Ein Ansatz zur Erfassung des Leapfrogging-Phänomens : Grundkonzept, modelltheoretische Basis und empirische Befunde 9783835090330, 383509033X [PDF]


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Ein Ansatz zur Erfassung des Leapfrogging-Phänomens : Grundkonzept, modelltheoretische Basis und empirische Befunde
 9783835090330, 383509033X [PDF]

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Zitiervorschau

Silke-Annette Kaulfuß Ein Ansatz zur Erfassung des Leapfrogging-Phänomens

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Marken- und Produktmanagement Herausgegeben von Professor Dr. Franz-Rudolf Esch (schriftf.), Universität Gießen, Professor Dr. Reinhold Decker, Universität Bielefeld, Professor Dr. Andreas Herrmann, Universität St. Gallen, Professor Dr. Henrik Sattler, Universität Hamburg und Professor Dr. Herbert Woratschek, Universität Bayreuth

Die Schriftenreihe gibt Einblick in den aktuellen Stand der Forschung zum Marken- und Produktmanagement. Sie präsentiert richtungsweisende Erkenntnisse sowie wichtige empirische Untersuchungen und Methoden. Ein besonderer Wert wird auf Praxisrelevanz und Anwendungsbeispiele gelegt. Die Reihe will den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis fördern und wendet sich daher nicht nur an Studierende und Wirtschaftswissenschaftler, sondern auch an Marketingpraktiker in Unternehmen, Agenturen, Beratungen und Verbänden.

Silke-Annette Kaulfuß

Ein Ansatz zur Erfassung des LeapfroggingPhänomens Grundkonzept, modelltheoretische Basis und empirische Befunde

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Mainz, 2005

1. Auflage Januar 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Stefanie Loyal Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0182-4

Meinen Eltern

Vorwort

VII

Vorwort „Die Wissenschaft fängt eigentlich erst da an interessant zu werden, wo sie aufhört.“ Justus Liebig Diese Arbeit wurde im Mai 2005 von der JohannesGutenberg-Universität Mainz als Dissertationsschrift angenommen. Die Erstellung war nur mit Unterstützung wichtiger Personen und Institutionen möglich. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Andreas Herrmann, der mir sowohl in der Vorbereitungszeit entscheidende Impulse bei der Konkretisierung der Themenstellung gab, aber auch die Erstellung der Arbeit laufend unterstützte. Herrn Prof. Frank Huber danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens, sowie für seine zahlreichen konzeptionellen und methodischen Hinweise und Ratschläge. Außerdem möchte ich Herrn Prof. Rolf Bronner danken, der schon im Studium frühzeitig meine akademische Laufbahn begleitete und die Rolle des dritten Prüfers im Rigorosum übernommen hat. Meinem ehemaligen Arbeitgeber, der Accenture GmbH möchte ich danken, dass man mir die Möglichkeit und den nötigen Freiraum gegeben hat, immer wieder für einige Zeit „auszubrechen“, um an meiner Dissertation zu arbeiten. Der empirische Teil stützt sich auf eine Befragung von Kunden eines großen deutschen Automobilkonzerns, den ich unter Rücksichtnahme auf die gewünschte Anonymität nicht namentlich nenne. Ich möchte diesem jedoch für die Selektion und Bereitstellung der Kundendaten danken. Ohne diese wäre die Befragung in dieser Stichprobengröße und Qualität nicht möglich gewesen. Dank schulde ich auch meinen Freunden und Kollegen, die mich während der Verfassung der Dissertationsschrift auf vielfältige Weise unterstützt haben. Namentlich hervorheben möchte ich Dr. Verena Kanther, die ihre Freizeit geopfert und mich in die Geheimnisse von LISREL eingeweiht hat und Tatjana Gerlach, die tatkräftig die Beschaffung der wissenschaftlichen Literatur begleitet hat. Nicht zuletzt möchte ich meiner Feundin Helga Ochel danken, die mir während der letzten Phase hilfreich zur Seite gestanden hat. Sie hat die graphischen Darstellungen in das richtige Format gebracht und mit dem Abflug zu unserer gemeinsamen Weltreise den notwendigen Druck für die Fertigstellung des Manuskripts geschaffen.

VIII

Vorwort

Mein langjähriger Freund Grégory Massart war mir ein treuer Begleiter durch viele Berg- und Talphasen der Promotionszeit. Er hat stets an mich geglaubt, mich angefeuert und zum Durchhalten motiviert. Hierfür und für den ausgleichenden Gegenpol zu Beruf und Dissertation möchte ich ihm danken. Mein größter Dank jedoch gebührt meinen Eltern Hannelore und Rudi Kaulfuß, die mich auf jedem Stück meines Lebenswegs liebevoll unterstützt, meine Entwicklung gefördert und mir den nötigen Rückhalt bei allen Entscheidungen gegeben haben. Sie waren aktiv an allen Phasen der Dissertation beteiligt, vom Eintüten der Fragebögen bis zum Feinschliff des Manuskripts. Sie haben mich nicht nur permanent motiviert und mir aus allen Talsohlen herausgeholfen, mein Vater war mir auch immer ein kritischer und konstruktiver Berater und Diskussionspartner, vor allem bei der Erarbeitung der theoretischen Grundlagen und meine Mutter hat mir vor allem während des Endspurts den Rücken von allen übrigen Verpflichtungen freigehalten und unermüdlich das Manuskript gelesen und korrigiert. Ohne sie wäre das Gelingen diese Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen widme ich diese Arbeit.

Silke-Annette Kaulfuß

Inhaltsverzeichnis

IX

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................... IX Abbildungsverzeichnis............................................................................................... XIII Tabellenverzeichnis .....................................................................................................XV Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................XVII

I

Das Leapfroging-Phänomen in Theorie und Praxis ............................. 1 1

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens......................................... 1 1.1 1.2 1.3

2

Die Bedeutung des Leapfrogging-Phänomens für den Unternehmenserfolg.......... 1 Die Bedeutung des Automobils als Untersuchungsgegenstand .............................. 3 Zielsetzung der Untersuchung und Gang der Arbeit............................................... 7

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur............................................................................................................ 8 2.1 2.2 2.3

II

Begriffsverständnis des Leapfroggings als Nachfragerverhalten............................ 8 Stand der Forschung.............................................................................................. 12 Langlebige Gebrauchsgüter................................................................................... 15

Konzeptionalisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens ...................................................................... 19 3

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses .......................................................................................... 19

4

Das Gratifikationsprinzip als konzeptioneller Bezugsrahmen der Analyse ........ 23

5

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen.................................................... 26 5.1 Die Adoptionstheorie als Grundlage der Erklärung des Nachfrageverhaltens ..... 26 5.1.1 Der Begriff der Innovation.............................................................................. 26 5.1.2 Zentrale Aussagen der Adoptionstheorie ........................................................ 28 5.1.3 Adoptionsprozess ............................................................................................ 29 5.1.3.1 Adoptionsprozess bei langlebigen Konsumgütern.................................... 32 5.1.3.2 Mögliche Endpunkte des Adoptionsprozesses bei langlebigen Konsumgütern ........................................................................................... 34

X

Inhaltsverzeichnis

5.1.3.2.1

Fortgesetzte Ablehnung Versus Verschiebung der Adoptionsentscheidung .................................................................... 35

5.1.3.2.2

Vorläufige Zurückweisung Versus Leapfrogging............................ 35

5.1.3.3 Adopterkategorien..................................................................................... 38 5.1.3.4 Adoptionsfaktoren..................................................................................... 40 5.1.3.4.1 Produktbezogene Faktoren............................................................... 40 5.1.3.4.2

Adopterbezogene Determinanten..................................................... 45

5.1.3.4.3

Umweltbezogene Determinanten ..................................................... 48

Exkurs: Der Produktlebenszyklus....................................................................... 49 5.2 Determinanten des Leapfrogging-Phänomens ...................................................... 55 5.2.1 Effekte des Altproduktes................................................................................. 57 5.2.2 Effekte des Neuproduktes ............................................................................... 61 5.2.3 Effekte des Zukunftsproduktes........................................................................ 64 5.2.4 Effekte der Unsicherheit.................................................................................. 67 5.3 Das Hypothesensystem im Überblick ................................................................... 70 6

Methodische Grundlagen des Modells .................................................................... 72 6.1 Eignung der Kausalanalyse als methodische Basis............................................... 72 6.2 Methodische Aspekte der Kausalanalyse.............................................................. 77 6.2.1 Grundlagen des Lisrel-Ansatzes...................................................................... 78 6.2.2 One-Stepp- Versus Two-Stepp-Approach ...................................................... 81 6.2.3 Kovarianz- Versus Korrelationsmatrix ........................................................... 83 6.2.4 Wahl des Verfahrens zur Parameterschätzung................................................ 84 6.2.5 Problem der Modellidentifikation ................................................................... 85 6.2.6 Exploratorisches Versus konfirmatorisches Vorgehen ................................... 87 6.2.7 Problem des Overfittings................................................................................. 89 6.2.8 Bootstrap-Methode.......................................................................................... 90 6.3 Kriterien der Modellbeurteilung............................................................................ 91

III

Empirische Überprüfung des Wirkungsmodells .............................. 102

7

Konzeption der empirischen Untersuchung ......................................................... 102

8

Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte .......................................... 107 8.1 Methodische Grundlagen der Überprüfung von Reliabiliät und Validität.......... 107 8.2 Evaluierung der Messmodelle............................................................................. 115 8.2.1 Leapfrogging-Neigung .................................................................................. 115 8.2.2 Erwartete relative Wechselkosten ................................................................. 117 8.2.3 Wahrgenommener relativer Vorteil G1/G0 .................................................... 119 8.2.4 Erwarteter relativer Vorteil G2/G1 ................................................................. 123 8.2.5 Dringlichkeit.................................................................................................. 126

Inhaltsverzeichnis

XI

8.2.6 Unsicherheit bezüglich wahrgenommener relativer Vorteil G1/G0 ............... 129 8.2.7 Unsicherheit bezüglich erwarteter relativer Vorteil G2/G1 ........................... 132 8.2.8 Unsicherheit bezüglich relativer Wechselkosten .......................................... 135 8.2.9 Erwartete Zeit bis zur Einführung G2 und Unsicherheit bezüglich des erwarteten Einführungszeitpunktes G2 .......................................................... 137 9

Die Evaluierung des bestangepassten Modells ..................................................... 138

10

Das Beziehungsgeflecht des bestangepassten Modells ......................................... 146

11

Zusammenfassung der Ergebnisse ........................................................................ 150

IV

V

Marketingpolitische Handlungsoptionen .......................................... 152

12

Produktpolitische Optionen ................................................................................... 153

13

Preispolitische Optionen ......................................................................................... 156

14

Kommunikationspolitische Optionen.................................................................... 158

Zusammenfassung zentraler Erkenntnisse und Ansatzpunkte weiterführender Forschungsbemühungen ........................................ 160

Literaturverzeichnis ................................................................................................... 165

Abbildungsverzeichnis

XIII

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Entwicklung der Produktlebenszyklen in verschiedenen Industrien zwischen 1970 und 1990.................................................................................................... 1 Abbildung 2: Das Leapfrogging-Verhalten.............................................................................. 2 Abbildung 3: Durchschnittliche PKW-Entwicklungszeiten im Vergleich............................... 5 Abbildung 4: Einführungsgeschwindigkeit verschiedener Modellvarianten Ende der 90er Jahre ................................................................................................................... 6 Abbildung 5: Phasenschema des Adoptionsprozesses nach Rogers ..................................... 32 Abbildung 6: Mögliche Endpunkte des Adoptionsprozesses bei langlebigen Konsumgütern ................................................................................................. 34 Abbildung 7: Phasenschema des Adoptionsprozesses bei vorläufiger Ablehnung des Neuproduktes .................................................................................................. 36 Abbildung 8: Das Phasenschema des Adoptionsprozesses im Falle des Leapfroggings ...... 37 Abbildung 9: Idealtypischer Verlauf der Adoptions- und Diffusionskurve nach Rogers ...... 39 Abbildung 10: Produktbezogene Adoptionsfaktoren............................................................... 45 Abbildung 11: Idealtypischer Verlauf des Produktlebenszyklus ............................................. 51 Abbildung 12: Verteilung der standardisierten Umsatzveränderungsraten aller Produkte einer Produktklasse .......................................................................................... 53 Abbildung 13: Effekte der verschiedenen Produktgenerationen auf das LeapfroggingVerhaltens......................................................................................................... 57 Abbildung 14: Wertminderung des Altproduktes durch Verschleiß und Verfall .................... 58 Abbildung 15: Formen der Produktobsoleszenz ...................................................................... 62 Abbildung 16: Wertminderung des Altproduktes durch wahrgenommene Veralterung, Verschleiß und Verfall ..................................................................................... 63 Abbildung 17: Wertminderung des Altproduktes durch erwartete und wahrgenommene Veralterung, Verschleiß und Verfall ................................................................ 65 Abbildung 18: Kausalmodell zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei langlebigen Konsumgütern ................................................................................................. 72 Abbildung 19: Vollständiges Lisrel-Modell mit Gleichungen des Struktur- und Messmodells..................................................................................................... 79 Abbildung 20: Vorgehensweise der empirischen Untersuchung ........................................... 103

XIV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 21: Operationalisierung hypothetischer Konstrukte............................................. 108 Abbildung 22: Vorgehensweise bei der Prüfung der Messmodelle ...................................... 114 Abbildung 23: Elemente des Fahrzeugpreises ....................................................................... 117 Abbildung 24: Item zur Messung der „erwarteten Zeit bis zur Einführung G2“.................... 138 Abbildung 25: Bestangepasstes Strukturmodell zur Erklärung des LeapfroggingVerhaltens bei langlebigen Konsumgütern .................................................... 148 Abbildung 26: Strategische Optionen der Modellwechselpolitik .......................................... 154

Tabellenverzeichnis

XV

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Umweltbezogene Adoptionsfaktoren.................................................................... 49 Tabelle 2: Abgrenzungskriterien nach Polli/Cook................................................................. 54 Tabelle 3: Übersicht der Hypothesen des Strukturmodells zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei langlebigen Konsumgütern .................................... 71 Tabelle 4: Anforderungen an ein geeignetes Analyseverfahren ............................................ 74 Tabelle 5: Evaluation verschiedener Analyseverfahren als methodische Basis .................... 77 Tabelle 6: Globale und partielle Prüfkriterien zur Beurteilung der Anpassungsgüte eines Lisrel-Modells..................................................................................................... 101 Tabelle 7: Zusammensetzung der primären Stichprobe....................................................... 106 Tabelle 8: Zusammensetzung der finalen Stichprobe .......................................................... 107 Tabelle 9: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „LeapfroggingNeigung“ ............................................................................................................. 116 Tabelle 10: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „erwartete relative Wechselkosten“...................................................................................... 119 Tabelle 11: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „wahrgenommener relativer Vorteil G1/G0“ ..................................................................................... 123 Tabelle 12: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „erwarteter relativer Vorteil G2/G1“ ..................................................................................... 126 Tabelle 13: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „Dringlichkeit“ .... 129 Tabelle 14: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „Unsicherheit bezüglich wahrgenommener relativer Vorteil G1/G0“ ....................................... 132 Tabelle 15: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „Unsicherheit bezüglich erwarteter relativer Vorteil G2/G1“.................................................... 135 Tabelle 16: Reliabilität und Validität des Messmodells des Konstruktes „Unsicherheit bezüglich relativer Wechselkosten“.................................................................... 137 Tabelle 17: Global- und Partialkriterien des finalen Strukturmodells ................................... 141 Tabelle 18: Die Stabilität der Gütekriterien des finalen Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens ................................................................................... 146 Tabelle 19: Totaleffekte im Strukturmodell auf die Zielvariable Leapfrogging-Neigung..... 149

XVI

Tabellenverzeichnis

Tabelle 20: Zusammenfassung der Ergebnisse des Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei langlebigen Konsumgütern .................................. 151

Abkürzungsverzeichnis

XVII

Abkürzungsverzeichnis AGFI AMOS Aufl. bzgl. bzw. CD d.h. DEV Df ESQ et.al. etc. f. ff. FR G0 G1 G2 GFI Hrsg. KBA LISREL m ML PC PKW PLZ qmk RMR RMSEA sog. SPSS ULS vgl. vs. VWL W

Adjusted-Goodness-of-Fit Analysis of Moment Structure Auflage bezüglich beziehungsweise Compakt-Disk das heißt durchschnittlich erfasste Varianz degrees of freedom Equations Based Language et alii et cetera folgende fort folgende Faktorreliabilität Generation 0 (Altprodukt) Generation 1 (Neuprodukt) Generation 2 (Zukunftsprodukt) Goodness-of-Fit Herausgeber Kraftfahrtbundesamt Linear Structural Relationship männlich Maximum Likelihood Personal Computer Personen-Kraft-Wagen Produktlebenszyklus quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten Root-Mean-Square-Residual Root-Mean-Squared-Error-of Approximation sogenannte Superior Performing Software Systems Unweighted-Least-Squares vergleiche versus Volkswirtschaftslehre weiblich

Abkürzungsverzeichnis

XVIII

WiSt WISU WWW xkrit xtat z.B. ZfB ZfbF ZFP

Wirtschaftswissenschaftliches Studium Das Wirtschaftsstudium World Wide Web Kritischer Wert des Parameters x Tatsächlicher Wert des Parameters x zum Beispiel Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Forschung und Praxis

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens

1

I

Das Leapfroging-Phänomen in Theorie und Praxis

1

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens

1.1

Die Bedeutung des Leapfrogging-Phänomens für den Unternehmenserfolg

Die zunehmende Geschwindigkeit auf den Märkten, rapide Innovationszyklen und sich verkürzende Produktlebenszyklen führen dazu, dass sich neue Verhaltensformen auf Konsumentenseite bilden. Die Unternehmen müssen sich neuen Herausforderungen stellen. Um adäquate Handlungsalternativen zu formulieren, müssen diese Phänomene identifiziert und die theoretische Basis analysiert werden. Unternehmen führen neue, manchmal auch nur geringfügig modifizierte Produktgenerationen in immer kürzer werdenden Zeitabständen ein und machen damit ihr eigenes Produkt obsolet. 1 So verkürzten sich die Produktlebenszyklen in verschiedenen Industrien, wie Abbildung 1 zeigt, von durchschnittlich 11 in den 70er auf durchschnittlich 6 Jahre in den 90er Jahren.

Jahr 15

13

11 0

28,6% 32,6%

9

70er

40,9% 46,0%

7

52,3%

44,2%

90er 5 Anlagebau

Fahrzeug- Maschinen- Elektro- Informations- Chemie bau bau technik technik

Abbildung 1: Entwicklung der Produktlebenszyklen in verschiedenen Industrien zwischen 1970 und 19902

1 2

Vgl. Trinkfass, Gabriele (1997), S. 1. Vgl. Droege, Walter P. / Backhaus, Klaus / Weiber, Rolf (1993), S. 53 ff.; Eine Untersuchung des Frauenhofer-Institutes für Arbeitswissenschaft und Organisation von 1990 über die Entwicklung der Produktlebenszyklen in verschiedenen Branchen innerhalb der letzten 10 Jahre bestätigt diese Ergebnisse. Vgl. hierzu Frauenhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (1990).

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

2

Die Zeitintervalle, in denen Erträge erwirtschaftet werden können, werden somit immer kürzer, gleichzeitig müssen hohe Entwicklungskosten amortisiert werden, was einen Erfolgsdruck für die aktuelle Produktgeneration bedeutet. Durch die schnelle Abfolge von aufeinander folgenden Produkt- oder Technologiegenerationen sieht sich der Nachfrager vor die Frage gestellt, wann der optimale Kaufzeitpunkt ist. Häufig werden sogar noch vor der Markteinführung eines neuen Produktes Vorankündigungen auf eine Folgegeneration getätigt, so dass sich der Nachfrager entscheiden muss, eine gegenwärtig am Markt verfügbare Produktgeneration zu kaufen oder auf die zukünftige zu warten.1 Ein in der Praxis immer häufiger zu beobachtendes Phänomen ist das LeapfroggingVerhalten: Zum Zeitpunkt der Kaufentscheidungen verschiebt der Konsument die Adoption in Erwartung absehbarer, verbesserter, zukünftig am Markt erscheinender Produkte. Der Kunde kann nicht mehr jeden noch so kleinen Entwicklungsschritt mitmachen und jede Innovation sofort implementieren. Um nicht Gefahr zu laufen, schon bald ein veraltetes Produkt zu besitzen, verzichtet er auf den Kauf, überspringt eine Produktgeneration, um auf eine zukünftige zu warten.

Absatz

Altprodukt G0

Kauf

Neuprodukt G1

Ersatzkaufabsicht

Zukunftsprodukt G2

Wiederaufnahme der Ersatzkaufabsicht

t

LeapfroggingVerhalten

Abbildung 2: Das Leapfrogging-Verhalten

Das Phänomen ist jedoch keineswegs neu. Schon 1950 bemerkte Schumpeter: „Frequently, if not in all cases, a going concern does not simply face the question whether or not to adopt a definite new method of production that is the best thing out.... A new type of machine is in general but a link in a chain of improvements and may presently become obsolete. In a case like this it would obviously not be rational to follow the chain link by link regardless of the capital loss to be suffered each time.”2

1 2

Vgl. Eliashberg, Jehoshua / Robertson, Tom S.(1988), S. 282 ff.; Preukschat, Ulf D. (1993), S. 9 ff.. Schumpeter, Joseph A. (1950), S. 98.

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens

3

Für das Unternehmen bedeutet die Verschiebung der Kaufentscheidung eine Nachfrageverschiebung vom gegenwärtig am Markt verfügbaren hin zum Zukunftsprodukt, d.h. Umsätze des gegenwärtigen Produktes können entweder nur verzögert oder nicht vollständig realisiert werden, die getätigten Investitionen bringen nur eine unterdurchschnittliche Rendite. Die eigene Zukunftsgeneration kannibalisiert die aktuelle Produktgeneration. Je nach Unternehmensziel kann diese Nachfrageverschiebung auch positive Effekte haben. Für Anbieter von Produkten mit Netzeffekten ist es vorstellbar, dass sie bewusst die Nachfrage steuern, um schnell eine kritische Masse beim Zukunftsprodukt zu erreichen. Um dem Handlungsbedarf in der Praxis die notwendige theoretische Basis für die Definition der richtigen Aktivitäten zu geben, ist es daher von Interesse, das Leapfrogging-Phänomen genauer zu untersuchen. In der Theorie sind erste Untersuchungen zum Leapfrogging-Phänomen zu finden, die sich jedoch fast ausschließlich auf stark technisch geprägte Industrien, wie die Computer- und High Tech-Industrie konzentrieren. 1 Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Phänomen nicht auf den Bereich der technologischen Innovationen beschränkt ist, sondern auch für weitere Entscheidungen, die durch eine hohe Risikowahrnehmung und geringe Kauffrequenz gekennzeichnet sind, wie im Falle langlebiger Konsumgüter, Relevanz hat. So warteten potentielle PKW-Käufer auf die Einführung der neuen Mercedes-Benz E-Klasse im Jahr 2002, da sie mit dem neuen Modell ein besseres Design und neue technische Merkmale verbanden.2 Von besonderem Interesse bei der Analyse in dieser Produktgruppe ist der Einfluss des Sekundärmarktes auf das Leapfrogging-Verhalten, der in den bisherigen Studien vernachlässigt wurde. Als Analysegegenstand des langlebigen Konsumgutes eignet sich das Automobil aufgrund seiner Produktcharakteristika und wirtschaftlichen Bedeutung. 1.2

Die Bedeutung des Automobils als Untersuchungsgegenstand

Die deutsche Automobilindustrie beeinflusst maßgeblich die Entwicklung der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Zu ihr gehören nicht nur die Herstellung von Kraftwagen und deren Motoren, sondern auch die Produktion von Anhängern, Aufbauten und Containern sowie von Kraftfahrzeugteilen und -zubehör. Die Innovationskraft und das ökonomische Gewicht dieser Industrie machen die Automobilindustrie somit zu einer Schlüsselbranche in Deutschland. Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Nutzung des Automobils tragen entscheidend zur Entstehung von Einkommen und Beschäftigung in Deutschland bei.

1 2

Zur Übersicht der bisherigen Forschung siehe Kapitel I 2.2. Vgl. Pohl, Alexander (2002), S. 61.

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

4

Die Bedeutung der Automobilindustrie als Kern dieses Wirtschaftsgeflechts erwächst nicht nur aus der Fahrzeugfertigung selbst, sondern darüber hinaus aus den Ausstrahlungseffekten, die von den vor- und nachgelagerten Bereichen ausgehen. Mit ihren hohen Anforderungen an Fertigungstechnologie sowie technischen Standard und Qualität der Vorleistungen forciert die im internationalen Wettbewerb stehende Automobilindustrie die Innovationstätigkeit und den technischen Fortschritt auch in zahlreichen anderen Branchen der Volkswirtschaft. Die deutsche Automobilindustrie sorgte in den vergangenen fünf Jahren für 110.000 neue Arbeitsplätze.1 Ende 2001 hatten nahezu 770.000 Menschen in der Automobilindustrie direkt ihren Arbeitsplatz.2 Dies ist jedoch nur ein Teil der Arbeitsplätze, die von der Automobilproduktion abhängen. Durch die zunehmende Verschlankung der Produktionsprozesse und die damit verbundene Konzentration der Automobilhersteller auf die Kernfertigung verändert sich die Wertschöpfungsverteilung zwischen Fahrzeugherstellern, Zulieferern und Vorlieferanten. Aufgrund der niedrigen Fertigungstiefe ergibt sich ein hoher und differenzierter Vorleistungsbedarf, so dass zahlreiche andere Branchen mittelbar an der Wertschöpfung in der Automobilproduktion partizipieren. Investitionsgüter, Material- und Teilelieferungen zur laufenden Fertigung werden von anderen Industrien bereitgestellt. Darüber hinaus tragen Dienstleistungsbranchen wie Ingenieurbüros, Speditionen und Verkehrsbetriebe zur Entstehung eines Automobils bei; insgesamt sind rund eine Million Menschen in den vorgelagerten Industrien für die Automobilbranche tätig.3 Diesen sekundären Beschäftigungseffekt über die gesamte automobile Wertschöpfungskette hinzugerechnet, waren im vergangenen Jahr 1,8 Millionen Menschen in der Automobilproduktion tätig. Die Beschäftigungswirkung des Automobils reicht aber noch wesentlich weiter. Insgesamt sind rd. 3,35 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland mit der Nutzung des Automobils (z. B. Automobil-Handel, -Wartung, -Reparatur, Tankstellen) verbunden. Darüber hinaus werden vom Nutzer des Automobils Dienstleistungen wie die von Banken, Versicherungen oder von Behörden in Anspruch genommen. Hinzu kommen die mit der Nutzung verbundenen Arbeitsplätze im Güter- und Personenverkehr (z. B. Speditionen, Taxigewerbe). Rechnet man alle diese Arbeitsplätze zu denjenigen in der Automobilproduktion hinzu, so hängt jeder 7. Arbeitsplatz in Deutschland direkt oder indirekt vom Automobil ab.4

1 2 3 4

Verband der Automobilindustrie (2004). Verband der Automobilindustrie (2004). Verband der Automobilindustrie (2004). Verband der Automobilindustrie (2004).

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens

5

Nach einer jahrzehntelangen Aufwärtsentwicklung mit jährlich überproportionalen Produktionssteigerungen kommt es in den letzen beiden Jahren zu einer deutlichen Stagnation. Von 2001 stieg der PKW-Bestand in Deutschland von 43.772.000 auf 44.383.000 in 2002 und 44.657.000 in 2003. Das entspricht einem Rückgang der Steigerungsrate von noch 1,4 % im Jahre 2002 auf 0,6 % im Jahre 2003.1 Der Markt ist gesättigt. Unter Berücksichtigung der demoskopischen Entwicklung in Deutschland ist langfristig wohl auch kaum mit nennenswerten Zuwächsen zu dem jetzt erreichten Niveau zu rechnen. Es wird deshalb für das Marketing der Automobilbranche immer wichtiger werden, das Hauptaugenmerk auf den Ersatzkauf zu richten, dessen Anteil heute bereits bei über 90 % liegt. 2 Hierbei erlangen Maßnahmen zur Schaffung eines Markenimages, Verbesserung der Kundenbindung, besonders aber eine innovative Modellpolitik entscheidende Bedeutung für den Erhalt bzw. Steigerung der Marktposition. Der Trend zu kürzeren Modellzyklen und zu einer breiteren Modellpalette zeichnet sich bereits seit längerem ab. Hier ist vor allem das Bestreben zu einer deutlichen Reduzierung der Entwicklungszeiten für die einzelnen Modelle oder Modellvarianten erkennbar, was wiederum zu einer Verkürzung der Modellzyklen führt. Bei einer Untersuchung von Clark und Fujimoto Anfang der 90er Jahre wurden noch deutliche Unterschiede in der Produktionsentwicklungszeit zwischen führenden Automobilherstellern festgestellt. 3 Bereits Ende der 90er Jahre war die time-to-market-Phase deutlich verkürzt. Im Jahr 2000 lag der internationale Benchmark bei den Entwicklungszeiten bei rund 24 Monaten.4

Europäische High EndEnd Hersteller: 63 Monate* Europäische High Hersteller: 63 Monate* Amerikanische Hersteller: 60 Monate* Amerikanische Hersteller: 60 Monate* Europäische Volumenhersteller: 57 Monate* Europäische Volumenhersteller: 57 Monate* Japanische Hersteller: 45 Monate* Japanische Hersteller: 45 Monate* Internationaler Schnitt: 24 Monate**

Monate

60

50

40

30

20

* 1991 ** 2000

Abbildung 3: Durchschnittliche PKW-Entwicklungszeiten im Vergleich

1 2 3 4

Kraftfahrtbundesamt, Jahresstatistik (2004). Verband der Automobilindustrie (2004). Vgl. Clark, Kim B. /Fujimoto, Takahiro (1994), S. 76 ff.. Vgl. Niederländer, Frank (2000), S. 143.

10 Einführungszeitpunkt

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

6

Noch deutlicher wird der Trend zur Verkürzung der Modellzyklen. Während das Modell Polo von VW 1981 eingeführt wurde und bis 1994 – also über 13 Jahre - im Markt blieb, wurde die Zykluslänge des VW-Golf systematisch von 9 bis auf 6 Jahre verkürzt. Eine Untersuchung von Niederländer belegt diese Entwicklung am Beispiel deutscher Automobilhersteller. 1

10 Focus

8

Astra 6

Golf

4

Linear (Focus) Linear (Astra)

2

Linear (Golf)

0 SE

1. Jahr

2. Jahr

3. Jahr

Focus

0

3

4

6

Astra

0

3

5

7

Golf

0

2

5

7

4. Jahr

5. Jahr

9

Abbildung 4: Einführungsgeschwindigkeit verschiedener Modellvarianten Ende der 90er Jahre2

Die zunehmende Modellvielfalt, die damit verbundene kürzere Lebensdauer der Modelle und das daraus resultierende Verhalten der Kunden bei der Kaufentscheidung in Bezug auf die Wahl der Modellvariante spielt deshalb künftig eine wichtige Rolle für strategische Marketingmaßnahmen der Automobilhersteller. Fragen wie: x

In welchen Abständen werden neue Modelle auf den Markt gebracht?

x

Wie und wann wird ein neues Modell angekündigt?

x

Wie wird der Verkauf des alten Modells unterstützt?

x

Welche Bedeutung hat der Gebrauchtwagen-Markt von Auslaufmodellen?

lassen eine gesichertere Antwort dann zu, wenn Kenntnisse über die Gründe vorliegen, die einen potentiellen Käufer veranlassen, mit dem Kauf auf ein neueres Modell zu warten oder den Kauf mit einem aktuellen Modell sofort abzuschließen. Es zeigt sich somit, dass das Leapfrogging-Phänomen besonders für den Automobilbereich Bedeutung hat.

1 2

Vgl. Niederländer, Frank (2000), S. 211 f.. Vgl. Niederländer, Frank (2000), S. 213.

Die Relevanz der Analyse des Leapfrogging-Verhaltens

1.3

7

Zielsetzung der Untersuchung und Gang der Arbeit

Angesichts der Bedeutung des Leapfrogging-Verhaltens für die Übernahmen von Produktneueinführungen ist es unabdingbar, die dahinterstehenden Abläufe zu verstehen. Nur wenn klar ist, warum der Nachfrager sich dafür entscheidet, eine Produktgeneration zu überspringen, um auf eine zukünftige zu warten, können spezifische Maßnahmen zur Beeinflussung seines Verhaltens, der Forcierung oder der Unterbindung des Leapfroggings, abgeleitet werden. Hierbei soll die Produktgruppe der langlebigen Konsumgüter im Vordergrund stehen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist demzufolge: x

Die theoriegestützte Beschreibung und modelltheoretische Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens mit speziellem Fokus auf langlebige Konsumgüter.

x

Die Konfrontation des entwickelten Erklärungsansatzes an der Realität im Rahmen einer eigenen Primärerhebung in der Automobilindustrie.

x

Die auf den Ergebnissen der empirischen Analyse basierende Formulierung von konkreten Handlungsoptionen des Marketings zur Steuerung dieses Phänomens.

Es sei darauf hingewiesen, dass der Schwerpunkt auf der Modellentwicklung und –prüfung liegt. Die Arbeit beginnt mit einer kurzen Einführung zum Phänomen des Leapfroggings (Kapitel I), Begriff und Erscheinungsformen werden detailliert diskutiert und die in der Literatur zu findenden Erklärungsansätze beschrieben, woraus sich die Notwendigkeit der Analyse für langlebige Konsumgüter ergibt. Der zweite Teil der Arbeit ist der theoretischen Herleitung des Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens gewidmet und beginnt mit einer grundlegenden Darstellung der wissenschaftstheoretischen Hintergründe der Modellbildung, wobei in dieser Arbeit dem Ansatz des wissenschaftlichen Realismus gefolgt wird (Kapitel II 3).1 Als konzeptioneller Bezugsrahmen der Ausführungen in Kapitel II fungiert das Gratifikationsprinzip, dem der folgende Abschnitt gewidmet ist (Kapitel II 4). Im darauf folgenden Kapitel wird das Leapfrogging-Verhalten in die Erkenntnisse der Adoptionstheorie eingeordnet und anhand theoretischer Überlegungen die Determinanten des Leapfroggings identifiziert, die vor allem auf den produktrelevanten Adoptionsfaktoren basieren und durch verhaltenswissenschaftliche und informationsökonomische Erkenntnisse erweitert werden (Kapitel II 5). Bevor das so definierte Modell an der Realität gespiegelt wird, sind zunächst methodische Überlegungen hinsichtlich der Auswahl eines geeigneten Verfahrens zur empirischen Überprüfung der postulierten Hypothesen notwendig (Kapitel II 6). 1

Vgl. Hunt, Shelby D. (1991), S. 379.

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

8

Die sich anschließende empirische Untersuchung erfolgt mittels einer Kausalanalyse in der Automobilindustrie. Den Ausführungen dieses Kapitels ist zunächst eine Beschreibung der Konzeption der empirischen Studie vorangestellt (Kapitel III 7). Besonderes Augenmerk erhält im Anschluss die Problematik der Operationalisierung der Modellvariablen, die fast ausschließlich hypothetische Konstrukte darstellen (Kapitel III 8). Danach erfolgt die eigentliche Hypothesenprüfung und Darstellung des bestangepassten Modells (Kapitel III 9), bevor die Ergebnisse der Empirie zusammengefasst werden (Kapitel III 10). Die marketingpolitischen Handlungsoptionen sind Gegenstand des vierten Kapitels, wobei Empfehlungen für produkt-, preis-, und kommunikationspolitischen Aktivitäten gegeben werden (Kapitel IV). Die Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse sowie ein Ausblick auf weitere Forschungsbemühungen runden die Arbeit ab (Kapitel V). 2

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

In der Marketingforschung als Teil der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften existieren eine Vielzahl verschiedener Begriffe und Fachtermini, die je nach Forschungsinteresse und Sichtweise des einzelnen Forschers unterschiedlich definiert werden und verschiedene inhaltliche Facetten der Phänomene umfassen. Für die weiteren Ausführungen ist es also unabdingbar, ein einheitliches, eindeutiges Begriffsverständnis zu schaffen, d.h. die verwendeten Begriffe inhaltlich zu definieren und bei Bedarf gegen verwandte Begriffe abzugrenzen. 2.1

Begriffsverständnis des Leapfroggings als Nachfragerverhalten

Der Begriff „leapfrogging“, aus dem Englischen to leapfrog, bedeutet Bockspringen. Der Begriff beschreibt in verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Tatbestände. 1 Generell versteht man jedoch darunter das „Überspringen bzw. Auslassen einzelner Stufen im Rahmen eines vorgegebenen Prozessablaufs“.2

1

2

Man findet Leapfrogging in der Medizin, vgl. z.B. Montint, Theresa / Slobin, Kathleen (1991) aber auch in der Mathematik und Informatik vgl. Riley, Norman / Stevens, David P. (1993) oder Wagner, David B. / Calder, Bradley G. (1993). Gabler Online: www.gabler.de/wirtschaftslexikon.

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

9

Leapfrogging wurde bisher vor allem auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre untersucht. Hier erlangt es Bedeutung bei der Untersuchung der technologischen Entwicklung von Entwicklungsländern (technological leapfrogging). 1 Entwicklungsländer überspringen innerhalb ihres Entwicklungsprozesses verschiedene Technologiegenerationen, wie z.B. bei der Entwicklung der nationalen Telefoninfrastruktur vom mechanischen (HebDrehwähltechnik) über das analoge zum digitalen System.2 „Leapfrogging the old technology and familiar infrastructure developed over the past century developing countries are simply skipping coaxial and copper cables. Customers will never know telephone poles, rotary dials, interminable waits, and the old-fashioned “rinnnnnng”- the ancestor of today´s blips and bleeps”.3 Durch das Überspringen von technologischen Entwicklungsstufen können einem Land durchaus Wettbewerbsvorteile innerhalb der Weltwirtschaft entstehen. 4 So ist das Überspringen von Stufen innerhalb des Internationalisierungsprozesses, wie Young, Huang und McDermott zeigen, ein Grund für den schnell steigenden Wettbewerbserfolg chinesischer Unternehmen auf dem Weltmarkt.5 Neben dieser technologischen Entwicklung wird Leapfrogging in der Volkswirtschaftslehre auch bei der Lohnentwicklung6 und dem Siedlungsverhaltens7 analysiert.8 Innerhalb der Betriebswirtschaft gewinnt das Phänomen vor allem bei der Betrachtung des Kaufverhaltens zunehmend an Bedeutung, jedoch ist die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema immer noch sehr gering. Man unterscheidet anbieterseitiges und nachfragerseitiges Leapfrogging. Der Anbieter eines Produktes kann sich entscheiden, eine Produktgeneration in der Entwicklung zu überspringen und seine Entwicklungskapazitäten auf eine zukünftige Generation zu konzentrieren. So ist er unter Umständen in der Lage, schneller eine neue, zukünftige Produktgeneration einzuführen und sich einen Marktvorsprung gegenüber seinen Konkurrenten zu verschaffen. Hierbei ist natürlich zu berücksichtigen, dass es dadurch zu Erfahrungs- bzw. Kompetenzrückständen kommen kann, die auch negative Effekte auf die Leistungsmerkmale und die Wettbewerbsfähigkeit des Zukunftsproduktes haben können. Auf das anbieterseitige Leapfrogging soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden.

1

Vgl. Sharif, Nawaz M. (1989). Vgl. Mody, Ashoka / Sherman, Ron (1990) und Prince, Joseph (1997). 3 Prince,Joseph (1997), S. 12. 4 Vgl. Brezis, Elise S. / Krugman, Paul R. / Tsiddon, Daniel (1993). 5 Vgl. Young, Stephan / Huang, Chun-Hua / McDermott, Michael (1996). 6 Das Überspringen einzelner Lohnstufen untersucht Rose, Joseph B. (1986) sowie Schwarz, Joshua L. / Koziara, Karen S.(1992). 7 Rich, Jonathan M. (1984) und Blumrosen, Alfred W. (1990) analysieren das Siedlungsverhalten zwischen Stadt und Vororten. 8 Für einen Überblick der wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Leapfrogging bis 1994 siehe Pohl, Alexander (1996), S. 7. 2

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

10

Betrachtet man das Leapfrogging-Phänomen von Konsumentenseite, so versteht man darunter die Entscheidung des Nachfragers, den Kauf eines aktuell am Markt verfügbaren Produktes zu Gunsten einer in Zukunft erwarteten verbesserten Produktgeneration zu verschieben. Der Nachfrager überspringt eine Produktgeneration, d.h. er kauft nicht die aktuelle, sondern wartet auf die nächste verfügbare Generation eines Produktes. Damit ein Kunde die Möglichkeit hat, eine Generation eines Produktes zu überspringen, muss zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung neben seinem aktuell genutzten Produkt mindestens eine weiterentwickelte Generation des Produktes auf dem Markt sein. Man unterscheidet drei Generationen von Produkten: x

das Altprodukt (G0): die aktuelle Ausstattung des Nachfragers, das aktuell genutzte Produkt,

x

das Neuprodukt (G1): das zum Zeitpunkt der Adoptionsentscheidung neueste verfügbare Produkt,

x

das Zukunftsprodukt (G2): das in der Zukunft erwartete, als nächstes auf dem Markt erscheinende Produkt.

Die verschiedenen Entwicklungsstufen eines Produktes können eine komplett neue Technologie, aber auch eine Variante, Weiterentwicklung oder Relaunch der existierenden Generation darstellen, wie z.B. im Falle der Facelifts in der Automobilindustrie. Es ist zu beachten, dass ein Überspringen einer Generation nur möglich ist, wenn die aktuelle Ausstattung des Nachfragers nicht bereits dem Neuprodukt entspricht. Betrachtet man die drei Produktgenerationen als Stufen innerhalb eines Entwicklungsprozesses, heißt das also, dass der Nachfrager mindestens auf die übernächste Stufe springen muss. Dabei kann sowohl der Fall eintreten, dass es sich um eine Ersatzkaufabsicht handelt, d.h. der Nachfrager bereits eine alte Version des Produktes besitzt, als auch der eines Erstkaufs, d.h. der Nachfrager bisher noch kein Produkt der entsprechenden Kategorie besitzt, und er erstmals einen Kauf in Erwägung zieht. Ausschlaggebend ist lediglich, dass der Nachfrager sich gegen den Kauf des Neuproduktes entscheidet mit der Absicht, bei Erscheinen der Zukunftsgeneration erneut einen Kauf in Erwägung zu ziehen. 1 Er verschiebt seine Kaufentscheidung. Es kann jedoch noch keine Aussage getroffen werden, ob der Nachfrager das Zukunftsprodukt auch adoptiert.

1

In vorliegender Studie wird die Produktgruppe der langlebigen Konsumgüter betrachtet. Die Märkte für diese Güter, besonders die des Automobils sind zum größten Teil gesättigt. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich fast ausschließlich um Ersatzkäufe handelt. Vgl. hierzu Stumpp, Stefan (2000), S. 1 und die dort angegebene Literatur.

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

11

Die Entscheidung zum Leapfrogging bedeutet lediglich, eine Entscheidung gegen die Adoption des Neuproduktes, also ein Ende der jetzigen Kaufentscheidung und eine Verlagerung auf einen zukünftigen Zeitpunkt. Entscheidend ist auch, dass der Nachfrager den Kauf der gegenwärtigen Produktgeneration in Erwägung gezogen hat und sich bewusst dagegen entscheidet. Fälle, in denen der Nachfrager die Adoption des Neuproduktes lediglich verpasst, bzw. unbewusst verschiebt, werden also nicht als Leapfrogging bezeichnet. Dies wird schon in der ersten von Weiss und John beschriebenen Definition des Begriffs deutlich: “To consider adopting an innovation and then deciding to bypass it is called leapfrogging..., the decision is reconsidered when improved products are launched.“1 Weitere alternative Endpunkte des Kaufentscheidungsprozesses sind neben der Adoption des Neuproduktes auch das Vertagen der Entscheidung bis das Neuprodukt zu günstigeren Konditionen verfügbar ist (Kostenreagierer) oder die Unentschlossenheit und die Notwendigkeit, weitere zur Entscheidung wichtige Informationen zu sammeln (Informationssucher).2 Die letzten beiden Fälle sollen hier nicht berücksichtigt werden. Angesichts der zuvor angestellten Überlegungen scheint Pohl eine passende Definition des Leapfrogging-Behaviors zu geben: „Leapfrogging-Behavior stellt das bewusste und freiwillige Überspringen der gegenwärtig am Markt verfügbaren neuesten Technologie und die Verschiebung der Kaufentscheidung auf eine in der Zukunft erwartete Technologiegeneration dar, die in der subjektiven Wahrnehmung des Nachfragers durch eine verbesserte Leistungsfähigkeit gekennzeichnet ist.“3 Weiteres Kriterium ist nach dieser Definition die Freiwilligkeit der Entscheidung. Dies bedeutet, dass der Nachfrager nicht durch seine spezifische Situation gezwungen sein darf, eine Adoption abzulehnen und auf ein zukünftiges Produkt zu warten. Ein möglicher Grund dafür wäre vor allem in Budgetrestriktionen zu sehen, d.h. der Nachfrager ist unfreiwilliger Leapfrogger, er würde nicht leapfroggen, wenn er die finanziellen Mittel hätte, das Neuprodukt zu adoptieren. Bei freiwilligem Leapfrogging ist der Kunde grundsätzlich in der Lage, sich frei für oder gegen eine Adoption des Neuproduktes zu entscheiden.

1 2 3

Weiss, Allen M. / John, George (1989), S. 1. Vgl. Segmentierung nach Weiber, Rolf / Pohl, Alexander (1995), S. 409 ff.. Weiber, Rolf / Pohl, Alexander (1996), S. 12.

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

12

2.2

Stand der Forschung

Balcer-Lippmann erkannten bereits 1984, dass sich die Adoptionsentscheidung im Falle von technologischen Innovationen keineswegs auf die Alternativen „Beibehalten der aktuellen-“ und „Adoption der neuesten am Markt verfügbaren Technik“ beschränkt, sondern vielmehr zukünftige Entwicklungen mit ins Kalkül gezogen werden.1 Explizit und unter dem Begriff Leapfrogging-Behavior wurde das Phänomen erstmals bei Weiss empirisch untersucht und ein Modell zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei der Adoption technologischer Innovationen entwickelt.2 Weiss verglich in seiner Studie von 1987 die Mittelwerte der Eigenschaften von Adoptern einer Neutechnologie eines Verfahrens zur Befestigung von elektronischen Bauteilen auf Platinen vs. der der Leapfrogger. Er befragte 74 Platinenhersteller bzgl. ihrer Kaufabsicht, unter denen sich 21 Leapfrogger und 28 Adopter befanden.3 Die von ihm erhobenen Kriterien umfassten die wahrgenommenen Verbesserungen der Neu- im Vergleich zur Alttechnologie, die erwarteten Verbesserungen der Zukunfts- im Vergleich zur Neutechnologie sowie die erwarteten Kosten der Neutechnologie (Anschaffungskosten + Wechselkosten). Daraufhin führte er einen Mittelwertvergleich der beiden Gruppen Leapfrogger und Adopter bzgl. der oben genannten Kriterien durch. Die Mittelwertunterschiede waren nur gering (auf eine Überprüfung der Signifikanz wurde verzichtet) und zielten nur selten in die erwartete Richtung. In einer weiteren Studie aus dem Jahre 1989 führten Weiss und John eine Logit-Analyse zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens beim Kauf von industriellen Innovationen durch.4 Die erklärenden Variablen umfassten die Verbesserung der Neu- gegenüber der Alttechnologie bzw. der Zukunfts- gegenüber der Neutechnologie, den erwarteten Zeitpunkt der Verfügbarkeit der Zukunftstechnologie, die Kosten der Informationssuche sowie erstmals auch Unsicherheiten verbunden mit diesen Größen. Im deutschsprachigen Raum erlangte das Phänomen besonders durch die Arbeiten von Weiber/Pohl 5 und Gierl 6 wissenschaftliche Beachtung. Ihnen ist das Ziel gemein, das Leapfrogging-Phänomen innerhalb bestimmter Branchen aufzudecken und die das Leapfrogging-Verhalten beeinflussenden Faktoren zu identifizieren.

1 2 3 4 5 6

Vgl. Balcer, Yves / Lippman, Steven A. (1984), S. 292 ff. Vgl. Weiss, Allen M. (1987). Die übrigen 25 Auskunftspersonen hatten sich noch nicht entschieden. Vgl. Weiss, Allen M. / John, George (1989). Vgl. Weiber, Rolf (1994); Weiber, Rolf / Pohl Alexander (1995) und Pohl, Alexander (1996). Vgl. Gierl, Heribert (1997).

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

13

Weiber analysierte 1994 die Adoptionsentscheidung beim Kauf von Personal-Computern bei 66 Studenten der Universität Trier.1 Mittels des Lisrelansatzes der Kausalanalyse wurde der Einfluss der latent exogenen Variablen „Ausstattungsniveau“, „Wartebereitschaft“ und „Leistungsfähigkeit“ auf die „Neigung zum Leapfrogging“ untersucht. Die Analyse erzielte einen Goodness-of-Fit-Index (GFI) von 0,84 und einen AdjustedGoodness-of-Fit-Index (AGFI) von 0,562. Die hypothetischen Konstrukte werden jedoch nicht eindeutig voneinander abgegrenzt. So wird der Indikator „erwartete Leistungsfähigkeit des Zukunftproduktes“ zur Operationalisierung aller drei latenten Variablen herangezogen. Den stärksten Einfluss auf die Leapfrogging-Neigung hat laut dem Modell von Weiber die Wartebereitschaft mit einem Pfadkoeffizienten von 0,842. Widersprüchlich ist jedoch das Ergebnis, dass die Dringlichkeit der Anschaffung einen positiven Einfluss auf die Wartebereitschaft ausübt (O= + 0,566). 2 Die übrigen Richtungszusammenhänge wurden bestätigt. In einer weiteren Studie legten Weiber und Pohl 1995 spezielles Augenmerk auf den Effekt von Unsicherheit auf das Leapfrogging-Verhalten. Theoretische Grundlage bildete die Theorie des wahrgenommenen Risikos nach Cunningham. Untersuchungsgegenstand waren wieder Personal-Computer, jedoch wurden diesmal Kunden einer Computermesse befragt. Die Untersuchungsobjekte wurden anhand der gemessenen Risikoempfindungen in vier Segmente eingeteilt: Die Adopter der Neutechnologie, die Preisreagierer, die Informationssucher und die Leapfrogger. Die Risikoeigenschaften der Adopter und Leapfrogger wurden dann anhand eines Mittelwertvergleichs untersucht, wobei den Ergebnissen zufolge Leapfrogger höhere Unsicherheiten empfinden als Adopter. Über die Signifikanz der Mittelwertunterschiede wurde leider keine Aussage getroffen. Die umfassendste Studie mit erstmals weitreichender theoretischer Fundierung führte Pohl anhand derselben Daten durch.3 Die Nachfrager wurden ebenfalls in die vier oben genannten Segmente unterteilt. Er identifizierte mittels einer Diskriminanzanalyse die für die Unterscheidung der Segmente bedeutsamen Einflussgrößen. Anschließend konzentrierte er sich auf das Leapfrogging-Segment und führte eine kausalanalytische Überprüfung der möglichen Determinanten des Leapfrogging-Behaviors mittels Lisrel durch. Das getestete Modell erreichte einen Goodness-of-Fit-Index von 0,799 und einen Adjusted- Goodness-of-Fit von 0,714.4

1 2 3 4

Vgl. Weiber, Rolf (1994). Vgl. Weiber, Rolf (1994), S. 354. Vgl. Pohl, Alexander (1996). Vgl. Pohl, Alexander (1996), S. 237.

14

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

Gierl analysierte in seiner ersten Studie 1995 103 Kunden eines Anbieters von Computersystemen. Hierbei unterschied er in Kunden, die die neuesten Workstations bereits gekauft haben (Adopter) und solche, die auf die Zukunftsgeneration warten (Leapfrogger). Mittels einer Diskriminanzanalyse wurde der Einfluss verschiedener Größen auf die Entscheidung Adoption/Leapfrogging geprüft. Hierbei handelte es sich sowohl um zeitliche, als auch die Produktleistung und Kosten betreffende Faktoren und die damit verbundenen Unsicherheiten. Vor der Durchführung der Diskriminanzanalyse evaluierte er die Messmodelle anhand von Verfahren der ersten Generation.1 In einer zweiten Studie 1996 wählte er das gleiche Vorgehen, diesmal wurden jedoch Kunden von PC-Betriebssystemen untersucht.2 Für die formulierten Hypothesen wurden in den beiden Studien zum Teil konträre, bzw. nicht signifikante Ergebnisse gefunden, was der Autor durch die unterschiedlichen Untersuchungsobjekte erklärt. Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Leapfrogging-Verhalten in den bisherigen Studien nur teilweise erklärt wird. Oftmals sind die Einflussgrößen nicht klar abgegrenzt, bzw. nicht durch eindeutige und theoriebasierte Messkonzepte operationalisiert. Innerhalb der kausalanalytischen Untersuchungen ist festzustellen, dass die Gütekriterien der definierten Modelle oft nur gering ausfallen. Bei Mittelwertvergleichen fehlen zumeist Signifikanzaussagen. Auffallend ist außerdem, dass alle bisherigen Studien sich mit der High-Tech und Computerbranche beschäftigen. Dies ist natürlich nahe liegend, da diese Bereiche einer sehr starken und schnellen Veränderung und Entwicklung unterliegen. Interessant ist jedoch nun zu fragen, ob das Phänomen auch in anderen Branchen zu finden ist und die bisherigen Ergebnisse auf diese Bereiche übertragbar sind. Bei der Betrachtung der Kosten wird bisher die Existenz von Sekundärmärkten vernachlässigt. Dies ist jedoch gerade bei der Kaufentscheidung von langlebigen Konsumgütern, im Speziellen Automobilen ein nicht außer Acht zu lassender Faktor. Ziel der vorliegenden Studie ist es, das Leapfrogging-Phänomen auch beim Automobilkauf zu erklären. Um die Spezifika dieser Produktgruppe zu verstehen, soll das Automobil in die Gruppe der langlebigen Gebrauchsgüter eingeordnet werden. Die Charakteristika der langlebigen Konsumgüter sollen im Folgenden dargestellt werden.

1

2

Vgl. zur Operationalisierung latenter Variablen und der Defizite der Verfahren der ersten Generation Kap. III 8.1. In der zweiten Studie wurden geringe Veränderungen in der Operationalisierung der latenten Variablen vorgenommen.

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

2.3

15

Langlebige Gebrauchsgüter

Wirtschaftsgüter oder Produkte lassen sich nach verschiedenen Eigenschaften unterteilen und kategorisieren. So kann die Stellung innerhalb des wirtschaftlichen Produktionsprozesses als Unterscheidungskriterium zu der Unterteilung in Input- und Outputgüter führen, die Klassifizierung anhand der physikalisch-technischen Eigenschaften hat die Kategorien immaterielle vs. materielle Güter zum Resultat (Dienste und Rechte vs. tangible Produkte).1 Eine weit verbreitete Unterteilung von Sachgütern erfolgt nach dem Verwendungszweck in Produktions- und Konsumgüter. Während Produktionsgüter gewerblich genutzt und zur Erstellung von Erzeugnissen benötigt werden, befriedigen Konsumgüter direkt die Bedürfnisse des Nachfragers (wie z.B. Kleidung, Lebensmittel).2 Ein und dasselbe Gut kann je nach Art der Nutzung sowohl Produktions- als auch Konsumgut sein. Ein geschäftlich genutzter PKW wäre der Kategorie der Produktionsgüter zuzuordnen, während ein Privatwagen ein Konsumgut ist. 3 Es ist also keine überschneidungsfreie eindeutige Zuordnung möglich. Die Konsumgüter können wiederum in einer zweiten Gliederungsebene entsprechend der möglichen Nutzungsdauer bzw. Verwendungshäufigkeit in zwei Kategorien unterteilt werden. Dabei werden in der Literatur verschiedene Begriffspaare synonym verwendet.4 x

Verbrauchs- vs. Gebrauchsgüter

x

Kurzlebige vs. langlebige Konsumgüter

x

Nicht-dauerhafte vs. dauerhafte Konsumgüter

Verbrauchsgüter dienen demnach dem einmaligen Einsatz, sie werden bei der ersten Verwendung „verbraucht“ oder „aufgebraucht“. Das Nutzenpotential des Produktes ist nicht teilbar und wird nur als Einheit im Ganzen bei einmaligem Einsatz in Konsum oder Produktion abgegeben. Gebrauchsgüter oder langlebige Konsumgüter sind dagegen "tangible products that normally survice many uses or products that yield a flow of services over a period of time” 5 , erlauben also einen wiederholten Gebrauch und eine längere Nutzung.

1 2

3

4

5

Vgl. Schierenbeck, Henner (1993), S. 2. Vgl. Knoblich, Hans (1969), S. 107; Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 34; Böcker, Franz (1996), S. 11. Ähnliche Fälle der Nutzung des Gutes, sowohl im gewerblichen als auch im privaten Bereich, sind der Computer eines Freiberuflers, Strom, Telefon etc.. Vgl. Wienke, Reinhard (1990), S. 1; Kotler, Philip / Bliemel, Friedhelm W. (2001), S. 625; Schierenbeck, Henner (1993), S. 2. Purohit, Devavrat (1988), S. 15.

16

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

Ihr Nutzenpotential ist teilbar und kann so sukzessive, in mehrmaligem Einsatz über die Lebensdauer des Produktes in Anspruch genommen werden.1 Die Verwendungshäufigkeit jedoch als alleiniges Kategorisierungskriterium heranzuziehen, birgt einige Probleme in sich. Viele Produkte würden, entsprechend ihrer möglichen Verwendungshäufigkeit obiger Definition der Kategorie der Gebrauchsgüter zugeteilt, obwohl sie in einer Vielzahl von Charakteristiken, wie dem Kaufpreis oder der Art der Kaufentscheidung den kurzlebigen Konsumgütern ähneln. So weisen Zahnbürsten oder Kugelschreiber, die alle wiederholt genutzt werden können, weitaus größere Parallelen mit Verbrauchsgütern wie Zahnpasta oder Schokoriegeln als mit den Gebrauchsgütern PKW oder Kühlschrank auf. Es bedarf also einer Ausweitung der Abgrenzungskriterien. Weite Verbreitung findet die Definition der Gebrauchsgüter als Produkte mit langer Nutzungsdauer, geringer Kaufhäufigkeit und hohem Kaufwert. 2 Neben die zeitliche Komponente tritt in dieser Begriffsauslegung die Kaufhäufigkeit und eine monetäre Komponente, der Preis des Produktes. Dies hat Auswirkungen auf die Art der Kaufentscheidung und das Ausmaß der kognitiven Beteiligung. Da der Kauf selten stattfindet und mit erhöhtem finanziellem Aufwand verbunden ist, akzeptiert der Käufer größere Kaufanstrengungen und eine intensivere Kaufentscheidung. Dies wird auch in der aus dem englischen Sprachraum stammenden Klassifizierung der Konsumgüter in „convenience goods“, „shopping goods“ und „specialty goods“ deutlich.3 Während der Konsument beim Kauf von „convenience goods“, wie z.B. Zigaretten oder Lebensmittel auf ein vorher definiertes evoked set zurückgreift und den Beschaffungsaufwand auf ein Minimum reduziert, findet der Kauf von „shopping goods“ nur recht selten und nach einem aufwendigen Preis-Leistungsvergleich statt, da kein genau definiertes Präferenzsystem existiert, auf das der Käufer zurückgreifen kann.4 Die dritte Kategorie der „specialty goods“ zeichnet sich, wie die „shopping goods“, durch große Kaufabstände aus, jedoch hat hier der Verbraucher eine genaue Vorstellung über das Produkt, das ganz spezielle Bedürfnisse befriedigt und mit großen Kaufanstrengungen verbunden ist, da der Käufer die für ihn allerbeste Alternative anstrebt (wie z.B. beim Kauf eines PKWs oder einer Photoausrüstung).5

1

2 3

4 5

Vgl. Miller Jr., Laurence H. (1961), S. 299; Wienke, Reinhard (1990), S. 9 ff., Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 34. Vgl. Pickering, John .F. (1981) S. 61; Zacharias, Rolf (1995), S. 2. Vgl. Böcker, Franz (1996), S. 11 f.; Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 154 f.; Herrmann, Andreas (1998), S. 9 f.. Ein Beispiel für „shopping goods“ sind Möbel. „Specialty goods“ sind meist mit einem hohen Produktinvolvement des Käufer verbunden.

Inhaltliche Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Erscheinungsformen in der Literatur

Kommen wir zurück zu unserer ursprünglichen Verbrauchsgüter, so lassen sich die shopping, sowie die Gebrauchsgüter zuordnen. In beiden Fällen ist die Anstrengungen verbunden, sie werden selten gekauft Kaufwert.1

17

Einteilung in Gebrauchs- und specialty goods der Oberkategorie Kaufentscheidung mit größeren und haben häufig einen hohen

Langlebige Konsumgüter geben ihren Nutzen über die Länge ihrer Lebensdauer ab. Diese Leistung kann von konstanter, aber auch von abnehmender Qualität sein. 2 Produkte, die permanent eine konstante Leistung im Zeitverlauf erbringen, sind relativ selten. Ihre Funktionsfähigkeit und ökonomische Lebensdauer endet plötzlich, unvorhersehbar und vollständig. Solche Produkte, wie Glühbirnen, CDs oder Elektroröhren werden normalerweise sofort nach Ausfall oder vorsichtshalber nach einer bestimmten Zeit, auch wenn sie noch funktionsfähig sind, ersetzt.3 Weitaus häufiger verringert sich die Qualität der Leistung des Produktes durch Verschleiß, Defekte, Abnutzung oder technische und modische Veralterung mit der Zeit, bis schließlich die Funktion am Ende der Lebensdauer nicht mehr erfüllt wird. Die Verwendungsdauer ist sehr variabel und hängt von der Intensität der Inanspruchnahme ab, kann jedoch durch entsprechende Reparatur- oder Wartungsarbeiten verlängert werden.4 Der Nachfrager hat grundsätzlich die Möglichkeit, aufgrund der langen Lebensdauer des Gebrauchsgutes, nur einen Teil des gesamten Nutzenpotentials auszuschöpfen, das heißt, das Produkt vor Ende seiner Lebensdauer zu verkaufen.5 Hierdurch entstehen Sekundärmärkte, Märkte auf denen gebrauchte Güter mit einem verbleibenden Restnutzen gehandelt werden. Für die weiteren Ausführungen sollen langlebige Konsumgüter also durch folgende Charakteristika gekennzeichnet sein.6

1 2

3 4 5 6

x

Lange Nutzungsdauer

x

Geringe Kaufhäufigkeit

x

Hoher Kaufwert

x

Abnehmende Leistungsfähigkeit/ zunehmende Obsoleszenz

x

Existenz eines Sekundärmarktes

Vgl. Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 155; Böcker, Franz (1996), S. 11. Vgl. Ohlwein, Martin (1999), S. 29 ff.; Wienke, Reinhard (1990), S. 1; Bellmann, Klaus (1990), S. 14. Außerdem ist der Fall der zunehmenden Leistungsfähigkeit denkbar, der auch als Antiquitäteneffekt bezeichnet wird. Dieser soll jedoch in vorliegender Betrachtung nicht von Interesse sein. Vgl. zum Antiquitäteneffekt Ohlwein, Martin (1999), S. 31 und die dort angegebene Literatur. Vgl. Wöhe, Günter (1993), S. 177. Vgl. Neuhardt, Doris (1987), S. 114; Bellmann, Klaus (1990), S. 16. Vgl. Purohit, Devavrat (1988), S. 6; Wienke, Reinhard (1990), S. 1 f.. Vgl. Stumpp, Stefan (2000), S. 8.

18

Das Leapfrogging-Phänomen in Theorie und Praxis

Diese Definition soll den Ansprüchen der vorliegenden Arbeit gerecht werden und verfolgt nicht das Ziel der Allgemeingültigkeit. Der Untersuchungsgegenstand des Automobils erfüllt den oben genannten Kriterienkatalog und ist somit der Gruppe der langlebigen Konsumgüter zuzuordnen. Die durchschnittliche Haltedauer eines PKWs beträgt momentan 41 Monate, 1 der Erwerb ist mit größerem finanziellem Aufwand verbunden. Außerdem nimmt mit zunehmender Nutzung des Fahrzeugs die Leistungsfähigkeit ab. Da die durchschnittliche Lebensdauer mit 11,9 Jahren die durch-schnittliche Nutzungdauer übersteigt, d.h. der PKW noch einen Restnutzen besitzt, existiert für Automobile ein Gebrauchtwarenmarkt.2 Im Folgenden soll also anhand des Beispiels des Automobils das Leapfrogging-Verhalten für die Produktgruppe der langlebigen Konsumgüter mit ihren Spezifika erklärt werden.

1 2

Vgl. Kraftfahrt Bundesamt (1999), S. 64. Vgl. Kraftfahrt Bundesamt (2004), S. 71.

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses

II

Konzeptionalisierung eines Modells zur Erklärung des LeapfroggingVerhaltens

3

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses

19

Unter einem Modell versteht man ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit. Dem Original, dem zu erklärenden System, steht ein erklärendes Systems gegenüber: das Modell. 1 Die Beziehung zwischen diesen beiden Systemen kann als Ähnlichkeit bezeichnet werden. Das Modell ist ein Werkzeug, das vor dem Hintergrund der Theoriebeurteilung auf seine Eignung geprüft werden kann. Ziel dieser Forschungsarbeit ist das Zustandekommen des Leapfrogging-Verhaltens bei der Adoption von einer neuen Automobilgeneration auf der Basis theoretischer Überlegungen in einem solchen Abbild der Realität zu modellieren. Das Modell soll dann an der Wirklichkeit überprüft werden, um zum einen theoretische Aussagen zur Erklärung und Prognose des Phänomens zu liefern und zum anderen aber auch praxeologische Aussagen ermöglichen, die die Grundlage für Entscheidungen in der unternehmerischen Marketingpolitik bieten. Als Teil der Realwissenschaft wird somit bei der Erkenntnisgewinnung also ein theoretisches und pragmatisches Ziel verfolgt. Hierzu muss vorab die Offenlegung der methodischen Grundlagen und des wissenschaftstheoretischen Orientierungsrahmens erfolgen. Wissenschaftliche Arbeiten folgen heute weitestgehend den Ansätzen des kritischen Rationalismus, der auf Vorstellungen des Wiener Kreises der 20er Jahre um Moritz Schlick zurückgeht.2 Diese wissenschaftstheoretische Ausrichtung ist eng mit den Schriften Poppers verbunden. 3 Für Popper besteht das Anliegen wissenschaftlichen Arbeitens darin, befriedigende Erklärungen realer Sachverhalte zu finden.4 Einem definitorischen System mit detaillierter Beschreibung und Abklärung der Forschungsfrage folgt, als Resultat der Hypothesenbildung, das zu untersuchende Modell, in dem Einflussfaktoren und Randbedingungen des interessierenden Sachverhaltes abgebildet sind. Innerhalb der Hypothesenprüfung wird das Modell einem empirischen Test unterzogen, um zu prüfen, ob die getroffenen Aussagen „unwahr“ sind. Die vorliegende Arbeit folgt formal diesem schrittweisen Vorgehen und somit dem kritischen Rationalismus. Im Anschluss an die detaillierte Darstellung der Forschungsfrage werden Hypothesen und daraus resultierende Konstrukte erarbeitet, die zur Erklärung beitragen. 1 2 3 4

Vgl. Herrmann, Andreas (1998), S. 53. Vgl. Kraft, Viktor (1968), S. 1 ff.; Stegmüller, Wolfgang (1965), S. 346 ff.. Vgl. grundlegend Popper, Karl R. (1934). Vgl. Popper, Karl R. (1973), S. 213.

20

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Das so entwickelte Modell der Wirkungsbeziehungen wird schließlich, nach Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte, empirisch überprüft. Entsprechend der Fehlbarkeitslogik nach Popper ist jedoch eine Theorie, selbst wenn sie wiederholt empirisch belegt wurde, nicht wahr. Zwar kann eine allgemeine Aussage durch noch so viele Einzelbeobachtungen nicht bewiesen werden, umgekehrt kann aber ein allgemeines Gesetz durch ein einziges Gegenbeispiel widerlegt werden, d.h. eine einzige Beobachtung eines schwarzen Schwans genügt, um die allgemeine Aussage: „Alle Schwäne sind weiß“ zu widerlegen. Diese Möglichkeit der Falsifikation von Allaussagen durch ein einziges Gegenbeispiel bildet die Grundlage der Falsifikationslogik. Der Mensch ist also grundsätzlich nicht im Stande zu erkennen, wie die Realität wirklich ist. Eine Theorie ist also per definitione nie vollständig verifiziert, sie gilt nur als vorläufig nicht falsifiziert, da immer noch der Fall der Widerlegung auftreten kann. Wissenschaftliche Erkenntnis ist also ein iterativer Prozess. Unser Wissen darüber, wie es nicht ist, wächst ständig. Daraus folgt, dass im kritischen Rationalismus auf jegliches induktive Verfahren, d.h. der Schluss vom Einzelfall bzw. vom Besonderen auf die Allgemeinheit, verzichtet wird und nur deduktives Vorgehen bei der Formulierung von Hypothesen und Wirkungszusammenhängen erlaubt ist. Die Überlegungen Poppers sind ursprünglich in einem naturwissenschaftlichen Umfeld entstanden.1 Die stringente Einhaltung der Prinzipien des kritischen Rationalismus innerhalb der Sozialwissenschaften erscheint vielen Wissenschaftlern realitätsfremd.2 Die Sozialwissenschaften sind, im Gegensatz zur Naturwissenschaft, geprägt durch das Vorliegen einer Vielzahl von Phänomenen und Einflussfaktoren, was die Analyse dort geltender Ursache-Wirkungszusammenhänge sehr komplex macht. Die zur Falsifikation der Theorie notwendige Berücksichtigung aller Einflussfaktoren ist in der Realität jedoch unmöglich. Zudem entziehen sich die zu untersuchenden Größen meist einer direkten Messung und können lediglich über mit Messfehlern behaftete Indikatoren erfasst werden. 3 Dies kann dazu führen, dass die Hypothesenprüfung verzerrte und verfälschte Ergebnisse ergibt.4 Der kritische Rationalismus wird somit für die Sozialwissenschaften aufgrund der Vernachlässigung realer Gegebenheiten als wenig geeignet angesehen. An dieser Kritik knüpft das Konzept des wissenschaftlichen Realismus (scientific realism) an.5

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3 4 5

Vgl. Popper, Karl R. (1989), S. 45 ff.. Vgl. Homburg, Christian (1995), S. 56; Martin, Albert (1989), S. 19 ff.; Witte, Eberhard / Grün,Oskar / Bronner, Rolf (1975), S. 797. Diesem Phänomen tragen gerade lineare Strukturgleichungsmodelle Rechnung. Vgl. Martin, Albert (1989), S. 23. Vgl. Hunt, Shelby D. (1991), S. 379.

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses

21

Dieser zunehmend an Bedeutung gewinnende wissenschaftstheoretische Ansatz orientiert sich eng an den Gegebenheiten in den Sozialwissenschaften. Er basiert auf der Annahme, dass Hypothesen und somit daraus zu bildenden Theorien zumindest teilweise verifiziert werden können. Durch wiederkehrende Bestätigung einer Hypothese kann zwar keine universelle Wahrheit erreicht werden, es findet jedoch ein sukzessiver Annäherungsprozess an tatsächliche Kausalzusammenhänge statt. Eine Falsifizierung ist auch beim wissenschaftlichen Realismus, als Weiterentwicklung des kritischen Rationalismus, jederzeit generell möglich, aufgrund der komplexen Zusammenhänge in der Realität jedoch nicht durchführbar, da nie alle Inter-dependenzen und Kausalitäten in ihrer Gesamtheit abgebildet werden können. Die Realitätsnähe zur Sozialwissenschaft drückt sich zudem in der expliziten Berücksichtigung der als latenten Variablen auftretenden Phänomene und der damit verbundenen Mess-problematik sowie der induktiven Schlussweise aus. Für die vorliegende Untersuchung scheint das Konzept des wissenschaftlichen Realismus geeignet, da innerhalb dieses Forschungsvorhabens die Spezifika der Sozialwissenschaften dominieren. Das zu untersuchende Phänomen des Leapfroggings stellt ein hypothetisches Konstrukt dar, welches über Indikatoren unter Berücksichtigung der damit verbundenen Messfehler erhoben wird. Außerdem ist die Möglichkeit der Erfassung aller Determinanten und Kausalitäten nicht gegeben. Es soll versucht werden, durch das Finden einer vorläufigen Wahrheit zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen und gleichzeitig relevante Handlungsempfehlungen für die Marketingpraxis zu erarbeiten. Prominenter Kritiker des Ansatzes von Popper ist auch Thomas Kuhn mit seinem Essay über die „Struktur wissenschaftlicher Revolution“ 1 (Chalmers 2001). Zentrales Element seiner Schrift ist der Begriff des Paradigmas. Er versteht darunter eine „disziplinäre Matrix“2, ein wissenschaftliches Problemlösemuster, das innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft (scientific community) gilt und diese nach außen hin abgrenzt. Die Vertreter eines wissenschaftlichen Fachgebietes teilen Formalitäten, gleiche Methoden, Notationen, übereinstimmende Begriffe und arbeiten inhaltlich nach der gleichen Überzeugung, lesen gängige Standardliteratur usw.. Wissenschaftlicher Fortschritt, der sich nach Popper als graduelle Erkenntnisgewinnung durch sukzessive Falsifikation vollzieht, findet nach Kuhn nicht statt. Wissenschaftlicher Wandel vollzieht sich durch Schübe infolge der Einführung und Durchsetzung neuer Paradigmen.

1 2

Vgl. Kuhn, Thomas (1967). Der Begriff der „disziplinären oder wissenschaftlichen Matrix“ tritt in neueren Schriften Kuhns anstelle des oft unscharf verwendeten Begriffs „Paradigma“.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

22

Auf Zeiten der „normalen Wissenschaft“, in denen die Forscher ein etabliertes Paradigma anerkennen 1 , folgen „Krisenzeiten“, in denen entsprechend einer Revolution neue konkurrierende Paradigmen auftreten und Richtungsstreitigkeiten auslösen.2 Im Sinne des Kuhnschen Paradigmas ist die Problemlösestrategie innerhalb der Konsumentenforschung durch folgende Forschungskriterien gekennzeichnet:3 x

Interdisziplinär

x

Empirisch

x

Pragmatisch

Innerhalb des Forschungsprozesses folgt, wie bereits erwähnt, der Definition des Untersuchungsgegenstandes und der Forschungsfrage die Modellbildung, die Ableitung von Hypothesen und den daraus resultierenden Konstrukten aus bereits etablierten Theorien. Da es sich in vorliegendem Fall jedoch um ein bisher nur sehr selten untersuchtes Phänomen handelt, kann noch nicht auf eine „Theorie des Leapfroggings“ zurückgegriffen werden. Es soll daher der Direktive des theoretischen Pluralismus gefolgt werden. Dieser auf Feyerabend aufbauende Denkansatz basiert darauf, verschiedene Theorien auf ihren Erklärungsbeitrag zur Beantwortung der Forschungsfrage hin zu untersuchen4. Es wird von einer komplementären Beziehung der theoretischen Konzepte ausgegangen, wobei die Problematik des speziellen Untersuchungsgegenstandes stets im Vordergrund bleibt.5 Im Rahmen dieser Untersuchung werden so zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens Erkenntnisse der Adoptionstheorie, aber auch informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Ansätze herangezogen. Dies ermöglicht die Konstruktion eines möglichst gehaltvollen Modells, das einen Großteil der verschiedenen Facetten des Phänomens erklärt. 6 Die Vorgehensweise des theoretischen Pluralismus wird häufig als eklektisch kritisiert. Die Verwendung des Gratifikationsprinzips als theoretischer Bezugsrahmen und die Komplexität des Phänomens sprechen jedoch für einen theorienpluralistischen Ansatz.

1

Kuhn bezeichnet die „Aufräumarbeiten“ zu normalen Zeiten, die den Löwenanteil jeden Forschungsbetriebs darstellen, als „faszinierende Aufgabe“, vgl. Kuhn, Thomas 1967, S. 45. Laut Kuhn betreffen Inkommensurabilitäten selten sämtliche Bestandteile eines Paradigmas, auch revolutionäre Paradigmen können teilweise hergebrachte Paradigmen bestätigen, „indem sie Teile alten Wissens in aufgehobener Form in sich aufnehmen“. Vgl. dazu Bayertz, Kurt (1981), S. 87-88. 3 Vgl. Kröber-Riel, Werner / Weinberg, Peter (2003), S. 22. 4 Vgl. Feyerabend, Paul (1986), S. 17. 5 Vgl. Schanz,Günther, (1973), S. 152. 6 , Vgl. zur Kritik Staehle, Wolfgang (1990), S. 47 ff. und S. 126. 2

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses

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Zudem wird der Interdisziplinarität der Marketingwissenschaft, die die benachbarten Wissenschaftsbereiche, der Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Sozialwissenschaften in einer komplementären Beziehung sieht, Rechnung getragen. 1 Durch die Integration von Erkenntnissen aus verschiedenen Disziplinen wird die Möglichkeit eröffnet, den Erklärungsrahmen des zu untersuchenden Phänomens auszuweiten und somit die Reichweite und Inhalt praxisnaher Handlungsempfehlungen zu erhöhen. 4

Das Gratifikationsprinzip als konzeptioneller Bezugsrahmen der Analyse

Zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens können eine Vielzahl an Theorien aus der Verhaltenswissenschaft, risikotheoretischen Ansätzen und der Informationsökonomik herangezogen werden. Die verschiedenen interdisziplinären Ansätze sind sehr heterogen. Es empfiehlt sich daher eine theoretische Leitlinie zu definierten, die die folgenden Theorien umfasst und somit einen Bezugsrahmen für die Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge des Leapfrogging-Verhaltens bildet.2 Die Analyse zahlreicher, in verschiedenen Disziplinen entwickelter theoretischer Ansätze zur Erklärung menschlichen Verhaltens lässt erkennen, dass zwei elementare Gedanken oder Grundannahmen immer wieder Verwendung finden. Zum einen handelt es sich dabei um die Annahme, dass menschliches Verhalten aufgrund begrenzter Fähigkeiten, Informationen und Ressourcen (Geld, Zeit, Sachmittel) mehr oder weniger restriktiven Beschränkungen unterworfen ist (Kapazitätsprinzip), zum anderen – nicht minder häufig – findet sich die Annahme, dass menschliches Verhalten ganz entscheidend von den jeweiligen Nutzenerwartungen des Akteurs abhängt und der Mensch generell bestrebt ist, Gratifikationen zu realisieren (Gratifikationsprinzip).3 Als theoretisches Leitprinzip, das den motivationalen Determinaten menschlichen Verhaltens Rechnung trägt, lässt sich das Gratifikationsprinzip in seiner allgemeinen Form wie folgt formulieren: Individuen und Organisationen streben im Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten danach, Gratifikationen zu realisieren, d. h. Belohnungen zu erhalten und Bestrafungen zu vermeiden.

1

Vgl. zur Forderung des Marketing als Querschnittswissenschaft Thaler, Richard (2000), S. 80; Fritz, Wolfgang. (1995), S. 27; Tietz, Bruno (1993), S. 229. Zur Funktionalität eines theoretischen Bezugsrahmens vgl. Kirsch, Werner (1971), S. 241 f.. 3 Vgl. Schanz, Günther (1975), S. 99 f.. 2

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Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Menschliches Verhalten ist demnach in seiner Selektivität und Ausprägung nicht nur auf Kapazitätsgrenzen, sondern auch auf ein motivationales Prinzip zurückzuführen, wobei Parsons et al. darauf hinweisen, dass einzelne Aktivitäten auch dann realisiert werden, wenn sie vorwiegend negative Konsequenzen erwarten lassen, sofern diese nur dazu beitragen, dass die Gesamtverhaltensstrategie letztendlich doch zum Erfolg führt bzw. belohnt wird.1 Das Gratifikationsprinzip unterliegt den Regeln des aus der lerntheoretischen Forschung entstammenden Verstärkergesetzes. Hiernach steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer bestimmten Reaktion mit der Zunahme der infolge solcher Reaktionen erhaltenen Belohnung.2 Im Umkehrschluss geht die sogenannte „Extinktionsthese“ von der Wahrscheinlichkeit der Abnahme einer Reaktion aus, wenn deren Wiederholung nicht belohnt wird. Dabei wird von der jeweiligen Erwartung auf Belohnung bzw. Bestrafung ausgegangen, die entweder aus der eigenen oder aus tradierter Belohnungserfahrung resultiert.3 Ausgehend von dieser Grundkonzeption einer explikativen Verhaltensanalyse lassen sich folgende Wirkungskreise definieren: 1. Festlegung von Zielen und Anspruchsniveaus 2. Wahrnehmung und Bewertung von Alternativen 3. Realisierung von Entschlüssen Zielfestlegungen und Bestimmung des Anspruchsniveaus sind insoweit gratifikationsrelevant, als ein zu leicht erreichbares Ziel nicht als belohnend empfunden wird, ebenso wie ein zu hohes, nicht erreichbares Ziel bzw. ein nicht angemessenes Niveau.4 Die Wahrnehmung von Handlungsalternativen wird ebenfalls von Gratifikationserwartungen beeinflusst, z. B. dadurch, dass die Erwartungen bereits darüber mitentscheiden, ob und welche zusätzlichen Informationen vor einer Entscheidung noch eingeholt werden. Auch die Realisierung getroffener Entscheidungen ist weitgehend gratifikationsbedingt, denkt man hier z. B. an den Konsum eines gekauften Gutes.

1

Vgl. Parsons, Talcott / Shiels, Edward A. (1951), S. 14. Vgl. Parsons, Talcott / Shiels, Edward A. (1951), S. 14; Schanz, Günther (1975), S. 190 f.. Vgl. Parsons, Talcott / Shiels, Edward A. (1951), S. 14; Schanz, Günther (1975), S. 190 f.. 4 Vgl. Atkinson, John W. (1964), S. 405 f.. 2 3

Wissenschaftstheoretischer Orientierungsrahmen des Modellbildungsprozesses

25

Das Gratifikationsprinzip stellt innerhalb der Sozialwissenschaft ein elementares Leitprinzip menschlichen Verhaltens dar. Es wirkt zumindest implizit auf eine Vielzahl sozialwissenschaftlicher Ansätze, wie z. B. der Austauschtheorie der sozialen Interaktion 1 , der Anreiz-Beitrags-Theorie der Organisationsforschung,2 der Theorie der Leistungsmotivation3 sowie der Diffusions- bzw. Adoptionsforschung.4 Bei der Diskussion zur Gültigkeit des Gratifikationsprinzips bzw. entsprechender Hypothesen wird gelegentlich der Einwand erhoben, dass der Informationsgehalt hierzu vorliegender empirischer Studien relativ gering sei. Begründet wird die Kritik mit der Problematik, die mit der ex post-Erklärung sowie der Prognose menschlichen Verhaltens verbunden ist. Auch die Bestimmung von belohnenden oder bestrafenden Eigenschaften bei bestimmten Ereignissen wird als problematisch angesehen.5 Sicherlich ist es schwierig, für verschiedene Personen deren Erwartungen in unterschiedlichen Situationen generell und im voraus als Belohnungs- bzw. Bestrafungserwartungen einzuordnen, jedoch steigt die Chance einer ex ante-Bestimmung mit zunehmender Differenzierung der Personen nach ihrer Motivationsstruktur und der jeweiligen Situation in ihrem Anreizpotential.6 Somit werden informative Erklärungen bzw. Prognosen menschlichen Verhaltens auf der Grundlage des Gratifikationsprinzips durchaus möglich. Es soll daher als theoretisches Fundament der Analyse der Ursache-Wirkungszusammenhänge des Leapfrogging-Phänomens dienen.

1

Vgl. Thibaut, John W. / Kelley, Harold H. (1959), S. 31. Vgl. Simon, Herbert, A. (1989), S. 71. Vgl. Atkinson, John W. (1964), S. 359 ff.; Heckhausen, Heinz (1965), S. 604. 4 Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 124 ff., Rogers, Everett M. / Shoemaker, Floyd F. (1971), S. 138. 5 Vgl. Schranz, Günther (1975), S. 123. 6 Vgl. Thomae, Hans (1970), S. 81 ff. sowie S. 99 ff.. 2 3

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Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

5

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

5.1

Die Adoptionstheorie als Grundlage der Erklärung des Nachfrageverhaltens

Die Adoptionstheorie beschäftigt sich mit dem mentalen Prozess der Übernahme einer Innovation oder deren (vorläufiger) Ablehnung durch einen potentiellen Nachfrager und den Faktoren, die diesen beeinflussen. 1 Am Ende dieses Prozesses steht die Entscheidung zur Übernahme einer Innovation, d.h. „a decision to make full use of an innovation as the best course of action available.“2 Die Entscheidung zur Übernahme einer Innovation kann von einem Individuum oder einer Gruppe von Nachfragern getroffen werden. Übernimmt der Nachfrager das Produkt, so wird er als Adopter bezeichnet. Bei langlebigen Gebrauchsgütern ist die Adoption mit dem Kauf des Produktes gleichzusetzen, wohingegen bei Verbrauchsgütern erst der Wiederholungskauf und der Gebrauch als Adoption bezeichnet wird. 3 Der Adoptionsprozess stellt somit eine spezielle Form des Kaufentscheidungsprozesses dar, und zwar der Kaufentscheidung im Falle einer Innovation. Im Folgenden sollen nach einer klärenden Definition des Begriffs der Innovation die zentralen Aussagen der Adoptionstheorie erläutert werden. Dabei wird besonderes Augenmerk auf den Adoptionsprozess gelegt. Im Anschluss daran wird das Leapfrogging-Verhalten in die Überlegungen der Adoptionstheorie integriert, um dann anhand der Adoptionsfaktoren die Determinanten des Leapfrogging-Verhaltens zu identifizieren. Die generellen Aussagen der Adoptionstheorie werden hier auf die betrachtete Produktgruppe der langlebigen Konsumgüter bezogen und die damit verbundenen Besonderheiten und Abweichungen von der Theorie dargestellt. 5.1.1 Der Begriff der Innovation Der Begriff „Innovation“ wurde aufgrund der Vielfältigkeit und Komplexität des Phänomens bisher noch nicht eindeutig definiert. Eine Vielzahl von Definitionen stammt aus verschiedenen Disziplinen.4

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Vgl. dazu die Definition von Lilien, Gary L. / Kotler, Philip / Moorthy, Sridhar K. (1992), S. 461. Rogers, Everett M. (1995), S. 21. Vgl. Mahajan, Vijay / Peterson, Robert A. (1979), S. 128. Ausführliche Diskussionen des Innovationsbegriffes finden sich bei Böcker, Franz / Gierl, Heribert (1988), S.33; Hauschildt, Jürgen. (1997), S. 3; Trinkfass, Gabriele (1997), S. 26.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

27

Die von Rogers gelieferte Definition findet aufgrund ihres breiten Anwendungs-spektrums die größte Verbreitung: „An innovation is an idea, practice, or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption. It matters little, so far as human behavior is concerned, whether or not an idea is objectively new.“1 Dabei versteht man unter einer Innovation eine Idee oder ein Objekt, das von den Übernehmern als neu angesehen wird. Innovativ ist demnach also, was subjektiv als Neuartigkeit einer Leistung durch den potentiellen Nachfrager wahrgenommen wird, unabhängig von der objektiven Neuerung. Ein objektiv gleicher Sachverhalt wird also von verschiedenen Betrachtern unterschiedlich wahrgenommen. 2 Dies verdeutlicht, dass die Anbieterüberlegungen sich bzgl. der Leistungsgestaltung eines Produktes grundsätzlich an der Wahrnehmung der Nachfrager orientieren sollten und nicht an objektiven Kriterien. Wheelwright und Clark bieten eine hilfreiche Klassifizierung der nach obiger Definition unter den Begriff Innovation fallenden Produkte oder Ideen.3 Sie unterscheiden nach der Intensität der Neuartigkeit drei Arten von Innovationen: x

Breakthroughs: sind neue Kernprodukte oder –prozesse, die prinzipiell neue Problemlösungen bieten. Dabei können bereits bestehende Aufgaben auf eine neue Art und Weise bewältigt werden oder aber auch Bedürfnisse befriedigt werden, für die es bisher noch kein Konzept gab.4 Es sind radikale, revolutionäre, noch nie dagewesene Marktneuheiten, die auch „Schumpeterian shocks“ oder „creative destruction“5 genannt werden. Durch ihre Einführung entstehen ganz neue Märkte und neue Produktkategorien, wie es z.B. bei Einführung der CDs, Anrufbeantworter oder auch Handys der Fall war.

Diese Art der Innovation ist auf reifen, gesättigten, hoch differenzierten Konsum- und Industriegütermärkten jedoch eher selten. Das Gros der Innovationen bilden folgende Kategorien:

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Rogers, Everett M. (1995), S. 11. Diese Wahrnehmung ist gemäß der Persönlichkeitstheorie von Kelly (1963) auf Persönlichkeits- und Kontextvariablen zurückzuführen, anhand derer ein Individuum Objekte vergleicht, evaluiert und kategorisiert. Vgl. Wheelwright, Steven C. / Clark, Kim B. (1992); eine ähnlich Typologie der Innovation findet sich bei Robertson, Thomas (1971). Vgl. Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 262. Vgl. Schumpeter, Joseph A. (1934).

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

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x

Produkte der nächsten Generation: sind Weiterentwicklungen bereits bestehender Produkte, neue Technologien und Problemlösungen, die besser in der Lage sind, existierende Bedürfnisse zu befriedigen als die Vorgängergeneration und diese ersetzen. Dies setzt eine bedeutende Veränderung des Produktionsprozesses und/oder der Produkteigenschaften voraus, die dem Kunden einen signifikanten neuen Nutzen bringen, wie z.B. bei Einführung der Carving-Ski, die als neue Generation den traditionellen Alpinski abgelöst haben.

x

Incremental oder derivative products:

sind Veränderungen bereits am Markt befindlicher Produkte durch Verbesserung bestimmter Leistungskomponenten, Ausweitung oder Modifikation der Funktionserfüllung, um Spezifika bestimmter Marktsegmente gerecht zu werden und somit für den Nachfrager mit einer Nutzensteigerung verbunden sind (z.B. die Einführung verschiedener Modelle eines Fahrzeugs, Cabrio, Kombi, etc.). Die „Fortentwicklung“ eines bestehenden Produktes erfordert weit weniger Ressourcen als die Entwicklung einer neuen Produktgeneration. Auch hier wird die Frage, ob es sich bei diesen Produktvariationen um eine Innovation oder lediglich ein verändertes Erzeugnis handelt, entsprechend der Definition von Rogers beantwortet, wonach man immer dann von einer Innovation spricht, wenn das Produkt in den Augen des Nachfragers als neu angesehen wird. Bei PKWs handelt es sich in den meisten Fällen um Produkte der nächsten Generation bzw. Produktderivate. In dieser Studie gilt den Produkten der nächsten Generation besonderes Interesse. 5.1.2 Zentrale Aussagen der Adoptionstheorie Die Adoptionstheorie wird häufig als Teil der Diffusionstheorie betrachtet, wobei der Adoptionsprozess die Übernahme einer Innovation auf Individualebene beschreibt, die Diffusionsforschung sich jedoch mit dem Ausbreitungsprozess eines neuen Produktes auf aggregierter Ebene aller Adoptionsentscheidungen in einem sozialen System im Zeitverlauf beschäftigt.1 Rogers, der als Begründer dieser Forschungsrichtung bezeichnet werden kann, definiert Diffusion als „... the process by which an innovation is communicated through certain channels over time among the members of a social system.“2

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Vgl. Böcker, Franz / Gierl, Heribert (1988), S. 32. Rogers, Everett M. (1995), S. 5.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

29

Da jeder Nachfrager als Teil des sozialen Systems seinen individuellen Adoptionsprozess durchläuft, der zu verschiedenen Zeitpunkten beginnt, erfolgen die Adoptionsentscheidungen also nicht zeitgleich, sondern sind über die Zeit verteilt.1 Die Adoptionstheorie beschäftigt sich also auf Individualebene mit intrapersonellen Fragen der Übernahme einer Innovation, während die Diffusionstheorie die interpersonalen Gründe der Verbreitung von Produkten untersucht. Somit bildet die Adoptionstheorie quasi die Grundlage der Diffusionstheorie. Innerhalb der Diffusionstheorie bleibt die Dynamik des individuellen Entscheidungsprozesses des Nachfragers von der ersten Wahrnehmung bis hin zur Adoptionsentscheidung jedoch unberücksichtigt. Sie hat zum Ziel, die Verbreitung von Produktneuheiten zu beschreiben und zu erklären, um den Einfluss von Marketinginstrumenten auf den Innovationserfolg zu erfassen und Absatzprognosen zu stellen.2 Der Unterschied der beiden Forschungsrichtungen wird besonders deutlich, betrachtet man deren empirische Ausrichtung. Während in der Adoptionsforschung meist die Adoptionsentscheidung einer Vielzahl von Personen anhand von mikroökonomischen Modellen untersucht wird, deren Daten in den meisten Fällen durch Befragungen der einzelnen potentiellen Adopter gewonnen werden, ist in der Diffusionsforschung das Produkt die Untersuchungseinheit. Sie bedient sich über alle Adopter aggregierter Daten des Absatzes eines Produktes oder einer Produktklasse. Die subjektive Beurteilung der Innovation und der individuelle Adoptionsprozess, sowie die Faktoren, die den potentiellen Adopter dabei beeinflussen, stehen jedoch zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens als Teil des Konsumentenverhaltens hier im Vordergrund. Dies vermag die Diffusionstheorie nicht zu erklären. Hierzu liefert uns die Adoptionstheorie adäquate Grundlagen und soll daher im Folgenden im Detail dargestellt werden. 5.1.3 Adoptionsprozess Die Analyse des Adoptionsprozesses hat zum Ziel, den inhaltlichen sowie zeitlichen Ablauf der Kaufentscheidung einer Innovation zu beschreiben. Dem zentralen Bestandteil des Adoptionsprozesses, nämlich der Entscheidung, eine Innovation zu übernehmen oder nicht, sind eine Reihe von Schritten vorgelagert. Der Adoptionsprozess besteht aus mehreren Teilprozessen, die der potentielle Käufer innerhalb seiner Kaufentscheidung durchläuft und die mittels eines Phasenmodells veranschaulicht werden.

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2

Der subjektive Charakter innerhalb der Begriffsdefinition der Innovation setzt sich hier auch bei der Betrachtung des Adoptionsprozesses fort. Vgl. Mahajan, Vijay / Muller, Eitan / Bass, Frank M. (1990), S. 1 ff..

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

30

Hinter dieser Einteilung in verschiedene Phasen steht die Annahme, dass sich die potentiellen Adopter innerhalb einer Phase durch weitgehend homogenes Verhalten beschreiben lassen. „The adoption process is the steps an individual goes through from the time he hears about an innovation until its final adoption, the decision to use an innovation regularly.”1 In der Literatur findet man eine Vielzahl von verschiedenen Modellen, die sich in Zahl, Abgrenzung, Reihenfolge und inhaltlicher Interpretation der einzelnen Phasen mehr oder weniger stark unterscheiden.2 Ein Vergleich der verschiedenen Modelle führt zu dem Ergebnis, dass sie sich durch einen weitgehend einheitlichen Aufbau kennzeichnen. Die Abweichungen sind meist nur von geringer Bedeutung, da alle Modelle auf das Phasenmodell von Rogers aufbauen, das daher nun beispielhaft dargestellt werden soll. Rogers unterteilt den individuellen Adoptionsprozess in fünf idealtypische aufeinanderfolgende Phasen: x

Bewusstsein:

die Kenntnisnahme der Innovation und Informationsaufnahme,

x

Meinungsbildung:

Bildung einer positiven oder negativen Einstellung gegenüber der Innovation durch Interesse, Bewertung und Versuch der Innovation,

x

Entscheidung:

Wahl der Übernahme oder Ablehnung der Innovation,

x

Implementierung:

Nutzung der Innovation,

x

Bestätigung:

positive Bestätigung der getroffenen Entscheidung oder Revision aufgrund dissonanter Informationen.

Demnach beginnt der Adoptionsprozess mit der Bewusstseinsphase, in der das Individuum zum ersten Mal von der Existenz der Innovation Kenntnis gewinnt. Diese Wahrnehmung kann sowohl zufällig, als auch Folge einer aktiven Suche nach möglichen Lösungen für ein bestehendes Problem sein. Diese erste Wahrnehmung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem Entscheidungsprozess, es muss Interesse für die Innovation geweckt werden.

1 2

Lilien, Gary L. / Kotler, Philip, / Moorthy, Sridhar K. (1992) S. 461. Eine Übersicht der fünf häufigsten Modelle liefert Antil, John H. (1988), verschiedene Modelle finden sich bei Clement, Michel / Liftin, Thorsten (1998), S. 97; Gatignon, Hubert / Robertson, Thomas S .(1985), S. 854; Ihde, Olaf Bernd (1996), S. 18 f.; Kleinholz, Rainer (1986), S. 337 f.; Kollmann, Tobias (1998), S. 91 f.; Meffert, Heribert (1976), S. 93 ff.; Ozanne, Urban B. / Churchill jr., Gilbert A. (1971), S. 322 f.; Weiber, Rolf (1992), S. 7 f.; Webster, Frederick E. jr. (1969), S. 38.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

31

Wird das Produkt innerhalb dieses kognitiven Prozesses als potentielle Handlungsalternative zur Lösung eines bestehenden Problems in das „evoked set“ integriert, findet der Übergang in die nächste Phase statt. In der Phase der Meinungsbildung lernt der Entscheider die Innovation, ihre Funktionsweise, Eigenschaften, Anwendungsbereiche usw. zu verstehen. Aufgrund des geweckten Interesses sammelt er gezielt Informationen, die notwendig erscheinen, die Vor- und Nachteile der Innovation gegeneinander abzuwägen und das Ausmaß der Nutzenstiftung zu evaluieren. Ziel ist es, die mit der Adoption verbundenen Unsicherheiten zu reduzieren. Bei der Bewertung werden vor allem die wahrgenommenen Produkteigenschaften betrachtet, deren bedeutende Rolle innerhalb der Adoptionsentscheidung im Folgenden näher diskutiert wird.1 Hierbei kommen sowohl affektive als auch kognitive Elemente in Form von KostenNutzen-Vergleichen zum Tragen. Außerdem kann zur Meinungsbildung je nach Produktart eine Erprobung der Innovation auf limitierter Basis stattfinden, was jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein muss.2 Dies kann, bei langlebigen Gebrauchsgütern etwa durch zeitweilige Überlassung der Innovation durch den Händler geschehen. Während der Phase der Meinungsbildung und des Bewusstseins kann der Adoptionsprozess jederzeit abgebrochen werden, wenn z.B. die Innovation nicht auf genügend Interesse stößt. Aufgrund des jeweiligen Informationsstandes innerhalb der Phasen kann es auch dazu kommen, dass einige Teilprozesse übersprungen werden. Tritt zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Information auf, so kann auch ein Schritt zurück in die Meinungsbildungsphase stattfinden, um diese Information in die Bewertung zu integrieren. Die Phasen sind also lediglich als idealtypischer Ablauf anzusehen, nicht als starre, hierarchische Folge.3 Resultat der Meinungsbildung ist die Entscheidung, die Neuerung zu übernehmen oder sie abzulehnen. 4

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siehe Kapitel II 5.1.3.4. Die Phase der Meinungsbildung kann noch einmal in die Stadien Interesse, Bewertung und Versuch unterteilt werden. Da diese jedoch eng miteinander verzahnt sind, die zeitliche Abfolge durch Iterationen und Sprünge stark variiert und der Versuch nicht immer Teil des Prozesses ist, werden sie unter dem Begriff „Meinungsbildung“ zusammengefasst. Vgl. zur Kritik des Phasenablaufs Heidingsfelder, Michael (1990), S. 55 ff.. Die ersten drei Phasen der Modells von Rogers, Kenntnisnahme-Meinungsbildung-Entscheidung erinnern an die Drei-Komponenten-Theorie nach Krech, David / Crutchfield, Richard S./ Ballachey; Egerton L. (1962), S. 149, wonach die Einstellung gegenüber eines Bezugsobjektes aus einer kognitiven, einer affektiven und einer Handlungskomponente besteht; siehe zu dieser Parallele auch Filser, Marc (1994), S. 375.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

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Hat sich der Nachfrager für die Adoption der Innovation entschieden, schließt sich die Implementierungsphase an. Nachdem alle bisherigen Prozesse mentaler Natur waren, ist dies die physische Auseinandersetzung mit der Innovation. Hier kann von Implementierung im eigentlichen Sinne bei Investitionsgütern gesprochen werden, bei Konsumgütern entspricht dies der tatsächlichen Nutzung. Die Vor- und Nachteile der Innovation werden getestet. Dabei kommt es als Folge des Umgangs mit der Innovation zur Bestätigung der Entscheidung, oder dem Auftreten von Schwierigkeiten oder Unzulänglichkeiten der Funktionsfähigkeit während der Implementierung, was zu kongnitiven Dissonanzen führt. Diese müssen zur Sicherung von Wiederholungskäufen abgebaut werden.

Meinungsbildung Bewusstsein

Interesse

Bewertung

Adoption Versuch

Entscheidung

Implementierung

Bestätigung

Ablehnung

Abbildung 5: Phasenschema des Adoptionsprozesses nach Rogers 1

5.1.3.1 Adoptionsprozess bei langlebigen Konsumgütern Im Folgenden soll geprüft werden, ob das oben skizzierte Phasenmodell des Adoptionsprozesses auch adäquat die Spezifika bei der Übernahme von Innovationen aus der Gruppe der langlebigen Konsumgüter charakterisiert. Der hier vorgestellte Adoptionsprozess impliziert einen extensiven Entscheidungsprozess. Dies dürfte jedoch lediglich für die Übernahme „gewichtiger“ Innovationen, high involvement und sozial auffälliger Produkte und Kaufentscheidungen, die mit hohen finanziellen Aufwendungen (hohe Innovations- und switching Kosten) verbunden sind, zutreffend sein. Bei einfachen Verbrauchsgütern wird sich die Ablaufstruktur der Phasen unterscheiden und einige Teilprozesse werden nicht auftreten.2 Da jedoch in vorliegender Studie das Leapfrogging-Verhalten beim Automobilkauf, also bei einem langlebigen Konsumgut, erklärt werden soll, eignet sich das oben beschriebene Phasenmodell. Der Automobilkauf ist durch hohen finanziellen Aufwand und hohes Involvement gekennzeichnet.

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In Anlehnung an Pohl, Alexander (1999), S. 84. Vgl. Schmalen, Helmut/ Pechtl, Hans (1992), S. 105 ff.; Gatignon, Hubert/ Robertson, Thomas S. (1985), S. 851 unterscheiden das „hierarchy of effects“ und das „low involvement model“.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

33

In der klassischen Adoptionstheorie wird davon ausgegangen, dass ein potentieller Adopter, beginnt er den Adoptionsprozess, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Innovation übernimmt. In der Diffusionsforschung bedeutet dies, dass, geht man davon aus, dass alle Mitglieder eines sozialen Systems potentielle Adopter sind, die Innovation früher oder später übernehmen werden. Eine individuelle Entscheidung gegen die Adoption der Innovation wird nicht zugelassen. Eine Weiterentwicklung erfuhr dieser Ansatz der Diffusionstheorie, indem nicht mehr die Gesamtheit des sozialen Systems als konstanter Faktor angenommen wurde, sondern die Zahl der potentiellen Adopter als konstante Basis für die Diffusion der Innovation herangezogen wurde (konstantes Marktpotential).1 Diese Verbesserung bedeutet jedoch immer noch eine konstante Menge an Adoptern und vernachlässigt dynamische Faktoren, die zur Ablehnung der Adoption und damit Reduktion der Zahl der Adopter führen können. Ein potentieller Adopter, der den Adoptionsprozess beginnt, muss nicht zwangsläufig die Innovation übernehmen. Eigenaktivitäten des Individuums im Innovationsprozess beeinflussen diesen und bewirken verschiedene Endszenarien. Die Annahme des konstanten Marktpotentials widerspricht zudem der Möglichkeit, dass nach Beginn der Diffusion zusätzliche Nachfrager Interesse an der Innovation gewinnen und die Zahl der potentiellen Adopter steigt. 2 Der Ausschluss der Möglichkeit, dass der einzelne potentielle Adopter sich auf individueller Ebene, d.h. auf Ebene der Adoptionstheorie gegen die Adoption entschließt, bezeichnet Rogers als Pro-Innovation Bias. „The pro-innovation bias is the implication of most diffusion research that an innovation should be diffused and adopted by all members of a social system, that it should be diffused more rapidly, and that the innovation should be neither re-invented nor rejected.”3 Den individuellen Reaktionsmöglichkeiten wird in Rogers Phasenmodell lediglich durch die Berücksichtigung der Ablehnung der Innovation Rechnung getragen, wobei zwischen endgültiger Ablehnung (continued rejection) und vorläufiger Ablehnung (later adoption) unterschieden wird.4 Die Unterscheidung in Ablehnung und Adoption als finale Ereignisse des Adoptionsprozesses reicht für die Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens jedoch nicht aus. Es soll in der Analyse von der individuellen Verhaltensweise der potentiellen Nutzer ausgegangen werden und keine Pro-Adoptions-Prämisse vorgegeben werden.

1 2

3 4

Vgl. Mahajan, Vijay / Peterson, Robert, A. (1978), S. 1589 f.. Vgl. Schmalen, Helmut / Binninger, Franz-Michael (1994), S. 8 f.; Rao, Ram C./ Bass, Frank M (1985), S. 284 ff.. Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 92. Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 165.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

34

Eine solche Sichtweise wird in neueren Untersuchungen der Diffusionsforschung erkannt und eine differenziertere Ausgestaltung der Ablehnung einer Innovation vorgenommen.1 Diesem Beispiel soll auch in dieser Studie gefolgt werden. Die Phasensicht wird aufrechterhalten und die Adoption als eine kontinuierliche Entscheidung interpretiert. Zusätzlich zu den Ergebnissen Adoption und Ablehnung werden jedoch verschiedene spezifische Möglichkeiten der Nichtadoption eingeführt. 5.1.3.2 Mögliche Endpunkte des Adoptionsprozesses bei langlebigen Konsumgütern Wie oben ausgeführt, reicht eine dichotome Unterscheidung der möglichen Endpunkte des Adoptionsprozesses für die Zwecke vorliegender Untersuchung nicht aus. Die vorläufige Ablehnung der Innovation kann verschiedene Gründe und Ausprägungen haben und ist daher bei der Betrachtung extensiver Kaufprozesse bei langlebigen Konsumgütern von besonderer Relevanz. Im Folgenden sollen die aus Abbildung 6 hervorgehenden möglichen Alternativen der gegenwärtigen Ablehnung der Innovation dargestellt werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entscheidung zum Leapfroggen gelegt. Adoptionsentscheidung

Momentane Ablehnung des Neuproduktes

Verschiebung der Adoptionsentscheidung

Adoption des Neuproduktes

Vorläufige Ablehnung des Neuproduktes

Geplante Adoption des Neuproduktes

Ende des Adoptionsprozesses

Leapfrogging

Endgültige Ablehnung des Neuproduktes

Endgültige Entscheidung gegen Neuprodukt

Zukünftige Wiederaufnahmen des Adoptionsprozesses

Ende des Adoptionsprozesses

Abbildung 6: Mögliche Endpunkte des Adoptionsprozesses bei langlebigen Konsumgütern 2

1

2

Vgl. Pohl, Alexander (1996), S. 75 ff.; Bähr-Seppelfricke, Ulrike (1999), S. 8 f.; Liftin, Thorsten (2000), S. 22 ff.; Harms, Ann-Kathrin (2002), S. 65ff.. In Anlehnung an Pohl, Alexander (1999), S. 82.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

5.1.3.2.1

35

Fortgesetzte Ablehnung Versus Verschiebung der Adoptionsentscheidung

Der Fall der gegenwärtigen Ablehnung der Innovation kann die Form einer fortgesetzten Ablehnung oder einer Verschiebung der Adoptionsentscheidung annehmen. Im Falle der fortgesetzten Ablehnung entscheidet sich der Nachfrager endgültig gegen die Übernahme der Innovation. Der Adoptionsprozess wird bewusst abgebrochen und es ist nicht beabsichtigt, ihn zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Dies kann verschiedene Ursachen haben. So kann die Erkenntnis, dass die Innovation nicht zur Problemlösung geeignet ist, der Grund dafür sein, die Adoption auch in Zukunft abzulehnen, oder die Zurückweisung ist auf die Substitution mit einer vergleichbaren vorteilhafteren Alternative zurückzuführen. 1 Grundsätzlich ist hervorzuheben, dass diese Entscheidung einen finalen Schlusspunkt des Adoptionsprozesses bedeutet. Eine spätere Aufnahme eines Prozesses einer zukünftigen Generation des Produktes ist ausgeschlossen. Ist die Entscheidung gegen die Adoption jedoch nur temporärer Natur, d.h. eine Wiederaufnahme des Adoptionsprozesses der gleichen bzw. auch einer zukünftigen Generation des Produktes ist nicht ausgeschlossen, so spricht man von der Verschiebung der Adoptionsentscheidung. Hier wird der Adoptionsprozess lediglich für unbestimmte Zeit unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt unter veränderten Markt-, Technologie und Umweltbedingungen wieder aufgenommen. Die Adoptionsentscheidung wird also in einen neuen Adoptionsprozess verlagert. Bei dieser vorläufigen Ablehnung kann es sich um Kunden handeln, die auf ein zukünftiges Produkt warten (Leapfrogging), die mit künftigen Preisreduktionen bei der Innovation rechnen oder die sich noch weitere zur Entscheidung relevante Informationen beschaffen müssen. In diesem Fall beginnt der gesamte Adoptionsprozess zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt noch einmal. 5.1.3.2.2

Vorläufige Zurückweisung Versus Leapfrogging

Bei der vorläufigen Zurückweisung der Innovation wird der Adoptionsprozess abgebrochen mit der Intention, die Innovation zu einem späteren Zeitpunkt zu übernehmen. Es handelt sich jedoch um keine endgültige Entscheidung. Zum Zeitpunkt des Abbruchs ist zwar die zukünftige Adoption geplant, der Ausgang des späteren Adoptionsprozesses kann jedoch noch nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden.

1

Vgl. Staudt, Erich. (1983), S. 36 ff..

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

36

Eine vorläufige Zurückweisung kann innerhalb der Meinungsbildungsphase sowohl bei der Bewertung und Informationssuche, als auch beim Test des Neuproduktes geschehen. Abbildung 7 verdeutlicht den Ablauf des Adoptionsprozesses im Falle der vorläufigen Zurückweisung und späteren Wiederaufnahme der Adoptionsentscheidung.

Adoption

Meinungsbildung Bewusstsein

Interesse

Bewertung

Versuch

Entscheidung

Implementierung

Bestätigung

Vorläufige Zurückweisung

Abbildung 7: Phasenschema des Adoptionsprozesses bei vorläufiger Ablehnung des Neuproduktes 1

Der erneute Adoptionsprozess wird aufgenommen, sobald die Ursachen für den Abbruch behoben sind, und der Nachfrager also erneut Interesse an der Innovation hat. Bei der Wiederaufnahme des Adoptionsprozesses tritt der Nachfrager direkt in die Meinungsbildungsphase ein. Erwartungsgemäß wird diese aufgrund der bereits vorliegenden Erfahrungen aus dem ersten Durchlauf relativ kurz sein, da nur die Evaluierung der veränderten Kriterien erfolgen muss. Die vorläufige Zurückweisung der Innovation kann verschiedene Gründe haben. Man unterscheidet zwischen Kostenreagierern und Informationssuchern.2 Kostenreagierer erwarten in der Zukunft Preisreduktionen des Neuproduktes. Sie verlagern also die Entscheidung mit der Absicht, das Produkt zu einem günstigeren Preis zu erwerben. Der Nachfrager ist somit mit der Leistung des Produktes zufrieden, möchte es jedoch zu günstigeren Konditionen erwerben Solche Preiserosionen treten bei langlebigen Konsumgütern im Laufe des Lebenszyklus vor allem zum Ende hin auf, wenn mit der Einführung einer neuen Generation zu rechnen ist.3 Außerdem besteht im Falle der langlebigen Konsumgüter die Alternative, das Neuprodukt später zu einem günstigeren Preis auf dem Sekundärmarkt zu erwerben. Ein weiterer Grund zur vorläufigen Verschiebung der Adoption kann in der Notwendigkeit der Informationssuche liegen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die zusätzliche Informationssuche eine Unterbrechung des Adoptionsprozesses notwendig macht. Liegen die benötigten Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits vor und müssen nur beschafft werden, so wird sich dies in einer verlängerten Meinungsbildungsphase äußern. 1 2 3

In Anlehnung an Pohl, Alexander (1999), S. 84. Vgl. Weiber, Rolf / Pohl, Alexander (1996), S. 690; Weiber, Rolf (1994), S. 338 f.. Vgl. Purohit, Devavrat (1988), S. 72.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

37

Eine Unterbrechung findet nur dann statt, wenn die Informationen noch nicht zur Verfügung stehen. Dies ist z.B. der Fall, wenn auf Erfahrungsberichte anderer Adopter gewartet werden soll, um das Risiko einer Fehlentscheidung zu reduzieren.1 Befindet sich das Neuprodukt am Anfang seiner Diffusion, so ist eine vorläufige Verschiebung der Adoptionsentscheidung häufig durch die Gefahr der „Kinderkrankheiten“ der Innovation bedingt. Besonders beim Automobilkauf ist dieses Phänomen zu beobachten. Der Nachfrager verschiebt seine Entscheidung, da er das Risiko von Fehlfunktionen, die besonders im ersten Stadium des Produktlebenszyklus nach dem Produkt-Launch auftreten, nicht eingehen will und wartet, bis das Produkt eine gewisse Reife erlangt hat. Wie der Informationssucher möchte diese Nachfragergruppe das Leistungsrisiko reduzieren. Außerdem können temporäre Budgetrestriktionen Grund für einen Abbruch des Adoptionsprozesses sein. Dies wäre jedoch ein unfreiwilliger Endpunkt. Bei der zweiten Möglichkeit der Verschiebung der Adoptionsentscheidung handelt es sich um das Leapfrogging-Verhalten. Voraussetzung für das Entstehen des Leapfrogging-Verhaltens ist die Erwartung auf eine in der Zukunft erscheinende verbesserte Generation der Innovation. Der Adoptionsprozess des Neuproduktes wird abgebrochen mit der Absicht, einen erneuten Adoptionsprozess bei Verfügbarkeit eines Zukunftsproduktes wiederaufzunehmen. Abbildung 8 zeigt den Ablauf der Phasen des Adoptionsprozesses im Falle der Entscheidung zum Leapfrogging. Meinungsbildung Bewusstsein

Interesse

Bewertung

Versuch

Entscheidung

Leapfrogging-Verhalten Zukunftsprodukt verfügbar

Meinungsbildung Bewusstsein

Interesse

Bewertung

Adoption Versuch

Entscheidung

Implementierung

Bestätigung

Gegenwärtige Ablehnung

Abbildung 8: Das Phasenschema des Adoptionsprozesses im Falle des Leapfroggings 23

1

2 3

Vgl. Schmalen, Helmut / Binninger, Franz-Michael / Pechtl, Hans (1993), S. 514; Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1992), S. 186 ff.. In Anlehnung an Pohl, Alexander (1999), S. 84.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

38

Hier ist zu erkennen, dass es sich nicht, wie im Falle der vorläufigen Zurückweisung, um eine Wiederaufnahme des gleichen Adoptionsprozesses handelt, sondern um zwei isolierte Adoptionsprozesse: x

einem für das Neuprodukt und

x

einem für das Zukunftsprodukt.

Der Nachfrager durchläuft also zwei Prozesse. Die Entscheidung zum Leapfroggen bedeutet jedoch noch nicht, dass der Nachfrager das Zukunftsprodukt auch übernehmen wird. Die Übernahme wird in dem zukünftigen Adoptionsprozess erneut evaluiert. Am Ende können somit wiederum alle aus Abbildung 6 ersichtlichen möglichen Endereignisse des Adoptionsprozesses stehen. Die Entscheidung zum Leapfroggen ist eine bewusste Entscheidung gegen das Neuprodukt, eine Übernahme dieser Produktgeneration ist also auch zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen. Sowohl im Falle der vorläufigen Zurückweisung, als auch beim Leapfrogging handelt es sich somit um eine temporäre Entscheidung, wohingegen die fortgesetzte Ablehnung und die Adoption eine endgültige Entscheidung darstellen. In beiden Fällen liegt eine Absicht vor. Das endgültige Ergebnis des Adoptionsprozesses, d.h. die Entscheidung für eine bestimmte Produktgeneration ist jedoch noch offen. Der oben beschriebene Adoptionsprozess findet bei den potentiellen Adoptern zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt und ist von wechselnder Dauer. In Abhängigkeit dieser Merkmale teilt Rogers die Nachfrager in verschiedene Kategorien ein. 5.1.3.3 Adopterkategorien Neue Produkte bzw. Änderungen oder Verbesserungen von vorhandenen Produkten werden von potentiellen Nachfragern nicht zur gleichen Zeit wahrgenommen. Dies kann darin begründet sein, dass der Zugriff auf erforderliche Informationen fehlt, oder aber die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses durchlaufen werden, sehr stark variiert. Die unterschiedliche zeitliche Wahrnehmung einer Innovation und ihre Übernahme durch den Adopter wird häufig zur Messgröße über deren Innovationsbereitschaft genutzt. Je früher ein Nachfrager im Vergleich zu anderen das neue Produkt übernimmt, desto größer wird seine Innovationsbereitschaft eingestuft. 1 Der auf Rogers zurückgehende Ansatz geht von einer Adoptionskurve aus, die der Normalverteilung entspricht (s. Abb. 9).

1

Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 252 ff..

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

39

Die Einteilung der Adopterkategorien erfolgt anhand der statistischen Größen „Mittelwert“ und „Standardabweichung“ aller untersuchten Adoptionszeitpunkte. Hieraus werden fünf Adopterkategorien gebildet: x

Innovatoren

x

Frühe Adopter

x

Frühe Mehrheit

x

Späte Mehrheit

x

Nachzügler

Zahl der Adopter

Adoptionskurve 34 % frühe Mehrheit

34 % späte Mehrheit

2½ % Innovatoren 13 ½ % Frühe Adopter

16 % Nachzügler

Zeit

kummulierter Anteil der Adopter in %

x - 2ı x -ı x x -ı x = durchschnittliche Annahmezeit der Innovationen

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10

Diffusionskurve

Zeit Abbildung 9: Idealtypischer Verlauf der Adoptions- und Diffusionskurve nach Rogers

Dieser Verlauf ist sicherlich als idealtypisch zu bezeichnen, da der Adoptionszeitpunkt von verschiedenen Merkmalen abhängt. Zudem wurde verdeutlicht, dass der Adoptionsprozess bei langlebigen Konsumgütern eine Vielzahl von Endereignissen haben kann. Es stellt sich daher die Frage, wodurch die Adoptionsentscheidung beeinflusst wird.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

40

Im Folgenden sollen nun die aus der Adoptionstheorie stammenden Faktoren beschrieben werden, die für den Verlauf, die Dauer und das Adoptionsergebnis verantwortlich sind. Hierzu werden in einem ersten Schritt die allgemeinen Adoptionsfaktoren dargestellt. Da das Leapfrogging-Verhalten bei langlebigen Gebrauchsgütern in vorliegender Studie Untersuchungsgegenstand ist, werden die Faktoren dann besonders auf ihren Einfluss auf dieses Ergebnis hin untersucht. Die übrigen möglichen Endpunkte des Adoptionsprozesses sollen hier vernachlässigt werden. 5.1.3.4 Adoptionsfaktoren Der Verlauf des Adoptionsprozesses, die Dauer und natürlich auch das Ergebnis sind bei den Mitgliedern eines sozialen Systems unterschiedlich. Verantwortlich dafür sind verschiedene Einflussfaktoren, die vielfach in produkt-, adopter-, und umweltspezifische Faktoren klassifiziert werden. Einige dieser Faktoren können einer diffusionstheoretischen Untersuchung dienen, da sie die aggregierte Adoption einer Innovation im Zeitverlauf beeinflussen. Sie bieten jedoch keinen Aufschluss über die Übernahmeprozesse auf individueller Ebene und somit für die vorliegende Arbeit keine Ansatzpunkte zur Beeinflussung des Konsumentenverhaltens. 5.1.3.4.1

Produktbezogene Faktoren

Produktbezogene Determinanten sind Größen, die primär durch die Innovation selbst und sekundär durch die Nachfrager beeinflusst werden. Hier sind wieder die subjektive Wahrnehmung der Innovationseigenschaften und nicht die objektiven Merkmale entscheidend. Diesen subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften einer Innovation wird eine entscheidende Rolle zugesprochen, da sie das Ausmaß der Verhaltensänderungen auf Konsumentenseite beeinflussen.1 Dabei versucht die Adoptionsforschung von den speziellen Merkmalen einer Innovation zu abstrahieren und allgemeingültige Eigenschaften zu finden, die Einfluss auf das Adoptionsverhalten haben. Von den verschiedenen Klassifizierungsansätzen2 der Produkteigenschaften hat besonders der Ansatz von Rogers weite Verbreitung gefunden. Der relative Vorteil stellt “the degree to which an innovation is perceived as being better than the idea it supercedes” 3 dar, also den Grund, warum eine Innovation in den Augen des Nachfragers seine Bedürfnisse im Vergleich zu möglichen Alternativen besser befriedigt.

1 2

3

Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 816; Holak, Susan L. (1990), S. 53. Vgl. Schmalen, Helmut (1979), S. 70 ff.; Tornatzky, Louis G. / Klein, Katherine J. (1982) präsentieren in ihrer Meta-Analyse der Adoptionsliteratur einen Katalog der meist untersuchten Innovationscharakteristiken. Rogers, Everett M. / Shoemaker Floyd F. (1971), S. 138.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

41

Die Überlegenheit einer Produktalternative ist dabei nicht auf ökonomische und technische Größen beschränkt, sondern bezieht auch intangible Eigenschaften mit ein. Dies ist auch der Grund, warum dieser Faktor oft kritisch als Sammelposten oder „garbage pail characteristic“ 1 bezeichnet wird. Er schließt eine Vielzahl an Innovationsattributen verschiedener Dimensionen ein und erhält oft erst durch seine Operationalisierung inhaltliche Konkretisierung.2 Rogers sieht zunächst den ökonomischen Vorteil einer Innovation.3 Dieser setzt sich aus den Einsparungen, die durch die Adoption einer Innovation realisiert werden können und den Ausgaben für die Übernahme des neuen Produktes zusammen. Zu den Ausgaben zählen sowohl der eigentliche Anschaffungspreis, wie auch Folgeausgaben. Ein weiterer Vorteil kann in der Zeitersparnis durch die Nutzung des Produktes liegen. Neben dem Grundnutzen, dem eigentlichen Preis-Leistungverhältnis eines Produktes, kann der relative Vorteil auch durch den Zusatznutzen determiniert werden. So unterscheidet sich bei Mode die Innovation oft nur geringfügig im Grundnutzen, der weitaus größere relative Vorteil entsteht dem Konsumenten durch den Zusatznutzen. Ein solcher Zusatznutzen kann die Möglichkeit sein, durch die Adoption eines Produktes sozialen Status oder Prestige zu erlangen. Durch sozialen Druck kann sich ein Adopter dazu veranlasst fühlen, ein Produkt zu übernehmen. Der ihm daraus entstehende Vorteil besteht in der Anerkennung durch die Mitglieder der Referenzgruppe. 4 Dies ist vor allem bei sozial auffälligen, sichtbaren Produkten, wie Autos oder Kleidung, der Fall. Außerdem kann allein die Tatsache, dass die Innovation eine Abwechslung im Konsumverhalten bietet, als Vorteil empfunden werden.5 Bei bestimmten Produktkategorien, wie z.B. Telekommunikationsdiensten, kann es zu einem derivativen Nutzen durch positive Skaleneffekte, sogenannte Netzeffekte kommen. 6 Mit steigender Zahl der Adopter eines Produktes steigt auch der Nutzen für den Einzelnen, der physische Anschluss einer Telefonleitung bringt an sich noch keinen originären Nutzen, wenn kein weiteres Mitglied im sozialen System einen solchen Anschluss besitzt. Erst mit steigender Zahl der Anschlüsse entsteht dem Adopter ein Nutzen.

1 2

3 4 5

6

Vgl. Schmalen, Hans / Pechtl, Helmut (1996), S. 819; Tornatzky, Louis G. / Klein, Katherine J. (1982), S. 34. Zur Operationalisierung des wahrgenommenen und erwarteten relativen Vorteils siehe Kapitel III 8.2.3 und III 8.2.4. Vgl. Rogers Everett M. (1995), S. 213. Vgl. Conrady, Roland (1990); Bearden, William O./ Etzel, Michael J. (1982). Vgl. Mc Alister, Leigh / Pessemier, Edgar (1982); Tscheulin, Dieter K. (1994); Herrmann, Andreas/ Gutsche, Jens (1994). Vgl. Liftin, Thorsten (2000), S. 28 ff.; Wiese, Harald (1991); Katz Michael L. / Shapiro, Carl (1985).

42

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Der Preis wird als eines der Elemente im Eigenschaftsbündel des Produktes angesehen und bildet somit eine Negativkomponente des relativen Vorteils im Trade-off zu den übrigen nutzenstiftenden Eigenschaften.1 Gemeinsam mit den laufenden Ausgaben einer Innovation, der eventuellen Kostenersparnis durch die Übernahme etc. ist der Anschaffungspreis Teil des ökonomischen Vorteils, den der Adopter in einem Preis-Leistungsvergleich evaluiert. Es wird generell von einem positiven Einfluss des relativen Vorteils einer Innovation auf dessen Adoptionsgeschwindigkeit und -wahrscheinlichkeit ausgegangen.2 Neben dem relativen Vorteil, dem eine dominante Stellung unter den adoptionsrelevanten Innovationseigenschaften zugesprochen wird3, existieren eine Reihe Faktoren, die auch als „Tuning-Probleme“ bezeichnet werden.4 Die Kompatibilität einer Neuerung drückt aus, wie stark diese mit den Denk- und Verhaltensmustern, Werten, Normen und Erfahrungen des Nachfragers übereinstimmt. Rogers und Shoemaker definieren sie als „the degree to which an innovation is perceived as being consistent with existing values, past experiences , and needs of the receivers.“5 Die Verträglichkeit kann sowohl psychischer Natur, als auch technischer Natur sein. Im ersten Fall spricht man auch von normativer oder kognitiver Kompatibilität, der Übereinstimmung mit dem, was der Nachfrager fühlt oder denkt. 6 Als praktische oder operationelle Kompatibilität wird die Übereinstimmung mit dem, was der Nachfrager tut, bezeichnet. Darunter fällt bei bestimmten Produktkategorien, wie z.B. Computern, auch die Kompatibilität der Neuerung mit der technischen Infrastruktur und den Anwendersystemen des Nachfragers.7 Inkompatibilität stellt einen Hemmfaktor der Adoption dar, d.h. verringert die Adoptionsgeschwindigkeit und/oder führt zur Ablehnung der Adoption. Neben der Inkompatibilität kann auch die wahrgenommene Komplexität der Neuerungen negativ auf die Adoption wirken. Sie gibt wieder, wie schwierig die Anwendung und Auseinandersetzung mit dem neuen Produkt ist.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Müller, Stefan (1981), S. 41; Kaas, Klaus Peter (1987), S. 233. Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 216. Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 819. Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 820. Vgl. Rogers Everett M. / Shoemaker, Floyd F. (1971), S. 1. Wie z.B. die Übereinstimmung einer Neuerung mit dem Umweltbewusstsein des Nachfragers. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 820 unterscheiden zudem noch in Kompatibilität und Adaptabilität, die die Schwierigkeit der Anpassung der Neuerung an spezifische Anwenderanforderungen beschreibt. Weit gefasst ist die Adabtabilität jedoch im Kompatibilitätsbegriff beinhaltet.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

43

Ist ein Produkt sehr komplex, so ist es für den Nachfrager tendenziell schwieriger zu verstehen und zu nutzen und folglich mit einem Lernaufwand verbunden. Lernen, welchen Nutzen das Produkt bringt, bzw. wie es gebraucht wird, ist mit psychischem, zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden und bremst somit die Adoptionsgeschwindigkeit. Die Wahrnehmung der Komplexität ist eng mit dem Kenntnisstand des Betrachters bzgl. der Innovation verbunden und hängt von dessen Beurteilungsvermögen ab, also von persönlichen Charakteristiken des Adopters. Dies zeigt erneut, dass eine eindeutige Zuordnung der Faktoren als produkt- oder adopterbezogene Einflussgrößen oftmals schwierig ist. Es soll jedoch angenommen werden, dass die Komplexität primär von den Eigenschaften der Innovation abhängt. Die Erprobbarkeit stellt ein Maß dafür dar, wie weit sich die Innovation vor der Adoptionsentscheidung testen lässt. Sie dient vornehmlich dazu, Kaufunsicherheiten zu reduzieren.1 Eng damit verbunden ist die Teilbarkeit des Produktes, die es ermöglicht, vor Übernahme der gesamten Neuerung das Produkt auf limitierter Basis vorab zu testen. Weitere Möglichkeiten der Erprobung können zeitlich befristete Probeabonnements (z.B. bei Printmedien oder Online-Diensten), die Einführung im Rahmen eines Pilotprojekts oder Probenutzungen (z.B. Testfahrten oder kurzfristiges Mieten beim Auto) sein. Durch das verminderte wahrgenommene Risiko eines Fehlkaufes durch die Erprobung hat diese einen positiven Einfluss auf die Adoptionsgeschwindigkeit und –wahrscheinlichkeit.2 Die Wahrnehmbarkeit oder Kommunizierbarkeit gibt ein Maß dafür, wie gut die Eigenschaften und das Ergebnis einer Adoption dem potentiellen Nachfragern sichtbar und vermittelbar gemacht werden können, d.h. wie leicht die Vorteile der Innovation vom Nachfrager wahrgenommen werden können. Auch hier wird wieder die Überschneidung von produkt- und adopterbezogenen Faktoren deutlich, da die Wahrnehmung stark von den kognitiven Eigenschaften des Adopters abhängt. Es wird von einem positiven Einfluss der Wahrnehmbarkeit auf die Adoptionsgeschwindigkeit und – wahrscheinlichkeit ausgegangen. Rogers postuliert, dass diese 5 Faktoren produktunabhängig die wesentlichen Innovationseigenschaften darstellen, die die Adoption beeinflussen3, wobei dem relativen Vorteil eine dominante Stellung zukommt.

1 2 3

Vgl. Holak, Susan L. / Lehmann, Donald R. (1990); Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 821. Vgl. Harms, Ann-Kathrin (2002), S. 89. Vgl. Rogers, Everett M. (1995), S. 210.

44

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Dieser ursprüngliche Kriterienkatalog von Rogers wird häufig um das von Bauer 1960 1 eingeführte Konstrukt des wahrgenommenen Risikos erweitert.2 Die Adoption einer Innovation ist häufig mit Risiko verbunden. Dabei spiegelt das Risiko den Grad der Unsicherheit wider, mit dem eine Verfehlung der erwarteten Kaufkonsequenzen befürchtet wird. Bauer geht davon aus, dass die Konsequenzen der Kaufhandlung nicht mit Sicherheit vorhergesehen werden können und somit auch negative Kauffolgen auftreten können. Dabei lassen sich drei Komponenten unterscheiden: das technische Risiko, das soziale Risiko und das ökonomische Risiko. Das technische Risiko liegt in der Nichterfüllung der Leistung, also der Gefahr, dass das Produkt nicht den vorab erwarteten Nutzen stiftet. Während das soziale Risiko darin besteht, dass die Innovation nicht auf die gewünschte Reaktion der Referenzgruppe stößt, d.h. nicht den Normen des sozialen Umfelds entspricht und der Adopter unter Umständen soziales Ansehen verliert, beschreibt das ökonomische Risiko die unerwünschten monetären Konsequenzen der Entscheidung, wie im Falle einer Fehlinvestition, wenn der Adopter nach der Implementierung realisiert, dass er im Vergleich zu der Leistung und erhofften Nutzenstiftung zu viel Geld ausgegeben hat.3 Nach der Theorie des wahrgenommenen Risikos trifft ein Nachfrager erst dann eine Entscheidung, wenn das von ihm wahrgenommene Risiko auf ein subjektiv akzeptiertes Risikoniveau reduziert wird. Dem Nachfrager stehen zur Reduktion der Unsicherheit verschiedene Strategien zur Verfügung. Die wohl am häufigsten angewandte ist die Informationssuche.4 Denkbar sind jedoch auch Strategien, die auf Vertrauen und Erfahrungen aufbauen, wie z.B. die Treue zu einem Händler oder einer Marke, preisorientierte QualitätsBeurteilung u.a..5 Außerdem stellt auch die oben beschriebene Erprobung eine Möglichkeit dar, die mit der Adoptionsentscheidung verbundenen Unsicherheiten zu reduzieren.

1 2

3 4 5

Vgl. Bauer, Raymond A. (1960). Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 820; Gatignon, Hubert/ Robertson, Thomas S. (1985), S. 862; Pohl, Alexander (1996), S. 119. Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 820. Vgl. Gemünden, Hans Georg (1985), S. 34. Eine detaillierte Beschreibung der möglichen Risikoreduktionsstrategien findet man bei Ghosh, Soumentra / McGuckin, Thomas J. / Kumbhakar, Subal C. (1994), S. 269 ff..

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

45

Produktbezogene Adoptionsfaktoren

Relativer Vorteil

Kompatibilität

Wahrgenommener Grad der Vorteilhaftigkeit einer Innovation

Wahrgenommener Grad der Übereinstimmung mit Werten, Erfahrungen, Bedürfnissen Technische Übereinstimmung

Determiniert durch Produkteigenschaften, Einsatzmöglichkeiten und Statusaspekte

Komplexität Wahrgenommener Schwierigkeitsgrad Determiniert durch Lernaufwand für die Nutzung der Innovation

Erprobbarkeit

Kommunizierbarkeit

Wahrgenommener Grad der Risikoreduktion durch Erprobung der Innovation auf limitierter Basis

Wahrgenommener Grad der Vermittelbarkeit der Innovationseigenschaften

Risiko

Wahrgenommener Grad des Risikos bzw. der Unsicherheit bzgl. des Nichterreichens der Kaufziele

Adoptionsverlauf – Adoptionsdauer - Adoptionsergebnis Abbildung 10: Produktbezogene Adoptionsfaktoren1

Generell lässt sich für die produktbezogenen Faktoren sagen, dass nicht ihre objektive Ausprägung, sondern die durch den Nachfrager subjektiv wahrgenommenen Größen adoptionsrelevant sind. Die Informationen über die verschiedenen Produktattribute werden vom Adopter mit seinem subjektiven Bezugssystem konfrontiert und bilden so die Wahrnehmung, eine Repräsentation des Produktes im Bewusstsein. Dabei spielen individuelle Eigenschaften des Nachfragers wie Werte, Vorurteile, Erfahrungen, Vorwissen etc. eine große Rolle.2 Sie stehen somit in engem Zusammenhang mit der zweiten Kategorie der Einflussfaktoren, den adopter-bezogenen Determinanten. 5.1.3.4.2

Adopterbezogene Determinanten

Als adopterbezogene Determinanten werden die Einflussgrößen zusammengefasst, die primär auf die Eigenschaften des Nachfragers zurückzuführen sind, erst sekundär auf die Innovation.

1 2

In Anlehnung an Krafft, Manfred / Liftin Thorsten (1999), S. 4. Vgl. Nieschlag, Robert / Dichtl, Erwin / Hörschgen, Hans (1994), S. 328.

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Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Sie verweisen auf die Innovationsbereitschaft des Konsumenten und beeinflussen wesentlich die Suche nach Informationen und ihre Verarbeitung und Interpretation und somit die Wahrnehmung der Produkteigenschaften.1 Die adopterbezogenen Determinanten können in intraindividuelle und interindividuelle Einflussfaktoren unterschieden werden. 2 Eine weitere Kategorisierung kann durch die Unterteilung in konsumenten- und unternehmensspezifische Faktoren erfolgen.3 Dabei wird die Trennung anhand des Entscheidungsträgers der Adoption, einer Person bzw. Institution, vollzogen. Ob eine solche Differenzierung sinnvoll ist, hängt von der Art der Innovation ab. Bei Innovationen der Informations- und Kommunikationstechnologie hat sie sich durchgesetzt, da als potentielle Adopter zwei verschiedene Nachfragergruppen identifiziert wurden. 4 Konsumenten und Unternehmen unterscheiden sich in ihrem Kommunikationsverhalten und Informationsbedürfnis. Adressiert man sich an ein Unternehmen, so ist die Zahl der Kommunikationspartner höher und die Intensität der Kommunikation stärker als im konsumtiven Bereich.5 Bei reinen traditionellen Konsum- und Gebrauchsgütern ist eine Beschränkung auf die konsumentenspezifischen Faktoren möglich. Diese umfassen sozio-ökonomische, psychographische Kriterien und solche des beobachtbaren Verhaltens.6 Zu den sozio-ökonomischen Merkmalen eines Konsumenten zählen Größen, die durch seine spezifische individuelle Situation, die soziale Schicht oder demographische Gegebenheiten bedingt sind, wie beispielsweise sein Alter, Einkommen, Bildungsniveau, Wohnort oder Familienstand. Sie sind generell einfach operationalisier- und erfassbar, was vielleicht auch die große Verbreitung innerhalb empirischer Untersuchungen erklärt.7 So wird z.B. von einem positiven Einfluss des Einkommens, des Bildungsniveaus und des sozialen Status auf die Adoptionsgeschwindigkeit ausgegangen. 8 Höheres Einkommen impliziert hier geringeres finanzielles Risiko bei Innovationsübernahme und somit einen schwächer ausgeprägten Inhibitoreffekt auf die Adoption. Des Weiteren bedeutet ein höheres Bildungsniveau eine bessere Problemlösefähigkeit. Der Nachfrager kann besser die Leistung auch einer komplexen Innovation verstehen und bewerten, was zu einem positiven Effekt auf die Adoptionsgeschwindigkeit und -wahrscheinlichkeit führt. Es lassen sich für eine Vielzahl von sozio-ökonomischen Variablen solche Effekte auf die Adoptionsentscheidung finden.

1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Meffert, Heribert (1976), S. 93 f.; Liftin, Thorsten (2000), S. 35. Vgl. Fantapié Altobelli , Claudia (1990), S. 27 ff.. Vgl. für diese Kategorisierung Pohl, Alexander (1996a), S. 64 ff.; Weiber, Rolf (1992), S. 6 f.. Vgl. Liftin, Thorsten (2000), S. 36. Vgl. Fantapié Altobelli, Claudia (1990), S. 8. Vgl. Lilien, Gary L. / Kotler, Philip / Moorthy, Sridhar K. (1992), S. 463. Vgl. Liftin, Thorsten (2000), S. 37 und die dort angeführte Literatur. Vgl. Dickerson, Mary Dee / Gentry, James W. (1983), S. 233; Gatignon, Hubert/ Robertson, Thomas S. (1985), S. 861.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

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Dem steht jedoch gegenüber, dass diese Faktoren nur einen sehr geringen Erklärungsbeitrag zum Adoptionsverhalten leisten, also nur eine mangelnde Verhaltensrelevanz aufweisen.1 Psychographische Merkmale sind Persönlichkeitsmerkmale, die das Verhalten eines Individuums maßgeblich bestimmen, wie Lebensstil, Risikobereitschaft, Motive, Präferenzen, Einstellungen oder Intelligenz. Während aufgrund allgemeiner Persönlichkeitsmerkmale, wie z. B. Lebensstil, nur schwer auf ein bestimmtes Adoptionsverhalten geschlossen werden kann, können Merkmale, die einen Bezug zur Innovation haben, dazu dienen, die potentiellen Nachfrager zu segmentieren. Die Messung dieser Merkmale ist wesentlich schwieriger als die der zuvor genannten. Interessant ist das dieser Gruppe zuzurechnende Merkmal der Erwartungen. Die Erwartungen des potentiellen Nachfragers bzgl. des Timings und des Ausmaßes von Neuproduktentwicklungen spielen besonders im Hinblick auf das Leapfrogging-Verhalten eine entscheidende Rolle. Dies liegt daran, dass die Erwartungen dafür verantwortlich sind, ob ein Kunde seinen Kauf aufschiebt oder nicht. Nachfrageverschiebungen hin zum Zukunftsprodukt oder zum Neuprodukt hängen entscheidend von den Erwartungen des Nachfragers ab. Sie sind bedingt durch Wissen und bisherige Erfahrungen bzgl. des Anbieters, sowie mögliche Vorankündigen und Marktsignale, die eine Informationsdiffusion vor der eigentlichen Produkteinführung und damit die Aufnahme des vorangekündigten Produktes in das Awareness Set des Konsumenten bewirken.2 Die letzte Gruppe innerhalb dieser Kategorie bilden die Kriterien des beobachteten Verhaltens. Bei diesen Faktoren wird von vergangenem Verhalten auf zukünftiges geschlossen. Hier sind besonders die Produktwahl und das Preisverhalten von Interesse. Unter der Produktwahl werden die bisherigen Erfahrungen des Nachfragers mit Produkten, die eine hohe Ähnlichkeit zur betrachteten Innovation aufweisen sowie die aktuelle Ausstattung verstanden. Man kann hinsichtlich der bisherigen Nutzung und Ausstattung des Nachfragers die Konsumenten in zwei Gruppen unterteilen: Einsteiger oder Wiederkäufer. Für den Wiederkäufer, der bereits Erfahrungen mit dem Produkt gesammelt hat, ist es aufgrund seiner Erfahrungen einfacher, das Neuprodukt zu beurteilen, als für den Einsteiger. Außerdem ist das bisherige Ausstattungsniveau von Bedeutung für die Dringlichkeit der Neuanschaffung, die wiederum starken Einfluss auf das Leapfrogging-Verhalten ausübt.

1 2

Vgl. Ostlund, Lyman (1974), S. 28. Vgl. zu der Wirkung von Vorankündigungen Preukschat, Ulf D. (1993), S. 33ff.; Büschken, Joachim (2000), S. 1 ff.; Eliashberg, Jehoushua / Robertson, Thomas S. (1988), S. 282 ff., Rabino, Samuel / Moore, Thomas E. (1989), S. 35 ff..

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

48

Neben der Produktwahl ist das Preisverhalten von Interesse. Die Preissensitivität beeinflusst den Nachfrager in seinem Adoptionsverhalten. So werden preissensitive Nachfrager eher geneigt sein, erwartete Preisreduktionen abzuwarten, bevor sie die Innovation übernehmen, als Konsumenten, die preisunsensibel sind. 5.1.3.4.3

Umweltbezogene Determinanten

Die dritte Merkmalsgruppe bilden die umweltbezogenen Faktoren. Die umweltbezogenen Determinanten werden primär durch die Eigenschaften des Marktes und erst sekundär durch das Produkt oder den Nachfrager beeinflusst. Die Umwelt wird dabei bestimmt von soziokulturellen, politisch-rechtlichen, makroökonomischen und technischen Einflussfaktoren.1

1 2 3

-

Sozio-kulturelle Faktoren beschreiben die Beziehung des Individuums und den übrigen Mitgliedern des sozialen Systems. Die Referenzgruppe eines Adopters kann einen Druck zur Übernahme eines Produktes ausüben. Meinungsführer in einer Gruppe geben Impulse, Meinungssucher nehmen diese auf.

-

Unter politisch-rechtlichen Faktoren werden Einflussgrößen wie Gesetzgebung, Rechtssprechung oder spezifische Verordnungen zusammengefasst. Jegliche Austauschbeziehungen auf einem Markt unterliegen bestimmten Regeln und Einflüssen politischer Hoheiten. So bestimmt das Wettbewerbsrecht die Marktstruktur. Beispielhaft sei hier die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes oder die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes genannt.

-

Makroökonomische Faktoren beschreiben die ökonomischen Rahmenbedingungen in einer Volkswirtschaft. Hierzu zählen wirtschaftliche Wachstumsraten, die konjunkturelle Situation sowie die vorliegende Marktstruktur.2

-

Technische Faktoren sind schließlich solche, die die technische Umwelt der Einführung einer Innovation beschreiben, wie der technische Entwicklungsstand oder Standards (Typen-, Normen- oder Industriestandards). Diese beeinflussen hochgradig die den produktbezogenen Determinanten zugeordnete Kompatibilität eines Produktes. Außerdem kann den technischen Umweltfaktoren die Geschwindigkeit des technologischen Wandels bzw. die Innovationsgeschwindigkeit zugeordnet werden.3

Vgl. Weiber, Rolf (1992), S. 7; Gatignon, Hubert/ Robertson, Thomas S. (1985), S. 858. Vgl. zur Auswirkung makro-ökonomischer Faktoren Gatignon, Hubert / Robertson, Thomas (1989). Vgl. Trinkfass, Gabriele (1997). S. 45

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

49

Makro-ökonomische Umwelt

Politisch/rechtliche Umwelt

• • • •

• • • •

Konjunktursituation Marktstruktur Marktwachstumserwartungen Wohlfahrtsgrad

Datenschutzgesetz Wettbewerbsrecht Interessenverbände Marktzugangsbeschränkungen

Sozio-kulturelle Umwelt

Technologische Umwelt

• • • •

• Geschwindigkeit der technischen Entwicklung (=> Länge des Produktlebenszyklus) • Normen und Standards • Offene/geschlossene System-/Netzarchitektur • Technischer Entwicklungsstand

Öffentliche Meinung Kommunikationsgewohnheiten Soziale Normen Benutzergruppen

Tabelle 1:

Umweltbezogene Adoptionsfaktoren1

Wie bereits zuvor ausgeführt, ist die Voraussetzung für das Entstehen des LeapfroggingVerhaltens die zunehmende Verkürzung der Produktlebenszyklen und die dadurch resultierende Existenz von mehreren Produktgenerationen innerhalb des evoked sets des Nachfragers. Diese Verkürzung wird stark durch die Geschwindigkeit technischer Entwicklung bedingt und ist somit Teil der technischen Adoptionsfaktoren. Aufgrund seiner zentralen Bedeutung für die Entstehung des Leapfrogging-Verhaltens soll das Konzept des Produktlebenszyklus im Folgenden dargestellt werden. Exkurs: Der Produktlebenszyklus 1. Entstehung Erste Ansätze eines Konzeptes wurden bereits in den Fünfziger Jahren von Dean und Patton entwickelt.2 In der Marketinglehre gewinnt das Produktlebenszyklus-Konzept erst ab Mitte der Sechziger Jahre zunehmend größere Bedeutung. Hierzu haben die empirischen Arbeiten von Cox und Polli/Cook wesentlich beigetragen.3 Im deutschsprachigen Raum kann auf die Arbeiten von Brockhoff, Meffert und Pfeifer/Bischoff verwiesen werden.4 Das Konzept folgt der Grundüberlegung, dass auch künstlich geschaffene Systeme – ebenso wie natürliche Organismen – dem Gesetz des Werdens und Vergehens unterliegen und in seinem Verlauf bestimmte Entwicklungsstadien durchlaufen. Unter zur Hilfenahme bestimmter Maßgrößen (Absatz, Umsatz, Deckungsbeitrag) soll so die Entwicklung eines Produktes während seiner Lebensdauer beschrieben werden.

1 2 3 4

In Anlehnung an Weiber, Rolf (1992) S. 79. Vgl. Dean, Joel (1950), S. 50; Patton, Adam (1959), S. 9 ff. sowie S. 67 ff.. Vgl. Cox,W.E. (1967), S. 375 ff.; Polli, Rolando / Cook, Victor (1969), S. 385 ff.. Vgl. Brockhoff, Klaus (1984), S. 619 ff.; Meffert, Heribert (1974), S. 85 ff.; Pfeiffer, Werner / Bischof, Peter (1974), S. 635 ff..

50

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Obwohl die Konzeption weitgehend akzeptiert wird, gibt es doch unterschiedliche Meinungen über die Anwendbarkeit. Während die eine Autoren-Gruppe in der Lebenszyklusanalyse ein „idealtypisches Konzept“ für die Beschreibung der Produktentwicklung im Markt oder ein „bequemes Vehikel zur Diskussion des Werdens und Vergehens von Produkten“ 1 sehen, bezeichnen andere das Konzept als „technische Krücke“ oder „wertvolles begriffliches Instrument“ 2 für produktpolitische Entscheidungen. Als „Grundlage für die Prognose der Absatzentwicklung von Produkten“3 und „wichtige Hilfe für den Entwurf des strategischen und taktischen Marketing-Mix“4 wird sie von einer dritten Gruppe angesehen. Übereinstimmend wird jedoch festgestellt, dass das Produktlebenszyklus-Konzept als Informationsgrundlage für die Produkt- und Sortimentpolitik einer Unternehmung aufzufassen ist. 2. Struktur des Modells Ausgehend von der Hypothese, dass ein Produkt nur über eine begrenzte Lebenszeit verfügt, also irgendwann wieder vom Markt verschwindet und sich sein Absatz in dieser Zeit nach einer Gesetzmäßigkeit oder gewissen Regelmäßigkeit entwickelt, wird der Produktlebenszyklus üblicherweise in verschiedene Phasen unterteilt. Während in der angelsächsischen Literatur überwiegend von den Phasen Innovation, Growth, Maturity und Decline5 gesprochen wird, hat sich im deutschsprachigen Raum das 5-PhasenModell mit den Phasen Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration durchgesetzt.6 Der Verlauf wird üblicherweise als Glockenkurve dargestellt, wobei die Nachfrage bzw. Verbreitung einer Innovationsadoption durch Einzelpersonen bzw. Organisationen im Zeitablauf im Modell abgebildet wird.7

1 2 3 4 5

6

7

Ansoff, Igor H. (1965), S. 70. O.V.(1973), S. 387. Vgl. Smallwood, John E. (1973), S. 32. Vgl. Boyd Jr, Haper W. / Massy, William F. (1972), S. 326. Vgl. Patton, Adam, (1959) S. 9 ff. sowie S. 67 ff.; Cox, William E. (1967), S. 375 ff.; Fox, Harold. W. (1975), S. 107 ff.; v. Stritzky, Otto Oskar (1975), S. 281 ff.; Mason, Robert S. (1976), S. 36 ff.; de Kluyver, Cavin A. (1977), S. 21 ff.; Rink, David R. / Dodge, Robert H. (1980), S. 305 ff.; Barksdale, Hiram / Harris, Clyde E. (1982), S. 74 ff.; Etienne, Claude E. (1981), S. 22 ff.. Vgl. Scheuing, Eberhard Eugen (1969), S. 111 ff.; Brockhoff, Klaus (1974), S. 1763 ff.; Meffert, Heribert, (1974), S. 85 ff.. Vgl. Höft, Uwe (1992), S. 23.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen Absatz Produktdeckungsbeitrag

51

Markteinführung Absatz

Entwicklungsperiode

Produktdeckungsbeitrag Zeit Entstehung der Produktidee

Marktwachstum

Marktreife

Marktsättigung

Marktdegeneration

Abbildung 11: Idealtypischer Verlauf des Produktlebenszyklus

2.1

Einführungsphase

Nach Abschluss der Neuproduktplanung bildet die Markteinführung den Beginn des Lebenszyklus. In diesem Stadium, das aus marktstrategischen Erwägungen oft auch als die wichtigste Phase angesehen wird, werden in der Regel nur Kosten anfallen (Einführungswerbung, Verkaufsförderung usw.). Das Erreichen einer Gewinnschwelle wird bestimmt durch Kaufbereitschaft und Umsatzwachstum. Dies wiederum ist abhängig vom Grad der Übereinstimmung mit den Konsumentenbedürfnissen und der Existenz substitutiver Produkte.1 2.2

Wachstumsphase

In der Wachstumsphase weitet sich der Absatz stark aus. Die Zone des positiven Deckungsbeitrages wird erreicht. Beeinflusst wird dies durch Marketing-Maßnahmen früherer Perioden und einem zunehmenden Bekanntheitsgrad im Abnehmerkreis. Im Allgemeinen erreichen in dieser Phase auch die Gewinne ihr Maximum. 2.3

Reifephase

Hier nimmt zwar das Absatzvolumen noch zu, jedoch verringern sich bereits die Zuwachsraten. Die Ursache resultiert aus den Aktivitäten der Konkurrenten am Markt, die mit Produktverbesserungen und niedrigeren Preisen auftreten und so die Wachstumsraten des ursprünglich innovativen Unternehmens schrumpfen lassen.2

1 2

Vgl. Levitt, Theodore (1965), S. 82; Scheuing, Eberhard Eugen (1970), S. 196. Vgl. Levitt, Theodore (1965) S. 86.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

52

2.4.

Sättigungsphase

In der Sättigungsphase erreicht die Umsatzkurve ihr Maximum. Die absolute Absatzausdehnung kommt zum Stillstand. Die Größe des Marktes wird fast ausschließlich durch den Ersatzbedarf bestimmt. 1 Reale Zuwächse können sich nur noch an den Zuwachsraten von Bevölkerung und Einkommen orientieren.2 In der sich stabilisierten Marktsituation sind intensive Marketing-Anstrengungen zur Sicherung der Marktanteile erforderlich, da in der Regel die Unternehmungen sich profiliert haben und ihre Abnehmerkreise sich ihnen gegenüber loyal verhalten. 2.5.

Degenerationsphase

Die Degenerationsphase bildet meist den Abschluss des Produktlebenszyklus. Die Ursachen liegen darin, dass das Bedürfnis, für dessen Befriedigung das Produkt vorgesehen war, nun besser, billiger, rationeller und bequemer von anderen Gütern befriedigt wird. 3 Auch ein Wandel in den Verbraucherwünschen kann Ursache hierfür sein. Fallende Preise, abnehmende Mengen u.ä. wirken sich negativ auf die Gewinnlage aus. Dennoch bleiben derlei Produkte oft noch längere Zeit auf dem Markt. Die Gründe für diese „Versteinerung“ der Umsatzentwicklung können die Verbundwirkung des Produktes im Absatzprogramm und ein relativ hohes Maß an emotionaler Verwenderloyalität sein.4 Das endgültige „Absterben“ eines Produktes lässt sich insbesondere auf den technischen Fortschritt, die wirtschaftliche Überholtheit oder auch auf gesetzliche und wirtschaftspolitische Maßnahmen zurückführen. Besonders schnell tritt die Degeneration ein, wenn neben die natürliche eine künstliche Veralterung tritt, die bewusst durch neue, das alte Produkt substituierende Erzeugnisse geschaffen wird.5 3.

Anwendbarkeit des Produktlebenszyklusmodells

Eine verwertbare Anwendung kann aus dem Modell nur dann abgeleitet werden, wenn es gelingt, eine eindeutige Phasenidentifikation bzw. eine operationale Phasenabgrenzung festzulegen, um somit relevante Informationen für den Marketing-Entscheidungsprozess zu gewinnen.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. Dichtl, Erwin (1970), S. 66. Vgl. Kotler, Philip (1992), S. 435. Vgl. Freudenmann, Helmut (1965), S. 12. Vgl. Michael, Georg C. (1971), S. 88 ff. Vgl. Packard, Vance (1961), S. 73. Vgl. Meffert, Heribert (1974), S. 111.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

53

Zur Phasenabgrenzung werden in der Literatur verschiedene Lösungen genannt.1 Neben stark intuitiven Methoden (z.B. visuell-graphische Abbildung des Kurvenverlaufs mit willkürlicher Phasenabgrenzung anhand des Kurvenbildes) wird im Konsumgüterbereich vor allem das von Polli und Cook vorgeschlagene Verfahren der Phasenabgrenzung als einfaches, aber dennoch wirksames Mittel diskutiert.2 Hierbei dient die Umsatzveränderungsrate bzw. die Höhe der Erträge eines Produktes als Messgröße für die Zuordnung zu den einzelnen Phasen. Zur Ermittlung der Veränderungsrate sind zunächst die Umsätze einer Produktklasse in einem abgegrenzten Markt in einem längeren Zeitraum (mind. 2 Jahre) festzuhalten und um allgemeine konjunkturelle Einflüsse (wie Bevölkerungs-, Kaufkraft-, Geldwertentwicklung) zu bereinigen. Über einen Zeitraum von 2 Jahren ergibt sich daraus eine Verteilung von –100% bis +f. Über ein Vielfaches der

Dichte

Standardnormalverteilung kann sich somit folgende Darstellung ergeben:

Verfallphase

Wachstumsphase

Reife & Sättigung

Umsatzänderung

-3ı

-2ı

ı

P=0

ı





Abbildung 12: Verteilung der standardisierten Umsatzveränderungsraten aller Produkte einer Produktklasse

1

2

Vgl. v. Stritzky, Otto Oskar (1970), S. 129 ff.; Hoffmann, Klaus (1972), S. 31 ff.; Scheuing, Eberhard Eugen (1970), S. 195 ff.; Polli, Rolando / Cook, Victor (1969), S. 388 ff.. Vgl. Polli, Rolando / Cook, Victor (1969), S. 385 ff..

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

54

Die Zuordnung der Umsatzveränderungsraten zu den einzelnen Phasen wird wie folgt vorgenommen: Uj*< 5 % des geschätzten Umsatzvolumens

Einführungsphase

+0,05 < Uj*

Wachstumsphase

*

+0,01 < Uj < +0,05

wachsende Reifephase

-0,01 < Uj*< + 0,01

Reifephase

-0,05 < Uj*< -0,01

sinkende Reifephase

Uj*< -0,05

Degenerations- (Verfalls-) phase

Ui = Jährliche Verkäufe des Produkts i dividiert durch geschätzten Max-Umsatz für Produkt i Uj*= Veränderungsrate der jährlichen Umsätze von Ui Tabelle 2:

Abgrenzungskriterien nach Polli/Cook1

Durch die Verwendung der einzigen Maßgröße „Umsatz“ wird die Anwendbarkeit erleichtert. Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen von mindestens zwei Umsatzwerten. Kritisch muß jedoch die unbefriedigende Abgrenzung der Einführungsphase gesehen werden, da bei Einführung eines neuen Produktes dessen Umsatzmaximum nur selten bekannt ist. Von Meffert wird deshalb vorgeschlagen, hier nicht vom Umsatzmaximum auszugehen, sondern so wie z.B. Cox bei seiner Phasenabgrenzung einen Schwellenwert festzulegen. 2 Weitere Schwachstellen dieses Verfahrens liegen in seiner starren schematischen Zuordnung des Produktes zu den einzelnen Lebenszyklusphasen. So können im Schwellenbereich nur geringe Umsatzveränderungen eine Zuordnung in eine andere Phase bewirken, obwohl die Ursachen für die Veränderung real auf äußeren Störungen des Marktes beruhen. Um die Phasencharakterisierung zu sichern, werden die quantitativen Abgrenzungskriterien häufig durch qualitative Merkmale ergänzt. So schlägt Scheuing folgende Indikatoren zur Messung der Marktveränderungssituation während des Lebenszyklus vor:3 -

1 2 3

Marktstruktur (Zahl der Anbieter) Herstellertyp (kategorisiert nach dem Ausmaß der Neuerungswilligkeit) Verbrauchertyp (eingeteilt nach dem Grad der Neuerungswilligkeit) Nachfrageelastizität (direkte Preiselastizität der Nachfrage) Änderung im Produktionsbereich Änderung im Marketing-Bereich

Vgl. Polli, Rolando / Cook, Victor (1969), S. 385 ff.. Vgl. Meffert, Heribert (1974), S. 117; Cox, W. E. (1967), S. 376 ff.. Vgl. Scheuing, Eberhard Eugen (1970), S. 195 f..

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

55

Trotz Berücksichtigung qualitativer und quantitativer Merkmale lässt sich eine exakte Phasenabgrenzung, die intersubjektiv nachprüfbar ist, nicht erreichen. Insbesondere bei Investitions- und Konsumgütern sind die Lebenszyklen so unterschiedlichen Einflussfaktoren ausgesetzt, dass sie nur selten Gemeinsamkeiten aufweisen.1 Das Kriterium der Allgemeingültigkeit liegt also nicht vor, obwohl Albach in einer Untersuchung über Güter des Nielsen-Kolonialwarenindex feststellte, dass von 17 Marken lediglich eine der Lebenszykluskurve widersprach.2 Von anderen Autoren wird ausdrücklich auf Beispiele verwiesen, die die Allgemeingültigkeit des Lebenszyklus bei Konsumgütern in Frage stellen.3 Es kann somit festgehalten werden, dass die Verwendung des Modells für die Formulierung bzw. Lösung absatzpolitischer Entscheidungsproblem weniger geeignet ist. Für vorliegende Untersuchung sind die einzelnen Phasenabgrenzungen jedoch von untergeordneter Rolle. Das Produktlebenszyklus-Konzept soll als Beschreibungsmodell angewendet werden, nicht etwa als Prognose- oder Entscheidungsmodell. 4 Es interessiert vielmehr die Gesamtlänge des Produktlebenszyklus von der Einführung der Innovation bis zu deren Ablösung durch eine Folgegeneration, da die Schnelligkeit der Generationsabfolge Ursache für die Entstehung des Leapfrogging-Verhaltens ist. 5.2

Determinanten des Leapfrogging-Phänomens

Die vorab geschilderten Adoptionsfaktoren sollen nun Leapfrogging-Verhalten bei langlebigen Konsumgütern entscheidenden Determinanten werden hinsichtlich ihres Leapfrogging –Verhaltens identifiziert und Hypothesen formuliert.

auf ihre Relevanz für das hin betrachtet werden. Die Beitrags zur Erklärung des bzgl. ihrer Wirkungsrichtung

Die sozio- bzw. psychographischen Merkmale sowie die situativen Adopterfaktoren werden im Gegensatz zur traditionellen Adoptionsforschung als Kontextvariable bewertet. Diese wirken nicht unmittelbar auf das Adoptionsverhalten, sondern beeinflussen die Wahrnehmung der Innovationseigenschaften bzw. produktbezogenen Adoptionsfaktoren. 5 So wird ein Nachfrager mit höherem Einkommen die Kosten eines Produktes und das ökonomische Risiko des Kaufs geringer wahrnehmen als ein Kunde mit niedrigerem Einkommen. Bei der empirisch untersuchten Entscheidung handelt es sich um eine Entscheidung im privaten, bzw. semiprofessionellen Bereich. Hier spielen umweltbezogene Faktoren eine

1 2 3 4 5

Vgl. Hoffmann, Klaus (1972), S. 93. Vgl. Albach, Horst (1965), S. 57 f.. Vgl. Hoffmann, Klaus (1972), S. 93. Vgl. Meffert, Heribert (1972), S. 178 ff.. Vgl. Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1996), S. 818; Schmalen, Helmut / Pechtl, Hans (1992), S. 36.

56

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

untergeordnete Rolle. 1 Außerdem werden diese Faktoren vor allem zum Vergleich des Adoptionsverhaltens bzw. Diffusionsverlaufs von mehreren Innovationen herangezogen. In vorliegender Studie werden daher keine Hypothesen für die Auswirkung der umweltbezogenen Faktoren auf das Leapfrogging-Verhalten formuliert. Zentrale Rolle im Adoptionsprozess spielen die subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften der Innovation.2 „The perception of innovations by potential adopters can be very effective predictors of innovativeness, more so than personal characteristic variables.“3 Daher soll der Fokus der Betrachtung auf dieser Merkmalskategorie liegen. Je nach Art des betrachteten Produktes und des spezifischen Konsumenten besitzen verschiedene dieser Faktoren Relevanz für die Adoptions- bzw. Leapfrogging-Entscheidung. Sie sind somit keine für jegliche Art von Innovation feststehende Größe.4 So schreibt eine Meta-Analyse der in der Literatur vorkommenden Innovationseigenschaften dem relativen Vorteil, der Komplexität und der Kompatibilität einen starken Einfluss auf die Adoptionsentscheidung zu.5 Das Leapfrogging-Verhalten entsteht dadurch, dass der Nachfrager drei konkurrierende Produktalternativen in seine Adoptionsentscheidung einschließt. Die Identifikation der Faktoren, die die Entscheidung des Nachfragers für oder gegen das Leapfroggen beeinflussen, soll im Folgenden mittels der Effekte dieser drei Produktgenerationen geschehen.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. hierzu Kollmann, Tobias (1998), S. 131. Vgl. Eastlick, Mary A. (1996), S. 3 ff.; Labay, Duncan G. / Kinnear, Thomas C. (1981), S. 271 f.. Ostlund, Lyman (1974), S. 28. Vgl. Harms, Ann-Kathrin (2002), S. 90. Vgl. Tornatzky, Louis G. / Klein, Katherine J. (1982), S. 28. Vgl. Gierl, Heribert (1997), S. 1075.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

57

Zukunftsprodukt

Umfang der Verbesserungen gegenüber dem Neuprodukt Kosten der Übernahme gegenüber der Übernahmekosten des Neuproduktes

Unsicherheit

Erwartungen

Zeitpunkt der Verfügbarkeit

LeapfroggingEntscheidung

Neuprodukt Umfang der Verbesserungen gegenüber dem Altprodukt

Wahrnehmungen Unsicherheit

Altprodukt Dringlichkeit des Ersatzkaufs

Abbildung 13: Effekte der verschiedenen Produktgenerationen auf das Leapfrogging-Verhalten

5.2.1 Effekte des Altproduktes Um auf eine zukünftige Produktgeneration zu warten, muss der Nachfrager in der Lage sein, die Zeit bis zur Wiederaufnahme der Adoptionsentscheidung und dem Kauf eines alternativen Produktes mit seiner aktuellen Produktausstattung zu überbrücken. Das aktuelle Ausstattungsniveau, d.h. der Status des Altproduktes ist also grundlegende Voraussetzung für die Verschiebung der Adoptionsentscheidung. Ist die aktuelle Produktausstattung nicht ausreichend, so ist der Kauf sehr dringend, es besteht eine hohe Nachfrage-Dringlichkeit. Je nach Stärke der Dringlichkeit kann der Nachfrager die Adoption länger oder weniger lang verschieben.1 Reicht die Zeit bis zur Adoption aus, bis das zukünftige Produkt am Markt erhältlich ist, so ist Leapfrogging möglich. Diese Nachfrage-Dringlichkeit kann verschiedenen Ursprungs sein. Zum einen kann die Dringlichkeit durch objektive Defizite des Altproduktes in seinem Grundnutzen bedingt sein, zum anderen kann die Dringlichkeit durch Mängel im Zusatznutzen herrühren.

1

Vgl. Kupsch, Peter / Mathes, Heinz D. (1977), S. 243; Punj, Girish N. / Staelin, Richard (1983), S. 371.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

58

Jedes Produkt unterliegt im Zeitablauf einem Entwertungsvorgang. So hat auch das Altprodukt seit seinem Erwerb, je nachdem wie lange dieser zurückliegt, an Qualität verloren. Diese Entwertung ist zum einen durch stofflich-materielle Veränderungen, zum anderen durch die Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit neuerer Generationen bedingt. 1 Man spricht auch von einer natürlichen Veralterung vs. künstlicher Veralterung.2 Stofflich-materielle Veränderungen können auf den Verschleiß des Produktes oder dessen Verfall zurückzuführen sein. Während Verschleißerscheinungen durch die Produktnutzung bedingt sind, d.h. wie stark das Produkt beansprucht wurde, wie häufig oder intensiv es in der Zeit seit seiner Anschaffung genutzt wurde, ist der Verfall durch äußere Umwelteinflüsse verursacht.3

Kaufzeitpunkt des derzeit genutzten Produktes

Qualität

Status quo = Altprodukt

(t0 )

Zeitpunkt des Nachdenkens über einen Ersatzkauf (t0+x)

Verschleiß bzw. Verfall Qualität

Status quo

Zeit

Abbildung 14: Wertminderung des Altproduktes durch Verschleiß und Verfall

Betrachten wir das Beispiel des in dieser Studie untersuchten Automobils, so wird der Verschleiß durch die Zahl der seit Produkterwerb gefahrenen Kilometer und den Nutzungsgrad hervorgerufen. Unter dem Nutzungsgrad soll hier z. B. der Fahrstil, die Verwendungssart, die Pflege u.ä. verstanden werden. Ursächlich für den Verfall des Fahrzeugs können z.B. Schäden durch Streusalz, Hagel oder andere von der eigentlichen Inanspruchnahme des Autos unabhängige Faktoren sein. Beide Arten der Entwertung sind zu einem gewissen Grad durch den Nutzer beeinflussbar.4 1

2 3 4

Vgl. Bayus, Barry / Gupta, Sudheer (1992), S. 260; Cripps, John D. (1993), S. 4; Cripps, John D. / Meyer, Robert J. (1994), S. 306, Purohit, Devavrat (1995), S. 101. Vgl. Meining, Wolfgang / Heß, Andreas (1992), S. 253. Vgl. Bellmann, Klaus (1991), S. 103; Zalles-Reiber, Manuel (1996), S. 70. Vgl. Standop, Dirk (1989), S. 333.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

59

So können Schäden durch Verschleiß durch regelmäßige Inspektionen und Instandhaltungsmaßnahmen gemindert werden, bzw. Verfallserscheinungen mit z.B. Unterbodenwäschen nach dem Winter oder vorbeugender Unterbringung des Fahrzeugs in einer Garage entgegengewirkt werden. Entsprechend den Verschleiß- und Verfallserscheinungen des Produktes kann auch die Funktionalität beeinträchtigt sein. Ob ein Produkt auch zukünftig zuverlässig sein wird oder zunehmend mit Reparaturen und Ausfällen zu rechnen ist, kann der Nachfrager nur schwierig vorhersehen. Dies hängt von der sogenannten technischen Lebensdauer des Produktes ab.1 Es ist jedoch davon auszugehen, dass ein Produkt mit zunehmendem Alter an Zuverlässigkeit verliert. Sieht man von Früh- und Zufallsausfällen ab, wie sie z.B. durch einen Verkehrsunfall beim Automobil hervorgerufen werden, muss der Konsument mit Fortschreiten des Alters mit einer zunehmenden Zahl an Ausfällen und mangelnder Funktionalität rechnen.2 Ist die Funktionalität des Produktes nicht mehr gewährleistet, bzw. ist für den Kunden, z.B. durch vorangegangene Erfahrungen mit ähnlichen Produkten absehbar, dass es in zunehmendem Maße zu Funktionalitätsausfällen kommen kann,3 wird ein Ersatzkauf für den Kunden dringend. Wie dringlich der Ersatzkauf ist, kann nur in begrenztem Maß an objektiven Produkteigenschaften festgemacht werden und hängt entscheidend von der Persönlichkeit des Nachfragers ab. Die beschriebenen Veränderungen des Produktes können für den einen akzeptabel sein, während sie für den anderen eine erhebliche Wertminderung bedeuten und somit einen Ersatzkauf dringend machen. 4 Es ist daher sinnvoll, von empfundener Dringlichkeit zu sprechen. Die Empfindung der Dringlichkeit ist durch personenbezogene Faktoren geprägt. So stellt die psychische Sättigung eine Art der Entwertung des Produktes dar, die weder auf stofflichmaterielle Veränderungen des Produktes, noch auf dessen Obsoleszenz zurückzuführen ist. Allein der Wunsch des Nachfragers nach Abwechslung erzeugt die Absicht, das aktuelle Produkt zu ersetzen.5 Diese Art der psychischen Sättigung beschreibt das aus der Verhaltenswissenschaft stammende Phänomen des Variety Seeking.6

1 2 3 4 5 6

Vgl. Meining, Wolfgang / Heß, Andreas (1992), S. 253. Vgl. Bellmann, Klaus (1990), S. 26. Vgl. Standop, Dirk (1989), S. 340. Vgl. Heine, Christian (1968), S. 54 f.. Vgl. Steenkamp, Jan-Benedict E.M./ Baumgartner, Hans (1992), S. 435. Vgl. McAlister, Leigh (1982), S. 141 ff.; McAlister, Leigh / Pessemier, Edgar (1982), S. 311 ff.; Givon, Moshe (1984), S. 1 ff.; Tscheulin, Dieter K. (1994), S. 54 ff.; Herrmann, Andreas / Gutsche, Jens (1994), S. 63 ff..

60

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Durch wiederholte Nutzung bzw. Konfrontation mit dem aktuellen Produkt werden dessen anfänglich positiv empfundenen Eigenschaften und Reize in ihrer Wirkung abgestumpft. Das Produkt wird reizlos und langweilig.1 Dieses Phänomen wird in der Konsumentenverhaltensforschung mit der OptimumStimulations-Level-Theorie erklärt. 2 Demzufolge strebt das Individuum nach einem optimalen Stimulationsniveau, d.h. die auf den Konsumenten einwirkenden Stimuli seiner Umwelt werden in ihrer Wahrnehmung so reguliert, dass jeder sein individuell bevorzugtes optimales Stimulations- bzw. Erregungsniveau erreicht. Weicht das aktuelle Reizniveau vom individuell präferierten ab, so unternimmt der Nachfrager Handlungen, um dieses wieder zu erreichen. So führt ein Zustand von Langeweile dazu, aktiv nach Abwechslung zu suchen. Im umgekehrten Fall der Überreizung wird der Kunde versuchen, den Optimalzustand durch Reizreduktion, d.h. Suche nach Ruhe und Entspannung zu erreichen.3 Es ist somit zu erwarten, dass ein Zustand der Unterreizung einen Ersatzkauf dringend macht. Das optimale Niveau ist individuell verschieden. Es ist davon auszugehen, dass diese Art der psychischen Abnutzung besonders bei Produkten, die mit der Persönlichkeit des Konsumenten in engerem Zusammenhang stehen, von Bedeutung sind, wie dies z. B. bei Kleidung, Möbeln, aber auch Automobilen der Fall ist.4 Während die Abnutzungserscheinungen ausschließlich als Effekt des Altproduktes zu bewerten sind, ist die Veralterung der aktuellen Ausstattung bedingt durch die Einführung neuer Technologien und Produktgenerationen und somit des Neuproduktes bzw. Zukunftsproduktes und soll daher im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Wie erinnerlich, ist der Besitz eines Altproduktes nicht zwingende Voraussetzung für das Leapfrogging-Verhalten. Erstkäufer können sich genauso dafür entscheiden, auf das Zukunftsprodukt zu warten. In diesem Fall würde man unter der Bezeichnung Altprodukt die aktuelle Ausstattung, also kein Produkt, verstehen. Die Dringlichkeit wäre in diesen Fällen dadurch bedingt, wie lange der Nachfrager ohne ein Produkt der entsprechenden Kategorie sein kann, d.h. inwieweit ihm Alternativen zur entsprechenden Problemlösung zur Verfügung stehen. Da, wie vorab beschrieben, die Märkte für langlebige Konsumgüter jedoch weitestgehend gesättigt sind, ist der am häufigsten anzutreffende Fall wohl der des Ersatzkaufes. Aus den vorab geschilderten Überlegungen ergibt sich für die Wirkung der Dringlichkeit auf die Leapfrogging-Neigung folgende Hypothese:

1 2 3 4

Vgl. Bänsch, Axel (1995), S. 346. Vgl. Gierl, Heribert / Helm, Roland / Stumpp, Stefan (1999), S. 217 ff.; Raju, Sekar P. (1980), S. 272 ff.. Vgl. Bänsch, Axel (1995), S. 347. Vgl. Karsten, Anitra (1928), S. 185 f..

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

Hypothese 1

61

Je höher die Dringlichkeit, ein neues Fahrzeug zu kaufen, desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Neben der Dringlichkeit beeinflusst das Altprodukt auch die Wechselkosten zu einem Ersatzprodukt. Charakterisierend für langlebige Konsumgüter ist, wie in Kapitel I 2.3 beschrieben, die Existenz eines Gebrauchtmarktes. Der Zustand des Altproduktes und dessen Alter beeinflussen in hohem Maße dessen Restwert, d.h. die Höhe des Ertrags bei einem Verkauf auf dem Sekundärmarkt. So werden im Falle des Automobils diese Restwerte bzw. die Höhe des Wertverlustes seit der Fahrzeuganschaffung in Gebrauchtwagenpreislisten, wie die der Deutschen Automobiltreuhand oder der Eurotax-Schwackeliste, verzeichnet. Tendenziell sind die Wertverluste bei Automobilen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Der Restwert von Neuwagen beträgt nach vier Jahren, der momentanen durchschnittlichen Haltezeit bis zum ersten Besitzerwechsel, häufig nur noch 30-40% des Anschaffungspreises.1 Da der Wertverlust des Altproduktes Teil der relativen Wechselkosten ist, wird dessen Einfluss auf das Leapfrogging-Verhalten an dieser Stelle diskutiert. 5.2.2 Effekte des Neuproduktes Neben der stofflich-materiellen Veränderung unterliegt das Altprodukt einem Entwertungsvorgang, der durch die Einführung von weiterentwickelten, vorteilhafteren Produkten hervorgerufen wird. Dieser als Veralterung oder Obsoleszenz bezeichnete Effekt entspricht der wahrgenommenen Differenz des gegenwärtig genutzten Produktes und der neuesten am Markt verfügbaren Produktgeneration hinsichtlich äußerer Gestalt (Form, Farbe, Design) sowie funktionellen und technischen Eigenschaften. „An important means by which the value of a durable good may change is, if the new, superior product is introduced which makes the old product obsolet. Obsolescence is defined as the relative loss in value due to styling changes (style obsolescence) or quality improvements (functional obsolescence) in subsequent versions of the product”.2 Entsprechend der Art der Veränderung unterscheidet man in der Literatur häufig zwischen physischer und psychischer Veralterung. Bei physischer Veralterung spricht man von der Weiterentwicklung des Neu- gegenüber dem Altprodukt in funktionaler und technischer Hinsicht.

1 2

Vgl. Diez, Willi (2001), S. 240. Levinthal, Daniel A. / Purohit, Devavrat (1989), S. 35.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

62

So ist ein Produkt physisch veraltet, wenn es nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspricht, bzw. funktionell überholt ist, d.h. das Neuprodukt vergleichbare Funktionen besser oder einfacher erfüllen kann.1 Unter der psychischen Veralterung versteht man, dass das Altprodukt nicht mehr dem neuesten Design und der Mode entspricht.2

Produktveralterung

physisch

technisch

psychisch

funktionell

Abbildung 15: Formen der Produktobsoleszenz

Diese Veralterung des gegenwärtig genutzten Produktes entspricht der Leistungsverbesserung des Neuproduktes. 3 Jedoch ist festzuhalten, dass die Diskrepanz der beiden Produktgenerationen keine objektive Größe darstellt, sondern vielmehr von der subjektiven Wahrnehmung des Nachfragers abhängt.4

1 2 3 4

Vgl. Robertson, Thomas (1971), S. 9 f.. Vgl. Gebhardt, Peter (1986), S. 20 ff.; Fuhrmann, Klaus (1987), S. 13. Vgl. Purohit, Devavrat (1992), S. 154 ff.. Vgl. Meining, Wolfgang / Heß, Andreas (1992), S. 253.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

Kaufzeitpunkt des derzeit genutzten Produktes

Qualität

Status quo = Altprodukt

(t0 )

Zeitpunkt des Nachdenkens über einen Ersatzkauf (t0+x)

63

Verschleiß bzw. Verfall

Wahrgenommene Veralterung Qualität

Status quo

Zeit

Neuprodukt

Wahrgenommener relativer Vorteil G1 /G0

Abbildung 16: Wertminderung des Altproduktes durch wahrgenommene Veralterung, Verschleiß und Verfall

Zentrale Aussage der Adoptionstheorie ist, dass eine gewisse relative Verbesserung des neuen Produktes gegenüber dem alten wahrgenommen werden muss, damit der Nachfrager das Neuprodukt als Ersatz in Erwägung zieht. Die Neigung zum Wechsel steigt mit zunehmendem wahrgenommenem relativen Vorteil des Alternativproduktes. 1 Überschreitet die Verbesserung von G1 gegenüber G0 bereits ein Mindestmaß, so wird der Nachfrager weniger Bereitschaft zeigen, auf das zukünftige Produkt zu warten, sondern bereits das aktuell am Markt verfügbare Produkt wählen.

Hieraus ergibt sich Hypothese 2:

Hypothese 2

Je größer der wahrgenommene relative Vorteil des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Nachfrager den Ersatzkauf in Erwägung zieht, ist das Neuprodukt bereits am Markt erhältlich. Er kann sich über das neue Produkt bereits ein Bild verschaffen, indem er es testet (im Falle des Autos z.B. durch Testfahrten), bzw. in seinem sozialen Umfeld bereits gesammelte Erfahrungen zu Rate zieht. 1

Vgl. Pickering, John F. (1981), S. 68; Bayus, Barry L. / Gupta, Sudheer (1991), S. 259.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

64

Entsprechend der Theorie des wahrgenommenen Risikos kann keine Handlung hinsichtlich ihrer Konsequenzen mit Sicherheit vorhergesagt werden. Die wahrgenommenen Nutzenvorteile des Neuproduktes kann der Nachfrager also nicht mit Sicherheit bestimmen. Diese Unsicherheit beeinflusst seine Adoptionsentscheidung. Aufgrund der Relevanz der Unsicherheit, nicht nur hinsichtlich des wahrgenommenen relativen Vorteils von G1, sollen die Effekte auf das Leapfrogging-Verhalten gesondert im Folgenden dargestellt werden. 5.2.3 Effekte des Zukunftsproduktes Wie erläutert, kommt es zum Leapfrogging-Verhalten, wenn der potentielle Kunde zur Zeit der Ersatzkaufabsicht nicht nur das Neuprodukt als Alternative zu seiner aktuellen Ausstattung sieht, sondern auch eine zukünftig am Markt erscheinende Generation des Produktes. Innerhalb der Adoptionsentscheidung bewertet der Kunde also nicht nur den relativen Vorteil des Neu- gegenüber dem Altprodukt, sondern ebenso die Leistungen des Zukunftsproduktes. Das Zukunftsprodukt beeinflusst die Entscheidung durch drei Faktoren: x

den relativen Vorteil von G2 gegenüber G1,

x

den Zeitpunkt der Verfügbarkeit von G2 sowie

x

den relativen Wechselkosten von G0 zu G2 im Verhältnis zu G0 zu G1.

So wie das Neuprodukt eine Weiterentwicklung des Altproduktes darstellt, ist die darauffolgende Generation des Zukunftsproduktes eine Fortentwicklung von G1 und führt zu dessen Veralterung. Der Nachfrager verfügt zum Zeitpunkt der Adoptionsentscheidung über kein sicheres Wissen hinsichtlich des Zeitpunktes der Verfügbarkeit und der Leistungen des Zukunftsproduktes. Jedoch hat er Erwartungen bzgl. des relativen Vorteils des Zukunftsproduktes zu G1, die z.B. durch Erfahrungen in der Vergangenheit und Preannouncements der Anbieter beeinflusst wurden. Erwartet er umfangreiche Verbesserungen des Zukunftsproduktes gegenüber dem Neuprodukt, so wird er auf die Adoption des Neuproduktes verzichten, da er nicht Gefahr laufen möchte, bei Erscheinen der Zukunftsgeneration ein veraltetes Produkt zu besitzen.1 Er zieht das Produkt als Kaufobjekt in Erwägung, welches ihm den größten wahrgenommenen relativen Vorteil bringt. Dies wird umso stärker der Fall sein, je weniger Zeit bis zur Verfügbarkeit der zukünftigen Generation verstreichen wird.

1

Vgl. Rosenberg, Nathan (1976), S. 526; Kamien, Morton L. / Schwartz, Nancy L. (1972), S. 136 f.; Balcer, Yves / Lippman, Steven A. (1984), S. 295; Weiss, Allen M. (1987), S. 80; Weiss, Allen M. / John, George (1989), S. 17; Weiber, Rolf / Pohl, Alexander (1995), S. 423; Gierl, Heribert (1997), S. 1076.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

Kaufzeitpunkt des derzeit genutzten Produktes

Qualität

Status quo = Altprodukt

(t0 )

Zeitpunkt des Nachdenkens über einen Ersatzkauf (t 0+x)

65

Verschleiß bzw. Verfall

Wahrgenommene Veralterung

Erwartete Veralterung Qualität

Status quo

Neuprodukt

Zukunftsprodukt

Erwarteter relativer Vorteil G2 /G1 Zeit

Abbildung 17: Wertminderung des Altproduktes durch erwartete und wahrgenommene Veralterung, Verschleiß und Verfall

Hypothese 3 Hypothese 4

Je größer der erwartete relative Vorteil des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Neuprodukt (G1), desto höher ist die Leapfrogging-Neigung. Je länger die erwartete Zeit bis zur Einführung des Zukunftsproduktes (G2), desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Teil des relativen Vorteils ist bei Rogers der ökonomische Vorteil, unter den als negative Komponente die Kosten fallen. Dort wird der relative Vorteil als kombiniertes Preis/Leistungsverhältnis betrachtet. Wie vorab beschrieben, ist es bei langlebigen Konsumgütern aufgrund der Existenz von Gebrauchtmärkten von besonderem Interesse den Faktor Kosten isoliert hinsichtlich seiner Wirkung auf das Leapfrogging-Verhalten zu untersuchen.1 Die Märkte von langlebigen Konsumgütern, wie dies auch bei Automobilen der Fall ist, sind zum größten Teil gesättigt. 2 Daher handelt es sich bei der Adoptionsentscheidung im Zusammenhang mit der Einführung einer neuen Generation des Produktes fast ausschließlich um Ersatzkäufe.

1

2

In der Literatur sind je nach Untersuchungsgegenstand die Kosten als eigenständiger produktbezogener Adoptionsfaktor dargestellt. Vgl. Tornatzky, Louis G. / Klein, Katherine J. (1982), S. 36; Pohl, Alexander (1994), S. 60. Vgl. Stumpp, Stefan (2000), S. 1.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

66

Da das Altprodukt bei Ersatzkauf meist noch nicht das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, befindet sich der Nachfrager in einer Kaufsituation, in der er simultan als Käufer und Verkäufer auftritt.1 Er ist Anbieter seines Altproduktes und gleichzeitig Nachfrager der neuen Produktgeneration. Betrachtet man den Begriff der Produktkosten unter dieser Voraussetzung, so wird klar, dass sich die Kosten eines Wechsels vom Altprodukt auf ein Alternativprodukt aus zwei Komponenten zusammensetzen: x

dem Preis, den der Konsument in seiner Rolle als Nachfrager für das neue Produkt zahlt und

x

dem Erlös, den er als Anbieter für sein Altprodukt erhält.

Der Erlös, den er für das Altprodukt erhält, ist abhängig vom Restwert seiner aktuellen Ausstattung, d.h. dem Wertverlust, den das Altprodukt durch Verschleiß, Verfall und Veralterung erfahren hat. Der Preis, den er für das neue Produkt zahlen muss, hängt zum einen vom Neuprodukt und seinen Leistungsverbesserungen, aber auch von der Preispolitik des Anbieters und eventuellen Rabatten des Händlers ab. Gemeinsam bilden sie die Wechselkosten.2 Da sich der Nachfrager nun vor die Frage gestellt sieht, das Neuprodukt oder das Zukunftsprodukt zu adoptieren, muss er die Wechselkosten hin zur einen oder zur anderen Alternative miteinander vergleichen. Die relativen Wechselkosten bezeichnen die Kosten des Wechsels von G0 zu G2 im Verhältnis zu den Kosten des Wechsels von G0 zu G1.Es ist somit zu erwarten, dass der Nachfrager eher dazu geneigt sein wird, das Neuprodukt zu adoptieren, d.h. nicht auf das Zukunftsprodukt zu warten, je höher die relativen Wechselkosten sind.

Hypothese 5

Je höher die erwarteten relativen Wechselkosten, desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Wie ausgeführt, setzen sich die Wechselkosten aus der Preisdifferenz zwischen G2 und G1 und dem Wertverlust von G0 zum Zeitpunkt der Adoption zusammen. Nimmt man an, dass der Preis eines Produktes mit dessen Qualität und Leistungsverbesserungen korreliert, dann hat der relative Vorteil eines Produktes Auswirkungen auf dessen Preis.

1 2

Vgl. Herrmann, Andreas / Bauer, Hans / Huber, Frank (1997), S. 5; Purohit, Devavrat (1995), S. 101. Vgl. Franz, Wolfgang / König, Heinz (1980), S. 246.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

67

Ist der wahrgenommene relative Vorteil G1/G0 im Verhältnis zum erwarteten G2/G1 groß, d.h. die Weiterentwicklung des Neuproduktes gegenüber dem Altprodukt größer als die erwarteten Verbesserungen des Zukunftsproduktes gegenüber dem Neuprodukt, so reduzieren sich die relativen Wechsel-kosten. Umgekehrt verhält es sich bei umfangreichen erwarteten Verbesserungen des Zukunftsproduktes.

Hypothese 6

Je größer der wahrgenommene relative Vorteil des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto geringer sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

Hypothese 7

Je größer der erwartete relative Vorteil des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Neuprodukt (G1), desto höher sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

Neben dem Kaufpreis werden die relativen Wechselkosten vom Wertverlust des Altproduktes beeinflusst. Das Bestreben, einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen, beeinflusst die Wahl des Veräußerungszeitpunktes.1 Entscheidet der Nachfrager, auf das Zukunftsprodukt zu warten, d.h. zu Leapfroggen, bedeutet dies, er nutzt sein Altprodukt weiter. In dieser Zeit unterliegt es zunehmendem Wertverlust durch weiteren Verschleiß und Verfall. 2 Der Wertverfall und somit die Wechselkosten steigen somit, je länger der Konsument auf das Zukunftsprodukt warten muss.

Hypothese 8

Je länger die erwartete Zeit bis zur Einführung des Zukunftsproduktes (G2), desto höher sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

5.2.4 Effekte der Unsicherheit Wie bereits erläutert, sind die Annahmen des Nachfragers hinsichtlich wahrgenommener und erwarteter Ereignisse nicht sicher. Der Adopter hat keine Vorstellung bzgl. der Eintrittwahrscheinlichkeit und der Ergebnisse der Adoption hinsichtlich der einen oder anderen Alternative. Dieser Tatbestand wird als „Unsicherheit“ bezeichnet. Entsprechend der Informationsökonomie sind diese Unsicherheiten durch die Existenz von Informationsasymmetrien begründet, d.h. die Informationen sind ungleich zwischen Anbieter und Nachfrager verteilt.3

1 2 3

Vgl. Meining, Wolfgang / Heß, Andreas (1992), S. 254. Vgl. Levinthal, Daniel A. / Purohit, Devavrat (1989), S. 37. Vgl. Akerloff, George A. (1970), S. 488 ff.; Hirshleifer, Jack (1973), S. 31 ff.; Spremann, Klaus (1990), S. 561 ff..

68

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Bei der im vorliegenden Fall interessierenden Unsicherheit des Nachfragers bei der Beurteilung von Leistungseigenschaften eines Produktes handelt es sich per definitione um endogene Unsicherheit. Diese bezieht sich, im Gegensatz zur exogenen Unsicherheit, nämlich der über den Eintritt von Umweltzuständen, auf das Verhalten der Marktteilnehmer.1 Die Beurteilung des Leistungsangebotes setzt sich aus Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften zusammen. Sucheigenschaften können schon vor dem Kauf oder der Nutzung des Produktes beurteilt werden, wie z.B. das Design und die Farbe eines Objektes. Erfahrungseigenschaften hingegen werden erst nach der Nutzung oder Erprobung beurteilt, wie etwa die Funktionsfähigkeit. Vertrauenseigenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder vor noch nach Vertragsabschluss beurteilt werden können.

Hinsichtlich der Wirkung der Unsicherheit auf das Adoptionsverhalten von Innovationen und somit auf das Leapfrogging-Verhalten bestehen in der Literatur verschiedene Meinungen, bzw. es werden zusätzliche Annahmen hinsichtlich der Risikoaffinität des Nachfragers getroffen.2 Entsprechend der Theorie des wahrgenommenen Risikos treffen, wie vorab ausgeführt, die Konsumenten erst dann die Entscheidung, ein Produkt zu adoptieren, wenn das wahrgenommene Risiko auf ein akzeptables Maß reduziert ist. 3 Zur Reduzierung der Unsicherheit stehen dem Nachfrager verschiedene Möglichkeiten der Information zur Verfügung. Im Falle des Neuproduktes stehen Such- und Erfahrungseigenschaften im Vordergrund. Zur Zeit der Adoptionsentscheidung ist das Produkt bereits physisch fassbar. Somit sind die Unsicherheiten auf das Produkt selbst beschränkt. Der Nachfrager hat jedoch die Möglichkeit, durch probeweises Übernehmen des Produktes eigene Erfahrungen zu sammeln, bzw. auf Erfahrungen aus dem sozialen Umfeld zurückzugreifen. Im Falle des Zukunftsproduktes kann der Nachfrager primär auf Vertrauenseigenschaften zurückgreifen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung liegt das Produkt noch nicht real vor, d.h. man kann das Produkt weder inspizieren (Sucheigenschaften), noch durch Nutzung oder Umgang damit Erfahrungen sammeln. Neben der Unsicherheit hinsichtlich der Qualität ist auch eine Unsicherheit bzgl. des Verhaltens des Anbieters vorstellbar, wie z.B. hinsichtlich des Einführungszeitpunktes.4

1 2

3 4

Vgl. Hopf, Michael (1983), S. 313. Vgl. hierzu Kamien, Morten I. / Schwartz, Nancy L. (1972), S. 123 ff. die eine Verzögerung der Adoption des Neuproduktes bei Unsicherheit annehmen vs. der Annahmen von Balcer, Yves / Lippman, Steven A. (1984), S. 303 f., die von einer positiven Wirkung der Unsicherheit auf die Adoption ausgehen. Vgl. außerdem Gierl, Heribert (1997), S. 1077. Vgl. Pohl, Alexander (1994), S. 124. Vgl. Gierl, Heribert / Helm, Roland / Satzinger, Michaela (1999), S. 1187 ff..

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

69

Der Nachfrager muss in dieser Situation auf Informationen zur Risikoreduktion zurückgreifen, die einfach zu beschaffen sind, sogenannte Schlüssel-informationen. Da keine produktbezogenen Informationen vorliegen, muss der Konsument auf unternehmensbezogene Informationen zurückgreifen, wie z.B. Erfahrungen mit dem Anbieter in der Vergangenheit oder Image und Reputation des Anbieters.1 Außerdem kann er sich auf Signale des Anbieters beziehen, die als Versprechen bezüglich der Leistung und Verfügbarkeit des Zukunftsproduktes zu interpretieren sind. Solche Signale sind vor allem Vorankündigungen (Preannouncements). Generell ist zu bemerken, dass die Suche nach Informationen zeitaufwändig ist. Es ist also davon auszugehen, dass je höher die Unsicherheit des Nachfragers bzgl. Timing, Kosten und Umfang der Leistungsverbesserungen von G2 und G1 ist, desto mehr Zeit wird für die Risikoreduktion aufgewandt wird, d.h. umso länger wird die Adoption der Neutechnologie verzögert. In dieser Zeit stehen dem Konsumenten bewusst oder unbewusst tendenziell immer mehr Informationen über das Zukunftsprodukt zur Verfügung, so dass dieses immer mehr als Alternative in Betracht kommt. Diese positive Wirkung der Unsicherheit lässt sich auch mittels der Regret Theorie erklären. Gemäß der Regret-Theorie von Bell und Loomes/Sudgen berücksichtigt der Konsument bei seiner Entscheidung zwischen mehreren Alternativen nicht nur die Konsequenzen, die sich bei der Wahl einer jeden Alternative ergeben, sondern außerdem die Konsequenzen, die ihm bei der Entscheidung für eine Option durch die Nicht-Wahl der anderen entgehen. 2 Der Nachfrager bedauert quasi schon im Vorhinein die ihm entgangenen Folgen der anderen, nicht gewählten Alternative. Dies wird mit der generellen Abneigung des Menschen, eine Entscheidung im Nachhinein zu bedauern, begründet.3 In vorliegendem Fall muss sich der Nachfrager entscheiden, das Neuprodukt zu adoptieren oder den Kauf zu verschieben, das Altprodukt zu bewahren und auf das Zukunftsprodukt zu warten. Da sich der Nachfrager nicht sicher ist, wann das Zukunftsprodukt eingeführt wird und welche Nutzensteigerung es bringen wird, besteht die Möglichkeit, dass der Nachfrager den Kauf des Neuproduktes bald bedauern wird. Um im Falle der baldigen Einführung des Zukunftsproduktes ein späteres Bedauern zu vermeiden, wird er tendenziell den Kauf verschieben. Dies wird umso stärker ausgeprägt sein, je unsicherer er sich bei der Bewertung der verschiedenen Produktalternativen ist.

1 2 3

Vgl. Weiber, Rolf (1994), S. 347 f.. Vgl. Bell, David E. (1982), S. 962; Loomes, Graham / Sugden, Robert (1982), S. 807 ff.. Vgl. Nitzsch, Rüdiger v. /Friedrich, Christian (1999), S. 76.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

70

Verstärkend kommt hinzu, dass in der Literatur unterstellt wird, dass negative Konsequenzen aus einer aktiven Entscheidung, d.h. in diesem Fall einer Adoptionsentscheidung für das Neuprodukt, stärker bedauert werden, als wenn negative Konsequenzen von einem passiven Verhalten herrühren.1 Dieses auch als omission bias bezeichnete Phänomen des Konsumentenverhaltens wird dadurch erklärt, dass der Mensch zwischen einem Ereignis und einer vorausgegangenen aktiven Entscheidung oder Handlung eine stärkere Kausalität sieht, als zwischen einer unterlassenen Handlung und deren Konsequenzen.2 Der Nachfrager hält somit nicht etwa am Status quo fest, weil dieser momentan seinen Präferenzen entspricht, sondern weil er es bevorzugt, abzuwarten, um ein späteres Bedauern zu vermeiden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Unsicherheiten bzgl. des Einführungszeitpunktes und des relativen Vorteils des Zukunftsproduktes, sowie der Wechselkosten und des relativen Vorteils des Neuproduktes positiv auf die Leapfrogging-Neigung auswirken. Hypothese 9

Je größer die Unsicherheit bzgl. des relativen Vorteils des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto größer die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 10 Je größer die Unsicherheit bzgl. des relativen Vorteils des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto größer die Leapfrogging-Neigung. Hypothese 11 Je größer die Unsicherheit bzgl. des erwarteten Einführungszeitpunktes des Zukunftsproduktes (G1), desto größer die Leapfrogging-Neigung. Hypothese 12 Je größer die Unsicherheit bzgl. der erwarteten relativen Wechselkosten, desto größer die Leapfrogging-Neigung. 5.3

Das Hypothesensystem im Überblick

Wir haben gesehen, dass die Leapfrogging-Neigung einer Vielzahl von Einflussgrößen unterliegt. Anhand theoretischer Überlegungen wurden die entscheidenden Determinanten identifiziert und Hypothesen über ihre Wirkungsrichtung gebildet. Tabelle 3 gibt einen Überblick über das Hypothesensystem. Wie der Begriff „System“ bereits indiziert, handelt es sich nicht um isoliert voneinander wirkende Einflüsse. Vielmehr soll das gesamte Wirkungsgefüge simultan anhand empirischer Daten geprüft und die Determinanten hinsichtlich ihrer Eignung zur Erklärung des zu untersuchenden Phänomens getestet werden.

1 2

Vgl. Kahneman, Daniel / Tversky, Amos (1982), S. 136; Ritov, Ilana. / Baron, Jonathan (1999), S. 80. Vgl. Ritov, Ilana / Baron, Jonathan (1990), S. 263; Spranca, Mark / Minsk, Elisa / Baron, Jonathan (1991), S. 80.

Die Spezifikation der zu erklärenden Variablen

71

Hypothesen zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens beim Automobilkauf Hypothese 1

Je höher die Dringlichkeit, ein neues Fahrzeug zu kaufen, desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 2

Je größer der wahrgenommene relative Vorteil des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 3

Je größer der erwartete relative Vorteil des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Neuprodukt (G1), desto höher ist die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 4

Je länger die erwartete Zeit bis zur Einführung des Zukunftsproduktes (G2), desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 5

Je höher die erwarteten relativen Wechselkosten, desto geringer ist die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 6

Je größer der wahrgenommene relative Vorteil des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto geringer sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

Hypothese 7

Je größer der erwartete relative Vorteil des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Neuprodukt (G1), desto höher sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

Hypothese 8

Je länger die erwartete Zeit bis zur Einführung des Zukunftsproduktes (G2), desto höher sind die erwarteten relativen Wechselkosten.

Hypothese 9

Je größer die Unsicherheit bzgl. des relativen Vorteils des Neuproduktes (G1) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto größer die Leapfrogging-Neigung.

Hypothese 10 Je größer die Unsicherheit bzgl. des relativen Vorteils des Zukunftsproduktes (G2) gegenüber dem Altprodukt (G0), desto größer die Leapfrogging-Neigung. Hypothese 11 Je größer die Unsicherheit bzgl. des erwarteten Einführungszeitpunktes des Zukunftsproduktes (G1), desto größer die Leapfrogging-Neigung. Hypothese 12 Je größer die Unsicherheit bzgl. der erwarteten relativen Wechselkosten, desto größer die Leapfrogging-Neigung. Tabelle 3:

Übersicht der Hypothesen des Strukturmodells zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei langlebigen Konsumgütern

Die Kombination dieser Determinanten ergibt das in Abbildung 18 dargestellte Basismodell zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

72

Erwartete Zeit bis Einführung G2

Erwartete relative Wechselkosten

H8 (+) H6 (-)

Wahrgenommener relativer Vorteil G1/G0

H4 (-)

H5 (-) H7 (+)

H2 (-) Erwarteter relativer Vorteil G2/G1

Leapfrogging Neigung

H3 (+)

H1 (-) Dringlichkeit

H10 (+)

H11 (+)

H12 (+)

H9 (+) Unsicherheit bzgl. relativer Vorteil G1/G0

Unsicherheit bzgl. relativer Vorteil G2/G1

Unsicherheit bzgl. Zeit

Unsicherheit bzgl. relative Wechselkosten

Abbildung 18: Kausalmodell zur Erklärung des Leapfrogging-Verhaltens bei langlebigen Konsumgütern

Im nächsten Schritt soll nun eine geeignete Methode für die empirische Prüfung des Modells gewählt werden.

6

Methodische Grundlagen des Modells

6.1

Eignung der Kausalanalyse als methodische Basis

Das aus den theoretischen Vorüberlegungen resultierende Hypothesensystem, d.h. die das Leapfrogging-Verhalten determinierenden Faktoren auf Basis eines empirischen Datensatzes zu analysieren, ist mit hohen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des einzusetzenden Verfahrens zur statistischen Datenauswertung verbunden. Grundsätzlich können die postulierten Kausalbeziehungen mittels einer Vielzahl verschiedener Varianten der Regressionsanalyse untersucht werden. Die Spezifika des vorliegenden Forschungsvorhabens machen es jedoch notwendig, einige Kriterien zu formulieren, denen die Methode gerecht werden muss.

Methodische Grundlagen des Modells

73

Die in Frage kommenden methodischen Ansätze sollen daher im Folgenden anhand dieser Anforderungen auf ihre Eignung zur Analyse untersucht werden.1 x

Möglichkeit der Analyse von Kausalbeziehungen zwischen hypothetischen Konstrukten:

Bei den im Modell agierenden Variablen handelt es sich meist um theoretische Konstrukte, „...an abstract entity which represents the true, nonobservable state or nature of a phenomenon“ 2 , die sich einer einfachen, direkten Messung entziehen. Um sie empirisch greifbar zu machen, müssen sie mittels sogenannter Indikatoren operrationalisiert werden.3 Dies sind direkt beobachtbare Größen, die als erklärende Variable der Konstrukte theoretisch fundiert sind.4 Durch die Messung der latenten Variablen über mehrere Indikatoren besteht die Möglichkeit, eventuelle Verzerrungen in den einzelnen Indikatorvariablen aufzufangen.5 Das mathematisch-statistische Verfahren muss also in der Lage sein, explizit zwischen beobachteten und nicht-beobachteten Variablen zu unterscheiden, so dass beide Variablentypen in die Analyse einbezogen werden können. x

Berücksichtigung von systematischen und zufälligen Messfehlern

Diese latenten Variablen, die in der sozialwissenschaftlichen Forschung überwiegend auftreten, sind aufgrund der Unvollkommenheit des Messinstrumentes also nur durch eine fehlerhafte Erfassung zugänglich.6 Die Indikatoren können als nicht-perfekte Messungen der zugrunde liegenden latenten Variablen betrachtet werden, was dazu führt, dass die Messung der hypothetischen Konstrukte in aller Regel mit Messfehlern behaftet ist. Die Gründe für solche Fehler sind vielfältig.7 Fließen diese Messfehler nicht in die Analyse ein, können die Ergebnisse der Modellschätzung starken Verzerrungen unterliegen. Zudem ist in der Realität aufgrund der komplexen Wirkungszusammenhänge nicht davon auszugehen, dass die abhängige Variable vollkommen durch die unabhängigen Variablen erklärt werden kann. Dies wird durch den Einfluss von Drittvariablen ausgedrückt.8

1 2 3 4 5 6 7

8

Vgl. Ohlwein, Martin (1999), S. 218 ff.. Vgl. Bagozzi, Richard P./ Fornell, Claes (1982), S. 24. Vgl. Homburg, Christian / Giering, Annette (1996), S. 6. Vgl. Bollen, Kenneth A. (1989), S. 179 ff.; Hayduk, Leslie A. (1996). Vgl. Homburg, Christian (1992), S. 501. Vgl. Bagozzi, Richard P. (1984), S. 11 ff.; Hunt, Shelby D. (1991), S. 386. Gründe von Messfehlern können z.B. in mangelnder Reliabilität oder Validität des Messinstruments, oder Verzerrungen durch bewusste Falschaussagen der Probanden oder externen Einflüssen während der Messung liegen. Zu weiteren Ursachen von Messfehlern vgl. Bagozzi, Richard P. (1994), S. 26 f.. Vgl. Draper, Norman R.. / Smith, Harry (1981), S. 117.

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

74

Besonders bei bisher nur gering erforschten Feldern, wie in vorliegender Untersuchung, mit zum Teil explorativem Charakter, muss dieser Tatsache Rechnung getragen werden, damit verfälschte oder verzerrte Ergebnisse durch die Vernachlässigung der Fehlerproblematik vermieden werden. x

Prüfung komplexer Hypothesensysteme und Berücksichtigung der Beziehungen zwischen unabhängigen Variablen

Bei der Analyse interessieren nicht nur die isolierten Beziehungen zwischen einzelnen Variablen. Wie aus dem zu untersuchenden Hypothesensystem ersichtlich, existieren sowohl eine Vielzahl von Determinanten, die die endogene Variable beeinflussen, als auch kausale Beziehungen zwischen den Einflussgrößen. Man spricht hier auch von direkten und indirekten Effekten auf die zu erklärende Größe. Das Analyseinstrument muss folglich, um das komplexe menschliche Verhalten abzubilden, kausale Beziehungen mit mehreren exogenen und endogenen Variablen prüfen können. x

Simultane Hypothesenprüfung

Die skizzierten Einflussfaktoren wirken simultan auf das zu erklärende Phänomen des Leapfroggings. Es ist daher erforderlich, das Beziehungsgeflecht in seiner Gesamtheit mit dem empirischen Datenmaterial zu konfrontieren und die Hypothesen zu testen 1 . Dieser Forderung muss die Methode gerecht werden. Kriterium

Anforderung an das Analyseverfahren

1

Möglichkeit der Analyse von Kausalbeziehungen zwischen hypothetischen Konstrukten

2

Integration von systematischen und zufälligen Messfehlern

3

Prüfung komplexer Hypothesensysteme, Berücksichtigung der Beziehungen zwischen unabhängigen Variablen

4

Simultane Überprüfung der postulierten Hypothesen

Tabelle 4:

Anforderungen an ein geeignetes Analyseverfahren2

Die klassische Regressionsanalyse stößt bei den in vorliegender Untersuchung gestellten Forderungen an ihre analytischen Grenzen.3 Die Variablen fließen in die Regressionsanalyse als direkt beobachtbare Größen ein. 1 2 3

Zur Effizienzsteigerung der simultanen Modellschätzung vgl. Bollen, Kenneth A. (1996), S. 227. In Anlehnung an Ohlwein, Martin (1999), S. 220. Vgl. zur grundlegenden Darstellung der Regressionsanalyse Backhaus, Klaus / Erichson, Bernd / Plinke Wulff / Weiber, Rolf (2000), S. 299 ff..

Methodische Grundlagen des Modells

75

Die Betrachtung von latenten Variablen ist nicht unmittelbar, sondern lediglich über den Umweg einer vorgelagerten Faktorenanalyse, in der die Indikatoren zu Faktoren verdichtet werden, möglich.1 Bleibt das Problem der Integration der Messfehler: Eine Berücksichtigung der Messfehler findet nur in unzureichender Form als globaler Fehlerterm statt. Das lineare Regressionsmodell basiert auf der Prämisse, dass die Regressoren linear unabhängig sind, dass sich keine unabhängige Variable als lineare Funktion der übrigen darstellen lässt. 2 Die lineare Abhängigkeit der Determinanten wird auch als Problem der Multikollinearität bezeichnet und dessen Berücksichtigung in dieser Studie explizit gefordert. Eine weitere Schwachstelle dieser Methode ist ihre Beschränkung auf sehr einfache Abhängigkeitsstrukturen. Reale Strukturen, wie kausale Ketten oder wechselseitige Abhängigkeiten, lassen sich häufig nicht beschreiben.3 Eine simultane Prüfung der Hypothesen ist lediglich möglich, wenn nur eine endogene Variable im Modell enthalten ist. Die Regressionsanalyse kann also die hier gestellten Anforderungen nicht oder nur in unzureichendem Maße erfüllen. Zur Analyse des Leapfrogging-Verhaltens müssen demnach neuere Methoden in Betracht gezogen werden. Eine solche alternative Methode stellt das Logit-Verfahren dar. 4 Die Regressionsanalyse geht in allen ihren Varianten immer von einem metrischen Skalenniveau der abhängigen Variablen aus. Diese Bedingung wird im Logit-Verfahren gelöst. Der Regressand ist hier binär ausgeprägt, hat also kategoriales Skalenniveau. Zweiter wesentlicher Unterschied zur Regressionsanalyse ist die nicht-lineare Beziehung zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen. Die abhängige Variable, welche die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses beschreibt, folgt einem logarithmischen, S-förmigen Verlauf, sich den Extremen 0 und 1 annähernd. Der dritte Unterschied liegt in der Schätzung der Parameter, die bei der Logit-Methode nicht mittels des Verfahrens der Kleinsten-Quadrate, sondern über Maximum-Likelihood geschätzt werden.5

1

2 3 4

5

Vgl. zu diesem Vorgehen Dichtl, Erwin / Hardock, Peter / Ohlwein, Martin / Schellhase, Rolf (1997), S. 498 ff.. Vgl. Backhaus, Klaus / Erichson, Bernd / Plinke Wulff / Weiber, Rolf (2000), S. 33 f.. Vgl. Homburg, Christian (1992), S. 499 f.. Zur detaillierten Erklärung des Verfahrens vgl. Decker, Reinhold / Wagner, Ralf (1999), S. 551 ff.; Krafft, Manfred (1997), S. 626 ff.; Hair Jr., Joseph F. / Anderson, Ralph E. / Tatham, Ronald L. / Black, William C. (1995), S. 129 ff.; Bauer, Hans H. / Herrmann, Andreas / Huber, Frank (1994), S. 434 ff.; Malhotra, Naresh K. (1984), S. 20 ff.. Vgl. Hair Jr., Joseph F. / Anderson, Ralph E. / Tatham, Ronald L. / Black, William C. (1995), S. 132; Herrmann, Andreas (1992), S. 146 ff..

76

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

Bezüglich der vorab formulierten Kriterien verhält sich der Logit-Ansatz ähnlich der Regressionsanalyse. Auch hier können hypothetische Konstrukte nicht direkt betrachtet werden, sondern die Indikatoren müssen in einer vorgeschalteten Faktorenanalyse zu latenten Variablen verdichtet werden. Der Messfehlerproblematik wird lediglich durch die Integration einer Störgröße Rechnung getragen. Außerdem ist es nicht möglich, kausale Beziehungen zwischen den unabhängigen Variablen abzubilden, da auch hier von der linearen Unabhängigkeit der Regressoren ausgegangen wird. Lediglich bezüglich des Kriteriums der simultanen Analyse des Hypothesensystems wird das Verfahren den Anforderungen gerecht.1 Zusammenfassend wird klar, dass auch dieses Verfahren die gestellten Anforderungen nicht oder nur bedingt erfüllt und somit nicht für die Untersuchungszwecke der vorliegenden Arbeit geeignet ist. Weite Verbreitung findet seit einigen Jahren die Kovarianzstrukturanalyse, die sich durch die Kombination von regressions- und faktorenanalytischen Ansätzen auszeichnet und somit für die Analyse des Leapfrogging-Phänomens von Interesse ist.2

Anstoß der Entwicklung der auch als lineares Strukturgleichungsmodell oder Kausalanalyse bezeichneten Methode bildet die Notwendigkeit, kausale Beziehungen zwischen hypothetischen Konstrukten zu analysieren. Die Betrachtung latenter Variablen ist also als grundlegendes Prinzip des Verfahrens verankert. Zudem integriert die Kausalanalyse als einziges multivariates Analyseverfahren explizit Messfehler und Drittvariablen in das Modelldesign.3 In der Kausalanalyse besteht die Möglichkeit, die zwischen unabhängigen Variablen bestehenden Wirkungszusammenhänge zu modellieren und somit direkte und indirekte Effekte zu erfassen. Auch das Kriterium der simultanen Hypothesenprüfung wird erfüllt, da der Strukturgleichungssansatz das Beziehungssystem als Ganzes mit dem empirischen Datenmaterial prüft. Als weitere Vorteile der Methode für die Belange der Untersuchung des LeapfroggingVerhaltens sind die Bereitstellung verschiedener Reliabilitäts- und Validitätskriterien zur Überprüfung der Qualität der Modellschätzung4 , sowie die Möglichkeit der Durchführung eines simultanen Gruppenvergleichs zur Analyse von Unterschieden verschiedener Datensätze zu nennen.

1 2 3

4

Vgl. Hagenaars, Jacques A.. (1997), S. 35 ff.. Vgl. zu den Grundlagen der Kovarianzstrukturanalyse Kapitel II 6.2, sowie die dort angeführte Literatur. Als Residualvariablen fließen sowohl Fehlervariablen in Zusammenhang mit der Messung von latent endogenen und exogenen Variablen (H- und G-Variablen), als auch Fehlervariablen des Abhängigkeitsmodells (]-Variablen) in die Analyse ein. Auf die einzelnen Kriterien wird im Laufe der Arbeit noch genauer eingegangen: Kapitel II 6.3.

Methodische Grundlagen des Modells

77

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Kovarianzstrukturanalyse allen Anforderungen, die die Analyse des Leapfrogging-Verhaltens an ein mathematischstatistisches Verfahren stellt, gerecht wird und als Untersuchungsmethode geeignet ist. Kriterium

2

Klassische Regressionsanalyse Nur in Verbindung mit faktorenanalytischem Verfahren Bedingt

Nur in Verbindung mit faktorenanalytischem Verfahren Bedingt

3

Nein

Nein

Ja

4

Nur für Spezialfall einer einzigen endogenen Variablen

Ja

Ja

1

Tabelle 5:

6.2

Logit-Verfahren

Kovarianzstrukturanalyse Ja Ja

Evaluation verschiedener Analyseverfahren als methodische Basis1

Methodische Aspekte der Kausalanalyse

Die Kausalanalyse erfreut sich in der Marketingforschung zunehmender Beliebtheit. Das aus der Soziologie stammende Verfahren zur Datenanalyse hat sich seit der Monographie „Causal Models in Marketing“2 von Richard P. Bagozzi und dessen Sonderausgabe zur Kausalanalyse im „Journal of Marketing Research“3 besonders im amerikanischen Raum etabliert. Auch im deutschsprachigen Bereich gewinnt das Verfahren an Bedeutung, wie die Metha-Analyse der Zahl der Anwendungen der Kausalanalyse in deutschen und internationalen Fachzeitschriften von Homburg/Baumgartner zeigt. 4 Besonders bei Modellen zum Konsumentenverhalten werden aufgrund der meist latenten Variablen häufig Verfahren zur Kausalanalyse eingesetzt.5 Aus diesem Grund ist das Verfahren auch für den Einsatz auf dem Gebiet der empirischen Organisationsforschung geeignet.6 Dem Anwender der Kausalanalyse stehen heute eine Vielzahl von Softwarepaketen zur Verfügung, wobei das Programm Lisrel von Karl G. Jöreskog und Dag Sörbom 7 , das mittlerweile schon in seiner 8. Version vorliegt, die weiteste Verbreitung findet. Der Begriff Lisrel leitet sich aus der Bezeichnung Linear Structural Relationship ab.

1 2 3 4 5

6 7

Vgl. Ohlwein, Martin (1999), S. 222. Vgl. Bagozzi, Richard P. (1980a). Vgl. Bagozzi, Richard P. (1982). Vgl. Homburg, Christian / Baumgarter Hans (1995a). Vgl. Hildebrandt, Lutz (1983); Balderjahn, Ingo (1986a); Homburg, Christian (1989); Herrmann, Andreas / Huber, Frank (1997); Peter, Sybille (1997); Wricke, Martin (2000); Kanther, Verena (2001). Vgl. Bronner, Rolf (1998); Gaul, Wolfgang /Homburg, Christian (1988). Vgl. Jöreskog, Karl G. / Sörbom, Dag (1996).

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

78

Aufgrund seiner entscheidenden Wichtigkeit für die Entwicklung der Kausalanalyse wird vom Lisrel-Ansatz auch als Synonym für das gesamte methodische Konzept gesprochen. Als Alternative ist das von Peter M. Bentler1 entwickelte Programm EQS, das sich vor allem bzgl. der Möglichkeiten der Parameterschätzung unterscheidet2 und das als SPSS-Modul zur Verfügung stehende Programm AMOS 3 (Analysis of Moment Structures) zu nennen. 4 Die verschiedenen erhältlichen Programme unterscheiden sich vor allem in der Art der Modellspezifikation, dem Benutzerkomfort und der Oberflächen-Unterstützung. Aufgrund der weiten Verbreitung, der Anwendungsfreundlichkeit und der Vielzahl der Anwendungs- und Erfahrungsberichte soll im Rahmen der in dieser Arbeit durchgeführten Datenanalyse Lisrel zum Einsatz kommen.5 Im Folgenden sollen die methodischen Grundzüge der Analyse von Kausalmodellen mit latenten Variablen aufgrund ihres hohen Maßes an Komplexität exemplarisch am LisrelAnsatz erläutert werden. Für eine genauere Darstellung der mathematischen Herleitung und Verfahren sei auf die Standardliteratur von Bollen, Hayduk und Homburg verwiesen.6 6.2.1 Grundlagen des Lisrel-Ansatzes Durch die die Kausalanalyse auszeichnende Kombination von pfad- bzw. regressionsanalytischen Elementen mit faktorenanalytischen Elementen wird eine simultane Untersuchung von theoretisch hergeleiteten Kausalbeziehungen und verschiedenen Messkonzepten für die relevanten latenten Variablen ermöglicht. Es wird hierbei explizit zwischen Mess- und Substanztheorie unterschieden.7 Die konfirmatorische Faktorenanalyse dient der Überprüfung des Messinstruments, der Mess- bzw. Korrespondenzhypothese, d.h. sie überprüft die Beziehungen zwischen den direkt beobachteten, manifesten Variablen und den diesen zugeordneten hypothetischen Konstrukten. Die Regressionsanalyse erlaubt simultan den Test der Substanzhypothesen. Entsprechend besteht das vollständige Lisrel-Modell aus drei Teilen:

1

x

einem Strukturmodell, basierend auf dem regressionsanalytischen Ansatz,

x

sowie zwei Messmodellen, die aus dem faktoranalytischen Ansatz resultieren.

Vgl. Bentler, Peter M. (1995). Für einen Vergleich von Lisrel und EQS siehe Homburg, Christian / Sütterlin, Stefan (1990). Vgl. Arbuckle, Jim L. / Wothke, Werner (1999). 4 Weitere Programme geringerer Verbreitung sind SEPATH in STATISTICA, CALIS in SAS, MECOSA in GAUSS, sowie MX 1.4 oder LVPLS. 5 Grundsätzlich ließe sich die Datenanalyse jedoch mit allen anderen Programmen zur Kausalanalyse durchführen. 6 Vgl. Hayduk, Leslie A. (1996); Bollen, Kenneth A.. (1989); Homburg, Christian (1989). 7 Vgl. Homburg, Christian / Hildebrandt, Lutz (1998), S. 18. 2 3

Methodische Grundlagen des Modells

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Bei der Unterscheidung in Mess- und Strukturmodell wird wissenschaftstheoretisch der Konzeption der Zwei-Sprachen-Theorie von Carnap gefolgt, die zwischen der Beobachtungsoder empirischer Sprache und der theoretischer Sprache differenziert.1 Abbildung 19 stellt ein vollständiges Lisrel-Modell dar.

x1

į1 Ĭį

x2

į2

Ȝ11

ȗ1

Ȗ11 ȟ1

Ȝ21

Ȝ11

Ș1

Ȝ21

y1

İ1

y2

İ2

y3

İ3

y4

İ4

Ȗ21 Ɏ į3

x3

į4

x4

Ȝ32 Ȝ42

ȟ2

ȥ

ȕ21

Ȗ12 Ȗ22

Ĭİ

Ȝ32

Ș2

Ȝ42 ȗ2

Meßmodell de r latenten exogenen Variablen

Strukturmodell

Meßmodell de r latenten endogenen Variablen

x1 = Ȝ11 ȟ1 + į1 x2 = Ȝ21 ȟ1 + į2 x3 = Ȝ32 ȟ1 + į3 x4 = Ȝ42 ȟ2 + į4

Ș1 = Ȗ11 ȟ1 + Ȗ12ȟ2 + ȗ1 Ș2 = Ȗ21 ȟ1 + Ȗ22ȟ2 + ȕ21+ ȗ1

y1 = Ȝ11 Ș1 + İ1 y2 = Ȝ21 Ș1 + İ2 y3 = Ȝ32 Ș1 + İ3 y4 = Ȝ42 Ș2 + İ4

Ȗ

Einfluss einer latenten endogenen auf eine latente exogene Variable

ȕ

Einfluss einer latenten endogenen auf eine andere latente endogene Variable

Ȝ

kausale Beziehung zwischen einer latenten Variablen und den zugeordneten Indikatoren

Ș

endogene latente Variable

ȟ

exogene latente Variable

x

Indikatorvariablen für eine latente endogene Variable

y

Indikatorvariable für eine latente exogene Variable

İ

Residualvariable für eine Indikatorenvariable Y

į

Residualvariable für eine Indikatorenvariable X

ȗ

Residualvariable für eine latente endogene Variable

Ɏ

Kovarianz zwischen latenten exogenen Größen

ȥ

Kovarianz zwischen Residualvariablen von latenten Variablen

Ĭ

Kovarianz zwischen Residualvariablen von Idikatorvariablen

Abbildung 19: Vollständiges Lisrel-Modell mit Gleichungen des Struktur- und Messmodells

Im Strukturmodell werden die kausalen Beziehungen zwischen den exogenen und endogenen hypothetischen Konstrukten im Modell abgebildet.

1

Vgl. Carnap, Rudolf (1966); Hempel, Carl Gustav (1973).

Konzeptualisierung eines Modells zur Erklärung des Leapfrogging-Phänomens

80

Diese sind Resultat eingehender theoretisch-basierter Vorüberlegungen. Unter exogenen Variablen ([-Variablen) versteht man die Größen, die erklärend in das Modell einfließen, also unabhängig sind, während endogene Variable (K-Variable) innerhalb des Modells durch die kausalen Einflüsse sowohl endogener als auch exogener Determinanten erklärt werden. Hier soll noch einmal auf die Vorteile der Kausalanalyse hingewiesen werden, eben auch kausale Ketten und indirekte Einflüsse neben direkten Einflüssen exogener auf endogene Variablen erfassen zu können. Die Zusammenhänge innerhalb des Strukturmodells werden mathematisch durch folgende Gleichung definiert.1

K % K  *[  9 Hier stellt % die zu schätzende ( m u m ) Koeffizientenmatrix der direkten kausalen Beziehungen zwischen den endogenen Konstrukten K dar, * ist die ( m u n ) Koeffizientenmatrix der direkten Wirkung der exogenen Konstrukte [ auf die endogenen K. Der Zufallsvektor ] umfasst die Residuen innerhalb der Kausalzusammenhänge, Effekte von Drittvariablen, die im Modell nicht auftreten oder auch eventuell vorliegende Nichtlinearität in den Abhängigkeitsbeziehungen.2 Die Überprüfung der kausalen Zusammenhänge setzt jedoch eine Operationalisierung der hypothetischen Konstrukte durch empirisch direkt beobachtbare Indikatoren innerhalb der Messmodelle voraus. Die hypothetischen Konstrukte werden als hinter den Indikatoren stehende Globalmerkmale aufgefasst, d.h. die latente Variable steht verursachend hinter den direkt beobachteten Größen. Die Faktoranalyse gibt Auskunft über die Stärke des Einflusses der latenten Variablen auf die Indikatoren. Ziel ist eine möglichst genaue und vollständige Beschreibung der latenten Variablen. Bei den Messmodellen wird eine Unterscheidung in Messung der latent endogenen und der latent exogenen Variablen vorgenommen. Mathematisch formuliert ergeben sich dafür folgende Gleichungen, welche die Beziehung zwischen den direkt beobachteten Indikatoren x und y und den dahinter stehenden Konstrukten [ und K abbilden.3

1 2 3

Vgl Jöreskog, Karl G. / Sörbom, Dag (1996b), S. 2. Die Residuen sind in Analogie zu den Störgrößen innerhalb der multiplen Regression zu betrachten. Vgl. Jöreskog, Karl G. / Sörbom, Dag (1996b), S. 2.

Methodische Grundlagen des Modells

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y

Messmodell der latent endogenen Konstrukte: Messmodell der latent exogenen Konstrukte:

x

/ yK  H

/ x[  G

Die Matrizen / y p u m und / x q u n beinhalten die Faktorladungen der Indikatoren auf K bzw. [ . Ihre Elemente werde mit Oi bezeichnet. Anhand der Gleichung wird erneut deutlich, dass innerhalb der Messmodelle Messfehler explizit berücksichtigt werden. Die Vektoren H und G beinhalten die Residualvariablen zu den y bzw. x Indikatoren, d.h. deren Messfehler. In einem vollständigen Lisrel-Modell werden zudem noch die Varianz-Kovarianzen der Variablen [ ()-Matrix), ] (