomeren Estern mit einer enantiomerenreinen Säure getrennt werden. Individuelle Verseifung der getrennten diastereomeren Ester ergibt optisch reine Alkohole, aus denen weitere chirale Verbindungen hergestellt werden können. L - R'
L - R'
+ Na OH
C O
D - R OH + 2 L- R/CO2H
/ 2 H2O
D -R
C O
O
D -R
Trennung
L - R'
O
L - R'
C O
L - R OH L-R
racemischer Alkohol
/ L-R/CO2 Na
+ Na OH
C O L-R
O
Gemisch diastereomerer Ester
/ L-R/CO2 Na
O
getrennte diastereomere Ester
D - R OH
L - R OH
getrennte enantiomere Alkohole
Alternativ werden racemische Alkohole mit Phthalsäureanhydrid zu racemischen Phthalsäurehalbestern derivatisiert und letztere mit enantiomerenreinen Basen (s. o.) zu den trennbaren diastereomeren Salzen umgesetzt. D-R
O
+ H2O / (/)-Brucin / Phthalsäure
C O DL - R
O DL - R OH
C O
O
+
O AlkoholRacemat
O
Phthalsäureanhydrid
1.) + (/)-Brucin 2.) Trennung
CO2H
D - R OH
CO2 [(/)-Brucin/H] L-R
O + H2O / (/)-Brucin / Phthalsäure
C O
racemischer Phthalsäurehalbester
CO2 [(/)-Brucin/H] getrennte diastereomere Phthalsäurehalbester-( /)-Brucin-Salze
L - R OH
getrennte enantiomere Alkohole
Ähnliche Verfahren gestatten die Trennung racemischer Aldehyde und Ketone, z. B. mit Hilfe enantiomerenreiner Hydrazine über diastereomere Hydrazone.
17.7.3
Enzymatische Racemat-Trennungen
Bestimmte Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilze) und vor allem Enzyme verhalten sich oft unterschiedlich und spezifisch gegenüber Enantiomeren. Acetylierte DL-c-Aminosäuren, auch synthetische mit nicht in der Natur vorkommenden Seitenketten, werden z. B. durch das aus Schweinenieren gewonnene Enzym Nierenacylase getrennt. Nierenacylase spaltet N-Acetyl-Laminosäuren bedeutend schneller als die D-Enantiomeren. Aus dem Gemisch wird die noch acetylierte D-Aminosäure durch Extraktion mit einem organischen Lösemittel von der freien, in der Wasserphase verbleibenden L-Aminosäure abgetrennt. CO2 CH NH 3 CH3 DL-Alanin (Racemat)
CO2H H Acylase, + H2O CH N / CH3/CO2H CH 3 C CH3 O N-Acetyl-DL-alanin (Racemat)
CO2 H3N C H CH3 L-Alanin
CO2H +
H C NHCOCH3 CH3 N-Acetyl-D-alanin
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17.8 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie
17.7.4
253
Chromatographische Racemat-Trennungen
Chromatographische Trennverfahren basieren auf der selektiven und reversiblen Adsorption der Enantiomeren an chiralen Adsorbentien, die als stationäre Phasen in der Flüssigkeits- oder Gaschromatographie eingesetzt werden. Unter optimierten Bedingungen tritt ein Enantiomer weniger stark in diastereomere Wechselwirkung mit der stationären Phase und wird somit zuerst eluiert. Die flüssigkeitschromatographische Trennung vieler chiraler Wirkstoffe gelingt in präparativem Maßstab auf Säulen, die mit modifizierten Cyclodextrinen (Abschn. 39.8.2) als chiralen Phasen belegt sind. Gaschromatographisch läßt sich an chiralen Phasen auch die absolute Konfiguration und das Enantiomerenverhältnis chiraler Alkohole, Amine, Aminoalkohole und Aminosäureester nach Trifluoracetylierung bestimmen (chirale GC). Manche Racemate lassen sich durch Säulenchromatographie trennen, wobei die Säulen mit Polymeren gepackt werden, an die Enzyme kovalent gebunden sind.
17.8 Prochiralität, Enantiotopie und Diastereotopie 17.8.1
Prochiralität am tetraedrischen C
Ein tetraedrisches C-Atom mit drei verschiedenen Substituenten a, b und c ist nicht asymmetrisch; es wird als prochiral bezeichnet. Wandelt sich einer der beiden identischen Substituenten a in d um, so entsteht aus dem prochiralen ein asymmetrisches C-Atom: b
b
a C a
a C d c asymmetrisch (chiral)
c prochiral
Die Bezeichnung zweier Substituenten am prochiralen C-Atom, z. B. der H-Atome an der prochiralen Methylen-Gruppe des Ethanols, ist nach den CAHN-INGOLD-PRELOG-Regeln pro-R bzw. pro-S. Dabei werden die beiden H-Atome als H' und H" markiert, wobei H' willkürlich die höhere Priorität erhält. OH H'
C H'' CH 3
H' > H''
H3C
OH
OH
HS C HR
C
H''
CH 3
H' OH > CH3 > H' : (S)
H' ist also pro-S oder HS
Die beiden H-Atome am prochiralen C des Ethanols, allgemein zwei Gruppen X in R1/CX2/R2, unterscheiden sich durch ihre topographische Lage im Molekül (Topie, Topizität). Die Umgebung des oberen (vorderen) H-Atoms ist im Vergleich zu der des unteren (hinteren) enantiomer. Daher nennt man die identischen Substitutenten eines prochiralen C-Atoms auch enantiotop. CH3
H enantiotope Methylen-H-Atome des Ethanols
HO H3C
C H
C
H O H H3C
C
H
diastereotope Methylen-H-Atome des Acetaldehyddiethylacetals
OC2H 5
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254
17 Chiralität
Enantiotope Gruppen wie die H-Atome des prochiralen Methylen-Fragments in Ethanol können mit den meisten physikalischen Meßmethoden nicht unterschieden werden. Befindet sich die prochirale Gruppe /CX2/ jedoch in der Nähe eines (von X aus gesehenen) asymmetrischen C-Atoms, so liegen die beiden identischen Substituenten X in verschiedender Umgebung; sie sind nicht mehr enantiotop, sondern diastereotop und daher mit physikalischen (spektroskopischen) Methoden unterscheidbar. Bekannte Beispiele sind die O-Methylen-H-Atome der Diethylacetale. Durch Reaktion einer prochiralen Verbindung mit einem chiralen Reagenz werden enantiotope Gruppen am prochiralen C-Atom stets diastereotop. Ein Beispiel ist Verknüpfung des N-Acetyl-2methylalanins (enantiotope Methyl-Gruppen) mit der enantiomerenreinen Aminosäure L-Alanin [(S)-2-Aminopropansäure] zum Dipeptid (diastereotope Methyl-Gruppen). Die Reaktion gelingt mit kondensierenden Reagenzien. enantiotope Methyl-Gruppen H3C O H 3C C C OH H3C C N H O
diastereotope Methyl-Gruppen H
+
N-Acetyl-2-methylalanin achiral
H 3C O H H3C C C CH3 N C H 3C C N CO2CH 3 H H O
/ H2O
CH3 H2N C CO2CH3 L-Alaninmethylester chiral
N-Acetyl-2-methylalanyl-L-alaninmethylester chiral
Als homotop (ununterscheidbar) bezeichnet man zwei Substituenten, wenn sie durch Drehung um eine Cn-Achse zur Deckung gebracht werden können. Homotop sind z. B. die Wasserstoff- und Chlor-Atome in (Z)- und (E)-1,2-Dihalogenalkenen. Cl
Cl C C H H
17.8.2
homotope H- und Cl-Atome des (Z)-1,2-Dichlorethens
Prochiralität am trigonalen C
Auch die trigonale Carbonyl-Gruppe in Aldehyden oder unsymmetrischen Ketonen ist prochiral. Entsprechend sind die beiden Seiten der Carbonyl-Bindungsebene nicht identisch; man nennt sie enantiofacial. Zur Unterscheidung blickt man auf die Ebene der Carbonyl-Gruppe und ordnet die Priorität der Substituenten nach den CAHN-INGOLD-PRELOG-Regeln. Sinkt die Priorität im Uhrzeigersinn, so blickt man auf die Re-Seite; eine Abnahme im Gegenuhrzeigersinn kennzeichnet die Si-Seite: O
OH
OH
+ H: H
C
M
+ :H C
Re
M
E (S)-2-Butanol
Si
C
M
H
E (R)-2-Butanol
E E = C 2H5 ; M = CH3
Enantiomerenreine Reagenzien unterscheiden Re- und Si-Seite. So gelingt die Reduktion des Butanons mit einem enantiomeren komplexen Metallhydrid zum (R)-2-Butanol, wenn das Hydrid von der Si-Seite an die Carbonyl-Gruppe addiert.
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17.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
255
17.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen 17.9.1
Inversion, Retention und Racemisierung
Inversion Hat eine Reaktion an einem Asymmetrie-Zentrum den Konfigurationswechsel dieses Atoms zur Folge (R zu S, S zu R oder R,S zu S,R), so spricht man von Inversion. Eine Inversion muß nicht notwendigerweise das Vorzeichen der spezifischen Drehung umkehren, da (R)-Konfiguration nicht rechtsdrehend und (S)-Konfiguration nicht linksdrehend bedeutet. Eine bekannte Inversion ist die WALDEN-Umkehr bei nucleophilen Substitutionen, die nach dem SN2-Mechanismus ablaufen. Die Beobachtung der WALDEN-Umkehr bei nucleophilen Substitutionen an enantiomerenreinen Substraten ist somit ein experimenteller Hinweis auf den SN2Mechanismus. So läßt sich z. B. linksdrehendes enantiomerenreines (R)-(/)-2-Bromoctan unter vollständiger Inversion (SN2) am asymmetrischen Kohlenstoff mit konzentrierter Natronlauge in rechtsdrehendes, enantiomerenreines (S)-(+)-2-Octanol überführen: ̈
C6H 13 (R)-(/)-2-Bromoctan [a]D = / 36°
C
H
/
+ OH , / Br
/
C 6H13
SN2
CH3
H3C
Br
(S)-(+)-2-Octanol [a]D = + 10.3°
C
H OH
Retention Vollzieht sich eine Reaktion ohne Konfigurationsumkehr der Asymmetriezentren (R bleibt R, S bleibt S und RS bleibt RS), also unter Erhaltung der absoluten Konfiguration (stereokonservative Reaktion), so spricht man von Retention. Die Derivatisierung des 1-Phenyl-2-propanols zum Tosylat verläuft z. B. unter Retention; dagegen führt die anschließende Substitution des Tosylat-Anions durch Acetat nach SN2 zur vollständigen Inversion, die Hydrolyse des Acetats (Essigsäureesters) erneut zur Retention (Abb. 17.7). ̈
CH 3 CH2 C O H H
SO2Cl , / HCl
+ H3C
keine Inversion, C/O-Bindung bleibt intakt
[c]D = + 33.2° optische Reinheit : 98 %
CH 3
O
CH 2 C O S
CH 3
O
H
[c]D = + 31.1° enantiomerenrein SN2 , vollständige Inversion C-O-Bindung wird gespalten
+ CH3/CO2
/
/ H3C
SO3
/
O OH CH2 C CH3 H [c]D = / 32.2° enantiomerenrein
/
+ OH ", / CH3/CO2
/
keine Inversion, C/O-Bindung bleibt intakt
O
C
CH3
CH 2 C CH 3 H [c]D = / 7.1° enantiomerenrein
Abb. 17.7. Nucleophile Substitutionen des 1-Phenyl-2-propanols mit bzw. ohne Konfigurationsumkehr
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256
17 Chiralität
Racemisierung Bei einer Racemisierung führt die chemische Reaktion einer enantiomerenreinen Verbindung zu einem racemischen Gemisch (R wird R,S ; S wird R,S). Mit Racemisierungen ist zu rechnen, wenn enantiomerenreine Verbindungen in Reaktionen verwickelt werden, die unter intermediärer Bildung von Carbenium-Ionen, Carbanionen oder Radikalen an asymmetrischen C-Atomen ablaufen. Je langlebiger das intermediär auftretende Carbenium-Ion ist, desto wahrscheinlicher wird eine vollständige Racemisierung enantiomerenreiner Substrate. SN1-Reaktionen sind deshalb im Gegensatz zu SN2-Reaktionen nicht stereospezifisch. So verläuft die Hydrolyse des enantiomerenreinen c-Chlorethylbenzens über das mesomeriestabilisierte (relativ langlebige) c-PhenylethylKation in wäßrigem Ethanol unter vollständiger Racemisierung: CH 3
CH 3
60 % C2H5OH / H2O , SN1
C Cl
C OH
H
CH3 sowie HO C
H
enantiomerenreines (R)-c-Chlorethylbenzen
H
Produktverhältnis 1 : 1 vollständige Racemisierung : [c]D = 0°
Weniger stabile (relativ kurzlebige) Carbenium-Ionen werden durch die austretende Gruppe etwas abgeschirmt, so daß ein Angriff des Nucleophils von der Rückseite wahrscheinlicher wird; anstelle vollständiger Racemisierung wird dann teilweise Inversion beobachtet wie bei der Hydrolyse des enantiomerenreinen (R)-3-Chlor-3,7-dimethyloctans: CH 3 (H 3C)2CH
CH 3
60 % C2H5OH / H2O , SN1
(H 3C)2CH
(CH 2)3 C C 2H 5
OH
(CH 2)3 C C2H5 sowie (H 3C)2CH
Cl
(CH 2)3 C C 2H 5
OH
(R)-3-Chlor-3,7-dimethyloctan enantiomerenrein
CH 3
(R)- und (S)-3,7-Dimethyloctan-3-ol Produktmischung geringer Enantiomeren-Reinheit (Inversion und etwa 75 % Racemisierung)
Bei Substitutionen an asymmetrischen Atomen chiraler Moleküle kann man durch Bestimmung der enantiomeren Reinheit (chirale GC oder Drehwertmessungen) und der Reaktionsordnung (kinetische Messungen) Rückschlüsse auf den Mechanismus ziehen. Zum Studium einfacher Austauschraten läßt sich die radioaktive Markierung, beispielsweise mit radioaktivem Iod, heranziehen, wie die unter vollständiger Inversion verlaufende SN2-Reaktion am 2-Iodbutan zeigt: CH3
H3C I* """"""""-
H H5C 2
C
I
I*
C
H C 2H5
+
I
Die beobachtete Racemisierungsgeschwindigkeit des 2-Iodbutans ist doppelt so groß wie die Einbaurate des radioaktiven Iods, da z. B. 100 Moleküle des (R)-2-Iodbutans vollständig racemisiert sind, wenn davon 50 durch SN2-Reaktion in Moleküle der (S)-Konfiguration übergeführt sind.
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17.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
17.9.2
257
Stereoselektivität, Stereospezifität
Reaktionen, bei denen nicht asymmetrische Moleküle in Stereoisomere übergeführt werden, die statistisch gesehen in gleicher Anzahl gebildet werden, werden als nicht stereoselektiv bezeichnet. Man beobachtet dies normalerweise bei Reaktionen über freie Radikale. Dagegen ist eine Reaktion stereoselektiv, wenn sie vorwiegend oder ausschließlich ein Stereoisomer liefert. Beispiele sind cis-Hydrierungen von Alkinen, trans-Hydrierungen der Alkine mit Natrium in flüssigem Ammoniak sowie trans-Eliminierungen (E2) von Halogenalkanen. Stereospezifisch ist eine Reaktion, die ein stereochemisch einheitliches Edukt in ein stereochemisch einheitliches Produkt umwandelt. Beispiele sind die elektrophile Addition von Brom an Cycloalkene (mit cis-Konfiguration an der Doppelbindung) zu trans-1,2-Dibromcycloalkanen, die WALDEN-Inversion der SN2-Reaktion, sowie die Dihydroxylierungen von Cycloalkenen mit Osmiumtetroxid oder Peroxiden. Stereospezifisch in Bezug auf die Konfigurationen von Dien und Dienophil sind auch DIELS-ALDER-Reaktionen.
17.9.3
Asymmetrische (enantioselektive) Synthesen
Chirogene Reaktionen, bei denen ein achirales Edukt in ein chirales Produkt mit einem asymmetrischen C-Atom übergeht, führen normalerweise zum Racemat. Lithiumaluminiumhydrid reduziert 2-Butanon zu racemischem 2-Butanol (Abschn. 17.8.2), weil das Hydrid-Anion mit gleicher Wahrscheinlichkeit von der Re- und der Si-Seite der Carbonyl-Funktion angreifen kann. Reduziert man jedoch 2-Butanon mit LiAlH4, das durch einen chiralen Liganden komplexiert wird, so entsteht ein Enantiomer im Überschuß; die Reaktion wird enantioselektiv. Die Qualität einer enantioselektiven Reaktion wird durch den Enantiomeren-Überschuß (enantiomeric excess, e.e.) beurteilt: Enantiomeren-Überschuß
e.e. = % R / % S =
[R] / [S] [R] - [S]
100 [%]
Substituierte Alkene enthalten prochirale C-Atome und bieten den Reagenzien enantiofaciale Seiten. Die SHARPLESS-Epoxidation von Allylalkoholen mit t-Butylhydroperoxid in Gegenwart eines chiralen Hilfsreagenzes [(+)- oder (/)-Weinsäurediethylester, komplexiert durch Titantetra-ipropylat] ist ein Beispiel. Addition von der Si-Seite führt zum (S)-Oxiran; von der Re-Seite aus entsteht das (R)-Oxiran.
+ [O]
O H R (R)-Hydroxymethyloxiran
+ [O]
Re
Si
C H R
R = CH 2OH
O H R (S)-Hydroxymethyloxiran
Zunächst bildet Titantetra-i-propylat mit dem Weinsäureester-Enantiomer einen dimeren, chiralen Komplex. Anschließend substituieren t-Butylhydroperoxid und Allylalkohol die verbliebenen iPropylat-Liganden (1), so daß Titan(IV) geometrisch definiert sowohl den Allylalkohol als auch das epoxidierende Peroxid bindet, wobei es als LEWIS-Säure ein Peroxy-O-Atom komplexiert und dadurch das andere zum Elektrophil polarisiert (2). Das elektrophile Peroxy-O-Atom addiert dann an die CC-Doppelbindung (3); im Komplex entsteht dabei das Oxiran-Enantiomer, während das
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258
17 Chiralität
ehemalige, komplexierte Peroxy-O-Atom eine kovalente Bindung zum Titan(IV) knüpft (4). Die Aufarbeitung in Wasser (5) setzt t-Butylalkohol und das Oxiran-Enantiomer frei. O * Ti
O * O Ti O
(2)
O
O * O Ti O
(3)
O * O Ti O
(4)
O
(1)
O
(5)
/ 2 (CH3) 2CH/OH
+ (CH3) 3C/O/OH + H
OC 2H5 O
* OCH(CH 3)2 Ti OCH(CH 3)2
(H 3C)2CHO (H 3C)2CHO
Ti
O O
CO2C2H 5
OH
OCH(CH3)2 O Ti O OCH(CH3)2
O
O H5C 2O2C OC 2H5
Einige Aminosäuren werden z. B. durch enantioselektive Hydrierung von Acetylaminoacrylsäureestern mit Hilfe chiraler Katalysatoren hergestellt (enantioselektive Katalyse). Rhodium(I)-Chelate chiraler Diphosphinoethan-Liganden [Bauprinzip: (R)- oder (S)- R2P/CHR'/CH2/PR2] sind besonders effektive chirale Hydrierkatalysatoren (e.e.-Werte zwischen 90 und 99 %). CH 3 H
C
+ H2 (Kat.)
Y
CH 3
+ H2 (Kat.)
Re
C
Si
(S)-N-Acetylalaninmethylester
H
X (R)-N-Acetylalaninmethylester
X X = NHCOCH 3
C
Y
Y
X
Y = CO2CH 3
Bei der Synthese enantiomerenreiner Verbindungen (EPC-Synthese, EPC für enantiomeric pure compounds nach SEEBACH) haben sich gut zugängliche chirale Hilfsreagenzien (Auxiliare) bewährt, die man kovalent an ein achirales Edukt bindet. Durch die Verknüpfung des Edukts mit dem chiralen Auxiliar senkt sich die Aktivierungsenergie FEA zur Bildung eines der beiden Enantiomeren (Abb. 17.8). Epot FFEA
FEA(S)
FEA(R) Edukt/R* (R*: chirales Auxiliar)
(S)-Enantiomer
(R)-Enantiomer Reaktionskoordinate
Abb. 17.8. Energiediagramm einer auxiliar-gesteuerten asymmetrischen Synthese (Favorisierung des (R)Enantiomers)
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17.9 Stereo- und Enantioselektivität von Reaktionen
259
Ohne Auxiliar wäre die Aktivierungsenergie zur Bildung beider Enantiomeren gleich (FEA(R) = FEA(S) ), so daß ein Racemat entstünde. Streng genommen sind auxiliar-gesteuerte asymmetrische Synthesen diastereoselektiv. Im Falle eines Auxiliars mit (R)-Konfiguration beträgt der Diasteromerenüberschuß [RR] / [SR]
Diastereomeren-Überschuß d.e. = % RR / % SR = bei (R)-Konfiguration des Auxiliars
[RR] - [SR]
100 [%]
.
Exemplarisch und besonders klar ist ein von TROST gefundenes Prinzip zur auxiliar-gesteuerten asymmetrischen DIELS-ALDER-Reaktion. Chirales Hilfreagenz ist (R)- oder (S)-O-Methylmandelsäure; durch Einbau des (R)-Methylmandeloxy-Restes in 1,3-Butadien entsteht ein "chirales" Dien, in dem die Re-Seite sterisch und durch charge-transfer-Wechselwirkung von Phenyl-Rest und Dien vor der Addition eines Dienophils geschützt wird (Seitendifferenzierung). Das Dienophil addiert dann bevorzugt von der Si-Seite. Mit Acrolein als Dienophil ensteht (3S,4S)-3-Alkoxycyclohexen-4-aldehyd. Da das Primärprodukt die chirale Hilfsgruppe mit (R)-Konfiguration noch enthält, ist die Reaktion diastereoselektiv; der erzielte Diastereomerenüberschuß beträgt d.e. = % SSR / % RRR = 64 % .
H
C
O OR* (3S,4S)3-Alkoxycyclohexen-4-aldehyd 64 % d.e.
+
H C
+ Si
O
H C
Re
O C
O Acrolein
C
H OCH 3
C
H
OR* O (3R,4R)-
O (R)-1-O-Methylmandeloxy-1,3-butadien
Ein gutes Auxiliar erzielt gute chemische Ausbeuten, hohe Diastereomerenüberschüsse, läßt sich unter möglichst milden Bedingungen abspalten und zur weiteren Verwendung zurückgewinnen. Die stereochemische Kontrolle der Ausbildung weiterer asymmetrischer Zentren durch sterische und elektronische Faktoren bereits vorhandener Asymmetrie-Zentren ist von grundlegender Bedeutung bei Biosynthesen. So werden die Proteine ausschließlich aus L-Aminosäuren über stereospezifische biochemische Reaktionen aufgebaut. Pflanzen erzeugen bei der Photosynthese nur DGlucose, und nur diese wird im tierischen Organismus metabolisiert, nicht das L-Enantiomer.
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260
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18 Carbonsäuren und ihre Derivate 18.1 Nomenklatur der Carbonsäuren Die Carboxy-Gruppe (/COOH oder /CO2H) kennzeichnet Carbonsäuren mit den allgemeinen Formeln R/CO2H oder Ar/CO2H; dabei symbolisiert R eine gesättigte oder ungesättigte Alkyloder Cycloalkyl-Gruppe, Ar eine Aryl-Gruppe, z. B. Phenyl- oder Naphthyl-. Eine Di-, Tri-, Tetra- oder Polycarbonsäure enthält zwei, drei, vier oder noch mehr Carboxy-Funktionen. Die IUPAC-Bezeichnung einer Carbonsäure ergibt sich aus der längstmöglichen KohlenstoffKette einschließlich der Carboxy-Gruppe. Dabei fügt man die Endung "-säure" an die Bezeichnung des Alkans, Alkens oder Alkins, von welcher sich die Carbonsäure ableitet. Bei Dicarbonsäuren ist diese Endung "-disäure". Vom Hexan, trans-2-Hexen und 2-Hexin leitet man z. B. durch formalen Ersatz einer bzw. zweier CH3-Gruppen durch /CO2H folgende Mono- bzw. Dicarbonsäuren ab: H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CH3 n-Hexan
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CO2H Hexansäure (Capronsäure)
H 3C
HO2C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CO2H Hexandisäure (Adipinsäure)
HO2C
H C C CH 2 CH2 CH3 H (E)-2-Hexen
HO2C
H C C CH 2 CH2 CH3 H (E)-2-Hexen-1-säure
H3C C C CH 2 CH2 CH3 2-Hexin
H C C CH 2 CH2 CO2H H (E)-2-Hexendisäure
HO2C C C CH2 CH 2 CH 3 2-Hexin-1-säure
HO2C C C CH2 CH 2 CO2H 2-Hexindisäure
Die Stellung einer Alkyl-Seitenkette oder einer anderen funktionellen Gruppe wird unter Vorrang der Carboxy-Gruppe mit arabischen Ziffern bezeichnet, z. B.: 6
5
4
3
2
1
H3C CH2 CH 2 CH CH CO2H
2-Brom-3-methylhexansäure
CH 3 Br
Benzoide Arencarbonsäuren bezeichnet man als Benzoesäuren, z. B.: CO2H
Benzoesäure
CO2H HO 4-Hydroxybenzoesäure
Br
CO2H
HO 3-Brom-4-hydroxybenzoesäure
Gängige Trivialbezeichnungen vieler Carbonsäuren leiten sich von ihrer natürlichen Herkunft ab, wie Tab. 18.1 für einige Vertreter zeigt.
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18.1 Nomenklatur der Carbonsäuren
261
Tab. 18.1. Trivialbezeichnungen und natürliche Herkunft einiger Carbonsäuren Formel
Trivialname
natürliche Herkunft
Ameisensäure
Drüsensekret der Ameise
H 3C CO2H
Essigsäure
Essig
H3C CH2 CH 2 CO2H
Buttersäure
ranzige Butter
H CO2H
Valeriansäure
Baldrian (Valeriana officinalis)
Capronsäure
Ziegenfett [caper (lat.) die Ziege]
Salicylsäure
Weidenrinde [ salix (lat.) die Weide]
H3C CH2 CH2 CH 2 CO2H H 3C CH 2 CH2 CH2 CH 2 CO2H CO2H OH
Die Position einer weiteren funktionellen Gruppe oder einer Seitenkette wird im Trivialnamen durch griechische Buchstaben gekennzeichnet, wobei man bei dem der Carboxy-Gruppe benachbarten C-Atom mit c beginnt: g
f
i
d
c
H2N CH2 CH2 CH 2 CH 2 CH CO2H
c,g-Diaminocapronsäure (2,6-Diaminohexansäure)
NH2
Bei cycloaliphatischen, aromatischen oder heteroaromatischen Säuren setzt man üblicherweise die Endung "-carbonsäure" an die IUPAC-Bezeichnung des die Carboxy-Gruppe(n) tragenden Kohlenwasserstoff-Restes (Tab. 18.2). Die Anwesenheit mehrerer Carboxy-Gruppen wird durch die Vorsilben "di", "tri", "tetra"- usw. gekennzeichnet, ihre Stellung durch die kleinstmöglichen arabischen Ziffern. Bei Ring-Systemen mit definierter Bezifferung hat diese Vorrang (vgl. Naphthalen- und Pyridincarbonsäuren in Tab. 18.2) . Tab. 18.2. Nomenklatur cyclischer Carbonsäuren Stammverbindung
Monocarbonsäure
Dicarbonsäure
CO2H
Cyclobutan 8
Cyclobutancarbonsäure
1
CO2H
2
7
CO2H
CO2H cis-1,2-Cyclobutandicarbonsäure HO2C
CO2H
3
6 4
5
Naphthalen
Naphthalen-2-carbonsäure (2-Naphthoesäure)
2,6-Naphthalendicarbonsäure
1
N
2 3
4
Pyridin
N
N CO2H Pyridin-3-carbonsäure (Nicotinsäure)
CO2H CO2H
Pyridin-2,3-dicarbonsäure
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262
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Tab. 18.3. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Carbonsäuren Klasse
aliphatische gesättigte Monocarbonsäuren
aliphatische ungesättigte Monocarbonsäuren
Konstitutionsformel
Methan-
Ameisen-
H 3C CO2H
Ethan-
Essig-
CH 2 CO2H
Propan-
Propion-
H CO2H H 3C
unbegrenzt
17.7
118
unbegrenzt
1.7
/ 22
141
unbegrenzt
1.3
unbegrenzt
1.5
Butan-
Butter-
/ 6
144
H 3C
[CH 2] 3 CO2H
Pentan-
Valerian-
/ 34
187
3.7
1.6
H 3C
[CH 2] 4 CO2H
Hexan-
Capron-
205
1.0
1.4
H 3C
[CH 2] 6 CO2H
Octan-
Capryl-
/" 3 16
239
0.07
1.4
Propen-
Acryl-
12
140
unbegrenzt
5.6
(E)-2-Buten-
Croton-
71.5
189
(Z)-9Octadecen-
Öl-
16
--
unlöslich
H 2C CH CO2H H H 3C C C CO2H H
H 5C6
2.0
Phenylmethan-
Benzoe-
122
249
0.34
6.5
CO2H
2-Hydroxyphenylmethan-
Salicyl(o-Hydroxybenzoe-)
158
--
0.22
1.1
CH 2 CO2H
Phenylethan-
Phenylessig-
76
265
1.56
5.2
H C C H CO2H
(E)-3-Phenyl- trans-Zimtpropen-
135
300
löslich
3.65
Ethandi-
Oxal-
189
Zersetzung
9
5400
5.2
Propandi-
Malon-
136
Zersetzung
74
140
0.2
HO2C CO2H HO2C
8.3
CO2H
OH
aliphatische ungesättigte Dicarbonsäuren
100.5
8 16.6
[CH 2] 2 CO2H
Aren-Monocarbonsäuren
aliphatische gesättigte Dicarbonsäuren
Löslichkeit Dissoz. konst. g/100g H2O k1 x10/5 k2 x10/5
H 3C
C17H 33 CO2H
aliphatischaromatische Monocarbonsäuren
IUPAC-Name Trivialname Schmelzpunkt Siedepunkt ... -säure ... -säure °C °C (1011 mbar)
CH 2 CO2H
HO2C
[CH 2] 2 CO2H
Butandi-
Bernstein-
185
Zersetzung
6
6.4
0.23
HO2C
[CH 2] 3 CO2H
Pentandi-
Glutar-
98
Zersetzung
64
4.5
0.38
HO2C
[CH 2] 4 CO2H
Hexandi-
Adipin-
151
--
2
3.7
0.39
HO2C
[CH 2] 5 CO2H
Heptandi-
Pimelin-
105
--
5
3.1
0.37
HO2C HO2C HO2C
[CH 2] 6 CO2H [CH 2] 7 CO2H [CH 2] 8 CO2H
OctandiNonandiDecandi-
SuberinAzelainSebacin-
144 106 134
----
0.2 0.3 0.1
3.0 2.9 2.6
0.39 0.39 0.4
(E)-2-Butendi- Fumar-
302
Zersetzung
0.7
(Z)-2-Butendi- Malein-
130.5
Zersetzung
CO2H
1,2-Benzendi- Phthal-
231
Zersetzung
CO2H
1,3-Benzendi- Isophthal-
348.5
CO2H
1,4-Benzendi- Terephthal-
300
HO2C
H C C CO2H H H H C C CO2H HO2C
79
96
4.1
1000
0.05
0.7
110
0.4
Sublimation
0.07
24
Sublimation
0.001
29
CO2H
Aren-Dicarbonsäuren
25
HO2C HO2C
3.5
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18.2 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren
263
18.2 Wasserstoffbrücken-Bindung von Carbonsäuren Im Vergleich zu Alkoholen ähnlicher Molekülgröße zeigen die Carbonsäuren außergewöhnlich hohe Siedepunkte (Tab. 18.3), weil sie in Form von Wasserstoffbrücken-Dimeren existieren. Bestimmt man die molare Masse der niedermolekularen Carbonsäuren nach der DampfdichteMethode, so ergibt sich das Doppelte der molaren Masse. Daraus folgt, daß diese Carbonsäuren selbst im Dampfzustand als cyclische Dimere vorliegen, welche durch zwei Wasserstoffbrücken zusammengehalten werden. Alternativ werden offenkettige Strukturen für die Dimeren diskutiert. O R
H O
C
O C R
O H
O C
O
Carbonsäure-Dimer
H
H
O H
R
O H O
C
R Wasserstoffbrücken zwischen Carbonsäuren und Wasser
Die Carbonsäuren können auch mit anderen zur Assoziation fähigen Molekülen Wasserstoffbrücken bilden, z. B. mit Alkoholen oder Wasser als Lösemittel. Somit beeinflußt die Wasserstoffbrücken-Assoziation nicht nur die Siedepunkte der Carbonsäuren, sondern auch ihre Wasserlöslichkeit (Tab. 18.3). Mit wachsender Größe der Alkyl-Gruppe überwiegt zunehmend deren hydrophobes Verhalten, so daß die Wasserlöslichkeit abnimmt. Die Siedepunkte (Tab. 18.3) steigen mit der Molmasse. Parallel zur Abnahme der Flüchtigkeit ändert sich der Geruch: Ameisen-, Essigund Propionsäure riechen stechend, Butter-, Valerian- und Capronsäure unangenehm schweißartig, die höheren Carbonsäuren sind dagegen fast geruchlos.
18.3 Struktur der Carboxy-Gruppe Elektronen- und Neutronenbeugung sowie mikrowellenspektrometrische Untersuchungen zeigen, daß alle Atome der Carboxy-Gruppe auf einer Ebene liegen, wie die Molekülmodelle zeigen (Abb. 18.1).
Abb. 18.1. Stab-, Kugel-Stab- und Kalotten-Modell der Essigsäure
Die CO-Doppelbindung ist etwas kürzer (123 pm) als die COH-Bindung (136 pm), und alle Bindungswinkel betragen 120° (Abb. 18.2 a). Das Molekülorbital-Modell der Carboxy-Gruppe entspricht weitgehend dem einer CC-Doppelbindung. Um zu erklären, weshalb die CO-Einfachbindung in der Carboxy-Gruppe kürzer ist (136 pm) als in Alkoholen und Ethern (143 pm), schreibt man der CO-Einfachbindung partiellen r-Charakter zu; das Hydroxy-O-Atom der Carb-
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264
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
oxy-Gruppe nutzt demnach sp2-Hybridorbitale zur Bildung der u-Bindungen. Die trigonalkoplanaren sp2-Hybridorbitale des Carboxy-C-Atoms überlappen dann mit je einem sp2Hybridorbital der beiden O-Atome und mit einem (sp3-, sp2- oder sp-) Hybridorbital des c-CAtoms. Senkrecht auf dem so entstandenen ebenen u-Bindungsgerüst stehen die drei p-Orbitale (Abb. 18.2 b); deren seitliche Überlappung führt zur delokalisierten r-Bindung der CarboxyGruppe. Mesomere Grenzformeln beschreiben diese delokalisierte r-Bindung: O
f/
O
O
C
oder
C O H
C
O H
O H
f-
r 123 pm
(a)
C
O
O
(b)
C 120°
136 pm
O
C
Cu O
H
H
r
Abb. 18.2. Carboxy-Gruppe : (a) Geometrie, (b) Überlappung koaxialer p-Orbitale zum delokalisierten r-System
18.4 Carbonsäure-Derivate In Carbonsäure-Derivaten ersetzt ein Halogen oder eine andere Gruppe die OH-Funktion. Salze (Carboxylate), Peroxy- oder Persäuren, Carbonsäureanhydride, Diacylperoxide, Ester, Halogenide, Amide, Hydrazide, Azide sowie Hydroxamsäuren sind Beispiele. Tab. 18.4 gibt allgemeine Formeln dieser Derivate, ihre Beziehung zu den Carbonsäuren sowie die von der Benzoesäure abgeleiteten Vertreter. Carbonsäure-Derivate enthalten die Acyl-Gruppe; einige wirken daher als Acylierungsreagenzien (Abschn. 10.6.3, 11.1.6). O Carbonsäure
R
O
O Carbonsäure-Derivat
C
R
OH
Acyl-Gruppe
C
R
C
X , X = Cl, Br, OR', NH 2
18.5 Synthese von Carbonsäuren 18.5.1
Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlenmonoxid (Carbonylierung)
Bei höheren Temperaturen und Drücken reagiert Kohlenmonoxid mit Alkalihydroxiden zu Formiaten, mit Alkoholaten dagegen zu den Natriumsalzen der Carbonsäuren (Carboxylaten) mit dem Alkyl-Rest des Alkoholats: 100 °C , Druck
HO Na
+
CO
RO Na
+
CO
H CO2 Na
Natriumformiat
R CO2 Na
Natriumcarboxylat
100 °C , Druck
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18.5 Synthese von Carbonsäuren
265
Tab. 18.4. Carbonsäure-Derivate Ersatz von OH O in R C OH durch
allgemeine Formel ( R = Alkyl oder Aryl)
O H O O C R' O
Bezeichnung
O R C H O O
Benzoesäure-Derivat Formel Bezeichnung
O C H O O
Peroxycarbonsäure
O O R C O C R'
O C O O C C6H 5
Carbonsäureanhydrid
Peroxybenzoesäure
Benzoesäureanhydrid
Diacylperoxid
O O C C O O
Dibenzoylperoxid
O R C OR'
Carbonsäureester
O C O CH2 CH 3
Benzoesäureethylester
O R C X
Carbonsäurehalogenid
O C Cl
Benzoylchlorid
NH2
O R C NH 2
Carbonsäureamid (Carboxamid)
O C NH2
Benzamid
NHR'
O R C NHR'
N-Alkylcarbonsäureamid
O R C N R' R'
N,N-Dialkylcarbonsäureamid
O C N CH3 H O C N CH3 H3C
O C R' O O
O O R C C R' O O
OR'
X ( X = F, Cl, Br, I)
NR'2
N-Methylbenzamid
N,N-Dimethylbenzamid
NH NH 2
O R C NH NH 2
Carbonsäurehydrazid
O C NH NH 2
Benzhydrazid
NH OH
O R C NH OH
Hydroxamsäure
O C NH OH
Benzhydroxamsäure
O R C N3
Carbonsäureazid
O C N3
Benzoylazid
_ N _ N N _
Bei noch höheren Temperaturen und Drücken, sowie in Gegenwart von Nickeltetracarbonyl addieren Kohlenmonoxid und Wasser an Alkene unter Bildung gesättigter Carbonsäuren, z. B.: H2C CH2
+
CO
+
H2O
250 °C , Ni(CO)4 , 150 bar
H3C CH 2 CO2H Propansäure (Propionsäure)
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18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18.5.2
Einführung der Carboxy-Gruppe durch Kohlendioxid (Carboxylierung)
Kohlendioxid ist ein in Form von "Trockeneis" leicht einsetzbares elektrophiles Reagenz zur Carboxylierung von C-Nucleophilen. Mit Natriumalkinyliden reagiert es z. B. unter Bildung von Alkinsäuren: O R C CI
Na
+
O R C C C O Na
O
C
C O
O
Na-Salz einer Alkinsäure
Die Carboxylierung von Alkylmagnesiumhalogeniden (GRIGNARD-Verbindungen) führt bei Raumtemperatur zu Carbonsäuren: (CH3)3C Br + Mg
Ether
CH 3
O
H 3C C MgBr
+
C
O
CH 3
CH 3 O
O
C
CH 3
H 3C C C O
H 3C C CO2H
CH 3 OMgBr
CH 3 2,2-Dimethylpropansäure (Pivalinsäure)
Phenolat (Phenol in alkalischer Lösung) ist wegen des (-)-M-Effekts des Phenolat-O-Atoms in ound p-Stellung nucleophil und läßt sich mit Kohlendioxid als Elektrophil durch elektrophile Substitution zum Natriumsalz der Salicylsäure (2-Hydroxybenzoesäure) carboxylieren (KOLBESCHMITT-Synthese): _ IOl
_ IO
_ IO
_ IO
_ IO O Na
+
_ IOI H
O
C
C
O
C O
O mesomere Grenzformeln des Phenolat-Anions + NaOH
/ H2O
_ IOH
OH CO2 Na Phenol
18.5.3
Natriumsalicylat
Acylierung von Aromaten mit Säureanhydriden
Durch FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Benzen und seinen Derivaten mit cyclischen Dicarbonsäureanhydriden in Gegenwart einer LEWIS-Säure erhält man durch elektrophile Substitution Oxocarbonsäuren (Ketocarbonsäuren), z. B.: O
O +
Benzen
AlCl 3
O O Bernsteinsäureanhydrid
c C d CH 2 CH 2 CO2H
"d-Benzoylpropionsäure (3-Benzoylpropansäure)
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18.5 Synthese von Carbonsäuren
18.5.4
267
Carbonsäuren durch Oxidation
Methyl- und Ethyl-Gruppen am Benzen-Ring lassen sich katalytisch zur Carboxy-Gruppe oxidieren; Toluen- und Ethylbenzen-Derivate ergeben entsprechend substituierte Benzoesäuren: Co , Pb , Mn-Acetat , 150-180 °C
Cl
CH 2 CH3
+
3 O2
Cl
p-Chlorethylbenzen
CO2H
+
CO2 +
H2O
p-Chlorbenzoesäure
Starke Oxidationsmittel oxidieren Cycloalkene zu Dicarbonsäuren, z. B.: /
+
MnO4 , OH
2 O2
/
CO2H CO2H
Cyclohexen
Adipinsäure
Polycyclische Aromaten oder Heteroaromaten können katalytisch oder durch Oxidationsmittel zu aromatischen oder heteroaromatischen 1,2-Dicarbonsäuren gespalten werden, z. B.:
+
CO2H
V2O5
9/2 O2
+
2 CO2
+
H2O
+
2 CO2
+
H2O
CO2H Phthalsäure
Naphthalen /
+
MnO4 , OH
9/2 O2
/
CO2H N CO2H Pyridin-2,3-dicarbonsäure
N Chinolin
Die Oxidation primärer Alkohole führt über die Aldehyde zu den Monocarbonsäuren, z. B.: CH 3
/
+ [O] , MnO4 , OH
H3C CH2 CH CH2 OH 2-Methyl-1-butanol
/
CH3 O H 3C CH 2 CH C H 2-Methylbutanal
CH3 O H 3C CH 2 CH C OH 2-Methylbutansäure (c-Methylbuttersäure)
+ [O]
Dagegen spalten (sekundäre) Cycloalkanole und Cycloalkanone bei der Oxidation in Dicarbonsäuren. Adipinsäure entsteht auf diese Weise aus Cyclohexanol über Cyclohexanon: + [O]
OH H Cyclohexanol
/ H2O
+ 3 [O] , V2O5 , 30 °C
O Cyclohexanon
HO2C
(CH 2)4 CO2H
Adipinsäure (Hexandisäure)
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268
18.5.5
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Hydrolyse von Carbonsäure-Derivaten
Die Hydrolyse von Estern, Halogeniden, Anhydriden und Amiden kann zur Darstellung der entsprechenden Carbonsäuren herangezogen werden: O R C OR'
Carbonsäureester
+ H2O
/ R'OH
O R C X
Carbonsäurehalogenid
Carbonsäureanhydrid R
O
O
C
C
O
+ H2O
/ HX
+ H2O
R
O R C OH O R C OH O 2R C OH
"
Auch die Hydrolyse der Nitrile (Alkyl- oder Arylcyanide), R/C»N, die nach KOLBE aus Halogenalkanen und Cyanid (SN) dargestellt werden, führt über die Säureamide zu Carbonsäuren: + CN
R X
/
/
+ H2O (H3O+)
R C N
O R C NH 2
Nitril
Carbonsäureamid
"""/ X
Halogenalkan ( X = Cl, Br, I )
O R C OH
+ H2O
/ NH3
Oxalsäure entsteht z. B. aus Dicyan, Malonsäure aus Cyanessigsäure oder Malonsäuredinitril: + 2 H2O (H3O+)
H 2N
O C C NH2 O Oxamid
N C C N Dicyan
O N C CH 2 C NH2
+ H2O (H3O+)
N C CH2 C N Malonsäuredinitril (Malodinitril) + 3 H2O (H3O+)
/ NH3
18.5.6
O
HO
O C C OH O Oxalsäure
+2 H2O
/2 NH3
+ H2O
N C CH2 CO2H Cyanessigsäure
/ NH3
+ H2O
C CH 2 CO2H H 2N Malonsäuremonoamid
/ NH3
HO2C CH2 CO2H Malonsäure
Homologisierung (Kettenverlängerung) von Carbonsäuren
Carbonsäurehalogenide reagieren mit Diazomethan in Gegenwart von metallischem Silber oder Kupfer unter nucleophiler Substitution des Halogenid-Anions zu Diazoketonen. /
R
Ag , Cu , / X
C X
+
O Carbonsäurehalogenid
R
C CH 2 N NI O
Diazomethan
/ [H+]
R
ICH2 N NI
_ C CH N NI
O Diazoketon
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18.5 Synthese von Carbonsäuren
269
Die Diazoketone spalten Stickstoff ab unter Bildung von Acylcarbenen, die sich unter 1,2-AlkylVerschiebung in Ketene umlagern (WOLFF-Umlagerung): R
R
/ N2
_ C CH N NI
_ C CH
R O C C H Keten
o
O Acylcarben
O
Die Hydrolyse des Ketens führt zu einer Carbonsäure, R CH C O
+
O R CH2 C OH
H 2O
welche gegenüber dem ursprünglich eingesetzten Säurehalogenid um eine CH2-Gruppe länger ist (Homologisierung). Die gesamte Reaktionsfolge ist als ARNDT-EISTERT-Homologisierung bekannt: R O
18.5.7
R
+ CH2N2
C Cl
/ HCl
/ N2
_ C CH N NI
+ H2O
R CH C O
R CH 2 CO2H
O
Alkylierung von Malonsäureestern
Die Methylen-Gruppe der Malonsäure und ihrer Derivate ist CH-acide (Abschn. 18.10). Malonsäurediester reagieren daher mit starken Basen wie Natriumethanolat zu mesomeriestabilisierten Carbanionen in Form ihrer Natrium-Salze. Deren Reaktion mit Halogenalkanen führt unter elektrophiler Addition der Alkyl-Gruppe an das Malonat-Anion zum Alkylmalonester. Die Hydrolyse des Alkylmalonesters und die anschließende Decarboxylierung (CO2-Abspaltung) ergibt eine alkylierte Essigsäure. CO2R Malonsäurediester H 2C CO2R + NaOR
R'
X
+
Na
"/ ROH
CO2R IC H CO2R
CO2R
/ NaX
Natrium-Dialkylmalonat
R'
C H CO2R
CO2H
+ 2 H2 O
R'
/"2" ROH
Alkylmalonsäurediester
Hitze / CO2
C H
R'
CH 2 CO2H
CO2H Alkylmalonsäure
Alkylessigsäure
Diese Reaktionsfolge ermöglicht die Einführung der Gruppe /CH2/COOH. 3-Phenylpropansäure (Benzylessigsäure) wird z. B. aus Benzylchlorid und Malonsäurediethylester dargestellt:
CH2
Cl +
Na
CO2C2H5 IC H CO2C2H5
Natrium-Diethylmalonat
/ NaX
CO2C2H5 1.) Esterhydrolyse
2.) Decarboxylierung
CH 2 C H
CH 2 CH2 CO2H
CO2C2H5 Benzylmalonsäurediethylester
3-Phenylpropansäure
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270
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18.5.8
, -Ungesättigte Carbonsäuren durch KNOEVENAGEL-Kondensation von Malonsäureestern
In Gegenwart starker Basen greifen Dialkylmalonate auch nucleophil am Carbonyl-C-Atom eines Aldehyds oder eines Ketons an. Auf diese Weise entstehen zunächst d-Hydroxyalkylmalonsäurediester, welche leicht zu Alkylidenmalonsäurediestern dehydratisieren (KNOEVENAGEL-Kondensation). Die Hydrolyse des Diesters zur Dicarbonsäure und deren Decarboxylierung ergibt eine c,d-ungesättigte Carbonsäure: _ C OI _
C O
CO2R +
H C H CO2R
Carbonyl-Mesomerie
Aldehyd oder Keton Base
H
CO2R
"/ H 2O
C C CO2R
/ 2 ROH
CO2R
HO CO2R """d-Hydroxyalkylmalonsäurediester
CO2H
+ 2 H2O
C C
Hitze / CO2
C C
H C C
CO2H
CO2H c,d-ungesättigte Carbonsäure
Alkylidenmalonsäurediester
Zimtsäure läßt sich auf diese Weise aus Benzaldehyd und Malonsäurediethylester darstellen: H
CO2C 2H5 C O
+
H2C CO2C 2H5
Benzaldehyd
Piperidin
/ H2O
Malonsäurediethylester
H
1.) Esterhydrolyse 2.) Decarboxylierung
CO2C 2H5 C C CO2C 2H5
Benzylidenmalonsäurediethylester
H
CO2H C C H
trans-Zimtsäure (+ cis-Isomer)
Die c.d-ungesättigten Carbonsäuren können katalytisch zu den entsprechenden gesättigten Carbonsäuren hydriert werden. Zimtsäure ergibt dabei 3-Phenylpropansäure.
18.5.9
-Ungesättigte Carbonsäuren durch PERKIN-Reaktion
Aromatische Aldehyde reagieren mit Acetanhydrid in Gegenwart von Basen zu c.d-ungesättigten Carbonsäuren. Diese PERKIN-Reaktion ist der KNOEVENAGEL-Kondensation weitgehend analog: Eine c-Methylen-Gruppe des Acetanhydrids greift nucleophil am Carbonyl-C des Arenaldehyds an. Durch Wasserabspaltung aus dem entstandenen d-Hydroxycarbonsäureanhydrid und nachfolgende Hydrolyse erhält man eine c.d-ungesättigte Carbonsäure und Essigsäure. Zimtsäure läßt sich also auch durch PERKIN-Reaktion von Benzaldehyd mit Acetanhydrid darstellen: H + C O
Benzaldehyd
H
O CH 2 C O H3C C O Acetanhydrid
Base
H
O C CH2 C O OH H 3C C O
O "/ H 2O
H
C O C C C CH 3 H O
+ H2O /"CH3CO2H
H
CO2H C C H
trans-Zimtsäure (+ cis-Isomer)
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18.6 Acidität von Carbonsäuren
271
PERKIN-Reaktion und KNOEVENAGEL-Kondensation ermöglichen somit die Überführung eines Aldehyds (R/CH=O) in ein Acrylsäure-Derivat (R/CH=CH/COOH).
18.5.10 , -Ungesättigte Carbonsäuren durch IRELAND-CLAISEN-Umlagerung Bei der als IRELAND-CLAISEN-Umlagerung bekannten Variante der Oxa-COPE-Umlagerung (Abschn. 16.5.4) wird ein Carbonsäureallylester mit Lithiumdiisopropylamid (Li[CH(CH3)]2, LDA) als Base und t-Butyldimethylchlorsilan (TBDMSCl) in das O-t-Butyldimethylsilylenolat übergeführt. Letzteres lagert beim Erhitzen sigmatrop zum i,f-ungesättigten Trialkylsilylester um, dessen Hydrolyse die i,f-ungesättigte Carbonsäure freisetzt. O O
OH O
OTBDMS
"/78 °C, LDA, + TBDMSCl
O
OTBDMS o
OH + H2O
O
O
/ TBDMSOH
/ HCl Oxo-Tautomer Enol-Tautomer Carbonsäureallylester
O-t-Butyldimethylsilylenolat
i,f-ungesättigte Carbonsäure (TBDMS-Ester)
i,f-ungesättigte Carbonsäure
18.6 Acidität von Carbonsäuren 18.6.1
Dissoziationsgleichgewicht in wäßrigen Lösungen
Carbonsäuren sind stärkere Protonendonatoren als Wasser. Löst man sie in Wasser, so stellt sich daher ein dynamisches Dissoziationsgleichgewicht zwischen der Carbonsäure und Wasser einerseits und Carboxylat-Anion und Hydroxonium-Ion andererseits ein: R CO2H + Carbonsäure
H2O
R CO2 + Carboxylat-Anion
H3O
Wäßrige Carbonsäure-Lösungen reagieren infolgedessen sauer. Die Dissoziationskonstante (Aciditätskonstante) KA ist nach dem Massenwirkungsgesetz der Quotient aus den Konzentrationen der Ionen (R/COO/ und H3O+) und undissoziierter Säure (R/COOH); dabei wird die bei verdünnten Lösungen annähernd konstante Wasserkonzentration c(H2O) in die Konstante KA einbezogen. /
KA =
c (RCO2 ) c (H3O+) c (RCO2H)
Im Vergleich zu den Mineralsäuren (Salzsäure, Schwefelsäure) sind Carbonsäuren sehr viel schwächer. Die Dissoziationskonstanten KA unterscheiden sich um mehrere Zehnerpotenzen, z. B.: 8
HCl : KA = 10 ;
CH3CO2H : KA = 1.7 10/ .
5
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272
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18.6.2
Salze der Carbonsäuren
Die Neutralisation der Carbonsäuren mit Alkalihydroxiden oder anderen Basen führt zu den entsprechenden Salzen, den Carboxylaten: R CO2H
+
NaOH
R CO2 Na Natriumcarboxylat
+
H2O
Zur Benennung der Salze kann man von den IUPAC-Namen der Säuren ausgehen. Dabei wird die Endung "-säure" durch "-oat" ersetzt. Die Bezeichnung des Salzes einer Carbonsäure kann man auch von der lateinischen Form ihres Trivialnamens (Tab. 18.1 und 18.3) ableiten: H 3C CH 2 CH 2 CO2 Na
H3C CH2 CH 2 CO2H IUPAC : Trivial :
Butansäure Buttersäure (lat.: acidum butyricum)
Natriumbutanoat Natriumbutyrat
Salze der Ameisen-, Essig- und Propionsäure werden als Formiate, Acetate und Propionate bezeichnet; Palmitate, Stearate und Oleate sind die Salze der Palmitin-, Stearin- und Ölsäure (Abschn. 41.4.1). Für Salze cyclischer Dicarbonsäuren ist die Bezeichnung Dicarboxylate üblich, z. B.: CO2 K
CO2H CO2H
CO2 K
CO2H
CO2 K CO2 K
CO2H cis-1,2-Cyclobutandicarbonsäure
18.6.3
Dikalium-cis-1,2-cyclobutandicarboxylat
1,4-Naphthalendicarbonsäure
Dikalium-1,4-naphthalendicarboxylat
Struktur und Modell des Carboxylat-Anions
Durch Messung der Bindungslängen im Natriumformiat mit Hilfe der RÖNTGEN- und Elektronenbeugung ergab sich, daß beide Kohlenstoff-Sauerstoff-Bindungen des Formiat-Anions dieselbe Länge von 127 pm haben. Die beiden CO-Bindungen sind also nicht unterscheidbar; offensichtlich findet ein völliger Ausgleich zwischen der u- und der r-Bindung statt (Abb. 18.3). r
(a)
O R
C O
OI
(b)
C O
O
O oder
C OI
C O
r
Abb. 18.3. Überlappung koaxialer p-Orbitale zum r-System des Carboxylat-Anions (a) und Mesomerie des Carboxylat-Anions (b)
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18.6 Acidität von Carbonsäuren
273
Carboxylat-C-Atom und die beiden Carboxylat-O-Atome bilden die u-Bindungen durch Überlappung von sp2-Hybridorbitalen. An jedem der beteiligten Atome verbleibt je ein 2p-Orbital. Diese insgesamt drei 2p-Orbitale überlappen zu einer delokalisierten r-Bindung über und unter der uBindungsebene (Abb. 18.3).
18.6.4
Einflüsse von Substituenten auf die Acidität
Eine Carbonsäure ist umso stärker sauer, je größer der Energiegewinn bei der Abdissoziation des Protons, je stabiler also das Carboxylat-Anion ist. Ein Carboxylat-Anion wiederum ist besonders stabil, wenn die negative Ladung durch eine benachbarte positive stabilisiert wird, z. B. durch induktive oder mesomere Effekte. Bei aliphatischen Carbonsäuren werden daher solche Substituenten die Acidität erhöhen, welche über induktive Effekte die negative Ladung am Carboxylat-C durch eine benachbarte positive Partialladung stabilisieren. Halogencarbonsäuren sind also stärker sauer als die vergleichbaren unsubstituierten Carbonsäuren (Tab. 18.5). O f/ fCl CH 2 C O
Chloressigsäure: (/)-I-Effekt stabilisiert das Chloracetat-Anion
Die Säurestärke wächst mit zunehmender Anzahl und Elektronegativität der Halogene (Tab. 18.5) und sinkt mit zunehmender Entfernung des Halogens von der Carboxy-Gruppe: i- und d-Halogencarbonsäuren sind schwächere Säuren als c-Halogencarbonsäuren (Tab. 18.5). Im Gegensatz zu Halogenen destabilisieren Alkyl-Gruppen über induktive Effekte das Carboxylat-Anion. So ist in der homologen Reihe der Alkansäuren die Ameisensäure am stärksten, Essigsäure deutlich schwächer aber etwas stärker als die höheren Homologen (Tab. 18.3). Tab. 18.5. Aciditätskonstanten einiger Halogencarbonsäuren und substituierter Benzoesäuren /5
Verbindung Essigsäure Iodessigsäure Bromessigsäure Chloressigsäure Fluoressigsäure Dichloressigsäure Trichloressigsäure Buttersäure c-Chlorbuttersäure d -Chlorbuttersäure i-Chlorbuttersäure
KA x 10
H 3C CO2H ICH 2 CO2H BrCH 2 CO2H ClCH 2 CO2H FCH 2 CO2H Cl2CH CO2H Cl3C CO2H H 3C CH 2 CH2 CO2H H 3C CH 2 CH CO2H Cl H 3C CH CH2 CO2H Cl CH 2 CH 2 CH2 CO2H Cl
1.75 67 125 136 260 5530 23200 1.5 139
/5
Verbindung Benzoesäure
KA x 10
CO2H
p-Nitrobenzoesäure
O2N
CO2H
p-Hydroxybenzoesäure
HO
CO2H
o-Nitrobenzoesäure
CO2H
6.8
40 2.9
620
NO2 8.9 2.96
o-Hydroxybenzoesäure
CO2H
100
OH
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274
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Bei substituierten Benzoesäuren und anderen Arencarbonsäuren können neben induktiven auch mesomere Effekte von Substituenten das Carboxylat-Anion stabilisieren. 4-Nitrobenzoesäure ist stärker sauer, 4-Hydroxybenzoesäure dagegen schwächer sauer als Benzoesäure (Tab. 18.5). Der mesomere Effekt (Elektronenzug) der 4-Nitro-Gruppe stabilisiert; dagegen destabilisiert der Elektronenschub der 4-Hydroxy-Gruppe: O
O C O p-Hydroxybenzoesäure: (-)-M-Effekt destabilisiert das p-Hydroxybenzoat-Anion
O C O
N O
HO
p-Nitrobenzoesäure: (/)-M-Effekt stabilisiert das p-Nitrobenzoat-Anion
I
Steht der Substituent (/NO2, /OH) in o-Stellung zur Carboxy-Gruppe, so wirkt wegen des geringeren Abstandes zusätzlich der induktive Effekt. 2-Nitrobenzoesäure ist daher noch stärker sauer als das p-Isomer, und in 2-Hydroxybenzoesäure (Salicylsäure) dominiert die Stabilisierung durch den induktiven Effekt von OH gegenüber dem destabilisierenden mesomeren Effekt (Tab. 18.5).
18.6.5
Acidität von Dicarbonsäuren
Die Dissoziation von Dicarbonsäuren erfolgt stufenweise. Daher mißt man zwei Aciditätskonstanten KA1 und KA2 wie das Beispiel der Oxalsäure zeigt: 1. Stufe : 2. Stufe :
HO2C CO2H HO2C CO2
+ +
H2O H 2O
HO2C CO2 O2C CO2
+ +
H3O H3O
KA1 = 5400 KA2 =
/5
x 10
/5
5.2 x 10
Allgemein gilt für Dicarbonsäuren KA1 > KA2 , da die Dissoziation eines Protons vom Monoanion aus elektrostatischen Gründen mehr Energie erfordert (oder weniger freisetzt) als von der Disäure.
18.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe 18.7.1
Veresterung, Ester, Lactone
Carbonsäuren reagieren mit Alkoholen in Gegenwart katalytischer Mengen einer Mineral- (HCl) oder LEWIS-Säure (BF3) zu Carbonsäureestern und Wasser (Abschn. 15.6.4). Die Reaktion ist ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Veresterung (Hinreaktion) und Verseifung (Rückreaktion). O + R C OH Carbonsäure
Veresterung
HO R' Alkohol
Verseifung
O + R C OR' Carbonsäureester
H2O
Dieses Gleichgewicht unterliegt dem Massenwirkungsgesetz. Die Esterausbeute erhöht sich daher entweder durch Einsetzen eines großen Überschusses an Alkohol bzw. Carbonsäure oder durch
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18.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe
275
kontinuierliche Entfernung des gebildeten Esters bzw. Wassers aus dem Reaktionsgemisch. Das Reaktionswasser läßt sich z. B. durch wasserentziehende Reagenzien oder durch Abdestillieren eines azeotropen Gemisches aus Wasser und einem organischen Lösemittel als "Schlepper" entziehen (z. B. Toluen oder Chloroform). Die säurekatalysierte Veresterung (und Verseifung) ist meist eine Folge von Gleichgewichtsreaktionen. Dabei wird die Carbonsäure zunächst protoniert und so der nucleophile Angriff eines Alkohol-Moleküls erleichtert. Dieser Angriff führt zu einem Orthocarbonsäuremonoester, welcher nach Protonierung unter Wasser- und Protonen-Abspaltung in den Ester übergeht. O R C OH
OH OH R C R C OH OH protonierte Carbonsäure
+ H
O
OH
R'
R C OH H
O
R' / [H+]
OH Verseifung
Orthocarbonsäuremonoester R C OH
Veresterung
OR' - [H+]
protonierter Ester O R C OR'
/ [H+]
OH R C OR'
OH2
/ H2O
OH R C OR'
R C OH OR'
Als Lactone werden "innere Ester" bezeichnet, die durch intramolekulare Dehydratisierung von iund f-Hydroxycarbonsäuren unter Bildung fünf- und sechsgliedriger Ringe entstehen. i-Butyround f-Valerolacton sind typische Beispiele.
CO2H OH
/ H2O
O
"i-Hydroxybuttersäure (4-Hydroxybutansäure)
18.7.2
/ H2O
C O
CO2H OH
i-Butyrolacton
O
f-Hydroxyvaleriansäure (5-Hydroxypentansäure)
C
O
f-Valerolacton
Reduktion zu primären Alkoholen
Carbonsäuren widerstehen der katalytischen Hydrierung, können aber / ebenso wie ihre Ester / mit Lithiumaluminiumhydrid in wasserfreiem Ether oder Tetrahydrofuran über die meist nicht faßbaren Aldehyde zu den primären Alkoholen reduziert werden. O R C OH
+ IH LiAlH4
H _ R C OI _ OH
+ H 2O / OH
H R C OH OH Aldehyd-Hydrat
H
/ H2 O
R C O Aldehyd
+ IH LiAlH 4
H _ R C OI _ H prim. Alkoholat
+ H2O / OH
R CH 2 OH prim. Alkohol
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276
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18.7.3
Carbonsäurehalogenierung
Carbonsäurehalogenide bezeichnet man als Acyl-Derivate (z. B. Acetyl-, Benzoyl-, Propionylhalogenide): O H 3C C
O H 3C CH 2 C
Acetyl-
Propionyl-
O H3C C Cl Acetyl-
O C Benzoyl-Gruppe
O H3C CH2 C Cl Propionyl-
O C Cl Benzoylchlorid
Zur Halogenierung von Carbonsäuren eignen sich Phosphorhalogenide (PCl3, PCl5, POCl3), z. B.:
3
O2N
O C OH
+ PCl3
O C OH
+ PCl5
O C + P(OH)3 Cl Benzoylchlorid (Benzoesäurechlorid) 3
O C + Cl p-Nitrobenzoylchlorid O2N
POCl3
+
HCl
Säurechloride und Bromide in genügender Reinheit entstehen durch Umsetzung der Carbonsäuren mit Thionylchlorid oder Thionylbromid. Diese Reaktion führt zu gasförmigen Nebenprodukten (SO2 und HCl oder HBr), so daß das Säurechlorid oder Bromid als Rückstand verbleibt: O H2C CH C OH
+
SOCl2
O H 2C CH C + SO2 Cl Acryloylchlorid (Acrylsäurechlorid)
+
HCl
Präparativ sind die überaus hydrolyseempfindlichen Säurehalogenide als Reagenzien zur Darstellung fast aller Carbonsäure-Derivate und zur elektrophilen Acylierung von Bedeutung.
18.7.4
Bildung von Säureanhydriden
Die Abspaltung von Wasser aus zwei Molekülen einer Monocarbonsäure in Gegenwart eines wasserentziehenden Mittels führt zur Bildung eines Carbonsäureanhydrids, z. B.: O F 3C C OH
O +
P2 O5 , / H 2 O
C CF 3 HO
O O F 3C C O C CF 3
Trifluoracetanhydrid (Trifluoressigsäureanhydrid)
Gemischte Anhydride erhält man durch Reaktion äquimolarer Mengen eines Halogenids der Carbonsäure mit Rest R und eines Alkalisalzes der Carbonsäure mit Rest R´: O R C X X = Cl , Br
O +
/ NaX
C R' NaO
O O C C R' R O
gemischtes Carbonsäureanhydrid
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18.7 Reaktionen der Carboxy-Gruppe
277
Dicarbonsäuren wie Bernstein- und Phthalsäure können intramolekular Wasser abspalten und bilden dabei cyclische Säureanhydride: O H2C H2C
C
OH
C O
/ H2O
OH
C
O
O Hitze oder P2O5
C O Bernsteinsäureanhydrid (Succinanhydrid)
O
O OH
Hitze
OH
/ H2O
O O Phthalsäureanhydrid
O
Nur 1,4- oder 1,5-Dicarbonsäuren bilden cyclische Anhydride. Liegen die Carboxy-Gruppen weiter auseinander, so können polymere Anhydride entstehen: O
n
18.7.5
O C (CH 2)x C OH HO x>3
O
O C (CH 2)x C O ]n [O
/ n H2O
Bildung von Säureamiden
Carbonsäureamide entstehen über Ammoniumcarboxylate aus Carbonsäuren und Ammoniak: O R C OH
O +
NH 3
O
Hitze , / H2O
R C O NH 4 Ammoniumcarboxylat
R C NH2 Carbonsäureamid
Bei Einwirkung stark wasserentziehender Mittel (Diphosphorpentoxid oder Triphenylphosphan in Tetrachlormethan) dehydratisieren die Säureamide unter Bildung von Nitrilen. Diese Reaktion ermöglicht die Darstellung von Nitrilen, z. B.: CH3
CH3
O C NH 2
H3C
P2O5 , Hitze
/ H2 O
CH3
H 3C
C N
CH3 2,4,6-Trimethylbenzonitril (Mesitylcyanid)
Als Lactame werden „innere Säureamide“ bezeichnet, die durch intramolekulare Dehydratisierung von i- und f-Aminocarbonsäuren unter Bildung fünf- und sechsgliedriger Ringe entstehen. iButyro- und f-Valerolactam sind Beispiele. Aus den heterocyclischen Grundskeletten Pyrrolidin und Piperidin ergeben sich die Alternativbezeichnungen Pyrrolidin-2-on und Piperidin-2-on.
CO2H NH2 "i-Aminobuttersäure (4-Aminobutansäure)
/ H2O
N
C O
H "i-Butyrolactam (Pyrrolidin-2-on)
/ H2O
CO2H NH 2 f-Aminovaleriansäure (5-Aminopentansäure)
N
C
O
H f-Valerolactam (Piperidin-2-on)
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18.7.6
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Decarboxylierung
Unter Decarboxylierung versteht man die Abspaltung von Kohlendioxid (CO2) aus einer Carbonsäure: R CO2H
R H
+
CO2
Diese CO2-Eliminierung erfordert bei unsubstituierten Carbonsäuren hohe Temperaturen. Ist das c-C-Atom der Carbonsäure jedoch mit einem elektronenziehenden Substituenten (Halogen, /NO2, /CN, /COOH) verknüpft, so setzt bereits bei moderaten Temperaturen die Decarboxylierung ein: 100 - 150 °C
Cl3C CO2H Trichloressigsäure
O2N CH2 CO2H
100 - 150 °C
Nitroessigsäure
N C CH2 CO2H
100 - 150 °C
Cyanessigsäure
Cl3C H Chloroform
+
CO2
O2N CH 3 Nitromethan
+
CO2
N C CH 3
+
CO2
+
CO2
Acetonitril
CO2H
100 - 150 °C
R CH CO2H subst. Malonsäure
R CH 2 CO2H subst. Essigsäure
Auch das Silbersalz einer Carbonsäure decarboxyliert bei der Reaktion mit einem Halogen unter Bildung des entsprechenden Halogenalkans (HUNSDIECKER-Decarboxylierung): R CO2 Ag
+
Br2
R Br
+
Ag Br
+
CO2
Diese Reaktion eignet sich zur Darstellung schwer zugänglicher Alkyl- oder Cycloalkylhalogenide.
18.8 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden Das Halogenid von Carbonsäurehalogeniden läßt sich als Halogenid-Anion leicht nucleophil substituieren, besonders in Gegenwart einer Base: O R C X
(Base)
+
H Y
O R C Y
+
X = Cl , Br
H X
Diesem Prinzip folgt die Darstellung nahezu aller Carbonsäure-Derivate aus Carbonsäurehalogeniden (Tab. 18.4).
18.8.1
Hydrolyse und Perhydrolyse
Die Hydrolyse von Carbonsäurehalogeniden führt zu den entsprechenden Carbonsäuren, z. B.: O
O C C
Cl Cl Oxalylchlorid
O +
2 H 2O
O C C
+
2 HCl
OH HO Oxalsäure
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18.8 Nucleophile Substitution von Carbonsäurehalogeniden
279
In Gegenwart einer Base reagieren Säurehalogenide mit konzentrierter WasserstoffperoxidLösung ("Perhydrol") zu Diacylperoxiden, z. B.: /
O C Cl
2
O O C C O O Dibenzoylperoxid
(OH +
+
H2O2
/ 2 HCl
Diacylperoxide zerfallen beim Erhitzen in Radikale. Sie werden daher als Initiatoren bei radikalischen Vinyl-Polymerisationen verwendet.
18.8.2
Alkoholyse
Alkohole reagieren mit Carbonsäurehalogeniden in Gegenwart einer Base zu Estern: O R C Cl
O R C OR'
(Base)
+
HO R'
+
H Cl
Mit 3,5-Dinitrobenzoylchlorid lassen sich Alkohole als 3,5-Dinitrobenzoate auskristallisieren und anhand der charakteristischen Schmelzpunkte identifizieren: O2N O C Cl
O2N
/
O C O CH2 CH 3
(OH +
+
HO CH 2 CH3
/ HCl
O2N
O2N
Ethyl-3,5-dinitrobenzoat (3,5-Dinitrobenzoesäureethylester)
18.8.3
Ammonolyse und Aminolyse
Die Umsetzung von Carbonsäurehalogeniden mit Ammoniak (Ammonolyse) oder primären und sekundären Aminen (Aminolyse) ergibt Carbonsäureamide (Carboxamide): /
O R C X
+
2 NH 3
O R C X
+
2 H2N R'
O R C X
+
R' 2H N R'
/ NH4+ X
/
/ R'NH3+ X
/
/ R' 2NH2+ X
O R C NH2
Carboxamid (Carbonsäureamid)
O R C NHR'
N-Alkylcarboxamid
O R C NR'2
N,N-Dialkylcarboxamid
Primäre und sekundäre Amine reagieren z. B. mit Benzoylchlorid in Gegenwart einer Base (OH/, Pyridin) zu den kristallinen Benzamiden (SCHOTTEN-BAUMANN-Benzoylierung). O C Cl
+
C2H 5 H N C2H 5
(Pyridin) / HCl
O C N C 2H 5 H 5C2 N,N-Diethylbenzamid
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18.8.4
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Hydrazinolyse
Durch Reaktion von Hydrazin mit Carbonsäurehalogeniden erhält man Carbonsäurehydrazide; überschüssiges Hydrazin bindet den freigesetzten Chlorwasserstoff als Hydrazinhydrochlorid: O H3C C Cl
18.8.5
/ H2N
+
NH3+ Cl
2 H2N NH2
/
O H 3C C NH NH2 Acethydrazid (Essigsäurehydrazid)
Reaktion mit Hydroxylamin
In Gegenwart einer Base (OH/, Pyridin) reagieren Carbonsäurehalogenide mit Hydroxylamin zu Hydroxamsäuren, die in zwei tautomeren Formen existieren (Hydroxamsäure-Oximino-Tautomerie) und mit Eisen(III)salzen rotviolette Chelate bilden: O R C Cl
18.8.6
/ HO
+
+
NH3 Cl
/
2 H 2N OH
O R C N H OH HydroxamsäureTautomer
+ 1/3 Fe+++
OH R C N OH OximinoTautomer
H O C Fe/3 N O HydroxamsäureEisen(III)-Chelat R
Reaktion mit Alkaliaziden
Das Azid-Anion, N3/, substituiert das Halogenid-Anion in Säurehalogeniden nucleophil. Dabei entstehen die explosiven Säureazide, z. B.: O C Cl
+
Na
O C_ N _ N N _
O C _ N _ N N _
"/ Na Cl
_ _ N _ N N _
mesomere Grenzformeln des Benzoylazids
18.8.7
Katalytische Hydrierung (ROSENMUND Reduktion)
Eine allgemeine Methode zur Darstellung von Aldehyden (R/CH=O) ist die katalytische Hydrierung von Carbonsäurehalogeniden. Als Katalysator dient mit Bariumsulfat desaktiviertes Palladium. Die Desaktivierung unterdrückt eine Weiterreduktion des Aldehyds. O C C
O Cl Cl
O o-Phthaloyldichlorid (Phthalsäuredichlorid)
Pd / BaSO4
+
H2
/ 2 HCl
C C
H H
O o-Phthaldialdehyd
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18.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern
18.8.8
281
Carbonsäurehalogenide als Reagenzien zur C-Acylierung
In Gegenwart von LEWIS-Säuren als Katalysatoren (AlCl3) reagieren Carbonsäurehalogenide mit aromatischen Kohlenwasserstoffen zu aromatischen Ketonen (Phenonen). Diese Art der elektrophilen Substitution ist als FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung (Abschn. 11.1.6) bekannt, z. B.: AlCl3
C
+
Cl
/ HCl
C
O Benzoylchlorid
O Benzophenon
18.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern 18.9.1
Esterverseifung
Sowohl Säuren als auch Basen katalysieren die Esterhydrolyse: Die säurekatalysierte Verseifung ist die Rückreaktion der säurekatalysierten Veresterung (Abschn. 18.7.1). Die basenkatalysierte Verseifung von Carbonsäuren verläuft als SN2-Substitution des Hydroxid-Anions am Carbonyl-C unter nachfolgender Spaltung der Acyl-Sauerstoff-Bindung. Bei dieser O-Acyl-Spaltung bleibt die absolute Konfiguration am Alkohol-C-Atom erhalten (Retention). Dies läßt sich an identischen spezifischen Drehungen eines enantiomerenreinen Alkohols vor Reaktion mit dem Carbonsäurechlorid R/COCl und nach basenkatalysierter Verseifung des resultierenden Esters nachweisen: HO
O H C R' O C
R
+
R
H
O H C O
+
O C
R'
R"
R" / HCl
R
(Base)
H
O C Cl
+
HO C
R'
H +
R CO2
R" (S)-Alkohol (R" > R')
HO C
R'
R" (S)-Alkohol
Der Angriff des Hydroxid-Anions am asymmetrischen Alkoxy-C hätte dagegen die Spaltung der O-Alkyl-Bindung und damit WALDEN-Umkehr oder Racemisierung zur Folge:
R
O H C R' O C R" (S)-Ester
WALDEN-Umkehr oder Racemisierung
+
OH
R CO2
+
H R'
C OH
R" (R)-Alkohol
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282
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Die Verseifung von Fetten, den Glycerolestern (Glyceride) langkettiger Carbonsäuren (Fettsäuren, Abschn. 41.4) wie Palmitin-, Stearin- und Ölsäure, mit Natron- bzw. Kalilauge ergibt neben Glycerol die Natrium-Salze dieser Säuren als Kernseife und die Kalium-Salze als Schmierseife, z. B.: O H 2C O C O C17H 35 C O CH O H35C 17 H 2C O C C17H 35 Glyceroltristearat
H2C OH +
3 NaOH
3 C17H 35 CO2 Na
+
HO CH H2C OH
Natriumstearat
Glycerol
Seifen senken die Oberflächenspannung des Wassers und emulgieren Schmutzteilchen durch Bildung von Micellen (Abschn. 41.7). Darauf beruht ihre reinigende Wirkung.
18.9.2
Ammonolyse (Aminolyse) von Estern
Nach einem der basenkatalysierten Verseifung analogen Mechanismus (SN2) verläuft die zu Amiden führende Ammonolyse (Aminolyse) der Carbonsäureester mit Ammoniak (Aminen), z. B.: O H3C C OC2H 5 Ethylacetat
18.9.3
+
O H3C C NH2 Acetamid
NH 3
+
C2H 5OH
Umesterung
Unter Umesterung versteht man die Reaktion des Esters R/COOR´ mit einem Alkohol R"/OH unter Bildung des Esters R/COOR" und des Alkohols R´/OH: O R C OR'
[H+]
+
R" OH
O R C OR"
+
R'
OH
Die Umesterung ist basen- oder säurekatalysiert und eine Gleichgewichtsreaktion. Säurekatalysiert verläuft sie nach dem für die säurekatalysierte Veresterung und Verseifung beschriebenen Mechanismus (Abschn. 18.7.1). Um das Gleichgewicht zugunsten des neuen Esters R/COOR" zu verlagern, muß ein großer Überschuß an Alkohol R"/OH eingesetzt und eines der Reaktionsprodukte (R/COOR" oder R´/OH) durch Destillation oder Fällung der Rückreaktion entzogen werden. Eine Umesterung technischen Maßstabs ist die Herstellung des Polyesters "Dacron" aus Terephthalsäuredimethylester und Glykol. Dabei wird das gebildete Methanol kontinuierlich abdestilliert. O n
C H3CO
O C + OCH3
Terephthalsäuredimethylester (Dimethylterephthalat)
[ HCl ] / 2n CH3OH
O
n HO CH 2 CH2 OH [
O C C CH2 CH2 O O ]n Polyglykolterephthalat
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18.9 Nucleophile Substitution von Carbonsäureestern
18.9.4
283
Reduktion zu primären Alkoholen
Carbonsäureester lassen sich im Labormaßstab in guten Ausbeuten mit Lithiumaluminiumhydrid oder Natriumborhydrid zu den primären Alkoholen reduzieren. Bei dieser Reduktion addiert ein Hydrid-Anion nucleophil an das Carbonyl-C-Atom. O + IH R C OR' Carbonsäureester
LiAlH 4 oder NaBH4
H
/
H R C O Aldehyd
/ R'O
R C O OR'
H
+ H 2O
+ HI
R C O
/ OH
H
R CH 2 OH
/
prim. Alkohol
In technischem Maßstab werden Carbonsäureester bei hohen Temperaturen und Drücken katalytisch zu den primären Alkoholen hydriert, z. B.: O C OC2H 5 2-Methylpropansäureethylester (H 3C)2 CH
18.9.5
+
2 H2
CuO / CuCr 2 O4 , Druck , Hitze
(H 3C)2 CH
CH 2
OH
+
C 2H5OH
2-Methylpropanol
Reaktion mit GRIGNARD-Verbindungen
Der nucleophile Angriff der Alkyl- oder Aryl-Gruppe einer GRIGNARD-Verbindung R"MgX am Carbonyl-Kohlenstoff eines Esters R/COOR´ ergibt zunächst ein Keton: O R C + R" Mg X OR' CarbonsäureAlkylester magnesiumhalogenid
O R C R" Keton
+
R'O
+
Mg 2
+
X
Die anschließende nucleophile Addition eines weiteren Äquivalents Alkylmagnesiumhalogenid an das Keton führt zu einem tertiären Alkohol: O R C R"
R" +
R" Mg X
+ H2O
R C R"
R" R C R"
O Mg X
+
OH
+
Mg 2
+
X
OH tert. Alkohol
Diese Reaktionsfolge ist ein Weg zur Synthese tertiärer Alkohole mit Substituenten R und R", welche durch die Edukte R/COOR´ und R"MgX vorgegeben sind. Zur Synthese von 4-Isopropyl4-heptanol geht man z. B. von Isobuttersäureethylester und Propylmagnesiumbromid aus: O (H 3C)2CH C OC2H 5 2-Methylpropansäureethylester (Isobuttersäureethylester)
+ H3C
CH2
"/ C2H5O , / Mg 2+ , / Br
CH 2 CH 2 CH3 4-i-Propyl-4-heptanol
/
(H3C)2CH C CH 2 CH 2 CH3 + H3C
OH (H 3C)2CH C CH 2 CH 2 CH3
O
CH2 MgBr
/
/ OH , / Mg 2+ , / Br
CH2 MgBr
O Mg Br
+ H2O /
CH2
/
(H 3C)2CH C CH2 CH 2 CH 3 CH2 CH 2 CH 3
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284
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
18.10 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen Die c-CH-Fragmente von Carbonsäureestern sind schwach sauer; gegenüber sehr starken Basen wie Alkalialkoholaten oder Alkaliamiden sind die Carbonsäureester daher Protonendonoren und bilden dabei Carbanionen. Die c-CH-Acidität von Estern ist eine Folge der Mesomeriestabilisierung der durch Deprotonierung entstehenden Carbanionen, wobei das Carbonyl-O-Atom die negative Ladung unter Bildung eines Enolat-Anions teilweise übernimmt. RO
RO C O
+
RO
_ C OI CI H
IB
C H H
_ C OI _
+
H B
C H
Carbanion
Enolat-Anion
Die c-CH-Acidität ist besonders ausgeprägt bei 1,3-Dicarbonsäureestern (Malonestern), da in diesen Fällen zwei Carbonyl-O-Atome die negative Ladung des Carbanions übernehmen können. Mit Natriumalkoholaten erhält man z. B. das mesomeriestabilisierte Carbanion im Natriumsalz des Malonsäurediesters. RO
RO C O H2C C O
RO C OI _
+ NaOR
RO
_ C OI _
RO C OI _
O Na
H CI H C H C _ C OI C OI C OI _ _ _ RO RO RO mesomere Grenzformeln des Dialkylmalonat-Anions
/ ROH
RO
oder
Na
H O RO
Aufgrund ihrer c-CH-Acidität sind Carbonsäureester und insbesondere die Malonsäurediester der elektrophilen Substitution in c-Stellung zugänglich, wie die folgenden Reaktionen zeigen.
18.10.1 C-Alkylierung von Malonestern In Gegenwart äquimolarer Mengen Natriumalkoholat lassen sich Dialkylmalonate durch Halogenalkane in die Alkylmalonsäurediester überführen. Diese C-Alkylierung wurde bereits als Methode zur Darstellung von Carbonsäuren besprochen (Abschn. 18.5.7). RO O R'
X
+
Na
H
CO2R
/ Na X
R' O RO
CH
CO2R Alkylmalonsäurediester
18.10.2 KNOEVENAGEL-Alkenylierung Dialkylmalonat-Anionen können nucleophil an das Carbonyl-C eines Aldehyds oder Ketons addieren. Die dabei entstehenden d-Hydroxyalkylmalonsäurediester dehydratisieren unter Bildung
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18.10 CH-Acidität von Carbonsäureestern, Folgereaktionen
285
der Alkylidenmalonsäurediester. Diese KNOEVENAGEL-Alkenylierung (auch KNOEVENAGEL-Kondensation) ist u. a. eine Methode zur Darstellung c,d-ungesättigter Carbonsäuren (Abschn. 18.5.8). CO2R C O
+
C OI
H
Base
H C H CO2R
Carbonyl-Mesomerie
CO2R C C CO2R Alkylidenmalonsäurediester
"/ H2O
C C CO2R HO CO2R
Aldehyd oder Keton
18.10.3 MICHAEL-Addition Als C-Nucleophile können Dialkylmalonate an die elektrophile (aktivierte) Doppelbindung eines Alkens addieren (MICHAEL-Addition). Dabei entstehen C-alkylierte Malonester: CO2R
CO2R X CH CH 2
X CH CH 2
+
IC H H CO2R C-Nucleophil
aktiviertes (elektrophiles) Alken
CH 2
X CH 2
C H
CO2R C-alkylierter Malonsäurediester
Acrylsäurenitril (X = CN) ist z. B. ein elektrophiles Alken und addiert Malonsäurediethylester als Nucleophil unter Bildung des d-Cyanoethylmalonsäurediethylesters: _ IN C CH CH2
IN C CH CH2
Acrylnitril (Cyanoethen)
CO2C2H5 +
Elektrophil
d
H2C
N C CO2C 2H5
CO2C2H 5
c
CH2
C H
CH 2
CO2C2H5 """"d-Cyanoethylmalonsäurediethylester [(2-Cyanoethyl)-malonsäurediethylester]
18.10.4 CLAISEN-Esterkondensation Genügend starke Basen (OC2H5/, NH2/) abstrahieren auch das c-Proton eines Monoesters unter Bildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions: R H H
O
R O IC C H OR' Carbanion
/ R'OH
C C
+
R'O
OR'
R
O C C
H OR' Enolat-Anion
Ein solches Carbanion kann nucleophil am Carbonyl-C eines anderen Ester-Moleküls angreifen. Durch Abspaltung eines Alkoxid-Anions bildet sich ein d-Ketoester (CLAISEN-Esterkondensation). OR' +
R CH 2 C O
R O IC C H OR'
OR' R CH2 C CH CO2R' IOI _ R
/ R'O
R CH2 C CH CO2R' OI _ R d-Ketoester
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286
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Der einfachste Fall einer Esterkondensation ist die Reaktion zweier Moleküle Essigsäureethylester zu Acetylessigsäureethylester ("Acetessigester"): OC 2H5 H3C
C O
OC2H 5 +
CH 2 H
NaOC2H5 , / C2H5OH
C O
H 3C
CH 2 CO2C 2H5
C
O 3-Oxobutansäureethylester (Acetessigester)
Die CH-Acidität der von beiden Carbonyl-Funktionen flankierten CH2-Gruppe des Acetessigesters macht eine intramolekulare Protonenwanderung vom c-C zum Carbonyl-O-Atom möglich. Der d-Ketoester existiert daher als Gleichgewichtsgemisch aus Keto- und Enol-Tautomer (KetoEnol- oder Oxo-Enol-Tautomerie, Abschn. 19.5.3) : H H H3C
C O
C
C
H H 3C
OC2H 5
O
C O
C _ H
H C
OC2H 5
H3C
O
C
C
C
OC 2H5
O H Enol-Tautomer O
Keto-Tautomer (Oxo-Form)
18.10.5 Intramolekulare Kondensation von Diestern (DIECKMANN-Kondensation) Nach einer der CLAISEN-Kondensation analogen Reaktion cyclisieren vor allem 1,4- und 1,5-Dicarbonsäurediester zu cyclischen fünf- bzw. sechsgliedrigen d-Ketoestern: CH 2 CO2R (CH 2)n OR C
+ RO / ROH
CH CO2R _ (CH 2)n OR C O
O
n=3,4
CH CO2R (CH 2)n OR C
/ RO
CH CO2R (CH 2)n C O
IOI _
Die DIECKMANN-Cyclokondensation des Adipinsäurediethylesters führt z. B. zu 2-Ethoxycarbonylcyclopentanon; nach Verseifung dieses d-Ketoesters und Decarboxylierung der d-Ketosäure erhält man Cyclopentanon: CO2C 2H5 / CO2C2H 5 CH2 NaOC2H5 , / C2H5OH - H2O (OH ) OC 2H5 / C2H5OH C O O Adipinsäurediethylester 2-Ethoxycarbonylcyclopentanon
CO2H O
/ CO2
O Cyclopentanon
Die DIECKMANN-Esterkondensation ist ein Weg zur Synthese substituierter Cyclopentane und Cyclohexane. Bei kleineren und größeren Ringen sind die Ausbeuten zu gering.
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18.11 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten
287
18.11 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten 18.11.1 Thermische Decarboxylierung und Cyclokondensation Erhitzt man Dicarbonsäuren HOOC/(CH2)n/COOH, so hängen die Reaktionsprodukte von der Anzahl n der C-Atome zwischen beiden Carboxy-Gruppen ab. Ist n = 0 oder 1, so erfolgt eine thermische Decarboxylierung. Oxalsäure (n = 0) ergibt Ameisensäure, Malonsäure (n = 1) Essigsäure: HO2C CO2H HO2C CH 2 CO2H
190 °C 140 °C
H CO2H
+
CO2
H3C CO2H
+
CO2
Ist n = 2 oder 3, so bilden sich aus den Dicarbonsäuren unter intramolekularer Dehydratisierung fünf- oder sechsgliedrige cyclische Dicarbonsäureanhydride. Bernsteinsäure, Phthalsäure (Abschn. 18.7.4) sowie Maleinsäure und Glutarsäure cyclokondensieren beim Erhitzen unter Bildung der cyclischen Anhydride: O H H
C C
C C
O OH
/ H2O
OH
O
CO2H
O C
O Maleinsäureanhydrid
O
/ H2O
O
OH
O Glutarsäureanhydrid
O
18.11.2 Bildung cyclischer Dicarbonsäureimide In Analogie zu den Säureamiden (Abschn. 18.7.5) bilden sich durch Erhitzen der DiammoniumDicarboxylate cyclische Dicarbonsäureimide, sofern sich zwei oder drei C-Atome zwischen den Carboxy-Gruppen befinden, so daß Fünf- oder Sechs-Ringe entstehen, z. B.: O H 2C H 2C
C C
O
O O O
NH 4 NH 4
O Diammoniumsuccinat
C
100-150 °C / NH3 , / H2O
NH C O
Succinimid (Bernsteinsäureimid)
O O O
NH4 NH4
O Diammoniumphthalat
100-150 °C / NH3 , / H2O
NH O Phthalimid
18.11.3 Reaktionen cyclischer Dicarbonsäureimide Carbonsäureimide sind NH-Säuren, da die O-Atome der beiden benachbarten Carbonyl-Gruppen die negative Ladung des durch Deprotonierung entstehenden Imid-Anions übernehmen können.
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288
18 Carbonsäuren und ihre Derivate
Das Imid-Anion ist also mesomeriestabilisiert: O
O + OH
NH
O
O
/
INI
/ H2O
NI
O
O
NI
O
O
mesomere Grenzformeln des Succinimid-Anions
Das bei der Neutralisation von Phthalimid mit KOH entstehende Kaliumphthalimid reagiert mit Halogenalkanen als Stickstoff-Nucleophil zur Einführung der primären Amino-Gruppe (/NH2). Diese GABRIEL-Synthese primärer Amine R/NH2 führt zunächst zum N-Alkylphthalimid, das in Gegenwart von Mineralsäuren zu Phthalsäure sowie dem primären Amin in Form seines Salzes hydrolysiert. Die Freisetzung des primären Amins gelingt auch mit Hydrazin unter Bildung des Phthalsäurehydrazids. O
O /KX
INI
K
+
CO2H
+ 2 H2O
R
X
+
N R CO2H
O Kaliumphthalimid
O N-Alkylphthalimid
H2N R primäres Amin
Die Reaktion von Succinimid mit Brom in wäßriger Natronlauge führt zu N-Bromsuccinimid: O
O NH
+
Br2
+
N Br
NaOH
+
NaBr
H2O
+
O N-Bromsuccinimid
O
N-Bromsuccinimid spaltet beim Erhitzen homolytisch Brom ab. Die dabei langsam entstehenden Brom-Radikale substituieren selektiv am Allyl-Kohlenstoff eines Alkens (NBS-Bromierung nach WOHL-ZIEGLER), z. B.: O H 3C
H C C H CO2CH 3
+
trans-Crotonsäuremethylester
O Hitze
Br H2C
H C C H CO2CH3
N Br O
+
trans-i-Bromcrotonsäuremethylester
N H O
Zudem können mit N-Bromsuccinimid sekundäre Alkohole schonend zu Ketonen oxidiert werden (BARAKAT-Dehydrierung): O
R' R C OH H sek. Alkohol
O R'
+
N Br O
C O R Keton
+
N H O
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18.11 Spezielle Reaktionen von Dicarbonsäuren und Derivaten
289
18.11.4 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Dienophil Maleinsäureanhydrid und seine Analoga wie Maleinsäureimid sind wegen des (/)-M-Effekts der beiden Ring-Carbonyl-Gruppen elektronenarme Dienophile, d. h. sie cycloaddieren an elektronenreiche 1,3-Diene (DIELS-ALDER-Reaktion oder [4+2]-Cycloaddition). Mit 1,3-Butadien entstehen so Tetrahydrophthalsäureanhydrid (Y = O) bzw. Tetrahydrophthalimid (Y = NH, Abschn. 6.5.4, 8.6.4): O
O
H +
Y H
1,3-Butadien (s-cis-Konformer)
H
Y
Y
O
O
Y = O , NH
O
H O Tetrahydrophthalsäureanhydrid (Y = O) Tetrahydrophthalimid (Y = NH)
18.11.5 Maleinsäureanhydrid als elektronenarmes Enophil bei En-Reaktionen Prädestiniert als Enophile zur En-Reaktion (Abschn. 4.5.11) sind Verbindungen mit elektronenarmen Doppelbindungen wie Maleinsäureanhydrid, dessen En-Reaktion mit Propen zum (R,S)Allylbernsteinsäureanhydrid führt: O H
+
Propen
O
O
H
O O Maleinsäureanhydrid
O O
O O Allylbernsteinsäureanhydrid
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19
Substituierte Carbonsäuren
19 Substituierte Carbonsäuren 19.1 Nomenklatur substituierter Carbonsäuren Die wichtigsten substituierten Carbonsäuren tragen in c-, d-, i-, f-Stellung zur Carboxy-Gruppe Halogene, Hydroxy- oder Amino-Funktionen sowie Oxo-Gruppen. Entsprechend nennt man sie Halogencarbonsäuren (Halogensäuren), Hydroxycarbonsäuren (Hydroxysäuren), Aminosäuren (Abschn. 36) und Oxocarbonsäuren (Oxosäuren, früher: Ketosäuren). Die Bezeichnungen substituierter Carbonsäuren leiten sich von denen unsubstituierter Säuren ab (Abschn. 18.1). Die Position der Substituenten wird gemäß IUPAC mit arabischen Ziffern angegeben. Bei den Trivialnamen werden stattdessen oft die griechischen Buchstaben c, d, i, f,... benützt. Vermieden werden sollte eine Kombination von IUPAC-Bezeichnungen mit c-, d-, iPositionsangaben; so kann d-Brompropionsäure konsequent durch 3-Brompropansäure (jedoch nicht durch d-Brompropansäure) ersetzt werden. 3
2
1
4
3
2
1
5
H 3C CH CH 2 CO2H
H3C CH CO2H
F
Cl 2-Chlorpropansäure (c-Chlorpropionsäure)
4
OH
3-Fluorbutansäure (d-Fluorbuttersäure)
3
2
1
CH2 CH2 C CH 2 CO2H
O
4(1)
CO2H
O
5-Hydroxy-3-oxopentansäure (f-Hydroxy-d -ketovaleriansäure)
4-Oxocyclohexancarbonsäure (f-Oxocyclohexancarbonsäure, Cyclohexanon-4-carbonsäure)
Aufgrund ihrer lange bekannten natürlichen Herkunft sind für einige bedeutende Säuren fast nur Trivialnamen in Gebrauch (Bezeichnung des Säure-Anions in eckigen Klammern): H 3C CH CO2H
HO CH2 CH CO2H
H3C C CO2H
OH 2-Hydroxypropansäure (Milchsäure) [Lactat]
OH 2,3-Dihydroxypropansäure (Glycerinsäure) [Glycerat]
O 2-Oxopropansäure (Brenztraubensäure) [Pyruvat]
HO2C CH 2
CH CO2H
OH 2-Hydroxybutandisäure (Äpfelsäure) [Malat]
HO2C CH
CH CO2H
H 3C C CH 2 CH2 CO2H
OH OH 2,3-Dihydroxybutandisäure (Weinsäure) [Tartrat]
O 4-Oxopentansäure (Lävulinsäure) [Lävulat]
19.2 Physikalische Eigenschaften und Acidität Die Einführung von Heteroatomen in Carbonsäuren erhöht deren Polarität; damit verstärken sich die intermolekularen Wechselwirkungen. Somit liegen die Schmelz- und Siedepunkte substituierter Carbonsäuren deutlich höher als die vergleichbarer unsubstituierter Carbonsäuren.
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19.2 Physikalische Eigenschaften und Acidität
291
Die Acidität der Hydroxy-, Oxo- und besonders der c-Halogensäuren ist stärker als die von unsubstituierten Carbonsäuren (Tab. 19.1). Dies läßt sich auf den Elektronenzug des elektronegativen Sauerstoffs der Hydroxy- und Oxo-Gruppe bzw. der Halogen-Substituenten zurückführen. Dieser Effekt stabilisiert die Carboxylat-Anionen durch eine bessere Verteilung ihrer negativen Ladung (Abschn. 18.6.4). Tab. 19.1. Substituenteneffekte auf Schmelz- und Siedepunkte sowie Aciditäten ausgewählter Ethanund Propansäuren Schmp. °C
Sdp. °C (1013 mbar)
Aciditätskonstante Ka ( x 10/5 )
Ethan-
16.6
118.0
1.7
Cl CH2 CO2H
Chlorethan-
61.0
189.0
136.0
HO CH2 CO2H
Hydroxyethan-
80.0
100.0
15.0
Oxoethan-
98.0
Zersetzung
47.0
/ 22.0
141.0
1.3
2-Chlorpropan- (R,S)
---
185.0
13.2
2-Hydroxypropan- (R,S)
18.0
122.0
14.0
2-Oxopropansäure
14.0
165.0
320.0
Formel
H 3C
CO2H
O CH CO2H H 3C CH2 CO2H H 3C CH CO2H
IUPAC-Bezeichnung
Propan-
Cl H 3C CH CO2H OH H 3C C CO2H O
Die Säurestärke der Halogensäuren nimmt mit zunehmendem (/)-I-Effekt (I < Cl" "Br < F) und der Anzahl elektronenziehender Substituenten zu. Wächst der Abstand zwischen dem (/)-ISubstituenten und der Carboxy-Gruppe, so verringert sich die Acidität (Tab. 19.2). Tab. 19.2. pK-Werte einiger Halogenalkansäuren in Abhängigkeit vom (/)-I-Substituenten Halogenalkansäuren
pK-Wert
Formel
Monohalogenethansäuren
F Cl Br I
Mono-, Di-, Trichlorethansäure
Cl
y-Chloralkansäuren
Cl
CO2H CO2H CO2H CO2H
2.66 2.86 2.69 3.12
CH2 CO2H Cl2CH CO2H Cl3C CO2H
2.86 1.30 0.65
Cl CH2 CO2H Cl CH2 CH2 CO2H CH2 CH2 CH2 CO2H
2.86 4.08 4.52
CH2 CH2 CH2 CH2
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292
19
Substituierte Carbonsäuren
19.3 Halogencarbonsäuren 19.3.1
Synthesen
-Halogencarbonsäuren durch -Halogenierung Carbonsäuren lassen sich in c-Stellung zur Carboxy-Gruppe halogenieren. So werden Essigsäure und Phenylessigsäure durch Chlor im UV-Licht radikalisch zu den c-Halogencarbonsäuren substituiert: H3C CO2H
+
Cl2
C6H 5 CH 2 CO2H
+
Cl2
hp , Rückfluß
hp
Cl
CH 2 CO2H Chloressigsäure
+
HCl
C 6H5 CH CO2H
+
HCl
Cl
c-Chlorphenylessigsäure
Auch in Gegenwart katalytischer Mengen an rotem Phosphor reagieren Carbonsäuren mit Halogenen (Cl, Br) zu c-Halogencarbonsäuren (HELL-VOLHARD-ZELINSKII-Reaktion): R CH 2 CO2H
+
X2
PX3 oder P
R CH CO2H
+
HX
X
X = Cl , Br
Der Phosphor beschleunigt die Reaktion, indem er mit dem Halogen das Trihalogenid bildet, welches die Carbonsäure zum Säurehalogenid derivatisiert: 2 P + 3 X2
O 3 R CH 2 C + OH
2 PX 3
O 3 R CH 2 C X
PX 3
+
P(OH)3
In Gegenwart von Halogenwasserstoff HX als Protonendonor enolisiert das Säurehalogenid, und das Halogen X2 addiert an die Doppelbindung des Enols: O
+ [H+]
R CH2 C
O H C X
R CH X
H
/ [H +]
O H R CH
+ X2
C
f/
f- O H
Xf-
X
R CH
X enolisiertes Säurehalogenid
O
/ HX
C
R CH X
C X
X f/
Das entstandene c-Halogensäurehalogenid reagiert mit einem Molekül Carbonsäure unter Halogen-Austausch zur c-Halogencarbonsäure und dem Säurehalogenid, welches seinerseits wieder in den Reaktionskreislauf eintritt. O R CH X
C
+ X
O R CH 2 C OH
R CH X
O + C OH
O R CH2 C X
Bei Ausschluß von Bedingungen, unter denen sich Radikale bilden können, führt die HELLVOLHARD-ZELINSKII-Halogenierung selektiv zur c-Halogencarbonsäure, z. B.: H3C CH2 CH 2 CH 2 CO2H Valeriansäure
+ Br 2 , P , / HBr
Br H3C CH2 CH 2 CH CO2H DL-c-Bromvaleriansäure (R,S)-2-Brompentansäure
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19.3 Halogencarbonsäuren
293
Bromierungen CH-acider 1,3-Dicarbonsäuren, z. B. Malonsäure und deren c-Alkyl-Derivate, gelingen ohne Phosphortribromid (PBr3). Die thermische Decarboxylierung der gebildeten cBromdicarbonsäure führt zur c-Bromcarbonsäure: CO2H
CO2H
+ Br2 , / HBr
R C CO2H
130-150 °C , / CO2
R C CO2H
R CH CO2H
Br
H c-Alkylmalonsäure
Br
c-Brom-c-alkylmalonsäure
c-Bromcarbonsäure
- und -Halogencarbonsäuren aus , -ungesättigten Carbonsäuren d-Halogencarbonsäuren entstehen durch elektrophile Addition von Halogenwasserstoff an c,d-ungesättigte Carbonsäuren (Abschn. 18.5.8, 18.5.9), z. B.: H3C CH CH CO2H
+
HBr
H3C CH CH2 CO2H Br
(E- oder Z-)-2-Butensäure
(R,S)-3-Brombutansäure
Die selektive d-Bromierung erfolgt aufgrund einer Cd-Positivierung bei der intermediären Bildung eines mesomeriestabilisierten Oxonium-Carbenium-Ions: OH R CH CH
C OH OH
+
+ [H ]
R CH CH CO2H
R CH CH
+ Br
/
O
OH
C
R CH CH OH
Br
R CH CH2 C
C OH
OH
Br
OH R CH CH
C OH
" c,d-Ungesättigte Carbonsäureester können in Allyl-Stellung mit N-Bromsuccinimid selektiv bro-
miert werden (WOHL-ZIEGLER-Bromierung, Abschn. 13.3.7). O
O CCl4 , 25 °C
H3C CH CH CO2CH 3
+
(E- oder Z-)-2-Butensäuremethylester
N Br O
Br CH2 CH CH CO2CH 3
+
(E- oder Z-)-4-Brom-2-butensäuremethylester
N H O
-Halogencarbonsäureester aus Lactonen Wasserfreie Halogenwasserstoffe in alkoholischer Lösung öffnen Lacton-Ringe (cyclische Ester von Hydroxysäuren) unter Bildung von y-halogensubstituierten Carbonsäureestern: O
O
+ HBr , + C 2H5 OH
O Br
O
CO2C 2H 5
/ H2O i-Butyrolacton (4-Butanolid)
+ HCl , + CH 3OH / H2O
4-Brombutansäureethylester (i-Brombuttersäureethylester)
f-Valerolacton (5-Pentanolid)
Cl
CO2CH 3
5-Chlorpentansäuremethylester (f-Chlorvaleriansäuremethylester)
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294
19
19.3.2
Substituierte Carbonsäuren
Reaktionen
Halogensäuren zeigen sowohl Carbonsäure-spezifische Reaktionen wie Neutralisation, Säurehalogenid-Bildung und Veresterung, als auch die für Halogenalkane typischen Reaktionen wie nucleophile Substitutionen und Eliminierungen. Nucleophile Substitutionen des Halogens in c-Halogencarbonsäuren öffnen den Weg zu c-substituierten Derivaten wie c-Hydroxy-, c-Amino-, cCyanocarbonsäuren und Malonsäuren (Abb. 19.1). Halogenalkan-Reaktionen
Carbonsäure-Derivatisierungen
+ NaOH , / NaCl
R CH2 CH CO2H
+ NaOH , / H2O
Hydrolyse
OH
Neutralisation
2-Hydroxyalkansäure
X
+ 2 NH3 , / NH4Cl
R CH2 CH CO2
R CH2 CH CO2 Na Natrium-2-halogenalkanoat
2-Halogenalkansäure
Ammonolyse
+
+ R'OH , / H2O [H ]
NH3 2-Aminoalkansäure (Aminosäure)
R CH2 CH CO2H
X
X
+ KCN , / KCl
R CH2 CH CO2H
R CH2 CH CO2R'
Veresterung
2-Halogenalkansäureester
KOLBE-Nitrilsynthese
CN
+ SOCl2 , / SO2 , / HCl
2-Cyanoalkansäure / HX
R CH CH CO2H
Säurehalogenierung
X
Dehydrohalogenierung
2-Alkensäure
R CH2 CH COCl 2-Halogenalkansäurechlorid
Abb. 19.1. Reaktionen der Halogencarbonsäuren
Präparative Anwendungen sind die Darstellung der Milchsäure, des Alanins und der Methylmalonsäure über 2-Cyanopropansäure aus 2-Brompropansäure, + NaOH , / NaBr
H 3C CH CO2H
+ 2 NH3 , / NH4Br
H3C CH CO2H
OH
H3C CH CO2H
Br
(R,S)-2-Hydroxypropansäure (DL-Milchsäure)
NH2 (R,S)-2-Aminopropansäure (DL-Alanin)
(R,S)-2-Brompropansäure
+ NaCN , / NaBr + 2 H2O , / NH3
H3C CH CO2H
H3C CH CO2H
CN
CO2H Methylmalonsäure
(R,S)-2-Cyanopropansäure (DL-Methylmalonsäuremononitril)
sowie eine Synthese der c-Aminosäure DL-Leucin durch Ammonolyse der 2-Brom-4-methylpentansäure, dem Decarboxylierungsprodukt der durch Bromierung der Isobutylmalonsäure zugänglichen c-Bromisobutylmalonsäure. CO2H (H 3C)2CH CH2 C CO2H H
+ Br2 / HBr
CO2H (H 3C)2CH CH2 C CO2H Br
130 - 150 °C / CO2
(H3C)2CH CH 2 CH CO2H Br
Isobutylmalonsäure + 2 NH3
/ NH4Br
(H3C)2CH CH 2 CH CO2 NH3 DL-Leucin
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19.4 Hydroxycarbonsäuren
295
19.4 Hydroxycarbonsäuren 19.4.1
Synthesen
-Hydroxycarbonsäuren durch Cyanhydrin-Synthese Aldehyde können durch Addition von Blausäure in Cyanhydrine (Abschn. 20.10.4) übergeführt werden, deren Hydrolyse c-Hydroxycarbonsäuren liefert: H
H
+ HCN
O Acetaldehyd
H
+ 2 H2O [H+] , / NH3
H3C C C N
H3C C
H 3C C CO2H
OH
OH
Acetaldehyd-cyanhydrin
DL-Milchsäure (2-Hydroxypropansäure)
Hydroxylierung von Halogencarbonsäuren In alkalisch wäßriger Lösung lassen sich Halogensäuren durch nucleophile Substitution in Hydroxysäuren umwandeln: H
/
+ OH , / Br
H
/
H3C C CO2 Na
H3C C CO2 Na
OH
Br c-Brompropionat
DL-Lactat (2-Hydroxypropanoat)
Reduktion von Oxocarbonsäuren Aus Oxosäuren oder Oxosäureestern entstehen durch katalytische Hydrierung in Gegenwart von RANEY-Nickel Hydroxysäuren: O
O
RANEY-Ni , 100 °C, Druck
H 3C C CH 2 C
+
H3C CH CH2 C
H2
OC 2H5
O
OC2H 5
OH
Acetessigester
DL-d-Hydroxybuttersäureethylester
REFORMATSKY-Synthese von -Hydroxycarbonsäureestern c-Halogencarbonsäureester reagieren mit Zinkstaub in aprotischen Lösemitteln zu Alkylzinkhalogeniden. Diese addieren an Carbonyl-Verbindungen; durch Hydrolyse der Addukte entstehen dHydroxyester. in Ether oder Benzen
R1 CH CO2R2 +
R1 CH CO2R2
Zn
X
ZnX
c-Halogencarbonsäureester ( X = Cl , Br , I )
R4
C O
R3
R4
C O
R3
R1 +
f/ CH f- ZnX
R3 R 1
1,2-Addition
R2
CO2
R4
R2
C CH CO2 OZnX
+ H2O / ZnX(OH)
R3 R 1 R4
C CH CO2R 2 OH
d-Hydroxycarbonsäureester
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296
19
Substituierte Carbonsäuren
Die 1,2-Addition der Organozink-Verbindung RZnX an die CO-Doppelbindung eines Aldehyds oder Ketons führt in formaler Analogie zur Addition von GRIGNARD-Reagenzien (RMgX) an Carbonyl-Verbindungen zu d-Hydroxycarbonsäureestern. Da die reaktiveren Alkylmagnesiumhalogenide auch an die Ester-Funktion addieren würden, eignen sie sich nicht zur Darstellung von dHydroxyestern. Organocadmium-Verbindungen RCdX sind andererseits gegenüber Aldehyden und Ketonen zu wenig reaktiv. Die REFORMATSKY-Reaktion von Bromessigsäureethylester mit Benzaldehyd führt im "EintopfVerfahren" mit guter Ausbeute zu d-Hydroxy-d-phenylpropionsäureethylester, der unter milden Bedingungen zum c,d-ungesättigten Ester dehydratisiert werden kann: H
H
CH2 CO2C2H 5
C CH2 CO2C 2H5
C CH2 CO2C2H 5
ZnBr
OZnBr
H +
C O
OH
d-Hydroxy-d-phenylpropionsäureethylester [H+]
+ Zn
Br
/ H2O
CH2 CO2C2H 5
H
Bromessigsäureethylester
Zimtsäureethylester
C C H
19.4.2
CO2C2H 5
Reaktionen
Neben typischen Reaktionen der Carboxy- und der Hydroxy-Gruppe zeigen Hydroxysäuren charakteristische ambidente Reaktionen, die auf gleichzeitige Anwesenheit von Hydroxy- und Carboxy-Gruppen zurückzuführen sind.
Reaktionen der Hydroxy-Gruppe Säurechloride wie Acetyl- oder Benzoylchlorid acylieren Hydroxysäuren in Gegenwart einer Hilfsbase zur Bindung des freigesetzten Chlowasserstoffs: O H3C CH CO2 Na
+
C 6H5
C Cl
OH Natriumlactat
+ NaOH
H 3C CH CO2 Na
/ NaCl , / H2O
O
Benzoylchlorid
C
O
C6H 5 O-Benzoyl-Natriumlactat
Zur Überführung der Hydroxysäuren oder Hydroxyester in die entsprechenden Oxosäuren bzw. deren Ester kann die Hydroxy-Funktion mit Oxidationsmitteln oxidiert werden, z.B. mit Kaliumpermanganat: / 2 [H+] , / 2 e0
R CH
(CH2)n CO2H
OH Hydroxysäure
/
R C
(CH2)n CO2H
O Oxosäure
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19.4 Hydroxycarbonsäuren
297
d-Hydroxyester werden wesentlich leichter dehydratisiert als Alkohole, da der entstehende c,d-un-
gesättigte Ester mesomeriestabilisiert ist. R
R
- [H+]
R C
R C
CH 2 CO2R'
R
/ H2 O
CH 2 CO2R' R
OH 2
OH
H
R
/ [H+]
C C
H C C
CO2R'
R
CO2R'
c,d-ungesättigter Ester
Reaktionen der Carboxy-Gruppe Hydroxysäuren sind aufgrund des (/)-I-Effekts der Hydroxy-Gruppe etwas acider als entsprechende Alkansäuren (Essigsäure: pK = 4.75; Glykolsäure: pK = 3.83; Tab. 19.1). Sie lassen sich auf die übliche Weise mit Alkoholen durch Katalyse mit wasserfreier Mineralsäure verestern.
Ambidente Reaktionen Bei der Reaktion mit Thionylchlorid zur Herstellung von Säurechloriden wird auch die HydroxyGruppe substituiert: O R CH
(CH2)n CO2H
+
2 SOCl2
R CH
OH
2 SO2
+
2 HCl
Cl
Cl
y-Hydroxycarbonsäure
+
(CH2)n C
y-Chlorcarbonsäurechlorid
Langkettige c-Hydroxysäuren lassen sich thermisch unter Abspaltung von Kohlenmonoxid und Wasser zu Aldehyden abbauen. R
(CH 2)n
H
200 °C , CO2-Atmosphäre
* CH CO2H
R
(CH 2)n
* CO
+
C
+
H2O
O
OH
Erhitzt man c-Hydroxycarbonsäuren, so spalten sie Wasser ab. Dabei entstehen durch intermolekulare Cyclodehydratisierung Lactide: OH
O
HO
R H
+ H R
OH
HO
F".""/ 2 H2O
O
O H
O
R
R H O
O
Lactid (3,6-Dialkyl-2,5-dioxo1,4-dioxan)
" d-Hydroxysäuren dehydratisieren intramolekular zu c,d-ungesättigten Carbonsäuren: F".""/ H2O
HO CH 2 CH2
CO2H
d-Hydroxypropionsäure
H 2C CH
CO2H
Acrylsäure
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298
19
Substituierte Carbonsäuren
Andererseits bilden i,"f,"g...-Hydroxysäuren bereits beim gelinden Erhitzen durch intramolekulare Cyclodehydratisierung Lactone (innere Ester). Besonders leicht entstehen fünf- und sechsgliedrige Lacton-Ringe: F".""/ H2O
HO
HO
F".""/ H2O
C O
C O O
"i-Hydroxybuttersäure (4-Hydroxybutansäure)
HO
i-Butyrolacton (4-Butanolid)
HO
C
O
O
f-Hydroxyvaleriansäure (5-Hydroxypentansäure)
C
O
f-Valerolacton (5-Pentanolid)
Synthesen und Reaktionen der Lactone c-Lactone können nur mit Hilfe spektroskopischer Methoden in Lösung nachgewiesen werden. dPropiolacton (Karzinogen) sowie i-Butyrolacton als bedeutende Zwischenprodukte für industrielle Synthesen werden durch [2+2]-Cycloaddition aus Formaldehyd und Keten bzw. durch intramolekulare Cyclodehydrierung aus 1,4-Butandiol hergestellt. H2C O +
ZnCl2 oder BF3
Cu (Kat.) , 200 °C
O
H2C C O
OH
HO
O
"/ 2 H2
d-Propiolacton (3-Propanolid)
O
C O
i-Butyrolacton (4-Butanolid)
Makrocyclische Lactone (Makrolide) entstehen durch MITSUNOBU-Cyclodehydratisierung der yHydroxycarbonsäuren mit Azodicarbonsäurediester und Triphenylphosphan (Abschn. 23.4.2). Ein Verfahren der Riechstoffindustrie ist die c-Oxidation und Ringerweiterung höhergliedriger Ketone mit Peroxoschwefelsäure (H2SO5): + H2SO5 , / H2SO4
O O
O O
Cyclopentadecanon
O
Exaltolid (15-Pentadecanolid) mit trans-Konfiguration
Der Duftstoff Exaltolid des Angelikawurzelöls ist ein 16-gliedriges Lacton mit stabiler transKonfiguration an der Lacton-Bindung. Kleine Lacton-Ringe besitzen dagegen eine durch die Ringstruktur erzwungene energiereichere cis-Konfiguration. Der Lacton-Ring ist daher besonders bei d-Propiolacton außerordentlich reaktiv; die Lacton-Bindung kann reduktiv sowie mit Mineralsäure, Ammoniak, Cyanid oder Hydrogensulfit gespalten werden. Na / Hg / H2O
HCl / CH3OH
O
C O
i-Butyrolacton (4-Butanolid)
KCN
KHSO3
NH3
H3C CH 2 CH 2
CO2H
Butansäure
CH 2
CH 2 CH 2
CO2H
4-Chlorbutansäure
NC CH 2
CH 2 CH 2
CO2 K
4-Cyanobutanoat
HO3S CH 2
CH 2 CH 2
CO2H
4-Sulfobutansäure
HO CH 2
CH 2 CH 2
CONH 2
4-Hydroxybutansäureamid
Cl
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
299
Das durch Ammonolyse des i-Butyrolactons entstehende i-Hydroxybuttersäureamid kann zum fünfgliedrigen Lactam (inneres cis-Säureamid) dehydratisiert werden: H HO H2N C O
N
/ H2O
C O
"i-Butyrolactam (2-Pyrrolidinon)
Wie die höhergliedrigen Lactone bevorzugen Lactame mit mehr als zehn Ringatomen die stabilere trans-Konfiguration.
19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester 19.5.1
Synthesen
-Oxocarbonsäuren Die wichtigste c-Oxosäure ist die aus racemischer Weinsäure (Traubensäure) beim Erhitzen („Brenzen“) in Gegenwart von Kaliumhydrogensulfat (KHSO4) durch Dehydratisierung und Decarboxylierung entstehende Brenztraubensäure (BERZELIUS 1835): CO2H
CO2H
CH OH
KHSO4
C OH
C O
CH OH
/ H2O
CH
CH2
CO2H
CO2H
CO2H
CO2H Traubensäure
Hydroxymaleinsäure
CO2H / CO2
C O CH3 Brenztraubensäure
Oxalessigsäure
c-Oxosäuren können auch durch Oxidation der c-Hydroxysäuren mit Kaliumpermanganat herge-
stellt werden: +
/ 2 [H ] , / 2 e0
/
H 3C C CO2H
H 3C CH CO2H
O
OH Milchsäure
Brenztraubensäure (2-Oxopropansäure)
Ausgehend von Säurehalogeniden werden nach Substitution des Halogenids durch Cyanid und anschließender Hydrolyse ebenfalls c-Oxosäuren (c-Ketosäuren) hergestellt: O R
C Cl
Carbonsäurechlorid
O
+ KCN / KCl
R
C CN
Acylcyanid
O
+ 2 H2O / NH3
R
C
CO2H c-Oxocarbonsäure
c-Oxosäuren bilden sich auch aus metallierten 1,3-Dithianen und Kohlendioxid (Abschn. 32.4.2).
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300
19
Substituierte Carbonsäuren
-Oxocarbonsäuren Freie d-Oxosäuren sind unbeständig. So decarboxyliert Acetessigsäure (3-Oxobutansäure) bereits bei Raumtemperatur zu Aceton: 25 °C ."/ CO2
H3C C CH2 CO2H
H 3C C CH 3 O
O
Bedeutender als die freie Säure ist Acetessigester (Acetylessigsäureethylester, 3-Oxobutansäureethylester), der aufgrund seiner CH-aciden Methylen-Gruppe bzw. seiner Keto-Enol-Tautomerie (Abschn. 19.5.3) als Synthesereagenz für viele organische Synthesen Anwendung findet. Acetessigester entsteht durch CLAISEN-Esterkondensation des Essigsäureethylesters mit starken Basen wie Natrium-ethanolat (Abschn. 18.10.4). Technisch wird er durch Addition von Ethanol an Diketen hergestellt. Diketen, Dimer des Ketens, entsteht durch katalytische Pyrolyse des Acetons: H3C
Cr , Ni , 180 °C
H2C C O Keten
C O H3C Propanon (Aceton)
C
+
O
H 2C
CH 4
H
H2C
H 2C
+
- C2H5OH
H 3C
O
C
C
OC 2H5
O O Acetessigester
O Diketen
O
C
H C
-Oxocarbonsäuren Die CH-Acidität der d-Oxoester nützt bei der Synthese von i-Oxosäuren. Dabei wird unter Basenkatalyse die Methylen-Gruppe mit Chloressigsäureethylester alkyliert. Anschließende Verseifung und Decarboxylierung ergibt (aus Acetessigester) i-Oxopentansäure (Lävulinsäure), die auch aus Rohrzucker (Abschn. 39.8.1) durch Erhitzen mit Salzsäure unter Druck entsteht. /
+ C2H5O
H 3C C CH 2 CO2C 2H5 O
/"C2H5OH
_ H 3C C CH CO2C 2H5 O
+ Cl
CH 2 / Cl
CO2 C 2H 5 /
H 3C C CH CO2C 2H5 O CH 2 CO2C 2H 5 + 2NaOH
* / CO H 3C C CH 2 CH 2 CO2H O
Lävulinsäure (4-Oxopentansäure = i-Ketovaleriansäure)
19.5.2
2
* H 3C C CH CO2H O CH 2 CO2H
/ 2 C2H5OH
+ 2 HCl , / 2 NaCl
H 3C C CH CO2 Na O CH 2 CO2 Na
Reaktionen der Oxocarbonsäuren
Thermische Umwandlungen Je nach Position der Oxo-Gruppe entstehen aus Oxosäuren beim Erhitzen Aldehyde, Ketone oder Lactone.
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
301
c-Oxosäuren decarboxylieren beim Erhitzen in wäßriger Säure unter Bildung von Aldehyden: H
150 °C, verd. H2SO4
R CH 2
C CO2H
/ CO2
O
R CH2
C O
"
d-Oxosäuren decarboxylieren beim mäßigen Erwärmen unter Bildung von Methylketonen: R CH 2
F"."/ CO2
C CH2 CO2H O
R CH2
C CH 3 O
" " i-Oxosäuren cyclisieren beim Erhitzen durch nucleophile Addition der Carboxy-OH-Funktion an das Carbonyl-C-Atom zu Lactolen, die zu ungesättigten Lactonen dehydratisieren. Ungesättigte i-
Lactone sind Teilstrukturen einiger Terpene und Steroide; man bezeichnet diese Verbindungsklasse auch als Butenolide. R HO O C
R HO
C O
O
F"."/ H2O
O
R
O
O
und
O
R
O
c,d- und d,i-ungesättigtes Butyrolacton (Butenolid)
Lactol
Reduktion Durch katalytische Reduktion können Oxosäuren und Oxoester in Hydroxysäuren übergeführt werden: -" H2 (Kat.) oder
R CH 2
C (CH 2)n CO2H(R') O
Reduktionsmittel
R CH2
CH (CH 2)n CO2H(R') OH
Derivatisierungen Oxosäuren lassen sich verestern, zu Säurehalogeniden derivatisieren sowie als Hydrazone, Oxime oder Semicarbazone isolieren und identifizieren. d-Oxoester wie Acetessigester reagieren mit Hydrazinen über die Hydrazon-Stufe durch Cyclokondensation leicht weiter zum FünfringHeterocyclus Pyrazolon (Abschn. 33.5.1). Diese Reaktion findet bei der Herstellung einiger Farbstoffe (Pyrazolon-Farbstoffe) und Pharmaka (Pyramidon, Antipyrin) Anwendung. R2 OC 2H5 O C
O
+ H2N NH R2
OC2H 5 O C
N NH R2
/ C2H5OH
O
N
N
/ H2O
R1
R1 Hydrazon
R1 5-Pyrazolon (5-Oxo-4,5-dihydropyrazol)
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302
19
Substituierte Carbonsäuren
CH-Acidität der -Oxocarbonsäureester und Folgereaktionen Präparativ bedeutend sind C-Alkylierungen und Acylierungen der CH-aciden Methylen-Gruppe der d-Oxoester. Wie mit anderen 1,3-Dioxo-Verbindungen können auch KNOEVENAGEL-Alkenylierungen und MICHAEL-Additionen durchgeführt werden. Diese vier für Malonsäurediester typische Reaktionen (Abschn. 18.10) sind auf d-Oxoester übertragbar. ‚
C-Alkylierung von d-Oxoestern mit Halogenalkanen und C-Acylierung mit Carbonsäurehalogeniden: C-Alkylierung + R Br
""/ Br
H 3C C CH CO2C 2H5
/
O R + C2H5O
H3C C CH2 CO2C 2H5
/
/"C2H5OH
O
""""c-Alkylacetessigester (2-Alkyl-3-oxobutansäureethylester)
_ H3C C CH CO2C2H 5 O
O
C-Acylierung + C6H5/CO/Cl
""/ Cl
C
C 6H5
H 3C C CH CO2C 2H5
/
O
"""c-Benzoylacetessigester (2-Benzoyl-3-oxobutansäureethylester)
‚
KNOEVENAGEL-Kondensation mit Aldehyden oder Ketonen: R
CO2C 2H 5
R C O
C OI
R
+
R O
Aldehyd oder Keton
‚
C
R H
Base
H C H
R C C CO2C 2H5
R
"/ H2O
R
HO COCH3
CH3
CO2C2H 5 C C COCH 3
Alkylidenacetessigester
MICHAEL-Addition an aktivierte Doppelbindungen: _ IN C CH CH 2
IN C CH CH 2
CO2C 2H5 +
d
NaOC2H5
H 2C
N C
CH 2
CO2C2H 5
c
CH2
C H
C CH 3
Elektrophil
C CH3 O
O
d-Cyanoethylacetessigester
Acrylnitril (Cyanoethen)
Das in den beiden ersten Reaktionen formulierte Carbanion existiert in Form des Natrium-Salzes, welches sich aus Acetessigester und metallischem Natrium unter Wasserstoff-Entwicklung bildet. Dabei entsteht der ambidente, mesomeriestabilisierte Natriumacetessigester, sowohl Carbanion als auch Enolat-Anion mit konjugierten CC- und CO-r-Bindungen: + Na , / 1/2 H2
H 3C C CH 2 C OC 2H5 O
O
_ H3C C CH C OC2H 5 O
H 3C C CH C OC 2H5
O
IO _I
Na
O
Natriumacetessigester
Natriumacetessigester bildet mit Säure Acetessigester zurück; dieser liegt als Gleichgewichtsgemisch der tautomeren Oxo- und Enolformen vor.
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19.5 Oxocarbonsäuren und ihre Ester
303
Spaltung von -Oxocarbonsäureestern Ein d-Oxoester ist wesentlich stabiler als die freie d-Oxosäure. Oxoester können aber in wäßrig saurer (85 % H3PO4) oder mäßig basischer Lösung in Methylketone, Alkohole und Kohlendioxid gespalten werden (Keton-Spaltung). Unter diesen Bedingungen wird die Ester-Gruppe hydrolysiert, worauf die entstehende freie Oxosäure decarboxyliert. Alkalihydroxide spalten dagegen in Alkylacetat, Acetat und Alkohol. Da zwei Säuren entstehen, ist diese Reaktion als Säure-Spaltung bekannt. Die Säure-Spaltung wird durch nucleophilen Angriff eines Hydroxid-Ions an der Oxo-Gruppe eingeleitet, was eine Spaltung der C-2/C-3-Bindung zur Folge hat. Keton-Spaltung
H3C C CH2 R
+ H2O [H3O+]
H3C C CH CO2C 2H5 + 2 NaOH
O R
R CH2 CO2 Na
Säure-Spaltung
19.5.3
+
C2H 5OH
+
CO2
O +
H 3C CO2 Na
+
C2H 5OH
Oxo-Enol-Tautomerie des Acetessigesters
Spektroskopische und chemische Untersuchungen zeigen, daß Acetessigester unter normalen Bedingungen ein Gemisch aus 92.5 % Oxo-Form (Acetessigester) und 7.5 % Enol-Form (dHydroxyalkensäureester) ist. Oxo- und Enol-Form sind Tautomere; das sind Isomere, die sich durch die Stellung eines H-Atoms und der r-Bindungen unterscheiden. Beide Tautomere wandeln sich durch Protonenwanderung (Prototropie) ständig ineinander um (dynamisches, prototropes Gleichgewicht, Protonentautomerie). Intermediär treten mesomeriestabilisierte Carbanionen und Enolat-Anionen auf: Anionen des Acetessigesters mesomeriestabilisiert , ambidente Reaktivität , sowohl Carbanion als auch Enolat-Anion
H H 3C
C O
C _ H
H C
OC2H 5
O
H 3C
C
H IO _I
C
H C
OC 2H5
H 3C
O
C O
C O
C
C
C
OC 2H5
IO _I H
H
H H H 3C
C
OC2H 5
O
Keto-Tautomer (Oxo-Form) CH-acide 1,3-Dioxo-Verbindung
H3C
C
C
C
OC 2H5
O H Enol-Tautomer O
mit konjugierten Doppelbindungen, stabilisiert durch intramolekulare Wasserstoffbrücke
Die beiden Tautomeren können bei tiefen Temperaturen (/78 °C) isoliert werden. Sie äquilibrieren bei Raumtemperatur nach kurzer Zeit wieder in das ursprünglichen Mischungsverhältnis, besonders in Gegenwart katalytischer Mengen Säure oder Base. Das prozentuale Verhältnis von Oxo- zur Enol-Form ist lösemittel-, temperatur- und konzentrationsabhängig. So steigt der EnolAnteil in lipophilen Solventien (Hexan) auf bis zu 46.4 % und sinkt in protischen polaren Löse-
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304
19
Substituierte Carbonsäuren
mitteln (Wasser) auf 0.4 %. Die verstärkte Enolisierung in unpolaren Medien ist u. a. durch die energetisch günstige intramolekulare Wasserstoffbrücke erklärbar. Die Oxo-Enol-Äquilibrierung verläuft allerdings nicht so rasch, daß chemische Analysen durch Abfangen einer Form ein völlig falsches prozentuales Verhältnis ergeben würden. Durch schnelle Titration mit Brom (Addition an die CC-Doppelbindung des Enols) gelingt die quantitative Ermittlung der Gleichgewichtslage. Präziser sind allerdings nicht invasive spektroskopische Methoden (Abschn. 28.5.5). Nach diesen Messungen enolisieren normale Aldehyde und Ketone nur geringfügig (< 1 ppm). Deutlich höher liegen die Enol-Gehalte der 1,3-Dioxo-Verbindungen wie Malondialdehyd und Acetylaceton (Tab. 19.3, Abb. 28.21, S. 498). Tab. 19.3. Oxo-Enol-Gleichgewichte von Carbonyl-Verbindungen Carbonyl-Verbindung
O x o - Form
E n o l - Form
CH 3 Aceton
H3C
CH2
C
H3C
0.00025
C
O
OH OC 2H5
OC2H 5
CH 2 C Acetessigester
H3C
CH C O
C
H3C
OH CH 3
CH3
CH 2 C H3C
CH C O
C
8.0
O
C
O
Acetylaceton
Enol-Gehalt [%]
H3C
O
87.0
O
C OH
Den unterschiedlichen Enolisierungsgrad kann man aufgrund der Bindungsenergiedaten verstehen: Bei der Enolisierung des Acetons ändert sich die molare Enthalpie um FHm + 84 kJ / mol; die Änderung der molaren Entropie (FSm) ist dagegen gering; die molare freie Enthalpie FGm sollte somit positiv sein. Experimentell ergibt sich K = 10/6 und FGm = + 34 kJ / mol. Beim Acetessigester enthält die Enol-Form dagegen eine konjugierte Doppelbindung (Zugewinn etwa 17 kJ / mol); zusätzlich stabilisiert eine intramolekulare Wasserstoffbrücke (Zugewinn etwa 25 kJ / mol). Somit beträgt der Enthalpiegewinn bei der Enolisierung etwa 84 /"42 = 42 kJ / mol. Qualitativ-chemische Nachweise der Enol-Form sind die Entfärbung einer Lösung von Brom in Tetrachlormethan oder Ethanol sowie die Bildung eines roten Eisen(III)-Chelates mit Eisen(III)chlorid. H Br H 3C Br C C C OC 2H5 O
H
O
Bromaddukt
H
Br 2 / CCl4
H 3C
C O
C H
H
FeCl3 / C2H5OH
C
OC 2H5
O
Acetessigester
H3C
C
C
C
OC 2H5
O
O Fe _
3 Eisen(III)-Chelat
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20.1 Übersicht
305
20 Aldehyde und Ketone 20.1 Übersicht Verbindungen mit der Formyl-Gruppe (/CH=O) bezeichnet man als Aldehyde. Ersetzt man das HAtom der Aldehyd-Funktion durch einen Alkyl- oder Aryl-Rest, so ergibt sich formal ein Keton: O
O
R C
(CH2)n C O
R C
H Aldehyd (R = Alkyl oder Aryl)
R Keton (R = gleiche oder verschiedene Alkyl oder Aryl)
Cycloalkanon (Cyclanon) n>1
Im Falle der Ketone können die Reste R zusammen auch einen cycloaliphatischen Ring bilden. Dann handelt es sich um cyclische Ketone oder Cycloalkanone (Cyclanone). Aldehyde und Ketone gehören mit den Carbonsäuren (R/COOH) aufgrund der gemeinsamen Carbonyl-Gruppe (C=O) zu den Carbonyl-Verbindungen. Von den Carbonsäuren unterscheiden sich die Aldehyde und Ketone sehr deutlich durch ihre Reaktivität. Untereinander zeigen sie jedoch weitgehend analoge Reaktionen. Daher sollen sie gemeinsam besprochen werden.
20.2 Nomenklatur 20.2.1
IUPAC-Bezeichnungen
Die IUPAC-Endsilben für Aldehyde und Ketone sind "-al" bzw. "-on", bei Dialdehyden und Diketonen sinngemäß "-dial" bzw. "-dion". Diese Endungen folgen der IUPAC-Bezeichnung des längstmöglichen Alkans, von dem sich der Aldehyd bzw. das Keton herleiten läßt, z. B.: O H3C CH2 CH2 CH 2 CH3
H3C CH2 CH 2 CH2 C
Pentan
Pentanal O
O
H O
H Cyclobutanon
H Pentandial
CH 3
2-Pentanon O
O C CH 2 C
C CH2 CH 2 CH2 C Cyclobutan
O H3C CH2 CH2 C
H3C CH3 2,4-Pentandion
Die Position von Seitenketten, Substituenten und Mehrfachbindungen wird durch arabische Ziffern gekennzeichnet. Dabei hat die Carbonyl-Gruppe Priorität; sie bekommt also die kleinstmög-
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306
20 Aldehyde und Ketone
liche Bezifferung. Infolge ihrer terminalen Stellung steht die Aldehyd-Gruppe stets in Position 1; diese Angabe erübrigt sich in der Bezeichnung: H Br
H Br H3C
C
H3C
CH2 CH 3
H
CH3
(2R)-(Z)-2-Brom-4-methyl-3-hexen
20.2.2
H 3C
CH 2 C
6
H
C C
C C H
O
C
CH 3
(5R)-(Z)-5-Brom-3-methyl-3-hexenal
Br H O C CH 3 5 2 1 4 C C3 H CH3 C
(5S)-(Z)-5-Brom-3-methyl3-hexen-2-on
Trivialnamen
Die Trivialbezeichnungen der Aldehyde werden meist von den (lateinischen) Namen der entsprechenden Carbonsäuren hergeleitet. Sie tragen die Endung "-aldehyd", z. B.: acidum acet icum (Essigsäure) acidum propion icum Benz oesäure p-Tolu ylsäure
Acet aldehyd Propion aldehyd Benz aldehyd p-Tolu aldehyd
Die Trivialnamen der Ketone enden mit "-keton". Die Bezeichnungen der beiden mit der Carbonyl-Gruppe verknüpften Alkyl-Gruppen werden vorangestellt, und zwar in der Reihenfolge zunehmender Größe, z. B.: H3C
H3C
H3C C CH2 CH 3
C CH3
H3C C CH CH 2 O Methylvinylketon (Butenon)
O Methyl-i-propylketon (3-Methylbutanon)
O Methylethylketon (Butanon)
O Dimethylketon, Aceton (Propanon)
CH3 C CH CH 3
Arylketone nennt man Phenone, z. B.: O C
O C
O HO
CH 3 Benzophenon
Acetophenon
C CH 3
p-Hydroxyacetophenon
Bezeichnungen ausgewählter Aldehyde und Ketone sowie ihre physikalischen Eigenschaften sind in den Tabellen 20.1 und 20.2 zusammengestellt.
20.3 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe Für das Formaldehyd-Molekül wurde ein H/C/O-Bindungswinkel von 120° und ein CO-Atomabstand von 120 pm bestimmt. Diese der Carboxy-Gruppe (Abschn. 18.3) analoge Geometrie wird durch ein entsprechendes Molekülorbital-Modell erklärt: Das Carbonyl-C-Atom nutzt zur Bildung der koplanaren u-Bindungen mit Sauerstoff, Wasserstoff und den Alkyl-C-Atomen sp2-Hybridorbitale. Über und unter der so gebildeten u-Bindungsebene führt die seitliche Überlappung der beiden 2p-Orbitale des Carbonyl-C- und des Carbonyl-O-Atoms zur r-Bindung (Abb. 20.1 a).
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20.3 Molekülorbital-Modell der Carbonyl-Gruppe
307
r (a)
C
u
O
(b)
_ C OI _
C OI _
Carbonyl-Mesomerie
Abb. 20.1. Seitliche Überlappung koaxialer p-Orbitale zur r-Bindung der Carbonyl-Gruppe (a) und mesomere Grenzformeln (b)
Infolge seines (/)-M-Effekts zieht der Carbonyl-Sauerstoff jedoch die r-Elektronen an sich, so daß die Carbonyl-Gruppe polarisiert wird. Im Valenzstrich-Formalismus schreibt man die CarbonylGruppe daher am besten als Hybrid zweier mesomerer Grenzformeln, von denen eine polar ist (Abb. 20.1 b). Die polare Grenzformel erklärt das Dipolmoment aller Carbonyl-Verbindungen sowie die Elektrophilie des Carbonyl-C-Atoms, welcher zahlreiche Reaktionen der Aldehyde und Ketone zugrunde liegen. Tab. 20.1. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Aldehyde Klasse
Konstitutionsformel
aliphatisch gesättigt
H CHO H3C CHO H3C CH2 CHO CH2 CH2 CHO H3C [CH2] 3 CHO
Trivialname -aldehyd
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Methanal
Form-
/ 92
Ethanal
AcetPropion-
/ 121 / 81
Propanal Butanal
/ 21 20 49
Löslichkeit g/100g H2O 55 unbegrenzt 16
Butyr-
/ 99
76
7
ValerCapron-
/ 91
[CH2] 4 CHO
Pentanal Hexanal
103 128
0.2 unlöslich
H2C CH CHO
Propenal
Acrolein
/ 88
52
40
(E)-2-Butenal
Croton-
/" 76.5
104
18
Propinal
Propiol-
55
löslich
/ 56
170
0.3
/ 7
197
1.7
(4-Hydroxy-3methoxybenz-, aus Vanille)
80
170
1.0
15
H3C
H3C aliphatisch ungesättigt
IUPACBezeichnung
H
CHO C C H H3C H C C CHO CHO
aromatisch
BenzCHO Salicyl(2-Hydroxybenz-)
OH CHO
Vanillin
HO OCH3 Dialdehyde aliphatisch
OHC
OHC CHO
Ethandial
Glyoxal
CH2 CH2 CHO
Butandial
Succindi-
Dialdehyde aromatisch
CHO
1,2-Benzendicarbaldehyd
Phthaldi-
50
löslich
170
löslich
56
50
unlöslich
116
245
unlöslich
CHO CHO
1,4-Benzendicarbaldehyd
Terephthaldi-
OHC
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308
20 Aldehyde und Ketone
Tab. 20.2. Nomenklatur und physikalische Eigenschaften ausgewählter Ketone Klasse
Konstitutionsformel
aliphatisch gesättigt
H3C
CO CH3
Trivialname
Schmelzpunkt Siedepunkt °C °C (1011 mbar)
Propanon
Aceton (Dimethylketon)
/ 94
unbegrenzt löslich
H3C
CH2 CO CH 3
Butanon
Ethylmethylketon
/ 86
80
CH2 CO CH 3
2-Pentanon
Methylpropylketon
/ 78
102
O
Cyclopentanon
/ 51
131
wenig löslich
O
Cyclohexanon
/ 32
156
9
O
Cycloheptanon
/ 21
179
wenig löslich
Suberon
H2C CH CO CH3
3-Buten-2-on
Methylvinylketon
H2C CH CO CH CH2
1,4-Pentadien3-on
Divinylketon
3-Pentin-2-on
Methylethinylketon
H C C CO CH3 O
aliphatischaromatisch
Löslichkeit g/100g H2O
56
H3C CH 2 cycloaliphatisch gesättigt
aliphatisch ungesättigt
IUPACBezeichnung
81
löslich
49 (100 mbar)
löslich
75 (95 mbar)
löslich
1-Phenylethanon
Acetophenon (Methylphenylketon)
21
202
unlöslich
1-Phenyl1-propanon
Propiophenon (Ethylphenylketon)
21
218
unlöslich
C
Diphenylmethanon
Benzophenon (Diphenylketon)
48
306
unlöslich
CO CO CH 3
2,3-Butandion
Biacetyl (Diacetyl)
C
CH3
O C
O
aromatisch
Diketone aliphatisch
H3C H 3C CO H3C CO
Diketone aromatisch
CH2 CH 3
CH 2 CO CH 3
[CH2] 2 CO CH 3 O C
C
2,4-Pentandion Acetylaceton 2,5-Hexandion
Acetonylaceton
Diphenylethandion
Benzil
/" 2.4 / 23
95
88
25
139
12.5
194
unlöslich
346
unlöslich
O
20.4 Physikalische Eigenschaften Infolge der Polarität der Carbonyl-Gruppe wirken zwischen Aldehyd- und Keton-Molekülen starke Dipol-Dipol-Kräfte. Aldehyde und Ketone sieden daher höher als unpolare Verbindungen vergleichbarer Größe (Tab. 20.3). Da Wasserstoffbrücken stärker sind als Dipol-Dipol-Kräfte, sieden Aldehyde und Ketone tiefer als die assoziierten Alkohole und Carbonsäuren vergleichbarer molarer Masse (Tab. 20.3). Aldehyde und Ketone können dagegen gemischte intermolekulare Wasserstoffbrücken mit Wasser bilden, manchmal sogar sehr stabile Hydrate (z. B. Trichloracetaldehyd- und Hexafluoraceton-Hydrat). Sie lösen sich dann sehr gut in Wasser. Mit zunehmender Größe der Alkyl-Gruppen nimmt die
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20.5 Darstellung von Aldehyden
309
Wasserlöslichkeit jedoch rasch ab, und aromatische Aldehyde und Ketone sind praktisch wasserunlöslich (Tab. 20.1, 20.2). H
CF 3
Cl3C C OH
F 3C C OH
OH Trichloracetaldehyd-Hydrat (Chloralhydrat)
OH Hexafluoraceton-Hydrat
Tab. 20.3.Siedepunkte von Verbindungen vergleichbarer Molekülgröße und unterschiedlicher Polarität Konstitutionsformel
IUPAC-Bezeichnung
Molmasse [g/Mol]
Polarität
Siedepunkt °C (1011 mbar)
unpolar
0
H 3C CH 2 CH2 CH 3
Butan
58
H 3C O CH 2 CH 3 O H 3C CH 2 C H O H 3C C CH 3
Methoxyethan
60
schwach polar
8
Propanal
58
dipolar
49
Propanon
58
dipolar
56
Propanol
60
WasserstoffbrückenBildner
97
Ethansäure
60
WasserstoffbrückenBildner (Dimer)
118
H 3C CH 2 CH2 OH O H 3C C OH
Höhere Alkanale und Alkanone der Summenformel CnH2nO bilden ab n = 3 Paare von Konstitutions- und zugleich Funktionsisomeren. Die Molekülmodelle des Propanals (Propionaldehyd) und Propanons (Aceton) in Abb. 20.2 zeigen dies.
(a)
(b)
Abb. 20.2. Stab- und Kalotten-Modelle der Carbonyl-Verbindungen Propanal (a) und Propanon (b)
20.5 Darstellung von Aldehyden 20.5.1
Oxidation von Methyl- und Hydroxymethyl-Gruppen
Methyl-Gruppen an aromatischen und heteroaromatischen Ringen lassen sich leicht zur FormylGruppe oxidieren. 4-Chlortoluen wird durch Chromtrioxid oder Chromylchlorid in Eisessig zu 4-
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310
20 Aldehyde und Ketone
Chlorbenzaldehyd oxidiert (ETARD-Oxidation). Pyridin-2-carbaldehyd entsteht durch katalytische Oxidation von 2-Methylpyridin (c-Picolin) mit Luftsauerstoff (SAUERMILCH-Oxidation): V2O5 , MoO3
N
+
CH 3
O2
N
C
O
+
H2O
H Pyridin-2-carbaldehyd
2-Methylpyridin (c-Picolin)
Methylketone werden durch Selendioxid zu c-Oxoaldehyden oxidiert (RILEY-Oxidation). Phenylglyoxal kann auf diese Weise aus Acetophenon dargestellt werden: O C
O CH 3
C +
SeO2
C
H +
O
Acetophenon
Se
+
H2O
Phenylglyoxal
Die Hydroxymethyl-Gruppe primärer Alkohole wird katalytisch (Cu) durch Luftsauerstoff oder durch Oxidationsmittel (Cr2O7 2/ in saurer Lösung) zur Formyl-Gruppe oxidiert: Cu oder Cr 2O7 , [H+]
O
2/
R CH 2 OH
+
R C
[O]
+
H2O
H
20.5.2
Überführung der Halomethyl- in die Formyl-Gruppe
Die durch BLANC-Reaktion (Tab. 10.2, Abschn. 10.4.1) zugänglichen Chlormethyl- oder Brommethylarene werden durch Oxidationsmittel (Dimethylsulfoxid, Mangandioxid, Selendioxid) in die Arenaldehyde übergeführt, z. B.:
N C
CH2 Cl
+
O
MnO2
[O]
N C
C
+
HCl
H 4-Cyanobenzaldehyd
4-Chlormethylbenzonitril
Die KRÖHNKE-Reaktion ist eine weitere, allgemeine Methode zur Darstellung substituierter Benzaldehyde aus den Benzylhalogeniden, z. B.: N(CH3) 2
N(CH 3)2 + CH2Br NO2 o-Nitrobenzylbromid
O
N Br
+ N
CH2 NO2 N-(o-Nitrobenzyl)pyridiniumbromid
O
N
/
N C
O H
+ H2O (H2SO4 ) N(CH3) 2
NO2 /
N H Br
C
H
NO2 o-Nitrobenzaldehyd
Nitron NHOH
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20.5 Darstellung von Aldehyden
20.5.3
311
NEF-Reaktion
Aldehyde können durch die NEF-Reaktion aus primären Nitroalkanen dargestellt werden. Ketone bilden sich entsprechend aus sekundären Nitroalkanen. R
H R
R CH2 NO2
C
O Aldehyd
primäres Nitroalkan
R
R CH NO2
R
C
O Keton
sekundäres Nitroalkan
Dabei wird das c-CH-acide Nitroalkan zunächst durch eine Base zum Nitronat deprotoniert. Doppelte Protonierung der beiden Nitro-O-Atome und anschließende Dehydratisierung führt zur cHydroxynitroso-Verbindung, die unter Säurekatalyse zu Distickstoffmonoxid, Wasser und Carbonyl-Verbindung zerfällt. - [H+]
OH
OH
- H2O, / [H+]
C N
C N
OH
OH
O
OH OH
/ [H+]
OH
C N
/ HNO
N2O + H2O )
H
O
C NO2
C
OH
/ [H+]
C
CarbonylVerbindung
c-CH-Nitroalkan
Nitronat
OH
- [H+]
c-Hydroxynitroso-Verbindung
( 2 HNO
O _ C N O
O
C N
- [H+]
20.5.4
OH
/ H2O
C N
Reduktion von Carbonsäure-Derivaten und Nitrilen
Carbonsäurehalogenide lassen sich katalytisch zu Aldehyden hydrieren (Abschn. 18.8.7). Um eine weitere Reduktion der Aldehyde zu vermeiden, wird der Katalysator (Pd) mit Bariumsulfat oder Chinolin und Schwefel gebremst (ROSENMUND-Reduktion). Intermediär treten wahrscheinlich Acylpalladiumchloride auf. O
O
+ Pd (BaSO4)
R C
R C Cl
PdCl
O R C H
+ H2 / Pd , /"HCl
Carbonsäure-imidazolide und -anilide werden durch das Hydrid-Anion als Nucleophil in Form komplexer Metallhydride ebenfalls zu Aldehyden reduziert: O R
C
N
O
LiAlH 4 , Tetrahydrofuran
N
+
Li H
R
C
H
Li
N
Li
N
+
N
Carbonsäure-imidazolid O R
C
N
CH 3
O
LiAlH 4 , Tetrahydrofuran
+
Li H
R
C
H
CH 3
+
Carbonsäure-N-methylanilid
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312
20 Aldehyde und Ketone
Nitrile, die im weitesten Sinne ebenfalls Carbonsäure-Derivate sind, weil ihre Hydrolyse über Carbonsäureamide zu Carbonsäuren führt, können mit Zinn(II)-chlorid in Salzsäure über die Aldimine zu Aldehyden reduziert werden: /
Cl R C NH
+ HCl
R C N
+ 2 H+ , + 2 e0 (SnCl2) / HCl
Imidoylchlorid (Carboximidoylchlorid)
H R C NH
H R C O
+ H2O (H3O+) / NH3
Aldimin
Die Reduktion von Nitrilen zu Aldehyden gelingt auch mit komplexen Metallhydriden wie z. B. LiAlH4 und NaBH4.
20.5.5
Spaltung von Glykolen und Ozoniden
Die Spaltung sekundärer Glykole mit Bleitetraacetat in wasserfreiem Benzen führt zu Aldehyden: / (CH3CO2) 2Pb , / 2 CH3CO2H
+
R CH CH R'
(CH 3CO2)4Pb
OH OH
H R C O
H +
C R' O
Entsprechend können Alkene über die Ozonide (Abschn. 4.5.9) in Aldehyde übergeführt werden, sofern die olefinischen C-Atome nicht vollständig alkyliert sind (sonst entstehen Ketone); die Weiteroxidation zu Carbonsäuren wird durch Zugabe eines Reduktionsmittels unterbunden.
R
Alken (Z oder E)
20.5.6
+ H2O , / H2O2
O O
+ O3
R CH CH R'
R' O Ozonid
H R C O
H +
C R' O
Hydrolyse von Sauerstoff-Heterocyclen
Die c,c'-Dialkoxy-Derivate von Sauerstoff-Heteroalicyclen reagieren als cyclische Acetale. Ihre säurekatalysierte Hydrolyse führt daher zu Dialdehyden. Succindialdehyd (Butandial) läßt sich auf diese Weise durch Hydrolyse von 2,5-Dimethoxytetrahydrofuran mit verdünnter wäßriger Salzsäure darstellen: (HCl)
H3CO
O
OCH3
2,5-Dimethoxytetrahydrofuran
+
H2O
+ C H O O Butandial (Succindialdehyd) H C
2 CH 3OH
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20.5 Darstellung von Aldehyden
20.5.7
313
Formylierung von Alkenen mit Kohlenmonoxid und Wasserstoff
Unter Formylierung versteht man die Einführung der Aldehyd- oder Formyl-Gruppe. Terminale Alkene (Vinyl-Verbindungen) lassen sich z. B. durch Kohlenmonoxid und Wasserstoff in der Hitze katalytisch formylieren: O
[Cr(CO) 4]2
R CH CH2
+
CO
+
H2
R CH2 CH 2 C H
20.5.8
Formylierung mit Orthoameisensäureestern
Orthoameisensäureester reagieren mit Alkylmagnesiumhalogeniden zu Acetalen, die zu den Aldehyden hydrolysiert werden können: + H2O (H3O+)
/ R'OMgX
R
Mg X
+
R'O
R
CH(OR')2
Orthoameisensäuretriester
CH(OR')2
H R C O Aldehyd
/ 2 R'OH
Acetal
" c-Naphthaldehyd kann z. B. in guter Ausbeute aus c-Naphthylmagnesiumbromid und Ortho-
ameisensäuretriethylester dargestellt werden: MgBr +
C
O
+
/ C2H5OMgX
H 5C 2O
+ H 2O (H3O )
CH(OC2H 5)2
/ 2 C2H5OH
""""""c-Naphthylmagnesiumbromid
20.5.9
H
CH(OC2H 5)2
c-Naphthaldehyddiethylacetal
c-Naphthaldehyd
Formylierung von Aromaten durch Formanilide (VILSMEIER-Formylierung)
Donor-substituierte Aromaten und Heteroaromaten lassen sich unter elektrophiler Substitution durch N,N-Dimethylformamid oder N-Alkylformanilide in Gegenwart von Phosphoroxidchlorid formylieren. 4-Methoxybenzaldehyd wird nach dieser VILSMEIER-Formylierung aus Anisol und NMethylformanilid dargestellt: O H C H 3CO
+ H 3C
Anisol
O
(POCl3)
N
N-Methylformanilid
H3CO
H +
C H
p-Methoxybenzaldehyd ( + o-Isomer )
N H3C
N-Methylanilin
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314
20 Aldehyde und Ketone
Dabei bilden N-Methylformanilid und POCl3 zunächst ein mesomeriestabilisiertes Carbenium-Ion: Cl
O
R C N H R'
+
POCl3
_R C N
Cl
R'
H
H
R
Cl +
C N
O P O Cl
R'
Dieses greift elektrophil an einer aktivierten (nucleophilen) Position des Aromaten an und führt zu einem Primärprodukt, dessen Hydrolyse den Aldehyd und N-Methylanilin-Hydrochlorid ergibt: H
Cl _ X
Cl + H
_ R C N
X
C N H
R'
R
R'
/ [H +]
Cl X
R
+ H2O
C N H
R
O X
C
+ H
R'
H2N
Cl R
20.5.10 Formylierung von Aromaten durch Formylhalogenide Die als GATTERMANN-KOCH-Reaktion bekannte Formylierung von Aromaten durch Kohlenmonoxid und Chlorwasserstoff in Gegenwart einer LEWIS-Säure bewährt sich zur Einführung der Aldehyd-Gruppe in p-Stellung von Alkylbenzenen. Kohlenmonoxid und Chlorwasserstoff reagieren dabei wahrscheinlich als Formylchlorid in einer Art FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung: HCl + CO O +
R
Cl
AlCl3 , CuCl
C
O R
C
+
HCl
H
H Formylchlorid
Im Gegensatz zum instabilen Formylchlorid ist Formylfluorid relativ stabil und reagiert insbesondere mit Alkylbenzenen in Gegenwart von Bortrifluorid bevorzugt zu p-Alkylbenzaldehyden: O R
+
F C H Formylfluorid
BF3
O R
C
+
HF
H
20.5.11 Formylierung von Aromaten durch Cyanid und Chlorwasserstoff Bei der GATTERMANN-Synthese aromatischer Aldehyde werden Blausäure [aus Zn(CN)2 und HCl] und Chlorwasserstoff als Formylierungsreagenzien eingesetzt. Diese bislang wenig untersuchte
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20.5 Darstellung von Aldehyden
315
elektrophile Substitution verläuft wahrscheinlich über ein protoniertes Benzaldimin, das zum Benzaldehyd hydrolysiert wird. RO
+
HCN
+
NH2 Cl
ZnCl2
HCl
RO
C
O
+ H2O , / NH4Cl
H protoniertes Benzaldimin
RO
C
H p-Alkoxybenzaldehyd (Hauptprodukt)
Die GATTERMANN-Synthese eignet sich besonders zur Darstellung von Phenol- sowie Phenoletheraldehyden.
20.5.12 Formylierung von Aromaten durch Chloroform Phenole und einige Heteroaromaten können in alkalischer Lösung durch Chloroform formyliert werden, z. B.: OH
OH CHCl3 , OH
O C
/
CH3 4-Methylphenol (p-Kresol)
H
CHCl3 , OH
_ N _ K
CH 3 2-Hydroxy-5-methylbenzaldehyd
Kaliumpyrrolid
/
O N
C
H
H
Pyrrol-2-carbaldehyd
Diese REIMER-TIEMANN-Formylierung führt auch zu Nebenprodukten. Sie ist ebenfalls eine elektrophile Substitution, wobei das aus Chloroform durch c-Eliminierung in alkalischem Medium entstehende Dichlorcarben :CCl2 elektrophil am Ring angreift: CHCl3 + OH / H2O ,
O
+
/ Cl
/
O
I CCl2
O
CCl2 H
R
R
OH CH Cl2
R
O C
+ H3O+ , / 2 HCl
H
R
20.5.13 Industrielle Verfahren zur Herstellung von Acet- und Benzaldehyd Die für organische Synthesen wichtigen Schlüsselverbindungen Acetaldehyd und Benzaldehyd werden in technischem Maßstab dargestellt, Acetaldehyd durch katalytische Hydratisierung von Ethin (Abschn. 15.4.1), Benzaldehyd durch Chlorierung von Toluen über Benzalchlorid: O CH3
hp , Hitze
+ Toluen
2 Cl2
CHCl2
+ 2 H2O
CH(OH)2
/ H2O
C
H
/ 2 HCl
- 2 HCl
c,c-Dichlortoluen (Benzalchlorid)
Benzaldehydhydrat
Benzaldehyd
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316
20 Aldehyde und Ketone
20.6 Darstellung von Ketonen 20.6.1
Oxidation sekundärer Alkohole
Sekundäre Alkohole können nach mehreren Verfahren zu Ketonen oxidiert werden, so mit Chromtrioxid in Eisessig: R
R
CH3CO2H
3 R C OH
+
3
2 CrO3
C O
+
Cr2O3
+
3 H 2O
R
H
Ein milderes Verfahren beruht auf der Redoxreaktion, welche sekundäre Alkohole mit Aceton in Gegenwart von Aluminium-t-butanolat eingehen (OPPENAUER-Oxidation): R R C OH
CH3 O C CH3
+
H
CH 3
R
Al [OC(CH3) 3]3
C O
+
R
HO C CH 3 H
Schließlich können sekundäre Alkohole auch mit N-Bromsuccinimid zu Ketonen dehydriert werden (BARAKAT-Oxidation).
20.6.2
Oxidation aktivierter Methylen-Gruppen
Methylen-Gruppen in c-Stellung zu Carbonyl-Gruppen werden durch Selendioxid zu CarbonylGruppen oxidiert. Diese RILEY-Reaktion (Abschn. 20.5.1) eignet sich auch zur Darstellung von 1,2-Diketonen, z. B.: O
O
1,4-Dioxan
+
SeO2
+
Se
+
H2O
O Cyclohexan-1,2-dion
20.6.3
Bimolekulare Decarboxylierung und Dehydratisierung von Carbonsäuren
Flüchtige Carbonsäuren ergeben unter intermolekularer Decarboxylierung und Dehydratisierung Ketone, wenn man sie in Gegenwart von Mangan(II)-oxid auf 300 °C erhitzt: O R C OH + OH
MnO , 300 °C
R C O
+
CO2
+
H 2O
R
R C O
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20.6 Darstellung von Ketonen
317
Ebenso werden die durch Acylierung von Malonsäurediestern (Abschn. 18.10) entstehenden Acylmalonester nach der Esterverseifung schrittweise zu Methylketonen decarboxyliert: O R C C CO2R' R'O2C H Acylmalonsäurediester
+ H2O / R'OH
O R C C CO2R' HO2C H Acylmalonsäuremonoester
O R C CH 3 Methylketon
/ CO2
/ CO2
O
O R C CH 2 CO2H
+ H2O
R C
/ R'OH
CH2 CO2R'
d-Ketoester
20.6.4
d-Ketosäure
Addition von GRIGNARD-Verbindungen an Nitrile
Alkylmagnesiumhalogenide addieren an Nitrile unter Bildung von Iminylmagnesiumhalogeniden, die in saurer Lösung zu Ketonen hydrolysieren: NMgX R C N
+
R' Mg X
R C
2+
/ Mg / / OH / /X / NH3
R' Iminylmagnesiumhalogenid
20.6.5
O
+ 2 H2O
R C
R'
Acylierung von Dialkylcadmium
Die Reaktion von Carbonsäurehalogeniden mit Dialkyl- oder Diarylcadmium führt unter nucleophiler Substitution von Halogen durch Alkyl oder Aryl zu Ketonen: O 2R C
+
R' Cd R'
X
O 2R C R'
+
CdX2
1-Phenyl-2-butanon kann auf diese Weise aus Dibenzylcadmium und Propionylchlorid dargestellt werden: O 2 H3C CH2 C Cl
+
CH 2 Cd CH2
O
/ CdCl2
2 H 3C CH 2 C CH2 1-Phenyl-2-butanon
Die toxischen Organocadmium-Verbindungen sind durch Reaktion von Alkylmagnesiumhalogeniden mit wasserfreiem Cadmiumhalogenid zugänglich: 2 R Mg X
+
Cd X 2
R 2 Cd
+
2 Mg X 2
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318
20.6.6
20 Aldehyde und Ketone
Spaltung der Ozonide von Tetraalkylethenen
Die Ozonide (Abschn. 4.5.9) von Tetraalkylethenen werden zu Ketonen gespalten, entweder durch katalytische Hydrierung oder durch Zinkstaub in Essigsäure: R
R C C R R
20.6.7
+
R
O3
R
O O O
R
+ H2
R
2 / H2O
R
C O R
Acylierung von Alkenen
Carbonsäurechloride addieren in Gegenwart von LEWIS-Säuren (AlCl3) elektrophil an Alkene unter Bildung von d-Chlorketonen: O
O
AlCl3
+
R C
C C
20.6.8
d-Chlorketon
C C C Cl
Cl
R
Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden
Die elektrophile FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung von Aromaten mit Carbonsäurehalogeniden in Gegenwart einer LEWIS-Säure ist eine allgemeine Methode zur Darstellung von Arylketonen, den Phenonen. 2,4-Dihydroxyacetophenon entsteht z. B. aus Resorcin und Acetylchlorid in Gegenwart von wasserfreiem Aluminiumchlorid: CH 3 + HO
OH
O Cl C CH 3
/ HCl
Resorcin
20.6.9
C
AlCl3
O
HO OH 2,4-Dihydroxyacetophenon
Acylierung von Aromaten durch Nitrile
Analog zur GATTERMANN-Formylierung (Abschn. 20.5.11) können Phenole und ihre Derivate durch Nitrile in Gegenwart von Chlorwasserstoff und einer LEWIS-Säure, meist ZnCl2, zu Phenonen acyliert werden. Diese HOUBEN-HOESCH-Reaktion verläuft wahrscheinlich ähnlich wie eine FRIEDEL-CRAFTS-Acylierung unter Bildung des protonierten Ketonimins als Zwischenstufe: NH Cl HO
+
ZnCl2
R C NH Cl
C
NH2 Cl HO
C R
R + H2O
RCN
+
/ NH4Cl
O
HCl HO
C R
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20.7 Reaktivität der Carbonyl-Gruppe
319
20.7 Reaktivität der Carbonyl-Gruppe Die Carbonyl-Gruppe ist Aldehyden und Ketonen gemeinsam. Ihre Reaktivität beruht auf dem (/)M-Effekt des Carbonyl-O-Atoms, welcher das Carbonyl-C zum elektrophilen Reaktionszentrum polarisiert: _ C OI _
C OI _
Carbonyl-Mesomerie
Infolgedessen verlaufen die meisten Reaktionen der Aldehyde und Ketone unter nucleophiler Addition am Carbonyl-Kohlenstoff: _ Nu
+
_ C OI _
C OI _
_ Nu C OI _
Das Nucleophil B kann neutral oder negativ geladen sein, muß jedoch mindestens ein nicht bindendes Elektronenpaar besitzen. Dies trifft z. B. für Basen im weitesten Sinne (Hydroxid-Anion, Ammoniak, Wasser), Carbanionen und Hydrid-Anionen (in komplexen Metallhydriden) zu. Die nucleophile Addition am Carbonyl-C ist säurekatalysiert; bei der Protonierung wird die Elektrophilie des Carbonyl-C-Atoms durch Kompensation der Basizität des Carbonyl-O-Atoms erhöht: C OI _
+
_ C OI H
C OI H
[H ]
Dagegen wirkt sich eine Kompensation der positiven Ladung am Carbonyl-C (wie etwa der vollständige r-Bindungsausgleich im Carboxylat-Anion) desaktivierend auf die Elektrophilie der Carbonyl-Gruppe aus. Infolgedessen zeigen Aldehyde im Vergleich zu Ketonen mit ihrer zweiten, elektronenschiebenden Alkyl-Gruppe eine erhöhte Reaktivität: O R C
O
FH1 NH3 + [H ]
FHmes (Ar/NH2)
Ar
NH 2 + [H ]
Abb. 22.4. Mesomeriestabilisierung von Anilin und Anilinium-Ion; Vergleich der Protonierungsenergie von Anilin und Ammoniak
22.5.4
Substituenteneinflüsse auf die Basizität aromatischer Amine
Ein aromatisches Amin ist umso basischer, je mehr sich das n-Elektronenpaar am Amino-N-Atom lokalisiert. Donor-Substituenten D in o- und p-Stellung, deren (-)-M-Effekt Elektronenpaare in den Benzen-Ring schiebt, erhöhen demnach die Basizität. Typische Donor-Substituenten sind z. B. /OH, /OCH3, /NR2 (R = H oder Alkyl), weniger ausgeprägt /CH3. Aus diesem Grund ist pPhenylendiamin basischer als Anilin (Tab. 22.1). INH 2
NH3 D
D +
D = /OH , /OCH 3 , /NR 2 , /CH 3 : stärker basisch als Anilin
[H ]
D
D
Andererseits schwächen Akzeptor-Substituenten A die Basizität, da sie über ihren (/)-M-Effekt die Elektronendichte im Benzen-Ring und am Stickstoff senken, das Anilin zusätzlich stabilisieren, das Anilinium-Ion dagegen destabilisieren. Typische Akzeptor-Substituenten sind /NO2, /COOH, /COOR, /COR, /CHO, /CN. 4-Nitroanilin ist deshalb schwächer basisch als Anilin (Tab. 22.1). INH 2
NH3 A
A +
A
[H ]
A = /NO2 , /CO2H , /CO2R , /COR , /CHO , /CN , /Halogen : schwächer basisch als Anilin
A
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380
22 Amine
22.6 Reaktionen 22.6.1
Bildung N-substituierter Ammonium-Salze
Infolge ihrer Basizität bilden die Amine mit Säuren Alkyl- oder Arylammonium-Salze, z. B.: NH2
+
NH3 HSO4
H2SO4
Anilinium-hydrogensulfat (Phenylammonium-hydrogensulfat)
Auch mit stark sauren Phenolen reagieren die Amine zu Salzen. Pikrinsäure (2,4,6-Trinitrophenol) fällt z. B. die Amine aus Lösungen in Ethanol oder Ether als gelbe, kristallisierte Pikrate, die man aufgrund ihrer charakteristischen Schmelzpunkte zur Identifizierung der Amine heranzieht: O2N Ethanol
(H 5C2)3NI
+
HO
(H 5C2)3NH
O2N Pikrinsäure
Triethylamin
22.6.2
NO2
O2N _ IO _
NO2
O2N Triethylammonium-pikrat
Reaktion mit salpetriger Säure
Primäre aliphatische und aromatische Amine reagieren mit Natriumnitrit in saurer Lösung zu Diazonium-Salzen (Diazotierung); als Elektrophil agiert das durch Protonierung der salpetrigen Säure oder aus Distickstofftrioxid gebildete Nitrosonium-Kation (Nitrosyl-Kation +NO): primäres Amin (Nucleophil)
R
NH 2
Nitrosonium-Kation (Elektrophil)
+
H R
N O
N
O
H
N
O O
+
+ [H ]
H
O H
salpetrige Säure
N
N
R
/
/ H 2O
O
O
H
N
/ NO2
OH2
+ [H +]
N
R
H / H 2O
OH N
O
N O
N
N
N
R = Alkyl oder Aryl
N
R N N
R mesomere Grenzformeln eines Alkyl- oder Aryldiazonium-Ions
Distickstofftrioxid
Aryldiazonium-Salze Ar/N2+ X/ sind isolierbare, vielseitig anwendbare Reagenzien der organischen Synthese (Abschn. 23.5 - 8). Dagegen zersetzen sich die Alkyldiazonium-Salze R/N2+ X/ spontan nach ihrer Bildung unter Entwicklung von Stickstoff über intermediäre Carbenium-Ionen in ein Gemisch aus Alkoholen und Alkenen: R NH2
R N N
X """""+
H 2O
N2
+
HX
+
R OH ( + Alkene )
Alkyldiazonium-Salz (instabil)
Diese VAN SLYKE-Reaktion wird zur quantitativen Bestimmung primärer aliphatisch verknüpfter Amino-Gruppen durch gasvolumetrische Messung des entwickelten Stickstoffs genutzt.
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22.6 Reaktionen
381
Die N-Nitrosierung sekundärer aliphatischer und aromatischer Amine mit salpetriger Säure gibt gelbe, ölige, krebserregende N-Nitrosamine, z. B.: H3C
H3C
NaNO2 , HCl
N H
+
HNO2
O N N
+
H2O
N N + O N-Nitroso-N-methylanilin
H2O
H3C
H3C N-Nitrosodimethylamin
NaNO2 , HCl
N H
+
HNO2
H 3C
H3C
Tertiäre aliphatische Amine reagieren mit salpetriger Säure unter Oxidation zu einem Gemisch aus N-Nitrosodialkylaminen, Aldehyden und Ketonen. Tertiäre aromatische Amine werden dagegen am Benzen-Ring elektrophil nitrosiert. Die Nitrosierung des N,N-Dimethylanilins ergibt z. B. pNitroso-N,N-dimethylanilin, eine grüne, kristalline Verbindung. Als Elektrophil fungiert wieder das aus salpetriger Säure entstehende Nitrosonium-Kation. H 3C N O
/ [H+]
H 3C
22.6.3
H3C
NaNO2 , H2SO4
+
N
O N
N
H3C p-Nitroso-N,N-dimethylanilin
N -Oxidation
Wasserstoffperoxid und Peroxycarbonsäuren können in situ bei Gegenwart geeigneter Reaktionspartner elektrophilen (atomaren) Sauerstoff mit Elektronensextett abspalten: H O O
O
_ [ OI _ ]
R C
H
H O O
An die Elektronenlücke dieses Sauerstoff-Atoms kann ein Amino-N-Atom nucleophil addieren; dabei entsteht ein Amin-N-oxid: NI
+
_ [ OI _ ]
_
N OI _ Amin-N-oxid
So reagieren einige tertiäre Amine wie Pyridin mit Peroxiden oder Peroxycarbonsäuren zu stabilen Amin-N-oxiden. _
NI
+
H 2O2
N
OI _
+
H2O
Pyridin-N-oxid
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382
22 Amine
Oft zersetzen sich die N-Oxide tertiärer Amine beim Erhitzen. Die N-Oxidation sekundärer Amine ergibt unter Tautomerisierung der zunächst entstehenden N-Oxide N,N-Dialkylhydroxylamine: R R
NI
+
H
O H R C O O
R R
/ R/CO2H
R R
_
N OI _
N OH
H
sekundäres Amin
Amin-N-oxid
N,N-Dialkylhydroxylamin
Entsprechend bilden sich auch bei der Reaktion von primären Aminen mit Persäuren zunächst NAlkylhydroxylamine, die jedoch meist zu den Nitroalkanen weiteroxidiert werden. R H
NI
+
H
O H R C O O
R
/ R/CO2H
+ 2 R/CO3H
N OH
/ 2 R/CO2H , / H2O
H
primäres Amin
N-Alkylhydroxylamin
R NO2 Nitroalkan
Die N-Oxidation primärer Amine ist keine allgemeine Methode zur Darstellung von NitroVerbindungen. Nitroalkane werden besser durch radikalische, Nitroaromaten besser durch elektrophile Nitrierung dargestellt.
22.6.4
N-Halogenierung
Primäre und sekundäre aliphatische Amine werden bei der Reaktion mit Natriumhypochlorit oder t-Butylhypobromit in alkalischer Lösung N-halogeniert: Cl
NaOH , Cl2
R NH 2
+
2 Cl2
/ 2 HCl
R N Cl N,N-Dichloralkylamin
R
NaOH , Cl2
N H
+
Cl2
R
/ HCl
R N Cl R N-Chlordialkylamin
N-Fluoramine werden als Raketentreibstoffe verwendet. N-Halogenamine explodieren beim Erhitzen; ihre Hydrolyse in wäßriger Säure führt zu Alkylammonium-Salz und Halogen: Cl +
R N
3 HCl
H2O
R NH3 Cl
+
2 Cl2
Cl N,N-Dichloralkylamin
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22.6 Reaktionen
22.6.5
383
N-Acylierung
Primäre und sekundäre Amine reagieren in Gegenwart einer Base mit Carbonsäurehalogeniden zu N-Alkyl- bzw. N,N-Dialkylcarbonsäureamiden. N,N-Dimethylformamid (DMF, R´= H, R = CH3) und N,N-Dimethylacetamid (DMA, R = R´= CH3) als Beispiele sind vielseitig anwendbare Lösemittel. O R NH 2
Base
C R'
+ X
R
O N H
+
Base
C R'
R
/ HX
X
/ HX
R
O N C
H R' N-Alkylcarboxamid R
O N C
R R' N,N-Dialkylcarboxamid
Analog verläuft die Reaktion mit Sulfonsäurehalogeniden, z. B. Benzensulfochlorid unter Bildung von N-Alkyl- bzw. N,N-Dialkylsulfonamiden: O R NH 2
+
Cl
Base
S
/ HCl
O
O
R N H R
+
Cl
Base
S
/ HCl
O
R
O N S
H O N-Alkylbenzensulfonamid R
O N S
R O N,N-Dialkylbenzensulfonamid
Tertiäre Amine reagieren nicht, denn treibende Kraft der N-Acylierung ist die Bildung von Halogenwasserstoff, der seinerseits nur aus einem Amin entstehen kann, das noch ein NH-Atom enthält. Aufgrund der benachbarten elektronenziehenden Carbonyl- oder Sulfonyl-Gruppe sind die NHGruppen der N-Alkylamide nicht basisch, sondern sauer. Die nach Deprotonierung hinterbleibenden Amid-Anionen sind mesomeriestabilisiert: R
O N C H R'
R
O N S
H
O
+ OH
/
/ H2O
+ OH
/
/ H2O
_
R_ O _ C N R' R_ O N _ S O
O _I
R _ C N
R'
R
O N _ S IOI _
N-Alkylcarbonsäure und -sulfonamide lösen sich daher in wäßrigem Alkalihydroxid unter Salzbildung im Gegensatz zu den N,N-Dialkylamiden, welche kein acides NH bieten. Auf diesem Unterschied beruht die HINSBERG-Trennung primärer, sekundärer und tertiärer Amine: Primäre und sekundäre Amine reagieren mit Benzensulfonylchlorid zu N-Alkylbenzensulfonamiden bzw. N,N-
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384
22 Amine
Dialkylbenzensulfonamiden, von denen sich nur die N-Alkylamide in wäßrigem Alkalihydroxid lösen; tertiäre Amine geben keine Benzensulfonamide. Einige Sulfonamide aus 4-(Acetylamino)-benzensulfochlorid wirken als Chemotherapeutika gegen bakterielle Infektionen: NH2
O H3C C N H
22.6.6
O
R
R=
S N O
S
C
R= N
NH Guanidyl-Rest : Sulfaguanidin
H
Thiazolyl-Rest : Sulfathiazol
N -Alkylierung
Halogenalkane alkylieren Amine sukzessive bis zum Tetraalkylammonium-Salz: + R /X
R NH2
+ R /X
R2NH
/ HX
primäres
+ R /X
/ HX
sekundäres
R3N
R 4N X
tertiäres Amin
Tetraalkylammonium-Salz
Die N-Alkylierung verläuft unter nucleophiler Substitution des Halogenids durch das Amin. Ist das Halogenalkan primär, so folgt der Mechanismus dem SN2-Typ: H NI
+
H
H
H
SN2
C
X
H H f-
N
R
H
H X
f/
C
X
N
C
/ HX
H
_
N
H
R
R
R
H C
Die letzte Stufe der N-Alkylierung von Aminen führt zum Tetraalkylammonium-Salz. Man bezeichnet diesen Schritt als Quaternisierung oder erschöpfende Alkylierung. Die erschöpfende Methylierung wird durch Reaktion mit überschüssigem Methyliodid erzielt, z. B.: H3C H 3C CH 2 NI
+
CH3
H 3C H 3C CH 2 N
I
H 3C CH 2
CH 3
I
H 3C CH 2
Diethylmethylamin
Diethyldimethylammonium-iodid
Base
N
+
2 CH 3
I
H
N
/ HI
+
CH 3
N
I H3C
CH3
Pyrrolidin
N-Methylpyrrolidin
I CH3
N,N-Dimethylpyrrolidinium-iodid
Die N-Methylierung von Aminen gelingt auch mit Diazomethan in Gegenwart von Bortrifluorid: ICH2
N NI
+
R 2N H
BF3
R2N CH3
+
N2
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22.6 Reaktionen
385
Im Gegensatz zu den unvollständig alkylierten Ammonium-Salzen, aus welchen sich die Amine durch Alkalihydroxid in Freiheit setzen lassen, NaOH
R3NH X """"""+
R3N
OH
+
H 2O
+
X
werden die Tetraalkylammonium-Ionen von Alkalihydroxiden in der Kälte nicht angegriffen. Mit einer Suspension von Silberoxid in Wasser entsteht jedoch das Tetraalkylammonium-hydroxid, das in wäßriger Lösung verbleibt, während Silberhalogenid ausfällt: R4N X """""""+
AgOH in H2O
R 4N OH """""""+
OH oder Anionen-Austauscher
X
Tetraalkylammoniumhydroxid
Dieser Ionenaustausch läßt sich auch mit Hilfe eines Anionen-Austauschers durchführen. Tetraalkylammonium-hydroxide sind bei Raumtemperatur stabil und aufgrund ihres OH/-Ions den Alkalihydroxiden an Basizität ebenbürtig.
22.6.7
HOFMANN-Eliminierung von Tetraalkylammonium-hydroxiden
Die durch erschöpfende Methylierung von Aminen zugänglichen Tetraalkylammonium-hydroxide spalten beim Erhitzen in Wasser in ein tertiäres Amin und ein Alken, z. B.: CH3
Hitze
C CH 2
CH 2 CH2 N CH3 OH
+
N(CH3)3
+
H 2O
H
CH3 (2-Cyclobutylethyl)trimethylammoniumhydroxid
Ethenylcyclobutan (Vinylcyclobutan)
Diese als HOFMANN-Eliminierung bekannte Reaktion verläuft meist als (in Bezug auf OH/ und R4N+) bimolekulare d-Eliminierung (E2-Reaktion) eines zum Stickstoff d-ständigen Protons durch das Hydroxid-Anion:
_ H OI _ """""""+"
d
C
NR3 C
c
Hitze
d
c
C
C
+
H2O
+
INR 3
H
Das Hydroxid-Ion greift umso leichter am d-Proton an, je geringer die sterische Behinderung am d-C-Atom ist. Die Eliminierungstendenz nimmt also mit abnehmender Alkylierung am d-C-Atom zu (/CHR2 hp0) der Streuung.
28.4.2
RAMAN-Spektrum
Das RAMAN-Streuspektrum wird meist durch monochromatische Laser-Bestrahlung der Probe angeregt. Die Laser-Anregung erhöht die Empfindlichkeit der Methode wesentlich. Zur Aufnahme des Spektrums wird das durch die Probe senkrecht zur einfallenden Strahlung gestreute Licht durch einen Monochromator (Prisma) analysiert. Der vom Monochromator gesteuerte Schreiber registriert die photometrisch ermittelte Intensität der intensiveren STOKES-Banden als Funktion ihres Abstandes von der Erregerlinie in Wellenzahlen (cm/1). Man erhält so das für die gemessene Substanz spezifische (Laser-) RAMAN-Spektrum.
28.4.3
Anwendung von RAMAN-Spektren
Da die Energiedifferenzen (hp0 – hp´ ) von STOKES-Banden und Erregerstrahlung die Schwingungsfrequenzen des Moleküls wiedergeben, entspricht das RAMAN-Spektrum dem Schwingungsspektrum des Moleküls und ergänzt die Aussagen der IR-Spektroskopie. Eine Molekülschwingung ist bekanntlich IR-aktiv und damit im IR-Spektrum als intensive Bande erkennbar, wenn sie das Dipolmoment (Abschn. 28.3.3) zeitlich verändert. RAMAN-aktiv ist die Schwingung, wenn sie die Polarisierbarkeit (die Deformierbarkeit der Elektronenorbitale) des Moleküls zeitlich ändert. Viele Schwingungen sind sowohl IR- als auch RAMAN-aktiv. Andere sind jedoch aus Gründen der Molekülsymmetrie IR-inaktiv, so z. B. die C»C-Valenzschwingung symmetrischer Alkine (Abb.
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28.4
Raman-Spektroskopie
493
28.8). Gerade bei diesen Schwingungen ändert sich jedoch häufig die Polarisierbarkeit, so daß man im RAMAN-Spektrum eine starke Streuung beobachtet. Daher vervollständigt das RAMANSpektrum die Analyse des Infrarotspektrums. So erscheint im IR-Spektrum des Acetylendicarbonsäurediethylesters (Abb. 28.15 a) aus Symmetriegründen keine Absorption für die CC-Dreifachbindung. Die RAMAN-Streuung ist jedoch gerade bei dieser Frequenz (pC»C = 2248 cm/1) am intensivsten (Abb. 28.15 b).
Abb. 28.15. Infrarot (a) und Laser-RAMAN-Spektrum (b) von Acetylendicarbonsäurediethylester nach SCHRADER, B. und MEIER, W. (1974), Raman-IR-Atlas, Verlag Chemie, Weinheim
Mono-, 1,3-di- und 1,3,5-trisubstituierte Benzen-Ringe und vergleichbar substituierte Pyridine erkennt man im RAMAN-Spektrum an der "Davidstern"-Bande bei 1000 cm/1; eine bei 1030 cm/1 zusätzlich auftretende schwächere Bande kennzeichnet dabei einen monosubstituierten BenzenRing. Cycloalkan-Derivate zeigen im RAMAN-Spektrum eine intensive "Ringatmungs"-Bande, deren Frequenz mit der Ringspannung zunimmt (Cyclohexan: 800, Cyclopentan: 900, Cyclobutan: 1000, Cyclopropan: 1200 cm/1). Auch die im IR-Spektrum nur schwachen Gruppenschwingungen symmetrischer Alkyl-Reste geben sich im RAMAN-Spektrum durch intensive Banden zu erkennen (iPropyl-: 800 - 850 cm/1; t-Butyl: 700 - 750 cm/1). Ebenso wie die IR-Absorption ist die Intensität der RAMAN-Streuung der Konzentration an Substanz proportional. Daher wird die RAMAN-Spektroskopie in beschränktem Umfang auch als Hilfsmittel der quantitativen Analyse genutzt. Ihr wesentlicher Vorteil gegenüber der IRSpektroskopie ist das Fehlen der Alkalihalogenid-Optik, so daß die Schwingungsspektren von Molekülen auch in wäßrigen Lösungen gemessen werden können.
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494
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
28.5 Kernmagnetische Resonanz 28.5.1
Kernpräzession und Kernspin-Zustände
Kernmagnetische Resonanz (englisch: nuclear magnetic resonance, daher die Abkürzung NMR) beobachtet man bei Atomkernen, die einen mechanischen Drehimpuls, den Kernspin (p), besitzen. Solche Atomkerne sind z. B. das Proton 1H, das seltene Kohlenstoff-Isotop 13C, Fluor 19F und Phosphor 31P, nicht jedoch die häufigsten Isotopen des Kohlen- und Sauerstoffs, 12C und 16O. Die durch den Spin bewegte Kernladung verleiht dem Atomkern ein magnetisches Moment (o), dessen Betrag das i - fache des mechanischen Drehimpulses p ist ( o = i p ). Die Kernkonstante i bezeichnet man als gyromagnetisches Verhältnis. Ein Kern mit Spin kann also mit Magnetfeldern wechselwirken. Bringt man ihn in ein statisches (= zeitlich konstantes) Magnetfeld der Kraftflußdichte B0, so präzessiert seine Drehimpulsachse um die Richtung dieses Feldes (Abb. 28.16). Die Frequenz p0 dieser Kernpräzession ist auch als Larmorfrequenz bekannt und umso größer, je stärker man das Magnetfeld B0 einstellt: p0
i
=
___ B 0 2r
(Larmor-Gleichung 28.2)
B0
E
z
B0
p0 FE y x
0
Abb. 28.16. Kernspin-Präzession im statischen Magnetfeld
B0
Abb. 28.17. Kernspin-Energiezustände (Präzessionseinstellungen) von Atomkernen mit I = 1/2 im statischen Magnetfeld der Kraftflußdichte B0
Die Präzessionsfrequenzen liegen im MHz-Bereich (UKW) und unterscheiden sich infolge der charakteristischen gyromagnetischen Koeffizienten von Kernsorte zu Kernsorte. In einem Feld mit B0 = 9.2 T (Tesla) präzessieren die Protonen z. B. mit 400 MHz, Kohlenstoff-13-Kerne dagegen nur mit 100 MHz. Die Anzahl m der Präzessionseinstellungen bezüglich der Richtung des Magnetfeldes wird nach der quantenmechanischen Beziehung (28.3) m=2I-1
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
495
durch die Kernspinquantenzahl I festgelegt. Infolge dieser Richtungsquantelung gibt es für die bereits erwähnten Kerne 1H, 13C, 19F und 31P mit I = 1/2 entsprechend m=2x½ -1
(28.4)
zwei Möglichkeiten der Präzession, um die Magnetfeldrichtung und entgegengesetzt (Abb. 28.17). Diese beiden Kernspin-Zustände unterscheiden sich durch ihre potentielle Energie, wobei der Energieunterschied mit der Kraftflußdichte B0 des Magnetfeldes wächst (Abb. 28.17). Der energieärmere Zustand, d. h. die Präzession um Feldrichtung, wird von den Atomkernen bevorzugt. Bringt man also eine Kernmenge als Probe in das Magnetfeld, so werden mehr Kerne energieärmer präzessieren (Abb. 28.17). Der Besetzungsunterschied und die davon abhängige Empfindlichkeit des NMR-Experiments steigen mit der Kraftflußdichte B0 des Magnetfelds.
28.5.2
NMR-Spektrometer und NMR-Spektrum
Im Kernresonanzexperiment regt man die Atomkerne auf den energiereicheren Präzessionszustand an. Diese Anregung erfordert Energiequanten (hp1) elektromagnetischer Strahlung. Die Frequenz (p1) dieser Strahlung muß sich dabei in Resonanz mit der Kernpräzession (p0) befinden (hp1 = hp0) und somit im Radiofrequenzbereich liegen. Das Umklappen der Präzessionsrichtung erzeugt in der Probe ein magnetisches Wechselfeld, das man mit Hilfe einer Induktionsspule als Kerninduktionsstrom nachweisen kann. Daraus ergibt sich die in Abb. 28.18 skizzierte Grundanordnung eines Kernresonanzspektrometers. Zentraler Bauteil moderner NMR-Spektrometer ist ein Kryomagnet, dessen mit flüssigem Helium auf Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt gekühlte supraleitende Magnetspule (meist aus einer Niob-Titan-Legierung) im zylindrischen Innenraum ein starkes Magnetfeld längs der Spulenachse erzeugt. Dieses Magnetfeld führt die bevorzugte Besetzung des energieärmeren KernspinEnergiezustands nach Abb. 28.17 herbei und macht das Kernspin-System in der Probe anregbar. Die zur Anregung erforderliche Radiofrequenz p1 erzeugt man mit einem rechnergesteuerten Sender und führt sie durch eine Spule der im Probenkopf befindlichen Probe im Glasröhrchen zu. Den Kerninduktionsstrom, das NMR-Signal, empfängt man mit der im „timesharing“ auf Sendung und Empfang schaltbaren, konzentrisch um die Probe gewickelten Spule (Senderspule = Empfangsspule) und verarbeitet das Signal über den Empfänger im Rechner des Spektrometers.
flüssiges Helium flüssiger Stickstoff
B0 Rechner
Probenröhrchen Probenkopf supraleitende Magnetspule
Sender
Empfänger Drucker
Abb. 28.18. Vereinfachtes Bauprinzip eines Kryomagnet-Kernresonanzspektrometers
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496
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Zur Beobachtung der Kernresonanz kann man zwei Verfahren anwenden: Das ältere Frequenzabtast-Verfahren (engl.: frequency sweep) variiert langsam die Frequenz des Senders. Ein Schreiber, dessen Vorschub der Sender ansteuert, registriert die Signalintensität als Funktion der Frequenz, die als NMR-Spektrum bezeichnete Folge der Präzessionsfrequenzen (NMR-Signale, Abb. 28.19) . Der Kernresonanzvorgang kann auch durch einen kurzzeitigen Radiofrequenz-Impuls angeregt werden. Nach dessen Ende registriert der Empfänger ein exponentiell abklingendes Signal F(t), das aus der Überlagerung aller möglichen Resonanzen einer Kernspinsorte entsteht. Dieses Impulsinterferogramm läßt sich mit Hilfe eines Rechners in das NMR-Spektrum, die Funktion der Frequenzen f(p), FOURIER-transformieren. Der große Vorteil dieses in fast allen NMR-Spektrometern angewendeten Puls-Fourier-Transformations-Verfahrens (PFT- oder FT-NMR) ist ein wesentlich geringerer Meßzeitaufwand.
28.5.3
Chemische Verschiebungen
Im Protonen-Kernresonanzspektrum (1H-NMR-Spektrum) der Phenylessigsäure erkennt man für die drei chemisch verschiedenen Protonensorten drei Signale (Abb. 28.19 a,b). Die Präzessionsfrequenz eines Atomkerns im Magnetfeld hängt also von seiner chemischen Umgebung im Molekül ab. Man bezeichnet dies als die chemische Verschiebung, auf der u. a. die Anwendbarkeit der NMR-Spektroskopie bei der Strukturaufklärung beruht. Zur Erklärung der chemischen Verschiebung stellt man sich vor, daß ein Atomkern im Molekülverband durch innermolekulare Felder vom äußeren Magnetfeld (B0) abgeschirmt wird. Das Abschirmfeld ist dem äußeren Feld B0 entgegengerichtet; ein starkes Abschirmfeld verringert, ein schwaches vergrößert die Larmorfrequenz eines Kerns im Molekül.
28.5.4
Messung chemischer Verschiebungen
Nach Gl. 28.3 wird ein NMR-Spektrum proportional zur Magnetfeldstärke aufgespreizt, wie ein Vergleich der Spektren a und b in Abb. 28.19 bestätigt. Es gibt also keine Absolutskala chemischer Verschiebungen. Daher definiert man das Signal einer Standardsubstanz, die man der Probenlösung zugibt, als "Nullpunkt" der Verschiebungsskala. Bezugspunkt der Protonenresonanz ist das 1H-Signal der Methyl-Protonen des Tetramethylsilans [(CH3)4 Si, "TMS", Abb. 28.19]. Das einzige Signal dieses chemisch weitgehend inerten Standards liegt außerhalb des Bereichs der häufigsten Protonensignale organischer Verbindungen und ist infolge zwölf äquivalenter MethylProtonen so intensiv, daß es auch bei geringen Konzentrationen beobachtet werden kann. Zur Messung der Verschiebung eines Protonen-Signales bestimmt man zunächst den Frequenzabstand (Fp) in Hz zum TMS-Signal. Dieser Wert hängt jedoch von der Magnetfeldstärke ab (Abb. 28.19 a,b). Um feld- und damit geräteabhängige Parameter zu bekommen, dividiert man die Differenzen (Fp) durch die der Magnetfeldstärke proportionale Präzessionsfrequenz p0(TMS) der TMSProtonen, die Meßfrequenz des Spektrometers. So ergibt sich die feldunabhängige f-Skala der chemischen Verschiebung: f =
Fp ______ p0(TMS)
(28.6)
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
497
1
Abb. 28.19. H-NMR-Spektrum der Phenylessigsäure in Deuteriochloroform als Lösemittel mit Tetramethylsilan (TMS) als Standard; (a) bei 1.4 Tesla magnetischer Kraftflußdichte (60 MHz-Gerät); (b) bei 2.1 Tesla (90 MHzGerät); (c) Integral des Spektrums (b). Die Spektren (a) und (b) wurden im gleichen Frequenzmaßstab aufgezeichnet. Die Frequenzdispersion in Spektrum (b) erhöht sich im Vergleich zu (a) um 1.5, weil das Magnetfeld um diesen Faktor verstärkt wurde
f-Werte sind als Quotienten zweier Frequenzen dimensionslose Einheiten von 10/6 oder ppm (Hz:MHz = 1 : 106 oder 1 part per million, daraus das Kürzel ppm). Konventionsgemäß werden f-
Werte ohne "ppm" angegeben; für das Carboxy-Proton der Phenylessigsäure (Abb. 28.19) schreibt man fCOOH = 11.75. Abb. 28.20 zeigt die von der Kraftflußdichte B0 unabhängige f-Skala der Protonen-Verschiebung. Beispiele zur Ermittlung von f-Werten finden sich in Abb. 28.19.
feldabhängig
Hz 4800 4400 4000 3600 3200 2800 2400 2000 1600 1200
800
400
Hz 1200 1100 1000 900
300
200
100
3
2
1
ppm 12
11
10
9
800
700
8
7
600
500
400
6 5 4 feldunabhängig
0 /"400 /"800 Fp 0 /"100 /"200 Fp 0 TMS
1
2
400 MHz100 MHzSpektrometer - Skala
Abb. 28.20. f-Skala der H-Verschiebung (fH) 1
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498
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Ein großer f-Wert (große Larmorfrequenz) ist nach Gleichung 28.3 die Folge eines schwachen Abschirmfeldes. Man bezeichnet das zugehörige Proton als wenig abgeschirmt oder entschirmt; sein Signal erscheint bei "tiefem Feld". Umgekehrt sind kleine f-Werte die Folge großer Abschirmfelder (abgeschirmte Kerne; Signale bei "hohem Feld"). Zur Gewöhnung an diese Ausdrucksweise kann man das 1H-NMR-Spektrum der Phenylessigsäure (Abb. 28.19) durch die folgenden gleichbedeutenden Formulierungen beschreiben: f"(CO2H) > f"(C6H5) > f"(CH2) 1) 2) Die Abschirmung nimmt in der Folge Carboxy-, Aryl-, Methylen-Protonen zu. 3) Das Carboxy-Proton erscheint bei tiefstem, die Methylen-Protonen liegen bei höchstem (Abschirm-) Feld; dazwischen liegt das Signal der Aryl-Protonen.
28.5.5
Integration der Signale und quantitative Analyse
Mit Hilfe eines im Spektrometers eingebauten Integrators kann man die Flächenintegrale aller Signale aufzeichnen. Man erhält eine Treppenkurve wie in Abb. 28.19 c, aus deren Stufenhöhe das Zahlenverhältnis der chemisch verschiedenen Protonen folgt. Für Phenylessigsäure ist das Verhältnis der Stufenhöhen z. B. COOH : C6H5 : CH2 = 1 : 5 : 2 (Abb. 28.19 c); es bestätigt die Zuordnung der Signale. Eine weitere Anwendung findet die Integration von NMR-Spektren bei der quantitativen Analyse von Gemischen. Die Auswertung der Integrale im 1H-NMR-Spektrum des Acetylacetons (Abb. 28.21) ergibt z. B., daß dieses 1,3-Diketon zu 87 % in der Enol-Form vorliegt.
H 3C
C C
C
O
E-CH3
H
H H CH 3
H 3C
O
C C O
K 13 %
CH 3
C H
O
E 87 % 87 %
13 % E-CH E-OH
K-CH2
K-CH3 TMS
ppm 16
fH
15
5
4
3
2
1
0
1
Abb. 28.21. 80 MHz H-NMR-Spektrum des Acetylacetons; durch Integration der Methyl-Signale ergibt sich 13 % Keto-Form (K) und 87 % Enol-Form (E)
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
28.5.6
499
Konstitutionsmerkmale und Protonen-Verschiebung
Bei der Strukturaufklärung nützt u. a. die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Konstitutionsmerkmalen und Protonen-Verschiebung. Polarität des gebundenen C-Atoms Die chemische Verschiebung eines Protons wird umso größer, je geringer die Ladungsdichte an einem benachbarten C-Atom ist, wie ein Vergleich der Werte von Propan und i-Propyl-Kation zeigt. Die Ladungsdichte am Kohlenstoff wird auch durch die Elektronegativität gebundener Substituenten erniedrigt (induktiver Effekt). Infolgedessen nimmt die Verschiebung eines Protons annähernd linear mit der Elektronegativität des Substituenten am c-Kohlenstoff zu, wie man an einigen Ethyl-Verbindungen in Tab. 28.11 erkennt. ̈"
Tab. 28.11. H-Verschiebungen fH von Propan, i-Propyl-Kation und einigen Ethyl-Verbindungen 1
CH 3
CH 3 Propan und i-Propyl-Kation
1.45 H 2C
13.50 H
0.91
3.20
3.43
H3C CH 2
I
1.83
5.06
CH 3
CH 3 H3C CH 2
C
3.57
Br
1.67
4.35
H 3C CH2
Cl
H3C CH 2
1.48
F
1.27
Ethyl-Verbindungen 1.26
2.51
2.51
3.42
(H3C CH 2)2CH2
(H3C CH 2)2S
(H 3C CH2)2NH
(H3C CH 2)2O
0.89
1.23
1.03
1.15
Anisotropieeffekte von Mehrfachbindungen Die r-Elektronen von Mehrfachbindungen erzeugen anisotrope (d. h. richtungsabhängige) innermolekulare Magnetfelder. Infolgedessen hängt die chemische Verschiebung eines Protons von seiner räumlichen Anordnung bezüglich einer Mehrfachbindung ab. Werden abschirmende Feldregionen in der Nähe von r-Bindungen als "+", entschirmende als "/" gekennzeichnet, so läßt sich die anisotrope Feldeinwirkung von Mehrfachbindungen auf die 1H-Verschiebung anhand doppelkegelförmig begrenzter Feldbereiche (Abb. 28.22) einprägen. Ein Alkin-H- (fH = 2 - 3) ist demnach stärker abgeschirmt als ein Alken-H-Atom (fH = 4.5 - 6.5).
̈"
/ : Entschirmung
+ : Abschirmung /
R
+ C C H
Alkine: fH = 2-3
R
R
+ C
C
R
R
/ H
/ H
Alkene: fH = 4.5-7
+ C
O
Aldehyde: fH = 9-10
Abb. 28.22. Anisotrope innermolekulare Magnetfelder von CC-Dreifach-, CC- und CO-Doppelbindungen
Besonders große Verschiebungen (fH > 8) zeigen die Aldehyd-Protonen, weil sie erstens im entschirmenden Feldbereich der Carbonyl-r-Bindung liegen (Abb. 28.22) und zweitens von der geringen Elektronendichte am Carbonyl-C betroffen sind (Carbonyl-Mesomerie): Carbonyl-Mesomerie
C OI _
_ C OI _
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500
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Die anisotropen Felder haben eine beachtliche Reichweite. So liegen die von der CarbonylGruppe flankierten Methyl-Protonen des Pulegons noch im Entschirmungs-Bereich der Carbonylr-Bindung, wie man an der 1H-Verschiebung erkennt:
Pulegon
O 1.77 H 3C
CH3 1.95
Im Vergleich zu Alken-Protonen zeigen Benzen-Protonen deutlich größere Verschiebungen (fH = 7.3). Zur Erklärung geht man davon aus, daß das r-Elektronensextett des Benzens im Magnetfeld zirkuliert, also einer Stromschleife gleicht. Das so erzeugte "Ringstrom-Feld" ist dem angelegten äußeren Magnetfeld am Ort der Benzen-Protonen gleichgerichtet, so daß sich die Larmorfrequenz erhöht (Entschirmung, Abb. 28.23). Inner-, ober- und unterhalb der Ebene des Benzen-Ringes wird das angelegte Magnetfeld dagegen geschwächt (Abb. 28.23). Dort befindliche Protonen werden abgeschirmt. Dementsprechend erscheint das Signal der zwölf äußeren Protonen des [18]Annulens (Abb. 28.23) bei fH = 8.9, während die inneren sechs Protonen stark abgeschirmt sind (fH = /1.8). Auch die Protonen-Verschiebungen von Ansa-Verbindungen zeigen den Einfluß des Ringstrom-Feldes: Die über der Ebene des Benzen-Ringes liegenden Methylen-Protonen des 1,4-Decamethylenbenzens (fH = 0.8) sind im Vergleich zu den anderen (fH = 2.6, Abb. 28.23) deutlich abgeschirmt. H
B0 H
H
H H
7.3
0.8
H H
2.6
H H
H
/ 1.8
8.9
H
H H
Benzen
H
H
H
H
H H
H H
H H [18]Annulen bei 0 °C
1,4-Decamethylenbenzen 1
Abb. 28.23. Ringstrom-Modell des Benzens und H-Verschiebungen des [18]Annulens sowie des 1,4Decamethylenbenzens
Die durch das Ringstrom-Modell erklärbare und im Vergleich zu Alkenen größere ProtonenVerschiebung von Aromaten (fH > 7) gilt als eines der experimentellen Aromatizitätskriterien. Mesomerie Die Ladungsdichte am C-Atom unterliegt vor allem in konjugierten Systemen dem Einfluß der Mesomerie. So findet man für c,d-ungesättigte Carbonyl-Verbindungen (Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren und Derivate) eine deutliche Entschirmung der d-Protonen, weil durch Mesomerie die Ladungsdichte am d-C-Atom erniedrigt wird: ̈"
OI _
_ OI _
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
501
Beispiele hierzu sind 2-Cyclohexenon und Fumarsäurediethylester. In Maleinsäurediethylester behindern dagegen zwei cis-ständige Ethoxy-Gruppen die Koplanarität der CC- und CO-Doppelbindungen, so daß die Alken-Protonen wieder stärker abgeschirmt werden. O
O
OC2H 5
6.05 H
6.83 H
O
7.05 H
6.28 H
O
OC 2H 5 OC 2H 5
H
H
O
OC 2H5 2-Cyclohexenon
Fumarsäurediethylester
Maleinsäurediethylester
Ähnlich können die Substituenteneffekte (Zi) auf die 1H-Verschiebungen der Protonen am BenzenRing erklärt werden: Typische (-)-M-Substituenten wie die Methoxy- und Dimethylamino-Gruppe erhöhen die Ladungsdichte insbesondere in o- und p-Stellung. Entsprechend stärker als im unsubstituierten Benzen werden die o- und p-Protonen abgeschirmt (Tab. 28.12). ID
D
D
D
(-)-M-Substituent (Elektronen-Donor D) am Benzen-Ring
Umgekehrt setzen (/)-M-Substituenten wie die Formyl-, Methoxycarbonyl- oder Cyano-Gruppe die Ladungsdichte in o- und p-Stellung herab, so daß die o- und p-Protonen im Vergleich zu denen des Benzens entschirmt sind (Tab. 28.12). A
A
A
A
(/)-M-Substituent (Elektronen-Akzeptor A) am Benzen-Ring
Tab. 28.12. Substituenteneffekte ( Zi = fC6H5X / f C6H6 ) auf die 1H-Verschiebung der Benzen-Protonen ( f C6H6 = 7.3 )
Substituent Klasse Beispiel
S u b s t i t u e n t e n e f f e k t e Zi Zo Zm Zp
(-)-M(Donor)
/CH2OH /CH3 /OCH 3 /N(CH3)2 /NH2
/ 0.1 / 0.17 / 0.43 / 0.6 / 0.6
/ 0.1 / 0.09 / 0.09 / 0.1 / 0.1
/ 0.1 / 0.18 / 0.37 / 0.62 / 0.62
/CN /CHO /CO2CH3 /NO2
0.27 0.58 0.74 0.95
0.11 0.21 0.07 0.17
0.3 0.27 0.2 0.33
(/)-M(Akzeptor)
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28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Intramolekulare elektrische Felder und VAN DER WAALS-Abstoßungen Die Ladungsverteilung entlang einer CH-Bindung kann sich unter dem Einfluß intramolekularer elektrischer Felder von polaren Gruppen verzerren. Ein Beispiel ist die überraschend große Entschirmung der o-Protonen des Nitrobenzens (Tab. 28.12). Offensichtlich wirkt der (/)-M-Effekt mit dem elektrischen Feld der Nitro-Gruppe zusammen. Letzteres verschiebt die u-Elektronen der o-CH-Bindungen zum Kohlenstoff hin; dies entschirmt die o-Protonen, erkennbar an ihrer erhöhten Verschiebung: ̈"
H O
das elektrische Feld der Nitro-Gruppe polarisiert die o-CH-Bindungen (Entschirmung an H, Abschirmung an C)
N O H
VAN DER WAALS-Wechselwirkungen resultieren aus der Überlagerung der VAN DER WAALSRadien einander zu nahe kommender H-Atome; dabei stoßen sich die s-Elektronenwolken der HAtome ab. Die damit verbundene sterisch induzierte Polarisierung der CH-Bindungen entschirmt die CH-Protonen. So sind die Methyl-Protonen des 1-Methylnaphthalens infolge der VAN DER WAALS-Abstoßung durch das peri-Proton deutlich weniger abgeschirmt als in 2-Methylnaphthalen, dessen Methyl-Verschiebung mit der des Toluens gut übereinstimmt. 2.75
H
H
H
H
2.40
H
H
2.36
H
H
H H H 1-Methylnaphthalen
2-Methylnaphthalen
H H H Toluen
Wasserstoffbrücken Ein H-Atom, welches eine Wasserstoffbrücke bildet, ist weniger abgeschirmt als ein "freies" H. Die Hydroxy-Protonen der Enole, Phenole und Carbonsäuren zeigen z. B. sehr große Assoziationsverschiebungen (fH = 9 - 17); Alkohol-Hydroxy-Gruppen weisen kleinere Protonen-Verschiebungen (fH < 6) auf. Da die Wasserstoffbrücke eine elektrostatische Bindung mit etwas kovalentem Anteil ist, erklärt man die Assoziationsverschiebung durch ein elektrisches Feld, welches die Ladungsdichte am Brücken-Proton senkt. Während bei intermolekularen Wasserstoffbrücken die Verschiebung des betroffenen Protons von der Konzentration abhängt, ist die Signallage der an intramolekularen Wasserstoffbrücken beteiligten Protonen nahezu konzentrationsunabhängig. So findet man für Methanol bei Verdünnung mit Tetrachlormethan eine Verschiebung nach höherem Feld, weil die WasserstoffbrückenAssoziation infolge Solvatation durch das Lösemittel abnimmt (Abb. 28.24 a). Dagegen ändert das 1 H-Signal des intramolekular gebundenen Enol-Protons in Hexafluoracetylaceton seine Lage kaum, wenn man verdünnt (Abb. 28.24 b). ̈"
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
503
1
Abb. 28.24. 90 MHz H-NMR-Spektren von (a) Methanol und (b) Hexafluoracetylaceton, jeweils in Reinsubstanz (oben) und in verdünnter Tetrachlormethan-Lösung, 5 Vol. % (unten)
Für Amino- und Mercapto-Protonen beobachtet man ebenfalls Assoziationsverschiebungen. Selbst das H-Atom des Chloroforms kann mit starken Elektronenpaar-Donoren wie Acetonitril oder Pyridin eine schwache Wasserstoffbrücke bilden. Infolgedessen beobachtet man in diesen Lösemitteln eine etwas größere Verschiebung des Chloroform-Protons als in der reinen Probe. Cl3C H
I N C CH3
Cl3C H
IN
Wasserstoffbrücken von Chloroform mit Acetonitril und Pyridin
Protonen-Verschiebungen hängen demnach oft vom Lösemittel und von der Konzentration ab.
Chiralitätseinflüsse Enthält ein chirales Molekül der allgemeinen Konstitution
̈
Z Y
C
CH2
R
X
ein asymmetrisches Kohlenstoff-Atom (X Y Z), so befindet sich jedes der beiden MethylenProtonen H1 und H2 in jeder möglichen Konformation in unterschiedlicher (diastereotoper) chemischer Umgebung, wie die NEWMAN-Projektionen zeigen:
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504
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
H1
R Y
Z
Y
H2
H1
H2
X
H2 Z
Y
Z
R
R
H1
X
X
Beispiele für diese Diastereotopie sind die Methylen-Protonen des d-Acetoxybuttersäuremethylesters, OCOCH 3
H1
OCOCH 3 H 3C
CH2
C H
fH = 2.5 2.7
H2
CO2CH 3 H3C
H CO2CH 3
(S)-d-Acetoxybuttersäuremethylester
sowie die Isopropyl-Methyl-Protonen der c-Aminocarbonsäure Valin: H
H3C
H H 3N
C
CH3
CH(CH 3)2
fH = 0.83
CO2
NH3
O2C
0.9
H
D-Valin
Diastereotopie für Methylen-Protonen beobachtet man nicht nur bei Verknüpfung mit einem asymmetrischen C-Atom. Vielmehr wird die chemische Umgebung prochiraler Methylen-Protonen (Abschn. 17.9.1) trotz Molekülsymmetrie diastereotop, CH 2R R
CH 2
C Z
H2
H1
X CH 2
R X
Z R
weil die eine Methylen-Gruppe das benachbarte Kohlenstoff-Atom asymmetrisch "sieht", obwohl das Molekül insgesamt nicht chiral ist.
Dynamische Einflüsse Das 1H-NMR-Spektrum des N,N-Dimethylacetamids (Abb. 28.25) zeigt für die beiden N-MethylGruppen bei Temperaturen unterhalb 80 °C zwei Signale. Diese fallen bei 80 °C unter Verbreiterung zusammen. Man sagt, sie koaleszieren. Oberhalb 80 °C addieren sie sich zu einem einzigen, mit zunehmender Temperatur schärfer werdenden Signal. Der Temperatureinfluß auf die Lage der Protonen-Signale beruht im beschriebenen Beispiel darauf, daß die Amid-Bindung wegen der in Abb. 28.25 formulierten Mesomerie partiellen rCharakter hat; infolgedessen wird die Rotation der Dimethylamino-Gruppe behindert. Eine Methyl-Gruppe (fH = 3.0) steht nun cis, die andere trans zum Carbonyl-O-Atom (fH = 2.9). Bei tiefer ̈"
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
505
Temperatur ist die Austauschfrequenz, d. h. die Geschwindigkeitskonstante (kr) der Dimethylamino-Rotation, im Vergleich zum Verschiebungsunterschied (Fp) der Methyl-Gruppen (fH = 0.1 oder 8 Hz bei 80 MHz in Abb. 28.25) klein. Erhöht man die Temperatur, so nimmt die Rotationsfrequenz zu, bis sie bei der Koaleszenztemperatur (Tc) nach Gleichnung 28.6 die Größenordnung des Verschiebungsunterschiedes Fp erreicht: kr =
r 2
Fp
(28.6)
1
Abb. 28.25. Temperaturabhängigkeit des H-NMR-Spektrums von N,N-Dimethylacetamid (75 Vol % in Hexadeuteriodimethylsulfoxid, 80 MHz)
Aus dieser Beziehung (28.6) kann man die Geschwindigkeitskonstante (kr) der Methyl-Rotation am Koaleszenzpunkt (Tc) ermitteln. Mit Fp"= 8 Hz (Abb. 28.25) ergibt sich z. B. kr = 17.8 s/1 bei 80 °C. Eine zweite Beziehung für kr ist die aus der Theorie der absoluten Geschwindigkeitskonstanten folgende EYRING-Gleichung (28.7): kr =
kT /FG/RT e h
(28.7)
k : BOLTZMANN-Konstante h : PLANCKsches Wirkungsquantum T : Temparatur in K R : Gaskonstante FG : freie Akltivierungsenthalpie (bei T in K)
Nach Logarithmieren, Einsetzen der Zahlenwerte für die Konstanten und Umrechnung auf Zehnerlogarithmus gestattet Gleichnung 28.7 die Ermittlung der freien molaren Aktivierungsenthalpie (FG) am Koaleszenzpunkt (Tc): FG = 19.1Tc (10.32 + lg Tc / kr ) . 10/3 [kJ / mol]
(28.7 a)
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506
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Für die freie molare Aktivierungsenthalpie der Dimethylamino-Rotation in Dimethylacetamid ergibt sich z. B. mit kr = 17.8 s/1 und der Koaleszenztemperatur Tc = 353 K (80 °C, Abb. 28.25): FG353 = 78.5 kJ / mol = 18.7 kcal / mol
(28.7b)
Weitere Beispiele, auf welche die temperaturabhängige NMR-Spektroskopie im Bereich zwischen /"150 und +150 °C zum Studium dynamischer Einflüsse anwendbar ist, sind u. a. die behinderte Rotation in sperrig substituierten Ethan-Derivaten: H
V X
H
Y
X
W
W
Z
W Y
X
V
V
Z
Y
H Z
die Inversion am Amino-N-Atom, z. B. in Aziridinen, R N
N R
die Ringinversion von Cyclohexanen, R R
sowie die Valenztautomerisierungen, z. B. im Homotropiliden:
Empirische Auswertung von Protonen-Verschiebungen Protonen-Verschiebungen im 1H-NMR-Spektrum einer unbekannten Substanz gestatten oft direkte Aussagen über Ab- oder Anwesenheit bestimmter Gruppen. Besonders typische 1H-Verschiebungen zeigen u. a. Cyclopropan-, Alkin-, Methylenoxy-, Benzen- und Aldehyd-Protonen. Dagegen hängt die Lage der Signale von XH-Protonen (z. B. X = O, NH, NR, S) stark vom Lösemittel ab. Abb. 28.26 orientiert zusammenfassend über typische Bereiche der ProtonenVerschiebungen in organischen Stoffklassen. Viele organische Verbindungen kann man formal als Methan-Derivate auffassen. In diesen Fällen bewähren sich zur Zuordnung der Spektren empirisch ermittelte Substituenteninkremente zi (Tab. 28.13). Mit ihrer Hilfe und dem Verschiebungswert des Methans (fH = 0.23) kann man nach Gleichung 28.8 die chemische Verschiebung der CH2- und CH-Protonen in di- und trisubstituierten Methanen (X/CH2/Y bzw. XCHYZ) vorhersagen (SHOOLERY-Regel). Additivität der Inkremente wird dabei vorausgesetzt. fH = 0.23 + Uzi (28.8) ̈"
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
507
Die Verschiebung der Methylen-Protonen in Phenylessigsäure ergibt sich z. B. nach Gleichung 28.8 und Tab. 28.13 als fH = 0.23 + zPhenyl + zCarboxy = 0.23 + 1.8 + 1.5 = 3.53 in guter Übereinstimmung mit der Messung (Abb. 28.19). Enol-OH Carbonsäure-OH Phenol-OH mit D2O austauschbare Alkanol-OH Protonen Amid-NH Amin-NH Thiol-/Thiophenol-SH Aldehyd-CH Heteroaromaten Aromaten Alken-CH Alkin-CH Acetal-CH R2CH/O/, RCH2/O/ CH3O/ CH3N< CH3S/ CH3 an C=C oder C=X Cyclopropan CH3 an Metall
r-Elektronenmangel (/)-M-substituiert (/)-M-substituiert
r-Elektronenüberschuß (-)-M-substituiert (-)-M-substituiert
R2CH/O/
H 15 14 13 12 11 10
9
8
7
6
RCH2/O/
5
4
3
2
1
0 /1
Abb. 28.26. Bereiche der Protonen-Verschiebungen in organischen Stoffklassen
Tab. 28.13. Substituenten-Inkremente zi (ppm) zur Vorhersage der f-Werte von Protonen in di- und trisubstituierten Methanen nach SHOOLERY Substituent CH3 CF 3 CR1 CR 2R3 C C H CO2R CONH2 COR C N C 6H5
zi 0.47 1.14 1.32 1.44 1.55 1.59 1.70 1.70 1.83
Substituent NR1R 2 SR I Br OR Cl OH OCOR OC6H 5
zi 0.57 1.64 1.82 2.33 2.36 2.53 2.56 3.13 3.23
Entsprechend gelingt die Vorhersage der 1H-Verschiebung benzoider Protonen in mehrfach substituierten Benzenen nach Gleichung 28.9 und Tab. 28.12: Man addiert zum Verschiebungswert des Benzens (fH = 7.26) je nach Stellung des Substituenten zum betrachteten Proton die ortho-, meta- oder para-Inkremente des bzw. der Substituenten: fH = 7.26 + Uzi z i = zo , zm , zp (28.9)
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508
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Die gemessenen Verschiebungswerte (fH = 8.72, 8.47 und 7.28) der Ring-Protonen des 2,4Dinitroanisols lassen sich z. B. mit Hilfe der Methoxy- und Nitro-Inkremente nach Tab. 28.12 und Gleichung 28.10 befriedigend zuordnen. OCH 3 H 6 5
H
1 4
NO2 2 3
H
OCH3
+ 2 zo
NO2
= 7.26 / 0.1 + 1.8
= 8.96 (8.72)
f5-H = 7.26 + zmOCH + zo NO + zp NO = 7.26 / 0.1 + 0.9 + 0.3 = 8.36 (8.47) 3 2 2 = 7.26 / 0.4 + 0.4 = 7.26 (7.28) f6-H = 7.26 + zo OCH + 2 zm NO 3
NO2
28.5.7
f3-H = 7.26 + zm
2
Kopplungskonstanten
Spin-Spin-Kopplung Im H-NMR-Spektrum des Acetylaminomalonsäurediethylesters (Abb. 28.27) erscheint das Signal der durch die Carboxy-Gruppe von den übrigen Wasserstoff-Atomen des Moleküls isolierten Acetyl-Methyl-Protonen als Singulett (Einzelsignal) bei fH = 2.1. Alle anderen Signale des Spektrums spalten in Multipletts auf, offensichtlich, weil die zugehörigen H-Atome von chemisch verschiedenen Nachbar-Protonen flankiert sind.
̈"
1
1
Abb. 28.27. 90 MHz H-NMR-Spektrum des Acetylaminomalonsäurediethylesters in Deuteriochloroform (CDCl3) bei 30 °C
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
509
Die Signalaufspaltung in Lösung ist eine Folge der indirekten Spin-Spin-Kopplung. Darunter versteht man eine durch kovalente Bindungen übertragene magnetische Wechselwirkung zwischen chemisch nicht äquivalenten Kernen. Die direkte Kopplung zwischen zwei Kernen durch den Raum wird nur im festen Zustand beobachtet. In der hochauflösenden NMR-Spektroskopie, die man zur Strukturaufklärung fast ausschließlich heranzieht, werden Lösungen untersucht. In Lösung wird die direkte Kopplung zwischen zwei Kernen durch die Molekülbewegung zeitlich ausgemittelt.
E
a
b
c hJAX / 4
E2
E2
B0 hJAX / 4
E1 E1
hJAX / 4
hJAX / 4
A
AX
AX
Einspin-System
Zweispin-System AX ohne Kopplung
Zweispin-System AX mit Kopplung JAX
zugehörige NMR-Spektren
fA
a
fX
fA
b
JAX
fX
fA
X-Dublett
A-Dublett
c
Abb. 28.28. Zur Erklärung der indirekten Spin-Spin-Kopplung: (a) Kernenergiezustände von Kern A im B0-Feld; (b) Aufspaltung der A-Zustände infolge der Präzession von Kern X im B0-Feld; (c) Stabilisierung (Senkung) und Destabilisierung (Hebung) der Energiezustände in (b) um die Energiebeträge hJAX / 4, infolgedessen unterschiedliche Energiebeträge FE1 und FE2 der beiden Übergänge und Aufspaltung der A- und X-Signale in Dubletts
Auf einen Kern A wirkt (neben B0 und innermolekularen Abschirmfeldern) auch das Zusatzfeld eines gebundenen Kernes X. Dieses entsteht, indem der Kern X mit IX = 1/2 seinerseits um die Feldrichtung präzessieren kann oder entgegengesetzt (Abb. 28.17). Infolgedessen spalten die Energiezustände von Kern A jeweils um denselben Energiebetrag auf (Abb. 28.28 a - b), wobei die Zustände energieärmer sind, bei denen auch Kern X um die Feldrichtung präzessiert. Nach der quantenmechanischen Auswahlregel (FIA = 1 und FIA = 0) sind für den Kern A zwei Übergänge möglich (vgl. die Pfeile in Abb. 28.28 b). Diese sind jedoch frequenzgleich und addieren sich im NMR-Spektrum zu einem Signal. Die Kerne A und X präzessieren infolge ihrer Wechselwirkung mit den Bindungselektronen jedoch nicht unabhängig voneinander (Kopplung). Im Falle der posi-
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510
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
tiven Kopplung stabilisieren die Bindungselektronen wegen des PAULI-Prinzips die antiparallele Präzession der Kerne A und X; gleichzeitig destabilisieren sie die Parallelpräzession um denselben Energiebetrag hJAX / 4 (Abb. 28.28 c). Die beiden möglichen Übergänge unterscheiden sich jetzt durch ihre Frequenz. Nach Abb. 28.28 c ergibt sich JAX als Frequenzdifferenz (FE2/"FE1) / h beider Übergänge, weil FE1 um zwei Teilbeträge hJAX / 4 ab-, FE2 dagegen um zwei Teilbeträge hJAX / 4 zunimmt. Als Folge der Kopplung mit Kern X spaltet das Signal von Kern A somit in ein Dublett mit dem Frequenzabstand JAX auf. Entsprechendes gilt für den Kern X. Die koppelnden Kerne A und X bilden ein aus zwei Dublettsignalen bestehendes AX-System (Abb. 28.28 c). Der Frequenzabstand (JAX) der Multiplettsignale wird als Kopplungskonstante bezeichnet und in Hz gemessen. JAX reflektiert ausschließlich die Wechselwirkung der Kerne A und X über die Bindungselektronen. Insofern ist die Kopplungskonstante im Gegensatz zum Frequenzbetrag der chemischen Verschiebung (Gl. 28.3) unabhängig von der Kraftflußdichte B0 . Spektren erster Ordnung und Aufspaltungsregeln Sind mehrere Kerne X mit IX = 1/2 an der Kopplung mit Kern A beteiligt, so gelten drei Aufspaltungsregeln: 1) Die Multiplizität (der Aufspaltungsgrad) des A-Signals folgt aus der Anzahl aller verschiedenen Gesamtspin-Präzessionen relativ zum Feld B0. Für n koppelnde Kerne X mit IX = 1/2 ergibt sich eine (n+1)-fache Aufspaltung (Abb. 28.29). 2) Die Intensitäten der Multiplett-Signale folgen aus der Anzahl energiegleicher GesamtspinEinstellungen. Sie verhalten sich für koppelnde Kerne X mit IX = 1/2 wie die n-ten Binominalkoeffizienten (1 : 1-Dublett; 1 : 2 : 1- Triplett; 1 : 3 : 3 : 1-Quartett; vgl. Abb. 28.29). 3) Sind mehrere Kerne magnetisch äquivalent, weil sie dieselbe chemische Verschiebung haben und mit allen anderen Kernen des Moleküls nicht koppeln oder gleiche Kopplungskonstanten zeigen, so beobachtet man keine Aufspaltung. Die Kopplung der MethylProtonen untereinander bewirkt also keine Aufspaltung des Methyl-Signals. Das AcetylSignal in Abb. 28.27 ist daher ein Singulett. ̈"
A-Teilspektren
B0 X-Spin-Kombinationen
relative Häufigkeit
1 : 1 A
Teilstruktur
CH CH
Spinsystem
AX
1 : 2 : 1 X
A
X
1 : 3 : 3 : 1 A
X
CH CH2
CH CH3
AX 2
AX 3
Abb. 28.29. Zur Erklärung der einfachen Aufspaltungsregeln für Kerne mit I = 1/2. Der X-Teil des Spektrums ist in allen drei Fällen ein Dublett
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
511
Allgemein beobachtet man eine (2nIX + 1)-fache Aufspaltung. Das Signal des Protons im Dideuteriochlormethan CHD2/Cl"spaltet z. B. in ein Quintett auf, weil Deuterium die Kernspin-Quantenzahl ID = 1 besitzt und somit (2nIX+1) = 2 x 2 x 1 + 1 = 5 ist. Die Aufspaltungsregeln gestatten die Auswertung von NMR-Spektren erster Ordnung. Solche Spektren liegen vor, wenn die Verschiebungsunterschiede (pX/pA) im Frequenzmaßstab erheblich größer sind als die Kopplungskonstanten JAX (JAX / (pX/pA) Jae , Jae isomere Cyclohexan- und Tetrahydropyran-Derivate (Pyranoside) unterscheiden. d-Methyl-D-glucopyranosid zeigt z. B. eine deutlich größere Kopplungskonstante der vicinalen Protonen an C-1 und C-2 als das c-Isomer (Abb. 28.33 b).
Ha
Ha
He He
He
He
Ha
geminal : axial-axial : axial-äquatorial : äquatorial-äquatorial :
HO HO HO
= / 12 Hz 3J = 13 Hz aa 3J = 3 Hz ae 3J = 3 Hz ae ae
a
O H
cJea = 4 Hz
OH OCH 3
Ha 2J
H
HO HO HO
H
dOCH 3 Jaa = 9 Hz
O
OH H Methyl-D-glucopyranosid
b
Abb. 28.33. (a) Kopplungskonstanten vicinaler Protonen in Cyclohexan-Derivaten; (b) Unterscheidung von cund d-Methyl-D-glucopyranosid anhand der vicinalen H,H-Kopplungskonstanten
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
515
Ringgröße der Cycloalkene Die Kopplungskonstanten der vicinalen (cis) Alken-Protonen steigt in der Folge Cyclopropen (0.2 Hz), Cyclobuten, Cyclopenten, Cyclohexen an und erreicht bei höhergliedrigen Ringen Werte von 9 bis 14 Hz. Dieser Befund ist vor allem für die Identifizierung kleiner Cycloalken-Ringe wertvoll.
̈"
H
H
0.2
H
2- 4
H
5- 7 H
H
H 9 - 10
H 9 - 14
H
H
(Z)- und (E)-Isomerie von Alkenen In Alkenen unterscheidet man zwischen Geminal-, cis-, trans- und Allyl-Kopplungen:
̈"
H4
C
1H
geminal cis trans
C C 2H
H3
2J
1,2
3J
2,3
3J
1,3
= / 3 bis + 3 Hz 5 bis 14 Hz = = 11 bis 19 Hz
Allyl
3J 3,4 4J 1,4 4J 2,4
= 4 bis 10 Hz = / 0.5 bis / 3 Hz = / 0.5 bis / 3 Hz
Die Beziehung Jtrans > Jcis gestattet eine Unterscheidung zwischen (Z)- und (E)-Alkenen, sofern die Alken-C-Atome mit vicinalen H-Atomen verknüpft sind. Abb. 28.34 zeigt als Beispiel das 1HNMR-Spektrum eines Gemisches aus cis- und trans-Ethyl-i-pentenylether (1-Ethoxy-3-methyl-1buten). Im Bereich der olefinischen Protonen (fH > 4) erkennt man zwei AX-Systeme, von welchen das mit den größeren Kopplungskonstanten (17 Hz) zum trans-, das mit den kleineren (6 Hz) zum cisIsomer gehört. Die Integration der X-Teilspektren mit den großen Verschiebungen fH = 6.2 und 5.75 ergibt 45% trans- und 55% cis-Isomer. Tab. 28.15 informiert über die weitere, aus Kopplungen und Integralen folgende Zuordnung des Spektrums.
Stellungsisomerie mehrfach substituierter Benzene und Pyridine In Benzen liegen die Kopplungen o-ständiger Protonen zwischen 6 und 10 Hz. Die Kopplungskonstanten m-ständiger Protonen sind erheblich kleiner (1 - 3 Hz), und p-Kopplungen (< 1 Hz) werden im Spektrum oft nicht aufgelöst. Ähnliche Beziehungen gelten für die Protonen des Pyridin-Ringes.
̈"
3J
4J
H
6 - 10 N
H
H
H
H H
1-3 N
H
N
H 7-9
N
H H
H
H
5-6
5J
H
1-2
N H
2-3
0 - 1 Hz H
H
0.5 - 1 Hz
Mit Hilfe dieser deutlichen Unterschiede kann man die Stellung von Substituenten am BenzenRing bestimmen (Abb. 28.35 a - c).
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28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
1
Abb. 28.34. 90 MHz- H-NMR-Spektrum von cis- und trans-Ethyl-i-pentenylether in Deuteriochloroform. Die Zuordnung entnehme man der Tab. 28.15 1
Tab. 28.15. Zuordnung des H-NMR-Spektrums von cis- und trans-Ethyl-i-pentenylether (Abb. 28.34) H 6
1
2
3
fH
Zuordnung
trans45 %
6.2
2-H
cis55 %
4
CH(CH3)2
1-H
4
Kopplungskonstante(n) [Hz] 13 1 13 7.5 7 7 1
3.7 2.2
5-H 3-H
1.2 0.95
6-H 4-H
7 7
5.8
2-H
6 1.2 6 8
Kopplungsart 3J
(trans)
4J 3J
(trans)
3J 3J 3J 4J 3J 3J 3J
Doppeldublett Doppeldublett Quartett1) Octett von Dubletts Triplett Dublett Doppeldublett Doppeldublett Quartett1) Oktett von Dubletts Triplett Dublett
5-H 3-H
7 8 1.2
1.17
6-H
7
3J
0.93
4-H
7
3J
3-H
4J 3J 3J 3J 3J 4J
(cis)
Multiplizität
1-H 3-H 2-H 3-H 6-H 2-H , 4-H 1-H 5-H 3-H
3.6 2.75
1-H
(cis)
Kopplungspartner
1-H 3-H 2-H 3-H 6-H 2-H , 4-H 1-H 5-H
4.15
1)
2
CH(CH3)2
Isomer
4.7
3
1
C C 6 5 H 3C CH 2 O H cistransEthyl-i-pentenylether (1-Ethoxy-3-methyl-1-buten)
C C
5
H 3C CH 2 O
H
H
zwei überlappende Quartetts im Abstand der Kopplungskonstanten, keine Quintetts
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
517
So zeigt 2-Nitrophenol (Abb. 28.35 a) als o-disubstituiertes Benzen für die den Substituenten benachbarten Kerne 3-H und 6-H je eine o-Kopplung (o-Dubletts). Die benzoiden Protonen 4-H und 5-H sind dagegen von je zwei H-Atomen flankiert (ortho zu 4-H stehen z. B. 3-H und 5-H); sie zeigen daher zwei o-Kopplungen (o-Doppeldubletts). Alle H-Atome koppeln zusätzlich mit je einem m-Proton, so daß man für sämtliche Signale noch eine weitere Aufspaltung von 2 bis 2.5 Hz beobachtet. Die vollständige Zuordnung folgt aus dem Kopplungsschema (Abb. 28.35 a), wobei 3-H und 5-H wegen des (/)-M-Effektes der Nitro-Gruppe (Tab. 28.12) jeweils weniger abgeschirmt sind als 6-H und 4-H, welche vorwiegend dem (-)-M-Effekt der Hydroxy-Gruppe ausgesetzt sind.
3-H fH = 8.05
H H 5 4
6 3
OH 1 2
H
8.5 2.5
6-H 7.03
4-H 6.86
J6,5 J6,4
J5,6 J5,4 J5,3
J3,4 J3,5
NO2
H
5-H 7.50
8.5 2.0
8.5 6.7 2.5
8.5 6.7 2.0 Hz
J4,3 J4,5 J4,6
a ppm
10
9
8
7
6
fH 5
4
3
2
1
0
1
Abb. 28.35. (a) 100 MHz- H-NMR-Spektrum von 2-Nitrophenol in Deuteriochloroform mit Zuordnung und Kopplungsschema der benzoiden Protonen (über dem gespreizten Teilspektrum)
m-Disubstituierte Benzene wie 3-Nitrobenzaldehyd (Abb. 28.35 b) erkennt man daran, daß ein Proton wie 2-H (fH = 8.75) nur m-Kopplungen (mit 4-H und 6-H) und ein anderes wie 5-H (fH = 7.82) nur o-Kopplungen (mit 4-H und 6-H) zeigen kann. Zwei weitere 1H-Signale (4-H und 6-H) spalten infolge Kopplung mit je einem o-Proton und je zwei m-H-Atomen in je ein Dublett von Ferndoppeldubletts (bzw. -tripletts) auf, wie das Kopplungsschema (Abb. 28.35 b) zeigt. Da die Nitro-Gruppe in o-Stellung stärker entschirmt als die Aldehyd-Funktion, beide Substituenten jedoch ähnliche p-Effekte aufweisen (Tab. 28.12), erscheint 4-H bei fH = 8.5, 6-H bei 8.27. p-Disubstituierte Benzene wie 4,4'-Dimethoxybenzil erkennt man an einem symmetrischen 1HNMR-Spektrum der benzoiden Protonen (Abb. 28.35 c). Diese bilden kein (AX)2-, sondern ein nicht mehr nach den Regeln erster Ordnung analysierbares AA'XX'-System: Trotz der durch die Molekülsymmetrie bedingten chemischen Äquivalenz (pA = pA´ und pX = pX´) sind die Protonen A
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518
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
und A' bzw. X und X' magnetisch nicht äquivalent, denn die Kopplungen von A und A' mit Kern X (oder X') sind verschieden: 3JAX ist z. B. eine ortho-, 5JA'X dagegen eine viel kleinere para-Kopplung.
5 4
6 3
2-H fH = 8.75
H
H H
6-H 8.27
5-H 7.82
O
1 2
J2,4 J2,6
H
H
4-H 8.5
J4,5 J4,2
NO2
J6,5 J6,2
J4,6
J5,4 ~J5,6
~J6,4
3.0 2.5
7.5 3.0 2.5
7.5 Hz
7.5 2.5
b ppm 10
9
8
7
6
fH 5
4
3
2
1
0
1
Abb. 28.35. (b) 100 MHz- H-NMR-Spektrum von 3-Nitrobenzaldehyd in Deuteriochloroform mit Zuordnung und Kopplungsschema der benzoiden Protonen (über dem gespreizten Teilspektrum)
HX
XX´ HA 5 4
6 3
1 2
H X´
H 3CO
XX´
AA´
O
H A´
2
4
3
AA´
c ppm 8
7
6
5
fH 2
1
0
1
Abb. 28.35. (c) 100 MHz- H-NMR-Spektrum von 4,4'-Dimethoxybenzil in Deuteriochloroform
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
519
Die Spektren in Abb. 28.35 zeigen auch die 1H-Resonanzen der Hydroxy-Gruppe eines Phenols mit intramolekularer Wasserstoffbrücke (fH = 10.55), einer Aldehyd-Funktion (10.2) sowie von Methoxy-Protonen (3.8).
28.5.9
Beispiel zur Herleitung der Konstitution aus dem 1H-NMR-Spektrum
Wie man die Konstitution einer Verbindung aus ihrem 1H-NMR-Spektrum herleiten kann, soll das folgende einfache Beispiel zeigen. Gegeben sei eine Substanz der Elementarzusammensetzung C8H10N2O3, welche das 1H-NMR-Spektrum in Abb. 28.36 ergibt. Doppelbindungsäquivalente Einen ersten vom Spektrum unabhängigen Hinweis zur Konstitution gibt die Anzahl der Doppelbindungsäquivalente; ein Doppelbindungsäquivalent kann sowohl für eine r-Bindung als auch für einen Ring stehen. Zur Ermittlung ersetzt man die gegebene Summenformel formal durch CnHx und vergleicht mit dem Kohlenwasserstoff CnH2n+2. Stickstoff wird durch CH, Halogen durch H ersetzt, Sauerstoff und zweiwertiger Schwefel entfallen. Aus C8H10N2O3 ergibt sich C10H12; C10H12 hat zehn H-Atome weniger als C10H22; dies entspricht fünf Doppelbindungsäquivalenten. ̈"
Anzahl der chemisch verschiedenen Protonen Das 1H-NMR-Spektrum zeigt sechs getrennte 1H-Signale mit dem Integral-Verhältnis 5:5:5:10:10:15. Somit enthält das Molekül sechs chemisch verschiedene Protonen im Verhältnis 1:1:1:2:2:3. Die Protonensumme beträgt folglich 10, was mit der gegebenen Summenformel übereinstimmt. ̈"
Art der Protonen, Kohlenstoff-Skelett, Substituenten Die Verschiebungen der Signale bei fH = 6.7, 7.05 und 7.5 sowie ihr Integral-Verhältnis (1 : 1 : 1) deuten auf ein trisubstituiertes Benzen hin. Damit sind vier der fünf Doppelbindungsäquivalente vergeben (drei r-Bindungen sowie ein Ring). Eine Ethoxy-Gruppe ergibt sich aus dem Quartett bei fH = 3.97 und dem Triplett bei 1.37. Man vergleiche hierzu die ähnlich liegenden Signale der Ethoxy-Gruppen in Abb. 28.27 sowie die Verschiebungsbereiche in Abb. 28.26. Das breite Signal bei fH = 5.9 paßt nach Verschiebung (5.9) und Intensität (H2) zu einer primären Amino-Gruppe. Die Signalverbreiterung ist eine Folge der Kopplung mit 14N und von Austauschvorgängen, z. B. Wasserstoffbrücken. Trisubstituiertes Benzen (C6H3), Ethoxy- und Amino-Gruppe (/OC2H5 und /NH2) ergeben die Teilsumme C8H10NO, der zur gegebenen Summenformel (C8H10N2O3) ein Rest NO2 fehlt. Eine Nitro-Gruppe, welcher das zusätzliche Doppelbindungsäquivalent zukommt, ist daher der dritte Substituent. ̈"
Substitutionsmuster Es gibt drei Typen trisubstituierter Benzene:
̈"
X
X 1 2 3
Y
1,2,3-
1 5
Z
X
Z
1 2 4
3
Y
Y
1,3,5trisubstituiertes Benzen
Z 1,2,4-
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520
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
1
Abb. 28.36. 90 MHz- H-NMR-Spektrum der Verbindung C8H10N2O3 in Deuteriochloroform
Das 1H-NMR-Spektrum eines 1,2,3-trisubstituierten Benzens sollte für alle H-Atome o-Kopplungen zeigen (je eine für 4-H und 6-H, zwei für 5-H). Im 1,3,5-trisubstituierten Benzen sind andererseits nur m-Kopplungen möglich. Zu keiner dieser Möglichkeiten paßt das vorliegende Spektrum (Abb. 28.36). Vielmehr spaltet das benzoide Proton bei fH = 7.05 in ein Doppeldublett mit 9Hz (ein Proton in o-Stellung bei fH = 6.7) und 3Hz (ein Proton in m-Stellung bei fH = 7.5) auf. Ein Proton (fH = 7.5) ist somit von zwei Substituenten flankiert. Die beiden anderen (fH = 6.7 und 7.05) stehen ortho zueinander. Demzufolge ist die Verbindung ein 1,2,4-trisubstituiertes Benzen. Substituentenfolge Die Substituentenfolge läßt sich aus den Verschiebungen des AB-Systems für 5-H und 6-H (nach Gleichung 28.9, S. 507) herleiten. Dabei werden die durchweg kleinen m-Effekte (< 0.2) zunächst vernachlässigt. Dann können die Protonen 5-H und 6-H jeweils von einer Nitro- oder Ethoxyoder Amino-Gruppe flankiert sein. Anhand der o-Effekte aus Tab. 28.12 (S. 501) lassen sich die zugehörigen 1H-Verschiebungen abschätzen:
̈"
Abschätzung o-Nitroo-Ethoxyo-Amino-
fH ~ 7.3 + 0.9 ~ 8.2 fH ~ 7.3 / 0.4 ~ 6.9 fH ~ 7.3 / 0.7 ~ 6.6
Meßwerte 7.05 6.7
NH 2 6.7 H 7.05 H
1 2 4
NO2 H 7.5
OC 2H5
Ein Vergleich von Schätz- und Meßwerten auf beste Übereinstimmung zeigt, daß das H-Atom mit fH = 7.05 und m-Kopplung ortho zur Ethoxy- und jenes mit fH = 6.7 ohne m-Kopplung ortho zur Amino-Gruppe steht. Demnach ist die Verbindung 4-Ethoxy-2-nitroanilin.
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
521
28.5.10 Chemische Methoden der Signalzuordnung Verschiebungs-Reagenzien Mit Hilfe einiger Lanthanid-Chelate (Verschiebungs-Reagenzien) gelingt die Aufspreizung des Verschiebungsbereiches. Kopplungskonstanten bleiben dabei unbeeinflußt, solange die Wechselwirkung zwischen Verschiebungs-Reagenz und Substanz deren Konformation oder Konfiguration nicht verändert. Übliche Verschiebungs-Reagenzien sind Europium(III)-1,3-Diketon-Chelate. Sie lösen sich gut in den meisten NMR-Lösemitteln (CCl4, CDCl3, CD3OD). Die sonst durch paramagnetische Zusätze induzierte Signalverbreiterung ist bei den Verschiebungs-Reagenzien klein, so daß sich die Auflösung der Spektren nur wenig verschlechtert.
̈"
F 3C F 2C F 2C
(H3C)3C
C O
C O H
Eu/ 3
C
H
C O
C O (H3C)3C Tris-(dipivaloylmethanato)Europium(III)-Chelat [Eu(dpm)3]
Eu/ 3
C
(H3C)3C Tris-(6,6,7,7,8,8,8-heptafluor-2,2-dimethyl3,5-octandionato)-Europium(III)-Chelat [Eu(fod)3]
Die Wirkungsweise der Verschiebungsreagenzien erkennt man in Abb. 28.37: Nach Zusatz von Eu(fod)3 werden ursprünglich überlappende Resonanzen des 1-Hexanols getrennt. Dabei hängt die induzierte Kontaktverschiebung in grober aber praktisch brauchbarer Näherung vom Abstand zwischen der koordinationsfähigen Gruppe (hier der Hydroxy-Funktion) und der betrachteten Protonensorte ab, wie Abb. 28.37 b zeigt.
1
Abb. 28.37. 90 MHz- H-NMR-Spektrum des 1-Hexanols in Deuteriochloroform, (a) ohne und (b) mit Zusatz von Eu(fod)3, Gewichtsverhältnis 1 : 1; (c) nach Schütteln mit D2O (Deuterium-Austausch)
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522
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Deuterium-Austausch Acide Wasserstoff-Atome wie in den Gruppen OH, NH, NH2 und SH lassen sich gegen Deuterium austauschen, indem man die Lösung der Substanz im Meßröhrchen mit Deuteriumoxid schüttelt (Deuterium-Austausch). Nach Phasentrennung wird das 1H-NMR-Spektrum erneut gemessen. Die Signale der OH-, NH- und SH-Gruppen verschwinden dann infolge des DeuteriumAustauschs (R/XH und D2O äquilibrieren zu R/XD und HDO). Abb. 28.37 c zeigt z. B. die Lokalisierung des OH-Signals im 1H-NMR-Spektrum des 1-Hexanols durch Deuterium-Austausch. ̈"
28.5.11 Besondere Meßtechniken Hochfeld-Kernresonanz Da die Larmorfrequenz p2 nach Gleichung (28.3) von der magnetischen Kraftflußdichte B0 abhängt, die Kopplungskonstante J jedoch nicht, kann man durch Erhöhung der Feldstärke das Verhältnis J/Fp verkleinern. Gleichzeitig erhöht sich der Besetzungsunterschied der KernspinEnergiezustände und die davon abhängige Empfindlichkeit des NMR-Experiments. Die mit Hilfe supraleitender Magnetspulen (Abb. 28.18) z. Zt. (2005) erreichbaren Magnetfeldstärken (B0 = 21.1 Tesla) gestatten die Aufnahme von 1H-NMR-Spektren mit Meßfrequenzen bis zu 900 MHz.
̈"
HA C
N
HB HC 3J AB 3J AC 2J BC
= 11.5 Hz (cis) = 17.9 Hz (trans) = 2.0 Hz (geminal)
a fH
HC 17.9 2.0 Hz
ppm
6.2
6.0
HB 11.5 2.0 Hz
5.8
5.6
5.4
HA 17.9 11.5 Hz
b fH
ppm
6.2
6.0
5.8
5.6
1
Abb. 28.38. H-NMR-Spektrum von Acrylnitril in Deuteriochloroform; (a) bei 80 MHz, (b) bei 200 MHz, jeweils im gleichen Frequenzmaßstab. Die Zuordnung ergibt sich aus den Multipletts und den angegebenen HHKopplungskonstanten.
Die Aufspreizung des NMR-Spektrums im Frequenzmaßstab durch stärkere Magnetfelder (Fp""\"B0) ohne Änderung der Kopplungskonstanten (J = const.) bietet einen wesentlichen Vorteil: Kleine Verschiebungsunterschiede werden besser aufgelöst, wobei Multipletts höherer Ordnung in einfacher auswertbare Aufspaltungen erster Ordnung übergehen. Abb. 28.38 zeigt zum Vergleich
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
523
das 80 MHz- und das 200 MHz-1H-NMR-Spektrum des Acrylnitrils im gleichen Frequenzmaßstab. Man erkennt, daß die Erhöhung der Feldstärke von 1.87 (80 MHz-) auf 4.67 Tesla (200 MHzSpektrometer) eine Aufspreizung der Verschiebungen (in Hz) um den entsprechenden Faktor (2.5) bewirkt. Dabei ändern sich die Kopplungskonstanten nicht, so daß aus dem ABC-System höherer Ordnung (Abb. 28.38 a) ein sehr übersichtliches Spektrum (Abb. 28.38 b) entsteht, das nach den Regeln 1. Ordnung mit Hilfe der Kopplungskonstanten problemlos zugeordnet werden kann.
Spin-Entkopplung (Doppelresonanz) Die indirekte Spin-Spin-Kopplung eines Kernes A mit Kern X wird nur beobachtet, wenn X auf seinen Präzessionszuständen genügend lange verweilt. Wechselt der Kern X seine Präzessionseinstellungen zu schnell, z. B. weil man ihn gerade mit seiner Resonanzfrequenz anregt, so wird sein Feld zeitlich ausgemittelt. Kern A verspürt das Feld von X dann nicht mehr; sein Signal erscheint als Singulett. Zur praktischen Durchführung dieser Spin-Entkopplung strahlt man eine konstante, in Resonanz mit dem zu entkoppelnden Kern befindliche Radiofrequenz p2 ein, während zur Beobachtung des Kernes A das NMR-Spektrum gemessen wird (Doppelresonanz). Durch Spin-Entkopplung gelingt es, den Kopplungspartner eines jeden Kerns in einem Molekül zu lokalisieren, wie Abb. 28.39 für die CH-Protonen des 3-Aminoacroleins zeigt. ̈"
1
Abb. 28.39. 90 MHz- H-NMR-Spektren des 3-Aminoacroleins in Tetradeuteriomethanol, (a) ohne Entkopplung, (b) und (c) mit Entkopplung der Protonen bei fH = 8.5 und 7.3. Aus (b) und (c) folgt, daß 1-H und 3-H jeweils mit 2-H koppeln. Anstelle des entkoppelten Signals treten exponentiell ansteigende und abfallende Schwebungsinterferenzen auf (Überlagerung zweier ähnlicher Frequenzen p1 und p2)
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28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Kern-OVERHAUSER-Effekt (NOE-Differenzspektroskopie) Die Spin-Entkopplung eines Protons X hat auch Änderungen der Signalintensitäten räumlich naher Protonen A zur Folge. Diese Kern-OVERHAUSER-Effekte (NOE von nuclear OVERHAUSER effect) sind umso größer, je kleiner der direkte, räumliche Abstand zweier Kerne A und X im Molekül ist, unabhängig davon, wie viele Bindungen diese Kerne voneinander trennen, und ob sie im Spektrum Kopplungen aufweisen oder nicht. Mit dem NOE können daher Atomkern-Abstände innerhalb eines Moleküls, z. B. zur Bestimmung der relativen Konfiguration gemessen werden. Da Kern-OVERHAUSER-Effekte in der Protonenresonanz sehr klein sind, ihre Messung durch Integration folglich zu ungenau wäre, wendet man die NOE-Differenzspektroskopie an. Dazu wird ein erstes 1H-NMR-Spektrum unter Einstrahlung der Larmorfrequenz eines Protons X aufgenommen und ein zweites mit weit weg liegender Entkopplungsfrequenz ("off-resonance") vom ersten subtrahiert. Das resultierende NOE-Differenzspektrum zeigt nur dort Signale, wo der NOE die Intensitäten erhöht (positive Signale) oder vermindert (negative Signale). Wie Abb. 28.40 am trans-2-Methylcyclopentanol zeigt, kann man durch NOE-Differenzspektroskopie die relative Konfiguration bestimmen, wenn komplexe oder überlappende Multipletts nicht ausgewertet werden können, und zu geringe Unterschiede der Kopplungskonstanten syn- und antiständiger Protonen keine klaren Aussagen zulassen. Bei Einstrahlung der Larmorfrequenz der Methyl-Protonen, also bei fH = 0.74 (Abb. 28.40 c), "antwortet" das CHO-Proton bei fH = 3.43 durch eine Signalverstärkung, einen NOE, was die räumliche Nähe dieser Protonen und damit die trans-Konfiguration von Methyl-Gruppe und OH-Funktion beweist. ̈"
Abb. 28.40. H-NMR- (a) und HH-NOE-Differenzspektren (b: Einstrahlung bei fH = 3.43, c: Einstrahlung bei fH= 0.74) von trans-2-Methylcyclopentanol (400 MHz, Deuteriochloroform). NOEs zwischen dem CH/O-Proton (fH = 3.43) und den Methyl-Protonen (fH = 0.74) beweisen die trans-Konfiguration von OH- und Methyl-Gruppe 1
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28.5
Kernmagnetische Resonanz
525
Zweidimensionale HH-Korrelationsspektroskopie (HH-COSY) Die zweidimensionale Protonen-Korrelation (HH-COSY, COSY von correlation spectroscopy) stellt alle HH-Kopplungsbeziehungen, die "Konnektivitäten" der Protonen eines Moleküls in einem quadratischen Diagramm dar; Abzisse und Ordinate skalieren die Protonen-Verschiebungen. Das 1H-NMR-Spektrum zweier Kerne A und X wird auf die Diagonale des Quadrats projiziert (Diagonalsignale mit fAfA und fXfX); Kopplungen beider Kerne A und X werden durch zusätzliche Kreuzsignale mit gemischten Verschiebungen fAfX und fXfA nachgewiesen (Abb. 28.41). Die Kreuzsignale liegen auf Orthogonalen (senkrecht zur Diagonalen). Ein AX-System mit der Kopplungskonstanten JAX bildet im HH-COSY-Diagramm ein Quadrat; dessen Ecken sind die Diagonal- (fAfA und fXfX) und Kreuzsignale (fAfX und fXfA). Im HH-COSY-Diagramm des cis-3-Hexen1-ols finden sich z. B. die Kopplungspartner des Protons mit fH = 5.42 auf einer Parallelen zur Abszisse durch das Diagonalsignal dieses Protons, also bei fH = 5.24 und 1.97 (Abb.28.41, unten). Die weitere, vollständige Auswertung führt zu einem Satz von vicinal-Beziehungen der Protonen (z. B. fH = 0.83 i 1.97 i 5.42 i 5.24 i 2.21 i 3.50 in Abb. 28.41), an dem man die Konstitution des Moleküls erkennt. ̈"
Abb. 28.41. HH-COSY-Konturdiagramm des cis-3-Hexen-1-ols (Deuteriochloroform, 400 MHz, "Höhenlinienkarte" der Diagonal- und Kreuzsignale)
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28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
28.6 Kohlenstoff-13-Resonanz 28.6.1
Wichtigste Meßmethoden
Das einzige magnetische Kohlenstoff-Isotop 13C kommt nur zu 1.1 % natürlich vor und hat ein kleines magnetisches Moment. Die Aufnahme von 13C-NMR-Spektren erfordert somit längere Meßzeiten mit dem in Abschn. 28.5.2 skizzierten Puls-Fourier-Transformations Verfahren. Andererseits bewirkt die geringe natürliche Konzentration (10/2), daß die unmittelbare Verknüpfung zweier 13C-Kerne sehr selten ist (10/2 x 10/2 = 10/4). Deshalb verbergen sich die 13C-13C-Multipletts im elektronischen Grundlinien-Rauschen der Spektren, sofern keine angereicherten Proben gemessen oder spezielle Meßmethoden angewendet werden. Dies vereinfacht die Auswertung. Protonen-Breitbandentkopplung Am häufigsten gehen die im 13C-NMR-Spektrum beobachteten Aufspaltungen auf Kopplungen mit den Protonen zurück. Diese CH-Multipletts überlagern sich bei größeren Molekülen, was die Bestimmung der 13C-Verschiebungen erschwert. Daher nimmt man die 13C-NMR-Spektren meist unter Einstrahlung eines Frequenzbandes auf, welches den gesamten Bereich der ProtonenResonanzen umschließt. Durch dieses als Protonen-Breitbandentkopplung bezeichnete Doppelresonanz-Verfahren wird erreicht, daß die 13C-Kerne im NMR-Spektrum als Singulett-Signale erscheinen (Abb. 28.42 a). Damit sind die 13C-Verschiebungen (gegen TMS als Standard) einfach zu messen, und die Anzahl der chemisch verschiedenen C-Atome eines Moleküls ergibt sich auf den ersten Blick (z. B. 10 C-Atome in Abb. 28.42 a). 27.9 H 3C
23.8 CH 3 38.5
C10 H18 O
42.1 34.2
13
39.1 70.7 20.9 OH CH3 48.2 47.4
1
Abb. 28.42. C-NMR-Spektren des Isopinocampheols (C10H18O , Deuteriochloroform, 50 MHz), (a) Hbreitbandentkoppelt, (b) CH-Subspektrum, (c) CHn-Subspektrum (CH und CH3 positiv, CH2 negativ); die Subspektren (b) und (c) wurden mit der DEPT-Impulssequenz gemessen
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Kohlenstoff-13-Resonanz
527
Zusätzlich profitiert man bei der Protonenentkopplung von einem Empfindlichkeitsgewinn, nicht nur, weil sich alle Übergänge eines Multipletts zu einem Singulett addieren. Vielmehr kann der bei 1H-Entkopplung von 13C-NMR-Spektren stets wirksame heteronucleare Kern-OVERHAUSEREffekt (NOE) die Intensität der CH-, CH2- und CH3-Signale nahezu verdreifachen. Multiplizitätsanalyse Die zur Strukturaufklärung wertvollen CH-Multiplizitäten (C, CH, CH2, CH3) können durch Messung gekoppelter 13C-NMR-Spektren bestimmt werden (Abb. 28.46, S. 531). Eine Analyse der CH-Multipletts wird bei größeren Molekülen jedoch durch Überlappungen erschwert. Besser eignen sich CHn-Subspektren (Abb. 28.42 b, c), die u. a. mit der DEPT-Impulssequenz erzeugt werden. Ein Subspektrum (Abb. 28.42 b) enthält nur die CH-Fragmente; ein weiteres (Abb. 28.42 c) unterscheidet zwischen CH und CH3 mit positiver und CH2 mit negativer Amplitude. Quartäre C-Atome erscheinen nicht in diesen Subspektren; man findet sie als zusätzliche Signale im 1Hbreitbandentkoppelten 13C-NMR-Spektrum (z. B. bei fC = 38.5 in Abb. 28.42 a). Abb. 28.42 zeigt zugleich den Wert von CH-Multiplizitäten zur Strukturaufklärung: Die Addition aller CH-Fragmente (ein C, vier CH, zwei CH2 und drei CH3) ergibt eine Teilsummenformel (C10H17), die alle an C gebundenen H-Atome enthält. Zusätzliche in der Summenformel (C10H18O) auftretende H-Atome sind folglich an Heteroatome gebunden. In Abb. 28.42 gehört das achtzehnte H-Atom zur OH-Gruppe. Zweidimensionale Korrelationsspektroskopie CH-Korrelation Die zweidimensionale CH-Korrelation (CH-COSY) korreliert 1H- und 13C-Verschiebungen auf Basis der 1JCH -Kopplungen in einem Koordinatensystem mit den 13C-Verschiebungen als Abszisse und den 1H-Verschiebungen als Ordinate (Abb. 28.43). Modernere Methoden der "inversen" zweidimensionalen CH-Korrelation (HC-COSY) wie das in Abb. 28.43 gezeigte Experiment nutzen das Proton als viel empfindlichere Meßsonde. Koordinaten der Kreuzsignal-Konturen sind die 1H- und 13C-Verschiebungen (CH-Konnektivitäten) der CHn-Fragmente des Moleküls. CH- und HC-COSY beantworten die Frage, welche HAtome mit welchen C-Atomen des Moleküls verknüpft sind, ordnen also alle CH-Bindungen eines Moleküls zu, wie es Abb. 28.43 (S. 528) am c-Pinen 1 vorführt. Dort zeigen sich z. B. für die CAtome mit fC = 31.3 und 31.5 je zwei Kreuzsignale zu den Protonen bei fH = 2.17 und 2.21 bzw. fH = 1.16 und 2.34, weil diese C-Atome je ein endo- und ein exo-Proton binden, die chemisch nicht äquivalent sind. Die zweidimensionale CH-Korrelation läßt sich auch auf die kleineren 2JCH - und 3JCH -Kopplungen abstimmen, so daß von einem Proton aus C-Atome in zwei, drei und (selten) mehr Bindungen Abstand innerhalb des Moleküls lokalisiert werden können. Abb. 28.44 (S. 529) zeigt ein solches Experiment zum Vergleich ebenfalls für c-Pinen. Dort weisen z. B. die Methyl-Protonen mit der 1 H-Verschiebung fH = 0.84 Kreuzsignale zu den C-Atomen mit den Verschiebungswerten fC = 26.4, 38.0, 40.9 und 47.2 auf; diese C-Atome sind zwei bzw. drei Bindungen von den MethylProtonen entfernt; daraus ergibt sich die Teilstruktur 1a (Abb. 28.44). Die Auswertung der intensiven Kreuzsignale in Abb. 28.44 führt zu einem Satz von Teilstrukturen 1a-g, die sich zur Molekülstruktur des c-Pinens zusammenfügen. Die Kreuzsignale mit fH / fC = 0.84 / 20.9, 1.27 / 26.4 und 1.67 / 23.0 gehören zu den aus Abb. 28.43 bereits bekannten CH-Bindungen dieser MethylGruppen; sie lassen sich im Experiment nicht vollständig unterdrücken. ̈"
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528
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Abb. 28.43. HC-Korrelation zur Zuordnung der CH-Bindungen des c-Pinens 1 [Deuteriochloroform, 25 °C, 125 13 1 MHz für C, 500 MHz für H, 4 Scans, 256 Experimente, HSQC-Methode]; Konturdiagramm mit eindimensiona1 13 13 1 len Spektren parallel zur Ordinate ( C, fC) und Abszisse ( H, fH, kursiv); die H- und C-Verschiebungen der im Experiment erkennbaren CH-Bindungen sind in die Strukturformel 1 eingetragen
Zuordnung der CH-Bindungen des c-Pinens 1 nach Abb. 28.43 und Teilstrukturen 1a-g aus den HC-Konnektivitäten nach Abb. 28.44 20.9 CH3 0.84 26.4 1.27 H3C
23.0 CH3 1.67 H 2.17
47.2 1.94 H 2.34 H
CH3 0.84
116.1 31.3
40.9 H 2.07
31.5
1.27 H 3C
38.0
38.0 144.5
H 5.20
47.2
47.2 40.9
H 2.21
1
H 1.16
20.9
26.4
CH3 1.67 116.1
47.2 40.9
1a
1b
1c
20.9 26.4 38.0 144.5
144.5
23.0 CH3
144.5 116.1
47.2 40.9
31.3
1.94 H
116.1
47.2
40.9
40.9 H 2.07
H 1.16
1d
1e
47.2
1f
31.3
2.34 H
1g
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28.6
Kohlenstoff-13-Resonanz
529
Abb. 28.44. HC-Korrelation zur Zuordnung der CH-Beziehungen über zwei und drei Bindungen des c-Pinens 13 1 [Deuteriochloroform, 25 °C, 125 MHz für C, 500 MHz für H, 16 Scans, 256 Experimente, HMBC-Methode]; 13 1 Konturdiagramm mit eindimensionalen Spektren parallel zur Ordinate ( C, fC) und Abszisse ( H, fH , kursiv); 1 13 Koordinaten der Kreuzsignale sind die H- und C-Verschiebungen von Protonen und C-Atomen, die durch zwei oder drei Bindungen voneinander getrennt sind; aus diesen "HC-Konnektivitäten" ergeben sich die zur Molekülstrukur des c-Pinens 1 konvergierenden Teilstrukturen 1a-g
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530
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
CC-Korrelation (CC-INADEQUATE) Alle CC-Bindungen ("CC-Konnektivitäten") eines Moleküls und damit sein Kohlenstoff-Skelett kann man aus dem CC-Korrelationsdiagramm (CC-INADEQUATE) ablesen. Die Messung ist wegen der geringen natürlichen Häufigkeit von 13C/13C-Bindungen (10/4, s. o.) unempfindlich aber besonders aussagekräftig, weil sie die AB- bzw. AX-Systeme aller 13C/13C-Bindungen eines Moleküls trennt und in einem dem HH-COSY-Diagramm analogen Format (Abb. 28.45) darstellt.
Abb. 28.45. CC-INADEQUATE-Konturdiagramm (a) des trans-2-Methylcyclopentanols (Deuteriochloroform, 100 MHz). Die Auswertung der Kreuzsignale ergibt sechs CC-Bindungen, von denen sich fünf zum Ring schlies1 13 sen. Das H-breitbandentkoppelte C-NMR-Spektrum (b), das CH-Subspektrum (c) sowie das CHnSubspektrum (d, CH und CH3 positiv, CH2 negativ) zeigen, daß ein CH-Fragment mit einem Heteroatom (O) verknüpft ist
Die Kreuzsignale in Abb. 28.45 weisen insgesamt sechs CC-Bindungen der C-Atom-Paare mit den 13C-Verschiebungswerten fC = 79.2 / 41.5, 79.2 / 33.2, 41.5 / 31.0, 41.5 / 17.9, 33.2 / 20.9 sowie 31.0 / 20.9 nach. Diese sechs CC-Bindungen fügen das Kohlenstoff-Skelett des zweifach substituierten Fünfrings von trans-2-Methylcyclopentanol zusammen. Die DEPT-Subspektren entschlüsseln das C-Atom bei fC = 79.2 als CH-Fragment; da nur zwei CC-Bindungen von diesem C-Atom
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28.6
Kohlenstoff-13-Resonanz
531
ausgehen, verknüpft die offene Bindung ein Heteroatom (O). Die Dublettaufspaltungen der Kreuzsignale in Abb. 28.45 resultieren aus den 13C13C-Kopplungen (1JCC) gebundener C-Atome. 31.0
aus dem CC-INADEQUATE-Diagramm abgelesene CC-Bindungen des trans-2-Methylcyclopentanols
20.9 33.2
28.6.2
17.9 41.5 79.2
OH
13C-Verschiebungen
Beim Vergleich von 1H- und 13C-NMR-Spektren, die bei derselben Magnetfeldstärke und im gleichen Frequenzmaßstab aufgenommen wurden (Abb. 28.46 a und b), fällt auf, daß die Verschiebungsunterschiede der 13C-Signale bei vergleichbarer Linienbreite erheblich größer sind als die der Protonen-Resonanzen. Das Kohlenstoff-Isotop 13C zeigt somit Unterschiede der chemischen Umgebung im NMR-Spektrum sehr viel deutlicher an als das Proton und ist die direkte Sonde zum Studium des Kohlenstoff-Gerüstes organischer Verbindungen. Quartäre C-Atome und viele funktionelle Gruppen wie Cyano oder Isocyanato (/CN oder /N=C=O), welche im 1H-NMRSpektrum nicht erscheinen, sind im 13C-NMR-Spektrum treffsicher zu erkennen. Tab. 28.16 orientiert über typische Bereiche der Kohlenstoff-Verschiebung in organischen Verbindungen.
1
13
Abb. 28.46. H-und C-NMR-Spektren des 3-Ethoxy-2-methylacroleins in Hexadeuterioaceton bei gleicher 1 Magnetfeldstärke und im gleichen Frequenzmaßstab. (a) 80 MHz- H-NMR-Spektrum, (a') gleiches Spektrum, 1 13 jedoch gespreizt; (b) H-entkoppeltes 20 MHz- C-NMR-Spektrum mit Verschiebungen und Zuordnungen
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532
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Tab. 28.16. Typische Bereiche der C-Verschiebungen (fC) organischer Verbindungen gegen Tetramethylsilan (TMS) als Standard 13
C
200
150
100
50
0 (TMS)
Carbenium-Ionen Ketone
konjugiert
Aldehyde
konjugiert
Acetale, Ketale Chinone Carbonsäuren und Derivate
konjugiert
Thioharnstoffe Harnstoffe, Carbonate Oxime Imine Isocyanide Cyanide Isothiocyanate Thiocyanate Isocyanate Cyanate Carbodiimide
r-Elektronen-Mangel
Heteroaromaten
r-Elektronen-Überschuß
(/)-M-substituiert
Aromaten
(-)-M-substituiert
(/)-M-substituiert
(Cyclo-) Alkene
(-)-M-substituiert
(Cyclo-) Alkine (Cyclo-) Alkane
Cyclopropan
alkyliert
R3C/O/ R3C/NR2 R3C/S/ R3C/Halogen
F
I
R2CH/O/ R2CH/NR2 R2CH/S/ R2CH/Halogen
F
I
H3C/O/ H3C/NR2 H3C/S/ H3C/Halogen
F
I
Alkyl/Metall C
200
150
100
50
0 (TMS)
Die 13C-Verschiebung nimmt mit der positiven Ladungsdichte am betrachteten Kohlenstoff zu. Die Ladungsdichte wiederum wird u. a. von induktiven, sterischen und mesomeren Effekten beeinflußt. Induktive und sterische Effekte erkennt man beim Vergleich von 1-Pentanol mit dem Stammkohlenwasserstoff n-Hexan: Nach Einführung einer Hydroxy-Gruppe in eine Kohlenstoff-Kette nimmt die Verschiebung des C-Atoms in c-Stellung zum Substituenten um fR/OH /"fR/H = 40 - 50 ppm zu, was die positive Polarisierung des c-C-Atoms durch den induktiven Effekt der Hydroxy-
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28.6
Kohlenstoff-13-Resonanz
533
Gruppe widerspiegelt. Am i-C schirmt der Substituent dagegen um /3 bis /6 ppm ab (fR/OH /"fR/H < 0), weil er durch sterische Wechselwirkung mit den i-H-Atomen die u-Elektronen der i-C-HBindung zum Kohlenstoff hin verschiebt (sterische Polarisierung der CH-u-Bindung). Dadurch nimmt die negative Ladungsdichte am C-Atom zu und fC demzufolge ab. i
1-Hexanol fROH
14.2
22.8
32.0
Substituenteneffekte fROH /"fRH
Hexan (Bezugssubstanz)
fRH
3-Hexanol fROH Substituenteneffekte fROH /"fRH
d
c
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CH2 OH 25.8
32.8 10.0
/ 6.1
61.9 48.2
H3C CH2 CH 2 CH 2 CH2 CH3 13.7
22.8
31.9
i
d
31.9
OH
c
22.8 d
13.7 i
H3C CH2 CH 2 CH CH2 CH3 14.0
19.4
39.4
72.3
/ 3.4
7.5
40.4
30.3
9.9
7.5 / 3.8
Die Einflüsse von Substituenten auf die Verschiebung der Ring-C-Atome des Benzens lassen sich übersichtlich anhand mesomerer Effekte erklären: Elektronenschiebende (-)-M-Substituenten wie die Amino-Gruppe erhöhen die negative Ladungsdichte in o- und p-Position. Dementsprechend werden die o- und p-Ring-C-Atome des Anilins stärker abgeschirmt als in Benzen (fC < 128.5). INH 2 13C-Verschiebungen
NH 2
NH2
NH 2
148.7 114.4
und mesomere Grenzformeln des Anilins 129.1 116.3
Elektronenziehende (/)-M-Substituenten wie die Formyl-Gruppe erhöhen dagegen die positive Ladungsdichte an den o- und p-Ring-C-Atomen, so daß deren 13C-Verschiebungen sich gegenüber Benzen vergrößern (fC > 128.5): H
C
O
H
C
O
H
C
O
H
C
O
136.7 129.7
13C-Verschiebungen und mesomere Grenzformeln des Benzaldehyds 128.9
134.3
Diese Substituenteneffekte auf die nung der Spektren.
28.6.3
13
C-Verschiebung ermöglichen oft eine weitgehende Zuord-
CH-Kopplungskonstanten
Die Kopplungskonstanten der 13C-Kerne mit unmittelbar gebundenen Protonen (1JCH) betragen zwischen 120 und 300 Hz. Kopplungen mit geminalen, vicinalen und weiter entfernten Protonen sind meist kleiner als 20 Hz.
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534
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Die unmittelbaren CH-Kopplungen (über eine Bindung, 1JCH) nehmen mit zunehmendem sCharakter der Kohlenstoff-Bindungs-Hybridorbitale, d. h. in der Folge Ethan < Ethen < Ethin zu. Für Kohlenwasserstoffe gilt JCH 500 s: Ethan
Ethen
C
C
H
sp3 (s = 0.25) JCH = 125
Ethin
C H H
sp2 (s = 0.33) JCH = 156
sp (s = 0.5) JCH = 249 Hz
Die Beträge hängen also vom Bindungszustand des koppelnden C-Atoms ab. So spiegelt die im Vergleich zu den anderen Cycloalkanen sehr große CH-Kopplung des Cyclopropans einen höheren s-Charakter der Kohlenstoff-Bindungsorbitale im Dreiring wider:
JCH = fC =
161 / 2.8
134 23.1
128 26.3
123 Hz 27.6
Auch zunehmende Positivierung des C-Atoms durch elektronegative Substituenten erhöht den Betrag der CH-Kopplung, wie die Serie der Chlormethane zeigt: JCH = fC =
CH 4 125 / 2.3
CH 3Cl 150 25.1
CH2Cl2 178 53.9
CHCl3 211 Hz 78.0
Geminale CH-Kopplungen (2JCH, zwei trennende Bindungen) liegen zwischen 2 und 50, die am häufigsten beobachteten vicinalen CH-Kopplungen (3JCH, drei trennende Bindungen) zwischen 4 und 12 Hz. 3JCH-Kopplungen hängen wie die vicinalen HH-Kopplungen 3JHH von der relativen Konfiguration der Kopplungspartner ab. Als Faustregel gilt 3JCH 2/3 3JHH . Auch die CHKopplungskonstanten informieren über den Bindungszustand eines C-Atoms und identifizieren Teilstrukturen in unbekannten Verbindungen.
28.6.4
Beispiel zur Konstitutionsermittlung durch Kohlenstoff-13-Resonanz
Die Bestimmung funktioneller Gruppen und der Konstitution einer einfachen Verbindung mit Hilfe der Kohlenstoff-13-Resonanz soll das Beispiel einer Substanz der Summenformel C5H7NO2 illustrieren. Abb. 28.47 zeigt ihr 13C-NMR-Spektrum mit und ohne Breitbandentkopplung der Protonen. Doppelbindungsäquivalente Aus C5H7NO2 folgt nach Abschn. 28.5.9 die Ersatzsummenformel C6H8; sie weist gegenüber C6H14 ein Wasserstoff-Defizit von 6 auf; dies entspricht drei Doppelbindungsäquivalenten. Anzahl der chemisch verschiedenen C-Atome Das C-NMR-Spektrum (Abb. 28.47 a) zeigt fünf Signale in Übereinstimmung mit der gegebenen Summenformel. 13
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28.6
Kohlenstoff-13-Resonanz
535
Funktionelle Gruppen Das Signal bei fC = 164 paßt am besten zu einem Carboxy-C-Atom (/COO, Tab. 28.16). Ein weiteres mit fC = 114.7 gehört zu einer Cyan-Gruppe (/C»N, Tab. 28.16). In diesen beiden funktionellen Gruppen sind bereits alle drei Doppelbindungsäquivalente enthalten (kein Ring, keine zusätzliche r-Bindung).
13
Abb. 28.47. C-NMR-Spektrum (100 MHz) von C5H7NO2 in Deuteriochloroform (Triplett für das CD-Fragment in 1 1 CDCl3 bei fC = 77.1); (a) H-breitbandentkoppelt; (b) ohne H-Entkopplung
CH-Multiplizitäten Das Triplett bei fC = 63 (Abb. 28.47) paßt zu einer Methylenoxy-Teilstruktur (vgl. C-c in 1Hexanol mit fC = 61.9, S. 533). Diese ist mit der Carboxy-Gruppe verknüpft, denn mehr als zwei O-Atome läßt die Summenformel nicht zu. Ein weiteres Triplett (fC = 25) gehört zu einer Methylen-Gruppe. Die dem Quartett mit fC = 14.15 entsprechende Methyl-Gruppe ergibt mit allen bisher gefundenen Gruppen die Summenformel: CO2 + CN + CH2 + CH2 + CH3 = C5H7NO2
Konstitution Die gefundenen Gruppen kann man entweder zu Cyanameisensäurepropyl- oder zu Cyanessigsäureethylester verknüpfen: O N C
C
O CH2 CH 2 CH 3 Cyanameisensäurepropylester
O N C CH2
C
O CH 2 CH3 Cyanessigsäureethylester
Die Fern-Triplett-Aufspaltung (2JCH = 10.5 Hz) des Nitril-Signals bei fC = 114.7 deutet auf eine der Cyan-Funktion benachbarte Methylen-Gruppe hin. Daß es sich demnach um Cyanessigsäure-
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536
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
ethylester handelt, zeigt ein Verschiebungsvergleich authentischer Ester; vor allem die gemessene Methyl-Verschiebung von fC = 14.15 paßt besser zum Ethylester (fC = 14.4): 20.8 170.9 O
CH3
C
66.2
22.4
10.5
O CH 2 CH2 CH3 Essigsäurepropylester
20.9 170.7 CH3 C
O 60.4
14.4
O CH 2 CH3 Essigsäureethylester
28.7 Massenspektrometrie 28.7.1
Meßmethodik
UV-, IR- und NMR-Spektroskopie beruhen auf einer Anregung von Molekülen mit elektromagnetischer Strahlung. Dagegen erzeugt man in der Massenspektrometrie aus Molekülen im Gaszustand einen Ionenstrom, z. B. durch Elektronenbeschuß, und bestimmt die Massen und Häufigkeiten der Ionen. Der Substanzbedarf ist meist kleiner als 0.1 mg. Abb. 28.48 skizziert die am häufigsten verwendete Meßanordnung. Folgende Schritte tragen zur Messung bei: Probenverdampfung Leicht flüchtige Verbindungen werden in einer evakuierten Verdampfungskammer verdampft, aus welcher der Dampf durch eine Fritte in die Ionisationskammer strömt. Schwer flüchtige Substanzen verdampft man durch Erhitzen auf etwa 250 °C direkt in der Ionenquelle. Ionenquelle und Analysatoren (Abb. 28.48) sind hochevakuiert (p = 10/3 Pa), um Stöße zwischen Ionen und nicht ionisierten Molekülen sowie die damit verbundene Streuung des Ionenbündels zu unterdrücken.
Abb. 28.48. Vereinfachtes Bauprinzip eines doppelt fokussierenden Massenspektrometers
Ionisation In der Ionisationskammer trifft der Probendampf auf einen Elektronenstrahl, den eine Glühkathode emittiert und ein elektrisches Feld (70 eV) stark beschleunigt hat. Dabei entstehen sehr viel mehr positive als negative Ionen. Diese Elektronenstoß-Ionisation (EI) wird besonders häufig zur mas-
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28.7
Massenspektrometrie
537
senspektrometrischen Strukturaufklärung eingesetzt, weil sich aus typischen Zerfallsreaktionen der Ionen die Molekülstruktur ableiten läßt. Man kann auch mit einem Strahl schneller Edelgas-Atome oder Alkalimetall-Kationen ionisieren (fast atom bombardment, daher FAB-Massenspektrometrie); diese Methode bewährt sich bei höhermolekularen und schwer verdampfbaren Proben. Schonende Verfahren zur Ionisation großer Moleküle wie die als Elektrospray-Ionisierung (ESI) bezeichnete Zersprühung in einem elektrischen Feld sowie die Matrix-unterstützte Laserdesorptions-Ionisation (MALDI) eignen sich zur Molmassenbestimmung von Proteinen und anderen Biopolymeren. Ionenbeschleunigung Ein elektrisches Feld, welches meist in die Ionisationskammer integriert ist, beschleunigt die Ionen, bevor sie zur Massentrennung das Analysatorsystem des Spektrometers erreichen. Massentrennung der Ionen Nach der Beschleunigung durchfliegen die Ionen ein Magnetfeld, dessen Feldlinien senkrecht zur Bewegungsrichtung der Ionen verlaufen. Das Magnetfeld lenkt die Ionen unter Erhaltung ihrer Geschwindigkeit auf Kreisbahnen ab, deren Radius von Feldstärke, Masse, Ladung und Geschwindigkeit abhängt. Verändert man die Feldstärke, so treten Ionen unterschiedlicher Massen nacheinander durch den Kollektorspalt (Massentrennung) auf den Verstärker, einen Sekundärelektronen-Vervielfacher. Der Magnet fokussiert zunächst nur Ionen gleicher Masse und unterschiedlicher Ausbreitungsrichtung. Auf Ionen verschiedener Energie wirkt er indessen dispergierend. Da die in der Ionenquelle gebildeten Ionen gleicher Masse infolge unterschiedlicher thermischer Energie mit verschiedenen Geschwindigkeiten fliegen, ist das am Kollektorspalt "abgebildete" Ionenbündel verbreitert und die Auflösung entsprechend schlecht. Eine bessere Auflösung erreicht man durch Vorschalten eines elektrischen Sektorfeldes. Dieses hat keinen Massentrenneffekt, wirkt jedoch wie das Magnetfeld richtungsfokussierend und energiedispergierend. Kompensiert man die Energiedispersion des Magnetfeldes durch eine entgegengesetzt gleiche des elektrostatischen Analysators (Doppelfokussierung), so wird das Ionenbündel scharf abgebildet. Aufzeichnung Verändert man die Beschleunigungsspannung (bei konstantem Magnetfeld) oder die Magnetfeldstärke (bei konstanter Beschleunigungsspannung), so treten die Ionen aller m/e-Werte nacheinander durch den Kollektorspalt. m/e ist der Quotient aus relativer Masse m (Bezugsatom 12C mit m12C = 12.000) und der Elementarladung e (in Einheiten der Elektronenladung, z. B. 1 für einfach positive Ionen). Anstelle von m / e wird auch die Bezeichnung m / z verwendet, wobei z für die Anzahl der Elementarladungen steht. Die der Häufigkeit jeder Ionensorte entsprechende Stromstärke (Intensität) wird nach Verstärkung durch einen Vervielfacher als Funktion der Masse (m/e) gemessen. Die Ionenströme werden als Zahlenwerte (digitalisiert) auf Datenträgern gespeichert. Ein Rechner verarbeitet diese Werte dann zu übersichtlichen Strichspektren, wie sie nachfolgend abgebildet sind. Aufgetragen wird die Häufigkeit der Ionen in % (Ordinate) als Funktion ihres m/e-Wertes (Abzisse). Normierung der Intensität, Basispeak Die gemessenen Maxima der Ionenströme bezeichnet man als Peaks. Der höchste Peak entspricht dem am häufigsten vorkommenden Ion. Er wird als Basispeak bezeichnet. Auf seine Intensität, die
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28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
als 100 % festgesetzt wird, bezieht man die Häufigkeiten aller anderen Ionenmassen des Spektrums, gibt sie also in % relativ zum Basispeak an (Abb. 28.51 ff.). Die Peak-Intensitäten hängen auch von den Geräteparametern ab, z. B. von der Beschleunigungsspannung oder der Ionisationsart. Insoweit sind Massenspektren schwieriger reproduzierbar als andere Spektren.
28.7.2
Isotopenpeaks
Bis auf wenige Ausnahmen wie 19F,31P und 127I kommen die natürlichen Elemente als Isotopengemische konstanter Zusammensetzung vor. Dabei überwiegt meist das leichteste Isotop. Natürlicher Kohlenstoff enthält z. B. 98.9 % 12C und 1.1 % 13C; natürliches Brom ist ein Gemisch aus 50.5 % 79Br und 49.5 % 81Br. Im Massenspektrum werden die in Ionen vorkommenden Isotopenkombinationen nach Massenzahlen getrennt. Ein aus n Kohlenstoff-Atomen bestehendes Ion zeigt z. B. außer dem 12C-Peak der Masse (m) einen 13C-Satelliten der Masse (m+1) mit der Intensität n x 1.1 % bezogen auf den 12 C-Peak (Abb. 28.49 a). Sehr viel schwächer ist der (m+2)-Peak, weil die Anwesenheit zweier 13 C-Atome im Cn-Ion noch seltener ist (Abb. 28.49 a). Enthält das Ion noch ein Brom-Atom, so sind 12Cn79Br (m) und 12Cn81Br (m+2) die häufigsten Kombinationen (Abb. 28.49 b). Daneben findet man die 13C-Satelliten (m+1) und (m+3) mit den Häufigkeiten n x 1.1 % sowie noch seltenere 13C2-Ionen, (m+2) und (m+4), wobei (m+2) massengleich mit dem 12Cn81Br-Ion erscheint.
Abb. 28.49. Intensitätsverhältnis eines Ions mit zehn C-Atomen (a) und einem zusätzlichen Brom-Atom (b)
Isotopenpeaks beobachtet man für fast alle Ionen. Aus ihren relativen Intensitäten kann die Isotopenzusammensetzung der am Ion beteiligten Elemente zurückgerechnet werden.
28.7.3
Molekül-Peak, Molekül-Ion
Der m/z-Wert des Molekül-Peaks entspricht dem Zahlenwert der Molekülmasse, sofern das zugehörige Molekül-Ion einfach positiv geladen ist (M-.), was meistens zutrifft. Insofern eignet sich die Massenspektrometrie zur sehr genauen Bestimmung der relativen Molekülmasse.
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28.7
Massenspektrometrie
539
Das Molekül-Ion entsteht durch (Elektronenstoß-induzierte) Entfernung eines Elektrons aus dem Molekül. Dabei verbleibt ein Radikal-Kation, das man durch die Schreibweise M+. formuliert, wobei der Punkt das ungepaarte Elektron andeutet. Das Molekül-Ion benötigt eine bestimmte Zeit (> 10/5 s), um von der Ionenquelle zum Kollektor zu fliegen. Überlebt es diese Zeitspanne infolge zu raschen Zerfalles nicht, so entzieht es sich der Messung. Daraus folgt, daß der Molekül-Peak nur bei hinreichender Lebensdauer (Stabilität) des Molekül-Ions mit genügender Intensität beobachtet wird. Mit Ausnahme von 12C als Bezugs-Atom sind die Atommassen der Elemente nicht ganzzahlig. Infolgedessen können durch exakte Massenbestimmung (Hochauflösung) die Elementarzusammensetzungen des Molekül-Ions und aller Fragment-Ionen ermittelt werden. Ein einfaches Beispiel wäre die Unterscheidung von C6H10O und C7H14 mit derselben Nominalmasse 98. Die präzise Massenbestimmung des Molekül-Ions ergibt 98.0732 für C6H10O und 98.1095 für C7H14. Bei Ionen höherer Massen benötigt man zur eindeutigen Herleitung der Summenformel weitere Informationen, z. B. die Intensitäten der Isotopen-Peaks, sofern der Meßwert innerhalb der Fehlergrenze mehrere Elementarzusammensetzungen zuläßt.
28.7.4
Fragment- und metastabile Ionen
Das Molekül-Ion kann sehr schnell, d. h. bereits in der Ionenquelle zerfallen (Lebensdauer < 10/6 s). Solche Fragmentierungen können homolytisch, heterolytisch und unter Umlagerung ablaufen. Homo- und Heterolysen des Molekül-Ions führen zu Kationen und Radikalen, während Umlagerungen Radikal-Kationen und Neutralmoleküle ergeben, wie das Schema (Abb. 28.50) zusammenfassend zeigt. Da homolytische Spaltungen Einelektronen-Verschiebungen sind, kennzeichnet man sie durch Halbpfeile, um sie von Heterolysen zu unterscheiden.
C C
C C
C C
C
C
C
C
C
C
+ X
Homolyse
+ X
Heterolyse
Y
+ X Y
C C
Y
C C
Umlagerung
C C
C
+
C
+
X
Y
+ X
C+
C
C
Y
+ X
Y
Folgereaktion
C
C
+ X
Y
+
C
C
C
Abb. 28.50. Grundtypen der Fragmentierung organischer Molekül-Ionen
Die so entstandenen Fragment-Ionen werden beschleunigt, da sie noch in der Ionenquelle entstehen. Bei hinreichender Stabilität (Lebensdauer > 10/5 s) erscheinen sie im Massenspektrum.
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540
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Ionen, die sich langsamer, also erst auf dem Weg zwischen Ionisationskammer und Kollektor bilden, bezeichnet man als metastabil. Die zugehörigen "metastabilen Peaks" sind verbreitert und haben meist nicht ganzzahlige Massenwerte m*. Diese erhält man für die Sektorfeld-Spektrometer (Abb. 28.48) in guter Näherung nach Gleichung 28.11 aus den Massenzahlen des Mutter-Ions (m1) und des Tochter-Ions (m2) : (28.11) m* = m22 / m1 Aus Gleichung 28.11 folgt, daß metastabile Ionen (m*) bei Sekundärzerfällen die Herkunft eines Folgefragment-Ions (m2 aus m1) enthüllen und daher wertvolle Zuordnungshilfen sind. So findet man in den Massenspektren von Benzoyl-Verbindungen Benzoyl- (C6H5CO+ mit m2 / z = 105) und Phenyl-Kationen (C6H5+ mit m2 / z = 77). Das metastabile Ion bei m* / z = 772/105 56.5 beweist dann den Sekundärzerfall des Benzoyl-Kations in Phenyl-Kation und Kohlenmonoxid: +
+
C6H 5 CO
28.7.5
+
C 6H5
CO
Fragmentierungen organischer Molekül-Ionen
Die Spaltung des Molekül-Ions (Primärfragmentierung) sowie die Folgereaktionen (Sekundärfragmentierungen) erfolgen bevorzugt so, daß 1. die positive Ladung in den Fragment-Ionen durch induktive oder mesomere Effekte stabilisiert wird, und 2. möglichst energiearme Radikale oder Neutralmoleküle (H2O, H2S, NH3, C2H4, CO, CO2, HCN, u. a.) entstehen. Mindestens eine dieser beiden Triebkräfte steckt hinter jeder der nachfolgend beschriebenen häufigsten Fragmentierungen organischer Verbindungen. Spaltung von CC-Einfachbindungen Grundfragmentierung aliphatischer Molekül-Ionen ist der Bruch einer CC-Einfachbindung: + C
C+
C
+
C
Diese Reaktion ist zunächst für alle nicht endständigen CC-Bindungen eines Alkans gleich wahrscheinlich. Infolgedessen erscheinen im Massenspektrum eines Alkans (Abb. 28.51) AlkylKationen CnH2n+1+ im Abstand von vierzehn Masseneinheiten (m / z = 29, 43, 57, 71, 85, 99, 113, usw.) Durch Sekundärfragmentierungen entstehen jedoch mehr kleinere Bruchstücke. Entsprechend nimmt die Intensität der CnH2n+1+-Fragmente mit abnehmender Masse zu und erreicht ein Maximum bei m / z = 57, also für C4H9+ (Abb. 28.51). Ist das Alkan verzweigt, so sind Bindungen an quartären C-Atomen bevorzugte Bruchstellen, da Carbenium-Ionen mit zunehmender Alkylierung stabiler werden: +
R3C
+
> R2CH
+
> RCH2
+
> H3C
"Sollbruchstellen" im 5,5,8,11,15-Pentamethylhexadecan, C21H44, sind z. B. die von C-5 ausgehenden Bindungen. Im Massenspektrum (Abb. 28.51) erscheinen dementsprechend FragmentIonen mit m / z = 99, 197, 239 und 281. Dabei sind die Massen 99 und 239 besonders intensiv, weil
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28.7
Massenspektrometrie
541
erstens die Ladung bevorzugt am höher alkylierten Kohlenstoff bleibt (99 > 197), und zweitens der größere Rest günstiger als Radikal abgespalten wird (99 > 239 > 281; > jeweils im Sinne von intensiver). Die Bruchstücke 99 und 239 lokalisieren somit das quartäre C-Atom (Abb. 28.51).
Abb. 28.51. Massenspektrum des 5,5,8,11,15-Pentamethylhexadecans
Spaltung von CX-Einfachbindungen CX-Einfachbindungen (z. B. X = Halogen) können heterolytisch spalten. Wegen der größeren Elektronegativität von X bleibt dabei die positive Ladung am Kohlenstoff: C
+ X
C+
+
_ X
Nach diesem Schema spalten Nitro-Verbindungen und Halogenalkane außer den Fluoriden. Hydroxy- und Carbonyl-Gruppen lösen sich als Radikale nur ab, wenn das verbleibende Carbenium-Ion tertiär ist. Alle durch Fragmentierung von Alkan und Alkyl-Derivaten entstandenen Kationen können Alkene CnH2n eliminieren: C C C+
C+
+
C C
-Spaltung und Folgereaktionen Heteroatome mit nichtbindenden Elektronenpaaren lösen c-Spaltungen aus. Sie stabilisieren durch ihren (-)-M-Effekt das entstehende Kation: R
c
C
+ X
R
+
+ C X
+ C X
Aus c-Spaltungen resultieren die häufigsten Ionen in den Massenspektren von Halogenalkanen, Alkoholen, Thiolen, Ethern, Thioethern und Aminen. Besonders leicht erfolgt die c-Spaltung bei
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542
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Acetalen, Ketalen und anderen geminal disubstituierten Verbindungen, weil die positive Ladung durch die beiden (-)-M-Heteroatome noch besser verteilt wird: +
OR'
/R
R C OR'
+ OR' R
OR'
C
R OR'
R
OR'
C+
R
C
OR'
OR' +
Das dominierende Fragment im Massenspektrum des Pentylmalondialdehyd-tetraethylacetals (Abb. 28.52) mit der Masse 103 entsteht z. B. durch c-Spaltung. Dabei geht der größere Rest R als Radikal ab. Die bevorzugte c-Spaltung macht den Molekül-Peak sehr schwach. H +
OC 2H5 H C OC 2H5 R
/R
H
O CH 2 CH2 C+
/ C2H4
*
OC 2H5
-
m / z = 103
M / z = 290
OH H
C+
OH H C+
/ C2H4
*
OC 2H5
OH
m / z = 75
m / z = 47
Das mesomeriestabilisierte Carbenium-Oxonium-Ion mit m / z = 103 zerfällt unter zweimaliger Ethen-Abspaltung zu Ionen der Massen 75 und 47 (Onium-Reaktionen). Metastabile Peaks bei m* = 54.6 für den Zerfall 103/28 = 75 und m* = 29.5 entsprechend 75/28 = 47 weisen auf diese Folgefragmentierungen hin. Ein weniger häufiges Ion im oberen Massenbereich (M /"46 = 244) entsteht durch Abspaltung von Ethanol. Dieses spaltet durch Folgefragmentierungen Ethyl- (29), Ethoxy- (45) sowie PentylRadikale (71) ab, wie die Auswertung der metastabilen Fragmente (m*) in Abb. 28.52 zeigt.
Abb. 28.52. Massenspektrum des Pentylmalondialdehydtetraethylacetals
Allyl- und Benzyl-Spaltung Die Molekül-Ionen der Alkene zerfallen in mesomeriestabilisierte Allyl-Kationen: + C C C C
C C C+
+C C C
+
C
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28.7
Massenspektrometrie
543
Solchen Allyl-Spaltungen sind häufig Isomerisierungen von Doppelbindungen vorgelagert. Infolgedessen ist ihr Aussagewert zur Konstitutionsbestimmung gering. Eindeutiger und somit aussagekräftiger sind die Benzyl-Spaltungen alkylierter Aromaten: + CH 2
C
+ CH 2
/ C
CH 2 +
+
CH 2
CH 2
+
So ist im Massenspektrum des i-Butylbenzens (1-Phenyl-2-methylpropan, Abb. 28.53) das durch Benzyl-Spaltung entstehende Benzyl-Kation mit m / z = 91 (100 %) häufigstes Fragment. Es ist mesomeriestabilisiert (s. o.) und kann sich zum Tropylium-Ion umlagern: CH3 CH2
C CH3 H
m / z = 134
+
H3C / C CH3 H
+ CH2 + m / z = 91
Abb. 28.53. Massenspektrum des i-Butylbenzens
Die für Benzen-Derivate charakteristische Bildung von Phenyl-Ionen C6H5+ (m / z = 77) ist im Vergleich zur Benzyl-Spaltung (m / z = 91) weit weniger häufig, wie ein Intensitätsvergleich in Abb. 28.53 zeigt. Neben C6H5+ treten bei substituierten Benzenen meist stark ungesättigte Ionen wie C5H5+ (m / z = 63), C4H3+ (m / z = 51) und C3H3+ (m / z = 39) auf. Typisch für Aromaten ist auch das relativ stabile und daher intensive Molekül-Ion (Abb. 28.53). Substituenten mit (-)- / (/)-MEffekt in o- oder p-Stellung begünstigen die Benzyl-Spaltung.
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544
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Retro-DIELS-ALDER-Spaltung Die Molekül-Ionen von Cyclohexen-Derivaten zerfallen bevorzugt durch Retro-DIELS-ALDERReaktion. Diese mechanistisch komplizierte doppelte Allyl-Spaltung wird meist ohne Lokalisierung von Ladung und Elektron formuliert: +
+ + +
oder
+
Ob Alkene oder Diene als Neutralmoleküle abgespalten werden, hängt von der Stabilisierung der positiven Ladung in den zurückbleibenden Radikal-Kationen ab. Der Basispeak im Massenspektrum des 2-Cyclohexenons (Abb. 28.54) mit m / z = 68 paßt zu einem Keten-Radikal-Kation, das durch Retro-DIELS-ALDER-Abspaltung von Ethen entsteht. Die Folgereaktion führt unter Eliminierung von Kohlenmonoxid zum C3H4+. -Radikal-Kation mit m / z = 40. Die Abspaltung von Ethen und Kohlenmonoxid ergibt sich aus metastabilen Ionen bei 48.2 (96 /"28 = 68) und 23.5 (68 /"28 = 40, Abb. 28.54). O +
/ C2H4
C
+ O
* m / z = 96
/ CO
* m / z = 68
C 3H4
+
m / z = 40
Abb. 28.54. Massenspektrum des 2-Cyclohexenons
MCLAFFERTY-Umlagerung Eine der bedeutendsten Fragmentierungen ist die MCLAFFERTY-Umlagerung. Sie gehört zu den Wasserstoff-Verschiebungen und kann bei allen ungesättigten Verbindungen stattfinden, welche in i-Stellung zur Mehrfachbindung ein Wasserstoff-Atom enthalten:
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28.7
Massenspektrometrie
R
545
H
+ X
H
R +
H
+ X
X+
Bei Aromaten und Heteroaromaten konkurriert die MCLAFFERTY-Umlagerung häufig mit der Benzyl-Spaltung. So fällt im Massenspektrum des i-Butylbenzens (Abb. 28.53) das intensive Ion mit der geradzahligen Masse m / z = 92 auf; es entsteht durch MCLAFFERTY-Umlagerung: CH2 CH(CH3)2
+
+
CH 2
+
H +
M-"/ z = 134
CH3
CH 2
H H m / z = 92
H
C
Bei Carbonyl-Verbindungen und deren Heteroanaloga (Thiocarbonyl-Verbindungen, Imine, Nitrile) konkurriert die MCLAFFERTY-Umlagerung mit der c-Spaltung.
Abb. 28.55. Massenspektrum des 2-Pentanons
Im Massenspektrum des 2-Pentanons (Abb. 28.55) erkennt man z. B. zwei c-Spaltungen: Die eine verläuft unter Abspaltung eines Methyl-Radikals zum Kation der Masse 71 (86 /"15 = 71), welches in Kohlenmoxid und das Propyl-Kation zerfällt (71 /"28 = 43). Die andere führt unter der begünstigten Abspaltung des größeren Propyl-Radikals direkt zum Ion der Masse 43 (86 /"43 = 43). Metastabile Ionen mit den Massen 58.6 (712/ 86), 26.0 (432/ 71) und 21.5 (432/ 86) bestätigen diese mit Stern (*) markierten Zerfallsreaktionen. + H3C CH2 CH 2 m / z = 43
* / CO
H3C CH2 CH 2 m / z = 71
+ C O
O
* / CH3
H3C CH2 CH2
+
*
C CH3
/ C3H7
+ H 3C C O m / z = 43
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546
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Ein weiteres häufiges Fragment mit m / z = 58 (Abb. 28.55) entsteht durch MCLAFFERTY-Umlagerung des Molekül-Ions. Die zugehörige Ethen-Abspaltung (M /"28) ist aus dem metastabilen Ion der Masse 39.1 (582 : 86) erkennbar. H
+ OI
* CH3
CH2 CH2
H +
M / z = 86
28.7.6
H2C
+ OI C
H + OI CH3
H 2C
C
CH 3
m / z = 58
Erkennung funktioneller Gruppen
Charakteristische Fragment-Ionen, die sog. Schlüsselbruchstücke (Tab. 28.17 a, S. 548) identifizieren im Massenspektrum bestimmte Stoffklassen (funktionelle Gruppen). Ebenso typisch sind die (M / X)-Fragmente, die durch Abspaltung kleiner Neutralteile der Masse X aus dem MolekülIon entstehen (Tab. 28.17 b, S. 549). Allerdings ist die Intensität dieser Fragmente im Massenspektrum nicht immer genügend groß, so daß ihr Fehlen kein sicherer Beweis für die Abwesenheit einer bestimmten Gruppe ist. Trotzdem gibt die sinnvolle Anwendung der Fragment-Tabellen häufig eindeutige Aussagen zur Konstitution einer Verbindung. Hinweise auf die Art und Anzahl mancher Heteroatome kann bereits das Molekül-Ion geben. Ein Isotopenmuster von M : (M -"2) "1 spricht z. B. für eine Monobrom-Verbindung (vgl. Abb. 28.49). Monochlor-Verbindungen zeigen demgegenüber ein Isotopen-Verhältnis von M : (M -"2) ""3 : 1. Weiterhin sind die Molekülmassen von Stickstoff-Verbindungen geradzahlig (ungeradzahlig), wenn das Molekül eine gerade (ungerade) Anzahl von Stickstoff-Atomen enthält: Stickstoff ist das einzige Element mit gerader Massenzahl (14) und ungerader Anzahl von Bindungen (3); bei allen anderen Elementen ist beides entweder gerad- oder ungeradzahlig. So hat Anilin (C6H7N) eine Molekülmasse von 93 gegenüber dem Wert von 138 für die o, m, p-Nitroaniline (C6H6N2O2).
28.7.7
Herleitung der Konstitution aus dem Massenspektrum
Wie man dem Massenspektrum Hinweise zur Konstitution einer Verbindung entnimmt, soll ein einfaches Beispiel (Abb. 28.56) zeigen. Relative Molekülmasse Ist das schwerste Ion auch Molekül-Ion, so beträgt die Molekülmasse 262 (oder 260, Abb. 28.56). Isotopenmuster Die Verbindung enthält Brom, denn das Molekül-Ion (260 : 262 "1 : 1) zeigt eine für MonobromVerbindungen typische Isotopenverteilung (vgl. Abb. 28.49). Ebenso enthalten die Fragmente 183:185 "1 : 1 sowie 155:157 "1 : 1 je ein Brom-Atom. Schlüsselbruchstücke Neben der relativ hohen Intensität des Molekül-Peaks deuten die stark ungesättigten Fragmente mit m / z = 50, 51, 76, 77 und 78 nach Tab. 28.17 a auf ein Benzen-Derivat hin. Das bromfreie Basis-Fragment mit m / z = 105 gehört nach Tab. 28.17 a zum Benzoyl-Ion. Die Verbindung ist somit ein bromhaltiges Benzoyl-Derivat.
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28.7
Massenspektrometrie
547
Abb. 28.56. Massenspektrum zur Konstitutionsbestimmung
Konstitution Subtrahiert man die Masse des Benzoyl-Ions C6H5CO+ (105) von der Molekülmasse (260 / 262), so ergibt sich ein Rest von 155 bzw. 157, der ebenfalls im Massenspektrum auftritt (Abb. 28.56) und aufgrund seines Isotopenmusters ein Brom-Atom enthält. Subtrahiert man dementsprechend 79Br bzw. 81Br von 155 bzw. 157, so ergibt sich ein Bruchstück der Masse 76 entsprechend C6H4 (Tab. 28.17 a, Abb. 28.56). Das Fragment mit m / z = 155 : 157 = 1 : 1 gehört somit zu einem BromphenylRest. Benzoyl- und Bromphenyl-Rest geben zusammen ein Brombenzophenon. Zuordnung der Fragment-Ionen Das Massenspektrum und die auftretenden metastabilen Ionen lassen sich durch zwei cSpaltungen sowie die zugehörigen Folgefragmentierungen nach folgendem Schema erklären: +
C O
/ CO
* m/e = 105
/ C2H2
+
C6H 5
*
m/e = 77
+
C 4H3
m/e = 51
c
*
+
O C
/ Br
Br
*
+
C 13H9O
/ CHO
*
m/e = 181
m/e = 260 / 262
C12H 8
+
weniger bedeutende Fragmentierung
m/e = 152
c +
C O Br
m/e = 183 / 185
/ CO
*
+
BrC6H 4
m/e = 155 / 157
/ Br
*
C6H 4
+
m/e = 76
/ C2H2
*
C 4H2
+
m/e = 50
Folgefragmentierungen, die sich aus den metastabilen Ionen in Abb. 28.56 ergeben, sind durch einen Stern (*) gekennzeichnet.
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548
28
Molekülspektroskopie zur Strukturaufklärung
Tab. 28.17 a. Auswahl häufig auftretender Fragment-Ionen in den Massenspektren organischer Moleküle: Schlüsselbruchstücke m/z
Fragment-Ion(en)
30 (44, 58 ...)
R CH NH2 , H2C NHR +
31 (45, 59 ...) 39
mögliche Verbindungsklasse (n) +
+
+
44
+
R CH OH , H2C OR
primäre Alkohole, Ether (R = H, CH 3, C2H5, ...)
C3H 3
Aromaten, Heteroaromaten, Diene
H2C CH OH +
45
Amine (R = H, CH3, C2H5, ...)
+
Aldehyde (McLAFFERTY-Produkt) Methylether
H2C OCH 3 +
45
H3C CH OH
47
H2C SH
Thiole, Thioether
CH 2Cl + C4H 2
Aromaten, Heteroaromaten
49 : 51 (3 : 1)
+
+
50 51
+
Chlormethyl-Verbindungen
C4H 3 OH
58
Alkohole ( H3C/CH(OH)/ )
+
Aromaten, Heteroaromaten Methylketone (McLAFFERTY-Produkt)
H2C C CH 3
59
+
OH 60
Carbonsäuremethylester
CO2CH 3 +
Carbonsäuren (McLAFFERTY-Produkt)
H2C C OH
61 63
+
65
+
73
+
73
+
OH H3C C + OH
Essigsäureester (außer Methylester)
C5H 3
benzoide Aromaten
C5H 5
benzoide Aromaten (Benzyl-Verbindungen)
CO2C2H 5
Carbonsäureethylester
OH 74
Trimethylsilyl-Verbindungen
Si(CH3)3 +
Carbonsäuremethylester (McLAFFERTY-Produkt)
H2C C OCH3
76 77
C6H 4 +
78 +
93 : 95 (1 : 1)
+
105
benzoide Aromaten
+
benzoide Aromaten
benzoide Aromaten
C6H 5 C6H 6
91
+
Benzyl-Verbindungen
C7H 7
Brommethyl-Verbindungen
CH 2Br +
C6H 5CO
Benzoyl-Verbindungen
Stellung von Substituenten Die Stellung des Broms kann aus dem Massenspektrum nicht hergeleitet werden. Jedoch erscheinen im IR-Spektrum u. a. die in Tab. 28.18 zugeordneten Absorptionsbanden. Banden bei 1655, 735 und 705 cm/1 bestätigen den bereits massenspektrometrisch nachgewiesenen Benzoyl-Rest.
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28.7
Massenspektrometrie
549
Tab. 28.17 b. Auswahl häufig auftretender Fragment-Ionen in den Massenspektren organischer Moleküle: Fragment-Ionen der Masse (M /"X), die durch Abspaltung stabiler Neutralteile der Masse X (Radikale und Moleküle) aus dem Molekül-Ion M- entstehen. M /"X - Ion
Neutralteilchen X
mögliche Verbindungsklasse (n)
M /"15
CH3
Verbindungen mit Alkyl-Gruppen
M / 29
C 2H5
M / 43
C 3H7
M / 57 usw.
C 4H9
M / 16
O
M / 17
OH
Carbonsäuren, seltener Alkohole
NH3
primäre Diamine, seltener primäre Monoamine
M / 18
H 2O
Alkohole, Phenole, Ketone, seltener Aldehyde
M / 19
HF
Fluoralkane
M / 26
C 2H2
kondensierte Aromaten
M / 27
HCN
Stickstoff-Heteroaromaten
M / 28
CO
Carbonyl-Verbindungen einschl. Chinone, Phenole
C 2H4
Verbindungen, die Mc-LAFFERTY-Umlagerungen und RetroDIELS-ALDER-Spaltungen eingehen können
CnH2n+2
Nitroaromaten, N-Oxide
M / 29
CHO
Phenole
M / 30
CH2O
Arylmethylether, cyclische Ether
NO
Nitroso- und Nitro-Verbindungen
M / 31
OCH 3
Methylester, Methylether
M / 32 M / 33
CH3OH SH
Methylester, Methylether Thiole, Thioether
CH3 + H2O
Alkohole (stufenweise Abspaltung von Methyl-Radikal und Wasser)
M / 34
H 2S
Thiole, Thioether
M / 35 , 37 (3 : 1)
Cl
Chloralkane
M / 36 , 38 (3 : 1)
HCl
Chloralkane
M / 42
CH2 C O
Phenol- und Enolacetate, N-Arylacetamide
M / 43
HN C O
M / 44
OC CH 3 CO2
Lactame, Ureide, Urethane (/CO/NH/) Acetyl-Verbindungen (einschließlich Methylketone)
M / 45
OC2H 5
Ethylester, Ethylether, Ethylacetale, Ethylketale
M / 46
NO2
aromatische Nitro-Verbindungen
M / 59
CO2CH3
Methylester
Carbonate, Anhydride, ungesättigte Carbonsäureester
Tab. 28.18. Einige IR-Absorptionsbanden des Brombenzophenons (KBr-Preßling) p~ [cm/1]
Schwingung
1655
p"C=O
Carbonyl-Gruppe
1590 1580 1485
p"C=C
Benzen-Ring
855
i CH
p-disubstituierter Benzen-Ring
735 705
i CH
monosubstituierter Benzen-Ring
zugehörige Teilstruktur
Ergänzend spricht die CH-Deformationsbande bei 855 cm/1 für einen zusätzlichen p-disubstituierten Benzen-Ring (Tab. 28.8). Somit ist die Verbindung als p-Brombenzophenon identifiziert.
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550
29 Photoreaktionen
29 Photoreaktionen 29.1 Grundbegriffe 29.1.1
Energiebedarf von Photoreaktionen
Unter Photoreaktionen versteht man chemische Umwandlungen, die durch UV-Licht ausgelöst werden. Nach der EINSTEIN-Beziehung FG""= hp""= hc / n"""""""""(29.1)" (Lichtgeschwindigkeit c = 3 x 108 m/s; Wirkungsquantum h = 6.625 x 10/34 Js)
ergibt sich z. B. für ultraviolette Strahlung der Wellenlänge n"= 286 nm eine Anregungsenergie von
FG""= 420 kJ / mol oder 100 kcal / mol. Dieser Energiebetrag liegt im Bereich der Bindungsenergien
von CH- und CC-Bindungen. Daraus folgt, daß die Elektronenanregung von Molekülen durch UV-Licht Bindungen spalten und als Folge Reaktionen, eben Photoreaktionen auslösen kann.
29.1.2
Verhalten angeregter Moleküle
Photoreaktionen beginnen also mit der Elektronenanregung von Molekülen. Wie ein / der Einfachheit halber / zweiatomiges Molekül (AB) mit Atomkern-Abstand rAB auf die Elektronenanregung reagiert, hängt davon ab, wie sich die Potentialverläufe (Energieprofile) im Grund- und angeregten Zustand unterscheiden, und von welchem Schwingungsniveau des Grundzustandes der Elektronenübergang ausgeht. Da die Bindung im angeregten Zustand AB* schwächer ist als im Grundzustand AB, liegt das Minimum der Potentialkurve im angeregten Molekül beim größeren Kernabstand rAB* > rAB (Abb. 29.1).
E A
R
+
B
Dissoziation
Q
A
B*
A
B
P hp
Abb. 29.1. Potentialkurven eines zweiatomigen Moleküls im Grund- und angeregten Zustand A /B und A/B*
rAB
rAB*
r
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29.1
Grundbegriffe
551
Photodissoziation Die A/B-Bindung bleibt bei der Elektronenanregung erhalten, wenn der Elektronenübergang einen Schwingungszustand innerhalb der Potentialmulde des angeregten Moleküls (AB*) erreicht. Ausgehend von dem energiereichen Schwingungszustand (P, Abb. 29.1) müßte sich dann der Kernabstand beim Elektronenübergang vergrößern (Übergang PQ in Abb. 29.1). Dem widerspricht jedoch das FRANCK-CONDON-Prinzip: Wegen der im Vergleich zu Atommassen sehr kleinen Elektronenmasse ändert sich die Anordnung der Atomkerne eines Moleküls bei der Elektronenanregung praktisch nicht. Vom Schwingungszustand P aus erfolgt der "senkrechte" Übergang PR, und dieser ist bereits eine Photodissoziation, weil der erreichte Energiezustand außerhalb der Potentialmulde des angeregten Moleküls AB* liegt (Abb. 29.1). Singulett- und Triplett-Zustände Abgesehen von freien Radikalen enthalten organische Moleküle eine gerade Anzahl von Elektronen, die im Grundzustand alle paarweise antiparallelen Spin besitzen. Molekülzustände, bei denen sämtliche Elektronen auf diese Weise gepaart sind, nennt man Singuletts (S), weil sie im Magnetfeld zu keinem resultierenden magnetischen Moment führen und daher die Energieniveaus nicht weiter aufspalten. In angeregten Molekülen können die Elektronen sowohl gepaart (Singulett-Zustände) als auch ungepaart vorliegen. Bei ungepaarter Anordnung zweier Elektronen auf demselben Orbital spaltet im Magnetfeld jedes Energieniveau dreifach auf; man vergleiche hierzu analoge TriplettAufspaltung des Protons A infolge Kopplung mit zwei Protonen X in Abb. 28.29. Die ungepaarte Anordnung wird daher als Triplett-Zustand (T) bezeichnet. Erlaubt sind nur Elektronenübergänge zwischen Zuständen gleicher Multiplizität, also S-S- oder T-T-Übergänge. Für Photoreaktionen bedeutend ist jedoch, daß bei vielen Molekülen im angeregten Zustand auch verbotene strahlungslose Singulett-Triplett-Übergänge auftreten, die als "Intersystem Crossing" (Multiplizitäts-Wechsel) bekannt sind. Die Energiezustände mehratomiger Moleküle müssen durch mehrdimensionale Energieflächen anstelle der Potentialkurven des AB-Moleküls in Abb. 29.1 beschrieben werden. Vereinfacht stellt man die Singulett- und Triplett-Zustände sowie die Elektronenübergänge mehratomiger Moleküle in JABLONSKI-Diagrammen dar (Abb. 29.2). Schwingungs-Relaxation und Innere Konversion Regt man ein Molekül durch UV-Licht an, so wird bei einer bestimmten Wellenlänge (n0) von einem Schwingungsniveau des Grundzustandes (S0) aus das Schwingungsniveau eines angeregten Singulettzustandes (S2) erreicht. Der Zeitbedarf für diesen erlaubten S0 ›"S2 -Elektronenübergang liegt bei 10/13 s. Unmittelbar nach dieser Anregung / innerhalb von 10/11 s / können in Lösung drei weitere Vorgänge ablaufen (Abb. 29.2): Das angeregte Molekül gibt vom S2-Zustand aus Schwingungsenergie durch Stoß an ein Nachbarmolekül ab (Schwingungs-Relaxation 1), geht anschließend in einen schwingungs-angeregten Singulettzustand S1 über (innere Konversion 2) und gibt schließlich weitere Schwingungsenergie an die Umgebung ab (3). Auf diese Weise erreicht es den energieärmsten angeregten Singulettzustand. Dessen Lebensdauer (etwa 10/8 s) wird durch zwei weitere Vorgänge begrenzt, Fluoreszenz und Intersystem crossing. Fluoreszenz Geht das Molekül vom energieärmsten angeregten Singulett-Zustand (S1) in den Grundzustand S0 über 4 , so setzt es den nach Schwingungs-Relaxation und innerer Konversion verbleibenden Rest
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552
29 Photoreaktionen
der Anregungsenergie in Form eines Lichtquants hpF < hp0 frei. Man beobachtet diesen S1 ›"S0Übergang als Fluoreszenz, eine Emission sichtbaren Lichtes, während die Lösung durch kürzerwelliges (unsichtbares) UV-Licht bestrahlt wird. Die Farbe des Leuchtens ist substanzspezifisch. E
1 S2 T2
2
3
5 6
S1
4
T1
7 8 Fluoreszenz
Phosphoreszenz
Anregung
S0
S0
Abb. 29.2. JABLONSKI-Diagramm eines mehratomigen Moleküls. Erläuterungen zu 1 bis 8 finden sich im Text
Intersystem Crossing und Phosphoreszenz Ist der Energieunterschied zwischen Singulett- und Triplett-Zustand klein, wie z. B. für Benzophenon (20 kJ / mol, Abb. 29.3), so erfolgt der spinverbotene S1 ›"T1 -Übergang 5 , das Intersystem Crossing. Der T1 ›"S0 -Übergang zum Grundzustand kann nach weiterer SchwingungsRelaxation 6 strahlungslos ablaufen 7 , wenn kein großer Energieunterschied mehr freizusetzen ist. Häufig erfolgt der T1 ›"S0 -Übergang jedoch unter Emission eines Lichtquants (hpP < hpF , 8 ). Diesen Vorgang beobachtet man als Phosphoreszenz, die zeitlich verzögerte Emission sichtbaren Lichts durch eine Lösung kurz nach Bestrahlung mit UV-Licht. O C
S1 220
S1 296
T1
460
20
T1 240
276
S0
S0 (a)
(b)
Abb. 29.3. Grund- und angeregte Zustände von Benzophenon ( a) und 1,3-Butadien ( b); relative Energieniveau-Unterschiede FE sind in kJ / mol angegeben
Aus dem relativ langsamen Abklingen der Phosphoreszenz ergibt sich eine große Lebensdauer der Triplett-Zustände T1 (bis zu einigen Sekunden), die man als Folge des Übergangsverbots (T1 ›"S0) auch verstehen kann. Wegen ihrer Langlebigkeit sind die Triplett-Zustände angeregter Moleküle oft Ausgangspunkt von Photoreaktionen.
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29.2
Photosensibilisierung
553
29.2 Photosensibilisierung Photoreaktionen gehen häufig von angeregten Triplett-Zuständen aus, da diese langlebig sind. Photoreaktiv werden somit Verbindungen sein, die stark zum Intersystem Crossing neigen. Die Voraussetzung für diesen zunächst verbotenen Übergang ist ein geringer Energieunterschied zwischen den tiefsten angeregten Singulett- und Triplett-Zuständen. Er beträgt z. B. für Benzophenon 20, für 1,3-Butadien dagegen 225 ± 30 kJ / mol (Abb. 29.3). Entsprechend zeigt Benzophenon 100, 1,3-Butadien 0 % Intersystem Crossing. Dazwischen liegen die Aromaten. Benzophenon ist somit leichter zu Photoreaktionen anregbar als Aromaten und 1,3-Diene. Die Energie des Triplett-Zustandes 3D eines leicht anregbaren "Donor"-Moleküls (D) kann jedoch auf ein schwieriger anregbares Akzeptor-Molekül (A) übertragen werden, wenn der TriplettZustand des Donors (D) mindestens 12 kJ / mol energiereicher ist als der des Akzeptors (A). Dann führt jeder Zusammenstoß zwischen 3D und A zur Energieübertragung nach folgendem Mechanismus: D
+
hp 1D
3D
+
A
Anregung Intersystem Crossing Sensiblisierung
3A
1D 3D
D
+
3A
Produkte
Man bezeichnet diese zur Reaktion führende diffusionskontrollierte Energieübertragung als Photosensibilisierung. Entstehen bei Bestrahlung des Donors (D) und Akzeptors (A) nur Reaktionsprodukte aus D, so spricht man dagegen von einer Lösch- oder Quench-Reaktion. Die präparative Bedeutung der Photosensibilisierung erkennt man an einem Beispiel. 1,3-Butadien reagiert aus dem Singulett-Zustand elektrocyclisch zu Cyclobuten (neben Bicyclo[1.1.0]butan): 1
rr*
+ Cyclobuten
Eine Dimerisierung zu cis- und trans-1,2-Divinylcyclobutan ([2+2]-Cycloaddition) oder zu 4Vinylcyclohexen ([4+2]-Cycloaddition) ist dagegen nur aus dem Triplett-Zustand möglich: 3
+ sowie
[ 2+2 ] transcis1,2-Divinylcyclobutan
3
+ [ 4+2 ] 4-Vinylcyclohexen
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554
29 Photoreaktionen
Die UV-Bestrahlung von 1,3-Butadien in Lösung ergibt neben Cyclobuten und Bicyclo[1.1.0]butan sehr wenig Dimere, da 1,3-Butadien wegen des zu großen Energieunterschieds zwischen S1und T1-Zustand nach Abb. 29.3 kein Intersystem Crossing eingeht und daher aus dem rr*angeregten Singulett-Zustand abreagiert. In Gegenwart von Benzophenon führt die UV-Bestrahlung jedoch zu einem Dimeren-Gemisch (trans- neben wenig cis-1,2-Divinylcyclobutan sowie 4-Vinylcyclohexen), weil Benzophenon die Dimerisierung photosensibilisiert: Das Keton geht zunächst durch nr*-Anregung in einem angeregten Singulett-Zustand über, der strahlungslos zum langlebigen Triplett desaktiviert. (C6H 5)2CO
366 nm , nr*
1 [(C
6H 5)2CO]
3 [(C
6H 5)2CO]
Intersystem Crossing 1 [(C
6H 5)2CO]
Da der Triplett-Zustand des Benzophenons um über 30 kJ / mol energiereicher ist als der des 1,3Butadiens (Abb. 29.3), findet eine diffusionskontrollierte Energieübertragung auf 1,3-Butadien statt: Sensibilisierung 3 [(C
6H 5)2CO]
(C6H 5)2CO +
+
3
Das so entstandene Triplett-Butadien cycloaddiert ausschließlich zu Dimeren.
29.3 Quantenausbeute Ein Maß für die Ergiebigkeit einer Photoreaktion ist die Quantenausbeute (H). Man kann sie auf den Umsatz an Ausgangsverbindung oder auf die Produktmenge beziehen und entsprechend definieren: HUmsatz =
Anzahl der umgesetzten Eduktmoleküle
HProdukt =
Anzahl der gebildeten Produktmoleküle
Anzahl der absorbierten Lichtquanten
(29.2) Anzahl der absorbierten Lichtquanten
HUmsatz und HProdukt sind identisch, wenn die Photoreaktion nur ein Produkt ergibt. Entstehen mehrere Produkte, so summieren sich alle Produktausbeuten zur Umsatzausbeute (UHProdukt = HUmsatz). Quantenausbeuten werden u. a. aus dem Einfluß einer Löschsubstanz (Quencher) auf die Geschwindigkeitskonstante der Photoreaktion bestimmt. Als (Triplett-) Löscher wirken dabei freie Radikale, z. B. Di-t-butylnitroxid: Di-t-butylnitroxid
(H3C)3C _ _ N O _ (H3C)3C
Photoreaktionen, die einen Kettenmechanismus auslösen, z. B. Photohalogenierungen von Alkanen (Abschn. 3), können mit Quantenausbeuten von einigen Tausend ablaufen. Bei allen anderen Photoreaktionen liegen die Quantenausbeuten dagegen zwischen 0 und 1.
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29.4
Blitzlicht-Photolyse
555
29.4 Blitzlicht-Photolyse Während präparative Photoreaktionen unter kontinuierlicher Bestrahlung ablaufen, wird bei der Blitzlicht-Photolyse nur sehr kurzzeitig durch einen Blitz der Dauer 10/4 bis 10/5 s angeregt, den man in einer Gasentladungsröhre erzeugt. In verschiedenen Zeitabständen nach dem Blitz werden die UV-Spektren der Photolyseprodukte (photographisch) registriert. Auf diese Weise gelingt es, UV-Spektren und Lebensdauer kurzlebiger Moleküle zu messen. Die Blitzlicht-Photolyse des Benzendiazonium-2-carboxylats und des 2-Iodphenylquecksilberiodids ergab für Dehydrobenzen das Absorptionsmaximum von nmax = 240 nm und eine Lebensdauer von 10/5 bis 10/4 s, innerhalb der es zu Biphenylen dimerisiert. HgI
hp - Blitz
2
/ 2 Hg I 2
I
N2
hp - Blitz
2
/ 2 CO2 , / 2 N2
2-Iodphenylquecksilberiodid
2 CO2 Benzendiazonium2-carboxylat
Biphenylen
29.5 Präparative Photochemie Photoreaktionen haben viele Synthesen bis in den technischen Bereich einfacher oder überhaupt erst durchführbar gemacht. Der folgende Abschnitt gibt eine Auswahl typischer Beispiele. Dabei werden mehr präparative Anwendungen als die teilweise noch ungeklärten Mechanismen betont.
29.5.1
Photoinduzierte Einführung funktioneller Gruppen
Photohalogenierung Die Photohalogenierung von Alkanen ist eine technisch anwendbare Methode zur Herstellung von Halogenalkanen (Abschn. 2.7.4; 13.3.1). Die Regioselektivität der Reaktion nimmt mit zunehmender Temperatur ab, ist jedoch bei genügend tiefen Temperaturen so groß, daß eine gezielte Herstellung bestimmter Halogenalkane über die stabilsten Radikale als reaktive Zwischenstufen möglich ist, z. B.: H3C CH2 CH 3
+
Cl2
hp (/60 °C)
73 %
H 3C CH CH 3
+
HCl
+
HBr
Cl 2-Chlorpropan
CH 3 H3C
CH C CH 3 CH3 CH 3
Br CH 3
hp (80 °C)
+
Br2
>90 %
H 3C
C C CH3
H 3C CH 3 2-Brom-2,3,3-trimethylbutan
Photobromierungen werden durch Sauerstoff und Peroxide beschleunigt, sie gelingen auch gut mit N-Bromsuccinimid. Gute Photochlorierungs-Reagenzien sind Sulfuryl-, Trichlormethansulfonylund Trifluormethansulfonylchlorid.
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556
29 Photoreaktionen
Photocyanierung Alkane und Ether werden mit Chlorcyan zu Nitrilen photocyaniert: +
Cl CN
hp
CN
+
HCl
Cyanocyclohexan
H3C CH2 O CH 2 CH 3
+
Cl CN
hp
H3C CH2 O CH CH 3
+
HCl
CN 2-Ethoxypropannitril
Photonitrosierung und Photooximierung Die Photoreaktion von Gemischen aus Stickoxid und Chlor mit Cycloalkanen ergibt je nach Zusammensetzung des Reaktionsgemisches 1-Chlor-1-nitrosocycloalkane oder Cycloalkanoxime: Cl + Cl2
+ NO
hp , / HCl
Cl + 1/2 O2 (HNO3)
NO 1-Chlor-1-nitrosocyclohexan
Cl2 : NO = 1 : 8
NO2 1-Chlor-1-nitrocyclohexan
hp
H
N
O
[H+]
OH
NO
BECKMANNUmlagerung
Cyclohexanonoxim
N H g-Caprolactam
Die Photooximierung des Cyclohexans ist von technischer Bedeutung, da Cyclohexanonoxim eine BECKMANN-Umlagerung (Abschn. 22.4.9) zu g-Caprolactam eingeht, welches Ausgangsprodukt zur Synthese der Polyamid-Faser "Perlon" ist. Eine weitere Methode zur photoinduzierten Einführung einer Nitroso-Gruppe am KohlenstoffAtom ist die BARTON-Reaktion der aus Distickstofftrioxid und Alkoholen gut zugänglichen Alkylnitrite. Die Photolyse der Alkyl/O/N-Bindung ergibt zunächst ein Alkoxy-Radikal und Stickoxid. Durch i-Wasserstoffübertragung lagert sich das Alkoxy-Radikal zum Alkyl-Radikal um, welches mit Stickoxid zum 4-Nitrosoalkanol kombiniert: N O
O hp
H
O
NO H
OH
i-H-Übertragung
NO
R
R
OH NO
R
Alkylnitrit
R 4-Nitrosoalkanol
Das Nitrosoalkanol liegt im Tautomeriegleichgewicht mit dem entsprechenden Oxim vor. Letzteres läßt sich zur Carbonyl-Verbindung hydrolysieren. Hierauf beruht die präparative Bedeutung der BARTON-Reaktion. N O
O hp
H R
Alkylnitrit
OH NO R
OH OH N R
+ H2O (H3O+) / NH2OH
OH O R i-HydroxycarbonylVerbindung
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29.5
Präparative Photochemie
557
Photosulfoxidation Neben der lichtinduzierten Sulfochlorierung (Abschn. 2.7.5) ist die Photosulfoxidation der Alkane und Cycloalkane eine brauchbare Methode zur Herstellung von Sulfonsäuren, z. B.: hp (15 - 25 °C)
+ SO2
+ 1/2 O2
SO3H
80 - 90 % Cyclohexansulfonsäure
29.5.2
Photofragmentierungen
Bei einer Photofragmentierung zerfällt eine Verbindung lichtinduziert in zwei oder mehr stabile Folgeprodukte. Aldehyde und Ketone neigen zu solchen Fragmentierungen, die als NORRISHReaktionen bekannt sind. NORRISH-Typ-I-Reaktionen sind c-Spaltungen; sie brechen die Bindung zwischen CarbonylGruppe und c-C-Atom. Nach der Absorption des Photons kann die Spaltung von Singulett- und Triplett-Zuständen ausgehen; Arylketone spalten wegen des schnellen Intersystem-crossings meist aus dem Triplett-Zustand. Folgereaktionen der NORRISH-Typ-I-Reaktion sind neben der Rekombination der Radikale die Decarbonylierung zu einem Alkan und eine Wasserstoff-Verschiebung zwischen den Radikalen unter Bildung eines Ketens. NORRISH-Typ- II
NORRISH-Typ- I O H
C
O
hp
H
C
C
.
C
+
.C
O
H
hp
O
.
R
H
.
R
/""CO
OH C
C
O
+ H C
H
C
O
R
C
H +
R
Ketone mit i-ständigem H-Atom neigen zu den NORRISH-Typ-II-Reaktionen über einen sechsgliedrigen Übergangszustand. Dabei entsteht ein 1,4-Biradikal. Folgereaktionen sind die Kombination zum Cyclobutanol oder, wie bei der MCLAFFERTY-Umlagerung (Abschn. 28.7.5), die dSpaltung in ein Alken und ein zum Keton tautomerisierendes Enol. Cycloalkanone decarbonylieren nach der NORRISH-Typ-I-Spaltung unter Ringverengung um ein CAtom. 3,5-Cycloheptadienon öffnet sich dagegen über ein Bis-Allyl-Radikal zum 1,3,5-Hexatrien: hp , nr*
/ CO
O
O
In 1,3-Diphenyl-2-indanonen erschwert die benzoide Mesomeriestabilisierung eine 1,3-DienBildung; daher führt die Photodecarbonylierung quantitativ zu Benzocyclobuten-Derivaten: H hp , / CO
1,2-Diphenylbenzocyclobuten
sowie
O
1,3-Diphenyl-2-indanon
H cis-
trans-
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558
29 Photoreaktionen
29.5.3
Photoisomerisierungen
Di- -Methan-Umlagerung Die Photoisomerisierung von 3,3-Dialkyl-1,4-dienen zu Vinylcyclopropanen ist als Di-r-MethanUmlagerung bekannt. Reaktive Zwischenstufen sind Diradikale, welche durch die Substituenten in 3-Stellung stabilisiert werden. hp 3,3-Dialkyl-1,4-dien
2,2-Dialkyl-1-vinylcyclopropan
Bei der Di-r-Methan-Umlagerung der Allybenzene erübrigen sich die Alkyl-Gruppen, da die Intermediate mesomeriestabilisierte Allyl-Radikale sind: hp
Allylbenzen
Cyclopropylbenzen
trans-cis-Isomerisierungen Sperrig substituierte Alkene sind präparativ bevorzugt als (E)- oder trans-Isomere zugänglich. Durch Bestrahlung mit UV-Licht in Gegenwart eines Photosensibilisators (Benzophenon, Benzil) ist häufig eine trans-cis-Isomerisierung aus dem langlebigen angeregten Triplett-Zustand des Alkens möglich. Dieser reaktive Zustand wird durch Energieübertragung entsprechend dem bereits skizzierten Sensibilisierungsmechanismus (Abschn. 29.2) erreicht: H Intersystem Crossing
hp , n r* 1 [(C
(C 6H 5)2CO
R
+ C C 3 [(C
6H 5)2CO]
6H 5)2CO]
R
3
H
H
R C
/ (C6 H5) 2 CO
R
Isomerisierung
R
R C
C
H
H
C
H
Phenyl-Reste (R), Carbonyl-Gruppen sowie deren Heteroanaloga verlängern die Lebensdauer des Triplett-Zustands infolge Mesomeriestabilisierung, was die Ausbeuten der Isomerisierung steigert. N H
hp , ( Benzophenon)
H
N H
H
hp , ( Benzil) 80 %
H
H
N
cis-Stilben
N H
H
cis-2,2'-Diazastilben
Ist die Carbonyl-Gruppe ein Rest R, so gelingt die Photoisomerisierung ohne Photosensibilisator: H 3CO
H 3CO H H
CO2H
hp
74 %
CO2H H
H
cis-4-Methoxyzimtsäure
Analog photoisomerisieren Azobenzen-Derivate (Abschn. 23.8.1) und Oxime.
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29.5
Präparative Photochemie
559
Valenztautomerisierung cyclischer 1,3-Diene Die photoinduzierte Valenztautomerisierung cyclischer 1,3-Diene ist ein allgemeines Prinzip zur Darstellung bicyclischer Cyclobuten-Derivate:
7
O
O
1
hp , ( Ether)
hp , ( Ether)
4
6
6
1
Bicyclo[4.2.0]oct-7-en
2
OCH3 1-Methoxybicyclo[3.2.0]hepta-2,6-dien-4-on
H 3CO
Bicyclisierung höhergliedriger Cycloalkanone Bei Bestrahlung höhergliedriger Cycloalkanone entstehen in präparativ brauchbaren Ausbeuten am Brückenkopf hydroxylierte Bicyclen unter trans-annularer Wasserstoff-Verschiebung: O
OH hp
OH sowie
H
H
64 % cis11 % transBicyclo[8.2.0]dodecan-1-ol
Cyclododecanon
Cyclodecanon bicyclisiert auf diese Weise zum cis-Decahydro-4a-naphthol, während die analoge Reaktion des 1,2-Cyclodecandions das bicyclische Acyloin 1-Hydroxybicylo[6.2.0]decan-10-on ergibt: O 4
hp
O
HO
4a 5
6
3
2
O
8a 1 8
OH hp
7
cis-Decahydro-4a-naphthol
29.5.4
O
1-Hydroxybicyclo[6.2.0]decan-10-on
Photodehydrocyclisierungen
In Gegenwart von Oxidationsmitteln [Eisen(III)-chlorid, Iod, Luft-Sauerstoff] dehydrocyclisieren trans-Stilbene über die cis-Isomeren zu Phenanthren-Derivaten: hp
R
R
R
subst. trans-Stilben
hp
(I2 oder FeCl3)
R
/ 2 [H+] , / 2 e0
/
H
R
H
H
R
H
subst. Phenanthren
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560
29 Photoreaktionen
Das Ringschlußprinzip ist auf Heteroanaloge des Stilbens übertragbar. Aus Benzalanilinen entstehen z. B. Phenanthridine, aus Azobenzenen entsprechend Benzo[c]cinnoline: R R
hp
N
R N
/ 2 [H +] , / 2 e0
N
/
Phenanthridin
R = H , C 6H5
N
hp
N
/ 2 [H +] , / 2 e0
N
/
R
Benzo[c]cinnolin
R = H , CO2CH 3
Auch N-Alkyl- oder N-Arylcarbazole sind durch Photodehydrocyclisierung von Diphenylalkyloder Triphenylaminen zugänglich, z. B.: CH 3
CH3
N
N
hp
N
(Luft-O2)
I
/ 2 [H+] , / 2 e0
H H
Methyldiphenylamin
29.5.5
CH3
/
N-Methylcarbazol
Photoadditionen
Addition an CC-Mehrfachbindungen Eine präparative Methode zur Einführung von Trichlor- und Trifluormethyl-Gruppen ist die Photoaddition von Tetrahalogenmethanen (BrCCl3; ICF3). Die Addition folgt einem Radikal-Kettenmechanismus, wobei primär Trihalogenmethyl-Radikale an die Mehrfachbindung addieren: hp
Z
Z CX3 +
R CH CH2 R CH CH2 CX3
+
+
CX3
CX3
R CH CH 2 CX3
Z CX3
R CH CH 2 CX3 Z
X = Br, Cl, F ; Z = Br, I
+
CX3
Anwendungen dieser Photoaddition sind die Herstellung des 1,1,1,3-Tetrabromnonans aus 1Octen und Tetrabrommethan, C6H 13
CH CH 2
+
CBr4
hp
88 %
C6H 13
CH CH 2 CBr3 Br
1,1,1,3-Tetrabromnonan
und der 4,4,4-Trifluor-2-butensäure (E und Z) aus Acrylnitril über 2-Iod-4,4,4-trifluorbutyronitril: H2C CH CN
+
F 3C I
hp
+ KOH
F 3C CH2 CH CN I
F 3C CH CH CN
/ K K ", / H2O
+ H2O , + H3O+
/ NH4+
F 3C CH CH CO2H
Die Photoaddition von Perhalogenalkanen an Alkine ist ebenfalls möglich.
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29.5
Präparative Photochemie
561
Eine milde Methode zur Einführung der Carboxamid-Funktion ist die Photoaddition von Formamiden an Vinyl-Verbindungen, z. B.: O C5H 11
+
CH CH 2
hp
H C
60 %
NH 2
1-Hepten
C 5H11
O CH2 CH2 C NH 2
Octansäureamid
Addition von Aldehyden an Chinone Während die Photoaddition von Aldehyden an o-Chinone O-Acylbrenzcatechine ergibt, O + O
O H C R
O
hp
C
R
OHO O-Acylbrenzcatechin (2-Acyloxyphenol)
führt die entsprechende Reaktion der p-Chinone zu einem C-acylierten Hydrochinon, z. B.: OH O C
O +
O H C CH3
hp
O
CH3
OH 2,5-Dihydroxyacetophenon
29.5.6
Photocycloadditionen
[2+2]-Cycloadditionen zu Cyclobutan-Derivaten Die [2+2]-Cycloaddition substituierter Ethene ist eine bekannte und vielseitige CyclobutanSynthese, welche sowohl thermisch als auch photochemisch möglich und Orbitalsymmetrieerlaubt ist (Abschn. 27.3.2). Sie führt zu cis-trans-Isomerengemischen. H5C 6 H5C 6
H 5C6 H5C 6
hp
C 6H5 C 6H5
H5C 6
C6H 5
sowie
C 6H5 C6H 5 cis-trans-cis(Hauptprodukt)
H5C 6
C6H 5
trans-trans-trans(Nebenprodukt)
1,2,3,4-Tetraphenylcyclobutan
und ist auf Cycloalkene übertragbar, wobei tricyclische Cyclobutan-Derivate entstehen, z. B.: 2
hp Sensibilisator 55 %
trans-Tricyclo[5.3.0.0 2,6 ]decan
Bei s-cis-1,3-Dienen konkurriert die [4+2]-Cycloaddition (DIELS-ALDER-Reaktion).
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562
29 Photoreaktionen
[2+2]-Cycloadditionen zu Oxetan-Derivaten (PATERNO-BÜCHI-Reaktion) Die mit vergleichsweise wenig Energie nr*-anregbaren Ketone und Aldehyde (Benzophenone, Acetophenone, Benzaldehyde) cycloaddieren an Alkene unter Bildung von Oxetanen (PATERNOBÜCHI-Reaktion). Besonders gute Ausbeuten erhält man aus Benzophenonen und mehrfach verzweigten oder cyclischen sowie heterocyclischen Ethen-Derivaten: O H 5C 6
H3C
C
C6H 5
+ H3C
C C
CH3
CH3
hp
O
CH3
O C
C6H 5
C6H6 , hp
+
O
H 5C6 4,4-Diphenyl-3-oxatricyclo[4.2.1.0 2,5]nonan C 6H 5
H 5C6
O
C6H 5
C
H 5C6
80 % Bicyclo[2.2.1]hept-2-en
H 5C 6
CH 3
H5C 6 CH3 4,4-Diphenyl-2,2,3,3-tetramethyloxetan
2,3-Dimethylbuten
H 5C 6
CH 3
H 5C 6
70 %
hp
+
O
O
94 %
O
Furan
6,6,Diphenyl-4,7-dioxabicyclo[3.2.0]hept-2-en
Die Orientierung der Cycloaddition läßt sich oft durch Stabilitätsbetrachtungen des als Zwischenstufe zu erwartenden Biradikals vorhersagen (Abb. 29.3). Das Biradikal entsteht wahrscheinlich durch Zerfall eines als "Exciplex" bezeichneten, sehr schnell entstehenden Komplexes aus Alken und Triplett-Zustand des angeregten Ketons (Abb. 29.4). Einen Hinweis darauf liefern die im Vergleich zu anderen Photoadditionen meist erheblich höheren Geschwindigkeitskonstanten der PATERNO-BÜCHI-Reaktion. Ar Ar
weniger stabil
C H Ar
O
CR 2
C
H
Ar C O Ar
hp
Ar
Intersystem
C O Ar
Crossing
3
H
R
+ C C
Ar C O
R
R
Nebenprodukt
R C
C
C
O
R Ar
R
Ar
O
H R R
R
1
Ar
R
Exciplex
Ar
Ar stabiler (höher alkyliertes Biradikal)
Ar C R Ar
O
CHR
C R
Ar
O R
R R H
Hauptprodukt
Abb. 29.4. Zum Mechanismus der PATERNO-BÜCHI-Reaktion
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29.5
Präparative Photochemie
563
Die PATERNO-BÜCHI-Reaktion von Alkinen mit Diarylketonen führt / wahrscheinlich über Oxetene / zu c.d-ungesättigten Ketonen, z. B.:
(C 6H5)2CO
+
C 4H9
hp
C 4H9 C C C4H 9
O
O H5C 6
C4H 9
H 5C6
C 6H5 C 4H9
C4H 9 C6H 5
2-Butyl-1,1-diphenyl-1-hepten-3-on
Die [2+2]-Cycloaddition elektronegativ substituierter Alkene mit Ketonen folgt nicht dem in Abb. 29.4 skizzierten Biradikal-Mechanismus. Zwischenstufe ist vielmehr ein nucleophiler nr*-angeregter Singulett-Zustand. Zwar sind die Ausbeuten weniger gut, jedoch ermöglichen solche Cycloadditionen die Einführung funktioneller Gruppen in das Oxetan-System: H3C
H3C
+ O
CN
H 3C
C
O , hp
CN
CN
CN
H3C
NC
H3C
+
C
O , hp
O
H3C
CN
H3C
CN
CN
H 3C cis-2,3-Dicyano-4,4-dimethyloxetan
trans-2,3-Dicyano-3,3-dimethyloxetan
[4+2]- und andere Cycloadditionen von Dien-Systemen Die Photodimerisierung cisoider 1,3-Dien-Systeme verläuft unter Konkurrenz von [2+2]- und [4+2]-Cycloadditionen, wie bereits das Beispiel des 1,3-Butadiens zeigt. Bei Bestrahlung von Benzen mit Maleinsäureanhydrid entsteht zunächst ein Bicyclus durch [2+2]-Cycloaddition, der mit weiterem Dienophil durch [4+2]-Cycloaddition zum tricyclischen Dianhydrid abreagiert: O O +
2
O
O O
[2+2]
O
O
O +
O
7 6
hp
O
8
O
1 5
10
[4+2]
9
O
4
O
2 3
O O Tricyclo[4.2.2.01,6 ]dec-9-en-exo,endo3,4:7,8-tetracarbonsäuredianhydrid
Die Photodimerisierung kondensierter Aromaten und Heteroaromaten erfolgt oft als [4+4]-Cycloaddition und führt dann zu Achtringen, wie die Beispiele illustrieren: R 2
R
R R
hp
2
[4+4]
R 9,10,11,16-Tetrahydro-9,10[9',10']anthracenoanthracen-Derivate
N
N
hp
N
[4+4]
R 2,6-Diazatricyclo[4.2.2 1,4.2 5,8 ]dodeca-2,6,9,11-tetraen-Derivate
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564
29 Photoreaktionen
[4+2]-Cycloadditionen von 1,2-Dicarbonyl-Verbindungen Ungesättigte 1,2-Dicarbonyl-Verbindungen photocycloaddieren an Alkene (Stilbene, Styrene). Die Reaktion ist eine heteroanaloge [4+2]-Cycloaddition und eröffnet einen Zugang zu zahlreichen Derivaten des 1,4-Dioxins, z. B.:
+
62 %
O 9,10-Phenanthrenchinon
O
hp
O
O
O
O
Ethylvinylether
2-Ethoxy-2,3-dihydrophenanthro[9,10-b]1,4-dioxin
Cycloreversionen Eine Umkehrung der [2+2]-Cycloaddition (Retro-Cycloaddition, Cycloreversion) kann interessante Ringsysteme zugänglich machen, wenn die Reaktion energetisch von der Bildung eines besonders stabilen Nebenproduktes profitiert. Ein bekanntes Beispiel ist die ergiebige Synthese von Bullvalen durch Photolyse des Cyclooctatetraen-Dimeren unter Benzen-Abspaltung: hp", 24 h
+
80 % Bullvalen Cyclooctatetraen-Dimer
29.5.7
Photooxidation mit und Photoaddition von Sauerstoff
Dehydrierungen Durch Photodehydrierung von Alkenen mit Chinonen (9,10-Phenanthrenchinon, Tetrachlor-pbenzochinon) ist die Einführung einer CC-Doppelbindung möglich. Die Dehydrierung gelingt gut, wenn bestehende r-Systeme um eine zusätzliche konjugierte r-Bindung erweitert oder aromatisiert werden, z. B.: O
OH
hp
+
+ OH
O Tetrahydronaphthalen (Tetralin)
Dihydronaphthalen
C6H 5
Cl
+ H5C 6
C6H 5 C6H 5
1,2,3,4,5-Pentaphenyl-1,3-cyclohexadien
Cl
Cl O
OH
C6H 5
O Cl
H5C 6
hp
Cl
H5C 6
Cl
+ H5C 6
C6H 5 C6H 5
Cl
Cl OH
Pentaphenylbenzen
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29.5
Präparative Photochemie
565
Hydroperoxidation Vor allem sekundäre Alkohole und offenkettige sowie cyclische Ether neigen zur Photohydroperoxidation in c-Stellung zum Sauerstoff: CH3 HO C H
CH3
hp", Benzophenon
+
O2
25 %
R
O +
HO C OOH
O2
O
hp", Benzophenon
OOH
46 %
R
2-Hydroperoxytetrahydrofuran
R = CH3 : 2-Hydroperoxy-2-propanol
Die entstandenen Hydroperoxide sind meist explosiv. Hydroperoxide des Typs R2CH/OOH reagieren mit Wasser zu den entsprechenden Carbonyl-Verbindungen R2CO und Wasserstoffperoxid.
Transannular-Peroxidation Transannulare Peroxide (Dihydro-1,2-dioxine) entstehen durch sensibilisierte Photocycloaddition von Sauerstoff an substituierte und kondensierte 1,3-Dien-Systeme. Ein bis zur technischen Reife entwickeltes Beispiel ist die Synthese des Wurmmittels Ascaridol aus c-Terpinen. Gut gelingt die Transannular-Peroxidation auch bei 9,10-disubstituierten Anthracenen. Die gebildeten Epidioxide zerfallen beim Erhitzen oft in die Edukte.
+
O2
hp", Chlorophyll
O
c-Terpinen
hp", CS2
O
+
O2
O
> 200 °C
O
Ascaridol 9,10-Diphenylanthracen
9,10-Epidioxy-9,10-diphenylanthracen
Photooxidation von Schwefel-Verbindungen Sauerstoff oxidiert Sulfoxide in Gegenwart eines Sensibilisators zu Sulfonen: 2 R1
SO R2
+
O2
Dialkylsulfoxid
hp", Sensibilisator > 90 %
2 R1
SO2 R 2 Dialkylsulfon
Die Photoaddition von Sauerstoff an Thioharnstoff führt zur entsprechenden Sulfinsäure: HN
H 2N
C SH
C S H 2N
H 2N Thioharnstoff-Tautomere
+ O2 / hp", Sensibilisator 60 %
HN
O C S
OH H2N Aminoiminomethansulfinsäure
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566
29 Photoreaktionen
29.5.8
Photoreduktionen
Reduktion von Phenonen Benzophenone werden in 2-Propanol bei Gegenwart von etwas Natrium-i-propanolat photochemisch zu Benzhydrolen reduziert: H OH
O C +
C
hp" / Alkoholat
(H3C)2CHOH
+
90 %
H3CO
(H 3C)2CO
H3CO
4-Methoxybenzophenon
4-Methoxybenzhydrol
Die Photoreduktion von Benzophenonen mit Benzhydrolen in Benzen als Lösemittel ist eine lange bekannte Methode zur Herstellung von Tetraaryl-1,2-ethandiole: Ar
H C O
+
Ar C
HO
Ar
HO OH
hp" (C6H6)
Ar C C Ar
Ar
Ar Ar
Der Mechanismus dieser Photoreduktion ist gut untersucht. Nach nr*-Anregung des Benzophenons und Intersystem Crossing wird Wasserstoff vom Benzhydrol auf den angeregten TriplettZustand des Benzophenons übertragen. Dabei entstehen zwei Diphenylhydroxymethyl-Radikale, die zum Tetraaryl-1,2-ethandiol kombinieren: H
+ Ar C O
hp
1
Ar
Intersystem
C O
Ar
3
Crossing
Ar
Ar
Ar C
HO
Ar
C O
HO OH
Ar 2
Ar
C OH
Ar
Ar
C C Ar Ar Ar
Reduktion von Iminen Auch Imine können photochemisch durch sekundäre Alkohole als Wasserstoff-Donatoren zu Aminen reduziert werden. Diese Photoreduktion bewährt sich bei der Synthese mancher hydrierter Heterocyclen, z. B. zur Herstellung des Hexahydrocarbazols aus dem Tetrahydro-Derivat: N +
(H3C)2CHOH
H N
hp
+
CH 3
(H 3C)2CO
CH 3 4a-Methyl-1,2,3,4,4a,9a-hexahydrocarbazol
Hydrierung von CC-Doppelbindungen Die Photohydrierung von CC-Doppelbindungen in Gegenwart von Wasserstoff-Donatoren wie 2Propanol oder Diphenylmethan ist im wesentlichen auf c.d-ungesättigte Carbonyl-Verbindungen beschränkt. 1-Phenalenon wird z. B. durch 2-Propanol zu 2,3-Dihydro-1-phenalenon reduziert: O
O +
(H3C)2CHOH
hp
+
(H3C)2CO
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29.6
Biologische Photoreaktionen
567
29.6 Biologische Photoreaktionen 29.6.1
Sehvorgang
Der lichtempfindliche Farbstoff der Sehzellen des Auges ist der Sehpurpur Rhodopsin. Rhodopsin ist die SCHIFFsche Base aus einem Lysin-Rest des Proteins Opsin und 11-cis-Retinal. Schlüsselreaktion des Sehvorganges ist die Isomerisierung des labilen 11-cis-Retinal-Opsins zum stabilen trans-Retinal-Opsin, sobald die Sehzellen von einem Lichtquant getroffen werden. Diese cistrans-Isomerisierung hat Konformationsänderungen des Opsins zur Folge, welche in der Sehzelle über eine Enzymkette einen Nervenimpuls auslösen. Das all-trans-Retinal (Abschn. 42.2.3) wird innerhalb des Proteins enzymatisch zu 11-cis-Retinal regeneriert. hp
N (CH2)4
Rhodopsin (SCHIFFsche Base aus Opsin und 11- cis-Retinal)
29.6.2
Opsin
Nervenimpuls
N (CH 2)4 Opsin
Photosynthese
In den Chloroplasten der Pflanzen liegt Chlorophyll (Abschn. 34.7.6) an ein Protein gebunden als Chloroplastin vor. Bei der Photosynthese von Kohlenhydraten in Pflanzenzellen wirkt das grüne Chloroplastin als Photosensibilisator, welcher die photolytische Spaltung des Wassers energetisch möglich macht. Dabei wird Sauerstoff freigesetzt; ein Wasserstoff-Atom wird an das Coenzym Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid (NAD) gebunden, das andere als Proton abgespalten: H
O C
H2O +
H H NH2
O C
hp""(Chloroplasten)
N
N
R NAD
R NADH
NH2
NH2
N + [H ]
Adenin
+ 1/2 O2 O
R=
O
N
O P O P O HO
O
OH OH OH Diphosphorsäure
D-Ribose
N
N O
O HO
O P OH
D-Ribose
OH
Das Coenzym im reduzierten Zustand NADH ist dann das eigentliche Reduktionsmittel des Kohlendioxids. Dieses carboxyliert zunächst eine Ketose zur 3-Phosphoglycerinsäure, welche durch das (NADH + H+)-System zum 3-Phosphoglycerinaldehyd reduziert wird (Dunkelreaktion): CH 2 O P C O H C OH
+ CO2 , + H2O
CH 2 O P
NAD+
CH 2 O P
H C OH CO2H
R Ketosephosphat
NADH + [H+]
3-Phosphoglycerinsäure
H C OH H2O
CHO
O P =O P OH
OH
3-Phosphoglycerinaldehyd
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568
29 Photoreaktionen
29.7 Chemilumineszenz Licht kann einerseits durch Elektronenanregung Photoreaktionen entfachen. Andererseits gibt es Reaktionen, die ohne äußere Energiezufuhr sichtbares Licht (n"= 770 - 380 nm) erzeugen. Bei diesem als Chemilumineszenz bezeichneten Vorgang setzt die chemilumineszente Reaktion Energiebeträge frei, die zur Elektronenanregung ausreichen (154 - 315 kJ/mol). Während sie in den Grundzustand übergehen, emittieren die angeregten Moleküle sichtbares Licht wie bei der Fluoreszenz (Abschn. 29.1.2). Chemilumineszenz ist somit chemisch angeregte Fluoreszenz und kann auftreten, wenn bei einer Reaktion fluoreszierende Verbindungen zugegen sind oder entstehen. Chemilumineszenz wird beim Zerfall einiger organischer Peroxide beobachtet. Ein Beispiel ist die durch Eisen(III)-Komplexe katalysierte Oxidation des aus 3-Nitrophthalsäureanhydrid zugänglichen 3-Aminophthalsäurehydrazids (Luminol) mit Wasserstoffperoxid in alkalischer Lösung. Über intermediäre Peroxide entsteht am Ende das (fluoreszierende) 3-Aminophthalat im angeregten Zustand, der unter Emission blauen Lichts (n = 425 nm) in den Grundzustand übergeht. H2N
O
H2N
O NH NH
+ 4 OH
, + H2O2 (Fe3
)
O
/ 4 H2O , /"N2 ,"/ 2 e0
O
O
*
O 3-Aminophthalat im angeregten Zustand
3-Aminophthalsäurehydrazid (Luminol)
3-Aminophthalsäurehydrazid ist als Bislactam eine zweibasige NH-Säure. Ihre Neutralisation mit Natronlauge führt zum Dianion, das katalytisch durch Wasserstoffperoxid zum Phthalazin-1,4dion oxidiert wird. Die nucleophile Addition von Wasserstoffperoxid an eine der CarbonylFunktionen ergibt ein Peroxyhydrat, welches sich nach Deprotonierung zum Dianion der Acyldiazenperoxycarbonsäure öffnet. Das durch intramolekulare nucleophile Addition des Peroxycarboxylats an die andere Carbonyl-Funktion entstehende Intermediat entaromatisiert unter Abspaltung von Stickstoff zum Endoperoxid. Dessen elektrocyclische Rearomatisierung unter simultaner Bildung zweier Carbonyl-Gruppen liefert die Energie zur Anregung des 3-Aminophthalats. H2N
Deprotonierung
O
H2N
NH
Oxidation
O
+ 2 OH
NH
/ 2 H 2O
O 3-Aminophthalsäurehydrazid
N
H 2O2 (Fe 3
N
/ 2 e0
H2N
O
)
N N
O
O Phthalazin-1,4-dion
nucleophile Addition
O
H2N
O
O
O O
N
H2N
N
N
N O Acyldiazenperoxycarbonsäure (Dianion)
O
O
O O
H2N
O O
N N
/ N2
HO
Deprotonierung
O
+ 2 OH
H
N
H2N
/ 2 H2O
O
N
O Phthalazin-1,4-dion-peroxyhydrat
O
H2N
O
+ H2O2
elektrocyclische Rearomatisierung
H2N
O O O
O O Endoperoxid
*
O 3-Aminophthalsäure-Dianion (angeregt)
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29.7
Chemilumineszenz
569
Eisen(III)-Komplexe wie Hämin (aus Blut, Abschn. 34.7.6) oder Kaliumhexacyanoferrat(III) sind die Katalysatoren dieser chemilumineszenten Oxidation (Umschlagfoto). Die Reaktion findet zum Nachweis verborgener Blutspuren bei der Verbrechensaufklärung Anwendung. Die Perhydrolyse von Oxalsäurediarylestern mit Aryl-Resten, welche durch elektronenziehende Gruppen substituiert sind, entfacht in Gegenwart fluoreszierender Arene eine sensibilisierte Chemilumineszenz, welche in Form chemischer Leuchtröhren ("light sticks") zu Beleuchtungszwecken angewendet wird. Das "kalte Licht" entsteht nach RAUHUT wahrscheinlich durch Perhydrolyse des Diesters über 1,2-Dioxetandion; dessen Cycloreversion zu Kohlendioxid liefert die durch gleichzeitige Genese zweier Carbonyl-Gruppen erzeugte Energie zur Anregung eines fluoreszierenden Aromaten Arf wie 5,6,11,12-Tetraphenylnaphthacen (Rubren). Beim Übergang in seinen Grundzustand emittiert der angeregte Aromat Arf* intensiv gelbes Licht. Andere Sensibilisatoren Arf ändern die Farbe des emittierten Lichts (9,10-Diphenylanthracen: blau). O
O
O C C Ar
O
+
O C
H 2O2
O Ar
C
O
+
OC5 H11
2 Ar OH
O
Cl
O
1,2-Dioxetandion
Ar =
+ Ar f 2 CO2
C
+
Ar f
Cl ; Ar f = Cl
*
Biolumineszenz ist eine enzymatische Chemilumineszenz in vivo, die Bakterien, Insekten, Pilze und Meerestiere (Fische, Krebse, Quallen, Schwämme, Würmer) zum Leuchten bringt, um Artgenossen zu erkennen, zur Paarung anzulocken oder Fraßfeinde abzuschrecken. Dabei werden die meist heterocyclischen Luciferine in Gegenwart der als Luciferasen bezeichneten Enzyme mit Sauerstoff zu Primärprodukten im angeregten Zustand oxidiert. Das Licht, mit dem die Weibchen der Leuchtkäfer Photinus pyralis ("firefly" in Amerika) und Lampyris noctiluca ("Glühwürmchen" in Europa) die Männchen zur Paarung anlocken, entstammt z. B. der Oxidation des Photinus-Luciferins, (R)-4,5-Dihydro-2-(6-hydroxy-2-benzothiazolyl)-4thiazolcarbonsäure, mit dem Sauerstoff der Luft zu einem instabilen c-Peroxylacton (1,2-Dioxetan-3-on) durch die Photinus-Luciferase in Gegenwart von Magnesium-Ionen. Als Energielieferant wirkt Adenosintriphosphat (ATP, Abschn. 40.3.1), das zu Adenosinmonophosphat (AMP) und Diphosphorsäure abreagiert. Das Endprodukt, 4,5-Dihydro-2-(6-hydroxy-2-benzothiazolyl)thiazol-4-on, bildet sich durch Cycloreversion des c-Peroxylactons im angeregten Zustand und emittiert gelbgrünes Licht (n = 562 nm).
HO
N
N
S
S
CO2H
O
+ O2 + ATP
Luciferase , Mg2+
N
N
/ AMP , / H4P2O7
S
S
HO
C
O
OH OH O
C O / H2O
HO
N
N
S
S
Photinus-Luciferin
O
/ CO2
HO
N
N
S
S
*
O
4,5-Dihydro-2-(6-hydroxy-2-benzothiazolyl)thiazol-4-on
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570
30 Nichtbenzoide Aromaten
30 Nichtbenzoide Aromaten 30.1 Übersicht Unter nichtbenzoiden Aromaten versteht man ionische oder neutrale Cyclopolyene, die benzenähnliche physikalische Eigenschaften und Reaktivitäten aufweisen. Die Anzahl ihrer r-Elektronen folgt der (4n+2)-Regel nach HÜCKEL (Abschn. 9.6). Ihre r-Bindungen sind bei koplanarer Anordnung aller Ring-C-Atome cyclisch durchkonjugiert. Die Verschiebungen ihrer Protonen in den 1HNMR-Spektren lassen sich durch den als experimentelles Aromatizitätskriterium bekannten Ringstrom-Effekt (Abb. 28.23) erklären. Tab. 30.1 vermittelt eine Übersicht nichtbenzoider Aromaten. Die folgenden Abschnitte behandeln Herstellung, Bindungsverhältnisse und ggf. typische Reaktionen der monocyclischen aromatischen Ionen und Annulene. Zusammenfassend werden für jede der beiden Stoffklassen NMR-spektroskopische Eigenschaften skizziert, welche die Verbindungen als Aromaten kennzeichnen.
30.2 Cyclopropenium-Kationen 30.2.1
Synthese
Das Cyclopropenium-Ion entsteht in Form des stabilen Hexachlorantimonats bei der Reaktion von 3-Chlorcyclopropen mit Antimonpentachlorid. 3-Chlorcyclopropen erhält man neben weiteren Mono- und Dichlorcyclopropenen durch Reduktion von Tetrachlorcyclopropen mit Tributylzinnhydrid. Cl
Cl 3H
/ 3 Cl
Cl
+ SbCl5
(C4H9) 3SnH
+
[ SbCl6 ]
/
Cl
Cl
H
Cyclopropeniumhexachlorantimonat
Das Triphenyl-Derivat bildet sich bei der Einwirkung von Bortrifluorid-Etherat auf 1,2,3Triphenylcyclopropen-3-carbonitril, welches durch [2+1]-Cycloaddition von Phenyldiazoacetonitril an Diphenylethin zugänglich ist: C6H 5 + C6H 5
CN IN _ N C C 6H5
/ N2
H5C 6
H 5C6 CN C 6H5 H 5C6
+ H 2 O / BF3 O(C 2 H 5 ) 2
C6H 5
/ HCN
H5C 6
BF 3OH
Triphenylcyclopropeniumhydroxytrifluorborat
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30.2
Cyclopropenium-Kationen
571
Tab. 30.1. Übersicht nichtbenzoider Aromaten. Die angegebenen Formeln beschreiben nur einen mesomeren Grenzzustand sowie das cyclisch delokalisierte r-Elektronensystem
monocyclisches aromatisches Ion
mesomere Grenzformeln
Cyclopropenium-Kation
Cyclopentadienid-Anion
_
Cycloheptatrienium-Kation
Cyclooctatetraendiid-Dianion
2
n
2r
2
0
6r
6
1
6r
6
1
10r 2
10
2
10
2
10r
Cyclononatetraenid-Anion
Anzahl der r-Elektronen (4n+2)
_
Annulen
30.2.2
mesomere Grenzformel
Anzahl der r-Elektronen (4n+2)
n
[10]-Annulen
10
2
[14]-Annulen (Anthracen-Typ)
14
3
[14]-Annulen (Pyren-Typ)
14
3
[18]-Annulen
18
4
[22]-Annulen
22
5
Molekülorbital-Modell und Strukturmerkmale
Das C-NMR-Spektrum des Cyclopropenium-Ions zeigt ein Signal bei fC = 177, wie es einem Carbokation mit delokalisierter positiver Ladung entspricht. Die 13C-1H-Kopplungskonstante spiegelt mit 265 Hz einen sehr hohen s-Charakter der C/H-Bindungsorbitale wider. Dementsprechend erklärt man den Bindungszustand durch das in Abb. 30.1a skizzierte Molekülorbital-Modell: Zur Knüpfung der u-Bindungen benutzt das C-Atom ein sp-Orbital für eine CH-Bindung und zwei 13
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572
30 Nichtbenzoide Aromaten
sp2-Orbitale, um den Ring über CC-Bindungen zu schließen. An jedem Ring-C-Atom verbleibt ein nicht hybridisiertes p-Orbital senkrecht auf der u-Bindungsebene, welches zum delokalisierten rSystem beiträgt. Die RÖNTGEN-Strukturanalyse des 1,2,3-Triphenylcyclopropenium-Ions ergab nicht nur dessen symmetrische Struktur, sondern zeigte auch, daß sich die Phenyl-Ringe um 21° aus der Dreiringebene herausdrehen (Abb. 30.1 b). Dieser Umstand behindert eine völlige Delokalisierung der positiven Ladung über die drei Phenyl-Ringe.
Abb. 30.1. Cyclopropenium-Ion (a) Molekülorbital-Modell, (b) Struktur des Triphenylcyclopropenium-Kations nach SUNDARALINGHAM, M., JENSEN, L. H. (1966), J. Am. Chem. Soc. 88, 198
30.2.3
Reaktivität
Das Triphenylcyclopropenium reagiert elektrophil, z. B. mit Methanol zu Methoxytriphenylcyclopropen, läßt sich jedoch häufig aus den Additionsprodukten regenerieren: H5C 6 - CH3OH
C6H 5 H5C 6
H5C 6 OCH 3
/ CH3OH
X
+
HX
C 6H5 H5C 6
30.3 Cyclopentadienid 30.3.1
Herstellung
Das Cyclopentadienid-Anion bildet sich leicht durch Deprotonierung des Cyclopentadiens in Gegenwart von Alkalimetallen oder Alkalihydroxiden: / [H+]
_ H
30.3.2
H
H
Strukturmerkmale
Entsprechend der durch die Mesomerie erklärbaren Gleichwertigkeit aller Ring-Methin-Gruppen H
H oder
H
6r
H
H
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30.3
Cyclopentadienid
573
zeigen die 1H- und 13C-NMR-Spektren des Cyclopentadienid-Anions jeweils nur ein Signal (1H : fH = 5.57; 13C : fC = 102). Die Verschiebungen sind wegen der erhöhten negativen Ladungsdichte (6 / 5 Elektronen pro C) erheblich kleiner als die für Benzen gemessenen Werte (fH = 7.28, fC = 128.5). Im Molekül-Orbital-Modell entstehen die koplanaren CC- und CH-"u-Bindungen durch sp2Hybrid-Orbitale des Kohlenstoffs. Die senkrecht auf der u-Bindungsebene stehenden, koaxialen pz-Orbitale überlappen seitlich und führen zu einer dem Benzen analogen 6r-Elektronenwolke, die sich jedoch nur über fünf Ring-C-Atome verteilt.
30.3.3
Reaktivität
Elektrophile Additionen Elektrophile Reagenzien addieren leicht an das Cyclopentadienid. Alkyl- und Arylhalogenide alkylieren bzw. arylieren, und Kohlendioxid carboxyliert. Bei beiden Reaktionen cycloaddieren die Primärprodukte zu DIELS-ALDER-Dimeren. Die Addition an Carbonyl-Verbindungen (KNOEVENAGEL-Alkenylierung) führt dagegen zu den Fulvenen, welche nicht dimerisieren: CO2H
H
H
CO2H
CO2H
2
H
CH3
H
CH 3
2
/2I
H H
+ 2 CH3I
+ 2 C6H5Br
6r
2
/
/ 2 Br
2
/
C 6H5
H
+ 2 CO2 , + 2 [H+]
C6H 5 H H
CH3
+ 2 R2C=O , + 2 [H+]
/"2 H2O
C 6H5
R 2
R = H , Alkyl , Aryl
C R
Mit p-Tosylazid reagiert das Cyclopentadienid zum Diazocyclopentadien: 6r
_ N _ SO2
+ _ N N
CH3
Ether
H
_ N _ SO2
CH 3
N
H Li
N N
N _ N
Li
SO2 / H3 C
CH 3
/
SO2 NH Li+
N N
N N _I
Diazocyclopentadien (rot)
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574
30 Nichtbenzoide Aromaten
Das stabile Diazocyclopentadien läßt sich als Diazoniumcyclopentadienid und als FulvenAnalogon formulieren. Man kann es nitrieren, bromieren, mercurieren und mit AryldiazoniumSalzen kuppeln, z. B.: 6r
N _
+
_ N
6r
CH3OH / H2O , 0 °C / HBF4
BF 4
N N
N2 2-Phenylazodiazocyclopentadien
N2
Diazocyclopentadien gehört zur Klasse der Cyclopentadienylide, die sich durch hohe Dipolmomente und eine beachtliche Stabilität auszeichnen: 6r 6r
6r
N P(C 6H5)3
N(CH 3)3 Trimethylammonium-
Pyridiniumcyclopentadienylid
Triphenylphosphonium-
Bildung von -Komplexen (Metallocene) Cyclopentadienide reagieren mit verschiedenen Übergangsmetall-Salzen zu Metallocenen. Mit Eisen(II)-Salzen entsteht z. B. das orange Ferrocen: von vorn
von oben
+ FeCl2 (THF, N2)
6r
Na
Fe
Fe
/ 2 NaCl
Ferrocen
Die antiprismatische, auch als "Sandwich" bezeichnete Struktur des Ferrocens und anderer Metallocene, bei der die C-Atome der beiden Fünfringe auf Lücke stehen, wurde durch RÖNTGENDiffraktometrie bestätigt. Im Molekül-Orbital-Modell erklärt man die Bindung zwischen MetallKation und r-System durch Überlappung der p-Orbitale des Kohlenstoffs mit den 3d-Orbitalen des Metalls. Während die Cyclopentadienid-Ringe im kristallinen Zustand die SandwichKonfiguration einnehmen, sind sie in Lösung frei drehbar. Die Reaktionen der Metallocene sind denen des Benzens weitgehend analog. Häufigster Reaktionstyp ist die elektrophile Substitution, wie eine Auswahl in Abb. 30.2 zeigt.
H
Fe
O C H
C O Ferrocen-1,1'-dialdehyd
H 3C
Fe
H2SO4 , CH3CO2H
Fe HO3S Ferrocen-1,1'-disulfonsäure
O C CH 3
C O 1,1'-Diacetylferrocen
SO3H (H3C) 2N/CH=O POCl3
(CH3CO) 2O , AlCl3
Fe HgCl2
HgCl Fe ClHg Ferrocen-1,1'-diquecksilberchlorid
Abb. 30.2. Elektrophile Substitutionen des Ferrocens
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30.4
Cyloheptatrienium-Kationen
575
Die direkte Nitrierung oder Halogenierung des Ferrocens scheitert an der Oxidation von Eisen(II) zu Eisen(III) durch Salpetersäure bzw. Halogen. Dabei entsteht reversibel das im Gegensatz zu Ferrocen paramagnetische und blaugrüne Ferricenium-Ion: / e0
/
Fe + e0
Fe
/
Ferrocen
Ferricenium-Ion
30.4 Cyloheptatrienium-Kationen 30.4.1
Strukturmerkmale und Formulierung
Im Cycloheptatrienium-Kation (C7H7¸, Tropylium-Ion) verteilt sich ein r-Elektronensextett auf sieben koplanare C-Atome, deren chemische Äquivalenz aus dem 1H- und 13C-NMR-Spektrum hervorgeht: Es erscheint jeweils nur ein Signal, das infolge der geringen r-Elektronendichte pro C-Atom (6r"/ 7C) gegenüber den Benzen-Resonanzen (6r"/ 6C) deutlich größere Verschiebungswerte aufweist (fH = 9.2; fC = 155.4). Dementsprechend wird das Cycloheptatrienium-Ion durch sieben energiegleiche mesomere Grenzformeln beschrieben, die sich in einer Formel mit delokalisiertem r-Elektronensextett und delokalisierter positiver Ladung zusammenfassen lassen: 6r Cycloheptatrienium-Ion
30.4.2
Herstellungsmethoden
Cycloheptatrienium-Salze Die meisten Synthesen des Cycloheptatrienium-Kations sind Hydrid-Abspaltungen aus Cycloheptatrien, z. B. durch Carbokationen, wie man sie aus Trityl- und tert-Butylchlorid sowie Tetrachlormethan erhält, meist in Gegenwart von LEWIS-Säuren. Ein weiteres allgemeines Herstellungsprinzip ist die 1,4-Addition von Brom an Cycloheptatrien unter anschließender thermischer Dehydrobromierung. 1.) (H5C6) 3C/Cl (CH3CN) 2.) (H3C) 3C/Cl (AlCl3) 3.) CCl4 (PCl3)
H
H
6r
F , / HBr
X
Br H
H Br
+ Br 2
X = Cl , Br
Cycloheptatrieniumoxid (Tropyliumoxid) Aufgrund seines sehr hohen Dipolmoments und seiner Spektren liegt Cycloheptatrienon als Cycloheptatrienium- oder Tropyliumoxid vor. Es entsteht durch photoinduzierte Homologisierung des Brombenzens mit Diazomethan. Nach 1,4-Addition von Brom an das gebildete 1-Brom-1,3,5-
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576
30 Nichtbenzoide Aromaten
cycloheptatrien und anschließender Brom-Abspaltung erhält man Bromcycloheptatrieniumbromid, das zum Cycloheptatrienon hydrolysiert wird: Br
_ OI _
Br
Br + CH2N2 (hp)
+ Br 2
/ N2
/ HBr
6r
+ H2O
O
6r
/ HBr
Cycloheptatrienium-oxid (Cycloheptatrienon)
-Hydroxycycloheptatrieniumoxid (Tropolon) 2-Hydroxycycloheptatrienon (Tropolon) zeigt aufgrund seiner Spektren und Reaktionen eine Äquivalenz der Kohlenstoff-Paare 1 / 2 , 3 / 7 sowie 4 / 6. Offensichtlich tauscht das HydroxyProton so rasch zwischen Hydroxy- und Carbonyl-Gruppe aus, daß diese nicht unterscheidbar sind. Dieser Zustand wird am besten durch die Formulierung als c-Hydroxycycloheptatrieniumoxid erklärt: O
O
O
6r
H
H
H
O
O
O Tropolon
Die Synthese des Tropolons gelingt durch Oxidation des Cycloheptanons mit Selendioxid zum 1,2-Cycloheptandion. Anschließende Bromierung und Dehydrobromierung führt zum Bromtropolon, dessen Brom durch Wasserstoff abhydriert wird: O
+ SeO2
/ Se, /"H 2O
O O
+ 3 Br 2
OH
6r
/ 4 HBr
OH
/
( OH )
O
/ HBr
OH
Br
+ H2 / Pd
6r
/ HBr
O H O
Br
In guten Ausbeuten wird Tropolon durch Hydrolyse der Tetrafluorcycloheptadien-Isomeren hergestellt. Letztere bilden sich bei der Cycloaddition von Tetrafluorethen an Cyclopentadien und anschließender Thermolyse des Cycloaddukts: +
30.4.3
CF 2
CF 2
CF 2
CF 2
700 °C
CF 2 CF 2
sowie
CF 2
+ 2 H 2O (CH3 CO2 H / CH3 CO2 K)
CF 2
/ 4 HF
6r
O H O
Reaktivität
Reaktion mit Nucleophilen Als Elektrophil reagiert das Tropylium-Kation mit zahlreichen Nucleophilen, wie eine Auswahl in Abb. 30.3 zeigt. Mit Kohlenstoff-Nucleophilen wie Cyanid, Phenyllithium und Alkylmagnesiumhalogenid erhält man auf diese Weise Cyano-, Aryl- und Alkylcycloheptatriene.
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30.5
Cyclooctatetraendiid
577
O
Ditropylether
S
H2O
H CN
CN
/
H2S Ditropylsulfid
7-Cyano-1,3,5cycloheptatrien
6r
H
NH3
C6H5Li
N
H C6H 5
N
in (C2H5) 2O
RMgX
7-Phenyl-1,3,5cycloheptatrien
Ditropylamin
Tritropylamin
H R 7-Alkyl-1,3,5-cycloheptatrien
Abb. 30.3. Nucleophile Substitutionen am Tropylium-Kation
Ringverengungen zu Benzen-Derivaten Starke Oxidationsmittel oxidieren das Tropylium-Kation unter Ringverengung über Benzaldehyd zu Benzoesäure, in welche sich Tropolon auch durch Erhitzen auf 200 °C umlagert: O 6r
+ [ O ] (Cr 2O72/ , CH3CO2H)
C
O H
+ [O]
C
200 °C
OH
6r
O H O
Bildung von -Komplexen Die aus Cycloheptatrien und Chrom- bzw. Molybdänhexacarbonyl entstehenden r-Komplexe reagieren mit Triphenylchlormethan unter Hydrid-Abspaltung zu Tropylium-r-Komplexen: +
(H5C 6)3C X
M(CO)3
X M = Cr, Mo
+
(H5C6)3CH
M(CO)3
30.5 Cyclooctatetraendiid 30.5.1
Bildung
Als nicht ebenes 8r-Elektronensystem ist Cyclooctatetraen kein Aromat. Die Reduktion des Cyclooctatetraens mit Alkalimetallen in Ether oder Tetrahydrofuran führt jedoch unter Einebnung des Achtringes zum aromatischen 10r-Elektronensystem, dem Cyclooctatetraendiid (Cyclooctatet-
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578
30 Nichtbenzoide Aromaten
raen-Dianion). Die Reduktion ist das Ergebnis zweier Einelektronen-Übertragungen; die erste führt unter Ringeinebnung zum Radikalanion; dieses disproportioniert schnell zu Cyclooctatetraen und seinem Dianion: + e0
30.5.2
/
+ e0
/
10r 2
NMR-Daten
Ein r-Elektronenüberschuß von 1/4 pro C-Atom sollte sowohl die 1H- als auch die 13C-Kerne in den NMR-Spektren deutlich abschirmen. Dementsprechend beobachtet man kleine Verschiebungswerte (fH = 5.7;"fC = 85.3). Die 1H-Verschiebungen des Cyclooctatetraens und seines Dianions sind nahezu gleich, weil die Abschirmung durch den r-Elektronenüberschuß den Ringstromeffekt des r-Elektronendezetts ausgleicht.
30.5.3
Reaktionen
Das Cyclooctatetraenyl-Dianion reduziert z. B. Tropyliumbromid zu Bitropyl: 10r 2
+
2
H
6r
+ H
Andererseits reagiert es als bifunktionelles Nucleophil und wird daher durch Methyliodid zu den (E-/Z-)-Isomeren des 1,2-Dimethyl-3,5,7- und 1,4-Dimethyl-2,5,7-cyclooctatriens dialkyliert: 2
10r 2
CH3 +
H3C +
4 CH3 I
CH3 +
4I
CH3
Auch Sandwich-r-Komplexe mit Uran und Thorium sind bekannt. Die RÖNTGEN-Struktur zeigt, daß im Uran-Komplex die beiden Achtringe ekliptisch angeordnet sind: U
30.6 Cyclononatetraenid 30.6.1
Bildung
Das Cyclononatetraenid-Anion entsteht bei der Disproportionierung von Cyclononatetraen, z. B. mit Kalium-2-methyl-2-propanolat, sowie durch elektrocyclische Ringerweiterung von Bicyclo-
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30.7
Vergleich der chemischen Verschiebungen
579
[6.1.0]nonatrien-Derivaten mit Alkalimetallen (X = Cl, OCH3) oder starken Basen, z. B. mit den Alkalisalzen des CH-aciden Dimethylsulfoxids (X = H): + MOC(CH3) 3
+ 2 M (THF)
10r
M
/ (H3C) 3COH
+ M
ICH2SOCH3
X
/ MX
/ (H3C) 2SO
M = Li, Na, K
H
30.6.2
NMR-Daten
Das in Form des kristallinen Tetramethylammonium-Salzes isolierbare Cyclononatetraenid zeigt wegen des geringeren r-Elektronenüberschusses pro Kohlenstoff-Atom größere 1H- und 13CVerschiebungen (fH = 7;"fC = 109) als das Cyclooctatetraendiid.
30.6.3
Reaktionen
Als Elektronenpaar-Donor reagiert Cyclononatetraenid wie eine LEWIS-Base. Die Reaktion mit Wasser führt zu Cyclononatetraen, das sich thermisch zu cis-8,9-Dihydroinden umlagert. Dieser elektrocyclische Ringschluß ist auch eine Folgereaktion der Alkylierung und Carboxylierung des Cyclononatetraenid-Anions. H F
H + H2O
/ OH
cis-3a,7a-Dihydroinden
/
H H CH3
H H CO2 + CH3I /I
H cis-1-Methyl-3a,7a-dihydroinden
10r
+ CO2
/
H cis-3a,7a-Dihydroinden1-carboxylat
30.7 Vergleich der chemischen Verschiebungen Bekanntlich nimmt mit abnehmender Elektronendichte am Kohlenstoff sowohl die 1H- als auch die 13C-Verschiebung zu (Abschn. 28.5.6, 28.6.2). In Abb. 30.4 sind hierzu die 1H- und 13CVerschiebungen der aromatischen Ionen als Funktion der r-Elektronendichte (Ft) pro C-Atom aufgetragen. Dabei kommt Benzen als Referenz der Wert Ft"= 1.0 zu, weil sich hier sechs r-
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30 Nichtbenzoide Aromaten
Elektronen auf ebensoviele Ring-C-Atome verteilen. Entsprechend hat das Tropylium-Kation ein Elektronendefizit von Ft"= 6 / 7 , das Cyclopentadienid-Anion dagegen einen Elektronenüberschuß von Ft"= 6 / 5. Für die 1H-Verschiebungen der Ionen C3H3+, C5H5/ und C7H7+ erkennt man in Abb. 30.4 a den erwarteten linearen Zusammenhang zwischen Verschiebung und r-Ladungsdichte. Die 10rElektronen-Ionen zeigen jedoch deutliche Abweichungen von der Linearität. Man führt dies auf diamagnetische Ringströme zurück, die stärker sind als in den 2r- und 6r-Elektronen-Aromaten. Da Ringstromfelder die Ring-C-Atome praktisch nicht beeinflussen, beobachtet man für die 13CVerschiebungen deutlich geringere Abweichungen von der Linearität (Abb. 30.4 b).
Abb. 30.4. (a) H- und (b) C-Verschiebung aromatischer Ionen als Funktion der r-Ladungsdichte (Ft) 1
13
30.8 Azulen 30.8.1
Formulierung und physikalische Eigenschaften
Azulen ist ein tiefblauer Kohlenwasserstoff, in dem Cyclopentadien mit Cycloheptatrien fulvenartig kondensiert ist. Sein Bindungszustand kann dementsprechend durch eine Mesomerie formuliert werden, wobei der Fünfring eine negative, der Siebenring eine positive Ladung übernimmt. Diese Formulierung erklärt das Dipolmoment des Moleküls und seine Reaktivität. 8
1
8a
3
3a
7 6
2 4
5
Den Beitrag dipolarer Grenzformeln erkennt man im 13C-NMR-Spektrum des Azulens (Abb. 30.5a) an einer deutlichen Abschirmung der C-Atome C-1 und C-5 (fC = 118 - 123) sowie einer Entschirmung von C-4 und C-6 (fC = 137) im Vergleich zu den Ring-C-Atomen des isomeren Naphthalens (Abb. 30.5 b).
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30.8
Azulen
581
1
13
Abb. 30.5. H-breitbandentkoppelte C-NMR-Spektren (20 MHz) des Azulens (a) und des isomeren Naphthalens (b) in Deuteriochloroform
30.8.2
Azulen-Synthese
Eine Synthese des Azulens startet mit 5-(N-Methyl-N-phenyl)-amino-2,4-pentadienal ("ZINCKEAldehyd"), das durch Reaktion von 1-(2,4-Dinitrophenyl)-pyridiniumchlorid mit N-Methylanilin über das KÖNIGsche Salz entsteht: H3C
N Cl NO2 + 2 N H NO2
N
Cl
N
CH3
+ NaOH
NH2
CH3
NO2
/ NO2
O
H
N
CH 3
NHCH3
/
.""/"NaCl
ZINCKE-Aldehyd
KÖNIGsches Salz
Die KNOEVENAGEL-Kondensation des "ZINCKE-Aldehyds" mit Cyclopentadien liefert ein FulvenDerivat, dessen Pyrolyse unter Abspaltung von N-Methylanilin zum Azulen führt: H +
O
(NaOH)
250 °C (Vakuum)
/ H2O
H 3C N
NHCH3
H 3C N
/
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30.8.3
30 Nichtbenzoide Aromaten
Reaktionen
Der bereits formulierten r-Elektronenverteilung (Abschn. 30.8.1) folgend wird der Siebenring des Azulens bevorzugt nucleophil, der Fünfring indessen vorwiegend elektrophil angegriffen. Nucleophile Reaktionen am Azulen sind wegen dessen Alkali-Empfindlichkeit wenig untersucht. Die elektrophile Halogenierung, Nitrierung, Sulfonierung, Acylierung und Azo-Kupplung des Azulens gelingt in der 1,3-Stellung. Y 1
/ [H+]
+ [Y ]
2 3
Y = Halogen , NO2 , SO3H , COR , /N=N/C6H5
In saurer Lösung addiert ein Proton an C-1 (3) unter Bildung des blaßgelben Azulenium-Kations, dessen Stabilität auf das 6r-Elektronen-System des Cycloheptatrienium-Ions zurückgeht: H
1
H 6r
+ [H ]
2 3
Bei hohen Temperaturen isomerisiert Azulen zum stärker mesomeriestabilisierten und isoelektrischen Naphthalen, dessen 13C-Verschiebungen (Abb. 30.6 b) den mehr benzoiden, im Vergleich zum Azulen weniger polarisierten Zustand der Ring-C-Atome reflektieren. > 350 °C
200 kJ / mol
Mesomerieenergie
250 kJ / mol
30.9 Definition aromatischer Annulene Unter [n]-Annulenen versteht man monocyclische vollständig konjugierte Kohlenwasserstoffe der allgemeinen Formel CnHn (n "4). Die vorangestellte eckig eingeklammerte Zahl kennzeichnet Ringgröße und Anzahl der r-Elektronen. Der kleinste Vertreter ist Cyclobutadien; die nächsten Homologen sind Benzen, Cyclooctatetraen, Cyclodecapentaen oder [10]-Annulen, sowie [12]-, [14]-, [16]-, [18]-, [20]-, [22]-Annulen, usw. Aromatisches Verhalten ist nur von ebenen Annulenen zu erwarten, deren r-Elektronenzahl der HÜCKELschen (4n + 2)-Regel gehorcht. HÜCKELAromaten sind außer Benzen z. B. [10]-, [14]-, [18]- und [22]-Annulen (Tab. 30.1). Von diesen verhalten sich nur die ebenen Ringe nachweisbar aromatisch, wie die folgenden Beispiele zeigen.
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30.10 [10]-Annulen
583
30.10 [10]-Annulen 30.10.1 Stabilität Für [10]-Annulen können drei Konfigurationsisomere formuliert werden:
H all-cis-
H
mono-trans[10]-Annulen
H
bis-trans-
Die all-cis-Konfiguration wird durch eine zu große Bindungswinkelspannung destabilisiert. Der innere Winkel ist mit 144° erheblich größer als der optimale sp2-Interorbitalwinkel von 120°. In der mono-trans-Konfiguration hat sich eine Molekülhälfte entspannt; in der anderen wirkt nach wie vor die Winkelspannung. Die bis-trans-Form hat zwar keine Winkelspannung, wird aber durch die starke sterische Wechselwirkung der beiden inneren H-Atome destabilisiert. Aus diesen Gründen ist [10]-Annulen selbst bis jetzt nicht faßbar.
30.10.2 Synthese überbrückter [10]-Annulene Dagegen gelang die Synthese 1,6-überbrückter bis-trans-[10]-Annulene, in denen die sterische Wechselwirkung der Wasserstoff-Atome in 1,6-Stellung wegfällt. X dargestellte überbrückte [10]-Annulene X = CH2 , O , NH
1,6-Methano-[10]-annulen entsteht nach VOGEL in drei Schritten aus 1,4,5,8-Tetrahydronaphthalen, welches durch BIRCH-Reduktion (Na, flüssiges NH3) von Naphthalen zugänglich ist. Die Addition von Dichlorcarben und anschließende Reduktion liefert das Tricyclo[4.4.1.01,6]undeca-3,8-dien. Das mit Brom entstehende Tetrabrom-Addukt geht durch doppelte Dehydrobromierung in das nicht faßbare Tricyclo[4.4.1.01,6]undeca-2,4,7,9-tetraen über, welches zum bicyclischen 1,6-Methano-[10]-annulen valenztautomerisiert: + ICCl2 (CHCl3 , KOH)
+ 4H (Na / NH3)
Cl
Cl + 4H (Na / NH3) / 2 HCl
Tricyclo[4.4.1.01,6 ]undeca-3,8-dien
+ Br2
Br Br
Br
/ 4 HBr (KOH)
Br 1,6-Methano-[10]-annulen
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584
30 Nichtbenzoide Aromaten
30.10.3 Aromatizität des 1,6-Methano-[10]-annulens Im 1H-NMR-Spektrum weist das Signal bei fH = 7.1 für die acht Zehnring-Protonen auf einen benzenähnlichen Ringstrom hin. Die elektrophile Substitution des 1,6-Methano-[10]-annulens gelingt leicht in Position 2, während die [4+2]-Cycloaddition mit Maleinsäureanhydrid unterbleibt. 1,6-Methano-[10]-annulen zeigt also das für einen Aromaten typische regenerative Verhalten. Y
+ [ Y+ ] / [ H+ ]
Y = Br , NO2 , COCH3
30.11 [14]-Annulene 30.11.1 Sterische Spannung von [14]-Annulenen Für [14]-Annulen können zwei Isomere formuliert werden, die frei von Winkelspannung sind. Es handelt sich um den Pyren- und Anthracen-Typ:
Pyren-Typ
HH HH
Anthracen-Typ
H
H
H
H
Sowohl im Pyren- als auch im Anthracen-Typ wird die sterische Wechselwirkung der inneren HAtome eine völlige Koplanarität der Ringe verhindern, so daß aromatisches Verhalten zunächst nicht zu erwarten ist.
30.11.2 Synthese des [14]-Annulens vom Pyren-Typ [14]-Annulen wurde durch Cyclodehydrierung von 4,10-Tetradecadien-1,7,13-triin (GLASERKupplung) und anschließender katalytischer Hydrierung hergestellt: 13 10
1.) Cu(CH3CO2) 2 , Pyridin 2.) KOC(CH3) 3 , HOC(CH3) 3 / H2
7
HH HH
1 4
[14]-Annulen wird als kristallisiertes Gemisch zweier Konfigurationsisomerer isoliert. Das bevorzugt entstandene Isomer ist aufgrund der RÖNTGEN-Strukturanalyse annähernd eben und besitzt die pyrenanaloge Geometrie.
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30.11 [14]-Annulene
585
30.11.3 Synthese überbrückter [14]-Annulene Überbrückte [14]-Annulene vom Anthracen-Typ entstehen durch Cycloaddition von Peroxycarbonsäuren oder Carben an das durch BIRCH-Reduktion des Anthracens zugängliche 1,4,5,6,9,10Hexahydroanthracen, Bromierung der Cycloaddukte mit N-Bromsuccinimid und Dehydrobromierung mit Kalium-t-butanolat: O
+ 6 Na , + 6 NH3
O
+ 2 C6H5CO3H
/ 6 NaNH2
/ 2 C6H5CO2H
+ 2 Br 2 (NBS)
/ 4 HBr [KOC(CH3) 3]
O
O
Entsprechend wurden C-überbrückte [14]-Annulene dargestellt, z. B. das anti-1,6:8,13-Bis(methano)-[14]-annulen, während die Synthese des syn-Isomers bisher nicht gelang, vermutlich infolge zu starker sterischer Wechselwirkung der Methylen-Protonen, die durch eine zusätzliche Methylen-Brücke beseitigt werden kann: H H H
HH
H
H
H
Ethanoüberbrückte [14]-Annulene vom Pyren-Typ sind durch photochemische und thermische Umlagerung von Bisdehydrometacyclophanen zugänglich, z. B.: H hp
R R
H
F R
hp R R = CH3
30.11.4 Aromatizität der [14]-Annulene Im 1H-NMR-Spektrum des [14]-Annulens erscheint bei Raumtemperatur nur ein Signal, dessen Verschiebung (fH = 5.58) zunächst auf keine Aromatizität hinweist. Bei Abkühlung verbreitert es sich, bis bei /60 °C zwei neue Signale auftauchen, deren Verschiebungen (fH = 7.6 für H10 außen und fH = 0 für H4 innen) eine Entschirmung der zehn äußeren und eine Abschirmung der vier inneren Protonen durch einen aromatischen Ringstrom anzeigen. Bei Raumtemperatur tauschen innere und äußere Protonen durch Konformationswechsel zu rasch aus, so daß ein zeitlich gemitteltes Signal registriert wird. Von den überbrückten [14]-Annulenen des Anthracen- und Pyren-Typs erwiesen sich aufgrund der 1H-NMR-Spektren nur die syn-überbrückten [14]-Annulene vom Anthracen-Typ und die
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30 Nichtbenzoide Aromaten
15,16-Dihydropyrene als aromatisch, während die Verschiebungen der Vierzehnring-Protonen des anti-1,6:8,13-Bis-(methano)-[14]-annulens (fH = 5.7 – 6.6) keine Aromatizität erkennen lassen, weil das Molekül nicht eben ist.
H
H H fH = 0.6 - 1.2 H
R fH = 8.2
fH = 7.6 - 7.9
R = CH3 : f"H = 4
fH = 5.7 - 6.6
R
30.12 [18]-Annulen 30.12.1 Konformationen Im [18]-Annulen ist die der Koplanarität des Moleküls entgegenwirkende sterische Wechselwirkung so gering, daß Aromatizität möglich wird. Allerdings ist durch Konformationsänderungen ein Austausch zwischen den sechs inneren und den zwölf äußeren H-Atomen denkbar: B
C
A
A
B
B
C C
A
C C
A
C C
B
B A
A
B
B
B C
A A
B
C
A A
B
A A
C
C
C
B B B
C B
B
A
A
C
C
A
A B
B B
C
C
A A
C
Ein NMR-spektroskopischer Nachweis der Aromatizität (Entschirmung der äußeren, Abschirmung der inneren Protonen) gelingt daher nur, wenn die Aktivierungsbarriere der Konformationsumwandlung hinreichend groß ist.
30.12.2 Synthese Nach SONDHEIMER entsteht das C-Skelett des [18]-Annulens / neben anderen Produkten / durch Cyclodehydrierung (GLASER-Kupplung) von drei Äquivalenten 1,5-Hexadiin über 1,3,7,9,13,15Cyclooctadecahexain. Dieses isomerisiert basenkatalysiert zum voll durchkonjugierten Cyclooctadecahexaentriin, dessen katalytische Teilhydrierung [18]-Annulen als rotbraune Kristalle liefert:
Cu(CH 3CO2 ) 2 / Pyridin
3
+
/ 6 [H ] , / 6 e0
/
KOC(CH3 ) 3
+ 3 H2
(CH 3) 3 COH / C6 H6
Pd / C in C6 H6
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30.12 [18]-Annulen
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30.12.3 Aromatizitätskriterien [18]-Annulen läßt sich nitrieren und acylieren, obschon diese Reaktionen möglicherweise nicht nach dem für benzoide Aromaten bekannten elektrophilen Substitutionsmechanismus ablaufen. Die annähernde Koplanarität des [18]-Annulens konnte durch RÖNTGEN-Strukturanalyse nachgewiesen werden. Dabei ergab sich allerdings, daß die cisoiden Bindungen etwas länger als die transoiden sind, so daß keine perfekte Bindungsalternanz (wie im Benzen) vorliegt:
18r
cisoid : 141.9 pm transoid : 138.2 pm
Im 1H-NMR-Spektrum findet man bei und unterhalb 20 °C zwei Signale mit dem Intensitätsverhältnis 2 : 1. Das intensive Signal bei fH = 8.9 gehört zu den zwölf äußeren, das schwächere bei fH = /1.8 zu den sechs inneren Protonen (Abb. 28.23, S. 500). Diese Verschiebungswerte sind durch den Ringstromeffekt erklärbar und spiegeln so die Aromatizität des [18]-Annulens wider. Jedoch ist das 1H-NMR-Spektrum wegen des besprochenen Austausches der inneren und äußeren HAtome temperaturabhängig. Bei 110 °C ist dieser Austausch so rasch, daß nur ein 1H-NMR-Signal bei der gemittelten Verschiebung fH = 5.45 gemessen wird.
30.12.4 Heteroüberbrückte [18]-Annulene und höhere Annulene Die im [18]-Annulen noch geringfügig vorhandene sterische Wechselwirkung der inneren HAtome entfällt, wenn man die drei Wasserstoff-Paare durch je ein Schwefel- oder SauerstoffAtom ersetzt. Diese Furan- und Thiophen-Derivate konnten hergestellt werden. Während die durch Sauerstoff überbrückten Makrocyclen [18]-Annulen-analoge 1H-Verschiebungen aufweisen, stehen die durch Schwefel überbrückten Derivate aufgrund der Spektren dem Thiophen näher als dem [18]-Annulen. Offensichtlich behindern die voluminösen Schwefel-Brücken eine Koplanarität des [18]-Annulen-Systems. heteroüberbrückte [18]-Annulene S
O S
O
S
O [18]-Annulen-analog
Thiophen-analog
Als Homologe des [18]-Annulens wurden [22]- und [30]-Annulen hergestellt. Das 1H-NMRSpektrum des [22]-Annulens (Tab. 30.1) ist temperaturabhängig und zeigt bei /90 °C die auf einen Ringstrom hinweisenden Verschiebungswerte von fH = 8.5 bis 9.6 für die äußeren und /0.4 bis /1.2 für die inneren H-Atome.
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30 Nichtbenzoide Aromaten
30.13 Natürliche nichtbenzoide Aromaten 30.13.1 Natürliche Tropolone Substituierte Tropolone kommen natürlich vor. Beispiele sind Stipitatsäure, die Thujaplicine, Purpurogallin sowie Colchicin, das als Zellteilungsgift wirkende Hauptalkaloid der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale). O
O
O
O
HO OH
OH
CH(CH 3)2
HO2C
c-
Stipitatsäure (aus Schimmelpilzen)
CH(CH3)2 d-
i-
H 3CO
Purpurogallin OH (als Glucosid aus der Erbsengalle)
O
OH (H3C)2CH
Thujaplicin (aus dem Holz der roten Zeder)
OH
HO
OH
Colchicin H 3CO (Alkaloid der Herbstzeitlose)
NHCOCH 3 H
H 3CO
OH
O OCH 3
30.13.2 Azulene natürlicher Herkunft Alkylierte und hydrierte Azulene der Sesquiterpen-Reihe (Abschn. 42.2.2) kommen in etherischen Ölen vor. Sie entstehen in einigen Pflanzen und Pilzen durch Cyclisierung offenkettiger Sesquiterpene, z. B. von Farnesol und aromatisieren bei der Verarbeitung, so daß Azulene oft als Artef