Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams : virtuelle und Face-to-face-Kooperation 9783835008731, 3835008730 [PDF]


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Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams : virtuelle und Face-to-face-Kooperation
 9783835008731, 3835008730 [PDF]

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Zitiervorschau

Petra Köppel Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Beiträge zum Diversity-Management Herausgegeben von Professor Dr. Dieter Wagner, Universität Potsdam, und Dipl.-Psych. Bernd-Friedrich Voigt

Mittlerweile ist „Diversity“ auch in Deutschland angekommen. Die Buchreihe widmet sich in Theorie und Praxis den Herausforderungen, mit einer „gemischten“ Belegschaft umzugehen: Wie wird Diversity wahrgenommen und eingeschätzt? Kann man Diversity überhaupt messen? Wie arbeiten multikulturelle und dabei unter Umständen auch noch virtuelle Teams zusammen? Wie zufrieden sind deutsche Expatriates im Ausland? Auch zu Fragen des demografischen Wandels sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf will diese Reihe neue, möglichst empirisch fundierte Erkenntnisse beisteuern und somit den Theorie-Praxis-Dialog konstruktiv weiterentwickeln.

Petra Köppel

Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams Virtuelle und face-to-face-Kooperation

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dieter Wagner

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Potsdam, 2007

1. Auflage November 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Stefanie Brich Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0873-1

Geleitwort Multikulturelle Arbeitsgruppen stehen im zunehmenden Interesse von Wissenschaft und Praxis. Dabei sind die Globalisierung und die fortschreitende Informations- und Kommunikationstechnologie zwei Entwicklungstendenzen, die z.B. in internationalen Produktentwicklungsteams praktische Realität geworden sind. So arbeiten Menschen verschiedener Hintergründe täglich zusammen, ohne dass sie sich tatsächlich sehen. Dabei haben sie häufig hochkomplexe Aufgaben zu lösen, den Teamentwicklungsprozess über die Medien zu bewerkstelligen und sich kulturellen Unterschieden zu stellen, welche sich nicht zuletzt in Denk- und Arbeitsweisen sowie an Erwartung an Team und Führung bemerkbar machen. Bekannte interkulturelle Konflikte lassen sowohl Wissenschaftler als auch Unternehmensentscheider zaudern, ob es sich lohnt, multikulturelle und noch dazu virtuelle Arbeitsgruppen zusammenzustellen – können diese je die Effektivität von konventionellen monokulturellen face-to-face Teams erreichen? Können sie vielleicht sogar effektiver sein, wenn man den Thesen zu interkulturellen Synergien wie Kreativität und Marktorientierung glauben darf? Das Anliegen von Petra Köppel liegt nun darin, vorhandene Forschungsergebnisse zur multikulturellen Gruppenforschung einer vergleichenden Betrachtung von face-to-face und virtuellen Gruppen zu unterziehen, anhand einer empirischen Studie zu überprüfen und in ein umfassenderes Modell zu integrieren. In der vorliegenden Arbeit wird zusätzlich auf virtuelle Kooperationen eingegangen und damit eine echte Forschungslücke untersucht. Insgesamt handelt es sich um ein interessantes Thema, das neugierig macht. Es wird ein multikulturelles Input-Prozess-Output (MIPO)-Modell entwickelt, in dem kulturelle Unterschiede sowie die virtuelle Zusammensetzung eines Teams als basale Einflussfaktoren konzipiert werden. Bemerkenswerterweise wird eine qualitative Methodologie angewendet, die auf real existierende multikulturelle Arbeitsgruppen umgesetzt wird. Durch Interviews mit Führungskräften und Teammitgliedern aus face-to-face und virtuellen Teams werden praxisorientiert Konflikt- und Synergiepotenziale einbezogen. Erstmalig werden die vielfältigen Prozesse in multikulturellen Teams umfassend analysiert und integrativ zusammengeführt – die in der Demographie- sowie Gruppenforschung vielfach als Black Box behandelte Interaktion wird aufgebrochen und in ihrer Wirkung auf Gruppeneffektivität analysiert. Die Stärken der Arbeit kommen letztendlich in dem dynamisierten Modell zum Ausdruck, das im Zeitablauf eine Abnahme virtueller und interkultureller Konfliktintensitäten und eine Zunahme interkultureller und virtueller Synergien voraussagt, bis schließlich multikulturelle Arbeitsgruppen eine höhere Effektivität als monokulturelle Gruppen erreichen. Sicherlich ist der Verfasserin zuzustimmen, dass insbesondere die Synergieaspekte noch weitgehend unerforscht sind und deshalb der weiteren Untersuchung bedürfen. Generell kann man festhalten, dass Petra Köppel mit viel Akribie und Sachkunde eine bemerkenswerte Arbeit vorgelegt hat, die eine wertvolle Basis abgibt für weiterführende Studien, darunter auch quantitative Arbeiten und Längsschnittstudien. Dies gilt insbesondere für virtuelle Teams, weil die technischen Möglichkeiten zur virtuellen Kooperation regelmäßig überschätzt und die personenbezogenen und kulturellen Faktoren eher vernachlässigt werden. Deshalb ist der vorliegenden Arbeit eine recht weite Verbreitung zu wünschen. Prof. Dr. Dieter Wagner Universität Potsdam

V

Vorwort Ich möchte allen Personen danken, die mich bei der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt haben. Besonderer Dank geht an Herrn Prof. Dr. Dieter Wagner und Herrn Prof. Dr. Jürgen Bolten für die Betreuung. Ihre wertvollen Beiträge und Anregungen haben mich zum sicheren Ziel geführt. Ulrich Bauer danke ich für die hilfreichen substanziellen Anmerkungen und für das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Peter Groth opferte der Arbeit viele Tage und graue Haare, um Word und Powerpoint auf die Sprünge zu helfen; es gilt ihm ein herzlicher Dank. Meine Eltern Anna und Lothar Köppel haben mich mit Obdach, höchster zeitlicher Zuwendung und kritischen Kommentaren aus einer Außenperspektive maßgeblich unterstützt, wofür ich ihnen meinen Dank ausspreche. Ralf Carstens war immer für mich da, auch in den schwarzen Zeiten und schlaflosen Nächten: Danke. Auch für die speziell nach meinen Bedürfnissen entworfenen Programme und technischen Geräte sei gedankt. Ich möchte mich bedanken bei meinen Vermittlern und gate-keepern Simone Angress, Monika Widmann, Erika Brügger, Dr. Ralf Jacobs, Ruth Groene, Detlef Hold, Dr. Klaus Boll, Jürgen Köppel und Boris Siepert, ohne deren Engagement die Studie nicht hätte stattfinden können. Mein besonderer Dank gilt meinen Interviewpartnern und -partnerinnen, die sich nicht scheuten, ihre Zeit und ihre Erfahrungen mit mir zu teilen. Diese Arbeit widme ich meinen Eltern. Petra Köppel

VII

Inhaltsverzeichnis I 1 1.1 1.2 1.3 1.4

Themenstellung Einleitung Problemstellung und Forschungsziel Die qualitative Methodologie Interdisziplinarität als Annäherung an die Praxis Aufbau

1 1 1 3 5 6

II 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3

Grundlegende Konzepte Arbeitsgruppe, Diversität, Kultur und virtuelle Kooperation Der zentrale Untersuchungsgegenstand: Arbeitsgruppen Der Einsatz von Arbeitsgruppen in Unternehmen Definition von Arbeitsgruppen Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand Das Konzept ‚Diversität’, ihre Dimensionen und der aktuelle Hintergrund Der aktuelle Hintergrund Diversität und ihre Dimensionen Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand Kultur und interkulturelle Kommunikation in Unternehmen Die Relevanz der interkulturellen Kommunikation im Unternehmen Das Kulturkonzept und multikulturelle Arbeitsgruppen Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand Das neue Phänomen der virtuellen Kooperation Die treibenden Kräfte der virtuellen Kooperation Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand

9 9 9 9 10 12 13 13 15 17 18 18 20 23 25 25 26 31

III 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.4

Gruppenprozesse, -strukturen und -modelle Die Zusammenarbeit in Gruppen Effektivität als Leistungsmerkmal von Arbeitsgruppen Strukturen als Input Organisation und Kontext Arbeitsgruppe Individuen Gruppenprozesse als Determinanten für Gruppenleistung Kommunikation Kohäsion Normen und Ziele Rollen Führung Problemlösung und Entscheidungen Teamentwicklung Ein allgemeines Gruppenmodell

33 33 33 34 34 37 41 43 43 47 49 50 52 55 58 59

IV 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4

Theoretische Einbettung der Konflikte und Synergien Konflikte Konflikte kulturallgemein Definition Konflikttypologien Auswirkung von Aufgaben- und affektiven Konflikten auf die Gruppeneffektivität Der Umgang mit Konflikten

67 67 67 67 67 69 72 IX

4.1.5 4.1.6 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.5.1 4.2.5.2 4.2.6 4.2.6.1 4.2.6.2 4.2.6.3 4.2.7 4.2.7.1 4.2.7.2 4.2.7.3 4.2.7.4 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.2 5.2.4 5.2.4.1 5.2.4.2 5.2.4.3 5.2.5 5.2.5.1 5.2.5.2 5.2.5.3 5.2.6 5.2.7 6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.2.1 6.1.2.2 6.1.3 6.1.3.1 6.1.3.2 6.1.4 6.1.4.1 6.1.4.2 X

Konfliktverlauf Einflüsse auf Konflikte Konflikte in multikulturellen Arbeitsgruppen Allgemeine Überlegungen zu Konflikten in multikulturellen Arbeitsgruppen Exkurs zur Hypothesenbildung Annahme von Gemeinsamkeiten und Erwartungsverletzung Enkodierung und Dekodierung Fehlattributionen Die Attributionstheorie Fehlattributionen im interkulturellen Kontext Ethnozentrismus Definition und Begriffsabgrenzung Theorien zum Ethnozentrismus Ethnozentrismus in multikulturellen Arbeitsgruppen Stereotype Definition und Konzept Geschichtliche Entwicklung der Stereotypenforschung Die Entstehung, Wirkungsweise und Funktion von Stereotypen Negative Konsequenzen für multikulturelle Arbeitsgruppen Synergien Das Synergiekonzept Begriff und kulturallgemeines Konzept Interkulturelle Synergien Synergieformen in multikulturellen Arbeitsgruppen Motivation Ressourcenpool Kreativität Definition und Konzept Kreativität in multikulturellen Arbeitsgruppen Lernen Ein Überblick über Lerntheorien Modell der Wissensschaffung bei Individuum, Gruppe und Organisation Lernen in und durch multikulturelle Arbeitsgruppen Entwicklung von interkultureller Kompetenz Interkulturelle Kompetenz: Definition und Bestandteile Theorien zum interkulturellen Lernen Interkulturelles Lernen in und durch multikulturelle Arbeitsgruppen Kulturspezifische Arbeitsteilung Marktnähe Konflikte und Synergien in der virtuellen Kooperation Virtuelle Konflikte Strukturell und technisch bedingter Informationsmangel Mangel an sozialer und Kontextinformation Die Hypothese der lack of social context cues Konsequenzen des Mangels an sozialer und Kontextinformationen Teamentwicklung in virtuellen Teams Die Rolle der face-to-face Interaktion für den Teamentwicklungsprozess Ausprägungen und Konsequenzen der mangelnden Teamentwicklung Mangel an Vertrauen Das Vertrauenskonzept Aufbau von Vertrauen

74 76 78 78 79 80 83 87 87 87 89 89 91 92 95 95 95 96 98 99 99 99 101 102 103 104 106 106 110 112 112 113 115 118 118 121 125 129 130 131 132 132 135 135 136 140 140 144 146 146 147

6.1.4.3 6.1.5 6.1.5.1 6.1.5.2 6.1.5.3 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.2.6 7

Vertrauensmangel in virtuellen Teams Virtuelle Führung Probleme durch Anwendung der traditionellen Führung Herausforderungen durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept Anforderungen an den Mitarbeiter Virtuelle Synergien Nutzen für die Organisation Zusammenführung internationaler Experten Qualität und Beschleunigung von Prozessen Erhöhter Sachfokus Demokratisierung Marktpräsenz Zusammenfassung der Arbeitshypothesen in das vorläufige MIPO-Modell

150 156 156 159 163 164 164 165 167 167 168 170 171

V 8 8.1

Empirische Untersuchung zu Konflikten und Synergien Durchführung der empirischen Studie Forschungsansatz zur Datenerhebung und -auswertung: Grounded theory und qualitative Inhaltsanalyse Gestaltung der Leitfadeninterviews Auswahl der Interviewpartner und der Arbeitsgruppen Kontext der Interviews Transkription Kritische Würdigung anhand der Gütekriterien qualitativer Forschung Interkulturelle Konflikte Missverständnisse auf Grund kultureller Unterschiede Erwartungsverletzungen Dekodierungsprobleme und Attributionsfehler Auswirkungen auf die Teameffektivität Ableitung der Hypothesen Ablehnung Ethnozentrismus Angst um den Arbeitsplatz Phasen und Auswirkungen von Ablehnung Ableitung der Hypothesen Stereotype Die Ausprägung von Stereotypen Die Wirkung und Veränderung von Stereotypen Ableitung der Hypothesen Interkulturelle Synergien Motivation Ressourcenpool Kreativität Ursprung von Kreativität Kreativität und Problemlösung Ableitung der Hypothesen Lernen Lernen der Fremdsprache und fachliches Lernen Lerntheoretische Einordnung Ableitung der Hypothesen Entwicklung von interkultureller Kompetenz Die Bestandteile von interkultureller Kompetenz und deren Erwerb Voraussetzungen, Konsequenzen und Schwierigkeiten im interkulturellen Lernen

185 185

8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 10 10.1 10.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.5 10.5.1 10.5.2

185 187 189 191 192 193 194 194 195 196 200 204 205 205 211 211 214 215 215 217 219 219 219 220 221 221 222 223 224 224 225 226 227 227 230 XI

10.5.3 10.6 10.6.1 10.6.2 10.6.3 10.7 10.7.1 10.7.2 10.7.3 11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.2 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7

Ableitung der Hypothesen Kulturspezifische Arbeitsteilung Die Stärken der Mitglieder und ihre Nutzung Die Relevanz kulturspezifischer Arbeitsteilung und ihre Voraussetzungen Ableitung der Hypothesen Marktnähe und Internationalität Ausprägungen der Marktnähe Marktnähe und ihre Wirkung auf Gruppenleistung Ableitung der Hypothesen Virtuelle Konflikte Kommunikationsprobleme Strukturell und technisch bedingter Informationsmangel Mangel an sozialer und Kontextinformation Die Konsequenzen des Informationsmangels auf die Aufgabenbewältigung Ableitung der Hypothesen Teamentwicklung und Vertrauen Schwierigkeiten bei der Teamentwicklung und beim Vertrauensaufbau Konsequenzen der gestörten Teamentwicklung Ableitung der Hypothesen Führungsprobleme Anweisung und Kontrolle Koordination Ableitung der Hypothesen Virtuelle Synergien Kosten Experten Prozessorientierung Sachfokus Demokratisierung Marktpräsenz Befruchtung

236 237 237 238 240 241 241 243 244 244 244 244 247 248 252 253 253 259 263 264 264 266 268 269 269 271 271 272 272 272 273

VI 13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6

Empirische Modellbildung: Das MIPO-Modell Erstellung des MIPO-Modells Zusammenfassung der Hypothesen in das MIPO-Modell Inputfaktoren Prozessfaktoren Outputfaktoren Dynamisches Modell Vorzüge des MIPO-Modells

275 275 275 286 287 291 293 298

VII 14 15 16 17

Schlussbemerkungen Zusammenfassung Gestaltung und Führung multikultureller virtueller Teams in der Praxis Offene Fragen und Ausblick Fazit

301 301 301 305 308

VIII 18 19 19.1 19.2

Anhang Literaturverzeichnis Anlagen Fragebogen zu den demographischen Daten der Teammitglieder Leitfaden der Interviews

311 311 352 352 354

XII

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Aufbau der Arbeit 7 Abb. 2: Kulturelemente 20 Abb. 3: Interdependenzformen in virtuellen Teams 29 Abb. 4: Typologisierungen von Gruppenaufgaben 38 Abb. 5: Morphologie für Gruppenaufgaben 40 Abb. 6: Das mechanistische Kommunikationsmodell 44 Abb. 7: Verhaltenswissenschaftliches Kommunikationsmodell 45 Abb. 8: Eignung von Führungsstilen für verschiedene Situationen 53 Abb. 9: Idealtypischer Verlauf des Problemlösungsprozesses 57 Abb. 10: Das Gruppenmodell nach McGrath 60 Abb. 11: Das Gruppenmodell nach Hackman 61 Abb. 12: Das Gruppenmodell nach Gladstein 62 Abb. 13: Grundstruktur des Gruppenmodells: Input – Prozess – Output 64 Abb. 14: Konfliktstile 73 Abb. 15: Interkulturelles Kommunikationsmodell 84 Abb. 16: Handelbarkeit und Spezifität von Ressourcen 105 Abb. 17: Die Spirale der Wissensschaffung 114 Abb. 18: Schematisches Modell zur interkulturellen Kompetenz 119 Abb. 19: Handlungskompetenz in interkulturellen Zusammenhängen 120 Abb. 20: Das Kulturschockmodell 122 Abb. 21: DMIS-Modell nach Bennett 123 Abb. 22: Schematischer Aufbau der Konflikte und Synergien im MIPO-Modell 171 Abb. 23: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten (face-to-face Teams) 173 Abb. 24: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten (virtuelle Teams) 174 Abb. 25: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien (face-to-face Teams) 175 Abb. 26: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien (virtuelle Teams) 176 Abb. 27: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Konflikten 177 Abb. 28: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Synergien 178 Abb. 29: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten (face-to-face Teams) 276 Abb. 30: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten (virtuelle Teams) 277 Abb. 31: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien (face-to-face Teams) 278 Abb. 32: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien (virtuelle Teams) 279 Abb. 33: Strukturierung der Hypothesen zu virtuellen Konflikten 280 Abb. 34: Strukturierung der Hypothesen zu virtuellen Synergien 281 Abb. 35: Interkulturelle Konflikte im Zeitablauf 294 Abb. 36: Interkulturelle Konflikte im Zeitablauf im Falle einer Eskalation 295 Abb. 37: Interkulturelle Konflikte und Synergien im Zeitablauf 296 Abb. 38: Interkulturelle Konflikte und Synergien sowie Effektivität im Zeitablauf 297 Abb. 39: Interkulturelle Konflikte und Synergien sowie Effektivität im Zeitablauf bei virtuellen Teams 298

XIII

Tabellenverzeichnis Tab. 1: Taxonomie von Diversitätsdimensionen Tab. 2: Dimensionen von Teams Tab. 3: Kommunikationsmuster in Kleingruppen Tab. 4: Eigenschaften von Meetings Tab. 5: Rollen nach Belbin Tab. 6: Die unterschiedlichen Bezeichnungen der zwei Konfliktbasistypen Tab. 7: Systematik der (Arbeits-)Hypothesenbezeichnung Tab. 8: Vor- und Nachteile der Gruppe bei der Bearbeitung der Elementarprobleme Tab. 9: Einflussfaktoren für die Entstehung von Vertrauen und ihre Autoren Tab. 10: Bestandteile von Vertrauen in virtuellen Teams Tab. 11: Konsequenzen von Vertrauen im Unternehmen Tab. 12: Auflistung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten Tab. 13: Auflistung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien Tab. 14: Auflistung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Konflikten Tab. 15: Auflistung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Synergien Tab. 16: Transkriptionssymbole Tab. 17: Gruppeneffektivität und Teams mit interkulturellen Missverständnissen Tab. 18: Gruppeneffektivität und Teams, in denen Kreativität auftritt Tab. 19: Gruppeneffektivität und Teams, in denen interkulturelles Lernen auftritt Tab. 20: Gruppeneffektivität und Teams mit kulturspezifischer Arbeitsteilung Tab. 21: Gruppeneffektivität und Teams mit Marktnähe Tab. 22: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Kommunikationsproblemen Tab. 23: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Teamentwicklungsproblemen Tab. 24: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Führungsproblemen Tab. 25: Auflistung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten Tab. 26: Auflistung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien Tab. 27: Auflistung der Hypothesen zu virtuellen Konflikten Tab. 28: Auflistung der Hypothesen zu virtuellen Synergien Tab. 29: Gruppeneffektivität von face-to-face und virtuellen Teams

16 28 46 47 51 68 80 109 148 151 154 179 180 181 182 192 203 223 236 240 244 251 263 269 282 283 284 285 292

XV

I

Themenstellung

1

Einleitung

1.1

Problemstellung und Forschungsziel

Multikulturelle Arbeitsgruppen erfreuen sich steigender Beliebtheit, sei es im praktischen Einsatz in der Unternehmenswelt oder in der wissenschaftlichen Forschung. In verschiedenen Bereichen werden Mitarbeiter unterschiedlicher kultureller Hintergründe als Team zusammengeführt, sei es in der Produktentwicklung, als task force für die Organisationsentwicklung oder im Kundenservice. Auf dem Markt wird eine unermessliche Anzahl an Beratungen und Trainingsmöglichkeiten für Teams angeboten. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien beschäftigt sich mit den einzelnen Variablen der Zusammensetzung oder der Prozesse im Team. Insbesondere die Effektivität der verschiedenen Arten von Arbeitsgruppen steht im Mittelpunkt des Interesses, seien es homogene oder diverse, formale oder informelle, geführte oder autonome Gruppen. Als neueste Tendenz ist die Bildung von virtuellen Teams zu beobachten, d.h. solchen, deren Mitarbeiter geographisch verstreut sind, nicht selten über den gesamten Erdball. Hier ist jedoch festzustellen, dass die Praxis der Wissenschaft voraus ist: In vielen Unternehmen sind virtuelle Teams bereits Realität, ohne dass aus der Forschung fundierte Erkenntnisse hierzu geliefert werden könnten. Wirft man einen Blick auf die Entstehungshistorie von multikulturellen (virtuellen) Arbeitsgruppen, sind drei parallele Tendenzen auszumachen, aus denen sich die Problemstellung der vorliegenden Arbeit konfiguriert: Zum einen ist eine grundsätzliche Zunahme der Arbeitsorganisation in Gruppen zu verzeichnen. Dies ist auf vielfältige Ursachen zurückzuführen: Die Dynamik und der Druck des Marktgeschehens steigen und erfordern eine Reduktion der Kosten, eine Erhöhung der Qualität und das in einem immer engeren zeitlichen Rahmen. Durch die verstärkten Interdependenzen gestaltet sich die Unternehmensumwelt zunehmend komplexer, und ähnlich vielschichtiger werden die Aufgaben, welche die Mitarbeiter für ihre Unternehmen zu erfüllen haben. In der Definition von Arbeitspaketen und ihrer Übertragung auf eine Gruppe von Mitarbeitern wird eine Lösung gesehen, diesen Ereignissen entgegenzutreten und auf dem Markt zu bestehen. Eine Gruppe kann eine höhere Arbeitsleistung erbringen als ein Einzelner und damit komplexere Aufgaben angemessener wahrnehmen. Hinzu kommt, dass durch die unterschiedlichen Perspektiven, die durch mehr als eine Person eingebracht werden, das Problem besser eingekreist und bearbeitet werden kann. Diversität spielt also in jeder Gruppe eine Rolle; häufig implizit wie in der gerade dargestellten Form. Doch vermehrt wird sie zudem explizit genutzt, indem bewusst Vielfalt in Erfahrungen, beruflicher Ausbildung, Funktion, Hierarchie, aber ebenfalls Geschlecht, Alter und schließlich Kultur gesucht wird. Insbesondere für Wissensaufgaben, die in unserer heutigen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen, kommt diesem Aspekt eine wachsende Relevanz zu. Unternehmen werden flexibler gestaltet, auch im Zuge der Anpassung auf die eben erwähnte Umweltveränderung. Dabei werden Hierarchien reduziert und Unternehmensstrukturen mehr an Prozessen orientiert; hierfür ist die Arbeitsgruppe gleichermaßen ein geeignetes Instrument. Doch ist ebenso die Mitarbeiterseite zu beachten: Durch den gesellschaftlichen Wandel streben die Angehörigen von Unternehmen Selbstverwirklichung und Verantwortung an; sie begnügen sich weniger mit operativen und fremdbestimmten Aufgaben. Arbeitsgruppen kommen diesem Anliegen entgegen und eröffnen neue Chancen für Mitarbeiter, sich persönlich zu entfalten. Teamarbeit gilt als eine Möglichkeit der Humanisierung von Arbeit, wie sie durch die Hawthorne-Studien angestoßen worden ist. Durch die Arbeit in Gruppen wird dem sozialen Bedürfnis von Menschen Rechnung getragen; die Kooperation im Team dient nicht 1

nur der reinen Aufgabenerfüllung, sondern gibt Möglichkeit zur Aufnahme persönlicher Beziehungen. Als zweite Tendenz, welche die Bildung speziell multikultureller Arbeitsgruppen zu erklären vermag, ist die Globalisierung, die sich unter anderem in einer Internationalisierung von Geschäftsaktivitäten bemerkbar macht. Die Erschließung ausländischer Märkte durch Fusionen und Akquisitionen, durch Joint Ventures und strategische Allianzen ist für Großunternehmen inzwischen eine unausweichliche Notwendigkeit geworden, ebenso wie die Sicherung von Heimatmärkten durch besondere Kundenorientierung. Hinzu kommt die Verlagerung von Produktions- und inzwischen auch Entwicklungstätigkeiten an Standorte mit Kostenvorteilen, die meist außerhalb Deutschlands und Europas liegen. Die Unternehmensstrukturen sind automatisch international, indem das Unternehmen Niederlassungen in verschiedenen Ländern betreibt, eine internationale Belegschaft umfasst und mit diversen Liefer- und Absatzmärkten in Austauschbeziehungen steht. Diese Internationalität der Strukturen überträgt sich auf die Arbeitsinhalte für Manager und Mitarbeiter, die sich nun mit der internationalen Dimension von Beschaffung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung auseinandersetzen müssen. Die Strukturen und Tätigkeiten erfordern häufig eine direkte Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitern aus verschiedenen Ländern, Regionen und damit Kulturen. Interkulturelle Interaktion nimmt eine steigende Bedeutung an, angefangen von den Kontakten mit externen Geschäftspartnern bis hin zu der Zusammensetzung von multikulturellen Teams. Die kulturelle Dimension, die ebenfalls Unterschiedlichkeit in Branchen-, Unternehmens-, Funktions- und Berufskultur umfasst, ist eine weitere Diversitätsdimension, die in Teams zu tragen kommt und Vor- sowie Nachteile generiert. Die dritte Tendenz, die insbesondere auf die Entstehung von virtuellen Teams hinwirkt, beschreibt die fortschreitende Informations- und Kommunikationstechnologie. In allgemeiner Form ist sie selbst Motor der gesamten Globalisierung, die auf dem schnellen Austausch und der prompten Nutzung von Information beruht. In spezieller Hinsicht auf Teams ermöglicht die Informations- und Kommunikationstechnologie die Interaktion von Personen, ohne dass sie sich physisch gegenüber stehen. Die neuen Medien, insbesondere der elektronischen Form, eröffnen neue Arten der Kommunikation und Kooperation. Eine Arbeitsgruppe kann aus Mitgliedern gebildet werden, die in verschiedenen Standorten der Gruppenaufgabe nachgehen. Die Kommunikation erfolgt dann zumeist computergestützt, z.B. über E-mail oder andere spezielle Software für den Informationsaustausch in Gruppen. Die Unternehmen nehmen diese Möglichkeit gerne wahr, denn so können sie lokale Standortvorteile nutzen, lokalen Kunden nahe sein und lokale Experten in ein Team zusammenführen, was alles in allem eine enorme Kostenreduktion und eine Steigerung der Effektivität verspricht. Sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter sind diese drei Tendenzen Herausforderungen, die sie zu meistern haben. Doch nicht nur für das Individuum, sondern ebenso für das Team steigt durch diese Einflüsse die Komplexität. Das Problem liegt nun darin, dass zwar interkulturelle Situationen und multikulturelle Arbeitsgruppen durchaus bereits im Management als Knackpunkte erkannt worden sind, jedoch ein genaues Verständnis der Prozesse nicht vorliegt. Dies gilt vor allem, wenn der Faktor Virtualität hinzu trifft. Die Unternehmen befinden sich gerade in einer Probierphase, in der virtuelle Teams zwar bereits aktiv sind, jedoch ohne dass die Entscheidungsträger sicher wissen, wo Schwachstellen und wo Ansatzpunkte für Führung und Gestaltung liegen. Im Bereich der Forschung sind virtuelle Teams Neuland. Erste empirische Untersuchungen besonders unter virtuellen Studierendengruppen wurden zwar bereits durchgeführt, aber die Ergebnisse sind sehr punktuell auf Einzelaspekte bezogen und recht fern der Unternehmenswelt. Zu multikulturellen face-to-face Teams mangelt es generell an einem integrativen Rahmen, der das bisher fragmentarische Wissen zu einzelnen Variablen verknüpft, um so die Prozesse in einem multikulturellen Team ganzheitlich darzustellen. Faktoren, welche Erfolg und Misserfolg bestimmen, bleiben daher bisher vage 2

und undifferenziert bzw. können im komplexen Zusammenspiel nicht eindeutig bestimmt werden. Das Ziel der vorliegenden Studie liegt in der Erarbeitung theoretischer und empirischer Erklärungsansätze, welche die vorhandenen Ergebnisse zusammenführen und mit neuen Daten ergänzen. Im Vordergrund steht die präzise Darlegung des kulturellen Einflusses auf Arbeitsgruppen in ihrer positiven oder negativen Wirkung. Daneben wird angestrebt, face-to-face Teams mit virtuellen Teams zu vergleichen, sowohl in ihren Prozessen der Interaktion als auch in der Wirkung wiederum des kulturellen Einflusses. In dem umfassenden MIPO-Modell soll die Komplexität der Prozesse in Arbeitsgruppen aufgezeigt werden. Aufzusetzen auf die in der Literatur zu Kleingruppen abgebildeten Phänomen wie Kommunikation, Kohäsion und Führung sind die Effekte, die eine multikulturelle Zusammensetzung hervorruft. Dies wird in einen systemischen Ansatz eingebettet, welcher den externen Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Damit wird ein Bezugsrahmen geschaffen, der die bisherig fragmentarisch vorliegenden Erkenntnisse zu dem ein oder anderen Teamaspekt multikultureller oder virtueller Art logisch kombiniert und in ein Modell integriert. Dies kann für die weitere Forschung als Denkansatz und hypothetischer Rahmen dienen. Dabei liegt die Quintessenz der Arbeit in der Frage nach der Effektivität von multikulturellen Teams in ihrer face-to-face bzw. virtuellen Variante. Als einen Schritt weiter im Vergleich zur bisherigen Forschung versteht sich die vorliegende Arbeit zudem darin, dass sie den Faktor Kultur nicht wie im interkulturellen Management häufig als reinen Konfliktfaktor versteht, sondern analog der value in diversity-Hypothese als Vorteil erachtet. Deshalb wird insbesondere der Identifikation und empirischen Überprüfung interkultureller Synergien Raum gewidmet. Soweit es der Umfang zulässt, soll ebenso auf den Zusammenhang mit anderen Diversitätsdimensionen hingewiesen werden, denn Kultur stellt nur einen von vielen bestimmenden Faktoren dar. In Arbeitsgruppen steuern zum Beispiel ferner Hierarchie, funktionaler Hintergrund, Geschlecht und Alter - um nur einen Auszug nennen - interpersonale Beziehungen und Verhalten. Diese Kern- und Nebenaspekte liegen auf verschiedenen Ebenen und wurden bisher mehr oder weniger intensiv von verschiedenen Disziplinen untersucht. Um einen Zugang zu den bisherigen Erkenntnissen aus der Forschung zu eröffnen und sie empirisch zu erweitern, wurde sowohl ein qualitativer als auch interdisziplinärer Ansatz gewählt, der in den folgenden Subkapiteln vorgestellt wird.

1.2

Die qualitative Methodologie

Die Forschungsfrage ist auf eine ganzheitliche Erfassung der Problematik gerichtet im Sinne einer holistischen Sichtweise (vgl. Miles / Huberman 1994 S. 10). Es sollen nicht nur einzelne Variablen im Gruppenprozess erfasst, sondern ebenso ihr Zusammenspiel, ihre Voraussetzungen und ihre Wirkung auf Gruppeneffektivität erklärt werden, um ein möglichst vollständiges Gruppenmodell zu entwickeln. Dieser umfassende Einblick kann nur mit einem qualitativen Vorgehen gewährleistet werden, das diese Breite berücksichtigt. Zudem wird Wert auf einen hohen Realitätsbezug gelegt; die Daten sollen aus dem ‚wirklichen Leben’ stammen und die reale Umgebung der Arbeitsgruppen und Unternehmen widerspiegeln (vgl. Miles / Huberman 1994 S. 10). Dies stellt einen entscheidenden Erkenntnisfortschritt zu bisherigen Untersuchungen für multikulturelle oder virtuelle Teams dar: Sie wurden größtenteils als Laborexperimente oder mit Hilfe von temporären Studentengruppen durchgeführt und ignorieren wichtige Faktoren aus der Arbeits- und Unternehmenswelt (Guzzo 1996, Sader 1991). Bisherige Studien konzentrierten sich zudem lediglich auf die Erklärung einzelner spezifischer Variablen (Sader 1991). Eine Integration in ein Gruppenmodell, das der weiteren Forschung als Grundlage dienen kann sowie der Praxis Ansatzpunkte für Verände3

rungsmaßnahmen liefert, ist bisher noch nicht erfolgt und kann m.E. nur mit Hilfe einer breiten und qualitativen Studie geschehen. Das Vorgehen gestaltet sich folgendermaßen: Zu Beginn der Arbeit wird eine ausführliche Sammlung zum derzeitig gültigen Wissensstand aus den beteiligten Forschungsfeldern angelegt (Kapitel 2 bis 6). Damit wird eine theoretische Fundierung der relevanten Aussagen erstellt, die für einige Gebiete wie der interkulturellen Konflikte weitgehend abgesichert und nur mehr auf Gruppenebene zu übertragen ist. In anderen Bereichen wie denen der virtuellen Konflikte und Synergien entspricht die Zusammenstellung weniger gültigen Theorien als eher ersten Vermutungen und common sense, die es im Weiteren zu überprüfen gilt. Die Aussagen verdichten sich innerhalb jedes Kapitels zu Arbeitshypothesen, die in einem Zwischenfazit ein erstes theoretisches Modell ergeben – das MIPO-Modell genannt (siehe Kapitel 7) und im Verlauf als leitende Forschungsfragen für die empirische Untersuchung gelten. Damit lehnt sich diese Arbeit an die neuere Diskussion in der qualitativen Sozialforschung an, die für ex ante-Hypothesen zur Offenlegung des Vorwissens von Seiten des Forschers als auch zur Strukturierung des Forschungsvorhabens plädiert (siehe z.B. Meinefeld 2000, Hopf 1996, Eisenhardt 1989). Selbst wenn der qualitative Ansatz ein induktives Vorgehen v.a. für Bereiche mit geringer theoretischer Basis vorsieht (vgl. Sackmann 2001 S. 157) und auf die Wissensgenerierung anhand empirischer Daten fokussiert (manche Autoren sprechen sogar von ‚Theoriegewinnung’, vgl. Strauss / Corbin 1998), bringt der Forscher Erwartungen und im gewissen Maße Vorkenntnisse ein. Diese leiten ihn in der Formulierung der Forschungsfrage, dem Forschungsdesign, der Konstitution und der Interpretation der Daten (Meinefeld 2000 S. 269). Eine bewusste Explikation des Vorverständnisses mit Hilfe von ex ante-Hypothesen ist also ratsam, zumal damit gleichermaßen eine Anknüpfung an den bisherigen Forschungsstand möglich ist. In der vorliegenden Arbeit werden die ex ante-Hypothesen ‚Arbeitshypothesen’ genannt, um ihren vorläufigen Charakter zu betonen. Forschungsarbeiten mit dieser Methode wurden beispielsweise von Zerbe (2000) zu globalen Teams und Strähle (2004) zur cultural due diligence durchgeführt. Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass diese Form der Arbeitshypothesen nicht einer statistischen Überprüfung dient, wie sie in quantitativen Forschungsarbeiten angewandt wird! Man kann ergo nicht von einer Prüfung oder Falsifizierung mit repräsentativem Charakter sprechen. Nichtsdestotrotz müssen die Arbeitshypothesen so angelegt sein, dass sie anhand des empirischen Materials irritiert werden können (Steinke 2000 S. 324). Sie dienen der Strukturierung, nicht der Begrenzung der Fragestellung, so dass es möglich sein muss, empirisch neue Konzepte zu erhalten und die Arbeitshypothesen zu modifizieren. Dies gilt insbesondere für die oben erwähnten, bisher wissenschaftlich noch kaum untersuchten Gebiete der virtuellen Konflikte und Synergien und im gewissen Rahmen auch für interkulturelle Synergien, die noch kaum empirisch belegt sind. Der Exploration wird hier großer Raum eingeräumt; die Hypothesen gelten als leitende Forschungsfragen, als erste Anhaltspunkte für ein Forschungsfeld, in dem noch viel Neues zu entdecken ist. Die Verknüpfung von theoriegeleitetem Vorwissen und empirischer Exploration erscheint am ehesten mit Hilfe von Leitfadeninterviews möglich zu sein. Die Arbeitshypothesen können umformuliert werden in Fragen, die durch das Interview abzudecken sind. Allerdings kann durch die Offenheit dieser Interviewform zudem insider-Wissen der Interviewpartner erfahren werden, welches als explorativer Zusatz die Konzepte modifiziert und erweitert. Die Datenerhebung und -auswertung wird in einem eigenständigen Kapitel 8 detailliert erläutert. Am Ende des Prozesses stehen Hypothesen, die den vorläufigen Arbeitscharakter verloren haben. Sie dienen zur Konzeptualisierung eines Gruppenmodells, das als theoretische Basis für nachfolgende Untersuchungen (welche dann quantitativ und selektiv auf einzelne Variablen angelegt sein können) verfügbar ist.

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Dieses Vorgehen ist im Sinne der hermeneutischen Spirale zu sehen, in der anerkannt wird, dass der wissenschaftliche Prozess iterativ und stufenweise durch Modifikation und Erweiterung des Verständnisses zunehmend qualitativ hochwertigere Erkenntnisse erbringt (vgl. Bolten 1985). So sehen dies ebenso Witte / Grün / Bronner aus der betriebswirtschaftlichen Forschung: „Durch mehrstufige und wechselseitige Beeinflussung von Theorie und Prüfbefund entsteht schrittweise eine praktisch relevante und wissenschaftlich bewährte Realtheorie“ (1975 S. 797). Zur Entwicklung eines Forschungsprogramms ist eine zwischenzeitliche Überprüfung und Anpassung anhand der Realität ökonomisch und befruchtend.

1.3

Interdisziplinarität als Annäherung an die Praxis

Die Frage nach den Ansatzpunkten für Gruppeneffektivität ist eine wirtschaftliche und wie anderes ökonomisches Geschehen in politische, ethische, kulturelle und psychologische Gegebenheiten eingebettet (Schöpfer 2000 S. 47). Gerade die beiden letztgenannten Sachverhalte nehmen bei der Betrachtung multikultureller Gruppen an Bedeutung zu. Für virtuelle Arbeitsgruppen sind zudem informations- und kommunikationstechnische Einflüsse nicht von der Hand zu weisen. Sind nun die Ursache-Wirkungszusammenhänge allumfassend zu erklären, ist ein Rückgriff auf die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und ein interdisziplinäres Vorgehen unabdingbar (Hübenthal 1991 S. 7). Der Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein reales Problem aus dem unternehmerischen Alltag, das nicht durch die Erkenntnisse einer einzelnen Disziplin gelöst werden kann (Hübenthal 1991 S. 2). Wesentliche faktische Wirkungsgrößen und theoretische Erklärungsansätze würden mit der Reduktion auf eine Disziplin ausgeblendet werden. Vielmehr sind unter der Bezugnahme auf eine gemeinsame Fragestellung verschiedene Disziplinen zu integrieren (Zimmermann 2005 S. 9). Denn in der vorwissenschaftlichen Erfahrung bietet sich der Untersuchungsgegenstand als Einheit dar (Hübenthal 1991 S. 10), der nur zu wissenschaftlich-analytischen Zwecken in einzelne Phänomene und Wirkungen gespalten wird, die in verschiedenen Fachgebiete studiert werden. Die Trennung in mehrere Aspekte ist nicht in der Natur der Sache begründet (Parthey 1999 S. 243), sondern in der historisch gewachsenen Aufteilung in Wissenschaftsdisziplinen (Zimmermann 2005 S. 11). Dabei liegt in jeder der einzelnen Wissenschaften ein so umfangreiches Wissen vor, das nur durch Arbeitsteilung und Spezialisierung gewonnen werden konnte (Hübenthal 1991 S. 1). Diese Erkenntnisse der Einzeldisziplinen sollen nun für multikulturelle virtuelle Teams integriert werden: Auf diese Weise ist dafür gesorgt, dass jeder Aspekt, der für Gruppen, Multikulturalität und Virtualität zu beachten ist, aus dem jeweils kompetenten Fachgebiet ausreichend und detailliert abgedeckt werden kann. Darüber hinaus führt die Kombination im erfreulichen Fall zu fruchtbarer Neuentwicklung, da die Fachgebiete in gegenseitige Wechselwirkung gebracht werden (Hübenthal 1991 S. 3). Zimmermann spricht auf Grund der gesteigerten Erklärungskraft von Synergie und bringt damit den Gedanken der vorliegenden Arbeit auf den Punkt (2005 S. 10): Es wird angenommen, dass Multikulturalität in der Arbeitsgruppe zu Synergien (beispielsweise durch erhöhte Kreativität durch gegenseitige Anregung) führt. Und was für den Untersuchungsgegenstand gilt, soll ebenso für die wissenschaftliche Arbeit angewandt werden. Damit lehnt sich die Studie an das Wesensmerkmal der interkulturellen Forschung an, die stark interdisziplinär geprägt ist und sich so intensiv aus verschiedenen Disziplinen nährt, dass überhaupt umstritten ist, ob sie ein eigenes Fachgebiet bzw. eine Disziplin konstituiert.1 Wie deutlich geworden sein sollte, wird mit Interdisziplinarität nicht eine Verschmelzung zu einer Einheitswissenschaft angestrebt, sondern es soll unter Anerkennung der Pluralität der Disziplinen ein Dialog geschaffen werden, der eine Vernetzung und Ergänzung erlaubt (Mohn 2005 S. 21, Stierstorfer 2005 S. 14, Hübenthal 1991 S. 10). Allerdings soll sich die Arbeit von 1

Vgl. zur aktuellen Diskussion zum ‚Fach’ Interkulturelle Kommunikation Moosmüller (2005).

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rein multidisziplinären Projekten abheben,2 in denen die Ergebnisse der verschiedenen Disziplinen lediglich additiv nebeneinander gestellt werden, wie es regelmäßig unter angeblich interdisziplinärer Forschung praktiziert wird (Greshoff 2000). Auch ist mit Interdisziplinarität nicht gemeint, dass das Vorgehen sich auf einen einfachen Ideenaustausch beschränkt. Vielmehr ist angestrebt, durch den gemeinsamen Fokus auf ein praxisorientiertes Problem und die Entwicklung einer übergreifenden Methode im Endeffekt eine neue Theorie, und zwar ein Gruppenmodell, zu formulieren, in welcher die Aussagen verschiedener Disziplinen kombiniert werden. Dieses Anliegen wäre nach Hübenthal (1991), Parthey (1999) und Zimmermann (2005) die höchste Stufe von Interdisziplinarität. Das Problem liegt nun darin, dass hierfür die Konzepte, Theorien und Methoden der verschiedenen Disziplinen in Beziehung gebracht werden müssen. Greshoff fordert eine „konzeptuelle Vermittlungsbasis“, die vor allem durch eine integrierende Begrifflichkeit zustande kommt und auf einer transdisziplinären Ebene für Verständigung sorgt (2000 S. 30). Allerdings würde es in dieser Arbeit zu weit führen und zudem den inhaltlichen Kern der jeweiligen disziplinären Aussagen verfälschen, eine neue Terminologie zu entwickeln. Da die Wirtschaftswissenschaft als Leitdisziplin gesehen wird, soll daher auf der integrierenden Stufe (Formulierung von Hypothesen und Gruppenmodell) deren Begriffe, aber auch Perspektiven und Verständnis übernommen werden. Bei der hinführenden und synthetisch angelegten Erläuterung der disziplinären Erkenntnisse werden fachinterne Theorien und Konzepte mit Hilfe ihrer eigenen Begriffe dargelegt. Hierfür werden neben der Forschung zur interkulturellen Kommunikation vor allem die Sozialpsychologie, die Kulturanthropologie und die Kommunikationswissenschaften herangezogen. Die empirische Methodologie trägt der sowohl synthetischen als auch integrierenden Zielsetzung Rechnung, indem sie durch qualitatives und offenes Vorgehen ausreichend Raum bietet, um konzeptuell ungleiche Phänomene zu erfassen und zugleich in gegenseitige Verbindung zu bringen. An dieser Stelle muss jedoch vernehmlich darauf hingewiesen werden, dass das Bestreben nach einem allumfassenden Modell dort an seine Grenzen stößt, wo es um die Anreicherung durch Details geht. Es wird klar konstatiert, dass es kein Anliegen ist, sowohl die Faktoren als auch deren komplexes Zusammenspiel in Gruppen in erschöpfender Weise zu erfassen. Aus forschungspragmatischen Gründen können nur die wesentlichen Elemente, das heißt die Kernfaktoren für die Effektivität in multikulturellen Arbeitsgruppen, herausgegriffen werden. Sicherlich gäbe es noch eine Reihe weiterer Einflussgrößen bzw. Verflechtungen im Modell, die nicht aufgezeigt werden. Die Komplexität eines Gruppenmodells, das auf eine erschöpfende Darstellung abzielt, wäre jedoch ausufernd, kaum mehr greifbar und daher gering im Erklärungsgehalt. Die Beschränkung auf das Wesentliche dient auf der anderen Seite aber ebenfalls der Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse, die nicht möglich wäre bei einer zu stark kontext-, situations- oder disziplinbezogener Detailliertheit.

1.4

Aufbau

Nach diesen einleitenden Ausführungen zu Kontext, Ziel und zum qualitativen sowie interdisziplinären Ansatz werden im Abschnitt II die theoretischen Bausteine für diese Arbeit in Form von grundlegenden Konzepten vorgestellt. Der zentrale Untersuchungsgegenstand ‚multikulturelle Arbeitsgruppe’ ist hinsichtlich der Gruppenarbeitsweise aus dem Blickwinkel der gruppenspezifischen Problematik (Kapitel 2.1) und hinsichtlich ihrer heterogenen Zusammensetzung aus dem Blickwinkel der Diversität im Allgemeinen (Kapitel 2.2) und Kultur im Besonderen (Kapitel 2.3) zu beleuchten. Zudem ist einzugehen auf die besonders aktuelle Thematik des virtuellen Designs (Kapitel 2.4), die einige der multikulturellen Teams in der Praxis erfahren. 2

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Vgl. zum Konzept der multidisziplinären Herangehensweise Heckhausen (1987).

Die gruppenspezifische Problematik bedarf einer vertiefenden Erörterung, die im Abschnitt III im Rahmen eines systemischen Ansatzes geboten wird. Den Überlegungen vorangestellt wird Effektivität als Output und als Leistungsmerkmal von Arbeitsgruppen in Unternehmen, da diese das übergeordnete Ziel darstellt (Kapitel 3.1). Voraussetzungen, die von extern (d.h. von außerhalb des Teams) vorgegeben werden und welche die Abläufe im Team mit beeinflussen, werden in Kapitel 3.2 besprochen. Die Gruppenprozesse selbst stehen in Kapitel 3.3 im Vordergrund, wobei ihnen auf Grund des engen Bezugs zur Forschungsfrage der breiteste Platz eingeräumt wird. Die Erkenntnisse des Abschnitts III werden in ein InputProzess-Output-Modell integriert (Kapitel 3.4), welches den Rahmen für die weiteren theoretischen Überlegungen darstellt.

VI Schlussbemerkungen Kapitel 14-17

VI MIPO-Modell Kapitel 13

V Konflikte und Synergien empirisch Kapitel 8-12

IV Konflikte und Synergien theoretisch Kapitel 4-7

III Gruppenprozesse, -strukturen und -modelle Kapitel 3

II Grundlegende Konzepte Kapitel 2

I Problemstellung Kapitel 1

Abb. 1: Aufbau der Arbeit Bleiben die bisherigen Überlegungen gleichermaßen für homogene Gruppen anwendbar, gehen die Ausführungen des Abschnitts IV auf die besondere Problematik heterogener, speziell multikultureller und virtueller Teams ein. Kapitel 4.1 widmet sich interpersonalen Konflikten und Kapitel 4.2 stellt diese in den Kontext multikultureller Arbeitsgruppen. Synergien als weniger erforschtes Feld werden in Kapitel 5 aufgegriffen und nach einer allgemeinen Definition (Kapitel 5.1) ebenso auf multikulturelle Teams angewandt (Kapitel 5.2). Die virtuelle Dimension bringt weitere Herausforderungen für Teams mit sich, die analog als Konflikte (Kapitel 6.1) und Synergien (Kapitel 6.2) erläutert werden. Um die über 20 verschiedenen Konflikt- und Synergieformen zu strukturieren, wird das MIPO-Modell (multikulturelle Input-Prozess-Output-Modell) entwickelt, in das die Arbeitshypothesen als Ergebnis der theo7

retischen Herleitung aufgenommen werden (Kapitel 7). Dieses dient als Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit in Abschnitt V: In Kapitel 8 wird vorgestellt, wie die Studie angelegt und durchgeführt wurde. Die folgenden Kapitel erörtern detailliert die Ergebnisse; so konzentriert sich Kapitel 9 auf die interkulturellen Konflikte, welche in den untersuchten Teams auftreten. Kapitel 10 fokussiert die interkulturellen Synergien, Kapitel 11 die virtuellen Konflikte und Kapitel 12 die virtuellen Synergien. Die Modifikation des theoretischen MIPO-Modells anhand der empirischen Erkenntnisse erfolgt im eigenen Abschnitt VI. Dieser ist als Kernstück der Arbeit zu verstehen, da an diesem Punkt die theoretischen und empirischen Teile zusammengeführt werden. Abschnitt VII stellt die Ergebnisse der Untersuchung in einen weiteren Rahmen. So fasst Kapitel 14 die wesentlichen Punkte dieses Werks zusammen. Die hier durchgeführte Forschung versteht sich als anwendungsorientiert und gibt daher in Kapitel 15 erste Empfehlungen für die Gestaltung und Führung von multikulturellen virtuellen Teams in der Praxis. In Kapitel 16 werden offene Fragen formuliert und ein Ausblick für die weitere Forschung gegeben, bevor Kapitel 17 mit einem Fazit zum Schluss kommt. Im Anhang werden neben dem Literaturverzeichnis der in der empirischen Untersuchung verwendete Leitfaden sowie der Fragebogen abgedruckt.

8

II

Grundlegende Konzepte

2

Arbeitsgruppe, Diversität, Kultur und virtuelle Kooperation

2.1

Der zentrale Untersuchungsgegenstand: Arbeitsgruppen

2.1.1

Der Einsatz von Arbeitsgruppen in Unternehmen

Der Glaube an die Überlegenheit von Gruppen geht heute soweit, dass das Management im Team und in der Teamarbeit bisweilen das Allheilmittel für seine Probleme sieht (Staehle 1994 S. 247). Der Einsatz von Arbeitsgruppen ist eine verbreitete Reaktion auf eine Spanne von Herausforderungen im Unternehmen, die in den letzten Jahrzehnten in steigender Anzahl zu beobachten sind (Fisch / Beck 2002 S. 10, Erez / Somech 1996 S. 1529, Leavitt 1975 S. 76). Dabei variiert die Form, angefangen bei Qualitätszirkeln und autonomen Arbeitsgruppen über Projektteams bis hin zu task forces und Top-Management-Teams (Hackman 1987 S. 315). Ebenso verbinden die Entscheidungsträger verschiedene Ziele mit der Bildung und Beauftragung von Gruppen. Darunter fallen Folgende: Der globale Konkurrenzkampf erzwingt flexible Arbeitsformen, die in der Lage sind, sich schnell verändernden Umweltbedingungen anzupassen (Fisch / Beck 2002 S. 10). Dies sieht man verwirklicht in Arbeitsgruppen als die kleinste Organisationseinheit, die durch ihre Aufgabe in direkter Interaktion mit der Umwelt stehen und durch ihre geringe Größe strukturell beweglich und ihrer inhaltlichen Ausrichtung hoch adaptiv sind. Die Komplexität sowohl der Umwelt als auch der Aufgaben wächst und erfordert angemessene Problemlösung- und Entscheidungsprozesse (Tjosvold 1995) sowie eine Zusammenführung von Experten der betroffenen Sachgebiete. Der isoliert arbeitende Fachspezialist hat ausgedient; vielmehr bedient sich die Unternehmung multifunktionaler Teams, die abteilungs- und zuweilen unternehmensübergreifend gebildet werden, um möglichst alle Kompetenzen hinsichtlich eines Themas punktuell zu vereinen (Zeutschel 1999 S. 132). Damit werden verschiedene Fähigkeiten verbunden, aber ebenso verschiedene Perspektiven konfrontiert, die für eine komplexe Aufgabenbewältigung (Staehle 1994 S. 265) und die Entwicklung innovativer Ideen (Leavitt 1975 S. 76) nötig sind. Die Kräfte einzelner Mitarbeiter sollen gebündelt werden, wobei sich die Entscheidungsträger in dieser Zusammenführung eine synergetische Wirkung erhoffen, welche die Schlagkraft nach der viel zitierten Formel ‚2 + 2 = 5’ (vgl. Ansoff 1965) erhöht. Auf diese Weise wird der Faktor Arbeit, d.h. die Mitarbeiter und ihre Fähigkeiten effizient eingesetzt (Ravlin / Thomas / Ilsev 2000 S. 17). Darüber hinaus herrscht die Meinung, den sozialen Bedürfnissen von Mitarbeitern eher gerecht zu werden (Stewart / Manz / Sims 1999 S. 4ff) und dadurch commitment und Motivation zu erhöhen (Jackson and Associates 1992 S. 16, Leavitt 1975 S. 76). Als Konsequenz des erhöhten Engagements der Mitarbeiter sehen manche Autoren eine verbesserte Qualität und Kundenorientierung (vgl. z.B. Guzzo 1995, Jackson and Associates 1992). Wie einige empirische Arbeiten belegen, schneiden Gruppen in manchen Aufgaben im Vergleich zur Summe von Einzelmitarbeitern besser ab, wie den Übersichten von Hill (1982) und Johnson / Johnson (1994) zu entnehmen ist. Allerdings ist ebenso die Kehrseite der Medaille zu beachten: Die Mitarbeiter einer Gruppe müssen hinsichtlich ihres effizienten Einsatzes koordiniert werden, so dass die einzelnen Beiträge zur richtigen Zeit und am richtigen Ort erbracht werden, damit die genannten Problemlösungsprozesse geschmeidig ablaufen. Gerade bei komplexen Aufgaben und einer funktional und organisational diversen Arbeitsgruppe mit divergierenden Interessen und Arbeitsweisen der Beteiligten stellt dies eine große Herausforderung dar. Die Gefahr, dass durch die Grup9

pendynamik die Prozessverluste größer sind als die Gewinne, sehen Wilke / Wit (2002) zum Beispiel im Bereich der Ideenproduktion und Informationssammlung, wenn das Wissen aller Beteiligten nicht eingebracht bzw. gehört und eine suboptimale Entscheidung getroffen wird. Konflikte im zwischenmenschlichen Bereich können die Konzentration der Mitarbeiter von der Sache ablenken und schwere Störungen in den Arbeitsprozessen hervorrufen. Buzaglo / Wheelan (1999) stellen an empirischen Daten fest, dass 80 bis 90 Prozent der Arbeitsgruppen mit Problemen in der Leistungserbringung zu kämpfen haben. Neben der Arbeitskraftverschwendung kommt es in solchen Fällen meist außerdem zu Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern und zu erhöhter Fluktuation (Jackson and Associates 1992 S. 27). Es soll an dieser Stelle jedoch nicht zu tief in die Prozesse von Arbeitsgruppen eingestiegen werden (hierzu im Detail Kapitel 3.3). Die Problematisierung des Einsatzes von Gruppen scheint jedoch notwendig, um bereits zu Beginn darauf hinzuweisen, dass die Vorteile des Gruppeneinsatzes verlocken, jedoch ebenso mit den möglichen negativen Seiten zu rechnen ist, welche die Verantwortlichen im gleichen Maße zu berücksichtigen haben. Bevor weiter von Arbeitsgruppen gesprochen wird, ist es von Nöten, sie erst einmal zu definieren.

2.1.2

Definition von Arbeitsgruppen

In diesem Unterkapitel wird möglichst kurz ein erster Einblick in das Konzept ‚Arbeitsgruppe’ gegeben, um bereits zu Anfang ein klares Verständnis vom Untersuchungsgegenstand herauszuarbeiten. An späterer Stelle (in Kapitel 3) wird auf die verschiedenen Merkmale von Gruppen ausführlich eingegangen. Eine Definition aus der Organisationspsychologie beschreibt Gruppe als small collectives of individuals (ten or less) who have the opportunity for significant, meaningful interaction with one another. These groups, whether social or work-related are made up of individuals who see themselves and are seen by others as a social entity, who are interdependent because of the tasks they perform as members of the group, who are embedded in one or more larger social systems (Shaw / Barrett-Power 1998 S. 1311 in Anlehnung an Guzzo / Dickson 1996 S. 308f). Während diese Definition als Anzahl einer Kleingruppe zehn oder weniger Mitglieder nennt, spricht man an anderer Stelle als maximale Obergrenze von 20 bis 25 (vgl. Wahren 1994 S. 130, Staehle 1994 S. 248, McGrath 1984 S. 8). Ob eine Einheit von 25 Personen noch eine Gruppe ist, hängt jedoch weniger von der Anzahl ab, als von der ebenso im Zitat genannten Möglichkeit zur persönlichen Interaktion, die mit zunehmender Mitgliedergröße schwindet (Wahren 1994 S. 131). Als kleinste Gruppe ist die Dyade mit zwei Personen zu bezeichnen, die jedoch Besonderheiten aufweist im Vergleich zu Gruppen mit mehr Mitgliedern (vgl. Staehle 1994 S. 248) und daher im Folgenden nicht mit berücksichtigt werden soll. Wie viele (und welche) Mitarbeiter in die Gruppe geholt werden, hängt u.a. von der Aufgabe ab, wobei nach Wahren (1994) Problemlösungsgruppen, die auch im Rahmen dieser Arbeit im besonderen Fokus liegen sollen, oft kleiner sind als solche, die physische Arbeiten verrichten. Die eben zitierte Definition erwähnt zwar die Gruppenidentität, macht aber zu wenig die gemeinsam geteilten Ziele, Werte, Normen und Praktiken deutlich. Diese Elemente bezeichnen Klimoski / Mohammed (1994) als „team mental model“, ein von allen Mitgliedern getragenes System kognitiver Strukturen, das u.a. die Konstruktion der Umwelt, Sinngebung, Wahrnehmung und Verhaltensanleitungen vorgibt. Andere Autoren gehen nicht ganz so weit, um von gemeinsamen mentalen Modellen zu sprechen, aber es herrscht Konsens darüber, dass

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auf jeden Fall gemeinsame Normen3 entwickelt werden, welche die Interaktion und die Aufgabenbewältigung leiten (vgl. z.B. Earley / Gibson 2002 S. 2, Staehle 1994 S. 248). Diese Gemeinsamkeit führt zu einem Wir-Gefühl, das die Mitglieder untereinander und mit dem Team verbindet, auch Kohäsion genannt (Jacoby 2003, vgl. ausführlich Kapitel 3.3.2). Dass dies entstehen kann, bedarf es sozialer Beziehungen als Grundlage für Kooperation (Fisch / Beck 2002 S. 4f). Arbeitsgruppen sind also soziale Systeme, die sich nach außen abgrenzen und sich nach innen strukturieren (Hackman 1987 S. 323). Bei einer Arbeitsgruppe spielt das äußere System insbesondere durch das Unternehmen, in das die Gruppe eingebettet ist, eine Rolle (Hackman 1987 S. 323). Damit ist ein Kontext vorgegeben, der die Strukturen und Prozesse maßgeblich prägt, z.B. über die organisatorische Ausrichtung, Ausstattung mit Ressourcen, Unternehmenspraktiken etc. (Podsiadlowski 2002 S. 80). In dieser Hinsicht unterliegt die Arbeitsgruppe den Einflüssen der spezifischen Unternehmensstruktur und -kultur. Arbeitsgruppen entsprechen im Unternehmen insbesondere zwei Typen (siehe Becker-Beck / Fisch 2002, Fisch / Beck 2002, Staehle 1994): Einerseits können sie innerhalb einer organisatorischen Planeinheit angesiedelt sein und somit die kleinste Einheit (unter der Abteilung) in der Unternehmensstruktur darstellen. Andererseits werden häufig Mitarbeiter verschiedener Ressorts zu Projektgruppen zusammengeführt und bearbeiten einen querschnittsorientierten Auftrag (im Sinne interdisziplinärer Projekte von Böhm 2005). Im Gegensatz zur relativ permanenten Arbeitseinheit ist diese Kooperationsform eher temporär angelegt (MontoyaWeiss / Massey / Song 2001) und oft Ausprägung einer Matrixorganisation, in der die Gruppenmitglieder sowohl der Linie als auch einem oder mehreren Projekten zugeordnet werden (Fisch / Beck 2002 S. 10). Es ist zu unterscheiden nach Primär- und Sekundärgruppen, wobei erstere sich organisch entwickeln (wie z.B. Familie) und die Sozialisierung der Kinder prägen. Dieser originäre Gedanke ist im Laufe der Zeit übernommen worden für Gruppen, die stark emotional und durch enge Bindungen der Mitglieder gekennzeichnet sind (Staehle 1994 S. 249). Sekundärgruppen sind bewusst und strukturiert eingesetzte Gruppen, wie man sie in Unternehmen findet (Staehle 1994 S. 249). Diese werden auch als formelle Gruppen bezeichnet, da sie in einen externen Rahmen eingebunden sind und in hohem Maße Strukturen und Regeln unterliegen. Im Gegensatz dazu formieren sich durch persönliche Kontakte auf Grund sozialer Bedürfnisse informelle Gruppen, die ihre eigene Gesetzmäßigkeit entwickeln, die durchaus den Zielen, Normen und Rollen der formellen Einheiten widersprechen kann. In einer formellen multikulturellen Arbeitsgruppe kann eine solche informelle Gruppe gebildet werden durch die Angehörigen einer einzelnen Kultur, die sich absichtlich oder unabsichtlich von den übrigen Mitgliedern abgrenzen (vgl. faultline-Hypothese in Kapitel 6.1.3.2). Die Aufgabeninhalte einer Arbeitsgruppe können stark variieren, angefangen von manuellen Tätigkeiten bis zu wissensbasierten Problemlösungsaufgaben, wobei in der vorliegenden Arbeit eher letztere betrachtet werden. Eine Arbeitsgruppe muss darin Ergebnisse produzieren und ist daher als leistungsorientiert zu bezeichnen (Hackman 1987 S. 323). Die Aufgabe bestimmt den Grad an Interdependenz, d.h. inwieweit die Mitglieder durch ihr Handeln ihre Kollegen beeinflussen (Wilke / Wit 2002 S. 505). Ein Mindestmaß an gegenseitiger Abhängigkeit ist in einer Arbeitsgruppe per definitionem gegeben (Staehle 1994 S. 248, McGrath 1984 S. 8). Aufgaben und Interdependenz werden inhaltlich noch einmal vertieft in Kapitel 3.2.2 aufgenommen. In manchen Werken wird ‚Team’ vom Begriff der Arbeitsgruppe abgegrenzt (z.B. Maugain 2003, Fisch / Beck 2002, Forster 1978), insbesondere in der populärwissenschaftlichen Literatur (z.B. Block 2000, Katzenbach / Smith 1993), um die besonders enge Verzahnung in der 3

Normen und Ziele erhalten ein eigenes Kapitel 3.3.3.

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Arbeitsweise und die wechselseitige Unterstützung zu betonen, die komplexe und anspruchsvolle Aufgaben erfordern (Podsiadlowski 2002 S. 74). Allerdings fehlt an dieser Unterscheidung die Trennschärfe hinsichtlich der geschilderten Ausprägungen und der ‚normalen’ Interdependenz und Kohäsion einer Arbeitsgruppe (vgl. Wegge 2001). Daher wird analog zu Guzzo (1996) und Earley / Laubach (2002) in den folgenden Ausführungen keine Differenzierung vorgenommen, und die Begriffe ‚Arbeitsgruppe’ und ‚Team’ werden synonym gebraucht. In diesem Kapitel sind die essentiellen Merkmale von Arbeitsgruppen für ein vorläufiges Grundverständnis zusammengestellt worden. Kapitel 3 wird diese zum Teil noch einmal aufgreifen bzw. vertiefend auf weitere Prozesse und Strukturen in ihrer Relevanz für die Gruppeneffektivität eingehen, wie z.B. Rollen, Kohäsion oder Dynamik.

2.1.3

Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand

Die eben definierte Arbeitsgruppe wird seit Längerem eingängig von der Kleingruppenforschung untersucht. Diese konstituiert sich als eine eigene Forschungsrichtung, wobei sie sich über verschiedene Disziplinen hinweg streckt und nicht unbedingt durch Einheitlichkeit gekennzeichnet ist. Historisch werden die Hawthorne-Studien Ende der 1920er als einer der wichtigsten Startpunkte für das Interesse an der Thematik gesehen, welche die Aufmerksamkeit auf die Prozesse der Gruppe lenkte. Als ein früher Vertreter der Gruppendynamik gilt Lewin, der in den 1940ern die Entstehung, Entwicklung und Funktion kleinerer Gruppen untersuchte und sich damit von individualistischen Erklärungsansätzen in Unternehmen abwandte (Staehle 1994). Dies legte den Baustein für die Erforschung von Teameffektivität, die heutzutage eine der zentralen Fragestellungen bildet (Thunig 1999). Becker-Beck / Schneider (1998) sehen die Blütezeit der Kleingruppenforschung zwischen 1940 und 1960 und erkennen ein Aufleben in den 1990ern. Als Hauptträger der Kleingruppenforschung sind die Soziologie und die Sozial- sowie Organisationspsychologie zu nennen, wobei den beiden letzteren in dieser Arbeit der Vortritt gewährt wird. Doch ebenso die Kommunikationswissenschaften liefern Beiträge (z.B. Kommunikationsmuster in Gruppen), ebenso wie die Bildungswissenschaften (z.B. Lernen in Gruppen), Wirtschaftswissenschaften (z.B. Gruppenanreize), Anthropologie (z.B. Bedeutung von Gruppenmeetings), Politikwissenschaft (z.B. Entscheidungen auf oberster Ebene), Informatik (z.B. Einfluss von Computern auf Meetings) oder das Ingenieurswesen (z.B. Gruppen im Qualitätswesen) (vgl. Guzzo 1996). Die Sozialpsychologie mit ihrer Perspektive auf Interaktionen zwischen Personen dominierte in der Anfangsphase der Gruppenforschung und deckte Felder wie Einfluss der Gruppe auf das Individuum (z.B. Asch 1956 zu Konformität) und Intragruppendynamik und -prozesse ab (Guzzo 1996). Erkenntnisse wurden hauptsächlich über Laborexperimente generiert; nur fünf Prozent aller Untersuchungen fanden im Feld statt (McGrath / Altman 1966). Nach Guzzo (1996) löste die Organisationspsychologie die Sozialpsychologie ab und betrachtet nun Gruppenprozesse vor allem in ihrer Wirkung auf Effektivität als Produkt und Konsequenz von Gruppenhandeln. Dies rührt vom generellen Forschungsinteresse der Organisationspsychologie, welche Organisationen, darunter auch Unternehmen, untersucht, die unter Leistungsdruck stehen. Die Daten werden weiterhin in Laborexperimenten gewonnen (insbesondere bei Themen wie der Einfluss von Computern auf Teamarbeit). Nach Hollingshead / McGrath (1995) beträgt der Anteil nach wie vor hohe 80 Prozent; Feldexperimente und Fallstudien nehmen 20 Prozent ein. Letztere streben nun desgleichen danach, mehrere Variablen gleichzeitig zu erfassen, entweder quantitativ wie beispielsweise bei Gladstein (1984), deren damit erhaltenes Gruppenmodell in Kapitel 3.4 noch vorgestellt werden wird, oder qualitativ wie bei Ancona / Caldwell (1992) zum Überleben von Teams in der Organisation.

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Neben der Aufteilung auf verschiedene Disziplinen ist gleichermaßen eine Spezialisierung inhaltlicher Art festzustellen, z.B. auf interpersonale Beziehungen in Gruppen (z.B. Berscheid 1985) oder auf Führung (z.B. Burpitt / Bigoness 1997, Jung / Avolio 1999). Dies ist einerseits nötig, um durch Komplexitätsreduktion einzelne Variablen erklären zu können. Andererseits fehlt eine Integration zu einem einheitlichen Forschungsbereich (Witte 1995). Trotz der reichhaltigen Literatur und Studien ist daher als Mangel in der Kleingruppenforschung festzustellen, dass es nach wie vor keine übergreifenden Rahmenkonzepte und Theoriebildung gibt (Arrow / McGrath / Berdahl 2000, Becker-Beck / Schneider 1998). Zudem herrscht ein gravierendes Missverhältnis zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung; letztere, die auf den Einsatz von Kleingruppen in den verschiedenen Bereichen fokussiert, nimmt im Vergleich nur ein Fünftel aller Arbeiten ein (Becker-Beck / Schneider 1998). Trotz der aufkommenden Hinwendung zu Feldstudien basieren die meisten vorliegenden Erkenntnisse auf Laborexperimenten, deren Anwendbarkeit im realen Umfeld, insbesondere im Unternehmen, eingeschränkt ist. Im Kapitel 1.2 ‚Die qualitative Methodologie’ wurden bereits einige Probleme der Übertragbarkeit genannt. Hierunter fällt, dass in Laboren Gruppen spontan zusammengesetzt werden und deren Mitglieder nur während einer sehr kurzen Zeitspanne interagieren. Den Mitgliedern erscheint ihre Aufgabe oft trivial; Anreize sind gering. Selten arbeiten sie in der Zukunft wieder zusammen. Oder die Untersuchungsgruppe ist eine Studierendengruppe, die zwar eine reale Legitimation zusammenführt, aber trotzdem unter anderen Bedingungen existiert als eine Gruppe in Unternehmen (Stumpf 2000b, Unger 1998, Guzzo 1996). Als Zwischenfazit wird festgehalten, dass sowohl an der praktischen Realität erhaltene empirische Daten sowie ein integrierendes Gruppenmodell in der Kleingruppenforschung fehlen.

2.2

Das Konzept ‚Diversität’, ihre Dimensionen und der aktuelle Hintergrund

2.2.1

Der aktuelle Hintergrund

Verschiedene Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene haben dazu geführt, dass das Thema Diversität in den letzten Jahren eingehender diskutiert wird, sowohl moralisch als auch ökonomisch, in den öffentlichen als auch wissenschaftlichen Debatten. Die Entwicklungen lassen sich hauptsächlich in drei Bereichen verorten: Demographische Veränderungen, Internationalisierung von Firmen und gesellschaftspolitische Forderungen (Sepehri 2002, Zeutschel 1999, Williams / O’Reilly 1998, Raghuram / Garud 1996, Milliken / Martins 1996). Der erste Bereich, demographische Veränderungen, ist zu unterteilen nach den einzelnen demographischen Merkmalen. Als erstes ist eine Alterung der Gesellschaft in den meisten Industrieländern und so auch Deutschland zu vermerken (Statistisches Bundesamt 2003). Dies bedeutet, dass Unternehmen Mitarbeiter länger beschäftigen (müssen) und der Altersdurchschnitt der Belegschaft steigt. Ältere Arbeitnehmer scheiden in Zukunft nicht wie bisher durch Altersteilzeit oder Frühruhestand bereits vor dem offiziellen Renteneintrittsalter aus, sondern sind stärker weiter im Arbeitsleben und in der Mitarbeiterschaft zu integrieren (Böhne / Wagner 2002). Zudem drängen mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt. Das Statistische Bundesamt (2006) gibt an, dass die Erwerbsquote der Frauen in den zehn Jahren bis 2004 um 3,3 Prozentpunkte auf 55,5 Prozent gestiegen ist (zum Vergleich: die Erwerbsquote der Männer lag in 2004 bei 66,3 Prozent). Einwanderung führt zu einer Zunahme der kulturellen Diversität. Die Quote der ausländischen Bevölkerung stieg von 1990 bis 2003 von sieben auf fast neun Prozent an (Statistisches Bundesamt 2004). Zum Ausgleich der niedrigen Geburtenrate in Deutschland wird ein ver13

mehrter Zuzug von ausländischen Mitbürgern diskutiert (Rötzer 2005). Davon abgesehen liegt nach dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung die Geburtenrate der ausländischen Bevölkerung über der deutschen (Roloff 2002). Erwerbstätige stammen also nicht mehr in so hohem Maße aus der mehr oder weniger homogenen Gruppe der Deutschen, sondern aus unterschiedlichen nationalen, ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Hintergründen. Die Internationalisierung der Unternehmen als zweiter Bereich bedeutet eine noch stärker grenzüberschreitende Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten (Wagner 2004, Sepehri 2002, Welge / Holtbrügge 2001, Jackson and Associates 1992). Hierunter zählt die Expansion auf ausländische Märkte zum Bestehen im Wettbewerb, die Auslagerung von Produktionsteilen in kostengünstigere Länder und temporäre oder permanente Zusammenschlüsse mit anderen Firmen. Für Führungskräfte und Mitarbeiter hat dies zur Folge, mit anderskulturellen Vorgesetzten, Untergebenen, Kollegen, Kunden, unternehmerischen und öffentlichen Partnern zu kooperieren (Frohnen 2005 S. 9ff, Podsiadlowski 2002 S. 11). Im dritten Bereich fordern gesellschaftspolitische Zielvorstellungen eine stärkere Integration von Minderheiten, seien es ausländische Mitbürger, Frauen, Ältere oder auch Behinderte und sozial Benachteiligte. Aus diesem Ansinnen stammt die zuweilen stark normative Prägung des Begriffs „Diversität“. Ein geschichtlicher Rückblick zeigt die Ursache: Der Kampf der Schwarzen um Gleichstellung sowie die Forderungen der Frauen- sowie Homosexuellenbewegung in den USA legten den ersten Stein zur Entwicklung der Diversitätsfrage. Affirmative action entstand als eine Maßnahme, benachteiligte Gruppen stärker im Arbeitsleben zu fördern und damit gesellschaftlich zu integrieren. Allerdings wurde dieses stark an Gleichberechtigung und weniger an Leistung orientierte Instrument von Unternehmensseite stark kritisiert (Kirton / Greene 2000). So wurde beanstandet, dass durch die Quotierung bei der Stellenbesetzung nicht die qualifiziertesten Kandidaten beschäftigt werden können und keine Anreize für Eigeninitiativen und Qualifizierung der Angehörigen der benachteiligten Gruppen geschaffen werden (Klingenstein 2003). Aufbauend auf dieser Kritik entstand das eher ökonomisch akzentuierte Modell der value in diversity, das Diversität als Ressource und einen betriebswirtschaftlichen Nutzen erkennt (vgl. Sepehri 2002, Polzer / Milton / Swann 2001, Cox 1993). Dies löst sich vom gesellschaftspolitisch-normativen Anspruch und begründet den Einsatz bzw. die Förderung von Diversität (unter der Nutzung des Instruments managing diversity oder diversity management) aus unternehmerischer Sicht (siehe z.B. Thomas 1998). So wird (auch in Deutschland) erkannt, dass beispielsweise durch die Anstellung von Angehörigen spezieller Gruppen die jeweiligen Zielmärkte kundenorientierter bearbeitet werden können (Müller-Camen / Krüger 2004, Sepehri 2002). Auch die Steigerung von Kreativität und Innovation wird propagiert - doch an dieser Stelle soll der späteren Untersuchung nicht vorgegriffen werden (vgl. Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’). Diese ökonomisch orientierte Auffassung wird in der vorliegenden Arbeit vertreten. Diversität kann zwar im Unternehmen ebenso einem philanthropischen Zweck dienen, was jedoch hier ausgeklammert werden soll. Interessant für die nachfolgende Studie ist die Identifikation der ökonomischen Sinnhaftigkeit und des Einflusses auf Effektivität.4

4

14

Nichtsdestotrotz haben deutsche Unternehmen auch ihre Umwelt zu berücksichtigen; neben den ImageEffekten auf dem Bewerber- und Kundenmarkt (Müller-Camen / Krüger 2004) sind politische Veränderungen und die aktuelle Gesetzgebung zu beachten. Darunter fallen Aspekte wie die greencard, die Einwanderungsgesetzgebung oder die Antidiskriminierungsrichtlinie (Sepehri 2002). Auf diese Weise werden gesellschaftspolitische Forderungen doch auch an das Unternehmen herangetragen und sind nicht komplett vernachlässigbar. Allerdings werden diese Überlegungen nicht im Fokus dieser Arbeit liegen.

2.2.2

Diversität und ihre Dimensionen

Begreift man Diversität als Vielfalt, ist als weitest gefasste Definition die von Jackson / May / Whitney zu verstehen, die Diversität gleichsetzen mit „the presence of differences among members of a social unit“ (1995 S. 217). Doch da setzt bereits die erste Diskrepanz mit anderen Auffassungen an: Nicht nur die Präsenz ist unbedingt entscheidend, sondern die Wahrnehmung und soziale Konstruktion. Dies wird besonders deutlich bei den Debatten in der Diversitätsdimension gender (vgl. z.B. Bruchhagen / Koall 2005), welche die sozialen Geschlechterrollen und ihre Wirkung auf die soziale Interaktion im Augenmerk haben in Abhebung von der Dimension Geschlecht, die rein die biologisch gegebenen Unterschiede betrachtet. Es existieren zudem engere Definitionen mit lediglich einer Diversitätsdimension, wie z.B. zu kultureller Diversität von Cox als „the representation, in one social system, of people with distinctly different group affiliations of cultural significance” (1993 S. 6). Andere, wie Ely / Thomas betonen demographische Unterschiede: „Diversity is a characteristic of groups of two or more people and typically refers to demographic differences of one sort or another among group members“ (2001 S. 230). Thomas brachte als neue Perspektive 1996 auf, nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten einzubeziehen und erstellte folgende Definition: „Diversity refers to any mixture of items characterized by differences and similarities” (Thomas 1996 S. 5). In dieser Arbeit ist Diversität in Unternehmen von besonderem Interesse, daher ist daneben speziell auf ökonomische Fragen zugeschnittene Konzept von Cox zu erwähnen: „Diversity is the variation of social and cultural identities among people exisiting together in a defined employment or market setting” (2001 S. 3f). Im Deutschen wird nach Sepehri (2002) häufig der Begriff ‚Verschiedenartigkeit’ gebraucht, oder auch ‚Vielfalt’, wie bei Wächter / Vedder / Führing (2003). Allerdings bemängeln Jackson / May / Whitney (1995), dass Diversität weniger ein wissenschaftliches Konstrukt als ein Alltagsbegriff ist, der im Managementbereich zurzeit in Mode hat. Um dennoch einen theoretischen Rahmen zu schaffen, bemühen sich zahlreiche Wissenschaftler um eine Typologisierung der Diversitätsdimensionen. Am weitesten verbreitet hat sich die Unterscheidung in offensichtliche (readily detectable) und latente (underlying) Attribute5 nach Jackson / May / Whitney (1995). Harrison / Price / Bell (1998) nennen die zwei Gruppen surface und deep-level Diversität, Milliken / Martins (1996) beobachtbare und nicht beobachtbare Unterschiede. Die offensichtlichen Eigenschaften sind einvernehmlich festgelegt und beziehen sich auf sofort wahrnehmbare, meist unveränderbare Merkmale (Jackson / May / Whitney 1995 S. 217). Sie beziehen sich auf biologische Charakteristika, die meist in physischen Prägungen erkennbar sind. Sie können unmittelbar beobachtet und in einfachen, validen Arten gemessen werden (Harrison / Price / Bell 1998 S. 96). Klassischerweise fallen hierunter Alter, Geschlecht und Hautfarbe.6 Jackson / May / Whitney (1995) fassen diesen Typ sehr weit und beziehen nicht nur tatsächlich wahrnehmbare, sondern bewusst gespeicherte und direkt abfragbare Charakteristika wie Mitgliedschaften in Organisationen oder Berufsausbildung mit ein. Dabei unterscheiden sie nach aufgabenbezogenen Merkmalen wie Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, Abteilung, formale Berechtigungen usw. und beziehungsorientierten Merkmalen wie Geschlecht, Alter und physische Merkmale. Jackson / May / Whitney (1995) subsumieren Kultur unter beziehungsorientierte offensichtliche Merkmale, doch ist diese Auffassung in der vorliegenden Arbeit nicht haltbar: Erstens bezieht sich Kultur auch auf Arbeitsweisen, ist also ebenso aufgabenbezogen. Zweitens be5 6

Übersetzungen nach Stumpf (2000b). Wobei an dieser scharfen Abgrenzung zu kritisieren ist, dass die angeblich unveränderbaren und sichtbaren Merkmale sehr wohl durch den Träger modifiziert und verdeckt werden können.

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schränkt sie sich nicht auf äußerliche, sondern inkludiert unbewusste und damit latente Merkmale. Diese latenten Attribute können nur durch anhaltende, individualisierte Interaktion und Informationssammlung erkannt werden (Harrison / Price / Bell 1998 S. 96). Es sind jene Phänomene, die vor allem sozial konstruiert werden und damit auch veränderlich sind. Jackson / May / Whitney (1995) differenzieren wiederum in aufgabenbezogene (Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungen) und beziehungsorientierte Merkmale (Werte, Einstellungen, sozialer Status, persönliche Eigenschaften). Unterschiedlichkeit bezieht sich nun auf den Vergleich von zwei (oder mehr) Individuen anhand dieser Merkmale; Diversität ist also immer relational zu sehen. Aufgabenbezogene Dimensionen

Beziehungsorientierte Dimensionen

offensichtlich

x Abteilungszugehörigkeit x Hierarchieebene x Dauer der Unternehmenszugehörigkeit x Berufsgruppe x Bildungsniveau

x x x x x x

latent

x Wissen und Expertise x Fähigkeiten und Fertigkeiten x aufgabenbezogene Erfahrungen

x Einstellungen x Werte x Persönlichkeit

Nationalität ethnische Zugehörigkeit Geschlecht Alter Religion physisches Erscheinungsbild

Tab. 1: Taxonomie von Diversitätsdimensionen (in Anlehnung an Jackson / May / Whitney 1995) Individuen neigen zu einer ersten Kategorisierung auf Grund von Stereotypen (vgl. Kapitel 4.2.7); dementsprechend werden die offensichtlichen Unterschiede wahrgenommen und Teil der Beziehungsebene, welche jedoch gleichermaßen die gemeinsame Aufgabenbearbeitung beeinflusst (Jackson 1996 S. 57). Später, nach erfolgter Interaktion zwischen den Individuen, wird im günstigen Fall Wissen über die latenten und psychologischen Eigenschaften des Anderen gesammelt (Harrison / Price / Bell 1998 S. 89). Harrison et al. (2002) belegen, dass in der Anfangsphase der Kooperation die Effekte der offensichtlichen Unterschiede stärker sind, aber im Verlauf der Zusammenarbeit die Effekte der latenten Diversität zunehmen. Wird nun der Einfluss von Kultur über die Sozialisation auf den Einzelnen betrachtet, zeigt sich, dass fast alle anderen Merkmale kulturell geprägt werden (Stumpf 2000b S. 7). Kultur gilt in dieser Sicht, welche auch in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, als fundamental und soll daher in den Vordergrund der nachfolgenden Überlegungen und Untersuchungen rücken. Allerdings ist zu beachten, dass sich Mitglieder sozialer Gruppen, die sich auf grund von Ähnlichkeit in den Merkmalen zusammenschließen, nicht komplett gleichen, sondern durchaus heterogen sind (Kirton / Greene 2000 S. 4). Ein Individuum ist Mitglied verschiedener sozialer Gruppen und sozialer Identitäten, so dass die Realität bei weitem komplexer ist als es die bisherige einfache Kategorisierung vorspiegelt. Je nach Situation ist die eine oder die andere Gruppenzugehörigkeit und Identität salienter (Earley / Laubach 2002 S. 261), was zusätzlich Dynamik und Wechsel ins Spiel bringt (Chatman et al. 1998 S. 750). Daher dürfen bei einer Betrachtung der kulturellen Diversität die übrigen Diversitätsdimensionen nicht komplett außer Acht gelassen werden, da sie zuweilen stärkere Einflüsse auf das Individuum auslösen als die Kultur bzw. so eng mit ihr verzahnt sind, dass sie analytisch nicht zu trennen sind. Insbesondere im Arbeitsleben müssen vor allem ebenso die arbeitsbezogenen Merkmale 16

beachtet werden, wenn es um Aufgabenerfüllung geht, aber auch die beziehungsbezogenen Merkmale, wenn die Kooperation im Team angesprochen ist. In den weiteren Ausführungen werden daher ebenso die übrigen Diversitätsdimensionen genannt, wenn sie einen signifikanten Einfluss auf die Prozesse der Arbeitsgruppen ausüben. Diversität im Team wird zuweilen in einem Heterogenitätsgrad oder -index7 ausgedrückt, der das Ausmaß von Ähnlichkeit bzw. Unterschiedlichkeit der Teammitglieder beschreibt (vgl. z.B. Jackson / May / Whitney 1995 S. 220). Er kann sich entweder darauf beziehen, wie viele verschiedene Diversitätsdimensionen vorliegen. Oder er gibt nur für eine Dimension (z.B. Kultur) an, dass innerhalb dieser sehr viele Ausprägungen vorliegen (z.B. ein achtköpfiges Team mit Mitgliedern aus acht verschiedenen Kulturen wiese einen hohen Heterogenitätsgrad auf). Für die vorliegende Arbeit wird kein Index berechnet; denn einerseits fällt es schwer zu entscheiden, welche quantitativen Größen die entscheidenden sind (Anzahl verschiedener Kulturen, Verschiedenheit der Kulturen, Größe der Subgruppen etc). Andererseits fielen interessante Sonderfälle, wie z.B. token- oder solo-Mitglieder, d.h. einzelne Individuen, die sich von der Mehrheit unterscheiden (siehe z.B. Kanter 1977), aus der Betrachtung heraus. Auch Mehrheit-Minderheit-Konstellationen ziehen Besonderheiten nach sich. Schließlich können bipolare Teams, d.h. Arbeitsgruppen, die sich aus zwei gleich großen Subgruppen zusammensetzen, als Sonderform heterogener Teams angesehen werden (Jackson / May / Whitney 1995 S. 220).

2.2.3

Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand

In Europa und im deutschsprachigen Raum wurden in den letzten Jahren einige Untersuchungen durchgeführt, inwiefern Diversität als Konzept wahrgenommen und in den Unternehmen gehandhabt wird (z.B. Europäische Kommission 2005, Süß / Kleiner 2005, Erdönmez 2004, Belinszki / Hansen / Müller 2003). Allerdings mangelt es noch an überzeugenden Belegen zur ökonomischen Vorteilhaftigkeit (Sepehri 2002 S. 18), da die positive Wirkung von Diversität auf Unternehmenseffektivität zwar propagiert wird, aber noch nicht wissenschaftlich fundiert studiert worden ist.8 Entsprechend hinkt die deutsche Diversitätsforschung der Praxis etwas nach und ist gerade in der Formation (Rosenstreich 2005). Starke Einflüsse gibt es aus der US-amerikanischen Forschung, die sich in verschiedenen Richtungen schon seit einiger Zeit mit diesem Thema auseinandersetzt. Beteiligte Disziplinen sind laut Williams / O’Reilly (1998 S. 79) die Psychologie, die Wirtschaftswissenschaft, die Soziologie, die Anthropologie, die Kommunikations- und Erziehungswissenschaft sowie die Organisationswissenschaft. Themen erstrecken sich, wie es sie die Zeitschrift Academy of Management in ihrem domain statement (2005) listet, auf die Untersuchung der einzelnen Diversitätsdimensionen wie Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung usw.; Vorreiter neben der ethnisch-kulturellen Dimension stellt die Forschung zu den Geschlechtern dar, zu Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in Einstellungen und Verhalten, deren Ursachen sowie insbesondere zur Rolle der Frau in Gesellschaft und Beruf. In den USA beschäftigen sich auf Grund der Einwanderungsdemographie eine Vielzahl von Studien mit ‚race’, einem Konzept, das so nicht auf Deutschland übertragen, sondern eher zu ethnisch-kulturellen Fragestellungen umgeformt wird. Neben der Erforschung der Unterschiede steht hier die Problematik von Minderheiten im Vordergrund. Darüber hinaus werden soziale Identitäten, die mit der Mitgliedschaft in den verschiedenen Diversitätsdimensionen verbunden sind, und ihre Interaktion untersucht. Relativ weit fortgeschritten ist zudem die US-amerikanische Erforschung von Diversität auf Gruppenebene. Diese wird getragen einerseits durch die organisationale Demographiefor7 8

Indices wurden z.B. von Tsui / O’Reilly (1989) oder Kossek / Zonia (1994) erarbeitet. Eine erste Ausnahme bildet die Studie „Geschäftsnutzen von Vielfalt“ der Europäischen Kommission (2005).

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schung (z.B. Ancona / Caldwell 1992, Tsui / Egan / O’Reilly 1992, O’Reilly / Caldwell / Barnett 1989), die hauptsächlich offensichtliche Diversitätsdimensionen, welche in Korrelation mit latenten Unterschieden gesehen werden, in Zusammenhang mit Effektivität im Unternehmen stellen. Diese Studien kommen meist zum Schluss, dass nicht Unterschiedlichkeit, sondern Ähnlichkeit zum Erfolg beiträgt (Rohn 2003). Andererseits widmet sich ebenso ein Teilbereich der Kleingruppenforschung der Untersuchung von Diversität (z.B. Guzzo / Dickson 1996, Campion / Medsker / Higgs 1993), wobei sie diese als einen Einflussfaktor neben einigen anderen aus der Arbeitsumgebung definieren. In Summe sind die Aussagen zwiespältig, was die Wirkung von Diversität auf Teameffektivität betrifft. Verschiedene Aufstellungen zu den positiven und negativen Wirkungen geben zum Beispiel Podsiadlowski (2002), Shaw / Barrett-Power (1998), Williams / O’Reilly (1998), Jehn (1997a) und Milliken / Martins (1996). Eine Vielzahl der Studien fokussiert dabei auf einzelne Diversitätsdimensionen, insbesondere Geschlecht, Alter, race, Einstellungen und Werte, wie Harrison / Price / Bell (1998) in ihrer Kategorisierung von Studien zeigen. Das Problem an der gängigen Forschungsmethodik liegt wie bei der Kleingruppenforschung allgemein (vgl. Kapitel 2.1.3) daran, dass die meisten Erkenntnisse durch Laboruntersuchungen mit Studierenden stammen, die nur kurzzeitig zusammenarbeiten und meist eine triviale Aufgabe ohne Wichtigkeit für die Teilnehmer bearbeiten (Smith / Noakes 1996, Watson et al. 1998). Damit erfassen diese Studien nicht die Problematik von realen Arbeitsgruppen, bei denen der Arbeitskontext, die Mitarbeiter, die Aufgabe und die langfristige Kooperation entscheidende Variablen sind, welche die Ergebnisse aus den Laboruntersuchungen stark in Frage stellen. In der Zwischenzeit wurde dieses Manko erkannt, und einige Wissenschaftler bemühen sich um Feldstudien (z.B. Ely / Thomas 2001, Jehn / Northcraft / Neale 1999). Als Lücke im Forschungsstand wird zusammenfassend erkannt, dass es in Deutschland einer weiteren Auseinandersetzung und wissenschaftlichen Fundierung zum Thema Diversität bedarf. Eine Fortführung der US-amerikanischen Forschung auf Gruppenebene erscheint angemessen, wobei das Konzept von race auf kulturelle Diversität abzuändern ist. Darüber hinaus sollte der Unternehmensbezug in der empirischen Erhebung berücksichtigt werden. Diesen Forderungen verschreibt sich die vorliegende Arbeit.

2.3

Kultur und interkulturelle Kommunikation in Unternehmen

2.3.1

Die Relevanz der interkulturellen Kommunikation im Unternehmen

Ausgehend von der aktuellen Diskussion zur Globalisierung ist das Thema der interkulturellen Kommunikation im Unternehmen als Konsequenz der sich immer stärker verzahnenden internationalen Prozesse zu verorten. Globalisierung gesehen als Integration von vorherig eigenständigen nationalen Einheiten in Bereichen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (Jung / Juchler 2002, Hodge 2000) erhöht den Druck auf die Unternehmen, ihre Aktivitäten analog zu gestalten und sich zu internationalisieren. Dieser Druck formiert sich insbesondere in einem intensivierten und räumlich ausgedehnten Wettbewerb (Welge / Holtbrügge 2001 S. 39ff). Die Internationalisierung der Firmen verstärkt die Globalisierungstendenz, so dass es im wirtschaftlichen Bereich zu einer erhöhten Vernetzung und Interdependenz von Märkten kommt (Podsiadlowski 2002 S. 26). Die Wertschöpfungskette hinsichtlich der Beschaffung, Erstellung und Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen erstreckt sich nun häufig über verschiedene Nationen und gegebenenfalls über verschiedene Unternehmen. Eine Vielzahl von Faktoren fördert die Internationalisierung von Unternehmen: Die Reduktion von Handelsbarrieren, die Deregulierung und Liberalisierung von Märkten, lokale Standortvorteile, die Nutzung von Skalen- und Verbundvorteilen, die Verbesserung der Informationstechnologie sowie die Reduktion von Transportkosten (Macharzina 2003, Jung / Juchler 2002, Welge / Holtbrügge 2001). Einen internationalen Einfluss können Unternehmen ebenso dadurch ver18

spüren, dass durch Migration der Anteil ausländischer Erwerbstätiger im Inland steigt.9 Dies gilt für Deutschland als Einwanderungsland und als Teil der Europäischen Union, in der grundsätzlich Freizügigkeit der Arbeitskräfte angestrebt wird. Bedingt durch die Internationalisierung müssen die verantwortlichen Personen im Unternehmen damit verbundene, international geprägte Aufgaben übernehmen, sei es in Form von Abschluss von Exportverträgen, Lizenzabkommen, Leitung von Joint Ventures, Gründung ausländischer Tochtergesellschaften oder die Führung internationaler Projektteams (Podsiadlowski 2002 S. 25). Zur Erfüllung ihrer Aufgaben stehen Führungskräfte und Mitarbeiter in Kontakt mit ausländischen und anderskulturellen Kollegen, Untergebenen, Vorgesetzten, Kunden, Lieferanten, Behörden und anderen staatlichen Organisationen (z.B. Kühlmann 1998), wie bereits im Kapitel 2.2.1 hinsichtlich Diversität angesprochen wurde. Die arbeitsbezogene Interaktion mit anderskulturellen Menschen wird somit für viele Manager und Mitarbeiter Bestandteil ihrer regulären Arbeit (Jackson and Associates 1992 S. 15). Die Kontakte können durch telefonischen oder schriftlichen Austausch, kurze Geschäftsreisen, mittelund langfristige Versendung ins Ausland oder Anstellung in einem ausländischen Unternehmen erfolgen (Black / Mendenhall 1990). Wie im nachfolgenden Kapitel 2.3.2 zum Kulturkonzept genauer dargelegt werden wird, ist Kultur prägend für Identität sowie für Denken, Fühlen und Verhalten. Damit wirkt sie gleichermaßen im Arbeitsumfeld, indem sie ihren Angehörigen bestimmte Erwartungen vorgibt. Diese richten sich an den Zweck und die Struktur von Unternehmen im Allgemeinen und an Führung, Teams und Aufgaben im Besonderen. Beim Kontakt der Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen werden diese Unterschiede besonders deutlich. Es sind jedoch nicht nur die tatsächlichen Unterschiede, welche besondere Prozesse in der Interaktion auslösen, sondern vor allem auch die wahrgenommenen oder vermeintlichen. Denn beim Zusammentreffen internationaler Personen rückt die (Landes-)Kultur als salientes Merkmal in den Vordergrund und beeinflusst die Wahrnehmung des anderen und von sich selbst (Ravlin / Thomas / Ilsev 2000 S. 18). Andersartigkeit per se löst bestimmte Prozesse aus, welche in den Kapiteln Synergien und Konflikte (Abschnitt IV) eingehender diskutiert werden (z.B. Ethnozentrismus). Auf jeden Fall müssen sich die Beteiligten damit auseinander setzen, dass sie kulturell unterschiedlich geprägt sind (Meyer 2004 S. 69), sei es auf explizite oder implizite Weise. Insbesondere das Management ist dazu aufgerufen, dem Faktor Kultur Aufmerksamkeit zu schenken und kulturelle Gegebenheiten bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen und Personalführung zu berücksichtigen (Podsiadlowski 2002 S. 26). Die Formierung, Führung und Unterstützung von Arbeitsgruppen, die international und damit gleichermaßen multikulturell besetzt sind, sind ein Element hiervon. Das Problem liegt vielfach nach wie vor darin, dass die Kulturthematik im Management unterschätzt wird (Meyer 2004 S. 121). Zwar ist das Thema im Allgemeinen bekannt, doch sind sich die Verantwortlichen oft noch nicht der Ausprägungen und Konsequenzen bewusst. Entscheidungen, z.B. über die Wahl des Kooperationspartners bei Allianzen oder über die Zusammensetzung von Arbeitsgruppen, werden eher auf Grund strategischer Überlegungen gefällt als unter Einbezug der kulturellen Einflüsse. Auch hierzu möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten, indem sie die Auswirkung von interkulturellen Kontakten auf Teamebene im Detail untersucht und präsentiert. Doch bevor dies in Angriff genommen wird, soll das zugrunde liegende Konzept ‚Kultur’ geschärft werden:

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Vgl. auch die Ausführung zu demographischen Veränderungen in Kapitel 2.2.1.

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2.3.2

Das Kulturkonzept und multikulturelle Arbeitsgruppen

Kultur wird von verschiedenen Disziplinen untersucht; entsprechend divers sind Definitionen und Konzepte. Im Jahre 1952 haben Kroeber / Kluckhohn bereits 164 Definitionen gesammelt10 und als Extrakt ihrer Recherche Kultur folgendermaßen zusammengeführt: Culture consists of patterns, explicit and implicit, of and for behavior acquired and transmitted by symbols, constituting the distinctive achievement of human groups, including their embodiments in artifacts; the essential core of culture consists of traditional (i.e. historically derived and selected) ideas and especially their attached value; culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the other as conditioning elements of further action (Kroeber / Kluckhohn 1952 S. 180). Diese Arbeit orientiert sich am anthropologischen Verständnis von Kultur, das durch die eben zitierte Definition zum Ausdruck gebracht wird. Kultur beschreibt demnach ganzheitlich die Lebensweise einer sozialen Gruppe – ein sehr weit gefasstes Konzept (Meyer 2004 S. 70, Ladmiral / Lipiansky 2000 S. 18).

1. Artefakte sichtbar, aber oft nicht entzifferbar z.B. Verhalten, Kunstgegenstände

Percepta

2. Werte, Normen nur beschränkt erfassbar, z.T. unbewusst z.B. Respekt vor Älteren

Concepta 3. Basisannahmen gelten als selbstverständlich; unbewusst z.B. der Mensch ist gut / böse

Abb. 2: Kulturelemente (Köppel 2002 S. 21 nach Schein 1985) Kultur beinhaltet sowohl Verhaltensweisen, als auch deren Ursachen, wie im vielzitierten Modell der Kulturelemente von Schein (1985) veranschaulicht wird (vgl. Abb. 2): Die Elemente lassen sich unterteilen in perceptas und conceptas, was auf Osgood (1951) zurückgeht. Perceptas sind wahrnehmbar und direkt beobachtbar, wie z.B. die soziale Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Kultur. Verhalten manifestiert sich zuweilen in Objekten, den Artefakten einer Kultur, wie z.B. Architektur, Speisen, Kleidung etc., was die materielle Kultur ausmacht. Verhaltensursächlich sind die conceptas, immaterielle und kaum direkt beobachtbare Phänomene, wie geteilte Basisannahmen, Werte und Normen (Meyer 2004 S. 71). 10

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Es ist anzunehmen, dass die Zahl seither enorm gestiegen ist, da seitdem um das Thema ‚Kultur’ herum neue Forschungsgebiete, wie z.B. das Interkulturelle Management entstanden sind und ihren eigenen Zugang zum Forschungsgegenstand entfaltet haben.

Basisannahmen „stellen ein kollektives Unterbewusstsein der Mitglieder einer Kultur dar. Sie leiten die Wahrnehmung, das Denken und die Gefühle der Menschen und gestalten das implizite, für selbstverständlich erachtete Weltbild im weitesten Sinne“ (Stüdlein 1997 S. 26). Basisannahmen formen die Werte, d.h. das was in einer Kultur als wünschenswert gilt (vgl. Kluckhohn 1951). Werte bilden einen Leitfaden für angemessenes Verhalten, in dem sie die Dimensionen gut / schlecht, richtig / falsch, gesund / krank etc. vorgeben (Porter / Samovar 1991 S. 15). Normen übertragen die allgemeingültigen Werte auf spezifische Situationen, bestimmen konkrete Verhaltensweisen und sind mit sozialen Sanktionen verbunden, sollten sie nicht in angemessener Weise berücksichtigt werden (Meyer 2004 S. 73f). Den Zusammenhang speziell zwischen conceptas, Verhalten und Artefakten bringt folgendes Zitat treffend auf den Punkt: „Whereas money is considered an artifact, the value placed upon it is a concept, but the actual spending and saving of money is behaviour" (Almaney / Alwan 1982 S. 5). Der Einfluss zwischen den Kulturelementen kann gleichermaßen in die entgegen gesetzte Richtung laufen: So können Verhaltensweisen langfristig Normen und Werte verändern, welche sich wiederum auf den Basisannahmen niederschlagen. Um das Beispiel aus dem Zitat aufzugreifen, ist bei anhaltendem Reichtum einer Gesellschaft und dem Überfluss an Geld bei allen Bewohnern eine Verhaltensänderung hinsichtlich größerer Ausgaben denkbar, welche langfristig einen ehemaligen Wert wie Sparsamkeit zunichte macht, da er in der jetzigen Umwelt keinen Sinn mehr ergibt. Kultur ist somit Einflussgröße und Ergebnis menschlichen Verhaltens gleichermaßen, was unter dem Punkt ‚Kultur ist dynamisch’ noch einmal aufgegriffen werden soll. Über die Kulturebenen hinaus sind die relevantesten Merkmale, über die in der anthropologischen Kultur einigermaßen Konsens herrscht, folgende: Kultur ist kollektiv. Das heißt, Kultur ist verbunden mit einer sozialen Gruppe. Damit können allerdings die verschiedensten Gruppen gemeint sein, wie z.B. Stämme, Ethnien, soziale Klassen, Nationen etc. (Thomas / Hagemann / Stumpf 2003 S. 239, Ladmiral / Lipiansky 2000 S. 18). Zu beachten ist allerdings, dass Kultur das von der Mehrheit geteilte System beschreibt, aber nicht anwendbar ist auf jedes einzelne Individuum. Jenes weist durchaus persönliche Eigenschaften auf (Kluckhohn / Murray 1948), bzw. verhält sich bewusst nonkonform (Meyer 2004 S. 78). Auf die Problematik von Subkulturen, die hier zum Tragen kommt, wird umgehend eingegangen. Kultur ist erlernt. Damit ist Kultur abzugrenzen von vererbten Eigenschaften eines Menschen. Die Angehörigen einer Kultur lernen als Kinder die Verhaltens- und Denkweisen durch Interaktion, Beobachtung und Imitation und internalisieren auf diese Weise Werte, Normen und Verhaltensweisen ihrer kulturellen Gruppe (Enkulturationsprozess) (vgl. Meyer 2004 S. 77, Porter / Samovar 1991 S. 12). Somit wird Kultur von einer Generation zur nächsten weitergegeben (Jandt 1995 S. 7). Kultur ist dynamisch. Es wurde bereits besprochen, dass sich Verhalten, Werte und Basisannahmen gegenseitig bedingen. Bei wechselnden Umwelten bzw. bei Kontakt mit anderen Kulturen ist über systematische Verhaltensänderungen der Mitglieder ein langfristiger und tiefgreifender Wertewandel möglich und erforderlich als Anpassung an die Umwelt. Allerdings ist zu vermerken, dass die meisten Veränderungen an der Oberfläche passieren und lediglich die Ebene der Artefakte (Kleidung, Essgewohnheiten etc.) tangieren, wobei die tiefer liegenden Werte erhalten bleiben (Meyer 2004 S. 79, Porter / Samovar 1991 S. 12). Kultur ist komplex. Die vielfältigen Elemente von Kultur sind miteinander verwoben und ergeben ein komplexes System (Porter / Samovar 1991 S. 12), das in seiner Gesamtheit kaum beschreibbar ist (Bolten 2003 S. 16). Gerade dadurch, dass eine Person verschiedenen Subkulturen angehört, ist der kulturelle Kontext selten homogen, sondern heterogen, fragmenta21

risch und zuweilen widersprüchlich, da je nach Situation eine Subkultur in den Vordergrund tritt (Sackmann 2001 S. 150). Dieser letzte Punkt ist zu intensivieren, da er die Schnittstelle zur Diversität, wie sie in Kapitel 2.2 aufgezeigt wurde, beschreibt. Kultur kann auf verschiedenen Ebenen verstanden werden, wobei als die oberste Ebene meist die Nationalkultur gesehen wird. Dies liegt nach Ladmiral / Lipiansky (2000) darin, dass in den modernen Industriegesellschaften der Nationalstaat als besonders identitätsstiftend gilt. Eine Voraussetzung hierzu ist allerdings, dass sich Nation und Kultur als eine Einheit historisch entwickelt haben und als relativ homogen anzusehen sind (vgl. Podsiadlowski 2002 S. 39). Kritisch gesehen ist das häufig nicht der Fall, da Grenzen aus politischen Gründen gesetzt wurden (vgl. Ex-Yugoslavien), verschiedene Regionen, Ethnien und Sprachen umfassen (vgl. Spanien) bzw. durch starke Einwanderung nationale Minderheiten ihre eigene Lebensweise importiert haben und aufrecht erhalten (vgl. USA). Aus forschungspraktischen Überlegungen wird dennoch meist die Nationalkultur herangezogen, auch auf die Gefahr hin, dass Heterogenität ignoriert wird und unzulässige Verallgemeinerungen stattfinden (Meyer 2004 S. 81). Andere Kulturen wie Ethnien, soziale Klassen, Berufsgruppen etc. bilden zur Nationalkultur Subkulturen (Jandt 1995 S. 9). Subkulturen sind Untergruppen, deren Angehörige zwar gemeinsame Werte der übergeordneten Kultur teilen, doch sich in bestimmten Merkmalen voneinander unterscheiden (Schönhuth 2005 S. 201). Die für Unternehmen relevanten Subkulturen sind nach Sackmann (2001) einerseits solche, die durch die Unternehmen selbst indiziert werden, wie z.B. Funktionen, Hierarchieebenen oder Dauer der Unternehmenszugehörigkeit. Allgemeine Subkulturen aus der Gesellschaft wie Geschlecht, Religion, Alter oder Beruf kommen hinzu, ebenso regional- oder branchenspezifische. Eine Person ist also Mitglied verschiedener sozialer Gruppen und verfügt über ebenso viele Identitäten, die je nach Merkmal der Situation mehr oder weniger relevant sind (Meyer 2004 S. 81, Sackmann 2001 S. 147). Leitende Funktion von Kultur ist Orientierung für die Angehörigen (Thomas / Hagemann / Stumpf 2003 S. 239). Insbesondere durch Werte, Normen und deren institutionalisierte Form wie Erziehungs-, politisches und wirtschaftliches System wird dem Zusammenleben Struktur gegeben und mit Sinn verbunden (Porter / Samovar 1991 S. 11). Die Gruppenzugehörigkeit erfüllt ein menschliches Bedürfnis, sich mit anderen Personen zusammen zu schließen (TingToomey 1999 S. 13). Der Bezug zum eigenen Kollektiv tritt besonders beim Kontakt mit anderen Kulturen hervor, denn dann schafft er Identität. Die eigene Kultur liefert in dieser Situation einen Referenzrahmen für fundamentale Fragen der eigenen Herkunft. Dabei ist zu betonen, dass gerade hinsichtlich Identität nicht nur objektive Faktoren einer gemeinsamen Kultur wie Geschichte, politisches System, Sprache oder Religion ausschlaggebend sind, sondern insbesondere das subjektive Bewusstsein der Beteiligten, welches sich aus Symbolen und Stereotypen nährt und durch die Interaktion aufrecht erhalten und gestärkt wird. Kultur ist also zu einem großen Teil sozial konstruiert (Ladmiral / Lipiansky 2000 S. 19, Schönhuth im Druck S. 13). Dies ist hinsichtlich interkultureller Kommunikation11 eine entscheidende Aussage. Dann, wenn sich Angehörige verschiedener Kulturen treffen und interagieren, kommt es zum interkulturellen Kontakt - daher die Zusammensetzung ‚interkulturell’ als die Bezeichnung für die Prozesse, die sich in diesen Momenten abspielen (Bolten 2003 S. 65f, Thomas / Hagemann / Stumpf 2003 S. 240). Um auf den Bezug zur sozialen Konstruktion zurück zu kommen, ist festzuhalten, dass in diesem Kontakt zwar sicherlich die tatsächlichen Unterschiede in Werte und Verhalten relevant sind, aber genauso, wenn nicht sogar im stärkeren Maße (wie Ladmiral / Lipiansky 2000 behaupten) die subjektiven. Dies bedeutet, dass der interkulturelle Kon11

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Interkulturelle Kommunikation ist der allgemein übliche Begriff (vgl. Podsiadlowski 2002 S. 48), doch umfasst er im engen Sinne nicht nur Kommunikation als sprachliche Äußerung, sondern jegliches Verhalten und ist gleichzusetzen mit interkultureller Interaktion (vgl. z.B. Simon 2002 S. 21).

takt und die zugrunde liegenden Beziehungen im dynamischen und gegenseitigen Prozess gestaltet werden (Schönhuth im Druck S. 13). Dabei konstituieren sich die Individuen und definieren ihre jeweilige Kultur. Wie gerade im vorigen Abschnitt erst erwähnt, tritt die kulturelle Identität erst im Aufeinandertreffen mit anderen Kulturen in den Vordergrund und wird dann durch die Akteure gespeist (vgl. Ladmiral / Lipiansky 2000 S. 20ff). In der interkulturellen Kommunikation am Arbeitsplatz vollzieht es sich, dass Mitarbeiter und Manager aus den verschiedenen Kulturen ihre jeweilige Erwartung, wie gearbeitet wird, induzieren und an ihre Kollegen stellen (Podsiadlowski 2002 S. 48). Bei Verhaltensabweichungen bzw. der Feststellung von Werteunterschieden folgen verschiedene Arten der Reaktion, je nach Salienz der betroffenen Kulturen, interkultureller Kompetenz der Beteiligten, Wichtigkeit der Situation und weiteren Faktoren. Eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen negativen Ausprägungen ist im Kapitel 4.2 zu finden, der positiven Konsequenzen in Kapitel 5.2. Da diese Ausprägungen sich auf Prozesse zwischen Kulturen beziehen, werden sie ‚interkulturell’ genannt. In Abgrenzung hierzu ist ‚multikulturell’ zu sehen. Dieser Begriff „bezeichnet zunächst nur den Tatbestand, dass sich eine Lebenswelt aus Angehörigen mehrerer Kulturen zusammensetzt. Ob und inwieweit zwischen den Angehörigen einer solchen ‚Multikultur’ Kontakte, Interaktionen stattfinden und auf diese Weise ‚Interkulturen’ erzeugt werden, ist eine andere Sache. Offenkundig ist jedoch, dass mit ‚Multikulturalität’ in erster Linie eine soziale Organisationsstruktur bezeichnet wird“ (Bolten 2003 S. 65f). Eine derartige soziale Struktur findet sich bei den Arbeitsgruppen wieder, die in dieser Studie Untersuchungsgegenstand sind; daher werden sie als ‚multikulturelle’ Arbeitsgruppen bezeichnet (vgl. Demorgon et. al. 2001 S. 41). Je nach Grad der Interdependenz und des (räumlichen) Kontakts werden interkulturelle Kontakte herbeigeführt. Dort spielen sich die typischen interkulturellen Prozesse ab, welche in die zwei Kategorien ‚kulturallgemeine Art’ und ‚kulturspezifische Art’ zu untergliedern sind. Zweite ergeben sich durch die Interaktion Angehöriger bestimmter Kulturen; diese Form wird in der Literatur regelmäßig analysiert (z.B. Ritz 2004 zu deutschen und chinesischen Teambeteiligten im Medizinbereich oder Diehl 2002 zu deutschen Expatriates und lateinamerikanischen Mitarbeitern). Dabei sind die Ergebnisse dieser Studien auf einen speziellen nationalen / ethnischen Anwendungsbereich beschränkt. Kulturallgemeine Prozesse in Arbeitsgruppen ergeben sich durch die Anwesenheit von Angehörigen verschiedener kultureller Gruppen. Die Wahrnehmung und Wirkung von Unterschieden allgemein steht hier im Vordergrund, und Aussagen dieses Inhalts können auf alle multikulturellen Arbeitsgruppen losgelöst von spezifischen Kulturen übertragen werden. Diese zweite Fragestellung wird in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen, in der ein allgemeines Modell für multikulturelle Arbeitsgruppen erstellt wird. Dieses Modell beschreibt solche Prozesse wie Ethnozentrismus oder kulturspezifische Arbeitsteilung, ohne sie an bestimmte Kulturen zu binden. Dies bietet den Vorteil, eine allgemeine Grundlage zu schaffen, die später für spezifische Arbeitsgruppen verfeinert werden kann.12

2.3.3

Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand

Am Thema der interkulturellen Kommunikation beteiligen sich eine Vielzahl von Disziplinen, zuweilen innerhalb ihrer Fachgrenzen, inzwischen immer mehr in interdisziplinärer Vereinigung. Zu Beginn soll auf die getrennten Disziplinen verwiesen werden, um danach auf Synthesen einzugehen.

12

Allerdings sei kritisch angemerkt, dass, wenn es sich tatsächlich um multi- und nicht nur rein bikulturelle Teams handelt, die Identifikation der Einflüsse spezifischer Kulturen und deren Kombination unter Berücksichtigung von Mehr- und Minderheiten sich äußerst diffizil gestalten dürfte und tatsächlich nur am Einzelfall erarbeitet werden kann.

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Die kulturvergleichende Psychologie strebt nach der Identifikation von Unterschieden, seltener von Gemeinsamkeiten zwischen kulturellen Gruppen. Dabei erarbeiten Wissenschaftler dieser Forschungsrichtung Ursache-Wirkungszusammenhänge mit Kultur als der unabhängigen Variablen an. Sie gehen davon aus, dass Kultur als Variable zu isolieren ist und verschiedene Konstrukte über kulturelle Gruppen hinweg vergleichbar sind (z.B. Führung). Die Kontrastierung von Kulturen kann zur Erkennung von potenziellen Problemen beim Aufeinandertreffen dienen. Manche Autoren sprechen auf Grund dieser Problemorientierung auch von ‚interkultureller Konfliktforschung’ (z.B. Jaeger 2004). Als prominentester Vertreter zur Einteilung von Kulturen entlang von Dimensionen ist Hofstede (1980, 1991) zu nennen, der verschiedene Dimensionen zum Kulturvergleich empirisch herleitete. In Deutschland übernahm diese Rolle Thomas mit der Entwicklung der Kulturstandards (1991). Als aktuelles Sammelwerk zum Stand der Forschung ist Trommsdorff / Konradt (2006) zu nennen. Die Kulturpsychologie bezieht sich auf Denken und Handeln im kulturellen Kontext und untersucht die Wechselwirkung von einem Individuum mit einem spezifischen kulturellen System. Ihre Prämisse lautet, dass die Grundlagen menschlichen Handelns nicht natürlich gegeben sind, sondern sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickeln. Kulturelle Bedeutung wird in der Interaktion vermittelt (Podsiadlowski 2002 S. 62). Als aktuelles Beispiel wäre Boesch / Straub (2006) heranzuziehen. In der interkulturellen Psychologie stehen die Phänomene der interkulturellen Überschneidungssituation im Vordergrund, die in den zwei bisher genannten Disziplinen kaum berücksichtigt werden. In dem Moment, wenn Angehörige verschiedener Kulturen miteinander handeln, ist mit neuartigen Erscheinungen zu rechnen. Die interkulturelle Psychologie setzt sich mit der Betrachtung der sich in diesen Situationen ablaufenden psychologischen Prozesse wie Wahrnehmung, Kognition etc. auseinander. Ein großes Thema hierbei stellt die Entwicklung von interkultureller Kompetenz dar (z.B. Thomas / Kinast / Schroll-Machl 2005, Straub / Weidemann / Weidemann im Druck). Interkulturelle Situationen der untersuchten Art treten beispielsweise in Schüleraustauschen, Migration oder Auslandsversendungen auf. Die Kulturanthropologie beschäftigt sich nicht inhärent mit interkulturellen Situationen, sondern analysiert das Zusammenleben innerhalb einer Gemeinschaft, vorzugsweise von Ethnien. Wie jedoch bei der Definition des Kulturbegriffs deutlich aufgezeigt worden ist, liefert sie eine wertvolle Grundlage hinsichtlich der Konzepte. Die Kommunikationswissenschaft fokussiert auf die Untersuchung von Differenzen und Störstellen im Kommunikationsprozess von Angehörigen verschiedener Kulturen. Als Beispiele seien Helmolt (1997) und Ladmiral / Lipiansky (2000) zitiert. Weitere Disziplinen, die auf Grund ihrer Randlage bzw. geringeren Relevanz nicht vertiefend dargelegt werden, sind die Pädagogik, die Politologie oder die Religionswissenschaften. Zahlreiche wissenschaftliche Ansätze lassen sich jedoch nicht einer einzelnen Disziplin zuordnen, sondern speisen sich aus verschiedenen Gebieten gleichzeitig. Es wird derzeit eine rege Diskussion geführt, ob sich diese Ansätze in einer neuen Fachrichtung ‚interkulturelle Kommunikation’ zusammenfassen lassen (vgl. Moosmüller 2005). Ein neueres Sammelwerk, das hierunter fallen würde, ist Nicklas / Müller / Kordes (2006). Die behandelten Themen decken die gesamte Bandbreite interkultureller Kontakte und Prozesse ab. Als besonders relevant für diese Arbeit ist der Bereich der interkulturellen Konflikte einzustufen. Diese wurden umfassend und auf verschiedenen Ebenen betrachtet, beispielsweise zwischen Personen, in Gruppen, zwischen Gruppen und auch zwischen Nationen. Damit liegt eine ausreichende Basis vor, die für die Kapitel 4.2 ‚Konflikte in multikulturellen Arbeitsgruppen’ herangezogen wird. Als ein neueres Gebiet wurden in der Forschung vor kurzen die interkulturellen Synergien entdeckt. Wissenschaftlich wurden sie in Deutschland erstmals an der Universität Regensburg in einer Wissenschaftlergruppe um Stumpf untersucht (z.B. Stumpf 2000b, Tjitra 2001); dabei wurden sie bereits spezifisch auf die Gruppe angewandt. Synergien auf der Or24

ganisationsebene wurden bisher eher betriebswirtschaftlich als kulturell verstanden (vgl. z.B. Reißner 1992 zu Synergien durch Zusammenführung von Unternehmen); auf anderen Ebenen sind keine Forschungsaktivitäten bekannt. Das interkulturelle Management wird in ähnlicher Weise als aufkommendes interdisziplinäres Forschungsfeld gehandelt. Es beschäftigt sich sowohl mit kulturvergleichenden Fragestellungen als auch mit interkulturellen. Zu ersteren sind die Erfassung von Managementstilen in unterschiedlichen Kulturkreisen zu zählen (z.B. Müller 2005, Warner 2002, Rothlauf 1999). Zweite erscheinen für die vorliegende Arbeit eher relevant und sollen daher für die wichtigsten Gebiete kurz aufgeführt werden. Auf der Ebene der Unternehmen befassen sich zahlreiche Wissenschaftler mit Unternehmenskooperationen, wie z.B. Meng (2003) mit Joint Ventures oder Strähle (2004) mit cultural due diligence. Auf der Ebene der Mitarbeiter sind als Themen die interkulturelle Kompetenz zu erwähnen (z.B. Meyer 2004), das Personalmanagement (z.B. Blom / Meier 2002, Barmeyer / Bolten 1998) oder Auslandsentsendungen und Akkulturation (Müller / Gelbrich 2002, Stahl 1998). Die Gruppenebene als Zwischenstufe wurde bisher in geringerem Maße betrachtet, worauf an späterer Stelle noch einmal eingegangen wird. Als gängiges Sammelwerk verschiedener betriebswirtschaftlicher Themen im kulturellen und interkulturellen Kontext gilt Bergemann / Sourisseaux (2003). Multikulturelle Arbeitsgruppen wurden bisher in Anfängen in den verschiedenen Disziplinen bearbeitet, wobei sich die Studien, welche sich auf Teamleistung beziehen, an der Schnittstelle zwischen interkultureller Psychologie und interkulturellem Management befinden (z.B. Rohn 2006, Ritz 2004, Podsiadlowski 2002, Simon 2002, Oetzel 1999). Rein betriebswirtschaftliche Arbeiten fokussieren eher organisatorische Aspekte (z.B. Zerbe 2000). Themen wie Macht, Sprache oder Antirassismus werden in pädagogischen Werken eingebracht (z.B. Marburger 1998). Dabei geht jedes dieser Werke auf einzelne Variablen oder kulturspezifische Zusammensetzungen ein; die Erarbeitung eines Modells, das neben den Prozessen ebenso Inputfaktoren und die Wirkung auf Gruppenleistung entwickelt, steht noch aus. Doch bieten sich diese Studien an, um auf erarbeitete Teilbereiche und erste Ansätze zu Modellen zurückzugreifen und sie weiter zu entwickeln.

2.4

Das neue Phänomen der virtuellen Kooperation

2.4.1

Die treibenden Kräfte der virtuellen Kooperation

Die Globalisierung erfordert neue Strategien, Strukturen und Kompetenzen von Seiten der Unternehmen. Erhöhter Konkurrenzdruck und eine von immer stärkerer Dynamik geprägte Umwelt veranlassen Unternehmen, sich durch Fusionen und Zukäufe, durch Kooperationen mit anderen Unternehmen und durch interne Reorganisation neu zu positionieren (Herczeg et al. 2000 S. 14). Die Produktionswege verflechten sich international und Wertschöpfungsketten werden über verschiedene Standorte hinweg zusammengeführt (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 9). Der Einbezug von Partnerfirmen ermöglicht u.a. Skalenvorteile (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 18, Schräder 1996 S. 10). Die Interdependenzen in und zwischen Unternehmen wachsen enorm, worauf die Prozesse einzustellen sind. Vor allem nimmt die Kooperation von Führungskräften und Mitarbeitern zwischen den Einheiten und über größere Distanzen eine immer entscheidendere Rolle ein. Nur bei regelmäßiger und unmittelbarer Abstimmung ist es möglich, einen ausreichenden Grad an Flexibilität hinsichtlich Systeme, Strukturen und Prozesse zu schaffen, um sich schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen zu können (Bell / Kozlowski 2002). Der Wandel des Wirtschaftssektors von Produktion zu Service und Wissensarbeit verlangt häufig stärkere Zusammenarbeit mit Kunden, die es nun in bisher rein intern ablaufende Prozesse einzubinden gilt (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 19). Der Stellenwert von Kommunikation und Abstimmung verschiedener Einheiten, Hierarchiestufen und Stakeholdern steigt sprunghaft an. 25

Dies ist der Nährboden für die Bildung von virtuellen Arbeitsgruppen. Der Zusammenhang lässt sich mit Müller in Bezug auf die Wertschöpfungskette folgendermaßen beschreiben: Mit business reengineering als fundamentale Neukonzeption der Unternehmensprozesse wird von den Entscheidungsträgern angestrebt, Ziel, Kosten, Qualität, Service und Zeit zu verbessern (1997 S. 46). Die traditionellen Unternehmenseinheiten werden zugunsten von Prozessteams aufgelöst, die den Wertschöpfungsprozess begleiten. Durch die Informationstechnologien ist nach der Idee der virtuellen Organisation Information überall und jederzeit verfügbar, was eine Grundlage dafür darstellt, arbeitsteilige Prozesse zeitlich und räumlich zu entkoppeln (Bleicher 2002 S. 863) und standortübergreifende Teams zu bilden. Dies wird gestützt durch den Abbau von traditionellen Hierarchien, der Hinwendung zu horizontalen Organisationen und der Forcierung von teamorientierter Arbeitsweise (Bell / Kozlowski 2002). Dies wurde bereits in den einleitenden Worten in Kapitel 1.1 thematisiert. Die Informations- und Kommunikationstechnologien fungieren in dieser Entwicklung als treibende Kraft (Davidow / Malone 1993 S. 10); nur mit ihrer Hilfe kann grenzüberschreitend kooperiert werden, ohne dass die Beteiligten auf face-to-face Interaktion angewiesen sind. Same time, same place Kommunikation wird mit anyone, anytime Kommunikation ersetzt (DeSanctis / Monge 1998). Das heißt, Mitarbeiter werden in die Lage versetzt, sich unabhängig von Zeit und Raum auszutauschen; zwei Kommunikationspartner können sich an weit entfernten Orten befinden und trotzdem durch die zahlreichen neuen, meist computergestützten Kommunikationsformen wie E-mail, whiteboards, groupware, instant messaging etc. eine gemeinsame Aufgabe bewältigten. Durch diese Möglichkeit bilden sich neue Organisationsformen sowohl auf Unternehmensals auch Teamebene. Virtuelle Arbeitsgruppen werden im folgenden Abschnitt charakterisiert.

2.4.2

Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale

Virtuell lässt sich vom lateinischen virtus ableiten, der moralischen Deutung des tugendhaften Einsatzes von Kraft (Bleicher 2002 S. 862). Hinsichtlich der Bedeutungsinterpretation des heutigen Begriffs gibt es vielfältige Vorschläge: Lipnack / Stamps bezeichnen mit einem virtuellen Team ein Team, das „fast wie“ ein Team ist (1998 S. 29). Bleicher hingegen setzt virtuell mit „fähig zu wirken“ gleich (2002 S. 862). Herczeg et al. sprechen ebenso von der Wirkung im Sinne von „der Wirkung nach vorhanden“, erwähnen aber zudem die Bedeutung „uneigentlich existierend“ (2000 S. 11). Scholz rückt ebenso die Wirkung in den Vordergrund, wenn er von virtuell als der „Eigenschaft eines Objekts oder eines Vorganges, die erwartete Leistungsfähigkeit zu entwickeln ohne die sonst übliche physikalisch-reale Basis“ spricht (2000 S. 22). In dieser Arbeit wird der Fokus auf Wirkung aufgegriffen, denn virtuelle Teams existieren nicht ‚fast’ oder ‚scheinbar’, sondern ganz real. Die Essenz liegt darin, dass ihre Kräfte in einem neuen digitalen Daseinsbereich wirken. In anderen Arbeiten spricht man von „dispersed teams“ (Polzer et al. 2004) oder „computer-assisted teams“ (Hollingshead / McGrath 1995). Herczeg et al. liefern folgende Definition für virtuelle Teams: Virtuelle Teams sind Arbeitsgruppen, in denen Personen zusammenarbeiten, ohne persönlich am selben Ort anwesend zu sein. Die Zusammenarbeit geht dabei über räumliche, zeitliche und organisationale Grenzen hinaus, wobei ein weites Spektrum von Kommunikationstechnologien genutzt wird (Herczeg et al. 2000 S. 11). Diese Definition umfasst die geographische, zeitliche und organisationale Verstreuung der Teammitglieder sowie den Gebrauch von Kommunikationstechnologien, wobei in Frage zu stellen ist, ob tatsächlich hiervon „ein weites Spektrum“ genutzt wird. Es bedarf einer empirischen Prüfung, ob sich die Kommunikation nicht auf bestimmte Medien konzentriert.

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Die beiden Merkmale Verstreuung und Mediennutzung sind die tragenden Bestandteile der meisten Definitionen, so z.B. auch bei Townsend / DeMarie / Hendrickson (1998 S. 18) oder Hertel / Geister / Konradt (2005 S. 71). DeSanctis / Monge definieren eine virtuelle Organisation als collection of geographically distributed, functionally and / or culturally diverse entities that are linked by electronic forms of communication and rely on lateral, dynamic relationships for coordination (DeSanctis / Monge 1998). Virtuelle Organisationen spielen in den vorliegenden Ausführungen kaum eine Rolle, doch werden in dieser Definition zwei weitere relevante Merkmale genannt, die gleichermaßen für virtuelle Teams entscheidend sind: Einerseits handelt es sich auf jeden Fall um kulturell diverse, zuweilen auch um funktional diverse Einheiten.13 Andererseits zeigt sich in dieser Definition, dass verschiedene Funktionen, wie z.B. die Koordination, nicht mehr auf herkömmlichem Wege erfolgen können. Dies betrifft im Team sämtliche Gruppenprozesse, angefangen bei Aufgabenteilung über Entscheidungsprozesse bis hin zur Teamentwicklung. Denn abgesehen von den technischen Auswirkungen, welche die Nutzung von Kommunikationsmedien induziert (nach Kiesler / Sproull 1992 der first-level effect), ändert sich das Verhalten der Beteiligten (second-level effect). In erster Linie gestalten sich die Kommunikationsprozesse nun ganz unterschiedlich, so dass neues Verhalten möglich, aber auch erforderlich ist, beispielsweise Ideen im chat room zu diskutieren. Doch es ändern sich genauso Abhängigkeiten (z.B. höhere Abhängigkeit vom IT-Berater, geringere Abhängigkeit vom Vorgesetzten), Aufgaben (z.B. stärkere Eigenständigkeit) und schließlich sämtliche soziale Interaktionen (Kiesler / Sproull 1992). Dies ist das differenzierende Merkmal zu traditionellen, im Folgenden face-to-face genannten Teams, deren Mitglieder sich in physischer Nähe zueinander befinden (Bell / Kozlowski 2002). Allerdings handelt es sich bei Virtualität weniger um ein qualitativ distinktes Phänomen als eine graduell unterschiedliche Ausprägung konventioneller Teams (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 69). Es herrscht kein theoretischer Bedarf, dass Gruppen nur faceto-face arbeiten; die herkömmlichen Erklärungsansatze zu Gruppen, wie z.B. die von McGrath (1964),14 sind durchaus für virtuelle Teams anwendbar (Griffith / Neale 2001 S. 385). Im nachfolgenden Abschnitt soll die graduell unterschiedliche Ausprägung vertieft werden, indem verschiedene Dimensionen herangezogen werden, um den Typus virtuelle Teams zu spezifizieren. Einen wesentlichen Beitrag zur Typologisierung liefern Bell / Kozlowski (2002), deren Dimensionen durch die Arbeiten anderer Wissenschaftler ergänzt werden. Die Tabelle 2 fasst die zentralen Dimensionen zusammen. Die geographische Verteilung als konstituierender Bestandteil virtueller Teams ist bereits angesprochen worden. Diese weist diverse Ausprägungen auf: So kann als stark verteiltes Team ein solches gelten, in dem die Mitglieder über sehr viele Standorte verteilt sind (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 71). Oder es kann eines sein, deren Mitglieder durch eine weite räumliche Entfernung getrennt sind (Bell / Kozlowski 2002). Als globales virtuelles Team bezeichnen Maznevski / Chudoba (2000 S. 474) diejenigen Arbeitsgruppen, deren Mitglieder in verschiedenen Länder und Kontinente angesiedelt sind – im Gegensatz zu solchen, die auf Standorte innerhalb eines Landes beschränkt sind. Die zeitliche Verteilung, d.h. die Streuung über verschiedene Zeitzonen, geht Hand in Hand mit der geographischen Verteilung (Bell / Kozlowski 2002). Je mehr Zeitzonen in einem

13 14

Vgl. Kapitel 2.3 ‚Kultur und interkulturelle Kommunikation in Unternehmen’ und Kapitel 2.2 ‚Das Konzept ‚Diversität’, ihre Dimensionen und der aktuelle Hintergrund’. Verschiedene Gruppenmodelle, wie auch das von McGrath (1964) werden in Kapitel 3.4 ‚Ein allgemeines Gruppenmodell’ erläutert.

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Team herrschen, bzw. je weiter diese auseinander liegen, desto mehr ist das Team auf die Nutzung asynchroner Kommunikationsmedien angewiesen (Lipnack / Stamps 1998 S. 32). x x x x x x x x

Geographische Verteilung Zeitliche Verteilung Grenzen innerhalb des Teams Persönliche Interaktion Art der Kommunikationsmedien Lebenszyklus Mitgliedschaft Interdependenz

Tab. 2: Dimensionen von Teams Anzahl und Art von Grenzen innerhalb eines Teams können variieren (Bell / Kozlowski 2002). Als Art wurden bereits Kultur, Funktion und Organisation besprochen. Da ein virtuelles Team leicht diese Grenzen überwinden kann, wird davon ausgegangen, dass es grundsätzlich divers geprägt ist (Griffith / Neale 2001 S. 390). Selbst wenn die eben genannten drei Kriterien unter allen Beteiligten gleich wären, variiert zumindest der jeweilige Kontext (lokale Strukturen, Ansprechpartner, Arbeitsverhältnisse etc.), in dem sich die geographisch verteilten Mitglieder aufhalten. Der Kontext übt einen maßgeblichen Einfluss darauf aus, dass sich die jeweilige Arbeitssituation der Mitglieder unterscheidet (vgl. Kristof et al. 1995). Der Grad an persönlicher Interaktion kann von nie bis mehrmals täglich reichen, was die jeweiligen Endpole ‚rein virtuelles Team’ und ‚face-to-face Team’ charakterisiert (Griffith / Neale 2001, Kristof et al. 1995, Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 71). Als Ersatz für face-toface Interaktion greifen die Mitglieder virtueller Teams auf Kommunikationsmedien zurück. De facto verwenden Mitglieder herkömmlicher Teams diese Medien genauso, anstatt sich persönlich auszutauschen (Kirkman et al. 2004 S. 178), wenn es die Art der Information (z.B. Notwendigkeit der schriftlichen Dokumentation) oder die Situation (z.B. ein Teammitglied ist nicht persönlich erreichbar) erfordert. Nach Griffith / Neale sind hybride Teams, die sich zumindest gelegentlich persönlich treffen, in Unternehmen am meisten verbreitetet (2001 S. 385). Teams, in denen sich die Mitglieder überhaupt nicht treffen, auch nicht vereinzelt oder bilateral (dies wären rein virtuelle Teams), kommen ausgesprochen selten vor. Die Art der Kommunikationsmedien, welche im Team verwendet werden, rangiert zwischen synchron (z.B. Telefongespräch) und asynchron (z.B. E-mail), bzw. zwischen reichhaltig (z.B. face-to-face Gespräch) und weniger reichhaltig (z.B. E-mail). Reichhaltig (im englischen Original rich) bezeichnet den Umfang an verschiedenen Kanälen, die ein Medium beinhaltet, und damit die Anzahl an verschiedenen Signalen, die weitergegeben werden können (vgl. zu diesem Konzept Daft / Lengel 1986). Wenig reichhaltige Medien basieren auf lediglich einem Kanal. Die meisten computergestützten Medien wie E-mail, Internet, chat, whiteboard etc. als auch Fax und alle anderen schriftbasierten Medien verfügen nur über das geschriebene Wort plus eventuelle verschriftlichte Laute und Zeichen, die para- und nonverbale Elemente substituieren (z.B. „puh“ oder emoticons wie -) (Carey 1980).15 Als Medium mittlerer Reichhaltigkeit gilt das Telefon, bei dem über das gesprochene Wort neben dem verbalen Gehalt gleichermaßen paraverbale Elemente übermittelt werden (z.B. Schweigen, Seufzen, Tonfall). Stark reichhaltige Medien liefern Informationen über verschiedene Kanäle 15

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Wobei hier wiederum zu beachten ist, dass diese Ausdrücke und Symbole kulturspezifisch sind, wie Cakir / Bichelmeyer / Cagiltay (2002) in einer empirischen Studie bestätigen.

und decken zusätzlich nonverbale Kommunikation ab (z.B. Mimik und Gestik in einer Videokonferenz) (Behrendt 2002, Rice 1992). Die reichhaltigste Form der Kommunikation ist das face-to-face Gespräch, bei dem sämtliche Kanäle zur Verfügung stehen. Virtuelle Teams sind durch die geographische und zeitliche Distanz auf eher asynchrone und weniger reichhaltige Medien eingeschränkt; face-to-face Teams hingegen kommunizieren mehr synchron und reichhaltig (Kirkman et al. 2004 S. 179, Lipnack / Stamps 1998 S. 72). Hinsichtlich Lebenszyklus stufen Bell / Kozlowski (2002) oder ebenfalls Herczeg et al. (2000) die meisten virtuellen Arbeitsgruppen als Projektteams ein, die für eine Aufgabe gebildet werden, für die Zeitdauer der Aufgabe zusammenarbeiten und sich dann auflösen. Dementsprechend kann die Gruppe flexibel je nach Umweltanforderungen eingesetzt werden, und Ressourcen werden effizient genutzt (Jarvenpaa / Leidner 1998). Ein temporäres Team hat weder eine gemeinsame Vergangenheit noch eine gemeinsame Zukunft (Kristof et al. 1995), was die Teamentwicklung und die Kooperation entscheidend beeinflusst (vgl. Kapitel 3.3.7 ‚Teamentwicklung’). Zur Gewährleistung der Flexibilität werden nicht nur die Arbeitsgruppe gesamt, sondern insbesondere einzelne Mitglieder je nach Bedarf eingesetzt bzw. abgezogen (Herczeg et al. 2000 S. 19, Jarvenpaa / Leidner 1998, Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 18). Damit sind die Teamgrenzen nicht starr fixiert. Darüber hinaus existieren divergierende Niveaus an Mitgliedschaft: Als das Kernteam werden längerfristige Mitglieder definiert und als periphere Mitglieder weitere Experten zur Unterstützung im jeweiligen Gebiet bzw. Aktivität (Maznevski / Chudoba 2000 S. 477). additiv

sequentiell

reziprok

intensiv

Abb. 3: Interdependenzformen in virtuellen Teams (nach Bell / Kozlowski 2002 S. 13) 29

Die Interdependenz der Aufgabe determiniert nach Bell / Kozlowski (2002) die eben genannten Dimensionen (vgl. Abb. 3). Die Autoren greifen auf die Kategorien von Van de Ven / Delbecq / Koenig (1976) zurück, die je nach Arbeitsfluss die Interdependenzform beschreiben: Additive Aufgaben weisen die geringste Interdependenz auf, da sie unabhängig von einzelnen Mitglieder ausgeführt und am Ende kombiniert werden. Sequentielle Aufgaben fließen eindirektional von einem Mitglied zum nächsten. Reziproke Aufgaben werden im Prozess mehrmals hin- und hergegeben, bis sie fertig gestellt sind. Intensive Aufgaben erfordern eine gemeinsame Diagnose und Lösung von allen Mitgliedern gleichzeitig. Die Aufgaben der letzten zwei Interdependenzformen weisen eine hohe Komplexität auf und können nur in enger Abstimmung und in relativ synchroner Kommunikation bearbeitet werden.16 Wie jedoch andere Autoren feststellen, werden auch und gerade komplexe Aufgaben von virtuellen Teams erledigt, z.B. in der Produktentwicklung (Maznevski / Chudoba 2000 S. 473, Lipnack / Stamps 1998 S. 70), denn schließlich sind es diese Aufgaben, die vielfältige Kompetenzen aus diversen Bereichen und Standorten erfordern. Je interdependenter die Aufgaben bei virtuellen Teams und desto weniger sie in modulare Einheiten unterteilbar sind, desto stärker fällt der Bedarf an Koordination aus (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 75). Was tatsächlich eher für virtuelle Teams zutrifft, ist ein relativ hoher Anteil an wissensbasierten Aufgaben im Gegensatz zu eher manuellen Leistungen (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 75, Kirkman et al. 2004 S. 176). Wenn nun die Pole der jeweiligen Dimensionen zusammengeführt werden, kann ein ‚typisch virtuelles’ Team als über zeitliche, funktionale, organisationale, geographische und kulturelle Grenzen verteilt, kurzlebig, dynamisch in der Mitgliedschaft und wissensbasiert charakterisiert werden. Auf dem anderem Pol liegen Teams, die an einem Standort mit festen Mitgliedern über längere Zeit hinweg arbeiten. Daraus wird deutlich, dass Virtualität eher ein stetiges, multidimensionales Konzept darstellt (Griffith / Neale 2001 S. 385), das je nach Team in anderen Ausprägungen erscheint. Der Einfachheit halber wird in der vorliegenden Arbeit wie bei Hertel / Geister / Konradt (2005) der Begriff ‚virtuelle Teams’ für Teams mit einem hohen Grad an Virtualität verwendet, wobei v.a. auf die Dimensionen geographische Verteilung und Interaktion Bezug genommen wird. Virtuelle Teams sind damit ein Spezialfall von allgemeinen Arbeitsgruppen (vgl. auch Keiser 2002 S. 47). Der kulturelle Einfluss in virtuellen Teams macht sich auf mehreren Ebenen bemerkbar. Es wurde bereits angesprochen, dass virtuelle Teams häufig mit Angehörigen verschiedener Kulturen besetzt sind. Zu welchen Konsequenzen diese Form der Diversität führt, ist zentrale Fragestellung dieser Arbeit und wird an späterer Stelle eingehend theoretisch und empirisch behandelt. Es sei an dieser Stelle jedoch auf einen besonderen kulturellen Einfluss verwiesen: Die heutzutage gängigen Kommunikationsmedien sind hauptsächlich der nordamerikanischen Kultur und des dortigen Kontext entsprungen (Raman / Watson 1994 S. 497). Damit tragen sie kulturspezifische Werte (wie z.B. Prozessorientierung) und forcieren kulturspezifisches Verhalten (z.B. speziellen Jargon oder Werkzeuge). Lange wurde Technologie als wert- und kulturneutral gehandelt, womit sie als universal einsetzbar und virtuelle Kooperation als frei von kulturellen Einflüssen galt; Ess (2000) bezeichnet dies als technological instrumentalism. Doch inzwischen ist erkannt, dass Kultur Design, Implementation von und Reaktion auf Kommunikationsmedien beeinflusst (Ess / Sudweeks 2003). Auch wenn viele der Medien nun weltweiten Gebrauch gefunden haben, sind doch Unterschiede in ihrer Nutzung zu verzeichnen, wie einige Studien empirisch belegen (für eine Übersicht zu jenen siehe Kamppuri / Tukiainen 2004). Dies führt auf die interkulturelle Problematik in virtuellen Teams zurück, welche Hauptbestandteil der nachfolgenden Arbeit sein wird, und zwar nicht nur hinsichtlich der Nutzung von Medien, sondern viel tiefgreifenderer Art in Kommunikation und Kooperation.

16

30

Zur Interdependenz von Aufgaben siehe auch Kapitel 3.2.2.

2.4.3

Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand

Virtuelle Teams werden als Arbeitsform seit dem Ende der 1980er in den USA diskutiert. Doch erst das Werk von Lipnack / Stamps (1998) namens „Virtuelle Teams“ brachte den Durchbruch, in dem die Autoren für diese Form der Kooperation plädieren und praktische Anleitungen geben. Es existiert inzwischen eine Bandbreite an populärer Literatur (z.B. Duarte / Snyder 2001, Bartsch-Beuerlein / Klee 2001 oder Kostner 1998) und Anweisungen von Unternehmensberatern (siehe z.B. Elsener 2005, Zaninelli 2004, Block 2000 oder Simons 2000), doch diesen mangelt es an einem wissenschaftlichen Fundament. Sie propagieren euphorisch virtuelle Teams als neuartige Lösung betrieblicher Gruppenarbeit (Keiser 2002 S. 13), die durch die neuen Informations- und Kommunikationsmedien ermöglicht wird, und lassen eine kritische Abwägung vermissen. In Hinsicht auf wissenschaftliche Literatur ist zu konstatieren, dass nach wie vor große Lücken in theoretischen Ansätzen sowie empirischen Untersuchungen herrschen (vgl. Keiser 2002 S. 13). Die ersten empirischen Erkenntnisse, die der Kleingruppenforschung zuzuordnen sind, stammen aus der Selbsterfahrung von Wissenschaftlern mit online-Kursen für Studierende, deren Übertragbarkeit auf die Unternehmenswelt begrenzt ist (vgl. Kirkman et al. 2004 S. 175). Diese Form der Untersuchung sowie Laborstudien dominieren nach wie vor das Feld (siehe z.B. die Arbeiten von Jarvenpaa / Leidner 1998 oder Chase et al. 2002). Übersichten geben Axtell / Fleck / Turner (2004) und Powell / Piccoli / Ives (2004). Die Arbeit von Kayworth / Leidner (2000) ist hierbei besonders hervorzuheben, da die Autoren zwar auch Aussagen im Rahmen von Untersuchungen an studentischen Gruppen erhalten, jedoch einen umfassenden Einblick in verschiedene Gruppenprozesse liefern. Denn die meisten anderen Studien qualitativer und quantitativer Art beschränken sich auf die Erklärung von Ausschnitten aus der Gesamtthematik (wie von Hertel / Geister / Konradt 2005 gesichtet). So beschäftigen sich beispielsweise Carletta / McEwan / Anderson (1998) und Herczeg et al. (2000) mit dem Gebrauch von Videokonferenzen in virtuellen Teams oder Kirkman et al. (2004) mit der Rolle von face-to-face Treffen. Hinsichtlich theoretischer Arbeiten, wie z.B. der von Bell / Kozlowski (2002), ist festzustellen, dass sie sich meist auf eine deskriptive Auseinandersetzung, z.B. in Form von Typologiebildungen, begrenzen. Es fehlen systematische Erkenntnisse insbesondere zu Effektivität, Dynamik und Teamentwicklung oder Führung, also kritischen Teamaspekten, wie u.a. Hertel / Geister / Konradt (2005 S. 70) und Maznevski / Chudoba (2000 S. 473) bemängeln. Letztere Autoren gehören zu den ersten, zusammen mit Shachaf / Hara (2002), die versuchen, verschiedene Elemente von virtuellen Teams zu integrieren. Eine Sonderform virtueller Gruppen, nämlich der Zusammenschluss von open source software-Entwicklern, wurde erstmalig modellhaft und empirisch von Crowston et al. (2005a) untersucht. Konradt / Hertel (2002) fassen die bekannten Ergebnisse der meist angelsächsischen Forschung in ihrem Buch „Management virtueller Teams“ zusammen. Auch der interkulturellen Problematik in virtuellen Teams (die sehr häufig über Landesund damit Kulturgrenzen aufgesetzt sind) wurde bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt (Macfadyen / Roche / Doff 2004 S. 31). Der Großteil an ersten Erkenntnissen stammt ebenso aus Untersuchungen mit Studierenden (siehe z.B. Chen 1998 oder Chase et al. 2002). Eine erste Ausnahme stellt die Arbeit von Maugain (2003) dar, der sowohl Virtualität als auch Multikulturalität von Forschungs- und Entwicklungsteams untersucht. Die virtuelle Organisation als übergeordneter Rahmen für virtuelle Teams hingegen befindet sich hinsichtlich wissenschaftlicher Erforschung bereits auf einem höheren Niveau, erkennbar an den theoriegestützten Ansätzen, die in diesem Bereich erarbeitet wurden, wie z.B. von Reichwald / Möslein (2002), Müller (1997) oder Schräder (1996). Auch Lehrbücher wurden zu diesem Thema bereits herausgegeben (siehe z.B. Picot / Reichwald / Wigand 2003). Hauptsächlich beschäftigen sich (sozial-)psychologische Forscher mit dem Thema virtuelle Teams (z.B. Thiedeke 2000). In der Betriebswirtschaftslehre gibt es nur vereinzelte Ansätze 31

(z.B. Keiser 2002); dort steht eher die virtuelle Organisation im Vordergrund. Eine parallele Forschungsrichtung ist zu nennen, die mit der virtuellen Teamforschung in engem Zusammenhang steht: Es handelt sich hierbei um die Untersuchung von computergestützter Kommunikation, die sehr intensiv seit den 1980ern betrieben wird (Walther / Burgoon 1992 S. 51). Eine Übersicht liefern Keiser (2002) und DeSanctis / Monge (1998). In diesem Untersuchungsbereich wird erforscht, inwieweit die Verlagerung von Kommunikationsereignissen von einer face-to-face Umgebung auf computergestützte Medien (v.a. E-mail) Veränderungen im Kommunikationsverhalten bewirkt (siehe z.B. Kiesler / Sproull 1992 zu Entscheidungsverhalten oder Hightower / Sayeed 1996 zum Informationsaustausch). Ein Ausschnitt beschäftigt sich zudem mit dem Einfluss von Kultur auf Technologien sowie von Technologien auf Kultur (vgl. die von Sudweeks / Ess herausgegebenen Werke 2000, 2002 und 2004 und Ess / Sudweeks 1998). Auch hier greifen die Forscher als Untersuchungsobjekte meist auf Studierende im Feld oder im Labor zurück (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 70). Virtualität bildete den letzten Baustein neben den anderen grundlegenden Konzepten Arbeitsgruppe, Diversität und Kultur. Mit den Ausführungen dieses Kapitels wurde gleichermaßen ein rundes Bild von multikulturellen (virtuellen) Teams geschaffen sowie offene Forschungsfragen identifiziert. Bevor jedoch in die Beantwortung der Forschungsfragen eingestiegen werden kann, bedarf es als Fundierung eine genauere Beschreibung von dem, was in Arbeitsgruppen abläuft. Daher befasst sich der nachfolgende Abschnitt III ausführlich mit den Strukturen, Prozessen und Ergebnissen von Teams.

32

III

Gruppenprozesse, -strukturen und -modelle

3

Die Zusammenarbeit in Gruppen

Die in Kapitel 2.1 ‚Der zentrale Untersuchungsgegenstand: Arbeitsgruppen’ kurz angerissenen Aspekte werden im Folgenden vertieft aufgegriffen, um das Bild von Arbeitsgruppen und Gruppenarbeit zu verfeinern. Es wird begonnen mit dem, was im Regelfall von Arbeitsgruppen erwartet wird, nämlich Leistung. Im nächsten Schritt wird erläutert, welche Strukturen als externe Voraussetzungen Gruppenleistung beeinflussen. Die Prozesse, die sich in Gruppen abspielen, nehmen den Hauptteil dieses Kapitels ein. Im letzten Unterkapitel schließlich werden die Komponenten Strukturen, Prozesse und Output zu einem Modell zusammengefasst, das als Grundlage für das MIPO-Modell (Multikulturelles Input-Prozess-Output-Modell) gelten wird.

3.1

Effektivität als Leistungsmerkmal von Arbeitsgruppen

Der Einsatz von Arbeitsgruppen in Unternehmen ist mit Zielen und Erwartungen der Entscheidungsträger verbunden. Für gewöhnlich ist die Gruppe aufgefordert, eine gewisse Aufgabe zu übernehmen und Ergebnisse zu liefern. Diese Form des Outputs wird als Leistung verstanden, als absolute Größe, welche in Qualität oder Quantität zu bewerten ist. Als relative Größe wird in der Kleingruppenforschung die Gruppeneffektivität herangezogen, welche die Leistung in Verbindung mit den Zielen setzt. Gruppeneffektivität ist also der Grad der Zielerreichung, d.h. das Ausmaß, in dem die Leistung der gewünschten Wirkung entspricht (Simon 2002 S. 12, Högl / Gemünden 2000 S. 42).17 Leistung und Effektivität werden nach Witte / Lecher (1998) als objektive Leistungskriterien bezeichnet. Dabei wird der zielgerichtete Mitteleinsatz angestrebt, seien es die materiellen Ressourcen, die individuellen Kompetenzen der Mitglieder oder die kulturelle Diversität (Witte 2002). Unter Gruppeneffektivität wird zusätzlich die soziale Komponente subsumiert, welche die Ebene der Kooperation und der Mitglieder betrifft und die subjektiven Leistungskriterien umfasst (Witte / Lecher 1998). McGrath (1964) nennt diese Komponente other outcomes und bezieht sich damit sowohl auf Mitgliederzufriedenheit als auch auf Kohäsion. Hackman / Morris (1975) sehen in diesem Sinne als Erfolgskennzeichen, wenn die Bedürfnisse der Mitglieder erfüllt worden sind. Ting-Toomey / Oetzel (2001) konzentrieren sich im Bereich der subjektiven Outputs auf die Beziehung unter den Mitgliedern. In dieser Arbeit wird die Zufriedenheit der Mitglieder betrachtet, welche die meisten der genannten sozialen Ausprägungen in sich vereint. Als Mitgliederzufriedenheit wird nach Simon ein „positiver, emotionaler Befindlichkeitszustand verstanden, der aus den Bewertungen des eigenen Arbeitsplatzes und den Erfahrungen in der Arbeit resultiert“ (2002 S. 14). Dieses subjektive Kriterium wird neben dem objektiven als für das Unternehmen relevant erachtet (Simon 2002 S. 13). Ein erster Grund liegt darin, dass neben der Generierung von Profit ein Unternehmen zum Mitarbeitererhalt und der Wahrung eines positiven Außenbildes darauf angewiesen ist, dass sich die Mitarbeiter im Unternehmen ausreichend wohl fühlen. Zudem ist Zufriedenheit ein Einflussfaktor auf Leistung, indem sie die in gewissem Maße Arbeitsmotivation stärkt und dazu beitragen kann, Fluktuation, Fehlzeiten und Unfallhäufigkeiten zu reduzieren (Steinmann / Schreyögg 1997 S. 495), so dass sie aus diesem Grunde nicht vernachlässigt werden sollte.18

17

18

Abzugrenzen hiervon ist der Begriff der Effizienz, der die Relation des Mitteleinsatzes zum Ergebnis misst, um den im Sinne von Kosten optimalen Einsatz von Ressourcen aufzuzeigen. Hier steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund und nicht die Erreichung eines speziellen Ziels (vgl. Sturm 2000 S. 24). Betrachtet man die längerfristige Interaktion in einer Unternehmung, ist zudem die über die Gruppenarbeit hinausgehende Fähigkeit der Mitglieder zur Kooperation zu berücksichtigen (vgl. Hackman / Morris 1975).

33

Die Schwierigkeit beider Arten von Gruppeneffektivität liegt in ihrer Bewertung. Zwar basiert die Leistung von Gruppen auf vermeintlich objektiven Größen, jedoch ist der Output häufig nicht zu quantifizieren. So muss auf Hilfskonstrukte wie Eigeneinschätzung, Beurteilung durch den verantwortlichen Manager oder Einzelindikatoren zurückgegriffen werden, die je nach Teamaufgabe erstellt werden (vgl. Campion / Medsker / Higgs 1993, Denison / Hart / Kahn 1996). Högl / Gemünden schlagen beispielsweise für Innovationsteams Detailgrad, Reifegrad, Ganzheitlichkeit und Akzeptanz durch die Kunden vor (2000). Nichtsdestotrotz beruht die Erfolgswahrnehmung in den meisten Fällen auf unterschiedlichen Perspektiven und Erwartungen. Zufriedenheit als subjektiver Faktor ist zudem für das Unternehmen nur über Äußerungen des Mitarbeiters erfahrbar. Sie ist eng verwoben mit anderen sozialen Phänomenen wie Kohäsion, Identifikation oder Motivation und damit schwer greifbar. Inhaltlich bezieht sich die Zufriedenheit des Mitarbeiters schließlich nicht nur auf die Zufriedenheit mit der Gruppe, sondern ebenso auf die individuelle Aufgabe, die interpersonalen Beziehungen zu Gruppenexternen, zum persönlichen Fortkommen etc. Das Problem der Erfassung von Effektivität gilt in der vorliegenden Arbeit insofern, dass in der empirischen Studie die zu untersuchenden Gruppen hinsichtlich ihrer Leistung eingeschätzt werden müssen. Dies wird durch den Rückgriff auf die Eigeneinschätzung des Gruppenmitglieds bzw. des Gruppenleiters gelöst, wie es zum Beispiel auch Gladstein (1984) bewerkstelligte.

3.2

Strukturen als Input

Strukturen geben den Rahmen vor, innerhalb dessen Arbeitsprozesse ablaufen, und nehmen somit beträchtlichen Einfluss auf die Art und Weise, wie Gruppenmitglieder kooperieren und welche Leistung sie erbringen (Gladstein 1984 S. 501). Die Unterscheidung zwischen Strukturen und Prozessen ist nicht bei allen Autoren zu finden; daher soll hier kurz die Differenzierung der beiden Konzepte vorgestellt werden. Es wird sich angelehnt an die Organisationsforschung, in der Organisationsstrukturen eigener Raum gewidmet wird. Dort werden Strukturen als relativ stabile Arrangements zwischen Personen verstanden, die durch Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie koordinative Zusammenführung charakterisiert sind (vgl. Gladstein 1984 S. 501). Prozess hingegen ist die Interaktion, die zwischen Personen oder in MenschMaschine-Beziehungen innerhalb eines Zeitraums abläuft und Ressourcen in Output verwandelt. Damit können einige der Gruppenvariablen als Indikatoren für die Gruppenstruktur definiert werden, wie z.B. Größe und Zusammensetzung. Neben den Variablen auf Gruppenebene sind gleichermaßen solche auf der Ebene der Organisation (z.B. Anreizsystem) und der des Individuums (z.B. Fertigkeiten) zu beachten. Diese Einteilung, welche in den folgenden Erläuterungen beibehalten wird, geht zurück auf McGrath (1964) und strebt danach, die vielfältigen Formen von externen Einflüssen zu erfassen.19 Auf jeden Fall sind Strukturen als erfolgswirksam anzuerkennen, da sie wie eingangs bereits dargelegt, die Prozesse in den Gruppen gestalten. Aus diesem Grund sollen sie ebenso in dieser Arbeit erwähnt werden, allerdings in verkürzter Form, da der Schwerpunkt dann doch auf die Prozesse gelegt wird (vgl. nachfolgendes Kapitel 3.3 ‚Gruppenprozesse als Determinanten für Gruppenleistung’).

3.2.1

Organisation und Kontext

In dieser Arbeit wird die Arbeitsgruppe als ein soziales System verstanden, das in ein übergeordnetes System, und zwar die Organisation, eingebettet ist. Die Organisation, im vorliegenden Fall das Unternehmen, ist wiederum als ein Subsystem der Umwelt zu verstehen (vgl.

19

34

Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch auf dem einmaligen Einsatz einer Gruppe, von daher ist dieses Kriterium hier zu vernachlässigen. Es gibt zahlreiche weitere Systematiken zu externen Determinanten, wie z.B. von Krech / Crutchfield / Ballachey (1962). Diese weisen jedoch nicht die Stringenz auf wie die von McGrath (1964), die sich in der Gruppenforschung weitläufig durchgesetzt hat.

Guzzo 1996), wobei die verschiedenen Ebenen im wechselseitigen Einfluss stehen. Neben der dem Leistungserstellungsprozess zugrunde liegenden Input-Output-Verbindung ist das Unternehmen weiteren Veränderungen der Umwelt unterworfen, sei es auf Grund von Marktveränderungen in Form von konjunkturellen Schwankungen oder Globalisierungsauswirkungen (ökonomische Umwelt), auf Grund von gesellschaftlichem Wandel (gesellschaftliche Umwelt) und gesetzlicher Neuheiten (rechtliche Umwelt), technischen Fortentwicklungen (technische Umwelt), Naturkatastrophen (ökologische Umwelt) oder Regierungswechsel (politische Umwelt). Dabei wird grundlegend in die Aufgabenumwelt und die allgemeine Umwelt unterschieden (Macharzina 2003). Die Arbeitsgruppe verspürt diese Umwelteinflüsse entweder direkt, wenn sie in ihren Aufgaben oder ihren Aktivitäten in eigenem Kontakt mit der Umwelt steht. So können beispielsweise gesetzliche Vorschriften hinsichtlich Produktsicherheit die Anforderungen in der spezifischen Produktentwicklung verschärfen und das Produktentwicklerteam vor neue Herausforderungen stellen. Kunden sind ein wesentlicher Bestandteil der externen Umwelt, an deren Anforderungen sich Teams, speziell in kundennahen Funktionen, ausrichten müssen. Oder die Veränderungen wirken über Umstrukturierungen in der Unternehmung beispielsweise, wenn sie zur Marktsicherung eine Fusion mit einem anderen Unternehmen eingeht und Teams neue Mitglieder aus den dortigen Bereichen zugewiesen bekommen. Der Einsatz von Arbeitsgruppen selbst kann als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen verstanden werden, da sich Unternehmen durch diese Form der Arbeitsorganisation flexibler positionieren möchten (vgl. Kapitel 1.1 ‚Problemstellung und Forschungsziel’). Umgekehrt gibt die Arbeitsgruppe ihre Leistung an die Unternehmung und ferner an die Umwelt ab (z.B. durch die Entwicklung eines innovativen Produkts). Doch nicht nur über den finalen Output ist das Team mit der Unternehmung verzahnt, sondern insbesondere dadurch, dass die Mitglieder nicht lediglich Teil der Arbeitsgruppe, sondern in erster Linie Mitarbeiter der Unternehmung sind. Damit ist das, was sich in der Gruppe abspielt, gleichzeitig Teil der übergeordneten Unternehmung. Ebenso durch die Gruppenebene können Wirkungen in die restliche Unternehmung ausgehen, sei es beispielsweise im positiven Sinne durch Übertragung von Lernerfahrungen oder im negativen Sinne durch die Ausbreitung von Konflikten. Inwieweit Teams die Organisation beeinflussen, wurde anhand mannigfacher Studien20 untersucht. Das zentrale Interesse der Unternehmung, die auch in dieser Arbeit aufgegriffen wird, liegt jedoch auf der Teameffektivität, die als ein Baustein für den Erfolg des Unternehmens begriffen wird. Dafür ist die erst genannte Perspektive die relevante, nämlich der Einfluss des Unternehmens auf die Arbeitsgruppe. Er wirkt indirekt über die Mitglieder und direkt auf die Interaktionsprozesse der Gruppe (Steinmann / Schreyögg 1997 S. 522). Erster Weg läuft über die Auswahl der Mitglieder durch die Entscheidungsträger in der Organisation sowie durch das personenbezogene Management (z.B. durch individuelle Entlohnung). Der zweite Weg wird eingeschlagen, wenn die Arbeitsgruppe selbst durch die Organisation gestaltet wird. Dabei gilt als Grundlage für jede Aktivität des Mitarbeiters und der Gruppe die Unternehmensstruktur, welche u.a. durch die Ablauforganisation die Prozesse vorgibt, durch die Aufbauorganisation den Einheiten ihre Verantwortungen und Aufgaben zuweist sowie das Führungssystem definiert, die Ressourcen zur Verfügung stellt usw. Neben der formal gesetzten Struktur ist die Organisationskultur zu beachten, welche informelle Anteile aufweist, und damit ebenso das Geschehen in der Unternehmung bestimmt. Die jeweiligen Elemente hier aufzulisten und zu erläutern, würde zu weit führen; daher sei auf die gängige Literatur zu Unternehmensstruktur und Unternehmenskultur verwiesen (z.B. Wolf 2005, Jensen 2003, Lässig 1999, Heinen / Fank 1997). Ein einzelnes Beispiel sei herausgegriffen, das sich auf die besondere kulturelle Thematik dieser Arbeit bezieht: So stellt Larkey (1996) einen Zusammenhang 20

Für eine zusammenfassende Übersicht siehe Guzzo (1996) und Guzzo / Dickson (1996).

35

zwischen Organisationstyp und dem Umgang mit kultureller Unterschiedlichkeit in der Arbeitsgruppe her. Er verwendet hierfür die Einteilung von Cox (1991) in monolithische, plurale und multikulturelle Organisationen. Erstere werden mit hoher Homogenität, einer geringen Integration der mengenmäßig kleinen Minderheit und Anpassungszwang oder sogar Diskriminierung gegenüber diesen Minderheiten beschrieben. Über den Rekrutierungsprozess werden gleichartige Mitarbeiter ausgewählt, die diesen Einstellungen folgen und die Tendenzen beibehalten. So ist in den Arbeitsgruppen dieser Organisationen die Mehrheitskultur dominant. Diversität wird wenig beachtet, was durch die Anweisungen durch das Management und die vorherrschende Organisationskultur verstärkt wird. In pluralen Organisationen sind vermehrt Minderheiten vertreten, allerdings in den eher niedrigeren Positionen. Es erfolgt keine ernst gemeinte Integration; Maßnahmen, die geprägt sind durch affirmative action (vgl. Kapitel 2.2.1), bleiben Lippenbekenntnisse, da Diversität eher als Problem und nicht als Chance begriffen wird. Auf Ebene der Arbeitsgruppen kommt es nach wie vor zu Diskriminierung, welche nun besonders schwer aufzulösen ist, da nach der offiziellen Meinung keine Diskriminierung stattfindet. Damit entstehen im Vergleich zu monolithischen Organisationen mehr Konflikte. In diesen beiden Organisationstypen werden die Angehörigen dazu verleitet, kulturelle Unterschiede zur Kategorisierung zu verwenden, was Stereotype aufbaut und Missverständnisse provoziert. Der letzte Organisationstyp wird als multikulturell bezeichnet und stellt ein Ideal zu value in diversity (vgl. Kapitel 2.2.1) dar, in dem diverse Mitarbeiter strukturell und sozial komplett integriert sind. Das heißt, sie bekleiden auch höhere Positionen und ihre andersartigen Ansätze werden angenommen und genutzt. Arbeitsgruppen bekommen in der Konsequenz die volle Unterstützung, egalitär und kulturwertschätzend zu arbeiten. Die Wahrnehmung der Mitarbeiter erfolgt differenzierter und auf Basis von Wissen über die Kultur des Anderen, so dass Verständigung erleichtert wird. Über die allgemeinen Vorgaben hinaus legt jedes Unternehmen Strukturen speziell für Arbeitsgruppen fest, z.B. die formale Gruppenführung oder eventuell eine Gruppenentlohnung als Anreiz zur Kooperation. Hinsichtlich der Entlohnung liegen widersprüchliche empirische Ergebnisse zum Zusammenhang mit der Gruppenleistung vor (für eine Übersicht siehe Cohen / Bailey 1997); jedoch weisen einige Studien darauf hin, dass bei der Anpassung von Entlohnungssystemen an den Grad der Interdependenz durchaus positive Effekte zu verzeichnen sind (z.B. Wagemann 1995). Dies heißt konkret, dass bei geringer Interdependenz in der Gruppe individuelle Leistung und bei hoher Interdependenz Gruppenleistung besonders zu honorieren sind. Des Weiteren ist für die Gruppeneffektivität die Unterstützung durch das obere Management als relevant zu erachten. Dieses kann Feedback und Anerkennung geben sowie die Ressourcenausstattung und die Einbindung in das restliche Unternehmen sicherstellen. Sonst besteht die Gefahr, dass bei mangelnder Akzeptanz durch die Umgebung die Arbeitsgruppe stark in der Erreichung ihrer Ziele beeinträchtigt wird (vgl. Katzenbach 1998, Campion / Medsker / Higgs 1993). Die Ressourcen, welche das Team benötigt, sind einerseits Human- und Sachkapital, aber gleichermaßen ausreichend Zeit.21 Extremer Zeitdruck wird häufig als Belastung und Qualitätsbeeinträchtigung verstanden. Und zuletzt ist der externe Beistand durch Personalentwicklungsmaßnahmen zu nennen, welche sowohl fachliche, technische (z.B. medienbezogene) oder soziale (z.B. zu Teamentwicklung) und persönliche (zur Förderung des einzelnen Mitarbeiters als Bestandteil der Leistungsfähigkeit des Teams) Aspekte umfasst (Campion / Medsker / Higgs 1993, Hackman 1987, Gladstein 1984). Die kurze Aufführung aus dem externen Umfeld vorgegebener Variablen zeigt auf, dass Arbeitsgruppen weder ihren Prozess noch ihren Output vollständig selbst steuern können, sondern in einem nicht unerheblichen Anteil nicht kontrollierbaren äußeren Einflüssen unterliegen (Gladstein 1984 S. 514). 21

36

Zur Relevanz zur Zeit in Arbeitsgruppen siehe die Arbeiten von Dragut / Bertrand (2002) oder Gevers (2004).

3.2.2

Arbeitsgruppe

Wie bereits in Kapitel 2.1.2 ‚Definition von Arbeitsgruppen’ angesprochen wurde, weist eine Arbeitsgruppe verschiedene Merkmale auf, die im Vergleich zu anderen Arbeitsgruppen eine spezielle Ausprägung zeigen. Die in der einschlägigen Kleingruppenliteratur typischerweise behandelten Merkmale sind insbesondere Größe, Zusammensetzung, Zeithorizont, Mitgliedschaft, Aufgabe und Interdependenz. Größe ist bereits im genannten Kapitel ausreichend erläutert worden; Zusammensetzung steht in Bezug mit der Diversität der Mitglieder und wird daher an dortiger Stelle erörtert.22 Es verbleiben für eine vertiefende Erörterung in diesem Kapitel Zeithorizont, Mitgliedschaft, Aufgabe und Interdependenz. Der zeitliche Horizont einer Arbeitsgruppe kann vom kurzen Einsatz bis zur permanenten Einrichtung rangieren (vgl. Wahren 1994). Zweiter Typ wurde bereits als kleinste Einheit der Unternehmensstruktur bezeichnet. Hierbei übernimmt die Gruppe als feste Institution bestimmte fortwährende Funktionen (z.B. im Bereich Human Resources die Personalbetreuung der gewerblichen Mitarbeiter). Die Mitgliedschaft ist ebenso fortwährend; abgesehen von Ein- und Ausscheiden von Mitgliedern bzw. organisatorischer Umstrukturierungen bleiben die Mitarbeiter stabil. Temporäre Gruppen bearbeiten hingegen eine zeitlich befristete Aufgabe und umfassen eine unterschiedlich lange Lebensdauer. Eine äußerst geringe Zeitdauer ist beispielsweise bei Flugzeug-Crews gegeben, die lediglich für die Dauer eines Fluges kooperieren und sich im Anschluss wieder auflösen (Smith / Noakes 1996 S. 486). Der Spezialfall einer temporären Arbeitsgruppe ist die Projektgruppe, die nicht nur zeitlich begrenzt, sondern auch mit der Erbringung einer einmaligen Leistung betraut ist (Montoya-Weiss / Massey / Song 2001). Das Geschäft ist im Vergleich zur festen Einheit oft weniger klar strukturiert, und das Ziel muss zuweilen erst abgeleitet werden (Fisch / Beck 2002 S. 6f). Es kann vorkommen, dass Mitarbeiter verschiedener Funktionen, Bereiche und Hierarchien zusammengeführt werden, um die Thematik umfassend zu bearbeiten bzw. die Orientierung an der Wertschöpfungskette zu gewährleisten. In der Projektform verbleiben die Mitarbeiter strukturell meist in ihren Organisationseinheiten und können an mehreren Projekten gleichzeitig teilhaben. Dies leitet über zur Mitgliedschaft, welche analog der zwei Arbeitsgruppentypen entlang der Pole permanent – temporär und ungeteilt – multipel beschrieben werden kann. Je mehr eine Arbeitsgruppe in Richtung permanente und ungeteilte Mitgliedschaft tendiert, desto geschlossener ist ihre Struktur. Wahren geht soweit, neben einer gruppenspezifischen Eigendynamik von starren Normen und nicht änderungsbereiten Mitgliedern zu sprechen (1994 S. 134). Gruppen, an denen die Mitglieder temporär und gleichzeitig zu anderen Teams beteiligt sind, entsprechen eher einem offenen System, das stärker den Einflüssen der Organisation unterliegt und hinsichtlich Rollen, Prozesse und Identifikation sehr dynamisch geprägt ist (Wahren 1994 S. 134). Multiple Mitgliedschaften führen nach Weick (1969) zu partial inclusion. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter ihre Ressourcen (Zeit, Aufmerksamkeit, Energie) zwischen verschiedenen Gruppen aufteilen müssen und damit nicht mehr volles Mitglied in den jeweiligen Gruppen sein können (Guzzo 1996 S. 15). Die Relevanz einer Gruppe für ein Mitglied vermindert sich, so dass sich womöglich Identifikation, Kohäsion und in letzter Instanz Leistungsbereitschaft verringern. Die Teamgrenzen weichen auf, so dass es zuweilen für externe Partner schwierig ist, Mitglieder von Außenstehenden zu differenzieren. Neben Kernpersonen kann es periphere Mitglieder geben, die eher punktuell oder als besondere Schnittstellen fungieren (Maznevski / Chudoba 2000 S. 477). In der Literatur liest man daher inzwischen vom boundary management, das für den Bestand und Erfolg einer Arbeitsgruppe maßgeblich ist, wie z.B. bei Shachaf / Hara (2002). Diese Autoren sehen im boundary management drei Komponenten: Die Differenzierung, welche die Spezialisierung und Autonomie des 22

Vgl. Kapitel 2.2 ‚Das Konzept ‚Diversität’, ihre Dimensionen und der aktuelle Hintergrund’.

37

Teams betrifft, sowie einerseits die Integration in die Umgebung (in die Organisation als auch in die Umwelt wie Lieferanten und Kunden), als auch andererseits die Identitätsschaffung durch physische und psychische Grenzen. Insbesondere virtuelle Teams zeigen unscharfe Grenzen und die daraus resultierende Problematik auf. Als weiteres Merkmal mag in manchen Fällen die Mitgliedschaft in Arbeitsgruppen freiwillig sein, was hinsichtlich Identifikations- und Leistungsbereitschaft positive Auswirkungen hat (Smith / Noakes 1996 S. 487). Allerdings ist in einem Unternehmen davon auszugehen, dass die Wahlmöglichkeit der Mitglieder begrenzt ist und Mitarbeiter eher durch Managemententscheid Gruppen zugewiesen werden. Die Aufgabe als eines der offensichtlichsten Bestimmungsmerkmale wird bereits seit langem in der Gruppenforschung untersucht. Eine Aufgabe liegt nach Zysno (1998 S. 12) vor, wenn ein Ziel vorgegeben wird und die Regeln und Ressourcen zu dessen Erreichung bekannt sind. Aus der Aufgabe wird ein Problem, wenn die Regeln oder Ressourcen nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, das Ziel zu vage ist oder Randbedingungen wie der Zeitdruck die Erreichung beeinträchtigen. Aus der Aufgabe wird eine Gruppenaufgabe, wenn zur Zielerreichung mindestens eine Interaktion zwischen den Mitgliedern notwendig ist. Es wurden bereits eine Vielzahl von Typologisierungen theoretisch oder empirisch erarbeitet, um die vielfältigen Facetten, die eine Aufgabe beinhaltet, erfassen zu können (vgl. Abb. 4 zur Übersicht). Davon sollen die wichtigsten behandelt und anschließend in ein morphologisches Modell integriert werden. Aufgabeninhalte Heben und Tragen

Suchen

Bestimmen

Lernen

Problemlösen

Beurteilen / Entscheiden

Informationsaufnahme

Info-transformation

Ausführung

Teilbarkeit von Aufgaben Teilbare Aufgaben

Unteilbare Aufgaben

Verknüpfung von Aufgaben Additiv

Disjunktiv

Konjunktiv

Interaktionsmodalität von Aufgaben Kooperativ

Kompetitiv

Abb. 4: Typologisierungen von Gruppenaufgaben Hinsichtlich der Aufgabeninhalte stellt Hofstätter (1957) die Kategorien ‚Heben und Tragen’ (also Muskeltätigkeit), ‚Suchen’ (was Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung umfasst) und ‚Bestimmen’ (binnenstrukturelle Übereinkünfte finden) auf. Davis (1969) schlägt eine 38

Unterteilung in Lernen, Problemlösen und Beurteilen / Entscheiden vor. Cohen (1969) spricht von Informationsaufnahme, Informationstransformation und Ausführung. Steiner (1972) beschäftigt sich mit der Teilbarkeit von Aufgaben. Er führt eine dichotome Einteilung in teilbare und unteilbare Aufgaben ein. Unteilbare Aufgaben müssen von der Gesamtgruppe ausgeführt werden, da sie nicht in Einzelpakete aufzusplittern sind. Teilbare Aufgaben können in Einzelaufgaben untergliedert und an die Gruppenmitglieder distribuiert werden, um im Anschluss die Teilleistungen zum Gesamtprodukt zusammen zu führen. Geteilte Aufgaben werden unterschiedlich verknüpft, wie Steiner (1972) weiter ausführt: Teilleistungen können als erste Alternative additiv zur Gesamtleistung verbunden werden, d.h. das Gruppenprodukt ist die einfache Addition der Beiträge aller Mitglieder (Wilke / Wit 2002 S. 505). Diese Konstruktion kann zu verschiedenen Prozessen in der Kooperation führen: Im Vergleich zu individueller Arbeit treten Motivationsverluste gehäuft auf, wenn die Einzelleistung nicht identifizierbar ist oder vom Gruppenmitglied als entbehrlich angesehen wird. Andererseits gibt es Personen, die sich im Falle vom beschriebenen Trittbrettfahrertum verstärkt anstrengen, um die mangelnden Beiträge der anderen auszugleichen (Wilke / Wit 2002 S. 511). Disjunktive Aufgaben zeichnen sich dadurch aus, dass die Leistung eines Mitglieds zur Gruppenleistung bestimmt wird. Dies kann in Heureka- und Nichtheureka-Aufgaben weiter spezifiziert werden. Erstere werden durch das Herausfinden der richtigen Lösung erledigt (z.B. eine Rechenaufgabe); zweite sind eher komplexe Aufgaben, bei denen es keine offensichtliche Lösung gibt, sondern eine Entscheidung für eine möglichst gute Annäherung gefunden werden muss. In der Aufgabenbearbeitung ist es hier wichtig, besonders kompetente Mitglieder zum Beitrag zu bewegen, damit eine richtige Gruppenentscheidung getroffen werden kann (Wilke / Wit 2002 S. 512). Die dritte Möglichkeit zur Verknüpfung stellen konjunktive Aufgabe dar, welche nur gemeinsam durch alle Mitglieder erbracht werden können, z.B. eine gemeinsame Wanderung beim Betriebsausflug. In diesem Fall bestimmt das schlechteste Mitglied die Gesamtleistung, indem es z.B. durch langsames Laufen die anderen zurückhält (vgl. Wilke / Wit 2002 S. 513). Aufgaben können nach Kelley / Thibaut (1969) hinsichtlich Interaktionsmodalität als kooperativ einerseits oder kompetitiv andererseits bezeichnet werden. Kooperation bedeutet das gemeinschaftliche Bearbeiten einer Aufgabe mit gegenseitiger Unterstützung. Wettbewerb hingegen erfordert die individuelle Anstrengung, die zum Triumph über die Kollegen führt. Wie Zysno (1998) anmerkt, bleiben die Typologien in den meisten Fällen unverbunden nebeneinander stehen. Zum Teil erklären sie unterschiedliche Aspekte, zum Teil überlappen sie sich in ihren Aussagen. Zur genauen Beschreibung einer realen Aufgabe scheint es daher relevant, sämtliche Aspekte zu verbinden. Zysno (1998) erstellt hierfür eine Morphologie, in der er die bisherigen Kategorien in ein Gesamtmodell integriert und ergänzt. Es entstehen 14 Klassen, die auf vielfältigste Weise kombiniert werden können (vgl. Abb. 5): Davis’ (1969) und Hofstätters (1957) Einteilungen in Sachbereiche führt Zysno zusammen in Heben / Tragen – Suchen – Beurteilen / Entscheiden. Steiners (1972) Teilbarkeit untergliedert er in räumliche und zeitliche Trennung, so dass vier Möglichkeiten der Aufgabenbearbeitung entstehen: simultan (gleichzeitig und ortsnah) – sequentiell (hintereinander und ortsnah) – parallel (verschiedene Orte und gleichzeitig) – partikulär (zeitlich und räumlich getrennt). Eine Teilung in Einzelaufgaben ermöglicht es, die personellen und materiellen Ressourcen zielführend einzusetzen. Zum Beispiel können virtuell kooperierende Mitarbeiter eingesetzt werden, wenn die Aufgabe in die Rubrik parallel oder partikulär fällt. Allerdings erfordert die Teilung in gleichem Maß Koordination und Kommunikation sowie eine kontrollierte Zusammenführung zum Gesamtergebnis. Nur im Idealfall geschieht eine Zusammenführung der vollen Beiträge (nach den Worten Zysnos synthetische Verknüpfung); im Normalfall ist mit Prozessverlusten zu rechnen (reale Verknüpfung). Die Logik der Verknüpfung übernimmt Zysno von Steiner (1972) und die Interaktionsmodalität von Kelley / Thibaut (1969), wie sie 39

oben erläutert worden sind. Als Beispiel für eine Kombination zwischen den verschiedenen Kategorien seien die simultanen-akkumulativen Aufgaben herangezogen, unter die das Brainstorming fällt: Die Mitglieder müssen an einem Ort und gleichzeitig ihre Leistungen erbringen. Als Ergebnis erhält die Gruppe eine möglichst hohe Anzahl an Ideen, was der Addition von Teilleistungen entspricht. Aufgabeninhalte Heben und Tragen

Suchen

Beurteilen / Entscheiden

Teilbarkeit Simultan

Sequentiell

Parallel

Partikulär

Verknüpfung Akkumulativ Synthetisch

Disjunktiv

Konjunktiv Real

Interaktionsmodalität Kooperativ

Kompetitiv

Abb. 5: Morphologie für Gruppenaufgaben (nach Zysno 1998) Durch die Kombinationsmöglichkeit der Aspekte werden größere, komplexe Aufgaben beschreibbar, die in verschiedene Kategorien fallen, damit eine jeweils andere Anforderung implizieren und von der Gruppe unterschiedliche personelle und kommunikative Ressourcen in Anspruch nehmen. Die Aufgabenkomplexität ist bereits das nächste Thema. Demnach sind nach Van de Ven / Delbecq / Koenig (1976) Aufgaben als weniger komplex zu bezeichnen, wenn sie eher statisch ausgerichtet und kaum mit der externen Umwelt verbunden sind. Auf Grund geringer Verflechtungen erfordern sie nur wenige und asynchrone Verbindungen zwischen den Mitgliedern, sowie geringe Kooperation und Informationsteilung. Aufgaben höherer Komplexität zeichnen sich durch verstärkte Dynamik und einer engeren Verbindung mit der Umwelt aus. Sie beinhalten ineinander verflochtene Schritte und verlangen eine hohe Abstimmung zwischen den Mitgliedern sowie zur Umwelt. Zudem ist synchrone Kooperation und Informationsteilung nötig. Die Aufgabenkomplexität erfordert einen unterschiedlichen Arbeitsfluss und einen unterschiedlich hohen Grad an Interdependenz zwischen den Mitgliedern.23 Eine einfache Aufteilung lautet in interagierende und koagierende Arbeitsgruppen – mit hoher respektive niedriger Interdependenz (Bürkle 2004 S. 40). Um Aufgabe und Interdependenz in Bezug zu setzen, 23

40

Interdependenzen wurden bereits in der Beschreibung von virtuellen Teams in einer ähnlichen Form erläutert (vgl. Kapitel 2.4.2 ‚Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale’).

wurde folgende Kategorisierung entwickelt, nach der vier Formen von Interdependenz zu differenzieren sind (Van de Ven / Delbecq / Koenig 1976): Additive Aufgaben (wie oben beschrieben) implizieren den geringsten Grad an Abhängigkeiten zwischen den Ausführenden, die getrennt voneinander Teilaufgaben bearbeiten und am Schluss zusammensetzen. Bei sequentiellen Aufgaben fließt die Arbeit unidirektional von einem Mitarbeiter zum nächsten, bei reziproken Aufgaben bidirektional. Intensive Aufgaben erfordern eine gleichzeitige Bearbeitung durch alle Beteiligten, angefangen bei der Diagnose bis hin zur Lösungsimplementierung.24 Erstere Interdependenzformen sind eher bei einfachen Aufgaben zu beobachten und erfordern relativ wenig Informationsaustausch. Komplexe und zumeist dynamische Aufgaben sind mit höherer Interdependenz verbunden. Durch eine hohe Interdependenz sind die Mitglieder auf ständige Interaktionen angewiesen; daraus kann sich eine erhöhte Kohäsion25 entwickeln sowie Vertrauen und der Eindruck, dass der persönliche Beitrag unabdingbar ist (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 77). Interdependenz ist also ein erheblicher Einflussfaktor auf den Verlauf von Gruppenprozessen.

3.2.3

Individuen

Nicht zuletzt geht die Leistungsfähigkeit eines Teams auf die Möglichkeiten des einzelnen Mitglieds zurück. Daher soll in diesem Kapitel der Vollständigkeit halber auf diesen Aspekt kurz eingegangen werden, ohne jedoch zu stark in die Tiefe zu gehen für das eher der Fragestellung periphere Thema. Auf der Ebene des Individuums sind die vier Elemente fachliche, methodische und soziale Kompetenzen26 sowie Motivation zu erläutern. Fähigkeiten als kaum veränderbare individuelle Dispositionen sowie Fertigkeiten als erlernbares Können27 sind der Bereich, in dem nach Wegge (2001 S. 491) die in der Kleingruppenforschung sichersten Befunde vorliegen. Demnach spielt sowohl die Geeignetheit des einzelnen Mitglieds für die Aufgabe eine Rolle, aber ebenso die Komplementarität der Fähigkeiten und Fertigkeiten mit den Teamkollegen. Die Leistung der Gruppe ist umso höher, je höher die mittlere Ausprägung der kognitiven Fähigkeiten und der aufgabenspezifischen Fertigkeiten aller Mitglieder angesiedelt ist. Homogene Gruppen mit einheitlich gut qualifizierten Mitarbeitern erweisen sich demnach leistungsstärker als heterogene Gruppen mit unterschiedlich fähigen Mitgliedern (vgl. ebenso Högl / Gemünden 2000 S. 49). Dies gilt nicht, wenn die Aufgabe in unterschiedliche Teiltätigkeiten zerlegbar ist – dann schneidet die heterogene Gruppe besser ab, da den unterschiedlichen individuellen Profilen unterschiedliche Anforderungen zugeordnet werden können. Moreland / Levine / Wingert (1996) weisen daraufhin, dass je nach Interdependenzen der Gruppe der Einfluss eines Individuums anders ausfällt und bei hoch komplexen Aufgaben dieser kaum als einzelner Faktor zu identifizieren ist.28 Methodische Kompetenzen beziehen sich darauf, wie das Individuum die Arbeitsprozesse im Griff hat. Je nach Aufgabentyp sind andere Fähigkeiten und Fertigkeiten hinsichtlich Steuerung und Organisation notwendig. In Projektumgebungen wären dies Kenntnisse zu Projektplanung und -umsetzung hinsichtlich Kosten, Zeit, Qualität und Abläufe (Högl / Gemünden 2000 S. 48). In eher selbständigen Bereichen ist Selbstmanagement gefragt, d.h. die Wahrnehmung von Führungsaspekten hinsichtlich der Gestaltung von Arbeitsprozessen (vgl. z.B. Orlikowski / Hertel / Konradt 2004).

24 25 26 27 28

Zum Problemlöseprozess siehe Kapitel 3.3.6. Zu Kohäsion als Gruppenprozess siehe Kapitel 3.3.2. Für die Diskussion um den Kompetenzbegriff wird auf Wagner / Debo / Bültel (2005) oder als kurze Zusammenfassung Donaubauer (2004) verwiesen. Unterscheidung nach Kirchhöfer (2004). Zu Interdependenz von Aufgaben vgl. das vorangegangene Kapitel 3.2.2.

41

Zur Bestimmung von sozialen Kompetenzen zieht Wegge (2001 S. 494) vier Definitionselemente heran: Zum ersten beziehen sich soziale Kompetenzen auf die Interaktion zwischen Individuen (Interaktionskontext). Zum zweiten legen sie die Angemessenheit von Handlungen zur Situation fest (Situationsspezifität). Zum dritten umfassen sie zielgerichtetes Verhalten (Zielrealisierung) und zum vierten berücksichtigen die Interessen und Bedürfnisse des Partners und leiten den Einsatz von akzeptierten Mitteln her (Zweckrationalität). Soziale Kompetenzen umfassen Persönlichkeitsmerkmale wie Durchsetzungsfähigkeit, Empathievermögen, Anschlussmotiv oder Verträglichkeit (Wegge 2001 S. 494). Dazu zählt die Präferenz, vorzugsweise alleine oder in Gruppen zu arbeiten (vgl. Campion / Medsker / Higgs 1993). Dieses Merkmal kann individuellen Ursprungs, jedoch gleichermaßen kulturell bedingt sein.29 Über die individuellen Eigenschaften hinaus sind in sozialer Kompetenz auch Aspekte mit Verhaltensbezug wie kommunikative Kompetenz, Kooperationsfähigkeit oder Konfliktfähigkeit enthalten. Dieser zweite Teilbereich ist mit dem Begriff Teamfähigkeit zu überschreiben. Das Problem hinsichtlich sozialer Kompetenz liegt in der mangelnden empirischen Belegung, inwieweit welche Bestandteile von Vorteil sind (Wegge 2001 S. 49), was im Gegensatz zu der allgemein üblichen Forderung nach sozial kompetenten Mitarbeitern steht. Zu den widersprüchlichen empirischen Belegen sei ein Beispiel herausgegriffen: Bell unterscheidet nach der Fähigkeit für die Aufgabe und nach der Fähigkeit für Teamarbeit und untersuchte diese beiden in ihrem Einfluss auf Teameffektivität. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass bei Laboruntersuchungen die aufgabenbezogene Aufgabe höhere Wirkung verzeichnet, bei Felduntersuchungen die Fähigkeit zur Teamarbeit (Bell 2004). Interkulturelle Kompetenz im Arbeitsleben beschreibt den Umgang zwischen Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturen, erstreckt sich jedoch zudem auf fachliche und methodische Aspekte (Bolten 2003 S. 88, vgl. Kapitel 5.2.5). Der Begriff „virtuelle Kompetenz“ ist noch ungebräuchlich, doch werden bereits Anforderungsprofile an Mitarbeiter in virtuellen Umgebungen entwickelt, die insbesondere soziale und methodische Elemente beinhalten (siehe z.B. Blackburn / Furst / Rosen 2003 oder auch die Erläuterungen im Kapitel 6.1.5.3 ‚Anforderungen an den Mitarbeiter’). Zum Teil tragen die Teammitglieder die genannten Kompetenzen bereits in sich; es besteht darüber hinausgehend die Möglichkeit, dass sie diese in der Gruppenarbeit aufbauen bzw. entwickeln. Insbesondere auf fachliches und interkulturelles Lernen wird im Weiteren noch eingegangen (vgl. Kapitel 5.2.4 ‚Lernen’ und 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’). Als viertes leistungsbeeinflussendes Element, das auf der individuellen Ebene verankert ist, wurde zu Anfang die Motivation genannt. Motivation bedeutet, dass eine Person durch eine Kraft oder Motiv zu einem gewissen Verhalten angetrieben wird (Steinmann / Schreyögg 1997 S. 473). Die Motivation kann sowohl die Bereitschaft zur Aufgabenerfüllung als auch die Bereitschaft zur Kooperation inkludieren. Bezug nehmend auf die Betonung des Arbeitsinhalts als bedeutendste Motivationsquelle in der Herzberg’schen Motivationstheorie (Herzberg / Mauser / Snydermann 1967) erkennen Steinmann / Schreyögg in Anlehnung an Hackman et al. (1975) fünf Dimensionen, durch die Arbeit motivierend gestaltet werden können: Aufgabenvielfalt, Ganzheitscharakter der Aufgabe, Bedeutungsgehalt der Aufgabe, Autonomie des Handelns und Feedback (Steinmann / Schreyögg 1997 S. 500). Die Motivation zur Gruppenarbeit kann damit in Zusammenhang gebracht werden, indem der Autonomiegrad erhöht wird, wenn Gruppenarbeit gleichzeitig eine Erhöhung der Verantwortung bedeutet (wie z.B. in teilautonomen Arbeitsgruppen). Doch grundsätzlich entstammt der Wunsch zur

29

42

Dieses Phänomen wird intensiv unter dem Konzept Individualismus / Kollektivismus in der Literatur behandelt, z.B. bei Triandis (1995) oder hinsichtlich dessen Auswirkung auf Gruppenarbeit bei Wagner (1995), Earley (1993) und Chen / Chen / Meindl (1998).

Arbeit in einer Gruppe eher sozialen Bedürfnissen, wie in den Hawthorne-Studien erkannt.30 Neben persönlichkeitsinhärenten bzw. neben Umständen außerhalb des Teams (z.B. extrinsische Motivation durch das Entlohnungssystem) können sowohl durch die Aufgabe als auch durch die Teamarbeit Motivation geschaffen werden. Dies wird im eigenen Kapitel 5.2.1 ‚Motivation’ speziell für multikulturelle Teams erörtert. Zum Abschluss dieses Kapitels soll kurz auf einige empirische Studien verwiesen werden, welche die Wirkung personenbezogener Merkmale auf Teamprozesse und Teamleistung bestätigen. Diese Studien schließen meist mehrere der genannten vier Kategorien ein. So zeigen Campion / Medsker / Higgs (1993), dass auf der Ebene der Inputfaktoren neben Gruppenstrukturen Fachkenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen eine Rolle spielen. Häufig werden personenbezogene Merkmale unter KSA (knowledge, skills, abilities) subsumiert und untersucht (z.B. bei Klimoski / Jones 1995, Stevens / Campion 1994). Die Relevanz kognitiver Fertigkeiten und Fähigkeiten ist als general cognitive ability oder general mental ability als Einflussfaktor beispielsweise von Tziner / Eden (1985), Neuman / Wright (1999) und Barrick et al. (1998) aufgezeigt worden. Zuweilen werden einzelne Fähigkeiten aus den verschiedenen Kategorien als Persönlichkeit bezeichnet (z.B. Kreativität, Offenheit, Extravertiertheit, Kollektivismus) und in ihrer Wirkung auf Teamleistung analysiert, z.B. bei Strube et al. (1989), Driskell / Salas (1992), Barrick et al. (1998).

3.3

Gruppenprozesse als Determinanten für Gruppenleistung

In diesem Kapitel werden die wichtigsten Prozesse erörtert, die für alle Gruppen Relevanz innehaben. Das heißt, der Fokus liegt für eine weitere Weile nicht auf multikulturellen oder virtuellen Arbeitsgruppen, sondern ganz allgemein auf Kleingruppen, wie unter Kapitel 2.1 definiert. Allerdings stellen diese im späteren Verlauf als Prozessvariablen fungierende Konzepte die Angriffspunkte für kulturelle und virtuelle Einflüsse dar, wie zum Beispiel die Kommunikation im Team. Es kann kein vollständiger Abriss der aktuellen Forschungslage gegeben werden; jedes der nachfolgend genannten Konzepte würde bei detaillierter Ausarbeitung mehrere Bände füllen. Stattdessen werden jeweils kurze Zusammenfassungen der wichtigsten theoretischen Grundlagen und empirischen Erkenntnisse angefertigt. Insbesondere soll bei jedem Konzept der Zusammenhang mit Gruppeneffektivität offen gelegt werden. Eingehender betrachtet werden die Teile der Konzepte, die sich beim Einfluss von unterschiedlichen Kulturen oder bei virtueller Kooperation verändern werden, wie z.B. Ähnlichkeit bei Kohäsion als fehlende Basis in multikulturellen Teams. Ein bedeutsames Gruppenphänomen fehlt in diesem Kapitel: Konflikte. Da diese einen besonderen Stellenwert in der Arbeit einnehmen, wird ihnen ein gesondertes Kapitel 4.1 ‚Konflikte kulturallgemein’ zugewiesen.

3.3.1

Kommunikation

Kommunikation als basale Handlung jedes menschlichen Miteinanders verläuft so unbewusst, dass der Zeit- und Kraftaufwand, der für einen erfolgreichen Austausch nötig ist, in der Praxis unterschätzt wird (Sader 1991 S. 140). Tatsächlich können Gruppen ohne Kommunikation nicht existieren (Wahren 1994 S. 179). Durch sie werden Rollen, Normen und Ziele geschaffen sowie Führung und gemeinsame Aufgabenbearbeitung ermöglicht. Kommunikation ist Basis des menschlichen Miteinanders; durch Kommunikation wird die Welt erzeugt, wird Wissen ausgetauscht und werden Gemeinsamkeiten entwickelt (Wahren 1994 S. 179). Wie aufwendig und komplex der Ablauf eines Kommunikationsereignisses ist, soll in den nachfolgenden Modellen aufgeschlüsselt werden. Die ersten Erklärungsansätze sind eher nachrichtentechnisch geprägt und gehen auf Shannon / Weaver (1949) zurück. Sie fokussieren auf dem mechanistischen Austausch von Sachinfor30

Vgl. Kapitel 2.1.3 ‚Beteiligte Disziplinen und Forschungsstand’.

43

mationen (Staehle 1994, Sperka 1996) und zerlegen den Prozess der Übermittlung vom Sender zum Empfänger in einzelne Schritte. In der Abbildung 6 ist das Modell von Jandt (1995) graphisch veranschaulicht, das den Weg der Nachricht aufzeigt: Der Sender enkodiert seinen Gedanken in Symbole, wobei er auf einen sprachlichen und kulturellen Code zurückgreift. Dabei entsteht eine Mitteilung, die durch einen Kanal bzw. ein Medium (z.B. Worte, schriftliche Dokumente, Handlungen) transferiert wird. An diesem Punkt besteht die Möglichkeit, dass die Nachricht durch Störungen verfälscht wird, da der Kontext oder das Medium selbst vom Gehalt ablenkt. Der (intendierte oder zufällige) Empfänger dekodiert die Mitteilung nach dem ihm vorliegenden Code, d.h. er weist den erhaltenen Symbolen Bedeutung zu. Seine Reaktion kann sowohl Nichtstun als auch jede Form von Handlung umfassen, sei diese vom Sender erwünscht oder nicht. Feedback wäre eine Spezialform davon, indem der Empfänger eine direkte Antwort an den Sender richtet. Der Kontext beschreibt die Umwelt, in der dieser Prozess abläuft, der sowohl Beteiligte, Inhalte als auch Form beeinflusst.

Kontext

Sender

Störungen

Enkodierung

Mitteilung

Kanal

Empfänger

Dekodierung

Reaktion

Feedback

Abb. 6: Das mechanistische Kommunikationsmodell (Jandt 1995 S. 23) An den verschiedenen Schritten tauchen potenzielle (technische) Schwierigkeiten auf, wobei in diesem Modell verhaltenswissenschaftliche Aspekte ausgeblendet werden (Thunig 1999 S. 34). Diese werden aufgegriffen durch Ansätze, die den zwischenmenschlichen Austausch analysieren, der sich nicht mehr nur auf Sachinformationen, sondern ebenso auf den Ausdruck von Gefühlen und der Etablierung persönlicher Beziehungen bezieht. Dort rückt mehr das Verstehen im Sinne einer einheitlichen Interpretation der Nachricht in den Vordergrund (Behrendt 2002 S. 684). Hierfür liefert Schulz von Thun (1981) ein eingängiges Modell, das Verstehen von den vier Dimensionen Sache, Beziehung, Selbstoffenbarung und Appell abhängig macht (vgl. Abb. 7). Es wird sowohl der Sachebene als auch der Beziehungsebene Rechnung getragen, wie es ebenso Watzlawick / Beavin / Jackson (1985) fordern. Die Sache bezieht sich auf den Inhalt, den eine Person weitergeben möchte, genau wie im oben erläuterten mechanistischen Modell. Die Beziehung spielt insofern eine Rolle, dass sie der Mitteilung Bedeutung zuweist und dazu beiträgt, dass die Mitteilung richtig interpretiert wird. Mit Appell geht Schulz von Thun davon aus, dass ein Sender mit dem Aussenden einer Nachricht eine Absicht verfolgt. Selbstoffenbarung ist Teil jeder Kommunikation, da der Sender mit jeder Nachricht Rückschlüsse auf sich selbst zulässt bzw. zulassen muss, selbst wenn er dies zu vermeiden sucht. Schulz von Thun verbindet mit dem Modell normative Aussagen zur Verbesserung von Kommunikation, wozu er Feedback als Lernelement mit einschließt. Cramton / Orvis (2003) sprechen neben den zwei Typen Sach- und soziale Information zusätzlich von Kontextinfor44

mation, die relevant wird, wenn Sender und Empfänger nicht dieselbe Umgebung teilen, sondern sich an verschiedenen Orten aufhalten und über Telekommunikationsmedien kommunizieren. Dies wird vor allem relevant bei der Betrachtung des virtuellen Einflusses auf Kommunikation.

Sache

Selbstoffenbarung

Nachricht

Appell

Beziehung Abb. 7: Verhaltenswissenschaftliches Kommunikationsmodell (nach Schulz von Thun 1981 S. 27) Zudem ist zu bemerken, dass Kommunikation sich nicht nur auf verbale Mitteilungen stützt, sondern in sehr hohem Maße auf non- und paraverbale Elemente (Staehle 1994 S. 281). Paraverbal bezeichnet bedeutungstragende Aspekte, welche die Stimme hervorbringt und Worte begleiten oder ergänzen. Hierunter fallen nach Jandt (1995 S. 82) vocal qualifiers (wie z.B. Lautstärke, Tonfall), vocal characterizers (z.B. Lachen und Seufzen) sowie vocal segregates (Laute wie ‚aha’ oder ‚m-mh’). Nonverbale Kommunikation heißt, dass ein Großteil an Informationen nicht über das gesprochene oder geschriebene Wort vermittelt wird, sondern über Handlungen und andere Signale (vgl. zu den folgenden Ausführungen z.B. Jandt 1995). Ein Kommunikator kann seine Mitteilung in Symbole kinetischer (Bewegung wie z.B. Gestik, Mimik), okulesischer (Augenkontakt oder -bewegungen), olfaktischer (Duft), haptischer (Berührung), proxemischer (Distanz zwischen den Beteiligten) und chronemischer (Umgang mit Zeit) Art transformieren. Oder er verwendet Schweigen, Gegenstände oder auch aktiv den Kontext, um eine Botschaft zu übermitteln. Gegenstände können beispielsweise Geschenke oder Statusauszeichnungen sein. Kontext als Wahl des Raumes oder der Situation, in der die Interaktion statt findet, trägt ebenso Bedeutung (z.B. exklusive Konferenzräume, funktionelle Kantine, gemütliche Kneipe). Damit wird deutlich, dass nicht nur das Beherrschen einer gemeinsamen Sprache, sondern genauso die Kenntnis einer Vielzahl sehr stark kulturell geprägter Symbole wichtig für eine erfolgreiche Kommunikation sind. Neben dem Ablauf, dem Inhalt und den Medien der Kommunikation sind zudem die am Kommunikationsereignis beteiligten Partner zu betrachten. Wer mit wem spricht, wurde hauptsächlich empirisch in der experimentellen Kleingruppenforschung untersucht (Staehle 1994 S. 284). Dabei steht im Vordergrund, welches Kommunikationsmuster besonders effektiv ist. Es werden Stern, Y, Kette, Kreis und Vollstruktur (vgl. Tab. 3) in den Dimensionen Zentralisation, Kommunikationskanäle, Führung, Gruppenzufriedenheit und individuelle Zufriedenheit verglichen, wie zum Beispiel bei Hellriegel / Slocum (1976). Um einige Beispiele zu nennen, sei bemerkt, dass Gruppen mit Kommunikationsmustern mit zentraler Position (Stern, Kette, Y) schneller und weniger fehlerhaft arbeiten, Gruppen ohne zentrale Position (Kreis, Vollstruktur) dafür höhere Zufriedenheit aufweisen (Leavitt 1951). Dabei spielt zudem die Komplexität der Aufgabe eine Rolle, so dass bei komplexen Problemen bei dezentraler Kommunikation mehr Information verarbeitet werden kann, ohne eine zentrale Position zu 45

überlasten (Shaw 1964). Diese Ergebnisse sind nur begrenzt auf die Unternehmensumwelt übertragbar, doch gibt es einzelne empirische Erkenntnisse auch aus dem Feld: So entsteht in Arbeitsgruppen häufig spontan ein sternförmiges Interaktionsnetzwerk, das auf das aktivste Mitglied ausgerichtet ist (Fisch / Beck 2002). Im Idealfall ist dies der Aufgabenspezialist, an den sich die Mitglieder wenden (Wilke / Wit 2002), doch dies kann je nach Rollenzuweisung und -übernahme abweichen.31 Zu einer ausführlichen Übersicht zu Ordnungsmustern in Gruppen sei auf Beck / Orth (2002) verwiesen. Beurteilungskriterium

Stern

Y

Kette

Kreis

Vollstruktur

Zentralisation

sehr hoch

hoch

mittel

niedrig

sehr niedrig

Kommunikationskanäle

sehr wenige

sehr wenige

mittel

viele

sehr viele

Führung

sehr hoch

hoch

mittel

niedrig

sehr niedrig

Gruppenzufriedenheit

niedrig

niedrig

mittel

mittel

hoch

Individuelle Zufriedenheit

hoch

hoch

mittel

niedrig

sehr niedrig

Tab. 3: Kommunikationsmuster in Kleingruppen (Staehle 1994 S. 285 nach Hellriegel / Slocum 1976 S. 169) Zudem wäre es grundsätzlich von Vorteil, wenn sich alle Mitglieder gleichermaßen beteiligen würden; nach Allen / Lee / Tushman (1980) steigt damit der Gruppenerfolg. Denn gerade bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben sind die Verfügbarkeit und Zusammenführung unterschiedlicher Informationen erfolgsentscheidend. Das heißt, dass erstens idealerweise die Mitglieder voneinander abweichende Informationen besitzen und zweitens diese präsent haben und kundgeben (Hightower / Sayeed 1996 S. 452). Es hat sich jedoch gezeigt, dass in Gruppendiskussionen mehr bekannte als unbekannte Informationen vorgebracht werden, da letztere weniger salient sind und aus Bedenken, die Gruppenmeinung in Frage zu stellen, zurückgehalten werden. Dies führt unter schlechten Umständen zu groupthink und einer falschen Entscheidung (vgl. Janis 1972). Außerdem korreliert die Informationsabgabe positiv mit erlebtem Status: So hat der Statushöhere mehr Gelegenheit sich zu artikulieren, und dessen Information wird eher von den zuhörenden Mitgliedern aufgenommen und verwertet (Sader 1991). Kiesler / Sproull haben für Meetings folgende Merkmale aus der Literatur herauskristallisiert, die typische Phänomene darstellen und in der Tabelle 4 in Kurzform gelistet werden:

31

46

Vgl. Kapitel 3.3.4 ‚Rollen’.

x x x x x x x x x x

Viel vorhersehbar Mitgliederteilnahme ungleich verteilt Status führt zu Dominanz Manager sprechen mehr als Mitglieder Männer sprechen mehr als Frauen Person am Ende des Tischs spricht mehr Teilnehmer sind höflich, abwägend und vermeiden Kontroversen Bei Entscheidung konvergieren Meinungen; Optionen werden durch Diskussion verworfen Teilnehmer bevorzugen Optionen, die offensichtlich populär sind Entscheidung wird dominiert von dem, der Diskussion dominiert

Tab. 4: Eigenschaften von Meetings (Kiesler / Sproull 1992 S. 96) Zuletzt muss bemerkt werden, dass der Erfolg eines kommunikativen Ereignisses zusätzlich vom beteiligten Individuum abhängt. Dessen Motivation, sich in die Gruppe einzubringen, wurde bereits erläutert. Darüber hinaus muss die kommunikative Fähigkeit gegeben sein (Wahren 1994 S. 180); dazu gehören sowohl die Sensibilität zur korrekten Wahrnehmung, die kognitive Verarbeitung der Information sowie die angemessene Reaktion (vgl. Larkey 1996). Die Herausforderung an die individuelle Kompetenz steigt, wenn die Kommunikation in einem interkulturellen Umfeld stattfindet, wo Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung durch Stereotype und Ethnozentrismus beeinflusst werden (vgl. ausführlich Kapitel 4.2). Kommunikationsfähigkeit in virtuellen settings erfordert außerdem den professionellen Umgang mit Medien, wie in Kapitel 6.1.1 eingehend dargelegt werden wird.

3.3.2

Kohäsion

Der Zusammenhalt in einer Gruppe wird mit Kohäsion bezeichnet, das ein wichtiges Phänomen darstellt, das manchmal für und manchmal gegen die Gruppeneffektivität ausschlägt. Dies wurde bei den Untersuchungen zur Gruppendynamik in den 30er und 40er Jahren erkannt, als empirische Ergebnisse sich nicht mit den Annahmen des scientific management decken ließen (Thunig 1999 S. 61). Rosenstiel bezeichnet mit Kohäsion die „durchschnittliche Attraktivität der Gruppe für ihre Mitglieder“ (1992 S. 267); Wahren spricht von dem „Maß für die wechselseitigen positiven Gefühle der Gruppenmitglieder zueinander“ (1994 S. 138). Wie an diesen zwei Definitionen deutlich wird, enthält Kohäsion verschiedene Konstrukte, die je nach Wissenschaftler und Untersuchungsfokus variieren. Cartwright (1968 S. 92f) sammelte folgende: Genannt wurde bereits die interpersonale Attraktion; diese kann auf Grund von Wertschätzung und liking / Freundschaft entstehen oder weil die Gruppe als Ganzes attraktiv für Mitglieder erscheint. Auch die Identifikation mit der Gruppe, d.h. persönliche Involviertheit, Interesse an Mitgliedschaft und Zugehörigkeitsgefühl, kann mit Kohäsion gemeint sein. Bei manchen Wissenschaftlern gibt Kohäsion die Stärke des Wunsches an, in der Gruppe zu bleiben. Diese Konstrukte korrelieren nicht unbedingt, werden aber an unterschiedlicher Stelle mit dem Begriff assoziiert (Thunig 1999 S. 61). Die gelisteten Merkmale erstrecken sich eher auf die personenbezogene Komponente; Thunig sieht zudem ein aufgabenbezogenes Element, nämlich das commitment oder auch die Zielbindung, die eine gemeinsame Verpflichtung gegenüber der

47

Gruppenaufgabe zum Ausdruck bringt.32 Kohäsion kann auf der Ebene des Individuums oder der Gruppe betrachtet werden (Thunig 1999 S. 61) und dient drei Zwecken: der Stabilität über die Zeit hinweg, die Attraktion auf neue und alte Mitglieder und der Fähigkeit, Druck und Stress auszuhalten (Staehle 1994 S. 262). Kohäsion liegt jedoch auf jedem Fall im Bedürfnis des Individuums begründet. Unger (1998) identifiziert interpersonale Bedürfnisse wie häufige Interaktion, Ähnlichkeit und Schutz vor äußerer Bedrohung. Auf der anderen Seite bewirken aufgabenbezogene Bedürfnisse Kohäsion, wie z.B. gemeinsamer Erfolg, komplementäre Aufgaben oder Partizipation. Weitere Faktoren, die zu Kohäsion führen, sind in den Umständen oder der Situation zu suchen, wie einige empirische Studien erkennen (Staehle 1994 S. 263): So sind kleinere Gruppen kohäsiver als größere; bei mehr als 20 Personen sinkt die Kohäsion. Ebenso sind Gruppen kohäsiver, wenn die Mitglieder höhere Homogenität aufweisen. Je mehr soziale, d.h. face-to-face Kontakte stattfinden, desto kohäsiver wird die Gruppe. Wenn die Gruppe Erfolg und Anerkennung erfährt, steigt die Kohäsion, ebenso, wenn sie im Wettbewerb mit anderen Gruppen steht. Gemeinsame Ziele und ein starker und charismatischer Führer sorgen ebenso für hohe Kohäsion (vgl. auch Wahren 1994 S. 140 oder Podsiadlowski 2002 S. 82). Grundlage des Zusammengehörigkeitsgefühls ist Vertrauen, d.h. das Gefühl, nicht verletzt oder geschädigt zu werden.33 Aus den Bedingungen lässt sich herausfiltern, dass virtuelle Arbeitsgruppen, die wenig faceto-face Kontakt ermöglichen, Einbußen in der Kohäsion hinnehmen müssen. Auch multikulturellen Gruppen fehlt ein Baustein in der Bildung von Kohäsion, nämlich die Homogenität. Dies ist in Zusammenhang mit dem similarity attraction paradigm nach Byrne (1971) zu sehen: Ähnlichkeit in Merkmalen fördert Attraktion und Mögen und damit persönliche Kontaktaufnahme bzw. -pflege. Der Grund hierfür liegt darin, dass, wenn Personen einen ähnlichen Hintergrund haben und damit über ähnliche Erfahrungen und Werte verfügen, ihnen die Interaktion erleichtert wird. Zudem bestärkt Ähnlichkeit die eigenen Werte, welche bei Unterschiedlichkeit in Frage gestellt werden würden. Hier liegt der Zusammenhang mit der sozialen Identitätstheorie34, die ebenso besagt, dass durch Ähnlichkeit die eigene positive Identität gefördert wird (Williams / O’Reilly 1998 S. 85). Nach Tsui / Egan / O’Reilly (1992 S. 551) liegt mit Ähnlichkeit in Einstellungen sogar die größte Quelle für Anziehung zwischen Individuen vor; dabei ziehen die Akteure physische, soziale und Statusmerkmale heran, um Ähnlichkeiten in der Einstellung zu erkennen. Swann / Milton / Polzer (2000) bestätigen in ihrer empirischen Studie den Zusammenhang von Ähnlichkeit der Mitglieder mit interpersonaler Attraktion und Gruppenidentifikation; Polzer / Milton / Swann (2001) bestätigen den Zusammenhang von Ähnlichkeit mit geringeren emotionalen Konflikten. Ähnliche Personen fühlen sich angezogen, was in einer Gruppe mit ungleichen Mitgliedern zur Koalitions- oder Subgruppenbildung führt (Sader 1991 S. 138). Die Subgruppen bilden sich nach wahrgenommenen Unterschieden (Earley / Gibson 2002 S. 46), die aus einem oder mehr Attributen bestehen. Um jedoch wieder auf die kohäsive, also nicht in Subgruppen aufgespaltene Arbeitsgruppe zurückzukommen, soll zum Ende noch der Einfluss von Kohäsion auf die Gruppeneffektivität diskutiert werden. Obwohl die bisherigen Ausführungen die positiven Seiten von Kohäsion herausstellen, ist umstritten, ob eine kohäsive Gruppe bessere Leistung erbringt (vgl. u.a. Keiser 2002 S. 189). Das Problem liegt darin, dass hohe Attraktivität untereinander zu vermehrter personaler Interaktion führen kann, die nicht notwendig zur Aufgabenbearbeitung ist, und ganz im Gegenteil die Leistung sinken lässt (Zaccaro / Lowe 1986). Zusätzlich kann 32 33 34

48

Weitere Details zu commitment siehe Kapitel 6.1.5.2. Vertrauen wird ein eigenes Kapitel 6.1.4 gewidmet. Die soziale Identitätstheorie wird genauer im Kapitel 4.2.7.3 ‚Die Entstehung, Wirkungsweise und Funktion von Stereotypen’ erläutert.

es sein, dass die Gruppe nicht mehr flexibel ist und keine abweichende Meinungen zulässt, so dass sich die Mitglieder unreflektiert der Mehrheitsmeinung anschließen (Asch 1956), was den Nährboden für groupthink (Janis 1972) legt.35 Auf der anderen Seite fördert Kohäsion die psychische Befindlichkeit der Gruppenmitglieder, womit Kohäsion positiv im philanthropischen Sinne zu bewerten ist (vgl. Staehle 1994 S. 265). Soll Kohäsion förderlich für die Aufgabenerledigung sein, müssen weitere Konditionen erfüllt werden. So sehen Zaccaro / McCoy (1988) das aufgabenbezogene commitment36 und ähnlich Schachter et al. (1951) eine positive Einstellung zur Organisation, die durch den Gruppenleiter zu schaffen sind, als bedeutsame Voraussetzungen an. Bei hoher Kohäsion ist mit verbesserter Kooperation zu rechnen, was das Teilen von Informationen und Ressourcen und gegenseitige Unterstützung betrifft (Podsiadlowski 2002 S. 82, Jackson 1996 S. 64). Metaanalysen von Evans / Dion (1991) und Mullen / Copper (1994) liefern einen positiven Zusammenhang zwischen Kohäsion und Leistung, besonders bei Gruppen mit hohen Interaktionsbedarf und bei realen Gruppen (im Gegensatz zu Laborgruppen).

3.3.3

Normen und Ziele

Wird nun das Verhalten in Gruppen ins Zentrum des Interesses gerückt, sind als verhaltenssteuernde Elemente Normen und Ziele zu erkennen. Zweite werden im folgenden Abschnitt gesondert dargestellt; begonnen sollen die Ausführungen mit Normen. Diese sind Erwartungen, wie die Gruppenmitglieder in bestimmten Situationen denken und handeln sollen (vgl. Rosenstiel 1992 S. 268). Staehle nennt sie „Richtschnur des Handelns“ (1994 S. 258). Normen dienen in erster Linie der „Routinisierung sozialer Beziehungen“ (Irle 1975 S. 444), damit in wiederkehrenden Situationen nicht immer wieder neu Konsens gefunden werden muss (Wahren 1994 S. 154). Damit beseitigen sie Unsicherheiten und vermeiden Konflikte (Sbandi 1973). Zuweilen wird propagiert, dass speziell Gruppennormen dazu dienen, Ziele eher zu erreichen (z.B. Baird 1977, Staehle 1994), wobei angemerkt werden muss, dass es auch Normen gibt, die dem im Wege stehen. So liegt das genormte Leistungsniveau, wenn es von der Gruppe selbst definiert werden kann, oft unter den Unternehmensanforderungen. Normen werden von einer Autorität vorgegeben oder entwickeln sich in der Gruppe selbst in Gruppenereignissen (Wahren 1994 S. 155). Vielfach werden sie aber ebenso aus anderen erlebten Situationen übertragen und nicht weiter in Frage gestellt, wie z.B. Höflichkeitsregeln (Sader 1991 S. 203). Hier soll im Vorgriff auf kulturelle Einflüsse schon darauf hingewiesen werden, dass Normen kulturspezifische Produkte darstellen, die von den Mitgliedern unreflektiert in ihr multikulturelles Team hineingetragen werden. Der Mangel an Reflexion ist bedingt durch die Eigenschaft von Normen, unbewusst vorhanden zu sein. Sader spricht von „nicht bezweifelbaren Selbstverständlichkeiten“ (1991 S. 198), welche erst bei Übertretung sichtbar werden. Sie können dauerhaft und massiv sein, aber auch flüchtig und dynamisch. In Gruppen herrscht eine Vielzahl divergierender Normen zu unterschiedlichen Zeiten und bei den unterschiedlichen Mitgliedern; es existiert keine einheitliche Norm (Sader 1991 S. 198). Zu unterteilen ist in deskriptive Normen, welche faktische Denk- und Verhaltensweisen beschreiben, und präskriptive Normen, welche erwünschte Verhaltensweisen benennen (Sader 1991 S. 198). Je stärker das Individuum die Norm internalisiert hat und als je legitimer es die Norm begreift, desto eher befolgt es sie. Das gleiche gilt bei hohem Gruppendruck durch eine stark kohäsive Gruppe bzw. das Vorhandensein von Sanktionen bei Überschreitung oder Belohnung bei Erfüllung (Staehle 1994 S. 259). Außerdem werden Normen nicht immer befolgt, je nachdem welchen Status der Akteur einnimmt: Hoch-Status-Individuen haben das Privileg abzuweichen, aber genauso die Verpflichtung, Vorbild zu sein. Zudem spielt eine Rolle, ob eine normabweichende Handlung überhaupt entdeckt wird (Sader 1991 S. 198). Im negativen 35 36

Vgl. vorhergehendes Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’. Das Konzept commitment wird genauer in Kapitel 6.1.5.2 vorgestellt.

49

Fall kann es zum free-rider Effekt kommen, was besonders relevant ist in Teamkonstellationen, in denen die Mitarbeiter sich gegenseitig nicht beobachten können (siehe virtuelle Teams!). Ziele sind insoweit den Normen verwandt, indem sie einen wünschenswerten Zustand der Realität in der Zukunft beschreiben (vgl. Hauschildt 1993 S. 205), also normativ im Sinne der präskriptiven Normen wirken. Sie grenzen sich insofern ab, dass sie explizit aufgestellte, der Situation entspringende konkrete Formulierungen darstellen, die nicht das Verhalten beschreiben, sondern das Ergebnis. Dabei kann der Zielartikulant, also derjenige, welcher die Ziele benennt, vom Zieladressaten, demjenigen, der sich nach diesen Zielen richten muss, abweichen (Thunig 1999 S. 75). Die Funktionen von Zielen in Gruppen sieht Gemünden (1995 S. 354) folgendermaßen: Zum ersten motivieren sie, indem sie Soll-Zustände definieren und den Adressaten beauftragen, die Diskrepanz von Ist zu Soll zu überwinden. Zum zweiten dienen sie der kognitiven Funktion, den Adressaten einen Fokus zu geben, welcher die Realität reduziert und entlastend wirkt. Zum dritten koordinieren Ziele die Aktivitäten komplexer Einheiten (soweit sie aufeinander abgestimmt sind). Zum vierten regulieren sie Konflikte, indem sie beizeiten verhandelt bzw. vorgegeben werden, um die Verfolgung einer gemeinsamen Lösung sicher zu stellen. Vor allem der Motivationsfunktion widmen sich einige Forscher, wie z.B. Locke / Latham (1990) in ihrer Zielsetzungstheorie. Dort geben sie als Kernaussage an, dass spezifische, schwierige Ziele innerhalb des Möglichen zu besserer Leistung führen als vage, leichte oder keine Ziele. Thunig definiert als Kriterien von Zielen die Schwierigkeit, die Bindung, die Klarheit und das Feedback (1999 S. 76).

3.3.4

Rollen

Neben Normen und Zielen wirken auch Rollen verhaltenssteuernd. Wahren definiert Rolle als „Gesamt von Verhaltenserwartungen, das man in einer sozialen Situation an das Mitglied einer Gruppe richtet“ (1994 S. 142). In der funktionalistischen Sichtweise nach Feldmann (2005 S. 68) werden die Erwartungen speziell an den Inhaber einer Position gerichtet. In einer Gesellschaft wird somit ein Netzwerk sozialer Stellen geschaffen, seien sie beruflicher, familiärer oder ehrenamtlicher Art. Rollen entsprechen damit den Schnittstellen von Individuen und dem sozialen System, sind stark formalisiert und unabhängig von der eigentlichen Person (vgl. Strutz / Wagner 1980 S. 40). In der symbolisch-interaktionistischen Perspektive (Feldmann 2005 S. 69) hingegen werden Rollen ausgehandelt und interpretiert. In jedem Falle ist jedoch zu betonen, dass das konkrete Verhalten des Rolleninhabers nicht unbedingt den Erwartungen an ihn entspricht. Gemein ist den Sichtweisen ebenso, dass Rollen nur in der Interaktion mit anderen Personen auftreten (vgl. Staehle 1994 S. 255, Strutz / Wagner 1980 S. 40). Zudem ist zu unterscheiden nach der vertikalen und der horizontalen Rollendifferenzierung. Erstere beschreibt ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Gruppenmitgliedern. So kommt nach Bales (1958) dem Tüchtigen und dem Beliebten die Rolle der Gruppenführung zu, dem ersten zur Erreichung des Sachziels und dem zweiten zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts. Die horizontale Rollendifferenzierung bezieht sich auf die Rollen, die Gleichgestellte einnehmen. Es wurde eine Vielzahl von Recherchen durchgeführt, um verschiedene Rollentypen zu identifizieren, angefangen bei Bales (1950) zum relativ häufig zitierten Belbin (1994), dessen neun Typen in der nachfolgenden Tabelle wieder gegeben werden. Jede Rolle weist Stärken und Schwächen auf; daher ist es vorteilhaft, wenn in einer Gruppe möglichst verschiedene Rollen vertreten sind, die sich ausgleichen. Wesentlich nach Belbin ist die Präsenz v.a. des Produzenten, des Ressourcenermittlers, des Koordinators, des Gestalters und des Implementierers. Wahren kritisiert an diesem Konzept, dass es unrealistisch sei, menschliches Verhalten in neun Rollen zu komprimieren, da dieses eine weit höhere Komplexität aufweise (1994 S. 152). Vor allem ist es nicht möglich, Mitglieder nach deren Rollen, die sie einnehmen werden, für das Team auszuwählen. Rollen sind dynamisch und entwickeln 50

sich in der persönlichen Beziehung. Zudem ist die Funktion und Fachkompetenz der Mitglieder zu berücksichtigen, die in Zusammenhang mit der Übernahme von Rollen stehen. Auch sind Faktoren wie Status, die Aufteilung in Mehrheit und Minderheiten sowie Gruppenzugehörigkeit (z.B. Geschlecht, Kultur oder Abteilung) und physische Präsenz in Gruppenmeetings zu beachten, wenn es um die Rollenfindung geht. Letztere bedingt, inwieweit sich ein Mitglied überhaupt einbringen kann und wahrgenommen wird (Weick 1985). Beck et al. (1999) bringen darüber hinaus an, dass die beschriebenen Rollen kulturspezifisch und nicht auf jede andere Kultur übertragbar sind. Rolle

Stärke

Schwäche

Produzent

Kreativ, einfallsreich, unorthodox, löst schwierige Probleme

Ignoriert Details, zu gedankenverloren, um effektiv zu kommunizieren

Ressourcenermittler

Extrovertiert, begeisternd, kommunikativ, untersucht Möglichkeiten, entwickelt Kontakte

Überoptimistisch, verliert Interesse nach anfänglicher Begeisterung

Koordinator

Reif, überzeugend, guter Vorsitzender, klärt Ziele ab, treibt Entscheidungsfindung an, delegiert

Wirkt manipulierend, delegiert zu viel

Gestalter

Herausfordernd, dynamisch, ist unter Druck erfolgreich, überwindet Hindernisse

Kann andere provozieren, verletzt Gefühle

Implementierer

Diszipliniert, verlässlich, konservativ, effizient, setzt Ideen in Handlungen um

Inflexibel, zögerlich für neue Ideen

Kontrollierender Bewerter

Nüchtern, strategisch, wahrnehmend, sieht alle Meinungen, beurteilt

Fehlende Energie, mangelnde Begeisterungsfähigkeit, überkritisch

Teamarbeiter

Kooperativ, sanft, wahrnehmend, diplomatisch, hört zu, baut auf, wendet Spannungen ab

Unentschlossen in kritischen Situationen, kann leicht beeinflusst werden

Vervollständiger

Gründlich, gewissenhaft, besorgt, findet Fehler, erledigt seinen Teil rechtzeitig

Sorgt sich zu sehr, delegiert zu wenig, pingelig

Spezialist

Zielstrebig, eigener Antrieb, hingebend

Geringe Beteiligung, hält sich mit technischen Details auf, übersieht Zusammenhänge

Tab. 5: Rollen nach Belbin (Belbin 1994 S. 23, Übersetzung nach Thunig 1999 S. 56) Es wurde an mehreren Stellen schon auf die Relevanz des Status hingewiesen, wie eben bei den Rollen. Daher soll kurz dieses Konzept vorgestellt werden, welches sich insofern von Rolle unterscheidet, dass es eine bewertete Position beschreibt, die eine Rangordnung im Vergleich zu anderen Positionen einnimmt (vgl. Strutz / Wagner 1980 S. 47). Dabei kann Status mehrere Quellen haben (so genannte Statusfaktoren). Wenn es sich um zugeschriebenen Status handelt, heißt es, dass dieser gegebenen Statusfaktoren (z.B. Alter, Geschlecht) 51

entspringt (vgl. Strutz / Wagner 1980 S. 48). Status kann darüber hinaus erworben werden, z.B. durch Leistung. Als dritte Möglichkeit wird Status durch die Einnahme einer Position übertragen, sei es im Unternehmen auf Grund einer vertikalen Zuordnung, d.h. der Aufnahme in eine gewisse Hierarchieebene, oder auf Grund einer funktionalen Zuordnung, d.h. durch die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit (Staehle 1994 S. 252). Zugeschriebener und erworbener Status überlagern sich möglicherweise, denn z.B. ist Aufgabenkompetenz eng mit der funktionalen Zuordnung verbunden. Allerdings mag auch das Gegenteil der Fall sein, so dass Status auf Grund demographischer Merkmale zugeschrieben wird und nicht in kausaler Verbindung mit tatsächlicher Leistungsfähigkeit steht (Jackson 1996 S. 61). So haben Cohen / Zhou festgestellt, dass in Forschungs- und Entwicklungsteams Männern höherer Status als Frauen zugeschrieben wird (1991); ähnlich verhält es sich mit der Statuszuschreibung gegenüber Minderheiten, die meist geringer ausfällt (Jackson 1996). Wenn Gruppenzugehörigkeit wie Kultur, Alter oder Verhaltensmuster einen Status definieren, ist dies stark kulturspezifisch geprägt. Das heißt, die Werte der Kultur geben vor, welche Gruppe oder Verhaltensmuster Status innehaben (Ravlin / Thomas / Ilsev 2000). Es wird erwartet, dass der Statusinhaber besondere Rollen und Pflichten übernimmt, aber genauso besondere Leistung erbringt (ohne dass diese jedoch nachgehalten wird) (Wilke / Wit 2002 S. 527). Sobald sich Status gebildet hat, ist er wenig veränderlich, sondern wirkt eher selbstproduzierend (Ravlin / Thomas / Ilsev 2000). Er formt die Wahrnehmung der beteiligten Personen und bestimmt die Interaktion zwischen Hoch- und Niedrigstatuspersonen (Wilke / Wit 2002 S. 527). Dies kann in interkulturellen Situationen entsprechend für die Angehörigen verschiedener Kulturen gelten, sobald Kultur als salientes und statusrelevantes Merkmal wahrgenommen wird.

3.3.5

Führung

Als weiteres verhaltenssteuerndes Element in Gruppen, das wohl am stärksten explizit gelenkt werden kann, ist die Führung. Führung kann informell über die im vorangegangen Kapitel besprochenen Rollen erfolgen (Wahren 1994); im Folgeabschnitt soll jedoch über die offizielle Funktion gesprochen werden. Staehle definiert Führung als „die Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktionen in und zwischen Gruppen, mit dem Zweck, bestimmte Ziele zu erreichen“ (1994 S. 308). Die personale Machtgrundlage liegt in der Möglichkeit zur Bestrafung oder Belohnung, in einer legitimen Quelle, im Vorbild, im Experte-Sein oder im Verfügen über Information (nach French / Raven 1959, Raven / Kruglansky 1970), wobei vor allem die letzten beiden in der aktuellen Situation von Organisationen besonders relevant geworden sind (Staehle 1994 S. 379). Als nächstes soll ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Führungsforschung geworfen werden: In den 1940ern stand die Untersuchung von Führereigenschaften (z.B. Intelligenz, Verantwortungsübernahme etc.)37 in Form von individualistischen Führungstheorien im Vordergrund (vgl. Kreitner 2005, Wunderer 1997b). Diese gelten als überholt, da erkannt wurde, dass Führung lernbar und zudem situationsabhängig ist (vgl. Staehle 1994). In der darauf folgenden Phase beschäftigten sich Wissenschaftler mit Führungsstilen, welche relativ stabile, jedoch weiterhin situationsunbhängige Verhaltensmuster beschreiben (Kreitner 2005). Diese umfassen nach Aufstellungen bei Macharzina (2003) Typen wie patriarchalisch, charismatisch, autokratisch und bürokratisch oder laut einer Studie von Lewin / Lippitt / White (1939) autokratisch, demokratisch und laissez-faire. Sie wurden idealtypisch oder empirisch zur Identifikation der Effizienz bestimmter Stile ermittelt (Staehle 1994 S. 314ff). Cartwright / Zander (1968) beschäftigten sich als eine der ersten mit Funktionen der Führung, die

37

52

Für eine Übersicht von Studien zu Eigenschaften aus dieser Zeit siehe Stogdill (1948).

allerdings auf Grund ihrer besonderen Relevanz für diese Arbeit später gesondert und ausführlich dargestellt werden. Schließlich liefert die Führungsforschung Führungstheorien, d.h. Ansätze, die über die isolierte Betrachtung von Eigenschaften, Funktionen oder Führungsverhalten hinausgehen, um Aussagen über den Führungserfolg zu generieren (vgl. Thunig 1999 S. 42). Die Theorien versuchen, „Bedingungen, Strukturen, Prozesse, Ursachen und Konsequenzen von Führung [zu] beschreiben, erklären und prognostizieren“ (Wunderer 1997b S. 51). Relativ prominent sind die Situationstheorien, welche Führungserfolg als von der Umgebung abhängig verstehen. So gilt es, die Bedingungen zu analysieren, um zu erkennen, welches Führungsverhalten angemessen ist. Im Folgenden soll exemplarisch zur kurzen Veranschaulichung die Kontingenztheorie von Fiedler (1967) erörtert werden. Die Eignung eines Führungsstils (aufgabenoder personenorientiert) ergibt sich aus den Faktoren Positionsmacht des Führers, Strukturierung der Aufgabe und Führer-Mitarbeiter-Beziehung. Es resultieren acht Möglichkeiten, die je nach Kombination der Umstände einen aufgaben- oder personenorientierten Führungsstil erfordern (vgl. Abb. 8). Situation

FührerMitarbeiterBeziehung

Aufgabenstrukturierung

günstig

Positionsmacht

Führungsstil

stark

aufgabenorientiert

schwach

aufgabenorientiert

stark

aufgabenorientiert

schwach

personenorientiert

stark

personenorientiert

schwach

personenorientiert

stark

aufgabenorientiert

schwach

aufgabenorientiert

strukturiert

gut unstrukturiert

mittel strukturiert

schlecht unstrukturiert ungünstig

Abb. 8: Eignung von Führungsstilen für verschiedene Situationen (Staehle 1994 S. 329 nach Fiedler 1969) Kritisch anzumerken ist, dass sowohl die Situation als auch der Führungsstil nur wenige Kategorien aufweisen und keine Mischformen zulassen. Empirisch ist die Theorie sowohl bestätigt (z.B. Burke / Day 1986) als auch widerlegt worden (z.B. Frost 1986). Erwartungstheorien wie die Weg-Ziel-Theorie, wie sie z.B. von House (1971) und Evans (1970) entwickelt worden ist, postulieren, die Erwartung der in den bisherigen Theorien vernachlässigten Geführten zu beeinflussen und damit zu motivieren. Hierfür sind die Formulie53

rung klarer Ziele und die Verankerung von Feedback nötig, als auch intrinsische oder extrinsische Belohnung. Zudem sind Faktoren wie die Möglichkeit der Beeinflussung des Ergebnisses (Instrumentalität) und die Wichtigkeit des Ziels (Valenz) zu berücksichtigen (Thunig 1999). Das Führungsverhalten muss sich der wechselnden Situation anpassen und kann direktiv, unterstützend, leistungsorientiert oder partizipativ sein (Staehle 1994). Das Problem bei dieser Form von Theorien ist der starke Fokus auf Motivation und die Außerachtlassung der Gruppendynamik (Staehle 1994). Die Reifegradtheorie von Hersey / Blanchard (1988) ist ebenfalls den Geführtentheorien zuzurechnen (Wunderer 1997b). Sie ist dynamisch ausgerichtet und macht den Führungsstil abhängig vom aufgabenbezogenen und sozialen Reifegrad der Mitarbeiter, wie bei Thunig (1999) ausführlich dargestellt. Maxime ist, dass durch die Entwicklung der Mitarbeiter der Führungseinfluss reduziert werden kann. Ein weniger reifer Mitarbeiter mit geringen Fähigkeiten und wenig ausgeprägter Selbstsicherheit benötigt demnach einen stark aufgabenorientierten Führungsstil. Ein etwas fortgeschrittener Mitarbeiter ist zwar motivierter, aber weist noch immer Mängel in den Fähigkeiten auf und bedarf neben der weiterhin hohen aufgabenbezogenen Führung personenbezogener Zuwendung. Im Verlauf sinkt die Motivation des Mitarbeiters, auch wenn er nun kompetenter ist, so dass die personenbezogene Führung bedeutsam wird. Hohe Reife beim Mitarbeiter besagt, dass er sowohl motiviert und ferner fähig ist, so dass Führung eher durch Delegation erfolgen sollte. Wiederum ist dies eine Theorie, die auf einem einzelnen Faktor fokussiert, und zudem die Fähigkeiten der Führungskraft außer Acht lässt (Thunig 1999 S. 49). Wahren (1994) überträgt den Reifegrad analog der Tuckman’schen Chronologie (1965)38 auf die Gruppe, welche in der ersten Stufe dependent von der Führungskraft ist, in der zweiten Stufe rebelliert, in der dritten Stufe sich reguliert und in der vierten Stufe relativ unabhängig ihre Aufgaben erfüllt. Die Führungskraft muss demnach anfangs eher autoritär lenken und übernimmt später mehr koordinative Funktion. Moderne Ansätze aus der Managementpraxis sind die charismatische Führung (die wiederum eigenschaftstheoretische Merkmale aufweist, z.B. Felfe 2005), visionäre Führung (Nanus 1994) oder das Führen mit emotionaler Intelligenz (Goleman 1997). Auf Grund ihrer mangelnden theoretischen Fundierung bzw. ihrer begrenzten Erklärungsmöglichkeiten werden sie hier nicht weiter erläutert. Sowohl Theorie auch Empirie liefern in diesem Forschungsgebiet keine ausreichenden Erklärungsansätze zur hochkomplexen Führungswirklichkeit. Das heißt, es können keine allgemeingültigen Aussagen und schon gar nicht Regeln aufgestellt werden (Wunderer 1997b). Zudem ist zu beachten, dass Führung durch andere Einflussformen substituiert werden kann, die häufig aus dem organisationalen Kontext stammen und innerhalb der Führungstheorien kaum abgebildet werden (Staehle 1994). So üben nach Kerr / Jermier (1978 S. 378) Formalisierung, kohäsive Arbeitsgruppen, räumliche Distanz zwischen Führer und Geführten als auch Eigenschaften der Aufgabe wie Eindeutigkeit und Routinegrad, Arbeitsrhythmus, sowie die intrinsische Motivation eine Verhaltenssteuerung hinsichtlich Zielerreichung aus. Ebenso spielen Eigenschaften der Geführten wie Erfahrung, Fähigkeit, Training, Wissen sowie Unabhängigkeitsstreben und professionelle Orientierung eine Rolle. Die Führungsfunktionen werden laut Staehle (1994) nach wie vor gerne nach der funktionalistischen Sichtweise, wie einst von Fayol (1929) begründet, beschrieben. Demnach obliegt der Führungskraft u.a. die Aufgabe der Planung, Organisation, Mitarbeiterauswahl, Mitarbeiterführung und des Controllings. Der Prozessansatz erweitert diese Perspektive um die Einteilung der Funktionen in Phasen, die von der Planung über die Entscheidung und Durchsetzung bis zur Kontrolle reichen. Diese umschließen sowohl sachbezogene als auch personenbezogene Aspekte, die Cartwright / Zander (1968) als Lokomotions- und Kohäsionsaufgaben bezeichnen. Der leadership grid von Blake / Mouton (1964, 1970) bezieht sich auf genau 38

54

Das Modell von Tuckman wird ausführlich im Kapitel 3.3.7 ‚Teamentwicklung’ besprochen.

diese Dimensionen. Die sachbezogene Führung erstreckt sich auf die Entscheidungen, die das Arbeitsgeschehen bzw. den Betrieb betreffen. Als personenbezogen wird die „zielorientierte personale Beeinflussung menschlichen Verhaltens und alle damit zusammenhängenden Probleme, wie Motivation, Gruppenführung, Machtausübung, Konfliktlösung, soziale Kontrolle verstanden“ (Staehle 1994 S. 81). Beide sind stark miteinander verwoben, wobei in der vorliegenden Arbeit eher auf die personenbezogenen Aspekte fokussiert wird, was in den folgenden Ausführungen zu den wichtigsten Führungsfunktionen im Team noch stärker deutlich werden soll. Bell / Kozlowski (2002) entwickelten einen guten Überblick über die Kontrollund Teamentwicklungsfunktion, die inhaltlich hier mit der Koordinationsfunktion in Anlehnung an den Prozessansatz ergänzt wird. Unter Koordination als grundlegendste Funktion eines jeden Teamleiters, egal ob für face-toface oder virtuelle Gruppen, wird hier sowohl die Zielsetzung als auch Planung und steuernde Umsetzung subsumiert. Es ist besonders wichtig, die Ziele des Teams zu identifizieren und die nötigen Maßnahmen zur Zielerreichung abzuleiten, welche im nächsten Zuge an geeignete Mitarbeiter verteilt werden. Die zeitliche und inhaltliche Steuerung sowie die Abstimmung zwischen den Teammitgliedern stellen kontinuierliche Aufgaben dar. Zur Überprüfung des Leistungsstandes sind nach Bell / Kozlowski (2002) in einer weiteren Funktion die Begleitung und die Kontrolle der Aktionen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter sowie der Ergebnisse entscheidend, damit der Fortschritt hinsichtlich Aufgabenerfüllung festgestellt werden kann. Probleme müssen identifiziert und gelöst werden. Der Aufbau von Teambeziehungen im Rahmen der Teamentwicklung bedeutet, aus der Ansammlung von unabhängigen Individuen eine gut integrierte Arbeitseinheit zu schaffen, bzw. im Rahmen der Möglichkeiten bereits bei der Mitgliederauswahl auf eine geeignete Zusammensetzung zu achten (vgl. Bell / Kozlowski 2002). Dabei ist die Steigerung von Teamorientierung und -kohäsion im Vordergrund (vgl. Kapitel 3.3.7 ‚Teamentwicklung’). Nach Wunderer (1997a) ist zwischen der direkten (interaktionalen) und indirekten (strukturellen) Führung zu unterscheiden. Erstere geschieht über den face-to-face Austausch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter, durch das persönliche Gespräch und die physische Nähe. Zweite vollzieht sich anhand von Regeln, welche v.a. durch die formale Struktur der Organisation oder der informellen Unternehmenskultur vorgegeben werden. Diese Erläuterungen zu Führung werden insbesondere in der Diskussion von virtuellen Teams noch einmal aufgegriffen (vgl. Kapitel 6.1.5). Sicherlich ist zu konstatieren, dass die Führung multikultureller Teams bereits eine Herausforderung und eigene Forschungsfrage darstellt, da unterschiedliche Erwartungen und Stile aufeinander treffen. Doch weil dies ein äußerst umfangreiches Thema ist, das zu viel Raum erfordern würde, sei auf die Literatur zum interkulturellen Management verwiesen, wo diese Fragestellung bereits vertieft untersucht worden ist (z.B. Thomas 2003, Holzmüller / Berg 2002, Blom / Meier 2002, Chatman / Cha 2001, Hofielen / Broome 2000, Canney Davison / Ward 1999). Zudem sei angemerkt, dass sich das Problem der interkulturellen Führung letztlich aus den hier durchaus erläuterten Konflikten wie En- und Dekodierungsproblemen Fehlattributionen, Ethnozentrismus und Stereotypen speist.

3.3.6

Problemlösung und Entscheidungen

„Probleme ergeben sich, wenn bestimmte Ziele angestrebt werden, die Wege zum Erreichen der Ziele aber unbekannt oder durch Barrieren blockiert sind. Das Problem besteht darin, Mittel und Wege zu finden, um eine gegebene, als unerwünscht erachtete Situation in eine erwünschte Situation zu überführen“ (Staehle 1994 S. 274). Die meisten Arbeitsgruppen stoßen in ihrer routinemäßigen Aufgabenerledigung auf Probleme, welche mehr oder weniger unausweichlich sind. Darüber hinaus werden explizit Gruppen gebildet, die sich der Lösung 55

eines speziellen Problems widmen; diese stehen wie im Kapitel 2.1 definiert, im Mittelpunkt der Betrachtung dieser Arbeit. Es ist zu unterscheiden in verschiedene Typen von Problemen. Als erstes sind gut strukturierte Probleme zu nennen, welche bekannte Schwierigkeiten mit einfach zu erfassenden Elementen beinhalten, und wenig strukturierte Probleme, die unbekannt sind und daher weitere Informationssuche erfordern. Dementsprechend gibt es programmierte Entscheidungen, die routinemäßig in wiederkehrenden Situationen angewandt werden können, sowie nicht-programmierte Entscheidungen, die zu einzigartigen Problemen in einem speziellen Prozess erarbeitet werden müssen (vgl. Robbins / DeCenzo 2005). Die jeweils letztere Ausprägung, also wenig strukturierte Probleme und nicht programmierte Entscheidungen, soll nun genauer hinsichtlich der Bearbeitung dargelegt werden: Der Problemlösungsprozess beinhaltet die „Abwicklung sämtlicher Aktivitäten [...], die vom Entstehen des Problems bis zu dessen Lösung durchgeführt werden“ (Staehle 1994 S. 275), wobei hier auf kognitive Probleme fokussiert wird, die in jeder Aktivität Informationsbearbeitung erfordern. Dabei stehen insbesondere vier Größen im Vordergrund (Domschke / Scholl 2005 S. 24): x Es ist eine Ausgangssituation gegeben, deren Sachverhalte als Information in den weiteren Prozess eingehen. x Handlungsalternativen ermöglichen eine Beeinflussung von bestimmten Variablen und die Erreichung des gewünschten Zustands. x Dieser angestrebte Zustand ist als Ziel zu kennzeichnen, das die Entscheidungsträger verfolgen. x Schließlich führen die Maßnahmen zu Handlungsergebnissen, die einen unterschiedlichen Grad an Zielerreichung aufweisen können, je nachdem, welche Handlungsalternative gewählt wird. Es ergibt sich folgender idealtypischer Verlauf (vgl. Abb. 9), der in verschiedenen Quellen in mehr oder weniger ähnlicher Form dargestellt wird (vgl. Becker 2006, Domschke / Scholl 2005, Robbins / DeCenzo 2005, Staehle 1994): An erster Stelle steht die Problemerkenntnis, welche die erste Hürde darstellt, nämlich die richtige Analyse und Interpretation der Situation. Im zweiten Schritt muss das Problem definiert werden, d.h. Inhalt und Umfang abgegrenzt und Ursache-Wirkungszusammenhang erkannt werden. Wenn kein klares Ziel vorgegeben ist, muss dieses im Prozess formuliert werden. Als nächstes werden Ideen gesammelt, inwiefern das Problem gelöst werden könnte, bevor die dabei gewonnenen Alternativen in ihrer Wirkung prognostiziert und bewertet werden und schließlich die Entscheidung für eine der Alternativen gefällt wird. Schließlich wird die Lösung implementiert, wobei kontrolliert werden muss, ob das Problem damit tatsächlich behoben und der gewünschte Zustand erreicht worden ist. Wenn nicht, beginnt der Prozess über eine Rückkoppelungsschleife von neuem. Dieser Verlauf entspricht einer rationalen Vorgehensweise, die jedoch leicht beeinträchtigt werden kann. Schwierigkeiten können entstehen, wenn das Problem nicht richtig erfasst wird, das Ziel (also der Soll-Zustand) unklar ist, Alternativen nicht ausreichend bedacht werden, relevante Informationen nicht verfügbar sind, Zeit- und Ressourcenknappheit Druck ausüben und eventuell eine sachbezogene Entscheidung nicht gewollt wird (vgl. Domschke / Scholl 2005, Robbins / DeCenzo 2005). Die Gruppe stellt einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor dar, so dass es zu Prozessverlusten kommen kann (vgl. Wilke / Wit 2002): Hinsichtlich Ideengeneration und -sammlung ist schon mehrfach genannt worden, dass unbekannte, abweichende Informationen wesentlich sind, und diese von den Gruppenmitgliedern vorgebracht und aufgegriffen werden müssen.39 Dies wird zuweilen durch Konformitätsdruck, 39

56

Vgl. Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’.

Statusgefälle, persönlichen und kulturellen Eigenschaften wie Zurückhaltung und Harmoniestreben beeinträchtigt. Ebenso kann die letztendliche Entscheidung durch sozialen Einfluss dominiert werden, so dass der informative Wert und sachbezogene Argumente in den Hintergrund treten (Wilke / Wit 2002). Zielformulierung Problemdefinition

Alternativensuche Alternativenbewertung

Problemerkenntnis Entscheidung

Implementation

Kontrolle

Abb. 9: Idealtypischer Verlauf des Problemlösungsprozesses Kreativität auf der anderen Seite vermag einen Prozessgewinn herbeizuführen, indem sie für die Gewinnung und Verarbeitung neuer Ideen sorgt. Diese ist vor allem dann gegeben, wenn ein breiter Hintergrund an vielfältigen Perspektiven und Wissen vorhanden ist, was insbesondere für diverse und multikulturelle Teams zutrifft. Dies ist mit interkultureller Synergie gleichzusetzen, die an gesonderter Stelle erläutert wird (vgl. Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’). Simon (2002) maß in einer empirischen Untersuchung unter deutschen Studierenden, welche Prozessschritte in der Problemlösung mit Gruppeneffektivität korrelieren. Diese sollen kurz aufgezeigt werden, um die Diskrepanz der Realität zum vorher idealtypischen Vorschlag aufzuweisen. Eine Zielklärung kommt nur in ineffektiven Gruppen vor. Die Planung der Vorgehensweise stellte sich als die Determinante heraus, die Gruppeneffektivität am stärksten positiv beeinflusst, da sie Arbeitsschritte und Beiträge koordiniert und dafür sorgt, dass die Ressourcen der Mitglieder effizient genutzt werden. Eine Strategiediskussion sowie eine Prozessklärung hingegen weisen keine Wirkung auf – eine explizite Aussprache ist nur notwendig, wenn nicht schon implizit Übereinstimmung besteht. Koordinationsentscheidungen, d.h. Initiierung und sofortige Entscheidung über weiteres Verfahren ohne vorherige Diskussion, ist von Vorteil. Problemidentifikation sowie Ideenvielfalt sah Simon als irrelevant an. Wichtig ist allerdings die Entscheidungsfällung bei allen maßgeblichen Interaktionen und das möglichst zeitnah zum eingebrachten Vorschlag. Reflexivität (das Überdenken gefällter Entscheidungen) und Prozesskontrolle sind Kennzeichen ineffektiver Gruppen. Kontroversen haben keinen Einfluss auf Gruppeneffektivität und werden eher negativ gesehen, da sie häufig Ausdruck von Machtkämpfen sind. Detailvorschläge haben nachteilige Auswirkungen, ebenso 57

wenn die Bearbeitung eines Vorschlags längere Zeit in Anspruch nimmt oder argumentative Unterstützung, welche ebenso zu stark ins Detail führt. Soziale Verstärkung ist effektiv; ohne Wirkung bleibt Informationsaustausch, der meist durch Kontroversen hervorgerufen wird. Simon erkennt eine hohe Ritualisierung des Problemlösungsprozesses bei ineffektiven Gruppen, welche diesen benötigen, um Unsicherheiten zu vermeiden. Effektive Gruppen hingegen bauen konstruktive zwischenmenschliche Beziehungen auf, innerhalb derer Flexibilität erlaubt und möglich ist, um sich wechselnden Umständen anzupassen.

3.3.7

Teamentwicklung

Mit Gruppendynamik begann Lewin als einer der ersten in den 1940ern auseinander zu setzen, indem er die Entstehung, Entwicklung und Funktion kleiner Gruppen untersuchte (Staehle 1994 S. 247). „Dynamik meint, dass das System und die einzelnen Teile nicht statisch gesehen werden dürfen, sondern zusammen, allein, miteinander, gegeneinander in Bewegung sind, so dass etwa Genese und Weiterentwicklung ins Kalkül einbezogen werden müssen“ (Sader 1991 S. 115). Seitdem haben sich einige Wissenschaftler mit der Entwicklung von Gruppen befasst, allen voran Tuckman (1965), der eine Vielzahl nachfolgender Studien beeinflusste (z.B. Böhm 2005, Buzaglo / Wheelan 1999, Shaw / Barrett-Power 1998, Smith / Noakes 1996) und im nächsten Abschnitt detailliert diskutiert werden wird. Zuvor soll jedoch noch kurz auf die Relevanz der zeitlichen Dynamik eingegangen werden. Die Teamentwicklung beschreibt die Prozesse, die durch die Interaktion der Beteiligten angestoßen werden, und mit welchen Konsequenzen sie verbunden sind.40 Als Ergebnis sollte ein funktionstüchtiges soziales System entstehen. In den vorangegangenen Kapiteln wurden bereits einige der Teilergebnisse von Teamentwicklung erläutert: So sind Kommunikation, Kohäsion, gemeinsame Normen und Ziele sowie die Aufteilung von Rollen als durch die Teammitglieder im Zeitverlauf geschaffene Konstrukte zu erachten, die nicht von außen aufgesetzt werden können. Dies impliziert, dass die Teamentwicklung eine entscheidende Grundlage für die Gestaltung von Erfolgskriterien darstellt und daher selbst als Erfolgsfaktor zu betrachten ist. Auf welchem Wege Teamentwicklung von statten geht, wird im Folgenden beschrieben: Tuckman (1965) wertete die bis dato vorliegende Forschung aus und glaubte vier Phasen ausmachen zu können. In der ersten Phase, forming genannt, wird die Gruppe gebildet: Die Mitglieder lernen sich kennen, beteiligen sich allmählich und sind noch stark von der Führungskraft abhängig. Die Prozesse werden angetestet und die Beteiligten akklimatisieren sich. Phase zwei, storming, ist geprägt von Konflikten, die auf Grund ungeklärter Prozesse, Rollen-, Macht- und Statusfragen aufbrechen. Auch die Führungskraft ist von den Positionskämpfen betroffen. Die Aufgabenanforderung und eventuell gegebene Verfahrensweisen werden in Frage gestellt. Die Meinungen polarisieren sich. Energie und Zeit werden in die Klärung dieser Fragen gesteckt, weniger in die direkte Aufgabenbearbeitung, so dass die Gruppeneffektivität noch relativ gering ist. In der darauf folgenden norming-Phase werden die Konflikte abgebaut, indem sich die Mitglieder auf Normen einigen,41 gewisse Unterschiedlichkeiten akzeptieren, Sympathien entwickeln und ein Teamgefühl, also Kohäsion, aufbauen. In der letzten anzustrebenden Phase des performing kann sich die Gruppe letztendlich auf die Erledigung der Sachaufgaben konzentrieren, da eine geordnete Arbeitsweise gefunden worden ist. In einer späteren Studie (Tuckman / Jensen 1977) fügt Tuckman eine fünfte Phase, nämlich adjourning an, in welcher sich die Gruppe auflöst.

40

41

58

Unter Teamentwicklung werden hier nicht die geplanten Maßnahmen verstanden, mit denen der Prozess unterstützt werden soll (häufig als teambuilding bezeichnet); deren Effekte auf Teamerfolg sind kritisch zu betrachten, wie Salas et al. (1999) ausführen. Vgl. Kapitel 3.3.3 ‚Normen und Ziele’.

Nach Aussage Tuckmans ist Gruppeneffektivität nur erreichbar, wenn die Gruppe die ersten zwei Phasen überwindet. Dieses Modell ist eine vernünftige Heuristik, welche sinnvolle Phasen beinhaltet (Sader 1991 S. 135). Besonders einleuchtend ist die Kombination von rationalaufgabenbezogenen sowie sozio-emotionalen und psychodynamischen Aspekten (Staehle 1994 S. 262). Allerdings gibt Tuckman selbst zu, dass die Phaseneinteilung nicht für alle reale Gruppen gilt, sondern lediglich Regelmäßigkeiten beschreibt. Besonders die klare Trennung, dass z.B. Konflikte nur in Phase zwei statt finden, Normen in Phase drei entwickelt werden und Leistung erst in der letzten Phase möglich ist, ist zu kritisieren; jede dieser genannten Aktivitäten kann genauso in anderen Phasen stattfinden. Shaw / Barrett-Power (1998), welche die Tuckman’schen Phasen in ihrem Modell aufgreifen, fügen jedoch hinzu, dass die Stadien wiederholt auftreten können. Unger (1998) gibt an, dass in der betrieblichen Praxis ebenso Rück- oder Vorsprünge denkbar sind. Ardelt-Gattinger / Gattinger bemerken, dass Unterschiede in Rivalität und Sympathie weniger eine Frage von Phasen sind als ein Merkmal unterschiedlicher Gruppen (1998 S. 9). Zudem stoßen sie an (wie auch Buzaglo / Wheelan 1999), dass zur Überführung des Teams von der Konflikt- in die Produktivphase die Verantwortlichen intervenieren und spezielle Maßnahmen anwenden sollten. Der Kernpunkt dieses Entwicklungsmodells liegt in dem Fokus auf der Diskussion und Klärung von Arbeitsprozessen und persönlichen Beziehungen. In einem Unternehmen mit standardisierten Vorgaben kann die Aushandlung gemeinsamer Standards geringer ausfallen, da eine „starke Situation“ gegeben ist (Maznevski / Peterson 1997 S. 83). Die Teammitglieder haben weniger Wahlmöglichkeiten und unterliegen klaren Anweisungen. Sind solche Vorgaben nicht vorhanden und ist das Team besonders heterogen aufgesetzt, bedarf es einer Aushandlung, da unterschiedliche Ansichten sowohl hinsichtlich Arbeitsweise aber auch hinsichtlich zwischenmenschlicher Beziehungen und der Funktion von Teams vorliegen (vgl. Maznevski / Peterson 1997). Daher geht Podsiadlowski (2002) davon aus, dass die entsprechende storming-Phase in heterogenen Teams länger dauert. Wie Teamentwicklung in virtuellen Teams aussieht, wird ausführlich in Kapitel 6.1.3 dargelegt. Gluesing et al. bemerken zudem, dass neben den gerade genannten Unternehmensvorgaben weitere externe Faktoren wie Veränderungen in der Organisation oder im Markt Auswirkungen auf das Team haben, die im rein auf interne Variablen gerichteten Modell von Tuckman nicht einbezogen sind (2003 S. 356). Auch strukturelle Merkmale wie Teamgröße oder Häufigkeit von Meetings beeinflussen die Teamentwicklung. Auf Grund der Relevanz des Aushandlungsprozesses, der im Tuckman’schen storming passend umrissen wird, soll dieses Modell in dieser Arbeit in Auszügen verfolgt werden, wobei die eben angemerkten Kritikpunkte ebenso mit aufgenommen werden.

3.4

Ein allgemeines Gruppenmodell

In den beiden vorigen Unterkapiteln wurden zahlreiche Faktoren, die in Teams eine Rolle spielen, vorgestellt. Nun werden diese in einen theoretischen Bezugsrahmen gesetzt, um ihre Verflechtungen aufzuzeigen und weitestgehend erklären zu können. Um das komplexe Zusammenspiel der Faktoren und ihre Auswirkung auf Gruppeneffektivität am besten erfassen zu können, bieten sich Systemansätze an, die eine Arbeitsgruppe als soziales System begreifen (vgl. z.B. Simon 2002 in Anlehnung an Bertalanffy 1979). Ein solches System ist gekennzeichnet durch seine Abhängigkeit zur Umwelt, die durch exogene Faktoren Einfluss auf das Geschehen im System nimmt. Diese Faktoren werden als unabhängige Variablen verstanden (vgl. Podsiadlowski 2002 S. 75). Was die Teameffektivität dann tatsächlich ausmacht, sind die Prozessfaktoren, welche die Interaktion in der Gruppe beschreiben und als abhängige Faktoren begriffen werden. Gruppeneffektivität, die im Zentrum des Interesses steht, ist schließlich der Output.

59

Zu den genauen Zusammenhängen und jeweiligen Inhalten der Faktoren wurden im Rahmen der Kleingruppenforschung, speziell der Effektivitätsforschung, bereits einige Modelle erstellt, die im folgenden kurz dargelegt und kritisch gewürdigt werden sollen, um im Anschluss in der Anpassung an die Forschungsfrage ein eigenständiges Modell, das die Besonderheiten der multikulturellen und virtuellen Komponente berücksichtigt, zu entwickeln. Eines der ersten Modelle geht auf McGrath (1964) zurück, der einen allgemeinen Bezugsrahmen zur Organisation und Systematisierung von Studien zu Gruppenverhalten und -leistungen erstellte (vgl. Abb. 10). Als Inputfaktoren identifiziert er solche auf der Ebene des Individuums (Fertigkeiten, Einstellungen, Persönlichkeit), der Gruppe (Struktur, Kohäsion, Größe) und der Umgebung (Aufgabe, Entlohnung). Diese beeinflussen den Interaktionsprozess, der das gesamte beobachtbare interpersonale Verhalten zwischen zwei Zeitpunkten umfasst. Zu einem späteren Zeitpunkt tritt der Output ein, der unterteilt wird in Leistung (Qualität, Geschwindigkeit) und andere Ergebnisse (Mitgliederzufriedenheit, Kohäsion), die wiederum den Input für die Zukunft mitbestimmt. Es ist positiv anzumerken, dass das Modell eine dynamische Perspektive einnimmt und somit die Gruppenprozesse ausreichend würdigt. Allerdings bemängelt Hackman (1987), dass ebenso ein direkter Einfluss von Input auf Output möglich ist. In der Wirkungskette sieht Hackman Interaktion und Output nicht nachgelagert, sondern in gegenseitigem Wechselspiel. Schließlich merkt er an, dass die Zusammenhänge, gerade die Verbindung Interaktion-Output, nicht ausreichend empirisch nachgewiesen sind.

input

process

output

individual-level factors e.g. pattern of member skills, personality characteristics

performance outcomes e.g. quality, speed, number of errors

group-level factors e.g. structure, cohesiveness, size

group interaction process other outcomes

environmental-level factors

e.g. member satisfaction, group cohesiveness, attitude change

e.g. group task, reward structure

t1

Abb. 10: Das Gruppenmodell nach McGrath (McGrath 1964) 60

t2

time

Um die Mängel des McGrath’schen Modells zu beheben, legte Hackman (1987) einen eigenen Vorschlag zu einem normativen Modell vor (vgl. Abb. 11). Einerseits soll dieses dem Verstehen von Gruppenverhalten dienen, zusätzlich soll es Faktoren aufdecken, welche die Gruppeneffektivität steigern. Als unabhängige Variablen nennt Hackman Kontext, Gruppendesign und materielle Ressourcen, die möglichst förderlich für die Gruppenarbeit gestaltet werden sollen. Als Novum bezieht Hackman Synergien, d.h. Gruppenphänomene, welche die Aufgabenerfüllung steigern, mit ein. Zur genaueren Betrachtung der Interaktion führt Hackman Gruppenprozesskriterien an, die das Zusammenspiel des Engagements der Mitglieder, ihres Wissens und der Aufgabe beschreiben. Gruppeneffektivität als Output definiert er in den drei Kategorien Gruppenleistung, Überlebensfähigkeit der Gruppe in der Zukunft und Zufriedenheit der Mitglieder. Dieses Modell erläutert also stärker die Wirkungsweisen zwischen den Variablen und beginnt, die black box ‚Interaktion’ zu öffnen. Interessant für die vorliegende Arbeit erscheint vor allem der Einbezug von Synergien, die positiv auf das Gruppenergebnis wirken. Allerdings ist dieses Modell nur ausschnittweise belegt (Thunig 1999 S. 95); für eine gesamthafte quantitative Belegung ist es scheinbar bereits zu vielschichtig. organizational context

material resources

a context that supports and reinforces competent task work, via: - reward system - education system - information system

sufficiency of material resources required to accomplish the task well and on time

group design a design that prompts and facilitates competent work on the task, via: - structure of the task - composition of the group - group norms about performance processes

process criteria of effectiveness

group effectiveness

- level of effort brought to bear on the group task - amount of knowledge and skill applied to task work - appropriateness of the task performance strategies used by the group

- task output acceptable to those who receive or review it - capability of members to work together in the future is maintained or strengthened - members‘ needs are more satisfied than frustrated by the group experience

group synergy assistance to the group by interacting in ways that: - reduce process losses - create synergistic process gains

Abb. 11: Das Gruppenmodell nach Hackman (Hackman 1987 S. 331)

61

Gladstein entwickelte 1984 das model of task-group effectiveness, mit Hilfe dessen sie Teameffektivität voraussehen möchte (vgl. Abb. 12). Als strukturelle Einflussfaktoren, die direkt und indirekt über die Gruppenprozesse die Effektivität steuern, erkennt sie einerseits Gruppenfaktoren. Diese unterscheidet sie in Gruppenzusammensetzung (Fähigkeiten, Heterogenität, Dauer der Organisationszugehörigkeit, Berufserfahrung) und Gruppenstruktur (Größe, Klarheit der Ziele und Mitgliederrollen, Arbeitsnormen, Aufgabenkontrolle und formalisierte Führung). Als Variablen, die andererseits in der Organisation verankert sind, spielen die Organisationsstruktur (Überwachung und Entlohnung für Gruppenleistung) sowie verfügbare Ressourcen (Trainingsmöglichkeit und Zielmärkte) eine Rolle. Struktur grenzt sie zu Prozessen ab als relativ stabile Einrichtungen. Strukturen lassen sich in Arbeitsteilung und -spezialisierung sowie in Koordinations- und Kontrollmethoden ausdrücken. Prozesse hingegen bezeichnen verschiedene Modi der Interaktion zwischen zwei Zeitpunkten (Gladstein 1984 S. 501). Die Gruppenprozesse transformieren die Ressourcen in ein Produkt, und zwar über zwei Wege: Zur Aufrechterhaltung der Gruppe sind maintenance behaviors (nach Bales 1958) nötig, zur Aufgabenbewältigung task behaviors. Die Aufgabe fungiert hierbei als Moderator; sie kann in den Dimensionen sicher – unsicher und einfach – komplex beschrieben werden, welche die Gruppe mehr oder weniger erfüllt. Gruppeneffektivität wird in Analogie zu Hackman / Morris (1975) ebenso als Gruppenleistung, als Erfüllung der Bedürfnisse der Mitglieder und als Fähigkeit der Gruppe, länger zu existieren, definiert. input

process

output

group level group composition

group task - task complexity - environmental uncertainty - interdependence

- adequate skills - heterogeneity - organizational tenure - job tenure

group structure - role & goal clarity - specific work norms - task control - size - formal leadership

organizational level resources available

group process - open communication - supportiveness - conflict - discussion of strategy - weighting individual inputs - boundary management

- training & technical consultation - markets served

organizational structure - rewards for group performance - supervisory control

Abb. 12: Das Gruppenmodell nach Gladstein (Gladstein 1984 S. 502) 62

group effectiveness - performance - satisfaction

In einer empirischen Studie überprüft Gladstein (1984) selbst ihr Modell und bemerkt, dass einige weitere Faktoren zusätzlich zu berücksichtigen sind, wie z.B. boundary management. Die Zusammenhänge der Prozesse und Strukturen und die Rolle der exogenen Größen sind gut belegt. Methodische Schwierigkeiten tauchen bei der Voraussage der Gruppeneffektivität auf. Zusammenfassend lässt sich über alle drei Modelle hinweg die Schwäche hinsichtlich empirischer Überprüfbarkeit feststellen, was bei so umfassenden Erklärungsansätzen, die über verschiedene Gruppen, Organisationen und Aufgaben hinweg zu generalisieren streben, nicht weiter verwunderlich ist (Simon 2002 S. 2). Allerdings helfen sie bei der Systematisierung und der Einbindung von einzelnen Variablen in eine übergeordnete Sichtweise. Positiv ist zu konstatieren, dass mit der Zeit die Rolle der Prozessfaktoren stärker herausgearbeitet und verschiedene Aktivitäten hinsichtlich Gruppenerfolgs identifiziert worden sind (vgl. Thunig 1999 S. 100). Dies schafft eine Grundlage für die vorliegende Arbeit, die sich mit Prozessen von Gruppen beschäftigt, und zwar insbesondere solchen, die durch die multikulturelle Zusammensetzung beeinflusst werden. Es kann angemerkt werden, dass die drei grundlegenden Gruppenmodelle älteren Datums sind. Doch sind es diejenigen, die möglichst umfassend alle relevanten Variablen erfassen; nach wie vor wird in der aktuellen Literatur auf sie zurückgegriffen (siehe z.B. Yancey 2005). Neuere Modelle beschränken sich auf eine oder wenige Variablen und vernachlässigen das Zusammenspiel, wie z.B. das Modell zu taxonomy of team performance functions von Fleishman / Zaccaro (1992) (Zusammenstellung verschiedener Teamprozesse), das group goal and performance model von Weldon / Weingart (1993) (Schwerpunkt auf Zielvorstellungen) oder der framework of team situation awareness von Salas et al. (1995) (Erkennen des aktuellen Systemzustandes). Erwähnenswert ist das team effectiveness model von Salas et al. (1992) bzw. Tannenbaum / Beard / Salas (1992), das eine modernere Version der InputProzess-Output-Modelle darstellt und ferner auf Interventionsmöglichkeiten eingeht. Ähnlich sieht es mit Modellen zu diversen oder multikulturellen Arbeitsgruppen aus: Hierzu wurden bereits einige entwickelt (z.B. zu diversen Gruppen Pelled / Eisenhardt / Xin 1999, Jackson / May / Whitney 1995 und zu multikulturellen Gruppen Simon 2002, Ting-Toomey / Oetzel 2001), die jedoch nur einzelne Variablen ins Auge fassen und daher eine begrenzte Aussagekraft besitzen und für die Ziele der vorliegenden Arbeit nicht ausreichen. Damit soll zurückgeführt werden auf die Entwicklung eines eigenständigen und umfassenden Modells, in dem u.a. Prozesse eine maßgebliche Funktion einnehmen: Um die Einflussrichtungen der Prozesse (positiv und negativ hinsichtlich Gruppeneffektivität) genauer aufzuschlüsseln, wird die Formel von Steiner (1972) herangezogen, die Hackman / Morris (1975) erweiterten und Adler (2002) auf multikulturelle Arbeitsgruppen übertrug. Diese Formel lautet: Aktuelle Produktivität der Gruppe (AP) = potenzielle Produktivität der Gruppe (PP) – Prozessverluste (PV) + Prozessgewinne (PG) Das heißt, die Gruppenleistung setzt sich zusammen aus dem Leistungspotenzial der Gruppe abzüglich Prozessverluste und zuzüglich Prozessgewinne. Das Leistungspotenzial bestimmt sich daraus, inwieweit der Gruppe die nötigen Ressourcen (Wissen und Fertigkeiten) zur Aufgabenbewältigung zur Verfügung stehen. Prozessverluste entstehen, wenn die Ressourcen nicht effizient eingesetzt werden können, weil es an der Motivation der Mitglieder oder an der Koordination der Einzelleistungen mangelt, was in mono- und multikulturellen Teams gleichermaßen möglich ist. Die kulturelle Heterogenität multikultureller Arbeitsgruppen kann zudem einstellungsbezogene Probleme wie Misstrauen, wahrnehmungsbezogene Probleme wie Stereotype oder kommunikative Probleme wie Verständigungsschwierigkeiten hervorrufen. Prozessgewinne entstehen in einer multikulturellen Arbeitsgruppe dadurch, dass mehr Ressourcen in Form von vielfältigeren Erfahrungen, Perspektiven und Fertigkeiten zur Nut63

zung bereit stehen (Adler 2002 S. 138). Nach Adler fallen die Vorteile einer multikulturellen Besetzung dann stärker als die Nachteile aus, wenn die Diversität angemessen durch die Beteiligten gehandhabt wird. Prozessgewinne werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit als interkulturelle Synergien verstanden; das sind Kräfte, die durch die Interaktion von kulturell diversen Gruppenmitgliedern frei gesetzt werden (für eine genaue Definition siehe Kapitel 5). Die Prozessverluste werden als interkulturelle Konflikte bezeichnet und in Kapitel 4 detailliert besprochen. Input: Voraussetzungen Organisation (3.2.1): Organisationsstruktur Ressourcenverteilung Umgang mit kulturellen Unterschieden

Prozess: Interaktion Kommunikation (3.3.1)

Output: Gruppeneffektivität Leistung (3.1)

Kohäsion (3.3.2) Normen und Ziele (3.3.3) Rollen (3.3.4)

Team (3.2.2): Größe Zusammensetzung Zeitlicher Horizont Form der Mitgliedschaft Aufgabe Interdependenz

Führung (3.3.5) Problemlösung und Entscheidung (3.3.6) Teamentwicklung (3.3.7)

Zufriedenheit (3.1)

Individuum (3.2.3): Fachliche Kompetenzen Methodische Kompetenzen Soziale Kompetenzen Motivation

Abb. 13: Grundstruktur des Gruppenmodells: Input – Prozess – Output Der Fokus der Studie liegt neben dem kulturellen ebenso auf dem virtuellen Einfluss, der analog zu interkulturellen Synergien und Konflikten eingebaut wird. Für diese Kombination liegt in der Forschungsliteratur noch kein Modell vor, daher ist es nötig, ausgehend von den zu Anfang besprochenen Input-Prozess-Output-Modellen ein eigenes Modell zu entwickeln. Es wird als multikulturelles Input-Prozess-Output-Modell (MIPO-Modell) bezeichnet. Dies hat als unabhängige Inputvariablen insbesondere Kultur und virtuelle Kooperation zu betrachten und als intervenierende Prozessvariablen die durch diese ausgelösten Veränderungen in der Gruppeninteraktion. Andere Inputfaktoren auf der Ebene des Individuums, der Gruppe oder der Organisation sind ebenso zu berücksichtigen. Ein direkter Einfluss von Inputfaktoren auf die abhängige Variable Gruppenergebnis (z.B. Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, Ressourcenausstattung) ist denkbar, aber hier nicht von Interesse, da der moderierende Einfluss von Kultur und virtueller Kooperation erst durch die Interaktion zum Tragen kommt. Die relevanten Prozesse in Gruppen wie Kommunikation, Kohäsion, Führung, Gruppendynamik etc. werden in dieser Arbeit in den Mittelpunkt gerückt und sind bereits in allgemeiner Form erläutert worden (vgl. Kapitel 3.3). Damit ist eine Grundlage für eine Analyse hinsichtlich Kultur und virtueller Kooperation in Teams geschaffen worden, die in den nächsten Kapiteln 64

erfolgen wird. Mit Hilfe des zu erarbeitenden MIPO-Modells kann letztlich erkannt werden, über welche Prozesse Kultur und virtuelle Kooperation die Gruppeneffektivität steigern oder senken.42 Baut man die wichtigsten bisher erläuterten Variablen in das Modell ein, stellt es sich wie in Abbildung 13 visualisiert dar (die Angaben in Klammern geben die Kapitel wieder, in denen die Variablen erörtert worden sind). Bevor die Variablen Konflikte und Synergien in das Modell integriert werden, um somit das MIPO-Modell zu formen, sollen sie in den nachfolgenden Kapiteln detailliert und ausführlich einzeln diskutiert werden.

42

Die Querverbindungen unter den Voraussetzungen als auch den Zusammenhang zwischen Leistung und Zufriedenheit werden in dieser Arbeit nicht ausgeführt, da dies die Komplexität sprengen und v.a. keinen Mehrwert für die Aussagen hinsichtlich multikultureller Arbeitsgruppen liefern würde.

65

IV

Theoretische Einbettung der Konflikte und Synergien

An erster Stelle gilt es, eine konzeptuelle Vorstellung von Konflikten für die nachfolgende Arbeit aufzubauen. Hierfür wird auf eine kulturallgemeine Definition zurückgegriffen, die im Späteren auf interkulturelle Konflikte übertragen wird. Schließlich werden verschiedene interkulturelle Konfliktformen für multikulturelle Arbeitsgruppen identifiziert. Dasselbe Prinzip wird im darauf folgenden Kapitel für interkulturelle Synergien angewandt. Schließlich werden virtuelle Konflikte und virtuelle Synergien theoretisch aufgeschlüsselt, um das MIPOModell anzureichern und eine Basis für die empirische Untersuchung zu generieren.

4

Konflikte

4.1

Konflikte kulturallgemein

4.1.1

Definition

Hinsichtlich der inhaltlichen Definition von Konflikten ist sich Glasl anzuschließen, der eine sehr umfassende und strukturierte Begriffserklärung liefert: Sozialer Konflikt ist eine Interaktion x zwischen Akteuren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), x wobei wenigstens ein Akteur x Unvereinbarkeiten im Denken / Vorstellen / Wahrnehmen und / oder Fühlen und / oder Wollen x mit dem anderen Akteur (anderen Akteuren) in der Art erlebt, x dass im Realisieren eine Beeinträchtigung x durch einen anderen Akteur (die anderen Akteuren) erfolge (Glasl 2002 S. 14).43 An der hier gewählten Definition wird deutlich, dass ein Konflikt bereits durch die Wahrnehmung einer Partei vorliegt (latenter Konflikt); eine Wahrnehmung durch die andere Partei oder Konfliktverhalten muss nicht unbedingt gegeben sein. Manche Autoren, wie z.B. Wall / Callister (1995) sehen schon einen Konflikt, wenn lediglich ein Interessensunterschied vorliegt. Wie sie selbst aber zugeben, können sich Diskrepanzen ebenso auf „concerns, something cared about, goals, aims, values und aspirations“ beziehen (S. 516). Als Minimalaussage aller Definitionsversuche kommt Kleber auf das Vorliegen eines „unangenehmen Spannungszustands“ (2001 S. 29). Um die spätere Relevanz von Konflikten für multikulturelle Arbeitsgruppen deutlich zu machen, soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass diese gelisteten Punkte sämtlich Werte und andere wertbezogene Phänomene wie Ziele, Verhalten und Einstellungen beinhalten. Da Werte im Selbstbild eine zentrale Rolle spielen, sind Angriffe oder Unvereinbarkeiten besonders kritisch, und gerade in multikulturellen Arbeitsgruppen treten kulturelle Werte besonders hervor (Ravlin / Thomas / Ilsev 2000 S. 20). Ein Konflikt vollzieht sich ein einem Ablauf, der neben Werten Wahrnehmungen, Gefühle, Verhalten44 und Ergebnisse einschließt (Thomas 1976 S. 891), und im Format Ursachen – Kernprozess – Effekte beschrieben werden kann (Wall / Callister 1995 S. 516), was im Kapitel 4.1.5 ‚Konfliktverlauf’ erfolgen soll.

4.1.2

Konflikttypologien

Es existieren zahlreiche Konflikttypologien; eine kleine Auswahl sei hier gelistet: 43 44

Glasl spricht wörtlich von „Aktoren“; dies wurde sprachlich korrigiert in „Akteur“. Wobei unter Verhalten auch Vermeidung und Nichtreagieren zu subsumieren sind.

67

Die erste Unterscheidungsmöglichkeit erfolgt nach Erscheinungsformen. In einem manifesten Konflikt äußern sich die Differenzen in Konfliktverhalten. Wie schon oben erwähnt, liegen zwar ebenso bei einem latenten Konflikt Differenzen vor, führen jedoch nicht zu feindseligem Verhalten (Glasl 2002 S. 49, Ravlin / Thomas / Ilsev 2000 S. 20). Nach Ebenen ist eine zweite Form der Differenzierung. Laut Dreu (1997) kann sich ein Konflikt innerhalb einer Person abspielen (ein intrapersonaler Konflikt), innerhalb einer Gruppe (Gruppenkonflikt) oder innerhalb einer Organisation (Organisationskonflikt). Ein Konflikt zwischen Einzelpersonen wird auch interpersonaler Konflikt genannt (Wall / Callister 1995 S. 516), wobei es sich bei genau zwei Personen um einen dyadischen Konflikt handelt (Thomas 1976 S. 890). Eine Ebene höher ist der Intergruppenkonflikt angesiedelt, der zwischen zwei oder mehr Gruppen ausgetragen wird. Ein Konflikt zwischen Organisationen nennt sich interorganisational, und wenn ein Konflikt über Landesgrenzen hinweg ausgetragen wird, ist es ein internationaler Konflikt (Wall / Callister 1995 S. 516). Als sozialer Konflikt wird entsprechend der soziologischen Konflikttheorien ebenso eine Spannung zwischen zwei Personen beschrieben, aber sie leitet sich aus der Struktur sozialer Einheiten ab und bezieht sich nicht lediglich auf die Missliebigkeit dieser Personen (Kleber 2001 S. 29). Davon grenzt sich die vorliegende Arbeit ab; im Interesse dieser Arbeit stehen insbesondere der interpersonale und der Gruppenkonflikt. Hinsichtlich der Konfliktbasis kann eine Unterscheidung in inhaltliche und beziehungstechnische Aspekte vorgenommen werden, die nicht nur für Gruppen (siehe z.B. Jehn 1995), sondern auch für andere Organisationselemente angewandt wird (wie z.B. Führung, Gruppenfunktionen, vgl. Jehn 1997a). Daran wird die Relevanz von aufgabenbezogenen und kognitiven Themen einerseits und persönlichen, interpersonalen und emotionalen Themen andererseits deutlich. In der Literatur werden die beiden Typen mit unterschiedlichen Begriffen und konzeptuellen Nuancen versehen (vgl. zur Übersicht Tab. 6). Autor

Bezeichnung

Guetzkow / Gyr (1954)

substantive and affective

Coser (1956)

goal-oriented and emotional

Pinkley (1990)

task and relationship

Priem / Price (1991)

cognitive / task-related and social-emotional

Jehn (1992)

task-focused and relationship-focused

Jehn (1994)

task and emotional

Amason (1996)

cognitive and affective

Glasl (2002)

substantiell und affektiv

Eisenhardt / Kahwajy / Bourgeois (1997)

substantive and interpersonal

Pelled / Eisenhardt / Xin (1999)

task and emotional conflict

Tab. 6: Die unterschiedlichen Bezeichnungen der zwei Konfliktbasistypen An anderer Stelle spricht man gemäß Glasl (2002 S. 48) von realistischen oder echten Konflikten, in denen real existente, objektive Streitpunkte vorliegen. Nicht-realistisch oder unecht hieße, dass kein faktischer Streitpunkt vorhanden ist, sondern es um Charakter, Einstellung oder Verhaltensweisen einer der Parteien selbst geht. Diese Unterscheidung wird hier nicht weiterverfolgt, denn persönlich, emotional oder beziehungstechnisch begründete Konflikte sind durchaus realistisch. 68

Der im Folgenden Aufgabenkonflikt genannte Konflikt „is a condition in which group members disagree about task issues, including goals, key decision areas, procedures, and the appropriate choice of action” (Pelled / Eisenhardt / Xin 1999 S. 2). Er ist depersonalisiert und auf unterschiedliche Ideen der Beteiligten zurückzuführen (Priem / Harrison / Muir 1995 S. 694); er spielt sich also rein kognitiv ab. Allerdings impliziert ein Konflikt nicht nur die Existenz divergierender Standpunkte, sondern gleichermaßen die Bereitschaft, für sie zu streiten (Jehn 1997b S. 88). Der affektive Konflikt „is a condition in which group members have interpersonal clashes characterized by anger, frustration, and other negative feelings” (Pelled / Eisenhardt / Xin 1999 S. 2). Er beinhaltet die emotionale Seite von Auseinandersetzungen, die als eng verbunden mit den Beziehungen der Beteiligten untereinander gesehen wird (Jehn 1997b S. 88). Jehn hat in ihrer Studie zu Gruppenkonflikten einen dritten Konflikttyp identifiziert, den sie Prozesskonflikt nennt (1997a). Dieser fokussiert darauf, wie die Aufgabe zu bewältigen ist und könnte m.E. als ein Teil des Aufgabenkonflikts gesehen werden.45 Schon an dieser Stelle sei kritisch angemerkt, dass ein Aufgabenkonflikt, also z.B. die Überzeugung von der Richtigkeit einer Idee, sicherlich auch eine emotionale Komponente einschließt. Umgekehrt kann die Beziehung zwischen zwei Personen durchaus aufgabenbezogen und eher kognitiv ausgerichtet sein (z.B. zwischen Führungskraft und Mitarbeiter). Auf die schwierige Unterscheidung und hohe Interdependenz bzw. Dynamik in der Realität wird im folgenden Kapitel eingegangen.

4.1.3

Auswirkung von Aufgaben- und affektiven Konflikten auf die Gruppeneffektivität

Frühere Ansätze fassten Konflikte als negativ für Effektivität auf, deshalb galt es, sie zu vermeiden oder nach deren Auftreten schnellstmöglich zu unterdrücken. In der aktuellen Literatur wird Konflikt hingegen als mehrdimensionaler und unvermeidbarer Prozess verstanden, der unter Umständen positiv wirkt. So meint Thomas: „Conflict itself is no evil, but rather a phenomenon which can have constructive or destructive effects depending upon its management“ (1976 S. 889). Als Gruppeneffektivität ist nach Hackman (1987) einerseits die objektive Leistung zu sehen, welche die Arbeitsgruppe erbringt. Andererseits versteht er ebenso als Leistung, die Fähigkeit der Zusammenarbeit langfristig zu erhalten, und gleichermaßen die Zufriedenheit der Mitarbeiter, wie bereits ausführlich in Kapitel 3.1 ‚Effektivität als Leistungsmerkmal von Gruppen’ erläutert. Nun mag Konflikt sicherlich Stress und Beklemmung hervorrufen, negative interpersonale Einstellungen und Wahrnehmungen produzieren und das soziale Klima in Gruppen verschlechtern (Dreu 1997 S. 9), was eindeutig die Befindlichkeit der Mitarbeiter und ihre Beziehung als Gruppe beeinträchtigt. Andererseits kann er bei kompetentem Umgang verletzte Gefühle offen legen und einen Dialog anstoßen. In diesem Fall dient er als Puffer für psychologische und emotionale Belastung (Ting-Toomey / Oetzel 2001 S. 3). Auch werden durch Konflikte Mängel aufgedeckt, die behoben werden sollten (Thomas 1976 S. 892). Als weitere positive Anstöße werden in der Literatur meist Quelle für Kreativität, Innovation und Leistung vorgebracht (z.B. Dreu 1997 S. 9), doch muss dies m.E. differenzierter nach Konflikttyp betrachtet werden. Denn bei genauerer Betrachtung wirkt der affektive Konflikt weiterhin tatsächlich negativ; nur der Aufgabenkonflikt kann positive Effekte hervorrufen (Ting-Toomey / Oetzel 2001 S. 127).

45

Als eine neuere Studie, welche diese drei Konflikttypen in Arbeitsgruppen untersucht, ist Passos / Caetano (2005) zu nennen.

69

Nach Jehn, die einige Studien hinsichtlich Konflikt und Gruppeneffektivität durchführte, sorgt der affektive Konflikt in der Gruppe für Frustration, Friktion, Spannung, Abneigung, Animosität, mangelnde Motivation und feindliches Verhalten (Jehn 1994, 1995, 1997a)46. Feindliches Verhalten kann heißen, negativ, reizbar, misstrauisch und abwehrend zu sein (Jehn 1997a). Es resultiert eine geringere Zufriedenheit der Mitglieder, die eher den Wunsch nach Verlassen der Gruppe hegen, was eine Gefahr für den Gruppenerhalt über die Zeit darstellt. Die objektive Leistung wird vermindert, da sich einerseits die Kommunikation über die Aufgabe verringert, andererseits sich die Anstrengungen nun eher auf Lösung oder Vermeidung des Konflikts statt auf die Aufgabenerfüllung konzentrieren (Kelley 1979, Jehn 1994, Jehn 1997a). Es wird Zeit und Energie für die Aufrechterhaltung, Wiederherstellung oder sogar komplette Zerstörung der Beziehung verwendet; kognitive Leistung wird von der Informationsverarbeitung abgezogen (Evan 1965, Jehn / Mannix 2001). Generell ist durch den Stress und die Beklemmung die Kognition beeinträchtigt (Staw / Sandelands / Dutton 1981, Jehn / Mannix 2001). Es kann zu antagonistischen oder bösen Zuschreibungen an andere Mitglieder kommen als auch zur selbsterfüllenden Prophezeiung (siehe Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’) mit gegenseitiger Feindlichkeit und Konflikteskalation (Baron 1990, Janssen / Vliert / Veenstra 1999). Ein chronischer Beziehungskonflikt ergibt unter Umständen eine schwere Beeinträchtigung des Gruppenfunktionierens (Coser 1956). Wie zu Anfang schon erwähnt, ist der (Aufgaben-)Konflikt in der Literatur inzwischen als Quelle für Leistungssteigerung entdeckt worden. Primär wird darauf verwiesen, dass im Prozess des Austausches Ideen, Kritik und Anregungen zur Aufgabenbearbeitung vorgebracht werden. Diese Konfrontation abweichender Ansichten generiert im Idealfall qualitativ bessere Ideen, da die Beteiligten mit unbekannter Information versorgt werden und eine Synthese aus Alt und Neu formulieren können (Thomas 1976 S. 891). Damit vermag der Status quo neu eingeschätzt und evtl. revidiert werden, die Gruppe sich besser an Situationen anpassen und Innovationen hervorbringen, was eine erhöhte Produktivität darstellt (Roloff 1987 nach Jehn 1997b S. 92). Konflikte können die Gruppenentwicklung fördern, damit können die Fähigkeiten und das Wissen der Gruppenmitglieder besser genutzt werden (Jehn 1997a S. 532). Nach Hall gilt: Conflict, effectively managed, is a necessary precondition for creativity“ (1971 S. 88). Diese Seite ist also als das kreative Potenzial von Konflikten anzusehen (Hofielen / Broome 2000). Hinsichtlich Gruppenentscheidungen, die sich an die Sequenz von Informationssuche und -austausch anschließen, ist ebenso von einer Verbesserung zu sprechen: Es herrscht ein eingehenderes Verständnis des diskutierten Problems – sowohl auf Individuumsebene (Baron 1997) als auch auf Gruppenebene (Fiol 1994, Janssen / Vliert / Veenstra 1999). Durch verschiedene Ideen und konstruktive Kritik werden Alternativen sorgfältig abgewogen, was die Qualität der Entscheidungsfindung (Jehn 1997a) sowie der strategischen Planung (Cosier / Rose 1977 nach Jehn 1997b S. 92) steigert. Neben der Kreativität ist also ebenso die Qualität der Gruppenentscheidungen ein positiver Zugewinn. Zudem erhöht sich die affektive Akzeptanz der Gruppenentscheidung beim Mitarbeiter durch die Gelegenheit, die eigene Perspektive kundzugeben, was die Zufriedenheit und den Wunsch, in der Gruppe zu bleiben, verstärkt (z.B. Amason 1996 nach Simons / Peterson 2000 S. 102). Es sei kurz angemerkt, dass diese positiven Aspekte des Aufgabenkonflikts als eine Synergieform in Arbeitsgruppen, v.a. heterogener und multikultureller Zusammensetzung, eingeschätzt werden können. Daher wird im Kapitel zu Synergien im Rahmen der Entstehung von Kreativität nochmals darauf eingegangen (vgl. speziell Unterkapitel 5.2.3). In virtuellen Teams überwiegt die negative Komponente des affektiven und kognitiven Konflikts, wie in 46

70

Auch in früheren Studien wurde empirisch belegt, dass Beziehungskonflikt, Produktivität und Zufriedenheit in Gruppen negativ zusammenhängen, siehe z.B. Evan (1965), Gladstein (1984), Wall / Nolan (1986).

den Kapitel 6.1 ‚Virtuelle Konflikte’ noch einmal aufgegriffen werden wird und bereits in einer ersten empirischen Studie von Paul et al. (2005) belegt worden ist. Auch wenn durch die Euphorie in der Literatur etwas vernachlässigt, soll doch zumindest in dieser Arbeit ebenso auf die möglichen negativen Auswirkungen des Aufgabenkonflikts hingewiesen werden. Hinsichtlich objektiver Leistung dauert die Aufgabenerledigung natürlich länger, wenn im Verlauf ein Konflikt auftritt und behoben bzw. ausgehandelt werden muss (Jehn 1997b). Ein offener Austausch von Ideen kann nur in einem manifesten Konflikt erfolgen – bleibt er latent, kommen divergierende Ansichten nicht auf den Tisch. Auf der anderen Seite kosten Gruppendiskussionen, in denen sich jeder äußert und abweichende Standpunkte zusammentreffen, Zeit der Gruppe und Energie der Beteiligten; dadurch mag sich Frust aufbauen (Peterson 1999 nach Simons / Peterson 2000 S. 103). Zudem ist nicht gesagt, dass beim Kontakt unterschiedlicher Meinungen und Ideen sich erstens die beste durchsetzt und zweitens eine optimale Synthese erarbeitet wird. Ebenso kommen auch beim Aufgabenkonflikt unangenehme Gefühle auf, welche die persönliche Zufriedenheit mit den Kollegen und dem Team (Baron 1990) sowie das commitment schmälern (Simons / Peterson 2000). Und es sei auf die Interdependenz mit den affektiven Gefühlen aufmerksam gemacht, die nachfolgend geschildert wird. Es wird deutlich, dass ein zufrieden stellendes Ergebnis beim Aufgabenkonflikt nur unter gewissen Voraussetzungen entstehen kann, v.a. hinsichtlich Konfliktmanagement und Offenheit als Gruppennorm (siehe das nachfolgende Kapitel 4.1.4). Der Prozesskonflikt von Jehn (1997a) sei noch einmal kurz aufgegriffen: Dieser ist, wenn er in hohem Maße auftritt, hinsichtlich Gruppenleistung nicht produktiv, da zwar Probleme und Inkonsistenzen in der Struktur aufgedeckt werden, aber eine intensive Diskussion über Arbeitsteilung eher ein Merkmal der mangelnden Koordination darstellt und darüber hinaus zu einer Verzögerung der Aufgabenerledigung, einer Beunruhigung der Mitglieder und deren Wunsch nach Austritt führt. Eine ‚kleine Dosis’ regt hingegen zu Einleitung von Verbesserungen an. Eine ‚angemessene Dosis’ gilt im gleichen Maße für den Aufgabenkonflikt. Einige Autoren sprechen vom optimalen Konfliktlevel (v.a. Dreu 1997, Thomas 1976). Sie erkennen, dass ein ausgeprägter Konflikt hohen Stress verursacht, der dazu führt, dass die kognitive Informationsverarbeitung eingeschränkt wird. Die Akteure beginnen, eindimensional zu denken, ihre Wahrnehmung zu verzerren (sie beobachten mehr Bedrohungen) und ziehen weniger Alternativen bzw. nur mehr eine einzige in Betracht. Andererseits lassen kein oder wenig Konflikt und eine stressfreie Umwelt keinen Sinn für Dringlichkeit oder einen Druck nach Alternativen entstehen. Es besteht die Gefahr von groupthink nach Janis (1972)47 und die Reduktion von Kreativität, Innovation, Individualität und Interdependenz. So sollte ein mittlerer Level an Aufgabenkonflikt ein optimales Level an Stimulation fördern, damit Neugier und Interesse erhalten wird. Diese Korrelation und Steigung der Gruppenleistung ist von Jehn (1995) empirisch belegt worden. Es ist bei all diesen so rosigen Schilderungen hervorzuheben, dass hier von Konflikt gesprochen wird und nicht etwa lediglich von einer Ungleichheit von Ideen oder Meinungen. Konflikt ist eine fortgeschrittene Stufe, die Emotionalität und inneres Engagement mit sich zieht. Dies sollte im Hinterkopf behalten werden, wenn manche Autoren davon sprechen, Konflikte offen auszufechten oder gar zu stimulieren (z.B. Dreu 1997). Neben den positiven Effekten kann ein Konflikt immer zu negativen Gefühlen als auch im ungünstigsten Falle zur Eskalation mit ungeahnten Konsequenzen führen (vgl. Wall / Callister 1995). Konfliktverlauf und -eskalation werden im Kapitel 4.1.5 ‚Konfliktverlauf’ genauer erläutert. Wie zudem in den bisherigen Literaturangaben erkenntlich ist, stammen die Aussagen aus der angelsächsischen Forschung. Wie Ting-Toomey / Oetzel (2001) als Einzige richtig bemerken, darf diese Anschauung zu Aufgabenkonflikt nicht ohne Weiteres auf andere Kulturkreise übertragen 47

Groupthink wurde im Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’ genauer erläutert.

71

werden, denn diese nicht nur theoretische, sondern auch reale Trennung von aufgaben- und personenbezogenen Aspekten ist in beispielsweise kollektivistischen oder polychronen Kulturen nicht üblich und möglich. Obwohl affektiver und Aufgabenkonflikt in der Realität eng miteinander verquickt sind, fehlt es an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zusammenhang zwischen diesen beiden Kategorien (Jehn 1997a S. 532). Obwohl die Korrelation empirisch belegt ist (siehe die Auflistung der Korrelationskoeffizienten verschiedener Studien bei Simons / Peterson 2000 S. 103), sind die Mechanismen noch unklar. Bisher gibt es folgende Erklärungsversuche: Aus einem Aufgabenkonflikt kann sich ein affektiver Konflikt entwickeln, wenn die Akteure die Sachgründe falsch interpretieren und die Argumente persönlich nehmen (Jehn 1994 S. 233). So verstehen sie zuweilen durch Fehlattributionen (falsche Ursachenzuschreibung zu Verhalten, vgl. auch Kapitel 4.2.5) Aufgabenkonflikte als persönliche Angriffe (Simons / Peterson 2000). Es entsteht Misstrauen, das im eigenen Verhalten deutlich wird – die andere Person nimmt dies wahr und reagiert ebenso mit Misstrauen (Creed / Miles 1996, Zand 1972). Allerdings: Wenn die Gruppenmitglieder sich vertrauen, können sie Meinungsverschiedenheiten als sachlich annehmen und interpretieren sie nicht falsch (empirisch durch Simons / Peterson 2000 belegt).48 Aggressive Konfliktmanagementtechniken wie harsche, laute Sprache oder Einschüchterung führen dazu, dass die Betroffenen sich verletzt oder erniedrigt fühlen, dieses Verhalten als respektlos ansehen und Ablehnung gegenüber dem Akteur aufbauen (empirisch allerdings nicht belegt, siehe Simons / Peterson 2000 S. 106). Ähnlich verhält es sich mit heftiger Kritik, die in Diskussionsrunden oftmals vorgebracht wird (Jehn 1997a S. 532). Umgekehrt kann ein affektiver Konflikt einen Aufgabenkonflikt provozieren, denn die Betroffenen eines affektiven Konflikts unternehmen verschiedene Versuche, um diesen beizukommen. So kann eine Maßnahme zur Wahrung des eigenen Gesichts beispielsweise bedeuten, ein inhaltlich konträres Argument vorzubringen, um sich selbst zu profilieren und der Gegenpartei zu schaden (Jehn 1994 S. 233). In diesem Stadium ist wohl ein Konflikt kaum mehr differenzierbar in affektiv und aufgabenbezogen.

4.1.4

Der Umgang mit Konflikten

Der Umgang mit Konflikten hat viele Bezeichnungen. Glasl strukturiert diese anhand folgender Logik (2002 S. 18f): Konfliktbehandlung ist die allgemeine Umschreibung der Bemühungen, auf Konflikte einzuwirken. Dies kann präventiv erfolgen, d.h. rechtzeitige Maßnahmen verhindern den Ausbruch eines Konflikts. Oder es kann kurativ stattfinden, d.h. ein Konflikt wird nach dessen Auftreten angegangen. Je nach Schwerpunkt der Maßnahmen können verschiedene Begriffe definiert werden: Eine Konfliktlösung setzt beim Konfliktpotenzial und beim Konfliktprozess an, weniger bei den Konfliktfolgen. Konfliktmanagement bezieht sich hauptsächlich auf den Konfliktprozess, kaum auf die Konfliktfolgen. Konfliktvermeidung bemüht sich darum, dass gar kein Konfliktprozess auftritt. Konfliktregelung hingegen versucht diesen und die Folgen zu regulieren. Die Konfliktkontrolle fokussiert nur auf die Konsequenzen. Im Folgenden soll möglichst umfassend über die zahlreichen Möglichkeiten des Vermeidens, Lösens, Managens und Regulierens von Konflikt gesprochen werden, ohne von einer zu behaupten, dass sie die überlegene sei. Von daher wurde für dieses Kapitel der Begriff ‚Umgang mit Konflikten’ gewählt, der sich zeitlich von vor der Entstehung bis zur Niederlegung des Konflikts erstreckt und sämtliche Maßnahmen einschließt. Es wurde eine Vielzahl von Modellen entwickelt, wie mit Konflikten umgegangen werden soll (präskriptive Modelle) und tatsächlich wird (deskriptive Modelle). Erstere lassen sich nach der Auffassung von Konflikt unterscheiden, die ihnen zugrunde liegt: Geht es um Auf48

72

Zu Vertrauen siehe Kapitel 6.1.4.

gaben- oder um affektiven Konflikt? Wird er als positiv erachtet? Oder ist er zu vermeiden? Je nachdem wird eine Strategie vorgeschlagen, die sich typischerweise in Analyse über die Gründe und Ursachen des Konflikts und in Maßnahmenimplementierung zur Behandlung der Gründe, des Konflikts selbst und der Effekte unterscheiden lassen (Wall / Callister 1995 S. 536). Die deskriptiven Modelle beschreiben nun die verschiedenen Typen des Konfliktstils, -managements oder -strategien, deren Wahl durch Ziele, Erfahrungen, Kultur oder Interpretationen begründet werden kann (Wall / Callister 1995 S. 537). Durch seine Differenzierung in Kooperation und Wettkampf gilt Deutsch als der Wegbereiter sämtlicher eindimensionaler und später mehrdimensionaler Konfliktmodelle (1949, 1973). Auf dem einen Pol der Dimension liegt die Eigennützigkeit, das Streben nach für sich nützlichen Ergebnissen; der andere Pol ist charakterisiert durch Kooperationsbereitschaft und ein Anliegen um die Ergebnisse für die andere Partei. Allerdings ist die Erklärungskraft der Eindimensionalität sehr eingeschränkt, da sie nur zwei Alternativen und deren Verknüpfung zulässt (Morris et al.1998 S. 731). Im zweidimensionalen Modell werden die vorherigen Pole einer Skala als zwei verschiedene Dimensionen strukturiert. So nennt sich die eine Dimension assertiveness und die andere cooperativeness (Thomas 1976), was bisher am meisten verbreitet ist, daher soll auf diese Begriffe im Folgenden zurückgegriffen werden.49 Die Verbindung dieser Dimensionen gibt fünf Stile, die in einem Vierquadrantenschema aufgezeigt werden können: x avoiding (unassertive and uncooperative) x competing (assertive and uncooperative) x collaborating (assertive and cooperative) x accomodating (unassertive and cooperative) x compromising (moderately assertive, moderately cooperative)

assertiveness

collaborating

competing

compromising

avoiding

accomodating cooperativeness

Abb. 14: Konfliktstile (Thomas 1976 S. 900)

49

Rahim benennt die Dimensionen nochmals um, und zwar in concern for self und concern for others (1986).

73

In der neueren Literatur wird statt von collaborative auch vom Ansatz des problem solving gesprochen, der als der anzustrebende Stil gilt, da er beiden Parteien einen Vorteil und damit Zufriedenheit sowie Leistungssteigerung in der Arbeitsgruppe verspricht (siehe z.B. Dreu 1997, Thomas 1976). Es muss hier nochmals auf den angelsächsischen Einfluss verwiesen werden, denn die eben erfolgte Behauptung ist wohl kaum universal haltbar. Die Wahl des Konfliktstils ist nach Wall / Callister abhängig von (1995 S. 539): x Geschlecht der Konfliktparteien x Hierarchieebene (Führungskraft vs. Untergebener) x Stil der Gegenpartei x Konflikttyp x Kontext Auf den Konflikttyp sei in diesem Zusammenhang noch einmal kurz eingegangen: Einerseits beeinflusst der Konflikttyp (affektiver oder Aufgabenkonflikt) den Konfliktstil (so wird laut Dreu (1997) für den Aufgabenkonflikt eher der Ansatz des problem solving verwendet, für affektive Konflikte eher der dominierende Stil von competing). Andererseits wird durch problem solving weniger ein affektiver Konflikt induziert als über Dominanz oder Vermeidung. Der Einbezug Dritter im Sinne der Mediation ist als eine weitere Wahlmöglichkeit zu sehen. So kann in einer Arbeitsgruppe der Teamleiter in einen Konflikt zwischen zwei Mitarbeitern (interpersonaler Konflikt) eingreifen oder für einen Gruppenkonflikt ein Externer als Mediator angerufen werden (Redlich / Mironov 2003). Gerade hinsichtlich interkultureller Mediation wurden in letzter Zeit Vorschläge erarbeitet (siehe z.B. Busch 2005 und Busch / Schröder 2005). Der Umgang mit Konflikten ist Aufgabe des Teamleiters, die er je nach Führungsstil anders angehen wird. Dabei kann er neben partizipativen und autokratischen Maßnahmen auch durch strukturelle Maßnahmen Einfluss auf Konflikte nehmen (indem z.B. zwei sich unsympathische Kollegen nicht für eine gemeinsame Aufgabe eingesetzt und somit Konflikte präventiv vermieden werden). Probleme können entstehen, wenn durch den Eingriff von oben ein eigenständiger Konfliktlöseprozess unterbrochen wird, die Interessen des Managers den Konflikt verzerren oder ein reines Machtwort zur latenten Weiterexistenz des Konflikts führt (Wall / Callister 1995 S. 542). Redlich / Mironov (2003) sehen insbesondere beim affektiven Konflikt die Notwendigkeit der externen Konfliktvermittlung; sachbezogener Konflikt kann nach ihrer Meinung ebenso durch das Team selbst gelöst werden.

4.1.5

Konfliktverlauf

Wie eingangs schon erwähnt, spielen sich Konflikte im Format Ursachen – Kernprozess – Effekte ab (Wall / Callister 1995). Die einzelnen Komponenten sollen nun ausführlich erläutert werden. Als Ursachen nennen Wall / Callister drei Kategorien (1995 S. 517): Individuelle Eigenschaften, interpersonale Faktoren und Streitsache. Als individuelle Eigenschaften, die zu einem Konflikt führen können, sind v.a. Persönlichkeit, Werte, Ziele, Verpflichtung zur Position, Stress, Ärger und Wunsch nach Autonomie zu nennen. Interpersonale Faktoren beziehen sich auf Wahrnehmung (z.B. der Absichten des Anderen), Kommunikation (geringe oder schlechte Qualität, die zu Missverständnissen führen kann), Verhalten, Struktur (die z.B. Machtungleichheiten schafft, die sich die schwächere Partei nicht gefallen lässt) und vorhergehende Aktionen. Eine Sache kann umso eher zu einer Streitsache werden, umso komplexer, vielfältiger, größer und weniger teilbar sie ist. 74

Der Kernprozess wird nach dem Prozessmodell von Thomas (1976) aufgeschlüsselt, um die Ereignisse in einem Konflikt zu identifizieren.50 Das Modell umfasst dabei fünf Hauptereignisse: Im Ereignis der Frustration nimmt eine Partei wahr, dass die andere Partei eigene Zufriedenheit bzgl. eines Anliegens zunichte macht. Im folgenden Ereignis der Konzeptualisierung versucht die Partei, ihr Anliegen selbst zu erfassen, das natürlich aus ihrer Sicht heraus bewertet wird. Daher ist die Sicht auf mögliche Alternativen eingeschränkt, die es abzuwägen gälte. Als nächstes wählt die Partei eine Strategie des Konfliktumgangs (siehe vorigen Abschnitt), die am ehesten für ihre Ziele förderlich ist. Im Ereignis der Interaktion treffen die jeweiligen Strategien und Verhaltensweisen aufeinander. Thomas erkennt 11 Dynamiken, die sich in der jetzigen Phase abspielen können und möglicherweise eine Konflikteskalation, d.h. eine Erhöhung oder Intensivierung des Konfliktlevels oder die Ausweitung der Streitsache, aber auch eine Deeskalation51 heraufbeschwören: 1. Neubewertung: Andere Argumente lassen den eigenen Standpunkt überdenken und evtl. verändern. Dies wird durch offene Kommunikation und Kollaboration erleichtert. 2. Selbsterfüllende Prophezeiung: Das Verhalten der Gegenpartei ist Antwort auf das Verhalten der eigenen Partei, das gar keine andere Reaktion zulässt als die erwartete. 52 3. Verzerrung: Die eine Partei kennt die Motive der anderen Partei nicht und durch selektive Wahrnehmung und Interpretation wird das Verhalten der anderen Partei falsch verstanden. Dies geschieht vor allem, wenn Misstrauen herrscht. 4. Kognitive Vereinfachung: Einerseits führt der Stress zu einer Schwarz-WeißWahrnehmung, andererseits ist eine Vereinfachung für kognitive Konsistenz und Dissonanzreduktion vonnöten, was zu einer weiteren Beeinträchtigung der Wahrnehmung und Interpretation führen kann. 5. Kommunikation: Im günstigen Falle kann durch Gespräche Fehlwahrnehmung korrigiert werden, wenn sich die Parteien freundlich gesinnt sind. Herrscht jedoch eine kompetitive Einstellung, wird sie womöglich weiter verzerrt. 6. Kommunikationszusammenbruch: Kommunizieren die Parteien nicht mehr miteinander, ist es wahrscheinlich, dass in dieser Phase des Schweigens Feindseligkeit aufgebaut wird (autistic hostility nach Newcomb 1947). 7. Zwang: Bei zunehmender Feindseligkeit hilft weder Macht durch Information noch Macht durch Expertentum weiter. Nur mehr Drohung und Zwang führen zu Veränderungen. 8. Wettkampf: Das ursprüngliche Anliegen wird vergessen; es gilt Wettkampf um des Wettkampfs Willen: Die Gegenpartei soll besiegt werden. 9. Wettkampfausweitung: Der Wettkampf weitet sich auf bisher vom Konflikt verschonte Gebiete aus. 10. Abbruch der Beziehungen: Durch den Wettkampf und die kognitive Vereinfachung nehmen die Parteien an, dass die Anliegen nicht kompatibel sind. 11. Aussprache: Als Alternative kann die Streitsache besprochen werden. Auch der Austausch von Gefühlen ist wichtig, bevor weiter gearbeitet werden kann. Hinsichtlich der Ursache von Konflikteskalation gibt es zwei relevante Theorien. Die Theorie der Prädestination besagt, dass jeder Konflikt grundsätzlich so angelegt ist, dass er eskalieren kann, v.a. in einer kompetitiven Umgebung (Deutsch 1990). Die Kontingenztheorie geht 50 51

52

Als ein einfacheres Modell des Kernprozesses weisen Wall / Callister (1995) auf Walton (1969) hin, der zudem stärker die emotionale Komponente berücksichtigt. Wie Wall / Callister (1995) feststellen, wurde der Prozess der Deeskalation wissenschaftlich kaum gewürdigt. Auch im Modell von Thomas (1976) kommt er zu kurz, daher sei auf Wall / Callister (1995) selbst verwiesen, die eine Übersicht über Gründe und Verlauf geben. Siehe Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’.

75

hingegen von bestimmten Voraussetzungen aus, die eine Eskalation bedingen. Einerseits sind dies generelle Bedingungen wie Kulturunterschiede, die Vorgeschichte, Gleichgültigkeit gegenüber den Konsequenzen oder Unerfahrenheit mit Krisen. Spezielle Bedingungen lägen vor, wenn eine Partei absichtlich eine Eskalation herbeiführt, damit spezifische Ziele verfolgt oder vom ursprünglichen Ziel auf ein emotionales, nämlich die Gegenpartei zu besiegen, wechselt (Wall / Callister 1995). Meist folgt die Eskalation der Route einer Spirale: Eine Seite fördert durch das eigene Verhalten das Konfliktverhalten der anderen (Glasl 1982). In verschiedenen Modellen wird die Eskalation in mehreren Stufen beschrieben (siehe z.B. Redlich / Mironov 2003, Glasl 2002). Tritt eine Partei als Angreifer auf, wird dies das aggressordefender-Modell genannt (Wall / Callister 1995). Wie vorher erwähnt, fokussiert Thomas auf Kognition. Da jedoch zusätzlich Motive und Gefühle einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten (nicht nur bei affektiven, sondern bei allen Konflikten), sollen kurz die seelischen Faktoren nach Glasl (2002) in ihrer Relevanz für den Konfliktverlauf vorgestellt werden. Erwähnt wurde bereits die motivationale Beeinträchtigung der Informationsaufnahme und -verarbeitung, die Schwarz-Weiß-Bilder und negative Einstellungen entstehen lassen. Darüber hinaus ist das Gefühlsleben betroffen – am Anfang eines Konflikts hegt der Akteur aus Unsicherheit ambivalente Gefühle gegenüber der anderen Partei; durch das Bedürfnis nach Eindeutigkeit werden diese meist sehr schnell durch eines der beiden Gefühle radikal ersetzt. Wenn dies das negative ist, führt es evtl. zu einer Abkapselung von der anderen Partei und zu bereits erwähntem sozialen Autismus. Die Stimmung des Akteurs ist von außen nicht mehr korrigierbar. Das Willensleben ist auf die eigenen Interessen fixiert, der Akteur erstarrt in der eigenen Alternative. Dabei verknüpft er Ziele und Mittel starr miteinander; und im Falle einer Eskalation strebt er häufig um Verletzung und Schädigung der anderen Partei. Die eben genannten drei Komponenten verstärken sich im Verlauf eines Konflikts und äußern sich im Verhalten, das in denselben Mustern verharrt und nur mehr aggressiver wird. Im Effekt ist ein subjektiver oder objektiver Schaden beim Gegenüber möglich, selbst wenn dies nicht so gewollt ist. Dies schürt eine Ausweitung des Konflikts durch entsprechende Gegenreaktionen; der Konflikt eskaliert. Neben der Konfliktlösung als Produkt (sei es eine explizite Übereinkunft oder auch eine Nichtweiterverfolgung des Konflikts) hinterlässt der Konflikt Residuen, nämlich meist einen bitteren Nachgeschmack für die Parteien in Form von negativen Gefühlen wie Frustration, Misstrauen, geringeres Verpflichtungsgefühl oder sogar physischen Schaden (Thomas 1976, Wall / Callister 1995). In positiver Hinsicht haben die Beteiligten evtl. hinzugelernt, über sich selbst als auch über die Gegenpartei und zum Umgang mit Konflikten (Wall / Callister 1995). Zusätzlich ergeben sich als Effekte Veränderungen analog der Klassifikation der Ursachen auf Seiten des Individuums, im interpersonalen Bereich und der Streitsache, darüber hinaus möglicherweise ebenso hinsichtlich der Struktur (Wall / Callister 1995).

4.1.6

Einflüsse auf Konflikte

Thomas stellt neben dem eben erläuterten Prozessmodell für Konflikte ein Strukturmodell auf (1976), das jedoch einige wichtige Variablen außen vor lässt. Daher werden als Ergänzung die Kontextkategorien von Wall / Callister (1995) sowie mehrere empirische Ergebnisse zu unabhängigen Einflüssen herangezogen. Als entscheidende Faktoren kristallisieren sich Kontext und strukturelle Vorgaben, individuelle und kulturelle Neigungen und situations- bzw. konfliktspezifische Variablen heraus. Unter Kontext und strukturelle Vorgaben ist als erstes die Interdependenz der Mitglieder zu erwähnen. Sie ist durch die Organisation der Gruppe und der Arbeitsteilung gegeben und legt fest, inwieweit die Mitarbeiter auf sich gegenseitig zur Erledigung ihrer Aufgabe angewiesen sind (Wall / Callister 1995, Jehn 1997b und 1995). Eine hohe Interdependenz bedeutet erhöhte Interaktion; im Konfliktfall führt dies zu einem verstärkten Effekt auf die Gruppen76

leistung. Ein affektiver Konflikt wirkt sich in einer solchen Konstellation meist negativer aus; ein kognitiver Konflikt wird in seiner negativen Wirkung hingegen gebremst, da die Mitglieder erkennen, dass sie sich gegenseitig benötigen. Dies wiederum bewirkt einen Druck zur Übereinkunft, welcher sich in einem affektiven Konflikt äußern kann – ein intrinsisches Paradox (Jehn 1997b S. 95). Normen sind nach Bettenhausen / Murnighan (1985) und nach Kapitel 3.3.3 Standards, die Verhalten regulieren. Thomas subsumiert diese unter „soziale Zwänge“ (1976), die ebenso von der Organisation ausgehen können. In Gruppen gelten implizit oder explizit verschiedene solche Normen, z.B. auch zu Offenheit und Meinungsaustausch. Bei Vorliegen einer Offenheitsnorm geben die Gruppenmitglieder Anregungen, Zweifel und Kritik kund und scheuen eine offene Konfrontation nicht. Wenn zusätzlich Toleranz gegenüber andersartigen Meinungen herrscht, erhöht diese Konstellation den positiven Effekt von Aufgabenkonflikt. Gilt hingegen die Norm, Konflikte zu vermeiden, weil diese als schädlich angesehen werden, tritt die negative Wirkung im Konfliktfall stärker auf (Jehn 1997b und 1995). Eine wichtige Unterscheidung trifft Jehn (1995 und 1997b), indem sie Gruppen nach ihrer Aufgabe kategorisiert. So folgert sie aus ihren empirischen Erkenntnissen, dass Arbeitsgruppen, die Nichtroutineaufgaben nachgehen (wie z.B. Managementteams), durch Aufgabenkonflikt eine höhere Gruppenleistung erreichen als Gruppen ohne oder mit geringem Aufgabenkonflikt. Eine geringere Leistung tritt hingegen bei Arbeitsgruppen mit Routineaufgaben auf, da diese auf stetige und sich wiederholende Prozesse angewiesen sind, die durch Konflikte gestört werden. Dies nur der Vollständigkeit halber; in dieser Arbeit stehen Gruppen mit Nichtroutineaufgaben im Fokus.53 Doch auch andere Aspekte der Aufgabe können relevant für Konflikte sein, indem sie die Zusammenarbeit mehr oder weniger konfliktträchtig definiert (Wall / Callister 1995). Außerdem ist entscheidend, wie Konfliktverhalten durch Regeln und Prozeduren gestaltet wird, denn sie legen die Art und Weise von Verhandlungen fest. Dies betrifft beispielsweise Verfahrens- oder Entscheidungsregeln sowie Vorgaben, wann ein Dritter im Konflikt hinzuzuziehen ist (Thomas 1976). Die Qualität der Intragruppenbeziehungen, d.h. der persönlichen Beziehungen der Mitglieder untereinander und das Gruppenklima bestimmen den zwischenmenschlichen Umgang, eben auch im Konfliktfall. Sind die Beteiligten um gute Beziehungen bemüht, herrscht Respekt und Vertrauen und der kognitive Konflikt kann gut durchstanden werden, ohne dass er affektiv beeinträchtigend wirkt. Eine Wettbewerbsstimmung, womöglich noch ohne Vertrauensbasis, lässt affektive Konflikte hingegen ansteigen (Jehn 1997b). Individuelle und kulturelle Neigungen beziehen sich darauf, dass, wie schon unter Konfliktumgang angemerkt, Mitglieder unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Hierarchieebenen sowie unterschiedlicher persönlicher Veranlagungen zu anderen Konfliktstilen tendieren (Wall / Callister 1995, Thomas 1976). Dabei spielen Erfahrungen und Fähigkeiten eine Rolle, aber ebenso die Einschätzung der Situation. So kommt Thomas zu dem Schluss, dass bei Gefahr die meisten Individuen ihre persönliche Neigung hinten anstellen und dominant reagieren (1976). Es kann ebenso sein, dass in einem trial-anderror-Verfahren verschiedene Stile erprobt werden, z.B. erst die Kollaboration; wenn diese versagt, greift die Partei zu Wettkampf oder Dominanz zurück. Dabei gibt natürlich auch die Umwelt vor, inwieweit Verhaltensweisen tolerierbar und welche Taten zu sanktionieren sind (Thomas 1976). Unter die situations- bzw. konfliktspezifische Variablen fällt u.a. der Konflikttyp, dessen Wirkung auf Zufriedenheit und Leistung bereits erläutert wurde und daher an dieser Stelle 53

Eine eingehende Definition und Charakterisierung der hier zu untersuchenden Gruppen wurde in Kapitel 2 und 3.2 geliefert.

77

nicht wiederholt wird. Es ist jedoch auf andere Merkmale hinzuweisen, die eine Rolle für Konfliktverlauf und -wirkung spielen. Die Wichtigkeit des Konflikts, sein Lösungspotenzial, der Einigungsdruck, die Komplexität, Anzahl und Größe der Streitsache sowie die Intensität bzw. das Ausmaß geben vor, wie und ob überhaupt ein Konflikt gelöst wird (Jehn 1997a, Wall / Callister 1995). Weiterhin ist zu beachten, welche Stimmungslage zum Zeitpunkt des Konflikts vorliegt. Wie im Kapitel 4.1.5 ‚Konfliktverlauf’ beschrieben, ist es entscheidend, inwieweit die Beteiligten gestresst sind, negative Gefühle und Ablehnung empfinden oder sich sogar bedroht fühlen. Im Gegensatz dazu kann ein Konflikt in einer entspannten Stimmung ganz anders angegangen werden.

4.2

Konflikte in multikulturellen Arbeitsgruppen

4.2.1

Allgemeine Überlegungen zu Konflikten in multikulturellen Arbeitsgruppen

Immer wenn Menschen aufeinander treffen, besteht das Potenzial für Konflikte; Ursachen hierfür gibt es unzählige, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert wurde. In Gruppen, speziell Arbeitsgruppen, treten häufig gruppenspezifische Konflikte auf, die durch Interdependenz, Rollen- und Machtkämpfe, Trittbrettfahrern etc. hervorgerufen werden.54 Ist die Arbeitsgruppe nun zusätzlich aus Mitarbeitern verschiedener Kulturen zusammengesetzt, stellen die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe einen potenziellen weiteren Konfliktfaktor dar, der in diesem Kapitel ausgeführt werden soll. Kulturelle Unterschiede können in einer Vielzahl von Formen erfasst werden; gängige Konzepte hierfür sind Individualismus / Kollektivismus, monochrone / polychrone Zeitauffassung, hoher / niedriger Kontext etc.55 Meines Erachtens ist dies zur Erläuterung interkultureller Interaktionen, speziell interkultureller Konflikte nur bedingt hilfreich, denn diese Konzepte sind kulturvergleichend angelegt und erklären Werte und Verhalten eines Individuums in seiner kulturellen Gruppe. Wenn es jedoch in Kontakt mit Personen anderer Kulturen tritt, spielen weitere Einflussfaktoren eine Rolle (z.B. zeigt der Akteur auf Grund vorheriger interkultureller Erfahrungen bereits modifiziertes Verhalten). Und vor allem ist nicht gesagt, dass es bei Vorliegen von kulturellen Unterschieden zwischen den beiden (oder mehreren) Interaktionspartnern automatisch zu Konflikten kommen muss. Es ist zwar laut empirischen Untersuchungen der Diversitätsforschung der Fall, dass in Gruppen mit Werteinkongruenz zwischen den Mitgliedern mehr Konflikte auftreten als in Gruppen mit ähnlichen Werten (wobei hier Werte nicht nur auf kulturelle Werte bezogen werden).56 Erklärungsansätze zu den kausalen Zusammenhängen werden innerhalb dieser Forschungsrichtung allerdings kaum geliefert, was an dieser Stelle nachgeholt wird. Denn das Auftreten von Konflikten ist durch weitere Ursachen als das Vorliegen von Differenz zu begründen: So mag der Akteur tatsächlich annehmen, mit einem Gleichen zu interagieren und daher entsprechend überrascht, enttäuscht oder irritiert sein, wenn dessen Verhalten von den eigenen Erwartungen abweicht. Oder der Akteur hegt auf Grund von Stereotypen falsche Erwartungen (siehe Kapitel 4.2.3 ‚Annahme von Gemeinsamkeiten und Erwartungsverletzung’)! Es kann natürlich sein, dass die Interaktionspartner das Verhalten des Anderen nicht versteht und daher falsch interpretiert, da sie nach der Kommunikationstheorie anhand unterschiedlicher kultureller Codes die Botschaft ver- und entschlüsseln (wobei Kommunikation hier im weiteren Sinne inklusive der nonverbalen Interaktion verstanden wird, die jedoch nach demselben Prozess abläuft). Die Verhal54 55 56

78

Vgl. Kapitel 3 ‚Zusammenarbeit in Gruppen’. Für eine ausführliche Übersicht siehe z.B. Köppel (2002). In einer empirischen Studie stellte z.B. Jehn (1997b) fest, dass Gruppenmitglieder mit einem hohen Ausmaß an Übereinstimmung der arbeitsbezogenen Werte (group value consensus) weniger affektive und kognitive Konflikte miteinander austragen.

tensweisen werden dann vielfach als inkompatibel und als Ursache für Konflikte erlebt. Wobei zu betonen ist, dass ‚Konflikt’ von den Parteien abweichend definiert wird und entsprechende Situationen anders wahrgenommen und gehandhabt werden. Unterschiede in Konfliktstilen wirken in diesen Fällen meist verstärkend (vgl. Kapitel 4.2.4 ‚Enkodierung und Dekodierung’). Des Weiteren wird auf Grund von Unkenntnis dem beobachteten Verhalten womöglich eine falsche Ursache zugeschrieben; so spricht man vom fundamentalen Attributionsfehler, wenn ein Defekt in der Person gesucht wird, anstatt die kulturelle Prägung zu berücksichtigen (vgl. Kapitel 4.2.5 ‚Fehlattributionen’). Wenn das Verhalten nun tatsächlich als ein kulturell geprägtes wahrgenommen wird, kann es trotzdem sein, dass es nicht akzeptiert wird, da es den eigenen Vorstellungen nicht entspricht; in diesem Fall liegt Ethnozentrismus vor (vgl. Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’). Stereotype verhindern zuweilen eine realistische Einschätzung des Gegenübers (vgl. Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’). Dies ist keine erschöpfende Aufstellung, denn als begleitende und verstärkende Konfliktursachen könnten ungleiche Machtverhältnisse, Sprachprobleme, Unsicherheit, Ängstlichkeit und weitere angeführt werden. Doch diese Arbeit konzentriert sich auf die wesentlichen und von Kultur originär verursachten Konfliktformen und geht daher in den folgenden Kapiteln ausschließlich auf die vorher genannten Konfliktformen ein. Ein relevanter Hinweis muss noch gegeben werden: Die in dieser Arbeit aufgegriffenen Phänomene treten potenziell in jeder multikulturellen Arbeitsgruppe auf, egal aus welchen Kulturen die Mitglieder stammen. Kulturspezifische Situationen werden in dieser Arbeit nicht thematisiert; diese könnten nur in einer speziellen Betrachtung von einer begrenzten Anzahl von Kulturen im Team analysiert werden. Grundsätzlich fallen diese kulturspezifischen Probleme meist in die Kategorie ‚En- und Dekodierungsprobleme’ und werden hier auf einer Metaebene erläutert.

4.2.2

Exkurs zur Hypothesenbildung

In den folgenden Kapiteln werden im Detail theoretische Überlegungen vorgetragen, deren wesentliche Aussagen zu Ende jedes Kapitel zu Arbeitshypothesen verdichtet werden, die in der empirischen Studie zu Hypothesen weiterverarbeitet werden. Dieses Vorgehen ist in Kapitel 1.2 explizit besprochen worden. An dieser Stelle soll eine kurze Legende angebracht werden, wie die Arbeitshypothesen und Hypothesen analog des Input-Prozess-Output Modells57 strukturiert und bezeichnet werden: Die Arbeitshypothesen lassen sich unterscheiden in solche, die Voraussetzungen beschreiben (Arbeitshypothese Voraussetzung, abgekürzt mit V), die Prozesse beschreiben (Arbeitshypothese Prozess, abgekürzt mit P), die Prozesse ausführlicher erläutern (Arbeitshypothese Prozess Erweiterung, abgekürzt mit Pe) und schließlich die den Output beschreiben (Arbeitshypothese Output, abgekürzt mit O). Dasselbe gilt für die Hypothesen. Arbeitshypothesen werden vor der empirischen Untersuchung erstellt und bekommen daher den Index 0; Hypothesen als Ergebnis der Studie sind zeitlich nachgelagert und werden mit dem Index 1 versehen. (Arbeits-)Hypothesen beziehen sich auf vier Kategorien und werden entsprechend mit Abkürzungen versehen: Die Kategorie interkulturelle Konflikte wird mit iK abgekürzt, interkulturelle Synergien mit iS, virtuelle Konflikte mit vK und virtuelle Synergien mit vS. Innerhalb einer Kategorie wird für Voraussetzung, Prozess, Prozesserweiterung und Output getrennt durchnummeriert.

57

Zum Modell siehe Kapitel 3.4 ‚Ein allgemeines Gruppenmodell’.

79

Zeitpunkt t0: Arbeitshypothesen Interkulturelle Konflikte: Arbeitshypothese zur ersten Voraussetzungen für interkulturelle Konflikte iK0V 1 iK0P 1 Arbeitshypothese zum ersten Prozess bei interkulturellen Konflikten iK0Pe 1 Arbeitshypothese zur ersten zusätzlichen Beschreibung eines Prozesses bei interkulturellen Konflikten Arbeitshypothese zur ersten Wirkung auf Output bei interkulturellen iK0O 1 Konflikten Interkulturelle Synergien: Arbeitshypothese zur ersten Voraussetzungen für interkulturelle Synergien iS0V 1 iS0P 1 Arbeitshypothese zum ersten Prozess bei interkulturellen Synergien iS0Pe 1 Arbeitshypothese zur ersten zusätzlichen Beschreibung eines Prozesses bei interkulturellen Synergien Arbeitshypothese zur ersten Wirkung auf Output bei interkulturellen iS0O 1 Synergien Virtuelle Konflikte: vK0V 1 Arbeitshypothese zur ersten Voraussetzungen für virtuelle Konflikte Arbeitshypothese zum ersten Prozess bei virtuellen Konflikten vK0P 1 vK0Pe 1 Arbeitshypothese zur ersten zusätzlichen Beschreibung eines Prozesses bei virtuellen Konflikten vK0O 1 Arbeitshypothese zur ersten Wirkung auf Output bei virtuellen Konflikten Virtuelle Synergien: Arbeitshypothese zur ersten Voraussetzungen für virtuelle Synergien vS0V 1 vS0P 1 Arbeitshypothese zum ersten Prozess bei virtuellen Synergien vS0Pe 1 Arbeitshypothese zur ersten zusätzlichen Beschreibung eines Prozesses bei virtuellen Synergien vS0O 1 Arbeitshypothese zur ersten Wirkung auf Output bei virtuellen Synergien Zeitpunkt t1: Hypothesen Interkulturelle Konflikte: Hypothese zur ersten Voraussetzungen für interkulturelle Konflikte iK1V 1 etc. Tab. 7: Systematik der (Arbeits-)Hypothesenbezeichnung Folgendes Beispiel veranschaulicht die Logik: iK0P 1 bezieht sich demnach auf eine Arbeitshypothese (wegen Index 0) zu interkulturellen Konflikten (wegen iK), und zwar auf den ersten Prozess (wegen P 1). Zur Übersicht und zum Nachschlagen werden die Indices in der Tabelle 7 gesammelt aufgelistet.

4.2.3

Annahme von Gemeinsamkeiten und Erwartungsverletzung

Häufig liegt in der Praxis die Annahme vor, Menschen rund um die Welt seien sich genügend ähnlich, um (abgesehen von Sprachunterschieden) miteinander kommunizieren zu können (Barna 1998). Doch hierbei wird übersehen, dass biologische Gemeinsamkeiten hinsichtlich Kommunikation eine Grenze haben, denn Menschen sind nicht nur Angehörige der menschli80

chen Rasse, sondern auch Angehörige einer bestimmten Kultur, deren Werte und Normen ihr Denken und Verhalten beeinflussen (siehe bereits Kluckhohn / Murray 1948). Zum anderen ist es nach Barna (1998) grundsätzlich einfacher, dem eigenen Nichtwissen über (kulturelle) Unterschiede durch diese Annahme auszuweichen. Durch die Verbreitung des westlichen Kleidungsstils und der Konsumgewohnheiten wird genau dieser erste und oberflächliche Eindruck der Gleichheit verstärkt, der dann ebenfalls auf Nichtsichtbares wie Werte und Verhaltensursachen übertragen wird. So ist sich der Interaktionspartner meist der Kulturgebundenheit nicht bewusst (Bolten 2003); weder geht er davon aus, dass er selbst kulturell geprägtes Verhalten aufweist, noch dass dieses vom Gegenüber, der in einem anderen kulturellen Umfeld aufgewachsen ist, abweicht – eigenes Verhalten wird als ‚normal’ erachtet, obwohl es eine von vielen möglichen Spielarten ist. Wird diese Annahme in interkulturellen Kontaktsituationen aufrechterhalten, werden Erwartungen enttäuscht. Hierzu liefert die expectancy violations theory nach Burgoon (u.a. Burgoon 1978, Burgoon 1992, Burgoon / Hale 1988) Erklärungsansätze, welche die Autorin 1995 für interkulturelle Interaktionen erweiterte58, wie es vorher auch schon Gudykunst ansatzweise vorschlug (Gudykunst 1991, Gudykunst / Kim 1992). Ursprünglich für nonverbales Verhalten konzipiert, geht diese Theorie davon aus, dass ein Akteur in einer Interaktion Erwartungen gegenüber den Verhaltensweisen seines Interaktionspartners hegt. Die Erfüllung oder Verletzung dieser Erwartungen führt je nach Beurteilung des Kommunikationspartners zu positiver oder negativer Konsequenz für die Interaktion. Die Zusammenhänge werden im Folgenden nun genauer erläutert: Die Erwartungen sind anhaltende Muster über einzutreffende verbale und nonverbale Verhaltensweisen und enthalten Annahmen und Voraussagen, wie Andere mit dem Akteur kommunizieren (Burgoon 1995 S. 195, Gudykunst 1991 S. 60ff, Gudykunst / Kim 1992 S. 89). Sie leiten sich aus sozialen Normen her, die in der Gruppe des Akteurs herrschen, als auch aus Kenntnissen über den Kommunikationspartners hinsichtlich seines typischen Verhaltens. Wenn keine Information zum Individuum vorhanden ist, fallen die Erwartungen meist stereotyp aus. Das heißt, es wird auf mentale Kategorien zurückgegriffen, um Verhalten zu prognostizieren. Daneben spielen bisherige Erfahrungen mit der anderen Gruppe eine Rolle (Burgoon 1995). Einflussfaktoren auf die Erwartungen sind erstens Eigenschaften des Kommunikationspartners wie soziodemographische Merkmale, Persönlichkeit, Sprachstil etc. – Merkmale, die, wie gerade angesprochen, die Aktivierung einer Kategorie oder Rückgriff auf Wissen zur Person erlauben (Burgoon 1995).59 Zuweilen wird Kultur nicht als differenzierendes Merkmal wahrgenommen. Es kann allerdings genau der gegenteilige Fall auftreten, nämlich dass bei einer sehr unterschiedlichen Kultur die Erwartung gehegt wird, dass garantiert Unterschiede vorhanden sind. Das bedeutet in vielen Fällen, dass Stereotype herangezogen werden (s.o.), aber auch eine höhere Unsicherheit und damit eventuell ebenso eine eher diffuse Erwartung an Andersartigkeit hinsichtlich Verhalten herrscht. Je nach Sensibilität und dem Wissen des Akteurs zu kulturellen Unterschieden sowie Erfahrungen mit der anderen Kultur,60 stimmen die Erwartungen mehr oder weniger mit der wahrgenommenen Realität überein. Darüber hinaus ist die Beziehung zwischen den beiden (oder mehreren) Interaktionspartnern relevant, das heißt, ob sie sich bekannt oder sympathisch sind, ob sie privat oder geschäftlich verkehren etc. (Burgoon 1995).

58 59 60

Was jedoch noch empirischer Überprüfung bedarf, wie die Autorin selbst anmerkt (Burgoon 1995). Vgl. hierzu die Salienz von Diversitätsdimensionen wie in Kapitel 2.2 erläutert. Vgl. Kapitel 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’.

81

Inhaltlich variieren die Erwartungen je nach Kultur, nach deren Werten und Normen (Burgoon 1995, Gudykunst 1991, Gudykunst / Kim 1992, siehe folgendes Kapitel 4.2.4 ‚Enkodierung und Dekodierung’). Doch wie eng die Toleranzbreiten hinsichtlich Abweichung von einer Erwartung gesetzt werden und wie viele Normen es gibt, die Erwartungen hervorrufen, ist kulturspezifisch (Burgoon 1995). Erwartungsverletzungen treten dann ein, wenn das Verhalten des Interaktionspartners über ein gewisses Maß hinweg von dem (als richtig oder typisch) angenommenen Verhalten abweicht. Diese Abweichung führt zu erhöhter Aufmerksamkeit des Akteurs auf den Kommunikator und dessen Eigenschaften, um die Ursachen erkennen und verstehen zu können. Dabei determinieren die Eigenschaften des Kommunikators, d.h. ob diese vom Akteur positiv oder negativ eingeschätzt werden, ob sein Verhalten erstens als Verletzung und zweitens als positiv oder negativ gesehen wird (Burgoon 1995). Eine hohe Kommunikatorvalenz besagt, dass vom Kommunikator eine Belohnung zu erwarten ist und das Verhalten positiv interpretiert und beurteilt wird. Von einem weniger angesehen Kommunikator (niedrige Valenz) werden eher Kosten erwartet, und dessen Verhalten wird eher negativ eingeschätzt. Wenn, um Burgoons Beispiel wiederzugeben, eine Person, die der Akteur mag und von der er daher eine Belohnung erwartet, ihm räumlich zu nahe steht, wertet der Akteur dies als Zuneigung. Steht hingegen eine subjektiv unsympathische Person zu nahe, empfindet der Akteur dies womöglich als Aggressivität. Interkulturelle Interaktionen sind nach Burgoon prototypisch für Erwartungsverletzungen, da Verhalten zwischen Kulturen sehr stark variiert (1995). Ebenso wird im Umgang mit Angehörigen anderer Kulturen eher Aufwand statt Belohnung angenommen, so dass die Verletzungen oft als negativ erfahren werden (Gudykunst / Kim 1992). Zudem wird in diesem Fall der niedrigen Kommunikatorvalenz die Ursache für eine negative Verhaltensabweichung in der Person selbst und nicht etwa in den Umständen gesehen. Im Beispiel könnten enge Raumverhältnisse den anderskulturellen Kommunikationspartner gezwungen haben, weniger Distanz einzuhalten; doch es ist nach dieser Theorie wahrscheinlich, dass er wie beschrieben eher als aggressiv oder ähnliches wahrgenommen wird (Burgoon 1992, 1995). Die damit beschriebene Fehlattribution, d.h. die Annahme einer falschen Ursache, wird in Kapitel 4.2.5 noch genauer erläutert. In der Konsequenz führen positive Erwartungsverletzungen zu positiven Kommunikationsergebnissen, negative Verletzungen zu negativen Ergebnissen (Burgoon 1992). Unter den eben geschilderten Voraussetzungen für interkulturelle Interaktionen ist anzunehmen, dass mit Angehörigen fremder Kulturen eher negative Kommunikationsergebnisse resultieren. Dies kann nach Burgoon zum einen auf der Ebene der Beziehungen in Form von Unsicherheit oder einer Verschlechterung der persönlichen Beziehung stattfinden (1995). Auf der Ebene der Kommunikation kann zum anderen das Kommunikationsverhalten der Akteure divergieren, so dass ein gemeinsames Gespräch mit einem gemeinsamen Ergebnis nicht möglich ist, da keine der Parteien auf die andere eingehen möchte. Gudykunst / Kim (1992) folgern gerade hinsichtlich der verstärkten bzw. provozierten Unsicherheit, dass es zu einer Vermeidung von interkulturellen Kontakten kommt und Kommunikation reduziert wird. Ist eine Interaktion unausweichlich, spricht Dyer von der expectation theory of conflict (1995 S. 113), die besagt, dass Erwartungsverletzungen negative Reaktionen hervorrufen und ein Teufelskreis an Erwartungsverletzungen und Sanktionen entsteht, der den Konflikt eskalieren und Feindseligkeit entstehen lässt. Die verschlechterte oder gar vermiedene Kommunikation hat negative Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung in der Gruppe, wenn die Aufgabe interdependentes Arbeiten und einen gewissen Grad an Austausch erfordert. Dann ist davon auszugehen, dass notwendige Information nicht weitergegeben wird (bei Interaktionsvermeidung) bzw. ineffiziente Gespräche zu suboptimalen Entscheidungen bzw. Handlungskonsequenzen führen. Durch die Beeinträchtigung der persönlichen Beziehungen und durch womöglich eine Konflikteskalation wird die emotionale Komponente involviert, so dass sich einerseits die Befindlichkeit der Mitarbeiter 82

und ihre Zufriedenheit verschlechtern und sich andererseits der Konflikt, der seinen Ursprung in abweichenden Verhaltensweisen hat, ausbreitet und Energie und Aufmerksamkeit von der Aufgabenerfüllung abzieht. Die Verbindung von affektiven und Aufgabenkonflikt sowie die Konsequenzen auf die Leistung wurden in Kapitel 4.1.3 eingehend besprochen. Als Essenz der bisherigen Ausführungen zu Erwartungsverletzungen werden folgende Hypothesen formuliert:61 Arbeitshypothese Prozess iK0P 1: Mitarbeiter hegen Erwartungen gegenüber ihren anderskulturellen Interaktionspartnern, die durch die Annahme von Gleichheit oder Stereotypen geprägt sind entsprechend verzerrt sind. Es resultieren zwangsweise Erwartungsverletzungen, die zudem negativ bewertet werden. Arbeitshypothese Output (Leistung) iK0O 1: Erwartungsverletzungen beeinträchtigen die Kommunikation, welche sich verschlechtert oder reduziert wird und damit die Aufgabenerfüllung negativ beeinflusst. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iK0O 2: Unsicherheit, verschlechterte persönliche Beziehungen und emotionale Beeinträchtigung führen zu einer geringeren Zufriedenheit unter den Mitarbeitern.

4.2.4

Enkodierung und Dekodierung

Häufig wird von interkulturellen Missverständnissen gesprochen, die durch kulturelle Unterschiede provoziert werden. Dieser Zusammenhang wird nun genauer mit Hilfe des interkulturellen Kommunikationsmodells von Porter / Samovar (1991) und unter Zuhilfenahme der Abbildung 15 analysiert.62 Ausgangspunkt sind die verschiedenen Kulturen, repräsentiert durch die drei verschiedenen Formen Quadrat, Achteck und Kreis. Die ähnelnde Form und die Nähe zwischen Kultur A und B sollen Ähnlichkeit in Werten und Verhaltensrepertoire symbolisieren. Die geometrischen Figuren innerhalb der äußeren Rahmen stellen Angehörige von Kulturen dar, die durch Kultur geprägt sind, aber gleichermaßen individuelle Charakteristika zeigen (angedeutet durch die leicht veränderten Formen und Maserungen). Wenn die Personen nun Mitteilungen weitergeben (dargestellt durch die gerichteten Pfeile), generieren sie diese durch Enkodierung der Bedeutung anhand eines kulturellen Schlüssels in eine Botschaft. Das heißt, es wird ein Verhalten produziert, das im Sinne des Senders eine bestimmte Botschaft enthält. Sobald dieses Verhalten vom Empfänger wahrgenommen wird, dekodiert dieser es mit Hilfe seines kulturellen Referenzrahmens, der als Schlüssel dient. Damit gibt der Empfänger der Botschaft einen Sinn, was nach Gudykunst / Kim (1992) eher eine Konstruktion der sozialen Umwelt und nicht eine Wahrnehmung realer Gegebenheiten ist. Dieser zweite kulturelle Referenzrahmen schreibt womöglich dem Verhalten eine andere Bedeutung zu als vom Sender intendiert. So wird die Botschaft missinterpretiert und falsch verstanden. Zuweilen nimmt der Empfänger die Botschaft gar nicht erst wahr, da er nur solche Informationen aus der Umwelt selektiert, die für ihn Sinn machen (Barna 1998). Gelfand / Kuhn / Radharishnan führen in diesem Zusammenhang eine Studie zur Wertekongruenz und zur wahrgenommenen Kommunikationsqualität durch und sehen bestätigt, dass eine Ähnlichkeit der Werte den En- und Dekodierungsprozess positiv beeinflusst (1996). Porter / Samovar betonen, dass ein hoher Grad an Unterschiedlichkeit die Verständigung zunehmend belastet (1991), da die Repertoires und Muster an Verhalten sowie Bedeutungen weniger Überschneidungen aufweisen: Die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Kultur A und C dürften demnach höher sein als zwischen Kultur A und B. 61 62

Eine Legende zu den Abkürzungen bei den Hypothesenbezeichnungen ist in Kapitel 4.2.2 ‚Exkurs zur Hypothesenbildung’ gegeben worden. Für weitere Kommunikationsmodelle siehe Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’.

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Kultur A

Kultur C

Kultur B

Abb. 15: Interkulturelles Kommunikationsmodell (nach Porter / Samovar 1991 S. 20) Missverständnisse im Kommunikationsprozess der Gruppenmitglieder erschweren den Austausch von Informationen, so dass die Aufgabenbewältigung in der Gruppe, angefangen von der Diskussion des Problems, der Generierung von Ideen, der gemeinsamen Erarbeitung von Lösungen sowie deren Umsetzung in jeder Phase erschwert wird. Werden Missverständnisse als solche gleich erkannt und streben die Beteiligten nach einer Klärung, müssen sie trotzdem Zeit und Energie investieren, was als Ärgernis empfunden werden mag. Wenn Missverständnisse nicht rechtzeitig erkannt bzw. geklärt werden, führen sie gegebenenfalls zu Fehlleistungen und verspäteter Erledigung, die weitere negative emotionale Gefühle wie Stress und Frustration auslösen. Gerade wenn tiefer liegende Werte kollidieren, kann neben dem sachbezogenen Missverständnis eine affektive Beeinträchtigung resultieren. Das heißt, die Werte des Empfängers werden verletzt, und in der Konsequenz fühlt dieser sich unangemessen, unanständig oder unhöflich behandelt, was einer emotionalen Kränkung entspricht. Vor allem ist bei der Dekodierung die enge Verbindung zur Attribution (der Ursachenzuschreibung zu Verhalten) zu sehen, wie sie im Kapitel 4.2.5 beschrieben wird. Einige Autoren wie Gudykunst / Kim (1992) und Leung / Su / Morris (2000) verknüpfen diese beiden Konzepte sinngemäß wie folgt: Zugrunde liegt ein kultureller Wert X (z.B. Harmonie in ostasiatischen Kulturen), der sich über Normen in einem bestimmten Verhalten niederschlägt (z.B. Konfliktvermeidung). Bei Kontakt mit Personen, die einen anderen Wert verfolgen (z.B. Selbständigkeit in den USA) und nach anderen Normen handeln (z.B. Durchsetzung der eigenen Ideen), kommt es zu einem Bruch in der Interaktion: Gegenläufige Verhaltensweisen treffen aufeinander und werden nach dem eigenen Referenzrahmen dekodiert und in der Konse84

quenz nicht im Sinne des Senders verstanden, sondern als Fehlverhalten wahrgenommen: Die ostasiatische Konfliktvermeidung wird so eventuell als Vertuschen und Unehrlichkeit interpretiert und umgekehrt das US-amerikanische Streben nach der Durchsetzung eigener Ideen als Egoismus. Zusätzlich wird das beobachtete (und als negativ empfundene) Verhalten missattribuiert, d.h. nicht als kultureller Unterschied erkannt, sondern der sozialen Inkompetenz bzw. Böswilligkeit des Akteurs zugeschrieben. Dies ruft negative Gefühle wie Ärger und Ablehnung und somit eine Verstärkung der wertebedingten emotionalen Beeinträchtigung hervor, was nicht nur den Erfolg der aktuellen Situation, sondern längerfristig die Beziehungen und die Kooperation schädigt. Lenken die Beteiligten Aufmerksamkeit auf das Missverständnis und versuchen sie, die Ursache zu erkennen, vermögen sie eventuell eine Diskrepanz in kulturellen Verhaltensweisen zu identifizieren. Ob sie darauf eingehen und eine für alle Partner angemessene Lösung herbeiführen, liegt an ihren persönlichen Eigenschaften, wie z.B. ihrer ethnozentrischen Haltung. Diese kann dazu beitragen, dass nur die eigene Art und Weise als richtig und adäquat angesehen wird. Eine Akzeptanz bzw. adäquate Berücksichtung der anderskulturellen Verhaltensweisen bleibt aus, so dass die Missverständnisse nicht effektiv gelöst werden, bzw. auch zukünftig eintreten werden – hierzu mehr im Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’. Interkulturell kompetente Beteiligte hingegen nehmen bereits, bevor es zu Missverständnissen kommt, kulturelle Unterschiede wahr und können Mitteilungen eher richtig interpretieren (vgl. Kapitel 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’). Interkulturelle Kompetenz ist also als moderierender Einfluss auf das Auftreten bzw. die Handhabung von interkulturellen Missverständnissen zu sehen und wird im dortigen Kapitel als Voraussetzung in einer Arbeitshypothese (iS0Pe 3) formuliert. Die vorigen Aussagen dieses Abschnitts werden in folgenden Arbeitshypothesen zusammengefasst: Arbeitshypothese Prozess iK0P 2: Durch unterschiedliche kulturelle Referenzrahmen werden Mitteilungen vom Empfänger nicht verstanden oder anders als vom Sender intendiert. Arbeitshypothese Output (Leistung) iK0O 3: Missverständnisse erschweren den Kommunikationsprozess, der länger dauert, mehr Energie auf sich zieht und somit die Aufgabenbewältigung beeinträchtigt. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iK0O 4: Die Erschwernis in der Aufgabenbewältigung (Ärger, Frustration) und die emotionale Verletzung bewirken Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern. Exkurs: Zur Identifikation der Unterschiede in Werten, Normen und Verhaltensweisen wird in der Literatur in den meisten Fällen auf Kulturerfassungsansätze zurückgegriffen.63 Als Veranschaulichung sollen zwei Problembereiche in multikulturellen Arbeitsgruppen herausgegriffen werden (Auffassung von Teamarbeit und Konfliktstile), um exemplarisch den kulturellen Einfluss kontrastiv und ausgehend von empirischen Daten darzustellen. Wie jedoch zu betonen ist, bleiben fast alle Studien bei einem Kulturvergleich stehen und legen nicht die interkulturellen Prozesse beim Aufeinandertreffen dar. Es gibt sogar Studien, die über einen deskriptiven Vergleich hinausgehend einen Beleg für die Überlegenheit der westlichen Auffassung von Teamarbeit anstreben (vgl. die Arbeit zu Teamkompetenzen von Sieck / Smith / McHugh 2005). Auffassung von Team und Teamarbeit Die Definition, was ein Team und was Teamarbeit ist, variiert kulturspezifisch (Cronin / Weingart 2005 S. 5, Maznevski / Peterson 1997 S. 63). Die divergierende Auffassung schlägt sich vor allem darin nieder, welcher Output von einem Team erwartet wird, wie es sich intern organisiert und welche Beziehungen zwischen den Mitgliedern herrschen. Das jeweilige Verständnis zeigt sich u.a. in dem Gebrauch spezifischer Metaphern, welche die Mitglieder für 63

Für eine Übersicht siehe Köppel (2002).

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die Teamarbeit verwenden, wie Gibson / Zellmer-Bruhn (2001) in ihrer empirischen Studie herausgefunden haben. Smith / Noakes (1996) bezeichnen US-amerikanische (also individualistisch geprägte) Arbeitsgruppen als Baseball-Team und japanische (kollektivistisch geprägte) Arbeitsgruppen als Team für das Tauziehen. Daraus lassen sich analog Unterschiede in den Gruppenprozessen und -strukturen beschreiben. Um das Beispiel USA und Japan fortzuführen: Das Baseball-Team zeichnet sich durch individuelle Spieler aus, deren Fähigkeiten gezielt genutzt werden. Jeder hat seine spezielle Rolle und erbringt einen offensichtlichen Beitrag zur Gesamtleistung. Im Tauziehen-Team ist nur wenig Rollendifferentiation zu erkennen, ebenso wenig Einzelleistungen. Die Mitglieder unterscheiden sich am ehesten durch Seniorität und sind der Gruppe langfristig verpflichtet, deren Gesamtleistung zählt. Engagement und Pflichtenübernahme durch den Einzelnen werden stark vom eben besprochenen Teamverständnis beeinflusst. So existiert eine Vielzahl von Studien, die sich mit social loafing (Trittbrettfahrertum) im kulturellen Vergleich vor allem zwischen kollektivistischen und individualistischen Kulturen beschäftigen. Dabei kommt es zu niedrigerem Trittbrettfahrertum in Gruppen aus Kollektivisten als aus Individualisten, was nach den Autoren die stärkere Orientierung der Mitglieder auf Gruppenziele verdeutlicht (vgl. z.B. Earley 1993, Earley 1989, Gabrenya / Latané / Wang 1981). Unterschiede in Konfliktstilen Dieser Bereich wurde ausgewählt, da kulturelle Unterschiede im Konfliktstil die Lösung von interkulturellen Konflikten erschweren – ein in einer Kultur wünschenswerter Stil ist in einer anderen inakzeptabel (Ohbuchi / Takahashi 1994 S. 1346) und führt gegebenenfalls zu einer Eskalation bzw. zu einer unbefriedigenden Konfliktlösung für die Parteien. Den größten Unterschied scheinen analog der Anzahl von Studien wiederum individualistische und kollektivistische Orientierungen hervorzurufen. So werden in individualistischen Kulturen Konflikte offen und direkt ausgetragen, was dem im Kapitel 4.1.4 erläuterten Konfliktstil des competing entspricht. Angehörige kollektivistischer Kulturen kommunizieren eher indirekt und versuchen Konflikte zu umgehen, was mit dem Stil des avoiding beschrieben wird (siehe z.B. Morris et al.1998, Cox / Lobel / McLeod 1991, Leung 1987)64. Doch es wird in der Literatur auch erkannt, dass die Erklärung von so einem komplexen Phänomen wie Konflikte mit Hilfe einer einzigen Dimension zu kurz greift, und es werden weitere Erklärungsfaktoren herangezogen und auf ihre empirische Validität überprüft.65 So wurden Gesichtwahren, Passivität versus Proaktivität, hoher versus niedriger Kontext (siehe Jehn / Weldon 1997) oder tight versus loose cultures als auch interdependent selves (Ohbuchi / Takahashi 1994) empirisch getestet, aber letztendlich doch wieder auf die Unterscheidung westlicher – ostasiatischer Kulturraum (also implizit individualistisch – kollektivistisch) zurückgeführt. Einer der wenigen, der dieses Cluster aufbricht, ist Kozan (1989), der mit seiner Untersuchung von Konfliktstilen zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern einerseits und zwischen Kollegen untereinander andererseits Unterschiede zwischen kollektivistischen Kulturen feststellte. Das Problem des Kulturvergleichs liegt (abgesehen von der Beschränktheit der Erklärungsansätze und methodischen Probleme der empirischen Analyse) auf einer übergeordneten Stufe, wie Jehn / Weldon (1997) nach Hui / Triandis (1985) richtig bemerken: Legt man ‚Konflikt’ als Stimulus für die Auswahl des Konfliktstils fest, geht man implizit von einer konzeptuellen Äquivalenz zwischen den zu betrachtenden Kulturen aus. Doch das Konstrukt Konflikt wird in den verschiedenen Kulturen anders verstanden, so gilt beispielsweise eine Situation, die in Japan als konfliktiv bezeichnet wird, in den USA als problemlos (Ohbuchi / Takahashi 1994). 64 65

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Für eine detaillierte Beschreibung des Konfliktumgangs bei Individualisten und Kollektivisten siehe TingToomey / Oetzel (2001 S. 120f). Vgl. hierzu das interkulturelle Konfliktmodell von Ting-Toomey / Oetzel (2001).

Dieser Exkurs sollte verdeutlichen, wo kulturelle Unterschiede liegen können, die im Aufeinandertreffen von Angehörigen verschiedener Kulturen zur Geltung kommen können. Im Folgenden wird der Faden wieder aufgenommen, welche konflikthaften Prozesse bei diesem Kontakt entstehen können.

4.2.5

Fehlattributionen

4.2.5.1 Die Attributionstheorie Die Attributionstheorie beschäftigt sich mit den Ursachenzuschreibungen für soziale Ereignisse wie Verhalten. Die Attribution stellt die Kausalverbindung von Ereignis und Ursache dar. Die Erkennung der Ursachen, wie z.B. den Motiven des Handlungspartners, beeinflusst entscheidend die eigene Reaktion (Fincham / Hewstone 2002). In der retroaktiven Attribution versucht der Akteur, beobachtetes Verhalten zu verstehen; in der proaktiven Attribution strebt er danach, zukünftiges Verhalten vorherzusagen (Gelfand / Kuhn / Radharishnan 1996). In der naiven Handlungsanalyse nach Heider (1958) wird zum ersten Mal die Unterscheidung zwischen interner und externer Attribution getroffen. Interne Attribution heißt, dass Verhalten für Faktoren, die innerhalb des Handelnden liegen (wie Fähigkeiten, Absichten und Anstrengungen), vom Beobachter als ausschlaggebend gesehen werden. Eine externe Attribution bedeutet, dass die Verhaltensursache vom Beobachter in äußeren Umständen der Situation gesucht wird (wie Schwierigkeit des Unterfangens, Glück etc.). Kelley (1967 und 1972) stellt zwei Prinzipen vor, mit Hilfe derer Attributionen vorgenommen werden: Im Kovariationsprinzip verarbeitet der Beobachter Informationen zu verschiedenen Personen (Konsensusinformationen: Verhalten sich andere Personen anders als der Handlungspartner?), zum Stimulus (Distinktheitsinformationen: Ist das Objekt oder der Stimulus anders als in bisherigen Fällen?) und zur Situation (Konsistenzinformationen: Ist die Umgebung eine andere als sonst?). Von diesen drei Faktoren wird als Ursache derjenige bestimmt, der gemeinsam mit dem Effekt auftritt (entsprechend einer statistischen Korrelation, deshalb auch ANOVAModell genannt). Es sind natürlich nicht in jedem Falle sämtliche Informationen verfügbar; deshalb ist der Beobachter gezwungen, auf Kausalschemata zurückzugreifen, die auf Grund von Vorannahmen und Erfahrungen gebildet wurden und Zusammenhänge abstrakt beschreiben. Dies ist im Konfigurationsprinzip enthalten (zu Detailinformationen vgl. Fincham / Hewstone 2002 oder Bierbrauer 1996). Um den Effekt erklären zu können, dass grundsätzlich mehr auf die Person als die Situation attribuiert wird (vgl. zu dieser Form des Attributionsfehlers den nachfolgenden Abschnitt), schlagen Gilbert / Pelham / Krull (1988) das folgende Drei-Phasen-Modell vor: In der ersten Phase der Identifikation nimmt der Beobachter wahr, dass etwas geschieht. In der zweiten Phase stellt er eine automatische dispositionale Schlussfolgerung an, die er unter gewissen Umständen in einer dritten Phase unter mehr Aufwand und unter Bezugnahme auf situative Faktoren korrigiert (vgl. Fincham / Hewstone 2002). Hier tritt hervor, dass Attributionen häufig unbewusst und unter sehr geringem Aufwand vollzogen werden (ganz im Gegensatz zum Konfigurationsprinzip von Kelley).

4.2.5.2 Fehlattributionen im interkulturellen Kontext Es wurde schon früh erkannt, dass im Attributionsprozess der Akteur die Situation vielfach unter- und die Person überschätzt; dies wird als fundamentaler Attributionsfehler66 bezeichnet (vgl. Bierbrauer 1996). In Zusammenhang des Erhalts einer positiven Identität67 sieht der Akteur dabei vor allem die Ursache eines negativen Verhaltens oder eines negativen Ergebnisses beim Handlungspartner eher in dessen Person, ein eigenes Versagen jedoch eher 66 67

Den Fehler betitelte Ross auf Grund der Häufigkeit als „fundamental“ (1977). Die soziale Identitätstheorie wird in den Kapiteln 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’ und 4.2.7 ‚Stereotype’ genauer erläutert.

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in den Umständen (Hewstone 1990). Dies ist nun auf die Intergruppenbeziehung übertragbar: Nach dem ultimativen Attributionsfehler nach Pettigrew (1979) vermeint der Akteur die Ursache für negatives Verhalten eines outgroup-Mitglieds eher in dessen Person (Unfähigkeit oder mangelnde Kenntnisse) begründet, eines ingroup-Mitglieds eher in den Umständen. Ein Erfolg hingegen wird beim outgroup-Mitglied eher den Umständen und beim ingroup-Mitglied dessen Kompetenz zugeschrieben (Gudykunst / Kim 1992, Leung / Su / Morris 2000, Thomas 2002). Die negative Zuschreibung hinsichtlich der outgroup entspricht einer ethnozentrischen Haltung und bestätigt womöglich ein Stereotyp, das ihr gegenüber vorliegt (Fincham / Hewstone 2002).68 Es wurde festgestellt, dass es kulturbedingte Unterschiede im Ausmaß des fundamentalen Attributionsfehlers gibt. So neigen Angehörige kollektivistischer und Hochkontextkulturen weniger zu diesem Fehler als Angehörige individualistischer und Niedrigkontextkulturen (Fincham / Hewstone 2002 S. 231, Gudykunst / Kim 1992 S. 138).69 In interkulturellen Situationen wie in der Kooperation in multikulturellen Arbeitsgruppen zeigt sich der ultimative Attributionsfehler darin, dass der Akteur kulturelle Unterschiede als persönliche Defizite begreift (unter der Voraussetzung, dass er nicht bereits über hohe interkulturelle Kompetenz verfügt70). Die Abweichung von der eigenen kulturellen Norm durch den anderskulturellen Mitarbeiter wird als Inkompetenz oder mangelnder Wille zur Kooperation interpretiert (Bittner o.J.). Leung / Su / Morris nennen dies den universalistic attribution bias, der daraus entsteht, dass Personen grundsätzlich von Gemeinsamkeiten ausgehen und kulturelle Unterschiede nicht (er)kennen (2000 S. 9).71 In der Konsequenz kann es nach einer empirischen Studie von Leung / Su / Morris (2000) beispielsweise bei Leistungsbeurteilungen durch den Vorgesetzten auf Grund dieser verzerrten Interpretation zu einer Bevorzugung von eigenkulturellen und Benachteiligung von anderskulturellen Mitarbeitern kommen. Nach der selbsterfüllenden Prophezeiung72 verhält sich nun womöglich der Vorgesetzte zu den gut leistenden Mitarbeitern (denen aus der eigenen Kultur) eher fördernd, während er den schlechter leistenden Mitarbeitern eher Signale gibt, die entmutigen (Leung / Su / Morris 2000 S. 27). Grundsätzlich können Kollegen aus dem gleichen kulturellen Umfeld besser eingeschätzt werden; es herrscht eine höhere attributional confidence (Gudykunst / Ting-Toomey 1988), da sie gemeinsame Werte teilen. Dies führt im Vergleich zu anderskulturellen Kollegen zu einer höheren Sicherheit und geringerer Ambiguität (nach Gelfand / Kuhn / Radharishnan 1996). Auf der anderen Seite wird der Faktor Kultur zuweilen überschätzt - Leung / Su / Morris nennen dies den cultural attribution bias (2000 S. 9). In einem solchen Fall interpretiert ein Akteur die persönliche Eigenschaft des Kollegen oder des Mitarbeiters als eine kulturelle Eigenschaft. Dies kann in Zusammenhang mit der illusory correlation nach Hamilton / Gifford (1976) gesehen werden: Vermeintlich wird ein Effekt sehr häufig zusammen mit einer speziellen Ursache beobachtet und als grundsätzliche Verbindung im Gedächtnis gespeichert. So können Stereotype entstehen, die allerdings für die Gesamtgruppe nicht stimmen (Stüdlein 1997). In jeder Hinsicht führt eine Fehlattribution zu einem gestörten Interaktionsprozess, da die Ursache für Verhalten nicht richtig erkannt wird. Kulturelle Unterschiede werden als solche nicht erfasst, und kulturell bedingtes Verhalten kann daher nicht richtig gehandhabt werden. 68 69 70 71 72

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Zu Ethnozentrismus und Stereotypen vgl. Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’ und 4.2.7 ‚Stereotype’. Zum Konzept Individualismus / Kollektivismus siehe Parsons / Shils (1951) und zu niedrigem / hohen Kontext Hall (1976) oder für eine Zusammenfassung Köppel (2002). Vgl. Kapitel 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’. Vgl. Kapitel 4.2.3 ‚Annahme von Gemeinsamkeiten und Erwartungsverletzungen’. Hierzu siehe auch Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’.

Zeigt ein Mitglied des Teams beispielsweise eine Arbeitsmethode, die von den Standards der anderen Kollegen abweicht, wird diese von den Kollegen nicht als Ausdruck der anderen Kultur gesehen. Problematisch gestaltet sich dies insbesondere dann, wenn die Kollegen die Abweichung als negativ empfinden (sie schätzen die Arbeitsmethode als weniger effektiv ein) und in der Konsequenz den Kollegen als weniger befähigt ansehen (vgl. ethnozentrische Tendenz). Die direkte negative Konsequenz der Herabwürdigung andersartiger Verhaltens-, insbesondere Arbeitsweisen hinsichtlich der Gruppenleistung in Form von mangelnder Lernbereitschaft und reduzierter Kreativitätsbasis wird im Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’ besprochen. Die Auswirkung im emotionalen Bereich beinhaltet Geringschätzung der anderskulturellen Kollegen bzw. Unterstellung von Opportunismus, welche das Kooperationsklima und Vertrauensverhältnis zerrütten. Persönliche Beziehungen als auch Gruppenkohäsion sind davon betroffen, so dass die Arbeitsgrundlage für die Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe gefährdet ist. Ebenso ist davon auszugehen, dass diese Beeinträchtigungen sich auf die Befindlichkeit der Mitarbeiter niederschlagen, so dass zusätzlich die Gruppenzufriedenheit sinkt. Als zusammenfassende Arbeitshypothesen ergeben sich folgende: Arbeitshypothese Prozess iK0P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird nach dem universalistic attribution bias missinterpretiert als persönlicher Mangel an Kompetenz oder Motivation bzw. sogar als opportunistische Absichten. Arbeitshypothese Output (Leistung) iK0O 5: Fehlattributionen beeinträchtigen das Vertrauensverhältnis und die Arbeitsgrundlage, so dass die Kooperation hinsichtlich Aufgabenerfüllung weniger effektiv ausfällt. Die Auswirkung von Fehlattributionen auf die Gruppenleistung entspricht hinsichtlich vermindertem Lernen und Kreativität der des Ethnozentrismus. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iK0O 6: Geringschätzung und Unterstellung falscher Absichten bewirken emotionale Belastungen und lassen die Zufriedenheit der Mitglieder sinken.

4.2.6

Ethnozentrismus

Was bist Du für ein Vogel, wenn Du nicht fliegen kannst", sagte er [der kleine Vogel]. Und die Ente erwiderte: „Was bist Du für ein Vogel, wenn Du nicht schwimmen kannst.“ (Prokofiev in „Peter und der Wolf”, 1936)

4.2.6.1 Definition und Begriffsabgrenzung Als Begründer des Konzepts ‚Ethnozentrismus’ gilt der amerikanische Soziologe William Graham Sumner (1906). Das Konzept wurde zwar seitdem durch Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen weiterentwickelt und ergänzt, doch sind die Grundlagen weitgehend erhalten geblieben. Die entscheidende Veränderung, die v.a. für diese Arbeit relevant ist, liegt in der Ausweitung der vormaligen Anwendung auf ‚primitive Gesellschaften’ auf jegliche ethnischen Gruppen, Nationen (Sinkovics 1999; siehe auch die besondere Ausprägung des Nationalismus weiter unten) und weitere soziale Gruppen (Bierbrauer 1996 S. 146). Des Weiteren ist die Begrenzung der Erklärung auf Gruppenverhalten oder -institutionen im soziologischen Sinne erweitert worden, so dass sich mehrere Theorien zum Ethnozentrismus nun beispielsweise ebenso mit Aspekten individuellen Verhaltens und interpersonalen Beziehungen beschäftigen (Brewer / Campbell 1976). Die ursprüngliche Definition, die heute noch Gültigkeit hat, lautet: „Ethnocentrism is the technical name for this view of things in which one’s own group is the center of everything, and all others are scaled and rated with reference to it“ (Sumner 1906 S. 13). Dabei gilt laut LeVine / Campbell (1972 S. 1) als naivste Form von Ethnozentrismus der phenomenal absolitism nach Segall / Campbell / Herskovits (1966), welcher besagt, dass eine Person unreflek89

tiert die eigenen kulturellen Werte als objektive Realität nimmt, um unbekannte Objekte und Geschehnisse automatisch zu beurteilen. Eine komplexere Auffassung des Konzepts geht davon aus, dass die Person zwar divergierende Standpunkte wahrnimmt, aber die der anderen Kultur als inkorrekt oder unterlegen einschätzt. Die Interpretation und Beurteilung von Verhalten anderer nach eigenen Standards führt zu einer Verzerrung, da der Akteur zwangsläufig alles andere als schlechter einschätzt, weil es nicht an seine eigenen Standards heranreicht (Gudykunst 1991 S. 67). Ethnozentrismus wirkt sich auf verschiedene Einstellungen und Verhaltensweisen zur inund outgroup aus. Diese lassen sich in folgende Kategorien gliedern (Brewer / Campbell 1976, Sinkovics 1999, Triandis 1990): x Integration und Kohäsion der ingroup: Die Einstellungen der Mitglieder zu ihrer ingroup sind geprägt durch Zusammenhalt, Friede, Solidarität und Loyalität. Entsprechend verhalten sich die Mitglieder kooperativ zueinander. x Die eigene Gruppe wird überbewertet und sogar glorifiziert. x Gegenüber outgroups liegen Spannungsverhältnisse vor, die zumeist durch Ablehnung oder sogar Hass geprägt sind. Daraus resultieren oft Konflikte und im schlimmsten Fall Krieg. x Über die outgroup gelten meist negative Stereotype, die sich dadurch bestätigten, dass das Verhalten von outgroup-Mitgliedern nicht an die eigenen Standards heranreicht. Die outgroup wird zuweilen sogar als Antithese zur eigenen Gruppe verwendet. Brewer / Campbell (1976) weisen folgende Verbindungen auf: Die Integration der eigenen Gruppe wird durch die Überbewertung gefördert, da nur der eigene Weg als richtig angenommen wird. Die Überbewertung wird durch negative Stereotype gegenüber Nichtmitgliedern gestützt, die zudem zu einer Abwertung und Ablehnung der outgroup führen. Eigene Interessen werden gegebenenfalls zu Lasten der outgroup verfolgt, was zu einer konflikthaften Beziehung führen kann. Die Identifikation mit der ingroup und die Absetzung von der outgroup sind zwei Seiten derselben Medaille, da die Abneigung nach außen die Solidarität nach innen fördert. In umfassenden Studien haben Brewer / Campbell die Tendenz bestätigt, der ingroup positivere Eigenschaften zuzuschreiben als der outgroup (1976). Dieses Phänomen wird inzwischen als universal angenommen (siehe auch Segall 1979, Gudykunst 1991, Neuliep 2000). Gudykunst meint hierzu: „While it is possible to have a low degree of ethnocentrism, it is impossible to be nonethnocentric“ (1991 S. 67). Die Neigung, Andere nach eigenen Gruppenstandards zu messen, wird in der Sozialisation gelernt (Neuliep 2000). Die Grundlage für Ethnozentrismus bildet einerseits die ständige soziale Kategorisierung sowie das Streben nach positivem Selbstwert durch die Zugehörigkeit zu einer Hochstatusgruppe nach der sozialen Identitätstheorie, die im Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’ erläutert wird (Bierbrauer 1996). Dem Ethnozentrismus nahe stehen die Begriffe Fremden- und Ausländerfeindlichkeit, wobei hier als Abgrenzung nicht die Ethnie, sondern die Fremden bzw. Ausländer verwendet werden, denen Ablehnung entgegen gebracht wird (Sinkovics 1999 S. 22). Rassismus bezieht sich auf angeblich biologisch vorgegebene, tatsächlich aber sozial konstruierte Rassen, von denen behauptet wird, dass somatische Merkmale mit sozialen Eigenschaften in Verbindung stehen, die zumeist als minderwertig im Vergleich zu den eigenen eingeschätzt werden (Kalpaka / Räthzel 1990). Nationalismus ist wiederum ähnlich in der negativen Beurteilung der Anderen, wobei außerdem die Hinwendung zu einer politischen Einheit (nämlich der Nation) und das Streben nach deren Größe in ideologischer Form kennzeichnend sind (Rosenblatt 1964). Eine Nation kann als Großkollektiv verstanden werden, das meist mehr als eine Ethnie umfasst (Sinkovics 1999 S. 23). An diesen Ausführungen wird deutlich, dass Ethnozentrismus 90

in seinem ursprünglichen und eher anthropologischen Sinn auf eine ethnische Einheit zugeschnitten ist. Allerdings greift die interkulturelle Kommunikationsforschung diesen Begriff auf, um ähnliche Tendenzen im internationalen Kontakt zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen zu beschreiben, wobei Kultur dann nicht mehr auf den engen Begriff der Ethnie festgeschrieben wird, wie bereits in den einleitenden Worten zu diesem Unterkapitel angemerkt.73

4.2.6.2 Theorien zum Ethnozentrismus Seit Sumner wurde eine Vielzahl von Theorien aus Anthropologie, Wirtschaft, Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie erarbeitet, die sich zum Teil überschneiden, zum Teil auch widersprechen. LeVine / Campbell (1972) haben diese zusammengetragen, um die jeweiligen Variablen jedes Modells in ihrer Wirkung auf Ethnozentrismus herauszustellen.74 Im Folgenden sollen die Theorien kurz angerissen werden, wobei die meisten ebenso für das nachfolgende Kapitel 4.2.7 in ihrer Aussagekraft für Stereotype gelten. An erster Stelle werden Gesellschaftstheorien aufgeführt, die nicht das Individuum, sondern die Gruppe als Träger von Ethnozentrismus sehen. Darunter fassen die Autoren u.a. die Theorie des realistischen Konflikts, die kurz angerissen75 besagt, dass der Wettkampf um knappe Ressourcen die Entstehung von Vorurteilen bedingt, da ein Interessenskonflikt mit der outgroup vorliegt und dieser als für die eigene Existenz bedrohlich wahrgenommen wird (Sumner 1906, Davie 1929, Sherif 1967). In der Konsequenz entsteht ein Ethnozentrismus, der zur Erhöhung der ingroup-Solidarität und zu Abwertung der outgroup führt. Als anthropologische Antwort sind die social-structural theories of conflict zu verstehen, die betonen, dass ein Individuum mehreren ingroups angehört. Deren Konstellation untereinander (ob nun hierarchisch oder cross-cutting) hat Einfluss auf die Entstehung und Form von Ethnozentrismus (LeVine / Campbell 1972 S. 43). Auch ist zu beachten, dass Personen nicht immer der Gruppe angehören, die sie anstreben. Das heißt, die Mitgliedergruppe entspricht zuweilen nicht der Referenzgruppe, nach deren Vorgaben sich das Individuum orientiert und damit womöglich den Standards der Mitgliedergruppe widerspricht (die Referenzgruppentheorie nach u.a. Sherif / Sherif 1953) (LeVine / Campbell 1972 S. 62). Die Evolutionstheorie lässt sich nach verschiedenen Strömungen aufteilen, je nachdem, welchen Faktoren die Entwicklung von einer primitiven zu einer industrialisierten Gesellschaft zugeschrieben wird, sei es Krieg, wirtschaftlicher oder technologischer Fortschritt. Daraus abgeleitet fokussieren sich ethnozentrische Einstellungen auf die Merkmale, die hierfür ausschlaggebend waren (LeVine / Campbell 1972 S. 72). Die Gruppe der sozialpsychologisch genannten Theorien baut auf Freud (1955) auf. Ihnen ist gemeinsam, dass sie davon ausgehen, dass je frustrierender die Umwelt erscheint, umso mehr Ethnozentrismus entsteht, um die ingroup-Harmonie aufrecht zu halten (LeVine / Campbell 1972 S. 117). Stereotype sind Zeichen intrapersonaler Konflikte oder mangelnder Anpassung (deshalb ‚Symptomtheorien’ nach Ashmore (1970) genannt). In der Sündenbocktheorie (siehe u.a. Allport / Kramer 1946 und Bettelheim / Janowitz 1950) wird behauptet, dass sich die Aggression gegenüber einem mächtigen Frustrator auf eine machtlose Minderheit verlagert entsprechend der Aggressions-Frustrations-Hypothese, die besagt, dass unterdrückte Aggression an weiter entfernten sozialen Einheiten ausgelebt und abgebaut wird (LeVine / Campbell 1972). Ähnlich argumentiert die Theorie der autoritären Persönlichkeit (Adorno et al. 1950): Durch strenge Erziehung und Aufwachsen in einem konservativem Umfeld kann sich eine antidemokratische und autoritäre Persönlichkeit entwickeln, die ihre Res73 74 75

Vgl. Kapitel 2.3.2 ‚Das Kulturkonzept und multikulturelle Arbeitsgruppen’. Für eine Kurzzusammenfassung siehe Sinkovics (1999 S. 20). Siehe Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’.

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sentiments gegenüber den Eltern auf die outgroup überträgt und somit empirisch häufiger Vorurteile aufweist. Nach der Gruppen-Narzissmus-Theorie stellt Ethnozentrismus Narzissmus oder Selbstliebe auf der Gruppenebene dar. So werden Aggression wie eben schon an Externe weitergegeben und narzisstische Gratifikation durch die Ablehnung oder sogar Kampf gegen die outgroup erlangt (vgl. MacCrone 1937, LeVine / Campbell 1972 S. 136). Die self-esteem-Theorie nach Horney (1937) verbindet ein geringes Maß an Selbstbewusstsein, das notwendig ist für mentale Gesundheit, mit einer negativen Einstellung gegenüber Anderen und einer Verzerrung der Wahrnehmung über sich selbst und über Andere in Form einer Betonung der eigenen Überlegenheit (LeVine / Campbell 1972 S. 141). Bacon / Child / Barry (1963) legen mit ihrer compensatory masculinity dar, dass Maskulinität als Reaktion auf den Zwang der Abnabelung von der Mutter entsteht. Eine hohe maskuline Aggressivität zeigt sich gruppenintern in Form von Kriminalität und nach außen in Form von Krieg (LeVine / Campbell 1972 S. 153). In den cognitive congruity theories wird ein Zusammenhang gesehen zwischen Ähnlichkeit bzw. Sympathie und Ethnozentrismus (LeVine / Campbell 1972 S. 176). In der transfer und reinforcement theory werden mehrere Ansätze integriert, um die Übertragung von Kindheitserfahrungen auf die Erwachsenenumwelt zu erklären, in der sich Aggressionen nun gegen die outgroup wenden (LeVine / Campbell 1972 S. 198). Diese Theorien erläutern das Entstehen von Ethnozentrismus auf Gruppenebene oder als Persönlichkeitsmerkmal. Ein (erwachsenes) Individuum weist dementsprechend immer einen gewissen Grad an Ethnozentrismus auf. Es existieren darüber hinaus dynamische Modelle, die eine Veränderung dieses Grades erklären, wie zum Beispiel Bennetts development model of intercultural sensitivity (DMIS). Da dieses im Zusammenhang mit dem Aufbau von interkultureller Kompetenz steht, wird es im dortigen Kapitel 5.2.5 eingehend erläutert. Hier sollen als Extrakt die Phasen mit besonders hohem Ethnozentrismus angeführt werden, die einer Person mit geringen interkulturellen Erfahrungen zugeschrieben werden: In der Phase des denial werden kulturelle Unterschiede überhaupt nicht wahrgenommen (sehr hoher Ethnozentrismus). In der Phase des defense erkennt die Person zwar, dass Angehörige verschiedener Kulturen andersartige Verhaltensweisen zeigen, aber diese werden sehr pauschal und abwertend behandelt (hoher Ethnozentrismus). In der Phase der minimization gelten kulturelle Unterschiede zwar als existent, aber in unbedeutenden Randgebieten, wie z.B. im Kulinarischen (mittelhoher Ethnozentrismus). Grundsätzlich sieht das Individuum in diesen Phasen kulturelle Andersartigkeit entweder als nicht existent oder als minderwertig an. Erst in den späteren Phasen des Ethnorelativismus erkennt es Kultur als Verhaltensursache und lehnt Andersartigkeit nicht weiter ab (geringer Ethnozentrismus). Dieses Modell erscheint sinnvoll zur Erklärung von verschiedenen Stufen von Ethnozentrismus und des Zusammenhangs mit dem Erwerb von interkultureller Kompetenz in interkultureller Interaktion. Demnach weist eine interkulturell kompetente Person weniger Ethnozentrismus auf und vermag anders auf kulturelle Andersartigkeit zu reagieren. Dieser Zusammenhang zur Voraussetzung zu diesem interkulturellen Konflikttyp wird im Kapitel 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’ als Arbeitshypothese formuliert.

4.2.6.3 Ethnozentrismus in multikulturellen Arbeitsgruppen Sicherlich sind dem Ethnozentrismus positive Effekte nicht abzusprechen. Gruppenerhalt steht v.a. für Ethnien an erster Stelle.76 Ebenso sorgt Ethnozentrismus dafür, dass die Mitglieder einer ingroup von der Richtigkeit der eigenen Werte überzeugt sind, was ihnen Orientierung liefert. Sollten sie ständig ihre gelernten Standards in Frage stellen, wären sie nicht mehr handlungsfähig. Sie verfügten über keinen Referenzrahmen, der Aussagen über gut und falsch, angemessen und unangebracht tätigt. Ein gewisses Maß an Ethnozentrismus ist also 76

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Siehe für eine detaillierte Beschreibung Rosenblatt (1964) oder Katz (1960).

für jedes Individuum notwendige Grundlage für Denken und Handeln. Doch kann in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass ein hohes Maß an Ethnozentrismus zu Dysfunktion führt (Gudykunst / Kim 1992 S. 96, Holzmüller / Berg 2002 S. 87), ebenso ein geringes, wenn es nicht reflektiert wird. Wie auch Stereotype wirkt Ethnozentrismus auf eine Beeinträchtigung von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Das Verhalten und die Eigenschaften sowie zuweilen die Absichten des anderskulturellen Kollegen werden falsch eingeschätzt, vielfach in einem negativeren Sinne.77 Die Bilder im Kopf und die ablehnende Haltung Andersartigem gegenüber wirken wie Wahrnehmungssperren und verhindern Unvoreingenommenheit und eine Dekodierung im Sinne des Senders (Hansen 2000, Holzmüller / Berg 2002). Ethnozentrismus führt also zu einer Verstärkung der bisher erläuterten interkulturellen Konflikte De- und Enkodierungsprobleme sowie Fehlattributionen. Verhaltensweisen des Akteurs, die sich in dessen kultureller Umgebung erfolgreich zeigten, überträgt er in das Team und auf die anderskulturellen Kollegen (Konradt / Hertel 2002 S. 59). Statt sich um Verständnis andersartiger Ideen, Ansichten oder Methoden zu bemühen, beurteilt er die Kollegen nach den eigenen Standards (Gudykunst 1991). Da für diese jedoch ein anderer Referenzrahmen gilt, erfüllen sie häufig nicht die eigenen Standards; daher lehnt der Akteur sie rundweg als untauglich ab (Konradt / Hertel 2002 S. 59). Der Schritt, dass anders anders und nicht schlechter heißt, muss erst gelernt werden.78 Dies ist notwendig, um andere Verfahren und Gedanken zulassen und ihre positiven Seiten anerkennen zu können – eine wichtige Grundlage für die Wertschätzung von Diversität und der Nutzung von interkulturellen Synergien. Als Beispiel sei das Lernen voneinander genannt: Nur wenn ein Gruppenmitglied das Wissen und die Erfahrungen des anderskulturellen Kollegen anerkennt, sieht er es als sinnvoll an, es zu übernehmen. Ähnliches gilt für Kreativität, die als Basis eine Vielzahl von divergierenden Ideen benötigt. Nur wenn die Gruppenmitglieder andersartige Ideen als Bereicherung verstehen, setzen sie sie im Problemlösungsprozess zielführend ein.79 Dies bedeutet im Klartext, dass interkulturelle Synergien nicht entstehen können, wenn die Beteiligten hohen Ethnozentrismus aufweisen. Im Falle eines hoch ethnozentrischen Mitarbeiters, kann seine Ablehnung gegenüber Andersartigkeit dazu führen, dass er sich (innerlich) sträubt, mit anderskulturellen Kollegen zu kooperieren. Dies ist insoweit verständlich, dass wie anfangs erläutert, diese Andersartigkeit sein Selbst bedroht, das er durch Abwehr oder Rückzug zu wahren sucht. Er schränkt Kommunikation und Interaktion ein: Informationsweitergabe, Zuarbeiten und alle anderen Elemente einer Zusammenarbeit sowie schließlich persönliche Kontakte zum Aufbau einer informellen Beziehung und eines Wir-Gefühls fallen geringer aus als notwendig oder optimal. Die Gruppenkohäsion wird zudem dadurch beeinträchtigt, dass er sich mit Gruppenmitgliedern derselben Kultur zusammenschließt und sich eine abgetrennte Subgruppe bildet. Dies wird genauer unter der sozialen Identitätstheorie im Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’ erläutert. Im Vorgriff soll nur erwähnt werden, dass Ethnozentrismus dazu verleitet, dass die Kollegen der anderen Subgruppen abgewertet werden und wiederum weniger mit ihnen interagiert wird. Dieses Phänomen wird durch die Theorie der similarity attraction gestützt, die besagt, dass Personen es vorziehen, sich mit Gleichen zu scharen, da mit weniger Problemen zu rechnen ist (Byrne 1971). Ethnozentrismus in seiner komplexeren Form, d.h. Erkennen von Unterschieden, aber Glaube, dass der eigene Weg der überlegene ist (vgl. Definition im ersten Abschnitt dieses Kapitels bzw. die Phase des defense), lässt sich im Arbeitsleben vielfach beobachten in der unerschütterlichen Überzeugung der Akteure, das beste (und einzig wettbewerbsfähige) Management 77 78 79

Vgl. Kapitel 4.2.5 ‚Fehlattributionen’. Vgl. den Prozess des interkulturellen Lernens in Kapitel 5.2.5. Vgl. Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’.

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und die einzig effektiven Arbeitsmethoden zu praktizieren, was sich deutlich in der deutschen (oder auch anderen europäischen oder nordamerikanischen) Unternehmensführung von Niederlassungen v.a. in weniger entwickelten oder sich entwickelnden Wirtschaftsräumen wie China, Indien oder Thailand ausdrückt. Der Kulturrelativismus des westlichen Managements80 und die Effizienz anderer Stile in ihrem Kontext werden nicht erkannt. Dies überträgt sich auf die unteren Ebenen der jeweiligen Firma, so dass den deutschen Expatriates in Führungspositionen die Aufgabe zukommt, ‚ordentliches Management’ und die entsprechenden Arbeitsweisen einzuführen. Expatriates in Fachpositionen sind beauftragt, für den technischen Wissenstransfer zu sorgen und ‚effiziente’ Methoden der Entwicklung oder Produktion zu implementieren oder zu begleiten. Dies mündet regelmäßig in der Dominanz der Kultur der Fach- bzw. Führungskraft oder des Mutterlandes der Unternehmung und einem entsprechenden Verhältnis zwischen den Entsandten und den Mitarbeitern des Gastlandes, das eher von Zwang und Druck oder wohlgemeinter Erziehung geprägt ist. Damit versagt sich der betreffende Expatriate zudem den Zugang zu Kenntnissen, Fähigkeiten und Ansichten, die erstens potenzielle Ressourcen und zweitens manchmal bessere Lösungen darstellen. An der Art des Sprechens sind verschiedene Grade von Ethnozentrismus zu erkennen. Gudykunst / Kim (1992) liefern hierfür eine Kategorisierung kommunikativer Distanz, die sie von Lukens (1978) übernommen und erweitert haben: In der distance of disparagement wird hoher Ethnozentrismus in offener Ablehnung deutlich, indem der Sprecher abwertende Bezeichnungen und Ethnopaulismen verwendet. Mittelhoher Ethnozentrismus ist nach diesem Modell mit der distance of avoidance verbunden, wo der Akteur Kontakt vermeidet, indem er so spricht, dass ihn der Gesprächspartner nicht verstehen kann (z.B. in Dialekt, schnell oder absichtlich umgangssprachlich). Distance of indifference liegt vor, wenn kein Interesse an Personen anderer Kulturen vorliegt, was sich durch langsames, überbetontes Sprechen auszeichnet (mittlerer Ethnozentrismus). Eine Ebene niedriger ist die distance of sensitivity zu finden: Der Akteur unternimmt den Versuch, die Distanz zu andersartigen Leuten zu verringern, und sieht kulturelle Unterschiede als neutral. Ganz geringer Ethnozentrismus gilt für die distance of equality, bei welcher der Akteur anderes Verhalten nach den Standards der anderen Kultur sieht. Als besonders relevante Erkenntnisse hinsichtlich Ethnozentrismus in Arbeitsgruppen erscheinen zusammenfassend folgende, die als Arbeitshypothesen formuliert werden: Arbeitshypothese Prozess iK0P 4: Beim Aufeinandertreffen von Angehörigen verschiedener Kulturen kommt es zu Ethnozentrismus. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 2: Ethnozentrismus bewirkt eine Verstärkung von Fehlattribution und Dekodierungsproblemen. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 3: Die Gruppenmitglieder, insbesondere der Gruppenleiter, streben danach, ihre eigenen Methoden durchzusetzen, da sie diese als effektiver erachten, ohne dass dies unbedingt den Tatsachen entspricht. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 4: Ablehnung führt zu geringerer Kooperation mit den anderskulturellen Kollegen. Arbeitshypothese Output (Leistung) iK0O 7: Dominanzstreben und mangelnde Kooperation führen zu Minderung der Gruppeneffektivität. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iK0O 8: Ablehnung schürt emotionale Konflikte, welche die Zufriedenheit der Gruppenmitglieder reduzieren. 80

94

Es fragt sich, was das „westliche“ Management ist, oder ob es nicht eher US-amerikanische, deutsche etc. Facetten wider spiegelt.

4.2.7

Stereotype

Heaven is an English policeman, a French cook, a German engineer, an Italian lover and everything organised by the Swiss. Hell, on the other hand, is an English cook, a French engineer, a German policeman, a Swiss lover and everything organised by the Italians.

4.2.7.1 Definition und Konzept Wie das Zitat verdeutlicht, sind Stereotype mentale Kategorien, die mit einer sozialen Gruppe verbunden werden und das Wissen über und die Erwartungen an dessen Mitglieder bestimmen (vgl. Cox 1993 S. 188, Stüdlein 1997 S. 103). Dies ist die allgemeine Definition, die durch ihre Breite für die meisten Theorien gilt, die sich mit Stereotypen beschäftigen. Häufig werden Stereotype in einem Atemzug mit Vorurteilen genannt, zu denen sie kaum zu differenzieren sind. An dieser Stelle soll kurz eine Unterscheidungsmöglichkeit mit Hilfe der sozialpsychologischen Definition von Glaubenssätzen einerseits und Einstellungen andererseits vorgestellt werden (siehe z.B. Stroebe / Insko 1989). Während demnach Stereotype Glaubenssätze bzw. Meinungen über die Eigenschaften einer sozialen Gruppe darstellen, entsprechen Vorurteile Einstellungen, d.h. sie beinhalten eine Tendenz der Beurteilung einer outgroup im positiven oder negativen Sinne. Meist überwiegt jedoch die negative Einschätzung (Harding et al. 1954). Der Zusammenhang zwischen den beiden Konzepten ist eng: Die Einstellung zu einer outgroup hängt mit den Eigenschaften zusammen, die mit dieser verbunden werden (d.h. den Stereotypen) und aus denen die Bewertung resultiert. Das heißt in Kurzfassung: Stereotyp plus Bewertung ergibt Vorurteil (Stroebe / Insko 1989). In der Literatur wird die negative Beurteilung jedoch meist schon in das Konzept der Stereotype eingearbeitet (siehe z.B. Jandt 1995), so dass eine getrennte Betrachtung von Vorurteilen kaum geschieht. Auch hier soll auf Grund der engen Verwebung auf eine strikte Trennung verzichtet werden. Im Folgenden werden Stereotype inklusive der Tendenz zur Beurteilung besprochen.

4.2.7.2 Geschichtliche Entwicklung der Stereotypenforschung Im sozialwissenschaftlichen Bereich wurde der Begriff 1922 von Walter Lippmann in seinem Werk ‚Public opinion – die öffentliche Meinung’ eingeführt, wo Stereotype als „pictures in our heads“ bezeichnet wurden. In ihrer frühen Bedeutung galten Stereotype als „incorrect generalizations that are rigid, oversimplified, and biased” (Stroebe / Insko 1989 S. 4) und stellten damit eine sehr negative Tendenz dar, da sie als moralisch verwerflich angesehen wurden (Stephan 1989 S. 37, Zarkada-Fraser 2001 S. 392). Die frühere Stereotypenforschung fokussierte auf die historische Entwicklung, Sozialisierung und Kontakttheorien, die im Folgenden noch genauer dargelegt werden. Zum neutralen Begriff wurden Stereotype unter der Kognitionsforschung, die mit Tajfel (1969) ihren Durchbruch hatte und lange dominierte (Stroebe / Insko 1989). Die Rolle der motivationalen Verzerrung wurde minimiert und Stereotype als kognitive Kategorien verstanden, welche die soziale Umwelt ordnen. Daher standen die kognitiven Prozesse von Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion im Vordergrund (Stephan 1989). In einem letzten Wandel wurde jedoch der motivationale Aspekt wieder aufgenommen, da man erkannte, dass Stereotype über die Erfüllung von rein kognitiven Funktionen hinausgehen und ethnozentrisch angelegt sind – auch wieder durch Tajfel (1981).

95

4.2.7.3 Die Entstehung, Wirkungsweise und Funktion von Stereotypen An erster Stelle soll auf den kognitiven Ansatz eingegangen werden, um ihn im Anschluss durch die motivationalen Aspekte zu ergänzen. Danach wird auf einige ergänzende Theorien kurz verwiesen, um das Bild zu vervollständigen. Stephan (1989) zieht das Modell der kognitiven Informationsverarbeitung nach Anderson (1983) heran und wendet es unter Zuhilfenahme verschiedener Studien (jeweils angegeben) auf Stereotype an: In diesem Modell wirken drei Gedächtnissysteme zusammen: das deklarative, in dem Wissen in Form von Schemata abgelegt wird, das Arbeitsgedächtnis, in dem temporäres Wissen verfügbar ist, und das Produktionsgedächtnis, das die Prozesse der Informationsverarbeitung speichert. Dabei nehmen die Schemata eine zentrale Rolle ein, da sie als große Netzwerke Wissen unterschiedlicher Abstraktionsniveaus hierarchisch strukturieren und Kategorien bilden. Ein Schema kann eine spezifische soziale Gruppe betreffen mit relativ allgemeinen und abstrakten Aussagen auf der obersten Stufe und sehr konkreten Aussagen auf der niedrigsten Stufe, z.B. hinsichtlich eines bestimmten Individuums, das Teil dieser sozialen Gruppe ist. Dabei sind gerade die Kategorien für soziale Gruppen meist nicht sehr klar umgrenzt; sie enthalten eine Vielzahl von Merkmalen, die jedem Individuum zugeschrieben werden, sobald dieses als Mitglied dieser Gruppe wahrgenommen wird. Dies ist eine mögliche verzerrende Verallgemeinerung der objektiven Umstände. Des Weiteren ist schon bei der Informationsaufnahme der Akteure zu bemerken, dass sie selektiv wahrnehmen, d.h. nur solche Informationen absorbieren, welche die vorgefassten Merkmale bestätigen (siehe z.B. Bodenhausen / Wyer 1985). In der Informationsverarbeitung wird die Kategorie mit den Merkmalen einer sozialen Gruppe selbst bei Vorliegen eines beobachteten gegenteiligen Merkmals bei einem Individuum nicht geändert, da diese einerseits so allgemeingültige Aussagen beinhalten, dass sie schwer widerlegbar sind, und andererseits das Merkmal eines Individuums nicht auf die Gesamtgruppe übertragen wird, da es dem Individuum oder der Situation zugeschrieben wird (Crocker / Hannah / Weber 1983; zu Attributionsfehler siehe auch Kapitel 4.2.5). Meist sind die Verarbeitungsansprüche durch die Realität sehr komplex, so dass durch die Stereotypenanwendung der Prozess vereinfacht wird – unter Inkaufnahme verzerrter Informationen. Die Verzerrung kann dazu führen, dass Erwartungen bestätigt und Stereotype kaum geändert, bzw. sogar verstärkt werden. Als selbsterfüllende Prophezeiung beschreibt Stephan (1989) die Tendenz, dass sich Akteure entsprechend der Erwartung an ihr Gegenüber verhalten, das heißt, durch die eigene Handlung die erwartete Handlung des Gegenübers provozieren und somit die eigene Erwartung untermauern. Die accentuation theory von Tajfel / Wilkes (1963) besagt, dass Unterschiede zwischen Individuen verschiedener Gruppen überbetont werden (Interklasseneffekt), zwischen Individuen der gleichen Gruppe unterbetont (Intraklasseneffekt). Im Schritt der Erinnerung werden erwartungsirrelevante Informationen weniger abgerufen als relevante und Schemata somit nicht ausdifferenziert oder ergänzt. Auch tritt gerade hinsichtlich der Erinnerung an die outgroups die illusorische Korrelation81 auf, d.h. der Beteiligte hat gerade bei negativen Verhaltensweisen den Eindruck, dass er diese schon häufig beobachtet hat, obwohl dies nicht zutrifft (z.B. Hamilton / Gifford 1976). Außerdem erinnert er sich eher an faktische Information über die ingroup, da er für diese über mehr spezifische und differenzierte Kategorien verfügt als für outgroups, die meist in sehr allgemeinen Kategorien festgehalten werden (siehe die complexity-extremity theory von Linville 1982). Es wird durch dieses Modell deutlich, dass die menschlichen Fähigkeiten der Informationsaufnahme und -verarbeitung begrenzt und somit Wahrnehmung und Kognition zuweilen fehlerhaft sind, was gerade für Stereotype zutrifft (Stroebe / Insko 1989). 81

96

Vgl. Kapitel 4.2.5 ‚Fehlattributionen’.

Wie in einzelnen Hinweisen im Text schon angedeutet wurde, kommt es bei Stereotypen vielfach zu negativer Bewertung der outgroup im Vergleich zur ingroup (Sumner 1906, Brewer / Campbell 1976).82 Diese als ethnozentrisch zu beurteilende Tendenz ist durch den kognitiven Ansatz nicht erklärbar. Tajfel wandte sich daher in seiner Sozialen Identitätstheorie den sozialen Funktionen von Stereotypen zu (Tajfel / Turner 1979, Tajfel 1981, Tajfel 1982). Die Experimente anhand des minimal group paradigm hatten ergeben, dass die Wahrnehmung, verschiedenen Gruppen anzugehören, bereits zu einer Differenzierung in in- und outgroup und zur ingroup-Favorisierung führt (Tajfel 1970). In der Sozialen Identitätstheorie wird nun ein individuelles Motiv des Individuums angenommen, eine positive soziale Identität zu erhalten oder zu erreichen. Soziale Identität wird definiert als „that part of the individuals’ selfconcept which derives from their knowledge of their membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance of that membership“ (Tajfel 1981 S. 255). Diese zieht das Individuum aus dem sozialen Status der ingroup im Vergleich zu den outgroups (im Sinne der social comparison, siehe z.B. Tajfel 1982 S. 24), und es versucht den Status zu erhöhen. Durch die eigene Erhabenheit entstehen Gruppenideologien, die soziale Aktionen gegen andere Gruppen rechtfertigen (Stroebe / Insko 1989 S. 5) und negative Abwertungen der outgroups fördern. Eine Fehlattribution gegenüber Mitgliedern von outgroups liegt nahe, wie es Costarelli (2005) belegt und im Kapitel 4.2.5 ‚Fehlattributionen’ genauer erläutert wurde. Polzer / Milton / Swann (2001) wenden die Soziale Identitätstheorie auf Diversitätsmerkmale an und folgern, dass Mitarbeiter solche Kollegen bevorzugen, bei denen sie gemeinsame Merkmale beobachten (z.B. Personen aus demselben Land, aus derselben Abteilung, desselben Geschlechts etc.). Hingegen lehnen sie Kollegen, zu denen sie signifikante Unterschiede sehen, ab. Neben diesen prominenten Erklärungsansätzen sei kurz auf weitere Theorien verwiesen, die Stroebe / Insko (1989) und LeVine / Campbell (1972) in diesem Zusammenhang anführen. Hierunter fallen die bereits in 4.2.6.2 ‚Theorien zum Ethnozentrismus’ genannten Theorien wie der realistische Konflikt und die sozialpsychologischen Theorien. Darüber hinaus ist speziell für Stereotype die Theorie des sozialen Lernens relevant, nach der es kein Motiv gibt, die outgroup abzuwerten. Allein durch Beobachtung von Rollen (nach Eagly 1987) oder durch die Sozialisierung, d.h. die Weitergabe von Wissen von den Eltern bzw. der Umwelt an die Kinder, baut sich ein Image über bestimmte Gruppen auf. Dabei ist zu bemerken, dass Stereotype probabilistisch sind, d.h. sie passen häufig, nicht immer (Stroebe / Insko 1989 S. 16). Daneben postuliert der Ansatz der Projektion (Ackerman / Jahoda 1950), dass Stimuli, die für den Akteur inakzeptabel sind, auf andere Gruppen im Sinne von Stereotypen übertragen werden. Stereotype sind Phantasien der eigenen Gruppe, wobei je mehr ein Merkmal innerhalb der Gruppe abgelehnt wird (z.B. Aggression), es umso mehr in der outgroup erkannt wird (LeVine / Campbell 1972 S. 146). Jede der zuvor und hier genannten Theorien weist Mängel oder Unvollständigkeiten auf. So wird an der Theorie der autoritären Persönlichkeit zu Recht kritisiert, dass auch außerhalb der Anhänger rechts gerichteter Ideologien Vorurteile zu beobachten sind (Neuliep 2000 S. 162). Doch ein entscheidender Beitrag, nämlich dass sich Stereotype vielfach gegen Minderheiten bilden, ist über alle Theorien hinweg nicht von der Hand zu weisen. Stroebe / Insko (1989) schlagen daher eine multiprocess theory of stereotyping and prejudice vor (S. 28f): Den Ausgangspunkt stellt die Tatsache dar, dass Stereotype meist von der breiten Mehrheit in einer sozialen Gruppe (z.B. Gesellschaft) getragen werden. Dies ist ein Hinweis auf den Erwerb in der Sozialisierung nach der Theorie des sozialen Lernens. Durch kognitive Prozesse werden Kategorien und Merkmale verbunden, wobei die Beurteilung verzertt werden kann. Das Bedürfnis nach einer positiven Abgrenzung der ingroup führt zu einer Abwertung der outgroup entsprechend der Sozialen Identitätstheorie. Die Konflikttheorie ist relevant 82

Siehe vorheriges Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’.

97

für Momente des Wandels: Sobald ein gravierender Konflikt zwischen Gruppen auftritt, können sich etablierte Stereotype ändern. Allerdings ist neben den meist negativen Aussagen der eben gelisteten Theorien ebenso auf den Nutzen von Stereotypen hinzuweisen. Die Vereinfachung der Kognitionsprozesse sowie die Strukturierung des Wissens über die Umwelt in Form von Stereotypen ist im kognitiven Sinne als ein Vorteil zu werten. Das Denken in Kategorien ist bei der Fülle von Informationen aus der Umwelt eine Notwendigkeit, die Orientierung gibt und handlungsfähig macht (siehe z.B. Schmid 2001, Bolten 2003). Zudem vereinfachen Stereotype die Interaktionsvoraussehbarkeit mit ungleichen Anderen und reduzieren das anxiety level in interkulturellen Überschneidungssituationen (Gudykunst 1995).

4.2.7.4 Negative Konsequenzen für multikulturelle Arbeitsgruppen Die meisten Erkenntnisse der in 4.2.6.3 aufgeführten Theorien gelten gleichermaßen für die Kooperation in multikulturellen Arbeitsgruppen. Die wichtigsten seien noch einmal kurz aufgegriffen und in diesem Zusammenhang expliziert. Wie bei der Theorie der kognitiven Informationsverarbeitung erläutert, entsteht durch die verzerrte Wahrnehmung und Interpretation ein verfälschtes (inakkurates oder zu stark vereinfachtes) und eventuell negativ gefärbtes Bild der anderskulturellen Kollegen und Mitarbeiter. In diesem Licht ist das Kapitel zu Erwartungen zu sehen (Kapitel 4.2.3), die durch eben diese Stereotype geprägt sind. Die Kommunikation in der Gruppe baut auf Stereotypen auf, die in die Kooperation hineingetragen werden und sich womöglich in den jeweiligen Situationen verstärken. Weder die Schlüsse, die ein Mitarbeiter über das Verhalten oder die Äußerungen seines Kollegen zieht, noch die eigene Reaktion darauf entsprechen den faktischen Umständen, so dass die Kommunikation gestört wird, ohne dass ein tatsächlicher inkompatibler kultureller Unterschied, ein Fehlverhalten oder ein anderer Störfaktor vorliegt (vgl. Gudykunst / Kim 1992 S. 93f). Diese Fehler in den Kommunikationsprozessen erschweren, wie bereits bei Erwartungsverletzung erläutert, die Aufgabenbewältigung. Wenn in solchen Situationen im Sinne der motivationalen Theorien Geringschätzung den anderskulturellen Kollegen zu offen entgegengebracht wird, beispielsweise in Form von herablassenden Bemerkungen, breitet sich der Kommunikationsfehler auf die affektive Seite aus und schürt negative Gefühle. Ebenso können laut geäußerte Stereotype, obwohl sie keinen negativen Charakter haben, den Betroffenen kränken, indem er sich nicht als Individuum erkannt fühlt. Damit resultiert ein Wahrnehmungsfehler in einen affektiven Konflikt, dessen Konsequenzen in Kapitel 4.1.3 eingehend erläutert worden sind. Bezieht man die Aussagen der Sozialen Identitätstheorie mit ein, impliziert die Anwendung von Stereotypen durch die Gruppenmitglieder die Unterteilung des Teams in Subgruppen (vgl. auch Polzer / Milton / Swann 2001), was in der Verbindung mit Ethnozentrismus83 zu einer Verminderung der Kohäsion, der sozialen Integration und der formalen und informellen Kommunikation zwischen den Mitgliedern der verschiedenen Subgruppen beiträgt,84 worunter schließlich ebenfalls die Gruppenleistung leidet (vgl. Williams / O’Reilly 1998). Im Gesamtunternehmen setzt womöglich höhere Fluktuation ein (siehe z.B. Tsui / Egan / O’Reilly 1992). In schlimmen Fällen können Stereotype zu Diskriminierung verleiten. Als Diskriminierung definiert Allport jedes Verhalten, das Individuen oder Gruppen Gleichbehandlung versagt, obwohl sie sie wünschen (1954 S. 50). Dies würde in einer Arbeitsgruppe bedeuten, dass anderskulturelle Mitglieder vom Informationsfluss abgeschnitten, vom sozialen Netzwerk aus83 84

98

Vgl. Kapitel 4.2.6. Vgl. hierzu die faultline-Hypothese in Kapitel 6.1.3.2 ‚Ausprägungen und Konsequenzen der mangelnden Teamentwicklung’.

geschlossen, ihnen Ressourcen verwehrt oder in anderen, subtilen Formen benachteiligt werden. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass in den seltensten Fällen jemand zugeben wird, Stereotype oder Vorurteile zu hegen. Denn gleichzeitig mit der oben erläuterten natürlichen Notwendigkeit herrscht die Meinung über deren moralischen Verwerflichkeit vor, so dass vorurteilsbehaftete und -freie Glaubenssätze parallel existieren und in interkulturellen Situationen konfligieren: Beim Zusammentreffen mit der stereotypisierten outgroup tendiert der Akteur zu einer automatischen, vorurteilsbehafteten Reaktion, die er durch Aktivierung der vorurteilsfreien Glaubenssätze zu unterdrücken versucht (Devine 1989). Dadurch können psychologisches Unbehagen und negative Gefühle wie Selbstkritik und Schuld entstehen (Costarelli / Callà 2004) – allerdings unterschiedlich intensiv je nach der Stärke der Vorurteilsbehaftetheit (Devine et al. 1991). Dieses Phänomen zeigt auf, dass ganz abgesehen davon, ob die Kognition und Kommunikation von Stereotypen und Vorurteilen beeinträchtigt wird, allein das Vorhandensein von Vorurteilen negative Gefühle beim Träger bewirken kann, die verschiedene für die Arbeitsgruppe nachteilige Konsequenzen wie Kontaktvermeidung, Irritation usw. hervorrufen können. Als Extrakt der bisherigen Ausführungen kristallisieren sich folgende Arbeitshypothesen zur Beschreibung von Stereotypen in multikulturellen Arbeitsgruppen heraus: Arbeitshypothese Prozess iK0P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen haben die Mitglieder Stereotype voneinander. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 5: Stereotype verzerren die Wahrnehmung und Interpretation, so dass Kommunikation zuweilen auf pauschalisierten, falschen und negativen Erwartungen beruht. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 6: Stereotype fördern die Aufteilung der Arbeitsgruppe nach verschiedenen Kulturen in Subgruppen (die ethnozentrische Tendenzen zwischen den Angehörigen der Subgruppen fördern) und verringern die Gruppenkohäsion. Arbeitshypothese Output (Leistung) iK0O 9: Kommunikationsfehler und mangelnde Gruppenkohäsion beeinträchtigen die Aufgabenerfüllung. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iK0O 10: Emotionale Belastungen auf Seiten des Trägers des Stereotyps (Schuldbewusstsein) und auf Seiten des Betroffenen (Kränkung) führen zu gestörten Befindlichkeiten und geringerer Zufriedenheit in der Gruppe. Diese Konfliktform soll die letzte hier aufgeführte gewesen sein. Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit den positiven Konsequenzen interkultureller Zusammenarbeit in Gruppen, die in der vorliegenden Arbeit mit interkulturellen Synergien bezeichnet werden.

5

Synergien

5.1

Das Synergiekonzept

5.1.1

Begriff und kulturallgemeines Konzept

Der Begriff ‚Synergie’ ist weit verbreitet und in aller Munde. Scherm spricht von einem inflationären, inhaltslosen und magischen Gebrauch (1998 S. 63). Häufig ist der Begriff nichts anderes als eine leere Phrase, unter dem man sich alles oder nichts vorstellen kann. Im Folgenden soll ein wissenschaftlicher Begriff konstitutionalisiert werden, der im Bereich multikulturelle Arbeitsgruppen Anwendung finden kann. Die Etymologie gibt erste Auskunft über die heutige Bedeutung: Syn (zusammen) und ergon (Werk) aus dem Griechischen ergibt ‚Synergie’, was als ‚Zusammenwirken’ gedeutet werden kann. Oft werden die Begriffe ‚Synergie’, ‚Synergieeffekt’ und ‚Synergiepotenzial’ synonym verwendet; doch genau genommen stellt der Effekt die ex post eintretende Wirkung dar und 99

das Potenzial die ex ante erhoffte Wirkung (Rodermann 1999). Allerdings werden im Sprachgebrauch unter ‚Synergie’ sowohl die Prozesse als auch die Ergebnisse (also die Effekte) des Zusammenwirkens verstanden (Zeutschel 1999 S. 133). Das Konzept ‚Synergie’ beinhaltet nun das Zusammenwirken verschiedener Komponenten, wobei die daraus entstehende Gesamtwirkung etwas anderes als die bloße Addition der Teilwirkungen darstellt, da die Elemente untereinander in Interdependenz stehen (Rodermann 1999 S. 37). ‚Etwas anderes’ kann nun heißen, dass die Gesamtwirkung größer ist (also eine quantitative Wirkung, vgl. Rhumbler 1993 S. 25) oder sich die Gesamtwirkung sich in ihrer Beschaffenheit verändert (also eine qualitative Wirkung). Stumpf (1999, 2000a) spricht von den drei Kriterien Kreativität, Übersummativität und Überlegenheit. D.h. Synergie liegt dann vor, wenn etwas geschaffen wird (Kreativität), wenn das Ergebnis mehr ist als die Einzelleistungen (Übersummativität) und wenn das Ergebnis eine höhere Qualität ergibt (Überlegenheit). Der letzte Punkt wird allerdings nicht von allen Wissenschaftlern geteilt, denn grundsätzlich kann durch das Zusammenwirken ebenso eine Verminderung oder Verschlechterung stattfinden; das wird zuweilen als ‚negative Synergie’ (wie bei Ansoff 1965 S. 84) oder ‚Dyssynergie’ (wie bei Reißner 1992 S. 105) bezeichnet. Letzteres entspricht im Rahmen dieser Arbeit der Wirkung von Konflikten (vgl. Kapitel 4) und soll daher an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden. Mit Blick auf die hier angestrebte Darlegung liegt das Problem nun darin, dass das Zusammenwirken, d.h. weder der Prozess noch die Wirkung, in der Literatur genauer spezifiziert wird (Rodermann 1999 S. 99, Scherm 1998 S. 63). Es mangelt in wissenschaftlicher Hinsicht an einer übergreifenden Theorie zu Synergien; je nach Disziplin liegt ein anderes Verständnis vor, und im interkulturellen Bereich wurde noch gar kein gültiges Verständnis ausreichend entwickelt. In praktischer Hinsicht fungiert in Unternehmen ‚Synergie’ als Schlagwort, um Bedenken hinsichtlich geplanter Aktivitäten zu zerstreuen (Winkler 1993 S. 39). Zuweilen strömt der Begriff schon eine negative Konnotation aus, da mit Synergien bei Unternehmensfusionen auch der Abbau von Redundanzen, d.h. insbesondere in Form von Arbeitsplätzen positiv umschrieben wird. Bevor im folgenden Unterkapitel ein Erklärungsansatz für Synergien im interkulturellen Sinne aufgebaut wird, soll als Hinführung ein kursorischer Überblick über die verschiedenen Verständnisse aus unterschiedlichen Disziplinen gegeben werden: In der Synergetik nach Haken (1994, zitiert in Götz / Häfner 1999) basiert das Konzept weniger auf dem Ergebnis, sondern fungiert eher als Beschreibung eines zufälligen, nicht kontrollierbaren Prozesses, den ein System als Reaktion auf äußere Einflüsse organisiert. In der Biologie stellt Synergie die Summe der Organe als funktionsfähiges Lebewesen dar (Reißner 1992 S. 104). In der Chemie wirken bei Synergie Substanzen zusammen und resultieren in einem Ergebnis, das der Summe der Einzelwirkungen entspricht oder diese übersteigt (Rodermann 1999 S. 36). Sogar die Theologie verwendet den Begriff, um die Mitwirkung des Menschen zur Erlangung des Heils zu beschreiben (Rodermann 1999 S. 36). In der Betriebswirtschaftslehre wirken meist Wertaktivitäten zusammen und erbringen einen erhöhten Nutzen für das Unternehmen (Rodermann 1999 S. 10). Eine der ersten Theorien zu Synergien im Unternehmen und die berühmte und vielfach zitierte Formel „2 + 2 = 5“ lieferte Ansoff (1965), als er die Tätigkeit von Unternehmen auf verschiedenen Absatzmärkten aufzeigte, wodurch diese einen höheren Gewinn erzielten. Gerade im Bereich der Unternehmenszusammenschlüsse ist Synergie das Hauptziel, das durch verschiedene Strategien (z.B. durch Zentralisierung, durch Integration, durch Ergänzung oder durch Transfer) erreicht werden kann.85 Die Psychologie beschäftigt sich u.a. mit Kleingruppen, und dort gilt als Synergie der Leistungsvorteil der Gruppe gegenüber der Arbeit von Einzelpersonen (Reißner 1992 S. 104, Scherm 1998 S. 64). Nach Hertel / Kerr / Messé (2000) fällt hierunter v.a. social facilitation, social competition, social compensation und der Köhler-Effekt. Diese Phänomene werden im 85

Für eine Systematik und genaue Beschreibung siehe Reißner (1992 S. 109ff).

100

Kapitel 5.2.1 ‚Motivation’ detailliert prüft. Nicht zu vergessen ist neben dieser Mehrleistung durch den Einzelnen, dass in einer Arbeitsgruppe Aufgaben besser koordiniert und zudem arbeitsteilig (z.B. nach Kompetenzen, Auslastung etc.) bearbeitet werden können, was die Gesamtleistung die Summe der Einzelleistungen noch mehr übersteigen lässt (vgl. Rodermann 1999 S. 19). Dies entspricht im betriebswirtschaftlichen Sinne der Betrachtung von Effektivität, die durch die Zusammenfassung von einzelnen Mitarbeitern in Arbeitsgruppen gesteigert werden kann. Inwiefern nun kulturell diverse Arbeitsgruppen im Vergleich zu homogenen Gruppen weitere Synergien fördern, soll im nächsten Abschnitt erörtert werden.

5.1.2

Interkulturelle Synergien

In der Interkulturellen Psychologie sind solche als interkulturelle Synergien zu bezeichnen, „die durch das Zusammenspiel kulturspezifischer Charakteristika in psychologisch relevanten Dimensionen, wie Einstellungen, Werte, Denk- und Verhaltensstile, in einer sich gegenseitig verstärkenden und anregenden Weise zustande kommen, so dass die hervorgebrachten Leistungen eine höhere Qualitätsstufe erreichen als bei der Zusammenarbeit in kulturell homogenen Arbeitsgruppen“ (Zeutschel 1999 S. 132 analog der Forschungsrichtung nach Thomas, siehe z.B. Thomas 1993a). Im Unterschied zur eingangs dargestellten allgemeinen Synergiedefinition ist hier zu beachten, dass die Leistung im Falle von multikulturellen Arbeitsgruppen sich nicht im quantitativen Sinne verändert, sondern im qualitativen. Es ist kaum zu erwarten, dass mehr geleistet wird; die Hoffnung liegt vielmehr darauf, dass besser geleistet wird. An dieser Stelle ist tatsächlich von ‚Hoffnung’ zu sprechen, denn es liegen bisher kaum empirische Arbeiten vor, die dies belegen.86 Diese Definition bedeutet zudem, dass interkulturelle Synergien über eine reine Konfliktvermeidung oder -behebung hinausgehen. Doch realistischerweise ist anzumerken, dass bei weitem mehr Missverständnisse, Probleme und gescheiterte multikulturelle Arbeitsgruppen zu beobachten sind als gut funktionierende Teams, die Synergiepotenziale ausschöpfen, wie Zeutschel (1999) feststellt. Das mag der Grund dafür sein, warum unter dem Titel ‚Synergien’ oft Anleitungen zum interkulturellen Konfliktmanagement zu finden sind (siehe bspw. PeillSchoeller 1994). Auch Scherm (1998) spricht in Zusammenhang mit Synergien in Gruppen davon, Prozessverluste in Form von Motivations- und Koordinationsschwierigkeiten zu minimieren, um das volle Produktivitätspotenzial einer Gruppe zu nutzen. Um es jedoch noch einmal zu betonen, Synergie ist nicht gleichzusetzen mit der Verminderung von Reibungsverlusten, sondern bedeutet Schaffung von realen Vorteilen kulturell diverser gegenüber homogenen Arbeitsgruppen. Auch ist Synergie weder Kompromiss noch Synthese: So stellt die Theorie Z von Ouchi / Jaeger (1978) bzw. Ouchi (1981) nicht, wie Moran / Harris (1982) behaupten, eine Synergie, sondern wie Bolten (2003) zu Recht kritisiert, lediglich eine kontrollierte Zusammensetzung einer Managementform dar. Die Theorie besteht aus Teilen amerikanischer Vorlagen (Typ A) und Teilen japanischer Vorlagen (Typ J), um eine effiziente Form von Organisation und Management zu finden. Sie entbehrt jedoch die einer Synergie inhärenten Neuartigkeit. Zwar wird von manchen Autoren (z.B. Moran / Harris 1982) von ‚Zufälligkeit’ bei der Entstehung von Synergien gesprochen, doch sind sehr wohl einige Voraussetzungen zu erfüllen, dass Synergien entstehen können, und somit unter Beeinflussung dieser Eingriffe Gestaltung möglich. Als erste Bedingung ist die Wertschätzung von (nicht nur kultureller) Diversität zu nennen: Nur wenn Unterschiede als Ressource anerkannt und wertgeschätzt werden, können sie als Nutzen stiftende Elemente dienen (nach dem Konzept der value in diversity, siehe Kapitel 2.2). Als zweiten Schritt müssen die spezifischen Unterschiede und Ähnlichkeiten von 86

Einen ersten Versuch hat in Deutschland Zeutschel (1999) mit der Untersuchung von deutschamerikanischen Problemlösegruppen unternommen.

101

den Beteiligten erkannt werden, damit sie sie situationsgereicht einsetzen können. Schließlich kann aus der gegenseitigen Befruchtung eine integrative und weiterführende Form entstehen, die etwas Neues darstellt – im Sinne einer „Interkultur“ (Bolten 2003), im Sinne einer „hybriden Kultur“ (Earley / Gibson 2002) oder im Sinne einer „dritten Kultur“ (Casmir 1992), wie sie in der Interkulturellen Kommunikationsforschung entwickelt wurde. Dieser letzte Schritt ist wohl tatsächlich der am zufälligsten ablaufende: Die Teammitglieder tragen aktiv zur Entstehung einer Beziehung bei, ohne dass sie eigentlich wissen, auf welches Ergebnis die Interaktion hinausläuft, außer dass die Verbesserung und Erhaltung der Beziehung selbst ein Ziel ist. Die Formen, Ziele, Werte und Regeln bilden sich erst im Prozess und im Laufe der Zeit im Rahmen der Teamentwicklung heraus (vgl. Casmir 1992). Diese Wandlung ist als positiv zu bewerten, da sie eine gemeinsame Basis schafft, die einerseits Kommunikation erlaubt, andererseits Identifikation stiftet. Das resultierende geteilte Verständnis erweckt positiven Affekt und Vertrauensneigung (Earley / Gibson 2002 S. 46). All dies ist nötig für ein kulturell diverses Team und kann im Sinne von Synergie auch als Zusatznutzen hinsichtlich einer Leistungssteigerung gesehen werden. Doch sei an dieser Stelle kritisch bemerkt, dass diese neu entstandene Kultur bedeuten kann, dass sämtliche Unterschiede eingeebnet werden, was dem vorangegangenen Verständnis widerspricht, dass es gerade diese Unterschiede sind, die Synergien generieren. Somit ist darauf zu achten, dass die alten und neuen Kulturen Respekt, Wertschätzung und Unterstützung von Unterschieden beinhalten, so dass nicht auf die Reihe von Synergieformen verzichtet werden muss, die im folgenden Kapitel besprochen werden. Ob die Voraussetzungen für Synergie gegeben sind, liegt meist an der Unternehmenskultur – eine Synergie unterstützende Unternehmenskultur wird zuweilen als „synergistisch“ bezeichnet (siehe z.B. Moran / Harris 1982 S. 111). Thomas identifiziert hier verschiedene Modelle in Organisationen (1993): Das kulturelle Dominanzmodell besagt, dass das Management die Ziele der Muttergesellschaft verfolgt, in deren Kultur steht und keinerlei Andersartigkeit akzeptiert. Im kulturellen Kompromissmodell werden die verschiedenen Kulturen auf ähnliche Strukturen verglichen und gemeinsame Richtlinien erarbeitet, um die Problematik von Unterschieden aus dem Wege zu schaffen. Im Synergiemodell schließlich werden die beteiligten Kulturen in ihren Ausprägungen voll berücksichtigt; sie dienen als Ressourcen für die Entwicklung von neuen Lösungen und einer interkulturellen Organisation (im Sinne der eben erläuterten neuen Kultur auf Teamebene). Der Vorteil liegt, wie dargelegt, in der Nutzung aller verfügbaren Ressourcen, doch ist als Nachteil der bei weitem aufwändigere Prozess der Findung zu nennen: Alle Beteiligten müssen bereit sein, Diversität anzunehmen, sich selbst kritisch zu analysieren und Neues zu akzeptieren. Im Gegensatz zu den oben genannten Autoren geht Thomas (1993a) klar davon aus, dass Synergie klar gestaltet werden kann, indem die Beteiligten kulturelle Unterschiede bewusst identifizieren, Entwicklungspotenziale erkennen und aktiv Maßnahmen ableiten und umsetzen. Dies sollte ebenfalls auf Gruppenebene möglich sein, wo gerade durch die geringe Anzahl von Beteiligten (im Vergleich zur Gesamtorganisation) Metakommunikation über die Gruppenentwicklung stattfinden kann, da zudem Motivation durch die persönliche Bindung an das Team und durch den persönlichen Bedarf zur Entfaltung des Einzelnen gegeben ist.

5.2

Synergieformen in multikulturellen Arbeitsgruppen

Im Gegensatz zu den diversen Konfliktformen, die in den letzten Jahrzehnten durch vielfältige Forschungsrichtungen der Psychologie und interkulturellen Kommunikation untersucht worden sind, wurde interkulturellen Synergien wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Im Vordergrund stand ein eher problematisierender Ansatz, der nicht weiter verwundert, da in der Unternehmenspraxis als erstes die Konflikte der interkulturellen Zusammenarbeit offensichtlich geworden sind. Da in letzter Zeit nun jedoch der Unausweichlichkeit der internationalen Un102

ternehmensaktivität (als auch der Diversität allgemein, siehe Kapitel 2.2) ins Auge geblickt werden muss, wurde dazu übergegangen, ebenfalls positive Seiten zu erkennen und diese positiv zu verfolgen. Erst in diesem Zuge begann eine eingehende Beschäftigung mit Synergien; daher sind zum bisherigen Zeitpunkt eher noch Annahmen bzw. Postulate als bestätigte empirische Erkenntnisse oder gar theoretische Modelle anzutreffen. Die folgenden Ansätze zur Beschreibung von Synergien sollen in diesem Sinne als ein Herantasten an mögliche Phänomene verstanden werden, die im Rahmen dieser Arbeit zum ersten Mal empirisch überprüft werden (Ergebnisse siehe Kapitel 10). In diesem Kapitel wird auf die Beiträge verschiedener Disziplinen zurückgegriffen, um in deren Zusammenführung einen ersten möglichst umfassenden Überblick zu bisherigen Erkenntnissen zu generieren und Arbeitshypothesen87 zu entwickeln.

5.2.1

Motivation

Im Kapitel 3.2.3 ‚Individuen’ wurde Motivation bereits als Konzept eingeführt; nun soll dargelegt werden, inwieweit Gruppenarbeit Motivation beeinflussen kann.88 Aus zahlreichen Gründen kann sich die Motivation eines Mitarbeiters erhöhen, wenn er in einem Team seiner Aufgabe nachgeht. So führen nach der Kleingruppenforschung diverse Effekte dazu, dass sich ein Individuum in der Gruppe mehr anstrengt, als wenn es unabhängig und unbeobachtet arbeitet (z.B. Wegge 2001, Erez / Somech 1996, Harkins 1987).89 Social facilitation besagt, dass ein Mitarbeiter höhere Leistung erbringt, wenn er sich bewusst ist, dass Kollegen auf ihn schauen und seine Arbeit zählt. Wettkampf zwischen den Gruppenmitgliedern mag ebenso zu höheren Leistungen anspornen (social competition). Wenn stärkere und schwächere Mitglieder aufeinander treffen, arbeiten zuweilen die stärkeren härter, um zu kompensieren und die Gesamtleistung sicher zu stellen (social compensation). Die schwächeren Mitglieder setzen sich dann ebenfalls mehr ein, v.a. wenn das Gefälle zwischen den Leistungsniveaus nicht zu groß ist (Köhler-Effekt). Zudem sind bei der Zusammenarbeit von Männern und Frauen sex composition effects anzutreffen, welche die Leistung positiv beeinflussen (Hertel / Kerr / Messé 2000 S. 322). Die beiden letztgenannten Effekte verweisen auf den Einfluss von Diversität, der nun weiter verfolgt werden soll. Es seien jedoch nur solche Effekte erwähnt, die nicht nur die Einzelleistung steigern, sondern auch die Gruppenleistung. Beispielsweise kann eine erhöhte Wettbewerbsorientierung zwar die individuelle Motivation und Leistung fördern, aber genauso negativ wirken, wenn sie statt zu einem Miteinander zu einem Gegeneinander in der Arbeitsgruppe führt. So wird hier der mögliche Wettbewerb zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen im Team nicht weiter erläutert, denn er zeugt eher von der Spaltung in verschiedene Lager nach Kulturen oder Nationalitäten mit negativen Konsequenzen in Form von Stereotypen und Ethnozentrismus bzw. einer Verminderung von Gruppenkohäsion. Es ist vielmehr darauf zu verweisen, dass eine Motivationssteigerung eintreten kann, wenn sich ein Mitarbeiter mit der Gruppe und Aufgabe identifiziert, seine Mitgliedschaft positiv bewertet und eine Belohnung daraus zieht, dabei sein zu dürfen (Hackman 1987 S. 326). Hohe Motivation in multikulturellen Arbeitsgruppen ist vor allem zu erwarten, wenn es sich z.B. um wichtige internationale Projekte handelt und wenn bekannt ist, dass nur beson87 88

89

Zur Entwicklung und Systematik der Arbeitshypothesen vgl. Kapitel ‚Exkurs zur Hypothesenbildung’. Nachdem die Synergieform Motivation allerdings im Laufe der Arbeit eine geringere Rolle einnehmen wird, wird auf weitschweifende konzeptuelle Erörterungen verzichtet. Als Zusammenfassung für Grundlagen und Wirkung von Motivation siehe z.B. Kleinbeck (1991). Im Folgenden wird auf die leistungssteigernden Gruppenphänomene eingegangen; es ist jedoch unbestritten, dass es bei der Zusammenarbeit in Gruppen insbesondere bei mangelnder Identifizierbarkeit der Einzelleistung das einzelne Mitglied seine Anstrengungen senkt. Dies wird in der Literatur unter social loafing abgehandelt, siehe z.B. Harkins (1987).

103

ders kompetente Mitarbeiter als Mitglieder ausgewählt werden. Das heißt, in diesem Falle wird das Team mit hohem Status verbunden und die Mitgliedschaft stellt im Sinne der sozialen Identitätstheorie90 eine Belohnung dar (Thomas 2002 S. 183). Die Anerkennung, die durch die Aufnahme in eine solche Gruppe dem Mitarbeiter gezeigt wird, kann als eine Form der extrinsischen Motivation verstanden werden. Zudem kann es fachlich einen Anspruch bedeuten, mit internationalen Experten zusammen zu arbeiten, was einer intrinsischen Motivation entspricht. Das Bestreben, von Kollegen aus verschiedenen Ländern (kulturelle Diversität), Organisationsbereichen und Funktionen (funktionale Diversität) zu lernen, mag ebenso intrinsisch motivieren (Canney Davison / Ward 1999 S. 16). Letzteres funktioniert natürlich nur, wenn Diversität als Ressource angesehen und gewertschätzt wird. Diese Punkte nehmen Bezug auf die motivierende Arbeitsgestaltung, welche bereits im Kapitel 3.2.3 ‚Individuen’ ausgeführt worden ist. Eine erste empirische Bestätigung liefern Liebig / Schütze, in deren Studie Mitarbeiter sich besonders geehrt fühlen, in internationalen Projekten mitarbeiten zu dürfen (2001 S. 87). Weitere Forschung zu Motivation in multikulturellen Teams wurde unter dieser Fragestellung leider nicht angestellt; die meisten Studien konzentrieren sich auf den Kulturvergleich, ob eher individualistische oder kollektivistische Personen durch Teamarbeit angeregt werden (z.B. Erez 1997, Earley 1993, Shwalb / Shwalb / Murata 1991). Hohe Motivation mündet nach Hackman (1987 S. 326) in commitment, welches gerade in schwierigen Umständen oder einer schwierigen Aufgabe gefragt ist. Commitment spielt eine entscheidende Rolle für die Selbststeuerung in virtuellen Teams und wird an dortiger Stelle erläutert.91 In der Zusammenfassung wird die Arbeitshypothese iK0Pe 192 als Voraussetzung herangezogen, die in ihrer negativen Form die Bedingung der Wertschätzung von Diversität erfüllt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Für die Prozesse und den Output ergeben sich folgende Arbeitshypothesen: Arbeitshypothese Prozess iS0P 1: Die Mitgliedschaft in multikulturellen Arbeitsgruppen fördert die Motivation des Mitarbeiters. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 1: Die Motivation des Mitarbeiters hat einen positiven Einfluss auf seine individuelle Leistung und damit die Teamleistung.

5.2.2

Ressourcenpool

Um diese Synergieform theoretisch zu erklären, scheint ein Rückgriff auf eine betriebswirtschaftliche Theorie sinnvoll, und zwar die ressourcenorientierte Theorie der multinationalen Unternehmung (vgl. Welge / Holtbrügge 2001). Diese besagt in Kurzform, dass die Wettbewerbsfähigkeit einer Unternehmung auf der Nutzung interner Ressourcen beruht. In dieser abstrakt-theoretischen Sichtweise stellt ein Unternehmen nichts anderes dar als ein Bündel materieller und immaterieller Ressourcen (Bergmann 2000 S. 21), die mit Hilfe der Dimensionen Handelbarkeit und Spezifität beschrieben werden können (vgl. Abb. 16): Handelbarkeit gibt an, inwieweit die Ressourcen extern beschaffbar sind. Vor allem die kompetenzbasierten, immateriellen Ressourcen sind besonders relevant zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen, da sie einer der Unternehmung immanenten Vorsprung verschaffen. Ressourcen mit geringer Spezifität können über verschiedene Unternehmensbereiche hinweg 90 91 92

Vgl. Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’. Vgl. Kapitel 6.1.5 ‚Führung’. Eine Legende zu den Abkürzungen bei den Hypothesenbezeichnungen ist in Kapitel 4.2.2 ‚Exkurs zur Hypothesenbildung’ gegeben worden.

104

verwendet werden, da sie weniger auf eine besondere Tätigkeit oder Nutzung zugeschnitten sind. Vor allem die Gruppen der organisatorischen, personellen und sozialen Ressourcen sind nach den speziellen Umwelten dezentral zu entwickeln und einzusetzen, damit weltweite organisatorische Lernprozesse im Sinne der „länderübergreifenden Internalisierung intangibler Ressourcen“ gefördert werden (Welge / Holtbrügge 2001 S. 87). Multikulturelle Arbeitsgruppen sind nun Teil der multinationalen Unternehmung und Ressourcenträger, und zwar vor allem personeller Art (hinsichtlich Qualifikation und Erfahrung der Mitglieder) und z.T. der sozialen Art (wenn es z.B. um Kontakte zu lokalen stakeholdern geht). Sicherlich spielt dabei das Individuum ebenso eine tragende Rolle, doch gerade wenn die dynamische Komponente der Kombination, Nutzung und Weiterentwicklung der Ressourcenvielfalt im Zentrum steht, ist die Interaktion in der Arbeitsgruppe die zu betrachtende Plattform. Im Effekt wirkt sich das sowohl auf eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arbeitsgruppe selbst aus als auch auf das organisatorische Lernen, wenn es gelingt, das Wissen der Gruppe auf die Organisation zu übertragen.93 Handelbarkeit gering (kompetenzbasiert)

organisatorische Ressourcen soziale Ressourcen (Strukturen, Prozesse) (Stakeholder-Beziehungen) personelle Ressourcen (Qualifikationen, Erfahrungen) technologische Ressourcen (Patente, Lizenzen)

physische Ressourcen (Gebäude, Maschinen)

hoch (eigentumsbasiert) hoch

finanzielle Ressourcen

gering Spezifität

Abb. 16: Handelbarkeit und Spezifität von Ressourcen (nach Welge / Holtbrügge 2001 S. 87) Im Besonderen macht sich der Ressourcenpool folgendermaßen bemerkbar: Jeder Mitarbeiter verfügt über gewisse Fertigkeiten, Fähigkeiten, Wissen, Perspektiven, Ideen, Kontakte und Erfahrungen. Wenn diese in einer Arbeitsgruppe zusammengezogen werden, erhöht sich der Pool an verfügbaren Ressourcen für den Entscheidungsträger (vgl. Moran / Harris 1982, Winkler 1993, Elron 1997, DiStefano / Maznevski 2000, Ely / Thomas 2001). Die Wahrscheinlichkeit, dass damit für ein Problem die richtige Lösung von einem der Mitglieder parat gehalten wird, steigt (Bürkle 2004 S. 42). Dies ist de facto mit einem Wettbewerbsvorteil gleichzusetzen, denn speziell diese divergierenden Hintergründe werden benötigt, um komplexe Probleme zu lösen und konjunktive Aufgaben zu bewältigen.94 Hierbei spielt

93 94

Vgl. auch Kapitel 5.2.4 ‚Lernen’. Für den Prozess siehe das nachfolgende Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’.

105

Heterogenität eine zentrale Rolle, weil damit Mitglieder sich noch besser ergänzen können, was Bürkle den Pooling-Effekt nennt (2004 S. 43). Wichtige Voraussetzung ist hierfür selbstverständlich, die Ressourcen verfügbar zu machen. Das heißt, es müssen die fachlichen Kenntnisse und Kompetenzen des Einzelnen in der Gruppe nicht nur vorhanden, sondern auch bekannt und anerkannt sein (ebenso hier: Wertschätzung von Diversität und niedriger Ethnozentrismus sind Grundlage!), damit im Bedarfsfall darauf zurückgegriffen werden kann. Zudem sind die Kenntnisse und Meinungen kundzugeben, was durch mangelndes Vertrauen oder eine dominante Führungsperson zuweilen unterdrückt wird (Hoffman / Harburg / Maier 1962 S. 206). Bisher haben sich zwei Forschungsrichtungen mit der Wirkung des Ressourcenpools im Team beschäftigt (Ely / Thomas 2001 S. 233): Erstere postuliert, dass kulturelle Heterogenität per se einen Vorteil darstellt, egal, um welche individuellen Kenntnisse es sich im Einzelnen handelt. Es wird davon ausgegangen, dass alleine die Verschiedenheit schon ausreicht, dass sich die Teammitglieder in Diskussionen kreativ austauschen und bessere Ergebnisse erzielen, als es ein homogenes Team vermag. Auf einer Metaebene untersuchte Jans, inwieweit empirische Untersuchungen der Organisationsdemographieforschung die Ressourcenhypothese bestätigen und kam zwar zu einem positiven, aber nicht signifikantem Ergebnis (2003). Abweichende Ansichten führen darüber hinaus zuweilen zum sachbezogenen Konflikt, der hierzu eine Eskalationsstufe darstellt und in einem eigenen Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’ besprochen werden soll. In der zweiten der genannten Forschungsrichtungen wird spezifischer gefragt, was jedes Mitglied an verschiedenen Hintergründen mitbringt, um diese zielgerichtet einsetzen zu können. Hierzu gibt es jedoch ebenfalls fast keine empirischen Belege (Ely / Thomas 2001 S. 233). Abschließend sollen die Arbeitshypothesen zur Existenz und Wirkungsweise der Synergieform Ressourcenpool verfasst werden. Es gilt als Voraussetzung, damit das Team über die Ressourcen der Mitglieder verfügen kann, dass diese offenbart und anerkannt sein müssen. Dies wurde bereits als Arbeitshypothese im Bereich des Ethnozentrismus in negativer Form ausgedrückt. Der Vollständigkeit halber wird die Arbeitshypothese hier wiederholt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Prozess iS0P 2: In einer multikulturellen Arbeitsgruppe ist ein erhöhter Ressourcenpool an Fertigkeiten, Fähigkeiten, Wissen, Perspektiven, Ideen, Kontakten und Erfahrungen verfügbar. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 2: Die Nutzung des Ressourcenpools trägt zu einer besseren Aufgabenerledigung bei.

5.2.3

Kreativität

5.2.3.1 Definition und Konzept Eng verbunden mit der Bereitstellung verschiedener Ideen und Lösungsmöglichkeiten ist Kreativität. Mit Kreativität wird in dieser Arbeit nicht der Ansatz des Genies verstanden, der behauptet, dass wahrhaftig kreative Akte nur durch außergewöhnliche Individuen in besonderen Gedankengängen und -umständen geschaffen werden95. Mit Kreativität wird vielmehr im Sinne der psychologischen Forschung kognitives Problemlösen96 umschrieben, das nach Weisberg (1988) durch folgende Kennzeichen charakterisiert wird: 95 96

Vgl. eine Zusammenstellung verschiedener Beispiele kreativer Akte von Genies in Weisberg (1988). Der Prozess des Problemlösens in der Gruppe ist bereits in Kapitel 3.3.6 ‚Problemlösungen und Entscheidungen’ besprochen worden.

106

Um bisher unbekannte Probleme lösen zu können, zieht eine Person Erfahrungen (also bekanntes Wissen) aus der Vergangenheit heran, die für das Problem relevant erscheinen. Im Prozess des Problemlösens werden verschiedene Ansätze gegeneinander abgewogen und auf Angemessenheit überprüft. Für jeden Schritt wird das Problem neu formuliert, und es wird jedes Mal nach bekanntem Wissen recherchiert (local memory search), wobei eine gewisse Entfernung von bekanntem Wissen nötig ist, da dieses nicht komplett ausreicht bzw. nicht passt. Dabei entwickelt sich die definitive Problemlösung, die deshalb kreativ ist, weil sie eine Neuartigkeit darstellt. Diesen Prozess kann jedes Individuum durchlaufen, ohne dass es geniale Züge aufweist. An dieser Prozessbeschreibung werden die Merkmale von Kreativität deutlich, d.h. der Fähigkeit, neuartige Produkte, Prozesse oder Ideen zu produzieren (vgl. Schlicksupp 1977 S. 139): x Sowohl zweckgerichtetes Denken als auch imaginative Tätigkeit x Übertragung alter Beziehungen auf neue Situationen x Distanzierung von Gewohntem x Gedankliche Synthese und Erstellung neuer Kombinationen x Verfügung über Erfahrungsmaterial. Als ausschlaggebendes Kriterium betont Schlicksupp (1977) die Kombination bzw. Neuorganisation von Erfahrungsinhalten. Nun kann als Ausgangspunkt das Individuum als die kreativitätsschaffende Einheit gesehen werden, um in einem Folgeschritt die Gruppe hinsichtlich Kreativität zu analysieren. Woodman / Schoenfeldt (1989) liefern hierfür ein Modell aus der interaktionalen Psychologie, das sie im Anschluss auf Gruppe und Organisation übertragen, wie im weiteren Verlauf ebenso dargestellt werden wird (s.u.): So ist Kreativität ein Produkt einer Person in einer bestimmten Situation. In dieser Situation wirken der Kontext und der soziale Einfluss fördernd oder beeinträchtigend, ebenso wie die individuelle Motivation. Die Person ist geprägt durch ihre Erfahrungen, durch ihre kognitiven Fertigkeiten, ihr Wissen und ihre Persönlichkeit. Schlicksupp (1977) spricht darüber hinaus von der Rolle der kognitiven Stimuli, die Denkprozesse in Form von Assoziationen auslösen, was im Folgenden noch wichtig werden soll. Zu den Zusammenhängen im Einzelnen (vgl. Woodman / Sawyer / Griffin 1993 S. 297)97: Die Prägung der Person durch ihren bisherigen Lebensverlauf äußert sich u.a. in der Ansammlung bzw. Herausbildung ihrer kognitiven Fertigkeiten. Unter solchen sind hinsichtlich Kreativität folgende relevant: Leichtigkeit in Assoziationen, Feldabhängigkeit (also den Einbezug der situationsspezifischen Bedingungen), Flexibilität, die Fähigkeit, nach Transformationen zu suchen und Kausalitäten zu erkennen. Als Schlüsselkompetenz wird häufig divergentes Denken genannt, das jedoch nach Woodman / Sawyer / Griffin (1993) mit einem ausreichenden Grad an konvergentem Denken verbunden werden muss, um sozial anerkannt zu werden. Als kreativitätsfördernde Persönlichkeitseigenschaften identifizieren die Autoren auf Grund ihrer umfassenden Literaturrecherche breite Interessen, Anziehung durch Komplexität, viel Energie, Unabhängigkeit von Beurteilung, Autonomie, Intuition, Selbstvertrauen, Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen, Überzeugung, dass man selbst kreativ ist, Ausdauer, Neugier, intellektuelle Ehrlichkeit sowie einen internen Kontrolllokus. Darüber hinaus muss die Person über einen ausreichenden Vorrat an Faktenwissen98 verfügen, um Bekanntes neu kombinieren zu können und damit Ansatzpunkte für eine Problemlösung zur Verfügung zu haben. Allerdings kann umfangreiches Wissen auch negativ wirken, wenn eine bestimmte Fixiertheit auf ein Lösungsmuster gegeben ist, was meist auftritt, wenn dasselbe oder zumin97 98

Für eine detailliertere Erläuterung siehe Ford (1996). Unter Methodenwissen sind an dieser Stelle die kognitiven Fertigkeiten zu verstehen (Schlicksupp 1977).

107

dest ein ähnliches Problem schon mehrfach gelöst wurde (Woodman / Sawyer / Griffin 1993, Schlicksupp 1977). Doch neben all den persönlichen Eigenschaften darf nicht die intrinsische Motivation übersehen werden, welche zur Selbstregulierung dient und die Grundlage für Bemühung und Einsatz bildet (Woodman / Sawyer / Griffin 1993, Schlicksupp 1977). Eine umfassende Aufstellung über Studien, welche die verschiedenen Einflüsse auf Kreativität belegen, bietet Ford (1996 S. 1122ff). Dieses Modell kann nun auf Gruppenebene fortgeführt werden, wo die individuellen kreativen Inputs einzelne Elemente formen, die in Interaktion treten. Zusätzlich unterliegen sie Einflüssen auf Grund von Gruppenmerkmalen und -prozessen (Woodman / Sawyer / Griffin 1993). Diese sollen entsprechend ihrer Wirkung auf die bereits erwähnten Merkmale kognitive Fertigkeiten, Gruppeneigenschaften (statt Persönlichkeitseigenschaften), Wissen und Motivation erläutert werden (vgl. Woodman / Sawyer / Griffin 1993, Schlicksupp 1977): Die kognitive Leistungsfähigkeit der Gruppe entspricht maximal der Summe der Individuen und mindestens dem begabtesten Mitglied der Gruppe. Wenn spezielle Problemlösungstechniken wie Brainstorming in den Prozessen der Gruppe verwendet werden, ist eine Kreativitätssteigerung zu erwarten, wenn sie nicht durch die üblichen Gruppenprobleme in Koordination und Motivation zunichte gemacht wird. Im positiven Fall erhöhen sich die Anzahl und in geringerem Maße auch die Qualität der kognitiven Stimuli bei der Arbeit in Gruppen, da der Mitarbeiter ständig mit den Denkinhalten Anderer und deren Erfahrungen konfrontiert wird. Diese stellen ein wichtiges assoziatives Potenzial dar, welches das Individuum für weitere Denkprozesse nutzen kann. Hiermit wird deutlich, dass Gruppenkreativität über das schlichte Aggregat von individueller Kreativität hinausgeht. Den größten Vorteil im Vergleich zu Einzelpersonen weisen nach Schlicksupp (1977) Gruppen in der Akkumulation von Wissen auf. Dabei postuliert er, dass je heterogener Wissen verteilt ist, desto vollständiger ein Problem abgedeckt werden kann, womit eine qualitativ und quantitativ verbesserte Lösungsfindung ermöglicht wird. Dieser letzte Punkt ist entscheidend für multikulturelle Teams, was im nachfolgenden Unterkapitel genauer erläutert werden wird. Inwieweit das Potenzial ausgeschöpft wird, hängt von mehreren Voraussetzungen wie z.B. der Koordination und Kommunikation in der Gruppe ab. Relevante Gruppeneigenschaften sind nach Woodman / Sawyer / Griffin (1993 S. 302) beispielsweise Kohäsion (die einen kurvilinearen Zusammenhang mit Kreativität aufweist), Struktur (ob organisch oder mechanistisch) sowie Diversität der Mitglieder. Die Bereitschaft der Gruppe, kreative Lösungen zu erbringen, hängt u.a. vom Vorliegen verschiedener Hierarchieebenen (häufig dominieren übergeordnete Gruppenmitglieder den Prozess ohne Beteiligungsmöglichkeit für die untergeordneten) als auch vom Energieverbrauch im Zuge von Konfliktlösungen und der Form von Diskussionen zur Aufgabenklärung ab. Hinzuzufügen ist als sozialer Einfluss das kreative Klima. Dieses beschreibt die psychologischen Sicherheit bzw. den Ansporn, den ein Individuum verspürt, sich in der Gruppe zu äußern und abweichende Ideen einzubringen. Dies ist am ehesten gewährleistet durch einen kooperativen Führungsstil, durch gute informelle Beziehungen, durch geringen Leistungsdruck und soziale Sicherheit, nicht Kritik oder Repressalien fürchten zu müssen (Schlicksupp 1977). Diese Merkmale beschreiben Vertrauen, welches in Kapitel 6.1.4.1 detailliert erörtert wird. In den bisherigen Ausführungen wurde die Aufgabe bzw. das Problem selbst noch ausgespart. Dies soll nun mit Hilfe von Schlicksupps Einteilung von Elementarproblemen (1977) nachgeholt und im selben Zug jeweils mit dem Vergleich von individueller und Gruppenkreativität ergänzt werden (vgl. Tab. 8). Hinsichtlich des Faktors Analyseprobleme, d.h. der Identifikation und Erklärung von Systemelementen, mag zwar die Koordination in einer Gruppe schwierig sein, aber die Wahrscheinlichkeit, dass durch breiteres Wissen und mehr Augen dies vollständig geschieht, erhöht sich. Ähnlich sieht es bei Suchproblemen aus, d.h. bei der Bewusstwerdung verschiedener Alternativen. Die hierfür nötige Assoziationstätigkeit steigt durch Diskussionen, womit der vorhandene Wissenspool intensiver genutzt und vor108

handene Alternativen erkannt werden können. Konstellationsprobleme erfordern die Reorganisation von Erfahrungsmaterial zum Prozess von Alternativengewinnung. Dies entspricht der zuvor als kreativ definierten Tätigkeit, in der eigene Denkinhalte durch äußere Stimuli aktiviert werden, mit dem Wissen Dritter zu neuen Lösungsmöglichkeiten verbunden werden und eine höhere Originalität als durch ein Individuum alleine geschaffen werden kann. Konsequenzprobleme hingegen benötigen lediglich eine logische Berücksichtigung der bekannten Gesetzmäßigkeiten, um eine Lösung zu erhalten. Ein Auswahlproblem liegt im Rahmen des Problemlösungsprozesses bei der Alternativenauswahl vor, die durch die Anwendung von Kriterien und deren Beurteilung erfolgt. Zwar können in der Gruppe Differenzen über Kriterien bzw. Ziel bestehen; doch unter der Annahme, dass diese geklärt bzw. vorgegeben sind, kann eine Gruppe durch ihre Vielseitigkeit in Anschauungen eine Absicherung hinsichtlich sachrichtiger Entscheidungen darstellen, so lange Fachleute vertreten sind und den Prozess kontrollieren. Darüber hinaus ist natürlich zu vermerken, dass ein gewisser Anteil von Aufgaben gut strukturierte Probleme enthält, die durch die Anwendung von Routinetätigkeiten zu lösen sind und kein besonderes Maß an Kreativität erfordern (Schlicksupp 1977 S. 133). Problemart

Vorteile der Gruppe

Nachteile der Gruppe

Analyseprobleme

x großes ‚Entdeckungspotenzial’ x breites Wissensspektrum

x Gefahr von Auffassungsunterschieden x Schwierigkeit des koordinierten Vorgehens x weitgehende Zielidentität der Mitglieder erforderlich

Suchprobleme

x großer Erfahrungsinhalt x Stimulierung der individuellen Assoziationen

x keine erkennbaren Nachteile

Konstellationsprobleme

x größeres Angebot an Denkinhalten für jeden Einzelnen x originellere Lösungen

x keine erkennbaren Nachteile, solange das kognitive Klima angemessen ist

Konsequenzprobleme

x größeres Wissen über Algorithmen

x Störung der Individuen beim Vollzug diskursiver Denkschritte x setzt lückenlose Informationsübermittlung zwischen den Mitgliedern voraus

Auswahlprobleme

x Tendenz zu objektiv richtigeren Entscheidungen x weniger Widerstand bei der Durchsetzung ausgewählter Alternativen

x Konflikte bei unterschiedlichen Zielvorstellungen der Mitglieder x Gefahr von Dissens und Fehlinterpretationen x langwierig x Gefahr für risikoreichere Entscheidungen

Tab. 8: Vor- und Nachteile der Gruppe bei der Bearbeitung der Elementarprobleme (Schlicksupp 1977 S. 165)

109

5.2.3.2 Kreativität in multikulturellen Arbeitsgruppen Wie in der Beschreibung der Kreativitätsprozesse in der Gruppe ersichtlich geworden ist, stellt die Gruppenarbeit per se ein Potenzial für Kreativität dar. Einerseits können individuelle Wissensvorräte besser genutzt werden, andererseits können neue Ansätze entwickelt werden (Rodermann 1999 S. 19). Durch den Einbezug kulturell diverser Mitglieder tritt die weitere Dimension ‚Kultur’ hinzu, welche die in jeder Gruppe bereits vorhandene Diversität verstärkt (Moran / Harris 1982 S. 33). Speziell im bereits geschilderten Problemlösungsprozess verweisen mehrere Autoren auf den kreativeren Ablauf in multikulturellen Arbeitsgruppen (siehe z.B. Ting-Toomey / Oetzel 2001, DiStefano / Maznevski 2000, Maznevski 1994, Moran / Harris 1982). Durch die höhere Anzahl an unterschiedlichen Problemsichten und Lösungsalternativen wächst im ersten Schritt zwar die Komplexität. Diese wird in der Folge aber rasch abgebaut, und die unterschiedlichen Problemsichten führen zu effizienten Lösungen (Winkler 1993 S. 6). Diesen Ansatz sehen Williams / O’Reilly (1998) im Zusammenhang mit der Informationsund Entscheidungsfindungstheorie, die besagt, dass durch divers zusammengesetzte Arbeitsgruppen grundsätzlich mehr Fertigkeiten, Fähigkeiten, Informationen und Wissensbestände verfügbar und besonders für kognitiv anspruchsvolle Aufgaben wie Innovation oder Lösung komplexer Probleme dienlich sind. Diese Eigenschaft wird damit begründet, dass die Aufgabe bzw. das Problem umfassender betrachtet werden kann und damit eine bessere Grundlage für eine effektive Problemlösung vorhanden ist. Der Austausch in der Gruppe stimuliert die Entwicklung von Ideen und Strategien, an die keines der Mitglieder vorher gedacht hätte. Fehler in individuellen Vorschlägen können erkannt und zurückgewiesen bzw. korrigiert werden (Watson et al. 1998). Durch Diversität wird eine zu hohe Einmütigkeit der Gruppe verhindert, die zuweilen in Gruppendenken münden würde, wie es von Janis (1972) untersucht worden ist: Dann würden keine abweichenden Informationen bei der Problemanalyse oder der Entwicklung bzw. Auswahl von Alternativen herangezogen werden. Andere und eventuell bessere Lösungsmöglichkeiten würden nicht in Betracht gezogen, so dass es zu einer suboptimalen Entscheidung kommt. Die erhöhte Informationslage sehen Williams / O’Reilly zwar vor allem für funktional divers besetzte Teams (also mit Mitgliedern verschiedener beruflicher Hintergründe): Arbeitsbezogene Diversität wie Funktion, berufliche Ausbildung und Unternehmenszugehörigkeit erbringen in Managementteams einen höheren Erfolg (empirisch belegt z.B. durch Simons / Pelled / Smith 1999 und Simons 1995). Dieses Phänomen kann man jedoch auch übertragen auf Arbeitsgruppen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen99, soweit diese Hintergründe für die Aufgabenerfüllung relevant sind und eine Varietät darstellen.100 Empirisch getestet und bestätigt wurde dies durch Watson / Kumar / Michaelsen (1993), in deren Studie kulturell diverse Gruppen im Endergebnis in zwei von vier Kreativitätskriterien besser abschnitten als homogene Gruppen; d.h. sie betrachteten mehr Perspektiven und generierten mehr Alternativen (Problemidentifikation und Lösungsqualität hingegen waren gleich). Im Rahmen einer Felduntersuchung in einer Organisation stellten O’Reilly / Williams / Barsade (1997) eine höhere Kreativität in kulturell diversen Gruppen fest. McLeod / Lobel (1992) überprüften die Kreativität im Brainstorming zwischen kulturell homogenen und heterogenen Gruppen und bestätigten, dass multikulturelle Arbeitsgruppen qualitativ hochwertigere Ideen erbringen (allerdings nicht mehr oder einzig-

99

100

Kultur spielt in der US-amerikanischen Diversitätsforschung eine untergeordnete Rolle. Meist gilt als relevante Diversitätsdimension ‚race’ oder ‚ethnicity’, die sich konzeptuell von „Kultur“ unterscheiden und für das US-amerikanische Umfeld relevantere Aussagen liefern. Daher können Forschungsergebnisse aus den USA nicht ohne weiteres übernommen werden. Die Dimension Kultur ist im Kapitel 2.3.2 dargelegt worden.

110

artigere Ideen). Einen Gegenbeleg liefern Paletz et al. (2003), die bei einem Vergleich von multikulturellen und monokulturellen Gruppen keinen Unterschied in Kreativität auffanden. Andere Autoren wie Kirchmeyer / Cohen (1992) und Elron (1997) beschäftigen sich speziell mit der Entstehung von Kreativität. Ihnen ist es möglich, das Zustandekommen von Kreativität in multikulturellen Arbeitsgruppen durch den sachbezogenen Konflikt zu erklären (issue-based conflict nach Elron 1997 oder konstruktiver Konflikt nach Kirchmeyer / Cohen 1992). Dieser ist im Zusammenhang mit dem Aufgabenkonflikt zu sehen, der im Kapitel 4 ‚Konflikte’ ausführlich dargestellt worden ist. Sachbezogener Konflikt heißt, dass kognitive kulturelle Heterogenität in besseren Ergebnissen im Problemlösungsprozess resultiert, indem divergierende Ansichten verbalisiert und ausgetauscht werden. Die verschiedenen Perspektiven werden gehört und diskutiert. Die Situation wird intensiver analysiert und das Problem genauer identifiziert. Zudem generiert dieser Austausch neue Ideen (Innovation), die aus der Vielzahl der eingebrachten Aspekte genährt werden. Damit werden sowohl mehr als auch bessere Ideen hervorgebracht. Die Lösungen, zu denen sich die Gruppe am Ende des Prozesses entscheidet, sind qualitativ höherwertig, da sie auf einer umfassenderen Informationslage, spezifischeren Problemidentifikation, differenzierteren Analyse und ausgefeilteren Lösungsalternativen basieren (siehe auch DiStefano / Maznevski 2000 S. 45). An dieser Stelle wird die unterschiedliche Auffassung des Konfliktbegriffs deutlich: Nach Elron (1997) ist ein Konflikt auch schon das Zusammentreffen von verschiedenen kognitiven Aspekten ohne tiefer greifende Beeinträchtigung des Konfliktpartners, wie dies in der Definition von Glasl im Kapitel 4.1.1 festgelegt wurde. Tatsächlich ist dieser sachbezogene Konflikt nichts anderes als die Aktivierung der kognitiven Ressourcen der Teammitglieder, um sie für die Gruppenaufgabe zu nutzen. Aus diesem Grunde wurde dieser Synergieform ein eigenes Unterkapitel gewidmet, da sie über das bloße Vorhandensein von Ressourcen, wie als Grundlage im Kapitel 5.2.2 ‚Ressourcenpool’ erwähnt, hinausgeht. Mittlerweile wurden eine Anzahl von Methoden zur strukturierten Entscheidungsfindungstechnik erarbeitet (wie z.B. Teufels Advokat und andere, siehe u.a. Priem / Harrison / Muir 1995, Kirchmeyer / Cohen 1992, Schweiger / Sandberg / Ragan 1986), die darauf hinauslaufen, einen sachbezogenen Konflikt zu provozieren und Gruppendenken zu vermeiden. Dieser ‚positiv gemeinte’ Konflikt funktioniert jedoch nur in Kulturen, in denen direkte Kommunikation praktiziert wird (Schnapper 2003 S. 388), selbst wenn Autoren wie z.B. Kirchmeyer / Cohen (1992) betonen, dass durch eine kollaborative Konfliktbearbeitung (Begriff nach Thomas 1976)101 ebenfalls Personen, die kulturell bedingt wenig durchsetzungsfähig sind, zur Teilnahme angeregt werden. Zu beachten ist zudem, dass mit Zunahme des sachbezogenen Konflikts gleichermaßen der emotionale Konflikt steigt, wie in mehreren Laboruntersuchungen belegt wurde (siehe für eine Übersicht Williams / O’Reilly 1998). Zwar überprüfte eine Studie die Auswirkung dieses emotionalen Konflikts auf die Leistung und stellte keinerlei Zusammenhang fest (Jehn / Northcraft / Neale 1999), doch ist dieser Einzelbeleg noch nicht ausreichend für eine allgemeine Feststellung, dass der emotionale Konflikt hinsichtlich Gruppeneffektivität zu vernachlässigen wäre. Zudem führen McLeod / Lobel (1992) in Anlehnung an Triandis / Hall / Ewen (1965) an, dass kulturelle Heterogenität geringe Kreativität bewirkt, wenn die Gruppenmitglieder in ihren Fähigkeiten nicht zusammenpassen oder sich nicht gut kennen. Wie Gruenfeld et al. (1996) empirisch zeigen, müssen sich als Voraussetzung die Mitglieder ausreichend vertraut sein, damit sie sich gegenseitig Informationen mitteilen und auch hören wollen. Des Weiteren besteht nach Ansicht von Richard et al. (2004), Williams / O’Reilly (1998) und McLeod / Lobel (1992) ein kurvilinearer Zusammenhang zwischen Diversität und Leistung: Zu wenig Diversität reicht nicht aus für eine leistungsfördernde Varietät, zu viel führt zu Kommunikationsproblemen und Konflikt. Allerdings ist nach den Autoren ein optimaler Grad von Diversität 101

Siehe Kapitel 4.1.4 ‚Der Umgang mit Konflikten’.

111

nicht bekannt und die Kurvilinearität bisher auch nicht empirisch belegt. Es ist allerdings weniger die Anzahl der verschiedenen Kulturen relevant als z.B. Mehrheit-Minderheit-Verhältnisse und ähnliche Phänomene, die die Kundgebung und Weiterverwendung von Ideen aller Teammitglieder bestimmen. So nennt Stacey (1996) folgende Voraussetzungen für Kreativität: Es muss neben den Unterschieden sowohl echter Dialog herrschen als auch Wettbewerb in Ideen. Um dies in kreative und konstruktive Bahnen zu lenken, ist ein Wir-Gefühl mit einer gemeinsamen Basis zu schaffen (vgl. auch Maznevski 1994 S. 537). Ting-Toomey / Oetzel (2001) sehen als notwendige Bedingungen die Offenheit und das commitment der Mitglieder, Geduld und Zeit aller Beteiligter sowie eine ausreichende Sensibilität für kulturelle Unterschiede und Sichtweisen. Hier sind grundlegend die Einstellung zu Diversität und der Grad an Ethnozentrismus der Gruppenmitglieder in Betracht zu ziehen:102 Werden Unterschiede, gerade in Form abweichender Meinungen, nicht als Chance anerkannt bzw. gar als minderwertig abgetan, fehlt die Basis für einen kreativen Austausch. Abschließend soll kritisch angemerkt werden, dass Kreativität nicht stehen bleiben darf bei der Generierung von Ideen und der Findung einer Entscheidung – die Entscheidung muss in gleichem Maße implementiert werden. In diesem Zusammenhang gibt es nach Williams / O’Reilly (1998) Hinweise, dass multikulturelle Arbeitsgruppen bei der Implementierung sowohl langsamer (Hambrick / Cho / Chen 1996) als auch weniger kohäsiv (Ancona / Caldwell 1992) sind. Ebenso dieses Kapitel soll mit der Formulierung der Arbeitshypothesen als Abstrakt der bisherigen Ausführungen geschlossen werden. Als Voraussetzung ist an erster Stelle zu nennen, dass Diversität als Ressource gesehen wird. Dies wurde als negativer Zusammenhang bereits unter Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’ formuliert; daher wird hier die Arbeitshypothese iK0Pe 1 wiederholt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 1: Die Aufgabe der Arbeitsgruppe bestimmt die Notwendigkeit und die Entstehung von Kreativität in der multikulturellen Arbeitsgruppe. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 3: Die Gruppenmitglieder sind in der Lage, sachbezogenen von affektivem Konflikt zu unterscheiden. Arbeitshypothese Prozess iS0P 3: Die multikulturelle Besetzung regt den sachbezogenen Konflikt an, der sich in erhöhtem Austausch und Nutzung der Ressourcen und somit vermehrter Kreativität niederschlägt. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 3: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team.

5.2.4

Lernen

5.2.4.1 Ein Überblick über Lerntheorien Um die Lernprozesse und -ergebnisse in multikulturellen Arbeitsgruppen in Kontext zu analysieren, ist es nötig, zunächst auf die einzelnen Theorien hinzuweisen, die Lernen zu erklären versuchen. Hierzu wird auf die allgemein gängige Einteilung in Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus zurückgegriffen.

102

Vgl. Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’.

112

Theorien der ersteren Strömung, des Behaviorismus, sind bekannt durch das stimulus response modell (SR), das Reiz und Verhalten in Beziehung setzt, wobei das menschliche Gehirn als black box behandelt wird. Reaktives Lernen vollzieht sich anhand unmittelbarer eigener Erfahrung; Lernerfolg wird mit Handlungserfolg gleichgesetzt (vgl. Wiegand 1996). Bekannte Vertreter dieser Richtung sind Pawlow (1972) mit der klassischen Konditionierung und Skinner (1973) mit der operanten Konditionierung. Das inhärente Problem dieser Theorien liegt darin, dass die Übertragung von Gelerntem auf neue Situationen nicht erklärt wird (Faulstich 1998 S. 67f). Sie beschränken sich eher auf das Erlernen von simplen Vorgängen wie z.B. die Ausübung einfacher motorischer Tätigkeiten. Die kognitive Wende in der Psychologie Anfang der 60er Jahre103 veranlasste eine stärkere Hinwendung zu den eigentlichen Lernprozessen und zum Aufbrechen der black box. So versucht der Kognitivismus anhand des stimulus organism response model (SOR) die Wissensaufnahme, -verarbeitung und -speicherung zu erklären. Es wird unterschieden nach dem Lernprozess und der Ausführung des Gelernten. Das Individuum erstellt ein mentales Schema und wählt die am meisten erfolgsversprechende Alternative in einer Handlungssituation (vgl. Wiegand 1996). Wichtige Autoren neben Bandura (1979) und der sozial-kognitiven Lerntheorie sind Köhler (1963) mit seinem Lernen durch Einsicht und Piaget (Piaget / Inhelder 1972) mit dem Entwicklungsstufenmodell, das bereits den Weg für den nachfolgenden Konstruktivismus aufzeigte. Der Kognitivismus vermag jedoch nicht die Schaffung von neuem Wissen erklären, sondern basiert nach wie vor auf reaktivem Lernen. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass Wissen vom Individuum konstruiert wird, d.h. vorhandenes Wissen wird durch Lernen reorganisiert und erweitert. Damit wird Wissen vom Individuum selbst generiert und ist nicht von extern zuführbar. Der Nutzen dieser Theorie liegt in der Erklärung, warum ein Individuum auch in einer neuen Situation erfolgreich handeln kann. Relevant bei der Konstruktion sind persönliche Überzeugungen, die soziale Gemeinschaft und die Situation selbst, womit deutlich wird, dass der Lernprozess individuell sehr stark variieren kann. Metakognitive Fertigkeiten sind entscheidend für die Kontrolle und Reflexion des eigenen Lernens (vgl. Horz 2005). Subströmungen dieser Theorie sind der radikale Konstruktivismus (z.B. Foerster / Glasersfeld 1997) und der soziale Konstruktivismus (z.B. Gergen 1985). Unter den genannten Lerntheorien erscheint der Konstruktivismus durch den Einbezug von Erfahrungslernen, Reflexion und Motivation als die geeignete Grundlage für die weiteren Ausführungen zu Lernen in der Organisation und in multikulturellen Arbeitsgruppen, da gerade er die Konstruktion und Übertragbarkeit von Wissen auf unbekannte Situationen fokussiert.

5.2.4.2 Modell der Wissensschaffung bei Individuum, Gruppe und Organisation Wie im Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’ erörtert, begegnen sich in einer multikulturellen Arbeitsgruppe Mitarbeiter mit divergierenden Perspektiven, Wissensbeständen und Arbeitsweisen, die sich gegenseitig befruchten. Einerseits kann dieses Zusammenspiel der ad hoc-Nutzung für ein spezifisches Problem dienen, andererseits kann über den kurzzeitigen Rahmen hinweg Lernen erfolgen (Welge / Holtbrügge 2001). Durch den Austausch ist gegenseitiges Wachstum und Entwicklung möglich (Moran / Harris 1982 S. 107), was auf der Ebene des Individuums, der Gruppe oder der Organisation vonstatten gehen kann. Nonaka / Takeuchi (1997) präsentieren ein Modell, das die Wissensschaffung auf diesen Ebenen erläutert und sich besonders für die Erklärung von Wissensübertragung in multikulturellen Teams eignet, da es nach explizitem und implizitem Wissen unterscheidet. Explizites 103

Vgl. hinsichtlich dieser Tendenz auch die Entwicklung der kognitiven Theorien zu Stereotypen, wie in Kapitel 4.2.7.2 erläutert.

113

Wissen ist durch formale Methoden kodifizierbar, dokumentierbar (z.B. in Datenbanken) und über Medien transferierbar (z.B. über elektronische Medien). Nach den japanischen Autoren wird diese Wissensform in der westlichen Managementtradition stark betont, doch sie erachten es nur als Spitze des Eisbergs. Denn ausschlaggebend ist zusätzlich das implizite Wissen, das im Individuum verankert und nur schwer identifizierbar, artikulierbar und damit vermittelbar ist. Im Gegensatz zum expliziten Wissen ist es nicht systematisch bearbeitbar. Implizites Wissen liegt in zwei Dimensionen vor: einerseits das technische, das Tätigkeiten zugrunde liegt und durch andauernde Ausübung erlernt wurde, und andererseits das kognitive Wissen, das mentale Modelle umschließt, die tief verwurzelt und selbstverständlich sind. Diese zwei Arten nun in explizites Wissen umzuwandeln, ist eine Form der Wissensschaffung und sollte in der Organisation angestrebt werden. Darüber hinaus sind noch drei weitere Lernprozesse relevant, die sich zwischen Einheiten auf den verschiedenen Ebenen Individuum, Gruppe und Organisation abspielen. Angesprochen wurde bisher die Externalisierung, die Umwandlung von implizitem zu explizitem Wissen, die nach den Autoren konzeptuelles Wissen ergibt. Des Weiteren ist als Gegenstück die Internalisierung zu nennen, die zu operativem Wissen führt. Der Austausch von explizitem Wissen nennt sich Kombination, resultierend in systemischem Wissen. Der Austausch von implizitem Wissen durch gemeinsame Erfahrungen bezeichnen Nonaka / Takeuchi als Sozialisation, wohl anlehnend an den Prozess, den Heranwachsende in einer Gesellschaft durchlaufen. Das Ergebnis ist sympathetisches Wissen, das sich in gemeinsamen mentalen Modellen und geteilten Fertigkeiten ausdrückt. Wissensform explizites Wissen

Externalisierung Kombination

Sozialisierung

implizites Wissen

Internalisierung

Wissensebene Individuum

Gruppe

Unternehmen

Abb. 17: Die Spirale der Wissensschaffung (Nonaka / Takeuchi (1997 S. 87) Diese vier Prozesse wirken nach Nonaka / Takeuchi zusammen und ergeben in mehreren Schritten die ‚Spirale der Wissensschaffung’ (vgl. Abb. 17). Damit kann Innovation entstehen, wenn sich implizites und explizites Wissen gegenseitig auf dem Weg durch die Ebenen anreichern. Allerdings merken die Autoren an, dass es nicht lediglich um das Anhäufen von Daten geht, sondern dass Innovation eine Selbsterneuerung sowohl der Mitarbeiter als auch 114

des Unternehmens bedeutet und kontinuierlich stattfindet. Und nur durch intensive Interaktion kann Wissen ausgetauscht, internalisiert bzw. externalisiert, übersetzt und angereichert werden. Zwar geht neues Wissen vom Individuum aus, indem es dort generiert wird. Aber als solches wird es erst in der Interaktion in einer Gruppe über Dialog, Diskussion und Erfahrungsaustausch erkannt, wo es die verschiedenen Prozesse anstößt.

5.2.4.3 Lernen in und durch multikulturelle Arbeitsgruppen Betrachtet man nun multikulturelle Arbeitsgruppen unter dem Lernaspekt, tritt gerade im Aufeinandertreffen von verschiedenem kulturellen Wissen104 die Relevanz des impliziten Wissens hervor (Welge / Holtbrügge 2001 S. 185). Unter gewissen, in Kapitel 5.2.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’ genauer definierten Voraussetzungen, lernt der Manager oder Mitarbeiter in der Interaktion mit anderskulturellen Personen die kulturellen Hintergründe kennen. Auf Gruppenebene entsteht eine gemeinsame Wissensbasis im Sinn der Sozialisation nach dem Modell von Nonaka / Takeuchi (1997). Schaffen es die Akteure, dieses implizite Wissen zu verbalisieren und eventuell sogar schriftlich festzuhalten, vollzieht sich Externalisierung. Dies ist besonders relevant für Landeskenntnisse zu Kunden, Wettbewerbern, Lieferanten, Partnern, Behörden, rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen und schließlich auch kulturellen Besonderheiten, welche die Mitarbeiter aus ihren Heimatregionen mitbringen (u.a. Welge / Holtbrügge 2001 S. 189). Je nach Aufgabe des Teams kann dieses Wissen für den Teamerfolg zu Buche schlagen, so besonders z.B. bei Kenntnissen über Verbrauchergewohnheiten für eine Marketingaufgabe. Dies wird noch einmal aufgegriffen im Kapitel 5.2.7 ‚Marktnähe’. Nehmen die Beteiligten Wissen auf, um es selbst anzuwenden, findet Internalisierung statt. Kombination ist vor allem zu sehen, wenn neben der Kultur zudem funktionaler und beruflicher Hintergrund variiert, über den explizit gesprochen werden kann, und wenn in Folge Wissensanreicherung entsteht. So mögen beispielsweise neue Arbeitsmethoden hinzugelernt werden, die für manche Probleme oder Aufgaben möglicherweise besser geeignet sind als die altbekannten. Auf Gruppenebene erfolgt neben Austausch ebenfalls Anreicherung und Weiterentwicklung von Wissen. Es kann ein Überdenken von Aufgaben, Märkten, Produkten, Strategien, Missionen und Geschäftspraktiken stattfinden (Sepehri 2002 S. 149), und in der innovativen Weiterentwicklung können neue Lösungen generiert werden. In diesem Sinne sind die Ausführungen im Kapitel 5.2.3 ‚Kreativität’ zu verstehen. Zusätzlich bedeutet die erhöhte Fähigkeit, effektiv mit Wissen umzugehen, einen Vorteil hinsichtlich Änderungs- und Anpassungsbedarf: Ständig wechselnde Umweltbedingungen erfordern eine anhaltende Lernbereitschaft und -fähigkeit der Gruppe, die sich aus dem eben beschriebenen Prozess nähren kann. (Kulturelle) Diversität ist also in gleichem Maße eine Ressource für adaptive change (Ely / Thomas 2001 S. 234). Wie Lehmann / van den Bergh (2004) zeigen, ergibt sich in multikulturellen Teams mehr Bereitschaft, Andersartigkeit zu akzeptieren und sich auf Veränderungen einzustellen. Riise (2000) belegt in einer Studie zu organisationalem Lernen, dass Diversität Lernen fördert, wenn sie richtig durch die Organisation behandelt wird. Insbesondere der Einsatz multikultureller Teams fördert die Lernkapazität der Organisation und ihre Reaktionsmöglichkeit auf Umweltveränderungen. Analog bestehen Vorteile für den einzelnen Mitarbeiter: Er kann implizit und explizit von den Methoden und der Expertise seiner Kollegen lernen. Der Mitarbeiter erweitert durch Vergrößerung und Weiterentwicklung seines Repertoires auf diese Weise seinen fachlichen Horizont. Auch im Bereich der soft skills und der Persönlichkeitsentwicklung ist eine Verbesserung zu erwarten, die für Mitglieder multikultureller Arbeitsgruppen durch den Umgang mit 104

Kulturelles Wissen ist nach Sackmann (2001 S. 144) die kognitive Basis, auf die sich Grundannahmen, Werte und Verhalten stützen.

115

Andersartigkeit und für Expatriates durch das Leben und Arbeiten im Ausland eintritt. Einen großen Anteil davon macht das interkulturelle Lernen aus (Ely / Thomas 2001 S. 265), dem in einem gesonderten Kapitel 5.2.5 nachgegangen wird. In Form eines Wissenstransfers kann die Gruppe der Organisation dienen (Wiegand 1996 S. 388). Somit tritt organisationales Lernen ein, das aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln bereits untersucht wurde. Shrivastava (1983) teilt die Perspektiven in folgende Kategorien ein (die jeweils genannten Autoren dienen als Beispiele): x Organisationales Lernen als Anpassung (Cyert / March 1963) x Organisationales Lernen als das Teilen von Annahmen (Argyris / Schön 1978) x Organisationales Lernen als Entwicklung von Wissen über Beziehungen von Handlungsergebnissen (wissensbasierte Ansätze) (Duncan / Weiss 1979) x Organisationales Lernen als institutionalisierte Erfahrung (Ansätze zu Lern- und Erfahrungskurven) (Henderson 1984) Die Organisation kann auf verschiedenen Ebenen von Lernfortschritten der Teams profitieren. Einerseits entwickeln sich ihre Mitarbeiter – wie gerade kurz dargelegt – sowie ihre Arbeitsgruppen fort und liefern bessere Leistung. Andererseits kann die Organisation von der Wissensschaffung und -übertragung auf andere Unternehmensbereiche weiteren Nutzen generieren, so z.B. über die Institutionalisierung von Wissenssystemen (Cerny 1996 S. 27). Denn nicht nur die Arbeitsgruppe, sondern auch die Unternehmung steht unter ständigem Anpassungsdruck, der sich aus dem globalisierten Wettbewerb mit einer sich ständig verändernden Umwelt ergibt. Nach Wiegand (1996 S. 462) ergeben die Lernprozesse zwei mögliche Konsequenzen: Entweder werden sich Organisationen immer ähnlicher, da jede immer mehr Wissen anhäuft, bis alle denselben Stand erreicht haben. Oder sie werden immer ungleicher, da Lernen in die Entwicklung bzw. Verstärkung von Kernkompetenzen mündet. Die zweite Annahme wird im Weiteren verfolgt, da, wie durch die Ausführungen im Konstruktivismus gezeigt wurde, Lernprozesse je nach Akteur und Situation anders ablaufen und nicht dieselben Ergebnisse liefern. Kernkompetenzen sind nach dem ressourcenorientiertem Ansatz nicht wieder verkäufliche Investitionen (sunk costs), die als Quelle für komparative Kostenvorteile dienen können, da sie einzigartiges Wissen umfassen, v.a. implizites Wissen. Dieses implizite Wissen ist Ergebnis von kollektivem Lernen und starker Interaktion, das sich durch Gebrauch anreichert (und nicht abnutzt wie andere Investitionsgüter) (vgl. Wiegand 1996). Im Zusammenhang mit Diversität zeichnet sich eine lernende Organisation dadurch aus, dass sie und ihre Mitarbeiter Diversität als Ressource einschätzen (vgl. wiederum also niedrigen Ethnozentrismus als Voraussetzung), aus ihr Nutzen ziehen und Lernen auf allen Ebenen fördern (vgl. Riise 2000). Um noch einmal speziell die Relevanz der kulturellen Diversität in diesem Prozess zu verdeutlichen, sei die Kreativitätsforschung herangezogen, die behauptet, dass mehr von Leuten gelernt werden kann, die anders sind, als von solchen, die ähnlich sind (Sternberg / Lubart 1995 zitiert in Ting-Toomey / Oetzel 2001 S. 4), denn durch die Wahrnehmung von Unterschieden wird Lernen angeregt (Welge / Holtbrügge 2003). Vor dem Hintergrund der Diversitätsforschung identifiziert Sepehri (2002) die Lern- und Effektivitätsperspektive, welche Diversität als positiv erachtet, da sie verwendet werden kann, um voneinander zu lernen und sich damit neue Perspektiven zu erschließen, die der Aufgabenerfüllung und Zielerreichung zuträglich sind. Darüber hinaus fördert die Wertschätzung des Mitarbeiters und seiner kulturellen Ressourcen dessen Wohlbefinden, wie es Ely / Thomas (2001) belegen.105 Dies leistet einen Beitrag zur Integration der kulturell diversen Belegschaft im Sinne 105

Diese Form der Wertschätzung kann sich auch auf kulturspezifische Stärken und auf landesspezifische Kenntnisse beziehen, die in den Kapitel 5.2.7 ‚Marktnähe’ erläutert wird. Um Redundanzen zu verringern, wird diese Auswirkung dort nicht mehr wiederholt.

116

interner Internationalität. Zudem gewinnt das Unternehmen an externer Internationalität hinzu, was sich außerhalb des unternehmerischen Erfolges als positives Image bei Kunden und der breiteren Öffentlichkeit oder schließlich auch in der Rekrutierung neuer Talente bewährt (Canney Davison / Ward 1999 S. 16). Als Abschluss dieses Kapitels sollen die ersten empirischen Studien, die im kulturell diversen Umfeld Ergebnisse hinsichtlich Lernen erbrachten, etwas detaillierter vorgestellt und mit dem Lernmodell von Nonaka / Takeuchi (1997) in Bezug gebracht werden. Ely / Thomas führten eine umfassende Feldstudie durch, die obige Ausführungen bestätigt: „Cultural differences give rise to different life experiences, knowledge, and insights, which can inform alternative views about work and how best to accomplish it“ (2001 S. 265). Später konzentrierten sich dieselben Autoren auf die Teamebene und replizierten ihre Ergebnisse (Ely / Thomas 2003). Dabei definieren sie Teamlernen als „team members’ activities that enable the team to obtain and process information that increases the team’s range of potential behaviors“ (Ely / Thomas 2003 S. 7). Die Einsichten, Fertigkeiten und Erfahrungen, welche die Mitarbeiter als Mitglieder ihrer verschiedenen kulturellen Gruppen einbringen, stellen nach der Meinung der Autoren eine wertvolle Grundlage dar. In der Diskussion werden divergierende Ansichten angeführt, identifiziert und als Möglichkeit für Lernen erkannt. In ihren Studien haben die Autoren eine Anzahl von besonderen Bedingungen hierfür identifiziert: Als zentrale Einsicht muss kulturelle Diversität von den Beteiligten als Ressource verstanden werden. Als nächsten Schritt muss der Analyse der vorliegenden Diversität Zeit gewidmet werden, denn die unterschiedlichen Sichtweisen sind zu erforschen und auf ihre Tauglichkeit für die Arbeit zu überprüfen. Dieser Austausch ist in den normalen Prozessen zu verankern, genauso wie eine enge Interaktion zwischen den kulturell diversen Mitarbeitern ermöglicht werden muss.106 Die Mitarbeiter dürfen sich nicht vor Unterschieden und ihren negativen Konsequenzen fürchten, sondern sollen lernen, mit ihnen offen umzugehen und diese zu besprechen. Zudem muss die Bereitschaft da sein, von Anderen zu lernen; hier reicht nicht aus, sich gelegentlich zur Unterhaltung kulturelle Belanglosigkeiten anzuhören, sondern kulturelles Wissen ist als Baustein zu verinnerlichen und anzuwenden. Neue Mitglieder und Angehörige von Minderheiten müssen in der Lage sein, sich ebenso einzubringen. Als Ergänzung hinsichtlich notwendiger Voraussetzungen ist anzubringen, dass das Unternehmen die Plattform zu bieten hat, in der Lernen stattfinden kann, einerseits durch die zeitliche und technische Ermöglichung von Kontakt und Austausch, aber auch durch die psychologische Sicherheit, welche Individuen (Angehörige von Minderheiten und Mehrheiten gleichermaßen) benötigen, wenn sie sich öffnen und sich selbst reflektieren sollen. Psychologische Sicherheit ist insbesondere auf Teamebene zu schaffen, und kann dort vor allem durch den Aufbau von Vertrauen sichergestellt werden.107 Denn Lernen bedeutet für den Lernenden, eigene Wissenslücken und den Wissensvorteil des Teamkollegen anzuerkennen, um das Wissen des anderen zu glauben und zu übernehmen. Der Teamkollege mit dem Wissensvorsprung muss gleichermaßen bereit sein, sein Wissen zu teilen (vgl. Griffith / Neale 2001 S. 382). Als Ergebnis dieses Lernprozesses, der im Sinne Nonaka / Takeuchis (1997) Elemente von implizitem und explizitem Wissen sowie Austausch und Innovation durch Interaktion und Weiterentwicklung aufweist, stellten Ely / Thomas (2001, 2003) in ihrer Fallstudie Folgendes fest: Die Beteiligten lernten, ihre Arbeit anders zu erkennen und zu rekonfigurieren, d.h. sie überdachten kontinuierlich ihre Aufgaben und Prozesse. Zudem wurde das Wissen der Einzelnen erhöht, sie haben ebenfalls fachlich gelernt. Persönliche Entwicklung und interkulturelles Lernen konnten ebenfalls festgestellt werden. Zudem fühlten sich die Mitarbeiter sowohl geschätzt und respektiert als auch als kompetent erachtet. Die Arbeit verbesserte sich 106 107

Hierauf wird bei der Erläuterung der Kontakthypothese noch genauer eingegangen (Kapitel 5.2.5.2 ‚Theorien zum interkulturellen Lernen’). Vgl. Kapitel 6.1.4.2 ‚Aufbau von Vertrauen’.

117

nach den Aussagen der Beteiligten, und die Unternehmung konnte durch den Einbezug kulturell diverser Mitarbeiter neue Kunden (nämlich aus den kulturellen Gruppen der jeweiligen Mitarbeiter) hinzugewinnen. Schließlich förderte dies das Image nach außen, v.a. unter Minderheitsgruppen innerhalb der Gesellschaft. Nach Ely und Thomas war dies nur durch die besondere Perspektive („integration and learning perspective“) auf Diversität möglich; Organisationen, die kulturell andere Mitarbeiter nach dem Fairnessansatz behandelten („discrimination and fairness perspective“, also gleiche Rechte lediglich auf Grund einer moralischen Verpflichtung gewährleisteten), oder die diese nur zur Nutzung des Zugangs zu kulturell anderen Märkten einsetzten („access and legitimacy perspective“), konnten in der Summe nicht die gleichen Vorteile generieren. Zusammenfassend sollen die Hauptaussagen in Arbeitshypothesen überführt werden, wobei die erste Arbeitshypothese bereits aus dem Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’ und den bisherigen Synergieformen bekannt ist – sie ist als Grundlage auch für diese Synergieform zu sehen: Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft und Offenheit auf. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Arbeitshypothese Prozess iS0P 4: Durch die multikulturelle Besetzung kommt es durch Externalisierung, Internalisierung, Sozialisierung und Kombination zum Austausch und zur Weiterentwicklung von Wissen: Die Gruppenmitglieder lernen. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 4: Das Team kann durch erhöhtes Wissen seinen Aufgaben besser nachgehen. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iS0O 5: Durch die Anerkennung und Nutzung des Wissens anderskultureller Mitarbeiter wird deren Zufriedenheit gesteigert. Anmerkungen: Die Auswirkungen auf die Organisationsebene werden nicht ins Gruppenmodell integriert.

5.2.5

Entwicklung von interkultureller Kompetenz

5.2.5.1 Interkulturelle Kompetenz: Definition und Bestandteile Die Entwicklung von interkultureller Kompetenz als interkulturelles Lernen stellt einen spezifischen Bereich von Lernen dar, soll jedoch auf Grund seiner hohen Relevanz in multikulturellen Arbeitsgruppen als gesondertes Kapitel besprochen werden. Es gibt keine einheitliche Definition von interkultureller Kompetenz in der Literatur (Meyer 2004 S. 131). Um trotzdem einen möglichst umfassenden Einblick zu verschaffen, seien die wesentlichen in der Forschungsliteratur erarbeiteten Merkmale und Bestandteile interkultureller Kompetenz herausgegriffen. Die nachfolgenden Erörterungen bauen auf den kurzen Einführungen zum Thema interkulturelle Kompetenz in Kapitel 3.2.3 ‚Individuen’ auf. Wie Wiseman feststellt, gleichen sich die meisten Definitionen darin, dass interkulturelle Kompetenz in interkulturellen Kontaktsituationen zu ‚angemessenem’ und ‚effektivem’ Verhalten führt (2002 S. 209). Angemessen bedeutet in diesem Sinne, der Beziehung zum Interaktionspartner und dessen Anforderungen gerecht zu werden. Effektiv meint, das gewünschte Ergebnis zu erreichen (vgl. auch Meyer 2004 S. 131).108 108

Dieser auf Effektivität fokussierende Ansatz kann kritisiert insofern werden, dass interkulturelle Kompetenz zur Verfolgung eigener Interessen instrumentalisiert wird. Daher sehen Wissenschaftler des Gegenpols

118

Der Weg zur Erlangung interkultureller Kompetenz wird jedoch ganz unterschiedlich beschrieben. Erste Ansätze in der interkulturellen Kompetenzforschung versuchten durch empirische Untersuchungen besondere Eigenschaften von im Ausland erfolgreichen Personen zu erfassen und zu erläutern. Inzwischen ist die Forschung zu explikativen Ansätzen übergegangen, die interkulturelle Kompetenz in ihrer Wirkungsweise zu erklären streben. Hierzu existieren inzwischen relativ komplexe Modelle, die interkulturelle Kompetenz in drei Bestandteile zerlegen. Zu den ersten Autoren zählen Spitzberg / Cupach (1989), die Wissen, Motivation und Fertigkeiten als zentrale Elemente identifizieren. Ihnen schlossen sich viele weitere an (siehe z.B. Wiseman 2002, Ting-Toomey 1999, Stüdlein 1997, Bittner / Reisch 1994, Gudykunst / Kim 1992), so dass nun als allgemeine Bestandteile meist die kognitive, affektive und konative (verhaltensbezogene) Dimension genannt werden. Wissen über Kulturphänomen Wissen über fremde Kultur

Kognition

Wissen über eigene Kultur Angemessenheit

Wertschätzung Motivation

Affekt

Interkulturelle Kompetenz

Unvoreingenommenheit Effektivität Sprache Nonverbale Kommunikation

Konation

Selbstöffnung

Abb. 18: Schematisches Modell zur interkulturellen Kompetenz (Meyer 2004 S. 134) Die kognitive Dimension erklärt die Fähigkeit einer Person, eine andere Kultur zu begreifen. Dies beinhaltet Wissen über die fremde Kultur (kulturspezifische Information), Wissen über die Wirkungsweise des Phänomens Kultur (kulturallgemeine Information) sowie Wissen über die eigene Kultur, um einerseits vergleichen, andererseits Bezug nehmen zu können. Damit wird ein kognitives Kategoriensystem aufgebaut, das der Speicherung und vor allem Orientierung dient. Meyer (2004) verweist darauf, dass hierbei das Erkennen der (eigen)kulturellen Prägung Grundlage ist; doch m.E. ist dies nicht ein rein kognitives Bewusstsein, sondern auch stark emotional verankert, womit die nächste Dimension bereits angesprochen ist: interkulturelle Kompetenz stärker mit dem Ziel der menschlichen Weiterentwicklung verknüpft (vgl. Rathje 2006).

119

Die affektive Dimension beschreibt die Fähigkeit, Menschen anderer Kulturen zu akzeptieren und wert zu schätzen. Spitzberg / Cupach (1989) sehen diese Dimension hauptsächlich als Motivation, doch tatsächlich umschließt sie eher ein Konglomerat an Faktoren, wie Gefühle, Absichten, Bedürfnisse, Einstellungen etc. Die Gemeinsamkeit liegt in der Erkenntnis, dass sowohl der Wunsch als auch die emotionale Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, Hand in Hand gehen müssen mit der rein kognitiven Dimension, dem Wissen über Unterschiede und kulturelle Prägung. Die konative Dimension beinhaltet die Fähigkeit, bestimmtes Verhalten zu produzieren. Zum einen muss der Akteur verbal dazu in der Lage sein, das heißt, er muss die Sprache beherrschen, andererseits muss er über das kulturspezifische Repertoire nonverbaler Handlungsweisen verfügen, bzw. sich diese zeitnah erschließen können. Hierzu ist ein gewisser Grad an Flexibilität und Selbstöffnung von Nöten (vgl. Meyer 2004, Gudykunst / Kim 1992). Meyer (2004) integriert in Anlehnung an Müller / Gelbrich (1999) die Bestandteile der interkulturellen Kompetenz (die so genannten Strukturdimensionen) in ein schematisches Modell, in dem ebenso die Teilfaktoren der Strukturdimensionen sowie die Wirkung auf die Außenkriterien eingebunden sind. Sein Schema wird in der Abbildung 18 übernommen, wobei die Teilfaktoren exemplarisch und analog der obigen Ausführungen angegeben werden.

Abb. 19: Handlungskompetenz in interkulturellen Zusammenhängen (Bolten 2003 S. 88) Einige andere Wissenschaftler setzen interkulturelle Kompetenz in Zusammenhang mit weiteren Kompetenzen, um zu verdeutlichen, dass interkulturelle Kompetenz nicht losgelöst, sondern nur in Verbindung mit anderen Kompetenzen entstehen und wirken kann. So sieht Bolten interkulturelle Kompetenz als die „Fähigkeit, individuelle, soziale, fachliche und stra120

tegische Teilkompetenzen in ihrer bestmöglichen Verknüpfung auf interkulturelle Handlungskontexte beziehen zu können [...]. In dieser Transferleistung, die eigen- und fremdkulturelles Wissen ebenso einbezieht wie beispielsweise vorangegangene interkulturelle Erfahrungen, besteht folglich auch der qualitative Unterschied zwischen sozialer Handlungskompetenz und interkultureller sozialer Handlungskompetenz“ (2003 S. 87). Die Abbildung 18 veranschaulicht den Zusammenhang zwischen Fachkompetenz, strategischer Kompetenz, sozialer und individueller Kompetenz109 inklusive ihrer Teilfaktoren, die für interkulturelle Kontakte v.a. im Geschäftsbereich relevant sind. Zwar wird in der Fachliteratur durchwegs von persönlichen Dispositionen gesprochen, die interkulturelle Kompetenz ausmachen, dennoch herrscht Konsens darüber, dass interkulturelle Kompetenz erlernbar ist. Dieser Kompetenzerwerb vollzieht sich im Prozess des interkulturellen Lernens, wozu es verschiedene interessante Theorien gibt, die im folgenden Kapitel eingehend erläutert werden.

5.2.5.2 Theorien zum interkulturellen Lernen Interkulturelles Lernen ist einschlägig belegt durch einen eigenen Forschungsbereich in der Erziehungswissenschaft, der sich intensiv mit Lernen im Klassenzimmer, also unter Schülern verschiedener (oder auch gleicher) kultureller Abstammung, auseinandersetzt. Für die folgende Erörterung sollen jedoch jene interkulturellen Lerntheorien herausgegriffen werden, die in einem weiteren Rahmen eingesetzt werden können und vor allem aus der Sozialpsychologie stammen. Hier ist relevant zu erfahren, wie interkulturelle Kompetenz von Managern und Mitarbeitern in Unternehmen erlangt werden kann. Auch wenn die Theorie des Kulturschocks umstritten ist, ist sie eine der bekanntesten und soll an dieser Stelle kritisch dargelegt werden (vgl. beispielsweise Hofstede 1991 S. 209ff, Kim 1991, Thomas / Hagemann / Stumpf 2003 S. 241f oder als Kritiker Shames 1997 S. 1ff). Zurückzuführen ist der Begriff Kulturschock auf Oberg, der bereits 1954 vier Phasen der interkulturellen Erfahrung identifiziert: So durchläuft eine Person während eines Auslandsaufenthalts nach der Phase der Euphorie, in der Umgebung und Mitmenschen neu und spannend sind, den Kulturschock, in dem sie kulturelle Unterschiede erkennt und als Angriff auf die eigenen Maßstäbe und die eigene Identität versteht. Anderskulturelle Werte, Denk- und Verhaltensweisen lehnt sie ab; Ethnozentrismus ist hoch. Erst durch das kognitive und emotionale Begreifen der Andersartigkeit als eine den dortigen Umständen angemessene Form können die anderskulturellen Verhaltensweisen ins eigene Repertoire aufgenommen und später die dahinter liegenden Werte internalisiert werden (Akkulturation), so dass die Person im Ergebnis sowohl in der eigenen als auch der anderen Kultur erfolgreich interagieren kann (stabile Phase). Die Schwankungen des psychischen Befindens während dieser Zeit werden gerne auf einem Graphen wie in Abbildung 20 abgebildet. Kritisch anzumerken ist die rigide und pauschale Vierphaseneinteilung. Denn es ist anzunehmen, dass je nach den Umständen, angefangen von der Bereitschaft, der Persönlichkeit110 und der eventuell bereits zu Beginn vorhandenen interkulturellen Kompetenz des Akteurs, bis hin zum Kontext wie Intensität des Kontakts, externe Unterstützung und Ziel des Auslandsaufenthalts der Lern- bzw. Anpassungsprozess andersartig verläuft. So ist ebenfalls ein iterativer Prozess denkbar, je nach den Ereignissen, denen sich die Person zu stellen hat. Dies kann auch beeinflussen, wie einschneidend die einzelnen Phasen eintreten, d.h. mit welcher emotionalen Intensität, und ob es überhaupt eine Periode gibt, die vom Akteur als negativ empfunden wird. Ob die idealtypisch erfolgreiche Akkulturation von jedem erreicht werden kann, 109 110

Bolten differenziert die in Kapitel 3.2.3 dargestellte methodische Kompetenz in die strategische und individuelle Kompetenz. Im Folgenden wird weiter von methodischen Kompetenzen gesprochen. Verschiedene Typen bezeichnet Wagner (1996) als Assimilationstyp, Kontrasttyp, Grenztyp und Synthesetyp.

121

ist empirisch mehrfach widerlegt, wie Zahlen zum Scheitern des Auslandsaufenthalts von Expatriates zeigen (z.B. Black 1990). positive Gefühle Euphorie

Kulturschock

Stabilität Zeit Akkulturation

negative Gefühle

Abb. 20: Das Kulturschockmodell (in Anlehnung an Hofstede 1991 S. 209) Als wesentliche Aussage kann auf jeden Fall extrahiert werden, dass der interkulturelle Lernprozess im allgemeinen mit einer Desorientierung verbunden ist, die eigenkulturell geprägtes Denken, Fühlen und Handeln in Frage stellt und damit kognitive und emotionale Prozesse in Gang setzt, die diese Abweichung zu regulieren versuchen. Auch Bennett (1993) beschreibt Phasen interkulturellen Lernens in einem Modell, auf das Forscher und Trainingsanbieter gerne zurückgreifen. Es trägt die Bezeichnung development model of intercultural sensitivity (DMIS) und versteht Ethnozentrismus als Phase des interkulturellen Lernens. So bewegt sich ein interkulturell Lernender von verschiedenen Orientierungen, die anfangs durch ethnozentrische Haltung111 geprägt sind, zu stärker ethnorelativen Orientierungen, in denen kulturelle Unterschiede als immer komplexer aufgefasst werden. Als erstes ethnozentrisches Stadium gibt Bennett denial an, in dem kulturelle Unterschiede verleugnet werden. Im defense-Stadium erkennt die Person Unterschiede, aber beurteilt sie stereotyp und abwertend.112 Minimization bedeutet, dass bestimmte (eigene) Kategorien als universal gelten und kulturelle Unterschiede nur geringfügige Variationen davon darstellen. Hier sucht die Person eher nach Gemeinsamkeiten, die Verschiedenheit überdecken. Die nächsten Stadien im Modell sind ethnorelativ, d.h. die Person sieht die eigene Kultur im Kontext anderer Kulturen und andere Kulturen werden ähnlich komplex erfahren, resultierend in der Zulassung sozial bedeutsamer kultureller Unterschiede. Die erste ethnorelative Stufe 111 112

Zur ausführlichen Darstellung von Ethnozentrismus siehe Kapitel 4.2.6. Als Variation für defense fügt Bennett reversal an, wo die Person die fremde Kultur als der eigenen überlegen ansieht. Meines Erachtens folgt dies jedoch nicht der Definition von Ethnozentrismus und wird hier nicht weiterverfolgt.

122

nennt sich acceptance, was bedeutet, dass Unterschiede erkannt und angenommen werden, ohne dass es jedoch unbedingt zu Zustimmung oder gar Übernahme kulturell andersartiger Formen kommt. Dies geschieht erst im nächsten Stadium, adaptation, wo Sichtweisen der anderen Kultur adaptiert werden, so dass zwischen den beiden Referenzrahmen gewechselt werden kann. Im letzten Stadium der integration bildet die Person eine neue Identität heraus, die sich an beiden Kulturen orientiert.

ethnocentrism

denial

ethnorelativism

defense

minimization

acceptance

adaptation

integration

Abb. 21: DMIS-Modell nach Bennett (Hammer / Bennett / Wiseman 2003 S. 424) Das DMIS-Modell basiert ebenso wie das Kulturschock-Modell auf der strikten Annahme des eindimensionalen Phasendurchlaufs, obwohl auch Rückfälle, Stagnation oder Überspringen einzelner Phasen plausibel wären. Gerade bei den Stadien denial, defense und minimization wäre es vorstellbar, dass sie genauso gut in anderer Reihenfolge ablaufen könnten bzw. je nach Akteurtyp eher als Alternativen erscheinen. Nichtsdestotrotz wird dieses Modell verwendet, um unterschiedliche Typen von Weltsichten zu erklären. Zudem erläutert es innerhalb der jeweiligen Stadien die sozial- und kognitionspsychologischen Prozesse, die insbesondere die verschiedenen Ausprägungen von Ethnozentrismus erläutern. Im deutschen Raum beschäftigte sich Flechsig mit der Entwicklung einer interkulturellen Lerntheorie, die auf kulturellen Skripten basiert und insbesondere die kognitiven Prozesse erklärt (1996, 1998). In Anlehnung an die kulturellen Skripte nach Schank / Abelson (1977) definiert Flechsig diese als „Wissensstrukturen, die aus kulturtypischen Assoziationen zu einer Situation bzw. Tätigkeit gebildet werden und ‚Fertigpackungen’ von Erwartungen (in Bezug auf das, was passieren wird), Schlussfolgerungen (Wenn-dann-Verknüpfungen) und Wissenselementen enthalten, die in Alltagssituationen als Einheit verfügbar sind“ (1996). Skripte sind unterschiedlich komplexe mentale Abbildungen, die der Speicherung, dem Verstehen und der Erinnerung dienen und in einem umfassenden System miteinander in Beziehung stehen. Interkulturelles Lernen stellt die Erweiterung des Inventars kultureller Skripte dar, die Kinder im Rahmen ihrer Enkulturation gelernt haben. Die ersten Skripte, die über die andere Kultur angefertigt werden, sind häufig noch wenig differenziert und gleichen Stereotypen. Wird weiterhin Information aufgenommen und in das System integriert, differenzieren sich die Skripte aus und weitere Skripte werden hinzugefügt. Eignet sich die Person ebenfalls ausreichend Hintergrundwissen an, erhöht sich der Grad des Fremdverstehens, und die Person kann sich auch ohne direkte Kenntnis eines speziellen Skripts dessen Bedeutung erschließen. So ist es der Person möglich, sich in anderskulturellen Umgebungen zu orientieren und kulturadäquates Verhalten zu zeigen. Der geschilderte Weg ist der idealtypische Verlauf, der in Wirklichkeit bei weitem schwieriger abläuft als hier kurz angerissen. Denn die Umstrukturierung des eigenen kognitiven Systems ist kein automatischer Prozess, sondern erfordert Zusatzleistungen. So versucht eine Person mit geringer interkultureller Erfahrung, neue Informationen in das vorhandene mentale System zu pressen, ohne dass womöglich eine Erweiterung oder Ausdifferenzierung des Systems erfolgt (es sei an das Phänomen der Stereotype aus Kapitel 4.2.7 erinnert, die genau diese Faktoren erklären). 123

Das Modell lässt darüber hinaus die motivationalen und affektiven Faktoren außer Acht, welche die Aufnahme anderskultureller Denk- und Verhaltensweisen vielfach erschweren, sowie die eindeutige Belegbarkeit von Ethnozentrismus, also der Ablehnung, Andersartiges zu lernen.113 Doch die Ausdifferenzierung von Wissen über eine andere Kultur und das Verstehen anhand derer emischen Konstrukte114 bilden einen interessanten Ansatz, der vor allem die kognitive Komponente interkulturellen Lernens aufschlüsselt. Sowohl dieser explizit wissensbasierte Ansatz als auch die vorigen Lernmodelle fokussieren Lernen über die andere Kultur, also das Wissen bezüglich kultureller Unterschiede und Besonderheiten. Vertreter des Konstruktivismus üben daran scharfe Kritik, da sie sehen, dass interkulturelle Kompetenz durch diese Methode nur bis zu einem gewissen Grad aufgebaut und tiefer gehendes Verstehen der anderen Kultur nicht erlangt werden kann. Durch Kulturvergleiche wird Andersartigkeit immer mit eigenen Worten und mit eigenen Konzepten erfasst, so dass das tatsächliche Wesen des Anderen nicht begriffen werden kann. So meint Haeberlé (2003), dass nur über Selbstreflexion, also über eine Metaebene, gelernt werden kann. Dies heißt, es müssen neue Arten des Denkens aufgenommen werden, der relative Bezug muss verstanden werden, damit eine neue Kultur angeeignet werden kann. Haeberlé nennt als Ziel epistemological flexibility, das heißt, zu begreifen, wie Realität von jemand anderem konstruiert wird. Vorausgehend wurde erläutert, wie interkulturelles Lernen abläuft; nun soll ein kleiner Augenmerk darauf geworfen werden, wann es stattfindet. Hier sind zwei große Bereiche zu nennen: interkulturelle Trainings (hier als sehr weiter Begriff gefasst, der sämtliche künstlich geschaffenen Maßnahmen umfasst, interkulturelles Lernen anzuregen) und das wirkliche Leben, d.h. der Kontakt mit anderskulturellen Personen im Arbeits- oder Privatbereich. Es würde zu weit führen, die Erkenntnisse der Trainingsforschung an dieser Stelle gesamt wiederzugeben, und es würde auch vom Thema wegführen. Es sei nur darauf verwiesen, dass das Ziel interkultureller Trainings in der Vermittlung von interkultureller Kompetenz besteht. Diese wird dabei unterschiedlich definiert (siehe vorigen Abschnitt) und daher mit unterschiedlichen Trainingsinhalten und -methoden verknüpft. Je nach Schwerpunktsetzung variiert die Relevanz der kognitiven, affektiven oder verhaltensbezogenen sowie kulturallgemeinen (culture awareness trainings) oder kulturspezifischen Anteile.115 Die Effektivität interkultureller Trainings wird derzeit intensiv erforscht, wobei differenzierte Aussagen noch kaum getroffen werden können (Ehnert 2004). Hinsichtlich interkulturellen Lernens in Kontaktsituationen mit anderen Kulturen ist die prominente Kontakthypothese anzuführen: Allport (1954) postuliert, dass durch den sozialen Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen die Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut werden. Allerdings reicht dies alleine noch nicht aus - Kontakte können negative Stereotype und Ablehnung auch stärken und damit kontraproduktiv wirken (Bierbrauer 1996); im Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’ wurde bereits erläutert, dass Stereotype dazu tendieren, sich selbst zu bestätigen. Es müssen also gewisse Voraussetzungen gegeben sein oder geschaffen werden, um den Abbau zu fördern. Allport und nachfolgende Wissenschaftler nennen hier u.a. ähnlichen Status der Beteiligten, Atmosphäre von Gleichheit, Unterstützung durch übergeordnete Instanzen, kooperative Abhängigkeit, Gelegenheit der Selbstenthüllung, informeller Austausch auf persönlicher Ebene und Reflexion der interkulturellen Erfahrungen (vgl. z.B. Grim et al. 2004, Otten 2003, Bierbrauer 1996, Gaertner et al. 1996). Weitere Voraussetzun113 114

115

Vgl. die Soziale Identitätstheorie in Kapitel 4.2.6 ,Ethnozentrismus’ oder auch die vorigen Lerntheorien. Als emisch werden solche Konstrukte bezeichnet, die in keiner vergleichbaren Form in anderen Kulturen auftreten, sondern nur in dem Kontext der eigenen Kultur zu erklären und zu verstehen sind (vgl. Bhawuk / Triandis 1996, Berry 1990). Siehe für einen Überblick über Trainingsinhalte und -methoden z.B. Gudykunst / Hammer (1983), Gudykunst / Guzley / Hammer (1996).

124

gen sind, dass der Interaktionspartner als typischer Vertreter seiner Gruppe wahrgenommen wird und dass der Kontakt so erfolgt, dass tatsächlich Vorurteile widerlegt werden können (Bierbrauer 1996). Außerdem wird immer wieder die Wichtigkeit eines gemeinsamen Oberziels genannt (z.B. Sherif 1936 und Rosenblatt 1964), um Gemeinsamkeiten zu induzieren und Gruppenkohäsion zu fördern. Gaertner et al. (1996) gehen in ihrem common ingroup identity model genauer darauf ein: Es soll eine Verminderung der Intergruppenverzerrung stattfinden, indem der Akteur den Interaktionspartner weniger als outgroup-Mitglied, sondern eher als einen Angehörigen seiner Gruppe wahrnimmt und ihm positive Gefühle gegenüber bilden kann. Empirisch gesehen wurde die Kontakthypothese mehrfach bestätigt, sowohl in Labor-, Feldund Umfrageuntersuchungen (siehe z.B. Cook 1985, Desforges et al. 1991, Stephan / Rosenfield 1978). Allerdings gibt die Hypothese keinen Aufschluss über die zugrunde liegenden sozialpsychologischen Prozesse, welche letztendlich zum Abbau von Stereotypen und zu einer differenzierten Wahrnehmung führen, die zur Reduktion von interkulturellen Konflikten notwendig und damit ein Bestandteil von interkultureller Kompetenz ist. Außerdem zeigt die Theorie der optimal distinctiveness nach Brewer (1996), dass die vollkommene Auflösung von Gruppengrenzen nicht stabil ist, da Individuen neben dem Bedarf an Inklusion auch weiterhin einen Bedarf an Differenzierung verspüren. Ebenso meinen Gaertner et al. (1996), dass Individuen eine duale Identität mit Gesamtgruppen- und Subgruppeneigenschaften aufweisen. Die Relevanz der Kontakthypothese ist hinsichtlich multikultureller Teams nicht zu ignorieren, denn sie zeigt sinnvoll auf, dass nicht nur die Dauer oder Intensität der Zusammenarbeit für den interkulturellen Fortschritt, sondern ebenso eine Vielzahl von Nebenbedingungen, die ein Klima des Lernens schaffen, ausschlaggebend sind. Über die Möglichkeiten von Trainings hinausgehend können im Kontakt Erfahrungen gemacht werden, die tatsächlich interkulturelle Kompetenz generieren. So meint auch Bolten (2001): „Kulturelle Unterschiede, Fremdheitssituationen und interkulturelle Aushandlungsprozesse müssen selbst erfahren werden, um damit produktiv umgehen zu können.“ Die Relevanz von Erfahrungslernen wird wiederum vom Konstruktivismus erkannt, wobei sollen die Akteure hingeführt werden sollen, zu erkennen ‚wie’ sie wissen, und zu identifizieren, was sie aus interkultureller Interaktion lernen können (Haeberlé 2003). Dies ist Grundlage für andauerndes Selbstlernen und sich selbst entwickelnde interkulturelle Kompetenz.

5.2.5.3 Interkulturelles Lernen in und durch multikulturelle Arbeitsgruppen Die im vorigen Abschnitt erläuterten Lerntheorien konzentrieren sich auf die individuelle Ebene; wie sich die Lernprozesse auf Gruppenebene gestalten, wird im Folgenden erörtert. Im Anschluss daran soll die Konsequenz von interkultureller Kompetenz für das Individuum, für die Gruppe und die Organisation aufgezeigt werden. Interkulturelle Kompetenz bezieht sich auf einen individuellen Träger, und die Frage ist nun, wie innerhalb einer Arbeitsgruppe die einzelnen Mitglieder diese Kompetenz durch Gruppenprozesse erwerben können. Lernen in der Gruppe wurde im Kapitel 5.2.4 eingehend besprochen; auf die dortigen Aussagen wird jetzt Bezug genommen. In der ‚Spirale der Wissenserzeugung’ nach Nonaka / Takeuchi (1997) wird implizites und explizites Wissen umgewandelt, ausgetauscht und angereichert, was in einer Wissenserweiterung (Innovation genannt) auf der Gruppenebene resultiert. Wie bereits diskutiert, trifft dies auch für kulturelles Wissen zu: Landeskenntnisse können als explizites Wissen und Kenntnisse über kulturelle Werte und Verhaltensweisen als implizites Wissen in dieses Modell integriert werden. Damit lernen die Gruppenmitglieder voneinander und können sich gemeinsam weiterentwickeln, was das Wissen über eine andere Kultur betrifft. Doch allein durch die Verwendung des Begriffs ‚Wissen’ in diesem Modell wird deutlich, dass durch diese Prozesse 125

nur die kognitive Dimension der interkulturellen Kompetenz tangiert wird. Motivation und Gefühle, welche die Bereitschaft, Andersartigkeit zu akzeptieren bzw. gar zu lernen, bedingen, werden ignoriert, ebenso die Fähigkeit, anderes Verhalten selbst produzieren zu können.116 Um mit den Worten des Konstruktivismus zu kritisieren, wird des Weiteren Wissen als Faktum gehandelt, nicht als sozial konstruierte Realität, was gerade hinsichtlich Kultur jedoch sicherlich zutrifft. Zudem fehlt die Metaebene der Reflexion, die Lernen und Verstehen ermöglicht. Dass jedoch auch affektives und konatives Lernen in einer multikulturellen Arbeitsgruppe möglich ist, erklärt die Kontakthypothese: Eine Arbeitsgruppe impliziert Kooperation, ein gemeinsames Ziel und Interdependenz zwischen den Mitgliedern. Die strukturellen Voraussetzungen sind also erfüllt, doch ob desgleichen eine Atmosphäre von Gleichheit, Gelegenheit der Selbstenthüllung, informeller Austausch auf persönlicher Ebene und die Möglichkeit der Widerlegung von Stereotypen vorhanden ist, hängt von der jeweiligen Ausgestaltung ab. Sicherlich wird dieser Prozess erschwert, wenn die Beteiligten hoch ethnozentrisch sind und anderskulturelle Kollegen ablehnen. Diese Faktoren, wenn nicht von Anfang an gegeben, müssen von den Beteiligten, insbesondere dem Teamleiter gefördert werden, gegebenenfalls mit Unterstützung durch das übergeordnete Management bzw. die Personalabteilung. Auch die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion ist vermutlich nicht bei allen Teammitgliedern von vornherein verankert, so dass sie erst durch spezielle Maßnahmen gebildet werden muss, um nachhaltiges und sich selbst entwickelndes Lernen und schließlich Verstehen des Anderen zu erreichen. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass in jeder multikulturellen Arbeitsgruppe ein breiter Fundus an kulturellem Wissen vorhanden ist. Ob dieser jedoch ausgetauscht und zur Entwicklung von interkultureller Kompetenz genutzt wird, hängt von der Art der Interaktion ab. Die dynamische Perspektive auf den Lernprozess wird für das Individuum anhand der Kulturschockkurve dargestellt; diese hat ihre Parallelen im Teamentwicklungsprozess, wie er in Kapitel 3.3.7 erläutert worden ist. So folgt auf die erste Phase der Formierung eine Desorientierung, in der die Beteiligten erkennen, dass ihre eigenen, bisher implizit verfolgten Denk- und Verhaltensweisen nicht richtig greifen, und daher Konflikte mit den Interaktionspartnern auftreten. Beim individuellen Kulturschock lernt nur eine einzelne Person, im Teamentwicklungsprozess alle Mitglieder, mit Verschiedenheit117 umzugehen. So könnte man behaupten, dass diese Phase der Auseinandersetzung (die sicherlich mehrfach und auch mehr oder weniger stark auftreten kann bzw. mehr oder weniger konflikthaft vonstatten geht) dazu führt, dass als ein Produkt interkulturelle Kompetenz bei den Beteiligten entsteht. Diese bewirkt im Weiteren eine Verbesserung der Arbeitsbeziehungen und -leistung im idealtypischen Fall, wenn sämtliche Bedingungen für ein erfolgreiches Lernen erfüllt sind. Dies lenkt zu den nächsten Überlegungen, nämlich inwiefern der Output interkulturelle Kompetenz sowohl für den einzelnen Mitarbeiter und insbesondere für die multikulturelle Arbeitsgruppe vorteilhaft ist. Auswirkungen der interkulturellen Kompetenz auf die Organisationsebene sind ebenso zumindest kurz zu berücksichtigen. Der Mitarbeiter oder Manager hat als interkulturell kompetente Person an erster Stelle einen Eigenvorteil, indem er interkulturelle Situationen erfolgreicher handhaben kann. Dies trifft im Geschäftsbereich zu, wo er – folgt man dem Ansatz interkultureller Kompetenz nach Bolten – durch den Zugewinn speziell der Fach- und methodischen Kompetenzen punktet, aber gleichermaßen im zwischenmenschlichen Bereich, sei es in der Arbeit oder im Pri116 117

Vgl. die in Kapitel 5.2.5.1 erläuterten Bestandteile von interkultureller Kompetenz. Verschiedenheit bezieht sich auf die in einer Gruppe neben Kultur sämtliche anderen personenbezogenen Dimensionen wie Charaktere, berufliche Qualifikation etc.

126

vaten, da er soziale und individuelle Kompetenzen ausgebaut hat. Diese können speziell als die gerühmten soft skills für Kooperation und Führung, sei es nun national oder international, zukünftig eingesetzt werden – man denke an Teamfähigkeit, Empathie, Selbstorganisation etc. Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion verhilft langfristig zu einer sich selbst erneuernden und konsequenten Weiterbildung. Holzmüller / Berg sehen daher den Einsatz eines Mitarbeiters in einem multikulturellen Team explizit als Personalentwicklungsmaßnahme (2002 S. 901). Neben diesem Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung vermag der interkulturell kompetente Mitarbeiter oder Manager für seine Arbeit und sein Team bessere Einzelleistung zu erbringen (wenn er mit einer internationalen Aufgabe betraut ist). Darüber hinaus findet er sich, ungeachtet der interkulturellen Kompetenz seiner Kollegen, besser in der multikulturellen Arbeitsgruppe zurecht bzw. fungiert sogar als Multiplikator. In der multikulturellen Arbeitsgruppe ist davon auszugehen, dass je mehr interkulturell kompetente Mitglieder sie umfasst, desto weniger interkulturelle Konflikte auftreten, bzw. desto konstruktiver sie behandelt werden können. Zudem herrscht mehr Interesse und Bereitschaft an synergetischen Lösungen vor. Eine Stärkung positiver persönlicher Beziehungen, eine Zunahme von Gruppenkohäsion sowie eine Erhöhung der Arbeitszufriedenheit sind die angenehmen Konsequenzen. Eine verbesserte Arbeitsleistung ist ebenso zu erwarten, da weniger kognitive und affektive Energie in das Austragen von Konflikten und in die Klärung von Missverständnissen zu investieren ist. Besondere Bedeutung hat die interkulturelle Kompetenz des Teamleiters, der nicht nur selbst Teil der Arbeitsgruppe ist, sondern auch die Verantwortung trägt, interkulturelle Kompetenz bei seinen Mitarbeitern zu fördern. Dies bedeutet, dass er in erster Linie selbst Fortschritte hinsichtlich interkulturellen Lernens absolvieren muss, um die Notwendigkeit für interkulturelle Kompetenz zu erkennen und sie durch gezielte Maßnahmen im Team zu entwickeln (vgl. Konradt / Hertel 2002 S. 58). Interkulturelle Kompetenz ist also per se ein Synergieeffekt in Wirkung auf das Gruppenergebnis und zusätzlich eine notwendige Voraussetzung für die Verminderung von Konflikten bzw. die Förderung anderer Synergieeffekte (z.B. fachliches Lernen oder Nutzung des Ressourcenpools für gemeinsame Kreativität). Der Vollständigkeit halber sollen außerdem die Vorteile für die Gesamtorganisation erwähnt werden. Wie nun inzwischen klar geworden ist, stellt interkulturelles Lernen eine Sonderform des Lernens dar; die Prozesse der Übertragung auf Organisationsebene erfolgen analog und mit denselben Konsequenzen, wie im vorangegangen Kapitel 5.2.4.3 erläutert. Zusätzlich ist die positive Außenwirkung zu verzeichnen, die von der interkulturellen Kompetenz der Unternehmensmitarbeiter ausgeht. Sind die interkulturell kompetenten Teammitglieder an Schnittstellen zur Unternehmensumwelt im Einsatz (z.B. bei der Produktentwicklung mit strategischen Geschäftspartnern, in der Kundenbetreuung, im Export etc.), tragen sie unmittelbar zum Unternehmenserfolg bei. Darüber hinaus sorgen sie für ein positives Image nach außen und bauen gemäß der externen Internationalität ein internationales Bild des Unternehmens auf, da sie es verstehen, ihr Unternehmen je nach kulturellem Kontext angemessen und effektiv zu vertreten. Bergmann (2000) sieht interkulturelles Lernen als organisationale Fähigkeit von Unternehmen und bettet es in den ressourcenorientierten Ansatz ein. Zuletzt ist zu bemerken, dass interkulturelles Lernen in der Arbeitsgruppe kein Automatismus ist, sondern auf einigen Voraussetzungen basiert. Im vorangegangenen Kapitel ‚Lernen’ wurde bereits dargelegt, dass insbesondere Offenheit, Lernbereitschaft sowie Vertrauen und psychologische Sicherheit notwendige Bedingungen sind. Dies trifft im gleichen Maße für die Sonderform interkulturelles Lernen zu. Als Grundvoraussetzung gilt daneben die Anerkennung von Andersartigkeit und die Akzeptanz, dass diese Andersartigkeit in manchen Bereichen Vorteile darstellt. Dies bedeutet, dass nur bei geringem Ethnozentrismus ein Individuum bereit und fähig ist, interkulturelle Kompetenz zu entwickeln. Doch wie das Kulturschock127

Modell als auch das DMIS von Bennett118 zeigen, beinhaltet interkulturelles Lernen darüber hinaus Überwindung bzw. Abbau von ethnozentrischen Haltungen. Interkulturelle Kompetenz und Ethnozentrismus stehen damit in zirkulärem Zusammenhang: Es darf von Vornherein ein nicht zu hoher Ethnozentrismus vorliegen, damit interkulturelles Lernen stattfinden kann, welches, sobald es einsetzt, Ethnozentrismus weiter verringert. Zudem ist bei den Voraussetzungen ein weiteres Mal die Kontakthypothese119 heranzuziehen, die besagt, dass Teammitglieder im sozialen Kontakt, d.h. in der face-to-face Situation und bei Interaktion, d.h. bei gemeinsamen Handeln, interkulturelle Kompetenz erwerben. Dies bedeutet einerseits, dass die Teammitglieder an einem Ort zusammenarbeiten, was für virtuelle Teams nicht möglich ist. Andererseits müssen die Aufgaben so geformt sein, dass eine gewisse Interdependenz gegeben ist, damit eine formale Interaktion am Arbeitsplatz erforderlich ist. Die Zusatzbedingungen der Kontakthypothese betonen ferner die informellen Kontakte, die vorhanden oder gefördert werden müssen. Das gemeinsame Oberziel kann in der Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe gesehen werden, welche Teamkohäsion schafft.120 Die erste Arbeitshypothese iK0Pe 1 wird dem Kapitel Ethnozentrismus entnommen und stellt im negativen Zusammenhang die Voraussetzung von geringem Ethnozentrismus dar, damit interkulturelles Lernen beginnen kann. Die Arbeitshypothesen iS0V 2 und iS0V 4 wurden im vorangegangenen Kapitel ‚Lernen’ entwickelt, gelten aber ebenso für interkulturelles Lernen. Die darauf folgenden Arbeitshypothesen entstammen den gerade erfolgten Ausführungen. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft und Offenheit auf. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 5: Face-to-face Kontakt, aufgabenbezogene Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben. Arbeitshypothese Prozess iS0P 5: In multikulturellen Teams erwerben die Mitglieder interkulturelle Kompetenz. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iS0Pe 1: Über den Wissensaustausch erwerben die Mitglieder kognitive Elemente; affektive und konative Elemente erlernen sie durch den Kontakt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iS0Pe 2: Interkulturelles Lernen findet in Phasen statt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte. Sie hebt iK0Pe 1 auf. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 6: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) iS0O 7: Interkulturelle Kompetenz sorgt über die Verminderung von Konflikten für höhere Zufriedenheit unter den Gruppenmitgliedern.

118 119 120

Vgl. Kapitel 5.2.5.2 ‚Theorien zum interkulturellen Lernen’. Vgl. ebenso Kapitel 5.2.5.2 ‚Theorien zum interkulturellen Lernen’. Vgl. Kapitel 3.3.2 ‚Kohäsion’.

128

5.2.6

Kulturspezifische Arbeitsteilung

In jedem Team finden sich die Mitglieder in verschiedene Rollen ein, meist bedingt durch die Persönlichkeit, die sie mitbringen, und den Status zu den anderen Mitgliedern.121 Der berufliche bzw. fachliche Hintergrund der jeweiligen Mitglieder schlägt sich darin nieder, welche Einzelaufgaben innerhalb der Gruppe an wen übergeben werden. Hinsichtlich Rollen- und Aufgabenteilung ist nun in multikulturellen Arbeitsgruppen auch die jeweilige Kultur der Mitglieder entscheidend. Wie im Kapitel 2.3 ‚Kultur und interkulturelle Kommunikation in Unternehmen’ eingehend erläutert, weisen Angehörige verschiedener Kulturen ausgehend von tiefer liegenden Werten jeweils unterschiedliche Verhaltensweisen auf. Auch im Arbeitsbereich sind Unterschiede festzustellen, angefangen vom Führungsstil über Kommunikationsmuster, Beziehungspflege und networking, Umgang mit Problemen und Entscheidungsfindung bis hin zu Zeitmanagement und Arbeitsorganisation. Je nach Aufgabe mag die kulturelle Ausprägung innerhalb einer der genannten beispielhaften Arbeitsbereiche besonders passend und nützlich sein. So kann – sofern es Kapazitäten, Wahlmöglichkeit und Fachexpertise zulassen – in der Aufgabenverteilung auf die kulturell bedingten Fähigkeiten zurückgegriffen werden, und Mitarbeiter werden je nach ihren Stärken eingesetzt (vgl. Schneider 1993). An dieser Stelle soll zur Veranschaulichung ein Beispiel angeführt werden, obgleich dies die Gefahr einer Pauschalisierung birgt, wie am Ende dieses Abschnitts kritisch diskutiert werden wird: Der Mitarbeiter aus einer Kultur, die auf harmonische interpersonale Beziehungen besonderen Wert legt (z.B. Indien), kann in Konfliktfällen die Rolle des Mediators oder auch in Meetings die des Moderators übernehmen, wenn es besonders darauf ankommt, die beteiligten Parteien zu hören, ihren Gesichtbedürfnissen Genüge zu leisten und diese aufeinander zuzuführen.122 Die Nutzung kulturspezifischer Unterschiede nennt ebenso Podsiadlowski (2002), wobei sie zu Recht bemerkt, dass genügend Gemeinsamkeiten gegeben sein müssen, auf welche die Gruppe aufbaut. Durch gegenseitige Ergänzung und Bereicherung kann dann ein Repertoire an interkulturellem Erfahrungs- und Handlungswissen entwickelt werden. Das heißt, es sind allen Mitgliedern die Stärken des Anderen bekannt, und die Gruppe schöpft so je nach Aufgabe aus dem Pool. Das Problem ist, dass kulturelle Stärken selten klar und von Anfang an bekannt sind, als dass sie zur Grundlage faktenbasierter Entscheidungen verwendet werden könnten. Ebenso wenig treten sie pauschal bei allen Angehörigen einer Kultur auf. Kulturelle Stärken können erst in der Interaktion und in der relativen Beziehung zwischen den Beteiligten identifiziert werden. Kritisch ist an dieser Synergieform zudem zu bemängeln, dass zwar eine Vielzahl von Studien zu kulturellen Besonderheiten123, auch im Arbeitsbereich, vorliegen, jedoch noch keinerlei empirische Studie Aufschluss über die Nutzung dieser Eigenschaften im Rahmen von Teams oder Arbeitsteilung gibt. Des Weiteren ist zu bedenken, dass beispielsweise die Rollenaufteilung in Führungspersonen respektive Ausführende nicht immer positiv im Sinne des Gesamtnutzens ausfällt, wenn hierfür nicht Führungs- oder Fachkompetenzen ausschlaggebend sind, sondern kulturspezifische Eigenschaften der Beteiligten wie Dominanz, die sich auf direkte Kommunikation und Durchsetzungsfähigkeit stützt, bzw. Zurückhaltung, die eher bei Personen mit Präferenz für eine indirekte Kommunikationsweise auftritt. In dieser Hinsicht wären die Eigenschaften eher als Schwäche denn als Stärke zu bewerten. Allerdings impliziert die Auswahl, welche Eigen121 122

123

Vgl. Kapitel 3.3.4 ‚Rollen’. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive könnte man hier mit der Theorie der operationalen Flexibilität von Kogut (1989) argumentieren, welche in Kapitel 6.2.2 ‚Zusammenführung internationaler Experten’ erläutert werden wird. Vgl. sämtliche kulturvergleichende Managementforschung, als Beispiel seien Warner (2002) oder Rothlauf (1999) genannt.

129

schaft besonders zuträglich für eine Aufgabe ist, bereits eine kulturell beeinflusste Entscheidung, denn eine Aufgabe kann mit unterschiedlichen Zielen und Inhalten verstanden werden und entsprechend einer anderen Ausführung bedürfen. Zum Beispiel kann Führung eher als unterstützendes Coaching begriffen werden und Zurückhaltung der Führungskraft wäre im eben genannten Beispiel dann doch angemessen. Realistischerweise ist hinzuzufügen, dass bei der Aufgabenverteilung im Team vorrangig individuelle Auslastung und fachliche Qualifikation zu bedenken sind. Kulturspezifische Stärken sind eher Zweitkriterien. Es muss zudem nicht immer eine Arbeitsteilung erfolgen, um die besonderen Stärken einer Kultur nutzen zu können. Zuweilen ist es für die Aufgabe der Gesamtgruppe einfach grundsätzlich von Vorteil, eine bestimmte Kultur im Team zu haben, wie Cox / Lobel / McLeod (1991) zeigen. Sie belegen, dass Teams, die neben einem individualistischen weißen USAmerikaner ebenfalls Angehörige kollektivistischer Kulturen (schwarze US-Amerikaner, Hispanier und Asiaten) umschließen, beim Vorliegen eines Anreizes kooperativer arbeiten und daher die Aufgabe eines Gefangenendilemmas besser lösen können. Die starke Konkurrenz, wie sie in Teams aus nur weißen US-Amerikanern auftritt, wird abgemildert. Als Essenz der bisherigen Aussagen gelten folgende Arbeitshypothesen, wobei als Voraussetzung, nämlich dass die Stärken der Mitglieder wertgeschätzt sein müssen, wiederum iK0Pe 1 herangezogen wird: Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Darüber hinaus gelten als Bedingungen: Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 6: Die kulturspezifischen Stärken der Mitglieder sind er- und anerkannt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 7: Es ist neben Kapazitäts- und Fachüberlegungen ausreichend Entscheidungsspielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken gegeben. Arbeitshypothese Prozess iS0P 6: In multikulturellen Teams werden Aufgaben und Rollen nach kulturspezifischen Eigenschaften und Stärken vergeben. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 8: Eine Aufgaben- bzw. Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu einer besseren Ressourcennutzung und damit Effektivitätssteigerung des Teams.

5.2.7

Marktnähe

Im Kapitel 5.2.2 ‚Ressourcenpool’ wurde dargelegt, dass es für die Arbeitsgruppe wesentlich ist, über einen möglichst großen Pool an Wissen, Erfahrungsschätzen und Hintergründen zu verfügen. Neben seiner Funktion zur Schaffung von Kreativität kann dieser Ressourcenpool im Rahmen des law of requisite variety nach Ashby (1956) als zusätzliche Synergieform eingeschätzt werden. Dieses Gesetz stammt aus der Kybernetik und besagt, dass Kontrolle über ein System nur möglich ist, wenn der Akteur selbst gleich viel oder mehr Varietät aufweist als das System (vgl. Heylighen / Joslyn 2001). Dies bedeutet, dass die Umwelt nur kontrollierbar ist, wenn auf die verschiedenen Situationen eine Antwort vorliegt. Dieses Gesetz übertragen Milliken / Martins (1996) auf Organisationen, und sie postulieren, dass die interne Komplexität von Organisationen der externen entsprechen muss. Wenn eine Unternehmung in verschiedenen Ländern aktiv ist, muss sie Mitarbeiter aus genau diesen Ländern anstellen. Die Mitarbeiter verfügen über lokale Kenntnisse, die für die jeweiligen Aufgaben genutzt werden können, wie im Kapitel 5.2.4 ‚Lernen’ unter dem Stichwort Externalisierung ausgeführt wurde. Insbesondere durch das Wissen zu rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen können nach Milliken / Martins (1996) beispielsweise Märkte besser angesprochen werden, da 130

deren Kontext in die Abwägungen detailliert miteinbezogen werden kann. Dies ist auf Teamebene vor allem relevant, wenn das Team an mehreren Standorten aktiv ist bzw. sich explizit internationalen Aufgaben widmet, wie beispielsweise der Erschließung oder Bedienung von Absatzmärkten bzw. der Auswahl von neuen Produktionsstandorten. Auch die Bedürfnisse der Kunden können so besser in Betracht gezogen werden (Canney Davison / Ward 1999 S. 16). Doch außerhalb dieser speziellen Aufgaben mag es ebenfalls von Vorteil sein, einen Kollegen aus dem Zielland in die Arbeitsgruppe aufzunehmen, denn dieser teilt dieselbe Kultur wie lokale Geschäftspartner, Kunden, Lieferanten oder auch Angehörige von Behörden. Die Gruppe kann den Kollegen aus jenem Land als Mittler einsetzen, um einerseits sprachliche Barrieren, andererseits kulturelle Barrieren zu überwinden. Denn interkulturelle Missverständnisse treten schließlich nicht nur innerhalb einer Unternehmung auf, sondern gleichermaßen in seiner Interaktion mit der Umwelt. Die kulturelle Passung erleichtert den Marktzugang bzw. fördert die Marktnähe. Ely / Thomas (2001 S. 265) bezeichnen diese Strategie als access and legitimacy perspective, die sie in ihrer Feldstudie beobachteten, aber deren Erfolg sie leider nicht maßen. Diese Strategie ist ebenso für Inlandsmärkte anwendbar, wenn Subkulturen oder Minderheiten angesprochen werden sollen. Als Voraussetzung zum Zustandekommen dieser Synergieform gilt, wie auch für die vorgenannte Synergieform Arbeitsteilung aus Kapitel 5.2.6 die Arbeitshypothese iS0V 6, dass die besonderen Kenntnisse und Kompetenzen der Mitglieder den Kollegen bekannt und anerkannt sind und aktiv genutzt werden. Die Anerkennung ist natürlich nur wieder bei geringem Ethnozentrismus möglich, daher eine erneute Wiederholung von iK0Pe 1. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 6: Die kulturspezifischen Stärken der Mitglieder sind er- und anerkannt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 8: Die Aufgabe oder Einsatzort des Teams verlangt landesspezifische Kenntnisse und -kompetenzen der Teammitglieder. Arbeitshypothese Prozess iS0P 7: In multikulturellen Teams bringen die Mitglieder aus verschiedenen Ländern entsprechende Landeskenntnisse und -kompetenzen mit, die in der Interaktion mit dortigen Partnern genutzt werden. Arbeitshypothese Output (Leistung) iS0O 9: Aufgaben können besser erledigt werden, dadurch dass mehr Kompetenz für internationale Aufgaben und höhere Marktnähe gegeben ist.

6

Konflikte und Synergien in der virtuellen Kooperation

In den vorangegangenen Kapiteln wurden die interkulturellen Konflikte und Synergien in multikulturellen Teams eingehend erörtert. Jene Ausführungen gelten für face-to-face und virtuelle Teams gleichermaßen. Doch unterliegen virtuelle Teams zusätzlichen Herausforderungen, die nun besprochen werden. Virtuelle Teams sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder an verschiedenen Standorten arbeiten und hauptsächlich über Medien kommunizieren.124 Die virtuelle Kooperation ruft einige Besonderheiten hervor; die wesentlichen negativen und positiven Ausprägungen sollen im Folgenden unter virtuellen Konflikte und virtuellen Synergien beschrieben werden. Jedoch ist aus wissenschaftlicher Perspektive zu beachten, dass diese bei weitem nicht in dem Maße bisher erforscht worden sind wie beispielsweise interkulturelle Konflikte, zu denen zahlreiche Disziplinen ausgefeilte Theorien und vielfältige empirische Belege bieten. Ähnlich 124

Für eine genauere Definition siehe Kapitel 2.4.2 ‚Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale’.

131

wie bei interkulturellen Synergien, die ein neues Forschungsthema darstellen, liegen hauptsächlich Beobachtungen aus der Praxis vor, die selten strukturiert und wissenschaftlich analysiert worden sind. Zudem, und das ist ein Unterschied zu den interkulturellen Synergien, sind die virtuellen Phänomene so neu und einzigartig, dass sie kaum an benachbarte Theorie angelehnt werden können. Vereinzelt existieren erste empirische Studien, die bestimmte Variablen aufgreifen, wie z.B. die selbststeuernde Führung (z.B. Orlikowski / Hertel / Konradt 2004). Diese Variablen bleiben jedoch unverbunden stehen und werden nicht mit anderen Teamprozessen kombiniert (vgl. Maznevski / Chudoba 2000 S. 474).125 Daher besteht dieses Kapitel aus einer Zusammenfassung der eher populärwissenschaftlich ausgelegten Literatur und dieser ersten Studien und muss auf einen ausgefeilten theoriebezogenen Anspruch verzichten. Doch dient eine solche Zusammenstellung durchaus als gedankliche Grundlage und erste Kategorisierung vorhandener Aussagen für die eigene empirische Untersuchung. Unter diesen Umständen wird die Notwendigkeit eines explorativen Vorgehens deutlich, d.h. durch eine Sammlung realer Daten Hinweise auf zugrunde liegende Verbindungen zu erhalten, mit Hilfe derer erste theoretische Thesen aufgestellt werden können.126

6.1

Virtuelle Konflikte

6.1.1

Strukturell und technisch bedingter Informationsmangel

Der Ersatz von face-to-face Kommunikation durch den Einsatz moderner Telekommunikationsmedien ist neben bzw. wegen der geographischen Trennung charakterisierendes Merkmal von virtuellen Teams. Bei der Schaffung virtueller Teams wird eher von einem mechanistischen Kommunikationsverständnisses ausgegangen, wie es in Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’ erläutert worden ist. Zur Vermittlung von Nachrichten kann technisch gesehen das persönliche Gespräch durch Medien substituiert werden (vgl. Keiser 2002 S. 116f). Diese Medien haben jedoch entscheidenden Einfluss auf die Art, den Inhalt und die Menge an Information, die ausgetauscht wird. Viele Autoren sind sich darüber einig, dass auf jeden Fall die Effizienz der Kommunikation leidet (vgl. DeSanctis / Monge 1998, Hightower / Sayeed 1996). Im Folgenden sollen die Formen der vielfältigen Mängel sowie ihre negativen Konsequenzen für die Teamarbeit und -leistung dargelegt werden. Virtuelle Teams werden häufig aus genau dem Grund geformt, geographische Grenzen zu überwinden. Große geographische Distanzen zwischen verschiedenen Ländern bzw. sogar Kontinenten bringen allerdings das Problem der verschiedenen Zeitzonen mit sich. Zu dieser Hürde sind bis jetzt nur anekdotische Eindrücke im Umlauf, die auf keinen wissenschaftlichen Studien fußen. Aus Mangel an anderweitigem Material muss hier auf diese zurückgegriffen werden. Die Nutzung von synchronen Medien wie Telefonanrufe, Videokonferenzen oder chat verkürzt sich auf die Überschneidungen der Zeitzonen, so dass am Tag gegebenenfalls nur wenige Stunden zur Verfügung stehen (Klein / Kleinhanns 2003 S. 387, Zerbe 2000). Ungünstigerweise minimiert sich das Zeitfenster auf Null, wenn Teammitglieder aus mehreren und sehr weit voneinander entfernten Ländern beteiligt sind. Daraus entstehen Erreichbarkeitsprobleme (Behrendt 2002 S. 683), die eine Herausforderung an die kontinuierliche Kooperationsform stellen sowie die Wahl der üblichen Kommunikationsform determinieren (z.B. muss ein E-mail einen Anruf ersetzen, wie später noch mal erläutert werden wird). Dies kann zuweilen ein Hindernis für dringende und wichtige Klärungspunkte bedeuten. Oder der Tagesablauf der betreffenden Mitarbeiter verschiebt sich nach hinten oder vorne, bzw. deren Arbeitszeit verlängert sich, was in den meisten Fällen vorkommen dürfte, da die Anwesenheit zu den üblichen Arbeitszeiten aus lokalen Interessen, Regelungen bzw. Gewohnheiten meist gefordert wird. Synchrone virtuelle Gespräche bzw. Meetings finden auf diese Weise zu 125 126

Zum Stand der Forschung zu diesem Thema siehe ausführlich Kapitel 2.4.3. Zur Art und Weise der empirischen Studie siehe Kapitel 8.

132

unüblichen Zeiten statt und gegebenenfalls an anderen Orten als den Büroräumen, wie z.B. den Privatwohnungen der Teammitglieder. Diese unüblichen Zeiten, wenn sie spät abends oder morgens sind, bedeuten eine erhebliche physische Anforderung (auf Grund von Müdigkeit und Schlafmangel) für den Mitarbeiter sowie einen Einschnitt in sein Privatleben. Dies kann verbunden sein mit Unkonzentriertheit, Ablenkung, Verspätungen bzw. Ausfällen (Klein / Kleinhanns 2003 S. 387). Obwohl die Nutzung moderner Telekommunikationsmedien inhärentes Charakteristikum virtueller Teams ist, bedeutet dies nicht, dass jedes Team jedwede Technologieausstattung besitzt, denn schließlich kann die Einführung spezieller Medien hohe Kosten verursachen. Zudem muss jede neue Technologie vom Mitarbeiter angenommen werden; d.h. nur wenn dieser dafür bereit ist, wird er auch den Umgang erlernen und das Medium einsetzen. Damit verbunden sind Schulungen (Kirkman et al. 2004 S. 185, Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 107, Kayworth / Leidner 2000 S. 190f), Einführungsmaßnahmen (Elsener 2005) und möglichst hohe Benutzerfreundlichkeit (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 27). Es ist zu beachten, dass Unternehmen nicht an jedem Standort über dieselben Kapazitäten verfügen, sei es auf Grund der Investitionskosten oder auch der Anpassung an lokale Gegebenheiten. So herrschen zwischen den Teammitgliedern zuweilen Ungleichheiten in der technischen Infrastruktur (Gibson / Cohen 2003b S. 409), was sich sicherlich verstärkt, wenn die Teams über verschiedene Organisationen hinweg aufgesetzt sind. Hinzu kommt die Nutzung unterschiedlicher Formate in den verschiedenen Abteilungen, Standorten, Ländern etc. (Gibson / Cohen 2003b S. 409). Auch oder gerade hoch technologisierte Ausstattung kann ausfallen, bzw. Fehler produzieren, sei es durch externe Störungen (z.B. Stromausfall, Zusammenbruch des Telefonnetzes, Serverüberlastung; siehe Studie von Walther / Burgoon 1992) oder durch Bedienungsfehler des Users (Cramton / Orvis 2003 S. 221). So kommen Informationen gar nicht, verzögert oder verzerrt an. Probleme mit Technologie schlagen sich womöglich in schlechteren persönlichen Beziehungen wieder, wie Carletta / McEwan / Anderson (1998) in einer empirischen Studie herausfanden, da die Beteiligten die Ursache der Probleme dem Interaktionspartner zuschreiben und nicht der technischen Quelle.127 Datensicherheit und Vertraulichkeit sind weitere Faktoren, die bei Weitergabe sensibler Informationen eine Rolle spielen (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 27, Block 2000 S. 186), so dass manche Medien hierfür ausscheiden. In Kombination mit kulturellen Unterschieden im Team ist die unterschiedliche Wahl von Medien zu sehen. So verwenden Angehörige verschiedener Kulturen für bestimmte Zwecke andere Medien als die Kollegen. So meint Chung (1992), dass Angehörige von Hochkontextkulturen128 E-mail für den Aufbau oder Pflege von Beziehungen als ungeeignet erachten, Angehörige von Niedrigkontextkulturen jedoch zufrieden sind mit den Möglichkeiten, Details zu beschreiben und logisch zu kommunizieren. Hierzu wurden bereits eine Vielzahl von kulturvergleichenden Studien durchgeführt, wie z.B. Cakir / Bichelmeyer / Cagiltay (2002) zur E-mail-Nutzung bei US-Amerikanern, Türken und Koreanern. Neben der Wahl der Medien treten manchmal (kulturelle) Unterschiede in der Handhabung auf. Dazu gehört, wie intensiv die Person das Medium nutzt (z.B. wie oft Mails abgerufen werden), welchen Sprachstil sie verwendet (z.B. wie direkt oder wie höflich) etc. (vgl. Cramton / Orvis 2003 S. 222). Es zeigt sich, dass der Umgang mit Medien sozial konstruiert und nicht, wie vielfach von den Nutzern vermeintlich angenommen, von der Technik vorgegeben wird. Diesem Trugschluss unterlag ebenfalls die anfängliche Forschung zum Thema Nutzung von Medien, indem der 127

128

Vgl. die Problematik der Fehlattribution, die in Kapitel 4.2.5 theoretisch dargelegt wurde und in Kapitel 6.1.2.2 ‚Konsequenzen des Mangels an sozialer und Kontextinformationen’ für virtuelle Teams angewandt wird. Das Konzept von Hochkontext- und Niedrigkontextkulturen stammt von Hall (1976) und bezeichnet den Grad an Informationen, der durch die Umgebung bzw. durch die verbal übermittelte Botschaft kommuniziert wird.

133

Glauben herrschte, dass Technologien frei von Werten sind, was Ess (2000) als technological instrumentalism bezeichnet (vgl. Kapitel 2.4.2). Doch selbst wenn kulturelle Unterschiede zwischen Kollegen erkannt werden, verbinden manche Nutzer mit der Implementation global standardisierter Technologien den Glauben an eine standardisierte Kommunikation (Chase et al. 2002). Beide Haltungen können zu falschen Erwartungshaltungen, -enttäuschungen, Fehlattributionen und Kodierungsproblemen führen.129 Auf der einen Seite ist es möglich, dass in einigen Bereichen ein Informationsoverload entsteht, ganz einfach dadurch, dass manche Medien durch die erleichterten Funktionen dazu verführen, Informationen weniger zielgerichtet und breit zu streuen (DeSanctis / Monge 1998), sei es beispielsweise bei Mailprogrammen durch die Kopiefunktion im Verteiler oder die Möglichkeit bei Telefonkonferenzen, beliebig Mitarbeiter hinzu ziehen zu können, ohne dass es die Sache fordert. Damit nimmt das Kommunikationsvolumen zu, jedoch steigt damit nicht die Kommunikationseffizienz; im Gegenteil, einige Aufgaben wie z.B. Problemlösung und Entscheidungsfindung dauern dadurch länger, wie empirisch belegt ist (DeSanctis / Monge 1998). Das Problem der überschüssigen Information scheint trotzdem im Vergleich zu den gegenläufigen Tendenzen des Informationsmangels eher zweitrangig und soll daher in den nachfolgenden Ausführungen nicht weiter erörtert werden. Zur Umgehung des Zeitzonenproblems greifen Mitglieder virtueller Teams auf asynchrone Medien zurück. Die daraus resultierenden Verzögerungen schlagen sich in einer reduzierten Effektivität der Kooperation nieder. Zeitspannen zwischen Kommunikationsereignissen ziehen den Abstimmungs- bzw. Informationsprozess in die Länge, so dass die Aufgaben nicht zeitnah erledigt werden (vgl. Kayworth / Leidner 2000 S. 192). Verzögerungen bei computergestützten (fast) synchronen Medien, wie z.B. chat, führen dazu, dass Reaktionen auf die Aussagen eines Interviewpartners möglicherweise erst nach den Kommentaren eines Dritten eintreffen, so dass der Fokus des ‚Gesprächs’ verloren geht (Walther / Burgoon 1992, Cramton / Orvis 2003 S. 220). Ähnliche Prozesse sind auf Grund des asynchronen Charakters auch beim E-mail-Verkehr zu erkennen. Dies führt gegebenenfalls zu einer Verlängerung des Kommunikationsprozesses, da die einzelnen Beiträge berücksichtigt werden müssen, bzw. zu einem Verlust von Information, wenn sie dennoch nicht berücksichtigt werden. Es ist grundsätzlich aufwendiger, mit technischen Medien zu kommunizieren als mit jemandem persönlich zu sprechen. Bei computergestützter Kommunikation muss der Sachverhalt schriftlich dargelegt werden, d.h. die Mitarbeiter müssen ihre Mitteilungen tippen, was länger dauert als unmittelbar zu sprechen (empirisch belegt von z.B. Walther / Burgoon 1992) und eine Extraleistung abfordert (Hightower / Sayeed 1996 S. 455). Auch wird in der Literatur erwähnt, dass es dem Kommunikator beim Telefonieren lästig ist, den Hörer zu halten. Daher neigt der Kommunikator wiederholt dazu, Details auszusparen und auch soziale Rituale außen vor zu lassen, um den Aufwand und die benötigte Zeit zu verringern, was einen Informationsverlust bedingt (Walther / Burgoon 1992). Als veranschaulichendes Beispiel sei die Studie von Straus (1996) genannt, die feststellte, dass Gruppen, die mit textbasierten Medien kommunizieren, durchschnittlich 740 Worte austauschen, und Gruppen, die verbal und face-toface sprechen, 1702 Worte austauschen. Dies bedeutet, dass der Informationsstand zwischen den Teammitglieder ungleicher ist als in einem face-to-face Team, was sich nachteilig in der Aufgabenerledigung auswirkt, wenn relevante Information fehlt. Als generelles Fazit lässt sich feststellen, dass all die genannten, in sich genommen weniger gewichtigen Probleme sich dazu potenzieren, dass Teammitglieder weniger Informationen mitteilen. Dies kann damit beginnen, dass sie die Mühe scheuen, die mit der Nutzung von Medien verbunden ist. Verschiedene Zeitzonen, Zwang zur Nutzung von asynchronen Medien sowie Defizite in der Technologie stellen technische bzw. strukturelle Hindernisse zur direkten Interaktion dar und führen regelmäßig zu Verzögerungen. Kulturelle Unterschiede in der 129

Vgl. Kapitel 4.2 ‚Konflikte in multikulturellen Arbeitsgruppen’.

134

Mediennutzung verstärken die Problematik der erschwerten Kommunikation. In der Konsequenz gestaltet sich der Kommunikationsprozess weniger effektiv, so dass sowohl mit mehr Aufwand aber auch mit schlechteren Resultaten, d.h. stark ungleichen Informationsständen zwischen den Beteiligten an den verschiedenen Standorten zu rechnen ist. Nachdem in dieser Arbeit interdependente Arbeitsgruppen mit einer kognitiven Aufgabe der Betrachtung unterliegen, ist unter Bezug auf den Problemlösungsprozess aus Kapitel 3.3.6 zu erkennen, dass bei Hindernissen im Kommunikationsprozess die Basis für eine Aufgabenbewältigung erheblich gestört ist. In jeder Phase der Aufgabenbewältigung, angefangen von der Problemidentifikation und Ideenaustausch hin zur Entscheidung und Implementation, ist ein intensiver Informationsaustausch nötig; ist dieser erschwert und lückenhaft, kommt es zu fehlerhaften oder zumindest suboptimalen Ergebnissen und Einschnitten in der Teameffektivität. Hofner Saphiere (1996) belegt in einer ersten empirischen Untersuchung explorativer Art, dass Kommunikationsumfang und Teameffektivität in statistischem Zusammenhang stehen. Die genannten Probleme sollen nun zu Arbeitshypothesen zusammengefasst werden: Arbeitshypothese Prozess vK0P 1: Die Mediennutzung per se sowie strukturelle und technische Hindernisse führen zu erhöhtem Kommunikationsaufwand sowie zu Verzögerungen und Einschränkungen des Informationsaustauschs. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 1: Kulturelle Unterschiede in der Nutzung von Medien verstärken die Problematik interkultureller Konflikte im Sinne von falschen Erwartungshaltungen, En- und Dekodierungsproblemen und Fehlattributionen. Arbeitshypothese Output (Leistung) vK0O 1: Ungleicher Informationsstand führt zu lokalem Mangel an relevanter Information und zu suboptimaler Aufgabenerfüllung. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 2: Die Mitarbeiter sind unzufrieden durch die Belastungen im Kommunikationsprozess.

6.1.2

Mangel an sozialer und Kontextinformation

6.1.2.1 Die Hypothese der lack of social context cues Vergleicht man nun den Gehalt von Kommunikation über technische Medien mit dem von face-to-face Kommunikation, ist festzuhalten, dass nicht nur sachbezogene Information reduziert wird. Ein zusätzlich großer Anteil, der von den Gesprächspartnern fast komplett vernachlässigt wird, sind die sozialen und Kontextinformationen. Dies beschreibt die lack of social context cues hypotheses von Sproull / Kiesler (1986), die in einem Augenblick genauer erläutert wird. Um zuvor einen retroperspektiven Blick auf die Entwicklung dieser Forschungsrichtung zu werfen, soll kurz gesagt werden, dass zu Beginn der computergestützten Medien die Behauptung im Raume stand, dass auf diesem Weg ‚irrelevante’, nämlich persönliche und nicht aufgabenbezogene Information beseitigt und damit Ablenkung von der Sache vermieden wird (Kiesler / Sproull 1992 S. 105). Individuelle Aspekte, die soziale Rollen unabhängig von Kompetenz und Aufgabenbezogenheit fördern würden, wie z.B. Geschlecht, Alter, Rasse oder körperliche Konstitution werden nicht wahrgenommen und verzerren den Austausch nicht (vgl. für eine Übersicht Höflich 1996 S. 134). Dies wird in den Kapiteln 6.2.4 ‚Erhöhter Sachfokus’ und 6.2.5 ‚Demokratisierung’ noch einmal aufgegriffen. Jedoch erkannten die Forscher dann, dass auch diese Art von Information wichtig ist für die Zusammenarbeit, wie die lack of social context cues hypotheses postuliert: Im Gespräch Angesicht zu Angesicht verwenden die Kommunikationspartner eine Reihe von parallelen Kanälen, um Botschaften auszutauschen (Culnan / Markus 1987 S. 53). Neben den gesprochenen Worten greifen die Partner auf Elemente paraverbaler oder nonverbaler Art zurück. Um kurz die Aussagen aus Kapitel 3.3.1 ‚Kommunikation’ zu wiederholen: Paraver135

bal bezieht sich auf Geräusche, welche die menschliche Stimme außer Worten hervorbringt. Nonverbal bezeichnet eine weite Anzahl der sonstigen Botschaften, die vom Körper ausgesandt werden, angefangen über Augenbewegungen und -kontakt, Körpersprache inklusive Gesten, Mimik und Bewegung, räumliche Distanz und Berührung als auch Signale, die von der Umgebung oder von Artefakten ausgehen (z.B. Kleidung und Büroeinrichtung) (Jandt 1995 S. 76ff). Je nach Medium fallen Elemente aus diesem Repertoire weg und begrenzen die Anzahl der möglichen Kommunikationskanäle. Das Konzept der media richness (Daft / Lengel 1986) erfasst die Bandbreite an Kommunikationskanälen, die ein Medium erlaubt.130 So gilt ein Medium als sehr rich (reichhaltig), wenn es sämtliche Kanäle zur Verfügung stellt. Die reichhaltigste Form der Kommunikation ist somit das face-to-face Gespräch (siehe auch Doherty-Sneddon et al. 1997), das jedoch in virtuellen Teams durch die Kommunikation über Medien substituiert werden muss. Die Videokonferenz kommt zwar an Reichhaltigkeit dem Gespräch nahe, doch die gängigsten Medien wie Telefon oder E-mail verfügen über eine weit geringere Bandbreite. Insbesondere nonverbale und zum Teil paraverbale Kanäle sind nicht eingeschlossen. Damit fehlen Signale, die einerseits zur Ergänzung des Sachverhalts notwendig sind, andererseits wird ein Großteil sozialer Informationen herausgefiltert, welche den Kommunikator beschreiben: seinen sozialen und beruflichen Status (neben Wissen darüber ist gleichermaßen dessen visuelle Demonstration entscheidend, damit der Kommunikationspartner den Status erund anerkennt), demographische Merkmale (Kultur, Geschlecht, Alter) und persönliche Eigenschaften (Walther / Burgoon 1992 S. 53). Diese sind wesentlich für eine Rollendifferenzierung, die für Beziehungsstabilität sorgt (Nohria / Eccles 1992 S. 294). Zudem fehlen Angaben zum Kontext, die in den seltensten Fällen in schriftlicher oder fernmündlicher Version getätigt werden, da sie lokal als selbstverständlich angesehen werden (z.B. zu Arbeitsbedingungen, Wetterverhältnissen etc.) (Hinds / Weisband 2003 S. 28). Auf die Konsequenzen hiervon wird in Kürze, nach Darlegung sämtlicher Mängel, eingegangen. In der face-to-face Zusammenarbeit, d.h. wenn Teammitglieder in einem Büro, auf einem Flur oder zumindest in häufigen Meetings versammelt sind, können sie sich gegenseitig beobachten und dabei Informationen sammeln, die unbewusst und unabsichtlich ausgesandt und damit niemals Bestandteil intentionaler Kommunikation werden und einen virtuellen Kollegen nicht erreichen. Diese Eindrücke über Person, Arbeitsweise, situative Umstände etc., die nur über Kopräsenz erhalten werden können, sind relevant, um die Kollegen, deren Stärken und Schwächen sowie momentane Verfassung einschätzen zu können (DeSanctis / Monge 1998, Elsener 2005). Dies spielt sowohl für die Einstufung des Kollegen als vertrauenswürdig als auch für die Herausbildung eines Wir-Gefühls im Team eine Rolle, wie in den Kapiteln 6.1.4.2 ‚Aufbau von Vertrauen’ und 6.1.3 ‚Teamentwicklung in virtuellen Teams’ erläutert werden wird. Der Mangel an sozialer und Kontextinformation ist inzwischen soweit erkannt, dass sogar das Handelsblatt Tipps zum richtigen Umgang mit E-mails im internationalen Feld gibt (siehe Siering 2006). Als zentrale Aussage dieses Abschnitts ergibt sich folgende Arbeitshypothese: Arbeitshypothese Prozess vK0P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt.

6.1.2.2 Konsequenzen des Mangels an sozialer und Kontextinformationen Die Abwesenheit der sozialen und Kontextinformationen vor allem bei den computergestützten Medien hat Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen. An erster Stelle sind Verständ130

Auf die media richness ist bereits in Kapitel 2.4.2 ‚Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale’ verwiesen worden.

136

nisprobleme zu nennen. So werden Nachrichten nicht richtig interpretiert, da ein Teil der notwendigen Information fehlt. Hier ist eine wichtige Schnittstelle mit der interkulturellen Problematik zu erkennen: Nachrichten oder Reaktionen werden nach den eigenen kulturellen Codes entschlüsselt, und bisherige Erfahrungen interpersonaler Interaktionen werden auf die elektronische Kommunikation übertragen. Diese Tendenz wird im virtuellen Bereich auf Grund noch geringerer Kenntnisse des Gegenübers verstärkt (DeSanctis / Monge 1998). Auch bei Diversität hinsichtlich Organisation, Abteilungen, Funktionen etc. ist dieses Problem gravierend. Die virtuelle Problematik wird durch die interkulturelle Kooperation verschärft und umgekehrt (Eichmann / Hermann 2004). In der Konsequenz wird die inhaltliche Bedeutung einer Botschaft nicht oder falsch erkannt (DeSanctis / Monge 1998, Hightower / Sayeed 1996 S. 455); vor allem Andeutungen werden nicht verstanden (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 24). Dies erscheint gerade im interkulturellen Kontext als einschneidend, da Andeutungen, d.h. indirekt angesprochene Sachverhalte, kulturell unterschiedlich angebracht und ausgedrückt werden. Auch das Ausmaß, inwieweit eine Angelegenheit explizit oder implizit geäußert wird, variiert, so dass insbesondere im virtuellen Austausch zwischen Angehörigen von Hochkontext- und Niedrigkontextkulturen Probleme zu erwarten sind (vgl. Hall 1976): Ein Mitglied einer Niedrigkontextkultur ist es im geringerem Maße gewohnt, sprichwörtlich ‚zwischen den Zeilen zu lesen’, so dass vor allem auf seiner Seite Informationsmangel bzw. Verständnisprobleme entstehen (Chen 1998). Diese Missverständnisse münden in falscher Reaktion oder zusätzlichem Aufwand der Klärung, wenn die Beteiligten das Vorliegen eines Missverständnisses begreifen. Ebenso unterschätzen die Empfänger zuweilen die Wichtigkeit oder Dringlichkeit einer Mitteilung, da die zusätzlichen Signale bzw. Hinweise darauf fehlen (Cramton / Orvis 2003 S. 221). Wenn die Angelegenheit tatsächlich nachrangig behandelt wird, ergeben sich Zeitverzögerungen in der Gesamtleistung. Gerade das unmittelbare back-channel Feedback in einer give-and-take Diskussion durch para- und nonverbale Kommunikation ist ausschlaggebend (Hightower / Sayeed 1996 S. 455). In einem normalen face-to-face Gesprächsverlauf sind Reaktionen auf Gesagtes in Form von veränderten Gesichtsausdrücken, Bewegungen und Lauten ebenso Mitteilungen (Cramton / Orvis 2003 S. 221, Chase et al. 2002, Hightower / Sayeed 1996 S. 455). Diese Signale können sowohl Zustimmung, Freude, Erheiterung und ähnliches beinhalten, aber auch Abneigung, Zurückhaltung und Unverständnis. Zeitnah kann darauf reagiert werden, entweder mit Fortfahren des Themas oder auch Klärung offensichtlicher Missverständnisse, Unklarheiten und Fragen (Henry / Hartzler 1998 S. 87 in Spehrer 2001 S. 25). In einer virtuellen Kommunikation (sei es über Telefon, E-mail oder chat) fallen diese scheinbar ‚kleinen’ Signale weg und müssten jeweils einzeln explizit getippt oder ausgesprochen werden, was selten passiert, da sie vom Kommunikator meist unbewusst und unabsichtlich produziert werden. Nebenbei fungieren non- und paraverbale Signale der Regulation des Gesprächs (z.B. Blickkontakt zur Sequenz beim Sprechen), so dass allein der Verlauf einer Diskussion in bi- oder multilateralen Telefongesprächen oder z.T. auch Videokonferenzen viel schlechter gesteuert werden kann (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 100, Nardi / Whittaker 2002 S. 95). Es besteht die Gefahr, dass sich die Beteiligten nur auf die Kernpunkte konzentrieren, da Diskussionen über zu komplexe Themen bzw. allumfassende Details zu schwierig durchzuführen sind. Der Austausch per asynchrone Medien gestaltet sich noch schwerfälliger, da Mitteilungen wie z.B. Emails in ungeordneter Reihenfolge eingehen und der einheitliche Diskussionsstrang verloren geht (Cramton 2002). Hinsichtlich Effektivität bewirken diese Hürden, dass Informationsaustausch, Diskussionen und Konsensfindung sich auf Grund der im vorigen Abschnitt erläuterten Verständnisschwierigkeiten und den mangelnden Gesprächsmechanismen in die Länge ziehen bzw. einen erhöhten Aufwand in Form von Nachfragen und Klärung erfordern. Dies kann die Teammitglieder mürbe und unzufrieden machen. Die Anforderung an eine begleitende Koordination 137

und an das Konfliktmanagement ist höher; die Verzögerung und erschwerte Aufgabenerledigung liegen auf der Hand (Kiesler / Sproull 1992). Zusätzlich zu den Komplikationen auf der Sachebene ist es wahrscheinlich, dass durch den Mangel an sozialer und Kontextinformation Beziehungsprobleme entstehen. Allerdings wird an dieser Stelle Vertrauen und Teamentwicklung noch ausgespart, da ihnen eigene Kapitel gewidmet werden.131 Die Gefahr, dass aus Missverständnissen Konflikte mit emotionalen und beziehungstechnischen Störungen erwachsen, ist bei Minimalkontakten ungleich höher (Michel 2003). Denn neben der fehlenden Möglichkeit, im persönlichen Kontakt umgehend und unter kleinstem Aufwand Missverständnisse zu beseitigen, gibt es kein soziales Korrektiv über die Anwesenheit Anderer (Gillies 2005), das einen Druck zur Kooperation ausübt. Zur sozialen Kontrolle wird später noch im Rahmen der Depersonalisierung eingegangen. Es kann ferner passieren, dass Konflikte unentdeckt bleiben, da Signale wiederum nicht wahrgenommen werden (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 100). Wie Cramton und Orvis (2003) bzw. Cramton (2002) ausführen, veranlasst der Mangel an besagter Information Fehlattributionen, die wiederum Handlungen, Gefühle und Gedanken leiten.132 In einer Situation, in welcher der Kommunikationspartner ein Problem erkennt, neigt er dazu, da ihm ausreichende Information zur Umgebung und der persönlichen Lage des virtuellen Kollegen fehlen, die Ursache des Problems in dessen Person zu sehen. Der Kollege wird als inkompetent, unwillig, unhöflich oder gar böswillig eingestuft (wie z.B. bei Abel 1990 belegt). Dieses Vorgehen wird dadurch verstärkt, dass eine persönliche Zuschreibung kognitiv viel leichter durchzuführen ist als den Mehraufwand der richtigen und vollständigen Analyse der Situation auf sich zu nehmen, die eine ausgiebige Informationssuche und -durchsicht verlangt, die, wie weiter oben bereits dargelegt, auf Grund der Nutzung technischer Hilfsmittel grundsätzlich arbeitsreich ist. Dieser ultimative Attributionsfehler (nach Pettigrew 1979) führt in verschiedenen Bereichen zu negativen Konsequenzen: Kollegen an anderen Standorten wird weniger Kompetenz bzw. Leistungsbereitschaft zugeschrieben, was einen Rückzug in die lokale Subgruppe favorisiert. Damit entstehen in- und outgroups innerhalb des Teams nach Standorten (wie von Armstrong / Cole 2002 und Herbsleb / Grinter 1999 bestätigt).133 Wenn die Standorte in verschiedenen Ländern lokalisiert sind, potenziert sich diese Tendenz durch die Kommunikationsschwierigkeiten auf Grund kultureller Unterschiede und das Phänomen des Ethnozentrismus.134 Das Vertrauen in die Kollegen der anderen Standorte ist gefährdet;135 Kommunikationsfehler drohen eher zu eskalieren, wie im vorigen Abschnitt bereits erwähnt wurde (Cramton / Orvis 2003 S. 224). Hambrick et al. (2001) liefern ein Modell zu einer Abwärtsspirale, die durch demographische Unterschiede, unterschiedliche Unternehmenszugehörigkeit, kognitiven und affektiven Konflikt genährt wird und in Desintegration der Gruppe mündet. Depersonalisierung ist ein weiterer Effekt des Mangels an sozialer und Kontextinformation, wie Walther und Burgoon (1992) bemerken. Hinweise, die durch Artefakte wie Kleidung oder Sitzordnung oder Verhaltensweisen wie zustimmendes Nicken oder respektvolles Zuhören, vermittelt werden, geben bei face-to-face Interaktionen die soziale Ordnung und die herrschenden Normen an. Entsprechend passen sich die Beteiligten in Ton und Inhalt der Kommunikation an, wie z.B. bei Anwesenheit von oberen Führungskräften im Meeting Mitarbeiter 131 132 133

134 135

Siehe siehe 6.1.3 ‚Teamentwicklung in virtuellen Teams’ und 6.1.4 ‚Mangel an Vertrauen’. Vgl. Kapitel 4.2.5 ‚Fehlattributionen’. Zerbe geht so weit zu behaupten, dass man gar nicht von einem einzigen Team sprechen kann, wenn es lokale Subteams beinhaltet, da die Subteams zueinander nicht dieselben Teamphänomene aufweisen, wie es die Definition von Gruppen impliziert (2000 S. 22). Vgl. faultline-Hypothese in Kapitel 6.1.3.2 ‚Ausprägungen und Konsequenzen der mangelnden Teamentwicklung’. Vgl. Kapitel 6.1.4 ‚Mangel an Vertrauen’.

138

differenziert, kontrolliert und formal auftreten und den Anwesenden Aufmerksamkeit schenken (Kiesler / Sproull 1992 S. 102). Fehlen nun diese visuellen Signale, kommen sozialer Status und soziale Normen weniger zur Geltung und die Teammitglieder erleben Distanz und Anonymität. Wie bereits erwähnt, destabilisieren sich die Gruppenbeziehungen durch mangelnde Rollendifferenzierung. Es folgt unreguliertes Verhalten der Akteure mit einem Fokus auf sich selbst; gute Erscheinung spielt eine geringere Rolle, und daher wird das Verhalten extremer, impulsiver und sozial weniger differenziert. Soziale Hürden werden überwunden und Gruppenverhalten dereguliert (Kiesler / Sproull 1992 S. 103). Auch sinkt die Motivation durch die Abwesenheit von unmittelbaren Kollegen (Cuevas et al. 2004). Erste theoretische Erklärungen hierzu vermeinen Kiesler / Sproull (1992) in der reduced evaluation anxiety zu erkennen: Die Aufmerksamkeit auf Andere schwindet und damit gleichermaßen der Bedarf, vor ihnen ein möglichst gutes Bild abzuwerfen. Die reduced social attention besagt zudem Folgendes: Dadurch, dass bei computergestützten Medien der visuelle Gegenüber fehlt und der Kommunikator nicht erkennt, von wem und ob seine Nachrichten gelesen werden, schreibt er offener und weniger an sozialen Normen ausgerichtet. Walther und Burgoon (1992) sowie Cakir / Bichelmeyer / Cagiltay (2002) argumentieren mit der social presence theory nach Short / Williams / Christie (1976): Soziale Anwesenheit wird definiert als „degree of salience of another person in an interaction and the consequent salience of an interpersonal relationship“ (Walther / Burgoon 1992 S. 52). In computergestützter Kommunikation ist die Salienz auf Grund der verminderten Hinweise gering, zudem fehlen die Beziehungsnachrichten, die meist über nonverbale Elemente vermittelt werden. Damit verlieren die Teilnehmer den Bezug zu ihren Kommunikationspartnern und werden unpersönlicher und unemotionaler. Andererseits kann der Mangel an sozialer Kontrolle dazu verleiten, dass die Kommunikationsteilnehmer nicht mehr vor persönlichen Angriffen zurückschrecken (flaming), wie Sproull / Kiesler (1991) und Walther (1996) behaupten. Dies tritt hingegen eher in anonymen ad hoc-Gruppen der Labor- bzw. Studentenuntersuchungen auf, weniger in realen Arbeitsgruppen, deren Mitglieder durch die Unternehmenszugehörigkeit und Einbindung in ein hierarchisches soziales Konstrukt noch eher soziale Kontrolle verspüren; ein empirischer Beleg für flaming in realen virtuellen Arbeitsgruppen liegt noch nicht vor (vgl. auch Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 82). Die Depersonalisierung beinhaltet ferner den Mangel an informellen Gesprächen, die fast nur face-to-face abgehalten werden. Die Konsequenzen davon auf die interpersonalen Beziehungen und insbesondere für die Teamentwicklung werden auf Grund ihrer immensen Bedeutung für virtuelle Teams im eigenen Kapitel 6.1.3 erläutert. Die Abwesenheit von face-to-face Kontakten und der damit verbundene mangelnde informelle Austausch hat nicht zuletzt Auswirkungen auf das interkulturelle Lernen, was als Synergieform multikultureller Arbeitsgruppen in Kapitel 5.2.5.2 postuliert worden ist. An dortiger Stelle wurde im Sinne der Kontakthypothese darauf hingewiesen, wie entscheidend genau diese zwei Voraussetzungen für den Aufbau interkultureller Kompetenz sind. Wenn die Teammitglieder ihre Kollegen nicht physisch wahrnehmen können, wird ihnen die Möglichkeit verwehrt, kulturelle Informationen zu erhalten. Interkulturelle Interaktionen sind stark geprägt durch nonverbale Kommunikationsanteile, die verloren gehen und damit die Bandbreite an Lerninhalten einschränken. Dies bewirkt, dass bei virtuellen Teams die Aufgaben meist so strukturiert werden, dass wenig Interdependenz zwischen den lokal getrennten Mitgliedern herrscht, damit Abstimmungsprozesse reduziert werden, welche, wie bereits detailliert erläutert, sich äußerst aufwendig gestalten würden. Somit fällt auch die formale Notwendigkeit des aufgabenbezogenen Austauschs als weitere Säule des interkulturellen Lernens weg. Damit ist diese Voraussetzung für interkulturelles Lernen nicht erfüllt; die Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 5 (Face-to-face Kontakt, aufgabenbezogene Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben.) kann nicht erfüllt werden. Die weiter oben genannten Aussagen werden zu folgenden Arbeitshypothesen summiert: 139

Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 2: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist der sachbezogene Austausch weniger effektiv, da mehr Missverständnisse auftreten und weniger Gesprächsregulation möglich ist. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 3: Dadurch, dass Unklarheiten nicht umgehend und unmittelbar aufgelöst werden können, und durch den Mangel des sozialen Korrektivs eskalieren Missverständnisse schneller zu Konflikten. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 4: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher. Arbeitshypothese Output (Leistung) vK0O 3: Der erschwerte Kommunikationsprozess bewirkt Fehler und Verzögerungen in der Aufgabenbewältigung. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 4: Missverständnisse und ständiger Klärungsbedarf führen zu Frustration und Unzufriedenheit bei den Teammitgliedern.

6.1.3

Teamentwicklung in virtuellen Teams

6.1.3.1 Die Rolle der face-to-face Interaktion für den Teamentwicklungsprozess Wird Teamentwicklung kurz gefasst als Aufbau eines funktionstüchtigen sozialen Systems verstanden,136 sind in dieser Hinsicht einige Probleme in virtuellen Teams zu vermerken. Die informelle Sozialisierung durch den direkten Umgang der Mitglieder ist bedeutend für die Teamentwicklung, da hierbei soziale Rollen und Verhaltensweisen als Grundlage für gemeinsam akzeptierte Arbeitsprozesse und das Funktionieren des Teams definiert werden. Besondere Bausteine hinsichtlich Teamentwicklung werden nach Tuckmans Modell in der storming-Phase gelegt. Wenn Störungen in diesem Sozialisierungsprozess auftreten, ist das Zusammenwachsen der Mitglieder gefährdet, und es entstehen nur unzureichend gemeinsame Arbeitsweisen (Herczeg et al. 2000 S. 15). Besonders in multikulturellen Arbeitsgruppen, in denen abweichende Auffassungen über Führung, Teamarbeit, Rollen, eigentlich über sämtliche Gruppenprozesse herrschen, gestaltet sich die Phase des stormings intensiver, da erst Übereinkunft gefunden und die Prozesse erarbeitet werden müssen. In virtuellen Teams ist empirisch belegt worden, dass diese Phase länger dauert (Joy-Matthews / Gladstone 2000, Herczeg et al. 2000 S. 25), vorrangig bedingt durch den Mangel an face-to-face Interaktion. Liebig / Schütze (2001) untersuchten in einer Interviewstudie, welche Herausforderungen bei Projektteams in den Phasen Initiierung, Projektplanung, Projektdurchführung, Controlling und Abschluss auftreten, und kamen zum Schluss, dass es in kritischen Phasen in jeder der genannten Phasen grundsätzlich an face-to-face Kommunikation bedarf. Empirische Belege, dass enge informelle Beziehungen für das Überleben der Gruppe und ihren Erfolg verantwortlich sind, liefern Balkundi / Harrison (2005). Im Kern liegt das Problem wiederum im Mangel an Austausch von Information, insbesondere zu sozialen und Kontextelementen.137 Welche Aspekte der face-to-face Interaktion besonders relevant für die Teamentwicklung sind, soll nun herausgestellt werden, vor allem in Hinblick auf das Zusammenwachsen einer multikulturellen Arbeitsgruppe. Ein Element davon ist der Vertrauensaufbau, dem auf Grund der besonderen Wichtigkeit ein eigenes Kapitel 6.1.4 eingeräumt wird. Die face-to-face Interaktion mag zwar im Lichte der direkten Aufgabenbewältigung nicht immer unbedingt notwendig erscheinen; dies lässt vermuten, dass daraus die Idee entstand, virtuelle Teams mit verstreuten Experten zu bilden. Doch liefert sie, wie inzwischen erkannt, 136 137

Für eine genauere Darstellung siehe Kapitel 3.3.7 ‚Teamentwicklung’. Vgl. Kapitel 6.1.2 ‚Mangel an sozialer und Kontextinformation’.

140

entscheidende Beiträge zur Teamentwicklung (vgl. z.B. Carletta / McEwan / Anderson 1998, Griffith / Neale 2001, Carletta / McEwan / Anderson 1998, Kayworth / Leidner 2000, Kiesler / Sproull 1992, Kirkman et al. 2002, Nandhakumar 1999, Nardi / Whittaker 2002, Earley / Laubach 2002). Es sei in diesem Zusammenhang nochmals an die Kontakthypothese138 erinnert, welche die face-to-face Interaktion als konstituierendes Element für interkulturelles Lernen beinhaltet. Denn nicht nur für interkulturelles Lernen ist diese Voraussetzung Bestandteil, sondern ebenso für die anderen Formen des gegenseitigen Näherkommens. Nardi / Whittaker (2002) sprechen vom social bonding, das sowohl durch die nonverbale Kommunikation als auch durch die informelle Konversation etabliert wird. Erstere läuft insbesondere durch die Möglichkeit zur körperlichen Berührung, zum gemeinsamen Essen und Trinken und durch das gemeinsame Erleben von Ereignissen ab. Gleichermaßen dienen hierfür informelle Gespräche, die zufällig stattfinden oder bewusst gesucht werden und hier nun etwas stärker im Detail besprochen werden: Vor, während oder nach einem anberaumten Besprechungstermin gibt es in face-to-face Gruppen die Gelegenheit, spontan Nebenthemen aufzubringen (Polzer et al. 2004 S. 10) bzw. small talk zu halten. Small talk als ein eigener diskursiver Akt ist in seiner Relevanz nicht zu vernachlässigen. Obwohl er scheinbar keinen nennenswerten Informationsgehalt aufweist, erfüllt er soziale Zwecke (Coupland 2000). Dies erkannte bereits Malinowski, als er den Begriff „phatic communion“ kreierte (1923), der den kommunikativen Vorgang beschreibt, durch den interpersonale Bindungen aufgebaut werden. Dabei geht es um soziale Kohäsion und gegenseitige Anerkennung. Small talk enthält dabei zweckungebundene Äußerungen zu Vorlieben oder Abneigungen, zu Wahrnehmung von irrelevanten Ereignissen oder zu blanken Offensichtlichkeiten. Darüber hinaus tritt small talk der Gefahr des Schweigens entgegen. Die Inhalte mögen banal erscheinen, doch befriedigt small talk Bedürfnisse, die im Kontext stecken (Coupland 2000 S. 5). Small talk erscheint vielfach am Rande eines nonverbalen Austausches (z.B. Überreichen eines Briefes) oder einer inhaltlich zweckgerichteten Konversation (z.B. wie der zu Beginn des Abschnitts genannte Besprechungstermin). So werden in einem solchen Termin Lücken für small talk genutzt, z.B. weil noch nicht alle anwesend sind, technische Sprechpausen entstehen (z.B. während ein technisches Gerät in Betrieb genommen wird) oder die Mitglieder absichtlich die Möglichkeit suchen. Im ersteren Fall gilt es als unhöflich, sich anzuschweigen, so dass meist eine Person die Initiative ergreift und einen nichtsachbezogenen Kommentar abgibt (vgl. Carletta / McEwan / Anderson 1998). In einer vergleichbaren virtuellen Situation wie einer Videokonferenz fühlen sich die Beteiligten hierzu nicht animiert bzw. genötigt, da die soziale Distanz zu hoch und der soziale Druck zu gering ist, wie Carletta / McEwan / Anderson (1998) in ihrer Feldstudie zeigen. Der small talk zur Überbrückung von Ausfallzeiten würde persönliche Information vermitteln, die wichtig für den Aufbau langfristiger Beziehungen wäre (Gutek 1997). Um noch einmal auf Malinowski (1923) zurückzugreifen, entspringt es dem menschlichen Bedürfnis nach physischer Präsenz anderer Menschen, dass in solchen Zusammenkünften „einfach geredet wird“. Es kann festgehalten und empirisch belegt werden (Carletta / McEwan / Anderson 1998, Hopper 1992, Schegloff 1986), dass small talk in virtuellen Umgebungen einen anderen Kontext findet und seiner ursprünglichen Funktion weniger dient. Aber gleichermaßen andere informelle Gespräche über den Schreibtisch hinweg, in der Kaffeeküche, in der Kantine, beim abendlichen Umtrunk oder während einem spontanen Besuch im Nachbarbüro würden dazu beitragen, dass nicht-arbeitsbezogene Themen, seien sie zum persönlichen Hintergrund oder auch zu Gefühlen, besprochen werden würden. Daher ist es den Mitgliedern in virtuellen Teams erschwert, persönliche Verbindungen zueinander aufzubauen: „Symbole auf dem Bildschirm können keine Beziehungen schaffen,“ meinen Lipnack / Stamps (1998 S. 267). Diese sind jedoch absolut notwendig, um die effektive Durchführung 138

Vgl. Kapitel 5.2.5.2 ‚Theorien zum interkulturellen Lernen’.

141

der Arbeitsprozesse zu gewährleisten (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 101). Ein Austausch persönlicher Information korreliert nach Orlikowski / Hertel / Konradt (2004) positiv mit der Teameffektivität und Mitarbeiterzufriedenheit, da soziale Prozesse wie Teamkohäsion, Vertrauensaufbau und Motivation unterstützt werden. Hofner Saphiere zeigte in einer Feldstudie, dass erfolgreiche virtuelle Teams mehr informelle Konversation betreiben als weniger erfolgreiche (1996). Zudem finden in diesem Rahmen arbeitsbezogene Informationsaustausche statt, insbesondere wenn die Mitteilung oder informelle Diskussion neuer Ideen im Mittelpunkt stehen (Nandhakumar 1999 S. 53). Diese wesentliche Form des Austausches fällt virtuell zum großen Teil weg (u.a. Hinds / Weisband 2003 S. 26, Nardi / Whittaker 2002 S. 87), da die Medien ihn einerseits technisch nicht vorsehen, ihm von den Beteiligten nicht bewusst Raum geschaffen wird, da sie die Bedeutsamkeit nicht erkennen, und kein ausreichendes Vertrauen zur Selbstöffnung gegeben ist.139 Diese Punkte wurden bereits einzeln in den vorangegangen Kapiteln besprochen und werden hier noch einmal kurz zitiert, um das Zusammenwirkung und die Bedeutsamkeit der Konsequenz herauszustellen. Neben dem verbalen Austausch, also Gesprächen, sind die nonverbalen Elemente ebenso zu berücksichtigen. Vor allem durch die Beobachtung und Aufnahme visueller Eindrücke gestaltet sich die Kommunikation in face-to-face Kontakten reichhaltiger (Griffith / Neale 2001 S. 396). Nachdem diese Möglichkeit in virtuellen Teams nur unzureichend (eventuell über Videokonferenzen) gegeben ist, fällt es den Teammitgliedern schwer, sich ein umfassendes Bild ihres Gegenübers zu verschaffen und ihn als Teamkollegen kennen zu lernen. Es ist schwieriger, Gemeinsamkeiten zu identifizieren (Hinds / Weisband 2003 S. 26), zumal die Kollegen keinen gemeinsamen Arbeitsalltag (also Kontext) erleben. So haben sie nicht die Möglichkeit, eine positive Einstellung zueinander zu entwickeln (Nandhakumar 1999 S. 53), was die Schwierigkeit des Aufbaus persönlicher Beziehungen verschärft. In multikulturellen Arbeitsgruppen, in denen die Mitglieder durch ihre kulturellen Hintergründe zwangsläufig unterschiedlicher sind, erscheint ein Kennenlernen allerdings noch gewichtiger. Die Kollegen verfügen über keine gemeinsame kulturelle Basis für Kommunikation und Kooperation, d.h. sowohl die kulturell geprägten Eigenschaften als auch Verhaltensweisen der Kollegen sind weitestgehend unbekannt. Dies fällt zwar etwas geringer ins Gewicht, wenn die Kollegen bereits Erfahrungen mit der oder den anderen Kulturen gesammelt haben, doch ist anzunehmen, dass die anderskulturellen Kollegen dennoch als fremder empfunden werden als die eigenkulturellen. In virtuellen multikulturellen Arbeitsgruppen wären face-to-face Gelegenheiten zum Kennenlernen noch bedeutsamer, denn ein großer Teil von Kultur ist implizit und wird lediglich unbewusst und nonverbal in der Interaktion geäußert,140 so dass er in der Kommunikation per Medien außen vor bleibt und nicht wahrgenommen werden kann (Thomas 2002 S. 181). Das heißt, die Informationen, die in multikulturellen Arbeitsgruppen im Rahmen eines Kennenlernens weiter gegeben werden müssten, sind vielfältiger, aber eben auch schwieriger zu transferieren. Insbesondere sei auf das Problem der Mitglieder hingewiesen, ohne diese Eindrücke eine Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit vorzunehmen, die unabdingbar für die Entfaltung einer vertrauensvollen Kooperation ist, wie im nachfolgenden Kapitel dargestellt werden soll. Es bleibt die institutionalisierte Beziehung mit den Kollegen ohne eine nennenswerte personalisierte Komponente (Nandhakumar 1999 S. 51). Es ist anzumerken, dass sich die Ausführung zum Kennenlernen auf solche Personen beziehen, die noch nie oder selten miteinander gearbeitet haben. Der Bedarf des Kennenlernens verringert sich, wenn sich die Kollegen aus früheren gemeinsamen Aufgaben vertraut sind (Bell / Kozlowski 2002). 139 140

Zheng et al. (2002) fordern daher den absichtlichen Einbau eines sozialen Austausches, wenn es schon kein kick-off Meeting gibt, da dieser tatsächlich vertrauensfördernd wirkt, wie sie in einer Laborstudien belegen. Vgl. soziale und Kontextinformation in Kapitel 6.1.2.

142

Über einen gemeinsamen Ort zu verfügen wie ein Büro bzw. ein gemeinsames Treffen abzuhalten, trägt symbolischen Charakter, um das Team greifbar zu machen und zu zeigen, dass die Beteiligten zusammengehören und einem gemeinsamen Zweck dienen (vgl. Griffith / Neale 2001 S. 396, Handy 1995 S. 21). Dies verweist auf die Rolle von Motivation: Face-toface Interaktion stellt eine extrinsische Form des Anreizes dar, da im persönlichen Kontakt Belohnung, Anerkennung und Feedback gegeben wird (Kirkman et al. 2002). Dass das Gefühl der Beobachtung bzw. Aufmerksamkeit sowie das Interesse und die Wertschätzung, die damit verbunden werden, Einfluss auf die Arbeitsleistung haben, wird unter dem Phänomen social facilitation behandelt und lässt sich auf die Teamkooperation, bei der alle Mitglieder an einem Ort physisch anwesend sind, übertragen (siehe beispielsweise Hertel / Kerr / Messé 2000 S. 322). Die Mitglieder der virtuellen Teams arbeiten zuweilen vollkommen isoliert voneinander und bekommen auf diese Weise wenig Bestätigung für ihre Leistung. Der Mangel an unmittelbarem Feedback erschwert nicht nur die Arbeitsbewältigung, sondern auch die soziale Befriedigung. Es besteht die Gefahr des Trittbrettfahrertums, dass sich ein Kollege auf Kosten der restlichen Gruppe zurückzieht (Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 35). Die Synergieform, die durch die Kooperation in einer Gruppe hinsichtlich Identifikation, Motivation und commitment in Kapitel 5.2.1 postuliert worden ist, wird in virtuellen Arbeitsgruppen also geschmälert. Vor allem dem kick-off Meeting wird von Experten herausragende Bedeutung zugeschrieben (vgl. zu den folgenden Ausführungen Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 79). Dieses persönliche Treffen zu Beginn einer Teamkooperation, meist eines Projekts, dient mehreren Zwecken: Einerseits lernen sich die Mitglieder auf den verschiedenen Ebenen (persönlich, beruflich, kulturell) kennen. Explizit kann zusätzlich auf die Klärung der Rollen und Funktionen der Mitglieder eingegangen werden, um die implizite, den Prozess begleitende Abstimmung des storming-Prozesses etwas zu ersetzen. Wie im Punkt Führung noch genauer ausgeführt wird, wird hier Raum geschaffen, um Ziele zu definieren und verständlich zu machen. Darüber hinaus können Regeln der Kooperation erarbeitet werden, gerade was die Form der Kommunikation betrifft (Fisher / Fisher 1998). Wie schon erläutert, ist die Schaffung einer gemeinsamen Kooperationsbasis gerade für multikulturelle Arbeitsgruppen ausschlaggebend, die hier einen Anfang nehmen kann. Es bietet sich an, dass interkulturelle Trainings, Maßnahmen zur Teamentwicklung sowie technische Schulungen zum Medienumgang integriert werden, um auf die Herausforderung der virtuellen Zusammenarbeit hinzuweisen und erste Instrumente der Handhabung mitzuliefern. Sicherlich fungiert ein solches offizielles Meeting gleichermaßen als Symbol, dass dem Team und seiner Aufgabe Wichtigkeit beigemessen wird.141 Empirisch ist die positive Wirkung eines kick-off Meetings auf die Effektivität virtueller Arbeitsgruppen und Vertrauen bestätigt worden (Crowston et al. 2005b, Orlikowski / Hertel / Konradt 2004, Warkentin / Beranek 1999, Rocco 1998). Bricht das kick-off Meeting weg und mangelt es generell an nachfolgenden Möglichkeiten der face-to-face Interaktion, wird der Teamentwicklungsprozess schwer gestört, da es keinerlei gemeinsame physische Basis gibt. Es ist dann anzunehmen, dass sämtliche bisher besprochenen Probleme in ihrer äußersten Heftigkeit auftreten. Um es auf den Punkt zu bringen, je höher der Grad an Virtualität hinsichtlich Fehlens von face-to-face Interaktion, desto schwieriger fällt der Prozess der Teamentwicklung.

141

Die mediengestützte Kommunikation in virtuellen Teams entbehrt sehr vielen Symbolen, die nur z.T. ersetzt werden können wie z.B. über emoticons. Eine Auflistung und Erläuterung weiterer Symbole in der Kommunikation liefert Keiser (2002 S. 124ff).

143

6.1.3.2 Ausprägungen und Konsequenzen der mangelnden Teamentwicklung Es wurde bei der Erläuterung der erschwerten Teamentwicklung bereits implizit auf die Konsequenzen hingewiesen, die an dieser Stelle hinsichtlich ihrer letztendlichen Wirkung auf die Gruppeneffektivität zusammengefasst werden sollen. Eine gemeinsame, informelle Sozialisierung resultiert in einer Grundlage für die Kooperation. Gibson / Cohen nennen das Ergebnis „geteiltes Verständnis”, das heißt „the degree of cognitive overlap and commonality in beliefs, expectations, and perceptions about a given target“ (2003a S. 8). Dieses Verständnis bezieht sich auf das Ziel, auf die Prozesse, auf die einzelnen Aufgaben und die benötigten Inputs der Mitglieder. Hinds und Weisband betrachten es als eine kollektive Methode, relevantes Wissen zu organisieren (2003 S. 21). Durch die Gegenseitigkeit ist es möglich, die besagte gemeinsame Basis zu erarbeiten, mit Hilfe derer Gruppenangelegenheiten besser gehandhabt werden können (DeSanctis / Monge 1998, Polzer et al. 2004 S. 10). Wenn dies nicht gegeben ist, kommt es zu einer Beeinträchtigung der Koordination in vielfältiger Weise (Hinds / Weisband 2003 S. 22): Die Mitglieder können nicht das Verhalten der Kollegen vorhersehen, müssen also ausdrücklich nachfragen, was der Einführung von Überwachungsmechanismen gleichkommt. Ressourcen, auch in Form von Arbeitseinsatz, werden verschwendet, da Redundanzen auftreten bzw. Aufgaben überarbeitet werden müssen, wenn sie beim ersten Mal auf Grund mangelnden Verständnisses anders oder falsch erledigt worden sind. Implementierungsprobleme liegen auf der Hand, wenn Entscheidungen nicht allseits klar waren, so dass Fehler in der Ausführung auftreten. Es liegt auf der Hand, dass diese durch Redundanzen und Fehlleistungen geprägte Arbeitsweise zu Frustration, Demotivation sowie zu Konflikten und schließlich zu genereller Unzufriedenheit der Beteiligten führen kann. Die gestörte bzw. mangelnde Teamentwicklung bedeutet ebenso, dass sich die Mitglieder weniger mit der Gruppe identifizieren. Identifikation kann umschrieben werden als ganzheitliche Bindung zwischen Gruppe und Mitglied, welche insbesondere ein Zugehörigkeitsgefühl und einen emotionalen Bezug erweckt (Burk 2003). Eine Identifikation fällt leichter, wenn Ähnlichkeiten gegeben sind (z.B. also geringe Diversität hinsichtlich Kultur, Beruf etc.), wenn sie wahrgenommen werden (leichter in face-to-face Kontakten) und wenn reichhaltig kommuniziert wird (also auch face-to-face) (Griffith / Neale 2001 S. 396). In der Konsequenz erscheint daher eine Identifikation in virtuellen multikulturellen Teams am schwierigsten. Es wurde bereits im Kapitel 6.1.2.2 darauf hingewiesen, dass durch die Nutzung von Medien Depersonalisierungseffekte eintreten: Mitglieder erleben sich weniger sozialen Normen unterworfen und sehen sich nicht in einer sozialen Rolle, was schließlich bedeutet, dass sie sich weniger der Gruppe verbunden fühlen. Teamidentifikation und -kohäsion stehen in einem engen Zusammenhang: Nur wenn ein Großteil, am besten alle Mitglieder, mit ihrer Gruppe im Einklang stehen, kommt ein allgemeines Gefühl der Verbundenheit auf.142 Beides ist notwendig, nicht nur für die Bildung gemeinsamer kognitiver Prozesse wie das geteilte Verständnis, sondern auch ganz entscheidend für die Motivation (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 86). Allerdings liegen beide Phänomene bedingt durch die geschilderten Probleme in multikulturellen virtuellen Arbeitsgruppen in geringerem Maße vor (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 86). Ohne Identifikation mit dem Team reduziert sich Motivation und commitment (O’Hara-Devereaux / Johansen 1994) und im nächsten Schritt die Gruppeneffektivität, da sich die Mitglieder direkt weniger für die Aufgabenerfüllung einsetzen und indirekt über unzureichende gegenseitige Unterstützung und andere Dienste wie offene Kommunikation und Konfliktlösebereitschaft auch ihre Kollegen in deren Aufgabenzuwendung beeinträchtigen (vgl. Wiesenfeld / Raghuram / Garud 1999). Wenn Teammitglieder ihrer Gruppe weniger verbun142

Vgl. Kohäsion in Kapitel 3.3.2.

144

den sind, fallen ihre Beiträge qualitativ und quantitativ geringer aus, so dass Problemlösungsund Entscheidungsprozesse ebenso betroffen sind. In virtuellen Teams herrscht auf Grund der erschwerten Prozesse eine tendenziell geringere Kohäsion als in face-to-face Gruppen (Keiser 2002 S. 188). Teammitglieder zeigen in der virtuellen Gruppe weniger Familiarität, Intimität und Selbstoffenbarung (Gibson / Cohen 2003b S. 409). Extreme Formen sind Abwesenheit, Trittbrettfahrertum und Fluktuation (O’Hara-Devereaux / Johansen 1994, Wiesenfeld / Raghuram / Garud 1999). Identifikationsprobleme betreffen im besonderen Maße Mitglieder, die vollkommen isoliert, d.h. in keiner lokalen Subgruppe arbeiten, während das restliche Team stärker geographisch konzentriert ist. Die Gruppenmitglieder neigen dazu, sich mehr in ihre lokale face-to-face Umgebung zu involvieren, da der emotionale Bezug und die Identifikation mit dem virtuellen Team fehlen (Gibson / Cohen 2003b S. 409). So wendet sich ein Mitglied womöglich vom Team völlig ab. Ist das virtuelle Gesamtteam in mehrere lokale Subteams aufgeteilt, besteht die Gefahr, dass die Kohäsion im Gesamtteam geschwächt wird. Polzer et al. (2004, 2005) untersuchten die faultline hypotheses, die besagt, dass sich die Gesamtgruppe in Subgruppen in diesem Fall anhand geographischer Diversität spaltet, deren Intergruppenbeziehung durch Misstrauen und Konflikte geprägt sind.143 Dieses Ergebnis sahen die Wissenschaftler in einer Untersuchung mit Studierenden bestätigt, die entweder vollkommen bzw. in drei oder zwei Subgruppen verteilt arbeiteten. Es zeigte sich, dass der Effekt am intensivsten bei zwei Subgruppen zu erkennen war: Das Merkmal der geographischen Verteilung war am stärksten salient und wurde von den Beteiligten verwendet, um ingroup und outgroup zu definieren und Verhaltensweisen entsprechend anzupassen. Der Grund liegt in der einfacheren Koordination, Diskussion und Ausführung in der lokalen Einheit. Es besteht die Gefahr, dass Informationen nicht weitergegeben, Arbeiten doppelt erledigt, Entscheidungen einseitig getroffen werden, die outgroup als weniger aktiv und vertrauenswürdig eingeschätzt wird und letztlich die outgroup entsprechend des Phänomens des Ethnozentrismus abgelehnt wird.144 Diese Tendenz kann durch unterschiedliche Kontexte und Kulturen, die in den verschiedenen Subgruppen vorhanden sind, verstärkt werden. Die folgenden Arbeitshypothesen bringen die Wirkungsweise und die Konsequenzen einer mangelnden Teamentwicklung auf den Punkt: Arbeitshypothese Voraussetzung vK0V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, fällt der Bedarf an gegenseitigem Kennenlernen und die Problematik der mangelnden face-to-face Interaktion geringer aus. Arbeitshypothese Prozess vK0P 3: Je weniger face-to-face Interaktion, eingeschlossen eines persönlichen kick-off Meetings und späterer begleitender regelmäßiger Treffen, desto schwieriger ist die Teamentwicklung in virtuellen multikulturellen Teams. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 5: Der informelle Anteil an Kommunikation ist virtuell bei weitem geringer als in face-to-face Kontakten, und die Teammitglieder haben weniger Ansatzpunkte sich kennen zu lernen. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis, welche die Koordination im Team erleichtern würde. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 7: Die Teammitglieder erleben mangelnde Teamidentifikation und -kohäsion, was zu einer Minderung der Motivation und der Verstärkung von Subgruppenbildung führt. Arbeitshypothese Output (Leistung) vK0O 5: Die Aufgabenerfüllung wird durch die mangelnde Basis an funktionierenden Gruppenprozessen gestört. 143 144

Die faultline hypotheses ist jedoch nicht nur auf geographische Diversität, sondern auch auf demographische Diversität anzuwenden, wie z.B. bei Lau / Murnighan (1998). Vgl. Kapitel 4.2.6 ‚Ethnozentrismus’.

145

Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 6: Mangelnde Identifikation und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit der Teammitglieder.

6.1.4

Mangel an Vertrauen

6.1.4.1 Das Vertrauenskonzept Dem Konzept Vertrauen wird in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet, sei es auf der Ebene des Wirtschaftsystems (z.B. Held / Kubon-Gilke / Sturn 2005), der Unternehmung (Hubschmid 2002) oder in der interkulturellen Situation (Thomas 2005, Johnson / Cullen 2002) und bei virtuellen Teams (Jarvenpaa / Leidner 1998). Für virtuelle Arbeitsgruppen stellt Vertrauen nach Ishaya / Macaulay (1999 S. 141) sogar einen Schlüsselfaktor dar. Vertrauen ist Untersuchungsgegenstand verschiedener Disziplinen, und entsprechend divers sind die Konzeptionen. Anstatt der Listung einer Reihe von Einsatzdefinitionen sollen zu Beginn die Merkmale von Vertrauen vorgestellt werden, über die Konsens herrscht, um danach auf die besonderen Schwerpunkte der Forschungsrichtungen hinzuweisen. Vertrauen heißt, dass der Akteur eine Erwartung an den Partner hegt, dass dieser so handelt, dass er dem Akteur keinen Schaden zufügt. Diese Erwartung gründet sich auf einen gewissen Grad an Unsicherheit, da nicht ausreichend Information vorliegt. In der Konsequenz zeigt der Akteur vertrauensvolles Verhalten. Dies ist beeinflusst durch die Vertrauensneigung des Individuums als stabile Persönlichkeitsdisposition, der Einschätzung des Risikos hinsichtlich Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß des Schadens sowie abhängig von der Vertrauenswürdigkeit des Partners als auch der Situation (vgl. zu diesem Abschnitt Gambetta 1988, Nooteboom 2002, Panteli 2003). In die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Partners fließen eine Vielzahl von Aspekten ein: Neben der vergangenen gemeinsamen Erfahrung spielt die Wahrnehmung dessen Kompetenz, Bemühens und Absicht hinein, sowie soziale Kategorien und persönliche Eigenschaften wie Integrität und Konsistenz (Hubschmid 2002 S. 310). Auch situative Einflüsse wie Kontext und die Beziehung zwischen den Beteiligten haben Auswirkungen darauf, ob dem Partner eine Handlung bzw. deren positiver Ausgang zugeschrieben wird (Hubschmid 2002 S. 310). Das Problem liegt in der richtigen Attribution der Ursachen (diese beeinflusst den weiteren Fortgang der Interaktion), denn selten verfügt das Individuen über ausreichend Information dazu. Nooteboom (2002) spricht hierbei von einem Informationsparadoxon: Fehlt komplett Information darüber, ob der Partner die Handlung ausführen kann bzw. will, ist keine Basis für Vertrauen gegeben. Herrscht hingegen vollständige Information, ist Vertrauen nicht nötig. Vertrauen ist in kalkulative und affektive Elemente zu unterscheiden (vgl. Nooteboom 2002 S. 42); erstere beziehen sich auf die berechnende Erwartung in Form einer subjektiven Wahrscheinlichkeit, ob sich der Partner so oder anders verhalten wird. Dabei werden Kosten und Nutzen abgewogen, das vom Eigeninteresse der Beteiligten abhängt. Bei affektivem Vertrauen spielt weniger das Kalkül eine Rolle als emotionale oder moralische Hintergründe, die trotz (oder auch mit) andersgeartetem Selbstinteresse den Partner zu wohlwollender Handlung anregen, um eher langfristig einen gemeinsamen Nutzen zu ziehen. Die Basis von Vertrauenswürdigkeit ist dabei meist eine andere; so spielen erstere Vertrauenselemente eher eine Rolle bei Beziehungen, die über Verträge oder Vereinbarungen gesichert sind oder auch von einem gemeinsamen Interesse getragen werden. Auf der anderen Seite stehen eher Altruismus oder Moral. Reziprozität ist hingegen zwischen Interesse und Altruismus anzusiedeln (vgl. zu diesen Ausführungen Nooteboom 2002). Eine ausreichende Kontrollmöglichkeit ist in allen Fällen nicht gegeben, bzw. das Individuum verzichtet auf deren Ausübung (Gambetta 1988, Deutsch 1962).

146

Vertrauen der bisher erläuterten Form wird als interpersonales Vertrauen bezeichnet. Grundsätzlich kann es sich ebenso auf Objekte oder Institutionen bzw. Systeme richten und als Zusatz zu interpersonalen Vertrauen in Beziehungen fungieren kann. Luhmann (1988) spricht bei Vertrauen in Institutionen von confidence (Zuversicht). Als vollständigen Ersatz reicht jedoch System- oder Institutionenvertrauen nach Krystek (2002 S. 823) für eine Kooperation zwischen Personen nicht aus. Forschungsrichtungen, die sich mit Vertrauen auseinander setzen, sind hauptsächlich die Soziologie, die Sozialpsychologie, die Ethik sowie die Management- und Organisationslehre. Luhmann als bekanntester Vertreter der Soziologie spricht von Vertrauen zur Reduktion der sozialen Komplexität (1979). Die Sozialpsychologie, z.B. bei Rotter (1967), beschäftigt sich u.a. mit der Entwicklung von Vertrauen als Lernprozess und als generalisierte Erwartung. Ethiker fokussieren auf der durch die moralische Entwicklung internalisierten Orientierung, welche die Einhaltung von Vertrauen fordert (Rushton 1980). Die Spieltheorie betrachtet die Umstände des Zustandekommens von Vertrauen (Axelrod 1984). In der Transaktionskostentheorie steht die Abwägung des persönlichen Nutzens in der sozialen Interaktion im Vordergrund, von dem man beim rational choice Modell des Menschen ausgeht (vgl. z.B. Tyler / Kramer 1996 S. 1). Die Managementlehre sieht Vertrauen inzwischen als einen erfolgskritischen Faktor, den es zu stützen bzw. aufzubauen gilt, um erfolgreiche Kooperationen im oder zwischen Unternehmen zu sichern (vgl. Hubschmid 2002 S. 305). Einen detaillierten Überblick zu Themen und Disziplinen gibt die T3 Group (2004).

6.1.4.2 Aufbau von Vertrauen Der Aufbau von Vertrauen wird aus den vielfältigsten Perspektiven untersucht. In der Literatur werden mehrere Faktoren vorgetragen, die zur Entwicklung bzw. zum Erhalt von Vertrauen fungieren, aber sie liegen in Fragmenten vor, die in keine umfassende Theorie integriert werden. Daher wird nun in zwei Schritten vorgegangen: Zuerst soll ein Überblick über die Einflussfaktoren auf die Entstehung von Vertrauen vorgelegt werden. Dabei gibt es erste konzeptuelle Erklärungsversuche, die mehr als einen Faktor erfassen. Anschließen wird die Dynamik hinsichtlich der Entwicklung von Vertrauen erläutert. Dies dient als Basis, um im nachfolgenden Kapitel die Defizite beim Vertrauensaufbau in virtuellen Teams zu identifizieren. Eine Literaturdurchsicht145 ergab folgende Faktoren, die sich verschiedenen Quellen zuordnen lassen (vgl. Tab. 9): Ausgangspunkt ist der Vertrauende: Seine Vertrauensneigung und Risikobereitschaft bestimmen, wie stark er dazu tendiert, anderen Personen Vertrauen zu schenken. Diese beiden Merkmale werden zuweilen als persönliche Disposition, zuweilen als Summe von Lebenserfahrungen definiert. Der Vertrauende nimmt nun die übrigen Faktoren wahr, schätzt sie subjektiv ein und fasst daraufhin Vertrauen zum Partner oder nicht. De facto dreht sich alles um die Einschätzung des Partners als vertrauenswürdig, das jedoch eine Vielzahl von Aspekten in sich vereinigt: Die persönlichen Eigenschaften wie Offenheit, Ehrlichkeit, Loyalität, Integrität und Verlässlichkeit des Partners sind ebenso wichtig wie dessen Gruppenzugehörigkeiten wie Familie, Kultur, Religion, Berufsvereinigungen, Berufsgruppen etc. Inwiefern der Partner zudem als fähig eingestuft wird, die zu erwartende Leistung zu erbringen, hängt ab von seinen Kompetenzen, die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Erfahrung und Expertise umfassen. Auch 145

Vgl. Gambetta (1988), Gibson / Manuel (2003), Jarvenpaa / Leidner (1998), Jarvenpaa / Knoll / Leidner (1998), Hubschmid (2002), Korsgaard / Schweiger / Sapienza (1995), Köszegi (2002), Lewicki / Bunker (1995), Mayer / Davis / Schoorman (1995), McAllister (1995), Nandhakumar (1999), Neubauer (1997), Nooteboom (2002), Panteli (2003), Zimmermann (2003).

147

seine Absichten und Motive (Eigeninteresse, Altruismus, vertragliche Verpflichtung, Moral etc.), die er in wohlwollenden Handlungen zeigt oder anderweitig erahnen lässt, sind Teil seiner Vertrauenswürdigkeit. Leistungen, die er liefert, und Konsistenz in seinem Verhalten sind weitere Elemente, die dem Vertrauenden helfen, sich ein Bild zu machen. Faktor

Autor

Eigenschaft des Vertrauenden: Vertrauensneigung und Risikoneigung

Jarvenpaa / Knoll / Leidner 1998, Köszegi 2002, Hubschmid 2002, Mayer / Davis / Schoorman 1995

Eigenschaften des Vertrauenspartners: persönlich (Offenheit, Ehrlichkeit, Loyalität, Integrität, Verlässlichkeit) und Gruppenzugehörigkeit (Familie, Kultur, Religion..)

Hubschmid 2002, Köszegi 2002, Neubauer 1997, Nooteboom 2002, Zimmermann 2003

Absichten: gezeigt durch benevolence und Fairness

Korsgaard / Schweiger / Sapienza 1995, McAllister 1995, Nooteboom 2002, Neubauer 1997

Kompetenzen: Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Erfahrung, Expertise

Hubschmid 2002, Neubauer 1997, Nooteboom 2002, Panteli 2003

Leistungen

Hubschmid 2002, Nooteboom 2002

Verhaltenskonsistenz

Hubschmid 2002, Köszegi 2002, Neubauer 1997, Zimmermann 2003

Situation: Risiko, Interdependenz, Schadensmöglichkeit, Kontrollunmöglichkeit

Gambetta 1988, Gibson / Manuel 2003, Köszegi 2002, Lewicki / Bunker 1995, Nooteboom 2002, Panteli 2003, Zimmermann 2003

Kontext: Organisation und Motivationsstruktur

Hubschmid 2002

Physische Präsenz, Interaktion und Kommunikation

Gibson / Manuel 2003, Hubschmid 2002, Jarvenpaa / Leidner 1998, Lewicki / Bunker 1995, McAllister 1995, Neubauer 1997, Nandhakumar 1999, Nooteboom 2002, Zimmermann 2003

gemeinsame Erfahrung, Vertrautheit, erarbeitete Gemeinsamkeiten (Normen, Werte)

Gibson / Manuel 2003, Hubschmid 2002, Jarvenpaa / Leidner 1998, Nooteboom 2002, Panteli 2003, Zimmermann 2003

Prozesse, Standards, Regeln (institutionenbasiert)

Hubschmid 2002, Nooteboom 2002

(zufällige) Verhaltensweisen

Gambetta 1988, Jarvenpaa / Leidner 1998, Jarvenpaa / Knoll / Leidner 1998, Köszegi 2002

Tab. 9: Einflussfaktoren für die Entstehung von Vertrauen und ihre Autoren Was zu diesem Punkt bereits deutlich wird, ist, dass Kommunikation und Interaktion erst die Wahrnehmung und die richtige Attribution all dieser Faktoren ermöglichen; diese werden zusammen mit physischer Präsenz einstimmig von allen Autoren genannt. Reicht die Interaktion in die Vergangenheit zurück, liegen bereits gemeinsame Erfahrungen vor, herrscht eine gewisse Vertrautheit und ist ein gemeinsames Verständnis erarbeitet worden. 148

Elemente, die nicht in der Hand der Interaktionspartner liegen, sind der Kontext und die Situation. Der Kontext spiegelt die Organisationskultur wider, z.B. den Grad an Hierarchie und Kontrolle, monetäre Anreize zur Kooperation oder Prozesshaftigkeit. Letzter Punkt ist ein weiterer entscheidender Einflussfaktor, da er institutionenbasiertes Vertrauen als Stütze in das interpersonale Vertrauen integriert. Die Situation, d.h. die Art der Aufgabe, die Schadensmöglichkeit, das Ausmaß des Schadens und der Grad an Interdependenz plus das situative Risiko, d.h. der Informationsstand hinsichtlich aller oben genannten Faktoren auf die spezifische Situation angewandt, gibt letztendlich den Ausschlag, ob die Person vertraut und vertrauensvolles Verhalten zeigt. Damit ist allerdings noch nicht das Ende des Prozesses erreicht, denn Vertrauen baut sich durch interaktives Handeln und die Produktion besonderer Verhaltensweisen erst auf. Die Relevanz der Interaktion als Raum, um rekursiv über besondere Verhaltensweisen Vertrauen zu entwickeln, muss herausgestellt werden. Gambetta (1988), Hubschmid (2002), Köszegi (2002), Nooteboom (2002), Zand (1972) und Zimmermann (2003) sprechen von Reziprozität und Rekursivität beim Vertrauensaufbau. Ein Mitarbeiter zeigt mehr oder wenig zufällig eine Verhaltensweise, die als besonders vertrauenswürdig oder auch als vertrauensvoll vom Interaktionspartner aufgefasst wird. Die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit bzw. der Eindruck, dass der Partner bereits einen Vertrauensvorschuss leistet, regt den Mitarbeiter an, selbst Vertrauen zu entwickeln und zu zeigen. Der Prozess gegenseitiger Öffnung verstärkt sich in einer Spirale von Erwartungen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen und beruht auf Gegenseitigkeit. Daher bezeichnen Gibson / Manuel (2003) Kommunikation als den Schlüsselmechanismus für die Entstehung von Vertrauen (S. 69). Allerdings trifft dieser Prozess in gleichem Maße für Misstrauen zu; deswegen sind die Voraussetzungen im Zeitpunkt Null der Interaktion, welche die erste Handlung beeinflussen, als Anstoß für die Entwicklung von Vertrauen oder Misstrauen zu sehen (Gambetta 1988 S. 225), beispielsweise, ob die Interaktionspartner durch eine traditionelle Führung der Kontrolle unterworfen sind (vgl. Krystek 2002 S. 825). Es ist zu beachten, dass sowohl bei den eben geschilderten Faktoren als auch bei dem nachfolgenden Phasenablauf kulturelle Unterschiede hinsichtlich des Vertrauensaufbaus herrschen. So kann Vertrauen in der einen Kultur nach anderen Gesichtspunkten entwickelt werden als in der anderen. Zum Beispiel ist anzunehmen, dass die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe in kollektivistischen Kulturen wichtiger ist, um den Partner als vertrauenswürdig einzuschätzen, als in einer individualistischen Kultur (vgl. Thomas 2005, Johnson / Cullen 2002). In der Interaktion sind drei Phasen des Vertrauensaufbaus zu erkennen, die geprägt sind von einem Übergang von Kontrolle zu erhöhtem Wissenstand und letztlich zur Identifikation und Empathie. Zurückzuführen ist die Typeneinteilung auf Shapiro / Sheppard / Cheraskin (1992) und die Umsetzung in Phasen auf Lewicki / Bunker (1995). Deterrence-based trust beruht auf konsistentem Verhalten des Akteurs, da er sonst Bestrafung durch den Interaktionspartner fürchten muss. Lewicki / Bunker (1995) formulieren diesen Typ um in calculusbased trust, denn sie meinen, dass auch Belohnung dazu führen kann, dass sich der Akteur den Erwartungen gemäß verhält. Dies entspricht den Annahmen des Transaktionskostenansatzes mit Kosten- und Nutzenabwägung, in dieser Beziehung zu bleiben. Allerdings ist der Kritik Nootebooms (2002) zuzustimmen, dass, um ein Kalkül anzustellen, der Akteur bereits mehr Informationen benötigt als typischerweise zu Beginn einer Kooperation verfügbar sind. Er beschreibt diese erste Phase als geprägt von Kontrolle mit niedrigem Vertrauen. Es finden nur kleinere Transaktionen mit geringem Risiko statt bzw. der Akteur achtet auf Sicherheitsvorkehrungen wie Vereinbarungen. Durch Beobachtung des Partners wird überprüft, ob sich dieser konform verhält, um bei Abweichung eine entsprechende Strafe auszuüben. Auf diese Weise sammelt der Akteur Informationen, die im Verlauf der folgenden Kooperation zum ersten Aufbau von Vertrauen in gewissen Bandbreiten führen. Die zweite Phase nennen Le149

wicki / Bunker (1995) daher knowledge-based trust, da nun genügend Wissen vorliegt, um den Partner in seinen Absichten und Kompetenzen einzuschätzen und Verhaltensweisen vorauszusehen (empirisch belegt von Sako 1998). Der Übergang zum identification-based trust ist charakterisiert durch die Aufnahme affektiver Elemente; einige Autoren unterscheiden deshalb zwischen kognitivem (deterrence- und knowledge-based) und affektivem (identificationbased) Vertrauen, wie z.B. McAllister (1995). Durch Internalisierung der Wünsche und Bedürfnisse des Interaktionspartners durch den Akteur werden die Bandbreiten des Vertrauens ausgeweitet, langfristige Reziprozität angenommen und größeres Risiko akzeptiert. Dies ist möglich durch die Entwicklung gemeinsamer mentaler Modelle und gemeinsamer Identität, die Beobachtung oder gar Überwachung überflüssig machen. Nun streiten sich die Autoren darüber, ob dieser Phasenverlauf zwingend notwendig ist. Die Beschreibung des jeweiligen Vertrauenstypus deutet zwar darauf hin, dass eine Durchschreitung der Phasen je nach Intensität der Interaktion möglich ist, dass jedoch je nach Kontext und Beziehung zwischen den Akteuren ebenso ein Typus auf einer niedrigeren Stufe sinnvoll und realistisch ist. Vor allem ist kritisch anzumerken, dass gerade der Beginn mit einer Kontrollbeziehung dem weiteren Aufbau von Vertrauen im Wege stehen kann (vgl. Nooteboom 2002 S. 92). Ein interessantes Konzept, das Meyerson / Weick / Kramer (1996) zur Erklärung von Vertrauensentstehung besonders in temporären Verhältnissen erarbeiteten, ist swift trust. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass es trotz fehlender Vertrautheit und gemeinsamer bisheriger Erfahrungen zu vertrauensvollen Handeln befähigt, ohne dass die Beteiligten überhaupt die Möglichkeit haben, Vertrauen auf Grund des oben geschilderten Interaktionsprozesses zu entwickeln. Dies ist möglich beim Vorliegen bestimmter Umstände, die wären: Es gibt einen zentralen Auftraggeber, der die Beteiligten auf Grund ihrer speziellen Kompetenzen zusammenführt. Die Teammitglieder arbeiten in klaren Rollen an komplexen Aufgaben, die interdependentes Vorgehen erfordern, haben aber keine Aussicht, in der Zukunft wieder zu kooperieren. Allerdings überlappen sich ihre Netzwerke, so dass ihr Ruf auf dem Spiel steht (Jarvenpaa / Leidner 1998). Kurzfristig werden sie in eine soziale Gruppe mit einem gemeinsamen Ziel gedrängt, wobei weniger persönliche als funktionale Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Nach den Autoren ist ein affektives Element nicht nötig für diese Art der Kooperation, da sie stärker auf die spontane Handlungsfähigkeit als die Schaffung langfristiger Kooperationsbeziehungen abzielt (Meyerson / Weick / Kramer 1996 S. 191). Diese Form des Vertrauens kann nach Ansicht mancher Wissenschaftler (siehe z.B. Jarvenpaa / Knoll / Leidner 1998) als Substitut für virtuelle Teams angewandt werden, was im folgenden Unterkapitel konkretisiert werden soll.

6.1.4.3 Vertrauensmangel in virtuellen Teams Zu Beginn dieses Kapitels wird die Problematik des Vertrauensaufbaus in virtuellen Teams geschildert, um im späteren Teil die Konsequenz daraus, nämlich den Mangel an Vertrauen, in seiner Wirkung auf die Teameffektivität zu erläutern. Überträgt man die für den Vertrauensaufbau relevanten Faktoren auf virtuelle Arbeitsgruppen, ist festzustellen, dass viele von ihnen nicht mehr wirken. In der Tabelle 10 werden die Faktoren aus Kapitel 6.1.4.2, Tabelle 9 gelistet und vermerkt, inwieweit sie in der virtuellen Situation zum Tragen kommen und ob ihre Abwesenheit als Hemmnis fungiert. Generell gilt: Je weniger face-to-face Interaktion, desto weniger besteht die Möglichkeit der Beobachtung und gemeinsamen Erfahrung. Damit sinken die Informationen über die Vertrauenswürdigkeit des Partners, insbesondere wenn dieser einer anderen Kultur angehört und damit als Mitglied einer outgroup eingestuft wird.146 So kann der Akteur die persönlichen Eigenschaften, Gruppenzugehörigkeiten und Kompetenzen nur über die Medien wahrnehmen. Auf die Problematik der fehlenden sozialen und Kontextinformation durch die Nutzung von Medien 146

Vgl. Ethnozentrismus in Kapitel 4.2.6 oder die faultline-Hypothese in Kapitel 6.1.3.2.

150

ist in Kapitel 6.1.2 hingewiesen worden; dies macht sich nun eklatant auch in diesem Bereich bemerkbar, wo es sich wieder um die gegenseitige Mitteilung von nicht-aufgabenbezogenen Informationen handelt (Sarbaugh-Thompson / Feldman 1998). Virtuelle Teams sind durch ihre Konzeption stark divers besetzt, so dass eigentlich ein vermehrter Bedarf an Austausch und Informationsfluss bestünde, um die jeweiligen persönlichen Ausprägungen aller Kollegen allen Kollegen bekannt zu machen.147 Bestandteile von Vertrauen

Ausprägung in virtuellen Teams im Vergleich zu face-to-face Teams

Vertrauensneigung

variiert nicht auf Grund von Virtualität

Eigenschaften des Vertrauenspartners: persönlich und Gruppenzugehörigkeit

durch den Interaktionspartner nur bedingt feststellbar, wobei sowohl Eigenschaften als auch Gruppenzugehörigkeit zwischen den Partnern unterschiedlicher sind als in face-to-face Teams

ja

Absichten

durch den Interaktionspartner nur bedingt feststellbar

ja

Kompetenzen

durch den Interaktionspartner nur bedingt feststellbar

ja

Leistungen

durch den Interaktionspartner nur bedingt feststellbar

ja

Verhaltenskonsistenz

nur Verhalten am Kommunikationsmedium durch den Interaktionspartner feststellbar

ja

Situation: Risiko, Interdependenz, Schadensmöglichkeit, Kontrollunmöglichkeit

variiert nicht auf Grund Virtualität

Kontext: Organisation und Motivationsstruktur

kann für jeden Standort unterschiedlich sein, kann aber z.T. gestaltet werden

Physische Präsenz, Interaktion und Kommunikation

fehlen

ja

gemeinsame Erfahrung, Vertrautheit, erarbeitete Gemeinsamkeiten

fehlen bei neuen Projekten, evtl. in früheren Projekte erlangt

ja

Prozesse, Standards, Regeln

umso relevanter in virtuellen Teams

Zufällige Verhaltensweisen

umso relevanter in virtuellen Teams

Hemmnis

(ja)

Tab. 10: Bestandteile von Vertrauen in virtuellen Teams Leistungen und Verhaltenskonsistenz sind ebenfalls nur anhand dessen zu beurteilen, was über die Medien mitgeteilt wird; ein großer Anteil bleibt für die virtuellen Kollegen im Verborgenen. Am wenigsten offenbar werden Absichten, da kaum zu erwarten ist, dass diese explizit und offen in einer Runde geäußert werden, in der noch kein Vertrauen herrscht. Im Gegenteil, auf Grund der mangelnden Hintergrundinformation kann es schnell zu Fehlattributionen in Form von angeblichem Opportunismus kommen, wenn der Kollege am anderen 147

Vgl. Kapitel 6.1.3 ‚Teamentwicklung in virtuellen Teams’.

151

Standort nicht in der gewünschten Form reagiert bzw. handelt. Längere Zeitabstände zwischen Kommunikationsereignissen, langsame Antworten, Nichthalten von Versprechen resultieren demnach in Misstrauen (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 98). Zudem ist kein gemeinsamer Kontext vorhanden: Die Organisationsstruktur als auch -kultur variiert von Standort zu Standort. Gemeinsame Strukturen wie z.B. Anreiz zur Gruppenarbeit müssten bewusst geschaffen werden; dies liegt in der Gestaltungsmöglichkeit der Entscheidungsträger. Was bleibt, ist die Vertrauensneigung des Akteurs und eventuell Vertrautheit, gewonnen in früheren gemeinsamen Projekten oder Arbeitsgruppen und die damit entstandenen Gemeinsamkeiten. Wobei diese Gemeinsamkeiten vermutlich nur von Einzelnen, nicht vom Gesamtteam geteilt werden, wenn es nicht als Nachfolgeteam in komplett gleicher Besetzung wieder aufgelebt wurde. Was jedoch umso mehr in den Vordergrund rückt, sind die Faktoren reglementierte Prozesse und vertrauensfördernde Verhaltensweisen. Der erste von beiden, Prozesse, bekommt unter dem Gesichtspunkt institutionenbasierte Vertrauensbildung eine zusätzliche Bedeutung. Allerdings fehlen hierzu theoretische oder auch empirische Untersuchungen, um Aussagen treffen zu können. Allerdings wird die Relevanz von Prozessen in einem ähnlichen Zusammenhang als Substitut für Kontrolle im Bereich der Führung gesehen und soll daher an dortiger Stelle ausgeführt werden.148 Vertrauensfördernde Verhaltensweisen sind von Jarvenpaa und Kollegen empirisch ermittelt worden, worauf umgehend eingegangen wird (Jarvenpaa / Leidner 1998, Jarvenpaa / Knoll / Leidner 1998). Betrachtet man jedoch erst den Zeitpunkt Null, also den Beginn einer virtuellen Kooperation, ergibt sich die Frage, wie denn nun Vertrauen entstehen kann: Aus Mangel an Information tendieren die Beteiligten häufig dazu, Überwachungs- und Kontrollmechanismen einzuführen (vgl. deterrence-based trust), was einerseits zumindest als Beginn kleinerer Transaktionen im Sinne Lewicki / Bunker (1995) verstanden werden kann, aus denen in einem sehr viel langsameren Duktus als bei face-to-face Gruppen über den erschwerten Kommunikationsprozess Information in kleinen Mengen ausgetauscht wird (Lipnack / Stamps 1998 S. 266). Ob dies ausreicht, um tatsächlich Vertrauen aufzubauen, das für die Kooperation gerade der virtuellen Art unumgänglich ist, mag bezweifelt werden (vgl. Jarvenpaa / Leidner 1998); noch dazu muss eine Arbeitsgruppe zeitnah handlungsfähig werden, was durch den langsameren Vertrauensbildungsprozess (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 101) ebenso wenig gegeben ist. Andererseits kann bereits hier der noch nicht ins Laufen gekommene Prozess der Vertrauensbildung gestoppt werden, in dem Kontrolle mit Abwehrstrategien begegnet wird und Misstrauen statt Vertrauen geschürt und über die Spirale verstärkt wird. Einige Autoren (z.B. Griffith / Neale 2001 S. 394 oder Jarvenpaa / Leidner 1998 bzw. Jarvenpaa / Knoll / Leidner 1998, die sogar empirische Belege liefern) glauben zu erkennen, dass in virtuellen Teams swift trust erscheint, wenn Mitglieder in zeitlich begrenzter Form an einer spezifischen Aufgabe arbeiten. Vertrauen wird ‚importiert’, das heißt, Erwartungen, die in bisherigen Kooperationen erfüllt worden sind, werden auf das jetzige Team übertragen, und die Beteiligten handeln so, als wäre Vertrauen vorhanden, obwohl es keine Möglichkeit gab und gibt, interpersonale Beziehungen herzustellen. Allerdings stellt sich in einigen Aspekten das Problem der Übertragbarkeit des Konzepts von face-to-face auf virtuelle Umgebungen:149 Bei virtuellen Gruppen gibt es nicht immer einen zentralen Auftraggeber bzw. Vorgesetzten, sondern die Mitglieder berichten lokal an ihre disziplinarischen Vorgesetzten. Die Rollen sind nicht entsprechend der ursprünglichen Idee klar aufgeteilt, sondern die Mitglieder bringen sich je nach ihrer technischen Kompetenz ein. Außerdem überlappen sich die Netzwerke kaum, da die Mitglieder an unterschiedlichen Standorten in verschiedenen Unternehmensein148 149

Vgl. Kapitel 6.1.5 ‚Führung’. Vgl. zu den Besonderheiten von virtuellen Teams Kapitel 2.4.2 ‚Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale’.

152

heiten arbeiten. Auch die Inderdependenz variiert, da die Aufgaben zuweilen stark voneinander getrennt sind und meist nach lokalen Subteams aufgeteilt werden. Jarvenpaa und Kollegen bemerken in derselben Studie jedoch ebenso, dass Vertrauen nicht nur importiert, sondern auch geschaffen, d.h. durch bestimmte Verhaltensweisen Vertrauen gezeigt und aufgebaut wird. Sie fanden heraus, dass der sozialen Kommunikation (d.h. Austausch über persönliche Hintergründe), der Äußerung von Enthusiasmus, der Sicherheit im Umgang mit der Technik und der individuellen Initiative gerade zu Beginn der Teamarbeit eine entscheidende Rolle zukommt. Im Verlauf der Zusammenarbeit sind vorhersehbare Kommunikation, substantielle und zeitnahe Reaktionen, Übergang von sozialem zu Prozessund letztlich Aufgabenaustausch, positive Führung und Gelassenheit in Krisenmomenten vertrauensbildende Aktivitäten. Köszegi (2002) stimmt der Möglichkeit zu, dass in virtuellen Teams durch Verhaltensweisen Vertrauen entwickelt werden kann; jedoch ist wiederum anzumerken, dass auf Grund des fehlenden face-to-face Kontakts viele der Verhaltensweisen nicht direkt beobachtet, sondern nur selektiv und verzerrt über die Medien wahrgenommen werden können. Dies führt auf die ursprüngliche Aussage zurück, die in der Literatur einhellig getätigt wird (vgl. z.B. Blackburn / Furst / Rosen 2003 , DeSanctis / Monge 1998, Griffith / Neale 2001, Handy 1995, Kirkman et al. 2002, Lipnack / Stamps 1998), dass grundsätzlich die Mitglieder virtueller Teams mit dem Aufbau von Vertrauen Schwierigkeiten erleben, was letztlich in einem Mangel von Vertrauen resultiert, wenn ihre Kooperation nicht durch anfängliche und regelmäßige face-to-face Kontakte gestützt wird.150 Die Rolle von Kultur muss darüber hinaus gesondert diskutiert werden, da sie möglicherweise ebenfalls als Hindernis beim Vertrauensaufbau in virtuellen Teams wirkt. Gibson / Manuel (2003) wenden zur Erklärung ausgehend von einer Studie von Rousseau et al. (1998) die Faktoren Risiko und Interdependenz als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Vertrauen in multikulturellen Teams an: Risiko als die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit von Verlust muss, wie bereits erläutert, in ausreichendem, aber nicht überbordendem Maße vorhanden sein. Als Risikoquelle gilt die Unsicherheit hinsichtlich Absicht und Verhalten des Interaktionspartners. Nun wird durch die Zugehörigkeit des Partners zu einer anderen Kultur auf Grund der sozialen Kategorisierung151 dieser als Mitglied einer outgroup wahrgenommen, und zu outgroups liegt nach der natürlichen ethnozentrischen Tendenz152 Ablehnung und Misstrauen vor. Das Team spaltet sich in Subteams je nach kultureller Zugehörigkeit153, was verschärft wird, wenn sich die Subgruppen an unterschiedlichen Standorten aufhalten, da sie dann über weniger Information voneinander verfügen und das Risiko verstärkt wahrnehmen. Die Mitglieder tendieren zur Einführung von Kontrollmechanismen, was als ein Signal von Misstrauen verstanden werden kann und den Aufbau von Vertrauen über die kulturellen Grenzen hinweg weiter erschwert. An dieser Stelle ist ferner auf die möglichen Erwartungsverletzungen nach Burgoon (1992) hinzuweisen, die Angehörige anderer Kulturen begehen und damit den Aufbau von Vertrauen erschweren.154 Auf der anderen Seite stellt Interdependenz als der Grad der Abhängigkeit einer Partei von den Handlungen / Informationen des Interaktionspartners eine Möglichkeit zur Interaktion und Kommunikation dar. Bei hoher Interdependenz lernen sich die Mitglieder durch ihre intensive Kooperation kennen, d.h. sie gewinnen Informationen übereinander, und das Risiko sinkt. Sind nun verschiedene Kulturen vertreten, und haben sich bereits Subteams gebildet, streben die Mitglieder dazu, ihre Interde150

Zur Rolle der face-to-face Kontakte siehe Kapitel 6.1.3.1. Vgl. Tajfel (1981) oder Kapitel 4.2.7.3 ‚Die Entstehung, Wirkungsweise und Funktion von Stereotypen’. Zu Ethnozentrismus vgl. Kapitel 4.2.6. 153 Die Autoren beziehen ihre Überlegungen speziell auf kulturelle Gruppen, wobei sie analog auch für andere Dimensionen von Diversität gelten können, die z.T. auch schon implizit integriert sind, z.B. über Unterschiede hinsichtlich beruflicher Funktion. 154 Vgl. Kapitel 4.2.3 ‚Annahme von Gemeinsamkeiten und Erwartungsverletzung’. 151 152

153

pendenz zu anderskulturellen Kollegen zu verringern, da es einfacher155 und nach der sozialen Kategorisierung nahe liegender ist, sich mit Gleichen auseinander zu setzen. Dies bedeutet eine Absenkung der Interdependenz zwischen den Kollegen und damit eine Beeinträchtigung des Vertrauensaufbaus. Zusammenfassend meinen Gibson / Manuel, dass in virtuellen Teams der optimale Grad an Risiko und Interdependenz allein schon durch die multikulturelle Besetzung nicht erfüllt ist (2003 S. 65). Nun ist es an der Zeit, auf die Konsequenzen des mangelnden Vertrauensaufbaus einzugehen. Wie bereits erwähnt, wird Vertrauen als Erfolgsfaktor in Unternehmen gesehen.156 Ökonomische Aktivitäten finden in Netzwerken sozialer Beziehungen statt, deshalb ist die Effektivität des Gesamtsystems von der effektiven Kooperation der Akteure abhängig (McAllister 1995 S. 24). Interpersonales Vertrauen ist somit Grundlage nicht nur für die individuelle Leistung, sondern auch für die des Teams und des Gesamtunternehmens. Wie schon kurz dargelegt, führt Vertrauen dazu, dass die Komplexität der Umwelt in der Organisation reduziert wird, so dass der Akteur handlungsfähig wird, obwohl er nicht über vollständige Information verfügt (Luhmann 1979). Hubschmid hat in der breit gefächerten Literatur weitere positive Konsequenzen von Vertrauen im Unternehmen gefunden (2002 S. 355ff), die hier zusammenfassend vorgelegt werden: x x x x x x x x x x

Bereitschaft zur gemeinsamen Zielorientierung Harmonisierung der Organisationskultur bei gleichzeitigem Zulassen von Diversität Ergänzung von Strukturen durch Routinisierung von Abläufen und stabilen Erwartungen Erhöhung der Kommunikation und Verbesserung der Kooperation Erschließung und Teilung von Ressourcen statt Hortung und Eigennutz Verringerung der internen und externen Transaktionskosten durch Erleichterung der Koordination Prozesserleichterung bei der Problemlösung und Entscheidungsfindung, unter der Verringerung von Kontrolle Verbesserung der sozialen Beziehungen durch emotionale Zuwendung, Akzeptanz sowie Aufhebung von Isolation Lernen voneinander Erhöhung von Arbeitszufriedenheit

Tab. 11: Konsequenzen von Vertrauen im Unternehmen (nach Hubschmid 2002 S. 355ff) Die meisten der genannten Wirkungen gelten gleichermaßen für die Teamebene und im Speziellen für virtuelle Teams und werden im Folgenden besonders in den Bereichen Kommunikation, Problemlösung, Kooperation, Konflikte und Führung detailliert analysiert. Es werden auch die Konsequenzen beim Nichtvorhandensein von Vertrauen, d.h. bei Misstrauen, dem Gegenpol und funktionalem Äquivalent von Vertrauen (Luhmann 1989 S. 78) dargestellt. Vertrauen ist Grundlage jeder Kommunikation, da sie die Angst vor Missbrauch der enthüllten Information verringert. Nur so sind die Beteiligten ehrlich und offen und liefern zeitnah adäquate und richtige Information (Gibson / Manuel 2003 S. 61, Krystek 2002 S. 821). 155 156

Vgl. die similarity attraction theory in Kapitel 3.3.2 ‚Kohäsion’. Vgl. neben Hubschmid (2002) weiterhin Krystek (2002), Lipnack / Stamps (1998) und Neubauer (1997).

154

Bei Misstrauen schrecken sie davor zurück, da sie vermeinen, Gefahr zu laufen, dass der Kommunikationspartner die Information opportunistisch ausnutzt, entweder, indem er sie zu eigenem Nutzen weiterverwendet oder sie gegen den Sender einsetzt (Nooteboom 2002 S. 95). ‚Wissen ist Macht’ gilt umso mehr in Beziehungen des Misstrauens (vgl. Panteli 2003), so dass Informationsfilterung oder sogar Manipulation wahrscheinlicher sind. Dies hat Auswirkungen auf mehreren Ebenen: Zum ersten werden die Informationsstände der Standorte nicht abgeglichen, was dem Effekt der Kommunikationsprobleme, wie in Kapiteln 6.1.1 und 6.1.2 geschildert, gleichkommt. Das Auseinanderdriften der Subteams oder der Einzelmitglieder wird verstärkt, wie in Kapitel 6.1.3.2 diskutiert. Zum zweiten bedarf es einer psychologisch sicheren Umgebung, wenn Lernen mit- und voneinander stattfinden soll, die jedoch durch den Mangel an Vertrauen beeinträchtigt wird. Lernen würde eintreten, wenn die Mitglieder frische, noch nicht ausgereifte Ideen vorbringen und die Kollegen konstruktiv Feedback geben. Gerade bei der Nutzung von Medien können die Akteure ihre Ideen jedoch nicht mit den Details formulieren wie nötig, bzw. es ist kein Raum für direkte Klärung oder Rechtfertigung, so dass Mitarbeiter eher davon absehen (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 101). Dies leitet über zu Problemlösung, Kreativität und Lernen:157 Vertrauen führt, wie gehört, zu Offenheit und Austausch von Gedankengut. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, können im Problemlösungsprozess sowohl die Probleme als auch die Ziele weniger intensiv geklärt werden. Die Suche nach optimalen Lösungen gestaltet sich entsprechend oberflächlicher, da offene Beiträge und konstruktiver Austausch fehlen. Die Entscheidung wird behindert, weil die Beteiligten womöglich das Gefühl haben, ausgenutzt zu werden, und versuchen, ihre eigene Position oder Interesse durchzusetzen. Damit ist die Motivation und Verpflichtung zur Ausführung gefährdet, da die Entscheidung vermutlich nicht einhellig getroffen wird und Befürchtung von Nachteilen für einzelne Mitglieder bestehen. Der Gesamtprozess der Problemlösung fällt somit weniger effektiv aus, wenn es an Vertrauen mangelt (vgl. zu den theoretischen Ausführungen Krystek 2002 S. 822 und zur empirischen Belegung Zand 1972). Ist nur mittelmäßiges Vertrauen gegeben, kann groupthink entstehen, da sich die Mitglieder nicht trauen, nonkonforme Ideen auszusprechen, weil sie Bedenken haben, dass sie nicht ernst genommen werden (Krystek 2002 S. 821, Dyer 1995 S. 21). Der kreativen Entwicklung von Lösungen stehen daher zahlreiche Barrieren im Wege. Die mangelnde Äußerung von Wissen sowie die mangelnde Bereitschaft, anderes Wissen anzunehmen, ist eine weitere Barriere für Lernen voneinander. Nach Simons / Peterson (2000) bringt Vertrauen generalisierte Erwartungen an die Gruppenmitglieder, so dass weniger Fehlattributionen hinsichtlich der Ursache eines Problems in Form eines persönlichen Defizits beim Partner auftreten. Ist dies nicht der Fall, werden Sachkonflikte als solche nicht erkannt und eher zu Beziehungskonflikten ausgeweitet (siehe auch Griffith / Neale 2001). Bei unzureichendem Vertrauen gestaltet sich die Kooperation problematischer und reibungsintensiver, da darüber hinaus mehr Konflikte durch die Annahme von Opportunismus eintreten (Herczeg et al. 2000 S. 26, Gibson / Manuel 2003 S. 61). Die Mitglieder sind bei einem geringen Grad von Vertrauen weniger bereit, auf kurzfristige individuelle Gewinne zugunsten eines langfristig höheren Ergebnisses für alle zu verzichten, wie im Gefangenendilemma angelegt (vgl. Krystek 2002 S. 821, Nooteboom 2002). Die Transaktionskosten in der Koordination erhöhen sich, da Abstimmungen langsamer und aufwendiger vonstatten gehen (vgl. Gibson / Manuel 2003 S. 61, Nooteboom 2002). Des Weiteren werden die interpersonalen Beziehungen beeinträchtigt und das commitment zum Team und der Aufgabe geschmälert, da sich die Mitglieder nicht sicher fühlen (vgl. 157

Zu den Prozessen vgl. Kapitel 3.3.6 ‚Problemlösung und Entscheidungen’, 5.2.3 ‚Kreativität’ und 5.2.4 ‚Lernen’.

155

Panteli 2003, Gibson / Manuel 2003 S. 61). Misstrauen endet in Unsicherheit, Stress und Unzufriedenheit bei den Teammitgliedern (Krystek 2002 S. 823). Vertrauen ersetzt zu einem gewissen Grad Macht und Kontrolle (Ouchi 1979 S. 846) und spielt daher gerade bei virtuellen Teams eine bedeutsame Rolle für den Erfolg von Teamführung (Panteli 2003). In der traditionellen Führungslehre ist Misstrauen verankert, das durch den rational ökonomischen Menschen geprägt ist, was kontinuierliche Kontrolle zur Vermeidung von Opportunismus erfordert. Diese führt zu Vermeidungs-, Abwehr- oder Verweigerungsstrategien, die aufwendig, schwierig und belastend sind (Krystek 2002 S. 825). Denn Zwang verringert auch das Vertrauen auf der Gegenseite, die mit Widerstand reagiert (Gambetta 1988 S. 220). Das Problem bei Misstrauen ist in diesem Fall, dass es sich nicht widerlegen lässt, weil sich die Betroffenen nach der selbsterfüllenden Prophezeiung158 so verhalten, dass die Erwartung eintritt (Gambetta 1988 S. 234). McAllister (1995) geht soweit zu behaupten, dass Kontrolle und defensives Verhalten Ressourcenverschwendung sind. Wie unter dem Kapitel 6.1.5 ‚Virtuelle Führung’ noch erörtert werden soll, ist die Abgabe von Verantwortung an das Team ein Element von virtueller Führung, das nur funktionieren kann, wenn der Vorgesetzte seinen Mitarbeitern traut. In einer Umgebung, in der Überwachung nicht möglich ist, wird Vertrauen umso wichtiger. Darüber hinaus wird Vertrauen auch als Geschenk gesehen, das motiviert und Selbstvertrauen beim Mitarbeiter erzeugt, was sich in der individuellen Leistung zu Buche schlägt (Krystek 2002 S. 821). Summa summarum verringert sich die Teameffektivität, wenn unter den Teammitgliedern kein Vertrauen herrscht (Hubschmid 2002). Dies wird in den Arbeitshypothesen festgehalten: Arbeitshypothese Prozess vK0P 4: Je weniger face-to-face Kontakt statt findet, desto schwieriger ist der Vertrauensaufbau, und desto weniger Vertrauen ist die Konsequenz. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 8: Bei Vertrauensmangel teilen die Mitglieder geringere, inhaltlich wenig substantielle oder gar verfälschte und nicht unbedingt zeitnahe Informationen mit, womit vor allem der kreative Problemlösungsprozess und Lernen beeinträchtigt wird. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 9: Bei Vertrauensmangel entstehen mehr Konflikte und Koordinationsaufwand. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 10: Bei Vertrauensmangel kann der Teamleiter nicht über Ziele bzw. Selbststeuerung führen. Arbeitshypothese Output (Leistung) vK0O 7: Die Teameffektivität leidet unter dem Mangel an Vertrauen. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 8: Mangelt es an Vertrauen im virtuellen Team, ist die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern höher.

6.1.5

Virtuelle Führung

6.1.5.1 Probleme durch Anwendung der traditionellen Führung How do you manage people whom you do not see! The simple answer is, by trusting them. (Handy 1995 S. 40) Die im Kapitel 3.3.5 ‚Führung’ genannten Funktionen Koordination, Kontrolle und Teamentwicklung müssen in der einen oder anderen Form für alle Arbeitsgruppen erfüllt werden. Das Problem liegt bei virtuellen Teams darin, dass die hierfür gängigen Methoden nicht greifen (Block 2000 S. 184). Es besteht durch die geographische Distanz nicht mehr die Möglichkeit 158

Die selbsterfüllende Prophezeiung wird auch im Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’ besprochen.

156

der ‚harten’ Instrumente wie direkte persönliche Anweisung und Kontrolle. Die von Wunderer (1997a) als direkte Führung bezeichnete Verfahrensweise fällt aus.159 Nicht nur Kommunikation, sondern auch Führung muss nun über die Medien erfolgen. Hierfür wurde bisher noch keine theoretische Grundlage erstellt; es wurde bisher noch nicht einmal eine saubere empirische Analyse der derzeitigen Schwierigkeiten vorgenommen. Daher muss als Grundlage an dieser Stelle auf die allgemeinen Führungsfunktionen Koordination, Kontrolle und Aufbau sozialer Beziehungen zurückgegriffen werden, die für die Darstellung der Schwierigkeiten der virtuellen Teams angewandt werden. Dies wird abgeglichen mit Ansätzen zu effektiver Führung in virtuellen Teams, die Wissenschaftler z.T. empirisch bereits erarbeitet haben. Die Koordination stellt sich von Anfang an als besonders problematisch dar, wenn zu Beginn der Kooperation Ziele festgelegt und Aktivitäten abgeleitet werden sollen. Dies bedarf des aktiven Beitrags aller Beteiligter, um sicher zu stellen, dass Ziele im gleichen Sinne verstanden und von allen getragen werden. Wiederum ist dies bei multikulturellen Arbeitsgruppen ausnehmend relevant, da die Mitglieder kulturell bedingt divergierende Ansichten über Ziel und Zweck von Teamarbeit160 mitbringen. Das Verständnis gemeinsamer Ziele ist entscheidend, wenn man bedenkt, dass die Mitglieder interdisziplinärer Arbeitsgruppen aus verschiedenen Einheiten und Funktionen stammen, jeweils mit unterschiedlichen Interessen und Positionen (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 72). Dieser komplexe Austausch, indem ebenso Rollen verteilt werden und die Teammitarbeiter sich häufig erst einmal kennen lernen, kann kaum über die Medien abgebildet werden - in sämtlicher Literatur wird daher auf die Wichtigkeit eines anfänglichen persönlichen Treffens verwiesen (siehe z.B. Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 38 oder Haywood 1998 S. 78, vgl. Kapitel 6.1.3.1). Wird kein konstituierendes face-to-face Treffen zu Beginn anberaumt, ist der Informationsfluss, der als Ersatz geleistet werden muss, enorm; wird er nicht ausreichend bzw. nicht zielgerichtet genug verfolgt, ist die Basis für eine erfolgreiche Kooperation gefährdet. Denn ohne ausreichende Mitteilung an die Teammitglieder kann es vorkommen, dass die Richtung und der Sinn bei einigen Teammitgliedern (vor allem sind hier die besonders isoliert arbeitenden betroffen) lange unklar bleiben, was einerseits zu Fehlarbeiten, kontinuierlichen Missverständnissen und andererseits zu Schwierigkeiten des einzelnen Mitglieds bei der Identifikation mit Team und Aufgabe führen kann. Die kontinuierliche Steuerung durch den zentralen Teamleiter in Form von schrittweisen Anweisungen funktioniert in virtuellen Teams nicht, da der hierfür notwendige Kommunikationsaufwand kaum durch eine Führungskraft zu leisten ist. Selbst der Versuch hierzu mündet in eine überbordende zeitliche Belastung an jedem Arbeitstag, in welcher der Teamleiter an seine einzelnen Mitglieder einzelne Direktiven gibt. Sie sind deshalb so zeitintensiv, weil sie über die Medien laufen und Zeit zum Tippen (bzw. telefonische Kontaktaufnahme zu Zeiten der Erreichbarkeit), ausreichende Kontextinformation, genügend Details und unmissverständliche Mitteilungen erfordern. Zusätzlich kommen die oben angesprochenen Kommunikationsprobleme ins Spiel, welche die regelmäßige Koordination erschweren: Die Mitteilung des Vorgesetzten treffen aus technischen Gründen nicht oder verzögert ein; sie wird nicht oder falsch verstanden; sie kann auf Grund der lokalen Umstände nicht erfüllt werden, über die sich der Vorgesetzte nicht im Klaren ist. Ob, wann und wie die Anweisung ausgeführt wird, erfährt der Teamleiter womöglich ebenfalls nicht, womit schon das Problem der Kontrolle angesprochen wird, das im folgenden Abschnitt behandelt wird. Der Gruppenleiter kann sich in virtuellen Teams nicht durch direkte Beobachtung oder durch ein face-to-face Gespräch von der Richtigkeit der Ausführung (Verhaltenskontrolle) überzeu159 160

Vgl. Kapitel 3.3.5 ‚Führung’. Vgl. Exkurs im Kapitel 4.2.4 ‚Enkodierung und Dekodierung’.

157

gen (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 112, Scherm / Süß 1999 S. 13). Hiermit wird ihm das wichtigste Instrument der Kontrolle genommen (Kayworth / Leidner 2000 S. 192, Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 72). An der Unmöglichkeit der persönlichen Mitarbeiterkontrolle scheitert die verhaltensorientierte Führung (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 411). Der Leiter ist nicht in der Lage, die Aktivitäten oder die Verhaltensweisen direkt zu bewachen und entsprechend Feedback zu geben bzw. Maßnahmen zu ergreifen. Zwar kann er beispielsweise über ein Telefongespräch oder das Einfordern des Ergebnisses den Leistungsstand (Ergebniskontrolle) überprüfen (Scherm / Süß 1999 S. 13), doch es bleibt immer ein Restrisiko, dass er nicht in volle Kenntnis gesetzt wird. Für diesen Fall wurden electronic performance monitoring Systeme entwickelt, die es dem Vorgesetzten ermöglichen, über die Distanz den Mitarbeiter zu überwachen, indem er Daten zur PC-Nutzung abrufen kann (z.B. log-in Zeiten, Anzahl der Tastenanschläge etc.) (vgl. Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 80). Damit gewinnt er einen Überblick über dessen Arbeitszeiten, Arbeitsgeschwindigkeit und auch Genauigkeit von Dateneingaben des Mitarbeiters, und kann in ähnlicher Weise wie face-to-face Kontrolle ausüben. Allerdings führt die Nutzung dieser Systeme zu Stress und nicht unbedingt zu Leistungssteigerung bei den Mitarbeitern (Aiello / Kolb 1995). Aus diesem Grund verzichten Unternehmen in der Praxis auf deren Einführung (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 81), zumal sie in Deutschland der Zustimmung der Betriebsräte bedürfen. Mit Hilfe von serverbasierten Systemen wie z.B. MSProject hingegen können Einzel- und Gruppenaufgaben koordiniert und ferner dokumentiert und kontrolliert werden. Damit kann der Gruppenleiter nicht nur prüfen, dass der Mitarbeiter tätig ist, sondern sich auch von den Ergebnissen überzeugen. Wenn der Teamleiter nur Projektleiter ist und nicht über disziplinarische Befugnisse verfügt (dies wird häufig vom lokalen Vorgesetzten übernommen), sind ihm vollkommen die Hände gebunden, wenn er Anweisungen durchsetzen bzw. auf Grund Fehlverhaltens disziplinarische Maßnahmen ergreifen möchte. Autorität, Druck und Zwang funktionieren nicht (Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 36). Dies bedeutet für die Person des Teamleiters, dass er wichtige Instrumente der Führung entbehrt und er im Extremfall keine Möglichkeit des Eingreifens hat. Ist er nicht in der Lage, für Substitute zu sorgen (vgl. nachfolgenden Abschnitt), kann er die Führungsaufgabe nicht mehr wahrnehmen. Die geographisch verstreuten Mitarbeiter sind sozial isoliert und nur einer geringen sozialen Kontrolle unterworfen.161 Liegt zudem keinerlei Motivation für das Team oder die Aufgabe vor und ist die eigene Leistung wenig identifizierbar, entsteht Trittbrettfahrertum: Einzelne Mitglieder klinken sich auf Kosten der restlichen Gruppe aus und verringern ihre Beiträge. Die übrigen Mitglieder reagieren darauf möglichweise gleichermaßen mit einem Absenken ihrer Leistungsbereitschaft (Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 35, Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 100). Selbst bei identifizierbarer Leistung nutzen besonders opportunistische Teammitglieder den Mangel an Führung aus und kommen ihren Aufgaben nicht ordnungsgemäß nach. Diese beiden Prozesse können einen totalen Zusammenbruch der Kooperation und ein Scheitern des Teams hervorrufen. Sowohl im Bereich der Koordination als auch der Kontrolle ist die Problematik der interkulturellen Führung zu beachten. Das heißt, Gruppenleiter und -mitarbeiter gleichermaßen haben ihre Vorstellung, wie angemessene Führung auszusehen hat. So kommen auch hier die interkulturellen Konflikte, wie sie in den Kapiteln Enkodierung, Fehlattribution, Ethnozentrismus und Stereotype ausgeführt worden sind, zum Tragen. Über Koordination und Kontrolle hinaus hat die Führungskraft des Weiteren eine unterstützende Funktion hinsichtlich der Teamentwicklung sowie in der (interkulturellen) Entwicklung seiner Mitarbeiter. Allerdings muss aus Platzgründen darauf verzichtet werden, darzustellen, 161

Vgl. Kapitel 6.1.5.3 ‚Anforderungen an den Mitarbeiter’.

158

wie er diesen nachzugehen hat. Den Prozessen der Teamentwicklung als auch des interkulturellen Lernens selbst wird in eigenständigen Kapiteln (6.1.3 und 5.2.5) Raum gegeben. Die Arbeitshypothesen werden zu Ende der Ausführungen des nachfolgenden Kapitels, das erste Lösungsmöglichkeiten entwickelt, angebracht.

6.1.5.2 Herausforderungen durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept Aus diesem Dilemma heraus leitet ein neues Führungskonzept, das sich den virtuellen Herausforderungen anpasst. Hierzu gibt es in der Literatur erste Vorschläge, worin die traditionelle Führung zugunsten einer selbststeuernden Führung aufgelöst wird (z.B. Kirkman et al. 2004, Blackburn / Furst / Rosen 2003, Kayworth / Leidner 2000). Allerdings existiert noch kein umfassendes theoretisches oder empirisch fundiertes Konzept (Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 33). Die Schwierigkeit in der Praxis liegt darin, dass die Teamleiter die Notwendigkeit zur Umstellung selbst erkennen müssen, um in einem nächsten Schritt das neue Konzept anzunehmen und anzuwenden. Hinsichtlich Akzeptanz und Anforderung ist selbstverständlich auch der Mitarbeiter gefragt, worauf im letzten Unterkapitel eingegangen werden soll. Damit sowohl die Funktionen der Koordination als auch der Kontrolle effektiv ausgeübt werden können, müssen Tätigkeiten zwischen diesen Funktionen verschoben werden, und des Weiteren müssen Führungsfunktionen an das Team delegiert werden (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 80).162 Zur ersten Aussage: Die Rolle von Koordination wächst, einerseits durch die geographische Distanz und den Einsatz der Medien bedingt. Zudem erfordert das Management von (kultureller) Diversität, gerade auch hervorgerufen durch die virtuelle Kommunikation, zusätzliche Kapazitäten, damit Konflikte vermieden oder zumindest zielführend gehandhabt werden bzw. Synergien entstehen können. Der virtuelle Umgang mit interkulturellen Aspekten liegt in der besonderen Verantwortung des Gruppenleiters bzw. der Koordination. Andererseits erhöht sich die Relevanz von Koordination ebenso aus dem Grund, dass sie ein Substitut für Kontrolle darstellt. Im Klartext heißt dies an erster Stelle vermehrt Führung durch Ziele (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 467). Verhaltensorientierte Führung muss durch ergebnisorientierte Führung in Form von management by objectives ersetzt werden (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 411).163 Management by objectives kann beschrieben werden als ein Set an Führungsaktivitäten, die Zielsetzung, Partizipation und Feedback hinsichtlich Leistungserfüllung betonen (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 81). Daher ist die Definition von Teamzielen noch wichtiger als bei einem traditionellen Team, da deren Klärung während der Arbeit durch den Kommunikationsaufwand durch die Medien erschwert ist (Blackburn / Furst / Rosen 2003 S. 99, Scherm / Süß 1999 S. 13).164 Die Erfüllung von Zielen sollte dadurch gestützt werden, dass von Anfang an klare Prozesse eingeführt werden, die als Handlungsrichtlinie für die verstreuten Mitglieder dienen (Bell / Kozlowski 2002). Das Problem liegt jedoch erneut darin, dass die Kontrolle der Zielerreichung erschwert ist (Scherm / Süß 1999 S. 13). Picot / Reichwald / Wigand bezeichnen die Führungskraft als den „Architekt“ für Prozesse (2003 S. 469). Mit diesem Substitut werden Teile der ehemals einzelnen Direktiven an die Mitarbeiter ersetzt. Ebenso müssen Gruppennormen etabliert werden, welche die technische Kommunikation, Aufgabenprioritäten etc. regeln (Blackburn / Furst / Ro162 163 164

Für eine kritische Darstellung, dass nicht alle Führungsfunktionen (v.a. auch Motivation und Integration) an das Team delegiert werden können, siehe Scherm / Süß (1999). Für eine Differenzierung von ergebnisorientierter Führung und management by objectives in virtuellen Organisationen siehe Scherm / Süß (1999). Über die Effektivität von management by objectives ist allerdings in virtuellen Teams noch kaum empirische Erkenntnis vorhanden (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 81).

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sen 2003 S. 99). Aufgabe des Teamleiters ist, auf die Einhaltung der Prozesse zu achten und regelmäßig Feedback zu geben (Kayworth / Leidner 2000 S. 190). Eine zeitliche Koordination bedeutet, wie Montoya-Weiss / Massey / Song (2001) darlegen, die Schaffung von zeitlichen Mustern und Synchronisation der Aktivitäten. Damit sollen zeitliche Ambiguität, konfligierende zeitliche Interessen und Bedürfnisse sowie die ständige Zeitknappheit in Griff gebracht werden. Das heißt, dass eine Prozessstruktur aufgesetzt werden muss, die Muster, Zeitpunkt und Inhalt der Kommunikation festlegt (Montoya-Weiss / Massey / Song 2001 S. 1252). Durch diese Regeln soll Selbststeuerung durch das Team selbst zugelassen und gestützt werden, was eine neue Herausforderung an Kompetenzen und Führungsverständnis bedeutet (Scholz 2000 S. 24). Die Führungskraft ist gezwungen, einen Teil ihrer Verantwortung ihren Mitarbeitern zu überlassen (Bell / Kozlowski 2002): Ihr obliegt zwar die Initiative zur Koordination, doch kann sie nicht mehr vollständig alleine steuern, sondern ist auf den Einsatz ihrer Mitarbeiter angewiesen. Der Teamleiter hat sich in der Rolle des Coachs zurechtzufinden, der berät, unterstützt und regelmäßig für ausreichend Information für alle Mitglieder sorgt (Reichwald / Goecke 1996, Kayworth / Leidner 2001). Dies ist traditionell so nicht verankert, denn meist stand bei Führung die Sachaufgabe im Vordergrund; Mitarbeiterführung war Nebensache. Die Führungskraft muss nun die Sachkompetenz aufgeben, anerkennen, dass die Mitarbeiter die Experten sind und eher die Dienstleisterrolle für die Arbeitsgruppe übernehmen (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 466). Grundlage dieses Führungskonzepts ist Vertrauen:165 Der Gruppenleiter muss darin vertrauen, dass die Mitarbeiter die Aufgaben in seinem Sinne behandeln und ihren Teilaufgaben den Erwartungen gemäß beikommen. Wie Scherm / Süß (1999 S. 23) es ausdrücken, wäre die Führungskraft sonst „gelähmt“. Nicht zu vernachlässigen in virtuellen Teams ist der Aspekt der Motivation. Um diese zu gewährleisten, ist immer wieder Zuwendung an den einzelnen Mitarbeiter nötig, v.a. wenn dieser isoliert arbeitet, um ihn ausreichend in die Aufgaben und in das Team einzubinden (Kirkman et al. 2004 S. 185). Auf die besondere Relevanz des Wir-Gefühls und der Teamentwicklung in virtuellen Teams ist bereits in Kapitel 6.1.3 eingegangen worden. Was die zweite Funktion, die Kontrolle betrifft, sollte inzwischen erkenntlich geworden sein, dass in virtuellen Arbeitsgruppen Teile dieser durch Koordination als Ersatz für Überwachung übernommen werden. Was verbleibt, ist die Motivation der Teammitglieder hauptsächlich über input-basierte Kontrolle, sich an der Selbststeuerung zu beteiligen (Depickere 1999 S. 109). Die Führung durch Ziele sollte flankiert werden durch die Möglichkeit und Bereitschaft der Mitglieder, Verantwortung zu übernehmen (vgl. Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 411, Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 36). Dabei ist wiederum zu beachten, dass der Einsatz von Medien den Aufbau von Motivation erschwert (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 78). In erster Linie ist zur Übernahme von Selbststeuerung bei den Gruppenmitgliedern ein hohes commitment aufzubauen. Dabei ist nach den verschiedenen Bezugspunkten von commitment zu unterscheiden. Als organisationales commitment wird die psychologische Bindung zwischen Mitarbeiter und Organisation verstanden (vgl. Meyer / Allen 1997, Mowday / Porter / Steers 1982) und soll hier auf die Teamebene angewandt werden.166 Nach der Typologisierung von Meyer / Allen (1997) ist des Weiteren zu differenzieren in affective commitment (die gefühlsmäßige Anziehung und Identifikation), continuance commitment (die Kalkulation der Kosten, die mit dem Ausscheiden entstehen) und normative commitment (die reziproke bzw. moralische Verpflichtung auf Grund einer wahrgenommenen Leistung). Besonders relevant für Teams erscheint das affective commitment, das nach Abrahamsson vor allem durch posi165 166

Vgl. vorbereitende Ausführungen im Kapitel 6.1.4 ‚Mangel an Vertrauen’. Wie Morrow (1993) in ihrer Übersicht darlegt, kann das Bezugsobjekt von commitment variieren und sich auf andere Ebenen außer Organisation beziehen.

160

tive Arbeitserfahrung aufgebaut werden kann (2002 S. 34). Commitment kann sich dabei auf das Team, also die Kollegen, als auch auf die Teamaufgabe beziehen (Becker 1992). Aus commitment wird sich produktives Verhalten und Leistungssteigerung erhofft. Die Verbindung von organisationalem commitment und Fluktuation bzw. Leistung ist zuerst widersprüchlich belegt worden (Mathieu / Zajac 1990 S. 184), doch dank der Aufschlüsselung in die drei Typen können die Auswirkungen konkretisiert werden: Hinsichtlich Rückzugsüberlegungen, Kündigungsabsicht und tatsächlicher Kündigung besteht mit allen drei Typen eine negative Korrelation, wie Meyer et al. (2002) auf Grund einer Metaanalyse mehrerer empirischer Studien zeigen. Hinsichtlich Arbeitsverhalten wie Anwesenheit und Leistung weist das affektive commitment den stärksten Effekt auf. Hinsichtlich subjektiver Aspekte, v.a. hinsichtlich Arbeitszufriedenheit, steht das affektive commitment in engem Zusammenhang. Meyer et al. (2002) geben den Hinweis, dass affektives commitment weniger durch die Demographie der Mitglieder (z.B. Alter, Geschlecht, Ausbildung) als durch positive Arbeitserfahrung geschaffen wird. Positive Arbeitserfahrung kann durch team empowerment erzeugt werden: „Den Mitarbeitern wird das Vertrauen entgegengebracht, dass sie ihre Arbeit im Sinne der Unternehmensziele ausführen, und damit das Gefühl vermittelt, dass ihr Einsatz, ihre Kompetenz und Kreativität maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens sind“ (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 462). Es folgt eine erhöhte Aufgabenmotivation durch die positive Bewertung der Potenz, der Bedeutsamkeit, der autonomen Verantwortung und des Einflusses der Aufgabe (Kirkman et al. 2004). Orlikowski / Hertel / Konradt fügen dem das Vertrauen auf Kollegen und Technologien hinzu (2004 S. 37). Dies bewirkt Eigeninitiative hinsichtlich Planung, Ausführung, Leistungsüberwachung und Verbesserung und ist daher äußerst bedeutsam bei virtuellen Teams, die sich selten sehen, wie Kirkman et al. (2004) empirisch in einer realen Organisationsumwelt bestätigen. Orlikowski / Hertel / Konradt (2004) konnten in ihrer Studie (ebenso bei realen virtuellen Teams) zeigen, dass kooperative Führung mit Selbstführung über Ziele und Feedback erfolgreicher ist als der direktive Stil. Virtuelle Teams mit einem geringeren Grad an empowerment leiden nach denselben Autoren an Passivität und erwarten Anweisungen durch die Führungskraft, welche die Mitglieder schwer über die Medien anregen kann. Team empowerment und seine positive Wirkung auf die Leistung traditioneller Teams sind beispielsweise belegt durch Burpitt / Bigoness (1997), Hyatt / Ruddy (1997) und Kirkman / Rosen (1999). Zudem meint Reichwald (o.J.), dass empowerment die Zufriedenheit der Mitarbeiter hebt. Es ist anzumerken, dass dieses Konzept auf Vertrauen basiert, das als entscheidende Voraussetzung gegeben sein muss. Dass es hierbei allerdings Probleme geben kann, wurde bereits in Kapitel 6.1.4 ausführlich erklärt. Nichtsdestotrotz muss sich der Teamleiter einen Überblick über individuelle Leistungen verschaffen können. Hierfür sind qualitative und quantitative Daten aus dritter Hand nötig, die seine persönliche Beobachtung ersetzen; hier schlagen Blackburn / Furst / Rosen ein 360Grad-Feedback vor (2003 S. 112). Die Anerkennung der Leistung erfordert hohe interkulturelle Sensibilität, denn sie variiert stark zwischen den Kulturen (Kirkman et al. 2002). Es kann durchaus sein, dass sich ein Gruppenmitglied mit den neuen Medien detaillierter auskennt und sie besser beherrscht als der Teamleiter, was die Vormachtstellung der offiziellen Führungskraft untergraben kann, wie Carletta / McEwan / Anderson (1998) empirisch darlegen. Zusammengenommen bedeutet dies eine Reduktion der Vormachtstellung des Teamleiters: Die Führungskraft ist gezwungen, auf disziplinarische Weisungsmöglichkeiten zu verzichten, sich bei der Nutzung technischer Medien zu behaupten und daneben den Anspruch aufzugeben, der übergeordnete Experte zu sein; denn gerade virtuelle Teams werden geformt, um verschiedene Experten als Gruppenmitglieder zusammen zu führen.167 Dies erfordert, wie schon unter der Koordinationsfunktion erklärt, eine Umwälzung des Führungs- und damit 167

Sehe Kapitel 6.2.2 ‚Zusammenführung internationaler Experten’.

161

Selbstverständnisses des Teamleiters. Daneben muss er die eben ausgeführten Methoden annehmen und erfolgreich einsetzen. In den seltensten Fällen sind Führungskräfte, die bis dato in face-to-face Teams gearbeitet haben, hierfür gewappnet. Von daher ist mit Anpassungsschwierigkeiten zu rechnen. Der Gruppenleiter durchläuft einen Lernprozess, bei dem er anfangs durch die Konfrontation mit den Defiziten der traditionellen Führung für die Umstellung sensibilisiert wird und sich im Verlauf die Instrumente der Führung durch Ziele, Prozessgestaltung, commitment und team empowerment aneignet, sei es durch Erfahrungslernung oder gestützte Entwicklungsmaßnahmen. Führungskräfte, die sich nicht von Kontrolle und Zentralstellung lösen können, werden kontinuierlich mit den zu anfangs dargestellten Problemen zu kämpfen haben, ohne die Teameffektivität auf ein angemessenes Niveau heben zu können. Interessanterweise gibt es bis dato keine empirische Studie zu den Attributen eines virtuellen Teammanagers, die besagte meist theoretische Postulate stützen würde (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 75). Grote / Manchen Spörri / Springan (2004) relativieren den Stellenwert von team empowerment und leiten von ihrer Untersuchung bei realen Arbeitsgruppen ab, dass Führungskräfte über ein Repertoire an verschiedenen Führungsstilen verfolgen, die sie je nach Bedingungen einsetzen. Auf diese Weise koexistieren empowerment und direkte Führung, was die Autoren im Rahmen der behavioral complexity-Theorie der Führung erklären, die sich an die systemtheoretische Aussage anlehnt, dass jedes System so komplex wie seine Umwelt sein muss. Es ist zu betonen, dass die Konzepte der Selbststeuerung und des team empowerment westlichen Ursprungs sind; von daher ist zu erwarten, dass in Kulturen mit stärker hierarchiebetontem Verständnis von Führung diese Lösung weniger anerkannt bzw. eine andersartige Lösung favorisiert wird, die den dortigen Umständen eher gerecht wird. In diesem Licht scheint die eben genannte Theorie interkulturell sinnvoll, da sie die ungleichen Bedingungen in der Umwelt (also auch der Diversität an kulturell unterschiedlichen Führungsgewohnheiten) aufgreift. Um auch dieses Kapitel mit der Herausstellung der wesentlichen Punkte zu beenden, seien sie hier in Form von Arbeitshypothesen gelistet. Die Arbeitshypothese zur Voraussetzung ist bereits im Kapitel 6.1.4 ‚Mangel an Vertrauen’ als Prozesserweiterung formuliert worden und wird hier der Vollständigkeit halber wiederholt: Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 10: Bei Vertrauensmangel kann der Teamleiter nicht über Ziele bzw. Selbststeuerung führen. Die wichtigsten Aussagen hinsichtlich der Schwierigkeiten der traditionellen Führung in virtuellen Teams bzw. die Umstellung auf ein neues Führungskonzept lauten in der Essenz: Arbeitshypothese Prozess vK0P 5: Die traditionelle Führung scheitert am erhöhten Koordinations- und Informationsaufwand sowie an der mangelnden Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeit durch den Gruppenleiter. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 11: Mitarbeiter, die zu wenig Koordination bzw. Anleitung und damit Orientierung erfahren, fühlen sich isoliert, was sich in geringerer Identifikation, geringerem commitment und geringeren Beiträgen für das Team ausdrückt. Arbeitshypothese Prozess (Erweiterung) vK0Pe 12: Der Teamleiter muss ein neues Führungskonzept annehmen, das ihm statt Kontrolle eher Koordination durch Prozessgestaltung und Unterstützung durch den Aufbau von Selbststeuerung zuweist. Arbeitshypothese Output (Leistung) vK0O 9: Mangelnde Information der Mitarbeiter und fehlende Evaluierungsmöglichkeiten der Ergebnisse und Prozesse durch den Gruppenleiter führen zu Missverständnissen und Fehlarbeiten durch die Mitarbeiter. Dies kann durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept gemindert werden.

162

Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 10: Desorientierung, Fehlarbeiten und mangelnde Identifikation resultierten in geringerer Zufriedenheit unter den Mitarbeitern. Dies kann durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept gemindert werden.

6.1.5.3 Anforderungen an den Mitarbeiter Neben dem veränderten Modus der Kooperation und der Kommunikation stellt die neue Führungsform ebenso Herausforderungen an die Mitarbeiter. Sie bekommen in viel geringerem Maße konkrete Anweisungen für Einzelaufgaben. Vielmehr sind ein Ziel und allgemeine Prozessrichtlinien vorgegeben, die den Mitarbeitern zur Organisation und Erledigung ihrer Aufgaben ausreichen müssen. Viele Mitarbeiter benötigen jedoch eine enge Führung; ohne klare und regelmäßige Aufgabenzuweisung und -erklärung bzw. Feedback fühlen sie sich orientierungslos und unsicher. Zudem fehlt der Anteil an extrinsischer Motivation, die durch externe Anleitung und Anerkennung vermittelt wird. Die Mitarbeiter erfahren weniger Ansprache und sind stärker auf sich alleine gestellt. Hinsichtlich der neuartigen Herausforderungen im Bereich Kompetenzen, wie im folgenden Abschnitt zu erläutern ist, kann sich der Mitarbeiter darüber hinaus überfordert fühlen. Wenn sich außerdem der Mitarbeiter wenig dem virtuellen Team committed fühlt, parallel in die lokalen Strukturen eingebunden ist (wie z.B. bei einer Matrix- oder Projektorganisation), neigt er eher dazu, den lokalen Ansprechpartnern und Aufgaben Priorität zu zollen und vernachlässigt seine Beiträge und Verpflichtungen im virtuellen Team (Herczeg et al. 2000 S. 27). Selbststeuerung erzwingt einige neue Kompetenzen und Fertigkeiten, die der Mitarbeiter erwerben muss, wenn sie nicht auf Grund persönlicher Eigenschaften bzw. Erfahrungen bereits existent sind. An erster Stelle ist hier Selbständigkeit zu nennen: Das proaktive Aufgreifen von Themen, die in das eigene Kompetenzfeld fallen, die kontinuierliche Identifikation von Problemen und Ausarbeitung von Vorschlägen und schließlich die Definition und Organisation der einzelnen Arbeitsinhalte obliegt jedem einzelnen Mitarbeiter (vgl. Herczeg et al. 2000 S. 28). In virtuellen Teams haben Mitarbeiter mehr Möglichkeit, aber gleichermaßen mehr Verantwortung zur Mitgestaltung, sowohl was Prozessabläufe als auch das Arbeitsergebnis betrifft (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 72). Damit sind die Mitarbeiter stärker dazu aufgefordert, selbst für Qualität und Termineinhaltung zu sorgen. Verschiedene Autoren benennen Konzepte, welche die hierfür nötigen Kompetenzen umfassen. Selbstregulierung beschreibt nach Karoly die Fähigkeiten einer Person, ihre zielorientierten Aktivitäten über die Zeit hinweg bei sich verändernden Umständen zu lenken (1993). Self-efficacy ist nach der Studie von Staples / Hulland / Higgins (1998) eine Schlüsselfertigkeit für Mitarbeiter in virtuellen Arbeitsgruppen. Blackburn / Furst / Rosen (2003) identifizieren Proaktivität und die eben genannte Selbstregulierung als Bausteine für Selbstmanagement. Zudem müssen Mitarbeiter verstärkt mit Unsicherheit und Ambiguität zurechtkommen können, ohne dass sie in diesen Momenten von einer Führungskraft geleitet werden, genauso wie mit Isolation und emotionaler Distanz (Block 2000 S. 174). Es ist zu beachten, dass die Ausprägungen dieser Fähigkeiten sehr stark zwischen den Kulturen variieren, da ihnen jeweils ein anderer Wert zugesprochen wird und im jeweiligen Führungs- und Geführtenverständnis mehr oder weniger stark verankert ist. Nicht nur im Bereich der Führung bedarf das virtuelle Teammitglied besonderer Fähigkeiten. Weitere Eigenschaften neben Selbständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Fähigkeit zur Selbstmotivation und Loyalität sind nach einer Umfrage bei Führungskräften durch Konradt (2000) Kommunikationsfähigkeit, Lernbereitschaft, Flexibilität, Teamfähigkeit, Zukunftsorientierung und Anpassungsfähigkeit. In anderen Quellen werden die interkulturelle Kompetenz und die Fähigkeit, über die Medien mit Unterschiedlichkeit umzugehen, betont (vgl. Schmidt / Hauenschild 2005, Blackburn / Furst / Rosen 2003). Auch ist das schnelle Einfügen 163

in ein Team, ohne über soziale Verbindungen mit den Kollegen zu verfügen, ein bedeutsames Kriterium (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 23), sowie eine von Natur gegebene hohe Vertrauensneigung. Nicht zuletzt ist der versierte Umgang mit Medien zu erwähnen, d.h. Vertrautheit mit modernen Instrumenten der Telekommunikation, als auch Bereitschaft, sich immer wieder auf die sich verändernden Anforderung neu eingeführter Medien einzustellen und einzulernen (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 74, Keiser 2002 S. 172, Scherm / Süß 1999 S. 6). Dies ist selbstverständlich durch Schulungen zu Beginn oder ebenso während der Kooperation zu stützen (vgl. Orlikowski / Hertel / Konradt 2004 S. 38). Die Auswahl geeigneter Mitarbeiter, die auf Grund persönlicher Disposition oder Erfahrung diese Voraussetzungen mitbringen, erleichtert die Kooperation im Team. Auf die gegenseitige Ergänzung von Kollegen ist bei der Mitgliederauswahl und -entwicklung ebenso zu achten (Konradt / Hertel 2002 S. 57). Sonst können Überforderungen und Anpassungshärten entstehen, die sich negativ auf die Arbeitsleistung des Einzelnen als auch des Teams niederschlagen. Die Ausführung hinsichtlich Anforderungen an den Mitarbeiter sind als Vervollständigung des Aspekts Führung gedacht. Eine weitere Vertiefung oder eine empirische Überprüfung wird nicht stattfinden, da dies zu weit von den eigentlichen Schwerpunkten, nämlich den Gruppenprozessen, ablenken würde.

6.2

Virtuelle Synergien

6.2.1

Nutzen für die Organisation

Virtuelle Teams werden nicht aufgesetzt, weil die virtuelle Kooperation per se so vorteilhaft zu sein verspricht, sondern weil sich das Unternehmen einen Vorteil auf übergeordneter Ebene erhofft. Dies steht in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung und Anpassung der organisationalen Ausrichtung an eine dynamische, schnelllebige und wettbewerbsorientierte Umwelt (Müller 1997). Im Rahmen des business process reengineering wird sich um eine Orientierung an der Wertschöpfungskette bemüht, wofür Teammitglieder aus den betreffenden Unternehmenseinheiten unabhängig von einem gemeinsamen Standort rekrutiert werden. Damit erstreben die Entscheidungsträger eine Beschleunigung der Innovationszyklen, Flexibilität und Erhöhung der Kundenorientierung (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 230f). Das Unternehmen kann auf diese Weise Redundanzen in verschiedenen Organisationseinheiten verringern, komplexe Geschäftsaktivitäten über Grenzen hinweg steuern und externe Partner einbeziehen (Kayworth / Leidner 2000 S. 183, Gibson / Cohen 2003b S. 407). Die Wirtschaftlichkeit der Leistungserstellung steigert sich in vier Dimensionen (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 400ff): Hinsichtlich Kosten können niedrigere Lohnkosten im Ausland genutzt (Peters 1992, Stewart 1994) und Reisekosten der Schlüsselpersonen vermindert werden, die statt dessen über die Medien kommunizieren (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 19). Hinsichtlich Zeit können Prozesse beschleunigt werden, indem verschiedene Zeitzonen (Zerbe 2000) und Arbeitsrhythmen genutzt werden. Die Qualität steigt durch den Einbezug lokaler Experten und die Flexibilität durch den Einsatz kleiner und beweglicher Arbeitseinheiten. In theoretischer Hinsicht wird der Transaktionskostenansatz herangezogen, der die Ersetzung von face-to-face mit virtuellen Teams anhand der Verringerung von Transaktionskosten erklärt. Inwieweit Informationsweitergabe- und Informationsverarbeitungskosten, Konfliktbeilegungs- oder Entscheidungskosten innerhalb der Arbeitsgruppe tatsächlich niedriger ausfallen, wurde in den vorangegangenen Kapiteln kritisch diskutiert und weitgehend wider-

164

legt.168 Betrachtet man jedoch auch die set-up Kosten von virtuellen in Vergleich zu face-toface Teams (vgl. Windsperger 1996 S. 29), kann durch den Verzicht auf internationale Versetzung, die Minimierung von Dienstreisen durch den Einsatz von Kommunikationsmedien und die Nutzung von niedrigeren Lohnkosten doch ein Kostenvorteil entstehen (vgl. Keiser 2002 S. 97, Scherm / Süß 1999 S. 2, Maugain 2003 S. 46). Dies sind Aspekte, die sich auf der Organisationsebene niederschlagen. Welcher Nutzen auf der Ebene der Gruppe eventuell eintritt, wird in den folgenden Kapiteln besprochen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Synergieformen zumeist keine belegten Phänomene sind, sondern Hoffnungen der Entscheidungsträger bzw. Hypothesen der Berater und Wissenschaftler. In diesem Bereich gibt es noch weniger fundierte Untersuchungen als im Konfliktbereich.

6.2.2

Zusammenführung internationaler Experten

Die Zusammenführung von Experten zu einer schlagkräftigen Gruppe ist nicht nur für das Unternehmen ein Vorteil, sondern erhöht zudem das Leistungspotenzial der Gruppe selbst und stellt wohl den meist genannten Punkt in der Literatur dar. Auch Liebig / Schütze sprechen davon, dass virtuelle Teams meist kompetenzorientiert zusammengesetzt werden (2001 S. 83). Damit wird ein ressourcenorientierter Ansatz eingeschlagen,169 der die Kombination und Nutzung von global verteilten Ressourcen anstrebt. Dies gilt einerseits für die im Ausland kostengünstigeren Arbeitskräfte, wie im vorangegangenen Unterkapitel angesprochen. Darüber hinaus kann das Unternehmen auf Ressourcen zugreifen, die im Inland nicht oder nur beschränkt verfügbar sind (Zerbe 2000 S. 20). Für virtuelle Teams, die komplexe Sachverhalte zu bewältigen haben, ist hierbei dieses intangible Humankapital die relevanteste Ressource. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidungsträger global verteilt eher Expertise für komplexe Aufgaben finden, ist bei weitem höher als in einem lokal stark eingegrenzten Zirkel (Bell / Kozlowski 2002). Es können weltweit die besten Mitarbeiter identifiziert und rekrutiert (Maugain 2003 S. 46) und damit Engpässe auf dem eigenen Arbeitsmarkt überwunden werden. Insbesondere ist es möglich, Mitarbeiter aus Ländern heranzuziehen, in denen eine besonders gute Ausbildung auf einem bestimmten Gebiet herrscht (Maugain 2003 S. 46). Durch virtuelle Arbeitsgruppen wird Expertise kombiniert, ohne Mitarbeiter zu versetzen oder Zugeständnisse an Qualifikationen zu machen (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 7, Block 2000 S. 174, Gillies 2005). Gerne wird das Resultat als dream team bezeichnet, in dem die besten Experten ungeachtet von Ort und Zeit kooperieren (Elsener 2005). Gerade wenn die Gruppenaufgabe in der Lösung eines speziellen Problems besteht, können hierfür aus dem globalen Pool die richtigen Fachleute ausgewählt werden (Kayworth / Leidner 2000 S. 184). Zudem ist es möglich, die jeweilige Teambildung problembezogen und dynamisch zu handhaben, um sicherzustellen, dass für jede Aufgabe die entsprechende Qualifikation eingebracht wird (vgl. Reichwald / Möslein 2002 S. 1013). Was sich als Vorteil für das Gesamtunternehmen ausmachen lässt, ist die Möglichkeit, die Experten zeitgleich an verschiedenen globalen Aufgaben bzw. Projekten teilhaben zu lassen, ohne dass die Notwendigkeit für Versetzungen bzw. Dienstreisen besteht (vgl. Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 19). Für besondere Aufgaben empfiehlt es sich, sich mit Partnerunternehmen zu vereinen, um in einer strategischen Allianz, die durch ein virtuelles Team gesteuert wird, eine Herausforderung gemeinsam zu bestreiten. Ausschlaggebender Grund hierfür sind häufig Kernkompetenzen der Unternehmen für spezielle Schlüsselfelder, die kombiniert einen Wettbewerbsvor168 169

Für eine detaillierte Erläuterung der Erhöhung der Transaktionskosten in virtuellen Teams vgl. Zerbe (2000 S. 85ff). Dieser ist auch im Kapitel 5.2.2 ‚Ressourcenpool’ bereits erläutert worden.

165

sprung auf dem Markt ergeben können (Schräder 1996 S. 10),170 sowie der Wunsch nach Kosten- und Risikoverteilung. Die Mitarbeiter sind nicht nur mit unterschiedlichen Qualifikationen ausgestattet, sondern je nach Auswahl auch mit Erfahrungen aus verschiedenen Organisationen, Funktionen und Kulturen (DeSanctis / Monge 1998, Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 26, Schräder 1996), was die Diversität und den möglichen Ressourcenpool171 aufstockt. Jedes Mitglied verfügt über ein eigenes Netzwerk, das hauptsächlich an seinem Standort ausgeprägt ist und unmittelbare Kollegen und Vorgesetzte, Kontaktpartner in anderen Funktionsbereichen, lokale Entscheidungsträger, Kunden, Geschäftspartner, Lieferanten oder öffentliche Stellen mit einbezieht. Es entsteht über ein virtuelles Team ein interpersonales Netzwerk über verschiedene Standorte hinweg (Levenson / Cohen 2003 S. 150), das um ein Vielfaches größer ist als das einer lokalen Gruppe. Auf diese Art können zum einen mehr relevante Informationen einbezogen werden. Nach Maznevski / Athanassiou ist damit das soziale Kapital in Form von Quellen in der internen und externen Umwelt höher (2003 S. 198). Auch andere Ressourcen können auf diese Weise aktiviert werden, wie z.B. weiteres Wissen sowie finanzielle lokale Ressourcen (Oh / Chung / Labianca 2004 S. 861). Zum anderen ist es möglich, die erarbeiteten Lösungen an den lokalen Standorten einfacher zu implementieren, indem Gruppenmitglieder vor Ort sind und im direkten Kontakt mit den Schlüsselpersonen stehen.172 Es besteht ferner die Hoffnung, dass über die erleichterte Kommunikation mit entfernten Experten leichter neue Kontakte geknüpft und gehalten werden können. Damit würde sich das existierende Netzwerk zusätzlich erweitern und als Grundlage für die Kombination von Fachwissen und die Generation von Innovationen dienen (DeSanctis / Monge 1998). Es liegen allerdings Gegenbelege dafür vor, dass Mitarbeiter über die elektronische Kommunikation eher Bekannte ansprechen und nicht an neue Personen herantreten (Davis 1997 S. 7). Wenn bestimmte Länder besondere Stärken in bestimmten Unternehmensfunktionen aufweisen, sei es auf Grund des Bildungsstandards, der wirtschaftlichen Förderung, der geographischen Lage oder der historischen Entwicklung, kann das Unternehmen durch die Auslagerung dieser Tätigkeit in das betreffende Land die dortigen Kapazitäten hinsichtlich Humankapital abschöpfen (vgl. Simon / Bauer / Jägeler 1993 S. 262). Im Hintergrund dieser Überlegung steht die Theorie der operationalen Flexibilität von Kogut (1989), welche u.a. besagt, dass Unternehmen kulturelle Unterschiede als Standortvorteile im internationalen Wettbewerb nutzen können (Arbitragevorteile). Welge / Holtbrügge (2003) beziehen dies auf einzelne Unternehmensaktivitäten; z.B. schlagen sie vor, Forschung und Entwicklung in innovationsorientierten Kulturen anzusiedeln. Der Standortvorteil träfe ebenso für Teams zu, die verschiedene kulturell-funktionale Kompetenzen zu ihrer Aufgabenerfüllung benötigen.173 Die Mitarbeiter selbst sind in virtuellen Arbeitsgruppen mobiler; zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe ist es nicht unbedingt nötig, dass sie einen festen Arbeitsplatz aufsuchen (Bell / Kozlowski 2002). Damit verfügen sie über mehr Freiheiten, um ihre Aufgabe zu erledigen bzw. um für eine Balance zwischen Arbeits- und Berufsleben zu sorgen. Die Arbeitshypothesen für die Synergieform ‚Zusammenführung internationaler Experten“ lauten: Arbeitshypothese Prozess vS0P 1: Dadurch, dass weltweit verteilt passgenaue Fachexperten für die Aufgabe ausgewählt werden können, erhöht sich die Expertise für die Aufgabe. 170

171 172 173

Vertrauen spielt in dieser Kooperationsform eine prekäre Rolle, denn es besteht auf Unternehmensebene die Gefahr des Abzugs von Know how und der einseitigen Abhängigkeit (Schräder 1996 S. 58f). Dies kann auf die Mitarbeiter der operativen Ebene belastend wirken und zu einer Verschärfung der Vertrauensproblematik, die in Kapitel 6.1.4 beschrieben wird, führen. Vgl. Kapitel 5.2.2 ‚Ressourcenpool’. Vgl. Kapitel 6.2.3 ‚Qualität und Beschleunigung von Prozessen’. Vgl. Kapitel 5.2.6 ‚Kulturspezifische Arbeitsteilung’.

166

Arbeitshypothese Output vS0O 1: Durch den Einbezug internationaler Experten erhöht sich die Gruppenleistung.

6.2.3

Qualität und Beschleunigung von Prozessen

Der Einsatz von virtuellen Teams entlang der Wertschöpfungskette gemäß des business process reengineering steht, wie im ersten Unterkapitel erläutert, im enger Relation mit unmittelbaren Vorteilen für die Unternehmung. Vergleicht man nun auf Gruppenebene die Möglichkeiten eines an einem Standort fest verankerten face-to-face Teams mit denen eines global verstreuten Teams, ist festzustellen, dass zweites eine wertschöpfungsorientierte Aufgabe besser wahrnehmen kann als erstes. Die Ausführungen zum Organisationsvorteil können vor allem für die Dimensionen Zeit und Qualität an dieser Stelle wiederholt werden: Wenn die Gruppenmitglieder entsprechend der Prozessorientierung näher am Geschehen sind, um dieses zu steuern und zielgerichtet zu beeinflussen, profitiert die Gesamtgruppe davon, indem die Qualität der Ergebnisse gesteigert wird. Denn durch die Nähe kann stärker auf optimale Erfüllung und damit Qualität geachtet werden. Fehler bzw. Abweichungen beispielsweise in der Produktion werden einfacher identifiziert und schneller behoben, wenn ein Verantwortlicher vor Ort diese selbst überprüfen und im Falle direkt eingreifen kann. Die Einzelaufgaben gehen Hand in Hand und sind nicht über verschiedene Unternehmenseinheiten oder Organisationen hinweg verteilt und mit entsprechend aufwendiger bzw. reibungsvoller Schnittstellenarbeit verbunden (vgl. Picot / Reichwald / Wigand 2003). Indem die Verantwortung für verschiedene Prozessschritte in einem Team konzentriert wird, werden die Kommunikationsprozesse über geographische und organisationale Grenzen beschleunigt. Die Experten bzw. Entscheidungsträger sind an Bord und müssen nicht extern erreicht werden, was die Entscheidungsfindung erleichtert (Herczeg et al. 2000 S. 40). Als Arbeitshypothesen ergeben sich: Arbeitshypothese Prozess vS0P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Teammitglieder diese stärker steuern und beaufsichtigen. Arbeitshypothese Output vS0O 2: Durch die Möglichkeit des unmittelbaren Eingriffs beschleunigt sich die Aufgabenerledigung und erhöht sich die Qualität.

6.2.4

Erhöhter Sachfokus174

Die Depersonalisierung durch die Nutzung von Telekommunikationsmedien wurde bereits in Kapitel 6.1.2 ‚Mangel an sozialer und Kontextinformation’ besprochen. Sie kann nun auch von ihrer positiven Seite betrachtet werden, wenn der Austausch von sachbezogenen Informationen nun ungestört vonstatten gehen kann. Sonst werden diese Informationen im persönlichen Kontakt häufig abgelenkt durch interpersonale und emotionale Aspekte außerhalb der sachorientierten Problemlösung (Phillips / Santoro 1989 S. 152). Dadurch entstehen in face-to-face Gruppen leichter ausgeprägte Konflikte, da Sach- und Beziehungsebene eng miteinander verflochten sind (Hightower / Sayeed 1996 S. 455). Auch der Abbau visueller Eindrücke in den meisten Medien sorgt für einen von Verzerrungen ungestörten Faktenaustausch, da Stereotype, die durch das Aussehen hervorgerufen werden, nicht aktiviert werden (DeSanctis / Monge 1998, Simons o.J.). Damit ist für eine bessere Qualität der Arbeitserledigung gesorgt.

174

Es ist zu der Synergieform ‚erhöhter Sachfokus’ anzumerken, dass die Einschätzung dieses Phänomens als vorteilhaft der westlichen, wenn nicht zu sagen deutschen Herkunft der Forscherin zuzuschreiben ist. In den Augen der Angehörigen anderer Kulturen kann Sachfokus (anstatt Personenfokus) durchaus als Nachteil gewertet werden.

167

Dadurch, dass die sozialen Rollen und soziale Kontrolle in der virtuellen Kommunikation weniger stark wirken (vgl. kommendes Kapitel 6.2.5 ‚Demokratisierung’), fühlen sich die Beteiligten freier, sich ehrlich und ungehemmt zu äußern. Mehrere Autoren sehen dies als Element einer offenen und effektiven Diskussion (Walther / Burgoon 1992 S. 52, Hightower / Sayeed 1996 S. 455, Siegal et al. 1986). Es wird postuliert, dass Mitglieder ihre Meinung kundtun, sich stärker widersprechen und damit eine intensive Debatte führen. Kiesler / Sproull (1992) zeigen dies in ihrer empirischen Studie, in der auf Grund eines besseren Informationsaustauschs fundiertere Entscheidungen getroffen werden. Andererseits führt der Versuch von Hightower / Sayeed (1996), dieses Phänomen ebenso zu belegen, zu der Einsicht, dass nicht nur sachlich argumentiert wird, sondern die Ungezwungenheit der Beteiligten des Weiteren stark emotionale und unkontrollierte Äußerungen hervorruft. In der Konsequenz kann es durch den Wegfall der sozialen Kontrolle auch zu extremeren, unkonventionellen und riskanteren Entscheidungen kommen, da sich die Mitglieder weniger verpflichtet und der Sache entfernt fühlen (Kiesler / Sproull 1992 S. 96). Je nach Aufgabe mag dies positiv oder negativ zu bewerten sein. Die Medien unterstützen den sachbezogenen Fokus: In ihrem Design ist nicht der Austausch persönlicher oder emotionaler Informationen vorgesehen, so dass hauptsächlich Angaben zur Aufgabe weitergegeben werden (Herczeg et al. 2000 S. 17). Der Einsatz von asynchronen Medien birgt ferner folgende Vorteile: Die Mitglieder müssen sich nicht wie im Gespräch unmittelbar mitteilen, sondern haben die Möglichkeit, über ihre Aussagen eingehender nachzudenken (Hightower / Sayeed 1996 S. 463). Sie können planen, abwägen und überarbeiten, was sie gedenken mitzuteilen. Zudem können sie auswählen, wie sie sich selbst darstellen (Walther / Burgoon 1992 S. 79). Die stärkere Nutzung von Medien ist zusätzlich dahingehend positiv zu beurteilen, dass Speicherung und Dokumentation von Daten (z.B. auf dem Intranet) meist automatisch erfolgt, so dass dies vollständiger und zeitnäher passiert als in face-to-face Teams. Damit verfügt die Gruppe über ein gemeinsames und verbindliches Gedächtnis (Townsend / DeMarie / Hendrickson 1998 S. 24). Die Mitglieder können durch ihre mediale Ausstattung ständig auf die Dokumente zugreifen, so beispielsweise auch in einer laufenden Telekonferenz (Gibson / Cohen 2003b S. 407). Als Fazit werden wiederum Arbeitshypothesen abgeleitet: Arbeitshypothese Prozess vS0P 3: Durch den Austausch über die Medien fallen interpersonale und emotionale Aspekte weg; die Teammitglieder fokussieren auf sachbezogene Inhalte. Arbeitshypothese Output vS0O 3: Die Aufgabenerledigung erfolgt frei von personenbezogenen oder emotionalen Verzerrungen bzw. Störungen.

6.2.5

Demokratisierung

If you are a hunchback, a paraplegic, a woman, a black, a fat, you still have the same chance. (Zuboff 1988 S. 371) Unter Demokratisierung wird sowohl der zahlenmäßig erhöhte Einbezug von Personen an Informationsaustausch und Entscheidungen als auch der nivellierende Effekt über die Hierarchieebenen hinweg subsumiert. Durch die Nutzung von Medien wie E-mail, chat und groupware175 oder Telefonkonferenzen wird es mehr Personen ermöglicht, an Diskussionen teilnehmen (DeSanctis / Monge 1998). 175

Als groupware wird Software bezeichnet, die eine gemeinsame Arbeitsumgebung für Gruppen erstellt. In der Literatur wird anstatt von groupware auch häufig von CSCW-Systemen gesprochen (computer supported cooperative work), z.B. bei Heaton (1998) und Dix (1996). Für eine Übersicht über mögliche Systeme und deren Funktionen siehe Keiser (2002) oder Schräder (1996).

168

Die Gruppen können dabei größer, komplexer und fluider sein. Und auch weit entfernte, geographisch isolierte Mitglieder haben die Option, sich in gleicher Weise ins Gruppengeschehen einzubringen, wie Felduntersuchungen ergeben (Kiesler / Sproull 1992 S. 116). Hinsichtlich des nivellierenden Effekts ist auf soziale Einflussfaktoren in Gesprächen hinzuweisen: Mitarbeiter, die von ihrer persönlichen Veranlagung her oder durch ihre kulturelle Prägung weniger geradeheraus und eher zurückhaltender sind, haben die Chance, im asynchronen Austausch ihre Anmerkungen vorzubereiten bzw. müssen in synchronen Besprechungen nicht visuell vor der gesamten Gruppe auftreten, was ihnen hilft, ihren Beitrag einzubringen (Simons o.J.). Die Personen, die in face-to-face Meetings laut auftreten bzw. viel reden, tendieren dazu, den Gesprächsverlauf zu dominieren, da andere nicht die Chance bekommen, das Wort zu ergreifen und in die passive Zuhörerrolle gedrängt werden (Kiesler / Sproull 1992 S. 116). In asynchronen Medien fällt der Zwang des Zuhörens und Schweigens weg; jeder kann sich äußern, ohne Anderen ins Wort fallen zu müssen (Hightower / Sayeed 1996 S. 455). Als entscheidendes Merkmal, wer sich wie stark in face-to-face Gruppendiskussionen und -entscheidungen involviert, gilt der soziale Status.176 Dieser wird einerseits durch die hierarchische Relation der Beteiligten vorgeben, wie z.B. die Aufteilung in Vorgesetzter und Mitarbeiter. So ist in der Gruppe der Teamleiter die zentrale Autorität, die face-to-face Gespräche monopolisiert, mehr als andere spricht, mehr in dyadischen Konversationen teilnimmt und mehr Aktionen initiiert als andere (Carletta / McEwan / Anderson 1998). Darüber hinaus ist sozialer Status mit kultureller Zugehörigkeit verknüpft, so dass oft Stammhausmitglieder oder die kulturelle Mehrheit dominieren (Bittner o.J.). In face-to-face Diskussionen geben diese Hochstatusmitglieder den Ton an, ohne dass sie zwangsläufig die besseren Kenntnisse oder Argumente hätten. In dieser Situation überzeugen Niedrigstatusmitarbeiter trotz richtiger Argumente in geringerem Maße (Kiesler / Sproull 1992 S. 116). Sie werden selten gefragt und geben sich nicht proaktiv kund, obwohl sie über relevante Informationen verfügen (Carletta / McEwan / Anderson 1998). In der virtuellen Kommunikation egalisiert sich der soziale Status in gewissem Maße, da er nicht sichtbar und entsprechend der verschiedenen Theorien der Depersonalisierung177 weniger präsent ist (vgl. Keiser 2002 S. 186, Hightower / Sayeed 1996 S. 455). Damit entwickeln sich Gleichberechtigung und Gleichheit in der Beteiligung (empirisch belegt, siehe z.B. DeSanctis / Monge 1998, Kiesler / Sproull 1992 S. 96). Informationen werden eingebracht und gehört, unabhängig davon, wer sie ausspricht. Es erhöht sich die Anzahl an Beiträgen (die Mitglieder fühlen sich frei zu Äußerungen) als auch deren Anhörung und aktive Weiterverarbeitung im Diskussionsprozess (die Mitglieder nehmen jegliche sachliche Information ernst). Durch die erleichterte Teilnahme an den Austausch- und Entscheidungsprozessen werden Nichtstatusmitglieder besser integriert. Zusätzlich schenken ihnen die Kollegen mehr Gehör, so dass sie sich wert geschätzt fühlen. Durch diese beiden Aspekte ist zu vermuten, dass die Motivation und Zufriedenheit dieser Gruppenmitglieder steigt. Allerdings kann es im Extremfall in virtuellen Teams nun zu Dominanz durch die technologisch versierten Teammitglieder kommen, welche die Medien besser beherrschen (Carletta / McEwan / Anderson 1998). Durch den erhöhten Informationsaustausch und den Fokus auf sachlich fundierten Beiträgen fällt die Qualität der Entscheidungen am Ende der Diskussion höherwertig aus (Kiesler / Sproull 1992 S. 114). Im Ergebnis lassen sich die Arbeitshypothesen wie folgt formulieren: Arbeitshypothese Prozess vS0P 4: In virtuellen Teams fällt sozialer Status weniger ins Gewicht und vor allem Niedrigstatusteammitglieder beteiligen sich mehr und gleichberechtigter. 176 177

Vgl. Kapitel 3.3.4 ‚Rollen’. Vgl. Kapitel 6.1.2 ‚Mangel an sozialer und Kontextinformation’.

169

Arbeitshypothese Output (Leistung) vS0O 4: Der erhöhte Informationsaustausch führt zu sachlich korrekten Entscheidungen und effektiver Problemlösung. Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit): vS0O 5: Niedrigstatusmitglieder sind stärker motiviert, deren Zufriedenheit steigt.

6.2.6

Marktpräsenz

In einigen Arbeitsgruppen ist es je nach Aufgabe von eminenter Bedeutung, nah am Markt zu sein. Über diese Möglichkeit verfügen nun virtuelle Teams und können in jedem strategisch bedeutsamen Land bzw. in jeder Region Teammitglieder rekrutieren, welche die Aufgaben vor Ort wahrnehmen. Kunden- und Prozessnähe erfordert Entscheidungskompetenz beim Mitarbeiter, der erstens als lokales Mitglied über die Umwelt am besten informiert ist und zweitens als Fachexperte für seinen Bereich über die relevanten Kenntnisse verfügt (vgl. Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 462). Dies stellt eine Fortführung des ressourcenorientierten Ansatzes aus dem Unterkapitel Experten dar; die Ressource Humankapitel bezieht sich in diesem Fall nicht nur auf fachliche Qualifikation, sondern auch auf regionale Kenntnisse und kulturspezifische Kompetenzen (vgl. Zerbe 2000 S. 29, Holzmüller / Berg 2002 S. 892). Das Unternehmen kann noch einen Schritt weitergehen und sogar Vertreter des Kunden in die Arbeitsgruppe und den internen Leistungserstellungsprozess mit einbinden, um die Kundenorientierung noch stärker auszubauen (Picot / Reichwald / Wigand 2003 S. 400). Die Nähe zum Markt und damit zum Kunden als auch zu den Ressourcen in ihrem lokalen Kontext, fördert die Innovationsmöglichkeit, da das Team auf diese Weise auf lokale Kenntnisse zugreifen kann (Kirkman et al. 2004 S. 176, Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 72, Maugain 2003 S. 46). In einer Interviewstudie nennen nach Liebig / Schütze (2001 S. 87) Projektbeteiligte die räumliche Nähe zum Kunden und die Möglichkeit zur intensiveren Arbeit als Vorteile. Die Flexibilität und Geschwindigkeit, sich lokalen Marktänderungen anzupassen, erhöhen sich, weil die Mitglieder präsent sind, sozusagen das Ohr am Geschehen haben. So können Markt- und Kundenanforderungen schneller und angemessen berücksichtigt werden (Hertel / Geister / Konradt 2005 S. 72). Diese Synergieform wurde bereits für multikulturelle Arbeitsgruppen erörtert, bei denen Teammitglieder aus den Zielländern stammen, ohne dass sie jedoch lokal stationiert sind. Damit gelten die Ausführungen an dortiger Stelle hinsichtlich Kundenorientierung, interner Varietät und lokalem Know how (vgl. 5.2.7 ‚Marktnähe’) auch hier, und zwar in einem gesteigerten Maße, da die Teammitglieder vor Ort in direktem Kontakt mit der jeweiligen Umwelt sind. Reichwald / Möslein (2002 S. 1015) betonen die Flexibilität virtueller Arbeitsformen: Flexibilisierungsstrategien streben im Gegensatz zu Stabilisierungsstrategien nach Anpassung und aktiver Veränderung anstatt nach Konstanz. Und diese Strategie sehen sie als außerordentlich relevant in dynamischen Umwelten und variablen Anforderungen. In virtuellen Teams ist zudem die Mitgliedschaft schnell adaptierbar, wenn sich Kundenoder Umweltanforderungen ändern (Kirkman et al. 2004 S. 176). Das Team kann also auf die jeweilige Situation reagieren, den inhaltlichen Fokus ändern und nach Bedarf Experten austauschen. Nach Lipnack / Stamps ist ein virtuelles Team flexibler, wendiger und wettbewerbsfähiger (1998 S. 47). Es ergeben sich Arbeitshypothesen für den Prozess und den Output: Arbeitshypothese Prozess vS0P 5: Ein virtuelles Team kann sich neben den vorhandenen Landeskenntnissen und -kompetenzen vor allem durch die lokale Präsenz den Anforderungen der Zielländer anpassen. Arbeitshypothese Output vS0P 6: Die Teamleistung erhöht sich in ihrer Qualität gemessen an den Marktbedürfnissen. 170

7

Zusammenfassung der Arbeitshypothesen in das vorläufige MIPOModell

Die bisherigen Ausführungen, die durch die aktuelle Literatur gespeist wurden, dienen als Grundlage für die anstehende empirische Untersuchung. Um für eine Strukturierung des Forschungsverlaufs zu sorgen, wurden als Zwischenergebnis eines jeden Kapitels Arbeitshypothesen formuliert, welche die Kernpunkte zusammenfassen. Um diese zu vergegenwärtigen und in einen Zusammenhang zu stellen, wird in diesem Kapitel ein Gruppenmodell erstellt, in dem die Arbeitshypothesen graphisch kombiniert werden. Input: Voraussetzungen Arbeitshypothesen Voraussetzung (V)

Individuum

Prozess: Interaktion Arbeitshypothesen Prozess (P) und Prozesserweiterung (Pe)

Output: Gruppeneffektivität Arbeitshypothesen Output (O)

Interkulturelle Konflikte Leistung Interkulturelle Synergien

Team Virtuelle Konflikte Zufriedenheit Organisation

Virtuelle Synergien

Abb. 22: Schematischer Aufbau der Konflikte und Synergien im MIPO-Modell Der schematische Aufbau entspricht der Input-Prozess-Output-Orientierung, die in Kapitel 3.4 als Grundlage erarbeitet worden ist. Die Abbildung 22 veranschaulicht den Aufbau des multikulturellen Input-Prozess-Output-Modells (MIPO-Modell) auf abstrakter Ebene. Dieses Schema wird in den nachfolgenden Abbildungen 34 bis 39 inhaltlich gefüllt, indem dort die Arbeitshypothesen eingespeist werden. Die externen Voraussetzungen werden als Input definiert, der sich auf die Ebene der Teammitglieder (z.B. fachliche Kompetenzen), auf die Ebene der Gruppenstrukturen (z.B. Größe, Interdependenz der Aufgabe) oder auf die Ebene der Organisation (z.B. Umgang mit Diversität) bezieht. Die Voraussetzungen bedingen zum Teil die Prozesse, die in der Gruppe verlaufen, was durch die Pfeile symbolisiert wird. Zwischen den Voraussetzungen untereinander bestehen ebenso Zusammenhänge, die auf Grund peripherer Relevenz allerdings in dieser Arbeit nicht thematisiert werden.

171

Der Fokus liegt in dieser Arbeit, wie in dem ausführlichen Kapitel Konflikte und Synergien deutlich geworden sein sollte, auf den Prozessen. Besonders jene stehen hier im Vordergrund, die durch die multikulturelle bzw. virtuelle Kooperation beeinflusst werden. Interkulturelle bzw. virtuelle Phänomene, die Prozesse positiv hinsichtlich Gruppeneffektivität gestalten, fallen unter die Kategorie Synergien. Die Phänomene, welche mit negativen Wirkungen zu verbinden sind, werden unter Konflikte subsumiert. Die Arbeitshypothesen Prozesse benennen diese Phänomene und ihre essentiellen Wirkungsweisen. In den Arbeitshypothesen Prozesse (Erweiterung) werden bei besonders komplexen Phänomenen Zusatzinformationen hinsichtlich ihrer Ausprägungen in verschiedenen Interaktionsbereichen gegeben. Das abstrakte Grundmodell wird nun erweitert, denn es ist zu berücksichtigen, dass sich die Konflikte und Synergien wechselseitig beeinflussen; so fungiert eine Prozessvariable als Voraussetzung für eine andere Prozessvariable (z.B. verringert hoher Ethnozentrismus die Entstehung von interkulturellen Synergien). Ebenso verstärken sich zuweilen Konflikte (respektive Synergien) untereinander, so sind beispielsweise Ethnozentrismus und Stereotype als zwei interkulturelle Konfliktformen eng miteinander verknüpft in der Form, dass Stereotype häufig negativ geprägt sind und Abwertung der Angehörigen anderer Kulturen beinhalten. Wirkungen innerhalb einer Kategorie (z.B. innerhalb interkultureller Konflikte) werden durch Pfeile visualisiert. Wirkungen zwischen Kategorien (z.B. zwischen interkulturellen Konflikten und Synergien) werden durch sprachliche Wiederholung der Prozessvariable in der Rubrik der Voraussetzungen aufgenommen. Die Wirkung der Prozesse auf den Output, also der Gruppeneffektivität, wird ebenso in den Graphiken durch Pfeile dargestellt. Die Arbeitshypothesen im Bereich Output gehen darauf ein, inwieweit die Konflikte und Synergien die Gruppeneffektivität im einerseits (mehr oder weniger) objektiven Kriterium Gruppenleistung und anderseits in der subjektiv geprägten Zufriedenheit der Mitglieder verändern. Beide Kriterien bedingen sich sicherlich untereinander, was jedoch in den vorliegenden Ausführungen ausgespart wird, da es keine Besonderheit multikultureller Arbeitsgruppen darstellt. Der analytischen Logik halber wird das Gesamtmodell in die vier Teilaspekte interkulturelle Konflikte, interkulturelle Synergien, virtuelle Konflikte und virtuelle Synergien unterteilt und der Übersichtlichkeit halber in getrennten Graphiken wieder gegeben. Fasst man die beiden Teilaspekte interkulturelle Konflikte und interkulturelle Synergien zusammen, können die Prozesse multikultureller face-to-face Gruppen erklärt werden. Virtuelle Teams weisen darüber hinaus weitere Besonderheiten auf; daher ist es nötig, erstens die virtuellen Einflüsse auf die interkulturellen Prozesse aufzuzeigen, welche zum Teil verstärkt und zum Teil geschwächt oder ganz aufgehoben werden (vgl. Abb. 24 und Abb. 26), und zweitens die von den interkulturellen getrennt ablaufenden virtuellen Prozessen darzustellen (vgl. Abb. 27 und Abb. 28). In dieser Logik sind virtuelle Teams als eine spezielle Form von multikulturellen Arbeitsgruppen anzusehen.178 In den Graphiken erfolgt aus Gründen der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit eine sprachlich verkürzte Darstellung. Die originalen Langfassungen der Arbeitshypothesen werden in Listenform nachgestellt (Tab. 12 bis Tab. 15).

178

Es gibt selbstverständlich auch virtuelle Teams, die innerhalb eines Landes aufgestellt sind und daher kaum multikulturell besetzt sind; diese fallen jedoch nicht unter die international geprägte Fragestellung der vorliegenden Arbeit.

172

173

Stereotype iK0P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen existieren Stereotype. iK0Pe 5: Stereotype verursachen falsche und negative Erwartungen. iK0Pe 6: Subgruppen entstehen.

Ethnozentrismus iK0P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen entsteht Ethnozentrismus. iK0Pe 1: Diversität wird nicht als Ressource erkannt. iK0Pe 2: Ethnozentrismus bewirkt Fehlattribution und En-/ Dekodierungsprobleme. iK0Pe 3: Jeder versucht, die eigenen Methoden durchzusetzen. iK0Pe 4: Kooperation mit anderskulturellen Kollegen sinkt.

Fehlattributionen iK0P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als Kompetenzmangel oder opportunistische Absichten.

En- und Dekodierung iK0P 2: Mitteilungen werden nicht verstanden.

Erwartungsverletzung iK0P 1: Erwartungen an Gleichheit oder Stereotypen werden verletzt.

Prozess

Abb. 23: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten (face-to-face Teams)

Von interkulturellen Synergien iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Individuum

Input

Zufriedenheit iK0O 2: Erwartungsverletzungen bedeuten Unsicherheit und emotionale Belastung. iK0O 4: Ärger, Frustration und Kränkung bewirken Unzufriedenheit. iK0O 6: Geringschätzung und Unterstellung falscher Absichten belasten emotional. iK0O 8: Emotionale Konflikte reduzieren Zufriedenheit. iK0O 10:Schuldbewusstsein und Kränkung führen zu gestörter Befindlichkeit.

Leistung iK0O 1: Beeinträchtigte Kommunikationseffektivität beeinträchtigt Aufgabenerfüllung. iK0O 3: Zeit- und Energieaufwand für Missverständnisse erschweren Aufgabenbewältigung. iK0O 5: Das verschlechterte Vertrauensverhältnis vermindert Kooperation. iK0O 7: Dominanzstreben und mangelnde Kooperation reduzieren Gruppeneffektivität. iK0O 9: Mangelnde Gruppenkohäsion beeinträchtigt die Aufgabenerfüllung.

Output

174 Stereotype iK0P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen existieren Stereotype. iK0Pe 5: Stereotype verursachen falsche und negative Erwartungen. iK0Pe 6: Subgruppen entstehen.

Ethnozentrismus iK0P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen entsteht Ethnozentrismus. iK0Pe 1: Diversität gilt nicht als Ressource. iK0Pe 2: Ethnozentrismus bewirkt Fehlattribution und En-/ Dekodierungsprobleme. iK0Pe 3: Jeder versucht, die eigenen Methoden durchzusetzen. iK0Pe 4: Kooperation mit anderskulturellen Kollegen sinkt.

Fehlattributionen iK0P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als Kompetenzmangel oder opportunistische Absichten.

En- und Dekodierung iK0P 2: Mitteilungen werden nicht verstanden.

Erwartungsverletzung iK0P 1: Erwartungen an Gleichheit oder Stereotypen werden verletzt.

Prozess

Abb. 24: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten (virtuelle Teams)

Von virtuellen Konflikten iK0Pe 4: Der Mangel an sozialen und Kontextinformationen verstärkt Fehlattribution. iK0Pe 7: Es fehlt Gruppenkohäsion.

Team

Von virtuellen Konflikten iK0Pe 1: Kulturell unterschiedliche Mediennutzung verstärkt Erwartungs- und En-/ Dekodierungsprobleme sowie Fehlattribution.

Von interkulturellen Synergien iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Individuum

Input

Zufriedenheit iK0O 2: Erwartungsverletzungen bedeuten Unsicherheit und emotionale Belastung. iK0O 4: Ärger, Frustration und Kränkung bewirken Unzufriedenheit. iK0O 6: Geringschätzung und Unterstellung falscher Absichten belasten emotional. iK0O 8: Emotionale Konflikte reduzieren Zufriedenheit. iK0O 10:Schuldbewusstsein und Kränkung führen zu gestörter Befindlichkeit.

Leistung iK0O 1: Beeinträchtigte Kommunikationseffektivität beeinträchtigt Aufgabenerfüllung. iK0O 3: Zeit- und Energieaufwand für Missverständnisse erschweren Aufgabenbewältigung. iK0O 5: Das verschlechterte Vertrauensverhältnis vermindert Kooperation. iK0O 7: Dominanzstreben und mangelnde Kooperation reduzieren Gruppeneffektivität. iK0O 9: Mangelnde Gruppenkohäsion beeinträchtigt die Aufgabenerfüllung.

Output

175

Abdeckung von Märkten iS0P 7: Landeskompetenzen werden in der lokalen Arbeit genutzt.

Kulturspezifische Arbeitsteilung iS0P 6: In multikulturellen Teams werden Aufgaben nach kulturspezifischen Eigenschaften vergeben.

Interkulturelle Kompetenz iS0P 5: Die Mitglieder lernen interkulturell. iS0Pe 1: Interkulturelles Lernen vollzieht sich kognitiv, affektiv und konativ. iS0Pe 2: Interkulturelles Lernen findet in Phasen statt. iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Lernen iS0P 4: Es kommt zu Austausch und Weiterentwicklung von Wissen.

Kreativität iS0P 3: Der sachbezogene Konflikt sorgt für Ressourcennutzung und Kreativität.

Ressourcenpool iS0P 2: Es liegt ein erhöhter Ressourcenpool an Fertigkeiten, Wissen und Perspektiven vor.

Motivation iS0P 1: Die Mitgliedschaft in multikulturellen Teams fördert Motivation.

Prozess

Abb. 25: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien (face-to-face Teams)

Team iS0V 1: Aufgabe bestimmt Bedarf für Kreativität. iS0V 2: Es herrscht Vertrauen und psychologische Sicherheit. iS0V 5: Face-to-face Kontakt, Interdependenz sowie informeller Austausch sind gegeben. iS0V 7: Es gibt Spielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken. iS0V 8: Aufgabe und Einsatzort verlangen landesspezifische Kompetenzen.

Von interkulturellen Konflikten iK0Pe 1: Diversität gilt nicht als Ressource.

Individuum iS0V 3: Mitglieder können sachbezogenen und affektiven Konflikt unterscheiden. iS0V 4: Mitglieder weisen Lernbereitschaft und Offenheit auf. iS0V 6: Mitglieder erkennen kulturspezifische Stärken der Kollegen an.

Input

Zufriedenheit iS0O 5: Durch die Anerkennung des Wissens anderskultureller Mitarbeiter wird deren Zufriedenheit gesteigert. iS0O 7: Interkulturelle Kompetenz sorgt über die Verminderung von Konflikten für höhere Zufriedenheit.

Leistung iS0O 1: Die Motivation steigert Leistung. iS0O 2: Die Nutzung der Ressourcen fördert die Aufgabenerledigung. iS0O 3: Kreativität führt zu höherwertiger Problemlösung. iS0O 4: Das Team kann durch verstärktes Wissen seinen Aufgaben besser nachgehen. iS0O 6: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation. iS0O 8: Kulturspezifische Aufgabenteilung führt zu einer intensiveren Ressourcennutzung. iS0O 9: Landeskompetenzen fördern Aufgabenerledigung.

Output

176 Abdeckung von Märkten iS0P 7: Landeskompetenzen werden in der lokalen Arbeit genutzt.

Kulturspezifische Arbeitsteilung iS0P 6: In multikulturellen Teams werden Aufgaben nach kulturspezifischen Eigenschaften vergeben.

Interkulturelle Kompetenz iS0P 5: Die Mitglieder lernen interkulturell. iS0Pe 1: Interkulturelles Lernen vollzieht sich kognitiv, affektiv und konativ. iS0Pe 2: Interkulturelles Lernen findet in Phasen statt. iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Lernen iS0P 4: Es kommt zu Austausch und Weiterentwicklung von Wissen.

Kreativität iS0P 3: Der sachbezogene Konflikt sorgt für Ressourcennutzung und Kreativität.

Ressourcenpool iS0P 2: Es liegt ein erhöhter Ressourcenpool an Fertigkeiten, Wissen und Perspektiven vor.

Motivation iS0P 1: Die Mitgliedschaft in multikulturellen Teams fördert Motivation.

Prozess

Abb. 26: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien (virtuelle Teams)

Von virtuellen Synergien vS0P 5: Durch lokale Präsenz wird Anforderung der Zielländer eher gedeckt.

Organisation

Von virtuellen Synergien vS0P 1: Weltweit verteilte Fachexperten bringen ihre Expertise ein. vS0P 3: Durch die Medien fokussieren Mitglieder auf sachbezogene Inhalte. vS0P 4: Niedrigstatusmitglieder beteiligen sich mehr.

Team iS0V 1: Aufgabe bestimmt Bedarf f. Kreativität iS0V 2: Es herrscht Vertrauen ... iS0V 5: Face-to-face Kontakt, Interdepende ... iS0V 7: Es gibt Spielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken. iS0V 8: Aufgabe und Einsatzort verlangen landesspezifische Kompetenzen. Von virtuellen Konflikten vK0P2: Es wird zu wenig soziale / Kontextinformation vermittelt. vK0Pe8:Vertrauensdefizit reduziert Infofluss

Von interkulturellen Konflikten iK0Pe 1: Diversität gilt nicht als Ressource.

Individuum iS0V 3: Mitglieder können sachbezogenen + affektiven Konflikt unterscheiden. iS0V 4: Mitglieder weisen Lernbereitschaft und Offenheit auf. iS0V 6: Mitglieder erkennen kulturspezifische Stärken der Kollegen an.

Input

A ersetzt B

Zufriedenheit iS0O 5: Durch die Anerkennung des Wissens anderskultureller Mitarbeiter wird deren Zufriedenheit gesteigert. iS0O 7: Interkulturelle Kompetenz sorgt über die Verminderung von Konflikten für höhere Zufriedenheit.

Leistung iS0O 1: Die Motivation steigert Leistung. iS0O 2: Die Nutzung der Ressourcen fördert die Aufgabenerledigung. iS0O 3: Kreativität führt zu höherwertiger Problemlösung. iS0O 4: Das Team kann durch verstärktes Wissen seinen Aufgaben besser nachgehen. iS0O 6: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation. iS0O 8: Kulturspezifische Aufgabenteilung führt zu einer intensiveren Ressourcennutzung. iS0O 9: Landeskompetenzen fördern Aufgabenerledigung.

Output

177

Führung vK0P 5: Die traditionelle Führung scheitert am erhöhten Koordinationsaufwand und der mangelnden Kontrolle. vK0Pe 11: Die Mitarbeiter vermissen Anleitung und Orientierung. vK0Pe 12: Der Leiter muss eine neue Führung mit Prozessgestaltung und Selbststeuerung annehmen.

Vertrauen vK0P 4: Je weniger face-to-face Kontakt, desto schwieriger ist der Vertrauensaufbau. vK0Pe 8: Vertrauensdefizit reduziert Infofluss. vK0Pe 9: Bei Vertrauensmangel entstehen mehr Konflikte. vK0Pe 10: Bei Vertrauensmangel kann der Teamleiter nicht über Ziele bzw. Selbststeuerung führen.

Teamentwicklungsprozess vK0P 3: Je weniger face-to-face Interaktion, desto schwieriger ist die Teamentwicklung. vK0Pe 5: Durch den Mangel an informeller Kommunikation lernen sich die Mitglieder weniger gut kennen. vK0Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis für die Koordination. vK0Pe 7: Es fehlt Gruppenkohäsion.

Mangel an sozialer / Kontextinformation vK0P 2: Es wird zu wenig soziale Kontextinformation vermittelt. vK0Pe 2: Dadurch erhöhen sich Missverständnisse. vK0Pe 3: Kommunikationsfehler und der Mangel des sozialen Korrektivs lassen Missverständnisse eskalieren. vK0Pe 4: Fehlattributionen gegenüber den Kollegen anderer Standorte / Kulturen sind wahrscheinlicher.

Struktureller Informationsmangel vK0P 1: Hindernisse führen zu mehr Kommunikationsverzögerungen, -aufwand und -einschränkungen. vK0Pe 1: Kulturell unterschiedl. Mediennutzung verstärkt Erwartungs-, En- / Dekodierungsprobleme und Fehlattribution.

Prozess

Abb. 27: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Konflikten

Individuum vK0V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, fällt der Bedarf an gegenseitigem Kennenlernen und die Problematik der mangelnden face-to-face Interaktion geringer aus.

Input

Zufriedenheit vK0O 2: Belastungen im Kommunikationsprozess reduzieren Zufriedenheit. vK0O 4: Missverständnisse und ständiger Klärungsbedarf führen zu Frustration. vK0O 6: Mangelnde Identifikation und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit. vK0O 8: Vertrauensmangel führt zu Unzufriedenheit. vK0O 10: Desorientierung und Fehlarbeiten resultieren in geringerer Zufriedenheit. Die Umstellung auf eine neue Führung mildert dies.

Leistung vK0O 1: Ungleicher Informationsstand führt zu suboptimaler Aufgabenerfüllung. vK0O 3: Der erschwerte Kommunikationsprozess bewirkt Fehler und Verzögerungen. vK0O 5: Die Aufgabenerfüllung wird durch fehlerhafte Gruppenprozesse gestört. vK0O 7: Die Teameffektivität leidet unter dem Mangel an Vertrauen. vK0O 9: Führungsverlust resultiert in Missverständnissen und Fehlarbeiten. Die Umstellung auf eine neue Führung mildert dies.

Output

178 Marktpräsenz vS0P 5: Durch lokale Präsenz werden die Anforderungen der Zielländer besser gedeckt.

Demokratisierung vS0P 4: Niedrigstatusmitglieder beteiligen sich mehr.

Erhöhter Sachfokus vS0P 3: Durch den Austausch über Medien fokussieren Mitglieder auf sachbezogene Inhalte.

Qualität / Beschleunigung von Prozessen vS0P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Mitglieder diese stärker steuern.

Internationale Experten vS0P 1: Weltweit verteilte Fachexperten bringen ihre Expertise ein.

Prozess

Abb. 28: Strukturierung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Synergien

Input

Zufriedenheit vS0O 5: Niedrigstatusmitglieder sind stärker motiviert, deren Zufriedenheit steigt.

Leistung vS0O 1: Durch erhöhte Expertise steigt die Gruppenleistung. vS0O 2: Durch die Möglichkeit des unmittelbaren Eingriffs beschleunigt sich die Aufgabenerledigung und erhöht sich die Qualität. vS0O 3: Die Aufgabenerledigung erfolgt frei von personenbezogenen oder emotionalen Verzerrungen bzw. Störungen. vS0O 4: Der erhöhte Informationsaustausch führt zu effektiver Problemlösung. vS0O 6: Die Teamleistung erhöht sich in ihrer Qualität gemessen an den Marktbedürfnissen.

Output

179

Stereotype (Kapitel 4.2.6) iK0P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen haben die Mitglieder Stereotype voneinander. iK0Pe 5: Stereotype verzerren die Wahrnehmung und Interpretation, so dass Kommunikation zuweilen auf pauschalisierten, falschen und negativen Annahmen beruht. iK0Pe 6: Stereotype fördern die Aufteilung der Arbeitsgruppe nach verschiedenen Kulturen in Subgruppen (die ethnozentrische Tendenzen zwischen den Angehörigen der Subgruppen fördern) und verringern die Gruppenkohäsion.

Ethnozentrismus (Kapitel 4.2.5) iK0P 4: Beim Aufeinandertreffen von Angehörigen verschiedener Kulturen kommt es zu Ethnozentrismus. iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt. iK0Pe 2: Ethnozentrismus bewirkt eine Verstärkung von Fehlattribution und Dekodierungsproblemen. iK0Pe 3: Die Gruppenmitglieder, insbesondere der Gruppenleiter, streben danach, ihre eigenen Methoden durchzusetzen, da sie diese als effektiver erachten, ohne dass dies unbedingt den Tatsachen entspricht. iK0Pe 4: Ablehnung führt zu geringerer Kooperation mit den anderskulturellen Kollegen.

Fehlattributionen (Kapitel 4.2.4) iK0P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird nach dem universalistic attribution bias missinterpretiert als persönlicher Mangel an Kompetenz oder Motivation bzw. sogar als opportunistische Absichten.

Tab. 12: Auflistung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Konflikten

Team Von virtuellen Konflikten: vK0Pe 7: Die Teammitglieder erleben mangelnde Teamidentifikation und -kohäsion, was zu einer Minderung der Motivation und der Verstärkung von Subgruppenbildung führt. vK0Pe 4: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher.

Zufriedenheit iK0O 2: Unsicherheit, verschlechterte persönliche Beziehungen und emotionale Beeinträchtigung führen zu einer geringeren Zufriedenheit unter den Mitarbeitern. iK0O 4: Die Erschwernis in der Aufgabenbewältigung (Ärger, Frustration) und die emotionale Verletzung bewirken Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern. iK0O 6: Geringschätzung und Unterstellung falscher Absichten bewirken emotionale Belastungen und lassen die Zufriedenheit der Mitglieder sinken. iK0O 8: Ablehnung schürt emotionale Konflikte, welche die Zufriedenheit der Gruppenmitglieder reduzieren. iK0O 10: Emotionale Belastungen auf Seiten des Trägers des Stereotyps (Schuldbewusstsein) und auf Seiten des Betroffenen (Kränkung) führen zu gestörten Befindlichkeiten und geringerer Zufriedenheit in der Gruppe.

Leistung iK0O 1: Erwartungsverletzungen beeinträchtigen die Kommunikation, welche sich verschlechtert oder reduziert wird und damit die Aufgabenerfüllung negativ beeinflusst. iK0O 3: Missverständnisse erschweren den Kommunikationsprozess, der länger dauert, mehr Energie auf sich zieht und somit die Aufgabenbewältigung beeinträchtigt. iK0O 5: Fehlattributionen beeinträchtigen das Vertrauensverhältnis und die Arbeitsgrundlage, so dass die Kooperation hinsichtlich Aufgabenerfüllung weniger effektiv ausfällt. Die Auswirkung von Fehlattributionen auf die Gruppenleistung entspricht hinsichtlich vermindertem Lernen und Kreativität der des Ethnozentrismus. iK0O 7: Dominanzstreben und mangelnde Kooperation führen zu Minderung der Gruppeneffektivität. iK0O 9: Kommunikationsfehler und mangelnde Gruppenkohäsion beeinträchtigen die Aufgabenerfüllung.

Erwartungsverletzung (Kapitel 4.2.2) iK0P 1: Mitarbeiter hegen Erwartungen gegenüber ihren anderskulturellen Interaktionspartnern, die durch die Annahme von Gleichheit oder Stereotypen geprägt und entsprechend verzerrt sind. Es resultieren zwangsweise Erwartungsverletzungen, die zudem negativ bewertet werden.

Individuum Von interkulturellen Synergien: iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte. Sie hebt iK0Pe 1 auf. Von virtuellen Konflikten: vK0Pe 1: Kulturelle Unterschiede in der Nutzung von Medien verstärken die Problematik interkultureller Konflikte im Sinne von falschen Erwartungshaltungen, Enund Dekodierungsproblemen und Fehlattributionen.

En- und Dekodierung (Kapitel 4.2.3) iK0P 2: Durch unterschiedliche kulturelle Referenzrahmen werden Mitteilungen vom Empfänger nicht verstanden oder anders als vom Sender intendiert.

Output

Prozess

Input

180 Abdeckung von Märkten (Kapitel 5.2.7) iS0P 7: In multikulturellen Teams bringen die Mitglieder aus verschiedenen Ländern entsprechende Landeskenntnisse und -kompetenzen mit, die in der Interaktion mit dortigen Partnern genutzt werden.

Kulturspezifische Arbeitsteilung (Kapitel 5.2.6) iS0P 6: In multikulturellen Teams werden Aufgaben und Rollen nach kulturspezifischen Eigenschaften und Stärken vergeben.

Interkulturelle Kompetenz (Kapitel 5.2.5) iS0P 5: In multikulturellen Teams erwerben die Mitglieder interkulturelle Kompetenz. iS0Pe 1: Über den Wissensaustausch erwerben die Mitglieder kognitive Elemente; affektive und konative Elemente erlernen sie durch den Kontakt. iS0Pe 2: Interkulturelles Lernen findet in Phasen statt. iS0Pe 3: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte. Sie hebt iK0Pe 1 auf.

Lernen (Kapitel 5.2.4) iS0P 4: Durch die multikulturelle Besetzung kommt es durch Externalisierung, Internalisierung, Sozialisierung und Kombination zum Austausch und zur Weiterentwicklung von Wissen: Die Gruppenmitglieder lernen.

Kreativität (Kapitel 5.2.3) iS0P 3: Die multikulturelle Besetzung regt den sachbezogenen Konflikt an, der sich in erhöhtem Austausch und Nutzung der Ressourcen und somit vermehrter Kreativität niederschlägt.

Tab. 13: Auflistung der Arbeitshypothesen zu interkulturellen Synergien

Organisation Von virtuellen Synergien: vS0P 5: Ein virtuelles Team kann sich neben den vorhandenen Landeskenntnissen und -kompetenzen vor allem durch die lokale Präsenz den Anforderungen der Zielländer anpassen.

Team iS0V 1: Die Aufgabe der Arbeitsgruppe bestimmt die Notwendigkeit und die Entstehung von Kreativität in der multikulturellen Arbeitsgruppe. iS0V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. (Wird durch vK0Pe 8 vernichtet.) iS0V 5: Face-to-face Kontakt, aufgabenbezogene Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben. iS0V 7: Es ist neben Kapazitäts- und Fachüberlegungen ausreichend Entscheidungsspielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken gegeben. iS0V 8: Die Aufgabe oder Einsatzort des Teams verlangt landesspezifische Kenntnisse und -kompetenzen der Teammitglieder. Von virtuellen Konflikten: vK0P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt. vK0Pe 8: Bei Vertrauensmangel teilen die Mitglieder geringere, inhaltlich wenig substantielle oder gar verfälschte und nicht unbedingt zeitnahe Informationen mit, womit vor allem der kreative Problemlöseprozess und Lernen beeinträchtigt wird. Von virtuellen Synergien: vS0P 1: Dadurch, dass weltweit verteilt passgenaue Fachexperten für die Aufgabe ausgewählt werden können, erhöht sich die Expertise für die Aufgabe. vS0P 3: Durch den Austausch über die Medien fallen interpersonale und emotionale Aspekte weg; die Teammitglieder fokussieren auf sachbezogene Inhalte. vS0P 4: In virtuellen Teams fällt sozialer Status weniger ins Gewicht und v.a. Niedrigstatusteammitglieder beteiligen sich mehr und gleichberechtigter.

Motivation (Kapitel 5.2.1) iS0P 1: Die Mitgliedschaft in multikulturellen Arbeitsgruppen fördert die Motivation des Mitarbeiters. Ressourcenpool (Kapitel 5.2.2) iS0P 2: In einer multikulturellen Arbeitsgruppe ist ein erhöhter Ressourcenpool an Fertigkeiten, Fähigkeiten, Wissen, Perspektiven, Ideen, Kontakten und Erfahrungen verfügbar.

Prozess

Input

Individuum iS0V 3: Die Gruppenmitglieder sind in der Lage, sachbezogenen von affektivem Konflikt zu unterscheiden. iS0V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft und Offenheit auf. iS0V 6: Die kulturspezifischen Stärken der Mitglieder sind er- und anerkannt. Von interkulturellen Konflikten: iK0Pe 1: Andersartigkeit wird nicht wertgeschätzt, also wird Diversität nicht als Ressource erkannt. Interkulturelle Synergien werden nicht genutzt.

Zufriedenheit iS0O 5: Durch die Anerkennung und Nutzung des Wissens anderskultureller Mitarbeiter wird deren Zufriedenheit gesteigert. iS0O 7: Interkulturelle Kompetenz sorgt über die Verminderung von Konflikten für höhere Zufriedenheit unter den Mitgliedern.

Leistung iS0O 1: Die Motivation des Mitarbeiters hat einen positiven Einfluss auf seine individuelle Leistung und damit die Teamleistung. iS0O 2: Die Nutzung des Ressourcenpools trägt zu einer besseren Aufgabenerledigung bei. iS0O 3: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team. iS0O 4: Das Team kann durch erhöhtes Wissen seinen Aufgaben besser nachgehen. iS0O 6: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. iS0O 8: Eine Aufgaben- bzw. Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu einer besseren Ressourcennutzung und damit Effektivitätssteigerung des Teams. iS0O 9: Aufgaben können besser erledigt werden, dadurch dass mehr Kompetenz für internationale Aufgaben und höhere Marktnähe gegeben ist.

Output

181

Tab. 14: Auflistung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Konflikten

Führung (Kapitel 6.1.5) vK0P 5: Die traditionelle Führung scheitert am erhöhten Koordinations- und Informationsaufwand sowie an der mangelnden Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeit durch den Gruppenleiter. vK0Pe 11: Mitarbeiter, die zu wenig Koordination bzw. Anleitung und damit Orientierung erfahren, fühlen sich isoliert, was sich in geringerer Identifikation, geringerem commitment und geringeren Beiträgen für das Team ausdrückt. vK0Pe 12: Der Teamleiter muss ein neues Führungskonzept annehmen, das ihm statt Kontrolle eher Koordination durch Prozessgestaltung und Unterstützung durch den Aufbau von Selbststeuerung zuweist.

Vertrauen (Kapitel 6.1.4) vK0P 4: Je weniger face-to-face Kontakt statt findet, desto schwieriger ist der Vertrauensaufbau, und desto weniger Vertrauen ist die Konsequenz. vK0Pe 8: Bei Vertrauensmangel teilen die Mitglieder geringere, inhaltlich wenig substantielle oder gar verfälschte und nicht unbedingt zeitnahe Informationen mit, womit vor allem der kreative Problemlöseprozess und Lernen beeinträchtigt wird. vK0Pe 9: Bei Vertrauensmangel entstehen mehr Konflikte und Koordinationsaufwand. vK0Pe 10: Bei Vertrauensmangel kann der Teamleiter nicht über Ziele bzw. Selbststeuerung führen.

Teamentwicklungsprozess (Kapitel 6.1.3) vK0P 3: Je weniger face-to-face Interaktion, eingeschlossen eines persönlichen kick-off Meetings und späterer begleitender regelmäßiger Treffen, desto schwieriger ist die Teamentwicklung in virtuellen multikulturellen Teams. vK0Pe 5: Der informelle Anteil an Kommunikation ist virtuell bei weitem geringer als in face-to-face Kontakten, und die Teammitglieder haben weniger Ansatzpunkte sich kennen zu lernen. vK0Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis, welche die Koordination im Team erleichtern würde. vK0Pe 7: Die Teammitglieder erleben mangelnde Teamidentifikation und -kohäsion, was zu einer Minderung der Motivation und der Verstärkung von Subgruppenbildung führt.

Zufriedenheit vK0O 2: Die Mitarbeiter sind unzufrieden durch die Belastungen im Kommunikationsprozess. vK0O 4: Missverständnisse und ständiger Klärungsbedarf führen zu Frustration und Unzufriedenheit bei den Teammitgliedern. vK0O 6: Mangelnde Identifikation und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit der Teammitglieder. vK0O 8: Mangelt es an Vertrauen im virtuellen Team, ist die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern höher. vK0O 10: Desorientierung, Fehlarbeiten und mangelnde Identifikation resultieren in geringerer Zufriedenheit unter den Mitarbeitern. Dies kann durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept gemindert werden.

Leistung vK0O 1: Ungleicher Informationsstand führt zu lokalem Mangel an relevanter Information und zu suboptimaler Aufgabenerfüllung. vK0O 3: Der erschwerte Kommunikationsprozess bewirkt Fehler und Verzögerungen in der Aufgabenbewältigung. vK0O 5: Die Aufgabenerfüllung wird durch die mangelnde Basis an funktionierenden Gruppenprozessen gestört. vK0O 7: Die Teameffektivität leidet unter dem Mangel an Vertrauen. vK0O 9: Mangelnde Information der Mitarbeiter und fehlende Evaluierungsmöglichkeiten der Ergebnisse und Prozesse durch den Gruppenleiter führen zu Missverständnissen und Fehlarbeiten durch die Mitarbeiter. Dies kann durch die Umstellung auf ein neues Führungskonzept gemindert werden.

Individuum vK0V 1: Kennen sich die Kollegen beeits, fällt der Bedarf an gegenseitigem Kennenlernen und die Problematik der mangelnden face-to-face Interaktion geringer aus.

Mangel an sozialer und Kontextinformation ( Kapitel 6.1.2) vK0P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt. vK0Pe 2: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist der sachbezogene Austausch weniger effektiv, da mehr Missverständnisse auftreten und weniger Gesprächsregulation möglich ist. vK0Pe 3: Dadurch, dass Unklarheiten nicht umgehend und unmittelbar aufgelöst werden können, und durch den Mangel des sozialen Korrektivs eskalieren Missverständnisse schneller zu Konflikten. vK0Pe 4: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher.

Output

Prozess

Struktureller / Technischer Informationsmangel (Kapitel 6.1.1) vK0P 1: Die Mediennutzung per se sowie strukturelle und technische Hindernisse führen zu erhöhtem Kommunikationsaufwand sowie zu Verzögerungen und Einschränkungen des Informationsaustauschs. vK0Pe 1: Kulturelle Unterschiede in der Nutzung von Medien verstärken die Problematik interkultureller Konflikte im Sinne von falschen Erwartungshaltungen, En- und Dekodierungsproblemen und Fehlattributionen.

Input

182 Zufriedenheit vS0O 5: Niedrigstatusmitglieder sind stärker motiviert, deren Zufriedenheit steigt.

Demokratisierung (Kapitel 6.2.5) vS0P 4: In virtuellen Teams fällt sozialer Status weniger ins Gewicht und vor allem Niedrigstatusteammitglieder beteiligen sich mehr und gleichberechtigter.

Marktpräsenz (6.2.6) vS0P 5: Ein virtuelles Team kann sich neben den vorhandenen Landeskenntnissen und -kompetenzen vor allem durch die lokale Präsenz den Anforderungen der Zielländer anpassen.

Erhöhter Sachfokus (Kapitel 6.2.4) vS0P 3: Durch den Austausch über die Medien fallen interpersonale und emotionale Aspekte weg; die Teammitglieder fokussieren auf sachbezogene Inhalte.

182

Leistung vS0O 1: Durch den Einbezug internationaler Experten erhöht sich die Gruppenleistung. vS0O 2: Durch die Möglichkeit des unmittelbaren Eingriffs beschleunigt sich die Aufgabenerledigung und erhöht sich die Qualität. vS0O 3: Die Aufgabenerledigung erfolgt frei von personenbezogenen oder emotionalen Verzerrungen bzw. Störungen. vS0O 4: Der erhöhte Informationsaustausch führt zu sachlich korrekten Entscheidungen und effektiver Problemlösung. vS0O 6: Die Teamleistung erhöht sich in ihrer Qualität gemessen an den Marktbedürfnissen.

Zusammenführung internationaler Experten (Kapitel 6.2.2) vS0P 1: Dadurch, dass weltweit verteilt passgenaue Fachexperten für die Aufgabe ausgewählt werden können, erhöht sich die Expertise für die Aufgabe.

Qualität und Beschleunigung von Prozessen (Kapitel 6.2.3) vS0P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Teammitglieder diese stärker steuern und beaufsichtigen.

Output

Prozess

Tab. 15: Auflistung der Arbeitshypothesen zu virtuellen Synergien

Input

Sowohl der Existenz als auch der Wirkungsweise der Phänomene Synergien und Konflikte werden in diesem Gruppenmodell Rechnung getragen. Durch die analytische Aufschlüsselung in verschiedene Konflikt- und Synergieformen werden Variablen identifiziert, welche die Gruppeneffektivität beeinflussen. Dieser Aspekt erhält besondere Relevanz in den vorliegenden Ausführungen, da Gruppeneffektivität als das ökonomische Kriterium für den Einsatz einer Arbeitsgruppe gilt. Anhand objektiver und subjektiver Gruppenleistung kann der Erfolg der multikulturellen Gruppe im Vergleich zu einer eher monokulturellen Gruppe beurteilt werden. Bevor jedoch weiter auf den Erklärungsgehalt des Modells eingegangen wird, ist es von Nöten, es empirisch zu überprüfen. Die bisherige Zusammenführung ist eher als visuelle Strukturierung der Arbeitshypothesen gedacht und soll zum jetzigen Zeitpunkt nicht überstrapaziert werden. In der im Folgenden erläuterten empirischen Studie werden die Arbeitshypothesen als Grundlage für (qualitativ) überprüfende aber insbesondere erweiternde und weiterführende Fragen verwendet.179 Im Anschluss werden die im Feld gewonnenen Daten herangezogen, um das bisher vorläufige Modell zu verfeinern und zu modifizieren. Als Ergebnis der vorliegenden Arbeit soll ein fundiertes und möglichst umfassendes Input-ProzessOutput-Modell zu multikulturellen virtuellen Arbeitsgruppen entstehen: das MIPO-Modell.

179

Vgl. zum Vorgehen Kapitel 8 ‚Durchführung der empirischen Studie’.

183

V

Empirische Untersuchung zu Konflikten und Synergien

8

Durchführung der empirischen Studie

8.1

Forschungsansatz zur Datenerhebung und -auswertung: Grounded theory und qualitative Inhaltsanalyse

Im einleitenden Kapitel 1.2 wurde bereits die Eignung qualitativer Methoden unter Beachtung eines theoretischen Bezugsrahmens für die vorliegende Fragestellung detailliert erläutert. Zur Entwicklung des spezifischen Untersuchungsdesigns sollen die zwei Forschungsansätze, auf denen die vorliegende Studie gründet, kurz vorgestellt und hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit bewertet werden. Die grounded theory (Glaser / Strauss 1967, Strauss / Corbin 1998) hat sich inzwischen als gängiger Ansatz bei der Auswertung von qualitativen Daten vielfältiger Formen etabliert (vgl. z.B. die Arbeit von Böhm 2005). Es handelt sich hierbei um ein induktives Vorgehen, bei dem sich der Wissenschaftler unter absichtlicher Ausklammerung von Vorgedanken an die Daten nähert und beim (mehrmaligen) Durchgehen Konzepte und Zusammenhänge erkennt, die er zu einer neuen Theorie verdichtet (Meinefeld 2000 S. 268). Der Wissenschaftler bedient sich verschiedener Methoden des textgeleiteten Codierens (Festlegung von Kategorien aus dem Text heraus und Zuweisung von Textpassagen) und agiert stark intuitiv. Dieser Ansatz eignet sich besonders bei der Erforschung unbekannter Konzepte, die explorativ ermittelt werden. Das iterative Vorgehen beim Codieren ermöglicht eine sehr umfassende und komplexe Auswertung: Aus den Daten werden Kategorien entwickelt; diese werden ständig überprüft, modifiziert, erweitert, zusammengefasst und strukturiert. Es wird dabei die Tatsache akzeptiert, dass die Interpretation stark vom Wissenschaftler abhängt. Es scheint jedoch etwas realitätsfremd, davon auszugehen, dass der Wissenschaftler ohne jegliche Theoriegeleitetheit, ja sogar ohne Vorkenntnisse an die Daten herantritt. Die Auswahl des Forschungsthemas und insbesondere die Auswahl von Fragen bei Interviews weisen doch deutlich auf eine zumindest implizit vorhandende Forschungsfrage hin (Meinefeld 2000 S. 269, Charmaz 2002 S. 683). Einzelne Instrumente, welche die Autoren der grounded theory empfehlen, sind sehr frei und zeitaufwändig. Aus forschungsökonomischem Interesse kann beim Vorliegen einer größeren Datenbasis nicht jedes Instrument voll genutzt werden. Wie Seale nach einer Sichtung mehrerer qualitativer Studien bemerkt, behaupten eine Vielzahl von Forschern, grounded theory anzuwenden; aber tatsächlich reichen die wenigsten an die Komplexität des Vorgehens heran, wie sie von Glaser und Strauss (1967) ursprünglich vorgesehen war (Seale 2002 S. 658). Vom Ansatz her konträr stellt sich die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (1997) dar, eine deduktive Herangehensweise, bei welcher der Wissenschaftler theoriegeleitet und mit einem vorgefertigten Kategoriensystem die Daten interpretiert. Dies ähnelt eher einem quantitativen Ansatz hinsichtlich der Prüfung von Hypothesen. Das Verfahren ist stark reglementiert und schreibt eine feste Abfolge von Arbeitsschritten vor, um Interkodierreliabilität zu gewährleisten. Die Theoriegeleitetheit scheint vor allem bei Themenbereichen als sinnvoll, die bereits eingehend untersucht worden sind: Kategorien werden von einer bekannten Theorie abgeleitet und im Feld überprüft. Je nach Forschungsfrage bietet Mayring entsprechend angepasste Instrumente (z.B. typisierende, skalierende Kategorienbildung etc.). Jedoch erscheint das Vorgehen zu starr für qualitative Daten – es erlaubt keinerlei Exploration. Dadurch, dass es eine Vielzahl aufeinander folgender Schritte vorsieht (Zusammenfassung – Streichung – nochmalige Zusammenfassung usw.), ist es bei Vorliegen einer höheren Datenmenge nur mit Hilfe einer Forschergruppe umsetzbar. Es scheint ferner unmöglich, die Ergebnisstruktur durch vorgefertigte Kategorien komplett vorzugeben, denn diese müssen im 185

Prozess veränderbar sein, wenn es die Daten erfordern, da sonst eine Überprüfung an der Realität kaum gewährleistet ist. Zwar sieht Mayring nach dem Durchgang eines bestimmten Anteils der Daten eine Modifikation des Gerüsts vor; aber Modifikationen sollten im weiteren Lauf ständig möglich sein, denn der verbleibende Anteil soll weitere neue Erkenntnisse und nicht nur eine statistische Häufung in den vorgefertigten Kategorien erbringen. Anhand dieser Ausführungen wird erkenntlich, dass weder die grounded theory noch die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring für die Datenerhebung und -auswertung geeignet ist. Es ist eine Synthese nötig, welche die jeweiligen Beschränkungen aufhebt. Wie Kuckartz (1999) feststellt, ist eine Trennung von deduktiver und induktiver Herangehensweise wie in den o.g. Ansätzen nicht realistisch. Denn einerseits sind Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung bekannt, und andererseits verfolgt der Wissenschaftler (implizit oder explizit) Hypothesen, die geprüft werden sollen. Aus der Zusammenführung der beiden genannten Forschungsansätze ergibt sich folgende Methodologie, die bereits bei ähnlichen Studien wie z.B. bei Zerbe (2000) zu globalen Teams Eingang gefunden hat: Während der Entwicklung der theoretischen Grundlagen und vor Beginn der empirischen Untersuchung werden Arbeitshypothesen formuliert, die in den vorangegangen Ausführungen dem Leser bekannt gemacht wurden. Die Entwicklung des Interviewleitfadens basiert zum Teil auf diesen Arbeitshypothesen (siehe Kapitel 19.2). In dem Leitfaden werden konkrete Fragen formuliert, die Grundlage für die späteren Kategorien bilden (können). Es ist jedoch bei weitem noch nicht jeder Winkel erforscht worden; gerade im vorliegenden Forschungsthema gibt es viele komplett unbekannte Aspekte und Zusammenhänge, wo eine Exploration nötig ist. Dies erfordert eine Abweichung vom Leitfaden während der Interviewdurchführung in Form von anregenden Fragen, wenn die Aussagen des Interviewpartners erkennen lassen, dass es weitere interessante Aspekte gibt. Diese zusätzliche Information in den Interviews dient als Grundlage zur Bildung neuer Kategorien in der Auswertungsphase. Auch werden damit die Relevanzstrukturen und die Erfahrungshintergründe der Interviewpartner mit erfasst (Charmaz 2002 S. 676, Schnell / Hill / Esser 1992 S. 390). Die Partner werden somit aktiv in den Prozess der Wissensgenerierung eingebunden. Im Zuge der Datenauswertung werden wie angedeutet zwei Typen von Kategorien gebildet: Erstere entstammen der Theorie und können bereits vor Sichtung der empirischen Daten in Inhalt und Struktur fest gehalten werden. Zweitere werden aus den Daten herausgefiltert und entsprechen neuen Sachverhalten; diese Kategorien werden in die vorliegende Kategorienstruktur eingebettet oder erfordern eventuell eine Modifizierung dieser Struktur. Dieses zweite Verfahren, das aus der grounded theory stammt, entspricht dem initial coding (Charmaz 2002 S. 684) oder offenem Codieren (Böhm 1995 S. 477), in dem die grundlegenden Konzepte aus den Daten definiert werden. Im nächsten Schritt werden den Kategorien Textpassagen zugeordnet, die der inhaltlichen Erklärung dienen. In dieser zweiten Phase, dem focused coding, werden große Mengen von Daten sortiert, synthetisiert und konzeptualisiert (Charmaz 2002 S. 684). In diesem Prozess differenzieren sich die Kategorien bei komplexen Sachverhalten in Unterkategorien aus. Wichtig ist eine Struktur zu erarbeiten, welche die Kategorien logisch verknüpft und die inhärenten Zusammenhänge offenlegt. Im Sinne des axialen Codierens gilt die Hauptkategorie als Achsenkategorie, zu der weitere Kategorien in Bezug gesetzt werden, um insbesondere Ursache-Wirkung zu ermitteln (Böhm 1995 S. 479). Auf diese Weise wird ein Phänomen oder Ereignis in seiner Entstehung, Ausprägung und Konsequenz beschrieben. Dabei entstehen hypothetische Verbindungen, die es ständig an weiterem Datenmaterial zu überprüfen gilt. Querverweise werden mit Hilfe von Memos (vgl. Strauss / Corbin 1998) festgehalten, um zusätzliche Verbindungen außerhalb der Kategorienhierarchie mit in die Analyse aufnehmen zu können, die wesentlich sind, um Kausalitäten in Form von Vorbedingungen und Konsequenzen zu identifizieren. Gerade hinsichtlich der vorliegenden Zielstellung der Modellentwicklung gebührt diesem Arbeitsschritt die höchste Relevanz. Bei der Codierung ergeben sich unterschiedliche Häufungen auf die Kategorien. Daher empfiehlt Schmidt 186

(1995 S. 455) eine quantifizierende Materialübersicht, die ansatzweise in dieser Studie angelegt wurde: In Tabellen werden Häufigkeitsangaben zu Ausprägungen festgehalten, damit diese in der späteren Textdarstellung zur Veranschaulichung des Stellenwerts bestimmter Ausprägungen zitiert werden können, ohne dass hierbei jedoch Anspruch auf statistische Repräsentativität erhoben wird. Die Kategorienzuordnung, -ausdifferenzierung und -strukturierung wird als iterativer Prozess verstanden, der sich am Anfang der Datenauswertung intensiver gestaltet als am Ende. Es besteht grundsätzlich Offenheit, dass durch jeden Datensatz neue Information geliefert werden kann. Als Ergebnis entsteht ein komplexes und ausdifferenziertes Kategoriensystem, in dem die aussagekräftigen Textpassagen gespeichert sind. Zur Auswertung empfiehlt sich der Einsatz von Software, mit Hilfe derer die Kategorienerstellung, die Codierung und Strukturierung analog der eben erläuterten Methode erfolgen kann. Im Rahmen dieser Studie wurde das Computerprogramm MAXqda2 (Kuckartz 2004) gewählt. Der Vorteil der Verwendung eines Computerprogramms im Vergleich zum manuellen Vorgehen von Markieren, Ausschneiden und Zusammenkleben besteht einerseits in der leichteren Handhabbarkeit. Andererseits ist durch die systematischere Codierung (neben den Befehlen zur Codierung werden eine Anzahl weiterer Analysemöglichkeiten geboten) eher analytische Vollständigkeit und Rigidität gewährleistet (eine Forderung, die schon Becker 1970 aufstellt); bei einem manuellen Durchgang neigt der Forscher beispielsweise dazu, nur die Positivbeispiele für eine Kategorie zu markieren und die Negativbeispiele außer Acht zu lassen (Agar 1983). Zudem kann der Analysevorgang besser nachverfolgt werden, was die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse bestärkt (Seale 2002 S. 656).

8.2

Gestaltung der Leitfadeninterviews

Als Erhebungsinstrument wurde das Leitfadeninterview gewählt. Dies scheint für die Fragestellung die geeignetste Technik: Die Befragten, das sind Teamleiter und -mitglieder, bekommen auf diese Weise die Gelegenheit, ihre Sicht auf multikulturelle Teams und ihre Erfahrungen damit vorzubringen. Das Interesse der Studie liegt auf dem Erhalt von insider-Wissen von Beteiligten, das über die Ergebnisse der bisher einseitig laborexperimentellen Studien der Kleingruppenforschung (siehe Guzzo 1996) hinaus geht. Eine stärker quantitative Herangehensweise wie Fragebögen oder standardisierte Interviews würde sowohl die zu besprechenden Themen als auch die Antworten zu stark vorgeben, eine Einschränkung der Erkenntnisse bewirken und den explorativen Charakter verkennen. Hier wird der Gedanke der qualitativen Forschung offensichtlich, der dem Forscher einen breiten Zugang zu den Daten ermöglicht (Taylor / Bogdan 1998 S. 135, Charmaz 2002 S. 676). Der bereits geschilderte Leitfaden (siehe Kapitel 19.2) fungierte mit den vorformulierten Fragen als Grundgerüst oder Gedankenstütze. Die Fragen sollten weder beschränkend noch vorschreibend wirken, sondern lediglich dazu dienen, in jedem Interview dieselben Themen anzusprechen, um die erhaltenen Aussagen vergleichbar zu machen (Mühlfeld et al. 1981 S. 326). Angestrebt war ein offenes Gespräch, in dem sich der Interviewpartner frei und in aller Breite mitteilen konnte, und zwar auch über Aspekte, die über die theoretischen Vorüberlegungen hinausgingen. Hier kam der explorative Charakter zum Tragen, der als Ergänzung zur Überprüfung der Arbeitshypothesen zu verstehen ist. Die Auswertung wurde möglichst zeitnah am Interview durchgeführt, um entsprechend der ersten Tendenzen die Interviews stärker fokussieren und relevante Aspekte, die von den Interviewpartnern geäußert wurden, in den Leitfaden aufnehmen zu können (Johnson 2002 S. 112). Es ist zu erwähnen, dass keine größere Anpassung des Leitfadens vorgenommen wurde, sondern eher ein Feintuning, so dass auch die Inhalte des letzten Interviews noch mit den Inhalten des ersten vergleichbar sind. 187

Die Anzahl der Interviews wurde zu Beginn der empirischen Phase noch offen gelassen. Sicherlich bedingte der Rahmen des Interviewzeitraums von Juni bis September 2004 eine Begrenzung auf eine maximal durchführbare Anzahl von Gesprächen. Doch entscheidender war der Erkenntnisgewinn (Johnson 2002 S. 113), auch theoretical sampling (vgl. Laatz 1993 S. 435, Taylor / Bogdan 1998 S. 137) genannt: Die Anzahl der Interviews wurde solange erhöht, bis eine Sättigung an neuen Aussagen eintrat. Durch die zeitliche parallel ablaufende Interviewdurchführung und -auswertung konnte genau beobachtet werden, bis wann durch weitere Interviews neue Informationen hinzukamen und ab wann sich die Aussagen der Interviewpartner wiederholten, ohne dass entscheidende neue Erkenntnisse geliefert wurden. Dies war nach ca. 25 Interviews der Fall, so dass nach 31 Interviews die Datenerhebungsphase als abgeschlossen erklärt wurde. Vor den Interviews wurde ein kurzer Fragebogen zu den demographischen Daten der Teammitglieder elektronisch verschickt (abgedruckt in Kapitel 19.1), den die Interviewpartner vorab online ausfüllten. Von den 31 Gesprächpartnern sandten 26 den Fragebogen wie erbeten zurück. Der Fragebogen diente hauptsächlich dazu, die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe (hinsichtlich beteiligter Kulturen, Berufe der Teammitglieder, Alter etc.) schriftlich zu erheben und festzuhalten. Damit wurde schon vor dem Gespräch der Interviewerin ein Bild gegeben, um wen es sich bei ihrem Gegenüber und seinem Team handelt. Zudem konnte dieses Dokument bei der späteren Auswertung der Interviews als begleitende Informationsquelle herangezogen werden. Der Gespräch baute sich gemäß dem Leitfaden wie folgt auf (abgedruckt in Kapitel 19.2): Nach einer Einführung in das Thema und Vorstellung der Studie sowie der Interviewerin wurde der Interviewpartner gebeten, kurz die Aufgabe seines Teams vorzustellen. Damit konnte sich die Interviewerin ein Bild vom Arbeitsalltag und den Rahmenbedingungen des Teams machen. Damit wurde dem Gesprächspartner auch Gelegenheit geben, sich ‚warm zu reden’ und sich an die Aufnahme durch den mini disk player zu gewöhnen. Johnson nennt diese die ‚Eisbrecherfragen’ (2002 S. 109), um Selbstoffenbarung in den nachfolgend stetig brisanteren Fragen zu ermöglichen. Im Mittelteil der Interviews wurden die Hauptthemen des Interviews angesprochen; hierfür dienten ‚Schlüsselfragen’ (Stier 1996), die bei den Interviews gestellt wurden, wenn das Thema nicht von alleine zur Sprache kam. Klärungsfragen bei Unklarheiten oder follow up-Fragen zur Verstärkung der Hauptfragen ergänzten das Gespräch (Warren 2002 S. 86). Freilich entsprechen in dieser Phase offene Fragen eher dem Anspruch einer qualitativen Forschung, da der Befragte nicht durch Vorgaben in der Formulierung der Frage beeinflusst wird. Doch der Nachteil besteht darin, dass der Befragte Information auslässt, da sie ihm in dem Moment nicht präsent ist. Macoby / Macoby (1965 S. 52) schlagen daher eine Kombination in Trichterform vor, die auch hier praktiziert wurde: Erst wurden offene Fragen zu einem spezifischen Thema gestellt, um das spontane Bezugsystem des Interviewpartners ohne Suggestion zu ermitteln. Dann erfolgte eine Abfrage von vergleichbaren Alternativen, um das Thema zu vertiefen. Gegen Ende wurde der Interviewpartner aufgefordert, selbst Themen anzusprechen oder Fragen zu stellen, um das Gespräch abzurunden. Zur internen Validierung der empirischen Daten wurden drei Workshops mit zehn Interviewpartnern und weiteren Beteiligten an multikulturellen Teams sowie Schlüsselpersonen (Bereichsleiter und Personalreferenten) veranstaltet. Dort wurden die Ergebnisse, welche die Aussagen aus den Interviews mit der Interpretation der Forscherin umfassten, vor- und zur Diskussion gestellt. Auf diese Weise wurde eine Interpretation analog der Sichtweise der befragten Personen sowie ihre allgemeine Aussagekraft sichergestellt (dieses gilt als Gütekriterien qualitativer Forschung und wird in Kapitel 8.6 genauer begründet).

188

8.3

Auswahl der Interviewpartner und der Arbeitsgruppen

An der Studie nahmen 31 Führungskräfte und Mitarbeiter180 aus sechs Großunternehmen aus Deutschland und der Schweiz mit globaler Aktivität teil. Es wurden nur Personen befragt, die selbst in multikulturellen Teams arbeiteten, um Informationen aus erster Hand und persönliche Erfahrungen zu gewinnen. Es wurden sowohl Teamverantwortliche (also z.B. Abteilungs-, Gruppen- oder Projektleiter; insgesamt ca. drei Viertel der Interviewpartner) als auch Teammitglieder (ein Viertel) in die Stichprobe mit aufgenommen. Es gab jedoch auch Fälle, dass eine Person zugleich als Mitglied eines Teams (z.B. eine Führungskraft als Teil des Managementteams) und auch als Teamleiter (z.B. einer Abteilung) tätig war. Durch den Einbezug verschiedener Hierarchieebenen sollten deren jeweilige Sicht auf das Thema sowie explizit der Aspekt ‚Führung’ geklärt werden. Aus jeder Arbeitsgruppe wurde bis auf wenige Ausnahmefälle nur mit einer Person ein Interview durchgeführt, um eine möglichst große Anzahl an Teams abzudecken. Auch hier galt das Prinzip des theoretical sampling (Laatz 1993 S. 435): Indem eine gewisse Bandbreite gewährleistet wurde, sollte ausreichend Information aus den divergierenden Perspektiven generiert werden. Von den Interviewpartnern waren zwei Frauen und 29 Männer. Grundsätzlich sind natürlich mit der männlichen Bezeichnung ‚Interviewpartner’ auch Damen gemeint. Insbesondere wird der Begriff ‚Interviewpartner’ auch deshalb generell in der männlichen Form eingesetzt, da der Leser sonst auf Grund der geringen Beteiligung von Frauen die zitierten Aussagen zuordnen könnte und dies dem Grundsatz der Anonymität widerspräche. Als Interviewpartner fungierten 27 Deutsche, ein Österreicher und drei Schweizer. 13 Personen arbeiteten in ihrem eigenen Land, die anderen temporär oder permanent im Ausland. Es wurden explizit nur die deutschsprachigen Gruppenbeteiligten interviewt, um eine Verzerrung durch die Nutzung einer einzigen Fremdsprache oder der verschiedenen Muttersprachen der Interviewpartner zu vermeiden. Obwohl ansatzweise kulturelle Unterschiede zwischen den Beteiligten vorlagen (nicht nur zwischen Schweizern und Deutschen, sondern auch beispielsweise zwischen West- und Ostdeutschen), wurde versucht, durch die Konzentration auf den deutschsprachigen Kulturraum eine kulturspezifische Divergenz in Konzepten wie ‚Team’ oder ‚Führung’ weitgehend auszuschalten. Die gewonnenen Aussagen sollten daher vergleichbar sein. Die Interviewpartner konnten durch persönliche Kontakte zu Ansprechpartnern hauptsächlich in den Personal- oder Personalentwicklungsabteilungen gewonnen werden. Diese Kontaktpersonen werden in der Sozialforschung als gatekeeper bezeichnet und nehmen eine zentrale Rolle ein, da sie den Zugang zur Organisation und zu den Daten ermöglichen (Merkens 1995 S. 288). Die Nennung von Interviewpartnern lief durch diese Ansprechpartner selbst oder über kooperierende Führungskräfte, welche die Anfrage an Kollegen, Mitarbeiter oder Bekannte im Unternehmen weiterleiteten. Hauptsächlich beteiligten sich Ingenieure oder Naturwissenschaftler aus technischen Abteilungen wie Entwicklung von Software oder Technologieprodukten. Vereinzelt nahmen auch Vertreter von Human Resources oder anderen Zentralfunktionen teil. Die Tätigkeiten sind meines Erachtens insoweit vergleichbar, dass sich alle Arbeitsgruppen kognitiven Aufgaben widmeten, die eine hohe Anforderung an Problemlösungskompetenz stellten und von daher eine ähnliche Herangehensweise erforderten. Zwei Drittel der Arbeitsgruppen umfassten hinsichtlich ihrer Größe zwischen sechs und 14 Personen, eine Anzahl, die als typische 180

Sämtliche Interviewpartner tauchen in dieser Studie anonymisiert auf; es wurden ihnen Zahlen zugeordnet, deren Aufschlüsselung nur der Autorin bekannt ist. Diese Zahlen gelten als Quellenbelege für wörtliche Zitate in den empirischen Darlegungen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Zahlen von 1 bis 34 reichen, obwohl es sich nur um 31 Interviewpartner handelt. Der Grund ist pragmatischer Natur: Drei Interviews sind kurzfristig abgesagt worden, als die Nummerzuweisung bereits im System verankert war.

189

Teamgröße gilt.181 Doch in einem Drittel der Fälle wurden von dem jeweiligen Interviewpartner auch größere Einheiten wie eine Abteilung oder ein unternehmensübergreifendes Projekt als ‚Team’ definiert. Die Teammitglieder berichten in den Interviews von all ihren Erfahrungen mit Arbeitsgruppen, seien es aktuelle oder vergangene. Einige wirkten in mehreren Teams gleichzeitig mit (z.B. verantwortet ein Leiter parallel zwei voneinander getrennte virtuelle Teams). Damit gehen Berichte aus insgesamt 34 Arbeitsgruppen ein (13 face-to-face Teams, 13 virtuelle Teams, acht gemischte Teams) mit 31 Interviewpartnern (13 aus face-to-face Gruppen, zehn aus virtuellen Gruppen und acht in gemischten Gruppen). Die gemischten Teams hatten lokale Subgruppen, die untereinander face-to-face arbeiteten und gleichzeitig zu einer größeren virtuellen Arbeitsgruppe gehörten. Mit dieser Kategorisierung in drei Typen von Teams wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass virtuelle Teams auch face-to-face Möglichkeiten inkludieren.182 Folgende Unternehmen und Arbeitsgruppen beteiligten sich (die Angaben in Klammern beziehen sich auf die Standorte der Interviewpartner): ABB Schweiz AG und ABB Ltd. Group Headquarters (Schweiz): Es wurden drei Mitarbeiter aus den Zentralfunktionen Human Resources, Recht und Information Technology befragt. Die Teams waren hauptsächlich lokal tätig und waren mit Angehörigen verschiedener Kulturen besetzt (v.a. Deutsche, Deutschschweizer und Vertreter aus dem angelsächsischen Raum, aber auch aus Indien, Italien etc.). Im Forschungszentrum erklärten sich fünf Führungskräfte aus dem internationalen Projektgeschäft zu einem Interview bereit, deren lokale Kollegen sich entsprechend divers wie in der Zentrale zusammensetzten und die zusätzlich Teammitglieder in Schweden hatten. Infineon Technologies AG (Deutschland, USA, Taiwan, China, Indien) Zehn Personen mit verschiedenen Funktionen in der Technologieentwicklung oder -produktion nahmen an den Interviews teil. Die meisten von ihnen waren in einer internationalen Allianz aktiv, in der mehrere Firmen der Halbleiterindustrie gemeinsam Entwicklungsaufgaben verfolgten. Dieses Projekt zog sich über verschiedene Standorte in Asien, Europa und USA hinweg und erforderte eine virtuelle Zusammenarbeit. Die anderen Befragten waren mit dem Aufbau oder der Betreuung der lokalen Produktion in Asien beauftragt, was entweder von der deutschen Zentrale aus oder vor Ort geschah. Robert Bosch GmbH (Deutschland): Zwei Interviewpartner aus dem Bereich der Softwareentwicklung berichteten über ihre Erfahrung in Arbeitsgruppen, die örtlich getrennt in Deutschland und Indien kooperierten und analog fast ausschließlich Mitarbeiter dieser zwei Kulturen einschlossen. SAP AG (Deutschland, Indien, Irland): Drei Interviewpartner aus der Softwareentwicklung beteiligten sich an Gesprächen. Die Besonderheit liegt hier darin, dass deutsche Führungskräfte jeweils ein rein lokal im Ausland aufgestelltes Team leiteten, das in Kontakt mit parallelen Teams in Deutschland stand. Siemens AG (Deutschland): Es engagierte sich ein Interviewpartner aus dem Human Resource-Bereich, dessen Erfahrungen sich auf stark multikulturelle Teams bezogen, die global operierten. Zusätzlich wurde mit vier Fachgruppen- bzw. Abteilungsleitern aus dem Softwaretest gesprochen. Hierbei ist zu beachten, dass zwei der Arbeitsgruppen rein lokal beschäftigt waren und vergleichsweise wenig kulturelle Varianz aufwiesen. Die anderen zwei Führungskräfte beaufsichtigten Mitarbeiter in Asien bzw. auf verschiedenen Kontinenten. 181 182

Vgl. Kapitel 2.1.2 ‚Definition von Arbeitsgruppen’. Vgl. zum Konzept der virtuellen Teams Kapitel 2.4.2 ‚Virtuelle Arbeitsgruppen: Definition und Merkmale’.

190

Welling183 (Schweiz): Drei Interviewpartner aus der Entwicklung sprachen über ihre Teams, die vorwiegend lokal stationiert waren und aus Deutschen, Schweizern und einzelnen Angehörigen anderer Kulturen gebildet worden waren.

8.4

Kontext der Interviews

Die Interviews wurden im Zeitraum Juni bis September 2004 und persönlich vor Ort durchgeführt. Das heißt, die Autorin ist an den Standort des Interviewpartners gereist, und die Interviews fanden in den Büros oder in Besprechungsräumen der Interviewpartner unter Ausschluss von Zuhörern statt. Dies war aus zeitlichen und finanziellen Gründen jedoch nur bei den Interviewpartnern möglich, die in Deutschland oder der Schweiz arbeiteten, bzw. bei denjenigen, die sich während des Untersuchungszeitraums dienstlich in Deutschland aufhielten und einen Termin in dieser Zeit vereinbaren konnten. Auf diese Weise wurden 20 Interviews durchgeführt. Die anderen elf konnten nur telefonisch stattfinden, da die Partner an Standorten fernab im Ausland, z.B. in Thailand oder Indien, stationiert waren. Es bestand anfangs die Befürchtung, dass die Interviews am Telefon weniger effektiv wären, da der unmittelbare persönliche Kontakt in dieser Situation fehlt und keine natürliche Gesprächsumgebung aufgebaut werden kann (Shuy 2002 oder auch die Ausführungen im Kapitel 6.1.2 ‚Mangel an sozialer und Kontextinformation’); doch traf dies tatsächlich nur für zwei, maximal drei Gespräche zu. Die anderen Telefoninterviews verliefen ähnlich offen wie die persönlichen; eine mögliche Interpretation hierfür ist, dass die Interviewpartner den Gebrauch von Telefon zur persönlichen Kommunikation in ihrer täglichen virtuellen Kooperation schon stark praktizieren und von daher an diese Kommunikationsform gewöhnt sind, bzw. gerne die Möglichkeit genutzt haben, ‚depersonalisiert’ von den eigenen Erfahrungen zu berichten.184 Die Gespräche folgten dem in Kapitel 8.2 geschilderten Leitfaden, der als Stichwortkatalog diente (Stier 1996 S. 190). Häufig sprachen die Interviewpartner in ihren Ausführungen bereits selbständig die interessierenden Aspekte an, die durch Nachfragen der Interviewerin nur mehr weiter geklärt oder etwas erweitert wurden. Hinsichtlich Gesprächsdauer ist zu sagen, dass das kürzeste Interview 50 Minuten, die längsten zwei Stunden dauerten. Die durchschnittliche Dauer lag bei ca. 1,5 Stunden. Jedes Gespräch wurde per mini disk player aufgezeichnet. Grundsätzlich standen alle Gesprächspartner dem Thema Multikulturalität offen gegenüber; die Stichprobe enthält also keine Personen, die internationale Zusammenarbeit ablehnen, daran gescheitert oder lediglich uninteressiert sind, was sicherlich einen Einfluss auf die Ergebnisse hat. Dies mag auf die Vorauswahl durch die Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen zurückzuführen sein; diesen ist daran gelegen, ihre Firma möglichst erfolgreich darzustellen und die positiven Erfahrungen im internationalen Bereich zu betonen. Es war jedoch zu erkennen, dass die Betroffenheit der Gesprächspartner unterschiedlich hoch war; deutlich wurde dies dadurch, wie lange und detailliert ein Partner antwortete und wie emotional er reagierte (Mühlfeld et al. 1981 S. 339). Bei denjenigen Interviews, die kurz und knapp verliefen, war weniger Involviertheit des Interviewpartners spürbar; diese bildeten einen Kontrast zu den sehr intensiven Gesprächen, die trotz Terminknappheit der Interviewpartner bis zu zwei Stunden dauerten und viele persönliche Informationen beinhalteten. Sicherlich ist die Person des Interviewers entscheidend dafür, inwiefern der Interviewpartner Vertrauen fasste und heikle Informationen preisgab (vgl. zur idealen Rolle des Interviewers Johnson 2002 oder Macoby / Macoby 1965). Auf jeden Fall schien es angebracht, die externe Rolle als Wissenschaftlerin zu betonen, um nicht als ‚Spitzel’ der Geschäftsführung, des Vor183 184

Pseudonym für eine Firma der Medizinbranche. Vgl. zur Depersonalisierung und abgebauten Hemmungen Kapitel 6.2.4 ‚Erhöhter Sachfokus’.

191

gesetzten oder der Personalabteilung gesehen zu werden. Absolute Anonymität wurde zugesichert; von keiner der Aussagen soll auf einen Interviewpartner oder auf ein Team zurückgeschlossen werden können. Die Konstellation ‚männlicher Techniker’ und ‚weibliche Interkulturalistin’, die in den meisten Interviews gegeben war, hätte eventuell als zu große Diskrepanz empfunden werden können, doch wie sich in der Realität herausstellte, ergänzten sich die Pole im Sinne ‚praktischer Experte’ und ‚theoretischer Experte’. Als Gemeinsamkeit kam noch häufig das relativ junge Alter beider Seiten und die ‚dynamische Lebenseinstellung’ im internationalen Bereich, dem Interviewpartner und Interviewer zugehören, zu Gute. Auf diese Weise kamen vertrauensvolle und offene Gespräche zustande. Bei einigen wenigen Interviews konnte diese Atmosphäre nicht aufgebaut werden; diese verliefen eher förmlich, und die Interviewpartner blieben eher zurückhaltend in ihren Äußerungen (dies überschnitt sich meist mit der geringen Betroffenheit der Interviewpartner).

8.5

Transkription

Die Interviews wurden vollständig transkribiert; ein Interview ergab zwischen acht und 23 DIN A4-Seiten (einzeilig), wobei die meisten zwischen 14 und 18 Seiten Umfang aufweisen. Insgesamt liegen 480 Seiten Interviewmaterial vor. Es wurde ein sehr einfaches Transkriptionssystem entwickelt, das sich einerseits an Lesbarkeit und Effizienz orientiert, andererseits möglichst geringe Interpretationsverzerrungen, die durch korrigierende Eingriffe entstehen, beinhaltet. Zu diesem Zweck wurden nur für die Datenauswertung bedeutungstragende Elemente verschriftlicht. Diese umschlossen neben den verbalen Ausführungen die Deskription von maßgeblichen para- und nonverbale Reaktionen wie Lachen, Zögern, Seufzen, besondere Betonung von Wörtern oder Phasen des Nachdenkens (Kowall / O’Connell 2000 S. 441). Diese wurden als ‚Regieanweisung’ in eckigen Klammern eingefügt: [lacht], [zögert] etc. Es wurde gemäß der Standardorthographie transkribiert, d.h. Dialekte oder Lautveränderungen wurden zugunsten von Lesbarkeit nicht berücksichtigt (vgl. Kowall / O’Connell 2000 S. 441). Satzbrüche wurden mit .. gekennzeichnet. Es wurde im Allgemeinen keine grammatikalische Korrektur vorgenommen. In den nachfolgenden Kapiteln der Darlegung der empirischen Daten werden vielfach Interviewpartner als Beleg zitiert; sollte hierbei ein Satz für den Leser nicht verständlich sein, wird mit Hilfe der Kontextinformation ein Zusatz in eckigen Klammern angebracht. Zuweilen werden die Zitate gekürzt, um die essentielle Information deutlicher hervorzustellen; Auslassungen sind mit [...] gekennzeichnet. [lacht] [zögert]

para- und nonverbale Zusatzinformation sowie zum Verständnis notwendige Ergänzungen

[betont]

das folgende Wort wird betont

[...]

Auslassungszeichen

..

Satzbruch

PK

Interviewerin

IP

Interviewpartner

Tab. 16: Transkriptionssymbole Die Interviewtranskripte wurden anonymisiert, d.h. Personen-, Firmen- und Städtenamen wurden durch Pseudonyme ersetzt. Ländernamen wurden nicht geändert, da dies die Äußerungen in ihrem Informationsgehalt eingeschränkt hätte.

192

8.6

Kritische Würdigung anhand der Gütekriterien qualitativer Forschung

In der quantitativen Forschung gelten klare Gütekriterien, die Objektivität, Reliabiliät und Validität lauten (vgl. z.B. Bronner / Appel / Wiemann 1999 S. 30f). Einige Wissenschaftler versuchen, diese Kriterien auf die qualitative Forschung zu übertragen; so leitet Mayring die Interkodierreliabilität ab, die er durch stark kodifizierte Verfahren in der qualitativen Inhaltsanalyse zu erreichen sucht (1997). Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass die qualitative Forschung andere Ziele verfolgt und daher mit anderen Kriterien zu messen ist (Steinke 2000 S. 320). Steinke hat einige Kriterien aus der Literatur recherchiert, von denen hier die wichtigsten vorgestellt und auf die vorliegende Untersuchung angewandt werden. Um mit dem Bestreben von Mayring (1997) zu beginnen, ist die enge Interkodierreliabilität, d.h. die Überprüfbarkeit durch andere Forscher realistischerweise nicht möglich, da einerseits die Datenerhebung in nicht wiederholbaren Situationen erfolgt und andererseits die Datenauswertung, v.a. die Interpretation, subjektiv durch den Forscher geprägt ist.185 Doch was gewährleistet werden kann, ist eine intersubjektive ‚Nachvollziehbarkeit’ durch eine möglichst vollständige Dokumentation des Forschungsprozesses (Steinke 2000 S. 324, Mühlfeld et al. 1981 S. 330, Mayring 1990 S. 104). Damit kann die Leserschaft das Vorgehen Schritt für Schritt verfolgen und die Qualität der Ergebnisse selbst bewerten. Dadurch, dass auf diese Weise das Vorgehen nicht starr vorgeschrieben ist, kann die Dynamik zwischen Gegenstand, Fragestellung und Methodologie ausreichend berücksichtigt werden. Steinke (2000) erwähnt insbesondere die Offenlegung des Vorverständnisses und Erwartungen durch die Formulierung von ex-ante Hypothesen, die Erläuterung der Erhebungs- und Auswertungsmethoden, den Untersuchungskontext und schließlich die Dokumentation der Daten selbst. In der vorliegenden Arbeit ist diesem Anspruch Genüge getan, indem das Vorwissen in den ‚Arbeitshypothesen’ expliziert worden ist und diese so angelegt sind, dass sie durch die Daten widerlegt bzw. modifiziert werden können (wie in den nachfolgenden Kapiteln dieser Arbeit geschehen wird). Die Erhebungs- und Auswertungsmethoden sind in den vorigen Unterkapiteln genauestens dargelegt worden; ebenso ist der Kontext beschrieben worden, in denen die Interviews abgelaufen sind. Die empirischen Rohdaten liegen der Autorin als Audio-Dateien sowie als Transkripte vor; die Kategorien und Codes sind im Computerprogramm MAXqda2 abgespeichert. Hinsichtlich der Herstellung von Intersubjektivität in der Interpretation empfehlen zahlreiche Autoren die Arbeit und Diskussion in Forschergruppen (z.B. Mayring 1990). Steinke fordert in diesem Rahmen ein peer debriefing, in dem die Vorgehensweise und Ergebnisse mit Forscherkollegen, die nicht im Projekt involviert sind, diskutiert werden (2000 S. 326). Eine solche Diskussion fand im Rahmen der vorliegenden Arbeit in verschiedenen Kolloquien fachintern als auch fachübergreifend statt, um sicher zu stellen, dass das methodologische Vorgehen und insbesondere die Interpretation von anderen Forschern nachzuvollziehen sind. Als nächstes entscheidendes Gütekriterium nennt Steinke die Indikation, d.h. die Angemessenheit des Forschungsprozesses hinsichtlich des Gegenstands sowie der Erhebungs- und Auswertungsmethoden (2000 S. 326), die ebenso von Flick (1987) und Mayring (1990) betont wird. Zum ersten muss die Fragestellung überhaupt ein qualitatives Vorgehen begründen. Darüber hinaus sollen die Methoden an den Gegenstand angepasst und gegebenenfalls erst entwickelt werden. Hierbei ist wichtig, dass die Untersuchungspersonen Spielraum haben sich mitzuteilen, und die Bedeutung ihrer Äußerungen erfasst wird. Es muss sicher gestellt werden, dass durch die Daten das Vorwissen des Forschers irritiert wird (Steinke nennt dies „empirische Verankerung“, 2000 S. 328). Die sampling-Strategie muss entsprechend der Fragestellung und des Untersuchungsgegenstands festgelegt werden. Sicherlich sind bei den Ent185

Dies ist allerdings kein Malus, sondern durch die qualitative Methodologie so angelegt!

193

scheidungen die verfügbaren Ressourcen zu berücksichtigen. Auch diesen Anforderungen ist Genüge geleistet worden: Die Ausführungen im Kapitel 1.2 haben die Notwendigkeit und die Angemessenheit einer qualitativen Herangehensweise in diesem Forschungsfeld speziell zu dieser Fragestellung heraus gesellt. Dass es erforderlich war, eine eigene Methode zu entwickeln, und wie dies erfolgte, ist in Kapitel 8.1 erläutert worden. Die empirische Verankerung wird in den Folgekapiteln vollzogen. Die sampling-Strategie verfolgte das Ziel der theoretischen Sättigung, wie ebenso in Kapitel 8.1 dargelegt. Hinsichtlich Übertragbarkeit der gewonnenen Ergebnisse sind die Bedingungen in der Untersuchung zu ermitteln. Sind diese sehr eng gefasst, ist der Geltungsbereich der gewonnenen Erkenntnisse sehr begrenzt. Wird gemeinsam mit den Untersuchungspersonen die Gültigkeit ihrer Aussagen in verschiedenen Situationen ermittelt („kommunikative Validierung“ mit den Worten Mayrings 1990 S. 105), erfährt die Erkenntnis eine höhere Verallgemeinbarkeit (Steinke 2000 S. 329). Nach Bronner / Appel / Wiemann (1999 S. 30f) entspricht dies dem Kriterium der externen Validität, d.h. inwiefern ein Sachverhalt in anderen Umständen zutrifft. In den Interviews war regelmäßiger Bestandteil die Identifikation von Voraussetzungen, unter welchen bestimmte Phänomene (hier insbesondere Konflikte und Synergien) auftreten. Hierfür begrenzten die Interviewpartner ihre Berichte nicht auf die aktuellen Erfahrungen innerhalb eines einzelnen Teams, sondern zogen Erfahrungen aus ihrem gesamten Berufsleben und verschiedenen Teams, in denen sie Mitglied waren oder sind, heran. Hierdurch können allgemeine Aussagen über Prozesse in Teams getroffen werden, deren Gültigkeit über die speziellen Untersuchungsbedingungen hinausgeht. Hinsichtlich interner Validität wird bei qualitativen Daten eine Diskussion der Ergebnisse mit den Untersuchungspersonen gefordert (z.B. bei Sackmann 2001 S. 155). Dies gewährleistet, dass der beobachtete Zustand durch die ins Auge gefassten Variablen und nicht durch andere Faktoren hervorgerufen wird. Die Prüfung auf interne Validität hat im Rahmen der vorliegenden Studie in drei Workshops stattgefunden, die bereits im Kapitel 8.2 erwähnt worden sind: Die Interviewpartner hatten auf diese Weise die Möglichkeit, Interpretationen der Forscherin richtig zu stellen. Diese Workshops haben zum Teil auch zum Test der Übertragbarkeit und der externen Validität gedient, welcher im vorangegangen Abschnitt postuliert wurde: Sowohl die Interviewpartner als auch weitere am Thema Beteiligte überprüften kritisch die Tauglichkeit der Aussagen auf Verallgemeinerbarkeit.

9

Interkulturelle Konflikte

In diesem und in den nachfolgenden Kapiteln 10 bis 12 werden die Aussagen der Interviewpartner zu interkulturellen Konflikten, interkulturellen Synergien, virtuellen Konflikten und virtuellen Synergien vorgestellt, interpretiert und mit den theoretisch hergeleiteten Arbeitshypothesen abgeglichen. Zu Ende jedes Unterkapitels werden die finalen Hypothesen angeführt, die als Ergebnis der Arbeit in Kapitel 13 zum endgültigen MIPO-Modell zusammengefasst werden.

9.1

Missverständnisse auf Grund kultureller Unterschiede

Die Unterteilung von Konfliktursachen in Erwartungsverletzungen, Dekodierungsprobleme und Attributionsfehler (vgl. Kapitel 4.2.3 bis 4.2.5) ist theoretisch sinnvoll, um die möglichen Faktoren in ihren Details und Prozessen darzulegen. In der Analyse von realen interkulturellen Konflikten ist diese Differenzierung nicht mehr praktikabel, da sich die Ursachen komplementieren und verweben. So werden Erwartungen grundsätzlich verletzt, wenn es in interkulturellen Situationen zu unbekannten Verhaltensweisen kommt, die nicht der eigenen kulturellen Norm entsprechen. Eine fremdkulturelle Verhaltensweise kann genau wegen ihrer Unbekanntheit auch nur zufällig bzw. nur mit Hilfe externer Anhaltspunkte richtig attribuiert werden. Zwar soll ebenso der Einzeleinfluss dieser Faktoren in den Aussagen der Interview194

partner identifiziert werden, doch relevant scheint zusätzlich erste Aufweisung des Zusammenspiels der Faktoren in ihrer gemeinsamen Wirkung auf die Gruppeneffektivität in einem integrierten Unterkapitel.

9.1.1

Erwartungsverletzungen

Kulturelle Unterschiede können zu einem Problem werden, wenn sie nicht bekannt sind bzw. nicht den eigenen Standards entsprechen und damit Erwartungen verletzen. In manchen Formulierungen der Interviewpartner wird eine Erwartungshaltung hinsichtlich Gemeinsamkeiten deutlich, wie z.B. dass die Schweiz in den Augen der Deutschen zu unrecht als sehr ähnlich angenommen wird: Wobei, man wundert sich ja schon, finde ich, wie stark unterschiedlich so Kulturen sind, die man eigentlich eher als ähnlich einschätzen würde. […] Bevor ich in die Schweiz zog, hatte ich von der Schweiz den Eindruck, das wird doch so sein wie in Deutschland, die sprechen zwar ein bisschen anders und so. (IP 29)186 Selbst Angehörigen sehr ferner Kulturen gegenüber erwartet man, dass sie sich ‚normal’, das heißt entsprechend der eigenen Maßstäbe, verhalten: Am Anfang habe ich gesagt, […] was soll das Gerede über indisches Management und so, das ist genau gleich wie bei uns. Mit denen kann man ganz normal reden, und dann macht [man] was aus - die sind zuverlässig -, und das wird dann einfach durchgeführt. (IP 25) Zehn Interviewpartner berichten von anfänglichen Situationen, in denen sie mit Unterschieden konfrontiert wurden, mit denen sie nicht gerechnet haben. Dies wird als Beleg genommen, dass Erwartungen in interkulturellen Situationen gerade zu Beginn der Teamarbeit nicht erfüllt werden, was den ersten Teil der Arbeitshypothese iK0P 1 in Ansätzen bestätigt.187 Zudem fällt die Erkenntnis, dass es anders ist, dem Interviewpartner schwer: Und dann habe ich mich schon schwer gewundert, dass dann einiges sehr, sehr unterschiedlich war. Einfach vom ganzen Klima her, wie man miteinander umgeht. Ja, es war .. da gibt es eine Menge zu lernen und auch eine Menge falsch zu machen. (IP 29) Dieser Interviewpartner formuliert mit „schwer gewundert“ sehr vorsichtig die negative Erfahrung; Interviewpartner 2 benennt es deutlicher: Also wenn jemand frisch aus Japan hierher kommt, die sind regelmäßig geschockt über die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. (IP 2) Wie unangenehm es sein kann, dass man auf Unterschiede trifft und etwas hinzulernen muss, wird im Kapitel 10.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’ noch einmal thematisiert. Hier sei davon nur soviel herausgegriffen, dass eine Erwartungsverletzung als negativ bewertet wird. Diese kurzen Ausführungen werden nun dafür verwendet, die Arbeitshypothese iK0P 1 abzugleichen. Dabei wird den Ergebnissen der Analyse von Stereotypen aus Kapitel 9.3 vorgegriffen. Die empirischen Daten weisen daraufhin, dass die Hypothese fortgeführt werden kann: Hypothese Prozess iK1P 1: Mitarbeiter hegen Erwartungen gegenüber ihren anderskulturellen Interaktionspartnern, die durch die Annahme von Gleichheit bzw. durch Stereotype geprägt und entsprechend verzerrt sind. Es resultieren zwangsweise Erwartungsverletzungen, die zudem negativ bewertet werden. 186 187

Zu den Transkriptionsregeln und Anonymisierung siehe Kapitel 8.5. Um Redundanzen und eine unnötige Verlängerung dieser Arbeit zu vermeiden, werden die Originalarbeitshypothesen nicht wiederholt. Um sie sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, sei auf den Überblick über alle Arbeitshypothesen in den Graphiken und Tabellen von Kapitel 7 verwiesen.

195

9.1.2

Dekodierungsprobleme und Attributionsfehler

Wenn Erwartungen an Gemeinsamkeiten verletzt werden, veranlasst dies nicht eine automatische Revision. Denn eine Erwartung wird entsprechend der Theorie und der Daten häufig beibehalten, da ein Akteur nach dem eigenen Wertesystem nur das eigene Verhalten als angemessen ansieht. Das fremde Verhalten wird nicht im Sinne des Interaktionspartners dekodiert und damit nicht richtig interpretiert, sondern mit der Bedeutung des eigenen Wertesystems versehen. Dies kann eine lang anhaltende, zuweilen nicht endende Konfliktursache darstellen. Die Interviewpartner stellen dies fest, indem sie sagen, dass es am gegenseitigen Verstehen mangelt - im Gegensatz zu einer Arbeitsgruppe mit gleichkulturellen Kollegen, in der gilt: Man versteht sich beinahe blind. (IP 8) Wenn die Interviewpartner von kulturellen Unterschieden sprechen, tun sie dies vielfach im Zusammenhang mit Konflikten. Hierzu ein kleines Zahlenbeispiel: In den Interviews wurde an 176 Stellen über kulturelle Unterschiede gesprochen. Dabei sind 54 Passagen als neutrale Beschreibungen zu beziffern. Lediglich 23 der Stellen enthalten positive Aussagen, aber dafür verbinden die Interviewpartner in 99 Stellen Kulturunterschiede mit Konflikten. Dies tritt explizit auch in der Formulierung des nächsten Interviewpartners hervor, wo kulturelle Unterschiede mit Konflikt („Friktion“) gleichgesetzt werden: Wenn Sie USA oder Kanada nehmen […], dann gibt es da interkulturelle Unterschiede schon .. eine Friktion, dass die .. vielleicht ist das auch mein Vorurteil, aber die Amerikaner, mit denen wir was zu tun haben, .. die sind so ein bisschen straight forward. (IP 5) Dies lässt sich zu einem erheblichen Teil mit dem En- und Dekodierungsproblem sowie der Fehlattribution erklären, welches im Folgenden für die verschiedenen Arbeitsbereiche, in denen von Konflikten berichtet wird, aufgeschlüsselt werden soll. Wenn man die Konfliktschilderungen der Interviewpartner nach Arbeitsbereichen sortiert, treten die meisten Probleme in der Kommunikation, im Arbeitsstil (wobei diese Kategorie sehr divers ist) und im Bereich Führung und Hierarchie auf. Der unterschiedliche Umgang mit Konflikt wird nur vereinzelt als problematisch berichtet. Nun eine Erläuterung der Arbeitsbereiche im Einzelnen: In der Kommunikation scheint das gravierende Problem der (vor allem) deutschen Interviewpartner im ungleichen Grad der Direktheit zu liegen. Die Deutschen verstehen indirekte Mitteilungen nicht, weil sie zu vage sind, nicht der vermeintlichen Wahrheit entsprechen, zu höflich formuliert oder komplett anders ausgedrückt werden. Dies trifft vor allem in Situationen zu, in denen heikle oder problematische Themen besprochen werden, Kritik im Raume steht oder ein ‚Nein’ kommuniziert werden soll. Auf der anderen Seite „fühlen sich die Anderen getreten“, um mit den Worten eines Interviewpartners zu sprechen, d.h. die auf die Sache intendierten Aussagen der Deutschen treffen den Kommunikationspartner persönlich und kränken ihn. Das kann am falschen Tonfall, der Wortwahl oder am Weglassen von Einleitungen bzw. Höflichkeitsfloskeln liegen als auch in der Aussprache von nicht auszusprechenden Sachverhalten (wie Kritik, vor allem vor den Augen Dritter). Dieses Phänomen wird in der Literatur meist unter ‚Gesicht nehmen – wahren – geben’ diskutiert (z.B. bei Ting-Toomey 1994). Folgendes Beispiel verdeutlicht das Problem in der Interaktion: Man trifft sich in einer Teambesprechung, und die Deutschen haben die Angewohnheit, wenn Amerikaner oder so Chinesisch-Amerikaner .. Wenn einer sagt „Das konnte ich dir nicht geben diese Information" oder „Das habe ich nicht gemacht, habe ich nicht machen können", den zu fragen, „Warum hast du das nicht gemacht?" Die Schuld gleich zu suchen. Und damit verlieren gerade Chinesen so ihr Gesicht natürlich. Es gab da einen schönen Vorfall. Nach dieser Aktion [...] konnte er von ihm nichts mehr auf dem normalen kleinen Dienstweg bekommen. (IP 21) 196

In anderen Fällen, die aus Indien berichtet werden, verzichtet der Kommunikationspartner auf Nachfrage, die nach Ansicht der deutschen Interviewpartner nötig gewesen wäre, um Unklarheiten oder Missverständnisse im Vorfeld zu beseitigen: Was aber auch eine gewisse Symptomatik hat, dass man [die Inder] eben, auch wenn man eine Anforderung nicht so versteht, dass man eigentlich ungern in Diskussion geht und nachhakt und irgendwie lästig ist, bis man es verstanden hat. […] Das ist auch ein Nachteil. Da habe ich im weiteren Vorgehen dann auch gelernt, dass ich wirklich selbst überprüfen muss, ob das, was ich wollte, eigentlich verstanden wurde. Wenn ich das nicht mache, kann ohne weiteres passieren, dass ich nach drei Wochen nachfrage, und dann wird mir stolz ein Ergebnis präsentiert, das ich nie wollte [lacht]. (IP 25) Unter Arbeitsstil werden sämtliche Merkmale im Problemlösungsprozess, wie Strukturiertheit, Art der Konsens- und Entscheidungsfindung sowie Relevanz von Dokumentation und Zeitmanagement zusammengefasst. Hierin drückt sich die unterschiedliche Verfahrensweise der Angehörigen verschiedener Kulturen aus. Aus Sicht der Deutschen und Schweizer fehlen Anderen häufig ein strukturierter Ansatz und eine klare Dokumentation: Ja, man ärgert sich schon über manche Sachen. Also wenn Sie in ein Meeting hineingehen, und jeder zeigt kurz auf Zurufen ein paar Folien von seinem Laptop und nimmt den Laptop wieder mit, und alle strahlen sich [an], dass man wieder so einen tollen Austausch hatte, aber sie haben nachher die Information nicht in der Hand, wissen nicht, wo sie es finden können, irgendwie keiner hat ein action item definiert, klar, da ist man erst mal sauer oder nicht so richtig überzeugt davon. (IP 18) Auch hinsichtlich zeitlicher Planung verfolgen Deutsche und Schweizer eher eine Struktur, die klare Vorgaben macht und festlegt, dass Dinge nacheinander und nicht parallel abgearbeitet werden (ganz im Sinne der Hall’schen monochronen Zeitauffassung (1976), wenn man eine deskriptive Kategorie anwenden möchte). Andere Auffassungen und Vorgehensweisen führen zu Unverständnis: Im Zusammenhang mit jetzt z.B. den Franzosen […], da ist immer soviel Spontaneität dabei. [...] aber im Disziplinbereich hat es einfach .. wo wir sagen würden, das sind Probleme. Wenn Sie ein Meeting abmachen, kann ich sicher sagen, wer als letzter kommt. Und ich kann auch sicher sagen, wer, sage ich mal, Seitengespräche führt. (IP 3) Diskussion laufen unter Deutschen sehr zielorientiert und die Entscheidung wird entsprechend sachorientiert getroffen, was gerade in Südamerika, Skandinavien und auch schon in der Schweiz anders aussieht, wo Konsens und Integration der Beteiligten erwünscht ist: Es ist halt sehr viel .. gerade auch in Deutschland ist es Geschäft, dass man eine Entscheidung hat, die sollte dann mitgetragen werden von den anderen, aber es sind doch relativ radikale Entscheidungen. Während man hier eher die Tendenz hat in der Schweiz, zu versuchen zu vermitteln und alle Aspekte mit in die Lösung einfließen zu lassen. Das macht das System träger, das sind natürlich ganz klar die Nachteile dann, mit denen man kämpfen muss. (IP 3) Ein Interviewpartner aus der Schweiz (IP 8) verweist ferner auf die persönliche Distanz einer deutschen Führungskraft, die auf Grund ihrer hohen Sachorientierung keine zwischenmenschliche Beziehung zum externern Projektpartner aufbaute, von daher auch über dessen Hintergrund schlechter informiert war (es fehlte das, was man im „Biergespräch so erfährt“) und dessen Bedürfnisse in der Arbeit nicht berücksichtigen konnte und wollte. Strukturiertheit wird auch zuweilen hinsichtlich Führung erwartet, wie es ein Schweizer ausdrückt, der bei seinem australischen Vorgesetzten klare Vorgaben vermisst:

197

Eben, wir müssen ein klares Ziel haben, wir müssen klare Zielvorgaben haben, wir müssen klare Rollen haben. […] Das trifft jetzt ja auf eine Kultur, die sagt: „Nein, wir möchten möglichst viel Flexibilität, wir möchten viel Offenheit, wir möchten viel Spielraum für die Teammitglieder. Das haben wir nicht.“ [...] Weil hier natürlich so unterschiedliche Erwartungshaltungen aufeinander treffen von einer Kultur, die sagt: „Ich brauche das als Leitlinie. Ich kriege das aber nicht.“ (IP 6) In wie weit die Führungskraft deutliche Anweisungen oder andererseits Spielraum für Eigenständigkeit gibt, ist eindeutig kulturspezifisch, was in der deutsch-asiatischen Kooperation immer wieder angemerkt und in den folgenden Beispielen einmal in der Konstellation deutscher Mitarbeiter – indischer Vorgesetzter (Fall 1) und einmal in der Konstellation taiwanesischer Mitarbeiter – deutscher Vorgesetzter (Fall 2) veranschaulicht wird: Fall 1: Also, die Gruppe in dieser Abteilung wird von einem indischen Manager geleitet, und darin befindet sich der Olsfelder188 Kollege, der Projektleitung macht. Sein Chef, dieser indische Gruppenleiter, ist sehr wohl ein ziemlich typischer Kandidat. […] Da ist es sofort explodiert [lacht herzlich]. Und das war wirklich irgendwie erheiternd, andererseits natürlich problematisch, weil der Olsfelder Kollege hat das überhaupt nicht witzig gefunden, dass ihm da sein indischer Chef jeden Tag in sein Projekt hineinschauen will und ihm sagen will, was er zu tun hat. Weil er selbst sieht, dass es eigentlich besser für ihn geeignet ist und es seine Aufgabe ist. Er erwartet gewissermaßen Vertrauen von seinem Chef, das sind wir gewohnt. Sein Chef war wahrscheinlich auch nicht darauf vorbereitet, dass der erwartet, eigentlich einen großen Freiraum zu haben und Vertrauen schon vorab will, dass er sein Projekt schon gut managen kann. (IP 25) Fall 2: Und mir ist es am Anfang da mal passiert, dass ich praktisch ein Thema abgegeben habe an einen taiwanesischen Kollegen und mich dann gewundert habe, warum das nicht vorangeht. Ich hätte eigentlich erwartet, dass der das Thema aufgreift und eigenhändig daran arbeitet. Aber der hat von mir dann immer genaue Instruktionen erwartet, was er denn eigentlich machen soll. Und wollte auch für alles ein approval und Entscheidung von meiner Seite. (IP 24) Als kleine Anmerkung: Schon an der Formulierung wird ersichtlich, dass es sich auch um Erwartungsverletzungen handelt, wie in Kapitel 4.2.3 besprochen. Die Tendenz zur indirekten Kommunikation ist gerade zwischen Hierarchieebenen, d.h. vom Mitarbeiter an den Vorgesetzten, in asiatischen Kulturen noch stärker ausgeprägt: Kritik, Ansprache von Problemen oder Nachfragen werden in dieser Art der Beziehung noch weniger unternommen. Auch die Mitsprache und Entscheidungsbefugnis des einfachen Mitarbeiters sind ebenfalls begrenzt, wie ein deutscher Interviewpartner moniert: Bei chinesischen Firmen fällt natürlich auf, dass die dir nicht direkt sagen .. dass sie dir nicht sagen können: „Mache ich oder mache ich nicht.“ Die sprechen sich dann noch mal mit ihrem Manager ab. Das verzögert das natürlich alles. (IP 21) Hierarchie zeichnet sich in anderen Kulturen nicht nur durch die offizielle Position aus, sondern auch in Aspekten wie Seniorität, die z.B. durch Alter, Unternehmenszugehörigkeit oder Erfahrung gegeben ist. Eine deutsche Führungskraft beschreibt folgende Situation in Indien: Das kann hier so weit gehen, dass die Leute, wenn man sie direkt anspricht .. wenn ich den Jüngeren anspreche, also in der Gruppe, und so offen frage den 23-Jährigen, dann antwortet der 28-Jährige. Und das ist sehr spannend, weil ich dann eben der Typ [bin], der dann sagt: „So, ich möchte aber genau von demjenigen was hören.“ (IP 34)

188

Olsfeld ist ein Pseudonym für eine norddeutsche Stadt.

198

Im Konfliktstil schlagen sich dieselben Aspekte nieder, z.B. in der Konsensfindung einerseits (Vermeidung von affektivem Konflikt) und Problemidentifikation und Lösungsfindung (Betonung des kognitiven Konflikts) andererseits, wie es Interviewpartner 5 darlegt: Die schwedische Kultur […], die ist doch relativ konsensorientiert. Man will dem Anderen nicht wehtun, man will darüber reden, dass man sich falsch verstanden hat, eine Chance geben usw. usf. Und das ist auch einer der Gründe, warum wir in Schweden mit dem Elgon leader189, aber auch insgesamt nicht so ganz gut aufgestellt sind. Da sind so einige Sachen, ich will nicht sagen vertuscht worden, aber es ist lange nicht so .. auf dünner Flamme gekocht worden, und jetzt erntet man sozusagen die bösen Früchte, die auf Grund von Nachlässigkeiten. (IP 5) Offene Ansprache wird als Methode, einem Konflikt zu begegnen, unter den Deutschen mehrfach angestrebt, was jedoch gerade in der Interaktion mit asiatischen Kollegen nicht unbedingt zum Erfolg führt: Also, ich hatte in meiner früheren Zeit einen Konflikt mit einer Chinesin, die bei mir gearbeitet hat. Und da war es einfach nur ein Kommunikationsproblem. Die konnte zwar deutsch, aber die hat wie Hund und Katze, alles was ich gesagt hatte, anders interpretiert. Ja, und irgendwann war der Konflikt da. Und das ging dann so, auch durch die chinesische Kultur .. sagen wir mal, die können ja nicht das Gesicht verlieren. Man kann ihnen ja nicht sagen: „Du machst jetzt was schlecht, du kannst es besser machen.“ Ich habe dann sehr viel mit ihr geredet, und das hat aber nichts gewirkt. Sie war dann einfach stur und hat das nicht angenommen. Und auch meinen Chef dann .. den hatte ich dann auch eingeweiht, und der hat dann auch mit ihr geredet, und das hat nichts gewirkt. (IP 28) „Die war dann stur“ zeigt deutlich eine Fehlattribution im Sinne eines ultimativen Attributionsfehlers: Eine kulturelle Eigenschaft (wie sie in diesem Fall eigentlich zuvor schon richtig durch den Interviewpartner im Sinne von Gesichtwahren gedeutet wurde) wird fehlinterpretiert als persönliches Defizit. An diesem Beispiel wird der enge Zusammenhang zwischen Fehlattribution und Dekodierungsproblemen erkennbar: Auf Grund von Unkenntnis und der Anwendung eigener Wertvorstellungen kann das intendierte Verhalten weder verstanden noch richtig zugeschrieben werden. Wie relevant jedoch eine richtige Zuschreibung auch im Arbeitsverhältnis gerade im Zusammenhang mit den Motiven des Interaktionspartners ist, zeigt folgendes Beispiel vor allem im letzten Satz: [...] die Autoritätsgläubigkeit und Selbstverständnis [der Chinesen] im Umgang mit Autoritäten, was hier die Arbeitssituation belasten würde. Weil da wird geschleimt, um es mal ganz deutlich zu sagen, nach oben und der Versuch der Bestechung gemacht permanent, und das ist unglaublich. Nach wie vor. Das ist auch so schnell nicht raus zu bringen. Insofern weißt Du dann nie genau, wie denkt derjenige wirklich, wie offen ist er, ist der Diskussionsbeitrag jetzt nur deshalb gemacht worden, weil der Manager dabei war oder nicht. (IP 1) Gerade die deutsche direkte Art wird von Angehörigen anderer, vor allem asiatischer Kulturen häufig fehlinterpretiert als persönliche Abneigung: [Der chinesische Mitarbeiter in Deutschland] war auch nicht gewohnt, dass man ihm so direkt Aufgaben gegeben hat. Und wenn es eben nicht geklappt hat, ich gesagt habe, „das gefällt mir nicht. Hast du darüber nicht nachgedacht, und darüber nicht nachgedacht, und darüber. Und am Ende ist der Kunde nicht zufrieden, und wir verlieren Zeit.“ Da gab es ein extremes Problem, „ja, du magst mich nicht. Und du kannst mich sowieso nicht leiden.“ Bis dahin ging es dann. (IP 23) 189

Elgon ist das Pseudonym für die Firma; der Interviewpartner bezieht sich auf einen Topmanager.

199

Die Schwierigkeit der richtigen Attribution hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Kultur und Persönlichkeit wird von vielen der Interviewpartner selbst berichtet: Ich weiß aber nicht, ob das darauf zurückzuführen ist, weil er Australier ist, oder weil er einfach ist, wie er ist. (IP 6) Sie wissen zudem um den potenziellen weiteren Einfluss von Faktoren wie Unternehmenskultur, Geschlecht, Alter etc.190 Auch ist umstritten, ob nun der persönliche oder der kulturelle Einfluss im Verhalten überwiegt: Ein Teil behauptet, die Persönlichkeit ist das Allentscheidende; ein anderer Teil sieht eher die Kultur als maßgeblich, und ein dritter Teil sieht beide Einflussfaktoren als gleich relevant an bzw. kann keine Aussage hierüber treffen. So mag man folgern, dass einige Interviewpartner eher zum fundamentalen Attributionsfehler neigen (der Überbewertung der Person), andere eher zum kulturellen Stereotyp bzw. dem cultural attribution bias. Ob dies jedoch für jeden Einzelfall und für jede spezifische Situation gilt, kann schwer beurteilt werden. Einen Hinweis geben jedoch die Schilderungen der Interviewpartner selbst: Tatsächlich kommt es nur in seltenen Fällen auf Grund mangelnden Bewusstseins kultureller Unterschiede zum ultimativen Attributionsfehler: Die Interviewpartner sind sich durchaus der Relevanz von Kultur in der Interaktion bewusst, wie auch das drittletzte Beispiel (von IP 28) zum Konfliktumgang mit einer Chinesin zeigt (dies ist als gegenläufige Tendenz zur Annahme von Gleichheit in Kapitel 4.2.3 zu werten). Das Problem ist eher die emotionale Abneigung gegenüber der andersartigen Form,191 die sich auf den Interaktionspartner projiziert. Zusammenfassend lassen sich zu En- und Dekodierungsproblemen und Fehlattributionen die Arbeitshypothesen aus den Kapiteln 4.2.4 und 4.2.5 (iK0P 2 und iK0P 3) bestätigen. Sie werden daher als Hypothesen annähernd wortgenau übernommen: Hypothese Prozess iK1P 2: Durch unterschiedliche kulturelle Referenzrahmen werden Mitteilungen vom Empfänger nicht verstanden oder anders als vom Sender intendiert. Hypothese Prozess iK1P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als persönlicher Mangel an Kompetenz oder Motivation bzw. sogar als opportunistische Absichten.

9.1.3

Auswirkungen auf die Teameffektivität

In der Regel fluchen wir alle. (IP 2) Die in den vorherigen zwei Abschnitten erläuterten Aspekte hinsichtlich der Problematik kultureller Unterschiede sind eher als statische Momentaufnahmen zu sehen. Betrachtet man den gesamten Kooperationsverlauf, führt das Vorliegen von kulturellen Unterschieden nicht nur in einzelnen Situationen zu Problemen, sondern impliziert in den meisten Fällen eine regelmäßig und kontinuierlich erschwerte Kommunikation. Dies bedeutet einen zusätzlichen Aufwand an Arbeitszeit, in der sich die Gruppenmitglieder mit der Bereinigung von in homogeneren Gruppen geringerem Maße anfallenden Reibungen zu beschäftigen haben, was natürlich kognitive und emotionale Mühen miteinschließt. Ein Interviewpartner bringt es auf den Punkt: Aber ganz klar die message: Multikulturalität, oder wie auch immer das man nennen mag, ist mit zusätzlichem Aufwand verbunden. (IP 3) Arbeitsweisen können nicht mehr intuitiv abgespult werden, die Mitarbeiter müssen sich über Sachverhalte Gedanken bereiten, über die sonst nie gesprochen wurde. Prozeduren müssen vereinbart werden, es muss mehr koordiniert werden, dies vollzieht sich meist in einer Fremdsprache, und dann tauchen auch noch Missverständnisse und Konflikte auf, die wiederum 190 191

Eine detaillierte Darlegung sämtlicher in Betracht gezogenen Faktoren wird im Kapitel 9.3 ‚Stereotype’ unternommen, um den Grad an Komplexität im kognitiven Kategoriensystem der Interviewpartner zu zeigen. Vgl. Ethnozentrismus in Kapitel 4.2.6.

200

unter erhöhtem Aufwand (wegen kultureller und sprachlicher Unterschiede) geklärt werden müssen. Dies dauert eine Weile, so dass vor allem der Anfang schwierig ist: Ich glaube, im Zusammenfinden haben wir eine geringere Effizienz, so ein viertel bis ein halbes Jahr. Ich glaube aber, danach ist sie höher. (IP 18) Gerade am Anfang der Kooperation fehlen die Gemeinsamkeiten, die Kollegen brauchen, um miteinander arbeiten zu können: Auf den ersten Blick sind, glaube ich .. oder waren zu Beginn die kulturellen Unterschiede, die wir im Team haben, hinderlich. Hinderlich deswegen, weil wir kein gemeinsames .. vielleicht kein gemeinsames setting am Anfang hatten, keine gemeinsame base line, auf der wir aufsetzen konnten. (IP 16) Im Verlauf lernen sich die Gruppenmitglieder kennen, und es werden Prozesse implizit oder explizit verhandelt. Doch dies ist eine lang anhaltende Belastung, die sich nicht nur im Zeitbudget niederschlägt, sondern die Mitarbeiter auch emotional betrifft: Sie ärgern sich, sind frustriert, wenn dieselben Probleme immer wieder auftauchen, und reagieren zuweilen mit Unverständnis und Ablehnung. Die Zufriedenheit wird in Mitleidenschaft gezogen. Diese negativen Emotionen können sich auf die persönlichen Beziehungen niederschlagen und die Kooperation beeinträchtigen. Ein Dekodierungsproblem kann leicht eskalieren, gerade wenn es mit dem ultimativen Attributionsfehler verbunden wird: Wohlgemeintes Feedback und ‚Erziehungsversuche’, die aus dieser Auffassung heraus getätigt werden, schlagen meist fehl, da für eine Verhaltensänderung des Interaktionspartners ein Verlust dessen kulturellen Wertehintergrunds und damit eines Teils seiner Identität verbunden wäre. Oberflächliche Assimilation kann zwar erfolgen, doch diese führt langfristig nicht zu einer optimalen Kooperation. Es gibt Fälle, in denen beide Seiten auf ihrem Standpunkt beharren, keinerlei Einsicht gewinnen und sich mit einem Dauerkonflikt arrangieren oder letztendlich aufgeben, wie das folgende, etwas längere Beispiel zwischen einem deutschen Vorgesetzten und einem chinesischen Mitarbeiter in China illustriert: IP: [...] ich bin ärgerlich [lacht]. Weil dafür haben wir die Leute da unten nicht. Da hätte man da unten ein paar nette, sehr billige Frauen hinsetzen können, die ein Postoffice betreiben, wo die Kunden ihre Ware abgeben, und weiterschicken. [...] Sondern ich brauche einen Ingenieur vor Ort, der zumindest erst mal mit dem Kunden sich anschaut, wo liegt denn eigentlich das Problem. Wenn die in der Lage sind, das Problem zu beschreiben, und dann natürlich möglichst erste Schritte schon einleiten können, um das Problem zu beheben. [...] PK: Dann ist der Kandidat eine .. IP: Totale Niete, ja. […] Und das .. dem begegnen wir leider öfter. Ist nicht mal, dass die fachlich gar nicht in der Lage sind. Wir haben den Mann mal hier gehabt für drei Wochen, den wir hier ausgebildet haben. [...] Und haben ihn dann gezielt learning by doing .. dann Aufgaben übertragen und gesagt, „bitte, deine Aufgabe.“ Die erste Reaktion war, „kann ich nicht. Das habe ich noch nie gemacht, ich bin auch hier, damit ihr mich trainiert.“ Da kam jetzt dieser Hundeblick. [...] Da habe ich gesagt, „kein Problem, dann bleibst du halt da sitzen, da ist deine Aufgabe, die ist für den Kunden. Wenn du mir jetzt sagst, du kannst die nicht machen, dann kann die hier keiner machen. […].“ Ja, nach ein paar Stunden Hundeblick, dann hat er sich doch noch mal zurückgezogen, hat darüber nachgedacht, und kam dann tatsächlich auf Lösungsansätze zurück. Es hat funktioniert. Grundsätzlich ist der nicht dumm. Er hat auch gewisse Erfahrung. Allerdings die Schwelle, die einzusetzen, die ist so immens hoch, dass man das nur irgendwo schwer über diese Entfernung aktivieren kann. […] PK: Und haben Sie es sich schon überlegt, wie es da weitergehen soll?

201

IP: Mm, ja sicher, also .. Wir haben wohl keine Wahl, als es einem Neuen zu geben. (IP 21) Konflikte sind in den meisten Fällen nicht nur rein sachbezogen, sondern involvieren, wie anschaulich dargestellt, gerade im interkulturellen Umfeld gleichermaßen Emotionen, da sie die Identität ankratzen. Soll der Konflikt zu einem positiven Ergebnis führen, müssen sich die Beteiligten selbst in Frage stellen und gerade in der Anfangsphase hohe Anpassungsleistungen erbringen (insbesondere wenn sie als Expatriate im Ausland arbeiten, wo sie sich auch privat mit der anderen Kultur auseinander setzen müssen). Eine deutsche Führungskraft in Indien, die erfahren hat, dass dort Führung stärker autoritär erfolgt, sagt hierzu: Unser einer versucht halt immer irgendwie so einen Eiertanz, weil man die Kultur doch nicht ganz ablehnt. Es ist ja wahnsinnig anstrengend und eigentlich Stress für jemand, wenn man permanent autoritär eigentlich vorgehen muss gegen erwachsene Leute. Das ist man ja gar nicht gewohnt. (IP 25) Derselbe Interviewpartner hat erkannt, dass es notwendig ist, eine gewisse Distanz zu sich selbst aufzubauen, um sich damit emotional etwas lösen zu können: [Man] muss wirklich Freude daran haben zu lernen, wie, mit welchen Augen eben die Leute, die Inder, das sehen. Und dann macht es auch Spaß. Ansonsten ärgert man sich nur darüber und sagt, „warum wollen sie es noch immer nicht kapieren?“ Man wird sich nie hineindenken. (IP 25) Auch wenn Konflikte emotional belasten, kann man sie verwenden, um hinzuzulernen, denn gerade in solchen Situationen treten Unterschiede hervor, die es nur zu begreifen gilt: Es nervt mich dann; in dem Moment, wenn was nicht läuft, bin [ich] ungeduldig. Bin ja auch Deutscher. Die ganzen schlechten Eigenschaften teils auch, vielleicht auch die positiven. [...] Ich versuche .. ich denke halt auch eben, es hat immer einen Grund. Und man muss es analysieren, woran es liegt, und dann verbessern. (IP 28) Dies ist Teil des individuellen interkulturellen Lernens, das in Kapitel 10.5 genauer beschrieben wird. Hier sei nur kurz erwähnt, dass dazu eine Reihe von Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit die Beteiligten erfolgreich dekodieren und attribuieren können. Auf Gruppenebene trifft sich dies mit der Phase des stormings.192 In jedem Team müssen sich die Mitarbeiter kennen lernen, die Führungskraft akzeptieren, die Rollen verteilen, Prozesse definieren, persönliche Beziehungen und schließlich eine gemeinsame Basis aufbauen. In einer multikulturellen Arbeitsgruppe bekommt diese Phase die Extradimension kulturelle Unterschiede, die sie intensiver werden lässt: Aber gut, man muss sicher noch mehr Pflege betreiben oder bewusster Pflege betreiben, Teampflege betreiben als bei einer deutschen Gruppe. Wobei auch eine deutsche Gruppe muss zusammenfinden, klar, aber da geht man von gemeinsamen Voraussetzungen aus und sieht vielleicht die Notwendigkeit gar nicht so sehr, da zum Thema Gruppenbildung etwas zu tun. Hier ist das schwieriger, weil keiner von denen kannte sich vorher. […] So, und dieses Zusammenfinden zu einem Team, das ist sicher noch ein Stück schwieriger, als wenn man jetzt, sagen wir mal, Deutsche austauscht und immer mal wieder einen neuen Mitarbeiter dabei hat. Irgendwo gibt es einen Grundkonsens, der dann da ist. (IP 1) Ein Interviewpartner beschreibt explizit die Lernerfahrung, welche die deutschen und indischen Teamkollegen sammeln: Wie gehabt, langsam fangen die Leute an, so ein bisschen zu sehen, wo die Stärken und Schwächen so liegen. Das geht dann nun weiter, und die Leute werden sich auch formen 192

Vgl. zum storming Kapitel 3.3.7 ‚Teamentwicklung’.

202

in Richtung, dass es zusammen besser wird. Ja, dass man von dieser Seite [der Deutschen] vielleicht sich bemüht, Sachen wirklich klar und deutlich zu formulieren und zwar in einer Art und Weise, dass die Inder das verstehen. Zum anderen auch in einer Art und Weise, dass die indische Kultur da nicht mit Füßen [lacht] getreten wird. (IP 15) In dieser Zeit ist mit einem „overhead“ an Kommunikation zu rechnen, wie es ein anderer Interviewpartner ausdrückt, der alle Beteiligten belastet, aber mit der Zeit zurückgeht, bis eine Stufe erreicht ist, in der die Mitglieder gerne in dieser Gruppe arbeiten. Ein großer Teil dieses „overheads“ geht zu Lasten des Gruppenleiters, der in der Verantwortung steht, das Team zusammen zu schweißen und die verschiedenen Mitglieder bzw. Subgruppen zu integrieren. Auch ist er häufig der Hauptansprechpartner für die Mitarbeiter aus dem Ausland, die zusätzlichen Coaching-Bedarf haben. Einerseits muss er selbst in der Lage sein bzw. es lernen, mit interkulturellen Unterschieden umzugehen, andererseits muss er diese Fertigkeit unter seinen Mitarbeitern entwickeln: Das heißt im Grunde für die Führungskraft natürlich, ich muss mich auch intensiver mit dem kulturellen Hintergrund befassen von den Mitarbeitern. Ich muss auch intensiver am Anfang zuhören, aufpassen, registrieren, wenn irgendwelche Dinge nicht gut ankommen, sofort ansprechen, „warum, woran liegt es?“ usw. (IP 1) Zuweilen greift die Führungskraft bzw. Personalabteilung auf zusätzliche Maßnahmen zurück, wie Workshops zur Teamentwicklung, interkulturellen Trainings oder sozialen Aktivitäten des Kennenlernens. Allerdings berichten nur drei Interviewpartner, dass die formalen Workshops bzw. Trainings nützlich gewesen sind. Die sozialen Aktivitäten wie Geburtstagfeiern, Ausflüge oder Fußballturniere nennen elf Interviewpartner und zwar mit eher positivem Eindruck: Das war noch nicht so ein Miteinander. Da sind wir jetzt dabei oder versuchen, das hinzubekommen über soziale events, über eine Weihnachtsfeier, über Ausflüge, die man gemeinsam macht, oder Sport. (IP 26) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Interviewpartner die Schwierigkeiten bzw. Mühen der Überwindung kultureller Unterschiede als Grund für Effektivitätsbarrieren sehen, so dass ihrer Meinung nach multikulturelle Teams grundsätzlich einen Mehraufwand in Sachen Kommunikation auf sich nehmen müssen. Insgesamt 24 von 31 Interviewpartnern erlebten in früheren Teams oder erleben in der derzeitigen Arbeitsgruppe Probleme der besprochenen Art. Insgesamt 26 von 34 erwähnten Gruppen haben mit interkulturellen Missverständnissen zu kämpfen. Wenn das Auftreten interkultureller Missverständnisse mit der Effektivitätseinschätzung in Verbindung gesetzt wird, ergibt sich folgendes Bild: Effektivität

Beurteilung

Anzahl der Teams

Teams mit interkulturellen Missverständnissen

1,0 - 4,0

schlecht

5

5

5,0 - 5,5

durchschnittlich

9

8

6,0 - 7,5

gut

13

8

8,0 - 10,0

sehr gut

6

4

k.A.

1

1

Summe

34

26

Tab. 17: Gruppeneffektivität und Teams mit interkulturellen Missverständnissen Hierzu ist zu erwähnen, dass die Interviewpartner aufgefordert wurden, ihre Teams auf einer Skala von 1 bis 10 hinsichtlich der Effektivität einzuschätzen mit 1 als geringste Effektivität 203

und 10 als höchste Effektivität. Das Clustering erfolgte nach der Datenerhebung durch die Autorin nach dem Prinzip, dass eine unterdurchschnittliche Bewertung (unter 5,0) Ineffektivität zum Ausdruck bringt und damit als ‚schlecht’ zu bezeichnen ist. 5,0 und 5,5 präsentieren den Durchschnitt. Überdurchschnittlich wird unterteilt in ‚gut’ (zwischen 6,0 und 7,5) und ‚sehr gut’ (zwischen 8,0 und 10,0). Aus der Tabelle wird deutlich, dass in den schlechten Teams grundsätzlich interkulturelle Missverständnisse auftauchen. Die durchschnittlichen Teams haben fast alle bis auf eines ebensolche Probleme. Die guten und sehr guten Teams weisen auch noch interkulturelle Missverständnisse auf, aber nur mehr in circa zwei Drittel aller Fälle. Interkulturelle Missverständnisse sind also eine Herausforderung, auf die sich multikulturelle Teams mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu stellen haben, und an der sie auch scheitern können. Es ist jedoch im Sinne der qualitativ geprägten Studie relativierend darauf hinzuweisen, dass die eben erfolgte zahlenmäßige Darstellung der Verhältnisse in der Stichprobe nur auf eine mögliche Tendenz hinweist und nicht als repräsentatives Ergebnis einer quantitativen Studie zu verstehen ist. Entscheidend ist deshalb weiterhin, dass die Interviewpartner selbst die Kausalität von interkulturellen Konflikten und Misserfolg bestätigen, was auf eine Verallgemeinerbarkeit dieser Aussage hinweist: Wir hatten da z.B. ein Team. […] Also, der Projektleiter war ein Marokkaner. Und dann hat es einen Haufen Schweden drin gehabt. Eben Chinesen, ich weiß nicht was noch alles. […] Das hat extrem schlecht funktioniert. […] Hat eben multikulturell überhaupt nicht funktioniert. (IP 28)

9.1.4

Ableitung der Hypothesen

Die Hypothesen zur Existenz von Erwartungsverletzungen, En- und Dekodierungsproblemen sowie zu Fehlattributionen wurden bereits im jeweiligen Unterkapitel formuliert und sollen hier nur noch einmal der Übersichtlichkeit halber wiederholt werden. Es schließen sich die erweiternden Hypothesen an, welche die Wirkungen von interkulturellen Missverständnissen spezifizieren. Zuletzt folgen die Hypothesen, die Aussagen zu Leistung und Zufriedenheit machen. Hypothese Prozess iK1P 1: Mitarbeiter hegen Erwartungen gegenüber ihren anderskulturellen Interaktionspartnern, die durch die Annahme von Gleichheit bzw. durch Stereotype geprägt und entsprechend verzerrt sind. Es resultieren zwangsweise Erwartungsverletzungen, die zudem negativ bewertet werden. Hypothese Prozess iK1P 2: Durch unterschiedliche kulturelle Referenzrahmen werden Mitteilungen vom Empfänger nicht verstanden oder anders als vom Sender intendiert. Hypothese Prozess iK1P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als persönlicher Mangel an Kompetenz oder Motivation bzw. sogar als opportunistische Absichten. Die analytische Differenzierung, ob Teameffektivität nun durch Erwartungsverletzungen oder En- und Dekodierungsprobleme oder Fehlattributionen geschmälert wird, kann nicht aufrechterhalten werden, weil in den meisten Fällen der Realität alle drei Phänomene ineinander greifen und einen interkulturellen Konflikt verursachen. In den Hypothesen wird von „interkulturellem Missverständnis“ gesprochen, und die Arbeitshypothesen (iK0O 1, iK0O 2, iK0O 3, iK0O 4, iK0O 5 und iK0O 6) aus den theoretischen Kapiteln werden wie folgt in Hypothesen umgesetzt: Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 1: Interkulturelle Missverständnisse erschweren die Kommunikation und bedingen einen erhöhten Aufwand, der durch Klärung oder Fehlerbeseitigung entsteht. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 2: Interkulturelle Missverständnisse führen zu emotionaler Belastung der Mitglieder. 204

Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 3: Interkulturelle Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 4: Interkulturelle Missverständnisse treten vor allem in der Phase des stormings (Zusammenwachsens) auf. Hypothese Output (Leistung) iK1O 1: Durch den erhöhten Zeit- und Energieaufwand vermindern Missverständnisse die Leistung der Gruppe. Zuweilen kann dies zum Scheitern der Kooperation führen. Hypothese Output (Zufriedenheit) iK1O 2: Durch die persönlichen Belastungen sinkt die Zufriedenheit der Mitglieder.

9.2

Ablehnung

Als nächste interkulturelle Konfliktform wurde empirisch ‚Ablehnung’ ermittelt. Im theoretischen Teil wurde Ethnozentrismus als Ursache für die Ablehnung von anderen Kulturen und den Verhaltensweisen bzw. Werten ihrer Angehörigen erläutert (vgl. Kapitel 4.2.6). In der empirischen Untersuchung wurde jedoch deutlich, dass dieser Erklärungsansatz zu kurz greift, da es entscheidende andere Gründe geben kann, warum sich Mitarbeiter innerlich und zuweilen offen weigern, mit Kollegen aus anderen Kulturen zu kooperieren. Daher wird der Ethnozentrismusgedanke nun unter dieses weiter gefasste Kapitel ‚Ablehnung’ subsumiert und ergänzt mit explorativ erhaltenen Arten von Ablehnung.

9.2.1

Ethnozentrismus

Ethnozentrismus wurde in der empirischen Untersuchung über zwei Ebenen erfasst. Zum einen wurden die Interviewpartner direkt danach gefragt, ob sie Ablehnung oder Vorbehalte im Team gegenüber anderskulturellen Kollegen beobachtet haben.193 Dies entspricht der in der Studie vorherrschenden objektivistischen Auswertung, in welcher die Aussagen der Interviewpartner als objektive Fakten hingenommen werden. Das Problem von Ethnozentrismus liegt nun darin, dass er im Unbewussten verankert ist. Dementsprechend ist Ethnozentrismus in der eigenen Person des Interviewpartners im Interview kaum durch direkte Fragen abrufbar. Nur wenn der Interviewpartner seine Interaktionen kritisch reflektiert, ist er in der Lage, den eigenen Ethnozentrismus zu erkennen. Dies und eventuell auch die Hemmung, diese Reflexion im Gespräch offen zu legen, bedingen eine zusätzliche Herangehensweise an die Analyse der empirischen Daten. So wird für diese Analyse die Perspektive von einem objektivistischen zu einem konstruktivistischen Ansatz gewechselt (vgl. Charmaz 2002 S. 677): Statt lediglich die faktischen Inhalte der Interviewpartner als Expertenworte heranzuziehen, wird an dieser Stelle untersucht, wie die Interviewpartner ihre Aussagen formulieren sowie eigene Wertungen einfließen und damit offensichtlich werden lassen.194 Hinsichtlich der ersten Ebene der objektivistischen Erfassung sind die Interviewpartner sehr vorsichtig in ihren Bemerkungen, da sie merken, dass dies an die Grenze des sozial Erwünschten geht. Auf die Frage, ob er Ablehnung bereits beobachtet hätte, meint Interviewpartner 18: Das habe ich in der Arbeit hier noch nie gesehen. Muss ich ganz ehrlich sagen. Also die Leute entscheiden sich meistens auch aktiv, jetzt so was zu machen und wollen auch mit anderen Leuten zusammenarbeiten. (IP 18) Fast unmittelbar schließt sich jedoch an:

193 194

Danach zu fragen, ob die Mitarbeiter Ethnozentrismus zeigen, wäre auf Grund des meist unbekannten Fachbegriffs wenig effektiv gewesen und hätte eher zu Verunsicherung des Interviewpartners geführt. Zu diesem Vorgehen der Analyse vgl. Rathje (2004).

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Also, dann .. meine ich, manchmal ganz erstaunlich, obwohl die Leute hier herüber kommen wollen, haben sie eine Ablehnung gegenüber der lokalen Kultur. Dass man halt sagt, „die Nachrichten sind alle biased.“ [Zögert]. „Ich lebe hier zwar, aber ich identifiziere mich mit hier nicht.“ Also eine gewisse Ablehnung. (IP 18) Andere Interviewpartner sind deutlicher: Es gibt andere Leute, die einfach grundweg erst mal, sage ich jetzt mal, vor dem Unbekannten Angst haben und sich erst mal gegen alles versperren. Also, die einfach sagen, „ja gut, Indien, was soll denn das, die wissen doch eh nicht, was sie machen.“ (IP 34) In diesem Zusammenhang wird sogar von „Animosität“ (IP 2), „Feindbild“ (IP 5) oder „Ausländerfeindlichkeit“ (IP 14) gesprochen, um zu zeigen, dass es zu ablehnenden Einstellungen kommt, die rein durch die verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten bedingt sind. Ein Interviewpartner stellt ganz klar fest, dass Andersartigkeit als Mühsal verstanden wird und Mitarbeiter daher nicht gerne mit anderskulturellen Kollegen arbeiten. Er zitiert seine Mitarbeiter: Warum soll ich diesen Aufwand auf mich bürden, also warum soll ich mit dem zusammenarbeiten? Warum, ist doch viel einfacher mit dem, das ist ja de facto ein Landsmann, es ist auf jeden Fall einfacher. (IP 14) Doch nicht nur zwischen unterschiedlichen ethnischen oder Landeskulturen kommt es zu ethnozentrischen Haltungen, sondern auch zwischen Subkulturen. So wurde von Schwierigkeiten zwischen Abteilungen, aber auch zwischen Mitarbeitern mit ungleicher Ausbildung berichtet: Das geht so weit, dass auch, sage ich mal, gewisse Vorbehalte gegenüber .. gegenseitig da sind. Also [zögert], jemand, der halt den ganzen Ausbildungsweg bis hin zur Dissertation in dem akademischen Umfeld gemacht hat, der findet halt die Arbeit oder den Ansatz von jemanden, der mit einer, sage ich mal, geringeren Ausbildung kommt, oft als nicht so bedeutend oder so. Das heißt, er hat eine gewisse Einschätzung, „ja gut, das ist ein bisschen low level.“ Das heißt, da kommt vielleicht gewisse Geringschätzung gelegentlich mit hinein. (IP 3) Verschiedene Interviewpartner berichten über Ablehnung zwischen Kollegen, die aus Ländern stammen, die auf politischer Ebene in Streitigkeiten liegen. Politische Uneinigkeit scheint sich auf die persönliche Einstellung und damit auf die Interaktion in der Arbeitsgruppe zu übertragen.195 So kam es in den Teams von zwei Gesprächspartnern zwischen Chinesen und Indern und Chinesen und Taiwanesen zu mehr oder weniger offener Feindseligkeit: Wir haben einen indischen Kollegen auch, und da gab es wohl Spannungen zwischen Indern und Chinesen, [...] weil sie sich aus politischer Sicht nicht so ganz in Übereinkunft befinden. Wo der Inder meinte, er wäre vom Chinesen mit der Schere bedroht worden. (IP 26) Hinsichtlich Beobachtungen durch die Interviewpartner ist hinzuzufügen, dass sich die Interviewpartner meist in einer Machtposition (Führungskraft, Expatriate oder einfach nur deutscher Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens) gegenüber anderskulturellen Kollegen und Mitarbeitern befinden und ihre Perspektive dementsprechend beeinflusst und zuweilen eingeschränkt ist: Die Sicht der womöglich von Deutschen ‚ethnozentrisch Abgelehnten’, also die der Anderskulturellen, stellt sich ihnen nicht offen dar. So nehmen sie eher positive Erlebnisse wahr und schildern diese: Es ist so, die Inder, die wir da jetzt eingestellt haben, die sind durch den Einstieg bei [unserer Firma] eigentlich von jetzt auf gleich in die sehr hohe Schicht da hineingekommen. Sie haben sehr gutes Gehalt für indische Verhältnisse. Sie können sich viel leisten. 195

Sicherlich kann politische Uneinigkeit zwischen Nationen zuweilen auch als Ausprägung von ethnozentrischer im Sinne feindseliger Haltung seiner Einwohner gegenüber der Bevölkerung der anderen Nation gesehen werden; Ursache und Wirkung genauer zu analysieren, ist jedoch nicht Ziel dieser Arbeit.

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Einige ernähren ihre Familien davon, von einem habe ich gehört ja, er ernährt noch einen Bruder und eine Cousine davon. Also, das ist natürlich für die ein Sprung und eine wahnsinnig tolle Gelegenheit, dass es eine deutsche Firma gibt, die ihnen das ermöglicht. Und die begegnen uns sehr, sehr positiv. Das ist das, wie ich es bisher so erlebt habe. (IP 33) Von Kollegen-Expatriates gehen die Interviewpartner aus, dass sie von vornherein eine offene Einstellung mitbringen, da sie sonst gar nicht ins Ausland gegangen wären: Das sind nicht Leute, die [zögert] ausländerfeindlich oder deutschnational sind, oder so .. das sind Leute, die haben chinesische Frauen teilweise, die haben amerikanische Frauen, die waren fünf Jahre schon in Japan. Natürlich auch wieder Leute, die neu hineinkommen, aber das sind Leute, die haben da ein durchaus hohes Toleranzbewusstsein. Ich kenne da keinen, der jetzt von seinem Dorf in XY zum ersten Mal so irgendwo ist und eigentlich doch nie ins Ausland wollte. Wenn er zum ersten Mal so was macht, dann findet er das spannend und erkundet da die erste Zeit alles, was es da gibt. (IP 21) Häufig werden durch strukturelle Gegebenheiten ethnozentrische Haltungen geschürt oder gestützt. Darunter sind die Organisationsstruktur, das Mehrheits-Minderheitenverhältnis, die Nationalität der Führungskraft, die Nationalität des Stammhauses als auch der Grad an interkultureller Kompetenz der Mitarbeiter zu erwähnen: Hinsichtlich Organisationsstruktur führt die Auslagerung oder Schaffung von Arbeitsplätzen in Ländern mit günstigeren Lohnkosten dazu, dass dort Einheiten verankert werden, die der Zentrale zuliefern oder einfachere Tätigkeiten übernehmen im Vergleich zu den in Deutschland verbleibenden strategisch ausgerichteten Aufgaben. Damit werden auch für die einzelnen Teams die Mitglieder in den Auslandsstandorten als diejenigen definiert, die weniger können oder Wert sind – implizit oder explizit: Die Hauptarbeit wird in Deutschland geleistet, und einen Support gibt es aus Indien. Support bedeutet ein Service, der bereitgestellt wird, eine Dienstleistung. Und das heißt automatisch, „wir sind sozusagen die Chefs, und Ihr macht eine Dienstleistung für uns.“ […] also der macht irgendwas für Sie, und der macht es, weil er zum Schluss einfach günstiger ist, das weiß doch jeder. Und [zögert] dann heißt es in dem Kontext, dass der .. dass sich auf Grund dieses Gleichgewichtes natürlich auch der Wert innerhalb eines Teams einstellt. Wert heißt, derjenige, der aus Deutschland kommt, ist natürlich erst mal derjenige, der bestimmt. Und der, der aus Indien kommt, ist der, der auszuführen hat. (IP 14) Hinsichtlich Mehrheits-Minderheitenverhältnis ist eine Differenzierung vorzunehmen nach Standort: In einem Schweizer Unternehmen, in dem sehr viele Deutsche arbeiten, dominieren sie oft durch ihre zahlenmäßige Mehrheit den Arbeitsstil und sind daher in der Position vorzugeben, was ‚richtig’ ist, zum Beispiel auch, welche Sprache gesprochen wird, wie ein deutscher Interviewpartner aus der Schweiz berichtet: Zwei [Schweizer] haben wir im Team, die reden aber dann meist hochdeutsch. Weil sie ja vollkommen in der Minderzahl sind. Für die ist das dann auch normal. (IP 28) Führungskräfte üben den kulturellen Einfluss über eine hierarchische Macht aus: Auch wenn sie als deutsche Expatriates die Minderheit darstellen, legen sie den Stil des Stammhauses als Richtlinie fest (vor allem, wenn sie neu auf dem internationalen Parkett sind): Ich komme aus der Konzernzentrale, ich kenne das Umfeld, ich kenne den deutschen Bereich, und ich habe eine gewisse Macht. Es klingt jetzt wirklich blöd, ich mag dieses Wort in der Form nicht, aber es ist, glaube ich, einfach so. Ich kann gewisse Dinge durchsetzen. (IP 34, Führungskraft in Indien) In sehr vielen Interviews wird immer wieder davon gesprochen, dass es generell und weltweit die Asiaten sind, die sich anpassen. Da klang vielfach eine ‚internationale Hackordnung’ 207

durch, welche die US-amerikanische Managementmethode als die überlegene festlegt, denen sich die Deutschen anpassen, wenn sie in den USA sind. Die ‚westliche’ Managementmethode (die nie genauer definiert wird, aber implizit die US-amerikanische und europäische umfasst) ist hingegen diejenige, die von den Asiaten zu übernehmen ist und laut Interviewpartner bereitwillig akzeptiert wird, und zwar auch in deren eigenem Land: [...] weil viele Deutsche auch eher amerikanisch sich mittlerweile verhalten. (IP 21, ein deutscher Mitarbeiter in den USA) Wobei die Asiaten .. man kann es vielleicht doch noch weiter abstufen, also die Chinesen waren anfangs noch ruhiger. Man sieht die Entwicklung sich jetzt so .. irgendwo in dem Status der Singapurianer. Die sind eigentlich schon voll verwestlicht, je länger die dann in Singapur waren. (IP 26, ein deutscher Manager in China) Nur in einem einzigen Fall gibt ein Interviewpartner an, dass es die Deutschen in Asien sind, die eine höhere Anpassungsleistung erbringen, also dass tatsächlich die zahlenmäßige Mehrheit der Asiaten den entscheidenden Einfluss auf das Team ausübt. IP: Also, ich würde sagen, in Taiwan vor Ort wird der Deutsche eher chinesisch. PK: Die Mutterorganisation ist aber nach wie vor deutsch. IP: Ja, das ändert aber nichts daran, dass .. der generelle Umgang ist viel intensiver mit Chinesen, das färbt natürlich ab. Und ich sage mal, auch die tägliche Kommunikation ist eben mehr mit Chinesen zusammen. Da sind eben einige Spielregeln zu beachten. (IP 13) In diesen Tendenzen wird deutlich, dass unter einigen Führungskräften und Mitarbeitern (ca. die Hälfte der Interviewpartner) unbewusst die verzerrte Einstellung herrscht, dass es eine überlegene Kultur gibt (die des Westens, die des Stammhauses, die der Führungskraft etc.), welche von den anderskulturellen Teammitgliedern zu adaptieren ist. Allerdings haben sich von der anderen Hälfte nicht alle zu dem Thema Anpassung geäußert, so dass die ‚Dunkelziffer’ vermutlich noch höher liegt. Auf der anderen Seite wird jedoch vereinzelt erwähnt, dass Offenheit, Toleranz und Respekt (also die entgegen gesetzten Einstellungen zu Ethnozentrismus) notwendig für eine Zusammenarbeit sind – manchmal ist es nur ein Wunsch, manchmal ist es schon Realität: Das ist schon interessant, wenn man halt ein länderübergreifendes Team hat. Da merkt man schon die unterschiedlichen Charaktere. Und das ist dann wieder die [Frage] von Respekt. Also, wenn natürlich jetzt dann einer aufsteht und sagt, „ja, jetzt sollen mal die Italiener den Mund halten, weil da kommt sowieso nur Unfug raus,“ dann wird es schon kritisch. Aber das ist dann wirklich die Frage nach Respekt. Und der ist einfach da. Und wenn er nicht da wäre, das wäre dann ein ganz klarer Punkt zum Eingreifen. (IP 4) Betrachtet man nun anhand der konstruktivistischen Analyse die Art und Weise, wie die Interviewpartner die Kultur ihrer Kollegen und Mitarbeiter beschreiben, z.B. die Arbeitsweise, Führungserwartung oder den Kommunikationsstil, fällt schnell auf, dass dies in wenigen Fällen neutral geschieht. In mehr als die Hälfte aller Fälle beinhalten die Beschreibungen eine negative Bewertung, entweder ganz offen oder in einer verdeckt wertenden Form (dies betrifft zwei Drittel der Interviewpartner). Folgendes Zitat mag als Beispiel für eine offen negative Bewertung dienen: Ansonsten dann, wenn wir wieder nach Asien gehen, ist einfach die Frage der Obrigkeitshörigkeit. Also wenn der Chef als lieber Gott was sagt, dann muss das auch ausgeführt werden. (IP 4) Überraschend wenig gelingt es den Interviewpartnern, den Unterschied tatsächlich neutral oder sogar als positiv anzusehen. Es sei auf das Zahlenbeispiel verwiesen, dass unter En- und Dekodierung in Kapitel 9.1.2 aufgestellt wurde: Von 176 Beschreibungen zu kulturellen Unterschieden sind 23 positiv, 54 neutral und 99 negativ bzw. mit Konflikten verbunden. Dies 208

zeigt die Schwierigkeit, die Verhaltensweisen und Werte der anderen Kultur so hinzunehmen, wie sie sind, oder sie gar wertzuschätzen, da der Akteur zu sehr von der Richtigkeit seiner eigenen Art überzeugt ist und andere Arbeitsweisen mit Hilfe seines Standards zu bewerten sucht, mit denen er ihnen aber nicht entspricht, und sie damit automatisch als unpassend einschätzen muss. Bei der Interpretation der Negativbewertungen der Interviewpartner sei jedoch auf drei, z.T. gegenläufige Tendenzen hingewiesen: Zum ersten ist anzumerken, dass auf Grund sozialer Erwünschtheit von political correctness196 im internationalen Geschäftsleben die Interviewpartner (zumeist Führungskräfte und damit in Vorbildsfunktion) davor zurückschrecken, negative Gedanken über anderskulturelle Kollegen oder überhaupt nur zu kulturellen Unterschieden auszusprechen. Die Aussagen sind daher eher vorsichtig und bemüht neutral, wie z.B. folgende: Wenn man an die internen Prozessbeschreibungen und Arbeitsanweisungen denkt, dann gibt es dort, wenn es darum geht, diese zu interpretieren, gibt es schon erhebliche Unterschiede. Ob das jetzt mit .. unbedingt an eine Kultur geknüpft ist, könnte man vielleicht ableiten. (IP 10) Daher ist von einer eher noch höheren ethnozentrischen Einstellung auszugehen, als hier durch diese Analyseform zu Tage tritt. Auf der anderen Seite gibt es drei Interviewpartner, die sich nicht scheuen, ihren eigenen Lernprozess offen zu reflektieren, ihre zu Beginn sehr ablehnende Haltung in klare Worte zu fassen und sich (nicht mehr) von political correctness beeindrucken lassen. Hier wird der Phasenverlauf des interkulturellen Lernens deutlich, in dessen anfänglichem Phänomen des Kulturschocks hoher Ethnozentrismus auftauchen kann. Dies sei an späterer Stelle noch einmal erläutert. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass es also Unterschiede zwischen mehr oder weniger ethnozentrischen Personen gibt, als auch zeitliche Veränderungen. Ein anderes Merkmal von Ethnozentrismus kann sein, wie kulturelle Unterschiede wahrgenommen werden und wie auf sie reagiert wird. Die einfachste Strategie ist, Unterschiede zu negieren nach der Auffassung ‚wir sind alle gleich’, wie sie durch das Konzept der minimization von Bennett (1993) erfasst wird (vgl. Kapitel 5.2.5). Damit wird die Notwendigkeit, eigene Standards zu überdenken und das eigene Selbstbild zu gefährden, umgangen: Ich sage, die Arbeit und das handling der Teams ist nicht unterschiedlicher, als es in Deutschland auch ist. Und du hast halt hier mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mit anderen Problemen zu kämpfen. Aber im Grunde genommen, das Team zu führen ist nicht anders, ob ich es jetzt hier mache, oder ob ich es in Deutschland mache. (IP 27) Dies tritt bei sieben Interviewpartnern auf, jedoch ist nach ihren Einstellungen bzw. ihrem Kontext zu differenzieren: Zwei sträuben sich gegen eine Überbewertung kultureller Unterschiede und streben eine stärker differenzierte Verhaltensanalyse an. Drei weitere arbeiten in Deutschland in Teams mit nur wenigen Repräsentanten aus dem Ausland. Zwei Interviewpartner versuchen die Existenz kultureller Unterschiede bei direkter Ansprache zu verleugnen – erkennbar im Widerspruch, den sie später selbst liefern, indem sie kulturelle Unterschiede und sogar interkulturelle Konflikte schildern. Die meisten Interviewpartner erkennen kulturelle Unterschiede jedoch an, wobei sie unterschiedlich auf sie reagieren. Jedoch ist eine Einteilung der Interviewpartner in Kategorien nur bedingt möglich, da einige verschiedene Reaktionen gleichzeitig zeigen. Ein Drittel der Gesprächspartner akzeptieren Abweichungen und nehmen ihre Kollegen an, wie sie sind, bzw. beide Seiten nähern sich an, was auch eine eigene Anpassungsleistung erfordert: 196

Vgl. zu dem Phänomen political correctness in Deutschland Busch (2005 S. 110). Hier greift ferner das Phänomen der Unterdrückung von vorurteilsbehafteten Glaubenssätzen, wie im theoretischen Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’ erläutert.

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Wie geht man in der Gruppe damit um? Dass man sich bewusst wird, dass es erst mal diesen Unterschied gibt. Dass man das auch bemerkt, dass man da irgendjemand ein bisschen auf die Füße getreten ist. Und was man vielleicht in Zukunft vermeidet. (IP 14) Dies lässt auf geringen Ethnozentrismus schließen, jedoch mit graduellen Varianzen, je nachdem, wie freudig oder missmutig bzw. wertschätzend oder als reine Notwendigkeit erachtend dies erfolgt: Aber auch unser Italiener hier im Team, der redet auch gern sehr viel, aber wir akzeptieren ihn, wie er ist, und dann passt es. Das muss auch sein; also wenn einer eher langatmig redet, dann wäre es ja unfair, den jetzt immer wieder zu unterbrechen. (IP 28) Was jedoch vor allem bei Führungskräften, die in bikulturellen Teams arbeiten, die aus Kostengründen einen zweiten Standort im Ausland haben, bzw. solchen, die als Expatriate eine ausländische Niederlassung aufbauen müssen (insgesamt sechs Personen), offenbar wird, ist ihr Drang zur Erziehung ihrer anderskulturellen Mitarbeiter. Diese Reaktion tritt bei Zweien parallel mit der eben beschriebenen Tendenz der gegenseitigen Annäherung auf. In jedem Fall werden hier kulturspezifische Verhaltensweisen als unpassend für das Geschäft oder das Projekt gesehen und müssen langsam abtrainiert werden in Form von Vorleben der ‚westlichen’ Prinzipien, ihrer klaren Offenlegung und der Darstellung ihres Nutzens, wie folgende deutsche Führungskraft in Indien ausführt: Ich versuche eigentlich, den europäischen Führungsstil verstärkt zu etablieren. Ob es hundertprozentig richtig ist, weiß ich nicht, aber ich glaube, es bleibt uns fast nichts anderes übrig, weil man im Forschungs- und Entwicklungsbereich eigentlich nicht haarklein alle Ziele vorgeben kann. [...] Also, wenn wir es nicht schaffen, dass die Leute eigenständig hier ihre Aufgaben verstehen und auch etwas darüber hinaus denken und proaktiv arbeiten, dann werden wir nicht erfolgreich sein in dem Bereich. Und deswegen versuche ich eigentlich .. eher im Gegenteil, wenn ich merke, dass jemand zum [indischen] micro-management tendiert, dass ich versuche, eigentlich eher vorsichtig dagegen zu steuern und irgendwie klarlege, dass ich fest an empowerment und coaching glaube. (IP 25) Ein Interviewpartner in Indien spricht tatsächlich selbst wörtlich von der „Erziehung“ seiner Mitarbeiter auf deutsche Methoden: Ich möchte die Leute aber eher dahin gehend erziehen .. oder hinbringen, dass sie ihre Arbeit planen. (IP 34) Drei weitere Führungskräfte (von denen zwei relativ neu im internationalen Geschäft und einer von Deutschland aus agiert) üben darüber hinaus Zwang durch offene Kritik, Anweisungen und andere Formen von Machtdemonstration aus, um die Mitarbeiter auf ihre eigenen Standards zu bringen: Ich habe einfach gesagt, „gut, ich werde jetzt Aufgaben verteilen, die weniger kritisch sind, und dann gucken wir mal, ob es klappt.“ Wenn es klappt, ist es gut, dann ist er ja sehr performant. Es war mir aber relativ schnell klar, dass es nicht funktionieren kann. Und dann ist der Kollege im Prinzip erst mal gegen eine Mauer gelaufen. (IP 34) Um kurz den Stellenwert dieses Typus’ des interkulturellen Konflikts aufzuweisen, sollen kurz die Häufigkeiten bemüht werden, mit denen Ethnozentrismus in den Interviews zu Tage tritt. Hinsichtlich der objektivistischen Erfassung werden 20 Teams entdeckt, in denen es zu ethnozentrischen Haltungen kommt. Durch die konstruktivistische Erfassung werden 15 Interviewpartner als eher stärker ethnozentrisch identifiziert. Auf der anderen Seite sind sieben Interviewpartner weder selbst als ethnozentrisch zu bezeichnen, noch haben sie derartige Beobachtungen in ihrem Team gemacht. Die übrigen Arbeitsgruppen und Gesprächspartner können mangels Aussagen nicht eindeutig klassifiziert werden.

210

9.2.2

Angst um den Arbeitsplatz

Sehr häufig ist nach Beobachtung der Interviewpartner die Ablehnung der Kooperation mit Kollegen einer anderen Kultur auf die Angst um den Arbeitsplatz zurück zu führen. Bei virtuellen Teams ist der Grund für die internationale Zusammenarbeit schließlich die Nutzung günstigerer Arbeitskräfte im Ausland in Indien, China oder Irland, und natürlich kommt da die Befürchtung auf, dass der eigene Arbeitsplatz auch abwandert. Zuweilen verliert die Arbeit stark an Attraktivität, da gerade die interessanten Aufgaben (z.B. Programmieren in der Softwareentwicklung) abgegeben werden müssen: Das ist natürlich eine angespannte Situation. Das heißt, die Leute sind nicht doof und wissen sofort, „okay, also wenn wir die jetzt ganz schnell einlernen, dann machen wir die Plätze hier dicht, und die Arbeit wird eben nur mehr dort gemacht.“ Oder sie sagen sich, „die Arbeit, die ich jetzt mache, die mir vielleicht Spaß macht, die kann ich in Zukunft gar nicht mehr machen, weil dafür lerne ich ihn ein. Und ich muss danach eine andere Arbeit machen.“ (IP 14) Auch wenn dieser Sachverhalt in lediglich einem kurzen Abschnitt zusammengefasst wird, ist zu betonen, dass die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes in der derzeitigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage einen gravierenden Aspekt darstellt, der im Vergleich zum vorher erläuterten ‚klassischen’ Ethnozentrismus einen ebenso, wenn nicht gar ausschlaggebenderen Einfluss auf die internationale Kooperation von Seiten der deutschen Beteiligten auslösen kann: Zum einen haben manche Bedenken, wie lange es unsere Abteilung hier noch gibt, das muss man schon sagen, also auf der Mitarbeiterebene. Ja, dann gibt es schon einige, die so ähnlich denken wie ich, dass wir in den Nachrichten hören, wie viel Arbeitslose es hier gibt, und in der eigenen Firma sieht man, dass sie woanders noch aufbauen. (IP 33) Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und damit einhergehende Vorbehalte werden von sieben Interviewpartnern angesprochen. Inwieweit dies negative Konsequenzen auf die Zusammenarbeit im Team hat, wird im folgenden Unterkapitel erläutert.

9.2.3

Phasen und Auswirkungen von Ablehnung

Die Ablehnung in den verschiedenen Formen, die im vorhergehenden Kapitel erläutert worden sind, tritt nicht zeitlich durchgehend auf, sondern in verschiedenen Phasen. Die erste Form, Ethnozentrismus, liegt zwar bei manchen Personen grundsätzlich in hohem Maße vor, doch wie gehört wurde, werden diese Personen nicht freiwillig in internationalen Teams arbeiten oder ausgewählt. Ganz frei sind die Befragten und ihre Kollegen jedoch auch nicht, sondern weisen je nach Persönlichkeit oder interkultureller Erfahrung ungleiche Grade auf. In den Schilderungen der Interviewpartner ist eine zeitliche Veränderung des Ethnozentrismus festzustellen, vor allem bei Managern und Mitarbeitern, die als Expatriates im Ausland arbeiten. Interviewpartner 17 schildert dies sehr anschaulich: Da gibt es Mitarbeiter, da klappen zwei, drei Sachen nicht, dann sind die frustriert. Stecken erst mal den Kopf in den Sand. Schimpfen über Amerika, Klischees und „die Amerikaner sind ja alle so“ .. und ganz dumm, wenn es mal auf den Behörden nicht klappt, weil es halt mal nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. (IP 17) Dies ist Teil des Aufbaus interkultureller Kompetenz und soll an dortiger Stelle (vgl. Kapitel 10.5) demonstriert und interpretiert werden. Die zweite Form der Ablehnung, nämlich die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, stellt in den Augen der Interviewpartner ein Anfangshindernis dar, das durch gezielte Maßnahmen 211

zu überwinden ist, damit den Mitarbeitern der Nutzen deutlich wird. Dies gilt für die deutschen Mitarbeiter, die in Deutschland Teil einer virtuellen Arbeitsgruppe sind. Ich hatte natürlich anfangs auch diese Hürden hier innerhalb der Firma, „ja, du gehst nach China, unsere Arbeitsplätze gehen weg.“ Das ist natürlich das, womit man da kämpfen muss. Aber mittlerweile denke ich, haben wir das auch soweit geschafft, dass wir sehen, wir profitieren alle davon. (IP 26) Deutsche Expatriates im Ausland oder die ausländischen Kollegen betrifft dies nicht, denn sie sind diejenigen, deren Job gesichert oder geschaffen wird. Ganz im Gegenteil, in ihren Händen liegt es, durch persönliche Kontakte die Bedrohung abzubauen: Und je mehr persönliche Kontakte da sind, um so weniger wird dieser, ich sage jetzt mal in Anführungszeichen Feind Indien, „der mir meine Arbeit wegnimmt,“ als kritisch gesehen, sondern „das ist jemand, mit dem kann ich reden.“ (IP 34) Zehn Interviewpartner schildern, dass sowohl der Ethnozentrismus als Ablehnung von Fremdartigem sowie die Angst vor Arbeitsplatzverlust im Laufe der Zusammenarbeit abgebaut werden. Die negativen Konsequenzen von Ethnozentrismus erscheinen in vielfältiger Weise: Auf der Gefühlsebene impliziert Ethnozentrismus eine emotionale Ablehnung, d.h. ein negatives Gefühl gegenüber der andersartigen oder unerwarteten Verhaltensweise. Die Interviewpartner berichten beispielsweise von als „aufdringlich“ (IP 3), „oberflächlich“ (IP 11) oder „unhöflich“ (IP 3) empfundenen Verhaltensweisen ihrer Teamkollegen. Einer gab als eigene anfängliche Reaktion an, die wohl vielen aus dem Herzen spricht: „Was soll der Quatsch?“ (IP 11). Diese emotionale, häufig unausweichliche Abwehrhaltung ist bei der Hälfte der Interviewpartner zu beobachten, wobei einerseits wiederum anzumerken ist, dass sich viele zu vorsichtig äußerten, so dass sie als Dunkelziffer außen vor bleiben, und andererseits einige Interviewpartner bereits einen Lernprozess durchlaufen haben, der eine emotionale Umbewertung miteinschließt. Emotionen sind andererseits sehr tief verankert und bleiben selbst nach dem (kognitiven) Erkennen bestehen, dass andere Weisen nur anders, nicht schlechter sind: Das ist ähnlich wie jemand bei uns am Tisch irgendwie rülpst, das ist einfach in Asien so. Und trotzdem und obwohl ich es zehnmal weiß, trotzdem würde mich das immer irgendwie unangenehm berühren. (IP 2) „Unangenehm berühren“ ist hier sehr milde ausgedrückt. Die emotionale Ablehnung kann auch einige Schritte weiter gehen, so dass der Betroffene sehr starken Ärger und Frust verspürt, der nervlich extrem belastet. Diese Ausprägung tritt v.a. in zwei Teams auf, in denen die Kooperation als sehr schwierig beschrieben wird. Na ja, ich bin ärgerlich [lacht unsicher]. Weil dafür haben wir die Leute da unten nicht. (IP 23, spricht über chinesische Mitarbeiter in China) Diese emotionale Beeinträchtigung schlägt sich negativ auf die Zufriedenheit nieder. Kognitive Verzerrungen in Wahrnehmung und Interpretation können zu Missverständnissen führen, indem falsche Annahmen über die Kollegen herrschen. Dies wurde in drei Fällen für nicht kulturelle Unterschiede berichtet, sondern für solche zwischen den Ausbildungsrichtungen oder der Abteilungszugehörigkeit der Teammitglieder. So führt mangelndes Verständnis für die Sinnhaftigkeit der Sichtweise der Kollegen (sei es der IT-Experte unter Betriebswirten oder der FH-Absolvent unter Akademikern) zu Geringschätzung und Reibungspunkten, da ihnen mangelnde Kompetenz im Vergleich zur eigenen Qualifikation unterstellt wird. Dies entspricht einer Fehlattribution, die durch falsche Erwartungen und Dekodierungsprobleme hervorgerufen wird.

212

Wie einige Interviewpartner feststellen, bilden sich Subgruppen nach der Nationalität oder dem Kulturkreis (z.B. Europa), da über dieselbe Sprache und andere Gemeinsamkeiten (Essgewohnheiten, Europameisterschaft im Fußball) eine höhere Identifikation mit einer gemeinsamen Basis geschaffen wird, aus der sich private Kontakte entwickeln, die sich ins Arbeitsleben hineinstrecken. Zuweilen wird dieses Subteam als Rückzugsort genutzt, wie drei Interviewpartner erwähnen, wo man frei ist von interkulturellen Problemen und auch Ablehnung – gerade die ausländischen Mitglieder in Deutschland finden sich in diesen (manchmal freiwilligen, manchmal unfreiwilligen) Enklaven wieder: Das Beharren in der Kultur sehr viel stärker gewesen. Innerhalb eines Monats hatten die ein indisches Netzwerk hier. In und außerhalb der Firma. Die haben eigentlich nur unter Indern gewohnt und gelebt. (IP 1) Eine Reduktion der Kommunikation ist zuweilen in Verbindung mit Ausschluss durch die Sprachwahl zu sehen: Im deutschen Unternehmen wird im Meeting Deutsch gesprochen, wenn es schwierig wird, unter der Inkaufnahme, dass dabei die indischen Kollegen ausgeschlossen werden. Die Iren sprechen sehr schnell, wenn sie nicht vom deutschen Chef verstanden werden wollen, und die deutschsprachigen Schweizer reden absichtlich in Schwyzerdeutsch, obwohl sie wissen, dass der Deutsche damit Verständnisschwierigkeiten hat. Diese drei Beispiele weisen auf die Kategorie der distance of avoidance (Gudykunst / Kim 1992) hin, die mittelhohen Ethnozentrismus zum Ausdruck bringt (vgl. Kapitel 4.2.6.3). Sowohl die Bildung von Subgruppen als auch die Reduktion der Kommunikation sind als eine Verminderung der Interaktion im Team zu sehen. Dies kann mit einer Beeinträchtigung der Gruppeneffektivität einher gehen, wenn relevante Informationen nicht weitergegeben werden, bestimmte Kollegen von Besprechungen und Entscheidungen ausgeschlossen werden und Ressourcen besonderen Kollegen vorenthalten werden. Dies kann sehr subtil erfolgen, schafft jedoch eine Atmosphäre der unausgesprochenen Ablehnung, die ganz besonders Interviewpartner 34 anspricht, aber auch von folgender Führungskraft berichtet wird: Und das gefällt nicht jedem. Und daher kommt ein gewisses Ressentiment gleich von Beginn an. Am Anfang waren [...] in dem Team viele skeptisch. Und bevor ich das gemacht habe, war es auch so: Da gab es schon Inder hier, die waren immer so für sich, die waren nirgends integriert. Die haben nie an einem Teammeeting teilgenommen, nichts. Das sind natürlich solche Barrieren, die aufgebaut werden. (IP 14) Interaktion stellt eine Grundlage dafür dar, dass die Mitarbeiter voneinander lernen (vgl. Kapitel 10.4). Allein die Informationsweitergabe ist eine Basis hierfür: Wenn die Kollegen vom Fluss abgekoppelt werden, können sie sich nicht weiterentwickeln. Auf der anderen Seite müssen die Wertschätzung für den Anderen und die Bereitschaft, Neues anzunehmen, vorhanden sein, d.h. Ethnozentrismus muss gering sein: Also, die, die was lernen wollen .. Ich finde grundsätzlich die Prinzipien der Revolution gut, und die sollte man eigentlich auch leben: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und führt meines Erachtens eher zum Erfolg, als wenn man sagt, „na gut, alle, die außerhalb Deutschland sind, sind schon einmal weniger wert, oder mit denen will ich am liebsten gar nichts zu tun haben, weil die denken ganz anders, und die verhalten sich so komisch, und dann sprechen sie auch noch so komisch und sind ganz braun.“ Ich glaube nicht, dass man mit der Einstellung mehr lernt, als jemand der halt offen [ist]. (IP 25) Inwieweit eine Führungskraft, die überzeugt von der Richtigkeit der westlichen Methode, erfolgreich hinsichtlich Teameffektivität ist, kann so pauschal nicht beantwortet werden. Eine Führungskraft wirkt immer auf den Arbeitsstil ihrer Mitarbeiter ein, und es kommt vermutlich eher auf die Art und Weise an, wie die Mitarbeiter dazu angehalten werden. Definitiv kann jedoch gesagt werden, dass Zwang und Machtdemonstration auf Dauer nicht zu Erfolg führt, wie die Geschichte und das Ende einer Arbeitsgruppe es belegt. 213

Gravierende Ausmaße nimmt die Ablehnung an, wenn offene Feindseligkeiten wie Diskriminierung und verbale Beleidigungen auftreten, die regelmäßig Zeichen einer Konflikteskalation darstellen und meist in Verbindung mit anderen Ursachen zu sehen sind. Dann ist es soweit, dass nicht nur fachlich notwendige Interaktion unterbunden wird, sondern darüber hinaus Handlungen ausgeübt werden, die der anderen Person und zwangsläufig der Sache schaden. Die Berichte der Interviewpartner lassen darauf schließen, dass es in drei Teams tatsächlich zu diesem Stadium gekommen ist – in einem Fall auf gesamter Teamebene, in zwei Fällen zwischen einzelnen Teammitgliedern. Die Aufgabenerfüllung kann dann nur mehr sehr schlecht erfolgen; die kognitive und emotionale Bearbeitung des Konflikts bindet Ressourcen. Von Vertrauen, guten persönlichen Beziehungen, Anerkennung von gegenseitigen Stärken, Nutzen von Synergien kann an dieser Stelle gar nicht mehr gesprochen werden; die Basis für eine gute Zusammenarbeit fehlt komplett. Ein Zusammenhang, dass Ethnozentrismus eher in schlechten Arbeitsgruppen auftritt, geht aus den empirischen Daten nicht hervor. Eher ist davon auszugehen, dass Ethnozentrismus in allen Gruppen in einem bestimmten Zeitfenster erscheint. Denn es ist erkennbar, dass die anfängliche Angst um Arbeitsplatzverlust durch die Führungskräfte angegangen wird, so dass sie keine permanente Behinderung der Zusammenarbeit darstellt. Ebenso ist hoher Ethnozentrismus eine vorübergehende Ausprägung während des interkulturellen Anpassungsprozesses, der temporär die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter schmälert.

9.2.4

Ableitung der Hypothesen

Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich mehrere relevante Aussagen, die als Hypothesen festzuhalten sind. Insbesondere sind in den Daten einige weitere Bedingungen festgestellt worden, welche für die Entstehung und Ausprägung von Ethnozentrismus / Ablehnung verantwortlich sind (Hypothesen Voraussetzung) und zu den bisherigen Arbeitshypothesen hinzugefügt werden: Hypothese Voraussetzung iK1V 1: Eine Organisationsstruktur, in der Arbeitsplätze auf Grund niedrigerer Lohnkosten im Ausland geschaffen werden, fördert die Einschätzung der Stammhausmitarbeiter als die wertvolleren und damit als die tonangebenden im Vergleich zu den ausländischen. Hypothese Voraussetzung iK1V 2: In multikulturellen Arbeitsgruppen führt eine Strukturierung in Mehrheit und Minderheit zur Dominanz der Mehrheit hinsichtlich wie gearbeitet wird. Hypothese Voraussetzung iK1V 3: Hinsichtlich der kulturellen Zusammensetzung dominieren bei der Festlegung der Arbeitsweise eher die Mitarbeiter europäischer bzw. US-amerikanischer Herkunft im Vergleich zu asiatischen Mitarbeitern. Hypothese Voraussetzung iK1V 4: Offenheit, Toleranz und Respekt vermindern Ablehnung. Die Arbeitshypothese zur Entstehung von Ethnozentrismus iK0P 4 ist um die Ablehnung auf Grund von Arbeitsplatzverlust zu erweitern: Hypothese Prozess iK1P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen kommt es zu verschiedenen Formen der Ablehnung auf Grund von Ethnozentrismus und Arbeitsplatzängsten zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Herkunft. Die Arbeitshypothesen, welche die Ausprägung und Wirkung spezifizieren, sind auf Grund der neuen Erkenntnisse stark überholt worden. So gehen iK0Pe 2 zu Fehlattribution und Dekodierungsproblemen, iK0Pe 1 zur fehlenden Wertschätzung von Andersartigkeit und iK0Pe 3 zur Dominanz in Hypothese iK1Pe 5 und iK0Pe 9 auf. Neu hinzustoßen Arbeitshypothese iK1Pe 6, iK1Pe 7 und iK1Pe 8. Die Arbeitshypothesen zum Output werden umformuliert. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 5: Verschieden hohe Formen von Ablehnung führen zu unterschiedlicher Wahrnehmung und Umgang mit kulturellen Unterschieden: Hohe Ablehnung führt zur Negierung kultureller Unterschiede oder zu Versuchen der Umerziehung 214

bzw. starker Ausprägung von Zwang und bei besonders hohem Maße zu offenen Feindseligkeiten. Niedrige Ablehnung führt zum Erkennen und Annehmen von kulturellen Unterschieden. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 6: Angst um den Arbeitsplatz tritt vor allem zu Beginn der Kooperation auf. Eine hohe Ausprägung von Ethnozentrismus tritt in der Desorientierungsphase auf. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 7: Ethnozentrismus führt zu emotionaler Aversion den anderskulturellen Teammitgliedern gegenüber. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 8: Ablehnung führt zu Bildung von Subgruppen nach kulturellen Grenzen und zur Reduktion der Kommunikation und Interaktion zwischen den Subgruppen. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander. Hypothese Output (Leistung) iK1O 3: Ablehnung beeinträchtigt die Kooperation und damit die Aufgabenerfüllung. Hypothese Output (Zufriedenheit) iK1O 4: Die verspürte Ablehnung entspricht einer emotionalen Belastung durch die Konfrontation mit Andersartigkeit und führt zu niedrigerer Zufriedenheit.

9.3

Stereotype

9.3.1

Die Ausprägung von Stereotypen

Das Vorhandensein von Stereotypen als weitere mögliche Konfliktform wird erfragt, indem die Interviewpartner gebeten werden, ein Bild der Kultur einer oder mehrerer ihrer Kollegen zu beschreiben. Die Antwort und sämtliche andere Passagen mit generalisierenden Aussagen über die Individuen einer Kultur hinweg fließen in die Auswertung mit ein. Auch hier wird das Thema mit Hilfe eines konstruktivistischen Ansatzes analysiert (vgl. 9.2 ‚Ablehnung’). Wenn man nun von der breitesten Definition eines Stereotyps als kognitive Kategorie über die Eigenschaften der Angehörigen einer Kultur ausgeht, ist festzustellen, dass alle Interviewpartner eine solche Kategorie gebildet haben und sie wiedergeben können. Ausnahme sind hierbei zwei Interviewpartner, die nur sehr wenige anderskulturelle Kollegen haben und daher kaum interkulturellem Kontakt ausgesetzt sind. Für die anderen gilt, dass trotz allgemein gehaltener Kategorien Unterschiede im Verallgemeinerungsgrad, in der Freizügigkeit der Äußerung und der Komplexität von Kategorien zu beobachten sind: Grad der Verallgemeinerung: In den meisten Fällen wird von ‚den Deutschen’, ‚den ‚Asiaten’ oder ‚den Schweizern’ berichtet. Neun Interviewpartner geben dahingegen oder zusätzlich eine Schilderung von konkreten Kollegen als Repräsentanten einer Kultur an. Damit beschreiben sie einen Einzelfall und versuchen, den kulturellen Einfluss analytisch festzustellen oder auch zu widerlegen: Es gibt ja z.B. klassische Vorurteile, die man gegenüber Amerikanern oftmals hat, z.B. so dass sie oberflächlich seien, dass sie eher sehr gut kommunizieren können im Vergleich zu den etwas zurückhaltenden Europäern und so. Das mag zwar für unser amerikanisches Gruppenmitglied zutreffen .. oberflächlich ist er auf keinen Fall, aber dass er sehr gut kommunizieren kann. [...] Wenn man so in einem Meeting ist, wo er was präsentiert, da habe ich schon den Eindruck, das ist ja sehr professionell, und man merkt den amerikanischen Hintergrund. (IP 9) Dieses Verfahren wenden auch die zwei eben genannten, in fast rein deutschen Teams agierenden Gesprächspartner an: Die ausländische(n) Person(en) werden in ihren Eigenschaften beschrieben, ohne dass jedoch determiniert wird, welche davon persönlichkeitsbedingt sind und welche kulturell. 215

Freizügigkeit der Äußerung: Ein Interviewpartner vermeidet von Grund auf Verallgemeinerungen über Individuen hinweg, da er kulturelle Unterschiede als überbewertet erachtet (auch wenn er sie im statistischen Mittel für eine Gesamtkultur zum Teil bestätigt). Einige der Interviewpartner schrecken vor pauschalen, direkten Beschreibungen einer bestimmten Kultur zurück, was sich auf vielfältige Art ausdrücken kann. Einige (sechs an der Zahl) zieren sich erst mit Diplomatie, entweder in Form sehr freundlicher und höflicher Kurzaussagen oder der Ablehnung, Pauschalaussagen zu treffen, um im selben Atemzug genau dies dann doch zu tun: PK: Wie würden Sie denn generell die indischen Mitarbeiter beschreiben? IP: [kurzer Lacher] Ich könnte Ihnen jetzt diplomatisch ausweichen und sagen: sehr unterschiedlich. [lacht] .. sind definitiv sehr große Unterschiede da. Die Mitarbeiter sind sehr flexibel, sie sind sehr [zögert] zeitlich vom Einsatzwillen her .. sind die vom Markt her was ganz anderes gewöhnt. (IP 34) Andere formulieren sehr vorsichtig und betonen, dass sie in diesem Moment pauschalisieren: Asiaten, [zögert] also das ist jetzt über einen Kamm scheren, aber die sind sehr, sehr vorsichtig. (IP 2) Sie erkennen die Gefahr von Stereotypen und Vorurteilen: Das kann natürlich immer mal nach Vorurteilen klingen, aber ich denke, es gibt schon Eigenschaften, die man in gewisser Hinsicht nicht auf Personen festmachen kann, aber auf einen gemeinsamen Durchschnitt bringen kann. (IP 3) Diese Vorsicht kann auf die Wahrung von political correctness und die Einhaltung von sozialer Erwünschtheit zurückgeführt werden, die bereits im Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’ erläutert worden sind. Sieben Interviewpartner weisen explizit darauf hin, dass eine Differenzierung v.a. zwischen persönlichkeitsbedingten und kulturellen Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen sehr schwierig ist (siehe nachfolgendes Zitat von IP 1). Damit soll auf den nächsten Punkt übergeleitet werden: Anzahl an Kategorien und ihre Vernetztheit: Es wird eine Vielzahl klarer, konkreter Eigenschaften und Verhaltensweisen genannt – alleine darüber könnte eine Dissertationsarbeit geschrieben werden. Dabei variieren die Schilderungen in ihrer Differenziertheit, das heißt inwieweit weitere Einflüsse in Betracht gezogen werden, nämlich Persönlichkeit (von 20 Interviewpartnern genannt), Organisationskultur (sechsmal genannt), Alter (sechsmal), wissenschaftliche Disziplin (sechsmal), Auslandserfahrung (viermal), regionale Besonderheiten (viermal), Geschlecht (zweimal), Hierarchieposition (zweimal), Branche (einmal) oder Art der Ausbildung (einmal). 13 Interviewpartner nennen im Verlauf des Interviews (also nicht für jedes Beispiel oder jede Schilderung) außer der Kultur zwei oder mehr von diesen Faktoren (siehe nachfolgendes Zitat als sehr komprimierte Analyse), 13 nennen einen dieser weiteren Faktoren außer Kultur und nur vier gehen auf keinen weiteren ein. Dies zeigt auf, dass einige wenige Interviewpartner auf Kultur als klare, einzige und eindeutige Erklärungsgröße für spezifisches Verhalten zurückgreifen. Andere ziehen verschiedene Einflussgrößen bei der Analyse heran bzw. gehen bei der Attribution vorsichtig und abwägend vor, wie beispielsweise folgender Interviewpartner: Ich meine, der Deutsche hat zwei Jahre in Saudi Arabien gelebt; klar, hat das sicher seine Hierarchiewahrnehmung noch gefördert. Und die Slowakin .. Auch da muss ich wieder sagen, weiß ich nicht so genau, ist es der kulturelle Hintergrund, oder sind es auch persönliche Dinge. (IP 1) Interessanterweise erwähnen zwei Interviewpartner, dass Kultur zuweilen als Ausrede gebraucht wird, einmal um eigene persönliche Schwächen damit zu verdecken oder ein anderes Mal im Management, um einen Misserfolg nicht genauer analysieren zu müssen. 216

Wie im theoretischen Teil erläutert (vgl. Kapitel 4.2.7 ‚Stereotype’), beinhaltet ein Stereotyp die Tendenz zur (meist negativen) Beurteilung. Dies überschneidet sich mit der Analyse des Vorhandenseins von Ethnozentrismus, der genau diese Tendenz bewirkt. In Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’ wurde daher im Detail analysiert, inwieweit Beschreibungen der anderen Kultur abwertend getroffen werden. Um Doppelungen zu vermeiden, wird es an dieser Stelle nicht wiederholt.

9.3.2

Die Wirkung und Veränderung von Stereotypen

Die Kooperation mit anderskulturellen Kollegen wird von Stereotypen gelenkt, einerseits über Kognition, andererseits über Affekt. Wie im vorhergehenden Kapitel eindeutig belegt, haben alle Interviewpartner ein mehr oder weniger konkretes Bild über die Mitglieder anderer Kulturen. Davon ist abzuleiten, dass im Rahmen der Kognition Kategorien für Wahrnehmung, Verarbeitung und Reaktion maßgeblich sind. Sie geben Orientierung, indem sie Wissen speichern, das hilft, andersartiges Verhalten verständlich zu machen und für sich eigene Handlungsweisen für die Interaktion zu erarbeiten: Sehr interessant ist Asien. Weil das für uns als Europäer schon .. doch sehr schwierig ist, Diskussionen zu verstehen, wie die Leute denken. [...] Zum Beispiel gibt es dort also eine sehr, sehr starke Obrigkeitshörigkeit oder Hierarchiehörigkeit, dass man also dort Sachen hineingibt und unreflektiert zurückbekommt. Und das muss man einfach dann mit berücksichtigen. [...] Man muss zuerst darüber nachdenken, „was will ich von dem. Zum Beispiel in China, was will ich zurückhaben!“ Und dann .. und danach muss ich meinen Input steuern. (IP 4) Auch Erwartungen werden eindeutig festgelegt: Was mir auch auffällt, wie soll ich mal sagen, im Zusammenhang mit jetzt z.B. den Franzosen […], da ist immer soviel Spontaneität dabei. Es hat aber, sage ich mal .. aber im Disziplinbereich hat es einfach .. wo wir sagen würden, das sind Probleme. Wenn Sie ein Meeting abmachen, kann ich sicher sagen, wer als letzter kommt. Und ich kann auch sicher sagen, wer, sage ich mal, Seitengespräche führt. (IP 3) Stereotype lenken also, welche Informationen selektiert werden und nehmen die Reaktion des Akteurs auf den Interaktionspartner vorweg. Die Interviewpartner gestalten entsprechend ihre Führung und Kommunikation. Im Bereich Affekt haben Stereotype sicherlich ebenfalls einen Einfluss, sobald sie mit einer Wertung verbunden sind. Denn implizieren Stereotype eine negative Beurteilung des Anderen, so kann eine ablehnende Haltung resultieren – Konsequenzen hiervon sind eingängig im Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’ erläutert worden. Anhand eines Beispiels, das einer der Interviewpartner (IP 25) schildert, ohne sich bewusst zu sein, über Stereotype zu sprechen, sollen deren potenzielle Wirkung auf die Kooperation in Teams verdeutlicht werden: In Indien herrscht eine klare Abgrenzung zwischen den Glaubensgruppen, v.a. zwischen Hindus und Moslems. Dabei gilt unter den Hindus die Meinung, „Moslems sind nicht gut erzogen“, und sie misstrauen deren Fähigkeiten. So werden bei der Auswahl neuer Mitarbeiter eher Angehörige der eigenen Glaubensrichtung bevorzugt. Hier wird offensichtlich, dass erstens ein generelles Bild über die andere Kultur in den Köpfen verankert ist, dass zweitens dieses Bild negativ geprägt ist, und dass drittens Handlungen hierdurch beeinflusst werden. Unter der Annahme, dass dieses Bild nicht für jeden Moslem zutrifft, sondern es ebenso gut erzogene und gut ausgebildete Moslems gibt, versagt man sich an dieser Stelle, diese Kompetenzen ins Team zu holen. Auch wenn in den anderen Interviews kein anderes Beispiel in dieser breiten Wirkung geschildert wird, ist davon auszugehen, dass

217

ähnliche Fälle dennoch auftreten – zu hoch ist die Häufigkeit und Relevanz von Stereotypen unter den Interviewpartnern, wie anfangs dargelegt. Wie ein Interviewpartner es für sich selbst anmerkt, verändert sich im Laufe der Zeit die Wahrnehmung der Teampartner – Stereotype nehmen zugunsten einer differenzierteren Kognition ab: Ich war ein paar Mal in Amerika als Tourist. Da hat Amerika als solches für mich existiert. Ich dachte, Amerika als solches gibt es. Amerika ist das Land des Services, alle Leute sind freundlich, und ich kriege alles gemacht. Das Bild hat sich sehr, sehr stark geändert, als ich hier das Arbeiten anfing und Amerika als solches nicht mehr existierte, sondern nur mehr einzelne Individuen vor mir standen, und entsprechend ist auch die Einschätzung meiner Kollegen. (IP 2) Dies lässt sich zum Teil bestätigen, wenn man sich die Aussagen interkulturell wenig erfahrener Interviewpartner auf der einen Seite und interkulturell erfahrener Interviewpartner auf der anderen Seite betrachtet. Erstere pflegen recht einfache und konkrete Bilder von den Angehörigen der anderen Kultur(en). Einige von ihnen sind der Auffassung, solche Bilder zu haben, wäre nicht korrekt, und scheuen anfangs zurück, sie frei zu äußern (wie z.B. im früheren Zitat von IP 34 erkenntlich). Andere spielen Unterschiede herunter und betonen Gemeinsamkeiten (vgl. auch die Darstellung unter Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’ im Rahmen der Wahrnehmung kultureller Unterschiede und der Minimisierung nach Bennett, Kapitel 5.2.5), halten in ihrem Inneren jedoch auch klare Bilder parat, was sich dann in ihren Äußerungen widersprechen kann: Selbst wenn die jetzt auch in China groß geworden sind, vielleicht dort studiert haben und dann irgendwann nach Amerika gingen, haben einen Doktor gemacht oder einen PhD und für eine amerikanische Firma gearbeitet, dann adaptieren die schnell so diesen Umgang, wie in amerikanischen Firmen umgegangen wird. Bis auf die Sachen mit dem Gesichtverlieren .. also dieser, der da wirklich völlig ratlos war, als der Deutsche gefragt hat, „warum hast du mir das nicht gebracht?" Das war halt ein amerikanischer Chinese. [...] Der hat das Gesicht verloren, und das ist halt in Asien das A und O. (IP 21) Die Gruppe der interkulturell erfahrenen Interviewpartner reflektiert stärker ihre eigene Wahrnehmung, die sehr viel differenzierter ausfällt. Sie denkt nach wie vor in Kategorien (was schließlich dem natürlichen kognitiven Prozess entspricht), doch diese sind zahlreicher und komplexer (vgl. vorangegangenes Zitat von IP 2). Kulturelle Unterschiede zu sehen wird nun nicht mehr als negativ und politisch inkorrekt gesehen, sondern als notwendige Voraussetzung, um ein Miteinander zu finden: Ich sage mal, die kulturellen Unterschiede sind also soweit verstanden, dass ich .. meine Einschätzung ist, dass keine Barrieren bestehen. (IP 13) Einer merkt die Gefahr der selektiven Wahrnehmung und Bestätigung von Stereotypen an: Man sieht immer das, was man sehen möchte. Wenn ich jetzt so eine Liste habe, und ich möchte das, was wir jetzt den Amerikanern zuschreiben möchten, bei den Amerikanern sehen, dann werde ich das auch sehen. Ist ganz klar. Wenn ich das möchte. Und wenn man sich dann näher befasst, dann sieht man sicher auch ganz andere Seiten. (IP 17) Selbstverständlich besteht nach wie vor die Schwierigkeit der korrekten Attribution, v.a. hinsichtlich der Unterscheidung zwischen kulturellem und persönlichkeitsbedingtem Einfluss auf Verhalten (siehe auch Kapitel 9.1.2). Zu beachten ist eine positive Wirkung von Stereotypen auf den informellen Austausch und die zwischenmenschlichen Beziehungen. So kann ein überzogenes Bild über eine andere Kultur der allgemeinen Belustigung dienen, und zwar für beide Seiten, wie im folgenden Beispiel: 218

Es gibt diese gegenseitigen Vorurteile natürlich, mit denen man ein bisschen spielt, aber mit denen die Leute dann selber auch ein bisschen kokettieren. Ja, z.B. einer von den schwedischen Kollegen, der geht regelmäßig auf die Elchjagd. Rattert da mit dem Schneemobil durch die Gegend, und das erzählt er mir auch permanent freiwillig. Dass das dann sehr lustig wäre, da er dann den halben Gefrierschrank voll Wildschwein und Elch hat und so. Und ja, das findet einfach jeder lustig, und [es] macht sich keiner große Gedanken darüber. (IP 29)

9.3.3

Ableitung der Hypothesen

Der Stellenwert von Stereotypen ist hinsichtlich ihrer Kognitions- und Verhaltenslenkung nicht zu unterschätzen. Allerdings ist ihre Einordnung in interkulturelle Konflikte nur dann angebracht, wenn sie zu negativen Konsequenzen in der Gruppenarbeit führen. Dies kann auf Grund des Datenmaterials für ethnozentrisch gefärbte Stereotype nachvollzogen werden, was über die Hypothesen unter Ethnozentrismus abgedeckt wurde (vgl. Kapitel 9.1.1). Inwieweit neutrale Stereotype nicht nur als Orientierung dienen, sondern im negativen Sinn Fehlreaktionen verursachen, wird über Erwartungsverletzungen abgedeckt. Daher werden an dieser Stelle keine direkte Aussagen zum Output getroffen (Arbeitshypothesen iK0O 9 und iK0O 10 werden fallen gelassen). Die erweiternden Hypothesen zur Wirkung von Stereotypen werden angepasst (iK0Pe 5 und iK0Pe 6). Die Existenz von Stereotypen als zentrale Aussage (iK0P 5) wird hingegen bestärkt und als Hypothese iK1P 5 fortgeführt. Hypothese Prozess iK1P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen haben die Mitglieder Stereotype voneinander. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 10: Negative Stereotype sind Ausprägung von Ethnozentrismus. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 11: Stereotype steuern Erwartungen und Handlungen. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 12: Im Verlauf des interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien.

10

Interkulturelle Synergien

10.1

Motivation

Auf die Frage, welche Vorteile eine multikulturelle Arbeitsgruppe generiert, antwortet rund ein Drittel der Befragten, dass die Zusammenarbeit „interessanter“ ist. Beginnend mit diesem Punkt werden nun die interkulturellen Synergien vorgestellt. Innerhalb des Kapitels Motivation kann festgehalten werden, dass die Zusammenarbeit von den Interviewpartnern als spannend eingestuft wird, da neu und zuweilen lehrreich. Die Beteiligten lernen Menschen anderer Kulturen kennen, und das Team erlebt eine besondere Atmosphäre im Vergleich mit Arbeitsgruppen, die nur aus Deutschen besetzt sind: Das ist ja, sage ich mal, vergleichsweise langweilig, in Anführungsstrichen, wenn das nur eine deutsche Gruppe ist, sich die Variabilität von Ostfriesland bis Bayern erstreckt. Nein, das ist natürlich viel spannender. (IP 1) Ähnliches äußern sechs weitere Interviewpartner, wobei bei zweien in „interessant“ auch eine negative Konnotation mitschwingt, die darauf hinweist, dass Andersartigkeit nicht nur positiv ankommt. Berichte aus fremden Ländern, die ausländische Kollegen in privaten Gesprächen austauschen, oder Speisen, die sie mitbringen, zeigen eine andere Welt, ohne dass der Interview219

partner selbst eine Reise unternehmen muss – diesen gewissen Exotismus finden vier der Befragten bereichernd. Die Motivation durch die Zusammenarbeit mit internationalen Experten bestätigt Interviewpartner 3: Dieses internationale Team, wo man von überall her natürlich die tollsten Leute holt, das hat vom Konzept her den Vorteil, dass wirklich alle rennen und viel Energie mit rein bringen. (IP 3) Wenn man nun den Zusammenhang der dargelegten Aspekte mit ihren Wirkungen auf die Teameffektivität betrachtet, mögen die als „interessant“ bezeichneten Bedingungen zuweilend motivierend im weitesten Sinne wirken, aber dass, wie theoretisch postuliert, höhere Teameffektivität resultiert, ist eher zu bezweifeln. Denn die Aussagen betreffen eher eine oberflächliche Ebene. Die Interviewpartner berichten nur in dieser einen genannten Passage direkt von einem intrinsisch verstärkten Engagement. Die Auswirkung erscheint daher minimal, und dieser Faktor wird in den weiteren Ausführungen hinsichtlich Gruppeneffektivität vernachlässigt. Die Arbeitshypothesen iS0P 1 und iS0O 1 werden nicht weiter verfolgt.197 Aufschlussreich ist jedoch, dass fünf der Interviewpartner, die als Stärke für ihre multikulturelle Arbeitsgruppe angeben, „dass es interessant sei“, keinerlei weitere Synergien erkennen. Dies lässt vermuten, dass es sich eher um eine Verlegenheitsaussage handelt als um einen überzeugenden Erfolgsfaktor für das Team.

10.2

Ressourcenpool

Der Ressourcenpool wurde im theoretischen Teil als eigene Synergieform abstrahiert und per se als Vorteil analysiert. Diese Darstellung ist im Licht der vorhandenen Theorien sinnvoll, doch empirisch gesehen ist das Vorhandensein eines Ressourcenpools so eng mit seiner gleichzeitigen Nutzung (im Rahmen kreativer Problemlösungsprozesse) verknüpft, dass man schwerlich die Trennung beibehalten kann. Aus diesem Grund wird der Ressourcenpool nun als Voraussetzung und Bestandteil von Kreativität in das nachfolgende Kapitel aufgenommen. Die Arbeitshypothesen iS0P 2 und iS0O 2 werden entsprechend nicht als eigenständige Synergieform weiterverfolgt. Allerdings ist in den Interviews aufgefallen, dass der fachliche Aspekt, dass durch die Zusammenführung hochkomplexe Aufgaben besser bearbeitet werden können, nicht nur für virtuelle Teams gilt, sondern auch für face-to-face Gruppen, die Mitarbeiter aus anderen Ländern rekrutieren: Das hat sicher einen praktischen Nutzen oder einen praktischen Hintergrund, dass man die Leute hier auf dem lokalen Arbeitsmarkt gar nicht findet, die man haben will. Man könnte natürlich auch sagen, „okay, ich beschränke mich ein bisschen mit der performance vielleicht von den Leuten und gehe ein bisschen zurück und habe dafür ein homogenes Team von den Nationalitäten her.“ Aber gut, das ist einfach ein bisschen mehr Philosophiefrage, dass man halt versucht, von überall her die top shots zu bekommen. Es geht um das Expertenwesen; genau, im Wesentlichen ist es das. (IP 3) Dies behaupten insgesamt vier Interviewpartner, die vor allem in Entwicklung und Forschung tätig sind. Damit kann der lokale Fachkräftemangel in Deutschland bzw. der Schweiz überbrückt werden. Dies bedeutet eine Erhöhung des fachlichen Ressourcenpools und soll kurz an dieser Stelle hinzugefügt werden.

197

Die Arbeitshypothesen sind in Kapitel 7 überblickartig aufgelistet.

220

10.3

Kreativität

10.3.1 Ursprung von Kreativität Als Ursprung für Kreativität werden sechsmal strukturelle Faktoren genannt, wie Größe der Gruppe, direkter Austausch statt E-mail, die richtigen Projektpartner und Informationsquellen sowie auch die Zeit, sich intensiv mit einer Frage auseinander setzen zu können. Es hängt zudem vom Job ab, ob Kreativität überhaupt gefragt ist (zehn Nennungen). So hat die Forschung die Mission, kreativ zu sein, ebenso die Technologieentwicklung oder Fehlerprüfung. Sieben Interviewpartner geben an, dass Kreativität vom Charakter der Mitarbeiter beeinflusst wird; so gibt es mehr oder weniger kreative Leute. Es meint einer, dass der Techniker eher zum Probieren und zu neuen Ideen neigt. Sechs Interviewpartner haben festgestellt, dass Kreativität kulturspezifisch ist, so erweisen sich beispielsweise Italiener als kreativer als Mitarbeiter aus nördlicheren Ländern. Für die nachfolgenden Ausführungen ist der Hinweis von sechs Interviewpartnern entscheidend, dass die multikulturelle Zusammensetzung als Basis für Kreativität gesehen wird. Ob der Ressourcenpool genutzt werden kann, d.h. ob die Mitglieder ihre Meinungen und ihr Wissen austauschen, wird von gruppeninternen Faktoren wie Offenheit bedingt. Nur in einem Klima des Vertrauens und der psychologischen Sicherheit werden ausgefallene oder abweichende Ideen vorgebracht; nur dann wagen es die Mitglieder, diese zu kommentieren und konstruktiv weiter zu entwickeln. Ob dies tatsächlich gegeben ist, sprechen die wenigsten Interviewpartner an. Eine der seltenen diesbezüglichen Äußerungen ist folgende: Ich denke, wir haben es geschafft, weil wir ein sehr persönliches Verhältnis hatten, mit den einzelnen Leuten, diesen verschiedenen Institutionen und Ländern, dass wir sehr gut diskutieren konnten, wie unser Vorgehen aussehen sollte. (IP 8) Besagte Offenheit im Team schafft nicht nur das Forum, eigene Ideen vorzubringen, sondern auch die Bereitschaft zur eigenen Veränderung: Ich denke schon, dieses, was ich hier vorhin bezeichnet habe, Offenheit, Neugier, Bereitschaft, Neues zu lernen, das ist das eigentlich, was da das Entscheidende ist. Nicht sozusagen in festen Paradigmen zu denken. Das natürlich, das erleichtert, wenn die alle aus unterschiedlichen Ländern kommen, das erleichtert natürlich diesen Ansatz, weil, sie wissen alle, „aha, das was ich bisher immer gedacht und getan habe, das mag schon auch richtig und gut sein, aber ich bin jetzt eh gezwungen, mich auf eine neue Welt einzustellen, nämlich hier in Deutschland.“ Und das kommt von allen sozusagen, also die Bereitschaft, ihre Paradigmen aufzugeben, die ist zunächst mal von allen da. Und später: […] ist es so, dass jeder offen dafür ist, auch ein Stück weit seiner Kultur abzugeben und etwas anderes zu akzeptieren. Ich denke das ist die Grundlage für Kreativität. (IP 1) In diesen durch Offenheit geprägten Gruppen ergibt sich der Austausch von Ansichten und Wissensbeiträgen von alleine. Allerdings wird ferner von zwölf Interviewpartnern angemerkt, dass in ihren Teams sich nicht alle gleichermaßen einbringen, sei es auf Grund persönlicher Schüchternheit, kultureller Prägung, hierarchischer Unterschiede (vgl. Kapitel 3.3.4) oder von Sprachproblemen. Es ist Aufgabe des Teamleiters, durch eine angemessene Moderation ruhigere Mitarbeiter zu Äußerungen anzuregen und dominante Mitarbeiter in Bahnen zu lenken: Das ist eine Frage der Moderation. Und das ist einfach dann die Frage, inwieweit der Moderator als solcher in der Lage ist, die verschiedenen Denkweisen aufzunehmen und abzubremsen oder zu verstärken. Also bei den skandinavischen Kollegen muss man dann schon eher verstärken. [...] Da ist eher dann das Zuhören das Primat als .. und die 221

kommen dann eher am Ende, wenn schon alle Messen gesungen sind, noch mal mit einer Idee. Und das ist dann halt gefährlich. Und da muss man schon stark aufpassen, dass man halt diese Unterschiede dann in der Moderation auch dann entsprechend mit einbezieht. […] Man muss auch dann [betont] den Leuten, die eher dann auf der Zuhörerseite sind, man muss denen dann auch die Bühne bereiten. Die muss man dann schon dann mehr oder weniger zum Jagen tragen, aber das bringt natürlich auch was. (IP 4) Außerhalb von Meetings kann durch weitere Möglichkeiten wie z.B. mit Hilfe bilateraler Gespräche oder informellem Austausch dafür gesorgt werden, dass zurückhaltende Mitglieder Beiträge liefern: Weil der Schüchterne in einem Art organisiertem Prozess […] große Schwierigkeiten [hat]. Denn wenn man sich nur in Meetings trifft, und jemand ist nicht die Person, die in Meetings gern was sagt, oder der nicht viel sagt, dann kommt der eigentlich kaum zu Potte. Hier ist es so, dass, sagen wir, dass auch die schüchternen Leute dadurch, dass sie den Leuten wirklich über den Weg laufen .. und in irgendwie einem small talk kann man dann auch eine fachliche Frage anführen. Das funktioniert besser, finde ich. (IP 18)

10.3.2 Kreativität und Problemlösung Unterschiedliche Sichtweisen sind eine Notwendigkeit in der Analyse von Problemen und Generierung von Ideen. Auf diesem Selbstverständnis bauen explizit die interdisziplinären Forschungsteams der Interviewpartner auf; aber auch Interviewpartner aus dem Technik- oder Managementbereich nennen die berufliche und kulturelle Vielfalt als Basis für Kreativität. Indem jedes Teammitglied die „Dinge anders sieht“, verfügt das Team über einen Pool an Ressourcen, der (bei Vorliegen der im vorangegangenen Unterkapitel erläuterten Voraussetzungen) für den weiteren Einsatz genutzt werden kann, wie folgende Schilderung illustriert: […] weil man braucht ja einfach möglichst viele unterschiedliche Ideen zu der gleichen Frage, gerade wenn es schwierig wird. Dann kommen Sie alleine nicht viel weiter. Wenn die alle identisch wären und den gleichen Hintergrund hätten und alle gleich denken würden, da wären wir heute noch keinen Schritt weiter. (IP 29) In einer gemeinsamen Diskussion kann eine qualitativ bessere Problemlösung durchgeführt werden, d.h. eine intensivere Analyse, gegebenenfalls Revidierung von eingefahrenen Verfahrensweisen, anzahlmäßig mehr Ideen, gemeinsame Hervorbringung von neuen Ideen und Ausschaltung von groupthink. Dieser Prozess des „out of the box thinking“ (IP 18) mündet schließlich in innovativeren Ergebnissen: Ich behaupte auch, muss ich mal vorsichtig sein .. aber ich denke mal auch, wir kommen zu kreativeren Lösungen. Einfach weil der Fokus ein breiterer ist. (IP 1) Auch die kulturell variierende Herangehensweise an Probleme ist hiermit angesprochen. So werden überlieferte Vorgehensweisen in Frage gestellt und eventuell revidiert: Und wo wir dann .. oder auch wo ich persönlich dann in der Leitung dieses Teams viel profitiere, ist, wenn dann durch die unterschiedlichen Kulturen eben die Vorgehensweise auch hinterfragt wird. Wo ich dann sage, „aha, damit hat er eigentlich recht, warum bleibe ich jetzt so stur an dieser Linie kleben, warum machen wir nicht den Schlenker, das wäre genauso gut.“ Das sind die Aha-Erlebnisse, wo ich sage, „okay, das hätte man jetzt in einem rein deutschen Team dann so nicht gemacht.“ (IP 16) Was es nach der Erfahrung von fünf Interviewpartnern in der Kooperation in monokulturellen Gruppen ermangelt, ist die gegenseitige Befruchtung durch vielfältige Ansichten. Die Mitarbeiter aus diversen Kulturen regen sich gegenseitig an und können gemeinsam qualitativ neuartige Ideen entwickeln. Dies bedeutet, dass sich der vorhandene Pool an Ressourcen aus sich selbst heraus vermehrt – es „sprudeln“ neue Ideen: 222

Andere sind vielleicht schon zu fest gefahren auf das Ziel. Wenn man sich hiervon dann ein bisschen lösen kann und sagen, „okay, mit eurer Meinung und unserer finden wir etwas für beide, vielleicht finden wir da etwas Neues dank den sprudelnden, offenen Ideen.“ Das ist eigentlich, meine ich, die Kreativität und der Erfolg, dass man das ausnutzen kann, und nicht alle auf dieser vorgefassten Idee und dem Ablauf und .. „dann muss das sein und dann muss das sein. Jetzt schauen wir nicht mehr links und nicht mehr rechts.“ (IP 8) Einen weiteren Hinweis auf den issue-based conflict als Prozess der Entstehung neuer Ideen (vgl. Kapitel 4.1.3 oder 5.2.3.2) gibt Interviewpartner 2: Einen Vorteil haben Konflikte. […] Es spornt das Team an, quasi jung zu bleiben. Und alert zu bleiben. Wenn man sich eine Situation [...] vorstellt, in der man unendliche Ressourcen hat, das macht jeden unglaublich langsam und träge und fett. Also, das ist vielleicht der einzige Vorteil von Konflikt, oder von Ressourcenengpässen, dass man Kreativität fördert. (IP 2) Drei Interviewpartner bringen vor, dass die Gefahr bei monokulturellen Gruppen besteht, dass alle einen „Einheitsbrei“ (IP 5) denken, dabei wichtige Aspekte außer Acht lassen und sich blind in eine falsche Richtung bewegen. Zwar versteht man sich vielleicht besser, da die Kommunikationshindernisse kleiner sind, und Diskussionen sind vielleicht schneller, aber das Team ist weniger innovativ, durchschnittlicher und fällt zuweilen falsche Entscheidungen, d.h. es verfällt in groupthink. Effektivität

Beurteilung

Anzahl der Teams

Teams mit Kreativität

1,0 - 4,0

schlecht

5

1

5,0 - 5,5

durchschnittlich

9

5

6,0 - 7,5

gut

13

8

8,0 - 10,0

sehr gut

6

2

k.A.

1

1

Summe

34

17

Tab. 18: Gruppeneffektivität und Teams, in denen Kreativität auftritt Wirft man einen vorsichtigen und nicht überzubewertenden Blick auf die Häufigkeiten, fällt auf, dass insbesondere in den guten und durchschnittlichen Teams diese Synergieform verstärkt auftritt. In den unterdurchschnittlichen Teams kommt sie fast nicht vor. Insgesamt erscheint sie in der Hälfte aller Arbeitsgruppen (wobei zu beachten ist, dass Kreativität nicht bei den Aufgaben aller Teams gefragt ist). Was jedoch eine höhere Aussagekraft als diese Häufigkeiten hat, sind die Einschätzungen der Interviewpartner: Auf die direkte Frage, in welchem Aspekt multikulturelle Teams Effektivitätsvorteile gegenüber monokulturellen Teams aufweisen, antworten elf Interviewpartner, dass mehr Ideen und Impulse gegeben sind. Dies wird als Beleg nicht nur für die Existenz, sondern vor allem für die Relevanz dieser Synergieform verwendet: Es ist davon auszugehen, dass diese Synergieform die bedeutendste von allen ist.

10.3.3 Ableitung der Hypothesen Die Arbeitshypothesen iS0V 1 und iS0V 2 zu den Voraussetzungen werden in ihrem ursprünglichen Wortlaut weitergeführt. Arbeitshypothese Voraussetzung iS0V 3 zur Unterscheidung von sachbezogenem und affektiven Konflikt kann anhand der Äußerungen der Interviewpartner nicht nachvollzogen werden. Ebenso werden keine Aussagen zur Wertschätzung

223

von Diversität in Zusammenhang mit Kreativität getätigt (iK0Pe 1). Hingegen werden die Voraussetzungen um die Existenz individueller Kreativität ergänzt: Hypothese Voraussetzung iS1V 1: Die Aufgabe der Arbeitsgruppe bestimmt die Notwendigkeit und die Entstehung von Kreativität in der multikulturellen Arbeitsgruppe. Hypothese Voraussetzung iS1V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Hypothese Voraussetzung iS1V 3: Besonders kreative Einzelpersönlichkeiten fördern die Kreativität auf Gruppenebene. Die Arbeitshypothesen zur Existenz von Kreativität und zu ihrem Einfluss auf den Gruppenoutput (iS0P 3 und iS0O 3) werden inhaltlich etwas modifiziert und um zwei erweiternde Hypothesen angereichert: Hypothese Prozess iS1P 1: Die multikulturelle Zusammensetzung fördert Kreativität. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 1: Kreativität führt zu mehr und besseren Ideen und innovativen Lösungen. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 2: Kreativität vermeidet groupthink. Hypothese Output (Leistung) iS1O 1: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team.

10.4

Lernen

10.4.1 Lernen der Fremdsprache und fachliches Lernen Lernen findet in den mulikulturellen Teams in mannigfachen Bereichen statt und zwar hinsichtlich der Fremdsprache Englisch, im fachlichen Feld und in der interkulturellen Kompetenz. Der Erwerb interkultureller Kompetenz erscheint in den Interviews als eigenes Thema so wichtig und umfassend, dass ihm ein eigenes Kapitel (siehe 10.5) gewidmet wird. Drei Interviewpartner geben an, dass sich durch den intensiven Gebrauch von Englisch als lingua franca v.a. die Kenntnisse hinsichtlich der gesprochenen Sprache verbessern: In zwei Wochen Indien lerne ich mehr und besser Englisch als in zwei Jahren eine Stunde wöchentlich. (IP 33) In fachlicher Hinsicht äußern sich neun Interviewpartner. Zum ersten lernen die Mitarbeiter durch die Aufgabe und entwickeln sich inhaltlich fort, wie bei jeder anspruchsvollen Tätigkeit. Durch das Aufeinandertreffen verschiedener Kollegen können sie sich ergänzendes Wissen zu ihren Arbeitsthemen austauschen: Ich lerne dauernd neu, was man da alles noch beachten muss .. und Studien und Vorgänge gibt. Ich habe jetzt auch immer mehr Einblick, was wurde überhaupt alles gemacht hier. (IP 8) Dies wird dadurch verstärkt, dass das Fachwissen der Kollegen aus den jeweiligen Ländern trotz ähnlichem Abschluss ein anderes ist, da unterschiedliche Inhalte an den Ausbildungsstätten gelehrt werden. In multikulturellen Arbeitsgruppen, an denen mehrere Organisationen beteiligt sind, können die Mitglieder andersartige Prozesse beim internationalen Partner beobachten und dies nutzen, um vergleichbare Prozesse im eigenen Unternehmen zu überdenken: Da sieht man eben, dass andere Firmen bestimmte Probleme auf eine andere Art und Weise gelöst haben, und es hat auch funktioniert. Also man hat irgendwie den Beweis, dass das auch anders geht, und dementsprechend kann man sich darauf einlassen und sieht manche eigenen Prozesse oder manche der eigenen Arbeitsweisen in einem anderen Licht. (IP 18) 224

In einem Managementteam, in dem die Mitglieder für verschiedene Bereiche verantwortlich sind, gibt der Interviewpartner an, von der Tiefe in die Breite gelernt und sich neue Fachbereiche erschlossen zu haben. Ein Ingenieur und ein Naturwissenschaftler meinen beide, dass sie durch die Wahrnehmung von Koordinations- oder Gruppenleiteraufgaben in multikulturellen Teams soft skills und Führungskompetenz hinzu gewonnen haben. Methodische Kompetenz, wie z.B. in Projektstrukturen gearbeitet wird, kommt hinzu. Wenn die Interviewpartner im Ausland tätig sind, trägt dies zusätzlich zur Erweiterung der beruflichen Erfahrung bei, z.B. wie Arbeitsprozesse oder -bereiche in einem anderen Land funktionieren. Auch von den Arbeitsstilen der anderskulturellen Kollegen kann gelernt werden. In den Interviewdaten finden sich bei drei Interviewpartnern Hinweise auf die Verbesserung der Fähigkeit des adaptive change, also der Anpassung an eine dynamische Umwelt: Ja, ich denke, das, was das gesamte Team gezeigt hat, ist eine extrem große Flexibilität hinsichtlich Prozesse und auch hinsichtlich der Anpassung an wechselnde Umgebungsbedingungen. Also, rein organisatorisch sind neue Ausrichtungen .. ist es eben nicht so gekommen, was ich teilweise erwarte habe, dass wir darüber ewig diskutieren, „warum, warum behalten wir das alte nicht bei, und warum müssen wir jetzt schon wieder wechseln.“ Das war eher, „dann okay, es gibt halt Naturkatastrophen, und jetzt müssen wir einfach sehen, dass wir so schnell wie möglich adaptieren.“ Also, auch die Änderungsmühe und auch die Einsicht, „okay, es gibt Sachen, die können wir nicht ändern, aber da können wir .. jetzt müssen wir versuchen, das beste daraus zu machen. Je schneller wir sind, umso besser können wir unsere Pfähle einschlagen und unser Terrain wieder abstecken, und umso schneller können wir wieder normal arbeiten.“ Ich denke, das ist eine ganz wesentlichen Stärke, also, die Änderungsbereitschaft. (IP 4) Im weiteren Verlauf erläutert der Interviewpartner, dass diese Flexibilität bei den Teammitgliedern erworben wurde, indem sie durch Andersartigkeiten in der Arbeitsgruppe bereits gezwungen waren, auf Gewohntes zu verzichten und Neues anzunehmen. Andere Interviewpartner sprechen davon, dass sich für internationale und anspruchsvolle Aufgaben auch nur solche Mitarbeiter bewerben, die von Haus aus offen, lernbereit und veränderungsfreudig sind. Denn als Voraussetzung, dass Mitarbeiter hinzulernen, wird fast jedes Mal darauf verwiesen, dass Offenheit gegeben sein muss. Einige Interviewpartner sprechen auch explizit davon, dass Offenheit mit geringem Ethnozentrismus gepaart sein muss, wie z.B. Interviewpartner 4: Dass man offen ist, um auch weiter zu lernen, egal, wie viel man vorher mitbekommen hat. Dass man offen ist für Dinge, dass man nicht sagt, „ich bringe meine deutsche Kultur hier nach Indien, und das setze ich durch.“ (IP 34) Die Kollegen müssen sich sicher sein, damit sie sich trauen, nachzufragen und letztlich zu verstehen: Da scheut sich auch keiner zu sagen, „ich verstehe dich nicht, erkläre mir es noch mal.“ (IP 30) Letzter Punkt bestätigt die Relevanz von Vertrauen und psychologischer Sicherheit.

10.4.2 Lerntheoretische Einordnung Die lerntheoretische Einordnung der im vorangegangen Abschnitt erläuterten empirischen Erkenntnisse findet in verschiedenen Bereichen statt: Einerseits eignen sich die Teammitglieder in der Interaktion mit ihren anderskulturellen Kollegen Wissen an (z.B. über die Prozessgestaltung bei anderen Organisationen oder über die fachlichen Hintergründe ihrer Kollegen). Diesen Prozess erläutern Theorien sowohl des Behaviourismus als auch des Kognitivismus. Des Weiteren erwerben die Teammitglieder Handlungskompetenzen, d.h. die verhaltensbezogenen Möglichkeiten, sich in anderen Kontexten als den bisher erlebten effektiv zurechtzufin225

den und gelerntes Wissen zu übertragen. Dies zeigt die Relevanz des konstruktivistischen Ansatzes, der Metafähigkeiten zur Kommunikation einerseits fordert, andererseits als Ergebnis eines erfolgreichen Lernprozesses sieht. Als Metafähigkeit ist die Fähigkeit zum adaptive change zu nennen, der Grundlage und Ergebnis von Lernen und Weiterentwicklung darstellt. Das Erfahrungslernen, d.h. Aufnahme von neuer Information in der direkten Umgebung, Reflexion und unmittelbare Anwendungsmöglichkeit spielt hierbei deutlich eine Rolle. Wie neue Information herausgefunden und verarbeitet wird, zeigt eingehend das folgende Beispiel, in dem sich der Interviewpartner explizit um den Erwerb neuen Wissens bemüht: Ich habe mir auch so eine Stunde eingetragen, management by walking. Dass ich also versuche, mich selber immer wieder darauf hinzuweisen, bei den Teams vorbeizugehen, zu schauen, was machen die, was haben sie für Probleme, aber auch, was betrifft sie. Also das, was ich auch sehr stark versuche, ist einfach das Ganze für mich zu dokumentieren, persönlich-privater Hintergrund. Ja, wie alt sind die Frauen? Sind die verheiratet? Sind sie nicht verheiratet? Das ist hier auch nicht sehr einfach zu identifizieren, weil hier werden nicht wie im christlichen Abendlande Ringe getragen, wenn man verheiratet ist, sondern es gibt da ganz andere Dinge. Und ich habe versucht, genau diese [betont] kulturellen Unterschiede sehr, sehr früh, sehr, sehr schnell herauszukriegen. (IP 34) Der Erwerb von Sprachkompetenz, der ganz zu Anfang dieses Kapitels empirisch dargelegt worden ist, hängt ebenso stark vom Erfahrungslernen und vor allem vom Üben, d.h. der direkten Anwendung ab. Legt man das Modell von Nonaka / Takeuchi auf der Ebene des Gruppenlernens an, kann man anhand einiger Aussagen der Interviewpartner Bestandteile der Externalisierung (Explizitmachung und Weitergabe von Wissen) und Internalisierung (Aufnahme und Speicherung zur späteren Anwendung) erkennen, zu deren Durchführung es verschiedene Methoden gibt. Beispielsweise tauschen sich Kollegen absichtlich und bewusst über landesspezifische Besonderheiten aus, worauf im nachfolgenden Kapitel 10.5 noch genauer eingegangen wird. Oder bei versehentlichen Fehltritten wird der Akteur von seinen Kollegen aufmerksam gemacht: Da gibt es durchaus Gelegenheiten, wo man angesprochen wird von seinen Mitarbeitern, [die] sagen, „mmh, das und das solltest du nächstes Mal anders machen.“ (IP 13) Dass Kombination (die Verbindung von altem und neuem expliziten Wissen) auftritt, belegt die im vorigen Abschnitt zitierte Aussage des IP 18: Die Beobachtung von anderen Prozessen führt zum Überdenken des eigenen Verfahrens und möglicherweise zu einer Weiterentwicklung des Vorhandenen. Die Sozialisierung, der unbewusste Austausch von implizitem Wissen, findet, wie konzeptuell angelegt, im Verborgenen statt und ist durch die Interviewpartner selbst nicht feststellbar. Daher fehlen zu diesem Punkt empirische Daten. Insgesamt kann aus den Interviews jedoch nicht geschlossen werden, dass durch das Lernen von Sprache oder Fachkenntnissen die Gruppeneffektivität einen Anschub erhält.

10.4.3 Ableitung der Hypothesen Die Voraussetzungen zu fehlender Wertschätzung von Andersartigkeit (Arbeitshypothese iK0Pe 1) wurde in Kapitel Ablehnung bereits umgewandelt zu iK1Pe 9 und wird an dieser Stelle wiederholt. Die Arbeitshypothese iS0V 2 zu Vertrauen wird bestätigt und fortgeführt. Lernbereitschaft (Arbeitshypothese iS0V 4) wird im Vorgriff auf interkulturelles Lernen um Selbstreflexion erweitert. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander. Hypothese Voraussetzung iS1V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft, Offenheit und Fertigkeit zur Selbstreflexion auf. 226

Hypothese Voraussetzung iS1V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Die Arbeitshypothese iS0P 4 wird wie folgt abgewandelt und fortgeführt: Hypothese Prozess iS1P 2: In multikulturellen Teams lernen die Mitglieder hinsichtlich der Fremdsprache Englisch sowie fachlich und zwar hauptsächlich über Erfahrungslernen hinzu. Die Arbeitshypothesen iS0O 4 und iS0O 5 (Wirkung von Lernen auf Teamoutput) können nicht geprüft werden.

10.5

Entwicklung von interkultureller Kompetenz

10.5.1 Die Bestandteile von interkultureller Kompetenz und deren Erwerb Viele Aussagen der Interviewpartner beziehen sich auf den Erwerb von interkultureller Kompetenz, wobei als augenscheinlichste Veränderung die Ausweitung der Kenntnisse über die Kultureigenheiten und länderspezifischen Besonderheiten erkennbar ist; sie liegt also im Bereich kognitives Lernen. Neun Interviewpartner geben explizit Beispiele, was sie über eine andere Kultur gelernt haben: über schwedische Feiertage, das indische Steuersystem oder die osteuropäische Art der Selbstpräsentation. Ein Interviewpartner verbucht dies unter ‚Allgemeinbildung’: Aber ich denke auch in punkto Allgemeinbildung, wenn man da irgendwelche kulturellen Sachen mal anspricht […], z.B. irgendwelche länderspezifischen Gegebenheiten oder politischen Systeme. Das fängt bei Religion an, wo dann einer diskutiert .. läuft wirklich bis zu politischen Systemen und Gesundheitswesen .. was weiß ich nicht alles. Also ich denke, das ist sehr, sehr bereichernd. (IP 30) Doch die Beteiligten erfahren des Weiteren arbeitsrelevante Besonderheiten, die es in der Teamkooperation zu berücksichtigen gilt, wie z.B. die Arbeitsweise oder nach welchen Vorstellungen sich die anderskulturellen Kollegen verhalten. Als Ergebnis könnte man hier die in die Hunderte gehenden Beschreibungen zu kulturellen Unterschieden nennen, welche die Interviewpartner hervorbringen und die sie in der Zusammenarbeit mit ihren anderskulturellen Kollegen gesammelt haben. Dies betrifft vor allem Bereiche wie Arbeitsstil, Führungsverhalten, Kommunikation oder Konfliktumgang (vgl. Kapitel 9.1.2 ‚Dekodierungsprobleme und Attributionsfehler’). Zur Verdeutlichung sei nur eine Schilderung herausgegriffen: Ich denke, das ist auch ein typischer kultureller Unterschied, den wir, sage ich mal, aus dem mittel-, nordeuropäischen Bereich .. da geht es in den Meetings immer um eine Sache. […] Man macht eine Sache auf einmal. Man spricht über ein Thema auf einmal. Während eben die anderen gewohnt sind, mehrere Sachen gleichzeitig zu besprechen, z.B. die Franzosen. Also da fällt mir immer wieder auf, dass diese Fähigkeit, drei Sachen gleichzeitig zu machen und auch gleichzeitig zu besprechen .. die ist viel größer. (IP 3) Es bedarf jedoch vorab einer Sensibilisierung für Unterschiede und überhaupt die Erkennung der kulturellen Prägung bei sich selbst und bei den Kollegen, wie es sechs Interviewpartner erwähnen. Die anfängliche Annahme, dass alle Mitarbeiter gleich wären und Kultur keine Rolle spiele, stellt so manch ein Interviewpartner an sich fest (vgl. Kapitel 9.1.1 ‚Erwartungsverletzungen’): Am Anfang habe ich gesagt, […] was soll das Gerede über indisches Management und so, das ist genau gleich wie bei uns. Mit denen kann man ganz normal reden. (IP 25) Die eigene kulturelle Prägung ist unbewusst und wird dem Manager oder Mitarbeiter in der Interaktion mit anderskulturellen Teammitgliedern erst offenbar. Ein Interviewpartner be227

merkt an sich, „wie schweizerisch ich bin“ (IP 6). Ein weiterer Interviewpartner drückt es so aus: Man lernt halt .. indem man über andere lernt, lernt man auch etwas über sich selbst. Die Andersartigkeit bedeutet .. wirft einen Spiegel auf einen selbst wider, wenn man das so reflektiert natürlich. (IP 14) Der Mitarbeiter erkennt, dass je nach Umfeld diese Prägung anders ausfällt – „Nicht jeder lebt so wie hier“ (IP 11). Dementsprechend legitimiert sich kulturelle Andersartigkeit, obwohl sie nicht sogleich greifbar ist: Es […] scheinen ja alle ganz normal zu sein, und doch sind sie anders. Auf mich wirken sie normal, und trotzdem sind sie anders. (IP 34) Es wird erkannt, dass jede Kultur eine eigene Moralvorstellung hat, dass andere Dinge als richtig oder anständig gelten, und es wird ein Verständnis entwickelt, dass nicht alle gleich sind. Die Arbeit im internationalen Bereich kann als Training für Toleranz angesehen werden, wie es IP 3 beschreibt. Erst wenn eine Akzeptanz für Unterschiedlichkeit vorliegt, kann der Mitarbeiter die persönlichen Stärken seiner anderskulturellen Kollegen kennen und schätzen lernen. Das ‚schätzen Lernen’ ist Teil der affektiven Umbewertung, die von zwölf Interviewpartnern geschildert wird. So werden kulturelle Eigenschaften des Gegenübers nicht mehr automatisch negativ beurteilt, wie es zuvor auf Grund der Ablehnung von Andersartigkeit passierte.198 Der Beteiligte nimmt sich bewusst in seiner Bewertung zurück, wie IP 11 es darlegt: Wenn ich mit Großbritannien telefoniere, mit den Engländern, da dachte ich immer, „Mann, die sind ja irgendwie affektiert, die Engländer.“ Weil die also einen sehr unterschiedlichen Tonfall haben von der Stimme her, also gerade die Frauen. Denke ich, „total pikiert, und was sind denn das für komische Gestalten?“ […] Und ich habe jetzt so viel gelernt durch diese unterschiedlichen interkulturellen Kontakte, dass ich sehr vorsichtig geworden bin mit meinen Bewertungen irgendwo. […] Dann hätte ich über jemanden geurteilt und hätte ich es gar nicht machen dürfen […] nur von seinen Gepflogenheiten, die ja landesmäßig durchaus üblich gewesen wären, die aber für mich einfach fremd waren, nicht zutreffend waren. Und ich habe das völlig missinterpretiert. (IP 11) Die frühere „Missinterpretation“ dieses Interviewpartners lässt sich durch eine Fehlattribution199 begründen, die mit negativen Gefühlen verbunden ist. Dies wird ebenso erkennbar in dem Beispiel eines anderen Interviewpartners: Seine direkte Art der Kommunikation wurde vom chinesischen Mitarbeiter zunächst als persönliche Abneigung verstanden, bis der Chinese (vor allem auch gefühlsmäßig) lernte, dass nicht eine Absicht der Kränkung, sondern der Information hinter den offenen Äußerungen des Deutschen stand. Andere Interviewpartner sind hinsichtlich des Grads an interkultureller Kompetenz noch weiter und bewerten fremdartige Verhaltensweisen als positiv, wie z.B. folgender Interviewpartner in der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Mitarbeitern: Ich mag mich an eine Situation erinnern, als ich hier zum ersten Mal mit den Leuten aus Osteuropa zusammengearbeitet habe, wo ich es einfach komisch fand, dass die Leute zu mir kamen und mir ihre tollen Resultate verkaufen wollten. Das würde jetzt jemand aus dem Schweizer Umfeld wahrscheinlich weniger machen. Und .. im ersten Augenblick ist es dann so, dass man das als aufdringlich empfindet. Wenn man mal verstanden hat, dass das halt einfach die Art und Weise ist, dann empfindet man es nicht mehr als aufdringlich, sondern als zusätzliche Information, die man bekommen hat und die man dann auch entsprechend, sage ich mal, dankend entgegen nimmt. (IP 3) 198 199

Hier sei auf den Zusammenhang mit den Ausführungen zu Ethnozentrismus im Kapitel 9.2.1 verwiesen. Das Problem der Fehlattributionen wurde in Kapitel 9.1.2 empirisch nachgewiesen.

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Diese Wandlung bedeutet eine zumindest teilweise Aufgabe des eigenen Selbstverständnisses und die Annahme von neuen Wertvorstellungen (auf die enormen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, wird später eingegangen). Damit erlangt der Beteiligte eine andere Sicht und innere Verbundenheit. Die Voraussetzung für eine positive Anpassung bzw. für die Entwicklung von etwas gemeinsamen Neuen ist gegeben, sowie auch die Freude am Umgang mit anderskulturellen Kollegen. An diesem Punkt angelangt, kann der Beteiligte andersartige Verhaltensweisen zulassen – er fühlt sich nicht genötigt, sie zu unterdrücken und die eigene Art durchzusetzen. Als Beispiel für einen kulturellen Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen wurde zu Anfang des Kapitels die Gleichzeitigkeit in Diskussionen von IP 3, einem Gruppenleiter, genannt, die er nun akzeptiert und auf die er sich einlässt: Die andere Sache ist, auch zu erkennen, dass man eben z.B. so eine Diskussion auch mal führen kann, in der man mehrere Gesichtspunkte gleichzeitig diskutiert und nicht immer nur, sage ich mal, nach Schema F verfährt. Dass man halt wirklich mit einem tollen Resultat aus einer Diskussion herausgehen kann und sagen kann, die Diskussion war in keiner Form erstens keineswegs geplant, zweitens strukturiert, wie ich es normalerweise machen würde, aber man [hat] trotzdem sehr viel erfahren. Und das, denke ich, ist schon eine Bereicherung, die ich dann mitnehme, dass man halt einfach noch offener ist, halt auch genau die Dinge einfach laufen lässt. (IP 3) Hierzu gehört zu „trainieren“ (IP 33), den Anderen in seiner Kommunikationsweise zu verstehen – der Deutsche den indirekten Inder und der Chinese den direkten Deutschen, um die klassischen Beispiele zu erwähnen. Das Wort „trainieren“ gibt treffend wieder, dass dieses Lernen auf Grund mehrfacher, bewusster Wiederholung statt findet. Bis zu diesem Status akzeptiert der Beteiligte lediglich die Verhaltensweise des Anderen (und lernt damit umzugehen), ohne jedoch das eigene Verhalten zu verändern. Dies passiert in einem nächsten Schritt, den sechs Interviewpartner durchliefen. Um bei dem Beispiel der direkten / indirekten Kommunikation zu bleiben: Interviewpartner 28 merkte in China, dass er dort mit seiner „deutschen Dynamik“ nicht ankam und als „Kopfmensch“ mit „Bauchmenschen“ kommunizierte. Daraufhin stellte er seine Kommunikationsweise um und wurde sensibler in seinen Äußerungen. In einem anderen Fall wurde sich ein Interviewpartner der höheren Personenorientierung der Schweden bewusst und sucht nun (nachdem ihn ein Eklat auf diesen kulturellen Unterschied aufmerksam gemacht hat) für gewisse Themen das persönliche Gespräch, in dem er nach Hintergründen fragt, anstatt wie gewohnt per E-mail sachliche einseitige Anweisungen zu geben. Zuweilen kommt es zu einer Entwicklung neuer Interaktionsformen, die nicht unbedingt einer der beiden Kulturen entspringen, aber von beiden Seiten angenommen und gelebt werden. So berichtet IP 25 von seiner Strategie: Was aber auch eine gewisse Symptomatik hat, dass man eben, auch wenn man eine Anforderung nicht so versteht, .. dass man eigentlich ungern in Diskussion geht und nachhakt und irgendwie lästig ist, bis man es verstanden hat, weil der Respekt und die Distanz zu Vorgesetzten, kommt mir vor, zu groß ist. […] Da habe ich im weiteren Vorgehen dann auch gelernt, dass ich wirklich selbst überprüfen muss, ob das, was ich wollte, eigentlich verstanden wurde. Wenn ich das nicht mache, kann ohne weiteres passieren, dass ich nach drei Wochen nachfrage und dann wird mir stolz ein Ergebnis präsentiert, das ich nie wollte [lacht]. (IP 25) Es gibt Hinweise darauf, dass im interkulturellen Kontakt Stereotype abgebaut werden und die Komplexität des sinngebenden Kategoriensystems erweitert wird. Dies wurde bereits im Kapitel zu Stereotypen erläutert und als Hypothese formuliert (vgl. Kapitel 9.3.3), die gleichermaßen für diese Synergieform Geltung erhält. 229

Betrachtet man interkulturelle Kompetenz nun hinsichtlich der Facetten fachliche, methodische, soziale und individuelle Kompetenz, geben die Interviewpartner an einzelnen Stellen auch hierüber Aufschluss: Zur fachlichen sowie methodischen Kompetenz wurde bereits im vorangegangen Kapitel 10.4 berichtet; jene Ausführungen könnte man nun hier übertragen. Zur letzteren ist kulturspezifisch noch Folgendes zu ergänzen: Ein Interviewpartner gibt an, dass er von jeder Kultur etwas anderes gelernt hat, was er im weiteren beruflichen Leben gut anbringen kann, z.B. Präsentationsfähigkeit und Gelassenheit von den US-Amerikanern und die Verbesserungseinstellung von den chinesischen Kollegen. Soziale Kompetenzen werden ebenso aufgebaut: Beispielsweise wird durch das Kennenlernen von anderen Verhaltensweisen und durch die affektive Umbewertung von Fremdem der Akteur „weltoffener“ (IP 3), da er eher bereit ist, Neues anzunehmen. Ein anderer Interviewpartner spricht über die Teamfähigkeit, die im Verlauf des interkulturellen Lernens mitentstehen kann: Und ich denke mir, Leute, die mehr über andere Kulturen wissen oder mehr über andere Kulturen kennen, arbeiten [betont] wahrscheinlich besser im Team als jemand, der nur seinen eigenen Horizont hat. Und [zögert] dessen Horizont so groß ist wie ein Bierdeckel. (IP 2) Die persönliche Entwicklung wird von neun Interviewpartnern ganz pauschal genannt, ohne dass sie sie in einzelne Fertigkeiten oder Eigenschaften aufschlüsseln, wie im folgenden Beispiel: Einen Vorteil sehe ich zum einem darin, dass das sich dadurch meine Mitarbeiter persönlich auch weiterentwickeln. Manch einen hat das seinen Horizont schon ziemlich erweitert. (IP 33)

10.5.2 Voraussetzungen, Konsequenzen und Schwierigkeiten im interkulturellen Lernen Interkulturelles Lernen findet unter gewissen Voraussetzungen statt, wie schon die Kontakthypothese feststellte (vgl. Kapitel 5.2.5.2). Neun der Interviewpartner kommen auf folgende Bedingungen zu sprechen, die vor allem im persönlichen Bereich der Gruppenmitglieder anzusiedeln sind und im Gesamtteam eine positive Grundstimmung schaffen: Eine gewisse Offenheit muss vorhanden sein, damit Fremdes verstanden und dafür gesorgt wird, dass verborgene Dinge oder Probleme angesprochen werden. Dies erscheint wichtig gerade bei Diskussionen, wenn jeder Beteiligte eine abweichende Meinung vertritt – wobei deutlich der kulturspezifische Einfluss der deutschen und Schweizer Interviewpartner zu erkennen ist, die eine offene Aussprache als positiv einschätzen. Auf der anderen Seite wird genannt, dass keiner Scheu hat, auf den Kollegen zuzugehen und sich damit Blöße zu geben. Hierfür ist auf beiden Seiten Respekt erforderlich im Umgang miteinander, ebenso wie Akzeptanz, dass jeder gebraucht wird. Fehlen von Konkurrenzdenken wird ebenso als zuträglich für Lernen genannt. Der Einzelne muss Lernbereitschaft mitbringen, so beschreibt es zumindest folgender Interviewpartner: Wenn man nicht interessiert daran ist, jetzt wirklich [die] andere Kultur kennen zu lernen, dann ist man fehl am Platz. [Man] muss wirklich Freude daran haben zu lernen, wie, mit welchen Augen eben die Leute, die Inder, das sehen. Und dann macht es auch Spaß. Ansonsten ärgert man sich nur darüber und sagt, „warum wollen sie es noch immer nicht kapieren?“ Man wird sich nie hineindenken. Insofern kostet es auch eine gewisse Energie sich da hineinzudenken. Aber wenn es Spaß macht, wenn man lernen will, dann geht es auch. (IP 25)

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Offenheit und Lernbereitschaft auf individueller Ebene und Vertrauen bzw. psychologische Sicherheit auf Teamebene gelten somit nicht nur als Voraussetzungen für fachliches Lernen (vgl. Kapitel 10.4), sondern auch für interkulturelles Lernen. Personen, die all diese Eigenschaften im besonderen Maße aufweisen oder bereits einen höheren Grad an interkultureller Kompetenz erlangt haben, können informell oder offiziell (z.B. im Posten eines Koordinators) als Multiplikatoren für die Kollegen fungieren. Ein besonderer Umstand, der interkulturelles Lernen beschleunigt, ist ein Auslandsaufenthalt. Denn dort ist der Kontakt mit Angehörigen anderer Kulturen erstens intensiver und zweitens breiter, d.h. er erstreckt sich vom Berufs- auch auf das Privatleben. Dies bedeutet, dass diejenigen Teamkollegen, die als Expatriates in die Arbeitsgruppe kommen, eine besonders nachdrückliche Erfahrung erleben: Man wird schon in gewisser Weise ein anderer Mensch, wenn man so mitarbeitet und über den Gartenzaun hinausguckt. (IP 26) Wenn man nun zum eigentlichen Prozess des Lernens übergeht, werden in den Schilderungen der Interviewpartner Stufen des Lernens offensichtlich, die vor allem Auslandsentsandte durchlaufen. Diese Stufen ähneln den Stadien des Modells von Bennett (1993), demzufolge verschiedene Grade von Ethnozentrismus200 unterschiedliche Reaktionen auf kulturelle Unterschiede hervorrufen. Im Gegensatz zum Modell treten jedoch die einzelnen Stadien nicht so klar auf. Vor allem ist bei manchen Interviewpartnern eher eine Lernkurve im Sinne des Kulturschocks anstatt eines linearen Lernprozesses festzustellen (vgl. zur Theorie Kapitel 5.2.5.2). Ganz zu Beginn des Auslandsaufenthalts ist kaum Bewusstsein für kulturelle Unterschiede vorhanden, wie das oben angeführte Zitat „was soll das Gerede über indisches Management“ von IP 25 und die Ausführungen zu der Erwartung von Gleichheit in Kapitel 9.1.1 veranschaulichen. Ablehnung als Selbstschutz ist zu erkennen in der Phase der Desorientierung (des eigentlichen Kulturschocks, folgt man dieser Theorie), in welche die Expatriates nach einer Weile geraten: Und dann kommt irgendwann mal eine Phase, wo man einen Tiefpunkt erreicht und sein Zuhause vermisst. Und in dieser Phase kommt es dann auch häufig mal vor, dass man .. dass einem die andere Kultur ein bisschen auf den Geist geht. Und man dann auch gegenüber den Kollegen […Tonstörung]. Das sieht dann so aus, dass man vielleicht von einer Person negativ redet über bestimmte Sachen .. schimpft über Taiwan. Und dann kann es schon mal passieren, dass sich ein Taiwanese dann denkt, „der kritisiert das hier die ganze Zeit.“ So was habe ich schon öfters erlebt. Das legt sich aber dann meistens nach einer Weile wieder, weil dann immer wieder die Tiefpunkte überwunden werden. (IP 24, Tonstörung auf Grund technischer Übertragungsprobleme) Selbstzweifel und Unsicherheit sind Ausdruck, dass der Akteur die eigene ethnozentrische Haltung überdenkt: Aber es ist sicher verstärkt drinnen, indische Regeln. Man kann halt da eine vierzigjährige Abteilungsleiterin auch nicht von heute auf morgen hinmodeln, wie man glaubt, dass es richtig ist. Vielleicht ist es auch gar nicht richtig [lacht]. Die hat jahrelang erfolgreich das so gemacht, wie sie es eben jetzt macht. Mal sehen. (IP 25) Einige der Interviewpartner haben sich, wie beschrieben, an kulturelle Unterschiede gewöhnt. Sie nehmen die Eigenschaften des Anderen an, zuerst noch negativ bewertend, dann akzeptierend und später wertschätzend. Statt Erziehung der Anderen wird schließlich, wie schon im vorigen Abschnitt erörtert, das eigene Verhalten angepasst, was folgende selbstreflektierende Aussage zum Ausdruck bringt: 200

Zu den Ausprägungen von Ethnozentrismus unter den Interviewpartnern siehe Kapitel 9.2.

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Wenn ich einem Asiaten ohne Vorwarnung, ohne irgendwas sage, „mach das oder ich brauche das.“ Das funktioniert schlicht und einfach nicht. Ich komme mit der Art und Weise nicht weit. Natürlich im Einzelfall, ich kriege, was ich will. Aber für eine effektive Kommunikation, für ein gutes Team wird es so nicht funktionieren. Ich muss darauf Rücksicht nehmen, dass der anders erzogen ist und dass er einen anderen background hat und Dinge schlicht und einfach anders [zögert] sieht. (IP 2) Ob in der letzten Stufe anderskulturelle Werte internalisiert werden und, wie Bennett (1993) postuliert, eine eigene Identität geschaffen wird, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht überprüfen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass interkulturelles Lernen in einem lang anhaltenden Prozess verläuft, der durch verschiedene Phasen geprägt ist und je nach persönlichen und situativen Voraussetzungen variiert. Doch auf jeden Fall ist noch eine Anschubkraft zu nennen, die interkulturelles Lernen fördert: Dies sind interkulturelle Konflikte. Denn gerade durch sie werden kulturelle Unterschiede erst erkannt und bewusst; der Beteiligte wird „hellhörig“ (IP 25). Diese Hellhörigkeit bezeichnet den Vorgang der Selbstreflexion, wenn Erfahrung überdacht, der Anteil der eigenen Person analysiert und die Konsequenz daraus gezogen wird. Die Relevanz dieses Vorgangs sowie die Fähigkeit dazu wurden in der Position des Konstruktivismus beschrieben. Meines Erachtens schildert ein Interviewpartner genau diesen Vorgang mit seinen Worten: Der andere Punkt ist, dadurch, dass wir täglich mit anderen Kulturen zusammenarbeiten müssen, wird man sehr, sehr sensitiv, was die needs von anderen Leuten anbelangt. Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wenn Leute frisch hierher kommen, gerade aus Deutschland, und gerade beim ersten Mal mit der Axt […] agieren, wie schnell die Leute zum einen zurückgestutzt werden, aber sich selber auch erst mal wieder zurücknehmen und dann sich in das Team integrieren. Dieses Sensitivwerden für die needs von others ist, glaube ich, ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Und [es] braucht eine Weile, bis es unter allen team members etabliert wird. Aber [es] ist eine zentrale Voraussetzung, dass dann ein Team gut funktioniert. (IP 2) Der ständige Kontakt, der im eben genannten Zitat betont wird, weist auf die Bedeutung der Kontakthypothese hin, welche das Lernen auf der Gruppenebene erklärt. Neben gerade zitiertem Interviewpartner 2 erwähnen sieben weitere Interviewpartner den Kontakt in Zusammenhang mit interkulturellen Lernfortschritten. Am deutlichsten wird es bei IP 34, der zusätzlich auf die Abhängigkeit eingeht: Ich habe einen sehr, sehr großen Vorteil. Wir sind ja zwei Manager hier, also ich habe einen [Kollegen]. Er ist Inder […]. Und dadurch, dass wir einen sehr engen Austausch haben, und er in einer gewissen Art und Weise auf mich angewiesen ist durch die Kontakte nach Deutschland, und ich irgendwo, weil ich Interesse daran habe, die indische Kultur und auch die Mentalität und das Miteinanderarbeiten zu verstehen, mit einem sehr engen Kontakt [arbeiten]. (IP 34) Der Kontakt auf der formalen und informellen Ebene ermöglicht erst die vielfältigen Lernprozesse, wie sie im Nonaka / Takeuchi-Modell enthalten sind. Interkulturelle Kompetenz wird also nicht vom Einzelnen unabhängig von seinem Umfeld erworben, sondern in der Interaktion mit Konsequenzen für beide Seiten.201 Wendet man nun besagtes Modell auf die Bestandteile interkultureller Kompetenz und deren Erwerb an, ergeben sich folgende Schlüsse: Als Methoden der Externalisierung wird von sieben Interviewpartnern der Austausch über kulturelle Besonderheiten vorgebracht: 201

Wobei die Konsequenzen, d.h. der Grad an erworbener interkultureller Kompetenz sicherlich von persönlichen Eigenschaften und der Motivation abhängt, wie in den Darlegungen zum Konstruktivismus bereits erwähnt wurde (vgl. Kapitel 5.2.4.1).

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Also wenn dann das Vertrauen mal etabliert ist, dann kommt man auch mit der Frage, „sag mal, ist das jetzt einfach .. verstehe ich das deshalb nicht, weil das einfach kulturell unterschiedlich ist, oder ist das einfach so eine Eigenart, die der Typ ..“ So Sachen werden dann schon angesprochen. (IP 1) Bei Übertretung der kulturellen Toleranzgrenze gibt der anderskulturelle Kollege einen Hinweis, wie es denn besser zu laufen hat, bzw. wie man seine eigene Position interkulturell kompetent nutzen kann: Und erstens nimmt die einen mal immer wieder zur Seite und sagt, „so besser nicht.“ Oder sagt, „ja, du hast die Chance, du bist europäisch, sag mal das so rum.“ (IP 13) Eine Möglichkeit, Externalisierung zu verstärken, ist die Beauftragung eines Coachs, der sich besonders gut auskennt: Wir hatten in Taiwan z.B., als wir nach Taiwan gegangen sind, da war es für mich auch neu, einen sehr erfahrenen Mitarbeiter, der in Taiwan sieben Jahre gelebt hat vorher, und der hat uns darauf vorbereitet auf Taiwan. Und hat uns auch mal Videos gezeigt und ist mit uns mal einkaufen gegangen, mit uns herumgefahren, Häuser gezeigt, hat uns erklärt, wie der Verkehr funktioniert. Und dann kann man mit der Situation ganz anders umgehen. (IP 17) Dieser letzte Satz von IP 17 zeigt das Gegenstück zur Externalisierung, die Internalisierung, die Aufnahme und Nutzung von Wissen. Zur Kombination bzw. Sozialisierung sind keine Aussagen von Seiten der Interviewpartner gemacht worden. Der Prozess des Gruppenlernens ist mit den Phasen der Teamentwicklung zu erläutern (vgl. Kapitel 3.3.7 und 6.1.3). Dass multikulturelle Arbeitsgruppen mit erhöhter Mühe verbunden sind, wurde bereits in Kapitel 9.1 empirisch ermittelt. Dass es sich hierbei um ein zeitlich begrenztes Phänomen, nämlich um die storming-Phase handeln kann, soll nun stärker heraus gearbeitet werden. Ein Interviewpartner erkennt diese Phase von sich aus: Weil jede .. Kulturen .. es gibt Schwierigkeiten dadurch. Das bedeutet, [dass] man erst mal so eine Anpassungskurve [hat]; man hat so einen Mehraufwand. (IP 14) In dieser Phase findet analog des Kulturschocks auf individueller Ebene eine Des- und Neuorientierung statt: Es werden die Stärken und Schwächen, kurz die Eigenschaften der Kollegen kennen gelernt und eine gemeinsame Kooperationsbasis ausgehandelt, für die zu einem gewissen Grad die Annahme neuer Werte- und Verhaltensstandards nötig ist. In dieser Phase treten Konflikte auf, die, wenn richtig gehandhabt und reflektiert (s.o.), als Zugewinn verwendet werden können: Das war ein relativ guter Ausgangspunkt, dass die Abteilungsleiterin danach auch hellhörig geworden ist und gemerkt hat, aha, so kann ich das nicht einfach machen. (IP 25) Es besteht Klärungs- und Diskussionsbedarf, um einerseits Konflikte zu lösen, andererseits die zukünftige Vorgehensweise zu besprechen, welche die Erwartungen beider Seiten zu berücksichtigen hat: Das ist ja auch, wie gesagt, .. wird mein Job sein auch, jetzt nach einer Anwärm-, Anlauf-, Einlebphase, um das herauszufinden. Und da muss man wirklich einfach auch in einen Dialog gehen. Und sagen, „so ist es für mich, und wie ist es für dich? Und wo finden wir uns?“ Wirklich dieses Überbrücken dieser Unterschiede, um die Synergie herstellen zu können. (IP 6) In dieser Phase werden durch solche Aktionen geballt Wissen als auch Handlungsfertigkeiten vermittelt und ein Verständnis der anderen Kultur aufgebaut, welches eine affektive Umbewertung ermöglicht.

233

Die Interviewpartner nennen einige Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben und die belegen, dass der interkulturelle Lernprozess kein leichtes Unterfangen ist. Der Scheitelpunkt interkulturellen Lernens scheint das Ablegen der eigenen Wertvorstellungen zu sein: Oder auch manche Dinge, die ich nicht akzeptiere, weil ich aus einem deutschen Kulturkreis stamme. (IP 34) Wird der Manager oder Mitarbeiter mit Unterschieden konfrontiert und reflektiert er diese, stößt er unweigerlich auf die Frage, ob seine Werte und die daraus folgenden Verhaltensweisen überhaupt richtig sind. Solche Überlegungen werden im folgenden Beispiel deutlich: Also, ich glaube trotzdem nicht, dass ich das Prinzip, das europäische Prinzip oder Moralvorstellungen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch nur in der geringsten Form ablegen kann. Und auch gar nicht will. Aber es ist interessant, weil es ist meine Moral, und die Moral von einem Inder ist eine andere. Und der ist genauso überzeugt und hat genau das gleiche Recht, seine Moral eigentlich zu exerzieren. (IP 25) Dies resultiert in einer Belastung, da der Akteur einerseits merkt, dass die eigene Verhaltensweise (z.B. deutscher partizipativer Führungsstil in Indien) nicht passt, aber andererseits sich auf Grund der eigenen Maßstäbe sträubt die andere anzunehmen (z.B. den stark kontrollorientierten Führungsstil in Indien). Eine Übernahme und Verinnerlichung erfolgt dann nur graduell und ist, wie ein Interviewpartner meint, erst im Rückblick feststellbar. Eine Imitation der Verhaltensweisen ohne innere Überzeugung entspricht einer Selbstaufgabe und führt dazu, dass „man eine Rolle spielt“ (IP 6). Oder der Beteiligte „gewöhnt“ sich daran, ohne dass er es innerlich akzeptiert, wie folgendes Beispiel aus Indien zeigt: Ich glaube, der indische Manager hat dann durch den ziemlich eklatanten Aufruhr auch gemerkt, dass es ganz anders läuft in Europa und hat sich sicher etwas adaptiert. Und der Olsfelder202 Kollege .., im ersten Moment war ihm das halt viel zu viel, ein bisschen hat er sich dann daran gewöhnt, aber ich glaube, es ist ein bleibender Konflikt eigentlich. (IP 25) Die emotionale Belastung, welche speziell in der eben geschilderten Umorientierung auftritt, aber auch bei jedem einzelnen interkulturellen Konflikt, kann den Beteiligten sehr stark strapazieren, selbst wenn er versucht, sich dabei selbst zu disziplinieren: Wenn die maid dann schon wieder sagt, „morgen bin ich nicht da, weil da bin ich krank,“ dann sollte man sich nicht darüber ärgern, soll darüber lachen und sich denken, „ja, so ist es halt. Ich bin halt nicht so streng, oder warum auch immer..“ Und [man] kann halt daraus lernen und sagt sich, „eigentlich ist es ja wurscht, ich brauche sie morgen eh nicht unbedingt. Es ist keine Katastrophe, ich habe zu Hause ja auch keine, und übermorgen ist sie ja wieder da.“ […] Man kann sich entweder ärgern, oder man kann es eigentlich als interessante Erfahrung sehen. […] Manchmal schafft man es nicht, und wenn man nicht aufpasst, dann steigert man sich da hinein, und dann geht es irgendwie immer schwerer. (IP 25) Konflikte können einerseits, wie dargelegt, erhellend wirken, aber, wenn sie in zu starkem Maße auftreten, eskalieren bzw. zu große Konfliktresiduen hinterlassen, die das Klima in der Gruppe beeinträchtigen und Lernen verhindern. Dies bedeutet eine Sackgasse und kann höchstens als lehrreiche Erfahrung für spätere Teams verwendet werden: Also, ich hatte in meiner früheren Zeit einen Konflikt mit einer Chinesin, die bei mir gearbeitet hat. Und da war es einfach nur ein Kommunikationsproblem. Die konnte zwar deutsch, aber die hat wie Hund und Katze, alles was ich gesagt hatte, anders interpretiert. Ja, und irgendwann war der Konflikt da. Und das ging dann so, auch durch die chinesische Kultur .. sagen wir mal, die können ja nicht das Gesicht verlieren. Man 202

Olsfeld ist ein Pseudonym.

234

kann ihnen ja nicht sagen: „Du machst jetzt was schlecht, du kannst es besser machen.“ Ich habe dann sehr viel mit ihr geredet, und das hat aber nichts gewirkt. Sie war dann einfach stur und hat das nicht angenommen. Und auch meinen Chef dann .. den hatte ich dann auch eingeweiht, und der hat dann auch mit ihr geredet, und das hat nichts gewirkt. Wir haben dann nur die Person versetzen können in eine andere Abteilung, auf eigenen Wunsch auch. Die wollte das dann auch. Es hat nicht mehr geklappt, nein. Also, manche von den Konflikten lassen sich nicht lösen. […] Das ging eine ganze Weile. War eben auch ein Problem meiner Kultur. Ich war damals relativ neu als Gruppenleiter, [hatte] keine Erfahrung. Kam da mit meiner deutschen Dynamik an ja, und kam eben bei der Chinesin schlecht an. Und da habe ich auch dann persönlich viel dabei gelernt. Das würde mir heute nicht mehr passieren. (IP 28) Diese gravierenden Schwierigkeiten deuten darauf hin, dass der Aufbau interkultureller Kompetenz kein zwangsläufiges Phänomen ist. Die bisherigen Ausführungen stellen einen positiven Verlauf dar, der im Licht der kritischen Aussagen zu relativieren ist. Schließlich erreicht nicht jedes Gruppenmitglied interkulturelle Kompetenz, sondern kann je nach Persönlichkeit und Situation auf der Stelle verharren bzw. sogar noch ethnozentrischer werden als zu Beginn der Kooperation. Dass sich viele Expatriates in der neuen Umgebung nicht zurechtfinden, weil sie keine interkulturelle Handlungsfähigkeit aufbauen können, wurde bereits in anderen Studien eingehend belegt; hier nur eine kleine Bestätigung aus den dieser Arbeit zugrunde liegenden empirischen Daten: Und wenn sie den Tiefpunkt nicht überwinden, dann gehen sie sowieso heim. (IP 24) Zur Datenlage muss angemerkt werden, dass mit den Selbstaussagen der Interviewpartner in diesem psychologischen Bereich nur ein Teil des interkulturellen Lernens erfasst werden kann. Nur wenn der Interviewpartner seinen Lernprozess reflektiert und offen darüber spricht, können einzelne Schritte und Bestandteile des Lernprozesses ex post identifiziert werden. Was mit dieser Methode beinahe nicht erfasst werden kann, sind die Skripte und kognitiven Modelle, die der Beteiligte unbewusst aufbaut, ebenso wenig wie die Gefühle, über die der Interviewpartner nicht sprechen möchte. Der aktuelle Stand der interkulturellen Kompetenz des Interviewpartners kann nur ansatzweise über die Fremdeinschätzung des Forschers erfolgen, z.B. über die Analyse der Aussagen zu kulturellen Unterschieden, um die Existenz von Ethnozentrismus erfassen zu können. Es wäre jedoch vermessen zu glauben, durch die Interviews eine punktgenaue Evaluierung interkultureller Kompetenz beim Gesprächspartner vornehmen zu können. Dies wäre eine Anmaßung, die nicht im Sinne dieser Arbeit liegt. Auch die Interviewpartner nehmen sich hinsichtlich Kommentierungen zum Lernfortschritt ihrer Kollegen zurück, vermutlich aus demselben Grund. Genauso gibt es kaum verbale Hinweise auf das Gruppenlernen (sei es interkultureller oder allgemeiner Art), was darin begründet sein mag, dass dies ein sehr abstrakter Prozess ist, der in seiner modellhaften Komplexität kaum von einem Nichtexperten wiedergegeben werden kann, noch dazu, wenn er selbst Teil des Prozesses ist, der stark unbewusst abläuft. Es ist also nicht möglich festzustellen, welcher Interviewpartner auf welcher Stufe im interkulturellen Lernen steht. Diese Frage ist jedoch auch für das Ziel der vorliegenden Arbeit nicht entscheidend, denn es reichen die Aussagen der Interviewpartner aus um zu belegen, dass es Lernfortschritte im interkulturellen Bereich gibt, welche Bestandteile gelernt werden und dass es ein dynamischer und komplexer Prozess ist. Diese Erkenntnisse werden im nachfolgenden Unterkapitel als Hypothesen festgehalten. Dass es zu interkulturellem Lernen in multikulturellen Arbeitsgruppen kommt, ist bei 21 Teams zu erkennen, vielleicht nicht in allen dargelegten Facetten, aber zumindest in Teilbereichen. Wenn man die Statistik bemüht, ist eine Häufung eher in den sehr guten, dann in den guten Teams zu erkennen. In den durchschnittlichen und schlechten Teams tritt in weniger als der Hälfte interkulturelles Lernen auf. 235

schlecht

Anzahl der Teams 5

Teams mit interkulturellem Lernen 2

durchschnittlich

9

4

Effektivität

Beurteilung

1,0 - 4,0 5,0 - 5,5 6,0 - 7,5

gut

13

9

8,0 - 10,0

sehr gut

6

5

k.A.

1

1

Summe

34

21

Tab. 19: Gruppeneffektivität und Teams, in denen interkulturelles Lernen auftritt Die Vorteile, die sich aus dem Erwerb und schließlich dem Vorliegen von interkultureller Kompetenz hinsichtlich der Teameffektivität ergeben, sind in den vorangegangen Ausführungen immer wieder benannt worden und sollen der Übersichtlichkeit halber zum Schluss noch einmal zusammengefasst werden. Einerseits ergibt sich eine persönliche Weiterentwicklung des Mitarbeiters, was philanthropisch bereits als Vorteil verstanden werden kann. Doch auch die Arbeitsgruppe profitiert davon: Dabei ist zu differenzieren nach der Stufe des interkulturellen Lernens: Hat der Mitarbeiter sich kognitiv Wissen über andere Kulturen angeeignet, kann er dies bei der Bearbeitung der dortigen Märkte und Systeme verwenden. Findet Lernen auch auf der affektiven und konativen Stufe statt, sind die Auswirkungen auf die Effektivität vielfältiger: Es verbessert sich die Teamkooperation dadurch, dass der Mitarbeiter Verständnis und Offenheit für die Verhaltens- und Denkweisen seiner Kollegen aufbaut. Wie in den vielen Schilderungen deutlich wird, tragen die verschiedenen Elemente interkultureller Kompetenz dazu bei, interkulturelle Konflikte zu vermeiden oder aufzulösen, womit die Einschnitte auf Gruppeneffektivität gemildert werden – ein indirekter Einfluss dieser Synergieform auf den Output. Es nehmen Frustration und Aggressionen ab; die Unsicherheitstoleranz steigt als auch die Freude miteinander, was zur Zufriedenheit der Mitarbeiter beiträgt. Die Mitarbeiter nehmen Unterschiede an und können diese nutzen. Zuletzt wirkt sich interkulturelle Kompetenz gegebenenfalls nach außen aus, indem die Mitarbeiter die Bedürfnisse ihrer ausländischen Kunden besser befriedigen können und helfen, ein globales Unternehmen zu formen. Hier wird deutlich, dass interkulturelle Kompetenz ein Baustein für den Aufbau anderer interkultureller Synergieformen ist, sei es Kreativität, Lernen, Arbeitsteilung oder Marktnähe.

10.5.3 Ableitung der Hypothesen Die Arbeitshypothesen zu den Voraussetzungen iS0V 4 werden ergänzt um Selbstreflexion; iS0V 2 und iS0V 5 werden wörtlich übernommen. Weitere Voraussetzungen zu Auslandsaufenthalten und interkulturellen Missverständnissen als Anschubmöglichkeit (aus Kapitel 9.1) werden hinzugefügt. Hypothese Voraussetzung iS1V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft, Offenheit und Fertigkeit zur Selbstreflexion auf. Hypothese Voraussetzung iS1V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. Hypothese Voraussetzung iS1V 5: Face-to-face Kontakt, aufgabenbezogene Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben. Hypothese Voraussetzung iS1V 6: Ein Auslandsaufenthalt intensiviert den interkulturellen Lernprozess.

236

Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 3: Interkulturelle Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen. Die Arbeitshypothese iS0P 5 zur Existenz des interkulturellen Lernens als Prozess in multikulturellen Arbeitsgruppen wird weitergeführt. Die erweiternden Hypothesen iS0Pe 1 und iS0Pe 2 werden spezifiziert. Die Ergänzung zu der Ausdifferenzierung von Stereotypen wird aus dem Kapitel 9.3 entnommen und der Logik halber wiederholt. Interkulturelle Kompetenz als Grundlage für die Förderung der anderen interkulturellen Synergieformen und der Vermeidung von interkulturellen Konflikten aus Arbeitshypothese iS0Pe 3 wird bestätigt. Die Arbeitshypothese zur Gruppenleistung iS0O 6 wird wörtlich beibehalten, die Arbeitshypothese zur Zufriedenheit iS0O 7 etwas angepasst. Hypothese Prozess iS1P 3: In multikulturellen Teams erwerben die Mitglieder interkulturelle Kompetenz. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 3: Die Teammitglieder werden für kulturelle Prägung und kulturelle Unterschiede sensibilisiert, sie erwerben kognitives interkulturelles Wissen und vollziehen eine affektive Umbewertung von Ablehnung zur Akzeptanz bzw. Wertschätzung von fremden Verhaltensweisen. Die Teammitglieder passen ihre Verhaltensweisen der interkulturellen Situation an. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 4: Interkulturelles Lernen vollzieht sich langfristig und enthält eine anfängliche Phase der Desorientierung. Interkulturelles Lernen auf Gruppenebene findet im Rahmen der Teamentwicklung in der Phase des stormings statt. Hypothese Prozess (Erweiterung) iK1Pe 12: Im Verlauf des interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte. Hypothese Output iS1O 2: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. Hypothese Output iS1O 3: Interkulturelle Kompetenz sorgt für höhere Zufriedenheit unter den Gruppenmitgliedern.

10.6

Kulturspezifische Arbeitsteilung

10.6.1 Die Stärken der Mitglieder und ihre Nutzung 21 Interviewpartner beschreiben die kulturell unterschiedlichen Arbeitsweisen der Mitarbeiter bzw. Kollegen, die sich als besondere Stärke hinsichtlich einer bestimmten Aufgabe auszeichnen. Dazu gehören die Durchsetzungsstärke, Proaktivität und Dokumentationsweise der Deutschen, die Anpassungsfähigkeit und Beziehungspflege der Chinesen, die Gewissenhaftigkeit und der Arbeitseinsatz der Inder oder die Präsentationsfertigkeiten und Offenheit der Amerikaner, um nur einige anzureißen. Eine Schilderung zur besonderen Kompetenz der Schweizer sei exemplarisch herausgegriffen: Und was jetzt die anderen, sage ich mal, kulturellen Unterschiede, wie nationale landeskulturelle Unterschiede [betrifft, da] gibt es auch Dinge, die man besser achten sollte. Also ich würde jetzt, sage ich mal, wo es relativ akribisch darum geht, Informationen zu sammeln und zusammenzutragen, da gibt es schon, sage ich mal, Eigenschaften von z.B. Schweizern, die da sehr gut dafür geeignet sind. (IP 3) Auch andere Diversitätsdimensionen werden herangezogen, um die besonderen Stärken unterschiedlicher Personen hervorzuheben. Fachliche Qualifikation spielt sicherlich eine Rolle, ebenso wie standortbezogene Kenntnisse, die dazu führen, dass sich gerade lokale Mitarbeiter und Entsandte ergänzen: 237

Ich hatte die fachlichen Profile, und die HR-Managerin kannte den lokalen Markt am besten. (IP 26, ein Expatriate in China) Weibliche Mitarbeiterinnen werden als eher sozial kompetent beschrieben und sind daher wichtig für die harmonischen Beziehungen im Team. Auch abweichende Erfahrungsstände („alter Hase“ versus Hochschulabsolvent) werden geschätzt, da beide Sichtweisen und Herangehensweisen für die Aufgabe benötigt werden. Ein Interviewpartner spricht die Vorzüge unterschiedlicher Ausbildungen an, die eher wissenschaftlich oder eher praxisnah orientiert sind: Deswegen braucht man natürlich beides. Man braucht Leute, die den Mut haben, etwas anzupacken, was sie irgendwo in einem wissenschaftlichen Papier gelesen haben [...]. Und braucht es halt auch Leute, die, sage ich mal, soviel Handwerkszeug haben, dass es halt kein Pfusch wird. (IP 3) Dieses Zitat zeigt, dass das Zusammenwirken der Gegensätze als positiv verstanden wird. Die Stärken ergänzen sich, gleichen zuweilen Schwächen aus und führen so zu einer breiten Abdeckung von Notwendigkeiten, wie von insgesamt 18 Interviewpartnern geschildert wird. Einer von ihnen bringt das folgendermaßen auf den Punkt: Wissen Sie, ich habe eine Schweizer Brille auf, Sie haben eine deutsche Brille auf, ein Kanadier sieht gewisse Dinge anders, auch wenn er jetzt hier lebt. Und das gleiche ist, wenn ich einen Vertrag anschaue oder wenn ich ein Problem lösen sollte. Einer bringt Emotionalität, der andere bringt die Genauigkeit, der dritte schaut auf die Zeit. Ein Schweizer schaut immer auf die Zeit, wie lange brauchen wir. Und wir wären nicht so effizient, wenn das nicht wäre. (IP 7)

10.6.2 Die Relevanz kulturspezifischer Arbeitsteilung und ihre Voraussetzungen Aus den Angaben der Interviewpartner ist zu schließen, dass die Aufgabenverteilung stärker auf fachlichen und kapazitiven Merkmalen fußt und dass die kulturelle Zugehörigkeit bzw. kulturelle Stärke der betreffenden Mitarbeiter einen Nebeneinfluss in dieser wenig formal strukturierten Entscheidung darstellt, wie es IP 6 auf den Punkt bringt: Das läuft ja auch nicht so bewusst, das ist mehr so ein bisschen, who is available. Und wer könnte das jetzt auch noch schnell machen. Und wer möchte das auch machen. Wer meldet sich da auch. Es ist nicht so ein strukturiertes Vorgehen. (IP 6) Eine rein kulturspezifische Zuteilung ist wohl eher utopisch: Die [betont] wunschmultikulturelle Allianz schaut so aus, dass man immer die Stärken der jeweiligen Leute zusammenführt. In der Praxis bin ich mir nicht so sicher, ob das immer so gut funktioniert. Weil es eben wirtschaftliche und politische Randbedingungen gibt. (IP 2) Interviewpartner 17 verweist darauf, dass der Gruppenleiter zu beachten hat, dass diese Aktivitäten und Arbeitsweisen abgestimmt werden und Hand in Hand laufen, damit sie auf ein gesamtes Ziel hinsteuern. Die bewusste Koordination ist also eine maßgebliche Voraussetzung zum erfolgreichen Einsatz dieser Synergieform. In diesem Sinne muss die Führungskraft des Weiteren berücksichtigen, dass die Mitarbeiter zueinander passen – sowohl im Gesamtteam als auch bei der Bearbeitung von Teilaufgaben. So kann die Kooperation zwischen völlig andersartigen Mitarbeitern durchaus fruchtbar sein, doch ist eine gewisse gemeinsame Basis und Zuneigung nicht außer Acht zu lassen: Und so gibt es auch Teams, die nicht miteinander so gut können, […] weil die Arbeitsweise zu unterschiedlich ist oder weil sie sich persönlich nicht mögen; das gibt es natürlich auch. (IP 32)

238

Wie es scheint, münden die unterschiedlichen Arbeitsweisen eher in entsprechenden Rollen, in welche sich die Gruppenmitglieder je nach ihrer kulturellen Zugehörigkeit (neben ihrer Persönlichkeit) einfinden. Neben dem im vorgenannten Unterkapitel zitierten Beispiel mit der „Schweizer Brille“ von IP 7 schildert folgendes Beispiel anschaulich die Einnahme von Rollen anhand einer Diskussionsrunde: Wenn da nur Deutsche sitzen, wenn wir da Projekte oder Ergebnisse diskutieren oder irgendwas, wenn da nur Deutsche sitzen, dann artet das irgendwie in eine große Diskussion aus, teils sehr aggressiv. Und eben, wenn das so gemischt ist, läuft das schon etwas ruhiger. […] Wenn man da z.B. irgendwas diskutiert, wenn das dann nur unter Deutschen geht, wird das sehr schnell emotional. Dann sagt der eine, „nein, das ist so“, dann sagt der andere, „nein, nein, das muss aber so sein, und das glaube ich nicht.“ Ja, und da fangen Glaubenskriege an. Und da steht der Schweizer auf, „ja, ich glaube aber, das können wir doch so und so zeigen.“ Da wird alles schon ruhiger. Allein schon dadurch, dass er etwas langsamer redet und etwas bedächtiger und positiv, ja. (IP 28) Wie ein Interviewpartner bemerkt, beginnt diese Synergieform der Arbeitsteilung mit der Wahrnehmung von Unterschieden. Diese mag zu Beginn der Kooperation noch durch generalisierende Stereotype geprägt sein (in diesem Falle die „gewissenhaften Inder“); die Kategorisierung nach kulturellen Unterschieden verwischt jedoch im Laufe der Zeit mit besserem Kennenlernen der einzelnen Personen, so dass jedes Teammitglied differenziert als einmalige Kombination persönlicher und kultureller Merkmale wahrgenommen wird (vgl. Kapitel 9.3 ‚Stereotype’ und 10.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’). Dies bedeutet jedoch zudem, dass sowohl Aufgaben- als auch Rollenteilung weniger stark durch kulturelle Grenzen determiniert werden. Der Eindruck, der in der Summe der Interviews besonders durch die Vielzahl an generalisierenden Beschreibungen kultureller Merkmale entstanden ist (vgl. Kapitel 9.3), lässt jedoch vermuten, dass eine solch differenzierte Wahrnehmung in den wenigsten Fällen gegeben ist. Im Gegenteil, es wird eine hohe Anzahl von Beispielen für kulturelle Stärken und die Kombination von Stärken genannt. Einige der Interviewpartner geben hingegen an, dass diese Stärken nicht ausreichend genutzt werden: Wenn man die deutsche Kultur und die französische Kultur vergleicht, sehe ich es so, dass die Franzosen sehr viel schneller aus dem Bauch heraus Entscheidungen fällen als die Deutschen. Etwas weniger den strukturierten Ansatz gehen. So gründliche Vorbereitungen machen nur die Deutschen […]. Die Aufbereitung vieler Informationen wird, glaube ich, bei uns sehr gründlich, sehr ausführlich, sehr detailliert gemacht, auch in der Regel sehr schön vom Outfit her. […] Nach meinem Verständnis, auch eben, weil ich dort gearbeitet habe, würde ich sagen, dass man letztlich von beidem durchaus was braucht in einem Team. [...] Ich denke aber, dass wir es im Team hier noch nicht richtig nutzen. Das könnte man wahrscheinlich noch wesentlich verbessern. (IP 16) Wie in diesem Zitat ersichtlich wird, kann jede Eigenschaft positiv oder negativ sein, abhängig vom Kontext und der Zielsetzung einerseits und von der Wahrnehmung bzw. ethnozentrischen Bewertung andererseits. Im ersten Fall sind die Eigenschaften jeweils im Lichte der zu erfüllenden Aufgabe zu bewerten und entsprechend einzusetzen. Der Vorteil besteht darin, einen größeren Pool an Fähigkeiten zu besitzen, über den die Arbeitsgruppe verfügen kann, entweder direkt für eine konkrete Aufgabenstellung oder gleichermaßen zur Kompensation der Schwächen anderer oder zur Kombination mit weiteren Stärken zur Erfüllung komplexer Anforderungen. Im zweiten Falle tendiert der Akteur zu einer Abwertung der andersartigen Arbeitsweise (in Ansätzen auch im vorgenannten Zitat von Interviewpartner 16 zwischen den Zeilen zu erkennen) – womit die Voraussetzung für diese Synergieform nicht erfüllt ist (was die Ursache in dem Zitat sein mag, warum die Stärken (noch) nicht genutzt werden). 239

In den Arbeitsgruppen anderer Interviewpartner werden die Unterschiede jedoch durchaus genutzt und führen zu einer besseren Aufgabenerfüllung und damit zu besseren Ergebnissen des Teams, auch nach Aussagen der Interviewpartner selbst: Das ist ein extremer Vorteil, weil man einfach, ich meine, verschiedene Methoden miteinander kombiniert. Und da kommt meiner Meinung nach eine ganz gute Mischung heraus. Also, der Deutsche versucht, möglichst viel zu planen in so einem Projekt. Der gibt so den Takt an [...]. Der Amerikaner bringt halt dann neue Ressourcen herein, wenn er sieht, dass es knapp wird, um den Termin, der wichtig ist, zu erreichen. Und der Asiat, der sucht sich dann halt heraus, welchen Weg er auf den kurzen Abschnitten geht. Also, das ist eine ganz gute Mischung. Und da kommt ja irgend so ein Optimum heraus. (IP 17) Ein Interviewpartner gibt einen anschaulichen Vergleich mit landwirtschaftlicher Monokultur, der an dieser Stelle als gelungene Charakterisierung dieser Synergieform wiedergegeben wird: […] wie in der Landwirtschaft. Wenn Sie Monokultur haben, und es kommt irgendein Schädling herein, dann fällt Ihnen die gesamte Ernte aus. Das ist wie im Wald. Wenn Sie einen Mischwald haben, und der Sturm kommt, haben Sie weniger Schäden, als wenn sie einen reinen Fichtenwald haben, wenn der Sturm kommt. Weil das alles flach wird, weil Ihnen die umfallen. Sondern das ist genau der gleiche Effekt, dass sie durch die unterschiedlichen Stärken des Individuums dort das gesamte Team natürlich stärken. (IP 4) Wie der Tabelle zu entnehmen ist, tritt die Synergieform ‚kulturspezifische Arbeitsteilung’ vorwiegend in den Arbeitsgruppen der Kategorie ‚gut’ auf. Dies könnte nun so interpretiert werden, dass in den wenig erfolgreichen Teams kulturelle Unterschiede entweder nicht gesehen oder als hinderlich sehen, so dass sie nicht zur Arbeitsteilung genutzt werden. Sobald sich ein Verständnis für kulturelle Unterschiede entwickelt hat, gehen die Beteiligten positiv mit ihnen um und setzen sie effektivitätssteigernd ein. Es wird angenommen, dass die Mitglieder der sehr guten Teams eine hohe interkulturelle Kompetenz aufweisen und sehr differenziert wahrnehmen, also weniger in klaren Stereotypen. Damit greifen sie auch weniger auf angeblich kulturspezifische Stärken und Kategorisierungen zurück. Effektivität

Beurteilung

Anzahl der Teams

1,0 - 4,0

schlecht

5

Teams mit kulturspezifischer Arbeitsteilung 2

5,0 - 5,5

durchschnittlich

9

4

6,0 - 7,5

gut

13

11 2

8,0 - 10,0

sehr gut

6

k.A.

1

1

Summe

34

20

Tab. 20: Gruppeneffektivität und Teams mit kulturspezifischer Arbeitsteilung

10.6.3 Ableitung der Hypothesen Die Arbeitshypothese iS0V 7 zur Voraussetzung wird wörtlich beibehalten und als iS1V 7 fortgeführt. Die Arbeitshypothesen iK0Pe 1 (Wertschätzung von Andersartigkeit) und iS0V 6 (Erkennung von kulturspezifischen Stärken) werden zusammengeführt in iS1V 8. Die Arbeitshypothesen zum Prozess iS0P 6 und zum Output iS0O 8 werden übernommen.

240

Hypothese Voraussetzung iS1V 7: Es ist neben Kapazitäts- und Fachüberlegungen ausreichend Entscheidungsspielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken gegeben. Hypothese Voraussetzung iS1V 8: Für eine kulturspezifische Arbeitsteilung werden kulturelle Unterschiede erkannt und in ihrer Vorteilhaftigkeit für die Aufgabenerledigung wert geschätzt (geringer Grad an Ethnozentrismus, starker Grad an kulturspezifischen Kategorien / Stereotypen). Hypothese Prozess iS1P 4: In multikulturellen Teams werden Aufgaben und Rollen nach kulturspezifischen Eigenschaften und Stärken vergeben. Hypothese Prozess iS1O 4: Eine Aufgaben- bzw. Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu einer besseren Ressourcennutzung und damit Effektivitätssteigerung des Teams.

10.7

Marktnähe und Internationalität

10.7.1 Ausprägungen der Marktnähe Indem in der Arbeitsgruppe kulturell diverse Mitglieder im Allgemeinen und aus den Zielländern ihrer Aktivität im Besonderen vertreten sind, kann das Team im Ausland generell und insbesondere in den Zielländern erfolgreicher agieren, da es hierfür auf die nötigen internationalen und landesspezifischen Kenntnisse zugreifen kann. Die Interviewpartner erwähnen Vorteile, die sich in fünf Kategorien unterteilen lassen: Die erste wäre mit Überbrückung der kulturellen Barriere zu bezeichnen, wie sie von zehn Interviewpartnern angemerkt wird. Ein Mitarbeiter, so viel er gereist sein mag, kann nicht jedes Land oder jede Kultur der Welt kennen. Daher zieht man Einheimische heran, die mit der dortigen Kultur in allen Facetten vertraut sind. Die Leute aus der Zielkultur verstehen die dortige Vorgehensweise besser, da ihnen die lokalen Formen der Wahrnehmung und des Denkens bekannt sind: Wir haben jetzt z.B. einen Amerikaner, der weiß halt, wie der Amerikaner als solcher fühlt und denkt. (IP 9) Gerade hinsichtlich des Kontakts mit den Kunden ist es von Vorteil, kulturell „dieselbe Sprache zu sprechen“ (IP 14). Wie ein anderer Interviewpartner feststellt, sind nicht die Daten über den Markt entscheidend, sondern das Beziehungsnetz und die richtige Umgangsform. Gerade für die asiatischen Länder China und Taiwan denken zwei Interviewpartner, dass die Kommunikation dorthin besser läuft, wenn man die chinesischen bzw. taiwanesischen Kollegen einsetzt. So sind z.B. die Taiwanesen geschickter bei der Beschaffung von Informationen beim taiwanesischen Geschäftspartner. Hingegen wird in der ausländischen Niederlassung der deutsche Kollege vorzugsweise eingesetzt, wenn mit dem deutschen Stammhaus zu verhandeln und eine direkte Aussprache nötig ist. Auch wenden sich Teammitglieder nach den Aussagen zweier Interviewpartner gern an den jeweiligen anderskulturellen Kollegen, wenn sie Schwierigkeiten in der eigenen Kommunikation erfahren, wenn z.B. E-mails von den Ansprechpartnern des anderen Landes nicht beantwortet werden. Der Kollege kann als Mittler fungieren, gegebenenfalls auf Fehler aufmerksam machen und Hinweise geben. Gerade bikulturelle Mitarbeiter sind laut zwei Interviewpartnern in multikulturellen Arbeitsgruppen gern gesehen, d.h. Personen, die entweder im Ausland aufgewachsen sind oder zumindest lange Zeit dort gelebt haben. Denn sie verstehen beide Seiten und können noch besser zwischen In- und Zielland vermitteln. In einem Team in Taiwan wird die einheimische Assistentin offiziell damit beauftragt, den ausländischen Kollegen in privaten Angelegenheiten wie Behördengänge etc. zu unterstützen, damit weniger Mühe und Arbeitsleistung des Entsandten dafür verwendet werden muss. 241

Als zweiter Vorteil ist die Überbrückung der sprachlichen Barriere zu nennen. Gerade in Asien geht diese Hand in Hand mit der kulturellen Barriere, wie insgesamt fünf Interviewpartner berichten: Als Deutscher kommt man am Chinesischen nicht vorbei. (IP 23) Selbst wenn der Betroffene die dortige Sprache lernt, ist das nach den Angaben desselben Interviewpartners 23 nur der halbe Weg, was genauso gut für Taiwan gilt. Zudem sind kritische Themen immer angemessener in der Landessprache zu klären. Der einheimische Mitarbeiter weiß, wie er am besten die Interessen der Firma zu vertreten hat (was wiederum stark mit dem kulturellen Hintergrund zu tun hat, wie gerade erläutert). Ebenso ist dies von Vorteil bei der Ansprache von Kunden. Darüber hinaus kann der einheimische Kollege als Dolmetscher einspringen: Dadurch, dass wir ein Team sind mit wahrscheinlich weltweiter Vertretung, was die Leute anbelangt, haben wir immer jemand, der die Muttersprache spricht. Und wenn es Spitze auf Knopf kommt, [kann man den] schlicht und einfach sozusagen als intermediate Dolmetscher einsetzen [...], was jetzt eigentlich los ist. (IP 2) Die Sprache kann als Türöffner fungieren und Bestandteil der Akzeptanz sein, wie im weiteren Verlauf noch ausgeführt werden wird. Landeskenntnisse und Kundenorientierung sind als dritter Vorteil zu werten. In zwei Arbeitsgruppen sind Landeskenntnisse entscheidend für die Tätigkeit der Unternehmenszentrale: Die Teammitglieder kennen die einzelnen Länder und verstehen die dortigen Verhältnisse. Drei dieser Teams sind explizit aus diesem Grund international besetzt worden: Die Mitglieder sind zuständig für Länder bzw. Regionen, aus denen sie stammen: Die slowakische Kollegin macht Osteuropa, klar, weil sie sich dort am ehesten auskennt auch, natürlich. (IP 1) In einem anderen Team bemerkt der Interviewpartner, dass durch die Sensibilisierung auf kulturelle Unterschiede unter den Gruppenmitgliedern diese Fähigkeit für eine erhöhte Kundenorientierung genutzt werden kann: Aber wenn das Ganze läuft, dann ist es ein Vorteil, weil .. man ja durch [zögert] die Andersartigkeit der verschiedenen Teammitglieder auch darauf geeicht wird, dass eben doch jeder Kunde anders ist in dem, was er verlangt, was er erwartet und was er für ein Produkt bekommen möchte. (IP 14) In einem Marketing-Team sagt der Interviewpartner, dass man „offene Kanäle in gewisse Richtungen“ (IP 9) braucht, um die Aufgabe erfüllen zu können. Akzeptanz vor Ort ist der vierte Vorteil: Wie sich in den vorherigen Punkten gemeinsamer kultureller Hintergrund, gemeinsame Sprache und Landeskenntnisse abzeichnete, sind diese Merkmale nötig, damit das Team bzw. dessen Vertreter von den Landesgesellschaften, Kunden oder Geschäftspartner akzeptiert werden: Und wenn wir nicht die verschiedenen Nationalitäten hätten, würden wir auch nicht ernst genommen von den Leuten in den Ländern. Das ist megawichtig. Oder von der Sprache her .. Ja, ich denke, es ist schon wichtig, dass die wissen, wir sind ein internationales Team. Die Glaubwürdigkeit ist extrem wichtig. (IP 7) Wie der Interviewpartner aus einer der Gruppen, die explizit zu diesem Zwecke international besetzt wurden, bemerkt, fühlen sich die Landesgesellschaften somit ernst genommen und sind dem Repräsentanten gegenüber aufgeschlossener. Ein Fremder hätte keine Chance, da die Landesgesellschaften Angst um die kulturelle Identität und natürlich um die Eigenständigkeit hätten. Global mindset bzw. internationaler Erfolg kristallisieren sich als fünfter Vorteil heraus. Zur internationalen Konkurrenzfähigkeit braucht das Unternehmen multikulturelle Arbeits242

gruppen, wie fünf Interviewpartner bestätigen. So stellt Interviewpartrner 26 den Vorteil für die Firma folgendermaßen dar: Und wir können als Firma uns erfolgreicher präsentieren, wenn wir global sind, wenn wir Unterschiede akzeptieren, hinnehmen oder auch vielleicht einen besonderen benefit daraus ziehen, also uns einfach selbst verbessern. (IP 26) Durch den interkulturellen Kontakt im Team lernen die Mitarbeiter, was es heißt, global tätig zu sein, und bilden den global mindset der Firma. Es wächst das „Verständnis, dass wir in einer globalen Welt leben, dort Produkte verkaufen müssen und Rücksicht auf verschiedene Ansprüche nehmen müssen“ (IP 18). Zudem ist, nun konkreter gedacht, bei einer Mischung der Belegschaft eher jemand dabei, der dem Kunden in einem neuen Land ähnlicher ist (z.B. nach Interviewpartner 14 Inder dem japanischen Kunden); d.h. die Firma verfügt über ein erhöhtes Repertoire an kulturspezifischen Kenntnissen, das sie im Falle nutzen kann.

10.7.2 Marktnähe und ihre Wirkung auf Gruppenleistung Die empirischen Daten bestätigen das law of requisite variety (vgl. Kapitel 5.2.7), welches besagt, dass die interne Varietät die externe widerspiegeln muss, und dass daher ein Team, das einer internationalen Aufgabe nachgeht, Experten aus den jeweiligen Zielländern vertreten haben sollte, um die nötigen Kenntnisse abzudecken. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass auch ein verbesserter Marktzugang nach der access and legitimacy perspective (vgl. Ely / Thomas 2001 in Kapitel 5.2.4.3) möglich ist, da Einheimische sowohl sprachliche als auch kulturelle Hindernisse sowie Barrieren der Glaubwürdigkeit umgehen. Dies stellt die Variante dar, welche die meisten der genannten Zitate zum Ausdruck bringen: Der Kollege aus dem Zielland ist Experte in seinem Bereich und wird für die Bearbeitung der dortigen Aufgabe herangezogen. Dies entspricht einer Aufteilung nach Kenntnissen, ohne dass notwendigerweise ein Lernen hinsichtlich landesspezifischer oder interkultureller Kompetenzen stattfindet. Einer der Interviewpartner meint ganz ausdrücklich, dass der Vorteil multikultureller Arbeitsgruppen in der Außenbeziehung liegt, nicht in der Wirkung im Team selbst: Die Wirkung von so einer kompletten Durchmischung ist mir nicht klar, weiß ich nicht. […] Viele Leute sind nützlich, aber vor allen Dingen sprachlich. Vielleicht mal kulturell. (IP 23) Die zweite Variante, die insbesondere Interviewpartner 14 und 26 im vorherigen Unterkapitel angesprochen haben, beinhaltet mehr: Nicht unbedingt der gezielte Einsatz nach Ländern und Regionen ist entscheidend, sondern die Möglichkeit voneinander zu lernen. Die Kompetenzen der einzelnen Mitglieder werden damit auf andere Kollegen übertragen, so dass ebenso deren Möglichkeit zur Kundenorientierung gesteigert wird. Dies wird nach Ely / Thomas (2001) als die integration and learning perspective bezeichnet und ist zwar nicht unbedingt in der unmittelbaren Abdeckung von Märkten zu sehen, aber durchaus mittelbar im Aufbau einer tatsächlich international geprägten Unternehmung. In dieser verstehen möglichst alle Führungskräfte und Mitarbeiter internationale Zusammenhänge und sind versiert im Umgang mit ihren anderskulturellen Lieferanten, Kunden und weiteren externen stakeholdern – es herrscht ein global mindset. Diese Überlegungen gelten als Ergänzung zu Kapitel 10.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’; von daher wird ihnen an dieser Stelle keine weitere Hypothese gewidmet. Die Voraussetzungen für das Zustandekommen dieser Synergieform welcher Ausprägung auch immer sind in den Gesprächen nicht thematisiert worden. Es hat den Anschein, als ob diese Synergieform eine Minimalform ist, die für alle internationalen und damit multikulturellen Arbeitsgruppen möglich ist. Dass Kollegen sich in dem Land am besten auskennen, aus dem sie stammen, ist zu offensichtlich, als dass es nicht auch hoch ethnozentrische Personen akzeptieren würden. Entsprechend werden die Arbeitshypothesen iK0Pe 1 und iS0 V 6 zur Wertschätzung und Anerkennung in diesem Zusammenhang als nicht weiter relevant erachtet. 243

Zurückzukommen auf die Marktnähe kann das Team verstärkt auf die Anforderungen in seinen Aufgaben bzw. seiner Umwelt eingehen und daher seine Effektivität steigern. Effektivität

Beurteilung

Anzahl der Teams

Teams mit Marktnähe

1,0 - 4,0

schlecht

5

1

5,0 - 5,5

durchschnittlich

9

7

6,0 - 7,5

gut

13

5

8,0 - 10,0

sehr gut

6

4

k.A.

1

1

Summe

34

18

Tab. 21: Gruppeneffektivität und Teams mit Marktnähe Im Fall dieser Synergieform können anhand der Häufigkeiten keine eindeutigen Zusammenhänge erkannt werden, in welchen Teams sie besonders zum Vorschein tritt: Sowohl durch Angehörige von durchschnittlichen als auch von sehr guten Teams wird Marktnähe genannt. Diese Gleichverteilung bestätigt, dass diese Synergieform unabhängig von Voraussetzungen und den übrigen interkulturellen Phänomenen auftritt, jedoch nicht ausschlaggebend für den Erfolg der Arbeitsgruppe ist.

10.7.3 Ableitung der Hypothesen Wie bereits erläutert, werden die Arbeitshypothesen zu den Voraussetzungen fallen gelassen. Die Arbeitshypothese zum Prozess iS0P 7 wird durch Hypothesen hinsichtlich Wirkungsart erweitert. Die Arbeitshypothese zum Output iS0O 9 wird wortgetreu übernommen. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 6: Mitglieder aus den Zielländern sorgen für die Überbrückung der kulturellen und sprachlichen Barriere. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 7: Mitglieder aus den Zielländern bringen Landeskenntnisse ein und sorgen für eine höhere Kundenorientierung. Hypothese Prozess (Erweiterung) iS1Pe 8: Ist das Team multikulturell besetzt, wird es von den internationalen Partnern bzw. im Zielland besser akzeptiert. Hypothese Prozess iS1P 5: Multikulturelle Teams sind den Zielländern nahe. Hypothese Output iS1O 5: Aufgaben können besser erledigt werden, dadurch dass mehr Kompetenz für internationale Aufgaben und höhere Marktnähe gegeben ist.

11

Virtuelle Konflikte

Es soll zu Anfang der Darstellung von virtuellen Konflikten kurz ins Gedächtnis gerufen werden, dass von den 31 Interviewpartnern zehn ausschließlich in virtuellen und weitere acht in Gruppen, die sowohl virtuell als auch face-to-face geprägt sind, arbeiten. Somit gilt für die folgenden Erörterungen von virtuellen Konflikten und Synergien eine Stichprobe von 18 Interviewpartnern. Sie berichten von 13 virtuellen Teams und acht gemischten Teams, also insgesamt 21 Arbeitsgruppen. Die gemischten Teams haben lokale Subgruppen, die untereinander face-to-face arbeiten und gleichzeitig zu einer größeren virtuellen Arbeitsgruppe gehören.

11.1

Kommunikationsprobleme

11.1.1 Strukturell und technisch bedingter Informationsmangel Zehn Interviewpartner geben als Kommunikationshindernis die verschiedenen Zeitzonen an. Bei der Nutzung von synchronen Medien müssen die Mitarbeiter auf die verkürzten Zeiten 244

der Erreichbarkeit achten, wollen sie z.B. eine kurze telefonische Anfrage stellen. Längere oder mehrere Telefonate an einem Tag sind grundsätzlich nicht möglich. Telefonate in weit entfernte Zeitzonen sind zeitlich stark eingeengt, so dass ein Interviewpartner aussagt, dass er mit den Kollegen dort weniger spricht. Auch können global verteilte Teams keine gemeinsame Telefonkonferenz durchführen, da sich die Zeitzonen der verschiedenen Standorte nicht überschneiden. Stattdessen müssen mehrere Konferenzen am Tag veranschlagt werden, um die nötige Information überallhin zu verbreiten. Als Alternative hierzu steht die persönliche Bereitschaft, außerhalb der Arbeitszeiten diese Gespräche durchzuführen, entweder frühmorgens oder spätabends, was einen Einschnitt ins Privatleben und zuweilen in das Erholungsbedürfnis der Mitarbeiter bedeutet und Auswirkungen auf die Arbeitsleistung hat: Also, wenn man hier einen Kollegen aus Taiwan und Deutschland zusammenbringen möchte, dann kann man das nur ganz am Abend machen zum Beispiel, von sieben bis acht. Und da kriegt man natürlich nicht so viel hin, als wenn sich alle irgendwie morgens um zehn Uhr in einem Raum treffen. (IP 24) Greifen die Mitarbeiter auf asynchrone Medien zurück wie z.B. E-mail, umgehen sie das Problem der unmittelbaren Erreichbarkeit, müssen aber in Kauf nehmen, dass eine Antwort zeitverzögert eintrifft. Es kann ferner dazu führen, dass Entscheidungen und andere wichtige Informationen erst einen Tag später am anderen Standort bekannt werden. Technisch bedingte Probleme werden von den Interviewpartnern kaum erwähnt. Die wichtigsten Kommunikationskanäle sind E-mail, bilaterale Telefongespräche und Telefonkonferenzen. Das einzige Medium, bei dem Schwierigkeiten auftreten und das daher von acht Interviewpartnern abgelehnt wird, ist die Videokonferenz (versus fünf Personen, die sie hin und wieder durchführen). Neben einer langwierigen Vorbereitung der technischen Geräte wird die Qualität der Übertragung bemängelt: Es gab auch bei [unserer Firma] mal diese Phase, wo die Videokonferenzen so hoch gehalten wurden. Das ist total eingeschlafen, kann man beinahe sagen. Also wir haben hier zwar auch noch Videokonferenz-Systeme; hier wurden da diese videophones eigentlich mal fast bei allen Chefs installiert. Kann man vergessen. Warum? Weil einerseits das Bild ist dermaßen klein erst mal, und auch die Bewegungen sind so abgehackt, dass man also Gesten überhaupt nicht mitbekommt. Wenn der Mensch nur so ein kleines Lächeln aufsetzt oder meinetwegen nur die Nase rümpft, das würde man auf so einem Videobild überhaupt nicht mitbekommen. (IP 11) Kulturelle Unterschiede in der Mediennutzung werden mit geringer Gewichtigkeit von sechs Interviewpartnern angeführt. Am ehesten fällt ihnen der Schreibstil in E-mails auf, der in Höflichkeit versus Direktheit variiert (vgl. Kapitel 9.1.2). Interviewpartner 2, der die Unterschiede am ausgeprägtesten wahrnimmt, stellt bei E-mails aus Asien fest: Da ist immer eine korrekte Anrede, da ist immer ein Teil der Information und dann eine korrekte, sozusagen, Abschluss, Verabschiedung. Und die E-mails sind generell .. in der Regel sehr kurz und relativ präzise abgefasst. Amerikaner sind höflicher und politisch korrekt, wie drei Interviewpartner berichten. Inder bringen persönliche Worte an. Deutsche sind direkt und formfrei, d.h. häufig ohne Begrüßungsfloskeln etc. Diese Unterschiede werden jedoch nicht in Zusammenhang mit Schwierigkeiten gesehen. Aussagen hinsichtlich unterschiedlicher Präferenzen in der Nutzung von Medien kommen fast nicht vor. Der erhöhte Aufwand bei der Nutzung von Telekommunikationsmedien im Vergleich zu persönlichen Gesprächen wird von vier Interviewpartnern bemängelt. Einer beschreibt es so: Da muss ich sagen, sind diese virtuellen verteilten Teams wahrscheinlich nicht gut. Weil wenn ich irgendwie eine gute Idee habe, [es] schreckt dann, einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen oder mit Kollegen, die irgendwo im remote sitzen, irgendwie ein Mee245

ting abzumachen. Das findet halt einfach in der Realität nicht statt. Während mit einer Tasse Kaffee beim irgendwo Kollegen im Büro .. zu dem man gerade hinüber laufen kann, das findet eben statt in der Realität. (IP 3) Dabei spielt neben der physischen Barriere, das Medium zu benutzen eine Rolle, dass die Kommunikation schwieriger ist, da sich der Mitarbeiter beim E-mail-Tippen präziser ausdrücken oder dass er am Telefon womöglich Englisch sprechen muss. Zuweilen wird absichtlich E-mail statt Telefon verwendet, obwohl es weniger reichhaltig ist (vgl. unten) und durch die Asynchronität zu Verzögerungen führen kann, weil der Kollege sich gehemmt fühlt, was auf einen Mangel an persönlicher Vertrautheit hinweist, der explizit in Kapitel 11.2 ausgeführt wird: Wir haben schon Kommunikationsprobleme. Und ja, gerade der Anfang war eben so, dass sich weder der eine noch der andere bei sich gemeldet haben, sondern rein Kommunikation sich auf mail-Basis zurückreduziert hat, so würde ich es mal so nennen. PK: Anstatt Telefonate. IP: Genau. Und dann sind natürlich irgendwelche wichtigen Dinge nicht besprochen worden, oder nicht sofort gelöst worden, weil der eine oder der andere erst mal gar nicht an den mail account herankam oder gar nicht am Platze war. Man hat sich immer nur eigentlich eins zu eins ausgetauscht, und nur immer über mails, anstatt, wenn ich mal ein richtig großes Problem hatte, dann eben den nächsten befragt hätte per Telefon. Also networking und eben die Kommunikation daran. (IP 27) Die sprachliche Barriere verstärkt die Problematik: Sie scheint zuweilen das Hindernis für Deutsche zu sein, direkt mit ihren ausländischen Kollegen zu interagieren, da sie den Griff zum Telefonhörer meiden, wenn sie ihr Englisch für zu schlecht halten und Angst davor haben sich bloß zu stellen, wenn sie nicht verstehen oder sich nicht ausdrücken können: […] rufen die deutschen Kollegen nicht an, oder sie melden sich nicht, weil sie Angst haben, dass der Kollege mit denen in Englisch .. erstens zum einen weil sie selber Englisch sprechen müssen .. zum einen, das sie nicht gewohnt sind, und damit meinen, [...] sie würden Fehler machen, und dass man ihnen, sage ich mal, auf der anderen Seite das irgendwie krumm nehmen würde. Und die andere Seite, die irische Seite meldet sich in Deutschland nicht, weil „ich kann jetzt nicht, jetzt habe ich schon die letzte Woche die Frage gestellt, jetzt stelle ich diese Woche diese Frage wieder, da meint der, ich bin total doof.“ (IP 27, eine deutsche Führungskraft in Irland) Hinzu stößt die mangelnde media richness, die von vier Interviewpartnern erwähnt wird: So werden sowohl Telefon als auch E-mail als Beeinträchtigung für den Informationsfluss eingeschätzt. So meint ein Interviewpartner, dass bei E-mails 90 Prozent der Information wegfallen. Persönliche Gespräche sind im Vergleich effektiver. Face-to-face Meetings können zielgerichteter moderiert werden, und die Mitglieder sind gezwungen, ihre volle Aufmerksamkeit auf die Besprechung zu lenken. In Telefonkonferenzen mangelt es zuweilen an der notwendigen Disziplin, und Ablenkungen aus dem jeweiligen Umfeld finden leichter statt. Sowohl bei E-mails als auch bei bilateralen Telefongesprächen oder Telekonferenzen fehlt der visuelle Eindruck: Weder die Mimik noch die sonstige körperliche Reaktion des Gegenübers kann wahrgenommen werden. Es entsteht nicht die geben-und-nehmen-Diskussion, in der relevante Zusatzinformation vermittelt wird: [Im persönlichen Gespräch bekommt man] unter Umständen auch Informationen, die man schriftlich nicht bekommen würde. Wenn im Nebensatz etwas erwähnt wird, dann kann man darauf einfach anspringen und sagen „Was hast Du eben gesagt? Wusste ich noch gar nicht." Das so Informationen wären oder sind, die man sonst für nicht wichtig genug halten würde, die vielleicht unter den Tisch fallen würden. Weil es jetzt zu mühsam ist, dass jetzt in einer Mail .. muss man jetzt zwei Absätze schreiben und dann liest es sich doch keiner mehr durch. (IP 23) 246

Als Fazit lässt sich sagen, dass das Zeitzonenproblem und die aufwendigere bzw. ineffektivere Medienkommunikation am stärksten gesehen wird; technisch oder kulturell bedingte Probleme spielen eine untergeordnete Rolle. Als weiterführende Hypothesen ergibt sich aus vK0P 1 folgende: Hypothese Prozess vK1P 1: Die Mediennutzung per se sowie verschiedene Zeitzonen bedingen Verzögerungen und Einschränkungen des Informationsaustauschs. Hinsichtlich der Wirkung auf den Gruppenoutput ist es schwierig, die Konsequenzen des sachbezogenen von denen des sozialen und kontextbezogenen Informationsmangels zu unterscheiden. Daher werden die Wirkungen in ihrer Gesamtheit geprüft, und zwar im Kapitel 11.1.3. Die Arbeitshypothesen vK0O 1 und vK0O 2 gehen also dort auf. Auf Grund zu wenig aussagekräftiger Belege wird auf eine Weiterführung der Arbeitshypothese vK0Pe 1 (kulturelle Unterschiede in der Mediennutzung) verzichtet.

11.1.2 Mangel an sozialer und Kontextinformation Ein besonderer Mangel betrifft die reduzierten verbalen und nonverbalen Elemente der Kommunikation, die Auskunft geben zur Person und zum Kontext. Hierzu kommen gravierende, umfangreiche und mannigfaltige Berichte von insgesamt zehn Interviewpartnern. Einer gibt einen umfassenden Eindruck: PK: Wie diskutiert man so über die Distanz hinweg? Wie schafft man Meinungsaustausch? IP: Schwierig [lacht]. So, da endet vieles einfach in: „Wir überlegen es uns, telefonieren wir morgen noch mal.“ Und einfach durch die fehlende Mimik z.T. .. also, ich tue mir schwer, muss ich Ihnen einfach sagen. Bei manchen Themen .. manche Themen, die sachlich zu diskutieren sind, okay. Da kann man sachlich diskutieren, das kann [man] auch irgendwie dann lösen. Wenn es aber so ein bisschen in die Beziehungsthemen hineingeht und ein bisschen schwieriger wird, dann fehlt einfach die Mimik. Wenn man die Leute besser kennen lernt, kann man es an der Stimme schon ein bisschen erkennen und an der Wortwahl, aber .. es ist einfach schwierig. (IP 13) Die visuellen Eindrücke zu den Reaktionen des Gesprächspartners, die für eine Diskussion und Abstimmung hilfreich sind, fehlen. Das Feedback wird reduziert, was zu Unklarheiten oder Missverständnissen führen kann: Und das ist [betont] unheimlich wichtig, gerade wenn man kritische Punkte bespricht in einem Projekt oder was auch immer, dann - ich glaube, das geht nicht nur mir so - ist es wahnsinnig wichtig, in die Runde zu schauen, wie kommt das an. Welche Haltung nehmen die Leute ein, ziehen die jetzt ihren Mundwinkel nach oben, bedeutet das okay, das ist eine Zustimmung, oder ist es mehr eine Ablehnung, die ich da spüre, die ich da sehe auf Grund der Mimik. Das braucht man einfach. (IP 11) Informationen zum Kontext fallen komplett heraus: Der Kommunikator kennt weder Umstände noch die lokale Vorgeschichte, da diese nicht explizit mitgeteilt werden: […] oder steckt noch mehr dahinter. Das kriegt man mit einer E-mail nicht heraus. Da knallt man den Leuten das im Prinzip vor den Kopf, und die machen es dann oder machen es nicht. Aber wenn jetzt noch mehr dahintersteckt, kriegt man das nicht mit. (IP 4) Die derzeitige Arbeitslage und eventuelle Überarbeitung auf der anderen Seite der Leitung bleibt unbekannt. Da nun die virtuellen Arbeitsgruppen in dieser Studie auch gleichzeitig multikulturelle Arbeitsgruppen sind, kommt zudem der Faktor kulturelle Unterschiede ins Spiel, der die Situation noch prekärer gestaltet. Denn neben unzureichender Information zu Person und Umständen stellt sich des Weiteren eine unzureichende gemeinsame kulturelle Basis dar. Kultu247

relle Unterschiede können noch schwieriger identifiziert werden, obwohl sie durchaus Konsequenzen für die Kommunikation und Kooperation haben: [Kulturelle Besonderheiten,] die kriegt man nicht mit, wenn man da ein bisschen E-mail schreibt und telefoniert. (IP 15) und weiter: Wenn man nur über Medien mit denen kommuniziert, dann hat man immer das Gefühl, die sind na ja .. in gewisser Weise am Anfang devot, halten sich immer eher zurück, sagen eigentlich nichts, bis alles anbrennt. [lacht] (IP 15) Hier wird deutlich, dass durch den Mangel an kultureller Information interkulturell nicht hinzugelernt werden kann. Der Akteur kann den Partner nicht verstehen, da dessen kulturelle Eigenschaften ihm verborgen bleiben. Die Verwendung der lingua franca Englisch führt zu schlechten Übersetzungen und unzureichender Übertragung von kulturellen Einflüssen, die der Gegenüber nicht kennt und in der virtuellen Kommunikation auch nicht über visuelle Hinweise entschlüsseln kann. Interviewpartner 2 fasst die Schwierigkeit wie folgt zusammen: Ich habe Kollegen in [meiner Firma] z.B. in Altberg [die Heimatstadt des Interviewpartners], die ich seit [gedehnt] Jahren per Telefon und E-mail kenne, die ich aber noch nie gesehen habe. Aber .. also, es ist nicht unbedingt notwendig, dass man sich sieht. Aber es erleichtert es trotzdem. In dem Fall ist es so, Altberger kann ich ungefähr einschätzen am Telefon, an der Stimmlage, wie es gemeint ist, ob das jetzt wirklich okay geht, oder ob das jetzt nur okay geht am Telefon, und in dem Moment, wo ich aufhänge, ist die andere Person schon verschwunden. Es macht es schon sehr viel schwieriger im Englischen und nahezu, würde ich mal sagen, von meiner Position unmöglich z.B. mit einem Asiaten oder einem Inder, der zwar Englisch spricht, aber gerade den Informationsgehalt herüberbringt, aber den emotionellen Gehalt sehr schwierig [herüberbringt], oder den ich nicht erfassen kann am Telefon. (IP 2) In einigen Schilderungen, wie auch in dieser oder der vorigen von Interviewpartner 13 wird deutlich, dass Bekanntheit zwischen Kollegen die Sache erleichtert, da in diesem Fall die Kommunikationspartner den Gegenüber besser einschätzen können, da ihnen mehr Hintergrundinformation zur Persönlichkeit, zum Kommunikationsstil, zu Kompetenzen etc. vorliegt. Die Entschlüsselung von telefonischen oder E-mail Nachrichten ist leichter. Interviewpartner 5 meint: […] mein Paradigma, wenn man die Leute erst mal persönlich gesehen hat, dass das die ganzen Beziehung unendlich erleichtert (IP 5) Die lack of social context cues hypotheses (vgl. Kapitel 6.1.2.1) bestätigt sich in den meisten ihrer Facetten. Die Arbeitshypothese Prozess vK0P 2 wird daher als vK1P 2 exakt übernommen und weiterverfolgt. Es erfolgt eine Ergänzung zu den Voraussetzungen. Hypothese Prozess vK1P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt. Hypothese Voraussetzung vK1V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, haben sie bereits personenbezogene Information voneinander. Hypothese Voraussetzung vK1V 2: Je weniger (kulturelle) Gemeinsamkeiten bestehen, desto gravierender ist das Problem.

11.1.3 Die Konsequenzen des Informationsmangels auf die Aufgabenbewältigung Die Konsequenzen der oben dargelegten Problematik sind vielfältig. Sie wurden bereits angesprochen und sollen nun strukturiert zusammengefasst werden.

248

So wird nach sechs Interviewpartnern die Kommunikation eingeschränkt, sei es auf Grund des Aufwands, der empfundenen Schwierigkeit oder der unzulänglichen persönlichen Basis. Dies erfolgt entweder dadurch, dass ganz auf eine Mitteilung verzichtet wird oder ein weniger reichhaltiges Medium (meist E-mail statt Telefon) verwendet wird, um den persönlichen Kontakt zu umgehen. Mehrfach reduziert der Sender den Informationsgehalt sehr stark, so dass wichtige Angelegenheiten außen vor bleiben. Kreativer Ideenaustausch, der sehr komplexe und parallele Gesprächslinien erfordert, würde einen enormen Aufwand darstellen und fällt, wie in Zitaten gehört, komplett weg. Diese Hinweise zeigen, dass die Mitglieder virtueller Arbeitsgruppen absichtlich und explizit das Kommunikationsniveau senken. Dies führt ganz eklatant zu ungleichen Informationsständen an den verschiedenen Standorten. Für einen ordentlichen Abgleich müsste zu viel Zeit investiert werden, wie Interviewpartner 13 meint: Es bleibt immer ein gap. Man könnte täglich telefonieren mit zwei, drei Stunden .. das ist einfach nicht realistisch. (IP 13) Diskussionen zur Sache oder Ideenaustausch sind für viele Aufgaben dringend erforderlich, und wenn sie nun in virtuellen Teams nur auf niedrigem Niveau oder womöglich gar nicht stattfinden, erfolgt keine ordentliche Problemlösung, was direkt die Gruppenleistung reduziert. Ferner ist eine Nutzung der vorhandenen Ressourcen und Diskussion zur Generierung kreativer Ideen nicht möglich: Also, mit einer E-mail werden Sie keine Kreativität triggern können, mit Sametime203 unbedingt auch nicht. Aber irgendwie .. wenn halt hier die Truppe, die hier so versammelt ist, [...] .. da ist man über irgendwas gestolpert .. „Habt ihr euch nicht auch schon überlegt, ob wir das, und das nicht vielleicht besser so und so machen können?“ Und dann entwickelt sich das und irgendwann kommt das dann zum Punkt, wo man wieder sagt, „wir machen das, das ist eine gute Idee, oder da ist die Zeit noch nicht reif dafür.“ Das hat halt mit persönlicher Kommunikation zu tun. (IP 5) Zusätzlich reduziert sich der persönliche Gehalt in den Mitteilungen bei der Nutzung von Telefon und noch mehr bei E-mails. Folgendes Beispiel veranschaulicht dies: Ich weiß schlicht und einfach nicht, welche Person dahinter steht, und insofern gibt es da keine persönlichen Themen. (IP 2) Heikle und kritische Themen auch im sachlichen Bereich besprechen die Mitarbeiter nicht über Medien, da sie häufig emotional geprägt sind bzw. in enger Verbindung mit Personen stehen. Diese Themen fallen entweder auf Kosten der Kooperation und Aufgabenerledigung ganz weg, oder es müssen zusätzlich kostspielige und zeitaufwendige Dienstreisen bzw. persönliche Meetings mit allen Beteiligten anberaumt werden: Aber da reise ich da auch regelmäßig hin, um Produkt-road-maps zu kommunizieren, um dann also auch mal mit den Leuten zu sprechen. Und da kommt natürlich auch viel mehr zurück, wenn man in einem gemeinsamen Raum sitzt. Die Gesprächsbereitschaft, also auch so kritische Themen aufzugreifen, zu vertiefen, ist viel größer, wenn man sich persönlich gegenübersitzt, als das so am Telefon zu machen. (IP 11) Hinsichtlich der Auswirkungen der lack of social context cues sind ebenfalls verschiedene Formen zu beobachten: Kenntnisse zur Person sind notwendig, damit sich auch Kollegen ein umfassendes und korrektes Bild von ihrem Gegenüber anfertigen können, um zu wissen, mit wem und wie sie kooperieren sollen. Virtuell kann es zu Fehleinschätzungen kommen, wie acht Interviewpartner berichten:

203

Sametime ist eine groupware.

249

Man kann sich da vollkommen verschätzen, wenn man jetzt versucht, aus der Ferne heraus jemanden einzuschätzen, auf Grund wie er sich gibt am Telefon. (IP 11) Es wurde bereits im vorigen Abschnitt davon gesprochen, dass diese fortwährende Unkenntnis dem entgegensteht, was im Prozess des interkulturellen Lernens erlangt werden soll. Zu den Merkmalen, die vom Kollegen gelernt werden müssen, gehören auch die kulturellen, die jedoch auf Grund des Kommunikationsmangels verborgen bleiben. Darauf wird nochmals im Kapitel 11.2 eingegangen, in dem das gegenseitige Kennenlernen erörtert wird. Im Bereich Führung sprechen zwei Teamleiter davon, wie schwierig es ist, die persönlichen Qualitäten eines Mitarbeiters zu erkennen, wenn man ihn nicht arbeiten sieht, d.h. persönlich beobachten kann. Dies bedeutet, dass sowohl eine Evaluation seiner Leistung (vgl. Kapitel 11.3 ‚Führungsprobleme’) als auch die Zuteilung von Aufgaben nach (kulturellen) Kompetenzen erschwert wird (vgl. Kapitel 10.6 ‚Kulturspezifische Arbeitsteilung’). Im Zusammenhang mit dem Verlust dieser persönlichen Mitteilungen sowie der ungenügenden Kontextinformation zur Arbeitsbelastung oder lokalen Faktoren liegen Fehlentscheidungen auf Grund von Unkenntnis nahe, die im trial and error-Verfahren revidiert werden müssen. Missverständnisse in Form von Fehlattributionen auf Grund ungenügender Hintergrundinformation sind als Folgeerscheinung an der Tagesordnung, wie kurz demonstriert werden soll: Folgende kritische Aussage könnte man beim ersten Blick der Kategorie ‚Probleme durch kulturell unterschiedliche Nutzung von Medien’ einsortieren (Kapitel 11.1.1). Sie betrifft die proaktive Reaktion von E-mails: Wir stellen aber immer wieder Probleme fest, wie die anderen Kulturen dann umgehen, z.B. mit E-mail-Kommunikation, wie proaktiv reagieren sie darauf, reagieren sie überhaupt? […] Nach meiner Erfahrung ist es so, dass die Amerikaner dort immer sehr speditiv reagieren. […] Ich habe ganz selten die Erfahrung gemacht, dass man oft nachhaken muss. Und jetzt haben wir da einen Fall mit Holland, wo wir dort öfters nachhaken müssen. Da werden Dinge angefragt, die wir vielleicht schon kommuniziert haben, gesendet haben. Das kommt dann schon vor, wo man die bitte-bitte-Haltung .. muss man an den Tag legen und immer wieder in kleinen Schritten einfordern. (IP 10) Doch interpretiert man dies im Licht der lack of social cues hypotheses, ist eine typische Fehlattribution zu erkennen. In der geschilderten Situation wird vom Interviewpartner ein Fehlverhalten festgestellt, dessen Ursache er der Kultur zuschiebt, ohne die Hintergründe der Kommunikationspartner zu kennen oder zu hinterfragen. So nimmt der Interviewpartner den Vorfall als kulturelles Problem wahr, was wie im Kapitel 9.1 beschrieben und zwischen den Zeilen des Statements deutlich wird, die freundliche Gesinnung trüben und zu Ablehnung führt. Nur eine erweiterte Information zum Kontext könnte genaueren Aufschluss geben und den Konflikt auflösen. Dies betrifft nicht nur die kulturelle Seite, sondern die allgemeine Einschätzung des Kollegen als kompetente und engagierte Person bzw. die Beziehung zu ihm. Interpretationen sind schnell fehlgeleitet, wenn der Kollege nicht schnell genug reagiert oder seine Mitteilungen falsch aufgefasst werden: Man kann Stimmungen, die man nicht richtig interpretiert hat, z.B. aus Mails, die so auf die Schnelle geschrieben sind, wo man den Eindruck erwecken kann, der will nicht mehr mit mir zusammenarbeiten oder der hat mich vergessen, kann man da [wenn man hinfährt] wieder klarstellen und einfach nur sehen, der Mann war einfach ein bisschen überlastet in letzter Zeit. Es hat nichts damit zu tun, dass er dich nicht mehr mag, sondern der halt alle Hände voll zu tun gehabt, ist aber noch der gleiche dufte Kumpel wie sonst auch immer. (IP 21) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Teammitglieder sich weniger gut bzw. weniger schnell kennenlernen und mit ständigen Missverständnissen leben müssen, was in Schwierig250

keiten beim Aufbau einer Vertrauensbasis und bei der Teamentwicklung (vgl. ausführlich Kapitel 11.2) resultiert. Gegen Ende soll wieder eine Gesamteinschätzung hinsichtlich des Stellenwerts dieses Konflikttyps und seines Einflusses auf die Gruppeneffektivität erfolgen: Durch 13 Interviewpartner wird dieses Problem thematisiert (das sind zwei Drittel), häufig in verschiedenen Aspekten. Dabei greifen sie auf die Erfahrungen in 15 Teams zurück. Die Häufigkeitsverteilung über weniger erfolgreiche und erfolgreiche Arbeitsgruppen gestaltet sich wie folgt:

schlecht

Anzahl der virtuellen und gemischten Teams 4

Teams mit Kommunikationsproblemen 3

durchschnittlich

7

4

Effektivität

Beurteilung

1,0 - 4,0 5,0 - 5,5 6,0 - 7,5

gut

5

5

8,0 - 10,0

sehr gut

4

3

k.A.

1

Summe

21

15

Tab. 22: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Kommunikationsproblemen204 Die anteilig wenigsten Nennungen tauchen bei den durchschnittlichen Teams auf; abgesehen davon sind von dem Problem der erschwerten und dürftigen Kommunikation alle Teams betroffen. Diese Erschwernis wird bei manchen Gruppen, welche insbesondere aus Kostengründen zum Teil im Ausland aufgestellt wurden, vom Teamleiter in die Kalkulation miteinbezogen. Die mangelnde Kommunikationseffektivität rechnen die Verantwortlichen im folgenden Team in den Zeit- und damit Kostenaufwand mit ein: Aber man muss an der Stelle einfach sehen .. das bleibt auch nicht aus, wenn man von hier aus indische Kollegen einsetzt, dann rechnen wir schon immer einen Faktor auf. Wenn wir irgendeinen Deutschen brauchen, dann [heißt es, dass wir an dessen Stelle] anderthalb Inder brauchen. Dann nehmen wir immer ein bisschen mehr Zeit, weil wir genau wissen – es lässt sich auch nicht weg diskutieren – der Koordinationsaufwand über die Strecke frisst auch ein bisschen Zeit. Und die Kommunikation. (IP 15) Wie an späterer Stelle noch genauer erläutert werden wird, reagieren die Verantwortlichen auch der anderen Teams oft auf dieses Manko, indem sie doch nicht ganz der face-to-face Kommunikation entsagen und Dienstreisen und Auslandseinsätze für sich und die Teammitglieder einplanen. Dies hilft sicherlich der Kommunikation, ist jedoch als zusätzlicher Aufwand anzusehen, der die schlechtere Effektivität belegt. Gerade was Kommunikation betrifft, ist des Weiteren der Einfluss auf die subjektive Zufriedenheit nicht zu vernachlässigen, welche in den bisherigen Ausführungen bereits immer wieder anklang: Die erschwerte Kommunikation bedeutet vor allem einen Aufwand beim einzelnen Gruppenmitglied. Dieses ist genötigt, seine Zeit und Energie dafür zu verwenden: Die Kommunikation ist mal über so eine Distanz nicht so effektiv. Das heißt, man muss sich an der Stelle ein bisschen mehr bemühen, wenn man irgendwo Probleme spezifiziert, und das kostet natürlich auch mehr Zeit. (IP 15) Die Klärung bzw. das Akzeptieren von Lücken und Missverständnissen liegt beim Teammitglied; Unsicherheiten und Frustration können dabei leicht entstehen und führen zu emotionalen Belastungen und Unzufriedenheit. Nachdem persönliche Themen in der mediengestützten 204

In den Tabellen der virtuellen Konflikte werden jedes Mal insgesamt 15 Teams mit Problemen und vier durchschnittliche Teams mit Problemen gezählt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht jeweils um dieselben Teams. Virtuelle Konflikte der verschiedenen Formen tauchen in allen Teams auf.

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Kommunikation zu kurz kommen, fehlt die Befriedigung sozialer Bedürfnisse. Ferner verspüren die Teammitglieder die Ineffektivität und sind ebenso aus diesem Grund unzufrieden: Und die andere Sache ist, [...] dass oft der Eindruck entsteht, jetzt haben wir das Thema seit drei Monaten, und es läuft immer noch nicht auf eine Lösung zu. (IP 16)

11.1.4 Ableitung der Hypothesen In den Unterkapiteln 11.1 und 11.2 wurden bereits vorweg Hypothesen aus den dort behandelten empirischen Daten formuliert, die hier wiederholt und mit den Erkenntnissen aus dem vorangegangenen Unterkapitel 11.3 ergänzt werden. Dabei werden die Arbeitshypothesen vK0P 1, vK0Pe 1, vK0P 2, vK0Pe 2, vK0Pe 3 und vK0Pe 4 abgewandelt, fortgeführt und mit Hypothesen zu Voraussetzungen ergänzt. Hypothese Prozess vK1P 1: Die Mediennutzung per se sowie verschiedene Zeitzonen bedingen Verzögerungen und Einschränkungen des Informationsaustauschs. Der Mangel an sozialer und Kontextinformation wird so weiterverfolgt: Hypothese Prozess vK1P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt. Hypothese Voraussetzung vK1V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, haben sie bereits personenbezogene Information voneinander. Hypothese Voraussetzung vK1V 2: Je weniger (kulturelle) Gemeinsamkeiten bestehen, desto gravierender ist das Problem. Hypothese Prozess vK1P 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist der sachbezogene Austausch weniger effektiv, da es zu mehr Unkenntnis und Unverständnis kommt. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 1: Durch den Mangel an non- und paraverbalen Kommunikationselementen gestalten sich Diskussionen bzw. Konsensfindung schwierig und finden nicht in vergleichbarer Form wie im face-to-face Gespräch statt. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 2: Die Teammitglieder tauschen absichtlich weniger persönliche Information aus. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die virtuellen Kollegen als vertrauenswürdig eingeschätzt werden. Die Voraussetzung von face-to-face Kontakt für interkulturelles Lernen ist in virtuellen Arbeitsgruppen nicht gegeben, d.h. die Forderung in Hypothese iS1V 5 wird nicht erfüllt (siehe Kapitel 10.5.3). Hinsichtlich Gruppeneffektivität werden in der Schlussfolgerung diese Hypothesen formuliert (darin gehen vK0O 1, vK0O 2, vK0O 3 und vK0O 4 auf): Hypothese Output (Leistung) vK1O 1: Der erschwerte Austauschprozess bewirkt Fehler und Verzögerungen in der Aufgabenbewältigung. Hypothese Output (Zufriedenheit) vK1O 2: Durch die fehlende soziale Befriedigung, durch die zusätzliche Belastung und die Ineffektivität der Arbeit sinkt die Zufriedenheit der Mitarbeiter.

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11.2

Teamentwicklung und Vertrauen

11.2.1 Schwierigkeiten bei der Teamentwicklung und beim Vertrauensaufbau Dass es Zeit braucht und verschiedene Phasen durchlaufen werden, bis sich ein (virtuelles) Team findet, wird von sieben Interviewpartnern angemerkt. Gerade die Anfangsphase ist geprägt von einer Dynamik, in der sich die Beziehungen zwischen den Mitgliedern bilden und gemeinsame Arbeitsprozesse herausgebildet werden. Ein Interviewpartner nennt sie so (das Team wurde vor ca. drei Monaten gebildet): Es ist noch alles relativ neu. In dem Moment ist auch alles noch .. in der Optimierungsphase. (IP 15) Diese Periode beinhaltet verschiedene Vorgänge: Zuerst muss eine Anfangsakzeptanz zur Kooperation mit ausländischen Kollegen geschaffen werden (vgl. Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’). Zwei Interviewpartner reden davon, dass die Mitglieder ihre Rollen finden und ihre Positionen etablieren. Einer meint, es müssen die Stärken der Kollegen kennen gelernt und auch Aufgaben definiert werden, wobei der Gruppenleiter in dieser Phase stark koordinierend einzugreifen hat. Es ist noch explizit darauf zu achten, dass die lokalen Kollegen die anderen Standorte berücksichtigen, bis es zu einem späteren Zeitpunkt selbstverständlich geworden ist. Bis ein Klima geschaffen wird, in dem sich die Kollegen öffnen und Hemmungen überwinden, dauert es. Den Öffnungs- bzw. Integrationsprozess von indischen Kollegen, die sich auf einem Austausch beim deutschen Standort befinden, schildert Interviewpartner 14 so: Am Anfang ist es immer so, die melden sich nie und verstehen nichts. Dann braucht das eine Weile. […] Den Augenblick, wo Sie merken, jetzt ist es so weit, […] das ist dann, wenn alle deutsch reden, und er meldet sich und erzählt dann was in Englisch, und man merkt, er hat es kapiert, er traut sich, eine Gegensache zu sagen und macht einen Gegenvorschlag. Und in [betont] dem Augenblick kann man sagen, jetzt ist er drin. Weil das ist eine immense Überwindung dann in dem Augenblick. (IP 14) Es findet intensiv interkulturelles Lernen statt, einerseits als Kennenlernen der anderskulturellen Kollegen; andererseits werden Prozesse angeregt, welche innere Einstellungen und Verhaltensweisen ändern (vgl. Kapitel 10.5 ‚Entwicklung von interkultureller Kompetenz’). Die Anfangszeit ist geprägt von einer gewissen Orientierungslosigkeit, bis eine klare Linie gefunden wird und eine Arbeitsgruppe sich an gemeinsamen Zielen anlehnen kann: Meine Erfahrung sagt mir halt, dass ich im Prinzip so sechs Monate brauche, bevor ich dieses Projekt ganz klar definiert habe und irgendwie die Ziele herausgearbeitet habe. Und wenn die Leute dann die Ziele, wo sie im Moment daran sind, auch miterarbeitet haben, dann identifizieren sie sich auch, und dann ist die Motivation da. Bloß im Moment ist es so ein bisschen Stochern im Trüben, wo wir einfach die, sagen wir mal, die Basisarbeit leisten, um überhaupt zu wissen, was ist machbar .. so ein Abchecken, Stecknadel im Heuhaufen suchen und dann hoffentlich in einem halben Jahr zu wissen, mit was wir losrennen können. (IP 18) Hinsichtlich der Zeitdauer, die ein Team für diese Phase benötigt, gibt es divergierende Aussagen: Der eben zitierte Interviewpartner spricht von sechs Monaten, ein anderer empfindet neun Monate als zu lang, bevor in die produktive Phase übergegangen werden kann, und noch ein anderer sieht eineinhalb Jahre als normalen Zeitrahmen, den man benötigt, um angemessen Erfahrungen und Wissen für eine gemeinsame Basis ausgetauscht zu haben. Als Zeitdauer

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für die Entwicklung eines Wir-Gefühls205 über die Subteams verschiedener Standorte hinweg gibt ein Interviewpartner zwei bis drei Jahre an. Das Durchstehen einer intensiven Anfangsphase ist nichts Spezifisches für eine virtuelle Arbeitsgruppe; jedoch variiert sehr stark das Resultat, was nun im Rahmen der Herausbildung von Teamidentifikation erläutert werden soll: Es überwiegt die Meinung, dass der Aufbau dieses Wir-Gefühls in virtuellen Teams schwieriger ist: 12 von 18 Interviewpartnern äußern sich kritisch. Interviewpartner 5 trifft mit seiner Schilderung den Punkt: Mit denen muss man sich halt irgendwie zusammenraufen. Es wächst allmählich so ein gewisser Teamgedanke innerhalb dieser 30 Leute, aber es ist jetzt noch nicht .. Es ist noch nicht so, dass ich sagen würde, das ist so richtig im Hinterkopf eingesickert, „wir sind group LP, wir sind eine tolle Truppe, wir haben eine gemeinsame Vision oder Strategie und wir wissen alle, wo es lang geht.“ Also, das ist noch nicht so etabliert. […] Das ist im Prinzip angestrebt, aber [zögert] [seufzt] die Mittel und Wege dazu sind so ein bisschen unklar. (IP 5) „Mittel und Wege“ sind unbekannt, um der neuen Herausforderung und der Überbrückung der geographischen Distanz und Unternehmens(bereichs)grenzen beizukommen. Besonders virtuelle Teams in Allianzen erfahren das Problem der Unternehmensgrenzen: In Allianzen verfolgen die Firmen Eigeninteressen, die zwar vom Topmanagement für das Projekt zusammengeführt und definiert, aber dennoch durch die einzelnen Subgruppen der Firmen vertreten werden. Das gemeinsame Ziel wird von den Mitarbeitern bzw. unteren Führungskräften laut zwei Interviewpartnern nur bedingt gesehen und reicht nicht aus, um eine gemeinsame Gruppenidentifikation heraufzubeschwören, so dass eher das firmeninterne Subteam im Vordergrund steht. Interviewpartner 18 liefert folgende Begründung: Dieses Wir-Gefühl ist ja letztendlich auch an den Unternehmenserfolg gebunden, und jeder weiß, dass er, sagen wir mal, was Karriere angeht, was die incentives angeht, diese nicht von hier, vom Gesamtprojekt kriegen wird, sondern dass er die von seiner Firma über den Erfolg des Projekts in seiner Firma bekommt. (IP 18) Einer der Interviewpartner, der selbst zum Topmanagement gehört, ist hingegen davon überzeugt, dass das gemeinsame Projektziel die Mitarbeiter zusammenschweißt. Ein Mitarbeiter betont auf die Frage hin, ob es ein Wir-Gefühl zwischen den Standorten gibt, die Interdependenz der Aufgaben: […] ich denke schon, weil man sich natürlich mit diesem Technologieknoten identifiziert. […] Du kannst halt nicht ohne ein bestimmtes Teil, was jetzt z.B. in Merryburg erarbeitet wird, kannst du die Technologie nicht freigeben, und deshalb ist man abhängig auch. Also man schafft Abhängigkeiten. Du kannst nicht ohne das Paket des anderen leben, sonst geht der Technologieknoten den Berg runter. (IP 21) Sind virtuelle Arbeitsgruppen über verschiedene Unternehmen hinweg aufgestellt, kann es je nach Anordnung bzw. Hierarchieebenen zu Problemen in der Teamidentifikation kommen, deren Konsequenzen im nachfolgenden Unterkapitel besprochen werden sollen. Andere strukturelle Probleme mögen sein, dass bei der kostenbedingten Auslagerung von Aufgaben in ausländische Subteams gar kein übergeordnetes Wir-Gefühl angestrebt wird (gilt jedoch nur für eine der beiden Firmen, die diese Art von Teams bilden; die Interviewpartner der anderen unterstreichen die Wichtigkeit eines Wir-Gefühls und setzen sich explizit dafür ein), lediglich eine gemeinsame Kooperationsbasis, die jedoch auch von Kennen und Vertrauen geprägt ist: In dem Sinne muss man natürlich schon zusammenwachsen und einen guten Weg der Kommunikation finden. (IP 33) 205

Um im Interview die Gesprächspartner nicht durch fachspezifische Begriffe wie ‚Teamidentifikation’ zu verwirren, wurde der plastische Begriff ‚Wir-Gefühl’ von der Interviewerin verwendet.

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Dies weist auf den unterschiedlichen Grad an erstrebter Teamkohäsion hin, der als notwendig für eine Kooperation erachtet wird. Geographisch gesehen scheinen sich die europäischen Mitglieder näher zu fühlen, nicht nur an Kilometerzahl, sondern auch an kulturellen Gemeinsamkeiten, was wiederum in eine Formierung von Subgruppen unter Ausgrenzung der (in diesem Fall) asiatischen Kollegen mündet: Ich glaube einfach, dass sich in diesem europäischen Teil, […] dass hier einfach mehr persönliche Kontakte ablaufen als hier in diese Richtung. […] Ich meine, es gibt Beispiele, wo jetzt wir mal über die Europa-Meisterschaft gesprochen haben, die hier in Portugal stattfand. Die Themen spricht man mit Franzosen und Deutschen ab, aber nicht mit Asiaten. (IP 16) Das Wir-Gefühl beschränkt sich bei Arbeitsgruppen, die einzelne, geographisch isolierte Mitarbeiter einschließen, auf die lokal anwesende Mannschaft, wie drei Interviewpartner berichten: So dass das Wir-Gefühl in Altberg mit nur einer Außenstelle sehr schwierig zu verwirklichen ist. (IP 13) Einer der Interviewpartner bezeichnet jenen isolierten Mitarbeiter gar nicht als Teammitglied, obwohl er von der Struktur offiziell dazugehört. Wie sich hierbei schon bemerkbar macht, ist die entscheidende Ursache der gestörten Teamentwicklung die mangelnde face-to-face Kommunikation (wie von neun Interviewpartnern bestätigt): Also, eines ist ganz klar, diese .. wer nicht vor Ort sitzt, ist nicht in dem Maße integriert, wie wenn man halt vor Ort ist. Das ist einfach gar nicht möglich. (IP 18) Es wurde schon im Kapitel 11.1 ‚Kommunikationsprobleme’ darauf eingegangen, dass nur in face-to-face Kontakten ausreichend persönliche oder Kontextinformationen vermittelt werden, die Grundlage für das gegenseitige Kennenlernen und die realistische Einschätzung des Interaktionspartners in seiner Vertrauenswürdigkeit ist. In der folgenden Abhandlung sollen die Aspekte der face-to-face Kommunikation intensiviert werden, welche die Teamentwicklung begünstigen und unter Umständen bei virtuellen Arbeitsgruppen fehlen. An dieser Stelle wird der Aufbau von Vertrauen als ein Baustein der Teamentwicklung integriert. Die Trennung der Auswirkungen der face-to-face Kommunikation in Gruppenebene (Teamentwicklung) und Individualebene (Vertrauensaufbau) war unter theoretischen Gesichtspunkten sinnvoll zur analytisch-konzeptionellen Erörterung, ist jedoch in der empirischen Untersuchung nicht aufrecht zu erhalten, da die Interviewpartner nicht derartig differenzieren und de facto die zwei Phänomene sehr eng miteinander verquickt sind. Von den 18 Interviewpartnern, die in virtuellen Arbeitsgruppen aktiv sind, berichten 16 Interviewpartner, dass es in virtuellen Teams face-to-face Kontakte geben muss und tatsächlich abgehalten werden. Es ist anzunehmen, dass diese auch bei den zwei anderen Interviewpartnern stattfinden, diese sie nur nicht erwähnen. Rein virtuelle Teams, deren Mitglieder sich nie sehen, existieren praktisch nicht. Das Ausmaß, wie häufig sich die Interviewpartner treffen, und die Form (Dienstreise, Austausch, Workshop etc.) variieren, was jedoch eher auf zeitliche und v.a. finanzielle Restriktionen anstatt auf die nicht vorhandene Einsicht der Notwendigkeit zurückzuführen ist. So werden face-to-face Gelegenheiten eher stärker eingefordert: Die persönlichen Kontakte, die müsste man eigentlich intensivieren. Also, das ist auch immer so eine Gratwanderung, wie viel Zeit, wie viel Geld darf man dafür aufwenden, um die also jetzt zusammen zu schweißen und auch wirklich mal intensiver auch Kontakte zu pflegen. Würde es sich rechnen, würde es sich lohnen, die regelmäßig auch zu besuchen an ihren Standorten? Ich war z.B. noch nie in Eldo oder Rivero oder in Ofs-

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burg.206 Die kenne ich nicht. Also, ich weiß eigentlich gar nicht, wie es so genau vor sich geht (IP 11) Dies resultiert u.a. darin, dass die Teammitglieder den Eindruck haben, dass sie sich nicht richtig kennen; es „fehlt einfach so ein bisschen das feeling, wie ist der Mensch?“ (IP 4). Interviewpartner 5 bestätigt dies: Es läuft zwar auf der rein sachlichen Ebene, die Arbeit wird gemacht, aber da ist ein gewisses Defizit an sozialen Kontakten. Man kennt die Leute nicht so richtig. (IP 5) Als vertrauenswürdig kann ein virtueller Kollege eingestuft werden, wenn der Akteur dessen Person, dessen Kultur, aber auch dessen Absichten, Kompetenzen und üblichen Verhaltensweisen kennt (vgl. theoretisches Kapitel 6.1.4.2). Entsprechend ist er in der Lage, realistische Erwartungen aufzubauen, wie sein Kollege arbeitet, kommuniziert und kooperiert. Interviewpartner 5 befindet hierzu: Ich habe es gemerkt halt in .. mit den afrikanischen Kollegen oder auch mit den Leuten in Asien-Pazifik. Die habe ich jetzt alle mal gesehen, und insofern kann ich .. weiß ich, was ich gerechterweise von ihnen erwarten kann .. und gleich weiß, was sie zumindest alleine nicht hinkriegen. (IP 5) Telefonkonferenzen können den persönlichen Kontakt nicht ersetzen: Meist sind zu viele Beteiligte involviert, man spricht mit einem Lautsprecher, und der Gesprächsverlauf ist mühsam. Auch Videokonferenzen, bei denen die Beteiligten die virtuellen Kollegen sehen könnten, werden nicht so häufig durchgeführt, weil der technische Aufwand als zu hoch und die Bildqualität als zu schlecht empfunden wird. Der gängige Telefonanruf zwischen zwei Mitarbeitern kommt dem persönlichen Gespräch ebenfalls nicht gleich: Sie können mich auch auf dem Handy anrufen, aber es dann doch eine andere Situation, ob man jetzt hier zusammensitzt oder abends mal zusammensitzt, beim Bier oder beim Wein oder was auch immer. (IP 1) Die Interviewpartner unterstreichen, wie wichtig der persönliche Bezug zum Kollegen ist, um mit ihm zu kooperieren. Gerade die informellen Gelegenheiten kommen zu kurz, bei der sich die Mitarbeiter persönlich kennen lernen können, indem sie sich über private Themen austauschen oder sich ein direktes visuelles Bild vom Partner erstellen können. Es ist ein Nachteil, dass es eben neuere Teammitglieder gibt, die sich eben nicht in den vorhergehenden Teammeetings gesehen haben, also letztlich sein Gegenüber nicht genau kennen, also nicht face-to-face schon mal gesehen haben und ein Gesicht damit verbinden können und schon mal über andere Themen als über unsere technische Themen gesprochen haben. (IP 16) In den Situationen des ‚abendlichen Biers’ oder der ‚Kaffeepause’ lassen sich Gemeinsamkeiten finden und persönliche Beziehungen schaffen, die als Fundament für die Arbeitsbeziehung dienen. Dazu gibt es virtuell keinerlei Alternativen, wie folgendes Beispiel amüsant beschreibt: PK: Vorhin hast du erzählt, mit den amerikanischen Kollegen geht man abends mal ein Bier trinken oder am Wochenende zum Picknick. Wie macht man denn das mit Leuten, die dann ganz woanders sind und mit denen man ja auch gut zusammenarbeiten muss? IP: Man fährt dahin und trinkt mit denen abends ein Bier. Ja sicher, das ist das Beste. PK: Aber können das alle 25 Leute machen, mal da und mal dort hin zu fahren? IP: Ja, das ist ja das Problem. (IP 21) Ein Interviewpartner bestärkt, dass man gerade internationale Arbeitsgruppen nur ins Laufen bringt, wenn neben der beruflichen auch die private Ebene integriert wird, „weil dann der 206

Die Ortsnamen sind Pseudonyme.

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Mensch hinter der Fassade des Mitarbeiter sichtbar wird“ (IP 14). Durch vielfältige gemeinsame Aktivitäten strebt man in diesem Team an, dass die Mitglieder Sympathien oder sogar Freundschaften entwickeln, kulturelle Unterschiede im direkten Kontakt überhaupt erkennen und mit dem Verständnis füreinander ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln – was auf die oben erläuterte Teamidentifikation und -kohäsion hinausläuft. Die Verantwortlichen der virtuellen Arbeitsgruppen haben eine Vielzahl von Maßnahmen erarbeitet, um Raum für face-to-face Kontakte zu schaffen. An erster Stelle ist die eher kurzzeitige Dienstreise des Teamleiters und eventuell anderer Mitarbeiter zu nennen (von acht Interviewpartnern genannt). Reisen dauern zuweilen auch etwas länger, um durch Präsenz deutlich zu machen, für wie wichtig das Subteam befunden wird, sowie durch tägliches Miteinanderarbeiten dem traditionellen Team nahe zu kommen: […] deshalb auch viel Reisetätigkeit. So dass ich dann vor Ort mit den Leuten die direkte Kommunikation habe. Das beinhaltet z.B., dass ich voriges Jahr längere Zeit auch in Schweden gewesen bin, am Stück. Einfach um dort den Leuten zu zeigen, ja das ist nicht nur der, der jetzt einmal im Monat für drei Tage kommt, dort ein straffes Programm durchführt und dann wieder verschwindet. […] Deshalb ist .. war es also schon sehr wichtig, [...] einfach mal vor Ort zu sein und mit den Leuten im direkten täglichen Umgang dann sich auseinander zu setzen. (IP 4) Eine intensive Form der Reise stellt der Austausch dar, in dem Mitarbeiter zur Einarbeitung bzw. für gemeinsame Projekte oder nur für den gemeinsamen Arbeitsalltag für mehrere Wochen oder sogar Monate in den ausländischen Standort gesendet werden: Gerade am Anfang in einer Phase, in einer Trainingsphase, wo er sich einerseits mit der technischen .. mit dem technischen Kontext vertraut macht. Andererseits diese Phase aber auch dient, ihn mit der, ich sage mal, mit der Mentalität, dem Arbeitsrhythmus und den konkreten Personen, die in seinem Umfeld spielen, vertraut zu machen. Das ist meistens ein Jahr bisher gewesen, also ungefähr ein Jahr. Und deshalb waren einige Mitarbeiter eine Zeitlang hier. In dem Kontext wurden in dieser Zeit halt die Verbindungen geknüpft, man hat .. da eine Annäherung zu bewirken, zwischen den Mitarbeitern hier vor Ort und da. Wenn sie dann zurückgegangen sind, war eigentlich die Distanz nicht mehr [betont] so kritisch und so entscheidend für eine Zusammenarbeit. (IP 14) Eine der Führungskräfte erwähnt in diesem Zusammenhang den Wissensaustausch, der über diese Methode erzwungen wird, weil er sonst aus Zeitgründen auf der Strecke bleibt. Gemeinsame Projekte intensivieren den Kontakt (vgl. wiederum die Kontakthypothese in Kapitel 5.2.5.2), da die Mitarbeiter zur Interaktion angehalten werden und dort eine gemeinsame Beziehung herstellen, die den zukünftigen virtuellen Kontakt erleichtert (siebenmal praktiziert). Dann der nächste Schritt war, dass ich die Mitarbeiter direkten Projekten zugeordnet habe. [...] Ich habe gesagt, „wir haben ein Projekt A“, da war der Mitarbeiter A mit dabei oder ja Mitarbeiter Gamma, .. und habe ich gesagt, „der Inder arbeitet für dein Projekt, kümmere dich darum, dass er dich unterstützt.“ Und da war sozusagen ein Paar geschaffen. Dann haben wir das nächste Paar geschaffen, das nächste. Und so haben wir zuerst mal immer sozusagen Deutsche und Inder zusammen [geführt]. (IP 14) Etwas Gemeinsames erarbeitet zu haben, schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl und stärkt die gemeinsamen Ziele. Zu entdecken, dass Gemeinsamkeiten bestehen, hilft bei der Entfaltung persönlicher Beziehungen: Also einfach der persönliche Austausch und das persönliche Kennenlernen mit dem direkten [Kollegen], mit dem ich in Deutschland oder in Irland zusammenarbeite, hilft unheimlich viel an der Kommunikation. [...] Der eine versteht eher, „ja, der nimmt mir 257

das nicht krumm, das ist so ein Typ wie ich das auch bin, hat mein Alter, macht auch Unsinn und was weiß ich noch alles.“ [...] Damit kommt eine Nähe zusammen. (IP 27) Kick-off Meetings am Beginn einer gemeinsamen Kooperation gab es in den Arbeitsgruppen von sechs Interviewpartnern, wobei hinzuzufügen ist, dass eines über Videokonferenz abgehalten wurde und weitere zwei so weit am Projektstart, dass danach viele neue Mitarbeiter hinzukamen, die nicht mehr die Gelegenheit hatten, sich persönlich zu treffen. Manche der Teams sind für dies Maßnahmen jedoch zu wenig in ihrer Mitgliedschaft definiert: Kick-off Meeting, eha, [lacht zögerlich]. Das wäre schön, wenn es so etwas noch gäbe in dem Sinn. Es gibt so zu einzelnen Projektgebieten .. gibt es ein kick-off. Wenn z.B. größere Katastrophen anstehen, dann haben wir eine task force gegründet, und dann gibt es ein kick-off mit selected Personen. Die Vorstellung, dass es in der Technologieentwicklung, dass es dort ein formales kick-off gibt .. na ja, vielleicht gibt es ein formales kick-off, aber dass es ein kick-off gäbe mit dem kompletten Team, das ist unrealistisch. (IP 2) Regelmäßige begleitende Meetings werden von sechs Interviewpartnern berichtet, welche in Form von Besprechungen, Konferenzen oder Workshops stattfinden. Diese werden regelmäßig mit sozialen Aktivitäten wie gemeinsamen Abendessen und Feiern verbunden oder zuweilen als Teamentwicklungsmaßnahme gestaltet. Letztere wird zusätzlich dann durchgeführt (zweimal erwähnt), wenn Probleme im Team auftauchen: Wir tun uns in der Regel leichter, sehr viel leichter, fachlich alles zu regeln, fachlich alles auf die Reihe zu bringen. [zögert] Erst, wenn es sozusagen kracht, wie es eben letzte Woche passiert ist, dann plötzlich werden wieder teambildende Maßnahmen gebaut. (IP 2) Ein Abgleich der Standorte erfolgt darüber hinaus über regelmäßige Telefon- oder Videokonferenzen, in denen der Stand der Dinge berichtet wird. Dies ist wichtig, „damit die irgendwo den Faden zueinander nicht verlieren“ (IP 14). In der Nachfolge an face-to-face Kontakte kann informelle Kommunikation ferner durch small talk in Telefonaten und Videokonferenzen gepflegt werden: So beginnen sechs Interviewpartner das Gespräch mit einer persönlichen Einleitung und fragen nach privaten Themen wie Urlaub, Familie etc: Und weil ich die Leute auch schon so oft gesehen habe und da oft zu Besuch war und abends auch schon zusammen weg waren, da ist das ein ganz unverkrampftes Verhältnis eigentlich. [...] Und das habe ich natürlich nicht mit Leuten, die ich nur vom Telefon her kenne. Nur mal eine E-mail ausgetauscht habe. Mit dem werde ich dann nicht spontan übers Wetter reden oder mailen oder was auch immer. (IP 29) Zwei Interviewpartner erkennen, dass dieser Einstieg unerlässlich ist, um eine entspannte Atmosphäre für den nachfolgenden sachlichen Austausch vorzubereiten: Man bemüht sich immer mehr, weil man auch einfach sieht, dass so was wichtig ist, small talk-Phasen einzubauen. Also das .. ja, nicht krampfig, aber man macht das halt. Man fängt in der Videokon an und erzählt erst mal über irgendwas Privates und wie es so gerade läuft, bevor man zum Thema kommt. Das ist auch ziemlich wichtig. Weil erst, wenn man so eine Atmosphäre hat, dann ist man überhaupt so weit, dass man sich traut, seine Meinung mal kund zu tun. Es wäre ja sonst kein Meinungsaustausch da. Es wird auf jeden Fall besser gerade. (IP 15) Interviewpartner 15 lässt den Begriff „krampfig“ fallen, um anzudeuten, dass der small talk eher künstlich wirkt, wenn eine tatsächliche gemeinsame Basis fehlt. Dies greift ein anderer Interviewpartner auf und unterstreicht die Wichtigkeit der regelmäßigen persönlichen Treffen, die es für die Aufrechterhaltung der interpersonalen Beziehung braucht:

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Aber wenn man lange nicht da war, da wird es doch ziemlich formal. Dann ebbt das so [ein] bisschen ab, so dann .. der gegenseitige Druck dann zunimmt. Da muss man halt zusehen, dass wir die Aufgaben alle erledigen. (IP 23) Small talk über die Medien dient also eher zur Pflege bestehender Beziehungen und kann nicht den regelmäßigen face-to-face Kontakt ersetzen. Wie nun deutlich geworden sein sollte, reicht bei virtuellen Arbeitsgruppen der Appell, ein Team zu sein, nicht aus, wie es folgender Interviewpartner unterstreicht: Und der Projektleiter kam immer an, „ja, wir müssen ein Team sein so.“ Da habe ich gesagt, „wir können kein Team sein so. Wir sind an verschiedenen Orten, wir verstehen uns nicht, wir kennen uns nicht.“ […] Da war alles voller Misstrauen. Wir haben Videokonferenzen gemacht, wo wir uns nur gegenseitig angelogen haben. (IP 28) Dieses Zitat leitet über zu den Konsequenzen, wenn weder Vertrauen noch Teamkohäsion vorhanden ist, die im nachfolgenden Unterkapitel 11.2.2 besprochen werden. Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf die Entwicklung von Teams, deren Mitglieder sich nicht kennen. Haben sie sich bereits in früheren Projekten oder anderweitigen Situationen getroffen und miteinander gearbeitet, stellt sich die Lage nicht ganz so prekär dar, wie vier Interviewpartner angeben. Es ist also von Haus aus ein persönlicher Bezug und gegebenenfalls Vertrauen vorhanden, die im jetzigen Team genutzt werden können. Unter dieser Voraussetzung vereinfachen sich Kommunikation und Kooperation: Ich kann das hier machen, wo ich die Leute persönlich kenne. Da kann ich einen Dreizeiler als mail schicken. (IP 4) Auch die Teamentwicklung ist einfacher: Und dass ich da einigermaßen richtig liege, sieht man in der Auswahl der Personen für das jetzige Projekt: Alles Personen, die sich gegenseitig kannten. Das sind alles Personen, die die Gegenseite, also ALS-Kollegen in dem Fall, kannten, und dadurch wächst ein Team sehr, sehr viel schneller. (IP 2) Schließend soll noch einmal mit einem Zitat betont werden, dass virtuelle Teams grundsätzlich nicht den Grad an Kohäsion wie face-to-face Teams erreichen: Ein Wir-Gefühl wie in einem Team, welches sich an einem Standort mehrfach im Monat oder sogar mehrfach die Woche treffen kann, würde ich verneinen. Dieses Wir-Gefühl ist so nicht da. (IP 16)

11.2.2 Konsequenzen der gestörten Teamentwicklung Die Kommunikation in den virtuellen Arbeitsgruppen, in denen nicht der persönliche Bezug zum Kollegen und ungehinderte Ansprache möglich ist, ist als eindeutig schwieriger zu bezeichnen. Ein Interviewpartner vergleicht die Kommunikation mit seinen lokalen Kollegen mit der zu seinen virtuellen Kollegen: Da ist die Kommunikation sehr informell, sehr direkt, sehr offen, in allen Richtungen, auf privater Ebene, auf fachlicher Ebene. Wie gesagt, da muss ich einfach nur hinüber schreien. Da brauche ich keine große Einleitung und kein formales E-mail. (IP 2) Kommunikation und Kooperation werden dadurch erschwert, dass die gemeinsame persönliche Basis fehlt – die daraus entstehenden Konsequenzen wurden bereits in Kapitel 11.1.3 ‚Die Konsequenzen des Informationsmangels auf die Aufgabenbewältigung’ detailliert erörtert. Wenn sich die Mitarbeiter weniger mit ihrer Gruppe und ihren Kollegen identifizieren, erfahren sie laut drei Interviewpartnern weniger Freude an der Arbeit und zeigen ein geringers Maß an commitment und Motivation. Statt gegenseitiger Unterstützung herrscht Gegeneinander. Auch die Verpflichtung des Einzelnen zu einer gemeinsamen Entscheidung entsteht erst bei ausreichender Teamkohäsion, wie ein weiterer Interviewpartner schildert: 259

Das Wesentliche war, dass der Grundkonsens innerhalb des Teams war, dass diese Entscheidung akzeptiert worden ist, egal wie meine vorhergehende Meinung war. Selbst wenn ich vorher dagegen war und einen anderen Weg verfolgt hätte .. war, ganz klar um das Ziel zu schaffen, müssen wir jetzt einfach gemeinsam an einem Strang ziehen und in die gleiche Richtung gehen. (IP 4) Dass die Führungskraft Probleme hat, über die Distanz zu motivieren, soll im Kapitel Führung aufgegriffen werden. Zudem besteht durch die unzureichende Identifikation die Gefahr, dass die Mitarbeiter kein gemeinsames Verständnis teilen und isoliert voneinander agieren: Ich sehe schon die Gefahr, wenn wir zu weit auseinander driften, im Sinne von Unsnicht-sehen [...], dass die gemeinsame Basis verloren geht. Weil bei dem einen oder anderen entwickeln sich Dinge weiter, die der andere nicht mitkriegt. (IP 1) Um alle Mitarbeiter ausreichend einzubeziehen, erfordert es vom Teamleiter einen enormen Koordinationsaufwand und von allen Mitarbeitern Aufwand in Form von ständigen Reisen und Medienkommunikation. Dies ist aus oben erwähnten Kostengründen nicht immer möglich und angestrebt. So ist in Kauf zu nehmen, dass sich lokale und persönliche Tendenzen durchsetzen. In der Folge werden aus der Gruppenaufgabe Einzelleistungen, die in der Summe die Gruppeneffektivität vermindern. Ein Interviewpartner sieht dieses Problem als so gravierend, dass er virtuelle Teams abschafft: Ich sehe hier wirklich Probleme hier, diese Teams über zwei locations hinweg so zusammen zu halten, dass ein großes Wir-Gefühl da ist. Es geht sehr viel Kommunikationsarbeit hinein hier, diese Teams zusammen zu halten. Deshalb ist hier mein Bestreben schon konsequent, die Teams so aufzusetzen, dass [...] sie lokal beieinander sind. (IP 13) Die Tendenz zu lokalen Subgruppen wird durch die Organisationsstruktur verstärkt, z.B. durch die divergierenden Interessen der Allianzpartner oder durch die Definition der asiatischen Subteams als die kostengünstigen Zulieferer. So nehmen die Subteams unterschiedliche Rollen und Machtpositionen ein, was einer allgemeinen Verbundenheit und der Verfolgung eines gemeinsamen Arbeitsziels zuwider läuft. Deshalb betont Interviewpartner 15, wie wichtig Teamkohäsion zur Aufgabenbewältigung ist: Bei so einem verzahnten Ding legt man viel Wert drauf, dass der Teamgedanke da ist, weil ohne Teamgedanke kann man solche Probleme nicht objektiv bearbeiten. (IP 15) Vertrauen kann, wie nun schon mehrfach angesprochen, nur begrenzt entstehen, da es an face-to-face Kommunikation hapert, in der sich die Mitarbeiter kennen lernen und als vertrauenswürdig einschätzen können. In den folgenden Abschnitten sollen Sequenzen aus den Interviews wieder gegeben werden, welche die mannigfachen Konsequenzen des Vertrauensmangels veranschaulichen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es kaum zu einer zahlenmäßigen Häufung desselben Aspekts kam; jeder Interviewpartner, der sich zu diesem Thema äußert, schildert andere Ausprägungen. Zum einen ist Konkurrenzdenken festzustellen, wenn Vertrauen ausbleibt: Die Mitglieder an den unterschiedlichen Standorten versuchen, sich gegenseitig zu überbieten statt Informationen auszutauschen und zu kooperieren: Ja, er [der Projektleiter und Leiter eines anderen Standorts] hat immer so .. vordergründig freundlich und lächelnd [getan]. Und er hat eigentlich nur versucht, Dinge abzuziehen, und die dann von seiner Gruppe, von seiner lokalen Gruppe zu verkaufen. Und so kam das dann, dass die Leute bei uns gesagt haben, „dem geben wir nichts mehr.“ […] Man hat die Leute nicht so gekannt, nur über Videokonferenz. Und dann war dieses Misstrauen da, dass man eben Angst hatte, „jetzt gebe ich was heraus, und dann wird das als eigene Idee verkauft.“ (IP 28) 260

Wenn sich Mitarbeiter aus diversen Kulturen in einer fremden Sprache vor Anderen mitteilen sollen, muss ein psychologisch sicheres Klima vorhanden sein: Das [ist] im [betont] interkulturellen Bereich noch wichtiger als anders herum. Das heißt, traue ich mir, überhaupt etwas zu sagen. […] Mit jeder Frage gibt man etwas von sich preis. Das ist ja eine Öffnung. Man entblößt sich ein bisschen. Man entblößt sich hinsichtlich seiner Unwissenheit, Unzulänglichkeit, vielleicht auch .. man gibt ja was von sich preis. [zögert] Wenn sie das noch in einer fremden Sprache tun, dann haben sie noch mehr Hemmungen, und vielleicht noch in einer Umgebung, wo die Mehrheit auch noch aus einem anderen Land kommt oder wo nur so Subgruppen sind .. dann glaube ich, dass das noch viel schwieriger ist, sich da zu öffnen. In dem Kontext ist dieser Gedanke halt zusammen zu gehören, ist fast noch wichtiger. (IP 14) Genauso steht es mit Feedback, das nötig ist für interkulturelles Lernen, dass der Akteur erkennt, wenn er sich falsch verhalten hat: Aber das wirkliche learning setzt erst damit ein, wenn die Mitarbeiter oder counterparts so offen sind, auch Feedback zu geben, wie etwas ankommt. Die Vertrauensbasis, die Beziehungsebene so weit intensiviert ist, dass man wirklich darüber redet, auch wenn es unterschiedlich ankommt. Dass man dann nicht Klappe zu, „das ist ein Arschloch.“ Sondern, dass man offen ist, „aha, das kommt also bei dem ganz anders an.“ (IP 13) Es wird (von fünf Interviewpartnern) von Hemmungen gesprochen, Kollegen in fremden Ländern anzurufen, so dass entweder ganz auf die Mitteilung verzichtet und die Angelegenheit nur lokal besprochen wird, oder E-mail als das weniger taugliche Medium zur zeitnahen Klärung verwendet wird. Dies verstärkt die Kommunikationsprobleme, die in Kapitel 11.1 bereits aufgezeigt worden sind: Aber da haben wir festgestellt, dass wir unheimlich, sagen wir nicht unheimlich .. aber wir haben schon Kommunikationsprobleme. Und ja, gerade der Anfang war eben so, dass sich weder der eine, noch der andere bei sich gemeldet haben, sondern rein Kommunikation sich auf Mail-Basis zurückreduziert hat. (IP 27) Damit fehlen die Voraussetzungen für die Nutzung von zahlreichen interkulturellen Synergien. Zum ersten werden durch das Zurückhalten von Ideen und Ansichten die vorhandenen Ressourcen nicht optimal eingesetzt. Zum zweiten kann damit kaum Kreativität entstehen, da sich keine Diskussion und gemeinsame Problemlösung entwickelt. Und zum dritten wird die Möglichkeit voneinander zu lernen eingeschränkt. Ein Interviewpartner hingegen kommt ganz gut zurecht, weil er seine Kollegen aus früheren Kooperationen schon kennt: Es ist natürlich für so eine Allianz deutlich besser, weil man da schon mal weiß, wie man sich verlassen kann, wer welche Arbeit machen kann und wen ich ansprechen muss. Das ist wichtig. Ich weiß ja gar nicht, wen ich fragen soll, weil die Allianzen groß sind. Und da ist es gut, man kennt sich schon. Man hat halt dann keine Hemmschwelle anzurufen oder da mal hinzugehen. (IP 21) In anderen Fällen wird nicht einmal um Hilfe gebeten, da es einem Eingeständnis an die eigene Inkompetenz gleich käme, das man sich vor einem Geschäftspartner, mit dem man kein Vertrauensverhältnis pflegt, verkneift. Eine Unterstützungsleistung kann aus diesem Grund nicht geliefert werden, so dass die Aufgabe nur erschwert gelöst wird: Dann aber von ihrer Seite [von den italienischen Partnern], als sie Probleme hatten, nie die Anfrage kam, „bitte helft uns, wir haben Probleme.“ Weil beim Nachfragen hat sich ergeben [...], dass hier ein schlechtes Gewissen da gewesen war: „Ich kann doch jetzt nicht fragen, ich sollte das sicher alleine lösen können.“ Dort fehlte sicher der persönliche Kontakt ein bisschen. Das war mehr Dokumente hinschieben .. E-mail, wie es geht. (IP 8) 261

Transparenz, d.h. ausreichend Information an die verstreuten Mitarbeiter zu geben, ist ein Mittel, um Vertrauen zu schaffen. Allerdings entstehen bei zwei Interviewpartnern Schwierigkeiten, bei dem einen, weil er übersieht, relevante Information an den ein oder anderen Mitarbeiter zu liefern, bei dem anderen aus Angst der Subgruppe abgehängt zu werden: Und es gibt eben Teams, die sagen, wenn sie jetzt nicht vor Ort sitzen, die sagen, „ich möchte aber eingebunden sein.“ Das heißt, die sind schon sensibel, wenn man irgendwie mal eine Mail schreibt, wo sie nicht auf dem Verteiler sind, dann haben sie da Gefühl, „hier wird wieder[etwas] uns gegenüber verheimlicht.“ (IP 18) In Zusammenschlüssen verschiedener Firmen werden Angelegenheiten in Verträgen geregelt, was man als Ersatz für interpersonales Vertrauen oder Systemvertrauen bezeichnen kann (vgl. Kapitel 6.1.4.1 ‚Das Vertrauenskonzept’). Aber wie ein Interviewpartner beschreibt, muss dazu auch interpersonales Vertrauen kommen, damit die Kooperation funktionieren kann, die Mitglieder Informationen austauschen und nicht Gefahr laufen, dass sie an andere Firmen weitergegeben wird: Die tägliche Arbeit beruht schlicht und einfach auf dem Vertrauen der Ingenieure oder der Mitarbeiter, dass der counterpart mit der Information, die er vielleicht zufälligerweise oder unbefugterweise bekommt, keinen Unfug treibt. (IP 2) Dies beruht auf einer Kosten-Nutzen-Abwägung, wie der Interviewpartner fortführt, denn sollten doch vertrauliche Daten weitergegeben werden, wird die Kooperation aufs Spiel gesetzt, was in erhebliche finanzielle Lasten ausufern kann (vgl. calculus-based trust). Dies ist jedoch nicht in jedem Projektteam der Fall, wie derselbe Interviewpartner weiter schildert: Und wie wichtig das ist, haben wir sehr schön gesehen in der vorherigen Allianz mit Taiwan. Hier ist das Zusammenarbeiten sehr, sehr schwierig. Und meiner Ansicht nach wird es deutlich unterschätzt, wie schwierig es ist, z.B. mit einer chinesischen oder asiatischen Firma zusammen zu arbeiten als Europäer. Das Element des Vertrauens war schlicht und einfach nicht so da und das Element der Kommunikation. Und das macht die Zusammenarbeit sehr schwierig. Wirklich sehr schwierig. (IP 2) Schlimmer noch, funktioniert eine Allianz nur durch gemeinsamen Vertrag, aber nicht durch gemeinsame Interessen, erstellen nach den Aussagen eines anderen Interviewpartners die Vertragspartner für ihr Subteam Vertraulichkeitsanordnungen, achten auf die strikte Einhaltung der Grenzen und verhindern jegliche Gesamtteamidentifikation. Selbst Teamentwicklungsmaßnahmen können in so einem Fall nicht weiter helfen, da das grundsätzliche Vertrauen zwischen den Partnern fortbleibt. Vertrauen ist Grundlage für Führung über die Distanz, wie im folgenden Kapitel Führung noch genauer gezeigt wird, da die Mitarbeiter vor Ort gewisse Freiheiten in der Entscheidung benötigen, um die lokalen Bedingungen zu berücksichtigen. Dies erwähnen zwei Interviewpartner, deren Mitarbeiter vor Ort im Kundenservice tätig sind. Teamentwicklung beinhaltet den Aufbau persönlicher Beziehungen und von Vertrauen. Fehlen diese beiden Elemente oder sind sie nur unzureichend ausgebildet, verspüren die Beteiligten Unsicherheiten, mit wem sie es zu tun haben. Der mangelnde persönliche Bezug und ggfs. die geographische Isolierung beeinträchtigen Motivation, commitment und Zufriedenheit. Nicht nur hinsichtlich der Kommunikation, wie im Kapitel 11.1 dargelegt, sondern auch durch die Abwesenheit eines Wir-Gefühls werden die sozialen Bedürfnisse nicht befriedigt. Und genauso sind die Teammitglieder nicht zufrieden mit der ineffektiven Kooperation und der daraus entstehenden ungenügenden Leistung. Die nachfolgende Tabelle stellt die Effektivität hinsichtlich Leistung und die mangelhafte Teamentwicklung nebeneinander dar:

262

Effektivität

Beurteilung

1,0 - 4,0

schlecht

Anzahl der virtuellen und gemischten Teams 4

Teams mit Teamentwicklungsproblemen 4

5,0 - 5,5

durchschnittlich

7

4

6,0 - 7,5

gut

5

4

8,0 - 10,0

sehr gut

4

2

k.A.

1

1

Summe

21

15

Tab. 23: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Teamentwicklungsproblemen207 13 Interviewpartner sehen in 15 Teams Schwierigkeiten in der Teamentwicklung. Dies betrifft Arbeitsgruppen aller Leistungsstufen, in etwas schwächerem Maße sehr gute Teams. Dies kann damit erklärt werden, dass fast jedes virtuelle Team Mühen im Zusammenwachsen durchläuft; manches von ihnen kommt zu einem erfolgreichen Ergebnis, manches ist erst noch auf dem Weg bzw. bleibt darin stecken.

11.2.3 Ableitung der Hypothesen Unzureichende Teamentwicklung und Vertrauensprobleme wurden im theoretischen Teil getrennt voneinander analysiert und in zwei getrennten Sets an Arbeitshypothesen formuliert. Hier werden die zwei Bereiche, die eher Teilaspekte desselben Phänomens bilden, zu einem Kapitel und einem Set an Hypothesen verschmolzen. Die Hypothesen strukturieren sich analog der vorangegangenen verbalen Ausführungen in erstens Schwierigkeiten im Prozess der Team- und Vertrauensentwicklung und zweitens Konsequenzen für die anderen Gruppenprozesse und die Gruppeneffektivität. Dabei greifen die Hypothesen jedoch durchaus die theoretischen Überlegungen aus den Arbeitshypothesen auf; sie bringen sie zumeist lediglich in einen anderen Zusammenhang. Nur wenige Aspekte fallen komplett heraus, wie die Spezifizierung der Informationsqualität bei Vertrauensmangel aus vK0Pe 8, da ausreichendes Datenmaterial fehlt. Die Arbeitshypothesen vK0V 1, vK0P 3, vK0Pe 5, vK0Pe 6, vK0Pe 7, vK0O 5, vK0O 6, vK0P 4, vK0Pe 9, vK0Pe 10, vK0O 7 und vK0O 8 werden umstrukturiert, zum Teil modifiziert und v.a. auch ergänzt, so dass die folgenden Hypothesen entstehen: Aus Unterkapitel 11.2.1 ‚Schwierigkeiten bei der Teamentwicklung und beim Vertrauensaufbau’: Hypothese Voraussetzung vK1V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, haben sie bereits personenbezogene Information voneinander. Hypothese Voraussetzung vK1V 2: Je weniger (kulturelle) Gemeinsamkeiten bestehen, desto gravierender ist das Problem.208 Hypothese Prozess vK1P 4: Je weniger face-to-face Interaktion, eingeschlossen eines persönlichen kick-off Meetings und späterer begleitender regelmäßiger Treffen, desto schwieriger ist die Teamentwicklung und der Vertrauensaufbau in virtuellen multikulturellen Teams. Ohne face-to-face Kontakte ist eine Teamentwicklung nicht möglich. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 4: Der informelle Anteil an Kommunikation ist virtuell bei weitem geringer als in face-to-face Kontakten und die Teammitglieder haben weniger Ansatzpunkte sich kennen zu lernen.209 207

208

In den Tabellen der virtuellen Konflikte werden jedes Mal insgesamt 15 Teams mit Problemen und vier durchschnittliche Teams mit Problemen gezählt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht jeweils um dieselben Teams. Virtuelle Konflikte der verschiedenen Formen tauchen in allen Teams auf. Diese Voraussetzung gilt auch für den Mangel an sozialer und Kontextinformation in Kapitel 11.1.4.

263

Aus Unterkapitel 11.2.2 ‚Konsequenzen der gestörten Teamentwicklung’: Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 5: Die Teammitglieder erleben mangelnde Teamidentifikation und -kohäsion und damit weniger Motivation. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis, welches die Gruppenprozesse implizit steuern würde. Daher wird der Gruppenleiter hinsichtlich Kommunikation und Koordination stärker belastet. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 7: Es bilden sich lokale Subgruppen, die lokale Interessen verfolgen. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 8: Vertrauensmangel äußert sich u.a. in erhöhtem Konkurrenzdenken untereinander, mangelnder Selbstoffenbarung und Offenheit sowie Verringerung von direkten Kontakten und dem Bedürfnis nach vertraglicher Regelung der Beziehungen. Interkulturelle Synergien wie Kreativität und Lernen können nicht genutzt werden. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 9: Vertrauen ist Grundlage für Führung über die Distanz. Hypothese Output (Leistung) vK1O 3: Die Aufgabenerfüllung wird durch die mangelnde Basis an funktionierenden Gruppenprozessen gestört. Hypothese Output (Zufriedenheit) vK1O 4: Der Mangel an Teamkohäsion und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit der Teammitglieder.

11.3

Führungsprobleme

11.3.1 Anweisung und Kontrolle Dass das Thema Führung auf den Nägeln der Verantwortlichen brennt, zeigt sich in den Interviews eklatant, und es soll ihm daher an dieser Stelle ausreichend Raum gewidmet werden. Einer der Interviewpartner äußert sich über den Stellenwert dieses Themas folgendermaßen: Und ich sage mal, jetzt das Thema, was ich eigentlich im Fokus hatte, ist nicht nur, sagen wir mal die internationale Zusammensetzung eines Teams und deren Vor- oder Nachteile, sondern mein Fokusthema wäre eigentlich mehr, wie schaffe ich es, über lange Distanzen solche Teams zu führen, zu managen, Kommunikation aufrecht zu erhalten. Und zu gleichen Zielen zu kommen. (IP 13) Begonnen werden sollen die Ausführungen mit der unzureichenden Anweisungsmöglichkeit an die verstreut stationierten Gruppenmitgliedern durch den Teamleiter. Bei Delegation von Aufgaben kann es sein, dass keine Antwort respektive Erledigung erfolgt. Auf Grund des mangelnden Kontextwissens kann sich der Teamleiter keinen Eindruck darüber verschaffen, wo hierfür die Ursachen liegen. Die Resonanz fällt bei den unterschiedlichen Kulturen anders aus; so wurde dreifach genannt, dass Amerikaner umgehend auf Anfragen reagieren, vor allem, wenn man eine ausreichende Begründung mitliefert. Anders sieht es in Taiwan aus, wo es wichtiger ist, das Gesicht zu wahren und ‚ja’ zu sagen, ohne tatsächlich zu liefern, anstatt die Annahme der Aufgabe verbal rundweg zu verweigern. Auch hier wäre ein visueller Hinweis hilfreich, um die Antwort des Gegenübers besser einschätzen zu können (vgl. Kapitel 11.1). So ist es doch immer wieder nötig, dass sich der Teamleiter auf Dienstreise begibt, um sich vor Ort von der Ausführung der Aufgaben zu überzeugen: So, und da ist es halt wichtig, vor Ort zu sein und mit den Leuten Auge in Auge schauen, ob dieses commitment, was sie gemacht haben, auch eingehalten wird. (IP 21) 209

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auf die Hypothese vK1Pe 3, welche die Auswirkung des Kommunikationsmangels auf die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit beschreibt, verwiesen, welche bereits in Kapitel 11.1.4 formuliert wurde.

264

Das Aushandeln einer Aufgabe, wie es in einem persönlichen Gespräch direkt und unmittelbar möglich wäre, funktioniert über die Distanz nicht, da der Aufwand des Nachfragens und der Detailschilderung zu hoch ausfällt (vgl. ebenso Kapitel 11.1). Das Problem erläutert ein Interviewpartner so: Wenn jemand nicht will, und ich habe ein elektronisches Formular, das er unterzeichnen muss, dann sagt er einfach „not accepted“. Wenn ich mit jemand zusammensitze an einem Tisch und dasselbe Formular ausfüllen würde und mit ihm diskutiere, dann würde er wahrscheinlich immer noch sagen „he, ich stimme da nicht zu.“ Da kann ich aber sofort intervenieren. Wenn ich sofort nachfrage, „he, warum, was sind die Gründe dafür?“ Weil im Endeffekt wird man am Ende des Gespräches innerhalb von ein paar Minuten zu irgendeiner Lösung kommen. (IP 2) Einer der Interviewpartner berichtet, wie schwer es ist, einen chinesischen Mitarbeiter virtuell zu veranlassen, seine Tätigkeit ordnungsgemäß zu erfüllen. Nur durch wöchentliche Kontrollanrufe und Ausübung von Zwang über das Telefon sieht er ansatzweise Erfolg: […] oder nur über wirklich sehr harte Nachfragen, hartes Anfassen. Bis hin zur Drohung „wenn ich das nicht bis morgen .. den Bericht detailliert habe .. musst du da sein, na komm.“ (IP 23) Im Verlauf gibt er aber an, dass er nach wie vor unzufrieden ist mit den Leistungen des Mitarbeiters und danach strebt, ihn zu ersetzen. Andere Führungskräfte gehen einen anderen Weg, indem sie erkennen, dass die traditionelle Führung nicht anschlägt. Sie setzen auf Führung durch Ziele und durch Überzeugung. Einer erwähnt explizit die Notwendigkeit der ‚partnerschaftlichen’ oder ‚losen’ Führung statt Betonung der Hierarchie (IP 13). Darauf wird ausführlich im sich unmittelbar anschließenden Unterkapitel zur Koordination eingegangen. Da die Führung auf Distanz sehr aufwendig und zeitintensiv sowie die zahlenmäßige Betreuung von Mitarbeitern daher eingeschränkt ist, gehen drei Unternehmen dazu über, entweder eine Matrixorganisation zu erstellen, in der ein lokaler Mitarbeiter einem lokalen disziplinarischen Vorgesetzten und einem virtuellen Projektleiter zugeordnet ist, oder lokale Subteams zu bilden, denen ein eigener Subteam-Leiter vorsteht: Das ist so eine Art Matrixorganisation. Es gibt dort jetzt eine Führungskraft, die erstens mal disziplinarisch die Führungskraft ist und dann auch noch in den Teil des Teams hinein, der mich betrifft in Rahala210, eine fachliche Führungsrolle hat. [Das ist die] lokale Führungskraft, die, ich möchte jetzt nicht sagen, dazu da ist, den Laden zusammen zu halten, aber natürlich schon ein bisschen mehr, das Disziplinarische im Fokus hat als jetzt das Fachliche. (IP 33) Damit kann man disziplinarische, meist heikle Angelegenheiten dem örtlichen Vorgesetzten überlassen; aber es fehlt jedoch umso mehr die Möglichkeit der disziplinarischen Führung. Obwohl für eine partnerschaftliche Führung und Verstärkung der Eigenständigkeit der Mitarbeiter plädiert wird, fällt die Erfolgskontrolle nicht bei allen Interviewpartnern weg. Ein Interviewpartner führt eine wöchentliche Kontrollabfrage per Telefon durch. Ein anderer Teamleiter spricht von tracking, d.h. dem Verfolgen von Aufgabenpaketen, das notwendig ist, da nicht alle Mitarbeiter hinsichtlich Arbeitserledigung gleich motiviert sind sowie eventuell Probleme aufgedeckt werden müssen. Ebenfalls die Evaluation des Mitarbeiters und seiner Leistungen fällt hierunter, wozu gegebenenfalls Informationen über Dritte, die vor Ort sind, eingeholt werden.

210

Pseudonym.

265

11.3.2 Koordination Um nun auf die Funktion der Koordination einzugehen, welche die Kontrolle zum Teil ersetzt, sprechen sieben Teamleiter davon, die übergeordnete Lenkung einzunehmen, indem sie Ziele vorgeben und dafür sorgen, dass diese von allen eingehalten werden, denn: Wir müssen alle zusammen in eine Richtung gehen. (IP 2) Es geht darum, alle Mitglieder der verschiedenen Einheiten „unter einen Hut zu bringen“ (IP 4) und das Verfolgen des Unternehmensinteresses sicherzustellen. Die Gefahr, dass physisch voneinander getrennte Mitarbeiter, die diversen Unternehmenseinheiten bzw. sogar Organisationen angehören, unterschiedliche Interessen verfolgen, wenn man sie nicht rechtzeitig ausreichend über gemeinsame Ziele integriert, wird von fünf Interviewpartnern erkannt. Darüber hinaus definiert der Teamleiter Projektpläne, Arbeitsabläufe, Regeln und Strukturen, die von den Teammitgliedern einzuhalten sind (neunmal genannt). Dies soll zur Ordnung des Alltagsgeschäfts dienen und wird zweimal explizit als Kriterium für effektives Zusammenarbeiten genannt. Allerdings variiert das Ausmaß der Vorgaben des Teamleiters. Interviewpartner 4 geht recht strikt vor, um zu gewährleisten, dass die eben genannte Gefahr, dass die einzelnen Einheiten eine Eigendynamik entwickeln, vermieden und klar das Unternehmensziel im Auge behalten wird: Und deshalb ist es wichtig doch, eben über die Distanz klare Strukturen aufzubauen, in dem Fall eben auch eine hierarchische Struktur. Dass es eine klare Reportinglinie gibt, die einzuhalten ist. Um einfach dort das Gesamtsystem entsprechend zu erhalten. (IP 4) Andere vier Interviewpartner sprechen lediglich von der Zielebene und überlassen untergeordnete Entscheidungen den Teammitgliedern. Interviewpartner 13 gewährt beispielsweise sehr weite Spielräume: Man kann sich nicht in die Detailebene einmischen. Man muss schon irgendwo eine Ebene finden, wo man Ziele formulieren kann, die leicht verständlich sind, die aber den Leuten die Freiheit lässt, den Weg zu bestimmen, wie man hinkommt. D.h. Führung dieser Teams ist nicht sehr eng gekoppelt. (IP 13) Eine der eher lose führenden Führungskräfte gibt an, dass diese Freiheiten notwendig sind, damit der Mitarbeiter vor Ort sich voll auf den Kunden einstellen kann. Dies funktioniert natürlich nach dessen Angaben nur, wenn eine Vertrauensbasis existiert (vgl. Kapitel 11.2). Der Gruppenleiter erkennt die Expertenrolle der Mitglieder an, indem er ihre Sachmeinung akzeptiert, ihr Fachwissen hört und sie, wie geschildert, ggfs. eigene Entscheidungen treffen lässt (acht Nennungen). Der Chef ist nicht mehr unfehlbar, sondern es zählen die Argumente. Doch auch hier ist festzustellen, dass der Grad je nach Führungskraft variiert. Einer gibt an, in Themen, in denen er sich nicht auskennt, nur mehr Teammitglied zu sein, ein anderer spricht lediglich davon, dass man ihn in seinen Entscheidungen beeinflussen kann, sie aber sicherlich nicht aus der Hand gibt. Eine wichtige Rolle der Führungskraft besteht darin, für ausreichend Information zu sorgen. Einerseits gilt es, die Kontakte nach außen, insbesondere zu den oberen Führungsebenen zu pflegen und Informationen von dort ans Team fließen zu lassen. Dabei ist es wichtig, dass Informationen so aufbereitet werden, dass sie von allen verstanden werden. Jedes Mitglied muss auf dem Laufenden gehalten werden, wo die Gesamtgruppe steht, damit wiederum die Richtung der Gesamtgruppe nicht verloren geht. Zudem muss der Teamleiter Sorge tragen, dass sich die Mitarbeiter untereinander ausreichend austauschen und sich abstimmen. Dies ist allerdings nicht ausschließlich über die Medien möglich, da die Gefahr der Entkoppelung der Leitung von den Geschehnissen vor Ort stattfindet: Also wenn du jetzt anfangen würdest, nur per Telekon und Datenbanken ein Projekt zu leiten, hat das nach drei Monaten .. ist es in eine Richtung gegangen, die du schon gar 266

nicht mehr überblicken kannst, weil so viel passiert ist. Deshalb muss man von Zeit zu Zeit dahin fahren. (IP 21) Die Information aller Beteiligten erfordert einen erheblichen Zeitaufwand, der zu Kompromissen zwingt: Aber da das Team relativ groß ist und der technische Sachverhalt sehr komplex ist, würde das sehr viel Zeit in Anspruch nehmen [...]. Also muss ich so eine Gratwanderung machen zwischen jeden ein bisschen im Dunkeln lassen, und ihm aber doch soviel Informationen geben, dass er das Gefühl hat, er hat genug und er weiß genug, und nach wie vor motiviert ist, weiterzumachen. (IP 2) In diesem Zitat wird die Rolle von Information deutlich: Sie ist nicht nur notwendig, um die Aufgabe zu erledigen und das Team auf dem richtigen Pfad zu halten, sondern auch zur Motivation der Teammitglieder. Ausreichende Transparenz und die Gewährleistung gleicher Informationsstände bei allen Beteiligten ist hierfür unabdingbare Voraussetzung. Die oben genannte Überzeugung ist nach Meinung von drei Interviewpartnern ein weiterer Motivationstreiber: Sie haben ja keinen disziplinarischen Zugriff auf die Mitarbeiter, Sie müssen überzeugen, dass der Weg, den Sie vorschlagen, der richtige ist. Sie müssen Akzeptanz dafür kriegen, usw. Die wiederum müssen das bei ihren Vorgesetzten, bei ihren Managern durchsetzen und überzeugend darstellen können. Also, sage ich mal, die Art der Kooperation ist eben relativ, sage ich mal, machtfrei zu beschreiben, und die einzige Macht, die Sie haben, ist, überzeugen zu können. Und das ist manchmal auch ein schwieriger Prozess, der auch zeitraubend ist, wo auch manche Dinge einfach hängen bleiben, weil es nicht die notwendige Akzeptanz gibt. (IP 1) Von verschiedenen Seiten der Motivation sprechen insgesamt zehn der Interviewpartner, was auf ihre Relevanz bei virtueller Führung verweist. Hierunter fällt ebenso die Achtung des Mitarbeiters als Fachexperte, wie oben schon beschrieben. Auch die Anerkennung der Leistung des Mitarbeiters wird von einem Interviewpartner als wichtig eingeschätzt zum Aufbau von commitment. Ein anderer Interviewpartner berichtet davon, dass er explizit dem Team gegenüber Interesse zeigt, indem er sich zu regelmäßigen Telemeetings per Telefon einwählt, um sich berichten zu lassen. Aber auch in schwierigen Zeiten dafür zu sorgen, dass die Teamstimmung nicht umkippt, gehört dazu: Und die Leute wird es immer geben, die sagen, „das schaffen wir eh nie.“ Aber wenn sozusagen dieses schlechte Gefühl sich irgendwie ausbreitet auf das Team, dann ist das Team tot. Das darf nicht passieren. Das heißt, ich muss das Team immer irgendwie motivieren, dass wir immer noch auf dem richtigen Kurs sind, dass wir einigermaßen im Zeitplan liegen, dass wir gegenüber unseren Konkurrenten aufholen können oder unseren Vorsprung halten können. (IP 2) Derselbe Interviewpartner betont darüber hinaus die Schwierigkeit, verschieden kulturelle Mitarbeiter zu motivieren, denn dies ist nicht über die Mitteilung technischer Daten, sondern durch Ansprache an die Gefühlswelt zu bewerkstelligen. Dies erfordert Aufmerksamkeit und noch mehr Zeit des Gruppenleiters: Praktisch schaut das so aus, dass ich einen relativ hohen Anteil meiner Arbeit zwischen den Kollegen hin und her laufe, in einem one to one und sozusagen die Leute einzeln bearbeite. (IP 2) Die Vorbildfunktion erwähnt ein Interviewpartner, um die Mitarbeiter zu Leistung anzuregen: Ich kann nicht den Leuten sagen, „wir haben jetzt ein wichtiges Projekt und ihr müsst am Samstag arbeiten“, und ich komme dann am Samstag hinein und sage, „ja und wie läuft es? Ich gehe jetzt auf den Golfplatz.“ Das würde jetzt nicht die feinste Art und

267

Weise für Motivation sein. Also wenn ich Leute dann motiviere, dann muss ich als eigenes Vorbild vorangehen. (IP 4) Motivation über Distanz ist äußerst schwierig, die nur über „oft vor Ort sein“ und „viel kommunizieren“ (IP 13) gewährleistet werden kann. Konfliktlösung ist eine weitere Aufgabe des Teamleiters, wie in anderen Gruppen auch. Nur die Art der Konflikte ist eine andere, sowie auch deren Lösung. So kann es durch den falschen Ton in E-mails zu Unmut gekommen sein, der am besten durch den lokal anwesenden Teamleiter bereinigt wird. Die lokale Anwesenheit scheint eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Handhabung zu sein, deshalb auch häufig der zusätzlich eingesetzte Vorgesetzte vor Ort. Bei kleineren Unstimmigkeiten ist es notwendig, sich zumindest am Telefon ausführlich dazu zu unterhalten; das wenig reichhaltige Medium E-mail wird als nicht passend eingestuft. Bei größeren Problemen muss das Thema vor Ort bei der nächsten Dienstreise noch einmal angesprochen werden. Kulturelle Unterschiede fallen in den verschieden Führungsbereichen ins Gewicht, wie im Kapitel 9.1 dargestellt. So muss der Gruppenleiter die regionalen Kulturen, also die Hintergründe seiner Mitarbeiter berücksichtigen, ohne dass er jedoch Gelegenheit hat, sie direkt zu erfahren. Zusammen genommen mit den virtuellen Herausforderungen heißt für Teamleiter virtueller Arbeitsgruppen, dass sie beide Dimensionen zu beachten haben, was die Komplexität an Anforderungen erhöht: Einen optimalen Teamleiter, glaube ich, den gibt es fast nicht. Vor allem nicht in multikulturellen Teams. Weil die Erziehung der Leute sehr unterschiedlich ist, und die Ansprüche sehr unterschiedlich sind. (IP 2) Ein Interviewpartner erwähnt explizit, dass in der virtuellen Kooperation bei chinesischen Mitarbeitern die Vorgabe gut funktioniert, in Deutschland jedoch eher Diskussionen akzeptiert werden müssen. Dies kann man als Zeichen für die behavioral complexity-Theorie werten, die besagt, dass die Führungskräfte über ein unterschiedliches Repertoire an Führungsstilen verfügen, um je nach Situation bzw. Mitarbeiter die passende Methode anzuwenden (vgl. Kapitel 6.1.5.2).

11.3.2 Ableitung der Hypothesen Um kurz die empirischen Aussagen im Licht der Theorie (vgl. Kapitel 6.1.5) zu resümieren, fällt auf, dass die traditionelle Führung (wie v.a. im Unterkapitel zu Kontrolle ausgeführt) Probleme aufwirft und kaum erfolgreich für virtuelle Arbeitsgruppen angewandt werden kann. Die meisten Führungskräfte haben erkannt, dass mehr über Ziele und Motivation zu steuern ist, wie in diesem Unterkapitel Koordination besprochen wurde. Obschon sie selbst nicht von Selbststeuerung und team empowerment sprechen, ist dieses Konzept deutlich erkennbar.211 Allerdings ist genauso zu erwähnen, dass selbst mit diesem neuartigen Führungskonzept die Leitung eines virtuellen Teams schwierig bleibt und auf die persönliche und direkte Kommunikation nicht verzichtet werden kann, gerade um Mitarbeiter zu motivieren, an Bord zu halten und mit ihnen über schwierige Sachverhalte zu sprechen. Sogar einer der Interviewpartner, der für selbststeuernde Führung eintritt und in den obigen Zitaten mehrmals erscheint (IP 13), erkennt die Grenzen und plant, die virtuelle Kooperation für sein Team aufzuheben und es lokal zu stationieren.

211

Zur Stichprobe ist zu sagen, dass von den 18 Personen, die in virtuellen Arbeitsgruppen verankert sind, 14 leitende Funktionen einnehmen, was erklären mag, dass das Problem der Führung hauptsächlich aus deren Sicht dargelegt wird. Zudem sind die meisten Befragten relativ jung (zwischen 30 und 40 Jahren); daher ist anzunehmen, dass sie eher zu modernen Führungskonzepten tendieren als evtl. ältere Führungskräfte.

268

14 Interviewpartner in 15 Arbeitsgruppen kämpfen mit Schwierigkeiten in der Führung. Wiederum fällt auf, dass in allen virtuellen Teams unabhängig von ihrer Leistungsstufe dieses Problem erkannt wird. Eine leichte Abweichung zeigt die Kategorie ‚durchschnittliche Teams’, wobei hier kein struktureller Grund erkennbar ist.

schlecht

Anzahl der virtuellen und gemischten Teams 4

Teams mit Führungsproblemen 3

durchschnittlich

7

4

Effektivität

Beurteilung

1,0 - 4,0 5,0 - 5,5 6,0 - 7,5

gut

5

5

8,0 - 10,0

sehr gut

4

3

k.A.

1

Summe

21

15

Tab. 24: Gruppeneffektivität und virtuelle Teams mit Führungsproblemen212 Die empirischen Daten schlagen sich in den Hypothesen nieder, wobei die Arbeitshypothesen vK0P 5, vK0Pe 11, vK0Pe 12 und vK0O 9 modifiziert beibehalten werden: Hypothese Prozess vK1P 5: Die traditionelle Führung scheitert insbesondere an der mangelnden Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeit durch den Gruppenleiter. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 10: Mitarbeiter, die zu wenig Koordination bzw. Anleitung und damit Orientierung erfahren, fühlen sich weniger motiviert. Hypothese Prozess (Erweiterung) vK1Pe 11: Der Teamleiter muss ein neues Führungskonzept annehmen, das ihm statt Kontrolle eher Koordination durch Prozessgestaltung und Unterstützung durch den Aufbau von Selbststeuerung zuweist. Hypothese Output (Leistung) vK1O 5: Der Kontrollverlust sowie der Aufwand für Koordination und Motivation von Seiten der Führung sind sehr hoch und vermindern die Effektivität. Die Sichtweise der Mitarbeiter und ihre Zufriedenheit können mit den vorliegenden empirischen Daten nicht erfasst werden, daher wird Arbeitshypothese Output (Zufriedenheit) vK0O 10 nicht weiterverfolgt. Das Vorhandensein von Vertrauen (Arbeitshypothese vK0Pe 10) als notwendige Voraussetzung für Führung auf Distanz wurde bereits in Kapitel 11.2.3 in der Hypothese vK1Pe 9 festgehalten.

12

Virtuelle Synergien

Gleich zu Beginn dieses Kapitels soll angemerkt werden, dass der Stellenwert von virtuellen Synergien äußerst gering anzusiedeln ist. Die Interviewpartner äußern sich sehr verhalten zu möglichen Vorteilen der virtuellen Kooperation. Daher müssen manche Arbeitshypothesen komplett aufgegeben werden; die meisten anderen werden nur mit relativ wenig empirischer Unterfütterung weitergeführt und bleiben im wahrsten Sinne ihres Wortes hypothetisch. Aus diesem Grund werden die Ausführungen kurz gehalten und keinerlei Häufigkeitstabellen angefügt.

12.1

Kosten Ich denke, man macht das nicht, weil man denkt, man hat jetzt hier in diesem interkulturellen Verhältnis besonders tolle Vorteile. Man macht das in erster Linie kostenvorteils-

212

In den Tabellen der virtuellen Konflikte werden jedes Mal insgesamt 15 Teams mit Problemen und vier durchschnittliche Teams mit Problemen gezählt. Es handelt sich hierbei jedoch nicht jeweils um dieselben Teams. Virtuelle Konflikte der verschiedenen Formen tauchen in allen Teams auf.

269

bedingt. Und in diesem Kontext muss man halt die Arbeit so gut hinkriegen, wie es eben geht. (IP 15) Dieses Statement bringt den Grund für die Gründung von virtuellen Arbeitsgruppen auf den Punkt. Mit dem Ziel der Nutzung von Kostenvorteilen in Ländern mit niedrigerem Lohnniveau beschließt die oberste Managementebene die Auslagerung von Aktivitäten ins Ausland. Fünf Interviewpartner aus zwei Unternehmen betonen, dass ausschließlich dieser pushFaktor dazu führte, dass das Stammhaus in Deutschland Teile der Softwareentwicklung in lohnkostengünstige Länder umsiedelte und bipolare Teams mit einem deutschen und einem ausländischen Standort schuf. Ja, ich stelle eben fest, dass aus Topmanagementsicht immer der Kostenaspekt, Kostenund vielleicht Ausbildungsaspekt im Vordergrund steht. (IP 33) Diese Kombination aus günstigen und gut ausgebildeten Fachkräften führt dazu, dass die Unternehmen im Gegenzug einen Effektivitätsverlust hinnehmen, wenn sie statt eines deutschen einen indischen Mitarbeiter einstellen. Es wurden hier mehrfach Zahlen vorgebracht, um das Effektivitätsgefälle zu verdeutlichen, wie z.B. von Interviewpartner 15: Und dann können Sie sich überlegen, da sitzen fünf Inder, und Sie müssen besser sein als fünf Inder, damit sie ein gleichwertiges Produkt liefern, also zu den gleichen Kosten. (IP 15) Dies betrifft besonders Zuliefertätigkeiten; die strategisch relevanten Aufgaben verbleiben im Mutterhaus: Selbstverständlich ist dieses offshoring auch aus einer, ich sage jetzt mal, Kostenbrille zu sehen von der Firma, dass man die Kosten .. oder die Prozesse, die wir im Griff haben, auch in andere Länder auslagern kann, so dass man an unserem Hauptentwicklungsstandort in Gralingen213 die Dinge sich anschaut, die eben kritischer sind. (IP 34) Zwei weitere Interviewpartner aus einem anderen Unternehmen, die in internationalen organisationsüberspannenden Projekten beschäftigt sind, berichten ähnlich davon, Kosten- und Kompetenzvorteile in den verschiedenen Ländern zu nutzen und dass die Partnerschaften deshalb aufgesetzt worden sind, um die Kosten für jeweils Entwicklung, Fertigung und Design mit den Partnerunternehmen zu teilen. Der Kostenaspekt fließt auf die Unternehmensebene ein, doch hat der Grund für eine Teamgründung entscheidenden Einfluss auf die Kooperation. In erster Linie schürt die Auslagerung die Arbeitsplatzangst: Am Anfang nehme ich an, dass die Kollegen in Deutschland doch dachten, „das sind jetzt billigere Arbeitskräfte, die nehmen uns die Jobs weg.“ (IP 27) Und wie in Kapitel 9.2 ‚Ablehnung’ gezeigt wurde, kann dies Ablehnung begründen, Rückzug in das eigene Subteam fördern und ethnozentrische Tendenzen, wer den Ton in der Kooperation angibt, festigen. Dies führt dazu, dass das Potenzial des zuliefernden Partners nicht ausgeschöpft wird, da er in eine passive Rolle gedrängt wird, wie speziell von zwei Gruppenleitern angemerkt wird, die für bipolare Teams zuständig sind. Die Hypothese, die bereits in Kapitel 9.2 formuliert wurde, wird hier bestätigt: Hypothese Voraussetzung iK1V 1: Eine Organisationsstruktur, in der Arbeitsplätze auf Grund niedrigerer Lohnkosten im Ausland geschaffen werden, fördert die Einschätzung der Stammhausmitarbeiter als die wertvolleren und damit als die tonangebenden im Vergleich zu den ausländischen. Der Kostenvorteil schlägt sich nicht in der Gruppeneffektivität nieder, daher wird von der Formulierung einer Hypothese für das Gruppenmodell abgesehen.

213

Pseudonym.

270

12.2

Experten

Für internationale Projekte, an denen womöglich verschiedene Organisationen beteiligt sind, wird auf die Fachleute der jeweiligen Einheiten und Standorte zugegriffen, da ein örtlicher Transfer aus Kosten- und personellen Gründen nicht erwünscht wird. Ein Interviewpartner formuliert den Grund so: Du kriegst aber nicht alle Experten an einen Platz. (IP 21) In einer anderen Arbeitsgruppe, für die nur Mitarbeiter, die für spezielle Regionen besonders kompetent sind, ausgewählt wurden, sagt der Teamleiter: Dahinter steht die Überzeugung, dass bei 450.000 Mitarbeitern weltweit nicht alle Intelligenz hier in der Neuburger Straße214 versammelt ist, sondern eben wirklich weltweit. (IP 1) Der Einsatz von gut ausgebildeten Fachkräften in Kombination mit geringen Lohnkosten ist natürlich genauso ausschlaggebend und wurde unter dem vorigen Unterkapitel ‚Kosten’ bereits ausgeführt. Hinsichtlich des Zugriffs auf lokale Expertise in Form von Netzwerken erwähnt einer der Interviewpartner, dass man durch die lokale Nähe in Kooperation mit lokalen externen Kompetenzträgern wie Universitäten oder Forschungseinrichtungen treten kann, was für die Forschung nützlich ist. In einem anderen Team sind die Mitarbeiter angehalten, in den Regionen, in denen sie tätig sind, communities of practice aufzubauen, d.h. Netzwerke mit Schlüsselpersonen, mit Hilfe derer bestimmte Themen verfolgt werden. Auf diese Weise wird an verschiedenen Stellen des Unternehmens positioniertes Wissen genutzt. Eine virtuelle Arbeitsgruppe hat also einen größeren Einzugsbereich, was Fachwissen anbelangt. Daher werden die Arbeitshypothesen vS0P 1 und vS0O 1 fortgeführt: Hypothese Prozess vS1P 1: Dadurch, dass weltweit verteilt passgenaue Fachexperten für die Aufgabe ausgewählt werden können, erhöht sich die Expertise für die Aufgabe. Hypothese Output (Leistung) vS1O 1: Durch den Einbezug internationaler Experten erhöht sich die Gruppenleistung.

12.3

Prozessorientierung

Hat das Team einen globalen Auftrag, der verschiedene Niederlassungen einbezieht, ist es zu enger Zusammenarbeit mit den Niederlassungen gezwungen. Die Verzahnung in Form von Vorgaben und Zustimmung von deren Seite erfordert eine intensive Kommunikation, für die ein kontinuierlicher Kontakt gepflegt werden muss, und dies am besten durch Mitarbeiter vor Ort. Dieses gilt insbesondere, wenn strategisch wichtige Märkte bzw. Regionen involviert sind, wie z.B. China. Bei lokal stationierten Teammitgliedern ist die Möglichkeit gegeben, bei lokalen Problemen sofort an Ort und Stelle zu sein, um diese zu analysieren oder umgehend zu beheben. Interviewpartner 13 befindet: Dadurch, dass wir vor Ort sind, können wir die Themen ganz anders bearbeiten, weil wir eben doch direkten Kontakt zu den fab launch Partnern haben. (IP 13) Umgekehrt ist es von Vorteil, dass in der Arbeitsgruppe gleichermaßen Repräsentanten des Mutterhauses vertreten sind, welche die Kommunikationskanäle dorthin aufrechterhalten. Diese drei Punkte werden von drei Interviewpartnern aus verschiedenen Unternehmen angesprochen: Dieser Sachverhalt ist im Rahmen der Prozessorientierung zu sehen, welche die Nähe zu den verschiedenen Stufen der Wertschöpfung vorsieht (vgl. zu den theoretischen Ausführungen Kapitel 6.2.3). Dies erleichtert sicherlich die Aufgabenbewältigung des Teams, wobei keiner 214

Der Straßenname ist ein Pseudonym.

271

der Interviewpartner auf die zeitliche Komponente der Beschleunigung eingeht. Man kann vermuten, dass diese erhoffte Wirkung deshalb nicht zustande kommt (oder als solche nicht wahrgenommen wird), weil die zahlreichen Koordinations- und Kommunikationsprobleme eher zu einer Erhöhung des Aufwands und einer Verlängerung der Projektzeit führen. Die Arbeitshypothese Prozess vS0P 2 wird beibehalten, die Arbeitshypothese Output vS0O 2 angepasst: Hypothese Prozess vS1P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Teammitglieder diese stärker steuern und beaufsichtigen. Hypothese Output (Leistung) vS1O 2: Enge Steuerung und Beaufsichtigung führt zu besserer Teamleistung.

12.4

Sachfokus

Das Thema sachliche Kommunikation bei der Nutzung von Medien ist von den Interviewpartnern nicht erwähnt worden. Der einzige Hinweis in dieser Hinsicht wird zweimal in Zusammenhang mit der Zeitverzögerung angebracht, die dazu führt, dass man nicht unmittelbar aggressiv reagiert wie im face-to-face Gespräch, sondern sich über das Tippen oder Zum-Hörer-Greifen beruhigt und somit eine Irritation nicht gleich zum Konflikt eskaliert, bzw. dass man Zeit zum Überlegen hat, wenn man sich in Englisch, also einer Fremdsprache ausdrücken muss, und die Nachrichten präziser werden. Aus Mangel an Belegen wird auf eine Fortführung der Arbeitshypothesen vS0P 3 und vS0O 3 verzichtet.

12.5

Demokratisierung

Hierzu werden keinerlei Aussagen getroffen; daher werden das Thema und die Arbeitshypothesen vS0P 4 sowie vS0O 4 und vS0O 5 nicht weiter ausgeführt.

12.6

Marktpräsenz

Vier Interviewpartner geben an, dass Kundennähe ein wichtiges Prinzip ist. Einerseits ermöglicht eine enge Kooperation mit dem Kunden vor Ort eine marktangepasste Produktentwicklung. Andererseits kann man mit einem Teammitglied als lokalem Repräsentant einen Ansprechpartner für den Kunden bieten. Dies stellt einen Service dar, der es dem Kunden erleichtert, Kontakt aufzunehmen, wie es folgender Interviewpartner für einen US-amerikanischen Kunden beschreibt: Wenn ich als Kunde jetzt irgendwo eine Telefonnummer habe in den USA, wo ich also technische Hilfe bekomme, dann werde ich die zehnmal lieber benutzen, um mich dann auch in der Landessprache mit jemandem, der eine ähnliche Mentalität hat wie ich, zu unterhalten, als wenn ich jetzt also vielleicht sogar zeitversetzt dann in Deutschland anrufen müsste. (IP 11) Die Überwindung der kulturellen und sprachlichen Barriere, wie bereits bei den interkulturellen Synergien im Kapitel 10.7 ‚Marktnähe und Internationalität’ diskutiert, wird also über die Integration von lokalen Mitarbeitern in die virtuelle Arbeitsgruppe verstärkt. Interviewpartner 23 fasst es für China folgendermaßen in Worte: Man kommt da auch beim besten Willen als nur Langnase bei keinem Kunden durch. (IP 23) Sich lokal mit der ‚regionalen Mentalität’ und Sprache darzustellen, erhöht zudem die regionale Akzeptanz, wie Interviewpartner 23 fortführt. Auch aus wettbewerbstechnischen Gründen ist es bedeutsam, in wichtigen Märkten in Asien, besonders in China, wie zwei Interviewpartner anmerken, vor Ort vertreten zu sein. 272

Dieser Faktor ist jedoch eher im Außenerfolg des Teams anzusiedeln; einen Nutzen für die Kooperation im Team ist kaum gegeben. Der Markt- und Kundenbezug ist für drei der genannten Teams der ausschlaggebende Grund gewesen, warum überhaupt virtuelle Arbeitsgruppen mit lokalen Mitarbeitern und Steuerung aus Deutschland gebildet worden sind. Daher ist diese Synergieform eher als push-Faktor zu verzeichnen. Die Arbeitshypothesen vS0P 5 und vS0O 6 werden wie folgt abgewandelt, erweitert und fortgeführt: Hypothese Prozess vS1P 3: Ein virtuelles Team kann durch die lokale Präsenz von Mitarbeitern derselben kulturellen Herkunft wie die Kunden deren Bedürfnissen besser erfüllen. Hypothese Output (Leistung) vS1O 3: Die Teamleistung erhöht sich im Kriterium der Kundenorientierung. Die interkulturelle Synergie zu Marktnähe, formuliert in iS1P 5, wird verstärkt.

12.7

Befruchtung

Hinsichtlich Einflüsse und Befruchtung von außerhalb des Hauptstandorts erwähnen fünf Interviewpartner (wobei diese nicht aus den bipolaren Teams stammen) den Aspekt, dass durch die geographische Verteilung Lösungen, die im Mutterhaus entstanden sind, lokal gegengeprüft werden, um ihre Tauglichkeit und vor allem Anwendbarkeit in den Regionen bzw. Märkten zu beurteilen. Es werden zudem verschiedene Informationsstände eingebracht und „über den Tellerrand geschaut“ (IP 29). Drei dieser fünf Interviewpartner stammen aus der Forschung, wobei einer die Notwendigkeit des Einbezugs von Experten verschiedener Standorte folgendermaßen konkretisiert: Wenn ich also jetzt sagen würde, okay, jetzt sagen wir einfach, wir reduzieren das alles […], und alle Leute sind am gleichen Ort, wäre das Team in dem Moment nicht mehr in der Lage, die Aufgaben zu lösen. […] Weil die Aufgabe, die wir haben als Konzernforschung, ein breites Know How zu generieren, dazu brauchen wir einfach die Diversifikation. (IP 4) Dies ähnelt dem Phänomen, dass durch Diversität ein erhöhter Ressourcenpool geschaffen wird, der ein Fundament für kreatives Problemlösen bildet. Daher ist davon auszugehen, dass die interkulturelle Synergieform aus Kapitel 10.3 durch die geographische Diversität verstärkt und Gruppeneffektivität nochmals gesteigert wird. Dieser Aspekt ist in den Interviews nicht vertieft worden, so dass eine Identifikation von Voraussetzungen nicht stattfand; es ist jedoch zu vermuten, dass die Bedingungen für Kreativität, die in Kapitel 10.3 genannt worden sind, ebenfalls hier gelten. Hypothese Prozess vS1P 4: Die geographische Diversität von virtuellen Teams verstärkt die Kreativität in den Teams, da mehr Perspektiven eingebracht werden. Hypothese Output vS1O 4: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team. Dies war die letzte virtuelle Synergieform, die erläutert werden sollte. Nun ist es an der Zeit, die bisher getrennt analysierten Konflikt- und Synergieformen zusammen zu führen und in ihrer Wechselwirkung darzustellen. Das nachfolgende Kapitel kommt dieser Aufgabe nach.

273

VI

Empirische Modellbildung: Das MIPO-Modell

13

Erstellung des MIPO-Modells

13.1

Zusammenfassung der Hypothesen in das MIPO-Modell

Bevor die Zusammenhänge des Modells in den folgenden Unterkapiteln im Detail erläutert werden, um die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verbal zu veranschaulichen, sei eine visuelle Darstellung vorangeschickt. Diese ergibt sich durch die graphische und tabellarische Zusammenführung der Hypothesen, die in den Kapiteln 9 bis 12 unter Zuhilfenahme der theoriebasierten Arbeitshypothesen aus dem empirischen Material hergeleitet worden sind. Die Systematik folgt dem Schema des vorläufigen MIPO-Modells, das in Kapitel 7 vorgestellt worden ist: Voraussetzungen (Input) werden mit den Prozessen interkulturelle Konflikte / interkulturelle Synergien / virtuelle Konflikte / virtuelle Synergien verknüpft und letztere mit Leistung und Zufriedenheit (Output) der Arbeitsgruppe. Ausgangspunkt ist ein multikulturelles face-to-face Team, dessen interkulturelle Konflikte in Abbildung 29 und interkulturelle Synergien in Abbildung 31 graphisch präsentiert werden. Für virtuelle Teams wird betrachtet, inwieweit die interkulturellen Prozesse verändert werden (Abbildung 30 für interkulturelle Konflikte und Abbildung 32 für interkulturelle Synergien) und welche eigenständigen virtuellen Prozesse entstehen (Abbildung 33 für virtuelle Konflikte und Abbildung 34 für virtuelle Synergien). In den Graphiken werden die Hypothesen aus Platzgründen bzw. zur besseren Lesbarkeit in verkürzter Form wieder gegeben. Die originalen Langfassungen, wie sie am Ende jeden Kapitels formuliert worden sind, werden in anschließenden Listen in den Tabellen 25 bis 28angebracht. Die nachfolgenden Erläuterungen werden die Beziehungen zwischen den einzelnen Variablen genauer darlegen, v.a. die gegenseitige Bedingung von virtuellen und multikulturellen Aspekten, die bisher aus analytischen Gründen eher am Rande behandelt wurde.

275

276 Stereotype (Kapitel 9.3) iK1P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen existieren Stereotype. iK1Pe 10: Negative Stereotype sind Ausprägung von Ethnozentrismus. iK1Pe 11: Stereotype steuern Erwartungen und Handlungen. iK1Pe 12: Durch interkulturelles Lernen entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien .

Ablehnung (Kapitel 9.2) iK1P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen entsteht Ablehnung auf Grund von Ethnozentrismus und Arbeitsplatzängsten. iK1Pe 5: Sehr hohe Ablehnung führt zu Feindselig keiten, hohe Ablehnung zu Negierung von Unter schieden bzw. Zwang. Niedrige Ablehnung führt zu Annehmen von kulturellen Unterschieden. iK1Pe 6: Arbeitsplatzangst tritt v.a. zu Beginn auf. Hoher Ethnozentrismus tritt in der Desorientierungsphase auf. iK1Pe 7: Ethnozentrismus führt zu emotionaler Aversion den anderskulturellen Mitgliedern gegenüber. iK1Pe 8: Ablehnung führt zu Bildung von Subgruppen mit verringerter Kooperation zwischen den Subgruppen. iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander.

Interkulturelle Missverständnisse (Kapitel 9.1) iK1P 1: Erwartungen, die durch Gleichheitsannahmen bzw. Stereotype geprägt sind, werden verletzt. iK1P 2: Mitteilungen werden nicht verstanden. iK1P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als Kompetenzmangel oder opportunistische Absichten. iK1Pe 1: Missverständnisse erschweren die Kommunikation und bedingen einen erhöhten Aufwand. iK1Pe 2: Missverständnisse führen zu emotionaler Belastung. iK1Pe 3: Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen. iK1Pe 4: Missverständnisse treten vor allem im storming auf.

Prozess

Abb. 29: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten (face-to-face Teams)

Organisation iK1V 1: Werden ausländische Mitarbeiter auf Grund niedrigerer Lohnkosten eingesetzt, dominieren die Stammhausmitarbeiter.

Team iK1V 2: Ist eine Mehrheit vorhanden, dominiert sie die Arbeitsweise. iK1V 3: Sind US-amerikanische bzw. europäische Mitarbeiter und asiatische Mitarbeiter im Team, dominieren erstere die Arbeitsweise.

Von interkulturellen Synergien iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Individuum iK1V 4: Offenheit, Toleranz und Respekt vermindern Ablehnung.

Input

Zufriedenheit iK1O 2: Durch die persönlichen Belastungen sinkt die Zufriedenheit. iK1O 4: Die verspürte Ablehnung führt zu niedrigerer Zufriedenheit.

Leistung iK1O 1: Missverständnisse vermindern die Leistung der Gruppe. iK1O 3: Ablehnung beeinträchtigt die Kooperation und damit die Aufgabenerfüllung.

Output

277

Stereotype (Kapitel 9.3) iK1P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen existieren Stereotype. iK1Pe 10: Negative Stereotype sind Ausprägung von Ethnozentrismus. iK1Pe 11: Stereotype steuern Erwartungen und Handlungen. iK1Pe 12: Durch interkulturelles Lernen entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien.

Ablehnung (Kapitel 9.2) iK1P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen entsteht Ablehnung auf Grund von Ethnozentrismus und Arbeitsplatzängsten. iK1Pe 5: Sehr hohe Ablehnung führt zu Feindselig keiten, hohe Ablehnung zu Negierung von Unter schieden bzw. Zwang. Niedrige Ablehnung führt zu Annehmen von kulturellen Unterschieden. iK1Pe 6: Arbeitsplatzangst tritt v.a. zu Beginn auf. Hoher Ethnozentrismus tritt in der Desorientierungsphase auf. iK1Pe 7: Ethnozentrismus führt zu emotionaler Aversion den anderskulturellen Mitgliedern gegenüber. iK1Pe 8: Ablehnung führt zu Bildung von Subgruppen mit verringerter Kooperation zwischen den Subgruppen. iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander.

Interkulturelle Missverständnisse (Kapitel 9.1) iK1P 1: Erwartungen, die durch Gleichheitsannahmen bzw. Stereotype geprägt sind, werden verletzt. iK1P 2: Mitteilungen werden nicht verstanden. iK1P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als Kompetenzmangel oder opportunistische Absichten. iK1Pe 1: Missverständnisse erschweren die Kommunikation und bedingen einen erhöhten Aufwand. iK1Pe 2: Missverständnisse führen zu emotionaler Belastung. iK1Pe 3: Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen. iK1Pe 4: Missverständnisse treten vor allem im storming auf.

Prozess

Abb. 30: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten (virtuelle Teams)

Organisation iK1V 1: Werden ausländische Mitarbeiter auf Grund niedrigerer Lohnkosten eingesetzt, dominieren die Stammhausmitarbeiter.

Von virtuellen Konflikten vK1P 3: Der Mangel an sozialer / Kontextinformation erhöht Missverständnisse. vK1Pe 3: Der Mangel an sozialen / Kontextinformationen verstärkt Fehlattribution. vK1Pe 7: Es bilden sich lokale Subgruppen, die lokale Interessen verfolgen.

Team iK1V 2: Ist eine Mehrheit vorhanden, dominiert sie die Arbeitsweise. iK1V 3: Sind US-amerikanische bzw. europäische Mitarbeiter und asiatische Mitarbeiter im Team, dominieren erstere die Arbeitsweise.

Von interkulturellen Synergien iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergien.

Individuum iK1V 4: Offenheit, Toleranz und Respekt vermindern Ablehnung.

Input

Zufriedenheit iK1O 2: Durch die persönlichen Belastungen sinkt die Zufriedenheit. iK1O 4: Die verspürte Ablehnung führt zu niedrigerer Zufriedenheit.

Leistung iK1O 1: Missverständnisse vermindern die Leistung der Gruppe. iK1O 3: Ablehnung beeinträchtigt die Kooperation und damit die Aufgabenerfüllung.

Output

278 Marktnähe und Internationalität (Kapitel 10.7) iS1P 5: Multikulturelle Teams sind den Zielländern nahe. iS1Pe 6: Mitglieder aus den Zielländern sorgen für die Überbrückung der kulturellen und sprachlichen Barriere. iS1Pe 7: Mitglieder aus den Zielländern bringen Landeskenntnisse ein und sorgen für höhere Kunden orientierung. iS1Pe 8: Das Team wird von internationalen Partnern und im Zielland besser akzeptiert.

Kulturspezifische Arbeitsteilung (Kapitel 10.6) iS1P 4: Es werden Aufgaben und Rollen nach kulturspezifischen Stärken vergeben.

Entwicklung interkultureller Kompetenz (Kapitel 10.5) iS1P 3: Die Mitglieder erwerben interkulturelle Kompetenz. iS1Pe 3: Die Mitglieder werden kulturell sensibilisiert, erwerben kognitives Wissen, vollziehen eine positive affektive Umbewertung und passen ihre Verhaltensweisen an. iS1Pe 4: Interkulturelles Lernen vollzieht sich langfristig, enthält eine anfängliche Desorientierung und findet auf Gruppenebene im storming statt. iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergieeffekte. iK1Pe 12: Beim interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien.

Lernen (Kapitel 10.4) iS1P 2: Die Mitglieder lernen Englisch sowie fachlich und zwar v.a. über Erfahrungslernen.

Kreativität (Kapitel 10.3) iS1P 1: Die multikulturelle Zusammensetzung fördert Kreativität. iS1Pe 1: Kreativität führt zu besseren Ideen und Lösungen. iS1Pe 2: Kreativität vermeidet groupthink.

Prozess

Abb. 31: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien (face-to-face Teams)

Organisation iS1V 6: Ein Auslandsaufenthalt intensiviert den interkulturellen Lernprozess.

Team iS1V 1: Aufgabe bestimmt Bedarf für Kreativität. iS1V 2: Es herrscht Vertrauen und psychologische Sicherheit. iS1V 5: Face-to-face Kontakt, Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben. iS1V 7: Es gibt Spielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken.

Von interkulturellen Konflikten iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander. iK1Pe 3: Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen.

Individuum iS1V 3: Kreative Einzelpersönlichkeiten fördern die Gruppenkreativität. iS1V 4: Die Mitglieder weisen Lernbereitschaft, Offenheit und Fertigkeit zur Selbstreflexion auf. iS1V 8: Es müssen kulturelle Unterschiede erkannt und wert geschätzt werden.

Input

Zufriedenheit iS1O 3: Interkulturelle Kompetenz sorgt für höhere Zufriedenheit.

Leistung iS1O 1: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team. iS1O 2: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. iS1O 4: Eine Aufgaben- und Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu besserer Ressourcennutzung und zu Effektivitätssteigerung. iS1O 5: Aufgaben können durch höhere Kompetenz für internationale Aufgaben und größere Marktnähe angemessener erfüllt werden.

Output

279

Marktnähe und Internationalität (Kapitel 10.7) iS1P 5: Multikulturelle Teams sind den Zielländern nahe. iS1Pe 6: Mitglieder aus den Zielländern sorgen für die Überbrückung der kulturellen und sprachlichen Barriere. iS1Pe 7: Mitglieder aus den Zielländern bringen Landeskenntnisse ein und sorgen für höhere Kunden orientierung. iS1Pe 8: Das Team wird von internationalen Partnern und im Zielland besser akzeptiert.

Kulturspezifische Arbeitsteilung (Kapitel 10.6) iS1P 4: Es werden Aufgaben und Rollen nach kulturspezifischen Stärken vergeben.

Entwicklung interkultureller Kompetenz (Kapitel 10.5) iS1P 3: Die Mitglieder erwerben interkulturelle Kompetenz. iS1Pe 3: Die Mitglieder werden kulturell sensibilisiert, erwerben kognitives Wissen, vollziehen eine positive affektive Umbewertung und passen ihre Verhaltensweisen an. iS1Pe 4: Interkulturelles Lernen vollzieht sich langfristig, enthält eine anfängliche Desorientierung und findet auf Gruppenebene im storming statt. iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz vermeidet interkulturelle Konflikte und fördert die anderen interkulturellen Synergieeffekte. iK1Pe 12: Beim interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien.

Lernen (Kapitel 10.4) iS1P 2: Die Mitglieder lernen Englisch sowie fachlich und zwar v.a. über Erfahrungslernen.

Kreativität (Kapitel 10.3) iS1P 1: Die multikulturelle Zusammensetzung fördert Kreativität. iS1Pe 1: Kreativität führt zu besseren Ideen und Lösungen. iS1Pe 2: Kreativität vermeidet groupthink.

Prozess

Abb. 32: Strukturierung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien (virtuelle Teams)

Organisation iS1V 6: Ein Auslandsaufenthalt intensiviert den interkulturellen Lernprozess.

Team iS1V 1: Aufgabe bestimmt Bedarf f. Kreativität iS1V 2: Es herrscht Vertrauen … iS1V 5: Face-to-face Kontakt, Interdepend… iS1V 7: Es gibt Spielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken. Von virtuellen Konflikten vK1Pe 1:Durch Mangel an non- / paraverbalen Elementen wird Diskussion bzw. Konsens schwieriger. vK1Pe 2:Es wird zu wenig soziale / Kontextinformation vermittelt. vK1Pe 8:Vertrauensmangel bedeutet erhöhte Konkurrenz, geringe Selbstoffenbarung, Kontaktreduktion und Bedürfnis nach vertraglichen Regelungen. Kreativität + Lernen können nicht genutzt werden.

Individuum iS1V 3: Kreative Einzelpersönlichkeiten fördern die Gruppenkreativität. iS1V 4: Mitglieder weisen Lernbereitschaft, Offenheit und Selbstreflexion auf. iS1V 8: Es müssen kulturelle Unterschiede erkannt und wert geschätzt werden. Von interkulturellen Konflikten iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander. iK1Pe 3: Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen.

Input

A ersetzt B

Zufriedenheit iS1O 3: Interkulturelle Kompetenz sorgt für höhere Zufriedenheit.

Leistung iS1O 1: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team. iS1O 2: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. iS1O 4: Eine Aufgaben- und Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu besserer Ressourcennutzung und zu Effektivitätssteigerung. iS1O 5: Aufgaben können durch höhere Kompetenz für internationale Aufgaben und größere Marktnähe angemessener erfüllt werden.

Output

280

Prozess

Führungsprobleme (Kapitel 11.3) vK1P 5: Traditionelle Führung scheitert an der geringen Kontrollund Durchsetzungsmöglichkeit durch den Gruppenleiter. vK1Pe 10: Die Mitarbeiter sind weniger motiviert. vK1Pe 11: Der Leiter muss eine neue Führung mit Prozessgestaltung und Selbststeuerung annehmen.

Teamentwicklung und Vertrauen (Kapitel 11.2) vK1P 4: Je weniger face-to-face Interaktion, desto schwieriger die Teamentwicklung und der Vertrauensaufbau. vK1Pe 4: Durch den Mangel an informeller Kommunikation lernen sich die Mitglieder weniger gut kennen. vK1Pe 5: Es fehlt Teamidentifikation und -kohäsion. vK1Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis; der Gruppenleiter wird stärker mit Koordination belastet. vK1Pe 7: Es bilden sich lokale Subgruppen, die lokale Interessen verfolgen. vK1Pe 8: Vertrauensmangel bedeutet erhöhte Konkurrenz, geringe Selbstoffenbarung, Kontaktreduktion und Bedürfnis nach vertraglichen Regelungen. Kreativität + Lernen können nicht genutzt werden. vK1Pe 9: Vertrauen ist Grundlage für Führung über die Distanz.

Kommunikationsprobleme (Kapitel 11.1) vK1P 1: Die Mediennutzung per se sowie verschiedene Zeitzonen beeinträchtigen den Informationsaustausch. vK1P 2: Es wird zu wenig soziale / Kontextinformation vermittelt. vK1P 3: Der Mangel an sozialer / Kontextinformation erhöht Missverständisse. vK1Pe 1: Durch Mangel an non- / paraverbalen Elementen wird Diskussion bzw. Konsens schwieriger. vK1Pe 2: Die Teammitglieder tauschen absichtlich weniger persönliche Information aus. vK1Pe 3: Der Mangel an sozialen / Kontextinformationen verstärkt Fehlattribution und das Misstrauen gegenüber Kollegen anderer Standorte.

Abb. 33: Strukturierung der Hypothesen zu virtuellen Konflikten

Individuum vK1V 1: Kennen sich die Kollegen, haben sie bereits personenbezogene Information voneinander. vK1V 2: Je weniger (kulturelle) Gemeinsamkeiten, desto gravierender ist das Problem.

Input

Zufriedenheit vK1O 2: Die fehlende soziale Befriedigung in der Kommunikation und die zusätzliche Belastung durch den Aufwand reduzieren die Zufriedenheit. vK1O 4: Der Mangel an Teamkohäsion und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit.

Leistung vK1O 1: Der erschwerte Austausch bewirkt Fehler und Verzögerungen. vK1O 3: Die Aufgabenerfüllung wird durch die mangelnde Basis an funktionierenden Gruppenprozessen gestört. vK1O 5: Der Kontrollverlust, der Aufwand für Koordination und Motivation von Seiten der Führung sind sehr hoch und vermindern die Effektivität.

Output

281

Prozess

Befruchtung (Kapitel 12.7) vS1P 4: Geographische Diversität verstärkt die Kreativität im Team.

Marktpräsenz (Kapitel 12.6) vS1P 3: Durch die lokale Präsenz von Mitarbeitern derselben kulturellen Herkunft wie die Kunden können deren Bedürfnisse besser erfüllt werden.

Prozessorientierung (Kapitel 12.3) vS1P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Mitglieder diese stärker steuern.

Experten (Kapitel 12.2) vS1P 1: Durch den Einbezug von weltweit verteilten Fachexperten erhöht sich die Expertise.

Abb. 34: Strukturierung der Hypothesen zu virtuellen Synergien

Input

Leistung vS1O 1: Durch erhöhte Expertise steigt die Gruppenleistung. vS1O 2: Enge Steuerung führt zu besserer Teamleistung. vS1O 3: Die Leistung erhöht sich hinsichtlich Kundenorientierung. vS1O 4: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team.

Output

282 Stereotype (Kapitel 9.3) iK1P 5: In multikulturellen Arbeitsgruppen haben die Mitglieder Stereotype voneinander. iK1Pe 10: Negative Stereotype sind Ausprägung von Ethnozentrismus. iK1Pe 11: Stereotype steuern Erwartungen und Handlungen. iK1Pe 12: Im Verlauf des interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien.

Tab. 25: Auflistung der Hypothesen zu interkulturellen Konflikten

Organisation iK1V 1: Eine Organisationsstruktur, in der Arbeitsplätze auf Grund niedrigerer Lohnkosten im Ausland geschaffen werden, fördert die Einschätzung der Stammhausmitarbeiter als die wertvolleren und damit als die tonangebenden im Vergleich zu den ausländischen.

Ablehnung (Kapitel 9.2) iK1P 4: In multikulturellen Arbeitsgruppen kommt es zu verschiedenen Formen der Ablehnung auf Grund von Ethnozentrismus und Arbeitsplatzängsten zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Herkunft. iK1Pe 5: Verschieden hohe Formen von Ablehnung führen zu unterschiedlicher Wahrnehmung und Umgang mit kulturellen Unterschieden: Hohe Ablehnung führt zur Negierung kultureller Unterschiede oder zu Versuchen der Umerziehung bzw. starker Ausprägung von Zwang und bei besonders hohem Maße zu offenen Feindseligkeiten. Niedrige Ablehnung führt zum Erkennen und Annehmen von kulturellen Unterschieden. iK1Pe 6: Angst um den Arbeitsplatz tritt vor allem zu Beginn der Kooperation auf. Eine hohe Ausprägung von Ethnozentrismus tritt in der Desorientierungsphase auf. iK1Pe 7: Ethnozentrismus führt zu emotionaler Aversion den anderskulturellen Teammitgliedern gegenüber. iK1Pe 8: Ablehnung führt zu Bildung von Subgruppen nach kulturellen Grenzen und zur Reduktion der Kommunikation und Interaktion zwischen den Subgruppen. iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander.

Zufriedenheit iK1O 2: Durch die persönlichen Belastungen sinkt die Zufriedenheit der Mitglieder. iK1O 4: Die verspürte Ablehnung entspricht einer emotionalen Belastung durch die Konfrontation mit Andersartigkeit und führt zu niedrigerer Zufriedenheit.

Leistung iK1O 1: Durch den erhöhten Zeit- und Energieaufwand vermindern Missverständnisse die Leistung der Gruppe. Zuweilen kann dies zum Scheitern der Kooperation führen. iK1O 3: Ablehnung beeinträchtigt die Kooperation und damit die Aufgabenerfüllung.

Missverständnisse auf Grund kultureller Unterschiede (Kapitel 9.1) iK1P 1: Mitarbeiter hegen Erwartungen gegenüber ihren anderskulturellen Interaktionspartnern, die durch die Annahme von Gleichheit geprägt und entsprechend verzerrt sind. Es resultieren zwangsweise Erwartungsverletzungen, die zudem negativ bewertet werden. iK1P 2: Durch unterschiedliche kulturelle Referenzrahmen werden Mitteilungen vom Empfänger nicht verstanden oder anders als vom Sender intendiert. iK1P 3: Kulturell bedingte Andersartigkeit wird missinterpretiert als persönlicher Mangel an Kompetenz oder Motivation bzw. sogar als opportunistische Absichten. iK1Pe 1: Interkulturelle Missverständnisse erschweren die Kommunikation und bedingen einen erhöhten Aufwand, der durch Klärung oder Fehlerbeseitigung entsteht. iK1Pe 2: Interkulturelle Missverständnisse führen zu emotionaler Belastung der Mitglieder. iK1Pe 3: Interkulturelle Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen. iK1Pe 4: Interkulturelle Missverständnisse treten vor allem in der Phase des stormings (Zusammenwachsens) auf.

Individuum iK1V 4: Offenheit, Toleranz und Respekt vermindern Ablehnung. Von interkulturellen Synergien: iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte.

Team iK1V 2: In multikulturellen Arbeitsgruppen führt eine Strukturierung in Mehrheit und Minderheit zur Dominanz der Mehrheit hinsichtlich wie gearbeitet wird. iK1V 3: Hinsichtlich der kulturellen Zusammensetzung dominieren bei der Festlegung der Arbeitsweise eher die Mitarbeiter europäischer bzw. US-amerikanischer Herkunft im Vergleich zu asiatischen Mitarbeitern. Von virtuellen Konflikten: vK1P 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist der sachbezogene Austausch weniger effektiv, da es zu mehr Unkenntnis und Unverständnis kommt. vK1Pe 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die virtuellen Kollegen als vertrauenswürdig eingeschätzt werden. vK1Pe 7: Es bilden sich lokale Subgruppen, die lokale Interessen verfolgen.

Output

Prozess

Input

283

Marktnähe und Internationalität (Kapitel 10.7) iS1P 5: Multikulturelle Teams sind den Zielländern nahe. iS1Pe 6: Mitglieder aus den Zielländern sorgen für die Überbrückung der kulturellen und sprachlichen Barriere. iS1Pe 7: Mitglieder aus den Zielländern bringen Landeskenntnisse ein und sorgen für eine höhere Kundenorientierung. iS1Pe 8: Ist das Team multikulturell besetzt, wird es von den internationalen Partnern bzw. im Zielland besser akzeptiert.

Kulturspezifische Arbeitsteilung (Kapitel 10.6) iS1P 4: In multikulturellen Teams werden Aufgaben und vor allem Rollen nach kulturspezifischen Eigenschaften und Stärken vergeben.

Entwicklung von interkultureller Kompetenz (Kapitel 10.5) iS1P 3: In multikulturellen Teams erwerben die Mitglieder interkulturelle Kompetenz. iS1Pe 3: Die Teammitglieder werden für kulturelle Prägung und kulturelle Unterschiede sensibilisiert, sie erwerben kognitives interkulturelles Wissen und vollziehen eine affektive Umbewertung von Ablehnung zur Akzeptanz bzw. Wertschätzung von fremden Verhaltensweisen. Die Teammitglieder passen ihre Verhaltensweisen der interkulturellen Situation an. iS1Pe 4: Interkulturelles Lernen vollzieht sich langfristig und enthält eine anfängliche Phase der Desorientierung. Interkulturelles Lernen auf Gruppenebene findet vor allem im Rahmen der Teamentwicklung in der Phase des stormings statt. iK1Pe 12: Im Verlauf des interkulturellen Lernens entwickeln sich Stereotype zu differenzierteren kognitiven Kategorien. iS1Pe 5: Interkulturelle Kompetenz ist Grundlage zur Vermeidung von interkulturellen Konflikten und Förderung der anderen interkulturellen Synergieeffekte.

Tab. 26: Auflistung der Hypothesen zu interkulturellen Synergien

Organisation: iS1V 6: Ein Auslandsaufenthalt intensiviert den interkulturellen Lernprozess.

Team: iS1V 1: Die Aufgabe der Arbeitsgruppe bestimmt die Notwendigkeit und die Entstehung von Kreativität in der multikulturellen Arbeitsgruppe. iS1V 2: Auf Teamebene herrscht Vertrauen und damit psychologische Sicherheit. iS1V 5: Face-to-face Kontakt, aufgabenbezogene Interdependenz sowie informelle Austauschmöglichkeiten sind gegeben. iS1V 7: Es ist neben Kapazitäts- und Fachüberlegungen ausreichend Entscheidungsspielraum für die Abwägung kulturspezifischer Stärken gegeben. Von virtuellen Konflikten: vK1Pe 1: Durch den Mangel an non- und paraverbalen Kommunikationselementen gestalten sich Diskussionen bzw. Konsensfindung schwierig und finden nicht in vergleichbarer Form wie im face-to-face Gespräch statt. vK1P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale und Kontextinformation vermittelt. vK1Pe 8: Vertrauensmangel äußert sich u.a. in erhöhtem Konkurrenzdenken untereinander, mangelnder Selbstoffenbarung und Offenheit sowie Verringerung von direkten Kontakten und dem Bedürfnis nach vertraglichen Regelung der Beziehungen. Interkulturelle Synergien wie Kreativität und Lernen können nicht genutzt werden. Von virtuellen Synergien: vS1P 3: Ein virtuelles Team kann durch die lokale Präsenz von Mitarbeitern derselben kulturellen Herkunft wie die Kunden deren Bedürfnissen besser entgegenkommen. vS1P 4: Geographische Diversität, die in den virtuellen Teams gegeben ist, verstärkt die Kreativität in den Teams, da mehr Perspektiven eingebracht werden.

Lernen (Kapitel 10.4) iS1P 2: In multikulturellen Teams lernen die Mitglieder hinsichtlich der Fremdsprache Englisch sowie fachlich und zwar hauptsächlich über Erfahrungslernen hinzu.

Prozess Kreativität (Kapitel 10.3) iS1P 1: Die multikulturelle Zusammensetzung fördert Kreativität. iS1Pe 1: Kreativität führt zu mehr und besseren Ideen und innovativen Lösungen. iS1Pe 2: Kreativität vermeidet groupthink.

Input

Individuum: iS1V 3: Besonders kreative Einzelpersönlichkeiten fördern die Kreativität auf Gruppenebene. iS1V 4: Die beteiligten Teammitglieder weisen Lernbereitschaft, Offenheit und Fertigkeit zur Selbstreflexion auf. iS1V 8: Für eine kulturspezifische Arbeitsteilung werden kulturelle Unterschiede erkannt und in ihrer Vorteilhaftigkeit für die Aufgabenerledigung wert geschätzt. Von interkulturellen Konflikten: iK1Pe 9: Ablehnung verhindert Lernen voneinander. iK1Pe 3: Interkulturelle Missverständnisse führen bei Reflexion zu interkulturellem Lernen.

Zufriedenheit: iS1O 3: Interkulturelle Kompetenz sorgt für höhere Zufriedenheit unter den Gruppenmitgliedern.

Leistung: iS1O 1: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team. iS1O 2: Interkulturelle Kompetenz fördert die Kooperation im Team und damit die Aufgabenerfüllung. iS1O 4: Eine Aufgaben- bzw. Rollenteilung nach kulturspezifischen Stärken führt zu einer besseren Ressourcennutzung und damit Effektivitätssteigerung des Teams. iS1O 5: Aufgaben können besser erledigt werden, dadurch dass mehr Kompetenz für internationale Aufgaben und höhere Marktnähe gegeben ist.

Output

284

Tab. 27: Auflistung der Hypothesen zu virtuellen Konflikten

Führungsprobleme (Kapitel 11.3) vK1P 5: Die traditionelle Führung scheitert insbesondere an der mangelnden Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeit durch den Gruppenleiter. vK1Pe 10: Mitarbeiter, die zu wenig Koordination bzw. Anleitung und damit Orientierung erfahren, fühlen sich weniger motiviert. vK1Pe 11: Der Teamleiter muss ein neues Führungskonzept annehmen, das ihm statt Kontrolle eher Koordination durch Prozessgestaltung und Unterstützung durch den Aufbau von Selbststeuerung zuweist.

Zufriedenheit vK1O 2: Durch die fehlende soziale Befriedigung, durch die zusätzliche Belastung und durch die Ineffektivität der Arbeit sinkt die Zufriedenheit der Mitarbeiter. vK1O 4: Der Mangel an Teamkohäsion und erschwerte Aufgabenerfüllung verringern die Zufriedenheit der Teammitglieder.

Leistung vK1O 1: Der erschwerte Austauschprozess bewirkt Fehler und Verzögerungen in der Aufgabenbewältigung. vK1O 3: Die Aufgabenerfüllung wird durch die mangelnde Basis an funktionierenden Gruppenprozessen gestört. vK1O 5: Der Kontrollverlust sowie der Aufwand für Koordination und Motivation von Seiten der Führung sind sehr hoch und vermindert die Effektivität.

Kommunikationsprobleme (Kapitel 11.1) vK1P 1: Die Mediennutzung per se sowie verschiedene Zeitzonen bedingen Verzögerungen und Einschränkungen des Informationsaustauschs. vK1P 2: Durch die Nutzung von Medien, vor allem solchen mit geringerer Reichhaltigkeit, wird zu wenig soziale oder Kontextinformation vermittelt. vK1P 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist der sachbezogene Austausch weniger effektiv, da es zu mehr Unkenntnis und Unverständnis kommt. vK1Pe 1: Durch den Mangel an non- und paraverbalen Kommunikationselementen gestalten sich Diskussionen bzw. Konsensfindung schwierig und finden nicht in vergleichbarer Form wie im face-to-face Gespräch statt. vK1Pe 2: Die Teammitglieder tauschen absichtlich weniger persönliche Information aus. vK1Pe 3: Durch den Mangel an sozialen und Kontextinformationen ist die Wahrscheinlichkeit des ultimativen Attributionsfehlers gegenüber Kollegen anderer Standorte und damit anderer Kulturen höher und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die virtuellen Kollegen als vertrauenswürdig eingeschätzt werden.

Individuum vK1V 1: Kennen sich die Kollegen bereits, haben sie bereits personenbezogene Information voneinander. vK1V 2: Je weniger (kulturelle) Gemeinsamkeiten bestehen, desto gravierender ist das Problem.

Teamentwicklung und Vertrauen (Kapitel 11.2) vK1P 4: Je weniger face-to-face Interaktion, eingeschlossen eines persönlichen kick-off Meetings und späterer begleitender regelmässiger Treffen, desto schwieriger ist die Teamentwicklung und der Vertrauensaufbau in virtuellen multikulturellen Teams. Ohne faceto-face Kontakte ist eine Teamentwicklung nicht möglich. vK1Pe 4: Der informelle Anteil an Kommunikation ist virtuell bei weitem geringer als in face-to-face Kontakten, und die Teammitglieder haben weniger Ansatzpunkte sich kennen zu lernen. vK1Pe 5: Die Teammitglieder erleben mangelnde Teamidentifikation und -kohäsion und damit weniger Motivation. vK1Pe 6: Es fehlt geteiltes Verständnis, welches die Gruppenprozesse implizit steuern würde. Daher wird der Gruppenleiter hinsichtlich Kommunikation und Koordination stärker belastet. vK1Pe 7: Es bilden sich lokale Subgruppen, die lokale Interessen verfolgen. vK1Pe 8: Vertrauensmangel äußert sich u.a. in erhöhtem Konkurrenzdenken untereinander, mangelnder Selbstoffenbarung und Offenheit sowie Verringerung von direkten Kontakten und dem Bedürfnis nach vertraglicher Regelung der Beziehungen. Interkulturelle Synergien wie Kreativität und Lernen können nicht genutzt werden. vK1Pe 9: Vertrauen ist Grundlage für Führung über die Distanz.

Output

Prozess

Input

285

Leistung vS1O 1: Durch den Einbezug internationaler Experten erhöht sich die Gruppenleistung. vS1O 2: Enge Steuerung und Beaufsichtigung führt zu besserer Teamleistung. vS1O 3: Die Teamleistung erhöht sich im Kriterium der Kundenorientierung. vS1O 4: Kreativität führt zu besserer Aufgabenerledigung im Team.

Experten (Kapitel 12.2) vS1P 1: Dadurch, dass weltweit verteilt passgenaue Fachexperten für die Aufgabe ausgewählt werden können, erhöht sich die Expertise für die Aufgabe.

Befruchtung (Kapitel 12.7) vS1P 4: Die geographische Diversität von virtuellen Teams verstärkt die Kreativität, da mehr Perspektiven eingebracht werden.

Marktpräsenz (Kapitel 12.6) vS1P 3: Ein virtuelles Team kann durch die lokale Präsenz von Mitarbeitern derselben kulturellen Herkunft wie die Kunden deren Bedürfnisse besser erfüllen.

Prozessorientierung (Kapitel 12.3) vS1P 2: Durch die Nähe zu den standortbezogenen Abläufen können die Teammitglieder diese stärker steuern und beaufsichtigen.

Output

Prozess

Tab. 28: Auflistung der Hypothesen zu virtuellen Synergien

fv

13.2

Inputfaktoren

Die Inputfaktoren bezeichnen jene Variablen, die der Arbeitsgruppe exogen vorgegeben werden und die Interaktion im Team beeinflussen. Sie können als notwendige positive oder negative Bedingungen für die Prozessvariablen gesehen werden, damit jene auftreten bzw. in ihrer Form geprägt werden. Es mag verwundern, warum die Anzahl der Inputfaktoren vergleichsweise gering ausfällt. Der Grund liegt darin, dass der Fokus der Forschungsfrage auf den Prozessen liegt, nicht auf deren Voraussetzungen. Um sämtliche relevante Einflussfaktoren zu erheben, hätte es einen Umfang erfordert, der den Rahmen dieser Arbeit gesprengt und zudem das Gewicht der Studie komplett verlagert hätte. Daher wurde nur eine Auswahl zur Veranschaulichung herangezogen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Dieses Verfahren reicht bereits aus, um sichtbar zu machen, dass interkulturelle Synergien im Vergleich zu Konflikten eine Vielzahl von Voraussetzungen benötigen, damit sie eintreten. Die empirischen Daten erweitern die nach der Theorie vermuteten Inputfaktoren beträchtlich. Dies zeigt, dass interkulturelle Synergien von den Beteiligten geschaffen werden müssen und nicht automatisch eintreten. Interkulturelle Konflikte hingegen (und auch virtuelle Konflikte) entstehen fast unvermeidlich; zumindest liegt eine hohe Gefahr vor. Es gibt jedoch Faktoren, die das Auftreten bzw. die negative Wirkung von Konflikten noch forcieren. Diese betreffen insbesondere Aspekte von Macht und Mehrheits- / Minderheitsverhältnissen. Dies zeigt, dass kulturelle Unterschiede nicht in einem machtleeren Raum wirken, sondern sich häufig durch Unterschiede im Status verstärken. Als übergeordnete Einflussgröße, die interkulturelle Konflikte und Synergien gleichermaßen betrifft, ist der Umgang mit kultureller Diversität zu erkennen. Dieser kann auf der obersten Stufe, d.h. der Organisation verankert sein, wenn diese sehr stark international geprägt ist und Diversität als Ressource anstrebt. Genauso kann das Team oder der Einzelne eine besondere Ansicht zu kultureller Diversität einnehmen. Ein positiver Umgang zeichnet sich aus durch ein geringes Maß an Ethnozentrismus, die Fähigkeit zum Erkennen von kulturellen Unterschieden, deren Wertschätzung und nicht zuletzt in einem gewissen Maß an interkultureller Kompetenz. Nur unter dieser Voraussetzung sind Synergien nutzbar, sei es die kulturspezifische Arbeitsteilung, das Lernen voneinander oder die Nutzung verschiedener Ideen für Kreativität. Damit ist schon erkennbar, dass es schwierig ist, in der Kategorisierung zwischen Voraussetzung und Prozessfaktor zu unterscheiden: Ethnozentrismus kann einerseits schon als Einstellung bei einzelnen Teammitgliedern vorliegen (ein als gesund zu benennendes Mindestmaß ist keinem Individuum abzusprechen), andererseits im unerfreulichen Falle durch die Interaktion mit anderskulturellen Kollegen erst zum Erscheinen kommen bzw. intensiviert werden. Genauso steht es mit interkultureller Kompetenz: Ist sie bei den Teammitgliedern von Haus aus gegeben, ist ein professioneller Umgang mit kulturellen Unterschieden zu vermuten, so dass weniger Konflikte und mehr Synergien resultieren. Zudem kann sich interkulturelle Kompetenz im Prozess entwickeln – sobald Voraussetzungen wie Vertrauen, Offenheit, Reflexionsvermögen, Kontakt und Unterstützung durch den Gruppenleiter erfüllt sind. Im Einzelnen ergeben sich folgende Inputfaktoren als grundlegende Einflussfaktoren für die vier Typen interkulturelle Konflikte, interkulturelle Synergien, virtuelle Konflikte und virtuelle Synergien: Hinsichtlich interkultureller Konflikte wurde bereits erwähnt, dass es eigentlich keiner besonderen Voraussetzungen zu deren Entstehung bedarf. Verstärkt werden interkulturelle Konflikte durch strukturelle Faktoren auf Organisations- und Teamebene, die eine kulturelle Gruppe als Träger höheren Status’ festlegen und damit ethnozentrische Tendenzen der Minderbewertung von Mitgliedern anderer kultureller Gruppen legitimieren und in höherem Maße auftreten lassen. Die kulturelle Gruppe des höheren Status’ dominiert; dies betrifft entweder 286

die Stammhausmitarbeiter versus Mitarbeiter aus Niedriglohnländern, die Mehrheit versus Minderheit oder Angehöriger westlicher Kulturen versus Angehöriger asiatischer Kulturen215. Entgegen wirken die individuelle Einstellung von Offenheit, Respekt und Toleranz sowie das Vorhandensein interkultureller Kompetenz. Bei interkulturellen Synergien ist eine Fülle von Bedingungen zu beachten, angefangen damit, wie stark die Teamaufgabe Interdependenz zwischen den Mitarbeitern determiniert (Interdependenz erhöht durch den intensiveren Austausch unter den Mitgliedern die Möglichkeit von Kreativität und interkulturellem Lernen), Spielraum für die Nutzung von kulturspezifischen Kompetenzen lässt bzw. überhaupt international ausgerichtet ist. Ein Klima des Vertrauens in der Gruppe ist zudem für Kreativität und interkulturellem Lernen wichtig. Diese beiden Prozesse können auch durch individuelle Eigenschaften und Neigungen (Lernbereitschaft, Offenheit etc.) gefördert werden. Die Rolle des Gruppenleiters als Unterstützer des interkulturellen Lernens in der Gruppe ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist davon auszugehen, dass ein Teammitglied, das im Ausland lebt, stärker dem interkulturellen Lernprozess unterworfen ist als ein einheimisches Teammitglied. Und sicherlich trägt der Verlauf der interkulturellen Konflikte dazu bei, wie sich interkulturelle Synergien entwickeln. Angesprochen wurde bereits, dass hoher Ethnozentrismus sich negativ auswirkt, insbesondere auf die Nutzung kultureller Stärken in der Arbeitsteilung. Allerdings können interkulturelle Missverständnisse, soweit sie reflektiert und verarbeitet werden, zum Lernprozess beitragen und somit eine positive Konsequenz erbringen. Die bisherigen Ausführungen beziehen sich sowohl auf face-to-face als auch auf virtuelle Teams zu den interkulturellen Aspekten. Die virtuellen Arbeitsgruppen stehen vor einer zusätzlichen Herausforderung, die weitere Einflussfaktoren in Erscheinung treten lässt. Betrachtet man virtuelle Konflikte, fällt auf, dass diese im starken Maße vom Individuum abhängen. Bei einem zweiten Blick ist dies allerdings nicht weiter verwunderlich, denn diese Art der Konflikte basiert auf dem grundlegenden Problem der mangelhaften Kommunikation, und jene spielt sich zum größten Teil zwischen einzelnen Teammitgliedern ab (lässt man die eher seltenen Telekonferenzen oder groupware-Nutzungen außen vor, die das gesamte Team einbeziehen). Auch virtuelle Konflikte treten ohne Voraussetzungen auf; sie können jedoch durch die drei Elemente Bekanntheit, kulturelle Ähnlichkeit und Gemeinsamkeiten in ihrer negativen Auswirkung für die Gruppeneffektivität abgemildert werden. Daher sind diese Elemente als zentrale Ziele für die Team- und Vertrauensentwicklung zu erachten. Virtuelle Synergien sind strukturelle Synergien, die nicht durch Interaktion in der Gruppe entstehen, sondern von der geographischen Nähe zum Markt bzw. dem Einbezug von Experten abhängen. Individuelle Voraussetzungen oder Teameigenschaften spielen daher keine Rolle. Inwiefern sich virtuelle und interkulturelle Aspekte sowie Konflikte und Synergien gegenseitig bedingen, wird nun eingehend im nächsten Unterkapitel erläutert, wo die Sprache auf die Prozessfaktoren gebracht wird.

13.3

Prozessfaktoren

Die vorliegende Untersuchung bestätigt die Relevanz interkultureller Konflikte auf der Teamebene. Die in Forschung und Praxis bekannten Probleme, die sich in jeder interkulturellen Situation zeigen, lassen sich also auf multikulturelle Teams übertragen. Interkulturelle Synergien waren bisher eher ein Wunsch, dessen Erfüllung nach dieser Studie nicht unrealistisch erscheint. Allerdings ist das Auftreten von interkulturellen Synergien nicht mit dersel215

Dies gilt in deutschen bzw. Schweizer Unternehmen. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Wirkung umdreht, wenn es sich um eine Stichprobe aus asiatischen Unternehmen gehandelt hätte, da sich dieses Phänomen mit dem Stammhausphänomen überschneidet.

287

ben Vehemenz und Offensichtlichkeit gepaart, in der interkulturelle Konflikte von statten gehen. Dies macht sich in den Interviews darin bemerkbar, dass die Interviewpartner von sich aus eher von Konflikten als Synergien berichten. Daraus lässt sich ferner schließen, dass die Sensibilität für dieses Phänomen noch nicht so verbreitet ist wie für interkulturelle Konflikte. Face-to-face Teams müssen „nur“ mit diesen Herausforderungen zurechtkommen; virtuelle Teams erfahren eine zusätzliche Dimension dadurch, dass sie räumlich getrennt sind. Dies wirft neue Aspekte auf und verändert zugleich die interkulturelle Problematik. In virtuellen Arbeitsgruppen treten die virtuellen Konflikte mit einer gewaltigen Stärke auf; sie überdecken die anderen Prozessvariablen, besonders die Synergien, aber auch die interkulturellen Konflikte. Dies ist dadurch erklärbar, dass virtuelle Konflikte an der entscheidenden Basis für sämtliche Teamprozesse ansetzen, nämlich an der Kommunikation. Ist diese gehemmt oder verfälscht, wirkt sich das auf die gesamte Kooperation im Team aus und entscheidet nicht selten über Erfolg oder Scheitern