Entwicklungsperspektiven der Unternehmensführung und ihrer Berichterstattung : Festschrift für Helmut Kuhnle anlässlich seiner Emeritierung 9783835093959, 3835093959 [PDF]


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Entwicklungsperspektiven der Unternehmensführung und ihrer Berichterstattung : Festschrift für Helmut Kuhnle anlässlich seiner Emeritierung
 9783835093959, 3835093959 [PDF]

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Zitiervorschau

Jijrgen Banzhaf, Stefan Wiedmann (Hrsg.) Entwicklungsperspektiven der Unternehmensfiihrung und ihrer Berichterstattung

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT

Jijrgen Banzhaf, Stefan Wiedmann (Hrsg.)

Entwicklungsperspektiven der Unternehmensfiihrung und ihrer Berichterstattung Festschrift fiir Helmut Kuhnle aniasslich seiner Emeritierung

Deutscher Universitats-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber abrufbar.

1. Auflage Oktober2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die VViedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheRlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany iSBN-10 3-8350-0565-0 ISBN-13 978-3-8350-0565-5

Vorwort der Herausgeber Ende September 2006 beendet Helmut Kuhnle seine langjahrige Tatigkeit an der Universitat Hohenheim. Studierende, Freunde, Doktoranden und ihm besonders verbundene Kollegen nehmen seine Emeritierung zum Anlass, sein wissenschaftliches Werk und sein Wirken in Lehre und Entwicklung der Universitat Hohenheim mit dieser Festschrift zu wiirdigen. Die Thematik des vorliegenden Werkes ist sehr breit angelegt, damit sie die Vielfalt des thematischen Spektrums, welches Helmut Kuhnle im Rahmen seiner Forschungs- und Lehrtatigkeit abgedeckt hat, widerspiegelt. Die Gestaltung der vorliegenden Festschrift tragt dieser Anforderung Rechnung, da sie von Autoren aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen verfasst wurde. Hierfiir danken die Herausgeber alien Lehrstuhlinhabern des Instituts flir Betriebswirtschaftslehre der Universitat Hohenheim, die alle spontan zugesagt und nahezu geschlossen mit ihren Beitragen zum Gelingen dieser Festschrift beigetragen haben. Zudem bedanken wir uns bei Ansgar Belke flir seinen Beitrag. Er folgt Helmut Kuhnle in der Funktion des Studiendekans und steht aus diesem Grunde stellvertretend flir das Institut flir Volkswirtschaftslehre der Universitat Hohenheim. Ebenso in Stellvertretung zu nennen ist Franz W. Wagner, der mit seinem Beitrag die Eberhard-Karls-Universitat Tubingen reprasentiert. Helmut Kuhnle, der am 22. Juli 1940 in Stuttgart geboren ist, hat seinen wirtschaftswissenschaftlichen Werdegang bereits sehrfi"iihdurch seine schulische Ausbildung am Wirtschaftsgymnasium in Esslingen begonnen. Im Anschluss hat er in den Jahren 1959 - 1961 eine Banklehre bei der Landesgirokasse Stuttgart absolviert. Dieser Berufstatigkeit ging er zwar auch in den ft)lgenden Jahren noch nach, allerdings nur in Form einer Nebentatigkeit. Prioritat hatte fortan die theoretische Seite, der sich Helmut Kuhnle durch Aufiiahme des Studiums zum Diplom-Handelslehrer an den Universitaten Tubingen und Erlangen-Niirnberg zuwandte. Nach seinem erfolgreichen Studienabschluss im Jahr 1965 hat er seine Promotion bei Prof. Dr. Walther Lobner mit dem Titel „Der Bildungswert der kaufinannischen Unterrichtsfacher: Eine wirtschaftsschulpadagogische Betrachtung" verfasst. Beendet hat er seine Dissertationszeit an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultat der Friedrich-Alexander-Universitat ErlangenNiirnberg als Dr. rer. pol. am Tag seiner miindlichen Prufung am 29. November 1967. Im Anschluss nahm Helmut Kuhnle die Lehramtstatigkeit flir das hohere Lehramt an kaufmannischen Schulen (1967 - 1974) am Gymnasium in Esslingen auf. Hier war er viele Jahre Vertrauenslehrer. An ihn konnten sich die Schtiler nicht nur mit ihren schulischen sondern stets auch mit ihren personlichen Prob-

VIII

Vorwort der Herausgeber

lemen wenden. Ein Amt, welches er in gewisser Weise bis heute an der Universitat Hohenheim bekleidet. Im Jahr 1974 hat sich Helmut Kuhnle auf Anraten seiner Kollegen zum Professor berufen lassen und ist nach Verleihung der Lehrbeftignis als Professor an die Berufspadagogische Hochschule Stuttgart/Esslingen (Fachgebiet Industriebetriebslehre) gewechselt. An dieser Bildungseinrichtung war er bis 1988 tatig, zuletzt als Prorektor und Rektor. In seiner Funktion als Rektor wickelte er die Auflosung dieser Hochschule ab und trug daftir Sorge, dass seine ehemaligen Kollegen in neuen Positionen unterkamen. Obwohl von familiarer Seite her ursprunglich ein anderer Standort bevorzugt wurde, hat sich Helmut Kuhnle dann doch auf Drangen des Wirtschaftsministeriums an die Universitat Hohenheim versetzen lassen. Seit 1988 ist er Inhaber einer Professur an der Universitat Hohenheim im Institut fur Betriebswirtschaftslehre mit dem Fachgebiet Didaktik der Betriebswirtschaftslehre. Schon bald engagierte sich Helmut Kuhnle in vielfaltiger Weise innerhalb der universitaren Selbstverwaltung - etwa als Studiendekan der Fakultat Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Wissenschaftlicher Direktor der Koordinierungsstelle fiir wissenschaftliche Weiterbildung Hohenheim. Neben diesen amtlichen Funktionen legte Helmut Kuhnle aber immer auch ganz besonderes Gewicht auf seine Lehrtatigkeit. Sein anschaulicher, menschlich und didaktisch vorbildlicher Vorlesungsstil und sein stets engagierter Einsatz fiir studentische Belange wurden 1993 mit der Verleihung des ersten Landeslehrpreises der Universitat Hohenheim durch den Wissenschaftsminister des Landes Baden-Wurttemberg honoriert. In ihrer Begrundung fiir Helmut Kuhnle schreibt die Fachschaft Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: „Er tragt seine Veranstaltungen mit groBem Engagement und lebendiger Sprache vor." AuBerdem gelinge es ihm, das Auditorium „in besonderer Weise" fiir die Lehrinhalte zu motivieren und stets ein offenes Ohr fiir Fragen der Studierenden zu haben. Die Forderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beschrankt sich bei Helmut Kuhnle aber nicht nur auf die Universitat Hohenheim. Dartiber hinaus hielt er iiber viele Jahre die Lehrveranstaltung „Einfiihrung in das betriebliche Rechnungswesen" an der EberhardKarls-Universitat Tubingen. Fiir diesen Lehrauftrag wurde er im Jahr 2000 zum Honorarprofessor der Universitat Tubingen ernannt. Abgerundet wird sein Engagement in der universitaren Lehre durch Dozententatigkeiten an der Wtirttembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie (VWA) in Stuttgart sowie der Berufsakademie Stuttgart. Ferner fungiert Helmut Kuhnle unter anderem als freier Mitarbeiter im Bildungszentrum der IBM Deutschland GmbH, der Robert Bosch GmbH, von Mercedes Benz, der Akademie fiir Weiterbildung an der Universitat Hohenheim und in der Putzmeister Akademie.

Vorwort der Herausgeber

IX

Wissenschaftlich trat und tritt Helmut Kuhnle besonders mit seinen Veroffentlichungen in den Themenfeldern Padagogik, Marketing und Rechnungswesen hervor. Wahrend er in der Anfangszeit seiner Professorenlaufbahn vor allem Beitrage auf wirtschaftspadagogischem Gebiet ver5ffentlichte, folgten in seiner Hohenheimer Zeit mehrere Publikationen zum Marketing und zum nationaien sowie internationalen Rechnungswesen. Auch bei seinen Veroffentlichungen war Helmut Kuhnle von jeher sehr flexibel. So fmdet sich darunter beispielsweise auch ein Taschenbuch der Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsmathematik, welches er als Herausgeber mit betreute. Gleichsam aktiv wie im betriebswirtschaftlich-padagogischen Bereich war Helmut Kuhnle auch schon immer in seinen vielfMltigen weiteren Aktivitaten. Bereits in seiner Jugend hat er in der verwandtschaftlichen Konditorei mitgeholfen. Hierbei ist er fur seine Schwarzwalderkirschtorte beruhmt geworden, von der einem gelegentlich bis in die heutige Zeit vorgeschwarmt wird. Ferner war er als Maler fiir eine Esslinger Firma tatig. Sein handwerkliches Geschick kam ihm schon damals bei der Renovierung von Wohnungen zu Gute und ist auch noch heute bei der Durchfiihrung kleinerer Renovierungsarbeiten am Lehrstuhl von Nutzen. Ebenso war er beim Bau des Clubheimes des Rudervereins Esslingen, in welchem er im Vierer mit Steuermann leistungssportlich sehr aktiv war, federfUhrend. Von Vorteil war bei diesen vielfaltigen handwerklichen Tatigkeiten auch seine kunstlerische Begabung, die er insbesondere beim Spiel auf seiner Violine auslebte und mit dem CVJM Konzerte gab. Daneben war er Jugendgruppenleiter und Vorsitzender des Stadtjugendrings Esslingen. Die Herausgeber wiinschen auch im Namen aller Autoren Helmut Kuhnle von ganzem Herzen alles Gute fiir seinen weiteren Lebensweg, Gesundheit sowie sehr viel Zeit fiir seine privaten Interessen und insbesondere fiir seine Familie, die wahrend seiner Berufsjahre oftmals auf ihn verzichten musste.

Hohenheim, im Juli 2006

Jiirgen Banzhaf Stefan Wiedmann

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber Inhaltsverzeichnis

VII XI

Teil A: Konzepte und Entwicklungsperspektiven ubergreifender Gestaltungsfelder der Unternehmensfiihrung Simon Beck / Renate Vochezer Was sind Unternehmenswerte "wert"? - Ansatze des Wertemanagements und Beitrag von Werten zum Unternehmenserfolg 3 Stefan Eberhardt Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmenssteuerungs-Modelle und deren Zusammenspiei 15 Alexander Gerybadze / Mark Beyer Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle flir produktbegleitende Dienstleistungen 27 Dirk Hachmeister Wertorientierte Unternehmenssteuerung: Gewinnermittlungsregeln und Kapitalkostenbestimmung 45 Christoph Miiller Corporate Entrepreneurship - Erkenntnisse aus Theorie und Praxis

61

Werner F. Schulz / Sandra Kirstein Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

77

Teil B: Konzeption und operative Anwendung von Teilaspekten der Unternehmensfiihrung und -organisation Jiirgen Banzhaf/ Yvonne Feyrer Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung als anwendungsbezogenes Instrument wertorientierter Unternehmensfiihrung 93 Walter Habenicht / Martin J. Geiger / Wolf Wenger Ein Mehrzielansatz zur Optimierung des Ressourceneinsatzes im Rahmen der Kursplanung 109

XII

Inhaltsverzeichnis

Stefan Kirn / Thomas Bieser HoPIX: Simulationswerkzeug fiir die Untersuchung von Wertschopfiingsnetzwerken 121 Dejan Perc AuBerorganisationale und institutionelle Restriktionen der Unternehmensfiihrung am Beispiel der KEK 137 Mareike Schoop Elektronische Verhandlungen

147

Ruth Stock-Homburg / Nadine Ringwald Interkulturelle Fuhrung von Mitarbeitern als Herausforderung der Unternehmensfuhrung 163 Dirk Stroeder Normative Grundlagen des Risikomanagements in Deutschland und Auswirkungen auf mittelstandische Unternehmen 177 Markus Voeth / Uta Herbst Supply Chain Management - auch eine neue Perspektive flir das Marketing?.. 193 Teil C: Bedeutung, Entwicklung und Ausgestaltung der Berichterstattung in Unternehmen und Korperschaften Peter Bareis Bundesfmanzhof und Bundesfinanzministerium als kreative Buchhalter

207

Ansgar Belke / Wim Kosters I Martin Leschke / Thorsten Polleit A call for publishing ECB Council meeting minutes

223

Holger Kahle Rechnungslegung nach IFRS bei mittelstandischen Unternehmen?

237

Ernst Trojimann Zum methodischen Spektrum der Kosten- und Leistungsrechnung

261

Franz W. Wagner Die Revolution der Bilanzzwecke - Von der Sicherung der Kapitalerhaltung zur Senkung der Kapitalkosten 273 Die Autoren

295

Konzepte und Entwicklungsperspektiven iibergreifender Gestaltungsfelder der Unternehmensfuhrung

Was sind Unternehmenswerte 'Vert'^? Ansatze des Wertemanagements und Beitrag von Werten zum Unternehmenserfolg Simon Beck* • Renate Vochezer**

1

Wertemanagement im Fokus von Wissenschaft und Praxis 1.1 Wertemanagement und Unternehmenswerte 1.2 Konjunktur der Unternehmenswerte

2

Werteorientierte Unternehmensflihrung 2.1 Werteverankerung im Leitbild 2.2 Ansatze einer werteorientierten Unternehmensflihrung

3

Unternehmenswerte ais Beitrag zum Unternehmenserfolg 3.1 Werte als Investition in die Zukunft 3.2 Wettbewerbsfaktor Glaubwurdigkeit und Vertrauen 3.3 Einfluss auf die Kundenbindung 3.4 Erfolgssteigerung durch Mitarbeitermotivation 3.4.1 Einfluss des Wertemanagement auf die Mitarbeitermotivation 3.4.2 Einfluss der Mitarbeitermotivation auf den Unternehmenserfolg 3.5 Werte als Personalmarketinginstrument 3.6

4

Unternehmenswerte in der Unternehmensbewertung

Resumee

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Dr. oec. Simon Beck, Wildenmann Consulting, Ettlingen. Renate Vochezer, selbstandige Unternehmensberaterin.

Beck / Vochezer 1

Wertemanagement im Fokus von Wissenschaft und Praxis

1.1 Wertemanagement und Unternehmenswerte Wertorientierte Unternehmensfuhrung, Unternehmenswert und Unternehmensbewertung sind Themen, die regelmaBig in der Wirtschaftspresse zu finden sind. Inzwischen sehen die Unternehmen immer deutlicher, dass auch die vermeintlich „weichen" Werte wie z.B. offene Kommunikation nah bei den „harten" monetaren Werten stehen und nicht isoliert betrachtet werden durfen. Die Wertediskussion hat nach langerer Ruhephase wieder neuen Aufwind bekommen. So flieBen in die Berechnung eines monetaren Unternehmenswerts immer mehr auch immaterielle Faktoren wie z.B. das Know-how und die Reputation eines Unternehmens mit ein. Weiterhin besteht inzwischen dariiber Einigkeit, dass auch die weichen Unternehmenswerte einen „wert"-vollen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Das Problem ist dabei, diesen Zusammenhang abzubilden, zu messen und gezielt zu fordern. Welche Chancen und Moglichkeiten sich durch Wertemanagement bzw. durch eine werteorientierte Unternehmensfuhrung ergeben konnen, soil in diesem Beitrag aufgezeigt werden. Werte werden hierbei defmiert als Ideen, Orientierungen und Verhaltensweisen, die von Menschen, einer Gruppe oder einer Organisation (z.B. einem Unternehmen) als wichtig und erstrebenswert angesehen werden^ Es sind „uberindividuelle Leitbilder"^, welche im Unterschied zu prazisen Zielen tiber den Einzelnen und seine Lebenserfahrung hinausreichen, die sich biologischen Strukturen entsprechend evolutionar ausbilden und aufgrund ihres normativen Charakters eher unreflektiert eingesetzt werden.^ Werden diese Werte in einem Unternehmen bewusst aufgenommen, gestaltet und in die Prozesse integriert, so spricht man von Wertemanagement bzw. werteorientierter Unternehmensfuhrung. Die Hauptaufgabe der Unternehmensfuhrung im Rahmen eines Wertemanagements sieht BECKER darin, das Wertespektrum der Mitarbeiter und des Unternehmens durch aktive Beeinflussung anzugleichen.^ Dadurch konnen eine hohere Identifikation und Loyalitat, eine starkere Motivation und Leistungsbereitschaft und bessere Arbeitsergebnisse und Zusammenarbeit erreicht werden.^ Wertemanagement stellt eine strategische Aufgabe dar und ist somit Chefsache. Die Unternehmensfuhrung tragt Verantwortung fiir den Prozess der Werteidentifikation und -implementierung. Aber auch in Bezug auf die Vorbildfunktion ist es unabdingbar, dass Werte von der obersten Leitungsebene an vorgelebt werden.

Was sind Unternehmenswerte "wert"? 1.2 Konjunktur der Unternehmenswerte Werte, Wertemanagement und letztlich auch Unternehmenswerte sind seit wenigen Jahren wieder naher in das Blickfeld von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft geruckt. Eine Studie von Booz Allen Hamilton (2003) unter den 150 flihrenden Unternehmen im deutschsprachigen Raum zur Frage „Schaffen Werte Wert?" bestatigt diese Aussage. Uber drei Viertel der befragten Vorstande und Topmanager gehen laut der Studie davon aus, dass Werte in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden und die einseitige Fokussierung auf den Shareholder Value neu iiberdacht werden muss. Dass Werte auch wirtschaftlichen Nutzen generieren, davon sind 95 % aller befragten Unternehmen iiberzeugt. Eine weitere Untersuchung aus den USA zeigt auf, dass die Unternehmen, die sich dauerhaft am Markt behaupten, meist nicht allein wirtschaftlich denken, sondern daruber hinaus bestimmten Werten verpflichtet sind7 Die Grunde fiir die neue „Wertschatzung" von Werten sind mannigfaltig. Einerseits fuhren immer mehr Wirtschaftsskandale z.B. durch groB angelegte Bilanzfalschungen zu einem Umdenken, weiterhin wird aber auch erkannt, dass Werte Oder Corporate Social Responsibility (CSR) Wettbewerbsvorteile schaffen und somit eine Grundlage fur erfolgreiches Wirtschaften darstellen.^ 2

Werteorientierte Unternehmensfilhrung

2.1 Werteverankerung im Leitbild Damit eine werteorientierte Unternehmensflihrung tatsSchlich auch zum wirtschaftlichen Erfolg beitragt, ist es Grundvoraussetzung, dass diese nicht nur propagiert wird, sondern auch im Rahmen eines umfassenden Wertemanagementsystems konsequent umgesetzt wird. Ein sinnvoller Rahmen zur Etablierung des Wertemanagement stellt das Leitbild dar, in welchem neben klar defmierten Verhaltens- und FuhrungsgrundsStzen auch ethische Leitwerte und Selbstverpflichtungen festgehalten werden k(3nnen.^ Unternehmensleitbilder stehen jedoch im Ruf, dass das einzig gute daran, die schonen Formulierung sind, diese aber selten wirklich gelebt werden. Um dies zu verhindern, muss auch hier der Impuls von ganz oben kommen. Erst wenn alle Stakeholder eines Wertemanagement, wie z.B. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten etc., das Unternehmen im Leitbild wieder erkennen, kann von einer erfolgreichen Werteverankerung gesprochen werden. Wie Unternehmenswerte in ein Leitbild integriert werden konnen, zeigt die Fa. Putzmeister (Aichtal). Hier wird das Leitbild als „Werteskala unserer Unterneh-

Beck / Vochezer mensphilosophie" bezeichnet. „A\\Q Mitglieder des Unternehmens geben Putzmeister seine Identitat, indem sie sich zu diesen Werten bewusst verpflichten beim Denken und aktiven Handeln auf dem Weg zu unseren Zielen."^*^ 2.2 Ansatze einer werteorientierten Unternehmensfiihrung Zur erfolgreichen Implementierung und Umsetzung eines Wertemanagement bedarf es einer Unternehmensstrategie, die dem Thema Werte ihren erforderlichen Platz einraumt. Gleichzeitig gilt es, die geeigneten Instrumente fiir die Realisierung der mit den Werten in Verbindung stehenden Zielen auszuwahlen. Daneben gibt es aber diverse weitere Ansatze, die die Wertearbeit sinnvoll unterstutzen. Ein von Vogelsang vertretener Ansatz ist die Wahl von Kernwerten, d.h. die Festlegung von vier bis flinf zentralen Werten, wobei dies keine Einschrankung sondern eine klare Einordnung darstellt. Dies geschieht u.a. dadurch, dass sehr spezifische Werte zu Allgemeineren zusammengefasst werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass nicht zuviel an Scharfe und Aussagefahigkeit verloren geht. Anzustreben ist letztendlich ein unverwechselbarer, eindeutiger und profilstarker Wertekanon.'^ Diese Kernwerte stehen nicht isoliert nebeneinander sondern sie beeinflussen sich gegenseitig und bilden ein sogen. ,J^etz der Werte", f V

Nachhaltigkeit

\ y

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Gewinnorientierung

\ J\

H

Innovitiiuii

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Qualitat

[

ivornpcicii^

Abbildung 1:

J

Beispiel fiir ein Wertenetz Quelle: In Anlehnung an Vogelsang, G./Burger, C.(2004), S. 134

Auf den ersten Blick mag es etwas seltsam anmuten, dass auch Gewinnorientierung Bestandteil eines Wertenetzes sein kann bzw^. sogar sein sollte. Doch ohne

Was sind Unternehmenswerte "wert"? Gewinnorientierung ist ein Unternehmen langfristig gesehen, nicht uberlebensfahig, d.h. auch den weiteren Unternehmenswerten wtirde ohne Gewinn die Existenzgrundlage entzogen werden. Werte- und Gewinnorientierung stellt somit kein Widerspruch dar. Ein weiterer Ansatz zur werteorientierten Unternehmensfiihrung stellt die Bestdndigkeit dar. Unternehmenswerte dtirfen keine Modeerscheinung darstellen, sondern mtissen auf eine langfristige Perspektive ausgerichtet sein und zur Tradition werden. Ohne diese Bestandigkeit ist es nicht moglich, die notwendige Vertrauensbasis in Bezug auf die Werteorientierung des Unternehmens aufzubauen. Gleichzeitig ist ein hohes MaB an Integritdt erforderlich. Werteorientierte Unternehmensfiihrung bedeutet nicht, sporadisch ein gutes Werk zu tun, sondern sie muss auch die Basis ftir die Kerngeschafte darstellen. Das gesamte Unternehmen muss durch die Wertehaltung gepragt sein und samtliche Handlungen sind daraus auszurichten. Voraussetzung hierfiir ist, dass durch alle Leitungsebenen, bis zu jedem Mitarbeiter ein entsprechendes Bewusstsein geschaffen wird. Um die hier aufgeflihrten Aspekte hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu priifen, sollte das Unternehmen uber ein ,,Wertecontrolling'' als integrierter Bestandteil der Wertearbeit, verfiigen. Ohne Messung und Bewertung ist die Gefahr sehr groB, dass die propagierten Werte nur eine unverbindliche Absichtserkiarung darstellen. Den haufig formulierten Einwand, dass Werte nicht messbar sind, widerspricht u.a. die Studie von Booz Allen Hamilton. Knapp 85 % aller befragten Unternehmen bestatigen die Messbarkeit von Werten.^ Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass an ein qualifiziertes Messsystem hohe Anforderungen gestellt werden. Booz Allen Hamilton hat zusammen mit der BertelsmannStiftung ein pragmatisches Modell zur Messung von Werten auf Basis der Kernwerte entwickelt. Hierbei werden die folgenden 6 Dimensionen mit spezifischen Fragen auf ihre Wertetauglichkeit genau uberpruft: 1. StrategieA^erankerung 2. Mitarbeiter 3. Zulieferer ^ 4. Kunden 5. Investoren 6. Gesellschaft/Offentlichkeit

Wertetrager (stutzen die Unternehmenswerte)

Beispielsweise wird gepruft, inwiefern sich die Unternehmenswerte tatsachlich in der Strategic wieder finden oder ob es fiir die Mitarbeiter Leistungsanreize fiir wertestiitzendes Verhalten gibt. Viele Fragen lassen sich direkt beantworten, fiir komplexere Fragestellung sind aber auch weiterfiihrende Analysen, Befi*agungen

Beck / Vochezer und Interviews notwendig. Die Bewertung entlang der o.g. Dimensionen geben einen sehr detaillierten Aufschluss dariiber, wie stark die Unternehmenswerte tatsachlich ausgepragt sind und auch umgesetzt werden.^^ 3

Unternehmenswerte als Beitrag zum Unternehmenserfolg

3.1 Werte als Investition in die Zukunft Eine werteorientierte Unternehmensfiihrung stellt keinen unternehmerischen Luxus dar und ist weit davon entfernt ein rein idealistisches Instrument zu sein. Vielmehr konnen Werte tatsachlich auch Wert im monetaren Sinn schaffen. Karl Homan, Professor flir Wirtschaftsethik an der kath. Universitat Eichstatt, sieht moralisches Verhalten als eine Investition, von der wir annehmen, dass sie sich spater auszahlt. Wie jede Investition, ist diese zunachst mit Kosten oder sogar mit UmsatzeinbuBen verbunden, langfristig tragen Unternehmenswerte aber zur Erwirtschaftung weiterer Ertrage bei. Moral und Ethik funktionieren nur, weil langfristig Belohnungen in Aussicht gestellt werden.^"^ Eine der wichtigsten Wirkungsfaktoren von werteorientierter Unternehmensfiihrung wie Glaubwurdigkeit, Kundenbindung und Mitarbeitermotivation werden im Folgenden genauer dargestellt. 3.2 Wettbewerbsfaktor Glaubwiirdigkeit und Vertrauen Nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung und dem daraus resultierenden Preiswettkampf wird es flir die Unternehmen zunehmend schwieriger wettbewerbsfahig zu bleiben. Insbesondere fiir deutsche Unternehmen ist es haufig nicht mehr moglich, preislich konkurrenzfahig zu bleiben, so dass alternative Wettbewerbsfaktoren gestarkt werden miissen. Werte konnen dahingehend zur Wettbewerbsstarkung beitragen, indem sie die Glaubwiirdigkeit von Unternehmen fordern und damit die Basis fUr eine langfristige vertrauensvolle Zusammenarbeit darstellen, was insbesondere im B2BSektor zunehmend an Bedeutung erlangt. Wertemanagement ist somit eine bedeutende Grundlage zum Aufbau eines sogen. „Vertrauenskapitals". Dieses Kapital wird zwar nicht direkt auf der Passivseite der Bilanz sichtbar, indirekt nimmt es aber dennoch Einfluss, da die auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit aller Geschaftspartner (Kunden, Lieferanten, Glaubiger, Anleger...) auf Dauer angelegt ist und die Gewinnerwirtschaftung langfristig positiv beeinflusst. 3.3 Einfluss auf die Kundenbindung In enger Verbindung zur Glaubwiirdigkeit und Vertrauensbildung steht die Kundenbindung. Wenn der Preis immer weniger als Instrument der Kundenbindung

Was sind Unternehmenswerte "wert"? eingesetzt werden kann, miissen Kunden durch andere Argumente gebunden werden. Gelingt dies nicht, kann dies einem Unternehmen teuer zu stehen bekommen, denn gemaB einer Studie der Service Initiative ist es 600 % teurer, neue Kunden zu gewinnen, als vorhandene zu halten. Weiterhin zeigt die Studie, dass sehr zufriedenen Kunden zu den besten Werbetragern eines Unternehmen gehoren.^^ Bereits diese beiden Aussagen verdeutlichen, dass es auch wertmaliig lohneswert ist, in Kundenbindung zu investieren. Eine werteorientierte Kundenbeziehung beruht in erster Linie auf Offenheit und Ehrlichkeit. Nichts zerstort die Vertrauensbasis mehr als nicht eingehaltene Versprechen oder Zusagen. Im Vordergrund aller Kundenbeziehungen stehen deren Wiinsche und Erwartungen und nicht das, was das Unternehmen gerade anbieten kann. Um Informationen uber diese Erwartungen zu erhalten, sind Kundenbefragungen und Marktforschungen sinnvolie Mittel. Einen Beitrag zur Kundenbindung leisten Unternehmenswerte auch indirekt Uber die Imagesteigerung. Die befragten Unternehmen der Booz Allen HamiltonStudie sehen in der Imageverbesserung einen der groBten Nutzen von Werten.^^ Ein gutes Image wiederum fordert Kundenbindung, aber auch Kundenneugewinnung. 3.4 Erfolgssteigerung durch Mitarbeitermotivation 3.4.1 Einfluss des Wertemanagement auf die Mitarbeitermotivation Eine werteorientierte Unternehmensfiihrung nimmt unmittelbaren Einfluss auf die Mitarbeitermotivation, denn wer Mitarbeiter auf der Basis von Werten fiihrt, tragt zu deren Sinnstiftung bei. Es wird ihnen einfacher gemacht, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Voraussetzung ist jedoch, dass die Werte auch auf die Mitarbeiter abgestimmt werden, denn sie als eine der sogenannten „Wertetrager" mussen diese stutzen. Werteorientiertes Handeln lasst sich nicht verordnen oder anweisen, sondern wird durch Uberzeugung und Vorleben getragen. 3.4.2 Einfluss der Mitarbeitermotivation auf den Unternehmenserfolg Motivierte Mitarbeiter sind produktive Mitarbeiter. Dies ist eine unumstrittene Tatsache. Abgesehen davon, dass Motivation direkt zur Leistungssteigerung beitragt, werden Krankheits- und Fluktuationsraten gesenkt. Gerade in Zeiten, in welchen so haufig uber Produktivitatssteigerung bzw. Wirtschaftlichkeit diskutiert wird und nicht selten als Anlass fiir Standortverlagerungen ins Ausland hergenommen wird, sollte diesem Nutzenfaktor mehr Wertigkeit eingeraumt werden.

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Beck / Vochezer

Ein weiteres Nutzenmerkmal hoher Mitarbeitermotivation ist die Mitarbeiterbindung. Sind Mitarbeiter nicht (mehr) motiviert oder konnen sich nicht mit dem Unternehmen identifizieren, werden sie fruher oder spater das Unternehmen verlassen. Je qualifizierter ein Mitarbeiter ist, desto schneller wird das der Fail sein, so dass das Unternehmen ggf. vorrangig die besten Mitarbeiter verlieren wird. Abgesehen von direkten Auswirkungen auf die Organisation, wie Storungen im Betriebsablauf, entstehen hohe Kosten flir die Neubesetzung der Stelle. Werden samtliche Kosten fur die Neubesetzung wie z.B. Kosten flir die Ausschreibung, ggf. flir Personalagenturen, fur das Bewerbungsverfahren und vor allem flir die Einarbeitungszeit addiert, sind Betrage von 30.000 € aufsvarts keine Seltenheit. Der wertmaBige Beitrag von Werten zur Mitarbeiterbindung lasst sich hier also sehr deutlich aufzeigen. 3.5 Werte als Personalmarketinginstrument Die vielfach vorherrschende Meinung, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit geniigend qualifizierte Bewerber zur Verfligung stehen, wird nur von wenigen Personalern geteilt. Vor allem bei Fachkraften erweist sich eine Stellenbesetzung oft als sehr schwierig. Im Wettbewerb um die besten zuktinftigen Talente sind die Unternehmen im Vorteil, die neben einem guten Gehalt weitere Anreize bieten konnen. Es zeigt sich, dass ein verlasslicher Wertekanon ein wichtiges Kriterium flir die Bewerber ist, einen Arbeitsplatz in einem bestimmten Unternehmen anzutreten. Zudem lasst sich feststellen, dass Mitarbeiter, die auf diese Kriterien achten, zum langfristigen Erfolg des Unternehmens starker beitragen, als Mitarbeiter die vorrangig auf eine gute Bezahlung achten.^^ Welchen Beitrag Wertemanagement zur Mitarbeiterwerbung und -bindung leisten kann, lasst sich sehr gut am Beispiel des Herstellers flir Bergsportartikel Vaude GmbH & Co. KG (Tettnang) darstellen. Wertemanagement nimmt im Hause Vaude einen groBen Stellenwert ein. Finer der zentralen Eckpunkte hierbei ist die Familienfreundlichkeit. Dies wird u.a. umgesetzt durch ein Kinderhaus direkt neben dem Firmengebaude. Mutter konnen bei Bedarf schnell nach der Geburt wieder einsteigen und konnen so den gefurchteten Karriereknick vermeiden. Es ist eine Win-Win-Situation, denn auch Vaude profitiert davon, indem sie weiterhin das KnowHow der eingearbeiteten Mitarbeiterinnen nutzen kann und vor allem die bereits o.g. Kosten einer Neubesetzung oder Schulung der Elternzeitvertretung vermeidet. Hoch motivierte Mitarbeiter, positive Medienreaktionen und ein gutes Image stellen weitere Gewinnfaktoren flir das Unternehmen dar. Umgekehrt versucht Vaude, die sozialen Grundsatze und Werte an die die Mitarbeiter weiterzugeben. Bei der Neubesetzung von Stellen wird auf die sozia-

Was sind Unternehmenswerte "wert"?

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le Ausrichtung und die Identifikation mit den Unternehmenswerten groBen Wert gelegt.'' 3.6 Unternehmenswerte in der Unternehmensbewertung Es ist eine viel diskutierte Frage ob, und ggf. wie, Werte bzw. immaterielle Werte allgemein in eine Unternehmensbewertung einflieCen sollten. Das Grundproblem liegt darin, dass immaterielle Werte auBerst schwierig in ZahlenbetrSge auszudriicken sind. Es gibt zahlreiche Verfahren der Unternehmensbewertung, wie z.B. das Stuttgarter Verfahren, Substanzwertverfahren oder Ertragswertverfahren etc. Durchgesetzt hat sich vor allem das Ertragswertverfahren, da dessen Berechnungsgrundlage auf die Zukunft ausgerichtet ist. Immaterielle Faktoren flieBen nur rudimentar ein, indem z.B. die Qualifikation der Mitarbeiter oder die Kundenstruktur Beriicksichtigung fmden. Diese Verfahren k5nnen nur einen groben Anhalt bieten, da sich letztendlich der Unternehmenswert in dem Preis auBert, den ein KSufer oder Investor dafiir bereit ist zu zahlen. Gelingt es, die Interessenten davon zu Uberzeugen, dass auch Unternehmenswerte einen Mehrwert fiir die Zukunft schaffen, aufgrund von • • • •

einem zufriedenen und treuen Kundenstamm, motivierten und qualifizierten Mitarbeitern, geringer Fluktuation, einem guten Image etc.

konnen die Friichte einer guten Wertearbeit dennoch geerntet werden. In der Vergangenheit waren solche Rechnungen selten anzutreffen, doch immer mehr Investoren orientieren sich an ethischen Kriterien, was zu einer steigenden Nachfrage an nachhaltigen Anlagen fiihrt. Laut dem Oko-Zentrum NRW stieg das Volumen des in Umwelt- und Ethikfonds investierten Kapitals wahrend der letzten zwei Jahre in Deutschland um 600 Prozent. So gelten auch in Analystenkreisen Best-Practice-Leistungen zu Nachhaltigkeitsanforderungen als Parameter zur Unternehmensbewertung hinsichtlich langfristigen Erfolgs und Zukunftsfahigkeit.^^ Es zeigt sich auch hier, dass eine Investition in Werte eine Investition in die Zukunft ist. 4

Resumee

„Ein Ende der Ethik' sagte Umberto Eco fiir das dritte Jahrtausend voraus. Er begriindete dies damit, dass es den Menschen vor allem zu anstrengend wird, wirklich tugendhaft zu leben.^^ Aufzuzeigen, dass dies zumindest fiir Unternehmen nicht zwangslaufig der Fall sein muss und ein erfolgreiches Wertemanage-

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Beck / Vochezer

ment dabei auch noch einen „wert"-maBigen Nutzen stiften kann, war Ziel dieses Beitrags. An einigen Beispielen und Instrumenten konnte der direkte Nutzenbeitrag einer wertorientierten Unternehmensfuhrung dargelegt werden. Dies soil die Unternehmen ermutigen, nicht nur in Anlagen und Maschinen, sondern auch in immaterielle Handlungsweisen zu investieren und somit eine Basis flir langfristigen Erfolg zu schaffen. Doch gerade diese langfristige Sichtweise zu forcieren, wird den Unternehmen nicht immer leicht gemacht, denn noch viele Anleger, Investoren, Banken etc. zeigen heute oft eine sehr kurzfristige Erwartungshaltung in Bezug auf unternehmerische Kennzahlen. Die in diesem Beitrag erwahnten Ergebnisse der Booz Allen Hamilton-Studie stimmen positiv und zeigen auf, dass zumindest die groBen Unternehmen .,Werte" als wichtigen Erfolgsfaktor erkannt haben. Dieser Eindruck wird unterstutzt durch das derzeit in Presse und Literatur stark diskutierte Thema „Corporate Social Responsibility" aber auch durch die zunehmende Beriicksichtigung von Werten im Fund-Rating. Es bleibt in jedem Fall ein lohnendes Unterfangen fur Wissenschaft und Praxis, die Entwicklung des Wertemanagements in den nachsten Jahren weiter zu verfolgen. Anmerkungen ^ ^ ^ ^

^ ^ ^ ^ ^ ^^ ^^ ^^ ^^ '' ^^ '^ ^^ '^

Vgl. Kleinfeld, A. (2003), S. 1. Wiendieck,G. (1990), S. 760. Vgl. Wildenmann, B. (2002). Im Bereich der Wirtschaftsethik werden als Variation davon auch das „Ethikmanagement" bzw. „Ethikmanagementsysteme" diskutiert. Einen Uberblick zu Konzepten der Wirtschaftsethik geben Osterloh, M./Tiemann, R. (1995). Vgl. Becker, M. (2002), S. 47. Vgl. Beck, S. (2005), S. 114. Vgl. o.V. (2003), S. 52 f. Vgl. o.V. (2005), S. 86. Vgl. Kleinfeld, A. (2003), S. 2. Putzmeister AG (2006). Vgl. Vogelsang, G./Burger, C. (2004), S. 134 f Vgl. o.V. (2003), S. 13. Vgl. Vogelsang, G./Burger, C.(2004), S. 169 ff ebd., S.37f Vgl. http://www.tu-dresden.de/beisheim/vortraege/vortrag_kalweit.pdf zugegriffen am 08.06.2006. o.V. (2003), S. 3. Vgl. Vogelsang, G./Burger, C.(2004), S. 72. Vgl. Niemietz,C. (2005).

Was sind Unternehmenswerte "wert"?

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^^ Vgl.Kleinfeld,A.(2001). ^^ Vgl. Umberto Eco(2003), S. 7. Literaturverzeichnis Beck, S. (2005): Skill-Management. Konzeption fiir die betriebliche Personalentwicklung, Wiesbaden: DUV - Deutscher Universitatsverlag 2005. Becker, M. (2002): Personalentwicklung: Bildung, Forderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. 3., uberarbeitete und erweiterte Aufl., Stuttgart: Schaffer-Poeschel 2002. Kleinfeld, A. (2003): Wettbewerbsvorsprung durch Wertemanagement, in: personalmagazin 01/2003, Seitenzahl fehlt!. Kleinfeld, A. (2001) Integritat - Mangelware, in: GDI Impuls 3/2001, o.S. Niemietz, C. (2005): Wertemanagement am Arbeitsplatz, http://www.swr.de/ wiesoweshalbwarum/archiv/2005/10/20/print3.html, 09.06.2006. o.V. (2003).: Werte schaffen Wert. Eine Booz Allen Hamilton Studie Juli 2003. Osterloh, M.; Tiemann, R. (1995): Konzepte der Wirtschafts- und Unternehmensethik: Bin Uberblick. In: Hoff, Ernst H.; Lappe, Lothar (Hrsg.): Verantwortung im Arbeitsleben. Heidelberg: Verlag, 1995, S. 193-211. Putzmeister AG (2006): http://www.putzmeister.de/d/pm/profil/3-teiligesLeitbild.pdf, 07.06.2006. Umberto Eco(2003): Gratis-Prophezeiungen, Munchen/Wien. Vogelsang, G./Burger, C. (2004): Werte schaffen Wert, MUnchen. Wiendieck, G. (1990): Wertewandel und Leistungsmotivation. In: Personalfiihrung, (1990), Heft 11. Wildenmann, B. (2002): Mit neuen Werten in das 21. Jahrhundert.. Vortrag anlasslich einer Fuhrungskraftetagung der Basler Versicherung, 2002.

Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmungssteuerungs-Modelle und deren Zusammenspiel Stefan Eberhardt*

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Unternehmungssteuerungs-Modelle 1.1 Wertorientierte Unternehmungsfiihrung 1.2 Balanced Scorecard als Steuerungsmodell

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Qualitatsmanagement-Modelle 2.1 Formale Qualitatsmanagement-Modelle 2.1.1 DIN-EN-ISO 9000 ff. 2.1.2 SPICE 2.2 Praktische Qualitatsmanagement-Modelle 2.2.1 EFQM-Modell 2.2.2

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CMMI

Zusammenspiel der Modelle

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Dr. Stefan Eberhardt, Chief Operating Officer der DaimlerChrysler TSS GmbH, Lise-Meitner-StraBe 15, 89081 Ulm.

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Eberhardt Unternehmungssteuerungs-Modelle

1.1 Wertorientierte Unternehmungsfiihrung Die Schaffung von Mehrwert ist eine der zentralen Zielsetzungen von Unternehmungen. Fur wirtschaftende Unternehmungen steht dabei regelmaBig die Sicherung der langfristigen wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit im Mittelpunkt ihrer Bestrebungen. Um diese zu erreichen, ist die ausgewogene Befriedigung der Ansprtiche derjenigen Stakeholder erforderlich, die einen maBgeblichen Einfluss auf das Unternehmungsgeschehen haben. Dies sind in aller Kegel zumindest die Fremd- und Eigenkapitalgeber, Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter.^ Damit diese Gruppen ihrerseits die erforderlichen Beitrage zur Erreichung der Unternehmungsziele leisten, mtissen sie fur sich selbst dafiir einen Mehrw^ert erkennen. Beispielsweise wird ein Mitarbeiter nur dann seine Arbeitsleistung erbringen, wenn er dafiir einen adaquaten Ausgleich etwa in Form eines angemessenen Entgelts, guter Arbeitsbedingungen oder ahnlichem erhalt. Nur wenn solche berechtigten Anspruche der Stakeholder angemessen befriedigt werden, werden die fiir die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit erforderlichen positiven Beitrage zur Erreichung der Unternehmungsziele durch diese Gruppen erbracht werden. Die Grundidee der wertorientierten Unternehmungsfiihrung ist also gerade soviel Wert fiir jede einzelne Anspruchsgruppe zu schaffen, dass diese genau den Beitrag leisten, der erforderlich ist, damit ein mittel- bis langfristiges wirtschaftliches Pareto-Optimum im Sinne der Unternehmung erreicht werden kann.^ Hierzu muss zwischen den verschiedenen Stakeholdern und ihren Wertbeitragen einerseits und zwischen den Wertbeitragen der Unternehmung und denen der Anspruchsgruppen in Summe eine Balance hergestellt werden. Es ist dagegen nicht die Idee der wertorientierten Unternehmungsfiihrung, kurzfristige und einseitige Nutzenmaximierung zu betreiben. Die einseitige Bevorzugung von Partikularinteressen fiihrt mehr oder weniger zwangslaufig zur Nichtberiicksichtigung anderer berechtigter Anspruche. Dadurch wird die Balance als wesentlicher Grundlage fiir die Sicherung der langfristigen wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit einer Unternehmung gefahrdet. So erhoht zwar womoglich eine einseitig auf die Steigerung des Nutzens von Aktionaren ausgerichtete Unternehmungspolitik, wie sie im Shareholder-ValueAnsatz proklamiert wird, kurzfristig den Borsenwert einer Unternehmung, sorgt aber nicht fiir eine langfristig ausgewogene Berlicksichtigung etwa von Mitarbeiter- oder Kundeninteressen und ist somit mittel- bis langfristig suboptimal, weil

Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmungssteuerungs-Modelle

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dadurch wesentliche Nutzenbeitrage dieser Stakeholder nicht erschlossen werden. Dadurch entsteht die Gefahr, dass diese Anspruchsgruppen unzufrieden werden und sich ganz oder teilweise zurtickziehen, was erhebliche negative Auswirkungen auf den Unternehmungserfolg oder gar deren Fortbestand haben kann.^ Die wertorientierte Unternehmungsfiihrung ist also ein ganzheitliches und auf Dauer angelegtes Modell, welches das Management in die Lage versetzt, die eigene Wertschopfling zu optimieren, die WertschSpfungsbeitrage der Anspruchsgruppen exakt zu erfassen und optimal in die eigene Wertschopfling zu integrieren, die auf bestimmten Wertvorstellungen beruhenden Nutzenerwartungen zu erfullen, den Nutzen fur die Unternehmung selbst zu erhohen und damit die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit der Unternehmung nachhaltig zu sichern."^ 1.2 Balanced Scorecard als Steuerungsmodell Zur Steuerung von Unternehmungen im Rahmen der wertorientierten Unternehmungsfiihrung ist es notwendig, ein entsprechendes Instrumentarium einzusetzen, welches die Wertbeitrage der einzelnen Stakeholder fur die Unternehmung und die eigene Wertschopfung der Unternehmung selbst misst. Hierfiir bietet sich die Balanced Scorecard dXi.^ Mit der Balanced Scorecard konnen die wichtigsten Kriterien des Erfolgs einer Unternehmung nicht nur gemessen, veranschaulicht und einem regelmaBigen Review unterzogen werden. Vielmehr konnen auf Basis der Erkenntnisse aus einer Balanced Scorecard auch gezielte Schritte zur Steigerung des Nutzens abund eingeleitet werden.^ Ausgangspunkt fiir eine Balanced Scorecard ist eine Vision, in der die grundlegende Ausrichtung der Unternehmung festgelegt wird.^ Eine solche Vision kann bereits die wertorientierte Grundausrichtung verankert werden und kann zum Beispiel so lauten: „Innerhalb von ftinf Jahren wollen wir einen erheblichen Mehrwert fur unsere Unternehmung und unsere wichtigsten Anspruchsgruppen erzielt haben." Diese Vision ist nun zu konkretisieren. Was bedeutet es, einen erheblichen Mehrwert erzielt zu haben? Wie kann festgestellt werden, ob die Vision erreicht wird? Hierzu werden so genannte kritische Erfolgsfaktoren defmiert. Solche

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kritischen Erfolgsfaktoren sind zum Beispiel Kundenzufriedenheit oder Prozessqualitat. Sie geben zwar eine iibergreifende Orientierung flir das unternehmerische Handeln, sind aber in der Kegel noch nicht operational, als SteuerungsgroBen flir die tagliche Arbeit also ungeeignet. In einem weiteren Schritt miissen deshalb Werttreiber abgeleitet werden, konkrete, quantifizierbare GroBen, die zur Steuerung des Tagesgeschafts eingesetzt werden und die die wesentlichen betrieblichen Ablaufe und erfolgsbestimmenden AuBenbeziehungen einer Unternehmung abbilden konnen. Schon die Bezeichnung Werttreiber macht deutlich, dass diese GroBen auf die Schaffung von Werten flir die Unternehmung selbst und deren Anspruchsgruppen ausgerichtet sein miissen. Am Beispiel des kritischen Erfolgsfaktors Prozessqualitat kCnnen konkrete Werttreiber beispielsweise die Durchlaufzeit, Fehlerquoten oder andere aus Benchmark-Vergleichen gewonnen Erkenntnisse iiber kritische ProzesskenngroBen sein. Da die Werttreiber direkt in die Balanced Scorecard einflieBen und dort berichtet werden, ist darauf zu achten, dass sie sich ausgewogen auf die Perspektiven der Balanced Scorecard verteilen. Ublicherweise werden in einer Balanced Scorecard folgende vier Perspektiven dargestellt:^ die finanzielle Perspektive, die Kundenperspektive, die Lern- bzw. Entwicklungsperspektive sowie die Perspektive der internen Prozesse. eder Werttreiber muss sorgfaltig defmiert werden. Insbesondere ist der Beitrag zu benennen, den ein Werttreiber zur Erreichung der Vision leisten kann. So wird explizit formuliert, welchen Wertbeitrag ein Werttreiber misst. Fur jeden Werttreiber ist zudem ein Sollwert festzulegen, so dass sich iiber eine Abweichungsanylse jederzeit ermitteln lasst, wo Defizite auf dem Weg zur Realisierung der Vision vorhanden sind und wo konkrete MaBnahmen abzuleiten sind. Um ein hoheres MaB an Verbindlichkeit zu erzielen, gehen diese Sollwerte in die Zielvereinbarungen mit der fiir einen Werttreiber verantwortlichen Fiihrungskraft •

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em. 2 Qualitatsmanagement-Modelle Qualitdtsmanagement ist ein Teilbereich der Unternehmungsflihrung, der sich um die Einhaltung und Weiterentwicklung der Qualitat von Produkten bzw. Dienstleistungen einerseits sowie um die Einhaltung und Verbesserung von Geschaflsprozessen andererseits kummert. Das Qualitatsmanagement umfasst somit

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alle Tatigkeiten der Unternehmungsfiihrung, die darauf gerichtet sind, dass sowohl die Produkte und Dienstleistungen als auch die internen Prozesse der Unternehmung den expliziten oder impliziten Anforderungen geniigen. Diese Anforderungen gehen letzen Endes auf die Erfordernisse und Erwartungen des Kunden zurlick.'^ Mit der Ausweitung des Wirkungsbereiches des Qualitatsmanagements nicht nur auf die angebotenen Produkte bzw. Dienstleistungen, sondern auch auf die Geschaftsprozesse wird schnell deutlich, dass sich auch das Qualitatsmanagement an dem gesamten Unternehmungserfolg orientiert. Qualitativ hochwertige Geschaftsprozesse sind die Voraussetzung fur Produktqualitat und damit fur Kundenzufriedenheit, aber eben auch fur effiziente unternehmungsinterne Ablaufe und damit fiir den optimalen Ressourceneinsatz und letztlich fur den Erfolg einer Unternehmung. Es gibt zwei grundsatzlich unterschiedliche Arten von QualitatsmanagementModellen. Die einen orientieren sich stark an formalen Gesichtspunkten. Bei solchen Modellen wird besonders die Einflihrung eines Qualitatssicherungssystems berucksichtigt, allerdings weniger die damit erzielten oder erzielbaren Ergebnisse. Demgegeniiber stehen eher praktisch veranlagte Modelle, die sich stark an den Ergebnissen, also an der faktischen Qualitat von Produkten und Prozessen orientieren und die formalen Aspekte eher als Mittel zum Zweck betrachten. 2.1 Formale Qualitatsmanagement-Modelle 2.1.1 DIN-EN-ISO 9000 ff Formale Qualitatsmanagement-Modelle sind vor allem darauf ausgerichtet, Qualitatssicherungssysteme in einer Organisation entlang bestimmter formaler Verfahren oder Normen einzufiihren. Die erfolgreiche Einflihrung und die anschlieBende konsequente Verfolgung solcher Systeme werden von einer unabhangigen und hierfiir autorisierten Stelle zertifiziert. Im Mittelpunkt formaler Qualitatsmanagement-Modelle steht zumeist die exakte Formulierung von Qualitatszielen und -prozessen sowie der exakten Dokumentation derselben. Diesem Konzept folgt die Normenreihe DIN-EN-ISO 9000 ff Im Mittelpunkt der DIN-EN-ISO 9000 ff steht die Beschreibung des Qualitatssicherungssystems einer Organisation. Die eigentliche Qualitat eines Produkts Oder Prozesses wird dagegen nicht explizit berucksichtigt, sondern lediglich, inwieweit es mit dem eingefiihrten Qualitatssicherungssystem grundsatzlich moglich ist, zugesicherte Eigenschaften auch wirklich konsequent und wiederholbar zu erzeugen. Die Einhaltung dieser zugesicherten Eigenschaften muss mit einem

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geeigneten Qualitatssicherungssystem uberwacht werden konnen - das und nur das ist letztlich Bestandteil dieses formalen Qualitatsmanagement-Modells. Ob damit auch wirklich Kundenerwartungen erfullt oder gar ubertroffen werden, ob also hervorragende Leistungen erbracht werden, bleibt dabei unberiicksichtigt. Ebenso weitgehend unberiicksichtigt bleibt die Effizienz der angewandten Prozesse, mithin also die Betrachtung, zu welchem Preis die entsprechenden Leistungen erbracht werden. Damit wird die Normenreihe DIN-EN-ISO 9000 ff. den Anforderungen der wertorientierten Unternehmungsfiihrung nur bedingt gerecht. 2.1.2 SPICE Ebensolches gilt fiir andere formale Qualitatsmanagement-Modelle, wie sie bspw. die Norm der ISO 15504 darstellt. In dieser Norm, die besser unter dem Begriff SPICE (Software Process Improvement and Capability Determination) bekannt ist, wird speziell der Software-Entwicklungsprozess naher betrachtet. Die Entwicklung von Software ist heute einer der am weitesten standardisierte Prozess, was im Wesentlichen mit der Globalisierung in dieser Industrie zu tun hat. Ohne standardisierte Prozesse ist es kaum vorstellbar, erfolgreich eine Software in lander- und unternehmungsubergreifender Zusammenarbeit zu entwickeln, wie es heute im Rahmen der so genannten Offshore-Entwicklung regelmaliig praktiziert wird. SPICE wurde speziell vor diesem Hintergrund entwickelt und gibt den Rahmen ftir Qualitats-Assessments vor. Damit erganzen sich zwar DIN-EN-ISO 9000 ff. und ISO 15504 dahingehend, dass zum einen Verfahren zur Uberpriifung der formalen Qualitatsprozesse und zum anderen Verfahren zur Uberpriifung der mit diesen Prozessen erzeugten Leistungen betrachtet werden konnen, dennoch steht auch hier wiederum nicht die Qualitat der Leistung als solches im Vordergrund. Weder in DIN-EN-ISO 9000 ff noch in SPICE geht es daruber hinaus darum, Unternehmungen konkrete Hilfestellungen bei der Einfiihrung von qualitatsorientierten Prozessen und bei der Herstellung qualitativ hochwertiger Leistungen zu geben, sondern hauptsachlich darum, deren Fahigkeit anhand formeller Methoden zu bewerten. 2.2 Praktische Qualitatsmanagement-Modelle 2.2.1 EFQM-Modell'^ Ganz anders als die formalen setzen die praktisch orientierten Qualitatsmanagement-Modelle klar auf hervorragende Produkte und Prozesse. Eines dieser Mo-

Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmungssteuerungs-Modelle

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delle ist das Business Excellence Model der European Foundation for Quality Management (EFQM).^^ Ziel der EFQM ist die Unterstutzung und Forderung von Organisationen bei der Realisierung von Verbesserungen, die zu hervorragenden Leistungen bei der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, der Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung und nicht zuletzt bei den Geschaftsergebnissen fiihrt. Ausgangspunkt fur diese Uberlegungen war die Unzulanglichkeit der einschlagigen Normen (insbesondere der DIN-EN-ISO 9000 ff.), die es Unternehmungen grundsatzlich erlauben, schlechte Qualitat zu erzeugen, sofern diese mit dem Kunden vereinbart wurde. Im Gegensatz dazu war und ist es das Anliegen der EFQM, generell auf hervorragende Qualitat von Produkten oder Dienstleistungen sowie samtlicher unternehmerischer Aktivitaten hinzuwirken. Die Qualitat in alien Aspekten des unternehmerischen Handelns wird als Grundlage fur Effizienz und Effektivitat und damit auch als Basis fiir die langfristige wirtschaftliche Leistungsfehigkeit angesehen. Auf der Basis dieser Erkenntnisse hat die EFQM ein Qualitatsmanagement-Modell entwickelt, das hilft, den Standort einer Unternehmung auf ihrem Weg zu exzellenten Leistungen befindet. Folgerichtig heiBt das Modell deshalb Business Excellence Model Es hilft, eigene Starken, Schwachen und Verbesserungspotenziale zu erkennen und die Unternehmungsstrategie darauf auszurichten.^^ Die EFQM akzeptiert dann auch, dass es nicht das eine Qualitatsmanagementsystem gibt, das alien Unternehmungen gerecht wird. Es wird anerkannt, dass es durchaus ganz unterschiedliche Wege zu hervorragenden Unternehmungsleistungen gibt. Ahnlich wie in den formalen Qualitatsmanagement-Modellen wird auch im EFQM-Modell eine formale Evaluierung von Organisationen durchgeflihrt. Die Grundlage hierfiir bilden neun miteinander vernetzte Kriterien. Funf dieser Kriterien, die so genannten Befahiger-Khterien, beschreiben die Voraussetzungen einer Organisation, Spitzenleistungen zu erbringen. Es sind dies die Unternehmungsfiihrung allgemein, die Mitarbeiterftihrung, Politik und Strategic, Partnerschaften und Ressourcen sowie Prozesse. Da es sich beim EFQM-Modell um ein ganzheitliches Modell handelt, werden aber auch die Ergebnisse des unternehmerischen Handelns berucksichtigt. Diese kommen in den vier Ergebnis-Kriterien Mtarbeiterergebnisse, Kundenergebnisse, gesellschaflliche Ergebnisse sowie den Leistungsergebnissen der Unternehmung selbst zum Ausdruck. Damit wird deutlich, dass sich das EFQM-Modell eben nicht alleine an der Fahigkeit zur Erzeugung von Qualitat ausrichtet, sondern ganz konsequent die

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Unternehmung als ein komplexes System mit vielfaltigen Abhangigkeiten von Ursachen und Wirkungen verstanden wird und letztlich nur das optimale Zusammenspiel aller Aspekte auch zu wirklich hervorragenden Unternehmungsleistungen fiihrt. Urn Unternehmungen anzuregen, wirkliche Spitzenleistungen zu erreichen, verleiht dann die EFQM auch regelmaBig mit dem EFQM-Award einen Preis fiir besonders herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Qualitatsmanagements. Die Leistungen der teilnehmenden Organisationen flieBen ihrerseits in die regelmaBige Weiterentwicklung des EFQM-Modells ein, so dass dieses Modell lebt und an realen Ergebnissen der Unternehmungspraxis verifiziert wird. Oder mit anderen Worten: Es geht auf einmal wirklich um erbrachte Qualitat in all ihren vielfaltigen Dimensionen und nicht nur um die bloBe Befahigung, Qualitat zu erbringen. 2.2.2 CMMI^' Ein weiteres praktisches Qualitatsmanagement-Modell ist das Capability Maturity Model Integration (CMMI). Das CMMI ist ein Ansatz, der Unternehmungen grundlegende Elemente zur Realisierung effektiver Prozesse anbietet. CMMI unterstutzt die unternehmungsweite Integration von Prozessen und Funktionen sowie das Setzen von Prozessverbesserungszielen und Prioritaten. Es basiert auf einer Analyse der aktuellen Prozesse und weist auf Moglichkeiten zu deren Verbesserung hin.^^ Grundgedanke von CMMI ist, dass selbst hochst motivierte Mitarbeiter unter Anwendung herausragender Technologic suboptimale Ergebnisse fiir eine Unternehmung erbringen, wenn keine adaquaten Prozesse zur Verfiigung stehen Oder diese nicht verstanden werden. Ahnlich wie SPICE entstand auch CMMI im Bereich der Softwareentwicklung. Es wurde vom Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mellon University im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums entwickelt und fmdet heute am meisten Verbreitung bei Software-Herstellern in OffshoreLandern, alien voran Indien. Jedoch ist der Fokus mittlerweile auch auf Anwendungsgebiete auBerhalb der Softwareentwicklung wie etwa die Beschaffung oder die integrierte Prozess- und Produktentwicklung erweitert worden. Kern des Modells sind ftinf verschiedene Maturity Level, die die Reife einer Organisation im Sinne der Beherrschung von qualitats-erzeugenden Prozessen defmieren:'^

Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmungssteuerungs-Modelle

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Level 1: Prozesses sind unberechenbar, schlecht kontrolliert und reaktiv. Level 2: Prozesse innerhalb von Projekten werden weitgehend beherrscht, sind aber noch uberwiegend reaktiv. Level 3: Ubergreifende Prozesse innerhalb einer Organisation werden weitgehend beherrscht und sind proaktiv. Level 4: Prozesse werden unternehmungsweit gemessen und uberprtift. Level 5: Die Prozesse in einer Unternehmung werden kontinuierlicher weiterentwickelt und optimiert. Eine Unternehmung kann fiir sich individuell entscheiden, ob sie ihre Organisation in Summe auf ein bestimmtes Level heben m5chte oder sich auf die Verbesserung einzelner besonders relevanter Prozessgebiete konzentriert. In beiden Fallen werden fiir jedes Prozessgebiet eine Reihe von modell-generischen und unternehmungs-spezifischen Zielen definiert und anhand von zugeordneten Praktiken uberpruft. Um einen bestimmten Reifegrad zu erreichen, wird die Einhaltung der Ziele gefordert und die Umsetzung der zugehOrigen Praktiken erwartet. Daneben enthalt das Modell informative Bestandteile, die beim Verstehen und Umsetzen des Modells helfen. Ziel von CMMI ist es Unternehmungen dabei zu helfen, einen hoheren Maturity Level zu erreichen, damit gleichsam reifer und so in Summe besser zu werden und eben auch bessere Qualitat zu erzeugen. Zwar steht auch bei CMMI ein so genanntes Appraisal am Ende des Prozesses, mit dem das Erreichen eines der genannten Reifegrade Uberpruft und zertifiziert wird. Jedoch wird im Gegensatz zu den formalen Modellen ahnlich wie bei EFQM sehr viel Wert auf den Weg zur Erreichung des entsprechenden Levels und damit auf den Verbesserungsprozess an sich gelegt. Dabei wird anerkannt, dass Unternehmungen durchaus unterschiedlich sind und es nicht den einen Standardprozess gibt, sondern dass sich die konkreten Bediirfnisse einer Unternehmung zur Verbesserung ihrer Prozesse individuell sehr wohl und zum Teil signifikant unterscheiden konnen. Damit wird deutlich, dass es sich bei CMMI nicht um ein Standardmodell handelt, selbst wenn es viele standardisierte Elemente enthalt. Ahnlich wie beim EFQM-Modell flieBen auch in CMMI regelmaBig Erfahrungen aus der Unternehmungspraxis in die Weiterentwicklung des Modells und hier insbesondere der Ziele und Praktiken ein. 3

Zusammenspiel der Modelle

In der Unternehmungspraxis ist es wenig hilfreich, theoretisch-abstrakte Modelle einzusetzen, welche die Eigenheiten der Unternehmung nicht ausreichend berucksichtigen. Weder Unternehmungssteuerungs- noch Qualitatsmanagement-

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Modelle dienen einem Selbstzweck, sondern miissen auf die Verbesserung der Prozesse bzw. Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit ausgerichtet sein. Managementmodelle, die einseitig isolierte Themenstellungen adressieren, sind wenig hilfreich. Wo sind hier die Unzuianglichkeiten? Qualitatsmanagement-Modelle, die als wesentliches Ziel die Erlangung eines Zertifikates haben (z.B. DIN-EN-ISO 9000 ff. Oder auch CMMI), erzeugen erhebliche Aufwande, urn ein entsprechendes Zertifikat zu erlangen. Nicht selten sind vielmonatelange Anstrengungen erforderlich, urn eine bestimmte Form der Prozess- und Produktdokumentation einzufiihren, die nicht nur viel Geld kostet, sondern auch betrachtiiche Ressourcen in alien Bereichen und iiber alle Hierarchieebenen hinweg bindet. Diesen Aufwanden steht aber nicht immer ein adaquater Nutzen gegentiber, denn durch die Formalitat der Modelle wird zuweilen die Nutzensteigerung auBer Acht gelassen. Deshalb bietet es sich an, Modelle der Unternehmungssteuerung mit denen des Qualitatsmanagements zu verbinden. Damit kann sichergestellt werden, dass die Schaffung von Werten fiir die wesentlichen Anspruchsgruppen einer Unternehmung und fiir die Unternehmung selbst verkntipft wird mit gezielten Hilfestellungen, wie dies durch die Verbesserung von Produkten bzw. Dienstleistungen und Prozessen unterstiitzt werden kann. Unternehmungssteuerungs-Modelle wie die Balanced Scorecard konzentrieren sich haufig darauf, eine Methodik zur Messung von Wertbeitragen bereitzustellen. Sie orientieren sich an der Darstellung von Ziel- und Istwerten und haben ihre Starken in der Abweichungsanalyse. Sie bieten damit eine gute Unterstutzung darin, sich der Anspruchsgruppen der Unternehmung und ihrer Anspriiche bewusst zu werden und auf deren Wertbeitrage zu fokussieren. Daruber hinaus gewinnt die langfristige wirtschaftliche Leistungsfahigkeit einer Unternehmung den zentralen Stellenwert. Was den Unternehmungssteuerungsmodellen fehlt, sind konkrete Hilfestellungen zur Beseitigung des Deltas zwischen Soil- und Istwerten. Mit anderen Worten werden zwar Zielwerte defmiert, Messsysteme aufgebaut und regelmaBige Reviews einschlieBlich etwaiger Abweichungsanalysen etabliert. Auf die Frage, wie aber etwaige LUcken geschlossen werden konnen, bleiben die Unternehmungssteuerungsmodelle haufig die Antwort schuldig. Hier kann ein entsprechendes Qualitatsmanagement-Modell in die Bresche springen und - richtig verstanden und angewandt - durch die gezielte Optimierung von internen Ablaufen, externen Beziehungen sowie den Produkten und Dienstleistungen einer Unternehmung konkrete Verbesserungspotenziale identifizieren und realisieren.

Angewandte Qualitatsmanagement- und Unternehmungssteuerungs-Modelle 25 Qualitatsmanagement-Modelle haben haufig den Nachteil, dass sie nicht die Schaffling von Werten in den Mittelpunkt stellen, sondern einseitig die Qualitat von Produkten und Prozessen. Damit fehlt diesen Modellen mitunter die Ausrichtung auf die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit. Anders ausgedrtickt ist die Qualitat hier haufig Selbstzweck und dient hochstens zufallig ubergeordneten Zielsetzungen einer Unternehmung. Hier kann mit der Verkniipfiing mit wertorientierten Unternehmungssteuerungs-Modellen die Bearbeitung konkreter Business Needs adressiert werden. Mithin kann durch eine entsprechende Erganzung von Qualitatsmanagement- um Unternehmungssteuerungs-Modelle die Optimierung von Produkten und Prozessen gezielt so gesteuert werden, dass damit nicht ein Selbstzweck erflillt wird, sondern ganz konkrete Defizite bei der Schaffling von Werten beseitigt werden konnen. Wie kann nun ein solches Zusammenspiel konkret aussehen? Ausgangspunkt ist in jedem Fall die Formulierung einer Vision und einer damit in Ubereinstimmung stehende Strategic einer Unternehmung. Daraus wiederum werden strategische Ziele abgeleitet. Diese Zielwerte werden in einer Balanced Scorecard dargestellt, mit den aktuellen Ist-Werten verglichen und regelmalJig Uberprtift. Bei der Identifizierung geeigneter MaBnahmen zur Erreichung der Ziele bzw. zur SchlieBung von Soll-Ist-Abweichungen kommt nun die gezielte und systematische Analyse von Produkten und Prozessen auf Verbesserungspotenziale ins Spiel, wie sie in entsprechenden Qualitatsmanagement-Modellen beschrieben ist. Die Verbesserung von Produkten und Prozessen leistet damit einen gezielten Beitrag zur SchlieBung von WertlUcken und ist somit in die Gesamtstrategie einer Unternehmung integriert. Anmerkungen ^ Vgl. Eberhardt, S. (1998), S. 185 ff ^ Vgl. Eberhardt, S. (2005), S. 53 ff ^ Vgl. Clarkson, M. (1995), S. 106. ^ Vgl. Eberhardt (2005), S. 54. ^ Vgl. Friedag, H./Schmid, W. (1999), S. 21. ^ Vgl. Kaplan, R./Norton, D. (1996), S. 7 ff ^ Vgl. Eberhardt, S. (2005), S. 61 ff ^ Vgl. Kaplan, R./Norton D. (1996), S. 43 ff ^ Vgl. Eberhardt, S. (2005), S. 69 ff ^^Vgl.Oess,A.(1994). ^^ EFQM ist ein eingetragenes Schutzzeichen der European Foundation for Quality Management. ^^ Vgl. European Foundation for Quality Management (2002).

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^^ Vgl. Eberhardt, S. (2001), S. 183 f. '^ CMMI ist eine eingetragene Service-Marke der Carnegie Mellon University. '^ Vgl. Kneuper, R. (2006), S. 9 ff. ^^ Vgl. Kneuper, R. (2006), S. 16 f. Literaturverzeichnis Clarkson, M. (1995): A Stakeholder Framework for Analyzing and Evaluating Corporate Social Performance. In: Academy of Management Review, Vol. 20, 1, pp. 92-117. Eberhardt, S. (1998): Wertorientierte Unternehmungsfiihrung. Der modifizierte Stakeholder-Value-Ansatz. Wiesbaden. Eberhardt, S. (2001): Die Balanced Scorecard als Instrument zur Positionierung von Value-based Management und EFQM - Am Beispiel DaimlerChrysler, in: Grotzinger, M.AJepping, H.: Balanced Scorecard im Human Resources Management. Neuwied; Kriftel. Eberhardt, S. (2005): Kundenperspektive im Value-based Management, in: Kunzel, H. (Hrsg.): Handbuch Kundenzufriedenheit: Strategic und Umsetzung in der Praxis. Berlin. European Foundation for Quality Management (2002): The Fundamental Concepts of Excellence, Brussels. Friedag, H./Schmidt, W. (1999): Balanced Scorecard - mehr als ein Kennzahlensystem. Freiburg i. Br.; Berlin. Kaplan, R./Norton, D. (1996): The Balanced Scorecard: Translating Strategy into Action. Boston, MA. Kaplan, R./Norton, D. (2003): Balanced Scorecard. Frankfurt am Main; New York. Kneuper, R. (2006): CMMI. Verbesserung von Softwareprozessen mit Capability Maturity Model Integration. 2. Aufl., Heidelberg. Oess, A. (1994): Total Quality Management. 3. Aufl., Wiesbaden.

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle fiir produktbegleitende Dienstleistungen Alexander Gerybadze* • Mark Beyer**

1

Diversifikationsstrategien in Richtung industrielle Dienstleistungen

2

Ausdifferenzierung der Wertekette: Neue Geschaftsmodelle im Verbund von Sachgtitern und Dienstleistungen

3

Fallbeispiel: Ausbau des industriellen Servicegeschafts durch ein Halbleiterzulieferunternehmen

4

Neue Organisationsmodelle fur den Ausbau des Servicegeschafts

5

Probleme der Transformation bin zu erfolgreichen Serviceunternehmen

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Prof. Dr. Alexander Gerybadze, Universitat Hohenheim, Institut fiir Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl fur Internationales Management und Innovation, Schloss Osthof-Nord, 70599 Stuttgart. ** Mark Beyer, Corporate Strategy, ABB, Zurich.

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Gerybadze / Beyer Diversifikationsstrategien in Richtung industrielle Dienstleistungen

Wachstums- und Diversifikationsstrategien vieler Unternehmen setzen in letzter Zeit immer starker auf Servicegeschafte, die mehr oder weniger nah am bewahrten Sachgtitergeschaft liegen und Ansatzpunkte ftir Wertsteigerungen bieten. Die vorhandene Markt- und Produktbasis ist oft ausgereizt und Unternehmen verfolgen daher gezielte Strategien der Erweiterung ihres Leistungsprogramms. Dieses kann gemaB der Darstellung in Abbildung 1 in zwei Richtungen erfoigen: zum einen konnen Unternehmen ihr Produktprogramm erweitern und in neue Markte diversifizieren {Multiprodukt-Expansion). Diese Art der Diversifikation stand in den Jahren 1970 - 1990 in vielen Unternehmen im Vordergrund, allerdings werden die unternehmerischen Vorteile entsprechend konglomerater Strategien zunehmend in Frage gestellt.^ Erganzend dazu bzw. als Alternative kann Wachstum durch Erweiterung des Leistungsprogramms um Dienstleistungen verfolgt werden. Die entsprechende Servicediversifikation wird in Abbildung 1 durch die Bewegung in horizontal Richtung beschrieben: erganzend zu einem Sachgut (z. B. Kernprodukt K) werden eine Reihe von komplementaren Serviceleistungen A (z. B. Wartung), B (Betreiberdienste), C (Finanzierung) etc. angeboten. Solche Service orientierten Diversifikationsstrategien wurden in den letzten 10 Jahren verstarkt verfolgt. Im Industrieguter- und Anlagengeschaft wird typischerweise zwischen Erstausriistergeschaft und zahlreichen Stufen des After-Sales-Geschafts und der produktbegleitenden Serviceleistung unterschieden. Der Anteil des Umsatzes, der auf den After-Market und das Dienstleistungsgeschaft entfallt, nimmt kontinuierlich zu und ermoglicht zudem oft auch eine nachhaltige Differenzierung, eine starkere Kundenbindung und haufig auch eine entsprechend hohere Profitabilitat. Diese Strategic des Wachstums durch komplementare Serviceleistungen, die in vielen Unternehmen als Alternative zur Verbreitung der Produktbasis gesehen wird, ist oft kundeninduziert, wird aber auch durch neue Informationstechnologien sowie durch Marktregulierung und Gesetzgebung beeinflusst. Kunden sind immer anspruchsvoller geworden und verlangen immer haufiger Komplettlosungen und zusatzliche Serviceleistungen zu Produkten. Viele Hersteller von Sachgutern folgen diesem Kundenwunsch und setzen auf neuartige Geschaftsmodelle, die dem Anwender die Zahlung ftir die Nutzung (pay per use) im Gegensatz zur einmaligen Zahlung ftir ein Sachgut (pay per product) als vorteilhaft erscheinen lassen. Unter giinstigen Bedingungen ziehen beide Seiten, Kunde und Hersteller, Vorteile aus dieser neuartigen Konfigurierung. In vielen Bereichen verspricht der Markt fur industrielle Dienstleistungen ein im Vergleich zum Erstausrustungsgeschaft hoheres Umsatzpotential und vor

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

2^

allem deutlich hohere Gewinnspannen. Einer neueren Studie der Monitor Group (2004) zufolge lag das durchschnittliche jahrliche Wachstum des Erstausriistungsgeschafts in den Jahren 2000 bis 2005 bei Schienenfahrzeugen bei 6 %, wShrend die dazu komplementaren Serviceleistungen urn 15 % p.a. erhoht wurden. Die Rendite im Erstausrustungsgeschaft lag im Bereich 3 - 6 %, im Servicegeschaft hingegen bei 8 - 10 %. Ahnlich sieht die Entwicklung in zahlreichen anderen Bereichen aus, die durch komplexe, langlebige Industrieguter gepragt sind.^

Abbildung 1:

Servicediversifikation vs. Multi-Produktdiversifikation

Vorreiter fiir entsprechende Strategien produktbegleitender Dienstleistungen waren Anbieter von Industriegtitern mit langer Lebensdauer und entsprechend hohen Lebenszyklus-Kosten. Fahrstuhlanbieter, Flugzeug- und Turbinenhersteller haben bereits fruhzeitig und sehr konsequent ihr Wartungs- und Servicegeschaft ausgebaut. In neuerer Zeit ist dieses Geschaftsmodell auf eine Vielzahl von Branchen iibertragen worden: Maschinenbau und Industrieanlagen, Hausund Gebaudetechnik inkl. Facility Management, Computer, Rechenzentren und IT-Systeme und immer starker auch der offentliche Sektor und der gesamte Infrastrukturbereich (z. B. Bahn- und Verkehrssysteme). Uberall dort wo der Anbieter der Erstausriistung Komplettl5sungen besser beherrscht und dem Anwender bei der Nutzung tiber einen langeren Zeitraum einen groBen Teil von Serviceleistungen zum Vorteil beider abnehmen kann, setzen sich Geschaftsmodelle des

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Gerybadze / Beyer

Pay-per-use durch. Unternehmen bauen erganzend zu ihren Kernprodukten (Core assets) eine entsprechende Konfiguration von „Asset-based Services" auf und sichern sich iiber langere Perioden einen hohen und durch ein vergleichsvy^eise niedriges Risikoprofil gekennzeichneten Einnahmestrom. Dies flihrt zur erfolgreichen Kapitalisierung von Wertschopfiing iiber den gesamten Lebenszyklus."^ Den genannten Vorteilen der ErschlieBung industrieller Dienstieistungen und den moglichen Gewinnerwartungen stehen jedoch auch Probleme und Risiken gegenuber, die viele Unternehmen bei der Umstellung vom Produkt- auf das Servicegeschaft noch immer haben. Gerade flir viele deutsche Unternehmen haben sich die Hoffnungen, die sie mit dem Aufbau des Dienstleistungsgeschafts verbunden haben, nicht immer erfullt. Dies ist haufig durch einen zu halbherzigen Prozess der Umstellung und einen von Zufallen geleiteten DienstleistungsEntwicklungsprozess zu erklaren."^ Servicegeschafte sind oft auBerordentlich schwierig und von anderen Erfolgsfaktoren abhangig als Produktgeschafte. Hersteller technisch anspruchsvoller Produkte mit hoher Reputation weisen oft ein unternehmerisches Selbstverstandnis, eine Unternehmenskultur und entsprechende Anreizstrukturen auf, die nicht so recht mit den Anforderungen im Servicegeschaft kompatibel sind. Hohe Reputation und Markenw^ert ftir Produkte fiihrt daher nicht notwendigerweise auch zu hoher Reputation fiir Serviceleistungen. Die erfolgreiche Transformation zu einem Service- und Komplettlosungsanbieter scheitert oft an der Mentalitat und muss von einer konsequenten Neuausrichtung der Unternehmenskultur, der Strategien und nicht zuletzt auch der Anpassung der Organisationsstrukturen begleitet sein. Der Auft^au des industriellen Servicegeschafts unterscheidet sich hinsichtlich der Management-Anforderungen oft so grundlegend vom Sachleistungsgeschaft, dass der Erfolg der Transformation vor allem davon abhangt, ob ein Unternehmen sich konsequent auf die Anforderungen und Besonderheiten des Servicegeschafts einstellt. Die in vielen Unternehmen noch immer durch das Produktgeschaft gepragten Routinen und Organisationsstrukturen beeintrachtigen leider die konsequente ErschlieBung von Wertschopfungspotentialen im Servicemarkt. Das Management produktbegleitender Dienstieistungen setzt den Aufbau neuartiger Fahigkeiten, die Infragestellung tradierter Ablaufe und die Umstellung auf servicegerechte Organisationsstrukturen voraus. Dazu zahlt nicht zuletzt auch die Uberprtifung der bisherigen ErfolgsmaBstabe, Performance-Metriken und Anreizmechanismen, die starker dienstleistungs- und kundenorientiert angelegt werden mtissen.^

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle 2

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Ausdifferenzierung der Wertekette: Neue GeschSftsmodelle im Verbund von Sachgiitern und Dienstleistungen

In einer Reihe von Industrien, die traditionell durch vertikal integrierte, oftmals stark diversifizierte Unternehmen gepragt waren, beobachten wir in den letzten Jahren eine Ausdifferenzierung der Wertschopftingskette, neue Formen der Arbeitsteilung und neuartige Bundelungsstrategien, parallel dazu aber auch Entflechtungsstrategien zwischen Sachgiitern und Dienstleistungen.^ Automobilhersteller, Elektronik- und Telekommunikationsfirmen ebenso wie eine Vielzahl von Unternehmen aus anderen Branchen reduzieren das AusmaC der vertikalen Integration auf der Beschaffungsseite, indem sie zunehmend Wertschopfiing auf spezialisierte Zulieferer und Serviceanbieter auslagern. Hier entstehen interessante Geschaftsmoglichkeiten flir Anbieter von Industriedienstleistungen sowie fur Vorproduktlieferanten, die durch komplementare Serviceleistungen ihr Leistungsspektrum erweitern. Die beschriebene Auslagerung von Wertschopfung auf der Vorleistungs- und Beschaffungsseite geht bei vielen groBen Industriefirmen einher mit einer zunehmenden Vorwartsintegration in endkundennahe Bereiche. Automobilfirmen erschlieBen zunehmend das Service- und Finanzierungsgeschaft. Elektronik- und Telekommunikationsfirmen bieten Systemintegration, KomplettlOsungen, Key Account Management und weltweite Versorgung an. Zunehmend komplexe Konfigurationen von Produkten und Dienstleistungen auf der endkundennahen Seite (gemaB der Darstellung in Abbildung 2) steht auf der Vorprodukt- und Beschaffungsseite der Wunsch gegeniiber, Komplexitat abzubauen und hier Kompetenzen, Verantwortung und Risiken auf darauf spezialisierte Leistungsanbieter zu verlagern. Ein pragnantes Beispiel flir die in Abbildung 2 beschriebene Ausdifferenzierung der Wertschopflingskette bietet die Internationale Halbleiterindustrie, die sich neu im Zusammenspiel mit wichtigen Endanwendern (Computerhersteller, Telekommunikationsfirmen, Automobilelektronik) ausrichtet, ihrerseits aber von den Anbietern von Halbleitergeraten und Industriedienstleistern neue Losungen und neuartige Bundelungen von Sachgiitern und komplementaren Dienstleistungen fordert. Im Folgenden soil dieser Transformationsprozess hin zu neuartigen Geschaftsmodellen aus Sicht eines Halbleiterzulieferunternehmens beschrieben werden, das sich immer starker gezwungen sah, produktbegleitende Dienstleistungen erganzend zum Produkt anzubieten. Im Zuge dieser Transformation wurde in mehreren Stufen die Organisation um das wachsende und immer anspruchsvoUere Servicegeschaflt „herumgebaut". Zugleich erfolgte auf Produktseite eine zunehmende Spezialisierung und Entflechtung.

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Abbildung 2: 3

Aufbau von Wertschopfung Downstream / Abbau von Wertschopfung Upstream

Fallbeispiel: Ausbau des industriellen Servicegeschafts durch ein Halbleiterzulieferunternehmen

Das folgende Fallbeispiel beschreibt den Transformationsprozess vom Produktzum Serviceanbieter fiir das Unternehmen Agilent Technologies Inc., das im Jahr 1999 durch Aufspaltung des Unternehmens Hewlett-Packard entstanden ist. Diese Aufspaltung in eine starker auf den Computermarkt ausgerichtete Kerngesellschaft Hewlett-Packard auf der einen und die auf Messtechnik und spezielle industrielle Losungen ausgerichtete Agilent Technologies auf der anderen Seite, war urspriinglich dadurch begrtindet worden, dass beide ganz unterschiedliche Geschaftsmodelle verfolgen und ganz andere Kundengruppen mit unterschiedlichen Serviceanforderungen bedienen mtissen. Hewlett-Packard stand eher ftir Commodities, schnelllebige Consumer-nahe Serienprodukte mit ganz eigenstSndiger weltweiter Distribution. Agilent Technologies dagegen zielte mit komplexen Losungen auf professionelle Kunden in ausgewahlten High-Tech-Industrien ab. Der Umsatz von Agilent Technologies belief sich nach der Entflechtung auf 7.2 Mrd. $ im Jahr 2004 und dieser verteilte sich auf vier groBe Produktsparten: (1) Test & Measurement, (2) Automated Test, (3) Semiconductor Products sowie (4) Life Sciences and Chemical Analysis. Jede dieser vier Produktsparten entwickelte ein eigenstandiges Geschaftsmodell und versuchte sich am Markt erfolgreich dadurch zu differenzieren, dass Losungen bereitgestellt werden, die Industriekunden helfen, anspruchsvolle Entwicklungs- und Fertigungsaufgaben zu be-

Diversifikationsstrategien und neue Qrganisationsmodelle

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herrschen. Agilent sieht sich dadurch zunehmend als Problemloser, der den Halbleiterunternehmen Hilfestellung und Unterstutzung bietet, mit der Volatilitat ihres Geschafts umzugehen. Alle vier Geschaftssparten von Agilent sind technologieintensiv und zugleich problemlosungsintensiv. Die Technologieintensitat wird dokumentiert durch einen F&E-Anteil am Umsatz von 1 5 - 2 0 %7 Die Problemlosungsintensitat lasst sich am besten erfassen durch den Anteil an Dienstleistungen, die durch hoch qualifizierte Mitarbeiter in entsprechend enger Kundeninteraktion erbracht werden mussen. Um diese Dynamik im Zusammenspiel zwischen Produkt-, Problemlosungs- und Dienstleistungsgeschaft besser zu verstehen, wird im Folgenden eine einzelne Geschaftssparte, das Halbleitertestgeschaft, vertiefend dargestellt. Die Umsatze des Halbleitertestsegments beliefen sich auf 924 Mio. $ im Jahr 2004. Hauptkundengruppe sind die fuhrenden Halbleiterfirmen weltweit, die neue Produktgenerationen von integrierten Schaltkreisen unter intensiver Einbindung von Geratelieferanten und Serviceanbietern zeitgerecht im Markt platzieren mussen. Das Aufgabenspektrum von Agilent umfasst die Optimierung der Produktion mit Hilfe kundenspezifischer Testlosungen. Die Testl5sungen stellen ein Bundel aus Hardware, Software und Dienstleistungen dar. Der Anbieter differenziert sich iiber erfolgreich demonstrierte Losungen. Kunden von Agilent akzeptieren keine reinen Produktangebote, sie „kaufen keine Gerate", sondern verlangen eine „nachgewiesene Losung" ihres zeitkritischen Testproblems. Agilents Testlosungen unterstutzen den Kunden durch Verkiirzung des Designzyklusses, durch verringerte Produktions- und Ausschusskosten und durch Beschleunigung beim Hochfahren auf hochvolumige Produktion. Der Bereich Halbleitertest ist derjenige Geschaftsbereich, der bei der Umstellung und Neuausrichtung auf das Dienstleistungsgeschaft und den Aufl)au einer effektiven Dienstleistungsorganisation am weitesten vorangeschritten ist. Etwa 20 % des Umsatzes im Bereich Halbleitertest entfallt auf Serviceleistungen in Erganzung zum Produktangebot. In Anbetracht der Tatsache, dass die Produkterstellung eine vergleichsweise niedrige Wertschopfung aufsveist, entfallt der uberwiegende Teil der Wertschopfung von Agilent auf hoch entwickelte, kundennahe Dienstleistungen sowie auf Entwicklung und Design im Vorfeld. Produktbegleitende Dienstleistungen werden in der Terminologie von Agilent in hochwertige und komplexe Applikationsdienstleistungen einerseits und Support-Dienstleistungen auf der anderen Seite unterteilt. Applikationsdienstleistungen optimieren die Prozesse beim Kunden, sie erfordern eine sehr enge Kundeninteraktion und Problemlosungskompetenz. In der Kegel werden hier hoch qualifizierte Mitarbeiter mit Hochschulabschluss eingesetzt. Etwa 40 % der Dienstleistungen entfallen

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auf solche hochwertigen, komplexen Dienstleistungen. Erganzend dazu entfallen 60 % der Dienstleistungen auf produktnahe und in erster Linie kunden- und nutzenerhaltende Support-Dienstleistungen, die die Funktionstiichtigkeit des Testsystems gewahrleisten. Auch diese miissen, wenngleich weniger anspruchsvoll, effizient organisiert und im wirksamen Verbund mit den applikationsspezifischen und problemlosenden Dienstleistungen bereitgestellt werden. Agilent Technologies (bzw. vor der Entflechtung die Mess- und Testsparte von Hewlett-Packard) hatten die Organisation frtiher starker nach Commodity-orientierten Produktsparten ausgerichtet. Die drei Angebotskomponenten (1) Hardware, (2) Dienstleistungen zur Implementierung der Hardware (Support) und (3) Applikationsdienstleistungen wurden organisatorisch getrennt gefiuhrt. Was in anderen Branchen mitunter Voraussetzung fiir ein erfolgreiches Serviceangebot ist, fuhrte bei Agilent wiederholt zu Problemen. Kunden verlangten zunehmend ganzheitliche Testlosungen aus einer Hand und diesen Anforderungen konnte Agilent aufgrund seiner Organisationsstruktur anfanglich nicht gerecht werden. Qualitatsmangel und Terminuberschreitungen waren Folge der fehlenden Koordinationsprozesse bei gekoppelten Produkt-Service-Angeboten. Zudem gingen Verbundvorteile aus der im Markt nachgefragten Kopplung von Testproduktund Testservicegeschaft verloren. Vor allem aber beeintrachtigte die organisatorische Trennung von Produkt und Service den strategischen Einsatz der Ressourcen, was Innovationen und den Ausbau des Servicegeschafts anbetrifft. Nicht selten boten Unternehmen die nur wenige Testprodukte abnahmen, groBe Absatzmoglichkeiten fiir Services und vor allem auch Impulse flir Neuerungen. Ein reiner Produktvertrieb wurde diesen Kunden jedoch kaum Beachtung schenken. In mehreren Stufen wurde die Organisation des Servicegeschafts neu ausgerichtet, um auf Belange von wichtigen Kundengruppen besser eingehen zu konnen. Im Jahr 2002 wurden die Sales und die Support- und Service-Aktivitaten zusammengefasst. Durch die Integration des Produktvertriebs wurde die ftir Testlosungsangebot aus einer Hand notwendige Schnittstelle zwischen Produkt und Dienstleistung hergestellt. Zudem wurde ein Key Account Management eingefiihrt, durch das wichtige Kunden starker an Agilent gebunden wurden. Die Intensivierung des Kunden-Beziehungsmanagements fuhrte zu einer starkeren Betonung von strategischen Aspekten und ermoglichte es Agilent zudem, kundeninduzierte Innovationen konsequent zu verfolgen. Durch zwei Typen von Kompetenzzentren, durch Centers of Expertise sowie durch Application Development Centers, wurde der Kompetenzaufbau und ein aktives Wissensmanagement gefordert. Centers of Expertise sind Kompetenzzentren, die neue Technologien ent-

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

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wickeln und neue Gesch^fte gewinnen. Sie betreuen in erster Linie die im fruhen Stadium des Produktlebenszyklusses befindliche Kundengruppe der Innovatoren innerhalb der Halbleiterindustrie und helfen diesen, fruhe Probleme zu losen. Sie miissen zudem intern eng mit der Produktentwicklung und den Account Teams zusammenarbeiten. Application Development Center sind flir die Implementierung der Testl5sungen und die Optimierung der Prozesse beim Kunden zustandig. Das wesentliche Ziel ist die Minimierung der Testkosten bei der Chiphersteliung. Hier muss starker auf die Belange der Halbleiterfirmen in spateren Phasen des Lebenszyklusses und auf High-volume Manufacturers eingegangen werden. Durch die Anpassung der Organisationsstruktur an die Belange besonders anspruchsvoUer Kunden, durch die starkere Hervorhebung anspruchsvoller Dienstleistungen und Problemlosungen hat sich Agilent erfolgreich in diesem dynamischen Markt positioniert. In diesem Geschaftssegment spielt der Standort Deutschland und hier insbesondere Boblingen, eine Lokation mit vergleichsweise hohen Kosten, aber mit ausgewiesener Kompetenz im Bereich Entwicklung, Engineering, hochwertiger Dienstleistung und Problemlosung eine wichtige Rolle im internationalen Unternehmensverbund. Ware es nicht gelungen, die Organisation verstarkt auf neue Formen von Dienstleistungen auszurichten, hatte im Bereich der Gerateproduktion und im Produktvertrieb ein wesentlich groBerer Teil der Kapazitat verlagert werden miissen. 4

Neue Organisationsmodelle fiir den Ausbau des Servicegeschafts

Unternehmen bauen im Zeitablauf systematisch ihre Dienstleistungen aus und sie mussen einen wirksamen Verbund von Sachgtiter- und Servicegeschaften organisieren. Dabei muss natiirlich aus Sicht einer kooperativen Gesamtstrategie gefragt werden, ob Dienstleistungsgeschafte und Produktgeschafte wirklich Synergien aufweisen und daher unter einem Unternehmensdach gefuhrt werden sollten. Anteilseigner und Finanzanalysten werden stets kritisch hinterfragen, ob durch die Zusammenfiihrung innerhalb einer Gesellschaft eine Unternehmenswertsteigerung moglich ist oder ob nicht im Gegensatz eine organisatorische Entflechtung anzuraten ist. Gibt es wirklich nachweisbare positive Verstarkungen durch einen Produkt- und Service-Verbund oder uberwiegen potentielle Konflikte und Interessenkollisionen zwischen den Anforderungen der Sachgiitergeschafte und der Servicegeschafte? Firmen, die erfolgreich beide Typen von Geschaften parallel betreiben, mussen konsequent Strategien beider Geschaftstypen aufeinander abstimmen und die Aufbau- und Ablauforganisation so gestalten, dass sie den Anforderungen einer klaren Produktpositionierung wie auch einer konsequenten Dienstleistungsorientierung gleichermafien gerecht wird.

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Welche Strategien konnen und sollten Sachguter herstellende Unternehmen beim Aufbau ihrer Servicegeschafte verfolgen und wie konnen sie dem zunehmenden Stellenwert ihrer Servicegeschafte besser Rechnung tragen? Dazu ist vor allem auch eine nachhaltige Starkung der Serviceeinheiten erforderlich ebenso wie die Sicherung der effektiven Zusammenarbeit zwischen Abteilungen und Geschaftsbereichen mit ganz unterschiedlichen Missionen. Das folgende Transformationsmodell beschreibt Grundformen der Organisation von Serviceeinheiten und ihrer Verankerung innerhalb der Aufbauorganisation. Die Mehrzahl der groBen deutschen Unternehmen ist gemal3 der Darstellung in Abbiidung 3 nach groBen Produktsparten bzw. -divisionen gegliedert. Auf der Ebene darunter sind die Organisationseinheiten weiter nach einzelnen Produktbereichen, Funktionen bzw. Kundengruppen differenziert. Der Vereinfachung halber sei im Folgenden exemplarisch ein Unternehmen mit groBen Produktdivisionen auf der obersten Fuhrungsebene (z. B. Information und Kommunikationstechnik, Medizintechnik, Transportsysteme etc.) dargestellt. Jede dieser Divisionen ist auf einer Ebene darunter in einzelne Produktbereiche gegliedert. Serviceeinheiten konnen nun eine unterstutzende Funktion fiir spezialisierte Produktbereiche wahrnehmen und als interne Funktion mit klar defmierten Aufgaben und begrenzter Autonomic organisiert werden. Solche Formen bezeichnen wir als Service Unit Intern (im Folgenden kurz SUI genannt). In dem MaBe, wie ein Unternehmen die Bedeutung seiner Serviceleistungen ausbaut, bekommen die entsprechenden Einheiten ein starkeres Profil nach auBen. Sie haben eigene Kunden, generieren eigene Einnahmen und profilieren sich oft als eigenstandige Profitcenter und Trager wichtiger Informationen iiber Kunden und Markte. Sie werden aufgewertet gegenuber den Produktbereichen und arbeiten mit mehreren Produktbereichen innerhalb einer Sparte eng zusammen. Eine solche Form der Serviceeinheit bezeichnen wir als Service Unit Extern (kurz SUE). Die Wahl der geeigneten Form der Organisation von Serviceeinheiten wird primar von folgenden Fragen abhangen. (1) Wie hoch ist die strategische Bedeutung dieser Art von Serviceleistung fiir das Unternehmen als Ganzes sowie fiir die wichtigsten Sparten und Produktbereiche? (2) Werden Uberwiegend externe Serviceleistungen am Markt mit entsprechenden Umsatzen und eigenen Kundenkontakten erbracht oder werden Serviceleistungen dagegen primar intern als Unterstlitzung fiir Sachguterleistungen gesehen? (3) Wie hoch ist der Anteil des Umsatzes, der Wertschopfung und des Ergebnisbeitrags, der auf die entsprechenden Serviceleistungen entfallt? SchlieBlich (4) wie hoch ist der Grad der Spezifitat der entsprechenden Dienstleistungen, d. h. mussen diese spezifisch fiir

DiversiFikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

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einzelnen Produktbereiche erbracht werden oder sind die Serviceleistungen eher von generischem Charakter?

Abbildung 3:

Grundtypen der Organisation von Serviceeinheiten innerhalb groBer Unternehmen mit mehreren Produktsparten

In Abbildung 4 werden unter Berticksichtigung der beiden erstgenannten Kriterien „strategische Bedeutung" und „internes vs. externes Mandat" unterschiedliche Typen von Serviceeinheiten miteinander verglichen. Entlang der vertikalen Achse wird die strategische Bedeutung abgetragen. Links im Schaubild sind die internen Serviceleistungen angeordnet, rechts diejenigen, die direkt exteme Kunden adressieren. Service-Units Intern (SUI) werden zumeist als spezialisierte Fachabteilungen bzw. Gruppen innerhalb einzelner Produktbereiche aufgebaut. Sie werden primar als interne Serviceleister angesehen und ihre strategische Bedeutung, ihre Anerkennung und Sichtbarkeit im Unternehmen ist vergleichsweise gering. Solche internen Serviceeinheiten werden aufgrund von Kosteniiberlegungen immer wieder in Frage gestellt. Sie genielien kein besonders hohes Ansehen und mussen sich immer wieder aufs Neue legitimieren. Immer wieder wird in Frage gestellt, ob die bereitgestellten Dienstleistungen nicht Gegenstand von Outsourcing-Vereinbarungen sein sollten und es droht die Verlagerung entsprechender Dienstleistungsfunktionen auf Dritte. Gleichzeitig sind in vielen Unter-

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nehmen Bestrebungen im Gange, interne Dienstleistungen starker in Shared Service Centers zusammen zu fassen. Eine solche Losung ist dann ratsam, wenn mehrere Produktbereiche ahnliche Dienstleistungen benotigen, die sich in einer eigenstSndigen Shared Service Organisation btindeln lassen. Unternehmen, die mehrere Dienstleistungsbereiche konsequent ausbauen, in diesen wachsende Aufbauumsatze verzeichnen hier und Bundelungsvorteile Uber mehrere Produktbereiche hinweg realisieren konnen, gehen zunehmend auch dazu liber, eine oder mehrere starke extern orientierte Serviceeinheiten aufzubauen (SUE). Diese erlangen eine hohere strategische Bedeutung, realisieren wachsende Umsatze, haben eigene Kundenverantwortung und erlangen eine zunehmende Bedeutung und Sichtbarkeit innerhalb der Unternehmenshierarchie. Im Gegensatz zu Shared Service Centers, die primar interne Kunden adressieren, sind SUE von vornherein auf den Ausbau des Servicegeschafts mit externen Kunden ausgerichtet. strategische Bedeutung (fUr die EntwicKlung des Gesamtuntemehmens)

INTERN Service- -leistungen fur interne Kunden

Abbildung 4:

EXTERN Serviceleistungen am Marl(t

Typologie von Serviceeinheiten und ihre Entwicklung im Zeitablauf

Im Zuge einer starken und konsequenten Transformation hin zum Dienstleistungsgeschaft gehen manche Unternehmen in einer weiteren Stufe dazu uber, eine eigene Sparte zu griinden. Diese biindelt einen groBen Teil des Dienstleistungsgeschafts im Konzern, sie ist auf der obersten Fuhrungsebene konsequent reprasentiert und ihre Strategien und Innovationsprojekte werden mit Prioritat

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

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verfolgt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Service Business Unit (SBU), Darunter fassen wir groIJe Konzernsparten mit einem eigenstandigen Mandat fiir den Ausbau des Dienstleistungsgeschafts. Dieses wird zumeist dadurch dokumentiert, dass der oberste Verantwortliche fiir die Dienstleistungssparte zugleich Mitglied des Konzernvorstands ist und hier die Strategien und Belange seiner Sparte durchsetzen kann. Das Dienstleistungsgeschaft bekommt fur das gesamte Unternehmen eine entsprechende Sichtbarkeit und wird in seiner Tragweite fiir die Unternehmensentwicklung und das Konzernergebnis von den obersten Ftihrungskraften, Anteilseignern und wichtigen Stakeholdern anerkannt. Viele grofie Unternehmen, die konsequent den Weg bin zum Ausbau des Dienstleistungsgeschafts gegangen sind, haben eine (z. T. auch mehrere) starke Dienstg

leistungssparten aufgebaut. 5

Probleme der Transformation hin zu erfolgreichen Serviceunternehmen

Obwohl die Diversifikation in den Servicebereich in vielen Unternehmen seit mehreren Jahren auf der Tagesordnung steht, gibt es noch immer nur relativ wenige Falle, in denen die verfolgten Strategien wirklich von Erfolg gekrOnt waren. Offensichtlich ist die Umstellung vom Sachgutergeschaft auf Dienstleistungsgeschaft oft schwieriger, als sich dies viele Manager eingestehen mochten. Die Probleme der Transformation von einem ehemals Sachgliter herstellenden Unternehmen hin zu einem anerkannten Serviceanbieter werden zumeist deutlich unterschatzt. Dies liegt hSufig daran, dass Firmen mit mehr oder weniger denselben Strategien, Managementmethoden und PerformancemaBstaben an das Servicegeschaft herangehen, mit denen sie in der Vergangenheit im Sachgutergeschaft erfolgreich waren. Die Strategien und Organisations-Routinen aus dem Produktgeschaft sind jedoch nur eingeschrSnkt von Nutzen und oft signifikant anders als OrganisationsRoutinen des Servicegeschafts. Unternehmen, die in wirklich nachhaltiger Weise den Transformationsprozess vom Hersteller zum erfolgreichen Serviceanbieter durchlaufen, miissen bereit sein, deutlich andere Prioritaten zu setzen und ihre Organisationsstruktur grundlegend zu verandern. Sie miissen auch, was die Einstellung und die Organisationskultur anbetrifft, eine „Servicephilosophie" entwickeln und ihre Aufbau- und Ablauforganisation den Besonderheiten des Servicegeschafts anpassen. Zentrales Problem des Transformationsprozesses ist die mangelnde Bereitschaft, die erforderlichen mentalen und organisationskulturellen Veranderungsprozesse in die Wege zu leiten. Olivia und Kallenberg (2002, 180f) heben in diesem Zusammenhang folgende retardierende Momente hervor.

40 •





Gerybadze / Beyer Schwierigkeiten von Unternehmen, die sich liber qualitativ hochwertige Sachguter profiliert haben, das entsprechende Selbstverstandnis und eine hohe Motivation fiir oft viel profanere Serviceleistungen an den Tag zu legen. Hersteller von Sachgutern mtissen lernen, eine angemessene Bewertung von Dienstleistungen vorzunehmen und verstehen, wie man Serviceleistungen verkauft und die Bereitschaft beim Kunden erh5ht, diese angemessen zu verguten. Die Okonomik des Servicegeschafts ist oft eine ganz andere als die vertraute Okonomik des Produktgeschafts. Diversifikationsvorhaben werden oft falsch gerechnet, und es werden nicht die richtigen Methoden des Controllings und der Wirtschaftlichkeitsrechnung eingesetzt.

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Die erstgenannte mentale Umstellung ist dann besonders schwierig, wenn sich Unternehmen, wie in Deutschland sehr verbreitet, tiber sehr hohe Qualitat und ingenieurtechnische Leistungen komplexer SachgUter profilieren. Olivia und Kallenberg (2002, 179) sprechen in diesem Zusammenhang von der „Schwierigkeit von Organisationen, die darauf ausgerichtet sind, hochwertige Produkte anzubieten, sich daftir zu begeistern, Produkte zu reparieren". Im Verkaufsprozess werden Produktmerkmale herausgestellt und nicht die BewertungsmaBstabe ftir die Serviceleistungen. Kunden sind zudem oft nur bedingt bereit, ftir komplementare Dienstleistungen zu bezahlen, wenn sie in der Vergangenheit gewohnt waren, Services als kostenlose Zusatzleistung des Produktanbieters in Anspruch zu nehmen. Ein weiteres grol3es Problem vieler Sachgiiter herstellender Unternehmen liegt darin, Investitionsprojekte im Servicesektor zu beurteilen, ServicenetzwerkFahigkeiten zu entwickeln und Standardisierungsentscheidungen zu treffen. •





Investitionsentscheidungen sehen ftir Serviceunternehmen oft anders aus. Aufwendige und z.T. langwierige Investitionen in die Infi-astruktur (im Gegensatz zum Auft)au von Werken) stehen im Vordergrund. Bilanzielle Bewertungen mtissen Working Capital und intangible Vermogensgegenstande beim Dienstleistungsgeschaft viel starker einbeziehen. Der Auft)au servicegerechter Kompetenzen und Fahigkeiten mit sehr vielen verteilten Niederlassungen ist bei Dienstleistungsunternehmen wichtig und diese unterscheiden sich oft deutlich von den Kompetenzen im Entwicklungs- und Herstellungsprozess der Sachgiiter herstellenden Unternehmen. Dienstleistungen mussen von vornherein standard is iert bzw. in modularen Strukturen angeboten werden und die Vorgehensweise ist hier eine andere

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

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als die vertraute Vorgehensweise der Standardisierung und der Ausnutzung von Skalenvorteilen im Sachgiitergeschaft. Strategische Bedeutung (fUr die Entwicklung des Gesamtuntemehmens) Sehrhoch-4-

Abbildung 5:

++

Anftnglicher Ausbau, spSterer Ausstieg aus dem Servicegeschaft

GroBe Untemehmen aus dem SachgUtergeschaft sind gewohnt, groBe Fabrikanlagen und Logistikstrukturen generalstabsmaBig zu planen und verfiigen hier Uber die entsprechenden Investitionsregeln und Controllingsysteme. Den langwierigen Aufbau einer weit verzweigten Dienstleistungsorganisation zu bewerkstelligen, Fahigkeiten und Know-how uber verteilte Netzwerke zu organisieren und personalintensive Mitarbeiterstabe an vielen Standorten zu schulen und zu motivieren, erfordert oft eine ganz andere Methodik und Managementphilosophie, als erfolgreiche SachgUterhersteller aus ihrem Stammgeschaft entwickelt haben. Aufgrund dieser Probleme, die im Transformationsprozess gemeistert werden mussen, aber dennoch sehr Mufig unterschatzt werden, kommt der Diversifikationsprozess in das Servicegeschaft haufig zum Stocken. Das in Abschnitt 4 beschriebene idealtypische Evolutionsmuster wird dann nicht in der erwarteten Weise realisiert. Unternehmen beginnen zwar, wie in Abbildung 5 dargestelh wird, mit einer internen Serviceeinheit (SUI). Sie gehen dann in einer Zwischenphase liber zur Herausbildung einer eigenstandigen Service-Unit, die externe Kunden adressiert (SUE). Das ursprunglich verfolgte Ziel des Aufljaus einer starken eigenstandigen Servicesparte, die in betrachtlichem MaBe zum Unternehmensergebnis beitragt, wird anschlieBend aber nicht realisiert, weil sich un-

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erwartete Komplikationen einstellen. Viele Firmen (DaimlerChrysler, Siemens, RWE) haben mit groBem Elan versucht, auf bestimmten Geschaftsfeldern (Facility Management, IT-Services, Finanzdienstleistern) eigenstandige Servicesparten aufzubauen, sich aber in den letzten Jahren aufgrund unvorhergesehener Probleme und angesichts der Unvereinbarkeit verschiedener Geschaftsmodelle dazu entschlossen, die entsprechenden Servicesparten wieder abzustol3en oder in ihrer Bedeutung herunterzufahren. Dies ist haufig mit hohen Restrukturierungskosten verbunden gewesen. Diese batten vermieden werden konnen, wenn man von vornherein die Besonderheiten des Servicegeschafts beachtet und sich auf solche Diversifikationsvorhaben konzentriert hatte, die kompatibel zum Sachgutergeschaft sind und fiir die man die erfolgskritischen Organisationsstrukturen dauerhaft durchsetzen kann. Anmerkungen 1

Vgl. hierzu die Studien zu Vor- und Nachteilen konglomerater Strategien in Gerybadze und Stephan (2004a und b). Zur Hypothese hoherer Umsatz- und Ertragspotentiale siehe Anderson et al. (1997), Beyer (2006), Cohen et al. (2006) und die Studie der Monitor Group (2004). Siehe Cohen et al. (2006) zu den Vorteilen und Erfolgsvoraussetzungen des Geschafts im Aftermarket. Siehe dazu Beyer (2006, lOff), Homburg et al. (2002, 16) und Cohen et al. (2006, 130f). Vgl. GraBy (1993, 214), Beyer (2006, 13) und Olivia und Kallenberg (2002) zu diesen Struktur- und Mentalitatsunterschieden zwischen Produkt- und Servicegeschaft. Vgl. zur Ausdifferenzierung und Dekonstruktion von Wertschopfungsketten Heuskel (1999) und Gerybadze (2000). Fiir das Unternehmen Agilent Technologies lag dieser Wert bei 17,4 % im Jahr 2003. Diese F&E-Intensitat schwankt im Zeitablauf zwischen 15 und 20 % und weist zudem unterschiedliche Werte fur die einzelnen Sparten auf. Beispiele hierfiir sind die Unternehmen General Electric im Bereich Finanzdienstleistungen, IBM bei IT-Dienstleistungen und Thyssen-Krupp (Dienstleistungen und Handel im Materialbereich und Engineering). Siehe Anderson et al. (1997) zu den unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Bewertungsmafistaben von Sachgutern und Dienstleistungen. Zu den Unterschieden der Modularisierung und Standardisierung von Dienstleistungen im Gegensatz zu Sachgutern siehe insbesondere Sanchez (2004) und Burr (2002).

Diversifikationsstrategien und neue Organisationsmodelle

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Literaturverzeichnis Anderson, E. W., Fornell, C, Rust, R. T. (1997), Customer Satisfaction, Productivity and Profitability: Differences between Goods and Services, Marketing Science, Vol. 16, 2/1997, pp. 129-145. Beyer, M. (2006), Strategischer und organisatorischer Ausbau industrieller Dienstleistungsgeschafte in multinationalen Unternehmen, Dissertation an der Universitat Hohenheim, Stuttgart, Mai 2006. Burr, W. (2002), Service Engineering bei technischen Dienstleistungen. Eine okonomische Analyse der Modularisierung, Leistungstiefengestaltung und Systembundelung, DUV Gabler, Wiesbaden 2002. Cohen, M. A., Agrawal, N., Agrawal, V. (2006), Winning in the Aftermarket, Harvard Business Review, May 2006, pp. 129-138. Gerybadze, A. (2000), Evolution, Dekonstruktion und dynamische Rekonfigurierung im Strategischen Management, in: Foschiani, S. et al. (Hrsg.), strategisches Management im Zeichen von Umbruch und Wandel, Stuttgart 2000, S. 31-52. Gerybadze, A., Stephan, M. (2004a), Wachstumsstrategien und Diversifikation in multinationalen Unternehmen, in: Wildemann, H. (Hrsg.), Unternehmensfiihrung, Miinchen 2004. Gerybadze, A., Stephan, M. (2004b), Corporate Growth, Strategic Heterogeneity and Diversification: Structural change and Growth Performance in MNCs, Discussion Paper on International Management and Innovation 04-01, Universitat Hohenheim, Stuttgart 2004. GraBy, (1993), Industrielle Dienstleistungen: Diversifikationspotentiale flir Industrieunternehmen, Munchen 1993. Heuskel, D. (1999), Wettbewerb jenseits von Industriegrenzen. Aufbruch zu neuen Wachstumsstrategien, Frankfurt, New York 1999. Homburg, C , Fassnacht, M., Gtinther, C. (2002), Erfolgreiche Umsetzung dienstleistungsorientierter Strategien fiir Industrieunternehmen, Zeitschrift fur betriebswirtschaftliche Forschung, Jg. 54, Nr. 9, 2002, S. 487-508. Monitor Group, (2004), Industrial Services Strategies: The Quest for Faster Growth and Higher Margins, Mtinchen, Zurich 2004. Olivia, R., Kallenberg, R. (2002), Managing the Transition from Products to Services, in: Tax, S. (Ed.), Quality in Services: Crossing Boundaries, Victoria, B. C. 2002, pp. 179-188. Sanchez, R. (2004), Creating Modular Platforms for Strategic Flexibility, Design Management Review, Winter 2004, pp. 68-67.

WertorientierteUnternehmenssteuerung: Gewinnermittlungsregeln und Kapitalkostenbestimmung Dirk Hachmeister* 1 2

Problemstellung Definition von Wertbeitragskennzahlen 2.1 Economic Value Added 2.2 Cash Value Added

3

4

Anreizvertragliche Gewinnermittlung durch belastungsorientierte Abschreibungsverrechnung Gewinnermittlungsregeln zur Steuerung von Investitions-, Produktionsund Absatzentscheidungen 4.1 Barrealisation oder Realisation bei Lieferung und Leistung 4.2 VoUkosten vs. Teilkosten 4.3 Einbezug der Kapitalkosten in die Anschaffungs- und Herstellungskosten 4.4 Auswahl von Verbrauchsfolgeverfahren 4.5 Die Bedeutung niedriger beizulegender Werte

5 5.1 5.2 6

Bestimmung des Kalkulationszinses Steuerung von Investitionsentscheidungen und operativen Aufgaben Einfluss der Risikoeinstellung des Entscheiders auf den ZinsfiiB Einschatzung

Anmerkungen Literaturverzeichnis * Prof. Dr. Dirk Hachmeister, Universitat Hohenheim, Institut fur Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl flir Rechnungswesen und Finanzierung, Schloss Osthof-Ost, 70599 Stuttgart.

46 1

Hachmeister Problemstellung

Wertbeitragskennzahlen im Rahmen der Unternehmenssteuerung und des Value Reporting stellen einen wichtigen Forschungsbereich von Helmut Kuhnle dar.^ Insbesondere die praktische Eignung von Konzepten wie Economic Value Added steht dabei im Vordergrund. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf den Einsatz von Wertbeitragskennzahlen in Steuerungsrechnungen mit dem Ziel, dass sich Manager trotz unterschiedlicher Praferenzen und einer asymmetrischen Informationsverteilung an der Steigerung des Unternehmenswerts im Interesse der Anteilseigner orientieren. Die Gestaltung von Wertbeitragskennzahlen kann variieren. Zwar ist bei alien Konzepten eine Verrechnung von Kapitalkosten auf das eingesetzte Kapital vorgesehen, die Regeln zur Gewinnermittlung sind jedoch unterschiedlich: Wahrend beim Economic Value Added auf den Jahresuberschuss (in der Reinform nach den US-GAAP) und eine Vielzahl von Bereinigungsschritten verwiesen wird^, beschrankt sich der Cash Value Added auf eine Bilanzierungsregel, die zwischen operativen und investiven (Anschaffungs)Auszahlungen differenziert, um das eingesetzte Kapital zu bestimmen, und eine Bewertungsregel, die diese investiven Anschaffungsauszahlungen auf die Laufzeit der Investition verteilt. Nach einer Vorstellung wichtiger Kennzahlen wird zunachst die Frage erortert, ob eine Gewinnermittlung sinnvoll ist oder die Kennzahlen auf der Basis von Zahlungen defmiert werden sollten. Daraufhin werden konkrete Fragen der Gewinnermittlung diskutiert. AnschlieBend wird untersucht, wie die Kapitalkosten flir Steuerungsrechnungen festgelegt werden sollten. Im Fokus des Beitrags steht die Eignung von Wertbeitragskennzahlen flir eine marktwertorientierte Steuerung; die Frage der Informationsvermittlung ist dagegen nicht Gegenstand der Betrachtung. 2

Definition von Wertbeitragskennzahlen

2.1 Economic Value Added Das bekannteste MaB einer wertorientierten Unternehmensrechnung ist der Economic Value Added.^ Diese GroBe ist als Residualgewinn defmiert, bei dem vom operativen Gewinn noch kalkulatorische Kapitalkosten abgezogen werden. (1)

EVAt

mit EVAt Gt =

=G,-cB,_/ = Economic Value Added der Periode t Gewinn der Periode t

Wertorientierte Unternehmenssteuerung Bt-i = c =

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Buchwert zu Beginn der Periode t Kapitalkosten des Unternehmens.

Der Economic Value Added soil deutlich machen, dass Wert fiir die Aktionare erst dann geschaffen wird, wenn das eingesetzte Kapital mehr erwirtschaftet als die kalkulatorischen Kapitalkosten fiir dieses Kapital.^ Der Residualgewinn soil den ex post Erfolg ausdriicken, kann allerdings auch fiir eine zukunftsgerichtete Bewertung verwendet werden. Der Barwert der zuktinftigen Economic Value Added entspricht zusammen mit dem zu Beginn der Periode gebundenen Kapital^ dem Barwert der zuktinftigen Zahlungsiiberschtisse, wenn die Forderung nach einer TotalperiodenSquivalenz eingehalten wird. Diese Erkenntnis wird in der deutschen Literatur als Lucke-Theorem diskutiert. 2.2 Cash Value Added Der Cash Value Added ist als MaB der Wertsteigerung weniger bekannt. (2)

OVA t = Zt - O A - c • Zo

Die Verwandtschaft zum Economic Value Added ist sichtbar. Allerdings erfolgt eine andere Periodisierung der Anschaffungsausgabe. Formal entspricht die 5konomische Abschreibung der mit dem Kehrwert des Rentenendwertfaktors multiplizierten Anschaffungsausgabe: (3)

OA = Zc

mit n c

= =

Nutzungsdauer Kapitalkosten.

Die okonomische Abschreibung bezeichnet jenen konstanten Betrag, der zurtickgelegt werden muss, damit die Reinvestition in eine neue Anlage nach der erwarteten Nutzungsdauer moglich ist. Dabei erfolgt eine Verzinsung dieser Betrage. Die etwas ungewohnlich anmutende Bestimmung von Abschreibung und Kapitalkosten fUhrt zu einem bekannten Konzept der Abschreibungsbestimmung: (4)

C

(1 + c)" - 1

^C.(1 + C ) " - 1

{^ + cf-^

C.(1 + C)"

(^ + cf -^

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Hachmeister

Der Kehrwert des Rentenendwertfaktors plus Kapitalkosten entspricht dem Annuitatenfaktor, mit dem eine konstante Verteilung der Anschafflingsausgaben tiber die Nutzungsdauer erfolgt. Der Cash Value Added erfiillt somit die Forderung nach einer Annuitatenabschreibung. Da der Barwert der Annuitat aus Abschreibungen und kalkulatorischen Kapitalkosten der Anschaffungsausgabe entspricht, ist das Lucke-Theorem ebenfalls erfiillt. Bei konstanten Zahlungsuberschussen entspricht der Cash Value Added der Annuitat des Kapitalwertes. Implizit unterstellt der Cash Value Added eine progressive Abschreibung, weil eine konstante Belastung der Perioden bei sinkender Verzinsung des fortgefiihrten Buchkapitals durch steigende Abschreibungen erreicht wird. Zusammenfassend lasst sich damit sagen, dass sowohl EVA, als auch CVA das Lucke-Theorem einer kapitalwertneutralen Verteilung der Anschaffungsausgaben erflillen. Beide Verfahren messen keine Anderung des Unternehmenswerts, sondern verteilen den Kapitalwert aus einer Investition auf ihre Laufzeit. Beim CVA werden operative von investiven Auszahlungen unterschieden. Der EVA benotigt dagegen umfassende Gewinnermittlungsregeln/ 3

Anreizvertragliche Gewinnermittlung Abschreibungsverrechnung

durch

belastungsorientierte

Eine informationsokonomische Fundierung von Wertbeitragskennzahlen und ihre Bedeutung fiir die Losung von Anreizproblemen wird von Rogerson (1997), Reichelstein (1997), (2000) und Pfaff (1998) in mehrperiodigen AgencyModellen geliefert. Die Autoren konnten die Vorteilhaftigkeit von Wertbeitragskennzahlen gegentiber Einzahlungsuberschiissen zeigen. Dabei wird von folgenden Annahmen ausgegangen: 1. 2. 3. 4. 5.

Eine Instanz delegiert die Investitionsentscheidung an einen Entscheider; Zwischen Instanz und Entscheidungstrager besteht eine Informationsasymmetrie tiber die Vorteilhaftigkeit unterschiedlicher Investitionsprojekte; Instanz und Entscheidungstrager haben unterschiedliche Zeitpraferenzen; Die Zeitpraferenz des Entscheiders ist der Instanz nicht bekannt (oder der Zeithorizont von Zentrale und Entscheidungstrager stimmen nicht tiberein); Instanz und Entscheidungstrager sind risikoneutral; Finanzielle Ressourcen sind nicht beschrankt.

Der Entscheidungstrager ist bei der Investitionsentscheidung an friihen Riickflussen interessiert, weil ihm der Erfolg spaterer Perioden keine (oder stark diskontierte) Pramien beschert. Wertvernichtende Projekte mit positiven Periodenerfolgen in den ersten Perioden werden u.U. wertsteigernden Projekten mit

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niedrigen oder gar negativen Periodenerfolgen in den ersten Jahren vorgezogen. Der Entscheider orientiert sich nicht mehr am Kapitalwert der Investitionen. Dieses Problem zwischen Instanz und Entscheidungstrager kann durch eine Periodisierung der Investitionsauszahlung vermindert werden. Wenn es gelingt, eine Abschreibungsregel zu fmden, durch die ein Gewinn ausgewiesen wird, der als „Annuitat" des Kapitalwerts uber die Nutzungsdauer interpretiert werden kann, zeigt bereits das Periodenergebnis an, ob ein wertsteigerndes Projekt ausgewahlt wurde oder nicht. In einer solchen Situation wird der Entscheidungstrager jede Investition mit einem positiven Kapitalwert realisieren, selbst wenn er nur das Ergebnis einer Periode in seinen Kalkiil einbezieht.^ Erreicht werden kann dieses Ergebnis, wenn Kapitalnutzungskosten (kalkulatorische Verzinsung des eingesetzten Kapitals und Abschreibungen) nach der Tragfahigkeit auf die Perioden verteilt werden, d.h. Perioden mit hohen ZahlungsuberschUssen sollen einen relativ hohen Anteil der Kosten der Kapitalnutzung tragen, wahrend Perioden mit niedrigen ZahlungsuberschUssen weniger belastet werden sollen.^ Die Zahlungsiiberschtisse miissen dabei nicht bekannt sein, ausreichend ist die Kenntnis des Zahlungsprofils. Bei einer an der Tragfahigkeit orientierten Verteilung kann ein negativer Periodenerfolg nur bei negativen ZahlungsuberschUssen eintreten. Konnen wir diesen Fall ausschlieUen, wird bei einer an der Tragfahigkeit orientierten Verteilung der Periodenerfolg positiv sein, wenn die Projekte einen positiven Wertbeitrag aufweisen. Auch ein Entscheidungstrager mit einem kurzen Zeithorizont und einer hohen Gegenwartspraferenz wird dieses Projekt realisieren, weil bereits die Kenntnis des Perioden-Wertbeitrags ausreicht, um eine Entscheidung im Sinne der Instanz zu treffen. Wertbeitragskennzahlen haben somit Vorteile bei unterschiedlichen ZeitprSferenzen oder Zeithorizonten gegenUber EinzahlungsUberschUssen. Die Vorteile gelten auch dann noch, wenn die Suche nach wertsteigernden Projekten dem Entscheidungstrager darUber hinaus „Arbeitsleid" bereitet. AUerdings ist dann keine First-Best-Losung erreichbar, d.h. die Delegation der Investitionsentscheidung fuhrt zu Agency-Kosten.^^ So robust und einfach die Ergebnisse aus den Modellen auch sind, so mUssen doch die Grenzen des verwandten Analyserahmens beachtet werden.

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1.

Die Verteilung nach dem Tragfahigkeitsprinzip versagt, wenn die Instanz zwischen sich ausschlieBenden Projekten wahlen muss. Immerhin werden mit WertbeitragsgroBen aber optimale Investitionsvolumen erreicht.^^ Negative Einzahlungsuberschiisse in einzelnen Perioden zerstoren ebenfalls die Wirkungen der Periodisierung, da in diesem Fallen trotz eines wertsteigernden Projekts in einzelnen Perioden ein negativer Wertbeitrag entsteht. Die Informationsanforderungen der Instanz sind bedeutend. Sowohl uber die Nutzungsdauer, als auch uber das Zahlungsprofil des Projekts sind Erwartungen notig. Woher die Instanz diese Kenntnis bei einem Informationsvorsprung des Entscheidungstragers haben soil, bleibt offen. Zielkonflikte zwischen Instanz und Entscheidungstrager werden nur in Hinblick auf die Investitionsentscheidung untersucht. Operative Entscheidungen bei der Abwicklung des Projekts werden hingegen nicht untersucht. Ein Einfluss von Produktions- oder Verkaufsentscheidungen in spateren Perioden wird vernachlassigt.

2.

3.

4.

Welche Aussagen lassen sich aus dem Modellrahmen im Hinblick auf eine Vorteilhaftigkeit von Economic Value Added oder Cash Value Added gewinnen? Gewinnermittlungsregeln modellieren Rogerson (1997) und Reichelstein (1997), (2000) nur bei der Aktivierung von Investitionen und deren Verteilung iiber die Nutzungsdauer, die sich am Zahlungsprofil orientieren sollte. Schematische Regeln wie eine lineare Abschreibung oder eine sinking fund depreciation vernachlassigen die Entwicklung der Einzahlungsuberschiisse bei der Verteilung der Anschaffungsausgabe auf die Nutzungsdauer. Beide Kennzahlen sind damit nur zufallig vorteilhaft: CVA bei einem konstanten Zahlungsprofil, EVA bei einem sinkenden. Weitere Aussagen zur Gewinnermittlung erfolgen nicht: ^^ Die Frage, was eine zu aktivierende Investitionsauszahlung und was eine aufwandswirksame Auszahlung ist, wird nicht explizit erfasst. Dariiber hinaus wird in den Modellen eine Barrealisation unterstellt, da keine Forderungen existieren. Die Periodisierung von Einzahlungen wird von Rogerson (1997) und Reichelstein (1997), (2000) nicht thematisiert. Der bisherige Analyserahmen erlaubt damit folgende Aussage bezuglich der Vorteilhaftigkeit von EVA oder CVA: Bilanzierungsregeln konnen erreichen, dass der ermittelte Wertbeitrag aus wertsteigernden Projekten in keiner Periode negativ wird; sie bieten Vorteile, weil sie Freiheitsgrade in die Ermittlung von Wertbeitragen bringen, die ein Cash Value Added nicht hat.'^ Auf der anderen Seite eroffnen Gewinnermittlungsregeln aber Gestaltungsmoglichkeiten, die vom Entscheidungstrager missbraucht werden konnen.

WertorientierteUnternehmenssteuerung 4

51^

Gewinnermittlungsregeln zur Steuerung von Investitions-, Produktions- und Absatzentscheidungen

4.1 Barrealisation oder Realisation bei Lieferung und Leistung Weitere Gewinnermittlungsregeln jenseits der Aktivierung und Abschreibungsbemessung untersuchen Dutta und Reichelstein (1999). Gegenstand ihrer Analyse ist die Ertragsrealisierung und die Bewertung von (langfristigen) Forderungen. Ihre Argumente gelten analog auch fiir Gewahrleistungsriickstellungen.^^ In ihrem Modell werden die beobachtbaren Einzahlungsuberschiisse neben den Verkaufsanstrengungen des Entscheidungstragers insbesondere durch das Zahlungsverhalten der Kunden bestimmt. Der Cash Flow wird durch Zielverkaufe der Periode vermindert und urn Zahlungen aus Verkaufen fruherer Perioden erhoht. Die Instanz kann eine Aufteilung des Cash Flows zunachst nicht vornehmen. Das Zahlungsverhalten der Kunden kann vom Entscheider nicht beeinflusst werden und ist unsicher. Der Erwartungswert des Barwerts der Einzahlungsuberschiisse wird durch die Vergabe von Kundenkrediten nicht verSndert. Um den Entscheidungstrager von den Risiken der Zielverkaufe freizuhalten, die er laut Annahme nicht zu verantworten hat, erscheint es sinnvoll, die erwarteten Zahlungseingange aus den Zielverkaufen zu periodisieren, d.h. sie nicht dann zu erfassen, wenn die Zahlung eingeht, sondern bereits im Zeitpunkt des Verkaufs. Dies geschieht tiber eine Aktivierung der Forderungen mit ihrem Barwert. Der Jahresuberschuss der Periode t entspricht somit dem Einzahlungsuberschuss der Periode erhoht um den Forderungsbestand am Periodenende abzuglich des Forderungsbestands zu Beginn der Periode. Barwertermittlung und Verrechnung von Kapitalkosten auf den Forderungsbestand flihren zu einer Ubereinstimmung von Investitionsverhalten des Entscheidungstragers und Investitionskalkiil der Instanz. Die Aktivierung von Forderungen und die Bewertung zum Barwert ist somit vorteilhaft, wenn ein beobachtbarer Einzahlungsuberschuss nicht nur von den Anstrengungen des Entscheidungstragers bestimmt wird, sondern auch durch Zielverkaufe, die der Entscheidungstrager nicht zu vertreten hat. Erfolgt die Bewertung der Forderungen zum Barwert kann die Wertbeitragskennzahl von Einflussen dieser Zielverkaufe befreit werden.'^ Dartiber hinaus eroffnen sich Vorteile aus der Separation zwischen hidden information und hidden effort. Der Cash Value Added verzichtet auf diese Moglichkeiten. 4.2 Vollkosten vs. Teilkosten Die Bedeutung der Fixkostenverrechnung bei der Vorratsbewertung wurde in einem Modell von Baldenius und Reichelstein (2000) untersucht.^^ In ihrer

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Modellierung muss der Entscheidungstrager eine Produktionsentscheidung in Periode 1 treffen; der Verkauf erfolgt in den kommenden Perioden. Produktionsund Verkaufsentscheidungen sollen im Interesse der Instanz den Unternehmenswert maximieren. Zwischen variablen und fixen Kosten besteht dabei ein Tradeoff: Urn variable Kosten einsparen zu konnen, ist eine Investition erforderlich, deren Anschaffungsauszahlung uber die Nutzungsdauer zu verteilen ist. Die Wirkung der Investition ist nur dem Entscheidungstrager bekannt. Dieser hat das im Sinne der Instanz optimale Investitionsvolumen festzulegen und anschlieBend Produktions- und Verkaufsentscheidungen im Interesse der Instanz zu realisieren. Damit das Matching-Prinzip vollkommen umgesetzt wird und Investitionsentscheidung einerseits, Produktions- und Absatzentscheidung andererseits separiert werden konnen, sind die Fertigerzeugnisse mit den variablen Kosten zu bewerten und die Investitionsauszahlung mithilfe des Tragfahigkeitsprinzips auf die Nutzungsdauer zu verteilen. Bei einer anderen Form der Abschreibung ware die Verteilung der Anschaffungsausgabe von der Produktionsmenge abhangig; eine Separation gelange nicht mehr. Dieses System einer Bewertung zu variablen Kosten ist nicht mit dem traditionellen Verstandnis vergleichbar, weil letztlich auch die Fixkosten auf die Perioden verteilt werden, in denen die Produkte verkauft werden. Nur der Verteilungsschliissel variiert: Bei dem oben beschriebenen System variabler Kosten erfolgt die Verteilung der Investitionsauszahlung nach den erwarteten Umsatzen; bei einer Bewertung des Vorratsvermogens inklusive Fixkosten nach der Anzahl der produzierten und verkauften Produkte. Die Modellierung stellt die Bedeutung des Matching-Prinzips heraus, das beim Cash Value Added jedoch nur unvollstandig umgesetzt wird, da nur die Investitionsauszahlung flir die Produktionstechnologie periodisiert wird, jedoch keine Abgrenzung und Verteilung von Umsatzkosten erfolgt. Auch wenn die Periodisierung von Zahlungen, gemessen an den obigen Ausfuhrungen, beim Economic Value Added nur unvollkommen umgesetzt wird, durften gegeniiber dem Cash Value Added Vorteile bestehen. Durch die Aktivierung wird ein kurzsichtiger Entscheidungstrager ein Investitionsprojekt nicht ablehnen, weil er nicht zu fruh mit den Gemeinkosten belastet wird.^^ 4.3 Einbezug der Kapitalkosten in die Anschaffungs- und Herstellungskosten Wird der Lagerbestand mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet, wird nur ein Teil der Kosten der Absatzperiode zugeordnet.^^ Da kalkulatorische Kapitalkosten bei der Gewinnermittlung abgezogen werden, werden somit die

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53^

Kosten der Kapitalbindung nicht in der Periode verrechnet, in der das Produkt verkauft wurde, sondern bereits wahrend der Lagerhaltung. Dies kann Fehlsteuerungen zur Folge haben. Soil der Matcliing-Gedanke umgesetzt werden, miissen alie Aufwendungen eines Produkts der Periode zugerechnet werden, in der das Produkt verkauft wird. Dies kann erreicht werden, indem bei den Lagerbestanden periodische Zuschreibungen in H5he der Kapitalkosten vorgenommen werden. Das Ergebnis iiegt darin begrundet, dass nur die Absatzanstrengung den Periodengewinn beeinflusst; Beschaffung und Produktion haben keinen Einfluss auf die Hohe des Gewinns, weil diese Aktivitaten erfolgsneutral gehalten werden.^^ 4.4 Auswahl von Verbrauchsfolgeverfahren Durch den Verzicht auf eine Bewertung zu hoheren Marktpreisen mUssen die Anschaffungskosten der Produkte bestimmt werden. Aus praktischen Grunden wird dabei haufig auf Verbrauchsfolgeverfahren zuriickgegriffen.^^ Aus Sicht der Zentrale sollten groBe Lagerbestande nur bei deutlich steigenden Preisen gehalten werden, ansonsten sollten Vorprodukte unmittelbar vor dem Produktionsvorgang erst beschafft werden; Produkte sollten unmittelbar vor Verkauf erst produziert werden. Dies wird jedoch nicht immer zu realisieren sein. Damit hat die Bestandsbewertung einen Einfluss auf die (Grenz)Kosten, die Absatzmenge und den Periodengewinn. WOrde ein LIFO- oder HIFO-Verfahren gewShlt, entsprSchen die (Grenz)Kosten weitgehend dem aktuellen Preisniveau. Damit wurde die Absatzmenge hinter der optimalen LOsung der Zentrale zurlickbleiben. Wird hingegen ein FIFO- oder LOFO-Verfahren gewahlt, wurden die Produkte eingesetzt, die die geringsten Anschafftmgs- oder Herstellungskosten (unter Beachtung der aktivierten Kapitalkosten) aufweisen. Nun bestimmen die niedrigen historischen Kosten die Absatzmenge. Damit wird der Entscheidungskalktil der Zentrale umgesetzt, um die optimale Absatzmenge zu bestimmen.^^ 4.5 Die Bedeutung niedriger beizulegender Werte Die Ertragsrealisation bei Lieferung und Leistung ist um ein Niederstwertprinzip zu erganzen, wenn der Manager Einfluss auf Verkaufsaktivitaten und die Umsatzrealisation im VorratsvermOgen hat, weil Fertigerzeugnisse aus Sicht der Anteilseigner unabhangig von ihren Herstellungskosten, die als versunken gelten, sofort zu verkaufen sind. Durch das Niederstwertprinzip ist es dem Entscheidungstrager egal, ob Verluste durch Verkauf realisiert oder qua Bilanzierung antizipiert werden mussen.^^ Dies setzt jedoch voraus, dass eine Beachtung des Niederstwertprinzips auch sichergestellt werden kann.

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Hachmeister

Fur Steuerungsrechnungen muss das Vorsichtsprinzip - hier konkretisiert durch die Ertragsrealisation beim Verkauf und das Niederstwertprinzip - nicht nachteilig sein. Die Bereinigungen von Gewinn und eingesetztem (Buch)Kapital beim Economic Value Added sind somit zumindest kritisch zu hinterfragen. Allerdings wird die Geltung des Niederstwertprinzips nicht uneingeschrankt gefordert: Stewart (1991) mochte die Idee des full cost accounting aus der Bilanzierung von Explorationskosten nach US-GAAP auf alle riskanten Investitionen Ubertragen.^'* Auf den Bereich von Forderungen ubertragen bedeutet dies, dass dubiose Forderungen nicht abgeschrieben werden, sondern als notwendige Investitionen das eingesetzte Kapital erhohen. Dutta und Reichelstein (1999) zeigen, dass diese Vorgehensweise Vorteile gegeniiber der Abschreibung dubioser Forderungen aufweist.^^ Voraussetzung ist jedoch, dass der Zahlungseingang vom Entscheidungstrager nicht beeinflusst werden konnte - nur hinsichtlich der Verkaufsanstrengungen gilt hidden effort. Diese Voraussetzung ist einschrankend, da man versuchen kann durch groBzugige Kreditgewahrung die Absatzmoglichkeiten der Produkte zu steigern. 5

Bestimmung des Kalkulationszinses

5.1 Steuerung von Investitionsentscheidungen und operativen Aufgaben In dem obigen Modellrahmen wurden Anreizprobleme allein auf die Auswahl von Investitionsprojekten bezogen (hidden information). Die erwarteten Einzahlungsuberschtisse wurden nur von der „Gute" des Projekts entschieden, nicht von unbeobachtbaren Anstrengungen des Entscheidungstragers. Im Folgenden werden Investitions- und Produktionsentscheidungen (hidden effort) betrachtet.^^ Wahrend Investitionsentscheidungen Auswirkungen auf die gesamte Projektlebensdauer haben, beeinflussen Produktionsentscheidungen die Rtickflusse einer Periode. Dutta und Reichelstein (2000) zeigen in diesem Modellrahmen die Eignung von Wertbeitragskennzahlen im Rahmen von Steuerungsrechnungen. Allerdings muss die Erfolgsmessung modifiziert werden. Die Belastungsparameter werden nicht mithilfe des Kapitalkostensatzes der Instanz bestimmt, sondern mit einem kritischen Kapitalkostensatz (r*), der uber dem Kapitalkostensatz der Instanz liegt.^^ Unter welchen Bedingungen ist das Ergebnis entstanden und wie lasst es sich plausibel erklaren? Besteht neben hidden information noch hidden effort, kennt die Instanz zwar das Zahlungsprofil aus dem Projekt, jedoch ist nicht mehr erkennbar, inwieweit die realisierten EinzahlungsUberschtisse durch die „Gute" des Projekts - die nur dem Entscheidungstrager bekannt ist - und durch die Anstrengung des Entscheiders - die nicht beobachtbar ist - bestimmt werden. Der Ent-

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scheider kann somit einen realisierten Einzahlungsliberschuss mit der Gtite des Projekts erklaren, wahrend sein (geringer) Arbeitseinsatz nicht erkennbar ist.^^ Die Instanz kann den Informationsvorteil des Entscheidungstragers vermindern, in dem sie die Anforderungen an die durchgefiihrten Projekte anhebt.^^ Dies kann jedoch wegen der asymmetrischen Informationsverteilung nur indirekt erreicht werden, indem hartere Beurteilungskriterien fiir die Gtite einer Investition vorgegeben werden. Technisch wird dies durch die Vorgabe eines kritischen ZinsfuBes erreicht, der die Kapitalkosten der Instanz Ubersteigt. Damit verzichtet die Instanz auf die Durchfiihrung von Projekten mit positivem Kapitalwert, urn die Informationsvorteile des EntscheidungstrSgers zu vermindern. Eine andere Konstellation, in der es optimal ist, einen kritischen ZinsfuB vorzugeben, der die Kapitalkosten ubersteigt, besteht, wenn verschiedene Entscheidungstrager in einem Unternehmen um die Mittel konkurrieren.^^ Dutta und Reichelstein (2000) konnen Beobachtungen aus der Praxis rechtfertigen, die sich bei der Vorgabe von kritischen Zinssatzen nicht am Kapitalmarkt orientieren, sondern davon losgelost Vorgaben machen. 5.2 Einfluss der Risikoeinstellung des Entscheiders auf den ZinsfuB Bei der Vorgabe von kritischen Zinssatzen bei der Gestaltung von Wertbeitragskennzahlen muss jedoch auch die Risikoeinstellung der Parteien beachtet werden. Die BeitrSge von Christensen, Feltham und Wu (2000) sowie Dutta und Reichelstein (2000), (2002) untersuchen ob und wie die geforderte Verzinsung bei Risikoaversion des Entscheidungstragers angepasst werden soil. Fur EntscheidungsrQchnungQn wird im Fall risikoaverser Kapitalmarktteilnehmer empfohlen, den quasisicheren ZinsfuU um einen Risikozuschlag anzupassen. Dieser Zuschlag wird in einer Situation wohl diversifizierter Investoren durch das systematische (Markt)Risiko bestimmt. In SteuerungsrQchnungQU ist jedoch eine Anpassung der Kapitalkosten nicht zwingend. Dient die Wertbeitragskennzahl als Bemessungsgrundlage zur Entlohnung, wird der Entscheidungstrager die ihm zugerechneten und unsicheren Wertbeitrage mit dem Sicherheitsaquivalent ansetzen. Bei der Bestimmung des Sicherheitsaquivalents werden nur firmenspezifische Risiken beachtet, well Marktrisiken vom Entscheidungstrager durch Markttransaktionen vernichtet werden konnen.^^ Um diesen Effekt auszugleichen, konnte man versucht sein, den kritischen KalkulationszinsfiiB bei der Bestimmung der Wertbeitragskennzahlen zu vermindern. Hat der Entscheidungstrager bei der Auswahl der Projekte keine privaten Informationen uber die firmenspezifischen Risiken, besteht in der Tat ein Unterin-

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vestitionsproblem, well der Entscheidungstrager bei der Bewertung der Projekte firmenspezifische Risiken beachtet, die die Instanz durch Diversifizierung vernichten kann. 1st sichergestellt, dass der Entscheidungstrager das gesamte zur Verfligung stehende Kapital in risikoreiche Projekte investiert, wird durch eine Senkung des ZinsfuBes unter den quasisicheren ZinsfuB das Unterinvestitionsproblem gemindert."'^ Hat der Entscheidungstrager jedoch Zugang zu firmenspezifischen Informationen bevor er die Projekte auswahlt, kann es sinnvoll flir die Instanz sein, einen Zuschlag zum quasisicheren ZinsfuB zu fordern, urn das Investitionsvolumen und damit eine an den Entscheider zu zahlende Pramie - zu vermindern.^^ 6

Einschatzung

Wertbeitragskennzahlen ermoglichen grundsatzlich eine anreizvertragliche Performancemessung^'^. Die Gestaitung der Bilanzierungsregeln ist jedoch noch nicht abschlieBend geklart. Wahrend zur Steuerung von Investitionsentscheidungen weitgehende Klarheit besteht, steckt die Wirkungsanalyse kurzfristiger, operativer Entscheidungen noch in den Kinderschuhen. In den Modellen konnten einzelne Bilanzierungsvorschriften - Realisationsprinzip und Niederstwertprinzip - flir eine anreizvertragliche Steuerungsrechnung gestUtzt werden. Allerdings gelang in den Modellen eine Separation von Investitionsentscheidungen und operativen Entscheidungen. Dies diirfte in der Realitat nicht moglich sein; zudem wurden immer nur einzelne Anreizprobleme diskutiert. Es kann festgehalten werden, dass in Situationen, in denen der Entscheider einen ktirzeren Zeithorizont als die Instanz hat, PerformancegroBen, die zukiinftige Informationen verarbeiten, Vorteile haben. Je kurzer der Zeithorizont des Entscheidungstragers, desto wichtiger ist es, bei der Erfolgsmessung zukiinftige Informationen zu verarbeiten, um den Entscheider zu ermuntern, im Interesse der Instanz zu handeln. Die Verarbeitung dieser zukiinftigen Informationen erfolgt in den Wertbeitragskennzahlen durch die Periodisierung der Zahlungen. Allerdings muss beachtet werden, dass durch die Verarbeitung zukiinftiger Informationen in der Unternehmensrechnung die Zuverlassigkeit der Berechnung vermindert werden kann, weil Manipulationsspielraume entstehen. Die Vorteile aus der Manipulation der Periodisierung steigen mit einem ktirzeren Zeithorizont des Entscheidungstragers, weil er den Konsequenzen leichter entkommen kann. Je groBer die Vorteile aus einer Periodisierung sind, desto groBer sind die Anreize sie zu missbrauchen. Dies diirfte ein Grund daftir sein, dass ftir interne Steuerungsrechnungen auf umfangreiche Bereinigungen verzichtet wird und die Bilan-

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zierungsvorschriften der Rechnungslegung verwendet werden, die durch einen Wirtschaftspriifer testiert werden. Anmerkungen ' Vgi. etwa seinen Aufsatz „Der EVA-Ansatz im Rahmen des Value Reporting". ^ Der Begriff Economic Value Added wird von der Beratungsgesellschaft Stern Stewart vermarktet. Es gibt ahnliche Konzepte, die allerdings unter anderen Namen auftreten. ^ Zu seiner Bedeutung in der Praxis vgl. Kuhnle/Banzhaf (2005), S. 331. "* Streng genommen entspricht dies der so genannten „Capital Charge-Formel" der EVA-Ermittlung. Bei der „Value Spread-Formel" (die einer Umformung der Capital Charge-Formel entspricht) ergibt sich EVA als Produkt aus betrieblichem Vermogen und des Renditetiberschusses von Verm5gensrendite uber die Kapitalkosten; vgl. Kuhnle/Banzhaf (2005), S. 333. ^ Vgl. Kuhnle/Banzhaf (2005), S. 332. ^ Dieses Konzept wird als Market Value Added bezeichnet; vgl. Kuhnle/Banzhaf(2005),S. 339. ^ Fur einen Uberblick uber die vielfaltigen Regeln zur Ermittlung von Gewinn und Vermogen beim EVA vgl. Kuhnle/Banzhaf (2005), S. 334-336. ^ Vgl. Rogerson (1997), S. 773. Dieser Gedanke wird bereits bei Hax (1989), S. 166, unter Anreizgesichtspunkten angesprochen. Vgl. Rogerson (1997), S. 789-791; Reichelstein (1997), S. 167-170. Vgl. Reichelstein (2000), S. 255 f. Vgl. Pfaff/Bartl (1999), S. 109. Vgl. jedoch Pfaff (1998), S. 509-512, der noch Verbindlichkeitsruckstellungen im Hinblick auf ein matching von Ertragen und Aufwendungen untersucht. Diesen Zusammenhang fiihren auch Dutta/Reichelstein (1999), S. 236 an. Vgl. Lambert (1999), S. 261. Vgl. Dutta/Reichelstein (1999), S. 239 f Vgl. Baldenius/Reichelstein (2000), S. 22-24. Vgl. Baldenius/Reichelstein (2000), S. 27. Vgl. Gaber (2005), S. 345. Handelsrechtlich besteht lediglich beim Einbezug von Fremdkapitalkosten ein Wahlrecht, Kosten des Eigenkapitals sind als nicht pagatorische Aufwendungen nicht bilanzierungsfthig; vgl. Kuhnle (2004), S. 59. 20 Vgl. Diedrich/Dierkes (2003), S. 57. Vgl. Kuhnle (2004), S. 81-83 zu den verschiedenen Verbrauchsfolgeverfahren bei der Bewertung von Vorratvermogen. 22 Vgl. Diedrich/Dierkes (2003), S. 60 f

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23

Vgl. Dutta/Zhang (2002), S. 78 f. Auch Baldenius/Reichelstein (2000) und Diedrich/Dierkes (2003) kommen zu diesem Ergebnis. 24 Vgl. Stewart (1991), S. 116 f. Vgl. Dutta/Reichelstein (1999), S. 247 f. 26 Zur Unterscheidung von hidden information und hidden effort-Problemen im Rahmen der Agency-Theorie vgl. Kuhnle/Banzhaf (2006), S. 24 f. ^"^ Vgl. Dutta/Reichelstein (2000), S. 16. ^^ Vgl. Dutta/Reichelstein (2000), S. 6. ^^ Das Projekt hat fiir die Instanz nur dann einen Wertbeitrag wenn die Ruckflusse die direkten Auszahlungen und die agency costs decken, die aus der bestehenden Rente aus dem Informationsvorteil resultiert. Vgl. Dutta/Reichelstein (2002), S. 12 f.; Dutta/Reichelstein (2002), S. 26. ^^ Vgl. Dutta/Reichelstein (2000), S. 17-22. ^^ Vgl. Christensen/Feltham/Wu (2000), S. 17-19. ^^ Vgl. Christensen/Feltham/Wu (2000), S. 19 f. " Vgl. Christensen/Feltham/Wu (2000), S. 26. '^^ Neben dieser Eignung fur die Unternehmenssteuerung wird auch die gute Kommunizierbarkeit des EVA-Konzepts hervorgehoben, vgl. Kuhnle/Banzhaf (2005), S. 354 f Literaturverzeichnis Baldenius, Tim/Reichelstein, Stefan (2000): Incentives for Efficient Inventory Management: The Role of Historical Cost, Working Paper. Christensen, Peter O./Feltham, Gerald A./Wu, Martin G.H. (2002): Cost of Capital in Residual Income for Performance Evaluation, in: The Accounting Review, Vol. 77, S. 1-23. Diedrich, Ralf/Dierkes, Stefan (2003): Residualgewinnbasierte Steuerung von Profit Centern unter Berucksichtigung von Verbrauchsfolgefiktionen und auBerplanmaBigen Wertkorrekturen, in: Zeitschrift fur Betriebswirtschaft, Erganzungsheft 5, 73. Jg., S. 47-68. Dutta, Sunil/Reichelstein, Stefan (2002): Controlling Investment Decisions: Depreciation and Capital Charges, Working Paper. Dutta, Sunil/Reichelstein, Stefan (2000): Controlling Investment Decisions: Hurdles Rates and Intertemporal Cost Allocation, CESifo Working Paper Series No. 354. Dutta, Sunil/Reichelstein, Stefan (1999): Asset Valuation and Performance Measurement in a Dynamic Agency Setting, in: Review of Accounting Studies, Vol. 4, S. 235-258.

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Corporate Entrepreneurship - Erkenntnisse aus Theorie und Praxis Christoph Mtiller*

1

Einleitung

2

Ausl5ser fiir Corporate Entrepreneurship in Unternehmen

3

Zur Theorie des Corporate Entrepreneurship

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 5

Losungen in der Unternehmenspraxis SAP AG Hasso Plattner Venture Bayer Innovation GmbH Novartis AG BASF AG Franz Haniel & Cie. GmbH Weitere Kurzbeispiele Fazit der Praxis-Fallbeispiele

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Prof. Dr. Christoph Muller, Universitat Hohenheim, Institut fur Betriebswirtschaftiehre, Stiftungslehrstuhl fiir Unternehmensgrundungen und Unternehmertum (Entrepreneurship), Schloss Osthof-Nord, 70593 Stuttgart.

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Muller Einieitung

Corporate Entrepreneurship beschaftigt zunehmend die damit befassten Wissenschaftler, die eine Reihe von Systematisierungskonzepten entwickelt haben, zugleich auch mittlere und groBere Unternehmen, die entsprechende Praxislosungen umsetzen. In diesem Beitrag wird zuerst ein Uberblick iiber die typischen Ausioser fiir das Beschaftigen mit Konzepten des Corporate Entrepreneurship gegeben, bevor die Konzepte aus der Literatur zusammengefasst werden. Im Transferteil werden Praxislosungen betrachtet, deren Erkenntnisse abschliefiend zu sechs Schlussfolgerungen verdichtet werden. Corporate Entrepreneurship steht umfassend fur neue Ansatze zur Forderung von Mitunternehmertum, Wachstum und Innovationen in und urn bestehende Unternehmen Oder Institutionen. Die Bandbreite ist groB: Von MaBnahmen zur Schaffung einer innovativeren Unternehmenskultur iiber die Griindung von Einheiten flir das Investieren von Risikokapitai des Unternehmens in Jungunternehmen bis hin zur Gestaltung von Ausgrtindungen aus Unternehmen. Dabei geht es nicht nur darum, diese konkreten Aufgaben auszugestalten, sondern auch ein entsprechendes Berichtswesen zu etablieren, um die Fortschritte gezielt messen und steuern zu konnen. Die Ausioser fiir Aktivitaten auf diesem Gebiet lassen sich zu drei iibergreifenden Faktoren zusammenfassen: Die typischen Bruchstellen oder Krisen im Verlaufe des Unternehmenswachstums zu uberwinden, die Bindung von besonders unternehmerischen Mitarbeitern an das Unternehmen sowie der laufende strategische Prozess mit besonderer Berticksichtigung der Erneuerung und Innovation. Ein BHck auf die aktuelle Literatur zum Thema und auf die in den letzten Jahren durchgefiihrten und nach wie vor diskutierten Praxislosungen zeigt, dass dieses Thema sowohl aus wissenschaftlicher wie auch aus unternehmerischer Sicht verschiedene Losungen bietet, die sich aber auf wenige Grundregeln zuriickfiihren lassen. 2

Ausioser fiir Corporate Entrepreneurship in Unternehmen

Ausioser 1: Die Gestaltung von Corporate Entrepreneurship ist eng mit der Bewaltigung von Krisensituationen im Lebenszyklus eines Unternehmens verbunden. Bei den Ubergangen von der Pionierphase zur MarkterschlieBungsphase, weiter iiber die Diversifikations-, Akquisitions-, Kooperationsphase bis hin zur Nachfolgelosung / Restrukturierung ist jeweils eine erhohte Komplexitat zu bewaltigen, fiir die neue organisatorische und prozessuale Losungen erforderlich sind.^

Corporate Entrepreneurship - Erkenntnisse aus Theorie und Praxis

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Ausloser 2: Corporate Entrepreneurship stellt auch eine strategische Daueraufgabe dar. Ordnet man Unternehmen anhand der zwei Dimensionen Innovation (niedrig - hoch) und Tradition (schwach - stark), so ergeben sich neben der zu vernachlassigenden zweifach schwachen Auspragung drei Positionen fiir Unternehmen.^ Vertrauensvolle Traditionalisten wie die Firma Tipp-Kick, die seit Jahrzehnten ein nahezu unverandertes Produkt auf den Markt bringen, und damit einen Kuh geschaffen haben. Dann die echten Innovatoren, mit wenig Tradition, aber permanenter Innovation, weil sie standig die Branchen und Branchengesetze neu erfmden mussen, wie eine Reihe von Internetfirmen. Als vierte Gruppe lassen sich die vertrauensvoUen Innovatoren bzw. innovativen Traditionalisten identifizieren, hierzu zahlen vor allem die weltweit marktflihrenden, mittelstandischen Familienunternehmen, die neben der laufend erneuerten Technologieflihrerschaft auf die Starken eines meist traditionsreichen Familienunternehmens setzen. Den beiden letztgenannten Unternehmenstypen ist eines gemeinsam: Sie setzen stark auf Corporate Entrepreneurship, um ihre Kernkompetenzen weiterzuentwickeln und neue Marktchancen zu nutzen. Ausloser 3: Unternehmen, die eine Wachstumsstrategie verfolgen.^ Diese verfahren idealtypisch nach einem vierphasigen Prozess. Zuerst werden die Wachstumsbarrieren identifiziert, funktionale Engpasse aufgebrochen und sodann die Prozesse wachstums- und kundenorientiert ausgerichtet. Danach werden strukturelle Wachstumsbarrieren beseitigt und neue Organisations- und Fuhrungsstrukturen etabliert. AnschlieUend geht es um die Ausschopfiing der strategischen Kernkompetenzen durch operative Exzellenz und als letzter Schritt folgt die Entwicklung und Umsetzung einer Wachstumsstrategie durch Produkt-/ Marktentwicklungen, gezielte M&A-Strategien sowie Eingehen von Kooperationen. Fiir die Umsetzung dieses Vorgehens wird jeweils ein strukturierter und koordinierter Innovationsprozess defmiert. 3

Zur Theorie des Corporate Entrepreneurship

Bei Corporate Entrepreneurship geht es um die Verbindung der Vorteile junger mit denen von etablierten Unternehmen."* Junge Unternehmen zeichnen sich durch innovatives, schnelles, hochmotiviertes Denken und Handeln mit flexiblen Strukturen und offenen Kommunikationsstrukturen aus. Die internen Burokratiekosten sind noch niedrig, die Markt- und Kundenorientierung in der Kegel hoch. Der Unternehmergeist lebt. Etablierte Unternehmen haben sich zwar Defizite auf den genannten Gebieten eingehandelt, konnen jedoch andere Starken einbringen: etablierte Prozesse, Expertenwissen und Netzwerke, Ressourcen, GroBendegressionseffekte und Risikominimierungsvorteile. Gelingt es beide Vorteilskategorien zu verbinden, entstehen daraus wettbewerbsfahige neue Allian-

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zen. Ein Beispiel hierflir sind die Kooperationen zwischen jungen Biotechunternehmen und etablierten Pharmakonzernen. Auf der einen Seite hochinnovative Forscherteams, die einen 10-15-jahrigen Weg von der Forschung bis zum marktreifen Produkt vor sich haben, der bis zu mehreren hundert Millionen Euro erfordern wird. Auf der anderen Seite Pharmakonzerne ohne neue, patentgeschutzte Produkte in der Pipeline, im besten Fall Blockbuster mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar, die aber dafur die erforderlichen Kapitalressourcen sowie das Wissen besitzen, wie Zulassungen zu erreichen sind, eine Grossserienproduktion organisiert werden muss und wie anschlieCend die Vertriebsmaschinerie flir die weltweiten Verkaufe sorgen wird. Die anfanglichen Versuche der Integration der jungen Teams in die Strukturen der Konzerne sind gescheitert. Jetzt erfolgt die Kooperation unter Wahrung der unternehmerischen Freiheiten der jungen Teams bei gleichzeitiger Anbindung an den Konzern. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun die verschiedenen Ansatze fiir Corporate Entrepreneurship - Losungen systematisieren. Eine aktuelle Literaturschau zeigt, dass sich leicht ein Dutzend und mehr Definitions- und Strukturierungsvorschlage identifizieren lassen. Von daher soil hier nur eine Konzentration auf die flindamentalen Ansatze erfolgen. Als zentrale Strukturierungsdimensionen bietet sich eine Unterteilung in eine interne und externe Sicht sowie in strategische und finanzielle Vorteile an.^ Durch die Kombination einer internen vs. externen Erfindung sowie einer internen und externen Weiterentwicklung ergeben sich vier Kerntypen des Corporate Venturing: Business Development (beides intern). Venture Adaption (extern erfunden, intern weitergefuhrt), New Ventures (intern erfunden, extern weitergeflihrt) und traditionelles Venture Capital - Geschaft (beides extern).^ Die Verbindung von Strategic- und Finanzperspektive (Venture Return Positioning Matrix) fiihrt nach diesen vier Autoren zu folgenden Ergebnissen: Beides mal schwache Positionen wird kein Unternehmen anstreben, wenn aber die strategischen Interessen eher schwach, daflir die finanziellen Interessen stark ausgepragt sind, handelt es sich um klassisches Venture Capital. Sind nur die strategischen Interessen stark ausgepragt, dann ist von Internal Development die Rede. Spannend sind die Falle, in denen beide Dimensionen stark sind, dann wird dies als New Venture Groups bzw. Corporate Venture Capital (CVC) bezeichnet. Darunter wird Risikokapital verstanden, das von etablierten Unternehmen direkt oder indirekt in interne oder externe Projekte/Unternehmen mit Wachstumspotenzial investiert wird, um damit strategische und finanzielle Ziele zu erreichen. Unter New Ventures fallen dann intern generierte, in der Regel patentfahige Ideen/Innovationen, die nach einer Begleitphase in einem Brutkasten (Inkubator) zu selbstandigen Unternehmen entwickelt werden. Beide Ansatze weisen eine Reihe von Varianten auf

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Die Unterteilung in internes und externe Venture Management fiihrt zu einer weiteren Aufteilung^ In den internen Bereich fallen demnach einzelne, geniale Erfinder oder Produktmanager, die entsprechend ais Product Champion bezeichnet werden. Da diese alleine kaum ihr Projekt zum Wachsen bringen konnen, werden sie mit weiteren Spezialisten, gerade auch Betriebswirten, zu einem Venture Team erweitert. Dieses kann dann in einem internen oder auch extern angesiedelten Technologie Accelerator bzw. einem Business Accelerator sein Projekt weiterentwickeln. Im externen Bereich sind weiter das Venture Nurturing (mit Mehrheitsbeteiligung der Muttergesellschaft), Ausgrtindungen - Spin Offs oder auch Joint Ventures mit Partnerunternehmen zu nennen. Auch hierzu lassen sich eine Reihe weiterer Spezialfalle zu Spin Offs (komplett neu: geforderte Spin Offs und Split Offs, Ausgrtindungen: interne Spin Outs und Buy Outs, noch ohne Griindungsaktivitat: Vergabe von Lizenzen und Verkauf von Patenten) nennen.^ Ebenso zu Joint Ventures: Anzahl Partner, Anzahl Wertschopfungsaktivitaten, Nationalitat des Partners, Richtung der Kooperation innerhalb der Branche, Beteiligungsverhaltnisse, zeitliche Dimension. Die bisher aufgeftihrten Ansatze haben eines gemeinsam.^ Sie verbinden sechs Orientierungen: Personen (Entdeckung und Forderung von Individuen oder Teams, Unterstutzung durch Geschaftsfuhrung, Coaching), Organisation (neue Einheiten, Einbindung von Innovationsprojekten, Geschaftsfelder), Strategic (Innovationskraft, Risikobereitschaft), Finanzen (Investitionsprojekt mit entsprechenden Returns), Prozesse (Gestaltung der Innovations- und Wachstumsprozesse), Kultur (Umgang mit Neuem und Risiko). Diese Vielfalt an Orientierungen wird bei einem weiteren Strukturierungsvorschlag noch deutlicher. Danach lasst sich Corporate Entrepreneurship in die drei Hauptbereiche Strategische Erneuerung, Innovation und Corporate Venturing unterteilen.^^ Letzteres wiederum wieder in eine interne Sicht mit Produkt-, Prozess- und Methodenverbesserungen sowie eine externe Sicht mit CVC, Venture Nurtering, Spin-Off und Joint Venture. Speziell im Rahmen des CVC lassen sich dann sechs Gruppierungen von Unternehmen identifizieren, die jeweils starker strategisch oder fmanziell ausgerichtet sind:'^ Innovatoren, die das eigene Unternehmen durch Beteiligungen an Unternehmen mit neuen Technologien und Produkten weiterentwickeln wollen. Verkaufer, die neue VertriebskanSle fiir ihre Produkte suchen. Beobachter, die durch diese Engagements Einblicke in neue Technologien und Markte erhalten wollen. Erneuerer, die zur eigenen Diversifizierung neue Geschaftsfelder erschlieUen und damit Risikooptimierung betreiben wollen. Entrepreneure, die nicht genutzte Patente suchen und via Ausgrtindungen nutzen wollen. Investoren, die nur finanzielle Ziele mit ihren Investments verfolgen. Weitere Einteilungen nach der Zeitdimension (vollzeitlich vs. teilzeitlich),

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nach der Vertrautheit mit der Technologie und dem Markt, nach den einzelnen Centerkonzepten sowie nach der strategischen Bedeutung und der operationalen Verbundenheit werden in der Literatur ebenfalls vorgenommen, strukturieren aber im wesentlichen die nun bekannten Grundformen neu. Ein weiteres Thema in Zusammenhang mit Corporate Entrepreneurship ist die Etablierung und Ausgestaltung von Griinderbrutkasten bzw. Inkubatoren. Hierzu gibt es ebenfalls eine Reihe von Ausgestaltungsvarianten. Bekannt sind vor allem die Hochschul-Inkubatoren zur Forderung von deren Ausgrtindungen (zum Beispiel die Hohenheimer IBH oder Stuttgarter TTI). Eine bedeutende regionalokonomische Rolle spielen die regionalen Inkubatoren von Stadten/Gemeinden/Landkreisen. Beiden ist gemeinsam, dass sie nicht nur, aber zunehmend, kommerzielle Interessen verfolgen (miissen) und (zumindest zu Beginn) aus offentlichen Quellen gespeist werden. Des Weiteren existieren private Inkubatoren, die klare kommerzielle Interessen haben, dazu aber einer professionellen FUhrung bediirfen, die mit den Gesetzen des VC-Geschaftes vertraut ist. Diese konnen entweder frei tatig sein oder innerhalb bestehender Unternehmen. Zudem konnen sie auch virtuell und damit mehr bedarfsorientiert organisiert sein. Die Erkenntnisse aus der Literatur sowie aus der Unternehmenspraxis lassen sich nun zu Erfolgsvoraussetzungen fur Corporate Entrepreneurship zusammenfassen. Das Unternehmen muss eine klare Strategie mit diesem Engagement verfolgen. Dazu ist eine mittel- bis langfristige Perspektive erforderlich, da die Projekte erst in 5 - 15 Jahren zu einem Erfolg fuhren werden. Dies bedingt eine (kalkulierbare) Risikobereitschaft. Zu Beginn steht die Entdeckung viel versprechender Geschaftsideen und Product Champions, die zu einem Venture Team formiert werden miissen und dann gezielte Untersttitzung zum Auf- und Ausbau ihres Projektes anfordern konnen. In jedem Fall sind die Vorteile junger Unternehmen zu garantieren und mit den Starken des etablierten Unternehmens zu verbinden. Problematisch bei der bisherigen wissenschaftlichen Literatur ist die starke Ausrichtung an Konzepten mit normativem Charakter. Eine theoretische Fundierung, wie sie das organisational Lernen bieten konnte, fehlt zumeist.^^ AUerdings sei kritisch angemerkt, dass diese Ansatze der theoretischen Fundierung entsprechend abstrakt mit der Thematik umgehen und von daher gegenuber der Unternehmenspraxis nur eingeschrankt kommunizierbar sind. 4

Losungen in der Unternehmenspraxis

Wie setzen nun Unternehmen in der Praxis diese Konzepte um? Bei zwei kleineren, empirischen Erhebungen hat sich gezeigt, dass die Unternehmen in der Regel einen klar defmierten Entwicklungsprozess fur neue Projekte verfolgen.^^

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Dieser variiert je nach Unternehmen und Branche, orientiert sich aber am klassischen Muster, welches wie folgt aussieht.^"^ Phase 1: Interne und externe Ideenfindung zur Identifikation und Evaluierung von Ideen mit Geschaftspotenzial. Phase 2: Konzeptentwicklung zur Prazisierung der Idee und Ausarbeitung eines kurzen Ideenkonzepts. Phase 3: Business Plan: Ausarbeitung eines Business Plan zur genaueren Entwicklung des Geschaftsmodells, Identifikation wichtiger Partner, Klarung der Finanzierung und Findung des Venture Teams. Phase 4: Kommerzialisierung mit der eigentlichen Schaffung der neuen Organisation sowie Planung und Durchfuhrung des Markteintritts. Phase 5: Wertschaffung mit der Erzielung des eigentlichen Wertbeitrags flir das investierende Unternehmen. Dieser Phasenprozess wird von einigen Unternehmen auch als Innovationskanal bezeichnet, da zu Beginn hunderte bis tausende Ideen in den Kanal aufbrechen, bis daraus am Ende nur noch wenige am Markt erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen resultieren. Dabei ist entscheidend, dass beim Ubergang von einer Phase zur nSchsten u.a. folgende Punkte definiert und erfiillt werden mUssen: Ziele, Aktivitaten, Kriterien, Meilensteine, Entscheidungen. Hier kommen somit auf das Berichtswesen entsprechende Strukturierungs- und Daueraufgaben zu. In der Folge werden die Corporate Entrepreneurship - Aktivitaten der folgenden Unternehmen jeweils kurz dargestellt und analysiert: SAP AG, Hasso Plattner Venture, Bayer Innovation GmbH, Novartis Venture Fund, BASF AG, Franz Haniel & Cie. GmbH, HTS International GmbH, Harting KGaA, Siemens AG, Vattenfall Europe AG. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die entweder exemplarische Losungen entwickelt haben oder fur eine kurze Falldarstellung Materialien zur Verfiigung gestellt haben. 4.1 SAPAG^^ SAP will seine langfristige Strategic durch IT-Forschungen unterstutzen. Dazu dienen die SAP Research Centers (SRC) und die Campus Based Engineering Centers (CEC). Aufgaben beider in sieben Landern angesiedelten Center ist es, technologische Trends zu studieren, neue Technologien zu entwickeln, deren Wert fur SAP zu bestimmen und diese dann in den Markt einzufuhren. Die Arbeit der Center wird von SAP Research in Walldorf koordiniert. Dazu werden auch die Kontakte zu Kunden und Partner aus Hochschulen und Industrie gepflegt. Zusatzlich zu diesen drei organisatorischen Einheiten existiert SAP Inspire, die Corporate Venturing Gruppe von SAP, die SAP Research zugeordnet ist. SAP Inspire ist dafiir zustandig, interne wie externe Ideen aus Innovationsnetzwerken aufzugreifen, zu stimulieren und dann die dahinter stehenden Unternehmer zu begleiten, damit sie ihre Ideen in erfolgreiche Produkte/Geschafte umwandeln konnen. Dabei fmdet eine Orientierung am Ideenentwicklungs-

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prozess von der Idee und deren Evaluation uber den Business Plan und Prototypen bis zum fertigen Projekt statt, der mit entsprechenden ManagementWerkzeugen unterstutzt wird. Dazu wird auch die allfallige Patentierung sovi^ie der Kontakt zu zentralen SAP-Ressourcen wie Rechtsdienst, Kommunikation und Human Resources unterstutzt. 1st eine Idee dann fiir fortfiihrungswtirdig befunden worden, wird die Realisierungsphase im SAP Inspire Inkubator begleitet. Dazu werden interne finanzielle Ressourcen zur Verfiigung gestellt. Binnen eines Jahres soil der Prototyp entstehen. AnschlieBend wird das Projekt in eine bestehende Business Group integriert oder aber eine neue Business Group gegrlindet. Die zugrunde liegenden Kriterien lauten: Strategischer Fit mit der SAP - Strategie und den SAP - Rahmenbedingungen, technologische Machbarkeit, erfolgreiche Kommerzialisierung zur Generierung der finanziellen Ruckflusse sowie vorhandene / erreichbare Kunden/Zielmarkte. 4.2 Hasso Plattner Venture^^ Corporate Entrepreneurship stellt somit bei SAP nicht nur eine Unternehmensaufgabe dar, sondern ist auch eines der Projekte der SAP-Grtinder, die sich auch personlich als Business Angels und Sponsoren betatigen. Ein Beispiel sind die Hasso Plattner Ventures, die sich zum Ziel gesetzt haben, ,kreative Ideen im Software-Bereich in nachhaltige Geschaftserfolge zu verwandeln'. Daftir wird ein Venture Capital - Fonds mit einem Business Inkubator fiir bis zu 14 Start Ups kombiniert. Dazu zahlen die Bereitstellung der campusartigen Infrastruktur, die Unterstutzung durch Spezialisten, ein Startkapitalstock von 25 Millionen €, weitere Syndikatspartner, die entsprechende IT-Ausstattung und die Integration in ein Netzwerk aus IT-Spezialisten von Unternehmen, Wissenschaft und industrienaher Forschung. Als ,Eintrittskarte' dient eine Bewerbung mit einem Business Plan, denkbaren Partnerschaften sowie Abklarungen der Patentierbarkeit des Produktes. Die Ideen sollen primar aus den Berliner Universitaten, von Max Planck - Oder Fraunhofer - Instituten sowie aus dem HassoPlattnerInstitute kommen. Mit dem Einzug in den Campus beginnt die ca. zweijahrige Start Up Phase, die von der kommerziellen Anwendung, dem Beizug weiterer VCs und den Industriepartnerschaften besteht. Der Austritt soil dann via M&A oder IPO geschehen. 4.3 Bayer Innovation GmbH^^ Im Ansatz vergleichbar zu SAP versucht auch der Bayer - Konzern uber die Bayer Innovation GmbH neue Wachstumsfelder zu erschlieBen. Dazu sollen ebenfalls Ideen mit Venture Capital gefordert. Partner einbezogen, Finanzierung von Bayer zugeflihrt und dann die Idee zur Marktreife gebracht werden. Dazu wird allerdings systematisch vorgegangen: 300 potenzielle Geschaftsfelder wur-

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den bisher auf Potenziale gepruft. Das Vorgehen bestand darin die Markte mit Medizin, Sicherheit, Materialien, Elektronik etc. mit Trends wie BiovertrSglichkeit, Mobilitat, Individualisierung etc. zu korrelieren. Neue GeschSftsfelder, die gezieit ausgebaut werden sollen, sind die Bereiche Medizintechnik und Sicherheitssysteme, flir die auf bestehende, teilweise neu zu kombinierende Kernkompetenzen zuruckgegriffen werden kann. Chancen werden allerdings nicht nur intern gesucht sondern auch extern wahrgenommen, wie entsprechende Akquisitionstatigkeiten belegen. 4.4 NovartisAG^* Einer der erfolgreichen Pioniere des Corporate Entrepreneurship in Europa ist die Novartis AG mit ihren Novartis Venture Funds (NVF). Seit dem Start 1998 wurden fast 140 Unternehmen strategisch, praktisch und finanzieil unterstutzt. Zuruck geht diese Initiative sogar auf das Jahr 1996, als Angestellten, die fusionsbedingt ihre Stellung zu verlieren drohten, damit ein Spin Off erleichtert werden sollte. Ca. die Halfte der Unternehmen besitzt bereits Produkte im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium und einige haben bereits Produkte auf den Markt gebracht. Dies verdeutlicht nochmals die Erfordernis solche Projekte mittel- bis langfristig anzulegen. Novartis stellt eine auf ihre Bedtirfhisse zugeschnittene Business Plan - Struktur fiir interessierte Jungunternehmen zur Verfiigung. Fur den NVF sind dabei die Kompetenz und Erfahrung des Managementteams und die Soliditat des Business Plans/Geschaftsmodells entscheidend. Experten von Novartis selbst stehen den Teams ebenfalls zur Verfiigung. Uber die Projektlaufzeit werden Meilensteine definiert, die schrittweise uberprtift werden und als Basis fur das weitere Vorgehen dienen. Allerdings erfolgt kein zwingendes Festschreiben von formellen Instrumenten, vielmehr erfolgt die Steuerung uber die Mitwirkung in den entsprechenden Boards der Unternehmen. Die Komplexitat des Corporate Entrepreneurship - Geschaft verdeutlicht das Jahr 2005: sechs durchgeflihrte IPOs, die fiir einen entsprechenden Kapitalzustrom und eine positive Liquiditatslage gesorgt haben; ftinf Mergers der Beteiligungsfirmen mit anderen Pharmaunternehmen; und fiinf neue Investments in Start Up - Unternehmen sowie Spin off - und Spin out - Unternehmen. Die Investments sind weltweit verteilt, Schwerpunkte liegen in der Schweiz und an der US-West- und auch Ost-Ktiste. Ein Blick auf das Portfolio zeigt, dass von den bisherigen 137 Engagements 92 mit Schwerpunkt Eigenkapital und 45 mit Fremdkapital bzw. Burgschaften durchgefiihrt wurden. Insgesamt 24 Abschreibungen mussten hingenommen werden, dem stehen 62 Unternehmen, bei denen der NVF noch Teilhaber ist, 11 IPOs, 8 Verkaufe sowie 28 zurlickgezahlte Fremdkapital- und vier laufende Fremdkapitalengagements. Insgesamt werden drei Fonds betrieben: Der Spin Off- Fund (z. Z. 46 Mio. CHF) mit Investment

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V. a. im Bereich weniger als 200 000 CHF und 200 000 - 1 Million CHF, der Start Up - Fund (z. Z. 160 Mio. CHF) mit Schwerpunkten bei 0,2 - 1 Million CHF sowie bis zu 5 Millionen CHF, und der BioVenture Fund (z. Z. 101 Mio. US-$) mit Investments von mehrheitlich 1 - 5 Millionen CHF sowie einzelnen auch dariiber. Die Investments lassen sich nach 8 therapeutischen Anwendungsfeldem sowie nach 11 Technologie-Plattformen ordnen. Zudem sind sie uber die fiinf Phasen der Wirkstoffentwicklung hinweg verteilt, mit Schwerpunkt in der praklinischen sowie den ersten beiden klinischen Phasen. Diese Fakten zeigen auf, dass es fiir den Erfolg solcher Corporate Entrepreneurship - Projekte unerlasslich ist, ein professionelles Portfolio- und Einzelbeteiligungsmanagement einzurichten. Denn die Investitionsentscheidungen werden nach einem klar strukturierten Stufensystem vorgenommen. Pro Jahr sind ca. 800 Anfragen zu bewerten. Insgesamt kommt damit der Berichterstattung uber die einzelnen Unternehmen sowie das Portfolio als Ganzes eine entscheidende Bedeutung zu. Auf die diesbezuglichen Defizite gerade auch deutscher VC-Gesellschaften hat Baumgartner in seiner Dissertation empirisch gestiitzt hingewiesen und Losungswege aufgezeigt.'^ Zum AbschluB daher das Mission Statement des NVF, das als Vorlage flir andere Unternehmen dienen kann: ,The NVF is based on the conviction that economic growth and the creation of new jobs can be achieved in the long run only if new entrepreneurial initiatives develop and promising ideas become business reality. With a venture capital of CHF 175 million and USD 100 million, the Fund supports new business projects that show exemplary entrepreneurial and innovative spirit in fliture-orientied areas, especially in the field of health sciences.'^° 4.5 BASFAG^* Seit 2001 betreibt auch BASF aktiv Corporate Entrepreneurship. Es sollen ebenfalls neue Geschaftsfelder mit uberdurchschnittlichem Wachstumspotenzial identifiziert und eingerichtet werden. Im Rahmen des Corporate Venturing ktimmern sich zwei Tochterunternehmen um diese Aufgabe: Die BASF Future Business GmbH zur Bewertung und ErschlieBung neuer Geschaftsfelder mit Bezug zu den Kernkompetenzen der BASF und damit zur Chemie auf den Gebieten organische Elektronik, Nanotechnologie und Energiemanagement. Ideen kommen aus Marktbeobachtungen sowie Forschung und Marketing/Vertrieb. Die Future Business GmbH wurde mit 100 Mio. € ausgestattet, um die Ideen bis zur Marktreife zu bringen. AnschlieBend werden die Projekte entweder in die BASF integriert Oder als neue Organisation fortgefuhrt bzw. verauBert. Die Future Business GmbH hat wiederum eine sie unterstutzende Tochtergesellschaft, die BASF Venture Capital GmbH, ebenfalls mit 100 Millionen € ausgestattet. Diese erwirbt im Syndikat mit anderen Kapitalgebern Finanzbeteiligungen an den jungen Un-

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ternehmen und gewahrt eine gewisse, aber geringe FUhrungsunterstiitzung. Dadurch sollen sich bietende Technologiechancen genutzt werden. Zudem wird auch in Fonds investiert. Die Investments werden dann durch ein Team aus Naturwissenschaftiern und Finanzspezialisten gesucht, bewertet und begleitet. Das generelle Innovationsmanagement bei BASF ist ebenfalls klar strukturiert. Der gesamte Prozess des Geschaftfeldaufbaus ist anhand von fiinf Phasen standardisiert und jeweiis mit Gates ,geschUtzt': Opportunity Fields, Business Case, Lab Phase, Pilot Phase und Launch. Hierzu wurde von BASF eine Intranet-basierte Software entwickelt, die alle Prozessbeteiligten verbindet. Zudem existieren in den einzelnen Geschaftsfeldern der BASF New Business Development - Einheiten, deren Aufgabe es ist, diesen Phasenprozess umzusetzen. Dazu werden ein Business Gatekeeper, ein Portfolio Gatekeeper und ein Project Gatekeeper aktiv. 4.6 Franz Haniel & Cie. GmbH^^ Bei Haniel lasst sich die Corporate Entrepreneurship - Methodik auf zwei zentrale Instrumente konzentrieren: Den Akquisitions- und Integrationsprozess und den ,Haniel-Filter' zur Beurteilung des strategischen Fits eines Zielunternehmens im Rahmen des Portfoliomanagements und -controllings. Das seit 1756 in Familienbesitz (ca. 500 Gesellschafter) befmdliche Duisburger Unternehmen Haniel mit seinen (zur Zeit noch) sechs Geschaftsfeldern (v. a. Pharma-GrolJhandel. Brand- und Wasserschadensanierung, Bau- und Rohstoffhandel und Recycling, Berufskleidung und Waschraumhygiene, B-to-B - Versandhandel) steht vor der Herausforderung, diese Geschaftsfelder im einzelnen wie auch als Portfolio strategisch weiterzuentwickeln. Unter dem Motto ,So viel Fiihrung wie notig, so viel unternehmerische Freiheit wie mOglich' werden die Einzelgesellschaften dezentral geftihrt, allerdings mit zentralen Fuhrungsinstrumenten. Da Haniel Uber M&A-Aktivitaten weiter wachsen will, wurde 2005 ein einheitlicher, softwareunterstiitzter Prozess fiir Akquisitionen und Integration definiert: Akquisitionsstrategie, strategische Analyse/Erstbewertung Zielunternehmen, indikatives Angebot, Due Dilligence & Signing, kartellrechtliche Prtifung, Integration & Fortschrittscontrolling. Die Erstbewertung des Zielunternehmens erfolgt mittels eines ,Haniel-Filters', der die Kriterien des Portfoliomanagement definiert. Dazu zShlen eine Tatigkeit im Handels- oder Dienstleistungsbereich, das Betreiben eines Systemgeschafts, eine fiihrende Marktposition, die Moglichkeit der unternehmerischen Fiihrung, wenig F&E-Aufsvendungen, autonome Wachstumschancen und eine stabile, wachsende Renditeerwartung. Die Integrationsphase ist dann gekennzeichnet durch ein Zusammenwachsen der Berichterstattung: lose Anbindung durch diese Berichterstattung sowie durch Fiihrungssysteme und Standardisierung der operativen Systeme. Wie diese Umsetzung

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funktioniert, zeigt sich am Fall der Tochtergesellschaft von Haniel, der HTS International GmbH (Berufskleidung, Waschraumhygiene)."^^ Dort wird in einem eher stagnierenden Umfeld eine Wachstums- und Unternehmenswertsteigerungsstrategie (Uber EVA) verfolgt. Diese wird zum einen Uber eine Akquisitions- und Kooperationsstrategie anhand des oben aufgezeigten Prozesses umgesetzt, zum anderen uber eine Innovationsstrategie, bei der die Ideen ebenfalls mit dem Haniel-Filter evaluiert werden. 4.7 Weitere Kurzbeispiele Das Familienunternehmen Harting KGaA^"^, Produzent von u. a. elektrischer Verbindungstechnik, Tabakwaren-Verkaufssystemen, Maschinen- und Mikrotechnologie, hat sich ebenfalls entschieden, Corporate Entrepreneurship umzusetzen, um die Innovationskraft zu steigern. Resultat ist zum einen ein HartingMeilensteinsystem, das den oben gezeigten Phasenmodellen vergleichbar ist. Der Prozess von der Definition der Zielmarkte Uber die Produktdefinition, deren Realisierung bis zur Pflege enthalt weitere Einzelschritte von der Ideenfindung und -bewertung bis zur Serienfertigung. Zudem wurde mit Harting Mitronics (Mikrostrukturtechnik) ein neues Geschaftsfeld via Spin Off erschlossen. Bei Siemens Communications^^ lauft der Innovationsprozess ebenfalls strukturiert ab. Aus den Geschaftsbereichen werden die Ideen und Trends von einem Innovation Board Office nach Innovationsfeldern sortiert und in einer Technology Roadmap abgebildet, in einer Ideenbibliothek gesammelt und bewertet. Diese Vorschlage flieBen dann an das Innovation Board, welches uber die Projekte entscheidet. Die eigentlichen Corporate Venturing - Aktivitaten werden von zwei Tochtergesellschaften der Siemens AG wahrgenommen: Die Siemens Venture Capital GmbH bundelt fiir Siemens die CVC-Aktivitaten der Expansionsphasen und verfiigt uber einen Fonds fiir den Communication Bereich. Die Siemens Acceleration Communication GmbH ist direkt dem Communication Bereich zugeordnet. Diese unterhalt keinen eigenen Fonds, ist zudem fiir die Ideen- und Start Up-Phasen zustandig, verfiigt aber uber ein eigenes Budget. Uber Personalunion ist die Anbindung an das Innovationsmanagement hergestellt. Es werden dabei strategische und finanzielle Ziele verfolgt. Zur Steuerung setzt der Accelerator ein monatliches Portfolio Review Meeting ein, bei denen die Investments strukturiert nach den Kerninhalten eines Business Plans beurteilt werden. Das Energieunternehmen Vattenfall Europe AG^^ schlieBlich hat sich fur ein zentrales Innovationsmanagement entschieden, das von den dezentralen Bereichen operativ unterstiitzt wird. Zudem wurde die Vattenfall Europe Venture GmbH als Tochter der Vattenfall Europe AG fiir die Beteiligungen mit zu-

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standig, die aber auch vom Innovationsmanagement mit gesteuert wurde. Wurde deshalb, weil mangels strategischem Nutzen der VC-Aktivitaten diese Corporate Entrepreneurship - Aktivitaten wieder eingestellt wurden. Im Rahmen einer Neuorientierung wurde dann entschieden, das Innovationsmanagement gezielt nach strategisch wichtigen Themen suchen zu lassen und uber einen defmierten Innovationsprozess standardisiert die Innovationen zu filtern. Dieser Innovationstrichter sieht wie folgt aus: Voranalyse, Detailanalyse, Machbarkeit, Feldtest und Roll-Out. AUerdings mtissen noch organisatorische und rechtliche Fragen geklart werden, bevor Vattenfall wieder ins Corporate Entrepreneurship Geschaft einsteigen kann. Ganz ausgestiegen sind hingegen die DaimlerChrysler AG und die Infinion AG.^^ Beide Unternehmen haben zwar eigene Aktivitaten gestartet und dazu eigene Corporate Venture - Gesellschaften gegrtindet, die auch ein Portfolio an Unternehmen betreut haben. Im Zuge wirtschaftlicher Probleme des jeweiligen Mutterhauses wurde die Unterstutzung fiir die Venture-Einheiten gestrichen. Beide Unternehmen haben ihre Beteiligungen an Cipio Partners verkauft. In Projekten mit der DaimlerChrysler Venture GmbH konnten Studierende der Universitat Hohenheim strategische Analyse des VC-Marktes fur Syndikatspartner durchfuhren, die Beteiligungen nach Kompetenzfeldern neu ordnen sowie eine entsprechende Software ftir die systematische Analyse des Deal Flow auft)auen.^^ Zum Einsatz kamen sie dann leider nicht mehr. 5

Fazit der Praxis-Fallbeispiele

Als Fazit der Analyse dieser Fallbeispiele in Kombination mit den Strukturierungsvorschlagen aus der Literatur konnen folgende Schlussfolgerungen gezogen werden. 1. Die Unternehmen reduzieren die Komplexit^t des Corporate Entrepreneurship - Geschafts auf wenige, standardisierte und allgemeingultige Grundregeln. Dies konnen strukturierte und mit Meilensteilen versehene Innovationsprozesse oder ebenso klar definierte M&A-Prozesse sein. Diese lassen sich softwaregestutzt standardisieren. 2. Die Fuhrung dieser Prozesse obliegt dem zentralen Innovationsmanagement, das hierbei von neu gegriindeten Corporate Venture Einheiten unterstutzt wird. Beide zusammen steuern die operative Umsetzung in den dezentralen Einheiten. 3. Zu diesem Zweck werden neben einer Corporate Venture - Einheit, deren Aufgabe die strategische Fuhrung der Beteiligungen ist, auch eigene Einheiten fiir die Finanzierung bzw. Beteiligungen ins Leben gerufen. 4. Der Innovationsprozess fmdet dabei in Verbindung mit einer Inkubatoren- oder Acceleratorenlosung statt. 5. Die unternehmensspezifische Losung fmdet unter Abwagung interner wie externer sowie strategischer und fmanzieller Dimensionen statt. 6. Die Berichterstattung uber die Aktivitaten und

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Beteiligungen erfolgt zentral uber ein monatliches Reporting sowie den Einsitz in entsprechenden (Aufsichts-)Gremien der Beteiligungsunternehmen. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die vielfaltigen Losungen, die von Wissenschafts- wie Unternehmensseite mittlerweile angeboten werden, sich auf relativ wenige, grundlegende Konzepte und Handiungsempfehlungen verdichten lassen. Ein konsequent gefiihrtes Berichtswesen leistet dabei wertvolle Dienste. Von daher sollten die Ausflihrungen Mut machen, sich vermehrt tiber die Umsetzung von Corporate Entrepreneurship - Konzepten in Unternehmen Gedanken zu machen. Wissenschaft und erfolgreiche Praxisbeispiele haben die dazu erforderHchen Vorarbeiten geleistet, so dass es auf ein individuelles, strategisch durchdachtes Konzept, das konsequent umgesetzt wird, ankommt. Anmerkungen ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^

Vgl. Bleicher, K. (2004). Vgl. Fuglistaller, U. / Fust, A. (2006). Vgl. UBS (2005), S. 20ff. Vgl. Macharzina, K. (1999), S. 569f. Vgl. grundlegend Working Council for Chief Financial Officers (2000). Vgl. Vgl. Cooper, A./Gadson, J./Nielsen, K./Phillips, C. (2001), S. 6ff Vgl. Macharzina, K. (1999), S. 570ff. Vgl. Haid, D. (2004), S. 272ff. in Anlehnung an Nathusius, K. (1979): Venture Management, Berlin, S. 241 sowie 275ff. in Anlehnung an Kutschker, M./Schmid, S. (2002): Internationales Management, Munchen et al. (Joint Ventures). ^ Vgl. dazu auch Frank, H. (2006), S. 23f und Kelly, D. / Neck, H.M. / O'Connor, G.C./Paulson, A. (2005), S.29ff. '^ Vgl. Gaisbauer, H.J. (2006), S. 174ff '^ Vgl. Gaisbauer, H.J. (2006), S. ISlff. unter Bezug auf Machewicz & Partner (2003): Corporate Venture Capital - Window on the World, Munchen sowie Henderson, J./Leleux, B. (2005), S. 77ff. uber eine empirische Untersuchung von sechs Corporate Venture Capital - Programmen. ^^ Vgl. Frank (2006), S. 28. ^^ Vgl. Jarek (2005) und Neubert, C./Kaluza, A./Keinath, S. (2002) sowie grundlegender und breiter abgestutzt Weber, C./Weber, B. (2005), S. 128ff ^^ Vgl. u.a. Albrinck, J./Hornery, J./Kletter, D./Neilson, G. (2001), S. 125. ^^ Vgl. www.sap.com/company/research/..., Zugriff am 06.06.06. ^^ Vgl. Davidson, E. (2005). '^ Vgl. www.bayer-innovation.de/..., Zugriff am 06.06.06.

Corporate Entrepreneurship - Erkenntnisse aus Theorie und Praxis

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^^ Vgl. Novartis Venture Fund (2005) und Jarek, A. (2005), S. 62ff. mit Experteninterview mit dem Executive Director Novartis Venture Fund, Dr. J. Meier. 19 Vgl. Baumgartner, C. (2005). ^^ Novartis Venture Fund (2005), S. 28. ^' Vgl. Jarek, A. (2005), S. 42ff., die dort angegebene BASF-Literatur und das Experteninterview mit dem Geschaftsfuhrer der BASF Venture Capital GmbH, D. Nachtigal. ^^ Vgl. Jarek, A. (2005), S. 48ff., die dort angegebene Haniel-Literatur und das Experteninterview mit dem Prokuristen Bereich Betriebswirtschaft, J. Schwarze. ^^ Vgl. Jarek, A. (2005), S. 54ff., mit Experteninterviev^ mit dem Leiter der Abteilung Innovation Management, Internal Audit & Risk Management der HTS International GmbH, B. Gatzka. 24 Vgl. Jarek, A. (2005), S. 57ff., die dort angegebene Harting-Literatur und das Experteninterview mit dem Vorstand Neue Technologien , Dr. J. Belz und dem Projektmanager Technologie, T. Hartmann. 25 Vgl. Jarek, A. (2005), S. 67ff., die dort angegebene Siemens-Literatur und das Experteninterview mit dem Geschaftsfuhrer der Siemens Acceleration GmbH, Dr. D. Ulmer. 26 Vgl. Jarek, A. (2005), S. 73ff.,die dort angegebene Vattenfall-Literatur und das Experteninterview mit dem Leiter Innovationsmanagement, C. Sagasser 27 Vgl. diverse Presse- und Internetmeldungen, u. a. von Cipio Partners, CMS Hasche Sigle, Daimler Chrysler AG und Infmion AG. 28 Vgl. Neubert, C./Kaluza, A./Keinath, S. (2002); Ehle, N./Hett, C./Kreuder, W./Roth, J. (2002); Ehle, N. (2002). Literaturverzeichnis Albrinck, J./Hornery, J./Kletter, D./Neilson, G. (2001): Adventures in Corporate Venturing, in: strategy + business - The Zealot's Guide to Growth: A Special Double Issue, Issue 2 1 , first quarter 2001, S. 119 - 129. Baumgartner, C. (2005): Portfoliosteuerung von Venture Capital-Gesellschaften, Wiesbaden, 2005. Bleicher, K. (2004), Das Konzept Integriertes Management, 7. Auflage, Frankfurt/Main. Cooper, A./Gadson, J./Nielsen, K./Phillips, C. (2001): Corporate Venturing Gold Mining or Fool's Gold?, Kellog TechVenture Anthology. Davidson, E. (2005): HassoPlattnerVentures, Presentation, Berlin. Elfring, T. (Hrsg., 2005): Corporate Entrepreneurship and Venturing, New York.

26

Muller

Ehle, N. (2002): Deal Flow Analysis Tool flir die Daimler Chrysler Venture GmbH, Seminararbeit, Universitat Hohenheim, Stuttgart. Ehle, N./Hett, C./Kreuder, W./Roth, J. (2002): Strategische Analyse des VCMarktes fiir die Daimler Chrysler Venture GmbH, Seminararbeit, Universitat Hohenheim, Stuttgart. Frank, H. (Hrsg., 2006): Corporate Entrepreneurship, Wien. Frank, H. (2006): Corporate Entrepreneurship: eine Einfuhrung, in: ders. (2006), S. 9 - 3 2 . Fueglistaller, U./Fust, A. (2006), Arbeitspapier 'KMU und Innovation', St. Gallen. Gaisbauer, H.J. (2006): Corporate Venture Capital, in: Franke, H. (Hrsg., 2006); S. 169-192. Haid, D. (2004): Corporate Entrepreneurship im strategischen Management Ansatz zur Implementierung des Unternehmertums im Unternehmen, Wiesbaden. Henderson, J./Leleux, B. (2005): Corporate Venture Capital: Realizing Resource Combinations and Transfers, in: Elfring, T. (Hrsg., 2005), S. 73 - 100. Jarek, A. (2005): Gestaltung und Steuerung von Corporate Entrepreneurship Aktivitaten - Eine Analyse der Strukturen und Prozesse von Best Practise Fallen, Diplomarbeit, Universitat Hohenheim, Stuttgart Kelley, D./Neck, H. M./0'Connor, G. C./Paulson, A. (2005): Corporate Entrepreneurship through Radical Innovation: Key Organization and Initiative Level Mechanisms, in: Elfring, T. (Hrsg., 2005), S. 23 - 48. Macharzina, K. (1999): Unternehmensfuhrung, 3. Auflage, Wiesbaden. Neubert, C./Kaluza, A./Keinath, S. (2002): Strategische Neuausrichtung der Competence Center von Daimler Chrysler Venture, Seminararbeit, Universitat Hohenheim, Stuttgart. Novartis Venture Fund (2005): Activity Report 2005: Fostering Entrepreneurial Initiative in the Life Sciences, Basel. UBS outlook (2005): Unternehmenswachstum planen und realisieren, Zurich. Weber, C./Weber, B. (2005): Corporate Venture Capital Organizations in Germany: A Comparison, in: Eilfring, T. (Hrsg., 2005), S. 127 - 156. Working Council for Chief Financial Officers (2000): Corporate Venture Capital - Managing for Stratagic and Financial Returs, Corporate Executive Board, Washington/London.

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen Werner F. Schulz • Sandra Kirstein*

1 2

Nachhaltigkeit als gesellschaftliche und unternehmerische Herausforderung Studie zum nachhaltigen Wirtschaften in Deutschland 2.1 Untersuchungsmethodik 2.2

Studienergebnisse

3

Handlungsfelder fur die unternehmerische Nachhaltigkeit

4

Fazit und Ausblick

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Prof. Dr. Werner F. Schulz, Dipl. Okonomin Sandra Kirstein, Universitat Hohenheim, Institut fiir Betriebswirtschaftlehre, Lehrstuhl fiir Umweltmanagement, Schloss Osthof-Ost, 70599 Stuttgart.

^8 1

Schulz / Kirstein Nachhaltigkeit als gesellschaftliche und unternehmerische Herausforderung

Nachhaltigkeit ist wesentlich alter, als die heutige Popularitat des Begriffs vermuten lasst. Tatsachlich fiihrt die Geschichte der Nachhaltigkeit zurtick ins barocke Sachsen. In Freiberg entwickelte Oberberghauptmann Carl von Carlowitz um 1700 ein Gegenmodell zum bis dahin praktizierten Raubbau: Um die Ressource Wald auf Dauer zu erhalten, empfahl er, nur so viel Holz zu schlagen, wie durch Wiederaufforstung nachwachsen kann. Von den Zinsen leben Rund 300 Jahre spater hat der Raubbau an den natUrlichen Lebensgrundlagen nicht nachgelassen, sondern globale Dimensionen erreicht. Und so griff die Brundtland-Kommission 1987 das Prinzip Nachhaltigkeit auf, als eine Wirtschaftsweise, die „die Bedurfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass kunftige Generationen ihre eigenen Bedurfnisse nicht befriedigen konnen."^ Die Vereinten Nationen erklarten Nachhaltigkeit auf dem Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro zum Leitbild flir das 21. Jahrhundert.^ Da Armut einer der wesentlichen Grtinde fiir den Raubbau ist, machten sie die globale Armutsbekampfung zum zentralen Bestandteil des Umwelt- und Ressourcenschutzes. In ihrem Konzept wird wirtschaftliches Wachstum und mehr Wohlstand flir alle zum Motor der Zukunftssicherung: „Durch eine Vereinigung von Umwelt- und Entwicklungsinteressen und ihre starkere Beachtung kann es uns jedoch gelingen, die Deckung der Grundbedtirfnisse, die Verbesserung des Lebensstandards aller Menschen, einen groBeren Schutz und eine bessere Bewirtschaftung der Okosysteme und eine gesicherte, gedeihlichere Zukunft zu gewahrleisten."^ Mehr Wohlstandfur alle Seit dem UN-Umweltgipfel von Rio hat das Leitbild einer nachhaltigen Wirtschaftsweise in politische Institutionen und Programme auf alien Ebenen Einzug gehalten, Beispielsweise verpflichtete sich die Weltgemeinschaft in gemeinsamen Abkommen wie den Protokollen von Montreal und Kyoto zum Schutz der Ozonschicht sowie des globalen Klimas und forcierte die Armutsbekampfung mit der Erklarung von Doha, die den am wenigsten entwickelten Landern freien Zugang zu den weltweiten Markten gewahren soil. Wettbewerbsfdhiges Europa Auch die Europaische Union hat die nachhaltige Entwicklung 1997 mit dem Amsterdamer Vertrag zum zentralen Gegenstand der gemeinsamen Politik

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

79

gemacht. Auf dem Goteborg-Gipfel 2001 legte sie unter dem Titel „Nachhaltige Entwicklung in Europa flir eine bessere Welt"^ eine Strategic vor, die die bereits ein Jahr zuvor in Lissabon festgehaltenen strategischen Ziele zur Wirtschaftsund Sozialpolitik um die okologische Dimension erweiterte. In ihrer Strategic benennt die Europaische Kommission den Klima- und Ressourcenschutz sowie den Erhalt von Gesundheit und Mobilitat als zentrale Ansatzpunkte. Gleichzeitig will sie Europa zum „wettbewerbsfahigsten, dynamischsten und wissensbasiertesten Wirtschaftsraum in der Welt" machen. Unter dem Motto „Globale Partnerschaft" beschaftigt sich ein eigener Schwerpunkt mit der externen Dimension der Nachhaltigkeit - der weltweiten Armutsbekampfung. Perspektiven fiir Deutschland Die Umsetzung der europaischen Zielsetzung auf nationaler Ebene konkretisiert die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung unter dem Titel „Perspektiven fur Deutschland".^ Darin bezeichnet die Bundesregierung Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe, die kunftig in alien Bereichen ein Grundprinzip ihrer Politik darstellen soil. Insgcsamt formuliert die Strategic Leitsatze nachhaltigen Handelns fiir die Schwerpunktc Energie, Verkehr, Gesundheitsschutz und Ernahrung, Familie und Alter, Bildung sowie Innovation. Ein eigener Schwerpunkt thematisiert Armutsbekampfung, Entwicklungsforderung und den weltweiten Umwelt- und Ressourcenschutz. An die Adresse der Unternehmen richtet sich die Empfehlung, Nachhaltigkeit als Motor fiir Innovation zu begreifen und sich mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise den Herausforderungen der Globalisierung und des Strukturwandels zu stellen.^ 2

Studie zum nachhaltigen Wirtschaften in Deutschland

Von nachhaltigem Wirtschaften wird viel geredet: Manche Wissenschafller und Unternehmensberatungen meinen einen klaren Trend zu erkennen, die Offentlichkeit fordert es zunehmend ein und die Politik beschwort es als Ausweg aus der Globalisierungsfalle. Zahlreiche VortrSge prominenter Unternehmen und die zunehmende Zahl an Umwelt- und Nachhaltigkeitsberichten erwecken gar oftmals den Eindruck, als ob nachhaltiges Wirtschaften langst im Denken der Manager verankert wMre. Das Team des oekoradar-Verbundprojekts wollte es genauer wissen und beauftragte das ifo Institut flir Wirtschaftsforschung, Munchen, mit einer Studie zum Stand der Entwicklung.^ Insgesamt wurden 5.788 Unternehmen - vornehmlich in Person der Geschaftsfiihrer - danach befragt, inwieweit das Thema nachhaltiges Wirtschaften in der betrieblichen Praxis Fufigefasst hat. Damit unterscheidet sich die vorliegende Studie von vielen bisherigen, denn sie beschrankt sich nicht auf Vorreiterunternehmen in Sachen Nachhaltigkeit,

80

Schuiz / Kirstein

sondern erfasst einen moglichst ausgewogenen Querschnitt der deutschen Wirtschaft. 2.1 Untersuchungsmethodik Um den Grad dieser Nachhaltigkeitsorientierung zu messen und ein aggregiertes Ergebnis prasentieren zu konnen, bildet die Studie anhand des Antwortverhaltens so genannte Typen: „nachhaltigkeitsorientierte", „umweltmanagementorientierte" und „passive" Unternehmen. Dem „nachhaltigkeitsorientierten" Typ gehort ein Unternehmen dann an, wenn es sowohl okologischen als auch sozialen Belangen eindeutig Rechnung tragt. Bei der Interpretation der Befragungsergebnisse gilt zu berticksichtigen, dass es sich um Selbsteinschatzungen der befragten Personen handelt. Unterschiedliche Ergebnisse batten zu Tage treten konnen, wenn sich die Befragung an andere Anspruchsgruppen gewandt hatte - wie etwa die Behorden, Kunden des Unternehmens oder Umweltorganisationen. Eine gewisse Einschrankung ergibt sich auch daraus, dass die Studie keine zusatzlichen Wirkungsanalysen auf der Mikroebene durchgefiihrt hat, die Aufschluss dartiber batten geben konnen, welche MaBnahmen tatsachlich zu einer starkeren Verankerung von okologischen und sozialen Belangen im Unternehmen gefiihrt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, von „Nachhaltigkeitsorientierung" zu sprechen. Vermieden werden sollte stattdessen eine Einteilung in „nachhaltige" und „nicht nachhaltige" Unternehmen - insbesondere im Hinblick auf UnternehmensgroBen, regionale Verteilung und Branchen. Der vorliegende Beitrag stellt vier ausgewahlte zentraie Ergebnisse der Studie vor.^ 2.2 Studienergebnisse Trend.Ol - Immer mehr Unternehmen orientieren sich an Nachhaltigkeit Auf die Frage nach dem Thema Nachhaltigkeit gibt uber ein Drittel der in der Studie erfassten Unternehmen an, sich bereits mehrfach damit beschaftigt zu haben, das Leitbild in konkrete Ziele umzusetzen und MaBnahmen dazu zu erarbeiten. Ein Viertel der Befragten hat dabei den klassischen Umweltschutz im Blick. Zwar verhalt sich die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland noch weitgehend passiv. 58 Prozent der Befragten gehen aber davon aus, dass die Zukunft mehr Engagement von ihnen fordern und die Bedeutung sozialer und okologischer Verantwortung steigen wird. Gefragt danach, was eine starkere Nachhaltigkeitsorientierung hemmt, geben die Unternehmen den Mangel an Kostenvorteilen und eine schwierige Finanzsitua-

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen tion an. Weitere Griinde sind: zu wenig Informationen, geringes Bewusstsein bei Kunden sowie Verbrauchern und unzureichende staatliche Zielvorgaben und Rahmensetzungen. 70^ 58

605040 -

^1 H ^H ^H ^1 H H 33

3020 -

10A -

^H

6

^^^^1

^^^^H

^^^^H

wird zunehmen

wird unverandert bleiben

wird abnehmen

Abbildung 1:

3 MH^^B wei6 nicht

Einschatzung der sozialen und okologischen Verantwortung von Unternehmen (in Prozent) Quelle: Schulz, W. F. et al. (2002), S. 6.

Aus den Ergebnissen in Abbildung 1 wird unmittelbar ersichtlich, dass die befragten Unternehmen tiberwiegend von einer Zunahme der Relevanz sozialer sowie okologischer Verantwortung ausgehen. Die hohe Sensibilisierung der deutschen Wirtschaft - lediglich sechs Prozent der Unternehmen glauben, dass das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung verlieren wird - iSsst jedoch eine dynamische Entwicklung erwarten, sofern das offentliche Interesse zunimmt, der Staat entsprechende Anreizstrukturen schafft und der wettbewerbsbedingte Innovationsdruck zunimmt. Trend.02 - Nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen sind erfolgreicher Dass fikologische Effizienz, soziale Kompetenz und 5konomischer Erfolg eng miteinander verzahnt sind und positiv aufeinander riickwirken, beweist die gute Wettbewerbsposltion nachhaltigkeitsorientierter Unternehmen. Unternehmen, die wesentliche Elemente nachhaltigen Wirtschaftens in ihre betriebliche Praxis aufgenommen haben, bewerten ihre wirtschaftliche Entwick-

82

Schulz / Kirstein

lung in den letzten Jahren mehrheitlich positiv. Weniger ausgepragt ist die Zufriedenheit bei Unternehmen, die sich eher am klassischen Umweltmanagement orientieren. Zu einer negativen Bewertung kommen vor allem solche Betriebe, die sich bisher weder mit okologischen noch mit sozialen Aspekten befasst haben.

nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen umweltmanagementorientierte Unternehmen passive Unternehmen

Abbildung 2:

positiv

zufriedenstellend

unbefriedigend

41,1

30,9

27,6

30,9

26,3

25,3

18,8

34,2

60,1

Umsatzentwicklung in den letzten 2 Jahren (in Prozent) Quelle: Schulz, W. F. et al. (2002), S. 7.

Noch deutlicher als in Abbildung 2 fallen die Unterschiede aus, wenn die Unternehmen ihre Position im Wettbewerb bewerten. Wahrend passive Unternehmen ihre Wettbewerbssituationen in den Jahren 2000 und 2001 zu 52 Prozent als unbefriedigend einschatzen, teilen unter den nachhaltigkeitsorientierten Unternehmen lediglich 18 Prozent diese Sicht. ^H^Hj^HH /j'T Q passive Unternehmen

J ^ ^ • ^ ^ 1

umweltmanagementorientierte Unternehmen

|27,6

nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen

|41,6

()

Abbildung 3:

A'^ O

^ ^ 3 0 ^ ^

5

10

15

20

25

30 35 40 45 50 Dverbessert Bverschlechtert

Einschatzung der Wettbewerbssituation Quelle: Schulz, W. F. et al. (2002), S. 7.

Die Wettbewerbs- und Innovationsfahigkeit zu verbessern, ist demzufolge auch das starkste Motiv, Umweltschutz und Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Gefragt nach den Grunden flir ihr Engagement, bezeichnen insbesondere die kleinen und mittleren unter den bereits aktiven Unternehmen es

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

83_

als sehr wichtig, Innovationspotenziale auszuschopfen, neue Geschaftsfelder zu erschlieUen und langfristig Kostenvorteile realisieren zu kOnnen. Trend.03 - Umweltintensive Brachen sind nachhaltigkeitsaktiver Nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen finden sich Uberdurchschnittlich haufig in umweltintensiven Branchen: Ein relativ hoher Grad an Nachhaltigkeitsorientierung zeigt sich in den Branchen Metallerzeugung und -bearbeitung, Maschinenbau, Chemie, Glas, Keramik, Steine und Erden, Papier. Passives Verhalten kennzeichnen demgegeniiber die stark zergliederten Wirtschaftszweige wie die Baubranche sowie das Verlags- und Druckgewerbe.

Abbildung 4:

Nachhaitigkeitsorientierung nach Branchen (in Prozent) Quelle: Schulz, W. F. et al. (2002), S. 8.

Diese Verteilung spiegelt offensichtlich den seit Jahren hohen 5ffentlichen Druck, die gesetzlichen Regelungen und preispolitischen Signale, die sich in den Geschaftspraktiken der Unternehmen niedergeschlagen haben, wider. Demzufolge geben nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen uberdurchschnittlich oft an, bei Investitionsentscheidungen Energie- und Rohstoffpreise wie auch umweltrelevante Gebtihren mit einzubeziehen.

Schulz / Kirstein

84 Trend.04 - Umweltmanagement aus Reputationsgrunden

Mit gezielten Umweltprogrammen und Umweltaudits die Effizienz der Prozesse zu steigern senkt nicht nur die Kosten, sondern hebt auch das Ansehen in der Offentlichkeit - noch aber machen sich diesen Wettbewerbsvorteil nur einzelne Branchen zunutze. Metallerzeugnisse

• • l ^ ^ i ^ ^ i i 13,0

Qas, Keramik, Steine und Erden

{ ^ • • • ^ • H 11,4

Maschinenbau Metallerzeugung und- bearbeitung



Emahrung



5,4

|4,9

Papier Verlag und Druck

8,7

••6,0

Gummi und Kunststoff

••12,2

Holz • 0,5

(3 Abbildung 5:

2

4

6

?

10

12

14

Anwendung der ISO 14001 im Branchenvergleich (in Prozent) Quelle: Schulz, W. F. et al. (2002), S. 17.

Auf Basis einer reprasentativ angelegten Untersuchung haben Eberl/Schwaiger (2004) den Zusammenhang zwischen der Ubernahme gesellschaftlicher Verantwortung und der Untemehmensreputation untersucht. Indem drei annahrend gleich grol3e Subsamples in Deutschland, GroBbritannien und den USA gebildet wurden, konnten rund 6.900 Datensatze zu Verantwortungs- und Reputationsurteilen von sieben Unternehmen verschiedener Branchen generiert werden. Wesentliches Ergebnis der Studie ist die Feststellung, dass die Ubernahme gesellschaftlicher Verantwortung ftir Unternehmen eine Moglichkeit darstellt, um ihre Reputation zu erhohen. Aufgrund der positiven Folgen, die mit einer guten Reputation verbunden sind, kann die Verantwortungsubernahme sowie deren Wirkung auf relevante Stakeholder auch im finanziellen Interesse des Unternehmens sein.^ Die Offentlichkeit fordert von den Unternehmen zunehmend eine transparente und offene Berichterstattung. Konkrete Anforderungen an die unternehmerische Berichterstattung hat die Global Reporting Initiative (GRI) als Leitlinien formuliert.^^

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

85

Einen Leitfaden zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten, der sich vor allem an mittlere Unternehmen richtet, hat das Institut ftir okologische Wirtschaftsforschung (10W) veroffentlicht.^' 3

Handlungsfelder fiir die unternehmerische Nachhaltigkeit

Auch wenn sich bislang vor allem groBe Konzerne beim Thema Nachhaltigkeit hervortun und vielfach der Eindruck entsteht, dass Nachhaltigkeit insbesondere eine Strategic der verantwortlichen Internationalisierung sei, sind kleine und mittlere Unternehmen doch ebenso gefordert. Was die Wirtschaftszeitung „Businessweek" als „the famous Mittelstand" bezeichnet, ist ein Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft: Die rund 3,3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen stehen fur 57 Prozent der Bruttowertschopfung, ebnen 80 Prozent der Lehrlinge den Weg in eine berufliche Zukunft, schaffen fiir 20 Millionen Menschen - 70 Prozent der Erwerbstatigen - Arbeitsplatze und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der sozialen Sicherungssysteme. Gleichzeitig zeigen sich kleine sowie mittlere Unternehmen als ausgesprochen innovationsfreudig und ubernehmen bei Entwicklung wie Einfuhrung neuer und effizienterer Technologien und Dienstleistungen Schrittmacherfunktionen. Damit bildet der Mittelstand in Deutschland nicht nur die tragende Saule der Wirtschaft- als zentraler okonomischer und sozialer Akteur ist er gleichzeitig ein v^ichtiger Partner fiir die nachhaltige Entwicklung und kann einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Stabilitat und Zukunft der Gesellschaft zu sichern. Win-win-Potenziale erschliefien Dies erfordert von Unternehmen, sich strategisch am Leitbild der Nachhaltigkeit auszurichten - also soziale und okologische Belange in die okonomische Wertschopfiing zu integrieren und alle drei Aspekte langfristig gemeinsam zu optimieren. Die Potenziale einer solchen Win-win-Strategie machen sich bisher vor allem groBe bSrsennotierte Unternehmen zu Nutze. Und dass sie damit 5konomisch erfolgreich sind, zeigt beispielsweise der Dow Jones Sustainability Group World Index, ein Wertpapierindex, der nur solche Unternehmen listet, die in ihrer Branche MaBstabe im Sinne der nachhaltigen Unternehmensftihrung setzen. In seinem zeitlichen Verlauf zeigt sich der „nachhaltige" Bruder des Dow Jones zum Beispiel stabiler als der MSCI World Index und erzielt eine hohere Rendite. Intern und extern Akzeptanz schaffen Doch auch die nicht borsennotierten Unternehmen tun sich auf dem Kapitalmarkt einen Gefallen, wenn sie nach dem Prinzip „people, planet, profit"

86

Schulz / Kirstein

agieren. Denn bei der Vergabe von Krediten oder beim Versicherungsschutz kommt es ihnen entscheidend zugute, wenn sie ihre Umweltrisiken und -kosten mindern. Die Finanzwirtschaft weiB zunehmend zu schatzen, dass sozial orientierte Betriebe, dank ihrer groBeren Nahe zu Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft, aktuelle Entwicklungen schneller antizipieren und das darin liegende Innovationspotenzial besser in Wettbewerbsvorteile umsetzen konnen. Auf dem Personalmarkt baut eine nachhaltige Unternehmenskultur ebenfalls Hurden ab. Denn Betriebe, die Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz praktizieren, ihre Mitarbeiter und deren Fahigkeiten entwickeln und sie an den Prozessen beteiligen, erhohen nicht nur deren Identifikation und Motivation, sondem verfiigen auch uber Vorteile im Wettbewerb um die klugsten Kopfe. Indem sie sich am Leitbild Nachhaltigkeit orientieren, kommen Unternehmen aber nicht nur internen Forderungen nach, vielmehr bereiten sie sich auf den Wandel der externen Bedingungen angemessen vor. So erklart die Europaische Union, etw^a im Griinbuch zur integrierten Produktpolitik, langfristig umw^eltgerechte Produkte zur Grundlage eines neuen europaischen Wachstumsparadigmas und setzt darauf, dass Unternehmen ihre soziale Verantwortung als Mitblirger wahrnehmen. Mit der Zahl nachhaltigkeitsorientierter Unternehmen wird der Druck auf Geschaftspartner, Zulieferer und ganze Branchen steigen, dem Beispiel zu folgen und eine sozial gerechte sowie okologisch vertragliche Betriebspraxis nachzuweisen. Zentraler Faktor: langfristiges Denken Dass gerade der Mittelstand in einem zentralen Punkt der Nachhaltigkeit - dem langfristigen Denken - beste Voraussetzungen aufweist, zeigt eine Umfrage des Instituts flir Mittelstandsforschung: Wahrend die Vorstande groBer Konzerne eher dazu neigen, ihre Renditeerwartungen in Quartalen zu bemessen, denken die Lenker mittlerer und kleinerer Betriebe eher in Jahren und Jahrzehnten; so erklaren neun von zehn: „als Unternehmer habe ich langfristige Ziele." 4

Fazit und Ausblick

Die Studie macht deutlich, dass es erheblicher Anstrengungen bedarf, um in den deutschen Unternehmen eine signifikant nachhaltigere Wirtschaftsweise zu verankern. Doch nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Politik und Wissenschaft sind herausgefordert, Handlungsfelder zu defmieren und auszubauen, um Nachhaltigkeit sowohl auf der volkswirtschaftlichen als auch auf der unternehmerischen Ebene voranzubringen.

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

87

Handlungsempfehlungenfur die Politik Eine hohe Signalwirkung lieBe sich erzielen, wenn die fiir die Bundesregierung erstellte Wirtschaftsberichterstattung („Wirtschaften heute") mit einer Nachhaltigkeitsberichterstattung („Wirtschaften tibermorgen") verzahnt wiirde, urn fiir okonomisches, okologisches und soziales Handeln eine Langfristperspektive aufzuzeigen. So sollte das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen schon friihzeitig mit einem Nachhaltigkeitsgutachten abgestimmt werden, das von unabhangigen „Nachhaltigkeitsweisen" unter der Federflihrung des „Green Cabinets" (StaatssekretSrsausschuss fiir Nachhaltige Entwicklung) sowie mit Unterstiitzung des Rats fiir Nachhaltige Entwicklung erstellt wird. Beide Berichte sollten uberdies zeitgleich und medienwirksam an die Bundesregierung tibergeben werden. Die in diesen Gutachten abgegebenen Handlungsempfehlungen sollten vor allem auch darauf hinwirken, die volkswirtschaftlichen Zielsetzungen nachhaltigen Wirtschaftens fiir kleine und mittlere Unternehmen zu operationalisieren - beispielsweise durch Empfehlungen, wie proaktives Handeln von Unternehmen durch fiskalische und regulative Erleichterungen motiviert werden kann. AuBerdem sollten gegentiber der Politik Strategien aufgezeigt werden, wie sich die Wechselwirkung zwischen einer nachhaltigeren Produktionsweise und einem nachhaltigeren Konsum verstarken lasst. Handlungsempfehlungenfur die Wirtschaft Die Einrichtungen der Wirtschaft sollten ihren Mitgliedern die Wettbewerbschancen einer nachhaltigkeitsorientierten Unternehmensfiihrung deutlich machen und damit den Herausforderungen der Wissensgesellschaft offen begegnen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Politik sollten branchenspezifische Ansatze erarbeitet werden, die tiber klar definierte Zielsetzungen systematisch zu implementieren waren. Angesichts der mangelnden Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen auf der Ebene kleiner und mittlerer Unternehmen gilt es vor allem, deren breitenwirksame Umsetzung sicherzustellen. Im Ubrigen ware ein Appell fiir die Umsetzung proaktiver Umwelt- und Sozialstandards im internationalen MaCstab bzw. bei Auslandsdirektinvestitionen wiinschenswert, um der besonderen Verantwortung von Unternehmen in Zeiten der fortschreitenden Globalisierung Rechnung zu tragen. Handlungsempfehlungenfur die Wissenschaft Die Wissenschaft sollte einen wesentlichen Beitrag zur Konkretisierung des Leitbilds Nachhaltigkeit vor allem hinsichtlich des Mittelstands leisten. Die Entwicklung von Indikatorensystemen und das Aufzeigen praxisgerechter Handlungsoptionen kleiner und mittlerer Unternehmen ware dabei besonders

Schulz / Kirstein hilfreich - vor allem, wenn die Spannbreite zwischen nachhaltigem Wirtschaften heute und morgen bedacht wurde. Zum Einen sollten die bereits heute in Unternehmen praktizierten guten Beispiele ausgewertet, systematisiert und in einer Form kommuniziert werden, dass sie breitenwirksam als Richtschnur dienen konnen. Zum Zweiten sollte flir das, was nachhaltiges Wirtschaften morgen bedeuten kann, ein effizienterer Transfer von Ergebnissen der Grundlagenforschung (z.B. im Bereich der Ressourceneffizienz) in die Praxis, besonders auch der mittelstandischen Wirtschaft, stattfmden. Wie dieser Transferprozess unter technologischen, okonomischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu vereinfachen und zu beschleunigen ist, sollte verstarkt zum Gegenstand der Forschung und von Dialogprogrammen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik werden. Anmerkungen ' ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^

Hauff,V.(1989), S.46. Vgl. Burschel, C./Losen, D./Wiendl, A. (2004), S. 22 ff. Bundesministerium/Umweltbundesamt (1992), S. 4. Vgl. Kommission der europaischen Gemeinschaften (2001). Vgl. Bundesregierung (2006). Vgl. Ebd., S. 1 ff. Vgl. Schulz, W. F. et al. (2002). Interessierte fmden die komplette Studie als Download im Internet unter www.oekoradar.de. ^ Vgl. Eberl, M./Schwaiger, M. (2004), S. 8 ff. '^ Vgl. www.globalreporting.org. ^' Vgl. www.ioew.de. Literaturverzeichnis Bundesministerium/Umweltbundesamt (1992): Agenda 21 - Konferenz der Vereinten Nationen fiir Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Online unter: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/ pdf/agenda21.pdf, pdf-document, zugegriffen am 03.03.2006. Bundesregierung (2006): Perspektiven ftir Deutschland. Unsere Strategic fur eine nachhaltige Entwicklung. Online unter: http://www.bundesregierung.de/ Anlage587386/pdf_datei.pdf, pdf-document, zugegriffen am 03.03.2006. Burschel, C./Losen, D./Wiendl, A. (2004): Betriebswirtschaftslehre der Nachhaltigen Unternehmung, Munchen/Wien. Eberl, M./Schwaiger, M. (2004): Die wahrgenommene Ubernahme gesellschaftlicher Verantwortung als Determinante unternehmerischer Einstellungsziele -

Nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen

S9_

Ein internationaler kausalanalytischer Modellvergleich. Online unter: http://www.imm.bwl.uni-muenchen.de/dmdocuments/20040719%20AP% 2020.pdf, pdf-document, zugegriffen am 11.02.2006 urn 14.12 Uhr. Hauff, V. (1989): Unsere gemeinsame Zukunft - Der Brundtiand-Bericht der Weltkommission flir Umwelt und Entwicklung, Greven. Kommission der europaischen Gemeinschaften (2001): Nachhaltige Entwicklung in Europa fur eine bessere Welt: Strategie der Europaischen Union fiir die nachhaltige Entwicklung. Online unter: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/ cnc/2001/com2001_0264de01 .pdf, pdf-document, zugegriffen am 03.03.2006. Schulz, W. F./GeBner, C./Sprenger, R.-U./Rave, T. (2002): Nachhaltiges Wirtschaften in Deutschland: Erfahrungen, Trends und Potenziale. Broschure. Witten: Deutsches Kompetenzzentrum fur Nachhaltiges Wirtschaften an der Privaten Universitat Witten/Herdecke gGmbH, ifo Institut fiir Wirtschaftsforschung.

Konzeption und operative Anwendung von Teilaspekten der Unternehmensfiihrung und -organisation

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnungals anwendungsbezogenes Instrument wertorientierter Unternehmensfiihrung Jurgen Banzhaf • Yvonne Feyrer**

1

Bedeutung und Wandel des Shareholder Value

2

Kundenwert im Rahmen der wertorientierten Unternehmensfiihrung

3

Kundenwert auf andere kundenbezogene Konstrukte

4

Aufbau und Komponenten der Kundendeckungsbeitragsrechnung

5

Strategische Interpretation der Kundendeckungsbeitrage

6

Resumee

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Dr. Jurgen Banzhaf, Universitat Hohenheim, Institut flir Betriebswirtschaftslehre, Fachgebiet Didaktik der Betriebswirtschaftslehre, Schloss Osthof-Nord, 70599 Stuttgart. ** Dipl. oec. Yvonne Feyrer, Schober Information Services GmbH, 71254 Ditzingen.

94 1

Banzhaf/Feyrer Bedeutung und Wandel des Shareholder Value

Der Begriff des Shareholder Value steht zwischenzeitlich seit uber zwei Jahrzehnten im Mittelpunkt der Diskussion urn die Unternehmensftihrung. Ausgehend von der strategischen Ausrichtung US-amerikanischer Unternehmen am Shareholder Value ubernahmen nach und nach auch namhafte deutsche Unternehmen dieses Konzept.' Unter dem Shareholder Value versteht man den Wert, den ein Unternehmen aus der Perspektive seiner Eigentiimer, im Falle von Aktiengesellschaften also der Aktionare, besitzt. Dieser Wert bringt die Fahigkeit eines Unternehmens zum Ausdruck, in Zukunft die finanziellen Ansprliche der Anteilseigner gegentiber dem Unternehmen zu befriedigen und somit aus Eigentiimersicht Nutzen zu generieren.^ Folglich ist der Nutzen der Eigentumer der zentrale OrientierungsmaBstab fiir das Handeln der Unternehmensfuhrung und der anderen Mitarbeiter, an dem sich demgemaB alle strategischen und operativen MaBnahmen messen lassen mtissen. In den vergangenen Jahren wurden mit dem Shareholder Value-Prinzip oftmals negative Schlagzeilen in Verbindung gebracht, da er als eine kurzfristige Maximierung des Aktienkurses eines Unternehmens aufgefasst wurde, was vielfach mit hohen Vergiitungen mittels Aktienoptionsprogrammen der Verantwortlichen einherging. Zudem wurde er mit Stellenabbau und Kostenreduktion in Verbindung gebracht. Mittlerweile hat sich die Auffassung hinsichtlich der Maximierung des Shareholder Value glucklicherweise gewandelt. Heute wird unter wertorientierter Unternehmensftihrung eine Ausrichtung des unternehmerischen Handelns an der nachhaltigen Steigerung des fundamentalen Unternehmenswertes verstanden. Es geht nicht mehr darum, kurzfristige Ergebnisprognosen der Kapitalmarkte zu ubertreffen, sondern um die Identifikation und Umsetzung geeigneter wertorientierter Strategien und MaBnahmen in alien Bereichen eines Unternehmens."^ 2

Kundenwert im Rahmen der wertorientierten Unternehmensfiihrung

Die Kunden bzw. Kundenbeziehungen eines Unternehmens stellen immaterielle Vermogensgegenstande dar, die den Wert eines Unternehmens zum Teil maCgeblich bestimmen."* Aus dieser Akzeptanz des Kunden als Vermogensgegenstand ergibt sich die Notwendigkeit eines Kundenwertmanagements einhergehend mit einer Bestimmung des Kundenwerts. Dem Kunden kommt demnach der Stellenwert eines originaren Werttreibers zu, der professionell gemanaged werden muss, um den Shareholder Value zu steigern.^

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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Als ein entscheidender Bestandteil des Shareholder Value ist daher die kundenorientierte Wertsteigerung anzusehen. Ihr Ziel ist es, die originaren Bedtirfnisse der Kunden moglichst optimal zu beriicksichtigen und zu befriedigen. D. h. es soil der Nutzen aus der Perspektive des Kunden durch die angebotene Marktleistung gesteigert werden, so dass daraus langfristig eine Erfolgspartnerschaft mit gemeinsamer Wertsteigerung resultiert. Hierzu ist es notwendig, fiir den Kunden einen Beitrag zu leisten, der es diesem ermoglicht, den Erfolg auf seinen eigenen Markten zu steigern. Voraussetzung hierfur ist, die Ertrags- sowie Kostentreiber aus Sicht des Kunden zu erkennen und in seinem Sinne zu beeinflussen. Aus Shareholder Value Sicht ist es jedoch nicht zielfuhrend, alle Kunden gleichermaBen zufrieden zu stellen und an das Unternehmen zu binden. Kundenorientierung kann kein Selbstzweck sein, sondern ihr vorrangiges Ziel besteht darin, diejenigen Kundenbeziehungen zu pflegen und zu fordern, die angemessene monetare Riickflusse erwarten lassen. Notwendig sind rentable Kunden. Rentable Kunden sind zu gewinnen und langfristig zu halten, unrentable Kunden mtissen zu rentablen gemacht werden oder sie sind aufzugeben. Die Rentabilitat von Kunden hat zwei Seiten: Umsatz und Kosten. Kunden erbringen Umsatz und verursachen Kosten, weswegen sich die zunehmende Kundenorientierung in der Erfolgsmessung widerspiegeln muss. In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des Kundenwerts von Bedeutung, denn die differenzierte Analyse der Erfolgsbeitrage der Kunden bringt wertvolle Erkenntnisse fiir die Aufteilung der knappen Ressourcen. Jedoch ist die Messung des Kundenwerts anhand von kundenorientierten Erfolgsrechnungen in der praktischen Anwendung mit einigen Problemen behaftet und auch ihr Einsatz erfolgt teilweise nicht systemadaquat. 3

Kundenwert auf andere kundenbezogene Konstrukte

Bei der Auseinandersetzung mit dem Kundenwert trifft man in der einschlagigen Literatur auf weitere kundenbezogene Konstrukte wie Kundennahe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Ausgehend von der Kundennahe, durch die die Aufmerksamkeit eines Kunden auf ein Produkt oder eine Leistung des Unternehmens gelenkt werden soil, kann das Interesse des Kunden geweckt werden. Gelingt es einem Unternehmen, entsprechend den Wunschen seiner Kunden zu handeln, so entsteht Kundenzufriedenheit. Diese ist wiederum die Voraussetzung zur Kundenbindung. Durch die Kundenbindung wird ein Wert fur den Kunden und fiir das Unternehmen geschaffen, woraus letztendlich der Kundenwert resultiert. Die Kundenbindung ist die dynamische Komponente, die auf den Potenzialwert des Kunden abstellt. Dieser entspringt dem Shareholder Value Konzept,

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Banzhaf/Feyrer

das auf den Barwert zuktinftiger Kundenwerte abhebt. Bin Kundenwert, der nur auf die aktuelle Bedeutung einzelner Kunden abstellt, greift zu kurz, weil er das Potenzial fiir eine erweiterte Abschopfung bestehender Kundenbeziehungen auBer Acht lasst. Abbildung 1 zeigt die Kundenkonstrukte Kundennahe, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, die in der Reihenfolge ihrer Nennung als Voraussetzung fiir ein erfolgreiches Kundenmanagement gelten, als Erios- und Kostentreiber des Kundenwerts.

Abbildung 1:

Erklarungsmodell des Kundenwerts^

Der Kundenwert setzt sich, wie in Abbildung 2 wiedergegeben, aus monetaren und nicht-monetaren Beitragen zur Zielerreichung eines Unternehmens zusammen. Der Wert des Kunden flir das Unternehmen umfasst ftir die Zeitdauer der Kundenbeziehung daher auch zu erwartende erfolgswirksame Elemente, wie Image, Kooperationsvorteile, potenzielle Wiederholungskaufe, Cross-SellingPotenzial, positive Mund-zu-Mund-Werbung etc. Bei Beendigung einer Geschaftsbeziehung entsprechen die Beitrage des Kunden den EinbuBen, die ein Unternehmen durch den Abbruch der Kundenbeziehung erleidet. Zu priifen ist daher, welche Kosten durch die Belieferung und Betreuung eines bestimmten Kunden entstehen und welche Kosten somit entfallen, wenn der Kundenkontakt entfallt.

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

Abbildung 2: 4

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Determinanten des Kundenwerts

Aufbau und Komponenten der Kundendeckungsbeitragsrechnung

Die Kundendeckungsbeitragsrechnung ist eine Erfolgsrechnung mit dem Ziel, auf Basis von Deckungsbeitragen eine Kundensegmentierung durchzufuhren. Durch die ausschlieCliche Abstutzung auf das Kriterium Deckungsbeitrag ist sie als Kundensegmentierungsverfahren zu den eindimensionalen Ansatzen zu rechnen. Da Kunden einzeln bewertet werden und damit nicht gemeinsam Gegenstand der Beurteilung sind, handelt es sich zudem um eine individuelle Typisierung. Verfahren auf Basis eines Kriteriums sind in der praktischen Anwendung von Vorteil, da sie in der Kegel auf direkt verfligbaren Daten des Rechnungswesens, wie z. B. Umsatz oder Deckungsbeitrag aufbauen und zudem einfach handhabbar sind. Voraussetzung der Anwendung von quantitativen, eindimensionalen Verfahren, zu denen bspw. auch der Customer-Lifetime-Value-Ansatz zahlt, ist eine zweckneutrale Grundrechnung. Unter Riickgriff auf multidimensionale Datenbanken sind derartige Grundrechnungen unproblematisch durchzufuhren, so dass der Kunde als Kalkulationsobjekt zunehmend zum Standard des internen Rechnungswesens avanciert.'^

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Banzhaf/Feyrer

Grundprinzip der Berechnung des Kundendeckungsbeitrags ist der Kunde als BezugsgroBe fur die Zurechnung der Kosten. Die Ausgestaltung der Kundendeckungsbeitragsrechnung ist grundsatzlich abhangig von der zugrunde gelegten Kategorisierung der Kosten. Zum einen kann nach fixen und variablen Kosten und zum anderen nach Einzel- und Gemeinkosten unterschieden werden. Wahrend variable Kosten beschaftigungsabhangig sind, andern sich fixe Kosten nicht mit der Beschaftigung und fallen daher unabhangig von der Ausbringungsmenge immer in gleicher Hohe an. Die Unterscheidung nach Einzel- und Gemeinkosten erfolgt generell nach der Zurechenbarkeit der Kosten zu einer bestimmten BezugsgroBe des betrieblichen Produktionszusammenhangs. Einzelkosten konnen einer BezugsgroBe direkt und einzein zugerechnet werden. Sie entstehen also unmittelbar ersichtlich flir die nachste Einheit dieser GroBe zusatzlich. Gemeinkosten konnen dagegen nur indirekt per Schlusselung auf die jeweilige BezugsgroBe weiterverrechnet werden. Die Schlusselung erfolgt dabei iiber wert- oder volumenabhangige Zuschlagsbasen. Die Gemeinkosten werden dadurch als prozentualer Zuschlag auf die Einzelkosten verrechnet. Die Problematik bei der Verrechnung der Gemeinkosten besteht allgemein darin, dass sie in der Kegel anhand des Tragfahigkeitsprinzips erfolgt. Beim Tragfahigkeitsprinzip dienen zum Beispiel die erzielten Produkterlose als Verteilungsschlussel. Einem Produkt, mit dem ein hoher Erlos erzielt wird, wird ein groBer Kostenanteil zugeordnet und einem Produkt mit niedrigem Erlos wird ein entsprechend geringerer Kostenblock angelastet. Eine derartige Kostenverteilung beinhaltet einerseits eine Willkur der Kostenschlusselung und macht die Kostenzurechnung andererseits von externen Faktoren abhangig. Die unterstellte Proportionalitat zwischen der Zuschlagsbasis und der Ressourceninanspruchnahme stellt ein weiteres Problem dar. Kunden fordern unterschiedliche Leistungen, die zu verschieden hohen Kosten flihren. Auch dieser Aspekt erscheint daher im Zusammenhang mit Kunden nicht akzeptabel, da auch er Fehlentscheidungen bedingt. Die jeweilige Methode der Kostenzurechnung beeinflusst die Aussagekraft des Kundendeckungsbeitrags. Entsprechend lassen sich Kundendeckungsbeitragsrechnungen danach untergliedern, wie die einzelnen Kosten, die sich durch kundenbezogene Aktivitaten ergeben, zugerechnet werden. Bei einstufigen Verfahren, wie dem so genannten Direct Costing, werden die fixen Kosten von der Verrechnung auf die einzelnen Kostentrager ausgeschlossen und dem Kunden nur variable Kosten direkt zugerechnet.^ Diese Vorgehensweise erscheint jedoch zur Ermittlung und Beurteilung des Kundenwerts aufgrund des Trennkriteriums variable und fixe Kosten als nicht geeignet. SchlieBlich ist allein die Variabilitat der Kosten kein Hinweis dafur, dass nur variable Kosten zugerechnet werden

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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und Fixkosten, die einem Kunden eindeutig und ggf. schlusselungsfrei zugeordnet werden konnen, bei der Betrachtung auBen vor bleiben. Ein groBer Teil kundenspezifischer Kosten bleibt somit unberticksichtigt, wie beispielsweise das Gehalt eines Key-Account-Managers, der fur einen GroBkunden tatig ist. An dieser Stelle setzt die so genannte Fixkostendeckungsrechnung an. Bei ihr wird der Fixkostenblock weiter aufgespalten und den verschiedenen Bezugsebenen zugerechnet, wodurch sich hierarchisch gestufte Kundendeckungsbeitrage ergeben. LSsst man die Variabilitat der Kosten auBer Acht und zielt stattdessen auf die Art der Kostenverrechnung ab, so fiihrt dies zur Kundendeckungsbeitragsrechnung auf Basis von Einzel- und Gemeinkosten. Diese Berechnung erfolgt in der einschlagigen Literatur ubiicherweise in Anlehnung an das Konzept der relativen Einzelkosten nach Riebel. GemaB Riebel fuBt die Kosten- und Erloszuordnung auf dem Identitatsprinzip. Dieses besagt, dass einem Bezugsobjekt nur solche Kosten und Erl5se zugeordnet werden, die auf denselben dispositiven Ursprung zuruckgehen wie das Objekt selbst.^ Die Qualifizierung als ,relativ' ergibt sich daraus, dass die Zurechenbarkeit von Kosten und Erlosen letztlich grundsHtzlich vom betrachteten Bezugsobjekt abhangig und deshalb tatsachlich relativ ist.'^ Im Rahmen der Kundendeckungsbeitragsrechnung sind danach dem jeweiligen Kunden nur die Kosten und Erlose zuzurechnen, die auf der Entscheidungsebene Kunde beeinflussbar sind, d. h. sie sind auf dieseibe Entscheidung zuriickzuftihren wie das Bezugsobjekt Kunde selbst. Die verbleibenden Kosten und Erl5se, die nach dem Identitatsprinzip keinem Bezugsobjekt zugeordnet werden kSnnen, stellen Gemeinkosten oder -erlose dar. Von einer Schlusselung dieser Kosten auf die BezugsgrSBen wird abgesehen. Um den Verzicht der pauschalierten Schlusselung der Kosten konsequent verwirklichen zu konnen, ist die Aufteilung des Unternehmens in Kostenstellen und Kostentrager zu erweitern. Zur Strukturierung der kundenbezogenen Kosten sind weitere sachlich und zeitlich abgrenzbare Entscheidungsobjekte zu definieren, denen Geld- oder MengengroBen zugerechnet werden konnen. Durch die Einfuhrung derartiger Objekte, wie z. B. Kunden und Auftrage kann letztlich ein erheblich groBerer Teil der urspriinglichen Gemeinkosten als relative Einzelkosten eines Kalkulationsobjektes ausgewiesen werden. Wie in Abbildung 3 veranschaulicht, werden zur kundenspezifischen Kostenerfassung die Kosten auf Produktebene den entsprechenden Kundenauftragen und diese wiederum dem einzelnen Kunden zugeordnet. Auf der Kundenebene selbst entstehen beispielsweise Kosten durch Kundenbesuche oder Kundendienst, Sonderanfertigungen oder umfangreichere Servicewunsche.

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Abbildung 3:

Banzhaf / Feyrer

Hierarchische Ordnung der Kosten zu den jeweiligen BezugsgroBen'^

Zur stufenweisen Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags, wie in Abbildung 4 dargestellt, werden von den Bruttoerlosen in einem ersten Schritt die kundenbezogenen Erlosschmalerungen abgezogen. Fortan sind all die Einzelkosten abzuziehen, die der Frage als Prufkriterium standhalten, welche Kosten durch die Existenz bzw. Belieferung eines Kunden anfallen und welche Kosten folglich nicht mehr entstehen, wenn dieser Kunde nicht beliefert wird. Diese Abzugspositionen konnen auch eine Reihe „sprungfixer Kosten" enthalten, wie bspw. Au13endienstkosten. Als geringste nicht mehr teilbare Einheit sind hier die Bruttolohnkosten eines AuBendienstmitarbeiters anzusehen. Es wird bei deren Verrechnung unterstellt, dass diese Kosten im Rahmen der normalen Fluktuation Oder Freistellung abgebaut und dadurch an eine Veranderung des Kundenverhaltens Oder -stammes angepasst werden konnen. Im Anschluss an die Verrechnung kundenspezifischer Kostenpositionen, werden vom Kundendeckungsbeitrag IV noch Kostenpositionen abgezogen, die konzeptionell als problematisch einzustufen sind. Dies ist der Fall, da hier Kosten zugerechnet werden, die nicht eindeutig auf einen einzelnen Kunden zuriickzufiihren sind. Gerechtfertigt wird diese

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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Abweichung von der strengen Abgrenzung der Kundeneinzelkosten nach Riebel dadurch, dass versucht wird, Kosten, die im Wesentlichen einen kundenbezogenen Gemeinkostencharakter aufweisen, mittels geeigneter BezugsgrOfien so zu verrechnen, dass eine moglichst kundenspezifische Zuordnung auch dieser Kosten erreicht wird. Der Grund fiir diese Vorgehensweise liegt darin, dass die Anwendung der Deckungsbeitragsrechnung mittels relativer Einzelkosten unter strenger Befolgung des Identitatsprinzips zu wenig aussagefUhigen KundendeckungsbeitrSgen flihrt, sofern der Anteil an Kundengemeinkosten an den Gesamtkosten relativ hoch ist. So dtirften gemaB dem Identitatsprinzip beispielsweise Kosten eines VerkSufers, der fiir mehrere Kunden verantwortlich ist, nicht einem einzelnen Kunden als Einzelkosten zugerechnet werden. Diese Kundengemeinkosten stehen allerdings in sehr engem Zusammenhang mit der beim Kunden erbrachten Leistung und sind fur die Aufrechterhaltung der Kundebeziehung notwendig. Um zu vermeiden, dass umfassende Gemeinkosten nicht bzw. nur pauschaliert in das Kalkul einbezogen werden, bietet die Prozesskostenrechnung neue Moglichkeiten. Eine verbesserte, da aussagef^higere Kundendeckungsbeitragsrechnung auf Basis der Prozesskostenrechnung setzt voraus, dass statt der sonst tiblichen produktbezogenen Prozesse einzelne kundenorientierte BezugsgroBen verwendet werden. Diesbezugliche Potenziale werden in den Unternehmen, obwohl vielfach prozessbezogene Informationen vorhanden sind, noch kaum genutzt. Als nicht sinnvoll, da nicht verursachungsgerecht, zurechenbare Kosten im Sinne der Kundendeckungsbeitragsrechnung bleiben am Schluss im Wesentlichen • •

nationale WerbemaBnahmen, die bei Fortfall eines Kunden ungeschmSlert weiter durchgefiihrt werden allgemeine Verwaltungskosten, wie Kosten der Personalabteilung, internes und externes Rechnungswesen, Planung- und Kontrolle, GeschSftsfiihrung etc.

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Abbildung 4:

Banzhaf/Feyrer

Beispielhaftes Ermittlungsschema einer Kundendeckungsbeitragsrechnung

Mit Hilfe einer derart aufgebauten Kundendeckungsbeitragsrechnung kann der Beitrag jedes Kunden zum Unternehmenserfolg und damit zur Wertschopfung ermittelt werden. Die Mehrstufigkeit der Kundendeckungsbeitragsrechnung und damit die Anzahl der Deckungsbeitragsstufen ist abhangig von der Heterogenitat des Kundenstamms vor dem Hintergrund der jeweiligen Branche, der das Unternehmen angehort. Einerseits variiert das Verhaltnis von Akquisitions- und Pflegekosten in Abhangigkeit von der Branche zum Teil erheblich. In Branchen mit einem nur geringen Anteil an Wiederkaufern, die bspw. der Gebrauchtwagenmarkt, sind Kosten der Kundenpflege eher sinnlos und daher verhaltnismaBig unbedeutend. Andererseits kann sich die relative Bedeutung von Altkunden mit der Entwicklung einer Branche verandern. Aus diesen genannten Griinden weist nicht jede kundenbezogene Deckungsbeitragsrechnung identische Ermittlungsstufen auf. Vielmehr erfordem unterschiedliche Unternehmen mit verschiedenen Produkten ein an die Unternehmenssituation und an den Kundenstamm ange-

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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passtes Ermittlungsschema. Im Einzelnen ergibt sich auf jeder Berechnungsstufe ein Deckungsbeitrag als Differenz zwischen den bis zu dieser Ermittlungsebene erfassten ErlOse und Kosten. Die abgestuften KundendeckungsbeitrSge ermoglichen eine kundenindividuelle Profitabilitatsbetrachtung auf der jeweiligen Ebene. Dadurch kann gepriift werden, ob und in wie weit bspw. zu niedrige Absatzpreise, zu hohe EriSsschmalerungen oder zu hohe Marketing- und Vertriebskosten fiir die Unwirtschaftlichkeit verantwortlich sind. Betrachtet man die Kosten bzw. Erl5se, die ailein durch die Existenz oder die Belieferung anfallen, so lasst sich analysieren, welche Kosten und Erlose entfallen, wenn der jeweilige Kunde aus dem Kundenstamm genommen wird oder wenn ihm andersartige Lieferkonditionen angeboten werden. Der Kundendeckungsbeitrag gibt uberdies im Falle der Auseinandersetzung mit den Marketing- und Vertriebskosten an, ob diese Kosten eines Kunden im Vergleich mit der etwaigen Abnahmemenge des Kunden zu umfangreich sind. Zum einen lassen sich dadurch Rtickschlusse auf das AusmaB der zukunftigen Kundenbetreuung Ziehen. Zum anderen kann man auf diese Weise verschiedene Kunden hinsichtlich ihres Betreuungsaufwands vergleichen und es wird gezeigt, bei welchen Kunden die Betreuung zu kostenintensiv ist. Letztlich lasst sich durch diese Analyse der Kosten der Betreuung des Kunden ableiten, welche MalJnahmen fiir welchen Kunden lohnenswert sind. Auf dieser Basis konnen Kundenprioritaten nach dem Potenzial der Kunden vergeben werden. Steigt dadurch das Auftragsvolumen der profitableren Kunden via Kundenbindung bzw. sinken die Kosten der weniger profitablen Kunden, so zieht dies langfristig eine Steigerung der Shareholder Value im Einklang mit dem Wert des Kundenstamms nach sich. 5

Strategische Interpretation der Kundendeckungsbeitrage

Die gangige Meinung, dass umsatzstarke Kunden auch immer einen hohen Kundendeckungsbeitrag aufweisen und damit zwangsweise rentabel sind, ist nicht generell haltbar. Vielmehr fordern sie, da sie groBe Mengen abnehmen, auch hohe Erlosschmalerungen und einen umfangreichen Aufwand an Marketing- und Vertriebsleistungen. Die aufwendige Betreuung durch AuBendienstbesuche oder SchulungsmaBnahmen zehrt bei derartigen Kunden oftmals die Kundendeckungsbeitrage auf. Von einer grundsatzlich positiven Korrelation zwischen Umsatz und Rentabilitat kann daher nicht ausgegangen werden.^^ In langfristiger Sicht lassen sich jedoch bei diesen Kunden unter Umstanden umfangreiche Marketing- und Betreuungskosten dadurch rechtfertigen, dass die kundenspezifischen Serviceleistungen im Zeitablauf abnehmen oder dass ein erhebliches Potenzial an Wiederverkaufen oder Cross-Selling besteht.

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Banzhaf/Feyrer

Die im Rahmen der Kundendeckungsbeitragsrechnung gewonnenen Informationen sind grundsatzlich flir das Kundenmanagement von erheblicher Bedeutung, da es an der aufgezeigten Differenzierung der Kunden anhand ihres Erfolgsbeitrages - dem Kundenwert - ansetzen kann, urn die Differenzierung des Ressourceneinsatzes zur Erfiillung der Kundenwtinsche festzulegen. Die Deckungsbeitrage auf den einzeinen Ebenen dienen der Identifikation von zukunftigen Wertsteigerungspotenzialen. Hierbei fiihrt die Mehrstufigkeit zu einer groBeren Transparenz bezuglich der verschiedenen Erfolgsquellen und ermoglicht iiberdies eine Vielzahl an vy^eiteren Nutzungsmoglichkeiten. Hinsichtlich der Produktund Sortimentspolitik lassen sich durch die kundenindividuelle Sortimentsgestaltung Nachfrageverbunde aufdecken. Sollen einzelne Produkte aus dem Programm eliminiert werden, so sind diese Verbunde unbedingt zu beachten urn Fehlentscheidungen zu vermeiden. Der Ausweis der ErlSsschmalerungen, zeigt im Rahmen der Preis- bzw. Konditionenpolitik deutlich, wenn umsatzstarke Kunden nur geringe Deckungsbeitrage aufweisen, was auf eine Uberprtifung des Konditionensystems hinweisen kann. Weiterhin ermoglicht die Kundendeckungsbeitragsanalyse einzelne Kunden zu Absatzkanalen zusammen zu fassen. Die daraus gewonnenen Informationen konnen bei der Gestaltung der Distributionspolitik eingesetzt werden. Eine Kundendeckungsbeitragsrechnung kann auBerdem auch als Grundiage von Vertriebsanreizsystemen fiir die AuBendienstmitarbeiter fungieren. SchlieBlich lassen sich mittels Kundendeckungsbeitrag auch knappe Mittel der Kommunikationspolitik auf die erfolgstrachtigen Kunden verteilen. Bei all diesen Vorteilen diirfen aber nicht die inharenten Gefahren iibersehen werden. Insbesondere darf man nicht der Versuchung erliegen, fur jeden einzeinen Rechnungsempfanger eine Kundendeckungsbeitragsrechnung zu erstellen. Unter Shareholder Value-Gesichtspunkten erscheint dies nicht sinnvoll, da es nahezu unmoglich ist, tausende von Deckungsbeitragsrechnungen auszuwerten und in kundenspezifische Aktionen umzusetzen. Es empfiehlt sich daher, Kundendeckungsbeitragsrechnungen nur fur jene Kunden bzw. Kundengruppen zu erstellen, bei denen wesentliche Entscheidungen mit deutlich individuellem Gestaltungsrahmen moglich sind. Ahnliches gilt fiir die Unternehmensebenen, flir die zur Entscheidungsfmdung Kundendeckungsbeitragsrechnungen bereitgestellt werden. Hierbei darf die Balance zwischen einer moglichen Informationsuberflutung, dem potenziellen Erkenntniswert und der vorhandenen Umsetzungskompetenz nicht aus den Augen verloren werden. Zu beachten ist bei der Interpretation der Informationen aus der Kundendeckungsbeitragsrechnung auBerdem, dass bei den EinflussgroBen auf den Kundendeckungsbeitrag, wie z. B. preisstrategische Entscheidungen, Konditionenpolitik, Sortimentsfestlegung, Logistikkonzept, AuBendienstorganisation und Mar-

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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ketingmaBnahmen grundsatzlich kaum kurzfristige bzw. unterjahrige reaktive Steuerungen moglich sind.^^ Die Kundendeckungsbeitragsrechnung ist daher als langfristig strategisches Planungsinstrument anzusehen. Der Versuch der Umsetzung von Erkenntnissen aus der Kundendeckungsbeitragsrechnung wie bspw. die Identifizierung deckungsbeitragsschwacher Segmente und die Konsequenz der Eliminierung eines Kunden oder die Verlagerung der Absatzbemuhungen auf andere Zielgruppen ist kurzfristig im Ubrigen auch nicht sinnvoll. Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist hierbei zu hoch, da grundsStzlich die langfristigen und nicht-monetaren Konsequenzen derartiger Entscheidungen geprtift werden miissen, Mogliche Schw^chen der Kundendeckungsbeitragsrechnung liegen zum einem in den ausschlieClich vergangenheitsbezogenen Informationen begrtindet. Das Risiko, dass Kunden beispielsweise abwandern kSnnen, wird nicht betrachtet. Zum anderen konzentriert sich die Kundendeckungsbeitragsrechnung auf abgegrenzte Perioden. Ein Beispiel sind hohe Akquisitionskosten zu Beginn einer Kundenbeziehung. Wird die Beziehung nur deshalb aufgelost, weil sie in den Anfangsperioden negative KundendeckungsbeitrSge aufweist, so eliminiert das Unternehmen einen Kunden, der erst in der Zukunft erhebliche Deckungsbeitrage aufweist. Um den in der statischen Betrachtungsweise liegenden SchwSchen zu begegnen, ist eine periodenUbergreifende Betrachtung des Kundendeckungsbeitragspotenzials notwendig. Das Kundendeckungsbeitragspotenzial entspricht der Summe aus dem gegenwartigen Deckungsbeitrag sowie den fur die Zukunft prognostizierten Deckungsbeitragen. Durch die Prognose der zukunftig erreichbaren Kundenumsatze und die zukiinftige Kostenentwicklung der Geschaftsbeziehung, wird das Entwicklungspotenzial des Kunden berucksichtigt. Ein weiterer Ansatz, der ebenfalls auf die Dynamisierung der kundenbezogenen Erfolgsrechnung abzielt und deshalb auf Elemente der dynamischen Investitionsrechnung zurtickgreift, steilt der Customer-Lifetime-Value dar. 6

Resiimee

Die Analyse von Kundenwerten ist fiir ein Unternehmen immer dann sinnvoll, wenn die ErfolgsbeitrSge der Kunden durch eine erhebliche Heterogenitat gekennzeichnet sind. Die Vorteile der Kundendeckungsbeitragsrechnung als diesbeztigliches Analyseinstrument liegen insbesondere darin begrundet, dass die zur Erstellung benotigten Daten in der Kegel einfach verfligbar sind. Des Weiteren handelt es sich bei ihr um ein handhabbares Instrument der Kundensegmentierung, welches aber trotzdem differenzierte Aussagen hinsichtlich des Erfolgsbeitrages der Kunden und damit zur Differenzierung der RessourceneinsStze im Sinne der Shareholder Value-Steigerung zulasst. Vor diesem Hintergrund ist es

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Banzhaf/Feyrer

verwunderlich, dass sich die Kundendeckungsbeitragsrechnung in der unternehmerischen Praxis noch immer nicht endgultig als strategisches Analyse- und Steuerungsinstrument durchgesetzt hat. Dies gilt insbesondere, da der Kunde zwischenzeitlich als wichtiger Werttreiber allgemein anerkannt und damit das kundenwertorientierte Handeln mit der ubergeordneten Unternehmensstrategie - der Shareholder Value Steigerung - in Einklang zu bringen ist. Anmerkungen ^ Vgl. u. a. Rappaport, A. (1995), S. Iff; Copeland, T./Koller, T./Murrin, J. (2000), S. 28ff. ^ Entsprechend aufiert sich Eberhardt, S. (1998), S. 115. ^ Vgl. Kuhnle, H./Banzhaf, J. (2006), S. 20f. ^ Vgl. Schroeder, N. (2006), S. 47. ^ Vgl. Eberling, G. (2002), S. 47. ^ In Anlehnung an Krafft, M. (2002), S. 49; Friedrichs-Schmidt, S. (2003), S. 20. ^ Vgl. Krafft, M.(1997), S. 9; Diller, H./Cornelsen, J./Ambrosius, T. (1997), S. 28ff. ^ Vgl. u. a. Reichmann, T. (2001), S. 135f ^Vgl.Riebel,P. (1983), S. S.22. '^ Vgl. Ewert, R./Wagenhofer, A. (2005), S. 702. ^^ Modifiziert nach Homburg, C./Daum, D. (1997), S. 86; Knobel, U. (1995), S. 8. ^^ Vgl. Cooper, R./Kaplan, S. (1991), S. 93. ^^Vgl. Haag,J. (1992), S. 31. Literaturverzeichnis Cooper, R./Kaplan, S. (1991): Activity-Based Costing: Ressourcenmanagement at it's best, in: Harvard Manager, S. 87-128. Copeland, T./Koller, T./Murrin, J. (2000): Unternehmenswert: Methoden und Strategien fiir eine wertorientierte Unternehmensfuhrung, Frankfurt am Main [et. al.]. Diller, H./Cornelsen, J./Ambrosius, T. (1997): Kundenerfolgsrechnungen in der Investitionsgtiterindustrie: Theorie und Ergebnisse einer empirischen Studie, Arbeitspapier Nr. 61, Universitat Erlangen-Nurnberg. Eberhardt, S. (1998): Wertorientierte Unternehmungsfuhrung: Der modifizierte Stakeholder-Value-Ansatz, Wiesbaden. Eberling, G. (2002): Kundenwertmanagement: Konzept zur wertorientierten Analyse und Gestaltung von Kundenbeziehungen, Wiesbaden.

Kundensegmentierung mittels Kundendeckungsbeitragsrechnung

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Ewert, R./Wagenhofer, A. (2005): Interne Unternehmensrechnung, Berlin [u. a.]. Friedrichs-Schmidt, S. (2003): Wertorientierte Kundensegmentierung: State of the Art und Praxisbeispiele, Munchen. Haag, J. (1992): Kundendeckungsbeitragsrechnungen: Ein Prufstein des KeyAccount-Managements, in: Die Betriebswirtschaft, S. 25-39. Homburg, C./Daum, D. (1997): Marktorientiertes Kostenmanagement: Kosteneffizienz und Kundennahe verbinden, Frankfurt a. M. Knobel, U. (1995): Was kostet ein Kunde? Kundenorientiertes Prozesskostenmanagement, in: Kostenrechnungspraxis, S. 7-13. Krafft, M.(1997): Kundenzufriedenheit und Kundenwert: Ergebnisse der gleichnamigen Studie der VDI-Gesellschaft Entwicklung, Konstruktion, Vertrieb (VDI-EKV) und von CEO, Dtisseldorf Krafft, M. (2002): Kundenbindung und Kundenwert, Heidelberg. Kuhnle, H./Banzhaf, J. (2006): Finanzkommunikation unter IFRS: Grundlagen, Ziele und Gestaltung, Mtinchen. Rappaport, A. (1995): Shareholder Value: Wertsteigerung als MaBstab fiir die Unternehmensfiihrung, Stuttgart. Reichmann, T. (2001): Controlling mit Kennzahlen und Managementberichten, Munchen. Riebel, P. (1983): Thesen zur Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, in: Chmielewicz, K. (Hrsg.): Entwicklungslinien der Kosten- und Erlosrechnung, Stuttgart. Schroeder, N. (2006): Kundenwert als zentrale Gr5Be zur wertorientierten Unternehmenssteuerung, Hamburg.

Ein Mehrzielansatz zur Optimierung des Ressourceneinsatzes im Rahmen der Kursplanung Walter Habenicht • Martin Josef Geiger • Wolf Wenger*

1

Einleitung

2 2.1 2.2 2.3

Ein Mehrzielansatz fur die Seminarthemenvergabe Darstellung der Problemstellung Formulierung eines quantitativen Modells Ein heuristisches Verfahren zur Losung der Problemstellung

3.1

Ergebnisse Numerische Experimente

3 3.2 4

Entscheidungsunterstiitzung in der Praxis Zusammenfassung und Ausblick

Anmerkungen Literaturverzeichnis

Prof. Dr. Walter Habenicht, Dr. Martin Josef Geiger, Dipl. oec. Wolf Wenger, Universitat Hohenheim, Institut fur Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl fiir Industriebetriebslehre, Schloss Osthof-Nord, 70599 Stuttgart.

110 1

Habenicht / Geiger / Wenger Einleitung

Die Organisation und Durchfuhrung von Lehrveranstaltungen stellt eine wiederkehrende Planungsaufgabe mit zahlreichen praktischen Anwendungen im universitaren Umfeld sowie im kommerziellen Bildungsbereich dar. Eine wesentliche EinflussgroBe sind hierbei insbesondere die Teilnehmer, welche zur Losung der Problematik auf knappe Ressourcen zugeteilt werden mussen. Wahrend sich die in diesem Zusammenhang bekannte Problemstellung des Timetabiings' lediglich mit der Planung des zeitlichen Ablaufs vor dem Hintergrund moglicher Terminkonflikte zeitlich paralleler Veranstaltungen beschaftigt, treten bei genauer Betrachtung der Interessen der teilnehmenden Akteure vermehrt individuelle Praferenzen auf, die bei der Problemlosung Berucksichtigung fmden sollten. Derartige Praferenzen bestehen beispielsweise flir bestimmte Veranstaltungstermine oder aber bestimmte Lehrinhalte bzw. den Lernenden ubertragenen Fragestellungen. Auf der anderen Seite hingegen sind die Plane auch auf die Anforderungen der eingesetzten Ressourcen abzustimmen. So konnen personelle Ressourcen Praferenzen bezUglich der Durchflihrung bestimmter Lehrveranstaltungen bzw. der Betreuung bestimmter Teilnehmer aufweisen. Ein weiterer relevanter Aspekt stellt eine oftmals anzustrebende gleichmaBige Auslastung der Ressourcen dar. Neben den bereits erwahnten kommerziellen Seminaranbietern, welche grundsatzlich auf Kundenwtinsche eingehen mussen, ist eine zunehmende Relevanz entsprechender Planungsprobleme auch fur universitare Einrichtungen zu beobachten.^ Es kann vermutet werden, dass vor dem Hintergrund der Umstrukturierung der Studienorganisation hin zu Bachelor-ZMaster-Studiengangen und der zunehmenden Modularisierung der Studieninhalte die Planungskomplexitat von Lehrveranstaltungen zunehmen wird. Hierdurch entsteht die Notwendigkeit einer bestmoglichen Losung entsprechender Kursplanungsprobleme, weshalb der Einsatz eines automatisierten Planungskonzeptes sinnvoll erscheint. Quantitative Methoden bieten in diesem Kontext die Moglichkeit, auch komplexe Planungsprobleme unter Beriicksichtigung mehrerer Aspekte zu losen. Hierzu bieten sich Ansatze der multikriteriellen Entscheidungstheorie und Optimierung an, welche die Problemlosung unter der Existenz multipler, konfliktarer Zielsetzungen erlauben bzw. den Entscheidungstrager in der Losung unterstutzen.^ Der Artikel formuliert einen Mehrzielansatz fiir die Losung des Kursplanungsproblems unter multikriteriellen Gesichtspunkten, welcher die Optimierung personell individueller Praferenzen wie auch die Auslastung der fiir die

Ein Mehrzielansatz zur Optimierung des Ressourceneinsatzes

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Durchfiihrung der Kurse eingesetzten Ressourcen erlaubt. Im anschlielJenden Abschnitt 2 erfolgen hierzu zunSchst eine Eingrenzung der Problematik, welche der konkreten Situation des Lehrstuhls flir Industriebetriebslehre der Universitat Hohenheim entnommen ist, die Formulierung eines quantitativen Optimierungsmodells, sowie die Vorstellung eines heuristischen Planungsalgorithmus zur Losung der Problemstellung. Abschnitt 3 widmet sich der quantitativen Untersuchung des Ansatzes. Ergebnisse der Organisation von Seminarveranstaltungen in der universitSren Lehre werden vorgestellt, und die Leistungsfahigkeit des Ansatzes zur Entscheidungsunterstutzung wird aufgezeigt und diskutiert. Abschnitt 4 fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Entwicklungsrichtungen. 2

Ein Mehrzielansatz fiir die Seminarthemenvergabe

2.1 Darstellung der Problemstellung Im Zuge der universitaren Lehre werden vom Lehrstuhl fiir Industriebetriebslehre ein bis zwei Seminare je Semester organisiert und durchgeftihrt. Hierbei werden wissenschaftliche Themen an Studierende vergeben, welche zum Bestehen der Lehrveranstaltung eine schriftliche Ausarbeitung zur Begutachtung einreichen mussen. Entsprechend werden unterschiedliche Themenstellungen angeboten, wobei ein Thema von genau einem wissenschaftlichen Mitarbeiter betreut wird. Die Zuordnung der Studierenden zu den angebotenen Themen ist in diesem Prozess die zentrale zu losende Problematik. Wahrend bislang die Vergabe der Themen nach dem First-come-first-servedPrinzip vorgenommen wurde, fiihrte diese Vorgehensweise zu Situationen in denen einzelne, sich spat anmeldende Studierende bei der Themenvergabe nachrangig berucksichtigt wurden, wobei die zeitlichen Differenzen zwischen dem Eingang der Anmeldungen oft nur wenige Sekunden betrugen. Dementsprechend konnten individuelle Themenpraferenzen nur ftir wenige Studierende Berucksichtigung fmden. Geht man davon aus, dass die Motivation der Bearbeitung einer Thematik mit dem individuellen Interesse an der Fragestellung korreliert, so fiihrt dies zu einer partiell unbefriedigenden Situation flir die Teilnehmer. Untersuchungen zeigen zudem, dass die Moglichkeit der Praferenzartikulation und deren Berucksichtigung im Vergabeprozess von Studierenden als tiberaus wiinschenswert eingeschatzt wird."^ Wahrend weitere Problemstellungen einer optimalen Ressourcenallokation in der Literatur diskutiert werden,^ sind ahnliche Ansatze flir Vergabeverfahren in der Kursplanung insbesondere unter dem Begriff des Faculty-course-assignmentProblems bekannt geworden.^ Hierbei werden teilweise auch multikriterielle

Habenicht / Geiger / Wenger

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Aspekte beriicksichtigt,^ wenngleich weniger haufig. Eine der Situation des Lehrstuhls fiir Industriebetriebslehre der Universitat Hohenheim entsprechende Modellierung und Losung der Fragestellung ist bislang jedoch nicht in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert. 2.2 Formulierung eines quantitativen Modells Der zur Losung des Kursplanungsproblems vorgeschlagene quantitative Ansatz erlaubt die Artikulation individueller Praferenzen der Studierenden durch Vergabe von nichtnegativen Gewichten Wj je Thema j , wodurch die relativen Unterschiede der einzelnen Themen zueinander ausgedrtickt werden konnen. Die einzelnen Praferenzwerte Wj werden vor Vergabe der Themen von alien A^Teilnehmern flir alle M Themen gesammelt. Im Anschluss erfolgt die Vergabe der Themen durch Festlegung der Entscheidungsvariablen x^^, wobei Xy = 1 falls Teilnehmer / auf Thema y zugeordnet wird und Xy =0 sonst. Die Optimierung der Zuordnung verfolgt dann die Maximierung des Gesamtnutzens, dargestellt in Ausdruck (1). A^

max UTILITY =

M

Yy^U^U

(1)

/=1 7=1

Neben dem mit der Themenvergabe verbundenen Gesamtnutzen der Teilnehmer wird eine moglichst gleichmafiige Arbeitsbelastung der an der Lehrveranstaltung beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeiter angestrebt. Ausdruck (2) formuliert hierzu eine Zielfunktion, welche die Differenz der relativen Arbeitsbelastungen misst. Hierbei sind jedem der Betreuer Bj^ aus der Menge aller Betreuer B = {Bi,...,Bf^} ein oder mehrere Themen zugeordnet, wobei die Anzahl der betreuten Themen je Betreuer variieren kann. Die Berechnung der relativen Arbeitsbelastung in Ausdruck (2) beriicksichtigt diesen Umstand explizit. S\ min IMBALANCE^ max B.eB

y

b^

-mm

(2)

B,EB\

Die Maximierung des Gesamtnutzens und die Minimierung der Differenz der Arbeitsbelastungen erfolgt respektive einer Menge an Restriktionen, gegeben in

Ein Mehrzielansatz zur Optimierung des Ressourceneinsatzes

1J_3

den Ausdriicken (3), (4), (5) und (6). Wahrend (5) sicherstellt, dass jeder Teilnehmer / auf genau ein Themay zugeordnet wird, formulieren (3) und (4) Unter- und Obergrenzen der Anzahl zuordenbarer Personen je Thema. Untersuchungen zeigen,^ dass bei der Organisation von universitSren Seminarveranstaltungen oftmals mit mehr Studierenden als verfiigbaren Themen zu rechnen ist. Eine Moglichkeit der Bewaltigung dieser Problematik besteht in der Mehrfachvergabe der Themen. Die in diesem Zusammenhang eingefiihrten Parameter aj und bj konnen hierbei genutzt werden, die Verteilung der Studierenden auf die Themen innerhalb gewisser Grenzen zu balancieren. Der Parameter QJ legt die Untergrenze der einem Thema zugeordneten Personen fest und stellt beispielsweise sicher, dass alle Themen besetzt werden, bj defmiert die Obergrenze zuordenbarer Personen und liefert zugleich, wie in Ausdruck (2) angegeben, die Betreuungskapazitat je wissenschaftiichem Mitarbeiter. N

Y^Xy>aj^j

= \,...M

(3)

Xy