Unabhangigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshofen: Eine empirisch-vergleichende Bestandsaufnahme 3531179667, 9783531179667 [PDF]


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Unabhangigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshofen: Eine empirisch-vergleichende Bestandsaufnahme
 3531179667, 9783531179667 [PDF]

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Zitiervorschau

Markus Seyfried Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen

Interdisziplinäre Organisationsund Verwaltungsforschung Band 17 Herausgegeben von Thomas Edeling Werner Jann Dieter Wagner

Markus Seyfried

Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen Eine empirisch-vergleichende Bestandsaufnahme

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17966-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1 Einleitung 1.1 Lieblingskind und Stiefkind . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rechnungshöfe – ein empirisch-defizitäres Forschungsfeld? 1.3 Vom leichtsinnigen Umgang mit Hypothesen . . . . . . . . 1.4 Zentrale Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Untersuchungsdesign und Fallauswahl . . . . . . . . . . . 1.6 Untersuchungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Rechnungshöfe und der Prinzipal-Agent-Ansatz . . . . . . 1.8 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

. . . . . . . .

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung 2.1 Unabhängigkeit im Prinzipal-Agent-Problem . . . . . . . . 2.1.1 Glaubhafte Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Zeitinkonsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Kontextfaktoren von Unabhängigkeit . . . . . . . . . 2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“? . . 2.2.1 Formale Unabhängigkeit der Rechnungshöfe . . . . . 2.2.2 Rechnungshofunabhängigkeit als genereller Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Stellung des Rechnungshofes . . . . . . . . 2.2.2.2 Die Organisation des Rechnungshofes . . . 2.2.2.3 Das Tätigkeitsfeld des Rechnungshofes . . 2.3 Argumente für die Unabhängigkeit von Kontrollen . . . . . 2.4 Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Wirksamkeit als Untersuchungskonstrukt . . . . . . 2.4.2 Voraussetzungen für Wirksamkeit . . . . . . . . . . . 2.4.3 Unabhängigkeit und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 4 7 9 13 15 18 22 26 29 30 31 33 34 35 37 39 40 43 46 51 53 54 55 58 61

vi

Inhaltsverzeichnis

3 Formale Unabhängigkeit 63 3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren . . . . . . . 66 3.1.1 Präsidenten-, Vizepräsidenten- und Mitgliederwahl . 68 3.1.2 Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.1.3 Beschlussfassung im Rechnungshof . . . . . . . . . . 79 3.1.4 Sitz der Rechnungshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1.5 Einfluss des Rechnungshofes auf den eigenen Haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.1.6 Das Juristenquorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.2 Der Unabhängigkeitsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.2.1 Konstrukte des Unabhängigkeitsindex . . . . . . . . 95 3.2.2 Berechnung des Unabhängigkeitsindex . . . . . . . . 98 3.2.3 Alternative Indexmodelle . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung 4.1 Datenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Überblick zum Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Gesamthaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Personal und Personalkosten . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Fort- und Weiterbildungen . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Sachverständigen- Gerichts- und ähnliche Kosten . . 4.3 Zusammenhänge mit Ressourcenparametern . . . . . . . . . 4.3.1 David gegen Goliath . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 „Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’“? . . . . . . . 4.3.3 „Klasse statt Masse?“ – Personalqualität, Weiterbildung und Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 110 114 117 119 124 127 129 130 134

5 Unabhängigkeit und Wirksamkeit 5.1 Indikatoren zur Rechnungshofwirksamkeit . . . . . . . . . . 5.1.1 Beschlussempfehlungen der Haushaltsausschüsse . . 5.1.1.1 Bearbeitungsdauer von Prüfungen . . . . . 5.1.1.2 Zustimmung der Haushaltsausschüsse . . . 5.1.2 Staatsverschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Alternative Ansätze zur Wirksamkeitsmessung . . . 5.1.3.1 Prüfungsersuchen und Beratungstätigkeit . 5.1.3.2 Finanzielle Auswirkungen der Prüfungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 148 149 150 155 158 162 162

138 145

164

Inhaltsverzeichnis

vii

5.1.3.3

Exkurs: Präventivwirkung – das Unmessbare messbar machen? . . . . . . . . . . . . . Zusammenhänge mit der Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Zeitliche Verzögerung der Jahresberichte . . . . . . . 5.2.2 Beschlussergebnisse der Haushaltsausschüsse . . . . 5.2.3 Rechnungshof und Staatsverschuldung . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169 171 171 176 180 183

6 Diskussion der Ergebnisse 6.1 Methodische Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Grenzen quantitativer empirischer Methoden . . . . 6.1.2 Kontrollvariablen und mehr . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.1 Kontrolle nach „Gebietsstand“ und „Alter“ 6.1.2.2 Ökonomische Kontrollvariablen . . . . . . . 6.1.2.3 Politische Variablen . . . . . . . . . . . . . 6.2 Inhaltliche Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Eine komplizierte Dreiecksbeziehung . . . . . . . . . 6.2.1.1 Vertrauensvolle Kontrolltätigkeit . . . . . . 6.2.1.2 Das Parlament hat das letzte Wort . . . . 6.2.1.3 Finanzkontrolle als instabiles Gleichgewicht 6.2.2 Bedeutungsverlust der Landesparlamente . . . . . . 6.2.3 Mangelnde Durchschlagskraft allgemeiner Interessen 6.2.4 Relevanz der Kontrolltätigkeit . . . . . . . . . . . . . 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187 188 188 192 193 196 198 208 209 211 214 215 217 218 220 222

7 Schlussfolgerungen und Perspektiven 7.1 Feststellungen und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Messung von Unabhängigkeit . . . . . . . . 7.1.2 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung 7.1.3 Unabhängigkeit und Wirksamkeit . . . . . . 7.2 Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 226 227 228 229 231 233 236

5.2

5.3

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

Literaturverzeichnis

239

Rechtsquellen

267

Parlamentaria

271

viii

Inhaltsverzeichnis

Internetquellen

275

Appendix

277

Tabellenverzeichnis

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14 3.15 3.16

Variablenliste für den Unabhängigkeitsindex . . . . . . . . Präsidentenwahl nach Wahlhürde und Agendasetzer . . . Vizepräsident nach Wahlhürde und Agendasetzer . . . . . Ernennung bzw. Wahl der Mitglieder des Rechnungshofes Verteilung der Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschlussfähigkeit des Rechnungshofes . . . . . . . . . . . Mehrheiten und Stimmgewichte . . . . . . . . . . . . . . . Beschlussfassung im Rechnungshof . . . . . . . . . . . . . Rechnungshof und Regierungssitz . . . . . . . . . . . . . . Aufstellung und Beschluss des Rechnungshofhaushalts . . Einfluss auf die Verhängung einer Haushaltssperre . . . . Gesetzliches „Juristenquorum“ . . . . . . . . . . . . . . . Parameter Unabhängigkeitsindex I . . . . . . . . . . . . . Parameter Unabhängigkeitsindex II . . . . . . . . . . . . . Rang- und Scorevergleiche für den Unabhängigkeitsindex . Zusammenhänge zwischen den Indexmodellen . . . . . . .

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Haushaltspläne der Rechnungshöfe . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftliche Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalindikatoren I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalindikatoren II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Rechnungshof- versus Landesressourcen – Veränderungsraten des Gesamthaushaltes . . . . . . . . . . Entwicklung der Rechnungshof- versus Landesressourcen – Veränderungsraten des Personalbestandes . . . . . . . . . .

4.6 5.1 5.2 5.3 5.4

. 67 . 70 . 73 . 75 . 77 . 80 . 82 . 84 . 86 . 89 . 90 . 93 . 99 . 100 . 105 . 106 113 115 121 123 131 133

Regelmäßigkeit der Veröffentlichung der Jahresberichte . . . 152 Dauer der parlamentarischen Bearbeitung von Jahresberichten154 Zustimmungsquoten der Jahresberichte . . . . . . . . . . . . 157 Lage der Öffentlichen Haushalte I . . . . . . . . . . . . . . . 160

x

Tabellenverzeichnis

5.5 5.6 5.7 5.8

Lage der Öffentlichen Haushalte II . . . . . . . . . . . . . . Finanzielle Auswirkungen der Prüfungstätigkeit des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . Finanzielle Auswirkungen und Rechnungshofdaten . . . . . Einstimmigkeitsquoten zu den Beschlussempfehlungen . . .

167 168 179

6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8

„Gebietsstand“ und „Alter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . Partielle Korrelationen für „Gebietsstand“ und „Alter“ . . Partielle Korrelationen mit ökonomischen Kontrollgrößen Politische Variablen I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Variablen II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koalitionsregierungen und Koalitionstypen . . . . . . . . . Partielle Korrelationen mit politischen Variablen . . . . . Unterschiede nach Regierungskoalitionen . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

194 195 197 200 202 204 205 207

1 2 3 4 4 5 5 6 6 7 7

Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise Quellennachweise

. . . . . . . . . . .

278 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288

für für für für für für für für für für für

den den den den den den den den den den den

Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex Unabhängigkeitsindex

. . . . . . . . . (Teil (Teil (Teil (Teil (Teil (Teil (Teil (Teil

. . . . . . 1) 2) 1) 2) 1) 2) 1) 2)

. . . . . . . . . . .

161

Abbildungsverzeichnis

1.1 1.2

Vereinfachtes analytisches Untersuchungsmodell . . . . . . . Der Rechnungshof und multiple Prinzipal-Agent-Modelle . .

20 25

2.1 2.2 2.3

Die Stellung des Rechnungshofes im Staatsaufbau . . . . . . Voraussetzungen und Instrumente von Wirksamkeit . . . . Unabhängigkeit (x) und Wirksamkeit (y) . . . . . . . . . .

40 56 59

3.1

Grad der Unabhängigkeit nach UI . . . . . . . . . . . . . . 103

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9

Relative Finanzausstattung der Rechnungshöfe . . . . . Fort- und Weiterbildungskosten . . . . . . . . . . . . . . Sachverständigen-, Gerichts und ähnliche Kosten . . . . Unabhängigkeitsindex und Veränderungsraten Haushalt Unabhängigkeitsindex und Veränderungsraten Personal Rechnungshofpersonal nach Laufbahngruppen . . . . . . Unabhängigkeitsindex und Personalkonzentration . . . . Unabhängigkeitsindex und Weiterbildungskosten . . . . Unabhängigkeitsindex und Sachverständigenkosten . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

118 125 129 136 137 140 142 143 144

5.1 5.2 5.3 5.4

Unabhängigkeitsindex und Bearbeitungszeit . . Bearbeitungszeit und Wert der Finanzkontrolle Unabhängigkeitsindex und Zustimmungsquote . Unabhängigkeitsindex und Schuldenstand . . .

. . . .

. . . .

173 175 177 182

7.1

Unabhängigkeit (x) und Wirksamkeit (y) (erweitert) . . . . 232

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abs. Art. Ba.-Wü. Bay. BB Bbg. BE Ber. Brem. BTI BW BY bzw. eD f. ff. GG ghD GO GO-BORH GO-LRHNds. GO-LRHSA HA Ham. HB hD HE HH HN

Abbildung Absatz Artikel Baden-Württemberg Bayern Brandenburg Brandenburg Berlin Berlin Bremen Bertelsmann Transformation Index Baden-Württemberg Bayern beziehungsweise einfacher Dienst folgende und folgende Grundgesetz gehobener Dienst Geschäftsordnung Geschäftsordnung Bayerischer Oberster Rechnungshof Geschäftsordnung Landesrechnungshof Niedersachsen Geschäftsordnung Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt Alternativhypothese Hamburg Bremen höherer Dienst Hessen Hamburg Nullhypothese

xiv

Landesreg. LHO LRH LRHG LRH-G LSA LT LT-Drs. LV Max. mD Meck.-V. Min. mind. Mitgl. MP MSCD MV N Nds. NI NW OECD RH RHG Rhl.-Pf. RH-Präs. RP RPG s s2 Saarl. Sachs. SGI SH SL SN ST

Abbildungsverzeichnis

Landesregierung Landeshaushaltsordnung Landesrechnungshof Landesrechnungshofgesetz Landesrechnungshofgesetz Sachsen-Anhalt Landtag Landtagsdrucksache Landesverfassung Maximum Mittlerer Dienst Mecklenburg-Vropommern Minimum mindestens Mitglied Ministerpräsident Most Similar Cases Design Mecklenburg-Vorpommern Fallzahl Niedersachsen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Organisation for Economic Cooperation and Development Rechnungshof Rechnungshofgesetz Rheinland-Pfalz Rechnungshofpräsident Rheinland-Pfalz Rechnungsprüfungsgesetz Standardabweichung Varianz Saarland Sachsen Sustainable Governance Indicators Schleswig-Holstein Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt

Abbildungsverzeichnis

StRprÄ TH Thür. u. a. UI USA vgl. VPräs.

Staatliche Rechnungsprüfungsämter Thüringen Thüringen unter anderem Unabhängigkeitsindex Vereinigte Staaten von Amerika vergleiche Vizepräsident

xv

Vorwort

Glücklicherweise gibt es auch für derartige Werke eine Stelle, an der man sich vergleichsweise ungezwungen äußern darf. So möchte ich dieses Vorwort nutzen, um mich bei jenen zu bedanken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. An erster Stelle möchte ich Prof. Dr. Werner Jann meinen herzlichen Dank aussprechen, der auf der Heimreise nach so mancher KEF-Sitzung ein offenes Ohr für mein Dissertationsvorhaben hatte. Seine fachlich-kritische Begleitung und Diskussionsfreudigkeit waren und sind eine Bereicherung für mich. Insbesondere möchte ich Dank sagen, dass es in meiner ganzen Zeit am Lehrstuhl niemals ein Problem war, die Familie und den Beruf unter einen Hut zu bringen. Darüber hinaus möchte ich Prof. Dr. Steffen Ganghof für die Übernahme des Zweitgutachtens danken. Die gemeinsamen Gespräche haben mich für viele Fallstricke in quantitativ-vergleichenden Untersuchungen sensibilisiert. Meine Kollegen möchte ich an dieser Stelle ebenso erwähnen: Thurid, Julia und Bastian für die vielen fachlichen Gespräche und den Erfahrungsaustausch in Sachen „Promotionsleiden“; Tobias, Philipp, Christian und Sylvia dafür, dass sie sich unerschrocken der gesamten Fassung meiner Arbeit angenommen haben. Meine besondere Anerkennung gilt meiner Schreibtischnachbarin Sylvia. Sie schreckte nach der Vorlage einer ersten Fassung dieser Dissertation nicht davor zurück, konstruktive „fundamentale Fundamentalkritik“ zu äußern. Das hat mich ein Dreivierteljahr „gekostet“. Vor allem trug sie dazu bei, dass die Arbeit eine „Runde Sache“ wurde. Nebenbei zeigte sie ein offenes Ohr für den ganz „alltäglichen Wahnsinn“, der mich hin und wieder plagt. Mein besonderer Dank gilt selbstverständlich meiner Familie. Ich denke an meine Eltern. Nicht daran verzweifelt sind sie, dass ich Politikwissenschaften studieren wollte. Zuvor hatten sie mir Geschichte „erfolgreich ausgeredet“. Sie halfen mir über die ersten größeren Seinskrisen in einem

2

Vorwort

geisteswissenschaftlichen Fach hinweg und haben sonst nie davor zurückgeschreckt, mir jegliche Form von Unterstützung zukommen zu lassen. Dank richte ich auch an meine Geschwister, die für mich da waren. Besonders denke ich an meine Frau und unsere beiden Kinder, Kilian und Lea. Du, Sandra, hast meine Launen großmütig ertragen, mich bei Niedergeschlagenheit aufgebaut und bei Euphorie gebremst. In der Rückschau ist mir schmerzlich klar geworden, dass dieser Arbeit ein gewisser Egoismus zugrunde liegt. Die unzähligen Stunden, von denen letztendlich diese Seiten bedrucktes Papier zeugen, sind unwiederbringlich fort. Umso mehr danke ich Euch für die große Geduld und die Liebe. Werder, im Oktober 2009

1

Einleitung

In der Vergangenheit und Gegenwart wurden Wissenschaftler nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, bestimmte Institutionen mit Unabhängigkeit gegenüber politischen Akteuren auszustatten. Die Unabhängigkeit einer Institution wird dabei oftmals von einem „Nimbus“ des Neutralen, Unantastbaren und vor allem des Wirksamen umgeben. Was unabhängig ist, das muss auch gut sein. Diese Denkweise lässt sich nicht nur in aktuellen Untersuchungen über Autonomie finden. Sie kursiert auch in viel älteren Forschungsarbeiten über die Rechnungshöfe. Blasius schreibt beispielsweise von einem „unverzichtbaren Attribut“ (Blasius 1996: 24) der Rechnungshöfe. Von Arnim spricht vom „Lebenselixier für Kontrolle“ (von Arnim 1983: 669). Was aber macht die Unabhängigkeit zu einem „Lebenselixier“ oder zu einem „unverzichtbaren Attribut“ für die Kontrolle? Die bloße Tatsache der gesetzlichen Festschreibung von Unabhängigkeit würde sicher kaum zu solch wortgewaltigen Bedeutungszumessungen führen. Damit zeigt sich eines der zentralen Probleme hinsichtlich der Unabhängigkeit der Rechnungshöfe. Es wird im Grunde viel diskutiert und rezitiert, ohne den Sachverhalt näher an der Realität zu reflektieren. Aussagen werden übernommen, modifiziert oder kritisiert, ohne deren empirische Gültigkeit zu prüfen. Zu berücksichtigen ist dabei zweifelsohne, dass nur die wenigsten Wirkungszusammenhänge von Rechnungshofeigenschaften prüfbar sein dürften bzw. dass ein exzellenter Informationszugang notwendig ist, um solche Untersuchungen vornehmen zu können. Dieses erste Kapitel soll einerseits einen groben Überblick über die gesamte Arbeit geben. Es soll andererseits so wichtige Aspekte wie Forschungsproblem, Forschungsdesign, Vorgehensweise und Theorieansatz mit der nötigen inhaltlichen Tiefe abhandeln. Den thematischen Einstieg bilden zwei kleine, etwas zugespitzte und durchaus provokante Abhandlungen über die allgemeine Rechnungshofforschung, die in der empirischen Betrachtung von Unabhängigkeit und Wirksamkeit noch heute sehr unterentwickelt und ideenlos erscheint. M. Seyfried, Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen, DOI 10.1007/978-3-531-92799-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

4

1 Einleitung

1.1

Lieblingskind und Stiefkind

Unabhängigkeit und Wirksamkeit der Landesrechnungshöfe1 waren bereits in den 1970er und 1980er Jahren viel diskutierte Modethemen. Dies lässt sich besonders an der Fülle von Publikationen aus dieser Zeit erkennen. In den 1990er Jahren und nach der Jahrtausendwende sind nur noch vereinzelt gehaltvolle Beiträge entstanden. Ein Blick in die gängige Literatur suggeriert folglich ein eher geringes Interesse an Rechnungshöfen als Forschungsgegenstand, obwohl auch in den letzten Jahren vereinzelt gute und wichtige Beiträge entstanden sind (siehe exemplarisch Freytag 2005; Klappstein 2000). Dabei „schlummert“ gerade in diesem Forschungsfeld ein immenses Erkenntnispotenzial, wenn die grundlegende Bereitschaft vorhanden ist, auch neue Wege der Erkenntnis zu beschreiten. Eine neue Art der Annäherung an den Forschungsgegenstand wird daher zu neuen Resultaten führen, ohne zwangsläufig Altbewährtes zu vernachlässigen. Die alten Pfade der Forschungsarbeiten über Rechnungshöfe sind geprägt durch normative rechts- und finanzwissenschaftliche Ansätze, deren Erkenntnisgehalt im Zeitverlauf sehr stark nachgelassen hat und zumeist auch die praktische Relevanz vermissen lässt. Dabei ist unstrittig, dass selbst die bestehende Fülle an Rechnungshofliteratur noch nicht jeden Themenbereich abdecken kann. Überdies unterliegen die bereits veröffentlichten Texte und Publikationen den üblichen „Alterungsprozessen“. Einige Teile sind heute sehr eingeschränkt verwertbar (siehe etwa Reger 1961, Vialon 1962/1963, Bank 1966; 1965; 1962). Andere Werke haben sich zu einem wahren Standard der Rechnungshofliteratur entwickelt. Sie sind aus dem Forschungsdiskurs kaum noch wegzudenken (vgl. etwa Battis 1976; von Arnim 1983; Wittrock 1986c; Blasius 2000; Heuer 2007). 1

Wenn im weiteren Verlauf der Terminus Rechnungshof verwendet wird, bezieht sich dieser ausschließlich auf die deutschen Landesrechnungshöfe. Die Begriffe werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet, ebenso wie der Begriff Kontrollinstitution (etc.). Darüber hinaus werden in der Arbeit nicht immer die offiziellen Eigennamen der Landesrechnungshöfe verwendet, die nachfolgend daher einmal vollständig aufgelistet sind: Rechnungshof Baden-Württemberg, Bayerischer Oberster Rechnungshof, Rechnungshof von Berlin, Landesrechnungshof Brandenburg, Rechnungshof der Freien Hansestadt Bremen, Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, Hessischer Rechnungshof, Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern, Niedersächsischer Landesrechnungshof, Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen, Rechnungshof Rheinland-Pfalz, Rechnungshof des Saarlandes, Sächsischer Rechnungshof, Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt, Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, Thüringer Rechnungshof.

1.1 Lieblingskind und Stiefkind

5

Die Lektüre der zahlreichen normativen insbesondere theoretisch-juristischen und theoretisch-finanzwissenschaftlichen Abhandlungen verdeutlicht eindrücklich, dass die Rechnungshöfe ein „Lieblingskind“ der Rechtswissenschaften sind (Jakobs-Woltering 1993: 8). Es gibt nur sehr wenige Institutionen, über die sich so trefflich diskutieren lässt, ohne sich inhaltlich konkret festlegen zu müssen. Hier gibt es juristische Ungereimtheiten, die nach speziellen Begrifflichkeiten verlangen. Das sind ständige nicht endende Diskussionen und Kontroversen über die Legitimation, die Organisation, die Beratungs- und Prüfungstätigkeit, die Unabhängigkeit und vieles mehr. Gerade ältere Untersuchungen oder zu stark normative Ansätze lassen jedoch eine differenzierte Sichtweise auf die Wirklichkeit vermissen. Trotzdem gibt es auch tiefer gehende, abwägende Betrachtungen, die durchaus zwischen normativem Anspruch und empirischer Wirklichkeit unterscheiden können. Dazu gehören etwa von Arnim (1983; 1978) oder Blasius (2000; 1996) sowie Wittrock (1984a; 1984c; 1983): um nur einige Vertreter zu nennen. Zudem lässt sich gerade in der „jüngeren Vergangenheit“ beobachten, dass die Rechtswissenschaftler nicht mehr zu sehr an den Paragraphen ˙ „hängen“ Diese den Diskurs fördernde Auseinandersetzung zwischen Gesetz und Wirklichkeit wirkt sich positiv auf die Forschungsergebnisse aus. Dabei kommen die inhaltlich substanziellen Beiträge vor allem aus den Rechnungshöfen selbst2 , oder es handelt sich um eine der wenigen empirisch angelegten Untersuchungen. Dies hängt damit zusammen, dass die normativ ausgerichteten Untersuchungen der Rechtswissenschaften sowie die an Normen und Modellen orientierten Betrachtungen der Finanzwissenschaften einem derart komplexen Verfahren wie der öffentlichen Finanzkontrolle auf Dauer nicht gerecht werden können (Diederich/Gilles/Otto/Otto/Weinert 1984: 482). Trotz der zunehmend empirisch ausgerichteten Literatur werden nur selten begründete Annahmen oder Vermutungen vorgestellt, deren empirische Beweisführung zumeist nicht mehr Gegenstand der jeweiligen Forschungsarbeit ist (Diederich/Gilles/Otto/Otto/Weinert 1984: 494). Auffällig ist auch, „daß die [...] Tätigkeit der Rechnungshöfe, einen [...] zu kurz gekommenen Bereich [...] darstellt“ (Rürup/Seidler 1981: 501). An der beschriebenen Problematik hat sich bis heute nicht viel geändert. Dies mag auch daran liegen, dass sich letztendlich nie so etwas wie eine Finanzsoziologie entwickelt hat (Pirker 1989a: 13). Die meisten Problemstellungen werden getrennt in den 2

Eine solche Form der Selbstreflektion ist allerdings nur eingeschränkt positiv zu bewerten. Trotzdem bieten diese Abhandlungen sehr interessante Innenansichten.

6

1 Einleitung

scheinbar zuständigen Disziplinen untersucht, wodurch Erkenntnispotenziale verschenkt wurden (und werden). Nun liegt die Vermutung nahe, dass insbesondere die Sozial- oder die Verwaltungswissenschaften das Thema Rechnungshöfe für sich entdeckt haben, da sie diese Lücke schließen könnten. Das ist weit gefehlt. Es gibt einen einschlägigen Beitrag von Diederich u. a. (1984), der den Rechnungshof schon im Titel treffend als „Stiefkind der Sozialwissenschaften“ bezeichnet (Diederich/Gilles/Otto/Otto/Weinert 1984). Dieser Beitrag hat sowohl für die empirischen als auch für die normativen Sozialwissenschaften bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren. Noch immer scheinen die Rechnungshöfe für die Sozialwissenschaften so etwas wie ein rotes Tuch oder ein Buch mit sieben Siegeln zu sein, denn „so vielfältig die Thesen und Positionen zu einzelnen Aspekten [...], so spärlich sind empirische Untersuchungen zu diesem Thema“ (Diederich/Gilles/Otto/Otto/Weinert 1984: 494). Mögliche Ursachen für eine solch stiefmütterliche Behandlung sind im normativen Bereich selbstverständlich die extreme Präsenz juristischer Ansätze und im empirischen Bereich die schlechten Informations- und Datenzugänge. Doch auch hier gibt es einige Untersuchungen, die neue Wege der Erkenntnis aufzeigen, und die vor allem versuchen, das Wesen und den Kontext der Rechnungshöfe und ihrer institutionellen Umwelt zu erfassen (Mann 1981; Jakobs-Woltering 1993). Folgerichtig erweist sich die Datenlage als nicht so schlecht. Sie ist bisher nur mangelhaft aufgearbeitet und reflektiert. Ein weiterer Grund für das vorwiegende Desinteresse in den Politik- und Verwaltungswissenschaften mag vor allem auch in der selbst auferlegten Zurückhaltung der Rechnungshöfe gegenüber der Politik liegen. Das „political self restraint“ soll ihre Neutralität als unpolitischer Akteur sichern, führt aber gleichzeitig zu einer Kontrollbeschränkung durch politische Tabuisierung (Freytag 2005: 31; Battis 1977: 243).3 Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass auch unabhängige Zentralbanken oder Verfassungsgerichte sehr stark im Interesse der Sozialwissenschaften stehen. Insofern kann es nicht nur die Unabhängigkeit oder die politische Selbstbeschränkung sein, die einen Rechnungshof „unattraktiv“ erscheinen lässt. Auch in diesem Fall spielt die Erreichbarkeit von Daten, besonders bei der Erfassung der Wirksamkeit, eine wichtige Rolle. Die Wirksamkeit der Zentral3

Allerdings wird in der Literatur betont, dass sich das Aufgabenfeld der Rechnungshöfe Veränderungen ausgesetzt sieht (Zavelberg 1990: 107; Ballew/Frishkoff 1993: 134). Die Frage, inwieweit die Rechnungshöfe politisch tätig werden, ist zudem ein Diskussionsfeld, aus dem kaum noch substanzielle Erkenntnisse hervorgehen (Gilles/Haag/Otto/Weinert 1989: 179).

1.2 Rechnungshöfe – ein empirisch-defizitäres Forschungsfeld?

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bank kann beispielsweise an den festgelegten Zinssätzen und der Höhe der Inflationsrate gemessen werden. Solche Indikatoren gibt es aber für die Messung der Rechnungshofwirksamkeit nicht. Zudem werden Begriffe wie etwa Wirksamkeit oder Effektivität kaum definiert oder im Kontext erläutert. So ist zwar hinreichend klar, woraus die Unabhängigkeit resultiert, es gibt aber kaum gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit. Gerade hier zeigt die Rechnungshofforschung erhebliche Lücken und Schwächen. 1.2

Rechnungshöfe – ein empirisch-defizitäres Forschungsfeld?

Der Blick auf die verschiedenen Felder der Rechnungshofforschung offenbart einen erheblichen Mangel an empirischen Untersuchungen. Dieses Empiriedefizit ist neben dem Mangel an innovativen Forschungskonzepten und neueren Forschungsergebnissen eines der offensichtlichsten Probleme in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wie sieht aber das beschriebene Empiriedefizit im Detail aus? Dem bereits unter Punkt 1.1 erläuterten intensiven Umgang mit dem rechtswissenschaftlichem Gedankengut steht ein nahezu fahrlässiger Umgang mit empirischen Daten gegenüber. Es gibt kaum Datenerhebungen. Die wenigen vorhandenen empirischen Untersuchungen sind zumeist unzureichend oder zeigen zum Teil gravierende Schwächen. Es handelt sich beispielsweise um Einzellfallstudien mit willkürlicher Datenauswahl und Interpretation.4 Was heißt es aber, wenn der „Einzelplan des Haushalts 2001 [...] 94 Stellen“ (Göke 2001: 66) für den Niedersächsischen Rechnungshof ausweist? Welche Bedeutung kommt einem Etat von „derzeit etwa 26 Millionen DM“ (Göke 2001: 62) zu? Diese Fragen sind nicht ohne Weiteres zu beantworten. Die meisten Darstellungen dienen der Veranschaulichung der prekären Lage der Rechnungshöfe. Deshalb sollte hier mit Vorsicht agiert werden, da es, wie in vielen anderen Fällen auch, vor allem auf das Gesamtbild ankommt. Die seitens der Rechnungshöfe gegebenen Informationen über Personalstellen und die zur Verfügung stehenden Mittel gewinnen also erst dann eine besondere Aussagekraft, wenn sie in Relation gesetzt werden. Dies kann aber nur ein Vergleich zwischen den Rechnungshöfen leisten. Zwar gibt es bereits vergleichende Untersuchungen zu den Rechnungshöfen, doch 4

Hier sei ausdrücklich erwähnt, dass dies nicht bei allen Arbeiten der Fall ist. Insbesondere die Rechnungshöfe haben in diversen Publikationen hin und wieder Daten vorgelegt, die Entwicklungen auch über längere Zeiträume gut dokumentieren (vgl. Lonhard 1987; Bücker 1988).

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1 Einleitung

scheitern diese methodisch zumeist an den grundlegenden Gütekriterien der Komparatistik – wie etwa der Fallauswahl oder der Operationalisierung.5 Nicht selten handelt es sich beispielsweise um eine willkürliche Kompilation von Fällen, die einer theoretisch-analytischen Grundlage entbehrt. So vergleicht Haller (2000) beispielsweise die Rechnungshöfe von Ghana, Simbabwe und Deutschland. Yi (1987) vergleicht die Rechnungshöfe der Republik Korea und der Bundesrepublik Deutschland. In beiden Fällen fehlt eine plausible Begründung der Fallauswahl. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchungen bleibt mehr oder weniger unklar. Bei beiden Autoren entsteht bisweilen der Eindruck, als wäre der Bundesrechnungshof das Idealbild der Rechnungshöfe. Neben dieser etwas zugespitzten Kritik gibt es ein weiteres zentrales Argument, was gegen diese Art von Forschung spricht. So zieht sich die fehlende analytische Grundlage wie ein roter Faden durch die genannten Untersuchungen. Demnach werden Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zwar genannt und Empfehlungen abgegeben, aber es bleibt unklar, auf welcher analytischen Grundlage dies geschieht. Der Mangel an empirisch gesicherten Ergebnissen (Gilles 1986: 236) wird auf längere Sicht noch so etwas wie eine chronische Begleiterscheinung der Rechnungshofforschung bleiben. Dennoch gibt es ein Bedürfnis nach einem größeren empirischen Verständnis von Kontrollinstitutionen, denn aussagekräftige Feststellungen über die Betätigung etwa der Rechnungshöfe können nur mit empirischen Nachweisen formuliert werden (Krebs 1984: 218). Oder, wie Jann (1987) es treffend formuliert: „Normative Ratschläge sind ohne grundlegende empirische Fundierung schwer zu akzeptieren; auch in der Verwaltungswissenschaft sollte Therapie erst auf der Grundlage einer gründlichen Diagnose verordnet werden“ (Jann 1987: 55). Das bedeutet nichts anderes als „auditing needs to be evaluated“ (Power 1997: 13).

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Bei den besagten Untersuchungen handelt es sich eher um einen Vergleich im wörtlichen Sinn, d. h. Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Der Vergleich im analytischen Sinn ist aber neben dem Pflichtprogramm von Unterschieden und Gemeinsamkeiten vor allem auch an den Wirkungen von bestimmten Merkmalen/Variablen (bei x-zentrierter Forschung) und an der Erklärung von Ergebnissen sowie Ereignissen (bei y-zentrierter Forschung) interessiert (Ganghof 2005a: 6; Gschwend/Schimmelpfennig 2007a: 333; 2007b: 21).

1.3 Vom leichtsinnigen Umgang mit Hypothesen

1.3

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Vom leichtsinnigen Umgang mit Hypothesen

Eine der großen „Sünden“ der gängigen Rechnungshofliteratur ist der allzu leicht-fertige Umgang mit unbewiesenen Hypothesen, was sich vor allem dadurch erklären lässt, dass viele der kursierenden Vermutungen eher implizit formuliert werden. Um zunächst begriffliche Klarheit herzustellen, erscheint es sinnvoll zu sein, die Bezeichnung Hypothese näher zu definieren: „Allgemein bezeichnet man diejenigen Aussagen als ‚Hypothesen‘, die einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen postulieren. Unter einer ‚Variablen‘ versteht man einen Namen [...] für die Menge von Merkmalsausprägungen, die Objekten [...] zugeschrieben sind“ (Schnell/Hill/Esser 2005: 53).6 Vereinfacht gesprochen, geht es darum, für eine konkrete Forschungsfrage Wirkungszusammenhänge aufzudecken. Ein Forschungsproblem kann demnach als (temporär) „gelöst“ angesehen werden, wenn es gelungen ist, die entsprechen-den Ursachen zu ermitteln (Lehner/Widmaier 1995: 54). Hierbei kann die gewählte ländervergleichende Perspektive zusätzliche Erkenntnispotenziale liefern und der Entwicklung neuer Hypothesen dienen (Berg-Schlosser/Müller-Rommel 2003b: 340; Lehner/Widmaier 1995: 57). Schließlich geht es nicht nur darum, repräsentative Aussagen oder originelle Befunde zu generieren. Es geht auch darum, bestehende Hypothesen zu falsifizieren (oder zu verifizieren) und lieb gewonnene Vorurteile zu widerlegen (oder zu bestätigen). Wissenschaftliche Erklärungen, die den Namen verdienen, liegen nur dann vor, wenn bestimmte Standards erfüllt werden: wie etwa eine eindeutige Struktur der Argumentation, logische Korrektheit oder die empirische Begründbarkeit (Schnell/Hill/Esser 2005: 57). Der Forschungsanspruch für die Sozialwissenschaftler sollte dabei nicht nur in der reinen Deskription, sondern eher im Identifizieren von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen liegen (Beck 2006: 352). Dennoch finden sich auch unter den erwähnten Falsifikationsbemühungen nur selten Untersuchungen, in denen die aufgestellten oder die bereits bestehenden Hypothesen widerlegt werden (BergSchlosser/Müller-Rommel 2003b: 332). Die empirische Sozialwissenschaft, hier insbesondere die quantitative Forschung, ist zu sehr auf positive (= signifikante) Ergebnisse fokussiert (Beck-Bornholdt/Dubben 2001: 48). Soge6

Häder (2006) definiert dabei vier verschiedene Arten von Hypothesen: 1. Wenn-DannHypothesen, 2. Je-Desto-Hypothesen, 3. Deterministische (oder nomologische) und probabilistische Hypothesen sowie 4. Individual-, Kollektiv- und Kontexthypothesen (Häder 2006: 47ff.). Überdies sollten Hypothesen eine Reihe von Kriterien erfüllen (siehe dazu Häder 2006: 44ff. und auch Atteslander 1995: 56/57).

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1 Einleitung

nannte „negative results“ (Lehrer/Leschke/Ihachimi/Vasiliu/Weiffen 2007: 53) werden in den renommierten Fachzeitschriften kaum veröffentlicht. Ein erstes Beispiel für den Umgang mit Hypothesen sind etwa die zahlreichen immer wieder postulierten Wirkungszusammenhänge zwischen der Unabhängigkeit und allen möglichen anderen Parametern. So konstatiert Wittrock (1984a) für den Bundesrechnungshof eine gewisse, nicht näher definierte Beziehung zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit: „Die Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes und seiner Mitglieder ist kein Privileg und keine persönliche Auszeichnung der Mitglieder des Bundesrechnungshofes. Sie ist ihnen verliehen, weil dies der Wirksamkeit der Finanzkontrolle dient“ (Wittrock 1984a: 825). Wenngleich sich hieraus nicht zwingend eine Hypothese herauslesen lässt, so ist doch der Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit sehr naheliegend. Noch deutlichere Aussagen werden für die Zusammenhänge zwischen Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz von Kontrollen getroffen. Demnach wird „die Korrelation zwischen Unabhängigkeit des RH und Effizienz der Kontrolle auch von finanzwissenschaftlicher und parlamentarischer Seite (an)erkannt“ (Blasius/Kühne 1991: 400, Abkürzung im Original). Allerdings liegen auch hier keine empirischen Ergebnisse vor. Es ist weder bekannt, ob es sich um einen positiven oder einen negativen, um einen starken oder schwachen Zusammenhang handelt. Beides wäre ohne Probleme festzustellen, wenn es sich tatsächlich um eine empirische Untersuchung handeln würde. Aber es scheint äußerst schwierig zu sein, die Effizienz von Rechnungshofkontrollen, selbst nur eines Rechnungshofes, zu ermitteln. Hierzu gibt es weder Konzepte noch Ideen, wie derartige Messungen adäquat umgesetzt werden können. Insofern bleibt diese „Korrelation“ zwischen Unabhängigkeit und Kontrolleffizienz jeden Beweis schuldig. Weiter heißt es in derselben Untersuchung von Blasius und Kühne (1991), dass die „Kontrolle ohne Unabhängigkeit des Kontrolleurs [...] insuffizient und ineffektiv“ sei (Blasius/Kühne 1991: 401; siehe auch Dittenhofer 1970: 182). Hier wird der Wirkungszusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Effektivität erneut als unumstößliche Tatsache dargestellt, ohne jedoch entsprechende Beweise vorzulegen. Das erscheint insofern bedenklich, da selbst die Behauptung, dass die Erde rund sei und sich um die Sonne drehe, konkreter Beweise7 bedarf. Weil die Sonne auf- und untergeht, bedeutet dies 7

Kopernikus erarbeitete hierzu ein für damalige Zeiten aktuelleres Rechenmodell, welches von Kepler mit der Annahme von elliptischen Planetenumlaufbahnen in ein konkretes mathematisches Modell gebracht und durch Newtons Gravitationsgesetz schließlich physikalisch bewiesen wurde.

1.3 Vom leichtsinnigen Umgang mit Hypothesen

11

nicht, dass sie sich um die Erde dreht. Weil ein Rechnungshof unabhängig ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass er dadurch wirksam, effizient und effektiv ist. Diese und ähnliche Sachverhalte werden zu beweisen sein, wenn entsprechende empirisch-analytische Konzepte vorliegen. Es erscheint außerdem abwegig, dass nur die Unabhängigkeit als maßgebliche Bestimmungsgröße einen wirksamen, effizienten und effektiven Rechnungshof hervorbringt. Dazu dürften auch eine Reihe weiterer Betrachtungsgrößen wie z. B. Organisation, Personalqualifikationen, Prüfungsmethoden etc. von Bedeutung sein. Die Diskussion um pseudo-empirische Ergebnisse erschöpft sich aber nicht in den drei genannten Zusammenhängen. Miß (2006) sieht sogar einen direkten Zusammenhang zwischen „dem Grad der dem Kontrolleur eingeräumten Unabhängigkeit und der Qualität der Kontrollergebnisse“ (Miß 2006: 45). Allein die Tatsache des direkten Zusammenhangs schließt hier im statistischen Sinne alle weiteren Einflussgrößen aus.8 Diese Äußerung erscheint jedoch ebenfalls etwas aus der Luft gegriffen. Es wäre zumindest angemessen, darauf hinzuweisen, warum andere Einflussgrößen, wie etwa die Qualifikation oder die Berufserfahrung, keinen Effekt auf die Qualität der Kontrollergebnisse haben sollten. Beide Größen bieten durchaus Möglichkeiten zur adäquaten Erhebung und Operationalisierung.9 Eine Kontrolle nach Einflüssen von Drittfaktoren wäre daher kein Problem. Im Gegenteil: Die Problematik liegt viel mehr im Bereich der abhängigen Variable. Wie sollte die „Qualität der Kontrollergebnisse“ gemessen werden, wenn ein Großteil der Ergebnisse nicht veröffentlicht wird10 , wenn nicht klar ist, was ein qualitativ hochwertiges von einem qualitativ minderwertigen Prüfungsergebnis unterscheidet? Eine weitere, sehr fragwürdige Hypothese, auch wenn sich diese nicht auf die Unabhängigkeit bezieht, haben zweifelsohne Rürup und Seidler (1981) 8

9

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In der Statistik ist ein direkter Effekt, ein Zusammenhang zwischen zwei Variablen der nicht durch Drittvariablen, d. h. andere Bestimmungsgrößen oder verschiedene Skalenniveaus, beeinflusst wird. Hier wird auch von einem sogenannten direkten „bereinigtem“ Effekt einer unabhängigen Variable X auf eine abhängige Variable Y gesprochen (Backhaus/Erichsen/Plinke/Weiber 2003: 61; Maier/Maier/Rattinger 2000: 100). Die Qualifikation könnte beispielsweise durch den höchsten Bildungsabschluss sowie die Anzahl der wahrgenommenen Weiterbildungen pro Jahr und die Berufserfahrung durch die Dienstzeit beim Rechnungshof sowie die Anzahl der durchgeführten Prüfungen gemessen werden. Der Präsident des Bayerischen Rechnungshofes spricht beispielsweise davon, dass in seinem Haus rund 90 % der Prüfungsergebnisse nicht veröffentlich werden (FischerHeidlberger 2007: 6).

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1 Einleitung

zitiert. Dort heißt es, dass „der Wert der Budgetkontrolle im Quadrat der Entfernung von der Gegenwart sinkt“ (Heinig 1952: 677, zitiert aus Rürup/Seidler 1981: 506). Statt sich aber differenziert mit dieser Aussage auseinanderzusetzen, wird nachgelegt: „Dies gilt größtenteils auch heute noch“ (Rürup/Seidler 1981: 506). Erneut fehlt jeder Beweis, aber die Hypothese wird einfach übernommen. Immerhin suggeriert sie mathematischen Verstand, weil sie einen quadratischen Zusammenhang unterstellt, ohne sich jedoch gleichzeitig mit den fundamentalen Problemen der Empirie auseinanderzusetzen. Schließlich ist nicht einmal klar, in welcher quadratischen Beziehung der „Wert der Budgetkontrolle“ und die „Entfernung von der Gegenwart“ überhaupt stehen sollen.11 Diese Form der Literaturkritik soll hier jedoch nicht ins Unendliche getrieben werden. Es gibt noch weitere nennens- und lesenswerte Beispiele (etwa Keller 1979: 707; Blasius 1990b: 124), auf deren Darstellung wird aber verzichtet. Die zentrale Frage bleibt, welche Lehren aus dieser bewusst etwas überspitzten Kritik zu ziehen sind? Erstens geht es darum, Hypothesen oder plausible Vermutungen nicht wie kausale Tatsachenaussagen darzustellen. Weil ein Zusammenhang vermutet wird, bedeutet das noch lange nicht, dass es diesen tatsächlich in der beschriebenen Form gibt. Falls doch, dann sollte anschließend überprüft werden, ob sich die vermuteten Kausalstrukturen bestätigen, da die Zusammenhangsmaße hierüber für gewöhnlich keine Auskunft geben (Krämer 1994: 144f.). Es ist also insgesamt etwas mehr Sensibilität im Umgang mit der empirischen Beweisführung geboten. Zweitens darf keinesfalls davor zurückgeschreckt werden, Hypothesen zu formulieren, auch wenn diese nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht zu beweisen sind. Dabei erweist es sich als fundamental wichtig, dass die Konstrukte – insbesondere in den Sozialwissenschaften – ihre Bezugspunkte zur Realität haben (Bortz 2005: 6; von Alemann 1995: 36). Drittens erscheint es notwendig, immer wieder auf die besondere Problematik der Beweisbarkeit solcher Aussagen hinzuweisen. Es gibt wohl nur wenige Institutionen, die einen ähnlich schmalen Informationszugang bieten wie die Rechnungshöfe. Doch findet dieser Sachverhalt nur selten Erwähnung in der gängigen deutschsprachigen 11

Eleganter wäre es gewesen, zunächst eine nicht-lineare – bestenfalls eine exponentielle – Beziehung zu unterstellen. Das klingt erstens genauso kompetent, bleibt aber zweitens genauso unbewiesen. Damit müssten sich die Autoren jedoch nicht auf einen fragwürdigen, quadratischen Zusammenhang einlassen. Schließlich gibt es verschiedene Formen, die ein quadratischer Zusammenhang annehmen kann. So ginge beispielsweise aus der Gleichung f(x)=-x2 ein ganz anderer Kontext hervor wie aus der Gleichung f(x)=-(x - a)2 .

1.4 Zentrale Forschungsfragen

13

Literatur. Demnach sollte ein Forschungsdesign angestrebt werden, welches formale Aspekte berücksichtigt, ohne jedoch empirische Sachverhalte außer Acht zu lassen. 1.4

Zentrale Forschungsfragen

Wenn unter Punkt 1.2 festgestellt wird, „auditing needs to be evaluated“ (Power 1997: 13), dann versteht sich die vorliegende Arbeit genau in diesem Kontext. Sie bezieht sich dabei auf die Makroperspektive (vgl. etwa Verba 1991: 33) und hier besonders auf die Unabhängigkeit und Wirksamkeit. Zu einer solchen Evaluation gehört neben der Wirksamkeitsmessung auch die Erfassung wichtiger Rahmenbedingungen (Ressourcen, politisches Umfeld etc.). Ein Rechnungshof agiert nicht im luftleeren Raum. Allerdings gibt es dazu bisher weder Konzepte noch brauchbare Ansatzpunkte. Die vorliegende Arbeit soll daher einen Beitrag dazu leisten, von der viel zu aufgeladenen normativen Debatte wegzukommen, um das bestehende Empiriedefizit zu korrigieren. Ein genauerer Blick auf die weiter oben vorgestellten Hypothesen gibt verschiedene Anhaltspunkte dafür, in welche Richtung die Arbeit geht. Es sind im Wesentlichen drei Merkmale, die immer wieder thematisiert werden: • die Unabhängigkeit • die Ressourcenausstattung und • die Wirksamkeit der Rechnungshöfe. Werden diese drei Merkmale mit verschiedenen anderen Variablen verknüpft, so ergibt sich ein Datenbestand, der es ermöglicht, einige der angeführten Vermutungen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Drei zentrale Fragestellungen werden dabei besonders hervorgehoben, da sie in der Literatur immer wieder auftauchen. Die erste Frage beschäftigt sich mit der Messung von Unabhängigkeit. Sie löst sich damit von der rechtswissenschaftlich geprägten Vorstellung, dass Unabhängigkeit eine dichotome Ja-/Nein-Kategorie ist. Die zweite Fragestellung befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit des Rechnungshofes und der gezielten Einflussnahme durch die regierungstragende Mehrheit (etwa durch Personalentscheidungen oder Ressourcenbeschneidungen). Dabei ist die Vermutung naheliegend, dass die Regierungsmehrheit versuchen wird, einen unabhängigen Rechnungshof stärker zu beeinflussen als einen

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1 Einleitung

abhängigen Rechnungshof. Die dritte Frage bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit, wobei immer wieder davon geschrieben wird, dass eine höhere Unabhängigkeit mit einer höheren Wirksamkeit einhergeht. Zusammenfassend stellen sich daher folgende Fragen: 1. Wie lässt sich die Unabhängigkeit von Rechnungshöfen messen? 2. Gibt es Anzeichen für eine direkte und systematische Ressourcenbeschränkung der unabhängigeren Rechnungshöfe? 3. Geht ein höherer Grad an Unabhängigkeit mit einer höheren Wirksamkeit einher?

Lassen sich also die vielfach kursierenden und eher normativen Vermutungen bestätigen oder entpuppt sich der eine oder andere Zusammenhang als Märchen? Sind die unabhängigeren Rechnungshöfe wirksamer? Sehen sie sich tatsächlich stärkeren Ressourcenbeschneidungen durch Regierung und Regierungsmehrheit ausgesetzt? Werden wirksame Rechnungshöfe „zurechtgestutzt“? Das Hauptziel der vorliegenden Untersuchung ist damit die Überprüfung verschiedener Hypothesen und Aussagen über die Landesrechnungshöfe und der anschließende Versuch, die festgestellten Befunde plausibel zu erklären. Damit beschreitet diese Arbeit einen neuen Weg, da es gegenwärtig keine empirisch-vergleichenden Untersuchungen mit Makrodaten zu den Landesrechnungshöfen gibt. Abschließend bleibt noch zu erörtern, wie damit umzugehen ist, wenn die Hypothesen verifiziert bzw. falsifiziert werden. Sollten die Hypothesen verifiziert werden, ist dies eher unproblematisch, da das „Bauchgefühl“ hinter den normativen Argumentationssträngen jetzt auch empirisch fundiert ist. Sollten die Hypothesen jedoch widerlegt werden, so ist nach plausiblen Erklärungen zu suchen. Hierzu gibt es zwei Ansätze: • Erstens handelt es sich bei den Untersuchungsergebnissen klassischerweise um Artefakte infolge von Fehlern in der Messung und/ oder Operationalisierung (methodischer Ansatz). • Zweitens gibt es andere, nicht messbare, aber entscheidende Bestimmungsgrößen, die dafür sorgen, dass es zwischen der Unabhängigkeit, der Ressourcenausstattung und der Wirksamkeit des Rechnungshofes keinen eindeutigen Zusammenhang gibt (inhaltlicher Ansatz).

1.5 Untersuchungsdesign und Fallauswahl

15

In den beiden Fällen wäre es irrelevant, wie unabhängig oder mit welchen Ressourcen ein Rechnungshof ausgestattet ist. Es würden sich keine Zusammenhänge mit der Wirksamkeit der Kontrollinstitution dokumentieren lassen. 1.5

Untersuchungsdesign und Fallauswahl

Die Untersuchung folgt dem klassischen Design der empirisch-analytischen Sozialwissenschaften.12 Darüber hinaus wird anhand des aufgeführten Forschungsproblems deutlich, dass es sich bei dem vorliegenden Design im Allgemeinen um ein y-zentriertes Design handelt (Gschwend/Schimmelpfennig 2007: 333; Ganghof 2005a: 3). Im Folgenden geht es zu allererst um die Vergleichsmethode, die zwangsläufig auch sehr eng mit der Fallauswahl und den zu untersuchenden Theorien verbunden ist (Minkenberg/Kropp 2005: 13). Danach gilt es zu erläutern, wie die wichtigsten Begriffe operationalisiert werden, um dadurch weitgehend einheitlich die Grundlage für die Datenerhebung und die anschließende Datenauswertung zu schaffen. Die Arbeit folgt der allgemeinen Logik des Vergleichens. Hierbei geht es um die Identifikation von relevanten Vergleichsdimensionen (Variablen) und die Verwerfung oder Bestätigung von etablierten Annahmen und Verallgemeinerungen (Lichbach/Zuckerman 1997a: 4; Lauth/Wagner 2002: 16). Nur mit einem soliden Grundkonzept und mit entsprechenden Methoden können die allgegenwärtigen Vorwürfe der „Nichtvergleichbarkeit“ oder des Vergleichs von Äpfeln und Birnen entkräftet werden (vgl. auch Aarebrot/Bakka 2003: 57; Alemann/Tönnesmann 1995: 28).13 Die vorliegende Untersuchung orientiert sich dabei an der Methode des „most similar cases design“ (MSCD). Hierbei geht es um das Untersuchen der entscheidenden Unterschiede auf der Grundlage eines Vergleichs möglichst ähnlicher Fälle (Berg-Schlosser/Müller-Rommel 2003a: 17; Sartori 1994: 22). 12

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Dementsprechend sollten die in der Wissenschaft kursierenden Theorien sowohl logisch als auch empirisch wahr sein, wobei die logische Wahrheit eine Voraussetzung der empirischen Wahrheit ist. Die empirische Wahrheit kann ihrerseits allerdings auch dann begrenzt sein, wenn eine logische und schlüssige Theorie vorliegt (von Alemann 1995: 40). Außerdem darf nicht vergessen werden, dass beide Aussagen letztendlich auf einen impliziten Vergleich zurückzuführen sind. Wie sonst sollte es möglich sein, die NichtVergleichbarkeit festzustellen? Lassen sich nicht auch Äpfel und Birnen unter den Dimensionen Kern- oder Fallobst zusammenfassen (Lauth/Winkler 2002: 76; Immerfall 1995: 28)?

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1 Einleitung

Allerdings ist auch die sogenannte Differenzmethode nicht frei von Kritik. Jann (1987) betont beispielsweise die Gefahr der Einschränkung von Hypothesen durch die Suche nach ähnlichen vergleichbaren Fällen (Jann 1987: 51). Eine damit verbundene Problematik wird konsequenterweise auch für den Geltungsbereich der aufgestellten Hypothesen abgeleitet. Weitere Probleme der Differenzmethode ergeben sich durch die eingeschränkte Vergleichbarkeit der Daten, die Gefahr von Artefakten und die Überbewertung von fallbezogenen Spezifika (Lehner/Widmaier 1995: 59). Der Fallauswahl kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Sie soll dem theoretischen und dem empirischen Erkenntnisinteresse folgen. Für Letzteres hat Guy Peters nachstehende Maxime geprägt, für Ersteres sind die einschlägigen Theorien zu verarbeiten. „Maximise experimental variance, minimise error variance, and control extraneous variance.“ (Peters 1998: 30) Die Erhöhung der experimentellen Varianz bedeutet vor allem die Auswahl von Fällen, die auf den unabhängigen – d. h. den erklärenden – Variablen hinreichend unterschiedlich sind.14 Die Kontrolle von Störgrößen soll insbesondere durch die starke Ähnlichkeit der nicht betrachtungsrelevanten Eigenschaften gewährleistet werden (Teune/Przeworski 1970: 33; Lehner/Widmaier 1995: 57). Somit bleibt nur noch die Fehlervarianz. Diese ist die einzige Größe, die sich nicht oder kaum durch die Fallauswahl beeinflussen lässt (Peters 1998: 32). Die Untersuchungseinheiten der vorliegenden Arbeit sind die Landesrechnungshöfe der deutschen Bundesländer (n = 16). Die Fallauswahl lässt sich damit begründen, dass es sich hier um Untersuchungseinheiten handelt, die in einem vergleichsweise ähnlichen institutionellen Rahmen eingebettet sind, wodurch die externe Varianz möglichst gering gehalten und Kontrollvorgänge erleichtert werden (Aarebrot/Bakka 2003: 75). Darüber hinaus zeigen die ausgewählten Fälle hinsichtlich der Unabhängigkeit (vgl. Diederich 2003: 534) der Ressourcenausstattung und der Wirksamkeit zum Teil sehr auffällige Unterschiede (d. h. experimentelle Varianz). Für das Bundesgebiet handelt es sich damit um eine Erhebung, die gleichzeitig die Grundgesamtheit vollständig abbildet. Als Untersuchungszeitraum wird je 14

Die Auswahl der Fälle anhand der abhängigen – d. h. der zu erklärenden – Variable ist zwar möglich, wird aber von Peters (1998) selbst als eine der immer häufiger praktizierten Todsünden der vergleichenden Politikwissenschaft bezeichnet (Peters 1998: 31; für weitere Methoden der Fallauswahl siehe auch King/Keohane/Verba 1994: 140ff.).

1.5 Untersuchungsdesign und Fallauswahl

17

nach Datenbestand die Zeitspanne von 1993 bis 2008 (für die Plandaten) und 1993 bis 2006 (für Ist-Daten) festgelegt.15 Die zugrunde liegenden Daten werden als Aggregatdaten (Mittelwerte) ausgewertet. Die gewählte Vorgehensweise hat vor allem einen entscheidenden Vorteil: So stellt sich beispielsweise das weithin bekannte Problem des „selection bias“ 16 , d. h. die Verzerrung von Ergebnissen durch die Fallauswahl, nicht, wenngleich Sondereinflüsse oder Abhängigkeiten durch einzelne Fälle nicht auszuschließen sind (Lauth/Winkler 2002: 56; Berg-Schlosser/MüllerRommel 2003b: 334; Shively 2006: 345). Dennoch bringt die Beschränkung der Fallauswahl auf Landesrechnungshöfe aus deutschen Bundesländern eine klare Begrenzung der Reichweite dieser Studie mit sich. Weil hier konkrete Ergebnisse ermittelt werden, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass diese auf jede Art von Rechnungshof frei übertragbar sind. Der Kontextbezug ist also in jedem Fall zu wahren. Um dem Rechnung zu tragen, wird es vermieden, um in den Termini von Lieberson (1991) zu sprechen,„Determinismen“ zu schaffen (Lieberson 1991: 310). Zur Erklärung der experimentellen Varianz kommen verschiedene uniund bivariate Analysemethoden zum Einsatz, wobei der Blick auf Signifikanzwerte wegen der geringen Fallzahl von untergeordneter Bedeutung ist.17 Auf multivariate Betrachtungen wird ebenfalls mit Blick auf die geringe Fallzahl verzichtet. Schließlich können derartige Verfahren nicht beliebig angewandt werden, da bei kleineren Fallzahlen schnell auch Komplikationen oder Verletzungen der Modellannahmen auftreten (Beck 2007: 97). Im Grunde wird zu allen angewandten statistischen Untersuchungen eine Art Doppelstrategie verfolgt. Zum einen geht es darum, den Querschnitt (Mittelwerte) abzubilden. Zum Anderen gilt es aber auch, die zeitliche Dimension, wo notwendig, zu berücksichtigen und Entwicklungen darzustellen. Grundsätzlich hat die Darstellung von „gepoolten“ Daten den Vorteil der Erhöhung der Fallzahl für die Längsschnittberechnungen, was, kritisch 15

16

17

Der Startpunkt der Datenerhebung wird auf das Jahr 1993 gelegt, da sich in diesem Zeitraum die Haushaltspläne der Rechnungshöfe aus den neuen Bundesländern in ihrer Struktur und in ihren jährlichen Veränderungen stabilisiert haben. Wagschal (1996b) listet hierzu allein fünf mögliche Quellen für einen „selection bias“ auf: 1. die Auswahl der untersuchten Länder, 2. die Auswahl und Operationalisierung der erklärenden (unabhängigen) Variablen, 3. die Auswahl und Operationalisierung der zu erklärenden (abhängigen) Variablen, 4. die Wahl der Untersuchungsperiode und schließlich 5. die Art des angewandten Vergleichs (Wagschal 1996b: 16). Statistisch gesehen, ist ohnehin jedes 20. Ergebnis signifikant, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um eine plausible Beziehung zwischen zwei Variablen handelt (Dubben/Beck-Bornhold 2003: 70).

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1 Einleitung

betrachtet, eher zu statistisch signifikanten Ergebnissen führen würde.18 Für die vorliegende Untersuchung geht es aber nicht um die Erhöhung der Fallzahl, sondern um die Darstellung der zeitlichen Veränderung der Daten (Schrodt 2006: 336). Gerade die Variable „Zeit“ wird in vielen quantitativen Untersuchungen nur zu gern in ihren Auswirkungen auf die Untersuchungsergebnisse unterschätzt (Niedermayer/Widmaier 2003: 93). 1.6

Untersuchungsansatz

Bei aller Zahlenverliebtheit darf nicht vergessen werden, dass der Vergleich einen wesentlichen Kern der Untersuchung bildet. Die Statistik kann und darf dabei nur ein Hilfsmittel sein (Müller-Benedict 2007: 269; Krämer 2006: 52; 2006b: 1). Dogan (1994) empfiehlt außerdem die Kombination von Aggregat- und Umfragedaten (Dogan 1994: 58). Dies scheint insofern erstrebenswert zu sein, da nicht alle gewünschten Daten über die Landesrechnungshöfe frei verfügbar sind. Allerdings würde die Kombination des vorliegenden Untersuchungsdesigns mit einem Fragebogen den Rahmen der Arbeit deutlich sprengen. Dementsprechend wird auf die Anwendung dieses Untersuchungsinstrumentes verzichtet. Um sich jedoch nicht nur auf Datenmatrizen und Datenpunkte zu stützen, ergänzen qualitative Fakten die statistischen Untersuchungen. Die statistische Substanz soll auf diese Weise durch eine inhaltliche Substanz angereichert werden. Ohnehin ist die Verbindung von quantitativen und qualitativen Untersuchungselementen mittlerweile anerkannter Tenor in der vergleichenden Politikwissenschaft. Sie ist damit nicht nur gewünscht, sie wird von einigen Vertretern sogar als überlegene Methode eingefordert (Rihoux 2006: 334). Ein kombiniertes Design fand allerdings keine Anwendung. Im Folgenden geht es darum, wie die unter Punkt 1.4 gestellten Fragen am besten beantwortet werden können. Wie lassen sich die verschiedenen bisher unbewiesenen Zusammenhänge zwischen den Rechnungshofmerkmalen Unabhängigkeit, Ressourcenausstattung und Wirksamkeit mithilfe eines analytischen Modells beantworten, wie lassen sich diese Merkmale analytisch sinnvoll verknüpfen? Die Untersuchung verfolgt drei Ziele. Zunächst geht es darum, die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe zu messen. Es mag auf den ersten Blick etwas abstrakt anmuten, die Rechnungshöfe der Bundesländer hinsichtlich 18

Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass gerade „gepoolte“ Untersuchungsdesigns mit ganz spezifischen Problemen wie etwa Multikollinearität behaftet sind.

1.6 Untersuchungsansatz

19

ihrer Unabhängigkeit zu differenzieren, doch zeigen die einzelnen Merkmale nennenswerte Unterschiede. Zudem hängt dieses Vorgehen wie so oft mit dem gewählten Blickwinkel zusammen. In einem internationalen Vergleich wäre es sicherlich wenig sinnvoll, diese Gruppe von Rechnungshöfen näher zu beleuchten und weiter auszudifferenzieren, da sie weithin als sehr ähnlich gelten würden.19 In einer innerdeutschen Betrachtung besteht jedoch die Möglichkeit, auf die einzelnen, möglicherweise bestimmenden Unterschiede näher einzugehen und den Begriff Unabhängigkeit empirisch zu konkretisieren, ohne dabei ständig Zugeständnisse an einen übergeordneten Gesamtkontext machen zu müssen. Demnach wird im Folgenden von eher „unabhängigeren“ und „weniger unabhängigeren“ bzw. „abhängigeren“ Rechnungshöfen gesprochen, auch wenn den Rechnungshöfen der Bundesländer allgemein – d. h. vor allem durch den impliziten internationalen Vergleich – eine sehr hohe Unabhängigkeit zugeschrieben wird. Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe wird somit nicht als absolute Kategorie, sondern als Kontinuum verstanden (vgl. auch Punkt 1.4). Eine solche ordinale Differenzierung erscheint zulässig zu sein, da auch im gängigen Schrifttum Konsens herrscht, dass sich die Rechnungshöfe in ihren die Unabhängigkeit sichernden Eigenschaften unterscheiden (Diederich 2003: 534). Daran anschließend, soll die Einflussnahme der politischen Akteure auf die Rechnungshöfe unter Berücksichtigung der Unabhängigkeit untersucht werden. Es geht vor allem um die Beziehung zwischen Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung. Mögliche Ansatzpunkte könnten beispielsweise Ressourcenbeschränkungen infolge bestimmter Konstellationen, wie etwa sehr unabhängiger Rechnungshof und Einparteienregierung, sein. Abschließend wechselt der Fokus dann auf die Wirkung der Rechnungshöfe. Allerdings spielen hier sowohl die Unabhängigkeit als auch die eingesetzten Ressourcen eine wichtige Rolle. Nur auf diese Weise kann es gelingen, die Zusammenhänge zwischen Unabhängigkeit, Ressourcenausstattung und Wirkungskraft näher zu analysieren und die gefundenen Ergebnisse mit erklärungskräftigen Ansätzen zu untermauern. Daraus ergibt sich letztendlich eine Gesamtbetrachtung zwischen Input- und Outputfaktoren (Haller 2000: 18/19), die Rückschlüsse über die Beziehungen des Rechnungshofes zu anderen politischen Akteuren erlauben. Im Grunde lassen sich diese drei grob 19

Im internationalen Diskurs werden generell drei Modelle von Finanzkontrollbehörden unterschieden. Dazu gehört das Westminster Modell, das Napoleonische Modell und das Kollegiumsmodell (für nähere Ausführungen siehe Stapenhurst/Titsworth 2001: 1ff.; DFID 2004: 2, 5 und 9; Schwarz 1999: 518).

20

1 Einleitung

skizzierten Untersuchungsdimensionen in einem einfachen Modell zusammenführen (siehe Abbildung 1.1).

Abb. 1.1: Vereinfachtes analytisches Untersuchungsmodell

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Quelle: eigene Darstellung

In dem in Abbildung 1.1 dargestellten Modell wird das Gesamtkonstrukt „Unabhängigkeit“ als exogene Variable behandelt20 , d. h., es sind keine weiteren Einflussgrößen vorgesehen, die auf die gesetzlich geregelte Unabhängigkeit der Rechnungshöfe einwirken. Da sich die unabhängigkeitssichernden Eigenschaften in den letzten Jahrzehnten nur unwesentlich verändert haben und seitens der politischen Akteure weithin als akzeptiert gelten, scheint diese Annahme durchaus adäquat zu sein. Langfristige Veränderungen der Unabhängigkeit der Rechnungshöfe sind keinesfalls ausgeschlossen, wie etwa die Einführung der Wahl des Rechnungshofpräsidenten oder die 20

Es gibt auch Untersuchungsansätze, die davon ausgehen, dass die Unabhängigkeit der Kontrolleure endogen ist (Brown/Falaschetti/Orlando 2007: 3/6; allgemein: Yesilkagit/Christensen 2009: 1 1ff.; vgl. auch die Literatur über Agencies: Gilardi 2002: 874).

1.6 Untersuchungsansatz

21

Eingliederung der staatlichen Rechnungsprüfungsämter in die Landesrechnungshöfe in den 90er Jahren gezeigt hat. Allerdings sind die Zeitabstände der Veränderungen so groß, dass eine Längsschnittbetrachtung nicht sinnvoll erscheint. Neben dieser eher formal definierten Unabhängigkeit gibt es aber auch die faktisch definierte Unabhängigkeit etwa durch die zur Verfügung stehenden und die Kontrollaufgaben sichernden Ressourcen.21 Die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Konstrukten (siehe Zusammenhang Pfeil A) spielen dabei eine wichtige Rolle. Schließlich wird in der gängigen Literatur immer wieder die Vermutung geäußert, dass der Rechnungshof gezielt in seinen Ressourcen beschnitten wird, wenn er „der Politik“ durch unangenehme Prüfungsergebnisse zu sehr zur Last fällt (Jury 2002: 20; Glatfeld 1997: 68; davor warnend: Müller 1997: 1280). Darüber hinaus spielt natürlich auch die unter einem bestimmten Ressourceneinsatz sowie unter einem bestimmten Unabhängigkeitsniveau erzielte Wirksamkeit eine wichtige Rolle (siehe Zusammenhänge Pfeil B und C). Die Ressourcen werden mithilfe gängiger Indikatoren – wie etwa Gesamtausgaben, Personalausgaben, Personalstärke u. a. – gemessen. An die Stelle des bisher eher unbestimmten Wirksamkeitsbegriffes wird ein Konzept gesetzt, das eine begriffliche Konkretisierung einerseits und eine Operationalisierung andererseits erlaubt. Dies geschieht in Anlehnung an das Phasenmodell des politischen Prozesses und hier insbesondere unter Berücksichtigung der Phase der Wirkungsforschung (Bogumil/Jann 2009: 25). In dieser Phase wird zwischen den direkten Wirkungen (impact) und den indirekten Auswirkungen (outcome) differenziert. Die Übernahme dieser Konkretisierung für die Erfassung der Wirksamkeit von Rechnungshöfen erweist sich als sehr vielversprechend (siehe dazu Punkt 2.3.1). An den Zusammenhängen zwischen Ressourcenausstattung und Wirksamkeit ließe sich ablesen, ob versucht wird, die Wirkungskraft über die Ressourcenausstattung zu beschränken. Dabei wird – wie weiter oben bereits ausführlich beschrieben – in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen, dass gerade die unabhängigen Rechnungshöfe als sehr wirksam gelten (Pieroth/Neukamm 2005: 12). Demgegenüber vermögen weder die 21

In Untersuchungen über das Kontrollverhalten im privatwirtschaftlichen Bereich wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die faktische Abhängigkeit dann sehr gering ist, wenn die Einnahmen der Prüfungsgesellschaft nur zu geringen Teilen von einzelnen Unternehmungen abhängen (Moizer 1997: 64). Die Landesrechnungshöfe erhalten demgegenüber – auch wenn dies nicht direkt in einen Bezug zu setzen ist – ihre finanziellen Mittel alle aus einer Hand.

22

1 Einleitung

Ressourcen noch die Wirkungskraft des Rechnungshofes die gesetzliche Unabhängigkeit der Rechnungshöfe zu beeinflussen. Dies erklärt auch, warum die von der Unabhängigkeit ausgehenden Pfeile in Abbildung 1.1 nur in eine Richtung weisen. Für die Konstrukte „Ressourcenausstattung“ und „Wirksamkeit“ kann dagegen durchaus von bidirektionaler Kausalität gesprochen werden, da nicht eindeutig zu klären ist, ob die Ressourcen die Wirkungskraft beeinflussen oder ob die Wirkungskraft zu Reaktionen auf der Ressourcenseite führt. Es kann aber nicht nur darum gehen, neue Zusammenhänge zu finden oder kursierende Hypothesen zu widerlegen. Vielmehr soll auch versucht werden, das hier vorgestellte Forschungsthema in einen größeren theoretischen Rahmen einzuordnen. Es geht also nicht nur darum zu beschreiben, wie etwas geschieht oder wie die Ergebnisse und Zusammenhänge aussehen, sondern es geht auch darum, am Ende zu erklären, warum die Ergebnisse oder Zusammenhänge so aussehen (Dogan/Kazancigil 1994a: 1; Beck 2006: 352).22 1.7

Rechnungshöfe und der Prinzipal-Agent-Ansatz

Die bloße Unabhängigkeit muss nicht unbedingt eine wirksame Kontrollinstitution hervorbringen. Sie sorgt zunächst dafür, dass der Kontrolleur dem Kontrollgegenstand objektiv gegenübersteht und neutral über Kontrollergebnisse berichtet.23 Die Wirksamkeit einer Kontrollinstitution ist somit keine zwangsläufige Folge der Unabhängigkeit, sondern ergibt sich erst aus der Interaktion mit anderen Akteuren, beispielsweise mit den Empfängern des Kontrollberichtes oder etwa mit den Kontrollierten selbst. Für den Rechnungshof kommen damit eine ganze Reihe von Akteuren infrage, die wahlweise für seine Unabhängigkeit, seine Ressourcenausstattung und seine Wirksamkeit von Bedeutung sind. Dies sind die Verwaltung, die Regierung, das Parlament und zum Teil die Öffentlichkeit. Ein vielversprechendes Modell, das auch in der gängigen Literatur über die Rechnungshöfe immer wieder auftaucht, ist der Prinzipal-Agent-Ansatz, 22

23

Die besondere Schwierigkeit von Kausalerklärungen liegt vor allem darin, dass Kausalität nicht direkt zu beobachten ist, sondern nur mit schlüssigen Argumenten nachgewiesen werden kann (Zuckerman 1997: 283; Benninghaus 2002: 252ff.; Brady/Collier/Seawright 2006: 357). Haag (1989) spricht im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit von einer „Äquidistanz“ (Haag 1989: 90; vgl. auch Richter 1969: 70), die der Rechnungshof zu seinen Handlungspartnern im Kontrollgefüge halten muss (Igelspacher 2002: 76; siehe kritisch dazu Milbradt 1995: 27).

1.7 Rechnungshöfe und der Prinzipal-Agent-Ansatz

23

der für die Analyse besonders geeignet zu sein scheint. Zunächst stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, ob der Rechnungshof überhaupt ein Prinzipal oder Agent sein kann? Schließlich setzt doch gerade die Unabhängigkeit voraus, dass der Rechnungshof nicht der Agent irgendeines anderen Akteurs (Prinzipals) – außer dem des Volkes – ist. Darüber hinaus wäre es schwerlich denkbar, dass der Rechnungshof selbst die Rolle des Prinzipals übernimmt, der bestimmte Aufgaben an irgendeinen Agenten delegiert. Im Folgenden gilt es daher genau zu überprüfen, ob der Prinzipal-Agent-Ansatz als Theoriegebäude prinzipiell verwendbar ist. Jede Form einer repräsentativen Demokratie neigt dazu, Prinzipal-AgentProbleme hervorzurufen. So delegiert beispielsweise der Wähler als Prinzipal die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben im Sinne eines unvollständigen Vertrages (von Hagen 2002: 263) an das Parlament, wobei insbesondere der Informationsfluss ein wesentliches Problem darstellt. Wählt das Parlament im Anschluss an seine Konstituierung eine Regierung, geht die regierungstragende Mehrheit ebenfalls einen unvollständigen Vertrag mit der Regierung ein. Bei beiden Sachverhalten handelt es sich um typische Prinzipal-Agent-Beziehungen (Haller 2000: 16). Die zusätzliche Delegation von Aufgaben führt zu weiteren Informationsasymmetrien, die für den Auftraggeber Informationsverluste bedeuten. Unvollständige Kontakte (z. B. Opposition und Regierung) oder indirekte Legitimationsketten (z. B. Wähler und Regierung) führen zu verstärken Informationsasymmetrien. Verhält sich der Agent bei bestehenden Informationsasymmetrien nutzenmaximierend, dann wird er einen Nutzengewinn und der Prinzipal einen Nutzenverlust haben (Haller 2000: 15).24 Auch die regelmäßige Durchführung von Wahlen kann an dieser Problematik nur wenig ändern (Molander 2001: 12). Der Prinzipal begibt sich immer zu einem gewissen Grad in eine Abhängigkeitsbeziehung, da er auf die Informationen und Ressourcen des Agenten angewiesen ist. Dies erweist sich vor allem dann als problematisch, wenn die Beziehung von Prinzipal und Agent nachhaltig gestört wird (beispielsweise durch Wechsel des Koalitionspartners innerhalb einer Legislaturperiode).

24

Haller (2000) nennt dazu die bekannten drei Probleme: 1. Der Prinzipal kann nicht alle Handlungen erkennen („hidden action case“), 2. schon bei Vertragsabschluss besteht eine Informationsasymmetrie zwischen Agent und Prinzipal („hidden information case“) und 3. liegt es auch im Bereich des Möglichen, dass gerade die besonders negativen Eigenschaften des Agenten nicht entdeckt werden („hidden selection case“) (Haller 2000: 15; siehe auch Wolff/Neuburger 1995: 81 oder Roiger 2007: 14ff.).

24

1 Einleitung

Nach den obigen Ausführungen bringt das Prinzipal-Agent-Problem auch die Gefahr demokratischer Defizite mit sich. Allerdings bedeutet dies noch lange nicht, dass es keine Möglichkeiten gibt, ihre negativen Effekte zu begrenzen. So können beispielsweise eine erhöhte Transparenz oder etwa die Einrichtung von rückkoppelnden Mechanismen zu einer erheblichen Reduzierung von Informationsasymmetrien und -unsicherheiten führen (Molander 2001: 28 und 32). Darüber hinaus können Verträge so ausgestaltet werden, dass das Interesse des Auftraggebers auch zum Interesse des Beauftragten wird (Engelhardt/Hegmann 1993: 26). Eine weitere Möglichkeit zur Lösung der Probleme von Prinzipal-Agent-Beziehungen ist die Errichtung von Kontrollinstitutionen und genau an dieser Stelle sind die Rechnungshöfe wieder „im Spiel“. Haller (2000) sieht die Aufgabe der Rechnungshöfe vor allem in einer moderierenden Tätigkeit zwischen der Verwaltung, der Öffentlichkeit sowie der Regierung und dem Parlament (Haller 2000: 15 und 17). Insofern sehen sich die auf die Finanzkontrolle angewiesenen Akteure mit einem typischen Prinzipal-Agent-Problem konfrontiert. Der Rechnungshof kontrolliert und berät Exekutive und Legislative, entscheidet aber gleichzeitig selbst darüber, welche Informationen er weitergeben möchte und welche nicht. Dabei kann der Rechnungshof versuchen, bei den bestehenden Prinzipal-AgentProblemen einen Teil der Informationsasymmetrien zu glätten.25 Abbildung 1.2 fasst alle Prinzipal-Agent-Beziehungen für die zentralen Akteure zusammen. Hier gibt es im Wesentlichen drei wichtige Beziehungen: erstens zwischen Wahlvolk und Parlament, zweitens zwischen Parlament und Regierung und drittens zwischen Regierung und Verwaltung.26 Bei allen Beziehungen liegen Informationsasymmetrien vor, die der Rechnungshof teilweise abbauen kann. Allerdings sind, das sei schon hier vorweggenommen, die Mittel des Rechnungshofes angesichts der Größe des Verwaltungsapparates sehr begrenzt. Darüber hinaus werden sowohl die Regierung als auch das Parlament versuchen, die Informationsasymmetrien zu ihren Gunsten soweit wie möglich aufrecht zu erhalten. Daher lässt sich konstatieren, dass der Rechnungshof zwangsläufig in verschiedene Prinzipal-Agent-Probleme involviert ist, die analytisch nicht 25

26

Realistischerweise muss allerdings konstatiert werden, dass selbst der Rechnungshof starken Informationsasymmetrien ausgesetzt ist, weshalb dieser Prozess nicht überbewertet werden sollte. Grob vereinfacht, stehen Regierung und Verwaltung in einem Verbund, wobei die Regierung die Organisationsgewalt besitzt und die Leitung übernimmt. Die Verwaltung ist zudem nicht als Staatsorgan zu klassifizieren (Sauer/Blasius 1987: 146).

1.7 Rechnungshöfe und der Prinzipal-Agent-Ansatz

25

immer sauber voneinander zu trennen sind. Seine Aufgabe besteht darin, die bestehenden Informationsasymmetrien im Umgang mit den Finanzen gegenüber dem Bürger und dem Parlament etwas abzumildern, obgleich er selbst auf Informationen aus der Exekutive angewiesen ist. Um diese Zusammenhänge später empirisch näher zu beleuchten, müssen selbstverständlich auch Daten über den Prinzipal erhoben werden27 , denn nur auf diese Weise lässt sich klären, ob die regierungstragende Mehrheit gezielte Eingriffe in die Unabhängigkeit und die Wirksamkeit der Rechnungshöfe vornimmt.

Abb. 1.2: Der Rechnungshof und multiple Prinzipal-Agent-Modelle

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Quelle: eigene Darstellung

Abschließend stellt sich die Frage, ob der Rechnungshof überhaupt als Agent bezeichnet werden kann. Es gibt jedenfalls einige gewichtige Argu27

Hierzu gehören etwa Daten wie die Anzahl der Parteien im Parlament bzw. in der Regierung, die Sitzverteilung, die Größe der Opposition, die Fragmentierung des Parlamentes und andere mehr, die auch in anderen quantitativen Untersuchungen immer wieder Verwendung finden (vgl. etwa Volkerink/de Haan 2001: 223/224; de Haan/Sturm/Beekhuis 1999: 169; Woo 2003: 397/398).

26

1 Einleitung

mente, die dagegen sprechen. Dazu gehört etwa die Selbstständigkeit des Rechnungshofes bei der Wahl des Prüfungsgebietes oder bei der Bestimmung des zuständigen Prüfungspersonals bis hin zur Anwendung einer entsprechenden Prüfungsmethodik. Die Eigenschaft der Unabhängigkeit sorgt zudem dafür, dass der Rechnungshof keinem anderen Akteur gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Dadurch erhält er seine besondere Stellung, passt damit aber nicht in die Terminologie von Prinzipal und Agent. Nicht zuletzt deshalb hat Backhaus (1994) den Rechnungshof als Agent ohne Prinzipal bezeichnet (Backhaus 1994: 82).28 Wenn der Rechnungshof ein Agent ohne Prinzipal ist, wozu kann dann der Ansatz des Prinzipal-Agent-Problems noch dienen? Um diese Frage zu beantworten, sei zunächst vorweggenommen, dass der Prinzipal-Agent-Ansatz hier ohnehin nicht in seiner ganzen Vollständigkeit übernommen werden kann. Es besteht aber die Möglichkeit, den PrinzipalAgent-Ansatz im Sinne einer „Kontrastheuristik“ (Döhler 2007: 34) zu instrumentalisieren, um die richtigen Fragen zu stellen, um Interpretationsansätze zu erhalten, um vor allem von der „analytisch disziplinierenden Wirkung“ (Döhler 2007: 35) dieses Ansatzes zu profitieren. Die Tatsache also, dass der Rechnungshof kein Agent im Sinne des vorliegenden Ansatzes ist, mag zwar auf den ersten Blick problematisch erscheinen. Sie spielt nur eine untergeordnete Rolle für die weitere Verwendbarkeit des Ansatzes. Schließlich versucht der Rechnungshof, Informationsasymmetrien zu glätten, die zwischen Prinzipal und Agent existieren, wobei der Rechnungshof jeweils dem Prinzipal etwas näher steht und den Agent kontrolliert. Folglich passt das Prinzipal-Agent-Problem in seiner Logik sehr gut auf die Beziehungen zwischen den Akteuren – solange ein Agent ohne Prinzipal als Modellmodifikation akzeptiert wird. 1.8

Gang der Untersuchung

Wohin soll nun die Reise gehen? Welche Pfade weisen den Weg zum Ziel, und welche entpuppen sich als irreführende Sackgassen? Eine erste Wegstrecke wurde bereits mit dem Einleitungskapitel zurückgelegt. Im Zentrum der bisherigen Betrachtung standen dabei das Forschungsproblem, das Unter28

Streng genommen wäre das Volk (der Steuerzahler) der „ultimative Prinzipal“ des Rechnungshofes, doch der Steuerzahler hat am wenigsten Möglichkeiten, Konsequenzen aus den Prüfungsergebnissen – bzw. den geglätteten Informationsasymmetrien – abzuleiten. Eine weitere Alternative mit etwas mehr Befugnissen wäre die Opposition, aber auch ihr sind im Ernstfall durch die Parlamentsmehrheit die Hände gebunden.

1.8 Gang der Untersuchung

27

suchungsdesign, die Fallauswahl, die Vorgehensweise sowie der theoretische Ansatz. Das zweite Kapitel wird die spezielle Problematik von Unabhängigkeit und Wirksamkeit aus allgemeineren und aktuelleren Ansätzen herleiten. Der Fokus liegt hier vor allem auf den Untersuchungen zu „Independent Regulatory Agencies“, wobei es nicht nur um den Stand der Forschung, sondern auch um verschiedene Konzeptionen und Erklärungsansätze geht. Im dritten Kapitel sollen die verschiedenen begrifflichen Konstrukte ein „numerisches Gesicht“ bekommen. Der erste Schritt ist dabei die Konzeption eines Unabhängigkeitsindexes für Landesrechnungshöfe. Darüber hinaus gilt es jeweils, die verschiedenen Indikatorvariablen aus rein deskriptiver Sicht vorzustellen. Viele der hier erhobenen Daten wurden bisher nie in umfassend vergleichender Perspektive betrachtet. Den deskriptiven Auswertungen wird daher mehr Bedeutung geschenkt als in quantitativen Arbeiten üblich, obgleich die Beschreibung von Sachverhalten eine wichtige Forschungstätigkeit in den Sozialwissenschaften ist (vgl. etwa Benninghaus 2002: 13ff.). Das vierte und fünfte Kapitel dienen der Synthese von Unabhängigkeitsindex, Ressourcenparametern und Wirksamkeit. Der Schwerpunkt liegt auf den Ansätzen zur Messung von Wirksamkeit. Anschließend werden die ausgewählten Variablen in einen gemeinsamen Kontext gebracht, der dem bereits vorgestellten analytischen Modell folgt. Bei diesen statistischen Untersuchungen darf eine Kontrolle der Drittfaktoren nicht fehlen. Dieser Aufgabe widmet sich insbesondere das sechste Kapitel. Hier sollen mögliche externe Einflüsse auf die gefundenen Zusammenhänge ausgeschlossen werden, um sicherzustellen, dass die ermittelten Resultate robust sind. Neben den methodischen Aspekten sollen inhaltliche Erklärungsansätze diskutiert werden. Dabei ist die Arbeit so angelegt, dass die Komplexität der Betrachtungen zunimmt. Dementsprechend stehen einfache beschreibende Darstellungen am Anfang der Untersuchung. Daran schließen sich verschiedene Betrachtungen von Wirkungszusammenhängen an sowie im letzten Schritt, die Berücksichtigung von grundlegenden Kontrollvariablen. Diese Vorgehensweise erweist sich nicht zuletzt deshalb als zwingend notwendig, da es zu den Landesrechnungshöfen, wie bereits weiter oben erwähnt, kaum empirisch-analytische Vergleichsuntersuchungen gibt. Den letzten Wegpunkt markiert schließlich das siebte Kapitel. Dieses Kapitel ist sowohl Fazit als auch Ausblick. Es verdichtet die wichtigsten Ergebnisse und versucht, die Befunde mit verschiedenen Erklärungsansät-

28

1 Einleitung

zen anzureichern. Mithilfe der Schlussfolgerungen sollen neue Diskussionsgrundlagen geschaffen werden, die zu einer stärker empirisch ausgerichteten Rechnungshofforschung beitragen.

2

Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Die Unabhängigkeit von Institutionen ist ein sehr wichtiges und sehr breit gefächertes Forschungsfeld, das keinesfalls nur für die institutionelle Ausgestaltung von Rechnungshöfen von Bedeutung ist. Dies zeigt sich an der aktuellen Debatte über die sogenannten „Independent Regulatory Agencies“ (vgl. etwa Thatcher 2002a; 2002b; Elgie 2006; Gildardi 2002; 2007), die aufgrund ihrer Bedeutung gerade im ersten Teil des vorliegenden Kapitels aufgegriffen wird. Schließlich geben die Untersuchungen zu den unabhängigen Regulierungsbehörden wichtige allgemeine Anhaltspunkte für die Ursachen, die Ausgestaltung und die Bewertung von Unabhängigkeit. Überdies betten sie die Diskussionen um die Unabhängigkeit von Finanzkontrollbehörden in einen größeren Forschungsrahmen, obgleich die Rechnungshöfe in diesen Kreisen kaum Erwähnung finden. Insofern gilt es zu klären, inwieweit der Rechnungshof überhaupt als „Independent Regulatory Agency“ zu bezeichnen ist. Es spricht einiges dafür, dass sich die Finanzkontrollbehörden nach den vorliegenden Begriffsverständnissen in einer empirischen Grauzone befinden. Anschließend folgt eine Darstellung zum Stand der Forschung bezüglich der Rechnungshofunabhängigkeit, die sich allein auf den deutschen Diskurs bezieht. Hierbei wird auf die formale Ausgestaltung der Unabhängigkeit sowie auf andere verwandte Forschungsgebiete abgestellt. Dabei zeigt sich, dass einige Aspekte aus der internationalen Debatte über die Unabhängigkeit im deutschen Forschungsraum unterbelichtet bleiben. Anderen Themen, die international kaum Beachtung finden, sind hierzulande von großer Wichtigkeit. Auf die ausführlichen Darstellungen über die Unabhängigkeit folgen einige allgemeinere Ausführungen zur Wirksamkeit von Institutionen. Die offenkundige Asymmetrie in der Darstellung dieser beiden Themen ist zwei zentralen Argumenten geschuldet. Erstens herrscht im Gegensatz zu den M. Seyfried, Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen, DOI 10.1007/978-3-531-92799-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

30

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Forschungsarbeiten über die Unabhängigkeit nicht annähernd Klarheit darüber, was Wirksamkeit ist (siehe dazu Punkt 2.3). Zweitens wird die Thematik im empirischen Teil dieser Arbeit inhaltlich konkreter dargestellt, da sie sich an den ausgewählten Indikatoren orientiert. Die Ausführungen zur Wirksamkeit in diesem Kapitel haben daher einen überblicksartigen Charakter. 2.1

Unabhängigkeit im Prinzipal-Agent-Problem

Die Unabhängigkeit eines beauftragten Akteurs spielt im Prinzipal-AgentProblem eine zentrale Rolle. Hier stellt sich zumeist die Frage, wie unabhängig der Agent überhaupt von seinem Auftraggeber sein darf, und welche Gestaltungskompetenzen er genießt. Dabei handelt es sich um eine Problematik, die sich vor dem Hintergrund der bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agent als virulent erweisen kann. So stehen gerade sogenannte „non-majoritan institutions“ (Elgie 2006: 208) im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Diese sind Institutionen, die keine direkte demokratische Legitimation haben, die aber zum Teil sehr umfangreiche Möglichkeiten der Politikgestaltung erhalten. Die neueren Forschungsarbeiten befassen sich insbesondere mit der Rolle von „Independent Regulatory Agencies“.29 Diese Behörden sind definiert als „body with its own powers and responsibilties given under public law, which is organizationally separated from ministries and is neither directly elected nor managed by elected officials“ (Thatcher 2002a: 956). Dazu gehören beispielsweise Zentralbanken oder Aufsichtsbehörden wie etwa das Bundeskartellamt, die Bundesnetzagentur oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Kennzeichnend für diese Einrichtungen (Agenten) ist ein bestimmter Grad an Unabhängigkeit gegenüber den gewählten Repräsentanten (Prinzipal) und gegenüber dem Regulierungsgegenstand. Die Unabhängigkeit kann sich aber nicht nur auf externe Akteure beziehen, sondern auch auf die Entscheidungsfindung innerhalb der „Independent Regulatory Agency“ (Thatcher 2002a: 956). Auf diese Weise werden bestimmte Kompetenzen bei der Formulierung und Verabschiedung von Politikinhalten delegiert.

29

Dabei wird die Unabhängigkeit sowohl als abhängige (Gilardi 2002: 874) als auch als unabhängige Variable behandelt (vgl. Cukierman/Webb/Neyapti 1992: 369ff.; Cukierman/Webb 1995: 398).

2.1 Unabhängigkeit im Prinzipal-Agent-Problem

31

Allerdings geben die gewählten Repräsentanten das Heft nicht vollständig aus der Hand (Majone 1996: 9). So gibt es verschiedene Möglichkeiten der Kontrolle und der Beobachtung. Zu diesen Instrumenten gehören beispielsweise Jahres- oder Rechenschaftsberichte (Thatcher 2002b: 127). Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Statuten der meisten Behörden einfachgesetzlich geändert werden können, was der Politik ein beträchtliches Einflusspotenzial einräumt (Forder 2001: 204). Thatcher (2002a) benennt weitere Kontrollmöglichkeiten, die sich ebenfalls ohne Weiteres über die Statuten regeln lassen: (1) parteipolitisch geprägte Besetzungen, (2) Entlassung der Mitglieder noch vor Ablauf der Amtszeit, (3) Länge der Amtszeit der Mitglieder, (4) finanzielle und personelle Ressourcen und schließlich (5) die Überstimmung von Entscheidungen (Thatcher 2002a: 959). Trotz der zahlreichen Kontrollmöglichkeiten stellt sich die Frage, warum die gewählten Repräsentanten unabhängige Agenten für die Formulierung von Politikinhalten einsetzen, die ihrem eigenen Gestaltungswillen weitgehend entzogen sind? Schließlich rufen diese Delegationsmuster auch Probleme wie etwa „bureaucratic drift“ (Gilardi 2007: 310) oder „agency loss“ (Thatcher/Stone-Sweet 2002: 4)30 hervor. Offensichtlich muss der Gewinn für den gewählten Repräsentanten deutlich höher sein als der Verlust an Gestaltungsspielraum. Dafür sprechen außerdem auch verschiedene funktionale Argumente, wie etwa die Dauerhaftigkeit von Politikinhalten, die Expertise (durch Professionalisierung und funktionale Differenzierung) sowie eine Loslösung von kurzfristigen Wiederwahlinteressen. Was kann mithilfe von Aufgabendelegation an unabhängige Einrichtungen gewonnen werden? Die beiden wichtigsten Argumente für die Delegation an unabhängige Akteure liegen in der Vermittlung von Glaubhaftigkeit und in der Überwindung von Zeitinkonsistenzen in der Politikformulierung. Daneben gibt es allerdings noch eine Reihe weiterer, eher untergeordneter Gründe, die nur kurz und überblicksartig diskutiert werden. 2.1.1

Glaubhafte Verpflichtungen

Ein fundamentales Charakteristikum in den entwickelten Demokratien ist die Möglichkeit des Regierungswechsels (Alternanz) und damit auch eines Wechsels der politischen Präferenzen und Ansichten. Folgerichtig ist für die 30

Dabei handelt es sich um jenen Anteil der Politikergebnisse, die vom Agenten generiert werden, die aber nicht den Präferenzen des Prinzipals entsprechen (Thatcher/Stone-Sweet 2002: 4).

32

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Formulierung von Politikinhalten ein klarer, wenn auch kurzer Zeithorizont vorgegeben. Jeder Regierung steht zunächst nur eine Legislaturperiode zur Verfügung (Gilardi 2007: 310). Dabei verfolgt die Regierung das grundlegende Ziel, ihre präferierten Politikinhalte zu konservieren und nicht durch Abwahl wieder zur Disposition zu stellen. Zudem verspüren gewählte Repräsentanten kaum eine Motivation, Politikinhalte zu entwickeln, die womöglich einer Nachfolgeregierung Wahlerfolge bescheren könnte (Majone 1996: 1). Daher besteht eine Neigung, wichtige Politikinhalte vom politischen Prozess zu entkoppeln, um sie auf diese Weise abzusichern und verbindlich zu gestalten (Gilardi 2007: 311). Der Preis, den die amtierende Regierung infolge der Absicherung von Politikinhalten bezahlt, ist die Delegation von Macht an einen unabhängigen Akteur, der dem politischen Zugriff zu einem gewissen Grad entzogen ist und somit auch eigene Präferenzen in die Politikformulierung einbringen kann („agency loss“). Damit haben sich die Gewichte zwischen den verschiedenen Akteursgruppen verschoben (Thatcher 2002c: 860). Allerdings darf nicht vergessen werden, dass dieser Preis für die Regierung nicht nur in der Gegenwart anfällt, sondern auch in der Zukunft. Das Fernhalten einer „Independent Regulatory Agency“ aus dem politischen Prozess bedeutet sowohl „self binding“ als auch „binding others“ – und damit eine Machtbeschränkung (Gilardi 2007: 311; Kitterer 1989: 224a). Insofern kann sich die Aufgabendelegation an einen unabhängigen Akteur in näherer Zukunft als Selbstverpflichtung erweisen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass sich die politischen Vertreter gezwungen sehen, bestimmte Bestandteile ihrer Macht an unabhängige kompetente Akteure zu delegieren, um sich auf diese Weise Glaubhaftigkeit bezüglich der getroffenen politischen Vereinbarungen zu sichern (Pendlebury/Streim 1991: 63). Damit geht es vor allem um die Stabilität von Politikinhalten. So wird ferner hervorgehoben, dass Politikstabilität gemäß der Vetospielertheorie durch eine hohe Anzahl von Vetospielern gewährleistet werden kann (Tsebelis 1995: 301; Tsebelis 2000: 446; Tsebelis 2002: 37).31 Dementsprechend können viele Vetospieler und Delegation von Macht als funktionale Äquivalente angesehen werden, da sie beide die Stabilität von Politikinhalten gewährleisten (Gilardi 2005: 156). 31

Auf die Feinheiten der Vetospielertheorie wie etwa die Unterscheidung zwischen individuellen oder kollektiven Vetospielern, die Distanz, Kohäsion oder die Absorbtionsregel soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden (vgl. dazu Tsebelis 2002).

2.1 Unabhängigkeit im Prinzipal-Agent-Problem

33

Dagegen ist die Vermittlung von glaubhaften Politikinhalten bei nur wenigen Vetospielern generell schwieriger (Elgie/McMenamin 2005: 534). Dies gilt nicht zuletzt für die beschlossenen Delegationsmuster, die unter diesen Umständen leichter zu verändern sind und damit nicht besonders glaubwürdig erscheinen (Gilardi 2002: 878; Gilardi 2007: 305). Der letztgenannte Befund erklärt zudem die Feststellung, dass gerade in Ländern mit vielen Vetospielern, die Unabhängigkeit von „Independent Regulatory Agencies“ weniger stark ausgeprägt ist als in Ländern mit nur wenigen Vetospielern (Gilardi 2005: 156). Neben dem Gewinn von Stabilität bei Politikinhalten erhält die Glaubhaftigkeit ihren Wert gerade dadurch, dass sie insbesondere auf nationaler Ebene zu einer immer bedeutsameren Ressource für die Politiker wird. Folgerichtig ist Delegation an einen unabhängigen Akteur der gezahlte Preis für den Gewinn von Glaubhaftigkeit (Majone 1996: 3 und 9), die jedoch über verschiedene Politikbereiche hinweg sehr stark variieren kann (Elgie/McMenamin 2005: 533). 2.1.2

Zeitinkonsistenz

Das Problem der Zeitinkonsistenz von Politikinhalten ist im Grunde sehr eng mit dem zuvor beschriebenen Glaubhaftigkeitsproblem verknüpft. Auch hier ist der Ausgangspunkt die Möglichkeit eines drohenden Regierungswechsels und damit die Veränderung von Politikinhalten aufgrund der abweichenden Präferenzen der Nachfolgeregierung. Dementsprechend mindert politische Instabilität nicht nur die Glaubhaftigkeit, sondern sie verkürzt auch Zeithorizonte von Policymakern, was wiederum die Fähigkeit des politischen Systems verringert, bestimmte Auseinandersetzungen effizient zu lösen (Cukierman/Webb 1995: 415). Zeitinkonsistenz oder „temporal inconsistency“ tritt demnach dann auf, wenn ein zum Zeitpunkt tn gefasster Politikinhalt zu einem späteren Zeitpunkt tn+k nicht mehr optimal erscheint (Majone 1996: 2). Die Problematik der Zeitinkonsistenz tritt demnach nicht nur bei vollständigen Regierungswechseln, d. h. dem Austausch der gesamten Regierungsmannschaft, sondern auch bei Veränderung der parteilichen Zusammensetzung der Regierung auf, wie etwa das Ausscheiden eines Koalitionspartners (Gilardi 2005: 145). Folgerichtig sieht die amtierende Regierung in der Delegation von Kompetenzen an einen dem politischen Prozess entzogenen Akteur eine Möglichkeit, das Problem der Zeitinkonsistenz zu lösen. Somit stellt die

34

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

drohende Zeitinkonsistenz von Politikinhalten eine weitere Ursache für die Delegation an unabhängige Akteure dar (Elgie/McMenamin 2005: 533). Für die Betrachtungen zur Zeitinkonsistenz spielen die Vetospieler erneut eine wichtige Rolle. Demnach führt eine höhere Stabilität von Politikinhalten aufgrund einer hohen Zahl von Vetospielern zu einer Verminderung von Zeitinkonsistenz. Gilardi (2002) vermutet eine negative Beziehung zwischen der Anzahl von Vetospielern und der Delegation an unabhängige Akteure (Gilardi 2002: 877), d. h. je höher die Anzahl von Vetospielern ist, desto weniger muss letztendlich delegiert werden, da das Zeitinkonsistenzproblem nicht so stark ausgeprägt ist. Dieser Aspekt wirkt sich, wie bereits beschrieben, auch positiv auf die Glaubwürdigkeit aus (Gilardi 2007: 305). Zeitinkonsistenz und Glaubwürdigkeit sind nicht die einzigen Ursachen für die Delegation an unabhängige Akteure. Sie sind vielmehr das Destillat einer ganzen Reihe von Forschungsarbeiten, die sich mit den Ursachen und Wirkungen von Delegation an unabhängige Regulierungsbehörden beschäftigt haben. In diesen Arbeiten kommen noch einige andere Erklärungsansätze zum Tragen. 2.1.3

Kontextfaktoren von Unabhängigkeit

Ein Blick auf die Ursachen von Delegation zeigt, dass die Erhöhung von Glaubhaftigkeit und die Vermeidung von Zeitinkonsistenz darauf abzielen, drohende Fehlentwicklungen zu antizipieren und nicht erst aufkommen zu lassen. Die Ursache ist damit gleichzeitig auch eine erhoffte Wirkung der Delegationsprozesse. Es gibt eine Reihe anderer Ursachen, die nicht unbedingt in den Wirkungsbereich einfließen und daher eher als kontextuelle Faktoren beschrieben werden können (Thatcher 2002b: 136). Thatcher und Stone-Sweet (2002) identifizieren drei Aspekte, die ebenfalls eine Entscheidung zur Delegation beeinflussen können. Dies sind erstens die Interessen der beteiligten Akteure und insbesondere der Politiker, zweitens das „policy learning“ und institutioneller Isomorphismus sowie drittens das institutionelle Vermächtnis (vgl. Thatcher/Stone-Sweet: 11ff.). Bei den Interessen geht es vor allem darum zu verstehen, was Politiker dazu veranlasst, bestimmte Aufgaben an unabhängige Regulierungsbehörden zu delegieren. Im Bereich des Policy-Lernens und des institutionellen Isomorphismus geht es um Konzeptdiffusion und die Verbreitung von erfolgreichen Politikmodellen. Der letztgenannte Aspekt bezieht sich auf die Strukturen

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

35

und Möglichkeiten bestimmte Delegationsmuster zu etablieren (vgl. dazu auch Thatcher 2002b: 136). Ein weiterer Grund ist die bestehende bzw. zunehmende Komplexität von Politikinhalten bei einer gleichzeitig immer stärkeren Spezialisierung, die durch die Politiker kaum mehr zu bewältigen ist (Elgie/McMenamin 2005: 534). Thatcher (2002b) spricht hier von „unsexy technical policy“ (Thatcher 2002b: 132). Außerdem kann ein sogenannter „blame shift“ (Thatcher 2002b: 131) erreicht werden, wodurch die Regierung nicht mehr direkt für kontroverse oder unpopuläre Entscheidungen verantwortlich gemacht wird (Elgie 2006: 218), da sie in der Wahrnehmung nicht mehr im direkten Zuständigkeitsbereich liegt. Alle genannten Gründe können für die Bildung einer „Independent Regulatory Agency“ oder für die Delegation von Aufgaben an eine unabhängige Regulierungsbehörde förderlich sein. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob ein Rechnungshof eine „Independent Regulatory Agency“ ist, und welche Bedeutung der Unabhängigkeit als spezifische Eigenschaft von Kontrollinstitutionen zukommt. 2.2

Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

Die Diskussion um die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden kann ohne Weiteres auf die Rechnungshöfe heruntergebrochen werden. Allerdings sind hier einige Besonderheiten zu beachten. Dabei wird explizit auf den Forschungsstand zur Unabhängigkeit von Rechnungshöfen eingegangen. Für den deutschen Fall zeigt sich ein sehr stark auf die Innenperspektive des eigenen Landes gerichteter Diskussionszirkel, der nur wenig Neuerungen und Entwicklungstendenzen zulässt. Zudem ist es umstritten, ob der Rechnungshof überhaupt als Behörde zu qualifizieren ist (Schröder 2006: 198). Der Hauptunterschied zwischen den deutschen Rechnungshöfen und den Agencies im Allgemeinen liegt in der Möglichkeit, Politikinhalte zu formulieren und ggfs. zu verabschieden.32 Die Politikformulierung findet innerhalb eines klar eingegrenzten Bereiches statt, wie etwa bei der Bearbeitung bestimmter technischer oder komplexer Fragestellungen. Es geht darum, generell gefasste Ziele zu konkretisieren. 32

In anderen Ländern ist es dagegen durchaus üblich, dass die Rechnungshöfe bestimmte Politikinhalte formulieren oder selbst Alternativvorschläge unterbreiten (vgl. Sharkansky 1988: 82ff.).

36

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Die deutschen Rechnungshöfe besitzen solche Kompetenzen nicht bzw. nur sehr eingeschränkt. Sie lehnen diese teilweise selbst strikt ab. Bestenfalls im Zuge von Beratungen könnten Rechnungshöfe ihre Vorstellungen in bestimmten Politikbereichen äußern, die generell gehalten sind und sich wenig auf konkrete technische Details beziehen. Die Finanzkontrollbehörden der Länder sehen sich jedoch vornehmlich dem Primat der politischen Neutralität verpflichtet. In diesem Zusammenhang wird oft davon gesprochen, dass sich die Rechnungshöfe entsprechend der Lehrmeinung „apolitisch“ (Gilles/Otto/Weinert 1987: 177) verhalten. Außerdem haben die Rechnungshöfe kaum Sanktionsgewalten. Lediglich die drohende Veröffentlichung im Jahresbericht ist in der Lage, einen gewissen Handlungsdruck aufzubauen (Rürup/Färber 1989: 226). Auch dies ist ein Unterschied zu den unabhängigen Regulierungsbehörden, da diese in Abhängigkeit von ihrer institutionellen Ausgestaltung durchaus direkt Sanktionen verhängen können (beispielsweise im Falle des Bundeskartellamtes). Den Rechnungshöfen stehen eingeschränkte Handlungsoptionen zur Verfügung, die sich zumeist auf abgeschlossene Vorgänge beziehen. Sie können durch die Unabhängigkeit und Expertise versuchen, die Konfrontation mit den betroffenen Stellen zu suchen. Als Alternative besteht nur die Möglichkeit der Kooperation – im Sinne eines Informationsaustausches – zur Optimierung und Verbesserung des Verwaltungshandelns bei gleichzeitiger Wahrung der Unabhängigkeit (Nümann-Seidewinkel 1998: 70; weniger auf die Unabhängigkeit abstellend: Müller 1997a: 18). Der Kontrolleur erhält bei zugestandener „Vertrauenswürdigkeit“ 33 umfangreichen Zugang zu Informationen, ohne sich einer ständigen Obstruktionstaktik der Exekutive bzw. der Verwaltung ausgesetzt zu sehen. Der Kontrollierte erhält im Gegenzug Auskünfte über den Umgang mit den Informationen. Somit wird der Kontrollprozess insgesamt transparenter und für beide Seiten kalkulierbarer. Nach dem hier zugrunde liegenden Begriffsverständnis geht es um koordinierte Vorgehensweisen im Umgang mit den betreffenden Akteuren und den zur Verfügung gestellten Informationen. Insofern ist der Rechnungshof nicht als „Independent Regulatory Agency“ im typischen Sinne zu bezeichnen. Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe spielt in diesem Zusammenhang in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Diskussionen eine wesentliche 33

Obwohl es für Vertrauen keine eindeutige Definition und keinen eindeutigen Ursprung gibt, sei es definiert als: „The belief that others will not deliberately or knowingly do us harm, if they can avoid it, and will look after our interests, if this is possible“ (Newton 2007: 343).

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

37

Rolle. Die hier kurz beschriebenen kooperativen und informellen Aspekte stehen eher im Hintergrund. Zu allen wichtigen Diskussionen gibt es jedoch kaum nennenswerte empirische Untersuchungen. Dabei lässt sich die Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe, ähnlich wie im Falle der „Independent Regulatory Agencies“, schwer in eine passgenaue Definition gießen. Formal (de jure) kann die Unabhängigkeit über konkrete Eigenschaften näher bestimmt werden, aber eine de-facto-Festschreibung der Autonomie erweist sich als schwierig. Nachstehend soll zunächst der generelle Diskussionsstand der Forschungen über die Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe in der Bundesrepublik Deutschland nachgezeichnet werden. 2.2.1

Formale Unabhängigkeit der Rechnungshöfe

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt vor allem auf der formalen Unabhängigkeit der Rechnungshöfe. Ausgangspunkt für die formale Unabhängigkeit von Rechnungshöfen sind, ähnlich wie bei den „Independent Regulatory Agencies“, die gesetzlichen Regelungen. Dabei ist jedoch besonders hervorzuheben, dass der Rechnungshof im Gegensatz zu den unabhängigen Regulierungsbehörden in der Verfassung Erwähnung findet. So ist die Finanzkontrolle der Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein im Art. 114 GG geregelt. Dabei wird den Mitgliedern des Bundesrechnungshofes gemäß Art. 114 Abs. 2 GG richterliche Unabhängigkeit zugesichert und darauf verwiesen, dass nähere Bestimmungen durch ein eigenes Rechnungshofgesetz zu erlassen sind. Obwohl das Grundgesetz hier primär den Bundesrechnungshof meint, bezieht sich diese Passage über Art. 28 GG bzw. Art. 20 Abs. 1 GG auch auf die deutschen Bundesländer, die ähnliche Regelungen erlassen haben (Hesselberger 2003: 215; Pfennig 1968: 199).34 Die deutschen Landesrechnungshöfe sind entsprechend den Regelungen in den Landesverfassungen und nach § 1 der Landesrechnungshofgesetze (LRHG)35 als oberste Landesbehörden „unabhängig“ bzw. „selbstständig“ 34

35

Art. 83 Abs. 2 Ba.-Wü., Artikel 80 Bay., Art. 95 Abs. 1 Ber., Art. 107 Abs. 1 Bbg., Art 133a Brem., Art. 71 Abs. 1 Ham., in Hessen ist diese Regelung nicht in der Landesverfassung angeführt; Art. 68 Abs. 1 Meckl.-V., Art. 70 Abs. 1 Nds., Art. 87 Abs. 1 NW, Art. 120 Abs. 2 Rhl.-Pf., Art. 106 Abs. 3 Saarl., Art. 100 Abs. 1 und 2 Sachs; Art. 98 Abs. 1 LSA., Art. 57 Abs. 1 SH., Art. 103 Abs. 1 Thür. Die Bezeichnung „unabhängig“ ist dabei vor allem in den Gesetzen zu den Rechnungshöfen aus den Neuen Bundesländern zu finden: § 1 Abs. 1 RHG Berl., § 1 Abs. 1 LRHG Brbg., § 1 Abs. 1 RHG Hess., § 1 Abs. 1 LRHG Meckl.-V., § 1 Abs. 1 RHG Sachs., § 1 Abs. 1 RHG Thür., wobei für Hessen und für Mecklenburg-Vorpommern die explizite Unterstützung von Regierungs- und Landtagsentscheidungen „im Rah-

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

und nur dem Gesetz unterworfen. Sie sind an keine Weisungen – auch nicht von anderen Rechnungshöfen – gebunden (von Wedel 2005: 85). Diese gesetzliche Definition ist allerdings kaum ausreichend, um die formale Unabhängigkeit umfassend zu beschreiben. In der juristischen Literatur werden in Bezug auf die Unabhängigkeit zwei Aspekte hervorgehoben. So wird zwischen materieller und personeller Unabhängigkeit unterschieden (Schäfer 1993: 49).36 Die materielle Unabhängigkeit bezieht sich auf eine angemessene Ressourcenausstattung der Rechnungshöfe, die nicht zu einer faktischen Begrenzung der Prüfungstätigkeit führen darf (Sandl 1987: 26). Die personelle Unabhängigkeit meint, dass die Mitglieder des Rechnungshofes keinen internen oder externen Weisungen – etwa durch den Rechnungshofpräsidenten oder durch Legislative und Exekutive – unterworfen sind. Dementsprechend ergibt sich die formale Unabhängigkeit der Institution Rechnungshof nicht zuletzt aus dem Status seiner Mitglieder (Glatfeld 1997: 21; Rechnungshof Schleswig-Holstein 2003: 7). Die den Rechnungshöfen und seinen Mitgliedern zugesicherte Unabhängigkeit soll in erster Linie vor äußeren Einflüssen auf die Prüfungstätigkeit und die Prüfungsergebnisse schützen, sodass die Finanzkontrollbehörden frei davon sind, „nach Beifall zu schielen“ (Sauer/Blasius 1985: 552). Dazu gehört ferner, dass die Rechnungshöfe ihre eigenen Geschäftsordnungen erlassen und ein Vorschlagsrecht für den Haushalt haben (Müller 1994: 1277). Letzteres ist formal über die Haushaltsordnungen gegeben. Das schützt den Rechnungshof allerdings nicht vor möglichen materiellen Einschnitten, da das Finanzministerium die Vorschläge prüft und im Benehmen mit den Beteiligten ändern kann. Zwar muss der Finanzminister Abweichungen von den Voranschlägen und Unterlagen des Rechnungshofpräsidenten mitteilen,

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men der gesetzlichen Aufgaben“ erwähnt ist. Die Rechnungshofgesetze von BadenWürttemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland – § 1 Abs. 1 RHG Ba.-Wü., Art. 1 Abs. 1 RHG Bay., § 1 Abs. 1 LRHG Nds., § 1 Abs. 1 RHG Rhl.-Pf., § 1 Abs. 1 RHG Saarl. – sprechen hier von der Selbstständigkeit der Landesrechnungshöfe. Außerdem wird der Rechnungshof in Bayern als „oberste Staatsbehörde“ angeführt. In der letzten Gruppe der Bundesländer wird sowohl die Unabhängigkeit in der Aufgabenwahrnehmung als auch die Selbstständigkeit gegenüber der Landesregierung betont. Hierzu gehören: § 1 Abs. 1 RPG Brem., § 1 Abs. 1 RHG Ham., § 1 Abs. 1 LRHG NW, § 1 Abs. 1 RHG Saarl., § 1 Abs. 2 LRHG LSA., § 1 Abs. 1 LRH-G SH. Allerdings ist auch hier für Nordrhein-Westfalen und für Sachsen-Anhalt die Unterstützung des Landtages und der Landesregierung – nur für Sachsen-Anhalt – im Gesetz festgeschrieben. Richter (1969) spricht hier von „sachlicher“ und „personeller“ Unabhängigkeit (Richter 1969: 68).

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

39

sofern den Änderungen nicht zugestimmt wird, doch ändert dies nichts daran, dass der Rechnungshofetat unter Umständen eine Beeinflussung „von außen“ erfährt, siehe insbesondere Punkt 3.1.5. Prinzipiell ist jedoch davon auszugehen, dass die Rechnungshöfe im Gegensatz zu den Ministerien keinen Budgetmaximierungsansatz verfolgen37 und aufgrund ihrer Vorbildfunktion moderat anmelden. Neben dieser Differenzierung gibt es noch die Unterscheidung zwischen organisatorischer und operationeller Unabhängigkeit (Power 1997: 132), die für die deutsche Rechnungshofliteratur eher untypisch ist. Die organisatorische Unabhängigkeit bezieht sich vor allem auf das institutionelle Gefüge zur Sicherung der Unabhängigkeit, während die operationelle Unabhängigkeit vor allem auf die Prüfungstätigkeit der Kontrollinstitution Bezug nimmt. Sie hinterfragt, wie die Unabhängigkeit unter verschiedensten Prüfungsmethoden und -kontakten dauerhaft gesichert werden kann, ohne großen Informationsverlusten oder einer zu starken Identifikation mit dem Kontrollgegenstand ausgesetzt zu sein. Beide Unterscheidungen umfassen weitere Merkmale, die auch im Rahmen der Untersuchungen von unabhängigen Regulierungsbehörden angesprochen werden. Somit zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch klare Unterschiede zu den Ansätzen der Forschung über „Independent Regulatory Agencies“. Dabei sind gerade die Abweichungen von besonderem Interesse, da die neuen Perspektiven möglicherweise zur Bereicherung der Rechnungshofforschung beitragen können. 2.2.2

Rechnungshofunabhängigkeit als genereller Bezugspunkt

Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe spielt allerdings auch für viele andere Forschungsbereiche eine wichtige Rolle. Im Folgenden werden drei Forschungsfelder erläutert, die im Rahmen der Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe eine besondere Relevanz besitzen. Dazu gehören die Diskussionen um die Stellung der Rechnungshöfe im Staatsgefüge, die Organisation der Rechnungshöfe sowie ihr Tätigkeitsfeld. Allen diesen Bereichen ist gemeinsam, dass sie in Deutschland sehr kontrovers diskutiert werden.

37

Demnach versuchen die Minister, ihr eigenes Budget gegenüber den Kollegen mindestens zu behaupten bzw. auszudehnen. Ein ähnlicher Maximierungsansatz wird auch der Verwaltung unterstellt (Sturm 1989: 180; Rürup/Färber 1986: 217).

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

2.2.2.1

Stellung des Rechnungshofes

In der Vergangenheit (vgl. etwa Bank 1962; Pfennig 1968) aber auch in jüngerer Gegenwart (vgl. etwa Jury 2002; Korthals 2002) hat es immer wieder umfangreiche Diskussionen über die Stellung der Rechnungshöfe im Staatsgefüge gegeben (siehe auch Abbildung 2.1). Diese vor allem rechtswissenschaftlichen Streitgespräche können und sollen an dieser Stelle nicht vollständig und umfassend wiedergegeben werden. Dennoch erscheint es notwendig zu sein, einen kleinen Überblick zum Stand der Diskussionen zu geben. Es ist letztlich die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe, die dazu geführt hat, dass diese Diskussionen bis heute nicht abgerissen sind.

Abb. 2.1: Die Stellung des Rechnungshofes im Staatsaufbau

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Quelle: nach Rechnungshof Hessen 1995: 4 sowie Hewer 2003: 64

Demnach werden die Landesrechnungshöfe wahlweise und je nach bevorzugter Lesart der Judikative, der Exekutive oder der Legislative zugeordnet. Auch Einordnungen als „Vierte Gewalt“ oder Institution „sui generis“ bzw.

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

41

„singulärer Art“ lassen sich in der Literatur häufig finden (Dittenhofer 1970: 181; Reding 1981: 190). „Dabei geht es weniger um eine Aufarbeitung des Schrifttums als vielmehr um das Phänomen, dass dort mit mehr oder weniger großer Regelmäßigkeit seit Jahrzehnten bestimmte Topoi aufgegriffen und in einer Form behandelt werden, die des Öfteren den theologischen oder, besser, theologisierenden Disputen des Mittelalters über die Frage: wie viel Engel (oder als katharisch-ketzerisches Pendant: wie viel Teufel) auf einer Nadelspitze Platz finden, nahekommt“ (Gilles 1986: 231).38 Außerdem wird in der Literatur immer wieder betont, dass der Rechnungshof weder ein „Erfüllungsgehilfe der Regierung“ (Iltgen 1995: 14) noch ein „Hilfsorgan“ des Parlamentes ist (Schneider 1998: 3; Karehnke 1975a: 235). Der Rechnungshof ist nur dem Gesetz unterworfen und dient der gesamten Öffentlichkeit und damit den Interessen des Volkes (von Mutius 1989a: 316; Zavelberg 1995: 514). Trotzdem werden die erwähnten Ansätze kurz und kritisch diskutiert. Überdies bietet jeder der Versuche, den Rechnungshof standardmäßig im Staatsgefüge zu verorten, ausreichend Angriffsfläche für eine Reihe von plausiblen Gegenargumenten. Ausgangspunkt dieser kritischen Auseinandersetzung ist die Feststellung, dass die Gewaltenteilung im Sinne einer klaren Dreiteilung ohnehin überholt ist (von Arnim 1977: 372; 1984: 6; Hartmann 2003: 35), da es sich in erster Linie um eine Gewaltenverschränkung mit einem System von „checks and balances“ handelt.39 Zudem wird die praktische Bedeutung des Gewaltenteilungsproblems im Schrifttum schlichtweg überschätzt (Vogel 1970: 194; Schmit 1988: 14). Der Wegfall der klaren Trennung zwischen Exekutive und Legislative bedeutet letztendlich, dass die Konfliktlinien bei der Beanstandung von Ausgaben nicht mehr zwischen Regierung und Parlament, sondern zwischen Parlamentsmehrheit und Opposition verlaufen (Korff 1981: 400). Der Rechnungshof ist damit, unter Berücksichtigung seiner Unabhängigkeit, als „Verbündeter der Opposition“ (Maier 1998: 153) zu bezeichnen, falls der Rechnungshof so etwas wie „Verbündete“ hat.40 Die Regierungsmehrheit 38 39 40

Gilles (1986) sieht in dem Begriff „Institution sui generis“ ohnehin nur eine „nichtssagende Diktion“(Gilles 1986: 233). Dies ist insofern wenig überraschend, da das Gewaltenteilungsprinzip ohnehin keine absolute Trennung der Verfassungsorgane fordert (Schreckenberger 1994: 341). Seemann (1983) vermutet jedoch, dass auch die Opposition kein gesteigertes Interesse daran hat, eine Effizienzsteigerung der Regierungsarbeit zu erwirken, da diese nur der Regierung zugute kommen würde. Vielmehr geht es um die Suche nach handfesten Skandalen, aus denen sich politisches Kapital schlagen lässt (Seemann 1983: 189 und kritisch dazu Mandelartz 1982: 7).

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

wird folglich versuchen, die Regierung in Schutz zu nehmen, „weil menschliche Dimensionen bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten vermögen“ (Reinert 1988: 83). Ein gezieltes Übergehen der Opposition (und des Rechnungshofes) ist auf diesem Wege nicht ausgeschlossen (von Arnim 1989c: 116). Zwar zeigt sich insgesamt eine gewisse Nähe zum Parlament. Diese qualifiziert einen unabhängigen Rechnungshof nicht automatisch zu einem „Hilfsorgan“, wie dies in der Wahrnehmung einiger Parlamentarier noch verankert zu sein scheint (vgl. Lt.-Drs. Saarland, vom 15. 05. 2007: 13/1373, S.1). Schließlich hat der Rechnungshof seine Existenzberechtigung nicht nur in der Unterstützung des Parlamentes bei der Haushaltskontrolle, weil die Legislative damit zunehmend überfordert ist. Außerdem kann der Rechnungshof dann unterstützend wirken, wenn dieser über eine entsprechende Informationsbasis verfügt (Maier 1998: 153; Schneider 2001: 92). Aufgrund der besonderen Stellung des Rechnungshofes wird auch eine Diskussion darüber geführt, ob der Rechnungshof so etwas wie eine „Vierte Gewalt“ (Iltgen 1995: 11; Rechnungshof Hessen 1995: 3) darstellt. Eine solche kann der Rechnungshof trotz der ihm zugestandenen Unabhängigkeit jedoch nicht sein, da eine Staatsgewalt entsprechend der Gewaltenteilungslehre durch „eine Bündelung charakteristischer Funktionsbereiche in der Hand einzelner Organe“ (Jury 2002: 40) gekennzeichnet ist. Diese Organe müssen darüber hinaus zur rechtlich institutionalisierten Durchsetzung ihrer übertragenen Funktionen befähigt sein (Jury 2002: 40), was auf den Rechnungshof nicht zutrifft. Der Ansatz des Rechnungshofes als Institution „sui generis“, als Institution eigener Art, vermag ebenfalls kaum zu überzeugen, da diese Bezeichnung nicht dazu in der Lage ist, die staatsrechtliche Stellung der Rechnungshöfe zu verdeutlichen (Menzel 1969: 74; Jury 2002: 41). Es gibt allerdings andere Publikationen, die darauf hindeuten, dass sich die Bezeichnung Institution „sui generis“ weitgehend durchgesetzt hat (Korthals 2002: 601). Letztendlich erweist sich aber die Durchsetzung dieser konsensfähigen Begrifflichkeit als unwichtig. Die vielen Versuche der Einordnung in den Staatsaufbau sind nichts anders, als das Eingeständnis der formalen Rechtswissenschaften, keine adäquate Standortbestimmung für den Rechnungshof vornehmen zu können (Gilles 1986: 233; Gilles/Haag/Otto/Weinert 1987: 177). Dementsprechend sieht Mahrenholz (1998) in dem Versuch der Verortung

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

43

der Rechnungshöfe im Staatsgefüge in erster Linie ein „Scholastikerproblem“ (Mahrenholz 1998: 15).41 Zusammenfassend betrachtet weisen die Rechnungshöfe bestimmte funktionelle Merkmale von Legislative, Judikative und Exekutive auf, ohne allerdings vollständig in einer dieser „Gewalten“ aufzugehen (von Mutius 1989a: 317). Sicher scheint somit zunächst nur, dass die Rechnungshöfe unabhängig sind und eine Sonderstellung zwischen Regierung und Parlament einnehmen (Sauer 1968: 101; Korff 1975: 153). Alle weiteren Rückschlüsse oder Interpretationen unterliegen zwar der juristischen Deutungshoheit, können jedoch nicht als letzte Wahrheit verstanden werden. Relevant ist damit nur der Sachverhalt, dass die Finanzkontrolle ohne Einflussnahme auf die einzelnen Mitglieder des Rechnungshofes erfolgen sollte. Alle Maßnahmen oder Konstellationen, die zu einer Gefährdung der Unabhängigkeit führen, sind verfassungswidrig (Weber 1981: 128). 2.2.2.2

Die Organisation des Rechnungshofes

Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe wird auch vor dem Hintergrund von Organisationsmerkmalen diskutiert. Von Arnim (1984) beispielsweise konstatiert, dass die Organisation des Rechnungshofes den Wert und die Wirksamkeit desselben entscheidend mitbestimmt (Arnim 1984: 5). In diesem Zusammenhang sind die Rechnungshofgesetze (RHG) als Organisationsgesetze zu verstehen, die sich über die Stellung der Rechnungshöfe, deren Gliederung, die Unabhängigkeit und die Entscheidungsfindung äußern (Beismann 1995: 88). Dabei geht es vor allem um die Frage, welche besonderen Organisationsmerkmale dazu beitragen, die Unabhängigkeit des Rechnungshofes gegenüber externen Eingriffen zu sichern, da auch eine Kontrollinstitution nicht völlig losgelöst von ihrer Umwelt organisiert wird (Karehnke 1975c: 245). Aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive erscheint es angemessen zu sein, hier grundsätzlich zwischen Aufbau- und Ablauforganisation zu unterscheiden (vgl. Bogumil/Jann 2009: 138ff.). Demnach gibt die Aufbauorganisation Informationen über die Gliederung der bürokratischen Organisation. Sie bezieht sich insbesondere auf Aspekte der Spezialisierung und Differenzierung durch Arbeitsteilung. Grundsätzlich wird zwischen hori41

Mahrenholz verwendet diesen Begriff im Zusammenhang mit der Frage, ob der Rechnungshof ein Verfassungsorgan sei oder nicht (Mahrenholz 1998: 15). Eine Übertragung dieser Bezeichnung auf die skizzierte Problematik erscheint angemessen.

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

zontaler und vertikaler Differenzierung unterschieden (Bogumil/Jann 2009: 139). Die Ablauforganisation lässt sich unter den Begriffen „Regelgebundenheit, Aktenmäßigkeit und Schriftlichkeit“ zusammenfassen (Bogumil/Jann 2009: 138). Diese Regeln sorgen letztendlich für die Nachprüfbarkeit sowie Kommunikation, Integration und Koordination bezüglich eines konkreten Problems. Allerdings geschieht dies nicht völlig konfliktfrei (Bogumil/Jann 2009: 141). Es empfiehlt sich, die Differenzierung zwischen Aufbau- und Ablauforganisation auch für die folgenden Betrachtungen beizubehalten, da diese Aspekte die Darstellungen über die Organisation der Rechnungshöfe zusätzlich strukturieren. Aufbauorganisation: Die Organisation der Rechnungshöfe als Element der Sicherung von Unabhängigkeit wird insbesondere im Rahmen der Bestellung von Präsident, Vizepräsident und Mitgliedern diskutiert. Dabei wird der Einfluss, den das Parlament und die Regierung auf die Ernennung der Mitglieder haben, einer kritischen und differenzierten Betrachtung unterzogen (Brunner 1972: 187). Vorschlagsrecht und Wahlhürde spielen somit bei der Beschränkung des politischen Zugriffs eine entscheidende Rolle. Beispielsweise kann mit qualifizierten Mehrheiten und mit der Vergabe des Vorschlagsrechts an einen kollektiven Akteur eine deutliche Objektivierung bei der Auswahl der Rechnungshofspitze erreicht werden (von Arnim 1983: 672). Kritiker dieser Argumentation sehen aber gerade in den qualifizierten Mehrheiten die Gefahr, dass auch Rechnungshofpersonalien zu einer Art „politischer Tauschwährung“ werden, bei der sich Regierung und Opposition wichtige Ämter untereinander aufteilen (Schlegelberger 1982: 17; Fricke 2008: 228). Sollte es seitens der politischen Akteure Bestrebungen geben, gezielt auf den Rechnungshof Einfluss zu nehmen, dann ist der Präsident zweifelsohne das „Haupteinfallstor“. Von Arnim (1984) spricht sogar davon, dass sich der Kontrollierte den Chefkontrolleur selbst aussucht (von Arnim 1984: 6). Gelingt es der Regierung, einen ihr gewogenen Kandidaten einzusetzen, so hat dieser zum Teil umfangreiche Befugnisse die Rechnungshofspitze und die Geschäftsverteilung nach seinem Vorstellungen umzugestalten (vgl. Zavelberg 1992a: 686; siehe dazu auch Punkt 3.1.2). Weber (1981) geht davon aus, dass allein die bloße Kenntnis dieser Umgestaltungsmöglichkeiten ausreicht, um Initiativen der Prüfungsgebietsleiter zu lähmen (Weber 1981: 130).

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

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Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Rechnungshöfe nach dem Kollegialprinzip42 organisiert sind. Eine monokratische Organisation43 würde dem Anspruch der Behörde nicht genügen (Wieland 1995: 899). Das Kollegialprinzip sichert die gemeinsame Entscheidungsfindung von mehreren gleichberechtigten Mitgliedern. Dadurch wird der Einfluss von Einzelpersonen auf das Erscheinungsbild der unabhängigen Behörde vermindert (Fuhrmann 1989: 329; White/Hollingsworth 1999: 98). Folglich gilt die Einbindung des Präsidenten und des Vizepräsidenten in die kollegialen Entscheidungsfindungsprozesse als eine Art institutionelles Gegengewicht zu monokratischen Entwicklungen, was sich unter Umständen auf die Arbeitsweise des Präsidenten und des Vizepräsidenten auswirken kann (Wittrock 1983: 886). Die Kollegialverfassung gilt in diesem Sinne als hervorstehendes Prinzip der inneren Ordnung, das bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Rechnungshöfe die Wahrung von Neutralität und Objektivität fördert (Weber 1981: 129; Gehlen 1988: 52). Dementsprechend trägt die Kollegialverfassung in Verbindung mit der richterlichen Unabhängigkeit zur Umsetzung von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen bei, die sowohl die persönliche als auch die institutionelle Unabhängigkeit unterstützen (Klappstein 2000: 25).44 Trotzdem darf die Kollegialverfassung in ihrer Funktion und Wirkungsweise keinesfalls überbewertet werden. Immerhin steht das Prinzip in einem Dauerkonflikt mit den Leitungs-, Organisations- und Entscheidungszuständigkeiten des Rechnungshofpräsidenten (Wieland 1995: 900; Gehlen 1988: 52). Hierzu gehört insbesondere die Außenvertretung des Rechnungshofes, das Vorschlagsrecht für die Besetzung des Vizepräsidenten und der Mitglieder bzw. sogar die Ernennung Letzterer und die Beschlussfassung. Insofern dient der gewählte Organisationsaufbau nicht nur der Aufgabenerfüllung, sondern auch der Sicherung von Unabhängigkeit. Dabei bleiben selbstverständlich einige kritische Fragen offen, weil die adäquate Aufgabenerfüllung und die Sicherung von Unabhängigkeit in einem Zielkonflikt stehen. 42

43 44

Das Kollegialprinzip ist „die Gewährleistung der Entscheidungszuständigkeit mehrerer gleichberechtigter Organwalter nach einem geordneten Verfahren im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ (Gehlen 1988: 54) und hat in Art. 114 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Fundierung. Das monokratische Prinzip ist „die Gewährleistung der Entscheidungszuständigkeit eines (leitenden) Organwalters im Rahmen seiner Zuständigkeit“ (Gehlen 1988: 54). Demgegenüber sieht Eggeling (1986) zwischen dem Kollegialsystem der Rechnungshöfe und ihrer Unabhängigkeit nicht notwendigerweise eine Verbindung (Eggeling 1986: 41).

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Ablauforganisation: Die Ablauforganisation beschreibt die Prozesse, mit denen innerhalb der Rechnungshöfe gearbeitet wird. Dabei geht es vor allem um die Verteilung der Geschäfte und die Beschlussfassung. Auch hier zeigt sich, dass vornehmlich versucht wird, die Geschäftsverteilung sowie die Entscheidungsfindung über die Rechnungshofgesetzte in kollektive Verfahren einzubinden, um subjektiv-individuelle und gegebenenfalls externe Einflüsse auszugleichen und eine neutrale, objektive sowie am Recht orientierte Prüfungstätigkeit zu gewährleisten (Blasius 1990b: 127/128). Trotzdem darf die Mitwirkung des Präsidenten und des Vizepräsidenten in kollegialen, mehrheitsbestimmten Entscheidungsprozessen nicht unterschätzt werden. Schließlich kann der Präsident bei der Ernennung der Mitglieder und des Vizepräsidenten Einfluss auf die Besetzung des Kollegiums nehmen. In der Beschlussfassung gibt bei Stimmgleichheit die Stimme des Präsidenten den Ausschlag (Wieland 1995: 900; Sierig 1998: 49). Darüber hinaus kann der Präsident zum Teil in erheblichem Maße Einfluss auf die Geschäftsverteilung, d. h. insbesondere auf die personelle Besetzung der Prüfungsgebietsleitungen nehmen. Somit können die politischen Akteure im übertragenen Sinne zwar nicht direkt Einfluss auf die Ablauforganisation der Rechnungshöfe nehmen. Sie haben jedoch Möglichkeiten, eine gewisse inhaltliche Nähe zu den zentralen Führungspositionen herzustellen, die wiederum die Unabhängigkeit der Prüfer bzw. der Institution Rechnungshof beschränken kann. Eine gewisse Politik- oder Verwaltungsnähe von Präsident und Vizepräsident ist nur selten von der Hand zu weisen. Diese Nähe steht allerdings immer unter dem Vorbehalt, dass die ernannten Personen im Sinne des Prinzipal-AgentAnsatzes nach ihrer Ernennung keinerlei Verpflichtungen gegenüber ihrem Prinzipal erfüllen müssen.45 2.2.2.3

Das Tätigkeitsfeld des Rechnungshofes

Die Aufgabenerfüllung der Rechnungshöfe steht sehr stark unter der Prämisse der Unabhängigkeit. Dabei stellt sich die Frage, ob die Kontrollinstitution dazu in der Lage ist, die ihr zugewiesenen Funktionen adäquat auszuüben, ohne in ein Abhängigkeitsverhältnis mit den kontrollierten Einrichtungen abzurutschen oder Wirksamkeitseinbußen zu erleiden.46 45 46

Ein Sachverhalt, der nicht zuletzt durch die lange Amtszeit der Rechnungshofpräsidenten (12 Jahre) und den Ausschluss der Wiederwahl begünstigt wird. Beide Aspekte gewinnen zusätzlich an Brisanz, wenn die durchaus übliche Besetzung von Rechnungshofstellen mit Mitarbeiten aus der Verwaltung betrachtet wird. In

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

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Die Rechnungshöfe nehmen zwei zentrale Funktionen war. Zum einen handelt es sich um die Prüfungs- bzw. Kontrollfunktion und zum anderen um die Beratungsfunktion.47 Die Kontrollfunktion lässt sich dabei eindeutig dem Kerngeschäft der Rechnungshöfe zuordnen. Demgegenüber ist die Beratungsfunktion als Hilfestellung bei Entscheidungsprozessen deutlich umstrittener. Dies gilt vor allem in der Rechtswissenschaft. Eine trennscharfe Ausdifferenzierung von Kontrolle und Beratung ist nicht immer möglich. Die Kontrolle zielt aber „primär auf die Aufdeckung von Missständen und Fehlentwicklungen“ ab, „während die Beratung auf die Behebung bzw. Vermeidung dieser Fehlentwicklungen in der Zukunft gerichtet ist“ (Freytag 2005: 42). Daher erscheint es sinnvoll, die beiden Rechnungshoftätigkeiten getrennt voneinander zu betrachten. Prüfungstätigkeit: Zur Wahrnehmung der Prüfungsaufgaben führen die Rechnungshöfe eine Vielzahl von verschiedenen Prüfungen durch, obgleich keinesfalls von einer einheitlichen Prüfungsmethodik gesprochen werden kann (Diederich/Cadel/Dettmar/Haag 1990: 189).48 Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein, da höchst unterschiedliche Meinungen darüber bestehen, wie die Kontrolle durch Rechnungshöfe aussehen sollte (Weihe 1974: 21). Trotzdem gibt es auf diesem Gebiet einen Erfahrungsaustausch zwischen den Kontrollinstitutionen (Wittrock 1986b: 365). Im Zusammenhang mit der Kontrolltätigkeit der Rechnungshöfe wird außerdem immer wieder die zentrale Bedeutung der Unabhängigkeit der Prüfungen hervorgehoben. Formal bedeutet dies, dass die Mitglieder des Rechnungshofes auf eigene Initiative tätig werden und damit selbst be-

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diesem Falle sind Loyalitätskonflikte und Trends zur Ämterpatronage nicht völlig ausgeschlossen (Jakobs-Woltering 1993: 119/120; 1996: 32; Klappstein 2000: 40). Die entsprechenden Regelungen sind in § 88 der Landeshaushaltsordnungen festgehalten: § 88 Abs. 2 und 3 LHO Ba.-Wü., Art. 88 Abs. 2 und 3 LHO Bay., § 88 Abs. 2 LHO Ber., § 8 Abs. 2 LHO Bbg., § 88 Abs. 2 LHO Brem., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Ham., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Hess., § 88 Abs. 3, 4 sowie 5 LHO Meckl.-V., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Nds., § 88 Abs. 2 LHO NW., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Rhl.-Pf., § 88 Abs. 2 LHO Saarl., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Sachs., § 88 Abs. 2 und 3 LHO LSA., § 88 Abs. 3, 4 sowie 5 LHO SH., § 88 Abs. 2 und 3 LHO Thür. Folgende Prüfungsarten werden dabei in der Literatur genannt, wobei nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird: allgemeine Prüfungen, Schwerpunktprüfungen, Querschnittsprüfungen, Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen, Maßnahmeprüfungen, Projektprüfungen, Pilotprüfungen, Systemprüfungen, Programmprüfungen, Einzelfallprüfungen von zahlungsbegründenden Unterlagen, Orientierungsprüfung, Kontrollprüfungen, Benchmarking und Gesamtrechnungsprüfungen (für eine genauere Beschreibung siehe: Glatfeld 1997: 46; für den Niedersächsischen Landesrechnungshof: Göke 2001: 67; für den Bundesrechnungshof: Sandl 1986: 211).

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

stimmen, was sie prüfen bzw. nicht prüfen. Dazu gehört auch die autonome Planung sowie die unabhängige und neutrale Formulierung der Prüfungsfeststellungen (von Arnim 1983: 670; 1984: 5; Wittrock 1984b: 652; Blasius 2002: 421; Miß 2006: 59). Aus der Wahl der Prüfungsthemen geht zudem hervor, dass die Kontrollen nur stichprobenartig erfolgen können. Zwar verfügen die Rechnungshöfe über einen umfassenden rechtlichen Prüfauftrag. Dies bedeutet jedoch keine Verpflichtung für die Rechnungshöfe, alles und jeden zu prüfen, zumal solche Bestrebungen sehr schnell an personelle und materielle Grenzen stoßen. Die Rechnungshöfe prüfen im Zuge ihrer Kontrolltätigkeit nach den Prinzipien der „Wirtschaftlichkeit49 und Ordnungsmäßigkeit50 der Haushaltsund Wirtschaftsführung“ gemäß Art. 114 Abs. 2 GG. Demnach genießt auch das Prinzip der Wirtschaftlichkeit Verfassungsrang (Engelhardt/Hegmann 1993: 15). Die Landesrechnungshöfe prüfen dabei in jenen Bereichen, die der originären Einnahmen- und Ausgabenhoheit der Länder unterliegen (von Wedel 2005: 93). In der Vergangenheit hat sich immer ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der nachgängigen Prüfungen von Recht- und Ordnungsmäßigkeit gezeigt (von Arnim 1982: 923).51 Gegenwärtig scheint sich dieses Ungleichgewicht etwas aufzulösen, sodass immer mehr Wirtschaftlichkeitsprüfungen Anwendung finden, die vor allem auch nach der Zweckmäßigkeit bestimmter Maßnahmen fragen (Glatfeld 1997: 65; Mäding 2003: 435; Eichhorn 1997: 55). Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die Ordnungsmäßigkeitsprüfung als die Grundlage für die Prüfungstätigkeit angesehen wird (Igelspacher 2002: 86; Weisbrod 1993: 271). Dem ist wiederum entgegenzuhalten, dass sich die Rechnungshöfe nicht zu sehr auf Buchhaltungsregeln, 49

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Wirtschaftlichkeit stellt auf die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln ab. Die Wirtschaftlichkeit umfasst das Sparsamkeits(Minimalprinzip) und das Ergiebigkeitsprinzip (Maximalprinzip) (Zavelberg 1995: 522; siehe auch Grupp 2000: 11). Folgerichtig kennzeichnet sich eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vor allem durch die Anlegung von Maßstäben und nicht durch die Schaffung von Maßstäben, da es so etwas wie eine absolute Wirtschaftlichkeit nicht gibt (Lange 1989: 92; Wieschollek 2007: 21). Die Ordnungsmäßigkeit meint in erster Linie die Richtigkeit und Verlässlichkeit der Rechnung, Beachtung des Haushaltsplans und der Rechts- und Verwaltungsvorschriften einschließlich der einheitlichen Anwendung der Steuer- und Geldleistungsgesetze (Freytag 2005: 44; Zavelberg 1995: 521). Dieses Ungleichgewicht ist vermutlich zum Teil darauf zurückzuführen, dass es nur mangelhafte Möglichkeiten zur Quantifizierung der erforderlichen Messgrößen des Verwaltungshandelns gibt (Vogel 1970: 195).

2.2 Rechnungshöfe als „Independent Regulatory Agencies“?

49

sondern eher auf die Darstellung der realen Verhältnisse fokussieren sollten, auch wenn beide Instrumente – Wirtschaftlichkeits- und Ordnungsmäßigkeitsprüfungen – Hand in Hand gehen (Lüder 1989: 134). Ein zentrales Problem der Prüfungstätigkeit bleibt die fehlende Gegenwartsnähe der Kontrollen. Entsprechend dieser Argumentation sichert eine hohe Aktualität der Ergebnisse ein schnelles Reagieren und erhöht damit die Wirkungskraft der Prüfungen. Allerdings verkennt diese einseitige und allzu optimistische Betrachtung, dass eine gegenwartsnahe Prüfung nicht zwingend dafür geeignet ist, finanzielle Schäden abzuwenden. Die Prüfung setzt zumeist nach der Planungsphase an mit der Folge, dass die unwirtschaftlichen Entscheidungen während des Prüfungsprozesses bereits umgesetzt werden (Miß 2006: 58). Insgesamt betrachtet, gehen die Meinungen über die Bewertung der Rechnungshofprüfungen deutlich auseinander. So spricht von Mutius (1982) beispielsweise von der Tätigkeit eines „Leichenbeschauers“ (von Mutius 1982: 31), da die Kontrollinstrumente hauptsächlich auf die nachträgliche Prüfung beschränkt sind. Auch der umfassend gewählte Prüfungsansatz der Rechnungshöfe steht in einem zweifelhaften Licht, da dieser trotz aller Bemühungen selektiv und punktuell bleibt (von Mutius 1982: 31; vgl. auch Blasius/Sauer 1986: 554). Darüber hinaus üben sich die Verwaltungen aufgrund ihres Informationsmonopols in Vermeidungsstrategien, um beispielsweise Auffälligkeiten zu verschleiern und Unregelmäßigkeiten einzuebnen. Die Neigung zur Intransparenz, um etwa Kontrolltätigkeiten zu erschweren, sind dabei keinesfalls unbekannt (Reinermann 1981: 491; Alesina/Perotti 1996: 403). Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe scheint für die Prüfungstätigkeit bisweilen eher ein Laster als eine Hilfe zu sein, zumal sich die Rechnungshöfe eine gewisse politische Enthaltsamkeit auferlegt haben. Allerdings mutet eine apolitische, rein sachliche Prüfung etwas „künstlich“ an (Hellstern/Wollmann 1980: 563). Zweifelsohne sind die Grenzen zwischen erwünschten Prüfungen und unerwünschten politischen Einmischungen fließend (Engelhardt/Hegmann 1993: 22; Friedmann 1989: 169), und so werden die wissenschaftlichen Diskussionen um eine Selbstbeschränkung der Rechnungshöfe im Bereich des Politischen gerade vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit der Kontrollinstitutionen sehr kontrovers diskutiert. Während einige Autoren davon ausgehen, dass sich die Rechnungshöfe durch das „political self restraint“ selbst „an die Kette“ (Wenzler 1996: 150) legen und damit nur eine Form von Politikangst ausleben, gehen andere davon aus, dass die Rechnungshöfe in jedem Falle der Neutralität

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2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

verpflichtet sind und sich jeglicher politischer Äußerungen zu enthalten haben (Battis 1976: 726; Vogel 1970: 196). Blasius (1990) sieht die politische „Enthaltsamkeit“ vor allem dann geboten, wenn sich der Rechnungshof auf unsicheres Terrain begibt und ein Tätigwerden oder die Folgerungen einer bereits durchgeführten Prüfungsfeststellung rechtlich nur schwer zu begründen sind (Blasius 1990a: 410). Allerdings darf das politische Tätigwerden nicht immer als ein vom Rechnungshof gesteuerter Prozess angesehen werden. Manchmal wird der Rechnungshof durch die Reaktionen auf die veröffentlichten Prüfungsergebnisse auch von außen in die politischen Diskussionen hineingezogen (Czasche-Meseke 1995: 6; Tiemann 1977 242/243). Dementsprechend erweist sich die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe in Bezug auf die Prüfungstätigkeit vor allem als ein praktisches Problem. Beratungstätigkeit: Noch kontroverser sind die Auseinandersetzungen um die Beratungstätigkeit der Rechnungshöfe, da viele Autoren hier eine besondere Gefährdung der Unabhängigkeit sehen.52 Im Allgemeinen sind Beratungen grundsätzlich zulässig, doch dürfen diese nicht zur konkreten Mitarbeit bei Entscheidungen oder gar zu Präjudizierungen des Rechnungshofes führen (Yi 1987: 300; Reger 1961: 44). Dies ist problematisch, wenn die Präjudizierungen der auferlegten Selbstbeschränkung („self restraint“), dem Selbstverständnis der Kontrollinstitution sowie der dadurch geprägten externen Wahrnehmung zuwiderläuft und zu einer Vermischung von Verantwortlichkeiten führt (Fricke 2008: 234; Kitterer 1989b: 175f.). Den Kritikern der Beratungstätigkeit folgend, könnte die Beratung im Extremfall im Sinne einer „self fulfilling prophecy“ wirken, die einen negativen Einfluss auf die Prüfungstätigkeit hätte. Für die Rechnungshöfe entsteht damit ein gewisser „Befolgungsdruck“ (Haag 1989: 82). Überdies besteht die Gefahr, dass falsche Beratungen aus Selbstschutz nicht kritisiert werden, was wiederum zu einer Vernachlässigung des Prüfungsauftrages führt. In diesem Fall wäre die Trennung zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem und damit die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe nicht mehr eindeutig nachvollziehbar (Miß 2006: 59). Die Befürworter der Beratungstätigkeit argumentieren genau in entgegen gesetzter Richtung. Ein unpolitischer Rechnungshof spiegelt demgemäß vor allem das traditionelle Selbstverständnis der Rechnungshöfe wieder 52

Schneider (1998) unterscheidet dabei zwischen „unselbstständiger“ und „selbstständiger“ Beratung (Schneider 1998: 7). Erstere ist gekennzeichnet durch konkrete Prüfungsvorgänge während Letztere an Prüfungserfahrungen gebunden ist (Schneider 1998: 7/8).

2.3 Argumente für die Unabhängigkeit von Kontrollen

51

(Battis 1976: 726; Freytag 2005: 47). Dem Vorwurf, dass der Rechnungshof mit seiner Beratungstätigkeit politische Verantwortung übernimmt, wird mit dem Argument begegnet, dass der Rechnungshof nicht vollziehen oder entscheiden kann. Keine der beratenen Institutionen muss sich an die Vorschläge des Rechnungshofes gebunden fühlen. Darüber hinaus sollten nur dann Beratungen vorgenommen werden, wenn der Rechnungshof auch über die entsprechende Sachkenntnis und ausreichend Erfahrung verfügt. Auf diese Weise kann der Rechnungshof durch seine Beratungen zu einer Verbesserung der bestehenden Situation und zu einer Erhöhung der Wirksamkeit der Prüfungstätigkeit beitragen. (Blasius 1989: 304; Schäfer/Krömmelbein/Sieg 2008: 240; vgl. auch die Bestimmungen in § 88 der Landeshaushaltsordnungen). Einigkeit herrscht beispielsweise darin, dass die Exekutive insbesondere vor dem Hintergrund der bestehenden Misere der öffentlichen Haushalte auf die Erkenntnisse der Rechnungshöfe zurückgreifen sollte (Wille 1998: 67; Herold 1988: 44). Zudem birgt die Beratung auch dann keine Gefahren für die Unabhängigkeit, wenn die Rechnungshöfe sehr sparsam auf dieses Instrument zurückgreifen (Vogel 1970: 197). Vonseiten der Befürworter wird außerdem dezidiert darauf hingewiesen, dass es so etwas wie einen „apolitischen“ Rechnungshof (Power 1993: 275) nicht gibt bzw. nicht geben darf. Selbst die Aussagen zur Belegprüfung beinhalten letztendlich Kritikpunkte, die unter Umständen politische Wirkungen entfalten können (Schulze 1993: 37). Diese Wirkungen müssen aber nicht zwangsläufig mit Beschränkungen der Unabhängigkeit einhergehen (Gilles 1986: 234/235). Dementsprechend wird der Einfluss, der von Rechnungshofberatungen ausgeht, eher überbetont. Prinzipiell ist aber nicht davon auszugehen, dass die Verwaltung oder die Exekutive auf den Rat der Rechnungshöfe warten, um daraufhin ausgewogene Entscheidungen zu treffen. Eine direkte Gefährdung der Unabhängigkeit infolge der Beratungstätigkeit erscheint daher kaum denkbar. Dennoch ist eine Beeinflussung der Unabhängigkeit möglich, wenn die Verantwortlichkeiten der Kontrolleure über den ursprünglichen Beratungs- und Prüfauftrag hinaus ausgeweitet werden (Pois 1993: 72). 2.3

Argumente für die Unabhängigkeit von Kontrollen

In der Forschung über „Independent Regulatory Agencies“ werden zwei Aspekte, Glaubhaftigkeit und Zeitkonsistenz, identifiziert, die es erstrebenswert machen, bestimmte Aufgaben an unabhängige Regulierungsbehörden

52

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

zu delegieren. Bei den Landesrechnungshöfen sieht dies zum Teil ähnlich aus. Zum Teil gibt es spezifische Kontrollaspekte wie etwa Objektivität, Neutralität etc. Sie lassen eine Delegation des Kontrollauftrages zwingend notwendig erscheinen. Der wohl naheliegendste Grund ist der Ausschluss von Selbstkontrolle. So spielt die Glaubhaftigkeit implizit für die Rechnungshöfe ebenfalls eine wichtige Rolle, auch wenn es nicht um die Glaubhaftigkeit von Politikern oder Politikinhalten, sondern um die Glaubhaftigkeit der durchgeführten Kontrollen geht. Den Aspekt der Glaubhaftigkeit gibt es für sich genommen in der Rechnungshofforschung nicht. Die Diskussionen drehen sich vielmehr um Objektivität und Neutralität und damit um die Eigenschaften, mit denen glaubhafte Ergebnisse verbunden werden. Das weiter oben beschriebene Problem der Zeitinkonsistenz spielt für die Rechnungshöfe keine entscheidende Rolle, da die meisten Prüfungsgegenstände bereits abgeschlossene Sachverhalte sind. Im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit werden auch Aspekte der Kontrolleffizienz sowie der Kontrolleffektivität genannt. Ein weiteres zentrales Argument für die Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe ist die Wirksamkeit der Kontrollen. Dabei handelt es sich um ein wichtiges Untersuchungskonstrukt für die vorliegende Arbeit. Aus diesem Grund wird die Wirksamkeit im Folgenden separat abgehandelt (ausführlicher dazu Punkt 2.4). Zunächst sollen hier jedoch die Argumente Objektivität, Neutralität und Kontrolleffizienz betrachtet werden. Die Unabhängigkeit der Kontrollinstitution sichert unter anderem die Objektivität von Prüfungsergebnissen. Sie erlaubt rationale Entscheidungen aufgrund der festgestellten Befunde (Blasius 1990c: 957). Hinsichtlich der Prüfungstätigkeit der Landesrechnungshöfe macht die Objektivität die Finanzkontrolle überhaupt erst denkbar. Dabei müssen sich die gesetzgebenden Organe auf den Rechnungshof verlassen können (Blasius 1988: 820; von Mutius 1989a: 317). Im gleichen Atemzug mit der Objektivität wird auch die Neutralität genannt, denn die Unabhängigkeit scheint eine Garantie für Neutralität und damit Glaubhaftigkeit zu sein (Santiso 2006: 105). Dementsprechend sollte der Rechnungshof stets die parteipolitische Neutralität wahren und nach Möglichkeit gegenüber allen anderen Akteuren die gleiche Distanz wahren, – Kooperationen von Kontrollinstitutionen ausgenommen. Ausdruck dieser Neutralität ist nicht zuletzt die bereits erwähnte Neigung zum „political self-restraint“ (Karehnke 1975b: 244; Haag 1989: 88). Bezogen auf die Neutralität, gibt es aber – im Gegensatz zur Objektivität –

2.4 Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet

53

auch kritische Stimmen, die eine politische Neutralität der Rechnungshöfe ablehnen oder zumindest als problematisch erachten (Jeep 1989: 123; Power 1997: 49). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass eine Neutralität von den Behörden der Finanzkontrolle kaum durchzuhalten ist. Dieser Anspruch ist in der Verwaltung kaum realisierbar und nicht funktional (Pirker 1987a: 17). Ein weiteres Argument für unabhängige Rechnungshöfe ist eine Steigerung der Effizienz und der Effektivität von Kontrollinstitutionen. Demnach wird ein enger Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Effizienz gesehen (Blasius/Kühne 1991: 400), was der typischen New Public Management Argumentation entsprechen würde. In diesem Kontext wird vor allem der Geschäftsordnung und der Arbeitsplanung eine besondere Bedeutung zugemessen (Zavelberg 1992a: 683; Blasius 1990c: 959). Allerdings gibt es ähnlich wie bei der Neutralität auch bei den Effizienzbetrachtungen kritische Stimmen, die vor allem dahingehend argumentieren, dass sich der Grad der Effizienz einer staatlichen Behörde kaum oder nur sehr schwer messen lässt, da betrachtungsrelevante Leistungen nicht quantifizierbar und die Ergebnismengen nicht objektiv zu bestimmen sind. Es handelt sich also in erster Linie um ein Argument, das vorrangig im Rahmen der Effizienzerhöhung durch Kontrollen vorgebracht wird (Frey/Serna 1994: 250). Das Einzige, was sich bestenfalls feststellen ließe, ist eine Effizienzerhöhung oder -minderung durch bestimmte Einflüsse (Frey/Serna 1993: 109). Doch auch dieser Prozess dürfte den üblichen Messproblemen unterliegen. 2.4

Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet

Im Gegensatz zur Unabhängigkeit erweist sich die Wirksamkeit eines Rechnungshofes als ein empirisch unbeschriebenes Blatt. Gleichzeitig ist die Wirksamkeit ein in der allgemeinen Literatur viel diskutiertes Thema. Dieser Widerspruch hängt damit zusammen, dass nicht klar ist, wie sich die Wirksamkeit einer Kontrollinstitution genau erfassen lässt. Dementsprechend sind weder die normativen noch die empirischen Ansätze dazu in der Lage gewesen, brauchbare Konzepte zur Erfassung der Wirksamkeit von Rechnungshöfen zu liefern. Der Vorwurf richtet sich in diesem Fall allerdings weniger gegen die normativ ausgerichteten rechtswissenschaftlichen Ansätze, da es zur Wirksamkeit keine gesetzlichen Bestimmungen gibt. Es sind vor allem die empirischen Untersuchungen, die eine zufriedenstellende Antwort hinsichtlich der Erfassung von Wirksamkeit schuldig

54

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

geblieben sind. Zwar gibt es vereinzelte Ansätze und Ideen, die eine Konzeption der Rechnungshofwirksamkeit umreißen (vgl. etwa von Arnim 1978; Schwab 1983; Rechnungshof Hessen 1995), aber insgesamt betrachtet bleibt die Wirksamkeit ein am Rande abgehandeltes Thema. Die Ausführungen sind zumeist punktuell und nicht selten willkürlich zusammengetragen. Nachstehend werden die verschiedenen Argumente – sofern sie besonders wichtig für die Debatte sind – gebündelt und für eine Erfassung der Rechnungshofwirksamkeit nutzbar gemacht. Im Vordergrund steht die Erfassung von Wirksamkeit als Untersuchungskonstrukt, das unter Berücksichtigung von verschiedenen Indikatoren auch messbar ist. Anschließend folgt eine Beschreibung verschiedenster Voraussetzungen für Wirksamkeit sowie eine nähere Spezifikation des Zusammenhangs zwischen Wirksamkeit und Unabhängigkeit. 2.4.1

Wirksamkeit als Untersuchungskonstrukt

Die Rechnungshöfe nehmen eine Vielzahl von Kontrollaufgaben wahr, die ganz unterschiedliche Zielsetzungen wie etwa Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Effizienz usw. verfolgen. Bei allen Prüfungen stellt sich die Frage, wie wirksam die Rechnungshöfe überhaupt sind, inwieweit die angestrebten Prüfungsziele tatsächlich erreicht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es, wie in der Einleitung bereits erwähnt, in der gängigen Literatur keinen eindeutigen Wirksamkeitsbegriff gibt. Für die Operationalisierung von Wirksamkeit ist jedoch gerade ein analytisch einwandfreies Begriffsverständnis eine unabdingbare Voraussetzung. Daher soll im Folgenden ausführlich dargelegt werden, was genau unter Wirksamkeit zu verstehen ist. Die Annäherung an den Wirksamkeitsbegriff erfolgt mit Eastons Konzept des Policyoutputs (Easton 1965) bzw. mit dessen Weiterentwicklung, dem PolicyCycle (Jann/Wegrich 2009: 84).53 Dabei wird systematisch zwischen verschiedenen Phasen des politischen Prozesses – Problemwahrnehmung, Agendasetting, Politikformulierung, Politikimplementierung, Politikevaluierung und ggfs. Politikterminierung (vgl. Jann/Wegrich 2009: 85ff.) – unterschieden. Für die Konkretisierung des Wirksamkeitsbegriffs erweisen sich vor allem die Ausführungen zur Politikimplementation und zur Politikevaluie53

Diese Konzepte dienen der Strukturierung und Analyse von politischen Prozessen als Abfolge von Problemverarbeitungsphasen. Eine Übertragung auf die Rechnungshöfe scheint insofern angemessen zu sein, da der Rechnungshof nicht als „apolitischer“ Akteur verstanden wird (vgl. dazu die Punkte 2.2.2.3 und 2.2.2.3).

2.4 Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet

55

rung als besonders relevant. So wird in der Phase der Implementation eine bestimmte Leistung (Output) erbracht, die zu einer Wirkung (Impact) bzw. Reaktion des Adressaten führt, der sich wiederum eine konkrete Auswirkung (Outcome) bzw. Reaktion des Systems anschließt. Dabei kann es sich sowohl um intendierte als auch um nicht intendierte Wirkungen handeln (Jann/Wegrich 2009: 84/97). Am Beispiel des Rechnungshofes lässt sich diese Differenzierung folgendermaßen beschreiben: Der Rechnungshof legt jährlich einen Bericht (Output) mit den wichtigsten Prüfungsergebnissen vor. Dieser Bericht führt idealerweise zu einer bestimmten Verhaltensänderung (Impact) bei den Adressaten (etwa Unterstützung durch das Parlament oder Sparsamkeitsbemühungen in der Verwaltung), was wiederum zur Problemlösung (Outcome) wie etwa Wirtschaftlichkeit, Einsparungen oder Haushaltskonsolidierung beiträgt. Allerdings sind auch hier negative Auswirkungen, wie zum Beispiel Vermeidungs- oder Verzögerungsstrategien denkbar. Der hier zugrunde liegende Wirksamkeitsbegriff bezieht sich vor allem auf Impact und Outcome, was insbesondere für die Auswahl der verschiedenen Indikatorvariablen von Bedeutung ist, auch wenn weiterhin der allgemeine Begriff von Wirksamkeit verwendet wird. 2.4.2

Voraussetzungen für Wirksamkeit

Kennzeichnendes Element der Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen ist die Tatsache, dass der Rechnungshof die Durchschlagskraft seiner Argumente aufgrund der fehlenden Sanktionsgewalt nicht erzwingen kann (Fittschen 1992: 181; Frey 1994: 171). Im Gegenteil: Die Kontrollinstitution ist auf die Bereitschaft von Exekutive und Verwaltung angewiesen, die monierten Sachverhalte zu korrigieren (von Arnim 1978: 38; Glatfeld 1997: 66). Um jedoch den Prüfungsfeststellungen überhaupt Wirkungskraft zu verleihen, muss der Rechnungshof auf bestimmte Instrumente und Voraussetzungen zurückgreifen. Zu den Instrumenten gehören beispielsweise die Art der Informationsbeschaffung, aber auch die Publikation der Prüfungsergebnisse in Jahresberichten und Stellungnahmen (Blasius 1993: 647; Reinert 1988: 85). Ein weiterer Aspekt ist die freie Auswahl der Kontrollthemen. Hier kann der Rechnungshof selbst einschätzen, welche Themen wichtig und unter Berücksichtigung des Personalaufwandes erfolgreich prüfbar sind (Thomsen 1981: 122). Diesen hier genannten Instrumenten wird im All-

56

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

gemeinen eine Erhöhung der Kontrollwirksamkeit zugeschrieben (für eine Zusammenfassung siehe Abbildung 2.2).

Abb. 2.2: Voraussetzungen und Instrumente von Wirksamkeit

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Quelle: eigene Darstellung

Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Rechnungshofes werden in erster Linie in einer hohen Personalqualität gesehen, die sich in einer entsprechenden Arbeitsweise und Aktivität der Mitarbeiter äußert (Karehnke 1969: 82). Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Rechnungshof auf die Akzeptanz der Ergebnisse angewiesen ist bzw. der Rechnungshof „die Umsetzung seiner Ergebnisse mit Nachdruck verfolgen“ muss (Rechnungshof Hansestadt Hamburg 2007a: 38; Wittrock 1986a: 8). Somit trägt das beharrliche Verfolgen und Ahnden der Verstöße aus den Prüfungsfeststellungen zu einer erhöhten Wirksamkeit der Kontrollen bei. Dabei ist klar, dass die angeführten Argumente keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie geben vielmehr verschiedene vereinzelte Anhaltspunkte wieder. Als Hauptargument gegen die Wirksamkeit werden oft fehlende Sanktionsmöglichkeiten angeführt (Häfele 1982: 7). Es gibt aber noch eine ganze

2.4 Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet

57

Reihe weiterer Gegenargumente, die bei einer differenzierten Auseinandersetzung um die Rechnungshofwirksamkeit von Bedeutung sind. So konstatiert von Arnim (1983), dass „eine umfassende, sachlich unabhängige und wirksame Finanzkontrolle in Wahrheit gar nicht erwünscht ist“ (von Arnim 1983: 675). In diesem Sinne wäre es zwar anerkennenswert, was der Rechnungshof leistet, es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Exekutive die Finanzkontrolle als „überflüssig und störend empfindet“. Darin liegt das eigentliche Dilemma der Finanzkontrolle (von Arnim 1983: 675).54 Andere Autoren formulieren ihre Kritik in ähnlicher Weise. So haben insbesondere die Regierungsparteien kein Interesse daran, die Regierung einer wirksamen Kontrolle zu unterziehen. Vielmehr geht es aufgrund der vielfältigen Verflechtungen um den Erhalt der eigenen Macht (von Mutius 1989a: 309). Demzufolge würde die Wirkung der Finanzkontrolle zu erheblichen Teilen von den Kontrollbemühungen der Opposition abhängen, da nur sie ein wirkliches Interesse an der Prüfung der Exekutive hat. Der Rechnungshof sollte sich daher die natürlichen Bestrebungen innerhalb der Opposition zur Regierungskritik zunutze machen (Schneider 1984: 12).55 Allerdings kann hier entgegengehalten werden, dass die Interessenlagen der Abgeordneten viel komplexer sind. Das beweist die ebenfalls nur schemenhafte Unterscheidung in Vote-Office- oder Policy-seeker (vgl. Kropp 2001a: 27; Kropp/Schüttemeyer/Sturm 2002a: 13). Zwar spielt der Machterhalt eine wichtige Rolle. Daraus gleich ein grundsätzliches Desinteresse aller Abgeordneten an der Verwaltungskontrolle zu schließen, erscheint etwas abwegig. Von ganz anderer Qualität ist dagegen das Argument der „mangelnden politischen Virulenz allgemeiner Interessen“ (von Arnim 1977: 372). Demnach betrachten die Parteien die Finanzkontrolle mit einer gewissen Gleichgültigkeit, weil ihr Interessenfokus auf dem tagespolitischen Geschäft liegt, was nicht zuletzt die Wirksamkeit der Finanzkontrolle negativ beeinflusst. Damit ist die „stiefmütterliche Behandlung“ der Finanzkontrolle ein treffendes Beispiel für die mangelnde Bedeutung allgemeiner Belange und die systematische Vernachlässigung bzw. Benachteiligung von Generalisten im politischen Geschäft (von Arnim 1977: 373; 1978: 54; Jann/Wegrich 2008: 67; siehe auch Punkt 6.2.3). 54 55

Dabei erscheint es durchaus diskussionswürdig, ob Regierung oder Verwaltung die Rechnungshofkontrollen als störend empfinden. Schneider (1984) betont aber explizit, dass sich der Rechnungshof nicht zu einem Instrument der Opposition degradieren soll (Schneider 1984: 12).

58

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Ein weiteres Argument gegen die Wirksamkeit der Finanzkontrolle sind motivationale Aspekte. Dementsprechend sind die Ursachen guter Prüfungen und kritischer Aussagen zuerst in den intrinsischen Motiven der Bediensteten und nicht in einer grundsätzlich wirksamen Finanzkontrolle zu suchen. Die Kontrollinstitutionen sind nur bedingt dazu in der Lage, Motivationsanreize so zu setzen, dass die angesetzten Prüfungen beispielsweise wirksamer werden (Wenzler 1996: 144). Schlussendlich kann – wenn auch etwas zugespitzt – festgehalten werden, dass die Bedeutung der Wirksamkeit der Finanzkontrolle in der Praxis merklich geringer ist, als es die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften postulieren (Bartel 1993: 634). Diesem Argument ist zuzustimmen, obgleich diese kollektive Überbewertung nur zu verständlich ist. Immerhin bleibt der Wissenschaft ein Großteil der Kontrollarbeit und damit der potenziellen Wirksamkeit verborgen. Eine Vorstellung über die Wirksamkeit der Rechnungshöfe lässt sich nur über die zugänglichen Informationen erarbeiten. Genau an diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an (vgl. etwa Kapitel 5). 2.4.3

Unabhängigkeit und Wirksamkeit

Neben der allgemeinen Betrachtung der Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen spielen auch die Querverbindungen zur Unabhängigkeit von Kontrollinstitutionen eine wichtige Rolle. In der Debatte um die Rechnungshöfe wird das Argument vorgebracht, dass einer wirksamen Finanzkontrolle die absolute Unabhängigkeit des Kontrolleurs vorausgeht (Stern 1989: 28/29; Pieroth/Neukamm 2005: 12). Folgerichtig kann der Rechnungshof seine Kontrollaufgabe nur dann richtig wahrnehmen, wenn er vor externen Einflüssen etwa aus der Legislative oder der Exekutive geschützt ist (Folz/Herrmann 1973: 771). Dies gilt aber nicht nur gegenüber der zu prüfenden Stelle, sondern auch gegenüber dem Adressaten der Prüfungsergebnisse, denn nur so kann gewährleistet werden, dass die Berichte weder den Interessen des Kontrollierten noch den Interessen der Zielgruppe entsprechen (Grupp 2005a: 181). Im Schrifttum kursiert hierzu der Begriff der „multilateralen Unabhängigkeit“ (Schulze-Fielitz 1996: 238), die von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit der Rechnungshöfe ist. Nur sie vermag es, eine Distanz zwischen politischer Verantwortung und den bestehenden Kontrollmechanismen zu schaffen, die letztendlich in einer Objektivität mündet und rationale Entscheidungsfindung zulässt (Blasius 1990c:

2.4 Wirksamkeit aus der Nähe betrachtet

59

957). Einige dieser Darstellungen wirken jedoch etwas zu idealtypisch und hochstilisiert. Insofern darf der postulierte und kaum angezweifelte Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit nicht einfach unreflektiert übernommen werden. So gibt es keine näheren Erläuterungen oder Darstellungen, wie dieser Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Wirkungskraft eines Rechnungshofes überhaupt aussieht. Nach allgemeinen statistischen Vorgaben besagt ein Zusammenhang nur, dass die Ausprägungen der unabhängigen Variablen x (die Unabhängigkeit), die Ausprägungen der abhängigen Variablen y (die Wirksamkeit) beeinflussen. Hier sind aber viele verschiedene Möglichkeiten denkbar (vgl. Abbildung 2.3).

Abb. 2.3: Unabhängigkeit (x) und Wirksamkeit (y)

KRFFK KR FK

:L N :LUNVDPNHLW N L

= =XVDPPHQKDQJ =XVDPPHQKDQJ$ K J$

= =XVDPPHQKDQJ =XVDPPHQKDQJ% K J%

JHU JH HULLQ QJ J

= =XVDPPHQKDQJ =XVDPPHQKDQJ& K J&

 JHULQJ HULQ

8 EKl JLJN L 8QDEKlQJLJNHLW KRFK

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 2.3 zeigt drei willkürlich gewählte Beispiele, die lediglich vor Augen führen sollen, wie wichtig eine nähere Spezifikation des Zusammenhangs zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit für die Weiterentwicklung der Debatte ist. So unterstellt der Graph (A) einen logarithmischen

60

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

Zusammenhang, wonach bei einem niedrigen Unabhängigkeitsniveau jeder kleinste Zugewinn an Unabhängigkeit einen vergleichsweise großen Zugewinn an Wirksamkeit nach sich zieht. Demgegenüber führen bei einem hohen Unabhängigkeitsniveau auch größere Zugewinne bei der Unabhängigkeit nur noch zu kleinen Veränderungen der Wirksamkeit. Diese marginalen Zugewinne legen den Schluss nahe, dass bei Vorliegen des beschriebenen Zusammenhangs ein Rechnungshof kein Interesse an einer schwer zu erreichenden absoluten Unabhängigkeit hat, weil die zu erwartenden Wirksamkeitsgewinne den dahinter stehenden Aufwand kaum rechtfertigen können. Der zweite Graph (B) unterstellt eine lineare Beziehung zwischen der Unabhängigkeit und der Wirksamkeit. Hier geht jede Veränderung der Unabhängigkeit mit einer der Steigung der Gerade entsprechenden Veränderung der Wirksamkeit einher. Jeder Zugewinn an Unabhängigkeit bringt dabei idealtypischerweise einen gleichwertigen Zugewinn an Wirksamkeit mit sich. Der zuletzt dargestellte Zusammenhang (C) gibt einen U-förmigen Verlauf wieder. Demnach hätten Rechnungshöfe mit einer hohen Abhängigkeit auch mit einer hohen Unabhängigkeit eine höhere Wirksamkeit als Rechnungshöfe mit einer eher mittelmäßig ausgeprägten Unabhängigkeit. Die U-förmige Beziehung wäre beispielsweise damit zu erklären, dass abhängige Rechnungshöfe durch ihren engen Kontakt und unabhängige Rechnungshöfe durch ihre fachliche Expertise überzeugen können, während mittelmäßig abhängige/ unabhängige Rechnungshöfe kaum wirksame Tätigkeiten entfalten. Trotz dieser theoretischen, aber nicht unbegründeten Ausführungen darf nicht vergessen werden, dass es sich zunächst um Spekulationen handelt, die mit typisierten Zusammenhängen arbeiten. Sie sollen nicht dazu dienen, die Beziehung zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit normativ zu beschreiben. Sie sollen vielmehr illustrieren, wie wichtig es ist, die viel beschriebene Beziehung zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit empirisch näher zu untersuchen. Es ist keinesfalls klar, in welcher Beziehung Unabhängigkeit und Wirksamkeit stehen. Es ist auch nicht klar, von welchen Fällen die Autoren jeweils ausgeben. So hat ein innerdeutscher Vergleich der Rechnungshofunabhängigkeit ganz andere Implikationen für die Wirksamkeit als ein EU-Vergleich oder ein Vergleich zwischen Rechnungshöfen von Entwicklungs- und Industrieländern.56 In den folgenden Kapiteln wird 56

Wiarda (1991a) betont beispielsweise explizit die Bedeutung der Vergleichsperspektive bei der Betrachtung von entwickelten und Entwicklungsländern (Wiarda 1991a: 20).

2.5 Zusammenfassung

61

diese Diskussion für die deutschen Landesrechnungshöfe aufgegriffen und nach dem vorliegenden Datenmaterial empirisch näher beleuchtet. 2.5

Zusammenfassung

Aus dem zweiten Kapitel sind drei wichtige Teile hervorzuheben. Der erste Teil befasst sich mit dem allgemeinen Forschungsproblem der Unabhängigkeit unter Berücksichtigung des Prinzipal Agent-Ansatzes und stellt auf die Debatte um die „Independent Regulatory Agencies“ ab. Folgende Erkenntnisse sind festzuhalten: • die Forschungsergebnisse zur Aufgabendelegation an „Independent Regulatory Agencies“ dienen als Grundgerüst zur Erfassung der Rechnungshofunabhängigkeit • für die Aufgabendelegation werden verschiedene Ursachen genannt und erörtert: – glaubhafte Verpflichtungen bei der Formulierung von Politikinhalten – Vermeidung von Zeitinkonsistenzen – Interessen der Akteure – „policy learning“ und institutioneller Isomorphismus – institutionelles Vermächtnis – zunehmende Komplexität von Politikinhalten – steigender Spezialisierungsgrad Der zweite Teil dieses Kapitels dient der Verortung der Forschungsarbeiten über die Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe und definiert die formale Unabhängigkeit. Abschließend geht es um die Frage, warum Kontrolle unabhängig sein sollte. Die nachstehend zusammengefassten Argumente erweisen sich dabei als besonders relevant: • Die Landesrechnungshöfe sind nicht den „Independent Regulatory Agencies“ zuzuordnen, auch wenn es eine gewisse Schnittmenge bei den Merkmalen und Eigenschaften gibt. • Das Konstrukt der formalen Unabhängigkeit wird über viele verschiedene Definitionen erfasst (z. B. materiell, personell, organisatorisch, operationell etc.).

62

2 Unabhängigkeit und Wirksamkeit in der Forschung

• Die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe steht im Zusammenhang mit vielen weiterführenden Fragestellungen: – die Stellung der Rechnungshöfe im Staatsaufbau sowie deren begriffliche Erfassung – die Organisation der Rechnungshöfe (differenziert nach Aufbauund Ablauforganisation) – die Prüfungs- und Beratungstätigkeit der Rechnungshöfe • Die Gründe für die Unabhängigkeit von Kontrolle zeigen kaum Unterschiede zu den Ursachen von Aufgabendelegation an „Independent Regulatory Agencies“, obgleich es einige Spezifika gibt: – Glaubhaftigkeit, insbesondere durch Ausschluss von Selbstkontrolle – Objektivität und Neutralität – Kontrolleffektivität und -effizienz Der vierte Teil des zweiten Kapitels beschäftigt sich explizit mit der Wirksamkeit, da es hierzu bisher keine brauchbaren Konzepte für die Rechnungshöfe gibt. Die Ausführungen erörtern sowohl den Wirksamkeitsbegriff als auch die Möglichkeiten der Operationalisierung und kommen zu folgenden zentralen Argumenten. • Die Konkretisierung des Wirksamkeitsbegriffs basiert auf dem Ansatz des „Policy Cycle“ und insbesondere auf den Phasen der Implementation und der Evaluation, wobei zwischen drei Begriffen differenziert wird: – Output (Leistung, z. B. Rechnungshofbericht) – Impact (Wirkung, z. B. Reaktion des Parlamentes oder der Verwaltung) – Outcome (konkrete Auswirkung, z. B. sparsame Verhaltensweisen, Haushaltskonsolidierung) • Es gibt viele verschiedene Voraussetzungen und Instrumente zur Sicherung von Wirksamkeit (Personalqualität, Prüfungsmethoden, Informationsbeschaffung, Argumentationsstränge, etc.). • Der oft implizit dargestellte Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Wirksamkeit erweist sich als problematisch, da er bisher keine empirische Fundierung erfahren hat.

3

Formale Unabhängigkeit

Das Thema Unabhängigkeit und insbesondere die Unabhängigkeit von Institutionen spielt in zahlreichen Forschungsarbeiten eine zentrale Rolle. Für die vorliegende Arbeit sind die Untersuchungen zur Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden (vgl. Thatcher 2002b, Gilardi 2002, 2005, etc.) von großer Bedeutung. Sie betrachten Unabhängigkeit ebenfalls als Kontinuum und nicht als absolute Kategorie. Dabei handelt es sich oft um empirische Untersuchungen, die sehr konkrete Vorstellungen über die Ursachen und Wirkungen von Unabhängigkeit haben. Diese Forschungsarbeiten versuchen die Frage zu beantworten, wie die Unabhängigkeit überhaupt erfasst werden kann. Es gibt im Wesentlichen zwei Richtungen, die sich grob in die Erfassung von de jure oder formaler Unabhängigkeit und de-factoUnabhängigkeit unterscheiden lassen. Zwischen beiden Ansätzen gibt es eine mitunter heftig geführte Auseinandersetzung, bei der es wie so oft um die Überlegenheit eines Forschungsansatzes gegenüber dem anderen geht. Der Ausgangspunkt bei der Erfassung von Unabhängigkeit liegt in der Definition von zentralen Kriterien, die einen Einfluss auf die Unabhängigkeit einer Behörde haben. Dies sind zumeist der Status der Behördenleitung, der Status der Mitglieder, das Verhältnis zu Regierung und Parlament, die finanzielle und organisatorische Autonomie und die regulativen Kompetenzen (Gilardi 2002: 880). Die ersten umfassenderen Versuche, Autonomie zu messen, finden sich in verschiedenen quantitativen Untersuchungen über die Unabhängigkeit von Zentralbanken (vgl. etwa Grilli/Masciandaro/Tabellini 1991 sowie Cukierman/Webb/Neyapti 1992; Cukierman/Webb 1995). Dabei werden bestimmte, für die Unabhängigkeit der Institution bedeutsame Eigenschaften auf einer Skala verortet, wodurch jede Merkmalsausprägung einen bestimmten Wert erhält, die letztendlich zu einem Gesamtindex zusammengerechnet werden. Dieser Index misst den Grad an formaler Unabhängigkeit, den der Gesetzgeber der Zentralbank zugestanden hat (Cukierman/Webb/Neyapti 1992: 356). M. Seyfried, Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen, DOI 10.1007/978-3-531-92799-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

64

3 Formale Unabhängigkeit

Für die jüngere, auf die Regulierungsbehörden bezogene Literatur, in der auch Zentralbanken als „Independent Regulatory Agencies“ bezeichnet werden, ist Gilardi (2002; 2005; 2007) einer der Hauptvertreter des quantitativen Ansatzes zur direkten Messung von Unabhängigkeit. Gilardi (2007) definiert formale Unabhängigkeit folgendermaßen: „More precisely, formal independence refers to the extent to which provisions written in laws or statutes make it more difficult (with respect to ’regular’ bureaucracy) for elected policymakers to control the behavior of bureaucratic agents.“ (Gilardi 2007: 312) Gilardi (2007) deutet darauf hin, dass die de-facto-Unabhängigkeit sehr wichtig ist, betont aber, dass diese Form der Unabhängigkeit vor allem dann von Interesse ist, wenn die Konsequenzen von Delegation im Mittelpunkt des Interesses stehen (Gilardi 2007: 312/313). Dabei kann die defacto-Unabhängigkeit als „effective independence of agencies as they manage day-to-day regulatory actions“ (Maggetti 2007: 272) charakterisiert werden. Folgerichtig sieht Magetti (2007) die de-facto-Unabhängigkeit als Synthese zweier wichtiger Komponenten. Dies sind zum einen die Selbstbestimmung der Präferenzen der Regulierungsbehörden sowie zum anderen die Nutzung von regulativen Kompetenzen (Magetti 2007: 272). Auch andere Autoren stimmen darin überein, dass die Determinanten der Unabhängigkeit einer Institution nicht per se aus den formalen Regeln oder legalen Statuten herauszufiltern ist. Es sind letztendlich die Verhaltensweisen zwischen den Akteuren, die entsprechende Rückschlüsse über die Unabhängigkeit erlauben (Forder 2001: 204). Darüber hinaus gibt es einen weiteren kritischen Einwand gegen diese Art der Unabhängigkeitsmessung, der sich nicht nur auf die Differenzierung zwischen de facto und de jure fokussiert. So wird beispielsweise festgestellt, dass es keine objektive Übereinkunft darüber gibt, was Unabhängigkeit wirklich ist und welche Indikatorvariablen kausal relevant sind. Dies gilt nicht zuletzt für die Effekte von Unabhängigkeit (Mangano 1998: 487). Die Diskussionen um die Messprobleme von Unabhängigkeit sollen hier aber nicht weiter vertieft werden, da diese Problematik in Kapitel 6 eine wesentlich detailliertere Betrachtung erfährt. Entscheidend bleibt, dass es offensichtlich Wege gibt, die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden zu erfassen. Ein genauer Blick auf die Arbeiten über die Unabhängigkeit von Rechnungshöfen zeigt zweierlei. Erstens sind die Rechnungshöfe als Kontrol-

65

linstitutionen über das Konzept der „Independent Regulatory Agencies“ nur schwer zu erfassen, zumal sie in diesem Untersuchungskontext ohnehin keine Erwähnung finden (vgl. Punkt 2.2). Zweitens fällt auf, dass in den Konzepten zur Unabhängigkeitsmessung von „Independent Regulatory Agencies“ Parameter erfasst werden, die auch in den Diskussionen um die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe immer wieder eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören etwa der Status des Präsidenten oder der Mitglieder, die Abhängigkeit von finanziellen Ressourcen etc. Allerdings gehen die formalen Konzepte zur Erfassung der Rechnungshofunabhängigkeit nicht so weit wie die Messkonzepte von Cukierman/Webb/Neyapti (1992) oder von Gilardi (2002; 2005 und 2007). Die starke rechts- und finanzwissenschaftliche Prägung der Diskurse über die Rechnungshöfe hat nicht zuletzt dazu geführt, dass es derzeit keine adäquaten Messkonzepte zur Erfassung der Unabhängigkeit von Rechnungshöfen gibt. Allerdings sei der Einwand gestattet, dass es auch im internationalen Kontext nur vereinzelt Arbeiten gibt, die sich detailliert mit der Messung von Rechnungshofunabhängigkeit auseinandersetzen. Auch hier lässt sich feststellen, dass akademische Publikationen über „Supreme Audit Institutions“ eher selten sind (Sharkansky 1988: 77; González/Lopéz/ Garcia 2008: 437). Daher erscheint es sinnvoll, zunächst auf die Konzepte und Erfahrungen aus den Diskussionen über die Messung der Unabhängigkeit von „Independent Regulatory Agencies“ zurückzugreifen. Folgende Indikatorenbündel werden dabei für die vorliegende Arbeit als besonders relevant erachtet (die Aufzählung bezieht sich auf Gilardi 2002: 880): • Status der Behördenleitung • Status der Mitglieder • Umgang mit Regierung und Parlament • finanzielle und organisatorische Kompetenzen • Ausdehnung regulativer Kompetenzen Diese Eigenschaften entsprechen weitgehend dem institutionellen Rahmen der Rechnungshöfe, der wiederum durch die Rechnungshofgesetze festgeschrieben ist. Im Folgenden sollen diese spezifischen, die Unabhängigkeit der Kontrollinstitution sichernden Eigenschaften näher betrachtet werden.

66

3.1

3 Formale Unabhängigkeit

Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

Nachfolgend geht es darum, die einzelnen Eigenschaften und Ausprägungen zu beschreiben und Auswirkungen auf die Unabhängigkeit des Rechnungshofes zu umreißen, um auf diese Weise eine Grundlage für das Messinstrument zur Erfassung der formalen Unabhängigkeit zu legen. Im Vordergrund steht die Frage, inwieweit es die verschiedenen Rechnungshofeigenschaften ermöglichen, dass die Regierung oder das Parlament über die regierungstragende Mehrheit Einfluss auf den Rechnungshof gewinnen. In diesem Sinne lassen sich die verschiedenen Merkmalsausprägungen der Eigenschaften bezüglich ihrer Wirkung auf die Unabhängigkeit in eine Rangfolge bringen, je nachdem, ob das Merkmal die Einflussnahme begünstigt oder hemmt. Folgerichtig kommt die vorliegende empirische Betrachtung der Unabhängigkeit von Landesrechnungshöfen nicht an den formalen gesetzlichen Bestimmungen vorbei. Sie determinieren letztendlich das Erscheinungsbild der „Institution Rechnungshof“ und sind aus einer empirischen Bestandsaufnahme nicht wegzudenken. Dabei soll allerdings nicht jeder kleine institutionelle Unterschied mit Gesetzestext, Paragraf, Absatz und Satz belegt werden. Dies würde der Übersichtlichkeit und der Lesbarkeit eher schaden. Vielmehr sei auf die Synopse im Anhang verwiesen, die alle gesetzlichen Quellennachweise beinhaltet (siehe Anhang). So kommt der folgende Text weitgehend ohne fußnotenfüllende Paragrafenaufzählungen aus. Die Synopse erleichtert außerdem den direkten Vergleich zwischen den einzelnen Rechnungshöfen. Zu den formaljuristischen Variablen gehören alle unabhängigkeitsrelevanten Regelungen aus den Rechnungshofgesetzen. Die einzelnen Aspekte orientieren sich zudem an den Indikatorensystemen über „Independent Regulatory Agencies“. Dies sind: • die Wahlmodi zur Präsidenten-, Vizepräsidenten- und Mitgliederwahl bzw. deren Ernennung • die Geschäftsverteilung • die Beschlussfassung in den Kollegien bzw. Senaten • die Festsetzung des eigenen Haushalts Dabei fehlen in dieser Auflistung zwei Indikatorensysteme: zum einen der „Umgang mit Parlament und Regierung“ sowie die „Ausdehnung von regulativen Kompetenzen“. Der Umgang mit Parlament und Regierung ist nicht

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

67

explizit geregelt und hängt auch sehr stark von informellen Kontakten ab, die eher in den Bereich der nur schwer messbaren de-facto-Unabhängigkeit fallen. Die Ausdehnung regulativer Kompetenzen kommt für den Rechnungshof nicht infrage, da nicht klar ist, inwieweit Rechnungshöfe regulativ wirken. Im Folgenden werden nun die weiter oben aufgelisteten Eigenschaften genauer untersucht. Tabelle 3.1 listet dazu alle erhobenen und betrachtungsrelevanten Eigenschaften auf. Diese Variablen werden hinsichtlich ihrer Ausprägungen und der zu erwartenden Auswirkung auf die Unabhängigkeit des Rechnungshofes verortet. Dazu erhalten die einzelnen Merkmale in einem weiteren Schritt bestimmte Ordinalwerte, wobei niedrige Werte Unabhängigkeit fördernde und hohe Werte eher Unabhängigkeit mindernde Eigenschaften repräsentieren (siehe auch Punkt 3.2). Die Anzahl der Merkmalsausprägungen, die über die Variablen hinweg variieren, sind ebenfalls in Tabelle 3.1 angegeben.57

Tab. 3.1: Variablenliste für den Unabhängigkeitsindex Variable Juristenquorum Hauptstadtprinzip Präsidentenwahl Agendasetzer bei Präsidentenwahl Agendasetzer bei Vizepräsidentenwahl Agendasetzer bei Mitgliedern Wahl von weiteren Mitgliedern Anhörung zur Mitgliederwahl Geschäftsverteilung Beschlussfassung Stimmengewicht I (Großes Kollegium) Beschlussfassung Stimmengewicht II (Großes Kollegium) Mehrheit im kleinen Kollegium Zusammensetzung des kleinen Kollegiums Aufstellung des Haushaltsplanes Betroffenheit durch Haushaltssperre

Merkmalsausprägungen (k) 8 3 3 4 4 3 2 3 5 6 4 4 3 2 5

Quelle: Rechnungshofgesetzte (siehe Anhang) sowie eigene Berechnungen

57

Alle Angaben beziehen sich auf Daten, die den Stand des Erhebungszeitraumes – Dezember 2007 – wiedergeben. Gesetzesänderungen, die später datiert sind, wurden nicht berücksichtigt.

68

3 Formale Unabhängigkeit

3.1.1

Präsidenten-, Vizepräsidenten- und Mitgliederwahl

Der erste Bezug zur Unabhängigkeit der Rechnungshöfe wird über den Wahlmodus des Rechnungshofpräsidenten und seines Stellvertreters hergestellt. Dabei erhält der Rechnungshof mit der Wahl des (Vize-)Präsidenten durch das Landesparlament eine indirekte demokratische Legitimation (Wittrock 1983: 886; Knoke 1998: 118).58 Allerdings manifestiert sich in der Legitimation durch Wahl auch eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Kontrollinstitution. So kann gerade die Wahl der Rechnungshofpräsidenten durch gezielte politische Beeinflussung weitreichende Folgen für die inhaltliche Ausrichtung des Rechnungshofes und damit für die gesamte Arbeit der Behörde haben (Klappstein 2000: 40). Dies kann etwa dann gelingen, wenn die Regierungsmehrheit einen unkritischen Wunschkandidaten als neuen Präsidenten des Rechnungshofs durchsetzt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, derartige Neigungen durch die Einführung von qualifizierten Mehrheiten und damit durch die Einbindung der Opposition in die Entscheidungsfindung zu unterbinden. Folglich hat nur der Kandidat eine realistische Chance, der auch in Teilen der Opposition als unparteiisch (bzw. akzeptabel) wahrgenommen wird (von Arnim 1978: 31; Iltgen 1995: 11 ff.). Das Vorliegen von qualifizierten Mehrheiten wird daher für die Unabhängigkeit als förderlich bewertet, während einfache Mehrheiten politische Einflussnahmen eher begünstigen. Es zeigt sich jedoch, dass nur wenige Länder – derzeit etwas mehr als ein Drittel59 – von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. In allen anderen Bundesländern wird der Präsident des Landesrechnungshofes mit einfacher Mehrheit gewählt. Trotz der Betonung des Wahlmodus darf ein weiterer zentraler Aspekt nicht aus dem Blickfeld verloren werden. Das Vorschlagsrecht ist mindestens ebenso wichtig, wie die Differenzierung nach qualifizierten oder einfachen Mehrheiten, und es wird als unabhängigkeitsförderlich angenommen, wenn der vorschlagende Akteur möglichst heterogen und nicht selbst Gegenstand von Rechnungshofkontrollen ist. Durch das Vorschlagsrecht werden dem Parlament Kandidaten präsentiert, die mehr oder weniger den Abstimmungspräferenzen der beteiligten 58

59

Die demokratische Legitimation der Rechnungshöfe in Deutschland war lange Zeit ein kontrovers diskutiertes Thema, vor allem in Verbindung mit der politischen Wirkung der Rechnungshöfe (Freytag 2005: 47). So werden auch die fehlenden Sanktionsmechanismen als Folge der mangelhaften demokratischen Legitimation angesehen (Wenzler 1996: 145). Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Schleswig-Holstein und Thüringen.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

69

Akteure entsprechen. Demnach scheint das Vorschlagsrecht gerade bei qualifizierten Mehrheiten an Relevanz zu gewinnen, da Teile der parlamentarischen Opposition ein Mitentscheidungsrecht erhalten, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um große Koalitionen. Bei einfachen Mehrheiten spielt das Vorschlagsrecht eher eine untergeordnete Rolle, da die regierungstragende Mehrheit ihren „Wunschkandidaten“ ernennen kann. Somit zeigt sich, in welchem Ausmaß möglicherweise Einfluss auf die Linie der Finanzkontrolle genommen werden kann (von Arnim 1977: 382). Die Regierung bzw. die regierungstragende Mehrheit bevorzugt vor allem einen Rechnungshofpräsidenten, der ihr politisch möglichst nahe steht, was in der Vergangenheit durch eine Untersuchung von Mann (1981) bestätigt wurde (Mann 1981: 359).60 Schließlich könnte die „Installation“ eines der Regierung zugeneigten Kandidaten eine gewisse Einflussnahme auf die Arbeit des Rechnungshofes oder zumindest wichtige Informationsflüsse sichern. Folglich wird die Regierung immer versuchen, ihren eigenen Wunschkandidaten durchzusetzen. Dies ist dann denkbar, wenn sie erstens so wenig wie möglich Kompromisse, etwa mit Koalitionspartnern oder durch qualifizierte Mehrheiten, eingehen muss, und wenn sie zweitens die Agenda setzen kann. Allerdings setzt die hier beschriebene Betrachtungsweise voraus, dass die Wahl des Rechnungshofpräsidenten zu einem gewissen Grad ein „Politikum“ ist. Das darf aber angesichts der hohen Übereinstimmung bei den Wahlergebnissen zur Ernennung von Rechnungshofpräsidenten bezweifelt werden, obgleich es Einzelfälle gibt, die dafür sprechen. In Tabelle 3.2 sind zunächst all jene Merkmalskombinationen aufgelistet, die besondere Einflussmöglichkeiten bzw. Beschränkungen durch die Regierungsmehrheit beinhalten. Generell zeigt sich, über die Bundesländer hinweg, ein sehr unterschiedliches Bild, da die Ausprägungen des Merkmalsraumes recht unterschiedlich besetzt sind. So wird der Rechnungshofpräsident in immerhin fünf Bundesländern mit einer Zweidrittelmehrheit vom Landesparlament61 gewählt. In Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen wird der Rechnungshofpräsident mit der Mehrheit von zwei Drit60

61

Nach der damaligen Untersuchung von Mann (1981) waren alle Rechnungshofpräsidenten vor ihrer Ernennung in Führungspositionen von Bundes- oder Landesverwaltung tätig und besaßen das entsprechende „Parteibuch“ (Mann 1981: 357). Hier und im Folgenden wird auf die allgemeine Bezeichnung „Landesparlament“ zurückgegriffen, um nicht immer zwischen den landesspezifischen Bezeichnungen wie Landtag (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen), Bürgerschaft (Bremen, Hamburg) oder Abgeordnetenhaus (Berlin) differenzieren zu müssen.

70

3 Formale Unabhängigkeit

teln der anwesenden Abgeordneten, mindestens aber mit der Mehrheit der Mitglieder gewählt. Dies bedeutet vereinfacht: Sind alle Abgeordneten anwesend, ist die Hälfte der Stimmen ausreichend. Fehlt nur einer der Abgeordneten, wird eine Zweidrittelmehrheit notwendig.

Tab. 3.2: Präsidentenwahl nach Wahlhürde und Agendasetzer Wahlhürde Landesparlament

einfache Mehrheit

qualifizierte Mehrheit

1

Bayern, Brandenburg, Bremen, NordrheinWestfalen

Agendasetzer Präsidium Landesdes regierung Landtags Saarland

Ministerpräsident

Berlin, Hessen

BadenWürttemberg, RheinlandPfalz

Hamburg, MecklenburgVorpommern,1 Niedersachsen1, Sachsen-Anhalt, SchleswigHolstein, Thüringen

Sachsen

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Wahl mit einfacher Mehrheit bei Anwesenheit der gesetzlichen Mitglieder, andernfalls Wahl mit qualifizierter Mehrheit.

Interessanterweise zeigen die Bundesländer mit unterschiedlichen Wahlmodi auch Unterschiede in der Ausgestaltung des Verfahrens zur Vorschlagsformulierung des Präsidentschaftskandidaten. In fünf Bundesländern schlagen beispielsweise die Landesparlamente den Rechnungshofpräsidenten vor. Der Kandidat kann dann mit einfacher Mehrheit gewählt werden. In sieben weiteren Ländern wird der Kandidat durch die Landesregierung vorgeschlagen. Hier erfolgt jedoch nur in Berlin und Hessen eine Abstimmung, bei der eine einfache Mehrheit notwendig ist. Damit wird deutlich, dass gerade auf die Kombination der Merkmale Agendasetzung und Wahlhürde zu achten ist. Eine alleinige Berücksichtigung der Wahlhürde übergeht die Möglichkeit des Agendasetzers, über das sogenannte „geringere Übel“ abstimmen zu lassen, d. h. in letzter Konsequenz das Vorschlagen eines Kandidaten, der bei qualifizierten Mehrheiten für die Opposition gerade noch akzeptabel ist. Eine alleinige Betrachtung

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

71

des Vorschlagsrechtes verschweigt dagegen den Zwang zur Einigung, wenn qualifizierte Mehrheiten erforderlich sind. Daher werden im Folgenden die Einflussmöglichkeiten der Regierung auf die Wahl des Rechnungshofpräsidenten in Verbindung mit dem Vorschlagsrecht näher untersucht.62 Bei der Ausübung des Vorschlagsrechts zeigen sich zunächst vier verschiedene Abstufungen. So können der Landtag, das Präsidium des Landtages, die Regierung oder der Ministerpräsident einen Präsidentschaftsanwärter vorschlagen. Wobei es sich bei der zweitgenannten Merkmalsausprägung um eine saarländische Besonderheit handelt, der wegen der Zusammensetzung des Präsidiums63 ähnliche Wirkungsweisen zugeschrieben werden dürften wie der Agendasetzung durch das Parlament. Von besonderem Interesse ist hier lediglich die Tatsache, dass das Präsidium vorher noch die Regierung anhört. Es handelt sich also – den saarländische Sonderfall nicht berücksichtigend – um drei Möglichkeiten, wie der Präsidentschaftskandidat vorgeschlagen werden kann, wobei die Einflussnahme durch die Regierung entsprechend der Reihenfolge der Nennung ansteigt. Dazu kommen die Ausprägungen der Wahlhürde, die entweder bei der „gesetzlichen Mehrheit der Mitglieder“ oder bei einer „Zweidrittelmehrheit“ liegt. Denkbar wären demnach sechs Kombinationen zwischen den Eigenschaften (mit dem Saarland acht), von denen aber nur fünf empirisch tatsächlich auftreten (siehe Tabelle 3.2). Schließlich sollten nur die empirisch relevanten Kombinationen diskutiert werden. Übernimmt der Landtag den Kandidatenvorschlag für die Wahl des Rechnungshofpräsidenten wie etwa in Bayern, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen, so besteht durchaus die Möglichkeit, dass die parlamentarischen Interessen, hier insbesondere die Interessen der Regierungsmehrheit, mit den Exekutivinteressen kollidieren, obgleich dies eher die Ausnahme sein dürfte. So legt die Verflechtung von Regierungsmehrheit und Regierung den Schluss nahe, dass Einigkeit bezüglich des Kandidatenvor62

63

Die Argumentation orientiert sich dabei am formalen Wahlmodus des Rechnungshofpräsidenten. Die tatsächliche Ausgangslage dürfte aber weitaus komplexer sein. So sind bei der Wahl des Rechnungshofpräsidenten auch die Kandidatenwünsche des Koalitionspartners zu berücksichtigen, was aber aus Gründen der Vereinfachung ausgeblendet wird, da es primär um eine Differenzierung zwischen Regierung bzw. regierungstragender Mehrheit und Opposition geht. Nach § 29 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes setzt sich das Präsidium aus dem Präsidenten, den Vizepräsidenten und den Schriftführern zusammen. Dabei stellt die größte Oppositionspartei in der Regel den ersten Vizepräsidenten. Darüber hinaus stellt jede Fraktion einen Schriftführer. Derzeit gehören drei von sechs Präsidiumsmitgliedern der Regierungspartei an.

72

3 Formale Unabhängigkeit

schlags herrscht. Die Hinzuziehung der Wahlhürde offenbart zudem, dass es kein Bundesland gibt, in dem das Parlament die Agenda der Präsidentschaftswahl setzen kann, wo zudem mit einer Zweidrittelmehrheit abgestimmt wird. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass es so etwas wie eine „parlamentarische Präferenz“ für einen Rechnungshofpräsidenten nicht gibt. Die Regierungsmehrheit wird versuchen, ihre Wunschkandidaten mit den eigenen Stimmen auch gegen den Willen der Opposition durchzudrücken. Insofern erscheint es auf den ersten Blick zwar lobenswert, dass sich das Parlament selbst aussuchen kann, wer die Finanzkontrolle der Regierung vornehmen soll. Auf den zweiten Blick wird das Parlament dieser Chance durch die erforderliche Mehrheit zur Wahl des Rechnungshofpräsidenten wieder beraubt. Ein parteiübergreifender Konsens muss nicht zwangsläufig gefunden werden. Schlägt aber nicht das Parlament, sondern die Regierung oder gar der Ministerpräsident den Präsidentschaftskandidaten vor, so scheint das Parlament vollständig seiner Stimme beraubt. Das Parlament kann zunächst „nur“ über einen Vorschlag der Exekutive abstimmen. Falls der Ministerpräsident den Kandidaten allein vorschlägt, besteht theoretisch sogar die Möglichkeit, über die Interessen des Koalitionspartners hinwegzugehen. Prinzipiell ist aber davon auszugehen, dass die Regierungsmehrheit hinter dem Vorschlag der Landesregierung bzw. des Ministerpräsidenten stehen wird. Insofern dürfte dieser Sachverhalt kein allzu großes Konfliktpotenzial in sich tragen. Wesentlich bedeutungsvoller ist dagegen die Tatsache, dass in fünf von sieben Bundesländern, wo die Landesregierung den Präsidenten vorschlägt, mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt werden muss. Entsprechend der oben angeführten Logik muss die Regierungsmehrheit unter Umständen Rücksicht auf die „Wünsche“ der Opposition nehmen. Andernfalls würde sich das Parlament wohl kaum auf einen Kandidaten verständigen. Es sei denn, es handelt sich um ein Tauschgeschäft, das mit der Besetzung anderer Ämter gekoppelt ist. Trotz dieses Einigungszwangs bleibt der Regierung bzw. dem Ministerpräsidenten der Vorteil beschieden, dass er einen Kandidaten vorschlagen kann, der für die Opposition gerade noch tragbar ist. Zusammenfassend betrachtet, entsteht in Bezug auf Tabelle 3.2 der Eindruck, dass sich die gewählten Mittel gegenseitig aufzuheben scheinen. Einerseits hat der Landtag das Vorschlagsrecht. Hier ist jedoch eine einfache Mehrheit ausreichend. Gibt andererseits die Exekutive einen Vorschlag ab, muss ein Großteil des Parlamentes zustimmen. Es spricht einiges dafür, dass sich diese institutionellen Ausgestaltungen in der Gesamtbewertung

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

73

der Unabhängigkeit des Rechnungshofes bzw. bei der Verhinderung von politischer Einflussnahme durch die Politik ausbalancieren. Neben der Präsidentschaftswahl ist auch die Wahl des Vizepräsidenten von Interesse. Tabelle 3.3 zeigt neben den bereits bekannten „Agendasetzern“ einen neuen Akteur. So hat in einigen Bundesländern der Rechnungshofpräsident die Möglichkeit, den Vizepräsidenten vorzuschlagen. Alle anderen Konstellationen sind bereits aus Tabelle 3.2 bekannt. Nur haben sich die Zuordnungen der Länder stark geändert (siehe Tabelle 3.3).

Tab. 3.3: Vizepräsident nach Wahlhürde und Agendasetzer Wahlhürde Rechnungshofpräsident

einfache Mehrheit

qualifizierte Mehrheit keine Hürde

BadenWürttemberg, Brandenburg Bremen NordrheinWestfalen Sachsen, SachsenAnhalt

Agendasetzer Parlamentsnah MecklenburgVorpommern1, Saarland2

Landesregierung Hessen RheinlandPfalz3

Hamburg, Niedersachsen, SchleswigHolstein, Thüringen

Bayern, Berlin

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Vorschlag vom Landesparlament 2 Vorschlag vom Präsidium des Landtages 3 Vorschlag des Ministerpräsidenten 1

Für die Vizepräsidentschaft des Rechnungshofes schlägt nur das Parlament in Mecklenburg-Vorpommern den Kandidaten vor. Darüber hinaus hat der saarländische „Sonderweg“ auch für den Vizepräsidenten Bestand. Die einzige größere Gruppe die in ihrer Zusammensetzung weitgehend unverändert scheint, sind jene Bundesländer, in denen der Vizepräsident des Rechnungshofes von der Landesregierung vorgeschlagen und mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt wird. Die zahlreichen Verschiebungen der Fälle unter Betrachtung der Agendasetzung lassen sich vor allem auf die Tatsache

74

3 Formale Unabhängigkeit

zurückführen, dass mehr als die Hälfte der Länder dem Rechnungshofpräsidenten ein Vorschlagsrecht für den Vizepräsidenten einräumt. Unter der oben getroffenen Annahme erscheint es nicht abwegig, dass ein vom Parlament gewählter Rechnungshofpräsident der Regierung bzw. der regierungstragenden Mehrheit keinen unangenehmen Kandidaten „vorsetzen“ wird. Davon abgesehen, kann er dies ohnehin nicht, da die Kandidaten andernfalls keine Zustimmung im Parlament finden. Trotzdem kann der Rechnungshofpräsident nach seiner Ernennung Kandidaten vorschlagen, die insbesondere seinen eigenen Präferenzen entsprechen und nicht zwangsläufig den Interessen der Regierungsmehrheit. Insofern scheint hier durch die Ansiedlung des Vorschlagsrechtes beim Rechnungshofpräsidenten eine erste „natürliche Grenze“ gegen die Einflussmöglichkeiten von Parlament und Regierung gezogen. Daher wird das Vorschlagsrecht des Präsidenten als unabhängigkeitsförderlich bewertet, während ein Vorschlagsrecht der Exekutive eher hinderlich ist. Für die Wahlhürde gilt weiterhin die oben genannte Annahme. Letztlich verbleibt dem Parlament nur noch die Möglichkeit, einen nicht genehmen Kandidaten für den Posten des Vizepräsidenten die Zustimmung zu verweigern, was insbesondere in jenen Bundesländern leicht fallen dürfte, wo der Vizepräsident mit der Mehrheit der Mitglieder des Landesparlamentes gewählt werden kann. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine versagte Zustimmung die Gefahr mit sich bringt, die Ernennung des Vizepräsidenten zu einem Politikum hochzustilisieren. Ferner könnte das sich gegenseitig stützende Verhältnis zwischen Legislative und Rechnungshof Schaden nehmen, wenn der Vorschlag des Präsidenten nicht berücksichtigt wird. Eine Ablehnung des Vorschlages für den Vizepräsidenten durch den amtierenden Präsidenten des Rechnungshofes sollte daher sehr gut begründet sein. Ein letzter wichtiger Aspekt sind die Ernennung oder die Wahl der Rechnungshofmitglieder.64 Der Rechnungshofpräsident kann in nahezu allen Bundesländern die weiteren Personalien selbst vorschlagen, da er die Leistungsanforderungen sowie die Bedürfnisse am besten einschätzen kann (Jansen 1988: 9). So werden beispielsweise in 14 von 16 Bundesländern die Mitglieder des Rechnungshofes durch den Präsidenten vorgeschlagen. Ausnahmen sind lediglich das Saarland, wo das Präsidium des Landtages die Vorschläge unterbreitet, und die Hansestadt Hamburg, wo diese Aufgabe vom Senat übernommen wird (siehe Tabelle 3.4). 64

Mitglieder des Rechnungshofes sind neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten auch die Leiter der Prüfungsgebiete bzw. -abteilungen.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

75

In sieben Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen) gibt der Präsident die Vorschläge ab. Überdies ist hier keine Zustimmung des Parlamentes erforderlich, was einer Ernennung des Mitgliedes durch den Präsidenten gleichkommt.

Tab. 3.4: Ernennung bzw. Wahl der Mitglieder des Rechnungshofes Zustimmung im Parlament

erforderlich

nicht erforderlich

Agendasetzer Rechnungshof-präsident Brandenburg, Bremen, Niedersachsen1, NordrheinWestfalen, Sachsen-Anhalt1, Schleswig-Holstein, Thüringen1 Baden-Württemberg,1 Bayern1, Berlin, Hessen1, MecklenburgVorpommern1, RheinlandPfalz, Sachsen1

Andere Hamburg12, Saarland13

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Bei allen so gekennzeichneten Landesrechnungshöfen findet eine Anhörung zu den Vorschlägen des Rechnungshofpräsidenten statt. 2 Vorschlag vom Senat. 3 Vorschlag vom Präsidium des Landtages 1

In den anderen Landesrechnungshöfen haben die Volksvertretungen die Möglichkeit, den Vorschlag des Rechnungshofpräsidenten abzulehnen. Dabei erscheint es müßig, darüber zu spekulieren, wann das Parlament einen Kandidaten ablehnt. Schließlich sollte die Unabhängigkeit der Institution Rechnungshof gewahrt bleiben. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Vorstellungen des Präsidenten, der ohnehin die Zustimmung des Parlamentes hat, aufgrund sachlicher Erwägungen Ablehnung finden. Die Zäsur, die sich bei der politischen Einflussnahme auf wichtige Rechnungshofpersonalien im Falle des Vizepräsidenten angedeutet hat, scheint für die Mitglieder nahezu umfassend vollzogen. Das Vorschlagsrecht wird insbesondere dann als unabhängigkeitsförderlich angenommen, wenn keine weitere Zustimmung durch das Parlament erforderlich ist.

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3 Formale Unabhängigkeit

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass es durchaus eine Rolle spielt, ob der Ministerpräsident, die Regierung oder das Parlament den Kandidatenvorschlag für den Rechnungshofpräsidenten abgibt. Dies gilt jedoch nur in Kombination mit der bestehenden Wahlhürde. Hier lässt sich vermuten, dass die verschiedenen zu beobachtenden Kombinationen zu keinen nennenswerten Unterschieden führen, da entweder qualifizierte Mehrheiten mit exekutivem Vorschlagsrecht oder legislatives Vorschlagsrecht mit einfachen Mehrheiten kombiniert werden. Eine politische Einflussnahme ist jedoch über die regierungstragende Mehrheit bzw. über die Regierung in beiden Fällen möglich. Für die Wahl des Vizepräsidenten und insbesondere für die Wahl bzw. für die Ernennung der Mitglieder zeigt sich eine zum Teil sehr deutliche Beschränkung der politischen Einflussmöglichkeiten. So steht das Parlament bei der eventuellen Ablehnung eines Wunschkandidaten des Rechnungshofpräsidenten immer vor einem nicht zu unterschätzenden sachlichen Begründungszwang. Insofern bestehen einige Zweifel an einer politischen Einflussnahme auf wichtige Personalentscheidungen unterhalb der Präsidentenebene. Dass es einen gewissen Einfluss gibt, ist unstrittig, aber dessen Wirkungsweise und Reichweite scheinen vor allem ambivalent und schwer einschätzbar zu sein. 3.1.2

Geschäftsverteilung

„Die Geschäftsverteilung hat besondere Bedeutung dort, wo Entscheidungen durch sachlich und persönlich unabhängige Amtspersonen erfolgen, bei Gerichten wie auch bei Rechnungshöfen“ (Zavelberg 1992a: 681). Damit ist kurz umrissen, warum die Geschäftsverteilung so wichtig ist. Sie ist mittelbar ein weiterer Bestandteil zur Sicherung der Unabhängigkeit der Rechnungshöfe, weil mögliche Beschränkungen durch die Präsidentenwahl denkbar wären. Diese könnten den gesamten Rechnungshof beeinflussen (von Arnim 1983: 672). Eine Beschränkung der Unabhängigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn ein der Regierung nahestehender Präsident, d. h. Vorschlagsrecht der Regierungsmehrheit und Wahl mit einfacher Mehrheit, die Geschäfte selbstständig und ohne Rücksprache verteilen kann. Demgegenüber hat ein der Regierung nahestehender Präsident weniger Einfluss auf die Geschäftsverteilung, wenn das Kollegium bzw. der große Senat des Rechnungshofes darüber entscheidet, wie die Geschäfte zu verteilen sind. Die Ausgestaltung der

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

77

Geschäftsverteilung in den einzelnen Landesrechnungshöfen ist in Tabelle 3.5 aufgeführt.

Tab. 3.5: Verteilung der Geschäfte Kollegium/ Senat

NordrheinWestfalen1, Thüringen2

Verteilung der Geschäfte durch... RechnungshofRechnungshofpräsident im präsident Einvernehmen mit unter Anhörung Kollegium/Senat von Anderen Baden-Württemberg, Hessen, MecklenburgBayern1, Hamburg, Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein

Niedersachsen3

Rechnungshofpräsident allein Berlin Brandenburg Bremen Rheinland-Pfalz4

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Das Kollegium wird um das dienstälteste Mitglied bzw. den dienstältesten Prüfungsgebietsleiter erweitert. 2 Das Kollegium verteilt die Geschäfte und der Präsident besetzt die Prüfungsgebiete mit Prüfungsbeamten. 3 Der Präsident, der Vizepräsident und das dienstälteste Mitglied verteilen die Geschäfte. 4 Der Präsident verteilt die Geschäfte allein unter vorheriger Anhörung des Kollegiums. 1

Den geringsten Einfluss auf die Geschäftsverteilung hat der Präsident, wenn die Geschäftsverteilung allein dem Kollegium obliegt. Dies ist bei den Rechnungshöfen Nordrhein-Westfalen und Thüringen der Fall. Dabei entscheidet in Nordrhein-Westfalen das um die beiden dienstältesten Mitglieder erweiterte große Kollegium. Demgegenüber besitzt der Rechnungshofpräsident in Thüringen zumindest die Möglichkeit, über die Besetzung der Prüfungsbeamten und der weiteren Bediensteten zu entscheiden, was ihm eine gewisse Einflussnahme zusichert. In neun weiteren Bundesländern verteilen die Rechnungshofpräsidenten die Geschäfte „im Einvernehmen“ mit dem Kollegium bzw. dem großen Senat. Durch die Notwendigkeit der Einigkeit wird sich auch ein der Regierung näherstehender Rechnungshofpräsident nicht ohne Weiteres mit seinen Vorstellungen gegen das Kollegium durchsetzen können. In Bayern wird das Kollegium zudem um den dienstältesten Prüfungsgebietsleiter erweitert und das herzustellende „Einvernehmen“ ist im bayerischen Rechnungshofgesetz nicht explizit erwähnt.

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3 Formale Unabhängigkeit

Alle anderen gleichlautenden Regelungen zeigen keine nennenswerten Unterschiede. Eine weitere Abstufung in der Geschäftsverteilung lässt sich für den Rechnungshof aus Niedersachsen dokumentieren. Hier verteilt der Präsident zusammen mit dem Vizepräsidenten und dem dienstältesten Mitglied des Landesrechnungshofes die Geschäfte. Sie bestimmen, welche Mitglieder die Prüfungsgebiete und Abteilungen leiten. Dabei wird mit Stimmenmehrheit entschieden. Der Senat ist lediglich vor der Entscheidung anzuhören. Somit ergeben sich für den Präsidenten mehr Einflussmöglichkeiten im Vergleich zu den beiden erstgenannten Arten der Geschäftsverteilung. Die letzte Merkmalsausprägung beschreibt den größtmöglichen Einfluss des Rechnungshofpräsidenten auf die Verteilung der Geschäfte. Hier kann der Präsident die Geschäfte in eigener Regie verteilen, was sich für die Fälle Berlin, Brandenburg, Bremen und Rheinland-Pfalz dokumentieren lässt. Allerdings ist in Rheinland-Pfalz vorher das Kollegium zu hören. Inwieweit dies jedoch die Entscheidungen des Präsidenten zu beeinflussen vermag, kann hier nicht ergründet werden. Fest steht, dass der Präsident die Erwägungen des Kollegiums nicht zwingend berücksichtigen muss. In den anderen Landesrechnungshöfen ist der Präsident in seinen Entscheidungen frei, was Räume für konkrete Einflussnahmen schafft. Abschließend lässt sich festhalten, dass mehr als zwei Drittel der Landesrechnungshöfe mittlerweile auf Regelungen der Geschäftsverteilung zurückgreifen, die dem Präsidenten keine unbeschränkten Handlungsmöglichkeiten überlassen. Dementsprechend können die Schlussfolgerungen von Blasius (1990b) und Wieland (1995), wonach der Präsident im Bereich der Geschäftsverteilung „präponderant und dominierend“ sei (Blasius 1990: 127) bzw. die Mehrzahl der Mitglieder keinen Einfluss auf die Geschäftsverteilung hat (Wieland 1995: 900)65 , nach den heutigen gesetzlichen Bestimmungen nur mit Einschränkungen geteilt werden. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass Teile dieser Kritik auch heute ihre Berechtigung hat.

65

Heuer (1992) spricht davon, dass die Geschäftsverteilung nur ein Weg der Einflussnahme durch den Rechnungshofpräsidenten ist. Weitere Möglichkeiten ergeben sich durch die Zuteilung von Prüfungsbeamten zu den einzelnen Mitgliedern oder etwa durch Personalentscheidungen wie etwa Ernennung oder Beförderung (Heuer 1992: 249/250).

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

3.1.3

79

Beschlussfassung im Rechnungshof

Für die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe erweist sich die Art der Beschlussfassung als bedeutungsvoll. Hierbei interessiert vor allem der Einfluss des Präsidenten auf die Beschlussfassung des Kollegiums bzw. Senats. Die Entscheidungsfindung in den Kollegien und Senaten der Rechnungshöfe erfolgt, wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, nach dem Kollegialprinzip. Dementsprechend werden die Entscheidungen gemeinsam von den Mitgliedern des Rechnungshofes getroffen. Je stärker die Entscheidungsfindung am Kollegialprinzip ausgerichtet ist, desto förderlicher ist diese Eigenschaft für die Unabhängigkeit. Die vorliegende Operationalisierung stellt dabei einen ersten Versuch dar, die Beschlussfassung im Rechnungshof zu messen, obgleich die Bewertung des Kollegialprinzips in der Literatur sehr unterschiedlich ausfällt. Die Vorteile dieser Art der Entscheidungsfindung liegen klar auf der Hand. Dazu gehört beispielsweise die Zurückdrängung des Einflusses einzelner Mitglieder zur Schaffung einer breiten Zustimmungsbasis oder etwa die Minderung von „Fehleinschätzungen und Manipulationen“ (Glatfeld 1997: 55). Es gibt Nachteile wie etwa der Beratungszwang aller Prüfungsergebnisse, was den Prüfern unter Umständen auf demotivierende oder frustrierende Art und Weise die Eigenverantwortung für die durchgeführte Prüfung raubt und zusätzlich dazu beiträgt, dass die Arbeitsmoral und die Leistungsbereitschaft der Prüfer in letzter Konsequenz sinken könnten (Glatfeld 1997: 55).66 Überdies verliert das viel beschworene Kollegialprinzip weiter an „Glanz“, wenn die Rolle der Rechnungshofpräsidenten näher betrachtet wird.67 Insbesondere die Mitwirkung des Präsidenten oder des Vizepräsidenten an den kollegialen Entscheidungen ist nicht zu unterschätzen (Wieland 1995: 900). So erscheint gerade der Präsident in den Kollegien bzw. Senaten als „Primus inter Pares“ zu fungieren (Umbach/Dollinger 2007: 20; Rundel 1990: 248). Ist es doch die Stimme des Präsidenten, die bei Stimmengleichheit – und das ist in allen Landesrechnungshofgesetzen übereinstimmend geregelt 66 67

Obwohl diese Vermutungen nicht unplausibel erscheinen, so sind sie empirisch nicht bewiesen. An dieser Stelle sei nochmals auf die besondere Rolle des Präsidenten bei der Berufung oder Ernennung von Mitgliedern hingewiesen. Unter Berücksichtigung des Wahlmodus des Rechnungshofpräsidenten und der Beteiligung des Parlamentes an der Ernennung der Mitglieder könnte unter Umständen die politische Prägung des Amtes und damit auch des Entscheidungsverhaltens verstärkt werden (Klappstein 2000: 43).

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3 Formale Unabhängigkeit

– den Ausschlag gibt. Darüber hinaus ist der Präsident nicht selten an den Entscheidungen der kleinen Kollegien beteiligt. Dennoch wäre es verfehlt, die Präsidenten aller Landesrechnungshöfe pauschal als faktisch gleich stark zu bezeichnen. Damit werden wichtige Zusatzinformationen unterschlagen und zum Teil wesentliche Unterschiede verkannt. Auch hier empfiehlt sich daher ein genauer Blick in die gesetzlichen Regelungen. Zu diesem Zweck wird die Art der Beschlussfassung, wie auch in den meisten Rechnungshofgesetzen, nach Beschlüssen im großen und im kleinen Kollegium differenziert. Dabei wird zunächst die Beschlussfassung im großen Kollegium näher untersucht (siehe Tabelle 3.6).

Tab. 3.6: Beschlussfähigkeit des Rechnungshofes mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder anwesend sind Bayern, Saarland

Beschlussfähigkeit liegt vor, wenn... mehr als mindestens die Hälfe die Hälfte der Mitglieder der Mitglieder anwesend sind anwesend ist Berlin, Brandenburg, Sachsen SchleswigHolstein

BadenWürttemberg, Hamburg, Hessen, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, RheinlandPfalz, Thüringen

bestimmte Quoren erfüllt sind Bremen1, NordrheinWestfalen2

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Ist mit mindestens drei Mitgliedern beschlussfähig. 2 In der Besetzung von wenigstens fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden. 1

Tabelle 3.6 zeigt beispielsweise, wann ein großes Kollegium überhaupt beschlussfähig ist. Diese Frage ist bedeutungsvoll, weil zahlenmäßig größere Kollegien automatisch dafür sorgen, dass das Gewicht jeder einzelnen und damit auch der Präsidentenstimme sinkt. So gibt es beispielsweise nur zwei Landesrechnungshöfe, in denen mehr als zwei Drittel der Mitglieder anwesend sein müssen, damit der Rechnungshof beschlussfähig ist. Die deutliche Mehrheit der Regelungen in den Rechnungshofgesetzen sieht die Beschlussfähigkeit bereits dann als gewährleistet an, wenn mehr als die Hälfte bzw.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

81

mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Obwohl es sich de jure um unterschiedliche Formulierungen handelt, führen diese bei gleicher Mitgliederzahl de facto zum selben Ergebnis (siehe Tabelle 3.7). Trotzdem werden beide Kategorien getrennt voneinander erhoben, um die Landesrechnungshöfe besser zuordnen zu können. Neben diesen recht allgemein gehaltenen Formulierungen gibt es auch noch zwei, vom gewohnten Muster abweichende Regelungen. So ist beispielsweise der Landesrechnungshof von Bremen erst ab mindestens drei Mitgliedern beschlussfähig, während das große Kollegium des Landesrechnungshofes von Nordrhein-Westfalen ab mindestens fünf Mitgliedern seine Beschlussfähigkeit erlangt. Nach den gesetzlichen Regelungen kommt jeder Stimme im Rahmen einer Mehrheitsentscheidung des großen Kollegiums gleiches Gewicht zu (Fuhrmann 1989: 331). Eine Ausnahme gilt nur für den oben beschriebenen Fall der Stimmgleichheit. Ein Vergleich der Stimmgewichte zwischen den Rechnungshöfen zeigt mitunter gravierende Abweichungen. In Tabelle 3.7 ist zunächst die Mitgliederanzahl der Landesrechnungshöfe dokumentiert. Anhand dieser Zahlen lässt sich das einfache Stimmgewicht einer Einzelstimme ohne Weiteres ermitteln (siehe Spalte GI ). Während der Bayerische Oberste Rechnungshof und der Rechnungshof Nordrhein-Westfalen mehr als doppelt so viele Mitglieder haben wie die Mehrzahl der anderen Rechnungshöfe, hat Bremen gerade einmal vier. Das Argument richtet sich jedoch nicht gegen die geringe Zahl an Mitgliedern in Bremen, sondern vielmehr gegen das vergleichsweise hohe Stimmgewicht des Präsidenten, welches für Bremen bei GI = 0,25 liegt, für Bayern aber bei 0,06. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei nicht mehr nur dem auf die Gesamtzahl aller Mitglieder bezogenen Stimmgewicht. Schließlich darf die weiter oben bereits vorgestellte Beschlussfähigkeit nicht unterschlagen werden, da sich die Mitgliederzahl verringert bzw. das Stimmgewicht einzelner Mitglieder sich nochmals relativ erhöht (vgl. GII ). Für die Mindestanzahl an Mitgliedern zur Beschlussfähigkeit stellt der bayerische Oberste Rechnungshof mit GII = 0,09 den einzigen „Ausreißer“ dar, da der Rechnungshof Nordrhein-Westfalen, wie bereits erwähnt, nur eine Mindestanzahl von 5 Mitgliedern für die Beschlussfähigkeit vorsieht. Alle anderen Rechnungshöfe liegen vergleichsweise dicht beieinander und schwanken zwischen GII = 0,20 und GII = 0,33. Die Stimmgewichte und -mehrheiten verschieben sich dramatisch mit der An- oder Abwesenheit der Mitglieder. Darüber hinaus führen große Kollegien bei hohen Auflagen zur Beschlussfähigkeit, wie die gegensätzlichen Fälle Bayern und Nordrhein-Westfalen deutlich zeigen, teilweise zu

82

3 Formale Unabhängigkeit

einer Verschiebung der Mehrheits- und Stimmgewichte. Folglich erscheint es durchaus möglich, den Einfluss des Präsidenten auf die kollegiale Entscheidungsfindung schon allein durch eine Verschärfung der Beschlussfähigkeitsregelungen oder durch die Präsenz der anderen Mitglieder zu regulieren.68

Tab. 3.7: Mehrheiten und Stimmgewichte Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Anzahl Mitglieder 7 16 7 7 4 6 9 5 7 7 7 5 7 5 5 5

Mitgliederzahl für Beschlussfähigkeit abs. rel. 4 11 4 4 3 4 5 3 4 5 4 4 4 3 3 3

57 % 68 % 57 % 57 % 75 % 67 % 56 % 60 % 57 % 71 % 57 % 80 % 57 % 60 % 60 % 60 %

Mehrheit im großen Kollegium MI 1 MII 2 4 9 4 4 3 4 5 3 4 4 4 3 4 3 3 3

57 % 56 % 57 % 57 % 75 % 67 % 56 % 60 % 57 % 57 % 57 % 60 % 57 % 60 % 60 % 60 %

3 6 3 3 2 3 3 2 3 3 3 3 3 2 2 2

75 % 55 % 75 % 75 % 67 % 75 % 60 % 67 % 75 % 60 % 75 % 75 % 75 % 67 % 67 % 67 %

rel. Stimmgewicht GI 3

GII 4

0,14 0,06 0,14 0,14 0,25 0,17 0,11 0,20 0,14 0,14 0,14 0,20 0,14 0,20 0,20 0,20

0,25 0,09 0,25 0,25 0,33 0,25 0,20 0,33 0,25 0,20 0,25 0,25 0,25 0,33 0,33 0,33

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) und eigene Berechnungen Anzahl der Mitglieder die notwendig sind für eine Stimmenmehrheit bei Anwesenheit aller Mitglieder. 2 Anzahl der Mitglieder die notwendig sind für eine Stimmenmehrheit bei Anwesenheit aller zur Erreichung der Beschlussfähigkeit notwendigen Mitglieder. 3 Gewicht der Stimme gemessen an der Anzahl aller Mitglieder. 4 Gewicht der Stimme gemessen an der zur Beschlussfähigkeit notwendigen Mitgliederzahl. 1

Demnach lässt sich konstatieren, dass das Kollegialprinzip nur dann zur Sicherung von Unabhängigkeit und Objektivität des Rechnungshofs beiträgt, wenn sich möglichst viele Mitglieder in den Kollegien an der Ent68

Fraglich bleibt allerdings, inwieweit die Rechnungshofpräsidenten überhaupt versuchen, sich gegen das Kollegium durchzusetzen oder eigene Interessen auch gegen Widerstände durchzudrücken? Zum Entscheidungsverhalten der Rechnungshofkollegien gibt es bisher keine Untersuchungen.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

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scheidungsfindung beteiligen. Das Kollegialprinzip verschleiert aber bisweilen, dass dem Präsidenten auf Grundlage seines relativen Stimmgewichtes im großen Kollegium eine sehr dominante Stellung zukommen kann. Dementsprechend erweisen sich einige Rechnungshöfe „kollegialer“ als andere. Ob der vom Parlament gewählte Rechnungshofpräsident schließlich versucht, seine Interessen gegen die Mitglieder durchzusetzen, oder etwa politisch motivierte und damit die Unabhängigkeit gefährdende Handlungen vornimmt, lässt sich nicht beweisen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass derartige Tendenzen in einigen Rechnungshöfen leichter durchzusetzen wären als in anderen. Bei der Beschlussfassung im Rechnungshof geht es aber nicht nur um das große, sondern auch um das kleine Kollegium. Hierbei zeigen sich insbesondere bei den notwendigen Mehrheiten zum Teil gravierende Unterschiede zwischen den Landesrechnungshöfen. Darüber hinaus muss immer wieder hinterfragt werden, ob der Rechnungshofpräsident dem kleinen Kollegium obligatorisch angehört, ob seine Zugehörigkeit an bestimmte Bedingungen – wie etwa Entscheidungsblockade oder Zuständigkeit – gebunden ist. Die Einflussnahme des vom Parlament gewählten und im großen Kollegium unter Umständen dominanten Präsidenten kann daher auch bis in das kleine Kollegium hineinreichen. Eine faktische Begrenzung der Unabhängigkeit der Mitglieder in den kleinen Kollegien ist also nicht auszuschließen. Tabelle 3.8 listet die Landesrechnungshöfe nach den Beschlussmehrheiten und der Präsidentenbeteiligung auf. Dabei ist der Fall der Nicht-Einigung vorerst nicht relevant. Bei näherer Betrachtung von Tabelle 3.8 fällt besonders auf, dass der Präsident in nur sechs Landesrechnungshöfen von vornherein nicht an den kleinen Kollegien beteiligt ist. Drei von diesen Rechnungshöfen – Bayern, Hessen und Thüringen – haben in ihren Rechnungshofgesetzen aber eine „Kannbestimmung“ enthalten, wonach der Präsident die Möglichkeit hat, dem kleinen Kollegium beizutreten. Besonders hervorzuheben sind die Regelungen der Landesrechnungshöfe Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen soll ein einstimmiger Beschluss bzw. eine einstimmige Entschließung der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Mitglieder – d. h. unter Umständen ohne Präsident – gefasst werden. Der Landesrechnungshof Berlin sieht hier sogar das „Leiten“ und „Entscheiden“ der Mitglieder in deren eigener Verantwortung vor. Folglich dürfte eine Beeinflussung durch den Präsidenten gerade in jenen Landesrechnungshöfen schwerfallen, wo er nicht am Beschluss beteiligt ist. In zwei Drittel der Fälle kann der gewählte Präsident Einfluss auf die Entscheidung und damit

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3 Formale Unabhängigkeit

auf die Unabhängigkeit der Mitglieder im kleinen Kollegium nehmen, da er direkt an der Beschlussfassung beteiligt ist.

Tab. 3.8: Beschlussfassung im Rechnungshof Zusammensetzung des kleinen Kollegiums

Mitglieder entscheiden selbst

Modus der Beschlussfassung bei zwei mit ÜbereinMitgliedern Stimmenstimmung einstimmig, mehrheit oder bei drei gemeinsame u. mehr mit Entschließung Mehrheit

kleines Kollegium von vornherein mit Präsident

kleines Kollegium zunächst ohne Präsident 1

Berlin1,

Hessen1,

Bayern1 Thüringen1

Brandenburg, Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein BadenWürttemberg, NordrheinWestfalen

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Der Präsident kann dem kleinen Kollegium beitreten.

Der Einfluss eines von der Volksvertretung gewählten und zumeist von der Exekutive oder der regierungstragenden Mehrheit vorgeschlagenen Präsidenten wird aber nicht nur durch seine alleinige Anwesenheit in den Kollegien bestimmt. In den kleinen Kollegien spielt die Art der Beschlussfassung eine wichtige Rolle. So erfolgt die Beschlussfassung in 10 von 16 Landesrechnungshöfen einstimmig bzw. durch Übereinstimmung oder gemeinsame Entschließung. Damit muss ohnehin ein Einvernehmen zwischen den Mitgliedern und dem Präsidenten hergestellt werden, was allerdings nicht bedeutet, dass sich der Präsident den Vorstellungen der Mitglieder beugt oder umgekehrt. Bei Meinungsverschiedenheiten dürfte daher ein Kompromiss die angestrebte Lösung der Beteiligten sein. Bleibt schließlich nur noch die Frage, was passiert, wenn sich die Mitglieder des kleinen Kollegiums nicht auf einen Beschluss verständigen können? In der Mehrheit der Fälle – 14 von 16 Landesrechnungshöfen – wird ein

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

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Beschluss des großen Kollegiums herbeigeführt. Lediglich zwei Fälle zeigen Abweichungen, weshalb dieser Aspekt auch nicht in Tabellenform dargestellt wird. Die von der Mehrheit abweichenden Gesetze gelten für die Landesrechnungshöfe Nordrhein-Westfalen und Berlin. In Berlin entscheiden die Mitglieder eigenverantwortlich, was derartige Probleme ausschließt und in Nordrhein-Westfalen „tritt aus derselben Prüfungsabteilung ein weiterer Prüfungsgebietsleiter hinzu. Die Entscheidung erfolgt durch Mehrheitsbeschluss“. Die Beeinflussung der Mitglieder findet dabei klare Grenzen in den genannten Bestimmungen. Zusammenfassend betrachtet, lassen sich in den kleinen Kollegien verschiedene Möglichkeiten erkennen, wie der Rechnungshofpräsident politisch motivierten Einfluss auf die Mitglieder nehmen und ggf. seine Vorstellungen durchsetzen kann. Gleichzeitig gibt es aber Mechanismen, die eine Beeinflussung der Mitglieder ausschließen. 3.1.4

Sitz der Rechnungshöfe

Ein weiterer Aspekt ist der Dienstsitz der Rechnungshöfe, dem ebenfalls ein unbestimmter Einfluss auf die Unabhängigkeit der Institution zugeschrieben wird. So spricht von Arnim (1983) beispielsweise davon, dass die Unabhängigkeit schon durch das traditionelle Berlin-Potsdam-Prinzip gewährleistet werden sollte. Dieses Prinzip bezieht sich auf die räumliche Trennung von Rechnungshof und Exekutive (von Arnim 1983: 669). Dementsprechend wird eine Einflussnahme durch die räumliche Distanz unterbunden, was letztendlich zur Wahrung der Unabhängigkeit beiträgt. Die Entscheidung für den Sitz eines Rechnungshofes muss allerdings nicht immer diesen Argumentationssträngen folgen. Manchmal sind es eher pragmatische Gründe, die über den Sitz des Rechnungshofes entscheiden. So erhielt der Niedersächsische Landesrechnungshof in der Nachkriegszeit seine Räumlichkeiten in Hildesheim, da in Hannover große Raumnot herrschte (Wernstedt 1998: 2). Letztendlich ist sogar das Berlin-Potsdam-Prinzip auf solche pragmatischen Umstände zurückzuführen. Die Oberrechnungskammer musste verlegt werden, da Berlin nicht genügend Wohnungen für die Beamten zur Verfügung stellen konnte (Rischer 1996: 366). Trotzdem wird im Schrifttum noch immer davon ausgegangen, dass der Leitsatz „Sitz des Rechnungshofes = der Regierungssitz“ für die räumliche Trennung verantwortlich war und die Ortswahl die unabhängige Stellung der Rechnungshöfe zusätzlich unterstreicht (vgl. Rechnungshof Hessen 1995: 3).

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3 Formale Unabhängigkeit

So gibt es kritische Stimmen, die berechtigte Zweifel am Konzept der räumlichen Trennung haben. Das Berlin-Potsdam-Prinzip ist zumeist fehlinterpretiert worden und heute nicht mehr so wichtig wie früher (Rischer 1996: 365; Stern 1989: 16). Ein anderes weitaus griffigeres Argument gegen die räumliche Trennung bezieht sich auf die sogenannten „kurzen“ Dienstwege. So sitzt beispielsweise der Hamburgische Rechnungshof im gleichen Dienstgebäude wie die Finanzbehörde, was Vorteile mit sich bringt (Nümann-Seidewinkel 1998: 68). Dabei ist dieser Fall sicherlich als Extrembeispiel zu begreifen. Er verdeutlicht, dass eine räumliche Trennung von Rechnungshof und Regierungssitz nicht zwingend notwendig ist (Rischer 1996: 366). Derzeit fehlen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Rechnungshöfe aus Berlin, Bremen und Hamburg große Fehlentwicklungen oder Beeinflussungen durch die Politik zeigen. Eine Erklärung dafür liegt möglicherweise in den Kontakten zwischen den Akteuren. So stellt sich weniger die Frage nach der räumlichen Trennung als vielmehr die Frage nach der Häufigkeit und der Intensität von informellen Treffen. Damit verbunden ist die Frage, wie gut sich die Akteure untereinander kennen. Gerade hierzu gibt es im Bezug auf die Rechnungshöfe kaum gesicherte empirische Informationen. Von 16 Landesrechnungshöfen haben neun ihren Sitz in derselben Stadt wie die Landesregierung, wobei der Rechnungshof von Mecklenburg-Vorpommern in zwei verschiedenen Kategorien verortet wird, da dieser Dienststellen in Schwerin und Neubrandenburg unterhält. Demgegenüber zeigen die verbleibenden sieben Landesrechnungshöfe (ohne Mecklenburg-Vorpommern) eine räumliche Trennung vom Sitz der Landesregierung. Folglich wird die räumliche Trennung in etwas mehr als der Hälfte der Fälle (ohne Stadtstaaten) realisiert. Diese kurze Auflistung lässt darauf schließen, dass dieses Prinzip tatsächlich keine zu große Bedeutung besitzt (siehe Tabelle 3.9).

Tab. 3.9: Rechnungshof und Regierungssitz Dienstsitz des Rechnungshofes... ist nicht Regierungssitz ist Regierungssitz Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern1, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, SachsenAnhalt, Thüringen 1

Bayern, Berlin, Brandenburg Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern1, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Der Rechnungshof unterhält Dienststellen in Neubrandenburg und Schwerin.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

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Entscheidend für die vorliegende Arbeit sind die Vor- und Nachteile der räumlichen Trennung bezüglich einer unangemessenen politischen Einflussnahme auf die Landesrechnungshöfe. In diesem Kontext kann es durchaus günstiger sein, wenn der Rechnungshof und die Landesregierung räumlich getrennt sind. Dennoch erscheint es angemessen, dieses Argument nicht überzustrapazieren. 3.1.5

Einfluss des Rechnungshofes auf den eigenen Haushaltsplan

Zur Durchführung seiner Arbeit benötigt der Rechnungshof verschiedene Ressourcen. Dazu gehören in erster Linie die notwendigen materiellen Ressourcen (wie etwa angemessene Diensträume, Einrichtungsgegenstände, Bürobedarf, Technik etc.) sowie das für die Prüfungstätigkeit entsprechend ausgebildete Personal. Für diese Ressourcen ist die finanzielle Ausstattung der Kontrollinstitutionen maßgeblich. Die Rechnungshöfe benötigen die zur Verfügung stehenden Finanzmittel, um ihren Betrieb und die Prüfungstätigkeit aufrecht zu erhalten. Je mehr Mitsprachemöglichkeiten die Kontrollinstitutionen im Bezug auf ihren Haushalt haben, desto förderlicher ist das für die Unabhängigkeit. Im Hinblick auf die in Kapitel 2 beschriebene materielle Unabhängigkeit stellt sich also vornehmlich die Frage, wer über die Höhe der zur Verfügung stehenden Finanzmittel entscheidet. Diese Frage ist auch deshalb so interessant, da letztendlich die regierungstragende Mehrheit den Haushaltsplan bewilligt. Insofern muss konstatiert werden, dass so etwas wie eine vollständige materielle Unabhängigkeit der Rechnungshöfe nicht existiert. Dies gilt auch dann, wenn die Gesetzesbestimmungen vorsehen, dass der Rechnungshof angemessen auszustatten ist69 , da es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. Neben dem Parlament nimmt vor allem der Finanzminister bei den Verhandlungen um die Einzelpläne eine zentrale Stellung ein, da er jedes Jahr immer wieder versucht, „das Wünschenswerte dem Möglichen anzupassen“ (Kasper 1988: 46). Er kann in der Rolle eines fiskalischen Koordinators sowohl auf der Ebene der Voranschläge als auch auf der Ebene des zu bewilligenden Einzelplans Einfluss auf die finanzielle Ressourcenausstattung der Ministerien, aber auch des Rechnungshofes nehmen (Oldiges 1983: 274; Hallerberg 2000: 11; Hallerberg 2004: 29). Trotzdem ist die Vermutung nicht abwegig, dass sich die Politik hin und wieder versucht sehen könnte, 69

Vgl. etwa § 3 Abs. 2 RHG Rhl.-Pf.

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3 Formale Unabhängigkeit

den Rechnungshof in seinen Ressourcen zu beschränken, um die Kontrolltätigkeit zu beeinflussen. Ob sich diese Vermutung halten lässt, wird an anderer Stelle diskutiert (siehe Kapitel 4) werden. Außerdem sind es gerade die Rechnungshöfe, die sich immer wieder durch eine besonders sparsame Haushaltsführung auszeichnen (Müller 1994: 1280). Kürzungen erscheinen daher zweifelhaft und sind schwer begründbar. Damit aber der Etat des Rechnungshofes nicht hin und wieder willkürlichen Eingriffen durch die Politik ausgesetzt ist, gibt es in diesem sensiblen Bereich klare Regelungen, die sich über die Bundesländer hinweg unterscheiden (siehe Tabelle 3.10). Dabei ist in den Spalten aufgelistet, wie die Entwürfe zum Haushaltsplan zustande kommen. In den Zeilen wird die Art der Beschlussfassung dokumentiert. Beide Sachverhalte können der Regierung bzw. insbesondere der regierungstragenden Mehrheit Instrumente an die Hand geben, die eine Disziplinierung der Rechnungshöfe durch Haushaltsmittel begünstigen. So gibt es beispielsweise fünf Rechnungshöfe, die ihre Voranschläge im Benehmen oder aber einstimmig mit den beteiligten Stellen klären. Bei dieser Merkmalsausprägung zeigen sich zunächst wenig Anzeichen für eine Disziplinierung. Unterschiede gibt es jedoch hinsichtlich der Art der Beschlussfassung. So müssen beispielsweise in Bayern und MecklenburgVorpommern die Originalvoranschläge der Rechnungshofpräsidenten dem abweichenden Haushaltsplan beigefügt werden, was positiv zu bewerten ist, da hiermit ein Überblick zu allen ursprünglich veranschlagten Mitteln gewonnen werden kann. Ein Sonderfall unter den Rechnungshöfen, die ihre Voranschläge im Benehmen mit den Beteiligten erstellen, ist zweifelsohne Berlin, da hier die Regierung das Parlament unterrichtet, falls der Einzelplan des Rechnungshofes Änderungen enthält. Damit erhält gerade jenes Organ genaue Kenntnis über mögliche Kürzungen, welches am meisten von der Arbeit des Rechnungshofes profitiert. Daneben sind für zwei weitere Kontrollbehörden – hier die Rechnungshöfe aus Bremen und SchleswigHolstein – alle Teile, über die kein gegenseitiges Einvernehmen besteht, unverändert dem Entwurf des Haushaltsplanes zuzuleiten. In der zweiten Spalte von Tabelle 3.10 befinden sich jene Fälle, bei denen kein Einvernehmen mit den betreffenden Stellen über die Voranschläge hergestellt werden muss. Dabei teilt der Finanzminister der Landesregierung nur jene Voranschläge mit, denen ausdrücklich nicht zugestimmt worden ist. Die Möglichkeiten zur Disziplinierung der Rechnungshöfe sind hier etwas deutlicher ausgeprägt, da kein grundsätzlicher Einigungszwang besteht.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

89

Damit muss in nahezu zwei Drittel der Fälle kein Einvernehmen über die Voranschläge des Rechnungshofpräsidenten erzielt werden, obgleich für immerhin sechs Landesrechnungshöfe die Originalvoranschläge der Rechnungshofpräsidenten bei Nicht-Einigung übersandt werden müssen. Für weitere fünf Rechnungshöfe gilt dies erneut „nur“ für die strittigen Teile des Einzelplanes und nicht für den gesamten Einzelplan des Rechnungshofes.

Tab. 3.10: Aufstellung und Beschluss des Rechnungshofhaushalts Beschluss des Haushaltsentwurfs

Zuleitung des ges. Einzelplans nach den Voranschlägen des Rechnungshofpräsidenten1 Regierung unterrichtet über Änderungen in den Einzelplänen Haushaltsteile ohne Einvernehmen sind unverändert dem Haushaltsentwurf beizufügen1 1

Aufstellung des Haushaltsentwurfs Änderung der Änderung der Voranschläge im Voranschläge sind Einvernehmen der Landesregierung mit den vom Finanzministerium betroffenen Stellen mitzuteilen Berlin, MecklenburgVorpommern

Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, SachsenAnhalt

Berlin Bremen, SchleswigHolstein

Brandenburg, Hamburg, Hessen, Saarland, Thüringen

Quelle: Landeshaushaltsordnungen (siehe Anhang) Soweit den Änderungen an den Originalentwürfen der Rechnungshöfe nicht zugestimmt wird.

Neben der Aufstellung des Haushaltsplanes und der Beschlussfassung desselben, darf die Möglichkeit der Verhängung einer Haushaltssperre gegenüber dem Rechnungshof nicht vergessen werden. Schließlich lassen sich auf diese Weise die Finanzmittel vergleichsweise einfach festsetzen, sofern keine Ausnahme- oder Sonderregelungen für unabhängige Kontrollinstitutionen existieren. In Tabelle 3.11 sind dabei die Regelungen zur Verhängung von allgemeinen Haushaltssperren aufgelistet. Mehr als die Hälfte der Fälle sieht zumindest eine Beteiligung der Rechnungshöfe an der Entscheidung über eine Haushaltssperre vor. In zwei Fäl-

90

3 Formale Unabhängigkeit

len – in Brandenburg und in Hamburg – ist der Rechnungshof sogar von der Haushaltssperre ausgenommen. Der Berliner Rechnungshof kann die Verhängung der Haushaltssperre von seiner Einwilligung abhängig machen.70

Tab. 3.11: Einfluss auf die Verhängung einer Haushaltssperre Einwilligung des Rechnungshofpräsidenten Berlin

1

Verhängung einer Haushaltssperre durch... Finanzminister, Benehmen Einwilligung gilt aber mit der Landesnicht für zuständigen regierung Rechnungshof Ministern Brandenburg, Hamburg

Hessen, MecklenburgVorpommern, NordrheinWestfalen, RheinlandPfalz, Saarland, SchleswigHolstein1, Thüringen

BadenWürttemberg, Bremen

Einwilligung des Finanzministeriums Bayern, Niedersachsen, Sachsen, SachsenAnhalt

Quelle: Landeshaushaltsordnungen (siehe Anhang) Unterrichtung des Finanzausschusses.

Darüber hinaus gibt es sechs Bundesländer, in denen die Exekutive über die Verhängung der Haushaltssperre bestimmt. In Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt kann es der Finanzminister von seiner Entscheidung abhängig machen, ob eine Haushaltssperre auferlegt wird. Damit liegt die Entscheidung bei einem Minister, der zumindest der Präferenz nach eher zum Sparen, denn zum Ausgeben neigen sollte, da seine politische Leistung unter anderem am Defizit gemessen wird (Hallerberg/von Hagen 1999: 215; von Hagen 2002: 273; Hallerberg 2004: 29). Folglich sind Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Rechnungshöfe a priori nicht ausgeschlossen. In Baden-Württemberg und Bremen kann 70

Diese Regelung ist zwar für die Entscheidungsfreiheit des Rechnungshofes wünschenswert. Sie trägt aber angesichts der angespannten finanziellen Lage der öffentlichen Haushalte und angesichts der Sparbemühungen der Rechnungshöfe eine gewisse Ambivalenz in sich. Schließlich erscheint es etwas abwegig, dass sich eine Institution, die für Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eintritt, gerade in Zeiten knapper Kassen der Haushaltssperre entzieht.

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

91

die Landesregierung die Verhängung der Haushaltssperre von ihrer Einwilligung abhängig machen. Der Sparzwang dürfte dabei nicht so groß sein wie bei der zuvor genannten Regelung, da die Minister der anderen Ressorts aufgrund des politischen Wettbewerbs wenig Interesse an einer sparsamen Haushaltsführung haben, und da die Höhe der zur Verfügung stehenden Geldmittel als Einfluss- und Machtmittel angesehen werden (von Hagen 1992: 32ff.; von Arnim 1989b: 268). Problematisch bei beiden zuletzt genannten Regelungen ist jedoch, dass die Exekutive, und damit der Kontrollierte, darüber befinden kann, ob die Ausgaben der Kontrollinstitution mit einer Sperre belegt werden. Allerdings dürfen die Bedeutung und der Sinn einer Haushaltssperre nicht verkannt werden. Schließlich handelt es sich um ein Instrument, welches die Gesamtausgaben beschränken soll. Eine Verwendung der Haushaltssperre als gezieltes Disziplinierungsmittel gegenüber dem Rechnungshof erscheint abwegig. Trotzdem bleibt es fraglich, warum einer Institution wie dem Rechnungshof – mit dem Wissen über das Haushaltsgebaren und die Haushaltslage des Landes – die Entscheidung über die Verhängung einer Haushaltssperre nicht selbst überlassen wird, bzw. warum der Rechnungshof nicht davon ausgenommen ist. Es gibt also Regelungen, die eine Disziplinierung der Rechnungshöfe durch Kürzung von Haushaltsmitteln begünstigen. Ob ein Rechnungshof infolge seiner Prüfungstätigkeit tatsächlich durch politische Entscheidungen diszipliniert wird, hängt letztendlich allein vom Willen der Regierung bzw. von der regierungstragenden Mehrheit ab. Für den Rechnungshof positiv wirken jene Regelungen, die dem gesamten Parlament die ursprünglichen Voranschläge des Rechnungshofpräsidenten. Letztendlich kann eine Disziplinierung durch gekürzte Mittelzuweisungen nicht ausgeschlossen werden, wenn die Regierungsmehrheit eine solche Entscheidung bevorzugt. Ob sich dies auch empirisch halten lässt, wird in Kapitel 4 näher überprüft. Das Verhängen von Haushaltssperren ist im Allgemeinen nicht als Disziplinierungsmittel geeignet, da es dem Bremsen der globalen Ausgaben gilt. Die Rechnungshöfe verfügen nur über einen sehr geringen Haushaltsposten (gemessen am Landeshaushalt), sodass eine Disziplinierung durch Haushaltssperren eher abwegig erscheint. Beschränkungen der Kontrolltätigkeit im Zuge von Haushaltssperren sollten daher nicht als gezielte politische Maßnahmen gegen die Rechnungshöfe verstanden werden.

92

3.1.6

3 Formale Unabhängigkeit

Das Juristenquorum

Der hohe Anteil an Volljuristen unter den Rechnungshofmitgliedern (Juristenquorum) dient als ein weiterer Indikator für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes. Grundlage ist die operationelle Definition von Unabhängigkeit (siehe Punkt 2.2.1), aus der sich eine Beschränkung der Unabhängigkeit ergeben kann. Dies kann durch die berufliche Vergangenheit vieler Mitglieder, die zum Teil selbst aus dem Verwaltungsdienst kommen, oder durch die einseitige Personalbesetzung und die damit einhergehende Beschränkung der fachlichen und thematischen Wahlfreiheit geschehen. Ein stark ausgeprägtes „Juristenmonopol“ (Jann/Wegrich 2008: 51) wird für die Unabhängigkeit als nachteilig bewertet. Es ist unstrittig, dass gut ausgebildete Juristen ihren Platz in den Rechnungshöfen haben müssen, da die vielen Prüfungen rechtswissenschaftlicher Erwägungen bedürfen. Dennoch geht das teilweise sehr hohe Juristenquorum auf ein eher traditionelles Prüfungsverständnis zurück, wo noch Ordnungsmäßigkeits- und Rechtmäßigkeitsprüfungen im Vordergrund standen. Eine alleinige Prüfung nach diesen Gesichtspunkten wird aber den gegenwärtigen Bedürfnissen nicht mehr gerecht. So muss ausreichend Personal vorhanden sein, welches betriebswirtschaftliche Methoden und Bewertungsinstrumente beherrscht (Glatfeld 1997: 56/69). Die Kritiker dieser gesetzlichen Regelungen fordern daher schon seit längerem eine Reduktion des Juristenquorums (Yi 1987: 280; Klappstein 2000: 40). Tabelle 3.12 bietet eine Übersicht zu den gegenwärtig bestehenden Festschreibungen des Juristenanteils unter den Rechnungshofmitgliedern sowie deren absoluten Mindestwerten anhand der Mitgliederzahl. In Bayern beispielsweise wird ein Juristenquorum von mindestens 50 % der Mitglieder gefordert. Darüber hinaus müssen auch der Präsident und der Vizepräsident eine abgeschlossene rechtswissenschaftliche Ausbildung haben. Das entspricht rechnerisch 10 (8 + 2) Juristen. Im Jahre 2002 waren jedoch 11 Mitglieder Juristen (Igelspacher 2002: 83), was bedeutet, dass eine Steigerung nach oben – auch in den anderen Landesrechnungshöfen – stets im Bereich des Möglichen liegt. Den Gesetzen nach, liegen die meisten Juristenquoren bei einem Drittel, zuzüglich diverser Sonderregelungen für den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Die meisten Juristen werden – anteilsmäßig betrachtet – in den Rechnungshöfen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Thüringen auf eine Mitgliedschaft verpflichtet. Das geringste Quorum verzeichnen die Rechnungshöfe aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. Letztendlich zeigt

3.1 Unabhängigkeit – formaljuristische Indikatoren

93

sich, dass weniger als die Hälfte der Landesrechnungshöfe einen Juristenanteil unter 50 % hat.

Tab. 3.12: Gesetzliches „Juristenquorum“ Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

gesetzliche Quote der Volljuristen

Anzahl der Mitglieder

Anzahl der Volljuristen im Kollegium

Quote der Volljuristen im Kollegium

0,66 0,501 0,33 0,332 0,50 0,50 0,332 0,33 0,332 0,33 0,663 0,503 0,332 0,50 0,33 0,331

7 16 7 7 4 6 9 5 7 15 7 5 7 5 5 5

5 10 3 3 2 3 3 2 3 5 5 3 3 3 2 4

0,71 0,63 0,43 0,43 0,50 0,50 0,33 0,40 0,43 0,33 0,71 0,60 0,43 0,60 0,40 0,80

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Zuzüglich des Präsidenten und des Vizepräsidenten. 2 Einschließlich Präsident oder Vizepräsident. 3 Einschließlich Präsident und Vizepräsident. 4 Gewicht der Präsidentenstimme gemessen an der zur Beschlussfähigkeit notwendigen Mitgliederzahl. 1

Es geht aber nicht nur darum, die formalen Schwellenwerte zu kennen, sondern auch deren faktische Auswirkungen. So lässt sich beispielsweise die absolute Höhe des Juristenquorums mithilfe der Mitgliederzahl ermitteln. Daraus ergibt sich schließlich der tatsächliche Mindestanteil von Volljuristen an der Gesamtzahl aller Mitglieder im großen Kollegium. Die Problematik des hohen Juristenanteils in den Rechnungshöfen ist keinesfalls obsolet. Noch immer sind deren Anteile, trotz zahlreicher methodischer Neuerungen im Prüfungsbereich, bemerkenswert hoch. Darüber hinaus gibt es – wie weiter oben bereits angedeutet – in der Diskussion um die Notwendigkeit so vieler Rechtswissenschaftler keine eindeutigen

94

3 Formale Unabhängigkeit

Positionen. So argumentiert beispielsweise Rundel (1989), dass ein Jurist mit entsprechender Berufserfahrung durchaus dazu in der Lage ist, mit volks- und betriebswirtschaftlichen Methoden und Instrumenten umzugehen (Rundel 1989: 161). Auch Gößler (1995) fragt sich, ob die These stimmt, dass den Rechnungshöfen mit einer Vielzahl an Juristen die Ressourcen für die Durchführung von Wirtschaftlichkeits- und Kosten-Nutzen-Analysen fehlen (Gößler 1995: 257)?. Diesen Argumenten ist insoweit zuzustimmen, da es selbstverständlich möglich ist, neue Methoden zu erlernen. Trotzdem wird aus einem ausgebildeten Juristen kein von Grund auf ausgebildeter Ökonom oder Bauingenieur oder Biologe. Insofern lässt sich der Eindruck einer fachlichen Verengung des Blickwinkels nicht vollständig entkräften. Daher scheint die Berücksichtigung des Juristenquorums trotz der Auseinandersetzungen plausibel. 3.2

Der Unabhängigkeitsindex

Die Unabhängigkeit ist als Kontinuum aus empirischer Sicht greifbarer als die bloße Feststellung, dass die Rechnungshöfe „nur dem Gesetz unterworfen“ sind (vgl. die Landesrechnungshofgesetze § 1 Abs. 1 bzw. Abs. 2). Dies ist Grundvoraussetzung der Untersuchung und gleichzeitig auch Kritik an einer rein juristisch-formalen Betrachtungsweise. Demnach kann die Unabhängigkeit methodisch als Summe einer Vielzahl von Eigenschaften angesehen werden, die zu ihrer Ausgestaltung beitragen. Die einzelnen Elemente wurden in den vorangegangenen Punkten diskutiert und in vergleichender Perspektive für die Landesrechnungshöfe vorgestellt. Die Messung der Rechnungshofunabhängigkeit ist die Grundlage für alle folgenden Betrachtungen. Dabei wird die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe über einen zusammenfassenden Index gemessen. Durch diese Quantifizierung lassen sich neue Erkenntnisse oder zumindest neue Sichtweisen zur Rechnungshofunabhängigkeit herausarbeiten (Porter 1994: 398). Weitere wichtige Gründe, die für einen Index sprechen, sind die Zusammenführung des Datenmaterials und die vereinfachten Anwendungs- sowie Darstellungsmöglichkeiten. Falls es sich als notwendig erweist, könnten die einzelnen Indikatoren auch eine gesonderte Berücksichtigung finden. Bevor der Unabhängigkeitsindex (UI) in seiner Zusammensetzung und Berechnung vorgestellt wird, ist zu betonen, dass alle Landesrechnungshöfe per Gesetz als unabhängig bewertet werden. Für die vorliegende Arbeit

3.2 Der Unabhängigkeitsindex

95

wird die Unabhängigkeit jedoch als Eigenschaftsraum begriffen, wobei sich die Unterschiede zwischen den Rechnungshöfen in den Indexzahlen widerspiegeln, auch wenn die Varianzen einzelner Kriterien mitunter gering sind. 3.2.1

Konstrukte des Unabhängigkeitsindex

Die erste Variable des Unabhängigkeitsindex (UI) ist das Juristenquorum. Hier wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein hoher Anteil an Mitgliedern mit volljuristischer Ausbildung im Kollegium des Rechnungshofes zu einer faktischen inhaltlichen Beschränkung führen kann (Rischer 1995: 313, kritisch dazu siehe Rundel 1989: 161; Umbach/Dollinger 2007: 42). Dementsprechend wir ein hohes Juristenquorum in thematischer und fachlicher Hinsicht als unabhängigkeitsbeschränkend angesehen und ein niedriges Juristenquorum als unabhängigkeitsfördernd. Das Berlin-Potsdam-Prinzip bezieht sich auf die räumliche Distanz von Rechnungshof und Exekutive. Allerdings scheinen vor allem die Häufigkeit und die Intensität von Kontakten ausschlaggebend für eine Beeinflussung der Kontrolltätigkeit zu sein. Dieser Parameter erweist sich somit als umstritten und gilt in seiner Bewertung als widersprüchlich, da dessen Wirkungen unklar bleiben. Deshalb stellt sich die generelle Frage, ob die räumliche Nähe zu einer tatsächlichen Beschränkung der Unabhängigkeit führen kann? Die bestehenden Gegenargumente sprechen dafür, diese Variable nicht in den Index aufzunehmen. Die Wahlhürde, mit der ein Rechnungshofpräsident in sein Amt gewählt werden kann, ist einer der zentralen Aspekte des Unabhängigkeitsindex (UI). Dies ist nicht zuletzt auch an der Anzahl der Indikatoren abzulesen, die in den Index eingehen. Dabei forcieren qualifizierte Mehrheiten einen Verständigungszwang zwischen der regierungstragenden Mehrheit und der Opposition – sofern sich die Regierung in ihren Geschäften nicht auf eine Zweidrittelmehrheit stützen kann. Regierungstragende Mehrheit und Opposition müssen sich einigen, um einen Kandidaten für die Rechnungshofpräsidentschaft (oder Vizepräsidenten oder ggfs. auch einzelne Mitglieder) zu wählen bzw. zu ernennen. Für diesen Fall ist es theoretisch unerheblich, wer den Kandidaten vorschlägt, da ein positives Abstimmungsergebnis nur dann erzielt werden kann, wenn Teile der Opposition mit dem Vorschlag einverstanden sind. Es erscheint daher nicht abwegig, dass die Opposition diese Regelung nutzt, um Einfluss auf die Besetzung der Führungspositionen zu nehmen. Das Erfordernis einer einfachen Mehrheit führt in der

96

3 Formale Unabhängigkeit

Regel nicht zu solchen Handlungsbeschränkungen. Hier wird sich die regierungstragende Mehrheit mit ihren Vorstellungen und Einflussnahmen durchsetzen. Höhere Wahlhürden führen dementsprechend zu einer höheren Unabhängigkeit.71 Ein weiterer größerer Eigenschaftsbereich ist das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Leitungspositionen. Demnach ist die Unabhängigkeit des Rechnungshofes am stärksten beschränkt, wenn die Regierung das Vorschlagsrecht innehat und damit weitgehend Einfluss darauf nehmen kann, wer die Geschäfte der Kontrollbehörde leitet und diese nach außen vertritt. Je stärker also das Vorschlagsrecht an die Regierung gebunden ist, desto größer sind die Beschränkungen für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes. Der Extremfall ist beispielsweise das Vorschlagsrecht durch den Ministerpräsidenten. Hier unterliegen die Rechnungshofpersonalien den Präferenzen und Idealvorstellungen einer einzelnen Person, die aber unter Umständen Rücksicht auf die Vorstellung der Regierungsmehrheit nehmen muss. Mit der Übertragung des Vorschlagsrechtes an die gesamte Regierung oder etwa das Parlament werden derartige Tendenzen abgeschwächt. Unter Punkt 3.1.1 wurde zudem erläutert, dass das Vorschlagsrecht in einem engen Kontext mit der Wahlhürde zu sehen ist. Das Vorschlagsrecht sowie die Wahl des Präsidenten gehen jeweils als ein „Baustein“ in den Index ein. Dazu gehört ferner das Vorschlagsrecht sowie die Wahl bzw. Ernennung des Vizepräsidenten und der Mitglieder. Die beiden Letztgenannten zeigen leichte inhaltliche Abweichungen wie etwa das Vorschlagsrecht des Rechnungshofpräsidenten oder bestimmte Anhörungsrechte.72 Da derartige Anhörungsrechte in anderen Bundesländern keine Rolle spielen, werden sie für die weiteren Berechnungen nicht berücksichtigt. Grundsätzlich folgt die ordinale Wertbestimmung der Prämisse. Je mehr die Regierung und die mit ihr verbundene regierungstragende Mehrheit auf andere politische Akteure Rücksicht nehmen muss, desto unabhängiger ist der Rechnungshof. Die Verteilung der Geschäfte ist ein weiterer wichtiger Bestandteil zur Sicherung der Unabhängigkeit des Rechnungshofes. Hier spielen der gewähl71

72

Diese Annahme steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Personalie des Rechnungshofpräsidenten nicht zur „Verhandlungsmasse“ von Regierung und Opposition gehört. Diese Form der Ämterbesetzung wird in der vorliegenden Operationalisierung nicht berücksichtigt. So wird in Hamburg auch das Kollegium des Rechnungshofes für den Vorschlag des Vizepräsidenten gehört. Im Saarland wird zuvor die Landesregierung angehört, was allerdings nicht direkt als Sicherung der Rechnungshofunabhängigkeit verstanden werden sollte.

3.2 Der Unabhängigkeitsindex

97

te Rechnungshofpräsident und mögliche Bindungen seiner Handlungsfreiheit bei der Geschäftsverteilung eine zentrale Rolle. Schließlich könnte ein der regierungstragenden Mehrheit nahestehender Präsident ohne eine entsprechend kollegial ausgerichtete Geschäftsverteilung erheblichen Einfluss auf die Vergabe der Aufgaben ausüben. Damit sichern alle auf kollegialer Abstimmung basierenden Regelungen die Unabhängigkeit der Institution mehr als jene Regelungen, die eine Sonderstellung des Präsidenten stützen und diesen zum Teil weit reichende Vollmachten zusichern. So liegt eine Sicherung der Unabhängigkeit vor, wenn der Rechnungshofpräsident die Geschäfte nicht in vollständiger „Eigenregie“ verteilen kann. Muss der Präsident dagegen die Geschäfte im Einvernehmen mit den Mitgliedern verteilen, ist zumeist Einigkeit bzw. Einvernehmen über die Art und Weise zu erzielen, wodurch etwaige Beschränkungen der Unabhängigkeit eher ausgeschlossen werden.73 Die Indikatoren zur Beschlussfassung werden ebenfalls in den Index aufgenommen. Allerdings wird – ähnlich wie im Falle des Juristenquorums – nicht auf die formalrechtliche Ausgestaltung, sondern auf die empirisch ermittelten Gewichte der Präsidentenstimme zurückgegriffen. Dazu gehört auch die Beschlussfähigkeit, die in den Berechnungen teilweise implizit enthalten ist. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein hohes Anwesenheitsquorum zur Gewährleistung der Beschlussfähigkeit eher die Unabhängigkeit der Entscheidungen sichert. Zwar sind alle Mitglieder in ihren Entscheidungen unabhängig, weshalb in den Kollegialentscheidungen der Rechnungshöfe vor allem mit Argumenten überzeugt werden muss, doch ändert dies nichts daran, dass der Präsident in einigen Rechnungshöfen auf günstigere und in anderen Rechnungshöfen auf weniger günstige Konstellationen trifft, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Je weniger Mitglieder dabei am Entscheidungsprozess beteiligt sind, desto häufiger könnte die Situation der Stimmengleichheit bei vorausgesetzten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten und den Mitgliedern eintreten. Der letzte Bereich für die Rechnungshofunabhängigkeit betrachtet den Einfluss des Rechnungshofes auf die Feststellung des Haushaltes. Hierbei 73

Allerdings sei darauf hingewiesen, dass in vielen Rechnungshofgesetzen Regelungen enthalten sind, die den Mitgliedern Handlungsoptionen einräumen, sofern diese ihre Unabhängigkeit durch die Geschäftsverteilung gefährdet sehen oder sofern sie ihre eigentlichen Prüfungsaufgaben nicht mehr wahrnehmen können (Art. 11 RHG Bay., § 7 Abs. 1 RHG Ber., § 8 Abs. 3 LRHG Bbg., § 8 Abs. 2 RPG Brem., § 8 Abs. 1 RHG Ham., § 6 Abs. 3 RHG Hess., § 8 Abs. 3 LRHG Meckl.-V., § 11 LRHG Nds., § 6 Abs. 4 LRHG NW., §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 2 RHG Rhl.-Pf., § 9 Abs. 4 RHG Saarl., § 7 Abs. 3 RHG Sachs., § 7 Abs. 2 LHO Thür.).

98

3 Formale Unabhängigkeit

geht es um die Aufstellung und die Verabschiedung des Haushaltsplanes sowie um die Behandlung der Rechnungshöfe im Falle einer Haushaltssperre. Demnach sichern vor allem jene Regelungen die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe, die den Rechnungshof vor unbegründeten und willkürlichen Ressourcenbeschränkungen schützen. Dies geschieht dann, wenn über die Voranschläge des Haushaltsplanes Einvernehmen hergestellt werden muss, oder wenn das Parlament zeitnah unterrichtet wird, sobald die Regierung die Einzelpläne des Rechnungshofes ohne dessen Zustimmung verändert. Ähnliches gilt auch für die Haushaltssperre. Je schwieriger der direkte Zugriff der Exekutive auf die Haushaltsmittel des Rechnungshofes ist, desto höher ist die Unabhängigkeit der Institution. 3.2.2

Berechnung des Unabhängigkeitsindex

Der Unabhängigkeitsindex (UI) versucht die zuvor beschriebenen Eigenschaften entlang einer Dimension zusammenzufassen. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine relativ leicht verständliche Verdichtung der Einzelinformationen.74 Die bisher vorgestellte Argumentationslinie folgt dabei der Logik, dass den Eigenschaften zur Sicherung der Unabhängigkeit niedrige Werte und den Eigenschaften zu Beschränkung der Unabhängigkeit hohe Werte zugewiesen werden. Je höher also der Gesamtindexwert ist, desto abhängiger ist ein Rechnungshof. Jeder Merkmalsausprägung wird von Eins aufsteigend ein ordinaler Wert zugewiesen, wobei niedrige Werte eher Unabhängigkeit und höhere Werte eher Abhängigkeit signalisieren. Für die bessere Lesbarkeit und das bessere Verständnis werden die Rangwerte für jede Variable auf eine Skala von 0 bis 1 transformiert.75 Die Tabellen 3.13 und 3.14 beinhalten dazu alle Indikatoren und die dazugehörigen transformierten Scores.

74

75

Allerdings sind bei einer Indexbildung einige Aspekte zu berücksichtigen. Zu den allgemeinen Ansatzpunkten gehören beispielsweise die theoriegeleitete Vorgehensweise, das gewählte Aggregationsniveau, die Frage, ob alle Indikatoren tatsächlich entlang nur einer Dimension messen, die Gewichtung der einzelnen Variablen (etc.). Dementsprechend sollte die „Reduktion des Merkmalsraumes“ konkreten Regeln folgen (Schnell/Hill/Esser 1995: 160/161). xut −1 Die transformierten Werte errechnen sich aus der Bildungsvorschrift xt = k−1 , wobei xut den untransformierten Ordinalwert, xt den linear transformierten Ordinalwert und k die Anzahl der Merkmalsausprägungen wiedergibt.

0,86 0,71 0,29 0,29 0,43 0,43 0,00 0,14 0,29 0,00 0,86 0,57 0,29 0,57 0,14 1,00

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 0,00 1,00 0,50 0,50 1,00 1,00 1,00 0,00 0,00 0,00 0,00

Präsidentenwahl Hürde 1,00 0,00 0,67 0,00 0,00 0,67 0,67 0,67 0,67 0,00 1,00 0,33 1,00 0,67 0,67 0,67

Präsidentenwahl Vorschlag 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,67 0,67 0,67 0,67 0,00 1,00 0,33 0,00 0,00 0,67 0,67

VizepräsiVdenten wahl 0,00 0,00 0,00 1,00 1,00 1,00 0,00 0,00 1,00 1,00 0,00 1,00 0,00 1,00 1,00 1,00

Mitgliederwahl Vorschlag 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 1,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,50 0,00 0,00 0,00 0,00

Mitgliederwahl Vorschlag 0,00 0,00 0,50 0,50 0,50 0,00 0,00 0,00 0,00 0,50 0,50 1,00 0,00 0,00 0,50 0,00

Mitglieder wahl Anhörung

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Anmerkung: Angegeben sind die linear transformierten Ordinalwerte zu den einzelnen Rechnungshofeigenschafen.

JurisenJurisenquorum

Rechnungshof

Tab. 3.13: Parameter Unabhängigkeitsindex I

3.2 Der Unabhängigkeitsindex 99

0,00 0,00 1,00 1,00 1,00 0,00 0,00 0,00 0,25 0,00 0,75 0,00 0,00 0,00 0,00 0,50

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

0,40 0,00 0,40 0,40 1,00 0,60 0,20 0,80 0,40 0,40 0,40 0,80 0,40 0,80 0,80 0,80

Beschlussfassung Stimmgewicht I 0,67 0,00 0,67 0,67 1,00 0,67 0,33 1,00 0,67 0,33 0,67 0,67 0,67 1,00 1,00 1,00

Beschlussfassung Stimmgewicht II 0,33 1,00 0,00 0,33 0,33 0,33 0,67 0,67 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,67

Kleines Kollegium Mehrheit 0,00 0,50 0,00 1,00 1,00 1,00 0,50 1,00 1,00 0,50 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 0,50

Zusammensetzung kleines Kollegium 1,00 0,00 0,00 1,00 0,00 1,00 1,00 0,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 0,00 1,00

Haushaltsaufstellung 0,75 1,00 0,00 0,25 0,75 0,25 0,50 0,50 1,00 0,50 0,50 0,50 1,00 1,00 0,50 0,50

Haushaltssperre

Quelle: Rechnungshofgesetze (siehe Anhang) Anmerkung: Angegeben sind die linear transformierten Ordinalwerte zu den einzelnen Rechnungshofeigenschafen.

Geschäftsverteilung

Rechnungshof

Tab. 3.14: Parameter Unabhängigkeitsindex II

100 3 Formale Unabhängigkeit

3.2 Der Unabhängigkeitsindex

101

Bei den weiterführenden Zusammenfassungen zum Unabhängigkeitsindex ist zu beachten, dass es bestimmte, in eine ähnliche Richtung messende Eigenschaften gibt, die rechnerisch zusammengefasst werden sollten. Wenn beispielsweise einige Variablen zur Beschlussfassung aus vier oder die Variablen zum Wahlmodus aus sechs verschiedenen Indikatoren bestehen, dann bietet es sich an, schon vorab sinnvolle Zusammenfassungen vorzunehmen. Folglich werden alle Variablen, die sich inhaltlich sehr ähnlich sind, zu einzelnen Konstrukten zusammengefasst, um eine Übergewichtung aufgrund ihrer Häufigkeit zu vermeiden. Der Index setzt sich aus nachstehenden Indikatoren und Konstrukten zusammen: • Juristenquorum (IJQ ): für den Anteil an gesetzlich vorgeschriebenen Volljuristen • Wahlmodus I (IPW und IMW ): für die Präsidentenwahl sowie die Wahl bzw. Ernennung der Mitglieder • Wahlmodus II (IAPW , IAVPW und IAMW ): für den Agendasetzer bei der Präsidenten- und bei der Vizepräsidentenwahl sowie bei der Ernennung bzw. Wahl der Mitglieder • Wahlmodus III (IAzMW ): für die Anhörung zur Mitgliederwahl bzw. -ernennung • (IGV ): für die Geschäftsverteilung • Beschlussfassung I (ISGP1 und ISGP2 ): für die Stimmgewichte der Präsidentenstimme bei Anwesenheit aller Mitglieder sowie mindestens bei Erfüllung der Beschlussfähigkeit • Beschlussfassung II (IMK und IZK ): für die Mehrheit und die Zusammensetzung des kleinen Kollegiums bzw. Senats • (IHP und IHS ): Beschlussverfahren für die Aufstellung des Haushaltsplanes und die Betroffenheit von Haushaltssperren Die Zusammenfassung der einzelnen Indikatoren sollte der Bedeutung der einzelnen Variablen gerecht werden. Sie ergibt eine ausgewogene Bewertung des formalen Grades der Unabhängigkeit eines Rechnungshofes. Anhand dieser Überlegungen ergibt sich schließlich ein Gewichtungsmodell mit 14 Indikatorvariablen, die zu 8 verschiedenen inhaltlichen Konstrukten zusammengefasst werden. Die Bildung des Unabhängigkeitsindex (UI) ergibt sich aus dem weiter unten angeführten Rechenmodell.

102

3 Formale Unabhängigkeit

Der Unabhängigkeitsindex errechnet sich schließlich aus den linear transformierten Ordinalscores, die nach der Aggregation erneut auf einer Skala von 0 bis 1 abgebildet werden, wobei der Wert 0 den unabhängigsten und der Wert 1 den abhängigsten Rechnungshof kennzeichnet. Auf diese Weise können die einzelnen Scores auch ohne Darstellungen und zusätzliche Erläuterungen gut verortet werden. Bei den untransformierten Werten wären solche Feststellungen nicht ohne Weiteres zu treffen. Hier müssten immer wieder die absoluten Ober- und Untergrenzen des Intervalls angegeben werden. Darüber hinaus wird durch diese Transformation der Einfluss von Extremwerten abgemildert sowie die relative Position der einzelnen Fälle zueinander deutlicher hervorgehoben (Brusis 2009: 88). Vergleichbare Transformationen werden auch bei anderen Indizes – wie etwa dem Bertelsmann Transformation Index (BTI) oder den Sustainable Governance Indicators (SGI) – angewandt (vgl. Bertelsmann 2009 und Bertelsmann 2008).

UI

= + + + + +

   1 1 IJQ + IP W + IM W 8 2   1 IAP W + IAV P W + IAM W 3 IAzM W + IGV   1 ISGP1 + ISGP2 2   1 IM K + IZK 2   IHP + IHS

Abbildung 3.1 zeigt die Ergebnisse der Aggregation der einzelnen transformierten Ordinalwerte. Innerhalb der Balken befinden sich dabei die aggregierten Rangwerte und außerhalb stehen die transformierten Werte für den Unabhängigkeitsindex. Auffällig ist, dass die Rechnungshöfe trotz der unterschiedlichen institutionellen Ausgestaltung zum Teil sehr ähnliche Indexwerte erhalten. Dies lässt sich durch die Kombination der Merkmale begründen, die teilweise die Unabhängigkeit des Rechnungshofes absichern, die aber teilweise auch Einflussnahmen durch die Politik zulassen.

3.2 Der Unabhängigkeitsindex

103

Abb. 3.1: Grad der Unabhängigkeit nach UI %D\HUQ



+HVVHQ



 

6DFKVHQ





J S 0HFNOHQEXUJ9RUSRPPHUQ

 

 

1RUGUKHLQ:HVWIDOHQ





%HUOLQ

 

 

%DGHQ:UWWHPEHUJ





 

6FKOHVZLJ+ROVWHLQ J +DPEXUJ

 



6DFKVHQ$QKDOW 6DFKVHQ $QKDOW



1LHGHUVDFKVHQ



 

%UDQGHQEXUJ

  

7KULQJHQ



%UHPHQ

   

  

6DDUODQG

  



5KHLQODQG 3IDO] 5KHLQODQG3IDO]



   



   



Quelle: eigene Berechnungen

3.2.3

Alternative Indexmodelle

Bevor die Indexwerte jedoch in inhaltlich weiterführenden Untersuchungen verwendet werden, sollte eine Gegenüberstellung mit anderen alternativen Berechnungsmodellen erfolgen. Dabei geht es weniger um Gewichtungsmodelle als vielmehr um die Ermittlung der einzelnen Ordinalscores. Auch hier können unterschiedliche Methoden stark voneinander abweichende Ergebnisse hervorbringen. Durch die Gegenüberstellung der Ergebnisse aus diesen verschiedenen Ansätzen lässt sich letztendlich feststellen, wie robust die Ergebnisse sind (Brusis 2009: 88). In Tabelle 3.15 sind dabei die Ergebnisse zu vier weiteren Transformationsverfahren dargestellt. Überprüft werden dabei Ränge mit Mittelwert-

104

3 Formale Unabhängigkeit

bindung76 , anteilige Ordinalscores77 , z-transformierte Ordinalscores78 und normalisierte Ordinalscores79 . Dabei ist für jeden Rechnungshof nach der jeweiligen Methode der Rangwert sowie der auf 0 und 1 transformierte Indexwert wiedergegeben. Insgesamt zeigen die verschiedenen Berechnungen nur für drei Fälle nennenswerte Abweichungen zu den anderen Methoden. Dabei handelt es sich um die Rechnungshöfe aus Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Alle Fälle weichen in mindestens drei alternativen Verfahren um +/- 2 oder mehr Rangplätze ab.80 Für alle anderen Fälle bleiben die Ergebnisse auch bei unterschiedlichen Methoden zur Rangwertermittlung nahezu konstant. Bei der Gegenüberstellung ist ferner zu berücksichtigen, dass für die anteiligen und die normalisierten Ordinalscores die Annahme der Normalverteilung gilt. Allerdings entsprechen die vorliegenden Daten keinesfalls diesen Grundannahmen, weshalb diese Transformationen keine weitere Anwendung finden.

76 77 78 79

80

Berechnung des arithmetischen Mittels aus den Rangwerten einer Platzierung. Die relative Rangfolge wird durch die Division des Rangplatzes (mit Mittelwertbindung) mit der Anzahl der Fälle errechnet. Die einzelnen Rangwerte werden so transformiert, dass sich eine Verteilung mit einem Mittelwert von 0 und einer Standardabweichung von 1 ergibt. Berechnung der z-Werte aus den kumulativen Anteilen der Rangwerte unter Berücksichtigung der Anzahl der Fälle und unter der Annahme der Normalverteilung (gemäß Bloom-Methode). Größere Rangwertdifferenzen als +/- 1 zu den Normalrangwerten zeigen sich vereinzelt für die Rechnungshöfe aus Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen und Thüringen.

1

7 3 5 12 15 8 1 6 10 2 16 14 4 11 9 13

0,39 0,17 0,25 0,65 0,99 0,41 0,00 0,28 0,56 0,14 1,00 0,92 0,22 0,62 0,46 0,89

Ränge mit Mittelwertbindung Rang Score 10 6 8 12 14 7 1 4 9 2 16 13 3 11 5 15

Rang 0,53 0,31 0,37 0,57 0,87 0,36 0,00 0,26 0,43 0,01 1,00 0,70 0,23 0,54 0,30 0,94

Score

Vergabe von Ordinalscores

Quelle: eigene Berechnungen Scores auf Werte zwischen 0 und 1 transformiert.

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Rechnungshof

7 1 6 12 14 9 2 4 11 5 16 15 3 10 8 13

0,29 0,00 0,21 0,78 0,91 0,42 0,03 0,13 0,53 0,21 1,00 0,96 0,13 0,51 0,34 0,80

lin. transformierte Ordinalscores Rang Score 7 3 5 12 15 8 1 6 10 2 16 14 4 11 9 13

Rang 0,39 0,17 0,25 0,65 0,99 0,41 0,00 0,28 0,56 0,14 1,00 0,92 0,22 0,62 0,46 0,89

Score

anteilige Ordinalscores

7 2 4 12 14 9 1 6 10 3 16 15 5 11 8 13

0,32 0,09 0,16 0,67 0,92 0,44 0,00 0,24 0,48 0,13 1,00 1,00 0,17 0,55 0,41 0,86

z-transformierte Ordinalscores Rang Score

Tab. 3.15: Rang- und Scorevergleiche für den Unabhängigkeitsindex1

7 3 4 12 15 8 1 6 10 2 16 14 5 11 9 13

Rang

0,42 0,18 0,21 0,66 0,99 0,44 0,00 0,32 0,57 0,13 1,00 0,96 0,28 0,61 0,46 0,93

Score

normalisierte Ordinalscores

3.2 Der Unabhängigkeitsindex 105

106

3 Formale Unabhängigkeit

Eine zusammenfassende Auswertung zu den einzelnen Rangwerten und Scores ist in Tabelle 3.16 dargestellt. Hier sind die Korrelationskoeffizienten zwischen den verschiedenen Methoden der Rangwertbildung dargestellt. Fast alle Koeffizienten liegen über dem Wert von r = 0,90, was ein Anhaltspunkt für die große Ähnlichkeit unter den Rangfolgen und Scorewerten ist.81 Die Abweichungen zwischen den einzelnen Methoden zur Bildung von Rangtypen fallen damit sehr gering aus.

Tab. 3.16: Zusammenhänge zwischen den Indexmodellen normalisierte sierte

z-transformierte formierte

anteilig

lin. transformierte formierte

einfach

Mittelwertbindung

0,991

0,997 0,988

0,953 0,971 0,962

0,903 0,894 0,918 0,891

0,997 0,988 1,000 0,962 0,918

normalisiert z-transf. anteilig lin. transf. einfach

Quelle: eigene Berechnungen

Somit gibt es nach dieser Überprüfung aus methodischer Sicht keine wesentlichen Einwände gegen die Verwendung der anfangs festgelegten linear transformierten Rangwerte. Zwar zeigen sich an der einen oder anderen Stelle Unterschiede zwischen den Rangplatzierungen der einzelnen Rechnungshöfe. Diese dürften jedoch kaum nennenswerten Einfluss auf die nachstehenden Untersuchungen haben. Für alle folgenden Berechnungen wird daher der Unabhängigkeitsindex mit den linear transformierten Werten verwendet. 3.3

Zusammenfassung

Das dritte Kapitel setzt sich aus zwei großen Abschnitten zusammen. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Messung von Unabhängigkeit, die im Gegensatz zur rechtswissenschaftlichen Herangehensweise als Kontinuum verstanden wird und sich an den theoretischen Vorgaben aus dem zweiten Kapitel 81

Die Rangkorrelationen wurden ebenfalls berechnet, da aber nach der Indexbildung jeder Fall seinen eigenen Rangplatz erhält und alle Scores unterschiedlich sind, weisen Spearmans-rho und Pearsons-r identische Werte aus.

3.3 Zusammenfassung

107

orientiert. Der erste Abschnitt diskutiert die einzelnen formalen Indikatoren, die dann anhand ihrer Merkmalsausprägungen im zweiten Abschnitt zu einem Unabhängigkeitsindex zusammengefasst werden. Die Auswahl bezieht sich auf folgende Indikatoren: • Wahl bzw. Ernennung von Präsidenten, Vizepräsidenten und Mitgliedern unter Berücksichtigung von Wahlhürde und Vorschlagsrecht – je höher die Wahlhürde, desto höher der Grad der Unabhängigkeit – je stärker das Vorschlagsrecht der Exekutive entzogen ist, desto höher der Grad der Unabhängigkeit • Verteilung der Geschäfte im Rechnungshof – je stärker die Geschäftsverteilung an kollegialen Gesichtspunkten ausgerichtet ist, desto höher der Grad der Unabhängigkeit • Dokumentation der Beschlussfähigkeit sowie des Modus der Beschlussfassung – je höher die Anforderungen an die Beschlussfähigkeit, desto höher der Grad der Unabhängigkeit – je kollegialer der Modus der Beschlussfassung, desto höher der Grad der Unabhängigkeit • Dienstsitz (nicht in den Index aufgenommen) • Einfluss auf Haushaltsplan und Haushaltssperre – je größer die Mitbestimmung bei Haushaltsplan und Haushaltssperre, desto höher der Grad der Unabhängigkeit • Mindestquote der Volljuristen unter den Rechnungshofmitgliedern – je geringer die Quote an Volljuristen, desto höher der Grad der (operationellen) Unabhängigkeit Der Unabhängigkeitsindex errechnet sich schließlich aus einer gewichteten additiven Bildungsvorschrift, die in einer weiterführenden Betrachtung einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Folgende Argumente sind dabei besonders hervorzuheben: • In der ersten Indexversion kommen linear transformierte Ordinalscores zur Anwendung.

108

3 Formale Unabhängigkeit

• Die einzelnen Variablen sind in inhaltliche Konstrukte eingebunden und erhalten ihr Gewicht entsprechend der Anzahl aller Indikatoren in einem Konstrukt (Gleichgewichtung). • Der Unabhängigkeitsindex wird auf einem Intervall von 0 (hohe Unabhängigkeit) bis 1 (niedrige Unabhängigkeit) dargestellt (für die Landesrechnungshöfe handelt es sich dabei im internationalen Kontext um Unabhängigkeit auf hohem Niveau). • Die alternativen Indexmodelle zeigen in den transformierten ordinalen Scorewerten sowie bei den zugehörigen Rangplatzierungen marginale Abweichungen. • Die eingangs vorgestellten linear transformierten Ordinalscores finden für alle weiteren Berechnungen Anwendung.

4

Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Die Ressourcenausstattung eines Rechnungshofes gilt als maßgeblich für die erfolgreiche Durchführung der Prüfungstätigkeit. Allerdings sind diese Quellen – und hier insbesondere der Faktor Zeit – nur begrenzt verfügbar (Brown/Gallagher/Williams 1982: 107). Dementsprechend wirkt die Endlichkeit von Ressourcen vor allem im Sinne einer faktischen Beschränkung der Lückenlosigkeit von Rechnungshofkontrollen. Dies bedeutet, dass eine umfassende Wahrnehmung des Prüfungsauftrages nicht möglich ist. So verwundert es kaum, wenn von Mutius (1982) den Prüfungsansatz der Rechnungshöfe nur als „punktuell und selektiv“ beschreibt (von Mutius 1982: 31 und Krebs 1984: 217).82 Es wäre allerdings fatal, vom Prüfungsauftrag direkte Rückschlüsse auf die notwendige Ressourcenausstattung der Landesrechnungshöfe zu ziehen. Schließlich handelt es sich bei der „umfassenden Prüfung“ um eine „Kannbestimmung“, die in jüngerer Vergangenheit dazu geführt hat, dass der Rechnungshof und die anderen Staatsorgane eher miteinander als gegeneinander agierten (Nümann-Seidewinkel 1998: 69). Wie allerdings sieht die Verteilung wichtiger Ressourcen über die Landesrechnungshöfe hinweg aus, und lassen sich bestimmte Muster bei der Verteilung von Ressourcen erkennen? Um diese Fragen hinreichend zu beantworten, wird ein Reihe betriebswirtschaftlicher Daten ausgewertet. Diese Daten dienen der Beschreibung der zur Verfügung stehenden Ressourcen und sind den Haushalts- und Stellenplänen der Rechnungshöfe entnommenen.83 Dazu gehören der Gesamthaushalt des Rechnungshofes, das Personal 82

83

Die Konzeption einer umfassenden Finanzkontrolle ist nicht unumstritten. Beispielsweise wird die fehlende Legitimation der Rechnungshöfe als Argument gegen umfassende Prüfungsrechte angebracht (Sauer/Blasius 1985: 552). Der Haushalt gliedert sich im Allgemeinen in Einzelpläne, die sich wiederum in Kapitel und Titel untergliedern. Nachfolgend wird immer wieder mit dieser Haushaltssystematik gearbeitet.

M. Seyfried, Unabhängigkeit und Wirksamkeit von Landesrechnungshöfen, DOI 10.1007/978-3-531-92799-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

110

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

sowie die Personalkosten, die Ausgaben für Weiterbildungen und schließlich die Kosten für die Hinzuziehung von Sachverständigen. Die Erstgenannten sind für den Erhalt der Unabhängigkeit des Rechnungshofes und für dessen Betrieb weitgehend unerlässlich. In welchem Kontext aber Weiterbildungen und externer Sachverstand mit der Unabhängigkeit stehen, ist noch erläuterungsbedürftig. Beide Kenngrößen geben an, wie viele finanzielle Mittel der Rechnungshof aufbringt, um seine fachlichen Kompetenzen gegenüber dem Informationsmonopol der Verwaltung zu stärken. Wenn es für die einzelnen Prüfgebiete Experten oder gut aus- und weitergebildete Mitarbeiter gibt, kann der Rechnungshof die richtigen Fragen stellen und stützt damit seine eigene Unabhängigkeit. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass konkrete Eingriffe in die materielle und personelle Ausstattung der Rechnungshöfe vorgenommen werden, um die Kontrollinstitution auf Distanz zu halten und die bestehenden Asymmetrien zu verstärken. 4.1

Datenbasis

Die Daten zu den einzelnen Variablen sind den Titeln der Landeshaushaltspläne von 1993-2008 entnommen. Es handelt sich ausschließlich um Plandaten (sog. „Soll“ 84 ), die sich als mögliche Zahlungsobergrenze für einen bestimmten Titel interpretieren lassen. Querfinanzierungen unter einzelnen deckungsgleichen Titeln sind nicht ausgeschlossen und werden auch praktiziert. Die intensive Beschäftigung mit den Haushaltsplänen der Rechnungshöfe legt allerdings auch eine genauere Erläuterung der gesamten Datenbasis nahe, da gerade die schlechte Vergleichbarkeit von Landeshaushaltsdaten ein allgemein bekanntes Problem ist (Heller 2007: 1). Es wird daher versucht, die Daten bei der Erhebung so stark wie möglich zu disaggregieren, um sie anschließend unter einer einheitlich gewählten Definition zusammenzufassen, um sie so zu transformieren, dass die unterschiedlichen Haushaltsstrukturen keine nennenswerte Rolle bei der Dokumentation spielen (z. B. durch Standardisierung oder Quotenbildung). Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Weiterbildungskosten untereinander vergleichbar 84

Die Ist-Werte zu den entsprechenden Daten wurden stichprobenartig erhoben. Sie sind für einige Rechnungshöfe kaum oder nur sehr lückenhaft vorhanden, da die eingeplanten Ausgaben nicht anfielen, da die Haushaltsrechnungen bestimmte Daten nur in aggregierter Form ausweisen. Eine analytische Betrachtung dieser Daten oder ein Soll-Ist-Vergleich kam daher nicht in Betracht.

4.1 Datenbasis

111

sind. Schlecht vergleichbare Daten hätten vor allem negative Auswirkungen auf die inhaltliche Reichweite der Kernaussagen dieser Arbeit. Allgemein betrachtet, gliedern sich die Einzelpläne der Landesrechnungshöfe in zwei bis drei, höchstens aber sechs, wie im Fall des Sächsischen Landesrechnungshofes85 , Ausgabenkapitel. Dazu gehören die Ausgaben des Landesrechnungshofes aus Kapitel 01 des Einzelplans und gegebenenfalls das Kapitel 02 für die sogenannten „allgemeinen Bewilligungen“.86 Beispielsweise ist dieses Kapitel in den Einzelplänen der Landesrechnungshöfe von Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen aufgeführt. Darüber hinaus kommt fallweise ein Kapitel 03 für die staatlichen Rechnungsprüfungsämter hinzu. Die Rechnungshöfe der Länder Baden Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben zur Unterstützung der Kontrolltätigkeit staatliche Rechnungsprüfungsämter. Die Rechnungshöfe von Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen arbeiten auch gegenwärtig mit staatlichen Rechnungsprüfungsämtern. Dagegen wurden die staatlichen Rechnungsprüfungsämter der Rechnungshöfe von Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt im Verlaufe der Zeit abgeschafft bzw. in Außenstellen umgewandelt (siehe Tabelle 4.1). Problematisch im methodischen Sinne der Datenerhebung sind somit vor allem die Fälle, bei denen sich die Organisation während des Untersuchungszeitraums stark geändert hat, und bei denen sich infolgedessen Verschiebungen zwischen den Kapiteln des Einzelplanes ergaben. Eine reine Betrachtung der Haushaltsdaten ohne die Berücksichtigung dieser Veränderungsprozesse hätte fatale Auswirkungen auf die inhaltliche Aussagekraft der Daten. Wenn beispielsweise für den Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz das Kapitel 03 in Kapitel 01 umgesetzt wird (nach 2001), dann sind wichtige Ausgabeposten der Staatlichen Rechnungsprüfungsämter nicht mehr ohne Weiteres von den ursprünglichen Ausgaben des Kapitels 01, vor 2001, zu trennen. Dies bedeutet umschrieben, dass das Kapitel 01 des Landesrechnungshofes Rheinland Pfalz aus dem Jahre 2001 85

86

Der Haushaltsplan des Sächsischen Landesrechnungshofes umfasste bis 2004 insgesamt 6 Kapitel. Nach der Umwandlung der staatlichen Rechnungsprüfungsämter in Außenstellen des Rechnungshofes im selben Jahr reduzierte sich die Anzahl der Kapitel auf fünf (siehe auch Tabelle 4.1). Bei den Kapitelangaben handelt es sich um die regelmäßig verwendeten Bezeichnungen. Eventuelle Abweichungen oder Sonderfälle sind in Tabelle 4.1 gesondert dokumentiert.

112

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

nicht ohne Weiteres mit dem Kapitel 01 des Jahres 2002 verglichen werden darf. Um also die Haushaltsangaben aller Rechnungshöfe im Zeitverlauf und untereinander vergleichen zu können und um inhaltliche Inkonsistenzen zu vermeiden, ist immer das höchste Aggregationsniveau, also Zusammenfassung der Einzelpläne bzw. Zusammenfassung der Titel über die Einzelpläne hinweg, anzustreben.87 Schließlich lässt sich eine breit angelegte Datenbasis jederzeit disaggregieren, wenn die Datenpunkte konkret definiert und dokumentiert sind, vorausgesetzt, die Angaben sind widerspruchsfrei. Eine von vornherein zu restriktiv angelegte Datenbasis wird dagegen nur wenige Möglichkeiten bieten, aus eventuell zu eng gefassten Definitionen auszubrechen. Um also sicherzugehen, dass alle entsprechenden Haushaltskapitel für die einzelnen Landesrechnungshöfe ausreichend dokumentiert sind, werden die untersuchungsrelevanten Kapitel für den Landesrechnungshof, für die allgemeinen Bewilligungen und für die staatlichen Rechnungsprüfungsämter zur Ermittlung des Rechnungshof-Gesamthaushalts zusammengerechnet. Diese Aggregation wird für die oben genannten Landesrechnungshöfe durchgeführt und findet für alle betriebswirtschaftlichen Variablen (Personal, Weiterbildung und Sachverständigenkosten) konsequente Anwendung.

87

Diese Form der Aggregation erscheint auf den ersten Blick wenig wünschenswert, da viele Detailinformationen durch die Zusammenfassung der Daten verloren gehen. Sie erweist sich jedoch aufgrund der zahlreichen organisatorischen Veränderungen als unvermeidlich und ist die einzige effektive Methode, mögliche Inkonsistenzen in den Daten zu vermeiden. Die bloße Betrachtung des Kapitels 01 der entsprechenden Einzelpläne hätte spätestens bei der Umwandlung der staatlichen Rechnungsprüfungsämter in Außenstellen des Rechnungshofes oder bei der Aufnahme eines neuen Kapitels zu erheblichen Definitions- und Messproblemen geführt.

4.1 Datenbasis

113

Tab. 4.1: Haushaltspläne der Rechnungshöfe Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Einzelplan des Rechnungshofes (Kapitel 01) 11 11 20 13 02 11 11 02 14 13 02 19 11 16 02 11

Allgemeine Bewilligungen (Kapitel 02) Ja Ja Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja (seit 2000) Ja (seit 2000) Nein Ja Nein Nein Nein

Rechnungsprüfungsämter (i.d.R. Kapitel 03) Ja (seit 1995)1 Ja Nein Ja (bis 2004)2 Nein Nein Ja (1996-2001)3 Nein Ja (1999-2004)4 Ja (1995-dato)5 Ja (bis 2001)6 Nein Ja (bis 2004)7 Ja (bis 2004)8 Nein Ja

Quelle: Haushaltspläne der Landesrechnungshöfe 1993-2008 Der Ministerrat hat am 30. Mai 1994 die Neuordnung der Finanzkontrolle beschlossen. Die Vorprüfstellen wurden aufgelöst. An ihrer Stelle wurden dem Rechnungshof vier unmittelbar nachgeordnete staatliche Rechnungsprüfungsämter unterstellt. Die neu eingerichteten Kapitel 11 02 und 11 03 wurden übertragen (Haushaltsplan 1995/1996: Einzelplan 11, S.3). 2 Die Einnahmen und Ausgaben wurden von 13 03 nach 13 01 umgesetzt (siehe Haushaltsplan 2005/2006: Einzelplan 13, S.31ff.). 3 Durch das Gesetz zur Neuordnung der Finanzkontrolle vom 19.12.1995 wurden die staatlichen Rechnungsprüfungsämter aufgelöst und als dem Rechnungshof nachgeordnete Behörden errichtet (Haushaltsplan 1996: Einzelplan 11, S.2). 4 Durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 12.12.2003 wurde die bestehende Verordnung über die Zahl und den Sitz der staatlichen Rechnungsprüfungsämter vom 08.11.2002 mit Ablauf des 31.12.2003 aufgehoben. Am 01.01.2004 errichtet der Landesrechnungshof am Sitz der ehemaligen staatlichen Rechnungsprüfungsämter in Braunschweig, Hannover, Lüneburg und Oldenburg Außenstellen (Haushaltsplan des Landes Niedersachsen 2005: Einzelplan 11, S.3). 5 Mit dem 01.01.1995 wurden dem Rechnungshof sechs nachgeordnete staatliche Rechnungsprüfungsämter errichtet (Haushaltsplan des Landes Nordrhein-Westfalen 1995: Band XIII, S.2). 6 Durch Organisationsverfügung des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz wurden die staatlichen Rechnungsprüfungsämter in Außenstellen des Rechnungshofes umgewandelt (Haushaltsplan 2002/2003: Einzelplan 10, S.23). 7 Die bisherigen drei staatlichen Rechnungsprüfungsämter (Land) – Chemnitz, Dresden, Leipzig – wurden in Außenstellen des Rechnungshofes umgewandelt (Haushaltsplan 2005/2006: Einzelplan 11, S.37). 8 Mit der am 20.10.2003 beschlossenen Neuordnung der Finanzkontrolle wurden die staatlichen Rechnungsprüfungsämter Magdeburg und Halle aufgelöst (Haushaltsplan des Landes Sachsen-Anhalt 2005/2006: Einzelplan 16, S.3). 1

114

4.2

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Überblick zum Datenmaterial

In diesem Abschnitt geht es in erster Linie um eine Beschreibung der Daten mit Lagemaßen, insbesondere mit Mittelwerten. Tabelle 4.2 gibt einen Überblick zu den gemittelten Absolutwerten der erhobenen Daten über die Landesrechnungshöfe hinweg. Von besonderem Interesse sind dabei der Gesamthaushalt des Rechnungshofes (in Mio. Euro), die Personalkosten für die planmäßigen Beamten und Richter (in Mio. Euro), das Rechnungshofpersonal (ohne Angestellte und Arbeiter) und dessen Aufschlüsselung nach Laufbahngruppen sowie die Weiterbildungs- und Sachverständigenkosten. Tiefer gehende Erläuterungen zu den einzelnen Daten und warum diese unter Berücksichtigung der Rechnungshofunabhängigkeit überhaupt von Belang sein könnten, werden in den folgenden Unterpunkten ausgeführt. Für alle Daten sind jeweils die Mittelwerte für die Zeitspanne von 1993-2008 ausgewiesen. Aus den Zahlen in Tabelle 4.2 geht hervor, dass die Rechnungshöfe großer Bundesländer den Absolutwerten auch entsprechend große Budgets besitzen. Demnach erhält der nordrhein-westfälische Rechnungshof mit durchschnittlich 30,6 Mio. Euro die größten Finanzzuweisungen, dicht gefolgt vom Bayerischen Obersten Rechnungshof mit 24,9 Mio. Euro. Deutlich dahinter, immer noch am oberen Ende der Skala, liegt der Berliner Rechnungshof mit 18,7 Mio. Euro. Dann schließt sich ein großes „Mittelfeld“ an. Das Schlusslicht bilden die Rechnungshöfe aus Bremen und dem Saarland. Für die Personalausgaben der Rechnungshöfe gestaltet sich das Bild recht ähnlich, da die Personalausgaben (auch ohne die Kosten für Angestellte und Arbeiter) einer der größten Ausgabenblöcke aus den Haushaltsplänen der Rechnungshöfe sind. Etwas anders ist die Situation bei der Betrachtung des zur Verfügung stehenden Prüfpersonals. Hier spielen auch strukturelle Aspekte eine wichtige Rolle. So müssen annähernd gleiche Mittelzuweisungen nicht zwangsläufig zu einem identischen Personalbestand führen, wie sich etwa an den Rechnungshöfen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt oder vom Saarland und von Bremen zeigt. Das Verhältnis des Personals aus dem höheren Dienst zu dem Personal aus dem gehobenen Dienst kann dabei sehr stark variieren. Überdies fällt auf, dass in allen Landesrechnungshöfen kaum Personal des mittleren und einfachen Dienstes anzutreffen ist.

14,173 24,908 18,728 8,781 3,492 10,922 14,724 5,154 9,701 30,600 15,463 2,512 11,768 8,830 6,453 8,016

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

9,264 12,388 10,965 5,896 1,919 8,360 7,774 3,377 8,018 17,040 7,413 1,786 9,446 5,742 4,358 5,440

Personalkosten in Mio. Euro 63 95 63 42 22 59 64 32 46 113 55 17 56 49 34 44

hD 140 157 175 124 15 56 111 45 103 238 88 21 158 115 47 121

ghD 5 16 2 10 1 5 2 2 1 14 0 0 3 5 5 1

mD 0 13 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

eD

Rechnungshofpersonal

Σ 208 281 240 177 38 120 179 78 149 365 143 38 217 169 86 166

Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe 1993-2008

Haushalt in Mio. Euro

Rechnungshof

18,2 41,9 8,6 34,7 13,1 14,4 78,0 16,9 31,4 73,7 20,8 3,2 71,4 35,4 27,5 52,5

Weiterbildung in Tsd. Euro

Tab. 4.2: Betriebswirtschaftliche Daten 1993-2008

6,5 10,9 72,9 12,8 8,2 12,2 171,4 34,3 21,2 18,7 26,1 0,5 29,1 7,2 117,0 64,2

Sachverständige in Tsd. Euro

4.2 Überblick zum Datenmaterial 115

116

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Im Falle der Weiterbildungs- und der Sachverständigenkosten gestaltet sich die Ausgabenstruktur ebenfalls sehr unterschiedlich, da hier im Gegensatz zu den Personalkosten kein Zusammenhang zum Gesamtbudget hergestellt werden kann.88 Rechnungshöfe mit einem vergleichsweise hohen Gesamtetat müssen nicht zwangsläufig auch viel für die Weiterbildung der Mitarbeiter oder gar für die Heranziehung von externem Sachverstand ausgeben, auch wenn der nordrhein-westfälische Rechnungshof hier zu jenen Kontrollinstitutionen gehört, die am meisten Finanzmittel für die Aus-und Fortbildung der Mitarbeiter veranschlagen. In dieser Gruppe befinden sich auch Hessen und Sachsen, wobei das Land Hessen mit seinen intensiven Bemühungen im Bereich des „New Public Management“ eine Sonderstellung als Vorreiter einnimmt (Harms 1999; 176/178; 2002: 54f. und 57 sowie Jakobs-Woltering 1996: 33). Mit den geringsten Kosten planen, bedingt durch die absolute Größe, der Saarländische Rechnungshof und der Rechnungshof Bremen. Für die Sachverständigenkosten ändert sich das Bild. Hier liegt nach Absolutwerten der Hessische Landesrechnungshof an der Spitze, dem sich der Rechnungshof aus Schleswig-Holstein anschließt. Er weist die zweithöchsten geplanten Sachverständigenkosten aus. Mit einigem Abstand folgt der Berliner Rechnungshof. Das Schlusslicht ist erneut der saarländische Rechnungshof. Auffällig ist bei diesem Ausgabentitel die besonders große Spannweite zwischen dem höchsten und dem geringsten Ausgabewert. Wie bereits angedeutet, kann die Darstellung aus Tabelle 4.2 hier nur dazu dienen, einen Gesamtüberblick zu erhalten und ein Gespür für die absolute Höhe der erhobenen Daten zu entwickeln. Tiefer gehende Rückschlüsse können aus diesen Daten nicht gezogen werden, da sie ohne entsprechende Umformungen ein „Zerrbild der Wirklichkeit“ wiedergeben. So bedeutet beispielsweise eine nach Absolutwerten geringe Finanzausstattung wie etwa im Falle der Rechnungshöfe aus Saarland oder Bremen nicht zwangsläufig eine schlechtere Ressourcenausstattung gegenüber anderen Rechnungshöfen. Eine einfache Antwort liefert hier die Zuhilfenahme von Relativzahlen. Werden also adäquate Relationen unter den verschiedenen Haushaltsdaten hergestellt, lassen sich ungleich mehr Schlussfolgerungen für den direkten Vergleich von Rechnungshöfen ablei88

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich im Fall dieses Ausgabentitels keine eindeutige Mittelzuweisung bestimmen lässt. Es bleibt weitgehend verborgen, für welche Aufgaben die Gelder verwendet werden. Kriterium für die Erhebung dieser Ausgabenart war daher die Festschreibung in einem identischen Haushaltstitel, wobei ärztliche Gutachten oder Weiterbildungen im IT-Bereich nicht berücksichtigt werden.

4.2 Überblick zum Datenmaterial

117

ten. Dies ermöglicht letztendlich auch inhaltliche Erkenntnisse. Dazu werden die einzelnen, in Tabelle 4.2 dargestellten Daten in ihrer Bedeutung für die Landesrechnungshöfe nochmals genauer erläutert. 4.2.1

Der Gesamthaushalt

Der Haushalt des Rechnungshofes gibt die Höhe der verfügbaren Mittel wieder und führt gleichzeitig die Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen vor Augen (Eggeling 1986: 43; Krebs 1984: 209). Insofern besitzt der Haushalt auch für die Unabhängigkeit zentrale Bedeutung. Immerhin besteht eine materielle Abhängigkeit von den Bewilligungen des Parlamentes bzw. der regierungstragenden Mehrheit. Der Rechnungshofpräsident hat zwar Möglichkeiten, auf die Haushaltsplanung einzuwirken (siehe Punkt 3.1.5). Doch einer politisch intendierten Kürzung der Finanzmittel steht er machtlos gegenüber. So wird in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen, dass Kürzungen bei den materiellen Ressourcen zu einer spürbaren Einschränkung der Unabhängigkeit des Rechnungshofs führen können (Gutman 1993: 295). Allerdings ist diese Betrachtungsweise nicht unumstritten. Zwar sind gewisse materielle Zwänge nicht von der Hand zu weisen, dennoch sollte auch der Rechnungshof immer abwägen, welche Aufgaben verzichtbar sind und wie bestimmte Standards realisiert werden können, um die eigene Arbeitsweise zu rationalisieren (Dieckmann 1992: 895). Zunächst stellt sich die Frage, wie die Gesamthaushalte der Rechnungshöfe in vergleichender Perspektive zu bewerten sind. Gibt es Fälle, die finanziell besonders „kurz“ gehalten werden oder die geradezu „üppig“ mit Finanzmitteln ausgestattet sind? Eine Antwort auf diese Fragen ist nur unter Berücksichtigung von adäquaten Bezugsgrößen zu liefern. Hierbei wird auf die bereinigten Gesamtausgaben der Bundesländer89 zurückgegriffen. Der Anteil des Rechnungshofetats an den bereinigten Ausgaben der Länder wird in der unüblichen Einheit Promille (%) angegeben, da sich die Haushalte der Rechnungshöfe im ein- bzw. zweistelligen Millionenbereich bewegen, die bereinigten Ausgaben der Länder jedoch im ein- und zweistelligen Milliardenbereich liegen. 89

Die Ausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände sind nicht berücksichtigt. Im Gegensatz zu den Rechnungshofdaten wird hier auf „Ist-Werte“ zurückgegriffen, da die Länder in der Regel höhere Ausgaben haben als geplant, was zu einer anteiligen Überbewertung des Rechnungshofetats führen würde.

118

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Die anteilige Darstellung unter Berücksichtigung der Gesamtausgaben der Länder in Abbildung 4.1 zeigt gegenüber Tabelle 4.2 noch einmal eine grundlegend andere Reihenfolge. Erstaunlicherweise sind in dieser Darstellung nun der Rechnungshof Niedersachsen und der Rechnungshof BadenWürttemberg mit 0,45 % bzw. 0,46 % sowie mit etwas Abstand (0,64 %) der Rechnungshof Nordrhein-Westfalen die „Schlusslichter“. Anschließend folgt eine Reihe von Landesrechnungshöfen, die sich mit ihrer geplanten Finanzausstattung anteilsmäßig zwischen 0,72 % und 0,89 % bewegen. Daran anschließend zeigen sich die anteilsmäßig mit Abstand am besten ausgestatteten Rechnungshöfe. Diese kommen entsprechend der vorliegenden Betrachtung aus Hamburg und aus Rheinland-Pfalz. Gemessen an der relativen Finanzausstattung hat der rheinland-pfälzische Rechnungshof nahezu das Dreifache der Rechnungshöfe aus Niedersachsen und BadenWürttemberg.

Abb. 4.1: Relative Finanzausstattung der Rechnungshöfe (in %, 19932006) 1LHGHUVDFKVHQ



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1RUGUKHLQ:HVWIDOHQ



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Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe 1993-2006 sowie Niedersachsen Monitor 1993-2006

4.2 Überblick zum Datenmaterial

119

Der Mittelwert für die Periode 1993-2005 in Höhe von 0,80 % verdeutlicht insbesondere die großen Unterschiede in der Haushaltsausstattung der Rechnungshöfe. Aus den vorliegenden Daten werden jedoch keine Schlussfolgerungen über eine optimale Finanzierungsquote von Rechnungshöfen gezogen, da hierzu keine Informationen vorliegen. Die interessante Frage, die an anderer Stelle auch beantwortet wird (siehe Punkt 4.3), ist aber, ob die hier gefundenen Unterschiede zufällig zustande gekommen sind, oder ob sie sich – den Vermutungen aus der Literatur entsprechend – auf bestimmte Ausprägungen der Unabhängigkeit zurückführen lassen? 4.2.2

Personal und Personalkosten

Eine weitere wichtige Ressource ist das Personal. Mehr Personal bedeutet in erster Linie ein höheres Zeitbudget und damit mehr oder länger andauernde Prüfungsmaßnahmen. So hängt beispielsweise das Konstrukt des „umfassenden Wirtschaftsprüfers“ (Haag 1989: 85; Klappstein 2000: 44) ganz entscheidend von der Personalausstattung ab. Die Landesrechnungshöfe waren angesichts des Personalbestands schon in der Vergangenheit kaum dazu in der Lage ihre Prüfungsaufgaben umfassend wahrzunehmen (Müller 1988: 67).90 Um diese kaum lösbare Aufgabenstellung zumindest annähernd zu bewältigen, empfiehlt Sauter (1988) eine Optimierung der Personalausstattung (Sauter 1988: 209), ohne allerdings näher zu erläutern, was das für die Rechnungshöfe bedeutet. Dabei steht außer Frage, dass die Landesrechnungshöfe nie dazu in der Lage sein werden für jeden Prüfungsbereich oder für jede Sachfrage einen eigenen Spezialisten zu stellen (Bücker 1988: 70). Außerdem ist das Personalproblem nicht nur mit Planstellenaufstockungen zu lösen. Ein personell unnötig aufgeblähter Rechnungshof würde selbst sehr schnell zur Zielscheibe von Kontrollen werden (Schlegelberger 1982: 20). Die Personalproblematik hat jedoch nicht nur diese rein quantitative, sondern auch eine qualitative Dimension. Schließlich zieht die bloße Erhöhung der Stellenzahl nicht zwangsläufig eine erfolgreichere Prüfungstätigkeit nach sich – ungeachtet des messbaren Zeitgewinns (Otto-Abeken 1998: 217; Jakobs-Woltering 1993: 4ff.). Darüber hinaus lässt sich eine Bedeutungszunahme bei der Interdisziplinarität und der Vernetzung von ver90

Eine umfassende Prüfungstätigkeit würde ein Vielfaches des gegenwärtigen Personalbestandes beanspruchen. Außerdem ist eine umfassende Prüfung auch ökonomisch wenig sinnvoll, da die Kosten bei marginal steigendem Grenznutzen ins Unermessliche wachsen würden (vgl. Mankiw 2001: 7).

120

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

schiedenen Prüfungstätigkeiten beobachten. Glatfeld (1997) sieht daher vor allem einen steigenden Bedarf an Personal mit mehr als nur einer Qualifikation. Er identifiziert ferner den Beamtenstatus als Modernisierungsbremse (Glatfeld 1997: 57ff.). Andere sehen in den Prüfern Experten, die versuchen, infolge von Personalbewegungen den Anschluss an modernste Verwaltungsentwicklungen zu halten (Rechnungshof Schleswig-Holstein 2003: 22). Außerdem wird darauf hingewiesen, dass der Rechnungshof in der individuellen Berufsentwicklung eine Art Sackgasse darstellt. Demnach gibt es zwar ein Hinein, aber nur selten ein wieder Heraus (Otto-Abeken 1998: 218). Trotz dieser verschiedenen Standpunkte können die Prüfungsfähigkeit und die Prüfungsprozesse eines Rechnungshofes durch die Personalentscheidungen, Personalqualifikationen und -kapazitäten begrenzt werden. Diese Begrenzung entspricht de facto einer Einschränkung der Wirkungskraft der Rechnungshöfe, wenn sie gezielt Handlungsspielräume eingrenzt. Die Idee, Planstellen bei Rechnungshöfen zu erheben, ist keinesfalls neu und wurde auf Einzelfallebene bereits des Öfteren vorgenommen (vgl. auch: Jakobs-Woltering 1993; Lonhard 1987). Dabei ist die Erhebung von Planstellen nicht frei von Kritik, zumal sie nur einen begrenzten Aussagewert hat (Bücker 1988: 57). Aus den vorgestellten Daten werden unter Berücksichtigung der begrenzten Aussagekraft erste deskriptive Erkenntnisse zusammengefasst. Die einfachste Darstellung der Personalindikatoren ist die Erfassung des Rechnungshofpersonals ohne Arbeiter und Angestellte. Allerdings besteht hier die Gefahr von Fehleinschätzungen aufgrund der absoluten Höhe der Stellenanzahl. Schließlich können auch die Angestellten eine wichtige Rolle für die Prüfungstätigkeit spielen. Gerade in den neuen Bundesländern beschäftigten die Rechnungshöfe unmittelbar nach der Wiedervereinigung bedeutend mehr Angestellte als Beamte. Dieses Verhältnis hat sich erst im Laufe der Jahre umgekehrt. Daher erscheint es sinnvoll, zwei Indikatoren, d. h. jeweils mit und ohne Angestellte, zu verwenden. Zudem bietet es sich an, das Rechnungshofpersonal mit bestimmten Bezugsgrößen in Relation zu setzen (vorzugsweise mit Personaldaten und -kosten des entsprechenden Bundeslandes). Es werden insgesamt sieben Personalindikatoren gebildet (siehe hierzu die Tabellen 4.3 und 4.4): • der Anteil des Rechnungshofpersonals am Landespersonal (in %, jeweils mit und ohne Angestellte)

121

4.2 Überblick zum Datenmaterial

• die Anzahl der Mitarbeiter des Landespersonals, die einem Rechnungshofmitarbeiter gegenüberstehen (jeweils mit und ohne Angestellten) • das Verhältnis von Höherem zu Gehobenem Dienst • ein Konzentrationsmaß zu den Laufbahngruppen • der Anteil der Personalkosten des Rechnungshofes für planmäßige Beamte und Richter an den Personalkosten des Landes (in %) Zuerst folgt, wie angedeutet, eine Betrachtung des anteiligen Personalbestandes. Tabelle 4.3 gibt den Anteil des Rechnungshofpersonals am Landespersonal wieder (jeweils mit und ohne Angestellte, in %), um die Relationen zwischen beiden Größen darzustellen. Zudem wird der Kehrwert gebildet, d. h. die Anzahl der Mitarbeiter im Landesdienst je Rechnungshofmitarbeiter (jeweils mit und ohne Angestellte). Dieser Indikator bringt dabei erstaunliche Ergebnisse zutage.

Tab. 4.3: Personalindikatoren I (1993-2006) Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Anteil Rechnungshofpersonal an Landespersonal (in %) m. Angest. o. Angest. 1,03 1,19 1,54 3,12 1,36 1,90 1,70 1,97 0,96 1,17 2,01 1,67 2,15 2,49 1,72 2,78

0,86 1,03 1,38 2,86 1,15 1,60 1,35 1,65 0,81 1,00 1,64 1,38 1,92 2,28 1,49 2,53

Rechnungshofmitarbeiter je Landesmitarbeiter m. Angest.

o. Angest.

1.090 840 678 322 770 540 696 512 1.316 962 498 600 469 405 587 362

1.278 971 756 351 909 639 859 624 1.543 1.137 610 726 528 442 673 397

Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Rechnungshöfe und der Länder sowie Statistisches Bundesamt: Fachserie 14 Reihe 6, jeweils 1993-2006

122

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

So kann die vorgenommene Berechnung vor allem als Indikator für das Ungleichgewicht der Personalausstattungen zwischen den Rechnungshöfen gesehen werden. Augenscheinlich hat sich die Reihenfolge der Rechnungshöfe gegenüber Punkt 4.2.1 kaum verändert, denn auch hier lassen die Ergebnisse eine ressourcenmäßige (relative) Benachteiligung der Rechnungshöfe aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erkennen. Angesichts des hohen Anteils der Personalkosten am Gesamtbudget des Rechnungshofes (siehe weiter unten Tabelle 4.4, vgl. auch Lund 1988: 148), ist dieser Befund wenig überraschend. Erstaunlich sind dennoch die Ausmaße der Unterschiede zwischen den Rechnungshöfen. Demnach sehen sich die Prüfer (ohne Angestellte) aus den drei genannten Rechnungshöfen zum Teil deutlich mehr als 1.000 Mitarbeitern des Landesdienstes gegenüber. Dicht dahinter folgen die Rechnungshöfe aus Bayern und Bremen. Dem schließt sich ein Mittelfeld zwischen 859 und 610 Landesbediensteten je Rechnungshofmitarbeiter an. Die besten Relationen weisen vier Landesrechnungshöfe aus den neuen Bundesländern auf (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg). Das Ungleichgewicht in den genannten Bundesländern ist dabei rund zwei- bis viermal geringer als in den Ländern mit der relativ geringsten Personalausstattung. In einem weiteren Schritt wird die Zusammensetzung des Personals der Landesrechungshöfe sowie die Kostenseite betrachtet. Hierbei bietet sich ein genauer Blick auf die Stellenpläne der Landesrechnungshöfe an, da die Debatten um die Qualität des Rechnungshofpersonals vor allem eine Debatte über die Anzahl der Mitarbeiter des Höheren und des Gehobenen Dienstes ist, wobei eine verstärkte Ausstattung der Rechnungshöfe mit Mitarbeitern des Höheren Dienstes im Schrifttum als angemessener angesehen wird. Der erste in Tabelle 4.4 aufgeführte Indikator ist die Verhältniszahl von Mitarbeitern des höheren Dienstes (hD) zu Mitarbeitern des gehobenen Dienstes (ghD), da beide Laufbahngruppen nahezu das gesamte Rechnungshofpersonal stellen. Dem schließt sich die durchschnittliche Personalkonzentration nach Besoldungsgruppen an. Der erstgenannte Indikator zeigt an, wie viele Mitarbeiter des höheren Dienstes auf einen Mitarbeiter des gehobenen Dienstes am entsprechenden Landesrechnungshof beschäftigt werden. Zur einfacheren Lesbarkeit der Daten können die Werte folgendermaßen klassifiziert werden: • Wenn hD/ghD > 1, dann ist die Gruppe der Mitarbeiter des höheren Dienstes größer als die Gruppe der Mitarbeiter des gehobenen Dienstes.

123

4.2 Überblick zum Datenmaterial

• Wenn hD/ghD < 1, dann ist die Gruppe der Mitarbeiter des höheren Dienstes kleiner als die Gruppe der Mitarbeiter des gehobenen Dienstes. • Wenn hd/ghD = 1, dann sind beide Laufbahngruppen gleich groß.

Tab. 4.4: Personalindikatoren II (1993-2008 bzw. 19932006) Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen Mittelwert

Verhältnis hD zu ghD

Konzentration nach Dienstgruppen Σa2i

Kostenanteil Rechnungshofpersonal an Landespersonal (in %)

0,50 0,61 0,36 0,35 1,50 1,06 0,71 0,73 0,66 0,56 0,63 0,82 0,35 0,43 0,71 0,36 0,65

0,55 0,43 0,60 0,55 0,50 0,47 0,53 0,49 0,58 0,52 0,53 0,50 0,60 0,55 0,45 0,60 0,53

0,80 0,93 1,60 2,62 1,47 2,54 1,15 1,85 0,96 0,94 1,63 1,41 2,37 2,25 1,45 2,26 1,64

Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Rechnungshöfe und der Länder, sowie Statistisches Bundesamt Fachserie 14 Reihe 6, jeweils 1993-2006

Aus Tabelle 4.4 geht hervor, dass es kaum Rechnungshöfe mit einem zahlenmäßigen Übergewicht bei den Mitarbeitern aus dem höheren Dienst gibt. Die einzigen Ausnahmen sind der Rechnungshof Hamburg, der eine annähernd ausgeglichene Relation zeigt, und der Rechnungshof Bremen, der sich mit einem Verhältniswert 1,5 sehr deutlich von allen anderen Fällen abhebt. Die anderen Rechnungshöfe weisen kein ausgeglichenes Verhältnis zwischen diesen Laufbahngruppen auf. Sie zeigen sogar zum Teil große

124

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Missverhältnisse (vgl. etwa die Werte von Berlin, Brandenburg, Sachsen und Thüringen) auf. Das erhobene Konzentrationsmaß errechnet sich aus der Summe der quadrierten Anteile der jeweiligen Besoldungsgruppe an der Gesamtzahl aller Mitarbeiter. Entsprechend der Bildungsvorschrift Σa2i , werden große Gruppenanteile höher und kleine Gruppenanteile niedriger gewichtet. Die Werte können dabei zwischen 1, d. h. es gibt nur eine Gruppe (entspricht der maximalen Konzentration), und 1/n, d. h. bei n-Gruppen herrscht Gleichverteilung (entspricht der minimalen Konzentration), schwanken. Somit ergibt sich aus vier Laufbahngruppen ein Minimalwert von 0,25. Dabei haben nur vier Landesrechnungshöfe – Bayern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern – Konzentrationswerte < 0,5, was zum Teil sehr unterschiedliche Gründe hat. So ist beispielsweise der Bayerische Oberste Rechnungshof der einzige Rechnungshof, der auch Mitarbeiter des einfachen Dienstes in nennenswerter Zahl beschäftigt. Alle anderen Landesrechnungshöfe zeigen Werte ≥ 0,5. Hervorzuheben sind dabei insbesondere die Rechnungshöfe von Sachsen, Berlin sowie Thüringen und Niedersachsen. Hier erweist sich jeweils eine Besoldungsgruppen als sehr dominant, was zu den vergleichsweise hohen Werten bei der Konzentrationsmessung führt. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die vielerorts festgestellte und kaum verwunderliche Unterlegenheit der Rechnungshöfe gegenüber der Verwaltung (Blasius/Kühne 1991: 398) zwischen den Bundesländern zum Teil erheblich variiert. Die Unterschiede deuten darauf hin, dass sich die Landesrechnungshöfe in einem sehr ungleichen Verhältnis von Kontrolliertem und Kontrolleur befinden. 4.2.3

Fort- und Weiterbildungen

Die Durchführung oder Inanspruchnahme von Fort- und Weiterbildungen für die Mitarbeiter des Rechnungshofes ist ein Element zur Erhöhung der Personalqualifikation und zur erfolgreichen Bewältigung gegenwärtiger bzw. zukünftiger Prüfungsanforderungen. Folgerichtig besitzt diese Thematik eine besondere Wichtigkeit für die Rechnungshöfe. Ein in seiner Aussagekraft begrenzter Indikator sind die absoluten Ausund Fortbildungskosten der Rechnungshöfe. In der gewohnten Art und Weise wird dieser Haushaltsposten an den Gesamtausgaben des Rechnungshofes quotiert (siehe Abbildung 4.2). Allerdings lassen sich damit wenig inhaltliche Feststellungen formulieren. Daher erwies es sich als notwendig,

125

4.2 Überblick zum Datenmaterial

eine weitere Konkretisierung vorzunehmen, um zusätzliche Informationen zu gewinnen. Dabei kursiert der Vorwurf, dass sich das Personal der Rechnungshöfe kaum weiterentwickelt, womit letztendlich eine gewisse Stagnation in der Prüfungstätigkeit einhergeht (Pulch 1986: 233). Die logische Konsequenz aus dieser Feststellung müsste eine deutliche Forcierung und Förderung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Rechnungshöfen sein. Aber selbst in aktuelleren Beiträgen bleibt es bei Feststellung eines Defizits in der Weiterbildung des Rechnungshofpersonals (Frank 1996: 28), sodass eine konsequente Fortbildung einer Wunschvorstellung zu entsprechen scheint. Das Thema Fort- und Weiterbildung hat folglich bis heute nichts an Bedeutung und Brisanz verloren.

Abb. 4.2: Fort- und Weiterbildungskosten (in % des Rechnungshofhaushalts und in Euro je Mitarbeiter, 1993-2008) %HUOLQ





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Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe 1993-2008

Eine ständige Weiterbildung der Mitarbeiter des Rechnungshofes scheint zu jeder Zeit geboten zu sein (Dieckmann 1992: 901; Göke 2001: 67). Harms

126

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

(1992) spricht sich sogar für systematische Qualifizierungsmaßnahmen aus, da derartige Elemente in der Rechnungshofpraxis weitgehend unbekannt sind (Harms 1992: 80). Auf diese Weise kann es gelingen, eine gewisse Verbindlichkeit für die Mitarbeiter des Rechnungshofs zu schaffen, an diversen Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Allerdings darf auch hier nicht am Bedarf „vorbeigebildet“ werden. Die teilweise rasanten Entwicklungen in bestimmten Bereichen sind kaum mehr durch Fortbildungen aus der öffentlichen Verwaltung zu bewältigen. Dementsprechend kommt es darauf an, Angebote von Fachverbänden oder wissenschaftlichen Einrichtungen wahrzunehmen (Sauter 1988: 218). Die geringsten geplanten Aufwendungen für Rechnungshofmitarbeiter sind mit einem Wert von 36,3 Euro je Mitarbeiter beim Rechnungshof Berlin zu finden, der gleichzeitig auch den geringsten Anteil von Weiterbildungskosten am Gesamthaushalt hat. Danach folgen mit einigem Abstand die Rechnungshöfe des Saarlandes und von Baden-Württemberg. Die Mehrheit der Landesrechnungshöfe bewegt sich bei den veranschlagten Fort- und Weiterbildungskosten zwischen rund 120 und rund 218 Euro je Mitarbeiter, wobei zwischen dem Bayerischen Rechnungshof und dem nächstfolgenden Niedersächsischen Rechnungshof abermals ein Sprung zu verzeichnen ist. Dennoch liegt die Gruppe um den letztgenannten Rechnungshof vergleichsweise nahe am errechneten Mittelwert, was sowohl für die Fortund Weiterbildungskosten je Mitarbeiter (209,6 Euro) als auch für den Anteil der Weiterbildungskosten am Gesamthaushalt des Rechnungshofes (3,1 %) gilt. Erst danach folgt die Spitzengruppe mit den Rechnungshöfen aus Thüringen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Bremen und Hessen: Wobei Hessen nach oben ähnliche „Ausreißertendenzen“ zeigt wie Berlin nach unten. Hier werden durchschnittlich rund 411,2 Euro für die Fortbildung je Mitarbeiter veranschlagt. Bemerkenswert scheint ferner die Tatsache, dass der Hessische Landesrechnungshof damit aber nicht der Rechnungshof mit dem höchsten Weiterbildungskostenanteil ist (siehe Abbildung 4.2, die Werte außerhalb der Balken). Es gibt sogar zwei Rechnungshöfe, die anteilsmäßig noch mehr Geld für Fort- und Weiterbildung einplanen. Dies sind namentlich der Sächsische und der Thüringische Rechnungshof. Im Gegensatz zu vorangegangenen Darstellungen fällt die hohe Streuung der Werte auf. So veranschlagt beispielsweise der Hessische Rechnungshof das Zwölffache an Fort- und Weiterbildungskosten wie der Berliner Rechnungshof und das, obwohl der Gesamthaushalt des Berliner Rechnungshofes sowohl in absoluter als auch in relativer Betrachtung größer ausfällt.

4.2 Überblick zum Datenmaterial

4.2.4

127

Sachverständigen- Gerichts- und ähnliche Kosten

Die letzte betrachtungsrelevante Variable unter den betriebswirtschaftlichen Daten ist die Höhe der geplanten Ausgaben für Sachverständige (der Titel „Sachverständigen, Gerichts- und ähnliche Kosten“). Hierzu wird erneut auf die Haushaltspläne der Landesrechnungshöfe zurückgegriffen. Allerdings handelt es sich bei diesem Haushaltsposten um einen Sammeltitel, der nicht ganz unproblematisch ist. Nur in einigen Bundesländern wie etwa in Berlin oder Rheinland-Pfalz werden die Sachverständigenkosten disaggregiert ausgewiesen. Es gibt aber für diesen Indikator kaum nennenswerte Alternativen. Eine Abzählung von Sachverständigeneinsätzen im Erhebungszeitraum ist sehr aufwendig und erscheint nicht möglich, da die Rechnungshöfe die notwendigen Daten nicht vorrätig halten. So können die geplanten Ausgaben für Sachverständige Anhaltspunkte für Auffälligkeiten und Unterschiede geben. Es steht außer Frage, dass die Rechnungshöfe nicht in jedem Bereich über Spitzenkompetenzen verfügen können. Der begrenzte Personalstock und die wechselnden Kontrollaufgaben lassen tief gehenden Sachverstand in allen Spezialbereichen einfach nicht zu. Fernerhin ist es den Rechnungshöfen auch nicht möglich, den fehlenden Sachverstand durch Fort- oder Weiterbildungen quasi selbst zu beschaffen. Ein prinzipielles Festhalten am sogenannten „universell einsetzbaren Prüfer“ (Otto-Abeken 1998: 222) könnte zu schwer abschätzbaren Entwicklungen auf der Kostenseite führen. Aus diesen Gründen sollte der Rechnungshof unbedingt auf Sachverständige außerhalb der Verwaltung zurückgreifen (Dieckmann 1992: 901). So wird mitunter in der Verbindung von Sachverständigen, Verwaltungspraktikern und Akademikern eine Möglichkeit zur Optimierung der Finanzkontrolle gesehen (Eggeling 1986: 61). Der Einsatz von Sachverständigen bietet den Rechnungshöfen den Vorteil, gewisse Personal- oder Kompetenzengpässe zu kompensieren. Außerdem lernt der Rechnungshof die beauftragten Sachverständigen im Praxiseinsatz besser kennen (Otto-Abeken 1998: 222). Allerdings ist die Hinzuziehung von Sachverständigen nicht als Lösung aller Kontrollprobleme anzusehen. Dementsprechend können die Sachverständigen nicht in unbegrenztem Maße hinzugezogen werden. Dies lässt sich inhaltlich damit begründen, dass der externe Sachverstand zu wenig Verständnis und Kenntnis der Eigenheiten der öffentlichen Verwaltung hat.91 91

Ein weiteres Argument, das gegen die intensive Verwendung externen Sachverstandes spricht, ist die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechnungshofes. Demnach würde eine zu starke Einbindung von externem Sachverstand die Unabhängigkeit des Rech-

128

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Außerdem gibt es Ressourcenabhängigkeiten, die auf der materiellen Seite klare Grenzen setzen. Demnach ist es kaum möglich, für jedes ungelöste Problem oder für jeden schlecht besetzten Kompetenzbereich einen oder mehrere Sachverständige mit der Erstellung von Gutachten zu beauftragen (Glatfeld 1997: 32). Darüber hinaus sind selbst die Sachverständigen nicht dazu in der Lage, die „Prüfungsgeschicke“ des Rechnungshofes wesentlich zu verändern, da diese vorrangig von den „Prüferpersönlichkeiten“ der Kontrollinstitution selbst abhängen (Krebs 1984: 210). In Abbildung 4.3 sind die Anteile der Sachverständigen-, Gerichts- und ähnlichen Kosten am Gesamthaushalt der Rechnungshöfe dargestellt. Auffällig ist vor allem die Streuung der Werte. Hier bestehen offensichtlich große Unterschiede zwischen den Rechnungshöfen. Der Saarländische Rechnungshof steht mit 0,4 % am unteren Ende der Skala. Demgegenüber markiert der Rechnungshof Schleswig-Holstein mit 17,9 % den anderen Extrempunkt der vorliegenden Darstellung. Er veranschlagt damit das 45fache des Saarländischen Rechnungshofes. Es gibt eine Reihe von Rechnungshöfen, die in ähnlich niedrigen Relationen Kosten für Sachverständige einplanen wie der Saarländische Rechnungshof. Dazu gehören der Bayerische Rechnungshof, die Rechnungshöfe Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie der Rechnungshof Sachsen-Anhalt. Diese Rechnungshöfe liegen alle deutlich unter dem Mittelwert von 3,9 %, während jene Landesrechnungshöfe, die über diesem Mittelwert liegen, einen deutlichen Abstand nach „unten“ zeigen. Abgesehen von den Rechnungshöfen aus Berlin und Bremen gibt es keinen Rechnungshof, der dem Mittelwert um 3,9 % halbwegs nahe kommt, was ein weiteres Indiz für die hohe Streuung der Werte ist. Der Blick auf die Zahlen zeigt vor allem, dass der Rückgriff auf externen Sachverstand nach wie vor nicht überall anerkannte Praxis zu sein scheint. Während einige Rechnungshöfe ganz entschieden auf externen Sachverstand zurückgreifen, verzichten andere nahezu völlig darauf.

nungshofes aushöhlen (Heuer 1989: 125f.). Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass dieses Argument den Einfluss von externen Sachverständigen auf die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe überschätzt.

4.3 Zusammenhänge mit Ressourcenparametern

129

Abb. 4.3: Sachverständigen-, Gerichts und ähnliche Kosten (in % des Rechnungshofhaushalts, 1993-2008) 6DDUODQG



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Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe 1993-2008

4.3

Zusammenhänge mit Ressourcenparametern

Die Rechnungshöfe gehören nicht zu jenen Behörden, die gleich nach mehr Ressourcen „schreien“, wenn der Arbeitsaufwand steigt oder wenn eine Erhöhung der Finanzmittel in Aussicht gestellt wird. Im Gegenteil, die Rechnungshöfe versuchen, entsprechend ihrem Selbstverständnis, beim sparsamen Wirtschaften als gutes Beispiel voranzugehen. Allerdings ist ungeklärt, inwieweit die Rechnungshöfe hier überhaupt unabhängig agieren können, da sie nicht selbst über ihre Ressourcen befinden. Diese Tatsache ist gerade vor dem Hintergrund der Prinzipal-AgentTheorie von besonderer Bedeutung. So hätte das Parlament zweifelsohne die Möglichkeit, den Rechnungshof in seiner Rolle als Agent des Volkes über Ressourcenkürzungen zu beeinflussen. Die Entscheidungen zur materiellen und personellen Ausstattung liegt in erster Linie bei der regierungstragenden Mehrheit, die dazu neigt, die Exekutive vor allzu gefährlicher Kritik

130

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

abzuschirmen (Schwab 1983: 346). Insofern stellt sich die Frage, ob sich Tendenzen feststellen lassen, nachdem allzu unabhängige Rechnungshöfe in ihren Ressourcen stärker beschränkt werden als ihre eher abhängigen Gegenstücke. Dieser Sachverhalt wird nachstehend mithilfe unterschiedlicher Indikatoren und Auswertungen näher ergründet werden. 4.3.1

David gegen Goliath

Eine der wichtigsten Ressourcen des Rechnungshofes ist – abgesehen von den finanziellen Mitteln – das qualifizierte Personal und die Möglichkeit, gutes Personal anzuwerben und zu halten. Trotzdem werden die Autoren nie müde zu betonen, dass es hinsichtlich der Personal- und Finanzausstattung ein sehr starkes Ungleichgewicht zwischen dem Rechnungshof und der Exekutive gibt (Böning 1979: 216; Mutius 1989b: 168). Dieser Argumentation folgend, verändert sich die ohnehin bestehende Asymmetrie bei Personal- und Finanzausstattung immer weiter zuungunsten der Rechnungshöfe (Bücker 1988: 55). Der „Prüfungsgegenstand“ wird somit stetig größer, während der Rechnungshof als Kontrolleur in seinem Wachstum zumindest stagniert. Die relative Finanzausstattung sowie eine Gegenüberstellung von Landesund Rechnungshofpersonal wurde bereits unter Punkt 4.2.2 beschrieben. In diesem Abschnitt geht es um die zeitliche Veränderung der Daten und um gezielte Beschränkungen der Ressourcenausstattung. Lassen sich die vermuteten Eingriffe in die Ressourcenausstattung auf den Grad der Unabhängigkeit zurückführen, da sich die politischen Akteure versucht sehen, einen unabhängigen und kritischen Rechnungshof auf Distanz zu halten. Eine Betrachtung der gemittelten jährlichen Veränderungsraten für den Rechnungshofhaushalt und die Gesamtausgaben der Länder zeigt Erstaunliches. So liegen die Wachstumsraten der Ausgaben der Rechnungshöfe zum Teil sehr deutlich über den Wachstumsraten der Länder (siehe Tabelle 4.5, jeweils die Spalten „Land“ und „alle“). Dies würde bedeuten, dass die Rechnungshöfe im Vergleich zur Gesamtentwicklung der Ressourcenausstattung der Länder über die Jahre hinweg hinsichtlich der Ausgaben und der Personalausstattung deutlich besser gestellt waren. Lediglich für Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland lässt sich eine ähnliche Entwicklung von Landes- und Rechnungshofausgaben feststellen. Dieser einfache deskriptive Befund läuft der Annahme einer ge-

4.3 Zusammenhänge mit Ressourcenparametern

131

zielten Ressourcenbeschränkung zuwider – ohne die Zusammenhänge mit bestimmten Rechnungshofeigenschaften überprüft zu haben.

Tab. 4.5: Entwicklung der Rechnungshof- und Landesressourcen (– Veränderungsraten des Gesamthaushaltes in %, 1993-2006) Rechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Veränderungsraten Gesamthaushalt Land Rechnungshof alle < 30 % < 20 % < 10 % 2,0 2,0 0,0 0,6 0,2 1,3 1,8 0,5 1,0 1,4 1,5 0,4 1,1 0,7 1,5 0,5

12,1 6,8 4,3 6,1 9,1 6,5 10,3 3,0 10,0 15,2 6,8 1,3 3,5 3,6 1,3 4,4

0,0 1,2 1,2 3,4 3,2 4,0 2,7 3,0 0,2 3,7 2,3 1,3 3,5 -0,2 1,3 4,4

0,0 1,2 1,2 1,8 3,2 1,9 2,7 3,0 0,2 2,1 2,3 1,3 3,5 -0,2 1,3 4,4

0,0 1,2 1,2 -1,2 1,1 1,9 2,7 3,1 -0,8 2,1 2,3 1,3 2,8 -1,1 1,3 2,6

Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe 1993-2006 sowie Niedersachsen Monitor 1993-2006

Allerdings bedürfen diese Zahlen einer differenzierten Betrachtung, denn die Ausgaben der Rechnungshöfe zeigen insbesondere bei großen Strukturveränderungen – wie etwa die häufig praktizierte Zusammenlegung der Rechnungshöfe und der staatlichen Rechnungsprüfungsämter – sehr hohe Veränderungsraten in den Gesamtausgaben und im Personalbestand (Bücker 1988: 54). Derartige Veränderungen sollten aus den vorgestellten Betrachtungen herausgerechnet werden, da es sich um einen Personal- oder Haushaltszuwachs handelt, der an anderer Stelle bereits vorhanden war. Zu diesem Zweck werden drei weitere Hilfsvariablen gebildet, die bestimmte Struktureffekte vernachlässigen. Demnach sind in der Spalte „< 30 %“ alle Veränderungsraten, die über 30 % liegen strukturbedingt herausgerechnet. Für die Spalten „< 20 %“ und „< 10 %“ wird analog verfahren.

132

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Unter Berücksichtigung dieser Hilfsvariablen zeigt sich ein anderes Bild. Bereits die Vernachlässigung aller Veränderungsraten über 30 % hat zu einer deutlichen Angleichung der Resultate geführt. Dennoch gibt es eine Reihe von Rechnungshöfen, die auch nach dieser Bereinigung mit ihrer Haushaltsentwicklung über dem Durchschnitt der Länder liegen. Allerdings zeigen sich jetzt einige wenige Fälle, in denen die Entwicklung der Rechnungshofhaushalte unter der durchschnittlichen Veränderung der Landeshaushalte liegt. Die stärksten Abweichungen nach oben bzw. unten zeigen der Rechnungshof von Baden-Württemberg bzw. der Rechnungshof von Mecklenburg-Vorpommern. Auch für das Personal (Beamte und Angestellte ohne Arbeiter) zeigen sich ähnliche Entwicklungen (siehe Tabelle 4.6). Ein bloßer Vergleich der Veränderungsraten deutet zunächst auch hier auf eine deutlich positivere Entwicklung des Rechnungshofpersonals gegenüber dem Landespersonal hin. Entweder erfolgt der Personalabbau bei den Rechnungshöfen langsamer als für das gesamte Landespersonal (etwa Berlin, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen) oder die Rechnungshöfe haben teilweise sogar hohe positive Personalwachstumsraten (etwa Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen). Allerdings erfolgt auch für diese Daten, analog zu den Haushaltsdaten, eine Bereinigung um die strukturellen Veränderungen. Nach der Bereinigung weisen nur noch die wenigsten Rechnungshöfe positive, gemittelte Veränderungsraten auf. Lediglich die Rechnungshöfe aus Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen zeigen gemittelte Personalwachstumsraten, die knapp über Null liegen. Auffällig ist dennoch, dass die Raten der Rechnungshöfe nur sehr selten ein geringeres Personalwachstum bzw. einen höheren Personalabbau als die Länder aufweisen. Die relativ günstigere Personalentwicklung der Rechnungshöfe wird auch anhand der Veränderungsraten des Quotienten von Landes- und Rechnungshofpersonal deutlich (wie bereits in Tabelle 4.3 dargestellt). Je geringer also dieser Quotient im Zeitverlauf wird, desto geringer wird das Ungleichgewicht zwischen Rechnungshof- und Landespersonal. Mit Ausnahme von Bayern zeigen alle anderen Bundesländer hier sinkende Tendenzen, d. h., der Personalabbau in den Rechnungshöfen ist schwächer als auf Länderebene insgesamt. Somit lassen sich anhand der Daten zwei wesentliche Schlussfolgerungen ziehen. Erstens geben seit 1993 weder die Haushaltsentwicklung noch die Personalentwicklung Indizien dafür, dass die Rechnungshöfe sich einer stetigen Benachteiligung gegenübersehen. Folgerichtig sind die oft angebrachten

4.3 Zusammenhänge mit Ressourcenparametern

133

Argumente einer immer stärker werdenden Asymmetrie in der Mittelverteilung nach den hier erhobenen Variablen eher haltlos.92

Tab. 4.6: Entwicklung der Rechnungshof- versus Landesressourcen (– Veränderungsraten des Personalbestandes in %, 1993-2006) Landesrechnungshof

Baden-W. Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-V. Niedersachsen Nordrhein-W. Rheinland-P. Saarland Sachsen Sachsen-A. Schleswig-H. Thüringen

Veränderungsraten Personalbestand Land Rechnungshof alle < 30 % < 20 % < 10 % -1,0 -0,2 -5,7 -2,9 -3,6 -4,7 -2,0 -4,3 -1,0 -0,4 -1,3 -0,6 -2,0 -5,0 -1,6 -3,4

11,2 -0,2 -1,3 3,8 0,5 -0,9 9,8 0,7 11,4 11,8 0,3 -0,2 0,5 -1,3 0,0 -0,2

-1,3 -0,2 -1,3 1,3 0,5 -0,9 -1,1 0,7 -0,8 0,0 0,3 -0,2 0,5 -1,3 0,0 -0,2

-1,3 -0,2 -1,3 -0,7 0,5 -0,9 -1,1 0,7 -0,8 0,0 0,3 -0,2 0,5 -1,3 0,0 -0,2

-1,3 -0,2 -1,3 0,4 0,5 -0,9 -1,1 0,7 -0,8 0,0 0,3 -0,2 0,5 -1,3 0,0 -0,2

Quelle: Haushalts- und Stellenpläne der Landesrechnungshöfe sowie Niedersachsen Monitor, jeweils 1993-2006

Zusammenfassend lässt sich vorerst konstatieren, dass die Entwicklungen von Rechnungshofhaushalt und -personal von den Entwicklungen des jeweiligen Landes abgekoppelt sind. Folgerichtig spricht vieles dafür, dass der Rechnungshof in der Vergangenheit kein „Opfer“ von Haushalts- oder Personalkürzungen war. Diese Erkenntnisse sagen jedoch nur wenig darüber aus, ob eine gezielte politische Einflussnahme auf die Ressourcenausstattung der Rechnungshöfe ausgeübt wurde. Bis hierhin konnte zunächst nur geklärt werden, dass der Rechnungshof keine übermäßig abweichenden Entwicklungen gegenüber 92

Allerdings können aus diesen Daten keine direkten Rückschlüsse auf die Arbeitsbelastung eines Rechnungshofes gezogen werden, denn auch unter den gegebenen Vorzeichen kann sich die Arbeitslast erhöhen.

134

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

dem Landeshaushalt und dem Landespersonalbestand zeigt. Angesichts dieser ersten Ergebnisse spricht nur wenig für die Vermutung, dass es gezielte Bestrebungen gibt, den Rechnungshof in seinem Bestand auszuhöhlen. 4.3.2

„Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’“?

Ungleich mehr Erkenntnisse sind zu erwarten, wenn die Rechnungshofressourcen mit anderen wichtigen Kontextvariablen in einen größeren Untersuchungsrahmen gesetzt werden. So stellt sich die Frage, ob etwa die Beschneidung oder die Gewährung von Ressourcen möglicherweise auf besondere Konstellationen zurückzuführen ist. Diese und ähnliche Fragen, die sich vor allem mit dem Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung beschäftigen, sollen im Folgenden näher untersucht werden. Dabei geht es nicht darum, allerlei willkürliche Vermutungen in den Raum zu streuen und zu testen, um vielleicht einen schwer erklärbaren „Zufallstreffer“ zu landen. Es geht vielmehr darum, verschiedenste als gängig belegte, aber stets ungeprüfte Hypothesen einer kritischen empirischen Bewertung zu unterziehen. Eine dieser bisher nie getesteten Hypothesen ist weiter unten aufgelistet. Die Hypothese H1A soll die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe in die Betrachtungen um die Ressourcenausstattung der Kontrollinstitutionen einbeziehen. So wäre die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der Rechnungshöfe völlig wertlos, wenn der Rechnungshof nicht auf angemessene Finanzmittel und Personalressourcen zurückgreifen könnte (Müller 1994: 1279).93 Wenn es also der Politik durch informelle Beziehungen gelingt, Einfluss etwa auf die Personalbesetzung oder den Rechnungshof insgesamt zu nehmen, dann besteht die Gefahr, dass sich die Kritik des Rechnungshofes abmildert oder im schlimmsten Fall sogar völlig unterbunden wird (Wenzler 1996: 150). Bezogen auf die Unabhängigkeit des Rechnungshofes, liegt damit die Vermutung nahe, dass vor allem die sehr unabhängigen Rechnungshöfe um ihre Haushalts- und Personalmittel „fürchten“ müssen. Eher abhängige Rechnungshöfe dürften sich ihrer Grundversorgung weitgehend sicher sein, da von ihnen keine besondere und unkalkulierbare Prüfungsgefahr ausgeht. Jury (2002) spricht im Falle gezielter Ressourcenkürzungen sogar von einem möglichen „Disziplinierungsversuch“ (Jury 2002: 20) gegenüber dem Rechnungshof. Sollten sich derartige Tendenzen tatsächlich 93

Wobei sich die Frage stellt, wer für einen Rechnungshof definiert, was eine angemessene Ressourcenausstattung ist.

4.3 Zusammenhänge mit Ressourcenparametern

135

bestätigen, dann wäre die Beziehung zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem empfindlich gestört. H1A : Der Grad der Unabhängigkeit hat einen Einfluss auf die Ressourcenausstattung des Rechnungshofes. H1N : Der Grad der Unabhängigkeit steht in keinem Zusammenhang mit der Ressourcenausstattung des Rechnungshofes.

Diese erste wichtige Hypothese bezieht sich auf die Zusammenhänge zwischen der Unabhängigkeit des Rechnungshofes und der Ressourcenausstattung, gemessen über Veränderungsraten für den Gesamthaushalt und für den Personalbereich. Wenn also Regierungen tatsächlich versuchen, den Rechnungshof über Ressourcenentzug zu disziplinieren, dann müssten die unabhängigeren Rechnungshöfe deutlich geringere Haushalts- und Personalsteigerungsraten vorweisen. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist diese These zumindest für die deutschen Landesrechnungshöfe zurückzuweisen. Tatsächlich – wie deutlich aus Abbildung 4.4 hervorgeht – scheint bei der Betrachtung der Veränderungsraten des Gesamthaushaltes genau das Gegenteil der Fall zu sein. Die negativen Zusammenhänge (r = -0,18 für unbereinigt und r = -0,25 für bereinigt) deuten darauf hin, dass bei unabhängigeren Rechnungshöfen tendenziell auch höhere Veränderungsraten des Gesamthaushaltes zu beobachten sind. Dementsprechend lässt sich die weiter oben vorgestellte Hypothese (H1A ) nicht bestätigen. Beide Zusammenhänge sind vergleichsweise schwach und widersprechen den gängigen Vermutungen. Nach den vorliegenden Ergebnissen sind es die abhängigeren Rechnungshöfe, also jene, auf die die Exekutive bzw. die regierungstragende Mehrheit besseren Zugriff hat, die sich geringeren Wachstumsraten ausgesetzt sehen. Allerdings sollten diese schwachen Zusammenhänge inhaltlich nicht überbewertet werden. Insofern spricht einiges dafür, dass es die vermuteten gezielten Eingriffe gegenüber den Rechnungshöfen nicht gibt.

136

4 Unabhängigkeit und Ressourcenausstattung

Abb. 4.4: Unabhängigkeitsindex und Veränderungsraten Haushalt

9HUlQGHUXQJVUDWHQ*HVDPWKDXVKDOWLQ 

 09 

+( 61

7+ 53

1:

++

 %