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German Pages 209 Year 2007
Georg Strohmeier Ganzheitliches Risikomanagement in Industriebetrieben
Techno-ökonomische Forschung und Praxis Herausgeber: Prof. Dr. Ulrich Bauer, Prof. Dr. Hubert Biedermann, Prof. Dr. Josef W. Wohinz
Ausgewählte Arbeiten aus Forschung und Praxis bei der interdisziplinären Behandlung von ökonomischen und technologischen Fragestellungen bilden den Inhalt dieser Schriftenreihe. In theoretisch fundierter Modellbildung wie in konkreter Anwendung werden insbesondere die Themen Wissensmanagement, Innovationsmanagement, Technologiemarketing, Prozessmanagement und Controlling, Instandhaltung und Qualitätsmanagement behandelt. Die Beiträge richten sich gleichermaßen an MitarbeiterInnen in Wissenschaft und Praxis.
Georg Strohmeier
Ganzheitliches Risikomanagement in Industriebetrieben Grundlagen, Gestaltungsmodell und praktische Anwendung
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hubert Biedermann
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Montanuniversität Leoben, 2006
D 17
flage Dezember 1997 1. Auflage Februar 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Brigitte Siegel / Anita Wilke Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0683-6
Für meine Kinder Roman und Franziska
Geleitwort Die Globalisierung der Märkte und der damit verbundene weltweite Zugang zu neuesten Informationstechnologien und Innovationen, das veränderte Verbraucherverhalten und weitere Entwicklungen führen dazu, dass die zeitliche Dimension in der Entscheidungsfindung immer relevanter wird. Steigende Innovationsgeschwindigkeiten, reduzierte Produktlebenszyklen und unerwartete Entwicklungen bringen es mit sich, dass das Risikopotenzial für das im globalen Umfeld tätige Unternehmen beträchtlich gestiegen ist. Proaktives Handeln der Unternehmen ist notwendig, um zeitnah wettbewerbsrelevante Entscheidungen treffen und möglichen Risiken begegnen zu können. Im traditionellen Risikomanagement haben die Unternehmen versucht, den gegebenen Unsicherheiten durch Optimierung der Risikofinanzierung und durch Risikoversicherungen zu begegnen. Über das finanzwirtschaftliche Risikomanagement hinausgehend sind Unternehmen heute aufgefordert ein ganzheitliches Risikomanagement anzuwenden, welches den gestiegenen Risiken Rechnung trägt. Weder in der Managementforschung noch in der Praxis kann die Betriebswirtschaftslehre geschlossene ganzheitliche und praktikable Ansätze dazu bieten. Vor diesem Hintergrund entwickelt der Autor ein ganzheitliches industrielles Risikomanagement-Modell, welches für die industrielle Instandhaltung detailliert wird, wodurch ein ganzheitliches Konzept des Risikomanagements für den Aufgabenbereich der Instandhaltung bereitgestellt wird. Im vorliegenden Buch wird nicht nur die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise im Risikomanagement aufgezeigt, sondern auch ein praxisbewährtes Führungsmodell entwickelt, dessen Elemente sich gegenseitig durchdringen bzw. ergänzen und zweckmäßig miteinander verknüpft sind. Neben der im klassischen Risikomanagement schwerpunktmäßig behandelten objektiven Dimension werden auch subjektive Aspekte bzw. „weiche“ Faktoren berücksichtigt, indem die menschliche Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte, wie auch Erkenntnisse des Wissensmanagements implementiert werden. Damit gibt der Autor nicht nur den theoretisch Interessierten, sondern auch den an der Ausgestaltung von Managementsystemen interessierten Führungskräften ein Risikomanagement-Modell für produzierende Unternehmen zur Hand, welches Entscheidungs- und Gestaltungsempfehlungen aus der Sicht eines ganzheitlichen Risikomanagements zur Optimierung der Risikolage nicht nur speziell in der Anlagenwirtschaft und Instandhaltung, sondern auch für weitere Aufgaben und Funktions-
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Geleitwort
bündel bzw. das gesamte Unternehmen ermöglicht. Auf diese Weise wird ein weiterer Beitrag zur Managementforschung und -praxis ganz im Sinne der zugrunde liegenden techno-ökonomischen Buchreihe geliefert.
o.Univ.Prof.Dipl.-Ing.Dr. Hubert Biedermann
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ..................................................................... XIII Abbildungsverzeichnis ....................................................................... XV 1
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ..................1 1.1 Problemstellung und wissenschaftliche Fragestellung ............................. 1 1.2 Wissenschaftliche Grundorientierung der Arbeit ....................................... 2 1.2.1 Kritischer Rationalismus als zugrundegelegte wissenschaftstheoretische Sichtweise .................................................. 2 1.2.2 Zugrundegelegtes Basisverständnis des Risikophänomens als Ausgangspunkt dieser Arbeit........................................................... 4 1.2.3 Auswahl der theoretischen Grundlagen dieser Arbeit ........................... 7 1.3 Aufbau der Arbeit........................................................................................... 8
2
Theoretische Grundlagen der Arbeit............................................11 2.1 Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre ................................. 11 2.1.1 Entscheidungen in Betriebswirtschaften ............................................. 11 2.1.2 Forschungsansatz der entscheidungsorientierten BWL ...................... 14 2.2 Systemtheorie .............................................................................................. 17 2.2.1 Grundbegriffe der Systemtheorie ........................................................ 18 2.2.2 Systemdenken .................................................................................... 20 2.3 Radikalkonstruktivistisches Wahrnehmungsmodell ................................ 23 2.3.1 Grundlagen des radikalen Konstruktivismus ....................................... 23 2.3.2 Radikalkonstruktivistische Perspektive in der BWL............................. 25
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit ............29 3.1 Risikoverständnis der Arbeit ...................................................................... 29 3.1.1 Risikobegriff in der Umgangssprache und in der Literatur .................. 29 3.1.2 Objektiver Charakter des Risikos ........................................................ 30 3.1.3 Subjektiver Charakter des Risikos ...................................................... 32 3.1.4 Ableitung einer Risikodefinition ........................................................... 34 3.1.5 Systemtheoretische Fundierung des Risikophänomens ..................... 39 3.2 Grundlagen des Risikomanagements........................................................ 42 3.2.1 Managementfunktionen als Basis für den RM-Begriff ......................... 42 3.2.2 Historische Entwicklung des Risikomanagements .............................. 44 3.2.3 Ableitung einer RM-Definition.............................................................. 45
X
Inhaltsverzeichnis 3.3 RM-Grundbestandteile auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre ............................................................................. 48 3.3.1 Systematische Risikohandhabung als deskriptiver Entscheidungsprozess (RM-Prozess) ................................................. 48 3.3.1.1 Risikoanalyse .................................................................................. 49 3.3.1.2 Risikobewältigung............................................................................ 50 3.3.1.3 Risikokontrolle ................................................................................. 50 3.3.2 Risikomanagement-Ziele .................................................................... 51 3.3.3 Systematisierung der betrieblichen Risikosituation ............................. 53 3.3.3.1 Systematisierungsperspektive Analysebereiche (Risikofelder)........ 53 3.3.3.2 Systematisierungsperspektive Finalität (Risikokategorien).............. 55 3.3.3.3 Systematisierungsperspektive Aggregationsebenen (Betrachtungsebenen) ................................................................... 59 3.3.4 Erklärung und Gestaltung der Risikolage mit Hilfe von RM-Instrumenten ................................................................................ 61 3.3.4.1 Klassifizierung der RM-Instrumente................................................. 61 3.3.4.2 Ereignisbasierte RM-Instrumente .................................................... 62 3.3.4.3 Indikatorbasierte RM-Instrumente ................................................... 63 3.3.4.4 Analysemodellbasierte RM-Instrumente .......................................... 65 3.3.4.5 Narrative RM-Instrumente ............................................................... 66 3.3.4.6 Risikoaggregations-Instrumente ...................................................... 68 3.3.5 Kritische Würdigung des Einsatzes von RM-Instrumenten ................. 69 3.4 Ganzheitliches Risikomanagement............................................................ 71
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells .........................................................75 4.1 Industrie und Industriebetriebe .................................................................. 75 4.2 Risikosituation in Industriebetrieben und Trends im industriellen Risikomanagement ...................................................................................... 76 4.2.1 Gewandelte Risikosituation von Industriebetrieben............................. 76 4.2.2 Entwicklungsschritte im industriellen Risikomanagement ................... 77 4.3 Vorgehensschritte bei der Herleitung des RM-Modells............................ 80 4.4 Konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme .................................. 82 4.4.1 Begriffsbestimmung und Einordnung .................................................. 82 4.4.2 Darstellung des dieser Arbeit zugrundegelegten konzeptionellen Rahmens für Managementsysteme .................................................... 83 4.5 Ableitung der RM-Elemente aus dem St.Galler Management-Konzept... 85 4.5.1 Vorstellung des St.Galler Management-Konzeptes............................. 86 4.5.2 Ableitung der RM-Elemente ................................................................ 87 4.6 Darstellung eines ganzheitlichen industriellen RM-Modells auf Basis des Generic Management-Konzeptes.............................................. 89 4.6.1 Vorstellung des Leobner Generic Management-Konzeptes................ 90 4.6.2 Basiselement des RM-Modells............................................................ 91 4.6.3 Koordinationselemente des RM-Modells............................................. 93 4.6.3.1 Unternehmensstrategie und RM-Strategie ...................................... 94 4.6.3.2 Gesamtorganisation und RM-Organisationsstruktur........................ 96
Inhaltsverzeichnis
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4.6.3.3 Unternehmenskultur und RM-Kultur ................................................ 97 4.6.3.4 Daten und Informationen des Gesamtunternehmens und des Risikomanagements....................................................... 100 4.6.3.5 Risikocontrolling ............................................................................ 102 4.6.4 Entscheidungselemente des RM-Modells ......................................... 105 4.6.5 Supportelemente des RM-Modells .................................................... 107 4.6.5.1 Gesetzlicher Rahmen und Corporate Governance........................ 108 4.6.5.2 Risikoorientiertes Führungskonzept .............................................. 109 4.6.5.3 Internes Überwachungssystem ..................................................... 110 4.6.5.4 Risikofinanzierung und Risikoversicherung ................................... 112 4.6.5.5 Krisenmanagementsystem ............................................................ 113 4.6.5.6 Früherkennungssystem ................................................................. 115 4.6.6 Entwicklungselement des RM-Modells.............................................. 116 4.7 Gesamtdarstellung des RM-Modells ........................................................ 118
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Konkretisierung des Risikomanagement-Modells in der industriellen Instandhaltung............................................121 5.1 Anlagenwirtschaft und Instandhaltung.................................................... 121 5.1.1 Anlagenwirtschaft.............................................................................. 121 5.1.2 Instandhaltung................................................................................... 122 5.2 Relevanz des Risikomanagements in der Instandhaltung ..................... 125 5.3 Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung............................... 128 5.4 Basiselement des RM-Modells in der Instandhaltung ............................ 130 5.5 Koordinationselemente des RM-Modells in der Instandhaltung............ 133 5.5.1 RM-Strategie in der Instandhaltung................................................... 133 5.5.2 RM-Organisationsstruktur in der Instandhaltung ............................... 136 5.5.3 RM-Kultur in der Instandhaltung........................................................ 138 5.5.4 RM-Daten und -Informationen in der Instandhaltung ........................ 140 5.5.5 Risikocontrolling in der Instandhaltung.............................................. 142 5.6 Entscheidungselemente des RM-Modells in der Instandhaltung .......... 145 5.6.1 Risikokategorien in der Instandhaltung ............................................. 145 5.6.2 Risikostrukturierung in der Instandhaltung ........................................ 147 5.6.3 RM-Instrumente in der Instandhaltung .............................................. 148 5.6.4 Risikoorientiertes Verhalten in der Instandhaltung ............................ 151 5.6.5 RM-Prozess in der Instandhaltung .................................................... 153 5.6.5.1 Top-down-Vorgehen (Screening) mit Hilfe der Risikoszenariomethodik ............................................................... 154 5.6.5.2 Intermediate und detaillierte Betrachtung in kritischen Bereichen .................................................................... 165 5.6.5.3 Resümee ....................................................................................... 167 5.7 Supportelemente des RM-Modells in der Instandhaltung ...................... 167 5.7.1 Gesetzlicher Rahmen und Corporate Governance ........................... 168 5.7.2 Risikoorientiertes Führungskonzept .................................................. 168 5.7.3 Internes Überwachungssystem ......................................................... 169 5.7.4 Risikofinanzierung und Risikoversicherung....................................... 169 5.7.5 Krisenmanagementsystem................................................................ 170
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Inhaltsverzeichnis
5.7.6 Früherkennungssystem..................................................................... 171 5.8 Entwicklungselement des RM-Modells in der Instandhaltung............... 172 5.9 Ganzheitliche Perspektive des Risikomanagements in der Instandhaltung ........................................................................................... 174
6
Zusammenfassung und Ausblick ...............................................177
Literaturverzeichnis ...........................................................................181
Abkürzungsverzeichnis A Abschn. AktG AS/NZS B BWL CAPM CBM COSO DBW DIN E EFQM Erw. d. RN ETA f. ff. FMEA GmbH Hrsg. IH ISO IT K KCI KonTraG KPI KRI KVP lat. MS ÖNORM ONR
… Risikoanalyse … Abschnitt … Aktiengesetz … Australian/ New Zealand Standard … Risikobewältigung … Betriebswirtschaftslehre … Capital Asset Pricing Model … Condition Based Maintenance … Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission … Die Betriebswirtschaft … Norm des Deutschen Institutes für Normung … Ereignis … European Foundation for Quality Management … Erwartungen des Risikonehmers … Event Tree Analysis … folgende Seite … fortfolgende Seiten … Failure Mode and Effects Analysis … Gesellschaft mit beschränkter Haftung … Herausgeber … Instandhaltung … Norm der Internationalen Organisation für Standardisierung … Information Technology … Risikokontrolle … Key Control Indicator … Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich … Key Performance Indicator … Key Risk Indicator … Kontinuierliches Verbesserungsprogramm … lateinisch … Managementsystem … Norm des Österreichischen Normungsinstitutes … Regelwerk des Österreichischen Normungsinstitutes
XIV R RBM RCM RE RIMAP RM RMP s. Sp. TPM TQM U u.a. VDI vgl. W ZfB ZfbF ZfCM zit.
Abkürzungsverzeichnis … Risiko … Risk Based Maintenance … Reliability Centred Maintenance … Risikoerwartungswert … Risk Based Inspection and Maintenance Procedure for European Industry … Risikomanagement … Risikomaßnahmen-Prioritätszahl … siehe … Spalte … Total Productive Maintenance … Total Quality Management … Ursache … unter anderem … Verein Deutscher Ingenieure … vergleiche … Wirkung … Zeitschrift für Betriebswirtschaft … Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung … Zeitschrift für Controlling und Management … zitiert
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Entscheidungsprozess des Risikomanagements................................ 6
Abbildung 2:
Aufbau der Arbeit (Phase 1 und 2: Vorstudie und Begriffsbildung)..... 9
Abbildung 3:
Aufbau der Arbeit (Phase 3 und 4: Allgemeines Modell und Anwendung des Modells) ................................................................. 10
Abbildung 4:
Grundbegriffe des menschlichen Handelns in Betriebswirtschaften ......................................................................... 12
Abbildung 5:
Einflussgrößen und Phasen des Entscheidungsprozesses .............. 14
Abbildung 6:
Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre ................................................................... 15
Abbildung 7:
Formale Struktur eines Zielsystems.................................................. 16
Abbildung 8:
Formale Systemdarstellung .............................................................. 19
Abbildung 9:
Prinzip der Aspektsystem-Betrachtung............................................. 22
Abbildung 10: Darstellung von Risiken in einer Risikomatrix ................................... 37 Abbildung 11: Wahrscheinlichkeitsverteilung für ein mögliches Risiko.................... 38 Abbildung 12: Risiko-Basiselement der systemtheoretischen Risikobetrachtung............................................................................. 40 Abbildung 13: Symbolische Darstellung des systemtheoretischen Risikoverständnisses dieser Arbeit als eine sich zeitlich verändernde Ursachen-Wirkungs-Kette ........................................... 41 Abbildung 14: Interpretation des RM-Prozesses auf Basis des deskriptiven Entscheidungsprozesses der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre ................................................................... 49 Abbildung 15: Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach Risikofeldern ............................................................................ 54 Abbildung 16: Aspektbezogene Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach einer einzelnen Risikokategorie ....................... 57 Abbildung 17: Aspektbezogene Systematisierung der Risikosituation nach Risikokategorien ...................................................................... 58 Abbildung 18: Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach Betrachtungsebenen................................................................ 60
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 19: Überblick über die in dieser Arbeit verwendete Klassifizierung der RM-Instrumente.................................................. 62 Abbildung 20: Symbolische Darstellung der Klasse: Ereignisbasierte RM-Instrumente................................................................................ 63 Abbildung 21: Symbolische Darstellung der Klasse: Indikatorbasierte RM-Instrumente................................................................................ 64 Abbildung 22: Symbolische Darstellung der Klasse: Analysemodellbasierte RM-Instrumente................................................................................ 65 Abbildung 23: Symbolische Darstellung der Klasse: Narrative RM-Instrumente ..... 67 Abbildung 24: Zuordnung der RM-Instrumente zu den Informationsdefizitklassen ................................................................ 71 Abbildung 25: Konstruktivistisches Wissens- und Wahrnehmungsmodell (ergänzt um RM-Aspekte) ................................................................ 74 Abbildung 26: Trends und Ansätze im industriellen Risikomanagement ................. 79 Abbildung 27: Management-Konzepte, -Modelle und -systeme .............................. 83 Abbildung 28: Konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme (Managementsystem-Tensor) .......................................................... 85 Abbildung 29: Das St.Galler Management-Konzept ................................................ 87 Abbildung 30: Aus dem St.Galler Management-Konzept abgeleitete RM-Elemente ................................................................................... 88 Abbildung 31: RM-Philosophie und Erwartungen der Risikonehmer als die beiden Dimensionen des Basiselementes des RM-Modells ............. 92 Abbildung 32: Koordinationselemente des RM-Modells .......................................... 94 Abbildung 33: Integrierte Behandlung der Gesamtstrategie und der RM-Strategie .................................................................................... 95 Abbildung 34: Entscheidungselemente des RM-Modells....................................... 105 Abbildung 35: Supportelemente des RM-Modells.................................................. 108 Abbildung 36: Traditionelle und innovative Wege der Risikofinanzierung ............. 113 Abbildung 37: Kernelemente eines reaktiven Krisenmanagements....................... 114 Abbildung 38: Symbolische Gesamtdarstellung des industriellen RM-Modells...... 119 Abbildung 39: Anlagen-Lebenszyklusorientierte Entscheidungs- und Aktionsbereiche der Anlagenwirtschaft........................................... 122 Abbildung 40: Aufgabenfelder der Instandhaltung................................................. 123 Abbildung 41: Formalzielsystem und die daraus abgeleitete Detaillierung des Zielsystems in der Instandhaltung (Teilziele bzw. Sachziele)......... 124
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildung 42: Charakterisierung der Basisstrategien der Instandhaltung ............. 125 Abbildung 43: Regelsystemorientierte Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung ...................................................................... 129 Abbildung 44: RM-Basiselement der Instandhaltung............................................. 131 Abbildung 45: RM-Strategie und RM-Prozess als Bindeglieder zwischen der RM-Philosophie und den RM-Aktivitäten.................................. 133 Abbildung 46: Erfolgskomponenten der strategischen Instandhaltungs-Planung................................................................ 136 Abbildung 47: Symbolische Darstellung der risikoorientierten Instandhaltungsbudgetplanung auf Basis der Risikoszenariomethode .................................................................. 145 Abbildung 48: Anlagenstruktur als Basis der Risikostrukturierung in der Instandhaltung ...................................................................... 148 Abbildung 49: Detaillierungsgrad der Risikoanalyse.............................................. 154 Abbildung 50: Bewertungskriterien für die Risikoauswirkung ................................ 156 Abbildung 51: Bewertungskriterien für die Risiko-Eintrittswahrscheinlichkeit ........ 157 Abbildung 52: Risikomatrix mit verschiedenen Risikobereichen............................ 157 Abbildung 53: Basisstrategiefelder der risikoorientierten Instandhaltung .............. 159 Abbildung 54: Symbolische Darstellung des Bewertungsschrittes ........................ 161 Abbildung 55: Praxisbeispiel eines Maßnahmenkataloges.................................... 162 Abbildung 56: Berechnung der Risikoerwartungswerte auf Basis der finanziellen Bewertungskriterien..................................................... 164
1 Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die nachfolgende Darstellung der wissenschaftlichen Fragestellung, der wissenschaftstheoretischen Orientierung und des zugrundegelegten Basisverständnisses des Risikophänomens. Darauf aufbauend werden im Abschnitt 1.2.3 geeignete theoretische Grundlagen ausgewählt, mit denen in weiterer Folge das Wesen des Risikos durchleuchtet wird. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit der Darstellung des Aufbaus dieser Arbeit.
1.1 Problemstellung und wissenschaftliche Fragestellung Die betriebliche Praxis beschäftigt sich in den letzten Jahren umfangreicher und systematischer mit ihren Risikopotenzialen. Eine wesentliche Ursache hierfür ist, dass das Umfeld von Wirtschaftsunternehmen durch eine gestiegene Dynamik und Komplexität charakterisiert ist. Vor allem die globale Öffnung der Märkte, die neuen Informationstechnologien und Innovationen, die niedrigen Transportkosten, sowie der Rückzug des Staates führen zurzeit in allen Wirtschaftssektoren zu einer Verschärfung des Wettbewerbs.1 Wenn sich Unternehmen nicht an diese neuen Bedingungen anpassen, so können daraus existenzbedrohende Entwicklungen resultieren. Diese Herausforderungen gelten insbesondere für Industriebetriebe, die den Betrachtungsbereich dieser Arbeit bilden. Deren verschärfte Risikolage ist vor allem durch geänderte technologische, wirtschaftliche und rechtliche Faktoren verursacht.2 Diese Aspekte werden hier nicht weiter vertieft, da diese im Abschnitt 4.2.1 eingehend behandelt werden. Trotz der verschärften Risikosituation und des damit verbundenen gestiegenen Interesses besteht in der industriellen Praxis „zurzeit noch eine gewisse Orientierungslosigkeit über die zweckmäßige Ausgestaltung des Risikomanagements. Die Betriebswirtschaftslehre sollte der Praxis Hilfestellung in Form von geeigneten Konzepten und Instrumenten geben, jedoch existieren hier wenige geschlossene und praktikable
1 2
vgl. Hinterhuber (1998), S.12 vgl. Kremers (2002), S.28
2
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Ansätze.“3 Aufgrund dieses Bedarfes an Konzepten ist es das Ziel dieser Arbeit, ein ganzheitliches industrielles Risikomanagement-Modell zu entwickeln, welches dann beispielhaft für ein betriebliches Aufgabenfeld im Detail ausgearbeitet werden soll, und zwar für die industrielle Instandhaltung. Diese Zielsetzung sei entsprechend der nachfolgenden wissenschaftlichen Fragestellung konkretisiert: Wissenschaftliche Kernfrage: Welche Entscheidungs- und Gestaltungsempfehlungen sind aus der Sicht eines ganzheitlichen Risikomanagements zur Optimierung der Risikolage von Industriebetrieben zweckmäßig? Aus der Kernfrage abgeleitete Detailfragen: 1. Welche theoretischen Grundlagen sind geeignet zur Beantwortung der wissenschaftlichen Kernfrage? 2. Welches Risikoverständnis muss einem ganzheitlichen Risikomanagement zugrundegelegt werden? 3. Welche spezifischen Anforderungen an das Risikomanagement ergeben sich aus der Sicht von Industriebetrieben? 4. Welche Bestandteile muss ein ganzheitliches RM-Modell für Industriebetriebe beinhalten, um die wissenschaftliche Kernfrage optimal zu beantworten? 5. Welche Gestaltungsempfehlungen können für die industrielle Instandhaltung aus dem RM-Modell abgeleitet werden?
1.2 Wissenschaftliche Grundorientierung der Arbeit Den Ausgangspunkt bei der Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung bilden die nachfolgenden Ausführungen, an denen sich die restliche Arbeit orientiert.
1.2.1 Kritischer Rationalismus als zugrundegelegte wissenschaftstheoretische Sichtweise Eine induktive Herleitung eines ganzheitlichen RM-Modells auf Basis des positivistischen4 Wissenschaftsverständnisses ist nicht möglich, da zurzeit in der betrieblichen Praxis kaum ganzheitliche RM-Konzepte eingeführt sind, auf deren Grundlage ein induktives Forschungsprogramm durchgeführt werden könnte. Deshalb wird in dieser Arbeit das RM-Modell deduktiv aus der betriebswirtschaftlichen Literatur abgeleitet 3 4
zit. Hoitsch/Winter (2004), S.235 vgl. Mittelstraß (1995), S.303f.; Chalmers (2001), S.35ff.
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
3
und die Gültigkeit des solchermaßen aufgebauten Modells in weiterer Folge durch dessen Erprobung in Industriebetrieben überprüft. Ausgehend von dieser grundlegenden Vorgehensweise bildet folglich der kritische Rationalismus die geeignete wissenschaftstheoretische Basis dieser Arbeit. Diese Wahl ist deshalb gerechtfertigt, da der kritische Rationalismus die Erprobung von Erkenntnissen (vorläufige Bestätigung oder Falsifikation) in den Vordergrund der wissenschaftlichen Aktivitäten stellt, wobei der eigentliche Prozess der Erkenntnisgenerierung offen gelassen wird, weshalb die deduktive Vorgehensweise dieser Arbeit nicht im Widerspruch dazu steht.5 Die Grundlagen des kritischen Rationalismus werden hier nicht dargestellt, sondern es sei auf die Literatur6 verwiesen. Nachfolgend wird vielmehr auf die Konsequenzen eingegangen, die sich aus dieser wissenschaftlichen Orientierung für die Entwicklung und Überprüfung des RM-Modells dieser Arbeit ergeben. Entsprechend der wissenschaftlichen Fragestellung besteht die zu falsifizierende Aussage darin, dass durch die Umsetzung des RM-Modells dieser Arbeit die Risikolage eines Industriebetriebes optimiert werden kann. Hierzu muss das RM-Modell soweit konkretisiert werden, sodass eine Falsifizierung dieser Aussage grundsätzlich möglich ist. Diese Aufgabenstellung wird in dieser Arbeit in zwei Schritten realisiert. Im ersten Schritt wird im Zuge der eigentlichen Herleitung des RM-Modells das Modell allgemeingültig dargestellt, damit ein Überblick über das Modell geschaffen wird. Eine solche offene Modelldarstellung ist jedoch im Sinne des kritischen Rationalismus nicht falsifizierbar, weshalb das Modell im zweiten Schritt um konkrete Gestaltungsempfehlungen ergänzt werden muss. Im Zusammenhang mit dem im obigen Absatz dargestellten Forschungsprogramm muss beachtet werden, dass eine vollständige Konkretisierung und Erprobung des Modells in sämtlichen industriellen Aufgabenfeldern den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. Deshalb wird aufbauend auf der deskriptiven Basisdarstellung des Modells dessen Konkretisierung beispielhaft nur für ein betriebliches Aufgabenfeld gezeigt (industrielle Instandhaltung) und die daraus folgenden Aussagen und Gestaltungsempfehlungen im Zuge von Industrieprojekten erprobt. Aus dieser Vorgehensweise resultiert somit ein weiterer Forschungsbedarf, und zwar die Konkretisierung und Erprobung des RM-Modells für sämtliche Unternehmensfunktionen. Folglich müssen die Inhalte dieser Arbeit als Startpunkt eines umfassenden Forschungsprogramms verstanden werden. 5 6
vgl. Prim/Tilmann (1997), S.79ff. vgl. Popper (1994), S.1ff.; Chalmers (2001), S.51ff.; Prim/Tilmann (1997), S.1ff.
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Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Ein Kernaspekt der kritisch-rationalen Sichtweise ist, dass als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Aktivitäten die begrifflichen Grundlagen klargestellt werden müssen.7 Damit die Aussage der wissenschaftlichen Fragestellung „Optimierung der Risikolage“ falsifizierbar ist, muss somit vorab der Risikobegriff definiert werden. Eine exakte Festlegung des Risikobegriffes wird jedoch dadurch erschwert, dass hierfür in der Literatur viele unterschiedliche Definitionen existieren, da jeder Fachbereich den jeweils verwendeten Risikobegriff vor dem Hintergrund einer konkreten Problemstellung bestimmt. Im Allgemeinen ist der Risikobegriff negativ belegt, d.h. ein Risiko wird als die Möglichkeit „ungünstiger künftiger Entwicklungen“ interpretiert.8 Zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung auf Grundlage der kritischrationalen Vorgehensweise ist jedoch zu konkretisieren, was unter einer „ungünstigen Entwicklung“ zu verstehen ist. Dazu werden nachfolgend ein Basisverständnis des Risikophänomens dargestellt und darauf aufbauend geeignete theoretische Grundlagen ausgewählt, mit denen dann das Risikophänomen wissenschaftlich durchleuchtet und ein RM-Modell entwickelt wird.
1.2.2 Zugrundegelegtes Basisverständnis des Risikophänomens als Ausgangspunkt dieser Arbeit Betriebswirtschaften werden in dieser Arbeit in Anlehnung an HEINEN und ULRICH als komplexe, zweckorientierte, offene, soziale Systeme mit einer Reihe von funktionalen Subsystemen interpretiert.9 Unter „Zweck“ werden dabei die Bedürfnisse und Erwartungen der als relevant wahrgenommenen Anspruchsgruppen verstanden, die durch die Aktivitäten des zweckorientierten Systems befriedigt werden sollen.10 Aufbauend auf diesem Grundverständnis wird für die weiteren Ausführungen angenommen, dass die Aktivitäten, Ereignisse und Entwicklungen in Betriebswirtschaften grundsätzlich durch Ursachen-Wirkungs-Beziehungen beschreibbar sind. Entsprechend dieser Auffassung basiert der Risikobegriff dieser Arbeit auf der Analyse von möglichen zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen in der betrachteten Betriebswirtschaft und dessen Umfeld, aus denen „ungünstige künftige Entwicklungen“11 resultieren können. Auf die Begriffsinhalte dieser Sichtweise wird im Nachfolgenden eingegangen, woraus sich das Risiko-Basisverständnis dieser Arbeit ergibt.
7 8 9 10 11
vgl. Prim/Tilmann (1997), S.79ff. vgl. Eggermann/Konradt (2000), S.504 vgl. Heinen (1971), S.432; Ulrich (2001), S.111 vgl. Schmidt/Schwegler (2003), S.30 vgl. Abschnitt 1.2.1
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
5
Entsprechend der obigen Auffassung resultiert das Risikophänomen aus ungünstigen künftigen Ursachen-Wirkungs-Beziehungen. Dabei ist für das Risikoverständnis dieser Arbeit wesentlich, dass in sozialen Systemen die Ursachen-WirkungsBeziehungen in der Regel nicht monokausal auf einen einzelnen Auslöser zurückzuführen sind. Vielmehr werden sie erst durch das Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren ausgelöst und nachhaltig verstärkt. Wie bereits GUTENBERG erkannt hat, beinhalten nämlich sozioökonomische Systeme einen vergleichsweise hohen Anteil interdependenter und nichtlinearer Beziehungen.12 Weiter erschwert wird die Identifikation von Kausalzusammenhängen durch den Umstand, dass diese oftmals nicht nur in eine Richtung wirken, sondern dass auch Rückkopplungen auftreten können. Es ist also häufig zu beobachten, „dass das, was als Wirkung bezeichnet wird, auf die Ursache zurückwirkt und damit selbst zur Ursache wird.“13 Solche rekursive Beziehungen tragen zu einer weiteren Transparenzverschlechterung der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge bei. Bereits bei sehr einfachen deterministischen Systemen reichen einige nichtlineare bzw. rückgekoppelte Verknüpfungen aus, um ein unregelmäßiges Systemverhalten zu generieren, das oftmals sprunghafte Änderungen aufweist, sich im Zeitablauf nicht wiederholt und häufig keinem stabilen Gleichgewicht zustrebt. Dabei können bereits marginale Modifikationen der Ausgangsbedingungen enorme Veränderungen der Folgezustände bewirken. Zeigen sozioökonomische Systeme solche Eigenschaften, dann besteht somit grundsätzlich ein Informationsdefizit bezüglich der Ausprägung der einzelnen Komponenten der zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Beziehungen.14 In den meisten realen Situationen ist von einem derartigen Informationsdefizit auszugehen.15 Die Darstellung von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen und die darauf aufbauende Bewertung von unerwünschten Abweichungen in einem zweckorientierten System sind abhängig vom Modell, das sich der Beobachter von der Welt macht. Menschen betrachten nämlich dasselbe Beobachtungsobjekt unter verschiedenen Aspekten (Positionen), sowie mit unterschiedlichen Beobachtungsinstrumenten (Brillen) und Versuchsanordnungen (Experimenten).16 HOLZHEU/WIEDEMANN folgern daraus, dass der Risikobegriff ein „Konstrukt“ ist, „d.h. Risiko ist (auch) ein Beobachtungskonzept, nicht nur ein Beobachtungsgegenstand. Als Beobachtungskonzept ist es eine Art von Brille, durch die man die Welt betrachtet. Was dabei als Risiko gesehen 12 13 14 15 16
vgl. Gutenberg (1989), S.155 zit. Schuy (1989), S.68 vgl. Helten/Hartung (2002), S.257 vgl. Erben/Romeike (2003a), S.46ff. vgl. Helten/Bittl/Liebwein (2000), S.159f.
6
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
wird, ist nicht unmittelbar Wirklichkeit, sondern hängt von der Art der Brille ab und der Weise, wie durch sie geschaut wird.“17 Bei der Analyse des Risikophänomens muss man sich daher immer „vor Augen führen, dass Risiken ein Konstrukt sind. Das Material, aus dem Risiken konstruiert sind, liefern uns die Sinne. Die Bewertung, ob wir etwas als risikoreich einstufen, hängt von unserer subjektiven Wahrnehmung und Reizverarbeitung ab.“18 Darüber hinaus wird dieser subjektive Konstruktionsprozess vor allem durch die individuelle Lerngeschichte geprägt. Was für den einen ein Risiko ist, braucht somit für den anderen noch lange keines zu sein. Wie kann nun die Betriebswirtschaftslehre auf Basis des hier dargestellten Risikoverständnisses die „Orientierungslosigkeit über die zweckmäßige Ausgestaltung des Risikomanagements“19 begegnen? Mit anderen Worten, wie kann das Risikophänomen analysiert und darauf aufbauend ein geeignetes Risikomanagement gestaltet, gelenkt und entwickelt werden? Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei der klare fachliche Konsens der Literatur, dass die systematische Risikohandhabung in Betriebswirtschaften als strukturierter Entscheidungsprozess abgearbeitet werden sollte (RM-Prozess).20 Die Abbildung 1 zeigt eine mögliche Ausprägung der Grundschritte des RM-Prozesses. Unterschiede bestehen dabei in der Literatur meist nur bei der Bezeichnung der Schritte und bei Detailfragen zu jedem Schritt. Der RMProzess bildet somit einen wesentlichen Bestandteil des Risikomanagements, obwohl dieses nicht darauf reduziert werden darf, da bei einer ganzheitlichen RMSichtweise, neben dem RM-Prozess, alle relevanten Aspekte der betrieblichen Managementfunktion berücksichtigt werden müssen.
Entscheidungen bei der
RISIKOANALYSE
Entscheidungen bei der
RISIKOBEWÄLTIGUNG
Entscheidungen bei der
RISIKOKONTROLLE
Abbildung 1: Entscheidungsprozess des Risikomanagements21
17 18 19 20
21
zit. Holzheu/Wiedemann (1993), S.9f. zit. Romeike (2003c), S.197 zit. Hoitsch/Winter (2004), S.235 siehe zum Beispiel: Kratzheller (1997), S.91; Kremers (2002), S.76ff.; Horvath/Gleich (2000), S.109; Werder (1992), Sp.2213f.; ONR 49001 (2004), S.7ff.; Diederichs (2004), S.93ff.; Romeike (2003a), S.147ff.; Wolf/Runzheimer (2003), S.41ff.; Brühwiler (2001), S.79f. vgl. Kremers (2002), S.78
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
7
1.2.3 Auswahl der theoretischen Grundlagen dieser Arbeit Ausgehend von der im Abschnitt 1.2.1 beschriebenen wissenschaftstheoretischen Vorgehensweise (kritischer Rationalismus) sind zur Vertiefung des im Abschnitt 1.2.2 beschriebenen Basisverständnisses und zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung geeignete theoretische Grundlagen notwendig, um darauf aufbauend eine konsistente Begriffsbildung ableiten zu können. Wie nachfolgend begründet wird, bilden entsprechend des im Abschnitt 1.2.2 dargestellten Basisverständnisses die Systemtheorie, das radikalkonstruktivistische Wahrnehmungsmodell, die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre, sowie maßgebliche Erkenntnisse von Managementansätzen geeignete theoretische Grundlagen. Bei der nachfolgenden Begründung der Auswahl dieser Grundlagen wird jedoch auf deren Details noch nicht eingegangen, sondern diese werden in den Kapiteln 2 und 4 gebracht. Systemtheoretisches Vorgehen Risiken äußern sich in ungünstigen, zukünftigen, meist komplexen (nichtlinearen und nichtmonokausalen) Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen, über die gegenwärtig ein Informationsdefizit bezüglich der Ausprägung der einzelnen Komponenten dieser Zusammenhänge herrscht.22 Deshalb ist es im Allgemeinen schwierig, konkrete Ursachen und übereinstimmende Merkmale herauszugreifen, anhand derer sich die Risikolage in Betriebswirtschaften charakterisieren, analysieren oder gar quantifizieren lässt. Aufgrund der Heterogenität der einzelnen Entwicklungen und ihrer Auslöser, sowie der dahinterliegenden Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge, ist somit das Risikophänomen in Betriebswirtschaften nur auf einer Metaebene beschreibbar. Hierfür stellen die Aussagen der Systemtheorie einen geeigneten Erklärungsansatz dar, da die Systemtheorie eine in vielen Disziplinen bewährte Methodologie zur Analyse der Komplexität und Dynamik in Betriebswirtschaften sowie ihres Umfeldes bietet.23 Radikalkonstruktivistisches Wahrnehmungsmodell Der Risikobegriff ist ein „Konstrukt“, der sowohl objektive als auch subjektive Aspekte aufweist.24 Neben den objektiven Einflussgrößen hängt somit das Risikophänomen wesentlich von der subjektiven Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte der Betroffenen ab. Um diesen subjektiven und konstruktivistischen Charakter des Risikos wissenschaftlich untersuchen zu können, wird in dieser Arbeit das radikal-
22 23 24
vgl. Abschnitt 1.2.2 vgl. Erben/Romeike (2003a), S.46 vgl. Abschnitt 1.2.2
8
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
konstruktivistische Wahrnehmungsmodell als Betrachtungsperspektive gewählt, wobei die Wahl dieser Perspektive im Abschnitt 2.3 eingehender begründet wird. Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre Ein wesentliches Element bei der betrieblichen Risikohandhabung bildet der RMEntscheidungsprozess.25 Dieser wird somit als Ausgangspunkt für die Herleitung eines ganzheitlichen RM-Modells verwendet, weshalb zur wissenschaftlichen Diskussion des RM-Entscheidungsprozesses die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre gewählt wird. Mit Hilfe dieses Ansatzes können nämlich die dem RMProzess innewohnenden Entscheidungsaspekte analysiert und darauf aufbauend geeignete Erklärungs- und Gestaltungsempfehlungen für das Risikomanagement abgeleitet werden, die in weiterer Folge zu einem ganzheitlichen RM-Modell ausgebaut werden können. Managementansätze Zur Herleitung eines ganzheitlichen RM-Modells muss der RM-Entscheidungsprozess um relevante Aspekte der betrieblichen Managementfunktion ergänzt werden.26 Bei der Durchführung dieser Ergänzungsschritte wird einer Empfehlung von SCHWANINGER gefolgt, nach der für diese Aufgabenstellung ganzheitliche Rahmenkonzepte und richtungweisende Leitideen den Ausgangspunkt bilden sollten.27 Dieser Empfehlung folgend werden drei Leitideen bei der Entwicklung des RMModells verwendet, und zwar ein konzeptioneller Rahmen für industrielle Managementsysteme, das St.Galler Management-Konzept und das Leobner Generic Management-Konzept. Die Begründung dieser Perspektivenwahl und deren detaillierte Beschreibung erfolgt im Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Herleitung des RMModells.
1.3 Aufbau der Arbeit Die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung erfolgt in zwei Hauptschritten (siehe Abbildung 2 und Abbildung 3), wobei diese Schritte in fünf Kapiteln abgearbeitet werden. Im Kapitel 2 werden die theoretischen Grundlagen der Arbeit dargestellt, die entsprechend dem Abschnitt 1.2 zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung benötigt werden. Aufbauend auf diesen Grundlagen wird im Kapitel 3 ein
25 26 27
vgl. Abschnitt 1.2.2 vgl. Abschnitt 1.2.2 vgl. Schwaninger (1994), S.302
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
9
Risiko- und RM-Verständnis entwickelt, das als Basis für die Herleitung des RMModells dient.
Vorstudie Kapitel 1 & 2
Wissenschaftliche Fragestellung
Wissenschaftstheorie: Kritischer Rationalismus
Theoretische Grundlagen: Entscheidungsorientierte BWL Systemtheorie Radikaler Konstruktivismus
RM-Grundverständnis dieser Arbeit (Abschnitte 3.2 bis 3.4)
RisikoVerständnis dieser Arbeit (Abschnitt 3.1)
RM-Grundbestandteile auf Basis der entscheidungsorientierten BWL (Abschnitt 3.3) Systematische Risikohandhabung als deskriptiver Entscheidungsprozess: RM-Prozess (Abschnitt 3.3.1) RM-Ziele (Abschnitt 3.3.2)
Systematisierung der Risikosituation (Abschnitt 3.3.3)
Erklärung und Gestaltung der Risikolage mit Hilfe von RM-Instrumenten (Abschnitte 3.3.4 und 3.3.5)
Kritischer Rationalismus Theoretische Grundlagen
Kritischer Rationalismus Theoretische Grundlagen
Begriffsbildung Kapitel 3
Definition des RM-Begriffes (Abschnitt 3.2)
Ganzheitliches Risikomanagement (Abschnitt 3.4)
Abbildung 2: Aufbau der Arbeit (Phase 1 und 2: Vorstudie und Begriffsbildung)
Im Kapitel 4 erfolgt die Herleitung eines RM-Modells für Industriebetriebe auf Basis von drei Leitideen (siehe Abschnitt 4.4, 4.5 und 4.6). Das Resultat dieser Vorgehensweise wird im Abschnitt 4.6 und 4.7 detailliert dargestellt. Darauf aufbauend wird im Kapitel 5 das im Kapitel 4 entwickelte RM-Modell beispielhaft für ein konkretes industrielles Aufgabenfeld im Detail ausgearbeitet, und zwar für die industrielle Instandhaltung.
Risikomanagement in Industriebetrieben (Abschnitte 4.1 & 4.2)
Vorgehensschritte bei der Herleitung des RM-Modells (Abschnitt 4.3)
Konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme (Abschnitt 4.4)
Industrielles Risikomanagement auf Basis des St. Galler Management-Konzeptes und des Leobner Generic Management-Konzeptes (Abschnitte 4.5 & 4.6)
Risikomanagement-Modell für Industriebetriebe (Abschnitte 4.6 und 4.7) Zielsystem der Instandhaltung (Abschnitt 5.1)
RM-Politik des Unternehmens (Abschnitt 4.6.2)
Basisaufgaben der Instandhaltung (Abschnitt 5.1)
Spez. Risiken der Instandhaltung (Abschnitt 5.2)
Vorgehensweise bei der Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung (Abschnitt 5.3)
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis dieser Arbeit (Kapitel 3)
Problemstellung, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis dieser Arbeit (Kapitel 3)
Anwendung des Modells Kapitel 5
Allgemeines Modell Kapitel 4
10
Risikomanagement in der industriellen Instandhaltung (Abschnitte 5.3 bis 5.9)
Abbildung 3: Aufbau der Arbeit (Phase 3 und 4: Allgemeines Modell und Anwendung des Modells)
2 Theoretische Grundlagen der Arbeit Wie im Abschnitt 1.2 begründet wurde, orientiert sich die wissenschaftliche Vorgehensweise dieser Arbeit am kritischen Rationalismus. Darauf aufbauend wird das Risikophänomen im Rahmen dieser Wissenschaftstheorie vor allem auf Basis von drei Betrachtungsperspektiven konkretisiert, und zwar auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, der Systemtheorie und des radikalkonstruktivistischen Wahrnehmungsmodells. Die theoretischen Grundlagen dieser Perspektiven werden nachfolgend dargestellt, wobei vor allem auf jene Aspekte eingegangen wird, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird.
2.1 Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftlehre ist ein eigenständiger betriebswirtschaftlicher Forschungsansatz, der die Tatbestände der Praxis aus der Sichtweise betrieblicher Entscheidungen zu systematisieren, zu erklären und zu gestalten versucht.28 Nachfolgend werden, nach einer Einführung in die entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, diejenigen Aspekte dieses Ansatzes dargestellt, die für diese Arbeit relevant sind.
2.1.1 Entscheidungen in Betriebswirtschaften In der Abbildung 4 wird der Entscheidungsaspekt als Teildimension der betriebswirtschaftlich notwendigen Handlungen interpretiert. Dabei versteht man unter Entscheidung den Akt der Willensbildung, d.h. den Entschluss eines Menschen etwas so und nicht anders auszuführen.29
28 29
vgl. Heinen (1991), S.12 vgl. Heinen (1992), S.21
12
Theoretische Grundlagen der Arbeit
Entscheidung
e
Ausführung
Rang
as Ph
Planung
tz
n io kt
ng ffu
Vollzug
u od
ha
sa Ab
Pr
sc Be
Kontrolle
Sachcharakter
Abbildung 4: Grundbegriffe des menschlichen Handelns in Betriebswirtschaften30
Den Ausgangspunkt der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre bildet die Erkenntnis, dass es grundsätzlich keine ausführende Tätigkeit in der Planungs-, Vollzugs- und Kontrollphase gibt, die nicht durch einen mehr oder weniger bewussten Akt der Entschlussfassung bestimmt wird. Der Entscheidung kommt daher gegenüber der Ausführung in einem gewissen Sinne der höhere „Rang“ zu. Das gesamte Geschehen in einer Betriebswirtschaft kann somit letztlich als Folge menschlicher Entscheidungen oder Entschlüsse angesehen werden. Die Tatsache, dass sich dabei das wissenschaftliche Bemühen auf Entscheidungen konzentriert, darf jedoch nicht missverstanden werden. Die Betriebswirtschaftslehre erfasst nämlich grundsätzlich alle betrieblichen Tätigkeiten, sie stellt jedoch Entscheidungen deshalb in den Vordergrund, weil diese für alle ausführenden Aktivitäten bestimmend sind. Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre beschränkt sich dabei nicht nur auf Entscheidungen im engeren Sinn, d.h. auf die eigentlichen Willensakte, die die Entscheidungsüberlegungen zum Abschluss bringen. Es wird vielmehr der gesamte Entscheidungsprozess betrachtet. Dazu müssen alle ausführenden Tätigkeiten der Planungs-, Vollzugs- und Kontrollphase berücksichtigt werden, soweit sie im Zusammenhang mit der Entscheidung stehen. Dabei muss zwischen Ziel- und Mittelentscheidungen differenziert werden. Im Rahmen der Ziel- oder Zielsetzungsentscheidung wird festgelegt, welche Ziele verfolgt werden. Die Mittel- oder Zielerreichungsentscheidungen bestimmen dagegen, wie die gesetzten Ziele realisiert werden sollen. 31 30 31
vgl. Heinen (1992), S.21 vgl. Heinen (1992), S.21f.
Theoretische Grundlagen der Arbeit
13
Die Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre bildet die Entscheidungstheorie, in der die folgenden beiden Grundrichtungen unterschieden werden: Präskriptive Entscheidungstheorie Der normative oder präskriptive Ansatz zeigt, wie sich Entscheidungsträger verhalten sollten, um dem Postulat der Rationalität zu genügen. Das Grundmodell der präskriptiven Entscheidungstheorie besteht aus zwei Dimensionen, und zwar dem Entscheidungsfeld und dem Zielsystem des Entscheidungsträgers. Das Entscheidungsfeld umfasst die möglichen Aktionen und Umweltzustände, sowie die Ergebnismenge. Um eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten, müssen auf Basis der Ziele des Entscheidungsträgers die Ergebniswerte in Nutzenwerte transformiert werden. Bei dieser Analyse muss vor allem berücksichtigt werden, wie exakt der Eintritt zukünftiger Umweltsituationen bekannt ist, d.h. ob es sich um eine Entscheidung unter Sicherheit, Risiko oder Unsicherheit handelt. Entscheidungen unter Sicherheit sind dadurch gekennzeichnet, dass der eintretende Umweltzustand bekannt ist (vollkommene Information). Von einer Entscheidungssituation unter Risiko spricht man, wenn der zukünftige Umweltzustand zum Entscheidungszeitpunkt unbekannt ist, jedoch der Entscheidungsträger den möglichen Umweltzuständen konkrete Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnen kann. Sind für den Eintritt der verschiedenen Umweltsituationen keine Wahrscheinlichkeiten ermittelbar, dann spricht man von einer Entscheidung unter Unsicherheit. Darauf aufbauend schlägt die präskriptive Entscheidungstheorie eine Reihe von Empfehlungen zur Auswahl der besten Handlungsweisen vor (Entscheidungsregeln).32 Deskriptive Entscheidungstheorie Die deskriptive Entscheidungstheorie versucht zu erklären, wie betriebswirtschaftliche Entscheidungen tatsächlich zustande kommen und analysiert das damit verbundene menschliche Verhalten in den einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei das in der Abbildung 5 dargestellte Phasenschema des Entscheidungsprozesses, wobei jedoch zu beachten ist, dass dieses Schema einen idealtypischen Ablauf repräsentiert, mit dessen Hilfe die Analyse des Entscheidungsprozesses erleichtert werden soll. Es dient somit der Beschreibung des grundsätzlich denkbaren Endscheidungsablaufes.33
32 33
vgl. Heinen (1991), S.26ff. vgl. Heinen (1991), S.35ff.
14
Theoretische Grundlagen der Arbeit
Zielsystem
Einflussgrößen
Informationssystem
Willensbildung Phasen
Teilaufgaben
Willensdurchsetzung
Planung Anregung
Suche
Sozialsystem
Vollzug
Kontrolle
Verwirklichungsphase
Bestimmung der Zielerreichung
Auswahl
Erkennen und Festlegen von Bestimmung Klarstellen des Kriterien/ der günstigsten Problems Suche nach HandlungsHandlungsweise (Entmöglichkeiten/ scheidungsakt) Beschreibung und Bewertung ihrer Folgen
Rückinformation für Revisionsentscheidungen Abbildung 5: Einflussgrößen und Phasen des Entscheidungsprozesses34
In der betrieblichen Praxis werden Entscheidungen in vielen Fällen nicht in der dargestellten Weise der Abbildung 5 getroffen und abgearbeitet, da es im Allgemeinen Phasenüberschneidungen gibt und der Entscheidungsprozess häufig „verkürzt“ wird. Auf Anregungsinformationen reagiert der Entscheidungsträger meist mit einem routinemäßigen Verhalten, das bei ähnlichen Problemen der Vergangenheit zweckmäßig war. Den echten Entscheidungen, die ein detailliertes Durchdenken des Entscheidungsproblems voraussetzen, stehen somit die völlig routinemäßigen Entscheidungen gegenüber. Die Mehrzahl der betrieblichen Entscheidungen liegen zwischen diesen Extremen.35
2.1.2 Forschungsansatz der entscheidungsorientierten BWL Die Abbildung 6 zeigt den Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. Das obere Rechteck kennzeichnet den Aktivitätsbereich der 34 35
vgl. Heinen (1992), S.52 vgl. Heinen (1992), S.23f.
Theoretische Grundlagen der Arbeit
15
Betriebswirtschaftslehre, das untere Rechteck deutet ihre interdisziplinäre Verbundenheit an.
Betriebswirtschaftslehre Die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten Zielforschung Betriebswirtschaftliche Ziele (z.B. Gewinn-, Umsatz-, Rentabilitäts-, Sicherheitsstreben, etc.)
Systematisierungsaufgabe Betriebswirtschaftliche Entscheidungstatbestände (z.B. Problemstellung im Produktions-, Absatz- oder Finanzbereich, etc.)
Erklärungsaufgabe Betriebswirtschaftliche Erklärungsmodelle (z.B. Produktionsfunktion, Preis-Absatz-Funktion, etc.)
Grundmodelle Betriebswirtschaftlich relevante Modelle des Menschen, der Gruppe, der Organisation und der Gesellschaft
Fachübergreifende (intradisziplinäre) Auffassung (z.B. Entscheidungs-, Organisations-, Systemtheorie)
Gestaltungsaufgabe Betriebswirtschaftliche Entscheidungsmodelle (z.B. Modell zur optimalen Programmplanung, Investitionsmodelle, etc.)
Ergebnis fachverbindender (interdisziplinärer) Forschung
Nachbarwissenschaften (z.B. Volkswirtschaftslehre, Rechtswissenschaften, Soziologie, Politologie, Psychologie, Sozialpsychologie, Mathematik)
Abbildung 6: Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre36
Den Ausgangspunkt beim Forschungsansatz der Abbildung 6 bildet die Erkenntnis, dass die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten einerseits im Mittelpunkt der praktischen Tätigkeit steht und andererseits auch eine Kernaufgabe des wissenschaftlichen Bemühens darstellt. Diese Aufgabenstellung wird entsprechend dem Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre auf Basis folgender Komponenten realisiert: Grundmodelle und interdisziplinärer Bezug Bei der Zielforschung, Systematisierung, Erklärung und Gestaltung wird von Grundmodellen ausgegangen, welche die Verhaltensweisen der Entscheidungsträger beschreiben. Diese Grundmodelle basieren meist auf der allgemeinen Systemtheorie, wobei aus der Vielzahl der möglichen Systeme die betriebswirtschaftlich relevanten Aspekte „Individuum, Gruppe, Organisation und Gesellschaft“ hervorgehoben werden.37 Die Grundmodelle bilden die theoretische Basis der entscheidungsorientierten 36 37
vgl. Heinen (1992), S.259 vgl. Heinen (1971), S.433
16
Theoretische Grundlagen der Arbeit
Betriebswirtschaftslehre. Sie werden teilweise unter Rückgriff auf Nachbardisziplinen und fachübergreifenden Ansätzen entwickelt, wodurch sich eine interdisziplinäre Bereicherung der Betriebswirtschaftslehre ergibt. Diese Berücksichtigung von Erkenntnissen anderer Wissenschaftsbereiche wird durch die Überschneidung der beiden großen Rechtecke in der Abbildung 6 zum Ausdruck gebracht, womit die Sonderstellung der Grundmodelle angedeutet ist.38 Zielforschung Der Forschungsansatz der Abbildung 6 orientiert sich an den zugrundegelegten betriebswirtschaftlichen Zielen. Unter einem Ziel versteht man einen angestrebten zukünftigen Zustand. Die Zielforschung soll Informationen über die Ziele liefern, die in der Praxis verfolgt werden. Darüber hinaus werden mögliche alternative Ziele entwickelt und der Zielentstehungsprozess analysiert. Da in den wenigsten Fällen ausschließlich ein Ziel verfolgt wird, resultieren meist komplexe Zielsysteme, deren Zieldimensionen und -beziehungen bestimmt werden müssen (siehe Abbildung 7).39
Zielsystem
Zieldimensionen
Inhalt
Ausmaß
Zielbeziehungen
zeitlicher Bezug
komplementär
konkurrierend
indifferent
Abbildung 7: Formale Struktur eines Zielsystems40
Systematisierung Ziel der Systematisierung ist die gedankliche Erfassung eines komplexen Betrachtungsbereiches und dessen analytische Aufgliederung in einzelne Elemente nach grundsätzlich beliebigen Kriterien. Die Umsetzung dieser Aufgabenstellung in der betrieblichen Praxis wird durch die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre dadurch unterstützt, indem einerseits die in der Praxis verwendeten Systematisierungsansätze dargestellt und andererseits neue, zweckmäßige Einteilungen vorge-
38 39 40
vgl. Heinen (1991), S.22 vgl. Heinen (1985), S.981; Heinen (1991), S.13 vgl. Heinen (1991), S.16
Theoretische Grundlagen der Arbeit
17
schlagen werden. Dabei darf jedoch ein Problem nicht in einer unangemessenen Weise „simplifiziert“ werden.41 Erklärungsmodelle „Richtige“ Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn der Entscheidungsträger in der Lage ist, die Folgen der verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten vorauszusehen. Die Erklärung und Voraussage von Entscheidungsfolgen bildet somit den Ausgangspunkt der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung. Dabei muss der Zusammenhang zwischen den entscheidungsrelevanten Sachverhalten und den zu berücksichtigenden Zielen so präzise wie möglich erfasst und dargestellt werden. Hierfür sind Erklärungsmodelle zu konstruieren, mit denen die Auswirkungen von verschiedenen Handlungsalternativen auf die Zielerreichung analysiert werden können. Häufig lassen sich jedoch diese Zusammenhänge nicht mathematisch, sondern lediglich verbal oder schaubildlich zum Ausdruck bringen, wobei meist nur tendenzielle Aussagen angegeben werden können.42 Entscheidungsmodelle Erklärungsmodelle ermöglichen in der Regel noch keine unmittelbare Bestimmung der günstigsten Alternative. Zu diesem Zweck müssen Entscheidungsmodelle entwickelt und in den Entscheidungsprozess integriert werden. Bei der Herleitung von analytischen Entscheidungsmodellen wird das zugrundegelegte Erklärungsmodell in mathematischer Form um betriebswirtschaftliche Ziele und Nebenbedingungen erweitert. Die Anwendbarkeit solcher rein quantitativer Verfahren ist jedoch begrenzt. Zum Beispiel ist es meist nicht möglich, Organisationsprobleme mathematisch darzustellen. An die Stelle der analytischen Lösungsverfahren treten in diesen Fällen Entscheidungsheuristiken, Faustregeln oder Erfahrungswerte, wie beispielsweise die Festlegung von Organisationsprinzipien.43
2.2 Systemtheorie Der Systembegriff wird in zwei verschiedenen Bedeutungsklassen verwendet. Erstens bezeichnet man damit – im Sinne der Systematik – ein zweckmäßiges Ordnen oder Zusammenstellen.44 Diese Arbeit baut auf der zweiten Bedeutungsklasse auf,
41 42 43 44
vgl. Heinen (1991), S.21 vgl. Heinen (1991), S.21; Heinen (1992), S.157 vgl. Heinen (1992), S.215; Heinen (1971), S.432 vgl. Hassenstein (1972), S.29
18
Theoretische Grundlagen der Arbeit
und zwar auf dem systemtheoretischen Begriffsverständnis, das nachfolgend dargestellt wird.
2.2.1 Grundbegriffe der Systemtheorie Die Systemtheorie hat ihren Ursprung in mehreren Wissenschaftsbereichen. Die Vertreter dieser Bereiche haben nämlich erkannt, dass sie es trotz aller fachlicher Unterschiede mit gleichartigen Erscheinungen zu tun haben, wenn sie ihre Probleme in einer abstrakten, gemeinsamen Sprache formulieren. So entstand die Idee, eine allgemeine Systemtheorie zu entwickeln, die es ermöglichen sollte, die Erkenntnisse unterschiedlicher Wissenschaften vergleichbar und übertragbar zu machen. Es wurde somit versucht einen Bezugsrahmen zu schaffen, der weit genug sein soll, um Erkenntnisse über verschiedene Tatbestände auf einer gemeinsamen Betrachtungsebene übergreifend zu ordnen.45 Diese Zielsetzung, und zwar die Entwicklung einer einheitlichen allgemeinen Systemtheorie, ist jedoch noch nicht vollständig erreicht worden. Beispielsweise weist KAPLAN darauf hin, dass die Systemtheorie keine Theorie ist, sondern eher eine Reihe von Konzepten.46 Auch LUHMANN stellt fest, dass es eine einheitliche allgemeine Systemtheorie nicht gibt, sondern dass mehrere allgemeine Systemtheorien existieren. Er argumentiert, dass zwar Versuche vorhanden seien, die systemtheoretischen Ansätze zu verallgemeinern, d.h. die Schranken einer bestimmten Disziplin zu überschreiten, aber im Allgemeinen sei dann immer noch erkennbar, in welcher Disziplin der Ausgangspunkt dieser Abstraktion liegt.47 Trotz dieses Einwandes herrscht zwischen den verschiedenen Disziplinen ein Grundkonsens über die Basisaspekte des Systembegriffes. Dieser Grundkonsens kann beispielsweise folgendermaßen konkretisiert werden: Ein System ist eine gegenüber der Umwelt abgegrenzte Gesamtheit von Elementen, die miteinander durch Beziehungen verbunden sind. Die Eigenschaften der Elemente und die Gesetze ihrer Wechselwirkungen (Beziehungen) bedingen die Systemeigenschaften. Diese lassen sich aber als solche in den Elementen nicht wiederfinden. Von der Elementenebene aus gesehen, sind sie etwas Neues.48
45 46 47 48
vgl. Ulrich (2001), S.42 vgl. Kaplan (1972), S.9 vgl. Luhmann (2002), S.41 vgl. Hassenstein (1972), S.29, S.33
Theoretische Grundlagen der Arbeit
19
Bei der Anwendung des obigen Systemverständnisses ist es zweckmäßig, sich beim Systembegriff von jeglicher konkreten Ausprägung zu lösen und sich nur die formale Darstellung der Abbildung 8 vor Augen zu halten. Die Elemente werden dabei als Kreise und die Beziehungen zwischen den Elementen durch Verbindungslinien dargestellt.
Systemgrenze
System
Beziehun
g
Umwelt
Systemelement
Umweltelement
Abbildung 8: Formale Systemdarstellung49
Aufbauend auf obigem Systemverständnis werden nachfolgend Begriffe dargestellt, die in dieser Arbeit verwendet werden: Kybernetik Die Kybernetik beschäftigt sich mit dem Aufbau und Verhalten von dynamischen Systemen. „Unter Kybernetik (vom griechischen kybernetes, der Steuermann) versteht man die Erkennung, Steuerung und selbsttätige Regelung ineinander greifender, vernetzter Abläufe bei minimalem Energieaufwand.“50 Die Kybernetik befasst sich somit vor allem mit den Lenkungsvorgängen, um unter wechselnden Bedingungen ein zielgerichtetes Systemverhalten sicherzustellen.51 Prozess Dynamik wird innerhalb der Systemtheorie als „Prozess“ interpretiert. Unter Prozess wird somit der Vorgang der Zustandsänderung eines Systems verstanden. Die Zustandsänderung kann die Elemente oder Beziehungen eines Systems, aber auch Umweltelemente betreffen, die sich während einer begrenzten Zeit innerhalb des Systems befinden.52
49 50 51 52
vgl. Daenzer/Huber (2002), S.5 zit. Vester (2001), S.124 vgl. Ulrich (2001), S.244f. vgl. Haberfellner (1974), S.47
20
Theoretische Grundlagen der Arbeit
Struktur Das abstrakte Anordnungsmuster der Elemente, das durch die Beziehungen generiert wird, wird als Struktur des Systems bezeichnet. Die Beziehungen zwischen den Teileinheiten und folglich das Anordnungsmuster eines Systems sind zwar nicht völlig zeitstabil, aber trotzdem zerfallen sie nicht sofort nach ihrer Entstehung. In Systemen ist also nicht alles im Fluss. Es herrscht somit eine gewisse Ordnung, weshalb der Strukturbegriff zweckmäßig ist.53 Modell BAETGE interpretiert ein Modell als „ein abstraktes System, welches ein anderes (reales) System in vereinfachter Weise abbildet.“54 Modelle können verschiedenartig dargestellt werden. Neben expliziten und formalen Modellen gibt es rein verbale oder gedankliche Modelle. Darüber hinaus können mathematische Gleichungen oder graphische Darstellungen als Modelle interpretiert werden. Wesentlich ist dabei, dass eine Analogie zwischen dem realen Objekt und dem Modell besteht. Die Realitätsabbildung erfolgt aber nicht im Sinne einer absoluten Gleichheit, sondern es kommt vielmehr darauf an, dass ein Modell im Stande ist die relevanten Aspekte zu erfassen, wodurch vor allem das menschliche Denken unterstützt bzw. entlastet werden soll.55
2.2.2 Systemdenken Das Systemdenken sollte dann angewendet werden, wenn komplexe Erscheinungen, die man mit dem Systemansatz darstellen kann, analysiert oder gestaltet werden sollen. Die im Nachfolgenden dargestellten Ansätze stellen einerseits Sichtweisen dar, mit denen Systeme untersucht werden können und andererseits dienen sie als Basis zur Entwicklung von Systemmodellen. Grundsätze des Systemdenkens Bei einer systemorientierten Denkweise muss bei der Untersuchung von Sachverhalten eine isolierte Betrachtung einzelner Teile, Fakten, Phänomene oder Merkmale aufgegeben werden. Ein „Systemdenker“ berücksichtigt das Gesamtspektrum der Ursachen und Bedingungen, aus denen die Systemphänomene resultieren, sowie die Konsequenzen, die sich aus diesen ergeben. Sinnvoll ist diese Denkweise deshalb, weil jeder Systembestandteil nur in seiner Funktion für das Ganze verständlich ist. Dieses Streben nach Ganzheitlichkeit darf jedoch nicht bedeuten, dass die für die 53 54 55
vgl. Wolf (2003), S.128 zit. Baetge (1974), S.47 vgl. Daenzer/Huber (2002), S.10
Theoretische Grundlagen der Arbeit
21
herkömmliche Wissenschaft typische analytische Betrachtung von Realphänomenen aufgegeben wird, sondern gefordert ist eine Erweiterung der analytischen um eine holistisch-summarische Sichtweise. Der Systemdenker muss somit, neben der analytischen Vorgehensweise, immer das System berücksichtigen, in das die Problemstellung eingebunden ist. Diese Sichtweise zeigt einerseits die Unzulänglichkeit eines isolierenden, rein kausalanalytischen Denkens und verdeutlichen andererseits, dass wir es in der Realität fast immer mit Situationen zu tun haben, in der zahlreiche Abhängigkeiten bestehen. Daraus folgt, dass es meist falsch ist, bei Fehlleistungen des Gesamtsystems, die Ursache einzig bei einem Element, etwa einem bestimmten Mitarbeiter, zu suchen. Der Systemdenker vermutet die Fehlerquelle primär nicht beim einzelnen Element, sondern in der Systemstruktur, sowie in unzweckmäßigen Verknüpfungen, wie beispielsweise fehlende Lenkungsbeziehungen und eine mangelhafte Kommunikation in sozialen Systemen. Einen weiteren wesentlichen Aspekt des Systemdenkens bildet die ganzheitliche Sichtweise. Ein Systemdenker wird sich nämlich in erster Linie darauf konzentrieren, den Gesamtzusammenhang herzustellen und Unwesentliches auszuschalten.56 Betrachtungsperspektiven der Systemtheorie Im Nachfolgenden werden Betrachtungsperspektiven dargestellt, die einerseits bei der Systemanalyse als grundsätzliche Denkansätze von Bedeutung sind und andererseits in dieser Arbeit bei der Diskussion des Risikophänomens angewendet werden. Wirkungs- und strukturbezogene Betrachtungsperspektive Bei einer Systemanalyse ist es im Allgemeinen zweckmäßig, zunächst die Systemstrukturen und -beziehungen unberücksichtigt zu lassen. Es werden somit vorerst nur die Nahtstellen zwischen dem System und der Umwelt, d.h. die Eingänge in das System und die Ausgänge aus dem System, betrachtet. Es interessiert also vorläufig nicht, wie das Ergebnis zustande kommt, sondern lediglich, welche Wirkungen das System hervorbringt. Eine solche Systembeschreibung wird als wirkungsbezogene Perspektive bzw. Blackbox-Betrachtungsweise bezeichnet. Die Blackbox kann später „geöffnet“ werden, um diejenigen Mechanismen zu untersuchen, durch die die betrachteten Wirkungen zustande kommen. Hierzu wird die Struktur der Blackbox erarbeitet, d.h. es werden die Elemente und Beziehungen dargestellt. Dieses Vorgehen entspricht der strukturbezogenen Betrachtungsweise. 57
56 57
vgl. Wolf (2003), S.133; Ulrich (1984), S.68 vgl. Daenzer/Huber (2002), S.10ff.
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Theoretische Grundlagen der Arbeit
Hierarchiebezogene Betrachtungsperspektive Ein Element kann wiederum als System aufgefasst werden, wenn dieses in weitere Subelemente unterteilt werden kann. Dieses neue System wird – im Verhältnis zum vorher betrachteten – als Untersystem (Subsystem) bezeichnet. Jene Auflösungsstufe, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Problemstellung nicht mehr weiter unterteilt wird, wird Elementenebene genannt. Das besagt jedoch nicht, dass eine weitere Unterteilung nicht möglich ist. Es wird vielmehr – häufig nur vorläufig – beschlossen, keine weitere Strukturierung vorzunehmen. Die Auflösung über mehrere Stufen ist im Grunde genommen beliebig weit durchführbar und hängt alleine von deren Zweckmäßigkeit ab, wodurch folglich der Systembegriff relativiert wird. Fasst man dagegen das ursprüngliche System mit anderen Systemen derselben Ebene zusammen, so entsteht ein System höherer Ordnung. Dieses wird als Übersystem bezeichnet.58
System
AspektsystemBetrachtung
Aspektbezogene Betrachtungsperspektive Bei der Aspektsystem-Betrachtung wird ein gegebenes System auf Basis einer bestimmten Schwerpunktperspektive (Aspekt) vereinfacht dargestellt, wobei jene Systembestandteile (z.B. Teilsysteme, Elemente, Beziehungen), die im Hinblick auf den gewählten Aspekt von Bedeutung sind, als Aspektsystem bezeichnet werden. Die Aspektsystem-Sichtweise gleicht also der Betrachtung eines Systems durch einen Filter (siehe Abbildung 9). Hierbei ist zu beachten, dass sich die hierarchie- und aspektbezogene Sichtweise nicht gegenseitig ausschließen, sondern diese ergänzen sich. Die hierarchische Gliederung macht ein System überblickbar, indem eine Zuordnung von Untersystemen zu den übergeordneten Einheiten erfolgt. Die Aspektsystem-Betrachtung ermöglicht dagegen, dass bestimmte Eigenschaften des zugrundegelegten Systems in den Vordergrund gestellt bzw. andere vernachlässigt werden.59
Aspektsystem
Abbildung 9: Prinzip der Aspektsystem-Betrachtung60
58 59 60
vgl. Daenzer/Huber (2002), S.8f. vgl. Daenzer/Huber (2002), S.9 in Anlehnung an: Sammer (2000), S.33
Theoretische Grundlagen der Arbeit
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2.3 Radikalkonstruktivistisches Wahrnehmungsmodell Der Begriff „Konstruktivismus“ wird in der Wissenschaft im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ansätzen verwendet.61 Davon sind für diese Arbeit – in Anlehnung an KIESER – vor allem drei konstruktivistische Ansätze relevant, und zwar die sozialkonstruktivistische Richtung, der kognitive Konstruktivismus und das radikalkonstruktivistische Wahrnehmungsmodell.62 Wie im Abschnitt 1.2 ausgeführt wurde, wird in dieser Arbeit u.a. untersucht, wie Risiken wahrgenommen werden. Aus diesem Grund basieren die folgenden RM-Überlegungen auf dem Verständnis des radikalkonstruktivistischen Wahrnehmungsmodells63, wobei insbesondere der Ansatz von GLASERSFELD verwendet wird.
2.3.1 Grundlagen des radikalen Konstruktivismus In diesem Abschnitt werden aufbauend auf der Darstellung des radikalkonstruktivistischen Grundverständnisses vor allem jene Aspekte dieses Modells herausgearbeitet, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird. Wahrnehmungsprozess und Wirklichkeit im radikalen Konstruktivismus Ernst von GLASERSFELD geht von der grundlegenden Frage aus, „wie wir Kenntnis von der Wirklichkeit erlangen und ob diese Kenntnis auch verlässlich und ´wahr´ ist“.64 Diese Fragestellung diskutiert er auf Basis der These, dass alle unsere Erkenntnisse über unsere Sinne vermittelt werden und die Richtigkeit dieser Erkenntnisse wiederum nur über die Sinne überprüfbar ist. Es existiert somit grundsätzlich kein unmittelbarer Zugang zur objektiven Wirklichkeit. GLASERSFELD leitet daraus ab, dass kein subjektunabhängiges Wissen über die objektive Realität möglich ist, weil die „wirkliche“ Wirklichkeit – und damit die Wahrheit im abbildungstheoretischen Sinne – nicht überprüfbar ist. Die zu erkennende Wirklichkeit gleicht somit einer „Black-box“, die nicht durchschaubar ist, über deren Eigenschaften man aber ein Modell konstruieren kann, das „aus dem gleichen Input stets den gleichen Output wie der schwarze Kasten produziert“.65 Diese Sichtweise lässt sich auf Basis von neuro-
61 62 63
64 65
vgl. den Überblick in: Brockhaus (1997), S.318ff. vgl. Kieser (1999), S.297ff. Anmerkung: Ernst von Glasersfeld – als ein wesentlicher Vertreter des radikalen Konstruktivismus – sieht den „Konstruktivismus nicht als Abbild oder Beschreibung einer absoluten Wirklichkeit ..., sondern als ein mögliches Modell der Erkenntnis in kognitiven Lebewesen“ (zit. Glasersfeld (1987), S.212). Deshalb wird in dieser Arbeit der radikalkonstruktivistische Ansatz mit dem Zusatz „Wahrnehmungsmodell“ versehen. vgl. Glasersfeld (1986), S.18 vgl. Glasersfeld (1987), S.151
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Theoretische Grundlagen der Arbeit
physiologischen Erkenntnissen hinsichtlich des menschlichen Wahrnehmungsprozesses folgendermaßen konkretisieren: Die Erregungszustände der Nervenzellen des Wahrnehmungsapparates spiegeln nur die Quantität, nicht die Qualität eines Umweltreizes wider. Dem Reiz wird erst im Organismus durch kognitive Prozesse eine Bedeutung zugewiesen, indem die Reize interpretiert werden. In diesem Sinne ist die wahrgenommene „Wirklichkeit“ eine Konstruktion, und somit kein Abbild. Diese Konstruktion entsteht durch Interaktionen des Organismus mit seiner Umwelt, indem versucht wird Regelmäßigkeiten zwischen einer Handlung und den dabei beobachteten Umweltänderungen zu „entdecken“. Es wird also versucht, ein Modell der Black-box „Umwelt“ zu konstruieren. Sofern dieses Modell sich dann als mehr oder weniger dauerhaft erweist, entsteht die Konstruktion einer kohärenten Wirklichkeit.66 Dieses Modell kann man als Wissen bezeichnen.67 „Objektive“ Wirklichkeit im radikalen Konstruktivismus Da Wissen für den Konstruktivisten nie ein Bild der ontischen Wirklichkeit darstellt, sondern stets nur einen möglichen Weg, um zwischen den „Gegenständen“ durchzukommen, schließt das Finden eines befriedigenden Weges nicht aus, dass andere Wege existieren. Darum kann vom konstruktivistischen Standpunkt aus auch nie ein bestimmter gangbarer Weg, eine bestimmte Lösung eines Problems, oder eine bestimmte Vorstellung von einem Sachverhalt als objektiv wahr bezeichnet werden. Dennoch will auch der Konstruktivist zwischen „Illusion“ und „Wirklichkeit“, zwischen „subjektivem“ und „objektivem“ Urteil unterscheiden. Da dies aber nicht in Berufung auf eine ontologisch begründete Welt gemacht werden kann, muss diese Unterscheidung aus dem Aufbau der Erlebniswelt abgeleitet werden. Die Wiederholung einer Wahrnehmung bildet dabei den grundlegenden Baustein der „objektiv“ erlebten Wirklichkeit. Dabei entstehen verschiedene Wirklichkeitsstufen in Abhängigkeit davon, was als wiederholt erlebt wird. Je zuverlässiger die Wiederholung eines Erlebnisses wahrgenommen wird, umso solider wird der Eindruck seiner Wirklichkeit. Eine weitere Komponente, die das Entstehen einer „objektiven“ Wirklichkeit fördert, resultiert aus der Bestätigung unseres Erlebens durch andere Individuen. Zusammenfassend folgt somit, dass die intersubjektive Wiederholung von Erlebnissen die Wahrnehmung einer „objektiven“ Wirklichkeit festigt.68
66 67 68
vgl. Glasersfeld (2003), S.34 vgl. Becker (2000), S.165f. vgl. Glasersfeld (2003), S.32f.
Theoretische Grundlagen der Arbeit
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Konzept synreferentieller sozialer Systeme im radikalen Konstruktivismus Zur Ausbildung sozialer Bereiche in einer Gesellschaft müssen die Individuen in einen Prozess wechselseitiger Interaktionen und damit wechselseitiger Veränderungen eintreten. Durch diese Interaktionen entsteht eine partielle „Parallelisierung“ der kognitiven Subsysteme der interagierenden Individuen. Dabei versteht man unter partieller Parallelisierung diejenigen kognitiven Teilbereiche der Individuen, die vergleichbare Realitätskonstrukte beinhalten. In dem Ausmaß, in dem lebende Systeme derartige Parallelisierungen ausgebildet haben, entstehen verschiedenartige soziale Systeme. Soziale Systeme, die solchermaßen interpretiert werden, nennt HEJL „synreferentiell“. Somit kann man synreferentielle Systeme folgendermaßen charakterisieren: Die Gruppenmitglieder müssen eine gemeinsame Realität und damit einen Bereich sinnvollen Handelns und Kommunizierens erzeugt haben und auf ihn bezogen interagieren. Diese parallelisierten Zustände sind das Ergebnis von sozialen Interaktionen und die Bedingung für weitere Interaktionen der gleichen Art.69
2.3.2 Radikalkonstruktivistische Perspektive in der BWL Aufbauend auf den im Abschnitt 2.3.1 dargestellten Grundlagen des radikalen Konstruktivismus wird nachfolgend auf die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Betriebswirtschaftslehre eingegangen. Dabei werden vor allem solche Schlussfolgerungen gebracht, auf die in dieser Arbeit Bezug genommen wird. Konservatismus und Wandel in sozialen Systemen Der radikale Konstruktivismus liefert Einblicke in zwei wesentliche Aspekte von Betriebswirtschaften, und zwar in den Konservatismus und den Wandel von sozialen Systemen. Diese beiden Aspekte sind beispielsweise auch bei der Einführung eines Risikomanagementsystems von Bedeutung. Der Konservatismus synreferentieller Systeme hat vor allem zwei Ursachen. Die erste ist in der selbstreferentiellen Operationsweise von kognitiven Systemen begründet. Daraus resultiert, dass kognitive Systeme erfolgreiche Verhaltensweisen der Vergangenheit präferieren. Dabei ist zu beachten, dass dieser Konservatismus grundsätzlich aus der Funktionsweise kognitiver Systeme resultiert und allenfalls sekundär über bewusst gesteuerte Prozesse beeinflusst werden kann. Der zweite Grund für den Konservatismus ist, dass sich aus einer gewissen zeitlichen Stabilität des synreferentiellen Bereiches eine Komplexitätsreduktion für die Systemmitglieder ergibt. Sie
69
vgl. Hejl (2003), S.109ff., S.129ff.
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Theoretische Grundlagen der Arbeit
können dann sicher sein, dass andere Individuen ähnliche Erfahrungen und Wahrnehmungen haben, solange sie den synreferentiellen Bereich nicht verlassen. Deshalb wird einem Systemmitglied sehr schnell signalisiert, wenn es mit seinem Verhalten vom synreferentiellen Bereich abweicht. Dabei wird ein ganzes Arsenal sozialer Handlungsweisen eingesetzt, wie beispielsweise die Einschränkung von Kontakten, „offene“ Gespräche, oder formale Sanktionen. Aus diesen grundsätzlichen Erkenntnissen über den Konservatismus folgt beispielsweise, dass die erfolgreiche Umsetzung einer lernenden Organisation vor allem durch eine geeignete Gestaltung der Rahmenbedingungen erreicht wird, wobei die hier dargestellten Aspekte des Konservatismus berücksichtigt werden müssen.70 Obwohl soziale Systeme wegen der oben dargestellten Gegebenheiten grundsätzlich konservativ sind, existiert ebenso das Phänomen des sozialen Wandels. Dabei kann ein unbewusster und ein bewusster Wandel unterschieden werden. Der unbewusste Wandel resultiert daraus, dass die Individuen zur gleichen Zeit Komponenten mehrerer sozialer Systeme sind, bzw. die Systemmitglieder durch Fluktuationen ständig wechseln. Dadurch kommt es zu einer laufenden Evolution des synreferentiellen Bereiches. Dagegen wird beim bewussten Wandel versucht, gezielt eine Änderung des synreferentiellen Bereiches zu bewirken. Gestaltungsmöglichkeiten hierfür sind beispielsweise die Gründung von „Arbeitskreisen“, oder die glaubhafte Ankündigung der Mobilisierung einer Unterstützung durch andere Systeme, die im synreferentiellen System als relevante Teile der Umwelt wahrgenommen werden. An diesen Beispielen wird darüber hinaus deutlich, dass die Änderungsmöglichkeiten der Realitätskonstruktion eng mit der Machtverteilung im System zusammenhängen.71 Wissen und Wissensmanagement Bezüglich des Begriffes „Wissen“ ist zu beachten, dass hierfür in der Literatur zwei Hauptansatzpunkte existieren. In der ersten Richtung wird Wissen als Paket bzw. Objekt interpretiert, wobei die Wissensbasis als „Speicher“ aufgefasst wird, in dem Wissensbausteine gesammelt werden. Der zweite Ansatz, der in dieser Arbeit verfolgt wird, basiert auf der konstruktivistischen Denkweise. Den Ausgangspunkt der Argumentationen bildet dabei die radikalkonstruktivistische Erkenntnis, dass die „Realität“ über rekursive Wahrnehmungs- bzw. Kognitionsprozesse aufgebaut wird.72 Aus diesen rekursiven Prozessen resultiert die Wissensbasis des Individuums. Das bedeutet wiederum, dass einerseits die Wissensbasis dem kognitiven System des 70 71 72
vgl. Hejl (2003), S.136ff. vgl. Hejl (2003), S.139ff. vgl. Abschnitt 2.3.1
Theoretische Grundlagen der Arbeit
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Individuums entspricht und andererseits „Wissen“ als das Spektrum73 dieser Wissensbasis interpretiert werden kann. Des Weiteren sind bei diesem rekursiven Kognitionsverständnis die Begriffe Wissen und Handeln eng verknüpft, da einerseits jede Handlung eine Veränderung der Wissensbasis und damit auch einen Lernprozess induziert und andererseits Wissen als potenzielle Handlungsmöglichkeiten gedeutet werden kann. Somit kann „Versuch und Irrtum“ als eine wesentliche Lernmethode gesehen werden. Die hier dargestellten Erkenntnisse sind auch im Risikomanagement von Bedeutung, da u.a. daraus folgt, dass die Beurteilung von Risikopotenzialen und das Risikoverhalten der Mitarbeiter wesentlich von der menschlichen Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte abhängen.74 Möchte ein Unternehmen ein wissensbasiertes Management betreiben, so muss der Faktor „Wissen“ – neben den klassischen Produktionsfaktoren – gezielt koordiniert werden. Das bedeutet, dass Rahmenbedingungen zu schaffen sind, mit denen die Vernetzung des individuellen Wissens mit dem kollektiv-organisatorischen Wissen bestmöglich unterstützt wird. Folgt man dem konstruktivistischen Wissensbegriff, so müssen vor allem die Kommunikations- und Interaktionsstrukturen geeignet gestaltet werden. Dabei lassen sich laut SAMMER beispielsweise folgende Gestaltungsempfehlungen ableiten: Die Organisation sollte in Wissensgebiete als soziale Subsysteme untergliedert werden, wobei diese als selbstorganisierende Systeme auszugestalten sind. Des Weiteren sind Handlungs- und Kommunikationsbarrieren in der gesamten Organisation und in den sozialen Teilsystemen zu minimieren. Schließlich können die Organisations- und Subkulturen durch kollektive Lernprozesse zweckmäßig verändert werden, wobei diese Veränderungen grundsätzlich nur indirekt durch die Modifikation von Rahmenbedingungen möglich sind.75 Wettbewerbsvorteil und Kognition Der radikale Konstruktivismus ermöglicht neue Einsichten, wie Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielen und somit ihre Risikolage verbessern können. Wettbewerbsvorteile resultieren insbesondere aus zweckmäßigen Ressourcenausstattungen, die entweder auf Basis von historischen Zufällen (z.B. Standortvorteile, Bodenschätze, Monopolstellung), oder aufgrund bewusster Managemententscheidungen entstehen. Im zweiten Fall hängt laut HANDLBAUER die Vorteilhaftigkeit von Ressourcenentscheidungen vor allem von den kognitiven Merkmalen der Entscheidungs73
74 75
unter „Spektrum“ wird hier das Eigenverhalten des kognitiven Systems verstanden: vgl. Sammer (2000), S.25 vgl. Sammer (2000), S.47, S.20f., S.52ff., S.66, S.61f. vgl. Sammer (2000), S.53, S.76, S.79, S.60, S.81, S.91
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Theoretische Grundlagen der Arbeit
träger ab. Bei dieser Sichtweise entwickelt sich somit ein Wettbewerbsvorteil aufgrund eines kognitiven Vorsprunges der Führungskräfte bezüglich der zugrundegelegten Maßstäbe bei der Beurteilung des strategischen Wertes von Ressourcen. Die Fähigkeit einer zielorientierten Informationsaufnahme und -verarbeitung bildet folglich – neben Zufallsfaktoren – die Grundlage für den Aufbau spezifischer Ressourcenbündel, die dem Unternehmen einen unverwechselbaren Charakter geben, der weder käuflich noch imitierbar ist. Entsprechend diesen Überlegungen resultiert ein Wettbewerbsvorteil vor allem aus einem „Competing on Cognition“. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob die Führungskräfte aus den zum Teil widersprüchlichen Informationen, denen sie ausgesetzt sind, diejenigen selektieren können, die ihren Unternehmen eine Steigerung der Stakeholderzufriedenheit sicherstellen. Ein weiterer Kernaspekt beim „Competing on Cognition“ besteht in der geeigneten Nutzung des Feedbacks über die Angemessenheit der kognitiven Filter. Aus diesen Ausführungen folgt, dass sich Führungskräfte ihrer kognitiven Mechanismen bewusst sein müssen und darauf achten sollten, dass sie diese rechtzeitig an die sich ändernden Verhältnisse anpassen.76
76
vgl. Handlbauer (2000), S.127f., S.140f.
3 Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit In diesem Kapitel wird ein konsistentes Risiko- und RM-Verständnis entwickelt. Dazu werden in den ersten beiden Unterkapiteln die Kernbegriffe „Risiko“ und „Risikomanagement“ konkretisiert. In den daran anschließenden Abschnitten werden auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre Kernbestandteile des Risikomanagements abgeleitet. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit Überlegungen bezüglich grundsätzlicher Aspekte, die bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise berücksichtigt werden sollten.
3.1 Risikoverständnis der Arbeit Entsprechend dem Abschnitt 1.2.2 basiert der Risikobegriff dieser Arbeit auf der Analyse von möglichen zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen, aus denen ungünstige Entwicklungen resultieren können. Zur Ableitung von Definitionen für die Begriffe „Risiko“ und „Risikomanagement“ ist jedoch zu konkretisieren, was unter einer „ungünstigen Entwicklung“ zu verstehen ist. Dieser Aufgabenstellung widmet sich dieser Abschnitt.
3.1.1 Risikobegriff in der Umgangssprache und in der Literatur In der Literatur existiert keine einheitliche Definition für den Risikobegriff. Dies gilt sowohl für die wissenschaftliche Diskussion als auch für den allgemeinen Sprachgebrauch. In der Alltagssprache wird dieser Begriff meist für Gefahren verwendet, die negative Ereignisse auslösen können, wie z.B. Blitz, Feuer, Sturm oder Erdbeben.77 In der Literatur wird häufig versucht, den Risikobegriff über dessen sprachliche Wurzel zu konkretisieren. Etymologisch lässt sich das Wort „Risiko“ auf die folgenden beiden Bedeutungsklassen zurückführen: Das arabische Wort „risc“ steht für etwas göttlich Gegebenes. Dagegen steht das lateinische Wort „risco“ für das Umschiffen einer Klippe und das frühitalienische Wort „risicare“ für etwas wagen. Setzt man die Interpretation „etwas göttlich Gegebenes“ der ersten Bedeutungsklasse mit dem Wort „Schicksal“ gleich, so wäre das Risikophänomen ein Teil der von uns nicht be77
vgl. Helten/Bittl/Liebwein (2000), S.161
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
einflussbaren Umwelt. Die Sichtweise wird eine andere bei der zweiten Bedeutungsklasse. Eine Klippe umschiffen heißt nämlich, dass wir durch unser Verhalten selbst für einen Teil des Risikos verantwortlich sind.78 Des Weiteren wird der Zugang zum Risikophänomen dadurch erschwert, dass der Risikobegriff in der Literatur häufig verwendet wird, ohne ihn genau zu definieren. WÄLCHLI erklärt sich diesen Sachverhalt damit, dass einerseits dieses Wort im menschlichen Sprachgebrauch häufig und unreflektiert verwendet wird und andererseits das Risiko immer als ein „Begleitumstand“ einer primären Situation auftritt.79 Wird jedoch der Risikobegriff in der Literatur definiert, dann erkennt man, dass der Definierende je nach Auffassung und Zielsetzung den einen oder anderen Aspekt des Risikophänomens stärker betont. Das bedeutet aber, dass die vorhandenen Risikodefinitionen meist subjektiv und zweckbezogen sind und somit häufig keine Allgemeingültigkeit haben. Aufgrund dieses Faktums wird im Nachfolgenden eine Risikodefinition hergeleitet, die einen solchen Abstraktionsgrad aufweist, dass daraus die meisten der in der Literatur verwendeten Risikobegriffe als Spezialfälle deduzierbar sind. Da das im Abschnitt 1.2.2 dargestellte Basisverständnis des Risikophänomens keinen auffassungsbedingten Restriktionen unterliegt, kann dieses als Grundlage für die Herleitung einer Risikodefinition dienen. Dieses Basisverständnis weist im Kern einen objektiven und einen subjektiven Zugang zum Risikophänomen auf. Deshalb werden im Nachfolgenden diese beiden Aspekte vertieft und darauf basierend eine Risikodefinition hergeleitet, auf der die restliche Arbeit aufbaut.
3.1.2 Objektiver Charakter des Risikos Im Abschnitt 1.2.2 wurde Risiko sehr allgemein als die „Möglichkeit ungünstiger künftiger Entwicklungen“ interpretiert.80 Zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung ist jedoch zu konkretisieren, was unter einer „ungünstigen Entwicklung“ zu verstehen ist. Dabei muss beispielsweise definiert werden, auf welche Bezugsmarke sich die ungünstigen Entwicklungen beziehen. Die Beantwortung dieser Fragestellung kann aus dem Basisverständnis des Abschnittes 1.2.2 abgeleitet werden. Darin wurden Betriebswirtschaften als komplexe, zweckorientierte, offene, soziale Systeme mit einer Reihe von funktionalen Subsystemen interpretiert. Entsprechend dieser Sichtweise muss das betriebswirtschaftliche Handeln zweckgerichtet sein. In der Philosophie wird die Zweckorientierung als Finalität bezeichnet und streng von der Kau78 79 80
vgl. Bieta/Kirchhoff/Milde/Siebe (2002), S.104f. vgl. Wälchli (1975), S.25 vgl. Eggermann/Konradt (2000), S.504
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
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salität, d.h. der ursächlichen Bestimmtheit, unterschieden.81 Aus diesen Ausführungen folgt, dass sich die Bezugsmarke des Risikobegriffes in dieser Arbeit auf die zugrundegelegten Zwecke einer Betriebswirtschaft bezieht. Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Risikoverständnisses dieser Arbeit resultiert, entsprechend dem Abschnitt 1.2.2, aus den Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen, die der Risikodiskussion zugrundegelegt werden. Die Ursachen-WirkungsZusammenhänge können durch die Begriffe „Risikofaktoren“ und „Risikoträger“ weiter konkretisiert werden. Risikofaktoren sind Einflussgrößen oder Ursachen, aus denen Risiken resultieren können. Die Risikofaktoren wirken auf Subjekte, Objekte oder modellartig konstruierte Risikobereiche. Diese können als Risikoträger interpretiert werden. In der Folge transformiert ein Risikoträger die Risikofaktoren in Wirkungen auf den angestrebten Zustand der Betriebswirtschaft. Daraus resultieren Risikoereignisse für das betrachtete zweckorientierte System.82 Entsprechend dem Basisverständnis des Abschnittes 1.2.2 beinhalten die zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge meist komplexe (nichtlineare und nichtmonokausale) Beziehungen und Verkettungen, über die gegenwärtig ein Informationsdefizit herrscht. Das Auftreten eines solchen Informationsdefizits kann verschiedene Gründe haben. So kann beispielsweise der exakte Ursachen-WirkungsZusammenhang (noch) nicht hinreichend entschlüsselt sein, sodass die damit verbundenen Transformationsprozesse um stochastische Rest- oder Störeinflussgrößen ergänzt werden müssen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass zwar der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang hinreichend genau bekannt ist, die Einflussgrößen jedoch grundsätzlich nicht deterministisch, sondern stochastisch sind. Es herrscht somit eine partielle oder totale Unkenntnis über einzelne Komponenten der Ursachen-Wirkungs-Beziehungen, woraus wiederum ein Informationsdefizit über den Eintrittszeitpunkt und die Eintrittshäufigkeit sowie die konkrete Ausprägungen der potenziellen Risikoereignisse resultiert. Unberücksichtigt soll nachfolgend der Indeterminismus bleiben, bei dem man annimmt, dass nichts vorher bestimmbar ist. Das dieser Arbeit zugrundegelegte Risikoverständnis unterstellt somit keine ausschließlich deterministischen Ursachen-Wirkungs-Beziehungen, aber auch kein Chaos. Vielmehr wird von einem stochastischen Determinismus über die Gesetzmäßigkeiten der Realität ausgegangen.83
81 82 83
vgl. Helten/Karten (1991), S.130 vgl. Helten/Bittl/Liebwein (2000), S.161 vgl. Helten/Hartung (2002), S.256f.; Helten/Bittl/Liebwein (2000), S.157f.
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Als Resümee dieses Abschnittes können somit die folgenden Risiko-Kernaspekte angegeben werden: x
Finalität (Zweckbezogenheit) des betriebswirtschaftlichen Handelns als Bezugspunkt des Risikophänomens.
x
Informationsdefizit über die zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Beziehungen der betriebswirtschaftlichen Aktivitäten, Ereignisse und Entwicklungen.
3.1.3 Subjektiver Charakter des Risikos Bei der intuitiven Beurteilung von Risiken werden die im Abschnitt 3.1.2 dargestellten objektiven Faktoren mitberücksichtigt, es treten aber noch andere hinzu. Diese werden als subjektive Einflussfaktoren bezeichnet und betreffen im Kern die menschliche Wahrnehmung von Risikophänomenen. Die Psychologie und die Sozialwissenschaften haben sich bereits sehr ausführlich mit der Risikowahrnehmung auseinandergesetzt. So hat die psychologische Risikoforschung die Bedingungen untersucht, die das Eingehen von Risiken beeinflussen. Ein Untersuchungsergebnis ist beispielsweise, dass die Risikoakzeptanz bzw. -aversion vor allem von Werturteilen abhängt, und zwar wie schrecklich, kontrollierbar und unbekannt das Risikoausmaß erscheint. Des Weiteren hängt die Risikowahrnehmung davon ab, ob ein Risiko freiwillig oder unfreiwillig eingegangen wird, oder ob persönliche Interessen auf dem Spiel stehen oder nicht. FRITZSCHE hat in seiner Arbeit die Erkenntnisse zur Risikowahrnehmung und -akzeptanz in Thesen zusammengefasst. Beispielhaft seien die folgenden genannt:84 Ist eine Gefahr bekannt, geht man eine solche freiwillig ein, oder kann ein Mensch eine Gefahr beeinflussen, so vermindert dies die Risikowahrnehmung. Wenn sich eine Gefahr eindeutig einer dafür verantwortlichen Person, einem Unternehmen oder einer Organisation zuordnen lässt und ein Verschulden vermutet werden kann, steigt die Risikowahrnehmung bzw. sinkt die Akzeptanz. Risiken, die zeitlich verzögert eintreten, unterliegen einer höheren Wahrnehmung und einer geringeren Akzeptanz. Diese psychologisch begründeten Thesen verdeutlichen, dass die individuelle Risikowahrnehmung ein subjektives Phänomen ist. Die soziologische Risikoforschung prüft dagegen das Risiko-Akzeptanzprofil von Bevölkerungsgruppen oder ganzen Gesellschaften. Dabei zeigt sich, dass der Risikobegriff ein soziales bzw. kollektives Konstrukt ist. Verschiedene Gruppen oder Institutionen setzen je nach ihren Wertvorstellungen andere Prioritäten und thematisieren unterschiedliche Sachverhalte als Risiko. Auf die psychologischen und sozialwissenschaftlichen Arbeiten bezüglich der Risikowahrnehmung kann hier nicht weiter ein84
vgl. Fritzsche (1986), S.129ff.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
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gegangen werden, sondern es muss auf die einschlägige Literatur85 verwiesen werden.86 Die dargestellten subjektiven Faktoren dürfen keinesfalls als irrational angesehen werden. Menschen konstruieren ihre eigene Realität und stufen Risiken entsprechend ihrer subjektiven Wahrnehmung ein. Die intuitive Risikowahrnehmung basiert auf der Informationsvermittlung über Gefahrenquellen, den psychologischen Verarbeitungsmechanismen von Unsicherheiten, sowie früheren Erfahrungen mit Gefahren. Aus diesen kognitiven Prozessen resultiert die Bewertung der wahrgenommenen Risiken. Das Augenmerk liegt somit auf der Ebene der konstruierten Realität, d.h. der Welt der Vorstellungen und Assoziationen, mit deren Hilfe Menschen ihre Umwelt begreifen und auf deren Basis sie ihre Handlungen ausführen.87 Um den subjektiven Risikoaspekt fundiert diskutieren zu können, muss man das Risikophänomen mit Hilfe von wissenschaftlichen Vorgehensweisen „objektivieren“.88 Entsprechend den obigen Ausführungen müssen dazu die kognitiven Prozesse ins Zentrum der Untersuchungen gestellt werden. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit als Modell89 zur Beschreibung des subjektiven Charakters des Risikophänomens der radikale Konstruktivismus verwendet, da bei diesem Ansatz das kognitive System als Ausgangpunkt der Überlegungen dient. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Diskussion der subjektiv-konstruktivistischen Phänomene nicht dazu verführen darf, die rationale Seite des Risikomanagements zu vernachlässigen. Die Berücksichtigung der Risikowahrnehmung kann kein Ersatz sein für eine rationale Behandlung des Risikophänomens, ebenso wenig wie eine rein objektive Risikoanalyse als alleinige Grundlage von Entscheidungen herangezogen werden darf.90 Ein ganzheitliches Risikomanagement muss somit beide Dimensionen
85
86 87 88 89
90
Hinweise zur psychologischen Seite der Risikowahrnehmung bieten beispielsweise Fritzsche (1986) und Perrow (1987). Wichtige Ergebnisse zur Psychologie der Entscheidungspräferenzen haben Kahneman/Tversky (1979) beigesteuert. Die mathematische Grundlage der Entscheidungstheorie findet man beispielsweise bei Bamberg/Coenenberg (2002) und Carnap/Stegmüller (1959), S.124ff. Beiträge zur Risikoforschung in den Sozialwissenschaften bieten Johnson (1987), Evers/Nowotny (1987), Beck (1986), Obermeier (1995), Bayerische Rück (1993) und Luhmann (2002). vgl. Schütz (2002), S.58 vgl. Renn (2002), S.78f. vgl. Renn (2002), S.75 Anmerkung: Ernst von Glasersfeld sieht den „Konstruktivismus nicht als Abbild oder Beschreibung einer absoluten Wirklichkeit ..., sondern als ein mögliches Modell der Erkenntnis in kognitiven Lebewesen“ – zit. Glasersfeld (1987), S.212 vgl. Renn (2002), S.86
34
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
des Risikophänomens berücksichtigen. Die Erfüllung dieser Aufgabenstellung ist eine der Kernherausforderungen dieser Arbeit.
3.1.4 Ableitung einer Risikodefinition Als Resümee der beiden obigen Abschnitte können folgende Kernaspekte des Risikophänomens angegeben werden: x
Subjektive bzw. kognitive Dimension des Risikos.
x
Informationsdefizit bezüglich der zukünftigen Ursachen-Wirkungs-Beziehungen und der daraus resultierenden Eintrittsmöglichkeit von ungünstigen künftigen Entwicklungen.
x
Finalität (Zweckbezogenheit) des betriebswirtschaftlichen Handelns als Bezugspunkt des Risikophänomens.
Aufbauend auf diesen Kernaspekten kann somit die Aussage „ungünstige künftige Entwicklungen“91 durch folgende Risikodefinition konkretisiert werden: Risiko (Chance) ist die Eintrittsmöglichkeit einer zukünftigen negativen (positiven) Abweichung von den gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers an das Verhalten eines zweckorientierten Systems. Der Risikonehmer ist dasjenige Subjekt (Individuum oder Gruppe von Individuen), welches entsprechend dem Systemzweck von einem Risiko- bzw. Chanceneintritt betroffen wäre. Die gerechtfertigten Erwartungen des Risikonehmers ergeben sich aus dem Systemzweck. Entsprechend dieser Definition tritt das Risikophänomen nur im Zusammenhang mit zweckorientierten Systemen auf, d.h. ohne Zweckorientierung des betrachteten Systems gibt es kein Risiko. Des Weiteren wird der subjektive Charakter des Risikos damit berücksichtigt, dass der Bezugspunkt für die Abweichungsbetrachtungen durch die „gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“ gebildet wird. Dabei ist der Risikonehmer entweder selbst ein Teil des Systems oder ein Umweltelement. Aufbauend auf der obigen Definition kann der Risikobegriff quantifiziert werden, indem in Abhängigkeit von der jeweiligen Problemstellung für die beiden Komponenten „Eintrittsmöglichkeit“ und „Abweichung von den gerechtfertigten Erwartungen“ spezifische Bewertungsmethoden festgelegt werden. Es ist dabei zu beachten, dass die Risiko-Bezugsgröße „gerechtfertigte Erwartungen“ in der obigen Definition noch nicht konkretisiert ist und deshalb beispielsweise nicht mit dem Zielbegriff oder dem mathematischen Erwartungswert übereinstimmen muss. Für eine Quantifizierung muss 91
vgl. dazu das zugrundegelegte Basisverständnis des Abschnitts 1.2.2
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
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somit definiert werden, was „gerechtfertigte Erwartungen“ sind und wie die Abweichungen davon dargestellt und bewertet werden. Die hier vorgestellte Risikodefinition ist sicherlich ein Konstrukt, aber als offene Begriffskonzeption in vielen Fachbereichen anwendbar. Bei der Anpassung der Risikodefinition an einen Fachbereich müssen die darin enthaltenen Begriffe auf Basis der Gegebenheiten des jeweiligen Bereiches weiter konkretisiert werden. Dadurch sind viele in der Literatur verwendete Risikobegriffe als Spezialfälle aus der hier vorgestellten Risikodefinition deduzierbar. Im Nachfolgenden wird, um die Vorgehensweise bei der Konkretisierung der obigen Definition zu verdeutlichen, ein Risikoverständnis hergeleitet, das in dieser bzw. ähnlicher Form in der betriebswirtschaftlichen Literatur häufig verwendet wird. Aufbauend darauf werden Interpretationsmöglichkeiten des Risikophänomens dargestellt und daran anschließend in Form eines Resümees kritisch gewürdigt. Mögliche Konkretisierung der Risikodefinition auf Basis der Größen Risikoauswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit Wenn man in der obigen Definition die „Zweckorientierung“ mit „Zielorientierung“ konkretisiert und die „Eintrittsmöglichkeit einer zukünftigen negativen Abweichung von den gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“ als „Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung einer Bedrohung“ interpretiert, so ergibt sich das folgende Risikoverständnis: Ein Risiko ist eine nach Häufigkeit (Eintrittswahrscheinlichkeit) und Auswirkung bewertete konkrete Bedrohung eines zielorientierten Systems.92 Dieses Risikoverständnis beinhaltet die Kernbegriffe „Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung“, wobei das Ausmaß und die Art der Risikoauswirkung aus der Zielorientierung des Systems resultiert. Diese Kernbegriffe können wiederum verschiedenartig interpretiert werden. Nachfolgend werden drei in der Literatur häufig anzutreffende Konkretisierungsmöglichkeiten beschrieben. Konkretisierung der Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoauswirkung als Risikoerwartungswert Können für die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkung jeweils eindeutige Einzelwerte angeben werden, so kann man diese beiden Größen zum folgenden Zahlenwert für das Risikoausmaß verknüpfen: Risikoerwartungswert = Eintrittwahrscheinlichkeit • Auswirkung 92
vgl. Brühwiler (2001), S.8
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Der Risikoerwartungswert entspricht dem statistischen Erwartungswert eines Risikos. Der wesentliche Vorteil dieses Risikomaßes ist, dass ein Risiko durch einen Einzelwert ausgedrückt wird und somit unterschiedliche Risiken direkt miteinander vergleichbar sind. Darauf aufbauend kann durch die Definition von Grenzwerten (Wesentlichkeitsgrenzen) festgelegt werden, ab wann der Eintritt eines Risikos nicht mehr akzeptabel ist. Die Verdichtung des Risikophänomens zu einer Zahl beinhaltet jedoch zwangsläufig einen Informationsverlust. Beispielsweise kann ein Risiko mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit und einer hohen Auswirkung einen gleichen Risikoerwartungswert ergeben, wie ein Risiko mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit und einer niedrigen Auswirkung. Eine Gleichsetzung solch unterschiedlicher Risiken ist jedoch nicht zweckmäßig, da bei einem tatsächlichen Risikoeintritt mit einer hohen Risikoauswirkung eventuell die Existenz des Betriebes gefährdet sein kann. Dagegen führen häufig eintretende Risiken zu einer gleichmäßigen Belastung des Betriebes, auf die sich dieser im Allgemeinen gut einstellen kann.93 Konkretisierung der Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoauswirkung in einer Risikomatrix Wie oben dargestellt, resultiert aus der multiplikativen Verknüpfung der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Auswirkung beim Risikoerwartungswert ein Informationsverlust, weshalb sich dieser Wert nur bedingt als Risikomaß eignet. Deshalb wird häufig die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkung in einer Risikomatrix visualisiert (siehe Abbildung 10).
93
vgl. Kremers (2002), S.109
tief
Wahrscheinlichkeit
hoch
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
37
Risiko nicht tolerierbar R3 R2 Übergangsbereich
Risiko vernachlässigbar tief
R4
R1
Risikoauswirkung
hoch
Abbildung 10: Darstellung von Risiken in einer Risikomatrix (mit den Risiken R1 bis R4)
Voraussetzung für diese Darstellungsform ist, dass ein Risiko durch Einzelwerte für die Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung ausgedrückt werden kann, denn nur dann ist ein Risiko als Koordinatenpunkt in der Risikomatrix visualisierbar. Je weiter ein Risiko im rechten, oberen Bereich der Risikomatrix positioniert ist, desto mehr wird ein Unternehmen durch dieses Risiko bedroht. Ein wesentlicher Vorteil der Risikomatrix ist, dass aufgrund der einfachen Darstellungsform die Gruppendiskussion über die Risikolage eines betrachteten Bereiches erleichtert wird. Dabei wird im Sinne des konstruktivistischen Basisverständnisses dieser Arbeit eine gemeinsame Risikowahrnehmung möglich, wodurch bei einer offenen Kommunikation wiederum ein „objektives“94 und von der Gruppe geteiltes Risikobild resultiert. Durch die Definition von Grenzlinien (Wesentlichkeitsgrenzen) in der Risikomatrix können Bereiche festgelegt werden, die verschiedene Risikoausmaße repräsentieren und dementsprechend bei der Risikobewältigung unterschiedlich zu behandeln sind. In der Abbildung 10 sind beispielhaft zwei Wesentlichkeitsgrenzen dargestellt, wodurch sich drei Risikobereiche ergeben. Generell kann bezüglich der Festlegung der Wesentlichkeitsgrenzen festgehalten werden, dass man sich dabei daran orientiert, in welchem Umfang ein Unternehmen gewillt ist, Risiken in Kauf zu nehmen. Für die Größe und Form dieser Bereiche können somit keine allgemeingültigen Empfehlungen gegeben werden.95 94 95
bezüglich des Begriffsverständnisses der “Objektivität” in dieser Arbeit: siehe Abschnitt 2.3.1 vgl. Kremers (2002), S.109ff.
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Wahrscheinlichkeitsverteilung
Konkretisierung der Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoauswirkung als Wahrscheinlichkeitsverteilung Die beiden obigen Interpretationsmöglichkeiten setzen voraus, dass eindeutige Einzelwerte für die Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung angegeben werden können. Diese Voraussetzung ist meist nicht realistisch, da bei mehreren Eintritten desselben Risikos im Allgemeinen sehr unterschiedliche Risikoausprägungen resultieren. In diesen Fällen ist es somit zweckmäßig, dass man Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Risikoauswirkung angibt. Die Abbildung 11 zeigt eine beispielhafte Darstellung einer solchen Wahrscheinlichkeitsverteilung. Bei der Verwendung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen anstelle von Einzelwerten stellt sich die Frage, welche Einzelgröße der Wahrscheinlichkeitsverteilung zur Charakterisierung des Risikos verwendet wird und wie Wesentlichkeitsgrenzen festgelegt werden können. Mögliche charakteristische Risikowerte, die sich aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung ableiten lassen, sind beispielsweise der mathematische Erwartungswert, der maximale Höchstschaden (Maximum Possible Loss), der wahrscheinliche Höchstschaden (Probable Maximum Loss), der Value-at-Risk, sowie die Standardabweichung. Auf diese Kennzahlen kann hier nicht im Detail eingegangen werden, sondern es sei auf die Literatur96 verwiesen.
Risikoauswirkung Abbildung 11: Wahrscheinlichkeitsverteilung für ein mögliches Risiko
Kritische Würdigung der dargestellten Konkretisierungsmöglichkeiten Bei den in diesem Abschnitt vorgestellten Konkretisierungsmöglichkeiten steht das rationale Denken im Vordergrund, d.h. es geht die subjektive Dimension der allgemeinen Definition zum Teil verloren. Es wird bei diesen Konkretisierungsvorschlägen 96
vgl. Kremers (2002), S.41f., S.115
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
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somit versucht, mit einer rationalen Analyse auch solche Risiken in den Griff zu bekommen, die aufgrund eines rein rationalen Denkens verursacht worden sind.97 Folglich besteht die Gefahr, dass wesentliche Risikopotenziale nicht abgedeckt werden, da bei den dargestellten Konkretisierungsvorschlägen die subjektiven Aspekte des Risikophänomens zum Teil vernachlässigt werden. Diese Gefahr kann gemildert werden, indem die Risikoanalyse in Teamarbeit erfolgt und dabei durch die gemeinsame Risikowahrnehmung ein von der Gruppe geteiltes „objektives“98 Risikobild entsteht. Eine teamorientierte Risikoanalyse ist insbesondere bei der Risikomatrix zweckmäßig, da deren einfache Darstellungsform die Gruppendiskussion über die Risikolage eines betrachteten Bereiches erleichtert. Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit eine quantitative Angabe von Risikogrößen überhaupt im Vorhinein möglich ist, da im Allgemeinen eine grundsätzliche Unsicherheit bezüglich der Angabe dieser Werte besteht. Die Spannweite reicht dabei von der vagen Vermutung bis hin zur konkreten Kenntnis dieser Größen. Die hier dargestellten Einschränkungen müssen bei jeder praktischen bzw. wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Risikophänomen berücksichtigt werden, damit durch ein RM-System keine Scheingenauigkeit vorgetäuscht wird, wodurch das Risikomanagement selbst zum Risiko werden könnte.
3.1.5 Systemtheoretische Fundierung des Risikophänomens Eine wesentliche Herausforderung für das Risikomanagement ist, dass sich Risikophänomene in zukünftigen, meist komplexen (nichtlinearen und nichtmonokausalen) Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen äußern.99 Aufgrund der vorhandenen kognitiven und zeitlichen Kapazitätsgrenzen können jedoch diese Ursachen-WirkungsZusammenhänge häufig nicht vollständig aufgedeckt werden.100 Der kritische Punkt für die Objektivierung der Risikolage eines Unternehmens ist somit die Fähigkeit der Führungskräfte, aus den vorhandenen Informationen diejenigen zu selektieren, die für die Beurteilung der Risikolage relevant sind.101 Deshalb ist – wie im Abschnitt 1.2.3 bereits begründet wurde – das Risikophänomen nur auf einer Metaebene beschreibbar. Für diese Problemstellung stellen vor allem die Erkenntnisse der Systemtheorie über das Verhalten sozioökonomischer Systeme einen geeigneten Ansatz zu 97 98
99 100 101
vgl. Cleemann/Kreutzer (1998), S.63 bezüglich des Begriffsverständnisses der “Objektivität” im radikalen Konstruktivismus: siehe Abschnitt 2.3.1 vgl. hierzu den Abschnitt 1.2.2 vgl. Grams (2001), S.92f. vgl. Abschnitt 3.1.3
40
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
deren Erklärung auf einer Metaebene dar.102 Den Ausgangspunkt der nachfolgenden systemtheoretischen Fundierung bildet das in der Abbildung 12 dargestellte RisikoBasiselement. Neben den objektiven Aspekten des Risikobegriffes, beinhaltet diese Abbildung insbesondere auch die subjektive Dimension des Risikophänomens. Dabei wird der subjektive Charakter des Risikos vor allem dadurch berücksichtigt, dass der Bezugspunkt für die Risikobetrachtungen durch die „Erwartungen der Risikonehmer“103 gebildet wird, wobei zu beachten ist, dass entsprechend dem Abschnitt 2.3.2 diese Erwartungen wesentlich durch die menschliche Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte beeinflusst werden.
Wirkung
= Ereignis
Ursache für ...
Situation
Erwartungen der Risikonehmer
Informationsdefizit Abbildung 12: Risiko-Basiselement der systemtheoretischen Risikobetrachtung104
Das in der Abbildung 12 dargestellte Risiko-Basiselement beinhaltet Kernbegriffe der Risikodefinition und weitere wichtige Aspekte der Ursachen-Wirkungs-Betrachtung. Der Begriff Situation repräsentiert die Rahmenbedingungen, Gegebenheiten und Einflussgrößen, die das Basiselement charakterisieren. Unter Ursachen versteht man die unmittelbaren Auslöser für weitere Risikoereignisse. Solche Ereignisse sind beispielsweise risikorelevante Handlungen, Handlungsunterlassungen, Vorgänge, Vorgangshemmnisse, Zustandsänderungen, Wechselwirkungen, Entwicklungen, Abläufe, usw. Mit dem Risikoereignis hängt der Wirkungsbegriff zusammen, der das bewertete Resultat eines Risikoereignisses darstellt. Die Wirkungsbetrachtung beinhaltet somit ein Bewertungs- oder Messverfahren. Es ist dabei zu beachten, dass dieses Messverfahren die Perspektive bestimmt, mit der das Risikoereignis analysiert wird. Aufbauend auf den obigen Ausführungen und dem Risiko-Basiselement der Abbildung 12, lässt sich die Risikosituation eines sozioökonomischen Systems als 102 103 104
vgl. Erben/Romeike (2003a), S.46 vgl. hierzu auch die Risikodefinition im Abschnitt 3.1.4 vgl. Helten/Bittl/Liebwein (2000), S.162
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
41
ch e
V er än de ru ng
Ursachen-Wirkungs-Kette entsprechend der Abbildung 13 symbolisch darstellen.105 Die Abbildung soll vor allem auch verdeutlichen, dass ein bestimmtes Risiko häufig erst durch die Kombination mehrerer Ursachen eintritt. Des Weiteren soll die Abbildung 13 veranschaulichen, dass ein Risikoeintritt mehrere Folgeereignisse auslösen kann, wobei diese oftmals nicht nur in eine Richtung wirken, sondern es können auch Rückkopplungen auftreten. Es ist also häufig zu beobachten, dass „das, was als Wirkung bezeichnet wird, auf die Ursache zurückwirkt und damit selbst zur Ursache wird.“106 Darüber hinaus treten manche Risikoereignisse verstärkt gemeinsam auf, d.h. es können „Dominoeffekte“ resultieren, sodass einzelne als unwesentlich wahrgenommene Risikoereignisse eine Kette weiterer Risiken mit schwerwiegenden Auswirkungen auslösen können. Schließlich wird in der Abbildung die Dynamik der Zusammenhänge symbolisch dargestellt, womit verdeutlicht werden soll, dass sich die Ausprägung der Ursachen-Wirkungs-Kette mit der Zeit ändert.107
…
Sit.
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Erw.d.RN W = E Infodefizit …
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Abbildung 13: Symbolische Darstellung des systemtheoretischen Risikoverständnisses dieser Arbeit als eine sich zeitlich verändernde Ursachen-Wirkungs-Kette (Abkürzungen: siehe Abbildung 12)108
105 106 107 108
vgl. hierzu auch die Ausführungen im Abschnitt 1.2.2 vgl. Helten/Hartung (2002), S.257 vgl. Romeike (2003a), S.156 vgl. Romeike (2003a), S.156
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
3.2 Grundlagen des Risikomanagements Der Begriff „Risikomanagement“ wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet, obwohl diese Funktion in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.109 „Sowohl auf Seiten der Versicherungen als auch seitens der Unternehmen wird Risikomanagement praktisch angewendet oder zumindest darüber diskutiert. Was jedoch exakt unter »Risikomanagement« zu verstehen ist, darüber scheiden sich die Geister. So reichen die angebotenen Definitionen von der reinen Schadensverhütung bis zur integrierten Führungsfunktion.“110 Folglich ist es notwendig, dass vor der Herleitung des RM-Modells das RM-Verständnis dieser Arbeit geklärt wird. Hierfür wird in den ersten beiden nachfolgenden Abschnitten einerseits der Managementbegriff konkretisiert und andererseits die historische Entwicklung des Risikomanagements dargestellt. Darauf aufbauend wird im Abschnitt 3.2.3 eine RMDefinition abgeleitet.
3.2.1 Managementfunktionen als Basis für den RM-Begriff Der Managementbegriff wird in der Literatur in zwei Bedeutungsklassen verwendet, und zwar als Institution und als Funktion. Als Institution enthält Management alle leitenden Instanzen, d.h. alle Aufgaben- bzw. Funktionsträger, die Entscheidungs- und Anordnungskompetenzen haben. Bei dieser Sichtweise geht es somit um die Beschreibung jener Personen, die Managementaufgaben wahrnehmen, sowie um deren Tätigkeiten und Rollen.111 Als Funktion umfasst Management im weitesten Sinne alle zum „Gestalten, Lenken und Entwickeln“112 eines Unternehmens notwendigen Aufgaben; negativ formuliert also alle Aufgaben, die nicht rein ausführender Natur sind. Nachfolgend wird – wenn die institutionelle Sichtweise nicht explizit genannt wird – auf das funktionelle Managementverständnis Bezug genommen. 113 Bei der Diskussion des Managementbegriffes stellt sich die grundsätzliche Frage, an welchem Orientierungsrahmen sich das Management bei der konkreten Unternehmensgestaltung, -lenkung und -entwicklung ausrichten muss. Bei der Diskussion dieser Fragestellung sind der Zweckbegriff und das zugrundegelegte Wertesystem des
109
110 111 112 113
siehe zum Beispiel: Hoitsch/Winter (2004), S.236f.; Mikus (2001), S.9ff.; Meier (2001), S.17ff.; Rogler (2002), S.20f.; Brühwiler (2001), S.2ff.; Wolf/Runzheimer (2003), S.31ff. zit. Sauerwein/Thurner (1998), S.19 vgl. Staehle (1999), S.71 zit. Ulrich (1984), S.113 vgl. Schierenbeck (2003), S.95
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
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Unternehmens von zentraler Bedeutung.114 Unter Zweck (Funktion) eines Unternehmens versteht man dessen Leistungen für die als relevant wahrgenommenen Anspruchsgruppen, aus deren Erfüllung das Unternehmen seine Existenzberechtigung ableitet.115 Der Unternehmenszweck resultiert folglich daraus, dass einerseits das Unternehmen bestimmte Erwartungen von Anspruchsgruppen beeinflusst und andererseits bestimmte Bedürfnisse mit Hilfe des Unternehmens besser oder überhaupt erst realisiert werden können.116 Folglich muss sich jedes Unternehmen grundsätzlich überlegen, welche Anspruchsgruppen von seinen unternehmerischen Aktivitäten betroffen sind oder in diese einbezogen werden sollen.117 Die solchermaßen wahrgenommenen Zwecke müssen vom Management auf Basis des zugrundegelegten Wertesystems in ein Zielsystem transformiert und darauf aufbauend die unternehmerischen Aktivitäten geeignet gelenkt werden.118 Unter Zielen versteht man die vom Unternehmen selbst formulierten Vorstellungen über erwünschte betriebliche Zustände oder Verhaltensweisen.119 Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass der Unternehmenszweck niemals vollständig in einem Zielsystem zum Ausdruck gebracht werden kann.120 Darüber hinaus bildet die Zielfestlegung bereits eine wesentliche Aufgabenstellung des Managements, wobei in dieser Arbeit diese Aufgabenstellung der Managementfunktion „Planung“ zugeordnet wird. Entsprechend diesen Argumentationen hat sich das Management somit in erster Linie an den Unternehmenszwecken und dem zugrundegelegten Wertesystem zu orientieren. Zur weiteren Konkretisierung des Managementbegriffes müssen die Funktionen dargestellt werden, die vom Management auf Basis der wahrgenommenen Zwecke und des zugrundegelegten Wertesystems abgedeckt werden müssen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wirtschaften im Kern zweck- und wertorientierte Entscheidungen bedingt, die dann zielgerichtet durchgesetzt werden müssen, bildet folglich „Entscheiden und Durchsetzen“ die Kernfunktion des Managements. Damit sind aber viele spezifische Eigenschaften des Managements noch nicht hinreichend präzise erfasst, denn es müssen die dieser Kernfunktion vor-, nach- und parallelgelagerten Managementfunktionen berücksichtigt werden, wobei diese aus der Sicht der verantwortlichen Entscheidungsträger (Manager) die Kernfunktion „Entscheiden und 114
115 116 117 118 119 120
Anmerkung: Der Risikobegriff dieser Arbeit basiert auf der Existenz eines zweckorientierten, sozialen Systems (vgl. Risikodefinition im Abschnitt 3.1.4). vgl. Staehle (1999), S.438 vgl. Schmidt/Schwegler (2003), S.29ff. vgl. Rüegg-Stürm (2002), S.29 vgl. Schierenbeck (2003), S.57ff. vgl. Staehle (1999), S.438 vgl. Steinmann/Schreyögg (1997), S.136
44
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Durchsetzen“ unterstützen. Die Ansicht über die konkrete Klassifikation dieser unterstützenden Funktionen und deren Abgrenzung voneinander geht in der Literatur auseinander. Für die Gültigkeit dieser Arbeit werden in Anlehnung an SCHIERENBECK die folgenden der „Entscheidung und Durchsetzung“ vor-, nach- und parallelgelagerten Managementfunktionen unterschieden: Planung, Organisation, Personalführung, Information, Koordination, Kontrolle.121 Auf Basis der obigen Absätze kann somit der Managementbegriff folgendermaßen konkretisiert werden: Management umfasst alle Entscheidungs- und Durchsetzungshandlungen sowie die diesen Handlungen vor-, nach- und parallelgelagerten Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations-, Koordinations- und Kontroll-Funktionen, mit denen die unternehmerischen Aktivitäten auf Basis des zugrundegelegten Wertesystems auf die Unternehmenszwecke hin ausgerichtet werden.
3.2.2 Historische Entwicklung des Risikomanagements Erste RM-Ansätze wurden in der Versicherungswirtschaft entwickelt. Diese Ansätze haben vor allem die Zielsetzung, den Umfang der Versicherungsleistungen und der dabei zu zahlenden Prämien zu optimieren. In diesem Zusammenhang muss auch entschieden werden, ob ein bestimmtes Risiko versichert werden soll, oder ob es kostengünstiger ist, das Risiko selber zu tragen. Dabei hat sich in der betrieblichen Praxis bewährt, Kleinrisiken selber zu tragen und Großrisiken zu versichern. Das Risikomanagement nimmt also bei diesem Ansatz vor allem die Rolle der Verwaltung und des Einkaufs von Versicherungen wahr und beschränkt sich folglich nur auf eine Teilmenge der vorhandenen Risiken, und zwar auf die prinzipiell versicherbaren Risiken.122 Anschließend wurde das Risikomanagement auf nicht versicherbare Risiken ausgedehnt und um systematische Risikoanalysen sowie um über die Versicherung hinausgehende Schadensverhütungs-Maßnahmen ergänzt. Dieses erweiterte Konzept wird als spezielles Risikomanagement bezeichnet. Dessen Aufgabe besteht in der Erfassung und Beeinflussung der Risikoursachen und -wirkungen derart, dass der Zielerreichungsgrad verbessert wird. Beim speziellen Risikomanagement werden jedoch Chancenpotenziale nicht berücksichtigt, wodurch die Gefahr besteht, dass durch eine zu starke Fokussierung auf die Risikopotenziale die damit verbundenen
121 122
vgl. Schierenbeck (2003), S.96, S.113, S.154 vgl. Sauerwein/Thurner (1998), S.22
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
45
Chancen nicht genutzt werden. Darüber hinaus werden bei diesem Ansatz die erkannten Risiken isoliert betrachtet, d.h. die Wechselwirkungen zwischen den Einzelrisiken und deren Bedeutung für das unternehmerische Gesamtrisiko werden nicht berücksichtigt.123 Im nächsten Entwicklungsschritt wurde das Risikomanagement auf alle Risiken ausgedehnt. Dabei dürfen die einzelnen Risiken nicht isoliert betrachtet werden, sondern es müssen die gegenseitigen Abhängigkeiten und deren Bedeutung für das unternehmerische Gesamtrisiko unter Einbeziehung von Chancen berücksichtig werden. Hierzu ist es notwendig, dass das Risikomanagement strategisch ausgerichtet und in ein umfassendes Führungskonzept einbezogen wird.124 Diese Sichtweise wird als allgemeines Risikomanagement bezeichnet. Dieses befasst sich mit den gleichen Problemstellungen wie die Unternehmensführung insgesamt, allerdings unter bewusster Betonung des Risikoaspektes. Mit dieser weiten Konzeption, die das spezielle Risikomanagement inkludiert, soll einerseits verhindert werden, dass ein Unternehmen in eine Krisensituation125 gerät, und andererseits soll sichergestellt werden, dass die erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens unterstützt wird. Zur Erreichung dieser Zielsetzung muss vor allem auch der Humanaspekt geeignet im Risikomanagement berücksichtigt werden, wie beispielsweise die Stärkung des Risikobewusstseins der Mitarbeiter.126
3.2.3 Ableitung einer RM-Definition Ausgangspunkt der Ableitung einer RM-Definition bildet der in dieser Arbeit vertretene Standpunkt, dass nur dann von Risikomanagement die Rede sein kann, wenn eine systematische und kontinuierliche Herangehensweise an das Risikophänomen erfolgt. Auf diese Weise grenzt sich die hier zugrundegelegte Begriffsauffassung von denjenigen Meinungsvertretern ab, die quasi jedes gewissenhaft angegangene Management auch als Risikomanagement interpretieren. Dagegen ist bei der hier vertretenen Auffassung das Risikomanagement zwar ein immanenter Bestandteil der Unternehmensführung, aber es ist nicht gleichzusetzen mit dieser. Folglich ist Risikomanagement eine Teilfunktion des Managements, wobei diese Funktion durch eine systematische Herangehensweise an das Risikophänomen charakterisiert ist. Wie
123 124 125 126
vgl. Mikus (2001), S.10 vgl. zum Beispiel: Franz (2000), S.57; Brühwiler (2001), S.188f.; Hoitsch/Winter (2004), S.237 bezüglich des Krisenmanagements: siehe Abschnitt 4.6.5.5 vgl. Rogler (2002), S.20f.; Mikus (2001), S.10f.
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
bereits im Abschnitt 1.2.2 dargestellt wurde, herrscht in der Literatur127 der klare fachliche Konsens, dass die systematische Herangehensweise an das Risikophänomen auf Basis eines strukturierten Entscheidungsprozesses erfolgen sollte (RMProzess). Der RM-Prozess bildet somit einen wesentlichen Bestandteil des Risikomanagements, obwohl es nicht darauf reduziert werden darf, da darüber hinaus die dem RM-Prozess vor-, nach- und parallelgelagerten Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations-, Koordinations- und Kontroll-Funktionen berücksichtigt werden müssen.128 Aufbauend auf dem RM-Grundverständnis des obigen Absatzes stellt sich nun die Frage, welche Zielsetzungen mit dem Betreiben eines Risikomanagements verfolgt werden. Den Ausgangspunkt bei der Beantwortung dieser Fragestellung bildet die Erkenntnis, dass die Realisierung der Unternehmenszwecke nur dann möglich ist, wenn ein langfristiger Unternehmensbestand gewährleistet ist. Infolgedessen ist die Existenzsicherung des Unternehmens die notwendige Grundvoraussetzung für die Erreichung der Unternehmenszwecke und kann demnach als Metaziel des Risikomanagements interpretiert werden. Würde das Risikomanagement jedoch nur diese Metazielsetzung verfolgen, so würde daraus eine sehr eingeschränkte RMSichtweise resultieren. Beschäftigt sich das Risikomanagement nämlich nur mit den existenzbedrohenden Risiken, so wäre es begrifflich gleichzusetzen mit dem präventiven Krisenmanagement.129 Bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise ist es jedoch zweckmäßig, dass das Risikomanagement auch Risiken abdeckt, die keine unmittelbaren Krisenpotenziale aufweisen. Beispielsweise kann die Ausweitung des Risikomanagements auf Risiken ohne Krisencharakter in ethischen oder wirtschaftlichen Erwägungen begründet sein. Verfolgt ein Unternehmen z.B. eine nachhaltige Unternehmenspolitik, so sollten neben den existenzbedrohenden Risiken auch solche bewältigt werden, die die Nachhaltigkeit der Unternehmenstätigkeit wesentlich gefährden. Die konkrete Festlegung, welche Risiken zusätzlich zu den existenzbedrohenden Risiken bewältigt werden sollen, ist jedoch eine unternehmensindividuelle Entscheidung und muss aus den Unternehmenszwecken und dem zugrundegelegten Wertesystem abgeleitet werden. Deshalb kann hier für solche Risiken keine allgemeingültige Zielsetzung angegeben werden, weshalb in der nachfolgenden RMDefinition der Zielaspekt unter dem Begriff „RM-Ziele“ subsumiert wird. Auf die mögli127
128 129
vgl. zum Beispiel: Kratzheller (1997), S.91; Kremers (2002), S.76ff.; Horvath/Gleich (2000), S.109; Werder (1992), Sp.2213f.; ONR 49001 (2004), S.7ff. vgl. Diederichs (2004), S.12f. bezüglich der begrifflichen Unterscheidung zwischen Krisenmanagement und Risikomanagement: siehe Abschnitt 4.6.5.5
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
47
che Ausprägung solcher RM-Ziele und die damit verbundenen Problemstellungen wird im Abschnitt 3.3.2 detaillierter eingegangen. Nachdem entsprechend der wissenschaftlichen Fragestellung ein ganzheitliches RMModell entwickelt werden soll, wird in dieser Arbeit der Sichtweise des allgemeinen Risikomanagements gefolgt (siehe Abschnitt 3.2.2), d.h. Risikomanagement wird als Führungsfunktion aufgefasst, mit der nicht nur Einzelrisiken bewältigt werden sollen, sondern es soll vielmehr die gesamte unternehmerische Risikolage unter Berücksichtigung des Chancenaspektes geeignet gestaltet, gelenkt und entwickelt werden. Aufbauend auf dieser Sichtweise, sowie den Ausführungen in den obigen Absätzen und dem Management-Grundverständnis des Abschnittes 3.2.1, kann Risikomanagement folgendermaßen definiert werden: Risikomanagement als immanenter Bestandteil der Unternehmensführung umfasst alle jene Entscheidungs- und Durchsetzungshandlungen sowie die diesen Handlungen vor-, nach- und parallelgelagerten Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations-, Koordinations- und Kontroll-Funktionen, die auf eine systematische und kontinuierliche Analyse, Bewältigung und Kontrolle der unternehmerischen Risikopotenziale abzielen, um damit auf Basis des zugrundegelegten Wertesystems des Unternehmens die Realisierung der RM-Ziele unter Berücksichtigung des Chancenaspektes zu ermöglichen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Definition ist, dass die Bestandteile des Risikomanagements daraus resultieren, dass die für eine systematische und kontinuierliche Risikohandhabung (RM-Prozess: Analyse, Bewältigung, Kontrolle) notwendigen Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations-, Koordinations- und Kontroll-Funktionen geeignet im Risikomanagement berücksichtigt werden müssen. Die Konkretisierung dieser Funktionen wird nachfolgend in zwei Schritten realisiert. Im ersten Schritt werden im Abschnitt 3.3 jene RM-Grundbestandteile abgeleitet, die im direkten Zusammenhang mit dem RM-Prozess stehen. Ausgehend von diesen Grundbestandteilen werden im Kapitel 4 die risikorelevanten Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations-, Koordinations- und Kontroll-Funktionen weiter konkretisiert und darauf aufbauend ein ganzheitliches RM-Modell entwickelt.
48
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
3.3 RM-Grundbestandteile auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre Wie im Abschnitt 1.2.3 begründet wurde, bildet die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre eine geeignete Basis zur fundierten Herleitung von grundlegenden Bestandteilen des Risikomanagements. Bei der nachfolgenden Entwicklung solcher Bestandteile werden zwei Aspekte dieses Ansatzes genutzt. Erstens wird der deskriptive Entscheidungsprozess130 zur Analyse und Beschreibung des RMProzesses verwendet (siehe Abschnitt 3.3.1). Zweitens wird der Forschungsansatz131 der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre in den Abschnitten 3.3.2 bis 3.3.4 zur Ableitung und Konkretisierung von relevanten RM-Elementen herangezogen (RM-Ziele, Risikosystematisierung, RM-Instrumente).
3.3.1 Systematische Risikohandhabung als deskriptiver Entscheidungsprozess (RM-Prozess) Wie im Abschnitt 3.2.3 dargestellt wurde, bildet der RM-Prozess einen wesentlichen Bestandteil des Risikomanagements. Zur Sicherstellung einer fundierten Diskussion der RM-Prozessschritte wird nachfolgend der RM-Prozess aus der Darstellung des deskriptiven Entscheidungsprozesses der entscheidungsorientierten BWL abgeleitet. Dazu werden die RM-Prozessschritte der Abbildung 1 an den allgemeinen Phasen eines Entscheidungsprozesses, entsprechend der Abbildung 5, gespiegelt (siehe Abbildung 14).
130 131
vgl. Abbildung 5 vgl. Abbildung 6
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Willensdurchsetzung
Willensbildung
Planung Anregung
Suche
Vollzug
Kontrolle
Verwirklichungsphase
Bestimmung der Zielerreichung
Auswahl
Erkennen und Festlegen von Bestimmung Kriterien/ der günstigsten Klarstellen des Suche nach HandlungsProblems Handlungsweise möglichkeiten/ Beschreibung und Bewertung ihrer Folgen
Risikoanalyse
49
Risikobewältigung
Risikokontrolle
Abbildung 14: Interpretation des RM-Prozesses auf Basis des deskriptiven Entscheidungsprozesses der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre132
Entsprechend der Zuordnung in der Abbildung 14 können die RM-Phasen folgendermaßen interpretiert werden: 3.3.1.1 Risikoanalyse Gestartet wird der Willensbildungsprozess durch das Erkennen eines ungelösten Problems, indem ein wesentliches Risiko identifiziert wird. Darauf aufbauend müssen zusätzliche Informationen gewonnen werden, die in der anschließenden UrsachenWirkungs-Analyse zur Präzisierung der offenen Fragen beitragen. Diese Anregungsphase endet mit einer genauen Beschreibung des erkannten Risikos, sofern nach der Ursachen-Wirkungs-Analyse weiterhin ein Handlungsbedarf besteht.133 Bei der praktischen Umsetzung wird die Risikoanalyse meist in zwei Teilschritte aufgetrennt, und zwar in die Gefahrenidentifikation und die Risikobewertung. Bei der Gefahrenidentifikation erfolgt die Ermittlung sämtlicher Gefahren, denen der betrachtete Bereich ausgesetzt ist. Die Gefahrenidentifikation ist von eminenter Wichtigkeit, da Fehler, die in dieser Phase gemacht werden, in den nachfolgenden Prozessschritten nicht mehr korrigiert und überprüft werden können. Sichtbar wird ein Fehler nämlich erst dann, wenn ein nicht erkanntes Risiko tatsächlich eintritt. Aufbauend auf der
132 133
vgl. Heinen (1992), S.52 vgl. Heinen (1992), S.22; Heinen (1991), S.35
50
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Gefahrenidentifikation ist es das Ziel der Risikobewertung, dass die Gefahrenpotenziale transparent gemacht und ihre Wirkungen quantifiziert werden, wodurch beispielsweise ein Vergleich zwischen den Einzelrisiken möglich wird. Zu beachten ist dabei, dass Risikobewertungen nicht nur in der Risikoanalyse-Phase notwendig sind, sondern alle RM-Prozessschritte begleiten.134 3.3.1.2 Risikobewältigung Die Risikobewältigung gliedert sich in die Such-, Auswahl- und Vollzugsphase. In der Suchphase werden mögliche Handlungsalternativen (Risikomaßnahmen) ermittelt und deren zu erwartenden Wirkungen abgeschätzt. Darauf aufbauend werden die identifizierten Alternativen auf Basis der zugrundegelegten Ziele in eine Rangordnung gebracht. Mit der Entschlussfassung ist der abwägende Prozess der Willensbildung abgeschlossen. Dem Wahlakt folgt die Entscheidungsrealisierung (Maßnahmenumsetzung). Da der Entscheidungs- und der Ausführungsschritt meist personell getrennt durchgeführt werden, müssen anweisende oder unterrichtende Informationen vom Entscheidungsträger zum Ausführenden fließen. In der Regel besitzt der Ausführende dabei noch einen Handlungsspielraum, den er mit eigenen Entscheidungen ausfüllen muss.135 Ziel des Risikobewältigungs-Schrittes ist somit die Handhabung der zuvor identifizierten und bewerteten Risiken im Einklang mit den Unternehmenszielen und den generellen Risikovorgaben. D.h. es sind Maßnahmen zu definieren, die das Risikoausmaß so verringern, sodass das betrachtete Risiko unter einer vorgegebenen Risikoschwelle zu liegen kommt. Dabei muss zur Beurteilung der RisikoausmaßVerbesserung durch die vorgeschlagenen Maßnahmen wiederum ein Bewertungsschritt durchgeführt werden.136 3.3.1.3 Risikokontrolle Für eine erfolgreiche Umsetzung des RM-Prozesses ist es notwendig, dass alle Aktivitäten des Entscheidungsprozesses laufend überwacht und gegebenenfalls angepasst werden. Kontrollen müssen somit im gesamten Prozess der Willensbildung und Willensdurchsetzung erfolgen. Bei Abweichungen zwischen den erwünschten und erzielten Ergebnissen müssen Revisionsinformationen zurück zum Entscheidungsträger fließen. Aus diesen Informationen resultieren Anpassungsmaßnahmen, d.h.
134 135 136
vgl. Erben/Romeike (2003b), S.287f.; Wolf/Runzheimer (2003), S.57 vgl. Heinen (1992), S.23; Heinen (1991), S.36 vgl. Sauerwein/Thurner (1998), S.37
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
51
diese lösen neue Entscheidungen aus. Der Entscheidungsprozess nimmt somit einen neuen Anfang.137 Die identifizierten Risiken sind nicht nur einmalig, sondern laufend zu überwachen und im Rahmen einer Risikoberichterstattung zu kommunizieren. Nur so können tatsächliche Risikoeintritte möglichst früh erkannt und rechtzeitig Steuerungsmaßnahmen eingeleitet werden. In diesem Zusammenhang kann es zweckmäßig sein, dass relevante Frühwarnindikatoren für potenzielle Risiken definiert werden. Des Weiteren werden häufig bei der Risikokontrolle noch nicht erkannte risikokritische Bereiche aufgedeckt. In diesen Bereichen sollten bei Bedarf vertiefende Risikoanalysen durchgeführt werden. Bei den hier dargestellten Aufgaben der Risikokontrolle sind meist wiederum Risiko-Bewertungsschritte notwendig, mit deren Hilfe überwacht wird, ob „die Risikoposition des Unternehmens der angestrebten Risikosituation entspricht. Diese Aufgabe wird instrumentell durch Abweichanalysen (Soll-Ist-Analysen) unterstützt.“138 Schließlich ist es Aufgabe der Risikokontrolle, dass der Fortschritt der Risikomaßnahmen-Umsetzung laufend überwacht wird. Durch das Aufzeigen von tatsächlichen oder potenziellen Abweichungen gegenüber den vorgegebenen Maßnahmenzielen können rechtzeitig Zusatz- oder Alternativmaßnahmen ergriffen werden.139
3.3.2 Risikomanagement-Ziele Unter einem Ziel versteht man im Allgemeinen einen angestrebten zukünftigen Zustand.140 Als genereller Grundsatz gilt, dass das Zielsystem konsistent sein muss mit der abstrakten Unternehmensphilosophie. Ist somit eine risikoorientierte Unternehmensphilosophie vorhanden, so sollte sich deren Risikoperspektive auch im Zielsystem des Unternehmens manifestieren.141 Bei der Formulierung der RM-Ziele sind jeweils der Zielinhalt, der zeitliche Bezug und das angestrebte Ausmaß zu definieren. Des Weiteren müssen die zwischen den Zielen bestehenden Beziehungen identifiziert und analysiert werden.142 Die Festlegung von Unternehmenszielen ist eine Führungsaufgabe. Im Zusammenhang mit dem Risikomanagement sollte somit die Geschäftsleitung den Sollzustand 137 138 139 140 141 142
vgl. Heinen (1992), S.23; Heinen (1991), S.36 zit. KPMG Deutschland (1998), S.25 vgl. Wittmann (2000), S.815 vgl. Heinen (1991), S.13 vgl. Kremers (2002), S.72ff. vgl. Heinen (1992), S.98ff.
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Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
der Risikolage definieren, indem – im Einklang mit den risikopolitischen Unternehmensgrundsätzen – Risikoziele in das generelle Zielsystem eingefügt werden. Bei der Ausgestaltung von Risikozielen lassen sich die folgenden grundlegenden Alternativen unterscheiden:143 x
Risikoziele können den Charakter von Hauptzielen haben, d.h. sie können gleichberechtigt neben anderen primären Zielsetzungen stehen, wie beispielsweise dem Rentabilitätsziel. Die Festlegung von Risikozielen als Hauptziele dient primär dazu, die Bedeutung des Risikomanagements zu betonen und das Risikobewusstsein zu stärken. Als Hauptziele sollten folglich vor allem die risikopolitischen Zielsetzungen definiert werden. Solche Zielsetzungen drücken die grundlegende Haltung des Unternehmens bezüglich der Handhabung von Risiken aus und sollen das Risikomanagement innerhalb des Unternehmens dementsprechend beeinflussen. Sie dienen somit als Ausgangspunkt der Gestaltung des RM-Systems und verdeutlichen die übergeordnete Risikoneigung oder -aversion.144
x
Zum Zweiten können Risikoziele als Nebenziele definiert werden, die als Randbedingungen bei der Erreichung der Hauptziele zu beachten sind. Im Zusammenhang mit dem Risikomanagement könnte beispielsweise ein Nebenziel im Grundsatz bestehen, dass ein Risiko nur dann übernommen werden darf, wenn ein tatsächlicher Risikoeintritt die Zahlungsfähigkeit nicht gefährdet und wenn die vorhandenen Risikopotenziale ausreichend mit Eigenkapital abgesichert sind.
x
Zum Dritten können die Risikoziele implizit in anderen Zielsetzungen enthalten sein. Beispielsweise können die Vorgaben für ein Produkthaftungsrisiko in Form von Qualitätszielen definiert werden.
Für ERBEN/ROMEIKE besteht das primäre Formalziel des Risikomanagements in der Erreichung eines optimalen Risikoniveaus, wobei der Wirtschaftlichkeitsaspekt des Risikomanagements berücksichtigt werden muss.145 SAUERWEIN/THURNER und WOLF/RUNZHEIMER sind etwas konkreter und sehen das Formalziel „des Risikomanagements in der Sicherung der Unternehmensexistenz, des künftigen Unternehmenserfolges und der Minimierung der Risikokosten.“146 Auf Basis dieser Vorschläge für mögliche RM-Formalziele muss jedes Unternehmen seine individuellen Formalziele situativ definieren und darauf aufbauend operative RM-Ziele für die einzelnen Unternehmensbereiche ableiten. Dabei zeigen die Erfahrungen der betriebli-
143 144 145 146
vgl. Heinen (1992), S.102ff.; Kremers (2002), S.74f. vgl. Wittmann (2000), S.796f. vgl. Erben/Romeike (2003a), S.56f. zit. Wolf/Runzheimer (2003), S.32; vgl. Sauerwein/Thurner (1998), S.35f.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
53
chen Praxis, dass aufgrund des abstrakten Charakters des Risikobegriffes die Zielfestlegung im operativen Bereich eine herausfordernde Aufgabenstellung darstellt. Deshalb wird in der Praxis häufig auf die Definition von operativen Risikozielen überhaupt verzichtet. Wegen der Planungs- und Kontrollmaßnahmen, die grundsätzlich auch im Risikomanagement notwendig sind, ist es jedoch unverzichtbar, dass auf der operativen Ebene die angestrebten Risikoziele vorgegeben werden.147 Darüber hinaus ist zur Förderung eines adäquaten Risikobewusstseins der Mitarbeiter die Nennung von Risikozielen unentbehrlich, denn nur wenn Ziele definiert sind, ist eine Bezugsmarke gegeben, an der sich die Führungskräfte und Mitarbeiter orientieren können.
3.3.3 Systematisierung der betrieblichen Risikosituation „Ziel der Systematisierung ist die gedankliche Erfassung des komplexen Objektbereichs und dessen analytische Aufgliederung in einzelne Elemente nach grundsätzlich beliebigen Kriterien.“148 Die Systematisierung dient somit der Komplexitätsreduktion, d.h. das Gesamtsystem wird mittels relevanter Betrachtungsperspektiven so strukturiert, dass es für die gegebene Problemstellung „analysierbar“ wird. Auf Basis dieser Denkweise wird in den Abschnitten 3.3.3.1 bis 3.3.3.3 begründet, dass eine Betriebswirtschaft für Risikobetrachtungen bezüglich der folgenden Perspektiven systematisiert werden soll: x
Systematisierungsperspektive Analysebereiche (Risikofelder)
x
Systematisierungsperspektive Finalität (Risikokategorien)
x
Systematisierungsperspektive Aggregationsebenen (Betrachtungsebenen)
Wie im Abschnitt 1.2.3 dargelegt wurde, sollte bei einer ganzheitlichen Sichtweise das Risikophänomen systemtheoretisch auf einer Metaebene beschrieben werden. Deshalb werden im Nachfolgenden die obigen Systematisierungsperspektiven auf Basis des systemtheoretischen Begriffsverständnisses dargestellt. 3.3.3.1 Systematisierungsperspektive Analysebereiche (Risikofelder) Ab einer bestimmten Komplexität einer Betriebswirtschaft ist eine undifferenzierte Risikobetrachtung für den gesamten Betrieb nicht mehr möglich, da diese Aufgabenstellung, aufgrund der begrenzten menschlichen Aufnahme- und Verarbeitungskapa-
147 148
vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.32 zit. Heinen (1991), S.21
54
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
zität, dann nicht mehr bewältig werden kann.149 Folglich muss in einem ersten Schritt die Systemkomplexität auf ein bearbeitbares Maß reduziert werden. Dabei ist zu beachten, dass eine solche Strukturbildung immer ein selektiver Vorgang ist. Struktur ist nämlich immer das Resultat einer verbindlichen Auswahl aus einer Vielzahl von Möglichkeiten und beinhaltet den Schutz dieser Auswahl über eine gewisse Zeit.150 Diese Überlegungen führen zur Frage nach geeigneten Systematisierungskriterien, anhand derer die Differenzierung in Teilsysteme (Risikofelder) vorgenommen werden kann. Beispielsweise können bei der Bildung von Risikofeldern folgende Perspektiven verwendet werden:151 Funktionsbereiche, Aufbauorganisation, Risikoobjekte, Projekte, Prozesse, Produkte, usw. Es kann hier jedoch kein generell gültiger Vorschlag gegeben werden, da die Systematisierungsaufgabe eine unternehmensspezifische und situative Problemstellung ist. Deshalb werden in der nachfolgenden Abbildung die Überlegungen dieses Abschnitts symbolisch dargestellt.
Aufteilen des Risikosystems in Teilsysteme (Risikofelder)
Risikofeld 1
Risikofeld 2
Risikofeld 3
Abbildung 15: Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach Risikofeldern (Anmerkung: die Kreise symbolisieren die Risiko-Basiselemente entsprechend der Abbildung 12)
Bei der Differenzierung in Risikofelder muss berücksichtigt werden, dass dabei zwar einerseits die Komplexität reduziert wird, jedoch andererseits infolge der vorhandenen Beziehungen zwischen den gebildeten Risikofeldern eine neue Art von Komple-
149 150 151
in Anlehnung an: Malik (2002), S.82f. vgl. Schreyögg (2003), S.109 vgl. Romeike (2003b), S.167ff.; Brühwiler (2001), S.49ff.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
55
xität entsteht. Der Grad dieser Komplexität resultiert aus der Anzahl der Beziehungen, die zwischen den Risikofeldern existieren. Mit zunehmender Zerlegung eines Systems in Risikofelder erhöht sich diese zusätzliche Komplexitätsart überproportional.152 Deshalb sollte ein System nicht in zu viele Risikofelder zerlegt werden, weil dann überproportional viele Beziehungen zwischen den Feldern zu berücksichtigen sind, die über Koordinationsmaßnahmen wieder abgestimmt werden müssten.153 3.3.3.2 Systematisierungsperspektive Finalität (Risikokategorien) Ist durch die Bildung von Risikofeldern die Systemkomplexität auf ein bearbeitbares Maß reduziert worden, dann sind die Voraussetzungen gegeben, dass die Risiken der einzelnen Risikofelder analysiert werden können. Da es beim Risikomanagement um die Vermeidung von Abweichungen „von den gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“154 geht, muss sich die Risikoanalyse an diesen Erwartungen orientieren. Die gebildeten Risikofelder müssen somit auf Basis der jeweils relevanten Erwartungsperspektiven (Finalitätsaspekt) in Risikokategorien unterteilt werden. Ein weiterer Grund, weshalb eine Aufgliederung der Risikofelder in Risikokategorien erforderlich ist, ergibt sich aus der meist verschiedenartigen Interpretation der Bewertungskriterien für Risiken aus unterschiedlichen Finalitätsbereichen. Diese Aussage soll hier an einem konkreten Beispiel verdeutlicht werden:155 Dazu sei angenommen, dass in einem Risikofeld die Finalitätsperspektiven „Arbeitssicherheit, Umweltschutz und Finanzziele“ relevant sind. Bei diesen beispielhaften Perspektiven ist einerseits das Festlegen eines einheitlichen Bewertungsrasters methodisch schwierig und andererseits wäre ein solcher sogar ethisch verwerflich, denn dabei müsste man z.B. Todesfälle mit dem Verlust von Eigenkapital oder mit Umweltbeeinträchtigungen gleichsetzen. Deshalb müssen diese Perspektiven getrennt behandelt werden (Risikokategorien). Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die einzelnen Risikokategorien als offene Systeme zu interpretieren sind, da im Allgemeinen Beziehungen zu anderen Risikofeldern und Risikokategorien vorhanden sind. Beispielsweise können einzelne Risiken einer Risikokategorie von Ereignissen in anderen Bereichen abhängen. Solche Beziehungen können einen wesentlichen Einfluss auf die Risikolage haben und müssen deshalb geeignet berücksichtigt werden.
152 153 154 155
in Anlehnung an: Rühli (1992), S.1165 vgl. Adam/Backhaus/Bauer/Dinge/Johannwille/Voeth/Welker (1998), S.23 vgl. Risikodefinition im Abschnitt 3.1.4 vgl. Brühwiler (2001), S.79
56
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Die Abbildung 16 zeigt symbolisch diese aspektbezogene156 Sichtweise bei der Systematisierung in Risikokategorien, wobei zu beachten ist, dass in der Abbildung nur eine einzige Finalitätsperspektive dargestellt ist. Dieser Aspektsystem-Ansatz gleicht der Betrachtung des Risikofeldes durch einen Filter, der durch die gegebenen Finalitätsperspektiven gebildet wird.157 Ein Vorteil dieser Sichtweise ist, dass dabei Basisursachen und Endwirkungen explizit darstellbar sind (siehe Abbildung 16). Endwirkungen können deswegen angegeben werden, weil durch die Festlegung von Risikokategorien ein direkter Bezug zur Risikodefinition des Abschnitts 3.1.4 hergestellt ist. Deshalb können konkret „Abweichungen von den Erwartungen der Risikonehmer“ abgeleitet werden, da sich die Risikokategorien eben an diesen Erwartungen orientieren. Endwirkungen sind somit jene Ereignisse, aus denen im betrachteten Risikofeld solche Abweichungen unmittelbar resultieren. Diese Endwirkungen entstehen, entsprechend dem Grundverständnis dieser Arbeit, aus Ursachen-WirkungsZusammenhängen.158 Diese Zusammenhänge lassen sich auf Basisursachen zurückführen. Das besagt aber nicht, dass eine weitere Unterteilung bzw. Verfeinerung der Basisursachen nicht mehr möglich ist. Es wird vielmehr – oft nur vorläufig – beschlossen, keine weitere Strukturierung vorzunehmen. Die Auflösung über mehrere Stufen ist somit im Grunde genommen beliebig weit durchführbar und hängt alleine von deren Zweckmäßigkeit ab.159 Auf diesen Themenbereich, und zwar auf die Aufspaltung in weitere Unterrisiken, wird hier nicht weiter eingegangen, da dieser Aspekt im nachfolgenden Abschnitt eingehend behandelt wird.
156 157 158 159
vgl. Abschnitt 2.2.2 vgl. Sammer (2000), S.33; Daenzer/Huber (2002), S.9 vgl. Abschnitt 1.2.2 vgl. Daenzer/Huber (2002), S.8
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
57
Aspektbezogene Systemdarstellung unter einer Finalitätsperspektive (Risikokategorie) Basisursache 1
Endwirkung 1
Basisursache 2
Endwirkung 2
Basisursache 3
Endwirkung 3
Basisursache 4
Endwirkung 4
Basisursache 5
Endwirkung 5
Basisursache 6
Endwirkung 6
Basisursache 7
Endwirkung 7
Abbildung 16: Aspektbezogene Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach einer einzelnen Risikokategorie (Anmerkung: die Kreise symbolisieren die Risiko-Basiselemente entsprechend der Abbildung 12)
Die Abbildung 16 zeigt die aspektbezogene Sichtweise nur für eine einzige Finalitätsperspektive. Eine solche Darstellung gibt es jedoch für alle relevanten Finalitätsperspektiven des betrachteten Risikofeldes. In der Abbildung 17 sind symbolisch mehrere Finalitätsperspektiven berücksichtigt, wobei zusätzlich eine kompakte Darstellung hinzugefügt ist. Diese wird aus Übersichtlichkeitsgründen in den nachfolgenden Abbildungen bevorzugt verwendet. Die hier gebrachten Überlegungen führen zur Fragestellung, wie in der betrieblichen Praxis die Finalitätskriterien festgelegt werden sollen, anhand derer die Differenzierung in Risikokategorien vorgenommen werden kann. Entsprechend der Risikodefinition resultieren die Finalitätsperspektiven aus den „gerechtfertigten Erwartungen der Risikonehmer“, wobei diese Erwartungen wiederum aus dem Systemzweck abgeleitet werden müssen.160 Zur praktischen Umsetzung des Risikomanagements muss somit konkretisiert werden, was unter den „gerechtfertigten Erwartungen“ zu verstehen ist. Diese Konkretisierung hängt jedoch sehr eng mit dem tatsächlich verfolgten Systemzweck zusammen, weshalb hier keine allgemeingültigen Risikokategorien 160
vgl. Risikodefinition im Abschnitt 3.1.4
58
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
angegeben werden können. Diese Aufgabenstellung muss folglich unternehmensspezifisch gestaltet werden. Als Beispiele für mögliche Perspektiven bei der Risikokategorisierung können folgende Ansätze angeführt werden:161 Zielsystem, Ursachenorientierung, Wirkungsorientierung, Schadensformen, usw.
Systemdarstellung unter verschiedenen Finalitätsperspektiven
(Risikokategorien) Risikokategorie 1
Risikokategorie 2
Risikokategorie 3
Kompakte Darstellung der verschiedenen Finalitätsperspektiven (Risikokategorien)
Risikokategorie 1 Risikokategorie 2 Risikokategorie 3
Abbildung 17: Aspektbezogene Systematisierung der Risikosituation nach Risikokategorien (Anmerkung: die Kreise symbolisieren die Risiko-Basiselemente entsprechend der Abbildung 12)
161
vgl. Kremers (2002), S.47ff.; Brühwiler (2001), S.51ff.; Gleißner (2001), S.112ff.; Wälchli (1975), S.39ff.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
59
3.3.3.3 Systematisierungsperspektive Aggregationsebenen (Betrachtungsebenen) Ein betrachtetes Risiko kann im Allgemeinen in zahlreiche Teilrisiken differenziert werden. Bei diesen Teilrisiken kann es sich wiederum um Risikoaggregate handeln, d.h. es kann eine weitere Aufspaltung möglich sein. Erst wenn keine weitere Differenzierung mehr möglich ist, ist die Ebene der Einzelrisiken erreicht. Je geringer der Aggregationsgrad ist, desto konkreter lässt sich ein Risiko formulieren. Es existieren somit meist mehrere Risiko-Aggregationsebenen. Im Risikomanagement ist eine explizite Unterscheidung verschiedener Aggregationsebenen vor allem deshalb notwendig, da bestimmte Risikomaßnahmen bei Teilrisiken und andere bei aggregierten Risikopotenzialen ansetzen. Beispielsweise sind für Risiken, die unmittelbar von Produktionsanlagen ausgehen, meist spezielle, maschinenbezogene Maßnahmen zweckmäßig. Dagegen setzen Versicherungen zur Handhabung von technischen Risiken im Allgemeinen an einer höheren Aggregationsebene an, weil sich derartige Versicherungen aus Effizienzgründen nicht auf einzelne Maschinen beziehen sollten. Als Extremfall sind auch gesamtunternehmensbezogene Maßnahmen denkbar, z.B. wenn stille Reserven unabhängig von konkreten Risiken zum Zweck der Risikodeckung aufgebaut werden. Es ist somit nicht möglich, das Risikomanagement auf eine bestimmte Aggregationsebene zu beschränken.162 Die Abbildung 18 zeigt eine symbolische Darstellung der Überlegungen dieses Abschnitts, wobei in diesem Bild zusätzlich noch die Risikofeld- und Risikokategoriesicht mit abgebildet ist. Es ist hier nur eine symbolische Darstellung möglich, da man die gesamte Risikostruktur eines Unternehmens bis hin zu den Einzelrisiken nicht allgemeingültig festlegen kann. Eine derartige Risiko-Baumstruktur kann nämlich nur unternehmensspezifisch erstellt werden. Dies gilt umso mehr, je konkreter die Risiken formuliert sind, d.h. je geringer der Aggregationsgrad ist.
162
vgl. Kremers (2002), S.52ff.
60
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Abbildung 18: Systematisierung der betrieblichen Risikosituation nach Betrachtungsebenen (Anmerkung: die Kreise symbolisieren die Risiko-Basiselemente entsprechend der Abbildung 12)
Ist die Risikosystematisierung festgelegt, so können Risikobetrachtungen für das Gesamtsystem, sowie für die einzelnen Risikofelder und Betrachtungsebenen durchgeführt werden. Es ist dabei zu beachten, dass ein Risikomanagement des Gesamtsystems nicht möglich ist, ohne Einbeziehung der Risiken, die in den verschiedenen Teilsystemen auftreten.163 Es muss nämlich berücksichtigt werden, dass die Risikosituation eines Unternehmens sich in der Regel nicht in völlig unabhängige Teilrisiken, Risikofelder, Risikohierarchien, usw. zerlegen lässt, da zwischen diesen häufig Interdependenzen existieren. Mit dieser Interdependenzen-Problematik hängen eng die Themenbereiche „Aggregations-, Korrelations-, sowie Sensitivitätsanalyse“ zusammen. Dabei geht es bei der Risikoaggregation um die Fragestellung, welches Gesamtrisiko im betrachteten Risikofeld aus dem Zusammenwirken der identifizierten Einzelrisiken resultiert.164 Bei der Risikoaggregation muss berücksichtigt werden, dass kompensatorische bzw. kumulative Effekte der Einzelrisiken dazu führen, dass das Gesamtrisiko nicht identisch ist mit der Summe der Einzelrisiken. Diese Tatsache (Korrelationseffekt) wird häufig in der betrieblichen Praxis ebenso vernachlässigt wie die Frage, welche relative Bedeutung die vorhandenen Einzelrisiken für die Gesamtrisikolage haben (Sensitivitätseffekt).165 Auf die Details dieser Themenkreise 163 164 165
vgl. Brühwiler (2001), S.50 vgl. ONR 49002-1 (2004), S.8 vgl. Romeike (2003c), S.193; Gleißner (2001), S.126
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
61
wird hier nicht weiter eingegangen, sondern diese werden im Abschnitt 3.3.4.6 diskutiert.
3.3.4 Erklärung und Gestaltung der Risikolage mit Hilfe von RMInstrumenten RM-Instrumente sind spezifische Vorgehensweisen, mit denen die Risikolage eines betrachteten Bereiches charakterisiert werden kann und auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden können. RM-Instrumente sind deshalb von eminenter Wichtigkeit, da sie den gesamten RM-Prozess begleiten. Beispielsweise braucht man sie einerseits in der RM-Analysephase zur Erkennung der wesentlichen Risiken durch die Darstellung des Risikoausmaßes und andererseits in der RM-Bewältigungsphase zur Auswahl von geeigneten Maßnahmen durch Ermittlung der RisikoausmaßÄnderungen infolge der Maßnahmenumsetzung. Schließlich benötigt man RMInstrumente in der RM-Kontrollphase zur Überwachung der Wirkung des RMProzesses. 3.3.4.1 Klassifizierung der RM-Instrumente In diesem Abschnitt wird eine Klassifizierung der RM-Instrumente entwickelt, die auf der systemtheoretischen Darstellung des Abschnitts 3.1.5 und dem Systematisierungs-Verständnis des Abschnitts 3.3.3 aufbaut. Den Ausgangspunkt für die nachfolgenden Überlegungen bildet die Darstellung des Risikophänomens als UrsachenWirkungs-Zusammenhang entsprechend der Abbildung 16. Auf Basis dieses Verständnisses gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten, wie man die UrsachenWirkungs-Zusammenhänge konkret und explizit untersuchen kann. Erstens können ganze Ursachen-Wirkungs-Ketten dargestellt werden (Ereignisbasierte Instrumente), oder es werden zweitens nur einzelne risikorelevante Ereignisse betrachtet und mit Hilfe von Indikatoren analysiert (Indikatorbasierte Instrumente). Geht ein RMInstrument nicht konkret und explizit auf die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge ein, sondern werden diese Zusammenhänge in einen mathematischen Formelapparat transformiert, so kann man diesen Formelapparat zu einem analytischen RMEntscheidungsmodell ausbauen (Analysemodellbasierte Instrumente). Können diese drei Instrumententypen nicht mit einer zufriedenstellenden Genauigkeit angewendet werden, dann sollte zumindest eine qualitative Betrachtung auf Basis einer narrativen Darstellung der Risikolage erfolgen (Narrative Instrumente). Es gibt somit vier grundsätzliche RM-Instrumentenklassen, deren Instrumente sich in weiterer Folge mehr oder weniger gut zu Aggregationsinstrumente ausbauen lassen. Die Abbildung 19
62
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
zeigt einen Überblick über diesen Klassifizierungsansatz mit der möglichen Erweiterung der Einzelinstrumente zu Aggregationsinstrumenten.
Risikokategorie 1 Risikokategorie 2 Risikokategorie 3
Risikomanagement-Instrumente Analysemodellbasierte Instrumente
Ereignisbasierte Instrumente
Indikatorbasierte Instrumente
Narrative Instrumente
Instrumente der Risikoaggregation zur Zusammenfassung von Risiken innerhalb der Risikofelder und zwischen den Betrachtungsebenen
Abbildung 19: Überblick über die in dieser Arbeit verwendete Klassifizierung der RM-Instrumente
Die in der Abbildung 19 dargestellten Instrumentenklassen werden in den nachfolgenden Abschnitten diskutiert, wobei diese Abschnitte folgendermaßen aufgebaut sind: Nach der Beschreibung der jeweiligen Klasse, werden ihr konkrete Instrumente der Literatur zugeordnet, wobei diese nicht im Detail beschrieben werden, sondern es werden relevante Literaturverweise gegeben. Darauf aufbauend wird im Abschnitt 3.3.4.6 auf die Risikoaggregation eingegangen. Im Abschnitt 3.3.5 wird der Einsatz von RM-Instrumenten kritisch gewürdigt und erste Schlussfolgerungen daraus gezogen. 3.3.4.2 Ereignisbasierte RM-Instrumente Entsprechend der Abbildung 13 resultiert das Risikophänomen aus einer vernetzten Ursachen-Wirkungs-Struktur, die häufig Rückkopplungen und nichtlineare Beziehungen beinhaltet.166 Daher müsste man bei der Risikoanalyse alle Risikoereignisse und deren Wechselwirkungen simultan berücksichtigen. Eine solche simultane Analyse ist jedoch aus Komplexitätsgründen meist nicht möglich. Zur Komplexitätsreduktion werden deshalb bei den ereignisbasierten RM-Instrumenten nur relevante Teilberei166
vgl. auch Abschnitt 1.2.2
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
63
che der gesamten Ursachen-Ereignis-Wirkungskette betrachtet (siehe Abbildung 20). Aufgrund der vernetzten Gesamtstruktur besteht eine solche Teilkette aus einer oder mehreren Basisursachen, aus denen eine oder mehrere Endwirkungen resultieren.167 Es ist bei dieser Auswahl von konkreten Risikoereignis-Teilketten zu beachten, dass dabei eventuell Wechselwirkungen durchschnitten und somit gewisse Einflussgrößen vernachlässigt werden.
Abbildung 20: Symbolische Darstellung der Klasse: Ereignisbasierte RM-Instrumente
Instrumente dieser Klasse sind: x
Risikoszenariomethode168
x
Failure Mode and Effects Analysis (FMEA)169
x
Fehlerbaumanalyse170
x
usw.
3.3.4.3 Indikatorbasierte RM-Instrumente Auch die indikatorbasierten RM-Instrumente dienen – wie die ereignisbasierten – der Komplexitätsreduktion. Bei den indikatorbasierten RM-Instrumenten wird die Kom167 168 169 170
vgl. ONR 49001 (2004), S.5f. vgl. Brühwiler (2001), S.67ff.; Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.62ff. vgl. Wöls/Brückner/Lichtenecker (2003), S.87ff.; Grams (2001), S.38f. vgl. Grams (2001), S.42ff.
64
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
plexitätsreduktion dadurch erzielt, indem aus der gesamten Ursachen-WirkungsStruktur nur einzelne risikorelevante Teilereignisse ausgewählt werden, für die dann Schlüsselindikatoren abgeleitet werden (siehe Abbildung 21). Auf Basis dieser eingeschränkten Sichtweise der Ursachen-Wirkungs-Struktur versucht man auf die Risikolage des Gesamtsystems zu schließen. Um die Aussagegenauigkeit zu erhöhen, werden in der betrieblichen Praxis häufig mehrere Indikatoren definiert und diese geeignet verknüpft, um auf diese Weise auf die Gesamtrisikolage des betrachteten Bereiches schließen zu können. Diese Verknüpfung kann beispielsweise mit Hilfe einer Nutzwertanalyse erfolgen.171 Bei der Verwendung von indikatorbasierten Instrumenten muss man beachten, dass man damit nur einen relativ kleinen Bereich der gesamten Ursachen-Wirkungs-Struktur beobachten und analysieren kann, weshalb diese Instrumente meist nur sinnvoll in Kombination mit anderen Instrumenten und RM-Maßnahmen einsetzbar sind.
Indikatorbasierte Indikatorbasierte Betrachtung Betrachtung Risikokategorie 1 Risikokategorie 2 Risikokategorie 3
Auswahl von relevanten Ereignissen in den einzelnen Risikokategorien
Indikator Indikator11 Indikator Indikator22 Indikator Indikator33 usw. usw.
Basisursache 1
Endwirkung 1
Basisursache 2
Endwirkung 2
Basisursache 3
Endwirkung 3
Basisursache 4
Endwirkung 4
Basisursache 5
Endwirkung 5
Basisursache 6
Endwirkung 6
Abbildung 21: Symbolische Darstellung der Klasse: Indikatorbasierte RM-Instrumente
171
vgl. Romeike (2003c), S.190
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
65
Instrumente dieser Klassen sind:172 x
Key Risk Indicator (KRI)
x
Drei-Werte-Verfahren
x
Key Performance Indicator (KPI)
x
Key Control Indicator (KCI)
x
Risikopotenzialanalyse173
x
usw.
3.3.4.4 Analysemodellbasierte RM-Instrumente
Risikorelevante Outputgrößen
Analysemodell
Risikokategorie 1 Risikokategorie 2 Risikokategorie 3
Einflussfaktoren
RM-Analysemodelle beruhen auf mathematischen Algorithmen, mit denen Risikoinputgrößen (Einflussfaktoren) in risikorelevante Outputgrößen (Risikogrößen) transformiert werden, wobei sich die Outputgrößen, entsprechend der Risikodefinition des Abschnitts 3.1.4, auf die „gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“ beziehen müssen (siehe Abbildung 22). Bei dieser Vorgehensweise werden somit die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge, aus denen die Outputgrößen resultieren, in mathematischer Form dargestellt (Analysemodell).174 Dabei kann jedoch das Analysemodell die Realität meist nur vereinfacht und partiell abbilden.175 Darüber hinaus ist im Allgemeinen noch eine weitere Vereinfachung notwendig, da bei der Modellbildung häufig versucht wird bekannte und bewährte Algorithmen zu verwenden, wobei man häufig gezwungen ist radikal zu vereinfachen, um eine mathematische Lösung zu ermöglichen. Dies ist beispielsweise dann notwendig, wenn der gewählte Algorithmus die Linearität aller Gleichungen des Modells voraussetzt.176 Aus diesen einschränkenden Bedingungen und Vereinfachungsschritten resultiert die begrenzte Einsetzbarkeit von Analysemodellen im Risikomanagement.
Abbildung 22: Symbolische Darstellung der Klasse: Analysemodellbasierte RM-Instrumente 172 173 174 175 176
vgl. Romeike (2003c), S.190f. vgl. Klügl (2005), S.147ff. vgl. Heinen (1992), S.157 vgl. Romeike (2003c), S.192 vgl. Heinen (1992), S.219
66
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Instrumente dieser Klasse sind: x
Value-at-Risk; Earnings-at-Risk; Cashflow-at-Risk 177
x
CAPM-basierter Ansatz178
x
Extremwerttheorie179
x
Simulationsmodell180
x
Sensitivitätsanalyse181
x
Risikoanalyse182
x
usw.
3.3.4.5 Narrative RM-Instrumente Kann man die Risikopotenziale eines betrachteten Bereiches nicht mit ausreichender Genauigkeit mit den in den obigen Abschnitten dargestellten Instrumenten analysieren, dann sollte auf eine quantitative Bewertung verzichtet werden, da die Angabe von Zahlenwerten eine nicht vorhandene Genauigkeit vortäuschen würde. Solche schwer fassbaren Risiken sollten jedoch mittels qualitativer Methoden dargestellt werden (Narrative RM-Instrumente: siehe Abbildung 23). Die theoretische Basis dieser Instrumentenklasse bildet der qualitative Forschungsansatz, der in vielen Wissenschaftsbereichen bereits eingesetzt wird und sich mittlerweile zu einer eigenen Disziplin entwickelt hat. Ein Hemmnis bei der Anwendung dieser Forschungsform ist, dass die zurzeit eingesetzten Verfahren des qualitativen Ansatzes meist unmittelbar für spezifische Fragestellungen entwickelt worden sind, weshalb deren Übertragung auf andere Themenbereiche, wie beispielsweise auf das Risikomanagement, im Allgemeinen schwierig ist. Darüber hinaus wird im Risikomanagement diese Vorgehensweise noch kaum angewendet, d.h. hier herrscht noch Forschungsbedarf. Daher kann nachfolgend nur auf grundsätzliche Aspekte des qualitativen Ansatzes eingegangen werden. Wesentliche Merkmale der qualitativen Verfahren sind, dass einerseits der Übergang zwischen der Datenerhebung und Datenanalyse oftmals fließend ist, bzw. beide Prozesse parallel ablaufen und andererseits der qualitative Ansatz überwiegend auf Messungen verzichtet. Bei den qualitativen Verfahren werden Verbalisierungen der Erfahrungswirklichkeit vorgenommen, die interpretativ ausgewertet werden. Quantifi177 178 179 180 181 182
vgl. Kremers (2002), S.119ff., S.266ff., S.256ff. vgl. Finke (2003), S.99ff.; Kremers (2002), S.285ff.; Gleißner/Wolfrum (2001), S.154ff. vgl. Reiss/Thomas (2001), S.1ff. vgl. Romeike (2003c), S.191 vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.61f. vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.62f.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
67
zierungen werden bestenfalls durchgeführt, um den Grad der Übereinstimmung zwischen unterschiedlichen Deutungen zu messen. Wie bei den quantitativen Methoden sind die Kriterien „Objektivität, Reliabilität und Validität“ die Gütekriterien der qualitativen Datenerhebung, wobei diese Kriterien in modifizierter Form verwendet werden.183 Zur Erhebung von qualitativen Daten ist es im Allgemeinen nicht (oder nur in geringem Umfang) zweckmäßig, den Untersuchungsvorgang zu standardisieren. Des Weiteren ist das qualitative Datenmaterial meist „reichhaltiger“, da es mehr Details als einzelne Messwerte beinhaltet. So erhält man beispielsweise durch Interviews nicht nur ganz unterschiedliche Äußerungen, sondern auch konkrete Begründungen.184
RISIKO 1: Narrative Betrachtung RISIKO 2: Narrative Betrachtung RISIKO 3: Narrative Betrachtung Risikokategorie 1 Risikokategorie 2 Risikokategorie 3
usw.
Abbildung 23: Symbolische Darstellung der Klasse: Narrative RM-Instrumente
Wichtige Grundtechniken der qualitativen Analyse von Sachverhalten sind nichtbzw. teilstandardisierte Befragungen und Beobachtungen und deren Auswertung. Diese Grundtechniken beinhalten, aufgrund des subjektiven Charakters des Risikophänomens, ein großes methodisches Potenzial für das Risikomanagement. Da jedoch im Risikomanagement noch keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik stattgefunden hat, können hier nur allgemeine Literaturhinweise gegeben werden, die als Basis für die Anwendung der qualitativen Verfahren im Risikomanagement verwendet werden können: x
Qualitative Befragung und deren verbalisierte Auswertung (Expertenbefragung, Interview, usw.)185
x
Qualitative Beobachtung und deren verbalisierte Auswertung186
x
usw.
183
vgl. Bortz/Döring (1995), S.302f. vgl. Bortz/Döring (1995), S.271ff. vgl. Bortz/Döring (1995), S.282ff. vgl. Bortz/Döring (1995), S.296ff., S.312ff.
184 185 186
68
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
3.3.4.6 Risikoaggregations-Instrumente Im Abschnitt 3.3.3.3 wurde bereits auf die Risikoaggregation eingegangen. Zu beachten ist bei diesem Themenbereich, dass in der Literatur die Begriffe „Risikoaggregation“ und „Risikosimulation“ gelegentlich gleichbedeutend verwendet werden. Unter Risikoaggregation versteht man das Zusammenfassen mehrerer, gleichartiger Risiken zu einem Gesamtrisiko innerhalb eines Betrachtungsbereiches. Die Risikosimulation dient dagegen der Analyse von Veränderungen der Gesamtrisikolage in Abhängigkeit von Einzelrisiken.187 Ein wesentlicher Aspekt bei der Aggregation von Risiken ist, dass dabei die gegenseitigen Abhängigkeiten (Korrelationen) zwischen den Einzelrisiken berücksichtigt werden müssen. Diese Abhängigkeiten werden durch Korrelationskoeffizienten ausgedrückt, und zwar als Zahlen zwischen -1 und +1. Sind zwei Risiken völlig unabhängig voneinander, so ist ihr Korrelationskoeffizient gleich Null. Bedeutet das Eintreffen des ersten Risikos, dass dann zwingend auch das zweite Risiko eintritt, so ist ihre Korrelation gleich Eins. Bedeutet das Eintreffen des ersten Risikos, dass dann das zweite nicht eintreten kann, so ist deren Korrelation gleich minus Eins. Dabei ist zu beachten, dass Risiken mit sich gegenseitig verstärkenden Abhängigkeiten (positiv korrelierend) besonders beobachtet werden müssen, da sich diese zu existenzbedrohenden Auswirkungen aufschaukeln können. Negativ korrelierende Risiken führen dagegen zur Risikodiversifikation, d.h. das Auftreten eines Risikos reduziert das zweite Risiko. Generell gilt somit, dass kompensatorische bzw. kumulative Effekte dazu führen, dass das Gesamtrisiko nicht identisch ist mit der Summe der Einzelrisiken. Die exakte mathematische Berücksichtigung der Korrelationen hängt davon ab, wie das Risikoausmaß definiert ist.188 Auf die Details dazu kann hier nicht eingegangen werden, da dabei ausführliche mathematische Überlegungen notwendig sind, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Es sei bezüglich dieser Überlegungen nur angemerkt, dass in der Praxis noch kein praxisrelevantes analytisches Konzept für eine umfassende Risikoaggregation unter Berücksichtigung sämtlicher Risikokorrelationen vorliegt. In diesem Zusammenhang besteht noch Forschungsbedarf.189 Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist die analytische Aggregation von Einzelrisiken methodisch relativ schwierig. Sie wird deshalb in der betrieblichen Praxis oft vernachlässigt oder mit ungeeigneten Methoden gelöst. Es existiert jedoch ein numeri187 188 189
vgl. Wolf (2003a), S.567 vgl. hierzu den Abschnitt 3.1.4 vgl. Kremers (2002), S.247f.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
69
sches Näherungsverfahren, das zur Risikoaggregation immer mehr zur Anwendung kommt, und zwar die Monte-Carlo-Simulation. Dabei werden die identifizierten Einzelrisiken in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen in einem UnternehmensRechenmodell berücksichtigt (z.B. in Wirtschaftlichkeits- und Rentabilitätskalkülen). Ist solchermaßen das Rechenmodell erweitert, dann wird in unabhängigen Simulationsläufen mit Zufallszahlen eine Betrachtungsperiode ausreichend oft durchgespielt (z.B. einige tausend Mal) und jeweils eine Ausprägung der Zielgröße des Rechenmodells berechnet. Auf diese Weise kann eine numerische Näherung für die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zielgröße ermittelt und daraus auf die Risikolage des betrachteten Bereiches geschlossen werden. Auf die Details und Grenzen dieser Methodik wird hier nicht weiter eingegangen, da diese in der Literatur190 bereits ausführlich dargestellt sind.191
3.3.5 Kritische Würdigung des Einsatzes von RM-Instrumenten RM-Instrumente werden zur Charakterisierung der Risikolage eines betrachteten Bereiches eingesetzt, wobei RM-Instrumente nicht nur bei der Risikoanalyse, sondern auch bei der Risikobewältigung und -kontrolle, angewendet werden.192 In diesem Zusammenhang sei auf die Arbeit von KLÜGL verwiesen, nach der der Instrumenteneinsatz ins Aufgabenfeld des Risikocontrollings fällt.193 RM-Instrumente werden vor allem angewendet, um die erkannten Risiken hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials in eine Rangordnung zu bringen.194 Entsprechend der Risikodefinition des Abschnitts 3.1.4 muss hierfür die „Eintrittsmöglichkeit einer Abweichung von den gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“ bewertet werden. Diese Bewertung muss sich, entsprechend dem Risikoverständnis dieser Arbeit, an den UrsachenWirkungs-Zusammenhängen innerhalb des betrachteten Bereiches und zwischen diesem Bereich und seinem Umfeld orientieren.195 Bei technisch bedingten Schäden (z.B. Material- oder Maschinendefekte, Bedienungsfehler, Fehllieferungen) oder beim Eintritt von Elementarrisiken (z.B. Brand, Wassereinbruch, Sturmschäden) sind der direkte Risikoauslöser, die unmittelbaren Wirkungen, sowie der zugrundeliegende Wirkungsmechanismus meist relativ schnell ermittelbar, eindeutig von anderen Phänomenen abgrenzbar und damit auch vergleichsweise einfach und exakt beschreib-
190 191 192 193
194 195
vgl. zum Beispiel: Wolf (2003a), S.565ff.; Gleißner (2001), S.126ff.; Kremers (2002), S.157ff. vgl. Gleißner (2001), S.126 vgl. Abschnitt 3.3.1 vgl. Klügl (2005), S.94ff.; Anmerkung: in dieser Arbeit wird – in Anlehnung an KLÜGL (2005) – ein koordinationsorientiertes Risikocontrollingverständnis vertreten (vgl. hierzu den Abschnitt 4.6.3.5). vgl. Erben/Romeike (2003b), S.289 vgl. Abschnitt 1.2.2
70
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
bar. Häufig ist jedoch eine solche eindeutige Ursachen-Wirkungs-Zuordnung nicht möglich.196 Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn die betrachteten Systeme eine komplexe Struktur aufweisen, womit meist eine mangelnde Prognostizierbarkeit ihres Verhaltens verbunden ist. Wie exakt die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge bekannt sind, hängt somit stark vom betrachteten Bereich ab. Die Darstellungsgüte der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge drückt sich vor allem darin aus, inwieweit für die potenziellen Risikoereignisse objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Mit steigender Unsicherheit bezüglich dieser Wahrscheinlichkeitsangaben wird auch der Einsatz von RM-Instrumenten immer problematischer. Um die nachfolgende Diskussion des Unsicherheitscharakters bezüglich der Prognostizierbarkeit der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge zu erleichtern, wird in der Abbildung 24 die Darstellungsgüte von Wahrscheinlichkeitsaussagen in vier Informationsdefizitklassen unterteilt. Dabei nimmt mit steigender Klassenstufung tendenziell der subjektive Charakter des Risikos zu. Zur Informationsdefizitklasse der ersten Ordnung zählen zukünftige Umweltzustände, deren Wahrscheinlichkeiten objektiv ermittelbar sind. Hierzu ist es erforderlich, dass hinreichend Datenmaterial für statistische Auswertungen zur Verfügung steht, aus dem Prognosen für die künftigen Entwicklungen abgeleitet werden können. Die Informationsdefizitklasse der zweiten Ordnung unterscheidet sich von der Informationsdefizitklasse der ersten Ordnung dadurch, dass keine objektiven Wahrscheinlichkeiten ermittelbar sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn nicht genügend Basisdaten für eine statistische Auswertung vorhanden sind. Statt der Angabe von objektiven Wahrscheinlichkeiten können diese bei der Informationsdefizitklasse der zweiten Ordnung aber mit einer zufriedenstellenden Genauigkeit geschätzt werden, sei es durch Heuristiken oder durch Intuition. Wenn die möglichen künftigen Entwicklungen zwar ihrer Art nach bekannt sind, jedoch keine hinreichend genauen Wahrscheinlichkeiten angegeben werden können, dann liegt eine Informationsdefizitklasse der dritten Ordnung vor. In diese Kategorie fallen insbesondere solche Situationen, für die noch keine Erfahrungswerte vorliegen, sodass keine zuverlässige Schätzung der Wahrscheinlichkeit möglich ist. Schließlich resultiert die Informationsdefizitklasse der vierten Ordnung aus solchen Situationen, bei denen die möglichen künftigen Entwicklungen nicht einmal ihrer Art nach bekannt sind.197
196 197
vgl. Erben/Romeike (2003a), S.50f. vgl. Kremers (2002), S.42f.
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Es liegen objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten für alle zukünftigen Umweltzustände vor.
Wechselkursschwankungen
2. Ordnung
Es liegen subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten für alle zukünftigen Umweltzustände vor.
Umsatzschwankungen
3. Ordnung
Es liegen keine Eintrittswahrscheinlichkeiten für zukünftige Umweltzustände vor, die Umweltzustände sind aber alle der Art nach bekannt.
Grundlagenforschung für neues Produkt
4. Ordnung
Es liegen keine Eintrittswahrscheinlichkeiten für zukünftige Umweltzustände vor und die Umweltzustände sind nicht (alle) der Art nach bekannt.
Völlig neuartige Technologie (z.B. Biotechn.)
Narrative RM-Instrumente
1. Ordnung
Optimaler Einsatzbereich der RM-Instrumente
Indikatorbasierte RM-Instrumente
Beispiel
Ereignisbasierte RM-Instrumente
Charakteristik
Analysemodellbasiert
Informationsdefizitklasse
71
Abbildung 24: Zuordnung der RM-Instrumente zu den Informationsdefizitklassen198
In der Abbildung 24 sind die in den Abschnitten 3.3.4.2 bis 3.3.4.5 vorgestellten RMInstrumente hinsichtlich ihrer zweckmäßigen Einsetzbarkeit den Informationsdefizitklassen zugeordnet. Zwei Aspekte bewirken nun, dass mit den dargestellten Instrumenten das Risikophänomen meist nicht vollständig bewältigt werden kann. Erstens kann man der Abbildung 24 entnehmen, dass mit den RM-Instrumenten die Risiken der Informationsdefizitklasse der vierten Ordnung kaum bewältigbar sind. Es besteht somit ein „blinder Fleck“ in diesem Bereich, obwohl gerade aus den Risiken der vierten Ordnung existenzbedrohende Entwicklungen resultieren können.199 Zweitens muss berücksichtigt werden, dass jedes RM-Instrument die existierenden UrsachenWirkungs-Zusammenhänge nur vereinfacht darstellen kann.200 Beispielsweise werden soziale Prozesse durch die meist sehr reduktionistische Logik der RMInstrumente häufig vernachlässigt oder unterschätzt.201 Diese Schwachpunkte bei der Anwendung von RM-Instrumenten sind nur dann bewältigbar, wenn man das Risikomanagement um vorausschauende, umfassende und personenorientierte Aspekte ergänzt. Auf diese ganzheitliche Sichtweise wird im nächsten Abschnitt eingegangen.
3.4 Ganzheitliches Risikomanagement Im Abschnitt 3.3.5 wurde herausgearbeitet, dass mit den vorgestellten Ansätzen einerseits nicht alle Risiken erkennbar sind und anderseits die vorhandenen Ursachen198 199 200 201
in Anlehnung an: Kremers (2002), S.43 vgl. Erben (2003), S.435ff. vgl. Abschnitt 3.3.4.2 bis Abschnitt 3.3.4.6 vgl. Romeike (2003c), S.196
72
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
Wirkungs-Zusammenhänge meist nur vereinfacht modelliert werden können. Des Weiteren wurde im Abschnitt 3.1.3 gezeigt, dass die konkrete Bewertung des Risikoausmaßes von der subjektiven Risikowahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte abhängt. Diese Aspekte bewirken, dass mit dem im Abschnitt 3.3 dargestellten RM-Verständnis das Risikophänomen nicht vollständig erfasst werden kann. Um dieses Unwissen zu minimieren und Entscheidungen auf eine möglichst fundierte Basis zu stellen, muss das vorgestellte RM-Verständnis um ganzheitliche Ansätze ergänzt werden. Ein wesentlicher Ausgangspunkt bei einer ganzheitlichen Fundierung des Risikomanagements bildet der empirisch belegte Erfahrungswert, dass die von der Unternehmensführung und den Mitarbeitern ausgehenden Risiken die bei weitem größte Bedeutung in der betrieblichen Praxis haben. Führungs- und Mitarbeiterfehler, Mängel im Management, sowie Probleme, die von der Person des Unternehmers ausgehen, beinhalten entsprechend diesen Untersuchungen das größte Risikopotenzial.202 Deshalb sollte das Risikomanagement nicht nur eine begleitende Führungsfunktion sein, sondern es muss ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung insgesamt werden. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, dass die Führungskräfte neben den fachlichen Voraussetzungen auch die hierfür notwendigen Verhaltensweisen und Managementfähigkeiten besitzen. Dabei müssen vor allem die „Soft-facts“ eines Unternehmens beherrscht werden, wie beispielsweise informelle Regeln, Beziehungskonflikte, Meta-Management, Paradigmenwechsel und die Unternehmenskultur. Des Weiteren muss bei einer ganzheitlichen Sichtweise der Chancenaspekt mit berücksichtigt werden, da viele Risiken auch Chancenpotenziale beinhalten.203 Aus den obigen Ausführungen folgt, dass viele der bestandsgefährdenden Risikopotenziale nur dann aufgedeckt werden können, wenn das menschliche Wahrnehmungsphänomen berücksichtigt und das quantitative und qualitative Denken geeignet verknüpft wird.204 Bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise müssen somit die kognitiven Vorgänge bei der Risikowahrnehmung einbezogen und das Unternehmen als kognitives System interpretiert werden.205 Kognitive Vorgänge betreffen den Bereich des Denkens, Vorstellens, Planens, Erinnerns, Urteilens und Wollens.206 Nur wenn Führungskräfte eine solche Perspektive einnehmen können, lassen sich Risikophänomene wirksamer erkennen, „erfühlen“ und bewältigen. Entsprechend dieser Sicht202 203 204 205 206
vgl. Lück (2000), S.322 vgl. Sauerwein/Thurner(1998), S.25; Cleemann/Kreutzer (1998), S.79, S.66ff. vgl. Cleemann/Kreutzer (1998), S.78 vgl. Abschnitt 3.1.3 vgl. Hinterhuber/Friedrich/Handlbauer/Stuhec (1996), S.94
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
73
weise geht es somit beim Risikomanagement um die Sicherstellung eines „kognitiven Vorsprunges der Führungskräfte“ bezüglich der Wahrnehmung der Risikolage des Unternehmens. Interpretiert man die RM-Funktion in dieser Weise, so können die Erkenntnisse des radikalkonstruktivistischen Managementkonzeptes „Competing on Cognition“ für das Risikomanagement genutzt werden. Beispielsweise lassen sich folgende Aussagen aus diesem Konzept ableiten:207 Der für die Objektivierung der Risikolage eines Unternehmens kritische Punkt ist die Fähigkeit der Führungskräfte, aus den vorhandenen Informationen diejenigen zu selektieren, die für die Beurteilung der Risikolage relevant sind. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, dass das Feedback hinsichtlich der Angemessenheit der kognitiven Filter bezüglich der vorhandenen Risikopotenziale geeignet genutzt wird. Führungskräfte sollten sich demnach ihrer kognitiven Mechanismen bewusst sein und darauf achten, dass sie diese rechtzeitig an die sich ändernden Verhältnisse anpassen. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass ein ganzheitliches Risikomanagement vor allem dafür sorgen muss, dass die Risikowahrnehmung im Unternehmen so beeinflusst wird, dass diese zu einer risikooptimierenden Handlungs- und Denkweise führt. Das bedeutet aber im Endeffekt, dass es um die Gestaltung der kognitiven Basen der risikorelevanten Individuen bzw. Gruppen geht. Die kognitiven Basen können jedoch nur durch Interaktionen geändert werden.208 Die Erzeugung einer „objektiven“ Vorstellung bezüglich der Risikolage eines Unternehmens ist somit grundsätzlich nur durch eine geeignete Vernetzung der Individuen und Gruppen möglich. Darüber hinaus ist im Risikomanagement wesentlich, wie das vorhandene Wissen bezüglich der Risikolage des Unternehmens dokumentiert wird und wie auf Basis dieser Daten gehandelt wird. Bei der Diskussion dieser Zusammenhänge kann auf das in der Abbildung 25 dargestellte radikalkonstruktivistische Basismodell des Wissensmanagements Bezug genommen werden, wobei zusätzlich in dieser Abbildung konkrete RM-Ausprägungen der einzelnen Modellebenen dargestellt sind. Die Wissensebene des Modells der Abbildung 25 beinhaltet die kognitiven Subsysteme der Individuen des betrachteten sozialen Systems. Hier findet die Vernetzung der individuellen Wissensbasen zu einer kollektiven Wissensbasis statt. In dieser Ebene entstehen somit die kollektiv wahrgenommenen Vorstellungen der Risikolage des Unternehmens. Die „technische“ Modellebene, die als Datenebene bezeichnet wird, beinhaltet die dokumentierten Daten des Risikomanagements. In diesem Modellbereich erfolgt der Datentransfer. Die Handlungsebene bildet schließlich das Wirkungsfeld der Wissens207 208
in Anlehnung an: Handlbauer (2000), S.128 und Abschnitt 2.3.2 vgl. Abschnitt 2.3.2
74
Risiko- und Risikomanagement-Verständnis der Arbeit
und Datenebene. Hier finden die bewussten und unbewussten Handlungen des Risikomanagements statt.209
Beispiele im RM: risikoorientiertes Verhalten; RM-Prozess; RM-Maßnahmen; usw.
Handlungsebene Anwenden
Wissensebene Kommunikation
Dokumentationsprozess
Datenebene
Lernen
Beispiele im RM: risikoorientierte Kultur; Risikowahrnehmung; Methodenwissen; usw.
Informationsprozess
Beispiele im RM: Darstellung der Risikolage; RM-Verfahrensanweisung; Risikoliste; Handbuch; Störfallauswertungen; usw.
Soziales Teilsystem
Technisches Teilsystem
Abbildung 25: Konstruktivistisches Wissens- und Wahrnehmungsmodell (ergänzt um RM-Aspekte)210
Entsprechend den Ausführungen in diesem Abschnitt, resultiert ein ganzheitliches Risikomanagement vor allem aus einer ausgewogenen Berücksichtigung sowohl der rationalen als auch der subjektiven Aspekte des Risikophänomens.211 Darauf aufbauend müssen bei der konkreten Einführung eines ganzheitlichen RM-Systems in einem Unternehmen alle risikorelevanten Managementfunktionen geeignet umgesetzt werden.212 Zur Unterstützung der Realisierung dieser Aufgabenstellungen in der betrieblichen Praxis wird im nachfolgenden Kapitel ein ganzheitliches RM-Modell entwickelt.
209 210 211 212
vgl. Sammer (2000), S.82f. vgl. Wissensmanagement Forum (2000), S.8; Strohmeier (2006a), S.176 vgl. hierzu auch die Abschnitte 3.1.2 und 3.1.3 vgl. Abschnitt 3.2.3
4 Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells Den Ausgangspunkt bei der Herleitung eines ganzheitlichen RM-Modells in diesem Kapitel bilden die im Abschnitt 3.3 dargestellten RM-Grundbestandteile. Bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise müssen jedoch diese Bestandteile um weitere relevante Aspekte der betrieblichen Managementfunktion und um ganzheitliche Ansätze entsprechend dem Abschnitt 3.4 ergänzt werden. Wie im Abschnitt 1.2.3 bereits begründet wurde, erfolgt dieser Ergänzungsschritt in den nachfolgenden Abschnitten auf Basis von drei Management-Leitideen, wobei zusätzlich die Besonderheiten von Industriebetrieben berücksichtigt werden müssen, damit der Industriebezug des RMModells sichergestellt wird.
4.1 Industrie und Industriebetriebe Als Industrie bezeichnet man die gewerbliche Gewinnung, Bearbeitung und Verarbeitung von Einsatzgütern zu Sachgütern. Entsprechend diesem Industrieverständnis hat die nachfolgende Definition aus dem Jahr 1876 noch immer Gültigkeit: Industrie (lat. industria: Fleiß, Betriebsamkeit) ist „die Gesamtheit derjenigen Arbeiten, welche die Erhöhung des Werths der von der Natur dargebotenen Rohstoffe … mittels technischer Verrichtungen zum Zwecke haben; im engeren Sinne aber versteht man darunter insbesondere den fabrikmäßigen Gewerbebetrieb und nennt demgemäss einen Fabrikanten auch einen Industriellen.“213 Nach SCHWEITZER lässt sich die Fabrikarbeit vor allem durch die Merkmale Großproduktion, innerbetriebliche Arbeitsteilung und Mechanisierung charakterisieren. Darauf aufbauend versteht er unter Industrie die „gewerbliche Sachgüterproduktion im Fabriksystem.“214 Die als Industrie bezeichneten Wirtschaftszweige sind folglich das „produzierende Gewerbe“ abzüglich des Handwerks. Verknüpft man nun die beiden Begriffe Industrie und Betrieb, so lassen sich Industriebetriebe wie folgt konkretisieren: Ein Industriebetrieb ist eine technische, soziale, wirtschaftliche und umweltbezogene Einheit der gewerblichen Sachgüterproduktion im Fabriksystem mit der Aufgabe der Fremdbedarfsdeckung, mit selbstständigen Entscheidungen und mit eigenen Risiken.215 213 214 215
zit. Meyers Konversations-Lexikon (1876), S.271 zit. Schweitzer (1994), S.19 vgl. Schweitzer (1994), S.19ff.
76
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
In den weiteren Ausführungen dieser Arbeit wird die industrielle Ausrichtung des RMModells in dreifacher Weise berücksichtigt. Erstens erfolgt die Herleitung des Modells auf Basis solcher RM-Ansätze, die sich in der industriellen Praxis bereits bewährt haben. Hierzu werden im nächsten Abschnitt vorhandene RM-Ansätze und generelle Trends im industriellen Risikomanagement beschrieben. Aus diesen Ausführungen werden im Abschnitt 4.3 solche RM-Bestandteile abgeleitet, die in weiterer Folge bei der Modellentwicklung berücksichtigt werden. Zweitens werden die einzelnen Komponenten des Gesamtmodells auf Basis der spezifischen Gegebenheiten von Industriebetrieben konkretisiert und beschrieben (siehe Abschnitt 4.6). Hierzu werden einerseits Erfahrungswerte aus Industrieprojekten genutzt und andererseits baut die Beschreibung auf der RM-Literatur mit Industriefokus auf. Drittens wird das entwickelte Modell beispielhaft in einem relevanten industriellen Aufgabenfeld weiter konkretisiert, und zwar in der Instandhaltung (siehe Kapitel 5).
4.2 Risikosituation in Industriebetrieben und Trends im industriellen Risikomanagement In diesem Abschnitt wird auf die Ursachen für die Erhöhung der Risikopotenziale in Industriebetrieben und auf die daraus resultierenden Weiterentwicklungen im Risikomanagement eingegangen.
4.2.1 Gewandelte Risikosituation von Industriebetrieben Zur Verschärfung der industriellen Risikolage hat vor allem die zunehmende Globalisierung der Märkte und damit einhergehend auch des Wettbewerbs beigetragen. Jedes Unternehmen, das nicht nur einen regionalen Nischenmarkt besetzen will, ist gezwungen seine Produkte und Leistungen auf den Weltmarkt auszurichten. Das Risikopotenzial hat sich in diesem globalen Umfeld vergrößert, da jede Fehleinschätzung der Märkte oder Defizite innerhalb der Wertschöpfungskette erhebliche negative betriebswirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Zusätzlich wird die zeitliche Dimension immer relevanter, da die Schnelligkeit und das Ausnutzen von strategischen Zeitfenstern zunehmend Erfolgsfaktoren darstellen. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung und Umsetzung technischer Innovationen. Durch die steigende Innovationsgeschwindigkeit und die sich reduzierenden Produktlebenszyklen, verkürzt sich die zur Verfügung stehende Reaktionszeit bei unerwarteten Entwicklungen. Um zeit-
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
77
nah sachgerechte Entscheidungen treffen und möglichen Risiken begegnen zu können, ist deshalb ein proaktives Handeln der Unternehmen notwendig.216 Darüber hinaus resultieren wesentliche Risikopotenziale in Industriebetrieben aus der Tendenz, dass zunehmend Arbeit durch Kapital in Form von Fertigungsanlagen substituiert wird. Die damit verbundene zunehmende Verkettung und Automatisierung der Anlagen erhöht neben der Anlagenintensität auch deren Komplexität.217 Aus diesen Faktoren, und zwar aus der hohen Kapitalbindung und Fixkostenbelastung sowie der gestiegenen Anlagenkomplexität und -intensität, resultieren z.B. Anlagenplanungs-, Amortisations-, Auslastungs-, Anpassungs-, sowie Ausfallsrisiken.218 Weitere Einflussfaktoren, die zu einer signifikanten Verschärfung der Risikosituation in Industriebetrieben beigetragen haben, sind u.a. die zunehmende Deregulierung der Märkte, der verstärkte Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, der Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten, die zunehmenden Individualisierungstendenzen auf der Nachfrageseite, neue regulatorische Bestimmungen, die wachsende Mündigkeit der Verbraucher, der steigende Preis-, Qualitäts- und Wettbewerbsdruck auf globalen Märkten, der Wunsch nach flexiblen und deutlich verkürzten Lieferfristen, die zunehmende Transparenz und Vergleichbarkeit der Preis- und Leistungsangebote, die steigenden Serviceansprüche der Kunden, sowie die erhöhte Nachfrage nach komplexen Systemlösungen. All diese Entwicklungen eröffnen den Unternehmen nicht nur einzigartige Chancen, sondern beinhalten auch immense Risiken.219
4.2.2 Entwicklungsschritte im industriellen Risikomanagement Dass nicht nur heutzutage ein „rauer Seegang“ herrscht beweist eine Studie, nach der von den 100 größten US-amerikanischen Unternehmen des Jahres 1909 knapp vierzig Jahre später nur noch 36 Unternehmen existierten. Diese Untersuchung zeigt, dass Risikomanagement eigentlich ein altes Thema sein sollte. Umso mehr sollte das für Klein- und Mittelbetriebe gelten, da diese durch ihre Betriebsgröße noch verletzbarer sind. Solche Betriebe verfügen nämlich meist nicht über die Reserven, die organisatorische Stabilität und das politische Druckmittel von Großunternehmen.220
216 217 218 219 220
vgl. Wittmann (2000), S.791ff. vgl. Biedermann (1990), S.5 vgl. Bussmann (1979), Sp.1577ff.; Prüß (2003), S.6f. vgl. Erben/Romeike (2003a), S.43 vgl. Frank/Friedrichsmeier (1983), S.1
78
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Entsprechend den obigen Ausführungen agieren Unternehmen seit jeher unter Unsicherheit. Vor den 1980er Jahren versuchten Industriebetriebe diese Unsicherheiten vor allem durch reaktive Maßnahmen zu bewältigen. Bei diesem traditionellen Risikomanagement dominierten Themen wie die Optimierung der Risikofinanzierung und -versicherung unter Kostengesichtspunkten und die Erstellung von Notfallplänen für den Fall eines existenzbedrohenden Risikoeintritts (Krisenmanagement).221 Wie im Abschnitt 4.2.1 dargestellt wurde, hat sich die industrielle Risikolage gewandelt. Der traditionelle RM-Ansatz war jedoch für diese Herausforderungen nicht mehr geeignet, weswegen ab den 1990er Jahren die Anzahl von Unternehmenskrisen signifikant zugenommen hat. Diese Krisen haben dazu geführt, dass die betriebswirtschaftliche Risikobetrachtung an Bedeutung gewonnen hat. In diesem Zusammenhang sind auch das deutsche „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG)222 und die risikorelevanten Ergänzungen im österreichischen GmbH- bzw. Aktiengesetzt223 zu sehen. Auf die Details dieser Gesetze kann hier nicht eingegangen werden, sondern es muss auf die Gesetzestexte bzw. auf die erklärende Literatur224 verwiesen werden. Als Resümee bezüglich dieser Gesetze kann festgehalten werden, dass darin die Begriffe „Risiko“ und „Risikomanagement“ nicht ausreichend konkretisiert werden und der Chancenaspekt, als Kehrseite der Medaille, nicht in den Pflichtumfang des gesetzlichen Risikomanagements einbezogen wird.225 Neben diesen zwingenden Rechtsvorschriften sind „Codes of Best Practice“ (z.B. COSO Report, Cadbury Commitee, deutscher Corporate Governance-Kodex, usw.) ausgearbeitet worden, in denen die Risikohandhabung auf der Führungsebene im Sinne des Corporate Governance-Ansatzes diskutiert werden. Des Weiteren werden künftig die Regelungen des „New Basel Capital Accord“ (kurz: Basel II) indirekt die Anforderungen an das Risikomanagement von kreditnehmenden Unternehmen erhöhen. Die Fremdkapitalfinanzierung für Unternehmen mit einem guten Rating wird sich tendenziell verbilligen und umgekehrt, da Banken ihre Kredite zukünftig risikoorientiert mit Eigenkapital unterlegen müssen. Unternehmen, die kein proaktives Risikomanagement betreiben, werden somit Nachteile im Wettbewerb um Finanzmittel 221 222
223 224
225
vgl. Meier (2001), S.16; Sauerwein/Thurner (1998), S.20ff. vgl. AktG (Deutschland), § 91(2). Siehe hierzu auch den Überblick über die für das Risikomanagement relevanten KonTraG-Bestimmungen in Wolf/Runzheimer (2003), S.215ff. vgl. GmbH-Gesetz (Österreich), § 22 (1) und AktG (Österreich), §82 siehe zum Beispiel: Henselmann (2001), S.31ff.; Emmerich (1999), S.1075ff.; Hohnhorst (2002), S.91ff. vgl. Weber/Weißenberger/Liekweg (2001), S.49
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
79
haben. Wie bei den gesetzlichen Anforderungen kann auch hier auf die Details der „Codes of Best Practice“ und „Basel II“ nicht näher eingegangen werden, sondern es muss auf die Literatur verwiesen werden.226 Die nachfolgende Abbildung zeigt einen Überblick über die hier angeführten Entwicklungsschritte im industriellen Risikomanagement ausgehend vom traditionellen hin zum ganzheitlichen Risikomanagement.
Nutzen des Risikomanagements
??? Basel II
Corporate Governance Steigende Komplexität und Dynamik Gesetzliche Anforderungen Globalisierung Deregulierung Traditionelles Risikomanagement 1960
Gesetzliche Forderungen und Codes of Best Practice 1980
Ganzheitliches Risikomanagement
2000
Zeit
Abbildung 26: Trends und Ansätze im industriellen Risikomanagement227
Vor allem aus zwei Gründen sollte die praktische Umsetzung eines Risikomanagements über die ausschließliche Erfüllung von „gesetzlichen Vorschriften“ und der „Codes of Best Practice“ hinausgehen. Erstens haben Unternehmen, die ein effektives und effizientes Risikomanagement eingeführt haben, Wettbewerbs- und Kostenvorteile. Nach empirischen Untersuchungen zahlen nämlich Investoren bis zu 40% Aufschlag für Aktien von Unternehmen mit einer vorbildlichen Corporate Governance, wobei Investoren sehr schnell ihre Konditionen, zu denen sie Eigenkapital zur Verfügung stellen, an die aktuelle Risikolage anpassen. Zweitens kann – wie im Abschnitt 3.4 gezeigt wurde – das Risikophänomen mit einer traditionellen Vorgehens-
226 227
vgl. Romeike (2003), S.65ff. vgl. Romeike (2003), S.67
80
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
weise nicht vollständig bewältigt werden. Folglich sollte bei der Einführung eines Risikomanagements ein ganzheitlicher Ansatz gewählt werden.228
4.3 Vorgehensschritte bei der Herleitung des RM-Modells Den Ausgangspunkt bei der Herleitung eines ganzheitlichen RM-Modells bilden die RM-Grundbestandteile, die im Abschnitt 3.3 dargestellt sind. Darüber hinaus werden solche Aspekte der traditionellen Ansätze (siehe Abschnitt 4.2.2) im Modell berücksichtigt, die sich bereits in der industriellen Praxis bewährt haben, wie beispielsweise relevante Aussagen der „Codes of Best Practice“, wobei diese im Modell durch das Element „Corporate Governance“ berücksichtigt werden. Nachdem für Industriebetriebe im deutschsprachigen Raum das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG) eine besondere Ausstrahlwirkung hat, werden die RM-Komponenten, die sich aus diesem Gesetz ableiten lassen, ebenfalls berücksichtigt, damit das Modell dieser Arbeit konform geht mit diesem Gesetz. Somit können die nachfolgenden Elemente angegeben werden, die grundsätzlich Teil des ganzheitlichen RM-Modells sein sollen, welches in den nachfolgenden Abschnitten entwickelt wird: Traditionelle RM-Elemente:229 x
RM-Prozess
x
Krisenmanagementsystem
x
Risikofinanzierung und –versicherung
Gesetzliche Forderungen und Codes of Best Practice:230 x
Corporate Governance
x
Gesetzlicher Rahmen
x
Risikocontrolling
x
Früherkennungssystem
x
Internes Überwachungssystem
RM-Grundbestandteile entsprechend dem Abschnitt 3.3: x
RM-Ziele
x
Risikosystematisierung
x
RM-Instrumente
228
vgl. Romeike (2003), S.78f. vgl. Abschnitt 1.2.2 und Abschnitt 4.2.2 vgl. Kremers (2002), S.60; Anmerkung: in dieser Arbeit wird das vom KonTraG geforderte Frühwarnsystem, das nur Risikopotenziale berücksichtigt, aufgrund der ganzheitlichen Sichtweise dieser Arbeit um die Chancenperspektive ergänzt (Früherkennungssystem).
229 230
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
81
Aufbauend auf diesen RM-Elementen basiert die nachfolgende Modellherleitung auf einer Empfehlung von SCHWANINGER, nach der bei der Gestaltung von Managementsystemen ganzheitliche Rahmenkonzepte und richtungweisende Leitideen den Ausgangspunkt bilden sollten.231 Dieser Empfehlung folgend werden drei Leitideen als Basis bei der Entwicklung des RM-Modells verwendet, und zwar ein konzeptioneller Rahmen für industrielle Managementsysteme (siehe Abschnitt 4.4), das St.Galler Management-Konzept (siehe Abschnitt 4.5) und das Leobner Generic Management-Konzept (siehe Abschnitt 4.6). Dabei behandelt der Abschnitt 4.4 vor allem den begrifflichen Rahmen, der bei der Modellherleitung in den Abschnitten 4.5 und 4.6 verwendet wird, wobei einzelne Modellelemente auf Basis des Abschnitts 4.4 diskutiert und interpretiert werden. Aufbauend auf der obigen Vorgehensweise orientiert sich die nachfolgende Beschreibung der Bestandteile des RM-Modells an den Erkenntnissen der neoinstitutionalistischen Forschung.232 Diese Forschungsrichtung untersucht u.a., warum Organisationen bestimmte Managementpraktiken übernehmen bzw. nicht übernehmen, wobei eine wichtige Erkenntnis hierbei ist, dass erfolgreiche Unternehmen vorhandene Management-Konzepte und -Modelle nicht unreflektiert einführen, sondern situativ an die Besonderheiten des Unternehmens und dessen Umfeldes anpassen. Basierend auf dieser Erkenntnis wird nachfolgend die Darstellung des RM-Modells so offen gehalten, sodass diese Darstellung für sämtliche Industriebetriebe Gültigkeit hat und Industriebetriebe darauf aufbauend situativ ein RM-System ausgestalten können. Entsprechend dieser Vorgehensweise und der neoinstitutionalistischen Sichtweise darf das RM-Modell folglich nicht als normative Gestaltungsvorgabe fehlinterpretiert werden, sondern das Modell soll vielmehr jene Perspektiven aufzeigen, die bei der situativen Umsetzung des Risikomanagements berücksichtigt werden müssen.
231 232
vgl. Schwaninger (1994), S.302 bezüglich der neoinstitutionalistischen Forschung: siehe die Übersichtsdarstellung in Zielowski (2006), Abschnitt 2.3 und die darin angegebenen Literaturverweise
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4.4 Konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme In Wissenschaft und Praxis existiert kein einheitliches Verständnis für den Begriff Managementsystem.233 Deshalb wird nachfolgend ein konzeptioneller Rahmen erarbeitet, der einerseits das Managementsystem-Verständnis dieser Arbeit konkretisiert und andererseits als Basis für die Gestaltung und Interpretation des in den Abschnitten 4.5 und 4.6 hergeleiteten RM-Modells dienen soll.
4.4.1 Begriffsbestimmung und Einordnung Die Abbildung 27 zeigt die dieser Arbeit zugrundegelegte Abgrenzung der Begriffe „Managementsystem, Management-Modell und Management-Konzept“. Ein Managementsystem umfasst konkret umgesetzte, in der Realität existierende Abläufe und Regelungen, die eventuell zuvor in einem Konzept oder Modell geplant wurden.234 Ein Management-Konzept beschreibt dabei den gedanklichen Rahmen eines Managementsystems. Das Management-Modell stellt eine Zwischenstufe dar, die als Leitlinie und Orientierung bei der Realisierung des Konzeptes dient. Demnach ist ein Modell eine Abbildung eines Konzeptes, die die Konzeptumsetzung in reale Systeme erleichtern soll. Die Begriffe „Management-Modell und -Konzept“ ergeben sich somit aus dem Managementsystem-Verständnis, weshalb dieser Begriffskette eine Managementsystem-Definition zugrundegelegt werden muss. In dieser Arbeit basiert diese Begriffskette auf dem folgenden Managementsystem-Verständnis:235 Ein Managementsystem ist ein Hilfsmittel des Managements und umfasst alle Managementobjekte (Elemente und Wechselwirkungen), mit denen das Erreichen der festgelegten Unternehmensziele sichergestellt wird. Entsprechend dieser Definition ist ein Managementsystem ein Teilaspekt des Managements, wobei der abstrakte Zweckbegriff – der gemäß dem Abschnitt 3.2.1 beim Management im Zentrum der Überlegungen steht – auf explizit festgelegte Ziele konkretisiert ist.
233 234 235
vgl. Schwaninger (1994), S.28 vgl. Pischon (1999), S.96 vgl. Enzler (2000), S.24f.
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Management-Konzept Gedanklicher Rahmen bzw. Metaebene des Managementsystems (Beispiele: St.Galler Management-Konzept, TQM, usw.) Management-Modell Umsetzungshilfe zur Realisierung des Konzeptes (Beispiele: ISO 9001, EFQM-Modell, usw.) Managementsystem Real existierende Elemente und Wechselwirkungen als Hilfsmittel zur Erreichung der Unternehmensziele (Beispiele: Qualitätsmanagementsystem der Firma XY, usw.)
Abbildung 27: Management-Konzepte, -Modelle und -systeme236
4.4.2 Darstellung des dieser Arbeit zugrundegelegten konzeptionellen Rahmens für Managementsysteme Aufbauend auf dem Begriffsverständnis des Abschnitts 4.4.1 wird nachfolgend ein konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme einwickelt. Dieser Rahmen soll – im Sinne von MALIK – als generelle Grundlage für die Gestaltung von rekursiven Managementsystemen dienen. Rekursivität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass damit ein zweckbezogener Wechsel der Systemebenen möglich sein muss.237 Der nachfolgend dargestellte konzeptionelle Managementsystem-Rahmen muss somit einen hohen Allgemeinheitsgrad aufweisen, damit folgende Überlegungen mit ihm möglich sind: Erstens muss er sowohl auf der Unternehmensgesamtebene als auch auf den tiefer gestaffelten Subsystemebenen anwendbar sein. Zweitens muss mit ihm die Reflexion von Teilmanagementsystemen der betrieblichen Praxis möglich sein (z.B. Qualitäts-, Umwelt-, Risiko-, Sicherheitsmanagementsysteme). Den Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen bildet die Managementsystem-Definition des Abschnitts 4.4.1. Bei der Ausgestaltung von Managementsystemen muss zusätzlich zu den Definitionsaspekten noch die Fragestellung nach dem „Management des Managementsystems“ geklärt werden. D.h. es müssen die Funktionen konkretisiert werden, die zum zielorientierten Gestalten, Lenken und Entwickeln 236 237
vgl. Pischon (1999), S.98 vgl. Malik (2002), S.98ff.
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der Managementsystem-Objekte notwendig sind. Somit lassen sich als grundsätzliche Tensordimensionen238 der Differenzierung von Managementsystem-Teilaspekten die Perspektiven „Zielbezug, Objekte und Funktionen“239 unterscheiden (siehe Abbildung 28), wobei diese folgendermaßen interpretiert werden können: x
Zielbezug des Managementsystems: Nachdem wirtschaftliches Handeln im Kern bedeutet, dass die Aktivitäten zielorientiert erfolgen müssen, muss auch das Managementsystem an den Unternehmenszielen ausgerichtet werden.240
x
Managementsystem-Objekte (Subsysteme): Bezüglich der Objekte, mit denen der Wirtschaftsprozess in Richtung der verfolgten Ziele gelenkt werden soll, besteht in der deutschsprachigen Literatur der Konsens, dass folgende Subsysteme relevant sind:241 Planungs-, Organisations-, Personalführungs-, Informations- und Kontrollsystem.
x
Managementsystem-Funktionen (Tätigkeitsgebiete): Die eigentliche Funktion der Managementsystem-Verantwortlichen besteht in der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der Systemobjekte in der Form, dass mit diesen Objekten die Erreichung der Unternehmensziele unterstützt wird. Die abstrakten Begriffe Gestalten, Lenken und Entwickeln werden nachfolgend als Prozesszyklus interpretiert und – in Anlehnung an einen Vorschlag von ZENZ242 – in die folgenden Phasen unterteilt: Managementsystem-Konstruktion, -Implementierung, -Betrieb, -Koordination und -Überwachung.
238
Anmerkung: Ein Tensor ist eine „Größe, die den Zustand eines Raumpunktes kennzeichnet“. vgl. Bertelsmann (1989), S.5 eine analoge Differenzierung wird beispielsweise im Controlling vorgenommen: siehe zum Beispiel: Zenz (1999), S.16ff.; Horwath (1993), S.127 vgl. Schierenbeck (2003), S.56 siehe zum Beispiel: Schierenbeck (2003), S.113; Küpper (2001), S.15; siehe hierzu auch die Management-Definition im Abschnitt 3.2.1 (Anmerkung: die ebenfalls in der Definition des Abschnittes 3.2.1 enthaltene Koordination wird hier der dritten Perspektive „ManagementsystemFunktionen“ zugeordnet: siehe nächster Absatz bzw. Abbildung 28). vgl. Zenz (1999), S.17
239
240 241
242
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MS-Zielbezug
Organisation
MS-Funktionen
Systemüberwachung
Planung
Systemkoordination
zi el e ng sz ie So le zi al e Ö ko Zie l lo gi e sc W he ei Systemkonstruktion te Zi re el e Zi Systemimplementierung el e Systembetrieb ist u
Le
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Ökonomische Ziele
Personalführung
Information Kontrolle MS-Objekte
Abbildung 28: Konzeptioneller Rahmen für Managementsysteme (Managementsystem-Tensor)
4.5 Ableitung der RM-Elemente aus dem St.Galler Management-Konzept Ziel dieses und des anschließenden Abschnitts 4.6 ist die Ableitung eines ganzheitlichen RM-Modells im Sinne der wissenschaftlichen Fragestellung, wobei in zwei Schritten vorgegangen wird. Im ersten Schritt wird eine Liste von RM-Elementen entwickelt, wobei diese Liste jene Elemente enthalten soll, die entsprechend der wissenschaftlichen Fragestellung dieser Arbeit relevant sind. Aufbauend auf dieser Elementenliste wird im zweiten Schritt ein ganzheitliches RM-Modell hergeleitet, indem die Einzelelemente des ersten Schrittes geeignet angeordnet und vernetzt, sowie mit ganzheitlichen Konzepten „gefüllt“ werden. In diesem Abschnitt wird der erste Schritt dargestellt, d.h. es wird eine Elementenliste abgeleitet. Damit die Relevanz dieser Elementenaufzählung für das RM-Modell sichergestellt ist, wird vom St.Galler Management-Konzept ausgegangen, da dieses als ein „Leerstellengerüst für Sinnvolles
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
und Ganzheitliches“243 konzipiert ist, das der Unternehmensführung als Leitfaden dienen soll, um wesentliche Probleme des Managements strukturiert zu durchdenken und zu einem integrativen Gesamtkonzept zusammenführen zu können.244 Ein weiterer Aspekt, der für die Wahl des St.Galler-Konzeptes spricht, ist dessen Systematisierungscharakter, wodurch die strukturierte Ableitung einer Elementenliste wesentlich unterstützt wird.
4.5.1 Vorstellung des St.Galler Management-Konzeptes Das St.Galler Management-Konzept basiert auf dem Systemansatz von Hans ULRICH.245 Darauf aufbauend arbeitete Knut BLEICHER logisch voneinander abgrenzbare Problemfelder heraus, die vom Management zu berücksichtigen sind (siehe Abbildung 29).246 Der formale Ordnungsrahmen des Konzeptes besteht aus drei Dimensionen. Die erste Dimension beinhaltet drei horizontale Ebenen, die das normative, strategische und operative Management repräsentieren. Die zweite Dimension des Konzeptes wird durch drei Säulen gebildet, und zwar die Struktur-, Aktivitätsund Verhaltenssäule. Die zentrale Säule behandelt die Aktivitäten, welche schlussendlich zu den Marktleistungen eines Unternehmens führen. Diese Säule beantwortet somit die Frage, was im Rahmen der Unternehmensprozesse getan wird.247 Die Aktivitäten werden einerseits unterstützt durch die „harten“ Vorgaben der Struktursäule und andererseits durch die „weichen“ Faktoren der Verhaltenssäule. Die dritte Dimension des Konzeptes wird durch die Unternehmensentwicklung gebildet, die als die dynamische Komponente des Konzeptes interpretiert werden kann. Sie muss die zukunftsorientierte Veränderung der Unternehmenspotenziale sicherstellen. Dies gilt insbesondere bei Abweichungen von geplanten Sollgrößen oder bei erforderlichen Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen. Über diesen drei Dimensionen des Konzeptes steht eine managementphilosophisch begründete Vision, die auf einer “paradigmatisch geprägten Leitidee“248 basiert. Die Philosophie und Vision bilden vor allem die Grundlage für die Integration der einzelnen Konzeptdimensionen.249
243 244 245 246 247 248 249
zit. Bleicher (2004), S.78 vgl. Bleicher (2004), S.78 vgl. Ulrich (1968); Ulrich (1972) siehe Bleicher (2004) vgl. Rüegg-Stürm (2002), S.37 zit. Bleicher (2004), S.79 vgl. Bleicher (2004), S.77
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
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Management Philosophie Vision Vorgaben Normatives Management Unternehmungsverfassung
Unternehmungspolitik
Unternehmungskultur
Leitbild Organisationsstruktur Managementsysteme
Strategisches Management
Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme
Operatives Management
Programme
Strukturen
Aufträge
Aktivitäten
Problemverhalten
Leistungs- und KooperationsVerhalten
Verhalten
Unternehmensentwicklung Abbildung 29: Das St.Galler Management-Konzept250
In das neutrale Ordnungsgerüst des St.Galler-Konzeptes lassen sich konkrete Managementansätze in sehr universeller Art einfügen. Diese Universalität ermöglicht es auch, dass spezifische Themenbereiche der Managementlehre in schlüssige Teilkonzepte übergeführt werden können.251 Diese besondere Eigenschaft des St.GallerKonzeptes wird nachfolgend für das Risikomanagement genutzt.
4.5.2 Ableitung der RM-Elemente Nachfolgend wird in zwei Schritten vorgegangen. Im ersten Schritt erfolgt die Einordnung der im Abschnitt 4.3 abgeleiteten RM-Grundelemente in die Felder des 250 251
vgl. Bleicher (2004), S.88 vgl. Seghezzi (2003), S.6
88
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
St.Galler-Konzeptes. Die dabei leerbleibenden Felder werden im zweiten Schritt anhand des St.Galler-Konzeptes und auf Basis des Risiko- und RM-Verständnisses dieser Arbeit (Kapitel 3) definiert und interpretiert. Die Abbildung 30 zeigt das Resultat dieser beiden Schritte.
Management Philosophie Vision Vorgaben Gesetzlicher Rahmen &
Normatives Risikomanagement
Corporate Governance Risikoorientiertes Führungskonzept
RisikomanagementPolitik
RisikomanagementKultur
RM-Leitbild Managementsystemelemente: •Internes Überwachungssystem •Risikocontrolling •Früherkennungssystem •Krisenmanagementsystem •RM-Daten & -Informationen RisikomanagementOrganisationsstruktur Risikosystematisierung: • R-Strukturierung (R-Felder und Betrachtungsebenen) • R-Kategorien RM-Instrumente Strukturen
Strategisches Risikomanagement RM-Strategie (RM-Ziele & strat. Programme) Risikofinanzierung & Risikoversicherung
Risikoorientiertes Verhalten: risikoorientiertes Problemverhalten & risikoorientiertes Leistungsverhalten
Operatives Risikomanagement RisikomanagementProzess Aktivitäten
Verhalten
Entwicklung des Risikomanagements und der Risikolage des Unternehmens
Abbildung 30: Aus dem St.Galler Management-Konzept abgeleitete RM-Elemente
Auf die Details und Inhalte der einzelnen Elemente der Abbildung 30 wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Nachfolgend seien nur einige grundlegende Anmerkungen angeführt. Die Komponenten Organisationsstruktur, Organisatorische Prozesse und Dispositionssysteme des St.Galler-Konzeptes sind in der „RM-Organisationsstruktur“ subsumiert, da deren getrennte Behandlung im Risikomanagement nicht zweckmäßig ist. Dieses erweiterte Verständnis des Elements „RM-Organisationsstruktur“ wird in der Abbildung 30 dadurch angedeutet, dass es in den operativen Bereich hineinragt. Dieselbe Argumentation gilt für das Element „Risikoorientiertes
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
89
Verhalten“, in dem die Module „Problemverhalten“ und „Leistung- und Kooperationsverhalten“ der Abbildung 29 zusammengefasst sind. Das Modul „Unternehmensverfassung“ des St.Galler-Konzeptes wird in die beiden Komponenten „Gesetzlicher Rahmen & Corporate Governance“ und „Risikoorientiertes Führungskonzept“ unterteilt. Bei dieser Unterteilung wird dem Ansatz von BLEICHER gefolgt, der die Unternehmensverfassung in die beiden Themenbereiche „Organverfassung“ und „Kooperationsverfassung“ trennt.252 Laut BLEICHER beginnt sich für die „Organverfassung“ die Bezeichnung „Spitzenverfassung“ durchzusetzen, dem „im Englischen der weitergehende Begriff der »corporate governance« entspricht.“253 Der zweite Aspekt der „Unternehmensverfassung“, und zwar die Kooperationsverfassung, wird in der Abbildung 30 durch den gängigeren Begriff „Risikoorientiertes Führungskonzept“ abgedeckt. Des Weiteren wird aus Zweckmäßigkeitsgründen die Risikosystematisierung (siehe Abschnitt 3.3.3) in zwei Komponenten aufgetrennt, und zwar in Risikokategorien und die Risikostrukturierung. Die Risikostrukturierung beinhaltet dabei die beiden Elemente „Betrachtungsebenen“ und „Risikofelder“ des Abschnitts 3.3.3.
4.6 Darstellung eines ganzheitlichen industriellen RMModells auf Basis des Generic Management-Konzeptes Ziel des Abschnitts 4.5 war die Herleitung einer Liste von RM-Elementen. Bei diesem Systematisierungsschritt besteht jedoch die Gefahr, dass dabei das Resultat eher zerlegend als integrierend wirkt und somit dem ganzheitlichen Anspruch dieser Arbeit nur bedingt entspricht. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, wird in diesem Abschnitt ein ganzheitliches RM-Modell auf Basis der Elementenliste des Abschnitts 4.5 entwickelt. Um die Ganzheitlichkeit sicherzustellen, werden bei der nachfolgenden Modellentwicklung die folgenden Gesichtspunkte berücksichtigt: x
Das RM-Modell baut auf dem Risiko- und RM-Verständnis des Kapitels 3 auf, das unter einer ganzheitlichen Sichtweise des Risikophänomens entwickelt wurde.
x
Das RM-Modell orientiert sich am Leobner Generic Management-Konzept, das einen ganzheitlichen Managementzugang repräsentiert.254
x
Das RM-Modell wird auf Basis des konzeptionellen Rahmens für Managementsysteme des Abschnitts 4.4 interpretiert, um den Managementsystem-Charakter des Modells sicherzustellen.
252
vgl. Bleicher (2004), S.191ff. zit. Bleicher (2004), S.193 siehe Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006)
253 254
90
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
4.6.1 Vorstellung des Leobner Generic Management-Konzeptes Der aus der Biologie stammende Begriff „generic“ bezieht sich ursprünglich auf eine gleiche Gattung.255 Im allgemeinen Sprachgebrauch steht der englische Ausdruck „generic term“ für einen Oberbegriff.256 Übertragen auf die Managementlehre kann folglich unter Generic Management ein umfassendes, übergeordnetes Managementkonzept verstanden werden, welches die Koordination der untergeordneten Teilsysteme sicherstellt. Die Generic Management-Sichtweise beinhaltet folglich keine fachspezifischen Aspekte, wie beispielsweise ein Qualitäts-, Umwelt-, Arbeitssicherheits-, oder Risikomanagementsystem. Vielmehr bildet es ein abstrakt formuliertes Steuerungssystem auf einer übergeordneten Ebene.257 Basierend auf obigem Grundverständnis wird Generic Management beim Leobner Konzept folgendermaßen definiert: „Generic Management ist ein Führungsmodell zum Management unternehmensinterner und unternehmensexterner Anforderungen und Ansprüche einschließlich der Prinzipien des Sustainable Development unter Beachtung dynamischer und komplexer Prozesse und Rahmenbedingungen und dient einer dauerhaften und nachhaltigen Unternehmensentwicklung.“258 Aufbauend auf dieser Definition bilden die folgenden Ebenen die Kernbestandteile des Leobner Konzeptes:259 x
Generic Management-Philosophie: Diese beinhaltet die normative Basis für eine ganzheitliche Unternehmensführung. Die Generic Management-Philosophie besteht aus drei Kerndimensionen, und zwar aus der Unternehmenswert-, Stakeholder- und Flexibilitätsorientierung. Mit der Berücksichtigung dieser Dimensionen soll vor allem die einseitige und unkoordinierte Ausrichtung der Unternehmensteilsysteme vermieden werden.
x
Strukturmodell: Das Strukturmodell dient der Konkretisierung der Generic Management-Philosophie für ein spezifisches Unternehmen. Hierzu werden die Dimensionen der Philosophie mit einer Input-Prozess-Outcome-Sichtweise kombiniert, wodurch relevante Gestaltungsfelder für die zu koordinierenden Teilsysteme eines Unternehmens resultieren. Als Ausgangspunkt der konkreten Umsetzung der Generic Management-Philosophie in einem Unternehmen wird für diese Gestal-
255
vgl. Duden (1999), S.1457 vgl. Langenscheidt (1977), S.494 vgl. Pischon (1999), S.330f. zit. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.16 vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.32ff.
256 257 258 259
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
91
tungsfelder auf Basis der situativen Gegebenheiten ein „idealer“ Zustand abgeleitet. x
Vorgehensmodell: Mit Hilfe des Vorgehensmodells können die Vorgaben der Generic Management-Philosophie und des Strukturmodells in der betrieblichen Praxis umgesetzt werden. Die Basis dieses Modells bildet die Systematisierung der Koordinationsaufgaben in die vier Koordinationsfelder „Strategie, Kultur, Struktur und Daten“, wobei diesen Feldern jeweils relevante Koordinationsinstrumente zugeordnet werden. Darauf aufbauend wird ein Implementierungsmodell dargestellt, mit dem die konkrete Einführung eines Generic Managements erfolgen kann.
In den beiden nachfolgenden Abschnitten 4.6.2 und 4.6.3 werden jene Modellelemente der Abbildung 30 verknüpft, die im Zusammenhang mit dem Leobner Generic Management-Konzept stehen. Darauf aufbauend werden in den Abschnitten 4.6.4 bis 4.6.6 die restlichen Modellelemente der Abbildung 30 auf Basis der Ausführungen des Kapitels 3 strukturiert und dargestellt.
4.6.2 Basiselement des RM-Modells Analog zum Generic Management-Konzept wird beim RM-Modell dieser Arbeit ebenfalls eine Philosophie ins Zentrum der Überlegungen gestellt, wobei diese risikoorientiert ausgestaltet werden muss. Die Inhalte der RM-Philosophie werden jedoch offen gehalten, d.h. es werden keine konkreten Vorgaben dafür vorgeschlagen. Diese Offenheit impliziert beispielsweise, dass eine RM-Philosophie gewählt werden kann, die sich an der Generic Management-Philosophie und dem darauf aufbauenden Generic Management-Strukturmodell orientiert.260 Die RM-Philosophie setzt sich entsprechend der Abbildung 31 – in Anlehnung an HINTERHUBER261 – aus den folgenden Komponenten der Abbildung 30 zusammen: Management-Philosophie, Vision, RMPolitik und RM-Leitbild. Neben der RM-Philosophie enthält das Basiselement als zweite Dimension die „Erwartungen der Risikonehmer“, die entsprechend dem Risikoverständnis dieser Arbeit den Bezugspunkt der Risikobetrachtung bilden.262 Diese Dimension des Basiselementes hängt eng mit der RM-Philosophie zusammen (siehe Abbildung 31), da das Risikomanagement eines Unternehmens nur dann in sich stimmig ist, wenn diese beiden Komponenten nicht im Widerspruch zueinander stehen. Nur dann deckt sich 260 261 262
vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.63ff. vgl. Hinterhuber (2004a), S.97 siehe RM-Definition dieser Arbeit (Abschnitt 3.1.4)
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
nämlich die tatsächliche Risikowahrnehmung mit der gewünschten Wahrnehmung gemäß der RM-Philosophie.
Management Philosophie
RisikomanagementPolitik
RisikomanagementPhilosophie
Stimmig?
Vision Erwartungen der Risikonehmer
RisikomanagementLeitbild
Abbildung 31: RM-Philosophie und Erwartungen der Risikonehmer als die beiden Dimensionen des Basiselementes des RM-Modells
Ausgangspunkt der RM-Philosophie ist entsprechend der Abbildung 31 die allgemeine Management-Philosophie und die daraus abgeleitete Vision. Diese beiden Komponenten drücken die paradigmatische Leitidee (Grundwerte und Zukunftsbilder) des Unternehmens aus und können somit als „Leitstern“ der Unternehmensentwicklung angesehen werden.263 An diesen allgemeinen Vorgaben muss sich auch das Risikomanagement orientieren, indem daraus konkrete Vorgaben für das Risikomanagement abgeleitet werden, wobei diese Konkretisierung in der RM-Politik und im RMLeitbild erfolgt.264 Die RM-Politik beinhaltet die Gesamtheit aller Absichten und Grundsätze des Risikomanagements, die den Rahmen für Maßnahmen und für die Festlegung der RM-Ziele bilden.265 Dieser in der RM-Politik definierte generelle Rahmen und die damit verbundenen Grundorientierungen für das strategische und operative Verhalten stecken den Pfad für die Zukunftsentwicklung eines Unternehmens ab.266 Beispielsweise sollten entsprechend dem österreichischen RMRegelwerk ONR 49001 folgende Aspekte in der RM-Politik behandelt werden:267 Aussagen über Faktoren, die wichtige Erfolgspotenziale von Organisationen bedrohen; Angabe von Kernrisiken, die bewusst eingegangen werden; Aussagen zu relevanten gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen; Schadenserfahrungen der
263 264 265 266 267
vgl. Bleicher (2004), S.94ff. vgl. Hinterhuber (2004a), S.44 in Anlehnung an: EN ISO 14001 (2004), Kapitel 3.11 vgl. Bleicher (2004), S.165f. vgl. ONR 49001 (2004), S.6
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
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Vergangenheit, die berücksichtigt werden müssen; Forderung nach einer ständigen Verbesserung des Risikomanagements. Grundsätzlich ist zu beachten, dass die RMPolitik eine Teilpolitik innerhalb der Unternehmenspolitik darstellt und dass es meist weitere Teilpolitiken zu anderen spezifischen Themenbereichen gibt, wie z.B. Umwelt, Qualität, Arbeitssicherheit. Da die RM-Politik jedoch ein integraler Bestandteil der gesamten Unternehmenspolitik sein muss, sind ihre Aussagen mit den Inhalten der Unternehmenspolitik abzustimmen. Die Kommunikation der Management-Philosophie, Vision und RM-Politik erfolgt auf Basis eines schriftlich definierten RM-Leitbildes (Mission), wobei die Leitbildvermittlung durch mündliche Kommunikationsformen ergänzt werden sollte (z.B. Konferenzen, Tagungen, Seminare).268 Das RM-Leitbild drückt in wenigen Sätzen die wesentlichen Werte, Zukunftsbilder, generellen Ziele und Grundorientierungen aus.269 Die Verkürzung auf wenige Sätze darf aber nicht dazu führen, dass im RM-Leitbild nur Selbstverständlichkeiten zum Ausdruck gebracht werden.270
4.6.3 Koordinationselemente des RM-Modells Das Risikomanagement muss geeignet in das Unternehmensgesamtsystem eingefügt werden, wofür zweckmäßig ausgestaltete Koordinationselemente benötigt werden. Die Systematisierung der Koordinationselemente wird dem Leobner Generic Management-Konzept entnommen, bei dem vier Koordinationsfelder unterschieden werden (Kultur, Strategie, Struktur, Daten).271 In dieser Arbeit werden diese Felder um das Risikocontrolling ergänzt, wobei dieser Erweiterungsschritt im Abschnitt 4.6.3.5 begründet wird. Die Abbildung 32 zeigt eine Überblicksdarstellung der Koordinationselemente des RM-Modells, wobei symbolisch angedeutet ist, dass jede risikospezifische Ausprägung der Koordinationselemente mit der entsprechenden Komponente des Gesamtunternehmens verbunden werden muss. Wegen dieser engen Verbundenheit werden in den nachfolgenden Abschnitten beide Aspekte der Koordinationselemente dargestellt, und zwar die Gesamtunternehmens- und die RM-Sicht.
268 269 270 271
vgl. Bleicher (2004), S.273 vgl. Hinterhuber (2004a), S.97 vgl. Seghezzi (2003), S.158 vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.63ff.
U
r r tu tu ul ul sk -K en M R hm ne er nt
Risikocontrolling
U
Risikocontrolling
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Risikocontrolling
G n tio isa ns an tio rg to isa r an tu am rg uk es -O str M
Risikocontrolling
R
G e & sam R Inf tes -I M- osy Da nf D s os at tem tenys en te & m
R M nt -S er tr ne at hm eg en ie ss tra te gi e
94
Abbildung 32: Koordinationselemente des RM-Modells
4.6.3.1 Unternehmensstrategie und RM-Strategie Im Allgemeinen versteht man unter Strategie einerseits die Festlegung von mittel- bis langfristigen Zielen und Maßnahmen, mit denen die Erreichung der Unternehmenspolitik und des Kernauftrages (Stakeholderbedürfnisse) sichergestellt werden soll, und andererseits den Aufbau und die Pflege der hierfür notwendigen strategischen Kernkompetenzen.272 Die Strategie ist somit der Weg von der Kernkompetenz zur Unternehmenspolitik und zum Kernauftrag. Dieses Strategieverständnis verbindet die beiden wesentlichen Strategieansätze der Literatur, und zwar die Resource-based View (Kernkompetenzen) mit der Market-based View (Kernauftrag). In der Abbildung 33 sind die hier allgemein diskutierten Zusammenhänge in Hinblick auf das Risikomanagement dargestellt, wobei das integrale Zusammenwirken zwischen der Unternehmens- und der RM-Strategie betont wird, da grundsätzlich die RM-Strategie ein integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sein muss und kein separates „Eigenleben“ führen darf.273 272
273
vgl. Bleicher (2004), S.287; Seghezzi (2003), S.166. Anmerkung: In dieser Arbeit wird – im Unterschied zu Bleicher und Seghezzi – anstelle des Begriffes „Kernpotenzial“ der Begriff „Kernkompetenz“ verwendet. vgl. Hinterhuber (2004a), S.22f.; Romeike (2003a), S.147
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Kundenwert
rung ssteue Erfolg
groß
Kernkompetenz
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• Unternehmenspolitik • Kernauftrag • RM-Philosophie
Strategie (Ziele und
e) Programm
gungen nbedin Rahme
klein klein groß Stärke der gebündelten Fähigkeiten und Ressourcen
Abbildung 33: Integrierte Behandlung der Gesamtstrategie und der RM-Strategie274
Entsprechend der Abbildung 33 besteht die Unternehmens- und RM-Strategie aus jenen mittel- bis langfristigen Zielen und Maßnahmenbündeln (Programmen), mit denen die Erreichung der Unternehmenspolitik, des Kernauftrages (Stakeholderbedürfnisse) und der RM-Philosophie sichergestellt wird. Unter strategischen RMProgrammen versteht man jene Maßnahmenbündel, mit denen die Risikolage des Unternehmens verbessert wird. ROGLER beschreibt beispielsweise in ihrer Arbeit allgemeingültige Programme (Best Practice-Maßnahmen), mit denen generell die Risikolage in Industriebetrieben optimiert werden kann.275 Es empfiehlt sich vor allem in Kernkompetenzbereichen solche generelle, risikominimierenden Maßnahmen einzuführen. Aufbauend auf den im obigen Absatz beschriebenen „Best Practice-Aktivitäten“ können durch die Abarbeitung des RM-Prozesses weitere „unternehmensindividuelle“ Risikomaßnahmen abgeleitet werden. Die Basis für solche Maßnahmen bilden übergeordnete strategische Vorgaben, wie beispielsweise:276 Vorgaben zu maximalen Verlustrisiken; Bestimmung von Schwellwerten für bestandsgefährdende Risiken; Definition der Absicherungsinstrumente, die im Rahmen der Risikosteuerung grundsätzlich zu verwenden sind; Festlegung von Schwellwerten, ab denen eine gezielte Steuerung der Risiken zu erfolgen hat; Anforderungen an das aus dem jeweiligen 274 275 276
in Anlehnung an: Hinterhuber (2004a), S.22 siehe Rogler (2002) vgl. Dörner/Doleczik (2000), S.202
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Geschäft resultierende Chancen-Risiko-Verhältnis; Definition von spezifischen Schwellwerten, bis zu denen die untergeordneten Managementebenen die auftretenden Risiken eigenverantwortlich managen dürfen. Entsprechend dieser Aufzählung stellt vor allem die Festlegung von abgestuften Schwellwerten eine Kernaufgabe der RM-Strategie dar. Dabei wird unter einem Schwellwert ein auf die Hauptsteuerungsgröße des Risikos bezogener Wert verstanden, der definiert ab wann eine bestimmte Steuerungsmaßnahme zu ergreifen ist.277 Dabei werden Schwellwerte meist für die Risikomaße der eingesetzten RM-Instrumente festgelegt. 4.6.3.2 Gesamtorganisation und RM-Organisationsstruktur Das Begriffsverständnis des Modellelementes „RM-Organisationsstruktur“ basiert auf dem „Strukturbegriff“ des Leobner Generic Management-Konzeptes. Dabei steht „Struktur“ für Ordnung und Organisation, wobei die Aufbau- und Ablaufstruktur die beiden wesentlichen Aspekte bilden.278 Den Ausgangspunkt bei den nachfolgenden Überlegungen bezüglich der organisatorischen Gestaltung des Risikomanagements bildet die Erkenntnis, dass ein Großteil der Risiken dort entsteht, wo die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus kann, aufgrund der Vertrautheit mit dem eigenen Aufgabenbereich, ein Stelleninhaber die Risikopotenziale seines Bereiches generell besser abschätzen, als es einer zentralen Stelle möglich wäre. Folglich sollte das Risikomanagement integrativ durch die jeweils zuständigen Funktionsbereiche umgesetzt werden. Dadurch wird einerseits die Entwicklung eines risikoorientierten Verhaltens gefördert und andererseits eine schnelle Reaktion im Falle eines tatsächlichen Risikoeintrittes ermöglicht. Eine solche integrative Wahrnehmung der RM-Aufgaben ist nicht nur in den einzelnen Funktionsbereichen notwendig, sondern insbesondere auch in der Unternehmensführungsebene. Das Risikomanagement darf folglich nicht nur eine begleitende Führungsfunktion sein, sondern es muss ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung insgesamt werden. Die Aufgabe der Unternehmensführung besteht in übergeordneten RMAktivitäten, wie beispielsweise in der Festlegung von RM-Rahmenbedingungen (z.B. RM-Politik und -Strategie), in der Risikohandhabung von übergreifenden Risikopotenzialen, sowie in der Koordination und Überwachung der RM-Aktivitäten in den einzelnen Unternehmensbereichen.
277 278
vgl. Buderath/Amling (2000), S.141 vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), 73f.; Anmerkung: Entsprechend diesem Verständnis bezieht sich der in dieser Arbeit verwendete Organisationsstruktur-Begriff auf den instrumentellen Organisationsansatz; bezüglich der Unterscheidung zwischen „instrumentellem“ und „institutionellem“ Organisationsansatz: siehe Schreyögg (2003), S.4ff.
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Entsprechend dieser Sichtweise wird in dieser Arbeit nicht der Aufbau einer separaten RM-Organisationsstruktur empfohlen, wie es häufig in der Literatur279 der Fall ist bzw. wie solche Strukturen zum Teil in der betrieblichen Praxis umgesetzt werden. Vielmehr wird hier empfohlen, dass die RM-Aufgaben integrativ wahrgenommen werden. Aufgrund der begrenzten zeitlichen und fachlichen Ressourcen der Führungskräfte ist es jedoch häufig zweckmäßig, dass diese gewisse RM-Aktivitäten an eine unterstützende Instanz delegieren. Hierzu gehören beispielsweise die Unterstützung beim Aufbau des formalen RM-Systems, die Analyse des GesamtrisikoPotenzials eines Unternehmens, sowie die zusammenfassende Risikoberichterstattung an die Unternehmensleitung.280 Darüber hinaus fördert eine solche Instanz das Herausbilden eines methodischen RM-Spezialwissens und bewirkt eine größere Transparenz bezüglich der zweckmäßigen Risikobewältigungs-Möglichkeiten.281 Einer solchen Instanz obliegen daher in erster Linie übergeordnete Koordinations- und Beratungsaufgaben, sowie die Unterstützung bei der Abarbeitung des RM-Prozesses für Risikofelder, die das Gesamtunternehmen betreffen. Sie stellt somit das koordinierende Bindeglied zwischen der Unternehmensleitung und den operativen Einheiten dar. Dabei muss darauf geachtet werden, dass diese Instanz nicht für die Umsetzung des eigentlichen Risikomanagements zuständig ist. Wird dies nicht konsequent beachtet, so besteht die Gefahr, dass diese Instanz eine gewisse Eigendynamik entwickelt und sich dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe separiert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, in welche Organisationseinheit diese unterstützende Instanz integriert werden soll. Hierfür bieten sich vor allem bereits im Unternehmen vorhandene Controlling-Instanzen an. Des Weiteren ist eine Integration in Qualitätsstellen oder in andere betriebliche Managementsystem-Instanzen denkbar. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese organisatorische Integration keinesfalls zu einer einseitigen Sichtweise des Risikomanagements führen darf. 4.6.3.3 Unternehmenskultur und RM-Kultur Im radikalkonstruktivistischen Modell versteht man unter Unternehmenskultur die Menge aller Handlungen, die auf Basis eines gemeinsam erzeugten Kontextes möglich sind (synreferentielle Basis).282 Die Unternehmenskultur führt somit zur kollektiven Programmierung des menschlichen Denkens und Handelns.283 Ein Unternehmen hat jedoch nicht nur eine Gesamtkultur, sondern darüber hinaus im Allgemeinen 279 280 281 282 283
vgl. hierzu beispielsweise die RM-Strukturempfehlung von Mott (2001), S.210ff. vgl. Kremers (2002), S.97 vgl. Diederichs (2004), S.205ff. vgl. Sammer (2000), S.68 und Abschnitt 2.3.1 vgl. Hofstede (2001), S.9
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mehrere Subkulturen. Das Verhältnis der Subkulturen zur sie umfassenden Gesamtkultur kann nicht auf das Rezept „je ausgeprägter die Gesamtkultur, umso erfolgreicher ist das Unternehmen“ reduziert werden. Zwar unterstützt eine starke Einheitskultur die gute Führbarkeit, da auf explizite Regelungen weitgehend verzichtet werden kann, aber es fehlen dann meist die Impulse für zukunftsweisende Innovationen. Letztlich kann die Beantwortung der Frage nach der zweckmäßigen Stärke der Gesamtkultur im Vergleich zu den Subkulturen nur in Abhängigkeit vom konkreten Umweltkontext vorgenommen werden. In der Literatur284 werden eine Reihe von Charakterisierungskriterien für die Unternehmenskultur vorgeschlagen, mit denen die verschiedenen Kulturausprägungen in Unternehmen erfasst und analysiert werden können. Bei all diesen Dimensionierungsversuchen zeigt sich jedoch, dass diese Kriterienfestlegungen sehr subjektiv geprägt sind, woraus wiederum folgt, dass eine objektive Kulturbeurteilung generell schwierig ist.285 Aufbauend auf diesen allgemeinen Aspekten, versteht man unter Risikokultur jenen Teil der Unternehmenskultur, der die kollektive Grundeinstellung der Mitarbeiter gegenüber Risiken prägt. Die Risikokultur ist somit die Gesamtheit der im Unternehmen vorherrschenden Wertvorstellungen, Traditionen, Überlieferungen, Mythen, Normen und Denkhaltungen, die den Mitarbeitern auf allen Verantwortungsebenen Sinn und Richtung für ihr Risikoverhalten geben.286 Risikomanagement ist somit dann Teil der Unternehmenskultur geworden, wenn es quer durch die Hierarchien und Organisationsbereiche das Verhalten der Mitarbeiter prägt und Risiken bei Entscheidungen stets selbstverständlich mit berücksichtigt werden.287 Die Risikokultur steuert die Bereitschaft der Unternehmensmitglieder, die vorhandenen Risikopotenziale bewusst wahrzunehmen und beeinflusst die grundsätzliche Sensibilität gegenüber Risiken. Sie hat damit einen entscheidenden Einfluss darauf, ob gegenüber Risiken eher eine zu große Sensibilität oder eine zu große Ignoranz an den Tag gelegt wird. Des Weiteren prägt sie die Art und Weise, wie über Risiken kommuniziert wird und wie Chancenpotenziale, die häufig mit Risiken verbunden sind, genutzt werden.288 Ein wesentlicher Erfolgsaspekt des Risikomanagements ist, dass die Risikokultur stimmig sein muss mit der RM-Philosophie und den restlichen Elementen des RM-
284
285 286 287 288
vgl. zum Beispiel: Hinterhuber (2004a), S.232; Schein (1997), S.17ff.; Bleicher (2004), S.248; Hofstede (2001), S.11 vgl. Bleicher (2004), S.261ff. in Anlehnung an Hinterhuber (2004a), S.230 vgl. Merbecks/Stegemann/Frommeyer (2004), S.249 vgl. Wittmann (2000), S.819f.
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Modells. Differenzen zwischen diesen Elementen müssen durch geeignete Änderungsschritte minimiert werden. Es stellt sich somit die Frage, ob und wie die Risikokultur beeinflusst werden kann. Grundsätzlich zeigt die Unternehmenskultur eine gewisse Resistenz gegenüber gezielten Änderungsversuchen.289 In der Literatur290 sind bereits viele Kulturänderungs-Methoden dargestellt. Dazu gehören beispielsweise auch die im Modellelement „Risikoorientiertes Verhalten“291 beschriebenen Ansätze. Weitere mögliche Maßnahmen sind die kulturorientierte Weiterentwicklung der Aufbau- und Ablauforganisation, die Auswahl geeigneter Personen zur Besetzung sensibler Bereiche, die Rotation von Kulturträgern, sowie der Einsatz „symbolischer“ Führungskräfte in Nischen des Widerstands.292 Bei all diesen Maßnahmen muss jedoch beachtet werden, dass dabei der Unternehmensführung eine absolut entscheidende Rolle zukommt.293 Alle anderen Änderungsmaßnahmen „verpuffen“ nämlich, wenn diese nicht durch die Unternehmensführung „getragen“ werden. Jede Kulturänderung muss somit in der Unternehmensspitze beginnen und erfolgt im Kern durch Vorbildwirkung der Führung hinsichtlich der gewünschten Kulturinhalte. Des Weiteren muss beachtet werden, dass die Mitglieder einer Organisation nicht nur der unternehmensinternen Kultur ausgesetzt sind, sondern dass auch externe Faktoren die Unternehmenskultur mit beeinflussen.294 In diesem Zusammenhang sollten vor allem die Kulturdifferenzen zwischen den Stakeholdern und dem Unternehmen berücksichtigt werden, da aus diesen Kulturdifferenzen kritische Risikopotenziale für das Unternehmen resultieren können. Beispielsweise können aus Unterschieden in den Wertesystemen zwischen dem Unternehmen und den Medien, der Öffentlichkeit oder den Kunden kritische Imageverluste entstehen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um nachhaltige Imageverluste in Grenzen zu halten, bildet die Analyse der Wahrnehmung des Unternehmens durch die Stakeholder und die darauf aufbauende gezielte Kommunikation mit diesen. Dabei sollte die Kommunikation möglichst offen ablaufen, wobei die gelieferten Informationen so aufbereitet werden sollten, dass sie die Informationsbedürfnisse der Stakeholder abdecken.295
289
290
291 292 293 294 295
vgl. Abschnitt 2.3.2 (Unterabschnitt: Konservatismus und Wandel in sozialen Systemen) und Bleicher (2004), S.242f. siehe zum Beispiel: Bleicher (2004), S.241ff.; Reiß (1997), S.91ff.; Schein (1997), S.295ff.; Baumgartner/u.a. (2006), S.87ff. vgl. Abschnitt 4.6.4 in Anlehnung an: Seghezzi (2003), S.200 vgl. Hinterhuber (2004b), S.237ff.; Bleicher (2004), S.239f. vgl. Bleicher (1991), S.738f. vgl. Wiedmann (1994), S.43ff.
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4.6.3.4 Daten und Informationen des Gesamtunternehmens und des Risikomanagements Daten sind solche „Zeichen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen … Angaben über Sachverhalte und Vorgänge“296 beinhalten. Aufbauend auf diesem Begriffsverständnis bilden die Perspektiven Kontext- und Zweckbezug wesentliche Kriterien für eine Unterscheidung zwischen Daten und Informationen. Auf Basis dieser Perspektiven stellen Daten solche Sachverhalte dar, die in einem aktuellen Kontext nicht unmittelbar zweckorientiert sein müssen. Informationen sind dagegen jene Daten, die im Kontext eines Entscheidungsträgers direkt dem zweckorientierten Erkenntnisgewinn dienen.297 Je nach Kontext- und Zweckbezug können folglich gleiche Angaben über Sachverhalte für die eine Person Daten und für die andere Person jedoch Informationen darstellen. Daten können deshalb auch als potenzielle Informationen interpretiert werden.298 Es haben sich im Risikomanagement verschiedene Daten- bzw. Informationsbegriffe ausgeprägt. Besonders relevant sind dabei die folgenden Klassen:299 x
RM-Dokumentation beinhaltet jene Vorgaben, die zur konkreten Umsetzung des Risikomanagements (z.B. standardisierte Prozessabläufe), zur Schulung der Mitarbeiter, sowie generell für das RM-System gemacht werden. Die Dokumentation wird meist hierarchisch aufgebaut und besteht beispielsweise aus einem RMHandbuch, das u.a. Verfahrens-, Arbeits- und Prüfanweisungen beinhaltet.
x
RM-Aufzeichnungen sind Dokumente, mit denen einerseits der Nachweis der Konformität der tatsächlichen Aktivitäten mit den Anforderungen des RM-Systems dargestellt wird und andererseits die Funktionsfähigkeit des RM-Systems dokumentiert wird (z.B. Schadensstatistiken, Risikokennzahlen-Verläufe, Risikoüberwachungs-Aufzeichnungen).
x
Risikoberichte „haben die Aufgabe, den systematischen Fluss relevanter Risikound Chancen-Informationen an alle wesentlichen Stellen und Personen sicherzustellen.“300 Die Genauigkeit und Verdichtung der Informationen muss dabei empfängerorientiert erfolgen. Standardberichte basieren auf dem vorab ermittelten Informationsbedarf der Empfänger und benachrichtigen regelmäßig in einer gleichbleibenden Form. Abweichberichte werden dagegen erst nach Überschreitung ei-
296
zit. Gabler Wirtschafts-Lexikon (1997), S.841 in Anlehnung an: Sammer (2000), S.74ff. vgl. Picot/Reichwald (1991), S.252 vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.101f.; Seghezzi (2003), S.180; Erben/Romeike (2003b), S.282 zit. Falter/Michel (2000), S.496
297 298 299 300
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ner Toleranzgrenze erstellt und an die relevanten Personen verteilt. Bedarfsberichte orientieren sich am Informationsbedarf bezüglich spezieller Sachverhalte. x
Daten-, Methoden- und Modellbanken: In Datenbanken werden Daten für bestimmte Zwecke strukturiert gespeichert (z.B. Schadensfallbanken). Die Methodenbanken enthalten programmierte RM-Methoden (z.B. statistische Verfahren) und Modellbanken beinhalten Analyse- und Entscheidungsmodelle (z.B. Simulationsprogramme).
Beim Betreiben eines unternehmensweiten Risikomanagements sollten die angeführten Datenklassen zu einem RM-Informationssystem ausgebaut und in die bestehende IT-Landschaft des Unternehmens integriert werden. Ziel eines RMInformationssystems ist die zeitgerechte und formal adäquate Bereitstellung von richtigen und relevanten Daten um damit eine methodische Unterstützung bei der Entscheidungsvorbereitung zu bieten. Dabei sollte das RM-Informationssystem passende Schnittstellen zu anderen Bestandteilen des betrieblichen Informationssystems haben und einen flexibler Aufbau aufweisen, damit es an die laufenden Unternehmensveränderungen angepasst werden kann. Des Weiteren muss das RMInformationssystem verschiedene Sichten auf die Daten bieten, damit der Informationsbedarf der unterschiedlichen Benutzergruppen optimal abgedeckt wird.301 Trotz der Vorzüge von RM-Informationssystemen muss berücksichtigt werden, dass auch mit den besten Informationssystemen nicht sichergestellt werden kann, dass alle potenziellen Risiken korrekt erfasst und dargestellt sind.302 Das bedeutet, dass risikorelevante Entscheidungen nicht nur auf Basis solcher Systeme getroffen werden dürfen. Diese Schwäche der Informationssysteme kann dadurch gemildert werden, dass entsprechend der Abbildung 25 die Wissensebene mit berücksichtigt wird. Auch CLAASEN weist darauf hin, dass Risikomanagement klare Schnittstellen zum Wissensmanagement hat. „Nicht »Geheimniskrämerei« reduziert Risiken, sondern Informationen, Transparenz und Mündigkeit. Risikomanagement bewegt sich an der Schnittstelle von Maßnahmen zur kontinuierlichen Entwicklung der Humanressourcen, der Verbesserung der Informations- und Kommunikationsflüsse, sowie der ständigen Weiterentwicklung der Unternehmenskultur, und ist demgemäß eng mit der Fragestellung des Wissensmanagements verknüpft. Instrumente und Maßnahmen des Wissensmanagements bilden wesentliche Bausteine eines zukunftsorientierten und antizipierenden Risikomanagements, denn nur wer heute daran arbeitet, morgen 301 302
vgl. Erben/Romeike (2003b), S.281ff. vgl. Erben/Romeike (2003b), S.294f.
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das beste Team zu haben, wird übermorgen Risiken vermeiden und beherrschen können.“303 4.6.3.5 Risikocontrolling Bezüglich dieses Themenbereiches ist eine eingehende Diskussion notwendig, da sich in Wissenschaft und Praxis noch keine einheitliche Controllingkonzeption durchgesetzt hat.304 Den Ausgangspunkt bei den nachfolgenden Überlegungen bilden die verschiedenen Controllingkonzeptionen der Literatur, wobei auf diese hier nicht im Detail eingegangen wird, da sie bereits ausführlich dargestellt sind.305 Aufbauend auf diesen Konzeptionen wird bei der Auswahl und Detaillierung der Controllingaufgaben des RM-Modells in zwei Schritten vorgegangen. Im ersten Schritt werden aus dem RM-Modell die Grundanforderungen an ein Risikocontrolling abgeleitet und dafür eine geeignete Controllingkonzeption ausgewählt. Im zweiten Schritt werden auf Basis der gewählten Konzeption relevante Risikocontrolling-Funktionen erarbeitet. Die Grundanforderungen an ein Risikocontrolling können abgeleitet werden, indem das RM-Modell auf Basis des Managementsystem-Tensors der Abbildung 28 analysiert wird. Diese Analyse zeigt, dass durch die Modellelemente alle Managementsystem-Objekte und Zieldimensionen des Tensors abgedeckt werden. Als Diskussionsgrundlage verbleibt somit die Funktionssicht der Abbildung 28. Die Analyse der Funktionssicht liefert folgende Kernaussagen: x
Systemkonstruktion, -implementierung und -überwachung: Diese Funktionen werden, entsprechend dem Abschnitt 4.6.5.2, vom Element „Risikoorientiertes Führungskonzept“ abgedeckt.
x
Systembetrieb: Wie im Abschnitt 4.6.3.2 gezeigt wurde, sollte der Systembetrieb durch die jeweils zuständigen Bereiche umgesetzt werden, d.h. er muss geeignet auf das gesamte Unternehmen verteilt werden. Aus diesem Grund kommt das Risikocontrolling nicht als Träger dieser Funktion in Frage.
x
Systemkoordination: Die in den Abschnitten 4.6.3.1 bis 4.6.3.4 beschriebenen Koordinationselemente behandeln den Koordinationsaspekt auf Basis der jeweils zugrundegelegten Perspektive. Die Koordination zwischen diesen Elementen, sowie deren Abstimmung mit den restlichen RM-Modellelementen und weiteren Führungssystemen des Unternehmens wird folglich nicht vollständig durch diese
303
zit. Claasen (2000), S.838 vgl. Götze/Glaser/Hinkel (2001), S.97 siehe zum Beispiel: Götze/Glaser/Hinkel (2001), S.100; Hahn (1997), S.17; Weber/Schäfer (2000), S.188ff.; Zenz (1999), S.12f.
304 305
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Elemente abgedeckt. Dem Risikocontrolling wird somit die Aufgabe zugeordnet, diese „Koordinationslücke“ zu füllen. Die Analyse der Literatur ergibt, dass die oben dargestellten Koordinationsaufgaben durch den Ansatz von Hans Ulrich KÜPPER306 abgedeckt werden. Nachdem es in der Literatur neben der Controllingauffassung von KÜPPER noch weitere Vertreter eines koordinationsorientierten Controllingansatzes gibt, die entweder nur eine begrenzte oder ebenfalls eine umfassende Koordinationsorientierung propagieren, kann bei Bedarf auch auf diese Controllingansätze307 Bezug genommen werden. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die Risikocontrolling-Auffassung von KLÜGL hingewiesen.308 KLÜGL vertritt nämlich für das leistungswirtschaftliche Risikocontrolling ebenfalls einen koordinationsorientierten Ansatz, wobei er – im Unterschied zu dieser Arbeit – die Koordination mit dem Personalführungssystem nicht zum Aufgabenfeld des Risikocontrollings zählt. Bei der umfassend koordinationsorientierten Controllingkonzeption besteht „die Controlling-Funktion … im Kern in der Koordination des Führungsgesamtsystems zur Sicherstellung einer zielgerichteten Lenkung.“309 Demgemäß obliegen dem Risikocontrolling einerseits die Koordination der RM-Elemente untereinander und andererseits die Koordination des Risikomanagements zu den restlichen Führungssystemen des Unternehmens. Diese abstrakte Aufgabenbeschreibung muss weiter präzisiert werden, um konkrete Risikocontrolling-Aufgaben ableiten zu können. Dabei wird dem Ansatz von WEBER gefolgt, nach dem die Koordinationsfunktion des Controllings durch dessen „systematisches Abstellen auf Planungen und Kontrollen“310 konkretisiert wird. Für das RM-Modell bedeutet diese Konkretisierung, dass sich die Koordinationsaufgabe des Risikocontrollings im Kern auf den RM-Prozess und den damit verbundenen Planungs- und Kontrollaufgaben bezieht. Somit müssen vor allem die Teilkomponenten „Risikokategorien, RM-Instrumente, und Risikostrukturierung“311, die entsprechend den Abschnitten 3.3.3 und 3.3.4 den RM-Prozess unterstützen und leiten, geeignet untereinander und übergreifend abgestimmt werden. Es müssen somit vor allem folgende Koordinationsfelder vom Risikocontrolling abgedeckt werden:
306 307 308 309 310 311
siehe Küpper (2001) siehe zum Beispiel: Weber (1991); Horwath (1996) vgl. Klügl (2005), S.62ff. zit. Küpper/Weber/Zünd (1990), S.283 zit. Weber (1991), S.32 vgl. hierzu auch den Abschnitt 4.6.4
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x
Koordination der Risikokategorien: Entsprechend dem Abschnitt 3.3.3.2 ist die Auswahl der relevanten Risikokategorien eine unternehmensspezifische Problemstellung. Dabei muss man sich bei der Risikokategorisierung vor allem an den RM-Zielen des betrachteten Bereiches orientieren. Wie im Abschnitt 3.3.2 dargestellt wurde, sind die übergreifenden RM-Ziele jedoch meist schwer operationalisierbar, weshalb in der betrieblichen Praxis häufig auf die Festlegung von RMZielen verzichtet wird. Deshalb ist es eine wesentliche Risikocontrolling-Aufgabe, dass geeignete RM-Ziele definiert werden, die konsistent mit der RM-Philosophie und RM-Strategie sind. Darauf aufbauend können die relevanten Risikokategorien für den betrachteten Bereich festgelegt werden.
x
Koordination der RM-Instrumente: Generell ist anzustreben, dass in den verschiedenen Unternehmensbereichen möglichst einheitliche Instrumente eingesetzt werden und die Instrumente der verschiedenen Betrachtungsebenen aufeinander abgestimmt sind.312
x
Koordination der Risikostrukturierung: Die Risikostrukturierung muss dermaßen systembildend gestaltet werden, sodass Korrelationseffekte zwischen den Einzelrisiken ermittelt werden können und eine Risikoaggregation möglich ist. Risikoaggregations-Methoden313 können folglich als übergreifende KoordinationsInstrumente interpretiert werden.
Neben der Koordination der RM-Modellelemente untereinander, stellt die Abstimmung des Risikomanagements mit den restlichen Führungssystemen des Unternehmens eine weitere Kernaufgabe des Risikocontrollings dar. Dabei bildet das Risikocontrolling insbesondere das Bindeglied zum allgemeinen Unternehmenscontrolling. Darüber hinaus müssen insbesondere zwei Aspekte beachtet werden. Erstens müssen laufend die internen und externen Änderungen beobachtet und bei der Koordination berücksichtigt werden (Anpassungs- und Innovationsfunktion des Risikocontrollings).314 Zweitens muss sichergestellt werden, dass sich das Risikomanagement nicht verselbstständigt, da – wie bei allen Unternehmenssubsystemen – auch beim Risikomanagement die Gefahr besteht, dass dieses überdimensional wird oder nur das eigene Suboptimum im Fokus hat.315 Dabei kann beispielsweise durch ein unangemessenes Sicherheitsdenken und durch die Vernachlässigung von Chancenas-
312 313 314 315
vgl. Götze/Glaser/Hinkel (2001), S.109 vgl. Abschnitt 3.3.4.6 vgl. Küpper (2001), S.18 vgl. Brühwiler (2001), S.100f.
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
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pekten die Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens leiden, wodurch das Risikomanagement selbst zum Risiko werden könnte.
4.6.4 Entscheidungselemente des RM-Modells Um die Basis- und Koordinationselemente werden jene Modellbestandteile angeordnet, die das Risikomanagement „im engeren Sinne“ repräsentieren. Das sind vor allem Elemente, die im Kapitel 3 auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre abgeleitet und beschrieben worden sind (RM-Prozess, Risikokategorien, Risikofelder, Betrachtungsebenen, RM-Instrumente). Wie bereits im Abschnitt 4.5.2 dargestellt wurde, werden im RM-Modell die beiden Komponenten „Risikofelder“ und „Betrachtungsebenen“ aus Zweckmäßigkeitsgründen zum Element „Risikostrukturierung“ zusammengefasst. Ergänzt werden diese Elemente des entscheidungsorientierten Ansatzes um das „Risikoorientierte Verhalten“, da speziell dieser Aspekt wesentlich dazu beiträgt, ob der RM-Prozess „gelebt“ wird. Nachdem die Komponenten dieser Elementenklasse (siehe Abbildung 34) hauptsächlich aus der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre hergeleitet sind, werden sie im RM-Modell als „Entscheidungselemente“ bezeichnet.
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Abbildung 34: Entscheidungselemente des RM-Modells
Da die Elemente „RM-Prozess, Risikokategorien, Risikostrukturierung (Risikofelder und Betrachtungsebenen), sowie RM-Instrumente“ bereits im Abschnitt 3.3 detailliert
106
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
beschrieben sind, muss auf diese hier nicht mehr eingegangen werden. Nachfolgend wird somit nur mehr das Element „Risikoorientiertes Verhalten“ dargestellt. Risikoorientiertes Verhalten Der Erfolg des Risikomanagements hängt insbesondere davon ab, ob die risikorelevanten Strukturen und Aktivitäten von allen Mitarbeitern mitgetragen werden.316 Die beiden Komponenten, mit denen diese Zielsetzung wesentlich unterstützt wird, sind die im Abschnitt 4.6.3.3 dargestellte „RM-Kultur“ und das hier beschriebene Element „Risikoorientiertes Verhalten“. Diese beiden Elemente sind sehr eng verknüpft, da sie sich einerseits gegenseitig stark beeinflussen und andererseits denselben Ausgangspunkt bei ihren Betrachtungen haben, und zwar die Analyse der menschlichen Wahrnehmung und Präferenzen.317 Es muss folglich bei dieser begrifflichen Trennung beachtet werden, dass aufgrund der Gemeinsamkeiten der beiden Elemente deren getrennte Behandlung im RM-Modell ein theoretischer Schritt ist. Die Trennung macht aber aus methodischen Gründen Sinn, da die RM-Kultur die schwer änderbaren Eigenheiten von sozialen Systemen beinhaltet, wohingegen das „Risikoorientierte Verhalten“ jene Aspekte abdeckt, die kurz- und mittelfristig beeinflussbar sind. Das Element „Risikoorientiertes Verhalten“ lässt sich in die Gestaltungsfelder „risikoorientierte Verhaltensentwicklung“ und „Führungsstil“ untergliedern, auf die im Nachfolgenden eingegangen wird.318 Wesentlich ist dabei, dass man sich bei der konkreten Gestaltung dieser beiden Felder an der RM-Philosophie orientieren muss, damit die „Erwartungen der Risikonehmer“319 und die konkreten Handlungen stimmig sind mit der RM-Philosophie. Die „risikoorientierte Verhaltensentwicklung“ erfolgt beispielsweise durch Lern- und Motivationsmaßnahmen, einen geeigneten Mitarbeitereinsatz, sowie die Mitarbeiterbeeinflussung durch Führungskräfte.320 Die Basis der gezielten Mitarbeiterbeeinflussung bildet ein klares Konzept der Führungskräfte bezüglich der Dimensionen „Führungsverhalten, Rollenverhalten und Autoritätsbegründung“.321 Bei Lernmaßnahmen geht es nicht nur um die Schulung der einzelnen Mitarbeiter, sondern auch um organisatorisches Lernen, Personalentwicklung und Wissensmanagement.322 Schließlich muss bei der risikoorientierten Verhaltensentwicklung noch das „Wollen“ berücksich316 317 318 319 320 321 322
vgl. Romeike (2003a), S.158 vgl. Bleicher (2004), S.238, S.390 in Anlehnung an: Seghezzi (2003), S.200ff.; Bleicher (2004), S.455, S.389 vgl. Abbildung 31 vgl. Seghezzi (2003), S.200ff.; Bleicher (2004), S.388ff. vgl. die Details dazu in: Bleicher (2004), S.404ff. vgl. Seghezzi (2003), S.200ff.; Bleicher (2004), S.382
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
107
tigt werden, wobei die Erkenntnisse der Motivationstheorien323 zur Anwendung kommen sollten. Neben diesen eher verhaltensleitenden Maßnahmen muss im operativen Arbeitsprozess ein risikoorientierter Führungsstil zur Anwendung kommen, wobei diesem eine verhaltensrealisierende Wirkung zukommt.324 Der Führungsstil kann mit Hilfe von erlernbaren Techniken unterstützt und verändert werden.325 In der Literatur326 sind bereits eine große Anzahl von verschiedenen Führungsstil-Techniken beschrieben, weshalb hier nicht im Detail darauf eingegangen wird. Wie im Abschnitt 3.4 dargestellt wurde, muss bei der Risikohandhabung das Wissen der jeweiligen Stelleninhaber genutzt werden, da aufgrund der Vertrautheit mit dem eigenen Aufgabenbereich ein Stelleninhaber die Risikopotenziale seines Bereiches am besten kennt. Somit müssen die Vorgesetzten bei der Risikohandhabung ihre Mitarbeiter geeignet mit einbeziehen. Folglich kann als Empfehlung abgeleitet werden, dass bei einer risikoorientierten Unternehmensführung ein partizipativer Führungsstil327 angewendet werden sollte.
4.6.5 Supportelemente des RM-Modells Supportelemente sind Modellbestandteile, die rahmengebende und unterstützende Funktionen für das Risikomanagement übernehmen (siehe Abbildung 35). Ein wesentliches Charakteristikum der Supportelemente ist, dass bei diesen Elementen jeweils ein spezifischer Teilaspekt328 des Risikomanagements ins Zentrum der Überlegungen gestellt wird. D.h. die Supportelemente enthalten Komponenten, die daraus resultieren, dass die in den Abschnitten 4.6.2 bis 4.6.4 beschriebenen Modellbestandteile jeweils unter einer konkreten Schwerpunktperspektive im Detail ausgearbeitet werden. Die explizite Darstellung der Supportelemente ist deshalb gerechtfertigt, da nur solche Elemente berücksichtigt werden, die eine besondere praktische Relevanz aufweisen. Aus dieser Vorgehensweise resultiert jedoch eine gewisse Redundanz in der Darstellung des RM-Modells, da nachfolgend Themenbereiche behandelt werden, die zum Teil bereits im Zuge anderer Modellelemente beschrieben worden sind und hierbei insbesondere bei den Koordinationselementen.
323 324 325 326 327 328
siehe die Übersichtsdarstellung und die dort angegebene Literatur: Staehle (1999), S.218ff. vgl. Bleicher (2004), S.89 vgl. Seghezzi (2003), S.203 siehe zum Beispiel: Staehle (1999), 334ff., S.839ff. vgl. Staehle (1999), S.336f. bezüglich des Teilaspekt-Begriffes (Aspekt-Teilsystem): siehe Abbildung 9
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Gesetzlicher Rahmen & Corporate Governance
Risikoorientiertes Führungskonzept
Internes Überwachungssystem
Krisenmanagementsystem
R-Versicherung & R-Finanzierung
Früherkennungssystem
Abbildung 35: Supportelemente des RM-Modells
Wie im obigen Absatz dargestellt wurde, repräsentieren die Supportelemente solche Themenbereiche, die aus der Sichtweise der industriellen Praxis besonders relevant sind. Da jedoch das Kriterium „praktische Relevanz“ ein subjektives Kriterium darstellt, ist die Auswahl der nachfolgend beschriebenen Supportelemente als Empfehlung zu interpretieren. Diese Empfehlung soll aufzeigen, welche zusätzlichen Schwerpunktperspektiven auf Basis der Grundbestandteile der Abschnitte 4.6.2 bis 4.6.4 besonders im Risikomanagement berücksichtigt und eventuell als konkrete Teilsysteme ausgestaltet werden sollten. Folglich können die in der Abbildung 35 vorgeschlagenen Supportelemente je nach Kontext und Praxisrelevanz um weitere Komponenten ergänzt werden oder einige der vorgeschlagenen Komponenten werden bei der praktischen Umsetzung des Modells nicht explizit berücksichtigt. 4.6.5.1 Gesetzlicher Rahmen und Corporate Governance Der gesetzliche Rahmen betrifft das Risikomanagement in zweifacher Weise. Erstens können kritische Risikopotenziale resultieren, wenn gesetzliche Regelungen nicht umgesetzt werden. Zweitens gibt es spezifische gesetzliche Regelungen, die konkrete Aussagen zum Risikomanagement enthalten. Auf den ersten Themenbe-
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reich, nämlich mögliche Risikopotenziale, die aus gesetzlichen Regelungen entstehen, kann hier nicht im Detail eingegangnen werden, da diese sehr branchen- und länderspezifisch sind. Es muss hier auf die Literatur bzw. Gesetzestexte verwiesen werden.329 Der zweite Bereich, und zwar konkrete gesetzliche Aussagen zum Thema Risikomanagement, steht vor allem im Zusammenhang mit der Corporate Governance Diskussion. „Unter Corporate Governance versteht man die Organisation der Leitung und Kontrolle eines Unternehmens zur Sicherung eines optimalen Interessensausgleichs zwischen allen Anspruchsgruppen (Stakeholdern).“330 Diese Definition bedeutet im Kern, dass die Corporate Governance „die Philosophie des Controllings auf unternehmensübergeordneter Ebene“331 abbildet. Die Relevanz der Corporate Governance resultiert vor allem aus dem im Allgemeinen vorhandenen Informationsdefizit der Eigentümer und der restlichen Stakeholder über die unternehmensinternen Aktivitäten und Strukturen, wodurch die Gefahr besteht, dass unternehmensinterne Fehlentwicklungen durch die Stakeholder zu spät erkannt werden. Laut FRANZ kann diese Problemstellung nur bewältigt werden, wenn die Corporate Governance risikoorientiert ausgestaltet wird, wie es in den meisten Grundsatzerklärungen zur Corporate Governance festgelegt ist.332 Bei diesen Grundsätzerklärungen handelt es sich entweder um zwingende Rechtvorschriften (z.B. KonTraG) oder um rechtlich unverbindliche „Codes of Best Practice“ (z.B. COSO Report, Cadbury Report, deutscher Corporate Governance-Kodex).333 4.6.5.2 Risikoorientiertes Führungskonzept Der Unternehmensleitung kommt eine herausragende Rolle im Risikomanagement zu, da ohne eine klare Verankerung des Risikomanagements in der Führung eine effektive und effiziente Umsetzung des Risikomanagements nicht möglich ist.334 Das Element „Risikoorientiertes Führungskonzept“ beinhaltet die Grundsatzentscheidungen hinsichtlich der gestalterischen Ordnung des Risikomanagements in der Führungsspitze.335 Dabei muss vor allem berücksichtigt werden, dass die Unternehmensleitung die Endverantwortung für die Basisaufgaben336 „Konstruktion, Implementierung und Überwachung“ des RM-Systems trägt.337 Als Ausgangspunkt bei der
329 330 331 332 333 334 335 336 337
siehe zum Beispiel: Meyding/Fabian (2000), S.283ff. zit. Hulpke/Wendt (2002), S.114 zit. Franz (2000), S.45 vgl. Franz (2000), S.57ff. vgl. Romeike (2003), S.65ff.; Franz (2000), S.41ff. vgl. Franz (2000), S.57; Brühwiler (2001), S.188f. in Anlehnung an: Bleicher (2004), S.192f. vgl. hierzu die Abbildung 28 vgl. ONR 49001 (2004), S.6f.
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Umsetzung dieser Basisaufgaben muss von der Unternehmensleitung die RMPhilosophie definiert werden. Darüber hinaus muss konkret festgelegt werden, auf Grundlage welcher Systemkonzeption das RM-System im Unternehmen ausgestaltet werden soll. Wird als Systemkonzeption das RM-Modell dieser Arbeit gewählt, so muss definiert werden, welche Modellkomponenten in welcher Weise im Unternehmen realisiert werden sollen. Des Weiteren kann die RM-Systemkonzeption beispielsweise auf dem Regelwerk ONR 49000ff338 oder auf dem australischneuseeländischen Standard AS/NZS 4360339 basieren, wobei beachtet werden muss, dass diese beiden Ansätze nicht alle Komponenten eines ganzheitlichen Ansatzes im Sinne des RM-Modells dieser Arbeit abdecken, weshalb diese Ansätze um fehlende Aspekte ergänzt werden sollten.340 Aufbauend auf der gewählten Systemkonzeption müssen entsprechend den Empfehlungen des Abschnittes 4.6.3.2 die sich daraus ergebenden RM-Aufgaben integrativ im Unternehmen umgesetzt werden. Das bedeutet, dass nicht nur die einzelnen Unternehmensbereiche die abgeleiteten RM-Aufgaben entsprechend ihrer Verantwortlichkeit abarbeiten müssen, sondern auch die Unternehmensleitung muss gewisse RM-Aufgaben integrativ wahrnehmen. Beispielsweise muss die Unternehmensleitung einerseits solche Risikopotenziale handhaben, die das Gesamtunternehmen betreffen und andererseits muss sie die Umsetzung des Risikomanagements in den einzelnen Unternehmensbereichen geeignet koordinieren und überwachen. Bei diesem integrativen Ansatz sollten die Führungskräfte ein offenes Kooperationsverhalten341 auf Basis eines partizipativen Führungsstils342 anwenden. 4.6.5.3 Internes Überwachungssystem Für die geeignete Überwachung der Unternehmensaktivitäten ist vor allem die Unternehmensführung zuständig. Ab einer gewissen Unternehmensgröße sind die Führungskräfte meist gezwungen, einen erheblichen Teil dieser Aufgabe in Form eines Internen Überwachungssystems auszugestalten, was sie jedoch grundsätzlich nicht von ihrer generellen Verantwortung für diese Funktion befreit. Das Interne Überwachungssystem darf dabei nicht als real existierende Abteilung missverstanden werden, sondern es ist ein Resultat interdisziplinärer Tätigkeiten.343 Grundsätzlich soll 338
339 340
341 342 343
vgl. ONR 49000 (2004); ONR 49001 (2004); ONR 49002-1 (2004); ONR 49002-2 (2004); ONR 49003 (2004) vgl. AS/NZS 4360 (2004) beispielsweise deckt das Regelwerk ONR 49000ff. u.a. den Aspekt „Risikokultur“ nicht ab: siehe Klügl (2005), S.59 vgl. Bleicher (2004), S.224ff. zur Begründung des partizipativen Führungsstils: siehe Abschnitt 4.6.4 vgl. Diederichs (2004), S.32
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mit einem solchen System die Erreichung der Unternehmensziele unterstützt werden, indem Gefährdungspotenziale für die Zielerreichung minimiert werden (z.B. Schwachstellen in der Aufbau- und Ablauforganisation, menschliche Fehlentscheidungen). Deshalb muss die Interne Überwachung zwangsläufig risikoorientiert vorgehen.344 Neben anderen Überwachungsaufgaben, muss das Interne Überwachungssystem insbesondere die Wirksamkeit des Risikomanagements sicherstellen. Bei der Diskussion der Aufgaben des Internen Überwachungssystems muss vorab konkretisiert werden, was „Überwachung“ im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang bedeutet. Dabei werden in der Literatur als Unterbegriffe üblicherweise die Wortbedeutungen „Kontrolle“ und „Prüfung (Revision)“ angeführt. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen diesen beiden Unterbegriffen bildet der Prozessbezug bei der Überwachung. Kontrollen sind prozessabhängige, systeminterne Vorgänge. Revisionen hingegen sind systemexterne Prüfungen und somit prozessunabhängig. Auf Basis dieses Begriffsverständnisses kann das Interne Überwachungssystem in ein Internes Kontrollsystem und in die Interne Revision unterteilt werden.345 Die Interne Kontrolle – als laufende, prozessabhängige, systeminterne Überwachung – erfolgt hauptsächlich in Form von organisatorischen Sicherungsmaßnahmen und durch unmittelbar an die Arbeitsabläufe gekoppelte Kontrollmaßnahmen.346 Dabei werden in der Literatur die organisatorischen Sicherungsmaßnahmen als „Grundsätze der Internen Kontrolle“ bezeichnet. Diese Grundsätze fordern beispielsweise eine geeignete Funktionentrennung, die Erstellung von Organisationsplänen und Stellenbeschreibungen, sowie die Sicherstellung des Gleichgewichtes zwischen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Die zweite Gestaltungsmöglichkeit der Internen Kontrolle – und zwar der Einsatz von direkt an die Arbeitsabläufe gekoppelte Kontrollmaßnahmen – wird hauptsächlich in Form von Abweichanalysen realisiert. Bei der Ausgestaltung des Internen Kontrollsystems muss vor allem darauf geachtet werden, dass ein Gleichgewicht zwischen „Präventiv-, Korrektiv-, Selbst-, sowie Fremdkontrollen“ sichergestellt ist.347 Die zweite Komponente des Internen Überwachungssystems bildet die Interne Revision. Aufgabe der Internen Revision – als fallweise, prozessunabhängige, systemexterne Prüfung – ist die beratende Unterstützung der Unternehmensleitung bei ihren 344 345 346 347
vgl. Kremers (2002), S.104 vgl. Buderath/Amling (2000), S.129ff.; Lück/Henke/Gaenslen (2002), S.232ff. vgl. Lück/Henke/Gaenslen (2002), S.233 vgl. Buderath/Amling (2000), S.130ff.
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Überwachungspflichten. In der betrieblichen Praxis wird diese Aufgabenstellung vor allem durch eine geeignete Berichterstattung über relevante Prüfobjekte realisiert. Das Tätigkeitsspektrum der Internen Revision umfasst Prüfungen im Finanz- und Rechnungswesen (Financial Auditing), im organisatorischen Bereich (Operational Auditing), sowie die Prüfung von Managementleistungen (Management Auditing). Bei diesen Überwachungsaufgaben muss sichergestellt werden, dass das Postulat „Unabhängigkeit der Internen Revision“ in jeder Prüfphase gewährleistet ist. Entsprechend diesem Postulat kann man u.a. folgern, dass die Interne Revision – abgesehen von ihrer Überwachungstätigkeit – selbst keine RM-Aktivitäten durchführt, weil dies einerseits kaum mit ihrer Überwachungsfunktion vereinbar wäre und weil andererseits die Interne Revision dann selbst zum Prüfungsgegenstand werden würde.348 4.6.5.4 Risikofinanzierung und Risikoversicherung Die historische Wurzel des Risikomanagements bildet die traditionelle Risikofinanzierung und dabei insbesondere die Risikoversicherung als dessen Kernelement (siehe Abschnitt 4.2.2). Aufgabe der Risikofinanzierung ist die präventive FinanzmittelBeschaffung für den Schadensausgleich bei zukünftigen Risikoeintritten.349 Dabei kann die totale Sicherheit kein originäres Ziel der Risikofinanzierung sein, sondern es ist vielmehr ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis anzustreben. Ein Schwachpunkt der traditionellen Risikofinanzierungs-Produkte ist, dass damit nicht alle Risiken abgedeckt werden können, wie beispielsweise Imageschäden, Terrorismus, Kriege, regulatorische Risiken oder Garantieverpflichtungen. Dieser Nachteil hat zur Entwicklung von alternativen Finanzierungslösungen geführt. Die meisten dieser alternativen Ansätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf einer holistischen Risikosicht basieren, da ihr Ausgangspunkt das gesamte Risikoportefeuille eines Unternehmens ist. Die Abbildung 36 zeigt einen Überblick über die verschiedenen traditionellen und alternativen Möglichkeiten der Risikofinanzierung. Auf die einzelnen Komponenten der Abbildung 36 wird hier nicht weiter eingegangen, da sie in der Literatur350 bereits ausführlich beschrieben sind. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein ganzheitlich ausgerichtetes Risikomanagement die Basis für ein erfolgreiches Risikofinanzierungs-Programm bildet, da grundsätzlich nur Risiken bewältigt werden können, die zuvor identifiziert und analysiert worden sind. Darüber hinaus muss sicher-
348 349 350
vgl. Buderath/Amling (2000), S.134ff.; Lück/Henke/Gaenslen (2002), S.232ff. vgl. Romeike (2003d), S.240 siehe die Überblicksdarstellung in: Romeike (2003e), S.248ff.; Details und dazugehörige Literaturverweise können beispielsweise dem dritten Teil des Buches von Hölscher/Elfgen (2002) entnommen werden: Teil III; S.375–585; Finanzierung und Versicherung industrieller Risiken.
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gestellt werden, dass die Risikofinanzierungs-Lösungen mit allen anderen Risikobewältigungs-Maßnahmen abgestimmt sind.351
Risikofinanzierung Selbsttragen von Risiken Unbewusstes Selbsttragen
Bewusstes Selbsttragen
Selbsttragen mit Reservebildung Intern • Rücklagen • Rückstellungen
Risikotransfer
Selbsttragen ohne Reservebildung
Befristet und begrenzt
Unbefristet und definitiv
• Kredite • Gewährleistungsverpflichtungen • Finite-Risk-Konzepte
• Finanzmärkte • Versicherung
Extern • Pooling • Captives
Hybride Formen der Risikofinanzierung
Traditionelle Formen der Risikofinanzierung
Abbildung 36: Traditionelle und innovative Wege der Risikofinanzierung352
4.6.5.5 Krisenmanagementsystem Eine Krise ist eine instabile Phase eines sozialen Systems und lässt sich durch eine existenzielle Gefährdung des betroffenen Systems, die begrenzte Entscheidungszeit und die Unbestimmtheit des Ausgangs charakterisieren.353 Nachdem das Risikomanagement entsprechend dem Abschnitt 3.2.3 nicht nur existenzbedrohende Entwicklungen, sondern grundsätzlich alle relevanten ungünstigen Entwicklungen handhaben soll, stellt das Krisenmanagement einen Teilaspekt des Risikomanagements dar. Methodisch beinhaltet das vorbeugende Krisenmanagement analoge Vorgehensweisen wie das Risikomanagement. Folglich sollte das vorbeugende Krisenmanagement integrativ durch das Risikomanagement wahrgenommen werden, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Dagegen sind beim reaktiven Krisenmanagement spezifische Strukturen und Verhaltensweisen notwendig, da einerseits bei einem tatsächlichen Kriseneintritt das Krisenteam einem großen zeitlichen und psychischen Druck ausgesetzt ist und andererseits Krisen schwer voraussehbar ablaufen. Wie im obigen Absatz begründet wurde, wird nachfolgend nur mehr auf das reaktive Krisenmanagement eingegangen, d.h. auf jene Maßnahmen, die zur bestmöglichen 351 352 353
vgl. Romeike (2003e), S.268f. vgl. Romeike (2003e), S.249 vgl. Krystek (1987), S.3 und die Übersichtsdarstellung in: Klügl (2005), S.54ff.
114
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
Bewältigung eines tatsächlichen Kriseneintrittes notwendig sind. BERGAUER hat in einer empirischen Untersuchung festgestellt, dass es bei der Krisenbewältigung, trotz situativer Unterschiede, gemeinsame Merkmale eines erfolgreichen Krisenmanagements gibt.354 Auf Basis dieser Erfolgskriterien können die in der Abbildung 37 dargestellten Kernelemente eines reaktiven Krisenmanagements abgeleitet werden. Dabei sind die in der Abbildung 37 dargestellten Elemente ablauforganisatorisch ausgestaltet, da die Bewältigung einer Krisensituation meist unter Zeitdruck abläuft und somit einen zeitlich beschränkten Charakter aufweist.
Identifikation des Eintritts einer Krisensituation Abarbeitung von vordefinierten Krisenplänen Gestaltung der KrisenmanagementOrganisationsform
Bestimmung der hauptverantwortlichen Personen
Gestaltung der internen Kommunikations- und Dokumentationsregeln
Wahl des Führungsstils und des Motivationsverhaltens
Festlegung der externen Informations- und Kommunikationspolitik
Abarbeitung des Krisenmanagementprozesses Ziel- und Maßnahmenplanung
Maßnahmenrealisierung
Kontrolle
Abbildung 37: Kernelemente eines reaktiven Krisenmanagements
BERGAUER hat auf Basis von empirischen Untersuchen folgende Gestaltungsempfehlungen für die Elemente der Abbildung 37 abgeleitet:355 Für die Organisationsform empfiehlt sich, aufgrund der Dringlichkeit und der akuten Existenzbedrohung, eine zeitlich befristete Projektorganisation mit klar definierten Verantwortlichkeiten für die einzelnen Aufgaben. Die interne Kommunikation sollte im Rahmen eines fest einzuhaltenden Tagungsplanes erfolgen, der durch eine unbürokratische „Open-doorPolicy“ ergänzt wird. Die Dokumentation von Projektfortschritten sollte Zeit- und Maßnahmenpläne sowie Ergebnisprotokolle der wichtigsten Zusammenkünfte enthalten. Bezüglich des Umgangs mit verschiedenen Interessensgruppen sollte unbedingt eine professionelle Informations- und Kommunikationspolitik festgelegt werden, denn falsche oder unvollständige Informationen können Reaktionen hervorrufen, die im Extremfall zu einer Eskalierung der Situation führen können. Hierbei ist zu definieren, wer zu welchem Zeitpunkt über welche Inhalte und in welcher Form unterrichtet wer354 355
vgl. Bergauer (2001), S.40ff. vgl. Bergauer (2003), S.163ff.
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115
den soll. Dabei sollte von Beginn an offen und transparent mit allen relevanten Interessensgruppen kommuniziert werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Krisenbewältigung bildet die Wahl eines situativ geeigneten Führungsstils und Motivationsverhaltens. In der Krisenidentifikations- und Kontrollphase erweist sich ein autoritäres Top-down-Vorgehen als optimal. In der Planungs- und Realisierungsphase ist ein situativer Wechsel zwischen einem autoritären und kooperativen Verhalten notwendig. Diese Herausforderungen verdeutlichen, dass den Hauptverantwortlichen eine immens wichtige – auch psychologische – Rolle im Krisenbewältigungsprozess zukommt.356 Sie müssen nämlich einerseits Druck aufbauen und eine gewisse unvermeidliche Härte walten lassen und andererseits müssen sie das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen und diese für die Krisenbewältigung hinreichend motivieren. 4.6.5.6 Früherkennungssystem Bei der Diskussion dieses Themenbereiches muss zwischen „Frühwarn-, Früherkennungs-, sowie Frühaufklärungssystemen“ unterschieden werden. Bei einem Frühwarnsystem handelt es sich um ein Informationssystem, das der frühzeitigen Erkennung eines Risikoeintrittes dient. Ein schlagend werdendes Risiko muss dabei so früh signalisiert werden, dass noch die Möglichkeit zur Ergreifung von Abwehrmaßnahmen besteht. Frühwarnsysteme können zu Früherkennungs- und Frühaufklärungssystemen ausgebaut werden. Werden neben Risiken auch latente Chancen beobachtet, so spricht man von Früherkennungssystemen. Werden darüber hinaus noch Steuerungs- und Kontrollschritte berücksichtigt, d.h. geeignete Maßnahmen zur Realisierung der Chancen bzw. zur Abwehr der Bedrohungen, so handelt es sich um Frühaufklärungssysteme. Wie bereits im Abschnitt 4.3 begründet wurde, werden im RM-Modell die spezifischen Ausprägungen von Früherkennungssystemen berücksichtig, weshalb im Nachfolgenden detaillierter auf diese Systeme eingegangen wird, wobei zwischen einer operativen und einer strategischen Früherkennung unterschieden werden kann.357 Operative Früherkennungssysteme basieren auf Kennzahlen bzw. Indikatoren. Unter Kennzahlen versteht man quantitative Ausdrücke mit einer konzentrierten Aussagekraft, die über relevante Risikotatbestände berichten sollen (z.B. Ausschussquote, Fluktuationsrate). Dagegen beziehen sich Früherkennungs-Indikatoren auf qualitative Informationen (z.B. Gesetzesänderungen, Verschlechterung des Betriebsklimas). Generell sollten die Betrachtungen nicht auf hoch aggregierte Kennzahlen und Indi356 357
siehe beispielsweise zur Rolle des Krisenmanagers: Neubauer (1999) vgl. Hahn/Krystek (2000), S.75ff.
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Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
katoren beschränkt sein (z.B. Größen des Jahresabschlusses), da mit derartigen Daten meist keine frühzeitige Aufdeckung potenzieller Risiken und Chancen möglich ist.358 Strategische Früherkennungssysteme sind im Unterschied zu den operativen immer gesamtunternehmensbezogen. Diese Systeme beschränken sich nicht nur auf die Analyse von latenten Risiken und Chancen, da die ihnen zugrundeliegenden Signale in den Anfangsstadien häufig noch nicht als Anzeichen für ein Risiko bzw. eine Chance gedeutet werden können. Eine Kernaufgabe der strategischen Früherkennung besteht darin, dass möglichst früh Signale für neuartige Ereignisse und Entwicklungen durch Scanning- bzw. Monitoring-Aktivitäten aufgedeckt werden. Diese Signale werden dann analysiert und interpretiert, um darauf aufbauend geeignete Reaktionsstrategien ableiten zu können. Im Unterschied zur operativen Früherkennung ist die strategische weit weniger scharf umrissen und schwächer strukturiert. Die strategische Früherkennung ist folglich mehr eine Denkhaltung als die Anwendung von spezifischen Methoden und Techniken.359
4.6.6 Entwicklungselement des RM-Modells Eine Grundvoraussetzung für eine langfristige Existenzsicherung ist, dass sich ein Unternehmen zukunftsorientiert weiterentwickelt. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit muss insbesondere die generelle Risikolage und das RM-System permanent beurteilt und angepasst werden. Im RM-Modell wird diese Aufgabe durch das Entwicklungselement abgedeckt. Dieses Element repräsentiert somit die dynamische Dimension des Modells, wobei die Unternehmenspolitik und die RM-Philosophie den „Kanal“ festlegen, in dem sich die Zukunftsentwicklung vollziehen soll. Zur Sicherstellung einer erfolgreichen Zukunftsentwicklung des Risikomanagements und der Risikolage des Unternehmens muss eine breite Erkenntnisbasis den Ausgangspunkt bei der Festlegung von Entwicklungsmaßnahmen bilden. Dazu sollten beispielsweise die folgenden Informationsquellen berücksichtigt werden:360 Auditergebnisse; Meldungen über risikorelevante Ereignisse; Resultate aus den Tätigkeiten des Internen Überwachungssystems; Managementbewertungen; risikorelevante interne bzw. externe Veränderungen; Erkenntnisse aus der Abarbeitung des RMProzesses; Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis für die Gestaltung von RM358 359 360
vgl. Hahn/Krystek (2000), S.81ff. vgl. Hahn/Krystek (2000), S.83ff. vgl. ONR 49001 (2004), S.8f.
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117
Systemen. Aufbauend auf diesen Informationsquellen kann die Entwicklung des Risikomanagements auf zwei Arten erfolgen. Einerseits sollten kleine Entwicklungsschritte aneinandergereiht werden (kontinuierlicher Wandel) und andererseits muss von Zeit zu Zeit ein großer Veränderungssprung stattfinden (transformativer Wandel). Beispiele für große Sprünge sind die Einführung eines risikominimierenden Managementsystems (z.B. Excellenze Modelle), sowie die Integration eines separat betriebenen Risikomanagements in andere Managementsysteme.361 Kleine Entwicklungsschritte (Optimierung) und große Sprünge (Erneuerung) schließen sich keineswegs gegenseitig aus. Oftmals ist in bestimmten Unternehmensbereichen eine grundsätzliche Erneuerung notwendig, während in anderen Bereichen eine Optimierung vollkommen ausreicht. Entwicklungsfähige Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Optimierungs- und Erneuerungsschritte in geschickter Weise kombinieren. Hierbei ist zu beachten, dass eine ausgewogene Folge von kleinen Schritten und großen Sprüngen umgesetzt werden sollte, da bei einem erfolgreichen Wandel immer auch Phasen der Konsolidierung und Stabilität notwendig sind. Große Sprünge dürfen somit nicht zu häufig und zu überhastet stattfinden, da dabei beispielsweise die Gefahr einer Überforderung und Orientierungslosigkeit der Mitarbeiter besteht und folglich der Wandel vom Unternehmen nicht „verdaut“ werden kann. Zu selten durchgeführte Sprünge können dagegen zur Trägheit und Unangepasstheit des Unternehmens führen.362 Bei Entwicklungsaktivitäten muss berücksichtigt werden, dass sich in der betrieblichen Praxis häufig ein Widerstand gegen Änderungen zeigt und hierbei insbesondere bei größeren Veränderungsvorhaben.363 Solche Widerstände gegen Änderungen stellen ein ernstzunehmendes Risikopotenzial dar, da gescheiterte Entwicklungsschritte im Extremfall zur Existenzbedrohung des Unternehmens führen können. Folglich sollten die Entwicklungsschritte durch ein geeignetes Wandlungsmanagement begleitet werden. Während der kontinuierliche Wandel parallel zur Bewältigung des Tagesgeschäftes erfolgen kann (z.B. mit Hilfe von Qualitätszirkeln oder KVPTeams), sind bei radikalen Entwicklungssprüngen tiefergreifende und institutionalisierte Ansätze des Wandlungsmanagements erforderlich. Dazu gehören mehr oder weniger umfangreiche Formen des Projektmanagements oder der Aufbau einer eigenen Wandelorganisation, in der das „Neue“ entwickelt, laufend spezifiziert, konkre-
361 362 363
vgl. Seghezzi (2003), S.210f. vgl. Rüegg-Stürm (2002), S.86f. vgl. Steinmann/Schreyögg (1997), S.442
118
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
tisiert und schließlich in den Arbeitsalltag eingepasst wird.364 Bezüglich der konkreten Ausgestaltung des Wandlungsmanagements stellt die Managementlehre eine Reihe von Ansätzen zur Verfügung. Auf diese Ansätze wird hier nicht vertiefend eingegangen, sondern es sei auf die Literatur365 verwiesen. Es seien hier nur die folgenden grundlegenden Aspekte eines erfolgreichen Wandels angeführt, die vor allem auch im Zusammenhang mit dem RM-Modell dieser Arbeit relevant sind:366 x
Aktive Teilnahme der Führungskräfte am Veränderungsgeschehen.
x
Frühzeitige Information der Mitarbeiter über den anstehenden Wandel und deren Partizipation an den Veränderungsentscheidungen.
x
Nutzung der Gruppe als Wandelmedium: Wandelprozesse in Gruppen sind weniger beängstigend und werden im Durchschnitt schneller vollzogen.
x
Kooperation unter den Beteiligten: Die gegenseitige Kooperation fördert die Wandelbereitschaft.
x
Wandelprozesse vollziehen sich zyklisch: Der Wandelprozess beinhaltet erstens eine Auflockerungsphase, in der die Bereitschaft zum Wandel erzeugt wird, zweitens den eigentlichen Wandel und drittens eine Beruhigungsphase, in der der vollzogene Wandel stabilisiert wird (Auftauen, Verändern, Stabilisieren).
4.7
Gesamtdarstellung des RM-Modells
Die Abbildung 38 zeigt eine symbolische Gesamtdarstellung der in den Abschnitten 4.6.2 bis 4.6.6 beschriebenen Komponenten des RM-Modells. Wie bereits im Abschnitt 4.3 begründet wurde, darf das Modell nicht als konkretes Managementsystem fehlinterpretiert werden, sondern das Modell zeigt in seiner offenen und für sämtliche Industriebetriebe gültigen Beschreibungsweise jene Aspekte und Perspektiven auf, die beim situativen Aufbau eines RM-Systems zu berücksichtigen sind. Dabei eignet sich das Modell vor allem zur Selbstreflexion und zur Moderation eines Dialoges unter den Beteiligten. Damit soll ein strukturiertes Denken bei der situativen Entwicklung und Einführung eines RM-Systems in einem Unternehmen sichergestellt werden. Bei der praktischen Anwendung des RM-Modells muss vor allem beachtet werden, dass dessen Aufgliederung nicht zu einer zerlegenden Denkweise verführen darf, sondern die Einzelelemente müssen geeignet miteinander verknüpft und das
364 365
366
vgl. Rüegg-Stürm (2002), S.86f. vgl. beispielsweise den Rezessionsartikel von Ringlstetter/Schuster (2001), sowie die Übersichtsdarstellungen in Schreyögg (2003), S.495ff.; Baumgartner/u.a (2006), S.99ff. und Staehle (1999), S.898ff. vgl. Steinmann/Schreyögg (1997), S.443
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
119
Modell ganzheitlich interpretiert werden. Den Ausgangspunkt bei der Verknüpfung der Elemente bildet die RM-Philosophie (siehe Abschnitt 4.6.2). Darauf aufbauend entsteht die Ganzheitlichkeit des Modells durch die Vernetzung und Harmonisierung der Elemente und durch die Berücksichtigung des im Kapitel 3 dargestellten Risikound RM-Verständnisses, das auf Basis einer ganzheitlichen Sichtweise entwickelt wurde. Dabei ist nicht nur auf die interne Harmonisierung des Modells zu achten, sondern es muss vor allem auch die geeignete Koordination367 mit den restlichen Führungssystemen des Unternehmens berücksichtigt werden.
Entwicklung des RM und der Risikolage des Unternehmens
Gesetzlicher Rahmen & Corporate Governance
Risikoorientiertes Führungskonzept
Risikocontrolling
n lte ha er .V nt r tur tu l rie ul sku -o K R en M R ehm n er nt U
R -K at eg Un R or te Mie rn n S eh tra m t e en gi e ss t ra te gi e
R-Analyse
RMPhilosophie
St
Risikocontrolling
M
olle ntr
R-
o R-K
R-Versicherung & R-Finanzierung
Krisenmanagementsystem
Risikocontrolling
un g
R
n t io isa ns an tio a rg t o ni s ur am ga kt ng es Or tru ru G s ie ur kt ru
Erwartungen der Risikonehmer
ew ält ig
Risikocontrolling
G e & sam R Inf te M -I - o sy s D nf D a os at stemten R ys en M te & -I m ns tr um en Rte B
Internes Überwachungssystem
Früherkennungssystem
Abbildung 38: Symbolische Gesamtdarstellung des industriellen RM-Modells
Entsprechend dem Abschnitt 3.1.3 muss bei der Einführung und dem Betrieb des RM-Modells in einem Unternehmen berücksichtigt werden, dass der Risikobegriff neben seiner objektiven Dimension auch subjektive Aspekte beinhaltet, da die Beurteilung von Risikopotenzialen und das Risikoverhalten der Mitarbeiter wesentlich von der menschlichen Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte abhängen. 367
vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.35ff.
120
Herleitung eines ganzheitlichen industriellen Risikomanagement-Modells
In diesem Zusammenhang konnte im Abschnitt 3.4 gezeigt werden, dass eine enge Verbindung zwischen dem Risiko- und Wissensmanagement besteht, weshalb die Erkenntnisse des Wissensmanagements bei der Umsetzung des RM-Modells berücksichtigt werden sollten. Darüber hinaus muss bei allen RM-Aktivitäten beachtet werden, dass dabei der Unternehmensführung eine zentrale Rolle zukommt.368 Deshalb sollte das Risikomanagement nicht nur eine begleitende Führungsfunktion sein, sondern es muss ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung insgesamt werden. Wie bereits begründet wurde, kann das RM-Modell nicht gleichartig in verschiedenen Unternehmen eingeführt und betrieben werden, sondern die Modellbestandteile müssen situativ an die Besonderheiten eines Industriebetriebes und seines Umfeldes angepasst werden. Zur Unterstützung dieser Aufgabenstellung sollte das Modell für sämtliche Unternehmensfunktionen detaillierter ausgearbeitet werden, was jedoch den Umfang dieser Arbeit sprengen würde.369 Deshalb wird im Kapitel 5 das RMModell beispielhaft für die industrielle Instandhaltung konkretisiert, wobei dieses Kapitel vor allem auch als Leitfaden für die Ausarbeitung des Modells in weiteren Unternehmensfunktionen dienen soll.
368 369
vgl. Abschnitt 3.4 vgl. hierzu auch den Abschnitt 1.2.1
5 Konkretisierung des RisikomanagementModells in der industriellen Instandhaltung Gestartet werden die nachfolgenden Ausführungen mit der Beschreibung der Aufgabenfelder der Anlagenwirtschaft und der Instandhaltung sowie mit spezifischen Risiken, die in der industriellen Instandhaltung auftreten können. Darauf aufbauend wird die konkrete Umsetzung der einzelnen Komponenten des RM-Modells in der industriellen Instandhaltung gezeigt.
5.1 Anlagenwirtschaft und Instandhaltung Die Instandhaltung wird in der Literatur im Allgemeinen als Teilfunktion der Anlagenwirtschaft diskutiert. Neben dieser fachlichen Zuordnung ist zu beachten, dass meist beträchtliche Interdependenzen zwischen der Instandhaltung und den restlichen Aufgabenfeldern der Anlagenwirtschaft existieren. Werden diese Interdependenzen im Risikomanagement nicht berücksichtigt, so werden wesentliche Risikopotenziale vernachlässigt, weshalb in diesem Abschnitt, neben den Grundlagen der Instandhaltung, auch eine Einführung in die Anlagenwirtschaft gebracht wird. Darauf aufbauend wird in den nachfolgenden Abschnitten hauptsächlich die Instandhaltung betrachtet. Wenn es jedoch aus der RM-Perspektive notwendig ist, werden Aspekte der restlichen Anlagenwirtschafts-Funktionen und weiterer Unternehmensbereiche berücksichtig, vor allem wenn risikorelevante Interdependenzen vorhanden sind.
5.1.1 Anlagenwirtschaft Anlagen sind Gebrauchsgüter im Unterschied zu Verbrauchsgütern. Sie können als Speicher für mögliche produktionswirtschaftliche Nutzleistungen interpretiert werden. Anlagen sind demnach die technischen Apparate des Unternehmens, wobei sie in der Praxis und der betriebswirtschaftlichen Literatur meist als Betriebsmittel bezeichnet werden.370 Die Anlagenwirtschaft verfolgt das Ziel, die Beschaffung, Bereitstellung, Erhaltung und Ausmusterung von Sachanlagen (Sachziele) so zu gestalten und lenken, dass das angestrebte wirtschaftliche Unternehmensergebnis (Wertziele) unter Beachtung der betrieblichen Humananforderungen (Humanziele) und der sonsti370
vgl. Seicht (1994), S.329
122
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
gen einengenden Bedingungen in möglichst hohem Maße erreicht wird.371 In der Literatur sind eine Reihe von Ansätze zur Konzeptionierung der Anlagenwirtschaft beschrieben. PRÜß gibt in seiner Arbeit einen ausführlichen Überblick über diese Ansätze, wobei er die „integrierte Anlagenwirtschaft“372 und die „komplexe Anlagenwirtschaft“373 als die beiden wesentlichen Konzepte ansieht.374 Bezüglich der verschiedenen Ansätze der Anlagenwirtschaft ist anzumerken, dass sich die meisten Ansätze an den Anlagen-Lebenszyklusphasen orientieren. Dabei können beispielsweise die Phasen Anlagenbereitstellung, Anlageninstandhaltung, Anlagenverwaltung und Anlagenausmusterung unterschieden werden (siehe Abbildung 39).375 In der Abbildung 39 ist zusätzlich die Anlagennutzung dargestellt, wobei zu beachten ist, dass dieses Aufgabenfeld in Wissenschaft und Praxis meist nicht der Anlagenwirtschaft, sondern der Fertigungswirtschaft zugeordnet wird.376
Anlagenbereitstellung
Anlageninstandhaltung Anlagennutzung
Anlagenausmusterung
Anlagenverwaltung Abbildung 39: Anlagen-Lebenszyklusorientierte Entscheidungs- und Aktionsbereiche der Anlagenwirtschaft (grau: Aufgabenfelder der Anlagenwirtschaft)
5.1.2 Instandhaltung Die Kernaufgabe der Instandhaltung besteht in der Bewahrung und Wiederherstellung des jeweils angestrebten Soll-Zustandes, sowie in der Feststellung und Beurteilung des Ist-Zustandes von Anlagen.377 Darüber hinaus bedingt der technologische Fortschritt und der damit verbundene „technologische Verschleiß“, dass die Instandhaltung zunehmend auch den jeweils angestrebten Sollzustand als einen Zustand zu definieren hat, der über das ursprüngliche Niveau des bereitgestellten Betriebsmittels (Anlage) hinausgeht. Demzufolge werden in dieser Arbeit anlagenverbessernde Maßnahmen ebenfalls dem Aufgabespektrum der Instandhaltung zugerechnet. Ent371 372 373 374 375 376 377
vgl. Biedermann (1990), S.4f. siehe Männel (1988) und Biedermann (1990) siehe Prüß (2003) vgl. Prüß (2003), S.51ff., S.15 in Anlehnung an: Biedermann (1990), S.6ff. vgl. Seicht (1994), S.329 vgl. DIN 31051 (1985); ÖNORM M 8100 (1985)
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
123
sprechend dieses Begriffsverständnisses können die IH-Aufgaben gemäß der Abbildung 40 gegliedert werden.378
INSTANDHALTUNG Ungeplante Instandhaltung
Geplante Instandhaltung Inspektion
Wartung
Feststellen und Beurteilen des IstZustandes einer Anlage => Verschleißbeobachtung
Bewahren des SollZustandes einer Anlage
• Inspizieren • Messen • Kontrollieren & Überwachen • Auswerten der Infos • Beurteilen & Interpretieren • Ausfallsursachen analysieren
=> Verschleißhemmung • Reinigen • Schmieren • Konservieren • Ergänzen, Nach-/ Auffüllen • Auswechseln (Hilfsstoffe, Kleinteile) • Nachstellen
Vorbeugende Instandsetzung (Überholung)
Schadensbedingte Instandsetzung (Reparatur)
Wiederherstellen des Soll-Zustandes einer Anlage => Verschleißbeseitigung • Nacharbeiten • Aufarbeiten (Auftragen, Umformen) • Austausch durch gleiche Teile • Grundüberholung
Verbesserung Maßnahmen zur Beseitigung von Schwachstellen oder zur Erhöhung des Abnutzungsvorrates und der Leistungsfähigkeit => Modernisierung • Austauschen durch bessere Teile • Umstellen / Aufbauen • Aufrüsten / Nachrüsten • (Teil-)Automatisierung • Erweitern • Integrieren
Abbildung 40: Aufgabenfelder der Instandhaltung379
BIEDERMANN sieht das Formalziel der Instandhaltung in der Gewährleistung einer definierten Anlagenverfügbarkeit und -sicherheit bei minimalen IH-Gesamtkosten. Neben diesen Basiszielen sind unternehmensspezifisch weitere Ziele zu berücksichtigen, wie beispielsweise soziale oder ökologische Ziele. Aufbauend auf diesen Formalzielen müssen in einem Konkretisierungsschritt relevante IH-Strategien (Sachziele und IH-Maßnahmen) abgeleitet werden (siehe Abbildung 41). Beispiele für IHMaßnahmen sind die Verbesserung des Abnutzungsverhaltens durch konstruktive Änderungen, das rechtzeitige geplante Eingreifen, die Verbesserung der Instandhaltbarkeit (maintainability), sowie zweckmäßige technisch-organisatorische Aktivitäten (z.B. IH-Planung, Benutzung von Wechseleinheiten, Ausnutzung von günstigen Gelegenheiten).380
378 379 380
vgl. Biedermann (1990), S.11; Biedermann (2002), S.9 vgl. Prüß (2003), S.130; Biedermann (1990), S.20 vgl. Jacobi (1992), S.34; Biedermann (1990), S.41, S.52ff.
124
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Formalziele Gewinnmaximieren durch ...
Verfügbarkeitsmaximierung
Minimierung der ausfallsbedingten Instandhaltungszeit
Zuverlässigkeitsmaximierung
IH-Kosten-Minimierung
Minimierung der vorbeugenden Instandhaltungszeit
Direkte IH-Kosten
Indirekte IH-Kosten
Weitere Formalziele
Ökologische Ziele
Soziale Ziele
usw.
Ableitung von IH-Strategien (Sachziele und Maßnahmen) Beispiele für Sachziele: Schwachstellenbeseitigung Redundanzen bereitstellen Minimierung der Wartezeiten Optimale Vorbereitung der IH-Aktionen usw.
Abbildung 41: Formalzielsystem und die daraus abgeleitete Detaillierung des Zielsystems in der Instandhaltung (Teilziele bzw. Sachziele)381
Die Wahl der IH-Strategie stellt das eigentliche instandhaltungsspezifische Entscheidungsproblem dar. IH-Strategien sind Vorgehensweisen (Regeln), die objektbezogen angeben, welche einzelnen IH-Maßnahmen inhaltlich, methodisch und umfangmäßig in bestimmter zeitlicher Abfolge durchzuführen sind.382 Die Abbildung 42 zeigt drei grundlegende IH-Strategien, die laut PRÜß als die klassischen Basisstrategien der Instandhaltung interpretiert werden können.383 Darauf aufbauend werden in der Literatur erweiterte Konzepte beschrieben, wie z.B. die duale IH-Strategie384, der TPMAnsatz385 oder die risikoorientierte IH-Strategie. In der betrieblichen Praxis wird im Allgemeinen nicht nur eine einzelne IH-Strategie angewendet, sondern je nach Anlagenstruktur wird eine geeignete Kombination der dargestellten Basisansätze umgesetzt (Strategiemix), wobei BIEDERMANN386 beispielsweise vorschlägt, diese Strategiemix-Festlegung mit Hilfe von Entscheidungstabellen durchzuführen.
381 382 383 384 385 386
vgl. Biedermann (1990), S.48 vgl. Biedermann (1990), S.57 vgl. Prüß (2003), S.133ff. vgl. Mexis/Hennig (1994), S.51, S.328ff. vgl. Al-Radhi (1996), S.17ff. vgl. Biedermann (1990), S.68f.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Charakteristik
Zeitlich determinierte Instandhaltungsstrategie (Präventivstrategie)
• Elemente bleiben bis zum Eintritt des Schadens bzw. Ausfalls im Betriebsmittel • Plötzlicher Ausfall während des Betriebs, instandsetzungsbedingte Stillstandszeit • Schadensbeseitigung durch wiederherstellende Instandsetzung • Maßnahmen: Instandsetzung (keine Inspektion und Wartung)
Einsetzbarkeit
Ausfallsdeterminierte Instandhaltungsstrategie (Feuerwehrstrategie)
• Zufallsausfälle/ fehlende Kenntnis des • Schädigungsverhalten bekannt Abnutzungsverhaltens (Erfahrungsdaten) • Niedriger Nutzungsgrad/ geringe • Teure oder nicht mögliche notwendige Verfügbarkeit Restbetriebsdauerprognose • Geringe Folgeschäden • Wenn durch gesetzliche Vorschriften • Ausschluss von Beeinträchtigungen der gefordert (Sicherheit, Umwelt) Gesundheit, Sicherheit und Umwelt
• Durchführung zu planmäßig festgelegten Termin (auch außerhalb der Betriebszeit) • Weitgehend unabhängig vom Pflegebzw. Schädigungszustand • Periodisch, unabhängig oder abhängig von der Betriebsdauer • Maßnahmen: Wartung und Instandsetzung (keine Inspektion)
125
Zustandsdeterminierte Instandhaltungsstrategie (Inspektionsstrategie) • Periodische, aperiodische oder laufende Überprüfung des Zustands (Inspektion, Diagnose) • Durchführung der Wartung und Instandsetzung nur, wenn es der Zustand erfordert (Bestimmung von Umfang und Zeitpunkt) • Maßnahmen: Inspektion, Wartung und Instandsetzung • Schädigungsverhalten bekannt • Diagnostische Erfassung des Abnutzungsvorrates und Prognose der Restbetriebsdauer möglich und wirtschaftlich • Wenn durch gesetzliche Vorschriften gefordert (Sicherheit, Umwelt)
Abbildung 42: Charakterisierung der Basisstrategien der Instandhaltung387
5.2 Relevanz des Risikomanagements in der Instandhaltung Das zunehmende Interesse der betrieblichen Praxis an geeigneten IH-Konzepten ist vor allem darin begründet, dass die Instandhaltung grundsätzlich gestiegenen Anforderungen ausgesetzt ist. Die Produktivitätsreserven sind weitgehend ausgeschöpft, die Personalkosten sind hoch und der Zwang zur sparsamen Energie- und Rohstoffverwendung nimmt zu. Des Weiteren steigen die Anforderungen an die Instandhaltung infolge der veränderten Einstellung zur Umwelt, der neuen rechtlichen Fragestellungen, der zugenommenen Anlagenkomplexität und -intensität, sowie durch den erhöhten Kostendruck auf die Anlagenwirtschaft und Instandhaltung.388 Aufgrund dieser gestiegenen Anforderungen an die Instandhaltung wurde bereits die in der Vergangenheit übliche ausfalls- und zeitorientierte Instandhaltung in vielen Fällen durch eine zustandsorientierte Instandhaltung ersetzt. Darüber hinaus werden wegen dieser Anforderungen verstärkt Überlegungen in Richtung risikoorientierter IH-Konzepte angestellt.389 Ein solches Konzept wird in den folgenden Abschnitten auf Basis des RM-Modells dieser Arbeit dargestellt. Als Ausgangspunkt dieser Aus387 388 389
vgl. Prüß (2003), S.136 vgl. Warnecke (1992a), S.14ff.; Schimmelpfeng (2001), S.280; Polster (2003), S.55 vgl. Polster (2003), S.72; Jacobi (1992), S.40
126
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
führungen werden nachfolgend potenzielle Risiken der Instandhaltung dargestellt. Dadurch soll ein grundsätzliches Verständnis für die Risikolage in diesem Bereich geschaffen werden. Dieses Grundverständnis soll vor allem auch als Grundlage für die Argumentationen in den Abschnitten 5.3 bis 5.9 dienen. Amortisationsrisiko Durch das gestiegene technische Entwicklungstempo und die kleiner werdenden Produktlebenszyklen wächst das Risiko des moralischen Betriebsmittelverschleißes. Somit ist die Anlagen-Abschreibungszeit zunehmend marktbestimmt. In Verbindung mit den meist langen Amortisationszeiträumen, die aus den hohen Investitionsausgaben resultieren, und der geringen alternativen Wiederverwendbarkeit hochspezialisierter Anlagen, erhöht sich folglich das Amortisationsrisiko.390 Planungsrisiko Die Zielfestlegung und die Definition der zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen sind langfristig wirkende Entscheidungen, weshalb die Planungsrisiken den strategischen Risiken zuzuordnen sind. Aufgrund der im Allgemeinen unvollständigen Informationen über Umwelt- und insbesondere Marktentwicklungen, sowie der zumeist unzureichenden Berücksichtigung der Erfahrungswerte der Anlagennutzung infolge der arbeitsteiligen Gestaltung der Anlagenwirtschaft, ergibt sich in der Planungsphase häufig eine hochkomplexe Entscheidungssituation. Deshalb können Fehlentscheidungen passieren, aus denen wiederum kritische Risiken in der Anlagennutzung und -instandhaltung resultieren können, wobei sich diese Risiken vor allem in erhöhten Betriebs- und Instandhaltungskosten äußern. Diese Feststellung wurde auch in empirischen Untersuchungen bestätigt, in denen die gravierenden Auswirkungen der Planungsphase – insbesondere des Konstruktionsprozesses – auf die Produktionskosten aufgezeigt wurden.391 Auslastungsrisiko Die aus Rentabilitätsgründen erforderliche hohe Produktivität bei kapitalintensiven Produktionsanlagen bewirkt einen verstärkten Auslastungszwang, da aufgrund des hohen Fixkostenanteils auch beim Anlagenstillstand enorme Kosten entstehen (Leerkosten). Stillstände ergeben sich vor allem bei konjunkturell- und programmbedingten Auslastungsschwankungen. Darüber hinaus führen solche Schwankungen zu Engpässen und somit zu zusätzlichen Leerkapazitäten an Nichtengpässen, falls eine starke Anlagenverkettung und eine unzureichende Proportionalität der Kapazitä390 391
vgl. Prüß (2003), S.6 vgl. Bussmann (1979), Sp.1577
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
127
ten vorhanden sind. Für das Unternehmen besteht demnach ein hohes Auslastungsrisiko.392 Anpassungsrisiko Aus einer hohen Kapitalintensität und einer langen Kapitalbindungsdauer des Anlagevermögens ergibt sich eine gewisse Starrheit von Produktionsunternehmen. Des Weiteren bewirkt der grundsätzlich vorhandene Remanenzeffekt bei Investitionsmaßnahmen eine geringe kostenmäßige Flexibilität (Unelastizität). Der Markt stellt heutzutage aber hohe Flexibilitätsanforderungen an die Produktion, woraus ein gestiegenes Anpassungsrisiko in anlagenintensiven Betrieben resultiert.393 Anlagenausfallsrisiko Das Anlagenausfallsrisiko steigt im Allgemeinen mit zunehmendem Mechanisierungs- und Automatisierungsgrad. Beispiele für mögliche Ausfallsursachen sind Verschleiß- und Ermüdungserscheinungen (Minderung des Abnutzungsvorrates), nutzungsunabhängige Einflüsse (z.B. Korrosion, Verschmutzung, Materialalterung), eine mangelhafte Instandhaltung und ein schädigender Anlagenbetrieb durch menschliches Fehlverhalten, sowie der Ausfall durch Naturereignisse und mutwillige Zerstörungen. Darüber hinaus führt eine starke technische und organisatorische Verkettung und Gebundenheit von komplexen Fertigungssystemen zu einer nachteiligen Beeinflussung der Gesamtsystem-Verfügbarkeit. Durch die enge Kopplung der Teilsysteme werden nämlich bei Ausfällen die folgenden Fertigungsstufen mit beeinträchtigt. Dabei sind die Ausfallskosten des Gesamtsystems in der Regel höher als die unmittelbaren Ausfallskosten, die an der vom Störfall betroffenen Anlage entstehen, da mit Stillständen beträchtliche Folgekosten (z.B. entgangene Deckungsbeiträge, Erlösminderungen), sowie ungenutzte Betriebsverbräuche verbundenen sind.394 Personalrisiko Aufgrund der kaum vorhersehbaren menschlichen Eigenheiten resultiert aus der Mensch-Maschine-Wechselwirkung das am schwierigsten zu erfassende Risikopotenzial mit meist unregelmäßigen und kaum planbaren Auswirkungen. Mögliche Ursachen und Einflussfaktoren sind dabei u.a. Fehlzeiten, Unzufriedenheit, Unfallneigung, Unter- bzw. Überforderung, Spezialistentum, Fluktuation, vorsätzlich schädigende Handlungen, Bedienungsfehler, Führungsschwächen, Streiks, sowie das Betriebsklima. Daraus ergeben sich beispielsweise verminderte Anlagenverfügbarkei-
392 393 394
vgl. Biedermann (2003), S.12 vgl. Prüß (2003), S.6f. vgl. Biedermann (2003), S.13; Prüß (2003), S.6
128
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
ten, geringere Outputs, erhöhte Ausschussanteile, sowie eine nicht termingerechte Fertigstellung bis hin zum totalen Stillstand der Produktion.395 Umwelt- und Arbeitssicherheitsrisiko Aus umweltschutz- und arbeitssicherheitsrelevanten Gesetzen und Verordnungen können kritische Risikopotenziale resultieren. Verstößen gegen solche Richtlinien können Strafen, Faktoreinsatzverbote, Betriebsstilllegungen, sowie SchadensersatzForderungen bewirken. Des Weiteren können Marktrisiken entstehen, wenn Konkurrenten mit weniger umweltfreundlichen Verfahren oder in Gebieten mit geringeren gesetzlichen Auflagen arbeiten und dadurch über ihre günstigeren Preise ihre Marktanteile ausweiten. Schließlich kann sich aus der Umwelt- und Arbeitssicherheitsthematik eine negative Publizität und eine risikokritische Arbeitsunzufriedenheit ergeben.396
5.3 Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung In den nachfolgenden Abschnitten wird das im Kapitel 4 hergeleitete RM-Modell in der Instandhaltung angewendet. Dabei werden, aufbauend auf den Ausführungen des Kapitels 4, einerseits Aussagen der IH-Literatur berücksichtigt und andererseits Erkenntnisse aus Beratungsprojekten genutzt, die auf Basis des RM-Modells dieser Arbeit in industriellen IH-Bereichen durchgeführt wurden. Die Verknüpfung der Komponenten und die konkrete Ausgestaltung des RM-Modells in der Instandhaltung erfolgt auf Basis eines von BIEDERMANN vorgeschlagenen Regelkreis-Ansatzes in der Instandhaltung.397 Die Abbildung 43 zeigt die daraus resultierende regelkreisorientierte Integration des Risikomanagements in die Instandhaltung. Nachfolgend wird vor allem auf jene Komponenten der Abbildung 43 eingegangen, die vom RM-Modell dieser Arbeit determiniert werden (siehe Abschnittverweise in der Abbildung 43). Die operative Umsetzung der aus der RM-Sichtweise resultierenden IH-Aktivitäten (IH-Durchführungsplanung, IH-Durchführung, Auftragsüberwachung, Kostenrechnung, Schwachstellenanalyse) wird in den nachfolgenden Abschnitten nicht im Detail beschrieben, sondern diese Aspekte können der Arbeit von BIEDERMANN398 entnommen werden.
395 396 397 398
vgl. Bussmann (1979), Sp.1581f. vgl. Bussmann (1979), Sp.1577f. vgl. Biedermann (1990), S.105 (Abbildung 6.2-2) vgl. Biedermann (1990), S.109ff.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
129
Basiselement in der Instandhaltung (siehe Abschnitt 5.4) Rahmenbedingungen des vorhandenen Anlagensystems
Management Philosophie Vision
Relevante Risikopotenziale anderer Funktionsbereiche
Risikoorientierte IH-Politik & IH-Leitbild
Interdependenzen mit anderen Funktionsbereichen
Koordinationselemente in der Instandhaltung (siehe Abschnitt 5.5) Risikoorientierte Risikoorientierte IH-Struktur IH-Kultur
Risikoorient. Risikoorientierte IH-Strategie IH-Daten & -Infos
Risikoorient. IH-Programme
Risikoorient. IH-Controlling
Risikoorient. IH-Ziele
RM-Prozess (s. Abschn. 5.6) A IH-Durchführungsplanung •Bereitstellungsplanung •Ablaufplanung •Auftragssteuerung
B
Schwachstellenanalyse
K Kostenrechnung & Auftragsüberwachung
Supportelemente des RM in der IH (siehe Abschnitt 5.7)
Entwicklungselement des RM in der IH (siehe Abschnitt 5.8)
Vorgaben des Risikomanagements des Gesamtunternehmens
IH-Durchführung
Abbildung 43: Regelsystemorientierte Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung (Abkürzungen: A…Risikoanalyse, B…Risikobewältigung, K…Risikokontrolle) 399
Eine wesentliche Herausforderung bei der Anwendung des RM-Modells in der Instandhaltung ist, dass dabei die Interdependenzen der Instandhaltung mit anderen Anlagenwirtschafts-Funktionen und weiteren Unternehmensbereichen geeignet berücksichtigt werden müssen. Diese Feststellung folgt vor allem aus der Beschreibung der potenziellen IH-Risiken im Abschnitt 5.2. Darüber hinaus sollten jene Risikopotenziale anderer Unternehmensbereiche bei der Anwendung des RM-Modells berücksichtigt werden, die das Erreichen der IH-Ziele gefährden können bzw. die durch die Instandhaltung beeinflussbar sind. Solche Risikopotenziale und Interdependenzen müssen folglich bei der Formulierung der risikoorientierten Politik, Strategie und Ziele der Instandhaltung geeignet berücksichtigt werden. Somit lässt sich folgern, dass ein erfolgreiches Risikomanagement in der Instandhaltung nur über eine ganzheitliche und integrierte Anlagenwirtschaft möglich ist. Entsprechend dieser Sichtwei-
399
in Anlehnung an: Biedermann (1990), S.105 (Abbildung 6.2-2); vgl. Strohmeier (2006b), S.7
130
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
se werden bei der nachfolgenden Beschreibung des RM-Modells die Risikowechselwirkungen zu anderen Anlagenwirtschafts-Funktionen und Unternehmensbereichen berücksichtigt, wobei vor allem die Interdependenzen zur Anlagenbereitstellung und Anlagennutzung einbezogen werden.400 Bei der Anwendung des RM-Modells entsprechend der Abbildung 43 wird eine weitere Besonderheit der Instandhaltung explizit berücksichtig, und zwar das Faktum, dass ein anlagenintensiver Betrieb meist aus einer großen Anzahl von Bauteilen besteht, die grundsätzlich bezüglich ihrer Risikowirkung untersucht werden müssten. Es ist jedoch eine risikoorientierte Analyse aller Anlagenelemente aus kapazitiven und wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, weshalb es zweckmäßig ist, die Untersuchung auf risikorelevante Anlagenteile zu beschränken. Eine solche Vorgehensweise wird in den nachfolgenden Abschnitten vorgestellt. Dadurch kann ein Nachteil der konventionellen IH-Methoden gemildert werden, und zwar die Gefahr, dass einerseits in gewissen Bereichen übermäßig und andererseits in risikorelevanten Bereichen zu wenig präventiv instandgehalten wird. Dagegen wird bei einer risikoorientierten Analyse der IH-Aufwand auf diejenigen Bauteile konzentriert, die den wesentlichen Risikobeitrag liefern, wodurch wiederum die wirtschaftliche Durchführung der IHAufgaben unterstützt wird.401
5.4 Basiselement des RM-Modells in der Instandhaltung Grundsätzlich muss bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise ein unternehmensweites RM-Basiselement entsprechend dem Abschnitt 4.6.2 definiert sein. Dabei bildet die unternehmensweite RM-Politik eine Kernkomponente dieses Elementes. Aufbauend auf dieser RM-Gesamtpolitik sollten in risikorelevanten Unternehmensteilbereichen die vorhandenen Bereichspolitiken um Risikoaspekte ergänzt werden. Für die Instandhaltung bedeutet dies, dass die RM-Aktivitäten somit im Kern auf der RMGesamtpolitik und einer risikoorientierten Bereichspolitik basieren, wobei die Bereichspolitik entweder für eine übergeordnete Organisationseinheit (z.B. Produktion), oder für die Instandhaltung selbst definiert wird. Ausgangspunkt der Überlegungen in diesem Abschnitt bildet die Erkenntnis, dass in einem anlagenintensiven Betrieb explizit eine IH-Politik existieren sollte.402 Entspre400 401 402
vgl. Strohmeier (2006a), S.163 vgl. Hofmann (2002), S.4 vgl. Biedermann (1990), S.105 (Bild 6.2-2)
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
131
chend den obigen Ausführungen sollte diese IH-Politik um Risikoaspekte ergänzt werden. Im Nachfolgenden wird von dieser Variante ausgegangen, wobei die Abbildung 44 die Ausprägung des Basiselements für diesen Fall zeigt. Dabei erfolgt die Kommunikation der allgemeinen Management-Philosophie und Vision sowie der risikoorientierten IH-Politik in Form eines schriftlich definierten risikoorientierten IHLeitbildes, welches in wenigen Sätzen die wesentlichen Werte, Zukunftsbilder, generellen Ziele und Grundorientierungen der Instandhaltung ausdrückt.403
Management Philosophie
Risikoorientierte Instandhaltungs-Politik
Risikoorientierte IH-Philosophie
Stimmig?
Vision Erwartungen der Risikonehmer
Risikoorientiertes Instandhaltungs-Leitbild
Abbildung 44: RM-Basiselement der Instandhaltung
In der risikoorientierten IH-Politik sollten u.a. bereits bekannte IH-Risiken transparent gemacht werden, wobei häufig die im Abschnitt 5.2 aufgezählten generellen Risikofelder relevant sind. Darüber hinaus sollten jene Risikopotenziale anderer Unternehmensbereiche sowie gesellschaftliche, technische, ökologische und wirtschaftliche Umfeldfaktoren berücksichtigt werden, die die Instandhaltung beeinflussen.404 Des Weiteren sollte in der risikoorientierten IH-Politik – und darauf aufbauend in der IHStrategie – auf Schadenserfahrungen und Statistiken der Vergangenheit eingegangen und daraus wesentliche Aussagen für das Risikomanagement abgeleitet werden. Schließlich sollten in der IH-Politik risikorelevante gesetzliche und regulatorische Anforderungen berücksichtigt werden, wie beispielsweise Haftungsfragen bei Unfällen, sicherheitstechnisch erforderliche Überwachungsintervalle, die Produzentenhaftung, sowie die Umwelt- und Arbeitssicherheitsgesetzgebung.405 Für die Instandhaltung bedeuten diese gesetzlichen Anforderungen oft eine drastische Aufgabenerweiterung, die einerseits den Personaleinsatz und die Organisationsform beeinflussen und andererseits kritische Risikopotenziale beinhalten. 403 404 405
vgl. Abschnitt 4.6.2 vgl. ONR 49001 (2004), S.6 vgl. Warnecke (1992a), S.14
132
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Eine Kernherausforderung bezüglich des Basiselementes besteht darin, dass die risikoorientierte IH-Philosophie und die „gerechtfertigten Erwartungen der Risikonehmer“ stimmig zueinander sein müssen.406 Die „gerechtfertigten Erwartungen der Risikonehmer“ ergeben sich aus dem Unternehmenszweck sowie den daraus abgeleiteten Unternehmens- und IH-Zielen. Risikonehmer sind dabei jene, die von einem tatsächlichen Risikoeintritt, der dem IH-Bereich zuzurechnen ist, betroffen wären. Risikonehmer der Instandhaltung sind beispielsweise die Shareholder, die durch eine mangelhafte Instandhaltung einen wirtschaftlichen Schaden erleiden, die Fertigung, die durch eine schlechte Anlagenverfügbarkeit in ihrer Zielerreichung eingeschränkt wird, oder die Mitarbeiter und Umwelt, die durch Störfälle geschädigt werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der praktischen Umsetzung des RM-Modells ist, dass das RM-Basiselement ausreichend im Unternehmen kommuniziert wird. Nur so kann sichergestellt werden, dass die spezifischen Risiken des IH-Bereiches und diejenigen Risiken des Gesamtunternehmens, die durch die Instandhaltung mit beeinflusst werden, adäquat in der IH-Strategie berücksichtigt und darauf aufbauend rechtzeitig erkannt und bewältigt werden. Neben der Handhabung von instandhaltungsspezifischen Risiken ist ein „gelebtes“ und ausreichend kommuniziertes RMBasiselement eine Grundvoraussetzung dafür, dass Risiken erkannt und bewältigt werden, die aus Interdependenzen zwischen der Instandhaltung und anderen Anlagenwirtschafts- und Unternehmensbereichen resultieren, da das RM-Basiselement vor allem auch die Gesamtunternehmenssicht des Risikomanagements sicherstellen muss. Mit einem „gelebten“ RM-Basiselement könnte somit das Risikomanagement ein Kristallisationspunkt zur Lösung eines Kernproblems der Instandhaltung werden, und zwar die geeignete Berücksichtigung der starken Interdependenzwirkungen in der Anlagenwirtschaft (siehe Abschnitt 5.5.5). Dabei ist ein entscheidender Vorteil des Risikomanagements, dass damit Prioritäten gesetzt werden können, was wiederum die wirtschaftliche Durchführung der IH-Aufgaben unterstützt. Dabei sollten sich die Führungskräfte von der grundsätzlichen Schwierigkeit und Ungenauigkeit bei der Gestaltung des RM-Basiselementes nicht abschrecken lassen, weil sie bei Vernachlässigung dieses Elementes auf eine wichtige Möglichkeit der Einflussnahme auf das Risikomanagement verzichten würden.
406
vgl. Abschnitt 3.1.4
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
133
5.5 Koordinationselemente des RM-Modells in der Instandhaltung Den Koordinationselementen kommt in der IH eine besondere Bedeutung zu, da die IH meist sehr viele Interdependenzen zu anderen Unternehmensbereichen aufweist und somit ebenfalls geeignet koordiniert werden muss. Diese Aufgabenstellung kann durch die generelle Koordinationswirkung des Risikomanagements und dabei insbesondere durch die RM-Koordinationselemente unterstützt werden.
5.5.1 RM-Strategie in der Instandhaltung
RM-Philosophie
RM-Strategie Strategische RM-Programme
Strategische RM-Ziele
Strat. Rahmenelemente des RM-Prozesses
RM-Aktivitäten
RM-Prozess
Inputs und Einschränkungen der Verhaltenselemente des RM-Modells
Inputs und Einschränkungen der Strukturelemente des RMModells
Die RM-Strategie besteht aus jenen mittel- bis langfristigen Zielen und Programmen, mit denen die Umsetzung der Unternehmenspolitik, des Kernauftrages und der RMPhilosophie sichergestellt werden soll.407 Dabei werden einerseits aus der RMPhilosophie direkt strategische Programme und Ziele abgeleitet, ohne dass dafür der RM-Prozess abgearbeitet werden muss und andererseits muss die RM-Strategie die Rahmenelemente für den RM-Prozess bereitstellen. Somit kann festgehalten werden, dass die RM-Strategie – neben dem RM-Prozess – das zweite wesentliche Bindeglied zwischen der RM-Philosophie und den konkreten RM-Aktivitäten bildet (siehe Abbildung 45). Die restlichen Elemente des RM-Modells unterstützen und leiten diese beiden „aktivitätsorientierten“ Komponenten, d.h. das Ablaufschema der Abbildung 45 darf nicht isoliert verstanden werden, sondern es wird durch die Inputs und Einschränkungen der restlichen Elemente des RM-Modells durchdrungen. In dieser Weise sind die nachfolgenden Ausführungen der RM-Strategie zu interpretieren.
Abbildung 45: RM-Strategie und RM-Prozess als Bindeglieder zwischen der RM-Philosophie und den RM-Aktivitäten
407
vgl. Abschnitt 4.6.3.1
134
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Ein wesentliches Aufgabenfeld der RM-Strategie besteht in der Definition von strategischen Rahmenelementen für den RM-Prozess. Dabei ist zu beachten, dass deren Ausprägung vor allem vom konkret verwendeten RM-Instrument abhängt. Beispielsweise sind bei der Risikoszenariomethode408 vier strategische Rahmenelemente festzulegen, und zwar Risikokategorien, Bewertungskriterien, Wesentlichkeitsgrenzen der Risikomatrix, sowie risikoorientierte Basisstrategien zur Unterstützung der Maßnahmenfindung. Aus Übersichtlichkeitsgründen werden diese Komponenten der Risikoszenariomethode nicht hier beschrieben, sondern direkt im Abschnitt 5.6.5.1, auf den hier verwiesen sei. In analoger Weise sind solche strategische Rahmenelemente für alle verwendeten RM-Instrumente zu definieren. Dabei ist vor allem die Festlegung von abgestuften Wesentlichkeitsgrenzen (Schwellwerten) eine wichtige Aufgabe der RM-Strategie. Überschreitet ein potenzielles Risiko einen solchen Schwellwert, so wird je nach Bedeutung des Schwellwertes beispielsweise die Durchführung von Risikomaßnahmen oder eine Risikoberichterstattung verpflichtend notwendig.409 Werden die Risiken in einer Risikomatrix dargestellt, so resultieren aus den Schwellwerten (Wesentlichkeitsgrenzen) die verschiedenen Risikobereiche der Matrix (siehe Abbildung 52). Ein weiteres Aufgabenfeld der RM-Strategie besteht in der direkten Ableitung von strategischen Zielen aus der RM-Philosophie. In der Instandhaltung werden die RMZiele vor allem in Form von impliziten Zielen und weniger als Haupt- bzw. Nebenziele410 definiert, da die Festlegung von Haupt- und Nebenzielen des Risikomanagements meist nur auf der Unternehmensgesamtebene und nicht in Teilbereichen zweckmäßig ist. Unter impliziten RM-Zielen der Instandhaltung versteht man IHZiele, die sich aus der Risikoperspektive ableiten lassen. Sind beispielsweise in der RM-Philosophie konkrete Risikopotenziale definiert (z.B. risikokritische Gesetze), die im Risikomanagement besonders berücksichtigt werden müssen, so sollten diese Risiken operationalisiert werden, indem dafür IH-Ziele vorgegeben werden. Darüber hinaus werden häufig durch andere RM-Elemente (z.B. RM-Prozess, Risikocontrolling, Entwicklungselement) weitere Risikopotenziale aufgedeckt. Zeigt die Analyse, dass diese Risiken existenzbedrohend sein können, dann sollten geeignete IH-Ziele definiert und die Risiken auf deren Basis gesteuert werden.
408 409 410
Hinweise: die Risikoszenariomethode wird detailliert im Abschnitt 5.6.5.1 beschrieben. vgl. Dörner/Doleczik (2000), S.202 zum Begriffsverständnis bezüglich Haupt- bzw. Nebenziele sowie implizite Ziele: vgl. Abschnitt 3.3.2
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
135
Schließlich müssen strategische RM-Programme aus der RM-Philosophie und den strategischen Zielen abgeleitet werden. Strategische Programme sind Maßnahmenbündel, mit denen das Risikomanagement und die generelle Risikolage der Instandhaltung optimiert werden können. Nachfolgend kann nur beispielhaft auf solche Programme eingegangen werden, da diese einerseits von den situativen Gegebenheiten eines Unternehmens und andererseits von der konkret definierten RM-Philosophie abhängen. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der generellen Risikolage besteht in der Nutzung von flexibel einsetzbaren Technologien, wodurch bei Störungen reaktionsschnell auf andere Produkte bzw. Anlagen umgerüstet werden kann. In analoger Weise ist durch das redundante Betreiben gleicher Produktionssysteme im Störungsfall eine schnelle Umstellung auf eine Anlage des gleichen Typs möglich. Weitere anlagenbezogene Maßnahmenbündel sind die zuverlässigkeitsorientierte Anlagenauswahl, die sicherheitsorientierte Anlagenbereitstellung, die strukturadäquate Beanspruchung der Anlagen, sowie die Bereitstellung von geeigneten Finanzierungs- bzw. Versicherungslösungen als Vorsorge für zukünftige Risikoeintritte.411 Schließlich kann durch die Einführung von ganzheitlichen Konzepten eine ursachenbezogene Risikominimierung in der Instandhaltung und der Fertigungswirtschaft erreicht werden, wobei sich in der betrieblichen Praxis die TPM-Philosophie als besonders relevant erwiesen hat.412 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in diesem Abschnitt dargestellten Aufgabenfelder der strategischen Planung vor allem darauf abzielen, dass einerseits durch eine geeignete Schadens- und Ausfallsverhütung weniger IHEreignisse auftreten, und dass andererseits eine entsprechende LeistungsRationalisierung und damit niedrigere Kosten je Ereignis erreicht werden.413 Bei dieser Aufgabenstellung müssen die in der Abbildung 46 dargestellten Erfolgskomponenten berücksichtigt werden. Bei einer Risikoorientierung der Instandhaltung muss somit die konkrete Ausprägung dieser Komponenten durch die Risikosichtweise determiniert werden.
411 412 413
vgl. Biedermann (2003), S.21 und Abschnitt 5.7.4 vgl. Schimmelpfeng (2001), S.284ff. vgl. Biedermann (1990), S.107
136
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
•Anlagenwirtschaftlich ausgerichtetes Zielsystem •Flexible Organisationsstruktur und -kultur
Schadens-, Störungs- und Ausfallvermeidung •Zuverlässige Anlagen (IH-gerechte Konstruktion) •Wartung •Anlagenüberwachung (automatische Fehlerfrüherkennung) •Periodische Inspektion •Periodische Instandsetzung •Zustandsabhängige IH (CBM) •Schwachstellenanalyse und -beseitigung •Redundanz •Wissen, Können •Usw.
Leistungsrationalisierung Personal
Material und Reserveteile
•Personal-, Material- und Reserveteiledisposition •Bereitstellungsplanung •Termin- und Kapazitätsplanung •Ablaufplanung •Motivation •Wissen, Können •TPM •Lernende Organisation •Usw.
Informations-, Lenkungs- und Controllinginstrumentarium zur dynamischen Optimierung (Iteration an optimales Info-, Planungs- und Strategieniveau)
Abbildung 46: Erfolgskomponenten der strategischen Instandhaltungs-Planung414
5.5.2 RM-Organisationsstruktur in der Instandhaltung Entsprechend der Empfehlung des Abschnittes 4.6.3.2 müssen die RM-Aufgaben der Instandhaltung integrativ in der Instandhaltung umgesetzt werden, da die IHMitarbeiter im Allgemeinen die Risikopotenziale ihres Bereiches besser abschätzen können, als es einer separaten Stelle möglich wäre. Dabei besteht eine wesentliche RM-Aufgabe in der organisatorischen Umsetzung des RM-Prozesses, auf die, wegen ihrer praktischen Relevanz, im Nachfolgenden eingegangen wird. Organisation der teamorientierten Abarbeitung des RM-Prozesses Wie im Abschnitt 5.6.5 dargestellt wird, erfolgt die Umsetzung des RM-Prozesses in verschiedenen Detaillierungsebenen (Screening, Intermediate-, Detailed-Analysis). In der Screening-Phase und teilweise auch bei der „Intermediate-Analysis“ wird der RM-Prozess auf Basis eines teamorientierten Ansatzes abgearbeitet. Dabei stellt die geeignete Teamzusammensetzung einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Es muss vor allem sichergestellt werden, dass das Know-how der kompletten Wertschöpfungskette des untersuchten Bereiches im Team vertreten ist, damit beispielsweise bei der Risikoanalyse möglichst alle potenziellen Risiken erfasst und korrekt bewertet 414
in Anlehnung an: Biedermann (1990), S.108
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
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werden. Darüber hinaus sollten diejenigen Führungspersonen eingebunden werden, die in weiterer Folge für die Maßnahmenumsetzung verantwortlich sind. Des Weiteren muss beachtet werden, dass Führungskräfte und Mitarbeiter aus verschiedensten Gründen potenzielle Risiken häufig nicht ansprechen wollen. Dieses Problem kann gemildert werden, wenn es gelingt durch eine geeignete Moderation und Teamzusammensetzung einen offenen Risikodialog in den Workshops in Gang zu setzen. Damit wird eine strukturierte Auseinandersetzung mit den oft unausgesprochenen Risiken angeregt, wodurch Diskussionsblockaden bezüglich der vorhandenen Risiken gelöst werden können, womit eine sachliche Diskussion darüber möglich wird.415 Daneben trägt die Teamdiskussion dazu bei, dass ein einheitliches Risikoverständnis entwickelt, die Risikotransparenz verbessert und eine gemeinsame Teamsprache gefunden wird.416 Eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Risikoworkshop ist dessen Leitung durch einen kompetenten Moderator.417 Der Moderator muss den WorkshopTeilnehmern gezielte Informationen und Inputs anbieten, wozu er einen Einblick in die Risikolandschaft der Instandhaltung haben muss. Es darf dabei jedoch niemals der Eindruck entstehen, dass es sich um eine reine Informationsveranstaltung oder Schulung handelt. Die Gruppe muss nämlich für die inhaltliche Qualität verantwortlich sein, d.h. es darf kein verbales oder manipulatorisches Eingreifen des Moderators stattfindet. Der Moderator soll zwar anbieten, aber er muss immer auch akzeptieren können, dass sein Angebot abgelehnt wird. Da grundsätzlich das Workshopteam für die Qualität der Ergebnisse verantwortlich ist, muss es dem Moderator gelingen, sich mit der Gruppe zu identifizieren und „in deren Sprache“ zu kommunizieren.418 Organisation der Abarbeitung des RM-Prozesses durch Spezialisten Für die „Detailed-Analysis“ und teilweise auch für die „Intermediate-Analysis“ sind in der betrieblichen Praxis, aufgrund der Komplexität der eingesetzten Methoden, meist Spezialisten zuständig.419 Dabei muss vor allem darauf geachtet werden, dass aus dem „Spezialistentum“ keine negativen Entwicklungen im Risikomanagement resultieren. Diese Gefahr besteht deswegen, da die potenziellen Risiken zwar meist durch mathematisch-naturwissenschaftliche Methoden darstellbar sind, aber das Risikophänomen in seinem Kern ein Konstrukt ist, dessen Interpretation von den beteiligten
415 416 417 418 419
vgl. Brühwiler (2001), S.107 vgl. Wittmann (2000), S.817 siehe zum Beispiel: Malorny/Langner (1997); Seifert (2000) vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.111, S.113 vgl. Abschnitt 5.6.5.2
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Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Individuen abhängt.420 Dadurch haben Einzelpersonen – je nach persönlicher Zielsetzung – die Möglichkeit, dass sie entweder die Risikoanalysen verfälschen, oder Analysen zu umfangreich bzw. zu nachlässig betreiben. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass bei Risikoanalysen in isolierten Expertenkreisen die Kommunikation und das allgemeine Verständnis erschwert wird, da solche Expertenkreise häufig ihre individuellen Ansichten, Praktiken und Termini entwickeln.421 Deshalb muss darauf geachtet werden, dass die Experten durch organisatorische Maßnahmen immer in das gesamte RM-System eingebunden bleiben. Dies kann beispielsweise durch die Integration der Methodenspezialisten in RM-Teams oder durch adäquate Überwachungsmaßnahmen erfolgen. Des Weiteren muss vor allem das Risikocontrolling sicherstellen, dass Teilanalysen geeignet mit dem gesamten RM-System koordiniert werden.422 Schließlich muss beachtet werden, dass die dargestellten Problemstellungen durch die vorhandene RM-Kultur beeinflusst werden. Auf den Kulturaspekt im Risikomanagement und die damit zusammenhängenden Gestaltungsmöglichkeiten wird im nachfolgenden Abschnitt eingegangen.
5.5.3 RM-Kultur in der Instandhaltung Die Relevanz der RM-Kultur in der Instandhaltung ergibt sich vor allem aus der technischen Orientierung, dem Spezialistentum und den differenzierten Strukturen dieses Bereiches. Aus diesen Besonderheiten resultieren in der Instandhaltung die folgenden risikokulturprägenden Problemfelder:423 Durch die häufig anzutreffende vertikale Differenzierung der Anlagenwirtschaft entstehen Gruppen von Spezialisten mit der Tendenz zur Ausbildung eigenständiger Risikokulturen. Die horizontale Differenzierung schafft hierarchische Strukturen mit der unvermeidlichen Folge der Informationsfilterung aufwärts zum Entscheider und abwärts zum Ausführenden. Zusätzlich bewirkt die vertikale und horizontale Differenzierung der Instandhaltung eine Entscheidungs-Sequenzierung. Die dabei entstehenden Teilentscheidungen führen allmählich zu irreversiblen Festlegungen, bei denen möglicherweise relevante Risikofelder völlig ausgeblendet werden. Schließlich resultiert aus dem in der Instandhaltung häufig anzutreffenden bürokratischen Verhalten meist eine risikoaverse bzw. konservative Risikokultur. Dabei werden Änderungen vermieden und Überraschungen nicht zugelassen, wodurch risikomindernde Aktivitäten, wie notwendige Anlagenänderungen, erschwert oder gar verhindert werden. Entsprechend dieser Prob420 421 422 423
vgl. Abschnitt 3.1.3 vgl. Romeike (2003b), S.167 vgl. Abschnitt 5.5.5 in Anlehnung an: Grams (2001), S.97
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lemfelder bildet die bewusste Entwicklung der RM-Kultur in der Instandhaltung einen wesentlichen Erfolgsfaktor. Grundsätzliche Möglichkeiten zur Kulturentwicklung in divergierenden Bereichen, wie es auch die Instandhaltung darstellt, sind beispielsweise kleine, räumlich zusammenhängende Organisationseinheiten, kontinuierlich zusammenarbeitende Gruppen mit geringer Fluktuation, Beförderung aus den eigenen Reihen, sowie eine starke Führerschaft.424 Darüber hinaus wirken auch die im Modellelement „Risikoorientiertes Verhalten“ beschriebenen Maßnahmen, wie Schulungs- und Kommunikations-Aktivitäten, stark kulturprägend. Generell muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass die RM-Kultur und das Element „Risikoorientiertes Verhalten“ eng verknüpft sind und sich gegenseitig stark beeinflussen. HINTERHUBER sieht im Führungsverhalten die wichtigste kulturprägende Komponente.425 Vor allem müssen die Führungskräfte sicherstellen, dass die RM-Kultur stimmig ist mit der RM-Philosophie und den restlichen Elementen des RM-Modells. Differenzen zwischen diesen Elementen müssen durch geeignete Änderungsschritte minimiert werden. Dabei muss jede Anpassung der RM-Kultur von den Führungskräften ausgehen und erfolgt im Kern durch Vorbildwirkung und Vorleben der Führung in Hinblick auf die gewünschten Kulturinhalte. Die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Mitwirkung im Risikomanagement wird dabei wesentlich durch ein positives Verhältnis zu den Vorgesetzten geprägt. Ist dieses Verhältnis gestört, so kann das beispielsweise dazu führen, dass potenzielle Risiken nicht genannt bzw. Schäden im Anfangsstadium vertuscht werden, wodurch sich diese erst zum Großschaden entwickeln.426 Informationsströme dürfen deshalb nicht durch eine falsch verstandene Autorität oder durch Kompetenzgerangel blockiert werden. Die Einstellung der IHFührung zu Risiken beeinflusst somit entscheidend das Risikobewusstsein der Mitarbeiter. Die Organisationsstruktur bildet eine weitere wichtige kulturprägende Komponente.427 Besonders in der Instandhaltung ist die klassische, hierarchische Primärstruktur meist nicht in der Lage, größere Kulturänderungen zu generieren. BIEDERMANN sieht wesentliche Ansatzpunkte zur permanenten Stimulierung der Handlungsebene, und damit einer gezielten Kulturbeeinflussung, in der Übertragung einer gemeinschaftlichen Anlagenverantwortung, sowie in der geeigneten Mischung von Fachund Führungskompetenzen durch einen gezielten Einsatz von Fach-, Prozess- und 424 425 426 427
vgl. Bleicher (2004), S.241 vgl. Hinterhuber (2004a), S.237ff. vgl. Steinmetz (1994), S.240 vgl. Seghezzi (2003), S.199
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Machtpromotoren.428 Weitere mögliche Maßnahmen sind die kulturorientierte Mitarbeiterauswahl zur Besetzung sensibler IH-Bereiche, die Rotation von Kulturträgern, sowie der Einsatz „symbolischer“ Führungskräfte in Nischen des Widerstandes.429 Schließlich ergeben sich kulturprägende Effekte, die eng mit der Organisationsstruktur zusammenhängen, aus der zweckmäßigen Gestaltung der Daten- und Informationssysteme, wie sie im nachfolgenden Abschnitt beschrieben werden.
5.5.4 RM-Daten und -Informationen in der Instandhaltung Bezüglich der Ausgestaltung der Daten- und Informationsstrukturen im Risikomanagement der Instandhaltung gelten die im Abschnitt 4.6.3.4 gebrachten Grundsätze, weshalb im Nachfolgenden nur mehr auf die darüber hinausgehenden Besonderheiten in der Instandhaltung eingegangen wird. Die Risikoanalyse sollte, wenn möglich, auf Basis von historischen Daten erfolgen. Dabei können u.a. RM-Daten aus Vorperioden, Störfallstatistiken, Schwachstellenanalysen, Schadensfalldatenbanken, Anlagenstillstandsanalysen und Inspektionsdaten berücksichtigt werden. In vielen Fällen liegen jedoch keine historischen Daten vor, weshalb es zweckmäßig sein kann, externe Datensammlungen zu verwenden.430 Darüber hinaus ist es häufig grundsätzlich nicht möglich historische RMDaten zu generieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das betrachtete Risiko selten eintritt oder prinzipiell nicht quantifizierbar ist (z.B. Anlagensabotage, Imageverlust). Folglich sind solche schwer quantifizierbaren Risiken mit einem RMInformationssystem kaum abdeckbar, trotzdem sollten für die Risikoanalyse zumindest gewisse Grunddaten zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel basierend auf Erfahrungen mit ähnlichen Schadensfällen.431 Eine wesentliche Herausforderung bei der Analyse der dargestellten Datenquellen ist, dass zwar risikorelevante Daten in der Produktion und der Instandhaltung vorhanden sind, der Zugriff darauf jedoch, aufgrund der „verstreuten“ Datenstrukturen, häufig schwierig ist. Deshalb sollten die RM-Daten mit den Informationsströmen aus anderen unternehmerischen Aktivitätsfeldern gebündelt und zu einem ganzheitlichen RM-Informationskonzept integriert werden.432 In einem solchen Konzept müssen insbesondere die RM-Dokumentation, -Aufzeichnungen und -Berichte, sowie generell alle weiteren relevanten RM-Daten
428 429 430 431 432
vgl. Biedermann (2002), S.11 vgl. Bleicher (2004), S.243 vgl. Brabänder/Exeler/Ochs/Scholz (2003), S.341 vgl. Erben/Romeike (2003b), S.283 in Anlehnung an: Männel (1988), S.19
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berücksichtigt werden. Solche relevante RM-Daten können beispielsweise aus Abweichanalysen, Früherkennungs- und Kennzahlensystemen, sowie dem Rechnungswesen in der Instandhaltung resultieren. Bezüglich des Rechnungswesens sollte insbesondere eine risikoorientierte Ausgestaltung der IH-Kostenrechnung angedacht werden.433 Des Weiteren müssen in Software-Banken alle EDV-gestützten RM-Methoden verfügbar bzw. zumindest dokumentiert sein. Programmierte RMMethoden (z.B. Algorithmen und statistische Verfahren) kommen in der Instandhaltung vor allem bei detaillierten RM-Analysen zum Einsatz (Detailed-Analysis).434 Ein Beispiel hierfür ist die Unterbrechungsszenario-Analyse, mit der die Auswirkung von Anlagenausfällen auf den gesamten betrieblichen Ablauf und die Ertragslage simuliert wird.435 Schließlich muss, basierend auf den hier dargestellten Datenstrukturen, ein RM-Berichtwesen aufgebaut werden, das in das vorhandene Berichtsystem integriert werden sollte.436 Dabei müssen die Zielgruppen der Risikoberichte aus der Risikohöhe abgeleitet werden. Das bedeutet beispielsweise, dass die identifizierten Risiken, abhängig von der Lage in der Risikomatrix (siehe Abbildung 52), an verschiedene Unternehmensebenen, bis hin zur Unternehmensleitung, berichtet werden. Beim Risikomanagement muss vor allem berücksichtigt werden, dass auch mit den besten Daten- und Informationssystemen nicht alle Risiken erfasst und dargestellt werden können.437 Ein Hauptgrund für die Begrenztheit von Informationssystemen ist, dass diese grundsätzlich nur das explizite RM-Wissen abbilden können. Das implizite RM-Wissen kann dagegen nur teilweise dokumentiert werden, da dieses Wissen vor allem auf Basis von persönlichen Erfahrungen generiert wird. Das implizite RM-Wissen umfasst beispielsweise das situativ angepasste Fach- und Methodenwissen, sowie anlagenspezifische Kenntnisse. Wegen dieser grundsätzlichen Schwächen von Informationssystemen stellt der interpersonelle Austausch (z.B. Kommunikation) von RM-Wissen einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar für die Entwicklung eines einheitlichen Risikoverständnisses. Nur so ist es nämlich möglich, dass eine vollständige Erfassung aller Risiken sichergestellt wird und individuelle Fehleinschätzungen bezüglich der Risikopotenziale minimiert werden können. Zur Förderung des interpersonellen Wissensaustausches haben sich die aktive Partizipa-
433
434 435 436 437
Als Überblick zur IH-Kostenbetrachtung: vgl. Biedermann (1990), S.124ff.; Warnecke (1992b), S. 679 – 740. vgl. Abschnitt 5.6.5 vgl. Erben/Romeike (2003b), S.291 vgl. Abschnitt 4.6.3.4 vgl. Abschnitt 3.3.5
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tion, sowie die Motivation der Betroffenen zur Zwei-Weg-Kommunikation, wie Mitarbeiter- und Gruppengespräche, bewährt. Ebenfalls geeignete Instrumente sind Workshops, Anlagen- und Betriebsbesichtigungen, sowie die prozess- bzw. problemlösungsbezogene Kommunikation. Es muss ein Anreiz gegeben werden, sodass die Mitarbeiter bereit sind, ihr Wissen über mögliche Risikopotenziale mit anderen zu teilen und in das Risikomanagement einfließen zu lassen. Aus diesen Ausführungen wird die enge Verknüpfung der Informations- und Datensysteme mit dem Wissensmanagement deutlich. Für ein ganzheitliches Risikomanagement bildet somit die geeignete Berücksichtigung der Erkenntnisse des Wissensmanagements eine wesentliche Erfolgskomponente.438
5.5.5 Risikocontrolling in der Instandhaltung Wie im Abschnitt 4.6.3.5 dargestellt wurde, basiert das Risikocontrolling-Verständnis dieser Arbeit auf dem umfassend koordinationsorientierten Ansatz von KÜPPER.439 Bei dieser umfassenden Controlling-Sichtweise muss einerseits innerhalb der Instandhaltung risikoorientiert koordiniert werden und andererseits das IH-Führungssystem mit der Führung des Gesamtunternehmens abgestimmt werden. Daraus resultieren Beziehungen zum Unternehmenscontrolling und zu anderen Bereichscontrolling-Systemen.440 Insbesondere zum Fertigungs- und Investitionsbereich sind risikokritische Interdependenzen vorhanden, die vom Risikocontrolling der Instandhaltung berücksichtigt werden müssen. Die Abhängigkeit von Investitionsentscheidungen ergibt sich daraus, dass diese den Rahmen (Anlagenpark) bestimmen, in dem sich die kurzfristiger orientierte Instandhaltung vollzieht. Die Dispositionselastizität der Instandhaltung und daher innerhalb gewisser Bandbreiten auch die IH-Kosten sind somit eine Folgewirkung der realisierten Investitionsprogramme. Die nächste wesentliche Interdependenz besteht zur Anlagennutzung. Diese resultiert vor allem daraus, dass die Instandhaltung und die Anlagennutzung nebeneinander bzw. aufeinander folgend ablaufen. Des Weiteren hängt der Umfang der erforderlichen und wirtschaftlich sinnvollen IH-Intensität u.a. davon ab, wie viel auf der jeweiligen Anlage schon gefertigt worden ist und wie viel auf ihr noch gefertigt werden soll. Schließlich hängt die für die Fertigung verfügbare quantitative und qualitative Anlagenkapazität vom Umfang und der Qualität der IH-Aktivitäten ab. Somit ist eine Anlagenabstimmung zwischen der Instandhaltung und der Fertigungswirtschaft in quantitativer, qualitativer und zeitlicher Hinsicht erforderlich. Diese hier dargestellten Interdependen438 439 440
in Anlehnung an: Biedermann (2002), S.11 vgl. Küpper (2001), S.15ff. vgl. Küpper (2001), S.410
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zen müssen durch geeignete Koordinationsmaßnahmen berücksichtigt werden. Darüber hinaus resultieren aus diesen Interdependenzen wesentliche Risikopotenziale, die vom Risikomanagement und dabei insbesondere vom Risikocontrolling abgedeckt werden müssen.441 Eine wesentliche Fragestellung des Risikocontrollings ist dessen funktionale Eingliederung in die Instandhaltung. Grundsätzlich sollte das Risikocontrolling in das generelle IH-Controlling im Sinne eines risikoorientierten IH-Controllings integriert werden, da eine getrennt Abhandlung dieser beiden Funktionen nicht zweckmäßig ist. Neben der optimalen Gestaltung der funktionalen Eingliederung des Risikocontrollings in die Instandhaltung, bildet die Wahl von geeigneten Risikocontrolling-Instrumenten eine weitere wesentliche Fragestellung. Von den von KÜPPER dargestellten Controllinginstrumenten442 sind in der Instandhaltung vor allem Budgetierungs- und Kennzahlensysteme relevant, auf deren risikoorientierte Ausprägung im Nachfolgenden eingegangen wird. Zur Erreichung der im Abschnitt 5.1.2 beschriebenen IH-Ziele ist es erforderlich, dass einerseits der Zielerreichungsgrad laufend ermittelbar ist und andererseits rechtzeitig eingegriffen werden kann, wenn die Zielerreichung gefährdet ist. Die Umsetzung dieser Aufgabenstellung kann durch ein Kennzahlensystem443 unterstützt werden. Die besondere Relevanz von Kennzahlen in der Instandhaltung ergibt sich aus der empirischen Erkenntnis, dass eine wirtschaftliche Instandhaltung eher erreicht wird durch eine aktive Effizienzsteuerung mit Hilfe von Kennzahlensystemen und kennzahlengestützten Schadens- und Schwachstellenanalysen, als durch eine passive Messung des Kostengüterverbrauchs beim budgetorientierten oder auftragsweisen Soll-IstVergleich.444 Dabei sollte das IH-Kennzahlensystem risikobezogene Indikatoren enthalten. Beispielsweise bietet sich hierfür die unternehmensweite Einführung eines auf dem Balanced-Scorecard-Ansatz aufbauenden Kennzahlensystems an. In der Literatur werden mehrere um risikospezifische Perspektiven bzw. Kennzahlen erweiterte Varianten der Balanced-Scorecard vorgeschlagen.445 Bei der konkreten Gestaltung eines Kennzahlensystems in der betrieblichen Praxis muss beachtet werden, dass eine bestimmte Anzahl von Kennzahlen nicht überschritten werden sollte, damit
441 442 443 444 445
vgl. Seicht (1994), S.403f.; Herzig (1979), Sp.816f. vgl. Küpper (2001), S.24ff. vgl. dazu im Detail: Biedermann (1985), S.30ff. vgl. Biedermann (1990), S.144 siehe zum Beispiel: Weber/Weißenbach/Liekweg (1999), S.31ff.; Götze/Mikus (2001), S.404ff.; Diederichs (2004), S.257ff.
144
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
die Übersichtlichkeit nicht gefährdet wird, wobei allerdings wesentliche Informationen nicht vernachlässigt werden dürfen.446 Wird die allgemeine Budgetierungssystematik risikoorientiert ausgestaltet, so sollten die Risikoaspekte integrativ im vorhandenen Budget berücksichtigt werden. Dabei sind zwei Ausprägungen möglich, und zwar die implizite und die explizite Form. Bei der impliziten Vorgehensweise werden in den einzelnen Budgetpositionen risikoabhängige Sicherheitsspannen bzw. Risikobuffer berücksichtigt. Bei der expliziten Form werden in den vorhandenen Budgets konkrete Risikopositionen ausgewiesen. Dabei werden auf Basis der identifizierten Risiken konkrete Vorgabegrößen budgetiert, und zwar entweder für präventive Bewältigungsmaßnahmen oder für kalkulatorische Wagniskosten für zukünftige Risikoereignisse.447 Nachfolgend wird beispielhaft eine explizite risikoorientierte Budgetierungsmöglichkeit vorgestellt, wobei diese an die im Abschnitt 5.6.5.1 beschriebene Risikoszenariomethodik anknüpft. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet dabei die Fragestellung, welche IH-Maßnahmen auf Basis des verfügbaren Budgets durchgeführt und welche in Folgeperioden verschoben werden sollen.448 Zur Entscheidungsunterstützung bei dieser Fragestellung werden die vorgeschlagenen IH-Maßnahmen – in Anlehnung an das Zero-BaseBudgeting449 – zu Leistungspakete zusammengefasst und entsprechend ihrer Priorität angeordnet. Die Abbildung 47 zeigt eine symbolische Darstellung einer möglichen Gliederung der Leistungspakete. Bei der praktischen Umsetzung muss beachtet werden, dass die einzelnen Blöcke der Abbildung 47 meist feiner differenziert und unternehmensindividuell priorisiert werden müssen. Dabei wird jedoch im Allgemeinen das Leistungspaket, das aus den Risikomaßnahmen des RisikomatrixÜbergangsbereiches resultiert (Bereich B in der Abbildung 52), die niedrigste Priorität aufweisen (Block 6 in der Abbildung 47). Innerhalb dieses Blockes können die Risikomaßnahmen mit zunehmender RMP-Zahl450 sortiert werden. Aufbauend auf der konkret festgelegten Leistungspaket-Gliederung wird auf Basis der finanziellen Rahmenbedingungen und der Risikoeinstellung des Unternehmens ein Budgetschnitt durchgeführt, woraus das IH-Budget der beplanten Periode resultiert.451
446 447 448 449 450 451
vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.69 vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.99f., S.143ff. vgl. Sihn (2002), S.6 vgl. Küpper (2001), S.336ff. Anmerkung: die Risikomaßnahmen-Prioritätszahl RMP wird im Abschnitt 5.6.5.1 vorgestellt vgl. Strohmeier/Posch (2005), S.162f.
Zunehmende Budgetberücksichtigungs-Priorität
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
BLOCK 6: Ausgaben für Risikomaßnahmen des Übergangsbereiches der Risikomatrix, wobei die Risikomaßnahmen nach zunehmender RMP-Zahl sortiert sind.
145
Budgetschnitt
Maßnahmen die verschoben werden
BLOCK 5: Ausgaben für Risikomaßnahmen des kritischen Risikomatrix-Bereiches BLOCK 4: Ausgaben für gesetzlich vorgegebene Maßnahmen BLOCK 3: Ausgaben für Basisinstandhaltung
Im InstandhaltungsBudget berücksichtigte Ausgaben
Ausgaben die umgesetzt werden
(Wartung, Inspektion, geplante Instandsetzung)
BLOCK 2: Ausgaben für Verwaltung BLOCK 1: Ausgaben für Störungen (Prognose) Ausgaben für Leistungspakete in der Instandhaltung
InstandhaltungsBudgetierung
Abbildung 47: Symbolische Darstellung der risikoorientierten Instandhaltungsbudgetplanung auf Basis der Risikoszenariomethode452
5.6 Entscheidungselemente des RM-Modells in der Instandhaltung Wie im Abschnitt 1.2.2 bereits ausgeführt wurde, kann die systematische Risikohandhabung in Unternehmen als Entscheidungsprozess interpretiert werden (RMProzess). Die adäquate Umsetzung des RM-Prozesses bildet somit einen wesentlichen Erfolgsfaktor, weshalb bei der nachfolgenden Beschreibung vor allem auf den RM-Prozess detaillierter eingegangen wird.
5.6.1 Risikokategorien in der Instandhaltung Entsprechend dem Risikoverständnis des Abschnitts 3.1.4 besteht die Aufgabe des Risikomanagements in der Vermeidung von Abweichungen „von den gerechtfertigten Erwartungen eines Risikonehmers“. Der abstrakte Erwartungsbegriff wird bei der praktischen Umsetzung des Risikomanagements durch die Festlegung von Risikokategorien konkretisiert. In der RM-Literatur werden häufig generelle Risikokategorien
452
in Anlehnung an: Sihn (2002), S.8; siehe auch Strohmeier/Posch (2005), S.163
146
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
vorgeschlagen, die für das gesamte Unternehmen gültig sein sollen.453 In dieser Arbeit wird dagegen dem Ansatz von BRÜHWILER gefolgt, nach dem die Risikokategorisierung bereichsbezogen auf Basis des jeweiligen Zielsystems und der spezifischen Gegebenheiten durchgeführt werden muss.454 Es müssen somit für jeden Betrachtungsbereich die jeweils relevanten Kategorien definiert werden, wobei man sich bei dieser Festlegung an einem unternehmensweiten Kategorisierungsvorschlag orientieren kann und soll. In der Instandhaltung wird sich die Wahl der Risikokategorien in erster Linie an den IH-Zielen orientieren (siehe dazu den Abschnitt 5.1.2). Die IHZiele müssen somit die IH-Kategorien determinieren, jedoch werden die Risikokategorien im Allgemeinen nicht vollständig mit den IH-Zielen übereinstimmen. Der Grund hierfür ist, dass mit der Wahl der Risikokategorien – wegen der Notwendigkeit zur Komplexitätsreduktion – eine erste Einschränkung auf risikorelevante Perspektiven erfolgen muss. Dabei können beispielsweise Perspektiven festgelegt werden, für die keine IH-Ziele definiert sind, die aber trotzdem im Risikomanagement berücksichtigt werden sollen. Dies kann u.a. für IH-Leistungen der Fall sein, da laut BIEDERMANN gewisse IH-Leistungen schwer operationalisierbar sind und deshalb bei der IH-Zielbildung nur indirekt berücksichtigt werden können.455 Des Weiteren können bei der Kategorisierung solche Perspektiven gewählt werden, die über die Instandhaltung hinausgehen, die aber aus der Risikosicht relevant sind. Ein Praxisbeispiel hierfür ist ein Ferngasunternehmen, das neben den instandhaltungsrelevanten Kategorien „Umwelt, Personensicherheit, Versorgungssicherheit, Finanzen“, die übergreifende Perspektive „Unternehmensimage“ in die Risikobetrachtungen der Instandhaltung aufgenommen hat.456 Aus diesem Praxisbeispiel wird ersichtlich, dass in dieser Arbeit keine generell gültige Kategorisierung vorgeschlagen werden kann, da diese Aufgabenstellung unternehmensspezifisch und situativ zu erfolgen hat. Dabei muss vor allem berücksichtigt werden, dass die Kategorisierung sehr eng mit den restlichen Komponenten des Entscheidungselements zusammenhängt. Beispielsweise wird die Kategorisierung durch die Risikostrukturierung des betrachteten Bereiches beeinflusst (siehe Abschnitt 5.6.2). Des Weiteren hängt die Kategorisierung mit der Wahl der RM-Instrumente zusammen (siehe Abschnitt 5.6.3). Definiert man beispielsweise eine Kategorie, die grundsätzlich schwer quantifizierbar ist, dann wird
453
454 455 456
vgl. zum Beispiel: Kremers (2002), S.51; Romeike (2003b), S.167ff.; Dörner/Horvath/Kagermann (2000), S.223ff. vgl. Brühwiler (2001), S.52 vgl. Biedermann (1990), S.33f. vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.58
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
147
man diese Kategorie meist nur mit den „narrativen RM-Instrumenten“457 analysieren können.
5.6.2 Risikostrukturierung in der Instandhaltung Die Risikostrukturierung der Instandhaltung orientiert sich vor allem an der Anlagenstruktur (siehe Abbildung 48) und an den Risikokategorien der Instandhaltung, die vorab festzulegen sind (siehe Abschnitt 5.6.1). Dabei ist zu beachten, dass ein anlagenintensiver Betrieb meist aus einer großen Anzahl von Elementen besteht, die grundsätzlich bezüglich ihrer Risikowirkung untersucht werden müssten. Es ist jedoch eine Risikoanalyse aller Elemente aus kapazitiven und wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Deshalb ist der Ausgangspunkt der nachfolgenden Strukturierungs-Überlegungen die empirische Erkenntnis, dass im Allgemeinen nur 30% der Komponenten rund 80% des Anlagenrisikos verursachen.458 Es ist deshalb zweckmäßig, die Untersuchung auf die risikorelevanten Anlagenelemente zu beschränken. Die in diesem Abschnitt vorgeschlagene Vorgehensweise bezüglich dieses Eingrenzungsschrittes wird aus dem Ansatz des europäischen RM-Forschungsprojektes RIMAP abgeleitet. Im Zuge dieses Projektes wurde eine Methode zur risikoorientierten Inspektions- und Instandhaltungsplanung entwickelt.459 Dabei wird empfohlen, dass die Ermittlung der risikorelevanten Komponenten auf Basis zweier Ansätze erfolgen sollte (siehe Abbildung 49), und zwar erstens in einer Top-down-Vorgehensweise und zweitens durch die Differenzierung der Risikoanalyse in verschiedene Detaillierungstiefen, und zwar von einer Überblicks- zu einer Detailbetrachtung (Screening, Intermediate-, Detailed-Analysis).460 Gestartet wird die Risikoanalyse in der Anlagenebene mit einer Überblicksbetrachtung (Screening). Aufbauend darauf werden einerseits auf der selben Hierarchieebene risikorelevante Anlagen eingehender untersucht (Intermediate- und Detailed-Analysis) und andererseits die Untersuchung bei Bedarf auf tiefere Anlagenebenen ausgedehnt (Teilanlagen, Baugruppen, Bauelemente). Wird dieser Vorgehensweise gefolgt, dann ergibt sich daraus die Risikostrukturierung des Anlagenparks (siehe dazu den Abschnitt 5.6.5). Dabei ist zu beachten, dass wegen des zeitlichen Wandels der Risikolage auch die Strukturierung ein dynamisches Gebilde ist. Die Strukturierungsanpassung erfolgt vor allem auf Grundlage der laufenden Abarbeitung des RM-Prozesses in der oben beschriebenen Weise.
457 458 459 460
vgl. Abschnitt 3.3.4.5 vgl. Jones (1995), 219f.; Bareiß (2002), S.9 vgl. RIMAP-TN Project web Site (2005) vgl. Ross (2002), S.3ff.
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Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
ANLAGE
… verrichtet die Gesamtfunktion
Teilanlage
… verrichtet wichtige Anlagenfunktionen
Baugruppe
… - nicht austauschbar - austauschbar & komplex - austauschbar & einfach
Bauelement
… individuelle Elemente, wenige in einfachen austauschbaren Baugruppen, bis hunderte in komplexen austauschbaren Baugruppen
Abbildung 48: Anlagenstruktur als Basis der Risikostrukturierung in der Instandhaltung461
5.6.3 RM-Instrumente in der Instandhaltung RM-Instrumente sind spezifische Vorgehensweisen, mit denen die Risiken eines Bereiches charakterisiert werden können, wobei RM-Instrumente bei allen RMProzessschritten eingesetzt werden.462 Beispielsweise benötigt man sie einerseits in der RM-Analysephase zur Erkennung der wesentlichen Risiken durch Darstellung des Risikoausmaßes und andererseits beim RM-Bewältigungsschritt zur Festlegung geeigneter Maßnahmen durch Ermittlung der Risikoausmaß-Änderungen infolge der Maßnahmeneinführung. Schließlich benötigt man RM-Instrumente in der RMKontrollphase zur Überwachung der Wirkung des RM-Prozesses. Aus der Vielzahl der in der Literatur beschriebenen RM-Instrumente (siehe Abschnitt 3.3.4), sind vor allem die folgenden in der Instandhaltung relevant:463 x
Failure Mode and Effects Analysis (FMEA)
x
Fehlerbaumanalyse
x
Ereignisbaumanalyse und Entscheidungs-Ereignisbaumanalyse
x
Risikopotenzialanalyse
x
Risikoszenariomethode
x
Risikoorientierte RCM (Reliability Centered Maintenance)
461
vgl. Biedermann (1990), S.62 vgl. Abschnitt 3.3.4 in Anlehnung an Biedermann (2003), S.16ff. (Anmerkung: die Instrumentenaufzählung von Biedermann wird hier um die Risikoorientierte RCM, die Risikoszenariomethode und die Risikopotenzialanalyse, aufgrund deren Relevanz für die Instandhaltung, ergänzt)
462 463
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
149
Auf die FMEA und die Fehlerbaumanalyse wird hier nicht eingegangen, da diese Instrumente in der Literatur464 bereits ausführlich beschrieben sind. Die Risikoszenariomethodik wird im Abschnitt 5.6.5.1 dargestellt. Die Risikopotenzialanalyse ist im Detail in der Arbeit von KLÜGL465 beschrieben, auf die hier verwiesen sei. Nachfolgend wird somit auf die risikoorientierte RCM, die Ereignisbaumanalyse und die Entscheidungs-Ereignisbaumanalyse eingegangen. Den Ausgangspunkt der risikoorientierten RCM-Methodik bildet ein in den 1970er Jahren entwickeltes Verfahren, bei dem Zuverlässigkeitsuntersuchungen auf Basis von Funktionsanalysen der betrachteten Systeme durchgeführt werden. Aufbauend auf der Funktionsanalyse werden potenzielle Funktionsausfälle sowie deren Folgen und Ursachen ermittelt. Aus dieser Analyse werden vorbeugende Maßnahmen abgeleitet, wobei in der Literatur hierfür als Systematik meist die Fragetechnik vorgeschlagen wird, die wiederum häufig in Entscheidungsbäumen dargestellt ist. JONES schlägt eine Erweiterung der Methodik zu einem risikoorientierten RCM-Ansatz vor, indem die möglichen Funktionsausfälle mit Hilfe ihrer Ausfallswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen bewertet werden. Dadurch wird es möglich, die potenziellen Funktionsausfälle entsprechend ihrer Risikoausmaße zu priorisieren und darauf aufbauend geeignete vorbeugende Maßnahmen abzuleiten.466 Die Entscheidungs-Ereignisbaumanalyse (kurz: Entscheidungsbaumanalyse) stellt eine Verallgemeinerung des Ereignisbaumes dar, weshalb beide Methoden hier gemeinsam beschrieben werden. Ziel der Ereignisbaumanalyse (ETA: Event Tree Analysis) ist die Beurteilung der Konsequenzen von unerwünschten Ereignissen und die Berechnung der daraus resultierenden Risiken. Den Startpunkt der Analyse bildet die „Baumwurzel“, der das auslösende Basisereignis zugeordnet wird. Darauf aufbauend werden den von der Wurzel ausgehenden Verzweigungen mögliche Folgeereignisse zugeordnet. Der Baum wird so lange verfeinert, also in Unterbäume zerlegt, bis die Einzelzweige als konkrete Auswirkungen auf das Zielsystem des betrachteten Bereiches interpretierbar sind. Im nächsten Schritt werden für jeden Zweig des Baumes bedingte Wahrscheinlichkeiten ermittelt. Darauf basierend werden die Endwahrscheinlichkeiten der Endzweige aus den Teilwahrscheinlichkeiten des jeweils zuordenbaren Baumverlaufes berechnet. Aus den Endwahrscheinlichkeiten und deren 464
465 466
vgl. zur Ausfallseffektanalyse: Wöls/Brückner/Lichtenecker (2003), S.87ff.; Grams (2001), S38f. / zur Fehlerbaumanalyse: DIN 25424 (1981); Grams (2001), S.42ff. / Methodenüberblick: Kuhlmann (1981) vgl. Klügl (2005), S.147ff. vgl. Jones (1995), S.203ff.
150
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Konsequenzen resultieren schließlich die Risiken der jeweiligen Endzweige. Falls jedoch mehrere Endzweige zur selben Konsequenz führen, müssen die Wahrscheinlichkeiten dieser Endzweige verknüpft werden, um so das Gesamtrisiko dieser verbundenen Endzweige zu ermitteln. Eine Verallgemeinerung des Ereignisbaumes stellt der Entscheidungs-Ereignisbaum dar (kurz: Entscheidungsbaum). Der Entscheidungsbaum besteht aus zwei Knotenarten, und zwar aus Ereignis- und Entscheidungsknoten. Analog zum Ereignisbaum werden den Ereignisknoten bedingte Wahrscheinlichkeiten und den Endzweigen die resultierenden Auswirkungen zugeordnet. Aus der Analyse des Entscheidungsbaums lassen sich optimale Entscheidungsfolgen ableiten. Der Entscheidungsbaum ist somit ein normatives Modell, mit dem eine optimale Entscheidungsfindung unterstützt werden kann.467 Zur Kontrolle der zeitlichen Entwicklung der Risikolage in der Instandhaltung müssen – auf Basis der gewählten RM-Instrumente – die erkannten Risiken zu einem Gesamtrisiko aggregiert werden. Dabei müssen zwei Problemstellungen unterschieden werden, und zwar erstens die Aggregation innerhalb der Instandhaltung und zweitens die Risikoaggregation zu höheren Hierarchieebenen (z.B. Gesamtunternehmen). Die Risikoaggregation innerhalb der Instandhaltung wird dadurch erleichtert, dass die IH-Risiken meist relativ unabhängig voneinander sind, d.h. relativ schwach korrelieren. Dieses Faktum resultiert daraus, dass bei technischen Systemen der „direkte Risikoauslöser und die unmittelbare Wirkung als auch der zu Grunde liegende Wirkungsmechanismus relativ schnell erkennbar, eindeutig von anderen Phänomenen abzugrenzen und damit auch vergleichsweise einfach und exakt zu beschreiben“468 ist. Daraus ergibt sich, dass die Risikoaggregation in guter Näherung durch die Addition der Risikoerwartungswerte erfolgen kann, sofern nur die relative Änderung der Gesamtrisikolage über die Zeit analysiert werden soll.469 JONES empfiehlt als weitere Methode zur Darstellung der gesamten Risikolage in der Instandhaltung die Mittelwertbildung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen aller Risiken.470 Aus der zeitlichen Entwicklung dieser Mittelwerte kann die relative Änderung der Risikolage gefolgert werden. Neben dieser bereichsspezifischen Risikoaggregation stellt das Zusammenfassen der erkannten Teilrisiken zu einem unternehmerischen Gesamtrisiko die zweite Problemstellung dieses Themenbereiches dar. Diese übergreifende Risikoaggregation ist meist nur für Risiken möglich und sinnvoll, die einen finanziellen Einfluss auf das Gesamtunternehmen haben, d.h. die in „Geldbe467 468 469 470
vgl. Grams (2001), S.51ff., S.86ff. zit. Erben/Romeike (2003a), S.50f. zum Begriff „Risikoerwartungswert“: siehe Abschnitt 3.1.4 vgl. Jones (1995), S.226f.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
151
trägen“ bewertbar sind (z.B. direkte und indirekte IH-Kosten, finanzielle Schadensfolgen). Für diese Problemstellung ist zurzeit nur die Monte-Carlo-Simulation praktisch anwendbar, wobei sie in der betrieblichen Praxis meist in vorhandene Planungsmodelle (z.B. Planbilanzen, Gewinn- und Verlust-Rechnung) integriert wird.471
5.6.4 Risikoorientiertes Verhalten in der Instandhaltung Das „risikoorientierte Verhalten“ hat vor allem einen starken Einfluss auf die operative Umsetzung des Risikomanagement-Prozesses. Dabei hängt die konkrete Ausprägung dieses Elementes hauptsächlich davon ab, welche Analysetiefe bei der Abarbeitung des RM-Prozesses notwendig ist (Screening, Intermediate-, oder DatailedAnalysis).472 Entsprechend dem Abschnitt 5.6.5 startet die Risikoanalyse mit dem teamorientierten Screening-Schritt. Dabei ist man insbesondere auf die Informationsweitergabe und Mitarbeit der Teammitglieder angewiesen. JONES nennt bei einem teamorientierten RM-Ansatz in der Instandhaltung zwei Faktoren, die einen Widerstand der Mitarbeiter gegen ein Risikomanagement bewirken können. Erstens kann das Einführen und Betreiben eines Risikomanagements dazu führen, dass die Mitarbeiter dieses als Mitarbeiterreduktions-Programm missverstehen. Zweitens fühlen sich IH-Mitarbeiter häufig in ihrem Selbstverständnis bedroht, da sie befürchten, dass durch ein RM-Programm ihr „Spezialisten-Status“ verloren geht. Als Gegenmaßnahme sollten somit die Projektinhalte laufend kommuniziert, teamfähige Mitarbeiter ausgewählt und die Teammitglieder ausreichend geschult werden. Weitere Erfolgsfaktoren eines RM-Projektes in der Instandhaltung sind, dass die Mitarbeiter die RM-Methodik verstehen und akzeptieren, dass ein klares Commitment der Führungskräfte vorhanden ist und dass das RM-Team sich verantwortlich fühlt für die RM-Aufgaben und -Ergebnisse in ihrem Bereich.473 Ein weiterer Aspekt, der in der teamorientierten Screening-Phase berücksichtigt werden muss, sind die unterschiedlichen fachlichen und intellektuellen Kapazitäten der Teammitglieder. Beispielsweise dürfen in dieser Phase die verwendeten RMInstrumente nicht zu komplex sein, um die Teammitglieder nicht zu überfordern, weshalb insbesondere die Risikodarstellung in Form einer Risikomatrix empfehlenswert ist. Die graphische Darstellung des abstrakten Risikobegriffes in der Risikomatrix trägt dazu bei, dass jene Teammitglieder, die kein mathematisch fundiertes Methodenwissen besitzen, die praktischen Implikationen der Risikoanalyse verstehen 471 472 473
vgl. Abschnitt 3.3.4.6 vgl. Abschnitt 5.6.5 vgl. Jones (1995), S.229ff.
152
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
und darüber diskutieren können. Diese Aussage gilt jedoch nur in der ScreeningPhase, den die auf dem Screening-Schritt aufbauenden vertiefenden Analysen (Intermediate- und Detailed-Analysis) werden meist von Spezialisten durchgeführt, da für eine möglichst exakte Darstellung der Risikolage im Allgemeinen komplexe RMMethoden zum Einsatz kommen müssen (z.B. statistische Auswertungen, Simulationsmodelle). Bei diesen Spezialisten steht somit die Methodenkenntnis im Vordergrund, wobei jedoch die restlichen Kompetenzbereiche (siehe nächsten Absatz) nicht vernachlässigt werden dürfen, da die Spezialisten bei der Anwendung der Methoden auf Informationen und die Mitwirkung der Instandhaltungs- und Produktionsmitarbeiter angewiesen sind.474 Um die oben dargestellten Herausforderungen bewältigen zu können, muss eine geeignete Mitarbeiterentwicklung erfolgen, d.h. es müssen laufend die Mitarbeiterkompetenzen durch Kommunikations- und Schulungsmaßnahmen verbessert werden. SAGADIN beschreibt vier Kompetenzbereiche, die generell in der Instandhaltung, und somit auch für das Risikomanagement dieses Bereiches, von Bedeutung sind:475 x
Fachkompetenzen sind berufsspezifische Fertigkeiten und Fachkenntnisse. Beispielsweise muss bei der Auswahl der Teammitglieder darauf geachtet werden, dass im RM-Team ein ausreichendes Fachwissen vorhanden ist.
x
Methodenkompetenzen beinhalten die kognitiven Fähigkeiten, die bei der Anwendung der RM-Methoden benötigt werden.
x
Sozialkompetenzen umfassen jene Fähigkeiten, die notwendig sind für ein gruppenorientiertes und unterstützendes Verhalten im RM-Team.
x
Personalkompetenzen sind die persönlichkeitsbezogenen Dispositionen eines Menschen, die sich in Einstellungen, Werthaltungen, Bedürfnissen und Motiven bezüglich des Risikomanagements manifestieren.
Schließlich bildet ein grundsätzliches Verständnis der menschlichen Wahrnehmung eine wesentliche Erfolgskomponente bei der gezielten Verhaltensbeeinflussung.476 Beispielsweise können in technischen Bereichen aufgrund von Wahrnehmungseffekten folgende Risikopotenziale resultieren:477 Missachtung von Warnzeichen, ein zu großes Vertrauen in risikoreduzierende Maßnahmen wie Redundanzen, Annahme eines mit der Zeit abnehmenden Risikos, sowie eine zu große Risikoakzeptanz, ins474 475 476
477
vgl. Jones (1995), S.249f. in Anlehnung an: Sagadin (2002), S.94 Als Grundlage für das Verständnis der Wahrnehmungsprozesse wird in dieser Arbeit das radikalkonstruktivistische Wahrnehmungsmodell vorgeschlagen (vgl. hierzu den Abschnitt 2.3) vgl. Grams (2001), S.106
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
153
besondere im Zusammenhang mit sehr unwahrscheinlichen aber möglicherweise katastrophalen Konsequenzen. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass eine zu starke Thematisierung des Risikoaspektes dazu führen kann, dass die Mitarbeiter keine Risiken mehr eingehen wollen (dysfunktionale Risikoaversion), wodurch die Gefahr besteht, dass das Unternehmen „erstarrt“ und Chancenpotenziale möglicherweise ungenutzt bleiben.
5.6.5 RM-Prozess in der Instandhaltung Wie bereits im Abschnitt 5.6.2 dargestellt wurde, können in der Instandhaltung aufgrund der kapazitiven und zeitlichen Grenzen nicht alle Anlagenelemente untersucht werden. Eine detaillierte Risikoanalyse sollte somit nur in risikorelevanten Teilbereichen erfolgen. Dabei empfiehlt sich eine Top-down-Vorgehensweise, d.h. die Untersuchung wird auf der höchsten Anlagenebene gestartet und je nach erkannter Risikorelevanz weiter vertieft, wobei der Detaillierungsgrad der Risikoanalyse zunimmt.478 Die Abbildung 49 zeigt diese an die RIMAP-Methodik angelehnte Vorgehensweise, wie sie bereits im Abschnitt 5.6.2 beschrieben wurde. Bei der RIMAPMethodik erfolgt der Screening-Schritt hauptsächlich in Form einer teamorientierten Fragetechnik.479 In dieser Arbeit wird jedoch der Screening-Schritt nicht nur auf die Anwendung der Fragetechnik beschränkt, sondern die Methodenwahl wird offen gehalten, d.h. es sollten grundsätzlich alle verfügbaren RM-Instrumente einsetzbar sein. In der IH-Praxis hat sich für den Screening-Schritt die Risikoszenariomethode bewährt, weshalb diese im Abschnitt 5.6.5.1 beispielhaft beschrieben wird. Aufbauend auf den Erkenntnissen dieses Schrittes müssen in risikorelevanten Anlagenteilbereichen detailliertere Untersuchungen durchgeführt werden, wobei u.a. die in den Abschnitten 3.3.4 und 5.6.3 beschriebenen Instrumente zum Einsatz kommen können. Auf diese vertiefenden Untersuchungen wird im Abschnitt 5.6.5.2 eingegangen (Intermediate- und Datailed-Analysis).
478 479
vgl. Polster (2003), S.89 vgl. Ross (2002), S.5f.
154
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Anlagenhierarchie
Komplexität der Analyse Anlagensystem Anlage
Screening (qualitative Analyse)
Intermediate Teilanlage
(semi-quantitative Analyse)
Baugruppe
Detailed (quantitative Analyse)
Bauelement
Abbildung 49: Detaillierungsgrad der Risikoanalyse480
5.6.5.1 Top-down-Vorgehen (Screening) mit Hilfe der Risikoszenariomethodik Wie bereits in der obigen Einleitung angedeutet wurde, sind beim Screening-Schritt grundsätzlich alle verfügbaren RM-Instrumente einsetzbar, jedoch wird in diesem Abschnitt die Risikoszenariomethode aufgrund ihrer Praxisrelevanz empfohlen und nachfolgend dargestellt. Es steht jedoch den RM-Verantwortlichen offen, andere Methoden für diesen Schritt zu verwenden bzw. die dargestellte Methode an die situativen Gegebenheiten anzupassen. Kurzbeschreibung der Risikoszenariomethode Die Risikoszenariomethode gehört, entsprechend der Instrumentenklassifizierung des Abschnitts 3.3.4, zu den ereignisbasierten RM-Instrumenten. Den Ausgangspunkt der Risikoszenariomethode bildet die Ermittlung von möglichen Risikoereignissen im betrachteten Bereich. Darauf aufbauend werden die damit zusammenhängenden Ursachen-Ereignis-Wirkungsketten verbal beschrieben.481 Diese UrsachenEreignis-Wirkungsketten werden bezüglich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung bewertet und in einer Risikomatrix dargestellt. Je nach Position in der Risikomatrix werden Maßnahmen definiert, umgesetzt und überwacht. Diese hier dargestellten Schritte werden in den nachfolgenden Unterabschnitten beschrieben. Dabei werden, um die Praxisrelevanz der Beschreibungen sicherzustellen, einerseits Er-
480 481
vgl. Bareiß (2002), S.9; siehe auch Strohmeier/Posch (2005), S.159 vgl. Abschnitt 3.3.4.2 und Abbildung 20
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
155
kenntnisse aus Beratungsprojekten in der industriellen Instandhaltung berücksichtigt und andererseits praktische Hinweise bei der Methodenanwendung hinzugefügt.482 Erarbeitung von strategischen Rahmenelementen der Risikoszenariomethode Bevor der RM-Prozess abgearbeitet werden kann, müssen vier strategische Rahmenelemente der Methode definiert werden, und zwar Risikokategorien, Bewertungskriterien, Wesentlichkeitsgrenzen der Risikomatrix (Risikobereiche), sowie risikoorientierte IH-Basisstrategien zur Unterstützung der Maßnahmenfindung. In Hinblick auf das RM-Modell ist zu beachten, dass diese Rahmenelemente eigentlich Aufgabenfelder des Modellelementes „RM-Strategie“483 sind, trotzdem werden sie aus Übersichtlichkeitsgründen hier dargestellt. Den Ausgangspunkt der Risikoanalyse bilden die relevanten Risikokategorien des betrachteten Bereiches, welche vorab festgelegt werden müssen (siehe Abschnitt 5.6.1). Darauf aufbauend werden die Bewertungskriterien definiert, wobei folgende Aspekte bei deren Festlegung berücksichtigt werden sollten: x
Vergleichbarkeit der Bewertungskriterien der verschiedenen Risikokategorien: Damit bei der Bewertung ein einheitliches Verständnis zwischen den Risikokategorien sichergestellt ist, müssen die einzelnen Bewertungsstufen der verschiedenen Risikokategorien untereinander vergleichbar definiert werden. So muss beispielsweise bei der Festlegung der Bewertungskriterien für die Bewertungsstufe „katastrophale Auswirkung“ in jeder Risikokategorie das gleiche Bewertungsverständnis zugrundegelegt werden.
x
Logarithmieren der Skala: Der Sprung von einer Skalenstufe zur nächsten sollte sowohl für die Auswirkung als auch für die Eintrittswahrscheinlichkeit logarithmisch festgelegt sein.484 Damit wird bei der eigentlichen Bewertung die Zuordnung einer Gefahr zu einer Bewertungsstufe erleichtert.
482
vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberg (2004), S.47ff. vgl. Abschnitt 5.5.1 vgl. Leidinger (2002), S.246f.; Jones (1995), S.190
483 484
156
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Die Abbildung 50 zeigt eine beispielhafte Darstellung der Bewertungskriterien für die Risikoauswirkung, wobei diese Abbildung der betrieblichen Praxis entnommen ist.
Bewertungsstufen der Auswirkung von Risiken Kategorien Bewertungsstufen
Interpretation Image
Interpretation Umwelt
Interpretation Personensicherheit
Interpretation Versorgungssicherheit
Interpretation Finanziell
Unbedeutend
Imagebeeinträchtigung ist vernachlässigbar
Umweltbeeinträchtigung liegt im Rahmen der Grenzwerte
Leichte Verletzung ohne Arbeitsunfall
Versorgungssicherheit bzw. Anlagensicherheit wird vernachlässigbar beeinflusst
Finanzieller Schaden ist vernachlässigbar
bis 2 499
Gering
Folgen der Imagebeeinträchtigung sind gering
Umweltbeeinträchtigung überschreitet gelegentlich verbindliche Grenzwerte
Heilbare Verletzung mit Arbeitsunfall
Versorgungssicherheit bzw. Anlagensicherheit wird gering beeinflusst
Finanzieller Schaden ist gering
2 500 bis 24 999
Leichter Imageschaden/ Öffentlichkeit, Behörde bzw. Erdgasbezieher ist "verärgert"
Effektive Überschreitung von Grenzwerten/ behördliche Verfahren/ Umweltbeeinträchtigung und Störfälle ohne sichtbarem Umweltschaden
Leichter bleibender Gesundheitsschaden/ die Arbeitsfähigkeit im erlernten oder in einem vergleichbaren Beruf bleibt erhalten/ die Lebensqualität wird nur in geringem Maße beeinflusst
Versorgungssicherheit bzw. Anlagensicherheit wird sichtbar beeinflußt (z.B. Erdgasbezieher ist nur "verärgert")
Finanzielles Ergebnis wird spürbar beeinträchtigt
25 000 bis 249 999
Schwerer Imageschaden/ Imageschaden kann zu nachhaltigen Nachteilen führen, zusätzliche massive Auflagen durch Behörde, negative Auswirkungen auf Gasabsatz
Imageschaden, über den in der Presse berichtet wird/ Umweltbeeinträchtigung und Störfälle mit sichtbarem Umweltschaden/ Behörde wird aktiv bzw. deren Einbeziehung ist notwendig
Schwerer bleibender Gesundheitsschaden mit dauernder Arbeitsunfähigkeit im erlernten oder in einem vergleichbaren Beruf/ die Lebensqualität wird stark beeinflusst
Versorgungssicherheit bzw. Anlagensicherheit wird schwerwiegend beeinflußt, Vorfall hat externe Wirkung (zB. Druckabfälle unter die vertraglich vereinbarten Werte - dadurch Probleme bei einzelnen Gasbeziehern)
Finanzielles Ergebnis wird schwerwiegend beeinflusst
250 000 bis 2 499 999
Imageschaden kann zu existenzbedrohenden Nachteilen führen, Unternehmen wird in der Öffentlichkeit negativ dargestellt, Kunden und Behörden haben Vertrauen in das Unternehmen und dessen Führung verloren
Katastrophaler Imageschaden / strafrechtliche Maßnahmen gegen Unternehmen (Betriebsschließung) oder gegen Management (Strafklage)/ Störfälle mit nachhaltigem Umweltschaden, hohe Störungsbehebungskosten
Todesfall
Versorgungssicherheit bzw. Anlagensicherheit wird katastrophal beeinflusst/ Vorfall hat existenzbedrohende Wirkung, unangekündigte, längere Versorgungsunterbrechungen in größeren Bereichen (z.B. Orte und Großkunden)
System wird durch finanziellen Schaden existenzbedrohend gefährdet
größer 2 500 000 (Bereichsspezifisch definieren)
Spürbar
Kritisch
Katastrophal
Abbildung 50: Bewertungskriterien für die Risikoauswirkung (Praxisbeispiel eines Ferngasunternehmens)485
Bei der konkreten Festlegung der Bewertungskriterien für die Eintrittswahrscheinlichkeit kann – im Unterschied zur Auswirkung – für alle Risikokategorien der gleiche Bewertungsmaßstab zugrundegelegt werden. BRÜHWILER empfiehlt als Basiszeitraum, der sich aus dem Übergang zwischen der Bewertungsstufe „Sehr selten“ zur Stufe „Unwahrscheinlich“ ergibt, die Lebenszykluszeit des untersuchten Systems.486 Der beispielhaften Abbildung 51 ist somit eine Lebenszykluszeit der betrachteten Anlage von 50 Jahren zugrundegelegt.
485 486
vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.59 vgl. Brühwiler (2001), S.76
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
157
Bewertungsstufen der Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken Interpretation Unwahrscheinlich
Der Eintritt des Risikos wird in 50 Jahren nie erwartet
Sehr selten
Der Eintritt des Risikos wird bis zu einmal in 50 Jahren erwartet
Selten
Der Eintritt des Risikos wird bis zu einmal in 10 Jahren erwartet
Möglich
Der Eintritt des Risikos wird bis zu einmal in 3 Jahren erwartet
Häufig
Der Eintritt des Risikos wird 3 mal pro Jahr und öfters erwartet
Abbildung 51: Bewertungskriterien für die Risiko-Eintrittswahrscheinlichkeit (Praxisbeispiel eines Ferngasunternehmens)487
EINTRITTSWAHRSCHEINLICHKEIT
Ein zentrales Instrument der Risikoszenariomethodik ist die Risikomatrix, in der die ermittelten Gefahren entsprechend ihrer potenziellen Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoauswirkung dargestellt werden. Die Abbildung 52 zeigt den grundsätzlichen Aufbau der Risikomatrix, wobei diese Darstellung auf den fünf Bewertungsstufen der Abbildung 50 und Abbildung 51 basiert.
Häufig
Bereich A
Möglich
Selten
Bereich B
Sehr selten Unwahrscheinlich
Bereich C Unbedeutend
Gering
Spürbar
Kritisch
Katastrophal
RISIKOAUSWIRKUNG Abbildung 52: Risikomatrix mit verschiedenen Risikobereichen (beispielhafte Darstellung)
487
vgl. Strohmeier/Posch/Scharzberger (2004), S.60
158
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
In der Abbildung 52 ist die Risikomatrix beispielhaft in drei Risikobereiche unterteilt. Dabei beinhaltet der Bereich A große Risiken, für die unbedingt Maßnahmen erforderlich sind. Bei diesen Risiken ist die höchste Aufmerksamkeit durch das Management notwendig. Der Bereich B repräsentiert den Übergangsbereich, für dessen Risiken individuell zu entscheiden ist, ob eine Maßnahme notwendig ist oder nicht. Schließlich beinhaltet der Bereich C die vernachlässigbaren Risiken, für die im Allgemeinen keine Maßnahmen notwendig sind. Nachdem jede Risikokategorie488 eine eigenständige Risikoperspektive darstellt, müssen für jede Risikokategorie jeweils individuelle Risikobereiche definiert werden. Bei der Definition der RisikobereichsGrenzen muss grundsätzlich beachtet werden, dass diese Festlegung davon abhängt, in welchem Umfang ein Unternehmen gewillt ist, Risiken in Kauf zu nehmen. Die Grenzenfestlegung ist somit eine strategische Entscheidung und muss von der Unternehmensleitung vorgenommen werden. In vielen Fällen verschwindet dabei der Übergangsbereich (Bereich B) und es muss dann nur mehr zwischen Risikoakzeptanz und Risikovermeidung unterschieden werden. Die Risikobewältigungsphase sollte durch vorab festgelegte risikoorientierte Instandhaltungs-Basisstrategien unterstützt werden. SCHIMMELPFENG leitet diese einerseits aus den Risikomatrix-Bereichen und andererseits aus der Prognostizierbarkeit des Risikoeintrittes ab. Aus der Position in der Risikomatrix können entsprechend der Abbildung 52 drei Grundstrategien definiert werden (Bereich C: Akzeptanz; Bereich B: Kostenoptimierung; Bereich A: Vermeidung). Bezüglich der zweiten relevanten Dimension, und zwar der Prognostizierbarkeit des Risikoeintrittes, können wiederum drei Fälle unterschieden werden, da die potenziellen Risikoeintritte hinsichtlich ihrer Determinierbarkeit vorhersehbar, erkennbar, bzw. nicht vorhersehbar sein können. Es können somit 9 Felder abgeleitet werden (siehe Abbildung 53), die mit geeigneten Maßnahmenempfehlungen zu hinterlegen sind, wobei die Inhalte dieser Felder unternehmensspezifisch ausgearbeitet werden müssen. Durch die Zuordnung eines Risikos zu einem dieser Matrixfelder lässt sich die erforderliche Maßnahmenart grob festlegen und darauf aufbauend eine konkrete Maßnahme ableiten.489
488 489
vgl. Abschnitt 5.6.1 in Anlehnung an: Schimmelpfeng (2001), S.283f.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
159
Risikoorientierte BASISSTRATEGIEMATRIX der Instandhaltung Grundstrategie Determinierbarkeit
Geplante Instandhaltung BEREICH A Risikovermeidung
BEREICH C Risikoakzeptanz • Ausfallsorientierte IH-Strategie • Anlassbezogene Maßnahmen • Kumulierungsvermeidung • Lagerhaltung / Lieferfähigkeit
A1
• Einzelentscheidung (Vorbeugende oder anlassbezogene Maßnahmen) • Kriterien: Aufwand; Kosten / Nutzen; Budgetverfügbarkeit • Krisenplanung (Szenarien) B1 bei großer Auswirkung
• Ausfallsorientierte IH-Strategie • Anlassbezogene Maßnahmen • Kumulierungsvermeidung • Lagerhaltung / Lieferfähigkeit
A2
• Einzelentscheidung (Vorbeugende oder anlassbezogene Maßnahmen) • Kriterien: Aufwand; Kosten/Nutzen; Budgetverfügbarkeit • Krisenplanung (Szenarien) B2 bei großer Auswirkung
Vorhersehbar • Vorbeugende Maßnahmen • Berücksichtigung des Bauteilalters • Inspektionsmaßnahmen
Erkennbar
Ungeplante Instandhaltung BEREICH B Kostenoptimierung
• Vorbeugende Maßnahmen • Zustandsorientierung (Zustandsüberwachung) • Inspektionsmaßnahmen
Nicht • Vorbeugende Maßnahmen vorhersehbar • Inspektionsmaßnahmen • Redundanzen • Absicherungen
A3
C1
C2
• Einzelentscheidung (Vorbeugende • Ausfallsorientierte IH-Strategie oder anlassbezogene Maßnahmen) • Anlassbezogene Maßnahmen • Kriterien: Aufwand; Kosten/Nutzen; • Lagerhaltung / Lieferfähigkeit Budgetverfügbarkeit • Krisenplanung (Szenarien) B3 C3 bei großer Auswirkung • Lagerhaltung / Lieferfähigkeit
Abbildung 53: Basisstrategiefelder der risikoorientierten Instandhaltung (Praxisbeispiel)490
Grundsätzlich zuständig für die Durchführung des RM-Prozesses ist der jeweilige Bereichsverantwortliche. Dieser muss sicherstellen, dass der RM-Prozess auf Basis des Ablaufes der Abbildung 1 abgearbeitet wird, wobei bei der Risikoszenariomethode aus Zweckmäßigkeitsgründen die erste Phase (Risikoanalyse) in zwei Unterschritte aufgeteilt wird, und zwar in „Gefahren identifizieren“ und „Risiken bewerten“. Die nachfolgenden Beschreibungen basieren auf den Ausführungen des Abschnitts 3.3.1, auf den hier verwiesen sei. Des Weiteren ist der RM-Prozess bereits ausführlich in der Literatur491 beschrieben, weshalb eine detaillierte Darstellung der RMProzessschritte hier nicht notwendig ist. Nachfolgend wird somit nur auf die Besonderheiten bei der teamorientierten Abarbeitung des RM-Prozesses bei der Risikoszenariomethode eingegangen. Gefahren identifizieren Die Gefahrenidentifikation sollte bei der Risikoszenariomethode in Workshop-Form erfolgen. Im ersten Schritt werden alle risikorelevanten Ereignisse und Entwicklungen des untersuchten Bereiches aufgelistet. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei, dass der Moderator sicherstellen muss, dass möglichst alle relevanten Gefahren (Ereignisse und Entwicklungen) identifiziert werden. Dazu müssen dem Team vorab alle 490 491
vgl. Strohmeier/Posch/Scharzberger (2004), S.61 vgl. unter vielen: Diederichs (2004), S.93ff.; Romeike (2003a), S.147ff.; Kremers (2002), S.76ff.; Wolf/Runzheimer (2003), S.41ff.; Brühwiler (2001), S.79f.
160
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden, wie beispielsweise Inspektionsdaten, Checklisten, Flussdiagramme, Dokumentenanalysen, Konkurrenzanalysen, Gefahrenlisten, Frühwarnsystemdaten, sowie Berichte und Statistiken über Unfälle und Schäden.492 Aufbauend auf diesen Basisdaten erfolgt die Gefahrenidentifikation, wobei deren Vollständigkeit vor allem durch eine systematische Vorgehensweise unterstützt werden kann, indem beispielsweise alle Risikokategorien und Anlagenelemente durchgegangen werden. Für die erkannten Gefahren müssen die relevanten Ursachen sowie Wirkungen ermittelt und möglichst genau dokumentiert werden, damit die Nachvollziehbarkeit dieses Schrittes sichergestellt ist. Darüber hinaus muss darauf geachtet werden, dass die identifizierten Gefahren nicht zu grob, aber auch nicht zu fein definiert werden. Zu grob bedeutet, dass Gefahren betrachtet werden, die eigentlich einer höheren Aggregationsebene zugeordnet werden müssten. Solche Gefahren fallen einerseits meist nicht in die Zuständigkeit des zugrundegelegten Betrachtungsbereiches und andererseits sind sie häufig aufgrund ihres hohen Aggregationsgrades in den nachfolgenden RM-Prozessschritten methodisch schwer handhabbar. Zu fein bedeutet dagegen, dass Teilgefahren definiert sind, die eigentlich – entsprechend der gewählten Betrachtungsebene – zu einer logisch zusammengehörenden Gesamtgefahr aggregiert werden müssten. Bei zu fein definierten Gefahren könnte beispielsweise der Fall eintreten, dass diese bei der Risikobewertung als unterkritisch ausgewiesen und somit nicht weiter betrachtet werden, obwohl die zusammengefasste Gefahr als überkritisch bewertet werden würde. Risiken bewerten Den Ausgangspunkt dieses Schrittes bilden die vorab definierten Bewertungskriterien (siehe Abbildung 50 und Abbildung 51). Auf deren Basis wird jede identifizierte Gefahr bewertet (siehe Abbildung 54). Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei, dass das Workshopteam, das diesen Schritt durchführt, ein einheitliches Verständnis bezüglich der Bewertungskriterien hat und mit den Kriterien gut vertraut ist. Darüber hinaus muss, aufgrund der „getrennten“ Bewertung der beiden Risikodimensionen „Auswirkung und Wahrscheinlichkeit“, der Moderator vor allem sicherstellen, dass für beide Bewertungsdimensionen das gleiche Verständnis bezüglich des zugrundegelegten Gefahrenszenarios (Ursachen-Ereignis-Wirkungskette) vorherrscht. D.h. es sollte die Konsistenz der Bewertung der Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit laufend hinterfragt werden, um grobe Fehlbewertungen zu vermeiden. Schließlich muss die vorgenommene Bewertung möglichst genau dokumentiert werden, damit deren Nachvollziehbarkeit für Dritte sichergestellt ist. 492
vgl. Schimmelpfeng (2001), S.281
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
161
Gefahrenliste
Bewertung
Gefahren (mit je einer Beschreibung der Ursachen & Wirkungen)
Gefahrenliste M u R Stationen
Nr.
Gefahr
äußere und innere 1 Oberflächenkorrosion
Gefahr
OÖ. Ferngas AG
Erstellt durch:
Bewertung: Wahrscheinl.
Bewertung: Auswirkung
Begründung
x
Nachvollziehbarkeit der Bewertung sicherstellen!
Datum:
Ansp Betroffe rech- nes Risiko- perso Anlagen Gefahrenelement häufigkeit kategorie n
Gefahr bereits aufgetr eten?
V
Sci Ku
Undichtkeit Rohr und 2 Verbindungen
V
Sci Ku
UG 1
1 x / Jahr
ja
Undichtkeit Rohr und Verbindungen - kritische 3 Gaskonzentration
UG 1
1 x / 50 Jahre
ja
UG 1
1x / 10 Jahre
ja
P
Sci Ku
Undichtkeit Regler und 4 Sicherheitsein.
V
Sci Ku
UG 1
1 x / Jahr
ja
Undichtkeit Regler und Sicherheitseinrichtungen 5 kritische Gaskonzentration
P
Sci Ku
UG 1
1 x / 50 Jahre
ja
Mögliche Auswirkung Ursache Mangelnder Anstrich, agressive Gasbegleitstoffe Korrosion, Spannungen, Risse, mech. Beschädigung, Montagemängel, Korrosion, Spannungen, Risse, mech. Beschädigung, Montagemängel, Dichtungen, Materialmängel Korrosion, Spannungen, Risse, mech. Beschädigung, Montagemängel, Dichtungen, Materialmängel Korrosion, Spannungen, Risse, mech. Beschädigung, Montagemängel, Dichtungen, Materialmängel Korrosion, Spannungen
Mögl. finanzieller Beschreibung der Auswirkung Schaden
Druckeinschränkungen
Personenschaden, Sachschaden,
x
Gefahr 2
Nachvollziehbarkeit der Bewertung sicherstellen!
x
x
Nachvollziehbarkeit der Bewertung sicherstellen!
Kr
Versogungseinschränkungen /ausfall, Anlagenausfall, Sachschaden, Sp
Personenschaden, Sachschaden,
Gefahr 1
Ge
Versogungseinschränkungen /ausfall, Anlagenausfall, Sachschaden, Sp
Kr
x
Gefahr 3 Gefahr 4
x
x x
Nachvollziehbarkeit der Bewertung sicherstellen!
Abbildung 54: Symbolische Darstellung des Bewertungsschrittes
Risiken bewältigen Ziel dieses Schrittes ist es, die Risiken aus dem kritischen Risikomatrix-Bereich zu eliminieren (siehe Abbildung 52). Dazu müssen geeignete Maßnahmen festgelegt und umgesetzt werden. Eine mögliche Maßnahmenart ist beispielsweise, dass die Durchführung von vertiefenden Analysen im Sinne der Abbildung 49 veranlasst wird (Intermediate- und Detailed-Analysis). Werden keine vertiefenden Risikoanalysen veranlasst, sondern bereits konkrete Maßnahmen definiert, so sollte dies unter Verwendung der Basisstrategiematrix erfolgen (siehe Abbildung 53). Dabei lässt sich durch die Zuordnung eines Risikos zu einem dieser Matrixfelder die erforderliche Maßnahmenart grob festlegen und darauf aufbauend eine konkrete Maßnahme ableiten. Risikomaßnahmen können grundsätzlich klassifiziert werden in Risikovermeidung, -verminderung, -abwälzung, sowie -übernahme.493 Beispielsweise bilden die im Abschnitt 4.6.5.4 beschriebenen Finanzierungs- und Versicherungslösungen eine besonders wichtige Maßnahmenklasse der Risikoabwälzung. Des Weiteren werden in der Literatur ursachen- und wirkungsbezogene Bewältigungsmaßnahmen unterschieden.494 Ursachenbezogene Maßnahmen verfolgen das Ziel, die RisikoEintrittswahrscheinlichkeit zu vermindern. Diese sind somit nur vor einem Risikoeintritt möglich. Wirkungsbezogene Maßnahmen versuchen dagegen, die Risikoauswirkungen zu reduzieren und können zum Teil noch nach dem tatsächlichen Risikoeintritt ergriffen werden. Die festgelegten Maßnahmen sollten in einem Maßnahmenka493 494
vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.88 vgl. Kremers (2002), S.84
162
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
talog dokumentiert werden (siehe Abbildung 55). Mit einem solchen Maßnahmenkatalog – in dem u.a. die einzelnen Risiken, deren Handhabung, sowie die Maßnahmenverantwortlichen definiert sind – soll vor allem die termingerechte Umsetzung durch die verantwortlichen Personen unterstützt und überwacht werden. Risiken kontrollieren Grundsätzlich bezieht sich die Risikokontrolle auf alle RM-Prozessschritte, wobei insbesondere die geeignete Abarbeitung der Prozessphasen gemäß den RMVorgaben überwacht werden muss. Eine weitere Kernaufgabe der Risikokontrolle besteht in der Überprüfung der Wirksamkeit der definierten Risikomaßnahmen vor der eigentlichen Maßnahmenumsetzung. Dazu werden auf Basis der Maßnahmendefinition die Auswirkungen und Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Risiken neu bewertet, wobei diese Neubewertung unter der Annahme erfolgt, dass die festgelegten Maßnahmen effizient eingeführt werden (siehe Bewertungsspalten „nach Maßnahme“ in der Abbildung 55). Falls diese Neubewertung ergibt, dass ein Risiko durch die definierte Maßnahme nicht aus dem kritischen Bereich der Risikomatrix herausgeführt wird, dann wird die Maßnahme solange verbessert, bis das Risiko aus diesem Bereich eliminiert ist. Des Weiteren muss auf Basis der Risikokontrolle dafür gesorgt werden, dass außerordentliche Ereignisse und neu erkannte Risikopotenziale im Rahmen einer Risikoberichterstattung geeignet kommuniziert werden. Nur so können Fehlentwicklungen möglichst früh erkannt und Steuerungsmaßnahmen eingeleitet werden. Schließlich muss der Fortschritt der Maßnahmenumsetzung laufend überwacht werden. Durch das Aufzeigen von tatsächlichen oder potenziellen Abweichungen gegenüber den vorgegebenen Maßnahmenzielen können rechtzeitig Zusatzoder Alternativmaßnahmen ergriffen werden. Maßnahmenliste
2 Fehlende Ersatzteile
3 Mangelhafte USV
4 2
B
Matrixbereich C: Keine Maßnahme erforderlich
/
D
Systemkritische Ersatzteile ermitteln und für diese: Ersatzteilbewirtschaftung, Inspektionsmaßnahmen, Lieferantenbewertung aufbauen, usw.
A
Matrixbereich C: Keine Maßnahme erforderlich
Abbildung 55: Praxisbeispiel eines Maßnahmenkataloges
/
/
/
Termin
[Euro]
Verantwortlich
1
Maßnahmenbeschreibung
Kosten
A...Unwahrsch. B...Sehr selten C...Selten D...Möglich E...Häufig
Maßnahmenumsetzung
Wahrscheinlichkeit
Funktionsstörung Abgasfang
1...Unbedeutend 2...Gering 3...Spürbar 4...Kritisch 5...Katastrophal
Bewertung (nach Maßnahme)
Risikomaßnahme
Auswirkung
1
Gefahr
Wahrscheinl.
/
10.000
Nummer
Bewertung (vor Maßnahme) Auswirkung
2
B
Gruber
20.04. 2005
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Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
163
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Erkenntnisse der Risikokontrolle vor allem für Lernprozesse genutzt werden sollten. Eine vollständige und korrekte Risikoanalyse wird in der Praxis nämlich nur in den seltensten Fällen gelingen. Eintritte unbekannter oder falsch eingeschätzter Risiken werden immer wieder vorkommen, und es zeigt sich häufig, dass manche Risikomaßnahmen nicht in der erwarteten Weise wirksam sind. Gelingt es, diese Erkenntnisse in einem adäquaten Lernklima dem Team zur Verfügung zu stellen, so wird sich die Performance des RM-Prozesses kontinuierlich verbessern.495 Betrachtung des Übergangsbereiches der Risikomatrix (Bereich B) Eine besondere Herausforderung stellt der Übergangsbereich der Risikomatrix dar (Bereich B in der Abbildung 52), in dem häufig ein Großteil der IH-Risiken kumuliert sind.496 Aufgrund dieses Kumulationseffektes ergibt sich das Dilemma, dass einerseits eine Maßnahmenumsetzung für alle Risiken dieses unterkritischen Bereiches nicht wirtschaftlich ist, jedoch andererseits bei einer Vernachlässigung dieser Risiken die Risikolage der Instandhaltung nicht optimiert wird. Deshalb sollte jedes einzelne Risiko dieses Bereiches individuell behandelt werden. Diese Einzelentscheidungen können beispielsweise durch Kosten-Nutzen-Betrachtungen unterstützt werden. Solch eine Kosten-Nutzen-Betrachtung kann u.a. auf Basis der RisikomaßnahmenPrioritätszahl RMP erfolgen, mit der eine Risiko-Priorisierung möglich ist. Die RMP muss für jedes einzelne Risiko des Übergangsbereiches berechnet werden, wobei sich dieser Wert aus den beiden folgenden Grundgrößen zusammensetzt:497 1. Maßnahmenausgaben: Diese Größe beinhaltet alle Ausgaben, die zur Umsetzung der definierten Risikomaßnahme notwendig sind. 2. Risikoerwartungswert RE: Den Ausgangspunkt bei den Überlegungen bezüglich dieser Größe bildet die finanzielle Risikokategorie der Bewertungskriterien, bei der die Risikoauswirkung in Geldbeträgen ausgedrückt wird.498 Für diese Risikokategorie errechnet sich der Risikoerwartungswert RE entsprechend der folgenden Formel (siehe Abbildung 50 und Abbildung 51):499 RE = Wahrscheinlichkeit [pro Jahr] · Risikoauswirkung [in Euro] ... [in Euro pro Jahr] 495 496 497 498
499
vgl. Kremers (2002), S.93 vgl. Biedermann (2003), S.20; Hofmann (2002), S.4 vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.64f. die Berechnung der RMPs setzt somit voraus, dass eine „finanzielle Risikokategorie“ definiert und verwendet wird. vgl. hierzu auch den Abschnitt 3.1.4
164
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Für die finanzielle Risikokategorie kann der Risikoerwartungswert als jener Durchschnittskostenwert interpretiert werden, der durch ein Risiko im Sinne der Wahrscheinlichkeitsaussage verursacht wird. Zur konkreten Berechnung dieser Größe wird für die einzelnen Auswirkungs- und Wahrscheinlichkeitsklassen der Bewertungskriterien ein durchschnittlicher Wert ermittelt. Mit diesen Durchschnittsgrößen wird für jedes Risikomatrixfeld der Risikoerwartungswert der finanziellen Risikokategorie entsprechend der obigen Formel berechnet (siehe Abbildung 56).
Risikoerwartungswert RE [in Euro pro Jahr]
9
3
82500000
2
0,33
1,165
1456
16019
160188
1601875
16018750
0,1
1 mal pro 51 Jahre und w eniger
8250000
0,25
Unwahrscheinlich
825000
0,175
219
2406
24063
240625
2406250
0,1
Sehr selten 1 mal pro 50 Jahre bis 1 mal pro 11 Jahre
82500
0,02
Selten 1 mal pro 10 Jahre bis 1 mal pro 4 Jahre
7500
0,060
75
825
8250
82500
825000
0,02
Möglich 1 mal pro 3 Jahre bis 2 mal pro Jahr
6,000
0,007
Häufig 3 mal pro Jahr und mehr
Durchschnittliche WAHRSCHEINLICHKEIT pro Jahr
EINTRITTSWAHRSCHEINLICHKEIT
RE = Wahrscheinlichkeit [pro Jahr] * Auswirkung [Euro]
0,014
17
186
1856
18563
185625
13750
137500
1375000
13750000
1250
Durchschnittliche AUSWIRKUNG [in €] Unbedeutend bis 2 499 €
Gering 2 500 bis 24 999 €
Spürbar 25 000 bis 249 999 €
Kritisch
Katastrophal
250 000 bis 2 499 999 €
größer 2 500 000 €
RISIKOAUSWIRKUNG Abbildung 56: Berechnung der Risikoerwartungswerte auf Basis der finanziellen Bewertungskriterien (Praxisbeispiel eines Ferngasunternehmens)500
500
vgl. Strohmeier/Posch/Schwarzberger (2004), S.64
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
165
Berechnung der Risikomaßnahmen-Prioritätszahl RMP: Auf Basis der obigen beiden Größen wird die RMP folgendermaßen berechnet:
RMP
Maßnahmenausgaben [in Euro] (RE vM - RE nM ) [in Euro pro Jahr]
... [in Jahren]
REvM … Risikoerwartungswert vor Maßnahmendurchführung REnM … Risikoerwartungswert nach Maßnahmendurchführung501 Für die finanzielle Risikokategorie kann der RMP-Wert als Amortisationsdauer der Risikomaßnahme interpretiert werden. Der wesentliche Verallgemeinerungsschritt ist nun, dass der aus der finanziellen Risikokategorie hergeleitete Risikoerwartungswert der Abbildung 56 auch zur Berechnung der restlichen Risikokategorien verwendet werden kann, also beispielsweise in der Abbildung 50 auch für die Kategorien „Umwelt, Versorgungssicherheit, Personensicherheit und Image“. Dieser Verallgemeinerungs-Schritt ist aus zwei Gründen zulässig. Erstens sind die einzelnen AuswirkungsBewertungsstufen der verschiedenen Risikokategorien untereinander vergleichbar definiert.502 Zweitens wird die RMP im Bereich B der Risikomatrix angewendet, daher in einem Bereich, der unterkritisch ist und somit methodisch „flexibler“ behandelt werden kann. Zur Maßnahmen-Priorisierung wird für jedes Risiko des Matrixbereiches B eine RMP berechnet. Sortiert man die Risiken entsprechend ihrer RMP-Werte, so erhält man eine Priorisierung der Maßnahmendurchführung nach ihrem Kosten-Nutzen-Effekt. Dadurch ist neben der Risikoorientierung der vorgestellten Methodik auch eine kostenoptimierende Vorgehensweise sichergestellt. 5.6.5.2 Intermediate und detaillierte Betrachtung in kritischen Bereichen Aufbauend auf den Erkenntnissen der Screening-Phase, die noch weitestgehend eine qualitative und teamorientierte Analyse darstellt, müssen in den dabei aufgedeckten risikorelevanten Anlagenteilbereichen eingehendere Untersuchungen durchgeführt werden, wobei in zwei Schritten vorgegangen wird. Beim ersten Schritt (Intermediate-Analysis) erfolgt in risikorelevanten Bereichen eine semi-quantitative Analyse. Ergeben sich dabei besonders kritische Bereiche, so werden die Untersuchun501
502
Aufgrund der logarithmischen Skalierung der Bewertungskriterien (siehe Abbildung 50 und Abbildung 51) kann bei der praktischen Berechnung der RMPs der „Risikoerwartungswert nach Maßnahmendurchführung“ meist vernachlässigt werden. vgl. die Abbildung 50 und die Ausführungen darüber
166
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
gen entsprechend der Abbildung 49 mit einer detaillierten quantitativen Betrachtung vertieft (Detailed-Analysis). Intermediate-Analysis Die „Intermediate-Analysis“ ist eine semi-quantitative Betrachtung, bei der die Anforderungen an die benötigten Daten größer sind als beim Screening, jedoch noch deutlich geringer als bei der „Detailed-Analysis“.503 Die „Intermediate-Analysis“ sollte in Teamarbeit durchgeführt werden, damit eine breite Wissensbasis genutzt werden kann, weshalb es empfehlenswert ist, dass dabei Standardmethoden verwendet werden, wie sie beispielsweise im Abschnitt 5.6.3 angeführt sind. In der IH-Praxis haben sich neben der Risikoszenariomethodik insbesondere auch die Ausfallseffektanalyse (FMEA) und die risikoorientierte RCM (Reliability-Centered Maintenance) bewährt. Aufgrund der Risikorelevanz der untersuchten Bereiche muss bei der Anwendung dieser Methoden jedoch unbedingt auf eine fundierte Datenerhebung und Datenanalyse geachtet werden. Detailed-Analysis In risikokritischen Bereichen muss eine detaillierte Untersuchung erfolgen, wobei auch die Unsicherheit der Analysemethodik berücksichtigt werden muss. Wichtige Basisinformationen dieses Schrittes resultieren aus den Anlagen- und Komponentendaten, wie beispielsweise Hersteller-, Betriebs-, Inspektions- und Werkstoffdaten, sowie Parameter, die Ausfälle bewirken können. Weitere relevante Informationen ergeben sich aus der Analyse möglicher Schädigungsmechanismen, die wiederum von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig, wie den Betriebsverhältnissen, Prozessmedien, Werkstoffzuständen, usw. Dabei sollten risikokritische Einflussfaktoren mit regelmäßig angewendeten Prüfverfahren erfasst, quantifiziert und eventuell zu Frühwarnsystemen ausgebaut werden.504 Da bei der „Detailed-Analysis“ größtenteils mathematisch oder technisch komplexe Methoden notwendig sind, wird sie in der betrieblichen Praxis meist nicht mehr in Form eines teamorientierten Ansatzes, sondern durch Experten durchgeführt. Darüber hinaus sind die Anforderungen an die Detailanalyse im Allgemeinen sehr technologie-, branchen- und unternehmensabhängig, weswegen meist spezifische Methoden angewendet werden müssen. Deshalb existieren zurzeit in der Literatur und betrieblichen Praxis keine generell einsetzbaren Methoden für die Detailanalyse. Aus diesem Grund wird hier keine Methode für diesen Schritt vorgestellt, sondern es 503 504
vgl. Ross (2002), S.7 vgl. Ross (2002), S.6
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
167
muss auf die Plattformen der jeweiligen „Science- und Fach-Communities“505 verwiesen werden. 5.6.5.3 Resümee Die vorgestellte Vorgehensweise zur Umsetzung des RM-Prozesses in der Instandhaltung basiert entsprechend der Abbildung 49 auf einem Top-down-Ansatz. Diese Vorgehensweise führt von generell einsetzbaren und standardisierten RMInstrumenten zu sehr branchenspezifischen Methoden. Beim ersten Schritt (Screening) sollte aus zwei Gründen eine nicht zu komplexe und aufwendige Methodik gewählt werden. Erstens ist es das Ziel dieses Schrittes, dass in einer Überblicksanalyse die risikorelevanten Bereiche ermittelt werden, wobei dieser Schritt aus Wirtschaftlichkeitsgründen mit einem vertretbaren Zeitaufwand erfolgen sollte. Zweitens sollte die erste Phase aufgrund der Anlagenkomplexität in Form eines teamorientierten Ansatzes durchgeführt werden, damit eine breite Wissensbasis genutzt wird. Deshalb muss bei diesem Schritt eine „einfache“ Methodik angewendet werden, da nicht alle Teammitglieder eine fundierte, mathematische Ausbildung haben werden, wie sie bei komplexeren Methoden meist notwendig ist. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit für den Screening-Schritt die Risikoszenariomethode vorgeschlagen. Aufbauend auf dem Screening-Schritt müssen in risikorelevanten Teilbereichen eingehendere Untersuchungen durchgeführt werden (Intermediate- bzw. DetailedAnalysis), wobei für die „Detailed-Analysis“, aufgrund der Komplexität der Methoden, meist Spezialisten zuständig sind. Die konkrete Instrumentenwahl ergibt sich einerseits aus dem Detaillierungsgrad der Analyse und andererseits aus der Struktur des zu untersuchenden Bereiches. Aus der beschriebenen Vorgehensweise resultiert somit ein unternehmensspezifischer Instrumentenmix.
5.7 Supportelemente des RM-Modells in der Instandhaltung Bezüglich der Ausgestaltung der Supportelemente in der Instandhaltung gelten die im Abschnitt 4.6.5 gebrachten Grundsätze, weshalb im Nachfolgenden nur mehr auf die darüber hinausgehenden Besonderheiten in der Instandhaltung eingegangen wird.
505
siehe als Beispiele für branchenspezifische RM-Ansätze in der Instandhaltung: RM in der Baustatik: Faber (2001) / RM für Öl- und Gasleitungen: Dey/Ogunlana/Naksuksakul (2004), S.169–183.
168
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
5.7.1 Gesetzlicher Rahmen und Corporate Governance Das Element „Corporate Governance“ betrifft die oberste Unternehmensebene und muss von dieser gestaltet werden, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird, sondern es sei auf den Abschnitt 4.6.5.1 verwiesen. Dagegen resultieren aus gesetzlichen Richtlinien wesentliche Herausforderungen für die Instandhaltung und somit auch für das Risikomanagement dieses Bereiches. Laut WARNECKE sind in der Instandhaltung u.a. folgende gesetzliche Fragestellungen relevant:506 Haftung bei Unfällen, sicherheitstechnisch erforderliche Überwachungsintervalle, die Produzentenhaftung, sowie die Arbeitssicherheits- und Umweltgesetzgebung. Auf die hier angeführten und weitere gesetzliche Regelungen kann nicht im Detail eingegangen werden, da diese sehr branchen- und länderspezifisch sind. Es muss auf die konkreten Gesetzestexte bzw. die Literatur verwiesen werden.507 Neben der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen kann es zweckmäßig sein, dass darüber hinaus versucht wird, einerseits über Interessensvertretungen die Gesetzgebung aktiv mitzugestalten und andererseits in kritischen Bereichen eine adäquate Kommunikation zur Behörde aufzubauen.
5.7.2 Risikoorientiertes Führungskonzept Das „Risikoorientierte Führungskonzept“ beinhaltet Grundsatzentscheidungen bezüglich der gestalterischen Ordnung des Risikomanagements in der Führungsspitze.508 Obwohl diese Aufgabenstellung vor allem die Führungsspitze betrifft und hauptsächlich von ihr zu regeln ist, sollten die Risikoverantwortlichen der Instandhaltung versuchen, dieses Element aktiv mitzugestalten. Das ist insbesondere deshalb notwendig, da das „Risikoorientierte Führungskonzept“ einerseits einen starken Einfluss auf das Risikomanagement der Instandhaltung hat und andererseits nicht im Widerspruch zur konkreten RM-Ausprägung dieses Bereiches stehen darf. Darüber hinaus ist in der betrieblichen Praxis häufig zu beobachten, dass dieses Element in der Führungsspitze zu schwach ausgeprägt ist. Das kann beispielsweise dann eintreten, wenn das Risikomanagement in der Instandhaltung als Insellösung betrieben wird. Solch eine Lösung ist zwar aus „ganzheitlicher“ Sichtweise nicht empfehlenswert, aber in der betrieblichen Praxis durchaus üblich. In diesem Fall sollte die IHLeitung wesentliche Aspekte dieses Elementes selbstständig umsetzen und ins IHFührungssystem integrieren. Eine gänzliche Vernachlässigung des „Risikoorientier-
506 507 508
vgl. Warnecke (1992a), S.14 vgl. zum Beispiel: Adams (1997), S.1ff.; Bauer (1992), S.259ff. vgl. Bleicher (2004), S.192f.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
169
ten Führungskonzeptes“ könnte nämlich den Erfolg des Risikomanagements in der Instandhaltung insgesamt gefährden.
5.7.3 Internes Überwachungssystem Das Interne Überwachungssystem unterstützt die Unternehmensleitung bei ihrer generellen Überwachungsaufgabe. Dieses Element muss somit von der Führungsspitze gestaltet werden und betrifft die Instandhaltung nur insofern, dass sie ebenfalls vom Internen Überwachungssystem überprüft wird. Dabei muss insbesondere auch die Qualität des RM-Systems der Instandhaltung und dessen Konformität zum gesamten RM-System beurteilt werden. Zusätzlich zum Überwachungssystem des Gesamtunternehmens wird kein eigenständiges Internes Überwachungssystem der Instandhaltung – im Sinne des gängigen betriebswirtschaftlichen Verständnisses509 solcher Systeme – aufgebaut werden. Das bedeutet somit, dass die notwendigen Überprüfungs- und Kontrollaufgaben in der Instandhaltung entweder von der IH-Führung persönlich wahrgenommen oder in das IH-Führungsinstrumentarium510 integriert werden müssen. Dabei sollten jedoch die allgemeingültigen Grundsätze von Überwachungssystemen berücksichtigt werden, wie sie im Abschnitt 4.6.5.3 und der dort angegebenen Literatur beschrieben sind.511
5.7.4 Risikofinanzierung und Risikoversicherung Finanzierungs- und Versicherungsmaßnahmen setzen im Allgemeinen auf einer höheren Risiko-Aggregationsebene an, da es meist nicht zweckmäßig ist, sie auf Einzelrisiken zu beschränken. Diese Aussage sei an zwei konkreten Beispielen erläutert:512 Technische Versicherungen sollten deshalb an höheren Aggregationsebenen ansetzen, da Synergiepotenziale nicht genutzt werden, wenn sich Versicherungen nur auf einzelne Maschinen beziehen, wodurch das gesamte Versicherungswesen unwirtschaftlich werden würde. Das zweite Beispiel betrifft die Bildung von stillen Reserven zum Zweck der Risikodeckung. Die Reservenbildung erfolgt auf der Gesamtunternehmensebene, wobei diese im Allgemeinen unabhängig von konkreten Einzelrisiken aufgebaut werden. Beide Beispiele zeigen, dass die Finanzierungs- und Versicherungslösungen in der Instandhaltung von einer höheren Unternehmenssicht koordiniert werden müssen. Folglich bildet das gesamt Risikoportefeuille eines Unternehmens den Ausgangpunkt für die in der Abbildung 36 dargestellten Risikofinan509 510 511 512
vgl. zum Beispiel: Buderath/Amling (2000), S.129ff.; Lück/Henke/Gaenslen (2002), S.225ff. vgl. Biedermann (1990), S.101ff. vgl. Kremers (2002), S.103 vgl. Kremers (2002), S.54
170
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
zierungs-Produkte.513 Die Risikoverantwortlichen der Instandhaltung sind somit dafür zuständig, dass sie für diese Aufgabenstellung die notwendigen Inputs liefern und an einem ganzheitlichen Finanzierungs- und Versicherungskonzept mitwirken.
5.7.5 Krisenmanagementsystem Unternehmen, die krisenanfällige Anlagen einsetzen, sollten ein adäquates Krisenmanagementsystem betreiben. Empirische Untersuchungen und die Erfahrungen der betrieblichen Praxis zeigen, dass Krisen, die von Produktionsanlagen verursacht werden, vor allem in zwei Auswirkungsbereichen relevant sind, und zwar im Umweltschutz- und Arbeitssicherheitsbereich.514,515 Grundsätzlich muss bei der Umsetzung eines anlagenbezogenen Krisenmanagementsystems berücksichtigt werden, dass die Instandhaltung eine tragende Rolle einnehmen muss, aber sie kommt nicht als dessen alleiniger Verantwortungsträger in Frage.516 Vielmehr muss das anlagenbezogene Krisenmanagementsystem von einem übergeordneten Unternehmensbereich betreut werden, wobei aber die Fertigung und die Instandhaltung aktiv mitwirken müssen. Bei einem solchen Krisenmanagementsystem gelten die im Abschnitt 4.6.5.5 angeführten Grundsätze. Aufbauend darauf wird im Nachfolgenden nur mehr auf die Aspekte eines anlagenspezifischen Krisenmanagements eingegangen. Laut WIEDMANN können die folgenden Basiskomponenten eines erfolgreichen anlagenbezogenen Krisenmanagements genannt werden:517 Umsetzung einer umweltorientierten Unternehmensführung und Störfallvorsorge, Früherkennung möglicher gesellschaftlicher Umfeldänderungen, Aufbau vertrauensvoller Beziehungen des Unternehmens zur Öffentlichkeit vor einem Kriseneintritt, Analyse der öffentlichen Wahrnehmung in Bezug auf den tatsächlichen oder vermeintlichen Schaden, sowie die Gestaltung einer adäquaten Krisenkommunikation. Darüber hinaus müssen Präventivmaßnahmen definierte werden. Darunter fallen beispielsweise Warnsysteme518, Evakuierungspläne519 und Krisenübungen520. Diese Komponenten sollten in ein umfassendes Sicherheitskonzept integriert werden. Solche Konzepte bestehen grundsätzlich aus anlagenbezogenen (z.B. Vermeidung bzw. Einschluss von gefähr513 514 515
516 517 518 519 520
vgl. Romeike (2003e), S.268 vgl. Nitsche (1994), S.150; Polster (2003), S.98; Schliephacke (1994), S.115 Anmerkung: Aus dieser Aussage folgt, dass bei Risikoanalysen diese beiden Aspekte (Umwelt, Arbeitssicherheit) berücksichtigen werden sollten (siehe z.B. die Abbildung 50). vgl. Steinbach (1994), S.223 vgl. Wiedmann (1994), S.43ff. vgl. Müller (1994), S.194 vgl. Hesel (1994), S.18f. vgl. Wäßle (1994), S.343
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
171
lichen Stoffen, Brandschutzeinrichtungen), sowie umgebungsbezogenen Maßnahmen (z.B. Vorkehrungen zur Minimierung der Stoffausbreitung).521 Ein weiterer Einflussfaktor ist, wie vonseiten des Top-Managements überhaupt anlagenbezogene Krisen als mögliche Ereignisse wahrgenommen werden, da in der betrieblichen Praxis die Unternehmensführung die vorhandenen Krisenpotenziale häufig leugnet.522
5.7.6 Früherkennungssystem Entsprechend dem Abschnitt 4.6.5.6 kann grundsätzlich zwischen operativen und strategischen Früherkennungssystemen unterschieden werden. „Strategische Früherkennungssysteme sind – anders als operative Früherkennungssysteme – zwingend immer gesamtunternehmensbezogen“.523 Folglich gibt es in der Instandhaltung kein eigenständiges strategisches, sondern nur ein operatives Früherkennungssystem. Trotzdem sollten die Erkenntnisse des unternehmensweiten strategischen Früherkennungssystems im Risikomanagement der Instandhaltung berücksichtigt werden. Mit einem operativen Früherkennungssystem werden risikokritische Bereiche mit Hilfe von Kennzahlen und Indikatoren beobachtet.524 Für die Instandhaltung empfehlen HAHN/KRYSTEK die folgenden anlagenbezogenen Beobachtungsbereiche:525 Altersstruktur, Technologiebestand, Energieverbrauch, Umweltbelastung, IH-Kosten, Ausstoß, Ausschussquote, usw. Bei der konkreten Festlegung der Beobachtungsbereiche können beispielsweise die Erkenntnisse verwendet werden, die aus der im Abschnitt 5.6.5 beschriebenen Top-down-Vorgehensweise des RM-Prozesses resultieren, da bei dieser Vorgehensweise risikokritische Bereiche ermittelt werden. Darüber hinaus sollten die Inputs der restlichen RM-Elemente berücksichtigt werden, da damit ebenfalls Risikopotenziale erkannt werden können. Sind auf diese Weise die risikokritischen Bereiche ermittelt, so müssen diesen Bereichen geeignete Kennzahlen und Indikatoren zugeordnet werden, wobei diese entweder neu entwickelt, oder aus den vorhandenen Kennzahlenvorschlägen der Literatur526 ausgewählt werden können.
521 522 523 524
525 526
vgl. Uth (1994a), 83f. vgl. Wiedmann (1994), S.42f. zit. Hahn/Krystek (2000), S.83 bezüglich der begrifflichen Unterscheidung zwischen Kennzahlen und Indikatoren: siehe Abschnitt 4.6.5.6 vgl. Hahn/Krystek (2000), S.84f. vgl. Biedermann (1985), S.30ff.; Biedermann (1990), S.148ff.; VDI 2893 (1991), S.1ff.
172
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
Der Inspektion kommt bei der Gestaltung eines operativen Früherkennungssystems eine besondere Bedeutung zu, da risikorelevante Inspektionsdaten für Früherkennungssysteme genutzt werden können. Dazu müssen vorab wiederum – wie oben dargestellt – die risikokritischen Bereiche ermittelt werden. Darauf aufbauend müssen geeignete Inspektionsmaßnahmen ausgewählt und in Form von Kennzahlen bzw. Indikatoren zu Früherkennungssystemen ausgebaut werden. Die Datenermittlung kann beispielsweise mit den folgenden Inspektionsverfahren durchgeführt werden:527 Schwingungsmessung, Ölanalyse, Thermographie, Ultraschallmessung, Endoskopie, sowie auf Basis physischer Methoden (fünf Sinne des Menschen). Dabei sollte die Datenerhebung mit einem Betriebsdaten-Erfassungssystem erfolgen, damit ein Unternehmen schnellstmöglich auf einen tatsächlichen Risikoeintritt reagieren kann. Aus den dabei ermittelten Daten können die Kennzahlen bzw. Indikatoren des Früherkennungssystems in elektronischer Form ausgewertet und „online“ beobachtet werden. Werden darüber hinaus Eingriffsgrenzen definiert, so kann ein automatisiertes Warnsystem aufgebaut und dieses in die vorhandene EDV-Landschaft integriert werden.
5.8 Entwicklungselement des RM-Modells in der Instandhaltung Die dynamische Dimension des RM-Modells wird durch das Entwicklungselement gebildet, dem die Aufgabe zukommt, dass sich die Instandhaltung optimal an interne und externe Veränderungen anpasst. Diese Aufgabe betrifft sowohl die Weiterentwicklung der einzelnen Elemente des RM-Systems als auch die Verbesserung der generellen Risikolage in der Instandhaltung. Werden diese Anpassungsmaßnahmen nicht durchgeführt, so besteht u.a. die Gefahr, dass neu entstandene Risikofelder übersehen und somit vom Risikomanagement nicht mehr abgedeckt werden.528 Eine Weiterentwicklung des Risikomanagements ist vor allem deshalb notwendig, da laufend Änderungen einerseits in der Instandhaltung selbst und andererseits im IHUmfeld auftreten. Werden beispielsweise neue Anlagen mit neuen Technologien eingeführt, so muss sichergestellt werden, dass die potenziellen Risiken dieser Technologien erkannt, geeignete RM-Methoden eingeführt, sowie die IH-Strategien angepasst werden. Des Weiteren können auch organisatorische Änderungen einen An-
527 528
vgl. Spörk (2003), S.31ff. vgl. Abschnitt 4.6.6
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
173
passungsbedarf im Risikomanagement bewirken. Werden zum Beispiel neue Managementkonzepte eingeführt (z.B. TPM, Six Sigma), so kann es sinnvoll sein, dass Teile davon für RM-Aufgaben genutzt werden. Beinhalten solche Konzepte beispielsweise Arbeitsgruppen529, so können diese für die Abarbeitung von teamorientierten RM-Aufgaben (z.B. Screening) mitgenutzt werden. Wird insbesondere in der Produktion bzw. Instandhaltung ein kontinuierliches Verbesserungsprogramm (KVP) betrieben, so sollte dieses um Risikoaspekte ergänzt und dessen Erkenntnisse im RM-Entwicklungselement berücksichtigt werden. Zur nachhaltigen Sicherstellung der Zukunftsentwicklung des Risikomanagements und der Risikolage des Unternehmens muss diese Entwicklung auf einer möglichst breiten Erkenntnisbasis erfolgen. Dazu müssen alle relevanten Informationsquellen der Instandhaltung, und dabei insbesondere der RM-Elemente, genutzt werden. Neben den in den Abschnitten 5.5.4 und 4.6.6 beschriebenen Quellen sollten folgende Daten berücksichtigt werden:530 Alterungsmodelle, Ergebnisse von Zustandsbeurteilungen und Diagnosen, Betriebserfahrungen, Expertenwissen, interne Quellen (z.B. Störungsaufzeichnungen, Buchhaltung, Betriebsmittel-Datenbank), sowie externe Quellen (z.B. Publikationen, externe Störungsstatistiken, Lieferantenangaben, Vergleichszahlen anderer Unternehmen). Organisatorisch muss das Entwicklungselement vor allem durch die Führungskräfte der Instandhaltung umgesetzt und gefördert werden. Dabei kann das Entwicklungselement durch Risikozirkel531 unterstützt werden, die ähnlich wie Qualitätszirkel aufgebaut sind. In einem solchen Risikozirkel bearbeiten Produktions- und Instandhaltungsmitarbeiter freiwillig risikorelevante Probleme, wobei diese Zirkel über einen längeren Zeitraum bestehen und sich regelmäßig treffen müssen. Wesentlich für den Erfolg solcher Zirkel ist, dass sie von der Führung ständig unterstützt werden.532 Darüber hinaus sollte deren Integration in vorhandene Qualitätszirkel oder vergleichbaren Organisationsstrukturen angedacht werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Entwicklungselement einen wichtigen Beitrag dazu liefern kann, dass durch dessen übergreifende Wirkung solche Risikopotenziale identifiziert und bewältigt werden können, die möglicherweise auch bei einer regelmäßigen Abarbeitung des RM-Prozesses nicht aufgedeckt wer529 530 531 532
vgl. Biedermann (1997b), S.10f. vgl. Polster (2003), S.107 in Anlehnung an: Müller-Demary/Przygodda (1994), S.151ff. vgl. Seghezzi (2003), S.138
174
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
den. Diese Aufgabenstellung ist jedoch nur dann optimal realisierbar, wenn die damit zusammenhängenden Entscheidungen auf Basis einer ganzheitlichen Sichtweise erfolgen, wie sie im nachfolgenden Abschnitt dargestellt wird.
5.9 Ganzheitliche Perspektive des Risikomanagements in der Instandhaltung Ein ganzheitlich betriebenes Risikomanagement in der Instandhaltung bedeutet vor allem, dass dieses geeignet ins Risikomanagement des Gesamtunternehmens integriert werden sollte. Wie bei jedem Teilsystem besteht auch beim Risikomanagement der Instandhaltung die Gefahr der Verselbstständigung und somit der Ineffizienz.533 Darüber hinaus muss bei einer „ganzheitlichen“ Optimierung der Risikolage beachtet werden, dass nicht nur das Risikomanagement, sondern auch die Instandhaltung selbst in die Anlagenwirtschaft und ins Gesamtunternehmen eingegliedert werden muss. Das Kostenbild und die Risikolage der Instandhaltung wird nämlich zu einem wesentlichen Teil durch Maßnahmen determiniert, die in benachbarten Funktionsfeldern der Anlagenwirtschaft sowie in weiteren Betriebsbereichen entschieden werden.534 Bezüglich der Eingliederung der Instandhaltung bzw. Anlagenwirtschaft in das Gesamtunternehmen fordert PRÜß eine Verschmelzung der Teilgebiete zu einer organisatorischen Einheit oder eine zentrale Koordination der anlagenwirtschaftlichen Funktionsbereiche.535 Darüber hinaus wirkt ein ganzheitlich betriebenes Risikomanagement insgesamt als „Koordinationsinstrument“, da bei einem „gelebten“ Risikomanagement nicht nur funktionsspezifische, sondern auch funktionsübergreifende Risikopotenziale aufgedeckt werden, die aus bestehenden Interdependenzen zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen resultieren. Unabhängig davon, ob ein RM-System betrieben wird oder nicht, kann durch das Einführen von ganzheitlichen Managementkonzepten bereits eine grundsätzliche Risikominimierung in der Instandhaltung erzielt werden.536 Beispiele für solche Konzepte in der Instandhaltung sind TPM, KVP, Prozessorientierung, Benchmarking, usw. Auf die Details dieser Konzepte wird hier nicht eingegangen, sondern es sei auf die Literatur537 verwiesen. Werden solche Konzepte eingeführt, so sollte auch ange-
533 534 535 536 537
vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.211 vgl. Biedermann (1990), S.16 vgl. Prüß (2003), S.49 vgl. Schimmelpfeng (2001), S.284ff. vgl. zum Beispiel: Biedermann (1997a) und die dort angegebene weiterführende Literatur.
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
175
dacht werden, dass man Teile davon um RM-Elemente ergänzt bzw. diese für RMAufgaben nutzt. Durch eine solche integrative Maßnahme wird nämlich die Diffusion von RM-Wissen innerhalb der Instandhaltung unterstützt, wodurch im Optimalfall eine lernende IH-Organisation entsteht.538 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass eine lernende Organisation u.a. auf der Selbstabstimmungs- und Verknüpfungskompetenz der Mitarbeiter aufbaut und auch in der klassischen, funktionsorientierten IH-Organisation realisierbar ist, wobei die bei der lernenden Organisation notwendige Entscheidungsdelegation in der Regel zur Dezentralisierung und zu teilautonomen Anlagenteams führen wird. Eine lernende Organisation muss vor allem durch ein umfassendes Lernsystem unterstützt werden. Dieses beinhaltet beispielsweise das Trainieren des Werkzeug- und Methodeneinsatzes, eine verbesserte Diagnostik, sowie die Schulung von sozialen Kompetenzen gepaart mit Partizipation und Delegation.539 In ein solches Lernsystem sollte auch das Risikomanagement eingebunden werden, da aufgrund des subjektiven Charakters des Risikophänomens eine „Objektivierung“ der Risikowahrnehmung nur durch eine geeignete Vernetzung der Individuen und Gruppen möglich ist. Daraus wird wiederum die bereits im Abschnitt 3.4 diskutierte enge Verknüpfung des Risikomanagements mit dem Wissensmanagement deutlich. Bei einer ganzheitlichen RM-Sichtweise in der Instandhaltung sollten somit die Erkenntnisse des Wissensmanagements mit berücksichtigt werden. Gelingt es in der hier beschriebenen Weise eine risikoorientierte Instandhaltung ganzheitlich zu betreiben, so kann – zusätzlich zur Verbesserung der Risikolage – vor allem auch der IH-Aufwand optimiert werden. Bei einem risikoorientierten Ansatz kann man den IH-Aufwand nämlich einerseits auf diejenigen Komponenten konzentrieren, die den größten Risikobeitrag liefern und andererseits kann der Aufwand bei Komponenten mit einem geringen Risikopotenzial reduziert werden. Trotz der genannten Vorteile des risikoorientierten Ansatzes muss jedoch auch bewusst sein, dass damit die „eingekaufte“ Anlagen-Lebensdauer nur geringfügig beeinflusst werden kann. Ein hoher Abnutzungsvorrat, die Vermeidung von Konstruktionsfehlern, unzulässige betriebliche Beanspruchungen und unerwünschte Schädigungsmechanismen lassen sich nämlich nur durch eine zweckmäßige Anlagenkonfiguration (Spezifikation) und durch eine umfassende Qualitätssicherung im gesamten Anlagenlebenszyklus erzielen. Daher muss ein erfolgreiches Risikomanagement schon
538 539
vgl. Wolf/Runzheimer (2003), S.212 vgl. Biedermann (2002), S.12
176
Risikomanagement-Modell in der Instandhaltung
bei der Anlagenbeschaffung ansetzen und ist somit nur über eine ganzheitliche und integrierte Anlagenwirtschaft möglich.540
540
vgl. Bareiß (2002), S.6f., S.11
6 Zusammenfassung und Ausblick Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, ein ganzheitliches RM-Modell für Industriebetriebe herzuleiten. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildete dabei die Erkenntnis, dass sich Risikophänomene in unerwünschten, zukünftigen und meist komplexen (nichtlinearen und nichtmonokausalen) Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen äußern, wobei aufgrund der vorhandenen kognitiven und zeitlichen Kapazitätsgrenzen diese Zusammenhänge häufig nicht vollständig aufgedeckt werden können. Diese Sichtweise wurde im Abschnitt 3.1 auf Basis der im Kapitel 1 und 2 dargestellten wissenschaftlichen Vorgehensweise (kritischer Rationalismus, relevante theoretische Grundlagen) weiter vertieft und darauf aufbauend das dieser Arbeit zugrundegelegte Risikoverständnis abgeleitet. Den Startpunkt bei der Herleitung des RM-Modells bildete die Erkenntnis, dass die systematische Risikohandhabung in Betriebswirtschaften als strukturierter Entscheidungsprozess erfolgen sollte (RM-Prozess).541 Der RM-Prozess bildet somit einen wesentlichen Bestandteil des Risikomanagements, obwohl dieses nicht darauf reduziert werden darf, da bei einem ganzheitlichen Risikomanagement neben dem RMProzess alle relevanten Aspekte der Managementfunktion berücksichtigt werden müssen (siehe Abschnitt 3.2). Davon ausgehend wurden im ersten Schritt auf Basis der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre neben dem RM-Prozess drei Grundbestandteile des RM-Modells dargestellt, und zwar RM-Ziele, die Risikosystematisierung, sowie eine Klassifizierung der RM-Instrumente (siehe Abschnitt 3.3). Darauf aufbauend wurden im Kapitel 4 drei Leitideen zur Entwicklung des RMModells verwendet, nämlich ein konzeptioneller Rahmen für industrielle Managementsysteme, das St.Galler Management-Konzept, sowie das Leobner Generic Management-Konzept. Aus diesen Leitideen und den obigen Grundbestandteilen wurde das RM-Modell der Abbildung 38 hergeleitet und eingehend im Kapitel 4 beschrieben. Dabei wurde die Darstellung der Elemente des RM-Modells so offen gehalten, sodass diese Darstellung für sämtliche Industriebetriebe Gültigkeit hat. Wie im Abschnitt 4.3 gezeigt wurde, ist eine solche offene Beschreibung deshalb notwendig, da das RM-Modell grundsätzlich nicht einheitlich in verschiedenen Unternehmen eingeführt und betrieben werden kann. Somit darf das RM-Modell dieser Arbeit nicht als
541
vgl. Abschnitt 1.2.2 und die RM-Definition im Abschnitt 3.2.3
178
Zusammenfassung und Ausblick
konkretes Managementsystem fehlinterpretiert werden, sondern das Modell soll vielmehr jene Aspekte und Perspektiven aufzeigen, die beim situativen Aufbau eines RM-Systems berücksichtigt werden müssen. Folglich sollte zur Unterstützung für die situative Einführung des RM-Modells dieses für sämtliche Unternehmensfunktionen detaillierter ausgearbeitet werden. Eine solche Detaillierung hätte jedoch den Umfang dieser Arbeit gesprengt, weshalb im Kapitel 5 das RM-Modell beispielhaft für die industrielle Instandhaltung konkretisiert worden ist, um damit zu zeigen, wie bei zukünftigen Forschungstätigkeiten eine detaillierte Ausarbeitung des RM-Modells für weitere Unternehmensfunktionen erfolgen sollte. Ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit bestand im Aufzeigen der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Sichtweise im Risikomanagement. Dabei muss vor allem darauf geachtet werden, dass aus der Aufgliederung des RM-Modells in einzelne Elemente keine zerlegende Denkweise resultiert. Vielmehr ist von der gegenseitigen Durchdringung aller dargestellten Modellbestandteile auszugehen, d.h. die Einzelelemente müssen zweckmäßig miteinander verknüpft und das Modell ganzheitlich interpretiert werden. Des Weiteren muss bei einer ganzheitlichen Sichtweise der Chancenaspekt mitberücksichtigt werden, da viele Risiken auch Chancenpotenziale beinhalten. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass der Risikobegriff in seinem Kern ein Konstrukt ist, der neben seiner objektiven Dimension auch subjektive Aspekte beinhaltet, da die Beurteilung von Risikopotenzialen wesentlich von der menschlichen Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Lerngeschichte abhängt. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass eine enge Verbindung zwischen dem Risikound dem Wissensmanagement besteht, weshalb die Erkenntnisse des Wissensmanagements bei einer ganzheitlichen Risikosicht berücksichtigt werden sollten. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Diskussion der subjektivkonstruktivistischen Phänomene nicht dazu verführen darf, die rationale Seite des Risikomanagements zu vernachlässigen. Die Berücksichtigung der Risikowahrnehmung kann kein Ersatz für eine rationale Behandlung des Risikophänomens sein, ebenso wenig wie eine rein objektive Risikoanalyse als alleinige Grundlage von Entscheidungen herangezogen werden darf. Ein ganzheitliches Risikomanagement muss somit beide Dimensionen des Risikophänomens berücksichtigen. Die Erfüllung dieser Aufgabenstellung war eine der Kernherausforderungen dieser Arbeit.
Zusammenfassung und Ausblick
179
Aufbauend auf den Darstellungen dieser Arbeit besteht ein weiterer Forschungsbedarf. Dabei wurden bereits in der Arbeit folgende Forschungsfelder aufgezeigt: x
Konkretisierung und Erprobung (vorläufige Bestätigung bzw. Falsifikation) des RM-Modells in weiteren Unternehmensbereichen im Sinne der kritisch-rationalen Orientierung dieser Arbeit (siehe Abschnitt 1.2.1).
x
Ergänzung des RM-Modells um Erkenntnisse der lernenden Organisation und des Wissensmanagements.
x
Berücksichtigung des RM-Modells in anderen Unternehmenskonzepten, wie beispielsweise TQM, TPM, Balanced-Scorecard, usw.
x
Entwicklung eines Einführungskonzeptes für das RM-Modell auf Basis des Vorgehensmodells des Leobner Generic Management-Konzeptes.542
Abschließend sei angemerkt, dass eine ganzheitliche Sichtweise aller betrieblichen Aufgabenfelder die Grundvoraussetzung für ein langfristig erfolgreiches Risikomanagement bildet, denn nur so können existenzbedrohende Risiken bewältigt und der zukünftige Unternehmenserfolg sicherstellt werden. Ein RM-System alleine wird nämlich, aufgrund des subjektiven Charakters des Risikophänomens, nie in der Lage sein, diese Aufgabenstellung vollständig zu erfüllen, d.h. ein RM-System kann nur ein ergänzendes Element zu einer ganzheitlichen Unternehmensführung bilden.
542
vgl. Baumgartner/Biedermann/Klügl/Schneeberger/Strohmeier/Zielowski (2006), S.99ff.
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