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German Pages 238 Year 2006
Werner Lindner (Hrsg.) 1964 – 2004: Vierzig Jahre Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland
Werner Lindner (Hrsg.)
1964 – 2004: Vierzig Jahre Kinderund Jugendarbeit in Deutschland Aufbruch, Aufstieg und neue Ungewissheit
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage Januar 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Stefanie Laux Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: »Bausatz« – Frank Böhm, Siegen Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-531-14620-3
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Inhalt
Inhalt Werner Lindner Zurück in die Zukunft? Vorwärts in die Vergangenheit? Zum Reflexionsbedarf der Kinder- und Jugendarbeit in schwieriger Zeit............................................................................. 9 I.
Jugendarbeit in der Zeit nach 1945 – Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen Detlef Siegfried Grenzen der Sinnstiftung. Selbstbestimmung, Hedonismus und Jugendarbeit in der Konsumgesellschaft der frühen 1960er-Jahre................................................................................... 17 Walter Hornstein Wenn Bildung großgeschrieben wird!Jugendarbeit im Zeichen der Bildungsreform der 1970er-Jahre und angesichts der „PISA“-Debatte – zwei historische Konstellationen im Vergleich und Perspektiven für die Zukunft................................... 31 Gerd Brenner Die Entwicklung der Jugendarbeit im Spiegel der Zeitschrift „deutsche jugend“.......................................................................... 47
II. Zur historischen Entwicklung einer Theorie der Jugendarbeit und ihrer aktuellen Bezüge C. Wolfgang Müller „Was ist Jugendarbeit?“ Bemerkungen zu meinem „Versuch 1“... 65
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Inhalt
Hans-Jürgen von Wensierski Versuch einer allgemeinen Theorie der Jugendarbeit Kommentar zur C. Wolfgang Müllers „Versuch 1“...................... 69 Helmut Kentler Eine Theorie der Jugendarbeit – mein „Versuch 2“...................... 77 Achim Schröder Evolution der Beziehungen – Entwicklungen im Spiegel des Anderen. Kommentierung zu Helmut Kentlers „Versuch 2“........ 87 Albert Scherr Mündigkeit als Grundprinzip einer pädagogischen Theorie der Jugendarbeit? Anmerkungen zu Klaus Mollenhauers „Versuch 3“................................................................................... 95 Hermann Giesecke Kurzer Rückblick nach 40 Jahren auf meinen „Versuch 4“.......... 103 Burkhard Müller Was ist die Aufgabe einer Theorie der Jugendarbeit? Kommentierung von Hermann Gieseckes „Versuch 4“................ 109
III. Zur Empirie und Professionalisierung der Kinder- und Jugendarbeit
Werner Thole/Jens Pothmann Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit. Beobachtungen und Analysen zur Lage eines „Bildungsakteurs“......................................................................... 123
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Inhalt
Peter Cloos „... ich fühl’mich auch gar nicht so als Pädagoge.“ Empirisch gestützte Überlegungen zur Qualifikation für die Kinder und Jugendarbeit................................................... 145
IV. Aktuelle Situation und Ausblicke der Kinder- und Jugendarbeit Lotte Rose Beobachtungen zum aktuellen Stand der Kinder- und Jugendarbeit................................................................................. 165 Benedikt Sturzenhecker „Wir machen ihnen ein Angebot, das sie ablehnen können.“ Strukturbedingungen der Kinder- und Jugendarbeit und ihre Funktionalität für Bildung............................................................ 179 Wolfgang Schröer Bildung und Lebensbewältigung.................................................. 193 Martin Nörber Jugendarbeit und (Ganztags-)Schule............................................ 207 Rainer Treptow Kulturelle Optionen in jugendlichen Lebensphasen und Fragen nach den Möglichkeiten der Kinder- und Jugendarbeit................ 221 Nanine Delmas/Werner Lindner Salto mortale rückwärts? Oder: Strategie für magere Jahre? Anmerkungen und Ausblicke auf einige Entwicklungsperspektiven der Kinder- und Jugendarbeit............ 233
Die AutorInnen............................................................................. 249
Werner Lindner Zurück in die Zukunft?
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Zurück in die Zukunft? Vorwärts in die Vergangenheit? Zum Reflexionsbedarf der Kinder- und Jugendarbeit in schwieriger Zeit
Erkundungen über die aktuelle Situation der Kinder- und Jugendarbeit erzeugen derzeit ein wenig optimistisches Bild. Auf vielen Ebenen steht das Arbeitsfeld unter verschärftem Legitimationsdruck, der sich am augenfälligsten in mitunter existenzbedrohenden finanziellen Kürzungen und Einsparungen manifestiert. Erweitert man den Blick, so wird deutlich, dass die spezifische Lage der Kinder- und Jugendarbeit eingespannt ist in ein komplexes Netz sich wechselseitig beeinflussender Wirkungsfaktoren, die allesamt unter dem Etikett der (Post-)Modernisierung firmieren. Etliche der bislang haltenden, steuernden und orientierenden gesellschaftlichen Strukturen und Leitbilder werden im Rahmen einer bislang unbekannten Kontingenzexplosion unwiderruflich aufgerieben (vgl. Beck/Lau 2004). Das Projekt der Moderne befindet sich offenkundig in einem fundamentalen Umbruch, der mit Verlusten ihrer Versprechungen und Basisannahmen sowie mit dem vielfach propagierten Abschied von bisherigen Gestaltungsansprüchen einhergeht. Inmitten des Anwachsens von Flüchtigkeit, Flexibilität, Ent-Traditionalisierung, politischen Steuerungsdefiziten und dem Schwinden von ordnenden Zusammenhängen wird dann auch die „Krise des Sozialstaats“ verortet, in deren Rahmen sich eine zunehmend „erschöpfte“ Soziale Arbeit um Positionierungen bemüht (vgl. Lutz 2005; Böllert 2005). Ist die Kinder- und Jugendarbeit auf der einen Seite den Turbulenzen übergreifender gesellschaftlicher Entwicklungen ausgesetzt, so hat sie auf der anderen zugleich, und kapillar damit verbunden, eigene arbeitsfeldspezifische Wandlungs-, Erosions- und Umwälzungsprozesse zu bewältigen. Da ist zum einen die medial allenthalben verbreitete Prognose einer „alternden Gesellschaft“, die mit einem gesellschaftlichen Ansehens- und Bedeutungsverlust von Jugend, Jugendlichen und Jugendpolitik einhergeht. Als nachgefragter, mehrheitsgewährleistender und politikfähiger (Wahl-)Motor gesellschaftlicher Entwicklungen hat Jugend ausgedient. Konträr zu einem nach wie vor anhaltenden Jugendkult in Medien und Werbewirtschaft gilt Jugend im öffentlichen Bild heute eher als problematische Minderheit,
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die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass sie entweder Probleme hat oder Probleme macht. Die bisweilen wenigstens rhetorisch noch zu vernehmende Wertschätzung der Jugend als Kraftquelle des Neuen und Zukunftsfaktor der Gesellschaft wird matter, erschöpft sich in allenfalls formelhaften Bekenntnissen und wird allmählich zugunsten der Aufmerksamkeit auf Kinderpolitik suspendiert.1 Eine Jugendpolitik, die diesen Namen wirklich verdiente, findet derzeit schlichtweg nicht statt. Was hingegen stattfindet, ist „politics without policy“ – ein irrlichterndes Sammelsurium punktueller Ad-hoc-Kampagnen2 ohne Konsistenz, ohne Perspektive und ohne ernsthafte Problemanalyse: Jugendpolitik als Wunschkonzert, das je nach Anlass und Belieben zum Tanz um die Jugend aufspielt. Die an argumentativer und inhaltlicher Dürftigkeit schwerlich zu unterbietende Qualität der derzeitigen jugendpolitischen Debatte, wie sie etwa anlässlich der Großen Anfrage zur „Jugend in Deutschland“ in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. März 2005 geführt wurde, veranschaulicht diesen Sachverhalt durchaus nachdrücklich (vgl. FORUM Jugendhilfe 2005; Jugendpolitik 2005; Glaab/Sesselmeier 2005). Die gesellschaftliche Bedeutung von Jugend, ein gesellschaftlich anspruchsvoller und theoretisch-empirisch fundierter Diskurs über die Rolle der Jugend etwa im Rahmen eines zukunftsorientierten Generationenbezuges ist derzeit keiner Rede Wert. Wo sich Jugendpolitik als „konzeptions- und konturenloses Bündel von unterschiedlichen politischen Maßnahmen (darstellt) und den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht (wird)“ (Schefold/ Schröer 2005; S. 45 vgl. Rauschenbach 2005b), sich überwiegend in unzusammenhängenden, punktuell und anlassbezogenen Aktionen und Maßnahmen erschöpft, schlagen deren Defizite folgerichtig auch auf die Kinder- und Jugendarbeit durch. Damit scheint auch die bislang noch anhaltende, jedoch bereits merklich erlahmende Wachstums- und Erfolgsgeschichte der Kinder- und Jugendarbeit bis auf weiteres an ihr Ende gelangt zu sein. Ohne mit diesem Befund einen, aus anderen 1 So verwandte die parlamentarische Staatssekretärin anlässlich der Bundestagsdebatte zur Jugend in Deutschland am 11.03.2005 nach Angaben des CDU-Abgeordneten Scheuer neun von zwölf Minuten ihrer Redezeit für den Ausbau der frühkindlichen Betreuung (vgl. Jugendpolitik 2005, S. 14). Die Jugend- und Familienministerin selbst hielt es nicht einmal für nötig, überhaupt an der jugendpolitischen Debatte teilzunehmen. Diese wurde lediglich von wenigen InsiderInnen geführt, jegliches Interesse auch anderer namhafter PolitikerInnen der übrigen Parteien muss als Fehlanzeige verbucht werden. 2 Ohne Anspruch auf Vollzähligkeit seien genannt: „Chancen im Wandel“, „Nationaler Aktionsplan für ein kindgerechtes Deutschland“, „Berlin 05“, „Entwicklung und Chancen (E & C)“, „Wir ... jetzt und hier“, „JUMP“, „JobAktiv“, „Lokales Kapital für soziale Zwecke (LOS)“, „Projekt P“, „Come in Contact“, „Schau hin“, „Jugend ans Netz“, „Entimon“, „CIVITAS“, „Xenos“, „Jugendschutz: Wir halten uns dran!“
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Politikfeldern bestens bekannten, unreflektierten Zuwachs- und Wachstumsfetischismus zu bedienen, wird sich die Jugendarbeit realistischerweise eher mit Fragen der Bestanderhaltung, aber auch der Schrumpfung auseinander zu setzen haben und sich in vielen angestammten Arbeitsbereichen neu erfinden müssen. Inmitten dieser auf vielen Ebenen angesagten Veränderungsnotwendigkeiten werden viele, bereits in vormals prosperierenden Phasen ungelöste Probleme etwa der Professionalisierung und der Ausbildung (vgl. Beher/Gragert 2004; Thole/Wegener/ Küster 2005; vgl. Rauschenbach/Schilling 2005; vgl. den Beitrag von Peter Cloos in diesem Band) nun noch weniger Chancen haben, befriedigend bearbeitet, geschweige denn zureichend gelöst zu werden. Angesichts derart bedenklicher Befunde mag es insbesondere Fachkräfte aus der Praxis der Kinder- und Jugendarbeit befremden, sich nun ausgerechnet mit theoretischen und historischen Fragen ihres Arbeitsfelds auseinander zu setzen, scheinen diese im Hinblick auf die gegenwärtigen Probleme doch kaum geeignet, probate Lösungen oder Auswege anzubieten. Gleichwohl ist es sinnvoll, 40 Jahre nach dem Erscheinen des Klassikers „Was ist Jugendarbeit?“ (Müller/Kentler/Mollenhauer/Giesecke 1964) erneut über Jugendarbeit nachzudenken. Die Begründung für ein solches Vorgehen liegt dabei weder in der vordergründigen Attraktivität eines runden Jahreszahl-Jubiläums, noch in dem wohl unwiederbringlichen historischen Glücksfall, die theoretischen Väter der modernen Jugendarbeit noch einmal hautnah in ihrem Denken und Argumentieren erleben zu können, noch in einer organisatorisch wie finanziell günstigen Kooperationskonstellation eines Tagungsveranstalters. Sie liegt vielmehr in dem expliziten Reflexionsbedarf, der sich gerade dann am dringendsten darstellt, wenn – scheinbar – unausweichliche, unumkehrbare und alternativlose Entwicklungen mit Macht das eigene Arbeitsfeld bedrängen. Wenn der elementar professionsbegründende Anspruch der Sozialen Arbeit „Wissen, was man tut“ (Klatezki 1993) auch für die Kinder- und Jugendarbeit nicht einfach achtlos beiseite geschoben werden kann, dann sind damit immer auch Prozesse der Präzisierung, der vergleichenden Abwägung, mithin der Ent-Schleunigung und Verlangsamung erforderlich. Überprüft man zugleich den Konnex von Herkunft und Zukunft auf seine aktuellen Orientierungspotenziale, dann wird sich eine zunächst erinnernde Rückschau ihrer theoretischen, konzeptionellen und gesellschaftspolitischen Ursprünge angesichts der gegenwärtigen Situation zweifellos nicht in trauernd-nostalgischem Angedenken an vermeintlich „bessere Zeiten“ erschöpfen, in denen die Jugendarbeit – gemessen an heutigen Krisenindikatoren – inmitten gesellschaftlich geradezu paradiesisch anmutender Umstände durch Aufbruch, Optimismus, Neu-Orientierung und Wachstum geprägt war. Sehr wohl aber ist es angemessen, sich der ge-
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sellschaftspolitischen, fachlichen und theoretischen Ursprünge von Jugendarbeit zum einen zu erinnern in Bezug auf heute immer noch und immer wieder aktuelle, und bislang immer noch zur Umsetzung anstehende Aufgaben etwa im Hinblick auf Fragen der Freiwilligkeit, des emanzipatorisch-kritischen Denkens und Handelns, der Bildung oder der Beziehungsorientierung. Eine solche historische Vergewisserung (vgl. die Beiträge von Walter Hornstein und Detlef Siegfried in diesem Band) kann als Anker- und Navigationspunkt dienen, von dem aus inmitten aktueller Turbulenzen manche tagespolitisch induzierte Veränderung zu vermessen und in ihrer Tauglichkeit kritisch zu bewerten wäre. Zum anderen erlaubt erst die Rückbindung an scheinbar Vergangenes, gleichsam als Kontrastmittel, einen vergleichend-vertiefenden Blick auf die Formation aktueller und künftiger Orientierungen. Festzuhalten ist, dass die Kinder- und Jugendarbeit über ein eigenes, historisch fundiertes wissenschaftliches Profil verfügt, welches in den derzeit anstehenden Professionalisierungsdebatten nicht fraglos bzw. aus verfehltem Pragmatismus heraus ignoriert und in den gesellschafts- wie jugendpolitischen Dimensionen, aber auch in den fachlich-praxisbezogenen Umwälzungen umstandslos ad acta gelegt werden darf. Aus diesem Grund bleibt dieser Band nicht bei der Besinnung auf Tempi passati stehen, sondern skizziert zudem aktuelle Befunde zur Kinder- und Jugendarbeit für einige zukunftsrelevante Themen- und Aufgabenfelder. Und es ist genau dieser Rückblick, der im Weiteren den Reflexionsraum eröffnet für aktuell anstehende Fragen etwa der Bildung – mit oder ohne (Ganztags-)Schule – und Lebensbewältigung junger Menschen in vielfältig sich ausdifferenzierenden Lebenslagen, Szenen und Milieus. Ob und wie die Kinder- und Jugendarbeit für die anstehenden Aufgaben gerüstet ist, ob und inwiefern sie als aufmerksame, aber auch reflexive, streitbare und identifizierbare Adresse noch Position bezieht, ob sie überhaupt noch in der Lage ist, sich mit ihren – wohlbegründeten – Argumenten irgendwie Gehör zu verschaffen inmitten einer Landschaft weitgehend besinnungslos in sich selbst rotierender Innovationsturbulenzen, bliebe mindestens abzuwarten. Wie selten zuvor wird sich Kinder- und Jugendarbeit in den nunmehr absehbar „mageren Jahren“ fachlich und konzeptionell vor einer Paradoxie zu bewähren haben: „Obgleich (sie) im Umfeld des sozialen Wandels immer bedeutungsloser zu werden droht, immer austauschbarer und weniger selbstverständlich als Bestandteil des Aufwachsens wird, scheint sie lebenslagen- und lebensalterspezifisch als Bildungsprojekt, als Lernfeld, als die ‚andere Seite von Bildung’ für das Aufwachsen unter den Ungewissheiten der ‚zweiten Moderne’ (Beck) strukturell immer wichtiger. (...) Jugendarbeit wird unter den heutigen Rahmenbedingungen zwar nicht mehr unbedingt geschätzt,
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dafür aber umso mehr gebraucht“ (Rauschenbach 2005a, S. 9). Auf der Basis einer dialektischen Aufhebung – im Sinne von Bewahren, Umwandeln und Weiterentwickeln – bisheriger Erfahrungen und Wissensbestände dürfte es für die Kinder- und Jugendarbeit aktuell vor allem darauf ankommen, in neue Such-, Qualifikations- und Öffentlichkeitsprozesse einzusteigen, um ihre nach wie vor plausible gesellschaftliche Relevanz zu belegen und zu bestätigen. Der vorliegende Band soll hierzu einen kleinen Beitrag leisten. Seine Grundidee geht auf eine Tagung an der Evangelischen Akademie Loccum im Mai 2004 zurück. Die dort vorgetragenen Beiträge wurden angereichert und ergänzt durch zusätzliche Texte, die für die Verortung und die Zukunftsperspektiven der Kinder- und Jugendarbeit von Belang sind. Mein Dank geht an alle AutorInnen, die sich an diesem Band beteiligt haben. Mein besonderer Dank für viele aufmerksame Anregungen an der Konzeption gilt darüber hinaus zum einen Werner Thole, zum anderen Andrea Grimm von der Evangelischen Akademie Loccum, ohne die diese Veranstaltung kaum möglich gewesen wäre.
Literatur Beck, Ulrich/Lau, Christoph (2004) (Hrsg.): Entgrenzung und Entscheidung: Was ist neu an der Theorie reflexiver Modernisierung? Frankfurt a. Main Beher, Karin/Gragert, Nicole (2004): Aufgabenprofile und Qualifikationsanforderungen in den Arbeitsfeldern der Jugendhilfe. Abschlussbericht – Band 1. Forschungsverbund DJI/Universität Dortmund. Dortmund u. München Böllert, Karin (2005): Soziale Arbeit angesichts einer krisenhaften Kultur des Aufwachsens. In: neue praxis, 35. Jg., Heft 3, S. 219 – 222 FORUM Jugendhilfe (2005): Auszüge der Bundestagsdebatte zur Großen Anfrage „Jugend in Deutschland“. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. März 2005. In: ebd., Heft 2, S. 44 – 48 Glaab, Manuela/Sesselmeier, Werner (2005): Und weiter wird sich durchgewurstelt. In: Frankfurter Rundschau vom 27.07.2005 Jugendministerkonferenz (2005): Beschlussprotokoll über die Jugendministerkonferenz am 12. und 13. Mai 2005 in München. TOP 10: Aufgabenprofile und Qualifikationsanforderungen der Kinderund Jugendhilfe (unveröffentl. Manuskript) Jugendpolitik (2005): Heft 2: Große Anfrage „Jugend in Deutschland“. Hrsg. vom Deutschen Bundesjugendring. Berlin Klatetzki, Thomas (1993): Wissen, was man tut. Professionalität als organisationskulturelles System. Eine ethnographische Interpretation. Bielefeld Lutz, Roland (2005): Erschöpfte Sozialarbeit? Eine Rekonstruktion ihrer Rahmungen. In: neue praxis, 35. Jg., Heft2, S. 126 – 145 Müller, C. Wolfgang/Kentler, Helmut/Mollenhauer, Klaus/Giesecke, Hermann (1964): Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München Rauschenbach, Thomas (2005a): Jugendarbeit – Bildungsarbeit. Fünf Thesen zur Relevanz und Zukunftsfähigkeit von Jugendarbeit. In: ProjektArbeit, 4. Jg., Heft 1, S. 7 – 20
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I Jugendarbeit in der Zeit nach 1945 – Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen
Detlef Siegfried Grenzen der Sinnstiftung
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Grenzen der Sinnstiftung Selbstbestimmung, Hedonismus und Jugendarbeit in der Konsumgesellschaft der frühen 1960erJahre
Um zu verstehen, warum die „Vier Versuche“ von C. Wolfgang Müller, Helmut Kentler, Klaus Mollenhauer und Hermann Giesecke solch einen durchschlagenden Erfolg hatten, ist es sicherlich hilfreich, sich näher mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu beschäftigen, unter denen diese Publikation 1964 entstand. Ein Blick auf die historischen Kontexte mindert nicht das Verdienst der Autoren, durch ihre theoretische Intervention eingegriffen und der Jugendarbeit einen neuen Orientierungsansatz angeboten zu haben. Ganz im Gegenteil – er lässt vielmehr die Dringlichkeit konzeptioneller Innovationen besonders scharf hervortreten. 1964, das Erscheinungsjahr des Bandes, war kein besonders ereignisreiches Jahr. Politische und mediale Großereignisse wie der Regierungswechsel von Adenauer zu Erhard oder die Ermordung John F. Kennedys lagen bereits ein Jahr zurück, die „Spiegel-Krise“ noch ein weiteres Jahr, und Aufsehen erregende Bewegungen unter Jugendlichen, wie die „Halbstarkenkrawalle“ waren fast schon in Vergessenheit geraten, während die Große Koalition von 1966 oder die Studentenbewegung, die 1967 ihren Höhepunkt hatte, noch nicht abzusehen waren. Dennoch stellten die Jahre zwischen 1963 und 1965 eine Art Gärungsphase dar, weil hier den Zeitgenossen immer deutlicher bewusst wurde, dass sich die Gesellschaft seit den späten 1950er-Jahren erheblich gewandelt hatte. Insbesondere die sozialkulturellen Rahmenbedingungen hatten sich durch die Effekte des „Wirtschaftswunders“ massiv verändert: Massenmotorisierung und Eigenheimbau, Verkürzung der Arbeitszeiten und der Aufstieg des Fernsehens sind Faktoren, die bereits in den frühen 1960er-Jahren deutlich zu erkennen waren und die den Alltag der Bürger veränderten. Zu den wichtigsten Momenten der spezifischen Dynamik der 1960erJahre gehörte die Tatsache, dass sich grundlegende, bis dahin recht stabile Einstellungen der Bundesbürger wandelten (vgl. Schildt/Siegfried/Lammers 2000; Herbert 2002; Frese/Paulus/Teppe 2003; Calließ 2004).
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In seinen Arbeiten zur westdeutschen Gesellschaft hat der Soziologe Helmut Klages die Jahre 1963 bis 1965 als „Startphase“ eines „Wertewandelschubs“ interpretiert, der zwischen 1965 und etwa 1975 vonstatten ging und eine fundamentale Liberalisierung und Pluralisierung bewirkte (vgl. Klages 1992). Im Wandel der Erziehungsziele sieht Klages – wie viele andere Sozialwissenschaftler auch – einen wesentlichen Indikator des Wertewandels: „Selbstständigkeit und freier Wille“ werden zunehmend gewünscht, während „Gehorsam und Unterordnung“ als Verhaltensideale zurückgehen. Andere Indikatoren wie das wachsende politische Interesse der Bevölkerung oder ihre zunehmende Präferenz für ein hedonistisches Lebenskonzept – „Betrachten Sie Ihr Leben eher als Aufgabe oder eher als Genuss?“, hatten die Allensbacher Sozialforscher ihre Probanden gefragt – lassen in der Rückschau sehr deutlich werden, dass sich in der Tat in den langen 1960erJahren ein Wertewandel vollzog, der ganz offensichtlich auf die fundamentale Verbesserung der Existenzbedingungen reagierte, die in Westeuropa inzwischen eingetreten war. Der materielle Wohlstandsschub stellte sich derart schnell und verdichtet ein und hatte so weitreichende Folgen, dass der britische Historiker Eric Hobsbawm (vgl. 1997) für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts von den „Goldenen Jahren“ sprach. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden drei Aspekte näher beleuchtet werden, die für die „Startphase“ des „Wertewandelschubs“ um das Erscheinungsjahr der „Vier Versuche“ herum besonders signifikant zu sein scheinen und erklären könnten, warum kluge Köpfe unter den Pädagogen bereits in den frühen 1960erJahren auf die Idee kommen konnten, dass die Jugendarbeit auf eine ganz neue Basis gestellt werden müsste. Erstens soll etwas genauer betrachtet werden, wie Jugendliche und Jugendkulturen vor dem Hintergrund der entstehenden Konsumgesellschaft in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren interpretiert wurden und wie vor allem von staatlicher Seite versucht wurde, ihnen über die Themen Kommunismus und Nationalsozialismus ein politisches Bewusstsein zu implantieren. Zweitens soll schlaglichtartig skizziert werden, wie vor allem im Freizeitsektor teils von unten her, teils kulturindustriell gerahmt, bereits seit den späten 1950erJahren unter Jugendlichen neuartige Formen von Selbsttätigkeit zu beobachten waren, die als Impulsgeber für eine neue Art von Jugendarbeit betrachtet werden können. Und drittens soll mit einem kurzen Seitenblick auf das Ende dieser Dekade noch einmal präzisiert werden, inwiefern der Hedonismus als Massenerscheinung der „Goldenen Jahre“ ein wesentliches Element der Kulturrevolution der späten 1960er-Jahre ausmachte.
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1. Die Politisierung der Jugendkultur von oben Seit dem Ende der 1950er-Jahre, als der rohe Rock’n’Roll gefiltert, gemäßigt und damit breiteren Käuferschichten zugänglich gemacht worden war, bestimmte nicht mehr das Klischee des „Halbstarken“ das öffentliche Bild von Jugendkultur, sondern das des „Teenagers“, der als Inkarnation einer unengagierten und konsumverfallenen jungen Generation galt (vgl. Siegfried 2000). „Teenager“ erschienen als künstlich geschaffene Produkte einer auf die profitable Vermarktung von Vergnügen ausgerichteten Kulturindustrie. Politisches Interesse war, so meinte man, bei ihnen nicht anzutreffen. Politik galt geradezu als Gegenpol zum Vergnügen, dem pekuniär wohl ausgestattete junge Leute in der Konsumgesellschaft stärker als in anderen Zeiten offenbar frönten. Das Unpolitische der Teenagerkultur war unerwünscht und galt als bedenkliches Defizit. In dieser Sicht verbanden sich die scheinbar hemmungslose Vergnügungssucht und die politische Abstinenz zu jenem gefährlichen Gemisch, das Jugendliche für „Verführungen“ wirtschaftlicher oder politischer Art besonders anfällig machte. Diese „Verführbarkeit“ wurde zeitgenössisch als besonders prekär wahrgenommen, weil sich die politische Klasse darum bemühte, den positiven Gehalt des neuen deutschen Staatswesens in Abgrenzung zu den beiden „Totalitarismen“ des 20. Jahrhunderts – Nationalsozialismus und Kommunismus – herauszuarbeiten, die als Musterbeispiele der Massenverführung galten. Immunisierung gegen ideelle Überreste des Nationalsozialismus und gegen die Beeinflussungsversuche von kommunistischer Seite war das Ziel einer Vielzahl von Aktivitäten seit der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre, und sie zielten insbesondere auf die nachwachsende Generation. Der Kampf gegen den Kommunismus gehörte zum Gründungskonsens der Bundesrepublik. Er verstärkte sich von staatlicher Seite erheblich, nachdem Bundeskanzler Adenauer 1955 mit der Sowjetunion die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart hatte. Denn nun schien der kommunistischen Infiltration Tür und Tor geöffnet, der durch einen intensivierten „geistigen Kampf gegen den Kommunismus“ entgegenzuwirken war. Insbesondere sollte die „erzieherische und propagandistische Breitenarbeit“ intensiviert werden. Die Vertreter der beteiligten Bundesbehörden waren sich im Hinblick auf die Notwendigkeit einer erzieherischen Offensive weitgehend einig: „Mit der Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet“, so fasste der Protokollant die Aussagen der obersten Ministerialvertreter zusammen, „habe sich ein übersättigter Individualismus breitgemacht; die Menschen seien sich vielfach des Wertes der Freiheit kaum noch bewusst und ließen es an der Bereitschaft fehlen, die Freiheit zu verteidigen“ (Bundesministerium des Innern 1955).
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Etwa gleichzeitig, 1958 und 1959, feierte das „Kuratorium Unteilbares Deutschland“, das 1954 als „Volksbewegung für die Wiedervereinigung Deutschlands“ gegründet worden war, seine größten Erfolge. Doch seit den frühen 1960er-Jahren gerieten seine Aktionen in eine tiefe Legitimationskrise. Die vom Kuratorium koordinierten und zu Massenkundgebungen angeschwollenen Feiern zum Tag der deutschen Einheit am 17. Juni wurden zunehmend als Zwangsveranstaltungen angesehen. Die Westdeutschen sollten stets das Abzeichen mit dem Brandenburger Tor tragen, entsprechende Plaketten auf ihre neuen Kleinwagen kleben, ihre Post mit der 1-Pfennig-Berlin-Marke der Bundespost versehen – am besten auf Postkarten mit Motiven mittel- und ostdeutscher Städte; Schülern der höheren Klassen wurde die „freiwillige Mitarbeit“ beim Abzeichenverkauf „empfohlen“ (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1961). Diese Anstrengungen zur flächendeckenden Politisierung des Alltags von oben riefen mehr und mehr Unmut hervor. An Gymnasien war 1964 bereits von einer „‚Allergie’ bei den Schülern und der jüngeren Lehrergeneration gegen nationale Feiern” die Rede (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1964). Die Masse der Bevölkerung entzog sich dem mehr und mehr durch kommentarlose Nichtbeachtung und nutzte den arbeitsfreien Tag, um im neuen VW-Käfer an die Baggerseen der Umgebung zu brausen. Sehr viel nachhaltiger wirkte das zweite, am Ende der 1950er-Jahre zu unerwarteter Aktualität gekommene Thema der Politisierung – die NS-Vergangenheit. In der Weihnachtsnacht 1959 wurde die erst wenige Monate zuvor in Anwesenheit von Bundeskanzler Adenauer eingeweihte Kölner Synagoge mit Hakenkreuzen und der Losung „Deutsche fordern Juden raus“ beschmiert – wie sich herausstellte, von zwei jungen Männern, die Mitglieder der rechtsradikalen Deutschen Reichspartei waren (vgl. Bergmann 1990, 1997, S. 235 ff.). Diese, wie es in der Presse hieß, „zweite Kristallnacht von Köln“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Januar 1960) und die ihr sich anschließende Welle von mehr als 470 Nachfolgetaten binnen weniger Wochen riefen erhebliche Zweifel an der Demokratiefähigkeit der Westdeutschen hervor. Die Tatsache, dass die meisten der an der antisemitischen Welle beteiligten Täter Jugendliche waren, rückte die Verantwortung der schulischen und außerschulischen Erziehung in das Zentrum des Vergangenheitsdiskurses. Dabei wurde vor allem der schlechte Stand der historischen Bildung junger Leute kritisiert und die Frage ventiliert, auf welche Weise die Geschichte der jüngsten Zeit angemessen vermittelt werden könnte. „Die antidemokratische nationalistische Grundeinstellung bei vielen Deutschen hat“, so erklärte Walter Jacobsen, Referent für Psychologie bei der Bundeszentrale für Heimatdienst, „den Charakter des Angebore-
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nen, Ererbten, infolgedessen Tiefverwurzelten und ist daher nicht von heute auf morgen, etwa durch bloße rationale ‚Aufklärung’, Belehrung oder Überzeugungsgründe, auch nicht durch Totschweigen, sondern nur in langwieriger Erziehungsarbeit zu überwinden“ (Jacobsen 1960). Die hier konstatierte mentale Kontinuität der westdeutschen Gesellschaft sollte an der Generationslinie gekappt werden. In den frühen 1960er-Jahren verdichteten sich die erzieherischen Bemühungen auf beiden Themenfeldern zu einem erheblichen Politisierungsdruck von oben, der sich vor allem auf die vermeintlich konsumistisch absorbierte junge Generation richtete.
2. Selbstbestimmte Freizeit. Grenzen der staatlichen Freizeitpolitik und neue Impulse von unten Demgegenüber war die große Masse der Jugendlichen weniger an Politik interessiert, als vielmehr am unsublimierten Spaß. Genau das war das Problem, und es musste vor allem außerhalb der Schule gelöst werden. Außerhalb des schulischen Bereichs konzentrierten sich die Bemühungen von Politikern, Pädagogen und Psychologen um eine demokratische Erziehung der westdeutschen Jugendlichen zunächst auf die Jugendverbände, die sich auch selbst als Vermittler einer demokratischen Erziehung verstanden. Allerdings hatte sich schon in den 1950er-Jahren herausgestellt, dass Jugendliche durch die Verbände immer weniger erfasst wurden, sondern ihre zunehmende Freizeit außerhalb verbandlicher Bindungen verlebten. Für besonders problematisch hielten Politiker und Pädagogen, dass sie dabei auch das Angebot der kommerziellen Freizeiteinrichtungen in Anspruch nahmen, das damals noch nicht besonders ausgefeilt war, sondern hauptsächlich aus Veranstaltungen in Wirtshaussälen, Kinos und Jahrmärkten bestand. Seit dem Ende der 1950er-Jahre suchte der Staat durch massive Subventionspolitik die Versorgung mit Jugendfreizeitstätten zu verbessern, um eine flächendeckende Betreuung in geschützten Räumen abzusichern. Allerdings blieb der Effekt dieser Anstrengungen begrenzt, weil die neuen Stätten nur von einem kleinen Teil der Zielgruppe angenommen wurden. Dies lag vor allem daran, dass die Jugendfreizeitheime stets darauf abzielten, Geselligkeit, wie sie Jugendliche unter sich pflegten und wie sie kommerzielle Angebote ermöglichten, mit „Sinn“ aufzuladen. In ihrem Kern resultierte die Kritik am Konsumismus Jugendlicher aus der Skepsis gegenüber der Nichtkontrollierbarkeit, die freier Konsum prinzipiell mit sich brachte. Manche Pädagogen versuchten gezielt, das Moment der freien Ent-
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scheidung, das die Konsumindustrie nicht nur suggerierte, sondern tatsächlich auch bot, in die staatlichen oder kirchlichen Freizeitstätten zu holen. Neue Formen der Gruppenarbeit, wohnlicheres Mobiliar waren dabei kaum umstrittene Maßnahmen, sehr viel skeptischer wurden technische Gerätschaften betrachtet, die nicht auf Produktion angelegt waren – wie es etwa bei Musikinstrumenten oder Fotoapparaten der Fall war –, sondern auf Rezeption: Fernsehgeräte, Musikboxen, Plattenspieler. Dies lässt sich etwa an der Diskussion über die Einführung von Musikboxen nachvollziehen, die um 1960 die Gemüter bewegte. Mit dem Argument, die Praktiken der Jugendpflege dürften „nicht den Fortschritt ablehnen, sonst treiben sie die Jugendlichen genau dahin, wo man sie nicht haben will, nämlich in billige, ungesunde Bierkneipen“ (Metzger 1960, S. 128), plädierte 1959 der Leiter eines Steglitzer Jugendheims dafür, den umliegenden Gaststätten das Monopol auf ihre hauptsächliche Attraktion zu entreißen und dort selbst eine Musikbox aufzustellen. Dies zog erhebliche Diskussionen mit den Behörden, Eltern und auch einigen Heimbesuchern nach sich, „da dieses Instrument im allgemeinen Ansehen meist mit der Vorstellung von ‚billigem Lokal’, ‚schädlich für die Jugend’ und ‚unpassend für ein Jugendheim’ assoziiert“ (ebd.) wurde. Die gegen derartige Widerstände schließlich doch durchgesetzte Musikbox erwies sich als voller Erfolg. Sogar ein Expertentreffen des UNESCO-Instituts für Jugend beschäftigte sich mit der Frage, warum ausgerechnet eine Musikbox für Jugendliche so interessant sei. Es war, wie die Fachleute feststellten, die „selbsttätige Behandlung und Beherrschung der ‚Maschine’“: Sie „können die Platten selbst auswählen, und sie können für ihr eigenes Geld etwas bekommen, was sie selbst bestimmen“ (UNESCO 1960, S. 3 ff.). Erfolgsberichte, wie sie immer wieder in der Presse und in pädagogischen Zeitschriften erschienen, konnten kaum darüber hinwegtäuschen, dass derartige Bemühungen im Grunde wenig fruchteten: Die Jugendheime, ob von den Kirchen, Kommunen oder Verbänden geführt, blieben leer. Zu der katastrophalen Bestandsaufnahme staatlicher Subventionspolitik, mit der die Zeitschrift „Twen“ 1960 und 1961 Heerscharen von beamteten Jugendfunktionären gegen sich aufbrachte, gehörte auch die Feststellung, dass die hochsubventionierten Jugendheime ebenso potemkinsche Dörfer darstellten wie viele der Aktivitäten, die Jugendorganisationen auf dem Papier nachwiesen (vgl. Twen, Nr. 2 vom April/Mai 1961, S. 50 u. S. 106 ff.). Die Bemühungen scheiterten, weil die Autonomie junger Leute nicht anerkannt wurde, die ihnen die Konsumgesellschaft außerhalb der erzieherischen Schutzräume längst zugestand – Gastwirte und Kinoeigner ohnehin, aber auch Medienleute. Nach Jahren des Experimentierens konnten sich auch viele Pädagogen dieser Erkenntnis nicht mehr entziehen. Die Radikalsten unter ihnen setzten
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nicht mehr viele Hoffnungen in die von oben gelenkten Freizeitstätten. 1964 notierte Helmut Kentler in einem Plädoyer für jugendliche Subkulturen, die „eigenartige Atmosphäre“ von Kneipen und Cafés ginge „sofort verloren“, „wenn man im Raum der Jugendpflege Nachahmungen versucht“ (Kentler 1964b, S. 404 f.). Und Hermann Giesecke winkte in seinem „Versuch“ gleich ganz ab: „Von wenigen Ausnahmen abgesehen darf gegenwärtig das ‚Unternehmen Freizeitstätte’ als gescheitert gelten“ (Giesecke 1964, S. 167). Ganz anders war es mit Clubs, die aus privater Initiative entstanden waren. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre waren Jazzclubs nicht nur Orte des Musikgenusses, sondern auch Kristallisationskerne einer intellektuellen Gegenkultur. Hier wurden Interessen gepflegt und Praktiken ausgeübt, die nur für Minderheiten relevant waren: neben der Jazzmusik die Literatur des französischen Existenzialismus und des amerikanischen Beats, demonstrativer Kosmopolitismus, bohemistische Lebensstile, spezifische Kleidung und Haarschnitte – dies alles in mehr oder weniger reiner Form. In den späten 1950er-Jahren waren Jazzclubs auch Zentren der politischen Opposition, die sich gegen eine politische „Restauration“ und bestimmte Ausformungen der Konsumgesellschaft richtete. Wenn sie flexibel genug waren, sich den veränderten musikalischen Vorlieben und Stilpräferenzen ihres Publikums anzupassen, konnten derartige Clubs bis in die 1970er-Jahre hinein Zentren lokaler Gegenkulturen bleiben. In der Regel aber entstanden in den mittleren 1960erJahren neue Lokale und Clubs wie etwa das Netz der Clubs Voltaire oder der Club Ça Ira in West-Berlin, der zu einer Wiege der Schülerbewegung wurde – sein Spiritus Rector hieß C. Wolfgang Müller. Die Krise der Jazzclubs begann bereits um 1960, als Lokale, in denen vornehmlich Rock’n’Roll gespielt wurde, nicht nur Arbeiterjugendliche, sondern auch zunehmend junge Intellektuelle anzog. Diese Lokale wurden in der Regel kommerziell betrieben. Das entscheidende Merkmal von Freizeitstätten außerhalb staatlicher Aufsicht bestand darin, dass dort spezifisch jugendkulturelle Stile unbeobachtet und unbeeinträchtigt gemeinschaftlich praktiziert werden konnten. Konsumgüterindustrie und beamtete Jugendpfleger erkannten dies früh und versuchten, die ursprünglich lockere Selbstorganisation für ihre Ziele zu nutzen. Während die einen derartige Gemeinschaften als eine Möglichkeit zur Verwirklichung kommerzieller Interessen betrachteten und auch selbst bald begannen, kommerziell ausgerichtete Clubs zu gründen, versuchten manche Pädagogen, sie wiederum einzubinden in ein staatliches oder kirchliches Betreuungskonzept. Allerdings entstanden in diesem Spannungsfeld von autonomer Gruppenbildung, kulturindustrieller und jugendpflegerischer Vereinnahmungsversuche immer wieder neue Orte, an denen sich relativ unbeeinflusst eigene Stile herausbilden konnten.
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Speziell auf Jugendliche ausgerichtete Lokale standen jedoch im Mittelpunkt staatlicher Repression durch Jugendschutz und Polizei. Um 1960 stand die zunehmende Anziehungskraft derartiger Etablissements im Zentrum der öffentlichen Debatte – nicht nur in der Pädagogik, sondern auch in den lokalen Öffentlichkeiten. Die staatliche Seite versuchte wie gehabt, Jugendliche, vor allem Minderjährige, mittels einer Mischung aus Kontrolle, Verbot und Bestrafung vom Besuch kommerzieller Lokale abzuhalten. Doch der bestrafende Jugendschutz wurde zunehmend von einem erzieherischen Jugendschutz flankiert (vgl. Ubbelohde 2002). Veranstaltungen des Jugendschutzes und der öffentlichen Jugendpflege boten zum Teil sehr erfolgreich Alternativen an. So hatte die Aktion Jugendschutz in Hamburg schon im Jahre 1957 damit begonnen, regelmäßige Jugendtanzveranstaltungen zu organisieren – mit dem erklärten Ziel, „gegen die negativen Einflüsse bestimmter, vornehmlich von Jugendlichen besuchter Lokale ein Gegengewicht zu schaffen“ (Stadt Hamburg 1963). Die Veranstalter wollten eine Atmosphäre schaffen, „die einerseits erzieherischen Anforderungen gerecht wird, andererseits aber auch gewisse Ähnlichkeiten mit den von diesen Jugendlichen bevorzugten Tanzlokalen haben sollte. Die Veranstalter achten deshalb darauf, dass die Beleuchtung, Kleidung der Besucher und der Ablauf der Tanzabende unseren Vorstellungen entsprechen, während die Musik auf den Geschmack junger Leute ausgerichtet ist“ (ebd.). Dieses Konzept war bis in die frühen 1960er-Jahre sehr erfolgreich, verlor dann aber zusehends an Anziehungskraft und scheiterte schließlich 1966 mangels Masse. Gerade der Erfolg der offiziösen Veranstaltungen trug zur inneren Differenzierung der Jugendkultur beträchtlich bei. Während dort den jüngeren und weniger auf Devianz bedachten Teilen der Jugend Wochenendamüsement mit niedriger Einstiegsschwelle geboten wurde, konzentrierten sich die etwas älteren und eigensinnigeren Elemente verschiedener sozialer Schichten in den Kellerlokalen. Sie wurden Rückzugsräume für diejenigen, die sich als Außenseiter der Gesellschaft fühlten. Dies machte sie zu Kristallisationspunkten für unkonventionelle Stile und unkonventionelles Gedankengut: Existenzialistische und marxistische Philosophie vermischten sich mit radikaldemokratischen politischen Ideen, einer Vorliebe für Jazz-, Rock-’n’-Roll- oder Beatmusik, legerer Kleidung, bestimmten Haarmoden, informellen Verhaltensweisen. Das Ambiente des Nichtangepassten und Experimentellen war wie geschaffen als Steinbruch für künstlerische und mediale Innovationen. Wer auf der Suche nach neuen „Ausdrucksenergien“ war, der musste sich in die „Katakomben der Gesellschaft“ begeben – das erkannte 1960 bereits einer der Nachwuchsstars der avantgardistischen Kunstszene, Bazon Brock (vgl. Kreuzer 1968, S. 59). Der Begriff des „Kellers“ bezog sich nicht ausschließlich auf Orte unterhalb des Gehsteigniveaus, er wurde in vielerlei Hinsicht meta-
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phorisch gebraucht und bezog sich im Hinblick auf seine topografische Bedeutung zunehmend auch auf überirdische Lokale, Cafés oder andere Orte, an denen sich Außenseiter trafen – zumal dann, als im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs auch andere Räumlichkeiten erschwinglich wurden. Einer der vielen Kinosäle, die der vom Aufstieg des Fernsehens ausgelösten Pleitewelle unter den Lichtspieltheatern zum Opfer fielen – das Stern-Kino in Hamburg St.-Pauli –, sollte später zu besonderer Berühmtheit gelangen. Der Star-Club an der Großen Freiheit war der Prototyp des privat geführten Lokals, das sich vor allem auf die Präsentation von Beatmusik konzentrierte und daraus seine Anziehungskraft für ein sehr heterogenes Publikum gewann. Hier zeigte sich am deutlichsten, wie Orte aus dem kommerziellen und primär musikorientierten Sektor zu Kristallisationskernen zunächst einer Subkultur und dann zu Impulsgebern der Massenkultur wurden. Der Star-Club, gegründet 1962 – unmittelbar vor dem Durchbruch der Beatles –, wurde zu einem Nukleus der neuen Jugendkultur (vgl. Beckmann/Martens 1980; Rehwagen/Schmidt 1992). In verrufener Gegend gelegen, betrieben vom Inhaber einiger Stripteaseläden, bedient von rabiaten Kellnern und bis zum frühen Morgen bespielt mit rohem, noch nicht nach kommerziellen Verwertungsinteressen geglättetem Rock’n’Roll britischer und deutscher Bands, stellte der Club geradezu die Inkarnation des „Untergrunds“ dar, und er bezog seine mythische Aura aus seiner Unkonventionalität und der Verachtung des Bürgerlichen. Das auffällige Interesse junger Intellektueller an dieser Szenerie hatte eine historische Parallele in der Neigung vieler Bohemiens zu den Deklassierten der Gesellschaft, die nicht zuletzt aus der Absicht rührte, Ideen für ihre künstlerische Produktion zu gewinnen. Nicht anders war es, als derartige Impulse in den Niederungen der aufkommenden Konsumgesellschaft entstanden – mit dem Unterschied, dass die neuen Massenmedien ihre zügige Reproduktion und Popularisierung ermöglichten. Impulse aus dem Star-Club flossen direkt in die mediale Präsentation moderner Jugendkultur ein. So besuchte Siegfried E. Loch, der damals 22-jährige aufsteigende Labelmanager der Hamburger Plattenfirma Philips bei einem FatsDomino-Auftritt im Herbst 1962 erstmals den Star-Club und erkannte, „dass man da unbedingt etwas tun muss, das ist die Zukunft“ (zit. nach Beckmann/Martens 1980, S. 141). Michael Leckebusch, Redakteur des TV-Beat-Clubs, besuchte häufig den Star-Club, um Anregungen für die erste Jugendmusiksendung des deutschen Fernsehens zu erhalten, und auch für die Redakteure des kommerziellen Jugendmagazins „ok“ aus dem Hamburger Heinrich-Bauer-Verlag gehörte der Besuch des Star-Clubs zur monatlichen „Pflichtübung“ (vgl. unter anderem Der Spiegel, Nr. 47 vom 17.11.1965, S. 74). An diesem Beispiel wird deutlich, wie Subkulturen von den Rändern der Gesellschaft her die Populärkultur prägten und auf diese Weise die Jugendarbeit erheblich unter Druck setzten.
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3. Spaß und Revolution – die hedonistische Linke Im Grunde war die kulturkritische Debatte um die Auswirkungen der Konsumgesellschaft auf die Mentalität der Bevölkerung eine Diskussion darüber, inwieweit Wohlstand und politische Partizipation miteinander vereinbar seien. Im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) ging man zumeist ganz von Adornos Position aus, der den manipulativen Charakter der Kulturindustrie anklagte und vor ihrem Einfluss im Grunde kein Entkommen sah. Darin mischten sich in den frühen 1960er-Jahren nur sehr vereinzelt dissonante Stimmen. Ein frühes Plädoyer für den Hedonismus legte Helmut Kentler Anfang 1964 in der theoretischen Zeitschrift des SDS vor – unter Berufung auf Bertolt Brecht (vgl. Kentler 1964a). In einem Aufsatz über die westdeutsche Brecht-Rezeption hatte Thomas Leithäuser Brechts Hoffnungen auf die revolutionierenden Wirkungen des Wohllebens ins Reich der schönen Wünsche verbannt und angesichts der westdeutschen Wirklichkeit darauf verwiesen, dass die allgemeine Saturiertheit lediglich zur Verschleierung der Unterdrückungsverhältnisse führte (vgl. Leithäuser 1963, S. 28). In direkter Replik darauf plädierte Kentler mit Brecht gegen die asketische Revolutionsidee. „Und ich gestehe: Jene Sozialisten mit dem Robbespierre-Gesicht, die den Leuten einen guten Schinken nicht gönnen, weil er sie vergessen lassen könnte, dass es um den Sieg der Moral geht, sind mir unheimlich und unsympathisch. Wie sehr hingegen ist der Danton zu schätzen, der ein Schinkenbrötchen und guten Kaffee dazu zu genießen versteht, und der ein Revolutionär ist, weil er einen Vorgeschmack vom Besseren hat” (Kentler 1964a, S. 25 f.). Natürlich sollten den Bürgern Einsichten in die Gründe für eine schlechte Wirklichkeit vermittelt werden. „Aber die conditio sine qua non ist die teilweise mögliche Teilnahme am Lebensgenus – denn ein Zug, richtig genossen, enthüllt schon die sonst so zufrieden stellend aufgeputzte Wirklichkeit als eine schlechte“ (ebd.). Inwieweit nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern die Lebenswirklichkeit des Einzelnen verändert werden sollten – daran machte sich erst einige Jahre später, 1966/67, ein zentraler Konflikt im SDS fest. Durch den stärker werdenden Einfluss der Hippiekultur aus den USA, aber auch mit dem Durchbruch der antiautoritären Linie im SDS und mit der „Kommune I“ gewann das existenzialistische Konzept des revolutionären Alltags erheblich an Ausstrahlungskraft: Die Kombination aus politischer Provokation und alternativem Lebensstil war vor allem für jüngere Akteure eine relativ voraussetzungslose, individuell praktikable und überdies politisch wirksame Form des Engagements. Allerdings wirkte der Zustrom hippiesker Elemente auch als Sprengmittel innerhalb der linken Szene. Schon früh gingen von hier aus erhebliche Pressionen auf die linken Organisationen aus,
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insbesondere auf den SDS, der in dieser Frage besonders druckempfindlich war, weil derartige Strömungen vor allem über den jüngeren Nachwuchs im eigenen Verband bestanden und stärker wurden. Doch dieser Druck kam nicht nur von innen, sondern auch von außen. In seiner vierteiligen Dokumentation über die Londoner Popszene in der Zeitschrift „Die Zeit“ legte Uwe Nettelbeck im Sommer 1967 de facto eine Art Programmschrift für eine über das rein Politische hinausgehende Veränderung des Lebensstils im Sinne der Hippies und der Gegenkultur vor, die die am meisten antiautoritären Kräfte im SDS unterstützte. Mit dem Schub der internationalen Kulturrevolution im Rücken bezog er die Position der „Kommune I“ gegen Rudi Dutschke, dem er empfahl, er solle „sich entspannen und ein paar Wochen nach London oder San Francisco fahren oder wenigstens zusammen mit den Beatles einen Meditationskursus beim Maharashi Mahesh Yogi belegen“ (Die Zeit vom 22.9.1967). Für Nettelbeck war Konsum ein Mittel, um die Massen mit dem subversiven Reiz des Müßiggangs zu affizieren. Hippies brachen aus dem gegebenen Rahmen nicht wegen einer politischen Programmatik aus, sondern „weil sie das zum Spaß gekaufte Hippie-Hemd auf die Hippie-Idee gebracht hat, dass es noch andere für sie nicht vorgesehene oder sogar verbotene Dinge geben könnte, die Spaß machen, pot zum Beispiel oder faul zu sein, weit über das zur Wiederherstellung der Arbeitskraft notwendige Maß hinaus, oder auch am Montagvormittag ein Mädchen zu lieben oder tagelang Musik zu hören oder einfach irgendwohin zu fahren und monatelang nicht zurückzukommen“ (ebd.). Allerdings befand sich Nettelbeck mit dieser Wortmeldung so nah am Puls der Zeit wie sonst nur wenige, und zu einer wirklichen Debatte über das Verhältnis von Konsum und Politik unter revolutionärem Vorzeichen kam es erst, als die durch die Dynamik der Ereignisse von 1967/68 situativ entstandene Fusion derart heterogener Elemente ihre natürliche Evidenz verlor und die Rationalisierungen einsetzten. Die Idee einer Fusion von Revolution und Lebensgenuss wurde theoretisch reflektiert und verteidigt zwischen 1969 und 1971, als sie in der linken Szene selbst den stärksten Angriffen ausgesetzt war. Die Verteidigungsposition bezog besonders markant ein Sammelband, den Diethard Kerbs im November 1971 herausgab. Das Buch mit dem programmatischen Titel „Die hedonistische Linke. Beiträge zur Subkultur-Debatte“ (Kerbs 1971) ging zurück auf eine Vortragsreihe, die Kerbs im Anschluss an ein Seminar vom Wintersemester 1970/71 an der Pädagogischen Hochschule Berlin veranstaltet hatte. Dort kamen Intellektuelle wie Arno Klönne, Peter Brückner, Wolfgang Eßbach, Michael Vester oder Wolfgang Gottschalch zu Wort, die sich, teils unabhängig voneinander, teils durch verschiedenartige Beziehungen miteinander verbunden, mit diesem Problem beschäftigt hatten und jenen Flügel der Linksintelligenz repräsentierten, der an der Fusion beider Elemente fest-
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halten wollte. In der Praxis der linken Szene verwirklichte sich dieses Konzept in dem weitverzweigten Netzwerk der Gegenkultur, die eine neuartige Mischung von Politik und Hedonismus in einem selbstbestimmten Alltag praktizierte. Seine Knotenpunkte waren Wohngemeinschaften und Bücherläden, Bürgerinitiativen und Landkommunen – und, vielleicht am weitesten in die Gesellschaft hineinragend, Jugendzentren, die zwischen 1970 und 1974 boomten und demonstrierten, dass weitgehend selbstbestimmte Freizeit jenseits von Konsumindustrie und staatlichem Erziehungsauftrag möglich war (vgl. Siegfried 2004). Den „Sinn“ ihrer Freizeit selbst zu kreieren und nicht von anderen bestimmen zu lassen – das war ein wesentliches Element jenes „Wertewandels“ hin zu mehr Selbstständigkeit, wie er insbesondere von den jungen Altersgruppen seit den frühen 1960er-Jahren mit Macht vorangetrieben worden war.
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Wenn Bildung großgeschrieben wird Jugendarbeit im Zeichen der Bildungsreform der 1970er-Jahre und angesichts der „PISA“-Debatte – Zwei historische Konstellationen im Vergleich und Perspektiven für die Zukunft1
1. Einleitung Wie immer die Aufgaben und die Zielsetzung der Jugendarbeit im einzelnen definiert werden, führt kein Weg an der Feststellung vorbei, dass sie Teil des Sozialisationssystems darstellt, also jenes gesellschaftlichen Systems, in dem es um die Sozialisation und soziale Platzierung der nachwachsenden Generation geht. Sie lebt dabei in nächster Nachbarschaft mit der mächtigsten Sozialisationsinstanz: der Schule, und es ist deshalb mehr als naheliegend, dass Entwicklungen im schulischen Bildungswesen, insofern sie die Lage der Adressaten der Jugendarbeit betreffen, auch von Konsequenzen für die Jugendarbeit begleitet sind. In der Geschichte der Jugendarbeit in den letzten Jahrzehnten lassen sich zwei Situationen identifizieren, in denen Impulse und Veränderungen im Bildungswesen die Jugendarbeit herausforderten – und es ist aufschlussreich zu sehen, wie verschieden die Antworten der Jugendarbeit auf eben diese Herausforderungen aussehen. Die erste dieser Situationen stellt die Bildungsreform der 1970er Jahre des vergangenen Jahrhunderts dar, wo ganz im Zeichen der Planungs- und Steuerungseuphorie dieser Epoche eine umfassende Neugestaltung des Erziehungs- und Bildungswesens programmatisch entwickelt und verfolgt wird. Die Jugendarbeit sieht sich in einer dramatischen Weise bedroht durch diese Entwicklung und wähnt sich als Objekt einer feindlichen Übernahme. Ein zweites Beispiel erleben wir gegenwärtig als Folge und im Sog der „PISA“Debatte: Weil die soziale Seite der Bildung in Deutschland sich als so problema1 Der Beitrag greift in einigen Passagen auf erste, eher lockere Ausführungen zum Thema zurück, die im Heft 2/2002 der Zeitschrift DISKURS (Deutsches Jugendinstitut München) erschienen sind.
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tisch und negativ durchschlagend erwiesen hat, hat sich eine gewaltige Debatte darüber entwickelt, welchen Beitrag die Jugendarbeit zur Behebung dieses Defizits leisten könnte. Milliardenschwere Programme sind (in Zeiten knapper öffentlicher Mittel!) aufgelegt worden (Bundesrepublik Deutschland 2003); der 12. Jugendbericht verzichtet darauf, über die „Leistungen der Kinder – und Jugendhilfe in Deutschland“ (wenn auch in einem Teilbereich, wie es fällig wäre) zu berichten, sondern handelt ausführlich darüber, wie die Förderung im „Elementarbereich“ (ein sprachliches Erbe der Bildungsreform) und wie für Kinder und Jugendliche „Bildung, Erziehung, Betreuung“ im Schulalter aussehen müssten. Aber diesmal ist die Reaktion auf die Bildungsdebatte, zumindest im main-stream, eine ganz andere: Die Jugendarbeit bietet sich an, an der Bearbeitung und Beseitigung dieses Problems mitzuarbeiten. Was hat sich getan, dass diese Reaktion so ganz anders ausfällt? Der Beitrag versucht zu rekonstruieren, welche Umstände und Sachverhalte jeweils maßgebend waren, wie die Entwicklungen verliefen, was vielleicht aus derartigen Rekonstruktionen gelernt werden kann und welche Herausforderungen für die Zukunft in diesem Feld zu bewältigen sind.
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Vom Sog der Bildungsdebatte zum sozialpolitischen Aufgabenverständnis – Die Jugendarbeit in den 1970er-Jahren
2.1 Grundlegende Neugestaltung des Bildungswesens – aber die Jugendhilfe bleibt draußen Die Bildungsreform der 1970er-Jahre kann als ein Versuch verstanden werden, das Bildungswesen der Bundesrepublik umfassend neu zu ordnen. Im „Strukturplan für das Bildungswesen“ (Deutscher Bildungsrat 1970) wird der Gesamtplan vorgelegt, in den Empfehlungen zur Neuordnung der Sekundarstufe II und in den Empfehlungen zur Einrichtung eines Modellprogramms für die Curriculum-Entwicklung im Elementarbereich (Deutscher Bildungsrat 1973) für den Kindergarten entwickelt. Darüber hinaus gibt es für zahlreiche weitere Bereiche des Bildungswesens, vor allem was die Organisation betrifft, Vorschläge und Empfehlungen, die dem Plan folgen, das ganze Bildungssystem, vom Kindergarten bis zur Weiterbildung und Fortbildung nach bestimmten Prinzipien sowohl strukturell wie curricular neu zu ordnen und modernen Erfordernissen entsprechend zu gestalten. Neuordnung des Bildungswesens heißt für die Bildungsreformer: schulisch orga-
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nisierte Bildung, berufliche Bildung, Erwachsenenbildung. Die Jugendhilfe als Teilsystem des Erziehungs- und Bildungssystems ist nicht Gegenstand der Reformplanung durch den Bildungsrat. Lediglich der Kindergarten wird unter der Bezeichnung „Elementarbereich“ in die Planungen einbezogen, allerdings nur konzeptionell. Im Unterschied zu anderen Feldern, für die weit reichende strukturelle Veränderungen geplant werden, soll die Struktur (im Wesentlichen die Trägerstruktur) erhalten bleiben. Unter dem Eindruck der Erkenntnisse zur Bedeutsamkeit der früheren Kindheit für die Persönlichkeitsentwicklung wird eine inhaltliche Verbesserung der Kindergartenarbeit für dringend erforderlich gehalten; durch ein Modellprogramm soll dies in die Wege geleitet werden (Deutscher Bildungsrat 1973). Mehr indirekt betroffen ist die Jugendhilfe von der Bildungsreform in einem anderen Feld, nämlich dem der Jugendarbeit. Hier „stört“ das, was in der Bildungsgesamtplanung vorgesehen ist das eingefahrene Verhältnis von Jugendarbeit und Schule und zwar insofern, als diese Planungen der Jugendarbeit gleichsam das Wasser abgraben und sie eines Teils ihrer Legitimität berauben. Die Empfehlungen zur Sekundarstufe II (Deutscher Bildungsrat 1974) schlagen vor, dass Politische Bildung, Musisch-kulturelle Bildung, Soziale Bildung (alles bisher Aufgaben der Jugendarbeit) künftig verstärkt und in neuen Arrangements (Stichwort: Studio als neuer Lernort) in der Schule stattfinden sollen. Das nimmt der Jugendarbeit einen guten Teil ihrer Existenzberechtigung und den Heranwachsenden die Zeit, die sie bisher für die Aktivitäten der Jugendarbeit aufbringen konnten. Das Deutsche Jugendinstitut greift in die Debatte ein, indem es in dem berühmt-berüchtigten „30 Seiten-Papier“ die Initiative ergreift und für eine integrierte Konzeption und Aufgabenstruktur von Jugendarbeit und Schule plädiert und damit für die Einbeziehung der Jugendarbeit in den Bildungsgesamtplan. Daraus wird, wie bekannt, nichts; es bleibt alles beim Alten und zwar sowohl was die Schule betrifft als auch bezüglich der Jugendarbeit – und das gilt vor allem für die Strukturen und Zuständigkeiten. Beim Stichwort „Zuständigkeiten“ muss zumindest mit einem Seitenblick, daran erinnert werden, dass das Thema „Bildung in der Jugendhilfe“ auch eine verfassungsrechtliche Seite hat. Diese wird unübersehbar deutlich, wenn es auf der Ebene des Bundes um Jugendförderung und Jugendhilfegesetzgebung und –politik geht: Hier hat Bildung, als Folge der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik keinen Platz; denn Bildung ist Ländersache. In seiner Stellungnahme zum Diskussionsentwurf zu einem neuen Jugendhilfegesetz (JHG) kritisiert Bayern (Bayerische Staatsregierung 1973), dass das Gesetz
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durch die Einbeziehung des Begriffs „Bildung“ den Charakter der Fürsorge/Hilfe verliere und zu einem Bildungsgesetz würde, wozu der Bund nicht berechtigt sei. Im gleichen Kontext und aus gleichem Anlass bekräftigt das Bundesjugendkuratorium in seiner Stellungnahme zum oben genannten Diskussionsentwurf, „dass Erziehung und Bildung (zwar) unverzichtbare Bestandteile einer modernen Jugendhilfe sind“ (Bundesjugendkuratorium 1974). Allerdings empfiehlt es der Bundesregierung „aus verfassungsrechtlichen Gründen auf die ausdrückliche Anfügung des Wortes „Jugendbildung“ in § 1 Entwurf JHG zu verzichten, bei der Beschreibung der Aufgaben der Jugendhilfe im Gesetz jedoch die außerschulische Jugendbildung in geeigneter Formulierung und in der Tragweite der Regelungskompetenz des Bundes nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1967 ausdrücklich in den Gesetzestext aufzunehmen“. Und es gibt noch einen anderen Ausweg – darauf verweisen andere Stellungnahmen – wenn man nämlich die politische Bildung als „öffentliche Fürsorge“ im Sinne des Art. 74 Nr. 7 GG betrachtet – dann entfallen die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen außerschulische Bildung.
2.2 Jugendarbeit und Jugendpolitik unter dem Druck der Protestbewegung und im Zeichen sozialer Problemlagen Die Anstöße und Impulse der Bildungsreform haben Struktur- und Aufgabenverständnis der Jugendarbeit nicht wesentlich verändert; stattdessen sind zwei andere Entwicklungen maßgebend geworden. Wenn auch mit einer ziemlichen Verzögerung, so dann doch wirksam, ist es die Studenten- und Protestbewegung, die Selbstund Aufgabenverständnis der Jugendarbeit verändert hat. Seit Mitte der 1970-Jahre führen dann virulent werdenden Auswirkungen und Probleme der „Ausbildungskrise“ und neuer sozialer Problemlagen zu dem, was – wiederum in einer Formulierung des Deutschen Jugendinstituts – die „Sozialpolitisierung der Jugendarbeit“ (Deutscher Bundestag 1980) bewirkt. Aus der Protestbewegung (im weitesten Sinn des Wortes, also im Sinne der neuen sozialen Bewegungen) vermag die Jugendarbeit Gewinn zu schöpfen, indem sie konzeptionell mit neuen Begründungen für ihre Arbeit reagiert. Sie entwickelte politische Konzepte der Bildung, wie die Protestbewegung sie vorgab. Dies geschah vor allem mit dem Argument, dass die nun sichtbar gewordenen neuen Formen politischer Bildung, die im wesentlichen politische Aktionen waren, in der Schule als einer „neutralen“ Institution gar nicht möglich wären – sehr wohl aber innerhalb der Jugendarbeit, die dafür die geeigneten institutionellen Bedingungen bot.
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Dies war der „Kern“ des neuen Anspruchs, der unter der Leitvorstellung einer offensiven Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit als eines eigenständigen Sozialisationsfelds das neue Profil, vor allem auch in Abgrenzung gegenüber der Schule, sichtbar machte (BMJFG 1974). Dann aber, etwa ab Mitte der 1970er-Jahre veränderte sich die Situation: Die durch die Bildungsreform aufgeworfenen Fragen und Kontroversen, die für einen Moment nicht weniger als eine „Neuvermessung der Erziehungslandschaft“ (Hornstein 1971) in greifbare Nähe gerückt hatten, wurden überlagert durch die sozialen Probleme, welche in Folge wirtschaftlicher Rezession, Jugendarbeitslosigkeit, Ausbildungskrise, die demographische Entwicklung („Geburtenberg“) auf die Tagesordnung drängte. Das Bildungsthema war erledigt.
2.3 Rückblick: Wenn man ein Fazit aus dieser Geschichte ziehen will (1) Die „Antwort“ der Jugendhilfe auf die Herausforderungen durch die Bildungsdebatte ist sehr stark geprägt durch das Gefühl der Bedrohung und das Bemühen, das eigene Territorium zu behaupten. Es geht also nicht um „Mitmachen“, um Zuarbeit für die Bildungsinstitutionen, auch nicht um Aufsteigen auf den fahrenden Zug, um Förderungsvorteile einzuheimsen, sondern um Abgrenzung und Verdeutlichung des eigenen Profils und der eigenen Zuständigkeit. Das gilt vor allem für die Jugendarbeit. Der Kindergarten lässt sich auf das Angebot, das in den Modellprogrammen steckt, ein (mit Ausnahme von Bayern, das dem Bund das Recht abspricht, für den Kindergarten aktiv zu werden, weil es sich hier um Bildung, die Ländersache sei, handele) – vor allem, weil die Initiative des Bundes nicht an der überkommenden Trägerstruktur rüttelt. Die Jugendhilfe zeigt also ein Handlungsmuster, das sich von der heute vorherrschenden Tendenz, die auf Beteiligung gerichtet ist, klar unterscheidet. Mit der Bildungsreform nahm es bald ein Ende; die groß angelegten Ziele, die man sich vorgenommen hatte: Überwindung des dreigliedrigen Schulwesens zugunsten der Gesamtschule, Überwindung der Trennung von Allgemeinbildung und beruflicher Bildung, Kollegschule in Nordrhein-Westfalen – um nur einige dieser Ziele zu nennen – wurden nicht erreicht. Was schon in der Konzeption und Programmatik der Bildungsreform ein entscheidender Mangel war, nämlich die fast völlige Ignorierung der sozialen Voraussetzungen der Bildung – blieb auch weiterhin unbedacht. Die Ergebnisse der PISA-Studie sind nichts anderes als eine späte, aber deutliche Quittung für genau dieses Versäumnis, sofern dort festgestellt wird, dass in keinem anderen Land sich soziale Benachteiligung so unmittelbar und ungebrochen in mangelnden Bildungschancen niederschlägt.
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Der Fünfte Jugendbericht (BMJFG 1980), hatte dies in einem eigenen Abschnitt „Schulversagen“ zum Thema gemacht und hat wegen dieser „Grenzüberschreitung“ massiven Tadel einstecken müssen. (2) Aufschlussreich ist, dass erst Anfang der 1970er Jahre die Programmatik einer „Offensiven Jugendhilfe“ entwickelt und proklamiert wird und sich politisch kämpferisch zu Wort meldet. Dokumente dieses neuen politisch bestimmten Selbst- und Aufgabenverständnisses sind: Der vierte Deutsche Jugendhilfetag in Nürnberg 1970 (Hornstein 1970), vor allem aber die Arbeiten des Bundesjugendkuratoriums-Ausschusses zur „Erarbeitung grundlegender Vorstellungen über Inhalt und Begriff moderner Jugendhilfe“ mit dem darauf beruhenden „Manifest zur Jugendhilfe“ (am 18. Mai 1973 verabschiedet). In diesen Dokumenten werden die in den „Vier Versuchen“ (Müller u.a. 1964) enthaltenen und geltend gemachten theoretischen Begründungen für Jugendarbeit zu Grunde gelegt. Sie spielen eine entscheidende Rolle für ein neues Aufgabenverständnis der Jugendarbeit und Selbststeuerung. (3) Die sozialliberale Bildungs- und Jugendhilfepolitik, wie sie zunächst in der Regierung Brandt, dann unter Helmut Schmidt stattfand, stellte zwei sehr unterschiedliche Konsequenzen für die Jugendarbeit dar: Der Aufbruchstimmung, die unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen!“ bis zum Rücktritt Brandts das Feld beherrschte, folgten Reduktion und Rücknahme der auf Reform und Innovation gerichteten Politik und die zunehmende Verpflichtung der Jugendarbeit auf Mitwirkung im Sozialpolitischen.
3.
Parallelen und Unterschiede zwischen der Reformepoche der 1970erJahre und der durch „PISA“ ausgelösten Debatte
3.1 Motive und Anlässe Der Vergleich der Situationen, in denen damals – also in den 1970er Jahren – und heute – diesmal im Zeichen von PISA –das Thema Jugendhilfe und Bildung diskutiert wird, zeigt sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede: (1) In Bezug auf die Motive und Anlässe zu den entsprechende Diskussionen steht der Ruf nach Reform des Bildungswesens in den 1970er-Jahren ganz entschieden im Zeichen des „Sputnik-Schocks“. Es ist von der „Bildungskatastrophe“ (Picht 1964) die Rede, dem katastrophalen Nachhinken des Bildungssystems
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gegenüber den modernen Anforderungen. Aber es gibt ein zweites, nicht minder wirksames Motiv, welches Dahrendorf mit der wirksamen Formel: „Bildung ist Bürgerrecht“ (Dahrendorf 1965) umschreibt. Heute ist es der Schrekken über eine plötzlich deutlich gewordene miserable Stellung in den Leistungen des Bildungswesens im internationalen Vergleich, der den Ruf nach Reform und Verbesserung mit so gewaltigen Dröhnen hat ausbrechen lassen. Aber es ist wohl ausschließlich der Schrecken über die so beschriebene Katastrophe und weniger über die Vernachlässigung des „Bürgerrechts auf Bildung“, also mehr Picht und weniger Dahrendorf, welcher heute die Debatte bestimmt. (2) Die politische Antwort und die Art des politischen Umgangs mit den Bildungsforderungen waren in den 1970er Jahren „nachhaltiger“, weiterwirkender, grundsätzlicher als heute. Der Schock saß tief und führte zu der Einsicht, dass nur gemeinsames Handeln weiterhelfen würde. Notwendig wäre demnach die Relativierung der föderalistischen Struktur durch eine gemeinsam von Bund und Ländern getragene Bildungspolitik (mit entsprechenden Institutionen, einem „Bildungsgesamtplan“ usw.). Die politische Reaktion heute ist zwar lautstark, aber zugleich durch parteipolitische Instrumentalisierung und durch Vorschläge geprägt, die primär auf „Vereinheitlichung“, auf Standardisierung, auf Abstimmung zwischen den Bundesländern abzielen. Aber Vereinheitlichung, Standardisierung, Evaluation stellen noch nicht per se inhaltliche Qualitätsverbesserungen sicher. Und schließlich kommt bei einem derartigen Vorgehen, wie beim „Forum Bildung“ mehr als deutlich geworden ist, schließlich der kleinste gemeinsame Nenner, oder die allergemeinste Formulierung über das, was wünschenswert wäre, zum Zuge. Ganz auffallend und unterschiedlich im Vergleich zu den 1970er Jahren ist aber die aufs Ganze gesehen eher offensiv und konstruktiv sich gebende Antwort der Jugendarbeit und vor allem auch der Jugendhilfe im Ganzen. Das Bundesjugendkuratorium plädiert in mehreren Erklärungen und Manifesten für eine neue Form der Zusammenarbeit von Bildung und Jugendhilfe und bemüht sich um den Nachweis, dass Bildung schon immer und in vielfältiger Hinsicht ein wesentliches Moment der Jugendhilfe und so auch der Jugendarbeit dargestellt habe (Bundesjugendkuratorium 2002 a; 2002 b). In den vom Bundesjugendkuratorium, der Sachverständigenkommission für den 11. Jugendbericht und der AGJ herausgegebenen „Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte, die unter dem Titel „Bildung ist mehr als Schule“ erschienen sind (Bundesjugendkuratorium 2002 b) werden in einer weit reichenden und weit greifenden Weise Perspektiven der Zusammenarbeit von Jugendarbeit und Schule entwickelt.
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Schließlich wird im 12. Jugendbericht, unter Hinanstellung der Aufgabe, dass hier eigentlich ein Jugendhilfebericht über „Leistungen der Jugendhilfe“ zu erbringen wäre – ein 700-Seiten-Bericht über Förderung im „Elementarbereich“ (eine Terminologie aus Zeiten der Bildungsreform der 1970er Jahre) und über Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche im Schulalter außerhalb und mit der Schule vorgelegt, in dem es vor allem um den Aufweis künftiger Aufgaben und Kooperationen geht. Und nicht zuletzt: Es hat sich eine äußerst lebhafte Fachdiskussion zum Thema „Bildung in der Jugendarbeit“ entwickelt. Sie zeigt sich in einer ganzen Reihe von Themenheften der Zeitschrift ‚deutsche jugend’, in denen sowohl über Praxisprojekte berichtet wie theoretische und konzeptionelle Fragen behandelt werden. In gleicher Weise hat die Diskussion ihren Niederschlag gefunden in einer ganzen Reihe von Buchveröffentlichungen, die ebenfalls sowohl theoretische Erörterungen wie Praxisberichte beinhalten (als Beispiele für viele andere: Sturzenhecker/ Lindner 2004; Müller u. a. 2005). Ein ganz wesentlicher Punkt in diesem Zusammenhang liegt darin, dass in der an die PISA-Studien anschließenden Debatten durch die Erweiterung und Klärung des Bildungsbegriffs eine Basis für die Zusammenarbeit von Jugendarbeit und Schule geschaffen wird. Offensichtlich gelingt es der Jugendarbeit diesmal – im Unterschied zur Bildungsreform-Epoche der 1970er Jahre – deutlich zu machen, dass Bildung nicht nur eine Sache der Schule ist, sondern dass Bildung als Lebensressource verstanden werden kann (s. dazu Bundesjugendkuratorium 2002, 2002 b).
3.2 Die Programmatik und die Realisierungsbedingungen in der Praxis Die knappe Skizze zeigt: an Programmatik und grundsätzlichen Erörterungen zum Thema Bildung fehlt es nicht; die Frage ist, wie es in der Praxis mit der Realisierung dieser Programmatik bzw. mit den Voraussetzungen steht, die dafür notwendig sind. Meiner Einschätzung nach steht die Jugendarbeit vor einer doppelten Schwierigkeit: Die erste besteht darin, dass sie mit einer Tradition und einem historisch wirksamen Selbst- und Aufgabenverständnis bei den Praktikern belastet ist, das weniger Bildung und Bildungsprozesse im Auge hat, sondern in wechselnden und vielfältigen Formen ein breites Spektrum von Aktivitäten, das schwerlich auf einen Nenner zu bringen ist und angesichts der jetzigen Situation nur dadurch beschrieben werden kann, dass es weniger mit Bildung als mit anderem zu tun hat. Diese Aussage gilt zunächst für die Jugendhilfe im ganzen. Hier führt kein Weg an der
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Tatsache vorbei, dass die Entwicklung und Ausweitung der Jugendhilfe in den letzten drei Jahrzehnten in Richtungen und mit Konzepten erfolgt ist, die weniger Bildungsprozesse im Auge hatten als vielmehr, z.B. in der Jugendarbeit, Prävention. In anderen Bereichen sind es die an einer früheren Stelle genannten Konzepte des sozialen Lernens u.a.. Zu berücksichtigen ist hier, dass das Ende der Reformära auch neue Legitimation für die kompensatorische Funktion der Jugendhilfe brachte. Die Folgeprobleme schulischer Sozialisation wurden zum Aufgabengebiet der Jugendhilfe und bildeten die Basis für eine pragmatische Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule. In der Hausaufgabenhilfe, in der schulbezogene Jugendhilfe, in der Schulsozialarbeit, in den Horten, in der Erziehungsberatung hat Jugendhilfe mit Bildung (als schulisch geltend gemachter Leistungsanforderungen) zu tun in der Bewältigung der Folgeprobleme schulischer Bildung. So entstand ein schiedlich-friedliches Nebeneinander auf der pragmatischen Ebene; die Zuständigkeiten waren geregelt, die Aufgaben der Jugendhilfe eindeutig als kompensatorische, zuarbeitende, ausgleichende und ihre Stellung als nachrangig festgeschrieben. Wie nicht anders zu erwarten, führte dies zur Entwicklung und Ausbreitung von Arbeitsformen und Handlungskompetenzen, die für derartige Situationen passen (zum Überblick s. Galuske 1998): Arbeitsfomen, die auf Konflikt- und Krisenbewältigung, auf soziales Lernen ausgerichtet sind. In diesem Prozess breiten sich vor allem Konzepte des sozialen Lernens, der Kommunikation, der Gruppenprozesse aus. Nach dem Ende der politischen Phase und der Politisierung sind es dann psychologisch-therapeutische und schließlich – mit einem Sprung in die Gegenwart – solche, die sich in das Rahmenkonzept der sozialen Dienstleistung einfügen, denen es um Qualität und Leistungsbeschreibungen usw. geht. Dies alles findet auch in der Ausbildung statt: Es etabliert sich eine Art der Ausbildung (und das gilt in gewisser Weise auch für die Fortbildung), die, sozialwissenschaftlich ausgerichtet, das Management des Sozialen (aber nicht Bildungsprozesse!) in ihrem Zentrum hat und dementsprechende Verfahren gruppendynamischer, systemischer Art usw. entwickelt und dementsprechende Professionalisierungsakzente setzt. Auf der anderen Seite gibt es durchaus auch Entwicklungen in der Jugendhilfe, die zwischen einer an events orientierten Erlebnispädagogik und einer an der Programmatik der Prävention orientierten Praxis auf Bildungsprozesse, auf Befähigung und Steigerung der Kompetenzen für die Gestaltung eines selbstverantwortlichen Lebens ausgerichtet sind. Weil diese Praxisformen nicht den herkömmlichen Anschein von Bildung erwecken, aber gleichwohl deren Qualität besitzen, fallen sie oft nicht auf. Die derzeitige Debatte könnte ein Anlass sein, sich ihrer stärker reflexiv zu vergewissern. Auf einer anderen Ebene, aber für die derzeitige
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Diskussion von eminenter Bedeutung, ist der bereits vorhandene Diskurs zur Bildungstheorie der Sozialpädagogik als theoretische Grundlage zu nutzen für eine integrative Konzeption der Kinder- und Jugendbildung und als neue Basis für die Kooperation von Schule und Jugendhilfe (s. dazu Sünker 1989).
3.3 Was die Jugendarbeit aufbringen muss: Ortsbestimmung und Aufgabendefinition angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen – zur Kritik und Fortsetzung der Debatte zum Thema Jugendarbeit und Bildung Die nächste Schwierigkeit resultiert daraus, dass die Jugendarbeit die beschriebene Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen in der Bildungsthematik zu einem Zeitpunkt führen muss, der durch gravierende Brüche im gesellschaftlichen und politischen Kontext ihrer Arbeit, aber vor allem auch durch gravierende Veränderungen in der Struktur und Qualität des Aufwachsens ihrer Adressaten gekennzeichnet ist. Dies bedeutet, dass der Kampf um Identität, um Kooperation, die Behauptung eines eigenen Aufgabenverständnisses in Kooperation und Abgrenzung gegenüber anderen Trägern des Sozialisations- und Bildungsprozesses nicht unter Berufung auf alte Situations- und Aufgabendeutungen bestritten werden kann, sondern dass es für diesen Diskurs der Bezugnahme auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation und deren Auswirkungen auf die heranwachsende Generation bedarf. Zunächst aber wäre kritisch zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus der Dynamik der „sekundären Modernisierung“ (Beck/Bonss 2001) für den Prozess der Sozialisation ergeben, wie sich damit die Grundstruktur des Aufwachsens, die Bewältigungsaufgaben“ (Böhnisch) verändern (s. dazu Böhnisch/Schröer/Thiersch 2005). Diese Situation stellt für die Jugendarbeit eine neue und gravierende Herausforderung dar. Ihr kann sie nur entsprechen und gerecht werden, wenn sie sich um eine „Ortsbestimmung“ und ein Aufgaben- und Funktionsverständnis bemüht, das sich nicht auf Traditionen und überkommende Muster bezieht, sondern um eine radikal zeitaktuelle Verortung. Eine solche Reflexion wäre dringend notwendig gegenüber den vorherrschenden Formen, in denen die Jugendarbeit auf die neue gesellschaftliche Situation Jugendlicher eingeht. Die Reflexion ist im Wesentlichen bestimmt durch programmatische Erklärungen (s. dazu die bereits genannten Veröffentlichungen des Bundesjugendkuratoriums), durch Diskussionen zum Zeitbudget der Adressaten, also dem Kampf um Anteile, um Selbstbehauptung. Demgegenüber geht es um eine
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Neudefinition der Kinder- und Jugendarbeit, die sich realitätsnah, d.h. in dem Rahmen bewegt, wie er durch die gesellschaftlichen Entwicklungen gegeben ist. In den bisherigen Diskussionen werden nicht oder zumindest nicht konsequent genug bedacht: – Erstens: Die zentralen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die darin enthaltene Wandlung der Vergesellschaftungsformen und deren Bedeutung für Rolle und Funktion der Jugend und für die historisch-konkrete Form des Erwachsenwerdens; – Zweitens: Es wird nicht bedacht die Rolle und Problematik der Institutionen und das, was Jugendarbeit als Institution unter den historisch-konkreten Bedingungen sein kann; – Drittens: Es mangelt an einer realistischen Einschätzung und Beachtung der Praktiker/Innen und deren professioneller Orientierung und Kompetenz; – Viertens: Schließlich mangelt es an der Bezugnahme auf den Wandel des Politischen mit seinen Konsequenzen für die Jugendarbeit.
3.4 Zentrale Reflexionspunkte Daraus ergeben sich zumindest vier Themen- bzw. Problemkomplexe für weitere Überlegungen; diese stellen die Voraussetzungen und zugleich einen elementaren Bestandteil der allfälligen „Kooperationsverhandlungen“ zwischen Jugendarbeit und Schule dar. Derartige Vergewisserungen stellen übrigens auch die einzige Garantie dafür dar, dass die Jugendarbeit nicht in kritik- und bedenkenloser Anpassung an die geltend gemachten Anforderungen, unter Verzicht auf ihre emanzipatorisch-politische Funktion, agiert.
(1) Zentrale gesellschaftliche Entwicklungstendenzen Dazu zählt – in Stichworten – die Entwicklung von der industriellen Arbeitsgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts zur Wissensgesellschaft mitsamt der Radikalisierung der Moderne, die darin enthalten ist; die reflexive Modernisierung; der beschleunigte Kapitalismus und seine Konsequenzen; die Verschiebungen im Machtverhältnis von Politik, Ökonomie, Medien und die Dynamik der Globalisierung;
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und schließlich vor allem die Transformation, die die Arbeit sowohl in ihrem Charakter und ihrer Funktion als Erwerbsarbeit erfährt wie auch die „Entbettungsvorgänge“, die hier eine Rolle spielen (Beck/Bonß 2001; Hornstein/Mutz 1993; Sennett 2000/1998).
(2) Wandlungen des Modells Jugend – Vom industriegesellschaftlichen Modell des Aufwachsens zum Aufwachsen unter Bedingungen einer radikalisierten Moderne Das industriegesellschaftliche Modell des Aufwachsens ist bestimmt durch das Prinzip der Integration durch Separation und die dazugehörenden Momente (Jugend als Vorbereitungsphase auf eine absehbare feststehende Erwerbstätigkeit). Für das Modell der Wissensgesellschaft ist charakteristisch, dass Arbeit und Beruf als bisher leitende Medien der gesellschaftlichen Integration der Jugend, ihre Qualität grundlegend verändern und damit ihre Funktion als zentrale Integrationsmechanismen verlieren. Damit ist eine Entwertung der Jugendphase hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Wertes, zumindest Funktionswandel verbunden (Schröer 2004; Hornstein 2005).
(3) Prinzipien des Aufgabenverständnisses und Arbeitsformen der Kinder- und Jugendarbeit Wenn Jugendarbeit mit der Schule zusammenarbeitet, kommt es darauf an, dass sie ihre eigenen Prinzipien festhält. Diese sind zumindest: das Prinzip der Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen; das Prinzip der Lebensweltorientierung, das Prinzip der Freiwilligkeit, der Beteiligung und Mitbestimmung, der Offenheit im Sinne der Gemeinwesenorientierung; und schließlich ein kritisches Verhältnis zu Missständen, der Entwicklung der Persönlichkeit hinderlicher sozialer Bedingungen Dazu gehört ferner, sozialpädagogische Arbeitsformen in einer fruchtbar-konstruktiven Weise in die gemeinsame Arbeit von Schule und Jugendarbeit einzubringen (s. dazu die Beiträge in Sturzenhecker/Lindner 2004) und schließlich die Geltungsansprüche ihrer sozialpädagogische Professionalität.
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(4) Die politische Dimension Schließlich stellt die Frage nach dem Politischen einer gemeinsamen Praxis von Jugendarbeit und Schule einen wichtigen und unerlässlichen, wenn auch zumeist mehr oder weniger vergessenen Reflexionspunkt, dar. Auch hier steht die Jugendarbeit einer doppelten Herausforderung gegenüber: Die alte Frage nach der politischen Funktion der Praxis muss heute unter Bedingungen gestellt und bearbeitet werden, die durch einen dramatischen Wandel in Erscheinungsformen und Charakter des Politischen gekennzeichnet sind und die die Jugendarbeit in vielerlei Hinsicht nicht unberührt lassen, von ihr also reflektiert werden müssen Weil diese Wandlungen die Jugendarbeit betreffen und verändern, muss sie hierzu Positionen formulieren und dabei ihre eigene Funktion bedenken. Aus der langen Liste dieser Veränderungen und Wandlungen ist zunächst das grundsätzliche Verständnis des Politischen (s. dazu ausführlich Nassehi/Schröer 2004) anzumerken. Es geht um den Gestalt- und Funktionswandel der Politik von einer nationalstaatlich angelegten zu einer globalen, von einer vorwiegend in Form von Gesetzen sich äußernden Politik zur Politik als einer Verhandlungssache, von einer Politik des politischen Systems zu einer bürger- und zivilgesellschaftlich getragenen Politik, zu bedenken ist das Phänomen der „Entgrenzung der Politik“ (Beck). Zusammen mit diesen grundsätzlichen Formen des Gestaltwandels der Politik treten in Erscheinung die konkreten Veränderungen: die Wandlung vom Sozialstaat zum „aktivierenden Staat“, der Rückzug des Staates aus der wohlfahrtsstaatlichen Programmatik zugunsten einer auf Selbsthilfe und Eigenaktivität beruhenden Aufforderungsstruktur und schließlich die neuen politischen Steuerungsformen im Rahmen eines Dienstleistungskonzepts. Schließlich stellen die beschriebenen Veränderungen und Entwicklungen eine neue Situation und Bedingung dar im Hinblick auf die Frage nach der politischen Funktion der Jugendarbeit: Was unter dem Stichwort der „Entgrenzung“ der Politik (s. dazu Böhnisch/Schefold/Schröer 2004) diskutiert wird, verweist auf neue Konstellationen und die Notwendigkeit eines neuen politischen Bewusstseins in diesem Feld.
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Schlussbemerkung: Die Bildungsdebatte als fruchtbar zu machende Provokation
Die Stichworte mögen deutlich machen: Die Provokation der Jugendarbeit durch eine neue Bildungsdebatte erfolgt in einem historischen Moment, der durch gesell-
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schaftliche Brüche und Dynamiken gekennzeichnet ist, die unabhängig von den aus dieser Debatte resultierenden Herausforderungen ein radikales Neubedenken der Aufgaben der Jugendarbeit und ein Neujustieren der Aufgabenstellung nahe legen. Aktuell gelangt eine neue Herausforderung dazu, nämlich den aus der sich verändernden Bildungslandschaft resultierenden Provokation gerecht zu werden. Es gilt, einer doppelten Herausforderung gerecht zu werden: derjenigen, die sich aus den historischen Umbrüchen generell ergeben und derjenigen, die die Jugendarbeit hautnah aus den Veränderungen der Bildungslandschaft betreffen. Es ist keine Frage, dass sich Jugendarbeit angesichts dieser Lage in vielerlei Hinsicht neu positionieren muss. Dabei geht es nicht nur um Abgrenzung und Selbstbehauptungsfragen gegenüber dem schulisch organisierten Bildungswesen und seinen gewachsenen Ansprüchen auf das Zeitbudget der Heranwachsenden (auch gegenüber den Entwicklungen, die dort stattfinden, was häufig übersehen wird!), sondern vor allem um Klärung und Erarbeitung einer gemeinsamen Basis für Kooperation. Diese sind aber nur möglich auf der Grundlage einer gemeinsamen Definition der Problem- und Aufgabenkonstellation des Aufwachsens unter den Bedingungen einer „radikalisierten Moderne“ (Giddens) und dem, was sich daraus für Erziehung und Bildung ergeben. Die Jugendarbeit hat in diese Debatte eine eigene Sicht und Erfahrung einzubringen. Diese resultieren daraus, dass sie im Vergleich zur Schule einen engeren und unmittelbaren Bezug zur Lebenswirklichkeit und Lebenswelt der Heranwachsenden hat. Und darüber hinaus: Einen besonderen und wichtigen Beitrag in diesem Diskurs kann die Jugendarbeit insofern leisten, als sie in der Debatte einen kritisch-emanzipativen Bildungsbegriff entwickelt und vertritt – je mehr ein rein funktionalistisch auf Verwertung ausgerichteter Bildungsbegriff die allgemeine Diskussion und Praxis beherrscht (was in gewisser Weise nicht verwundert; schließlich ist die OECD, die Initiatorin der PISA-Studien, eine Organisation, der es vor allem um „wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit“ ankommt.) Dafür zu sorgen und einen Beitrag dazu zu leisten, dass im Sog eines beschleunigten Kapitalismus auch Positionen zu Wort kommen, die nicht in der Ökonomisierung aller Verhältnisse das einzige Ziel sehen, ist die Jugendarbeit aufgerufen.
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Gerd Brenner Jugendarbeit im Spiegel der Zeitschrift „deutsche jugend“
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Die gesellschaftliche Position der Jugendarbeit im Spiegel der Zeitschrift „deutsche jugend“
Die Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit hat unter anderem gesellschaftliche und politische, pädagogisch-praktische und wissenschaftlich reflektierende Dimensionen. Die inzwischen mehr als 50 Jahrgänge der Zeitschrift „deutsche jugend“ machen deutlich, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen in der Praxis der Kinder- und Jugendarbeit immer wieder – entweder unter der Hand oder unter wacher Wahrnehmung der MitarbeiterInnen – durchgesetzt und ihr Erscheinungsbild verändert haben; dass auch Wissenschaften und Politik auf die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit immer wieder Einfluss genommen haben, dass andererseits aber auch aus dem Feld der Kinder- und Jugendarbeit heraus viele Impulse in Politik, Wissenschaft, Kultur und andere gesellschaftliche Bereiche hineingetragen worden sind, und zwar ganz konkret über eine Vielzahl benennbarer Personen. Die beiden ersten genannten Aspekte werden in der Fachpublizistik regelmäßig analysiert und kommentiert, dagegen findet der dritte Aspekt eher wenig Beachtung. Deshalb soll in den folgenden Betrachtungen hierauf, also auf die Frage, wie ImpulsgeberInnen der Kinder- und Jugendarbeit in diverse gesellschaftliche Felder hineinwirken und wie diese Felder über konkrete Personen und ihre Biografien mit der Kinder- und Jugendarbeit verflochten sind, ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dabei werden unter anderem kurze biografische Betrachtungen zu einer Reihe von PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden angestellt, die in der Kinder- und Jugendarbeit und/oder durch das Nachdenken über sie entscheidend geprägt worden sind. Die biografischen Betrachtungen erlauben anschließend einige auswertende Reflexionen über den gesellschaftlichen Stellenwert der Kinder- und Jugendarbeit.
1. Jugendarbeit und Politik Im November 1998 erreichte die Redaktion der Zeitschrift „deutsche jugend“ eine Todesanzeige, in der mitgeteilt wurde, dass Heinz Westphal, vormaliger Bundes-
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minister für Arbeit und Sozialordnung sowie Vizepräsident des Bundestages von 1983 bis 1990, verstorben sei. Beigefügt war eine Einladung des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung zu einem Staatsakt für Heinz Westphal. Die Biografie Heinz Westphals steht exemplarisch für die enge Verbindung zwischen Jugendarbeit sowie Fachpublizistik über Jugend, Jugendforschung und Jugendarbeit auf der einen und praktischer Politik auf der anderen Seite (vgl. Westphal 1953, 1954, 1956). Westphal, Sohn des früheren Vorsitzenden der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ Max Westphal, Bundesvorsitzender der „Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken“ von 1952 bis 1957, gehörte 1953 zu den Gründungsgesellschaftern des „Juventa-Verlages“, dessen Hauptzweck zunächst darin bestand, die von Verantwortungsträgern aus der Jugendarbeit gegründete und vom damaligen Präsidenten des Bayerischen Jugendrings, Dr. Martin Faltermaier, redigierte Zeitschrift „deutsche jugend“ herauszugeben. Westphal war als führendes Mitglied der „Falken“ 1949 bereits an der Gründung des „Deutschen Bundesjugendrings (DBJR)“ beteiligt gewesen, dessen Vorsitzender er 1955 wurde. Bis in seine letzten Lebensjahre war Westphal dann der Jugendarbeit und der Zeitschrift „deutsche jugend“ verbunden geblieben (vgl. Westphal 1995). Sein Lebensmittelpunkt war seit 1965 allerdings die Bundespolitik: Von 1965 bis 1990 war er SPDBundestagsabgeordneter und von 1969 bis 1974 dann Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, bevor er eine Reihe höchster Staatsämter bekleidete. Der Deutsche Bundesjugendring und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schreiben zur Erinnerung an Heinz Westphal alle zwei Jahre einen Preis aus, mit dem das ehrenamtliche Engagement Jugendlicher in der Kinder- und Jugendarbeit gestärkt werden soll. Für die politische Klasse in Deutschland galt für eine Reihe von Jahrzehnten, dass sich für viele ihrer VertreterInnen Karrieren aus ehrenamtlicher Praxis und/ oder Leitungsämtern in der Kinder- und Jugendarbeit heraus entwickelt hatten. Beispiele dafür sind: – Willy Brandt, mit 14 Jahren Mitglied der „Roten Falken“, mit 15 Jahren Mitglied der „Sozialistischen Jugend“, im Exil mit Führungsaufgaben in der Jugendorganisation der Norwegischen Arbeiterpartei „DANN“ betraut, später Bundeskanzler, SPD-Vorsitzender und Friedensnobelpreisträger, schrieb in Heft 9/ 1956 der Zeitschrift „deutsche jugend“ einen Beitrag mit dem Titel „Die Aufgabe der Jugend in der Welt von heute“. Sein Leben lang hatte Brandt die Belange des „Nachwuchses“ in besonderer Weise im Blick. – Heinrich Köppler, später bis zu seinem frühen Tod führender CDU-Politiker in Nordrhein-Westfalen, gehörte – aus der katholischen Jugendarbeit kommend –
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zu den Gründungsmitgliedern der Zeitschrift „deutsche jugend“ und veröffentlichte z. B. im 2. Jahrgang (1954) einen Aufsatz mit dem Titel „Behördliche und freie Jugendpflege“. – Klaus Schütz mit Funktionen in SPD-nahen Jugend- und Studentenorganisationen, dann 1951 Vorsitzender der „Jungsozialisten“ in Berlin, späterer Regierender Bürgermeister von Berlin, schrieb 1957 über „Die junge Generation an der Wahlurne“ (5. Jg., S. 63 ff.). – Bernhard Vogel, 1963 mit einem Aufsatz zum Thema „Junge Wähler unter der Lupe“ in „deutsche jugend“ vertreten, war später CDU-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und anschließend in Thüringen. – Walter Scheel, 1956 einer der „Jungtürken“, die in NRW einen Koalitionswechsel der FDP von der CDU zur SPD erzwangen, später Bundesminister, Vizekanzler und Bundespräsident, befasste sich 1963 in einem Aufsatz mit dem Thema „Zur Gründung eines deutschen Entwicklungsdienstes“ (11. Jg., S. 205 ff.) und 1964 mit „Entwicklungspolitik im Wandel“ (12. Jg., S. 297 ff.), lange bevor er dieses Politikfeld dann auf Bundesebene maßgeblich beeinflusste. Aufgrund einer Vielzahl personeller Verflechtungen zwischen – dem Nachdenken über – Jugendarbeit und praktischer Politik konnte die Kinder- und Jugendarbeit lange Zeit damit rechnen, dass sie an politischen Schaltstellen, insbesondere aber auch auf unterster politischer Ebene in den Kommunen viele FürsprecherInnen hatte. Im Gegenzug konnte die politische Klasse – und konnten insbesondere die Parteien – davon ausgehen, dass sie auch aus den Reihen der nicht parteilich gebundenen Jugendorganisationen immer wieder Nachwuchs rekrutieren konnte. Lange Zeit galt insbesondere die verbandliche Jugendarbeit als „Durchlauferhitzer“ für politisch begabte junge Menschen. Diese intensive Verflechtung zwischen Kinder- und Jugendarbeit – insbesondere verbandlicher Jugendarbeit (vgl. Leif 2000) – und Politik ist tendenziell zurückgegangen, aber nicht ganz verschwunden. Dieser Befund ergibt sich aus einem Studium der Beiträgerschaft der Zeitschrift „deutsche jugend“ in den letzten Jahrzehnten. Kein/e AutorIn der letzten Jahre hat analytisches und konzeptionelles Potenzial im späteren Lebensweg an herausragender Stelle einer der politischen Parteien zur Verfügung gestellt, auch wenn es z. B. mit dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel (SPD, jetzt Bundesumweltminister), dem Grünen-Politiker Michael Vesper (in den 1970er-Jahren Mitglied der Bundesleitung der „Katholischen Studierenden Jugend“, eines Schülerverbandes, bis 2005 stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, jetzt Vizepräsident des Landtages in Düsseldorf) und der SPD-Bundestagsabgeordneten Karin
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Kortmann (der ehemaligen Vorsitzenden des „Bundes der Deutschen Katholischen Jugend – BDKJ“) immer wieder Engagierte aus der Kinder- und Jugendarbeit gegeben hat, die später politische Ämter bekleidet haben. Eine nachlassende und mancherorts auch ganz verschwindende Symbiose kann auch zwischen der Jugendarbeit in den Kommunen und den Fraktionen der Parteien in Stadt- und Gemeinderäten beobachtet werden. Hinzu kommt, dass auch die Austauschprozesse zwischen den Jugendorganisationen der politischen Parteien und anderen Jugendorganisationen in den letzten Jahrzehnten immer schwächer geworden sind (vgl. z. B. Brenner 2001). Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass die Entfremdung zwischen den politischen Parteien und Jugendlichen insgesamt gewachsen ist (vgl. dazu z. B. Hafeneger 1997). Eine Durchsicht insbesondere der ersten Jahrgänge der Zeitschrift „deutsche jugend“ ergibt einen weiteren wichtigen Befund: Bereits in ihren Gründungsjahren war die Jugendarbeit schon einmal als ein gesamtdeutsches Projekt konzipiert worden; und diese Perspektive wurde einige Jahre aufrechterhalten (vgl. z. B. Westphal 1956). Als konkretes Projekt konnte die Einheit jedoch zunächst nur für kurze Zeit erträumt werden, und eine treibende Kraft war – interessanterweise – zunächst die „Freie Deutsche Jugend (FDJ)“, die außer in der Sowjetischen Besatzungszone teils auch im Westen des Landes organisiert war: „Vom 3. bis 5. November 1947 konferierten in Haus Altenberg bei Köln Repräsentanten der deutschen Jugendverbände, um Möglichkeiten einer interzonalen Zusammenarbeit und eines gesamtdeutschen Jugendringes zu prüfen. Es war vor allem die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die auf eine solche interzonale Jugendkonferenz hin gedrängt hatte, und Erich Honecker [der spätere Staatsratsvorsitzender der DDR und Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands/SED, seit 1922 Mitglied kommunistischer Kinder- und Jugendgruppen, 1946 bis 1955 erster Vorsitzender der FDJ; G. B.] war in Haus Altenberg der Wortführer der FDJ der Sowjetischen Besatzungszone. Heinz Westphal (...) war bei der Altenberger Konferenz einer der Sprecher der sozialistischen Jugend ‚Die Falken’. Der Bund der Katholischen Jugend wurde durch Josef Rommerskirchen vertreten, der später Erster Vorsitzender des (west-)Deutschen Bundesjugendringes und Bundestagsabgeordneter der CDU wurde“ (Klönne 1989, S. 14 f.).
Bereits im Vorfeld dieser denkwürdigen Konferenz hatte die FDJ 1946 in Brandenburg die „Erhaltung der Einheit Deutschlands“ zum obersten Leitsatz der Jugendorganisation erklärt und 1947 in Meißen eine „unteilbare deutsche Republik“ als Zielsetzung formuliert (vgl. ebd., S. 16). Das gesamtdeutsche Treffen von JugendverbandsvertreterInnen im November 1947 war der Höhepunkt, zugleich auch der Abgesang auf eine gemeinsame Jugendvertretung im Nachkriegsdeutschland. Die politischen Trennungslinien zwischen der Sowjetischen und den westlichen Besatzungszonen wurden bald schärfer markiert, sodass eine Zusammenarbeit zu-
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nehmend schwieriger wurde und bald zum Erliegen kam. Aber noch im Jahre 1989 gab es in einer Publikation des Bundesjugendrings immerhin noch einen gemeinsamen Artikel von Honecker, Rommerskirchen und Westphal mit allerdings divergierenden Einschätzungen der Bemühungen um eine Vereinigung der deutschen Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Honecker/Rommerskirchen/Westphal 1989). In den Jahren zwischen 1947 und der Wiedervereinigung hat es zwar immer wieder Kontakte zwischen westdeutschen Jugendorganisationen und der ostdeutschen FDJ gegeben (vgl. Sauerhöfer 1989), diese spielten jedoch im Alltag der Kinderund Jugendarbeit und auch in der Zeitschrift „deutsche jugend“ bis zum Zusammenbruch der DDR keine große Rolle mehr, obwohl viele Jahre lang regelmäßig auch über die Jugend in der DDR berichtet wurde (vgl. Faltermaier 1992, S. 27 f.). Mit der Nation, mit dem Aspekt des „Deutsch-Seins“ in der Kinder- und Jugendarbeit und im eigenen Namen hat die Zeitschrift „deutsche jugend“ im Übrigen ab und zu einige Probleme gehabt: InteressentInnen, die auf die Zeitschrift aufmerksam wurden, sie aber noch nicht hinreichend kannten, hielten sie des Attributs „deutsch“ wegen ab und an für nationalistisch oder gar ausländerfeindlich und forderten einen Namenswechsel. Redaktion und Herausgeber haben sich immer dagegen entschieden. Ausschlaggebend war, dass solche Vorwürfe seit Beginn der Zeitschrift haltlos waren, denn die Gründer der Zeitschrift, die aus dem gesamten demokratischen Spektrum der Jugendarbeit kamen, legten per Satzung fest, „man wolle sich in Zukunft gemeinsam gegen ein Wiederaufleben nationalistischer Tendenzen zur Wehr setzen“ (Faltermaier 1992, S. 67). „Wir nannten sie ‚deutsche jugend’, wobei wir das Wort ‚deutsch’ damals in dem gleichen Sinn verwendeten, wie wir etwa von der französischen Jugend sprachen“, berichtet einer der Gründer (ebd.). Diese Position gilt unverändert. Zugleich vertritt die Redaktion die Ansicht, dass es politisch nicht wünschenswert sei, „den Begriff ‚deutsch’ der (extremen) Rechten einfach zu überlassen. Wir halten es für sinnvoll, dieses Adjektiv durchaus antinationalistisch, antirassistisch und weltoffen zu besetzen“. In einem Brief an einen Beschwerdeführer aus dem Jahr 1998 heißt es weiter, dass sich „die kritische Publizistik insgesamt darum kümmern sollte, der extremen Rechten nicht zu viele semantische Felder kampflos zu überlassen“ (Brief, Redaktionsarchiv). Im Übrigen gibt es ein durchaus progressives Vorgängerorgan gleichen Titels, von dem die Gründer nach dem Zweiten Weltkrieg aber vermutlich nichts gewusst haben: 1873 gründete Julius Lohmeyer (1835 – 1903) eine Jugendzeitschrift mit dem Titel „Deutsche Jugend“, in der er „Maßstäbe für Text und Ausstattung gleichermaßen hoch ansetzte und vor allem bei den ersten Jahrgängen namhafte Dichter und Künstler für die Mitarbeit gewinnen konnte“ (Pleticha/Launer 1999, S. 210 f.).
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2. Jugendarbeit und Wissenschaft Außer auf dem Feld der Politik bewegt sich die Kinder- und Jugendarbeit immer auch in wissenschaftlichen Kontexten, obwohl sich viele PraktikerInnen von wissenschaftlichen Reflexionen allzu fern halten. Das gilt, so die Erfahrung der Redaktion, gerade auch für einen großen Teil der hauptamtlichen Kräfte in der Kinder- und Jugendarbeit, die nach ihrem Hochschulstudium oft den Kontakt zum aktuellen wissenschaftlichen Diskurs verlieren. Andererseits gibt es einen nicht versiegenden Strom von ExpertInnenschaft aus der Kinder- und Jugendarbeit in den Wissenschaftsbetrieb hinein. Es ist wissenschaftsgeschichtlich interessant, dass seit 1945 eine Vielzahl deutscher Erziehungs- und Sozialwissenschaftler in ihren formativen Anfangsjahren eng mit wissenschaftlichen Disputen um die Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendarbeit verbunden waren. Das gilt beispielsweise für die folgenden Wissenschaftler: – Hermann Giesecke, der längere Zeit den „Jugendhof Steinkimmen“ leitete, bevor er sich wissenschaftlich mit Jugendarbeit und Pädagogik auseinander setzte, begann 1962 und 1963 eine lange Serie von „deutsche jugend“-Beiträgen mit den Titeln „Die politische Bildung und die Mauer“ (10. Jg., S. 270 ff.) und „Die Misere der geplanten Jugendlichkeit“ (11. Jg., S. 61 ff.). Giesecke, der eine Fülle von Standardwerken für die Pädagogik und Politische Bildung vorlegte, ist heute emeritierter Professor für Pädagogik und Sozialpädagogik an der Universität Göttingen. – Helmut Kentler machte ebenfalls frühe Erfahrungen in der Jugendarbeit – „Erfahrungen aus der Arbeit mit unorganisierten Jugendlichen in der Industriewelt”, 6. Jg., S. 13 ff.; „Zeltlager mit unorganisierten Industriejugendlichen“, ebd., S. 313 ff. – und war im „Studienzentrum für Evangelische Jugendarbeit“ in Josefstal tätig; später war er Professor für Pädagogik an der Universität Hannover. – Alfred Grosser, später Professor für Politikwissenschaft in Paris, schrieb z. B. 1954 in „deutsche jugend“ einen Artikel zur „Sorgen um die deutsche Jugend“ (2. Jg., S. 352 ff.) und 1957 einen weiteren mit dem Titel „Internationale Erziehung“ (5. Jg., S. 21 ff.). – Arno Klönne veröffentlichte bereits im ersten Jahrgang der Zeitschrift einen Aufsatz mit dem Titel „Der Pfad zum Reich – Notizen zum Thema ‚Bündische Jugend’“ (1. Jg., 4. Heft, S. 28 ff.) und setzte die Mitarbeit mit einer Reihe von Titeln insbesondere zur Geschichte der Jugend und der Jugendarbeit fort; Klönne war später Professor für Soziologie an der Universität Paderborn.
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– Christof Bäumler schrieb 1961 seinen ersten Beitrag zum Thema „Anspruchsvollere Jugendarbeit?“ (9. Jg., S. 157 ff.), dem viele weitere folgten. Bäumler war damals Leiter des „Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit“ in Josefstal; später erhielt er eine Professur für praktische Theologie an der Universität München (vgl. Faltermaier 1983, S. 357). – Klaus Mollenhauer, der 1964 und 1965 erste Aufsätze mit den Titeln „Die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Jugendverbände im Blickfeld der Erziehungswissenschaft“ (12. Jg., S. 349 ff.) und „Theorie und Empirie im Nachdenken über Jugendarbeit“ (13. Jg., S. 455 ff.) veröffentlichte, war in jungen Jahren Mitarbeiter eines studentischen Jugendarbeitsprogramms in Hamburg und später Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Göttingen (vgl. Faltermaier 1983, S. 132). – Wolfgang C. Müller, der seine Mitarbeit 1961 mit dem Beitrag „Der Jazz-Saloon und seine Folgen“ begann, kommt ursprünglich aus der Jugendverbandsarbeit, war Kulturreferent bei der „Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken“ in Berlin, dann Leiter des „Instituts für Jugendgruppenarbeit – Haus am Rupenhorn“ in Berlin und schließlich Professor für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Berlin (vgl. Faltermaier 1983, S. 65). – Dieter Baacke, von 1972 bis zu seinem frühen Tod Professor für Pädagogik an der Universität Bielefeld, schrieb 1967 erstmals einen Beitrag mit dem Titel „Das Phänomen Beat“ (15. Jg., S. 449 ff. u. 552 ff.) und beteiligte sich regelmäßig am Nachdenken über Jugend und Jugendarbeit. – Manfred Liebel, der 1969 seinen ersten Beitrag mit dem Titel „Schülerrebellion unter Kontrolle?“ (17. Jg., S. 450 ff.) und dann 1970 einen einflussreichen Aufsatz mit dem Titel „Aufforderung zum Abschied von der sozialintegrativen Jugendarbeit“ (18. Jg., S. 28 f.) veröffentlichte, war später Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin und nun an der Freien Universität Berlin; er steuerte zuletzt den Beitrag „Barrio-Gangs in den USA – Annäherungen an eine irritierende Jugendkultur“ bei (53. Jg., 2005). – Hellmut Lessing veröffentlichte – zum Teil zusammen mit Manfred Liebel – seit 1970 aus der Praxis heraus entscheidende Beiträge zu einer Theorie der antikapitalistischen Jugendarbeit (z. B. „Jugend in der Klassengesellschaft“, 19. Jg., S. 61 ff. u. 111 ff.) und war später – bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1986 – Professor für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Berlin. – Jürgen Zinnecker, der 1982 einen ersten Aufsatz über „Jugend heute – Lebensentwürfe, Alltagskulturen, Zukunftsbilder“ in der Zeitschrift veröffentlichte, viele weitere Beiträge auf den Weg brachte und an mehreren Shell-Jugendstudien beteiligt war, ist heute Professor für Sozialpädagogik an der Universität
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Siegen und dort Leiter des „Zentrums für Kindheits-, Jugend- und Biografieforschung“. – Lothar Böhnisch, der 1981 mit einem Beitrag über „Jugendpolitik in sozialund bildungspolitischer Perspektive“ (Co-Autor: W. Schefold) eine Reihe von Beiträgen für die Zeitschrift begann, war langjähriger Mitarbeiter des „Deutschen Jugendinstituts (DJI)“ in München und ist jetzt Professor für Sozialpädagogik und Sozialisation der Lebensalter an der Technischen Universität Dresden. – Benno Hafeneger, lange Jahre Bildungsreferent beim Hessischen Jugendring und jetzt Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Marburg, begann 1975 mit einem Aufsatz zum Thema „Von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten emanzipatorischer Bildungsarbeit in einem traditionellen Jugendverband“ (23 Jg., S. 74 ff.) eine lange Reihe von Beiträgen zu Fragen der Pädagogik und Jugendpolitik in „deutsche jugend“. Lässt man die lange Namensreihe der Beiträger Revue passieren, so muss man zu dem Schluss kommen, dass das Nachdenken über Jugendarbeit in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland ein relativ breites Spektrum affiner Fachdisziplinen hatte. Bedeutende Vertreter insbesondere der deutschen Sozialpädagogik haben in den letzten Jahrzehnten ihre Wurzeln in der praktischen Kinder- und Jugendarbeit gehabt. Dies gilt in ähnlicher Weise für die Pädagogik/Erziehungswissenschaften, eingeschränkt auch für die Soziologie, in einigen Fällen auch für die Politikwissenschaften und die Theologie. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man weitere Autoren der Zeitschrift „deutsche jugend“ in den Blick nimmt, die in jungen Jahren aus der Jugendarbeit kamen oder ihr nahe standen, sich über Jugend und Jugendarbeit Gedanken machten und später als Wissenschaftler renommierten. Dazu zählen beispielsweise: – Helmut Schelsky (Erstpublikation in „deutsche jugend“ 1953, später Professor für Soziologie an der Universität Münster), – Andreas Flitner (1965, später Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen), – Walter Hornstein (1965, von 1967 bis 1976 Direktor des „Deutschen Jugendinstituts“, später Professor für Sozialpädagogik an der Universität der Bundeswehr München), – Horst Rumpf (1966, später Professor für Erziehungswissenschaft in Frankfurt am Main),
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– Hermann Steinkamp (1967, später Professor für Theologie an der Universität Münster, publizierte wiederholt zur kirchlichen Jugendarbeit), – Roland Eckert (1969, später Professor für Soziologie an der Universität Trier), – Jürgen Fritz (1971, Mitarbeiter der Bildungsstätte der „Deutschen Angestellten Gewerkschaft-Jugend“ in Naumburg, später Professor für Spielpädagogik an der Fachhochschule Köln), – Werner Schefold (1992, Mitarbeiter des „Deutschen Jugendinstituts“, später Professor für Sozialpädagogik an der Universität der Bundeswehr München), – Uwe Sielert (1972, arbeitete in Projekten zur Sexualerziehung in der Kinderund Jugendarbeit, später Professor für Sozialpädagogik an der Universität Kiel), – Franz Josef Krafeld (1973, Jugendbildungsreferent beim Landesjugendring NRW, seit 1979 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Bremen), – Nando Belardi (1975, Mitarbeiter für Jugendbildung bei der Volkshochschule Wetzlar, später Professor für Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln), – Klaus-Jürgen Tillmann (1976 zum Thema „Schulreform: Das Ende der Jugendarbeit?“, langjährig in der Jugendverbandsarbeit tätig, Vorstand der „Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule“, später Professor für Schulpädagogik an den Universitäten Hamburg und Bielefeld), – Michael Schumann (1976, Jugendbildungsreferent bei der Evangelischen Landeskirche in Berlin mit Schwerpunkt Industriejugend von 1969 bis 1975, später Professor für Sozialpädagogik an der Universität Siegen), – Burkhard Müller (1978, hat in Seminaren z. B. Methoden der Offenen Jugendarbeit vermittelt und MitarbeiterInnen des Deutsch-Französischen Jugendwerks fortgebildet, später Professor für Sozialpädagogik an der Universität Hildesheim), – Hartmut M. Griese (1980, später Professor für Soziologie an der Universität Hannover), – Bernd Stickelmann (1981, sozialpädagogische Jugendarbeit an Schulen in Hessen, Mitarbeiter an der Jugendbildungsstätte Dietzenbach, später Professor für Pädagogik an der Fachhochschule Erfurt), – Richard Münchmeier (1982, langjähriger Mitarbeiter des „Deutschen Jugendinstituts“, später Professor für Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin), – Kurt Möller (1983, arbeitete in der außerschulischen Jugendbildung, später Professor für Sozialpädagogik an der Hochschule für Sozialwesen Esslingen), – Franz-Josef Röll (1983, Bildungsreferent bei der DLRG-Jugend in Hessen, heute Professor für Medienpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt), – Franz Hamburger (1985, aus der katholischen Jugendarbeit kommend, Professor für Pädagogik an der Universität Mainz),
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– Uwe Sander (1987, später Professor für Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Rostock), – Werne Thole (1987, zwischen 1968 und 1973 ehrenamtlich in Leitungsämtern der evangelischen Jugendarbeit aktiv, jetzt Professor für Jugend- und Erwachsenenbildung an der Universität Kassel); – Albert Scherr (1990, später Professor für Soziologie und Jugendarbeit an der Fachhochschule Darmstadt, heute an der Pädagogischen Hochschule Freiburg), – Hans-Georg Ziebertz (1990, in den 1980er-Jahren Referent für Glaubensbildung beim „Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ)“, jetzt Professor für Religionspädagogik an der Universität Augsburg), – Heinz-Hermann Krüger (1993, jetzt Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Halle), – Christoph Butterwegge (1993, jetzt Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln) und viele andere. Eine Vielzahl der aufgeführten Autoren hat seit der Erstpublikation immer wieder in der Zeitschrift „deutsche jugend“ publiziert. Auch aus der jüngeren und jüngsten Generation von HochschullehrerInnen haben viele früh den wissenschaftlichen Austausch zu Fragen der Jugendforschung und Kinder- und Jugendarbeit über die „deutsche jugend“ gesucht und hier publiziert. Dazu zählen – Lotte Rose (Erstveröffentlichung in „deutsche jugend“: 1985, frühe Beschäftigung mit Jugendcliquen, jetzt Professorin für Kinder- und Jugendarbeit an Fachhochschule Frankfurt am Main), – Achim Schröder (1985, in der Jugendgruppenarbeit und Teamerausbildung des „Bundes Deutscher Pfadfinder (BDP)“ tätig, dann dort Jugendbildungsreferent, jetzt Professor im Fachbereich Sozialpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt), – Barbara Friebertshäuser (1988, beschäftigte sich mit Mädchen in Cliquen von Arbeiterjugendlichen, jetzt Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Frankfurt am Main), – Benedikt Sturzenhecker (1996, zunächst Referent in der Fachberatung Jugendarbeit beim Landesjugendamt Westfalen-Lippe, jetzt Professor für Erziehung und Bildung an der Fachhochschule Kiel), – Horst Niesyto (1997, Jugendleiter in einer Evangelischen Kirchengemeinde in Frankfurt am Main, Jugendbildungsreferent im Jugendbildungswerk des Odenwaldkreises, dann Dozent beim „Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB)“,
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jetzt Professor für Medienpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg) Die Auflistungen von Kurzbiografien lassen erkennen, dass viele engagierte PraktikerInnen aus der Kinder- und Jugendarbeit insbesondere über die Position der BildungsreferentInnen bei Verbänden, Jugendringen etc. in die akademische Forschung und Lehre gelangten, wo sie sich dann in wissenschaftlichen Kontexten mit Jugend und Jugendarbeit, zum Teil aber auch mit allgemeinen (sozial-)pädagogischen Fragestellungen beschäftigen. Für einige war die Mitarbeit beim „Deutschen Jugendinstitut (DJI)“ ein solches Sprungbrett, wobei ehemalige DJI-Mitarbeiter nun insbesondere in Ostdeutschland Lehrstühle bekleiden. Auffallend ist, dass seit Jahrzehnten ganz überwiegend männliche Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit eine solche Entwicklung nehmen. Weiterhin ist auch die Anzahl der Autorinnen, die der Redaktion Beiträge anbieten, deutlich geringer als die der Autoren, obwohl der weibliche Anteil in den letzten Jahren gewachsen ist. Die aufgeführten WissenschaftlerInnen sind – auch das macht die Übersicht deutlich – geografisch breit gestreut ansässig, wobei Wissenschaftler an ostdeutschen Fachhochschulen und Universitäten, die sich mit Kinder- und Jugendarbeit und Jugendfragen beschäftigen, sehr oft aus dem Westen kommen. In der Regel reagieren die bei der Zeitschrift eingeführten AutorInnen, aber auch neu hinzukommende, in Beiträgen intensiv aufeinander, nehmen Impulse wechselseitig auf und entwickeln sie weiter. Über die Jahrzehnte hat sich so um die Zeitschrift „deutsche jugend“ herum eine lebendige wissenschaftliche Community gebildet, deren Mitglieder sich in der Regel kennen; diese Community bleibt aber – mithilfe der Zeitschrift – immer auch offen für Impulse und Zuwachs von außen. So verwundert es nicht, dass über die Jahre von Theodor W. Adorno (Veröffentlichungen in „deutsche jugend“ 1956, vgl. Literatur) über Viggo Graf Blücher (1956), Kurt Sontheimer (1957), Carl-Christian Kaiser (1958), Wilfried Gottschalch (1966), Hellmut Becker (1967), Tilmann Moser (1970), Klaus Hurrelmann (1985 ff.), Helmut Fend (1989 ff.) und Wilfried Ferchhoff (1989 ff.) bis hin zu Wilhelm Heitmeyer (1989 ff.) viele weitere bedeutende Forscher aus dem Bereich der Erziehungs- und Sozialwissenschaften in die Debatten um Jugend und Jugendarbeit eingreifen konnten. Hinzu kamen Fachhochschullehrer wie Johannes Schilling (Düsseldorf), Rainer Kilb (Mannheim), Karl-Heinz Braun (Magdeburg) oder Titus Simon (Magdeburg), die über die Jahre immer wieder betont praxisorientierte Reflexionen und Anregungen beigesteuert haben, sowie ein breites Spektrum von AutorInnen aus Führungsebenen und Thinktanks der Kinder- und Jugendarbeit selbst, wie z. B. Willy Klawe (Referent für politische Jugendbildung des „Deut-
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schen Volkshochschulverbandes“, Hamburg), Diethelm Damm (Wiesbaden/Frankfurt am Main, langjähriger Jugendbildungsreferent und später Mitarbeiter des „Deutschen Jugendinstituts“), Wolfgang Zacharias (u. a. Mitbegründer der „Pädagogischen Aktion (PA)“, München), Martin Nörber (Referent für politische Jugendbildung beim Hessischen Jugendring in Wiesbaden), Reinhard Winter (Tübingen), Werner Lindner (Hannover), Wolfgang Schindler (Schliersee), Anita Heiliger (DJI, München) oder Ulrich Deinet (langjähriger Referent in der Fachberatung Jugendarbeit beim Landesjugendamt Westfalen-Lippe), die für die Zeitschrift ein wichtiges Bindeglied zwischen Jugendforschung, Jugendpolitik und praktischer Kinderund Jugendarbeit darstellen. Auch von dieser Ebene wechseln viele irgendwann in den Bereich der Lehre an Fachhochschulen oder Universitäten. Für die Reflexion der Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland, so die langjährigen Erfahrungen der Redaktion der Zeitschrift „deutsche jugend“, sind Fachhochschulen mit ihren Lehrgebieten, die oft explizit die Kinder- und Jugendarbeit zum Gegenstand haben, in den letzten Jahrzehnten unverzichtbar geworden. Wichtige Impulse für die Konzeptentwicklung in der Kinder- und Jugendarbeit kommen aber weiterhin auch aus den Universitäten. Sie steuern insbesondere wichtige Grundsatzüberlegungen und Ergebnisse der Jugendforschung bei, auf die eine zukunftsorientierte Praxis nicht verzichten kann. Die Serie der oben aufgeführten Namen von Beiträgern, die verlängert werden könnte, belegt, dass die Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland nicht nur ein vielschichtiges Praxisfeld ist, sondern auch entscheidende Impulse für die Entwicklung aller sozialwissenschaftlichen und pädagogischen Wissenschaftsdisziplinen setzt. Dabei war – und ist – die Zeitschrift „deutsche jugend“ eine Plattform für wissenschaftlichen Austausch und Disput, die besonders intensiv von jungen WissenschaftlerInnen vorangetrieben und von etablierten, oft an Universitäten und Fachhochschulen lehrenden ForscherInnen begleitet wird. Auffällig ist, dass die Beiträge der Zeitschrift aus dem Bereich der Thinktanks der Kinder- und Jugendarbeit bislang fast ausschließlich im Westen des Landes beheimatet sind, wohingegen die „BeiträgerInnen“ aus dem wissenschaftlichen Bereich sich inzwischen über das ganze Land verteilen. Bemerkenswert ist auch, dass immer wieder Autoren, die auf die schulische Didaktik großen Einfluss haben, in der Jugendarbeit ihren Ursprung hatten. Ein Beispiel unter vielen ist das Autorenteam Heimann/Otto/ Schulz, das in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren mit Titeln wie „Unterricht – Analyse und Planung“ ganze Generationen von JunglehrerInnen prägte. Die späteren Begründer der „Berliner Schule“ der Didaktik setzten sich zuvor in „deutsche jugend“ in Aufsätzen wie „Wider die musische Freizeit“ (Wolfgang Schulz, 6. Jg., 1958, S. 543 ff.), „Zur
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Problematik des Fernsehkonsums“ (Paul Heimann 7. Jg., 1959, S. 68 ff.), „Fernsehen und Jugendarbeit“ (Paul Heimann, 9. Jg., 1961, S. 111 ff.), „Unbehagen an Lesebüchern“ (Wolfgang Schulz, 9. Jg., 1991, S. 203 ff.) oder „Jugendpfleger und Lehrer (Zur Koordinierung zweier pädagogischer Berufe)“ (13. Jg., 1965, S. 568 ff.) kritisch mit pädagogischen Sichtweisen der Zeit auseinander. Zur Ausstrahlung der Kinder- und Jugendarbeit in die pädagogischen Grundlagendiskussionen anderer Praxisfelder hinein schreibt Martin Faltermaier, Mitbegründer der Zeitschrift „deutsche jugend“, lange Zeit ihr verantwortlicher Redakteur und Verleger des Juventa-Verlages, der viele pädagogische Titel publiziert hat: „Was zunächst auf die Jugendarbeit hin diskutiert und ausprobiert worden war, davon konnten später die profitieren, die sich um eine innere Schulreform bemühten oder um soziales Lernen im Kindergarten. Mit seinen weithin offenen Strukturen hat das Experimentierfeld Jugendarbeit immer wieder pädagogisch kreative Leute angelockt, die dann Methoden entwickelten für ein Zusammensein und Zusammenarbeiten, das im Unterschied zur Schule durch keinen Zwangscharakter abgesichert war. Dabei ging es nicht nur um Kniffe, die man sich ausdachte, um die Jugendlichen bei der Stange zu halten, es standen auch bestimmte gesellschaftliche Zielvorstellungen dahinter“ (Faltermaier 1992, S. 33 f.).
Die Funktion der didaktischen und methodischen Innovation weit über den eigenen Organisationsbereich hinaus, welche die Kinder- und Jugendarbeit seit Paul Heimann und Otto Schulz kennzeichnet, dokumentiert sich auch in einer ganzen Reihe neuerer Titel von Autoren, die – ursprünglich aus der Jugendarbeit bzw. Jugendbildung kommend – immer wieder eine Brücke zwischen Jugendarbeit und Schule schlagen (vgl. z. B. Fritz 1977; Gugel 1993, 1997/1998, Brenner 1990; Brenner/Brenner 2005). Während die personellen Verflechtungen zwischen praktischer Jugendarbeit und wissenschaftlicher Pädagogik/Sozialpädagogik – ausweislich der „BeiträgerInnenliste“ von „deutsche jugend“ – sich über die Jahre eher intensiviert haben und die zwischen schulischer und außerschulischer Pädagogik nie abgebrochen sind, sind die Kontakte zwischen der Kinder- und Jugendarbeit, ihrer publizistischen Aufarbeitung und dem gesellschaftlichen Sektor Kultur und Medien eher zurückgegangen.
3. Jugendarbeit, Kultur und Medien In der Praxis und Theorie der Jugendarbeit, das spiegelt die Anfangsphase der Zeitschrift „deutsche jugend“ wider, gab es eine ganze Reihe von Kontakten in den kulturellen Sektor hinein. So steuerte Hans-Christian Kirsch in den 1960er-Jahren eine Reihe von Beiträgen zu Titeln wie „Konquistadoren des Erfolgs? Versuch
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eines Porträts der Jungmanager“, „Die missmutigen jungen Männer“ (8. Jg., S. 175 ff. und 515 ff.) oder „Die Töchter der Wissenschaft – Versuch eines Porträts zweier Studentinnen“ (9. Jg., S. 221 ff.) bei, in denen in essayistischer Form Einblicke in frühe bundesdeutsche Jugendszenen gegeben wurden. Schon wenig später war Kirsch unter dem Pseudonym Frederik Hetmann ein bekannter Jugendbuchautor (zuletzt „Moses oder Die Entdeckung Gottes“, Würzburg 2005). Der damalige Redakteur der Zeitschrift, Martin Faltermaier, berichtet, dass es in den 1950er-Jahren in der Redaktion lange Zeit einen „Dichterschreibtisch“ gab, an dem einige Zeit lang z. B. Tankred Dorst saß, der Jahrzehnte später, 1990, in Anerkennung seines literarischen Werkes den Georg-Büchner-Preis erhielt (vgl. Faltermaier 1992, S. 49 ff.), und eben auch Hans-Christian Kirsch: „Kirsch hat zeitweise bei der Redaktion von ‚deutsche jugend’ mitgeholfen“ (ebd., S. 51).
In der Zeitschrift dokumentierte Kontakte gab es unter anderem auch zu – Erich Kästner, der 1953 einen Beitrag zum Thema „Jugend, Literatur und Jugendliteratur“ (1. Jg., Heft 9, S. 39 ff.) beisteuerte; – Hans Werner Richter, dem Schriftsteller und Organisator der „Gruppe 47“, der 1954 einen Beitrag über sie verfasste (2. Jg., S. 222 ff.), – Carl Amery, der 1963 über „Opfer für die Freiheit – Zum 20. Todestag der Geschwister Scholl“ (11. Jg., S. 33 f.) schrieb; – Walter Dirks, der sich 1955 mit der Frage „Was sind Gesellschaft und Jugend einander schuldig?“ (3. Jg., S. 449 ff.) auseinander setzte und – Hans Heigert, der 1954 erstmals über „Staat und Jugend“ (2. Jg., S. 170 ff.) und über „Die Studenten und der deutsche Geist“ (ebd., S. 259 ff.) schrieb und seine Mitarbeit mit einer Reihe weiterer Beiträge fortsetzte. Im Zuge einer zunehmenden gesellschaftlichen Segmentierung sind diese engen Kontakte zwischen Schriftstellern und Publizisten auf der einen und Kinder- und Jugendarbeit auf der anderen Seite deutlich schwächer geworden, jedoch nicht abgebrochen. In letzter Zeit hat z. B. Thomas Leif, in jungen Jahren Bundesvorsitzender der „Deutschen Jugendpresse (djp)“, später „deutsche jugend“-Autor mit Artikeln wie „Jugendpresse im Blickpunkt der Parteien – Unpolitische Informationsblätter, Diskussionsforen oder Gegenöffentlichkeit?“ (1983 zusammen mit Uwe Meyeringh, 31. Jg., S. 274 ff.) und Chefreporter Fernsehen beim Südwestfunk, diese Brücke geschlagen (vgl. auch Leif 2000).
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Literatur
Adorno, Theodor W. (1956): Kritik der Jugendmusik. In: deutsche jugend, 4. Jg., Heft 12, S. 555ff Brenner, Gerd (1990): Kreatives Schreiben. Ein Leitfaden für die Praxis. Mit Texten Jugendlicher. Frankfurt a. M. Brenner, Gerd (2001): Junge Union und Jungsozialisten: Schwierigkeiten, sich zu positionieren. In: deutsche jugend, 48 Jg., S. 105 – 107 Brenner, Gerd/Brenner, Kira (2005): Fundgrube Methoden I. Für alle Fächer. Berlin Faltermaier, Martin (1983): Nachdenken über Jugendarbeit. Zwischen den fünfziger und achtziger Jahren. Eine kommentierte Dokumentation mit Beiträgen aus der Zeitschrift „deutsche jugend“. München Faltermaier, Martin (1992): Zurückschauen auf die Verlagsjahre. München Fritz, Jürgen (1977): Methoden des sozialen Lernens. München Gugel, Günther (1993): Praxis politischer Bildungsarbeit. Tübingen Gugel, Günther (1997/1998): Methoden-Manuals I/II: „Neues Lernen“. Weinheim u. Basel Hafeneger, Benno (1997): Parteien: Hilflose Suche nach der Jugend. In: deutsche jugend, 45 Jg., S. 59 – 60 Honecker, Erich/Rommerskirchen, Josef/Westphal, Heinz (1989): Die Auseinandersetzungen um einen Deutschen Jugendring – das „Altenberger Gespräch“ 1947. Rückblicke, Einschätzungen, Meinungen. In: Deutscher Bundesjugendring (Hrsg.): Texte zur Zeitgeschichte. 40 Jahre Deutscher Bundesjugendring. Kein Alter zum Ausruhen. Düsseldorf, S. 25 – 44 Klönne, Arno (1989): Jugendverbände und gesellschaftspolitische Entwicklung. In: Deutscher Bundesjugendring (Hrsg.): Texte zur Zeitgeschichte. 40 Jahre Deutscher Bundesjugendring. Kein Alter zum Ausruhen. Düsseldorf, S. 7 – 25 Leif, Thomas (2000): Jugendverbände – Werkstätten der Demokratie. Kritischer Rückblick und Perspektiven. In: deutsche jugend, 48 Jg., Heft 12, S. 537 – 540 Pleticha, Heinrich/Launer, Christoph (1999): Was sie gerne lasen. Streifzüge durch 500 Jahre Kinderund Jugendliteratur. Würzburg Sauerhöfer, Werner (1989): Die Jugendverbandskontakte zwischen den beiden deutschen Staaten. In: Deutscher Bundesjugendring (Hrsg.): Texte zur Zeitgeschichte. 40 Jahre Deutscher Bundesjugendring. Kein Alter zum Ausruhen. Düsseldorf, S. 151 – 166 Westphal, Heinz (1953): Falsch ausgelegte Subsidiarität. In: deutsche jugend, 1. Jg., Heft 6, S. 19ff Westphal, Heinz (1954): Freie und behördliche Jugendpflege in sozialistischer Sicht. In: deutsche jugend, 2. Jg., Heft 2, S. 70ff Westphal, Heinz (1956): Die Jugend im ganzen Deutschland. In: deutsche jugend, 4. Jg., Heft 1, S. 13ff Westphal, Heinz (1995): Jugendverbände und der Deutsche Bundesjugendring auf dem Weg in die internationale Gemeinschaft. In: deutsche jugend, 43. Jg., Heft 11, S. 483 – 492
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II Zur historischen Entwicklung einer Theorie der Jugendarbeit und ihrer aktuellen Bezüge
C. Müller „WasWolfgang ist Jugendarbeit?“ Bemerkungen zu meinem „Versuch 1“
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„Was ist Jugendarbeit?“ Bemerkungen zu meinem „Versuch 1“
Unsere Beiträge sind alle vor 40 Jahren veröffentlicht worden. Sie haben ihre eigene Rezeptionsgeschichte gehabt. Junge Kollegen werden im Laufe dieser Studientagung die einzelnen Versuche noch einmal zusammenfassend und kritisch würdigen; ich möchte dem jetzt nicht vorgreifen, sondern nur ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte und zum Hintergrund meines Beitrages und – in vorsichtiger Weise verallgemeinernd auch der anderen Beiträge – zu Protokoll geben. Wir vier Autoren waren keine in sich geschlossene und gefestigte Arbeitsgruppe, sondern vier Einzelautoren. Was uns verband, war unsere Beziehung zum Juventa-Verlag und seinem verdienstvollen Verleger Dr. Martin Faltermaier. Faltermaier hatte mehrere Tagungen an landschaftlich schönen Orten organisiert, bei denen sich die Eingeladenen Gedanken über eine mögliche Theorie der Jugendarbeit machen sollten. Diese im Brainstorming-Verfahren entwickelten Versuche wurden dann in einem Sammelband zusammengefasst. Die vier Autoren, so will es mir scheinen, verbanden ein paar Eigenheiten, die ich für erwähnenswert halte. Wir hatte alle – mehr oder weniger – Erziehungswissenschaft oder, wie man es früher nannte: Pädagogik, studiert und waren über die dazu gehörenden Bezugswissenschaften Psychologie, Soziologie und Politologie hinreichend gut informiert worden. Wir hatten alle niemals wirklich Lehrer werden wollen, aber wir waren alle Pädagogen geworden – außerschulische Pädagogen. Das hing damit zusammen, dass wir aus der Jugendarbeit und der Jugendbildungsarbeit kamen und eine mehr oder weniger jugendbewegte Vergangenheit hatten. Ich war Mitglied der „Sozialistischen Jugend Deutschland – Die Falken“ und der „Gewerkschaftsjugend“ gewesen. Hermann Giesecke kam aus dem „Bund Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ)“. Helmut Kentler war Mitglied der „Deutschen Jungenschaft vom 1.11.1929 – dj.1.11“ gewesen. Klaus Mollenhauer kam aus dem alten „Wandervogel“. Wir hatten alle nicht nur Gruppenarbeit gemacht, sondern auch jüngere Gruppenleiter ausgebildet und waren dazu in mehr oder weniger enge Beziehungen zu den so genannten Jugendhöfen und Jugendbildungsstätten getreten, welche die Besatzungsmächte nach dem Ende der Hitler-Herrschaft als Bei-
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trag zur Neuorientierung der deutschen Jugend in ihren Besatzungszonen ins Leben gerufen hatten. Die Arbeit in den Bildungsstätten zwang uns, unsere eigenen Erfahrungen in gewisser Weise zu systematisieren, zu verallgemeinern und didaktisch aufzubereiten. Wir waren also nicht nur als Gruppenmitglieder oder Gruppenleiter in Jugendgruppen und Jugendverbänden tätig gewesen, sondern auch als lehrende Vermittler gegenüber dem gruppenpädagogischen Nachwuchs. Aber es war nicht nur der Lehrerberuf, dem wir kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, sondern auch die wissenschaftlich betriebene Pädagogik, die in diesen Jahren zur Erziehungswissenschaft mutiert war, der wir wenig Plausibilität zur Erklärung dessen abgewinnen konnten, was wir getan hatten und was wir lehrten. Die damals im Wesentlichen noch geisteswissenschaftlich betriebene Pädagogik als „Bildungslehre“ war an der Systematisierung, der Didaktisierung und der Reflexion so genannter Bildungsinhalte orientiert, wie sie in den Schulen aller Arten – insbesondere Gymnasien – vermittelt wurden oder vermittelt werden sollten. Diese Art von geisteswissenschaftlicher „Schulpädagogik“ stand nicht im Zentrum unseres Interesses. Wir waren an den eher informellen Bildungsprozessen orientiert, welche in mehr oder weniger selbst organisierten und selbst verantworteten Jugendgruppen stattfand, aus denen wir unsere Erfahrungen schöpften. Anders ausgedrückt: Wir sahen die Jugendarbeit, die wir betrieben hatten und die wir weiter vermittelten, als eine eigenständige dritte Erziehungsmacht im Sinne von Gertrud Bäumer an. Ich selbst war damals nach einem Studium der Europäischen Kulturwissenschaften, der Theaterwissenschaften und der Publizistikwissenschaft in Berlin und Basel und einem interessanten Gastspiel der praktischen Publizistik als einer der Korrespondenten des Magazins „Der Spiegel“ Dozent für Jugendpflege an dem Berliner Institut für Jugendgruppenarbeit im „Haus am Rupenhorn“ geworden. Mein Interesse war es, die Traditionen des eigenen Jugendverbandes weiter zu entwickeln und der neuen Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges anzupassen. Die alten politischen Jugendverbände waren ja vergleichsweise geschlossene Gemeinschaften von Gleichgesinnten, die wenig Sinn für Abweichungen von der allgemeinen politischen und kulturellen Linie des Verbandes hatten, sondern eher diejenigen aus ihren Gruppen „hinausbissen“, die einen anderen Stallgeruch hatten. Das sich in Ansätzen abzeichnende erste deutsche Wirtschaftswunder der Adenauer-Jahre hatte für die junge Generation eine Situation herbeigeführt, die sich durch bescheidene Selbstbestimmung in der Freizeit und damit verbunden durch bescheidenes selbstbestimmtes Konsumverhalten auszeichnete. Häusliche Pflichten, Bildungsanstrengungen und das einsetzende Konsumverhalten brachten Veränderungen im Zeit-Budget zuwege, die für das dauerhafte Engage-
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ment junger Leute in einem Jugendverband, der seine Mitglieder „mit Haut und Haaren“ forderte, wenig Spielraum ließen. An die Stelle der dauerhaften Verpflichtung in einer kleinen und in sich geschlossenen Gesinnungsgruppe sollte deshalb, so war mein damaliger Ansatz, eine Art offener Jugendarbeit treten, die eher an partieller Projekt-Mitarbeit als an dauerhaftem Mitglieds-Engagement orientiert war. Da aber junge Menschen zu ihrer eigenen Erziehung andere junge Menschen – und nicht nur naseweise Erwachsene – brauchten, wollte ich neben die weiterhin existierende und durchaus unterstützte „geschlossene Gruppenarbeit“ offene „Jugendfreizeitangebote“ durch Einrichtungen und Maßnahmen der so genannten Jugendpflege setzen, die insbesondere in sozialdemokratischen Ländern von kommunalen Jugendämtern und freien Trägern der kommunalen Arbeit angeboten wurden. Der Ausdruck „angeboten“ ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Er signalisiert im Wesentlichen ein angebahntes Verständnis für einen pädagogischen Prozess, bei dem nicht nur die Erwachsenen von Bedeutung sind, die ihn in die Wege leiten, sondern vor allem die Jugendlichen selbst, die freiwillig an diesem Prozess teilnehmen. Daher rührte mein Versuch, neben die geschlossene Jugendarbeit der Jugendverbände die offene Jugendarbeit der kommunalen Jugendpflege zu stellen, ohne einen verschärften Konkurrenzkampf dieser beiden Träger das Wort reden zu wollen. Das Interesse junger Leute, die an den Bildungsprozessen der offenen Arbeit teilnahmen, verbot in meinem Verständnis eine Festlegung der „Inhalte“ dieser Arbeit auf einen bestimmten „Bildungskanon“, wie er den Bildungsprozessen in schulischen Curricula eigen ist. Entscheidend für mich als einem gelernten Gruppenpädagogen waren nicht die Inhalte des Bildungsprozesses, sondern der besondere Charakter der zwischenmenschlichen Beziehungen und die über diese Beziehungen laufende Kommunikation. Entscheidend war für mich die Gruppe, in der diese Kommunikation stattfand, und die hoffnungsvoller Weise für die einzelnen Gruppenmitglieder so etwas wie eine „Bezugsgruppe“ bilden könnte, die das Wahrnehmen, das Erleben und die Gefühle des Einzelnen in ihrer je besonderen Weise prägte. „Gruppe“, „Kommunikation“ und „Stil“ waren für mich damals die entscheidenden Schlüsselbegriffe, welche das beschreiben sollten, was sowohl in der geschlossenen wie auch der offenen Jugendarbeit geschah. Zu dem zuletzt genannten Begriff „Stil“ muss ich noch ein paar erklärende Worte sagen. Es ist ja nicht so, dass erst die modernen Jugendlichen unterschiedliche Lebensformen, Lebensstile und „kulturelle Bedürfnisse“ entwickeln würden. Bereits in der alten Jugendbewegung gab es eine entwickelte Wahrnehmungsfähigkeit für unterschiedliche „Stile“ der Selbstdarstellung, des Miteinander-Umgehens und des öffentlichen Auftretens.
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Das Insgesamt der vom Einzelnen ausgesandten sozialen und kulturellen Signale wurde als „Stallgeruch“ bezeichnet. Der Stallgeruch entscheid darüber, ob jemand zu einer Gruppe passte oder nicht. Es war damals schon genauso wie heute. Wenn meine 16-jährige Tochter auf der Suche nach einem Ort für geselliges Tanzvergnügen die Tür zu einer Disco öffnet, dann weiß sie innerhalb von zwei Sekunden, ob die jungen Leute, die in dieser Disco versammelt sind, und ob die Musik, nach der sie tanzen, zu ihr und ihren Vorstellungen passt oder nicht. Und je nachdem, wie ihr Check ausfällt, wird sie dann die Tür hinter sich oder vor sich schließen. Die Suche nach einem eigenen Stil und die Ausbildung eines solchen Stils gehören zu einer der wesentlichen Entwicklungsaufgaben der jungen Generation. Sie sind ein wichtiger Faktor bei der Suche nach einer eigenen Identität. So gesehen erschien mir damals – und erscheint mir heute – Jugendarbeit in ihrem Doppelgesicht als allgemeine und besondere Jugendarbeit als eine nicht nur sinnvolle, sondern auch notwendige Ergänzung der Erziehung im Elternhaus, in der Schule und in anderen formellen und informellen Bildungseinrichtungen. Sie hilft bei der Identitätssuche junger Menschen, sie unterstützt ihren Bildungswillen und ihre Bildungsfähigkeit und sie ist deshalb ein notwendiges Durchgangsstadium. Sie ist nicht das Ganze, sondern ein sinnvoller Teil zur Herstellung ganzer Menschen.
Hans-Jürgen von Wensierski Kommentar zu C. Wolfgang Müllers „Versuch 1“
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Versuch einer allgemeinen Theorie der Jugendarbeit Kommentar zu C. Wolfgang Müllers „Versuch 1“
Der Ausgangspunkt von C. W. Müller, dessen Beitrag die vier Theorieversuche zur Jugendarbeit 1964 einleitet, ist eine zeitdiagnostische Analyse der Jugendarbeit in historischer Perspektive. Jugendarbeit ist ein spezifisches pädagogisches Angebot, das auf den sozialen Wandel der Industriegesellschaft reagiert. Als solche ist sie aber ihrerseits dem sozialen Wandel unterworfen. Diese Einleitung ist offenbar notwendig, da sich die Jugendarbeit der 1960er-Jahre mitten in einem Umbruch befindet: Einerseits ist sie noch stark durch die idealistische Jugendpädagogik und den Jugendbegriff der Jugendbewegung geprägt, andererseits sind aber auch Modernisierungsprozesse unverkennbar: „Jugendarbeit findet jetzt in der Gesellschaft statt“ (Müller 1964, S. 13). C. W. Müller geht hier kritisch auf die historischen und kulturellen Wurzeln der Jugendarbeit in der Jugendbewegung ein. Interessant ist von heute aus die Perspektive, die dabei sichtbar wird: Die Jugendbewegung erscheint hier nicht als ein früher bürgerlicher Vorläufer autonomer Jugendkulturen, wie wir sie heute kennen. Jugendbewegung wird vor allem beleuchtet unter dem Aspekt ihres ideologischen, antigesellschaftlichen Jugendund Gemeinschaftsmythos und deren Instrumentalisierung durch die Pädagogik. C. W. Müller setzt demgegenüber die Skizze einer zeitgenössischen, pluralistischen und vergesellschafteten Jugendarbeit. Die Jugendarbeit basiert auf einem pluralistischen System vielschichtiger, auch widersprüchlicher Träger und Institutionen. Diese Einrichtungen sind dabei in vielfältiger Form mit der Gesellschaft verwoben. Ihre Angebote sind keineswegs ausschließlich Ausdruck programmatischer Trägerkonzepte, sondern immer auch abhängig von den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen als Zielgruppe dieser Pädagogik. Jugendarbeit ist dabei immer nur ein spezifisches pädagogisches Angebot im Gesamtsetting der Dienstleistungsangebote für die jugendliche Freizeit in modernen Konsumgesellschaften. C. W. Müller entwirft hier Jugendarbeit also auch im Kontext moderner Dienstleistung (ebd.; S. 17 f.). Und dabei sind es gerade auch der Dienstleistungscharakter,
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die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Konkurrenz zur kommerziellen Jugendfreizeit, die letztlich ein spezifisch pädagogisches Verhältnis zwischen Jugendarbeitern und Jugendlichen sichern: Ein Verhältnis, das eher auf Partnerschaftlichkeit basiert und nicht auf den Hierarchien der Schule oder der Betriebe.
1. Jugendarbeit: Hat sie einen Inhalt? Jugendarbeit hat offenbar keinen klar definierbaren Gegenstand für ihre Arbeit. Zumindest keinen, der sich etwa im Sinne eines Fächerkanons didaktisieren ließe. Darin besteht für C. W. Müller aber kein Nachteil. Im Gegenteil sieht er darin gerade den „unverwechselbaren Charakter“ der Jugendarbeit (ebd., S. 18). Die Inhalte der Jugendarbeit bestimmen sich letztlich konstitutiv immer aus dem Zusammenspiel aus Jugendarbeitern und Jugendlichen. Sozialpädagogen sind vielleicht frei in der Wahl ihrer Methoden. Die Inhalte aber haben sich immer an den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen zu orientieren. C. W. Müller formuliert hier also eine strikte Absage an eine Pädagogisierung der Jugendarbeit, die ihre Zielbestimmungen jenseits der Interessen der Jugendlichen sucht. Der Fokus der Jugendarbeit ist dabei immer die jugendliche Freizeit und das Bedürfnis der Jugendlichen nach Spaß. Freizeit ist hier noch nicht kolonialisiert durch Konsumfetischismus. In diesem Blick kommt ihr eher eine kompensatorische Funktion zu. Sie ist hier „ein Spielraum zur Verwirklichung unerledigter Wünsche“ und eine Entschädigung für die Entfremdung und Entsagung in den sonstigen Sozialisationsinstanzen (ebd., S. 19). Der Spaß, den die Jugendlichen in ihrer Freizeit suchen, hat zum einen eine soziale Bedeutung, zum anderen geht es dabei um Erfahrungen, die das eigene Selbstbild stärken: „Er wird bestimmt durch die begründete Hoffnung, andere Menschen sympathisch zu finden, von ihnen sympathisch gefunden zu werden, bestimmte Situationen zu meistern, an bestimmten Konflikten nicht zu scheitern, sich nicht zu langweilen“ (ebd., S. 19). Jugendarbeit hat hier den Charakter eines „Gegenbilds zur Alltagswirklichkeit“. C. W. Müller meint damit nicht die Flucht aus dem Alltag und aus der Gesellschaft, wie in der Jugendbewegung. Jugendarbeit erscheint vielmehr als eine Art „handlungsentlasteter Raum“, in dem die Jugendlichen die Freiheiten haben, sich außerhalb der alltäglichen Zwänge mit Gesellschaft auseinander zu setzen. „Jugendarbeit bereitet gerade dadurch auf die Wirklichkeit unseres Lebens vor, dass sie dem Einzelnen hilft, sich von dieser Wirklichkeit zeitweise zu distanzieren“ (ebd.). Jugendarbeit ermöglicht also eine reflexive Distanz zu den Zwängen von Gesellschaft und Alltag, die zugleich den Blick schärft für das, was sonst das Leben bestimmt.
Kommentar zu C. Wolfgang Müllers „Versuch 1“
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Der eigentliche Gegenstand der Jugendarbeit sind deshalb die Jugendlichen selbst. Allerdings ist diese Zielgruppe nicht einheitlich. C. W. Müller weist deshalb auf die schichten- und bildungsspezifischen Unterschiede innerhalb der jungen Generation hin. Jugendarbeit hat diesen sozialen und kulturellen Ungleichheiten Rechnung zu tragen. Sie muss beachten, dass ihre Angebote unter Umständen immer nur spezifische soziale Gruppen erreichen. Gleichzeitig verlangt C. W. Müller aber, dass sich die Struktur sozialer Ungleichheit, wie sie sich etwa im dreigliedrigen Schulsystem spiegelt, nicht auch in der Jugendarbeit reproduziert. Wie das im Einzelnen mit den Mitteln der Jugendarbeit gelingen kann, sagt der Text nicht. Ihm geht es aber offenbar um eine Pädagogik, die auch gegen die Prägungen der Herkunftsmilieus und des Bildungssystems ausgleichend wirken kann. C. W. Müller unterscheidet zwei Bereiche der Jugendarbeit: die „allgemeine und die besondere Jugendarbeit“: Allgemeine Jugendarbeit, darunter versteht er sozialpädagogische Jugendarbeit, die sich letztlich an alle Jugendlichen richtet – also wohl „offene Jugendarbeit“. Besondere Jugendarbeit kennzeichnet demgegenüber die interessengeleitete und sachspezifische Jugendarbeit in den Jugendverbänden und Organisationen. Für die besondere Jugendarbeit liegt es – nach C. W. Müller – in der Natur der Sache, dass sie – je nach Trägerideologie – immer nur spezifische Zielgruppen anspricht und ansprechen will. Die allgemeine Jugendarbeit zielt demgegenüber tendenziell auf die gesamte Zielgruppe der jungen Generation. Dabei müssen die pädagogischen Angebote zwei Voraussetzungen erfüllen: 1. Sie müssen an den vorgängigen Erfahrungen, Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen ansetzen. Wir würden heute sagen, die Arbeit muss alltags- und lebensweltorientiert sein. 2. Das pädagogische Verhältnis zielt tendenziell auf eine partnerschaftliche und reziproke Beziehung zwischen Sozialpädagogen und Jugendlichen (vgl. ebd., S. 22).
2. Gruppe, Stil und Kultivierung als didaktische Begriffe der Jugendarbeit Für C. W. Müller stehen nicht thematische, sachorientierte Bildungsangebote im Zentrum der Jugendarbeit, sondern der soziale Charakter der zwischenmenschlichen Kommunikation. Zentrale Funktion der Jugendarbeit ist es mithin, soziale Kommunikationsräume zu schaffen, in denen Jugendliche „miteinander reden, mitein-
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ander handeln oder einfach miteinander sind“ (ebd., S. 24) – hier sieht er die besondere Bedeutung gruppenpädagogischer Instrumente. Ihm schwebt dabei weniger die Überhöhung und Idealisierung des Gemeinschaftsbegriffs der deutschen Jugendbewegung als pädagogischer Leitbegriff vor, als vielmehr das angelsächsische Konzept der Gruppenpädagogik. Allerdings bleibt er hier unentschieden zwischen den möglichen soziologischen Gruppenformen, mit denen es die Jugendarbeit zu tun hat. Die pädagogische Gruppe der Jugendarbeit zielt vor allem darauf, gruppenspezifische Erfahrungs- und Lernräume zu eröffnen, in denen die einzelnen Jugendlichen ihr Verhalten und ihr Denken in Auseinandersetzung mit anderen und damit letztlich in Auseinandersetzung mit der Gesellschaft ausprobieren können. Lernerfahrungen in der Gruppenarbeit sollen also vor allem soziale Lernerfahrungen sein, die das Handeln des Individuums im Spannungsfeld zwischen sozialer Integration und sozialer Kontrolle mittels Gruppennormen und solidarischer Unterstützung durch die anderen ausweist. C. W. Müller bleibt hier allerdings vage in der Bedeutung solcher Gruppenstrukturen. Um welche Gruppen und welche Gruppennormen geht es der Jugendarbeit dabei? Er sieht offenbar durchaus den Widerspruch dieses Konzepts. Denn das angestrebte Ziel des sozialen Lernens in der Gruppe leisten die Jugendlichen in ihren Peergroups auch ohne Sozialpädagogen. Braucht es vor diesem Hintergrund überhaupt eine sozialpädagogisch domestizierte Gruppendynamik? Kreative, sozialkritische und kulturell eigenständige Jugendkulturen oder Peergroups kommen hier als theoretische Dimension von Jugendarbeit noch nicht vor. Mitte der 1960er-Jahre dominiert noch eher der jugendschützerische Blick auf die Jugendkulturen. C. W. Müller erwähnt als Beispiel delinquente Jugendgangs aus Albert Cohens Studie zur „kriminellen Jugend“ (vgl. Cohen 1961). Gruppenpädagogische Jugendarbeit scheint vor diesem Hintergrund eine lohnende Alternative und Zivilisierung solcher delinquenten Gruppenformen (vgl. Müller 1964, S. 30). Dass es also bei der Gruppenpädagogik gar nicht allein auf den pädagogischen Selbstwert der Gruppe als sozialem Erfahrungsraum geht, sondern eher um den heimlichen Lehrplan der jeweiligen Normen und Werte, die in der Gruppe vermittelt werden, wird im nächsten Kapitel des „Versuch 1“ sichtbar.
3. „Stil“ als Qualität der Kommunikation C. W. Müller führt hier den Begriff „Stil“ als zentrale Kategorie der Jugendarbeit ein. Jugendarbeit, insbesondere die allgemeine Jugendarbeit und nicht die Jugendverbandsarbeit, ist demnach nicht durch spezifische Inhalte und Themen ihrer päd-
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agogischen Arbeit bestimmt. Bei ihr geht es stattdessen mehr um das „Wie“. Es geht ihr um die Schaffung und Kultivierung bestimmter sozialer Kommunikationsformen. „Stilfragen scheinen [in der Jugendarbeit; J. W.] (...) keine bloß formalen Fragen des ‚konventionell–höflichen’ Umgangs zu sein. Sie scheinen auf einen Kern zu zielen“ (ebd., S. 31). Was Stil dabei im Einzelnen bedeuten soll, bleibt allerdings unscharf. Einerseits möchte C. W. Müller offenbar nicht in den Verdacht geraten, Jugendarbeit als eine Art alternativer Tanzschule mit sozialpädagogischem Knigge zu etablieren – „kollektiver Anstandswauwau“ (S. 34) –, andererseits meint Stil hier schon ein normatives Setting. Stil wird in der Jugendarbeit entsprechend verstanden als „die anzustrebende Art und Weise, in der Kommunikation realisiert werden soll“ (ebd., S. 33). Ganz geheuer ist dem Autor dieses Programm aber dann wohl doch nicht. Zwei Sätze später beschließt er nämlich, lieber an dieser Stelle die „Diskussion dieser Frage abzubrechen“, da er ohnehin nicht alle Probleme lösen könne. Später wird dann deutlich, dass nicht der Stilbegriff die zentrale Kategorie der Jugendarbeit ist, sondern der Begriff der Kultivierung: „Kultivierung als eine Aufgabe allgemeiner Jugendarbeit bezieht sich ganz allgemein auf die Verbesserung der Formen zwischenmenschlichen Miteinanders und zwischenmenschlichen Gegeneinanders“ (ebd., S. 34).
4. Die Aktualität des Beitrags von C. Wolfgang Müller C. W. Müllers theoretisches Konzept zur Jugendarbeit spiegelt deutlich die Umbruchzeit der Jugendarbeit in den 1960er-Jahren wider. Jugendarbeit versteht sich hier nicht mehr in der Tradition der Jugendbewegung der 1920er-Jahre, sondern ist eher an der angelsächsischen Jugendarbeit mit ihrer Adressatenorientierung und ihren gruppenpädagogischen Methoden orientiert. Allerdings bleibt die Rolle der Jugendlichen hier noch ambivalent. Das pädagogische Verhältnis zwischen Sozialpädagogen und Jugendlichen zielt zwar auf eine partnerschaftliche Beziehung. Aber die Jugendlichen sind hier noch keine soziokulturell emanzipierten Akteure der Jugendarbeit. Ihre Umgangsformen und kommunikativen Kompetenzen müssen vielmehr im Rahmen gruppenpädagogischer Angebote „kultiviert“ werden. Die Begriffe Kultur und Stil sind heute immer noch zentrale Kategorien der Jugendarbeit. Allerdings verwenden wir sie heute mit anderen Bedeutungen, in denen gerade die Anerkennung der Pluralität kultureller Praxen und Sozialformen von Jugendlichen zum Ausdruck kommt.
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Die aktuelle Bedeutung von C. W. Müllers Beitrag sehe ich vor allem in der nach wie vor gültigen Strukturanalyse der Jugendarbeit im ersten Teil des Textes. Jugendarbeit erweist sich hier als historisch wandelbares pädagogisches Setting, das zudem seine Aufgabenstellung in der Arbeitsteilung mit anderen Erziehungs-, Bildungs- und Sozialisationsinstanzen im Jugendalter erfüllt. Kennzeichen dieses sozialen Wandels sind dabei Modernisierungs- und Demokratisierungsprozesse, die sich auch in der Pädagogik und der Jugendarbeit spiegeln. Der eigentliche Gegenstand der Jugendarbeit sind dabei die Jugendlichen und die spezifischen Entwicklungs- und Bildungsprozesse der Jugendphase in modernen Gesellschaften. Jugendarbeit ist zudem keine einheitliche pädagogische Erziehungs- oder Bildungsinstanz, sondern letztlich die Summe der pluralistischen Träger, die sich jeweils um die junge Generation bemühen. Und diese Träger spiegeln jeweils den Wettbewerb der gesellschaftlichen Interessengruppen um Weltanschauungen, kulturelle Differenzierung und politischen Einfluss. Das Feld der Jugendarbeit ist bei C. W. Müller differenziert in eine allgemeine und besondere Jugendarbeit, und das meint wohl zum einen die Jugendverbandsarbeit und zum anderen eine übergreifende sozialpädagogische Jugendarbeit und Jugendbildung. Diese Differenzierung halte ich nach wie vor für sinnvoll, da sie auf den Pluralismus der außerschulischen Jugendbildung aufmerksam macht. Wenn ich versuchen sollte, diese Strukturanalyse der Jugendarbeit, die C. W. Müller hier Mitte der 1960er-Jahre skizziert, aus unserer heutigen Perspektive zu reformulieren, dann sähe das wie folgt aus: Die Jugendarbeit als außerschulische Jugendbildung reagiert auf zwei zentrale Strukturmerkmale des Modernisierungsprozesses: Zum einen auf die Entwicklungs- und Bildungserfordernisse, die sich aus dem Strukturwandel der Lebensphase Jugend vor dem Hintergrund von Verschulung, Verberuflichung und den kulturellen Zumutungen der Industriegesellschaft ergeben. Zum anderen ist sie Ausdruck der weltanschaulichen Pluralisierung der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Insbesondere unter dem zweiten Aspekt bleiben ihre Bildungsfunktionen bis heute notwendig partikular – sie repräsentiert die Werbung, Rekrutierung, Bildung und Integration der Jugendlichen für spezifische kulturelle, soziale, religiöse oder politische Interessengruppen der Erwachsenengesellschaft. Dieses institutionelle System der modernen Jugendbildung hat sich grundlegend in seinen zentralen Säulen im 19. Jahrhundert herausgebildet, im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprechend ausdifferenziert, verrechtlicht und professionalisiert und im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die gesamte junge Generation verallgemeinert. Innerhalb dieser 150-jährigen Geschichte
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war die Jugendbildung – bis heute – stets einem dynamischen sozialen und kulturellen Wandel ausgesetzt. Die Demokratisierung der Jugendbildung nach 1949 auf der Basis verfassungsmäßiger Bürgerrechte und eines Sozialstaatsgebots bedeutete für die außerschulische Jugendbildung einen weiteren Modernisierungsschub und eine weitere Ausdifferenzierung ihrer Aufgaben und ihres Selbstverständnisses, insbesondere auch durch die Einbeziehung neuer sozialer Gruppen: junge Frauen, sozial Benachteiligte und junge Ausländer. Parallel dazu entwickelten sich sukzessive die Formen einer jugendschützerischen, auf soziale Kontrolle zielenden Jugendarbeit in Richtung differenzierter Förder- und Bildungskonzepte, die zielgruppenspezifisch an der pluralistischen Struktur ihrer jugendlichen Klientel orientiert sind. Jugendliche sind dabei nicht mehr nur Zielgruppe, sondern der zentrale Akteur innerhalb der Jugendarbeit. Resümiert man vor dem Hintergrund dieser knappen historischen Skizze die gegenwärtige Funktion der Jugendarbeit und außerschulischen Jugendbildung, dann lassen sich ihre Aufgaben wie folgt bestimmen: (1) Sie zielt auf die Bildungsanforderungen, die sich aus der Spezifik der Jugendphase im sozialen Wandel der modernen Gesellschaft ergeben. Die Vergesellschaftungs- und Freisetzungsprozesse des Jugendalters konstituieren hier Jugendarbeit und außerschulische Jugendbildung als pädagogisches Spannungsfeld zwischen der sozialen Kontrolle der jungen Generation – aktuell Prävention – und der Selbstbestimmung von Jugend als sozialer Gruppe und Jugendkultur. Jugendarbeit ist hier Bildung für Jugendliche als Jugendliche. Außerschulische Jugendbildung greift hier insbesondere Bildungs- und Integrationsprobleme auf, die durch den forcierten Modernisierungsprozess bedingt und in besonderer Weise im Kontext der freigesetzten jugendlichen Handlungsräume sichtbar und wirksam werden, vor allem im Zuge der Freizeitgestaltung, in Fragen der Körperlichkeit, der Geschlechterrollen, hinsichtlich der Mediatisierung, Kommerzialisierung, bezüglich sozialer Desintegrationsprozesse, kultureller Pluralisierung, Individualisierungsprozessen, der Biografisierung der Jugendphase usw. (2) Sie zielt auf den Ausgleich und die Förderung sozial benachteiligter Jugendlicher in der modernen Gesellschaft. Für die aktuellen Entwicklungen der außerschulischen Jugendbildung ist hier entscheidend, dass sie insbesondere auch für solche Benachteiligungen zuständig ist, die durch das Bildungssystem – Schule, Berufsbildung – selbst hervorgerufen oder in ihm sichtbar werden. Außer-
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schulische Bildung erweist sich so als eine reflexive und kompensatorische Instanz des modernen Bildungssystems. (3) Sie zielt auf die Bildungsaufgaben, die sich aus der weltanschaulichen, religiösen, politischen, ethnischen und kulturellen Pluralisierung moderner Gesellschaften ergeben. In der pädagogischen Praxis ist die außerschulische Jugendbildung hier programmatisch zweigeteilt: Im Kontext einer sozialpädagogischen Jugendbildung kommen ihr hier einerseits integrative, verbindende, ausgleichende, multikulturelle, solidarische, versöhnende und politisch gestaltende Bildungsfunktionen zu – z. B. in der politischen Jugendbildung. Im Unterschied zur schulischen Bildung ist die außerschulische Jugendbildung hier Bildung des jugendlichen Individuums im sozialen und kulturellen Zusammenhang seiner Lebenswelt – Alltagsorientierung, Sozialraumorientierung, Zielgruppenorientierung. Im Kontext der interessenspezifischen Bildungsangebote der einzelnen gesellschaftlichen Gruppierungen in ihren Verbänden und Institutionen hat sie demgegenüber eine partikulare, tendenziöse Bildungsorientierung.
Literatur Cohen, Albert, K. (1961): Kriminelle Jugend. Zur Soziologie jugendlichen Bandenwesens. Reinbek Müller, C. Wolfgang (1964): Versuch 1. In: Müller, C. Wolfgang u. a.: Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München, S. 14 – 36
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Eine Theorie der Jugendarbeit – mein „Versuch 2“
Das Buch „Was ist Jugendarbeit?“ ist 1964 erschienen. Im Oktober 1963 war Konrad Adenauer als Bundeskanzler von Ludwig Erhard abgelöst worden. Der millionste Gastarbeiter – ein Portugiese – wurde gefeiert und erhielt als Gastgeschenk ein Moped. Der US-Kongress gab Präsident Johnson einen Blankoscheck für Militäraktionen in Vietnam. Das Fernsehen steckte noch in unbedeutenden Anfängen. Computer in Privathaushalten gab es nicht. Ich hatte in einem Studententeam unter der Leitung Gottfried Webers von der Evangelischen Akademie Bad Boll mit Lehrlingen und Jungarbeitern aus der Großindustrie in Stuttgart eine experimentelle Jugendarbeit erprobt – Gruppen am Wohnort, Tagungsarbeit an Wochenenden, in den Ferien Zeltlager – und darüber ein Buch veröffentlicht (vgl. Kentler 1962). Danach hatte ich mit einem Team von Abiturienten und Studenten eine Jugendarbeit mit Jugendlichen von Gymnasien in Frankfurt am Main im Rahmen der Tagungsarbeit der Evangelischen Akademie Arnoldshain durchgeführt. Nun versuchte ich, meine Erfahrungen auszuwerten. Mit großer Neugier folgte ich der Einladung von Martin Faltermaier, Chef des Juventa-Verlags und Redakteur der Zeitschrift „deutsche jugend“, zusammen mit Hermann Giesecke, Klaus Mollenhauer und Wolfgang C. Müller eine Theorie der Jugendarbeit zu entwickeln. Ich sah die Hauptaufgabe der Jugendarbeit darin, mit Jugendlichen eine engagierte, kritische Aufklärung zu leisten. Das verlangte meines Erachtens vor allem die Situation unserer Gesellschaft. Mit der Anerkennung der Menschenrechte und mit ihrem Grundgesetz hat sich unsere Gesellschaft als demokratisch, menschenfreundlich, offen und dynamisch deklariert, Mündigkeit und politische Gleichberechtigung aller Bürger sind gefordert, die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Menschen zur Selbstbestimmung sollen immer mehr verbessert werden. In der Realität ist unser Grundgesetz jedoch weithin die nur in einigen Köpfen steckende Utopie von einem besseren Leben geblieben. Es bedarf also einer Institution, der mit der Vermittlung von schöner Utopie und noch missratenem wirklichen Leben ihre zentrale Aufgabe gestellt ist. Diese Aufgabe ist nur durch engagierte, kritische Aufklärung zu lösen.
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Diese Aufgabe und ihre Lösung ist für die Jugendarbeit nichts grundlegend Neues. Schon die ersten Ansätze der Jugendarbeit waren von dem Willlen beseelt, einerseits die Jugendlichen vor Schäden durch Industrialisierung und Verstädterung zu schützen, andererseits ihnen ein besseres Leben, selbstbestimmt und frei, zu ermöglichen. Erst recht die Jugendarbeit, die ich 1964 vorfand, war meines Erachtens geradezu prädestiniert, zur Institution einer engagierten, kritischen Aufklärung zu werden. Vier für die Jugendarbeit charakteristische Gegebenheiten sprachen dafür.
1. Jugendarbeit ist eine Freizeitinstitution Erst die zunehmende Freizeit der Jugendlichen – vor allem auch der Arbeiterjugend – hat Jugendarbeit für alle möglich gemacht. Das hat zur Folge, dass sie – im Gegensatz zu Elternhaus und Schule – repressions- und autoritätsarm ist, denn sie ist auf das freiwillige Mitmachen der Jugendlichen angewiesen. Wenn ihnen die Jugendarbeit missfällt, gehen sie ihr „aus dem Feld“, sie „hauen einfach ab“. Das ist die große Chance der Jugendarbeit: Indem sie das Freisein-Wollen der Jugendlichen ernst nimmt, wird Einübung ins Freisein-Können möglich.
2. Jugendarbeit ist eine dritte Erziehungsinstitution Die sozialen Veränderungen, die durch Industrialisierung, Verstädterung, Mobilisierung erzwungen wurden, schufen erzieherische Brachfelder, die von Elternhaus und Schule nicht mehr erreicht werden können. Die Jugendarbeit – angesiedelt zwischen Erwachsenengesellschaft und Jugend – ist derart offen für die ganze Lebenswirklichkeit und alle Lebensbereiche der jungen Menschen, dass sie die heranwachsende Generation in ihrem Alltag begleiten kann, um ihr dabei zu helfen, ein möglichst menschenwürdiges Dasein zu führen.
3. Jugendarbeit geschieht im Wechselwirkungsfeld von Gesellschaft und Erziehungsgefüge Das verlangt zunächst eine große Variabilität, Differenziertheit und Dynamik. Um die Jugendlichen da abzuholen, wo sie tatsächlich sind, ist Jugendarbeit immer und grundsätzlich ausfüllungs-, anpassungs- und korrekturbedürftig. Die Arbeit
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mit Geistigbehinderten braucht andere Inhalte, Formen und Methoden als die Arbeit mit Oberschülern, und auf junge Arbeiterinnen und Arbeiter muss wiederum in ganz anderer Weise eingegangen werden, damit Jugendarbeit für sie nützlich werden kann. Nur eine unstetige Pädagogik ist möglich. Aus der Bedingung, im Wechselwirkungsfeld von Gesellschaft und Erziehungsgefüge tätig sein zu müssen, folgt weit darüber hinaus, dass Jugendarbeit sich nicht auf pädagogische Maßnahmen beschränken darf, sondern sie muss in einem sehr weit verstandenen Sinn jugend- und bildungspolitisch tätig sein. Bildung ist in der Jugendarbeit kein Einreihungsritus in die Welt der Erwachsenen, auch nicht Tradierung von Bildungsgütern, von anerkannten Werten und Normen, sondern indem Bildung hier vor allem die Selbstständigkeit, die Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit des Einzelnen fördern will, geht es der Jugendarbeit in erster Linie um die Aktivierung des Mutationspotenzials, der Veränderungsmöglichkeiten, die jede neue Generation für ihre Gesellschaft darstellt. Weil es Jugend gibt, ist Gesellschaft grundlegend veränderbar. Dabei wird die Erwachsenengesellschaft dazu herausgefordert, sich endlich als Bildungsgesellschaft zu konstituieren, das heißt, eine Gesellschaft zu sein, der es entscheidend um die zunehmende Mündigkeit ihrer Mitglieder geht, damit sie verständiger und glücklicher leben können.
4. Jugendarbeit arbeitet an der Vermittlung von Utopie und Wirklichkeit Mit dem Begriff Jugendarbeit bin ich sehr zufrieden. Er erinnert daran, dass es in der Jugendarbeit nicht um eine Bildung geht, die lediglich mit dem geistigen „Überbau“ unserer Gesellschaft zu tun hat, sondern gerade und besonders mit dem „Unterbau“ aller werktätigen Handlungen. Diejenigen, die Jugendarbeit betreiben – die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter – sind, wenn sie den Arbeitsbegriff ernst nehmen, davor bewahrt, die ideelle Sinnproduktion der Gesellschaft losgelöst von der materiellen Produktion zu sehen und die Bildungsgehalte, in denen der „reine Geist“ sich objektiviert, gegen die Bildungsgehalte der praktischen Arbeit, der Technik, der Wirtschaft auszuspielen. Der Weg wäre dann frei, eine der wichtigsten Einsichten der Aufklärung in die Konzeption der Jugendarbeit aufzunehmen: Dass nämlich die Arbeit nicht nur zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse ist, sondern dass Arbeit stets auch der Versuch ist, eine künftige, vorläufig noch utopische menschliche Wirklichkeit nach Maßgabe der im Bestehenden angelegten realen Möglichkeiten zu verwirklichen.
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Ganz in diesem Sinne hat Jugendarbeit schon immer an der Vermittlung von Utopie und Wirklichkeit gearbeitet. In der „Grundsatzerklärung zum Meißner-Tag 1913“ hat die Jugendbewegung eine Vermittlung antizipiert, wenn es dort heißt, man wolle das, was in der Jugend „an reiner Begeisterung für höchste Menschheitsaufgaben, an ungebrochenem Glauben und Mut zu einem adligen Dasein lebt, als einen erfrischenden, verjüngenden Strom dem Geistesleben des Volkes zuführen“ (so Gustav Wyneken in der Einladung zum „Freideutschen Jugendtag“ auf dem „Hohen Meißner“ im Oktober 1914 zit n. Sauer 1978, S. 66). Die ersten Arbeiterjugendvereine in Berlin brachten ihren Willen, Utopie und Wirklichkeit zu vermitteln, auf die realistische und damit realisierbare Formel, sie hätten sich zusammengetan in der „Hoffnung, durch vereinte Kraft, durch gemeinsames Handeln die Unerträglichkeiten ihres Berufsschicksals beseitigen oder doch mildern zu können.“ (ebd.) Im zweiten Teil meines „Versuchs“ habe ich dargestellt, wie eine Jugendarbeit, die engagierte, kritische Aufklärung leistet, zu praktizieren ist. Drei Begriffe sind mir hier besonders wichtig: Strategie, Taktik und Teamarbeit. Die Strategie gibt Antwort auf die Frage, wie Bildung zur Freiheit möglich ist. Hier geht es um die Ziele. Die Taktik bestimmt, wie Bildung in Freiheit geschieht. Hier geht es um die Methoden. Die Strategie muss perspektivisch angelegt sein. Es gibt das Fernziel: Das ist der autonome, der selbstbestimmte Mensch in einer befriedeten, menschenfreundlichen, realdemokratischen Gesellschaft. Es gibt die Nahziele: Die ersten Schritte, die Jugendliche auf das Fernziel hin tun können. Und es gibt Zwischenziele, Etappen, die durch Anstrengung und Lernen zu erreichen sind. Hier habe ich sehr viel von dem russischen Pädagogen Anton Semenoviè Makarenko (vgl. 1959) gelernt – z. B. seine „Explosions-Methode“. Aufgabe der Taktik ist es, die Hemmnisse der Aufklärung wegzuräumen und zu erklären, wie Jugendliche in ihrem Alltag zu begleiten sind. Ausgangspunkt der Arbeit ist stets die selbst verschuldete Unmündigkeit von uns allen. Es handelt sich hier um einen „defizienten Modus“ des Menschseins, um eine kaputte Art und Weise zu leben, die stets auf defektiven Beziehungen zum eigenen Selbst, zu den anderen Menschen und zur Umwelt beruhen; dem entspricht eine Defektivität des Bewusstseins. Ein solcher Zustand kann nicht durch sanfte – allmählich einsetzende und dann dauernd anhaltende – Beeinflussung geändert werden. Jugendliche stecken in vielen Konflikten, die ihnen aber meist nicht bewusst sind. Lust an Aufklärung kann nur entstehen, wenn Jugendliche zentrale Konflikte bewusst erleben können und ihnen dabei klar wird: Ich muss mich sofort ändern, damit das Falsche, an dem ich klebe, zerstört wird. Hier habe ich vor allem von Bert Brechts Theaterarbeit (vgl. 1951, 1958) gelernt, z. B. von seiner Arbeit mit Verfremdungseffekten.
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Wenn von der Jugendarbeit gesagt wird, sie könne, solle, müsse dieses oder jenes tun, dann ist zu fragen, wer denn hier eigentlich das handelnde personale Subjekt sei. Jugendarbeit als engagierte, kritische Aufklärung kann nicht von Einzelnen geleistet werden, sondern nur von einem Team als Kader von Menschen, die selbst, soweit es ihnen immer möglich ist, aufgeklärt sind. Dieses Team hat keine Leitungs- und Vorbildfunktion. Indem die Teammitglieder zusammenleben und den Jugendlichen offen gegenüberstehen, können die Jugendlichen zusehen, wie sich die Teamer gegenseitig anerkennen und mögen, wie sie sich aber auch streiten, wie sie versuchen, als mündig werdende Menschen zu existieren. Indem die Jugendlichen sich mit den Teamern auseinander setzen, sie kritisieren und von ihnen lernen, bekommen sie Lust, eigene Wege ihrer Mündigkeit zu suchen. Zum Schluss meines Theorieversuchs habe ich drei Beispiele aus meiner Praxis dargestellt und analysiert. Sie zeigen, wie mein Theorieansatz zu verwirklichen ist. Eines dieser Beispiele will ich hier – stark gekürzt – referieren.
Ein Beispiel aus der Praxis Bei unserer Tagungsarbeit mit Oberstufenschülerinnen und -schülern der Gymnasien in der Evangelischen Akademie Arnoldshain machte uns die Mentalität und Bildungsbeflissenheit der jungen Leute die größten Probleme. Wie in einem Schnekkenhaus blieben sie in ihrer Schulsituation stecken; alles, was wir mit ihnen unternahmen, deuteten sie sofort in einen Schulstoff um und katalogisierten es nach den Gesichtspunkten: Was kann ich im Unterricht, bei der nächsten Klassenarbeit, im Abitur damit anfangen? Durch nichts fühlten sie sich selbst betroffen, wie an einer Regenhaut lief alles an ihnen ab. Sie waren verschlossen und unfähig, sich ergreifen und verändern zu lassen. Auf rationalem Wege war ihnen kaum zu helfen, hingegen erreichten wir fast stets andauernde Einstellungsänderungen, wenn es uns gelang, durch situationsgestaltende Eingriffe Erlebnisschocks auszulösen, die dadurch entstanden, dass unsere Tagungsteilnehmer unausweichlich mit sich selbst konfrontiert wurden und dabei zugleich eine andere Möglichkeit zu leben in einem Kontrast, den das Team bot, erlebten. Wir – Studentinnen und Studenten der Universität Frankfurt am Main und ich – hatten von Nietzsche „Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten“, „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ und „Also sprach Zarathustra“ gelesen, fanden diese Stücke erstaunlich aktuell und beschlossen, zu einer „Nietzsche-Tagung“ einzuladen. Wir meinten, Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ könnte uns weiterhelfen, wenn es uns gelang, den jungen Leuten diesen Text wie einen Spie-
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gel vorzuhalten, in dem sie sich unmittelbar als die „letzten Menschen“ erkennen konnten, von denen hier die Rede ist. Als Mittel dazu wählten wir die „ExplosionsMethode“ von Makarenko. Schon der Beginn der Tagung wirkte enttäuschend. Nach kurzer Begrüßung baten wir, in kleine Arbeitsgruppen zu gehen, um sich mit einem Text „auseinander zu setzen“, den wir an sie verteilten. Sie sollten einen Berichterstatter wählen und nach zehn Minuten wieder zusammenkommen, um die Berichte anzuhören. Wir taten dann so, als hätten wir die Berichterstattung vergessen und schickten sie mit einem neuen Text mit der gleichen Anweisung erneut in ihre Arbeitsgruppen. Das geschah noch ein drittes Mal. Zur Pause für das Abendessen wurde wiederum ein Text verteilt, mit dem sie sich „jeder für sich“ beschäftigen sollten. Als Texte hatten wir die „Pamphlete“ von Helmut Heißenbüttel (1960) ausgewählt. Das sind Texte, die nicht interpretierbar sind, sondern die man liest und die einen dann aufregen, „auf die Barrikaden treiben“. Als Beispiel sei hier der erste Text, den wir verteilten, genannt: „[IV] Die schlechte Zeit paart sich mit der neuen Zeit und zeugt alte Meinungen / schreckliche Erinnerungen gehen mit leeren Händen umher / im Frauenfunk wird Nietzsche widerlegt / Adolf Hitler ist eine Figur von Michaux / man trägt Familie / Ministervergangenheiten kokettieren / über die lachenden Gesichter wandern langsam die Schattensäulen der HBomben-Explosionen / Automodelle bewegen sich stellvertretend durch vergleichsweise Gegenden / die neue Zeit geht auf und unter wie der Abendstern im September.“
Die jungen Leute interpretierten die Texte, wie sie es in der Schule gelernt hatten, als handle es sich um Schillers Glocke. So versuchten sie, hinter den Sinn jedes einzelnen Wortes zu kommen. Nach dem Abendessen wiederum: ein neuer Text, Auseinandergehen in Arbeitsgruppen. Alle waren bereits aufgestanden, wandten sich zur Tür – da drehte sich plötzlich ein junger Mann zu mir um und sagte, etwas zögernd, aber er konnte seinen Unmut kaum verbergen: „Wie lange soll denn der Rummel so weitergehen? Ich möchte doch wissen, wozu das gut sein soll!“ Ich seufzte sichtlich erleichtert auf: „Endlich mal einer, der was dagegen sagt! Ich habe mich schon mit meinen Teamkollegen darüber unterhalten, wie lange man Abiturientinnen und Abiturienten wohl so hin- und herschicken kann!“ Zuerst Erstaunen, dann Wut in allen Gesichtern: Man fühlt sich genasführt. Unruhe entsteht. Und da hinein fährt mich eine Teilnehmerin an: „Das finde ich gemein! Wenn Sie etwas machen, dann vertraue ich Ihnen, denn ich glaube doch, dass das einen Sinn hat!“ Ich war im ersten Augenblick von dem Vorwurf so sehr betroffen, dass ich nicht gleich antworten konnte, und so kam es, dass sich der Referent einschaltete. Er meinte, er habe auch einmal einem Menschen, nämlich Hitler, vertraut und das habe ihn beinahe den Kopf gekostet. Sein Vertrauen habe an einer Mauer geendet,
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vor der man ihn erschießen wollte. Es entstand ein lautstarker Sturm der Entrüstung. Die von uns angestrebte Explosion war da. Da schaltete sich das Team ein. Ein Teamkollege bat betont höflich, Platz zu nehmen und eine Mitarbeiterin eröffnete die Diskussion. „Es geht hier gar nicht um Vertrauen“, sagte sie, „sondern um etwas ganz anderes: Ich möchte wissen, wie es möglich ist, dass Menschen, die keine Kinder mehr sind, etwas tun – und zwar vier Mal hintereinander –, ohne den Sinn einzusehen!“ – „In der Schule muss ich auch manches tun, was sinnlos ist!“, bemerkte darauf ein Teilnehmer. Damit waren wir bei der Sache. Es entstand eine Diskussion, die zuerst sehr erregt, dann aber mit zunehmender Vernunft geführte wurde und bis spät in die Nacht andauerte. Wir waren in eine „therapeutische Situation“ geraten und analysierten uns gegenseitig. Die Teilnehmer begriffen, wie sehr sie gewöhnt waren, als Schüler zu reagieren; aber das hatte ihnen diesmal kein Lob, sondern eine Blamage eingebracht. Mehr noch: Sie verstanden, wie unfrei sie waren, und weil sie wissen wollten, was sie dagegen tun könnten, untersuchten sie ihre Schulsituation, ihr Leben zu Hause, ihren Alltag als Schüler. Sie fragten meine Mitarbeiter, wie sie es fertig brächten, sich nicht in Vielwisserei einmauern zu lassen. Dabei wurde auch noch einmal das Problem des Vertrauens angesprochen, denn inzwischen war deutlich geworden, dass meine Teamkollegen mir zwar persönlich unbedingt vertrauten, dass sie mich aber mit sachlicher Kritik nicht schonten, und zwar gerade als Ausdruck gegenseitiger Hochachtung. Schließlich sprachen wir darüber, warum wir auf dieser Tagung so vorgegangen waren, denn inzwischen war den Teilnehmern klar geworden, wie wenig Wissen taugt, wenn es nicht als Instrument der Lebenshilfe und Lebensbewältigung praktiziert wird. Zum Schluss schaltete sich der Referent wieder ein. Er sagte: „Ich glaube, wir können jetzt einen Nietzsche-Text hören, ohne der Gefahr zu erliegen, ihn als Wissensgut zu konsumieren. Ich will Ihnen einen Text vorlesen, der Sie reizen wird.“ Und dann las er den fünften Abschnitt aus „Zarathustras Vorrede“. Das war ein Text, der unsere Situation traf, als sei er für uns geschrieben; denn wir hatten uns als diese „letzten Menschen“ erlebt, von denen hier die Rede ist: „Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus ... ‚Wir haben das Glück erfunden’ - sagen die letzten Menschen und blinzeln. Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist. Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit ... Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wärme. Krankwerden und Misstrauen-Haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Tor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!”
Das waren wir! Sehr nachdenklich gingen wir auseinander – nicht ganz ohne Hoffnung, dass dieser Nietzsche nicht nur ein guter Analytiker, sondern vielleicht auch
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ein guter Therapeut wäre. Das anschließende Seminar zeigte dann, dass „Zarathustra“ nicht mehr gelesen wurde, um Schullücken oder Mängel der Allgemeinbildung auszufüllen, sondern um Klarheit zu gewinnen über sich selbst und sich im Denken neu zu orientieren.
5. Kritik Als ich meinen Theorieentwurf jetzt wieder bearbeitete, habe ich mich gefragt, wie er wohl bei heutigen Praktikern der Jugendarbeit ankommen wird. Ich glaube jetzt, man wird ihn schnell mit der Bemerkung abtun, er sei „zu verkopft“. Tatsächlich – zumindest am Anfang der Jugendarbeit steht im Zentrum „Kopfarbeit“: Was geht in den Köpfen vor, von welchen Inhalten sind sie besetzt, welche Wünsche, welche Abneigungen spielen hier eine Rolle? Es geht um Erkenntnisse und in Konsequenz dann um die Frage, wie jeder Einzelne zu entscheiden und zu handeln hat. Vor allem bei den Jugendlichen der Großindustrie entsprachen wir damit voll deren Interessen. Die Großindustrie konnten sich damals unter den Hauptschulabgängern jeweils die Begabtesten und Intelligentesten aussuchen. Diese wollten Neues kennen lernen, steckten voller Fragen und suchten Wissen. Unsere Tagungen waren immer ausgebucht, obwohl wir nur mit Jungen und jungen Männern arbeiteten – es gab damals noch keine weiblichen Lehrlinge in traditionellen Männerberufen. Freundinnen konnten nicht mitgebracht werden, dafür gab es keine Zuschüsse. Nirgendwo sonst wurde ihnen geboten, was wir ihnen gaben: Menschen, die sich mit ihnen sehr persönlich bekannt machten und die ihnen ein Verständnis für geistig-kulturelle Werte vermittelten: Jazz, moderne Literatur, Theater, Malerei, wissenschaftliche Erkenntnisse – aber auch Lust an gutem Essen, Lebensstil. Zur Volkshochschule hatten sie keinen Zugang, Lektüre kannten sie nicht, Fernsehen gab es noch nicht. Erstaunlich viele haben – von uns angeregt – weiter gelernt und später sogar studiert, oder sie haben als Betriebsräte oder Meister in ihren Betrieben anspruchsvolle Tätigkeiten gesucht. Ich gebe gern zu, dass heutzutage eine Jugendarbeit andere Einstiege braucht, um Jugendliche zuerst einmal den Fernsehgeräten und Computern abspenstig zu machen. Aber auch das ist bestimmt ohne Aufklärung in emanzipatorischer Absicht – und also: „ohne Kopfarbeit“ – nicht möglich. Niemand verlangt, dass das langweilig sein muss.
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Literatur Brecht, Bert (1951): Kurze Beschreibung einer neuen Technik der Schauspielkunst, die einen Verfremdungseffekt hervorbringt. In: Versuche, Heft 11, S. 9 ff. Brecht, Bert (1958): Kleines Organon für das Theater. In: Versuche, Heft 12, S. 109 ff. Heißenbüttel, Helmut (1960): Textbuch I. Solothurn u. Düsseldorf Kentler, Helmut (1962): Jugendarbeit in der Industriewelt. München Makarenko, Anton Semenoviè (1959): Ein pädagogisches Poem. Der Weg ins Leben. Berlin Sauer, Walter (1978): Rückblicke und Ausblicke. Die deutsche Jugendbewegung im Urteil nach 1945. Heidenheim Mogge, Winfried/Reulecke, Jürgen (1988): Hoher Meißner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern. In: Edition Archiv der deutschen Jugendbewegung, Bd. 5, Köln
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Helmut Kentler präsentiert sich in seinem Versuch als engagierter Aufklärer in Theorie und Praxis. Seit Ende der 1950er-Jahre hat er seine Erfahrungen in der Jugendarbeit mit unterschiedlichen Zielgruppen wie unorganisierten Arbeiterjugendlichen, Oberschülern und Gruppen in Jugendverbänden in der Zeitschrift „deutsche jugend“ aufbereitet und sich damit beschäftigt, wie das „Wissen vom Besseren“ – auch unter den Bedingungen von Freizeitaktivitäten – an Jugendliche vermittelt werden kann. Dabei ist für ihn die Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, was möglich wäre, also die Spannung zwischen Wirklichkeit und Utopie, die entscheidende Triebfeder. Das Bessere zeigt sich nicht nur in den Menschenrechten des Grundgesetzes, sondern auch in den Bildern vom schöneren Leben im Fernsehen, in der Reklame und in den vollen Schaufenstern (vgl. Kentler 1964, S. 38). Die gesellschaftliche Wirklichkeit hinkt hinter den Ansprüchen her, die mit den programmatischen Vokabeln Gleichberechtigung, Demokratie und Freiheit verkündet werden. Die Jugendarbeit habe historisch und aktuell mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie das Projekt der Aufklärung insgesamt: „die Autonomie des Menschen und eine bessere Gesellschaft“ (ebd., S. 41). Aber – und das ist entscheidend – der Jugendarbeit fällt eine neue Aufgabe im gesellschaftlichen Gefüge zu. Sie wird als dritte Erziehungsinstitution neben Schule und Familie zunehmend gebraucht, weil die althergebrachten Ordnungen und Traditionen in der Industriegesellschaft in Auflösung begriffen sind und nur die Jugendarbeit junge Menschen in ihrer „ganze[n] Lebenswirklichkeit“ ansprechen und in ihrem „Alltag bilden kann“ (ebd., S. 44). Kentler baut auf das zwei Jahre zuvor in der Erklärung des Deutschen Bundesjugendrings von St. Martin präsentierte Selbstverständnis von Jugendarbeit auf und präzisiert den dort formulierten Bildungsanspruch. Die Bildung in der Jugendarbeit soll nicht vorrangig einer Vorbereitung auf die Welt der Erwachsenen und einer Anhäufung von Bildungsgütern dienen, sondern auf „die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, die Mündigkeit des Einzelnen“ zielen (ebd., S. 46).
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1. Selbstbildung als Kernaufgabe der Jugendarbeit Dementsprechend liegt nach H. Kentler die Hauptaufgabe der Jugendarbeit in den experimentellen Versuchen der Selbstbildung und in den neuen Perspektiven, die sie eröffnet. Jugendarbeit soll „eigenwillig“ sein (ebd., S. 45). Das kann ihr nur gelingen, wenn sie Bildung mit Handlung verknüpft. H. Kentler hält ein Engagement im Hinblick auf Mündigkeit für zwecklos, wenn es sich nicht in konkrete Aktionen umsetzt und damit erkennbar macht, wohin die Reise geht. Reine Aufklärungsarbeit kommt für ihn nicht in Frage. Jugendarbeit ist praktisch und handlungsorientiert. Wenn sie ihr vielfach erprobtes Potenzial in die Auseinandersetzungen mit gesellschaftlicher Wirklichkeit einbringt, dann sieht er für sie große Zukunftschancen. Selbstbewusst formuliert er: „Die Jugendarbeit fordert die Gesellschaft heraus, sich zur Bildungsgesellschaft zu konstituieren, zu einer Gesellschaft, der es wesentlich um die Steigerung der Freiheit und damit um die Mündigkeit des Menschen geht“ (ebd., S. 46). Doch diese Ideen waren auch damals nicht so leicht an die Jugendlichen heranzubringen. Sie wollten meistens nicht über ihre Probleme reden und stattdessen einfach nur Urlaub machen, sie neigten von sich aus nur wenig zu „eigenem kritischem Denken“ und ordneten sich in Bildungsveranstaltungen dem vorgegebenen Programm unter. Für diese praktischen Probleme bei der Umsetzung einer aufklärungs- und bildungsorientierten Jugendarbeit hat H. Kentler Vorschläge gemacht, die zeigen, wie man den „Willen zur Klärung“ wecken kann. Dabei grenzt er die Aufgaben der Jugendarbeit sehr deutlich von einer Evolution der Gesellschaft ab. Eine solche Aufgabe müsse die Jugendarbeit überfordern. Ihre Stärke liegt vielmehr in ihrem Einfluss auf die sozialen Beziehungen. Sie kann die Beziehungen zwischen Jungen und Mädchen ebenso beeinflussen und umgestalten wie die Beziehungen zur Familie, zum Beruf, zur Schule und zum politischen Leben (vgl. ebd., S. 56). Entsprechend fasst H. Kentler die Aufgaben der Jugendarbeit unter dem Begriff „Evolution der Beziehungen“ zusammen. Den meisten Menschen fehlen Wille und Mut; sie leben in defizienten sozialen Beziehungen und fügen sich in die schlechten Zustände ein. Diese Hemmnisse gegen eine Aufklärung kann man nicht allein kognitiv überwinden. Vielmehr entwickelt H. Kentler eine Strategie, die auf zwei zentralen intersubjektiven Prinzipien beruht, der „Spiegelung“ und der „sozialen Ansteckung“. Beide Prinzipien scheinen mir hochaktuell auch für die heutige Jugendarbeit zu sein.
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2. Neue Einsichten durch das „Spiegelprinzip“ Das „Spiegelprinzip“ zielt darauf ab, den Jugendlichen neue Perspektiven auf sich selbst zu eröffnen, indem man sie mit sozialen Erfahrungen konfrontiert. Der Kontrast soll provozieren und zu einem erweiterten Bewusstsein führen. Auch wenn H. Kentler dieses Prinzip mit Hilfe von A. S. Makarenko und seiner herben Konfrontationsmethode einführt, lehnt er einen vergleichbar autoritären Druck für die Jugendarbeit ab. So kann die Jugendarbeit mit Verfremdungseffekten und Mitteln des absurden Theaters arbeiten, um Spiegelungen hervorzurufen. Im Gefolge dieser Einsichten gab es in den 1960er-Jahren eine Reihe von zweifelhaften methodischen Versuchen, mit denen man Jugendliche zur Auflehnung mobilisieren wollte. In einer Jugendbildungsstätte wurde zeitweise ein Seminar damit begonnen, dass man den Jugendlichen einen Mohrenkopf auf ihren Tisch stellte, diesen aber vor ihren Augen zerschlug. Man wollte bei den Jugendlichen erreichen, dass sie nicht einfach alles über sich ergehen lassen und sich gegen die TeamerInnen auflehnen. Diese Form des Einstiegs schien zuweilen zu gelingen, wenn eine anschließende Aufbereitung der Aktion dialogisch in Gang kam und zu einem Verständnis über die Mechanismen von Gefolgschaft und über die Bedingungen für Mündigkeit führte. Den Ansatz haben einige im Nachgang „Frustrationspädagogik“ genannt, weil er davon ausging, dass man Jugendliche über eine derbe Aktion „wachrütteln“ müsse, damit sie etwas „kapieren“. Auch die im Kentler-Aufsatz beschriebene Konfrontation von Oberschülern mit ihrem Bildungsverwertungsinteresse zeigt eine etwas überhebliche Haltung, indem man die SchülerInnen an der Nase herumführt und sie mit Erlebnisschocks zu wecken versucht. In der Jugendarbeit muss es heute vielmehr darum gehen, die Jugendlichen mit sich selbst und mit sozialen und politischen Begebenheiten auf eine Weise zu konfrontieren, dass sie nicht bloßgestellt werden, sondern andere Wege erkennen und entwickeln können. Das ist für die pädagogischen MitarbeiterInnen keineswegs leicht, weil Jugendliche oftmals mit der Zurückweisung eines Angebotes der Jugendarbeit reagieren, ohne dass man unmittelbar wissen kann, inwieweit diese Zurückweisung mit den Inhalten zu tun hat oder mit den Beziehungen und damit auch dem adoleszenten Kampf um Eigenständigkeit. Jugendliche erleben ihre körperlichen Veränderungen und ihre neuen sexuellen Potenziale oft so, dass sie keine Macht über den Körper haben, vielmehr ihr Körper Macht über sie hat. Insofern verwundert es nicht, wenn Jugendliche nicht nur unter heftigen Gefühlsschwankungen leiden, sondern auch ihre Beziehungen zum Austragungsort ihrer Schwankungen zwischen Macht und Ohnmacht benutzen. Das Ringen von Jugendlichen um Eigenständigkeit und Anerkennung fließt in ihre Beziehungen ein und führt zu
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Verwicklungen und Irritationen. Die persönlichen und inhaltlichen Dimensionen von Sozialbeziehungen sind durch die entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen Jugendlichen und PädagogInnen geprägt. Erst wenn diese Mischung in ein pädagogisches Arbeitsbündnis überführt wird, kann man das jeweilige Verhalten angemessen deuten. Arbeitsbündnisse auszuhandeln und ernst zu nehmen bedeutet, sich parallel mit der Arbeit an Beziehungen und mit der Arbeit an Inhalten zu beschäftigen. Erst dadurch kann man der engen Verzahnung von Bildung und Beziehung gerecht werden (vgl. Bimschas/Schröder 2003). Das entspricht der jüngeren wissenschaftlichen Diskussion über die intersubjektive Basis der Subjektwerdung. Um es mit einem Aufsatztitel von Martin Altmeyer in der Zeitschrift „deutsche jugend“ zu sagen: Das Selbst entsteht und entwickelt sich „im Spiegel des Anderen“ (vgl. Altmeyer 2002).
3. Lernen über das „soziale Ansteckungsprinzip“ Helmut Kentler beschreibt, wie sich ein experimentierfreudiges Team von MitarbeiterInnen in der Jugendarbeit zusammenfindet und wie der Stil des Teams auf Jugendliche ansteckend wirkt. Die Einflüsse durch eine Begegnung zwischen zwei völlig verschieden strukturierten Gruppen, dem Team der MitarbeiterInnen und der Gruppe der Jugendlichen, beruhen auf dem „Gesetz der sozialen Tuchfühlung“ (Kentler 1964, S. 65). Im Umgang der TeamerInnen untereinander können die Jugendlichen eine andere Art der sozialen Gruppenbeziehung sehen und erfahren. H. Kentler ist davon überzeugt, dass diese Erfahrungen ansteckend sind, wenn sich das Team auf eine überzeugende Weise als eines zeigt, in dem man Spaß hat, experimentell zusammen lebt und das Erlebte reflektiert. In einem solchen Team zeigt sich das Bessere, das „qualitativ Wohlgeratene“ (ebd., S. 68), wie H. Kentler es nennt, das bildend wirkt. Zum Vorbild wird hier nicht der einzelne Jugendarbeiter, sondern zum Leitbild oder Anregungsmilieu wird hier das Team als soziales Gefüge. Ein Team kann nur in dieser Weise wirken, wenn es die Reflexion auch auf sich selbst anwendet, wenn es die Alltäglichkeit durchschaut und die eigenen sozialen Beziehungen neu ordnet (vgl. ebd., S. 69). Am Beispiel eines evangelischen Jugendleiterteams zeigt H. Kentler, warum dieses Team an der Unlust und Verweigerungshaltung ihrer Jugendlichen in einer Freizeit scheitern musste, wenn sich die TeamerInnen nicht selbst über ihre eigenen Bedürfnisse nach Urlaub, nach Entspannung und nach Genuss aufklären. In vielen Freizeiten kann man heute noch die Bedeutung des Prinzips der „sozialen Ansteckung“ und die wertvollen Bildungsprozesse studieren, die Jugendli-
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che durchmachen können, wenn sie nicht nur einzelne spannende Personen als BegleiterInnen, sondern ein Team als solches erleben. Allerdings scheint mir die Erkenntnis, dass bereits in der Art des Miteinanders im Team wesentliche Grundlagen für eine anregende Jugendarbeit gelegt sind, teilweise ziemlich verschüttet zu sein. Wenn in der neueren pädagogischen Literatur die Differenz und der Widerspruch in ihrer Bedeutung für Lernprozesse prinzipiell herausgehoben werden (z. B. Stauber 2004, S. 38), so könnte man diese Erkenntnisse auch auf ein Team übertragen. Das würde bedeuten, der Austragung von inhaltlichen Differenzen im Team vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken und damit – ganz im Sinne von H. Kentler – das Team als experimentelle und anregende Sozialform zu fördern und zu reflektieren. Wenn man bedenkt, dass die Peergroup – als Gruppe oder Clique oder Szene – die prägende Gesellungsform von Jugendlichen ist, dass Jugendliche aufgrund ihres Lebensalters und der damit verknüpften Situation auf besondere Weise in Gruppen agieren und dort einen gewichtigen Teil ihrer Gedanken und Gefühle unterbringen können, dann kann eine Evolution in Beziehungen gar nicht nur im Austausch von Person zu Person voran kommen, sondern bedarf des Austausches von Gruppe zu Gruppe. Deshalb scheint mir „das soziale Ansteckungsprinzip“ auch für die zukünftige Jugendarbeit als wertvoll.
4. Utopie als Vorstellung vom Besseren – damals und heute Es kann uns nicht verwundern, wenn Helmut Kentlers Beitrag von einem Bildungsoptimismus getragen wurde, der in jener Zeit aufkeimte und sich rasant ausbreitete. Der Bogen zur aktuellen Debatte über den Bildungsanspruch der Jugendarbeit liegt auf der Hand. Ich möchte den zweiten Wortteil, den Optimismus, aufgreifen und damit die Vorstellungen vom Besseren. Wie liest sich die damalige Bedeutung der Utopie aus der heutigen Sicht? Der junge Mensch, der in die Jugendarbeit kommt, schreibt Kentler, „hat nicht nur bestimmte Bedürfnisse und Interessen, sondern er steckt auch voller Zukunft, er hat Träume, Sehnsüchte, Hoffnungen, er steht mitten im spannungsvollen Verhältnis von Utopie und Wirklichkeit“ (Kentler 1964, S. 48). Die Jugendarbeit soll die utopischen Vorstellungen ernst nehmen und auf realisierbare Ziele lenken. Und wie ist das heute? Ich glaube, der Unterschied hat nur in Teilen mit einer veränderten Mentalität unter Jugendlichen zu tun. Sie haben Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen – auch wenn das nicht die gleichen sind, wie die Visionen in jenen Zeiten. In der Jugendarbeit spielen Utopien jedoch kaum noch eine Rolle und das
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sowohl bei ihren PraktikerInnen wie TheoretikerInnen. Dazu haben gesellschaftliche Erfahrungen seit jener Zeit wesentlich beigetragen. Im gesellschaftlichen Maßstab haben wir Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre eine Desillusionierung erlebt, die bis heute weiter wirkt und schwer zu überwinden ist. Die real existierenden und eben nicht allein theoretischen Alternativen zum Kapitalismus haben sich von innen her aufgelöst, weil ihnen der Zuspruch der Menschen fehlte. Sie haben sich als nicht funktionsfähig erwiesen. Sie haben neue Formen der Unterdrückung und Ausbeutung hervorgebracht. Auch wenn in dem Beitrag von H. Kentler an keiner Stelle von einer globalen Alternative zur Marktwirtschaft die Rede ist, so sind die Vorstellungen vom Besseren in ihrem radikaldemokratischen Gewand als Suchbewegung zu verstehen, die über das Bestehende klar hinausweisen. Heute leben wir in einer Zeit, in der solche Gedanken schnell gegen eine Wand laufen. Die BesitzerInnen der großen Vermögenswerte sitzen fester im Sattel denn je und die Arbeitgeber und Konzernstrategen verfügen über eine globalisierte Macht, die Regierungen verschiedener Couleur zu einer industriefreundlichen Politik zwingt und eine Gegenbewegung vergleichsweise aussichtslos erscheinen lässt. Mit der Drohung, Arbeitsplätze zu vernichten oder zu verlagern, kann die Wirtschaft fast alles erreichen. Die Sehnsucht nach dem Besseren scheint sich nur noch dadurch realisieren zu lassen, dass man unter gegebenen Umständen eine bessere Position ergattert und das heißt, über mehr Geld verfügt und sich entsprechend mehr leisten kann.
5. Auf der Suche nach neuen Visionen Im Verlauf der Entwicklung und nicht allein wegen des Scheiterns alternativer Gesellschaftsentwürfe hat sich eine weitere Desillusionierung eingestellt. In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnten sich auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Freisetzungsprozesse soziale Experimente in neuen Lebensformen, freien Gruppen und selbst verwalteten Betrieben entfalten, die auch neue Projekte der Jugendarbeit hervorgebracht haben. Die reform- und veränderungsfreudigen AktivistInnen erlebten sowohl in jenen Gruppen und Kollektiven als auch in größeren Institutionen, die sich aufgrund des Drucks von unten umstrukturierten, wie sich neben dem rationalen Diskurs über Ziele und Wege der jeweiligen Aktivitäten immer wieder andere Bedürfnisse und Strebungen der Menschen durchsetzen konnten. Während einige der AktivistInnen ihre informelle Macht in der Gruppe steigern und einen narzisstischen Gewinn aus ihrer Beteiligung am Projekt ziehen konnten, kamen andere als Person nur wenig zum Zuge oder woll-
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ten sich auf die verdeckten Machtspiele nicht einlassen. Wir haben erlebt, dass die Arbeit auch an einem gemeinsam für gut befundenen Projekt immer sehr störanfällig bleibt. Wir haben erlebt, dass unsere Entscheidungen und unsere Handlungen oftmals von Motiven geprägt sind, die uns selbst nicht unmittelbar erkennbar und zugänglich sind. Für mich persönlich bildeten die zwiespältigen Erfahrungen in gemeinschaftlichen Projekten und die besonderen Ambivalenzen im alltäglichen Umgang mit Jugendlichen den Anstoß, mich vermehrt mit tiefenpsychologischen Erkenntnissen und deshalb auch mit psychoanalytischen Adoleszenztheorien zu beschäftigen. Und aktuell sehe ich auch wissenschaftlich – vor allem durch die neue Hirnforschung – eine Bestätigung für die Erfahrung, dass wir im zwischenmenschlichen Austausch nicht nur auf einer argumentativen Ebene verhandeln, sondern immer auch auf einer „gefühlsmäßigen unbewussten Ebene“. Deshalb macht das alte Diktum von Sigmund Freud, der Mensch sei nicht „Herr im eigenen Hause“ eine neue Runde (vgl. Roth 2001 und Nida-Rümelin/Singer 2004). Ich möchte die angesprochenen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in aller Kürze dahingehend zusammenfassen, dass wir alle etwas skeptischer geworden sind, auch wenn wir uns diese Skepsis wissenschaftlich jeweils anders erklären. Das hat uns einer optimistischen Grundhaltung ein wenig beraubt und hat uns in einen Abstand treten lassen zu Visionen verschiedenster Art. Dennoch hat diese Skepsis auch ihr Gutes, weil sie dazu führen kann, uns behutsamer und rücksichtsvoller im Umgang miteinander zu machen (vgl. Gottschalch 2000, S. 10). Wir analysieren nicht nur die Machtstrukturen der Gesellschaft, sondern wir rechnen auch mit den Widersprüchen, die in jedem von uns existieren. Wir prüfen von daher genauer, was jemand sagt und wie jemand handelt. Genau das zeichnet auch die Jugendlichen heute aus, die pragmatisch geworden sind, sich kaum Illusionen hingeben und die Glaubwürdigkeitslücken beim Anderen vergleichsweise schnell erkennen. Mir scheint, es ist an der Zeit, neue Utopien für uns selbst und für die Jugendarbeit zu entwickeln. Das Fundament für solche Utopien ist ein anderes als zur Zeit der „Vier Versuche“. Die Leitbegriffe dafür sind bereits in der Diskussion: „Anerkennung“, „Gerechtigkeit“ und „Glück“. Zwar gibt es seit einigen Jahren auch wieder Bewegungen, die globale Alternativen entwerfen und eine andere Welt für möglich halten. Die damit verknüpften Strukturfragen einer besseren Wirtschaftsordnung sind in der Tat wichtig und müssen weiter konkretisiert werden. Jedoch scheint mir gleichlaufend notwendig, die Visionen auch im Nahbereich zu voran zu bringen, im Bereich der sozialen Beziehungen, die bereits H. Kentler evolutionieren wollte – jetzt auf der Grundlage von heutigen Kenntnissen der menschlichen Anthropologie und der leibseelischen Prozesse. Insofern wird es für die neuen
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sozialen Bewegungen wie „Attac“ ähnlich wie für die Jugendarbeit darauf ankommen, Vorstellungen vom Besseren auch im Umgang miteinander zu realisieren. Dazu bedarf es der Bereitschaft und der Fähigkeit – und das gilt besonders für pädagogische Situationen – den emotionalen Verhältnissen und den intersubjektiven Macht-Verhältnissen „selbst ansichtig“ zu werden, sie also zu betrachten und zu erkennen, um Hindernisse und Chancen besser verstehen zu können (vgl. Müller u. a. 2005, S. 36). Die zu entwickelnden Utopien müssen sich daran messen lassen, ob sie über Glücksversprechen hinaus auch Glücksverwirklichungen bringen. Sie müssen Gerechtigkeit nicht mehr auf der Basis von Gleichheit, sondern von Ungleichheit und Differenz anvisieren. Und nicht zuletzt schließt die Anerkennung der Person genau die Fähigkeiten zum Umgang mit Konflikten ein, die sich nicht allein wegen gesellschaftlicher Strukturen, sondern auch aufgrund unserer menschlichen, zwiespältigen Neigungen immer neu ergeben.
Literatur Altmeyer, Martin (2002): Im Spiegel des Anderen. Warum der Narzissmus von Jugendlichen ein Beziehungsangebot ist. In: deutsche jugend, 50. Jg., Heft 4, S. 162 – 169 Bimschas, Bärbel/Schröder Achim (2003): Beziehungen in der Jugendarbeit. Untersuchung zum reflektierten Handeln in Profession und Ehrenamt. Opladen Gottschalch, Wilfried (2000): Mit anderem Blick. Grundzüge einer skeptischen Pädagogik. Gießen Kentler, Helmut (1964): Versuch 2. In: Müller, C. Wolfgang u. a.: Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München, S. 37 – 88 Müller, Burkhard u. a. (2005): Gefühle denken. Macht und Emotion in der pädagogischen Praxis. Ein interkulturelles Projekt. Frankfurt a. M. u. New York Nida-Rümelin, Julian/Singer, Wolf (2004): Das Gespräch. In: Frankfurter Rundschau vom 3.4.2004, S. 4 – 5 Roth, Gerhard (2001): Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt a. M. Stauber, Barbara (2004): Veränderte Generationenbeziehungen und ihre Konsequenzen für die Mädchenarbeit. In: neue praxis, 34. Jg., Heft 1, S. 30 – 40
Albert Scherr Mündigkeit als Grundprinzip einer pädagogischen Theorie der Jugendarbeit?
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Mündigkeit als Grundprinzip einer pädagogischen Theorie der Jugendarbeit? Anmerkungen zu Klaus Mollenhauers „Versuch 3“
Die vor nunmehr 40 Jahren erstmals veröffentlichten Beiträge des Bandes „Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie“ können als weitgehend in Vergessenheit geratene Texte charakterisiert werden. Sie finden gegenwärtig zwar als Ausgangspunkt einer theoretisch anspruchsvollen Reflexion über Kinder- und Jugendarbeit wiederkehrend Erwähnung, eine systematische Auseinandersetzung mit den damaligen Analysen und Thesen findet jedoch in der Fachliteratur – und vermutlich auch in den einschlägigen hochschulischen Lehrveranstaltungen – nicht statt. Nach der erneuten Lektüre, die durch den Auftrag veranlasst war, Klaus Mollenhauers Position im Rahmen der Tagung „Die Zeiten ändern sich – Annäherungen an Theorie und Funktionsbestimmungen einer zeitgemäßen Kinder- und Jugendarbeit“ zu würdigen,1 sehe ich gute Gründe für die Behauptung, dass dies von der Sache her keineswegs gerechtfertigt, sondern eher den Gepflogenheiten eines kurzatmigen akademischen Betriebs geschuldet ist. Theorien der Kinder- und Jugendarbeit im weitesten Sinne des Begriffs, also Texte, die sich deskriptiv, analytisch oder programmatisch mit Kinder- und Jugendarbeit beschäftigen, werden zwar in großer Zahl und Geschwindigkeit produziert. Dies hat seit Mitte der 1980er-Jahre zu einer erfreulich großen Zahl von vielfältigen Veröffentlichungen geführt. Eine professionelle Fachkultur, für die eine systematische theoretische Begründung – einschließlich der Auseinandersetzung mit älteren und neueren Analysen und Programmatiken – ein selbstverständliches Element auch der pädagogischen Praxis ist, hat sich gleichwohl nur in Ansätzen entwickelt. Folglich finden klassische Texte wie die „Vier Versuche“ kaum noch Beachtung. Dass sich deren Lektüre jedoch nach wie vor lohnt – und sei es nur, um die eigene Position in kritischer Abgrenzung zu klären – soll im Weiteren mit einigen Hinweisen verdeutlicht werden. 1 Dieser Beitrag basiert auf den dort gehaltenen Ausführungen, die für die Veröffentlichung etwas überarbeitet wurden; eine Ausarbeitung der essayistisch gefassten Überlegungen zu einer systematischen Analyse war dabei nicht möglich.
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1. Jugendarbeit als gesellschaftspolitische Praxis Im Rückblick auf die inzwischen klassischen „Vier Versuche zu einer Theorie der Jugendarbeit“ (vgl. Müller u. a. 1964) ist zunächst unschwer festzustellen, dass diese auf eine grundlegende und von postmoderner Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer kritischen Gesellschaftstheorie und Erziehungswissenschaft (vgl. etwa van Reijen 1992; Scherr 1992) noch unberührte theoretische Fundierung ausgerichtet sind, die der Jugendarbeit einen relevanten Beitrag zur Mitgestaltung anstrebenswerter gesellschaftlicher Veränderungen zutraut. Zeitgeschichtlicher Hintergrund ist eine – zentral durch die damals einflussreichen Analysen von Jürgen Habermas inspirierte – Programmatik, die davon ausgeht, dass eine an der Utopie herrschaftsfreier Kommunikation orientierte Gesellschaftsveränderung sowie individuelle Emanzipation als Überwindung von Abhängigkeiten möglich sind und sich wechselseitig bedingen. Pädagogische Theorie wird vor diesem Hintergrund als Fundierung pädagogischer Praxis durch Deskription, Analyse, Kritik sowie das Aufzeigen anderer Möglichkeiten und dabei auch explizit als eine kritische Theorie konzipiert (vgl. Mollenhauer 1964, S. 90 f.). Dies verbindet sich mit dem Anspruch an eine genuin pädagogische Theorie der Jugendarbeit, auf der Grundlage einer normativen Beanspruchung des „Prinzip[s] der Mündigkeit“ (ebd., S. 90) aufzuzeigen, wie Mündigkeit im Sinne rational fundierter Selbstbestimmung verhindert wird und was pädagogische Praxis zur Realisierung von Mündigkeit beitragen kann. Dabei wird Pädagogik als gesellschaftlich situierte Praxis verstanden, der ein gesellschaftspolitischer Mitgestaltungsauftrag zukommt. Entsprechend formuliert Klaus Mollenhauer (vgl. ebd., S. 93) – dabei Friedrich Schleiermacher als seinen theoretischen Gewährsmann beanspruchend –, dass die Aufgabe derjenigen, die in der Jugendarbeit tätig sind, darin bestehe, die heranwachsende Generation auf die „Verbesserung“ des gesellschaftlichen Zustandes, „das heißt auf den gesellschaftlichen Fortschritt vorzubereiten“. Vor diesem Hintergrund wird der Jugendarbeit ein „fundamental politischer Sinn“ zugesprochen, nämlich ein politischer Bildungsauftrag, dessen Kern in der Befähigung zu „kritischer und verantwortlicher Teilnahme an gesellschaftlichen Veränderungen“ (ebd., S. 94) gesehen wird. Pädagogisch konkretisiert wird dieser Bildungsauftrag dahingehend, dass Jugendarbeit als ein pädagogisches Feld zu gestalten sei, in dem ein hohes Maß an „Soziabilität, sozialer Beweglichkeit, Distanz und Kritikfähigkeit eingeübt werden kann“ und damit von Fähigkeiten, von denen angenommen wird, dass sie „die demokratische Gesellschaft zu ihrem Fortbestand wie zu ihrer Verbesserung“ (ebd., S. 94) benötigt.
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Schon in diesen Formulierungen deutet sich an, dass Klaus Mollenhauers Beitrag zu den „Vier Versuchen“ in einer gesellschaftspolitischen Situation formuliert ist, die sich von der gegenwärtigen grundlegend unterscheidet. Die Überzeugung, dass die zu erwartende gesellschaftliche Entwicklung als ein „Fortschritt“ qualifiziert werden kann, ist als Referenz pädagogischer Theorie und Praxis heute nicht mehr verfügbar. Schon dies ist für die Theorie und Praxis der Jugendarbeit folgenreich. Denn an die Stelle einer positiv akzentuierten gesellschaftspolitischen Perspektive ist inzwischen eine Sichtweise getreten, die die Notwendigkeit ins Zentrum stellt, Jugendliche auf eine ungewisse Zukunft in Zeiten struktureller Massenarbeitslosigkeit und des Sozialabbaus vorzubereiten (vgl. etwa Böhnisch/Münchmeier 1987). Auch kann heute zweifellos nicht mehr in solch emphatischer Weise wie noch in den „Vier Versuchen“ von „der demokratischen Gesellschaft“ als einer gegebenen Tatsache gesprochen sowie davon ausgegangen werden, dass sich ein Veränderungsprozess in Richtung auf die substanzielle Demokratisierung von Entscheidungsprozessen abzeichnet. „Mehr Demokratie wagen!“, das ist gegenwärtig – trotz der Konjunktur von Partizipationsprogrammen und der inflationären Rede von der Bürgergesellschaft bzw. Zivilgesellschaft – keine gesellschaftspolitisch einflussreiche Leitorientierung, auf die sich Jugendarbeit beziehen könnte. Vielmehr ist nüchtern festzustellen, dass Versuche der Demokratisierung von Schulen, Hochschulen und Betrieben ebenso gescheitert sind wie Bemühungen um eine basisdemokratische Rückbindung der politischen Repräsentation auf parlamentarischer Ebene. Eine Überwindung der „Krise der politischen Repräsentation“ (vgl. Vester 2001) ist nicht in Sicht. Damit ist angedeutet, dass eine Auseinandersetzung mit Klaus Mollenhauers Beitrag zu den „Vier Versuchen“, die sich nicht auf den Nachweis beschränken will, dass es sich um einen an eine bestimmte gesellschaftspolitische Konstellation gebundenen und deshalb veralteten Text handelt, keineswegs einfach zu führen ist. Denn sie wirft die Frage nach der eigenen biografischen und theoretischen Nähe und Distanz im Verhältnis zu einem emanzipationstheoretischen Diskurs auf, an den aktuell aus unterschiedlichen Gründen keineswegs mehr bruchlos angeknüpft werden, der gleichwohl jedoch auch nicht einfach verabschiedet werden kann. Der politische, sozialwissenschaftliche und pädagogische Emanzipationsdiskurs der 1960er- und 1970er-Jahre liegt zwar ersichtlich quer zum gegenwärtigen politischen und pädagogischen Zeitgeist, aber gerade deshalb lohnt sich eine Auseinandersetzung im Sinne einer kritischen Diskussion der Frage nach den Gewinnen und Verlusten der eingetretenen Diskursverschiebungen für die pädagogische Theorie und Praxis.
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2. „Unzeitgemäße“ emanzipatorische Ansprüche Das zentrale Problem, das eine erneute Lektüre aufwirft, kann exemplarisch anhand der Sätze verdeutlich werden, mit denen Mollenhauers Beitrag endet: „Es ist eine naive oder eine bösartige Unterstellung, dass es in unserer Gesellschaft keine Unterdrückung mehr gebe. Unterdrückt wird gerade der fundamentale Konflikt, mit dem die junge Generation aufwächst: Der Konflikt zwischen der ihr suggerierten, ihr versprochenen oder von ihr hervorgebrachten Vorstellung einer besseren, freieren, glücklicheren Möglichkeit des Lebens einerseits und dem, was sie als dessen Realisierung tagtäglich erfährt, andererseits. Diesen Konflikt, der in der Unterdrückung durch das unglückliche Bewusstsein schwelt, zum Bewusstsein zu bringen, die Unterdrückung zu mindern und das Glück zu vermehren, ist nicht nur eine unter anderen, sondern die vornehmste, die eigentlich humane Aufgabe der Jugendarbeit. Damit ist sie bereits mehr als bloß Erziehung oder Bildung: Realisierung einer kritischen Theorie, Moment des gesellschaftlichen Fortschritts“ (Mollenhauer 1964, S. 118).
Diese Sätze verweisen deutlich auf die gesellschaftspolitischen Umbrüche und die Veränderung des Zeitgeistes in den 40 Jahren, die seit ihrer Erstveröffentlichung vergangen sind, und dies in mehrfacher Hinsicht: Von Unterdrückung, unglücklichem Bewusstsein und Glück ist in aktuellen pädagogischen Texten nur noch selten die Rede. Schon die Verwissenschaftlichung der Theoriesprache erlaubt es nicht mehr, solche Formulierungen zu verwenden. Zudem erschließt sich der emphatische Sinn der Begriffe, die hier verwendet werden, nur vor dem theoretischen Hintergrund der älteren kritischen Theorie, die jedenfalls in der Jugendarbeitsdiskussion keine gängige Referenz mehr ist. Auch die Frage, ob und in welchem Sinn die gesellschaftliche Situation gegenwärtiger Jugendlicher durch Unterdrückung charakterisiert werden kann, wird in dieser Form kaum noch gestellt, wofür es nachvollziehbare Gründe gibt. Aber vielleicht wäre es gerade deshalb von Interesse, sie gelegentlich wieder aufzugreifen. Denn es kann nicht postuliert werden, dass ökonomische Zwänge, die Einflüsse der Kultur- und Konsumgüterindustrie sowie die politischen Herrschaftsverhältnisse heute keine repressiven Dimensionen mehr aufweisen – auch wenn zweifellos gegenüber den 1960er-Jahren zugleich eine Tendenz zur Überwindung autoritärer Erziehung in Familien und Schulen sowie ein Prozess der Liberalisierung im Verhältnis zu Jugendkulturen in Rechnung zu stellen ist. Heute verspricht zudem niemand mehr „der jungen Generation“ die Möglichkeit eines besseren, freieren und glücklicheren Lebens. Jugendlichen wird politisch vielmehr mitgeteilt, dass sie bestenfalls damit rechnen können, dass keine allzu gravierenden Verschlechterungen der gesellschaftlichen Bedingungen eintreten werden. Die Idee eines gesellschaftlichen Fortschritts, der zu einer Steigerung
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des individuellen und kollektiven Glücks jenseits der Versprechungen der Warengesellschaft führt, steht nicht mehr auf der gesellschaftspolitischen Agenda, und auch im Kontext pädagogischer und sozialwissenschaftlicher Theorien ist die Erschöpfung der utopischen Energien unübersehbar. Darüber hinaus können Kritische Theorie bzw. kritische Erziehungswissenschaft gegenwärtig keineswegs mehr in der gleichen Weise als selbstverständlich voraussetzbarer Bezugspunkt einer Theorie der Jugendarbeit beansprucht werden, wie dies in der zweiten Hälfte der 1960er- und in den 1970er-Jahren möglich war. Vielmehr ist es klärungsbedürftig, in welchem Sinne Begriffe wie Emanzipation und Mündigkeit gegenwärtig noch als theoretische Zentralreferenzen beansprucht werden können (vgl. Scherr 1997). Es wäre also eine leichte Übung, sich von Mollenhauers Versuch zu distanzieren, indem er als unzeitgemäß etikettiert wird. Eine solche Distanzierung vom politischen, wissenschaftlichen und pädagogischen Projekt einer emanzipatorischen Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendarbeit würde jedoch einen erheblichen Verlust bedeuten. Denn wenn sie sich von ihrer emanzipatorischen Tradition verabschiedet und sich darauf konzentriert, den Nachweis ihrer Nützlichkeit für Gewalt-, Kriminalitäts- und Rechtsextremismusprävention sowie für arbeitsmarktrelevante „Bildung“ zu erbringen, dann gibt sie einen Anspruch preis, der für die Kinder- und Jugendarbeit in ihrer etablierten institutionellen Gestalt und ihre darin eingelassenen Prinzipien – Freiwilligkeit der Teilnahme, Partizipation, Offenheit usw. – grundlegend ist. Kinder- und Jugendarbeit als Offene und verbandliche Kinder- und Jugendarbeit wäre dann verzichtbar und durch andere sozialpädagogische und sozialarbeiterische Programme potenziell mit Effizienzgewinnen substituierbar, wenn allein arbeitsmarkt-, sozial- und kriminalpolitische Zwecke erreicht werden sollen.
3. Sozialer Bildungssinn, Widerspruch und Mündigkeit Mollenhauers Versuch zu einer Theorie der Jugendarbeit ist, wie einleitend erwähnt, in einem präzisen Sinn als Entwurf einer genuin pädagogischen Theorie angelegt, nämlich einer solchen Theorie, die nicht lediglich auf eine empirische Deskription ihres Gegenstandsbereiches, sondern darauf zielt, „einen ‚besseren’ Begriff aus dem Material der Praxis zu gewinnen“, um die „wirkliche mit der möglichen Praxis“ zu konfrontieren (Mollenhauer 1964, S. 91). Und dieser Versuch ist unverkennbar in der gesellschaftspolitischen Situation und der politischen Kultur der 1960er-Jahre situiert. Das heißt vor allem: Geschrieben zu einem Zeitpunkt, zu dem kritische Erziehungswissenschaft noch glaubte, auf eine gesellschaftliche Ver-
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änderungsdynamik setzen zu können, die begründete Hoffnungen auf einen solchen Fortschritt erlaubt, der zur Befreiung aus tradierten Abhängigkeiten und zur Überwindung verfestigter Herrschaftsverhältnisse führt. Jugendarbeit wird entsprechend als ein Moment anzustrebender Veränderungen konzipiert, in denen sich das Projekt der Aufklärung realisiert. Durch die Überwindung von „Herrschaft, Unterdrückung, Vorurteil“ (ebd.) sollen die Bedingungen für gesellschaftliche Demokratisierung und Mündigkeit geschaffen werden. Die spezifische Aufgabe von Jugendarbeit wird vor diesem Hintergrund darin gesehen, die junge Generation zu „kritischer und verantwortlicher Teilnahme an gesellschaftlichen Veränderungen“ (ebd., S. 94) zu befähigen. Denn die Jugendarbeit hat – im Unterschied zu Familie und Schule – ihren Fokus nicht primär darin, Jugendliche durch Erziehung in die bestehende Gesellschaft einzufügen (ebd., S. 95). Als pädagogisches Feld, in dem Themen, Formen und Sozialbeziehungen nicht vorgegeben sind, sondern durch Jugendliche selbst festgelegt werden können, ermöglicht Jugendarbeit das „Ernst-Nehmen der Bedürfnisse“ und der Interessen Jugendlicher (ebd. S. 101 f.), die Auseinandersetzungen mit ihren Erfahrungen (ebd., S. 96) und die eigenverantwortliche Gestaltung sozialer Beziehungen – und dies begründet für Mollenhauer ihren „eigenständigen sozialen Bildungssinn“ (ebd., S. 97). Ihre genuine „Bildungschance“ (ebd., S. 109) wird darin gesehen, „alle Verbindlichkeiten so zu behandeln, als seien sie unverbindlich und alles unverbindlich vorgestellte so zu behandeln, als sei es Teil einer verbindlichen Realität“ (ebd.). Jugendarbeit wird so als eine Praxis verstanden, die dazu befähigt, andere Möglichkeiten des sozialen Zusammenlebens zu denken und zu erproben, als eine Praxis, für die Distanz und Kritik im Verhältnis zu den vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Ordnungen grundlegend ist. Entsprechend wird Jugendarbeit als „Experimentierfeld für bessere Möglichkeiten des sozialen Daseins, beweglich und in dauernden Umbrüchen begriffen“ (ebd., S. 93) charakterisiert sowie als ein pädagogisch abzusichernder Freiraum „jugendlicher Gesellungen, Experimente, Widersprüche“ und jugendlichen „Engagements“ (ebd., S. 93) bestimmt. Mündigkeit wird als theoretischer Leitbegriff beansprucht, Jugendarbeit soll Heranwachsenden eine „Selbstveränderung in Richtung auf ein Mündigwerden“ (ebd., S. 92) erleichtern. Dabei wird „der jungen Generation“ zugetraut und zugemutet, einen „Widerspruch [...] gegen das je herrschende System der gesellschaftlichen Eingliederungspraktiken“ (ebd., S. 93) zu artikulieren. Die Aufgabe der Jugendarbeit wird vor diesem Hintergrund als eine „fundamental politische“ gefasst, nämlich als eine Befähigung von Jugendlichen zu „kritischer und verantwortlicher Teilnahme an gesellschaftlichen Veränderungen” (ebd., S. 94).
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Bedingung der Möglichkeit einer solchen Jugendarbeit ist K. Mollenhauer zufolge erstens das Prinzip der Freiwilligkeit „als fundamentale Bedingung der Jugendarbeit, mit der sie steht und fällt“; zweitens das „Ernst-Nehmen der Bedürfnisse“ Jugendlicher in Verbindung mit der Perspektive ihrer „kultivierten Befriedigung“ (ebd., S. 101); und drittens der Verzicht auf thematische und methodische Festlegungen im Sinne einer Orientierung an der „Vielfalt und Heterogenität der Interessen“ Jugendlicher (ebd. S. 104). Dies verbindet sich mit einer dezidierten Abgrenzung des „pädagogischen Ansatzes der Jugendarbeit“ (ebd., S. 91) gegen ein Verständnis von Jugendarbeit als ein „Erziehungsverhältnis“ (ebd., S. 92).
4. Aktualisierung von Strukturprinzipien Ist ein solches Verständnis von Jugendarbeit noch zeitgemäß? Die nahe liegende Antwort lautet, dass die Realität gegenwärtiger Kinder- und Jugendarbeit typischerweise die von Klaus Mollenhauer anvisierte bessere Möglichkeit nicht mehr ergreift und sie auch nicht mehr als Möglichkeit in den Blick nimmt. Eine zweite Antwort auf diese Frage hätte zu prüfen, ob es pädagogisch noch verantwortbar ist, die Idee der Mündigkeit als Leitorientierung zu beanspruchen. Auch diesbezüglich liegt Skepsis nahe. Denn selbst dann, wenn man die Option einer nicht funktionalistischen, sondern normativ-kritischen Konzeptionalisierung der Kinder- und Jugendarbeit wählt, ist unübersehbar, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich in einer Weise verändert haben, in deren Folge eine Anknüpfung an den fortschrittsoptimistischen Duktus Klaus Mollenhauers ebenso unmöglich ist wie an das aus heutiger Perspektive naive Vertrauen in den Konnex von Vernunft, Bildung, Mündigkeit und Emanzipation. Durchaus aktuell ist jedoch der Nachweis, dass die Strukturprinzipien der Freiwilligkeit und Offenheit ein spezifisches pädagogisches Feld konturieren, dessen Potenzial darin liegt, dass hier Möglichkeiten der Artikulation von Bedürfnissen und Interessen, der Differenzerfahrung, des Dialogs, des Experimentierens (noch) gegeben sind, die in anderen pädagogischen Kontexten durch Vorgaben und Reglementierungen verstellt sind. Sieht man eine Aufgabe der Kinder- und Jugendarbeit darin, Jugendliche zum offensiven Nachdenken über Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des sozialen Zusammenlebens anzuregen sowie ihre biografischen, kulturellen und politischen Suchprozesse nicht still zu stellen, sondern zu begleiten und zu unterstützen, dann bietet Klaus Mollenhauers Konzeptionalisierung der Besonderheiten von Jugendarbeit insofern einen nach wie vor aktuellen Ausgangspunkt.
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Literatur Böhnisch, Lothar/Münchmeier, Richard (1987): Wozu Jugendarbeit? Weinheim u. München Mollenhauer, Klaus (1964): Versuch 3. In: Müller, C. Wolfgang u. a.: Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München, S. 89 – 118 Müller, C. Wolfgang u. a. (1964): Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München Scherr, Albert (1992): Das Projekt Postmoderne und die pädagogische Aktualität kritischer Theorie. In: Marotzki, Winfried/Sünker, Heinz (Hrsg.): Kritische Erziehungswissenschaft – Moderne – Postmoderne. Weinheim, S. 101 – 151 Scherr, Albert (1997): Subjektorientierte Jugendarbeit. Weinheim u. München Van Reijen, Wilhelm (1992): Moderne versus postmoderne politische Philosophie. Ein Vergleich zwischen Habermas und Lyotard. In: Marotzki, Winfried/ Sünker, Heinz (Hrsg.): Kritische Erziehungswissenschaft – Moderne – Postmoderne. Weinheim, S. 9 – 33 Vester, Michael (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Frankfurt a. M.
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Kurzer Rückblick nach 40 Jahren auf meinen „Versuch 4“
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass fast zeitgleich mit dieser Tagung der Juventa-Verlag das Ende der Auslieferung des hier zur Debatte stehenden, 1964 erschienenen Buches „Was ist Jugendarbeit?“ (vgl. Müller u. a. 1964) angekündigt hat. Immerhin hat es noch 40 Jahre nach seinem Erscheinen Interesse und Käufer gefunden, obwohl der Text nie überarbeitet wurde – eher ungewöhnlich für ein Buch mit einem pädagogischen Thema. Mein Beitrag wird jedoch weiterhin auf meiner Homepage zu finden sein.1 Als ich meinen Beitrag schrieb, hatte ich mich mit der pädagogischen Wissenschaft noch kaum beschäftigt, ich hatte vielmehr das Staatsexamen für die Gymnasialfächer Geschichte und Latein und das dafür benötigte Philosophicum nicht in Pädagogik, sondern in Philosophie absolviert. Mein Text verwertete viele Diskussionen, die ich im Rahmen meiner praktischen Tätigkeit – meiner ersten Berufstätigkeit – in der Jugendbildungsstätte „Jugendhof Steinkimmen“ geführt hatte, wo ich von 1960 bis 1963 tätig war. Vorher, während meiner Studienzeit, hatte ich zudem als studentischer Mitarbeiter bereits an zahlreichen Jugendtagungen zur politischen Bildung – als Teamer, wie es damals hieß – im „Jugendhof Vlotho“ mitgewirkt. Ferner spielten zwei Fachtagungen für mich eine bedeutende Rolle, zu denen Martin Faltermaier vom Juventa-Verlag eingeladen hatte, und wo ich etwa einem Dutzend Personen begegnet bin, die ebenfalls in der Jugendarbeit tätig waren. Mein Text beruhte also nicht auf der Anwendung allgemeinpädagogischer Einsichten, sondern resultierte aus der Reflexion meiner pädagogischen Praxis und aus Diskussionen mit denjenigen, die ähnliche Probleme in ihrem Tätigkeitsbereich vorfanden. Aus dieser Ausgangslage ergibt sich schon, dass ich diesen Text heute nicht mehr in dieser Form verfassen könnte. Hätte ich ihn heute noch einmal zu schreiben, würde ich allerdings seine Grundstruktur nicht ganz zurückweisen, sondern überprüfen und natürlich aktualisieren (vgl. Giesecke 1980). Es ist von der Grundstruktur her eine pädagogische Theorie der Jugendarbeit, keine soziologische, 1 Vgl. .
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obwohl vieles aus der damaligen soziologischen Literatur darin eingeflossen ist. „Pädagogisch“ bedeutet, dass der Versuch vom pädagogischen Handeln ausgeht, für dessen Überschrift ich damals noch der Tradition entsprechend den umfassenden Begriff „Erziehung“ verwendet habe, heute würde ich von Lernen sprechen und dabei zwischen Sozialisation, Erziehung und Bildung unterscheiden. Die Pädagogik betrachtet demnach eine gesellschaftliche Wirklichkeit wie die Jugendarbeit unter der Frage, was man in ihr lernen kann – und was nicht. Diese Frage ist nur sinnvoll zu beantworten, wenn man den Vergleich zu anderen pädagogischen Feldern wie der Schule oder der Familie sucht. Aufgabe einer pädagogischen Theorie ist also, das Feld der Jugendarbeit so zu beschreiben, dass die Voraussetzungen, Bedingungen, Ziele und Methoden in einem ganzheitlichen Zusammenhang deutlich werden können, aber auch so, dass die Ergebnisse anderer einschlägiger Wissenschaften in einem solchen Faktorenmodell berücksichtigt werden können. Die pädagogische Theorie ergibt sich also nicht als Ableitung aus anderen Wissenschaften, sondern benutzt deren Ergebnisse als Hilfen zur Aufklärung des Handlungsfeldes. Diese bis heute und immer nachdrücklicher von mir vertretene Position ist damals schon erkennbar, aber noch eher unbewusst und tastend formuliert. Sie ist durch die „PISA“-Diskussion wieder aktuell geworden, sofern Pädagogisches jedenfalls in der öffentlichen Meinung immer mehr als Anwendung von irgendetwas verstanden wird – der Psychologie, der Systemtheorie, des Konstruktivismus oder auch wirtschaftlicher Organisationstheorien. Das halte ich für eine Fehlentwicklung, weil die praktischen Probleme des pädagogischen Handelns, wie sie sich vor Ort tatsächlich stellen, mehr und mehr vernachlässigt werden und deshalb Wissenschaft und Praxis sich als zwei kaum noch zu vermittelnde „Kulturen“ gegenübertreten, die Praxis zudem von einander ablösenden wissenschaftlichen Moden irritiert wird (vgl. Giesecke 2004). Anfang der 1960er-Jahre gab es trotz einer umfangreichen, vor allem von den Mitgliedern der Jugendbewegung selbst produzierten Literatur keine Theorie der Jugendarbeit, die uns erklärt hätte, was wir in der Praxis taten oder tun sollten. Deshalb produzierten wir selbst, was wir zu brauchen glaubten. Das erklärt aber noch nicht die große Resonanz, die diese „Vier Versuche“ auslösten. Offenbar trafen wir damit auf ein Problem, das auch andere beschäftigte. Warum war eine theoretische Neubesinnung damals nötig? Nach meiner Erfahrung trafen dabei mehrere Bedürfnisse zusammen: – Überregionale Organisationen wie die großen Jugendverbände waren nicht mehr wie früher einfach durch weltanschauliche – politische, religiöse – Bindungen zusammenzuhalten; schon am Ende der Weimarer Zeit hatten sich ihre Pro-
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gramme unter dem Druck allgemeiner Freizeiterwartungen weitgehend egalisiert (vgl. Giesecke 1981). Was sollte nun die irgendwo zentral agierenden Funktionäre mit der Heimabendgruppe im Dorf verbinden? Einzeln wie gemeinsam brauchten diese Organisationen eine neue Selbstverständigung. – Die ständig steigenden öffentlichen Zuschüsse für die Jugendarbeit – Bundesjugendplan, Landesjugendpläne – forderten nicht nur langfristige Planungen, sondern auch theoretisch plausible Begründungen heraus, die der Öffentlichkeit zu vermitteln waren. – Der vielleicht entscheidende Grund war jedoch die zunehmende Professionalisierung. Nicht die jugendlichen Teilnehmer brauchten solche Theorien, nicht die ehrenamtlichen Mitarbeiter vor Ort, wir selbst brauchten sie, die hauptamtlichen Mitarbeiter, die sich damals dank öffentlicher Förderprogramme erstaunlich vermehrten. Die Professionalisierung verlangte nach Theorie, und der Bedarf wurde noch größer, als die Profis dann auch an Hochschulen ausgebildet werden sollten. Unser Buch markierte also einen geschichtlichen Übergang, der von heute aus durchaus ambivalent zu sehen ist: den Aufstieg der hauptamtlichen Jugendarbeiter und den Abstieg der ehrenamtlichen. Vorher war Jugendarbeit über weite Strecken eine reine Gesellungsform nach den von der bildungsbürgerlichen Jugendbewegung erfundenen Regeln des „Jugendgemäßen“ – naturnah und zivilisationsfern, konsumasketisch, gemeinschaftsorientiert, sexuell enthaltsam. Dort, wo Jugendgruppen unter dem Schutz eines von Erwachsenen arrangierten und geschützten Ambientes ein relatives Eigenleben führen konnten, waren dafür keine besonderen Fachkenntnisse erforderlich. Erst Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre wurde die Jugendarbeit professionell pädagogisiert, vor allem unter dem Anspruch der – insbesondere politischen – Bildungsarbeit. Es war die Bildungsarbeit, die Profis nötig machte, weil dafür nun spezifische fachliche und didaktische Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich wurden. Gerade die politische Bildungsarbeit geriet damals zudem leicht in Verdacht, sich nicht deutlich genug von marxistisch-kommunistischen Positionen abzugrenzen, zumal wenn sie sich kritisch mit den internen Problemen der jungen Bundesrepublik befasste. Es bedurfte einer wissenschaftlich fundierten pädagogischen Theorie, um sich in derartigen Auseinandersetzungen, die durchaus zum Entzug öffentlicher Mittel führen konnten, argumentativ behaupten zu können. Die Bedürfnisse der Hauptamtlichen bestimmten auch die Richtung, in die sich die theoretischen Überlegungen bewegten. Aus der Rückschau betrachtet, sieht das in etwa so aus: Um sich als Berufsgruppe ähnlich wie die Lehrer verstehen zu kön-
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nen, mussten die Jugendarbeiter sich einerseits deutlich von den Lehrern abgrenzen und andererseits gegenüber den Trägern der Jugendarbeit in Distanz treten können, um nicht als bloße Exekutierer eines verbandlichen oder kommunalen Willens dazustehen. Ein solches Bedürfnis haben Ehrenamtliche oder Nebenamtliche nicht, weil die Identifikation mit den Zielen des Trägers ja gerade ihre Bereitschaft zur Mitwirkung begründet und sie außerdem dort nicht beruflich tätig sind, sondern ihre berufliche Identität aus einer anderen Quelle beziehen. So lag es nahe, die erwünschte professionelle Gemeinsamkeit aus der Definition der beruflichen Partner, nämlich der Jugendlichen, zu fundieren. Man musste deren entwicklungsbedingte Bedürftigkeit herausfinden. Der jugendliche Mensch ist offensichtlich mehr als nur ein Mitglied etwa seines Jugendverbandes, seine Bedürftigkeit geht weit über das hinaus, was der Verband ihm anbieten kann und von ihm erwartet. Geht man von dieser Tatsache aus, dann kann sich die pädagogische Profession „Jugendarbeit“ von daher, nämlich von einer umfassend verstandenen Bedürftigkeit des Jugendlichen her, begründen. Umgekehrt können von einer solchen Position aus wiederum Forderungen, nämlich nun so genannte pädagogische, an den Träger erhoben werden. Der professionelle Jugendarbeiter wird so auch zum Anwalt des Jugendlichen gegenüber dem Träger und im weiteren Sinne gegenüber allen anderen an ihn gerichteten partikularen gesellschaftlichen Erwartungen. Deshalb waren die Thesen der jungen Jugendsoziologie besonders akzeptabel für uns. Helmut Schelsky, ihr bedeutsamster Repräsentant, hatte in seinem Bestseller „Die skeptische Generation“ (1957) die Fixierung auf das in der Jugendzeit der damaligen Erwachsenengeneration entstandene Bild des Jugendlichen und des Jugendgemäßen heftig kritisiert. Zudem enthielt diese Jugendsoziologie eine pädagogische Implikation, die praktisch aufgegriffen werden konnte, nämlich die Aufforderung, Jugendlichen im Übergang zur Erwachsenenwelt Anpassungshilfen zu leisten. Auf diese Weise wurde die damals herrschende normative Pädagogik, mit der sich gerade in der Jugendarbeit nur noch wenig anfangen ließ, durch eine pragmatische wenn nicht ersetzt, so doch zumindest konterkariert. Wenn man wie ich seit damals die Jugendarbeit im pädagogischen Sinne als ein besonderes Lernfeld versteht, ist zu klären, worin im Einzelnen diese Lernchancen bestehen und wie sie sich von denen in vergleichbaren pädagogischen Feldern, etwa der Schule, unterscheiden. Dieser Aspekt ist nun erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen, er muss je nach Lage der jungen Generation in der Gesellschaft neu ermittelt werden. Damals war Jugend sowohl in der Familie wie in der Schule und Öffentlichkeit relativ streng nach unzweideutigen Normen sozial kontrolliert, davon musste sie sich nach meiner Meinung emanzipieren können, und dafür wiederum war das Feld der Jugendarbeit eine wichtige Möglich-
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keit. Hier konnte man mit Verhalten und Meinungen experimentieren, soziale Geborgenheit finden, Formen nichtintimer, also gesellschaftlicher Kommunikation lernen, sonst kaum mögliche sinnvolle Aktivitäten entfalten, über individuelle und kollektive Konflikte nachdenken sowie nicht zuletzt spezifische Begabungen und Interessen entdecken und fördern. Was ich damals unter dem Gesichtspunkt „Erziehungsdefizite“ vorgetragen habe, bezog sich auf diese Lage der Jugend und ist heute natürlich historisch überholt und muss neu geklärt werden. Aber die Fragestellung bleibt gültig: Was kann die Jugendarbeit einem Jugendlichen bieten, was er sonst in seinem Lebensbereich nicht so ohne weiteres finden kann? Wie damals ist auch heute nötig, sich ein Bild von gelungenem Heranwachsen zu machen, das die einzelnen pädagogischen Felder übergreift. Heute würde ich das am ehesten mit einer Bildungstheorie beschreiben. Damals bin ich von einem Idealbild eines allseits optimal erzogenen Jugendlichen ausgegangen, der sich zum Beispiel in der Jugendarbeit holt, was er in der Schule nicht bekommt. Heute würde ich mit dem Begriff der Bildung pragmatischer umgehen und von Fähigkeiten sprechen, die für eine optimale Partizipation an den gesellschaftlichen Möglichkeiten gebraucht werden. Was davon kann die Schule leisten, was davon bedarf der besonderen Bedingungen der Jugendarbeit? Die Jugendarbeit bietet Lernmöglichkeiten an, die so weder in der Familie noch in der Schule möglich sind. Das liegt an ihren besonderen Rahmenbedingungen: Freiwilligkeit der Teilnahme, keine Lehrpläne, keine formellen Leistungsnachweise, großzügige rechtliche Regelungen im Unterschied etwa zum Schulrecht, spezifische Beziehungen der Jugendlichen untereinander wie zum pädagogischen Personal, kaum einklagbare Leistungsansprüche durch die Eltern. Die Frage nach der Eigenständigkeit der Jugendarbeit ist gegenwärtig unter dem Eindruck der Debatte um die Ganztagsschule wieder aktuell geworden (vgl. Giesecke 2002). Die Titelfrage des alten Buches steht also nach wie vor zur Debatte: Was ist (heute) Jugendarbeit – und was nicht? Aber das wäre ein neues Thema. Wenn man unser Buch historisch richtig einordnen will, muss man auch die damaligen Kritiken hinzuziehen. Im Jahrgang 1965 der Zeitschrift „deutsche Jugend“ finden sich dazu unter anderem Beiträge von Theodor Wilhelm, Heinz-Georg Binder, Christof Bäumler, Martin Vogel, Karl Seidelmann, Wolfgang Fischer sowie Walter Hornstein und – zuvor an einem anderen Ort publiziert – Heinz Hermann Schepp (vgl. 1964). Wir, die Ko-Autoren Helmut Kentler, Klaus Mollenhauer und ich – C. Wolfgang Müller befand sich im Ausland –, antworteten auf die teilweise heftige Kritik im Oktoberheft der Zeitschrift. Die damalige Kritik ist bekannt, gespannt kann man also darauf sein, was die jüngeren Kollegen aus ihrer Sicht zu dem Buch zu sagen haben.
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Literatur Giesecke, Hermann (1980): Die Jugendarbeit. 5., völlig neu bearbeitete Aufl. München. (15.10.2005) Giesecke, Hermann (1981): Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend. Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik. München (15.10.2005) Giesecke, Hermann (2002): Ganztagsschule und außerschulische Jugendbildung. In: deutsche jugend, 50. Jg., Heft 10, S. 440 – 446 Giesecke, Hermann (2004): Wer braucht (noch) Erziehungswissenschaft? In: Neue Sammlung, 44. Jg., Heft 2, S. 151 – 165 Müller, C. Wolfgang u. a. (1964): Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München Schelsky, Helmut (1957): Die skeptische Generation. Düsseldorf Schepp, Heinz Hermann (1964): Jugendarbeit in der egalitären Gesellschaft. In: Zeitschrift für Pädagogik, 1. Jg., Heft 5, S. 409ff
Burkhard Müller Was ist die Aufgabe einer Theorie der Jugendarbeit?
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Was ist die Aufgabe einer Theorie der Jugendarbeit? Kommentierung von Hermann Gieseckes „Versuch 4“
„Die Zeiten ändern sich ...“ war Titel der Tagung anlässlich 40 Jahre „Was ist Jugendarbeit?“. Und das Sprichwort sagt, je mehr es sich ändert, desto mehr bleibt’s dieselbe Chose. Das jedenfalls war mein spontaner und auch etwas beschämter Eindruck, als ich mir seit langer Zeit wieder den „Versuch“ Hermann Gieseckes vornahm. Wir scheinen seit damals wenig vorangekommen zu sein.
I. Das gilt zunächst für seine Eingangsfrage, „um welche Aufgaben es sich eigentlich handelt, was man also mit einer Theorie der Jugendarbeit eigentlich lösen will“ (Giesecke 1964, S. 121). Diese Frage, was der Stellenwert von Theorie in der Jugendarbeit, also was eine „Theorie der Theorie der Jugendarbeit“ sei, ist später kaum gestellt worden. H. Giesecke expliziert das Problem: Es gehe nicht einfach nur darum, zu beschreiben, zu verstehen und zu bewerten, was Jugendarbeiter innerhalb der vier Wände ihrer Einrichtungen tun (vgl. ebd., S. 121 f.); und zwar deswegen, weil Erfolg oder Misserfolg ihrer Arbeit keineswegs nur von ihnen selbst, sondern von zahllosen anderen Bedingungen, die das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen prägen, abhängt – das Wort „Sozialisation“ war damals noch nicht gebräuchlich, ist aber passend. Es gibt, so H. Giesecke, „keine isolierten pädagogischen Akte mehr. Pädagogische Theorie ist der Versuch, in dieser Lage dennoch sinnvolle pädagogische Akte zu ermöglichen“ (ebd., S. 122). Der Jugendarbeiter müsste also „sehr viel wissen [...], wenn er voll begreifen will, was er pädagogisch tut“ (ebd.), nur gehe es ihm dann wohl so, dass „je mehr er liest, umso unklarer wird, was das alles mit seiner Praxis zu tun haben könnte“ (ebd., S. 123). Was er bekommt, ist „eine Addition psychologischer, soziologischer und ähnlicher
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Erkenntnisse“, aber kaum etwas, was hilft, „die wichtigsten Zusammenhänge einer pädagogischen Handlungssituation aufzuhellen“ (ebd.). Ich muss mit Bedauern feststellen, dass trotz 40 Jahren „Theorie der Jugendarbeit“ dies eine recht aktuelle Zustandsbeschreibung ist. Nun plädiert Hermann Giesecke, weil er die These von der Nicht-Isolierbarkeit der pädagogischen Handlungssituation zum Ausgangspunkt nimmt, keineswegs für eine Theoriebildung, die nach dem Motto „aus der Praxis für die Praxis“ konzipiert ist. Wohl aber meint er, Voraussetzung der Theoriebildung sei „eine gut durchdachte Kommunikation derjenigen, die etwas von der pädagogischen Handlungssituation verstehen, mit denjenigen, die etwas von den dabei zu beachtenden Sachzusammenhängen verstehen“ (ebd., S. 23 f.) – also der „Praktiker“ mit den „Theoretikern“. Diese „gut durchdachte Kommunikation“ zu ermöglichen, verlangt Giesecke allerdings von den Theoretikern. Sie müssen den theoretischen Rahmen liefern für eine „Didaktik der Fortbildung“ (ebd., S. 173), worunter Giesecke versteht: „für die Mitarbeiter ein methodisches Modell, ein Denkmodell zu entwickeln, das sie in den Stand setzt, ihre eigene Arbeit theoretisch zu durchdringen“. Man kann also mit H. Giesecke definieren: Nötig ist erstens eine Didaktik der Jugendarbeit, definierbar als Fähigkeit des Theoretisierens von Praxis – und nicht als Rezeptwissen. Professionalität als „Wissen, was man tut“ hat Thomas Klatetzki (1993) das später genannt. Zweitens ist Theorie von Jugendarbeit das, was eine solche Fähigkeit pädagogisch begründbar und als realistische Möglichkeit empirisch fundierbar macht. Mein erster Kommentar ist demnach: Die Theorie der Jugendarbeit hat seit damals sicher einiges geleistet, um die empirische Fundierung ihrer Abhängigkeit von den Bedingungen jugendlichen Aufwachsens schärfer zu fassen. Ob sie aber wirklich genug getan hat, um den Praktikern jenes „Theoretisieren ihrer Praxis“ auch abverlangen zu können, damit sie wissen, was sie tun – das erscheint mir dennoch zweifelhaft.
II. Hermann Giesecke meint nun, Theorie der Jugendarbeit müsse, um dies leisten zu können, „eine eigentümliche Stellung zwischen der Erziehungsphilosophie einerseits und den pädagogisch relevanten Fachwissenschaften andererseits“ (Giesecke 1964, S. 126) einnehmen. Mit dem Erstgenannten verweist er auf die Aufgabe einer Begründung ihrer normativen Ansprüche; mit Letzterem verweist er auf die der sozialwissenschaftlich-empirischen Fundierung. Gehen wir davon aus, dass
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die zweite Aufgabe seither vielfältig bearbeitet wurde, wenn auch noch keineswegs hinreichend geleistet ist, und fragen wir nach der normativen Begründung. Bei dieser wiederum ist nach H. Giesecke nicht so sehr entscheidend, ob sie im philosophischen Sinn wahr oder falsch, sondern ob sie der Aufgabe angemessen ist oder nicht (vgl. ebd., S. 127). Die Angemessenheit einer Theorie der Jugendarbeit, wenn man so will ihre Nützlichkeit für ein Handeln mit professionellem Anspruch (Merten 1997, S. 113 ff.), bestimmt H. Giesecke auf vier Ebenen. Er leitet sie erstens aus der Tatsache ab, dass Jugendarbeit als organisatorisches Gebilde existiert und deshalb sich nicht auf persönliche Verständigung und Kommunikation vor Ort beschränken kann. Er sagt, in einem organisatorischen Gefüge bis hin zu Verbandsspitzen und Bundesebene „ist eine gewisse gemeinsame Theorie das einzige Bindemittel zwischen Menschen, die indirekt miteinander verkehren“ (Giesecke 1964, S. 130). Es geht ihm also um die Legitimationsfähigkeit der Jugendarbeit im öffentlichen Raum, die seiner Meinung nach damals nicht durch Theorien, sondern eher durch Klischees gewährleistet wurde: „Freiheit“, „Bindung“, „Gemeinschaft“, „gesellschaftlicher Auftrag“ (ebd., S. 131). Mein Kommentar: Dies ist nicht dadurch schon anders geworden, dass die Klischees heute „Solidarität“, „Emanzipation“, „Prävention“ oder „informelle Bildung“ heißen. Es scheint mir aber bemerkenswert, dass H. Gieseckes Gedanke, Theoriebildung der Jugendarbeit habe etwas mit ihrer politischen Artikulationsfähigkeit zu tun, in den heutigen Diskussionen bedauerlicher Weise keine Rolle mehr spielt. Der zweite, damit eng zusammen hängende Standard für eine Theorie der Jugendarbeit muss nach H. Giesecke ihre Fähigkeit sein, „inhaltliche Ziele der Mittelvergabe“ (ebd., S. 132) zu begründen, statt nur irrationale Macht- und Verteilungskämpfe um Fördertöpfe zu führen. Solche kultur- und erziehungspolitische Legitimierbarkeit von Jugendarbeit müsse aber, drittens, das Mannheim’sche Kriterium des „planning for freedom“ berücksichtigen, also „die Gefahr der totalen Vergesellschaftung der Jugendarbeit“ (ebd., S. 133) abwehren. Aufgabe einer Theorie der Jugendarbeit wäre demnach „als Unterstützung der Spontaneität und Dynamik, die sich angesichts der organisatorischen und kulturpolitischen Umklammerung nicht mehr von selbst einstellt“ (ebd.; kursiv im Original), die notwendige „intellektuelle Waffe“ zu liefern, „um zu verhindern, dass der Widerspruch von Organisation und Organisiertem einseitig zugunsten der Organisation liquidiert wird“ (ebd.). Falls das nicht gelingt, droht Folgendes: „Bis in den Sprachgebrauch hinein werden pädagogische von verwaltungstechnischen Kategorien überfremdet“, z. B. Jugendarbeiter als „Multiplikatoren“, Jugendarbeit als „Maßnahme“ – von Jugendarbeit als „Produkt“ und „Output“ war damals noch nicht die Rede.
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Schließlich sei viertens Theorie notwendig als Traditionsersatz. „Wenn es nicht gelingt, Theorie anstelle von naiver Tradition zu setzen, droht Jugendarbeit dem Diktat der vordergründigen Zweck-Mittel-Magie zu verfallen: Der blinden Anpassung an kurzfristige und äußerliche Wünsche, Anforderungen, Aktivitäten, die mit ehemals richtigen Argumenten falsch begründet werden. Theorie muss dafür sorgen, dass naive zur reflektierten Tradition wird“ (ebd., S. 136). Theorie als „reflektierte Tradition“ zu verstehen, scheint mir ein sehr anregendes Konzept zu sein, das in der Jugendarbeit – wie der Sozialen Arbeit im Ganzen – kaum weitergedacht worden ist. H. Giesecke warnt jedenfalls vor einer Jugendarbeit, die entweder einfach sich selbst fortschreibt oder sich die Aufgaben von außen diktieren lässt. Die häufigsten Vokabeln für den pädagogischen Auftrag hießen damals „Hilfe, Not, Gefährdung, Verwahrlosung, Schutz“ (vgl. ebd.), heute geht es um „Prävention“. Sicher kann man sagen, dass die von H. Giesecke verlangte „theoretische Befragung der Zielvorstellungen selbst“ seitdem von der Theorie der Jugendarbeit fleißig betrieben worden ist, aber eher von gesellschaftskritischen oder auch affirmativen Außenstandpunkten her, nicht als Ausbildung einer „reflektierten Tradition“. Und deshalb hat die Theorie wohl zu wenig dafür getan, der Praxis von Jugendarbeit „rekonstruktiv“ (vgl. Jakob/Wensierski 1997) aus jener vordergründigen Zweck-Mittel-Magie herauszuhelfen.
III. Wie aber lässt sich nun nach Giesecke eine pädagogische Theorie der Jugendarbeit begründen? Er geht bei dieser Frage noch einmal vom Gedanken der NichtIsolierbarkeit einzelner pädagogischer Akte vom Gesamtprozess der Sozialisation aus, der in paradoxer Spannung zu der kaum überschaubaren Pluralität der Erziehungsfaktoren steht (vgl. Giesecke 1964, S. 138). Hermann Giesecke zieht zunächst zwei negative Folgerungen daraus. Zum einen sei es unmöglich, eine „Ortsbestimmung der Jugendarbeit in diesem Feld der Einflüsse vorzunehmen“ (ebd.), also genau abzugrenzen, welchen Teilbeitrag die Jugendarbeit nun zur Erziehung leisten solle. Dies ist noch heute eine – beispielsweise für die Auseinandersetzung um Jugendarbeit und Schule – hochaktuelle Frage (vgl. Müller 2004). Zum anderen aber sei es ebenso unmöglich, dass sich die Theorie der Jugendarbeit zu der „Reformtheorie für die anderen Erziehungsfaktoren“ (vgl. Giesecke 1964, S. 138) ernenne. Auch dieser Anspruch wird heute immer noch unverdrossen erhoben, insbesondere, wenn sich Jugendarbeit als speziell zuständig für das „Emanzipatorische“ im Gegensatz zu den übrigen auf Anpassung und Funktionieren in der Ge-
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sellschaft gerichteten Erziehungsinstitutionen ernennt – Jugendarbeit gewissermaßen als institutionalisierter pädagogischer Fortschritt (vgl. z. B. Scherr 1997; kritisch dazu Müller/Schulz/Schmidt 2005, S. 25 ff.). Beide Möglichkeiten werden nach Hermann Giesecke durch das verhindert, was er „nicht änderbare Bedingungen für die Jugendarbeit“ (Giesecke 1964, S. 140) nennt. Die erste und vielleicht wichtigste dieser Bedingungen sei, dass Jugendarbeit Teil des Freizeitsystems ist, nicht qua Selbstdefinition oder gesellschaftliche Funktionszuweisung, sondern aus Sicht ihrer Nutzer. Man beachte: Schon 1964 verweist H. Giesecke darauf, dass Jugendliche die Jugendarbeit mit ähnlichen Maßstäben bewerten wie auch die übrigen – meist kommerziellen – Freizeitangebote, und deshalb unterliege „die Jugendarbeit ökonomisch gesehen weitgehend industriellen Bedingungen: Sie muss für ihre Angebote w ‚ erben’“ (ebd.). Diese Einsicht in die Nicht-Hintergehbarkeit einer Orientierung am „Gebrauchswert“ (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1987) hat sich in der Theorie der Jugendarbeit, wenn auch erst 25 Jahre später, einigermaßen durchgesetzt. H. Giesecke beschreibt aber auch schon sehr genau die prekäre Balance, die der Jugendarbeit dadurch abverlangt ist. Einerseits müsse sie sich „als Unternehmen“ nach den „Strukturgesetzen des Marktes“ richten, immer in Gefahr, dadurch auch ihre Inhalte „industriell zu manipulieren“ (Giesecke 1964, S. 141). Andererseits gewinne sie nur in diesem Risiko auch die Chance eines „realistischen pädagogischen Selbstverständnisses“ (ebd.; Hervorhebung B. M.). Letzteres könne ihr dann gelingen, wenn sie sich gleichzeitig als geplantes Erziehungsfeld verstehe, aber so, dass die eine Seite die andere „beschränkt“. Jene genannten und von H. Giesecke kritisierten Möglichkeiten theoretischer Selbstverortung – Jugendarbeit als definierter Teilbereich der Erziehung oder als Spezialistin für Emanzipation – würden dagegen ein „geplantes Erziehungsfeld“ (ebd.) der Jugendarbeit erfordern, also eine ungestörte pädagogische Provinz, die sie nicht herstellen kann. Wenn Jugendarbeit aber darauf verzichtete, sich immer wieder als Erziehungsfeld zu konstituieren, so wäre sie „nichts anderes als ein Teil staatlich subventionierter Freizeitindustrie“ (ebd.). Die Konsequenz Gieseckes aus der Gebrauchswert-Abhängigkeit von Jugendarbeit ist also, dass ihre Theorie und Praxis nur als jeweilige Verarbeitung dieses Spannungsverhältnisses, nicht aber entweder als Analyse ihrer Marktchancen oder als normativ begründete pädagogische Provinz konstituiert werden kann. Die anderen nicht änderbaren Bedingungen von Jugendarbeit, die H. Giesecke aufzählt (vgl. ebd., S. 141 f.), weisen in dieselbe Richtung: die Freiwilligkeit ihrer Angebote, ihr Mangel an „Macht über den Alltag“ und die Zukunftschancen der Jugendlichen, die Fluktuation der Nutzung, der sie als „unstete Erziehungsform“ unterworfen ist und ihre Begrenzung auf eine kurze Lebensphase.
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Ein Problem insbesondere der Offenen Jugendarbeit scheint – so mein Kommentar hierzu – bis heute zu sein, dass diese von Hermann Giesecke treffend beschriebene Dialektik die meisten Jugendarbeiter überfordert: Sie denken entweder „pädagogisch“ und dann an Angebote, die nur im Kulturschutzpark der pädagogischen Provinz – vom Mädchentag bis zum Antirassismusprojekt – gedeihen können; oder sie denken „marktorientiert“, und dann verbleiben im Angebot meist nur die im Vergleich zum kommerziellen Markt schlecht ausgestatteten Freizeitvergnügen für diejenigen, die für die Alternativen kein Geld haben. Empirische Beobachtungen (vgl. Müller/ Schulz/Schmidt 2005) zeigen demgegenüber, dass Jugendarbeit große Chancen hat, wenn sie sehr viel genauer als üblich wahrnimmt und beschreibt, was Jugendliche im Handlungsfeld Jugendarbeit tun, gleichzeitig aber sich fähig macht, darauf zu antworten, statt mal den eigenen Wünschen, mal den der Jugendlichen hinterher zu laufen.
IV. Lassen sich unter diesen Bedingungen überhaupt noch klare Ziele der Jugendarbeit angeben? Hermann Giesecke traut sich, die Frage zu beantworten, und er ist auch hier von einer erstaunlichen Aktualität. Zunächst schreibt er der Jugendarbeit ins Stammbuch, „dass das Ziel aller Erziehung nicht das Jungsein, sondern das Erwachsenwerden in einer konkreten gesellschaftlichen Situation ist“ (Giesecke 1964, S. 143). Dem entsprechend liege für die Jugendarbeit die pädagogische Kernfrage nicht darin, „wie sie der Jugend helfen könne, zu jugendeigenen Stilen und Formen zu finden – dies kann sie getrost der jugendlichen Spontaneität überlassen und sollte sie nicht verhindern. Die Kernfrage lautet vielmehr, welchen spezifischen Beitrag die Jugendarbeit zum Erwachsenwerden leisten könnte“ (ebd.). Das klingt nach einem Appell zu gesellschaftlicher Funktionalität, wird aber von H. Giesecke ganz anders verstanden. Der Beitrag „zum Erwachsenwerden“ besteht für ihn gerade in dem, was Jugendarbeit trotz allem zu einem Stück pädagogischer Provinz macht: „Sie ist nie ganz und nur Ernstsituation. Sie bietet dem Jugendlichen einen gewissen Schonraum, in dem man mit Meinungen und Verhaltensweisen experimentieren kann, ohne dass er gleich beim Wort genommen wird, ohne dass er in voller Tragweite für Meinungen und Verhalten einstehen muss“ (ebd., S. 145). Die Chance aber dazu, solchen Freiraum gegenüber dem „Konformismus der alltäglichen Rollenerwartungen“ (ebd. S. 146) zu ermöglichen – den gesellschaftlichen ebenso wie den des jugendkulturellen Milieus –, hängt für H. Giesecke an der Organisation. Deren „unmittelbare pädagogische Bedeutung“ hängt
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an der Frage, inwieweit Jugendarbeit organisatorisch in der Lage ist, „für die pädagogische Provinz in ihren Bereichen einzutreten und das heißt: für Experimente, für das Risiko, das jedem Lernen innewohnt, für die Kritik auch an dem, der das Geld gibt, für die Kritik an der eigenen Organisation“ (ebd.). Genau dies aber findet nach H. Giesecke eben nicht statt – deshalb redet er vom „Erwachsenwerden“ –, wenn Jugendarbeit sich als bloße Freifläche jugendlicher Sozialraumkonstitution missversteht. Es kann nur gelingen, wenn sie die „ganz neuen Erziehungsprobleme“ wahrnimmt (ebd., S. 147), die es früher nicht gab und die daher die Familie früher auch nie hat lösen müssen. Dazu gehörten: – „Sozial folgenloses Meinen und Verhalten”(ebd., S. 147 ff.). Erforderlich ist in unserer Gesellschaft „zubereiteter Raum, in dem Verhaltensweisen und Meinungen geübt werden dürfen und können. Suchen wir unsere Gesellschaft und auch ihre pädagogischen Felder daraufhin nüchtern ab, so müssen wir feststellen, dass es solche Räume kaum noch gibt“ (ebd., S. 148). Daran hat sich nichts geändert. Und erst recht daran nicht, dass dieser Mangel „selbst denen einleuchten müsste, die sonst eher der Anpassung das Wort reden; denn die Fähigkeit, souverän zu urteilen, dürfte eine der Voraussetzungen dafür sein, dass jemand überhaupt in der Lage ist, sich auf wechselnde Situationen und Ansprüche produktiv einzustellen“ (ebd.). H. Giesecke kannte das Schlagwort „Risikogesellschaft“ noch nicht, aber er beschreibt schon sehr genau ihre Herausforderungen, gerade für die potenziellen Verlierer dieser Gesellschaft. Im Übrigen hält er fest, dazu gehöre auch, „dass die Souveränität des selbstständigen Urteilens und Denkens auch einer gewissen radikalen Phase bedarf“ (ebd., S. 149). Dem ist nichts hinzuzufügen; – Mangel an sozialer Geborgenheit ist das Zweite, was H. Giesecke als Defizit nennt, an dem Jugendarbeit zu arbeiten hat. Interessant scheint mir aber, dass er das Bedürfnis nach „sozialer Intimität“, welches Familie, Schule oder Peergroup nicht allein erfüllen können, nicht als Versorgungsgut, sondern als Erziehungsdefizit thematisiert. Interessant ist weiter, dass er dem sofort den Mangel an Übungsmöglichkeiten für „nicht-intime Kommunikation“ (ebd., S. 150 ff.) gegenüberstellt. Während die intimen und relativ intimen Sozialformen immer noch von eher selbst gelernt würden, fehle den Jugendlichen immer offensichtlicher das Lernen mehr distanzierter Sozialbeziehungen. Sie „werden eben nur in entsprechenden, Distanz erfordernden Situationen gelernt“ (ebd., S. 152). Hermann Giesecke relativiert das traditionelle Ideal von Jugendarbeit als „Ge-
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meinschaftserziehung“: „Heute hingegen besteht das Problem der jugendlichen Sozialerziehung nicht mehr darin, gemeinschaftsfähig, sondern gesellschaftsfähig zu machen“ (ebd., S. 150). Ob das so gegeneinander gestellt werden sollte, kann man bezweifeln. Richtig ist aber wohl mehr noch als vor 40 Jahren, dass die Gemeinschaftschancen Jugendlicher, sei es im Kontext von Familie oder von Peergruppen, nicht mehr von selbst auch „gesellschaftsfähig“ machen und Chancen von Teilhabe an lokaler Öffentlichkeit bieten. Eine große Vermittlungs- wie auch Erziehungsaufgabe hätte Jugendarbeit hier zweifellos. – Dies verweist auf H. Gieseckes dritten Punkt, den er Mangel an „sinnvoller Aktivität“ nennt (ebd., S. 153 ff.). Eine „sinnvolle Situation“ ist eine, „die zu meistern ist“ (ebd.), wo dagegen „die Situation selbst nicht dazu auffordert, Aktivität zu entfalten oder wo sie so banal ist, dass sich Aktivität nicht lohnt, ist sie sinnlos“ (ebd., S. 154). Mein Kommentar hierzu lautet: „Sinn“ schreiben Jugendarbeiter ihrer Tätigkeit gewöhnlich zu, wenn sie entweder Jugendlichen hilft, ihre Lebenssituation zu bewältigen – sie für irgendetwas qualifiziert – oder ihnen die bewusste – insofern emanzipatorische – Aneignung eigener Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Beides geschieht aber als das erfahrbar „Eigentliche“ von Jugendarbeit aus schon genannten Gründen selten, während ihr Alltag eher aus dem Warten auf solche Gelegenheiten besteht. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass die pädagogischen Ansätze der Jugendarbeit noch zu wenig die Qualität des Aufforderungscharakters der von ihr hergestellten Situationen zum Gegenstand genauer Beobachtung wie theoretischen Nachdenkens nehmen – und mehr noch der Situationen, die Jugendliche „herstellen“ und damit Jugendarbeiter, ob diese es wollen oder nicht, zu Antworten herausfordern. Ich gebe H. Giesecke auch darin Recht, dass es für den „Sinn“ der Situationen nicht darauf ankommt, ob sie unmittelbar „auf den politisch-gesellschaftlichen Bereich“ (ebd., S. 154) übertragbar sind, sondern darauf, ob sie zum Nachdenken anregen, bewältigbar sind, vielseitige (Selbst-)Inszenierungen ermöglichen, also den schon genannten „Experimentierraum“ bieten. – Der vierte Punkt „Auseinandersetzung mit individuellen und kollektiven Konflikten“ (ebd., S. 155 f.) ist von der nachfolgenden Theorie der Jugendarbeit sehr in den Mittelpunkt gerückt worden, sodass ich dazu nichts zu sagen brauche. Dem gegenüber ist der fünfte Punkt, nämlich „Förderung spezifischer Begabungen und Interessen“ (ebd., S. 156 f.) eher den Vereinen und Musikschulen überlassen worden. Jugendarbeit, so kritisiert H. Giesecke insbesondere, leiste nichts für die „Hochbegabten“, sei nur angeblich reich gegliedert, „in Wahrheit von undifferenzierter Mittelmäßigkeit, gebannt von der Magie der großen Zahl“ (ebd.). Ob man der Jugendarbeit heute mangelnde Beiträge
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zur Elitebildung vorhalten sollte, bezweifle ich. H. Gieseckes Kritik könnte aber Anlass sein, ehrlicher mit der Tatsache umzugehen, dass keine Jugendarbeit „alle“ Jugendlichen erreichen kann, sondern immer nur spezifische – nach Kräften vielfältige – Milieus (vgl. Böhnisch 1998). – Erst als Letztes nennt H. Giesecke „zeitbedingte Defizite“, wozu er „Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsnot, Wohnraumnot und Ähnliches“ zählt, also die im engen Sinn sozialpädagogischen Probleme, welche heutige Praxis, jedenfalls der Offenen Jugendarbeit, weitgehend prägen. An dieser Stelle scheint er zu meinen, die (sozial-)pädagogische Bearbeitung solcher Lebenslagen sei eher zufällig und vorübergehend zur Aufgabe der Jugendarbeit geworden und ihr im Wesentlichen eigentlich nicht zuzurechnen. Dem ist insofern zu widersprechen, als gerade die Jugendlichen, die das betrifft, eben nicht nur mit sozialen Gütern versorgt werden müssen, sondern genau von jenen Erziehungsdefiziten mehr als andere betroffen sind, und insofern im Sinne von Herman Nohl als „Ernstfall der Jugendarbeit“ betrachtet werden müssen. Dass Jugendarbeit nicht einfach mit Jugendsozialarbeit gleichgesetzt und entsprechend funktionalisiert werden darf, ist allerdings ein Grundsatz, der heute mehr denn je verteidigt werden muss.
V. Ganz zum Schluss seines Beitrages formuliert Hermann Giesecke ein Forschungsund Theorieprogramm als „Folgerung“ (ebd., S. 174 ff.). Dabei nennt er vier „Ebenen“, die mir immer noch ein hohes Anregungspotenzial zu liefern scheinen: – Die Ebene der empirischen Wissenschaften – H. Giesecke macht hier darauf aufmerksam, dass Jugendforschung oder Teilnehmerforschung noch keine Jugendarbeitsforschung ist. Zu dieser gehört nicht nur Erforschung der sozialen Lage und Motivation der Jugendlichen, sondern ebenso die der „sozialen Herkunft“ der Pädagogen und der Frage: „Wie sehen sie sich, ihre Arbeit und ihre eigene ‚Welt’?“ (ebd., S. 175); desgleichen „das organisatorische Geflecht“, „die Kommunikation zwischen den organisatorischen Spitzen und den pädagogischen Aktivitäten“ sowie: „In welchen Sozialsituationen werden welche Programme verwirklicht?“ (ebd.). Also gilt auch heute noch: Forschungslücken zuhauf. – Die zweite Ebene ist die der „historischen Reflexion“. H. Giesecke fordert die Erforschung der „pädagogischen, historischen und gesellschaftlichen Konstel-
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lationen“, aus denen die „heute vorherrschenden Vorstellungen und Organisationsformen der Jugendarbeit stammen“ (ebd.). Dazu ist seit damals sicher viel geleistet worden. Weil sich jene „Konstellationen“ heute aber schneller denn je wandeln, ist dies eine bleibende Herausforderung. – Besonders interessant scheint mir H. Gieseckes dritte Forschungsebene, die er „pädagogisches Experiment“ nennt: Es gehe darum, analog zu Unterrichtsexperimenten „das, was sowieso geschieht, geplant, beschreibbar, objektivierbar zu tun. Im Grunde ist dies die einzig spezifische Form pädagogischer Empirie“ (ebd., S. 176). Wie weit Jugendarbeit „planbar“ gemacht werden kann, ist selbst eine empirische Frage. Dass aber bei weitem noch nicht genug geleistet ist, um das, was in der Jugendarbeit „sowieso geschieht“, objektivierend beschreibbar zu machen, scheint mir offenkundig.1 – Für Theoriebildung schließlich, die vierte Ebene, gilt für H. Giesecke, dass sie „nur produktiv sein kann, wenn die drei anderen Ebenen ausreichend berücksichtigt werden“. Sie kann „nicht von ihrem eigenen Ansatz aus selbstständig ermitteln“, wohl aber „den drei anderen Ebenen Fragen vorlegen, die sie zu klären wünscht“ (ebd.). Ich stimme Hermann Giesecke vor allem im letzten Punkt zu. Die Überwindung der Aufspaltung zwischen einer zu wenig empiriegestützten Theorie- und Konzeptentwicklung und einer an pädagogischen Fragen eher desinteressierten Empirie scheint mir das Wichtigste zu sein, was wissenschaftliche Arbeit für die Praxis der Jugendarbeit zu leisten hätte.
1 Hermann Giesecke hält die „genaue Erforschung dessen, [...] was jährlich mit mindestens 160 Millionen Mark finanziert wird“ für nicht nur von wissenschaftlichem und pädagogischem Interesse, sondern vorher noch für eine „Frage der öffentlichen Steuermoral“ (Giesecke 1964, S. 175). Da es inzwischen mehr als eine Milliarde Euro sind, ist diese Frage nicht kleiner geworden. Dieser Forschungsmangel kann die Folge von Hoffnungen in der Jugendarbeit sein, in undurchsichtigen Nischen eher überleben zu können – eine heute immer mehr zur Illusion werdene Hoffnung.
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Literatur Böhnisch, Lothar (1998): Grundbegriffe einer Jugendarbeit als „Lebensort“. Bedürftigkeit, Pädagogischer Bezug und Milieubildung. In: Böhnisch, Lothar/ Rudolph, Martin/Wolf, Barbara (Hrsg.): Jugendarbeit als Lebensort. Pädagogische Orientierungen zwischen Offenheit und Halt. Weinheim u. München. S. 153 – 168 Böhnisch, Lothar/Münchmeier, Richard (1987): Wozu Jugendarbeit? Orientierungen für Ausbildung, Fortbildung und Praxis. Weinheim u. München Giesecke, Herrmann (1964): Versuch 4. In: Müller, C. Wolfgang u. a.: Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie. München, S. 119 – 176 Jakob, Gisela/Wensierski, Hans-Jürgen von (Hrsg.) (1997): Rekonstruktive Sozialpädagogik. Konzepte und Methoden sozialpädagogischen Verstehens in Forschung und Praxis. Weinheim u. München Klatetzki, Thomas (1993): „Wissen, was man tut“. Professionalität als organisationskulturelles System. Bielefeld Merten, Roland (1997): Autonomie der Sozialen Arbeit. Zur Funktionsbestimmung als Disziplin und Profession. Weinheim u. München Müller, Burkhard (2004): Weniger Jugendhilfe und mehr Schule? Oder ist Bildung mehr als Schule? In: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 2. Jg., Heft 1, S. 66 – 77 Müller, Burkhard/Schmidt, Susanne/ Schulz, Marc (2005): Wahrnehmen können. Jugendarbeit und informelle Bildung. Freiburg i. B. Scherr, Albert (1997): Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik. Weinheim u. München
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III Zur Empirie und Professionalisierung der Kinder- und Jugendarbeit
Werner Realität desThole/Jens Mythos von der Pothmann Krise der Kinder- und Jugendarbeit
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Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit Beobachtungen und Analysen zur Lage eines „Bildungsakteurs“
Der „Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit“ (Pothmann/Thole 2001, S. 91) scheint Realität zu werden. Wird der öffentlichen Kommunikation vertraut, dann ist die Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Existenz ernsthaft gefährdet (vgl. Hafeneger 2005). Meldungen, wie „die Kürzungs- und Streichwut des Hamburger Senats macht auch vor Kindern und Jugendlichen nicht halt“ (Frosch 2004), stützen die Vermutung, dass „die offene Jugendarbeit den Bach hinuntergeht“ (Lass 2004), also ihrem Kollaps immer näher kommt. Entsprechende Diagnosen sind nicht neu und begleiten die Analysen zur Kinder- und Jugendarbeit seit ihren Anfängen (vgl. Thole 1988). Als belastbare, verallgemeinerbare Beschreibungen über den Zustand des Arbeitsfeldes der Kinder- und Jugendhilfe taugten sie bislang allerdings eher wenig. Gegenwärtig jedoch scheint die von so vielen artikulierte „gefühlte Wirklichkeit“ zum Zustand der Kinder- und Jugendarbeit mit den realen Fakten in Übereinstimmung zu kommen. Bedrohlich wirkt nicht nur, dass der Kinder- und Jugendarbeit angesichts der desolaten Lage der öffentlichen Haushalte die Gelder gestrichen werden. Noch schwerer wiegen derzeit sich deutlich abzeichnende strukturelle Veränderungen im Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwesen. Konkret für die Kinder- und Jugendarbeit sind in diesem Zusammenhang die vor allem in Ostdeutschland in den nächsten Jahren dramatischen demografischen Veränderungen zu benennen, die wohl der jetzt noch bestehenden Infrastruktur zur Kinder- und Jugendarbeit die Legitimation entziehen werden. Gleichermaßen virulent ist das sich verändernde Verhältnis von Kinder- und Jugendhilfe und Schule insbesondere bezogen auf die Gestaltung von Nachmittagsangeboten. Hier ist sicherlich noch nicht entschieden, in welche Richtung eine Zusammenarbeit dieser beiden Sozialisationsagenturen laufen wird und welche Rolle die Kinder- und Jugendarbeit hierbei einnehmen
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Werner Thole/Jens Pothmann
wird. Sicher scheint derzeit nur, dass Kinder- und Jugendarbeit am Ende dieses Prozesses ein anderes Gesicht haben wird. Die nachfolgenden quantitativ-empirischen Analysen stützen sich vor allem auf die Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik. In einem ersten Schritt wird danach gefragt werden, wie sich das Profil der Kinder- und Jugendarbeit gegenwärtig allgemein und konkret hinsichtlich des statistisch dokumentierten Fachlichkeitsniveaus präsentiert (1.). Anschließend werden die Rahmendaten in ihrer Entwicklung vergleichend betrachtet (2.). Eine Präzisierung dieser allgemeinen Leistungs- und Lagebeobachtung erfolgt dann bezüglich der finanziellen Grundausstattung, auch um im Rahmen eines Bundesländervergleichs näher zu untersuchen, ob und wenn in welcher Schärfe die Kinder- und Jugendarbeit seit Beginn des neuen Jahrtausends fiskalpolitischen Restriktionen ausgesetzt ist (3.). Ein „Blick in die Zukunft“ rundet die Beobachtungen zum Befinden des „Bildungsakteurs“ Kinder- und Jugendarbeit ab (4.).
1. Rahmendaten zur Kinder- und Jugendarbeit
Eckwerte zum Ausbau der Infrastruktur Bis zum Ende der 1990er-Jahre ist für die Kinder- und Jugendarbeit auf eine zumindest auf den ersten Blick beachtliche quantitative Bedeutung zu verweisen. Hieran hat sich auch in den 2000er-Jahren nur wenig geändert. So ist nach wie vor die Kinder- und Jugendarbeit nach den Kindertageseinrichtungen und den Hilfen zur Erziehung das drittgrößte Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe. Gleichwohl und unabhängig von detaillierteren Analysen ist aber auch zu konstatieren, dass auf den zweiten Blick die Kinder- und Jugendarbeit gerade im Verhältnis zu den Kindertageseinrichtungen von den Daten her fast marginal erscheint. Auf Bundesebene entfallen – nimmt man das Jahr 2002 als Referenzgröße – etwas mehr als 7 % der Kinder- und Jugendhilfeausgaben auf die Kinder- und Jugendarbeit. Dies entspricht einem Finanzvolumen von rund 1,4 Mrd. Euro. Im gleichen Jahr wurden für die Hilfen zur Erziehung knapp 5,5 Mrd. Euro (27 %) sowie für die Kindertageseinrichtungen nicht ganz 11,0 Mrd. Euro (54 %) aufgewendet. Ferner ist beim genauen Hinschauen zu erkennen, dass – anders als vor allem noch zu Beginn der 1990er-Jahre – gegenwärtig die Kinder- und Jugendarbeit in den östlichen Bundesländern – zumindest bezogen auf die dort implementierten Einrichtungen und das hier engagierte Personal, nicht aber hinsichtlich der zur
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Verfügung stehenden finanziellen Mittel – besser ausgestattet scheint als die Kinder- und Jugendarbeit in den westlichen Bundesländern – konkreter und in Zahlen ausgedrückt (vgl. Tabelle 1): Seit dem Jahr 2000 werden bundesweit jährlich über 1,4 Mrd. Euro öffentliche Mittel für die Kinder- und Jugendarbeit – und hier insbesondere seitens der Kommunen – aufgewendet. Pro 12- bis unter 21-jährigem jungen Menschen sind dies jeweils über 150 Euro im Jahr. Ohne die Ausgaben der obersten Bundesjugendbehörde aus dem Kinder- und Jugendplan zu berücksichtigen, werden dabei in den westlichen knapp 149 Euro und in den östlichen Bundesländern etwas mehr als 113 Euro pro Heranwachsenden bereitgestellt. Nimmt man das Jahr 2002, so finanzieren diese rund 1,4 Mrd. Euro bundesweit 17.372 Einrichtungen, in denen 45.514 Personen auf 31.714 Stellen beschäftigt sind. Pro 100.000 der 12- bis 21-Jährigen werden damit 183 Einrichtungen gezählt sowie pro 10.000 dieser Altersgruppe 48 Beschäftigte und 33 Stellen. Dabei ist – werden nur die reinen Daten als Bezugsgröße herangezogen – in Relation zur altersentsprechenden Bevölkerung in den östlichen Bundesländern eine zumindest quantitativ besser ausgestattete Kinder- und Jugendarbeit zu beobachten. Entsprechend können in den so genannten fünf neuen Bundesländern pro 100.000 der 12bis 21-Jährigen 247 Einrichtungen statistisch ermittelt werden, während es in den westlichen Bundesländern lediglich 167 sind. Zudem werden im Verhältnis zur heranwachsenden Bevölkerung sowohl mehr beruflich Beschäftigte als auch mehr Stellen gezählt: Im Kontrast zu den westlichen Ländern der Bundesrepublik Deutschland – wo pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen 31 so genannte Vollzeitäquivalente festgestellt werden können – entfallen in den östlichen Ländern 44 Vollzeitstellen auf 10.000 Heranwachsende. Bei den öffentlich geförderten Maßnahmen und den daran teilnehmenden Personen stellt sich hingegen diese Situation genau andersherum dar. Für die östlichen Bundesländer ist – zumindest rein statistisch gesehen – nach wie vor ein Nachholbedarf hinsichtlich der Durchführung und der Akzeptanz dieser Angebote zu konstatieren. Werden bundesweit pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen 126 Maßnahmen ausgewiesen, so sind dies in den westlichen 135 und in den östlichen Bundesländern 84.
126
Werner Thole/Jens Pothmann
Tabelle 1: Eckdaten zur Kinder- und Jugendarbeit für Deutschland insgesamt sowie im Ost-WestVergleich; 2000 und 20021
Deutschland insgesamt
Westdeutschland5
Ostdeutschland5
17.372
12.832
4.540
davon in Trägerschaft der Freien Jugendhilfe (in %)
63,5
65,5
57,8
Angaben bezogen auf 100.000 der 12- bis 21-Jährigen
183
167
247
45.514
35.966
9.548
64,4
61,2
76,2
48 (33)
47 (31)
52 (47)
116.643
100.484
16.159
126
135
84
4.547.306
3.836.591
710.715
49
52
37
1.459.099
1.139.777
208.658
153,40
148,59
113,33
Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit1 2002
Personal in Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit 2002 davon bei Trägern der Freien Jugendhilfe (in %) Tätige Personen auf 10.000 der 12- bis 21-Jährigen4 Öffentlich geförderte Maßnahmen2 2000 Angaben bezogen auf 10.000 der 12- bis 21-Jährigen TeilnehmerInnen an öffentlich geförderten Maßnahmen2 2000 TeilnehmerInnen auf 100 der 12- bis 21-Jährigen Öffentliche Ausgaben3 2002 (in 1.000 Euro) Öffentliche Ausgaben pro 12- bis 21-Jährigem Erläuterung zu Tabelle 1:
(1) Als Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit werden aus der Einrichtungs- und Personalstatistik die Jugendtagungs- und Jugendbildungsstätten, die Jugendzentren und Freizeitheime, die Jugendräume und -heime, die Jugendberatungsstellen, die Initiativen der mobilen Jugendarbeit, die Jugendkunstschulen u. Ä., die Einrichtungen der Stadtranderholung, die pädagogisch betreuten Spielplätze, die Ferienerholungsstätten, die Jugendzeltplätze, die Kur-, Genesungs- und Erholungseinrichtungen sowie die Jugendherbergen und Jugendgästehäuser berücksichtigt. 1 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, verschiedene Jahrgänge – Maßnahmen der Jugendarbeit, Einrichtungen und tätige Personen, Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Jugendhilfe; eigene Berechnungen.
Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit
127
(2) Als Maßnahmen der öffentlich geförderten Kinder- und Jugendarbeit werden im Rahmen der Erhebung der amtlichen Daten Kinder- und Jugenderholungen, außerschulische Jugendbildungen, Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit sowie Mitarbeiterfortbildungen bei freien Trägern erfasst. (3) Öffentliche Ausgaben für den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit beinhalten finanzielle Auf-wendungen für Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit – hier wird unterschieden zwischen Kinder- und Jugenderholungen, außerschulischen Jugendbildungen, Maßnahmen der internatio-nalen Jugendarbeit, Mitarbeiterfortbildungen und sonstigen Angeboten der Jugendarbeit – sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit. (4) Die Werte in Klammern bilden die Relation des Stellenvolumens pro 10.000 der 12- bis 21Jährigen. (5) Die Daten für den Stadtstaat Berlin sind im Ergebnis für Westdeutschland enthalten.
Fachlichkeit und Qualifikationsniveau in der Jugendarbeit Den Stand und die formale Qualität der Kinder- und Jugendarbeit als pädagogisches Handlungsfeld dokumentiert das statistisch registrierte Fachlichkeitsniveau. Das zertifizierte Qualifikationsprofil der MitarbeiterInnen in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit ist – wie bekannt – breit gestreut und reicht von ÄrztInnen über LogopädInnen und HeilpädagogInnen, diplomierten sozialpädagogischen Fachhochschul- und UniversitätsabsolventInnen über HauswirtschaftlerInnen, IndustriemeisterInnen bis hin zu Personen mit einem künstlerischen Ausbildungsabschluss. Etwa 10.200 der in der Kinder- und Jugendhilfestatistik 2002 erfassten Beschäftigten erlangten einen diplomierten Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Sozialarbeit oder Sozialpädagogik (vgl. Tabelle 2). Rund 2.800 können auf ein Zertifikat verweisen, das sie als Diplom-PädagogInnen ausweist. Unterhalb einer universitären und fachhochschulischen Qualifikation können darüber hinaus noch die ErzieherInnen und mit Abstand die KinderpflegerInnen als fachlich für eine Tätigkeit in der Kinder- und Jugendarbeit ausgebildet angesehen werden. Demnach sind 33,2 % der in der außerschulischen Pädagogik mit Kindern und Jugendlichen Beschäftigten über ein Studium und weitere 20,0 % über eine fachspezifische Ausbildung formal und einschlägig für eine Tätigkeit in diesem außerschulischen Kinder- und Jugendhilfebereich qualifiziert (Quote der Verfachlichung: 53,2 %). Ferner können weitere 9,3 % der Beschäftigten auf einen Hochschulabschluss in Studienbereichen und Fächern verweisen, die ohne weiteres nicht als einschlägig anzusehen sind. Rechnet man diese Gruppe zu den Beschäftigten mit einem einschlägigen akademischen Abschluss hinzu, so wird deutlich, dass rund vier von zehn Beschäftigten in der Kinder- und Jugendarbeit über einen Hochschulabschluss verfügen (Quote der Akademisierung: 42,5 %).
128
Werner Thole/Jens Pothmann
Dennoch scheint es zumindest weiterhin beachtlich und hervorhebenswert, dass bundesweit etwa ein Drittel der Beschäftigten über einen akademischen Abschluss verfügt. Mindestens ebenso bemerkenswert ist allerdings die bestehende „Ost-WestDifferenz“, insbesondere wenn der Anteil von an Hochschulen ausgebildeten Beschäftigten als bedeutsames Indiz für das fachliche Profil dieses Arbeitsfeldes identifiziert wird. Vergleicht man zunächst die „Gesamtquote“ aller AkademikerInnen, so werden für die westlichen Bundesländer knapp 47 % sowie für die östlichen Länder nicht ganz 28 % der jeweils in der Jugendarbeit Beschäftigten als HochschulabsolventInnen ausgewiesen. Ähnliche Diskrepanzen gelten bezogen auf fachlich einschlägige Hochschulausbildungen. Während in den westlichen Bundesländern etwa ein Drittel einen entsprechenden Abschluss nachweisen kann, trifft dies für lediglich ein Fünftel der Beschäftigten in den östlichen Bundesländern zu (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Beschäftigte in der Kinder- und Jugendarbeit nach formalem Qualifikationsniveau; Deutschland insgesamt sowie Ost- und Westdeutschland; 2002 (Angaben absolut und in %)2 Angaben absolut
Angaben in %
Deutschland insgesamt
Westdeutschland5
Ostdeutschland5
Deutschland insgesamt
Westdeutschland5
Ostdeutschland5
Verberuflichung1
33.461
25.233
8.228
85,5
83,1
93,9
Verfachlichung2
20.821
17.009
3.812
53,2
56,0
43,5
Akademisierung3
16.645
14.210
2.435
42,5
46,8
27,8
13.009
11.445
1.564
33,2
37,7
17,9
4
Professionalisierung
Erläuterungen zu Tabelle 2: (1) Die Kategorie der Verberuflichung klammert aus der Gesamtzahl der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe diejenigen aus, die über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. (2) Die Kategorie der Verfachlichung setzt sich zusammen aus den hochschulausgebildeten (Sozial)PädagogInnen, den ErzieherInnen, den HeilpädagogInnen mit Fachschulabschluss, den KinderpflegerInnen, den Angehörigen von Heilerziehungsberufen sowie den sonstigen medizinischen, sozialen und pädagogischen Helferberufen und Kurzausbildungen. (3) Die Kategorie der Akademisierung umfasst die hochschulausgebildeten Berufsgruppen in der Kinder- und Jugendhilfe. Hierunter sind neben den AbsolventInnen der genannten (sozial)pädagogischen Hochschulausbildungen die PsychologInnen, die LehrerInnen, die ÄrztInnen sowie die AbsolventInnen der gehobenen Verwaltungsausbildung und die MitarbeiterInnen mit sonstigen Hochschulabschlüssen zu zählen. 2 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, 2002 – Einrichtungen und tätige Personen; eigene Berechnungen.
129
Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit
(4) Die Kategorie der Professionalisierung fasst die Berufsgruppen der SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen mit Fachhochschulausbildung, der Diplom-PädagogInnen sowie die SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen mit Universitätsabschluss sowie die HeilpädagogInnen mit Fachhochschulabschluss zusammen. (5) Die Daten für den Stadtstaat Berlin sind im Ergebnis für Westdeutschland enthalten.
Noch deutlicher werden diese Diskrepanzen, wenn die statistischen Ergebnisse aller 16 Bundesländer in Bezug auf den Anteil der „sozialpädagogischen AkademikerInnen“, also für diejenigen mit einem Hochschulabschluss als SozialarbeiterIn, SozialpädagogIn oder Diplom-PädagogIn, genauer betrachtet werden (vgl. Abbildung 1). Während im Saarland, in Bremen, in Hessen und in Rheinland-Pfalz immerhin 45 % und mehr der Beschäftigten über eine entsprechende Qualifikation verfügen, können in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern weniger als 15 % einen Hochschulabschluss nachweisen. Hierüber verdeutlichen sich noch einmal die gravierenden Unterschiede zwischen einer „JugendarbeitOst“ und einer „Jugendarbeit-West“. Dieser analytische Befund wird in seiner grundlegenden Tendenz auch nicht durch die Tatsache revidiert, dass für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit rund 24 % bzw. knapp 22 % eine niedrigere „Professionalisierungsquote“ als für Sachsen (26 %) ausgewiesen wird. Abbildung 1: „Professionalisierungsquote“1 für die Beschäftigten in der Kinder- und Jugendarbeit gemessen am formalen Qualifikationsabschluss; Ergebnisse der Bundesländer (Angaben in %)2 6 0,0
5 0,0
48 ,2
47 ,0
4 6,4
4 5,0
44 ,0 41 ,6 3 8,2
4 0,0
35 ,8 33 ,2 2 9,4
3 0,0
2 5,7
24 ,3 21 ,6 1 8,5
2 0,0
14,3
13 ,4 11 ,5
1 0,0
0,0 SL
HB
HE
RP
NI
BW
NW
BY
D
SH
SN
BE
HH
BB
TH
ST
MV
130
Werner Thole/Jens Pothmann
Erläuterung zu Abbildung 1: (1) Vgl. erläuternd zur „Professionalisierungsquote“ Anmerkung 4 in Tabelle 2. (2) BB: Brandenburg; BE: Berlin; BW: Baden-Württemberg; BY: Bayern; HB: Bremen; HE: Hessen; HH: Hamburg; MV: Mecklenburg-Vorpommern; NI: Niedersachsen; NW: Nordrhein-Westfalen; RP: Rheinland-Pfalz; SL: Saarland; SN: Sachsen; ST: Sachsen-Anhalt; SH: SchleswigHolstein; TH: Thüringen3
Dies gilt umso mehr, als dass dieser Befund für Berlin und insbesondere für Hamburg auf den hohen Anteil an „Honorarkräften“ zurückzuführen ist. Rechnet man diese Beschäftigtengruppe heraus, so erhöht sich die „Professionalisierungsquote“ für Berlin auf 29,3 % und die für Hamburg auf 42,6 %. Der Wert für Sachsen hingegen steigt nur geringfügig auf 27,4%. Aber auch neben dem „Ost-West-Gefälle“ sind die Unterschiede erheblich. Selbst wenn man die Stadtstaaten bei der Betrachtung einmal ausblendet, werden für die westlichen Bundesländer eklatante Unterschiede bezüglich des Anteils von hochschulausgebildeten SozialpädagogInnen ausgewiesen, von rund 29 % in Schleswig-Holstein bis hin zu jeweils mehr als 45 % in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Wenn auch auf einem anderen quantitativen Niveau, sind für die östlichen Bundesländer ähnliche Unterschiede zu konstatieren. Während in Mecklenburg-Vorpommern gerade einmal etwas mehr als ein Zehntel der Beschäftigten über einen Hochschulabschluss verfügt, gilt dies in Sachsen immerhin für gut 25 % der Beschäftigten. Fasst man die einschlägige akademische Qualifikation als Indikator für die Professionalisierung der Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Thole/Küster 2002, S. 167 ff.), dann signalisieren die statistisch dokumentierten Unterschiede die ungleiche Entwicklung des „Professionalisierungsprojektes“ der Kinder- und Jugendarbeit in den einzelnen Bundesländern.
2. Trendbrüche – Kahlschlag oder geordneter Rückzug?
Die allgemeine Entwicklung Diese insgesamt positive Berichterstattung trübt sich jedoch durch eine Betrachtung der Entwicklungstendenzen insgesamt merklich. Während noch für die 1990erJahre eine quantitative Ausdehnung für das Feld der Kinder- und Jugendarbeit 3 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, 2002 – Einrichtungen und tätige Personen; eigene Berechnungen
Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit
131
gezeigt werden konnte (vgl. Thole/Pothmann 2001), so hat sich dieser Trend zwischen 1998 und 2002 offensichtlich umgedreht. Sowohl bei den Einrichtungen als auch erst recht bei den beruflich Beschäftigten und dem Stellenvolumen zeigen sich bundesweit Rückgänge (vgl. Tabelle 3). So hat sich die Zahl der Einrichtungen in dem benannten Zeitraum von 17.920 auf 17.372 um rund 3 % reduziert, werden zuletzt mit den 45.514 knapp 9 % weniger Beschäftigte gezählt als noch vier Jahre zuvor; insgesamt ist das Stellenvolumen von 37.151 auf 31.734, also um über 14 %, zurückgegangen. Dieser Trend deutet sich bereits mit den Angaben zu den öffentlich geförderten Maßnahmen der Jugendarbeit des Jahres 2000 an. Im Gegensatz zur Erfassung vier Jahre zuvor werden hier noch 116.643 Maßnahmen ausgewiesen, an denen etwas mehr als 4,5 Mio. junge Menschen – dieser Wert schließt Mehrfachzählungen mit ein – teilnehmen. Gegenüber dem Jahr 1996 ist damit das Maßnahmenvolumen um 10,5 % sowie das der TeilnehmerInnen um 2,7 % zurückgegangen. Zumindest bei der Betrachtung des Bundesgebietes insgesamt sind demografische Effekte dabei weitgehend irrelevant, zumal die Bevölkerungsgruppe der 12- bis 21-Jährigen – dies sind derzeit rund 9,5 Mio. Menschen – zurzeit noch Jahr für Jahr zunimmt. Entsprechend bestätigen sich die rückläufigen Entwicklungen für die Kinder- und Jugendarbeit, relativiert man die absoluten Angaben auf die altersentsprechende Bevölkerung (vgl. Tabelle 3): Angesichts dieser Entwicklungen wäre ein Rückgang der Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit eine nur logische Konsequenz. Ein Blick auf die finanziellen Aufwendungen der letzten Jahre zeigt jedoch einen Anstieg bzw. zuletzt eine Konsolidierung der eingesetzten Mittel. Suchbewegungen der Aufklärung dieses Widerspruchs finden sicherlich einen ersten Halt in den öffentlichen Haushalten. Festzuhalten ist, dass diese inzwischen durch das Älterwerden des Personals und einer höheren beruflichen Qualifizierung des in der Kinder- und Jugendarbeit beschäftigten Personals stärker belastet sind als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Auch wenn die damit verknüpften Nebeneffekte mit berücksichtigt werden, erklärt sich darüber die statistisch ausgewiesene Diskrepanz nur zu einem Teil. Anzunehmen ist darüber hinaus, – dass – erstens – noch in den 1990er-Jahren wesentlich mehr Mittel als bisher angenommen und auch statistisch zu rekonstruieren für in der Kinder- und Jugendarbeit engagiertes Personal von nicht genuin dem Kinder- und Jugendhilfebereich zuzurechnenden Institutionen aufgewendet wurden – mit anderen Worten: Finanzmittel der Arbeitsverwaltungen, aber auch des europäischen Sozialfonds sowie anderer Institutionen, also Mittel, die statistisch nicht den
132
Werner Thole/Jens Pothmann
Kinder- und Jugendhilfeetats zuzuschlagen sind, wurden nicht nur in den östlichen Bundesländern in Personal und Projekte der Kinder- und Jugendarbeit investiert. – Zudem scheinen – zweitens – freie und nicht-gewerbliche Träger in einem geringeren Umfang als früher Finanzmittel für die Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen – deutlicher: Wohlfahrts- und Jugendverbände, Initiativen und andere Träger der Kinder- und Jugendarbeit reduzierten ihre für dieses sozialpädagogische Segment vorgehaltenen Mittel. Tabelle 3: Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit; Deutschland; 1990/1-20024
Anzahl der Maßnahmen1 1990/91 1992
Anzahl der TeilnehmerInnen1
Anzahl der Einrichtungen2
Anzahl des Personals2
Höhe der finanziellen Ausgaben3
/
/
13.437
33.085
–.–
127.915
4.308.121
/
/
1.116.804
1994
/
/
13.446
41.955
1.163.216
1996
130.372
4.671.921
/
/
1.254.208
1998
/
/
17.920
49.967
1.297.277
2000
116.643
4.547.306
/
/
1.411.459
2002
/
/
17.372
45.514
1.459.099
-11.272
239.185
3.935
12.429
342.296
-8,8
5,6
29,3
37,6
30,6
Entwicklung4 in %4
Angaben bezogen auf die Bevölkerungsgruppe der 12- bis 21-Jährigen Anzahl der Maßnahmen1 1990/91 1992
Anzahl der TeilnehmerInnen1
Anzahl der Einrichtungen2
Anzahl des Personals2
Höhe der finanziellen Ausgaben
/
/
151
37
–.–
145
49
/
/
126,79
1994
/
/
154
48
133,17
1996
146
52
/
/
140,31
1998
/
/
196
55 (41)
142,24
2000
125
49
/
/
150,82
2002
/
/
183
48 (33)
153,40
Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit
133
Erläuterungen zu Tabelle 3: (1) Die Tabelle beinhaltet amtliche Daten zur Kinder- und Jugendarbeit aus den Teilstatistiken zu den Maßnahmen der Jugendarbeit, zu den Einrichtungen und tätigen Personen in der Jugendhilfe sowie zu den Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Jugendhilfe. Diese verschiedenen Teil-statistiken der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik bieten einen Blick auf die Kinderund Jugendarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven. Allerdings ist dies nicht jeweils zu gleichen Zeitpunkten möglich, da die Erhebungszeiträume der Teilstatistiken unterschiedlich sind (vgl. Rauschenbach/Schilling 1997). Die mit diesem Zeichen „/“ausgefüllten Tabellenfelder in den Spalten weisen darauf hin, dass in diesen Jahren keine amtlichen Daten zu dem jeweiligen Aspekt erhoben worden sind. Ferner liegen keine Angaben zu den Ausgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe für das Jahr 1991 vor bzw. sind diese Daten nicht verlässlich. (2) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 2. (3) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 1. Die Werte in Klammern für die Jahre 1998 und 2002 stehen für die Relation des Stellenvolumens bezogen auf 10.000 der 12- bis 21-Jährigen. Für die Erhebungen 1990/91 sowie 1994 ist dieses Datum nicht verfügbar bzw. auf Grund eines anderen Erfassungsmodus nur sehr eingeschränkt aussagekräftig. (4) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 3; Angaben in 1.000 Euro. (5) Die hier in absolut und in Prozent ausgewiesene Entwicklung dokumentiert jeweils die Differenz zwischen frühsten Erhebungs- und dem spätesten Erhebungszeitpunkt.
Die ausgemachte Differenz zwischen der Entwicklung der öffentlich aufgewendeten Mittel und dem Abbau von Personalstellen in der Kinder- und Jugendarbeit scheint damit wesentlich einer Mittelreduzierung in den Etats nicht-staatlicher und europäischer Institutionen geschuldet und damit Ausdruck einer Minderung des Engagements dieser Institutionen für die Kinder- und Jugendarbeit zu sein. Ob dies allerdings so bleiben wird, scheint mehr als fraglich. Vielmehr spricht einiges dafür, dass gegenwärtig und in naher Zukunft für die Haushalte der Länder und Kommunen ein ähnlicher Trend festzustellen sein wird (vgl. zur aktuellen Situation der jeweiligen Länderhaushalte Hafeneger 2005). Bereits die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Ergebnisse zu den Ausgaben des Jahres 2003 für die Kinder- und Jugendarbeit beinhalten entsprechende Hinweise. Zwischen 2002 und 2003 sind die finanziellen Aufwendungen bundesweit um etwa 5 % auf unter 1,4 Mrd. Euro zurückgegangen.5 Diese Vermutung spiegelt sich auch bei einer näheren Betrachtung der Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit in den östlichen und westlichen Bundes4 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, verschiedene Jahrgänge – Maßnahmen der Jugendarbeit, Einrichtungen und tätige Personen, Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Jugendhilfe; eigene Berechnungen 5 Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass einige Hinweise dafür sprechen, dass es für das Land Bayern bei der Datenerhebung 2003 zu einer Untererfassung gekommen ist. Eine endgültige Klärung steht hierzu allerdings noch aus. Doch selbst wenn man das Ergebnis für Bayern unberücksichtigt lässt, bestätigt sich die Tendenz eines deutlich sichtbaren Rückgangs der Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit zwischen 2002 und 2003.
134
Werner Thole/Jens Pothmann
ländern – allerdings nicht ungebrochen und überraschend auch in einigen westlichen Bundesländern. Insgesamt ist bei dem bisherigen Stand der analytischen Reflexionen der vorliegenden Daten davon auszugehen, dass regionale Entscheidungen den zu beobachtenden Trend auch und wesentlich mit gestalteten, denn obwohl für die Kinder- und Jugendarbeit bundesweit ein Rückgang zu konstatieren ist, so gilt dies nicht – wie schon angedeutet – für die Entwicklungen in allen östlichen und westlichen Bundesländern gleichermaßen.
Erste, vorsichtige Ost-West Vergleiche Bereits Ende der 1990er-Jahre gehen sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland die öffentlich geförderten Maßnahmen zurück. Für diese Entwicklung können mehrere Faktoren verantwortlich sein, denkt man beispielsweise an einen möglichen Attraktivitätsverlust der Kinder- und Jugendarbeit bei den jungen Menschen (vgl. Pothmann/Thole 1999) oder auch an möglicherweise ungeeignete Förderungsund Finanzierungsstrukturen für die Kinder- und Jugendarbeit, um eine effiziente Mittelverteilung zu gewährleisten. Speziell für östliche Bundesländer ist in jedem Fall in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die finanziellen Aufwendungen der „Öffentlichen Hand“ für die Maßnahmenfinanzierung zwischen 1996 und 2000 von 85,8 Mio. Euro auf 63,2 Mio. Euro oder aber – berücksichtigt man nur die Angebote, die auch über die offizielle Maßnahmenstatistik erfasst werden – von 33,7 Mio. Euro auf 24,4 Mio. Euro zurückgegangen ist. Die finanziellen Aufwendungen insgesamt scheinen allerdings zumindest auf den ersten Blick auch nach dem Ende der 1990er-Jahre trotz rückläufiger Einrichtungs- und Personalzahlen weiter gestiegen zu sein. Doch dieser Eindruck täuscht. Zum einen ist der Ausgabenanstieg um 47,6 Mio. Euro und damit um 3,4 % vergleichsweise gering und zum anderen ist davon auszugehen, dass wesentliche Teile dieser Entwicklung auf die allgemeine Preissteigerungsrate zurückzuführen sind, zumal sich auch die Preise nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2003) zwischen 2000 und 2002 um ebenfalls 3,4 % erhöht haben. Damit bleibt aber der an dieser Stelle nicht aufzulösende Widerspruch zwischen den Einrichtungs- und Personalzahlen einerseits und den Ausgabendaten andererseits vorerst unverständlich. Der allgemeine Befund – realer Abbau der Kinder- und Jugendarbeit, dokumentiert in der Reduzierung von Einrichtungen und Beschäftigten, auf der einen und einer hiermit nicht korrespondierenden Entwicklung bei den aufgewendeten Mitteln auf der anderen Seite – verliert keineswegs an Gültigkeit.
135
Realität des Mythos von der Krise der Kinder- und Jugendarbeit
Unterscheidet man zwischen Ost- und Westdeutschland, so zeigt sich dieser Trend nicht gleichermaßen für beide Landesteile. Bei der Zahl der Einrichtungen sind zuletzt unterschiedliche Entwicklungen zu konstatieren. Während im Westen 2002 weniger Einrichtungen als noch 1998 statistisch ausgewiesen werden,6 ist im Osten in diesem Zeitraum die Zahl der Einrichtungen durchgängig – sieht man einmal von den Ferien- und Erholungseinrichtungen ab – gestiegen (vgl. Tabelle 4). Zudem ist für die östlichen Bundesländer zwischen 1998 und 2002 ein Rückgang der altersentsprechenden Bevölkerung ausgewiesen, sodass die statistisch ausgewiesene Einrichtungsdichte nicht nur aus der Zunahme bei den Einrichtungen, sondern auch aus einem Rückgang der Bevölkerungspopulation resultiert. Tabelle 4: Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit im Ost-West-Vergleich; 1990/1 – 2002 (Angaben jeweils bezogen auf die 12- bis 21-Jährigen)7
Anzahl der Maßnahmen1
Anzahl der TeilnehmerInnen1
Anzahl der Einrichtungen2
Anzahl des Personals2
Höhe der finanziellen Ausgaben3
Westdeutschland (ab 1992 einschließlich Berlin insgesamt) 1990/91 1992
/
/
180
42
–.–
164
52
/
/
130,49
1994
/
/
172
51
129,43
1996
162
54
/
/
133,65
1998
/
/
192
55 (39)
140,42
2000
135
52
/
/
149,03
2002
/
/
167
47 (31)
148,59
6 Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass der Rückgang vor allem auf Jugendräume und Jugendheime ohne hauptamtliches Personal zurückzuführen ist. Deren Zahl hat sich zwischen 1998 und 2002 um 543 verringert (-11,8 %). Insbesondere hinsichtlich dieser Einrichtungsart können allerdings Untererfassungen nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl sind auch bei den Jugendbildungsstätten sowie insbesondere bei den Ferien- und Erholungseinrichtungen einschließlich der Jugendherbergen deutliche Rückgänge zu beobachten. Gestiegen ist hingegen – wenn auch nur geringfügig – die Zahl der Jugendzentren (+1,1 %) sowie die der Einrichtungen/Initiativen der mobilen Jugendarbeit (+33,8 %). 7 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, verschiedene Jahrgänge – Maßnahmen der Jugendarbeit, Einrichtungen und tätige Personen, Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Jugendhilfe; eigene Berechnungen.
136
Werner Thole/Jens Pothmann
Ostdeutschland (ab 1992 ohne Berlin-Ost) Anzahl der Maßnahmen1 1990/91
Anzahl der TeilnehmerInnen1
Anzahl der Einrichtungen2 29
Anzahl des Personals2 18
Höhe der finanziellen Ausgaben3
/
/
–.–
1992
68
36
/
/
59,47
1994
/
/
92
37
97,75
1996
85
44
/
/
124,67
1998
/
/
210
54 (47)
114,33
2000
84
37
/
/
112,94
2002
/
/
247
52 (44)
113,33
Erläuterungen zu Tabelle 4: (1) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 2. (2) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 1. Die Werte in Klammern für die Jahre 1998 und 2002 stehen für die Relation des Stellenvolumens bezogen auf 10.000 der 12- bis 21-Jährigen. Für die Erhebungen 1990/91 sowie 1994 ist dieses Datum nicht verfügbar bzw. auf Grund eines anderen Erfassungsmodus nur sehr eingeschränkt aussagekräftig. (3) Vgl. dazu Tabelle 1, Anmerkung 3; Angaben in Euro.
Bezogen auf die in den Einrichtungen Beschäftigten sowie das hier vorhandene Stellenvolumen zeigen sich für Ost- und Westdeutschland dann jedoch wieder parallele Entwicklungen. In beiden Regionen ist der Trend nach einer Expansion in den 1990er-Jahren zuletzt rückläufig. Diese Entwicklung ist für die westlichen Bundesländer noch deutlicher ausgeprägt als für die östlichen. So hat sich das Stellenvolumen in den westlichen Bundesländern pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen zwischen 1998 und 2002 von 39 auf 31 reduziert, während in den östlichen Bundesländern ein Rückgang von 47 auf 44 zu beobachten ist (vgl. Tabelle 4). Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland ist der Rückgang der Beschäftigten zu einem erheblichen Teil auf die Entwicklungen in den Jugendzentren und Jugendfreizeitheimen zurückzuführen. So ist in den östlichen wie in westlichen Bundesländern zwischen 1998 und 2002 die Zahl der hier tätigen Personen um etwas mehr als 1.300 zurückgegangen. Dies entspricht in den östlichen einem Rückgang um 18 % sowie in den westlichen Bundesländern einem um knapp 7 % – allerdings ist dieser nicht in allen Regionen respektive Bundesländern in einem vergleichbaren Umfang ausgewiesen. Ebenfalls nennenswert rückläufig sind in den östlichen und den westlichen Bundesländern die Beschäftigtenzahlen im Ferien-
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und Erholungsbereich mit rund 10 % im Osten und knapp 6 % im Westen. Speziell für die alten Bundesländer ist neben einer Reduzierung der MitarbeiterInnen in den kulturpädagogischen Einrichtungen (-17 %) der Personalrückgang in den Jugendbildungsstätten auch 2002 zu beobachten – wurden hier 1990 noch 4.200 Beschäftigte gezählt, so werden zuletzt noch 2.800 erfasst (-33 %). Mit den Entwicklungen insbesondere bei den Einrichtungen und dem Personal zwar nicht immer vollständig korrespondierend, weisen doch auch die Angaben zu den Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen spätestens seit Ende der 1990erJahre auf eine rückläufige Entwicklung für die Kinder- und Jugendarbeit hin. Zeigt sich dies für den Westen erst zuletzt zwischen 2000 und 2002, so ist dieser Trend für Ostdeutschland bereits seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zu beobachten.
3. Finanzielle Aufwendungen für die Kinder- und Jugendarbeit im Ländervergleich Richtete sich bei den bisherigen Analysen der Fokus vor allem auf die Situation der Kinder- und Jugendarbeit in der Bundesrepublik insgesamt sowie auf die Lage in Ost- und Westdeutschland, so wird im Folgenden eine Bundesländer vergleichende Perspektive eingenommen. Im Zentrum der Auswertungen stehen dabei die „Pro-Kopf-Ausgaben“ für dieses Arbeitsfeld, also die Höhe der finanziellen Aufwendungen pro jungen Menschen. Diese bewegt sich, rekurriert man auf die Altersgruppe der 12- bis 21-Jährigen, im Jahre 20028 zwischen rund 103 Euro in Rheinland-Pfalz und etwas mehr als 257 Euro in Berlin bzw. – berücksichtigt man nur die Flächenländer – knapp 205 Euro in Hessen. Bezogen auf das Bundesgebiet werden pro jungem Menschen circa 153 Euro von den entsprechenden staatlichen Ämtern, Gebietskörperschaften und Ministerien für die Kinder- und Jugendarbeit ausgegeben. Diese Angaben stehen für die unmittelbaren finanziellen Aufwendungen der staatlichen Ebenen, also der örtlichen und überörtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe, der obersten Landesjugendbehörden, der obersten Bundesjugendbehörde sowie auch der kreisangehörigen Gemeinden und Gemeindeverbände, sofern sie Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe wahrnehmen (vgl. Kolvenbach 1997), für Angebote und die Infrastruktur der Kinder- und Jugendar8 Rekurriert wird für den Ländervergleich auf die Ergebnisse für das Jahr 2002, gleichwohl entsprechende Werte für 2003 zur Verfügung stehen. Allerdings liegen zu den dazu in Beziehung zu setzenden Angaben zu den Beschäftigten turnusgemäß nur die Daten zum 31.12.2002 vor. Um somit zumindest in diesem Punkt auf der Basis einer einheitlichen Datengrundlage argumentieren zu können, werden jeweils die Erhebungsergebnisse des Jahres 2002 berücksichtigt.
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beit. Nicht mit erfasst sind somit z. B. die finanziellen Aufwendungen von freien Trägern, Zuwendungen der Bundesagentur für Arbeit oder auch Mittel des Europäischen Sozialfonds. Dass aber diese genannten Finanzierungsquellen neben den öffentlichen Geldern für Träger von Einrichtungen und Maßnahmen der Jugendarbeit eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben, verdeutlichen die Ergebnisse einer Befragung von Jugendringen und Jugendverbänden seitens des Deutschen Jugendinstituts. Die Studie zeigt, dass bundesweit 60 % der Jugendringe auf Eigenmittel sowie – wenn auch mit erheblichen Unterschieden zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern zugunsten des „Ostens“ – 23 % auf Gelder der Bundesagentur für Arbeit zurückgreifen. Bei den Jugendverbänden haben die Eigenmittel noch eine weit größere Bedeutung als bei den Jugendringen. Bundesweit geben nur 16 % der befragten Jugendverbände an, auf eigenerwirtschaftete Mittel zur Finanzierung von Projekten zu verzichten. Rund 19 % aller Verbände erhalten Geld von „amtlichen“ kirchlichen Institutionen und 16 % von der Bundesagentur für Arbeit (vgl. Marmier u. a. 2002, S. 28 ff.). Somit sind für die Kinder- und Jugendarbeit zumindest Hinweise zu identifizieren, dass sich neben der zentralen Bedeutung von staatlichen Fördermitteln von insbesondere der Landesebene sowie den Kommunen das Spektrum der Finanzierungsmöglichkeiten verbreitert bzw. dass Träger in diesem Bereich darauf angewiesen sind, neue Wege der Finanzierung ihrer Angebote und Einrichtungen zu beschreiten (vgl. auch Dobers 2002). Blickt man angesichts dieser zu beobachtenden Entwicklungen auf das Volumen der finanziellen Aufwendungen sowie der zur Verfügung stehenden Stellen in der Kinder- und Jugendarbeit, so wird deutlich, dass im Ost-West-Vergleich die neuen Finanzierungsmöglichkeiten für die Träger in den östlichen Bundesländern eine größere Bedeutung haben. Stellt man Daten zu den Ausgaben einerseits sowie Angaben zum Stellenvolumen andererseits für die Flächenländer gegenüber, so ist vor allem bemerkenswert, dass in den westlichen Bundesländern die Höhe des Stellenvolumens mit den über die amtliche Statistik registrierten finanziellen Aufwendungen korrespondiert, während dies für die östlichen Bundesländer keineswegs der Fall ist (vgl. Abbildung 2). Für Flächenländer wie Rheinland-Pfalz, Bayern oder auch Baden-Württemberg ist somit festzustellen, dass die geringeren ProKopf-Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit mit einer vergleichsweise schwachen Personalausstattung einhergehen. Umgekehrt gilt entsprechend für NordrheinWestfalen und Niedersachsen sowie insbesondere Schleswig-Holstein und Hessen das Gegenteil.
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Abbildung 2: Höhe der finanziellen Aufwendungen für die Kinder- und Jugendarbeit sowie die Anzahl der Stellen in diesem Arbeitsfeld; Bundesländer 2002 (Angaben bezogen auf die 12- bis 21Jährigen)9 2 25 ,00
HE
w e s t lic h e F lä c h e n l ä n d e r
A us ga b en pr o 1 2 - b is 2 1-
2 00 ,00
1 75 ,00
SH
NI
1 50 ,00
NW
ö s tlic h e F lä c h e n lä n d e r
BW 1 25 ,00
SL BY
SN
RP
1 00 ,00
TH MV
ST BB
7 5,0 0 0 ,0
1 0 ,0
2 0,0
3 0,0
4 0,0
5 0,0
6 0,0
S te llen v o lu m e n in d er J ug e n d a rb eit pr o 10 .00 0 d er 1 2- b is 2 1 - J.
Für die Bundesländer im Osten der Republik sind hingegen vergleichbare Parallelen statistisch nicht ausgewiesen. Zwar unterscheidet sich das Stellenvolumen in der Kinder- und Jugendarbeit von bis zu 50 pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen einerseits sowie weniger als 30 in Brandenburg andererseits, was jedoch nichts daran ändert, dass in sämtlichen fünf östlichen Flächenländern jeweils zwischen 100 Euro und 125 Euro pro 12- bis 21Jährigem ausgegeben werden. Hieraus abzuleiten, dass die Kinder- und Jugendarbeit hier nicht auf die Förderung der staatlichen Ebenen angewiesen ist, wäre sicherlich nicht nur überzogen, sondern auch inhaltlich nicht haltbar. Tatsache scheint aber zu sein, dass es insbesondere den anteilig in den östlichen Bundesländern stark vertretenen freien Trägern gelingt bzw. gelingen muss – wenn auch offensichtlich zum Preis weitaus prekärerer Beschäftigungsverhältnisse –, die Finanzierungsgrundlage von Angeboten und Einrichtungen breiter anzulegen als dies die 9 BB: Brandenburg; BE: Berlin; BW: Baden-Württemberg; BY: Bayern; HB: Bremen; HE: Hessen; HH: Hamburg; MV: Mecklenburg-Vorpommern; NI: Niedersachsen; NW: Nordrhein-Westfalen; RP: Rheinland-Pfalz; SL: Saarland; SN: Sachsen; ST: Sachsen-Anhalt; SH: Schleswig-Holstein; TH: Thüringen. Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe, 2002 – Einrichtungen und tätige Personen; eigene Berechnungen.
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Projektträger der Kinder- und Jugendarbeit in den westlichen Bundesländern versuchen (vgl. auch Marmier u. a. 2002, S. 29 ff.). Bleibt man noch beim Trägerspektrum in der Kinder- und Jugendarbeit, so eröffnen sich an dieser Stelle allein auf Grund der vorliegenden Angaben erhebliche Strukturunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. So sind von den knapp 30.400 Beschäftigten in den westlichen Bundesländern 54 % den freien Trägern zuzuordnen, während dies in den östlichen Bundesländern von den nicht ganz 8.800 MitarbeiterInnen für über 74 % gilt. Darüber hinaus bestehen Unterschiede im Binnenspektrum der freien Träger. Werden für den Osten insgesamt knapp ein Drittel der Beschäftigten bei so genannten Sonstigen freien Trägern erfasst, so gilt dies im Westen nur für 17,5 %. Entsprechend sind in den westlichen mehr als 20 % des Personals bei Caritas oder Diakonie respektive der katholischen oder evangelischen Kirche beschäftigt, während dies für die Kinder- und Jugendarbeit in den östlichen Bundesländern lediglich auf etwa 11 % zutrifft. Aus diesen Ost-West-Unterschieden sollten allerdings keine voreiligen Schlüsse in der Hinsicht gezogen werden, dass es einen Wirkungszusammenhang zwischen dem Engagement freier Träger und der Höhe öffentlicher Ausgaben gibt. Für Feststellungen dieser Art reicht ein Ländervergleich, der sich zudem nur auf wenige ausgewählte Variablen stützt, nicht aus. Die hier eingenommene Länder vergleichende Perspektive hat somit nicht zum Ziel, erklärende Faktoren für erkenn- und beschreibbare Parallelen bei den finanziellen Aufwendungen für die Kinder- und Jugendarbeit und der Ausgestaltung der personellen Infrastruktur zu bestimmen. Damit würde gewissermaßen der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Vielmehr geht es um Facetten einer Beschreibung formaler Beschäftigungsstrukturen in Bundesländern mit einem geringen und einem hohen Ausgabenvolumen. Bei dieser Betrachtung ist der Osten Deutschlands weniger von Interesse, da hier – wie gezeigt – die Unterschiede beim Ausgabenvolumen vergleichsweise gering sind. Blickt man dabei nur auf die westlichen Bundesländer und die erheblichen Unterschiede beim Ausgabenvolumen, so sind folgende Aspekte zu konstatieren: (1) Differenziert man die Beschäftigten auf den Stellen für die Kinder- und Jugendarbeit, so ist in den Ländern mit umfangreicheren Ausgaben die Zahl der Frauen und Männer in einem befristeten oder unbefristeten Angestelltenverhältnis, herausgerechnet werden hier die PraktikantInnen, die Zivildienstleistenden sowie insbesondere die Honorarkräfte, jeweils höher. Ein Beispiel: Während in Rheinland-Pfalz und Bayern mit 22 bzw. 24 Angestellten pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen in der Kinder- und Jugendarbeit die wenigsten Be-
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schäftigungsverhältnisse dieser Art – bei gleichzeitig dem niedrigsten Ausgabenvolumen (vgl. Abbildung 2) in Westdeutschland – gezählt werden, erfasst die Statistik für Hessen und Schleswig-Holstein 35 und 37 Angestellte mit pädagogischen Aufgaben in den verschiedenen Handlungsfeldern. Anders formuliert: Hohe Ausgaben der „Öffentlichen Hand“ für die Kinder- und Jugendarbeit gehen mit einer quantitativ besseren Personalausstattung einher. (2) Gleichermaßen werden zumindest in Hessen mehr AkademikerInnen mit einem (sozial)pädagogischen Abschluss gezählt als in den besagten süd- bzw. südwestdeutschen Ländern (in Hessen 22 pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen sowie in Rheinland-Pfalz 13 und in Bayern 11). Diese Beobachtung sollte allerdings nicht dazu missbraucht werden, die tatsächliche Qualität der Kinderund Jugendarbeit durch sozialpädagogische AkademikerInnen infrage zu stellen. Vielmehr ist empirisch nachzuweisen, dass die Fachlichkeit des Personals das Wissen und Können in und für Felder der Kinder- und Jugendarbeit bestimmt (vgl. Beher/Gragert 2004). Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur, aber auch notwendig, auf der Ebene des formalen Qualifikationsniveaus mit dem entsprechend notwendigen finanziellen Mehraufwand das Personal in der Kinder- und Jugendarbeit weiter zu qualifizieren. Dass diese Entwicklung notwendig, gleichzeitig aber noch nicht abgeschlossen ist, zeigen Forschungen zu Aufgabenprofilen, Handlungswissen und -kompetenzen sowie zu den Qualifikationsanforderungen (vgl. u. a. Beher/Gragert 2004; Küster 2003; Thole/Küster 2002). (3) Schließlich fällt auf, dass auch im Vergleich der westdeutschen Bundesländer Parallelen zwischen der Höhe der Ausgaben für Kinder- und Jugendarbeit und dem Engagement der „Öffentlichen Hand“ als Anstellungsträger bestehen. Während wiederum in Schleswig-Holstein und Hessen mit 24 und 30 Frauen und Männern pro 10.000 der 12- bis 21-Jährigen die meisten Beschäftigten bei den öffentlichen Trägern gezählt werden, werden wiederum die wenigsten in Rheinland-Pfalz (11) und Bayern (8) erfasst. Nur angedeutet wird hierüber die erhebliche Diskrepanz zwischen den westdeutschen Bundesländern bezogen auf die quantitative Bedeutung freier Träger für die Kinder- und Jugendarbeit. So ist in den norddeutschen Flächenländern sowie in Hessen und dem Saarland mehr Personal bei öffentlichen als bei freien Trägern beschäftigt. Dies stellt sich für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und insbesondere Bayern genau andersherum dar. Aus diesem Befund die Schlussfolgerung zu ziehen, Prozesse der Privatisierung für die Kinder- und Jugendarbeit voranzutreiben, um die Ausgaben der „Öffentlichen Hand“ zu reduzieren, liegt nahe. Nimmt man allerdings die beiden zuvor genannten Befunde für West-
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deutschland hinzu, so würde eine derartige Entwicklung zulasten personeller Kontinuität sowie der Fach- und Handlungskompetenzen des Personals gehen.
4. Kinder- und Jugendarbeit – Teil der Kultur des „Sozialen“ Auf der Basis der statistisch notierten Befunde zur finanziellen Grundausstattung der Kinder- und Jugendarbeit von einer Krise dieses sozialpädagogischen Handlungsfeldes zu sprechen, ist gewagt. Sicherlich ist die Kinder- und Jugendarbeit zurzeit von deutlichen finanziellen Restriktionen betroffen. Doch die zu beobachtenden Einsparungen erfolgen in den meisten Regionen und Bundesländern von einem relativ hohen Niveaus aus. Gefährdet scheint sie gegenwärtig weniger durch vereinzelte, sicherlich durchweg schmerzhafte finanzielle Einsparungen, sondern durch die Schwierigkeit, ihr Profil im Kontrast zu konkurrierenden pädagogischen Handlungsfeldern – beispielsweise der Schule – als eigenständig gerahmtes und bedeutsames, bildungsorientiertes Sozialisationsfeld zu präsentieren. Dass sich dokumentierende Anerkennungsproblem der Kinder- und Jugendarbeit basiert sicherlich auch – wenn auch nicht ausschließlich – auf dem doch relativ niedrigen Akademisierungs- und Professionalisierungsgrad der Kinder- und Jugendarbeit. Die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit wird auch davon abhängen, inwieweit die AkteurInnen in diesem pädagogischen Feld es vermögen, die Kinder- und Jugendarbeit als Teil der sozialen Kultur einer modernen, zukunftsorientierten und auf Nachhaltigkeit setzenden Gesellschaft zu kommunizieren. Wenn es gelingt, die Kinder- und Jugendarbeit als ein gesellschaftlich notwendiges, von Kindern und Jugendlichen gewünschtes Feld der Entwicklung zu präsentieren, in dem Heranwachsende Kompetenzen qualifizieren können, die in anderen pädagogischen Feldern keinen Bildungsanlass erfahren, dann besteht Hoffnung, dass sich der statistisch abzeichnende Trend des Abbaus der Kinder- und Jugendarbeit nicht dynamisiert oder gar beschleunigt und insgesamt zu einer Trendwende und einem radikalen Abbau der Kinder- und Jugendarbeit führt. Auch wenn die wünschenswerte Erweiterung der schulischen und vorschulischen Ganztagsangebote die bisherigen Angebotsformen der Kinder- und Jugendarbeit verändern und erweitern dürfte, kann nicht übersehen werden, dass Kinder und Jugendliche soziale Kontexte suchen, brauchen und wünschen, in denen sie sich – auch mit der Erwachsenengeneration – auseinander setzen können, aber auch ihren „Eigensinn“ leben können. Kinder und Jugendliche wünschen und erwarten ihre Autonomie akzeptierende gesellschaftliche Netzwerke der Bildung und der Unterstützung (vgl. Küster/Thole 2004). Sie wünschen und erwarten Anerkennung für
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die von ihnen entwickelten sozialen Modalitäten und Verständigungsformen, die Unverletzlichkeit ihrer sozialen Orte und kulturell-ästhetischen Muster sowie Respekt vor den von ihnen entwickelten Formen und Regularien der Selbstsozialisation. Schule alleine bietet für diese Interessen der Heranwachsenden nicht den geeigneten Ort. Die Kinder- und Jugendarbeit kann ihn bieten, wenn sie die gegenwärtigen qualitativen Entwicklungen und Veränderungen der Sozial- und Bildungssysteme ernst nimmt, nicht „verschläft“ und sich als ein kompetenter, nicht-schulischer Ort der Bildung und lebensweltunterstützenden Hilfe zur Selbstentfaltung präsentiert und diese Intention auch so öffentlich präsentiert, dass diese von den politischen Entscheidungsträgern auch wahrgenommen werden kann. Gelingt ihr das, wird der in diesem Beitrag ausgemachte Trend wohlmöglich nur eine Episode in der Geschichte der Kinder- und Jugendarbeit bleiben. Und dies ist zu hoffen, denn wenn Bildung eine zentrale Bezugsgröße in den zukünftigen Konzeptualisierungen der Kinder- und Jugendarbeit darstellen soll, dann ist dies nur zu realisieren, wenn sie keinen tief greifenden Infragestellungen ausgesetzt wird. Letztendlich kann die Gesellschaft auf eine starke und kompetente Kinder- und Jugendarbeit nicht verzichten, will sie nicht gesellschaftliche Desintegrationsprozesse in Bezug auf die nachwachsenden Generationen stärken. Die Kinder- und Jugendarbeit eröffnet denjenigen Chancen, Anschluss an die Errungenschaften der modernen Gesellschaft zu erhoffen und zu erlangen, denen diese auf Grund unterschiedlicher Zugangsverschließungen ansonsten nicht gelingt. Von der Praxis der Kinder- und Jugendarbeit wird allerdings in dieser gesellschaftspolitischen Konstellation die Anerkennung von „Bildung“ als handlungsrelevantes Paradigma verlangt. Von den politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeiten wird die Anerkennung der schlichten Faktizität erwartet, dass die Initiierung von Bildungsprozessen in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften sich nicht mehr auf den schulischen Kontext allein beschränken kann.
Literatur Beher, Karin/Gragert, Nicole (2005): Aufgabenprofile und Qualifikationsanforderungen in den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe. Tageseinrichtungen für Kinder, Hilfen zur Erziehung, Kinder- und Jugendarbeit, Jugendamt. Dortmund u. München 2004. (25.08.2005) Dobers, Andreas (2002): Finanzierung – Plädoyer für ein Umdenken in der Kinder- und Jugendarbeit. In: Rauschenbach, T./Düx, W./Züchner, I. (Hrsg.): Jugendarbeit im Aufbruch. Selbstvergewisserung, Impulse, Perspektiven. Münster, S. 133 – 158 Frosch, Suzanne (2004): Gefährdete Jugend. In: Offene Jugendarbeit, Heft 4, S. 22 – 26 Hafeneger, Benno (2005): Jugendarbeit zwischen Veränderungsdruck und Erosion. In: deutsche jugend, 53. Jg., Heft 1, S. 11 – 18 u. Heft 2, S. 57 – 68
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Kolvenbach, Franz-Josef (1997): Die Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe. Zur Empirie eines vernachlässigten Themas. In: Rauschenbach, Th./Schilling, M. (Hrsg.): Die Kinder- und Jugendhilfe und ihre Statistik. Band 2: Analysen, Befunde und Perspektiven. Neuwied u. a., S. 367 – 402 Küster, Ernst-Uwe (2003): Fremdheit und Anerkennung. Ethnographie eines Jugendhauses. Weinheim u. a. Küster, Ernst-Uwe/Thole, Werner (2004): Kinder- und Jugendarbeit im „Dickicht der Lebenswelt“. Karriere, Missverständnisse und Chancen einer Metapher. In: Grundwald, K./Thiersch, H. (Hrsg.): Praxis lebens-weltorientierter Sozialer Arbeit. Weinheim u. München, S. 213 – 232 Lass, Joachim. (2004): Geht die offene Jugendarbeit den Bach hinunter? In: Offene Jugendarbeit, Heft 4, S. 33 – 36 Marmier, Jasmin u. a. (2002): Jugendarbeit in Deutschland. Ergebnisse einer Befragung bei Jugendverbänden und -ringen zu Strukturen und Handlungsmöglichkeiten. München. (25.08.2005) Pothmann, Jens/Thole, Werner (1999): Abbau im „Westen“ – Wachstum im „Osten“. Die Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit 1996 im Spiegel statistischer Daten. In: deutsche jugend, 47. Jg., Heft 4, S. 169 – 181 Pothmann, Jens/Thole, Werner (2001): Wachstum ins Ungewisse. In: Rauschenbach, T./Schilling, M. (Hrsg.): Kinder- und Jugendhilfereport 1. Münster, S. 73 – 97 Rauschenbach, Thomas/Schilling, Mathias (1997): Die Kinder- und Jugendhilfe und ihre Statistik. Band 1. Neuwied u. a. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2003): Verbraucherpreisindex für Deutsch-land auf Basis 2000. 100. Pressemitteilung vom 26. Februar 2003, Wiesbaden Thole, Werner (1988).: Krisen? Nichts Neues in der Jugendarbeit. In: Sozialextra, 13. Jg., Heft 3, S. 31 – 42 Thole, Werner/Küster, Ernst-Uwe (2002): „Wenn Jugendarbeit zum Beruf wird“. Die Qualifikationsfrage der Kinder- und Jugendarbeit. In: Rauschenbach, T./Düx, W./ Züchner, I. (Hrsg.): Jugendarbeit im Aufbruch. Selbstvergewisserungen, Impulse, Perspektiven. Münster, S. 159 – 180 Thole, Werner/Pothmann, Jens (2001): Der Krisenmythos und seine empirische Wirk-lichkeit. In: deutsche jugend, 49. Jg., Heft 4, S. 153 – 165
Peter Cloos Überlegungen zur Qualifikation für die Kinder- und Jugendarbeit
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„... ich fühl’ mich auch gar nicht so als Pädagoge“ Empirisch gestützte Überlegungen zur Qualifikation für die Kinder- und Jugendarbeit
1. Einleitung Studien zu den sozialpädagogischen Professionellen (vgl. u. a. Heinemeier 1994; Thole/Küster-Schapfl 1997; Ackermann/Seeck 1999; Nagel 1997; Schneider 2004; Schweppe 2002; im Folgenden Thole/Cloos 2000a, b) haben gezeigt, mit welchem Wissen und Können diese ihren beruflichen Alltag abstützen. Folgen wir den vorliegenden Ergebnissen, dann kann Fachlichkeit und Professionalität zumindest aus biografischer Perspektive als eine Figur begriffen werden, die sich nicht erst während der Ausbildung und des Studiums konstituiert und in der anschließenden beruflichen Tätigkeit dann vollends entfaltet. Vielmehr signalisieren die vorliegenden Studien, dass „die in der Kindheit und Jugend gesammelten Erfahrungen einen vorberuflichen Ressourcen-Pool bereitstellen, auf den bei der Ausgestaltung des beruflichen Alltags zurückgegriffen werden kann“ (Thole/Küster-Schapfl 1997, S. 42). Mehr noch: Biografische Erfahrungen und Idealvorstellungen vom Beruf werden in Erzählungen von MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit häufig an die derzeitigen Erfahrungen angekoppelt. Sie bilden damit – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – eine konstitutive Hintergrundfolie bei der fachlichen Verortung im Berufsfeld. Somit sind die fachlichen Wissens- und Erfahrungsressourcen in den Deutungen der Handelnden vorrangig in lebensweltlichen, biografisch angehäuften und alltagspraktischen Kompetenzen gelagert (vgl. Thole/Küster-Schapfl 1997, S. 60; Ackermann/Seeck 1999, S. 205). Mit den Erkenntnissen der vorliegenden Studien ist davon auszugehen, dass bei den MitarbeiterInnen die akademische Fachhochschul- und Universitätsausbildung in der sozialpädagogischen Praxis verblasst und erheblich an Relevanz verliert. Im Gegensatz zu den genannten Studien wurde für das im Folgenden vorzustellende Forschungsprojekt ein ethnografischer Zugang gewählt (vgl. Cloos 2004).
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Die Ausgangsüberlegung war, ob diese Ergebnisse der qualitativen Studien zur Kinder- und Jugendarbeit nicht auch dadurch bedingt sind, dass der jeweilige Forschungszuschnitt der Studien hauptsächlich biografisch orientiert war. Gefragt wurde, ob sich ähnliche oder auch ganz andere Deutungsmuster und Handlungspraxen entdecken lassen, wenn man die MitarbeiterInnen nicht nur befragt, sondern sie auch in ihrer beruflichen Praxis beobachtet und daran teilnimmt. Im Folgenden werden die Anlage dieser Untersuchung skizziert und anschließend einige Ergebnisse vorgestellt. Um einen empirischen Einblick in das Forschungsprojekt zu geben, wird bei der Ergebnisdarstellung beispielhaft die Biografie von Joseph Kist herangezogen, einem Künstler, der in der Kinder- und Jugendarbeit tätig ist. Die abschließend vorgestellte Verdichtung der Biografie veranschaulicht beispielhaft zentrale Ergebnisse der Studie, die sich auf die Herausbildung eines beruflichen Habitus beziehen. Hierüber wird auch die Frage nach der biografischen Relevanz des Studiums thematisiert.
2. Hinweise zur Anlage der Studie „Biografie und Habitus“ Das Forschungsprojekt „Biografie und Habitus. Ethnografie sozialpädagogischer Organisationskulturen“ untersuchte das berufliche Handeln von MitarbeiterInnen in der Kinder- und Jugendhilfe unter Berücksichtigung der vorzufindenden Vielfalt an unterschiedlichen Berufsbiografien und Qualifikationsprofilen. Im Blickfeld des Forschungsvorhabens lag die alltägliche Berufspraxis von MitarbeiterInnen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund erstens der individuell biografischen, zweitens der ausbildungsspezifischen und drittens der organisationsbezogenen Entwicklung beruflich-habitueller Orientierungen. Im Blick waren nicht allein diejenigen, die über eine einschlägige sozialpädagogische Qualifikation verfügen, sondern insbesondere auch Berufstätige ohne einschlägige Ausbildung, wie z. B. eine Mitarbeiterin in einer Kindertageseinrichtung ohne Ausbildung, Handwerker in der Jugendberufshilfe, ein Lehrer in einer Einrichtung der Heimerziehung und auch der später porträtierte Künstler und Jugendarbeiter Joseph Kist. In dem Forschungsvorhaben nahm der kontrastive Vergleich beruflich-habitueller Profile einen zentralen Stellenwert ein. Es ging darum, durch den Vergleich neue Erkenntnisse zum beruflichen Handeln zu gewinnen. Mitunter konnte hierüber auch folgender Frage nachgegangen werden: Welcher Stellenwert kommt der sozialpädagogischen Ausbildung für die Herausbildung eines beruflichen Habitus zu? In das Forschungsprojekt waren biografisch-narrative Interviews (vgl. Schüt-
Überlegungen zur Qualifikation für die Kinder- und Jugendarbeit
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ze 1983), teilnehmende Beobachtungen und Aufzeichnungen von Teamsitzungen sowie die Analyse von Dokumenten methodisch eingebunden. Im Sinne der Grounded Theory (vgl. Strauss 1994) entstand die Möglichkeit eines permanenten Vergleichs durch die Triangulation unterschiedlicher Erhebungsmethoden, durch die Einbeziehung unterschiedlicher Arbeitsfelder und durch die Fokussierung auf unterschiedliche formale Qualifikationen.
3. Joseph Kist: Kunst und Jugendarbeit1 In der folgenden Falldarstellung wird das Verhältnis von Ausbildung und Beruf und somit die Frage beleuchtet, welche Bedeutung einer Ausbildung für die Herausbildung eines beruflichen Habitus zugeschrieben werden kann. Das Interview mit Joseph Kist wurde im Rahmen des Projektes als Kontrastfall erhoben. Seine Einbeziehung bietet noch einmal die Möglichkeit, die Ergebnisse gegenzulesen, die durch die teilnehmenden Beobachtungen in einer Kindertageseinrichtung und einer Jugendwerkstatt und somit in ganz anderen Arbeitsfeldern gewonnen werden konnten.
Biografische Annäherung Joseph Kist ist zur Zeit des Interviews 44 Jahre alt, verheiratet und hat einen dreijährigen Sohn. Sein Vater ist gelernter Bäckermeister, war jedoch in einem großen Industriebetrieb als Kranführer beschäftigt. Seine Mutter war als Bürokraft, Krankenschwesterhelferin und als Angestellte einer Bibliothek tätig. Joseph Kist hat zwei Brüder und drei Schwestern. Während der Grundschulzeit lebt Joseph Kist für ein halbes Jahr bei seinem Onkel auf dem Land, weil seine Mutter erkrankt ist. Die Geschwister werden auf die Verwandtschaft verteilt. Nach der Grundschule besucht der Befragte eine Realschule, verlässt diese jedoch wieder aufgrund „große[r] Probleme“ mit den „schlagende[n] Lehrer[n]“ und dem an der Schule vorzufindenden „ausgefeilt[en]“ „Programm der (…) Züchtigung“.2 Eine hierdurch bedingte „Jugendmigräne“ führt 1 Im Gegensatz zum methodischen Design des Forschungsprojektes wurden parallel zum Interview mit Joseph Kist keine teilnehmenden Beobachtungen durchgeführt. 2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden bei den Ausschnitten aus den Interviews auf die Zeilenangaben verzichtet. Folgende Transkriptionsregeln wurden im Text verwendet: „.“ = eine Sekunde Pause; „(!)Wort(!)“ = Betonung; „(…)“ = Text wurde ausgelassen; „[Wort]“ = Text wurde ergänzt.
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dazu, dass er teilweise den Unterricht nicht mehr besuchen kann, sich seine Noten verschlechtern und er auf eine Hauptschule wechselt. Diese schließt er in der zehnten Klasse mit der Fachoberschulreife ab. Anschließend absolviert er eine Ausbildung zum Tiefdruckretuscheur. Nach Abschluss der Ausbildung wird er jedoch nicht in diesem Arbeitsbereich tätig, sondern besucht eine Fachoberschule für Gestaltung. Nachdem er dort die Fachhochschulreife erlangt hat, studiert er Grafikdesign. Bereits ab dem dritten Semester arbeitet er parallel zum Studium an einer Mappe zur Bewerbung an einer Kunstakademie. Unter den Bewerbungen an vier verschiedenen Kunstakademien ist eine erfolgreich. Ohne Abschluss bricht Joseph Kist das Studium nach dem siebten Semester ab und wechselt auf eine Kunstakademie. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist er parallel zum Studium als Fensterputzer und in einer Firma für Klima- und Lüftungsanlagen tätig. Nach Abschluss des Studiums arbeitet er an verschiedenen Kunstprojekten und Ausstellungen, verdient jedoch sein Geld als Zimmermann. Weil er anschließend ein Jahr arbeitslos ist, erhält er von einer Bekannten den „Tipp“, sich in dem städtischen Jugendzentrum Albertstraße als ABM-Kraft zu bewerben. Dort werde jemand für die Kreativarbeit mit Kindern und Jugendlichen gesucht. Nach zweijähriger Tätigkeit als ABM-Kraft erhält er zunächst einen befristeten Arbeitsvertrag und wird anschließend fest angestellt. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Joseph Kist stellvertretender Leiter der Einrichtung und hat ein berufsbegleitendes Studium der Sozialpädagogik in den Niederlanden begonnen.
4. Einige Stichpunkte zum beruflichen Habitus: „... hab’ das so als positiv erlebt, dass ich nicht pädagogisch vorbelastet war“ Joseph Kist präsentiert eine Lebensgeschichte mit biografischen und berufsbiografischen Brüchen. Dies wird bereits in den ersten Zeilen der Ersterzählung des narrativen Interviews deutlich: Bezogen auf seine Kindheit kann er – wie er es formuliert – nur Erinnerungsfetzen aneinander reihen. Die im weiteren Verlauf präsentierte Geschichte ist eine Auflistung der wichtigsten biografischen Stationen, ohne dass ein roter Faden von der Kindheit bis zur Tätigkeit in der Kinderund Jugendarbeit gezogen werden kann. Der Weg in die Kinder- und Jugendarbeit geschieht mehr oder weniger durch Zufall3 : Auch wenn Joseph Kist in der Kindheit und Jugend Erfahrungen u. a. als Gruppenleiter bei den Pfadfindern aufweisen kann, wird dies nicht als Erfahrungsschatz für das heutige berufliche Profil angese3 Zu Berufsbiografien, die eher durch Zufall in das Studium der Sozialpädagogik münden vgl. auch Thole/Küster-Schapfl (1997) und Cloos (2004a).
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hen. Hier werden kaum Hinweise auf biografische Vorerfahrungen gegeben, denen biografisch für das berufliche Handeln eine Bedeutung zugemessen wird.4 Diese biografische Ferne zum Arbeitsfeld, in dem Joseph Kist nun tätig ist, korrespondiert mit seiner Einschätzung: „Mir war das immer sehr suspekt so Pädagogik ne, immer den guten Menschen erziehen wollen und so“. Dass der Künstler trotz dieser Skepsis in der Kinder- und Jugendarbeit tätig wird, ist weitgehend einem biografischen Wandel geschuldet. Nachdem er jahrelang – häufig am Rande des Existenzminimums – seinen Lebensunterhalt durch verschiedenste Jobs in unterschiedlichen Arbeitsfeldern erwirtschaftet hat, sucht er zwei Jahre nach Beendigung seines Kunststudiums – bedingt durch seine Heirat und die Geburt des Sohnes – eine Tätigkeit, die den Unterhalt seiner Familie absichern kann. In seiner Erzählung überschreibt der Künstler seinen neuen Lebensabschnitt mit dem Satz: „ja wieder ne ganz neue Erfahrung“. Kontinuität stellt sich dadurch her, dass er sich immer wieder auf neue Arbeitsfelder und neue Erfahrungen einlässt. Gleichzeitig ist eine weitere, weniger deutlich mitgeteilte Kontinuität zu entdecken: Joseph Kist weist eine Aufstiegsorientierung auf, die sich in der Bildungsbiografie, also dem Aufstieg von der Hauptschule bis zum akademischen Abschluss widerspiegelt. In der Kinder- und Jugendarbeit findet er ein Feld, in dem sich neue Aufstiegschancen eröffnen, auch wenn diese insgesamt eher finanzielle Absicherung und langsamen Aufstieg als eine steile Karriere versprechen. Die Beschäftigung mit der Kunst hat zu diesem Zeitpunkt gezeigt, dass hier kein weiterer Aufstieg zu erwarten ist. Im neuen Arbeitsfeld „Jugendzentrum“ steht der nicht einschlägig ausgebildete Jugendarbeitsneuling vor „einer ziemlich extrem[en] Situation“: „Ich hatte vorher beispielsweise nie so viel mit Ausländern zu tun“. Die Einsozialisation in den neuen Beruf ist dadurch charakterisiert, dass ihm im Umgang mit den Jugendlichen weitgehend Freiraum gewährt wird und er zunächst auf sein spezifisches künstlerisches Können zurückgreifen kann: Er richtet im Obergeschoss des Jugendzentrums eine offene Kreativwerkstatt ein, gestaltet den Raum um, schafft eine große Arbeitsfläche und stellt Materialien zur kreativen Arbeit bereit. Er bietet kein spezifisches Angebot – wie z. B. Töpfern – an, sondern wartet erst einmal ab, was sich entwickelt. Durch das Angebot angeregt, bauen die Jugendlichen zunächst Gewehre aus Holz. Dies führt zu ersten Konflikten mit dem Team, weil die Jugendlichen mit den selbst gefertigten Gewehren durch die Einrichtung stolzieren. Dann fertigen sie Tischtennisschläger an, weil auf Grund der hohen Verlust- und Zerstö4 Dies im Gegensatz zu in diesem Forschungsprojekt erhobenen Berufsbiografien sozialpädagogisch ausgebildeter MitarbeiterInnen.
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rungsrate im Jugendzentrum keine neuen mehr gekauft werden. Joseph Kist grenzt sich von den neuen KollegInnen ab und stellt fest: „... also ich hatte ganz andere Möglichkeiten zu denken nich’ methodisch didaktisch in Kleingruppen und ausgrenzen für mich war ganz wichtig so Prinzipien jeder kann erstmal kommen es wird keiner ausgegrenzt Sanktionen nur ganz kurz begrenz also auch am heutigen Tag immer wieder ne Chance geben.“
An späterer Stelle des Interviews ergänzt er: „... also da wehr ich mich auch so’n bisschen gegen es iss immer noch so’n bisschen wo ich denke ähm gerade in dem Bereich isses wirklich äh sehr sehr wichtig äh gegen diese also klass ja klassisch is falsch aber dieses zu sehr methodisch didaktische Denken (...) auch ’n bisschen anzugehen immer wieder also aufzuhören und zu sagen hier guck mal was ham die für Talente (...) was man so als Empowerment vielleicht auch bezeichnen kann.“
Dem Künstler bereiten mit der Zeit weniger die anfangs für ihn ungewohnten Umgangsweisen der Jugendlichen, ihr Sprachstil und ihre informellen Regeln Probleme, sondern vielmehr das pädagogische Setting der Einrichtung und die Form des kollegialen Austausches, mit anderen Worten: das organisationskulturelle Gefüge mit seinen Arbeitsbögen und pädagogischen Grundorientierungen. Er fragt sich: Warum wird sich im Team nicht darüber ausgetauscht, was man am Tag erlebt? Warum wird sich hier nicht über die Jugendlichen unterhalten? Warum geschieht hier ständig Ausgrenzung durch Hausverbote und Regeln? Der Biograf grenzt sich distinktiv von den Grundhaltungen seiner KollegInnen ab: Das von ihm abgelehnte Modell sei methodisch-didaktisch eng geschnürt und trage überdies durch Kleingruppenarbeit dazu bei, dass Jugendliche ausgegrenzt werden, die nicht in das enge Konzept hineinpassen. Das von ihm favorisierte Modell stellt Offenheit gegenüber den Jugendlichen in den Vordergrund. Joseph Kist liegt demzufolge weniger an einer methodisch-didaktisch ausgefeilten Planung eines Angebotes, von dem erwartet wird, dass dies auch von den Jugendlichen angenommen wird.5 Hier stellt sich die Frage, auf welche Erfahrungen die hier präsentierte Grundhaltung zurückgreift. Die Rekonstruktionen haben ergeben, dass sich diese aus drei Erfahrungen speist: – Zum einen berichtet Joseph Kist, dass er in eine neue Situation geworfen, intuitiv reagiert, ohne sein Handeln fachlich begründen zu können. Seine „Intuition“ gründet sich auf biografischen Erfahrungen. Die Intuition wird jedoch nicht 5 Dass diese Praxis häufig bloß das Fernbleiben von Jugendlichen zur Folge haben kann, belegen eindrucksvoll Bimschas/Schröder (2003).
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vordergründig – wie bei anderen Interviews mit MitarbeiterInnen ohne einschlägige Ausbildung – für die Legitimierung der eigenen Fachlichkeit herangezogen; – Zum anderen kann er seine berufliche Grundhaltung über Erfahrungen begründen, die er im Kunststudium gewonnen hat. Das Studium der Kunst habe weitestgehend zur Selbstfindung beigetragen. Er habe dort gelernt zu erfahren, „wo man in der Welt steht“ und berichtet: „... genau gerade mit den Sachen die du äh in dem Kunststudium gelernt hast also dies auch auf mich selber zurückgeworfen sein also selber Umgang mit den eigenen Talenten wat iss möglich mit deinen Fähigkeiten die du hast konnte ich da eben gut diese Arbeit entwickeln.“
– Darüber hinaus sei für ihn ein „urhumanistisches“ Menschenbild handlungsleitend. Dieses habe sich in Auseinandersetzung mit der Religion, in Abgrenzung zur Kirche bei mehreren Klosterbesuchen entwickelt. Zusammengefasst werden hier nicht das künstlerische „Handwerk“ und ein spezifisches Fachwissen, sondern habituelle Dispositionen und habituelle Orientierungen als Gewinn bringend für die Tätigkeit in der Kinder- und Jugendarbeit benannt. Ausgestattet mit diesem „urhumanistischen“ Prinzip, mit den biografischen Erfahrungen und dem künstlerischen Abschluss, mit anderen Worten: Mit einem spezifischen Habitus kann er die intuitive Praxis insoweit gelingend gestalten, indem er z. B. über mehrere Wochen mit Jugendlichen einen Videofilm dreht, der mit einem Preis ausgezeichnet wird. Letztendlich wird auch seine einjährige ABM-Zeit um ein Jahr verlängert. Zum Schluss kann er auch die KollegInnen vom Jugendamt überzeugen: Er erhält eine feste Anstellung und steigt zum stellvertretenden Einrichtungsleiter des Jugendzentrums auf. Das Projekt eines sozialen und beruflichen Aufstieges, zum Zwecke der finanziellen Absicherung, kann weitergeführt werden. Parallel spitzen sich die Konflikte insbesondere mit der Leiterin des Jugendzentrums zu – „der Institution Hanni, die da zwanzig Jahre im Amt iss und äh jeder der da neu kommt ähm erstmal relativ ich sach machtlos iss“. Die Konflikte werden jedoch nicht offen angesprochen und ausgetragen. Im Interview wird festgestellt: „das größte Problem was ich da hab’ das sind meine Kollegen so ’n Kernsatz (lacht) ja oder eben die Strukturen“. Beispielhaft erläutert er die Differenzen zur Kollegin, indem er von einer Auseinandersetzung mit dem Zivildienstleistenden mit türkischem Migrationshintergrund berichtet. Joseph Kist meint, dass die Leiterin nicht genug professionelle Distanz aufbringe und über zu wenig Personalführungskompetenz verfüge. Dies würde sich ihm beispielhaft zeigen, wenn sie den Zivildienstleistenden aufgrund seines „Machoverhaltens“ offen ausgrenzt und im Team disqualifiziert.
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Der Biograf kann sich nicht ohne weiteres in die mächtigen organisationskulturellen Regeln der Einrichtung einfügen. Er fühlt sich auch nicht in der Lage, strukturelle Veränderungen zu veranlassen, weil er meint, über zu wenig fachliches Hintergrundwissen und methodische Kompetenzen zur Bearbeitung dieser Konflikte zu verfügen. Er kommt zu dem Schluss: „... aber sonst [ohne Studium] weiß ich nich’ wie ich das ausgehalten hätte (!)also auch um einfach so Methoden(!) äh Möglichkeiten zu kriegen anders da mit dieser Problematik da umzugehen.“
Der Biograf ist sich jedoch unsicher, inwieweit er auch den Anspruch verfolgen soll, die von ihm vorgefundene Praxis zu ändern. Joseph Kist sieht wenige Möglichkeiten der Veränderung, weil man dann so „in die Strukturn gehen“ müsste. Das wäre kein leichtes „Unterfangen“, zumal dann viel Kraft und Zeit für die Arbeit mit den Jugendlichen verloren gehen würde. „... unter den Mitarbeitern vonne Struktur muss man so sehen wie die Organisation so läuft das iss einfach problematisch da muss man oder oder ich hab nich’ dann den Anspruch mich dann noch soweit fit zu machen das ich den dann was gegen setzen kann.“
Der Entschluss, ein berufsbegleitendes Studium der Sozialpädagogik aufzunehmen, fällt also weniger mit der Absicht, seine berufliche Praxis und seine Kompetenzen im Umgang mit den Jugendlichen abzusichern. Handlungsleitend für die Aufnahme des Studiums ist hier mehr das Motiv der Absicherung des eigenen beruflichen Status: „... hab’ ich dann überlecht dass ich mich da in dem Bereich weiterbilden muss um nich’ ja so als der kreative Hansel da immer wieder vorgeführt zu werden die Gefahr besteht (...) also es gibt da immer wieder diese kreativen Leute die sind zwar ’n bisschen wirr im Kopp die können nicht organisieren und nix aber die sind ja auch irgendwie ganz nett (...) man wird nicht so richtig ernst genommen so und das äh war für mich so ’n Problem von da hab’ ich gedacht gut dann studierste dann auch noch Sozialpädagogik.“
Deutlich treten hier die in professionellen Berufssystemen üblichen beruflich-distinktiven Machtkämpfe um berufliche Positionen hervor (vgl. Freidson 1979). Die Absichten des Künstlers sind somit auch vielmehr am Zertifikat orientiert und infolgedessen eher als professionalistisch aufzufassen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Joseph Kist über das – zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht abgeschlossene – Studium nicht nur den beruflichen Status, sondern auch seine beruflich-habituellen Ressourcen erweitern kann. Die rekonstruierte Bilanz ist eher ernüchternd:
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– Zum einen wird er durch das Studium bestärkt, im Team eine Supervision durchzusetzen; – Zum anderen lernt er hier, seine eingeübte Praxis mit fachlichen Begriffen zu beschreiben: „An den Talenten der Jugendlichen ansetzen“ kann nun als „Empowerment“ beschrieben werden; – Einen Zugang zu wissenschaftlichen Fragestellungen und zu Theorien findet Joseph Kist jedoch kaum: Weder kann er sozialpädagogische AutorInnen benennen, noch Inhalte des Studiums präzise beschreiben: Die von ihm in diesem Zusammenhang genannten Themen wie „Kommunikation“ und „lösungsorientierte Ansätze“ können auch auf Nachfrage nicht erläutert werden und verschwimmen in diffusen Beschreibungen; – Vielmehr berichtet er davon, gelernt zu haben, seine eigene Person zu reflektieren: „noch mal selber sehen wie weit meine Wahrnehmung auch eben beschränkt ist wo meine Haken sind wo ich dann auch selber aufpassen muss“; – Hinzu kommt, dass der berufsbegleitend vermittelte Wissensstoff in der Fülle kaum aufgenommen und weiterverarbeitet werden kann; – Darüber hinaus ist ihm die spezifische Studienkultur der KommilitonInnen weitgehend fremd. Die am Anfang und vor der Tätigkeit bestehenden Deutungsmuster zum PädagogInnenberuf können auch hier nicht verunsichert werden bzw. zu kritischer Reflexionen veranlasst werden: „... iss mir oft schwierig dieses dieses Gelaber dieses Vorurteil hat ich ja und mit Pädagogen wollt ich auch gar nichts zu tun haben finde mich dann auch häufig bestätigt in meiner Auffassung also ich find ich teilweise problematisch also dieses Thematisieren von Dingen aber doch Drumherumgehen und sich selber äh mit ’ner fehlenden Distanz auch zu sich selbst irgendwie da über die Arbeit dann Dinge auch abzuarbeiten persönliche Dinge so da hab’ ich so einige (!)schwer(!) in Verdacht (lacht) so die hams gerade nötig Leute zu erziehen ne die solln erstmal selber gucken (lacht) also diese klassische Geschichte.“
Trotz Aufnahme des Studiums bestehen kaum habituelle Übereinstimmungen zum SozialpädagogInnenberuf. Weiterhin stellt er distinktiv fest: „das iss jetzt nicht so dass ich sage okay ja abgeschlossen jetzt machste Pädagogik dat iss gar nicht so ich fühl mich auch gar nicht so als Pädagoge“. Bemerkenswert ist jedoch, dass im Interview mit Joseph Kist weitaus mehr habitualisierte sozialpädagogische Deutungsmuster deutlich werden als seine eigenen distinktiven Abgrenzungen vermuten lassen. Dies ist nicht nur zu erkennen, wenn er die sozialpädagogische Praxis reflektiert, sondern auch wenn er von seinen weiteren Karriereüberlegungen berichtet. Er überlegt, eine Stufe auf der Karriereleiter höher zu steigen, um auf einem Posten mit mehr sozialpolitischer Verantwortung gestalterisch und planerisch sozialpädagogische Praxis beeinflussen zu können. Alternativ jedoch hält er sich
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erneut die Möglichkeit offen, etwas ganz anderes zu tun. Entscheidend bei diesen Überlegungen ist, dass die sozialpädagogische Praxis ihn auch weiterhin grundsätzlich stark beansprucht. Das von ihm mitgeteilte Gegenbild zum lärmenden, konflikthaften Jugendzentrum symbolisiert sich in einer Sehnsucht nach Rückzug. Dies wird beispielhaft aufgezeigt anhand der Möglichkeit, als Gärtner tätig zu werden. Geschuldet sind diese „Fluchtfantasien“ auch der Tatsache, dass der seit einem Jahr anhaltende Tinnitus signalisiert, dass die vor ihm liegenden strukturellen Probleme persönlich noch nicht befriedigend bearbeitet werden konnten.
5. Biografie und Habitus: „Ich hatte ganz andere Möglichkeiten zu denken“ Die folgende Verdichtung der Biografie von Joseph Kist veranschaulicht beispielhaft zentrale Ergebnisse der Studie, die sich auf die Herausbildung von beruflich habituellen Profilen beziehen (vgl. u. a. Bourdieu 1987). Damit wird auch die Frage nach der Relevanz des Studiums im biografischen Verlauf thematisiert. Der berufliche Habitus wird hier als ein (berufs)biografisch erworbenes System von Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata auf der Basis von verschiedenen Dispositionen und Interessen aufgefasst. Diese werden im Verlauf der Berufsbiografie in verschiedenen Arbeitsfeldern auf der Basis eines Berufs in der organisationskulturell geprägten Praxis erworben. Der berufliche Habitus äußert sich in verschiedenen Inszenierungen (vgl. Goffman 1983; Pfadenhauer 1999), Symbolisierungen und Positionierungen der beruflichen AkteurInnen, die ihnen „ein Gespür für die Stellung, den Platz, an dem man steht“ (Bourdieu 1997, S. 110), bereitstellen. Der Fall Joseph Kist verdeutlicht, dass die Ausformung beruflich-habitueller Unterschiede erstens durch die jeweilige Kultur eines Arbeitsfeldes, zweitens abhängig von der spezifischen Einbindung in eine Berufskultur qua Ausbildung und drittens durch die jeweilige Organisationskultur geprägt ist. Hierbei kann jedoch nicht von einem einfachen Bedingungsverhältnis ausgegangen werden. Die Herausbildung beruflich-habitueller Profile wird als ein komplexes Relationierungsverhältnis entlang der hier genannten Bedingungsfaktoren gedacht. Mit anderen Worten: Die jeweilige Ausbildung stellt nur eine neben vielen anderen Faktoren zur Herausbildung eines habituellen Profils dar. Biografische Dispositionen und Interessen: Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Joseph Kists Weg in die Kinder- und Jugendarbeit mehr oder weniger zufällig geschieht. Die biografischen Vorerfahrungen mit Kinder- und Jugendarbeit bei den Pfadfindern gelten dem Biografen weder als Impuls zur Berufswahl, noch wird ihnen später lebensbiografisch für das berufliche Handeln eine Bedeu-
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tung zugemessen. Anhand der Biografie von Joseph Kist lässt sich beispielhaft aufzeigen, wie die Herausbildung eines beruflich-habituellen Profils als Künstler und Jugendarbeiter durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher habitueller Interessen und Orientierungen zu konflikthaften Konstellationen führt. Insgesamt ist hier ein habituelles Profil zu identifizieren, das sich durch erhebliche biografische Ferne zum Arbeitsfeld und einer großen Rollendistanz zum JugendarbeiterInnenBeruf kennzeichnen lässt. Auf Grundlage der geringen Passung bleibt dem Künstler die Pädagogik „suspekt“. Gleichzeitig bietet die Tätigkeit im Jugendzentrum jedoch die Option der finanziellen Absicherung und eines allmählichen beruflichen Aufstiegs. Trotz des fehlenden sozialpädagogischen Abschlusses kann der Biograf seinen beruflichen Status absichern. Er erhält eine feste Stelle, weil nicht nur er selbst seine Tätigkeit im Jugendzentrum als erfolgreich betrachten kann. Damit wird deutlich, dass er erfolgreich (Sozial-)Pädagogik betreibt, sich selbst aber nicht habituell in diesem Berufsfeld verorten kann. Die erheblichen habituellen Differenzen zeigen auf, dass hier ein Kontrastfall zu anderen im Rahmen des Forschungsprojektes erhobenen und in anderen professionsbezogenen Studien dargelegten berufsbiografischen Verläufen vorliegt (vgl. den Fall „Johannes Kauf“ bei Thole/Küster-Schapfl 1997; Cloos 2004): Hier wird die ursprüngliche professionelle Orientierung als Künstler während der neuen Berufstätigkeit nicht aufgegeben. Arbeitsfeldkultur: Bei dem hier vorgestellten Fall werden der spezifische arbeitsfeldkulturelle Umgang mit anstehenden Aufgaben und die spezifischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata deutlich. Das an die MitarbeiterInnen adressierte Mandat korrespondiert mit unterschiedlichen beruflich-habituellen Gewohnheiten und Interessen. Zuweilen scheint hier die Ausbildung weniger prägend als die jeweilige Kultur eines Handlungsfeldes zu sein. In dem hier beschriebenen Jugendzentrum sich z. B., dass in der Kinder- und Jugendarbeit eine weniger stark ausgeprägte Kultur der fallbezogenen Reflexion im Vergleich zu den Hilfen zur Erziehung oder zum Arbeitsfeld Beratung vorzufinden ist (siehe auch Bimschas/Schröder 2003; zur Beratung vgl. Schneider 2004).6 Das geringe Maß an institutionalisierter Reflexion stößt bei Joseph Kist auf Unverständnis, zumal seine bisherige arbeitsfeldspezifische Orientierung sich auf die umfassende Reflexion der Frage, „wo man in der Welt steht“ stützte. Somit lässt sich zunächst feststellen, dass er auf ein Arbeitsfeld trifft, das in spezifischen Aspekten seinen bisherigen Erfahrungen in erheblichem Maße zu widersprechen scheint.
6 Diese Ergebnisse werden auch von dem zurzeit laufenden ethnografischen Forschungsprojekt zur Kinder- und Jugendarbeit bestätigt (vgl. DFG-Projekt „Performanz in der Kinder- und Jugendarbeit“ 2005; vgl. auch Geis 2005).
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Berufsfeldkultur: Die grundlegende habituelle Orientierung des Künstlers zeigt sich am deutlichsten in der distinktiven Feststellung „ich hatte ganz andere Möglichkeiten zu denken“. Damit stellt er fest, über habituelle Dispositionen zu verfügen, die den im Jugendzentrum tätigen nicht-akademisch gebildeten Erzieherinnen fremd seien. Während er die Orientierungen der Erzieherinnen als didaktisch kleinteilig und ausgrenzend bewertet, beschreibt er seine Handlungsmuster als abwartend und offen. Dies manifestiert sich z. B. in der abwartenden Haltung während der Kreativwerkstatt, die eine didaktisch ausgearbeitete Planung ablehnt und sich habituell an der Offenheit von künstlerischen Prozessen orientiert. Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass sich Joseph Kist distinktiv von den KollegInnen und ihrem Berufsstand abgrenzt, indem er – ohne dies konkret zu benennen – seinem Handeln eine andere und zuweilen breitere Wissensbasis zuschreibt. Gleichzeitig muss er jedoch erkennen, dass diese Wissensbasis formal nicht ausreicht, seine berufliche Position abzusichern. Als Künstler in einem „fremden“ Arbeitsfeld ist er den distinktiven Kämpfen um Positionen ausgesetzt (vgl. Freidson 1979). Diese Kämpfe können dazu führen, dass ihm durch das Stigma des „kreativen Hansels“ ein beruflicher Aufstieg verbaut bleibt. Auch in dem daraufhin aufgenommenen berufsbegleitenden Studium der Sozialpädagogik trifft er auf eine Kultur, von der er sich erneut distinktiv abgrenzt. Hier meint er zu viel „Gelaber“, „fehlende Distanz“ und Studierende zu entdecken, die meinen, eigene Probleme durch ein Studium bearbeiten zu können. Somit wird deutlich, dass sich auch im Studium kaum habituelle Orientierungen herausbilden, die den Künstler im Interview dazu veranlassen, eine Identifikation mit dem Arbeitsfeld und dem Berufsstand mitzuteilen (vgl. auch Thole/Wegener/Küster 2005). Organisationskultur: Gründe für seine berufliche Einsozialisation ohne viele berufliche Identifikationsangebote sind auch in der Organisationskultur (vgl. u. a. Franzpötter 1997; Klatetzki 1993; May 1997) des Jugendzentrums zu finden. Joseph Kist trifft auf eine Organisationskultur, die in erheblichem Maße durch die langjährige Leiterin Hanni geprägt ist und die sich durch eine geringe Flexibilität, geringe Institutionalisierung von Reflexivität und über lange Jahre entwickelte Handlungsroutinen auszeichnet. Dies veranlasst den Biografen resignierend festzustellen, kaum auf die organisationskulturellen Gewohnheiten Einfluss nehmen zu können. Am Beispiel Joseph Kist zeigt sich, dass in Organisationen Menschen mit unterschiedlichen lebenslauf- und klassenspezifischen Hintergründen, unterschiedlichen Ausbildungen und Positionen, Lebensstilen und geschmacklichen Präferenzen aufeinander treffen. Es wird deutlich, dass innerhalb einer Organisationskultur unterschiedliche habituelle Muster vorzufinden sind, die miteinander
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konkurrieren und zu vielfältigen mikropolitischen Strategien führen (vgl. Küpper/ Ortmann 1992). Damit Organisationen jedoch arbeitsfähig bleiben, müssen die unterschiedlichen habituell bedingten Interpretationen und Interessen miteinander abgestimmt und die mikropolitischen Strategien in Bahnen gelenkt werden. Die Kopplung des Habitus erstens an spezifisch vorgegebene (hierarchische) Positionen, zweitens an Prinzipien der Arbeits- und Aufgabenteilung und drittens an Positionsbestimmungen, die von der Dauer der Mitgliedschaft abhängig sind, ermöglichen die Ordnung des Organisationsgefüges. Dies lässt sich auch erkennen, wenn der Künstler sich trotz erkämpfter und ihm zugestandener Freiheiten resignierend in die organisationskulturellen Abläufe einfügt. Die durch den Habitus hergestellte Ordnung steht ständig in der Gefahr, durch widerstreitende Interessen von Ordnung in Unordnung überzugehen. Dies ist insbesondere auch verursacht durch die Konflikte, die sich einerseits aus den Versuchen der Organisationen ergeben, Biografien in institutionelle Ablaufmuster zu zwängen. Andererseits sind die Konflikte durch die autonomen Gestaltungsinteressen der in Organisationen handelnden AkteurInnen verursacht. Folglich bildet sich in Organisationen auch niemals ein für alle Organisationsmitglieder typisches habituelles Muster heraus. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ausformung beruflich-habitueller Profile in der Kinder- und Jugendhilfe in hohem Maße davon abhängig ist, – welche formale Stellung die MitarbeiterInnen innerhalb des Teams innehaben; – welche Position und Anerkennung ihnen darüber hinaus im Team zugesprochen wird; – welche formalen Qualifikationen – z. B. qua Ausbildung – sie besitzen und – über welche Dispositionen sie verfügen, d. h. welche Interessen sie einbringen und welche (berufs-)biografischen Erfahrungen sie mitbringen. Im Fall Joseph Kist zeigt sich, dass in der Organisation Jugendzentrum unterschiedliche habituelle Positionen aufeinander treffen. Die Unterschiedlichkeit der Positionen verursacht Konflikte innerhalb des Teams. Der Professionalisierungsdruck und der Kampf um berufliche Positionen führt zum Aufbrechen des vorhandenen Konfliktpotenzials. Dieses wird durch die Unterschiede zwischen den organisationskulturellen Erfordernissen, berufsfeldspezifischen Stilen und den eigenen habituellen Interessen gesteigert. Der Tinnitus und die Überlegungen, das Arbeitsfeld zu verlassen, können als Hinweis darauf gesehen werden, dass die Prozesse der habituellen Lagerung nicht durchdrungen und das darin eingelagerte Konfliktpotenzial nicht hinreichend bearbeitet wurde.
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Gesellschaftlich-kultureller und sozialpolitischer Kontext
Berufsfeldkultur
Organisationskultur
Wahrnehmungsschemata Deutungsschemata Handlungsschemata Wissen, Können und Erfahrung
Kapitalsorten: Formale Stellung Formale Qualifikation
Beruflich-habituelle Unterschiede beruflich-habituelles Profil und Stil
(Berufs-)Biografische Dispositionen
Inszenierungen Positionierungen Symbolisierungen Interessen
Arbeitsfeldkultur
Kapitalsorten: Position und Anerkennung im Team
Aufgabenzuschreibung Mandat/Auftrag Regeln/Ideologien ... Biografischer Kontext
Abbildung: Beruflich-habituelle Unterschiede
Vor dem Hintergrund dieses habituellen Profils und der konflikthaften beruflichen Einsozialisation erscheint es auch verständlich, dass das Studium der Sozialpädagogik bislang als weniger erfolgreich bewertet wird. Damit positioniert sich Joseph Kist nicht anders als die in der Studie befragten MitarbeiterInnen mit einschlägiger sozialpädagogischer Qualifikation. Sie werten grundsätzlich die Bedeutung des Studiums bzw. der Ausbildung für die Herausbildung eines beruflichen
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Habitus ab, indem sie dem dort vermittelten Wissen und Können kaum eine praktische Relevanz zusprechen. Tatsächlich hat die Ausbildung bzw. das Studium jedoch berufsbiografisch für die Entwicklung eines fachlichen Profils eine höhere Bedeutung, als ihr von den beruflich Tätigen zugesprochen wird: Wissen und Können sind jedoch in weiten Teilen habituell so stark eingelagert, dass sie kaum kognitiv abfragbar sind. Dies zeigt sich auch bei Joseph Kist, obwohl oder gerade weil er zurzeit das Studium noch nicht abgeschlossen hat. Zumindest in seinen Berichten zu der Einrichtung der Kreativwerkstatt und zum organisationskulturellen Alltag sowie in der reflexiven Präsentation seiner Lebensgeschichte deutet sich ein Reflexionspotenzial an, das bei Befragten mit nicht einschlägigem sozialpädagogischen Abschluss in dieser Weise nicht vorgefunden werden konnte. Ob dieses jedoch stärker an den höheren Bildungsstand oder an das im Studium erworbene Wissen und Können gekoppelt ist, lässt sich hier nicht rekonstruieren. Die ethnografischen Beobachtungen im sozialpädagogischen Alltag haben noch einmal belegt, was sich in diesem Interview nur andeutet: Abhängig von der formalen Stellung, der Teamposition und den (berufs-) biografischen Dispositionen geht ein höherer sozialpädagogischer Ausbildungsabschluss neben weiteren Aspekten einher – – – – –
mit einer höheren Begründungs- und Reflexionsverpflichtung; komplexeren Deutungen des beruflichen Alltags; einem stärker ausgeprägten höhersymbolischen Sprachstil und einer höheren Komplexität der Wissensdomänen sowie einer größeren Nähe zur berufsfeldspezifischen fachlichen und – in sehr eingeschränktem Maße – wissenschaftlichen Diskursen.
Damit kann Bernd Dewe (1999, S. 743 f.) gefolgt werden, der feststellt, dass der Unterschied „nun nicht schlichtweg durch eine institutionalisierte sowie fachlich spezialisierte Ausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage allein zu erwerben“ ist, „an deren Ende die Beherrschung eines Fachwissens samt des dazugehörigen beruflichen Methodenrepertoires steht.“ Beruflich-habituelle Differenzen sind auf der Basis unterschiedlicher Bildungs- und Ausbildungsbiografien, unterschiedlicher formaler Funktionen und Teampositionen das Resultat einer eingeübten und habituell strukturierten Praxis in Organisationskulturen und beruflichen Handlungsfeldern. Folgt man diesen Überlegungen, dann stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich für die Weiterentwicklung des sozialpädagogischen Berufsstandes
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ziehen lassen: Zunächst kann festgehalten werden, dass SozialpädagogInnen im Studium zumeist mehr gelernt haben, als sie in Interviews zugeben mögen. Die Unterschiede zu MitarbeiterInnen ohne einschlägigen Abschluss sind zumeist erheblich. Trotz der Unterschiede scheinen die sozialpädagogischen Profis ihr eigenes fachliches Profil mit wenig Selbstbewusstsein nach außen zu tragen. Hieraus ergibt sich zunächst die Forderung an die Ausbildung, Prozesse der kritischen Habitusbildung im Studium stärker als bisher zu stützen. Mit dem Wissen jedoch, dass es die Berufspraxis stärker als das Studium vermag, zur Habitusbildung beizutragen, und ein großer Teil der im Studium gewonnenen Erkenntnisse in der Berufspraxis wieder verblasst, erscheint eine kontinuierliche, die Berufspraxis begleitende, das Wissen erweiternde Reflexion der eigenen Berufsrolle und -praxis unablässlich. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Kinder- und Jugendarbeit ein Berufsfeld ist, in der Personen mit unterschiedlichsten Qualifikationen tätig sind, erscheint es notwendig, dass die Qualifikationsunterschiede professionspolitisch stärker als bisher thematisiert werden. Die Vor- und Nachteile des „bunten Qualifikationsgemisches“ mit erheblichen Niveauunterschieden sollten Anlass für Überlegungen sein, wie sich die Profession auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen verortet. Multiprofessionalität erscheint hier nicht immer als das positive Gegenbild zum Nimbus des klassischen medizinischen Berufsbildes des Arztes/der Ärztin, insbesondere dann nicht, wenn das Qualifikationsniveau insgesamt sinkt. Auf der Einrichtungsebene scheint hier die Strategie erfolgreich zu sein, die Unterschiede selbstbewusst und offen zu thematisieren. Eine Gleichmacherei der unterschiedlichen Positionen führt nur dazu, dass die tatsächlich bestehenden Unterschiede „unter der Hand“ thematisch und schlussendlich im Konflikt ausgetragen werden.
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IV Aktuelle Situation und Ausblicke der Kinder- und Jugendarbeit
Lotte Rose zum aktuellen Stand der Kinder- und Jugendarbeit Beobachtungen
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Beobachtungen zum aktuellen Stand der Kinder- und Jugendarbeit
Kinder- und Jugendarbeit soll einerseits einen „Entfaltungsraum jugendkultureller Autonomie“ und andererseits „pädagogische Unterstützung für das erfolgreiche Erwachsenwerden“ bieten (Müller 2003, S. 11). Jede Zeit und jede Generation rahmt dieses basale Spannungsmoment auf ihre eigene Weise, erzeugt spezifische Schlüsselthemen für den Fachdiskurs und Herausforderungen für die Praxis. Manche habe schon eine lange Geschichte, andere sind neu. Manche sind vieldiskutiert, andere wenig beachtet. Manche sind geklärt, andere noch schwelend. Im Folgenden werden eine Reihe dieser Themen und Herausforderungen skizziert, wie sie aktuell in der Kinder- und Jugendarbeit zu beobachten sind. Die Ausführungen basieren weniger auf der Rezeption von Fachpublikationen und -diskussionen, sondern vor allem auf Eindrücken, wie sie sich mir bei der Begleitung von ZwischenpraktikantInnen und BerufspraktikantInnen an der Fachhochschule und bei Praxisexkursionen und Gesprächen mit PraxisanleiterInnen vermittelt haben. Die Annahme ist, dass sich die in diesen spezifischen Kontexten artikulierenden Themen nur unzureichend im hegemonialen Diskurs der Kinder- und Jugendarbeit abbilden. Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendarbeit hängt also von der Fähigkeit ab, diese aufzugreifen und zu beantworten.
1. Die Neigung zu „Problemdiskursen“ Beschreiben PraktikantInnen und Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit ihre Zielgruppen, so fällt die Dominanz dramatisierender und problematisierender Sozialdiagnosen auf. Die jungen Menschen, mit denen man arbeitet, werden als gewaltbereit, vergnügungs- und konsumsüchtig, medienfixiert, frühreif, antriebsarm, unverbindlich, konfliktunfähig, ohne Durchhaltevermögen, sexistisch und rassistisch geschildert. Es entstehen Bilder einer hochgradig kranken Kinder- und Jugendgeneration.
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Dieses Phänomen ist sicherlich nicht jugendarbeitsspezifisch, sondern allgemeines Charakteristikum Sozialer Arbeit. Das Errettungsparadigma als Basis und Begründung sozialpädagogischen Handelns sitzt hier tief und erzeugt eine sogartige Tendenz zu „pädagogischen Apokalypsen“ (vgl. Blomberg 2005) mit ihren symptomatischen Plausibilitäten: Je bedrohlicher die Situation der Klientel entworfen wird, desto erfolgreicher lässt sich die potenzielle „Heilswirkung“ sozialpädagogischer Interventionen aufbauen. „Vordergründig kann dies als Versuch erscheinen, das professionelle pädagogische Handeln gerade in Zeiten knapper Kassen zu legitimieren; oder als Versuch, in einer ohnehin überzeichnenden Medienwelt überhaupt Gehör zu finden“ (ebd., S. 1). Fördermittel und gesellschaftliche Aufmerksamkeit gibt es nur dort, wo es „brennt“. Es spricht sicherlich nichts dagegen, sich aus strategischen Gründen solcher Konstruktionen zu bedienen, doch birgt es auch eine Falle. Die Gefahr ist zumindest groß, dass sie ein „Eigenleben“ entwickeln, beim dem die kritische Distanz zu diesen „Wahrheitskonstrukten“ verloren geht. Nachdenklich muss jedenfalls machen, dass oftmals auch dann, wenn es nicht um Mittelsicherung geht, in der Kinder- und Jugendarbeit die Rede von beschädigten Kindern und Jugendlichen und gesellschaftlichem Verfall so intensiv kultiviert wird – z. B. in Teamgesprächen und Praktikumsbegleitungen. Dies lässt vermuten, dass entsprechende Zielgruppenetikettierungen eben nicht nur politisch, strategisch eingesetzt werden, sondern die Wahrnehmung der Professionellen elementar bestimmen. Werner Lindner wies zu Recht darauf hin: „Das zirkuläre Spiel zwischen einer vielfach etablierten ‚Sorgenfalten-Soziologie’ (Ferchhoff), die Kinder- und Jugendliche wahlweise als Kompendium von Defekten und Defiziten, unter Krisenvermeidungsaspekten oder als öffentliche Pflegefälle konstruiert, und einer Jugendarbeit, die derartige Szenarios mit vielfältigen Präventionsaspekten umgehend bedient, ist daher für die Belange eines qualifizierten Kinder- und Jugendschutzes ungeeignet“ (Lindner 2000, S. 79). Wenn das, was Heranwachsende zeigen, permanent als Problem identifiziert wird, wird schleichend ein unheilvoller Keil in das Verhältnis zwischen Fachkräften und Zielgruppen getrieben – und letztlich auch in das Verhältnis zur eigenen Geschichte. Es ist z. B. immer wieder erstaunlich, wie Studierende mit Verve die Schädlichkeiten jugendlichen Konsums diskutieren. Wenn man sie dann jedoch auffordert, sich an die Gefühle der eigenen Kindheit zu erinnern, als sie das erste Mal mit eigenem Geld etwas für sich gekauft haben, werden plötzlich ganz andere Facetten zum Thema zugänglich. Mit dem Problemfokus entsteht eine polarisierende Realitätsspaltung, bei der die Zielgruppen zur Projektionsfläche des „Schlechten“ werden. Gleichzeitig wird im Gegenzug die pädagogische Verantwortungslast enorm groß. Wenn bei den Kin-
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dern und Jugendlichen nur Schädliches und Fehlentwicklungen vorfindbar sind, geraten die Fachkräfte zwangsläufig in die Position der einzig vorhandenen „RetterInnen“. Was dabei hergestellt wird, ist ein normatives pädagogisches Verhältnis. Den jungen Menschen werden produktive Lebensbewältigungskompetenzen aberkannt, stattdessen sind die Fachkräfte jene, die wissen, was gut für sie ist. Vor diesem Hintergrund ist das Risiko groß, dass lebensweltliches Verstehen und Sympathie, Faszination für die Kinder und Jugendlichen, mit denen man arbeitet, auf der Strecke bleiben und damit eine entscheidende Arbeitsgrundlage.
2. Selbstdemontagen des Arbeitsfeldes Zu den „Problemszenarien“ zur Klientel der Kinder- und Jugendarbeit gesellen sich die „Problemszenarien“ zur Situation der Professionellen. Meldungen zum unzureichenden Qualifikationsniveau der Kinder- und JugendarbeiterInnen sind regelmäßig zu hören und zu lesen. „Zum einen wird von den beruflichen AkteurInnen in den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendarbeit sowie von den für diese Bereiche zuständigen Leitungskräften mit zunehmender Intensität öffentlich beklagt, dass die HochschulabsolventInnen, die sich nach Beendigung ihres Studiums in der Kinder- und Jugendarbeit beruflich engagieren wollen, kaum noch über die für diesen Einstieg notwendigen Qualifikationen verfügten. Zum anderen dokumentieren neuere Studien zu Wissen und Können von MitarbeiterInnen in den sozialpädagogischen Handlungsfeldern allgemein und in der Kinder- und Jugendarbeit insbesondere, dass ein hinreichend sozialpädagogisches Fachwissen und methodisches Können bei den BerufseinsteigerInnen nicht mehr uneingeschränkt auszumachen ist“ (Thole/ Wegener/Küster 2005, S. 7 f.).
Solche Diagnosen sind zweischneidig. Einerseits verweisen sie auf eine reale institutionelle Schwäche, die ernst genommen und als Aufforderung zu einer Qualifizierungsoffensive in Studium und Fortbildung begriffen werden muss. Andererseits ist jedoch ebenso kritische Distanz angesagt. Wenn wir davon ausgehen, dass Realitäten immer auch im Sprechen erst erzeugt werden, ist zu fragen, warum und mit welchen Folgen sich das Berufsfeld der Kinder- und Jugendarbeit in dieser negativ vereinseitigenden Weise konstruiert. Die immanente Botschaft – nach außen wie nach innen – ist die der Inkompetenz und des Niedergangs: Wenn in der Kinder- und Jugendarbeit so wenig Professionalität zu finden ist, kann es nicht verwundern, dass das Arbeitsfeld nur geringes Ansehen hat und dort kaum eindrucksvolle Erfolge erzielt werden. In wessen Interesse sind diese Demontierungsakte des Berufsfeldes und welche Wirkungen haben diese Bilder für die Profession? Wird hier nicht eine diskursive Abwärtsspirale der Depression erzeugt, die das
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Berufsfeld noch einmal mehr schwächt – und in einer Weise, die nicht sein müsste? Warum zeigt man sich nicht die begeisternden Kinder- und JugendarbeiterInnen, die ihre Aufgaben gekonnt bewältigen? Warum erzählt man sich nicht von Umständen und Entwicklungen, die Respekt erzeugen und animieren? Spielt hier möglicherweise eine Rolle, dass Kinder- und Jugendarbeit so „geschichtsfern“ ohne die Klassiker der Kinder- und Jugendarbeit gelehrt wird, wie eine Studie zur hochschulischen Qualifikation in der Kinder- und Jugendarbeit kürzlich feststellte (vgl. Thole 2005, S. 204)? Verweisen die Anklagen gar auf erlittene Professionskränkungen bei JugendarbeitsprotagonistInnen, die damit abgewehrt werden? Stärke und Prestige kann ein Berufsfeld nur entwickeln, wenn es über etwas verfügt, worauf es stolz ist. Für die Kinder- und Jugendarbeit scheint momentan so etwas „Nährendes“ im kollektiven Gedächtnis und Selbstverständnis zu fehlen. Dabei steht es potenziell zur Verfügung – sowohl in der Fachliteratur wie auch in der Praxis.
3. Offene Arbeit als verunsicherndes „Geschäft“ Der Offene Bereich des Jugendhauses ist sein „Herzstück“ – so die Idee der Offenen Jugendarbeit. In ihm materialisiert sich das Ideal des jugendlichen Autonomieraums. Gleichzeitig ist er für die Professionellen prekär. Hier fühlen sich viele PraktikantInnen und BerufseinsteigerInnen besonders unwohl – und selbst Berufserfahrene oftmals auch. Eine Praktikantin schildert in ihrem Praktikumsbericht exemplarisch die „Qualen“ des offenen Bereichs, wie sie viele erleben: „Ich stand in diesem offenen Raum und suchte in irgendeiner Form nach Sicherheit. Ich fühlte mich diesen Jungs ausgeliefert, sie kannten die Räumlichkeiten, hatten ihren Platz in der hauseigenen Hierarchie und ich stand im Raum wie ein Fremdkörper. Ich ertappte mich dabei, wie ich versuchte, mich von einer Seite zu schützen, indem ich mich mit dem Rükken an eine im Raum stehende Säule lehnte. Nachdem ich diese Ohnmacht satt hatte, entschied ich mich, mit doch einigermaßen weichen Knien zur Flucht nach vorne. Ich fing an, mit ihnen Billard zu spielen, zu kickern etc. Ich war zwar nicht besonders gut, hatte aber plötzlich das positive Gefühl, mich in das Gruppengeschehen einzubringen.“
Diese Szene macht nachvollziehbar, warum die Arbeit im Offenen Bereich beklemmend sein kann. Anders als in vielen anderen professionellen Situationen der Sozialen Arbeit, in denen die Fachkräfte Raum und Setting von vornherein selbst definieren und kontrollieren, haben im Offenen Bereich die AdressatInnen das „Hausrecht“ – und dies wird ja gerade konzeptionell auch so gewollt. Das situative Definitionsverhältnis ist also auf den Kopf gestellt. Für die Fachkräfte heißt dies,
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dass sie sich in – zumindest zunächst einmal – fremd besetztes Terrain begeben und dort passend einfinden müssen. Sie müssen in einem Raum agieren, der nicht ihrer ist. Sie machen dabei „jene Erfahrung, der man sich immer aussetzt, wenn man einen Raum betritt, ohne alle Bedingungen zu erfüllen, die er stillschweigend von allen, die ihn okkupieren, voraussetzt“ (Bourdieu 1991, S.32). Sie erleben das verunsichernde Gefühl der „Deplatziertheit“ und müssen mit Erfolg dagegen arbeiten und sich selbst „platzieren“. Offene Jugendarbeit will Jugendlichen einen Ort der eigenständigen PeergroupGesellung bieten, gleichzeitig will sie ihnen stützend begleitende Erwachsene zur Seite stellen. Diese Widersprüchlichkeit erzeugt ein professionelles Dilemma. Es bringt Fachkräfte in eine vergleichsweise defensive Position, macht sie zu „QuasiGästen“ in der eigenen Einrichtung, verlangt von ihnen, die ganz eigenen sozialen Ordnungsverhältnisse und rituellen Codes des Jugendraumes zu verstehen und sich in ihnen regeladäquat zu verhalten. Sie müssen „die dortigen sozialen Spielregeln genau kennen lernen, ihr Handeln danach ausrichten, ihre Gestaltungsspielräume ausloten und gegebenenfalls ihre Zielsetzungen und pädagogischen Ansprüche den Begebenheiten anpassen“ (Küster 2003, S. 39). Die eigentümliche Mischung aus Privatheit und Öffentlichkeit im Offenen Bereich gebietet Zurückhaltung und gleichzeitig Sich-zur-Verfügung-Stellen. Es verlangt, Raum für Eigenes zu lassen, auch Gesten der Distanz und demonstrativer Abschottung von Jugendlichen anzuerkennen und dennoch zugewandt zu bleiben, Kontakt und Nähe herzustellen und zu halten und belastbare Beziehungen entstehen zu lassen. Es fordert zudem, Jugendlichen Raum zu überlassen und gleichzeitig eindeutig als regulierende „Ortswächter“ zu agieren, wenn dies notwendig ist. Die Arbeit im Offenen Bereich konfrontiert Fachkräfte mit der Herausforderung, dass ihnen Situationen immer wieder entgleiten, die doch von ihnen erfolgreich „gehalten“ werden müssen. Wo und wie lässt es sich erlernen, sich gelungen in der Schwebe des Offenen Bereichs zu bewegen? Was brauchen Fachkräfte, um in dieser „organisierten Anarchie“ (vgl. Sturzenhecker 2002a) zu überleben und die Spannung zwischen Kontrollverlust und Steuerung zu bewältigen? Hierfür gibt es bislang wenig Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es kein Zufall, dass im Zentrum der Qualifizierungen in der Kinder- und Jugendarbeit vor allem gruppen- und angebotspädagogische Methoden stehen – Kulturpädagogik, Erlebnispädagogik, Sport, Medien, Mädchenarbeit, Jungenarbeit. Es ist, als würden die Nöte der Offenen Arbeit mit dem Ausweichen in geschlossene Settings beantwortet.
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4. Belanglose Hausfrauenarbeit Dazu kommt ein weiteres Dilemma: Kinder- und Jugendarbeit trägt strukturell und inhaltlich deutliche Züge der „Hausfrauenarbeit“ (Thole 2000, S. 285). Die Arbeit im Offenen Bereich besteht aus profanen Banalitäten des häuslichen Alltags und Kneipenbetriebs: einfach nur Da-Sein, Räume auf- und zuschließen, Getränke ausgeben, Filme besorgen, Smalltalk an der Theke, Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen, Kicker- und Billardspiele, Witze und Anmache, RatgeberIn und GesprächspartnerIn bei Problemen sein, aufräumen, säubern, für Ruhe und Ordnung sorgen usw. Schon in den 1970er-Jahren formulierte Götz Aly für die Jugendarbeit denn auch die Schlüssel- und Leidensfrage: „Wofür wirst du eigentlich bezahlt?“ (vgl. 1977). Es fällt schwer, die Tätigkeiten im Offenen Bereich als gewichtige, pädagogisch wertvolle und professionelle Aufgabe zu begreifen und zu legitimieren. Viele Klagen von PraktikantInnen kreisen genau darum, dass sie sich in diesen Tätigkeiten wertlos fühlen. Dies hat vermutlich sehr viel mit der Konstruktion von Bildung im gesellschaftlichen Anerkennungsgefüge zu tun. Während schulische Bildung und berufliche Qualifizierung – wenigstens bislang – als unverzichtbare öffentliche Aufgabe gelten, scheint die Versorgung mit Freizeitbeschäftigungen in der gesellschaftlichen Werteskala sehr viel niedriger zu rangieren (vgl. Scherr/Thole 1998, S. 11). „Von Bildungsförderung ist gewöhnlich nur die Rede, wo explizit Bildungsziele gedacht, geplant und in geeigneten Projekten und Lernarrangements umgesetzt werden“ (Müller/Schmidt/Schulz 2005, S. 47). Diese Kaprizierung auf das Modell „bildungsfördernde Interventionen“ unterschlägt eine weitere Bildungsrealität – die der „bildungsfördernden Antworten“ (ebd., S. 50). Dies meint: Bildungsprozesse ergeben sich auch ungeplant und informell „bei Gelegenheit“ (Sturzenhecker 2002b, S. 31) und buchstäblich „alles“ kann zu dieser Gelegenheit werden. Jugendliche artikulieren situativ Bildungsthemen und -bedarfe in ihren Aktionen und Interaktionen. Je nachdem, wie Jugendarbeit sie aufnimmt, können daraus produktive Bildungsgelegenheiten werden oder auch nicht. Jugendliche sind demnach weniger AdressatInnen von Bildungsangeboten, sondern AkteurInnen in Bildungsprozessen, während Fachkräfte vor allem responsiv auf die jugendlichen Bildungssignale reagieren und sie verstärken. Dies setzt voraus, Bildungsgelegenheiten differenziert wahrnehmen zu können und in ihnen spontan rituell und situativ adäquat und gleichzeitig produktiv „antworten“ zu können. Somit bergen die „profanen Banalitäten des häuslichen Alltags und Kneipenbetriebs“ des Offenen Bereichs eine besondere Bildungsqualität, die jedoch von der Jugendarbeit noch nicht erfolgreich profiliert werden konnte (vgl. dazu
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Müller/Schmidt/Schulz 2005). In der Folge bleibt den im Offenen Bereich Tätigen nur das Gefühl der Nutz- und Wertlosigkeit und die „rettende Flucht“ in die befriedigenderen Zonen der Projektarbeit und in prestigeträchtigere, weil ausweisungsfähigere Arbeitsfelder.
5. „Harte Kids“ Auch wenn Kinder- und Jugendarbeit vom Gesetzgeber offiziell als Normalangebot für alle jungen Menschen gedacht ist, ist vor allem Offene Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Realität oftmals ein Angebot für Jugendliche sozial benachteiligter Lebenslagen und damit unter der Hand letztlich handfeste „Jugendsozialarbeit“. So diagnostizieren Ulrich Deinet, Martin Nörber und Benedikt Sturzenhecker (2002, S. 710): „Ein größer werdender Teil der Jugendlichen ist gar nicht mehr bereit, sich in pädagogisch vorgeformte Situationen einzulassen, sondern bewegt sich relativ ungebunden im ständig expandierenden Konsummarkt und ist für die Jugendarbeit nur schwer erreichbar. Demgegenüber stehen Gruppen wie z. B. ausländische Jugendliche, die aufgrund ihrer sozialen Situation auf Angebote der Offenen Jugendarbeit angewiesen sind“. Kinder- und JugendarbeiterInnen sind damit in der Regel mit jungen Menschen konfrontiert, die anders „drauf sind“, als man es aus seinem eigenen Sozialmilieu kennt. Sie sind laut, grob, offen aggressiv. Ihre Verhaltensweisen sind befremdend, sie irritieren, erschrecken auch. Die Neigung ist dann groß, dieses Erschrecken mit Zynismus oder mithilfe sozialpsychologischer Problemdiagnosen, mit denen man im Studium und in den Populärwissenschaften gut ausgestattet wird, zu externalisieren. Ob dies im Arbeitsfeld förderlich ist, ist erheblich zu bezweifeln. Es spricht angesichts dessen einiges dafür, den beruflichen Sozialisationsprozess der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit vor diesem Hintergrund als einen mit typisch ethnografischen Merkmalen zu begreifen – wie dies Ernst-Uwe Küster (2003) in seiner aufschlussreichen Fallstudie eines Jugendhauses tut – und zukünftig zu qualifizieren. Schließlich stehen die Lebensweltnormalitäten der JugendhausbesucherInnen in der Regel in grundsätzlicher Differenz zu denen der Fachkräfte. Vor dem Hintergrund marginalisierter Lebensbedingungen haben die Kinder und Jugendlichen zwangsläufig eine sehr eigene, aus hegemonialer Perspektive abweichende Kultur des Überlebens entwickelt. Für die Fachkräfte heißt dies, dass sie – wie ethnografische ForscherInnen – mit einer sehr fremden Kultur zu tun haben, zu der sie Zugang finden müssen. Sie erleben ungewöhnliche, verunsichernde, ängstigende, verärgernde Verhaltensweisen der jugendlichen BesucherInnen und
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müssen sich dennoch in der Lage zeigen, mit diesen vertraut zu werden, Nähe und Verbindung herzustellen. Sie müssen in dem fremden Terrain Akzeptanz finden, erfolgreich die eigene soziale Rolle aushandeln, Ressentiments überwinden und lernen, den „Natives point of view“ einzunehmen. Kinder- und Jugendarbeit kann kaum gelingen, ohne die Fähigkeit, sich faszinieren zu lassen von „dem Anderen“, das die Kinder und Jugendlichen leben, ohne die kulturelle Differenz gerade als belebenden Impuls neugierig zu suchen. Diese Voraussetzung ist bislang kaum als Qualifikationserfordernis ausbuchstabiert worden.
6. Entwicklungserfordernisse in der Genderfachdebatte Das SGB VIII/KJHG (§ 9, 3) formuliert für die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und damit auch für die Jugendarbeit die Anforderung, „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern“. Die Umsetzung dessen erweist sich als schwierig. Geschlechtsbezogene Jugendarbeit wird durchgängig operationalisiert als Mädchengruppen- und Jungengruppenarbeit, d. h., ihre Umsetzung ist gebunden an ein terminiertes, geschlossenes, thematisch fixiertes und projektförmiges, geschlechtshomogenes Setting. Die Frage geschlechtsbezogener Qualifizierung wird zudem überwiegend als mädchenspezifische geführt, d. h., die Geschlechterproblematik stellt sich als eine dar, die als Erstes und vor allem Mädchen betrifft. Oft genug wird so Mädchenarbeit zum Synonym für geschlechtsbezogene Jugendarbeit. Es gehört zum guten Ton, Mädchenangebote ins Programm zu nehmen, gleichzeitig erreichen sie nicht immer ihre Zielgruppen. Von Fachkräften wird vermeldet, dass „keine Mädchen kommen“. Ähnliches gilt im Prinzip für die Jungenarbeit. Diskurs und Praxis zur Gleichstellung in der Jugendarbeit erweisen sich damit als relativ reduktionistisch, segmentiert und stehen in der Gefahr zu „trivialisieren“ (Kuhlmann 2000, S. 229). Es wird eine „für alle Ansätze von Jugendarbeit fundamentale Tatbestandsbestimmung (...), nämlich der Verweis auf das Geschlechterverhältnis als Grunddatum von Jugendarbeit, auf die Begründung eines speziellen pädagogischen Konzepts (Arbeit mit ‚Mädchengruppen’ und ‚Jungengruppen’) zurechtgestutzt” (Müller 1998, S. 43; kursiv im Original). Genderdifferenzen werden im Alltag der Kinder- und Jugendarbeit von Heranwachsenden als prominente soziale Distinktionslinie unentwegt bearbeitet, um sich selbst sozial zu verorten, Gruppenzugehörigkeiten und Abgrenzungen zu markieren, Identität zu konstruieren – in Körperinszenierungen, Reden, Spielen, Witz,
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Anmachen, Gruppenritualen, Konflikten, Diskriminierungen und Übergriffen. Geschlechterkonturen und -unterschiede werden – je nach sozialem Kontext – von jungen Menschen errichtet und bearbeitet, aber auch wieder demontiert und unbeachtet gelassen (vgl. Kelle 2000). Kinder und Jugendliche bringen dieses Thema selbst ein, wenn auch das Wie und Wann nicht kalkulierbar sind, sondern von den Prozessdynamiken und AkteurInnen abhängt. So zeigte das Projekt „Evaluation von Bildungsprozessen in der Jugendarbeit“ (vgl. Müller/Schulz 2004), dass Gender eine Querschnittskategorie darstellt, welche sich letztlich in nahezu allen beobachteten Szenen in Jugendtreffs wiederfinden ließ, so z. B. in dieser: „Es gibt bestimmte Bereiche (im Internet des Jugendhauses, d. V.), die gesperrt sind bzw. es können an den Computern bestimmte Einstellungen nicht verändert werden: Sie (die Jugendlichen, d. V.) können keine Sexseiten besuchen und sich auch nichts herunterladen. Jedoch finden vor allem die männlichen Jugendlichen immer wieder Mittel und Wege, den Bildschirmschoner zu ändern. Dies ist eigentlich nicht möglich, allerdings haben die Pädagogen des Hauses diese Lücke immer noch nicht schließen können, sodass tagtäglich immer wieder ein anderes Hintergrundbild erscheint. Zum Teil sind es schicke, schnelle, große Autos. Zum anderen dann etwas leichter bekleidete Mädchen oder andere Bilder, die der Fantasievorstellung junger Männer entsprechen“ (Müller/Schulz 2004, S. 68).
Jugendarbeit ist als eine soziale Bühne zu begreifen, auf der geschlechtliches „Borderwork“ und „Crossing“ (vgl. Wulf u. a. 2001, S. 241) gestaltet und geübt wird. Diese Praxen können gelingen oder scheitern, sie können die Betroffenen gesellschaftlich anschlussfähig machen oder auch nicht. Geschlechtsbezogene Jugendarbeit hat damit die Aufgabe, diese „Vorführungen“ durch pädagogische Einmischung so zu gestalten, dass Desintegrationsrisiken minimiert werden. Genderkompetenz in der Jugendarbeit – und dies würde einen weitreichenden Paradigmenwechsel in der Geschlechterpädagogik einleiten – bezeichnet danach nur nachrangig die Fähigkeit der Fachkräfte zur Mädchenarbeit und Jungenarbeit, sondern zuallererst die Fähigkeit, in diesen informellen, offenen Situationen auf die „Vorführungen“ der Jugendlichen spontan, adäquat genderbezogen reagieren und bildungsfördernd „antworten“ zu können. Dies schließt ein, Inszenierungen je nach ihrer Gestalt zu bestätigen, kritisch zu spiegeln, zu verstören, Alternativen zu eröffnen, auch zurückzuweisen und zu sanktionieren, wo es nötig ist, und sich schließlich auch als Fachkraft anzubieten, das Thema weiter zu bearbeiten. Dieses Wechselspiel zwischen jugendlichen Impulsen und pädagogischen Reaktionen setzt voraus, die Bildungsgelegenheiten wahrnehmen zu können, auch wenn sie oft genug für Fachkräfte provozierend und schockierend präsentiert werden, sich auf die Situationsdefinition der Jugendlichen einlassen und in ihr reagieren zu können und dennoch darin auch aktiv zu steuern.
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7. Kinder- und Jugendarbeit als „Nachhilfelehrerin“ PraktikantInnen der Kinder- und Jugendarbeit nach ihren Tätigkeiten im Praxisfeld zu fragen, fördert in den allermeisten Fällen eine spezifische Arbeit zutage: die Hausaufgabenhilfe. Schulische Unterstützung und Förderung gehört mittlerweile zum Regelangebot in vielen Kinder- und Jugendeinrichtungen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Weil die Schulschwierigkeiten der jungen Menschen in den Einrichtungen so enorm sind, weil der Bedarf nach entsprechenden Hilfen also so groß ist, müssen entsprechende Hilfen in der Kinder- und Jugendarbeit angeboten werden. Dieser Plausibilität kann man sich nur schwer entziehen. Wenn Kinder- und Jugendarbeit – wie oben schon zitiert – „pädagogische Unterstützung für das erfolgreiche Erwachsenwerden“ bereitstellen soll (Müller 2003, S. 11) und Schulerfolge ein entscheidendes Schlüsselscharnier der sozialen Anschluss- und Aufstiegschancen darstellen, kann Kinder- und Jugendarbeit kaum umhin, jungen Menschen bei ihren Schulschwierigkeiten zu helfen. Doch so verständlich diese Argumentation ist, so birgt sie doch auch Gefahren, die nur wenig registriert und offensiv debattiert werden. Es ist, als erzeugten die wahrgenommenen schulischen Nöte der Kinder und Jugendlichen eine solche Sogwirkung, dass der kritisch-distanzierte Blick auf diese Vorgänge schwer fällt. Dieser ist jedoch geboten, denn Kinder- und Jugendarbeit manövriert sich mit den schulischen Hilfen in Verstrickungen, die schleichend den distinktiven Kern der Kinder- und Jugendarbeit im Gefüge der Jugendhilfeleistungen aushöhlen. So ist es hilfreich, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, „dass der Jugendarbeit ausdrücklich nicht die Aufgabe zugewiesen ist, sich um Not-, Konflikt- oder Krisensituationen von Kindern und Jugendlichen zu kümmern“ und „Benachteiligungen abzubauen [...]. Diese Aufgaben sind anderen Feldern der Jugendhilfe zugeschrieben worden“ (Deinet/Nörber/Sturzenhecker 2002, S. 696). Dies heißt nicht, dass keinerlei Hilfen in Not-, Konflikt-, Krisen- und Benachteiligungssituationen geboten werden dürfen. „Die Problemthemen von Kindern und Jugendlichen sind selbstverständlich auch Themen der Jugendarbeit“ (ebd., S. 696). Es weist jedoch darauf hin, dass Problemhilfen nicht im Zentrum des Auftrags der Jugendarbeit stehen, sondern dass hierfür andere Institutionen primär zuständig sind und zur Verfügung stehen. Wenn Jugendarbeit sich anbietet, „abgehangenen“ SchülerInnen zum schulischen Anschluss zu verhelfen, wird sie zum „Gehilfen“ der Schule und sie riskiert zwangsläufig ihre Autonomie und die Chance, „Kindern und Jugendlichen einen Freiraum für selbst gestaltete Bildungsprozesse anzubieten“ (Sturzenhecker 2002b, S. 29).
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Schulische Hilfen anzubieten, verfestigt ein Dilemma des schulischen Bildungskonzeptes. Es besteht darin, dass schulische Bildung wie sie in unserem Land bis heute konzipiert ist, Zuarbeiten vonseiten des Elternhauses voraussetzt: körperliche Fürsorge, Einweisung in disziplinierende Kulturtechniken und Zeitrhythmen, Betreuung nach der Schule, Kontrolle der Hausaufgaben, Hilfen bei den Hausaufgaben und Übungen vor Klassenarbeiten, Ermutigung vor Prüfungen, Trost bei schulischen Niederlagen. Eltern müssen ihr Kind nicht nur in den ersten Lebensjahren schulfähig machen, sondern fortlaufend auch dafür sorgen, dass es die schulischen Anforderungen gut erfüllt und im Unterricht „mitkommt“. Schule baut also darauf auf, dass bedeutende Leistungen für das Funktionieren ihrer Bildungspraxis privat erbracht werden. „Die Mütter als Nachhilfelehrerinnen der Nation“ – in diesem Slogan spiegelt sich diese Realität wider. Mit ihren schulischen Hilfeangeboten agiert Kinder- und Jugendarbeit nun sozusagen als öffentliche „Ersatzmütter“. Dort, wo die familiären Unterstützungsleistungen versagen, springt sie ausgleichend ein. Damit sichert sie zweifellos einzelnen Kindern und Jugendlichen Existenzielles, und doch steckt darin auch eine Brisanz. Kinder- und Jugendarbeit wird damit verführt, sich in Abgrenzung zur Schule zur „guten Mutter“ für die Heranwachsenden aufzuschwingen und sich darin zu gefallen und zu genügen. Der bislang – kaum skandalisierte – Skandal, wie schulische Bildung funktioniert, bleibt weiterhin verdeckt. Indem – in der Regel für die Öffentlichkeit unsichtbar wie schon bei den familiären Unterstützungen – die „Zuarbeiten“ übernommen werden, wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Schule weiterhin ungehindert auf Leistungen aufbauen kann, die anderswo und von anderen an den SchülerInnen erbracht werden. Die Bewältigung der Dilemmata schulischer Bildungspraxis werden wie gehabt „outgesourced“. So bleibt genau der schulische Mechanismus erhalten, der die schulischen Drop-outs hervorbringt. Was aus einem nachvollziehbaren und wertvollen Hilfeimpulse für Kinder und Jugendliche in Schulschwierigkeiten getan wird, baut selbst mit an der Kontinuität der Problemursache und Problemverursacher. Die Frage ist, ob Kinder- und Jugendarbeit sich in dieser Gemengelage nicht offensiver als konzeptionelle Kritikerin aufstellen müsste, statt nur die entstandenen Probleme zu „entsorgen“, die eine andere Institution erzeugt.
8. Übergangene Fürsorgeaspekte – am Beispiel „Ernährung“ Schaut man sich in Kinder- und Jugendeinrichtungen um, ist festzustellen, dass das Angebot von Essensmahlzeiten zunehmend mehr zum normalen Alltagsgeschäft
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geworden ist. Es gibt die Mittagstische, Imbissangebote im Offenen Bereich, Kochangebote. Die Indizien mehren sich, dass – aus verschiedenen Gründen – die familiäre Mahlzeitenversorgung für Kinder und Jugendliche nachlässt. Eine ehemals privatisierte Fürsorgeleistung wird damit zwangsläufig zu einer öffentlichen Aufgabe. Kinder- und Jugendarbeit als „Nährerin“ im direktesten Sinne des Wortes – dies ist historisch wohl nicht ganz neu, rückt aber als Bedarf aktuell wieder in den Vordergrund. Damit erhält Kinder- und Jugendarbeit neben ihren bekannten Freizeit-, Gesellungs- und Bildungsfunktionen eine weitere – nämlich eine basal versorgende Funktion. Und sie rückt damit nah dran an das, was Götz Aly einmal formuliert hat: Jugendarbeit als „öffentliche Väter und Mütter“ (1977, S. 126), die nun eben „ihre Kinder“ auch mit Nahrung versorgt. In der entsprechenden Fachliteratur spiegelt sich das noch nicht wider. Es scheint so, dass man diese Funktion zwar offenbar in zunehmendem Maße erfüllt, aber sie nicht weiter für nachdenkens- und entwicklungswert hält. Es gibt keinen fachöffentlichen Diskurs dazu. Dies legt die Vermutung nahe: Das Berufsfeld will sich offenbar durch andere Tätigkeiten profilieren. Liegt es daran, dass die Essensversorgung zu leiblich, zu profan, zu regressiv ist, zu deutlich an klassische Fürsorgetätigkeiten erinnert? Werden hier weibliche Anteile abgewehrt, wo doch gerade die Jugendarbeit eine besondere strukturelle und inhaltliche Nähe zur wenig prestigeträchtigen „Hausfrauenarbeit“ aufweist, wie oben schon angesprochen, und damit so ihre Probleme hat? Passt die Mahlzeitenversorgung nicht zu der politisierenden, emanzipatorischen Selbstbildungsaura, um die sich Jugendarbeit in der Vergangenheit und bis heute so intensiv bemüht? Auch wenn es erfreuliche Ausnahmen gibt, scheint die vorherrschende Leitlinie bei den Mittagstischen zu sein: kein großer Aufwand, schnell, preiswert, Standardgeschmack – ob selbst gekocht oder vom Catering-Service angeliefert. Die Bemühungen um ästhetische Gestaltungen – z. B. des Raumes, des Tisches, des Essensgeschirrs und der Tischsitten – sind relativ gering. Dies wirft die kritische Frage auf, ob hier nicht Chancen vergeben werden. Sie stellt sich gerade angesichts dessen, dass sich die Ernährungsdebatte bislang fast ausschließlich in der Hand des Gesundheitsdiskurses befindet, d. h., wenn über sie nachgedacht wird, dann unter den normativen, reduzierenden Vorgaben einer nach medizinisch-diätischen Gesichtspunkten gesunden Ernährung. Zahlreiche Programme zur Ernährungsförderung kursieren, doch ihnen allen ist gemeinsam, dass sie das Essen aus historischen, psychosozialen, biografischen Kontexten herauslösen. Vergegenwärtig man sich, dass Essen immer mehr war und ist als die funktionale Zuführung von Kalorien und Vitalstoffen, fordert es dazu heraus, offensiv über die
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Gestaltung dieses Angebotes nachzudenken (vgl. Rose 2005): Essen als Ritual der Vergemeinschaftung und Abgrenzung, Essen als Beheimatung, Essen als Ort der Lust und der Regression, Essen als Einverleibung der Welt – dies steckt den Rahmen der zukünftigen Herausforderung für die Kinder- und Jugendarbeit ab.
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Lotte Rose
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„Wir machen ihnen ein Angebot, das sie ablehnen können“ Strukturbedingungen der Kinder- und Jugendarbeit und ihre Funktionalität für Bildung1
Die gesellschaftliche Funktion von Jugendarbeit kann auf unterschiedliche Weise erschlossen werden. So wurden in der Vergangenheit Funktionsanalysen von Jugendarbeit geleistet im Blick auf die gesellschaftliche Situation – z. B. als „Risikogesellschaft“ –, im Blick auf die spezifischen Bedingungen des Aufwachsens in einer solchen Gesellschaft, im historischen Blick auf die Kämpfe um die Aufgaben von Jugendarbeit und schließlich im Blick auf normative Konzipierungen. Im Folgenden wird versucht, die Funktionen von Jugendarbeit abzuleiten aus einer Analyse der Strukturcharakteristika der Institution Jugendarbeit. Aus einer organisationstheoretischen Perspektive wird versucht, die strukturellen Bedingungen der Institution zu benennen und dann zu fragen, für welche Funktionen eine so strukturierte Institution überhaupt geeignet sei. Diese Sichtweise fokussiert auf den Strukturaspekt von Jugendarbeit und blendet damit zunächst die pädagogische und jeweils konkrete Ausformung spezifischer „Jugendarbeiten“ aus. Die institutionellen Bedingungen liegen vorgängig dem Handeln aller Beteiligten zugrunde. Sie stellen eine Voraussetzung dar, die dann durch jeweils besondere pädagogische Konzepte, Ziele, praktische Handlungsweisen, Teilnehmende, Traditionen etc. ausbuchstabiert wird. Man kann sehr unterschiedlich mit den Strukturcharakteristika umgehen und verschiedenste Arten von Jugendarbeit herstellen. Die Strukturcharakteristika haben Potenziale und Folgen für das Handeln unter ihren Bedingungen. Es wird gezeigt, dass die Potenziale für die grundsätzlichen Zielorientierungen von Jugendarbeit funktional sein können. Sie können aber auch Hinderungen und negative Folgen bedingen. Erst pädagogi1 Diese schriftliche Version des Vortrags zur Tagung „Die Zeiten ändern sich – Annäherungen an Theorie und Funktionsbestimmungen einer zeitgemäßen Kinder- und Jugendarbeit“ an der Evangelischen Akademie Loccum erschien in leicht veränderter Form zuerst in der Zeitschrift „neue praxis“; vgl. Sturzenhecker 2005.
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sches Handeln kann dafür sorgen, dass die Potenziale der Strukturbedingungen auch positiv genutzt werden können. Wie das geschehen kann, haben die verschiedenen (theoretischen) Konzepte der Jugendarbeit ausgearbeitet – z. B. Subjektorientierung/Bildung; Beziehungsansatz, Sozialraum/Aneignungsorientierung. Die Strukturmerkmale alleine stellen also noch keine Jugendarbeit her, erst in der pädagogischen Praxis der Jugendarbeit klärt sich, wie die institutionellen Grundbedingungen genutzt werden.
1. Strukturcharakteristika der Institution Jugendarbeit Als zentrales Charakteristikum fällt die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Jugendarbeit auf. Anders als bei anderen erzieherischen und sozialpädagogischen Institutionen gibt es keine wie immer geartete Verpflichtung zur Teilnahme an ihr. Wie der § 11 SGB VIII Abs. 1 ausdrückt, ist Jugendarbeit als ein „Angebot“ zur Verfügung zu stellen, das dann selbstverständlich auch abgelehnt werden kann. Selbst wenn eine bestimmte Gruppe/Clique oder Einzelperson relativ stabil über einige Zeit die Angebote der Offenen Jugendarbeit oder der Jugendverbandsarbeit wahrnimmt, so gibt es doch auch in diesen Teilnehmergruppen immer wieder Fluktuationen: Teilnehmer scheiden aus und neue kommen hinzu. Jugendarbeit ist auch nicht auf eine bestimmte Zielgruppe innerhalb von Jugend festgelegt, sondern sie richtet sich prinzipiell an alle Kinder und Jugendlichen. In den einzelnen Einrichtungen und Verbänden findet sich dann jeweils eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung von Teilnehmern, die kaum vorherbestimmt oder festgelegt werden kann. Um noch einmal die Differenz von Strukturcharakteristika und konkretem pädagogischen Umgang mit den Merkmalen zu verdeutlichen, sei hier z. B. auf die Praxis Offener Kinder- und Jugendarbeit verwiesen: Gerade in Bezug auf den sozialräumlichen Ansatz professionell geführte Einrichtungen versuchen mit Hilfe von Bedarfsanalysen und konzeptioneller Planung, spezifische Zielgruppen ihrer Arbeit zu bestimmen und zu erreichen. Dennoch wirkt die Strukturbedingung der Freiwilligkeit, denn es ist nicht sicher, ob diese Gruppen auch tatsächlich kommen und selbst wenn, wechseln die Teilnehmenden innerhalb solcher Gruppen. Kritisierenswerte Praxis Offener Arbeit z. B. nimmt keinen bewussten Einfluss auf die Teilnehmerzusammensetzung, und Jugendhäuser werden dann unter Umständen von einer einzigen Clique „erobert“. Aber auch solche Erscheinungen mindern nicht die prinzipielle „Geltung“ der Charakteristika Freiwilligkeit und Offenheit. Die Institution zeichnet sich weiter durch das Charakteristikum der Offenheit aus. Offenheit besteht in Bezug auf die Ziele der Organisation, denn das Kinder-
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und Jugendhilfegesetz gibt nur ein sehr breites Globalziel an – Selbstbestimmung und Mitverantwortung – und die einzelnen Einrichtungen und Verbände der Jugendarbeit müssen jeweils für sich spezifische Ziele entwickeln. Diese können sich mit den wandelnden Teilnehmern und mit ihrem Entwicklungsprozess allerdings immer wieder verändern. Offenheit besteht auch in Bezug auf die Inhalte der Jugendarbeit. Sie sind nicht festgelegt, sondern werden jeweils im Zusammenspiel von Teilnehmern, pädagogischem Personal, Träger und spezifischen Arbeitsbedingungen bestimmt. Ebenfalls können die Arbeitsweisen der Jugendarbeit als offen bezeichnet werden, denn es gibt keine grundsätzlichen Methoden, keine Festlegungen für Zeit- und Raumstrukturen – ganz anders als z. B. Schule mit ihrem Unterricht, ihren Klassengruppen, Schulstunden, Klassenräumen. Die Institution Jugendarbeit ist gekennzeichnet durch das nahezu völlige Fehlen formaler Machtmittel. Sie hat weder intern die Möglichkeit, durch institutionelle Mittel Macht auf ihre freiwilligen Teilnehmer auszuüben, noch hat sie Möglichkeiten, extern auf andere Institutionen einzuwirken. Sie kann z. B. nicht wie die Schule biografisch relevante Zertifikate verteilen. Sie hat dementsprechend als Institution keine biografische Macht. Das einzige Machtmittel, das der Jugendarbeit zur Verfügung steht, ist der Ausschluss der Teilnahme, dieser ist jedoch absurd, weil damit ja genau die Möglichkeit der Realisierung der Jugendarbeit verhindert würde. Die Freiwilligkeit und die Machtarmut der Institution bedingen ihren Charakter der Diskursivität. Da es kaum institutionelle Vorgaben gibt, müssen die Teilnehmenden und ihre Pädagogen immer wieder neu miteinander aushandeln, was mit wem wie wozu wann wo geschehen soll. Nur wenn man in solchen Aushandlungsprozessen eine gemeinsame Arbeitsplattform entwickelt, kann Jugendarbeit zustande kommen. Wenn die institutionell gesetzten Bedingungen den Interessen und Wünschen der Teilnehmer nicht entsprechen, können sie diese Vorgaben sofort durch „Exit“ torpedieren. Diese notwendige Diskursivität bedingt das Charakteristikum der Beziehungsabhängigkeit. Die Aushandlungsprozesse sind nicht ohne eine Beziehungsgestaltung zwischen den Beteiligten machbar. Immer wieder müssen auch die Personen klären, wie sie sich gegenseitig sehen und anerkennen und wie sie ihre Beziehung gestalten wollen. Trotz der großen Offenheit, ja fast der Diffusität der Institution ist doch eine bestimmte institutionelle Rahmung vorhanden, denn immer gibt es in der Jugendarbeit auch strukturelle Vorgaben in Form von hauptamtlichem und ehrenamtlichem Personal, das Leitungsaufgaben und Verantwortung übernimmt und sich selbst mit Vorstellungen in die Aushandlungsprozesse einbringt. Ebenfalls sind Handlungstraditionen und Trägerziele vorhanden – dies besonders in der Jugendver-
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bandsarbeit – und auch räumlich werden bestimmte Rahmenbedingungen hergestellt, wie beispielsweise durch die Räume in der Offenen Jugendarbeit. Die institutionellen Strukturen können beschrieben werden als ein außerordentlich offenes Feld, das nur durch wenige strukturelle Bedingungen gerahmt und zusammengehalten wird. Diese Rahmungen reichen gerade, um trotz Offenheit das Feld überhaupt herzustellen, sodass es Handlungsanreize gibt und soziale Prozesse zustande kommen können.
2. Jugendarbeit als „organisierte Anarchie“ Die Organisationstheorie von James March, Johan Olsen (vgl. 1976) u. a. bezeichnet Organisationstypen wie die Jugendarbeit als „organisierte Anarchie“ und in unserem Fall könnte etwas präziser die Jugendarbeit als pädagogisch organisierte Anarchie bezeichnet werden. Cohen/March/Olsen bestimmen drei Eigenschaften als charakteristisch für organisierte Anarchien: „Die erste Eigenschaft besteht in problematischen Präferenzen. In einer derartigen Organisation fällt es schwer, eine Entscheidungssituation einem Set von Präferenzen zuzuschreiben, das die üblichen Konsistenzanforderungen der Theorie des Wahlverhaltens erfüllt. Die Organisation operiert auf der Basis einer Vielzahl von inkonsistenten und schlecht definierten Präferenzen. Diese lassen sich besser als lose Sammlung von Ideen, denn als eine kohärente Struktur beschreiben. Daher ist es eher so, dass Präferenzen durch Handlungen entdeckt werden, als dass Handlungen auf Präferenzen gründen“ (Cohen/March/Olsen 1990, S. 330). Für die Jugendarbeit lässt sich das auf die Offenheit der Ziele beziehen. Sie werden häufig erst durch Handlungen zwischen den teilnehmenden Pädagogen und Jugendlichen aktualisiert, statt dass von vornherein klar wäre, welche Ziele erreicht werden müssen, um anschließend danach das Handeln auszurichten. Selbst wenn Ziele vorgegeben werden – z. B. durch Grundorientierungen eines Verbandes –, können sie doch im gemeinsamen Handeln vor Ort verändert werden, bzw. können sich andere „Ziele“ in den Vordergrund schieben. „Die zweite Eigenschaft ist unklare Technologie. Obwohl die Organisation in der Lage ist, zu überleben und sogar produktiv zu sein, werden die eigenen Prozesse der Organisation von den Mitgliedern nicht verstanden. Ihre Grundlage sind einfache Versuchs- und Irrtumsverfahren, das Lernresiduum aus den Zufällen vergangener Erfahrung und pragmatische, aus der Not geborene Erfindungen“ (ebd., S. 330 f.). Neben dem allgemeinen „Technologiedefizit der Erziehung“ (vgl. Luhmann/Schorr 1982) gilt diese institutionelle Eigenschaft sicher besonders für die
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Jugendarbeit, die in ihren offenen Strukturen, ohne vorgegebene Handlungsmethoden sich immer wieder neu orientieren und sich mit verschiedenen und sich wandelnden Teilnehmenden immer wieder neu erfinden muss. „Die dritte Eigenschaft ist fluktuierende Partizipation. Teilnehmer variieren je nach dem Umfang der Zeit und des Bemühens, das sie auf verschiedene Bereiche verwenden; die Involvierung variiert zeitlich. Folglich sind die Grenzen der Organisation unsicher und veränderlich; Publikum und Entscheidungsträger wechseln je nach Art der Auswahlen unberechenbar“ (Cohen/March/Olsen 1990, S. 331). Mit dem hier verwendeten Partizipationsbegriff ist Teilnahme oder Mitgliedschaft bezeichnet, aber auch der Grad der Aktivitäten von Beteiligung. Auch diese Eigenschaft einer organisierten Anarchie ist typisch für die Jugendarbeit, in der angesichts ihres Grundcharakteristikums „Freiwilligkeit“ die beteiligten Kinder und Jugendlichen nicht feststehen, sondern fluktuieren, sowohl in der Zeit ihrer Anwesenheit, als auch in den Graden ihres Engagements. Der Organisationstheoretiker Karl Weick (1976, zit. n. Terhart 1986, S. 221) findet ein eindrucksvolles Bild, um Organisationen organisierter Anarchie zu beschreiben: „Stell dir vor, du bist entweder Schiedsrichter, Trainer, Spieler oder Zuschauer bei einem unkonventionellen Fußballspiel: Das Spielfeld ist rund; mehrere Tore sind über die gesamte Kreisfläche verstreut platziert, man kann den Platz betreten oder verlassen, wann man will; beliebig viele Bälle können eingeworfen werden; man kann sagen: ‚Dies ist mein Tor’, und zwar wann immer und so oft man will; das Spielfeld liegt auf einer abschüssigen Ebene; dabei spielt jedermann so, als sei es ihm völlig ernst.“ Der Charakter der pädagogisch organisierten Anarchie würde von der Jugendarbeit selbst wahrscheinlich eher als „Frei-Raum“ bezeichnet. Auch dieser Begriff bezeichnet einerseits eine bestimmte Rahmensetzung (Raum), andererseits benennt er das Element der Freiheit. Dies ist analog zu der Koppelung von Organisiertheit und Anarchie. Die Strukturcharakteristika der Jugendarbeit kennzeichnen sich also in dieser Interpretationsweise einerseits durch eine außerordentlich weitgehende Offenheit, die ein großes Spektrum von Teilnehmern, Zielen, Inhalten und Arbeitsweisen zulässt, und deren Prozess nicht vorherbestimmt oder vorhergesagt werden kann, und andererseits doch durch einen organisatorischen Rahmen, der es überhaupt erst ermöglicht, dass Menschen sich zu gemeinsamen Handlungen zusammenfinden, die als die Institution Jugendarbeit bezeichnet werden können. Nur diese Rahmung macht es möglich, dass Personen sich als Teilnehmende erfahren können und dass sie gemeinsam in einen immer wieder sich wandelnden Gestaltungsprozess der Institution eintreten.
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3. Das „geheime Curriculum“ der Strukturcharakteristika Die beschriebenen strukturellen Charakteristika der Institution Jugendarbeit verlangen von den Beteiligten die Ausbildung eines Sets von Handlungskompetenzen, die man sich aneignen muss, wenn man unter den Bedingungen der Institution handeln will. In diesem Sinne können sie als das „geheime Curriculum“ der Jugendarbeit bezeichnet werden, weil sie sich – wenn man so will – aus dem „stummen Zwang“ der institutionellen Bedingungen ergeben. Sie sind in diesem Sinne zunächst nicht gleichzusetzen mit den expliziten normativen Handlungsorientierungen, die einzelne Einrichtungen/ Verbände für sich offiziell formulieren würden, sondern sie sind für die Beteiligten kaum umgehbar, wenn sie sich unter den Rahmen-Bedingungen der Institution in einen gemeinsamen Prozess begeben wollen. Sie werden also nicht erst durch zielgerichtetes pädagogisches Handeln hergestellt, sondern ergeben sich potenziell aus den Strukturvorgaben. Die folgende Auflistung von Fähigkeiten für die Teilnahme an der Jugendarbeit ist nicht umfassend, sondern beschreibt zentrale Aspekte. Eine Institution pädagogisch organisierter Anarchie verlangt von den Teilnehmenden Flexibilität, weil sich viele Parameter der Institution beständig verändern und man sich ihrer nicht von vornherein und auf Dauer sicher sein kann. In der Jugendarbeit ist es nötig, sich immer wieder auf neue Teilnehmer, neue Inhalte und neue Arbeitsweisen einzustellen. Damit ist notwendigerweise eine „Eigenaktivität“ der Teilnehmenden verbunden. Sie können sich kaum darauf verlassen, dass Prozesse durch die Organisation für sie „automatisch“ gestaltet werden, sondern sie müssen sich selbst in den organisationellen Prozess einbringen. Das kann auch als die Kompetenz einer notwendigen „Selbstintegration“ bezeichnet werden. Damit verbunden ist die Notwendigkeit beständiger „Orientierung und Aneignung“. Teilnehmende sind immer wieder gezwungen, sich ihrer eigenen Position, ihrer Interessen und Wünsche und Handlungspotenziale zu versichern. Sie müssen sich im Wandlungsprozess auch beständig neue Kompetenzen aneignen, sowohl im Umfang mit wechselnden Beteiligten als auch im Blick auf verschiedene Themen, Inhalte und Arbeitsweisen. Das Charakteristikum der wechselnden und unterschiedlichen Teilnehmer verlangt die Entwicklung von „Differenztoleranz“. Teilnehmende in der Jugendarbeit müssen lernen, mit unterschiedlichsten Beteiligten umzugehen, ihre Interesse und Eigenarten anzuerkennen. Damit verbunden ist die ebenfalls nötige „Unsicherheitstoleranz“, denn zur Teilnahme in der Jugendarbeit muss man in der Lage sein, den geringen Festgelegtheitsgrad der Institution und ihrer Prozesse zu ertragen und die beständige Möglichkeit der Hinterfragung und des Wandels auszuhalten.
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Diese Kompetenzen könnten auch bezeichnet werden als die Fähigkeit zu „Spiel und Experiment“, die die Institution verlangt. Bedingt einerseits durch ihren Wandlungsprozess, andererseits durch die geringe interne, externe und biografische Macht der Institution können Prozesse in ihr als Spiel im Sinne eines „Ernsten-Tuns-alsob“ gekennzeichnet werden. Es ist einerseits möglich, sich auf experimentelle Handlungen einzulassen, andererseits erzwingt die Institution dieses auch. Man kann „spielen und experimentieren“, weil daraus keine negativen biografischen Folgen entstehen können. Man muss aber auch experimentieren, weil immer neu herausgefunden werden muss, was mit den jeweils Beteiligten jetzt geht. Das verweist auf die notwendige Kompetenz des „Aushandelns, Entscheidens und Revidierens“. Selbst wenn diese notwendigen Klärungsprozesse nicht formalisiert sind, müssen in den unterschiedlichsten Einrichtungen und Verbänden der Jugendarbeit doch die Beteiligten immer auf irgendeine Weise zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. Denn nur wenn die Aushandlungsergebnisse von den Beteiligten geteilt werden, werden sie auch teilnehmen. Oder im Gegenteil: Gelingen die Aushandlungsprozesse nicht und bleiben Beteiligte unzufrieden, können sie auf Grund der Freiwilligkeit das Feld verlassen. Angesichts des Wechsels verschiedener Teilnehmer ist ebenfalls die Kompetenz der Entscheidungsrevision zu entwickeln, weil gefundene Vereinbarungen – seien sie implizit oder explizit – immer wieder durch alte oder neue Beteiligte hinterfragt und verändert werden können. Das verlangt auch die Ausbildung der Kompetenz von „Reflexivität“, denn die Ungewissheit und Offenheit der Prozesse und Entscheidungen macht es nötig, sich selbst zu klären – eigene Wünsche und Interessen, Handlungspräferenzen, Kontakte usw. zu entdecken und umzusetzen. Und es macht auch nötig, die Präferenzen, Handlungsstrategien und Eigenarten der anderen Beteiligten einzuschätzen und in das eigene Handeln einzubeziehen. Trivial ist es, dabei noch einmal zu bemerken, dass hier selbstverständlich Kompetenzen sozialer „Kommunikation“ ebenfalls ausgebaut werden müssen. All dieses beinhaltet auch immer wieder die anzueignende Fähigkeit des „Aufbaus von sozialen Strukturen“, denn trotz der vorhandenen geringen Rahmung müssen die Beteiligten immer wieder neu Beziehungen und Verhältnisse zueinander klären. Die strukturellen Bedingungen sind jedoch nicht einfach von allein positiv wirksam. Sie können ein Spektrum von förderlichen wie hinderlichen Wirkungen bedingen, so können sie für manche Jugendlichen einen Freirum der Selbstentwicklung bedeuten, für andere jedoch kann diese Freiheit eine Zumutung bedeuten, die zur Zugangsbarriere wird. So kann die Anforderung, Unsicherheitstoleranz und
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Differenztoleranz zu entwickeln, für bestimmte Zielgruppen so hoch sein, dass sie das Feld meiden. Erst pädagogisches Handeln könnte für sie Einstiegsmöglichkeiten eröffnen. Auch für die das pädagogische Personal stellen die Bedingungen Anforderungen an professionelles Handeln, deren es sich aber häufig nicht bewusst ist, oder auf die gerade mit einer Rücknahme der Offenheitsbedingungen reagiert wird. Fachkräfte erleben dann angesichts der strukturellen Eigenheiten des Feldes Diffusität und Verunsicherung und versuchen, durch Begrenzung/Aufhebung des Frei-Raums für sich eine sichere Rolle und Struktur zu schaffen (vgl. Sturzenhecker 1996). Pädagogisches Handeln kann also unterschiedliche „Jugendarbeiten“ auf der Basis der Strukturcharakteristika herstellen. Fasst man die ausgewählten Kompetenzen zu „erfolgreichem“ Handeln im institutionellen Feld der Jugendarbeit zusammen, lässt sich erkennen, dass hier die Fähigkeiten einer eigenverantwortlichen und flexiblen Persönlichkeit einerseits und des demokratischen Staatsbürgers andererseits durch die Strukturbedingungen der Institution herausgefordert werden. Damit ist das positive Potenzial der institutionellen Bedingungen bezeichnet. Zurzeit wird dieser „Lehrplan“ für die Bewältigung der aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Anforderungen vielfach formuliert. Exemplarisch sollen hier die Formulierungen des Bundesjugendkuratoriums (vgl. 2002) zitiert werden, dessen Zusammenstellung wichtige Kompetenzen enthält, die mit den hier aufgeführten potenziell anzueignenden Fähigkeiten unter den Bedingungen der Jugendarbeit kompatibel sind. So nimmt das Bundesjugendkuratorium an, „... dass die Gesellschaft der Zukunft eine Wissensgesellschaft sein wird, in der Intelligenz, Neugier, Lernen-wollen und -können, Problemlösen und Kreativität eine wichtige Rolle spielen; eine Risikogesellschaft sein wird, in der die Biografie flexibel gehalten und trotzdem Identität gewahrt werden muss, in der der Umgang mit Ungewissheit ertragen werden muss und in der Menschen ohne kollektive Selbstorganisation und individuelle Verantwortlichkeit scheitern können; [...] eine demokratische Gesellschaft bleiben muss, in der die Menschen an politischen Diskursen teilnehmen und frei ihre Meinung vertreten können, [...] als Zivilgesellschaft gestärkt werden soll mit vielfältigen Formen der Partizipation, Solidarität, sozialen Netzen und Kooperation der Bürger, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welchen Berufs und welchen Alters; eine Einwanderungsgesellschaft bleiben wird, in der Menschen verschiedener Herkunft, Religion, Kultur und Tradition integriert werden müssen, vorhandene Konflikte und Vorurteile überwunden und Formen des Miteinander-Lebens und -Arbeitens entwickelt werden müssen, die es allen erlauben, ihre jeweilige Kultur zu pflegen, aber auch sich wechselseitig zu bereichern!”
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4. Funktionalität für Bildung Wenn die aufgezeigten institutionellen Charakteristika der Jugendarbeit angemessenerweise als Frei-Raum bezeichnet wurden, kann man folgern, dass sie für Bildung funktional sind. Bildung soll hier im Sinne der Bestimmung durch das Bundesjugendkuratorium (2002, S. 164) verstanden werden: „Bildung heißt immer: ‚Sich bilden’. Bildung ist stets ein Prozess des sich bildenden Subjekts, zielt immer auf Selbstbildung ab. Sie ist zu verstehen als Befähigung zu eigenbestimmter Lebensführung, als Empowerment, als Aneignung von Selbstbildungsmöglichkeiten [...]. Bildung kann nicht erzeugt oder gar erzwungen, sondern nur angeregt und ermöglicht werden, als Entfaltung der Persönlichkeit: Es geht um einen Prozess, bei dem eigene Potenziale entwickelt werden und sich Individualität herausbildet. Bildung ist ein Entfaltungsprozess des Subjekts in Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Anregungen und die Befreiung von inneren und äußeren Zwängen“. Solche selbsttätige Entwicklung der eigenen Subjekthaftigkeit in Auseinandersetzung mit der Welt kann nur als echtes Angebot zur Verfügung gestellt werden, ohne in das Paradox der Fremdbestimmung der Entwicklung von Selbstbestimmung zu geraten. Der Freiraum der Jugendarbeit ist funktional, weil er zulässt, das Bildungsparadox zu bearbeiten. Mit den Strukturbedingungen der Jugendarbeit ist eine bildende Institution geschaffen, die größtmögliche Erfahrung von „mitverantwortlicher Selbstbestimmung“ (vgl. SGB VIII/KJHG § 11) eröffnen kann und dennoch als pädagogische Einrichtung gleichzeitig die Vorbedingungen solcher Erfahrungen ermöglicht und deren Chancen maximieren, aber auch Risiken abfedern kann. Mit ihrem Charakteristikum der Freiwilligkeit macht Jugendarbeit Selbstentwicklungsprozesse möglich, erzwingt sie aber nicht. Sie schafft einen Rahmen für Selbstentfaltung, der genau diese ermöglicht, weil sein Angebot abgelehnt werden kann. Mit ihrem Charakteristikum der Offenheit – Inhalte, Arbeitsweisen, Ziele – wird die Jugendarbeit befähigt, sich immer wieder auf neue Interessen und Themen wechselnder Kinder und Jugendlicher einzustellen und somit deren Bildungsthemen und -prozesse möglich zu machen. Jugendarbeit kann die Anlässe bildend aufgreifen, die für Kinder und Jugendliche gerade virulent sind. Gerade weil sie nicht an ein Curriculum oder Qualifikationsziel gebunden ist, kann Jugendarbeit ganz nahe an den Individuen und jugendlichen Gruppen deren Selbsttätigkeit unterstützen und hochspezifische Lernwege begleiten. Die Freiwilligkeit erzwingt, dass sie so nahe an die Themen und Motive der Personen muss, denn nur, wenn Jugendarbeit für die Teilnehmenden sinnvoll ist, werden sie die Jugendarbeit auch nutzen.
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Will man Selbstbestimmung und Mitverantwortung ermöglichen, muss man ihnen Erfahrungsfreiräume eröffnen. Man muss maximale Selbstständigkeitspotenziale unterstellen und doch mit ihrer aktuellen Begrenztheit rechnen. Denn genau durch die Unterstellung von Mündigkeit wird diese herausgefordert. Es werden „Zonen nächster Entwicklung“ (Wygotski) eröffnet, ohne einen pädagogisch geplanten und bestimmten Weg vorzuschreiben. Das Individuum kann in der Jugendarbeit einen Subjektstatus erreichen, seinen eigenen Weg gehen und wird dabei unterstützt und nicht zum (Erziehungs-)Objekt degradiert. Richard Münchmeier (vgl. 1992a) hat gezeigt, dass Jugendarbeit mit diesen strukturellen Charakteristika als flexible und offene Institution angesichts differenzierter Jugenden viel mehr in der Lage ist, deren Potenziale zu Selbstbestimmung und demokratischer Partizipation entfalten zu helfen, als starre, hierarchische, bürokratische und befehlsstrukturierte Erziehungsinstitutionen wie die Schule. Jugendarbeit „ist stärker als die Schule auf das relativ diffuse Problem der wachsenden ‚Riskanz’ der Jugendphase bezogen und benötigt deshalb Institutionalisierungsformen, die es ihr erlauben, mit ihrer Praxis näher an die lebensweltlichen Ursachen und Erscheinungsformen dieser Riskanz heran zu kommen, ohne auf ‚Lösungen’ und ‚Verfahren’ festgelegt zu sein, die tendenziell die innerhalb der jugendlichen Lebenswelt gegebenen Möglichkeiten überziehen“ (Münchmeier 1992a, S. 376). Wenn die Jugendarbeit also nahe an der Lebenswelt sein soll, muss sie sich auf deren immer wieder andere und spezifische Eigenarten einstellen. Sie kann dann nicht bestimmte Institutionsstrukturen, Entscheidungsprozesse, Inhalte und Methoden vorstrukturiert bereit halten, sondern muss sich auf die Aufnahme immer wieder anderer und immer wieder neuer Problemlagen der spezifischen Lebenswelten von Jugendlichen einrichten. Je näher eine pädagogische Arbeit an die Lebenswelt herankommen will, desto offener muss sie sein. Der anarchischoffene Charakter der Jugendarbeit scheint dieser Funktion und Aufgabe angemessen zu sein. Eine weitere Argumentation von Richard Münchmeier (vgl. 1992b) bestätigt diese Funktionalität. Danach hat das bildende Potenzial von Jugendarbeit angesichts der Krise des integrativen sozialstaatlichen Normalitätsentwurfes noch an Bedeutung gewonnen. Die Normalbiografie – männliche, sozialstaatlich gestützte Lohnarbeiterexistenz – gerät angesichts struktureller Arbeitslosigkeit und Rücknahme des Sozialstaates in Erosion und immer mehr Menschen und besonders Jugendliche fallen aus diesem Rahmen. Normalität ist kein eindeutiger Normenentwurf mehr, sondern ist differenziert, pluralisiert und unsicher geworden. Es gibt kein allgemeines Orientierungskonzept mehr, schon gar nicht für die Jugendphase, deren Strukturwandel am ehesten und deutlichsten Differenz, Ungleichzeitigkeit,
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Flexibilisierung und Pluralisierung zeigt. Wenn kein solcher Orientierungsmaßstab mehr besteht und sich daraus auch keine allgemeinen normativen Haltungen ableiten lassen, wird Jugendarbeit – wie Sozialpädagogik allgemein – zur „Verständigungsarbeit“. In ihr können dann Kinder und Jugendliche ihre Orientierungen klären und ihre (biografischen) Entscheidungen beraten, ohne durch Pädagogik und Vorgaben der Institution in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden. Die für Bildung funktionale diskursive Charakteristik der Jugendarbeit lässt sich also auch noch einmal im Blick auf die gesellschaftliche Situation als Verständigungsarbeit begründen. Eine Institution, die solche Aushandlungsprozesse ohne normative inhaltliche Vorgaben organisieren will, muss den aufgezeigten offenen Charakter haben und muss gleichzeitig als Angebot eines institutionellen Rahmens erkennbar sein, der überhaupt eine Basis für Beginn und Ausgestaltung solcher Diskurse anbietet. Mit ihrem verschärften „Technologiedefizit“ machen es die institutionellen Bedingungen in der Jugendarbeit nötig, dass Kinder und Jugendliche in ihr „eigene Motive“ entwickeln. Sie müssen hier klären, was sie selbst wollen und wie sie es mit anderen umsetzen können. Sie müssen ihre eigene Persönlichkeit und gleichzeitig einen sozialen Zusammenhang entwickeln.
5. Mafiöse Erpressungen oder Freiraum-Angebot? Aus Mario Puzos Roman – und Francis Ford Coppolas Filmtrilogie – „Der Pate“ ist die Erpressung überliefert, mit der die Mafia Menschen zwingt, sich ihren Vorgaben zu beugen. Sie lautet: „Wir machen Ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können!“ Wer nicht gehorcht, dem werden empfindliche Strafen bis hin zum Mord angedroht. Diese zynische Strategie, Erpressung auch noch als „Angebot“ zu bezeichnen, lässt sich in aktuellen Handlungsstrategien des „aktivierenden Staates“ wiedererkennen (vgl. Trickey 2001; Dahme u. a. 2003). Damit sollen paradoxerweise Menschen gezwungen werden, sich als flexible Unternehmer des Selbst in einen Arbeitsmarkt einzugliedern, den es für viele so überhaupt nicht gibt. Wer diese vorgeschriebene Form von Eigenverantwortung nicht übernimmt, dem wird mit empfindlichen Nachteilen gedroht. Im Rahmen dieses staatlichen Großversuchs, durch Fremdsteuerung Selbststeuerung zu erzwingen, ist insgesamt eine sozialtechnologische Erziehung auch von Kindern und Jugendlichen wieder angesagt. Bereits seit einigen Jahren wird die Jugendarbeit verschärft mit Forderungen konfrontiert, dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche im Verhalten nicht abweichen, keine Drogen nehmen, keine Gewalt ausüben und nicht kriminell werden. Mit primärer, sekundärer und tertiärer Prävention soll Jugendarbeit dafür sor-
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gen, dass Kinder und Jugendliche „eigenverantwortlich“ auf den staatlich vorgezeigten „leuchtenden Pfad“ einschwenken. Zur Not sollen sie vermehrt kontrolliert und zu ihrem eigenen Wohl gezwungen werden. Ebenfalls soll Jugendarbeit in aktuellen Lebenskrisen von Kindern und Jugendlichen schützend und helfend eingreifen (vgl. Sturzenhecker 2003). Wenn die institutionellen Charakteristika von Jugendarbeit hier richtig beschrieben wurden, kann man erkennen, dass Jugendarbeit für solche Aufgaben disfunktional ist. In ihr kann niemand gezwungen werden, niemandem kann ein bestimmtes Curriculum aufoktroyiert werden, niemand kann zu irgendeiner Handlungsweise erpresst werden, weil dafür keine Machtmittel vorhanden sind. Jugendarbeit kann sich nur auf das einlassen, was aus Sicht von Kindern und Jugendlichen „dran ist“, sie kann diese Bildungsbewegungen begleiten und qualifizieren, sie kann sie aber nicht gesteuert herbeiführen. Mit der Jugendarbeit wurde eine pädagogische Institution geschaffen, die so freiheitlich wie möglich und doch so gerahmt wie nötig ist. Die institutionellen Charakteristika setzen die Erkenntnisse der „Kohlberg’schen Schule“ um, dass Demokratiekompetenz und moralische Entwicklung nicht curricular erzeugt oder gar herbeigezwungen werden können, sondern dass sie nur entstehen können, wenn Demokratie zugemutet wird (vgl. Sturzenhecker 1995), wenn Freiraum-Bedingungen für eine eigenständige Praxis von Demokratie geschaffen werden. Das kann nicht als gewährte Gnade oder als pädagogisch kontrolliertes Übungsfeld, sondern nur als nutzbares Recht zur tatsächlichen Mitentscheidung gestaltet werden. Damit verbunden ist eine Nichtkontrollierbarkeit und Nichtmachbarkeit von pädagogischen Wirkungen. Für eine Pädagogik von Betreuung, Training, Kontrolle, Selektion und Zwangsintegration sind die strukturellen Bedingungen der Jugendarbeit nicht geeignet. Zurzeit wird der Kampf darum geführt, ob man sich weiter den vermeintlichen „Luxus“ gönnen will und Freiräume für Bildung eröffnet, oder ob man den paradoxen Versuch ausweitet, Selbstbestimmung und Beteiligung im demokratischen Staat zu erzwingen. Das bildende Potenzial der Jugendarbeit ergibt sich schon allein aus ihren institutionellen Strukturbedingungen, ohne dass besondere pädagogische Anstrengungen unternommen würden. Weit mehr Potenziale kann Jugendarbeit entfalten, wenn ihre Haupt- und Ehrenamtlichen stärker die Bildungsmöglichkeiten entfalten würden, statt auf Kontrolle, erzieherische Prävention und Betreuung zu setzen (vgl. Lindner/ Sturzenhecker 2004). Jugendarbeit hat keine notwendige, unumgehbare Funktion im demokratischen Wohlfahrtsstaat – so haben z. B. mit Deutschland vergleichbare Systeme in Europa nicht eine so ausdifferenzierte und verbreitete Jugendarbeit hervorgebracht –, aber Jugendarbeit präsentiert eine ganz andere Möglichkeit, bildend mit Risikoge-
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sellschaft und Widersprüchen der Jugendphase umzugehen und sich die Mündigkeit eines demokratischen Bürgers selbsttätig anzueignen. Sie enthält ein so enormes Bildungspotenzial von mitverantwortlicher Selbstbestimmung wie vielleicht kaum eine andere pädagogische Institution. Möglicherweise ist sie aber gerade unter den Unsicherheit auslösenden gesellschaftlichen Bedingungen einer verschärften Spätmoderne so avantgardistisch, dass sie von den Pädagogen, Erwachsenen und der Politik in ihren Potenzialen verkannt wird. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Jugendlichen selbst die Jugendarbeit von allen Beteiligten am besten nutzen können und am klarsten ihre bildenden Wirkungen beschreiben können. Jugendarbeit vermittelt Kindern und Jugendlichen Anerkennung und unterstellt ihnen positive Mündigkeitspotenziale. Besser als ihre Pädagogen und Politiker können die Kinder und Jugendlichen dieses Angebot für sich umsetzen und Kompetenzen für ein Leben und Überleben in den aktuellen gesellschaftlichen Krisen entwickeln. So fassen Albert Scherr, Nanine Delmas und Julia Reichert (2004, o. S.) ihre Ergebnisse der Befragung von Teilnehmenden aus der Offenen Jugendarbeit zusammen: „Unabhängig von den Absichten der Hauptamtlichen lassen sich Lernpotenziale beschreiben, die in den Strukturbedingungen der Jugendarbeit angelegt sind: Diese führen auf der Seite der Jugendlichen zu Lernprozessen, deren Zustandekommen Jugendliche auch reflektiert beschreiben: –
– – –
Lernpotenziale, die aus der Heterogenität der Jugendlichen resultieren, z. B. die Begegnung zwischen älteren und jüngeren Jugendlichen, Jugendlichen mit Migrationshintergrund, zwischen Mädchen und Jungen, Konflikte als Anlässe für ein Lernen über gewaltfreie Konfliktregelung, Projekte und Aktionen, in denen verschiedene Fähigkeiten im Wege des Learning-bydoings erworben werden, Lernen durch die Zuweisung begrenzter Verantwortlichkeit im Rahmen der Aufrechterhaltung des Betriebs.“
Es konnte gezeigt werden, dass Jugendarbeit Qualitäten hat, die sie als eigenständige Bildungsinstitution legitimieren können. Diese Potenziale können andere pädagogische Institutionen – insbesondere die Schule – auf Grund ihrer Strukturcharakteristika so nicht bereitstellen. Wenn man die Jungendarbeit funktionalisieren will für Zwecke der Betreuung, Kontrolle, Prävention und Qualifikation usw., zerstört man damit, was sie ausmacht. Zurzeit geht es um diese Entscheidung: Will man weiter einen Frei-Raum der Entwicklung selbstbestimmter Mitverantwortung bzw. mitverantwortlicher Selbstbestimmung anbieten, oder will man solche Demokratie-Bildung als „Luxus“ abtun und versuchen, die Jugend sozialtechnologisch in den Griff zu bekommen?
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Benedikt Sturzenhecker
Aus Sicht der hier vorgestellten Argumentation wäre Jugendarbeit gut beraten, sich radikaler ihrer strukturellen Wurzeln und Potenziale zu besinnen und das im SGB VIII/KJHG (noch) gewährte Recht auf solche Bildung einzufordern, statt sich in vorauseilendem Gehorsam den Zielen des „aktivierenden Staates“ anzubiedern und sich damit selbst zu zerstören.
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„Wahrnehmen können” zeichnet die Basiskompetenz der Jugendarbeit aus (vgl. Müller/Schmidt/Schulz 2005). Diese Kompetenz rückt die Offenheit einer Bildungsstruktur in den Mittelpunkt, die im Gegensatz zu anderen Bildungseinrichtungen und -arrangements ihre Aufgabe darin sieht, von der Lebensbewältigung der Jugendlichen auszugehen. Zwar ist die Jugendarbeit gegenwärtig gefordert, sich im Konzert der Bildungsangebote neu zu verorten und zu vernetzen, doch damit ist diese Grundausrichtung weder überflüssig geworden noch von anderen Anbietern absorbiert worden. Im Gegenteil: Sowohl die Entwicklung der Jugendphase und die damit verbundenen Herausforderungen der Lebensbewältigung für die Jugendlichen als auch die Vernetzung und jeweilige Konturierung der Bildungseinrichtungen verweisen auf einen Bedarf an „Bildungsgelegenheiten”, die von den Jugendlichen selbst definiert sowie ausgestaltet werden können und dabei von ihren alltäglichen Bewältigungskonstellationen ausgehen (vgl. Sturzenhecker/Lindner 2004; Sting/Sturzenhecker 2005). Um allerdings diese Offenheit gegenüber den Jugendlichen gewährleisten zu können, erscheint es notwendig, nicht nur die Kompetenz zur reflexiven Zurückhaltung, die mit „Wahrnehmen können” beschrieben ist, auszuhalten und auszubilden, sondern die Bildungsstruktur der Jugendarbeit so zu qualifizieren, dass deren Angebote weiterhin als offene Organisation von Bildung wahrgenommen werden können. Entsprechend soll im Folgenden danach gefragt werden, wie – erstens – die gegenwärtigen Entwicklungen der Jugendphase auf die Bewältigungskonstellationen im Jugendalter einwirken und dadurch die Jugendarbeit herausfordern. Zweitens soll hinsichtlich des Bildungsarrangements der Jugendarbeit diskutiert werden, inwieweit sich dieses gerade durch ein zivilgesellschaftliches Klima auszeichnet, welches nicht auf normierte Formen bürgerschaftlichen Engagements abzielt, sondern sich durch die Offenheit gegenüber jugendlichen Bewältigungsund Engagementformen und ihrer Aushandlung in alltagsnahen Settings auszeichnet. Drittens wird vorgeschlagen, aus diesem zivilgesellschaftlichen Zugang eine Voice-Funktion der Jugendarbeit abzuleiten, damit sie ihre „Wahrnehmung” der Lebensbewältigung im Jugendalter auch in die entsprechenden sozial- und bildungspolitischen Foren einbringen kann.
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1. Zur Entgrenzung von Jugend In der Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts erregte die These vom „Verschwinden der Kindheit” und dem „Ende der Jugend” große Aufmerksamkeit in den pädagogischen Diskussionen. Heute, zwanzig Jahre später sind diese Thesen nicht nur verblasst, sondern selbst verschwunden. Wir erleben – zumindest in Deutschland – einen Boom der bildungspolitischen Diskussionen um Kindheit und Jugend. Doch trotzdem kommt niemand auf die Idee, die Wiederentdeckung der Jugend zu feiern. Vielmehr scheint die soziale Figur, von der man sich vor zwanzig Jahren zu verabschieden begann, heute umso gefährdeter. Doch es ist ein Verschwinden auf leisen Sohlen: So diffundiert die soziale Figur Jugend, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat, in allgemeinen Auseinandersetzungen um die Effektivität von Bildungseinrichtungen, die Arbeitslosigkeit junger Menschen und demografische Entwicklungen. Zudem werden die Grenzen unklar, welcher Zeitraum zu dieser Lebensphase gezählt werden kann: „Die Frage: ‚Wie lang kann die Jugendphase verlängert werden?’ (Chrisholm) beschäftigt deshalb nicht nur die Wissenschaft (…), auch die jungen Frauen/Männer selbst müssen sich zunehmend damit auseinander setzen” (Walther/Stauber 2002, S. 113). Die Lebensphase Jugend reicht heute vom Kids- oder Schüleralter bis hin zum jungen Erwachsenenalter. Der pubertierende vierzehnjährige Junge kann nicht mehr als Prototyp dieser Lebensphase angesehen werden. Gleichzeitig – und dies scheint gravierender – ist die Jugendphase nicht nur zeitlich ausgedehnt, sondern sie wird zunehmend auch aus der Logik freigesetzt, die ihre pädagogische und politische Vergesellschaftung bisher prägte. Noch 1982 stellte Lothar Böhnisch fest: „In den spätkapitalistischen Gesellschaften wird Jugend aus dem Bereich der Produktion ausgegliedert – ‚separiert’ – um in dieser Separation auf die Integration in eben diese Gesellschaft vorbereitet werden zu können. Jugendliche sollen Identitäten und spezifische Arbeitsvermögen gleichermaßen hervorbringen und entwickeln können, wobei die Logik des Sozialisationsprozesses eine andere ist, als die des Produktionsprozesses. Dieses Unvereinbare zu vereinbaren, kann nur in der Separation des ‚Lernens im Jugendalter’ ermöglicht werden. Kommt es in dieser Separation doch zu Konflikten, können diese als ‚separate’ jugendtypische Konflikte und Jugendprobleme ausgesondert werden” (Böhnisch 1982, S. 86).
Jugendarbeit – so könnte man pointiert formulieren – war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Raum, in dem diese jugendtypischen Konflikte und Probleme der Lebensbewältigung “ausgesondert” und durch den sie gesellschaftlich transformiert werden sollten. Gegenwärtig prägt diese Logik zwar immer noch die Selbstlegitimation vieler Einrichtungen der Jugendarbeit, doch spätestens seit der Mitte der 1980er-Jahre hat sie an Eindeutigkeit verloren: Die in diesem Zusammenhang diskutierten
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„Umbruchsprozesse haben in der Jugendforschung unter den Stichwörtern ‚Strukturwandel der Jugend’, ‚Jugend als eigenständige Lebensphase’, ‚Individualisierung der Jugendbiografie’, ‚Destandardisierung’ oder ‚Entstrukturierung der Jugendphase’, ‚Wandel vom Übergangsmoratorium zum Bildungsmoratorium’ sowie – mit einer Neigung zur dramaturgischen Steigerung – ‚Ende der Jugend’ vielfach und umfangreich Nachhall gefunden” (Lenz 1998, S. 58 f.).
Gerade die wohl bekannteste These von der Entstrukturierung der Jugendphase (vgl. Olk 1985) verwies auf Pluralisierungs- und Differenzierungsprozesse und darüber auf unterschiedliche Zeit- und Raumdynamiken in der Jugendphase. Jugendkulturen traten in den Vordergrund und damit Formen der Selbstinszenierung und Lebensbewältigung im Jugendalter, die sich kaum mehr aus der Spannung zwischen der Produktions- und Sozialisationslogik erklären ließen und für die die Jugendlichen eine neue soziokulturelle Eigenständigkeit reklamierten. In der Folgezeit wurden die Bildungsinstitutionen dahingehend hinterfragt, inwieweit sie jugendkulturelle Selbstbildungsprozesse im Alltag überdeckten, bzw. keine Räume zu ihrer Entfaltung ließen. Diese Überlegungen hielten aber an der etablierten Vergesellschaftungsform Jugend fest, die im Modell – Integration durch Separation – ihre prägnante Formel gefunden hatte. Gefordert wurde, die Bildungsangebote reflexiv an die Selbstinszenierungen und Lebenswelten der Jugendlichen zurückzubinden und in ihrer sozialen Zeit- und Raumstruktur aufzufächern. So bezog sich die Diskussion vor allem auf jugendkulturelle Phänomene und/oder das Risikoverhalten von Jugendlichen, auf die die Institutionen nur schwer reagieren konnten, und die darum einer sozialräumlichen Untersetzung bedurften. Dabei kam die These von der Entstrukturierung auch der Jugendarbeit entgegen, da eine Pluralisierung und Eigendynamik im Jugendalter herausgestellt wurde, die sie nicht mehr nur auf die Bearbeitung jugendtypischer Konflikte und Probleme reduzierte. Letztlich hat diese Entwicklung in den 1980er-Jahren die Jugendarbeit vom Stigma der Randgruppenarbeit befreit und sie zum Anwalt sozialräumlicher Aneignungsprozesse der Jugendlichen werden lassen (vgl. Deinet/Krisch 2002). Doch spätestens in den 1990er-Jahren kristallisierte sich heraus, dass die moderne Vergesellschaftungsform Jugend nicht nur ihre eigenen jugendkulturellen Inszenierungen und Bewältigungsformen mit sich brachte, sondern dass sich die strukturellen Rahmenbedingungen der modernen Lebensphase Jugend veränderten. Zwar befinden sich Jugendliche auch weiterhin in der sozialen und psychischphysischen Entwicklung der Pubertät mit ihren Vor- und Nachphasen (vgl. Hübner-Funk 2003) und sie sind auch weiterhin in einer besonderen Form mit sozialen Anfangssituationen konfrontiert, die wiederum in jugendtypische Bewältigungsstrukturen eingebettet und jugendkulturell gerahmt sind, doch: Die Krise der Arbeitsgesellschaft hatte die Jugend erreicht! (vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell
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1997; Arnold 2002). Die Jugendlichen wurden mit sozialen Herausforderungen konfrontiert, von denen sie eigentlich im traditionellen jugendpädagogischen Modell der Separation von arbeitsgesellschaftlichen Anforderungen fern gehalten sein sollten. „Die entgrenzte Arbeitswelt, das entgrenzte Lernen und die sich entgrenzenden privaten Lebensführungen greifen als Entwicklungsaufgaben ineinander. Die Übergänge ins Erwachsenenalter werden für viele nicht nur länger, unstrukturierter und unsicherer, sondern werden auch individuell folgenreicher. Der bisher zeitlich eng begrenzte soziale Freiraum, in dem man sich austoben konnte, bevor man in den Arbeitsalltag eintrat, löst sich auf” (Kirchhöfer 2003, S. 17).
Diese Entgrenzungstendenzen zentrieren dabei unweigerlich die Aufmerksamkeit vieler Jugendlichen auf den beruflichen Einstieg und die Sozialform der Selbstbehauptung. Die Jugendlichen müssen – von welchem sozialen Ort aus auch immer – versuchen mitzuhalten, dabei zu sein, Optionen offen zu halten. Entsprechend merkt auch Andreas Lange in seinem Beitrag zu Theoriedefiziten in der Jugendforschung an, dass diese einen Nachholbedarf habe, die neuen Mischungen von Freizeit, Lernen und Arbeit im „Skript des modernen Jugendlebens” zu lesen (Lange 2003, S. 113). Die Entgrenzung des Jugendalters (vgl. Schröer 2004) äußert sich somit darin, dass die Übergänge in den Erwachsenenstatus für viele nicht mehr übersehbar und kontrollierbar sind. Aus der Statuspassage, in der eine soziale Integrations- und eine Berufsperspektive zumindest erreichbarer erschien, ist für viele – zugespitzt formuliert – ein kontingenter Bewältigungsraum geworden, in dem Entwicklungsund Identitätsprobleme erneut freigesetzt werden, sodass die Jugendzeit mitunter auch mit dem 25sten Lebensjahr noch nicht beendet scheint. Für die Jugendphase bedeutet dies: Die Frage der biografischen Erreichbarkeit überdeckt die der Entwicklung, Bildung und Vorbereitung. Jungen Menschen wird z. B. abverlangt, dass sie früh und zielgerichtet (‚auf den Punkt’) ihre Ausbildung abschließen. Ob sie damit aber auch mittel- und langfristig biografisch abgesichert sind, bleibt im Ungewissen, ist ihnen privat überlassen. Instrumentelle Qualifikation und biografische Lebensperspektive können deshalb viele jungen Menschen erst lange nach der Jugendzeit in ihrer eigenen Kompetenzentwicklungsbilanz einigermaßen zusammenbringen. Es ist „von einer neuen Form des Übergangs auszugehen, deren bestimmende Merkmale ihre Offenheit und Ungewissheit sind” (Walther 2000, S. 59). Es werden vor allem neue arbeitsgesellschaftliche Zumutungen, Anforderungen und abstrakte Erwartungen an die Jugendphase herangetragen. Ein Bild von Jugend, das die zukünftigen Mischungen von Bildung, Arbeit und Freizeit im Jugendleben auf-
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nimmt und über das die Übergänge sozialpolitisch reguliert sowie die Lebenslage Jugend sozialpolitisch geöffnet werden kann, ist nicht in Sicht. So werden viele Jugendliche in ein Bewältigungsszenario freigesetzt, in dem sozialisatorisch gesehen „die biografische Bewältigung mehr am Projekt der Selbsterfüllung und nicht so sehr an der Erreichung gesellschaftlich vorgegebener und über die Lebensalter vermittelten Entwicklungsaufgaben orientiert” sein wird (Böhnisch 2003, S. 72). Entsprechend lässt sich in den unterschiedlichen Jugendstudien beobachten, dass sich bei den Jugendlichen ein Bewältigungsmodus des „Irgendwie-Durchkommens” breit zu machen scheint, der zu unbedingtem biografischen Optimismus zwingt. So zeigt die Rede von „Ego-Taktikern” oder „null zoff & voll busy” in den aktuellen Jugendstudien (vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell 2002; Zinnekker u. a. 2002) vor allem, dass die Jugendlichen auf die Gestaltung ihrer Biografie zurückgeworfen sind. Die Offenheiten und sozialen Ungewissheiten, die gegenwärtig das Jugendalter durchziehen und sich in den Bewältigungsformen der Jugendlichen abbilden, werden dabei aber selten thematisiert. Mit der biografischen Ungewissheit, die den Einzelnen zur Bewältigung überlassen ist, treten die Lebensbewältigung und die damit verbundenen Komponenten von Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit im Jugendalter in einer neuen Qualität in den Vordergrund. Gerade vor dem Hintergrund der Effizienzrevolution, die gegenwärtig das Bildungswesen erlebt, erscheint es darum zentral, die Angebote zu stärken, in denen Jugendlichen Bildungsgelegenheiten eröffnet werden, die ihre Bewältigungsformen wahrnehmen und Raum für ihre jugendkulturellen Aneignungsprozesse lassen. Von dieser eigenen Position her kann auch in Zukunft die Jugendarbeit ihr Verhältnis zu den anderen Bildungseinrichtungen bestimmen (vgl. Böhnisch/Schröer 2004).
2. Lebensbewältigung und das zivilgesellschaftliche Klima der Jugendarbeit Insgesamt gewinnt man aber derzeit den Eindruck, dass in den bildungspolitischen Diskussionen diese Qualität der Jugendarbeit nicht so recht akzeptiert wird. Ein Grund dafür liegt sicherlich in der Dominanz der Output-Orientierung, die derzeit im Gefolge von „PISA und Co“ die Bildungslandschaft durchzieht. Ein weiterer Grund kann aber auch darin gesehen werden, dass es der Jugendarbeit bisher nicht gelingt, ihren Zugang in den aktuellen sozial- und bildungspolitischen Diskussionen um die Zukunft der Bürgergesellschaft zu verorten und ihre Qualität darin auszuweisen.
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Diese Verortung erscheint schon dadurch erschwert, dass die Mehrzahl der aktuellen Zukunftsszenarien um die Bürgergesellschaft weitgehend auf einen Streit um die alltäglichen Bewältigungsherausforderungen im Jugendalter verzichtet. Jugendpolitik in Europa bedeutet heute z. B., den Jugendlichen eine „aktive Staatsbürgerschaft” nahe zu legen, um “Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt” zu machen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2001). Gerade die Rede von der aktiven Staatsbürgerschaft zeigt, dass nicht ein gesellschaftliches Modell von Jugendsozialisation im Jugendalter diskutiert, sondern der ‚fertige Bürger’ gesetzt wird. Ausgangspunkt sind nicht die Bewältigungskonstellationen im Jugendalter, sondern ein Muster bürgerschaftlichen Verhaltens. Jugend erscheint dann als Übergangszeit zur Erprobung und Vorbereitung von bürgerschaftlichen Rechten und Pflichten. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz in Deutschland sind dagegen in einer sozialisatorischen Perspektive Beteiligungsrechte seit 1990 vielfältig gesetzlich verankert. Hier werden nicht nur survival, development und protection rights formuliert, sondern gleichzeitig participation rights und damit Rechte auf Beteiligung sowie Mitsprache in allen Angelegenheiten, die das Kind und den Jugendlichen betreffen (vgl. van den Boogaart 1996, Wolff 2004). Es sind seither eine Palette von Verfahren z. B. in der kommunalen Jugendhilfeplanung, aber auch in den Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen entwickelt worden, um diese Rechte umzusetzen. Es wird daran erinnert, dass Partizipation einst als „ein politischer Begriff aus Demokratiekonzepten” auch in der Kinder- und Jugendhilfe eingeführt wurde, „durch den die Perspektive der Bürger/innen gegenüber der Perspektive der Regierenden vor allem in Bezug auf die ungleiche Machtverteilung bei politischen Entscheidungen in den Vordergrund gerückt wird” (Petersen 2002, S. 909). Gleichzeitig steht die Beteiligungsdimension aber zunehmend auch im Kontext neuer Steuerungsformen und einer Privatisierung sozialer Problemlagen. Es gibt durchaus Anzeichen, dass sich die Entwicklung entsprechend aufspaltet: Auf der einen Seite wird Beteiligung zu einem Qualitätsmerkmal der effizienten Organisation von Sozial- und Bildungseinrichtungen, auf der anderen Seite wird der politische Beteiligungsanspruch aus dem institutionellen Kontext ausgelagert und in die Sphären des bürgerschaftlichen Gemeinwesens verschoben. Zudem: Jenseits des Bemühens, Verfahren zur Partizipation in den Einrichtungen zu gewährleisten, blieb bisher ohnehin der Anspruch, die Bildungsräume zu demokratisieren, weitgehend in formellen Ansätzen, wie z. B. Jugendparlamenten, stecken. So hat sich auch die Diskussion um das bürgerschaftliche Engagement von Jugendlichen einerseits auf die Jugendverbände und hier auf die Gratifikation des Engagements – z. B. in Form von Jugendgruppenleiter-Cards (JuLeiCa) – konzentriert
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und andererseits die Schule, neben Familie und Gemeinwesen, als Hauptort für den Aufbau bürgerschaftlicher Kompetenzen und Engagement zu stärken versucht (vgl. Olk 2003). Offener präsentiert sich die Diskussion um politische Beteiligung im Jugendalter. Demnach sind die Jugendlichen in einer Gesellschaft angekommen, in der eine Entgrenzung der Politik die Beteiligungsformen charakterisiert: „Sowohl die funktionalen wie auch die räumlichen Entgrenzungsprozesse verändern das, was heute in der Gesellschaft als ‚politisch’ gilt und funktioniert. Die Prozesse verdeutlichen dabei, dass es sich bei ‚der Politik’ nicht um einen fest gefügten Gegenstand handelt, an welchem man sich interessieren kann. Zum Teil verändert man durch die Art der Beteiligung die Grenzen des Politischen selbst” (Jugendwerk der Deutschen Shell 2002, S. 49).
Diese Entwicklung geht mit dem einher, was in der Forschung zum bürgerschaftlichen Engagement „biografische Passung” genannt wird. Bürgerschaftliches Engagement ist somit in der Regel nicht mehr ein dauerhafter und in festen Wertgemeinschaften eingebundener Teil des Lebensplans, sondern verläuft wechselnd und projektorientiert und setzt voraus, dass es in die jeweilige Lebenssituation hineinpasst (vgl. Jakob 1993; Burdewick 2003). Damit ist ein deutlicher Hinweis auf die biografischen Herausforderungen der Jugendlichen und die alltäglichen Beteiligungsformen gegeben, wie sie sich angesichts der Entgrenzungstendenzen darstellen. Doch an diesem Punkt wird die Diskussion nur selten an die Lebenslagen der Jugendlichen zurückgebunden. Hier zeigt sich die Problematik der Jugenddiskussion im Rahmen der Überlegungen zur Zukunft der Bürgergesellschaft: Sie setzen sich zwar mit der Entgrenzung von Politik auseinander, die sozialen und politischen Konsequenzen, die sich mit Entgrenzung von Jugend ergeben, werden aber kaum diskutiert. So wirken die bürgergesellschaftlichen Diskussionszirkel häufig wie gelähmt, soweit sie mit Untersuchungen konfrontiert werden, die zeigen, dass die Handlungsspielräume der jungen Menschen durch Armutslagen sowie Bildungs- und Beschäftigungsverhältnisse geprägt werden, die viele junge Menschen in erster Linie auf ihre begrenzten Bewältigungsspielräume zurückverweisen und eine Abschottung der sozialen Segmente untereinander befördern sowie neue Ungleichheitsverhältnisse produzieren (vgl. Kreher/Oehme 2003). Spätestens an diesem Punkt ist zu fragen, inwieweit die Diskussionen um die Zukunft der Bürgergesellschaft in der Kinder- und Jugendhilfe nicht offensiver aufgegriffen werden und der zivilgesellschaftliche Status von Kindern und Jugendlichen (vgl. National Coalition 1997; Borsche 2001) sowie die alltäglichen Partizipations- sowie Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland diskutiert werden sollten (vgl. Bartscher 1998; National Coalition 1999; Knauer
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u. a. 2004). Denn in diesem Zusammenhang erscheint nicht nur die effiziente Hilfe für die psychosozialen Probleme des „Falls” als Zukunftsaufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, sondern genauso die Stärkung und Wahrung der Beteiligungsrechte und Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen ausgehend von ihren jeweiligen Lebenslagen und Bewältigungskonstellationen. Es rückt somit die Frage in den Vordergrund, wie die Beteiligungsspielräume alltäglich garantiert und vor allem von den Kindern und Jugendlichen erlebt werden und wie die Kinderund Jugendhilfe Möglichkeiten eröffnet, damit die Kinder und Jugendlichen ihre sozialräumlichen und -kulturellen Bewältigungsspielräume erweitern können (vgl. Schröer 2004). Vor diesem Hintergrund stellt sich zudem die Frage nach dem Ort der Jugendarbeit in den sozial- und bildungspolitischen Diskussionen um die Zukunft der Bürgergesellschaft neu. So zeichnet sich die bürgergesellschaftliche Qualität der Offenen Jugendarbeit gerade dadurch aus, dass Jugendliche nicht zur Partizipation bewegt werden, sondern dass sie als Akteure in ihren Lebenslagen und Bewältigungskonstellationen jugendkulturelle und soziale Anschlüsse suchen können und in diesem Kontext Teilhabemöglichkeiten vermittelt werden (vgl. Müller/Schmidt/ Schulz 2005). Die Qualität der Offenen Jugendarbeit könnte entsprechend an ihrem zivilgesellschaftlichen Klima bemessen werden. Mit dem Begriff zivilgesellschaftliches Klima sind die erlebten Beteiligungsspielräume der Kinder und Jugendlichen gemeint. In der Schulforschung wird der Begriff soziales Klima z. B. als das wahrgenommene Lernumfeld (vgl. Melzer 2001) betrachtet. Letztlich verweist der damit verbundene Blickwinkel aber über diese institutionelle Begrenzung hinaus auf die sozialökologische Perspektive (vgl. Bronfenbrenner 1981), in der die erlebte Umwelt als konstitutives Moment der Lebenslage begriffen wird. Dann erscheint es im Kontext der Stärkung der Kinder- und Jugendrechte sowie der Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut zentral, nicht nur Risikofaktoren zu erforschen und entsprechende Präventionsprogramme aufzulegen. Der Blickwinkel wird gedreht: Es gilt, die erlebten und verwehrten Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen zu betrachten und soziale sowie pädagogische Zugänge zu garantieren. Mit anderen Worten: Die Entgrenzung von Jugend und die sich damit ergebenden Bewältigungskonstellationen für die Jugendlichen, erfordern nicht nur Bildungsangebote, in denen Jugendliche für unterschiedliche Formen bürgergesellschaftlichen Engagements inkorporiert werden. Es sind gleichzeitig Bildungsgelegenheiten gefragt, die sich durch ein zivilgesellschaftliches Klima auszeichnen, dessen entscheidendes Kriterium die Offenheit gegenüber den unterschiedlichen Bewältigungsformen im Jugendalter ist. Die Qualität der Offenen Jugendarbeit
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würde entsprechend darin bestehen, dass die Jugendlichen hier über ihre neuen (jugend-)kulturellen Mischungen von Bildung, Arbeit und Freizeit soziale Anschlüsse und Zugänge erfahren können. Der Auftrag der Jugendarbeit ist es dann, Arrangements anzubieten, in denen die Jugendlichen ausgehend von ihren Bewältigungsformen ihre Beteiligungs- und Teilhabespielräume erweitern können.
3. Die Voice-Funktion der Jugendarbeit Ein Schwerpunkt der Jugendarbeit ist es traditionell, die sich in den Bewältigungsformen der Jugendlichen abzeichnenden sozialen Konflikte (regional-) politisch zu transformieren, d. h.: Räume zu öffnen, damit die Interessen der Jugendlichen in der lokalen Öffentlichkeit sichtbar werden. Zumindest in den 70er- und 80erJahren des vorigen Jahrhunderts war dieses weitgehend das Anliegen der Jugendarbeit, damit die Jugendlichen selbstbestimmt die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um eine bessere Zukunft suchen können (vgl. Thole 2000). Mit der sozialkulturellen Verselbstständigung der Jugendphase und den unzähligen Ausdifferenzierungen der Jugendkulturen, die auch in den Schulen und den öffentlichen Räumen eine partielle Anerkennung und sozialräumliche Resonanz gefunden haben, hat sich dieser Fokus erweitert und gleichzeitig entschärft. Der Konflikt mit der Vorgänger-Generation erschien vielfach normalisiert. Die Jugendarbeit wurde zu einem akzeptierten Anwalt der Jugendkulturen. Jugendarbeit stellte letztlich – zumindest in ihrem Selbstverständnis – eine Anerkennungsstruktur dar, die die Jugendhilfe den Jugendlichen bietet, um ihre Jugendkulturen sozialräumlich entfalten zu können. Sie war dabei ein Katalysator für die Generationenkonflikte vor Ort. Heute erscheint diese Perspektive immer noch zu gelten. Doch gleichzeitig brechen unterhalb dieser Struktur die Möglichkeitsbedingungen auf, die für eine derart normalisierte Jugendarbeit konstitutiv sind. Dies lässt sich an zwei Entwicklungen zeigen: Erstens wird innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe und angesichts der aktuellen Vernetzungsbestrebungen in den regionalen Bildungsinfrastrukturen die organisationale Selbstständigkeit der Jugendarbeit in Frage gestellt. Diese ist aber notwendig, um eine offene Anerkennungsstruktur zu gewährleisten und um nicht in den Sog anderer Institutionalisierungslogiken – wie z. B. der Schule oder der Gemeinwesenarbeit – zu geraten. In der Schule – auch in der Ganztagsschule – und im Gemeinwesen beherrschen andere bürgerschaftliche, soziale und ökonomische Interessen das Klima. Es ist nicht ein zivilgesellschaftliches Klima Struktur bildend, das sich durch die
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Offenheit gegenüber jugendlichen Bewältigungs- und Engagementformen und die Vermittlung von Anschlüssen und sozialen Zugängen in alltagsnahen Settings auszeichnet. Damit soll keineswegs einer Abschottung der Jugendarbeit gegenüber anderen Bildungseinrichtungen das Wort geredet werden. Es gilt vielmehr, die Qualität der Jugendarbeit zu erkennen und in die Neuorganisation der Bildungsinfrastrukturen einzubringen. Dies erscheint umso wichtiger, da – zweitens – das gegenwärtige Bild von Jugend nur selten durch eine Analyse der Lebenslagen und damit der Bewältigungsspielräume der Jugendlichen untersetzt wird und folglich ebenso selten sozialpolitisch zurück gebunden wird. Jugendarmut ist so gut wie kein Thema in unserer Gesellschaft. Entsprechend wird kaum zur Erkenntnis genommen, dass sich die Segmentierungsprozesse der Arbeitsgesellschaft (vgl. Böhnisch/Arnold/Schröer 1999) auch in die Jugendphase hineinreichen. So bilden sich die neuen Mischungen von Bildung, Arbeit und Freizeit in den Jugendkulturen ab, es werden soziale Segmentierungen sichtbar, die sich in den Bewältigungsspielräumen ausdrücken. Neben der Erfolgskultur im Kernsegment, entstehen eine Vielzahl neuer mehr oder weniger gesicherter Übergangsstrukturen sowie in den Peripherien der Arbeitsgesellschaft neue „Zonen der Verwundbarkeit“. Hier droht die Jugendzeit für einige Jugendliche direkt in einen „dauerhaft-transitorischen Zustand, eine permanente Zwischenposition oder Wettbewerb und Eingliederung lebenslänglich” überzugehen (Castel 2000, S. 412). Im Sog dieser Diskussionen wird die jugendpolitische Diskussion gegenwärtig darauf reduziert, jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung zu vermitteln. Doch die Jugendarbeit kann nicht aus einer arbeitsgesellschaftlichen Vermittlungslogik entworfen werden. Gleichzeitig muss sie angesichts des Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft und der sozialpolitischen Entwicklungen soziale Unterschiede wieder neu wahrnehmen (vgl. Sting 2002). Bisher hat sie sich weitgehend darauf verlassen, dass durch die sozialstaatlichen Instanzen eine spätere arbeitsgesellschaftliche Integration zumindest erreichbar erschien, sie sah sich durch das sozialstaatliche Inklusionsprinzip (vgl. Sachße 1990) gerahmt. Gegenwärtig bricht aber dieser Rahmen auf und die sozialräumlich orientierten bürgerschaftlichen Integrationsmodelle können dieses im Gemeinwesen nicht kompensieren. Jugendarbeit muss realisieren, dass sie an einigen Orten wieder auf eine Randgruppenarbeit reduziert wird und dass die Bewältigungsspielräume der Jugendlichen weiterhin sozial und ethnisch stratifiziert sind. Entsprechend findet sich ihre Anerkennungsstruktur gegenüber den Jugendlichen in einem neuen sozial- und bildungspolitischen Kontext wieder. Freilich agieren die Jugendarbeiter in dieser
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Situation nicht mit einem ähnlich bildungsoptimistischen und gesellschaftspolitischen Impetus, wie sie dieses noch vor dreißig Jahren getan haben. Dennoch sind sie nun umso mehr gefordert, in den und unterhalb der Jugendkulturen die Bewältigungsspielräume wahrzunehmen und auf die Lebenslagen der Jugendlichen aufmerksam zu machen. In der bürgergesellschaftlichen Diskussion wird in diesem Zusammenhang häufig von der Voice-Funktion der zivilgesellschaftlichen Akteure gesprochen. Zwar ist die Jugendarbeit nur selten als ein freiwilliger Zusammenschluss engagierter Bürger jenseits sozialstaatlicher Rahmung organisiert und damit kein zivilgesellschaftlicher Akteur, wie er derzeit in Deutschland idealtypisch entworfen wird. Doch diese Gegenüberstellung von Bürgergesellschaft und Sozialstaat erscheint kaum haltbar (vgl. Böhnisch/Schröer 2002). Auf die Jugendarbeit und die zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich für die Jugendlichen engagieren, trifft gemeinsam zu, dass sie die sozialen Konflikte, die in ihren Zusammenhängen und Einrichtungen hineinreichen, nicht vor Ort bearbeiten können. Gleichzeitig sind sie angesichts der neuen sozialräumlich orientierten Konzepte von Kinder- und Jugendhilfe und bürgerschaftlicher Community gefordert, die Interessen der Jugendlichen umso deutlicher zu vertreten. Sie müssen ihre Voice-Funktion nutzen und auf die sozialen Ungleichheiten in den bildungs- und sozialpolitischen Öffentlichkeiten hinweisen, da sie die Bewältigungsspielräume der jungen Menschen vor Ort wahrnehmen.
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Dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/KJHG) entsprechend sollen alle Träger, „deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen und Familien auswirkt [...] im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse zusammenarbeiten” (§ 81 KJHG). Auch wenn sich das KJHG als ordnungspolitischer Bezugsrahmen allein auf den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe beschränkt, gilt es, die Aussage des KJHG in einer übergeordneten, sozusagen sozialräumlich orientierten Betrachtung auf alle auch außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe existierenden Angebote und Einrichtungen zu beziehen. Folgt man dieser Orientierung, ergeben sich aus den insbesondere im Bereich des Schulwesens in den vergangenen Jahren stattgefundenen Entwicklungen weitreichende Konsequenzen für die Träger der Kinderund Jugendhilfe. So hat insbesondere der in Deutschland seit Beginn des Jahres 2001 feststellbare breite gesellschaftliche Konsens für mehr Ganztagsschulen dazu geführt, dass viele Schulen ihre traditionelle Orientierung allein auf den Unterricht sowie auch das Zeitfenster Vormittag aufgegeben haben. Diese Entwicklung wurde und wird durch positive Stellungnahmen zum Ausbau des Angebotes von Ganztagsschule von Verbänden und Parteien gestützt. Die hohe Bedeutung des Themas Ganztagsschule zeigt sich nicht zuletzt auch in Wahlkämpfen, in denen die politischen Parteien die Gunst der Wählerinnen und Wähler durch positive Aussagen zu angestrebten Ausbauprogrammen für Ganztagsschulen zu beeinflussen versuchen. Deutlich geringer fällt der Grad der Auseinandersetzung aus, wenn es um inhaltliche Fragestellungen geht. So werden Fragen nach dem pädagogischen Konzept – nachmittags auch Unterricht oder nur Betreuung? –, nach der Freiwilligkeit oder Verbindlichkeit von Ganztagsschulen, der Finanzierung der Kooperation von Schulen mit außerschulischen Partnern, der Qualifikation von außerschulischen Kooperationspartnern u. Ä. auf die Arbeitsebene verschoben und der Gefahr ausgesetzt, hier als Sand im Getriebe die Räder zum Stillstand zu bringen. Unbeantwortet ist bisher auch, ob die bildungspolitische „Nadelöhr-Politik” einer weitest gehenden Reduktion aller schulischen Reformbemühungen auf die Ganztagsschule überhaupt dazu führt, dass eine notwendige Qualitätsverbesserung des deut-
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schen Schulwesens sowie eine Verbesserung der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern verzeichnet werden kann.1 Unabhängig von der Klärung der Frage des Erfolgs von Ganztagsschulen muss sich die Kinder- und Jugendhilfe mit der schulischen Entwicklung auseinander setzen und sich im Sinne des KJHG einerseits gegenüber der Schule positionieren. Andererseits muss sie sich auf der Ebene praktischen Handelns darüber klar werden, welche Konsequenzen die stattfindende Einführung von Ganztagsschulen für ihre eigene Arbeit wie auch ihre Bedeutung nach sich zieht und ob und wenn ja wie, eine Kooperation mit Ganztagsschulen gestaltet werden kann und soll. Der folgende Beitrag fokussiert seine Auseinandersetzung vor diesem Hintergrund auf den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit als im Kern zentrales außerschulisches Bildungs- und Freizeit- bzw. Betreuungsangebot des KJHG und geht entsprechend des Titels dieser Veröffentlichung der Frage nach, ob angesichts der feststellbaren schulischen Ganztagsentwicklungen für die Kinder- und Jugendarbeit in der Konsequenz von einem Aufbruch zu neuen Ufern gesprochen werden kann oder einem Abbruch bestehender Strukturen und Angebote gesprochen werden muss.
1. Jugendarbeit und Ganztagsschule Festgestellt werden kann, dass sich die Kinder- und Jugendarbeit in ihrer Geschichte nicht zum ersten Mal mit der Frage ihres Verhältnisses zur Schule auseinander setzt. Allein in den vergangenen 50 Jahren können drei zeitliche Epochen der Debatte ausgemacht werden, ohne dass abschließend sowohl im Bereich der Schule wie auch in der Kinder- und Jugendarbeit grundlegende Veränderungen im gegenseitigen Verhältnis zueinander zu konstatieren wären (vgl. Nörber 2003). Diese fehlende Nachhaltigkeit der bisherigen Auseinandersetzungen ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass alle in der Vergangenheit in Deutschland stattgefundenen Debatten um die Einführung von Ganztagsschulen weitestgehend folgenlos geblieben sind, da die Zahl der in Deutschland vorfindbaren Ganztagsschu1 So hat erst jetzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)” in Auftrag gegeben, um dieser Frage nachzugehen. Ein Forschungsverbund, dem das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung, das Deutsche Jugendinstitut und das Institut für Schulentwicklungsforschung angehören, ist mit der Durchführung beauftragt. An 450 Schulen in 14 Bundesländern sind systematische Befragungen von pädagogischen Fachkräften, Schul- und Projektleitungen, Schülerinnen und Schülern, Eltern und außerschulischen Kooperationspartnern vorgesehen, um eine Aussage treffen zu können, ob Ganztagsschulen überhaupt in der Lage sind, die an sie gestellten hohen Erwartungen zu erfüllen.
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len konstant als marginal bezeichnet werden konnte. Wenn die bisherigen Auseinandersetzungen in der Kinder- und Jugendarbeit zum Thema Kooperation von Jugendarbeit und Schule so weitestgehend als Metadiskussionen bezeichnet werden können, zeigt sich aktuell erstmals in der historischen Entwicklung des deutschen Schulwesens eine feststellbare Ausweitung der Zahl von Ganztagsschulen. Angesichts dessen stellt beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Schülerinnen- und Schülerarbeit (AES) in ihrer Stellungnahme „Jugendarbeit und Ganztagsschule als Bildungspartner” im Jahr 2003 fest: „Nun befördern nicht alle Bundesländer in gleichem Maße und Tempo die Einführung von Ganztagsschulen und es bleibt ungewiss, in welcher Quantität und Qualität sich eine solche Schulform durchsetzen wird. Gewiss aber ist, dass die Ganztagsschule, dort wo sie zur Realität in der Bildungslandschaft wird, sowohl die Lebenswelt und Freizeitgewohnheiten von Jugendlichen als auch die Arbeitsweisen derjenigen Institutionen, die neben der Schule ebenfalls mit Jugendlichen zu tun haben, in erheblichem Maße berührt.”
Angekommen in dieser neuen Beschäftigungsrunde der Kinder- und Jugendarbeit ist, dass dieses Mal reale Veränderungen in der Schule geschehen und weiter geschehen werden und dass diese Entwicklung aller Wahrscheinlichkeit nach Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendarbeit nach sich ziehen wird. Auch dort, wo wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen sich die Ausweitung der Ganztagsschule noch auf den Primarbereich beschränkt, wird es in ca. drei Jahren dazu kommen, dass sich diese Entwicklung logischer- und notwendigerweise im Bereich der weiterführenden Schulen fortsetzt. Noch kann bundesweit allerdings nicht von existierenden Rahmenbedingungen sowie Strukturen gesprochen werden, die ganz im Sinne des KJHG die beiden Bereiche Schule und Kinder- und Jugendarbeit enger miteinander in ein partnerschaftliches und konstruktiv-produktives Beziehungsgefüge gebracht haben. Vielmehr muss von einem möglichen gemeinsamen Weg gesprochen werden, der hier und dort unterschiedlich weit beschritten ist, ohne dass bisher vielfach klar ist, wie es nach der nächsten Kurve weitergehen wird.
2. Grundlagen einer partnerschaftlichen und konstruktiv-produktiven Kooperation von Jugendarbeit und Schule Grundsätzlich gilt es, den Blick auf die Beschaffenheit des Weges zu richten, um nicht ins Stolpern zu geraten und zu stürzen. Die Schaffung förderlicher Grundlagen für eine gemeinsame Wegbegehung ist deshalb von zentraler und grundsätzlicher Bedeutung. Dabei zeigt sich, dass die Ausgangslage – nach „PISA“ – einer breit geteilten Einschätzung, mehr für Bildung in unserem Land tun zu müssen, als
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günstig bezeichnet werden kann. So wird die Notwendigkeit der Förderung von Lern- und Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen allgemein und breit geteilt. Darüber hinaus, so wird in der allgemeinen bildungspolitischen Debatte deutlich, stehen Anforderungen an die Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen auf der Tagesordnung. Dass die Ganztagsschule an dieser Stelle erstmals in Deutschland mehr als nur verbalisiert Bedeutung erhält, wurde bereits erwähnt. In seinem Vortrag zum einjährigen Jubiläum der Offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen im Februar 2005 in Hamm hat deshalb auch Thomas Rauschenbach darauf verwiesen, dass „die Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung, die in der Kinder- und Jugendhilfe eine Selbstverständlichkeit sein möge, im Kontext von Schule keineswegs trivial oder voraussetzungslos” ist und „das Projekt Ganztagsschule [...] der folgenreichste Eingriff in das System Schule in der Geschichte der Bundesrepublik” (Rauschenbach 2005) ist. Im Ergebnis kommt T. Rauschenbach abschließend zur Feststellung: „Wenn man so will, geht es bei dem Projekt Ganztagsschule in dreifacher Weise um ein neues Zusammenspiel: erstens um ein neuartiges Ineinander von Bildung, Betreuung und Erziehung im öffentlichen Raum Schule, zweitens um eine verbesserte Verbindung von schulischen und außerschulischen Bildungsprozessen bzw. Lernmodalitäten sowie drittens um eine verdichtete Kooperation von Jugendhilfe und Schule” (ebd.).
Blickt man im Hinblick auf die Kooperation von Jugendarbeit und Ganztagsschule aber auf bisherige vielfältige Erfahrungen von Kooperationsprojekten zwischen Jugendarbeit und Schule insgesamt, kann festgestellt werden, dass ein Zusammenspiel beider Institutionen bei weitem noch nicht in der Qualität und Quantität verzeichnet werden kann, wie es möglich und für beide Seiten und nicht zuletzt insbesondere für Kinder und Jugendliche förderlich wäre. Bezogen auf die Bereiche Bildung, Betreuung und Erziehung ist Folgendes festzustellen.
Bildung Immer noch dominiert in der Bildungsdebatte ein stark verengtes Verständnis von Bildung, in dem Bildung mit Schule gleichgesetzt wird. Unter Bildung wird dabei immer noch die Übernahme des gesellschaftlichen Konkurrenz- und Leistungsprinzips verstanden und „der Bildungsgang erscheint als Folge institutionalisierter Anstrengungen, die in Form von Abschlüssen und Zertifikaten belegbar sind und jenseits konkreter Lebensziele eine abstrakte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft dokumentieren sollen” (Sting 2002, S. 378). Bildung in der Schule konzentriert
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sich dabei „auf den Erwerb von Wissen und kognitiven Kompetenzen, der mittels formaler Bildungsbemühungen im Rahmen von Unterricht befördert wird” (Sting 2004, S. 77). Dass dieses Verständnis angesichts der Dynamik des gesellschaftlichen Wandels und einer hohen schulischen Abstinenz vom Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen nur äußerst begrenzt nachhaltige Ergebnisse im Hinblick auf die Förderung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen bei der Befähigung zur eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebens erzeugt, scheint nachvollziehbar und wird zunehmend auch von Vertreterinnen und Vertretern aus Unternehmen und der Wirtschaft als Manko des deutschen Bildungswesens wahrgenommen. So wird beispielsweise die Aussagekraft von „harten” Qualifikationsnachweisen wie Schulzeugnissen dort zunehmend relativiert.2 Trotz dieses Wissens wie auch vor dem Hintergrund aller seit Jahrzehnten geführten Reformdebatten zeichnet sich das deutsche Schulsystem bisher als äußerst resistent gegenüber Veränderungsnotwendigkeiten und Anforderungen aus. Obwohl offensichtlich ist, dass heute Lern- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen „keinen exklusiven Ort haben – weder die Familie (zweifellos die erste Bildungsinstanz) noch die Schule (sicherlich das Epizentrum gestalteter Lernarrangements) [...], sich Kompetenzentwicklung und Lernerfolge also nicht auf Schulstunden im 45-Minuten-Takt reduzieren lassen und auch nicht annähernd im Notenspiegel von Zeugnissen abgebildet werden können” (Rauschenbach 2002, S. 501), wird der Frage eines umfassenden Kompetenzerwerbs in der Bildungsbiografie von Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext erst in Ansätzen Rechnung getragen. Immer deutlicher wird, dass eine Aufrechterhaltung der Bildungsfokussierung auf schulische Bildung „durch die Orientierung auf den Erwerb von Lebenskompetenz und die Entfaltung von Identität als Bildungsaufgabe vom Grundsatz her erweitert und verändert” (Otto/Coelen 2004, S. 7) werden muss. Das Verständnis von Bildung muss zukünftig weit über das in Schule stattfindende formalisierte Lernen hinausreichen. Es muss darum gehen, außerschulische Orte des Lernens und des Kompetenzerwerbs stärker als Orte von Bildung wahrzunehmen und Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, wie außerschulische Orte der Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Schule verknüpft werden können.
2 So stellt beispielsweise der Leiter der Personalentwicklung von IBM Deutschland, Matthias Landmesser, fest, dass “die Schule [...] beruflich erforderliche Kompetenzen nicht in dem erforderlichen Ausmaß [vermittelt] und [...] damit ihrem Auftrag der Vorbereitung auf das Berufsleben nicht in ausreichendem Maße gerecht [wird]. [...] Gefragt ist im Berufsleben eben nicht primär Wissen, sondern vielmehr Kompetenz im Sinne von Handlungskompetenz. Gemeint ist damit, in konkreten Problemsituationen erfolgreich tätig zu werden” (Landmesser u. a. 2003, S. 11).
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Dass gerade die Kinder- und Jugendarbeit als Ort nicht-formalen Lernens im Vergleich zur Schule in Bezug auf diese fünf Dimensionen über spezifische Angebote, Erfahrungen und Kompetenten verfügt, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren notwendigen Vertiefung (vgl. Lindner/Sturzenhecker 2004).
Betreuung Betrachtet man die bisherige Praxis der Arbeit der neuen Ganztagsschulen, ist festzustellen, dass sich die Praxis der schulischen Reform auf außerunterrichtliche Angebote am Nachmittag konzentriert. So wird der traditionelle vormittägliche Unterricht durch Hausaufgabenbetreuung und freizeitorientierte Betreuungsangebote bei verpflichtender Teilnahme aller am schulischen Ganztagsangebot angemeldeten Schülerinnen und Schüler am Nachmittag “angereichert”. Nur eine geringe Zahl der neu entstandenen Ganztagsschulen stellen verpflichtende Ganztagsschulen mit rhythmisiertem Unterricht dar und haben damit die tradierte Form der deutschen Halbtagsunterrichtsschule verlassen. Damit steht der Aspekt der Betreuungsversorgung zentral im Vordergrund von Ganztagsschulen. Eine Tatsache, die bei der Betrachtung der Entwicklung der Betreuungsangebote für Kinder eigentlich nicht verwundert, da in der Konsequenz der Ausweitung der Betreuungsangebote für Kinder im vorschulischen Alter nach In-Kraft-Treten des KJHG – Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz – in der Logik einer altersmäßigen Weiterführung – Kindergarten – Grundschule – weiterführende Schule –, die Debatte um Betreuungsangebote für schulpflichtige Kinder und Jugendliche zeitlich vorgezeichnet war: „Was sich bereits in der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz widerspiegelt, setzt sich nahezu nahtlos für Kinder im schulpflichtigen Alter fort: Viele Eltern erleben gerade an der Schwelle vom Kindergarten in die Grundschule einen Bruch in der Betreuungssituation. Unterrichtsausfall, zeitliche Verschiebung des Schulbeginns und vor allem das frühe Schulende erschweren häufig eine verlässliche Disposition und damit die Berufstätigkeit der Eltern. Dies wiegt um so schwerer, als Eltern – in der Regel aber die Frauen – nach einer relativ verlässlichen Betreuung durch den Kindergarten nunmehr ganz andere Zeitdispositionen treffen müssen und damit häufig sowohl mit dem Betrieb als auch mit ihrer eigenen Lebensplanung in Konflikt geraten” (Schäfer 1996, S. 18).
Dass die Festlegung der Ganztagsschule auf den Faktor des verlässlichen nachmittäglichen Betreuungsangebotes zu kurz greift, spiegelt sich in der existierenden Kritik dieses schulischen Zusatzangebotes. Diese Kritik kann auch nicht dadurch entkräftet werden, dass „die unterschiedlichen Akteure [betonen], dass es dabei
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[gemeint sind die Angebote am Nachmittag; M. N.] [...] um mehr als um Beaufsichtigung und Beschäftigung geht” (Rauschenbach 2005). Demgegenüber weisen Rückmeldungen aus der Praxis der Kooperation von Jugendarbeit und Schule darauf hin, dass die vielfältig denkbaren Möglichkeiten, die Ganztagschulen aufgrund der ausgedehnten Zeitkontingente haben, noch nicht in optimaler Weise genutzt zu werden scheinen. Aus Sicht der Kinder- und Jugendarbeit muss die Einführung von Ganztagschulen deutlich darüber hinausreichen, nur die Beschäftigung und Beaufsichtigung von Kindern und Jugendlichen am Nachmittag sicherzustellen und darüber hinaus zu einer einseitigen Entlastung von Lehrkräften beizutragen.3 Allein die vielfach von außerschulischen Kooperationspartnern wahrgenommene Delegation der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in der Schule frei nach der Devise „aus den Augen, aus dem Sinn” an außerschulische Träger wie die Kinder- und Jugendarbeit, kann nicht Grundlage einer Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen sein.
Erziehung Auch wenn bei Schule davon ausgegangen werden kann, dass dort auch immer Erziehung stattfindet, ist der Erziehungsauftrag von Schulen in vielen Bundesländern erst in den letzten Jahren in die Schulgesetze aufgenommen worden und steht nun gleichwertig neben dem schulischen Bildungsauftrag. Mit der zeitlichen Ausweitung der Schule zur Ganztagsschule wird die Auseinandersetzung mit Werten und sozialen Regeln, der soziale Umgang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen, das Herausbilden eigener Positionen und Einstellungen sowie das Ausprobieren und Austesten von Rollen und Lebensstilen u. a. stärker als bisher auch im schulischen Kontext stattfinden bzw. stattfinden müssen, da „in diesen Dimensionen […] wichtige Chancen und Aufgaben [liegen], denen sich Kinder lernend stellen müssen, für das sie ein Gegenüber, für das sie kommunikative, intersubjektive Reibungsflächen und soziale Experimentierräume benötigen” (Rauschenbach 2005). Da Schulen in der Vergangenheit aber für Erziehungsprozesse wenig produktiv-förderliche Unterstützungsangebote geboten haben, sondern schulische Erzie3 So stellt Thomas Rauschenbach in seinem erwähnten Referat weiter fest, „dass auffällt, dass die Betreuung fast ausschließlich vom nicht unterrichtendem Personal erbracht wird, dass den Lehrkräften damit erst einmal ein Teil einer Aufgabe abgenommen wird und sie dadurch offenbar auch bessere Unterrichtsbedingungen vorfinden. Dies mag sie auch objektiv erleichtern. Fraglich ist nur, inwieweit das lehrende Personal selber die dadurch frei gewordenen Ressourcen in ein Gesamtkonzept Ganztagsschule bzw. in die Unterstützung außerunterrichtlicher Bildungsprozesse der Kinder re-investiert” (Rauschenbach 2005).
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hungsprozesse vielmehr oftmals durch Abgrenzung und Ablehnung schulischer Werte und Regeln erfolgte, bedarf es der Etablierung eines Beteiligungsverständnisses von Kindern und Jugendlichen in Ganztagsschulen, in denen Mitbestimmung, Mitgestaltung und Verantwortungsübernahme als feste Größe im Schulalltag für Schülerinnen und Schüler Realität besitzt. Die Tatsache, dass gerade in der Kinder- und Jugendarbeit Partizipation und Teilhabe als originäre Grundlagen der Arbeit anzusehen sind, bietet einerseits in der Kooperation zwischen der Kinderund Jugendarbeit und Ganztagsschulen eine besondere Chance wie sie andererseits auch einen möglichen „Stolperstein” darstellt, wenn in der Schule Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich im Rahmen von Kooperationsprojekten Verantwortung übernehmen.
3. Ganztagsbildung statt Nachmittagsbetreuung Bezogen auf die Frage der Kooperation von Jugendarbeit und Schule entspricht die Situation an vielen der neu entstandenen Ganztagsschulen aus Sicht der Kinder- und Jugendarbeit nicht den gewünschten Zielen und erhofften Erwartungen. So wird vielfach in der praktischen nachmittäglichen Ausweitung des Angebotes an Ganztagsschulen eine faktische Reduktion allein auf die Sicherstellung bzw. Erhöhung von Plätzen ganztägiger Betreuung gesehen. Eine schulische Annäherung an ein umfassenderes Bildungsverständnis kann somit nicht verzeichnet werden. Das Ziel der Kinder- und Jugendarbeit, durch die Kooperation mit der Ganztagsschule den Erwerb von Lebenskompetenz und die Entfaltung von Identität bei Kindern und Jugendlichen im Sinne einer Ganztagsbildung zu fördern, scheint somit aktuell bei weitem noch nicht erreicht zu werden. Wenn unter Ganztagsbildung – in Abgrenzung zur Ganztagsschule wie auch zur Ganztagsbetreuung – Institutionalisierungsformen zu verstehen sind, die formelle Bildung (Unterricht) und nicht-formelle Bildung (Kinder- und Jugendarbeit) zu einem integrierten Ganzen zusammenfügen, existiert bezogen auf die Etablierung einer „hochwertigen Ganztagsbildung” erheblicher Handlungsbedarf. Aktuell ist es noch ein weiter Schritt dahin, dass die auf der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ) im Januar 2004 unter der Überschrift „Hochwertige Ganztagsbildung ohne außerschulische Partner nicht denkbar” durch den Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend formulierte Vision Wirklichkeit wird: „Wir wollen das Wissen aus jahrzehntelanger Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen, in kulturellen Einrichtungen, Sport- und Freizeitverbänden, in der Schul- und Jugendsozialarbeit nutzen, um ein
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qualitativ hochwertiges Angebot für unsere Kinder zu schaffen. Deshalb brauchen wir eine enge Verzahnung von Jugendhilfe und Schule.” (Pressemitteilung Nr. 128 d. BMFSFJ v. 29. Jan. 2004) Wenn die Kinder- und Jugendarbeit vielfach Kooperationen mit Ganztagsschulen eingegangen ist, diese Kooperationen aber oftmals als „nachmittägliches Betreuungsanhängsel” stattfinden, zeigt dies aber auch, dass es der Kinder- und Jugendarbeit bis jetzt nicht gelungen ist, ihr bisher ungeklärtes Verhältnis zwischen „Dienstleistung” und „Partnerschaft” im Hinblick auf Ganztagsschule zu klären.
4. Jugendarbeit bedarf der Professionalisierung und Profilierung Die in der Kinder- und Jugendarbeit existierende eigene Unklarheit steht nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Feststellung eines hohen Beharrungsvermögens, das nicht nur für die Institution Schule zutrifft. Auch bezogen auf die Kinder- und Jugendarbeit muss vielfach von verfestigten Strukturen und Einstellungen ausgegangen werden. So wird zwar immer wieder in der Kinder- und Jugendarbeit über die Schwierigkeiten und Probleme in der Kooperation zwischen der Kinder- und Jugendarbeit und Ganztagsschulen berichtet, die Lösung eigener Hausaufgaben steht aber nach wie vor aus. So macht ein historischer Blick auf die Geschichte des Verhältnisses von Kinder- und Jugendarbeit und Schule beispielsweise deutlich, dass eine Positionierung zwischen ihnen immer nur dann stattfand, wenn Schule scheinbar am Beginn einer Neuorientierung stand und sich mit ihrem Angebot zeitlich in den Nachmittagsbereich ausdehnte. Immer dann sahen sich die Träger der Kinder- und Jugendarbeit aufgefordert, sich mit Entwicklungen und Diskussionen im Bereich der Schule auseinander zu setzen. An dieser Situation hat sich bis heute relativ wenig getan. Festgestellt wird, dass scheinbar zwar „alles gesagt wurde – nur eben noch nicht von allen” (Klett 2002, S. 16) und dass die Begeisterung, die in der Kinder- und Jugendarbeit angesichts der, wenn auch zarten, Ansätze einer Veränderung von Schule existieren müsste, doch eher gering ausfällt. Auch in diesem Beitrag muss selbstkritisch festgestellt werden, dass bei weitem die Kritik und die Skepsis gegenüber der schulischen Entwicklung überwiegt. Selbstkritisch gilt es aber, gegenüber der Kinder- und Jugendarbeit festzustellen, dass es der Kinder- und Jugendarbeit bis heute nicht gelungen ist, ihre Bedeutung als Bildungs- und Freizeitträger gegenüber der Öffentlichkeit und damit auch gegenüber Politik und Schule deutlich zu machen. So hat eine Befragung von Schulleitungen in Sachsen-Anhalt im Jahr 2002 zum Thema „Kooperation von Jugend-
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verbänden und Schule“ darauf verwiesen, dass zwar zwei Drittel aller Schulleitungen ein starkes Kooperationsinteresse äußert, aber bezogen auf Angebote der Jugendverbände nur „7 % der befragten Schulleitungen [angeben], sich selbst gut informiert zu sehen, wobei sich nur ein einziger Befragter einen sehr guten Informationsstand attestiert” (Speck/Kley 2002, S. 9). Darüber hinaus hat die aktuelle Auseinandersetzung der Kinder- und Jugendarbeit mit dem Thema Bildung gezeigt, dass „in dieser Hinsicht [...] die außerschulischen Kooperationspartner gefordert [scheinen], deutlicher ihr Bildungsverständnis und ihre Rolle am Ganztag zu verdeutlichen. Aus meiner Sicht geht es in einem Gesamtkonzept von Bildung darum, alle Lern- und Entwicklungsangebote der Schule in einem integrierten Konzept zusammenzudenken und zu planen. Vereinfacht gesprochen geht es hierbei um die Ergänzung im nicht-unterrichtlichen Teil mit einem Bildungskonzept des ‚Anders- und Anderes-Lernen’” (Rauschenbach 2005). An dieser Stelle kann die Kinder- und Jugendarbeit bei weitem noch keinen Vollzug melden. Auch an einer anderen Stelle sieht es eher schlecht als hoffnungsvoll aus. So weist der Elfte Kinder- und Jugendbericht richtigerweise darauf hin, dass „Bedingungen für ein gelingendes Aufwachsen [...] neben der Stärkung der familialen Erziehung und Bildung qualifizierte Angebote für die Erziehung, Bildung und Betreuung aller Kinder in Kindertageseinrichtungen sowie verlässliche Schulzeiten [sind]. Neben diesen Angeboten müssen auch die Einrichtungen der Kinderund Jugendarbeit zur selbstverständlichen sozialen Infrastruktur gehören. Dies zielt über die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Väter und Mütter hinaus auf eine qualifizierte Wahrnehmung und Erweiterung des Bildungsauftrages in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe” (BMFSFJ 2002, S. 54). Mit Blick auf die aktuelle Jugendhilfestatistik am Beispiel Hessen zeigt sich jedoch, dass nach einem kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit im Zeitraum von 1982 bis 1994, die Anzahl der Einrichtungen im Jahr 1998 erstmals abgenommen hat (vgl. Nörber 2002). Sollte sich diese Entwicklung als Wendepunkt für das infrastrukturelle Angebot Kinder- und Jugendarbeit darstellen, scheint es, dass bereits die angestrebte Voraussetzung für qualifizierte Angebote der Erziehung, Bildung und Betreuung – dass nämlich Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit als selbstverständliche soziale Infrastruktur existieren – nicht erreicht wird. Kinder- und Jugendarbeit verfügt damit nicht einmal über ein ausreichendes Grundsetting, um überhaupt als mögliche Partnerin von Schule agieren zu können. Angesichts der Finanzsituation von Landkreisen, Städten und Gemeinden ist zudem nicht von der Hand zu weisen, dass es unter
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fiskalischen Gesichtspunkten zu einer Situation kommt, in der Kommunalparlamente Finanzentscheidungen für oder gegen Schule bzw. die Kinder- und Jugendarbeit werden treffen müssen. Dass die Schule hier gegenüber der Kinder- und Jugendarbeit über eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung sowie über ein besseres politisches Standing verfügt, zeigen viele Erfahrungen und Beispiele.
5. Ganztagsschulen weiterentwickeln, Jugendarbeit fördern Deutlich wird, dass das in Deutschland sich weitestgehend auf die Institution Schule ausrichtende Bildungsverständnis einerseits zwar nicht mehr den Anforderungen an ein nachhaltiges und umfassendes Bildungsangebot für Kinder und Jugendliche gerecht wird, andererseits bisher aber keine grundlegenden Schritte im Sinne einer Etablierung von Ansätzen der Ganztagsbildung verzeichnet werden können. Es bedarf deshalb sowohl eines grundlegenden Wandels bezogen auf das existierende Bildungsverständnis wie auch entsprechender Konzepte zur konkreten Umsetzung der Ganztagsbildung insbesondere unter Einbeziehung der Kompetenzen der Kinder- und Jugendarbeit in Ganztagsschulen. Dass die aktuelle Praxis der Angebote von Ganztagsschulen am Nachmittag weder den Kriterien einer Ganztagsbildung noch den Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen entspricht, wird wiederum am Beispiel Hessen deutlich. Die Ergebnisse des Kinderbarometers Hessen4 vom September 2004 machen deutlich, dass die existierenden außerunterrichtlichen Angebote an hessischen Ganztagsschulen nicht den Wünschen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen entsprechen. So zeigt sich, dass zwar jede/r fünfte Schüler/in in Hessen mindestens ein Nachmittagsangebot der Schule nutzt, den Schülerinnen und Schülern aber neben der bloßen Bereitstellung von Betreuungsangeboten auch die inhaltlich-pädagogische Gestaltung der Angebote wichtig sind. Sie wünschen sich am Nachmittag mehr Sport, Spiel und Entspannung, aber auch Projekte und Zeit, um Probleme zu bereden. Dabei würden die befragten Kinder den Klassenverband am liebsten zugunsten von Kleingruppen auflösen (vgl. Kinderbarometer Hessen 2004). Deutlich zeigt sich damit, dass das in der Richtlinie zur Ganztagsschule des Landes Hessen festgeschriebene Ziel einer Öffnung der Schule hin zur Kooperation mit außerschulischen Partnern – das die Wünsche der Schülerinnen und Schü4 Das Kinderbarometer ist eine repräsentative landesweite Befragung im Auftrag des Hessischen Sozialministeriums und des Hessischen Kultusministeriums von ca. 2.200 Kindern der 4. bis 7. Schulklassen u. a. zu den Themen außerunterrichtliche Nachmittagsbetreuung und Partizipationsmöglichkeiten in der Schule.
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ler befriedigen könnte – noch weit von diesem Ziel entfernt ist. Nur ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler, die überhaupt Nachmittagsangebote nutzen tun dies in Angeboten von außerschulischen Partnern. Gerade aber Formen und Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit bieten vieles von dem, was sich Schülerinnen und Schüler hinsichtlich Bewegung, Spiele, Projekte u. Ä. wünschen. Darüber hinaus reichen die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit auch über das Angebot in Schulen hinaus und bieten so einen Einstieg in außerschulische Formen von Engagement und Aktivität. Nicht zuletzt wird aber die Chance vertan, durch eine umfassendere Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule eine Erweiterung von Bildung über den Unterricht hinaus zu ermöglichen. Auch im Hinblick auf die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern an Schulen gibt es kritische Einschätzungen. Die Mitbestimmung an Schulen ist aus Sicht der befragten Schülerinnen und Schüler unterentwickelt. Sowohl was den Inhalt des Unterrichts als auch die Unterrichtsgestaltung betrifft, existieren mangelhafte Mitbestimmungsmöglichkeiten. Aber auch bei wichtigen Entscheidungen der Schule – Gestaltung des Klassenraumes, Gestaltung von Projektwochen, Ziele der Klassenfahrt etc. – fühlen sich die Heranwachsenden nicht einbezogen. Auch hier spricht vieles für eine zu verbessernde Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule. Gerade die Kinder- und Jugendarbeit ist ein originäres Handlungsfeld, in dem Kindern und Jugendlichen Partizipation ermöglicht wird. Hier machen viele Kinder und Jugendliche erste Erfahrungen der Mitbestimmung und Mitwirkung. Sie erlernen das Erkennen und Analysieren der eigenen Situation, von Selbstbestimmung, Interessenvertretung, solidarischem Handeln und der Bearbeitung von Konflikten. Die Kinder- und Jugendarbeit als Partner von Ganztagsschule bedarf deshalb der stärkeren Unterstützung und Förderung und nicht der Kürzung, wie dies in einigen Bundesländern im Bereich der Offenen wie auch verbandlichen Kinderund Jugendarbeit zu verzeichnen ist. Allein die Umschichtung öffentlicher Mittel für die Etablierung von Ganztagsschulen richtet den schiefen Turm Bildung nicht gerade auf und bringt keine neue Qualität in die Schule.
6. Resümee Insgesamt zeigt sich, dass die bisherige Ausgestaltung der Ganztagsschule den aktuellen Anforderungen an ein förderliches Lern- und Bildungsangebot, ein qualifiziertes Betreuungsangebot wie auch an ein den Entwicklungsanforderungen von Kindern und Jugendlichen entsprechendem Erziehungsangebot weitestgehend nicht entspricht. Fakt ist, dass Kinder und Jugendliche heute in einer Welt leben, die
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frühzeitig selbstständiges Handeln und den Aufbau eigener sozialer Bezüge fordert. Fakt ist auch, dass die weit überwiegende Mehrzahl diese Herausforderungen meistert, dass aber im Raum der Schule diesen Anforderungen nicht in notwendigem Maße Rechnung getragen wird. Allein das Angebot verlässlicher Betreuung befriedigt vielleicht die Bedürfnisse und Interessen der Eltern, nicht aber die der Kinder und Jugendlichen und stellt darüber hinaus keine Antwort auf die notwendige Reform der Lern- und Bildungsprozesse im Kindes- und Jugendalter in Deutschland dar. In der Konsequenz dessen müssen Ganztagsschulen ihren Charakter als Lehranstalt, in der es um Wissensvermittlung im Unterricht geht, einem grundlegenden Wandel unterziehen und sich für die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen öffnen (vgl. Reinhardt 1992). Diese Öffnung erfordert in der Konsequenz die Vernetzung und Koordination von formalen und non-formalen Bildungsprozessen und die Kooperation mit der Kinder- und Jugendarbeit.
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Kulturelle Optionen in jugendlichen Lebensphasen und Fragen nach den Möglichkeiten der Kinder- und Jugendarbeit
1. Zwischen Begrenzung und Vielfalt Seit Jugendstudien aufzeigten, dass der gesellschaftliche Trend der Pluralisierung von Lebensformen und der Individualisierung von Lebensführung die Biographien Jugendlicher ebenso durchdringt wie die Zumutungen einer Arbeitsgesellschaft, die in ihren Integrationsleistungen unzuverlässig ist, hatte sich sozialpädagogische Jugendarbeit auf die Tatsache einzustellen, dass Jugendliche sich einer Vielfalt von – teils unvereinbaren – Optionen gegenübersehen (Bundesministerium 1990; Jugendwerk der Deutschen Shell 1997; 2000; 2002). Von Jugendlichen wird erwartet, dass sie sich ihre eigene Biographie konstruieren (Keupp u.a. 1999) und sich zu Experten für die Gestaltung eigener lebensgeschichtlicher Übergänge entwickeln. Die andere Seite des Trends besteht darin, dass die Bewältigung von Diskontinuität zu einer normalen Anforderung geworden ist – Diskontinuität der Beschäftigungsverhältnisse, Diskontinuität der Lebensformen, Diskontinuität kultureller Muster. Jungen und Mädchen sollen Gestaltungsanforderungen nachkommen, die sich aus einer Mischung aus vorübergehenden Gewissheiten und einer Reihe biographischer Wartezeiten ergeben. Angesichts ungewisser Perspektiven sollen sie nichts Geringeres leisten, als Kompetenzen für strukturell verantwortete lebensgeschichtliche Paradoxien zu entwickeln (Walther 2000) - Anpassungsfähigkeit an strukturelle Verwerfungen, die Mobilitätsbereitschaft und Geduld, Motivation und Aufschub als stabile Tugend abverlangen. Es handelt sich um Übergangskompetenzen, mit Hilfe derer die Ambivalenzen aushaltbar werden und die Jugendlichen zugleich die Fähigkeit ausbilden sollen, „im richtigen Moment” die ihren Lebenslauf strukturierenden Entscheidungen treffen zu können. Hatte die Zumutung zu jener „Flexibilität” schon für Erwachsene den Beigeschmack tendenzieller Überforderung, die sich mit Phasen der Unterforderung abwechseln (Sennett 1998), so finden sich Jugendliche in den Fängen jener strukturellen Antinomien, auf die sie sich nun selbst - und nicht nur die Erwachsenen - einzustellen haben.
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Es besteht ein Nebeneinander von Ungewissheit und Eindeutigkeit, deren Verlässlichkeit fraglich wird (Bauman 1994). Diese hohe Erwartung an die in jungen Jahren bereits geforderte Subjektleistung trifft auf eine strukturelle Erschwernis. Eine von Ambivalenzen und fehlenden Eindeutigkeiten durchzogene „Multioptionsgesellschaft” (Gross 1994), in der knappe wirtschaftliche Gelegenheitsstrukturen eigenständig gedeutet und genutzt werden sollen, ist eine problematische Herausforderung. Sie bedeutet einerseits eine imaginäre Ausweitung von Wahl- und Ausdrucksmöglichkeiten, wie sie insbesondere in der Ausdifferenzierung kultureller Stile erkennbar wird. Sie konfrontiert andererseits aber die Jugendlichen mit der faktischen Begrenztheit von Chancen auf dem Markt der Ausbildungs- und Beschäftigungschancen. Mit anderen Worten: sozio-kulturelle Optionsvielfalt wird nach wie vor begleitet durch sozioökonomische Eingrenzung der Ausbildungs- und Beschäftigungschancen. Dieser Rahmen, in dem sich der Prozess des Aufwachsens vollzieht, wird in der sozialpädagogischen Jugendarbeit mehr oder minder eingehend diskutiert (vgl. u.a. Lindner/Thole/Weber 2003). Auffällig ist darüber hinaus erstens, dass der Diskurs der Jugendarbeit nicht den Begriff ‚Jugendkultur’ im Singular gebraucht. Vielmehr wird es als sinnvoll erachtet, von ‚Jugendkulturen’ zu sprechen. Kulturelle Ausdrucksformen Jugendlicher und jugendliche Szenezugehörigkeiten haben sich erheblich vervielfältigt, ein breites Panorama von Stilen ist erkennbar. Zweitens werden jugendkulturelle Stile heute von Jugendlichen keineswegs mehr nur als fest umrissene, lang dauernde Gebilde aufgefasst, sondern auch als Durchgangsbzw. Übergangsstadien. Szenespezifische kulturelle Praktiken werden lediglich auf Zeit ausgeübt. Jugendliche gehen gleichsam eine Art „Bindung” (vgl. Grossmann/ Grossmann 2004) auf Probe zu klar erkennbaren kulturellen Mustern ein. So lange diese Phase dauert, halten sie an den kulturellen Kristallisationskernen fest und blenden die Ambivalenzen aus, so gut es ihnen möglich ist. Aber dann könnte diese Bindung, insbesondere wenn sie nur versuchsweise eingegangen wurde, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten im sozialen Umfeld wieder gelockert oder gar gelöst werden. Es ist – um ein Beispiel anzubringen – nicht generell ausgeschlossen, dass sich Jugendliche anfangs einer Skin-Head-Szene zurechnen, aber bereits nach einigen Wochen als Punker verstanden werden wollen und sich dementsprechend verhalten, wiederum einige Zeit später als eine Aufmerksamkeit heischende coole Hip-Hop-Gruppe durch die Stadt laufen, nein - vielmehr skaten, weil sie nun „Roller-Skater” seien und den größten Teil ihrer freien Zeit mit den damit verbundenen Praktiken und in den entsprechenden räumlichen „dynamischen Arealen” (half-pipes, Treppen, Boulevards) (Treptow 1993) verbringen. Aber jener mitunter langjährig geltende Traditionalismus einer einmal gefassten, prägenden Selbst-
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zurechnung zu einem Stil zeigt auch hier – unter der fordernden Zumutung, sich für andere Optionen flexibel zu halten – Auflösungserscheinungen. Er macht der Bereitschaft Platz, rasch aufzuspüren, was sich im Hinblick auf die nächsten biographischen Phasen als sperrige oder gar hinderliche kulturelle Selbstzurechnung erweisen könnte und daher keinen biographischen „Nutzen” mehr hat, sondern im Gegenteil eigene Lebensentwürfe gefährdet sind, wenn der „Ausstieg” nicht gelingt. Folglich wird die Suche nach Eindeutigkeit an andere symbolische Orte verlegt.
2. Wechsel, Übergänge, Bewegung Diese vielschichtigen Fragmentierungen zeigen, dass sich Jugendliche häufig in Situationen des Übergangs befinden (vgl. Fend 1991; 1998), die sich mindestens auf zwei Ebenen finden: Auf der Ebene der systemischen Integration handelt es sich um Übergänge innerhalb des Schulsystems, des Ausbildungs- und Beschäftigungssystems; die Gestaltung solcher Übergänge ist vergleichsweise stark davon abhängig, ob Jugendliche fremdbestimmte Erwartungen an Leistung und Anpassung erfüllen oder nicht, das heißt der Freiheitsspielraum ist relativ eingeschränkt. Auf der Ebene der soziokulturellen Integration handelt es sich um Übergänge, die zwischen Lebensformen (auch im Verhältnis zu Familie und Partnerschaft) sowie zu kulturellen Stilen und normativen Orientierungen entstehen; die Gestaltung dieser Übergänge unterliegt anderen Einschränkungen und Möglichkeiten, dennoch phasenweise nicht weniger anstrengend und belastend (Treptow 2005). Schwierigkeiten auf beiden Ebenen, die darin bestehen, sich sowohl innerhalb des jeweils erreichten Zustands souverän zu bewegen („Bewegungssouveränität”Treptow 1993) als auch mit Übergängen zurecht zu kommen, können sich wechselseitig verstärken oder aber wechselseitig entlasten. Fällt es zum Beispiel schwer, sich gegenüber schulischen und betrieblichen Anforderungen zu behaupten, so erleben sich Jugendliche doch in außerschulischen Tätigkeiten als kompetent und selbstwirksam – umgekehrt gilt dies allerdings auch. Während die strukturelle Differenzierung der Gesellschaft also Übergangs- und damit „Warte”-Kompetenzen erforderlich macht (Stauber 2001), bietet die kulturelle Differenzierung der Gesellschaft eine Vielfalt, die dazu einlädt, den Wechsel und das heißt auch: den Übergang zwischen kulturellen Optionen zu proben und zu erfahren. Jugendliche suchen sich im phasenweisen Nacheinander ihres Lebenslaufs solche Möglichkeiten der Selbst-Zuordnung aus, die sich durch eine hohe Eindeutigkeit auszeichnen – oder diese Eindeutigkeit zumindest versprechen. Zugleich aber wird ihnen auch die Ambivalenz dieser Eindeutigkeit klar – sie legen sich fest und lösen Erwartun-
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gen aus, die diese Festlegung bestätigen. Dies ist jedoch keineswegs immer von Vorteil, weil dadurch die einer auf der kulturellen, nicht ökonomischen Ebene bestehenden Multioptionsgesellschaft vorhandenen anderen und zugleich attraktiven Möglichkeiten, die die Jugendlichen nicht von innen heraus kennen, ausgeblendet werden. Sie darin ernst nehmend wäre es dennoch jugendpädagogisch voreilig, Jugendliche kategorial auf eine der von ihnen gewählten kulturellen Selbstinszenierungen festzuschreiben. Denn die lebensgeschichtliche wie auch die durch Pluralisierung kultureller Szenen ermöglichte Dynamik des Wechseln-Könnens, des Abschiednehmens und Neuanfangens bliebe dann zu wenig berücksichtigt. Der jugendpädagogische Blick auf die kulturelle Selbstzurechnung Jugendlicher zu einer Szene würde etwas fixieren, das im Geschehensablauf jugendlicher Gruppenprozesse nur eine Zeitlang mit energischer Rigorosität gelebt wird. Er würde sich einer zwar jugendgemäßen Gegenwartsorientierung anpassen, aber einen gegenwartsübergreifenden Horizont auf zukünftige Herausforderungen des Lebenslaufs aus dem Blickfeld verlieren. Während im Hintergrund ständig andere kulturelle Orientierungsoptionen gleichsam „mitlaufen”, die den Jungen und Mädchen zwar bekannt sind, die aber nicht zum Bezugspunkt eigener Praxis, also nicht aktualisiert werden, gestalten Jugendliche zunächst in einem kulturellen Bezugsrahmen eine Zeitlang ihre eigene Gruppengeschichte und basteln am jeweils eigenen Selbstkonzept. Danach verschaffen sie sich wieder eine biographische Kontrasterfahrung. Differenz ist gewollt, ohne dass sie zugleich Identität befördert. Kulturelle Selbstzurechnungen werden verzeitlicht, sind dynamisch (vgl. zur Dynamisierung kultureller Optionen im sozialen Raum: Treptow 1993; Deinet/Krisch 2002). Dieser Prozess wird zunächst durch den Wechsel zwischen symbolischen Gestaltungsformen und entsprechend zugeordneten Einstellungen eingeleitet. Er wird dann über eigene symbolische und häufig leibliche Praktiken (Bewegung) gefestigt, bis eine gewisse Kennerschaft in diesem kulturellen Segment ausgebildet wurde, die hohe Verhaltenssicherheit garantiert. Diese ist schließlich – weil alltäglich geworden - so „ausgereizt”, dass ein Verharren im Bekannten uninteressant erscheint und ein neuer Wechsel angebahnt wird. Eine neue biographische Episode von anfänglicher Ungewissheit bis hin zum Erwerb von Stil- und Verhaltenssicherheit beginnt. Auf diese Weise gestalten manche Jugendliche einen Teil einer eigenen, und zwar aus eigener Selbstwirksamkeit heraus gestalteten Lebensgeschichte als Geschichte individueller Stilbildung. Diese ist durch kulturelle Markierungspunkte und Episoden gekennzeichnet, in denen die jeweilige Szenenzugehörigkeit sedimentiert ist. Dabei handelt es sich um denjenigen Strang der Biographie, der nicht durch festgelegte Institutionalisierungen
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des Lebenslaufs, nicht durch „Lebenslauf-Regimes” (Kohli 1978) vordefiniert wird, sondern sich durch freiwillig aufgesuchte Bindungen an - und Loslösungen von kulturell teils scharf abgegrenzten, teils einander überlappenden Kontexten konstituiert. Es erscheint nicht übertrieben, hier von einem Prozess soziokultureller Selbstbildung zu sprechen, der dazu beiträgt, so genannte Schlüsselkompetenzen zu entwickeln – Schlüsselkompetenzen, die freilich nicht in erster Linie gesellschaftlich anerkannten Normen entsprechen, wohl aber individuelles Probierverhalten und gruppengeschichtliche Erwartungen reflektieren. Wer als „Skater” geschickt ist, findet nicht nur auf dem Gebiet der körperlichen Selbstinszenierung Anerkennung, sondern fädelt sich auch in ein selbst organisiertes, jugendkulturelles System freundschaftlich-spielerischen Wettbewerbs ein, dessen Eigenlogik Rückwirkungen auf die Bewegungsformen der gesamten Szene hat. Es verlangt nämlich Übung, Wiederholung, langen Atem und Verlässlichkeit bei gemeinsamen Veranstaltungen etc. Man kann dies übrigens für eine Reihe selbst organisierter kultureller Aktivitäten Jugendlicher behaupten, sei es in der Sparte der Musik oder des Theaters, des Tanzens oder des poetry-slams. Aneignung und Übernahme solcher vorgefundener Symbole und Einstellungen (Musikstile, Kleidung, Bewegungsformen usw.), die als typisch jugendkulturell gelten, vor allem aber die eigenständige Um- und Neugestaltung, die symbolische Praxis des Leibes also, haben eine gewisse, mal stärkere, mal schwächere Bedeutung für das lebens- wie gruppengeschichtliche Selbst, genauer: für denjenigen Aspekt, der besonders stark in der eigenen Verfügung steht – den Aspekt, in dem sich Jugendliche in hohem Maße als selbst bestimmt, als tatsächlich souverän erfahren und nicht lediglich als reagierende Akteure auf vordefinierte Anforderungen, wie sie Elternhaus, Schule, Ausbildungsplatz erheben. Freilich soll nicht übersehen werden, dass die häufig enge Verquickung jugendkultureller Symboliken mit vorgefertigten Schablonen einer am Gewinn orientierten Medienindustrie auch hier die Spielräume für im emphatischen Sinne souveräne Selbstgestaltung vorgibt. Dieser Kontext führt nun zu folgender These: das Spektrum der unterschiedlichen Jugendkulturen hält eine Reihe von Wahlmöglichkeiten für Jugendliche bereit, deren gemeinsame Merkmale, die Abgrenzbarkeit des Stils sowie die klare Erkennbarkeit der zugeordneten Regeln und Normen, eine relativ eindeutige Selbstzuordnung ermöglichen. Jugendkulturen bieten – auch wenn man sie in der Aufeinanderfolge von Generationen und nicht nur in der relativen Kurzatmigkeit innerhalb einer Alterskohorte sieht – eine Art Vorrat kultureller Symbolgehalte. Mit jedem neuem Trend wird dieses „Archiv an Optionen” erweitert, manches gerät in Vergessenheit um einige Jahre später als Ressource, als Fundus für aktuelle Trends
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erneut aufgesucht und geplündert zu werden. Dies ist meist dann der Fall, wenn gewisse Trends z.B. der fünfziger oder achtziger Jahre wieder entdeckt und als Zitate in Kleidungs- und Musikstil untergebracht werden. Entscheidend dafür, dass dieses Archiv seine jugendkulturelle Anregungskraft behält, ist, dass es Erkennbarkeit, Eindeutigkeit und Kontrasterfahrung garantiert und so die biographische Arbeit an der Ablehnung oder Anerkennung kultureller Symboliken erleichtert. Flankiert werden Aktualisierungen des symbolischen Vorrats von Strategien der kommerziellen Medien- und Kleidungsindustrie, deren gezielte Revisionen den Markt jugendkultureller Stile anreichern. Denn dann können sich Jugendkulturen auch gleichsam „flexibilisieren”, also neue Synthesen, Übergänge, Vielfachkombinationen realisieren. Angemessen wäre es, hier von jugendkulturellen „Szenen” zu sprechen, deren Hauptmerkmal es ist, dass sie – zwar als kulturelles Konstrukt Jugendlicher – mit klar und scharf erkennbaren Symboliken, Einstellungen und Praktiken aufwarten und dass Mädchen dabei ihren Stil in diesen Szenen mindestens so eigensinnig suchen und finden wie Jungen (Stauber 2004).
3. Jugendarbeit, Jugendkulturarbeit Der Versuch, sich der Grundannahmen zu vergewissern, die in der Verwendung des Begriffs Jugendkulturen enthalten sind, soll nun nicht dazu führen, einen beliebten Fehler zu wiederholen. Er besteht darin, beide Begriffe – Jugendarbeit und Jugendkultur – allzu rasch zusammen zu ziehen, und zwar im Begriff der Jugendkulturarbeit. Denn auch dieser Dreischritt Jugendarbeit – Jugendkultur – Jugendkulturarbeit ist voreilig. Die umstandslose Zusammenführung von Jugendkultur mit Jugendkulturarbeit steht einer Klärung des Verhältnisses von Jugendarbeit und Jugendkultur eher im Wege, weil es sich um eine Verengung auf eine besondere Spielart von Jugendarbeit handelt. Daher erschien es bisher ratsam, Jugendkulturen erst einmal ohne ihre Beziehung zu einer Arbeitsform zu betrachten. Was ist unter Jugendkulturarbeit zu verstehen? Wir unterscheiden zwischen einem engeren und einem erweiterten Sinne. Jugendkulturarbeit im engeren Sinne, gleichsam als Kern, zeichnet sich aus durch teils angebotsorientierte settings, teils durch medienbetonte, ästhetische Praxis, vor allem aber durch die Betonung gestaltender Eigenaktivitäten von Jugendlichen, durch die Erfahrungen von Selbsttätigkeit und Selbstwirksamkeit ermöglicht werden sollen. Diese können auch an der Schnittstelle zu anderen Feldern als den rein künstlerischen Sparten stehen (z. B. zum Beispiel zu Sport und Bewegung).
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Im Vordergrund steht also die Auseinandersetzung mit Inhalten, Sachen, Gegenständen. Jugenkulturarbeit im weiteren Sinne versteht sich als Raum für die Repräsentation kultureller Szenen. Diese kristallisieren sich nur zum Teil um jene selbst gestalteten ästhetischen Praktiken und bilden jeweils eigene gruppen- und szenespezifischen Ausdrucksformen aus, denen vor allem das Interesse an der Gesellung Gleichaltriger zugrunde liegt. Im Vordergrund steht also dieses Gesellungsinteresse, während jene Sach- und Inhaltsbetonte Gestaltung Teil des Geschehens ist. Ob nun das engere oder das erweiterte Verständnis konzeptionell gewählt wird – die systematische Schwierigkeit liegt nun darin, dass Jugendkulturarbeit (a) als Bestandteil eines umfassenden Begriffs von Allgemeiner Jugendarbeit verstanden wird – dann ist sie eine Arbeitsform neben anderen (z.B. Jugendberatung, Erlebnispädagogik, mobile Jugendarbeit) und in größeren Jugendhäusern nicht mehr als eine Facette; sie ist nachrangig und im Mittelpunkt steht zunächst die eigenständige Gesellung Gleichaltriger nach den Mustern alltäglicher Kommunikation und eben nicht nach dem Muster formender ästhetischer Praxis; (b) aber auch als umfassendes Grundkonzept für einen bestimmten Typus von Jugendarbeit begriffen wird – dann finden jene anderen, alltäglichen Formen der Gesellung allenfalls auf einer Art „zweiter Ebene” statt, während hingegen im Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit gestaltender Praxis, mit Sachen, Formen, Ausdruckstätigkeiten steht (vgl. Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung 2003). Es war übrigens die Idee der „Soziokultur”, die in der Verbindung von Sozialem und Kulturellem eine Überbrückung zwischen den getrennten Konzepten sah, die Sphäre des Alltäglichen mit der des kulturell Gestalteten zu verbinden suchte und in den soziokulturellen Zentren und ihren Ablegern entsprechende institutionelle Ausprägung fand (Treptow 2001a;b). Dabei wird von Anfang an Wert auf die Mischung unterschiedlicher kultureller Szenen gelegt, gleichwohl auch hier nicht übersehen werden sollte, dass dabei keineswegs der gesamten Bandbreite Genüge getan wurde, sondern vor allem jene Jugendlichen und jungen Erwachsenen angesprochen wurden, die über ein entsprechendes kulturelles Kapital und entsprechende Bildungsvoraussetzungen verfügten. Die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Sozialer Kulturarbeit und Kultureller Sozialarbeit, wie sie Mitte der Achtziger geführt wurde, lässt sich im Nachhinein als eine – übrigens für die alltagsorientierte Sozialpädagogik er-
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folgreiche – Anstrengung verstehen, das Konzept der offenen Jugendarbeit mit ihrer klaren Aufgabe, Unterstützung für Jugendliche in belasteten Lebenslagen zu bieten, nicht kulturalistisch zu verengen. Vermieden wurde eine im Zeichen von „Kultur” (damals war „Bildung” fast völlig aus der sozialpädagogischen Diskussion) – stattfindende, schleichende Abwendung von den so genannten bildungsfernen Schichten. Am Ende stand eine Polarisierung zwischen einer offenen Jugendarbeit, die im Namen von Alltagsnähe entweder gar kein oder ein deutlich abweisendes Verhältnis zu Kulturangeboten hatte und einer Jugendarbeit, die hier ihre Akzente setzte und sie bis in die Jugendverbandsarbeit hineinreichen ließ. Ein relativ kleiner Bestand kräftigte sich als „Kulturelle Jugendbildung” und genießt heute eine verstärkte Aufmerksamkeit im Zuge einer Neuthematisierung von Bildung im außerschulischen Bereich. Dieses neu erstarkte Interesse an Bildung brachte fast die gesamte übrige Jugendarbeit in die Verlegenheit, nach ihrer Ablehnung des Kulturellen nun beschreiben zu sollen, was denn „Jugendarbeit als Bildung” sei. Diese Frage ernst zu nehmen bedeutet nämlich, nach den kulturellen Wissensbeständen und Gestaltungsgelegenheiten zu suchen, nach den Themen und Inhalten, die wir gemeinhin mit dem Begriff der Kultur versehen. Es bedeut aber auch, nicht in jene Spaltung zurückzufallen, die alltägliche Lebenskompetenzen von der Kultur und ihrem Erwerb durch Bildung abtrennt. Problematisch ist auch die Trennung, die zwischen denjenigen Bildungsinhalten, die verwertbares Wissen und kognitive Kompetenzen versprechen, und denjenigen, die soziale Beziehungs- und Verständigungsfähigkeiten, d.h. kommunikative Kompetenzen fördern, ein Gefälle konstruiert. Hier wäre Jugendarbeit aufgefordert zu verdeutlichen, dass eine gleichsam an schulischen Unterrichtsfächern orientierte Curricularisierung von Jugendarbeit diejenigen Bildungsprozesse falsch verfachlicht und verstofflicht, die eben nur im freien Gruppengeschehen und darin frei von aller Didaktisierung und Methodisierung durch PädagogInnen entstehen. (c) Schließlich sollen die Überlegungen zu Folgerungen führen, die für eine gegenwärtige und vor allem zukünftige Jugendarbeit im Blick auf ihre Relevanz für die Unterstützung von Jugendkulturen vorgeschlagen werden können. Aus der Sicht der oben entwickelten Skizze heutiger jugendkultureller Optionen erscheint es angebracht, Jugendarbeit nicht nur als Bleibepunkt zu verstehen, sondern auch gleichsam als Zwischenraum, als Proberaum, als Erprobungsraum, der es erlaubt, kulturelle und lebensgeschichtliche Optionen der eigene Biographie durchzuspielen, ohne dabei deren Ernstcharakter zu übergehen.
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Diese Optionen liegen einerseits auf der Ebene selbst gestaltender Tätigkeiten im Bereich ästhetisch-medialer Praxis und bieten Experimentier- und Ausdrucksmöglichkeiten. Und sie liegen andererseits auch auf der Ebene biographischer Lebensgestaltung thematisch im Bereich der Frage nach Übergängen, nach Chancen und Risiken, die sich bei der Wahl dieser oder jener Lebensform, dieser oder jener Anforderung in der Schule, in der Ausbildung, im Betrieb oder in der Partnerschaft ergeben. Jugendarbeit, die sich eines für sie typischen Bildungsauftrags vergewissert, wird nach ihren eigenen Grundbeständen fragen, die sie zur Verfügung hat. Zum Grundbestand zählen: – diejenigen Gegenstände, Inhalte, Räume, Materialien, Medien, die nicht nur ausnahmsweise von Jugendlichen genutzt werden (nach dem Motto, dass die Computerwerkstatt immer so ordentlich aufgeräumt sei, weil sie so selten aufgesucht wird); vielmehr sollen sie regelmäßig Verwendung finden und eine eigenständige Gestaltungspraxis ermöglichen. Für den Fall, dass dies nicht geschieht, lauten hier die Fragen: Wie lassen sich diese Möglichkeiten entsprechend attraktiv gestalten? Welche nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Gleichaltrigen vermittel- und organisierbaren Informationen und Beratungen brauchen Jugendliche? – diejenigen Ereignisse, events, Vorstellungen, Aufführungen, die es Jugendlichen ermöglichen, eigene kulturelle Teilöffentlichkeiten zu schaffen, sie zu stabilisieren und weiter zu entwickeln. Die breite Palette reicht von Musik und Performance, Theater und Film, Computer-Lan-Parties, Literatur und Diskussion, Tanz und Bewegungsformen aller Art. Für den Fall, dass solches oder ähnliches nicht geschieht, lauten hier die Fragen: Wie lässt sich die Entstehung jugendkultureller Öffentlichkeiten unterstützen? Stellen sich Jugendliche und Erwachsene mit ihren jeweiligen Kompetenzen zur Verfügung, und zwar in dem Sinne, dass sie zeigen, ermutigen, unterstützen – und dies nachhaltig, verlässlich und sogar dahingehend, dass sie wie in einem Kursus unterrichten? Welche Finanzierungsmöglichkeiten bieten sich hier? – diejenigen Gestaltungsbedingungen, die Jugendlichen signalisieren, auch dann willkommen zu sein, wenn sie sich nicht einer kulturellen Szene zurechnen, keiner Clique angehören, sondern vielmehr beobachten, vielleicht auf der Suche sind oder die Suche aufgegeben haben. Dem liegt die Vermutung zugrunde, dass gerade die Paradoxien, die durch die Vielfalt kultureller Orientierungen entstehen, es für manche Jugendliche wenig sinnvoll erscheinen lässt, sich eindeutig dieser oder jener „Richtung” anzuschließen. Wenn dies Jugendlichen nicht möglich ist, sondern sich gleichsam wenige „Monokulturen” raumaneig-
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nend und dominant behaupten, lauten die Fragen: Welchen Stellenwert haben solche Jugendliche, für die die Option einer dauerhaften Unentschiedenheit biographisch prägend wird, im Konzept der Jugendarbeit? Welche Möglichkeiten zur Thematisierung von Ungewissheit, Ambivalenz, Unentschiedenheit bietet Jugendkulturarbeit? – diejenigen Gelegenheiten, die es MitarbeiterInnen der Jugendarbeit ermöglichen, ihre eigene Weiterbildung voran zu bringen. Schließlich werden sich Bildungsprozesse bei Jugendlichen auch in dem Maße einstellen, in dem JugendpädagogInnen selbst einen Bildungshorizont entwickeln, der Offenheit zulässt – Offenheit für den Respekt vor dem alltäglichen, keineswegs nur spektakulären Geschehen, aber auch für die Erweiterung des Alltagsgeschehens auf Außergewöhnliches, Fremdes, Neues. Es stünde dann sogar die Kooperation im Generationenverhältnis im Horizont.
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Kulturelle Optionen in jugendlichen Lebensphasen
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Salto mortale rückwärts? Oder: Strategie für magere Jahre? Anmerkungen und Ausblicke auf einige Entwicklungsperspektiven der Kinder- und Jugendarbeit Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen Und schrieen sich zu ihre Erfahrungen Wie man schneller sägen könnte, und fuhren Mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen, Schüttelten die Köpfe beim Sägen und Sägten weiter. (Bertold Brecht 1935)
Bestandsaufnahme und Ausblick auf die Kinder- und Jugendarbeit setzen ein mit der Rückbesinnung auf drei Referenzpunkte. Im Jahr 1826 beschäftigte sich der Pädagoge Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher in einer Vorlesung mit der Frage: „Was will eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?” (Schleiermacher 2000, S. 7 ff) Damals fielen Bildung und Erziehung noch zusammen und waren prägend für das Generationenverhältnis: Die ältere (und deshalb erfahrenere und wissendere) Generation sollte ihre Kenntnisse, Werte und Traditionen an die jüngere Generation weitergeben und dafür sorgen, dass die Traditionskette nicht abreißt, dass der gesellschaftliche Fortschritt „von Generation zu Generation” – wie ein Staffelstab - übergeben werden kann. Schleiermacher formulierte damals: „Die Erziehung (...) soll den Menschen abliefern als ihr Werk an das Gesamtleben im Staate, in der Kirche, im allgemeinen freien geselligen Verkehr und im Erkennen oder Wissen.” (ebd.) Wie heute war auch damals von Belang, wie die ältere Generation mit der jüngeren, nachwachsenden umgeht; welche Chancen sie ihr einräumt, was sie dafür zu tun bereit ist, welche Ressourcen sie dafür einsetzt, aber auch welche Hoffnungen und Erwartungen sie damit verbindet. Die Hoffnungen der Alten sind immer leicht zu bestimmen: Die Jugendlichen sollen brav und fügsam sein und den Eltern recht
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viel Freude machen. Sie sollen deren Werte akzeptieren, diese nachvollziehen und das ihnen aufgetragene Erbe im Sinne ihrer Eltern achten, schützen und mehren. Befragt der heutige Erwachsene den Jugendlichen, dann stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: „Was ist eigentlich mit Euch los?” und: „Geht am Ende alles gut?” Dabei betrifft besonders die zweite Frage die heimliche Hoffnung, dass der Jugendliche beim Älterwerden dann doch irgendwann zu denselben Erkenntnissen und erst recht Handlungen gelangten möge wie der Erwachsene. Denn das mindert die Sorge, im eigenen Leben etwas falsch gemacht zu haben. Im Gegenzug findet sich aber auch das Misstrauen der Jugendlichen in die Alten: Hinterlassen die uns überhaupt noch eine halbwegs intakte Gesellschaft, in der zu leben es sich lohnt? Der zweite Referenzpunkt liegt im Jahre 2003: Walter Hornstein stellt – durchaus in assoziativer Verwandtschaft mit Schleiermacher – die Frage: „Was macht die Politik mit der Jugend?” (Hornstein 2003; vgl. Schefold/Schröer 2004) Und er gelangt zu der Auffassung, Jugendpolitik habe die Aufgabe, den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Das funktioniere aber nur, wenn Jugend nicht als Bedrohung, als Patient, als hilfsbedürftig oder Sicherheitsrisiko gesehen werde und Jugendpolitik selbst sich als politische Antwort und Gestaltung des Generationenverhältnisses im sozialen Wandel sehe. Eine solche Politik aber – so Hornstein – sei derzeit nicht in Sicht; über Jugend fehle jegliches Nachdenken. Eine aktive Ausgestaltung des Generationenverhältnisses nämlich würde voraussetzen ein gesellschaftlichpolitisches Nachdenken über Stellung, Funktion und Rolle der Jugend und darüber, was die Gesellschaft ihr zuzugestehen bereit ist, was sie von ihr erwartet und umgekehrt: was die Jugend von der Gesellschaft zu erwarten hat. In jedem Fall brauche Jugendpolitik – ob auf lokaler, regionaler oder Landesebene – überhaupt erst einmal irgendeine Vorstellung davon, wie es gesellschaftlich weiter gehen solle. Stattdessen aber begnüge sie sich vielfach damit, Jugend als Problem, als Risiko, als Bedrohung, im besten Fall als hilfsbedürftig wahrzunehmen. Der dritte Referenzpunkt bezieht sich auf den seinerzeit durchgeführten bundesweiten Kongress der Kinder- und Jugendarbeit und den daraus resultierenden Band mit dem Titel „Jugendarbeit im Aufbruch.” (Rauschenbach u. a. 2002) Dies ist noch kaum drei Jahre her, aber angesichts der aktuellen Lage der Kinder- und Jugendarbeit müsste die treffendere Beschreibung heute eher lauten: „Jugendarbeit zwischen Aufbruch und Abbruch.” Die Kinder- und Jugendarbeit wird derzeit insbesondere in drei Aspekten bis ins Mark getroffen: Da ist zum einen ihre nach wie ungesicherte Rechtslage im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG bzw. SGB VIII). Kinder- und Jugendarbeit ist zwar eine kommunale Pflichtaufgabe, aber ihre Leistungen sind letztlich nicht verbindlich definiert bzw. quantifiziert. Hinzu kommt, zweitens, die Katastrophe
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der Öffentlichen Finanzen (aber diese trifft auch andere Sektoren der Gesellschaft zu). Schließlich trifft diese Krisenkombination auf den allseits apostrophierten demographischen Wandel. Insbesondere im letzten Punkt aber ist eine erstaunliche Schieflage zu registrieren. Während im öffentlichen Meinungsbild der Bedeutungsverlust der Jugend (und infolge dessen auch der mit ihr befassten Institutionen) wesentlich und nicht zuletzt unter Verweis auf deren anscheinend unaufhaltsames Verschwinden beschlossene Sache scheint, muss ein genauerer Blick in die Statistik eines Anderen belehren. Demnach – und entgegen des allseits „gefühlten Niedergangs” – wird die Anzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den alten Bundesländern in den nächsten Jahren einstweilen ansteigen – in den neuen Ländern allerdings dramatisch absinken. Die drei genannten Faktoren erzeugen jedenfalls eine hochbrisante Mischung und tragen im Wesentlichen dazu bei, dass die Kinder- und Jugendarbeit sich heute verschärften Legitimationsanforderungen ausgesetzt sieht, die mit umfassenden Prozessen der Neu -und Umorientierung einher gehen. Und es ist offenkundig, dass die schon bisher kaum gelösten Professionalisierungs-, Qualifizierungs- und Legitimationsprobleme der Kinder- und Jugendarbeit – mit nochmals gesonderten und verschärften Problematiken in den neuen Bundesländern – nun vor ungleich ungünstigeren Rahmenbedingungen noch weniger Chancen haben, zureichend bearbeitet zu werden. (Indizien für De-Qualifizierungen finden sich in zunehmenden und immer unverhohleneren Versuchen von Lohndumping, dem Bestreben freiwerdende Stellen in der Kinder- und Jugendarbeit über 1-Euro-Jobs nach Hartz IV zu besetzen oder dem Ansinnen, sozialpädagogisches Fachpersonal zu Betreuungszwecken in die Ganztagsschulen zu befördern.) Unabhängig von der empirisch bestens belegten Sachlage weiterhin anwachsender Zahlen Jugendlicher und junger Erwachsener scheint die gegenwärtige Jugendpolitik das vermeintliche „Verschwinden” der Jugend in ihren aktuellen DeThematisierungen und Problemverleugnungen bereits vorweg zu nehmen. Jedenfalls agiert sie bereits jetzt schon so, als ob es kaum noch Jugendliche gäbe, und sich infolge dessen auch jegliche Jugendpolitik wie von selbst erübrige. Wie die seit Monaten anhaltenden Hiobsbotschaften (vgl. dazu die kontinuierlichen Mitteilungen in der deutschen jugend, z. B. Brenner 2004a, 2004b, 2004c, DBJR-Info 2004, Hafeneger 2005, Pothmann/ Thole 2005, Thole/ Pothmann 2005; Schilling 2005) unmissverständlich verdeutlichen, geht es in der Jugendarbeit nicht mehr um vertretbare Kürzungen, sondern um deren Substanz inmitten einer gesellschaftlichen Lage, in der die Trias von Befristen, Kürzen und Einsparen allerseits als Politik-Ersatz herhalten muss: „Die Jugendarbeit droht – zumindest politisch – mehr denn je in einem Bermuda-Dreieck dieser drei Sphären von Finanz-, Jugend-
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und Bildungspolitik vom Bildschirm der politischen Öffentlichkeit zu verschwinden, zumindest so an den Rand gedrängt zu werden, dass ihre jugendpolitische und fachliche Relevanz nicht mehr angemessen zum Tragen kommt.” (Rauschenbach 2004, S. 2) Dabei reproduzieren sich sattsam bekannte Modelle: „Die Hemmungslosigkeit der Streich- und Kürzungsoperationen in perspektivischen Folgewirkungen werden erst am Tag danach bedacht. Man wird ihnen dann mit Feuerwehrmethoden wieder begegnen oder zunehmend Betroffene ihrem Schicksal überlassen.” (Hirschauer 1995; S. 296) Die anstehenden Kürzungen werden durchgezogen – ob mit oder gegen alle Vernunft. Dass es zum Teil die dieselben Personenkreise sind, die zunächst Jugendeinrichtungen kürzen und schließen und sodann angesichts der Folgewirkungen unverdrossen „Prävention” fordern, dass sich mit dem Niederreißen von Strukturen die zugrundeliegenden Anforderungen und Problemlagen keineswegs gleichfalls erledigen, interessiert eine von kurzfristigen finanzpolitischen Motiven angetriebene Politik nicht. Im gesellschaftlichen Mainstream einer „Agonie des Sozialen” (Ungut 2004) wird jeder Widerspruch als Reformblockade denunziert, wohingegen Sozialabbau nachgerade als Beitrag zur Zukunftssicherung gilt. Das alles gilt es zur Kenntnis zu nehmen. Neben dem Kampf im Tagesgeschäft und dem Aufspüren aller Impulse und Chancen der Weiterentwicklung, scheint es gegenwärtig sinnvoll, sich beizeiten auf den Moment vorzubereiten, in dem das Pendel zurück schwingt und Kürzungsentscheidungen unter den Druck ihrer eigenen Folgeprobleme geraten. Dies könnte ein bis zwei Jahre dauern, und dies festzustellen, bedeutet nicht „Attentismus”, Depression oder Nichtstun. Es ist vielmehr zu fragen, was die aktuellen und künftigen Entwicklungen für die Kinderund Jugendarbeit bedeuten, und wie hierauf angemessen zu reagieren wäre.
1. Ende der Erfolgsgeschichte Die Erfolgsgeschichte der Kinder- und Jugendarbeit, die sich in bislang ungebrochenen Wachstumsraten und einer zunehmenden Ausdifferenzierung manifestiert hat, ist zu Ende. (vgl. Schilling u.a. 2004) Die derzeitige Konjunktur der Ganztagsschule wird hieran nur wenig ändern. Die Kinder- und Jugendarbeit wird – mindestens für die nächsten Jahre – einen Prozess der Schrumpfung zu durchstehen haben. Die Frage dabei ist aber, ob sie diesen Schrumpfungsprozess ohnmächtig erleidet, oder ob sie ihn halbwegs reflektiert gestalten kann. So wird die Kinder- und Jugendarbeit das Kunststück zu vollbringen haben, sich innerhalb einer reflektierten Konsolidierungsbewegung zu
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reorganisieren. Dies ist vergleichbar mit einem Salto Mortale rückwärts, und es ist offen, ob die Kinder- und Jugendarbeit dabei auf dem Rücken landet, oder auf die Füße kommt.
2. Strategien für magere Jahre Angesichts der schon vollzogenen und noch anstehenden Kürzungen sind der Kinder- und Jugendarbeit das Nachdenken über die nachfolgenden Umgangsweisen anzuraten:
Konzentration auf die Kern-Kompetenzen Die knapper werdenden Ressourcen (Finanzen, Personal, Zeiten) erzwingen einerseits eine Besinnung und Konzentration auf das zur Aufgabenwahrnehmung Unerlässliche, andererseits die Konzentration auf diejenigen Kompetenzen, für welche die Kinder- und Jugendarbeit mindesten eine, möglichst konkurrenzlose, Expertise belegen kann.
Jenseits der Larmoyanz Der bisherige Protest wird überwiegend mit abstrakten und emotionalen programmatischen Formeln geführt, die entweder empirisch imaginäre Einspar- oder sonstige Nutzeneffekte oder aber einen generellen Niedergang beschwören, ohne diesen mit klaren Zahlen und Fakten zu dokumentieren – ein auch in anderen Feldern der Sozialen Arbeit beobachtbarer Sachverhalt, der alle Anzeichen einer „Heiligsprechung“ aufweist: „Wenn eine Einrichtung in ihrem Bestand bedroht ist, dann erklärt sie sehr schnell, sie habe sich doch über die Jahre derart bewährt, dass man ihr einen Heiligenschein aufsetzen könnte. Wenn die Ökonomie sozusagen als „Aggressor“ kommt, hört oftmals jegliche Fähigkeit zur Differenzierung auf und zu allererst heißt es: „Aber wir haben doch 30 Jahre hervorragend gearbeitet und alles hat sich absolut bewährt.“ Und dann werden Legitimationspapiere geschrieben und die Einrichtung wird immer besser und letztendlich als immer „heiliger“ dargestellt.“ (Manderscheid 2000, S. 124)
Je mehr derartige Defensivstrategien notwendige Umorientierungen verhindern, desto weniger helfen angesichts anstehender Kürzungen pauschale Wehklagen („Es
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kann doch nicht..., Man darf doch nicht einfach...”, Verweise auf die „traditionsreiche Vergangenheit”, oder programmatische Leerformeln, z. B. „Abbau des Sozialstaats”, „Schaden für die Zivilgesellschaft”), weil diese die Kinder- und Jugendarbeit immer wieder in den (auch aus anderen Branchen sattsam bekannten) Ruch der Larmoyanz von Lobbyisten in eigener Sache bringen. Daran ist die Jugendarbeit nicht ganz schuldlos, denn sie hat eine seit mindestens 50 Jahren anhaltende Erfolgs- und Wachstumsgeschichte hinter sich, ungeachtet dessen hat sie fortwährend geklagt und damit ihren „Klagekredit” aktuell erst einmal verspielt. Nun geht es ihr an die Substanz, nun hätte sie allen Grund für Notrufe – aber die Politik hört gar nicht mehr hin, weil sie die alte Leier schon zur Genüge kennt. Gleichwohl werden die zu erwartenden Kürzungsfolgen kaum akut sichtbar, sofern sie keine unmittelbaren Wirkungen aufweisen. Und deshalb wäre konsequent und sehr präzise darzulegen und zu dokumentieren, welche Folgen bestimmte Einsparmaßnahmen haben werden, damit die entscheidende Politik einen Eindruck davon erhält, wie und wo die Aufgabenerfüllung der Kinder- und Jugendarbeit beeinflusst wird. Das ist nicht ganz einfach, weil die Kinder- und Jugendarbeit kaum über exakte Standards verfügt. So wird der Wegfall einzelner Maßnahmen kaum spürbar und auch weitergehende Kürzungen sind schwer in ihren Folgen zu erkennen, weil die Qualität immer nur undeutlich definiert und quantifiziert wird. Und so fallen Kürzungen, so schmerzlich sie sein mögen, solange kaum ins Gewicht, wie das Tagesgeschäft davon unberührt bleibt. Kinder- und Jugendarbeit wird weiter stattfinden, die Zumutbarkeiten sind dehnbar, ein rapider Zusammenbruch wird sich kaum ereignen. Klare Standards aber würden die Verluste sichtbar und deutlich machen, sofern sie für das Erreichen einer bestimmten unerlässlichen Qualität stehen. – Klar aber dürfte auch sein: Das einmal eingesparte Geld kommt nicht mehr zurück.
Einsparungen kompensieren? Diese Strategie zieht zwei weitere Strategien nach sich, die einzubeziehen sind. Es ist davor zu warnen, Einsparungen durch erhöhte Aktivitäten auf anderen Sektoren ausgleichen zu wollen, etwa sinkende Zuschüsse durch ein Mehr an Einnahmen über Angebote, Kurse, Projektmittel und sonstige Aktivitäten auffangen zu wollen. Eine solche Strategie hat manche Träger in der Vergangenheit bis an den Rand der völligen Handlungsunfähigkeit gebracht, ohne dass sich die Finanzausstattung damit wesentlich verbessert hätte. Denn der Politik wird zugleich signalisiert, dass Kürzungen zwar Schwierigkeiten bringen, aber letztlich doch verkraftbar sind. Zum
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anderen ist dieser Weg schwer wieder zu verlassen, wenn man nur erst lange genug mitgespielt hat. Auch die Einwerbung zusätzlicher privater Mittel (i.w.S. Fundraising) gewinnt in Zeiten knapper öffentlicher Kassen an Attraktivität. Abgesehen davon, dass eine solche Strategie neue Konkurrenzen um alternative Finanzquellen in einem immer enger werdenden Markt erzeugt, die erst einmal erfolgreich bestanden werden wollen, ist dabei die öffentliche Verantwortung für die Kinder- und Jugendarbeit im Auge zu behalten. Zum anderen müssen für halbwegs erfolgreiche Fundraisingkonzepte zunächst einmal entsprechende (organisatorische, personelle, sachliche) Vor-Investitionen getätigt werden, um überhaupt mit Erfolgsaussichten in diesem neuen Wettbewerb bestehen zu können. Diese erforderlichen Investitionen werden aber durch eben jene finanziellen Kürzungen, die sie doch eigentlich auffangen wollen, nur erschwert. Das Einwerben privater Mittel kann punktuell und sporadisch die Arbeit unterstützen und bereichern, ein dauerhafter Ersatz für Regelangebote der Kinder- und Jugendarbeit kann es nicht sein, weil erfahrungsgemäß nur ca. 3-5% der anfallenden Kosten damit abgedeckt werden können.
Innovations-, Impuls-, Aktions- und sonstige befristete Förderprogramme Hier verbergen sich sicherlich die allergrößten Zumutungen für die Kinder- und Jugendarbeit. Kein Zweifel, befristete Fördetöpfe haben dort ihren Sinn, wo sie als Anreize für Innovationen in einem fachlich akzeptablen Wertbewerb eingesetzt werden – nicht aber als Ersatz für dauerhaft zu erfüllende Aufgaben. Es ist aber zu erwarten, dass Regelfinanzierungen künftig vielfach auf befristete Förderprogramme mit immer komplizierteren Mischfinanzierungen, Evaluationsvorgaben und Eigenbeteiligungen umgestellt werden, für deren Teilnahme die einzelnen Träger um Wettbewerb und Konkurrenz aufgerufen und immer wieder auch gegeneinander ausgespielt werden (vgl. hierzu detailliert: Hafeneger 2005 b). In der Regel sehen sich Träger und Verbände genötigt, an diesem argen Spiel teilzunehmen, weil sie nur so ihre erbärmliche Grundfinanzierung ansatzweise kompensieren können. Es ist darauf zu verweisen, dass jeder kurzfristige Vorteil sich hier in einen langfristigen Nachteil verwandelt, weil in der Summe kaum ein Mehr an Finanzvolumen verteilt wird, sondern die Fördertöpfe gleichfalls sukzessive eingeschrumpft werden.
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Und die Adressaten? Wie sich die Jugendarbeit entwickelt, hängt nicht zuletzt von den Jugendlichen selbst und empirischen Befunden zur ihrer Lage ab. Wenn die Kinder- und Jugendarbeit für ihre Adressaten wirklich so unentbehrlich ist, wie deren Protagonisten allenthalben behaupten, dann müssten die anstehenden Kürzungen mindestens mittelfristig bestimmte Effekte haben (z. B. verstärkte Präsenz Jugendlicher im öffentlichen Raum, auf Spielplätzen, Vandalismus etc.). Ob dies wirklich so kommt, bliebe mindestens abzuwarten. Zugleich gibt es nicht Wenige, die (klammheimlich) auf eine kleine Jugendrevolte (sic! Frankreich!) schielen, sofern die Erfahrung lehrt, dass erst dann die Mittel wieder fließen, welche für ganz „normale” Kinder- und Jugendarbeit nicht aufgebracht werden. Wie die derzeit allmählich in Schwung kommende Debatte – wieder einmal – erweist, ist es absurd genug, dass das einzige, was Jugendliche selbst derzeit (unfreiwillig) zur Verbesserung der Lage der Jugendarbeit in Deutschland beizutragen hätten, offenbar darin bestände ‚rechtsnational’ zu wählen. Konkrete Anhaltspunkte für verquere „Revolten”-Phantasien, welche die Jugendarbeit aus ihrer Defensive heraus katapultieren würden, sind nicht in Sicht. Dabei wären die strukturellen Ursachen für jugendlichen Unmut und ‚Ausrasten’ im Übermaß vorhanden. So wird die Anzahl der 14–18jährigen Kinder- und Jugendlichen in den westlichen Bundesländern in den nächsten Jahren einstweilen anwachsen – wohingegen die Unterstützungs- und Begleitstrukturen der Sozialen Arbeit nahezu flächendeckend abgebaut werden. Darüber, was für eine Generation da heranwächst, im jugendpolitischen Vakuum, in dem der Sozialabbau nur darum zu weit geht, weil er an nichts mehr eine Grenze findet, kann derzeit nur spekuliert werden. Ein heuristisches Indiz hierzu entstammt weniger der wissenschaftlichakademischen Jugendforschung, sondern der Literatur. In Juli Zeh’s Roman „Spieltrieb”; erläutert Ada, die 15jährige Romanheldin vor ihrer Jugendrichterin ihr aktuelles „Generationsgefühl”: „Ich brauche keine Seele. Das woran ich Schaden nehmen könnte ist nicht vorhanden. (...) Gut und schlecht wurden vor hundert Jahren abgeschafft und durch funktionsfähig und nicht funktionsfähig ersetzt. Werte sind zu Kriterien und die Moral zu einer Industrienorm geworden. (...) Der ideale Mensch ein geistig-sittliches Wesen? Nicht isoliert und selbstherrlich? Gebunden an und bezogen auf die Gemeinschaft? Welche Gemeinschaft, werden wir fragen, und unser Gelächter wird zum donnergrollenden Soundtrack unserer Verständnislosigkeit. Wir sind nicht einmal in der Lage eine Familie zu gründen, geschweige denn, uns mit einer Partei zu identifizieren! Wissen Sie was wir wollen? Wir wollen keine Gemeinschaft. Wir wollen unsere Ruhe. Nennen Sie es isoliert. Nennen Sie es selbstherrlich. Sei’s drum. Ich kann Sie nicht hindern, den Beruf auszuüben, für den Sie bezahlt werden. Aber sie sollen wissen, dass Sie Recht sprechen über eine Gruppe von Menschen, die sich
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abgewandt hat von den Grundlagen dieses Systems. Sie urteilen über Verständnislose. (...) Wir sind der banalen und kleinkrämerischen Reglementierungen müde, die uns bei Strafe zwingen, Licht an unser Fahrrad zu schrauben und mit dem Rauchen bis zum sechszehnten Lebensjahr zu warten und unsere Autos für zwei Euro pro Stunde in ein Kästchen zu stellen, das irgend jemand fein säuberlich auf den Boden gemalt hat, während wenige Flugstunden entfernt ganze Welten verbrennen, vertrocknen, ersaufen, explodieren, verbluten. Wir passen nicht mehr zu diesem Staat, wir sind dem System voraus geeilt, von den Gedanken und Wünschen vergangener Generationen über die Linie hinaus gedrängt worden und stehen außerhalb, kopfschüttelnd, wie es alle paar Jahrzehnte einer Generation passiert. (...) Sehen Sie in die Geschichtsbücher, fragen Sie einen Fachmann Ihres Vertrauens: So etwas kommt vor. So etwas muss vorkommen. Andernfalls säßen Sie noch mit einer Keule auf der Schulter unter einer Eiche zu Gericht. (...) Wir sind im falschen Zeitalter geboren, wir sind wie Schafe ohne Weide, ohne Schäfer, ohne Stall. Wir irren, umgeben von Wölfen durch unbesiedeltes Gebiet und müssen uns bei alledem vom Schäferhund der notorischen sinnentleerten Pflichterfüllung in die Waden beißen lassen. Wir sind müde.” (Zeh 2004, zit. aus den S. 370, u. S. 540ff)
Die Romanjugendliche Ada ist überdurchschnittlich lebenstüchtig; andere Jugendliche kommen mit den Verhältnissen weniger gut klar. Dass dann ab und zu ein Jugendlicher, der nicht zufällig immer auch ein Schüler ist, seine Eltern (Braunschweig am 7. November 2004), seine Lehrer (Ahrensburg am 16. Januar 2005, Rötz (Bayern) am 7. März 2005; USA: Red Lake am 22.03.2005) oder sich selbst (29. Januar 2005 in Berlin)1 massakriert, wird offenbar allenfalls als Kollateralschaden der gegenwärtigen Verhältnisse in Kauf genommen. Weitere punktuelle Aufmerksamkeits- und Gewaltvorfälle – vorzugsweise im Kontext von Schulen – wären kaum sonderlich abwegig. Bisweilen reicht bereits ein einziger Vorfall aus (siehe Erfurt), um Gesetze und Politik in einer Geschwindigkeit in Gang zu bringen, bei der man nur noch staunen kann. Es dürfte dann vermutlich punktuelle Aktionsprogramme geben, die schnell die Brandherde löschen sollen. Dies wäre ein weiterer Punkt, in dem rechtzeitige Vorbereitung sinnvoll wäre, um sich dann nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, ein Aktionsprogramm (z. B. nach „Prävention”) einfach ins Leere laufen zu lassen und die Finger nicht gleich nach Fördermitteln auszustrecken (dies wäre der Alptraum jeder Jugend-, Ministerial- und Förderbürokratie). Eine solche Zurückhaltung erfordert allerdings viel Selbstdisziplin; und ob die Jugendarbeit dazu in der Lage ist, erweckt gehörige Zweifel. Auf einer anderen Ebene und zugleich wären sämtliche öffentlichen Themenund Problemstellungen, die die Jugend und die Jugendarbeit betreffen – wann immer und wo immer sie auftauchen mögen – konsequent mit Strukturfragen zu verbinden und zu beantworten – und nicht mit dem eilfertigen Run auf hektisch aufgelegte, punktuelle und isolierte Fördertöpfe. Es ist nicht zu leugnen, dass der 1 9. Kongress für Jugendmedizin in Weimar: Pro Tag begeht mindestens ein Jugendlicher Selbstmord. In: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/nano/ news/44003/
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Appell nach größtmöglicher Abstinenz ein erhebliches Maß an Durchhaltevermögen und programmatischer sowie jugendpolitisch-strategischer Stringenz erfordert, insbesondere dann, wenn im Zweifelsfall (befristete) Arbeitsplätze von MitarbeiterInnen auf dem Spiel stehen. Und es ist auch nicht zu verkennen, dass dies ein erhebliches Maß an trägerübergreifendem strategischen Miteinander erfordert; und deshalb kann die Erfolgschance für diese „bittere Medizin” nur höchst skeptisch beurteilt werden. Anders aber dürfte der Problemkreislauf kaum zu durchbrechen sein, in dem Jugendpolitik die Probleme, auf die sie in kurzfristigem Aktionismus immer wieder zu reagieren hat, wesentlich selbst mit produziert, indem sie eine auf Kontinuität angelegte Kinder- und Jugendarbeit finanziell ausblutet.
3. „Bildung” als Retter in der Not? Es wird in der nächsten Zeit darauf ankommen, den Bildungsauftrag der Kinderund Jugendarbeit sehr praktisch einzulösen (Lindner/Weber/Thole 2003; Lindner 2003; Lindner/ Sturzenhecker 2004, Lindner 2005a, 2005 b), auch wenn dazu kaum Zeit bleibt, weil die Jugendarbeit – oft gegen ihren Willen – in die neuen Ganztagsschulen hinein geschoben wird und sich hier (sofern dazu noch Zeit ist) überlegen kann, was sie dort sein will: Bildungspartner oder Pausenclown. Die hehren Bildungspostulate und –maximen („Bildung in der Wissensgesellschaft”) können bei Kooperationen mit Schule hilfreich sein und es wäre unhaltbar, sie völlig zu vergessen. Was jedoch aktuell ansteht, ist härtester Pragmatismus auf der lokalen Ebene. Deshalb ist der Jugendarbeit derzeit eine taktische und strategische Klugheit anzuraten, von der sie selbst vielleicht noch gar nichts weiß. Ein wesentlich neuralgischer Punkt hierbei ist die – immer wieder eingeforderte – „Kooperation auf Augenhöhe”. Eine solche Kooperation erweist sich angesichts der realen Machtverhältnisse und der strukturell schwachen Position der Kinder- und Jugendarbeit als Illusion. „Kooperation auf Augenhöhe” wäre somit nicht als Postulat an den Anfang oder gar vor den Beginn von Kooperationen mit Schule zu setzen, sondern stände allenfalls am Ende von gemeinsamen Unternehmen. Denn die Dimension der „Augenhöhe” muss sich die Jugendarbeit erst einmal verdienen, indem sie die Anerkennung und Wertschätzung von Schule durch die Qualität ihrer Praxis nachweist. Hier muss die Kinder- und Jugendarbeit viele Paradoxien bewältigen und der/ die Klügere sein, der/die nachgibt – ohne allerdings am Ende mit leeren Händen dazustehen. Sie hätte zu vergegenwärtigen, dass sie – rein theoretisch – ein wesentlich umfassenderes und moderneres Bildungsverständnis hat als Schule – ohne
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dass sie das ihrem Gegenüber nun penetrant vorhält. Kinder- und Jugendarbeit hat sich darauf einzustellen, mit Schule zu kooperieren, auch unter Bedenken, auch mit halbgaren Kompromissen. Sie wird zur Kenntnis nehmen müssen und es zu ertragen haben, dass es hier mal zwei Schritte vor geht, und dann wieder einen zurück, oder auch zwei; oder auch drei. Die Kinder- und Jugendarbeit wird bis zur Selbstverleugnung das Kooperationsfeld Schule zu beschreiten haben. Und wenn sie Glück hat, wird sie dabei von außen theoretisch, konzeptionell und finanziell unterstützt. Dabei kann es geschehen, dass eine unter Bildungsmaximen orientierte Kooperation sich als „Prävention” tarnen muss, um Dinge voran zu bringen, die Anderes unter den gegebenen Bedingungen nicht zulassen. Es kann sein, dass sich Jugendarbeit als Dienstleister für Schule missbrauchen lassen muss, weil sie nur so einen Eindruck von ihren Kompetenzen vermitteln kann – der aber notwendig ist, um Vertrauen für Weitergehendes aufzubauen. Es ist zu erwarten, dass Jugendarbeit Rücksicht und Nachsicht mit Schule üben muss, weil sie deren Strukturzwänge zwar sieht, diese aber nicht ändern kann. Manchmal darf sie diese nicht einmal benennen, um Kränkungen zu vermeiden, die sich für Kooperationen wiederum als kontraproduktiv erweisen. Schließlich kann es sein, dass Jugendarbeit für Kooperationen noch Geld mitbringen muss und einen Großteil ihrer – weiß Gott nicht üppigen – Ressourcen einspeist, um hier überhaupt einen kleinen Sockel oder Brückenkopf von gelingendem Miteinander aufzubauen – der irgendwann unter anderen Rahmenbedingungen anders ausgestaltet werden könnte.
4. Bildung und Lebensbewältigung – Zurück zur Armenfürsorge? Die sich teils ausweitenden, teils polarisierenden Problementwicklungen in etlichen Sozialmilieus von Kindern und Jugendlichen (z. B. Jugendarbeitslosigkeit; Armutsentwicklung) erfordern, dass sich die Kinder- und Jugendarbeit neben ihrem Bildungsauftrag mit Aufgaben der Lebensbewältigung (Böhnisch 2002) auseinander setzt. Beide Leitbegriffe sind auf vielfältige Weise mit einander verbunden, Bildung ist zum Teil Voraussetzung für die Lebensbewältigung. Umgekehrt ist Lebensbewältigung immer auch ein Teil von Bildung. Die Kinder- und Jugendarbeit wird ihr Verhältnis zu explizit problemorientierten Bereichen der Sozialen Arbeit bzw. Kinder- und Jugendhilfe zu erproben und zu klären haben (vgl. Hilfen zur Erziehung, Migration; berufsbezogene und mobile Jugendsozialarbeit; Schulmüdigkeit/ Schulverweigerung; vgl. die Programmatik der neuen Sozialraumorientierung). Hier dürfte es von Bedeutung sein, inwiefern es der Kinder- und Ju-
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gendarbeit gelingt, ihre stagnierenden Ressourcen nicht zu verstreuen, sondern auf bestimmte Punkte zu bündeln, zu konzentrieren und sich in Kooperationen auf lokaler/ regionaler Ebene (insbesondere zwischen öffentlicher und verbandlicher Jugendarbeit) ihre speziellen fachlichen Kompetenzen und Zugänge nicht abhandeln zu lassen. In diesem Zusammenhang werden lokale und regionale Bündnisse für die Jugendarbeit von Belang, denn es ist zweifellos eine andere Qualität, ob sich nur die Jugendarbeit selbst für ihren eigenen Erhalt ausspricht (und insofern in die Gefahr eines egoistischen Lobbyismus gerät), oder ob sie auf den aktiven Rückhalt von durchaus artikulationsmächtigen und einflussreichen Instanzen wie Schule, Polizei, Staatsanwaltschaft, Eltern und jedweden Nutzern ihrer Dienste und Einrichtungen (z. B. bei Raumvermietungen) zurück greifen kann. Allerdings müssen derartige Bündnisse langfristig aufgebaut und gepflegt werden – damit erst hektisch zu beginnen, „wenn die Hütte brennt”, verspricht ungleich weniger Aussichten auf Erfolg. Auf der anderen Seite und zugleich steht die Kinder- und Jugendarbeit in einem schärfer werdender Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern um eine knapper werdende Zielgruppe. Für beide konzeptionellen Ausprägungen stehen die immer noch und nach wie vor kaum eingelösten, bzw. konkretisierten Leitmaximen wie Lebenswelt-, Alltags-, und Subjektorientierung sowie die Verschränkungen von Bildung und Lebensbewältigung zum Umsetzung an.
5. Strategische (Aus)Wege im „Wind des Wandels” Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, ist es schwer, kühlen Kopf zu bewahren und nüchterne Chancenabwägungen zu betreiben. Allerdings wäre dies u. E. der einzige Weg zwischen kopfloser Flucht, lähmendem Entsetzen und hektischem Aktionismus. Ob der Weg erfolgversprechend ist, steht dahin. Ein allenthalben strapaziertes Sprichwort besagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, dann bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.” Aktuell aber weht da nicht irgendein Wind im Sinne höherer Naturgewalten, den man nicht steuern und beeinflussen könnte, allenfalls sich ihm geschickt anzupassen hätte. Es geht um Ideologien, massive Glaubenssätze, Machtinteressen und eine Politik, die nach ganz anderen Gesetzen funktioniert als denen einer fachwissenschaftlich fundierten Jugendarbeit. (So ist es sicherlich keine Verschwörungstheorie, bei allen Kürzungen mindestens zu vergegenwärtigen, dass die Schere zwischen arm und reich weiter auseinander gegangen ist – wohlgemerkt: nach sechs Jahren sozialdemokratischer Regierung (vgl. 2. Armutsbericht der Bundesregierung; vgl. Heitmeyer 2004; Gil-
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len 2004; S. 148 ff) –, dass weite Teile der Wirtschaft aber beste Ertragslagen verzeichnen, insbesondere die großen Konzerne und Banken offensichtlich gar nicht mehr wissen, wohin mit ihren Überschüssen und aus Verzweiflung die eigenen Aktien zurück kaufen.2 „Mauern bauen”, hieße für die Jugendarbeit: sich abschotten, dichtmachen, Totalverweigerung – „Windmühlen bauen”, hieße: Mitmachen, managen, budgetieren, wohl oder übel, ob mit oder ohne Begeisterung: „Du hast keine Chance, aber nutze sie” (Oltmanns 1983) lautete das hierzu passende Leitmotiv. Wenn dies zwei gleichermaßen untaugliche Alternativen sind, wäre eine dritte ins Auge zu fassen: Segler wissen, dass man auch gegen den Wind voran kommen kann, indem man gegen ihn kreuzt. Demzufolge hätte die Kinder- und Jugendarbeit weniger einen geradlinigen Kurs anzuvisieren, sondern vielmehr klug zu navigieren. Dazu benötigte sie allerdings mehr als nur den Blick auf die Wetterfahne. Denn um das Ziel zu kennen und nicht vom Kurs abzukommen, wäre gerade in unübersichtlichen Zeiten Reflexivität unentbehrlicher denn je. In der Praxis wäre dies exemplarisch zu illustrieren an einer Vorgehensweise, die in 1. Anerkennung der Tatsache, dass Jugendarbeit ein allgemeines Regelangebot für alle Jugendlichen ist und keine Randgruppenpädagogik, 2. ihre Bemühungen gleichwohl auf sozial eher „problematische“ und marginalisierte Jugendliche ausrichtet, dies aber 3. vermag, ohne in die „Präventionsfalle” zu laufen und 4. trotzdem Finanzmittel aus PräventionsFördertöpfen nicht verschmäht und für die eigene Arbeit sinnvoll einzusetzen in der Lage ist. Auf einer anderen Ebene und soweit ihr dies in nächster Zeit möglich ist, hätte die Kinder- und Jugendarbeit ihren Bildungsauftrag weiter zu qualifizieren und zu präzisieren, vor allen Dingen aber zu evaluieren. (Lindner 2003) Die Jugendarbeit hat ihren Bildungsauftrag erst in wenigen Ansätzen wirklich ernsthaft wahrgenommen (Lindner/ Sturzenhecker 2004), zugleich erlaubt etwa das „Bildungsbarometer” der Universität Landau3 höchst spannende Hinweise darauf, dass exakt die Bildungsaufgaben der Kinder- und Jugendarbeit sich offenbar höchster Akzeptanz und öffentlicher Dringlichkeit erfreuen. (Hier erhielten die Kategorien „Praxis und Lebensnähe von Bildung”, „Anerkennung von außerhalb der Schule erworbenen Leistungen” und „Bildung für Benachteiligte” mit die höchsten Zustimmungswerte.) Demnach steht die Kinder- und Jugendarbeit mit ihren Leistungen eigentlich an der Spitze öffentlich reklamierter Bildungsziele, bleibt aber als Arbeitsfeld auf frappierende Weise hinter ihren Möglichkeiten zurück. 2 vgl. SPIEGEL Nr. 49 v. 29. Nov. 2004 3 vgl. DIE Zeit Nr. 50 v. 2. 12. 2004
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Angesichts dieser Ergebnisse bleibt schließlich die Verortung in einer lokalen bzw. regionalen Bildungslandschaft unerlässlich. Unterstützend hierzu wären im Rückbezug auf die eingangs angeführten Referenzpunkte der Generationenaspekt und die Funktion, die der Kinder- und Jugendarbeit hierbei zukommen könnte, offensiv zu thematisieren. Eine so verstandene reflektierte Re-Politisierung der Kinderund Jugendarbeit wäre zu konkretisieren, indem die Jugendpolitik auf allen Ebenen zu stellen, herauszufordern und – mit Schleiermacher! (1826) – danach anzufragen wäre, welche Vorstellungen, Absichten und vor allem: operationalisierbaren Umsetzungspläne sie im Sinne ihres Auftrages verfolgt, bzw. ob sie überhaupt irgendwelche Vorstellungen über die Ausgestaltung des Generationenverhältnisses hat und wie sie diese zu konkretisieren gedenkt. Dies gilt aktuell etwa für den proklamierten „Europäischen Pakt für die Jugend”4 (O-Ton: „Es ist unsere Aufgabe, der Lage der Jüngeren in unserer Gesellschaft unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken.”), für den ausgerufenen „Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ (NAP)5 wie auch für die Antwort der seinerzeit amtierenden Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU6 zu „Jugend in Deutschland”7 (O-Ton: „Kinder und Jugendliche stehen ganz oben auf der Agenda, denn starke Kinder und Jugendliche sind die Zukunft der Gesellschaft”). Wenn diese Papiere mehr sein sollen, als bloße Nebenprodukte der holzverarbeitenden Industrie, dann erfordern sie überaus konkrete und hartnäckige Nachfragen danach, welche wirklichen und konsistenten Umsetzungsschritte sich hiermit verbinden. Dabei ist zu vergegenwärtigen, dass Jugendpolitik sich nicht nur abstrakt und fernab ereignet, sondern vor allen Dingen auf der lokalen und regionalen Ebene stattfindet. Hier ist eine lokale und regionale Jugendpolitik zu mobilisieren, sind Antworten einzufordern und ggf. uneingelöste Handlungsspielräume aufzeigen. In diesem Zusammenhang käme gerade der verbandlichen Jugendarbeit in dem Maße gesonderte Bedeutung und Verantwortung zu, wie die kommunale Jugendarbeit durch ihre Einbindung in die öffentliche Verwaltung an der offensiven jugendpolitischen Artikulation derartiger Anliegen gehindert ist. Unumstritten gilt Bildung als die entscheidende Ressource gesellschaftlicher und individueller Zukunftsgestaltung. Und es ist die Kinder- und Jugendarbeit, die über einen eigenständigen Bildungsauftrag verfügt, welcher insbesondere nach den 4 http://www.bundesregierung.de/artikel-,413.738765/Ein-europaeischer-Pakt-fuer-di.htm 5 Jugendliche sowie das Arbeitsfeld Jugendarbeit werden hier immerhin, aber dennoch höchst marginal bzw. inkonsistent abgehandelt, so dass der Eindruck entsteht, eine vergleichsweise nationale Anstrengung für Jugendliche sei eher überflüssig. 6 http://www.cducsu.de/aktuelles/initiativen/ 140D50C47F7D9BD52C322A4553D5D5C911348o7i2njwh.pdf 7 Pressemitteilung des BMFSFJ Nr. 334/2005 vom 9.03.2005
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trostlosen Ergebnissen der PISA-Studien als unerlässliche Ergänzung schulischer Bildung auszugestalten und auszubauen ist. Ein Gemeinwesen, das an der Zukunftsfähigkeit der nachfolgenden Generation – und damit an seiner eigenen Zukunft – offensichtlich nicht mehr interessiert ist und dies nur noch in Spar- und Kürzungsrunden verdeutlicht, gibt sich selber auf. Sollte das allen Ernstes die aktuelle Botschaft zur Zukunftsgestaltung sein? Für die nächste Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit dürfte es im Hinblick auf ihre eigene Positionierung entscheidend sein, ob noch Gestaltungsspielräume wahrgenommen bzw. erstritten werden, oder ob nur noch der hilflose Nachvollzug dessen geschieht, was (scheinbar) ohnehin nicht zu ändern ist, um der Erosion des eigenen Arbeitsfeldes in Paralyse beizuwohnen. Die aufgezeigten Entwicklungen sind zweifellos nicht sonderlich erfreulich, aber es ist besser, angesichts schwierigster Rahmenbedingungen die eigenen Grenzen zu sehen und in ihnen handlungsfähig zu bleiben, als in resignativem Realismus zu verharren. Die historisch fundierte und gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe der Kinder- und Jugendarbeit ist keineswegs erledigt; im Gegenteil: nun wird es erst spannend, weil sich diese Aufgabe unter verschärften Rahmenbedingungen zu bewähren hätte. Und so wird die Kinder- und Jugendarbeit – solange Besseres nicht zu erwarten ist – Umwege zu beschreiten haben, dumme und intelligente. Der neue, nicht kategorische Imperativ könnte lauten, zu handeln „so gut man kann und so schlecht man muss” (R. Musil), und dabei stets die Fehlergrenzen des eigenen Tuns im Blick zu behalten. Das ist nicht gerade berauschend, aber darin steckt eine gehörige Anforderung. Wenn man es denn wirklich ernst meint.
Literatur Böhnisch, Lothar (2002) Lebensbewältigung. Ein sozialpolitisch inspiriertes Paradigma für die Soziale Arbeit. In: Thole, Werner. (Hrsg.): Grundriss Soziale Arbeit. Opladen; S. 199 – 214 Brenner, Gerd. (2004a): Jugendarbeit: Infrastrukturen beginnen zu kollabieren. In: deutsche jugend, 52. Jg.; H. 3, S. 102 – 104 Brenner, Gerd. (2004b): Kinder- und Jugendarbeit: Länder und Kommunen werden ihrer Verantwortung immer weniger gerecht. In: deutsche jugend, 52. Jg., Heft 5, S. 197 – 199 Brenner, Gerd (2004c): Sparen an der Jugendarbeit. In: deutsche jugend, 52. Jg., H. 11, S. 465-466 Hafeneger, Benno. (2005a): Jugendarbeit zwischen Veränderungsdruck und Erosion. In: deutsche jugend, 53, Jg., H. 2; S. 57 – 67 Hafeneger, B. (2005b): Strategievarianten in der Kinder- und Jugendförderung. In: deutsche jugend, 53. Jg., S. 249 – 251 Hirschauer, Paul (1995): Von der Privatisierung des Alltags und der Entkommunalisierung der Jugendhilfe. Anmerkungen zu einer scheinbar unaufhaltsamen Entwicklung. In: neue praxis. Jg. H. 3, S. 293 – 303
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DBJR-Info (2004) „Es geht an die Substanz”: Regierung spart an der Jugend. In: dbjr-info, Heft 5/04, S. 3 Gillen, Gabriele. (2004): Hartz IV. Eine Abrechnung. Reinbek b. Hamburg Heitmeyer, Wilhelm (2004): Die gespaltene Gesellschaft. In: Die ZEIT v. 2. 12., S. 12 Hornstein, Walter. (2003): Was macht die Politik mit der Jugend? Über die nicht einlösbaren Versprechungen, mit denen Politik die Jugend zu gewinnen sucht. In: ZfPäd, 49, Jg.; S. 870 – 884 Lindner, Werner/ Thole, Werner,/Weber, Jochen (2003) (Hrsg.): Kinder- und Jugendarbeit als Bildungsprojekt. Opladen Lindner, Werner (2003): Ich lerne zu leben. Evaluation von Bildungswirkungen in der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen. Qualitätsanalyse im Wirksamkeitsdialog. Unna Lindner, Werner/ Sturzenhecker, Benedikt (2004) (Hrsg.): Kinder- und Jugendarbeit: Vom Bildungsanspruch zur Bildungspraxis. Weinheim Lindner, Werner (2003): Ich lerne zu leben. Evaluation von Bildungswirkungen in der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen. Qualitätsanalyse im Wirksamkeitsdialog. Unna Lindner, Werner (2005a): Notizen zur Produktivität der Kinder- und Jugendarbeit. Beitrag zum 6. Bundeskongress Soziale Arbeit. In: Sozial EXTRA, 29. Jg., H. 7-8, S. 40 – 43 Lindner, Werner (2005 b): „Der Worte sind genug gewechselt...“ Konzeptionelle, reflektierende und methodische Annäherungen an die Ausgestaltung des Bildungsauftrags in der Kinder- und Jugendarbeit. In: deutsche jugend, 53. Jg., H. 7 – 8, S. 339 – 342 Manderscheid, Hejo (2000): Solidarität stiften statt Fürsorge organisieren. Was Wohlfahrtsverbände lernen müssen, wenn sich Soziale Arbeit verändern soll. In: Willken, U. (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ethik und Ökonomie. Freiburg i. Br., S. 119 – 150 Oltmanns, Reimar. (1983): Du hast keine Chance, aber nutze sie. Eine Jugend steigt aus. Hamburg Pothmann, Jens/ Thole, Werner (2005): Zum Befinden eines “Bildungsakteurs”. Beobachtungen und Analysen zur Kinder- und Jugendarbeit. In: deutsche jugend, 53. Jg., H. 2, S. 68 – 75 Rauschenbach, Thomas/ Düx, Wiebken./ Züchner, Ivo (2002) (Hrsg.): Jugendarbeit im Aufbruch. Selbstvergewisserungen, Impulse, Perspektiven. Weinheim und München Rauschenbach, Thomas (2004): Jugendarbeit unter Druck. Zur aktuellen Lage in schwieriger Zeit. (Vortrag beim Bayerischen Landesjugendring am 30.01.2004) Schefold, Werner/ Schröer, Wolfgang (2005): Jugendpolitik – wider ihren Ruf verteidigt. Walter Hornstein im Gespräch mit Werner Schefold und Wolfgang Schröer. In: Diskurs, 75. Jg., DJI-München, S. 45 – 55 Schilling, Mathias/ Pothmann, Jens/ Fuchs, K.arin Fendrich, Sandra (Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik) (2004): Kinder- und Jugendhilfe am Turning Point? Auswertungen und Analysen zu den Einrichtungs- und Personaldaten. In: FORUM Jugendhilfe, Heft 2, S. 48 – 52 Schilling, Mathias (2005): Der deutliche Ausgabenanstieg in der Kinder- und Jugendhilfe der letzten Jahre setzt sich nicht fort. In: FORUM Jugendhilfe, Heft 2, S. 55 – 58 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (2000): Gründzüge der Erziehungskunst. Vorlesungen 1826. In: Winkler. M./ Brachmann, J. (Hrsg.): Schleiermacher. Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe. Bd. II. Frankfurt/ Main Thole, Werner/ Pothmann, Jens (2005): Gute Jugendarbeit ist nicht umsonst zu haben. In: http:// www.uni-kassel.de/fb4/issl/ mitg/thol/pdf/Gute_Jugendarbeit. pdf Ungut, Peter (2004): Die Agonie des Sozialen. In: Kursbuch Nr. 157: Die große Entsolidarisierung. Berlin, S. 11 – 32 Zeh, Juli (2004): Spieltrieb. Roman, Frankfurt/M.
Die AutorInnen
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Die AutorInnen
Brenner, Gerd; Dr. phil.; in den 1960er und 1970er Jahren Mitglied von Stadt-, Diözesan- und Bundesleitungen der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ), Bildungsreferent dieses Schülerverbandes, freier Mitarbeite des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW), des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) und der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ); 1977 Eintritt in die Redaktion von „deutsche jugend“, Studiendirektor, Lehrer und Moderator in der Lehrerfortbildung, Autor schulischer Lehrwerke und pädagogischer Fachbücher, publizistische Tätigkeit im Bereich der Jugendarbeit.
Cloos, Peter; Dr. phil., Jg. 1965; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sozialwesen an der Universität Kassel, Fachbereich Sozialwesen, DFG-Forschungsprojekt „Performanz sozialpädagogischen Handelns in der Kinder- und Jugendarbeit“; Arbeitsschwerpunkte: Professionalisierung, Jugend- und Jugendhilfeforschung, qualitative Forschungsmethoden
Delmas, Nanine; Dipl.-Päd.; Kommunalverband für Jugend und Soziales BadenWürttemberg, Arbeitsschwerpunkte: Kooperation Jugendarbeit – Schule, außerschulische Bildung, Partizipation
Giesecke, Hermann, Prof. em. für Pädagogik und Sozialpädagogik an der Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine Pädagogik, Bildungspolitik, Politische Bildung, Jugendarbeit. Weitere Informationen unter: www.hermanngiesecke.de
Hornstein, Walter; Dr. phil. em.; Professor für Sozialisationsforschung und Sozialpädagogik; Arbeitsschwerpunkte: Sozialgeschichte des Kindes- und Jugendalters, Jugendtheorie, Theorie und Geschichte der Jugendhilfe, Theorie der Sozial-
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Die AutorInnen
pädagogik, pädagogische Gegenwartsdiagnose, soziale und kulturelle Aspekte der Globalisierung
Lindner, Werner, Diplom-Sozialarbeiter, Dipl.- Pädagoge, Dr. phil.; Sachgebietsund Teamleitung Kinder- und Jugendarbeit/Kinder- und Jugendschutz im Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie/Landesjugendamt in Hannover; Arbeitsschwerpunkte: sozialpädagogische Bildung, Jugendkultur– und Jugendforschung, Qualität und Professionalisierung in der Kinder- und Jugendarbeit, Lehrauftrag an der FH Jena
Kentler, Helmut; em. Universitätsprofessor, Dr., Diplom-Psychologe; Sozialpädagoge der Universität Hannover; Arbeitsschwerpunkte: Jugendforschung, sozialpädagogische Arbeit mit schwierigen oder behinderten Jugendlichen, Sexualpädagogik.
Müller, Burkhard, Dr., Professor i. R. am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Arbeitsschwerpunkte: Jugendarbeit und ihre Empirie, Methodik sozialpädagogischen Handelns, Psychoanalytische Pädagogik, Pädagogik in internationalen Beziehungen
Müller, C. Wolfgang; Dr., Prof. em.; Erziehungswissenschaftler und Jugendpfleger, Universitätsprofessor an der TU Berlin seit 1965. Zahlreiche eigenständige Buchpublikationen zur Jugendarbeit und zum Jugendamt, Methodengeschichte in der Sozialen Arbeit. Schwerpunkte in der Lehre: Methodenlehre Sozialer Arbeit und sozialwissenschaftliche Forschung, Schreibwerkstätten (‚Lust am wissenschaftlichen Schreiben‘)
Nörber, Martin; Dr. phil., Pädagoge M.A.; Referent für politische Bildung beim Hessischen Jugendring in Wiesbaden
Pothmann, Jens, Dr. phil., Dipl.-Päd.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik der Universität Dortmund; Arbeits-
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schwerpunkte: Theorie, Empirie und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der Erzieherischen Hilfen und der Kinder- und Jugendarbeit, Ökonomie der Sozialen Arbeit
Rose, Lotte; Diplom-Pädagogin, Dr. phil., Professorin für Kinder- und Jugendarbeit an der Fachhochschule Frankfurt am Main, Soziale Arbeit und Gesundheit, Geschäftsführerin des gemeinsamen Frauenforschungszentrums der Hessischen Fachhochschulen (gFFZ), Arbeitsschwerpunkte: Kindheits- und Jugendforschung, Kinder- und Jugendarbeit, Gender Mainstreaming
Scherr, Albert; Dr. phil. habil.; Professor an der Pädagogischen Hochschule Freiburg; Arbeitsschwerpunkte: Theorie der Sozialen Arbeit, Migration, Rassismus und kulturelle Differenz, Bildung und Subjektivität
Schröer, Wolfgang, Dr., Professor am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Geschichte der Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Kinder- und Jugendhilfe, Migration, Sozialpädagogische Beschäftigungsförderung, Transnationale Soziale Arbeit
Schröder, Achim, Dr. phil.; Professor für Jugendarbeit und Kulturpädagogik an der Fachhochschule Darmstadt. Ausgewählte Arbeitsschwerpunkte: Adoleszenz und Wandel der Jugendphase, Konfliktbewältigung durch szenisches Spiel, professionelle Beziehungen, politische Bildung und politisches Lernen, Gruppen im Jugendalter
Siegfried, Detlef, Dr. phil., Historiker. Associate Professor für Neuere Deutsche Geschichte und Kulturgeschichte an der Universität Kopenhagen. Arbeitsschwerpunkte u. a.: Geschichte der Bundesrepublik, Populärkultur, Technik und Gesellschaft.
Sturzenhecker, Benedikt; Dr. phil., Dipl. Päd., Supervisor (DGSv), Mediator; Professor für Erziehung und Bildung mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit an der Fach-
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Die AutorInnen
hochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit; Schwerpunkte: Jugendarbeit als Bildung, Jungenarbeit, Freiwilliges Engagement, Konzeptentwicklung, Professionalität in der Jugendarbeit, ästhetische Bildung
Thole, Werner, Prof. Dr. phil. habil.; Dipl.-Pädagoge und Dipl.-Sozialpädagoge; Hochschullehrer für Jugend- und Erwachsenenbildung an der Universität Kassel; Arbeitsschwerpunkte: Theoretische, professionsbezogene und disziplinäre Fragen der Sozialpädagogik, Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendforschung
Treptow, Rainer, Dr. phil. habil; Professor am Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit, Kulturelle Bildung, Internationalität Sozialer Arbeit
Wensierski, von, Hans-Jürgen, Dr. phil. habil.; Professor am Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik der Universität Rostock. Arbeitsschwerpunkte: Jugend- und Erwachsenenbildung, Neue Medien